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German Pages [516] Year 1972
HELMUT BEUMANN · WISSENSCHAFT VOM MITTELALTER
HELMUT
BEUMANN
W I S S E N S C H A F T VOM MITTELALTER Ausgewählte Aufsätze
1972
BÖHLAU
VERLAG
KÖLN
WIEN
Copyright © 1972 by Böhlau-Verlag, Köln Alle Rechte vorbehalten Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten u n d zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung — auch von Teilen des Werkes — auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrags, der Funk- u n d Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung. Satz + Druck: wico grafik G m b H & Co. KG, St. Augustin 1/Bonn Buchbinderische Verarbeitung: Boss-Druck u n d Verlag, Kleve Printed in Germany ISBN 3 4 1 2 0 4 8 7 2
INHALT Geleitwort
VII
Methodenfragen der mittelalterlichen Geschichtsschreibung
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1
(Aus der Einleitung zu: Siegmund Hellmann, Ausgewählte Abhandlungen zur Historiographie und Geistesgeschichte des Mittelalters, hg. H. Beumann, 1961, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, S. X - X V I I ) D e r S c h r i f t s t e l l e r u n d seine K r i t i k e r im f r ü h e n M i t t e l a l t e r
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(Studium Generale 12, 1959, Springer Verlag, Berlin—Heidelberg — New York, S. 4 9 7 - 5 1 1 ) Gregor von Tours u n d der Sermo Rusticus
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(Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964, hg. K. Repgen und St. Skalweit, 1964, Verlag Aschendorff, Münster/Westf., S. 6 9 - 9 8 ) H i s t o r i o g r a p h i s c h e K o n z e p t i o n u n d p o l i t i s c h e Ziele W i d u k i n d s von Corvey
71
(Settimane di studio del Centro italiano di studi sull' alto meclioevo XVII: La Storiografia altomedievale, Spoleto 1970, S. 875 - 8 9 4 ) Pusinna, Liudtrud u n d Mauritius
109
(Ostwestfälische-weserländische Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde, hg. H. Stoob — Veröffentl. d. Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volkskunde, Reihe I, Heft 15, 1970, S. 1 7 - 2 9 ) Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungcn
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(Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen - Vorträge und Forschungen 3, hg. Th. Mayer, 1956, Verlan Jan Thorbecke, Konstanz, S. 1 8 5 - 2 2 4 ) D a s I m p e r i u m u n d d i e R c g n a bei W i p o
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(Aus Geschichte und Landeskunde. Franz Steinbach zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden und Schülern, 1960, Verlag Ludwig Röhrscheid, Bonn, S. 11—36) D i e H i s t o r i o g r a p h i e d e s M i t t e l a l t e r s als Q u e l l e f ü r d i e I d c c n geschichte des K ö n i g t u m s (Historische Zeitschrift 180, 1955, S. 4 4 9 - 4 8 8 . Wiederabdruck in: H. Beumann, Ideengeschichtliche Studien zu F.inhanl und anderen Geschichtsschreibern des früheren Mittelalters, 2. Aufl. 1969, Oldenbourg Verlag, München, S. 40—79)
201
VI D a s i m p e r i a l e K ö n i g t u m im 1 0 . J a h r h u n d e r t
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.241
(Welt als Geschichte 10, 1 9 5 0 , Kraus Reprint, Nendeln/Lichtenstein, S. 1 1 7 - 1 3 0 ) N o m e n imperatoris. Studien zur Kaiseridee Karls des G r o ß e n . 2 5 5 (Historische Zeitschrift 185, 1 9 5 8 , Oldenbourg Verlag, München, S. 5 1 5 — 5 4 9 . Wiederabdruck in: H. Beumann, Ideengeschichtliche Studien zu Einhard und anderen Geschichtsschreibern des früheren Mittelalters, 2. Aufl. 1 9 6 9 , Oldenbourg Verlag, München, S. 8 0 - 1 1 4 . Wiederabdruck in: Zum Kaisertum Karls des Großen, hg. G. Wolf — Wege der Forschung 38, 1 9 7 2 , Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, S. 1 7 4 - 2 1 5 ) D a s P a d e r b o r n e r E p o s u n d die K a i s e r i d e e K a r l s d e s G r o ß e n
. 290
(Karolus Magnus et Leo papa. Ein Paderborner Epos vom J a h r e 7 9 9 , mit Beiträgen von H. Beumann, Fr. Brunhölzl und W. Winkelmann — Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 8, 1 9 6 6 , S. 1—54. Wiederabdruck mit Nachtrag in: Zum Kaisertum Karls des Großen, hg. G. Wolf - Wege der Forschung 3 8 , 1 9 7 2 , Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, S. 3 0 9 - 3 8 3 ) G r a b u n d T h r o n K a r l s d e s G r o ß e n zu A a c h e n
347
(Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben I V : Das Nachleben, hg. W. Braunfels und P. E. Schramm, 1 9 6 7 , L. Schwann Verlag, Düsseldorf, S. 9 - 3 8 ) Die B e d e u t u n g L o t h a r i n g i e n s für die o t t o n i s c h e Missionsp o l i t i k im O s t e n
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. 377
(Rheinische Vierteljahrsblätter 33, 1 9 6 9 , L. Röhrscheid Verlag, Bonn, S. 1 4 - 4 6 ) Das K a i s e r t u m O t t o s des G r o ß e n . E i n R ü c k b l i c k n a c h tausend Jahren
411
(Historische Zeitschrift 1 9 5 , 1 9 6 2 , Oldenbourg Verlag, München, S. 5 2 9 — 5 7 3 . Wiederabdruck mit Exkurs „Kaisersigna und Papsturkunden im 10. J a h r h u n d e r t " in: Das Kaisertum Ottos des Großen. Zwei Vorträge von H. Beumann und H. Büttner, hg. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, 1 9 6 3 , S. 6—54) Zur Handschrift der Vita Heinrici IV. (Clm 1 4 0 9 5 )
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(Speculum Historiale. Geschichte im Spiegel von Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung, hg. C. Bauer, L. Boehm u. a., 1 9 6 5 , Verlag Karl Alber, Freiburg, S. 2 0 4 - 2 2 3 ) D a s p ä p s t l i c h c S c h i s m a v o n 1 1 3 0 , L o t h a r III. u n d d i e M e t r o p o l i t a n r e c h t e v o n M a g d e b u r g u n d H a m b u r g - B r e m e n in P o l e n und Dänemark ( D e u t s c h e O s t s i e d l u n i * in M i t t e l a l t e r u n d N e u z e i t — S t u d i e n
479 zum
Deutschtum im Osten 8, 1 9 7 1 , Böhlau-Verlag, Köln, S. 2 0 - 4 3 )
VII
Zum 60. Geburtstag von Helmut Β e u m a η η am 23. Oktober 1972 ist diese Sammlung aus seinem wissenschaftlichen Werk herausgebracht worden. Es ist dies der verständnisvollen Bereitwilligkeit des Böhlau-Verlags in Köln zu verdanken. Schüler, Mitarbeiter, Kollegen und Freunde des Jubilars haben zum Erscheinen beigetragen, um auf diese Weise ihre Glückwünsche darzubringen. Sie haben sich mit anderen Gratulanten in einer Tabula vereint, so daß sich der Band als ein Geburtstagsgeschenk vieler darstellt. Bei den hier zusammengefügten Aufsätzen handelt es sich um eine Auswahl aus den Veröffentlichungen der letzten rund zwanzig Jahre. Sie sind die Frucht eines längeren Forschens, eines immer vertrauteren Umgangs mit den Quellen des historischen Geschehens und den Problemen, die sich bei dem Bemühen um Erkenntnis ergeben. Gewiß hätte die Auswahl auch anders getroffen werden können. Verzichtet wurde auf die Aufnahme der mehr diplomatisch und hilfswissenschaftlich, in den Anfängen zugleich landesgeschichtlich orientierten Arbeiten sowie der methodologischen Ausführungen über Wesen, Inhalt und Aufgaben der Geschichtswissenschaft zugunsten solcher Untersuchungen, die unter die Bezeichnung „ideengeschichtliche Studien" subsumiert werden und als signifikant für das bisherige Schaffen des Autors gelten können. Mit seinem 1950 erschienenen Buch über „Widukind von Korvei" und den vielen folgenden Arbeiten hat Helmut Beumann der ideengeschichtlichen Betrachtungsweise zunächst für die mittelalterliche Geschichtsschreibung, dann aber auch für die Erforschung der Phänomene Königtum und Kaisertum und der zwischen ihnen bestehenden Wechselbeziehungen zum Durchbruch verholfen und ihr die Richtung gewiesen. Im Gegensatz zur bloßen ,Geistesgeschichte' zeichnet sich die von der Historiographie ausgehende ,Ideengeschichte' dadurch aus, daß sie die von ihr erfaßten Probleme in enger Verbindung mit der Verfassungsgeschichte und der Diplomatik behandelt und sie zugleich in die allgemeinen Zusammenhänge der politischen Geschichte einordnet und für diese fruchtbar macht. Die mittelalterliche Geschichtsforschung nach dem Zweiten Weltkrieg ist von der Ideengeschichte wesentlich mit bestimmt und mit geprägt worden.
VIII Gerade von den Arbeiten, die in diesen Band aufgenommen worden sind, ist die wissenschaftliche Erörterung befruchtet worden. Manche der Aufsätze bilden durch die aufgezeigten Lösungen oder durch die vermittelten Einsichten bereits einen festen Markstein auf dem Wege der Forschung. Mehrfach hat der Verfasser selbst das Rad der Erkenntnis weitergedreht; und es ist zu wünschen und zu hoffen, daß er dies auch fernerhin tun wird. Aus diesem Grunde ist darauf verzichtet worden, den augenblicklichen Forschungsstand dadurch zu fixieren, daß die Aufsätze durch Nachträge ergänzt wurden. Daß ein Eingriff in den Text nicht in Frage kam, versteht sich bei einem dem Autor dargebrachten Wiederabdruck von selbst. Die meisten Beiträge sind auf photomechanischem Wege hergestellt worden. Aber auch bei den neugesetzten wurde die jeweilige Vorlage unverändert übernommen. Die Seitenverweise in den Anmerkungen beziehen sich also auf diese. Zur Identifizierung von Zitaten sind die Seitenzahlen der Vorlagen in eckigen Klammern dem Kolumnentitel beigefügt. Als Titel des Sammelbandes wurde die Überschrift eines Aufsatzes gewählt, den Helmut Beumann 1949 in der Zeitschrift ,Studium generale' veröffentlicht hat und in dem er die „Wissenschaft vom Mittelalter" als eine „Aufgabe für Forschung und Lehre" beschrieb. Es ging ihm einerseits um das Verhältnis von erzählenden Quellen und urkundlicher Überlieferung, darüber hinaus um das von Geschichte und Philologie oder — anders formuliert — um den Zusammenhang von Gehalt und Gestalt, von Quellen- und Geschichtsverständnis. Vieles von dem, was hier an Gedanken in nuce enthalten ist, wurde später von ihm in grundsätzlichen Überlegungen und an konkreten Beispielen weiter exemplifiziert. Wurde die Forderung nach einer die sich immer stärker differenzierenden Wissenschaftszweige überwölbenden „Wissenschaft vom Mittelalter" dabei aufgegeben? Sicherlich nicht, wenn als ihr Zweck die „Wesenserkenntnis" dieses historischen Zeitraums angesehen wird. Dadurch, daß Helmut Beumann in seinen Arbeiten den Blick nicht nur auf das menschliche Handeln und auf die durch dieses bedingten Wirkungen richtet, sondern zugleich und vornehmlich mit Hilfe eines feinnervigen, jedoch methodisch exakten Instrumentariums zu ergründen sucht, „was die handelnden und betrachtenden Zeitgenossen sich vorstellten und was sie beabsichtigten", hat er Begriff und Inhalt der , G e s c h i c h t e ' e r w e i t e r t u n d d a z u b e i g e t r a g e n , dem Bild vom Mittelalter eine größere Tiefendimension und damit
IX klarere Konturen zu verleihen. Es spiegelt sich vielfältig auch in den Aufsätzen dieses Bandes wider. Daß von ihm weitere Anstöße für die Mediävistik ausgehen mögen — zum Nutzen der Wissenschaft vom Mittelalter und zur Freude des Verfassers —, ist der Geburtstagswunsch, der ihn begleitet.
Roderich Schmidt
TABULA GRATULATORIA Hans Hubert Anton, Trier Heinrich Appelt, Wien Gerhard Baaken, Tübingen Katrin Baaken, Tübingen A. Becker, Mainz Winfried Böhne, Fulda Hertha Borchers, Laubach/Obb. Arno Borst, Konstanz Franz Brunhöhl, Marburg August Buck, Marburg Ludwig Buisson, Hamburg Neithard Bulst, Ziegelhausen Dietrich Claude, Marburg Richard Dietrich, Berlin Heidrun Dolezel, Marburg Stephan Dolezel, Marburg Georg Droege, Trier Reimer Eck, Marburg Wilhelm Alfred Eckhardt, Marburg Joachim Ehlers, Frankfurt Reinhard Elze, Rom Ludwig Falkenstein, Aachen Heinrich Fichtenau, Wien Josef Fleckenstein, Göttingen Johannes Fried, Heidelberg Christian Friese, Berlin Wolfgang H. Fritze, Berlin Hanny Fye, Marburg Alois Gerlich, Wiesbaden-Freudenberg Michael Gockel, Marburg ]. Goldhammer, Nürnberg Dieter Großmann, Marburg Richard Hamann-MacLean, Mainz Hans-Bernd Harder, Marburg Karl Haue k, Münster
F. Hausmann, Graz Alfred Haverkamp,Trier Wilhelm Heil, Weilburg/Lahn Hartmut Heinemann, Marburg Karl Heinemeyer, Marburg Walter Heinemeyer, Marburg Peter Herde, Alzenau Wolfgang Hess, Marburg Andreas Hillgruber, Köln Irmgard Höß, Erlangen-Nürnberg Hartmut Hoffmann, Göttingen Walter Hubatsch, Bonn Paul Egon Hübinger, Bonn Wolfgang Huschke, Brühl Kurt-Ulrich Jäschke, Marburg Karl Jordan, Kiel Hans Heinrich Kaminsky, Glessen Heinrich Koller, Salzburg Dietrich Kurze, Berlin Waldemar Küther, Marburg Walther Lammers, Frankfurt Rudolf Lehmann, Marburg H. Löwe, Tübingen Friedrich Lotter, Göttingen Herbert Ludat, Glessen Thomas Martin, Glessen Helmut Maurer, Konstanz Theodor Mayer, Salzburg-Parsch Otto Meyer, Würzburg Jürgen Miethke, Berlin Monika Minninger, Marburg Ernst Opgenoorth, Bonn Heinrich Otten, Marburg Wolfgang Petke, Göttingen Franz Petri, Münster/Westf.
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tabula gratulatoria
L. Petry, Mainz Max Pfister, Marburg Aline Poensgen, Marburg Wolfgang Radtke, Berlin Wilhelm Rau, Marburg Christian C. W. Rauch, Glessen Günter Rauch, Frankfurt Konrad Repgen, Bonn Ulrich Reuling, Marburg Karl Heinrich Rexroth, Marburg Dietmar Rothermund, Heidelberg Michael Salewski, Bonn Hellmut Seier, Marburg / . Semmler, Düsseldorf Peter Scheibert, Marburg Theodor Schieffer, Köln Walter Schlesinger, Marburg Karl Schmid, Münster Roderich Schmidt, Wehrda/Marburg Ruth Schmidt-Wiegang,
Marburg
Reinhard Schneider, Berlin Werner Schröder, Marburg Hans K. Schulze, Marburg Fred Schwind, Marburg B. Schwineköper, Freiburg Hermann Otto Schwöbel, Marburg Heide Schwöbel, Marburg Kurt H. Stapf, Marburg Fritz Trautz, Mannheim Friedrich Uhlhorn, Marburg Norbert Wand, Darmstadt Hellmuth Weiss, Marburg Reinhard Wenskus, Göttingen Joachim Werner, München Matthias Werner, Marburg Ludwig Wolff Marburg Friedrich υ. Zahn, Bonn-Oberkassel Herbert Zielin ski, Glessen Harald Zimmermann, Saarbrücken Paul Zinsmaier, Karlsruhe Thomas Zotz, Freiburg
Historisches Institut der Universität Salzburg Historisches Institut der Rhein.-Westf. Techn. Hochschule Aachen, Lehrstuhl für mittlere Geschichte Historisches Seminar der Justus Liebig Universität, Giessen, Abteilung Mittelalter Institut für Frühmittelalterforschung der Universität Münster Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Stuttgart Kunsthistorisches Institut der Universität Köln Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig Max-Planck-Institut für Gcschichte, Göttingen Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters der Universität Marburg Seminar für mittlere und neuere Gcschichte der Universität Göttingen
METHODENFRAGEN DER MITTELALTERLICHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG
Die folgenden Ausführungen sind als Communication über „Methodenfragen der mittelalterlichen Geschichtsschreibung" auf dem XI. Internationalen Historikerkongress zu Stockholm am 23. August 1960 in der Sektion I ,Methodologie' vorgetragen worden. Eine Zusammenfassung findet sich in: XIe Congres International des Sciences Historique. Resumes des Communications, 1960, Seite 19-20. Der volle Wortlaut des Vertrags — an einigen Stellen geringfügig präzisiert — wurde der Einleitung zu: Siegmund Hellmann, Ausgewählte Abhandlungen zur Historiographie und Geistesgeschichte des Mittelalters. Herausgegeben und eingeleitet von Helmut Beumann, Darmstadt 1961, eingefügt (Seite X-XVII). Die dem Vortrag vorangestellte Begründung, die zugleich das Verhältnis zu Siegmund Hellmann und dessen Werk beleuchtet, sei auch an dieser Stelle wieder mit abgedruckt: „In seiner Abhandlung über ,Das Problem der mittellateinischen Philologie' hat Hellmann demjenigen seiner Lehrer ein Denkmal gesetzt, dem sein eigenes Schaffen die nachhaltigsten Antriebe verdankt, zugleich aber auch die eigene Position gegen die des Meisters abgegrenzt. So mag es dem Verfasser dieser Zeilen, dem Siegmund Hellmann Ähnliches und kaum weniger bedeutet hat als diesem Ludwig Traube, erlaubt sein, einige methodische Betrachtungen einzurücken, die sich bei einem letzten Endes durch Hellmann angeregten Umgang mit der Geschichtsschreibung des Mittelalters ergeben haben". Aus der schriftlichen Überlieferung des Mittelalters heben sich zwei Quellenkategorien heraus, auf die sich unsere historischen Kenntnisse vor allem stützen: die Urkunden und die Historiographie. Sie sind die für den Historiker besonders wichti-
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gen Repräsentanten zweier großer Gruppen, auf die sich das Schriftgut der mittelalterlichen Jahrhunderte verteilen läßt, sofern man von den Gründen und Absichten ausgeht, die bei seiner Entstehung maßgebend waren: der administrativen und der literarischen Quellen. Diese von Carl Erdmann 1 bevorzugte Unterscheidung ist zweckmäßiger als eine auf Droysen und Bernheim zurückgehende Einteilung in „Überreste" und „Traditionsquellen", mit der sie sich freilich in mancher Hinsicht auch berührt. Wenn man das administrative Schriftgut, die Urkunden, Amtsbücher und Akten, als „Überrest" bezeichnet, so will dies doch besagen, daß in solchen Quellen geschichtliches Handeln sich unmittelbar niedergeschlagen hat, ja daß sie selbst ein Stück, eben ein „Überrest" geschichtlichen Handelns sind. Ihr Entstehungsgrund schließt es aus, daß traditionsstiftende Absichten, politische Tendenzen bis hin zur Parteileidenschaft das Bild der Wirklichkeit getrübt haben. Sie sind nicht durch das Medium historischer Reflexion gegangen. Sie sind selbst ein Stück Geschichte, das nicht an „Geschichte" gedacht hat. Dadurch vor allem unterscheiden sie sich von jeglicher Historiographie2. Die fundamentale Bedeutung dieser Unterscheidung braucht nicht geleugnet zu werden. Ihr Nutzen hängt jedoch davon ab, welcher Begriff von Geschichte zugrunde gelegt wird und insbesondere davon, welcherart geschichtliche Erkenntnisse in erster Linie erstrebt werden. Solange für den Historiker das Sammeln geschichtlicher Nachrichten und deren historische Kritik im Vordergrund stehen, darf das administrative Schriftgut, für das Früh- und Hochmittelalter also vor allem die Urkunde, einen Vorrang vor der Historiographie beanspruchen. Dies umso mehr, als die Methoden der Diplomatik in den Echtheitsfragen zu Ergebnissen von in der Regel weit größerer Zuverlässigkeit führen, als dies bei der Historiographie und anderen literarischen Quellen möglich ist. 1
Mündlich in Vorlesungen. Es fehlt allerdings nicht an Quellenarten, die weder der administrativen noch der literarischen Überlieferung eindeutig zugeordnet werden können. Dazu gehören die Briefe, die zwar in der Regel dem Bedürfnis nach unmittelbarer Kommunikation ihre Entstehung, ihre Überlieferung jedoch oft genug literarischen Absichten verdanken. Doch gerade diese Eigentümlichkeit läßt sich mit Hilfe eiper solchen quellensystematischen Begriffsbildung gut erfassen. 2
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Eine andere Lage ergibt sich, wenn nicht mehr vornehmlich nur nach historischen Nachrichten gefragt wird, wenn nicht die Aktionen allein erforscht werden sollen, sondern auch die dahinter verborgenen Motive. Der Frage nach den Motiven schließt die weitere nach den Denkgewohnheiten eines Zeitalters, nach der Mentalität seiner Menschen, allgemein gesprochen: nach seiner Bewußtseinslage in sich. Erst hier beginnt, seit wir von Historismus sprechen können, die geschichtliche Frage im eigentlichen Sinne. Die Einsicht in die Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz, die dem Historismus verdankt wird, führt endlich dahin, daß auch die Motive, die den geschichtlichen Aktionen zugrunde liegen, ja der geschichtliche Horizont eines Zeitalters überhaupt aus ihren historischen Bedingungen verstanden werden wollen. Bei einer Fragestellung solcher Art muß die Historiographie in einer anderen Beleuchtung erscheinen. Was ihren Wert gegenüber den Urkunden als Quelle geschichtlicher Nachrichten beeinträchtigte, nämlich das Moment der Reflexion, die auf Traditionsbildung gerichtete Absicht, die zeit- und situationsgebundene Perspektivität, ist jetzt selbst zum Gegenstand historischer Forschung aufgerückt. Von Wesen und Struktur der Zeitalter, von den materiellen und geistigen Voraussetzungen geschichtlichen Handelns geben uns die literarischen Zeugnisse kaum weniger Kunde als die administrativen. Unter den literarischen Quellen nimmt jedoch die Historiographie eine Sonderstellung ein. Sie ist in sehr spezifischer Weise der literarische Ort für die Reflexion auf Geschichte und somit in einzigartiger Weise mit dem historischen Prozeß selbst verknüpft. Auf Geschichte reflektieren zwar auch die theoretischen Schriften des Mittelalters zur Staats- und Gesellschaftslehre sowie zur Geschichtsphilosophie, doch können diese die Auseinandersetzung mit der historischpolitischen Wirklichkeit umgehen. Gerade diese Wirklichkeit ist jedoch der Gegenstand der Historiographie. Indem diese sich wertend und urteilend mit jener auseinandersetzt, indem sie ordnet, gliedert und literarisch formt, hat sie ihren Ort im Schnittpunkt von Aktion und Reflexion. Für den historischpolitischen Horizont einer Epoche, ihre Denkkategorien und Wirklichkeitsperspektiven ist die Historiographie in gleicher Weise „Überrest" und unmittelbarer Niederschlag wie die Ur-
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künde für das Rechtsleben. Längst hat es der Historiker gelernt, zwischen Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit zu unterscheiden. Jene ergibt sich für das Mittelalter aus den Rechtskodifikationen, diese aus den Urkunden. Nicht anders ist das Verhältnis der Geschichts- und Soziallehren zur Historiographie zu beurteilen. Eine Geschichte der mittelalterlichen Historiographie, an der es bis heute fehlt, brauchte sich nicht im Sinne von Benedetto Croce auf eine „Geschichte des historiographischen Gedankens" zu beschränken1, wenngleich sie auch dies zum Gegenstand haben müßte. Ihre umfassendere Aufgabe wäre die Geschichte der menschlichen Reflexion auf den historischen Prozeß, der als solcher mit all seinen konkreten Bedeutsamkeiten im Lichte der zeitgenössischen Deutungen zu vergegenwärtigen wäre. Eine Geschichte der Historiographie, die sich als Geschichte der Reflexion auf das historische Geschehen versteht, würde somit zwei Ebenen des Geschichtlichen einander gegenüberzustellen haben. Hier ergibt sich eine terminologische Schwierigkeit. Soll man von „Wirklichkeit" und „Idee", von „realen" und „geistigen" Strukturen sprechen ? Handelt es sich am Ende um etwas vielen so Suspektes wie „Geistesgeschichte" ? Termini wie diese sind für den Historiker insofern problematisch, als sie dem Begriff einer „Wirklichkeit", dem der Realität ein Anderes gegenüberstellen, als ob dieses der „Realität" ermangele oder jedenfalls ihrer nicht in vollem Umfange teilhaftig sei. Realität, ja Faktizität ist jedoch vorzüglich Gegenstand und Inhalt der Geschichte. Aber für den Historiker ist auch Piatons Philosophie und Augustins Geschichtstheologie etwas durchaus Faktisches, wenn auch in anderer Weise als die Kriege Karls d. Gr. Die Distinktion, die hier innerhalb des Faktischen notwendig ist, läßt sich besser in der Sprache der Ethnosoziologie fassen, die zwischen funktionalen und intentionalen Daten unterscheidet 2 . 1 Benedetto Croce, Theorie und Geschichte der Historiographie, bearb. u. übers, v. H. Feist und R. Peters, 1930, S. 141. 1 W. Mühlmann, Methodik der Völkerkunde, 1938, S. 108ff. Ich folge hier einer Anlegung von R. Wenskus, Einige neue Gesichtspunkte zum Problem der Stammesbildung. Vortrag, gehalten am 27. März 1958 vor dem Konstanzer Arbeitskreis fur mittelalterliche Geschichte (als Manuskript vervielfältigt). Von demselben: Stammesbildung u. Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (im Druck).
