189 14 10MB
German Pages 124 [131] Year 1987
ISSN 0044-3409 • Z. Psychol. • Leipzig • 194 (1986) 4 • S. 397-520
ZEITSCHRIFT FÜR
PSYCHOLOGIE mit Zeitschrift fur angewandte Psychologie
Schriftleitung Friedhart Klix, Berlin • Hans-Dieter Schmidt, Berlin • Hubert Sydow, Berlin Redaktion:
Jürgen Mehl, Berlin • Friedrich Kukla, Berlin
Unter Mitwirkung
von
N. Bischof, Zürich G. Clauß, Leipzig D. Dörner, Bamberg H. Düker, Marburg H.-J. Eysenck, London P. Fraisse, Paris W. Hacker, Dresden J . Helm, Berlin H. Hiebsch, Jena A. Kossakowski, Berlin
D. Koväc, Bratislava B. F. Lomow, Moskau D. Magnusson, Stockholm H. D. Rösler, Rostock R. Roth, Salzburg W. P. Sintschenko, Moskau M. Vorwerg, Leipzig D. Wendt, Hamburg M. Wertheimer, Boulder
JOHANN
AMBROSIUS
BARTH
LEIPZIG
Inhalt L o m o w , B. F. (Moskau). Ü b e r den S y s t e m a n s a t z in der Psychologie
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K r a u s e , W . , u n d P. Mirtschink (Berlin). Schizophrene D e n k s t ö r u n g e n . I d e n t i f i k a t i o n v o n P a r a m e t e r n aus Schlußprozessen f ü r eine r e c h n e r g e s t ü t z t e D i a g n o s e f i n d u n g in der p s y c h i a t r i s c h e n D i a g n o s t i k . Mit 14 A b b
411
, K u b i n g e r , K. D. (Wien). Einige E r k e n n t n i s b e i t r ä g e zur wissenschaftlichen Psychologie. K o n s e q u e n z e n der E n t w i c k l u n g s a r b e i t e n eines neuen Intelligenztests. Mit 10 A b b
443
F i l i b r a n d t , II. (Kiel). D a s V e r k i i r z u n g s k o n t i n u u m möglichen Lösuugswissens beim T u r m von Hanoi. Teil I. Mit 5 A b b
465
E i c h h o r n , R e n a t e (Berlin). Kognitiv-begriffliche R e p r ä s e n t a t i o n von M o r a l k o n z e p t e n als B e s t a n d teil der V e r h a l t e n s r e g u l a t i o n . Mit 8 A b b
48!)
S p r u n g , L., Helga S p r u n g u n d Sibylle K e r n c h e n (Berlin). E r i n n e r u n g e n an einen fast vergessenen Psychologen? Carl S t u m p f (1848-1936) zum 50. T o d e s t a g . Mit 1 A b b
509
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ZEITSCHRIFT
Band 194, 1986
FÜR
PSYCHOLOGIE Heft 4
Band 100
mit Zeitschrift für angewandte Psychologie Z. Psychol. 194 (1986) 397-409
J . A. Barth, Leipzig/DDR
Aus dem Institut für Psychologie der Akademie der Wissenschaften der U d S S R
Über den Systemansatz in der Psychologie 1 Von B. F. Lomow Die moderne Psychologie erlebt eine Periode des Aufschwungs und der stürmischen Entwicklung. Vergleicht man ihren jetzigen Stand mit dem zu Beginn unseres Jahrhunderts, so ist es nicht möglich, die entscheidende Erhöhung des Umfangs der durchgeführten Untersuchungen, die wachsende Zahl der Psychologen und die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Richtungen in der Psychologie zu übersehen. Entscheidend erweiterte sich auch der Kreis der Probleme, die innerhalb der Psychologie bearbeitet werden. Ihr Begriffsinventar wurde ausgebaut, die methodischen Möglichkeiten werden ständig vervollkommnet, es wächst die Rolle der Psychologie im allgemeinen System der modernen Wissenschaften. Gleichzeitig beteiligt sich die Psychologie unmittelbar an der Lösung einer v ielzahl praktischer Aufgaben (Lomow, 1971). Einige Probleme, die früher als rein phantastisch betrachtet wurden, stehen heute als reale wissenschaftliche Fragen auf der Tagesordnung (z. B. Arbeiten im Rahmen der Kosmosforschung, Untersuchungen zur Kontrolle des psychischen Zustandes). Entsprechend einer Feststellung von Palermo (1971) ist die experimentelle Psychologie für eine Revolution bereit, sofern sie nicht schon den Höchststand dieser Revolution erreicht hat. Die intensive Entwicklung der Psychologie als Wissenschaft ist bedingt durch die wachsende Bedeutung des subjektiven Faktors in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und dem damit einhergehendem Bedürfnis der Gesellschaft nach Wissen über den Menschen (Lomow, 1974). Da die Psychologie in gewissem Sinne das Wissen der Gesellschafts- und Naturwissenschaften synthetisiert, hat sie im System der Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit dem Menschen befassen, eine zentrale Stellung. Im Zusammenhang damit wächst das Bedürfnis anderer Wissenschaften nach Ergebnissen psychologischer Forschung. Eine der charakteristischen Tendenzen für den jetzigen Entwicklungsstand der Psychologie ist ihre zunehmende Differenzierung. In diesem Prozeß wird mitunter eine Gefahr gesehen, die darin besteht, daß die Psychologie von den allgemeinen Problemen und der Erarbeitung einer allgemeinen Theorie abgelenkt wird. Es muß allerdings bemerkt werden, daß diese Tendenz der Differenzierung nicht nur für die Entwicklung der Psychologie charakteristisch ist. Diesen Weg gehen alle Wissenschaften, und der Grad der Differenzierung ist ein Ausdruck ihres wissenschaftlichen Fortschritts. Natürlich widmet sich jede der Spezialdisziplinen innerhalb der Psychologie nur einem bestimmten Aspekt bzw. 1
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Übersetzung au^ dem Russischen von Antje Plagemann Z. Psychol. 194-4
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nur einem bestimmten Teil des gesamten Systems und dabei entsteht die Gefahr des Verlustes der Beziehung zum Gesamtsystem. Gleichzeitig ist die Differenzierung der Wissenschaft eine unerläßliche Bedingung für die eingehende und gründliche Untersuchung dieses ausgewählten Aspektes. Somit werden in jedem einzelnen Gebiet der Psychologie so spezifische Daten gewonnen, wie sie eben aufgrund der Spezialisierung nur in diesem und in keinem anderem sonst erzielt werden können. Der Differenzierung gegenüber steht eine andere Entwicklungstendenz, die ebenfalls für alle neuen Wissenschaften charakteristisch ist — die Integration ihrer Bereiche und Richtungen. Mit der immer gründlicheren Untersuchung eines spezifischen Gegenstandes entstehen in jeder der Spezialdisziplinen Probleme, deren Lösung ein Überschreiten der Grenzen dieses Gebietes und die Hinwendung zu Ergebnissen anderer Bereiche erfordert. Die Dialektik der wissenschaftlichen Erkenntnis besteht nun einmal darin, daß mit dem fortschreitendem Eindringen in einen ausgewählten Gegenstand gleichzeitig die Notwendigkeit nach Kontakten mit anderen Disziplinen wächst. Natürlich schafft der Kontakt zwischen den Bereichen der Psychologie nur die Voraussetzungen für eine Integration, im besten Fall ist er ihre erste Stufe. Eine tatsächliche Integration setzt voraus, daß aus der Masse der speziellen Beschreibungen und Ergebnisse, die in den verschiedenen psychologischen Spezialdisziplinen gewonnen worden sind und die sich nicht selten widersprechen, das Grundlegende, Wesentliche und Allgemeine der psychologischen Erscheinungen aufgedeckt wird, was sich bei jeder speziellen Untersuchung in der einen oder anderen Form zeigen muß. Zu beachten ist, daß sich letztlich alle Spezialgebiete der Psychologie dort wiederfinden und zusammentreffen, wo es um ihre grundlegenden Probleme geht, um die Ausarbeitung einer allgemeinen Theorie der Psychologie. Differenzierung und Integration sind also ihrem Wesen nach zwei Seiten eines einheitlichen Prozesses der progressiven Wissenschaftsentwicklung. Daß die Psychologie den allgemeinen Gesetzen der Dialektik der wissenschaftlichen Erkenntnis unterliegt, ist nicht erstaunllich. Erstaunlich ist etwas anderes, nämlich die außerordentliche Breite und Vielfalt der Verbindungen der Psychologie mit anderen Wissenschaften. In dieser Beziehung kann sich wahrscheinlich kein anderes Gebiet der wissenschaftlichen Erkenntnis mit ihr vergleichen. Wenn sich die Psychologie auch weit verzweigt, so verliert sie doch ihre grundlegende Aufgabe nicht aus dem Auge (zumindest sollte sie das nicht), die in der Erforschung der Natur der Psyche, ihrer Mechanismen und der sie leitenden Gesetzmäßigkeiten besteht. Letztendlich finden sich eben aufgrund dieser Aufgabe die verschiedenen Bereiche der Psychologie wieder zusammen. Jeder von ihnen entdeckt ganz spezielle Seiten und Eigenschaften der Erscheinungen, die gemeinsamer (psychischer) Natur sind und leistet somit seinen spezifischen Beitrag bei der Erforschung des Wesens dieser Erscheinungen. Jeder von ihnen geht den Weg von der Untersuchung des Besonderen zum Verständnis des Allgemeinen und zeigt damit auch, wie das Allgemeine im Besonderen zum Ausdruck kommt. Warum jedoch war es möglich, daß sich in der Psychologie so eine Vielzahl unterschiedlicher Bereiche und Äste herausbilden konnten, von denen viele scheinbar in ganz unterschiedliche Richtungen gehen?
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Die Vielzahl der Bereiche in der Psychologie wird hervorgerufen durch die Vielzahl der praktischen Aufgaben, die vor ihr stehen. Gleichzeitig ist sie verbunden mit den inneren Entwicklungsbedürfnissen in der Psychologie selbst. Aber sie wäre trotzdem unmöglich, wenn nicht der Gegenstand der psychologischen Forschung so eine Mannigfaltigkeit besitzen würde. Das bedeutet, daß die genannte Vielfältigkeit vor allem durch die Natur der psychischen Erscheinungen bedingt ist. Grundlegender (wenn nicht sogar einziger) Gegenstand psychologischer Forschung ist der Mensch, das komplizierteste aller der Wissenschaft bekannten Systeme. Um mit Pawlow zu sprechen: „Der Mensch ist natürlich ein System (grob gesagt eine Maschine) das, wie auch jedes andere in der Natur den unausweichlichen und einheitlichen Naturgesetzen unterliegt, aber ein System, das im Gesichtsfeld unserer modernen Wissenschaften bezüglich der Höhe seiner Selbstregulation einzigartig ist" (Pawlow, 1951). Der Mensch wurde in der Wissenschaft schon lange als komplexes Problem angesehen (s. Ananjew, 1968). Untersucht wird der Mensch sowohl als Ergebnis der biologischen Evolution als auch als wichtigstes Element der gesellschaftlichen Produktivkräfte und als Träger der Produktionsverhältnisse und aller anderen gesellschaftlichen Beziehungen. Er ist in viele Systeme des realen Lebens einbezogen. Nach Rubinstein (1973) sind auch die Beziehungen und Verbindungen des Menschen mit der ihn umgebenden Welt außerordentlich mannigfaltig. Aus diesem Grund sind auch seine Eigenschaften sehr verschiedenartig. In dieser Mannigfaltigkeit und Vielzahl der inneren und äußeren Bedingungen, Beziehungen und Eigenschaften des Menschen erweist es sich als äußerst kompliziert, diejenigen herauszufinden, die den Gegenstand der psychologischen Forschung bilden. Nach Ansicht der Philosophie sind der Wissenschaft drei grundlegende Abarten objektiv miteinander in Wechselbeziehung stehender Eigenschaften bekannt: materiell-strukturelle, funktionale und Systemeigenschaften (Kusmin, 1974). Der Versuch, die psychologischen Eigenschaften materiell-strukturell zu betrachten, was für den vulgären Materialismus charakteristisch war, führte nicht zur Aufhellung ihres Wesens. Nutzbringender erwies sich der Ansatz, welcher die psychologischen Eigenschaften als funktionale Eigenschaften betrachtet. Im Grunde genommen beginnt die Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie erst mit dieser Betrachtungsweise psychologischer Eigenschaften. Durch diese Herangehensweise wurde unter anderem die für die Entwicklung der Psychologie so entscheidende These formuliert, daß das Psychische bei Mensch und Tier als Regulator des Verhaltens auftritt. Der Ansatz, die psychischen Erscheinungen im Rahmen ihrer realen Funktion für das Verhalten und die Tätigkeit zu analysieren, erlaubte es, eine große Zahl wesentlicher Charakteristika der Psyche herauszustellen. Diese Herangehensweise hat bis heute ihre Bedeutung nicht verloren; Untersuchungen in dieser Richtung sind außerordentlich wichtig. Die Erforschung der Psyche als Funktion führt ganz gesetzmäßig die Notwendigkeit herbei, die psychischen Eigenschaften des Menschen in der ganzen Reichhaltigkeit seiner Beziehungen zu dem komplizierten System zu betrachten, in dem er lebt. Bei der Untersuchung des Psychischen zeigen sich jedoch nicht nur seine funktionalen Eigenschaften, sondern auch Systemeigenschaften. Der Verdienst ihrer Entdeckung kommt vor allem Karl Marx zu. Systemeigenschaften sind die kompliziertesten Eigen26*
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schatten der Materie (Kusmin, 1974). Als integrale Eigenschaften sind sie der unmittelbaren Beobachtung nicht zugänglich und können nur über den Weg der wissenschaftlichen Analyse der Systeme erfaßt werden, deren Bestandteil der Mensch ist und deren Gesetzmäßigkeiten sein Verhalten (und sein Leben insgesamt) unterliegt. Wie Rubinstein zeigte, ist das menschliche Leben kein „homogener Gegenstand", es zeichnet sich durch unterschiedliche Ebenen, Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit aus (Rubinstein, 1973). Um die ganze Vielfalt menschlicher Eigenschaften aufdecken zu können und um den Platz zu bestimmen, den dabei die psychischen Eigenschaften einnehmen, muß die Gesamtheit der Systeme betrachtet werden, die das Sein des Menschen ausmachen und sich als die Grundlage seiner Eigenschaften erweisen, d. h. die gesamte Existenzweise des Menschen muß berücksichtigt werden. Im vorliegenden Artikel wollen wir es nicht auf uns nehmen, eine Analyse dieser Systeme vorzunehmen. Das ist eine komplizierte Aufgabe, die eine selbständige Untersuchung verlangen würde. Wir wollen nur die von unserem Standpunkt aus wichtigsten Linien einer solchen Analyse entwerfen. Es ist heute nicht mehr notwendig nachzuweisen, daß die führende Rolle in den Beziehungen des Menschen zur Welt diejenigen haben, die durch seine Zugehörigkeit zum sozialen System existent werden. Namentlich sie bilden die Grundlage der sozialen Eigenschaften des Menschen. Natürlich ist dieses soziale System ebenfalls ein kompliziertes Gebilde, welches eine große Zahl von Teilsystemen unterschiedlicher Ordnung umfaßt. Damit ist auch der konkrete Mensch eine Komponente vieler Teilsysteme. So tritt er gleichzeitig als Familienmitglied und als Mitglied eines bestimmten Arbeitskollektives auf, als Vertreter einer bestimmten Klasse, einer bestimmten Nation, eines Volkes, als Staatsbürger usw. Die Vielfältigkeit der Teilsysteme, in die der Mensch einbezogen ist, bestimmt auch die Vielfältigkeit seiner sozialen Eigenschaften. Die Position, die der konkrete Mensch im sozialen System (und in seinen Teilsystemen) einnimmt, bestimmt die Ausrichtung seiner Tätigkeit, ihren Inhalt und ihre Ausführungsweise, aber auch die Art und den Kreis der Kommunikation dieses Menschen mit anderen Leuten, d. h. seine Lebensweise als Mitglied der Gesellschaft. In bezug auf den Menschen stellen die sozialen Eigenschaften nicht irgend etwas dar was ihm von außen, ähnlich wie ein Etikett aufgelegt wurde. Im Prozeß der Tätigkeit und der Kommunikation werden sie ganz nebenbei und unauffällig zu psychologischen Eigenschaften des Menschen. Psychologische Eigenschaften außerhalb des Systems der gesellschaftlichen Beziehungen, in das die Persönlichkeit eingebunden ist, existieren nicht (ebenso, wie es z. B. den Wert einer Ware nicht außerhalb ihrer Beziehung zu anderen Waren und unabhängig von der ihr zugrunde liegenden Arbeit gibt). In diesem Sinne kann man wahrscheinlich über eine bestimmte Kategorie psychologischer Eigenschaften wie über individualisierte (d. h. als Eigenschaften des Individuums auftretende) soziale Eigenschaften sprechen. Die Einzigartigkeit der sozialen Position des Menschen, seiner Lebensweise und seines Lebensweges erzeugen auch die Einzigartigkeit seiner Persönlichkeit. Es erscheint wichtig darauf hinzuweisen, daß das soziale System nicht nur die psychologischen Persönlichkeitseigenschaften bestimmt, sondern in gewissem Maße auch auf die
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Entwicklung der psychischen Prozesse Einfluß hat (Wygotski, 1960; Leontjew, 1971; Luria, 1974). Aber heißt das nun, daß alle psychologischen Eigenschaften samt und sonders über die Analyse der sozialen Lebensbedingungen des Menschen erfaßt werden können, daß das soziale System die einzige Grundlage dieser Eigenschaften ist? Doch wohl nicht. Es ist z. B. nicht möglich, auf dieser Grundlage'die sensorische Organisation des Menschen und die sensorisch-perzeptiven Prozesse zu erklären, obwohl Ananjew (1960) nachweisen konnte, daß diese Charakteristika auch von der Arbeitstätigkeit des Menschen abhängen. Wollen wir sie umfassend untersuchen, so sind wir gezwungen, uns auch der Analyse anderer Systeme zuzuwenden, die ebenfalls eine Grundlage psychologischer Eigenschaften bilden. Wenn wir auch die führende Rolle der sozialen Faktoren häufig hervorheben, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß der Mensch auch als natürliches Wesen, als Organismus zu betrachten ist. Das Sein des Menschen wird nur durch die Kommunikation und die Tätigkeit, in deren Verlauf sich die sozialen Eigenschaften formen, nicht ausgeschöpft. Ein notwendiger Bestandteil des Lebens, seine Grundlage, ist die biologische Entwicklung. Die biologischen Eigenschaften des Menschen (Eigenschaften, die durch seine Zugehörigkeit zum biologischen System bedingt sind) sind ebenfalls außerordentlich vielfältig. Sie werden durch die Lage bestimmt, die der Mensch als biologische Gattung im „Evolutionsbaum" einnimmt, durch seine Zugehörigkeit zur Biosphäre usw. Die biologischen Gesetzmäßigkeiten werden durch die soziale Existenzweise des Menschen nicht einfach abgelöst oder ersetzt. Allerdings verändern sich ihre Wirkbedingungen, und sie erscheinen daher in einer für den Menschen spezifischen Art. In den Mittelpunkt rückte bei der Erforschung der biologischen Grundlagen psychischer Erscheinungen im Laufe der Wissenschaftsentwicklung die Frage nach dem Wechselverhältnis von psychischen und neurophysiologischen Prozessen; was ganz natürlich ist, da das Nervensystem das Substrat des Psychischen ist. Jedoch führten die Versuche, die genannten Prozesse unmittelbar miteinander in Beziehung setzen zu wollen, zu Konzeptionen, innerhalb derer das Psychische mit dem Neurophysiologischen gleichgesetzt oder als dessen „subjektive" Seite angesehen wurde oder aber die psychischen Prozesse wurden als direkte Fortsetzung der neurophysiologischen betrachtet (als ob beide Prozesse auf einer Linie, eben nur aufeinander folgende, ausgerichtet wären). Diese Versuche endeten jedoch in der Sackgasse. Aussichtsreich erscheint der Ansatz, bereits bei der Analyse der neurophysiologischen Grundlagen das Systemprinzip zu beachten. Entwickelt wurde dieser Ansatz sowohl in der Theorie des funktionalen Systems von Anochin (1968, 1973) als äüch in der Theorie der dynamischen Lokalisierung der psychischen Funktionen von Luria (1963). Von diesen Positionen ausgehend, werden die komplexeren psychischen Prozesse nicht direkt mit den elementaren neurophysiologischen in Beziehung gesetzt, sondern über die Analyse der im Gehirn wirkenden allgemeinen System-Mechanismen, über die Prozesse im Nervensystem, die die Elemente zu einem einheitlichen Ganzen vereinen — zu dem funktionalem System des Verhaltensaktes. Das Psychische wird also im Zusammenhang mit der Erforschung der Integration dieser elementaren neurophysiologischen Prozesse betrachtet. Auf diese Art und Weise tritt das Psychische in bezug zum Neurophysiologischen als
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Systemeigenschaft auf: es wird nicht durch die Menge der einzelnen Elemente realisiert, sondern in der Dynamik des als einheitliches System funktionierenden Gehirns. Versucht man, die Lage der psychischen Eigenschaften im System der anderen Eigenschaften des Menschen zu definieren, so werden sie nicht selten entweder der Kategorie der sozialen oder der Kategorie der biologischen Eigenschaften zugeordnet oder man siedelt sie „irgendwo dazwischen" an. Wie Piaget (1970) meint, zerreißt sich die Psychologie ständig zwischen Physiologie und Soziologie. Mit solchen Aussagen kann man sich wohl kaum zufriedengeben oder einverstanden erklären. Die psychologischen Eigenschaften sind letztendlich weder ganz auf die sozialen noch auf die biologischen Eigenschaften zurückzuführen, und sie befinden sich auch nicht zwischen oder über ihnen. Natürlich sind sie weder von den einen noch von den anderen zu trennen: die psychologischen Eigenschaften durchdringen sozusagen sowohl die biologischen als auch die sozialen Eigenschaften, sie durchziehen sie. Gleichzeitig werden viele der sozialen und der biologischen Eigenschaften des Menschen in seinem Verhalten und seiner Tätigkeit über die psychologischen Eigenschaften realisiert. Gehen wir auf dem gewählten Analyseweg weiter, so kommen wir auch zur Zugehörigkeit des Menschen zum physikalischen System. Das, was als erstes zutage tritt, wenn wir die Umwelt, in der der Mensch lebt, analysieren, sind ihre physikalischen Eigenschaften. Die Umwelt erscheint vor dem Menschen als Gesamtheit physikalischer Körper und Gegenstände, die sich entweder im Entwicklungsprozeß der Natur herausgebildet haben oder vom Menschen geschaffen worden sind. Es entsteht also ganz automatisch die Frage, wie die mechanischen, optischen, akustischen, chemischen usw. Eigenschaften der real existierenden Gegenstände in den Empfindungen und Wahrnehmungen des Menschen widergespiegelt werden. Die Notwendigkeit der Orientierung des Organismus in der ihn umgebenden Umwelt führte im Prozeß der biologischen Evolution zur Herausbildung spezialisierter, anatomisch differenzierter Apparate (Sinnesorgane), die die Widerspiegelung dieser Eigenschaften von Gegenständen und Erscheinungen der materiellen Welt ermöglichen. Ahnliche, anatomisch spezialisierte Apparate für die unmittelbare Widerspiegelung biologischer, erst recht aber sozialer Erscheinungen sind nicht vorhanden. Ihre Widerspiegelung erfolgt ebenfalls über die Sinnesorgane. Bei der Analyse der sensorischen und der perzeptiven Prozesse ist die Psychologie gezwungen, sich auch der Analyse der physikalischen Wechselwirkungen zwischen den Sinnesorganen und den Gegenständen zu widmen, die mit Hilfe dieser Prozesse widergespiegelt werden. Es ist unmöglich, die Gesetzmäßigkeiten der Entstehung von Empfindung und Wahrnehmung und ihrer Eigenschaften zu verstehen, ohne die Analyse der Bedingungen und Mechanismen der physikalischen und chemischen Wechselwirkungen von Sinnesorgan und Objekt vorzunehmen. Es ist jedoch ebenfalls nicht möglich, diese Gesetzmäßigkeiten vollständig aus den Wechselwirkungen abzuleiten. Die Sache ist die, daß die sensorisch-perzeptiven Abbilder, die im Prozeß der physikalischen Wechselwirkung entstehen, ein anderes System versorgen — das Verhalten des lebenden Organismus. Daher ist es notwendig, über die Grenzen der physikalischen Einwirkungen hinauszugehen und den Übergang zu einem anderen Analyseplan vorzunehmen — der Analyse der funktionalen Eigenschaften des Verhaltens und der Tätigkeit.
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Der Mensch lebt nicht nur in einer physikalischen Umwelt, er ist selbst ein physikalischer Körper, und als solcher besitzt er eine Reihe physikalischer Eigenschaften. Auf den ersten Blick mag es scheinen, daß die physikalischen Eigenschaften des Menschen keinerlei Verbindung zur Psychologie haben. Wenden wir uns allerdings der Analyse der psychischen Regulationsmechanismen der gegenständlich-praktischen Handlungen zu (Manipulieren mit Gegenständen, Bewegung im Raum), so kommen wir nicht umhin, diese Eigenschaften mitzuberücksichtigen. Besonders klar wurde diese Notwendigkeit in Zusammenhang mit der Entwicklung der Flugpsychologie und der kosmischen Psychologie. Es ist bekannt, daß sich während des Fluges beim Menschen Veränderungen der Wahrnehmung, der Bewegungskoordination, der räumlichen und zeitlichen Orientierung vollziehen (Beregowoi, 1971; Chrunow u. a., 1974). Es ist sehr unwahrscheinlich, daß man diese Veränderungen verstehen kann ohne die Analyse des neuen Systems der physikalischen Einwirkungen, dem der Mensch während eines kosmischen Fluges ausgesetzt ist. Natürlich erweist sich die Zugehörigkeit des Menschen zu einem physikalischen System nicht als die unmittelbare Grundlage für die verschiedenen psychologischen Eigenschaften. Die Wirkung der physikalischen Gesetze erscheint in diesen Eigenschaften nicht unmittelbar und offensichtlich, sondern nur sehr indirekt; bilden doch diese Gesetze eine sehr tief unten liegende Grundlage des Lebens. Und so befindet sich der Mensch sozusagen am Schnittpunkt vieler unterschiedlicher Systeme verschiedener Ordnung. In diesem Sinne kann man von seiner Existenz als von einem Prozeß sprechen, der in vielen Systemen abläuft. Die Zugehörigkeit des Menschen zu vielen Systemen wird in den einen oder anderen seiner psychologischen Eigenschaften deutlich. Die Vielfalt der Grundlagen dieser Eigenschaften ermöglicht ihre Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit. Aber gleichzeitig stellt die Psyche etwas Einheitliches, etwas Integriertes dar. Die Ganzheitlichkeit psychischer Erscheinungen, ihre Unzerlegbarkeit in „Teilchen" wird gewöhnlich als eine der grundlegenden Charakteristika hervorgehoben. Trotz der gezeigten Mannigfaltigkeit treten die psychischen Erscheinungen als beständige, ununterbrochene Kette auf. Daher können sie selbst auch als System angesehen werden. Die Einheit der Psyche als System drückt sich in ihrer allgemeinen Funktion aus: als subjektive Widerspiegelung der objektiven Realität erfüllt sie die Funktion der Verhaltensregulation. Auf den verschiedenen Entwicklungsstufen des Lebens wird diese Funktion auf verschiedene Art und Weise erfüllt. Im Tierreich erscheint sie in der Fähigkeit zur Anpassung des Organismus an die Umwelt, beim Menschen wird sie in Form der bewußten, zielgerichteten Tätigkeit deutlich, die den Menschen zur Veränderung der Umwelt befähigt, unter diesen Bedingungen drückt sie sich mittelbar in sozialen Faktoren aus. Die Natur der Psyche ist dergestalt, daß wir im Prozeß ihrer Untersuchung mit der Notwendigkeit konfrontiert werden, eine Reihe von Beziehungen bzw. Verhältnissen verschiedener Ordnung zu betrachten: das Verhältnis der Widerspiegelung zum widergespiegelten Objekt (Widerspiegelung als Abbild), die Beziehung der Widerspiegelung zum Verhalten (Widerspiegelung als Verhaltensregulator). Alle diese Verbindungen werden in einem einheitlichen Prozeß realisiert, dessen
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Dynamik von den konkreten Bedingungen seines Verlaufs abhängt. Auf diese Art und Weise entsteht aus dem Wesen der psychischen Erscheinungen die Notwendigkeit der Verbindung mehrerer Analyseebenen. Uns erscheint es, daß die Natur des Psychischen nur auf der Grundlage des Systemansatzes verstanden werden kann, d. h. durch die Betrachtung des Psychischen in der Vielzahl der äußeren und inneren Bedingungen, in welcher es als ganzheitliches System existiert. Nur auf der Grundlage des Systemansatzes kann die Vielzahl der psychologischen Richtungen und Bereiche vereint werden. Es wäre allerdings ein Fehler anzunehmen, daß bereits die Nebeneinanderstellung der Ergebnisse, die in den verschiedenen Gebieten der Psychologie angehäuft wurden, die Realisierung des Systemansatzes bedeute (aber mit solchen Vorstellungen vom Systemansatz wird man mitunter konfrontiert). Die wirkliche Aufgabe besteht darin, die gesetzmäßigen Verbindungen zwischen diesen Ergebnissen herzustellen. Unseres Erachtens ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem in der Psychologie die Bedingungen für die effektive und folgerichtige Realisierung des Systemansatzes gegeben sind. Es ist zu unterstreichen, daß die Idee vom Systemansatz nicht neu ist. Es ist nicht ganz richtig, sie mit der Entstehung der Kybernetik in Verbindung zu bringen. Die Grundlagen des Systemansatzes bei der Erforschung der Gesellschaft wurden von Marx herausgearbeitet, in der Biologie wurde diese Aufgabe von Darwin gelöst und in der Chemie von Mendelejew. Dieser Ansatz entsteht aus den Prinzipien des dialektischen Materialismus. Bereits zu Beginn der wissenschaftlichen Entwicklung der Psychologie sprachen solche Forscher wie Ebbinghaus (1902) und Setschenow (1952) über den System-Charakter der psychischen Erscheinungen. Zu dieser Zeit erlaubte der Entwicklungsstand der Psychologie allerdings noch nicht die Realisierung des Systemansatzes. Notwendig war ein langer Weg der Wissenschaftsentwicklung, verbunden mit ihrer Differenzierung, der Anhäufung experimenteller Befunde und der Überprüfung und Erarbeitung verschiedener Analysemethoden und Untersuchungsansätze, bis die Grundlagen dafür geschaffen waren. Es ist auch heute noch schwierig, die konkreten Wege für die System-Analyse genau zu definieren. Möglich erscheint uns jedoch die Formulierung einiger allgemeiner Forderungen. Ohne Vollständigkeit anzustreben, wollen wir versuchen, einige wesentliche hier zu nennen. 1. Bei der Untersuchung der psychischen Erscheinungen in irgendeinem bestimmten „Koordinatensystem" müssen wir von ihren anderen Abmessungen gewissermaßen abstrahieren und erhalten so natürlich immer nur die Eigenschaften, die in diesem „Koordinatensystem" erfaßbar sind. Wir erhalten damit einen Schnitt durch eine Ebene. So eine Abstraktion ist natürlich für die wissenschaftliche Erkenntnis zulässig, aber man sollte immer daran denken, daß es sich um eine Abstraktion handelt und damit immer nur eine Seite psychischer Erscheinungen erfaßt wurden. Es ist daher ebenso unmöglich, aufgrund dieses einen Schnittes die untersuchten Erscheinungen in ihrer Gesamtheit verstehen zu wollen, wie es unmöglich ist, einen komplizierten Körper aufgrund einer einzigen Darstellung in der Ebene darzustellen.
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So erfassen psychophysische Untersuchungen der Wahrnehmung eine ganz bestimmte Ebene, psychophysiologische eine andere und die Untersuchung der Wahrnehmung im Bezug zur Tätigkeit wieder eine andere. Mit keiner von ihnen kann die Wahrnehmung allumfassend beschrieben werden. Die Versuche, Schlußfolgerungen, die auf einer Ebene erzielt wurden, auf alle anderen auszuweiten, führten und führen gewöhnlich nicht zum Erfolg. Es gelingt z. B. nicht, solche Eigenschaften der menschlichen Wahrnehmung zu verstehen, wie Apperzeption und Sinnhaftigkeit, ausgehend von den klassischen psychophysischen Gesetzmäßigkeiten. Alle die Wahrnehmung untersuchenden Richtungen tun dies mit den für sie spezifischen Methoden und den entsprechenden Maßeinheiten. Diese unterschiedlichen Ergebnisse zu einem Knoten zusammenzufügen, ist eine außerordentlich schwierige Angelegenheit, und das trifft nicht nur für die Wahrnehmung zu, sondern auch für die anderen psychischen Prozesse und erst recht für psychische Zustände und die Persönlichkeitseigenschaften. Neuere Resultate bestätigen, daß die psychischen Erscheinungen mehrdimensional siiid und als solche müssen sie auch untersucht werden. 2. Das System der psychischen Erscheinungen ist vielschichtig und offensichtlich hierarchisch aufgebaut. Es umfaßt verschiedene Teilsysteme, die verschiedene Eigenschaften besitzen. Drei grundlegende, untrennbar miteinander verbundene Teilsysteme lassen sich herausheben: das kognitive, das die Erkenntnisfunktion realisiert; das regulative, das die Verhaltens- und Tätigkeitsregulation ermöglicht und das kommunikative, das sich im Umgang mit den anderen Menschen herausbildet und diesen ermöglicht. Jedes Teilsystem kann weiter aufgegliedert werden. So umfaßt das kognitive System, das bisher am gründlichsten untersucht wurde, die sensorisch-perzeptive Ebene, die Ebene der Vorstellung und die Ebene von Sprache und Denken. Leider sind das regulative und besonders das kommunikative Teilsystem bisher noch sehr wenig untersucht. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Ebenen und den Teilsystemen ist nicht eindeutig und zeichnet sich durch hohe Dynamik aus. Das schafft zusätzliche Schwierigkeiten für die System-Analyse. Auf diese Schwierigkeiten stößt man z. B., wenn man versucht, die psychischen Prozesse auf ein neurophysiologisches „Skelett" aufzulegen oder die psychischen Zustände eines Menschen mit Hilfe von Korrelationen zwischen psychologischen und psychophysiologischen Meßwerten zu beschreiben. Die wichtigste Bedingung für die Aufdeckung der Wechselbeziehungen zwischen den Teilsystemen ist die Bestimmung des systembildenden Faktors (Anochin, 1968, 1973) oder der systembildenden Komponenten (Kusmin, 1974; Tjuchtin, 1972). Gemeint ist der Faktor, dessen Wirkung die verschiedenen Mechanismen zu einem einheitlichen funktionell-dynamischen System vereint. Bei der Untersuchung des Psychischen ist der Weg von den unteren zu den höheren Ebenen der am weitesten verbreitete Untersuchungsgang. Jedoch auch der Weg von den höheren Ebenen und Teilsystemen kann äußerst produktiv sein. Die Vielschichtigkeit des Psychischen veranlaßt anzunehmen, daß die Gesetzmäßigkeiten, denen es unterliegt, verschiedene Wirkungsbreiten haben. Es existieren offenbar allgemeine Gesetzmäßigkeiten, die auf allen Ebenen und in allen Teilsystemen wirken. Ihre Wirkung ist aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen in den verschiedenen Teil-
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systemen unterschiedlich. Aber es gibt auch spezifische Gesetzmäßigkeiten, die nur auf bestimmten Ebenen bzw. in bestimmten Teilsystemen wirken. 3. Bei der Beschreibung psychologischer Eigenschaften des Menschen kommt es darauf an, die Vielzahl der Beziehungen im Auge zu behalten, unter und mit denen er existiert, da diese die Verschiedenartigkeit und die unterschiedlichen „Ordnungen" seiner Eigenschaften bedingen. Leider ist die Frage der unterschiedlichen Ordnung der Eigenschaften noch nicht in ausreichendem Maße bearbeitet und so werden bei Beschreibungen Eigenschaften ganz verschiedener Ordnung nebeneinander gestellt, z. B. Eigenschaften des Nervensystems, Temperament, Charakterzüge, Fähigkeiten usw. Natürlich haben sie alle gewisse gemeinsame Merkmale. Aber, und das muß hervorgehoben werden, die Grundlage dieser Merkmale ist nicht identisch. Daher ist es notwendig, ein mehrdimensionales Klassifikationssystem psychologischer Eigenschaften zu erarbeiten, was eine eigenständige wissenschaftliche Aufgabe darstellt. Von bestimmten Eigenschaften kann man sagen, daß es „die eigentlichen Eigenschaften" des Individuums sind. Wobei die Bezeichnung „eigentlich" natürlich relativ zu sehen ist. Gemeint sind die sogenannten Eigenschaften erster Ordnung. Nebylitzin bezeichnete sie auch als natürliche bzw. angeborene. Zu ihnen gehören die Sensibilität der Sinnesorgane und die Eigenschaften des Nervensystems. Bewertet werden sie über solche Parameter, wie Stärke, Dynamik und Ausgeglichenheit der Nervenprozesse (Teplow, 1960; Nebylitzin, 1966). Die Untersuchungen von Nebylitzin zeigten, daß auch im Nervensystem zwischen allgemeinen und partiellen Eigenschaften unterschieden werden muß und zwischen primären und sekundären. Natürlich kann man diese Eigenschaften nur im weitesten Sinne zu den psychologischen zählen. Es sind psychophysiologische oder sogar mehr physiologische, aber sie bilden die Grundlage für die eigentlichen psychologischen Eigenschaften. Solche Eigenschaften, die nur existieren, weil das Individuum einem bestimmten System angehört, sind ebenfalls herauszustellen. Zu ihnen gehören z. B . die Fähigkeiten des Menschen, die dann auch nicht als Eigenschaften erster Ordnung bezeichnet werden können, denn sie sind höherer Ordnung. Ihre Grundlagen zeigen sich erst über die Analyse der Tätigkeit. Außerhalb des Systems der Tätigkeiten, die vom Individuum beherrscht werden, über Fähigkeiten zu sprechen, ist unsinnig. Eigenschaften höherer Ordnung können unterschieden werden nach: 1. Eigenschaften, die über die Analyse eines bestimmten Systems (z. B . des sozialen oder des biologischen) erfaßt werden können; 2. Eigenschaften, die die Analyse mehrerer Systeme erfordern, die auch unterschiedlicher Natur sein können. Erstere bezeichnen wir als Mono-SystemEigenschaften und letztere als Poly-System-Eigenschaften. Charakterzüge z. B. gehören zu den Poly-System-Eigenschaften, da sich in ihnen Systeme von Beziehungen zeigen, die nicht nur in der Tätigkeit, sondern auch in der Kommunikation realisiert werden und dabei in verschiedenen Tätigkeitsarten und in verschiedenen Kommunikationsformen. Auf diese Art und Weise entsteht sozusagen eine Eigenschaftspyramide. Leider existiert z. Z. noch keine befriedigende Konzeption, die das System der psychologischen Eigenschaften unterschiedlicherOrdnung, die Grundlagen dieser Eigenschaften und ihre Wechselbeziehungen aufhellen hilft. Die Erarbeitung einer solchen Konzeption stellt unseres Erachtens eine der aktuellsten Aufgaben der Psychologie dar.