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Die funktionalen Daten würden in der Geschichte den gesamten Bereich des menschlichen Handelns und die Wirkungen dieses Handelns, eben seine Funktionen umgreifen. Die intentionalen Daten umschließen alles das, was die handelnden und betrachtenden Zeitgenossen sich vorstellen und beabsichtigen. Die beiden Begriffe schließen sich allerdings nicht aus, und man wird sich ihrer nur dann mit Nutzen bedienen können, wenn man sich jederzeit vergegenwärtigt, daß auch die intentionalen Daten funktionale Bedeutung haben. Bedeutende mittelalterliche Ereignisfelder wie die Kaiserpolitik, die Heidenmission und die Kreuzzüge sind nur unter dieser Voraussetzung zu erklären. Reinhard Wenskus hat daher den glücklichen Vorschlag gemacht, statt von funktionalen von nicht-intentionalen Daten zu sprechen1. Die intentionalen Faktoren beeinflussen jedoch nicht nur den Gang der Ereignisse, sondern beruhen ebenso auf geschichtlichen Bedingungen wie die nicht-intentionalen. Doch hat die Welt der Aktionen, auf die der Geschichtsschreiber reflektiert, einen andern geschichtlichen Hintergrund als die Geschichtsschreibung selbst. Wenn die Historiographie uns nur ein gebrochenes Bild der vergangenen Wirklichkeit spiegelt, so hat dies nicht allein seinen Grund in der Perspektivität des Geschichtsschreibers, in seiner zeitbedingten und subjektiven Befangenheit, sondern darüber hinaus in dem literarischen Genos, dessen er sich bedient. Die historiographischen Gattungen unterliegen als solche und in ihrem geschichtlichen Wandel besonderen historischen Bedingungen, die von denjenigen zu unterscheiden sind, die auf die Geschichtsschreibung von ihrem Gegenstande her und aus der geschichtlich geprägten Umwelt auf den Geschichtsschreiber einwirken. Die Traditionen der mittelalterlichen Historiographie haben ihren Ursprung zumeist in der Antike. Damit sind Inhalt und Form dieser Geschichtsschreibung in beträchtlichem Umfang durch literarische Tradition bestimmt. Schon der Begriff „Geschichte" und mit ihm die Gesichtspunkte für die Auswahl des Stoffes sind dem Geschichtsschreiber des Mittelalters weithin durch Traditionen vorgegeben. Soweit im Mittelalter neue Gattungen entstehen wie die Annalen, bildet 1
In dem i. d. vorigen Anm. angef. Vortrag.
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die historiographische Absicht nicht immer den Ausgangspunkt. So erhebt sich die Frage nach dem Grade, in dem sich die mittelalterliche Historiographie ihrem Gegenstande anpaßt. Diese Anpassung geht ζ. B. bei Gregor v. Tours sehr viel weiter als bei Einhard 1 . Die Frage nach der Angemessenheit der literarischen Form im Hinblick auf den historischen Gegenstand erhebt sich in fundamentaler Weise bereits angesichts der lateinischen Sprache. Die mittelalterliche Welt erscheint uns durch das Medium römischer Worte, Begriffe und Denkschemata gefiltert. Das Mittelalter war allerdings zum Teil, aber auch nur zum Teil eine lateinische Welt. Hier berühren wir das Kontinuitätsproblem und die Frage der sog. mittelalterlichen Renaissancen seit der karolingischen Zeit. Ein extremes Beispiel für den Einfluß literarischer Traditionen scheint Einhards Karlsbiographie zu bieten. Sie hätte ohne Sueton kaum so geschrieben werden können. Und doch hat Einhard das Bild des Herrschers zwar säkularisiert, nicht aber zu dem eines römischen Imperators werden lassen 2 . Der germanische Volkskönig ist freilich nur durch einen Schleier zu erkennen. Es würde uns jedoch am Bilde Karls d. Gr. ein wesentliches Stück fehlen, wenn wir nicht durch Einhard wüßten, daß dieser Frankenherrscher von einem Zeitgenossen seiner nächsten Umgebung auch so gesehen werden konnte. Gemessen an Karls anderweit genugsam bezeugten Intentionen mag Einhards Stilisierung einen wesentlichen Zug der Persönlichkeit getroffen haben. Der Wert dieser Biographie als Geschichtsquelle konkurriert jedoch mit der Bedeutung, die ihr als Zeugnis der karolingischen Reichskultur zukommt. Von dieser ist sie ein höchst signifikanter Überrest, der gegenüber zahlreichen anderen hervorragenden Denkmälern dieser Kultur dadurch ausgezeichnet ist, daß er eine Reflexion auf die beherrschende Gestalt des Zeitalters in sich schließt. 1 Hellmanns Ausführungen über die beiden Autoren lassen gerade dies hervortreten.
' V g l . Hellmann, unten S. 189. Zum Zentralbegriff der magnanimitas S. 21 Off. und 225. Hinsichtlich des Bedeutungswandels, den dieser Begriff bei Einhard erfahren h a t , wage ich noch einen Schritt weiter zu gehen mit der Vermutung, daß Einhard hier eine charismatische Vorstellung antikisierend sublimiert hat. Näheres hierzu in HZ 180, 1955, 478fif.
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Der Gebrauch der lateinischen Sprache, die Fortführung und immer erneute Rezeption literarischer Traditionen des Altertums, zu denen auch die kirchlichen gehören, dürfen nicht als unangemessene Kostümierung einer ganz anders gearteten Wirklichkeit mißverstanden werden. Eine literarische Entlehnung, die uns auf den ersten Blick deplaciert erscheint, mag bei den Gebildeten unter den zeitgenössischen Lesern Assoziationen von höchster Delikatesse ausgelöst haben, nicht selten im Sinne typologischer Bezüge und vor allem des Rom vergleiche. Die besondere Rolle der literarischen Autorität und der exklusive, ja esoterische Charakter der Literatur haben literarische Entlehnung und Topik allgemein begünstigt. Doch wie für den literarischen und historiographischen Traditionalismus im Ganzen gilt auch für die Entlehnung und den Topos, daß der Wirklichkeitsbezug in jedem Einzelfalle der Prüfung bedarf. Literarischer Traditionalismus und Sachbezogenheit schließen einander auch im Mittelalter nicht aus. Die Sachbezogenheit der lateinischen Historiographie des Mittelalters wird nirgends deutlicher als im Lichte des sogen. Übersetzungsproblems, das vor allem im nichtromanischen Sprachraum auftaucht. Nicht alles lateinisch Geschriebene war auch lateinisch gedacht. Oft erschließt erst die Rückübersetzung in die Volkssprache das wahre Verständnis. In dieser Hinsicht stehen wir mit unserem Textverständnis vielfach noch in den Anfängen. Ähnliches gilt für die interpretatio germanica oder mediaevalis, das mittelalterliche Mißverständnis antiker Texte und Sachverhalte, anders ausgedrückt: die Projektion mittelalterlicher Vorstellungen in die auctores. So kann naive interpretatio germanica gewaltet haben, wo wir antikisierende Tendenzen zu erkennen glauben. Zu den historischen Bedingungen der Historiographie zählt neben den literarischen Traditionen auch die soziale Stellung der Autoren. Viele von ihnen gehören im Mittelalter der sozialen und politischen Führungsschicht an und haben ihre Werke den Vertretern dieser Schicht gewidmet. Für diese Frage bieten die historiographischen Widmungsbriefe und Vorreden ein reiches Material. In den Exordien spielt allerdings die Topik eine beherrschende Rolle. Die funktionale Bedeutung der mittelalterlichen Historiographie, ihr Wirkungsgrad im Prozeß der
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Geschichte selbst kann von diesem Material aus erhellt werden, sofern es gelingt, das Problem der Exordialtopik methodisch zu bewältigen. Damit ist eine letzte Frage berührt: Wie ist die funktionale Bedeutung der Historiographie zu beurteilen ? Ist sie nur Spiegelung der geschichtlichen Wirklichkeit, oder hat sie auf diese eingewirkt ? Intentionen solcher Art sind allenthalben zu fassen. Geistliche Moralpädagogik, fürstenerzieherische Beflissenheit ad usum delphini, Parteileidenschaft, kurz: gerade solche Eigenheiten der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, die deren Wert als einer historischen Nachrichtenquelle beeinträchtigen, zeugen von der Absicht, die Welt zu verändern. In den Widmungsbriefen und Vorreden sprechen die Verfasser sich offen darüber aus. Von den Absichten der Autoren sind jedoch die tatsächlichen Wirkungen zu unterscheiden. Sie mögen nicht immer einander entsprochen haben, doch hat es an Wirkungen gewiß nicht gefehlt. Kaiser- und Rompolitik des Mittelalters sind zu einem guten Teil in die Wirklichkeit rückübersetzte historiographische Traditionen. Es hieße geradezu die Wirkung der Tradition auf den Gang der mittelalterlichen Geschichte leugnen, wollte man der Historiographie eine solche Funktion absprechen. Der Nachweis läßt sich aber auch im Einzelnen führen. Die im Rom des 5. Jahrhunderts entstandenen Actus Silvestri, die dem Mittelalter als Historiographie galten, haben mittelbar durch die Konstantinische Schenkung, deneben auch unmittelbar auf den Verlauf der mittelalterlichen Geschichte nachhaltig eingewirkt. So stehen Geschichte und Geschichtsschreibung in einem wechselseitigen Wirkungsverhältnis. „Geschichte" ist zunächst Gegenstand und Inhalt der Historiographie; doch ist die Historiographie zugleich selbst ein Teil der Geschichte, indem sie diese reflektiert; ein Akt der Reflexion, der schließlich nicht nur kontemplativen, sondern auch aktiven Charakter hat. So bietet die Historiographie einen dreifachen Aspekt: sie erzählt, ist und bewirkt Geschichte.
DER SCHRIFTSTELLER UND SEINE KRITIKER IM FRÜHEN MITTELALTER
Die Frage nach der Rolle der Kritik in der mittelalterlichen Welt mag auf den ersten Blick anachronistisch erscheinen. So wenig es derjenige an Kritik wird fehlen lassen dürfen, der sich der Erforschung des Mittelalters zuwendet, so sehr muß er doch alsbald beim Studium der schriftlichen Überlieferung dieses Zeitalters den Geist eben der Kritik vermissen, der er selbst einigermaßen gesicherte Erkenntnisse verdankt. Wohl weiß die Geschichte der Geschichtswissenschaft Ansätze zur Kritik im Mittelalter anzuführen 1 , doch bei Ansätzen hat es sein Bewenden gehabt, und wollte man von ihnen aus dem Wesen der mittelalterlichen Geschichtsschreibung näherkommen, so wäre das Scheitern dieser Bemühung auf die Unangemessenheit der Fragestellung zurückzuführen. Historische Kritik ist nun allerdings, insofern sie an die Entfaltung eines besonderen geschichtlichen Sinnes gebunden erscheint, eine wohl notwendig späte Frucht unserer Kultur. Ein anderes Bild ergibt sich dort, wo das Denken selbst zum Gegenstand der Kritik geworden ist. Mit der Scholastik, dem ersten großen Aufschwung der abendländischen Philosophie, erfassen wir eine Geistesbewegung des Mittelalters, die eine eigene Methode entwickelt 2 , ja das überkommene Medium der lateinischen Sprache mit kühnen Neu-
1 Marie Schulz, Die Lehre von der historischen M e t h o d e bei den Geschichtsschreibern des Mittelalters (Abhh. z. mittl. u. neuer. Gesch. 13), 1909; Verf., Widukind von Korvei, 1950 S. 55 ff.; Kritik an der Lchtheit der beiden Clemensbriefe an J a k o b auf G r u n d der zeitlichen Unvereinbarkeit übt Bernold von Konstanz: Johanne Autenrieth, Die Domschule von K o n s t a n z ζ. Z. des Investiturstreits [Forsch, z. Kirchen- u. Geistesgesch., NF 3, S. 127 (1956)]; mittelalterliche Kritik an U r k u n d e n . H. Bresslau, H d b . d. Urkundenlehre f. Deutschland und Italien 1, 2. Aufl. 1912, S. 15 ff. 2 M. Crabmann, Gesch. d. scholast. Methode, 2 Bde. 1 9 0 9 - 1 9 1 1 ; A. Gilson, La philosophic au m o y e n age des origines patristiques ä la fin du X I V e siecle., 3. ed. Paris 1947.
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bildungen den Bedürfnissen dieser Methode anzupassen gewußt hat 3 . Hand in Hand mit der Scholastik entsteht die abendländische Universität: wenn irgendwo, so liegen hier die mittelalterlichen Wurzeln der modernen Wissenschaft. Doch führt von hier bis zu Kant ein weiter Weg, und das Wesentliche dieses Kritikers liegt gerade in der kritischen Wendung gegen die Scholastik. Gehört nicht überhaupt die kritische Wendung gegen das Mittelalter, gegen das „dunkle Zeitalter", wesentlich zum Selbstverständnis der modernen Wissenschaft seit dem Humanismus, dem der Begriff ,,Mittelalter" seinen Ursprung verdankt? 4 Dem wäre freilich entgegenzuhalten, daß die durch solches Selbstverständnis der Humanisten gesetzte Epochengrenze längst im Lichte moderner historischer Kritik ins Fließen geraten ist. Die Wurzeln dessen, was im Zeitalter von Renaissance und Humanismus das Ende des Mittelalters zu markieren scheint, lassen sich um Jahrhunderte zurückverfolgen: Von der karolingischen 5 /über die ottonische 6 bis zur Renaissance des 12. Jahrhunderts 7 reichen durch das Mittelalter hindurch Epochen einander die Hand, die durch ein intensives Studium der römischen Überlieferung ausgezeichnet sind; Studien, die auch in den Zwischenepochen niemals ganz zum Erliegen kamen und die man, insofern die antike Uberlieferung ihr Gegenstand war, mit den notwendigen Einschränkungen als humanistisch bezeichnen darf. Was wäre der neuzeitliche Humanismus ohne die karolingischen und späteren Skriptorien, die nicht nur Stätten bloßer Schreibübung, sondern auch solche grammatischer und da-
S. Hellmann, D a s P r o b l e m der mittellat. Philologie, Histor. Vjschr. 2 9 ( 1 9 3 5 ) . Hierzu W. Bauer, E i n f ü h r u n g in d a s S t u d i u m der G e s c h i c h t e , 2. A u f l . 1 9 2 8 , S . 1 0 5 f f . ; M. Beck, Finsteres o d e r r o m a n t i s c h e s Mittelalter? , Zürich 1 9 5 0 , b e s . S . 9 f f . ; P. E. Hübinger, S p ä t a n t i k e u. frühes Mittelalter, in: D e u t s c h e Vierteljahrsschr. f. Lit.-Wiss. u. Geistesgesch. 2 6 , S . 1 f f . ( 1 9 5 2 ) , separater Nachdruck 1959. 5 J. Fleckenstein, Die B i l d u n g s r e f o r m K a r l s d. Gr. als Verwirklichung der n o r m a rectitudinis, 1 9 5 3 . D a s . weit. L i t . 6 P. Ε. Schramm, Kaiser, R o m u. R e n o v a t i o , 2 1 9 5 7 , das. N a c h t r a g neuerer L i t . S . 3 4 0 f f . ; für die literar. u n d p o l i t . T e n d e n z e n der Zeit b e i s p i e l h a f t : R u o t g e r s L e b e n s b e s c h r e i b u n g d e s E r z b i s c h o f s B r u n o v. K ö l n , hg. v. Irene Ott (MGH. S S . rer. G e r m . N S . 10), 1 9 5 1 ; d a z u Fr. Lotter, Die V i t a B r u n o n i s d e s R u o t g e r , ihre historiographische u n d ideengeschichtliche Stellung ( B o n n e r histor. F o r s c h . 9 ) , 1 9 5 8 ; H. Hoffmann, Politik u n d K u l t u r i. o t t o n i s c h e n R e i c h s k i r c h e n s y s t e m , R h e i n . Vjbll. 2 2 , S . 3 1 - 5 5 ( 1 9 5 7 ) . 7 Ch. H. Haskins, T h e renaissance of the t w e l f t h c e n t u r y , C a m b r i d g e 1 9 2 7 . 3
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mit philologischer Bemühungen gewesen sind? Und insofern Kritik an der Kirche des Mittelalters und ihrem Lehrgebäude den Anbruch der neueren Zeit ankündigt, hat man sich zu vergegenwärtigen, da£ Begriffe wie reformatio und renovatio zu den Kerngedanken des Mittelalters gehören: Seit der Karolingerzeit immer wiederkehrende Devisen, in denen mit dem Wunsch nach Wiederherstellung einer als vollkommen gedachten ursprünglichen Ordnung sich Kritik an den jeweils herrschenden Zuständen Luft machte 8 . An politischer Kritik hat es im Mittelalter auch sonst nicht gefehlt. Es ist keine Besonderheit gerade dieses Zeitalters, wenn wir auch in ihm die Geschichtsschreibung nur allzu häufig durch Parteileidenschaft gefärbt sehen. Man sollte sich freilich nicht mit der trivialen Feststellung begnügen, daß wie zu allen Zeiten so auch im Mittelalter machtpolitische Auseinandersetzungen und Interessengegensätze politische Polemik ausgelöst haben, ja Kritik und Polemik selbst zu Kampfmitteln geworden seien. Historische Einsicht könnte hier allein eine Untersuchung der besonderen Methoden gewähren, deren sich das Mittelalter in der politischen Polemik bediente. Das weite Feld, das sich damit eröffnet, kann hier nicht abgeschritten werden. Doch mögen einige wenige Hinweise das Gemeinte verdeutlichen. Charakteristisch erscheint vor allem der immerwährende Rekurs auf Prinzipien. Daß in der Auseinandersetzung der drei großen Mächte des Zeitalters, im Ringen zwischen Kaisertum und Papsttum einerseits, zwischen diesen beiden und Byzanz andererseits theologische, insbesondere dogmatische Fragen im Vordergrund der Polemik standen, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Karls d. Gr. Kampfschrift gegen Byzanz, die sog. Libri Carolini 9 , stellen die Frage der Bilderverehrung in den Mittelpunkt. Der Versuch zu einer gemeinsamen militärischen Aktion zwischen Kaiser Ludwig II. und Basileios I. von Byzanz gegen die Sarazenen Süditaliens läuft, nachdem er schon im Organisatorischen gescheitert war, in eine briefliche Kontroverse beider Herrscher aus, in der die Grundsatzfrage der Anerkennung des Karolingischen Kaisertums durch Byzanz erörtert wird 1 0 . Auf Liutprand von Cremona, der für die gleiche Streitfrage 8
Schramm, S. 3 ff. Libri Carolini, hg. H. Bastgen, MG. Conc. 2, Suppl.; W. Ohnsorge, Abendland und Byzanz, 1958, S. 64 f. m. weiterer Lit. 10 Hg. W. Henze, MG. Epp. 7, 3 8 3 - 3 9 4 ; L. M. Hartmann, Geschichte Italiens i. Mittelalter III, 1, 1908, S. 306, Anm. 26; W. Henze, NA. 35, 1910, 9
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seine Feder in den Dienst Ottos d. Gr. gestellt hat, wird noch in anderem Zusammenhang einzugehen sein 1 1 . Eine wahre Flut polemischer Kampfschriften hat das Ringen zwischen Papsttum und Kaisertum während des Investiturstreites und der staufischen Epoche hervorgebracht 12 . Einem Kampf, der die Grundlagen der bestehenden Weltordnung in Frage stellte, mußte die literarische Erörterung von Prinzipien adäquat sein. Die Spannungen, die im Investiturstreit mit weitreichenden Folgen für die Verfassung der mittelalterlichen Welt zur Entladung gelangten, sind allerdings in dieser Welt von Anfang an angelegt gewesen, und kirchliche Kritik am Königtum kennt schon das Frühmittelalter. Der kirchliche Ordo-Gedanke gab die Rechtfertigung für den Sturz des Merowingerhauses und für die Erhebung Pippins zum König 7 5 1 1 3 . Lang bevor Heinrich IV. mit seinem Gang nach Canossa öffentliche Selbstkritik übte, ist schon Ludwig d. Fr. mehrfach auf den Rat der Geistlich-/keit hin, zugleich unter dem Druck seiner politischen Gegner und seines eigenen Gewissens, mit öffentlichen Schuld- und Sündenbekenntnissen hervorgetreten: auf dem Reichstag zu Attigny 8 2 2 1 4 , zu Compifcgne 8 3 0 1 5 , und endlich im Medarduskloster zu Soissons 8 3 3 1 6 , wo Ludwig von der GeistlichS. 6 6 3 ; E. Pereis, Papst Nikolaus I. u n d Anastasius Bibliothecarius, 1920, S. 238, A n m . 5; F. Dölger, E u r o p a s Gestaltung i. Spiegel der fränkisch-byzantinischen Auseinandersetzung des 9. J h d s . , in: Der Vertrag v. V e r d u n , hg. Th. Ai S c h i e f f e r
S. 9 ff.,· S c h l e s i n g e r ,
Karlingische Königswahlen S. 222 ff.
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Francorum et Langobardorum ac patricius Romanoium geführt δ 4 . Unverkennbar spricht sich darin der Gedanke der Personalunion aus 55 . Erst die Kaiserwürde sollte das Ganze umfassen 5 ·, hat aber zunächst, folgt man der weiteren Entwicklung des Titels, nur die Patricius-Würde absorbiert 5 7 . W i e gering ihre integrierende Kraft tatsächlich eingeschätzt worden ist, läßt der Kaisertitel Karls erkennen, wenn er neben der Kaiserwürde als solcher auch noch den rex Francorum et Langobardorum enthält 5 8 . Erst Ludwig d. Fr. hat sich auf den bloßen Kaisertitel beschränkt ( i m p e r a t o r augustus)und dies steht im Einklang mit seinem Versuch, das Reich mit Hilfe des Kaisertums „neu einzuwölben" e o . Die Ordinatio von 817 war eine Kompromißlösung, insofern sie das Teilungsprinzip nicht beseitigte, sondern nur modifizierte e l . Entscheidend war die Superiorität des kaiserlichen Bruders und damit die Begründung kaiserlicher Kompetenzen, die über die der Könige hinausgingen. Eine nähere Analyse der Integrationsformen des fränkischen Reiches würde hier zu weit führen. Festzuhalten bleibt jedoch, daß die Ordinatio von 817 den Versuch darstellt, dieses Reich auf der Ebene des Imperiums zu integrieren. Die ottonische Konzeption ist zunächst von anderer Art. Zwar hat auch Otto d. Gr. an die karolingische Tradition angeknüpft " 2 . W i e schon bei Karl d. Gr. ging auch bei ihm der Kaiserkrönung die Erwerbung des ehemaligen Langobardenreiches voraus. Bezeichnend ist auch, daß unter den ersten Diplomen, die Otto nach seiner Anerkennung als König in Italien zu Pavia ausstellen ließ, solche mit dem Titel rex Francorum et Langobardorum (oder Italicorum) b e g e g n e n e 3 . Der Gedanke der Personalunion nach dem Vorbild Karls d. Gr. ist also offenbar vorübergehend erwogen worden, doch hat Otto ihn alsbald wieder verworfen. In der Datierungszeile freilich werden, wie schon bei Karl d. Gr., von Anfang an und auch weiterhin die 54 W. E r b e n in: Erben, Schmitz-Kallenberg und Redlich, Urkundenlehre 1, 1907, S. 310; E. C a s p a r , Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft, ZKiG. 54, 1935, S. 260. s s G. W a i t ζ , Deutsche Verfassungsgesdiidite 32, 1883, S. 169 f. 5 6 S t e η g e 1 S. 9; vergleiche hierzu u. z. Folgenden allgemein auch Th. M a y e r , Papsttum u. Kaisertum i. hohen Ma., Werden, Wesen u. Auflösung einer Weltordnung, ein kritischer Überblick, HZ 187, 1959, 1—53. « C a s ρ a r S. 261 i Ann. regni Fr. zu 801 (MG SS rer. Germ., hg. v. Fr. K u r z e , S. 112): . . . ablato patricii nomine imperator et augustus est appellatus. «β Wie Anm. 54; Verf. in: HZ 185, 1958, S. 524, daselbst Anm. 1 weitere Lit 5» E r b e n S. 310 f. «® S t e η g e 1 S. 9. Ί S c h i e f f e r S. 8 spricht von einer herrschaftlichen Regelung der Teilung gegenüber der bisherigen genossenschaftlichen. •2 Dies betont S t e η g e 1 S. 11 f. Μ DD Ο. I. 138. 139. 140.
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Regierungsjähre in Italia von denen in Francia unterschieden, wenn audi nur, solange der König auf italienischem Boden urkundete ' 4 . In den Titel ist diese Unterscheidung jedoch nicht aufgenommen worden. Als wichtigstes Kriterium für das Moment der Trennung beider regna gilt die Einrichtung einer besonderen Kanzlei für Italien, die Ausklammerung Italiens aus dem Geschäftsbereich der deutschen Königskanzlei e5 . Man kann hiervon allerdings nicht schon seit 951 reden. Bis zur Kaiserkrönung sind vielmehr an der Herstellung der Urkunden für Italien deutsche und italienische Kräfte beteiligt, ohne daß eine klare Regelung und Abgrenzung der Kompetenzen erkennbar wäre β β . Eine förmliche Kanzlei für Italien beginnt sich erst in Ottos Kaiserzeit zu entwickeln und dies wird man doch wohl als eine Folge der inzwischen erworbenen neuen Würde zu deuten haben. Die Kaiserwürde erlaubte es, wenigstens durch die Einrichtung einer besonderen Kanzlei dem politischen Eigenbewußtsein der Italiener entgegenzukommen. Denn der Gedanke, daß der Kaiser als solcher durch die Herrschaft über eine Mehrzahl von regna ausgewiesen werde, hatte bereits zu den Spielarten der karolingischen Kaiseridee gehört , e . Vielleicht spiegelt sich diese Tendenz auch darin, daß in einem Diplom Ottos d. Gr. für Lorsch vom 26. Januar 963 der Titel rex Francorum et Langobardorum ac patritius Romanorum aus der Vorurkunde Karls d. Gr. übernommen werden konnte eg. Doch gerade die Sonderstellung dieser Urkunde vermag zu zeigen, daß dem Gedanken der Personalunion von Otto d. Gr. nicht der gleiche Raum gewährt wurde wie von seinem großen Vorgänger. Sucht man die Form, in der Italien dem ottonischen Reich seit 951 anoder eingegliedert wurde, mit den modernen Begriffen von .Realunion' oder .Personalunion' zu klären, erhält man keine eindeutige Antwort 7 0 . Aber vielleicht ist diese moderne Distinktion der Sache und dem Zeitalter nicht angemessen? Ist insbesondere das sporadische Auftreten karolingischer Titelformen ein Indiz dafür, daß diese beiden Möglichkeiten tatsächlich erörtert worden sind? Durchgesetzt hat sich der undeterminierte Μ Vorbem. zu DO. I. 136; E r b e n S. 327. • 5 S t e n g e l S. 12: „ . . . d a s schärfste Kennzeichen der Lage"; E r b e n S. 57 ff. u. 72 ff. «· DD Ο. I., Vorrede S. 86. 67 Wie vor. Anm. •β Ε. E. S t e n g e l , Kaisertitel und Suveränitätsidee, DA 3, 1939, 1 ff. ; C. E r d m a n n , Forschungen z. polit. Ideenwelt des Frühma.s, 1951, S. 3 ff.; Ε. E. S t e n g e l , Imperator u. Imperium bei den Angelsachsen, DA 16, 1960, 15—72. · · DO. I. 252; dazu S t e n g e l , Regnum u. Imperium S. 31 Anm. 9. 70 Berücksichtigt man die weitere Kanzleigeschichte, so stellt sich der Sachverhalt noch verwickelter dar. Sie verläuft keineswegs gradlinig, und obendrein gehen Erzkanzleramt und Kanzleramt verschiedene Wege. Vgl. dazu E r b e n S. 57 ff., 71 ff.
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Königs- und Kaisertitel, die beherrschten Länder — nicht die gentesI — erscheinen allenfalls als Italia und Francia in der Datierung. Dieser Sachverhalt verliert den Anschein der Widersprüchlichkeit, wenn man für Ottos Königsherrschaft über Italien und Deutschland (951—962) von dem Begriff des .imperialen Königtums' ausgeht 71 und damit voraussetzt, daß der die verschiedenen regna nicht berücksichtigende Königstitel einen imperialen Anspruch zum Ausdruck bringen sollte. Die Herrschaft des gleichen Königs über eine Mehrzahl von regna konnte bereits der Königswürde einen prinzipiell höheren Rang verleihen. Das Begriffspaar ,Realunion' und .Personalunion' ist auch insofern unzulänglich, als andere Integrationsformen von ihm nicht erfaßt werden, die wir in der Ottonenzeit beobachten können. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die östlichen Marken Oberitaliens dem baierischen Herzogtum einverleibt wurden 72 . Man hat sich zu fragen, ob hier ein weitergehender Plan im Ansatz stecken geblieben ist, indem eine entsprechende Befriedigimg schwäbischer Wünsche durch den gleichzeitigen Aufstand Liüdolfs vereitelt wurde. Außer der Integration in das regnum gab es also auch eine solche in einzelne Stammesgebiete. Es handelt sich hier, anders ausgedrückt, um die Ausdehnung des Markensystems auf einen Teil Italiens. In Dänemark beobachten wir das Vordringen der Reichskirche in den Raum eines politisch dem Ottonenreich nicht integrierten regnum, dessen Herrscher lediglich in einer schwer zu präzisierenden Weise die Oberhoheit des Reiches anerkannte. Die Bedeutung der Wahl Ottos III. zu Verona 983 für unsere Frage ist bereits errörtert worden 73 . Otto II. hat hier am Ende seiner Tage offenkundig den Versuch gemacht, Italien durch Beteiligung an der Königswahl und -krönung enger als bisher an das deutsche regnum heranzuführen. In der Konsequenz dieses Ansatzes hätte die Verschmelzung beider regna zu einem einzigen liegen können. An der Ostgrenze des Reiches hatte sich bis dahin für Mission und staatliche Expansion das Markensystem bewährt. Eine Sonderstellung nahm hier zunächst allein Böhmen ein, dessen Prager Bistum ähnlich wie die dänischen Bistümer eine Reichskirche war, ohne daß der politische Status des böhmischen Herzogs dem angeglichen worden wäre. Ein neues Moment 7 1 Verf., Widukind von Korvei, 1950, S. 228 ff.; ders., Das imperiale Königtum i. 10. Jh., in: Die Welt als Geschichte 10, 1950, 117—130; zum Begriff des „imperialen Königtums" bei Alkuin und in den Ann. Mettenses priores: H. L ö w e , Von Theoderich d. Gr. zu Karl d. Gr., DA 9, 1952, 390 f.; S c h l e s i n g e r , Kaisertum u. Reidisteilung, S. 38 ff., 42 ff.; Ε. E. S t e n g e l , Imperator u. Imperium bei den Angelsachsen, S. 38 ff.
Siehe oben S. 18 f. « Siehe oben S. 18. 72
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stellte sich jedoch mit der staatlichen Formierung Polens ein 74. Die Schenkung Mieszkos an den römischen Stuhl bedeutete vollends den Versuch, die politische und kirchlidie Unabhängigkeit Polens durch das Papsttum garantieren zu lassen. Otto III. stand noch unter dem Einfluß von Ratgebern, die die Politik Ottos d. Gr. fortzusetzen gedachten, wenn er solchen Emanzipationstendenzen im Jahre 995 mit einem Privileg für das Bistum Meißen begegnete, das dessen Sprengel auf weite Gebiete Böhmens und Schlesiens, nämlich auf den Raum zwischen der oberen Elbe und der oberen Oder ausdehnte. Sollte so vor allem ein zwischen Böhmen und Polen strittiger Raum neutralisiert werden, so hat Erzbischof Gisiler von Magdeburg gleichzeitig die Hand auf die polnische Kirche zu legen versucht, indem er sich, wohl im Einvernehmen mit der Reichsregierung, wenn auch vergebens um die päpstliche Anerkennung Posens als eines Magdeburger Suffraganbistums bemühte. Wie in Dänemark zur Zeit Ottos d. Gr. wurde auch hier die kirchliche Eingliederung als Integrationsform gewählt, ein auf dem Missionsfelde besonders naheliegender Weg Doch gerade diese Form hat dem Papsttum die Möglichkeit des Eingreifens eröffnet, wie nicht erst der Schenkungsakt Mieszkos aus dem Anfang der 90er Jahre erkennen läßt: Schon die Abgrenzung des Magdeburger Missionsfeldes im Papstprivileg von 968 nimmt auf den inzwischen entstandenen polnischen Staat Rücksicht im Gegensatz zu dem völlig offenen Missionsfeld, das der Magdeburger Kirche 962 verbrieft worden war™. Das Papsttum hat sich später nicht nur dem Magdeburger Wunsch auf Unterstellung Posens versagt, sondern obendrein mit einem gegen die Persönlichkeit Gisilers in Gang gebrachten Verfahren auch der von ihm vertretenen Politik ein Ende bereitet 77 . Inzwischen war allerdings auch bei Otto III. selbst ein Kurswechsel eingetreten, der zeitlich und ursächlich mit dem Eintreffen Gerberts von Reims am deutschen Hof zusammenhängt 78 . Der Plan von der Gliederung des Reiches, der schließlich in den Akten von Gnesen und Gran sowie in der die Frage des Kirchenstaates regelnden Urkunde seinen Ausdruck fand 79 , 74 Zum folgenden: H. B e u m a n n und W. S c h l e s i n g e r , Urkundenstudien zur deutschen Ostpolitik unter Otto III., Archiv f. Diplomatik 1, 1955, 132—250. 75 Vgl. G. T e i l e n b a c h , Vom Zusammenleben der abendländischen Völker i. Ma., in: Festschr. G. Ritter, 1950, S. 19. ' · A. B r a c k m a n n , Die Ostpolitik Ottos d. Gr., HZ 134, 1926, 242—256 ( = Ges. Aufss., 1941, Nr. 7 S. 140—153); ders., Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens i. frühen Ma„ 1937, S. 13 f. 77 Ardliv f. Diplomatik 1, 1955, 207 ff. 78 E r d m a n n , Forschungen S. 107ff.; M. U h l i r z , Jahrbücher S. 246f.; S c h l e s i n g e r in: Archiv f. Diplomatik 1, 1955, 226 f. ' · P. E. S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio, 1929 (21957), S. 87 ff.; A. B r a c k m a n n , Der römische Erneuerungsgedanke u. seine Bedeutung f. d. Reichspolitik der deutschen Kaiserzeit (Ges. Aufss., 1941, Nr. 6, S. 108—139); ders., Die Anfänge d. polnischen Staates (ebd. Nr. 8, S. 154—187); ders., Reichs-
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ist seit der Ordinatio imperii von 817 der erste durchgreifende Versuch, das Verhältnis von regnum und imperium, ja die Integration des Reiches überhaupt auf eine konsequente Formel zu bringen. Mit der Gründung der Metropolen von Gnesen und Gran erhalten Polen und Ungarn 80 ihre kirchliche Selbständigkeit. Sie werden nicht nur kirchlich, sondern auch politisch vom deutschen regnum unabhängig, sollen jedoch Glieder des imperium bleiben, das in seiner Funktion nunmehr vom regnum klar geschieden ist. Dem Kaiser wird eine Herrschaftsfunktion zugewiesen, die ihrem Umfange nach über die des deutschen Königs erheblich hinausgeht. Das Reich soll jetzt auf der Ebene des imperium, nicht des regnum integriert werden. Bedeutete dies eine erhebliche und von den Zeitgenossen auch als bedenklich erachtete politische Auflockerung des östlichen Vorfeldes 81, so entsprach ihm doch eine Intensivierung der kaiserlichen Herrschaft über Rom und den Kirchenstaat 82 . Auf beiden Feldern ist Otto III. von der Politik seiner Vorgänger abgewichen, doch jeweils in verschiedener Richtung. Wieder läßt der urkundliche Titel des Herrschers Entscheidendes erkennen. Besagt doch die Devotionsformel servus apostolorum83, die uns im Zusammenhang mit der geschilderten Konzeption begegnet, daß Otto III. mit seinen Ratgebern auch die vielleicht schwierigste Integrationsfrage zu lösen versucht hat, die dem Zeitalter gestellt war: die Integration des Papsttums und der römischen Kirche in das Reich. Unter der Voraussetzung einer vollkommenen Harmonie der beiden universalen Gewalten und ihrer Träger entsteht das Bild einer von beiden gemeinsam ausgeübten Weltherrschaft. Otto III. hat eine päpstliche Urkunde gegengezeichnet, die das spanische Bistum Ausona-Vich betraf 84, und schon in der römischen Politik u. Ostpolitik i. frühen Ma. (ebd. Nr. 9, S. 188—201); ders., Kaiser Otto III. u. die staatl. Umgestaltung Polens u. Ungarns (ebd. Nr. 11, S. 242—258); E r d m a n n , Forschungen S. 92 ff.; zur Darstellung von M. U h l i r z , Jahrbücher 320 ff. und 549 ff. ist ergänzend heranzuziehen R. W e n s k u s in: Archiv f. Diplomatik 1, 1955, 250—256; ders., Studien z. histor.-polit. Gedankenwelt Bruns von Querfurt, 1956, S. 43 ff. 80 Uber Ungarn: S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio S. 153 ff.; M. U h l i r z , Jahrbücher S. 372 ff., 572 ff. ei S c h l e s i n g e r in: Archiv f. Diplomatik 1, 1955, 231 ff. 82 S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio S. 161 ff.; K. J o r d a n , Der Kaisergedanke in Ravenna ζ. Zt. Heinrichs IV., DA 2, 1938, 89; M. U h l i r z , Jahrbücher S. 354 ff. 83 S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio S. 157 ff.; M. U h l i r z , Jahrbücher S. 356 m. Anm. 35 (dort weitere Lit.); B ö h m e r - U h l i r z , Reg. 1399. 84 R. H o l t z m a n n , Kaiserzeit, 3. Aufl. S. 570 f. u. Abb. 33 (neben S. 336); W . H o l t z m a n n , Das mittelalterliche Imperium u. die werdenden Nationen (Arb.-Gem. f. Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss. H. 7), 1953, S. 14 f. m. Anm. 18; M. U h l i r z , Jahrbücher S. 268; B ö h m e r - U h l i r z , Reg. 1279 c.
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Synode an der Jahreswende von 998 auf 999, gestützt auf die universale Kompetenz der römischen Kirche, in die inneren Verhältnisse Frankreichs eingegriffen 8 5 . Eine solche Dyarchie mußte schließlich auch die Konkurrenz beider Gewalten auf dem Missionsfelde neutralisieren und umgekehrt den im Osten sich formierenden politischen Kräften die Möglichkeit nehmen, die eine Gewalt gegen die andere auszuspielen. Wesentliche Momente dieser Konzeption werden von der Darstellung getroffen, die sich im Evangeliar Ottos III. aus dem Bamberger Domschatz findet β β . Die vier Frauengestalten, die hier dem thronenden Herrscher huldigen, sind durch die Beischriften Roma, Gallia, Germania, Sclavinia als Allegorien der dem Kaiser unterstellten Provinzen oder Länder ausgewiesen. Charakteristisch erscheint vor allem die Vorrangstellung der 87 Roma, die in der Erweiterung des Kaisertitels zu imperator Romanorum ihr Gegenstück hat, und die der Kaiser nach den W o r t e n des BernwardBiographen Thangmar schließlich selbst als eine Zurücksetzung der deutschen Stämme bezeichnet haben soll 8 8 ·, bezeichnend ist aber auch, daß die Sclavinia als selbständige Figur auftritt: sie ist den übrigen Figuren zwar nach-, aber nicht untergeordnet. Otto III. hat sich von Gnesen unmittelbar nach Aachen begeben und hier in einer bereits von den Zeitgenossen als ungewöhnlich empfundenen Form Karl dem Großen gehuldigt Es fragt sich, worin Otto III. seinem Leitbild nacheifern wollte, in welcher Hinsicht er ihm am Ende nähergekommen zu sein glaubte als seine Vorgänger. Die Karolinger hatten es allerdings ebenso wie Otto d. Gr., von wenigen Ausnahmen ·° abgesehen, peinlich vermieden, die Römer als Reichsvolk figurieren zu lassen. W e n n nach einem Vorspiel unter Otto I I . 9 1 dessen Sohn nunmehr diese Bedenken fallen ließ, so konnte er sich dafür jedenfalls nicht auf Karl d. Gr. berufen. Doch auch Karl hatte als Kaiser über eine Mehrzahl von regna 85 M. U h 1 i r ζ , Jahrbücher S. 284; B ö h m e r - U h l i r z , Reg. 1299 c. 8 6 Clm. 4453; P. E. S c h r a m m , Die deutschen Könige u. Kaiser in Bildern ihrer Zeit, 1928, Abb. 74, Kommentar S. 195 u. Text S. 95; G. L e i d i η g e r , Das sogen. Evangeliarium Kaiser Ottos III. (Miniaturen aus Hss. der k. Hof- u. Staatsbibl. München 1), o. J., Taf. I, 13.14; H o l t z m a n n , Kaiserzeit, 3. Α., Abb. 34 (neben S. 337); M. U h 1 i r ζ , Jahrbücher S. 400; vgl. auch die entsprechende Darstellung in der Bamberger Josephus-Hs., S c h r a m m Abb. 73; M. U h 1 i r ζ aaO.
" Zuerst in DO. III. 198 von 996 Mai 22; B ö h m e r - U h l i r z , Reg. 1173; C. E r d m a n n , Das ottonisdie Reich als Imperium Romanum, DA 6, 1943, 412 ff. 8 8 Vita Bernwardi c. 25, hg. ν. Ρ e r t ζ , MG SS 4 S. 770; R. Holtzmann, Kaiserzeit S. 372 f.; Verf., Romkaiser u. fränk. Reidisvolk, in: Festschrift Ε. E. Stengel, 1952, S. 175; Μ. U h 1 i r ζ , Jahrbücher S. 363 f. 8» M. U h 1 i r ζ , Jahrbücher S. 333; Β ö h m e r - U h 1 i r ζ , Reg. 1370b. »» E r b e n S. 311; C. Ε r d m a n n , DA 6, 1943, 413 m. Anm. 1. « E r b e n S. 311.
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geherrscht und in seinem Titel die Kaiserwürde als die Kuppel erscheinen lassen, die das zunächst nur aus assoziierten Herrschaftsbereichen bestehende Gebäude des rex Fiancoium et Langobaidorum ac patricius Romanorum einzuwölben bestimmt war. Ferner hat die gelehrte Deutung der Herrschaft des Kaisers als einer solchen über eine Mehrzahl von mit römischen Provinznamen belegten Ländern, an die der Illuminator des Bamberger Evangeliars anknüpfte, bei der Vorgeschichte und Entstehung des karolingischen Kaisertums ihre Rolle gespielt 92. Wenn schließlich Otto III. auf seiner Kaiserbulle die Renovatio-Devise Karls d. Gr. wiederholte 93, so darf vielleicht doch die Vermutung ausgesprochen werden, daß karolingische Anregungen auch die Vorstellungen beeinflußt haben, die sich Otto III. vom Aufbau seines Imperiums gemacht hat. Die einzige Wurzel war dies freilich nicht. Carl Erdmann hat für das römisch-griechische Ämterwesen Ottos III. den merowingischen Ämtertraktat, der als römisches Staatshandbuch galt, als literarische Quelle nachgewiesen Die Kaiserdefinition des Ämtertraktates lautete Imperator, cuius regnum procellit in toto orbe, et sub eo reges aliorum regnorum 95· Der jähe Tod des noch jungen Herrschers hat diesen Integrationsversuch vereitelt und das Reich in eine Krise gestürzt, die den Nachfolger zu einer Reduzierung des politischen Programms nötigte. Es steht freilich zu vermuten, daß nicht nur die äußeren Umstände, sondern auch grundsätzliche Erwägungen Heinrich II. bestimmt haben, den von seinem Vorgänger vorgezeichneten Weg zu verlassen 9e. Er hat das Römerreich wieder auf die Grundlagen des ottonischen regnum und seiner Stämme zurückgeführt, hat dem gentilen gegenüber dem universalen Prinzip vermehrte Bedeutung beigelegt. Wieder veranschaulicht eine Miniatur diesen Wandel der Grundkonzeption gegenüber Otto III. Im Perikopenbuch Heinrichs II. 97 begegnen uns zwar abermals Frauengestalten als Allegorien der Provinzen, doch fehlt jetzt die Sclavinia, während die Roma in der Mitte zwischen der Germania und der Gallia steht. Ein Vorrang der Roma ist auch damit zum Ausdruck gebracht, zumal da der Herrscher nicht mehr, 9 2 Vgl. vor allem Annales Laureshamenses zu 801, MG SS 1, S. 38; dazu HZ 185, 1958, 525 ff. »s S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio 1, S. 117 ff. 94
C. E r d m a n n , Forschungen S. 104 f.
G. Β ä s e c k e , De gradus Romanorum, in: Festsdir. R. Holtzmann, 1933, S. 5; C. E r d m a n n , Forschungen S. 16 f. 95
8 6 R. H o l t z m a n n , Kaiserzeit S. 396 f.; Th. S c h i e f f e r , Heinrich II. u. Konrad II., DA 8, 1951, 385 f.; E r d m a n n , Forschungen S. 48; Verf. in: Archiv f. Dipl. 1, 1955, 235. 9 7 Clm. 4452 f. 2r Kaiserbilder Abb. 81; G. L e i d i n g e r , Das ; S c h r a m m , Perikopenbuch Kaiser Heinrichs II. (Miniaturen a. Hss. d. k. Hof- u. Staatsbibl. i. München 5), o. J., Taf. V 1.
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wie im Evangeliar Ottos III., neben, sondern über dieser Gruppe thront. Es findet sich jedoch in einer untersten Zone eine Reihe weiterer Gestalten, die die Stämme des deutschen regnum allegorisieren. In die gleiche Richtung weist die Metallbullendevise Heinrichs II., mit der zunächst eine karolingische Entwicklung nachvollzogen wird. Sie lautet Renovatio regni Francorum 98. Diese Formel löst also Ottos III. Renovatio imperii Romanorum ebenso ab, wie sie einst Karls d. Gr. Renovatio Romani imperii verdrängt hatte. Beachtung verdient jedoch, daß Heinrich II. diese Metallbulle als Konig geführt hat ··. Bedenkt man nämlich, daß der Metallsiegelgebrauch als solcher eine kaiserliche Gepflogenheit war und sich offenbar immer wieder im Schriftverkehr mit Byzanz herausgebildet hatte 10°, und daß obendrein die Devise einer karolingischen Kaiserbulle 101 entlehnt war, so drängt sich die Annahme auf, Heinrich II. habe schon als König mit diesem Metallsiegel imperiale Ansprüche geltend machen wollen 102. Die in dieser Devise zum Ausdruck kommende Abwandlung der Renovatio-Idee leitet sich im 9. Jahrhundert von jenem Aachener Kaisergedanken her, der, 799 zu Paderborn erstmalig konzipiert, aber durch die römische Kaiserkrönung von 800 in den Hintergrund gedrängt, nach 804 wieder aufgegriffen worden ist l o s . Dieser nichtrömische Kaisergedanke, dessen Tradition mit Abwandlungen auch in die ottonische Zeit hineinreicht, bedeutet den Versuch, den gentilen Personalstaat mit der transpersonalen Idee des Imperiums zu versöhnen, das Reichsvolkproblem im fränkischen Sinne zu lösen, und ist insofern ein Beitrag zur Integration des Reiches, als ein von den lokalrömischen Grundlagen abgelöstes Kaisertum eine vollständige Integration der Römer und des Papsttums in das Reich, die die Universalität des Papsttums in Frage gestellt hätte, nicht notwendig erforderte. Es kann nun freilich nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß Heinrich II. und seine Ratgeber bei der Rezeption der zweiten karolingischen Renovatio-Devise von den hier vorgetragenen Gedankengängen ausgegangen sind. Der weitere Gang der Dinge läßt jedoch erkennen, daß das Zeitalter Heinrichs II. und seiner Nachfolger ein zentrales Problem zu lösen suchte, dem trotz aller Veränderung der Zeitsituation die Formel von der »8 S c h r a m m , Kaiserbilder S. 103; E r d m a n n , Forschungen S. 48; W. O h n s o r g e , Abendland u. Byzanz, 1958, S. 309. · · Als Kaiser hat er die Renovatio-Devise nicht mehr verwendet. Vgl. Ε r d m a n n aaO. ιοί O h n s o r g e , Abendland u. Byzanz S. 300ff. »M Zu dieser: S c h r a m m , Kaiserbilder S. 42. 169 f. Abb. 13a. b; H. L ö w e , DA 9, 1952, 391 f; S c h l e s i n g e r , Kaisertum u. Reichsteilung S. 49; Verf., HZ 185, 1955, 548 f. O h n s o r g e , Abendland u. Byzanz S. 274. " J Wie Anm. 101.