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Man kann davon ausgehen, daß der Systemansatz Möglichkeiten schafft, um hinter das Geheimnis einer solchen fundamentalen Charakteristik psychischer Erscheinungen zu gelangen, wie sie die subjektive Form ihrer Existenz darstellt. Die verschiedenen Disziplinen innerhalb der Psychologie untersuchen auch verschiedene Aspekte dieser Form. So erfaßt die Psychophysik die Subjektivität der psychischen Widerspiegelung über ihre Gegenüberstellung mit den physikalischen Eigenschaften der widergespiegelten Objekte. Subjektive Skalen werden untersucht und mit physikalischen Skalen verglichen; die Besonderheiten der psychischen (subjektiven) Widerspiegelung werden über die Gegenüberstellung mit der physikalischen Widerspiegelung aufgedeckt, wobei letztere objektiv mit Geräten erfaßt wurde. Die Arbeitsweise dieser Geräte gründet sich auf dieselben Gesetzmäßigkeiten, denen auch die mit ihnen gemessenen Größen unterliegen. Von einer ganz anderen Seite geht die Sozialpsychologie an die Messung und Analyse der Subjektivität heran. Hier wird die Subjektivität über die Analyse der Beziehungen der Persönlichkeit zu den sozialen Systemen aufgedeckt, in die diese Persönlichkeit einbezogen ist. Wenn wir über die Subjektivität des perzeptiblen Abbildes sprechen, über die Subjektivität der Bewertung bestimmter Ereignisse durch den Menschen oder über die Subjektivität seiner Beziehungen zu anderen Personen, dann haben wir verschiedene Momente psychologischer Eigenschaften im Auge. Die Subjektivität zeigt sich unterschiedlich in den verschiedenen Verbindungen des Menschen mit seiner Umwelt und auf den verschiedenen Ebenen der Systeme psychischer Erscheinungen. Die Reichhaltigkeit ihrer Erscheinungen hat jedoch eine gewisse gemeinsame Grundlage. Sie besteht darin, daß die Widerspiegelung der Umwelt durch den Menschen immer von der spezifischen (individuell einmaligen) Position aus erfolgt, die er in dieser Welt einnimmt. Die Subjektivität zeigt sich, unter einem einzelnen Aspekt betrachtet (psychophysisch oder sozialpsychologisch usw.) immer nur teilweise. Untersucht man die Subjektivität unter einem bestimmten Aspekt, so zeigen sich bald die Einflüsse anderer Aspekte. Auch die klassische Psychophysik war im Laufe ihrer Untersuchungen gezwungen, sich anderen Bereichen zuzuwenden, denn es zeigte sich, daß die subjektiven Skalen nicht nur von physikalischen Größen abhingen, sondern auch von den Einstellungen der Person, ihrer Tätigkeit, ihrem funktionalem Zustand usw. Das erscheint auch ganz logisch, wenn man davon ausgeht, daß die psychische Widerspiegelung physikalischer Eigenschaften der Umwelt dem Verhalten und der Tätigkeit dient und somit von ihnen nicht unabhängig sein kann. Der Schlüssel zum Verständnis der Spezifik subjektiver Existenzformen psychischer Erscheinungen liegt auf dem Weg der Erforschung der Existenzweise des Menschen in den verschiedenen Systemen. , • Der Systemansatz verlangt weiterhin, daß die Determination psychischer Erscheinungen etwas anders verstanden wird, als das bisher häufig noch der Fall ist. Relativ weit verbreitet ist in der Psychologie die Vorstellung, daß Ursachen und Folgen eine aufeinanderfolgende Kette darstellen. Diese Vorstellung, die aus der klassischen Mechanik stammt, wird besonders in behavioristischen Konzeptionen deutlich. Bei der Analyse von Ur-
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sache-Folge-Beziehungen ist es jedoch notwendig, die Mehrdimensionalität und die Vielschichtigkeit psychischer Erscheinungen zu berücksichtigen. Die System-Analyse verlangt letztendlich auch, daß die Erscheinungen in ihrer Entwicklung betrachtet werden. Besonders wichtig scheint in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinzuweisen, daß die psychische Entwicklung ein Prozeß mit sehr vielen Seiten ist. Im Laufe der Entwicklung verändern sich seine Determinanten, es erfolgt ein Wechsel der ihnen zugrunde liegenden Systeme. Das drückt sich darin aus, daß sich in den verschiedenen Entwicklungsstadien verschiedene Systeme psychologischer Eigenschaften herausbilden. In den Anfangsstadien der Ontogenese unterliegt die Entwicklung vor allem biologischen Gesetzmäßigkeiten, und sie bestimmen die Entstehung eines bestimmten Systems von Eigenschaften. Wenn auch hier soziale Grundlagen auftreten, so doch nur indirekt und mehr als äußere Faktoren bezüglich der Entwicklung. Später gewinnen sie dann immer größere Bedeutung und werden schließlich zu den Hauptdeterminanten der Entwicklung. Das heißt nicht, daß die biologischen Gesetzmäßigkeiten für die psychische Entwicklung nun gar keine Rolle mehr spielen. Die biologische Entwicklung setzt sich im Verlaufe des ganzen Lebens fort, aber sie führt sozusagen zur Grundlage dieses Lebens zurück. Das Verhältnis von biologischen und sozialen Grundlagen in der psychischen Entwicklung ist in den verschiedenen Entwicklungsetappen und bezogen auf unterschiedliche Ebenen verschieden. Wir betrachteten nur einige Fragen des Systemansatzes und versuchten zu zeigen, daß seine Anwendung für den jetzigen Entwicklungsstand der Psychologie einfach notwendig geworden ist. In diesem Zusammenhang versuchten wir weiterhin, einige allgemeine Forderungen bezüglich seiner Anwendung in Form von Thesen darzulegen. Die weitere Ausarbeitung des Systemansatzes und der Methoden seiner Umsetzung erfordern noch sehr große Anstrengungen. Aber wir sind der Überzeugung, daß dieser Ansatz zum Instrument für die Synthese der vielzähligen Bereiche der Psychologie und für die Weiterentwicklung ihrer allgemeinen Theorie werden muß. Zusammenfassung Ausgehend von der besonderen Stellung der Psychologie im System der Wissenschaftsdisziplinen und dem wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnis nach Ergebnissen psychologischer Forschung geht der Autor auf die notwendig gewordene neue Qualität dieser Forschung ein. E r weist darauf hin, daß der Mensch, als grundlegender Gegenstand der Psychologie, als ein überaus komplexes System angesehen werden muß, zu dessen erfolgreicher Untersuchung neben den materiell-strukturellen insbesondere die funktionalen und die Systemeigenschaften aufgeklärt werden müssen. Der Autor stellt die Notwendigkeit des Systemansatzes in der Psychologie ausführlich dar und formuliert allgemeine Forderungen bezüglich seiner Anwendung. Dabei werden die speziellen Aufgaben jeder einzelnen psychologischen Richtung umrissen.
Summary
*
On the basis of the special position of psychology within the scientific disciplines and the growing social demand for results in psychological research, the author deals with the new quality having become necessary in this research. He points out that man as a fundamental subject of psychology has to be considered as an extremely complex system, for the successful investigation of which especially the functional
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Lomow, Systemansatz in der Psychologie
and system characteristics apart from the material-structural ones have to be clarified. The author explains in detail the necessity of the system approach in psychology and formulates general requirements as to its application. Special tasks of each psychological direction are outlined as well. Pe3i0Me
Hcxorh h3 ocoöoro Mecia ncHxonormi b cncTeiwe Hayratix hhci^whihh h pacTyujeil oömecTBeHHofi noTpeßHocTH b peayjitTaTax ncHxojioriwecKHx HCcneaoBaHHä, aBTop ocTaHaBJiHBaeTCH Ha tom, i t o CTaJio HeoöxoaiiMO H0B0e KaiecTBo a m x HCCJienoBaHHit. Oh yuasHBaeT Ha to, i t o nenoBCK KaK 0CH0B0n0JiaraioiohS npe^MeT ncHxojiormi nonmeH paccMaTpiiBaTLCH Kan KOMiuieKCHan CHCTeMa. Mtoöli ero ycnemHo HCCjieji;oBaTb, HeoßxoRHMO pacKpuTB He TOJitKO ero MaTepnajibHo-CTpyKTypHbie, ho h $yHKi;HOHajitHHe h cHCTeMHue CBoitCTBa. rioffpoßHo npencTaBJineTCH He06x0RHM0CTb CHCTeMHoro no^xo^a b ncHxojiorHH h $opMyjiHpywTCH oßmue TpeßoBaHHH K ero npHMeHeHino. ITpn 9tom 0nH3HBai0TCH cneim^rraecraie sanaiH KaHtAoro oT^ejiBHoro HanpaBjieHHH ncHxonorHH. Literatur
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Buchbespre chungen Eitinger, L.; Krell, R.; Rieck, M.: The Psychological and Medical Effects of Concentration Camps and R e lated Persecutions on Survivors of the Holocaust. 168 S., 1 5 x 2 3 cm. Vancouver: University of British Columbia Press 1985. Broschiert. Bei diesem Buch handelt es sich um eine gewiß nicht vollständige, aber doch außerordentlich umfängliche bibliographische Dokumentation internationaler Forschungsbefunde über medizinische u n d psychische Folgeerscheinungen bei überlebenden Opfern des Nazi-Terrors, vor allem solchen aus Konzentrationslagern. I m Text werden Zeitschriftenaufsätze und Bücher getrennt aufgelistet, und zwar zunächst in der üblichen alphabetischen Reihenfolge der Autorennamen. Zusätzlich ist jede dokumentierte Arbeit m i t einer Kodenummer versehen, so daß es möglich ist, auf der Basis eines kodebezogenen Stichwortkatalogs die jeweilige inhaltliche Schwerpunktsetzung zu identifizieren. Die Kodenummer gestattet jedoch n u r eine recht grobe Orientierung, da jeder Titel n u r m i t einer einzigen Nummer versehen ist. Als weiterer Mangel fällt ins Auge, daß die deutschsprachigen Titel massive orthographische Fehler aufweisen. Unabhängig davon ist die Benutzung dieser Bibliographie allen denjenigen dringend zu empfehlen, welche als Forschende oder Lehrende sich m i t Fragen einer Medizin u n d Psychologie menschlicher Extremsituationen beschäftigen. Auch bezüglich der T h e m a t i k „Psychologie des Faschismus" bietet das Buch bedeutsame Informationen. H.-D. Schmidt (Berlin)
Fraisse, P.: Psychologie der Zeit. Konditionierung, Wahrnehmung, Kontrolle — Zeitschätzung, Zeitbegriff. Aus dem Französischen von P. Hasenkamp. 334 S. und div. Tab., 1 4 , 5 x 2 1 cm. München — Basel: E r n s t Reinhardt Verlag 1985. Kartoniert. DM 36,80. „Psychologie du Temps" von Paul Fraisse, erschienen im J a h r e 1957 und nun, 28 J a h r e später, in deutschsprachiger Fassung vorliegend, kann mit F u g u n d Recht als „Klassiker" angesehen werden. Denn Fraisse war und ist der kompetente Spezialist f ü r alle Fragen, die eine Psychologie der Zeit a u f w i r f t u n d zu beantworten sucht. Die Einleitung des Buches ist ein Stück Psychologiegeschichte, nämlich die Skizze dessen, was als Philosophie der Zeit begann und sich im 19./20. J a h r h u n d e r t in eine Experimentalpsychologie der Zeit verwandelte. Der H a u p t t e x t ist unter 3 Aspekten gegliedert: „Konditionierung auf die Zeit" (periodische Anpassung, Konditionierungsversuche), „ W a h r n e h m u n g der Zeit" (psychologische Gegenwart, Schwellenprobleme, wahrgenommene Dauer) und „Kontrolle über die Zeit" (Zeithorizont und -perspektive, Zeitschätzung, Zeitbegriff). In den insgesamt 8 Kapiteln werden repräsentative empirische, vor allem experimentell untermauerte Befunde vorgestellt, interpretiert und in entsprechende theoretische Kont e x t e eingeordnet. Ein Epilog, überschrieben „Der W e r t der Zeit", formuliert die Ansichten des Autors über das Umgehen mit dem Problem der Zeitlichkeit alles Seins und aller Erfahrungen — dies im Sinne einer Art persönlichen Zeitphilosophie des Verfassers. D a ß dieses Buch n u n auch in deutscher Sprache vorliegt, wird einschlägig interessierte Psychologen, Philosophen, Physiker und vielleicht Historiker freuen, denn vieles von dem, was hier niedergelegt ist, w a r t e t noch auf seine Aneignung. Dennoch: Es m u t e t merkwürdig an, daß dieser n u n doch schon alte T e x t ohne ein neues kommentierendes Vorwort eines sachkundigen Herausgebers oder aus der Feder des Autors erscheint. Das 14 Zeilen umfassende Nachwort von Fraisse, das lediglich die Freude an der deutschen Übersetzung und die von ihm verfaßten neueren Arbeiten zur Psychologie der Zeit zwischen 1980 und 1984 dokumentiert (u. a. das Sammelreferat aus dem Ann. Rev. Psychol. 35, 1984), k a n n diesen Mangel nicht ausgleichen. H.-D. Schmidt (Berlin)
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J. A. Barth, Leipzig/DDR
Aus dem Bereich Psychologie des Zentralinstitutes für Kybernetik und Informationsprozesse der Akademie der Wissenschaften der D D R und der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Schizophrene Denkstörungen Identifikation von Parametern aus Schlußprozessen für eine rechnergestützte Diagnosefindung in der psychiatrischen Diagnostik1 Teil I Von W. Krause und P. Mirtschink Mit 14 Abbildungen
1. Problemlage und Fragestellung Mit der Einführung moderner elektronischer Datenverarbeitungsanlagen in die Medizin — speziell in die Psychiatrie — rückt die Möglichkeit in den. Vordergrund, Entscheidungsvorschläge durch den Computer vorbereiten zu lassen, die für die Diagnostik durch den diagnostizierenden sowie behandelnden Arzt oder Psychologen eine Unterstützung sein können. Wir zeigen im Bericht, wie auf der Grundlage von Leistungsparametern aus Schlußprozessen unter Ausnutzung von Klassifizierungsprozeduren durch den Computer ein Diagnosevorschlag für den einzelnen Probanden erarbeitet wird. Das Verfahren ist funktionstüchtig. Die für die rechnergestützte Diagnosefindung verwendeten Parameter verlangen eine Begründung. Wir gehen dabei wie folgt vor: In elementaren kognitiven Prozessen sollen spezifische gestörte Informationsverarbeitungsstadien (Klix, 1980) identifiziert werden. Voraussetzung dazu ist ein gut aufgeklärter Informationsverarbeitungsprozeß vom Standpunkt der Allgemeinen Psychologie und experimentellen Differentiellen Psychologie. Dies gilt f ü r elementare Schlußprozesse, die zudem seit geraumer Zeit die Aufmerksamkeit der Psychopathologie in Anspruch genommen haben (Chapman, 1979). Aus phänomenologischer Sicht geben Huber, Gross und Schüttler (1979) eine „Rangreihe der häufigsten Klagen und Störungen" von 285 schizophrenen Patienten an. Von 24 Symptomen betrifft dabei das Symptom mit der größten Häufigkeit (75,4 %) die kognitiven Störungen. Die Autoren sprechen dabei von einer „Beeinträchtigung derLeitbarkeit der Denkvorgänge". Es sind mehr oder weniger uncharakteristische Störungen, die von den Patienten als „Störung und Erschwerung der Denk- und Konzentrationsfähig1
Den Ärzten, ^Psychologen und Schwestern des Fachkrankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg gilt unser herzlicher Dank für die umfassende Unterstützung bei der Durchführung der Untersuchungen. Unser besonderer Dank gilt Herrn Chefarzt Dr. H. Richter f , Herrn OA Dr. Loos, Frau Dipl.-Psych. B. Kratochwil, Frau Dr. B. Jülish, Frau MR Dr. Berger und Frau OA Dr. U. Krause. Nicht zuletzt danken wir den Ärzten und Schwestern der Medizinischen Klinik des Königin-ElisabethKrankenhauses. Ihre Unterstützung war für die Durchführung der Untersuchungen bezüglich der Kontrollgruppen unentbehrlich.
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keit", als Beeinträchtigung von Denkenergie, Denkantrieb und Denkinteresse, als langsames, „verzetteltes", weitschweifiges Denken, als Störung der Aufmerksamkeit, der Auffassung als Gedankenjagen und Gedankenverdrängen, als „Vorstellungszwang" . . . umschrieben werden. Die Schizophrenieforschung hat dazu eine Reihe von Begriffen entwickelt, um das Wesen der Störung auf einen Nenner zu bringen: „Verlust der Zielvorstellung" (Kraepelin), „Beeinträchtigung der Denkinitiative" (Gruhle), „Defekt der gedanklichen Intentionalität" (von Baeyer), „Übereinschließung" (Cameron), „Antwortinterferenz", „Verlust der Gewohnheitshierarchien" (Broen, Süllwold), „Einbuße von Abstraktionsfähigkeit" (Goldstein), „Automatismenverlust", „Störung der selektiven Filterung" u. a. Man kann unschwer erkennen, daß Schlußprozesse auch Bestandteil der meisten der angegebenen Phänomene sind. Von daher ist zu erwarten, daß in experimentalpsychologischen Untersuchungen Unterschiede zwischen Gesunden und Schizophrenen bestehen. Das Experiment bringt zwei Vorteile: Die Störung wird operational definiert und außerdem quantitativ erfaßt. Dem steht aber ein Nachteil gegenüber. Huber, Gross und Schüttler (1979) schreiben: „Bei dem Versuch, die Vielfalt der Erscheinungsweisen auf eine Grundstörung zurückzuführen, werden schließlich Begriffe konzipiert, die eben diese Vielfalt nicht zu umgreifen vermögen und nur einzelne Facetten des Gesamtphänomens berücksichtigen." Dies gilt natürlich in noch viel stärkerem Maße für unsere ausgewählten Schlußprozesse. Insbesondere vor diesem Hintergrund ist der Bericht als eine grundlagenforschungsorientierte Pilotstudie anzusehen. Die Menge der in der Praxis und in der Forschung verwendeten psychodiagnostischen und experimentalpsychologisch-paradigmatischen Anforderungen ist zu groß, so daß eine vollständige Angabe nicht möglich ist. Zur Illustration geben wir eine Reihe von in der Literatur (Kloos, 1965) beschriebenen Beispielen an und wollen zeigen, daß die von uns gewählten Anforderungen in dieser Menge enthalten sind: — Suchprozesse: sequentielle Suchprozesse im Kurzzeitgedächtnis im Sinne von Sternberg (1969) — Begriffsbildungsprozesse: • Finden eines Begriffes, • Finden eines Oberbegriffes: Was sind Teller, Tasse, Kanne, • Finden eines Unterbegriffes: Nennen Sie alle Südfrüchte, • Finden von Begriffsunterschieden: Was ist der Unterschied zwischen Fluß und Teich • Finden von Begriffsgegensätzen: Was ist der Gegensatz zu hoch, • Finden von Begriffsdefinitionen: Was ist eine Insel. — Inferenzen: • syllogistische Inferenzen: Alle Finken sind Vögel Der Zeisig ist ein Fink. Also . . .? • transitive Inferenzen: Hans ist größer als Fritz, Paul ist kleiner als Fritz. Ist Hans größer als Paul? • analoge Inferenzen: Es verhält sich „Arzt" zu „behandeln" wie „Lehrer" zu „unterrichten". Ist das richtig? • kausale Inferenzen ausgedrückt durch wenn . . ., dann . . .-Beziehungen
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— Kombinationsanforderungen • Satzbildung: Knabe — Ball — Wiese • Ergänzung von Lückentexten: „Im Winter gibt es . . . und . . . Wenn vom Himmel. . . fällt, holen die Kinder ihre . . . und fahren damit den Berg . . • Satzfortsetzung: „Wenn es abends auf der Straße dunkel wird, . . ." • Ordnen von Worten zu Sätzen: Hund treuen verloren leider haben unseren wir. • Ordnen von Stichworten nach ihrer sinngemäßen Reihenfolge: „Mähen, säen, mahlen, backen, dreschen, pflügen." — Erfassen von Sinnzusammenhängen: • Deuten von Sprichwörtern: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm." • Erklären von sinnbildlichen Redewendungen: „Das Gras wachsen hören." • Nacherzählen und Deuten von Fabeln. Mit dieser Aufzählung wollen wir folgendes verdeutlichen: — Inferenzprozesse sind Bestandteile der Anforderungen. — Es werden hauptsächlich elementare Anforderungen untersucht. Dabei geht es um die Anforderungsbewältigung überhaupt. Eine gezielte Komponentenanalyse (z. B. Aufnahme versus Verarbeitung) steht nicht im Vordergrund. — Komplexere Prozesse des Satz- und Textverstehens spielen in der psychiatrischen Praxis eine Rolle, entziehen sich aber gegenwärtig einer Detailanalyse. Hier dürfte ein Feld zukünftiger Forschung liegen.
2. Experimentelle Analysen von deduktiven und analogen Schlußprozessen bei Gesunden, Schizophrenen und Hirnorganikern Aus zwei Gründen wurden Schlußprozesse als Anforderung zur Identifikation von Parametern gewählt. Zum einen wird in der Literatur von logischen Denkstörungen berichtet. Zum anderen sind Inferenzprozesse vom Standpunkt der Allgemeinen Psychologie recht gut aufgeklärt. Wir konzentrieren uns dabei auf deduktive (Krause, 1978) und analoge Inferenzen (Klix, v. d. Meer, 1978) und schließen Syllogismen im Rahmen dieses Berichtes aus unseren Betrachtungen aus. 2.1. Analyse deduktiver Schlußprozesse Deduktive Schlußprozesse werden vorwiegend an Ordnungsproblemen untersucht. Ordnungsprobleme zeichnen sich dadurch aus, daß der wesentliche Aspekt der Anforderungsbewältigung im Verstehen des Problems, d. h. im Aufbau der internen Repräsentation und weniger im Lösungsprozeß liegt. Wir rücken deshalb den Verstehensprozeß in den Vordergrund unserer Analyse und beschreiben drei Versuche. Im ersten Versuch wird das Verstehen unter Zeitdruck verlangt, und es wird geprüft, ob Störungen des Aufbaues einer kognitiven Struktur auf der Grundlage kognitiver Elementaroperationen beobachtbar sind. Verstehensprozesse und damit als wesentlichste Komponente der Aufbau einer internen Repräsentation der Probleme unter zeitlichen Begrenzungen, stellen den „Nor27 Z. Psychol. 194-4
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malfall" derartiger kognitiver Anforderungen in der Mehrzahl der Alltagssituationen dar. Daher kommt einem derartigen Experiment eine hohe externe Validität zu, was den diagnostischen Wert der dabei identifizierten Parameter erhöht. Im zweiten Versuch wird die Frage unter Einführung von Trainingsbedingungen gestellt. Im Resultat dieser Experimente wird zu zeigen sein, daß eine Prozeßstörung nicht zu beobachten ist. Im dritten Versuch schließlich forderten wir von unseren Versuchspersonen eine größere kurzzeitige Behaltensleistung bei der Anforderungsbewältigung. Erst hier zeigte sich ein Unterschied zwischen den Extremgruppen und den Gesunden. 2.1.1. Analyse des Verstehensprozesses unter Zeitdruck Anforderung und Methodik Als inferentielle Anforderung wurde das in der Literatur weit verbreitete mehrgliedrige Ordnungsproblem gewählt. Den Versuchspersonen werden Sätze geboten, wie z. B. „ X ist größer als K und M ist kleiner als X " . Anschließend ist eine Frage zu beantworten wie etwa „Wer ist der größte?" Registriert wurden die Zeit zum Verstehen der Sätze und die Fehler bei der Beantwortung der Frage. Dabei sollten die Vpn die Sätze so schnell wie möglich verstehen und die Fragen ebenso schnell beantworten. Variiert wurden die Anzahl der Terme (zweigliedriges Ordnungsproblem: „F ist größer als C" und dreigliedriges Ordnungsproblem: „ X ist größer als K und M ist kleiner als K . " ) und die syntaktischen Eigenschaften der Sätze. Die Extremsymbole (hier X und M) wurden als Subjekte (SS), als Objekte ( 0 0 ) und in der Kombination Subjekt/Objekt (SO) und Objekt/Subjekt (OS) verwandt. Die empirischen Untersuchungen führte W. Lampka im Rahmen einer Diplomarbeit durch. Als Extremgruppenstichprobe standen uns acht ersterkrankte schizophrene Patienten einer psychiatrischen Klinik in Berlin-Lichtenberg zur Verfügung. Ihre Krankheitsbilder waren als Hebephrenien und systema Paraphrenien (Leonhard) diagnostiziert worden. Durch die Beschränkung auf Ersterkrankte zu Beginn der eigentlichen, längerfristigen pharmakologischen Therapie wurde versucht, die Pharmakawirkung gering zu halten. Sie konnte jedoch durch die Replikationen der Versuche zu verschiedenen Zeitpunkten bedingt, nicht ganz ausgeschlossen werden. Die zur Stichprobenhomogenisierung herangezogenen progressiven Matrizen nach Raven ergaben bei der Extremgruppenstichprobe einen IQ-Wert zwischen 98 und 112 (x = 95), bei der Kontrollgruppe einen IQ-Wert zwischen 100 und 130 (ü=106). Eine bessere Homogenisierung gelang hier aus Gründen der Prioritäten der psychiatrisch-neurologischen Diagnosehomogenität nicht. Als Kontrollgruppe standen uns 10 Vpn zur Verfügung.' Geschlecht und Lebensalter waren weitere Parallelisierungskriterien. Das Lebensalter der Patienten lag zwischen 23 und 44 (x = 33), das der Kontrollgruppe zwischen 20 und 35 (x = 28) Jahren. Eine Gruppe hirnorganisch Erkrankter nahm an diesen Experimenten nicht teil.
K r a u s e u. Mirtschink, Schizophrene D e n k s t ö r u n g e n
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Parameter und Ergebnisse Als Parameter bestimmten wir die Zeit zum Verstehen der Sätze und die Fehler bei der Beantwortung der Fragen. Abb. 1 zeigt die Verarbeitungszeit beim Verstehen von Sätzen für zwei- und dreigliedrige Ordnungsprobleme und die Fehler beim Beantworten der Fragen. % 60 ii
1
Schizophrene
40
jz aj
U.
20 •Gesunde 2Term
3Term
Reihenprobleme
s Schizophrene
•Gesunde
—. 3Term
2Terrn
A b b . 1 V e r a r b e i t u n g s z e i t b e i m Verstehen v o n zwei- u n d dreigliedrigen O r d n u n g s p r o b l e t n e n u n d die Fehler beim B e a n t w o r t e n der F r a g e n zur LöReihenprobleme s u n g der P r o b l e m e (nach L a m p k a , 1977)
15 •Schizophrene
10
N
•Gesunde
SS 27"
SO
OS
00
Situationen
A b b . 2 V e r a r b e i t u n g s z e i t b e i m Verstehen von dreigliedrigen O r d n u n g s p r o b l e m e n in Abhängigkeit von der syntaktischen Variation der S ä t z e (nach L a m p k a , 1977). S S = E x t r e m symbole A u n d C sind jeweils S u b j e k t e in d e n Sätzen. 00 — die E x t r e m s y m b o l e sind jeweils O b j e k t e in d e n Sätzen. E n t s p r e c h e n d e s gilt f ü r die K o m b i n a t i o n e n
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Z. Psychdl. 194 (1986) 4
Zumindest bei dreigliedrigen Ordnungsproblemen trennen Fehler und Zeiten sehr deutlich. Kann aus der Zeitanalyse auf etwaige Störungen beim Verstehensprozeß geschlossen werden? In Abb. 2 ist die Zeit zum Verstehen eines dreigliedrigen Ordnungsproblems in Abhängigkeit von der syntaktischen Variation der Sätze für Gesunde und Schizophrene dargestellt. Der prinzipiell ähnliche Verlauf der beiden Kurven läßt die Vermutung aufkommen, daß der Verstehensprozeß bei dieser Anforderung bei Gesunden und Schizophrenen analog erfolgt. Der Vergleich bezieht sich naturgemäß nur auf Zeiten bei fehlerfreien Antworten. Wegen der 52 % Fehler, die bei Schizophrenen beobachtet wurden, stellt dies eine einschneidende Restriktion dar, auf die wir im nächsten Versuch zurückkommen wollen. Interpretation Unsere schizophrenen Patienten benötigen zum Verstehen dreigliedriger Ordnungsprobleme die doppelte Zeit im Vergleich zu Gesunden. Eine Komponentenanalyse zeigt, daß die Extremgruppe, die fehlerfrei arbeitet, offenbar die gleiche Verarbeitungsstrategie zum Aufbau kognitiver Strukturen realisiert wie die Gesunden, lediglich zeitverzögert. Wenngleich der große Zeitverbrauch und die hohe Fehlerrate der Extremgruppe gegenüber der Kontrollgruppe zur Klassentrennung ausreichen, so verlangen die 54 % Fehler Schizophrener beim Beantworten der Fragen eine genauere Aufklärung. Die Fehler können durch Störung der Informationsaufnahme, der Behaltensleistung oder der Informationsverarbeitung (Fragenbeantwortung) bedingt sein. Der differenzierteren Komponentenanalyse dieser Problemstellung wollen wir uns im folgenden näher zuwenden. Im nachfolgenden Experiment bestimmen wir den Einfluß der Informationsaufnahme von dem der Verarbeitung getrennt und schließen den Einfluß der Behaltensleistung aus. 2.1.2. Analyse des Verstehensprozesses unter Trainingsbedingungen In diesem Experiment benutzen wir eine Methode von Trabasso, Riley und Wilson (1975), nach der — der Aufbau einer kognitiven Struktur und — der Lösungsprozeß über dieser Struktur in zwei experimentell getrennten Phasen untersuchbar ist. Die Untersuchungen dazu wurden von H.-P. Keck im Rahmen einer Diplomarbeit durchgeführt. Anforderung Die Versuchspersonen (Vpn) wurden aufgefordert, einen elementaren Text wie Max ist größer als Fritz. Fritz ist größer als Gerd. Gerd ist größer als Karl. Karl ist größer als Paul. Paul ist größer als Hans. zu verstehen und zu behalten. Danach sind Fragen zu beantworten wie Ist Fritz größer als Paul?
Krause u. Mirtscbink, Schizophrene Denkstörungen
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Dieser Informationsverarbeitungsprozeß besteht aus zwei Stadien. Im ersten Stadium wird während des Textverstehens die interne Repräsentation aufgebaut. Im zweiten Stadium wird die Frage durch Vergleich mit der intern aufgebauten Repräsentation beantwortet. Im vorliegenden Fall wird als interne Repräsentation eine lineare Ordnung als die einfachst mögliche integrierte kognitive Struktur realisiert (Krause, 1982). Wir fragen nun danach, ob sich beim Bewältigen dieser Anforderungen Unterschiede zwischen Gesunden und schizophrenen Patienten nachweisen lassen. Die Ergebnisse stellen wir denen von hirnorganisch Erkrankten gegenüber. Als Anforderung wurde das Lösen sechsgliedriger Ordnungsprobleme gewählt. Aus bisherigen Untersuchungen (Potts, 1972,1975) ist bekannt, daß mehrgliedrige Ordnungsprobleme nicht durch deduktives Schließen gelöst werden. Vielmehr wird während des Verstehensprozesses eine integrierte Struktur realisiert und der Schlußprozeß zu einem Vergleichsprozeß reduziert. Aus unseren Befunden zu dreigliedrigen Ordnungsproblemen vermuten wir, daß der Vergleichsprozeß nicht gestört ist. Wenn wir Einflüsse der Behaltensleistung durch Training weitestgehend ausschalten, dann müßten sich kognitive Störungen noch am ehesten im Verstehensprozeß nachweisen lassen. Methoden Der Versuch bestand aus 3 Phasen: Einer Trainingsphase, einer Prüfphase und einer Testphase. Trainingsphase: In der Trainingsphase wurden die fünf Sätze blockweise und nacheinander in balancierter Reihenfolge dargeboten. Der Lernprozeß erfolgte ohne Zeitdruck. Die Vpn sollten die fünf Sätze bis zur viermaligen fehlerfreien Wiedergabe erlernen. Prüfphase: Nach jeder Blockdarbietung sollten die fünf Sätze wieder reproduziert werden. Dies geschah anhand zu ergänzender Kärtchen: Max größer . . . Die Vpn erhielten nach jeder Antwort eine Rückmeldung vom Versuchsleiter. Wenn die Vpn noch falsche Antworten gaben, erfolgte eine erneute Blockdarbietung. Die Wiederholung wurde bis zum Erreichen des Lernkriteriums fortgesetzt. Registriert werden die Falschantworten und die notwendige Anzahl von Blockdarbietungen für jeden Satz. Vor Beginn der Testphase wurde kontrolliert, ob die transitiven Beziehungen zwischen den Termen ( M a x > > Fritz > Gerd > Karl > Paul > Hans) erkannt worden waren. Dazu hatten die Vpn die 6 Kärtchen mit den Namen in entsprechender Reihenfolge zu sortieren. Testphase: Alle 15 möglichen Fragen und vier negative Füllfragen wurden in randomisierter Reihenfolge nacheinander und viermal blockweise dargeboten. Die Vpn hatten die Fragen so schnell und so sicher wie möglich zu beantworten. Die ersten drei Fragen des jeweils ersten Blockes werden als Übung gewertet und gingen nicht in die weitere Auswertung ein. In der Testphase wurde keine Rückmeldung gegeben. Registriert wurden Fehler und Reaktionszeit bei der Beantwortung von Fragen. Während nur Relationen über benachbarte Paare eingelernt wurden, haben wir auch Relationen über nicht benachbarte Paare geprüft. Die Distanz wird durch die Anzahl von Termen (oder Namen) bestimmt, die zwischen den in der Frage enthaltenen Termen steht. Versuchsdurchführung: Die zu lernenden Relationen und zu beantwortenden Fragen wurden über einen Diaprojektor dargeboten. Durch Knopfdruck konnte die Vp das Dia
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
selbst anfordern und wieder löschen. Der Zeitverbrauch wurde mit einer elektromechanischen Uhr registriert. Stichprobe: Die beiden Extremgruppen (Hirnorganiker und Schizophrene) waren Patienten aus dem Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg. Dazu wurde eine parallele Kontrollstichprobe gesucht. a) Auswahlkriterium für die Extremgruppe Schizophrenie Entsprechend der Leonhardschen Nomenklatur haben wir uns auf paraphrene und hebephrene Formen der systematischen Schizophrenien beschränkt. Bei diesen beiden Formen sind am ehesten Denkstörungen zu beobachten. Als idealisierte Kriterien für die Stichprobenauswahl haben wir versucht, folgende Eigenschaften zu berücksichtigen: — nachweisbare Denkstörungen — möglichst blande Verläufe — möglichst Ersterkrankungen, zumindest ohne Defekt — möglichst medikamentenfrei oder medikamentenarm. Erfahrungsgemäß sind solche Kriterien nicht immer streng durchzuhalten. So konnten wir auf Patienten, die unter Medikamenteneinfluß standen, aus Gründen der Stichprobenrepräsentativität nicht ganz verzichten. Die Patienten bekamen zumeist Neuroleptika. Wegen ihrer schlechten Prognose wurde die Diagnose systematische Schizophrenie bei Ersterkrankungen häufig vermieden und erst nach mehreren Erkrankungen bzw. Einweisungen gestellt, so daß auch dieses Kriterium nicht streng durchzuhalten war. In all diesen Fällen war das entscheidende Auswahlkriterium die durch den behandelnden Arzt angegebene Denkstörung. b) Auswahlkriterium für die Extremgruppen der Hirnorganiker Aus Gründen der Verfügbarkeit und der Homogenität haben wir uns bei der Auswahl der Patienten fast ausschließlich auf alkoholisch bedingte Hirnschädigungen beschränkt (Gamma-Alkoholiker nach Jelinek). c) Auswahlkriterium für die Kontrollgruppe Gesunde Zur Parallelisierung der Stichprobe wurden Alter, Schulbildung, Intelligenzquotient und für die Extremgruppen Hospitalisationsdauer herangezogen. Die Kontrollgruppe bestand zumeist aus Lehrmeistern und Kindergärtnerinnen im Alter zwischen 26 und 42 Jahren, die sich im Fernstudium befanden. Zur Bestimmung des IQ wurde der Mehrfachwahlwortschatztest (MWT-B, Neumann, Wolfram, 1980) eingesetzt, teilweise kam auch der WIP zur Anwendung. Die Tab. 1 gibt die Ergebnisse der Stichprobenparallelisierung wieder. Parameter und Ergebnisse Als Parameter registrierten wir die — notwendige Anzahl von Blockdarbietungen des Textes für jedes Termpaar (z. B. Max — Fritz) bis zum Erreichen des Fehlerkriteriums und
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen Tabelle 1
419
Zusammengefaßte und gemittelte Stichprobendaten
Stichprobe
Gesunde Hirnorganiker Schizophrene
Umfang
Alter
21 13 14
32,9 40,5 25,1
Bildung
IQ
(absolvierte Klassen)
(MWT/ w/m WIP)
Hospital.dauer (in Wochen) aktuell ges.
10,3 9,4 10,4
108 105 108
11,4 35,3
Geschlecht
10/11 3/10 2/6
—
4,5 6,6
— die Reaktionszeit zur Beantwortung von Fragen in Abhängigkeit von der Distanz zwischen Namen und die Fehler beim Beantworten von Fragen für jede einzelne Versuchsperson. Die nachfolgenden beiden Abbildungen geben die Ergebnisse für den Yerstehensprozeß (Abb. 3) und für den Inferenzprozeß (Abb. 4) wieder. Informationsauf n a h me
notwendige - Schizophrene
Btockanzaht »"
Hir irnorqaniker
Gesunde
1 -2
2-3
3-4
4-5
5-6
Paare
Abb. 3 Mittlere Anzahl von Darbietungen des Textes als Block bis zum fehlerfreien Reproduzieren der Elementepaare (z. B. Max größer als?) für jedes Elementepaar und für die drei Stichproben Gesunde, Hirnorganiker und Schizophrene (nach Keck, 1981)
Für alle drei Gruppen ist die Auswahl der Darbietungen beim dritten Termpaar signifikant größer (Wilcoxon-Wilcox-Test, a=0,05). Ein entsprechendes Ergebnis erhielten wir beim Vergleich des 3. mit dem 5. Termpaar. Die Unterschiede zwischen den Distanzen sind für jede Versuchsgruppe signifikant (Wilcoxon-Wilcox-Test). Ebenso ergibt sich ein signifikanter Unterschied beim Vergleich der Versuchsgruppen für jede Distanz. Die Fehler liegen bei 6 % und unterscheiden sich nicht mehr signifikant. Die Distanz ist eine Zahl für den Abstand zwischen den zwei in der Frage enthaltenen Elementen. Dieser Abstand wird durch die Struktur (Max-FritzGerd-Karl-Paul-Hans) festgelegt und ist hier objektiv definiert. Zwei Elemente haben die Distanz 1, wenn zwischen ihnen nur 1 Kante existiert. Die Elemente sind dazu unmittelbar benachbart, wie dies z. B. bei der Frage „Ist Max größer als Fritz?" ist. Zwei Elemente haben die Distanz 2, wenn zwischen ihnen 2 Kanten existieren. Damit ist ein Element eingeschlossen, wie z. B. bei der Frage „Ist Max größer als Gerd?". Interpretation: Prozeßanalyse beim Lösen sechsgliedriger Ordnungsprobleme im Extremgruppenvergleich Wir haben zu prüfen, ob die verwendeten Parameter — DarbietungsWiederholung des Textes und — Reaktionszeit beim Beantworten von Fragen
420 Reaktionszeit (sec)
Z. Psychol. 194 (1986) 4 2.6 Fragen bea ntwortung
2.5
2A 23 2.2 2.1
Schizophrene
2.0 1.9 1.8 i 1.7
Hirnorganiker
1.6 •
Gesunde
1.5 1
2
3
Distanz
Abb. 4 Mittlere Reaktionszeit zur Beantwortung von Fragen als Funktion der Distanz zwischen Begriffen in der linearen Ordnung für Gesunde, Hirnorganiker und Schizophrene (nach Keck, 1981)
beim Lösen deduktiver Schlußprozesse zur rechnergestützten Diagnosefindung schizophrener und hirnorganischer Erkrankungen geeignet sind. Wir knüpfen dabei an Überlegungen an, wie sie in der Lerntestforschung (Guthke, Wohlrab, Caruso, Harnisch, Lehwald, Michalski, Müller, 1982) angestellt worden sind, daß nicht nur Statusmessungen, sondern auch und gerade Prozeßmessungen diagnoserelevante Information liefern. Wir fragen also danach, ob sich nicht nur quantitative Änderungen von Parametern im Extremgruppenvergleich nachweisen lassen, sondern ob auch Änderungen in der Prozedur der Anforderungsbewältigung zu beobachten sind. Diese müßten eine bessere Klassentrennung ermöglichen. Aus vielen Untersuchungen über das Lösen mehrgliedriger Ordnungsprobleme (Potts, 1972, 1975; Huttenlocher, 1968; de Soto u. a., 1965; Groner, 1978; Krause, 1982) wissen wir, daß Versuchspersonen beim Verstehen des Textes lineare Ordnungen als interne Repräsentation aufbauen. Sie integrieren die einzelnen Sätze zu einer kognitiven Struktur. Der Aufbau dieser kognitiven Struktur erfolgt von .beiden Enden her. Zuerst werden also die randständigen Elemente im Gedächtnis behalten, danach wird das mittlere Element berücksichtigt. Dies wird aus der Beobachtung geschlossen, da die Anzahl notwendiger Darbietungen bis zum fehlerfreien Behalten für das mittlere Element signifikant größer ist als im Vergleich zu den randständigen Elementen. Der Vorgang der Fragenbeantwortung ist dann kein Inferenzprozeß mehr, sondern nur noch ein Vergleichsprozeß über dieser ausgebildeten linearen Ordnung. Auch dies wird aus der Beobachtung geschlossen, da die Zeit mit wachsender Distanz zwischen den Elementen oder mit wachsender Inferenzschrittanzahl nicht ansteigt, sondern abfällt. Dieses als Symbol-Distanz-Effekt bezeichnete Phänomen ist vom Standpunkt der allgemeinen Psychologie ausführlich in Krause und Wysotski (1983) beschrieben worden.
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen
421
Vergleichen wir nun zwischen den Gruppen. Für den Verstehensprozeß (Abb. 3) ist der aus der Literatur bekannte umgekehrte u-förmige Verlauf beim Einlernen der Elementepaare für Gesunde zu beobachten: Die randständigen Elemente (bzw. Elementepaare) werden zuerst behalten, das mittelständige Element wird zuletzt gemerkt. Der Aufbauprozeß für die lineare Ordnung erfolgt also von den Enden her. Zuletzt wird das mittlere Element eingebaut. Das für uns bedeutsame Ergebnis ist die analoge Kurvenform bei den beiden Extremgruppen im Vergleich zu Gesunden. Sowohl für die Stichprobe der Schizophrenen als auch für die der Hirnorganiker beobachten wir den umgekehrten u-förmigen Verlauf. Wir schließen daraus, daß im Prozeß des Aufbaus dieser linearen Ordnung zu dem bei Gesunden kein Unterschied besteht. Offenbar findet bei allen Stichproben der Aufbauprozeß in der gleichen Weise statt. Auch für 6- und 9-jährige Kinder fanden Trabasso, Riley und Wilson (1975) den gleichen umgekehrt u-förmigen Kurven verlauf. Natürlich benötigen die Kinder insgesamt mehr Wiederholungen. So ist sicher auch die größere Anzahl von Blockdarbietungen bei Hirnorganikern und Schizophrenen keine differentialdiagnostisch nützliche Eigenschaft. Medikamenteneinfluß, Hospitalisationsdauer u. ä. könnten hier die Aufmerksamkeitsstörungen verursacht haben. Als wichtiges Resultat sei aber bisher festgehalten: keine Störung des Aufbauprozesse« der internen Repräsentation bei sechsgliedrigen Ordnungsproblemen im Extremgruppenvergleich. Wie Abb. 4 verdeutlicht, ist der aus der Literatur bekannte Symbol-Distanz-Effekt für die Gesundenstichprobe zu beobachten. Die Reaktionszeiten fallen mit wachsender Distanz ab. Der zur Fragenbeantwortung eigentlich notwendige Inferenzprozeß wird auf einen Vergleichsprozeß über der intern repräsentierten Struktur reduziert. Im Fall eines Inferenzprozesses hätte die Zeit über der Distanz ansteigen müssen. Wichtig für unsere Fragestellung ist nun, daß die Zeit zur Fragenbeantwortung über der Distanz auch für beide Extremgruppen abfällt und nicht ansteigt. Beide Patientengruppen beantworten also die Fragen in der gleichen Weise wie Gesunde: nämlich durch Vergleich über der intern ausgebildeten Struktur. Einen analogen Abfall der Zeit beobachteten Trabasso u. a. auch bei 6- und 9-jährigen Kindern. Wir konnten also in unseren Experimenten keine Prozeßstörung beim Lösen sechsgliedriger Ordnungsprobleme beobachten, weder bei der Informationsaufnahme noch bei der Informationsverarbeitung. Für die generell langsamerem Fragenbeantwortung durch die Extremgruppe müssen Gründe geltend gemacht werden, die außerhalb des Vergleichsprozesses liegen. Wir haben dazu oben einige Spekulationen angestellt. Überraschenderweise unterscheiden sich jedoch auch die negativen Anstiege der Extremgruppen und die Gesunden-Stichprobe. Die Regressionsgleichungen für die Reaktionszeit R t als Funktion der Distanz d lauten für alle 3 Stichproben ( r 2 = 0 , 9 9 ) : Gesunde: R t = - 0,16d + 1 , 8 8 Hirnorganiker: R t = - 0 , 2 9 d + 2,27 S chizophrene: R t - = 0,32d + 2,67 Wie ist der steilere Abfall der Funktionen für die beiden Extremgruppen zu interpretieren? Aus Augenfixationsmessungen wissen wir (Schlegel, 1982; Krause, 1985), daß der größere Zeitverbrauch bei kleinen Distanzen im Vergleich zu großen Distanzen durch häufigeres Wiederholen der Vergleichsoperation verursacht wird. Vor diesem Hintergrund
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
lassen sich zwei Möglichkeiten angeben. Die Änderung der Fixationshäufigkeit könnte durch eine Veränderung der intern repräsentierten Distanz verursacht sein. Diese Annahme ist gleichbedeutend mit der Überlegung, daß eine Änderung des negativen Anstieges eine Änderung der Distanzen der kognitiven Struktur zur Folge hat (einschließlich der Möglichkeit, daß sich äquidistante Abstände verändern). Wir halten eine solche Interpretation für den Extremgruppenvergleich für relativ unwahrscheinlich. Eine zweite Möglichkeit für die Verlängerung der Zeit bei kurzen Distanzen könnte in einem Trend zur Erhöhung der Entscheidungssicherheit zu suchen sein: In ihrem Bestreben, Fehlleistungen zu vermeiden oder zu kompensieren, könnten die Extemgruppen besonders darauf bedacht sein, die Entscheidungssicherheit zu vergrößern. Dies führt zur Verlängerung der Zeit bei kleinen Distanzen im Vergleich zu großen und damit zu einer Vergrößerung des negativen Anstieges für beide Extremgruppen. Zusammenfassend soll bisher festgehalten werden: Abgesehen von den eben diskutierten Änderungen im Anstieg der Reaktionszeiten läßt sich bei deduktiven Inferenzen kein Prozeßunterschied zwischen Gesunden, Hirnorganikern und Schizophrenen nachweisen. Läßt sich diese Aussage auch noch halten, wenn wir die Komplexität und damit die Schwierigkeit der Anforderung systematisch variieren, d. h. von zwei- bis zu achtgliedrigen Ordnungsproblemen die Leistungen im Extremgruppenvergleich untersuchen? Der nachfolgende Abschnitt befaßt sich mit der Analyse der Informationsaufnahmekapazität, indem wir die Anzahl der Ordnungsprobleme systematisch erhöhen. 2.1.3. Analyse des Verstehensprozesses in Abhängigkeit von der Komplexität der Anforderung Nach den bisherigen Ergebnissen über das Lösen deduktiver Inferenzen dürfte eine Prozeßstörung der Informationsaufnahme bei Schizophrenen nicht vorliegen. Genauer: Schizophrene bauen die intern repräsentierte kognitive Struktur in der gleichen Weise auf wie Gesunde. Wollte man daraus den Schluß ziehen, die Informationsaufnahme Schizophrener sei generell nicht gestört, so sprechen zumindest drei Fakten dagegen. Zum einen wäre die relativ große Fehleranzahl Schizophrener beim Lösen deduktiver Inferenzen, über die wir unter 2.1.1. berichtet haben, nicht zu erklären. Zum zweiten wäre das von Hunt und Cofer (Venables, 1958) berichtete Phänomen nicht zu verstehen, daß mit zunehmender Komplexität der Anforderungen eine zunehmend markantere „Langsamkeit" der Schizophrenen zu beobachten sei. Zum dritten machen die Untersuchungen von Koh und Peterson (1978) eine Störung der Informationsaufnahme sehr wahrscheinlich. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß Schizophrene wahrscheinlich keine Störung im Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis aufweisen, sondern daß sie bei der Kodierung der Information in unzureichendem Maße ihre Strukturiertheit ausnutzen. Wir untersuchten daher den Verstehensprozeß beim Lösen deduktiver Inferenzen in Abhängigkeit von der Komplexität der Anforderung und erwarten, daß hierbei eine Störung sichtbar wird. Die Untersuchungen wurden im Rahmen einer Diplomarbeit von Frau Susanne Paschen (1982) durchgeführt.
423
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen
Anforderung Wir haben hier die gleiche Anforderung verwendet wie im vorherigen Versuch. Auch Versuchsdurchführung und Stichprobencharakteristik waren analog. Die Komplexität der Anforderung erhöhten wir dadurch, daß 4-, 5-, 6- und 7-gliedrige Ordnungsprobleme zu lösen waren. Als Ordnungsrelation wurde wie im vorhergehenden Versuch „größer als" gewählt. Für die einzelnen Probleme haben wir folgende Namen zusammengestellt: 4-gliedr. Ordnungsprobleme: Peer, Lars, Maik, Sven 5-gliedr. Ordnungsprobleme: Jörg, Franz, Arnd, Chris, Götz 6-gliedr. Ördnungsprobleme: Bernd, Dirk, Frank, Gerd, Jens, Ralf, 7-gliedr. Ordnungsprobleme: Heinz, Knut, Rolf, Lutz, Fred, Horst, Klaus Wir verwendeten die gleiche Methode wie im vorhergehenden Versuch. Es besteht kein Zweifel dafür, daß auch für gesunde Versuchspersonen die Anzahl notwendiger Blockdarbietungen mit wachsender Komplexität der Anforderung ansteigt. Unterscheidet sich dieser Anstieg bei Schizophrenen nicht von dem Gesunder, so liegt hier offenbar keine Störung vor. Wird dagegen bei der schizophrenen Versuchspersonengruppe ein größerer Anstieg beobachtet, dann müßten wir von einer Störung der Informationsaufnahmekapazität bei unseren schizophrenen Versuchspersonen sprechen. Parameter und Ergebnisse Als Parameter wurde die mittlere Anzahl notwendiger Blockdarbietungen registriert. Die nachfolgende Abbildung gibt das Ergebnis wieder. r*. 0.9996, m-3.35 , HO » r».0.86 , m• 2.9
,
Schizo«
erwarteter Verlauf der Extremgruppe ohne Störung der Informationsaufnahme
r*-0.92, m-1.18 , Gesunde•
4
5
6
7
n-gliedriges Ordnungsproblem
Abb. 5 Mittlere Blockanzahl der Darbietungen in Abhängigkeit von der Komplexität der Anforderung für Gesunde (G), Hirnorganiker (Ho) und Schizophrene (Schizo) ( m = — Regressionskoeffizient)
Das 7-gliedrige Ordnungsproblem wurde von den beiden Extremgruppen (S u. H) nicht mehr bewältigt. Um die Anstiege besser vergleichen zu können, wurde in vereinfachter Weise eine lineare Beziehung angenommen. Die Anstiege der Extremgruppen (m s = 2,9 und m H = 3,35) unterscheiden sich signifikant vom Anstieg der gesunden Stichprobem (mG = l,18) (t-Test; t = 2,34; P(t) = 0,96). _
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
In Abb. 6 ist die absolute Fehleranzahl über der Komplexität der Anforderung dargestellt. Natürlich sind beide Parameter nicht unabhängig voneinander. Das Ergebnis tritt nur noch deutlicher hervor.
Abb. 6 Fehleranzahl beim Reproduzieren benachbarter Paare nach dem Verstehen eines n-gliedrigen Ordnungsproblems für Gesunde, Hirnorganiker (Ho) und Schizophrene (Schizo)
Interpretation Mit wachsender Länge des Textes (Heinz ist größer als Knut . . .) benötigen die Extremgruppen mehr Darbietungen, um die gleiche Reproduktionsleistung wie Gesunde zu erbringen, falls die Leistung überhaupt erbracht wird. Die notwendige Blockdarbietungsanzahl steigt bei den Extremgruppen schneller an als bei Gesunden. Mit wachsender Komplexität der Anforderung wird hier eine Störung der Informationsaufnahmekapazität deutlich sichtbar. Die Störung wird um so deutlicher, je mehr Information behalten werden muß. Ob die Versuchspersonen der Extremgruppe in einer komplexeren Anforderung die größere Menge an Information gar nicht erst aufnehmen oder schneller wieder vergessen, ist aus den Experimenten streng nicht entscheidbar. Plausibel und für unsere Untersuchungen auch zutreffend erscheint uns die auf Koh u. a. (1978) zurückgehende Interpretation, daß Schizophrene bei der Aufnahme von Information in unzureichendem Maße ihrre Strukturiertheit ausnutzen. In diesem Sinn liegt eine Störung der Behaltensleistung vor. Damit schließen wir die Analyse deduktiver Schlußprozesse ab und kommen zur Analyse analoger Schlußprozesse. 2.2. Experimentelle Analyse analoger Schlußprozesse Bei der Analyse deduktiver Schlußprozesse fand sich kein Unterschied im Lösungsprozeß. Daß diese Aussage nicht für alle Schlußprozesse gilt, soll im folgenden Abschnitt gezeigt werden.
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen
425
Mirtschink (1983) untersuchte analoge Schlußprozesse über begrifflich-metaphorischem Material, begrifflich-neutralem Material und bei geometrischen Figuren im Extremgruppenvergleich. Charakteristische Fehler machen die Patienten immer dann, wenn konkurrierende Lösungsmöglichkeiten vorlagen, die zu Interferenzen führen können. Dies ist unabhängig davon, ob ein Schlußprozeß zu bewältigen ist oder nicht. Im nachfolgenden gehen wir auf die einzelnen Untersuchungen ein. 2.2.1. Analogien über begrifflich-metaphorischen. Relationen Ausgangspunkt war die Frage, ob sich Störungen in der Informationsverarbeitung auf Störungen der Gedächtnisstruktur zurückführen lassen, oder ob Prozeßstörungen vorliegen. Bei der Konzipierung des Untersuchungsansatzes haben wir uns von den Erfahrungen der Kliniker leiten lassen. Aus der psychiatrischen Praxis und Literatur ist seit langem bekannt, daß Schizophrene bei der Interpretation von Sprichwörtern Schwierigkeiten haben. Sie sind häufig nicht in der Lage, die metaphorische Bedeutung eines Sprichwortes wiederzugeben und bleiben bei der Aufforderung zur Interpretation am Konkreten haften (Goldstein 1978). Diese Eigenschaft der Erfassung metaphorischer Bedeutungen mußte in ein vom Standpunkt der allgemeinen Psychologie gut aufgeklärtes experimentelles Paradigma transformiert werden. Wir wählten dazu die Anforderung des analogen Schließens (Klix, van der Meer, 1978). Anforderung Unsere Versuchspersonen mußten z. B. folgendes Analogieauswahlproblem lösen: Aus einer vorgegebenen Menge von 3 Begriffen (genauer: Handlungsphrasen) {Rätsel lösen, Ergebnis verfehlen, Frucht öffnen} muß ein Begriff so ausgewählt werden, daß die zwischen Bock schießen und Fehler machen bestehende Relation auch zwischen Nuß knacken und ? dem auszuwählenden Begriff erfüllt ist. In allgemeiner Schreibweise: A:A^::B:? {B^, B^, B^} Dabei wird mit B ^ ein Begriff im Bildbereich bezeichnet, der eine sinnhafte (metaphorische) Bedeutung des Begriffs B darstellt. Entsprechend bezeichnen wir mit B ^ einen Begriff mit einer konkreten Bedeutung des Begriffes B. Als Beispiel: B (Nuß knacken)
Die Beziehung zwischen den Begriffen soll durch die Identitätsrelation ausgedrückt werden: „Nuß knacken" bedeutet das gleiche wie „Rätsel lösen". Hinsichtlich der konkreten Bedeutung des metaphorischen Begriffes ist die Identitätsrelation nicht realisier-
426
Z. Psychol. 194 (1986) 4
bar. Wir haben deshalb eine Inklusionsrelation verwendet: „Frucht öffnen" steht in einer Oberbegriffsrelation zu „Nuß knacken". Die Versuchspersonen müssen die zwischen den Begriffen A und A' bestehende Relation entdecken und aus der vorgegebenen Auswahlmenge B[ denjenigen Begriff auswählen, der die Relation zu B erfüllt. Im vorliegenden Beispiel ist „Fehler machen" die metaphorische Bedeutung zu „Bock schießen". Die Analogie ist dann erfüllt, wenn aus der Auswahlmenge ein Begriff mit einer metaphorischen Bedeutung zu „Nuß knacken" ausgewählt wird. Das ist im vorliegenden Fall „Rätsel lösen". Wird stattdessen der Begriff „Frucht öffnen" ausgewählt, so entspricht das zwar einer konkreten Bedeutung von „Nuß knacken", muß aber im Hinblick auf die Anforderungsbewältigung als Fehler gewertet werden, da die Relation zwischen „Nuß knacken" und „Frucht öffnen" nicht identisch ist mit der zwischen „Bock schießen" und „Fehler machen". Vor dem Hintergrund der „Konkret-Abstrakt"-Hypothese erwarten wir, daß Schizophrene beim analogen Schließen über metaphorischen Relationen Fehler machen, während der analoge Schluß über nicht-metaphorischen Relationen fehlerfrei bewältigt werden soll. In der Kontrollsituation wurden im Urbild nur Begriffe mit konkreten Relationen (A — A^) dargeboten. Als Beispiel: Aus der oben angegebenen Auswahlmenge muß ein Begriff so ausgewählt werden, daß die zwischen Bock schießen und Wild jagen bestehende Relation auch zwischen Nuß knacken und ? dem auszuwählenden Begriff erfüllt ist. Wir stellen Versuchs- und Kontrollsituation noch einmal gegenüber: Versuchssituation: Bock schießen : Fehler machen :: Nuß knacken : ? A : A^ :: B :? Rätsel lösen B^ Ergebnis verfehlen Bp B'K Frucht öffnen Kontrollsituation: Bock schießen : Wild jagen :: Nuß knacken : ? A : A^ :: B :? Wenn schizophrene Denkstörungen etwas mit der metaphorischen Relation zu tun haben, dann müßten Schizophrene in der Versuchssituation mehr Fehler machen als Gesunde. Unter der Voraussetzung, daß die Prozedur des analogen Schließens nicht gestört ist, dürfte in der Kontrollsituation kein Unterschied in der Fehleranzahl zwischen Gesunden und Schizophrenen zu erwarten sein (erstes Experiment). Die Fähigkeit Schizophrener, analoge Schlüsse genauso korrekt auszuführen wie dies Gesunde tun, wollen wir durch Untersuchungen mit geometrisch-figuralem Material belegen. Damit wollen wir ausschließen, daß Denkstörungen in der analogen Schlußprozedur zu suchen sind (zweites Experiment). Die beim analogen Schließen mit metaphorischen Begriffen auftretenden Fehler Schizophrener müßten dann auf Änderungen in der Gedächtnisstruktur zurückzuführen sein. Um das zu prüfen, wird die semantische Distanz oder Typikalität zwischen
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen
427
einem mehrdeutigen Begriff und seiner metaphorischen Bedeutung einerseits und seiner konkreten Bedeutung andererseits im Distanzrating bestimmt (drittes Experiment). Für Gesunde und Schizophrene müßten die Distanzdifferenzen unterschiedlich sein: d(BB;)-d(BB^)*d(BB;)-(BB^) Gesunde Schizophrene Schließlich prüfen wir in einem vierten Experiment, ob die Fehler Schizophrener beim analogen Schließen tatsächlich auf die metaphorische Eigenschaft von Relationen zwischen Begriffen zurückzuführen sind, oder ob die gleiche Fehlerverteilung auch bei nichtmetaphorischem Material auftritt, wenn nur die semantische Distanz zwischen dem Begriff (B) und dem relationserfüllenden Begriff (B') sehr groß ist. Wie bereits ausgeführt, besteht der analoge Schlußprozeß im Erkennen der Relation zwischen den Begriffen A und A' und dem Auswählen eines Begriffes B ' so, daß dieselbe Relation zwischen den Begriffen B und B ' gilt. Mit anderen Worten: B ' muß die Relation zu B erfüllen. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß dieser Auswahlvorgang nicht von der semantischen Distanz zwischen den Begriffen B und B ' abhängig ist, selbst dann nicht, wenn die semantische Distanz zum relationserfüllenden Begriff B ' groß und die zum nicht relationserfüllenden Begriff klein ist. Wird dagegen die Auswahl des Begriffes B ' nicht durch die zwischen den Begriffen A und A' bestehende Relation determiniert, sondern z. B. durch die kleinste semantische Distanz (bzw. größte Typikalität) zum Begriff B, dann sprechen wir von einer Störung des analogen Schlußprozesses durch Interferenz. Methodik Sowohl für die Versuchssituation als auch für die Kontrollsituation wurden jeweils 12 Analogien unter Zuhilfenahme des Buches von H. Görner: „Redensarten. Kleine Idiomatik der deutschen Sprache" (1979) gebildet. Nach einer varianzanalytischen Homogenitätsprüfung an einer Gesurtden-Stichprobe erwiesen sich 8 Analogien als homogen. Jede Analogie wurde dreimal wiederholt, wobei die richtige Alternative einmal an erster, zweiter oder dritter Position in der Auswahlmenge stand. Insgesamt wurden einer Versuchsperson 8 x 2 x 3 = 4 8 Analogien in zufällig permutierter Reihenfolge über einen Diaprojektor dargeboten. Der Analogieversuch wurde in der Regel einen Tag nach dem noch zu beschreibenden Distanzrating durchgeführt. Untersuchungsstichprobe Aus Plätzgründen kann hier nicht auf die vollständige Charakteristik der Stichprobe eingegangen werden. Sie ist ausführlich in Mirtschink (1983) bzw. in Krause, Mirtschink und Sprung (1984) dargestellt. An unseren Versuchen nahmen 39 Schizophrene (vorwiegend paranoide Schizophrene), 21 Gamma-Alkoholiker (chron. Phase) und 20 Gesunde teil. Die nachfolgende Tabelle gibt die Stichprobenparallelisierung wieder. Wegen zweigipfliger Verteilungen wurden dabei alle Stichproben in Probanden mit niedrigem bzw. durchschnittlichem und hohem IQ unterteilt.
428 Tabelle 2
Z. Psychol. 194 (1986) 4 Parallelitätskennziffern für Verbal-IQ, Schulbildung und Alter
Stichprobe Kontrollgruppe N=20 ( 7 IQ < 1 0 0 / 13 IQ > 1 0 0 ) Schizophrene N=39 (17 IQ < 1 0 0 / 22 IQ > 1 0 0 ) Alkoholiker N=21 (13 IQ < 1 0 0 / 8 IQ =-100)
Schulbild.
Alter
IQ 91,7 4,9
8,4 0,8
89,1 5,9
92,7 3,8
Verbal-
Schulbild.
Alter
IQ 33,3 8,8
105,8 5,7
10,3 1,4
36,6 x 10,3 s
8,9 1,5
32,1 13,7
106,1 7,1
10,2 1,5
33,3 x 9,0 s
8,6 1,3
46,4 7,8
105,0
9,1 1,5
47,8 x 5,7 s
niedriger IQ (MWT unter 100)
Verbal-
7,1
hoher IQ (MWT über/gleich 100)
Parameter und Ergebnisse Als Parameter registrieren wir — die Anzahl richtiger Antworten beim analogen Schließen für jede Stichprobe in der Versuchs- und Kontrollsituation sowie — die Anzahl richtiger Antworten beim analogen Schließen in Abhängigkeit von der semantischen Distanz zwischen dem mehrdeutigen Begriff B und dem relationserfüllenden Begriff B ^ in der Versuchssituation. In der Versuchssituation erwarten wir eine größere Fehleranzahl der Patientengruppen gegenüber der Gesundenstichprobe. In der Kontrollsituation dagegen dürfte kein Unterschied zwischen den Probandengruppen zu erwarten sein, wenn der Schlußprozeß selbst nicht gestört ist. Die Abb. 7 zeigt das Ergebnis. Wie erwartet, machen die Patientengruppen in der Versuchssituation mehr Fehler als die Gesundenstichprobe. Entgegen den Erwartungen zeigen sichj auch in der Kontrollsituation Unterschiede. Damit muß genauer geprüft werden, ob nicht entgegen unserer Annahme eine Störung im analogen Schlußprozeß vorliegt. Die relative Häufigkeit richtiger Antworten in Abhängigkeit der semantischen Distanz d(BBj,j) ist in Abb. 8 dargestellt. Die Abbildung macht deutlich, daß das Lösungsverhalten Gesunder nicht von der semantischen Distanz d(BBj,) abhängig ist. Dagegen besteht eine Abhängigkeit bei der schizophrenen Stichprobe. Das Resultat spricht dafür, daß das Lösungsverhalten Schizophrener in Abhängigkeit von der Gedächtnisstruktur beeinflußt wird. Postuliert man anstelle des analogen Schließens einen (relationsunabhängigen) AuswaMprozeß, so erhält man einen Kurvenverlauf für die Wahlwahrscheinlichkeit des Begriffes B m als Funktion der semantischen Distanz d ( B B ^ ) wie er in Abb. 9 dargestellt ist.
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen Hypothese
429
Ergebnis
Versuchssituation
Kg
Sch
A
Kg
Hypothese
Sch
A
Ergebnis
Kontrollsituation
Kg
2 1.00| .90
Sch
A
Gesunde
Kg
Sch
Schizophrene
Abb. 7 Relative Häufigkeit richtiger Antworten beim analogen Schließen für Gesunde (Kg), Schizophrene (Sch) und Alkoholiker (A) in Versuchs- (oben) und Kontrollsituation (unten)
A
Hirnorganiker
< .80
.70 ^
.60
i .50' JC § .40 I .30
semantische Distanz
(1,2) (3,4) (5-7) (8,9)
(1,2) (3/) (5-7) (8,9)
(1,2) (3/) (5-7) (8,9) d(8 B„)
Analoges Schließen A : A y : : B : {B^,, B^,, Bp} als eine Funktion der semantischen Distanz zwischen den Begriffen B und B ^ B M & metaphorische Bedeutung des Begriffes B Bg ^konkrete Bedeutung des Begriffes B Bp ^falsche Bedeutung des Begriffes B Abb. 8 Einfluß der semantischen Distanz d(BB^) auf die Inferenzleistung 28
Z. Psychol. 194-4
430
Z. Psychol. 194 (1986) 4
P(B" ) 1.0
• Gesunde
• Schizophrene
0.5 •
• Schizophrene (Auswahltheorem)
10
d(BB'J
Abb. 9 Relative Häufigkeit für die Wahl des Begriffes B y als Funktion der semantischen Distanz d ( B B y ) nach dem Auswahltheorem von Luce. Die experimentellen Daten entstammen dem Analogier experiment
Dem berechneten Verlauf liegt das Auswahltheorem nach Luce (1959, 1965) zugrunde: Die Wahlwahrscheinlichkeit P des Begriffes B ^ aus der Menge [B^, B^] unter Vernachlässigung von B' f ist PfR'/R' (
K/
M
"
vWBBK)) m - v ( ( d B B ' K ) ) + v((dBB^))
BK)
Mit v(x) = e _ a x u n d P(Bm) = 1 - F ( B ' k ) erhalten wir P ( B ^ „ B' k ) = 1
g-dtBB^Ja
e
-d(Bß^)-a
+
e
-d(BB^)a
Mit d(BB' K ) % 1,5 aus dem Experiment und a = —0,191 durch Anpassung bestimmt, ergibt sich der in Abb. 9 dargestellte Verlauf. Interpretation Die Abb. 8, 9 machen deutlich, daß das analoge Schließen Schizophrener durch die semantische Distanz d(BB'VI) zwischen den Begriffen B und B ^ beeinflußt wird. Der ähnliche Kurvenverlauf nach dem Auswahltheorem und nach dem Experiment spricht dafür, daß sich Schizophrene in Bereichen mit großer semantischer Distanz eher so verhalten, wie es das AuSwahltheorem beschreibt und nicht den analogen Schluß realisieren. Bevor wir aber Störungen im Lösungsverhalten auf Änderungen in der Gedächtnisstruktur zurückführen wollen, müssen Störungen im Inferenzprozeß selbst eindeutig ausgeschlossen werden. Dazu mußten unsere Vpn Analogien über geometrisch-figuralen Relationen lösen.
431
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen
2.2.2. Analogien über geometrisch-figuralen Relationen In diesem Versuch soll die Intaktheit der Elementaroperationen des analogen Schlußprozesses geprüft werden. Dies geschieht durch sprachfreies Versuchsmaterial. Wir vermuten, daß sich Schizophrene von Gesunden beim analogen Schließen mit geometrischfiguralem Material nicht unterscheiden. Als Versuchsmaterial wurde das Material nach van der Meer (1979) verwendet (Abb. 10).
A - D> ~ A ^ P Abb. 10 Versuchsmaterial für Analogieakzeptierung (nach van der Meer, 1979)
Pi-ehung um 9 0 °
Die relative Häufigkeit richtiger Antworten für Gesunde, Schizophrene und Alkoholiker ist in Abb. 11 dargestellt. Ja-Antworten
< TCH ocoßeHHo Te n a p a M e T p i i , KOTOptie x a p a K T e p H 3 y i o T
H3-
npoijecca. OUIHÖKH B 3aKJIIOHCHHHX no aHajioriiH Kan (JiyHKijHH ceiwaHTiiiecKoro paccTOHHHH n03B0JiHeT OTflejiHTL npyr OT apyra OKCTpeMajibHtie rpynnti: Sojibiiue mn3opeHiieii, ajiKorojiHKK h 3RopoBHe. Bo BTopofi HaCTH paßoTM ßyaeT noKa3aHa noJieaHocTb Tanax napaMeTpoB ajieMOHTapHtix KorHHTHBHHx npoi;eccoB RJIH noeTaHOBKH HHarH03a, onapaiomeficH Ha 9BM.
MEHEHHE
Krause u. Mirtschink, Schizophrene Denkstörungen
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Buchbesprechungen Graumann, C. F. (Hrsg.) Psychologie im Nationalsozialismus. VII/318 S. mit 5 Abb. Berlin — Heidelberg — New York - Tokyo: Springer-Verlag 1985. Paperback. 24,80 DM. Es hat zwar lange gedauert, konnte aber nicht ausbleiben, daß im Gefolge des zaghaft wiedererwachten Geschichtsbewußtseins in unserer Wissenschaft endlich auch die Periode deutscher Geschichte zum genaueren wissenschaftshistorischen Gegenstand gemacht werden würde, die zu den furchtbarsten und verbrecherischten der Geschichte überhaupt gehört, die des deutschen Faschismus. Das vorliegende Werk stellt eine der ersten Arbeiten dar, die durch ihren Charakter — hervorgegangen aus einer wissenschaftlichen Tagung — viele und damit sehr unterschiedliche Aspekte dieser Thematik in einem Bande behandelt. So werden im einzelnen — zumeist auf neuen archivalischen Recherchen und Interviews mit „Zeitzeugen" aufbauend — Personen, Institutionen und Theorien der Psychologie aus der Zeit des Faschismus in Deutschland behandelt und in ihrem Verhältnis zu Ideologie und Politik dargestellt. 52 Jahre nach dem Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland erschienen, ist es ein Werk, das nicht von den unmittelbar „Betroffenen" (d. h. den Emigranten und den „Akteuren", „Dienern", „Mitmachern" usw. des sogenannten Dritten Reiches) geschrieben wurde, sondern von den Wissenschaftlern der sogenannten „Nachkriegsgeneration". Diese Tatsache bereichert und korrigiert unser Bild von dieser Zeit in vielen Punkten, ohne daß es den Grundeinschätzungen etwas Neues hinzufügen kann. Es verfestigt aber beispielsweise eine Korrektur des Psychologiebildes über die Zeit des Faschismus, das in den 50er und 60er Jahren vorherrschte und nach dem die Psychologie in jener Zeit nur „gelitten" habe und im Kern „zerstört" worden sei. Wie sehr sie daneben aber auch profitiert hat, weil sie sich in vielen Teilen dem Regime für seine verbrecherischen Ziele zur Verfügung gestellt hat, dokumentiert der vorliegende Band abermals in besonders eindringlicher und umfangreicher Weise. J a mehr noch, er weist manche weit in ihrer Geschichte liegende Ursprünge und Entwicklungslinien nach, warum dies so schnell und in so bedrückender Breite während der Herrschaft des Faschismus möglich wurde. Ein sehr notwendiges und wichtiges Buch für das wir dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern dankbar sein sollten. Und dennoch, mehr als nur einen „Wermutstropfen" zum Schluß: Daß ein Beitrag über die Widerstandskämpfer unter den Psychologen und deren Opfer ausgespart wurde (z. B. H. Düker, C. Bondy, K. Huber) ist mehr als nur bedauerlich. Es macht auch dieses ansonsten wertvolle Buch leider zu einer einseitigen Dokumentation, so sehr auch diese „Schlagseite" des Werkes die tatsächliche „Vorzugsrichtung" der damaligen Psychologen und deren Psychologien widerspiegeln dürfte. L. Sprung (Berlin)
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Buchbesprechungen Graumann, C. F. (Hrsg.) Psychologie im Nationalsozialismus. VII/318 S. mit 5 Abb. Berlin — Heidelberg — New York - Tokyo: Springer-Verlag 1985. Paperback. 24,80 DM. Es hat zwar lange gedauert, konnte aber nicht ausbleiben, daß im Gefolge des zaghaft wiedererwachten Geschichtsbewußtseins in unserer Wissenschaft endlich auch die Periode deutscher Geschichte zum genaueren wissenschaftshistorischen Gegenstand gemacht werden würde, die zu den furchtbarsten und verbrecherischten der Geschichte überhaupt gehört, die des deutschen Faschismus. Das vorliegende Werk stellt eine der ersten Arbeiten dar, die durch ihren Charakter — hervorgegangen aus einer wissenschaftlichen Tagung — viele und damit sehr unterschiedliche Aspekte dieser Thematik in einem Bande behandelt. So werden im einzelnen — zumeist auf neuen archivalischen Recherchen und Interviews mit „Zeitzeugen" aufbauend — Personen, Institutionen und Theorien der Psychologie aus der Zeit des Faschismus in Deutschland behandelt und in ihrem Verhältnis zu Ideologie und Politik dargestellt. 52 Jahre nach dem Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland erschienen, ist es ein Werk, das nicht von den unmittelbar „Betroffenen" (d. h. den Emigranten und den „Akteuren", „Dienern", „Mitmachern" usw. des sogenannten Dritten Reiches) geschrieben wurde, sondern von den Wissenschaftlern der sogenannten „Nachkriegsgeneration". Diese Tatsache bereichert und korrigiert unser Bild von dieser Zeit in vielen Punkten, ohne daß es den Grundeinschätzungen etwas Neues hinzufügen kann. Es verfestigt aber beispielsweise eine Korrektur des Psychologiebildes über die Zeit des Faschismus, das in den 50er und 60er Jahren vorherrschte und nach dem die Psychologie in jener Zeit nur „gelitten" habe und im Kern „zerstört" worden sei. Wie sehr sie daneben aber auch profitiert hat, weil sie sich in vielen Teilen dem Regime für seine verbrecherischen Ziele zur Verfügung gestellt hat, dokumentiert der vorliegende Band abermals in besonders eindringlicher und umfangreicher Weise. J a mehr noch, er weist manche weit in ihrer Geschichte liegende Ursprünge und Entwicklungslinien nach, warum dies so schnell und in so bedrückender Breite während der Herrschaft des Faschismus möglich wurde. Ein sehr notwendiges und wichtiges Buch für das wir dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern dankbar sein sollten. Und dennoch, mehr als nur einen „Wermutstropfen" zum Schluß: Daß ein Beitrag über die Widerstandskämpfer unter den Psychologen und deren Opfer ausgespart wurde (z. B. H. Düker, C. Bondy, K. Huber) ist mehr als nur bedauerlich. Es macht auch dieses ansonsten wertvolle Buch leider zu einer einseitigen Dokumentation, so sehr auch diese „Schlagseite" des Werkes die tatsächliche „Vorzugsrichtung" der damaligen Psychologen und deren Psychologien widerspiegeln dürfte. L. Sprung (Berlin)
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Balck, F.; Koch, U.; Speidel, H. (Hrsg.) Psychonephrologie. Psychische Probleme bei Niereninsuffizienz. 628 S. mit 39 Abb. und 57 Tab., 2 6 x 17 cm. Berlin - Heidelberg - New York - Tokyo: Springer-Verlag 1985. Gebunden. 148,- DM. Dank stürmischer Entwicklungsfortschritte in der Medizintechnik ist es heute möglich, auch lebenswichtige Organe in ihrer Funktion weitgehend durch künstliche Organe zu ersetzen. Man spricht von der sogenannten Prothesenmedizin, deren technische und auf den Patienten bezogene medizinische Probleme vor allem im Vordergrund der Betrachtungen stehen. Daß diese Prothesenmedizin auch eine psychische Dimension beinhaltet, nämlich in ihrer Wirkung auf die Betroffenen, auf die Patienten und ihre Angehörigen, auf die sie betreuenden Arzte und vor allem auf das Krankenpflegepersonal, gerät manchmal nur langsam in das Bewußtsein aller Beteiligten. Am Beispiel der Nierenersatztherapie durch Hämodialyse und der Nierentransplantation läßt sich paradigmatisch für die moderne Medizin die Notwendigkeit der Integration somatischer, medizinisch-technischer und psychosozialer Komponenten in einem gemeinsamen Bcdingungsgefüge aufzeigen. Der vorliegende Reader — in der deutschsprachigen und auch internationalen Literatur bisher einmalig — leistet hierzu einen hervorragenden Beitrag. In 13 Kapiteln lassen die Herausgeber zahlreiche kompetente Fachvertreter zu Wort kommen. Das in den ersten fünf Kapiteln auf insgesamt 207 Seiten zusammengefaßte „Hintergrundwissen" über die im engeren Sinne verschiedenen medizinischen Aspekte sollte man kennengelernt haben, um die nun folgenden sozialwissenschaftlichen Fakten verstehen zu können. Der Dialysepatient steht im Mittelpunkt des Kapitels VI. E s werden soziologische, rechtliche und rehabilitative Probleme diskutiert. Ausführlich werden spezifisch psychische Belastungsfaktoren der Patienten in der Dialysesituation, neurologische und psychiatrische Komplikationen unter der Dialyse, Sexualprobleme, Persönlichkeitsfaktoren mit ihren Auswirkungen auf den Anpassungsprozeß und psychosoziale Probleme bei der Hämodialyse und Transplantation von Kindern und Jugendlichen besprochen. Die Kapitel V I I und V I I I sind aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Herausgeber hervorgegangen. Zahlreiche Ergebnisse empirischer Untersuchungen werden dargestellt, die sich um die Problematik Dialysepatient-Partner-Familie ranken. Auch für Angehörige des Dialysepersonals — in der Regel mindestens 3 Berufsgruppen: Ärzte, Pflegekräfte, Techniker — bringt die tägliche Arbeit mit den Patienten psychische Belastungen mit sich. Im Kapitel I X wird hauptsächlich auf Frustrationen beruflicher Zielvorstellungen, Abhängigkeitsprobleme beim Patientenkontakt und entsprechende Lösungsansätze Bezug genommen. Kapitel X befaßt sich ausführlich mit den besonderen psychischen Problemen der Patienten und psychotherapeutischen Interventionsmöglichkeiten im Umfeld der Nierentransplantation. Fallbeispiele tragen zur Konkretisierung und Veranschaulichung bei. Sehr informativ sind die mitgeteilten Daten aus einer empirischen Studie zum Vergleich von Hämodialyse- und Nierentransplantationspatienten hinsichtlich psychologischer, sozialer, rehabilitativer Aspekte, die Katschnig und Konieczna in mehrjähriger Forschungsarbeit zusammengetragen haben. In Kapitel X I werden mögliche psychotherapeutische Hilfen für Dialysepatienten, deren Partner und für das Personal vorgestellt. Detailliert werden Vor- und Nachteile von Einzel- und Gruppentherapie, der Einbeziehung des Dialysepersonals sowie die therapeutischen Beziehungen und methodische Varianten besprochen. Kapitel X I I hebt die Bedeutung psychologischer Forschung in der Versorgung von Dialyse- und Transplantationspatienten hervor, indem typische Forschungsansätze kurz dargestellt und Forschungsprobleme sowie mögliche Lösungsansätze diskutiert werden. Das Buch wird abgeschlossen (Kapitel X I I I ) mit Betrachtungen zur Beziehung zwischen chronischer körperlicher Krankheit und dem Altern. Am Ende jedes Kapitels haben die Autoren Grundlagenliteratur und aktuelle weiterführende Literatur plaziert, was die Suche nach speziellen Problemen oder Fakten erleichtert. Ohne Zweifel: E s ist ein wichtiges Buch, das hier vorliegt. Man kann die Hoffnung, die die Herausgeber im Vorwort äußern, bestätigen: Zusammen mit den Autoren ist es ihnen gelungen, eine schon überfällige systematische Einführung in das Gebiet der Psychonephrologie und ihren aktuellen Stand vorzulegen. J . Schellenberg (Berlin)
Z. Psychol. 194 (1986) 443-464
J . A. Barth, Leipzig/DDR
Aus dem -Institut für Psychologie der Universität Wien
Einige Erkenntnisbeiträge zur wissenschaftlichen Psychologie Konsequenzen der Entwicklungsarbeiten eines neuen Intelligenztests Ton E . D. Kubinger Mit 10 Abbildungen
1. Einleitung Nach langjährigen Entwicklungsarbeiten konnte das „Adaptive Intelligenz Diagnostikum" (AID) von Kubinger und Wurst (1985) als ein Nachfolgetest des H A W I K („HamburgWechsel Intelligenztest für Kinder"; Hardesty und Priester, 1956) vorgestellt werden. Im Gegensatz zu der Revision, dem HAWIK-R, von Tewes (1983) hat der AID mit seiner innovatorischen Urfassung nur mehr das Grundkonzept Wechslers gemeinsam: E s finden sich im AID Untertests, die sich thematisch an diejenigen des H A W I K anlehnen; vor allem die adaptive Testvorgabe hebt den AID von anderen Testbatterien ab. Grenzen und Möglichkeiten der Intelligenzdiagnostik wurden am Beispiel des Testkonzepts von Wechsler schon andernorts diskutiert (s. Kubinger, 1983 a, b ; bzw. Kubinger und Wurst, 1985). Im vorliegenden Artikel sollen nun einige Ergebnisse referiert werden, die ebenfalls den Arbeiten rund um die Konstruktion des AID entstammen, die aber eher als wissenschaftliche Nebenprodukte der ursprünglichen Forschungsvorhaben aufzufassen sind. Sie lassen sich jedoch — von einer anderen Warte aus betrachtet — als grundsätzliche Beiträge zum heutigen Erkenntnisstand der Psychologie interpretieren. Dem ursprünglichen Interesse am nächsten kommend soll erstens auf Probleme der Testtheorie und Testpraxis eingegangen werden; es wird beispielhaft gezeigt, wie die neuesten testtheoretischen Erkenntnisse umgesetzt werden können, um Tests anwendungsfreundlicher und gleichzeitig so zu gestalten, daß sie höheren Gütekriterien entsprechen. 1 Zweitens können bestimmte kulturvergleichende Ergebnisse berichtet werden, so daß zumindest ansatzweise ein Beitrag zur Interkulturellen Psychologie geleistet wird. Drittens bzw. viertens ist auf Fragen der Intelligenzentwicklung sowie auf das Lernen und den Begriff der Lernfähigkeit einzugehen, d. h. Bezug zur Intelligenztheorie bzw. zur Lernpsychologie zu nehmen.