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Das I m p e r i u m u n d die R e g n a bei W i p o
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Renovatio regni Fiancorum gerecht zu werden vermochte, weil es sich um ein Strukturproblem handelte, dem schon Karl d. Gr. sich gegenübergesehen hatte. Dieses Problem war mit der Frage nach dem verfassungspolitischen Zusammenhang zwischen Königs- und Kaiserwürde gegeben. Schon bei der Entstehung des karolingischen Kaisertums tritt uns als fränkische Grundauffassung der Gedanke entgegen, daß die imperiale Würde, mag sie auch in Rom erworben sein, ihrer Substanz nach aus der faktischen Stellung und Leistung des fränkischen Königtums legitimiert wird. Das Königtum der Karolinger hatte bereits vor 800 imperialen Charakter, so daß das nomen impeiatoiis Karl d. Gr. mit innerer Notwendigkeit zufallen mußte 1M . Diese Vorstellung beobachten wir auch im Zeitalter des ottonischen Königtums vor 962, hier amalgamiert mit charismatischen Elementen und Reminiszenzen an das spätantike Heerkaisertum. Auch hegemoniale Vorstellungen gesellen sich hinzu. Die Idee des imperialen Königtums weist zahlreiche Spielarten auf, die hier im einzelnen nicht dargestellt zu werden brauchen 105 . Entscheidend ist, daß es stets darum geht, den autogenen Charakter des Kaisertums herauszuarbeiten. Bei der bloßen Theorie hat es hier nicht sein Bewenden gehabt. Denn der seit dem 11. Jahrhundert in der Verfassungspraxis hervortretende Grundsatz, daß der deutsche König eo ipso Anwärter auf die Kaiserkrone sei, ist offenkundig die Realisierung der Theorie vom imperialen Königtum loe . Eben diesen Anspruch scheint bereits Heinrichs II. Metallsiegeldevise während seiner Königszeit erheben zu wollen. Deutlicher noch bringt Konrads II. erste Kaiserbulle diesen Gedanken zum Ausdruck, wenn sie zum Bildnis des Kaisersohnes die Inschrift trägt: Heinricus spes imperii107. Daß hier ein imperialer Anspruch für den Kaisersohn erhoben werden sollte, ergibt sich auch daraus, daß das erste Auftreten dieses Siegels zeitlich zusammenfällt mit der Bemühung des Vaters um die Hand einer byzantinischen Kaisertochter für seinen Sohn 108. Seit Heinrich V. hat der Gedanke einer Anwartschaft des deutschen Königs auf die Kaiserkrone in der Erweite-
104 Näher ausgeführt in: HZ 185, 1958, 515—549. ">5 Ε. E. S t e η g e 1, Den Kaiser macht das Heer, W e i m a r 1910 (auch in Festsdir. K. Zeumer); ders., Kaisertitel und Suveränitätsidee, D A 3, 1939, 1—56; Verf., Widukind v. Korvei, 1950, 228 ff.; ders. in: Die W e l t als Gesdi. 10, 1950, 117—130; C. E r d m a n n , Forschungen S. 52 ff.; W . O h n s o r g e , Das Mitkaisertum i. d. abendländischen Gesch. d. früheren Ma.s, ZRG G A 67, 1950, 309 ff. ( = Abendland u. Byzanz S. 261 ff.); Fr. L ο 11 e r , Die Vita Brunonis d. Ruotger, 1958, S. 90 ff. ιοβ v g l . auch O h n s o r g e , Mitkaisertum (wie v o r i g e Anm.), der v o m „augustalen rex" spricht. S c h r a m m , Kaiserbilder, A b b . 95a—d, dazu S. 120ff.; O h n s o r g e , kaisertum S. 323 ( = Abendland u. Byzanz S. 275).
Mit-
ιοβ P. E. S c h r a m m , Kaiser, Basileus u. Papst i. d. Zeit der Ottonen, H Z 129, 1924, 474; W . O h n s o r g e , Das Zweikaiserproblem i. früheren Ma., 1947, S. 74 f.; ders., Abendland u. Byzanz S. 331 u. 531.
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rung des Königstitels zu rex Romanorum seinen endgültigen Ausdruck gefunden 10', die Institution als solche bezeichnet die Anzeige der Wähler Philipps von Schwaben an Papst Innozenz III. von 1199 im Registrum super negotio imperii mit imperatura n o . Es verdient in unserem Zusammenhang Beachtung, daß Wipo den gleichen Gedanken aufgegriffen hat, wenn er c. 39 sagt: . . . dum imperator Chuonradus iam in iilio suo rege Heinrico regni rem, imperii autem s ρ e m bene locatam coniideret U1. Der Zusammenhang dieser Wendung mit der Kaiserbulle Konrads II. liegt auf der Hand. Aber schon Widukind von Korvei, ein entschiedener Vertreter der Idee vom imperialen Königtum, hatte von Otto II. gesagt: quem iam post patrem dominum ac impeialoiem universus s ρ e r a t orbis 112. Der Zusammenhang zwischen der ottonischen Idee und ihrer salischen Institutionalisierung wird hier deutlich. Für das Problem der Integration von regnum und imperium ist bei dieser Entwicklung vor allem beachtenswert, daß durch die postulierte Anwartschaft des deutschen Königs auf die Kaiserwürde die deutschen Königswähler zu indirekten Kaiserwählern aufrückten. Denn auf diese Weise sind die Deutschen de facto zum Reichsvolk des Kaisers geworden. Auch Karl d. Gr. hatte bereits diese Lösung im Auge gehabt, als er im Jahre 813 den populus Francorum an der Erhebung seines Sohnes Ludwig zum Mitkaiser beteiligte U3 . Diese extreme Lösung der Kaiserfrage hat sich bekanntlich nicht durchgesetzt. Schon in karolingischer Zeit wurde Rom endgültig zur Stadt der Kaiserkrönung, und in ottonischer Zeit hat Otto III. ein übriges getan, um den Romgedanken in der Reichsidee fest zu verankern. Die Spuren seiner Konzeption sind trotz der Reaktion Heinrichs II. nicht völlig verwischt worden. Es blieb bei dem Titel imperator Romanorum, und Konrad II. hat mit der Metallsiegeldevise Roma caput mundi regit orbis frena rotundi sogar ein sehr ausgeprägtes Bekenntnis zur Romidee abgelegt und seinen Nachfolgern vermacht l u . Die Frage, ob das Reich ein römisches sein sollte, ist seit ihm endgültig entschieden n 5 . Aber auch die Form, in der die Trias der regna Deutschland, Italien und Burgund dem Kaisertum untergeordnet wurde, verrät Spuren der Gnesener Konzeption Ottos III. Allerdings dürfen die Unterschiede nicht übersehen i»» O h n s o r g e , Mitkaisertum S. 324 f. (= Abendland u. Byzanz S. 276 f.). »o Η. Μ i 11 e i s , Der Staat des hohen Ma.s, 4 1953, S. 267 m. Anm. 2. i n Hg. ν. Β r e s s l a u , S. 58 Z. 35 ff.; vgl. audi Tetralogus v. 111 (Bresslau S. 79): pie rex caesarque iuture. Ii 2 III c. 12, hg. ν. Η i r s c h u. L ο h m a η η , 1935, S. I l l Ζ. 1 f. i « S c h l e s i n g e r , Karlingische Königswahlen S. 215 f. i " S c h r a m m , Kaiser, Rom u. Renovatio 1, S. 203 f.; C. E r d m a n n , DA 6, 1943, 412 ff. ι· 5 K. Z e u m e r , Heiliges Römisches Reich deutscher Nation, 1910, S. 5 ff. s Ε r d m a η η (wie vor. Anm.).
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werden: Der Kaiser herrscht jetzt in jedem der regna zugleich als König und vereinigt drei Königswürden in Personalunion n 6 . Durch besondere Krönungen in jedem der regna, in Italien unter Heinrich II., in Burgund unter Konrad II., wird das Prinzip der Personalunion zur Darstellung gebracht. Wie für Italien gab es auch für Burgund eine eigene K a n z l e i n 7 . Der Kaiser herrscht hier über regna, nicht über reges. Die Bedeutung des Gemeinsamen, das Ottos III. Konzeption mit der faktischen Lösung verbindet, die sieh im 11. Jahrhundert herausbildete, wird vollends deutlich, wenn man die Konzeption Wipos dagegen hält. Das Wahlrecht bei der deutschen Königswahl, das er auf Italien, Böhmen, Burgund und Ungarn ausgedehnt wissen möchte, würde, wie wir gesehen haben, aus der Personalunion eine Realunion machen und aus der Königswahl der Sache nach eine unmittelbare Kaiserwahl. Der Unterschied zwischen regnum und Imperium wäre aufgehoben, wie er j a auch offensichtlich für Wipo keine Rolle spielt. Die Integration von regnum und imperium, j a der regna in das imperium wäre vollkommen. Und doch vermag schon unser kurzer und skizzenhafter Überblick über die vorausgegangene Entwicklung zu zeigen, wo die grundsätzlichen Hindernisse für eine solche unitarische Lösung lagen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte des Kaisertums die im eigentlichen Sinne ungelöste Frage nach dem Reichsvolk des Kaisers. Das Zeitalter selbst der Salier war noch weit davon entfernt, sich von den Vorstellungen des Personenverbandsstaates soweit zu lösen, daß man hätte daran gehen können, das Reich als institutionellen Staat zu konstruieren. Wipo, der transpersonalen Staatsvorstellungen auch sonst huldigt, erweist sich in dieser Hinsicht als blind gegenüber der Verfassungswirklichkeit seiner Zeit. Wenn sich in dieser Wirklichkeit das imperiale Königtum dergestalt mit dem Romkaisertum vermählen konnte, daß die deutschen Königswähler zu indirekten Kaiserwählern wurden, so erkennen wir in dieser Synthese ursprünglich antagonistischer Ideen die lebendige Kraft, die dem gentilen Prinzip auch in diesem Zeitalter innewohnte.
118 S t e n g e l , Regnum u. Imperium S. 12 ff.; über die Beziehungen Burgunds zum Reich allgemein: A. H o f m e i s t e r , Deutschland u. Burgund i. früheren Ma., 1914; R. G r i e s e r , Das Arelat i. d. europ. Politik v. d. Mitte d. 10. bis z. Ausgang des 14. Jh.s, 1925; Fr. B a e t h g e n , Das Königreich Burgund i. d. deutschen Kaiserzeit d. Ma.s, in: Burgund, das Land zwischen Rhein u. Rhöne, hg. v. Fr. Kerber (Jahrb. d. Stadt Freiburg i. Br. 5), 1942, S. 73—98. 117 E r b e n g e n S. 84.
S. 60 ff. u. 72 ff.; S t e n g e l , Regnum u. Imperium S. 14; B a e t h -
DIE H I S T O R I O G R A P H I E DES M I T T E L A L T E R S ALS Q U E L L E F Ü R DIE I D E E N G E S C H I C H T E DES K Ö N I G T U M S 1 ) D E R Historiker der mittelalterlichen Geschichte pflegt innerhalb der schriftlichen Überlieferung die Urkunden und die mit ihnen verwandten Aufzeichnungen, kurz das administrative Schriftgut, in seinem Quellenwert höher einzuschätzen als die Geschichtsschreibung. Ein urkundlich belegter Tatbestand gilt gemeinhin gegenüber einer nur chronikalischen Nachricht als besser beglaubigt. Dies hat seine guten Gründe: nach der durch Droysen 2 ) und Bernheim 3 ) begründeten quellenkundlichen Systematik haben wir uns daran gewöhnt, in der Urkunde als einem „Überrest" den unmittelbaren Niederschlag derjenigen objektiven Wirklichkeit zu sehen, auf die der Erkenntniswille des Historikers gerichtet ist, während die Historiographie wie jede literarische Überlieferung diese Wirklichkeit nur durch das Medium des reflektierenden Geistes erkennbar macht. Selbst solche Autoren, denen die kritische Forschung ein hohes Maß an Unparteilichkeit bescheinigt hat, sind von der Befangenheit im Horizont der eigenen und zeitbedingten Vorstellungen nicht freizusprechen, die zum Wesen einer jeden Geschichtsschreibung gehört. Bedenkt man weiterhin, wie es gerade im Mittelalter um die elementaren Bedingungen einer Geschichtsschreibung, um Informationen, Quellen und Methode, bestellt war 4 ), und wie schwer es uns in der Regel fällt, diese Bedingungen für den einzelnen Autor zu kontrollieren, so wird es nur um so verständlicher, daß die moderne Forschung Urkunden und ähnliche Überreste als Quellen bevorzugt. Für die Urkunde fällt weiterhin schwer ins Gewicht, daß die Diplomatik seit Sickel mit der Methode des Erweiterte Fassung eines Vortrages, gehalten bei der Tagung des Instituts für geschichtl. Landesforschung des Bodenseegebietes auf Schloß Mainau am 3. 10. 1954. 2 ) J . G. Droysen, Historik, hg. R. Hübner, 1937, S. 3 7 s . unterscheidet Überreste, Quellen und Denkmäler. Die „Quellen" entsprechen den „Traditionsquellen" Bernheims (s. folgende Anm.). 3 ) E . Bernheim, Lehrb. d. histor. Methode, 1. Aufl. 1889, S. 3 1 3 8 . *) Eindrucksvoll: M. Lintzel, Erzbischof Adalbert v. Magdeburg als Geschichtsschreiber (in: Zur Gesch. u. Kultur des Elb-Saale-Raumes, Festschr. W. Möllenberg, 1939, S. 12-22).
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Schrift- und Diktatvergleichs über ein kritisches Instrument verfügt, mit dessen Zuverlässigkeit sich kaum ein anderer Zweig der historischen Methode messen kann. Die bekannte Kanzleihand ist auch durch noch so triftige historische Argumente nicht aus der Welt zu schaffen 1 ), und gegen den diplomatischen Beweis für echt und falsch gibt es keine Berufungsinstanz 2 ). Die Forschung hat nun aber auf diesen Sachverhalt beileibe nicht mit grundsätzlicher Vernachlässigung der Geschichtsschreibung reagiert, sondern im Gegenteil alle Hebel der Methode angesetzt, um die der Historiographie als Quelle anhaftenden Mängel so weit als möglich auszugleichen und auch dieser Gattung ein relatives Maximum an brauchbarem Nachrichtenmaterial abzugewinnen. Der hier entwickelten Methode sind beträchtliche Erfolge beschieden gewesen, und ihre Spitzenleistungen können sich neben denen der Diplomatik sehen lassen. Das Bemühen war vor allem darauf gerichtet, den in der Historiographie enthaltenen Schatz an Nachrichten zu heben, das gleichsam in ihr verborgene Gold von jenen Schlacken zu reinigen, die ihm infolge seiner Entstehungsbedingungen anhaften. Wir werden auf die Ergebnisse dieser Methode so wenig wie auf ihre weitere Anwendung verzichten können. Die ihr zugrunde liegende Auffassung der Geschichtsschreibung als einer Goldgrube geringerer Ergiebigkeit, auf deren Ausbeutung jedoch bei dem notorischen Mangel an diesem edlen Metall nicht gut verzichtet werden kann, so daß umständliche Ausbeutungsverfahren und eine mindere Qualität des Endproduktes in Kauf genommen werden müssen 3 ), ist indessen zu einem lohnenden Gegenstand methodologischer Überlegungen herangereift 4 ). In den Augen einer auf bloßes Nachrichtenmaterial ausgehenden Forschung kann die Geschichts1 ) E i n instruktives Beispiel: DO. I I I . 186. Vgl. H. Beumann u. W. Schlesinger, Urkundenstudien z. deutschen Ostpolitik unter Otto I I I . (Archiv f. Diplomatik i , 1 9 5 5 , 1 3 2 ft.). 2 ) Zusammenfassend: L . Santifaller, Urkundenforschung. Methoden, Ziele, Ergebnisse, 1937. Der Nachweis diplomatischer Echtheit entbindet allerdings noch nicht von der historischen Kritik, die von der diplomatischen zu trennen ist. So konnte gegen eine Nachricht des echten DO. I. 186 die Vita Liutbirgae rehabilitiert werden. Vgl. Das Leben der Liutbirg, hg. O. Menzel (MG. Deutsches Mittelalter 3). 1 9 3 7 ; O. Menzel, Das Leben der Liutbirg (Sachsen u. Anhalt 1 3 , 1937, 78-89); W. Grosse, Das Kloster Wendhausen, sein Stiftergeschlecht u. seine Klausnerin (Sachsen u. Anhalt 1 6 , 1940, 45-76). 3 ) Dem entspricht ζ. B . die Rolle der historiographischen Regesten in den Regesta Imperii. 4 ) Vgl. Verf.. Widukind v. Korvei, 1950, S. V I I — X I I m. weiteren Hinweisen ; ders. in: Westfalen 27, 1948, 161 ff.
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Schreibung in der Tat nur „Tradition" im Sinne Bernheims sein. Diese einschränkende Beurteilung gilt jedoch nur bei einer solchen ebenfalls eingeschränkten Fragestellung. Betrachtet man etwa die Gesta Friderici Ottos von Freising einmal nicht als Nachrichtenarsenal für die Geschichte Friedrich Barbarossas und seiner Zeit, sondern als Denkmal für die Geschichte der Historiographie, so gewinnt der Text unter diesem Aspekt ohne Zweifel den Rang eines „Überrestes"; und dies gilt nicht minder, wenn man den gleichen Text nach der Stellung des Verfassers zu den politischen, staatsrechtlichen, sozialen, religiösen, kirchenpolitischen und geistigen Problemen und Verhältnissen seiner Zeit befragt 1 ). Die Zahl möglicher Fragestellungen, unter denen Geschichtsschreibung zum Überrest wird, ist praktisch unbegrenzt, sofern man sie nur als das begreift, was sie ihrem Wesen nach ist: weit über die bloße Rolle eines unvollkommenen Vehikels für historische Nachrichten hinaus ist sie der zentrale Ort für die geistige Auseinandersetzung des Zeitgenossen mit der ihn umgebenden Wirklichkeit und der Niederschlag jener immer wieder erneuerten Bemühungen, den eigenen geschichtlichen Standort auf dem Hintergrund der Vergangenheit zu bestimmen, die geschichtliche Tradition an die Gegenwart heranzuführen und diese mit Hilfe jener zu deuten. Wie in der Urkunde das Rechtsgeschäft, so hat in der Geschichtsschreibung die Selbstinterpretation des Zeitalters ihren unmittelbaren Niederschlag gefunden, und der historische Vorgang ist in beiden Fällen mit der Genesis des Textes in gleicher Weise unmittelbar verknüpft. Der historische Vorgang selbst, der sich hier wie dort in der Quelle niedergeschlagen hat, ist jedoch im Falle der Geschichtsschreibung von anderer Art. Es handelt sich um einen geistigen Vorgang, und der historische Prozeß, der sich in der Geschichtsschreibung niedergeschlagen hat, liegt nicht auf der Ebene der Aktion, sondern der Reflexion. Das geistesgeschichtliche Problem, das damit dem Historiker aufgegeben ist, ist allerdings gerade für ihn von spezifischer Bedeutung 2 ). Denn das Stück Geistesgeschichte, für das uns die Geschichtsschreibung Dokument ist, liegt genau im Schnittpunkt von Idee und geschichtlicher Wirklichkeit, wenn man unter „Wirk*) So auch schon Droysen S. 37 u. 6 1 ; Bernheim S. 3 1 5 u. 3 1 8 ; A . Heuß, Überrest und Tradition, zur Phänomenologie der historischen Quellen (Arch. f. Kulturgesch. 25, 1935, 1 3 4 — 1 8 3 , bes. S. 1 7 3 und 1 7 9 zur Überrestfunktion der Traditionsquelle). 2
) „Gesunde Skepsis" gegenüber jedweder Geistesgeschichte kann auch der Historiker der ma.lichen Geschichte nicht mehr als Sicherung der eigenen methodischen Position in Anspruch nehmen, nachdem Forschungen wie die von C. Erdmann vorliegen. 29*
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lichkeit" die Welt des menschlichen Handelns versteht. Eine Geistesgeschichte, die allein vom theoretischen Schrifttum des Mittelalters, von seinen Gesellschaftslehren, seinen theologischen und philosophischen Systemen ausgeht, muß freilich stets die Frage offen lassen, inwieweit solche Spekulationen von den Zeitgenossen selbst für die Beurteilung ihrer Wirklichkeit als verbindlich erachtet worden sind. Die Frage vollends, ob und inwiefern das politische Handeln selbst von Systemen wie dem Augustins beeinflußt worden ist, kann auf diesem Wege schon gar nicht über den Bereich der Hypothese hinaus gefördert werden. Anders im Falle der Historiographie: der über die Welt der konkreten Aktionen reflektierende Geschichtsschreiber ist gezwungen, sein Ideengut an eben der Wirklichkeit zu verifizieren, um deren Erforschung sich auch der moderne Historiker bemüht. Zwar können die Deutungen und Motivationen, die der mittelalterliche Chronist für angebracht gehalten hat, nicht in concreto von der Forschung unbesehen übernommen werden, sondern bedürfen einer kritischen Prüfung, für die allerdings die herkömmliche Methode der Quellenkritik nicht ausreicht. Doch anders als beim theoretischen Schrifttum finden wir in der Geschichtsschreibung nicht nur mögliche, sondern belegte Beispiele für den Zusammenhang von Aktion und Reflexion, von Wirklichkeit und Idee in der Geschichte. Mit einem verwandtem Problem hat es von jeher der Rechtsund Verfassungshistoriker zu tun 1 ). Denn auch das Recht ist die Kodifikation einer geistigen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Freilich fällt hier ein wesentlicher Unterschied alsbald ins Auge: das Recht ist eine geistige Macht, die ihrerseits dazu bestimmt ist, menschliche Aktionen auszulösen, während es bei der Geschichtsschreibung gerade die menschlichen Aktionen sind, die den Geist in Bewegung setzen. Doch ist so der Sachverhalt noch nicht erschöpfend beschrieben. Ist doch das geltende Recht niemals die reine Projektion der Idee in eine noch ungestaltete Wirklichkeit, sondern stets zugleich die Antwort des Menschen auf die von ihm vorgefundene Welt und ihre Probleme; dieser reziproke Wirkungszusammenhang ist aber nicht eine Besonderheit des Rechtes allein, sondern gilt schlechthin für das Verhältnis von Idee und Wirklichkeit im geschichtlichen Prozeß. Um diesen Zusammenhang für die Historiographie näher darzutun, braucht man sich nicht auf den Hinweis zu beschränken, daß die mittelalterlichen Geschichtsschreiber weit mehr, als vielDas Methodenproblem der Geistesgeschichte beleuchtet aus dem Blickwinkel des Rechtshistorikers K. S. Bader, Mehr Geistesgeschichte (HJB.
62—69,1949, 89—108).