Fünftens sollen gewisse Belange der Denk- bzw. Kognitionspsychologie angesprochen werden, insbesondere die „Speed-and-Power" Problematik. Und schließlich können sechstens neue diagnostische Mittel für die Pädagogische bzw. die Klinische Psychologie diskutiert werden, wenn es zum Beispiel um adäquate Fördermaßnahmen geht. 1 Stellungnahmen des Autors zu Aspekten der „Kritischen Psychologie" und deren Kritik am Testen finden sich bei Kubinger (1983a).
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2. Beiträge zur Testtheorie und Testpraxis Bekannterweise (vgl. z. B. Weiß, 1982) ist das sog. „adaptive Testen" — d. i. die antwortabhängige Vorgabe von Aufgaben, also die dem jeweiligen Leistungsgrad einer Testperson optimal angepaßte Zusammenstellung von Aufgaben aus einem großen Itempool — ökonomischer als das konventionelle Testen: Bei'gleicher Testlänge kann der gesuchte Fähigkeitsparameter genauer geschätzt werden oder, alternativ, der gesuchte Fähigkeitsparameter kann ebenso genau wie beim konventionellen Testen geschätzt werden, trotz Testverkürzung. Auch daß „adaptives Testen" nicht notwendigerweise „computerunterstützt" erfolgen muß, ist bekannt; Fischer und Pendl (1980), zum Beispiel, schlagen ein „branchedtesting" vor, das mit „Papier und Bleistift" realisierbar ist. Die praktische Umsetzung solcher Vorschläge bei allgemein vertreibbaren Tests fehlt allerdings noch. Im folgenden wird daher ein Beispiel demonstriert, das eine problemangepaßte Variante des „branchedtesting" darstellt. Ausgehend von dem Bemühen, einen Test im Gegensatz zu Wechslers HAWIK zu erhalten, der insbesondere in den unteren Leistungsbereichen hinreichend differenziert und trotzdem über den gesamten Altersbereich von 6—15 Jahren anwendbar ist, wurde folgende Testadministrierung konzipiert (vgl. dazu Abb. 1): Pro Altersgruppe erhalten die Testpersonen eine andere erste Aufgabengruppe, von der aus sie immer näher an Aufgaben ihres Leistungsniveaus herangeführt werden; somit bearbeitet jede Testperson nahezu maximal informative Aufgaben in dem Sinn, daß weder a-priori noch auf Grund vorausgegangener Aufgaben der Testleiter mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann, ob die jeweilige Aufgabe gelöst wird oder nicht. Was die praktische Handhabung betrifft, wird der Testleiter in Abhängigkeit von der Anzahl der Lösungen innerhalb einer Aufgabengruppe wie in einem „Programmierten Unterricht" zu einer anderen Aufgabengruppe im Manual verwiesen. Vom testtheoretischen Vorteil abgesehen, daß der gesuchte Fähigkeitsparameter einer bestimmten Testperson am genauesten geschätzt wird, wenn die Lösungswahrscheinlichkeit jeder ihr gestellten Aufgabe für sie nahe bei .5 liegt, verspricht diese Vorgabeart besonders leistungsmotivierend zu sein: Die Aufgaben sind weder zu schwierig noch zu leicht. Weil sei, im Gegensatz zum HAWIK, nicht der Schwierigkeit nach geordnet vorgegeben werden, kommen im Regelfall immer wieder auch leichtere Aufgaben vor — allerdings schon zu Beginn auch relativ schwierige —, so daß eine Testperson durchschnittlich jede zweite Aufgabe löst. Interpretieren wir das so, daß die Lösung positiv verstärkenden Charakter hat, dann ist die Testperson quasi einer Situation nach einem intermittierendem Verstärkerplan ausgesetzt, von dem allgemein die größten Wirkungen zu erwarten sind. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß beim HAWIK fast jede Testperson die meisten Untertests mit 3 bis 5 aufeinanderfolgenden Mißerfolgserlebnissen beendet und entsprechend demotiviert den nächsten Untertest beginnt. Abb. 2 stellt nun zur Illustration die Meßungenauigkeit in Abhängigkeit vom Fähigkeitsparameter für vier verschiedene Bedingungen an Hand eines Untertests gegenüber: Für die konventionelle Testvorgabe der 30 Aufgaben des Allgemeinen Wissens im HAWIK,
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Abb. 1 Die Testvorgabe nach dem „branched-testing" in 5 Untertests des AID. Pro Altersgruppe erhalten die Kinder eine andere erste Aufgabengruppe und in der Folge in Abhängigkeit von der Anzahl richtig beantworteter Aufgaben jeweils verschiedene weitere. F ü r jedes Kind sind standardmäßig drei Aufgabengruppen vorgesehen, so daß die Aufgabengruppen 15, 16, 17, 18, 9 und 14 jeweils auch Aufgaben enthalten dürfen, die in bestimmten anderen ebenfalls vorkommen. Die Entscheidung über die als nächstes vorzugebende Aufgabengruppe richtet sich einheitlich danach, ob das Kind null oder eine Aufgabe, zwei oder drei bzw. vier oder fünf löst. Die Nummern pro Aufgabengruppe stimmen mit den Blocknummern im Manual überein. Die Aufgaben selbst sind für das Alltagswissen der Reihenfolge ihrer Schwierigkeiten nach numeriert
für die Vorgabe von 15 Aufgaben nach dem „branched-testing" des Alltagswissens im AID, für die entsprechende Vorgabe einer Kurzform von nur 10 Aufgaben sowie für die jeweils güntigste Parallelform bei Testwiederholung mit 15 Aufgaben, die bei der Ersttestung noch nicht gestellt wurden. Die Varianz des Meßfehlers bzw. die Varianz des Schätzfehlers des Fähigkeitsparameters bestimmt sich aus der Informationsfunktion laut Modell von Rasch; die entsprechenden Schätzungen der Schwierigkeitsparameter für die Aufgaben des Allgemeinen Wissens entstammen dem Datenmaterial von Kubinger, Rop, Knoll und Wurst (1983), für die Aufgaben des Alltagswissens den testtheoretischen Analysen bei Kubinger und Wurst. In Abb. 2 gegeneinander aufgetragen sind nun die für jeden Fähigkeitsparameter resultierenden Standardschätzfehler; weil beim AID für jeden Fähigkeitsparameter je nach Kombination von Aufgabengruppen verschiedene Schätzfehler berechnet werden können, wurden für ihn drei typische Kombinationen herausgenommen. Sieht man davon ab, daß das Allgemeine Wissen laut Kubinger und Mitarb. gar nicht den Modellvoraussetzungen gerecht wird, zeigt sich, daß das Alltagswissen des AID mit seinen Aufgaben nicht nur in extremere Bereiche hinein mißt — die Spannbreite der erfaßbaren Fähigkeitsparameter ist wesentlich größer —, sondern vor allem in diesen extremen Bereichen wesentlich genauer mißt. Lediglich im Mittelbereich ist der AID dem HAWIK vermeintlich unterlegen. Zu bedenken ist erstens, daß für den AID nicht sämtliche Kom29
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binationen von Aufgabengruppen berücksichtigt wurden und andere mit ihrem Verlauf des Schätzfehlers näher an die entsprechenden Schätzfehler beim HAWIK herankommen als die ausgewählten Kombinationen. Und zweitens ist zu bedenken, daß der HAWIK dem AID in einem Bereich überlegen scheint, wo die Anzahl tatsächlich vorgegebener Aufgaben bereits mehr als 15 ausmacht: Wegen des vorgeschriebenen Abbruchkriteriums von 5 Aufgaben betrifft das den Bereich ab einer Punktsumme von 11. Die Abb. veranschaulicht auch, daß die Meßgenauigkeit unter Verwendung von Parallel- und, selbstverständlich, insbesondere unter Verwendung von Kurzformen leidet. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch, daß in den Extrembereichen sogar die Kurzformen des AID dem HAWIK überlegen sind. Zu ergänzen ist, daß die Bereitstellung von Kurz- und Parallelformen der geübten Testpraxis entspricht, für die einerseits Tests als „Screening"-Verfahren, etwa zur Abklärung bestimmter Mindestfähigkeiten benötigt werden und bei der es andererseits immer wieder vorkommt, daß ein Kind innerhalb kürzester Zeit zweimal mit dem selben Test getestet wird. Wie aus diesen Darstellungen ersichtlich ist, können derartige Testvarianten and Hand eines für das „adaptive Testen" entsprechend konzipierten Itempools leicht angeboten werden. Darüber hinaus ist es sowohl grundsätzlich als auch speziell beim AID möglich, aus dem Itempool verschiedenste konventionell vorzugebende Testvarianten zusammenzustellen, wie sie einem bestimmten Testleiter für seine Zwecke gerade als relevant erscheinen — lediglich die Meßgenauigkeit wird darunter mehr oder weniger leiden. Dabei ist genauso wie bei den Kurzformen eine personenspezifische oder -unspezifische Auswahl möglich.
3. Beiträge zur Interkulturellen Psychologie Damit die Testleistungen von Kindern, denen nicht dieselben Aufgaben gestellt wurden, überhaupt verglichen werden können, muß der Itempool bestimmten testtheoretischen Bedingungen genügen. Auf die dafür nötigen umfangreichen Vorarbeiten soll hier nur soweit eingegangen werden, als sich bei den Analysen nach dem Modell von Rasch folgendes zeigte: Führt man Modelltests danach durch, daß die Itemparameterschätzungen zwischen der österreichischen Stichprobe (968 Kinder) einerseits und der Stichprobe aus der BRD und — zum wesentlich geringeren Teil — aus der Schweiz (insgesamt 350 Kinder) andererseits einander gegenübergestellt werden, so läßt sich jedesmal unter Ausscheiden relativ weniger Aufgaben ein homogener Satz von Items finden; d. h. die Items messen nachweislich eindimensional. Bezüglich des bereits genannten AUtagswissens geben die Abb. 3 a und 3b eine graphische Veranschaulichung des Modelltests nach der Nationalität. Während der zugehörige Likelihood-Quotienten-Test für Abb. 3 a noch signifikant war X2 = 264.68, df = 79), ist er es für die letztendlich im Test verwendeten Aufgaben in Abb. 3 b nicht mehr (x2=z 74.18, df = 50). Zum Beispiel fällt die Aufgabe 59, „Nenne eine von den vier alliierten Mächten im 2. Weltkrieg", österreichischen Kindern in Relation zu den 29*
448
Z. Psychol. 194 (1986) 4 A
A b b . 3 a Graphischer Modelltest für 80 A u f g a b e n z u m AUtagswissen: Die S c h ä t z u n g e n der Schwierigkeitsparameter n a c h d e m Modell v o n R a s c h f ü r Kinder verschiedener N a t i o n a l i t ä t (insgesamt 1318 Kinder). Die A u f g a b e n sind ungefähr ihren Schwierigkeiten n a c h numeriert
übrigen Aufgaben leichter als Kindern aus der B R D und der Schweiz; bei anderen Aufgaben, wie z. B. 72, 76 oder 84, ist es genau umgekehrt. Diese speziellen nationalen — wenn wir so wollen: kulturellen — Unterschiede sind leicht plausibel zu machen, 2 generelle kulturelle Unterschiede zwischen Österreich und der B R D bzw. der Schweiz bestehen nach diesen Analysen jedoch nicht; ja es bestehen nicht einmal quantitative Leistungsunterschiede: Die im Anschluß an die Normierung durchgeführten Mittelwertsvergleiche zwischen österreichischen (1776) und deutschen Kindern (366) erbrachten für keinen der Untertests des AID signifikante Unterschiede. In der Geschichtserziehung der jungen Österreicher n i m m t die B e s a t z u n g s z e i t durch die vier alliierten Mächte einen besonders breiten R a u m ein, bedingt durch deren A b z u g infolge des S t a a t s v e r t r a g e s v o n 1955.
2
Kubinger, Erkenntnisbeiträge eines neuen Intelligenztests
449
A
Letzteres gilt übrigens auch für den Vergleich zwischen Stadt (über 50000 Einwohner) und Land (bis 50000 Einwohner). Als ein Ausblick ist anzuführen, daß sich bereits Untersuchungen in Durchführung bzw. in Planung befinden, die „Cross-Culture-Vergleiche" im engeren Sinn anstreben. Neben der Schweiz und den Niederlanden gilt dabei vor allem der DDR als einem Vertreter eines sozialistischen Gesellschaftssystems das Interesse, weil dort möglicherweise auch andere Wissensinhalte und Denkweisen vermittelt werden; aber auch außereuropäische Länder interessieren in diesem Zusammenhang. 4. Beiträge zur Intelligenztheorie Die unter 3. angesprochenen Modelltests wurden u. a. auch hinsichtlich des Teilungskriteriums Alter durchgeführt, d. h. es wurden die Itemparameterschätzungen zwischen Kindern bis 9 und ab 10 Jahren verglichen. Wieder resultierte jedesmal, zumindest nach dem Ausscheiden einiger Aufgaben, ein modellkonformer Test.
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
Als wichtige Erkenntnis folgt daraus, daß es grundsätzlich möglich ist, einen Itempool zusammenzustellen, der innerhalb des gesamten Altersbereichs von 6—15 Jahren eine einzige Fähigkeitsdimension erfaßt. Das spricht nicht unbedingt gegen die Altersdifferenzierungshypothese der Intelligenz oder etwa gegen die Stadientheorie der Intelligenzentwicklung von Piaget, heißt aber, daß es intellektuelle Fähigkeiten gibt, die sich ab 6 Jahren nur mehr quantitativ verändern. Gerade das war bei der Konstruktion sämtlicher Untertests intendiert; und doch kann ein anderes Ergebnis als Indiz gegen die Altersdifferenzierungshypothese interpretiert werden: Faktorenanalytische Auswertungen zeigen für die Standardisierungsstichprobe insgesamt und für jede Altersgruppe getrennt weitgehend Übereinstimmung hinsichtlich der Anzahl und Ladungen der den Untertests zugrunde liegenden Faktoren. Was die trivial erscheinenden quantitativen Änderungen der Fähigkeiten im Laufe des Alters betrifft, ist zu spezifizieren, daß diese für fast alle Untertests zu den „verbalakustischen" Fähigkeiten linear verlaufen, d. h. die durchschnittlichen Fähigkeitsparameter nehmen pro Alter in Jahren um einen konstanten Betrag zu. Anders als bei den Untertests Alltagswissen, Synonyme Finden, Funktionen Abstrahieren und Soziales Erfassen und Sachliches Reflektieren ist die Situation beim Angewandten Rechnen und bei den „manuell-visuellen" Untertests Realitätssicherheit, Soziale und Sachliche Folgerichtigkeit, Antizipieren und Kombinieren und Analysieren und Synthetisieren; dort zeigt sich immer ein zweigeteilter linearer Verlauf: bis 9 Jahre einerseits und ab 10 Jahren andererseits (vgl. z. B. für die Soziale und Sachliche Folgerichtigkeit Abb. 4). Das läßt vermuten, daß die betroffenen Untertests — die übrigens laut Faktorenanalyse alle (auch) relativ hoch im 4. Faktor, der „(Re-)Produktionsfähigkeit durch Strukturierung", laden — FäfKhiqkeits-
MUMMETER A 4 3 2
O
-1
1
6
7
,
I
9
—
,
-.
10 11 12 13 14 15
V ALTER
-2 -3
-4
Abb. 4 Der Verlauf des Mittelwerts der Fähigkeitsparameter in der Sozialen und Sachlichen keit nach dem Alter (2144 Kinder)
Folgerichtig-
451
Kubinger, Erkenntnisbeiträge eines neuen Intelligenztests
higkeiten erfassen, bei denen tatsächlich ein entscheidender Entwicklungsschub im Alter zwischen 9 und 10 Jahren stattfindet. Und dieser Zeitpunkt fällt mit dem von Piaget postulierten Übergang vom „konkret-operatorischen" zum „formal-operatorischen" Stadium innerhalb der geistigen Entwicklung zusammen. Bereits zweimal angesprochen wurden faktorenanalytische Ergebnisse des AID; weil ihnen im Zusammenhang mit der Theorie der Intelligenz traditionell große Bedeutung zukommt, werden diese in Tab. 1 für die Standardisierungsstichprobe insgesamt wiedergegeben. Tabelle 1 Die Ladungen der 4-Faktorenlösung für 13 Testkennwerte im AID, ergänzt um den „Lernquotienten" (T-Werte; 2144 Kinder); für die meisten Testkennwerte ist die jeweils höchste Ladung besonders hervorgehoben. Kommunalitäten für die 4-Faktorenlösung und die Eigenwerte (samt Prozentsatz erklärter Varianz) für die vollständige Lösung sind angeführt. Die Faktorenextraktion erfolgte mittels Hauptachsenmethode, die orthogonale Rotation nach dem Varimax- Kriterium Testkennwerte 1 Alltagswissen 2 Realitätssicherheit 3 Angewandtes Rechnen 4 Soziale und Sachliche Folgerichtigkeit 5 Unmittelbares Reproduzieren „vorwärts" „rückwärts" 6 Synonyme Finden 7 Kodieren und Assoziieren Kodiermenge Assoziationen „Lernquotient" 8 Antizipieren und Kombinieren 9 Funktionen Abstrahieren 10 Analysieren und Synthetisieren 11 Soziales Erfassen und Sachliches Reflektieren
Faktor 1
Faktor 2
Faktor 3
Faktor 4
Kommunalität Eigenwert
.63 .47 .56
.16 .10 .15
.23 .09 .31
.20 .25 .38
.52 .31 .58
.39
.14
.11
.36
.32
.21 .15 .74
.02 .12 .10
.52 .69 .18
.14 .08 .16
.34 .53 .61
.17 .15 -.00
.68 .87 .08
.12 .08 -.02
.12 .01 -.11
.52 .79 .02
.31 .76
.17 .07
.11 .16
.48 .13
.37 .63
.36
.14
.12
.55
.47
.75
.11
.11
.12
.60
5.05 1.39 1.13 1.03 .83 .69 .66 .61 .58 .50 .42 .39 .35 .33
Bei der Konzeption des AID wurde, basierend auf einem pragmatischen Standpunkt der Intelligenztestentwicklung, versucht, möglichst viele all derjenigen Fähigkeiten zu erfassen, von denen mehr oder weniger allgemein angenommen wird, daß sie „Intelligenz" messen; eine Beschränkung war vielleicht nur insofern gegeben, als das Wechsler-Konzept grundsätzlich beizubehalten war. Entgegen der Generalfaktor-Theorie bzw. der ZweiFaktoren-Theorie von Spearman ging es aber um ein möglichst breites Spektrum intellektueller Fähigkeiten, was dadurch realisiert werden sollte, daß die einzelnen Untertests operational-definiert voneinander eindeutig abgegrenzt wurden. Insofern überrascht
452
Z. Psychol. 194 (1986) 4
es nicht, daß mit vier zugrunde liegenden Faktoren die Dimensionalität des AID über der des HA W I K liegt, für den selten mehr, eher weniger als drei Faktoren beobachtet werden konnten (vgl. Berlach, 1983); seiner Revision, dem H A W I K - R , liegt gar nur ein einziger Faktor zugrunde, wenn man an Hand der publizierten Interkorrelationen eine Faktorenanalyse nachvollzieht. Trotz der heutzutage allgemein akzeptierten Kritik an der Faktorenanalyse als Methode, die Dimensionalität eines Variablenkomplexes festzustellen, sollten die Ergebnisse für den AID als (weiteres) Indiz gegen die Generalfaktor-Theorie herangezogen werden können. Ohne Frage sind aber je nach Konzeptverwirklichung Testbatterien zusammenzustellen, die mehr- oder weniger-dimensional messen. Im Fall des AID werden die vier Faktoren wie folgt interpretiert: „Informationsverarbeitung in der gesellschaftlichen Umwelt", „Informationsverarbeitung neuer Inhalte", „Konzentrationsfähigkeit" und, wie erwähnt, „(Re-)Produktionsfähigkeit durch Strukturierung". Damit besteht eine Affinität zu dem von Roth, Oswald und Daumenlang (1980) aus der Informationstheorie abgeleiteten Intelligenzmodell; sie legen heuristisch folgende Faktoren fest: „Informations-Verarbeitungsgeschwindigkeit", „-Speicherung", „-Reduktion", d. i. das Erkennen von Redundanz, und „-Kreation", d. i. die Bildung von Superzeichen. Einen besonderen Stellenwert im Rahmen der Theorie der Intelligenz nimmt die Lernfähigkeit ein; zum Beispiel Friedman, Das und O'Connor (1981) geben einen Überblick der zahlreichen Ergebnisse zu der Frage, inwieweit „Intelligenz" und „Lernfähigkeit" zusammenhängen. Erst unlängst stellte Hughes (1983) eine Korrelation von .59 fest. Im Zuge der Entwicklungsarbeiten zum AID wurde nun der Begriff der „latenten Lernfähigkeit" geprägt (Kubinger, 1983 c); damit ist die Fähigkeit gemeint, in bestimmten Problemsituationen selbständig Lösungsstrategien oder Fertigkeiten zu entwickeln — also eine durchaus „intelligente" Fähigkeit. Erfaßt wird sie mit dem Untertest Kodieren
u
o
t
X
Abb. 5
e
•
Das Vorgabe-Blatt des Tests Kodieren und Assoziieren
A
II
Q
Kubinger, Erkeimtnisbeiträge eines neuen Intelligenztests
453
und Assoziieren 3 , bei dem es um die Zuordnung bestimmter abstrakter Symbole zu wiedeTholt vorgegebenen konkreten Objekten geht; bildet die Testperson entsprechende Assoziationen überhaupt bzw. rasch aus, so daß sie mit Fortdauer des Tests die gebotene Vorlage, den „Kodierschlüssel" (Abb. 5), nicht mehr benötigt, dann kann ihr eine hohe „latente Lernfähigkeit" zugesprochen werden — bildet sie diese Assoziationen nicht oder n u r sehr langsam aus und „transkribiert" sie bloß, dann mangelt es ihr an dieser Fähigkeit. Im einen Fall kann sie am Ende der Bearbeitungszeit wesentlich schneller als zu Beginn kodieren, im anderen Fall wird sie nur geringe Übungseffekte zeigen. Wie aus Tab. 1 ersichtlich ist, lädt der „Lernquotient", d. i. das Verhältnis der Anzahl richtig kodierter Symbole zwischen erster und zweiter Halbzeit, in keinem einzigen der 4 Faktoren; tatsächlich repräsentiert er einen eigenen, den 5. Faktor in der fakultativen 5-Faktorenlösung. Interessanterweise h a t die „latente Lernfähigkeit" also nichts mit dem gemeinsam, was herkömmlich „Intelligenz" ausmacht.
5. Beiträge zur Lernpsychologie Was dieses Konzept der Lernfähigkeit besonders bedeutend macht, ist der Umstand, daß laut Typenanalyse tatsächlich auch empirisch zwischen zwei Typen von Testpersonen unterschieden werden kann, dem „latenten Lerner" einerseits und dem „Mechanisierer" andererseits. Es gibt also Kinder, die ohne Aufforderung und Vorbild bestimmte Denkoperationen entwickeln und einsetzen. Auf die Testtheorie rückbezogen wirft die Erkenntnis, daß es Tests gibt, die während der Testbearbeitung Lernprozesse provozieren, ein großes Problem auf: Würden auch bei anderen, ursprünglich als „Status-Test" konzipierten Tests gewisse Lernprozesse einfließen, dann wäre eine adaptive Testvorgabe unmöglich, weil je nachdem, wann einer Testperson eine bestimmte Aufgabe gestellt wird, die Schwierigkeit eine andere ist, so daß die Testleistungen verschiedener Personen nicht mehr vergleichbar sind. Andererseits ist es auch für ein besseres Verständnis vom „Lernen" interessant, welche gängigen Tests Fähigkeiten erfassen, die während ihres Abprüfens eine Umstrukturierung bzw. Veränderung erfahren. Ganz global kann diesbezüglich an Hand des AID gesagt werden, daß f ü r viele Bereiche bedeutende Übungseffekte infolge der zweimaligen Testvorgabe festgestellt werden mußten : Tab. 2 zeigt, daß sich die Testleistungen im Alltagswissen, in der Realitätssicherheit, in der Sozialen und Sachlichen Folgerichtigkeit, im Kodieren und Assoziieren, im Antizipieren und Kombinieren sowie im Analysieren und Synthetisieren signifikant, um bis zu 21 % erhöhen, es sich also hier um Problemstellungen handelt, deren optimale Lösung man im Laufe der Zeit lernt oder deren Bearbeitung langfristige Einsichten bringt; dagegen handelt es sich beim Angewandten Rechnen, beim Unmittelbaren Reproduzieren, beim Synonyme Finden, beim Funktionen Abstrahieren sowie beim Sozialen Erfassen und Sachlichen Reflektieren um Fähigkeiten, die weniger leicht erlernbar sind. Suchen wir ® Dieser sowie der Untertest Unmittelbares Reproduzieren wird nicht adaptiv vorgegeben.
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
nochmals einen Bezug zu einem vorausgehenden Kapitel, dann finden wir einen Zusammenhang dieser Zweiteilung mit der Intelligenztheorie von Cattell, der die konkretisierte Intelligenz („crystallized general intelligence") dem Anlagefaktor („fluid general intelligence") gegenüberstellt; erstere kristallisiere sich aus Lerneffekten heraus, letztere repräsentiere Basisfähigkeiten.
Tabelle 2 Die Schätzungen der E f f e k t p a r a m e t e r im „Multiplikativen Poisson Model von F i s c h e r " zur Quantifizierung von Ü b u n g s e f f e k t e n in 13 Testkennwerten des A I D (154 K i n d e r ) ; sie beruhen auf Testwiederholungen, wobei auch Parallelformen eingesetzt wurden. Signifikante P a r a m e t e r sind m i t „ * " gekennzeichnet. (Genaueres s. bei K u b i n g e r und Wurst) Testkennwert
Übungseffekt
1 AUtagswissen 2 Realitätssicherheit 3 Angewandtes Rechnen 4 Soziale und Sachliche Folgerichtigkeit 5 Unmittelbares Reproduzieren „vorwärts" „rückwärts" 6 Synonyme Finden 7 Kodieren und Assoziieren Kodiermenge Assoziation 8 Antizipieren und Kombinieren 9 Funktionen Abstrahieren 10 Analysieren und Synthetisieren 11 Soziales Erfassen und Sachliches Reflektieren
1.08* 1.11* 1.03 1.12* 1.03 1.03 1.05 1.21* 1.13* 1.19* 1.04 1.18* 1.03
Im Zuge der Konstruktion des Würfelmosaik-Tests Analysieren und Synthetisieren stellten sich differenzierte Übungseffekte heraus: Während unter Berücksichtigung sämtlicher Aufgaben, die in verschiedenen Untergruppen den Personen vorgegeben worden waren, selbst nach dem Ausscheiden relativ vieler Aufgaben keine Modellgültigkeit nach dem Modell von Rasch erreicht werden konnte (z. B . Modelltest nach dem internen Kriterium : £ 2 = 60,47, df = 21; vgl. auch Abb. 6), gelang dies recht bald, wenn pro Person die jeweils ersten beiden bearbeiteten Aufgaben unberücksichtigt blieben (% 2 =27.29, df = 20). D. h. je nachdem, ob eine Aufgabe gleich zu Beginn oder später geboten wird, stellt sie qualitativ andere Leistungsanforderungen dar. Kubinger und Wild (in Vorb.) bestätigen in weiterführenden Analysen mit Hilfe des LLTM von Fischer, daß keine weiteren Reihenfolgeeffekte bestehen, also der Übungseffekt nach 2 Aufgaben praktisch abgeschlossen ist. Diese anfänglichen Übungseffekte konnten bei der endgültigen Testgestaltung durch die Verwendung von 2 „warming-up" Items leicht und adäquat aufgefangen werden.
455
Kubinger, Erkenntnisbeiträge eines neuen Intelligenztests HOHER TESTWERT
20c
22 c
NIEDRIGER TESTWERT
Abb. 6 Graphischer Modelltest für 22 Aufgaben zum Analysieren und Synthetisieren: Die Schätzungen der Schwierigkeitsparameter nach dem Modell von Rasch für Kinder mit niedrigem und hohem Testwert, unter Mitberücksichtigung der beiden jeweils als erstes gegebenen Aufgaben
6. Beiträge zur Denk- bzw. Kognitionspsychologie Die zitierte Arbeit von Kubinger und Wild machte es sich auch zur Aufgabe, im Sinne des kognitionspsychologischen Ansatzes von Sternberg diejenigen Denkoperationen zu separieren und hinsichtlich ihrer Schwierigkeiten zu bestimmen, die für das Zustandekommen einer Lösung hypothetisiert werden können. Es stellte sich heraus, daß weder die Art und Anzahl der verschiedenen Flächengestaltungen (vgl. Abb. 7) der einzelnen Würfel, die zu einem Mosaik zusammengesetzt werden, die Schwierigkeit einer Aufgabe erklären können noch die Art und Anzahl der verschiedenen Kombinationen je zweier Würfelflächen — die Parameter im Modell von Rasch sind durch entsprechende Parameter
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
im LLTM nicht zu ersetzen. Das spricht dafür, daß jede Aufgabe jedes Mosaik aus 4 bzw. 9 Würfel, spezifische Qualität, als „Gestalt" hat und nicht oder nicht eindeutig in elementare Wahrnehmungseinheiten zerlegt werden kann. Diese im Sinne der Gestaltpsychologie resultierende Erkenntnis ist deshalb interessant, weil sich bei anderen Materialien, zum Beispiel bei Matrizen-Tests (Formann, 1973) oder bei 3D-Würfel-Tests (Gittler, 1984), gerade das Gegenteil herausstellte.
Abb. 7 Das Netz der Aufgabenwürfel im Untertest Analysieren und Synthetisieren des AID sowie ein Beispiel einer Aufgabe für neun Würfel. Schwarze Flächen sind in Natur rot; die graue Fläche ist in Natur blau
Einen gestaltpsychologischen Zusammenhang offenbart das Analysieren und Synthetisieren auch noch in einer anderen Untersuchung. Waldenmair (1985) beobachtete, daß dieser Test, zusammengenommen mit einer Modifikation des sog. „Embedded-Figures" Tests, der das Konstrukt „Feldabhängigkeit" von Witkin erfassen soll, eindimensional im Sinne Raschs mißt. Unter Umständen ist also mit diesem Untertest die Erfassung
Kubinger, Erkenntnisbeiträge eines neuen Intelligenztests
457
eines bestimmten kognitiven Stils verbunden: Bei einem ieldabhängigen Wahrnehmungsstil übt die Wahrnehmungsumgebung, das Feld, einen starken Einfluß auf die wahrgenommene Figur aus, während bei einer feldunabhängigen Wahrnehmungsweise die Wahrnehmung auf das wahrzunehmende Objekt konzentriert ist. Der Mosaik-Test des HAWIK leistet, übrigens genauso wie das Bilderordnen, auch einen Beitrag zur „Speed-and-Power" Problematik. Entgegen vielen Befunden in der Literatur (vgl. z. B. Iseler, 1970) konnten bei testtheoretischen Vorarbeiten zum AID Hinweise darauf gefunden werden, daß hinsichtlich bestimmter Intelligenzaspekte Leistungsgüte und Leistungsschnelligkeit Ausdruck einer einzigen Persönlichkeitseigenschaft sind. Diese Schlußfolgerung bezieht sich auf Auswertungen der beiden genannten Untertests mit Hilfe der sog. „Hauptkomponentenlösung eindimensionaler Skalierung von Guttman" (vgl. Kubinger, 1983d). Wie die graphische Yeranschaulichung der entsprechenden Parameterschätzungen in Abb. 8 zeigt, kann eine langsamere Lösung in einer Aufgabe durch eine schnellere Lösung in einer anderen Aufgabe ausgeglichen werden, und auch eine fehlende Lösung durch (mehrere) besonders schnelle Lösungen. Zusätzliche Auswertungen zeigten, daß die Relationen der Parameter für die einzelnen Itemkategorien übereinstimmen, wenn sie an Hand der Testleistungen von allgemein langsam oder schnell arbeitenden Kindern geschätzt werden (Genaueres siehe bei Kubinger, Rop, Knoll und Wurst). Ähnliches ließ sich an Hand des Puzzle-Tests Antizipieren und Kombinieren für den AID feststellen, obwohl dieser Untertest zunächst gegenteilig konzipiert war. Ursprünglich sollten entweder bestimmte richtig gelegte Teile oder deren Anzahl als teilrichtig bewero
A
PUNKTE
Abb. 8 Die Schätzungen der Itemkategorienparameter nach der „Hauptkomponentenlösung eindimensionaler Skalierung von Guttman" für den Mosaik-Test (1000 Kinder). Die Aufgaben A bis C werden laut Testanweisung je nach Anzahl der Lösungsversuche mit 0, 1 oder 2 Punkten verrechnet; für die Aufgaben I bis VII sind bei Lösung zusätzliche Zeit-Gutpunkte zu verrechnen, so daß hier 0 bzw. 4, 5, 6 oder 7 Punkte gegeben werden
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Z. Psychol. 194 (1986) 4
tet werden; dafür erlangte aber das mehrkategorielle eindimensionale Modell von Rasch keine Gültigkeit, ganz im Gegensatz zu dem Fall, daß zwischen schnellen und vergleichsweise langsamen Lösungen unterschieden wurde. Die simultane Verrechnung von Leistungsgüfe und LeistungsSchnelligkeit erwies sich also als empirisch gerechtfertigt. Insbesondere stellte sich heraus, daß 2 langsame Lösungen leistungsmäßig ungefähr einer schnellen Lösung entsprechen, weil die Parameterschätzungen dieser beiden Kategorien im mehrdimensionalen Modell übereinstimmend in annähernd diesem Verhältnis stehen (vgl. Abb. 9). RICHTIG, ABER LANGSAM
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RICHTIG UND SCHNELL
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Abb. 9 Graphischer Modelltest für das mehrkategorielle eindimensionale Modell von Rasch für 11 Aufgaben zum Antizipieren und Kombinieren- die kategorienspezifischen Itemparameter nach dem mehrkategoriellen mehrdimensionalen Modell für richtige und schnelle Lösungen gegenüber richtigen, aber langsamen Lösungen (1086 Kinder). Die optimal angepaßte Gerade weist einen Anstieg von .64 auf. Die Aufgaben sind ungefähr ihren Schwierigkeiten nach numeriert
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Kubinger, Erkenntnisbeiträge eines neuen Intelligenztests
7. Beiträge zur Pädagogischen bzw. Klinischen Psychologie Trotz des Bemühens um Repräsentativität der Testaufgaben — viele Psychologen wurden in Vorarbeiten hinsichtlich Relevanz und Repräsentativität von Intelligenztestauf gaben befragt —, ist der Kritischen Psychologie zufolge zu befürchten, daß die Aufgabenzusammenstellungen Kinder der „Unterschicht" benachteiligen. Tatsächlich stellten sich bedeutende schichtspezifische Unterschiede heraus, die durchschnittlich sogar 10 TWerte ausmachen. Die in Tab. 3 gegebene Übersicht ist dazu angetan, Intelligenztestergebnisse von Kindern der Unterschicht zu relativieren; so mag zum Beispiel abgelesen werden, daß ein allgemein eher unterdurchschnittlich intelligentes Kind schichtspezifisch durchaus Überdurchschnittliches leistet 4 — was die Entwicklungsmöglichkeiten solcher Kinder betrifft, sollten also unter Berücksichtigung dieser Tabelle entscheidende Hinweise abgeleitet werden können. Tabelle 3 Schichtsspezifische Mittelwertsvergleiche in der Standardisierungsstichprobe für die 13 Testkennwerte in den 11 Untertests des A I D . I m Fall systematischer und signifikanter Unterschiede sind die Mittelwerte besonders hervorgehoben
Alltagswissen
Obere Schichten 56 Mittlere Mittel54 schichten Untere Mittel51 schichten Obere Unterschicht 49 45 Untere Schichten
Obere Schichten Mittlere Mittelschichten Untere Mittelschichten Obere Unterschicht Untere Schichten
RealitätsSicherheit
Angewandtes Rechnen
Soziale und Sachliche Folgerichtigkeit
Unmittelbares Reproduzieren „vorwärts" „rückwärts"
53
54
54
53
53
53
54
53
52
53
51 49 47
51 49 46
50 49 46
51 49 47
50 49 47
Synonyme Finden
Kodieren und Assoziieren Kodier- Assoziationen menge
Antizipieren und Kombinieren
Funktionen Abstrahieren
Analysieren und Sythetisieren
Soziales Erfassen und Sachliches Reflektieren
55
54
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55
55
54
55
54
53
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53
53
53
53
52 49 46
51 49 46
51 49 48
51 50 47
51 49 46
51 50 46
52 49 45
In einer begleitenden Studie (Kubinger, 1984) wurde mittels eines Skalierungsexperiments festgestellt, daß sich praktisch tätige Psychologen hinsichtlich der Nutzenfunk4 Die dabei angewandte Schichtung nach Kleining und Moore (1968) bezieht sich auf den Beruf des Vaters ; nur bei vaterlosen Familien wurde der Beruf der Mutter dazu herangezogen.
460
Z. Psychol. 194 (1986) 4
tionen unterscheiden, die ihren diagnostischen Ansprüchen implizit zugrunde liegen. Grundsätzlich dürfte es zwei Typen geben: Diagnostiker, die die Aufgabe eines Differential-Diagnostikums in einem „screening"-Verfahren sehen, d. h. sie sind, selbst auf die Gefahr hin, gelegentlich eine falsche Diagnose zu stellen, an jedem Indiz einer fraglichen Eigenschaft — zum Beispiel Cerebralschädigung — interessiert. Und Diagnostiker, die den Schaden besonders hoch werten, wenn eine Diagnose irrtümlich auf die betreffende Eigenschaft lautet. Es läßt sich zeigen, daß je nachdem die Nützlichkeit eines bestimmten Tests bzw. seiner Testkennwerte groß oder klein sein kann. Das ist zum Beispiel für den Range der Wertpunkte im HAWIK der Fall. Diese maximale Differenz stellte sich ursprünglich als informativ für die Erklärung von Lernschwierigkeiten heraus; Kinder, die trotz durchschnittlichem IQ Lernschwierigkeiten zeigen, zeichnen sich oft durch eine besonders große Leistungsstreuung in den verschiedenen Intelligenzaspekten des HAWIK aus. Zwei Nachfolgestudien konnten die differential-diagnostische Aussagekraft des Range belegen: Einmal erwies er sich als MCD-Indikator geeignet, das andere Mal differenzierte er zwischen Kindern, die aus Normallage oder aus Beckenendlage — insbesondere unter sog. „Manualhilfe" — geboren wurden (vgl. Kubinger, 1983 e). Worauf hier besonderer Bezug genommen werden soll, ist folgendes: In einer Reanalyse der Daten von Wallasch und Dony (1980) — die Autoren selbst fanden keinerlei Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Cerebralschädigung hinsichtlich aller konventioTabelle 4 Die Verteilung des Range der W e r t p u n k t e in zehn Untertests des H A W I K bei 48 cerebralgeschädigten und 47 nicht cerebralgeschädigten Kindern von Wallasch und D o n y (1980), inklusive Mittelwert u n d S t a n d a r d a b w e i c h u n g
Range der Wertpunkte
Absolute Häufigkeiten cerebralgeschädigte nicht cerebralgeschädigte Kinder Kinder
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
2 4 4 6 6 2 2 5 5 6 2 1 1 1 1
Mittelwert Standardabweichung
1 6 11 14 8 5 1
1
7.73
4.09
3.57
1.82
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461
nellen HA WIK — Testkennwerte — diskriminierte der Range signifikant (s. dazu Tab. 4). Für Diagnostiker des weiter oben beschriebenen ersten Typs hat dieser Range diesbezüglich also tatsächlich einen relativ hohen Nutzen, für Diagnostiker des zweiten Typs wäre hingegen sogar eine zufallsorientierte Entscheidung der Verwendung des Range vorzuziehen. Immerhin ist zu schließen, daß mit ihm ein überaus wichtiger Kennwert insofern gewonnen worden ist, als ein überhöhter Range generell, aber unspezifisch, auf intellektuelle „Auffälligkeiten", hinweist die weitgehend unabhängig vom insgesamten Leistungsniveau sind. So wie die differential-diagnostische Aussagekraft des Range erst für den HAWIK bewiesen wurde und entsprechende Untersuchungen für den AID noch ausstehen, so ist es auch betreffs der typischen Intelligenzprofile, wie sie Kubinger, Formann und Schubert (1980) empirisch entdeckten. Zwei davon polarisieren sich insofern, als das eine ein den intellektuellen Fähigkeiten gemäß besonders gefördertes Kind charakterisiert, das andere ein dementsprechend wenig gefördertes Kind (vgl. die Typen 3 und 2 in Abb. 10). Dem liegt die Idee zugrunde, daß die Untertests Allgemeines Wissen und Wortschatz-Test Indikatoren für Bildung und Förderung sind, das Allgemeine Verständnis hingegen den „Intellekt" schlechthin darstellt; ähnlich müssen für diese Interpretation der MosaikTest und das Figurenlegen als wenig, das Zahlennachsprechen als relativ stark förderungsabhängig vorausgesetzt werden. Wie Steiner (1985) in ihrer Validierungs-
l.o
AW
AV
WT
ZN
MT
FL
.9 TYP i
i
3 4
Abb. 10 Graphische Veranschaulichung der 4-Klassenlösung für die dreikategorielle Profilanalyse (Latent-Class-Analyse) des HAWIK (sechs relevante Untertests). Pro Untertest ist di« Wahrscheinlichkeit eingetragen, mit der für ein Kind des jeweiligen Profiltyps eine in bezug auf sein Profilniveau „überdurchschnittliche" Leistung erwartet werden kann; weil die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten für „durchschnittliche" Leistungen im Bereich um .33 liegen, brauchen auch die Wahrscheinlichkeiten für „unterdurchschnittliche" Leistungen nicht wiedergegeben zu werden 30
Z. Psychol. 194-4
462
Z. Psychol. 194 (1986) 4
Studie zeigt, ist die getroffene Interpretation tätsächlich begründet. Somit versprechen auch bestimmte Profilinterpretationen große Bedeutung für allfällige Beratungen und Förderungen zu haben.
8. Diskussion Die vorliegende Zusammenstellung einzelner Beiträge zur wissenschaftlichen Psychologie ist — allein wegen des Ausgangspunkts, einen Intelligenztest zu entwickeln — keinesfalls als der Weisheit letzter Schluß gemeint. Vielmehr soll ihr lediglich innovatorischer Wert insofern beigemessen werden, als damit Anregungen für künftige Forschungsvorhaben gegeben werden. Zu einigen Kapiteln der Psychologie dürften durchaus fundierte Lösungsansätze aufgezeigt worden sein, zum Beispiel zum „adaptiven Testen", zu anderen Kapiteln müssen erst tiefergehende Analysen die vorgestellten Ergebnisse evaluieren, zum Beispiel zur „Speed-and-Power" Problematik. Von Bedeutung ist jedenfalls, daß verschiedene Einzelergebnisse, die im Rahmen eines speziellen Forschungsthemas anfielen, überhaupt unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Aussagekraft diskutiert werden konnten.
Zusammenfassung E s werden in einem Übersichtsartikel verschiedene Ergebnisse, die im Zuge einer Intelligenztestentwicklung beobachtet wurden, in Hinblick auf ihren Stellenwert im Rahmen der wissenschaftlichen Psychologie diskutiert. Dabei konnte Bezug genommen werden auf Fragen der Testtheorie, der Intelligenztheorie, der Lern-, Denk-, Kognitionspsychologie, der Pädagogischen bzw. Klinischen Psychologie sowie auf Fragen der Interkulturellen Psychologie. Hinsichtlich aller genannten Disziplinen wurden grundlegende Beiträge geliefert. Wenn für bestimmte Fragen auch keine fundierten Lösungsansätze geleistet werden konnten, so geben doch viele der vorgestellten Ergebnisse Anregungen für tiefergehende Analysen.
Summary A review is given of numerous results which were established within the development of a new intelligence test-battery; this with respect to their meaning as concerns psychological science in general. Several fields are under discussion : Psychometrics, theory of intelligence, learning, thinking and cognition, educational and clinical psychology, and intercultural psychology. To all of them many significant contributions could be made. Either essential answers to the issues were found or, at least, the presented results give rise to penetrating forthcoming analyses.
Pe3iOMe B
o63opoHoit CTaTte oßcymjiaioTCH p a g j i m H t i e pe3yjibTaTH, nonyqecHHwe b npoiçecce pa3BHTiw hhtsji jieKTyajibHLix TecTOB, b CBeTe hx sna^HMOCTn jijih ricuxoaoriwecKoS Hayun. 3aTparoiBaK>TCH BonpocH TeopHH TecTOB, TeopHH HHTenjieKTa, ncnxojioriin MHiiraeHHH, KoraixniBHoft, nenaroriraecKoö, kjihhh-
Kubinger, Erkenntnisbeiträge eines neuen Intelligenztests
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lecKoü, a TftKJKe MewtKyjibTypHoö nCHXonorHH. B pa3BHTHe Kaamofi H3 ynoMHHyTux AHCI^HIIJIQH 6BIH BHGceH ocHOBonoJioraiomHit BKJian. IIo OTji;ejibHbiM BonpocaM, XOTL H HE öhjih HaftaeHbi i;ejiHKOM OÖOCHOBaiiHtie cnocoßH pemeHim, MHorne H3 npeflCTanjieHHtix 3Aect pe3yjii>TaT0B noSyjKaawT K 6onee rayöoKOMy aHaJiH3y.
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Wallasch, R.; Dony, M.: Cerebralschadensdiagnostik mit dem HAWIK: zur Legende der Validität der VIQ-HIQ-Diskrepanz und der Untertestmuster. Diagnostica 26 (1980) 165—184. Weiss, D. J . : Improving measurement quality and efficiency with adaptive testing. Applied Psychol. Measurem. 6 (1982) 473-492. Eingegangen im August 1985 Anschr. d. Verf.: Univ. Doz. Dr. K. Kubinger Institut für Psychologie der Universität Wien Liebiggasse 5, A-1010 Wien
Buchbesprechungen Tamm, Johanna M.: Kultur und Psychosomatik. Das Prinzip der funktionellen somatischen Störungen. 88 S. 2 Tab. 2 0 x 1 3 cm. Berlin - He-'-'ilberg - New York - Tokyo: Springer Verlag 1984. Broschiert. 19,50 DM. Im Rahmen einer in starkem Maße philosophischen Argumentation betrachtet die als Psychotherapeutin tätige Autorin „psychovegetative Störungen" als ganzheitliche Reaktion des menschlichen Organismus auf existentielle Bedrohungen. Diese Bedrohungen seien vor allem solche der angstvoll erlebten Aggressivität anderer Menschen, deren kulturellen Hintergrund die vom „Materialismus" getragenen Krisenmomente der modernen Zivilisation bilden sollen. Maßgeblich für das Begreifen der subjektiven Dimensionen derartiger Störungen sei das an der individuellen Lebensgeschichte ansetzende „Verstehen" im Sinne von Karl Jaspers, welches sich objektivierenden, beispielsweise testpsychologischen Verfahren, weitgehend entziehe und deshalb auch an beigegebenen typischen Krankengeschichten demonstriert wird. Besonders hervorgehoben werden dabei in der Kindheit einsetzende defizitäre Ausprägungen der Affektivität und die Angst vor der Vereinsamung, weshalb auch akute Krisen vornehmlich bei Situationen des „Zurückgeworfenseins auf sich selbst" (etwa bei Partnerverlust) auftreten würden. Für die Therapie derartiger Erkrankungen sei es vor allem wichtig, die Distanzierung der Patienten von der zunächst als dominierend erlebten organischen Störung zu erreichen und im Rahmen einer intensiven psychotherapeutischen Betreuung im Sinne einer „konfliktzentrierten Fokaltherapie" die unbewußten Quellen unzureichender Konfliktverarbeitung aufzudecken. Diesen Schritten müsse sich dann die Förderung der Fähigkeit zur freien Gestaltung affektiven Reagierens anschließen, für die auch gruppentherapeutische Arbeit indiziert sein könne. Heilung sei deshalb vor allem auch verbunden mit dem Aufbau neuer Lebensziele und der Gewinnung neuer Freiräume der Entscheidung und Lebensgestaltung. Typisch für diese Sichtweise ist neben der Bevorzugung der subjektiven Deutung auch die Eingrenzung allen real konfliktvollen Geschehens auf unmittelbar individuelle Begegnungen; völlig ausgeblendet bleiben die strukturell bedeutsamen Bedingungen für defizitäre Formen der Persönlichkeitsentwicklung und die Dimensionen tätiger Lebensbewährung. Die mit dem anthropologischen Deutungsrahmen verbundene Unschärfe der Begriffsbildung ist eine weitere Schwäche der Arbeit. Der Anspruch der Autorin, das Verständnis psychosomatischer Erkrankungen durch die Einbeziehung kultureller Bedingungen der conditio humana zu fördern, wird nicht eingelöst und kann mit dem gewählten Ansatz auch nicht produktiv bewältigt werden. A. Thom (Leipzig)
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Wallasch, R.; Dony, M.: Cerebralschadensdiagnostik mit dem HAWIK: zur Legende der Validität der VIQ-HIQ-Diskrepanz und der Untertestmuster. Diagnostica 26 (1980) 165—184. Weiss, D. J . : Improving measurement quality and efficiency with adaptive testing. Applied Psychol. Measurem. 6 (1982) 473-492. Eingegangen im August 1985 Anschr. d. Verf.: Univ. Doz. Dr. K. Kubinger Institut für Psychologie der Universität Wien Liebiggasse 5, A-1010 Wien
Buchbesprechungen Tamm, Johanna M.: Kultur und Psychosomatik. Das Prinzip der funktionellen somatischen Störungen. 88 S. 2 Tab. 2 0 x 1 3 cm. Berlin - He-'-'ilberg - New York - Tokyo: Springer Verlag 1984. Broschiert. 19,50 DM. Im Rahmen einer in starkem Maße philosophischen Argumentation betrachtet die als Psychotherapeutin tätige Autorin „psychovegetative Störungen" als ganzheitliche Reaktion des menschlichen Organismus auf existentielle Bedrohungen. Diese Bedrohungen seien vor allem solche der angstvoll erlebten Aggressivität anderer Menschen, deren kulturellen Hintergrund die vom „Materialismus" getragenen Krisenmomente der modernen Zivilisation bilden sollen. Maßgeblich für das Begreifen der subjektiven Dimensionen derartiger Störungen sei das an der individuellen Lebensgeschichte ansetzende „Verstehen" im Sinne von Karl Jaspers, welches sich objektivierenden, beispielsweise testpsychologischen Verfahren, weitgehend entziehe und deshalb auch an beigegebenen typischen Krankengeschichten demonstriert wird. Besonders hervorgehoben werden dabei in der Kindheit einsetzende defizitäre Ausprägungen der Affektivität und die Angst vor der Vereinsamung, weshalb auch akute Krisen vornehmlich bei Situationen des „Zurückgeworfenseins auf sich selbst" (etwa bei Partnerverlust) auftreten würden. Für die Therapie derartiger Erkrankungen sei es vor allem wichtig, die Distanzierung der Patienten von der zunächst als dominierend erlebten organischen Störung zu erreichen und im Rahmen einer intensiven psychotherapeutischen Betreuung im Sinne einer „konfliktzentrierten Fokaltherapie" die unbewußten Quellen unzureichender Konfliktverarbeitung aufzudecken. Diesen Schritten müsse sich dann die Förderung der Fähigkeit zur freien Gestaltung affektiven Reagierens anschließen, für die auch gruppentherapeutische Arbeit indiziert sein könne. Heilung sei deshalb vor allem auch verbunden mit dem Aufbau neuer Lebensziele und der Gewinnung neuer Freiräume der Entscheidung und Lebensgestaltung. Typisch für diese Sichtweise ist neben der Bevorzugung der subjektiven Deutung auch die Eingrenzung allen real konfliktvollen Geschehens auf unmittelbar individuelle Begegnungen; völlig ausgeblendet bleiben die strukturell bedeutsamen Bedingungen für defizitäre Formen der Persönlichkeitsentwicklung und die Dimensionen tätiger Lebensbewährung. Die mit dem anthropologischen Deutungsrahmen verbundene Unschärfe der Begriffsbildung ist eine weitere Schwäche der Arbeit. Der Anspruch der Autorin, das Verständnis psychosomatischer Erkrankungen durch die Einbeziehung kultureller Bedingungen der conditio humana zu fördern, wird nicht eingelöst und kann mit dem gewählten Ansatz auch nicht produktiv bewältigt werden. A. Thom (Leipzig)
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J . A. Barth, Leipzig/DDR
Aus dem Institut für Psychologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Das Verkürzungskontinuum möglichen Lösungswissens beim Turm yon Hanoi Teil I Yon H. Filibrandt Mit 5 Abbildungen
Problemstellung Zweifellos gehört der „Turm von Hanoi" (T. v. H.) zu den in der Denk- und Lernpsychologie am häufigsten untersuchten Problemstellungen. Klahr (1981, S. 269) nennt Literatur der letzten 50 Jahre. Die Vielzahl der Beiträge bis in die jüngste Zeit scheint den immer noch unbefriedigenden Stand der Beantwortung der zentralen Frage widerzuspiegeln, nämlich, was Menschen bei Lösungsversuchen lernen und wie sie dies lernen. Einer Antwort kommt Bedeutung weit über das konkrete Problem hinaus zu. Es geht um eine Theorie des Lernens, die die theoretische Verwandtschaft verschiedener Lernzustände verschiedener Personen ebenso aufzuzeigen vermag wie Gesetzmäßigkeiten der Veränderung kognitiver Strukturen beim einzelnen. Zu dieser „Fortentwicklung der Problemlösefähigkeit" (Dörner, 1976) liegen kaum Untersuchungen vor. In letzter Zeit scheint jedoch der Aspekt des Lernens, nicht mehr so sehr die Erklärung des Findens einer Lösung als solche, zunehmend Interesse zu wecken, so bei der Erklärung von Unterschieden zwischen Neulingen und Experten (Neches und Hayes, 1978; Anzai und Simon, 1979; Anderson, 1981). Insbesondere beim T. v. H. ist gefragt worden, ob Algorithmen, einem Computer z. B. als Lösungsweg eingeben, als „Abbilder kognitiver Lösungsstrukturen" (Klix, 1971, S. 727) angesehen werden dürfen. Eine solche Vermutung liegt dann nahe, wenn Versuchspersonen (Vpn) in einer Such- und Lernphase offenbar ein Lösungsprinzip finden und danach ein ähnlich optimales Lösungsverhalten zeigen wie auf Rechnern realisierte Algorithmen. „Für diesen Zeitpunkt des Lösungsprozesses stellt sich daher die Frage, ob Operatoren und logische Bedingungen, die in optimale Algorithmen eingehen, auch im realen Denkprozeß eine Rplle spielen" (Sydow, 1970, S. 184). Die Frage verschärft sich, da mehrere und recht verschiedenartige „optimale" Algorithmen existieren. Eine Antwort wurde vor allem auf empirischem Wege durch Vorgabe der Algorithmen versucht. Ergebnisse deuteten an, daß Vpn Elemente verschiedener Algorithmen benutzten. Klix meint in einer Zusammenfassung der Untersuchungen, daß die Frage nicht in so einfacher Weise geklärt werden kann (1971, S. 727). Andererseits beschreibt Klix Strategien, die beim T. v. H. offenbar zum Aufbau von Wissen führen. Es ist die lokale Optimierungsstrategie, also das probeweise Vorausspiel einiger noch überschaubarer Züge und die Beurteilung der Effektivität der Ergebnisse
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solcher Versuche. Es ist der Wechsel zur globalen Strategie der Rückwärtsplanung von Teilzielen und die insbesondere damit verbundene Suchraumeinschränkung, und es ist der Prozeß „abstraktiver Verdichtung und transformativer Verkürzung", durch den das sonst nicht überschaubare Informationsvolumen kognitiv beherrschbar wird und „Gruppen von Scheiben so elementar transformiert werden wie einzelne" (S. 719). Wenn dies aber, und insbesondere wohl die letztere, die Strategien für den Wissenserwerb sind, dann müßte mit eben diesen Strategien auch nachzuweisen sein, wie Algorithmen als „Transformationsklassen" bzw. „operative Verkürzungen von Transformationsfolgen" (S. 703) entstehen. Das würde zumindest Licht auf die Lernprozesse jener Autoren werfen, die die verschiedenen Algorithmen abstrahierten und sie ohne Hinweis auf den eigenen Lernprozeß quasi als Lösungsrezepte mitteilten. Klix leistet diesen Nachweis nicht, denn „wir können diese für die weitere Durchdringung kognitiver Prozesse wesentliche Frage nach den Klassifizierungsregeln für Transformationen hier nur aufwerfen und kennzeichnen" (S. 702) und „es ist vorerst wenig bekannt über Strategien der Informationsverarbeitung, die zu Verkürzungen führen" (S. 603), obwohl „für die Höherentwicklung der geistigen Leistungsfähigkeit des Menschen fundamental" (S. 533). Dieser Klixsche Hinweis auf Verkürzungsprozesse ist bislang kaum aufgegriffen worden. Die nachfolgende Literatur zum T. v. H. scheint wenig weitere Erkenntnisse zu bringen. Egan und Greeno (1974, S. 84) glauben, daß eine hierarchische Zielstruktur im Sinne des General Problem Solvers (GPS; Ernst und Newell, 1969) gelernt wird. Sie finden kaum Hinweise für ein Lernen von Regeln (S. 93). Demgegenüber stellen Simon und Lea (1974, S. 123) fest, daß das Problem sowohl als Transformations- als auch als Regelinduktionsproblem betrachtet werden kann. In einer theoretischen Studie identifiziert Simon (1975) vier verschiedene Lösungsstrategien, die gelernt werden könnten. Drei davon ähneln der Mittel-Ziel-Analyse des GPS. Die vierte, die move-pattern-strategy, grenzt sich deutlich ab. Simon meint, daß zur induktiven Gewinnung dieses Algorithmus der Lösungsweg vorliegen und seine Entdeckung ähnlich dem Finden von Gesetzmäßigkeiten in Buchstabenfolgen oder Zahlenreihen sein müßte. Der Weg des Entdeckens bleibt jedoch unklar. Mangels Informationen darüber, wie Vpn die von Simon vermuteten Lösungsstrategien lernen, studieren Anzai und Simon (1979) intensiv das Lernverhalten einer einzigen Vp. Sie finden drei bis vier Strategien, die uns mit den Klixschen übereinzustimmen scheinen. Wichtiger erscheint ihr Versuch nachzuweisen, daß der Wissenserwerb in einer Strategie zur Ausbildung der nächsteffektiveren Strategie führt, und der Versuch der Simulation der postulierten Lernprozesse. In dieser Simulation scheinen, wenn auch implizit, Ansätze für eine Verkürzungsstrategie zu stecken. Der beobachtbare Lernprozeß ihrer Vp endet mit dem „chunking of 'moves and subgoals". Jedenfalls fordern die Autoren die Vp nicht zu weiteren Lösungsversuchen auf. Von Interesse für unsere Untersuchung unten scheint ihr Hinweis auf eine Mitteilung von Cohn, der ähnliche Lernprozesse beobachtete und bei dem eine Vp offenbar die move-pattern-strategy erreichte. Karat (1982; Kurzfassung auch durch Polson und Jeffries, 1982) konzentriert sich auf jene Anfangsphase des Lernens, in der Anfänger noch nicht in der Lage sind, mit dem geforderten Minimum an Zügen den Zielzustand zu erreichen. Diese Vpn scheinen nach ihm hauptsächlich eine primitive Zwischenzielstrategie (die größte Scheibe muß zum Zielfeld) zu ver-
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folgen und Wiederholungen bereits erzeugter Zwischenzustände vermeiden zu wollen. Seine Simulationsstudien scheinen diese Annahmen zu bestätigen. Osterloh (1983, S. 291ff.) hebt hervor, daß es Verdichtungs-Verkürzungsprozesse sein müssen, die zu deterministischen Algorithmen mit Lösungsgarantie führen, welche die zunächst eingesetzten allgemeinen heuristischen Verfahren ablösen. Insgesamt zeigt die Literatur zweierlei. Die Frage, was gelernt werden kann, ist teilweise beantwortet worden. Es sind, mit gewissen später erläuterten Einschränkungen, die publizierten Strategien und Algorithmen. Die Frage, wie gelernt wird, d. h. wie diese Algorithmen gefunden werden können, ist dagegen unklar geblieben. Mit ihnen sind nur die Ergebnisse von Lernprozessen mitgeteilt worden. In diesem Beitrag wollen wir versuchen, diese zentrale Frage des Wie theoretisch anzugehen und eine Antwort in erster Näherung zu finden. Damit meinen wir, daß es letztlich um die Aufstellung einer Theorie der Verkürzung geht, wie Lernsysteme Algorithmen (Regeln, Operatoren, Handlungs-, Transformations-, Verhaltens-, Prozeßklassen) problemorientiert abstrahieren können. Obwohl es um eine solche Theorie geht, wollen wir sie hier am Fall T. v. H. zunächst nur studienhaft-exemplarisch demonstrieren. Dazu werden wir die Annahme eines Verkürzungskontinuums zunehmend effektiverer Lösungshandlungen machen, ein Kontinuum zunehmenden Wissens, beginnend mit dem VersuchIrrtum-Verhalten, fortsetzend mit der Zwischenzielplanung (Rückwärtsplanung) und der Ausbildung von Algorithmen mit Lösungsgarantie, endend mit deren Transformation in in „automatisch", „routinemäßig" und „elementar" anwendbare Algorithmen. Auf allen Stufen besteht dabei gelerntes Wissen aus Regeln, die die Ablösung von Such- bzw. Herstellungsprozessen der vorhergehenden Stufe gestatten. In dieses Kontinuum der Höherentwicklung lassen sich wenig lernfähige Vpn, die etwa beim Versuch-Irrtum-Verhalten verharren, ebenso einordnen wie andere, die weitere Zwischenstufen und Mischformen bestimmten Wissens erreichen, und wie besonders lernfähige, die bei entsprechend langer Studierzeit die den Lösungsprozeß maximal verkürzenden Algorithmen ausbilden. Dieses Kontinuum wollen wir aufzeigen. Dabei werden wir aus Gründen des Umfangs nicht mit dem versuchsweisen Vorwärtsspielen beginnen, gleichwohl reizvoll, sondern mit dem Vorwissen um die effektivere Rückwärtsplanung, deren Verkürzungsergebnis deterministische, scheinbar vorwärts handelnde Algorithmen sind, die die zeitraubende und noch ohne Lösungsgarantie arbeitende Planungsprozedur ablösen. Erste Algorithmen sind noch „umständlich" und zu „optimalen" weiter verkürzbar. Der Verbesserungseffekt dieser mehrfachen „Umstrukturierung" bzw. „Selbstmodifikation" besteht dabei in einer Einsparung von „Raum und Zeit". Mit „Raum" ist der Platz zur Abspeicherung von Lösungsprogrammen und deren Zwischenergebnisse gemeint, mit „Zeit" jene bei der Ausführung der Programme. Der Zeiteffekt sukzessiver Verkürzungen könnte die beobachtbare Beschleunigung in der Lösungsfindung bzw. den Begriff „Übung" erklären. Beides, die Einsparung von Raum und Zeit, kann man besonders deutlich beim Schreiben von Computerprogrammen beobachten, wenn anfänglich umständliche Programme fortgesetzt verbessert werden (Filibrandt, 1975), wobei im „besseren Lösungsalgorithmus mehr Wissen" steckt (Buchberger, 1982, S. 147). Es ist klar, daß auf einem solchen Kontinuum zunehmender Erfahrung auch die bislang
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in der Literatur publizierten Lösungsalgorithmen einzuordnen sein müssen. Wir werden das mit der Auswahl von vier recht verschiedenen demonstrieren, dem „logischen" Algorithmus von Klix und Mitarb. (1963), dem „heuristischen" Algorithmus von Sydow (1970), der „move-pattern-strategy" von Simon (1975) und dem üblicherweise in der Informatik-Lehre benutzten Algorithmus zum Zwecke der Demonstration eines rekursiven Algorithmus bestimmter Klasse (z. B. Bauer und Goos, 1971). Dabei wird der unterschiedliche Abstraktionsgrad dieser Algorithmen ebenso deutlich werden wie ihre theoretische (Verkürzungs-)Verwandtschaft bzw. ihre Überführbarkeit ineinander, ferner die Brücke zu aktuellen parallelen Problemen in der Informatik. Klix (1971, S. 613, 533) definiert Verkürzung als „Erzeugung äquivalenter Transformationen durch Verminderung der Zahl notwendiger Transformationsschritte". In seinen Beispielen scheint er die Verminderung vermutlich in einer ökonomischen Darstellung von Prozessen zu sehen. So verkürzt die multiplikative Darstellung „6 * 3" den additiven Prozeß „0 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3". Durch die Ausschöpfung der operativen Redundanz wird Speicherplatz (Raum, hier Papier) zur Darstellung des Prozesses eingespart, zur Berechnung sind jedoch alle additiven Schritte durchzuführen. Wir haben diesen Raumaspekt des Verkürzungsprozesses, bei dem gleiche Relationen zwischen verschiedenen Zuständen auf diese klassifizierend wirken und zur Einführung neuer Platzhalter (Schemata) führen, bereits vor geraumer Zeit studiert (Filibrandt, 1977). In dieser Studie nun soll es vornehmlich um den Zeitaspekt von Verkürzungen gehen. Bleiben wir beim Beispiel und nehmen wir an, daß jede +3-Operation obiger Transformationskette das Ergebnis voneinander unabhängiger Suchprozesse ist. Die multiplikative Darstellung nutzt dann die regelhafte Wiederkehr der + 3-Operation, verknüpft die Suchresultate miteinander und gestattet, die Transformationskette nunmehr direkt zu erzeugen, d. h. unter Ausschaltung der bisherigen Herstellungsprozesse der Kette. Das bedeutet erheblichen Zeitgewinn. Aber auch auf dem neuen multiplikativen Niveau kann weiter zeitlich verkürzt werden. Werden die konkreten Eingänge „6" und „3" direkt mit dem konkreten Ergebnis „18" verknüpft, so gestattet dies das Überspringen des additiven Herstellungsprozesses mit seinen Zwischenzuständen. Allgemein werden so, wie zu zeigen sein wird, bestimmte Knotenpunkte und Entscheidungsprozesse unterer Herstellungsprozesse überhaupt nicht mehr durchlaufen. Eben darin scheint die Beschleunigung der Lösungsfindung, die „Erfahrung" bzw. das „Lernen" zu liegen. Verkürzung hat so allgemein zwei Aspekte, den Raum- und den Zeitaspekt, und abstrahiert werden neue Regeln, weil (bzw. wenn) der Speicherplatz und die Zeit zur Lösungsfindung begrenzt ist. Andere bezeichnen die offenbar selbe Theorie anders. Michie (1982, S. 100) zählt auf, wie die Fähigkeit des selbständigen Erwerbs zusätzlicher intellektueller Fähigkeiten z. Z. sonst noch bezeichnet wird: Computerexperten sprächen gewöhnlich von Regelerwerb oder allgemeiner von induktivem Lernen, Psychologen von Konzeptbildung, Logiker von induktiver Verallgemeinerung oder induktiver Inferenz, Naturwissenschaftler von Theorienbildung, der Laie von kreativem Denken und von Erfindungen. Langley und Simon (1982, S. 373) diskutieren allgemeine Prinzipien des Lernens und finden, unter Hinweis auf die Programme von Lenat und Langley, die mathematische und physikalische Gesetzmäßigkeiten (wieder-)entdeckten, daß das Lernen-zu-lernen viel mit der Entdeckung
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neuer Begriffe, Regeln, Gesetzmäßigkeiten zu tun habe, die selbst wieder zur Suche weiterer Regeln benutzt werden können. Dieser Beitrag erster Näherung soll nur bis zu einem bestimmten Auflösungsniveau getrieben werden. So wollen wir zwar hinreichend genau zeigen, wie umstrukturiert wird, d. h. welche „kleine" neue Regel jeweils zu welcher Verkürzung welchen bisherigen Prozesses führt, aber (noch) nicht, wie diese Regel entdeckt wird, obwohl das mitunter bereits mehr oder weniger zwischen den Zeilen stehen könnte. Auch werden wir zwar die Raum- und Zeiteffekte jeder Verkürzung aufzeigen, nicht aber, wieviel Raum oder Zeit im einzelnen. Auch wissen wir, daß wir eine Reihe weiterführender Fragen aufwerfen werden, ohne sie jedoch explizit ansprechen zu können. So wird eine Verkürzungstheorie Auswirkungen auf eine Theorie der Transformationskettenfindung haben. Dörner (1974) etwa verzichtete bei der Konstruktion seines interpolierenden und gegenüber dem GPS lernfähigeren Systems (1974, S. 66, S. 254) auf die „Meta-Operatoren-Bildung", obwohl er das Problem als solches erkannt hatte und auch Lüer (1973) in seiner empirischen Studie bereits die Bildung zeitsparender Meta-Operatoren beobachtete.
Das Problem „Turm von Hanoi" Von Klix und Mitarb. (1963, S. 127) wird das Problem wie folgt beschrieben: „Ein Haufen von Scheiben mit gleichmäßig abnehmenden Durchmessern soll von einer Ausgangsposition A über eine Zwischenstation B auf die Endstellung C gebracht werden. Dabei sind folgende Bedingungen zu berücksichtigen: a) Es darf nur jeweils eine Scheibe bewegt werden. b) Niemals darf eine größere auf einer kleineren Scheibe liegen. Das Problem ist dann optimal gelöst, wenn die Scheiben mit dem notwendigen Minimum an Zügen in die Endstellung gelangen." Abb. 1 veranschaulicht die Problemstellung.
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Abb. 1 Veranschaulichung des Problems „Turm von Hanoi". Der gestrichelte Turm auf Platz C entspricht der Zielvorstellung
In den in der Literatur berichteten Versuchen variierte die Anzahl der Scheiben meist von 3—7. Vpn übten gewöhnlich solange, bis sie die optimale Lösung realisierten oder ein Lösungsprinzip angeben konnten. Mit „optimal" ist offenbar ein Minimum an beobachtbaren konkreten Anwendungen eines mit der Instruktion zur Verfügung gestellten Operators gemeint. Die Transformationskette, die den Anfangszustand in den Zielzustand überführt, soll so kurz wie möglich sein. Nicht gemeint ist die Zahl der intern im Problem-
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lösungssystem ablaufenden Planungen u n d P r ü f u n g e n , die vor einem k o n k r e t e n Einsatz des Operators d u r c h z u f ü h r e n sind. „ O p t i m a l " m e i n t also n u r die b e o b a c h t b a r e n äußeren Aktionen, nicht aber den A u f w a n d an Zeit und R a u m innerhalb der „black b o x " . Aus der Literatur ü b e r n e h m e n wir die Bezeichnung der Scheiben mit S j (oberste), S2, S3, ..., S n (vgl. Abb. 1). Die numerische Relation m e i n t die R a n g o r d n u n g der Scheiben bezüglich Größe u n d Lage. Zunächst werden wir die Bezeichnung jedoch n u r nominal verwenden, d. h. S ; als Scheibe m i t individuellem Durchmesser. W a n n zur Lösung des Problems die R a n g o r d n u n g bzw. gar gleiche Intervalle notwendig werden, wird der Lernprozeß zeigen.
Definition von Anlangszustand, Zielzustand und Operator F ü r die nachfolgende e x a k t e R ü c k w ä r t s p l a n u n g (RWP) ist die Definition dieser Begriffe unerläßlich. Anfangszustand (AZ): E i n T u r m von n Scheiben b e f i n d e t sich auf Platz A. Die Scheiben n e h m e n im Durchmesser von u n t e n nach oben gleichmäßig ab. E s gibt zwei weitere leere Plätze B u n d C. Zielzustand (ZZ): Der T u r m von A liegt auf Platz C. Operator (OP): Es s t e h t ein O P zur Verfügung, u m den ZZ aus dem AZ herzustellen. Sein Eingangsschema (EGS) l a u t e t : Eine freie Scheibe liegt auf einem Platz X auf einer größeren (unfreien) Scheibe. Auf einem anderen Platz Y liegt eine freie Scheibe u n d gegenüber der freien Scheibe von X ebenfalls größere Scheibe. Sein Ausgangsschema (AGS) l a u t e t : Die freie Scheibe des Platzes X liegt auf der größeren u n d d a m i t jetzt u n f r e i e n Scheibe des Platzes Y. Die unfreie Scheibe von X ist jetzt frei. Abb. 2 veranschaulicht E G S u n d AGS. W i r erläutern die Definition des O P in vier P u n k t e n .
Eingangsschema:
Ausgangsschema:
|
1 X
|
l *
Abb. 2 Yeranschaulichung der Ein- und Ausgangsschemata des einen Operators im Problem „Turm von Hanoi"
1. Ein- u n d Ausgangsschema: U m Schemata handelt es sich bei den Ein- u n d Ausgängen des OP, weil nicht festgelegt ist, um welche k o n k r e t e n Scheiben u n d u m welche k o n k r e t e n Plätze es in einer k o n k r e t e n Anwendung (Operation) jeweils gehen soll. I m einzelnen besitzen E G S u n d AGS je fünf
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verschiedene Einzelschemata, jeweils drei durch konkrete Scheiben auszufüllende formale Scheiben und zwei durch konkrete Plätze auszufüllende formale Plätze. Die Schemata werden durch bestimmte Relationen miteinander verbunden, so die Scheibenschemata durch konkrete Werte der beiden zweiwertigen Variablen „frei/unfrei" und „kleiner/ größer". „Frei/unfrei" ist eine Scheibe im Vergleich zu einer über ihr liegenden/nichtliegenden. „Kleiner/größer" hat eine Scheibe entweder im Vergleich zu einer unter ihr/über ihr liegenden zu sein oder zu einer auf einem anderen Platz liegenden freien Scheibe. 2. Wirkungen des O P : Jede Anwendung des OP zeigt zwei Wirkungen. Die Abbauwirkung ist die Veränderung am Ort des Wegnehmens. Sie ist gekennzeichnet durch das Fehlen der kleineren Scheibe als der bewegten Scheibe (BS) und durch die Aufhebung der Relation zwischen ihr und der unteren Scheibe, also in der Befreiung einer größeren Scheibe. Um diese Wirkung darstellen zu können, wird diese Scheibe im Ein- und Ausgang des Platzes X mitgeführt. Platz X ist der Platz des Abbaus. Die Aufbauwirkung ist die Veränderung am Ort des Ablegens. Sie ist gekennzeichnet durch die zusätzliche B S und in der Stiftung einer neuen Relation zwischen der B S und der bereits vorhandenen Scheibe, also in der Belegung (im Unfreimachen) einer größeren Scheibe. Um wiederum die Wirkung zeigen zu können, wird auch diese Scheibe im Ein- und Ausgang mitgeführt. Platz Y ist der Platz des Aufbaus. 3. Anwendungsweisen des O P : a) Vorwärtsrealisierung (VWR): Bietet eine existierende Situation eine konkrete Teilstruktur an, die in das EGS paßt, liegt also z. B. eine freie Scheibe auf einer größeren und auf einem anderen Platz eine freie größere Scheibe, so kann „vorwärts" die zugehörige konkrete Ausgangsstruktur realisiert werden, d. h. der OP kann angewandt werden. b) Rückwärtsplanung ( R W P ) : Bietet umgekehrt eine Zielstruktur eine konkrete Teilstruktur an, die in das AGS paßt, so können „rückwärts" konkrete Eingangseigenschaften gefordert werden, die vorzuliegen haben, wenn die vorgestellten Teile und Relationen der Teilstruktur vorwärts realisiert werden sollen. Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen vorgestellten und realen Teilen im AGS und in der Zielstruktur. Vorgestellt werden vom Aufbau-AGS die B S und ihre Relation „liegt auf" zur größeren Scheibe, der bereits existierenden Zielscheibe (ZS). Vorgestellt werden vom Abbau-AGS die befreite Scheibe, die bereits existiert, aber nicht frei, sondern mit der B S belegt. Entsprechend dieser Unterscheidung in Aufbau- und Abbau-AGS sind von der Zielstruktur Teile beiderseits der „Grenze zwischen Vorstellung und Realität" einzupassen. Soll z. B . der Turm auf C aufgebaut werden und wird konkret vorgestellt, daß S 4 auf der bereits vorhandenen S5 liegen soll und wird S4 auf S5 in das Aufbau-AGS eingepaßt, so ist als reale konkrete Eingangseigenschaft des Aufbau-EGS eine freie S5 auf C zu fordern. Bezüglich des Abbau-EGS wird nur verlangt, daß S4 auf einem anderen Platz und dort auf einer größeren Scheibe liegen soll. Erst dadurch, daß die geforderte S 4 in einem Prozeß des Suchens im gegebenen Zustand gefunden wird, wird der Abbauplatz und die größere Scheibe „impli-
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zit" festgelegt. Die Befreiung dieser Scheibe bei Ausführung der Operation ist nicht geplant und daher „Nebenwirkung" (Begriff z. B. bei Dörner, 1974). Wird andererseits gemäß der Abbauwirkung vorgestellt, daß z. B. auf A nicht mehr S 2 auf S 3 liegen soll, so ist als konkrete Eingangseigcnschaft S 2 auf S 3 auf A zu fordern. Bezüglich des anderen Teileingangs muß wiederum lediglich ein anderer Platz Y mit einer zwar größeren, sonst aber beliebigen Scheibe existieren, auf die S 2 abgelegt werden kann. Die Belegung dieser wiederum in einem Suchprozeß gefundenen Scheibe ist wiederum Nebenwirkung. 4. Größere Scheibe oder Bodenplatte: Es wird festgelegt, daß unter einer größeren Scheibe auf X oder Y auch die Bodenplatte (BP) eines Platzes verstanden werden kann, so daß der OP auch solche belegen oder befreien kann. Mit diesen Definitionen haben wir die Voraussetzung für die nachfolgende RWP eines ganzen Lösungsweges geschaffen.