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fach angenommen wird, mit ihren Werken aktiv in das politische Leben eingreifen wollten und durchaus nicht immer in erster Linie ad memoriam posterorum zur Feder gegriffen haben; man wird vielmehr ganz allgemein davon auszugehen haben, daß die geistigen Triebkräfte, die uns in dieser Geschichtsschreibung entgegentreten, nicht nur die Feder des Verfassers, sondern auch den Gang der Ereignisse selbst beeinflußt haben. Es bleibt dabei durchaus offen, ob der Autor im einzelnen die Motive der handelnden Personen zutreffend beschrieben hat, oder, allgemeiner gesagt, ob seine Reflexion auf das Geschichtliche im konkreten Fall für uns verbindlich sein kann. Um die geschichtliche Wirklichkeit Karls d. Gr. zu erfassen, müssen wir das Bild, das Einhard von ihm entworfen hat, von einigen Übermalungen befreien. Gerade dies kann jedoch hier nicht unser Anliegen sein. Denn was in Einhards Karlsbild als wirklichkeitsfremde Beimischung erscheint, ist zugleich selbst der Teil einer historischen Realität, um deren Erkenntnis wir uns zu bemühen haben, wenn wir Entwicklung und Wesen des mittelalterlichen Königtums schlechthin,wenn wir in ihm die Institution zu erfassen suchen, deren geschichtliche Effektivität ganz wesentlich von den Vorstellungen abhing, die die Zeitgenossen davon hatten. Zwar hat man für diese Fragestellung bereits mit Erfolg Quellengattungen einer vergleichsweise unmittelbareren Aussagekraft herangezogen: Krönungsordines 1 ), Herrschaftszeichen 2 ) und die Urkunden namentlich in ihren Protokollteilen. Ihnen gegenüber fehlt der Geschichtsschreibung weithin der amtliche Charakter. „Überrest" ist sie jedoch nicht weniger als jene, und der Historiker hat sich für die amtlichen sowohl wie die außeramtlichen Vorstellungen über das Königtum zu interessieren. Von wenigen berühmten Ausnahmen wie Einhard und Nithard abgesehen, gehörten die Geschichtsschreiber des Früh- und Hochmittelalters zugleich dem geistlichen Stande und dem Adel an. Mit ihnen ist also jene Gesellschaftsschicht zu Wort gekommen, in deren Händen die politische Führung lag 3 ). Nicht wenige gerade unserer hervorragenden Autoren wie Adalbert von Magdeburg, Liudprand von Cremona, Thietmar von Merseburg, Wipo, Otto von Freising gehörten sogar selbst der höchsten Führungsschicht als Reichsbischöfe oder hohe politische Funktionsträger an und haben nicht ') Man vergleiche die einschlägigen Arbeiten von P. E . Schramm, G. Tellenbach und C. Erdmann. 2)
P . E . Schramm, Herrschaftszeichen u. Staatssymbolik
(Schrr. d. M G H .
13, 1. 2., 1954/55); ders., Die Anerkennung Karls d. Gr. als Kaiser (HZ. 172,
I95I, 449—515). 3)
A . Schulte, Der Adel und die deutsche Kirche i. MA., 2. Aufl., 1922.
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nur Geschichte geschrieben, sondern auch gemacht. Sie waren aber auch Geistliche, und daß sie überhaupt zu schreiben vermochten, verdankten sie einer spezifisch geistlichen Erziehung. Dieser Umstand ist zur Quelle einer vielfältig abgestuften generalisierenden Skepsis gegenüber der mittelalterlichen Geschichtsschreibung geworden, und nicht selten hat man in dieser Historiographie nicht viel mehr sehen wollen als den Versuch, die mittelalterlichen Herrscher zu Heiligen oder zuCaesaren umzustempeln, wobei dann vielfach und selbst bei Schriftstellern von hohem Rang dieWirklichkeit, auf die es uns ankommt, unter einem Schwall geistlicher Phrasen oder antikisierender Wendungen ertrinke. Und damit nicht genug: diese Autoren, die unter dem Zwang einer übermächtigen Schultradition es nicht wagten oder vermochten, anders als lateinisch zu schreiben, waren allem Anscheine nach dieses Idioms zugleich so wenig mächtig, daß sie zu den billigsten Plagiaten griffen und uns auf diese Weise oft genug statt mit eigenen Gedanken mit solchen römischer oder patristischer Autoren bedienen. Zwar wird auch der radikale Vertreter einer solchen Skepsis gern einräumen, daß es rühmliche Ausnahmen von dieser Regel gibt, zu denen etwa Widukind von Korvei gehört, der nach der geistlichen Seite hin eine nahezu vollständige, nach der antikisierenden eine wenigstens taktvolle Zurückhaltung geübt habe. Doch auch er ist anscheinend nicht davor zurückgeschreckt, uns in einem für unser Anliegen wichtigen Punkte geradezu hinters Licht zu führen, wenn er Otto d. Gr. statt in Rom auf dem Lechfeld Kaiser werden läßt, in der Art eines spätantiken Heerkaisers. Wenn es bei dieser traurigen Bilanz sein Bewenden haben müßte, so bestünde wenig Hoffnung, der Geschichtsschreibung für unser Thema neue Seiten abzugewinnen, da damit zu rechnen wäre, daß die wenigen Goldkörner, die trotz dieses Sachverhaltes hier und da hervorschimmerten, längst eingebracht worden sind. In Wahrheit beruht jedoch diese Skepsis ihrerseits auf von der Forschung längst überholten Voraussetzungen. Die Auffassung nämlich, der mittelalterliche Geschichtsschreiber habe die ihm vorAugen liegende Welt lediglich auf Grund einer schematisierenden Schultradition in unangemessenen Kostümierungen dargeboten, will uns doch offenbar suggerieren, daß diese Welt in Wirklichkeit ganz anders ausgesehen habe, daß sie insbesondere weit davon entfernt gewesen sei, dem kirchlich-religiösen Moment eine solche Bedeutung einzuräumen, wie es die Geschichtsschreiber aus der Perspektive ihres geistlichen Standes uns glauben machen wollen. Der Meinung, daß es sich hier um bloße literarische Fiktionen handele, ist doch wohl entgegenzuhalten, daß das kirchlich-religiöse Moment, das die
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Geschichtsschreiber in so ausgesprochenem Maße betonen, nach unseren auf ganz anderen Quellengattungeri beruhenden Kenntnissen die historische Wirklichkeit tatsächlich in einem erheblichen Maße beeinflußt und mitgestaltet hat. Gerade am Königtum läßt sich dies mühelos demonstrieren. Denn mag das Gottesgnadentum, das mit der Salbung Pippins in die abendländische Geschichte eingetreten ist, auch voiwiegend theoretischen Erwägungen der fränkischen Hofgeistlichkeit jener Tage seinen Ursprung verdanken: daß es unabsehbare politische und äußerst praktische Konsequenzen gehabt hat, wird niemand ernsthaft bezweifeln wollen. Das Jahr 751 ist zu einer entscheidenden Epoche geworden für den Prozeß der Integration von Staat und Kirche, die sich seit der Völkerwanderungszeit angebahnt hat und die, im ottonischen und frühsalischen Reichskirchensystem kulminierend, die gesamte Struktur des Staates durchdrang. Im Investiturstreit spielen alsdann theoretische Fragen und Erörterungen eine wichtige Rolle, aber es geht offenbar nicht an, diese Elemente in der Historiographie und Streitschriftenliteratur des 1 1 . Jahrhunderts als für den Historiker unerhebliche geistliche Phraseologie und gelehrt-literarische Fiktion zu bagatellisieren, nachdem wir aus der Verfassungsgeschichte selbst gelernt haben, welche tiefgreifenden Wirkungen diese Erörterungen auf die Verfassung des Reiches und den politischen Verlauf ausgeübt haben. Bei allen Einwänden, die gegen die Thesen Friedrich Heers 1 ) angebracht erscheinen, dürfen wir angesichts dieses Sachverhaltes seinen Begriff der „politischen Religiosität" dankbar aufgreifen 2 ). Es besteht also eine auffällige Konvergenz zwischen jener geistlichen Färbung der Geschichtsschreibung und der Faktizität einer fortschreitenden Verkirchlichung der Gesellschaftsordnung, die es zweifelhaft erscheinen läßt, ob der Skeptiker im Recht ist, der die kirchliche Färbung der Geschichtsschreibung als bloß literarische Fiktion und den wahren Sachverhalten inadäquate Kostümierung brandmarkt. Triftiger erscheint von vornherein der Verdacht einer bloß literarisch-fiktiven Antikisierung der mittelalterlichen Verhältnisse in der Historiographie. Aber auch hier sind entsprechende Warnungstafeln am Platze. Bekannt ist das Beispiel Ottos I I I . , dessen politische Konzeption einer Renovatio Romani Imperii den klassischen Fall einer Umsetzung gelehrt-literarischer Studien in prak!) Fr. Heer, Aufgang Europas, 1949; ders., Die Tragödie des heiligen Reiches,
1952; vgl. dazu Th. Mayer in: HZ. 171, 1951, 449—472; 178, 1954, 471—492;
Verf. in: Polit. Literatur, Berichte üb. d. internationale Schrifttum z. Poli-
tik 2,1953, 333—338.
) Vgl. auch H. Löwe in: B. Gebhardt, Hdb. d. dt. Gesch. 1, 8. Aufl., 1954, S. 127 m. Anm. 15.
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tische Politik darstellt 1 ). Bei diesem Herrscher tritt jedoch lediglich eine Seite des mittelalterlichen Königtums besonders handgreiflich zutage, die spätestens seit den Tagen Karls d. Gr. bis zum Ende der Staufer und darüber hinaus ein beherrschender Grundzug gewesen ist. Das Antike-Studium des Mittelalters konvergiert mit zentralen politischen Bestrebungen wie dem gesamten Komplex der Rompolitik, und es ist schon deshalb bedenklich, es als bloß ornamentale geistige Verbrämung einer in Wahrheit anders gearteten Wirklichkeit ansehen zu wollen. Man kann sogar die begründete Vermutung aussprechen, daß die hier angedeuteten Konvergenzen nicht auf Zufall beruhen. Hier mag zunächst der Hinweis genügen, daß nicht wenige Könige des Mittelalters selbst jene geistliche Erziehung genossen haben 2 ), die von den Skeptikern für den angeblich fiktiv-literarischen Charakter der Geschichtsschreibung verantwortlich gemacht wird, und daß auf jeden Fall unter den Ratgebern des Königs die Hofgeistlichkeit 3 ) und mächtige Vertreter der Reichskirche eine große Rolle gespielt haben. Die geschilderte Skepsis gegenüber der historischen Relevanz des Ideengehaltes mittelalterlicher Geschichtsschreibung birgt endlich insofern den Keim des Irrtums in sich, als sie nur zu deutlich den Stempel unserer modernen Geistesverfassung an der Stirn trägt: die kirchliche und humanistische Terminologie als unverbindliche Phrase ist eine Errungenschaft unserer neueren Jahrhunderte seit der Aufklärung, und die Skepsis, die sich gegenüber der mittelalterlichen Geschichtsschreibung in dieser Hinsicht geltend gemacht hat, ist in Wahrheit die Skepsis unserer Zeit gegenüber der Verbindlichkeit der in Rede stehenden Werte. Die geistige Haltung, die diese Skeptiker den mittelalterlichen Geschichtsschreibern unterstellen, ist, so betrachtet, ein Anachronismus und gewiß ein fragwürdiger methodischer Ausgangspunkt zum Verständnis der Texte 4 ). I. HEILIGENGESCHICHTE UND PROFANHISTORIE Im Widmungsschreiben und in der Vorrede zu seiner Vita Martini hat sich Sulpicius Severus grundsätzlich über den Wert der Den vorwiegend gelehrten Ursprung des Renovatio-Programms Ottos III. hat C. Erdmann, Forschungen z. polit. Ideenwelt des Frühmittelalters, 1951, S. 92—109, herausgearbeitet; M. Uhlirz, Jahrbücher d. dt. Reiches, Otto III., 1954, S. 417 ff. a ) P. Kirn, Die mittelalterliche Staatsverwaltung als geistesgeschichtliches Problem (HVS. 2 7 , 1 9 3 2 , 5 2 3 — 5 4 8 ) . 3 ) H.-W. Klewitz, Cancellaria. Ein Beitrag z. Gesch. d. geistl. Hofdienstes ( D A . i , 1937,44—79). 4 ) In die gleiche Richtung weisen die methodischen Bemerkungen von W . Holtzmann, König Heinrich I. u. d. hl. Lanze, 1947, S. 62.
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Literatur und insbesondere der Geschichtsschreibung geäußert. „Zahlreiche Sterbliche", so sagt er, „dem Studium und dem weltlichen R u h m in nichtiger Weise ergeben, glauben dadurch ewigen N a c h r u h m zu erlangen, daß sie Lebensbeschreibungen berühmter Männer verfassen 1 )". Dieses Streben nach Autorenruhm ist in den Augen des Sulpicius schon deshalb nichtig, weil es dem ewigen Seelenheil nicht zugute kommen kann 2 ). Sulpicius bestreitet in diesem Zusammenhang aber nicht nur den Nutzen solcher Bemühungen für den Autor, sondern zugleich auch für den Leser. „Welchen Gewinn bringt es der Nachwelt", so fährt er fort, „vom kämpfenden Hektor oder philosophierenden Sokrates zu lesen ? Denn es ist nicht nur Torheit, diesen nachzueifern (imitari), sondern Wahnsinn, wenn man nicht heftig dagegen angeht 3 )." U n d weiter: „Denn diese haben geglaubt, sich nur im Andenken der Menschen verewigen zu müssen, während es doch Pflicht des Menschen ist, vielmehr das ewige Leben als ein ewiges Andenken zu suchen, nicht durch Schreiben, Kämpfen oder Philosophieren, sondern durch frommes, heiligenmäßiges und religiöses Leben 4 )." Das ist ein rigoroses Verdammungsurteil über jedwede Profanliteratur, und für Sulpicius Severus gibt es denn auch nur e i n e n legitimen literarischen Gegenstand: den Heiligen 5 ). Will man die Wirkung dieser lapidaren Sätze auf die mittelalterliche Nachwelt ermessen, so gilt es vor allem zu bedenken, daß sie an der Spitze eines Werkes stanλ
) Sulpicii Severi libri qui supersunt rec. C. H a l m ( C S E L . i ) , 1866, S . 1 1 0 : Plerique mortales studio et gloriae saeculari inaniter dediti exinde perennem, ut putabant, memoriam nominis sui quaesierunt, si vitas clarorum virorum stilo inlustr assent. a ) Sed tarnen nihil ad beatam illam aeternamque vitam haec eorum cura pertinuit. 3 ) Auf quid posteritas emolumenti tulit legende Hectorem pugnantem aut Socraten philosophantem ? Cum eos non solum imitari stultitia sit, sed non acerrime etiam inpugnare dementia. *) Siquidem ad solam hominum memoriam se perpetuandos crediderunt, cum hominis officium sit, perennem potius vitam quam perennem memoriam quaerere, non scribendo aut pugnando vel philosophando, sed pie sancte religioseque vivendo. s ) Sulpicius v e r w i r f t (S. 1 1 1 ) die in der Profanliteratur gefeierte stulta virtus zugunsten der divina virtus des Heiligen und empfiehlt deren imitatio: Qui quidem error humanus litteris traditus in tantum valuit, ut multos plane aemulos vel inanis philosophiae vel stultae illius virtutis invenerit. TJnde facturus mihi operae pretium videor, si vitam sanctissimi viri, exemplo aliis mox futurum, perscripsero: quo utique ad veram sapientiam et caelestem militiam divinum que virtutem legentes incitabuntur. In quo ita nostri quoque rationem commodi ducimus, ut non inanem ab hominibus memoriam, sed aeternum a Deo praemium exspectemus, quia etsi ipsi non ita viximus, ut exemplo aliis es'' possimus, dedimus tarnen operam, ne is lateret qui esset imitandus.
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den, das den Staatsheiligen der Gens Francorum behandelte, vor dem schon der erste Frankenkönig sein Haupt in Verehrung gebeugt hatte 1 ). Diesem Umstände dürfte es zuzuschreiben sein, daß das Werk schon bald eine große Verbreitung gefunden hat, so daß Handschriften der Vita Martini heute in keiner größeren Bibliothek fehlen 2 ). Wenn sich die von Sulpicius vertretene Auffassung der Literatur durchgesetzt hätte, so hätte das Mittelalter keine Geschichtsschreibung hervorgebracht, und wenn es, zu unserem Glück, anders gekommen ist, so ganz gewiß nicht deshalb, weil die Worte des Sulpicius nicht hinreichend verbreitet worden wären. Zahlreiche mittelalterliche Geschichtsschreiber von Rang — ich nenne nur Einhard, Widukind, Liudprand, Wipo, die Vita Heinrici IV. und Otto von Freising — bezeugen denn auch die Kenntnis des Sulpicius Severus durch nachgewiesene Zitate. Es erhebt sich also die Frage, auf welche Weise es trotzdem, und zwar ausgerechnet aus den Kreisen der Geistlichkeit und des Mönchtums selbst zu einer mittelalterlichen Geschichtsschreibung kommen konnte. Eine umfassende Behandlung dieses komplexen Problems gehört hier nicht zur Sache. Für die Frage nach dem ideengeschichtlichen Ertrag der mittelalterlichen Geschichtsschreibung für das Königtum wird es sich jedoch als ein dienlicher Umweg erweisen, wenn wir zuvor an einigen ausgewählten Beispielen verfolgen, wie sich mittelalterliche Geschichtsschreiber in dieser Kardinalfrage mit dem Standpunkt des Sulpicius Severus auseinandergesetzt haben. Eine solche Auseinandersetzung hat es in der Tat gegeben, und sie hat, wie sich zeigen wird, auch die Perspektive beeinflußt, in der uns das Königtum in dieser Geschichtsschreibung erscheint. Wie ich an anderer Stelle 3 ) in allen Einzelheiten gezeigt habe, hat Einhard in der Vorrede seiner Vita Karoli mit überlegener Ironie eine indirekte Polemik gegen das Exordium der Vita Martini geliefert. Da er die Kenntnis dieses Textes bei seinen Lesern voraussetzen konnte, war es ihm möglich, dieses Gefecht ohne namentliche Nennung des Gegners und ganz aus dem Hinterhalt zu führen. Einhard ist dabei mit einer so sublimen literarischen Technik zu Werke gegangen, daß sein eigentliches Anliegen bis auf unsere Tage verborgen geblieben ist. Da er eine Autorität wie die des Sulpicius nicht nur nicht offen angreifen konnte, sondern es nicht einx ) Näher ausgeführt von W. Fritze, Untersuchungen z. frühslaw. u. frühfränk. Gesch. bis ins 7. Jh., phil. Diss, (masch.) Marburg 1 9 5 1 . *) C. Halm in der Ausgabe S. V I I I ; Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen i. MA., Vorzeit u. Karolinger, I. H., 1952, S. 63; E. R. Curtius, Europ. Lit. u. lat. MA., Bern 1948, S. 429. 3 ) Archiv f. Kulturgesch. 3 3 , 1 9 5 1 , 337—350.
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mal wagen durfte, gegen den durch solche Autorität gedeckten Standpunkt eine private Ansicht geltend zu machen, wenn er sich nicht den vernichtenden Vorwurf der praesumptio, der Überheblichkeit zuziehen wollte, hat Einhard es gleich gänzlich vermieden, in seiner Vorrede einen eigenen Gedanken zu formulieren. Das Ganze ist vielmehr ein äußerst geschickt arrangiertes Mosaik aus traditionsbeladenen Topoi des antiken und kirchlichen Exordiums, und das so entstandene feine Gewebe wendet sich nicht nur Punkt für Punkt gegen die Einhards Anliegen entgegenstehenden Argumente des Sulpicius, sondern verwendet sogar einige Fäden des Sulpicius in geschickter Umdeutung und Verknüpfung für die eigene Sache. So stößt Einhard mit Sulpicius in das gleiche Horn, wenn er wie jener die Verachtung der literarischen Form proklamiert und nur in der Bedeutung der Sache selbst den Wert der eigenen Arbeit gesehen wissen will. Mit Sulpicius will auch Einhard auf literarischen Ruhm verzichten, und wie beim Biographen Martins ist auch sein Motiv vor allem die Sorge um die Erhaltung des Andenkens eines so großen Mannes bei der Nachwelt. Es gelingt Einhard auf diese Weise nicht nur, sich wenigstens in einigen Punkten die Autorität seines literarischen Gegners selbst zunutze zu machen; in beiden Fällen werden vielmehr obendrein Elemente der Laudatio, die dem hl. Martin gegolten hatten, in den Dienst des Herrscherlobes gestellt, und aus dem tantus vir der Heiligenvita wird unversehens der irdische Herrscher. Die Vorrede der Vita Martini gipfelt natürlich in der Forderung an den Leser, er möge dem Heiligen nacheifern: dedimus tarnen operant, ne is later et, qui esset imitandus1). Nichts ist vielleicht bezeichnender für Einhards Haltung gegenüber Sulpicius, als die Art, in der er den Begriff der imitatio aufgreift und zugleich verwandelt. Er bezeichnet Karls Taten als egregios atque moderni temporis hominibus vix imitabiles2). Diese so harmlos klingenden Worte enthalten zunächst gleich eine zweifache Replik gegen Sulpicius. Einhard fordert gar nicht erst zur imitatio seines Helden auf und erhöht ihn damit ins Übermenschliche; aber Sulpicius hatte nicht nur die imitatio des Heiligen empfohlen, sondern zugleich sich scharf gegen die imitatio der Helden der Profanliteratur gewendet. Mit seinen vix imitabiles actus vermeidet Einhard also gleichzeitig, daß ihn der Vorwurf des Sulpicius trifft, er habe seine Leser zu einer im Sinne des Sulpicius nichtigen imitatio anregen wollen. Karl ist so unerreichbar, daß er auch im Sinne des Sulpicius keine Gefahr für das Seelenheil darstellt. Einhard zielt jedoch Siehe oben S. 457 Anm. 5. ) Hg. G. Waitz u. O. Holder-Egger (MG. SS. rer. Germ., 6. Aufl.), 1 9 1 1 , S. ι, Z. 26.
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noch in eine dritte Richtung. Die von ihm apostrophierten homines moderni temforis, für die die Taten Karls vix imitabiles sein sollen, können sich praktisch natürlich nur auf einen engen Personenkreis beziehen: auf den Sohn und Nachfolger Ludwig d. Fr. sowie auf dessen Söhne, vor allem Lothar! Für Ludwig d. Fr. konnte in diesen Worten bei aller Genugtuung, die er über das Lob des Vaters empfinden mochte, unmöglich eine Schmeichelei liegen. Einhard lobt hier also den Vater ausdrücklich auf Kosten des Sohnes, ganz im Gegensatz zu Widukind und Wipo, die beide ihre eigenen Herrscher Otto d. Gr. und Heinrich III. über deren Väter gestellt haben 1 ). Dieser Zusammenhang dürfte für das gesamte Verständnis der Vita Karoli von grundlegender Bedeutung sein. Und wenn sich Einhard mit dem Standpunkt des Sulpicius Severus auseinandersetzt, so polemisiert er in Wahrheit nicht gegen einen Toten, sondern gegen eine am Hofe Ludwigs herrschende Richtung, als deren geistiges Haupt uns ja Benedikt von Aniane hinlänglich bekannt ist, sowie gegen die kirchliche Einheitspartei, die den Nachfolger Karls nach Maßgabe kirchlich-ethischer Normen abgesetzt hatte2). Das antike Gewand, das Einhard seinem Helden umlegt, bedeutet also weit mehr als nur den Ausdruck humanistischer Beflissenheit des Autors, es stellt zugleich ein politisches Bekenntnis dar. Bei der latenten KontroWidukind v. Korvei I 46, hg. P. Hirsch u. H.-E. Lohmann (MG. S S . rer. Germ., 5. Aufl.) 1935, S. 60, von Heinrich I.: . . .relinquens filium sibi ipsi maiorem; Wipo, Gesta Chounradi II. imp., hg. H. Bresslau (MG. SS. rer. Germ., 3. Aufl.), 1 9 1 5 , Widmungsschreiben an Heinrich III., S. 3: . . .ita inter vos distinguendo, ut alterum rem publicum, utpote Romanum Imperium, salubriter incidisse, alterum eandem ralionahiliter sanavisse veraciter dicam (zugleich charakteristischer Beleg für den von J. Trier, Der Ursprung des Rennaissance-Begriffes, Arch. f. Kulturgesch. 33, 1950, 45—63, herausgearbeiteten Zusammenhang). Ebd. S. 4, von Heinrich III.: . . .qui, ut cunctos antecessores tuos in quibusdam divinis et mundanis rebus superasti.. . 2 ) Zur Entstehungszeit der Vita vgl. M. Lintzel, Die Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli (Krit. Beitrr. z. Gesch. d. MA.s, Festschr. R. Holtzmann, 1933, S. 22—42); F. L. Ganshof, Eginhard, biographe de Charlemagne (Bibl. d'Humanisme et Renaiss. 13, Genf 1951), S. 222 m. Anm. 1 ; H. Löwe in: Wattenbach-Levison, II. H., 1953, S. 274. Löwe folgt Lintzel in dessen Ansatz „nach 830, noch besser nach 8 3 3 " und spätestens 836, dem terminus ad quem eines Briefes des Lupus von Ferneres an Einhard, in dem die Vita bereits erwähnt wird. Ganshof rückt diese untere zeitliche Grenze ein wenig hinauf, indem er in der Datierung des Briefes gegen Dümmler (MG. Epp. 6 Nr. 1, S. 8) sich an L. Leviilain, Loup de Ferneres, Correspondance, I, Paris 1927, Nr. 1, anschließt, der den Brief i. d. Jahre 829/30 gesetzt hat. Von der Entscheidung dieser Frage würde es abhängen, ob man in Einhards Haltung eine Reaktion auf die Synode zu Paris (829) oder zugleich auch auf die Absetzung Ludwigs d. Fr. 2u Soissons (833) erblicken darf.
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verse, die die ganze Vita Karoli beherrscht, geht es um die grundsätzliche Frage des Königtums, dessen Substanz der Verfasser durch eine Richtung gefährdet sieht, deren rigorosen geistlichen Standpunkt er bei Sulpicius Severus kodifiziert fand. Das Problem, um das hier gerungen wird, ist die Frage nach der Stellung des Königs zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen profaner und geistlicher Sphäre; es ist die Frage nach der Verbindlichkeit der christlichen Ethik für das höchste Herrscheramt auf Erden. Wenn Einhard das Königtum in Gefahr sieht, von monastischen Idealen überwuchert und seiner Eigenständigkeit beraubt zu werden, so erhebt sich die Frage, welche politische Position er denn verteidigen will. Ist doch von vornherein anzunehmen, daß Sueton bei ihm eine ähnliche Funktion hat wie Sulpicius Severus: wenn sich für diesen gezeigt hat, daß Einhard in ihm eine aktuelle politische Kraft bekämpft,so ist zu vermuten, daß er Sueton und den stoischen Begriffsapparat als Autorität vor allem ins Feld führt, um Eideshelfer für den eigenen Standpunkt und den seiner Gesinnungsgenossen zu gewinnen und um das Königtum den normativen Eingriffen der kirchlichen Ethik zu entrücken. Bevor wir diese Frage weiter verfolgen, wollen wir uns dem Fortgang der Diskussion um die Rechtfertigung der Profangeschichte wieder zuwenden. Als Brücke zur ottonischen Zeit soll uns der enge literarische und ideengeschichtliche Zusammenhang dienen, der Widukind von Korvei mit Einhard verbindet 1 ). Von Einhard hat Widukind das karolingische Gedankenschema für die Legitimierung des Dynastiewechsels übernommen, und eine der Textstellen, die er wörtlich von Einhard entlehnt hat, wurde ihm zum Kristallisationspunkt seiner Reichsvolktheorie, nach der Franken und Sachsen zu einem das liudolfingische Königtum tragenden Personen verband zusammengeschmolzen sind. Dies fügt sich alles gut zu dem, was ohnehin über die geistige Verwandtschaft beider Autoren bekannt genug ist: auch Widukind zeigt gegenüber der Kirchenpolitik seiner Herrscher eine bemerkenswerte Zurückhaltung, und das römische Kaisertum, das er bekanntlich beiseitezuschieben sucht, wird ja auch bei Einhard fast nur im Vorübergehen gestreift. Widukind hat also in Einhard einen Gesinnungsgenossen finden können, mit dem er sich in der Auffassung des Staates und vor allem des Königtums einig wußte. Für unsere Frage ist nun aber weiterhin von Bedeutung, daß Widukind nicht nur Einhard gekannt und benutzt hat, sondern auch Sulpicius Severus. Von den beiden Zitaten, die Holder-Egger nachgewiesen hat, interessiert uns vor allem das zweite, das sich in Widukinds Nachruf auf Heinrich I. findet. Seinen Worten: defunctus est ipse rerum dominus et regum Das folgende ausführlich begründet in: Westfalen 30,195 2,150-174, bes. 162 ff.
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maximus Europae, omni virtute animi corporisque nulli secundus1) entspricht der Satz des Sulpicius in seinem Brief an den Diakon Aurelius, der als eine briefliche Totenklage auf den verstorbenen Martin anzusehen ist: „Denn jener (Martin) ist den Aposteln und Propheten gesellt, und . . . in der Schar jener Gerechten nulli secundus"2). Die Bedeutung dieses Zusammenhanges beschränkt sich, wie man sieht, keineswegs auf die Entlehnung des Begriffes nulli secundus. Sie erhellt vielmehr aus der durchaus analogen Funktion, den dieser Begriff jeweils in seinem Zusammenhange hat. Beide Male handelt es sich um einen Totennachruf. Beide Autoren stellen ihren Helden in diesem Zusammenhang auf einen Gipfel. Für Sulpicius war die Frage der Stellung Martins im Jenseits insofern brennend, als seinem Heiligen das Martyrium versagt geblieben war 3 ). So mußte er denn alle Register seiner hagiographischen Kasuistik ziehen, um Martin gleichwohl den ihm zugedachten Platz im Jenseits anweisen zu können. Widukind befand sich in einer vergleichbaren Lage. Heinrich I. war die Kaiserkrone versagt geblieben, und vielleicht sogar die Königskrone, die er jedenfalls nicht aus der geistlichen Hand empfangen hatte, von der sie ihm angeboten worden war 4 ). Die imperialisierende Terminologie seines Nachrufes 5 ) zeigt nur zu deutlich, wo Widukind selbst ein Moment der Schwäche nicht übersehen konnte: so bemühte er sich, die tatsächliche Differenz zwischen der Stellung Heinrichs und Ottos herabzumindern. Wenn er dabei das Prädikat nulli secundus, das in seiner Vorlage dem Heiligen der Gens Francorum gegolten hatte, auf Heinrich I. übertrug, so beobachten wir ihn bei einer ähnlichen literarischen Technik, wie sie uns bei Einhard gegenüber dem gleichen Autor entgegengetreten war. Beide leiten gleichsam das Wasser der hagiographischen Autorität auf die Mühle des Herrscherlobes. Beiläufig sei in diesem Zusammenhang angemerkt, daß Widukind in Analogie zum nulli secundus-FTädikut auch den α rege secundus kennt. Diesen übrigens biblischen 6 ) Begriff verwendet er 1
) I 4 1 , S. 60. ) Hg. C. Halm S. 1 4 3 : Est enitn ille consertus apostolis ac profetis, et, quod pace sanctorum omnium dixerim, in illo iustorum grege nulli secundus. 3 ) Ebd.: Nam licet ei ratio temporis non potuerit praestare martyrium, gloria tarnen martyris non carebit, quia voto adque virtute et potuit esse martyr et voluit. *) C. Erdmann, Der ungesalbte König (DA. 2, 1938, 3 1 1 — 3 4 0 ) ; H. Büttner in: Westfalen 30, 1952, 147 m. Anm. 95; W. Holtzmann (oben Anm. 20) S. 6of. weist ergänzend auf den zweiten Siegelstempel Heinrichs I. hin, der den König mit Schild, Krone und Speer zeigt und seit 922 im Gebrauch ist; Verf., Wid. v . K . S. 245 Anm. 1. 5 ) Verf., Wid. v. K . S. 245ff., bes. 259f. s ) II. Paralip. 28,7; Esther 10,3; 13, 3. 6; 15,2; 1 6 , 1 1 . 2
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auch für den Kapetinger Odo und, vielleicht nicht ganz zufällig, hier im gleichen Satz, in dem sich das erste der bisher nachgewiesenen Sulpicius-Zitate findet1). Ein drittes, bisher nicht beachtetes Zitat aus Sulpicius Severus führt zum Fragenkreis der Exordialtopik zurück. Es findet sich an einer Stelle, die ohnehin unser höchstes Interesse beanspruchen darf: im i. Kapitel des I. Buches. Hier setzt sich Widukind mit jener Frage auseinander, deren rigoristische Beantwortung wir bei Sulpicius vernommen hatten: wie es mit der Profanhistorie zu halten sei. Seine Antwort lautet: „Nach meinen literarischen Erstlingswerken, in denen ich die Triumphe der Krieger des höchsten Herrschers geschildert habe, möge sich niemand wundern (nemo ... miretur), daß ich nun die Taten unserer principes darzustellen beabsichtige; da ich in jenem Werke (in seinen verlorenen hagiographischen Schriften) die meinem geistlichem Stande entspringende literarische Verpflichtung erfüllt habe, will ich nun, soweit ich vermag, der Mühe nicht ausweichen, die mir die Treueverpflichtungen meiner Sippe und meines Stammes auferlegen 2 )". Die Tragweite dieser Sätze beruht vor allem darauf, daß ein sächsischer Adliger des io. Jahrhunderts, der zugleich Mönch ist, auf sein Verhältnis zu den beiden Ordnungssystemen reflektiert, die sich in seiner Person überschneiden. Wie Widukind hier zu unterscheiden und zu trennen weiß, ist ein ebensolcher Einwand gegen die vielfach und mit besonderem Nachdruck jüngst von Friedrich Heer behauptete ungeschiedene Gott-Welt-Einheit der vorgregorianischen Epoche, wie die Polemik Einhards gegen Sulpicius Severus. Widukind glaubt also, sich eine Heldengeschichte leisten zu können, da er sein hagiographisches „Soll" erfüllt habe. Er genügt damit aber auch einer Verpflichtung, die er nicht geringer einschätzt als diejenige, die sich aus seiner ßrofessio ergibt. Es bezeichnet diese Verpflichtung als devotio, an anderer Stelle als fidelis devotio, und es kann kein Zweifel sein, was damit gemeint ist; nach allem, was wir über die Bedeutung der Gefolgschaft im ottonischen Reich wissen 3 ), kann *) I 29, S. 41, Z. 10 m. Anm. 6; handelt es sich hier um den Begründer einer neuen, mit den Karolingern konkurrierenden stirps regia, so II 2 um den Sachsen Sigifrid, den Stellvertreter Ottos d. Gr. in Sachsen während der Aachener Krönungsfeierlichkeiten, den Inhaber der Prokuratur. Vgl. dazu H . - J . Freytag, Die Herrschaft der Billunger in Sachsen (Stud. u. Vorarb. z. hist. Atlas Niedersachsens, 20. H.), 1 9 5 1 , S. 10 sowie meine ergänzenden Bemerkungen in: Bll. f. dt. Landesgeschichte 91, 1954, 3 7 1 ff. 2 3
) Vgl. hierzu Verf., Wid. v. K . S. 7ff.
) W. Schlesinger, Herrschaft u. Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte (HZ. 176, 1 9 5 3 , 2 2 5 — 2 7 5 ) ; J . O. Plassmann, Princeps
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es sich nur um die Gefolgschaftstreue handeln1). Bei der Einfügung dieses Motivs in den Kreis der herkömmlichen Exordialtopik hat wiederum Einhard Pate gestanden, wenn er seinerseits als literarisches Motiv für sich die Dankesschuld gegenüber Karl dem Gr. für das nutrimenium und die amicitia, die ihn mit Karl und seinen Kindern verbunden habe, geltend macht2). Soviel ich sehe, treten hier zum erstenmal spezifisch germanische Motive in der historiographischen Exordialtopik auf, und dies verdiente in unseren Literaturgeschichten festgehalten zu werden. Für uns rundet sich mit dieser Feststellung aufs Beste das Bild von der geistigen Wahlverwandtschaft, die Widukind mit Einhard verbunden hat. Sind sie beide so im Positiven einig, so liegt dies auch für das Negative nahe, für die literarische Richtung, gegen die sie sich mit ihrer Argumentation wenden. Vermutungen fallen hier nicht gerade schwer. Befand sich Einhard in einer Abwehr gegen jene kirchlichen Reformer um Benedikt von Aniane, so sah sich Widukind zum Widerspruch gegen eine abermalige monastische Erneuerungsbewegung veranlaßt, die von Gorze ihren Ausgang genommen und über St. Maximin-Magdeburg einerseits und St. Pantaleon andererseits Verbindung zum Hofe Ottos d. Gr. und entsprechenden Einfluß gewonnen hatte3). Wir brauchen uns damit jedoch nicht zu begnügen. Denn auch für Widukind ist in diesem Zusammenhang Sulpicius Severus von Bedeutung gewesen. Um dies festzustellen, bedarf es allerdings, bildlich gesprochen, eines Mikroskopes. Nicht ohne Grund wurden oben bei der Wiedergabe des i. Kapitels die Worte nemo miretur hervorgehoben. Sie haben für Widukinds Gedankengang die Funktion eines Scharniers, eines Angelpunktes: niemand soll sich wundern, daß er nach seinen hagiographischen Schriften zur Profangeschichte übergehe. Da Widukinds Gedankengänge hier ohnehin einigermaßen originell sind, brauchen auch wir uns nicht zu wundern, daß die Wendung u. Populus. Die Gefolgschaft im ottonischen Staatsaufbau nach den sächsischen Geschichtsschreibern d, xo. Jh.s, 1954. Zustimmend K. Hauck in: Die dt. Lit. d. MA.s, Verfasserlexikon, hg. K . Langosch, 4, 1953, Sp. 949. Der Punkt, in dem Hauck von der oben gegebenen Interpretation abweicht, berührt den hier in Rede stehenden Zusammenhang nicht. 2 ) Vita Karoli, Praefatio; dazu: Archiv f. Kulturgesch. 33, 1951, 343f.; zur Verschiebung des Bedeutungsfeldes von amicitia in fränkischer Zeit: W . Fritze, Die fränkische Schwurfreundschaft der Merowingerzeit (ZRG. GA. 71, 1954. 74—125). 3 ) Westfalen 30, 1952, 167; zu K. Hallinger, Gorze-Kluny (Studia Anselmiana Fase. 22—23), Rom 1950, ausf. Referat von Th. Schleifer in: Archiv f. mittelrhein. Kirchengesch. 4 , 1 9 5 2 , 2 4 — 4 4 .
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nemo miretur nicht zum gängigen Vokabular der Exordialtopik gehört. Doch lassen sich zwei weitere Belege anführen. Der eine findet sich in der Vita Heinrici IV., und zwar dort in der gleichen Funktion wie bei Widukind. Die Vita beginnt bekanntlich im hagiographischen Stil mit einer Totenklage und einer anschließenden Laudatio 1 ), die den König in seiner demütigen Fürsorge für die Armen und K r a n k e n zeigt. Ein dispositionelles Zwischenstück leitet alsdann zur Charakteristik des Herrschers über 2 ). Auch hier stoßen also wie bei Widukind die Ansprüche der Hagiographie und der Profangeschichte, genauer gesagt: die Ansprüche der Kirche und der Welt an den Herrscher h a r t aufeinander. Das entscheidende Gelenkstück bildet in der Vita der Satz: „nemo miretur, niemand möge sich wundern, wenn ich in die Trauer über seinen Tod auch die frohen Taten seines Lebens mische." Der vorhergehende Satz war in den Gedanken ausgeklungen, d a ß der Verfasser weiteres über den heiligenmäßigen Wandel des Königs weder vorbringen könne noch wolle, zumal niemand wissen könne, was er auf diesem Gebiet allein vor der Zeugenschaft Gottes vollbracht h a b e : und im übrigen, alles könne erohnehin nicht berichten, nam omniadicere non suffieimus3·). Es ist der Forschung bisher entgangen, d a ß der unbekannte Verfasser auch hier wie schon weithin zuvor sich an Sulpicius Severus gehalten hat 4 ). Dieser sagt in seinem Brief an Eusebius, der ebenfalls eine briefliche Totenklage auf den hl. Martin darstellt, nachd e m im Nachtrag zur Vita Martini weitere Einzelheiten seines Lebenswandels mitgeteilt worden sind, niemand möge sich wundern —nemo miretur -—, d a ß der Verfasser in seiner Vita dies übergangen habe, da, wie er schon in der Vita selbst zum Ausdruck gebracht habe, er nicht alle Taten Martins erfassen konnte 5 ). Das Stichwort 1
) Zum historiographisch-literarischen Charakter der Vita Heinrici I V . : S. Hellmann, Die Vita Heinrici IV. u. d. kaiserl. Kanzlei ( H V S . 28, 1934, 2 7 3 — 3 3 4 ) ; H. F. Haefele, Fortuna Heinrici I V . imperatoris, Unterss. 2. Lebensbeschreibung des dritten Saliers (Veröff. d. Inst. f. Österr. Geschichtsforschung, hg. L . Santifaller, 15), 1954. 2 ) Vita Heinrici IV. imp., hg. W . Eberhard (MG. SS. rer. Germ., 3. Aufl.) 1899, c. 1, S. 1 1 , Z. 1 5 — 2 6 . 3 ) Haec de bono misericordiae in pauperes. .. primo locuti — quis enim scire posset, quae solo Deo teste peregit ? — de aliis quoque virtutibus, quibus claruit, aliqua dicamus, nam omnia dicere non suffieimus. Nemo miretur, si luctui mortis eius vitae quoque eius laeta gesta inmisceam,... 4 ) Zur Benutzung des Sulpicius Severus in der Vita vgl. W . Gundlach, Die Vita Heinrici und die Schriften des Sulpicius Severus (NA. 1 1 , 1886, 2 8 9 — 309) sowie die Nachweise i. d. Ausgabe. 5 ) Hg. C. Halm S. 140, Ζ. 1 : Ceterum omissum hoc a me in libello illo, quem de vita illius scripsimus, nemo miretur, cum ibidem sim professus me non Historische Zeitschrift 180. Bd.
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nemo miretur und seine jeweilige Verbindung mit dem Topos „pauca e multis" 1 ) beweist, zumal im Hinblick auf die ohnehin nachgewiesene ausgiebige Sulpicius-Benutzung in der Vita Heinrici IV., daß ihr Verfasser auch hier unmittelbar auf Sulpicius zurückgegriffen hat. Zu allem Überfluß gehört auch der Gedanke, niemand könne wissen, was der Heilige allein vor der Zeugenschaft Gottes vollbracht habe, zu den Argumenten des Martinsbiographen2). Es fällt jedoch auf, daß dieses nemo miretur in der Vita Heinrici gleichwohl seine Funktion geändert hat, da es nicht wie bei Sulpicius die Unvollständigkeit des Berichtes, sondern den Übergang zur Profangeschichte entschuldigen will. Dies entspricht jedoch genau der Bedeutung, die der gleichen Wendung bei Widukind von Korvei zukommt. Es sprechen nun noch weitere Stellen der Vita, von denen eine der soeben behandelten alsbald folgt, dafür, daß ihr Verfasser auch Widukind von Korvei benutzt hat3). So ist denn die Annahme gerechtfertigt, daß der Biograph Heinrichs IV. an der erörterten Stelle sowohl Sulpicius Severus als auch Widukind vor Augen hatte. Doch brauchen wir uns darauf nicht zu versteifen; es genügt, daß wir uns durch die an der Vita Heinrici IV. gemachte Beobachtung in der Meinung bestärkt fühlen können, auch Widukind habe die fragliche Wendung aus Sulpicius bezogen und somit einen von Haus aus hagiographischen Entschuldigungstopos zur omnia illius facta conplexum: quia si persequi universa voluissem, inmensum volumen legentibus edidissem. ') Zu diesem Topos: E. R. Curtius S. 167. 2 ) Vita Martini c. 1, 7, S. 1 1 1 . 3
) Zu c. 1, S. 1 1 , Z. 27: Ille modo personam imperatoris, modo tamquam militis gerebat zitiert der Herausgeber Sail. Cat. 60: strenui militis et boni imperatoris officia simul exsequebatur. Gegen Entlehnung aus Sallust Haefele S. 41 mit Hinweis auf die erheblichen grammatischen und inhaltlichen Verschiedenheiten. Gleichwohl ist ein Zusammenhang nicht zu verkennen, und dieser wird plausibel, wenn man als vermittelndes Zwischenglied Wid. I I I 46, S. 128, Ζ. 1 voraussetzt, wo es von Ottos I. entscheidendem persönlichen Eingreifen während der Lechfeldschlacht heißt: fortissimi militis ac optimi imperatoris officium gerens. Entscheidend ist, daß die Vita mit dem verbum finitum (gerebat; vgl. auch die Weiterführung ex uno gerendae dignitatis, ex altero documentum prebens humilitatis) gegen Sallust mit Widukind (gerens) zusammengeht. Auch die Kluft zwischen der Bedeutung von imperator bei Sallust (Feldherr) und in der Vita (Kaiser) wird durch Wid. überbrückt: läßt doch dieser unmittelbar nach dem Sieg Otto d. Gr. vom Heer zum Imperator (Kaiser) ausrufen (III 49). Ein ma.licher Widukind-Leser konnte also das Sallust-Zitat in Widukinds Fassung und Zusammenhang bereits auf den Kaiser beziehen. Weitere Belege für Widukind-Benutzung in der Vita w e r d e ich a n a n d e r e r S t e l l e e r ö r t e r n .
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Rechtfertigung der Profangeschichte gebraucht. Dem ist an die Seite zu stellen, daß die Vita Mathildis antiquior Widukinds Heerkaisertum mit einem Zitat aus den Dialogen des Sulpicius angegriffen 1 ) und Widukind seinerseits in der Fortsetzung seiner Sachsen*) Verf. in: ZRG. GA. 66, 1948, 3gff.; M. Lintzel, Miszellen z. Gesch. d. 10. Jh.s (Berichte Sachs. Ak. Leipzig, phil.-hist. Kl. 100 H. 2, 1953, s · 1 0 1 — i o 7 ) geht ebenfalls davon aus, daß der Verfasser der Vita Mahthildis ant. c. 16 Otto d. Gr. kritisieren will, wenn er die knappe Charakteristik, die Sulp. Sev. (Dialog. I 6, S. 187, Z. 17—21) dem Kaiser Maximus angedeihen ließ, auf Otto umgeschrieben hat. Er hält es allerdings für wahrscheinlicher, daß sich dies auf die Vorgänge beim 2. Römerzug Ottos, 966—972, bezieht, nicht auf die Lechfeldschlacht. Die W o r t e . . . si ei vel diadema non legitime sed tumultuante milite inpositum repudiate, vel armis abstinere licuisset können jedoch wohl nur die Erwerbung der Krone und nicht, wie Lintzel annehmen muß, eine spätere Festkrönung meinen. Die von L. hervorgehobenen Schwierigkeiten lösen sich auf, wenn man die Worte tumultuante milite in der Vita nicht auf einen Soldatenaufstand oder auf militärische Kampfhandlungen bezieht, sondern auf die bei Wid. geschilderte Akklamation durch den exercitus, deren Legitimität (beachte den Gegensatz non legitime sed tumultuante milite) bestritten werden soll. Der exercitus vom Lechfeld wird wegen der Illegitimität seines Vorgehens zum tumultuans miles. Denn legitim, weil gottgewollt, ist in den Augen des Biographen der Mathilde allein die römische Krönung von 962 (c. 13). Die Worte vel armis abstinere licuisset kritisieren, wie L. S. 103 mit Recht betont, kaum Kämpfe gegen Heiden. Doch ist zu beachten, daß die gesamte in c. 16 eingeschobene Charakteristik Ottos ebenso wie die Maximus-Charakteristik des Sulp, ganz allgemeinen und zusammenfassenden Charakter hat. Die in ihr enthaltenen Werturteile brauchen sich also keineswegs allein auf Ereignisse zu beziehen, die in c. 16 und seiner Umgebung behandelt werden, und sie brauchen auch nicht auf ein und denselben Tatbestand (Lechfeldschlacht) gegründet zu sein. Dies ergibt sich schon aus dem anschließenden positiven Teil der Charakteristik: Non tarnen ilium opes regni, nec inperii dignitas, non diadema, non purpura, Christi a famulatu divellere poterant (ebenfalls nach Sulp., S. 187, Z. 28—30). Das einzige konkrete Ereignis, das angeführt wird, ist somit die Erwerbung der Krone. Sie erfolgte non legitime sed tumultuante milite, im Gegensatz zu 962 (Dei iussu). Da es dem Verfasser um den famulatus Christi geht, dürfte er beim Vorgehen des exercitus vor allem die geistliche Weihe vermißt haben. L. bezweifelt, daß die Vita, wie man hiernach annehmen müßte, ernsthaft die Meinung vertreten will, Otto habe sein Kaisertum von 955 datiert, weil dies ein „sehr leicht kontrollierbarer und korrigierbarer I r r t u m " gewesen sei (S. 104). Aber Wid. h a t dieses Risiko nicht gescheut. Ob der Irrtum 974 in Nordhausen leicht zu korrigieren war, ist nach den Ausführungen Lintzels über Adalbert (oben S. 449 Anm. 4) zu bezweifeln. Widukinds unbestreitbare Polemik gegen die Vita Mahthildis (s. nächste Anm.), in diesem Zusammenhang als Replik zu deuten, ist von L. nicht berücksichtigt worden. Ein Zusammenhang zwischen Ungarnsieg und Kaisertum ist Otto d. Gr. übrigens auch vom Papst selbst bescheinigt worden (Johann XII.. TL. ^6qo: UB. Erzstift Magdeburg
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geschichte diesen Angriff damit erwidert hat, daß er in dem Extrakt, den er der Vita der Königin Mathilde entnahm, bei der Beurteilung des Verhältnisses von werkheiliger humilitas und königlichem honor die entgegengesetzte Auffassung vertrat: hatte der Biograph der Königin in ihrer weltlichen Kleidung einen Fehler erblickt, so betont Widukind demgegenüber, daß sie trotz ihrer demütigen Liebestätigkeit tarnen nihil de honore regio minuebafi). Anders als bei Einhard können wir somit bei Widukind einen zeitgenössischen literarischen Gegner fassen, der sich ihm selbst als Exponent von Auffassungen entgegengestellt hat, für die er sich auf Sulpicius Severus berief. Die soeben zitierte Stelle bezeugt zudem, daß es bei dieser Auseinandersetzung auch und wesentlich um die Stellung des Königtums zwischen den beiden Wertsystemen ging, die in der christlichen und in der germanischen Tradition wurzelten. Der ungewöhnlich lange Prolog, den Wipo seinen Gesta Chuonradi imperatoris2) vorausgeschickt hat, ist geradezu ein Traktat zur Rechtfertigung der Profangeschichte und des Königtums als eines literarischen Gegenstandes. Inzwischen hatte die Verchristlichung des Herrscher- und Staatsbegriffes erhebliche Fortschritte gemacht, ja mit Heinrich III. geradezu einen Gipfelpunkt erreicht. Wipo selbst ist der klassische Verkünder des in sich vollendeten Gottesgnadentums, sein Thema sind die Christiani imperii laudesz) und das Wirken des vicarius Christi4) auf Erden, des Königs, der als Gesalbter des Herren zu einem anderen Menschen geworden ist5). Diese Entwicklung, die hier vor der großen Krise des Königtums im Investiturstreit kulminiert, ist natürlich von langer Hand vorbereitet, und wir kennen den entscheidenden Beitrag, den die westlichen monastischen Reformbewegungen, die von Gorze und Cluny ausgegangen sind, dazu beigesteuert haben. Auch Wipos Kritik an der Kirchenpolitik Konrads II. verrät bereits die Position der Reformbewegung 6 ). Der Schatten, den Wipo von hier aus ganz im Sinne seiner klar ausgesprochenen fürstenerzieherischen Absicht auf Heinrichs III. Vater fallen läßt, kündigt ι Nr. 28, S. 41; vgl. C. Erdmann, Forschungen z. polit. Ideenwelt d. Frühma.s S. 44; K. Hauck, Geblütsheiligkeit [s. u. S. 475 Anm. 1] S. 23of.). x) V e r f . S . 4 2 f f . ; d e r s . , W i d . v . K . S . 2 5 6 f . 2)
Hg. H. Bresslau (MG. SS. rer. Germ., 3. Aufl.) 1915; zusammenfassend über Wipo zuletzt: K. Hauck in: Verfasserlexikon 4, 1953, Sp. 1018—1026. 3)
Prolog, S. 4, Ζ 18.