Finduiig des Transformationsweges durch RWP Vorgestellte Teile eines ZZ werden durch Anknüpfung an bereits vorhandene Teile realisiert. Niemand wird etwa mit der Realisierung eines geplanten Hauses beim Dach beginnen, sondern mit dem Schütten des Fundamentes. Entsprechendes gilt bei der Beantwortung der Frage, wo mit der Realisierung des vorgestellten Turms des ZZ „Turm auf C" zu beginnen und in welcher Folge seine Gesamtstruktur zu verwirklichen ist. Da vom ZZ am Anfang nur BP(C) existiert, besteht kein Zweifel, daß zuerst S n auf BP(C) zu legen ist. Das AGS wird an dieser Grenze zwischen Vorstellung und Realität entsprechend seinen vorgestellten und realen Teilen eingesetzt, d. h. BP(C) wird als reale größere und S n als vorgestellte kleinere auf Platz Y verstanden, der somit durch Platz C ausgefüllt wird. Zwar schreibt das Teil-AGS des Platzes Y eine freie Scheibe vor, und S n ist in der Vorstellung des Ziels nicht frei. Relationen zwischen vorgestellten Teilen, hier zwischen S n und S n _ 1 ; beeinträchtigen jedoch nicht Realisierungen, hier die Belegung von BP(C). Um S n tatsächlich auf BP(C) ablegen zu können, tritt die Forderung nach einer freien realen S n auf einer größeren Scheibe auf einem anderen Platz auf. In einem Suchprozeß, wobei der reale AZ den Suchraum darstellt, wird S n auf BP(A) gefunden. S n auf A ist nicht frei, das EGS verlangt aber eine freie Scheibe. Hierzu ist festzustellen, daß die Eigenschaft „frei" die einzige der Forderungen ist, die nicht erfüllt ist. Zwar wird der Suchprozeß sich um Erfüllung möglichst aller Forderungen bemühen. Sollte das aber nicht möglich sein, so müssen eben weitere OP-Anwendungen die noch ausstehenden Eigenschaften realisieren. Im vorliegenden Fall muß also untersucht werden, ob der gegebene OP S n zu befreien vermag. Zunächst wird also die freie Scheibe des Platzes X mit S n , die darunter liegende größere Scheibe mit BP(A) und X mit A konkretisiert. Die Vorstellung „freie S n auf A" wird zu einem Zwischenziel erhoben. Freie, besser befreite reale Scheiben passen in den Ausgang des Platzes X , der wiederum durch Platz A be-
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stimmt wird. Ein Vergleich der vorgestellten mit der realen Situation belehrt, welche Scheibe „vor" der Befreiung von S n auf ihr gelegen h a t . Es handelt sich um S n _ 1 . Diese hat auf einem anderen Platz auf einer größeren Scheibe zu liegen, wenn S n frei sein soll. Bei der Suche nach einem solchen Platz scheinen die Plätze B u n d C mit ihren freien B P zur Verfügung zu stehen. Wichtig ist jedoch die Erkenntnis, daß C ausscheidet, deshalb, weil BP(C) gerade als Eingangseigenschaft f ü r die Operation „S n von A nach BP(C)" ausgemacht worden ist. Würde BP(C) zwecks Befreiung von S n belegt werden, so würde die Schaffung einer realen Eingangseigenschaft die Vernichtung einer bereits vorliegenden, ebenso notwendigen Eingangseigenschaft bedeuten. Als ein (hier ausreichendes) Prinzip beim Versuch, noch ausstehende Eingangseigenschaften für eine geplante Operation durch Zwischenzielbildung herzustellen, mag daher gelten, daß bereits bestehende Eingangseigenschaften für diese Operation nicht zerstört werden dürfen. Somit bleibt zwangsläufig n u r Platz B als Ablegeplatz f ü r S n _ 1 übrig. BP(B) wird damit implizit zu einer Eingangseigenschaft f ü r das eigentliche Ziel der Befreiung von S n . Zum impliziten Mitziel wird, daß S n _ 1 nach B zu transportieren ist. Von den Eingangseigenschaften der Operation ist S n _ t real nicht frei. Eine freie S n _ t auf A wird neues Zwischenziel. S n _ 2 liegt auf S n _ 1 u n d m u ß fortgeschafft werden. Bei der Suche nach einem anderen Platz kommt B nicht in Frage, denn das hieße wieder, bei der Verwirklichung des Eingangs einer geplanten Operation einen bereits existierenden Eingang zu vernichten. BP(B) wurde ja als impliziter Eingang für die Aktion der Befreiung von S n geplant. Dagegen ist BP(C) (wieder) frei, denn sie gehört nicht zu den Voraussetzungen der Befreiung von S n . Der Regreß der expliziten und damit auch impliziten Zwischenzielbildung setzt sich fort, bis die Forderung einer freien S t , eine Eingangseigenschaft zur Befreiung S 2 , direkt durch die reale Situation erfüllt wird. Abwechselnd werden BP(B) und BP(C) implizit als geforderte größere Scheiben auf anderen Plätzen gewählt. So wird auch bestimmt, wohin S 4 zu legen ist. Mit der Beendigung dieser K e t t e von R W P e n zur Befreiung von S n k a n n mit ihrer VWR begonnen werden. Nehmen wir an, daß S t nach C gelegt wird. S 2 wird dadurch frei und kann wie geplant nach B gebracht werden. Das nächste Zwischenziel besteht explizit darin, S4.ZU befreien, implizit darin, S3 auf BP(C) zu legen. Auf dieser liegt jedoch S l 5 so daß die Operation nicht ausgeführt werden kann. Das bedeutet eine Unterbrechung der VWR. E r n e u t ist der OP rückwärts leinzusetzen, jetzt um BP(C) zu befreien. Das ist der neue Fall, daß eine B P bzw. Scheibe zu befreien ist, nicht u m sie zu bewegen, sondern um sie zu belegen. Der Forderung nach einer freien BP(C) wird durch erneute Zwischenzielbildung nachgekommen. Als Ort des Ablegens k o m m t A nicht in Betracht, denn das hieße wieder, eine bereits bestehende Eingangseigenschaft, die freie bewegbare S 3 , zu vernichten. S 1 muß somit per Aufschlußverfahren nach C auf die dortige S 2 gelegt werden. Diese R W P ist sofort zu Ende, denn SA ist frei. Auch k a n n diese Planung sofort ausgeführt werden. BP(C) wird frei. Damit kann die unterbrochene VWR wieder aufgenommen werden. S3 wird auf BP(C) gelegt. Dann soll S 4 n a c h B P ( B ) . Diese Handlung ist nicht ausführbar, denn dort liegen S 2 und Si. Das bedeutet eine erneute Unterbrechung der V W R und eine erneute K e t t e von
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RWPen, um die Forderung einer freien BP(B) zu erfüllen. Zuerst ist S 2 fortzuschaffen, denn sie belegt die B P . Sie kann nur nach C auf S3 gebracht werden. S2 ist nicht frei. Das Zwischenziel, S 2 zu befreien, sorgt für die Fortplanung von Si nach S4 auf A. Si ist frei. Es kann mit der V W R dieser Kette von zwei rückwärts geplanten Operationen begonnen werden. Die V W R ist voll durchführbar. BP(B) wird frei. Das ist das Zeichen zur Reaktivierung der noch auszuführenden Operationen der ersten
Abb. 3
Heuristische Rückwärtsplanung (RWP) beim „Turm von Hanoi"
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R W P , S 4 soll nach BP(B) gelegt werden. S 4 ist jedoch mit S^ belegt. Das f ü h r t zum Ziel der Befreiung von S 4 . Die eine R W P , die Operation „S^ nach C auf S2" ist sofort realisierbar. Erneut wird zur späteren VWR zurückgegangen. Die Eingangseigenschaften der Operation„S4nachBP(B)"liegen jetzt realvor und dieOperation kann ausgeführt werden. Wenn wir annehmen, daß S n = S 5 ist, ist damit die erste R W P zur Befreiung von S n verwirklicht. S n ist jetzt gemäß der Planung zur Zielrealisierung auf BP(C) zu legen. Diese ist jedoch inzwischen nicht mehr frei. Der Prozeß der R W P zur Befreiung von BP(C) wiederholt sich in analoger Weise, bis S n auf BP(C) abgelegt werden kann. Danach liegt die Grenze zwischen Vorstellung und Realität zwischen S n _ 1 u n d S n und es gilt, S n _ J auf C zu realisieren. Da sie als unterste Scheibe auf B liegt, m u ß sie dort ausgebaut werden, was eine erneute R W P zur Folge h a t und deren VWR-Versuch ein erneutes Wechselspiel von R W P e n und VWPen. Der gesamte Prozeß des Zielaufbaus endet mit der Forderung einer freien auf einem anderen Platz, um S2 zu belegen. Diese Forderung kann ohne Zwischenzielbildung sofort erfüllt werden. Der vorgestellte ZZ ist mit einem Minimum an Zügen Realität geworden. Damit ist gezeigt worden, wie das Problem T. v. H . durch eine R W P , genauer durch ein Tiefen-Wechselspiel von R W P e n und VWRen gelöst werden kann. Abb. 3 f a ß t den diskutierten Prozeß zusammen. Die Art der durchgeführten Planung wirft eine Reihe von Fragen bezüglich einer Theorie der Transformationskettenfindung auf, die hier nicht behandelt werden können. Der in Abb. 3 dargestellte Algorithmus kennzeichnet bereits einen hohen Stand des Lösungswissens. Es ließe sich zeigen, wie seine Regeln und Meta-Regeln aus dem allgemeineren Lösungsverhalten des suchenden Vorwärtsspielens durch Verkürzungsprozesse gewonnen werden können. Dabei werden sukzessiv jene Umwege und K n o t e n p u n k t e übersprungen, die in dem durch die Literatur bekannten Lösungsgraphen des Problems aufgezeigt werden. Resultat ist das geforderte Minimum an Zügen, d. h. das Wissen u m die effektive R W P . Wegen des Nachweisumfanges verzichten wir auf diesen Anfang des postulierten Kontinuums der Höherentwicklung u n d demonstrieren dieses jetzt auf der Basis der gezeigten R W P .
Die sukzessive Findimg zeit- und platzsparender Lösungsprogramme auf [der Basis der RWP; Die gezeigte heuristische R W P führen Vpn nur rudimentär durch. Tatsächlich muß es das Bestreben eines problemlösenden Systems sein, eine solche Planung zu vermeiden, hauptsächlich aus vier Gründen: 1. Sie garantiert wegen der in ihr noch enthaltenen nichtdeterminierten Suchprozesse keine Lösung. 2. Sie ist zeitaufwendig, vor allem wegen noch teilweise fehlender Suchvorschriften. 3. Sie ist speicherplatzaufwendig, weil das Planungs- u n d Suchergebnis, die Transformationskette, abzuspeichern ist, zum einen, um diese vorwärts realisieren zu können, zum anderen, um im Falle eines erneuten Auftretens desselben Problems nicht den ganzen langwierigen Lösungsfindungsprozeß erneut durchlaufen zu müssen.
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4. Sie führt keine Abstraktionsprozesse durch, d. h. die gefundene Transformationskette gilt nur für das konkrete Problem, nicht aber für eine Klasse von Problemen, so daß bei „ähnlichen" Problemen erneut zu planen und zu suchen wäre, da „Erfahrungen" früherer Lösungen nicht verwertet werden. Setzt man voraus, daß ein problemlösendes System nicht beliebig viel Zeit und Speicherplatz besitzt, sondern hierin harten Realitätsbedingungen unterworfen ist, so muß es das Bestreben des Systems sein, mit beiden sparsam umzugehen. Die Methode der Wahl scheint die Bildung weiterer verkürzender Regeln zu sein, die als weitere problemspezifische Erfahrungen so schnell wie möglich den noch allgemeinen Prozeß der R W P abzulösen versuchen. Es soll jetzt gezeigt werden, wie die Ausbildung verkürzender Regeln bereits zu Beginn der R W P einsetzen kann und erste Regeln früh Teile dieser Planung ablösen können, d.h. Lösungen garantieren, Planungen beschleunigen und aufwendige Abspeicherrungen ersetzen. Insgesamt soll gezeigt werden, wie die ganze R W P durch verkürzende Regeln abgelöst werden kann, und diese selbst abermals und abermals verkürzt werden können, bis ein zeitlich und räumlich offenbar optimaler Algorithmus resultiert, der die (innere) Planung fast vollständig ausschaltet und dennoch zielsicher-automatisch den (äußeren beobachtbaren) Einsatz des einen OP steuert. Da jede Regelbildung eine Klassifizierung von zu vergleichenden Einzelprozessen ist und eine Regel bzw. ein Regelsystem (Algorithmus) eine Prozeßklasse darstellt, wird mit der Bildung eines Algorithmus auch immer gezeigt, für welche konkret verschiedenen Lösungsprozesse bzw. für welche Problemklasse er gilt. Verkürzte Planung des Zielaufbaus In der R W P ist die Festlegung einer Operation unabhängig von der vorhergehenden. So tritt nach jeder Aufbau-Operation am Ziel genau genommen erneut die Forderung der vorgestellten Teile nach möglichst gleichzeitiger Realisierung auf, erneut die Suche nach einem OP, der dies zu erfüllen vermag, erneut die Einschränkung auf den einen verfügbaren, erneut die Einpassung des Aufbau-AGS, erneut die Bestimmung der Forderungen an die Realität, erneut die Suche im realen Zustand und Konkretisierung weiterer Schemata, etc. Solchen Aufwand haben wir in Abb. 3 bereits verkürzt dargestellt, indem wir die Zielforderungen und die mit ihr verbundene OP-Suche nicht in den Zielaufbaukreis einbrachten. Das bedeutet, daß ein System, das so wie in Abb. 3 plant, bereits weiß, daß gleichgültig, wie die Zielforderungen aussehen, aus der OP-Suche immer dasselbe Ergebnis herauskommt, eine OP-Suche damit entfallen kann. Verkürzt hat das System dann, wenn es diese OP-Suche zunächst 1 noch durchführte, dann die eindeutige Abbildung der konkret verschiedenen Eingänge in den Suchprozeß auf dessen Ausgang bemerkte, auf die Konkretisierung der Zielforderungen (Eingänge) und den nachfolgenden
Gemeint ist die allererste Phase, in der AZ und ZZ durch Vorerfahrung und Instruktion strukturiert werden, Vpn oft nach einem (ökonomischen) OP auf dem Niveau des Begriffs „Turm" suchen (Modultechnik) und nur widerstrebend den einen (umständlichen) OP auf Scheibenniveau akzeptieren (Senkung des Auflösungsgrades).
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Suchprozeß verzichtet und -direkt zum Suchergebnis übergeht (neue Verknüpfung). Damit werden gleichzeitig die(selben) Ergebnisse der aufeinanderfolgenden Suchprozes&e miteinander verbunden, d. h. die bisherige Unabhängigkeit der einzelnen Suchprozesse aufgehoben. Wesentlicher für die beschleunigte Planung des Zielaufbaus ist jedoch die Verkürzung der nach der OP-Findung folgenden Prozesse. Ziel des Einpassungsprozesses in das Aufbau-AGS ist die Konkretisierung der realen Zielscheibe (ZS) und der kleineren vorgestellten B S auf ihr. Liegen beide fest, so auch die konkrete Aufbauwirkung. Der Suchprozeß beginnt z. B. in den realen Teilen des ZZ nach einer freien Scheibe, die als versuchsweise Konkretisierung der ZS verstanden wird. Ist eine gefunden, so wird gefragt, ob die vom Schema vorgeschriebenen Relationen zu vorgestellten Teilen des ZZ vorhanden sind, ob also in der Vorstellung eine kleinere Scheibe auf ihr liegt. Bei jedem dieser sukzessiven Einpassungssuchprozesse wird genau eine mögliche ZS gefunden, wobei das System in ihr jedesmal die realisierte B S der letzten Aufbau-Operation wiedererkennt. Damit aber erkennt es eine Regel, die den Suchprozeß nach einer möglichen ZS überflüssig macht. Räumlich ausgedrückt braucht es nicht mehr vom Ort der aktuellen B S wegzugehen, das AGS und den Suchprozeß erneut zu aktivieren, um dann suchend wieder zum Ausgangsort zurückzukehren. Es aktiviert vielmehr direkt die Relation „liegt auf". Die neue Regel lautet „Nächste B S : = die in der Vorstellung auf der aktuellen B S liegende (kleinere) Scheibe", wobei die nächste B S mit ihrer Festlegung zur aktuellen wird. Die Regel sorgt für eine beschleunigte Findung nächster B S , indem sie unter Ausschaltung des Suchprozesses und unter Umgehung des Begriffs der ZS die B S der sukzessiven Operationen miteinander verbindet. Gleichzeitig verknüpft sie die Ergebnisse der sukzessiven Suchprozesse miteinander. Eine weitere Verkürzung liegt darin, daß jede über die Relation „liegt auf" gefundene neue B S immer auch kleiner ist, so daß „liegt auf" ausreicht, um B S zu konkretisieren. Betrachten wir beispielhaft die neue Regel genauer: Sie ist eine Meta-Regel, denn sie besteht aus zwei hierarchisch gestaffelten Einzelregeln. Die untere Regel ist die mit jeder OP-Anwendung benutzte Relation „liegt auf". Ihr E G S ist die reale ZS, ihr AGS die vorgestellte kleinere B S . Diese Regel wird nicht neu entdeckt. Die obere Regel dagegen ist neu. Sie regelt den Einsatz der unteren Regel. Indem sie deren bislang unabhängige Anwendungen miteinander verknüpft, erlaubt sie, aus einer konkreten Anwendung die nächstfolgende zu bestimmen. Ihr E G S ist die untere Regel mit deren E G S und AGS, ihr AGS ebenfalls. Durch das „Schema im Schema" findet eine nochmalige Verdichtung der Schemata der unteren Regel statt, d. h. jedes untere Schema besitzt jetzt zwei verdichtend wirkende Relationen. Die ZS besitzt zusätzlich die Relation zur letzten B S , d. h. sie ist zusätzlich „aktuelles B S " . Die vorgestellte Scheibe, die schon B S war, ist zusätzlich „nächste" B S , d. h. sie besitzt ebenfalls zusätzlich die Relation zur letzten B S . Deutlicher wird der Abstraktionsgrad, wenn man die Meta-Regel in der Index-Schreibweise „BS^BS;. B S ; : = B S j " wiedergibt. Während die B S die bereits bekannten Platzhalter für Scheiben sind, stehen die neuen Platzhalter „ j " für „nächste" und „ i " für „aktuelle". Sie sind Platzhalter der Scheibenplatzhalter. Durch die obere Regel „ B S i ^ B S j " erhält die untere Regel „ —1" fortgesetzt ihren eigenen Output als Input, so daß man durch 31
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Überspeicherung des Platzhalters „i" noch direkter schreibt „ B S j ^ B S ^ j " und,, —1" so die Klasse der BS-Orte definiert, d. h. die Folgeordnung (Rangordnung) zu bewegender Scheiben als eine Ordnung übereinander liegender Scheiben. Die Meta-Regel ist ein „Kreis-OP". Ein solcher meint eine ganze Sequenz von Anwendungen desselben unteren OP. Als neuer OP besitzt er ein eigenes EGS und AGS. Da der Kreis den gesamten Zielaufbau steuert, besteht sein EGS im vorgestellten ZZ mit realer BP(C), sein AGS im realisierten ZZ. Seine Wirkung ist die Zielverwirklichung. EGS der im Kreis laufend aufgerufenen Regel „liegt auf" („ — 1") ist dagegen die reale aktuelle B S , AGS die vorgestellte nächste BS. Kreisprozesse liefen ewig, wenn sie nicht abgebrochen würden. Abbruchkriterium ist offenbar ein Versagen der Kreisregel „liegt auf". Wird sie auf die oberste Scheibe S 4 des realisierten ZZ angewandt, so versagt sie, weil Si in der Vorstellung über sich keine Scheibe besitzt. Das ist ein Abbruch durch die außerhalb des Kreises gespeicherte Zielvorstellung. Möchte man diesen Außenabbruch vermeiden, so muß man entweder das Wissen um den letzten konkreten BS-Zustand in den Kreis hineinnehmen, oder sich vor jeder Anwendung von „liegt auf" noch erkundigen, ob sie angewendet werden darf. Beides führt zu einer permanenten zeitaufwendigen Abfrage („BS = S t ? " bzw. „ B S = oberste Scheibe?"). Die meisten Programmsprachen derzeitiger Computer verlangen noch solchen Innenabbruch und reagieren auf Außenabbrüche (z. B. Indexüberlauf) mit „error". Vpn dagegen scheinen keineswegs Runde für Runde abzufragen, ob sie S t erreicht haben. Vielmehr scheinen sie zu wissen (Regel), daß mit dem Abbruch durch die äußere Situation der ZZ erreicht ist. Wir behalten in unseren Flußdiagrammen unten zunächst den umständlichen Binnenabbruch bei und gehen erst nach der Demonstration der Ausschaltung von „if-statements" (Verzweigungsregeln, logische Regeln) durch verkürzende Regeln davon ab. Die Meta-Regel macht bezüglich der Planung des Zielaufbaus von der Zahl der Scheiben unabhängig, was „Zeit und Raum" betrifft. In der heuristischen Planung war jede Suche nach der nächsten ZS von der Zahl bereits realisierter Scheiben abhängig. Jetzt ist die Findung jeder neuen BS zeitgleich, die bereits realisierte Zielstruktur braucht nicht mehr abgespeichert zu werden, um die neue BS bestimmen zu können. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Speicherung intern oder außerhalb durch den bereits aufgebauten Turm geschieht. Der vorliegende Kreis stellt eine deterministische RWP des Zielaufbaus dar, die die heuristische ablöst. Der Kreis ist noch offen. Er wurde unter der Annahme hergestellt, daß die pro Operation geforderten konkreten B S auf einer größeren Scheibe auf einem anderen Platz verfügbar sind. Es fehlt also noch der Beschaffungsprozeß dieser Scheiben und die ausführende Operation, um ihn zu schließen. Die Beschaffung kann durch die heuristische, Abbau-RWP geschehen (vgl. Abb. 3) oder ebenfalls durch eine verkürzte deterministische, wie gleich zu zeigen sein wird. Letzteres bedeutet den Nachweis der abstrakten Gleichheit der verschiedenen Beschaffungsprozesse.
Filibrandt, Lösungswissen beim Turm von Hanoi Verkürzung der RWPskette
zur Befreiung von Sn und ihrer
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Im Kreis des Zielaufbaus wird mit B S sukzessiv eine bestimmte freie Scheibe auf einer größeren auf einem anderen Platz gefordert. In einem Suchprozeß, wobei der jeweils reale Zustand als Suchraum dient, wird sie gefunden, wenn auch nicht frei. Dieser Prozeß wird durch die Regel verkürzt, daß die Scheibe jedesmal unterste des einen dann existierenden Turms auf A oder B ist. Aber auch die Restsuche, ob der Turm auf A oder B ist, kann durch die Alternierungsregel A B A B A B . . . abgelöst werden. Somit ist die geforderte Scheibe direkt ansteuerbar, wenn man von C aus weiß, wo sich A und B befindet. Für die Verkürzung solcher Suchprozesse, d. h. für das effektive Aufsuchen bestimmter Scheiben und Plätze wollen wir uns jedoch nicht interessieren, in Übereinstimmung mit publizierten Algorithmen und in der Annahme, daß Vpn keine Schwierigkeiten im Aufsuchen bestimmter Scheiben haben. Entsprechend soll das Wissen pro Operation nur darin bestehen, welche die Bewegscheibe (BS) und welche ihre Belegscheibe bzw. Zielscheibe (ZS) ist. Liegt beides fest, so soll auch die Operation festliegen und ausführbar sein, es sei denn, daß eine kleinere Scheibe B S an der Bewegung oder an der Belegung hindert. Zu Beginn wird im Kreis des Zielaufbaus eine freie S n gefordert. S n auf A ist nicht frei. Im Zuge der heuristischen R W P zur Befreiung von S n treten folgende Operationen auf: S n _ t nach BP(B), S n _ 2 nachBP(C), S n _ 3 n a c h B P ( B ) , . . .Die freie S t beendet die Planung. Der Findungsprozeß der B S - R e g e l ähnelt dem der B S - R e g e l des Zielaufbaukreises. Fortgesetzt wird das A b b a u - A G S eingesetzt und die störende Scheibe über der B S bestimmt, wobei das System bemerkt, daß die störende Scheibe in der nächsten Operation ihrerseits B S wird, eine Leistung des Wiedererkennens. Der Kreis-OP lautet „Nächste B S : = die über der aktuellen B S liegende (kleinere) Scheibe". Elemente seines E G S sind unfreie Scheiben, auf denen weitere fortzuplanende liegen. Elemente seines A G S sind oberste Scheiben als freie bewegbare Scheiben. Um die Findung einer ZS-Regel zu verstehen, erinnern wir uns, wie bestimmt wurde, wohin B S (implizit) zu legen ist. Von den beiden möglichen ZS fällt eine aus, weil sie eine Eingangseigenschaft der geplanten Operation darstellt, die für diese ebenso notwendig ist wie die noch herzustellende Eingangseigenschaft. Durch dieses Ausschlußverfahren bleibt nur jeweils eine ZS übrig. Das ist die erste von Operation zu Operation wiederkehrende Beobachtung. Auf dieser baut die zweite auf, das Alternieren der beiden möglichen Z S , was diese in Abhängigkeit zueinander bringt. Die dritte Beobachtung ist die der Parallelität von ZS und Zielorten (ZO), so daß die ZS-Regel sich auf eine ZO-Regel reduziert. Diese ist ein Kreis, in dem C auf B und B auf C zeigt. Die Regel lautet „Nächster Z O : = jener Platz im Plätzekreis C B , auf den der aktuelle ZO zeigt". Diese Regel überspringt das Ausschlußverfahren und hier insbesondere die Überprüfung bereits vorliegender Eingangseigenschaften. Der Abstraktionsgrad ist der gleiche wie bei der B S - R e g e l , erkennbar durch die Vorstellung einer Folge von CB-Zuständen, aus denen die IndexRegel „ i : = i + l " den aktuellen und den nächsten Zustand miteinander verknüpft. Als Kreis-OP besitzt er als E G S den konkreten Bestimmungsort C des BS-Eingangs des parallelen BS-Kreises, als A G S den ZO der obersten Scheibe. 31*
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B S - und ZO-OP „schlagen" in einem einzigen Kreis, d. h. im Takt der zunächst noch Operation für Operation planenden heuristischen Abbau-RWP. Mit dem Erkennen beider OP kann diese zeitraubende heuristische RWP durch eine deterministische abgelöst werden. Rückwärts geplante Operationen sind abzuspeichern, um sie vorwärts realisieren zu können. Im vorliegenden Fall ist die Kette geplanter konkreter BS-ZO-Paare assoziativ zu speichern, was den Speicher bei größerer Scheibenzahl außerordentlich belastet. Der Ausweg besteht in Regeln, die die Kette vorwärts erzeugen. Das ist im vorliegenden Fall aus zwei Gründen möglich. Zum einen können die B S - und ZO-Regel wegen ihrer umgekehrbar eindeutigen Abbildungen auch in umgekehrter Richtung durchlaufen werden, zum anderen hat die Abbau-RWP die konkrete Scheibe und den konkreten Platz bestimmt, die als erste in die entsprechenden EGS der Kreis-OP umgekehrter Richtung eingehen. Die umgekehrte BS-Regel lautet „Nächste B S : = die unter der aktuellen B S liegende (größere) Scheibe" bzw. „ B S j : = B S i + 1 " . Berücksichtigt man, daß nach jeder Bestimmung von aktueller B S und ZO die Operation jetzt bei der VWR sofort ausgeführt wird, so muß die Regel lauten „Nächste B S : = die durch die Bewegung der aktuellen B S befreite Scheibe". Das E G S besteht aus freien obersten Scheiben, das AGS aus freien untersten Scheiben. Der Begriff „unterste Scheibe" (US) ist neu. Er kommt in der VWR der heuristischen RWP nicht vor. Diese war mit der Realisierung der ersten rückwärts geplanten abgespeicherten Operation beendet. Nun wird ein Kriterium für den- Abbruch des VWR-Kreises gebraucht. Es kann nur darin liegen, daß auf S n etwas folgt, was nicht mit der Regel „ + 1" erreichbar sein darf. Da „ + 1" das gerichtete Weitergehen um-genau eine Scheibe bedeutet, darf jetzt entweder keine Scheibe mehr folgen oder eine im AbStart Real: Turm auf BP(A), BP(B) , BP(C) Vorgestellt: Turm auf 3P(C) BS:=BP(C) Zielaufbaukreis BS:=vorgestellte Scheibe auf BS Z0:=C Abbau-RWP-Kreis BS:=Scheibe auf BS (—=^BS frei?| ZO:=nächster im ZO-Kreis CB VWR-Kreis BS:=die befreite Scheibe ZO:=rückw. nächster im ZO-Kreis CB
BS US?
War BS oberste vorgestellte Scheibe?
Stopp. ZZ realisiert
Operation BS nach ZO
Operation BS nach ZO
A b b . 4 D e t e r m i n i s t i s c h e r T e i l - A l g o r i t h m u s zur A b l ö s u n g der heuristischen P l a n u n g e n des Z i e l a u f b a u s u n d der e r s t e n R W P - K e t t e zur B e f r e i u n g v o n S „ , sowie A b l ö s u n g der A b s p e i c h e r u n g der r ü c k w ä r t s geplanten Operationen
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stand größer 1, z. B. die übernächste Scheibe. Da wir die B P als Scheibe definiert haben, m u ß das letztere der Fall sein. Das r u f t die Suche nach gleichen Abständen zwischen den Scheiben auf. Solche werden mit der Gleichabständigkeit ihrer Durchmesser gefunden. Zukünftig bedeutet „ + 1" also den Übergang zu der unter der aktuellen Scheibe liegenden, die im Durchmesser um einen bestimmten Betrag zuzunehmen hat. „Unterste Scheiben" sind solche, die unter sich Scheiben im Abstand größer 1 haben. Die umgekehrte ZO-Regel lautet „Nächster ZO: = der dem aktuellen ZO im CB-Kreis rückwärts benachbarte ZO". Mit dem Nachweis der Vorwärts-Regeln braucht die K e t t e der BS-ZO-Zustandspaare nicht mehr gespeichert zu werden. Die Abbau-RWP wird nur noch zwecks Erzeugung der Startzustände der VWR „durchgespielt". Abb. 4 zeigt den gegenwärtigen Stand der Diskussion bzw. den Lernzustand unseres sich um Verkürzung bemühenden Systems. Die OP der R W P und der VWR können als ein Gesamt-OP aufgefaßt werden. In diesen gehen unfreie US ein und befreite US aus. Ablösung der konkreten Wechselspiele von RWP W echselspiel
und VWR
durch ein einziges
abstraktes
Die VWR scheitert beim Versuch, S 3 auf BP(C) zu legen, denn dort liegt inzwischen die kleinere Si. Dies f ü h r t zu einer neuen R W P . Ein sparsames Lernsystem, daß während seiner heuristischen Lösungsversuche immer wieder solche Unterbrechungen von VWRen bemerkt sowie bei vollständiger Abarbeitung einer VWR die Rückkehr zur jeweils spätesten VWR, wird versuchen, alle neuen R W P - und VWR-Ketten nicht als völlig verschieden anzusehen. "Vielmehr wird es danach trachten, nur einen (abstrakten) AbbauR W P - O P zu erkennen, der für beliebige Sequenzen von R W P e n zur Scheibenbefreiung zuständig ist, und nur einen VWR-OP. Beide OP lösten dann fortgesetzt einander ab. Auf eine R W P folgte eine VWR und umgekehrt. Das aber bedeutet die Idee eines MetaKreises, in dem die Kreise der R W P und VWR liegen. Um einen solchen Meta-Operator zu gründen, muß dreierlei geleistet werden: a) Bei jeder neuen RWP-VWR-Sequenz ist zu prüfen, ob der bisherige R W P - V W R - O P anwendbar ist. Gegebenenfalls ist er zu verallgemeinern. b) Für den (abstrakten) Übergang von der Verhinderung einer VWR zu einer neuen A b b a u - R W P sind Regeln zu finden, die die heuristischen R W P e n dieses Übergangs ablösen, d. h. die konkreten Zustände BS und ZS (bzw. ZO) bestimmen, mit denen die erneute R W P startet. c) Für den Übergang von abgearbeiteter VWR zur spätesten noch abzuarbeitenden sind ebenfalls Regeln zu finden, die die assoziativen Abspeicherungen dieses Übergangs ablösen und die jeweils spätesten Zustände BS und ZS (bzw. ZO) bestimmen, mit denen die späteste VWR wieder aufgenommen werden soll; denn bei hoher Scheibenzahl wird einerseits dieselbe VWR mehrfach unterbrochen und andererseits werden viele Verhinderungen von VWRen aufeinander folgen, so daß eine Tiefenstaffelung noch abzuarbeitender VWRn auftritt. Der gesamte neue Meta-Kreis ist abgearbeitet, wenn die früheste R W P Sequenz realisiert ist, jene der Befreiung von S n auf A.
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Der Nachweis allgemeiner Regeln für den RWP-VWR-OP sowie für die durch die Idee des Meta-Kreises bestimmten Übergänge liefert folgende entscheidende Vorteile: Es gibt nur eine RWP-VWP-Sequenz zur Scheibenbefreiung. Damit braucht nicht für jede neue zu befreiende Scheibe eine spezielle Regel gesucht und abgespeichert zu werden. Solche Regeln würden zwar, analog zur ersten RWP-YWR, während einer speziellen heuristischen RWP diese ablösen und damit beschleunigen können, und ihre Umkehrungen würden die Abspeicherung der geplanten Ketten überflüssig machen. Die Umkehrregeln müßten jedoch, wenn es sich um mehr als zwei fortzuschaffende Scheiben handelt und so die VWR nicht abgeschlossen wird, zwecks späterer Fortsetzung alle abgespeichert werden. Es ergäbe sich eine ganze Hierarchie spezieller Regeln, die zudem in individueller Weise an den Ubergängen zu verknüpfen wären. Eine solche komplizierte Hierarchie wäre trotz der durch die lokalen Regeln erzielten Verallgemeinerungen noch von der Zahl der Scheiben abhängig, weil die Zahl der Regeln von ihr abhängig wäre. Durch die Übergangsregeln werden zum einen die noch vorhandenen heuristischen RWPen zur Bestimmung der Eingänge einer neuen Sequenz deterministischer Abbau-RWPen abgelöst, zum' anderen alle konkret verschiedenen und daher einzeln abgespeicherten Verknüpfungen, die zur Findung der jeweils spätesten Operation der jeweils spätesten VWR notwendig waren. Damit wird die individuelle Verschiedenheit der abgespeicherten VWR-Regeln und deren Hierarchie aufgehoben, die Regeln zu einer einzigen Meta-Regel verdichtet, die Tiefe der Hierarchie auf eine Regel des Tiefenaufbaus (Übergang zu einer neuen Abbau-RWP) und des Tiefenabbaus (Übergang zur spätesten VWR) reduziert. Der Gesamteffekt des nachgewiesenen Meta-Kreises liegt damit in folgenden vier Punkten : a) Alle heuristischen RWPen sind durch deterministische Planungen abgelöst, damit alle mit Suchprozessen verbundene Unsicherheiten beseitigt, das damit verbundene Mehr an Zeit wird eingespart. b) Planungen werden nur noch durchgespielt, ihre Ergebnisse nicht mehr Operation für Operation abgespeichert, sondern als Regeln, die durch Produktion der konkreten Eingänge der jeweils nächsten Operation den Einsatz des einen verfügbaren Ausführ-OP steuern. Der Effekt liegt in einer bei großer Scheibenzahl gewaltigen Reduzierung des Speicherraums, der notwendig wäre, um das Problem heuristisch zu lösen. c) Das System nachgewiesener Regeln macht von der Scheibenzahl unabhängig. Gleichgültig wie groß diese Zahl wäre, die Zahl der Regeln und damit der Platz ihrer Abspeicherung würde sich nicht verändern. Ein Mehr an Scheiben bedeutet lediglich ein Mehr an Runden in den Kreisen. Qualität ist zu Quantität geworden. Faßt man den Meta-OP als eine Prozeßklasse auf, so klassifiziert er konkret verschiedene T. v. H.-Probleme zu einer Klasse von Problemen; besser zu einer Klasse von Aufgaben, denn mit der Ausschaltung aller unsicheren Suchprozesse sind alle „Barrieren" beseitigt und es liegen nur noch „problemlos" abzuarbeitende Aufgaben vor. Diese Unterscheidung zwischen Problem und Aufgabe haben wir von Müller (1970). d) Die sparsamen Regeln gestatten die geistige Bewältigung von Problemen mt großer Scheibenzahl überhaupt, indem die dann vorhandene Kompliziertheit auf wenige einfache Regeln reduziert wird.
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Der allgemeine RWP-VWR-Operator Elemente des BS-EGS des an der ersten RWP-Sequenz zur Befreiung von S n abgeleitete RWP-VWR-OP sind unfreie unterste Scheiben (US), Elemente des AGS befreite US. Beim Versuch der Bildung des Meta-Kreises werden dem OP jeweils nach Abbruch einer VWR durch die folgende (noch) heuristische RWP Eingangsschreiben zur Befreiung zugeführt, die nicht immer auf einer BP liegen. Ypn bilden und verallgemeinern meistens erst jetzt den Begriff der US, d. h. sie greifen auf die Gleichabständigkeit der Scheiben zurück. Wir haben den Begriff oben mit der Begründung vorgezogen, daß auch die B P von uns als Scheibe definiert wurde. Eine gewisse Schwierigkeit liegt darin, daß es mit Si eine freie US gibt. Versucht man sie dem RWP-VWR-OP zuzuführen, so schaltet sich dieser nicht ein (vgl. Abb. 4), was seinem Sinn entspricht, nur für unfreie Scheiben da zu sein. Allerdings sind im Algorithmus unnötigerweise die beiden Kreisabfragen zu durchlaufen. Möchte man nicht zwischen freien und unfreien US unterscheiden, sondern dem RWP-VWR-OP allgemein jede US zuführen, die die Belegung oder Bewegung einer Scheibe behindert, so muß man diese Umständlichkeit (zunächst) in Kauf nehmen. Vpn überspringen die Abfrage offenbar ohne „if-statement". Während sich die BS-RWP-VWR-Regel in allen weiteren Fällen bewährt, versagt die ZO-Regel. Sie gilt nur für die erste RWP-VWR-Kette bzw. für solche, deren US auf A liegen. Ein Vergleich der heuristischen Planungen zeigt, daß fortgesetzt das Ausschlußverfahren benutzt wurde und daß immer genau ein Platz zum Ablegen übrig blieb, jener, der nicht der der aktuellen BS und nicht der war, dessen Scheibe bereits eine vorhandene Eingangseigenschaft darstellte. Auch die Parallelität von ZS und ZO tritt in allen Fällen auf, so daß die ZS, von denen es viele gibt, durch die ZO, von denen es wenige gibt, ersetzt werden können. Die ZO-Regel könnte somit lauten „Nächster ZO: = der Ort, auf dem nicht BS liegt und der nicht der aktuelle ZO ist". Diese Regel ist zwar allgemein, sie berücksichtigt aber nicht, daß in der heuristischen RWP der BS-Ort nie als Ablegeplatz zur Diskussion steht, und sie nutzt auch nicht die dritte Beobachtung des Alternierens der beiden potentiellen Ablegeplätze aus. Soll sie also auch das Ausschluß verfahren überspringen, so muß sie verkürzter lauten „Nächster ZO: = der andere ZO", wobei in der konkreten RWP-Kette die beiden konkreten ZO aufeinander zeigen. Dem entspricht die Beobachtung bei Vpn, ohne Prüfung die nächste BS (vorwärts) auf den anderen Platz zu legen. Man beachte, daß die Regel z. B. nicht heißen darf „Nächster ZO: —der nichtaktuelle ZO", was das Ausschlußverfahren nur auf die beiden Ablegeplätze einengt. Regeln des Übergangs zu einer neuen RWP Es gibt zwei Störungen einer VWR. Die eine besteht in der Verhinderung d*er Belegung des geplanten ZO, weil dort eine kleinere Scheibe liegt, die andere in der Verhinderung der Bewegung der geplanten BS, weil auf ihr eine Scheibe liegt. Die Störung der Belegung führt zunächst zur Einfügung eines Kreisunterbrechers (nicht Abbrechers, der prüft, ob das Planungsende des Kreises erreicht ist). Einzufügen ist er
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zwischen dem vom Kreis geplanten BS-ZO-Paar und der ausführenden Operation. E r fragt ab, ob am ZO eine kleinere Scheibe liegt. Das ist die verhindernde Eigenschaft. Für die BS-Regel des Ubergangs sind bereits am ersten konkreten Ubergang exakte Hypothesen aufstellbar. S-L wird in der heuristischen R W P ja deswegen nächste B S , weil sie störend auf der laut Planung zu belegenden größeren Scheibe (hier B P ) am ZO liegt. Wichtig ist allein die Funktion als verhindernde Scheibe. Die Regel zur Bestimmung der Anfangs-BS einer neuen R W P könnte somit lauten „Nächste B S : = die am aktuellen ZO über der dortigen ZS liegende (kleinere) Scheibe". Die ZS ist aber nicht mehr bekannt, da vorwärts nur noch ZO erzeugt wird. Zwei zusätzliche Regeln helfen weiter. Die eine sagt aus, daß die nächste B S US ist, die andere, daß bei mehreren US am ZO B S immer die oberste ist, so daß die gesuchte Regel „Nächste B S : = oberste der US am ZO" lautet. Die parallele ZO-Regel kann durch das immer mögliche Ausschlußverfahren bestimmt werden: „Nächste ZO- = jener Ort, auf dem die bisherige und nicht die neue B S liegt." Eine direktere Regel ist folgende: „Nächster ZO: = jener Ort, auf dem die Scheibe liegt, die in der Anfangsordnung als nächstgrößere auf die neue (störende) B S folgt". Die zweite Störung einer Y W R tritt erstmalig auf, wenn S4 zu bewegen ist und auf ihr S 4 liegt. Die Störung führt zu einem weiteren Kreisunterbrecher, einzufügen nach der Wiederaufnahme der spätesten V W R . Der Unterbrecher fragt ab, ob die B S der reaktivierten Operation frei liegt. Die Verneinung führt zum sofortigen Wiederverlassen der eigentlich fortzusetzenden V W R und zu einer neuen R W P . Die BS-Regel des Ubergangs zur neuen R W P lautet „Nächste B S : = die auf der aktuellen B S liegende Scheibe", die ZO-Regel entweder „Nächster ZO: = jener Ort, der nicht der bisherige Ort der neuen (aktuellen) B S und nicht der bisherige ZO ist" oder „Nächster ZO: = jener Ort, auf dem die Scheibe liegt, die in der Anfangsordnung als nächstgrößere auf die neue B S folgt". Regeln des Ubergangs zur spätesten V W R Ist eine V W R abgearbeitet, so ist eine US bewegt und damit entweder ein von ihr belegter ZO oder eine von ihr belegte B S befreit worden. Es gilt jetzt, Regeln zu finden, die die Findung der spätesten Operation der spätesten noch nicht abgearbeiteten V W R gestatten, gleichgültig, welche letzte V W R gerade vollständig abgearbeitet worden ist. Einzusetzen sind diese Regeln also nach der Abfrage „War B S U S ? " . Solange B S nicht die allerunterste S n war, ist der Ubergang zu beschreiten. Seine Regeln sind als Umkehrung des anderen Übergangs zu verstehen. Da bei diesem die Regeln von der Art der Störung abhängen, muß auch jetzt bei der Rückkehr entsprechend unterschieden werden. Es ist abzufragen, ob B S als US eine Bewegung oder eine Belegung verhinderte. Den Antworten gemäß sind die Regeln des Übergangs zu suchen. Die Abfrage führt zur Unterteilung des Begriffs der US in zwei Klassen. Um entscheiden zu können, ist entweder pro US beim Übergang zu einer neuen R W P zu speichern, ob sie die BS an der Bewegung oder Bewegung behinderte, oder aber eine Unterscheidungsregel zeigt auf, zu welcher Klasse die aktuelle US gehört. Diese Regel geht wie folgt: Befreite
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die US eine Scheibe, die gemäß Anfangsordnung als nächstgrößere auf die US des Turms folgt, auf dem die unterste jetzt (nach ihrer Bewegung) liegt, so ist die BS der wieder aufzunehmenden Operation befreit worden, sonst ihr ZO. Start Real: Turm auf BF(A), BP(B), BP(C) V o r g e s t s l l t : Turm auf BB(C) BS:=BP(C) Zielaufbaukreis BS : v o r g e s t e l l t e Scheibe auf BS ZO:=C Abbau-RWP-Kreis BS:=Scheibe auf BS|f ZO:=der andere Ort
-^BS
Met,a— K"m' g Hpq UpfViqpls p i e l s von RWP und VWR
frei?