4)
c. 3, S. 23, Ζ. χ; c. 5. S. 26, Z. 18; vgl. auch Tetralogus v. 19, S. 76. 5 ) c. 3, S. 23, Z. 15. ®) Th. Schieffer, Heinrich II. u. Konrad II., die Umprägung des Geschichtsbildes durch die Kirchenreform des 11. Jh.s (DA. 8, 1951), S. 426f., 436t'.
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in der Tat einen tiefen geistigen Wandel an. Gleichwohl ist Wipo wie sein königlicher Schüler weit davon entfernt, mit wehenden Fahnen in das Lager jener Gegenseite überzutreten, gegen die wir einen Einhard und Widukind in der Abwehrstellung haben beobachten können. Die Argumente zur Rechtfertigung der Profanhistorie, deren Wipo sich bedient, weisen auf einen ganz anderen Vertreter der ottonischen Historiographie zurück, auf den Italiener Liudprand vonCremona 1 ). Mit ihm hat Wipo das Argument gemeinsam, die Beschäftigung mit der Geschichte der eigenen Zeit sei schon deshalb gerechtfertigt, weil in den Taten der christlichen Könige im Gegensatz zu denen der antik-heidnischen Herrscher und Helden die virtus Dei omnipoteniis auf Erden sichtbar werde. Wenn man sich also schon mit der heidnischen Geschichte Roms beschäftige, um wieviel mehr sei dann die literarische Behandlung der eigenen Zeit gerechtfertigt, die im Zeichen der Könige von Gottes Gnaden gar nicht als Profangeschichte angesprochen werden könne. Man sieht, welche Rückenstärkung das Gottesgnadentum der mittelalterlichen Historiographie gewährt hat, und dies geht bei Liudprand so weit, daß er ganz unbefangen seine Antapodosis als eine heroum historia2·) bezeichnen konnte. Wipo hat das argumentum e fortiori Liudprands, daß es um so mehr erlaubt sein müsse, sich mit dem christlichen Mittelalter zu beschäftigen, wenn schon die Behandlung von Gegenständen des heidnischen Altertums usuell sei, lediglich weiter ausgebaut, hat sich zudem auf den historischen Inhalt des Alten Testamentes berufen sowie für sein eigenes fürstenerzieherisches Anliegen auf die antiken Philosophen und hat endlich Bedas Argument vom doppelten moralischen Nutzen der Historie, im Guten wie im Bösen3), aufgegriffen. Unter den Zitaten, mit denen er anerkannte Autoritäten beschwört, stehen solche aus dem Kommentar des Macrobius zum Somnium Scipionis bei weitem an der Spitze, doch fehlt auch nicht Sulpicius Severus4). Er bemüht ihn in einer Frage, die wir bereits behandelt haben: ob auch die Profangeschichte ein würdiges Exemplum zur imitatio liefern kann. Wir erinnern uns, daß Sulpicius diese Frage radikal verneint hatte6). Wenn nun Wipo für den *) Antap. 1 1 , hg. J. Becker (MG. SS. rer. Germ., 3. Aufl.) 1915, S. 3ff. 2) Antap. I i , S. 4, Z. 20. 3) Historia eccl. gentis Anglorum, hg. C. Plummer, Oxford 1896, Bd. 1, S. 5; Verf., Wid. v. K. S. 16; Gertrud Simon, Untersuchungen zur Exordialtopik der ma.lichen Geschichtsschreibung b. z. Ende d. 12. Jh.s, Diss, (masch.) Marburg 1952, S. 1 7 1 s . *) Nachweise i. d. Ausg. v. Bresslau. 5) So auch gerade an der von Wipo angezogenen Stelle, Vita Martini c. 1, 2, S. 110, Z. 14: ...quia et suam memoriam, licet incassum, propagahami, et
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entgegengesetzten Standpunkt sich ausgerechnet an Formulierungen des Siilpicius anlehnt, ja wenn er sogar den Zentralbegriff der Vita Martini, die virtus, in einer Weise für sein Anliegen beschlagnahmt 1 ), die Sulpicius selbst als Blasphemie hätte empfinden müssen, so ertappen wir ihn bei der gleichen literarischen Technik, deren sich schon Einhard und Widukind in ihrer Auseinandersetzung mit dieser Autorität befleißigt hatten. Exakter als irgend ein allgemeines Raisonnement über Wipos „Geist" vermag vielleicht diese Beobachtung darzutun, daß Wipo eine mittlere Linie zwischen den beiden extremen Positionen ansteuert, und daß sich bei ihm in der Tat eine Synthese vollzogen hat, bei der die einander widerstreitenden Prinzipien zu einem ruhigen Ausgleich gelangen. Dem Leser dürfte die Kongruenz der hier aufgedeckten historiographischen Entwicklung mit der politischen nicht entgangen sein. Es kann uns daher nicht wundern, wenn wir den sicheren Standpunkt, den Wipo einnehmen konnte, beim Biographen Heinrichs IV. erschüttert sehen. Wir haben die Vita Heinrici IV. bereits zur Interpretation Widukinds herangezogen. Dabei hatte sich gezeigt, daß ebenso wie Widukind und wahrscheinlich durch ihn dazu angeregt, auch der Biograph Heinrichs IV. die Sphären der Heiligen- und Profangeschichte gegeneinander absetzt. Doch handelt es sich hier nicht um einen Anachronismus, um einen einfachen Rückgriff auf das Problembewußtsein des sächsischen Geschichtsschreibers der Ottonenzeit. Der tiefe Wandel, der trotz der scheinbaren Analogie in der Verfahrensweise beim Biographen Heinrichs IV. eingetreten ist, zeigt sich schon darin, daß dieser anders als Widukind das hagiographische Element in seine Herrscherbiographie hineingezogen hat. Nun ist die hagiographische Färbung der Herrscherbiographie als solche keineswegs ein Novum, aber darauf kommt es hier auch nicht an. Entscheidend ist vielmehr, daß der Verfasser dieser Lebensbeschreibung, wie nicht nur seine antigregorianische Haltung, sondern auch der übrige Habitus seiner Schrift erkennen läßt, auf dem Boden jener Anschauungen zu Hause ist, die in unserem Zusammenhang durch die Namen Einhard, Widukind und Wipo gekennzeichnet werden sollten. Nur so erklärt es sich denn letzten Endes, daß auch ihm wie seinen Vorgängern das Problem der Profangeschichte zum Gegenstand der Auspropositis magnorum virorum exemplis non parva aemulatio leqentibus excitabatur. Dagegen Wipo, Prolog, S. 4, Z. 21: . . .tum posteris, si aemulari Patentes velint, bene vivendi apposita sit forma, aptum et conveniens esse putavt, quia utile e xemplum imitantis animum promptiorem atque firmiorem in rebus agendis reddere solet. Siehe unten S. 485.
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einandersetzung werden konnte. Das Ergebnis, zu dem er gelangt, läßt nun aber den völligen Zusammenbruch jener Synthese erkennen, zu der noch Wipo sich bekennen durfte. Freilich sucht auch er zu retten, was zu retten ist: seine Totenklage, d. h. der Beginn und das Ende der Vita, schließt sich weit enger und auf größere Strecken an Sulpicius Severus an, als dies bisher zu beobachten gewesen war. Noch einmal wird so durch das Mittel der literarischen Entlehnung der hl. Martin und die Autorität seines Biographen für die nunmehr allerdings schwer gefährdete Sakralität des Königtums in die Wagschale geworfen. Damit rückt jedoch der König nunmehr in jenes Licht, in das einst, um bei unseren Beispielen zu bleiben, der unbekannteNordhäuserVerfasser die Königin Mathilde versetzt hatte 1 ). Und wir brauchen uns nur des scharfen Protestes zu erinnern, den hiergegen ein Widukind eingelegt hatte, um das Ausmaß der Kapitulation zu ermessen, die sich beim Biographen Heinrichs IV. vollzogen hat. Zwar hält auch dieser Autor noch am Gottesgnadentum seines Herrschers fest. Aber nicht dies ist seine literarische Legitimation, sondern Heinrichs ungewöhnliche Verdienste um die Armenpflege, seine Fürsorge für die Elenden und Kranken, kurz: sein heiligenmäßiges Leben. Dieser Rechtfertigungsgrund schließt natürlich eine entsprechende Verschiebung in der Auffassung des Königtums selbst in sich. Wir werden darauf von einer anderen Seite zurückzukommen haben. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch festzuhalten, daß die disjunktive Unterscheidung der geistlichen und weltlichen Sphäre, die die Vita, wie wir gesehen haben, mit Widukind gemeinsam hat, keineswegs ein Wiederaufleben der durch Widukind vertretenen Spielart ottonischer Staatsauffassung bedeutet, sondern als das Zerbrechen einer geistigen Einheit aufzufassen ist; um es kurz zu sagen: dem „noch hicht" eines Widukind entspricht in der Vita Heinrici IV. ein „nicht mehr". Wir halten inne, um einen Augenblick bei den methodischen Konsequenzen zu verweilen, die sich nach der bisherigen Erörterung abzeichnen. Wir waren davon ausgegangen, daß der ideengeschichtliche Gehalt unserer mittelalterlichen Geschichtsschreibung gern als historisch irrevelant beiseitegeschoben wird, weil ihre in der Mehrzahl kirchlichen Autoren unter dem Druck einer übermächtigen Schultradition nicht in der Lage gewesen seien, die historische Wirklichkeit so darzustellen, wie sie war. Eine oberflächliche Betrachtung schien jenen Skeptikern recht zu geben, die in dieser Geschichtsschreibung nicht viel mehr zu sehen vermochten als den Versuch, die mittelalterlichen Herrscher entweder zu Heiligen oder zu Caesaren umzustempeln. Als weiteren schwerwiegenden ÜbelSiehe oben S. 468 m. Anm. 1.
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stand hat man verzeichnet, daß diese Autoren, des Lateins nicht hinreichend mächtig, oft zu den billigsten Plagiaten gegriffen und uns so nicht selten mit Gedanken römischer und patristischer Schriftsteller statt mit eigenen bedient haben. Demgegenüber hat sich gezeigt, daß unsere Geschichtsschreiber gerade dort, wo sie sich über ihre historiographischen Absichten selbst äußern, das Wissen um jenes Problem, aus dem moderne Beurteiler ihre Skepsis herleiten, selbst unmißverständlich zu erkennen geben. Doch damit nicht genug: gerade diese Frage ist uns schlechthin als d a s Kernproblem der früh- und hochmittelalterlichen Historiographie begegnet, das als solches nicht nur eingesehen, sondern auch zum Gegenstand intensiven Nachdenkens erhoben worden ist. Darüber hinaus dürfen wir uns notieren, daß die hier vorerst allerdings nur skizzierte Entwicklungsgeschichte dieses Problems sich mit der Entwicklung des Königtums selbst harmonisch zusammenfügt. Die literarische Entlehnung und Topik hat sich endlich als alles andere denn als Ausdruck einer sprachlichen oder geistigen Unselbständigkeit erwiesen, sondern als die legitime literarische Methode eines Zeitalters, dem Originalität nichts, Autorität alles bedeutet hat. Wenn also diese mittelalterlichen Geschichtsschreiber nach Ausweis ihrer Selbstzeugnisse das Problem der Profangeschichte so ernst genommen und, wie sich gezeigt hat, die literarische Würdigung der Ereignisse dieser Welt nicht selten in kühnen Gedankengängen einem entgegenstehenden rigorosen theologischen Standpunkt geradezu abgetrotzt haben, dann entfällt jeder Anlaß zu dem Argwohn, die gleichen Autoren hätten es darauf angelegt, uns ein einseitig kirchliches oder humanistisches Bild ihrer Zeit zu überliefern. Wenigstens an einem Kernproblem des mittelalterlichen Königtums selbst mag dieses methodische Ergebnis verifiziert werden. Um die Kongruenz der Entwicklungslinien auch von dieser Seite her deutlich werden zu lassen, sollen dabei vorwiegend die gleichen Schriftsteller herangezogen werden. Wir beginnen daher abermals mit Sulpicius Severus. II. K Ö N I G S H E I L U N D G O T T E S G N A D E N T U M Der Kernbegriff der Martins vita und der dem gleichen Heiligen gewidmeten Briefe und Dialoge des Sulpicius Severus ist die virtus. In sie faßt Sulpicius Severus im Einklang mit der biblischen und patristischen Tradition diejenige Kernsubstanz der Persönlichkeit, die den Menschen Martin erst zum Heiligen macht. Das Bedeutungsfeld dieser virtus wird vom Herausgeber mit facultas, potentia, robur umschrieben, während der Plural virtutes für tniracula steht1). *) A u s g a b e v o n H a l m , I n d e x v e r b o r u m et l o c u t i o n u m s. v . virtus,
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Sieht man genauer hin, so erkennt man alsbald weitere Nuancen: virtuies als Plural bezeichnet an anderen Stellen auch durchaus das, was wir als Tugenden bezeichnen würden, und als deren wichtigste hebt Sulpicius die oboedientia und die humilitas hervor 1 ). Vor allem aber ist bei ihm virtus jene Begnadung, die ihrem Träger die K r a f t verleiht, Wunder zu wirken, in Wahrheit also die virtus Gottes, die in ihm lebt und ihn vor den Menschen auszeichnet. In diesem Sinne steht virtus für das griechische charisma und spielt bei Sulpicius in dieser Bedeutung eine wichtige Rolle bei seinen Erzählungen von den Charismatikern unter den ägyptischen Mönchen, denen der hl. Martin in jeder Hinsicht überlegen gewesen sei2). Im virtus-Begriff des Sulpicius vereinigen sich also römische und griechisch-orientalische Vorstellungen zu einem durchaus vieldeutigen Komplex. Diese Vieldeutigkeit geht so weit, daß virtus in den Augen des Sulpicius sogar einen negativen Akzent erhalten kann: wenn er bereits im Prolog der Vita die durch die Helden- und Philosophenliteratur verherrlichte virtus als stulta virtus der divina virtus seines Heiligen gegenüberstellt 3 ), wenn er weiter von Charismatikern berichtet, denen die virtus, d. h. hier die Kraft, Wunder zu wirken, zur ernsten moralischen Gefahr wird und sie in Ruhmsucht und vanitas abgleiten läßt 4 ), so glaubt man einen magischen Bedeutungsgehalt zu erkennen. Für unseren Zusammenhang ist es ferner von Bedeutung, daß virtus bei Sulpicius Severus einen ausgesprochen kämpferischen Akzent trägt, wenn er etwa von der inexpugnabili adversus omnia virtute seines Heiligen spricht 5 ), oder wenn es von einem jener ägyptischen Charismatiker heißt, er sei nach der wunderbaren Bezwingung einer Riesenschlange monasterium quasi victor ingressus6). Sulpicius setzt voraus, daß virtus den honor, das Ansehen in der Welt, nach sich ziehen kann, was Martin freilich mißbilligt 7 ). Zeigt sich schon hier eine Affinität des Begriffes zur Sphäre des kriegerischen Adels, so vollends in der Charakteristik des Präfekten Vin') Dialogus I 10, 2, S. 162, Z. 4: Haec illorum prima virtus est, parere alieno imperio; ebd. 12, 2, S. 164, Z. 2 : . . .praeclaram esse virtutem iracundia non moveri. —Humilitas: Dialog. I 22, 2, S. 174, Z. 20, hierzu unten S. 486. 2 ) Vgl. die bezeichnende Episode in Dialog. I 10, 2—4, S. 162, Z. 5 ff. 3 ) S. i n , Z . 4 f f . 4 ) Vgl. vorletzte Anm. sowie Dialog. I 20, S. 172 f. 5 ) Dialog. I 24, 3, S. 177, Z. 5. e ) Dialog. I io, 3, S. 162, Z. 1 5 ; sogar das Ehrenprädikat der Invictie wird eingearbeitet: Ep. ad Eusebium 1, 7, S. 139, Z. 25: . . .semper iustorum fuisse virtutem, dum per omnia temptamenta patientes et semper invicti tanto fortius vincerent, quanto gravius pertulissent. ' ) Dialog. I 20, 5, S. 172, Z. 23: Interea saneto viro ut ex virtute honor, ita ex honore vanitas coepit obrepere.
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centius, den Sulpicius unbefangen als virurn egregium et quo nullus sit intra Gallias omni virtutum generepraestantior beschreibt1). Auf diesen Hintergrund wollen wir nunmehr die Annales Mettenses priores2) stellen, jenes karolingische Annalenwerk, das mit dem einst von Kurze postulierten „Verlorenen Werk" identisch ist und in den hier in Betracht kommenden Teilen aus dem ersten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts stammt3). Hier lesen wir von Pippin d. M.: „Denn die Strenge der Gerechtigkeit, die unbesiegte Festigkeit der Tapferkeit und die ausgeglichene Mäßigung haben im Herzen des Jünglings ganz von selbst eine solche Stätte gefunden, daß alle Gefolgsleute (populi), die er beherrschte, ohne jeden Zweifel glaubten, ihm stünden die Quellen aller virtutes offen, und zwar nicht nur vermöge der natürlichen Vererbung, die ihm von seinen unbesiegbaren Vorfahren zugeflossen war, sondern auch durch göttliche Begnadung 4 )". Die virtutes Pippins fließen also aus zwei Quellen, aus der naturalis insertio, d. h. dem Geblüt, und der divina inspiratio. Durch diese dürfte der charismatische Charakter jener virtutes eindeutig bestimmt sein. Auch die virtus des hl. Martin hatte nach Sulpicius Severus ihren Ursprung in Gott. Der Annalist stellt sich damit auf den Boden des Gottesgnaden turns5). Aber er beschränkt sich nicht auf diese Sphäre, wenn er das Geblüt als zweite Quelle der virtus anerkennt. Man kann aus dem Text sogar heraushören, daß die divina inspiratio als Quelle der virtus eines Herrschers sich nicht von selbst versteht, wenn Pippin dem Mittleren die Quellen der virtutes n i c h t nur durch das Geblüt, sondern a u c h durch göttliche Begnadung offengestanden haben. Die naturalis insertio im Gegensatz zu divina inspiratio zeigt an, daß der Verfasser die durch die Ahnen vermittelte virtus nicht !) Dialog. X 25, 6, S. 178, Z. 1. 2
) Hg. B. v. Simson (MG. SS. rer. Germ.) 1905.
3
) H. Hoflmann, Studien z. karoling. Annalistik, Diss. Marburg 1954 (noch unveröfl.) kommt gegenüber der bisherigen Forschung (vgl. H. Löwe in: Wattenbach-Levison, II. H., 1953, S. 260ff.) zu dem Ergebnis, daß die bisher angeführten Gründe f. d. Existenz einer von den Ann. Mett. priores verschiedenen Rezension des V W sich nicht aufrecht erhalten lassen. Zum Rom- und Kaisergedanken der Ann. Mett. pr. vgl. H. Löwe in: DA. 9, 1952, 390 f. 4
) S. 3, Z. 10: Nam iustitiae rigor, fortitudinis invicta soliditas et temperantiae moderamentum talem in adolescentis pectore sibi locum sponte adseiverant, ut -non solum η at ur ali insert i one, quod ab invictissima parentum prosapia possederat, sed etiam divina inspiratione virtutum sibi omnium fontes a cunctis quos regebat populis absque ulla dubitatione patentes esse crederentur. ä
) F . Kern, Gottesgnadentum u. Widerstandsrecht i. früheren MA., 2. Aufl., hg. v. R. Buchner, 1954, S. 78 Ajim. 159.
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Historiographie des Mittclalters
als G e b l ü t s h e i l i g k e i t 1 ) verstanden wissen will, sondern als ein natürliches Phänomen. Er nimmt also Rücksicht auf theologische Bedenken. Daß gleichwohl hier die Geblütsheiligkeit auf die Ebene des Gottesgnadentums transponiert worden ist, ergibt sich aus den angeführten Eigenschaften Pippins d.M., vor allem aus d e r f o r t i t u dinis invicta soliditas. Der Begriff der Invictie, ein Erbstück spätantiken Herrscherkultes 2 ), spielt beim Annalisten auch sonst eine erhebliche Rolle; erscheint doch invictus bei ihm als Ehrenprädikat sämtlicher karolingischer Hausmeier vor 751 3 ). Es geht nun aber offenbar nicht an, diese Invictie lediglich als antikisierendes Stilelement abzuwerten, da sich aus der spätantiken Tradition des Begriffes die Vorstellung, daß die in der Invictie zum Ausdruck kommende virtus durch das Geblüt vermittelt sei, nicht ableiten läßt. Hier ist also Interpretatio Germanica am Werke gewesen 4 ). Wenn aber die fortitudinis invicta soliditas zu jenen virtutes zählt, die sowohl durch das Geblüt als auch durch göttliche Begnadung vermittelt werden, so wird die Sieghaftigkeit zum Charisma. Aber dieses Charisma wird christlich interpretiert, so daß wir an diesem geradezu klassischen Zeugnis den Vorgang der Verschmelzung geblütscharismatischer Vorstellungen mit dem Gottesgnadentum beobachten können. Die Gegenüberstellung non solum —sed etiam läßt sogar erkennen, wie die geblütscharismatische Schicht als die ältere von der jüngeren des Gottesgnadentums überformt wird. Die Anpassung dieser älteren Schicht an den christlichen Vorstellungsbereich wurde dadurch erleichtert, daß der hagiographische virtus-Komplex selbst eine erhebliche agonale Komponente enthielt, wie denn überhaupt die kriegerischen Metaphern der Hagiographie und Liturgie 5 ), ihres metaphorischen Charakters entkleidet, für die Charakteristik des Herrschers brauchbar wurden. Weitere Legitimationen gewährte das Alte Testament: Pippin d . M . tötete schon als Knabe den Mörder seines Vaters „mit zwar knabenhafter Hand, aber heldenhafter Wildheit — heroica ferocitate — , nicht anders, als man von David liest.. ." 6 ). V g l . hierzu K e r n S. 13 fi.; H . Mitteis, D e r S t a a t des h o h e n M A . s , 4. A u f l . , 1953, S. 7 f . ; K . H a u c k , Geblütsheiligkeit, i n : L i b e r Floridus, F e s t g . P . L e h m a n n , 1950, S. 1 8 7 — 2 4 0 ; weiteres S c h r i f t t u m : H J B . 72, 1953, 1 1 3 A n m . 5. 2)
V e r f . , W i d . v . K . S. 252f. m. Literaturhinweisen.
s)
B . v . Simson i. d. A u s g . S. 5 A n m . 1.