Operation BS nach ZO
-|War BS US?|
j t ' e i s der Vffi
t V o r g e s t e l l t e (nächstk l e i n e r e ) Scheibe auf C realisiert?
Ube4igang zur spätesten Ope: ation der spätesten VWR BS :=die b e f r e i t e Scheibe ZO:=der andere Ort
War BS oberste vorgestellte Scheibe?
Stopp. ZZ r e a l i s i e r t
Verhinderte BS eine Bewegung? 1
BS i e r h i n d e r t e Belegung BS:=die auf die oberste US des Turms, auf dem BS j e t z t l i e g t , gemäß Anfangsordnung folgende nächstgrößere Scheibe ZO:=Herkunftsort der US
•JBS f r e i ?
L i e g t am ZO kleinere Scheibe?
3eine
Abb. 5
BS:=Scheibe auf BS ZO:=jener O r t , auf dem d i e Scheibe l i e g t , d i e gemäß Anfangsordnung als nächst größere auf d i e neue s t ö rende BS f o l g t BS ,=oberste US am ZO Z0:=jener O r t , auf dem die IScheibe l i e g t , die gemäß Anfangsordnung als nächstgrößere auf d i e neue s t ö rende BS f o l g t
Auf der Basis der heuristischen Rückwärtsplanung in Abb. 3 abstrahierter deterministischer
Lösungsalgorithmus. Er plant alle Operationen, die auch dort geplant werden 1 Erkennbar daran, daß BS eine Scheibe befreite, die in der Anfangsordnung auf die US des Turms folgt, auf dem BS jetzt liegt.
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Wurde eine VWR unterbrochen, weil am ZO eine kleinere Scheibe lag und ist diese jetzt fort, so ist klar, welches der ZO der wieder aufzunehmenden Operation ist: „Nächster ZO: = Herkunftsort der U S " . Die immer mögliche ZO-Ausschlußregel lautet „Nächster ZO: =jener Ort, der nicht der Herkunftsort der bisherigen BS (US) und nicht der Ort der neuen BS ist" oder Z 0 : = der nicht der aktuelle ZO ist und auf dem nicht BS liegt". Diese Regel wäre nach der Bestimmung der neuen BS zu benutzen, was durch folgende Regel möglich ist: „Nächste B S : = die auf die nächstunterste Scheibe des Turms, auf dem die aktuelle BS (die US war) jetzt liegt, gemäß Anfangsordnung folgende nächstgrößere Scheibe". Damit bezeichnet die Zahl der US des Turms die Zahl der Unterbrechungen noch ausstehender VWRen und die oberste der US die späteste Unterbrechung. Wurde eine VWR unterbrochen, weil die BS durch eine über ihr liegende Scheibe behindert war und ist diese jetzt fort, so ist ebenfalls klar, welches die BS der wieder aufzunehmenden Operation ist: „Nächste B S : = die durch die Bewegung der aktuellen BS befreite Scheibe". Die zugehörige ZO-Regel des Ausschlußverfahrens lautet „Nächster ZO: = der Ort, der nicht der bisherige ZO (der US) ist und auf dem nicht (die neue) B S liegt". Wir haben pro Ubergang nicht alle möglichen Regeln gezeigt, jedoch mindestens je eine BS- und ZO-Regel, was ausreicht, um den Meta-Kreis zu konstruieren. Mitunter sind pro Übergang mehrere BS- oder mehrere ZO-Regeln möglich. Das wird uns später interessieren. Schließung des Zielaufbaukreises
Der Meta-Kreis löst nur das Problem, S n auf A zu befreien. Ist das geschehen, so kann die durch den Zielaufbaukreis geplante Operation „S n nach C" ausgeführt werden. Anschließend plant der Kreis „ S n _ 1 nach C". Sie liegt unfrei auf B. Ein sparsames System wird versuchen, seine Erfahrungen bei der Befreiung von Scheiben auszunutzen. Der MetaKreis als Befreiungs-OP verlangt in seinem EGS unfreie US mit C als ZO, sein AGS liefert befreite ab. Der OP kann also ohne weitere Verallgemeinerungen angewendet werden, um S n _ 1 zu befreien. Gleiches gilt für die weiteren Scheiben S n _ 2 , S n _ 3 , ..., S 2 . Bei Sj als freie US schaltet er sich nicht ein, kann aber bei Inkaufnahme der Prüfabfragen im Kreis verbleiben. Damit ist der Zielaufbaukreis geschlossen. Nunmehr liegt ein vollständig deterministischer, auf der Basis der heuristischen RWP der Abb. 4 abstrahierter Algorithmus vor. Abb. 5 zeigt ihn. Zusammenfassung Obwohl der Turm von Hanoi zu den am meisten untersuchten Problemstellungen gehört, ist es nach wie vor unklar, was und wie in Lösungsversuchen gelernt wird. Der vorliegende Beitrag schlägt ein Kontinuum zunehmend effektiverer Lösungsfindung bzw. wachsender Erfahrung vor. Es beginnt mit heuristischen Planungen, wobei es die Rückwärtsplanung hervorhebt, und endet mit automatisch bestimmten Lösungshandlungen. Die anfänglich notwendige Planung wird zunehmend ausgeschaltet. Die Verbesserung aus dieser fortgesetzten Umstrukturierung des Lösungswissens äußert sich in zweifacher Weise, zum
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einen in der Einsparung von Speicherplatz für die Lösungsprogramme und ihrer Zwischenergebnisse, zum anderen in der Einsparung von Lösungszeit. Letzteres vermag den Begriff „Übung" zu erklären. Beide Arten von Sparsamkeit werden durch die fortgesetzte Entdeckung neuer Regeln ermöglicht, die die jeweils alten verkürzen. Im Teil I wird auf der Basis einer exakten heuristischen Rückwärtsplanung eine deterministische abgeleitet. Im Teil II wird diese weiter und weiter verkürzt. Ferner werden dort vier recht verschiedene und in der Literatur bereits bekannte Lösungsalgorithmen in das Kontinuum eingeordnet, damit ihre theoretische Verwandtschaft bzw. ihre Überführbarkeit ineinander nachgewiesen.
Summary Although the Tower of Hanoi is one of the most extensively studied problems it is still unclear what and how subjects learn during their solving efforts. The present paper suggests a continuum of progressively more effective solution finding or increasing experience. It starts with heuristic planning, by pointing out t h a t of working backwards, and stops with automatically determined solving operations. Step by step the planning necessary at the beginning is elimated. The improvement from such a permanent restructuring of solving knowledge is twofold: on the one hand place to deposit the solving programs and their intermediate results is saved, on the other hand time to solve the problem. The latter is able to explain the term "practice". In part I, a deterministic planning is derived on the basis of an exact heuristic planning of working backwards. In part II this planning will be reduced more and more by using short cuts. Moreover, four very different solving algorithms which are well-known from literature are fitted into the continuum, thereby demonstrating their theoretical relationship, i.e. the possibility to transform one into another.
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Buchbespre chungen Bornemail, E . : „ D a s Geschlechtsleben des Kindes. Beiträge zur Kinderanalyse und Sexualpädologie". 258 S. 1 5 X 2 2 , 5 cm. München — Wien — Baltimore: Urban Schwarzenberg 1985. Broschiert. Der Autor, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung und Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung, ist durch zahlreiche, umfängliche, teilweise mehrbändige und bedeutsame wissenschaftliche (vor allem sexuologische) Werke und Aufsätze in den verschiedensten Publikationsorganen ausgewiesen. E r ist Psychoanalytiker mit eigenständigen Ansichten und eigenwilligen Themenstellungen. Die hier zu besprechende Arbeit trägt in diesem Sinn exemplarischen Charakter. Sie ist zum größeren Teil aus einer überarbeiteten S a m m l u n g von Aufsätzen und Referaten entstanden. In 26 Kapiteln wird inhaltlich recht Heterogenes innerhalb des Bereichs Kindersexualität geboten. Der Autor legt in bunter Folge seine Ansichten zur psychoanalytischen Sexualentwicklung, zum Elternrecht, zur Unterdrückung, Verdrängung und Befreiung von Kindern und ihrer Sexualität, zur Sexualerziehung in Elternhaus und Schule, zur gesellschaftlichen Dimension von Sexualverdrängung und Persönlichkeitsdeformierung und zur Methodologie und Methodik der Sexualforschung dar. Thesen, Vortrag, Interview, Forschungsbericht, Lehrbuchkonzeption und Gedanken zur Forschungsfinanzierung folgen aufeinander. Die letzten sechs Kapitel sind vorrangig der Erforschung von Liedern, Reimen, Versen und Sprüchen sexuellen Inhalts von deutschsprachigen Großstadtkindern gewidmet. Hier legt der Autor Ergebnisse seiner 25jährigen Forschungsarbeit vor, zitiert auch zahlreiche gesammelte Sprüche, setzt sie mit psychosexuellen Entwicklungsstufen (der Psychoanalyse) in Beziehung und versucht auf diesem Wege, Quellen zur Kindersexualität zu erschließen. Über Verhaltensdaten zur (behaupteten) Kindersexualität erfährt m a n in dieser Monografie kaum etwas. Die von Borneman entdeckte „puberale Amnesie" ( K a p . 7) verhindere den bewußtseinsmäßigen Zugang zu diesem Erlebnisbereich und auch Interviews, Befragungen u. ä. zur Ermittlung „ h a r t e r " F a k t e n seien wertlos, die „menschliche Sexualpsychologie" sei „ a l s grundsätzlich unquantifizierbar" zu betrachten (S. 63). Deshalb Bornemans Versuch, die Realität des kindlichen Geschlechtslebens indirekt über Kinderliedforschung etc. zu erfassen. Die methodologische Problematik solchen Vorgehens wird klar erkannt: „Stellen diese Verse tatsächliche Erfahrungen der Kinder dar? Berichten sie über physische, somatische Erfahrungen der Kinder oder stellen sie einen mißverstandenen, halbverdauten Niederschlag der Verse, Reime und Rätsel der Erwachsenen d a r ? " (S. 218) Eine wissenschaftlich überzeugende Antwort auf diese F r a g e kann der Autor auch nicht geben und ist sich „der Mängel dieser Arbeit und der begrenzten Aussagekraft des hier gesammelten Materials nur allzu bewußt (S. 220). Was Borneman im 7. Kapitel in Grund und Boden verdammt, nämlich Befragungen und Quantifizierbarkeit psychischer Daten, verwendet er in anderen Kapiteln bedenkenlos, u m seine Theorien empirisch zu untermauern. Alles statistische Material ist übrigens schlecht aufbereitet: Keine Tabellen, keine Verdichtungen von Daten, keine Signifikanzen oder Korrelationen. E s werden nur schlicht und unübersichtlich Prozentangaben aneinandergereiht. Der rührend hilflose U m g a n g eines Psychoanalytikers mit Zalilenempirie steht in grellem K o n t r a s t zu manchen Einsichten eines lebens- und weiterfahrenen Humanisten. H.-H. Fröhlich (Berlin)
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J. A. Barth, Leipzig/DDR
Aus dem Wissenschaftsbereich Pädagogische Psychologie der Sektion Pädagogik der Humboldt-Universität zu Berlin
Kognitiv-begriffliche Repräsentation von Moralkonzepten als Bestandteil der Verhaltensregulation Von Renate Eichhorn Mit 8 Abbildungen
Einleitung Moralbegriffe bzw. intern repräsentierte Moralsysteme bilden einen wichtigen Bestandteil menschlicher Antriebs- und Verhaltensregulationsstrukturen. Von daher gesehen ist die Beschäftigung mit dieser Problematik ein wesentliches Anliegen sowohl psychologischer als auch pädagogischer Zielstellungen und bildet deshalb einen Untersuchungsgegenstand zahlreicher empirischer und experimenteller Studien sowohl unter entwicklungspsychologischen als auch persönlichkeitspsychologischem Aspekt. Probleme der Moralentwicklung und der Moralwirkung auf das Verhalten sind seit altersher Gegenstand breit angelegter theoretischer wie methodischer Überlegungen und bilden auch gegenwärtig das Untersuchungsfeld vor allem entwicklungspsychologischer Studien (so u. a. Piaget, 1954; Kohlberg, 1978; Szagun, 1983; Rosenfeld, 1984). In der älteren psychologischen Literatur wird diese Problematik unter Begriffen wie Gewissen, sittliche Erziehung, moralische Gefühle u. ä. abgehandelt, wohingegen in der modernen psychologischen Literatur der Begriff Moral zur Kennzeichnung dieses Gegenstandsgebietes genutzt wird. Am breitesten und am ausführlichsten behandelt wird dieses Gebiet bekanntlich in der systematisch-philosophischen Literatur, in der die Ethik ein eigenständiges Gegenstandsgebiet bildet, so u. a. auch bei Wilhelm Wundt (1907). Doch diese mehr philosophisch orientierten Untersuchungsfelder haben einen nur geringen Einfluß auf den entwicklungsund persönlichkeitspsychologisch bestimmten Untersuchungsgegenstand gehabt, so daß auch für die gegenwärtig laufenden Forschungen der Rückgriff auf das psychologische Schrifttum im Vordergrund steht. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen ging und geht es primär nicht um eine Bestimmung des Moralbegriffs selbst, dieser wird als mehr oder weniger gegeben vorausgesetzt, als vielmehr um die Frage einer phasischen Periodisierung der moralischen Entwicklung, um die Bestimmung aufeinanderfolgender und voneinander abhebbarer Entwicklungsetappen. Ich vertrete allerdings die Meinung, daß die Festlegung des Moralbegriffes und die Etappen moralischer Entwicklung nicht voneinander losgelöst betrachtet werden können. Von daher erklären sich u. a. die sehr unterschiedlichen Stufenbildungen in der Moralentwicklung. Ich möchte auf diesen Sachverhalt zunächst nur verweisen, will ihn aber nicht zum Gegenstand der folgenden Ausführungen machen. Jedoch scheint mir eine näherungsweise Bestimmung des Moralbegriffes unumgänglich, um für die folgenden empirischen Untersuchungen einen geeigneten Ansatzpunkt zu haben.
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Problemdarstellung Moralsysteme und ihre gesellschaftliche
Bedingtheit
Die Moral als eine Form gesellschaftlichen Bewußtseins und der unmittelbaren Sozialbeziehungen ist ein entscheidender Regulator gesellschaftlichen und individuellen Handelns und Verhaltens. Moralsysteme legen gesellschaftlich geforderte Normen für sittliches Verhalten fest und definieren eine bestimmte Verhaltensanforderung unter bestimmten Situationen. Diese Verhaltensanforderungen sind eng an gesellschaftliche Verhältnisse gebunden. Entsprechend sind Moralsysteme gesellschaftlich induziert und u. a. über einen pädagogisch gelenkten Lern- und Erziehungsprozeß vermittelt. Moral ist somit ein Teil geschichtlicher Wirklichkeit. In ihr spiegelt sich sowohl die sozial-ökonomische Basis wider (vgl. Engels, 1948), die durch sie mitbestimmten gesellschaftlichen Beziehungen (sozialen Verkehrsformen) als auch die überlieferten Wertvorstellungen, religiösen Anschauungen, spezifischen Gruppennormen und die unterschiedlichsten sozialen Beziehungen usw. Die sittlichen Anschauungen innerhalb der gesellschaftlichen Bewußtseinsstrukturen enthalten somit eine Vielzahl sich oft widersprechender Moralkonzepte. Die Relativität dieser Moralkonzepte (des Moralverständnisses) ist in Abhängigkeit von eben dieser gesellschaftlichen Bedingtheit zu sehen. Unter bürgerlichen Lebensverhältnissen sind diese moralischen Anschauungen weitestgehend klassenspezifisch. So hat jede Klasse und jede Gesellschaft ihr eigenes Moralsystem entwickelt, und dieses dient primär der Aufrechterhaltung der Klasseninteressen, hat somit eine ideologische Funktion. Die für eine bestimmte Gesellschaft und eine bestimmte Epoche geltenden moralischen Anschauungen und die daraus ableitbaren sittlichen Verhaltensanforderungen bilden den Gegenstand der sittlich-moralischen Erziehung. Das Ziel der sittlich-moralischen Erziehung besteht u. a. darin, die moralischen Anschauungen und moralischen Verhaltensanforderungen zu einem festen und verhaltenswirksamen Bestandteil individueller Bewußtseinsstrukturen zu machen. In diesem Sinne sind Moralbegriffe intern repräsentiert und bilden einen wesentlichen Bestandteil kognitiver Regulationsstrukturen. Ein intern repräsentiertes Moralsystem ist jedoch nur dann verhaltenswirksam, wenn mit seiner Kenntnis zugleich auch eine subjektiv verbindliche Grundlage eigenen Verhaltens gegeben ist, d. h., wenn Denken und Handeln eine fest verbundene Einheit bilden. Daraus folgt für den Erziehungsprozeß, daß nicht nur die reine Kenntnisvermittlung, sondern mit ihr auch zugleich das entsprechende Verhalten im Sinne des gesellschaftlich vermittelten und geforderten Moralsystems herausgebildet wird. Eine moralische Erziehung ist erst dann als effektiv zu betrachten, wenn beides erreicht worden ist, wenn Kenntnisse zugleich aucb als verbindliche Handlungsregulativ wirksam werden, d. h., Maßstab, Bezugssystem, kritische Wertung eigenen Verhaltens bilden. „Erziehung zur kommunistischen Moral muß bewirken, daß jeder junge Mensch all das, was notwendig, richtig, gut und gerecht für unsere Sache ist, auch für sich selbst als richtig, gut, gerecht versteht, wertet und entsprechend handelt." So im Offenen Brief von Margot Honecker an die Pädagogen der DDR (1978). Da es sich um eine individuelle
Eichhorn, Begriffsstrakturen von Moralkonzepten
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Verhaltensanforderung handelt, hat die Psychologie einen wesentlichen Anteil daran, die Gesetzmäßigkeiten moralischer Entwicklung zu erforschen und entsprechend für den Erziehungsprozeß anwendbar zu machen. Psychologische Untersuchungen, die die Entwicklung und interne Repräsentation von Moralsystemen zum Gegenstand haben, müssen die beiden o. g. Aspekte berücksichtigen. Deshalb sind solche konkreten Anforderungssituationen zum Gegenstand empirischer Untersuchungen zu machen, in denen intern repräsentierte Moralbegriffe auch ihren unmittelbar verhaltenswirksamen Niederschlag finden. Moralbegriff — seine inhaltliche Bestimmung Moralbegriffe legen Verhaltensanforderungen in bestimmten Situationen fest, die für spezifische soziale und gesellschaftliche Verhältnisse gelten und als Verhaltensregulativ die Kriterienbasis für die Verhaltensbewertung bilden. Das Moralkonzept hat somit eine verhaltensnormierende Wirkung. Normverstöße ziehen in der Regel gesellschaftliche Konsequenzen für die Betroffenen nach sich. Das gilt ebenso für Gruppen- wie für Klassennormen. Um welche Klasse von Verhaltensweisen könnte es sich hierbei vornehmlich handeln? — Es handelt sich um jene Klasse sozialer Verhaltensweisen, denen als dichotomes Bewertungskriterium die Kategorien „gut und böse" unterliegen und die mit einer Eigenbewertung und -Verantwortung einhergehen. Das Gewissen bildet hier quasi die emotionale Seite der Verhaltenskontrolle und -regulation. Soziale Verhaltensweisen, die also nach den o. g. Kategorien als gut — böse beurteilt werden können, sind moralspezifisch. Diese beiden Kategorien sind disjunkt, d. h., ein typisches Merkmal dieser zweipoligen Skala besteht darin, daß sie keinen Interferenzpunkt hat. Es gibt bestenfalls noch Komparationsformen des moralischen Urteils. Andere Autoren führen weitergehende Differenzierungen ein (z. B. Oerter, 1966; er verweist neben der gut-böse-Kategorie auf lohnend — nicht lohnend, richtig — falsch, wertvoll — weniger wertvoll u. a. m.). Diese Differenzierungen werden hier jedoch nicht berücksichtigt. Das bipolare Bewertungskriterium gilt historisch absolut; doch was als gut oder was als böse zu gelten hat, das ist historisch relativ, wie aus entsprechenden historischen und ethnologischen Untersuchungen hervorgeht, und ist somit gesellschafts-, klassen- und gruppenspezifisch festgelegt. Moral in dem hier verstandenen Sinne erfordert also, Einsicht in das zu haben, was auf der sozialen Verhaltensebene als gut oder böse gewertet wird, und die Verhaltensbewertung wird durch den jeweils geltenden Moralkodex gesellschaftlich festgelegt. Dabei muß man allerdings in Abhängigkeit von der sozialökonomischen Gliederung der Gesellschaft zwischen verschiedenen Moralsystemen unterscheiden (vgl. wiederum Engels, 1948), die meist sehr widersprüchlich und in sich vielschichtig sind. Daraus resultiert, daß der Jugendliche wie Erwachsene bei jeder Verhaltensentscheidung im Schnittpunkt verschiedener, sich teils widersprechender Moralsysteme stehen, z. B. zwischen Elternmoral, Schulmoral, Gruppenmoral usw. Sie alle enthalten spezifische Regelsätze sozialen
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Verhaltens, die dann oft ritualisierte Formen des Verhaltens annehmen können. Wir können also sagen, daß Moralsysteme situationsspezifische und verhaltensregulierende Orientierungssysteme sind und daß die o. g. Bewertungsbasis historisch wie gesellschaftlich relativ gilt. Dieser Sachverhalt ist hinlänglich bekannt und soll hier nicht weiter erörtert werden. Ich wollte an dieser Stelle nur auf diesen mir wichtig erscheinenden Tatbestand verweisen. Wie gesagt, sind Moralsysteme Bestandteil des gesellschaftlichen Bewußtseins und nehmen von hier aus unmittelbar oder mittelbar Einfluß auf den Entwicklungsoder Erziehungsprozeß, auf die Verhaltens- und Bewußtseinsausrichtung der Persönlichkeit bezüglich ethisch-moralischer Anforderungen. Diese interne Repräsentation von Moralsystemen als Bestandteil individueller Bewußtseinsstrukturen möchte ich im weiteren als Moralkonzepte bezeichnen. In den Moralkonzepten sind die gesellchaftlichen Moralsysteme mehr oder weniger schematisch repräsentiert, schematisch in dem Sinne, daß die interne Repräsentation in der Regel nicht die gleiche systematische Strenge und Ordnung aufweist, wie sie für gesellschaftlich vergegenständlichte Moralsysteme gilt. Sie erreicht beim Individuum oft nicht mehr als den Charakter und das Niveau eines Common-Sense-Verständnisses. Mit dem in der Psychologie verwendeten Schemabegriff (vgl. Klix, 1984) ist erstens zugleich eine gewisse Unschärfe im Repräsentationsmodus verbunden und zweitens die Tatsache, daß viele kognitive (Regulations-)Strukturen einen latenten Bewußtseinsstatus aufweisen, d.h. bewußtseinsmäßig nicht explizitgegeben oder verfügbar sind. Ahnliches gilt auch für Wertvorstellungen anderer Art, obgleich sie unser alltägliches Verhalten bestimmen. Moralkonzepte sind Bestandteil kognitiver Strukturen, d. h. in ihnen sind die Moralsysteme in begrifflicher Form intern repräsentiert, und genau diese moralischen Repräsentationsschemata sollen Gegenstand der folgenden Untersuchung sein, wobei der Repräsentationsstatus intern repräsentierter Moralkonzepte näher analysiert und methodisch operationalisiert werden soll. Begriffliche Strukturbildungen weisen bekanntlich 2 einander zugeordnete Bestandteile auf, die in der Logik mit Begriffsinhalt und -umfang bezeichnet werden, wobei sich der Inhalt auf die verwendeten Merkmalssätze und der Umfang sich auf den Objekt- oder Gegenstandsbereich bezieht, der unter den jeweiligen Begriff fällt. Die Verwendung von Merkmalssätzen bei der Begriffsbildung wird auch als Begriffsdimensionierung bezeichnet (vgl. Klix, 1984; Hoffmann, 1982). Bezüglich moralischer Begriffe bezieht sich nun der Begriffsumfang auf den Gegenstandsbereich, für den die moralischen Verhaltensanforderungen gelten, während der Begriffsinhalt jene Merkmalssätze enthält, die das Moralkonzept inhaltlich näher bestimmen. Ausgehend von dieser allgemeinen Festlegung wollen wir im folgenden für ausgewählte Gegenstandsbereiche moralischen Verhaltens diejenigen Merkmalssätze erfassen, die den entsprechenden Moralbegriff bezüglich seiner verhaltensbestimmenden Funktion schematisch näher kennzeichnen. Auf diesem Wege erhalten wir Einblick in den individuellen Repräsentationsstatus moralischer Begriffe und Begriffsstrukturen. Die Relation zwischen Inhalt und Umfang von Moralbegriffen sowie die Art der Merkmalsvernetzung ist Ausdruck dafür, wie diese kognitiven Teilstrukturen intern repräsentiert sind. Das Begriffsinventar eines Moralkonzeptes ist i. d. R. eine sehr komplexe Struktur, und je nach Anforderung werden Teile derselben anforderungsspezifisch
Eichhorn, Begriffsstrukturen von Moralkonzepten
493
reaktualisiert. Jedoch nur diejenigen Moralbegriffe, die sich mit einer bestimmten Anforderungssituation verbinden, bilden das partielle ausgezeichnete Moralkonzept, das einer vorgegebenen Verhaltensanforderung entspricht, und genau das soll den folgenden Untersuchungsgegenstand abgeben (vgl. hierzu grundlegende Aussagen zur Unter-Oberbegriff srelation von K l i x , 1984). Die Entstehung von Moralkonzepten weist ontogenetisch wohlunterscheidbare Entwicklungsstufen auf, die einander ablösen. Gerade das ist in der Vergangenheit ein breites Untersuchungsfeld für empirisch-psychologische Studien der Moralentwicklung gewesen. E s sind verschiedene Entwicklungsstufen formuliert worden, deren Gültigkeit zunächst noch in Frage steht (z. B . Piaget, 1954; Kohlberg und Turiel, 1978). Eine mögliche Stufenfolge der moralischen Entwicklung ist vermutlich an den zunehmenden Verallgemeinerungsgrad einer individuell sich vollziehenden Situationstaxonomie gebunden, der wiederum von dem sich ontogenetisch vollziehenden kognitiven Entwicklungsniveau abhängig ist. Das gilt auch hinsichtlich der zunehmenden kognitiven Komplexität intern repräsentierter Moralkonzepte (Repräsentationsstatus und -niveau). Das bedeutet, daß Situationsund Moralkonzepte entwicklungsabhängig einander zugeordnet sind in dem Sinne, welches Differenzierungsniveau Situations- und Moralkonzepte aufweisen. In Abhängigkeit von der jeweiligen Situationstaxonomie und dem kognitiven Komplexitätsgrad kann auch die Dimensionierung des jeweiligen Moralkonzepts unterschiedliche Differenziertheitsgrade aufweisen. Das Anliegen des vorliegenden Beitrages besteht nun darin, den Zusammenhang zwischen Situations- und Moralkonzept näher aufzuklären, und zwar bezüglich bestimmter moralischer Verhaltensanforderungen. Unter diesem Gesichtspunkt soll die interne Repräsentation von Moralkonzepten struktur- und dimensionsanalytisch näher untersucht werden. Deshalb werden bestimmte Verhaltensanforderungssituationen zum Gegenstand der Untersuchungen gemacht, in denen die interne Repräsentation von Moralbegriffen ihren unmittelbaren Niederschlag findet.
Methodisches Vorgehen Strukturanalytische
Untersuchungen
Zunächst ging es uns in einem ersten Schritt — unter strukturellem Aspekt — um die F r a g e : In welcher Beziehung stehen bestimmte Moralbegriffe situationsabhängig zueinander, welche situationsbezogenen Ordnungsrelationen weisen sie auf? An dieser Ordnungsrelation ist der Stellenwert einzelner Moralbegriffe, den sie innerhalb eines partiell ausgezeichneten Teilsystems von Moralbegriffen anforderungsbezogen einnehmen, erfaßbar. Die verwendete Klasse von Moralbegriffen bezog sich im wesentlichen auf eine solche, die im Gegenstandsbereich politisch-moralischer Erziehung liegen, wie z. B . Gerechtigkeit, Internationalismus, Solidarität, Patriotismus, Ehrlichkeit, Parteilichkeit, Aufrichtigkeit u. a. In Konfrontation mit einer praktischen Situationsbewältigung werden diese Moralkonzepte in Form von Handlungen, Einstellungen, Wertungen verhaltenswirksam. Als Anforderungssituationen wurden zunächst solche Situationstypen ausgewählt, die für 32
Z. Psychol. 194-4
Z. Psychol. 194 (1986) 4
494
die Mehrzahl der Menschen zu den alltäglichen Lebens- und Verhaltensbereichen (Handlungsfelder) zu zählen sind, wie beispielsweise „Schule, Elternhaus, Freundschaft". Die Untersuchungen wurden an Schülern der 8. Klasse durchgeführt. Im Ergebnis der Analyse konnte festgestellt werden, daß bestimmten Typen von Verhaltensanforderungssituationen eine gewichtete Struktur von Moralbegriffen zugeordnet werden kann, die das Verhalten situationspezifisch determinieren. Das heißt, die Moralbegriffe werden vom Schüler in ihrer situationsabhängigen Bedeutung unterschiedlich aktualisiert und akzentuiert, ein und derselbe Moralbegriff kann nicht für jede Situation als gleichbedeutend für die Handlungsregulation betrachtet werden. Hinsichtlich der zeitlichen Stabilität individuell repräsentierter moralischer Begriffsstrukturen wurde nach einem Jahr eine Konsistenzanalyse durchgeführt, in deren Ergebnis es sich zeigte, daß Moralbegriffe in ihren Relationen und Wertungen zeitlich bedingten Wandlungen unterworfen sind. Wir sprechen dann von reorganisierten bzw. rekonstruierten Moralkonzepten, wie aus der Abb. l a bzw. l b ersichtlich wird. Jedoch für die Anforderungssituation „Schule" haben wir es mit einem zeitlich relativ stabilen Moralkonzept zu tun, und zwar für beide Geschlechter. Außerdem konnte eine Differenzierung der Rangabstände zwischen den einzelnen Moralbegriffen situations- und geschlechtsspezifisch ermittelt werden, (vergl. Abb. 2 a und 2b).
Anforderungssituation
"Freundschaft"-8.Kl.
Eichhorn, Begriffsstrukturen v o n Moralkonzepten
495
Anforderungssituation "Freundschaft"-9.K1. Abb. 1 später
Strukturdiagramm für die Anforderungssituation „Freundschaft", l a 8. Klasse, l b ein Jahr
Die l^ierbei ermittelten Strukturen geben Aufschluß darüber, welche Bedeutung den einzelnen Moralbegriffen innerhalb einer situationsspezifisch definierten Begriffsstruktur zukommt. Jedoch wissen wir noch nichts über die strukturbildenden, respektive relationsstiftenden Dimensionen, über die ihnen zugrunde liegenden Merkmalssätze. Aus diesem Grunde erfolgten unabhängig von diesen strukturanalytischen Untersuchungen in einem weiteren Untersuchungsschritt dimensionsanalytische Experimente mit dem Ziel, das dazugehörige Merkmalsrelief mit Hilfe adjektivischer Bestimmungen der verwendeten Moralbegriffe zu erfassen. Die Dimensionierung h a t bekanntlich einen unmittelbaren Einfluß auf die Relationsbildung innerhalb eines Begriffssystems, d. h. die strukturellen Beziehungen sind abhängig von Art und Umfang der Begriffsdimensionierung, und diese wird u. a. von der jeweiligen Anforderungsspezifik situationstaxonomisch mitbestimmt. Das setzt voraus, daß die Anforderungssituationen für die Untersuchungen auf die unmittelbare Erfahrungswelt der untersuchten Stichprobe zu beziehen sind. Die Frage lautet also: Welches sind die individuell repräsentierten Merkmalssätze des 32*
496
Z. Psychol. 194 (1986) 4
-Bhrllchkeit
-Ehrlichkeit 4,0--
-Offenheit
2.0, - Treue
-Gerechtigkeit
3,0
Hilfsbereitschaft
Aufrichtigkeit Treue ."Kameradschaftlichkeit
Aufrichtigkeit Offenheit - H i l f s b e r e i t s c h a f t -Taktgefühl
tf ahrhe i t s l i e b e -Taktgefühl
KameradschaftWahrheitsliebe - l i c h k e i t
2,0--
1,5
i , o j ,S t a n d h a f t i g k e i t
9
0
1
-1—
*
*
Gerechtigkeit
1 , 0 -L S t a n d h a f t i g k e i t
0
1
Anforderungssituation " F r e u n d s c h a f t " - 8 . K l .
Abb. 2 Rangstrukturen der Moralbegriffe für die Anforderungssituation „Freundschaft", 2a 8. Klasse, 2b ein Jahr später
jeweiligen situationsbezogenen Moralbegriffes? Wie scharf sind die Merkmalssätze intern repräsentiert, und inwieweit entsprechen die subjektiv repräsentierten Moralstrukturen den durch das Erziehungsziel festgelegten moralischen Verhaltensweisen? Aus differential-psychologischer Sicht ist anzunehmen, daß die Merkmalssätze unterschiedlicher Moralbegriffe nach Art und Umfang interindividuell mehr oder weniger stark differieren. Aus diesem Grunde erfolgten die Untersuchungen einzelfallbezogen an Schülern der 6. und 9. Klasse (N = 40). Moralkonzepte sind, wie gesagt, zumeist latent wirksam, d. h. dem handelnden Subjekt i. d. R. nicht immer unmittelbar bewußtseinsmäßig präsent. Bestehende Artikulationsschwierigkeiten (Verbalisierungsdefizite) erfordern bestimmte methodische Zugänge, die die bevorzugte Anwendung von Befragungsmethoden unter diesen Bedingungen nicht zulassen. Aus diesen Gründen ist für das dimensionsanalytische Verfahren eine indirekt methodische Möglichkeit unter Ausschluß von Verbalisierungsanforderungen gewählt worden.
497
Eichhorn, Begriffsstrukturen von Moralkonzepten
: Hilfsbereitschaft
. .Hilfsbereitschaft
. Ehrlichkeit
.Ehrlichkeit
3,5
Gerechtigkeit
Kameradschaft- ~ Wahrheitsliebe lichkeit Aufrichtigkeit
3.5-Kameradschaft- -Wahrheitsliebe Gerechtigkeit lichkeit Aufrichtigkeit-
Offenheit 3,0-- Treue
3,0..Treue
Taktgefühl
-Taktgefühl
1 ,oj- Standhaft lgkeit
?
. 1
.Offenheit
d
1,0..StandhaftIgke it
"
. J _
Anforderungssituation "Freundschaft"-9.K1.
Zur Untersuchungsmethode
unter dimensionsanalytischem
Aspekt
Die Auswahl der Moralbegriffe erfolgte an Hand ausgewählter moralischer Alltagssituationen, die mit einer konflikthaften Entscheidung verbunden sind. Der Dimensionsanalyse liegen folgende Moralbegriffe zugrunde: Uneigennützigkeit Verantwortlichkeit Einsatzbereitschaft Prinzipienfestigkeit Zuverlässigkeit gegenseitige Achtung Pflichtgefühl Aufrichtigkeit Opferbereitschaft Beständigkeit Hilfsbereitschaft Furchtlosigkeit Zielstrebigkeit Kameradschaftlichkeit Gerechtigkeit Diszipliniertheit Standhaftigkeit Rücksichtnahme Anständigkeit Beharrlichkeit Nachsichtigkeit Selbstkritik
498
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Die adjektivisch vorgegebenen Merkmalssätze wurden in ihrer Ausprägungsrichtung unter Einhaltung gesellschaftlich geforderten Normverhaltens positiv markiert, d. h. Negativformulierungen wurden vermieden (z. B. eigennützig verantwortungslos, rücksichtslos, ungerecht, unehrlich, gewissenlos, voreingenommen usw.). Die verwendeten Adjektive (Expertenratings gingen voraus) sind: ausdauernd kameradschaftlich aufopferungsvoll mutig beherrscht mitfühlend exakt nachsichtig entschlossen optimistisch entgegenkommend pflichtbewußt einsichtig rücksichtsvoll ehrlich richtungsweisend folgsam selbstbewußt gründlich selbstkritisch geduldig selbständig höflich standhaft hilfsbereit sachlich hartnäckig teilnahmsvoll korrekt tatkräftig konsequent widerstandsfähig kollektiv zuverlässig klug verantwortungsvoll Für die moralischen Anforderungssituationen, dargestellt in Form von Geschichten, wurden 5 Alltagsbereiche ausgewählt, die für die hier untersuchte Alterspopulation verhaltensrelevant sind und die bestimmte moralische Verhaltensanforderungen thematisieren. Dazu gehören: Eltern- Kind-Beziehung Lehrer- S chüler-Beziehung Freund-Freund-Beziehung Jugend-Erwachsenen-Beziehung S chüler-S chülerkollektiv-Beziehung Die Geschichten sind alle so konstruiert, daß sie eine moralische Konfliktsituation enthalten und damit eine moralische Entscheidung gemäß der o. g. moralischen Verhaltensanforderungen (Moralbegriffe) erfordern, wie z. B. folgende Geschichte zur Lehrer-SchülerBeziehung : Die Klasse schreibt eine Arbeit. Alle Schüler arbeiten konzentriert. Du und dein Banknachbar, ihr seid schon fertig. Ihr unterhaltet euch leise über den bevorstehenden Theaterbesuch. Plötzlich fordert euch der Lehrer mit folgender Bemerkung auf, die Arbeiten abzugeben: „Ich habe euch beim Schwatzen erwischt. Gebt die Arbeiten jetzt ab. Morgen werdet ihr sie noch einmal schreiben." Ihr protestiert dagegen und versucht den Vorgang zu erklären. Ihr wißt aber auch, daß der Lehrer sehr konsequent ist, was in eurer Klasse auf Grund von Disziplinschwierigkeiten auch nötig ist. Wie soll sich der Lehrer deiner Meinung nach entscheiden?
Eichhorn, Begriffsstrukturen von Moralkonzepten
499
Für die Dimensionsanalyse verwendeten wir eine sukzessive Splitting-Methode. Sie entspricht in etwa der Q-Sort-Methode und wird besonders bevorzugt für Untersuchungen bei Begriffsbildungsprozessen. Den einzelnen Items wird hierbei kein bestimmter Wert auf einem Kontinuum zugeordnet, sondern es erfolgte eine schrittweise Zu- bzw. WegOrdnung der vorgelegten Moralbegriffe bzw. Adjektive nach dem Kriterium ihres Zutreffens, wobei die dargestellte Situation (in Form einer Geschichte) den jeweiligen Ankerreiz (das Referenz-Kriterium) bildet. Durch diese Methode erhalten die einzelnen Items (Adjektive) eine alternierende Plus-Minus-Verteilung. Diese Plus-Minus-Verteilung wird zur Grundlage einer Dimensionsbewichtung genommen (Tendenz zur Mitte wird dadurch vermieden). Jene Merkmale, für die das Bedeutungsverständnis fehlte, wurden von den Probanden instruktionsgemäß ausgesondert und nicht weiter verwendet. Zunächst wurde nach dieser Methode der Moralbegriff situationsabhängig ermittelt, und in einem 2. Untersuchungschritt erfolgte die Merkmalszuordnung. Die intraindividuelle Zeitstabilität der Merkmalszuordnung wurde durch ein Retestexperiment geprüft. Eine zunehmende Zeitstabilität wäre dann für das Moralkonzept kennzeichnend. Diese Methode gestattet es, die internen Repräsentationen von Moralkonzepten zu operationalisieren und damit die verwendeten Moralbegriffe hinsichtlich ihrer Dimensionalität zu erfassen: Wir erhalten somit einen Einblick in den Aufbau und die Wirkungsweise des internen Repräsentationsstatus, d. h. mit dieser Methode wird die Wirksamkeit latenter Strukturen als Verhaltensregulative ersichtlich. Wir gingen dabei von folgenden Annahmen aus: 1. Schüler, die zum Kern eines Klassenkollektivs gehören, zeichnen sich sowohl durch einen guten Leistungsstatus als auch durch einen hohen sozialen Status aus. Beides korreliert positiv mit dem Differenzierungsggrad der Moralbegriffe nach Inhalt und Umfang. 2. J e höher der Differenzierungsgrad der Moralbegriffe in der subjektiven Repräsentation ist, um so ausgeprägter sind auch die geforderten sozialen Verhaltensnormen (Schrittmacherf unktion). Als Schichtungskriterien verwendeten wir: 1. den Leistungsstatus in Form von Durchschnittsnoten für die Fächer, Deutsch, Mathematik, Physik, Biologie, Staatsbürgerkunde und Russisch, 2. den sozialen Bindungsgrad der Schüler im Klassenkollektiv und 3. die Selbständigkeit des Schülers als jene Fähigkeit, selbstbewußt zu handeln, eigene Entscheidungen zu treffen und im Rahmen der schulischen Verantwortungsbereiche sich behaupten und durchsetzen zu können. Die beiden letztgenannten Kriterien beruhen auf dem skalierten Urteil des Klassenlehrers (Expertenrating). Das Merkmal „selbständiges Verhalten des Schülers" wurde in diese Untersuchung eingeführt, um festzustellen, ob dieses Merkmal Einfluß auf den Differenzierungsgrad der Moralkonzepte besitzt und umgekehrt. Dieses Kriterium haben wir aufgrund wiederholter Literaturhinweise aufgenommen, in denen ein ähnlicher Wirkzusammenhang nachgewiesen wurde.
500
Z. Psychol. 194 (1986) 4
Ergebnisse und Interpretation Die Untersuchungen sind noch nicht vollständig abgeschlossen, und somit können noch keine endgültigen Aussagen getroffen werden, jedoch haben die bereits gewonnenen hinweisenden Charakter. i Vorangegangene Untersuchungen zeigten, daß Moralbegriffe mit sehr hohem Allgemeinheitsgrad (wie z. B. Patriotismus, Internationalismus u. a. m.) von Schülern der 8. Klasse in ihrer spezifischen Bedeutung noch nicht vollständig erfaßt werden können, obgleich sie im Kontext sozialer Verhaltensweisen und Handlungen von Lehrern, Eltern bzw. über Medien ständig vermittelt und geäußert werden. In weiteren Untersuchungen wurden diese Begriffe deshalb fallen gelassen. auadauernd geduldig beherrscht standhaft widerstandsfähig autig hartnäckig folgsam klug entschlossen selbstbewußt selbständig selbstkritisch optimistisch exakt kosequent korrekt gründlich sachlich kollektiv kameradschaftlich zuverlässig verantwortungsvoll pflichtbewußt richtungsweisend tatkräftig höflich hilfsbereit ehrlich aufopferungsvoll mitfühlend teilnahmsvoll einsichtig nachsichtig entgegenkommend rücksichtsvoll Abb. 3
z >
13-
1
Strukturdiagramm der hierarchischen Clusteranalyse bei Schülern der 6. Klasse
Eichhorn, Begriffsstrukturen von Moralkonzepten
501
In den Begriffen werden Einzelerfahrungen verdichtet, sie sind also weitestgehend an bestimmte Lebensereignisse und -erfahrungen gebunden. So gesehen ist es verständlich, daß es in der interindividuellen Repräsentation von Moralkonzepten bezüglich solcher adjektivischer Bestimmungen wie korrekt, optimistisch, konsequent, exakt u. a. m. wesentliche Unterschiede gibt und sich daraus gewisse Entwicklungsdiskrepanzen' in der Bewältigung von Anforderungssituationen ableiten lassen. Es zeigt sich, daß Schüler mit einer befriedigenden Deutschnote (3) und schlechter die meisten Merkmale aussodern. Dieses Ergebnis korrespondiert mit entsprechenden Aussagen von Breuer (1974), Schmidt (1984) und ihren Arbeitsgruppen. Die Erhebung von Ähnlichkeitsmaßen durch eine Merkmalsgruppierung innerhalb der entgegenkommend
höflich hilfsbereit altfühlend rücksichtsvoll optialstisch teilnahmsvoll aufopferungsvo11 kollektiv kameradschaftlich luverläaslg verantwortungsvoll pflichtbewußt gründlich korrekt exakt ehrlieh richtungsweisend geduldig konsequnt einsichtig nachsichtig folge» hartnäckig widerstandsfähig standhaft outlg klug selbstkritisch entschlossen tatkräftig ausdauernd selbstbewußt selbständig beherrscht sachlich Abb. 4
ED
Strukturdiagramm der hierarchischen Clusteranalyse bei Schülern der 9. Klasse
502
Z. Psychol. 194 (1986) 4
verwendeten adjektivischen Bestimmungen ohne den zugehörigen Referenzbegriff zur Erschließung der voneinander abhängigen Bedeutungsinhalte zeigt, daß die Strukturen von der 6. Klasse über 9. Klasse in Richtung Pädagogikstudenten (als Vergleichsstichprobe) sich angleichen (vgl. dazu Abb. 3—5). Der Bedeutungsgehalt der Merkmale ist jedoch noch recht labil. Es gibt Merkmalscluster, wie kollektiv und kameradschaftlich, oder standhaft, hartnäckig, mutig und widerstandsfähig, die in allen 3 Vergleichsgruppen weitgehend identisch sind, jedoch Merkmale wie entgegenkommend, hilfsbereit, mitfühlend, teilnahmsvoll und rücksichtsvoll sind wahrscheinlich stärker an das kognitive Entwicklungsniveau gebunden. Sie zeigen deutliche Strukturveränderungen in den 3 Altersgruppen. Selbst die Anzahl der durchgeführten «rakt korrekt gründlich sachlich konsequent standhaft widerstandsfähig autig optimistisch richtungsweisend entschlossen hartnäckig tatkräftig ausdauernd entgegenkommend hilfsbereit mitfühlend teilnahmsvoll rücksichtsvoll höflich kollektiv kameradschaftlich aufopferungsvoll beherrscht geduldig einsichtig nachsichtig folgsam pflichtbewußt verantwortungsvoll zuverlässig selbstbewußt selbständig selbstkritisch ehrlich klug Abb. 5 jahres
|
Strukturdiagramm der hierarchischen Clusteranalyse bei Pädagogikstudenten des 3. Studien-
Eichhorn, Begriffsstrukturell von Moralkonzepten
503
Sumne der Anz.d.Sort.
Schüler-Hr. J
Abb. 6
s c h u l i s c h e Leistungen
Häufigkeit der vorgenommenen Sortierungen in Abhängigkeit der schulischen Leistungen
Merkmalssortierungen in den oben beschriebenen Experimenten steigt mit dem schulischen Leistungsgrad (vgl. Abb. 6). Auch dieses Ergebnis ist in anderen Untersuchungen wiederholt bestätigt worden (Szagun, 1981). Die Verantwortung der Lehrer bei der Herausbildung und Veränderung vorhandener subjektiv repräsentierter Moralstrukturen in Richtung auf die im Erziehungsziel festgelegten moralischen Verhaltensweisen wird deutlich und muß als ständige Aufgabe in allen Klassenstufen bestehen, d. h. bestimmte Verhaltensweisen können gar nicht anforderungsgerecht auftreten, wenn nicht zugleich ihnen entsprechende Moralkonzepte intern und verhaltenswirksam repräsentiert sind. Auf den nächsten beiden Abbildungen ist jeweils ein Merkmalsrelief für ein bestimmtes Moralkonzept, bezogen auf eine ganz bestimmte Situation im o. g. Sinne, dargestellt. Dieses Merkmalsrelief ist nicht nach der oben beschriebenen Sortierungsmethode ermittelt, sondern auf der Grundlage einer 7-stufigen Urteilsskala erhoben worden. Bemerkenswert ist, daß die Merkmale nicht durchschnittsfremd sind, sondern sich überlappen, d. h. sie können unterschiedlichen Moralbegriffen zugeordnet werden. Derartige empirisch ermittelte, alterstypische Merkmalsmuster eines entsprechenden situationsbezogenen Moralkonzepts können nur mit einer Referenzstruktur im Sinne eines normativ vorgegebenen Zielkriteriums verglichen werden. Aus diesem Vergleich ergeben sich dann wesentliche praktische Schlußfolgerungen für einen pädagogisch gelenkten Erziehungsprozeß, bezüglich der Herausbildung und Veränderung vorhandener, subjektiv repräsentierter Moralstrukturen.
504
Z. Psychol. 194 (1986) 4 shyllch genau aelbs^bieniBt entschlossen, gründlich exakt, widerstandsfähig entgegenkommend standhaft zuverlässig korrekt
sa< Irlich il hilft bereit, pflichtbewußt rücksi,< htSYoll mitfühlen« [ höflich, selhstjkrltl iich geduldig rlchtungawel aen« hartnäckig
schon eher zutreffend Abb. 7
stärker zutreffend
6
sehr zutreffend
7 genau zutreffend
Merkmalsrelief für „Gerechtigkeit" (Kl. 8)
Auf Tab. 1 sind die korrelativen Zusammenhänge zwischen den verwendeten Schichtungskriterien (Leistungs-, Sozial- und Selbständigkeitsstatus) und dem Moralkonzept dargestellt, und zwar getrennt nach Alter, Anforderungssituation und dem ermittelten Moralkonzept. Das Moralkonzept setzt sich aus den Zugehörigkeitswerten jedes Merkmals bezüglich des zutreffenden Moralbegriffes zusammen. Zugehörigkeitswert heißt, daß die einzelnen Merkmale dem Moralbegriff mit einem bestimmten Skalenwert zugeordnet sind. Die verwendeten Merkmalssätze beziehen sich auf das Moralkonzept, das von der Mehrzahl der Schüler als situationspezifisches Verhaltensregulativ gewertet wurde. In der oben zitierten Geschichte hat sich die Mehrzahl der Schüler für das Moralkonzept „Gerechtigkeit", bezogen auf das Lehrerverhalten, entschieden. Wie aus der Tab. 1 ersichtlich, hat das Moralkonzept für „Gerechtigkeit", bezogen auf das Lehrerverhalten, keine Bedeutung für die Schüler der 6. und 9. Klassen. Sie können sich in die Situation des Lehrers nur ungenügend hineinversetzen. Die „Lehrersituation" ist für ihr eigenes Verhalten noch nicht unmittelbar relevant, und damit ist in Abhängig-
505
Eichhorn, Begriffsstrukturen von Moralkonzepten ehrlich
kor^kt sachlich, gründlich,genau exakt,fair, s e l b e ififrewiißt, z u v e r l ä s s i g s e l o s t k i-itisch n a t ü r l i c h , o • itimi s t i s c h , r e a l i s t i s c h , , wifr e r s t a n d s f ä h i g nachzieht .g konsequent geradlinig beharrlich,entgegenkomm :nd, geho ?sam,kameradschaftlich
Abb. 8
6
5 stärker zutreffend
schon eher zutreffend
sehr zutreffend
genau zutreffend
Merkmalsrelief für „Aufrichtigkeit" (Kl. 8)
Tabelle 1 Korrelativer Zusammenhang zwischen den Schichtungskriterien „Gerechtigkeit" Schulnoten 6. Kl Schulnoten Soziale Stellung Selbständigkeit Moralkonzept
9. Kl.
_
_
0,56 0,77 0,28
0,69 0,54 0,12
Soz. Stellung 6. Kl. 9. Kl.
-
-
0,52 0,32
0,44 0,34
und
dem
Moralkonzept
Selbständigkeit 6. Kl. 9. Kl.
-
0,03
-
0,25
signifikante Korrelation
keit von dieser Situationstaxonomie der Repräsentationsstatus für das Moralkonzept „Gerechtigkeit" sowohl bei den Schülern der 6. Klasse als auch bei den Schülern der 9. Klasse noch nicht adäquat entwickelt. Dieses Ergebnis korrespondiert mit den oben beschriebenen strukturanalytischen Befunden speziell für die Anforderungssituation „Schule". Bezüglich des Moralkonzeptes „Einsatzbereitschaft" zeigen sich in Abhängigkeit der Klassenstufen unterschiedliche korrelative Zusammenhänge. In der Mittelstufe ist charakteristisch, daß nicht derjenige Schüler die Gruppe führt, der die besten Schulleistungen aufweist, sondern es dominiert jener Schüler, der Ideen hat, umsichtig die Aktionen leitet und mutig ist. Zwischen dem Moralkonzept „Einsatzbereitschaft" und dem Persönlichkeitsmerkmal „Selbständigkeit" besteht ein eindeutiger Zusammenhang. In einer empi-
506
Z. Psychol. 194 (1986) 4
Tabelle 2 Korrelativer Zusammenhang zwischen den Schichtungskriterien und dem Moralkonzept „Einsätzbereitschaft" Schulnoten 6. Kl. Schulnoten Soziale Stellung Selbständigkeit Moralkonzept
0,94
0,46 0,92 0,87
signifikante,
Soz. Stellung 6. Kl. 9. Kl.
9. Kl.
-
0,19 0,46
0,65 0,70
Selbständigkeit 6. Kl. 9. Kl.
-
0,09 0,58
-
0,92
-
0,29
sehr signifikante Korrelation
rischen Studie bei Grundschülern wies Weiß (1981) auf einen ähnlich hohen Zusammenhang zwischen Selbständigkeit und moralischer Autonomie hin. Es müßte überprüft werden, inwieweit das Moralkonzept „Einsatzbereitschaft" und der in der Literatur verwendete Terminus „moralische Autonomie" einander entsprechen. In der 9. Klasse besteht ein enger Zusammenhang zwischen Leistungs- und Sozialstatus sowie zwischen Sozialstatus und Moralkonzept „Einsatzbereitschaft". Dieses Ergebnis bestätigt unsere Annahme, daß gerade im Jugendalter die leistungsstärksten Schüler auch die Schrittmacher bei der Gestaltung und Organisation von Jugendnachmittagen sind. Die Merkmalsdimensionierung für das Moralkonzept „Einsatzbereitschaft" entspricht einer Entscheidung in bezug auf das Kollektiv. Tabelle 3 Korrelativer Zusammenhang zwischen den Schichtungskriterien und dem Moralkonzept „Hilfsbereitschaft" (6. Klasse)
Schulnoten Soziale Stellung Selbständigkeit Moralkonzept ——
signifikante,
Schulnoten
Soz. Stellung
Selbständigkeit
0,03 0,93 0,22
0,08
-
0,81
0,31
-
sehr signifikante Korrelation
Das Moralkonzept „Hilfsbereitschaft" zeigt einen hochsignifikanten korrelativen Zusammenhang mit dem Sozialstatus bei Schülern der 6. Klasse. Offenbar gibt es Moralkonzepte, die altersspezifisch sind und in ihrer Wirksamkeit eine unterschiedlich hohe Bedeutung aufweisen, die weitgehend von den alltäglichen Lebenserfahrungen geprägt sind. Nur so ist zu erklären, daß das Moralkonzept bezüglich „Gerechtigkeit des Lehrerverhaltens" in der Verhaltensstruktur der Kinder nur ungenügend verankert ist.
Eichhorn, Begriffstrukturen von Moralkonzepten
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Zusammenfassung Moralsysteme bilden einen wichtigen Bestandteil menschlicher Antriebs- und Verhaltensregulationsstrukturen. Moralkonzepte in Form von Begriffssystemen sind Bestandteil kognitiver Abbildbestände objektiv existierender Moralsysteme. Das Anliegen des vorliegenden Beitrages besteht in der Klärung, wie für bestimmte Anforderungssituationen, die ein bestimmtes moralisches Verhalten induzieren, die entsprechenden Moralbegriffe hinsichtlich ihrer Bedeutung, sprich Merkmalssätze, intern repräsentiert sind. Es geht um die Feststellung der Teilvernetzungen von Moralbegriffen und der dazugehörigen Merkmalssätze mit Hilfe adjektivischer Bestimmungen. Grundlage zur Erfassung der interindividuell unterschiedlichen Repräsentationsgenauigkeit als wesentlicher Bestandteil der Verhaltensregulationsstruktur und individuellen Variabilität bilden methodische Versuche einer Dimensionsanalyse bei 12- bis 14jährigen Normalschülern, die in Form von Einzelfallanalysen durchgeführt wurden.
Summary Moral systems are an important part of human regulatory structures as to drive and behaviour. Moral concepts in terms of conceptual systems are part of the cognitive image stock of objectively existing moral systems. The concern of this article consists in clarifying how as to certain demanding situations inducing a certain moral behaviour the corresponding moral concepts are internally represented according to their meaning, that is to say characteristic sentences. The investigation of partial intersections of moral concepts and the necessary characteristic sentences by means of adjectival modifiers is dealt with. Methodical tests of a dimension analysis with 12 to 14-yearold pupils carried out in individual case analyses are the basis for determining the inter-individually different accuracy of representation as an essential component of the behaviour-regulatory structure and the individual variability.
Pe3K»Me MopajibHtie cTpyKTypbi o6pa3yioT BawHyio cocTaBHyio qacn, cpyKTypw qejioBewecKiix noßywReHHit H peryjiHijroi noBeaeHHH. MopajibHbie KOHijenTH B (fiopMe noHHTHitHHx HBJIHIOTCH nacTbio KorHHTHBHoro 0Tpa>KeHHH OÖTEKTHBHO cymecTByronpix MopantHux CHCTeM. 3aflaia HacTonmeft paßora COCTOHT B BHHCHeHHH Tpro, KaK hjih onpeftejieHHtix CHTyfimift, me oJKHflaeTCH onpep;ejieHHoe MopajibHoe noBenemie, npoHCxoflHT BHyTpeHHHH peirpeceHTaipm cooTBeTCTByiomnx MopaJibHbix noHHTiift, T. e. rpynn npn3HaK0B. Peib HFTET 0 6 ycTaHOBJieHHH LACNMHORO nepenJieTeHHH MopanbHHX noHHTHtt H OTHOCHIIJIIXCH K HHM rpynn npH3HaK0B c HOMombio onpe^ejienna npHJiaraTenbHbix. OcHOBamieM HJIH oxBaTa MewHHjyiBHHyajibHHx pa3jm™ii B TOTHOCTH penpe.3eHTai(HH KAK BAIKHOIT COCTÄBHOFT Hacra cTpyKTypu peryjnmiui noBeReHHH H HHHHBHHyanbHoö BapaaTHBHOCTH nocjiy>KHjm MeTOHiwecKHe onuTH no aHajinsy HSMepemiii, NPOBENEHHBIE HA 12—ltaeraiix UIKONBHHKAX B $OPME HHAHBH^YANBHORO oßcnenoBamiH.
Literatur Breuer, H.: Die Bedeutung gesellschaftlicher Bedingungen für die Fähigkeitsentwicklung der Kinder, dargestellt am Sprachmilieu der Eltern. In: Beiträge aus der Arbeit der Erziehungsberatungsstelle Greifswald 1974. Colby, A.; Kohlberg, L.: Das moralische Urteil: Der kognitionskonzentrierte entwicklungspsychologische Ansatz. In: Psych, d. 20. Jahrhunderts. Bd. 7. Piaget und die Folgen. Zürich 1978.
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J. A. Barth, Leipzig/DDR
Aus der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Erinnerungen an einen fast vergessenen Psychologen? Carl Stumpf (1848-1936) zum 50. Todestag Von L. Sprung, Helga Sprung und Sibylle Kernchen Mit 1 Abbildung
Vor 50 Jahren, am 25. Dezember 1936, starb im Alter von 88 Jahren der Mann, der neben Hermann Ebbinghaus das Psychologische Institut an der Berliner Universität im ausgehenden 19. Jahrhundert gegründet hatte, Carl Stumpf. Trotz eines beträchtlichen Lebenswerkes, das der Experimentalpsychologie, der Philosophie und der Musikwissenschaft gleichermaßen verpflichtet war, gehört Carl Stumpf — zumindest in der Psychologiegeschichte — zu den wenig beachteten Personen, wenn wir den Vergleich z. B. zu seinen Zeitgenossen Wilhelm Wundt (1832-1920), Hermann Ebbinghaus (1850-1909) oder Hermann von Helmholtz (1821—1894) heranziehen (Klix, 1979, 1979a; Bringmann, Tweney, 1980; Meischner, Metge, 1980; Eckardt, Sprung, 1983; Sprung, Sprung, 1986a). Dabei ist allein schon die Zahl seiner bedeutenden Schüler beachtlich. So gehörten beispielsweise nahezu alle später weltweit berühmt gewordenen Gestaltpsychologen zu seinen Schülern. Zu erinnern wäre etwa an Max Wertheimer (1880—1943), Wolfgang Köhler (1887-1967), Kurt Koffka (1886-1941) oder Kurt Lewin (1890-1947). Seine wissenschaftspolitischen Leistungen, so z. B. der Aufbau des Berliner Psychologischen Instituts zu einem der größten und leistungsfähigsten der damaligen psychologischen Institute in der Welt, die Einrichtung der Anthropoidenstation auf Teneriffa oder der Aufbau des Phonogrammarchivs als musikethnologische S ammlung waren und sind noch heute imponierend. Und dennoch: Mit der Gründung des Berliner Psychologischen Instituts verbindet sich mehr der Name von Hermann Ebbinghaus, mit der Anthropoidenstation auf Teneriffa mehr der von Wolfgang Köhler und mit dem Phonogrammarchiv mehr der von Erich Moritz von Hornbostel (1877-1935). Auch sein Schüler Edmund Husserl (1859-1938) ist als Philosoph bekannter geworden als sein Lehrer Carl Stumpf (vgl. die ausführlichere Institutsgeschichte bei Sprung, Sprung 1985, 1985a). Wir wollen und können hier nicht der Frage nachgehen, warum Stumpfs Anteil an diesen beispielhaft ausgewählten Leistungen so sehr in den Schatten seiner Zeitgenossen und Schüler geraten ist. Wir wollen vielmehr in einigen wenigen Sätzen vor allem Stumpfs Wirken an der Berliner Universität darstellen und eine kleine Skizze seines Lebens, Werkes und Wirkens aus Anlaß seines 50. Todestages zeichnen. Carl Stumpf wurde am 21. April 1848 als Sohn des Landgerichtsarztes Eugen Stumpf im kleinen unterfränkischen Ort Wiesentheid geboren. Von 1859—1865 besuchte er das Gymnasium in Bamberg und in Aschaffenburg. 1865 begann er sein Studium in Würzburg. Hier studierte er vor allem Philosophie bei Franz Bretano (1838—1917). Der Einfluß Brentano's sollte für sein wissenschaftliches Leben in einem besonderen Maße bestimmend werden. Auf den Rat Brentano's wechselte er 1867 nach Göttingen. Hier hört er Philo33
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Carl Stumpf — Porträt im Alter von 80 Jahren
sophie und Psychologie bei Rudolph Hermann Lotze (1817—1881) und mathematische/ sowie naturwissenschaftliche Vorlesungen vor allem bei dem Physiologen Meissner und dem Physiker Wilhelm Weber. Bei Meissner und Weber und insbesondere bei Friedrich Kohlrausch sammelte er wertvolle Erfahrungen in der naturwissenschaftlichen Experimentaltechnik. Am 13. 8. 1868 promovierte er in Göttingen mit einer philosophischen Arbeit. Zwei Jahre später, 1870, habilitierte er sich an derselben Universität mit einer mathematischen Arbeit. Von 1870—1873 war er Privatdozent in Göttingen und hielt Vorlesungen über alte Philosophie. 1873 nahm er eine Berufung nach Würzburg an und wurde damit Nachfolger seines Lehrers Franz Brentano, der seine Professur niedergelegt hatte. 1878 heiratete er Hermine Biedermann. Ihre gemeinsame Liebe zur Musik hatte sie maßgeblich zusammengeführt. Mit ihr hatte er 3 Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Carl Stumpf spielte seit seinem 7. Lebensjahr Violine, später beherrschte er noch weitere 5 Musikinstrumente. Sein intensives Verhältnis zur Musik ist ein Schlüssel zum Verständnis seiner tonpsychologischen Untersuchungen, mit denen er 1875 begann und die einen wesentlichen Teil seines Lebenswerkes ausmachten. 1879 ging er als ordentlicher Professor für Philosophie nach Prag, 1884 nahm er eine Berufung nach Halle und 1889 nach München an, von wo er 1893 nach Berlin geht. Er hatte zunächst Vorbehalte gegenüber einer Berufung nach Berlin, gegenüber einem Wechsel aus der „bayerischen Metropole" in die „preußische Hauptstadt". Später revidierte er seine Einstellung. Über 30 Jahre später schreibt er im Jahre 1924 in seiner Autobiographie: „Berlins genius loci, der alles durchdringende Geist der Arbeit, hatte mir's angetan" (Stumpf, 1924, S. 15). Hier in Berlin wirkt er 28 Jahre bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1921. Am 25. Dezember 1936 stirbt er im Alter von 88 Jahren. Welchen Zeitraum umspannte dieses Leben?
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Im deutschen Revolutionsjähr 1848 geboren, erlebte er die Restaurationszeit nach der gescheiterten Revolution. Er erlebt die drei deutschen Einigungskriege (eine Einigung „von oben") der Jahre 1864,1866 und 1870/71 und er hat Vorbehalte gegen die sogenannte „kleindeutsche Lösung", die das Ergebnis dieser Bismarckschen Politik war. Im besten Schaffensalter erlebte er die Entwicklung der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, den Aufstieg und Fall des Deutschen Kaiserreiches (1871—1918), das Scheitern der Novemberrevolution (1918). Im hohen Alter durchlebt er die Weimarer Republik (1919—1933) und als Greis schließlich noch den Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland (1933—1945). Im wissenschaftlichen Bereich erlebt er am Anfang seiner Karriere die Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas auf dem 1. Vatikanischen Konzil (1870) mit seinen starken Auswirkungen vor allem auf das katholisch bestimmte geistige Leben, ein Milieu, aus dem Stumpf kommt und in dem er zunächst in Würzburg lebt und dem sein Lehrer Brentano zeitweilig zum Opfer fällt. Er erlebt in seinen maßgeblichen akademischen Jahren den Aufstieg der Wissenschaften, insbesondere den der Naturwissenschaften zu einer hohen Weltgeltung, wie er sich vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vollzog. Und: Er erlebt die Anfänge und ersten selbständigen Etablierungen der Neuen Psychologie, die sich als experimentell und mathematisch realisierte Wissenschaft zunehmend beschleunigter von ihren „Mutterwissenschaften" der Philosophie, der Physiologie, der Physik u. a. „emanzipierte" (vgl. die kontextbildenden Darstellungen bei Wertheimer, 1979; Danziger, 1979; Brozek, Pongratz, 1980; Sprung, Sprung, 1983). Auf diesen bedeutsamen Emanzipations- und Institutionalisierungs prozeß hatte Stumpf vor allem in seiner „Berliner Zeit" einen maßgeblichen Einfluß. Wie kam es zur Berufung S t u m p f s im Jahre 1893 nach Berlin, die so folgenreich für die Psychologieentwicklung an der Berliner Universität werden sollte? Am 18. Juni 1893 stellten die beiden Ordinarien für Philosophie in Berlin Eduard Zeller (1814—1908) und Wilhelm Dilthey (1833—1911) an die philosophische Fakultät den Antrag, eine dritte ordentliche Professur für Philosophie zu besetzen. Damit sollte eine Vertretung „. . . für die Psychologie, wie für die ganze auf Naturwissenschaft gegründete Philosophie, insbesondere die experimentelle Psychologie . . . " geschaffen werden (Hirschfeld, 1893). Zur Personenfrage heißt es im Sitzungsprotokoll der Kommission : „Zwei Personen kommen als Vertreter dieser Richtung hauptsächlich in Betracht: Wundt in Leipzig und Stumpf in München. Wundt habe bereits das 60ste Lebensjahr überschritten und habe sich in den letzten Jahren vom eigenen experimentiren zurückgezogen; es sei aber wünschenswerth, eine jüngere Kraft zur Organisation dieser Studien an unserer Universität zu gewinnen. Eine solche Kraft würde die Univ. durch Stumpf gewinnen, der erst 45 Jahre alt sei, aber eine umfassende und vielseitige wissenschaftliche Thätigkeit entwickelt habe" (Hirschfeld, 1893). Nachdem sich auch noch Hermann von Helmholtz positiv über S t u m p f s „Tonpsychologie" (Stumpf, 1883, 1890) geäußert hatte, war die Berufung S t u m p f s nach Berlin eine beschlossene Sache. Dementsprechend heißt es zusammenfassend in einer Denkschrift an das zuständige Ministerium: „ S o empfehlen wiT EW. Excellenz in erster Linie Stumpf für die zu besetzende philosophische Professur. Er allein unter den jetzigen Philosophen reicht in der ursprünglichen psychologischen Begabung heran an die 33*
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großen Psychologen der letzten Zeit, bei uns an Fechner und Lotze, im Ausland an Bain und James. Indem er nun zugleich von echten psychologischen Fragestellungen aus das Experiment mit voller Solidität handhabt, ist er der richtige Mann hier das psychologische Studium in einer der Bedeutung unserer Universität entsprechenden Weise zu vertreten, sowie auf ihr für experimentelle Arbeiten der Studirenden und jüngeren Gelehrten einen einflußreichen Mittelpunkt zu schaffen, wofür ja durch Herrn Ebbinghaus schon eine dankenswerte Grundlage gelegt ist. . . . Und seine Wirksamkeit wird sich mit voller Sachkenntnis über alle philosophischen Hauptvorlesungen erstrecken" (Dilthey, 1893). Dem Vorschlag der Fakultät entsprechend wurde Carl Stumpf zum 18. Dezember 1893 zum ordentlichen Professor für Philosophie nach Berlin berufen. Er erhielt u. a. die Verpflichtung „. . . die Direction des zu errichtenden Seminars für experimentelle Psychologie zu führen" (vgl. die Einzelheiten der Berufung bei Bosse, 1893; Sprung, Sprung, 1986, 1986 a). In den 28 Jahren seines Wirkens in Berlin baute Stumpf das Berliner Psychologische Institut zu einer der größten und leistungsfähigsten Lehr- und Forschungsstätten der Welt aus. Carl Stumpf war eine vielseitige Persönlichkeit. Ihn beschäftigten zunächst Fragen der Raumvorstellung (Stumpf, 1873), zentraler wurden später Probleme der akustischen Wahrnehmung, die in umfangreichen tonpsychologischen Untersuchungen ihren Ausdruck fanden (Stumpf, 1883, 1890). Im Rahmen dieser Forschungen beschäftigte er sich auch mit dem psychologischen Problem der Aufmerksamkeit und dem des Urteilsverhaltens, dem einzelne Passagen der „Tonpsychologie" gewidmet wurden. Die tonpsychologischen Untersuchungen dürften auch der Anlaß dafür gewesen sein, sich wiederholt mit dem Problem der Gefühlsempfindungen zu befassen (Stumpf, 1899, 1907, 1907b, 1916, 1928). Weiterhin beschäftigte er sich mit methodologischen, wissenschaf tstheoretischen und forschungsmethodischen Problemen (Stumpf, 1874, 1907, 1907 a, 1910). Am bekanntesten dürften hier seine beiden postum erschienenen Bände „Erkenntnislehre" (Stumpf, 1939, 1940) sein. Darüber hinaus befaßte er sich mit Fragen der Entwicklungstheorie (1899 a), der Methodik der Kinderpsychologie (1900), der Biografik (1928 a), der Ethik (1909) usw. (vgl. die kontextbildenden Darstellungen bei Eckardt, Bringmann, Sprung, 1985; Sprung, Sprung, 1984). Carl Stumpf befruchtete die Musikwissenschaften durch eine Vielzahl empirischer und theoretischer Arbeiten (z. B. Stumpf, 1911). Er gab 1898 eine Zeitschrift „Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft" heraus, für die er zahlreiche Einzelbeiträge schrieb. Zu einem seiner Lehrer bekannte sich Carl Stumpf zeit seines Lebens in einer besonderen Weise, zu Franz Brentano. Nach seinem eigenen Zeugnis hat Brentano ihn nicht nur in seiner klaren und disziplinierten Denkweise, sondern insbesondere auch in seiner methodologischen Orientierung besonders geprägt (Stumpf, 1924). Von Brentano übernahm er beispielsweise die bestimmende Maxime, wonach die Philosophie und die Naturwissenschaft derselben Methode folge. Er schreibt dazu beispielsweise in seiner Autobiographie im Jahre 1924: „Seine (Brentano's) Habilitationsthese, daß die wahre philosophische Methode keine andere sei als die naturwissenschaftliche, war und blieb mir ein Leitstern" (Stumpf, 1924, S. 5). Einige Jahre zuvor, 1919, hatte er formuliert: „Meine ganze Auffas-
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sung der Philosophie, der wahren und verkehrten Methoden des Philosophierens, grundwesentliche Lehren in Logik und Erkenntnistheorie, Psychologie, Ethik, Metaphysik, die ich heute noch vertrete, sind seine Lehren" (Stumpf, 1919, S. 144). Aber auch auf anderen Gebieten empfing er von Brentano zahlreiche Anregungen. So etwa geht seine Beschäftigung mit Problemen der Wahrscheinlichkeit auf Brentano zurück (Stumpf, 1892, 1919, 1924, 1938). Auf psychologischem Gebiet lassen sich zahlreiche Verwandtschaften nachweisen, so etwa in der Zusammenfassung der Gefühle und des Willens zu einer Kategorie. Er entwickelte Brentano's Gedanken zugleich dahingehend weiter, daß er die Gefühle als passive Emotionen und den Willen als aktive Emotion auffaßt (Stumpf, 1928). Aber wie es für einen guten Schüler immer der Fall sein sollte, geht er in vielem über seinen Lehrer hinaus, so beispielsweise in seiner strengeren experimentellen Orientierung in der Psychologie. Daß er dieses „Darüberhinausgehen" bereits selbst empfunden hat, verdeutlicht ein Zitat aus einer Gedenkschrift für Franz Brentano: „Ich bekenne, daß hierin für mich eines der Motive lag, das Gebiet der Tonpsychologie und der akustischen Beobachtungen in weitgehendem Maße zu pflegen. Konnte ich da doch hoffen, Brauchbares zu leisten, ohne allzuviele nicht veröffentlichte Anschauungen des Lehrers, zustimmend oder ablehnend, heranzuziehen" (Stumpf, 1919, S. 145). Carl Stumpf war aber nicht nur ein vielseitiger, seinem Lehrer Franz Brentano sein Leben lang zutiefst Verpflichteter Wissenschaftler. Er war auch ein engagierter, fleißiger und umsichtiger Wissenschaftsorganisator, der als Mitglied verschiedener Akademien und Kommissionen eine beträchtliche Entwicklungsarbeit für die Etablierung der neuen Wissenschaft, der Psychologie, leistete. Nicht zu vergessen seien seine zahlreichen Vorlesungsverpflichtungen. Nach seinem eigenen Zeugnis behagten ihm diese Lehraufgaben weniger. So schreibt er darüber 1924 in seiner Autobiographie: „Ein passionierter Dozent war ich aber nicht, empfand vielmehr den Lesezwang als lästige Erschwerung der wissenschaftlichen Forschung, die mir als Hauptsache galt.. . . Niemals habeich z. B. über Tonpsychologie oder musikwissenschaftliche Gegenstände gelesen. Doch verkenne ich nicht die außerordentlichen Vorteile, die aus der Verbindung der Lehrtätigkeit mit der Forschung, besonders gerade durch die Nötigung, immer das Ganze im Auge zu behalten, erwachsen" (Stumpf, 1924, S. 229-230). Last but not least wären seine Schüler zu nennen, die er mittelbar und unmittelbar (Wolfgang Köhler) in einem Maße förderte, daß Berlin in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts zu einem Ort bedeutender Impulse für die Entwicklung der Psychologie werden konnte. Daß die rückblickend in manchen Memoiren in verklärten Farben geschilderte „Atmosphäre" am Berliner Psychologischen Institut der 20er Jahre ihre Ursprünge in der „Ära Stumpf" gehabt haben dürfte, scheint uns außer Zweifel zu stehen (Meili, 1972, Metzger, 1970, 1972). Möge die Erinnerung an Carl Stumpf aus Anlaß seines 50. Todestages sein Werk und Wirken wieder in dem Maße in das Bewußtsein der psychologischen Gegenwart rücken, das seinem großen Verdienst um die Entwicklung der Psychologie in einer „sensiblen Phase" unserer Wissenschaft entspricht.
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Zusammenfassung Vor 50 Jahren, am 25. Dezember 1936, starb im Alter von 88 Jahren Carl Stumpf, der im ausgehenden 19. Jahrhundert zusammen mit Hermann Ebbinghaus das Psychologische Institut an der Berliner Universität gründete. Der Beitrag enthält eine Darstellung des Lebens, Werkes und Wirkens Stumpfs. Im Mittelpunkt steht seine „Berliner Zeit" und die Berufung an die reichshauptstädtische Universität. Die Arbeit weist fernerhin auf die Tatsache hin, daß Stumpf trotz seines umfangreichen Werkes, das der Psychologie, Musikwissenschaft und der Philosophie gleichermaßen verpflichtet war, heute zu den wenig beachteten Zeitgenossen, z. B. eines Wilhelm Wundt, Hermann Ebbinghaus oder Hermann von Helmholtz gehört und in den Schatten seiner berühmt gewordenen gestaltpsychologischen Schüler wie etwa Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka oder Kurt Lewin geraten ist.
Summary This paper contains the description of the life, work and impact of Carl Stumpf. It is a memorial paper. Stumpf stood—with Hermann Ebbinghaus—at the beginning of the development of psychology as an independent science at Berlin University, at the end of the 19th and at the beginning of the 20th century. Whose work culminated in the de jure institutionalization of psychology at the Berlin University. A further aim of this brief description was to characterize Carl Stumpf's personality, and to convey information about the conditions prevailing at the University of the capital of the "Deutsches Reich". B y pointing to the diversity of his scientific and administrative achievements, attention is directed to one of the "pioneers" of New Psychology, the memory of whom was unjustly overshadowed by that of more famous contemporaries and followers.
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