4)
D i e ahd. Entsprechungen erörtert H . R u p p , T u g e n d (Saeculum 2, 1 9 5 1 ) ,
S. 465 ff. 5)
C. E r d m a n n , D i e E n t s t e h u n g
des K r e u z z u g s g e d a n k e n s , 1935, S. 185 S .
a m Beispiel der B e d e u t u n g s v e r s c h i e b u n g v o n der militia
Christi
zur
militia
s. Petri·, Fr. Heer, A u f g a n g E u r o p a s S. 6 3 f f . , bes. S. 88ff. über die „ A m b i v a l e n z " zahlreicher W o r t e und Begriffe des ma.lichen Lateins. 6)
S. ι , Z. 14.
22«
Historiographie des Mittelalters
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Aufschlußreich für diesen Verschmelzungsprozeß äußert sich der gleiche Annalist zudem Siege Karlmanns und Pippins über Odilo von Baiern. Bei der siegreichen Schlacht der Hausmeier fällt auch der päpstliche Legat Sergius, der am Tage zuvor mit Berufung auf die päpstliche Autorität den Kampf untersagt hatte und für die Selbständigkeit Baierns eingetreten war, in die Hände der Franken und wird von Pippin also angeredet: „ . . . jetzt haben wir erkannt, daß du nicht der hl. Apostel Petrus bist und auch nicht aus der Wahrheit seine legatio führst. Du hast uns nämlich gestern gesagt, daß der Herr Papst mit der Autorität des hl. Petrus und der seinigen unserem Rechtsanspruch über die Baiern widersprochen habe, und wir haben dir gesagt, daß der hl. Petrus und der Herr Papst dich nicht bevollmächtigt haben, dieses Urteil zu fällen. Wisse deshalb: wenn der hl. Petrus dahin erkannt hätte, daß unser Rechtsanspruch nicht gelte, so hätte er heute in dieser Schlacht uns die Unterstützung nicht gewährt. Nun aber sei gewiß, daß durch das Eingreifen des hl. Petrus, des Apostelfürsten, nach dem Gottesurteil — per iudicium Dei — , dem wir uns ohne Säumen unterzogen haben, die Bawaria und die Baiern zum Reich der Franken gehören" 1 ). Der Annalist interpretiert auch sonst allenthalben kriegerische Entscheidungen als Gottesurteile2). Damit berühren wir die rechtliche Sphäre und erinnern uns, daß wir im Gottesurteil des christlichen Mittelalters8) das Ergebnis eines ähnlichen Verschmelzungsprozesses vor uns haben wie beim geblütscharismatischen Gottesgnadentum. In den Worten, die der Annalist Pippin in den Mund legt, werden sogar diese beiden Bereiche miteinander in Verbindung gebracht. Der Sieg ist nicht nur ein Beweis der virtus, sondern auch 1)
S. 34, Z. 20: ,Ο domine Sergi, modo cognovimus, quia tu non es sanetus Petrus apostolus nec legationem illius ex veritate geris. Dixisti enim nobis hesterna die, quod domnus apostolicus ex auetoritate saneti Petri et sua nostram iusticiam de Baioariis contradixisset, et nos diximus tibi, quod sanetus Petrus nec domnus apostolicus te istam causam non ordinasset dicere. Iccirco scias, st sanetus Petrus cognovisset, quod nostra iusticia non fuisset, hodie in isto hello nobis adiutorium non prestitisset. Nunc vero certus esto, quod per tntercessionem beati Petri apostolorum prineipis, per iudicium Dei, quod subire non distulimus, Bawariam Bawariosque ad Francorum Imperium perlinere.' a ) Schluß der Rede Pippins d. M. vor der Schi. b. Tertry, S. 8, Z. 28: . . . iudicium Domini subituri. . . ; pro cuius amore et sanctorum illius huiuscemodi certamina toleramus; z. J. 717, S. 24, Z. 13: . . . ut ibi divinae iusticiae iudicium sübiret, et quis deineeps regnum Francorum regere deberet, divina potestas declararet. 3 ) H. Nottarp, Gottesurteile (Kleine allgem. Schrr., gesch. Reihe 4—8), 1949; Η . E. Feine, Kirchl. Rechtsgesch. 1, 2. Aufl., 1954, S. 1 9 7 s . m. weiterem Schrifttum.
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H i s t o r i o g r a p h i e des Mit tclaltcrs
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ein Zeugnis für das gute Recht, dem ein solches Gewicht beigemessen wird, daß es die Legitimation eines päpstlichen Legaten entkräften kann. Doch nur die Legitimation des Legaten erscheint widerlegt, nicht die des Papstes oder des hl. Petrus selbst. Der Sieg ist vielmehr ein unmittelbarer Ausfluß des göttlichen Willens und begründet als solcher nicht nur Rechtsansprüche, sondern, was in diesem Zusammenhang wichtiger ist, auch Herrschaft. Nach dieser Auffassung hat sich nicht etwa das Recht vor der Macht zu beugen, sondern die Macht selbst, durch den Sieg dokumentiert, weist das Recht nach und legitimiert den Träger der Herrschaft. Die Auffassung, daß potentia das Königtum legitimiert, begegnet uns an entscheidender Stelle in der zeitgenössischen fränkischen Überlieferung zum Jahre 751 1 ). Die fränkische Begründung für den Staatsstreich Pippins, bei der merowingisches Scheinkönigtum und faktische Macht und Regierungstätigkeit der Hausmeier einander gegenüberstehen, wird vornehmlich im Lichte des OrdoGedankens verständlich. Durch den Auseinanderfall von Name, nomen, und Sache, res, erschien der ordo, die Weltordnung, gestört, und dieser theologische Aspekt des Problems gab dem Papst die Möglichkeit, sein responsum zu erteilen. Dieses Gedankenschema ist jedoch zugleich unlösbar verquickt mit der Vorstellung, daß die potentia ein notwendiger Bestandteil des Königtums sei. Einhard hat im 1. Kapitel seiner Karlsvita den Dynastiewechsel von 751 prägnanter als alle anderen fränkischen Geschichtsschreiber im Lichte dieser Gedankengänge interpretiert und sie zur schärfsten Antithese gesteigert2). Die gens Meroingorum, so lesen wir, war schon längst vor 751 nullius vigoris und zeichnete sich nur noch durch das inane regis vocabulum aus. Denn opes et potentia regni befanden sich in den Händen der Hausmeier. Im 2. Kapitel erfahren wir, daß diese administratio regni in Pippins Geschlecht bereits erblich war; wir hören von den glänzenden Siegen Karl Martells, und das Kapitel schließt mit dem lapidaren Satz: „Dieses Amt {honor) pflegte der populus nur solchen zu geben, qui et claritate generis et opurn amplitudine ceteris emineb ant"®). Geblüt, Besitz und Macht sind also die Grundlagen des vigor, jener Kraft, die uns in den Annales Mettenses als robur und virtus4) begegnet. In der Kern S. 252f. (Anhang II, Anm. 104); H. Büttner in: HJB. 71, 195z, 77—90; H.Löwe in: B.Gebhardt, Hdb. d. dt. Gesch. 1. 8. Aufl., 1954, S. 126 f. 2) Ausführlich begründet in: Westfalen 30, 1952, i62ff. s ) Hg. O. Holder-Egger S. 4, Z. 12. *) Siehe oben S. 474 m. Anm. 4 sowie Ann. Mett. pr. S. 2, Z. 4: Pippini virtus atque victoria longe lateque vulgabatur; S. 14, Z. 17: Ipse (Pippin d. M.) vero precinctus robore, comitante divino auxilio, regnum Francorum . . . guber-
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Tat berühren sich Einhards Vorstellungen eng mit denen jenes Annalisten. In jenem Lichte jedoch, in dem uns Einhard entgegengetreten ist, erscheint es von Bedeutung, daß der Komplex des Gottesgnadentums bei ihm auffällig zurücktritt. Mit keinem Worte wird in diesen entscheidenden ersten beiden Kapiteln auch nur angedeutet, daß das Königtum seine tiefste Kraft aus Gott empfängt, und erst im 3. Kapitel heißt es beiläufig, die Nachfolge im Königtum sei divino nutu an Karl und Karlmann übergegangen1). So verteilen sich beim Biographen Karls die Gewichte anders als beim sog. Metzer Annalisten, und wenn wir bei diesem zwei Schichten beobachten konnten, die einander überlagerten, so entdecken wir bei Einhard zunächst nur die ältere von beiden, die Vorstellung der Geblütsheiligkeit und des Königsheils. Die Frage ist nun, ob Einhard überhaupt auf eine Überformung und Sublimierung dieser archaischen Vorstellungen verzichtet hat, die den Gedankengang des Annalisten auszeichnete. Denn offenkundig hat er sich bei den karolingischen Vorgängern Karls d. Gr. darauf beschränkt, diesen Rivalen der merowingischen Dynastie jenes Charisma zu bescheinigen, das den reges criniti nachgesagt worden war. Anders bei Karl d. Gr. selbst. Hätte er doch seinem historiographisch-politischen Anliegen, das in der Praefatio sichtbar geworden ist, einen schlechten Dienst erwiesen, wenn er seinem Haupthelden ein Äquivalent für die göttliche Begnadung vorenthalten hätte, mit der seine Gegner den König für die Einbußen entschädigten, die seine Stellung in den Augen derer, für die Einhard die Feder führte, erlitt. An einem solchen Äquivalent fehlt es in der Tat nicht. Wir haben es in jener magnanimitas vor uns, die S. Hellmann bereits in einer für unser Einhard-Verständnis bahnbrechenden Untersuchung2) als den Kernbegriff herausgeschält hat, mit dem Einhard das Wesen Karls zu erfassen sucht. Hellmann hat vor allem die Herkunft dieses Begriffes aus der Stoa klargelegt. Bei Regino von Prüm erscheint magnanimitas als Element der fränkischen Adelsethik3). Wenn nun aber nach Ausweis der ersten Kapitel seiner Vita Einhards Vernabat', S. 1 5 , Z. 7: Exierat enim fama victoriae et triumphorum eius in omnes gentes, ut merito propter virtutem et prudentiam eius cunctae circumsitae nationes amicitiam illius tnagnis oblatis muneribus implorarent; zum Zusammenhang von virtus und potentia siehe S. 42, Z. 1 5 zu 750: Unde rumor potentiae eius (Pippins) et timor vir tut is transiit in universas terras (in Anlehnung an Matth. 9,26; Marc. 1,28). Vgl. zu dieser Stelle auch Z R G . GA. 66, 1948, iof. *) S. 5, Z. 22. 2 ) Einhards literarische Stellung (HVS. 27, 1932, 40—110), hier bes. S. 91 fl. 3 ) H. Löwe, Regino von Prüm u. das histor. Weltbild der Karolingerzeit (Rhein. Vjbll. 17, 1952, 154—160).
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Historiographie des Mittelalters
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trautheit mit jener älteren charismatischen Schicht nicht zu bezweifeln ist, dann geht es auch nicht an, aus dem Bedeutungsfeld seiner magnanimitas diesen Komplex zu eliminieren, wenn diese magnanimitas zugleich die Eigenschaft ist, in der der Biograph Karls Wesen wie in einem Brennpunkt erblickt. Ist es doch die magnanimitas, in der Karl sogar den byzantinischen Kaisern überlegen war 1 ). Als letztes Glied sei in diese Schlußfolgerungen das Zeugnis Richers v. St. Remi eingefügt, der den Franken magnanimitas ex natura nachsagt 2 ). Auch Richer, der Schüler Gerberts, ist gleich Einhard ein mittelalterlicher Humanist, bei dem die Gedankenwelt der Königsmystik lebendig ist3). Erinnern wir uns nun jener naturalis 1)
c. 28, S. 32, Z. 28: Vicitque eorutn contumaciam magnanimitate, qua eis proeul dubio longe praeslantior erat, mittendo ad eos crebras legationes et in epislolis fratres eos appellando. H. Löwe hat (DA. 9, 1952, 381, Anm. 109) gegen meine bisherige Deutung dieser Stelle (in: Die Welt als Gesch. io, 1950, 121 und Festschr. Ε. E. Stengel. 1952, S. 169f.) mit Recht betont, daß magnanimitas nicht „ G r o ß m u t " bedeutet, „sondern den hohen Mut, der sich die ihm zukommende Ehrenstellung erringt." Das. auch weitere Lit. ζ. antiken Bedeutungsgesch. d. Begriffs. Erst diese Klarstellung bahnt den Weg zum Verständnis der Einhardschen magnanimitas i. oben vorgetragenen Sinne. Karls von Einhard behauptete Überlegenheit gegenüber den byzantinischen Kaisern (longe prMstantior erat) erhält dadurch ein nur um so größeres Gewicht. Daß Einhard Überlegenheit und nicht „brüderliche Gleichstellung" (so Löwe) im Auge hat, ergibt sich nicht nur aus dem longe praestantior, sondern auch aus der contumacia, mit der die Haltung Ostroms charakterisiert wird. Denn contumacia erscheint auch in c. 11 als Unbotmäßigkeit eines Rangunterlegenen, wenn es vom Herzog Tassilo v. Baiern heißt: Cuius contumaciam, quia nimia videbatur, animositas regis ferre nequiverat (S. 14, Z. 10). D a Einhard magnanimitas und animositas in verwandtem Sinne gebraucht (Hellmann S. 91 u. 94), sind hier die gleichen Vorstellungskomplexe einander gegenübergestellt wie in c. 28. 2)
Richeri historiarum libri IIII, hg. G. Waitz (MG. SS. rer. Germ., 2. Aufl.) 1877, c. I 7, S. 7: . . . illos ad pugnam hortans ac eorum magnanimitatem ex natura plurimum attollens . . . Es handelt sich um eine adhortatio König Odos an das fränkische Heer. In die gleiche Richtung weist auch ihr Schluß: Unde et oportere paternam animositatem in filiis renovandam asserebat, ut patrum magnanimitas filiorem vir tute commendaretur. Man beachte den synonymen Gebrauch von animositas und magnanimitas wie bei Einhard (s. vor. Anm.), beider Verknüpfung mit virtus sowie den Gedanken einer durch das Blut vermittelten und deshalb erneuerungsfähigen Eigenschaft. In der Chronik Ekkehards von Aura (MG. SS. 6, 235, Z. 22) erscheint die kurze Charakteristik Heinrichs V . : rex Heinricus divina roboratus confidentia (so Red. C) in den Redaktionen D und Ε mit dem Zusatz nec minus magnanimitate animatus innata. Man beachte die disjunktive Anknüpfung! 3 ) Das Rubrum des c. I 5 bezieht sich auf den ersten kapetingischen König und lautet: Regis genus atque fortuna (S. 5).
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insertio der Annales Mettenses, so können wir die magnanimitas ex natura sehr wohl als eine antikisierende Sublimierung der Geblütsheiligkeit begreifen, zugleich natürlich auch als eine Anpassung des stoischen Begriffs an das autochthone fränkische Denken. Daß auch Einhards magnanimuas in dieser Richtung zu interpretieren ist, folgt jedoch vor allem aus unserer vorausgenommenen Analyse seiner historiographischen Stellung. Denn die einzig mögliche Alternative zu der hier vorgeschlagenen Deutung seiner magnanimitas — Ausdruck einer lediglich bildungsbeflissenen Stilisierung und Kostümierung —• läßt sich mit seiner Grundtendenz nicht in Einklang bringen. Die Möglichkeit, magnanimitas als antikisierendes Gegenstück zu der inzwischen von der Hagiographie beschlagnahmten virtus zu verwenden, ergab sich für das Mittelalter offenbar aus der Definition Isidors: Magnanimis, ab eo quod, sit magni animi et magnae virtut is1). Bei der Geistesverwandtschaft, die Widukind von Korvei mit dem Biographen Karls d. Gr. verbindet, läßt sich endlich in der Bedeutung, die die Königsmystik in der politischen Theorie dieses ottonischen Geschichtsschreibers hat2), eine Stütze auch für unsere Einhard-Interpretation gewinnen. Widukinds Legitimation der ottonischen Dynastie gegenüber der fränkisch-karolingischen ist in ihrem Gerüst dem Verfahren Einhards analog gebaut, mit dem dieser den Thronwechsel von 751 rechtfertigt3). Wo Einhard vom vigor des Königtums spricht, heißt es nun aber bei Widukindfortuna atque mores4). Auch dies eine humanistische Sublimierung oder, wie man auch sagen kann, eine Bereicherung um jene Autorität, die das Zeitalter allem Römischen beimaß. Wie nun Einhard in wohlberechneter Steigerung vom schlichten vigor, den er den letzten Merowingern abspricht, zur magnanimitas Karls fortschreitet, so hat Widukind die vorchristliche Stufe in die heidnische Epoche seines 1)
Isidor, E t y m . ed. L i n d s a y
10,
167. Hinweis v o n R . Wenskus, Studien
zur historisch-politischen Gedankenwelt Bruns v o n Querfurt (im Druck), S. 162 A n m . 462,
humiliata 2)
Theutonum
Verf., Z R G .
im A n s c h l u ß
magnanimitas
an B r u n , V i t a
terram
s. Adalberti c. 10: . . .
lambit.
G A . 66, 1948, 1 1 S . ; ders., Wid. v . K . S. 2 3 7 f f . ; unabhängig
d a v o n H . - W . K l e w i t z in: Die W e l t als Gesch. 7, 1941, 2 1 5 ; F . Rörig,
Ge-
blütsrecht u. freie W a h l i. ihrer Auswirkung, a. d. dt. Geschichte (Abhh. A k . Berlin 1945/6, phil.-hist. K l . 6,1948), S. 10; W . Schlesinger in: Z R G . G A . 66, 1948, 401; K . H a u c k in unveröff. Habil.schrift (Hinweis v o n
Schlesinger
S. 401, A n m . 86); vgl. auch J. O. Plassmann, Widukinds Sachsengesch. i. Spiegel altsächs. Sprache u. D i c h t u n g (Niedersächs. Jahrb. f. Landesgesch. 24, 1952), S. i f f . *) Ausführlich erörtert in: Westfalen 30, 1952, 162ff. *)
l25,S.38,Z.5.
Historiographie des Mittclalters
233
Stammes verlegt, wenn er die Sachsen bei der Siegesfeier des Hatha gat ausrufen läßt: divinum eianimuminesse caelestemque virtutem1). Widukind also, wie Einhard ein Sulpicius-Kritiker, der die Profangeschichte mit weltlichen Treueverpflichtungen gerechtfertigt hatte, charakterisiert den heidnischen 2 ) Siegerkult mit jener virtusTerminologie, die in der Vita Martini höchste religiöse Weihe empfangen hatte, während er das Charisma Heinrichs I. mit Begriffen belegt, deren Autorität sich von den Schriftstellern des Romanum Imperium herleitete. Mag dem zweigliedrigen Ausdruck fortuna atque mores eine altsächsische stabende Formel entsprechen, die Widukind hier übersetzt hat 3 ), so ist doch auch nicht zu verkennen, daß fortuna an zahlreichen anderen Stellen des Textes ganz korrekt in ihrer antiken Bedeutung begegnet 4 ) und schon deshalb nicht gänzlich mißverstanden sein kann. Er beschränkt sich also nicht auf das bloße Übersetzen. Vielmehr überhöht er die autochthone Gedankenwelt des Königsheils durch die Wahl von Begriffen, die dem kundigen Leser ins Gedächtnis rufen, daß die fortuna ein Element des antiken Herrscherkultes gewesen war, und daß ein Sallust den Verfall der mores bei den Römern seiner Zeit beklagt hatte 5 ). Die Umsetzung der heimischen Gedankenwelt in die Sprache der Römer schloß ja ohnehin stets einen latenten Romvergleich in sich. Während nun aber Liudprand von Cremona und Wipo, um bei unseren Beispielen zu bleiben, zu dieser Frage die christliche Überlegenheit des Mittelalters ins Feld führen und damit die sakramentale Erhöhung des Königs, die die kirchliche Weihe vermittelte, sehen wir Autoren wie Einhard und Widukind, die sich einer totalen Unterwerfung der Krone unter die kirchlichen Normen widersetzten, bestrebt, das heidnische Rom mit dessen eigenen Begriffen zu schlagen oder wenigstens auf dem außerkirchlichen Bereich mit ihm zu konkurrieren. Dies läuft jedoch auf den Versuch hinaus, die Eigenständigkeit und Selbstbehauptung des Königs gegenüber dem totalen Anspruch radikaler kirchlicher Eiferer zu verteidigen und zu unterstützen. 1)
Il2,
S. 2 I , Z .
5.
) Ebd. S. 20, Z. 4: secundum errorem paternum; S. 21, Z. g: dies errotis. Vgl. zuletzt K. Hauck, Herrschaftszeichen eines Wodanistischen Königtums (Jahrb. f. Frank. Landesforschg. 14, 1954) S. 32 ff. 2
) Schlesinger S. 401 Anm. 85; Plassmann in: Niedersächs. Jahrb. f. Landesgesch. 24, 1952, 3 ff. 4 ) ZRG. GA. 66, 1948, 12 Anm. 46; Haefele S. 74 Anm. 120 sowie das. S. 49ff. zur ma.lichen Tradition des Fortunamotivs. 5 ) Verf., Wid. v. K. S. 237 Anm. 4 und S. 252 ff. 3
234
Historiographie des Mittelalters
[482]
R. Fester 1 ) sagt von Liudprand von Cremona und seiner Antapodosis: „Die Einleitung zum i . Buche könnte auch ein Humanist geschrieben haben, aber ein Humanist, der seine Individualität und sein Volkstum bereits entdeckt hat. Selbst seine Rhetorik hat lange vor der Konstituierung der italienischen Nationalität schon eine ganz italienische Färbung." Seine Herrschervorstellung läßt sich gleichwohl der Einhards und Widukinds nicht ohne weiteres an die Seite stellen. Liudprand steht fest auf dem Boden des Gottesgnadentums 2 ). Die Worte, die er Rudolf von Burgund nach dessen Unterwerfung Italiens im Jahre 923 in den Mund legt: Quottiam... superni muneris largitate mihi contigit devictis hostibus regni solium adipisci...s) zeigen allerdings, daß auch ihm die sakrale Legitimierung des Herrschers durch den Waffensieg vertraut ist. Dem ist die Wendung an die Seite zu stellen, mit der er Heinrich I. vor der Unstrut-Schlacht das Wort zur Feldherrnrede erteilt: Hoc iterum divini munere flaminis (actus adiecit4). Seine christliche Staatstheorie hat er die bairischen Großen formulieren lassen, die ihren Herzog Arnulf zur Anerkennung Heinrichs I. als König zu bestimmen suchen: ,,Sapientis illius, immo sapientiae verae sententiam, quae ait: Per me reges regnant, prineipes imperant, et prudentes iustitiam decernunt, illamque apostoli dicentis, quod omnis ordinatio a Deo est, et qui potestati resistit, Dei ordinationi resistit, quis ambigifi) ?" Gleichsam schwerstes Geschütz auffahrend, faßt er so die entscheidenden Bibelstellen, die immer wieder als Grundlage der kirchlichen Staatstheorie des Mittelalters herangezogen worden sind, einschließlich jenes per me reges regnant, das auf der damals geschaffenen ottonischen Kaiserkrone zu lesen war®), zusammen. Alsdann erläutert er das Prinzip der Einstimmigkeit bei der Königswahl im Lichte seiner Prädestinationslehre: „Neque enim in huius electione totius populi posset esse animus unus, si a trinitate summa, quae Deus unus est, ante mundi constitutionem non esset electus." Vielleicht regte sich jetzt, wie so oft, der Schalk in ihm, wenn er, aus der sicheren Position, die ihm Die Säkularisation der Historie ( H V S . n , 1909), S. 446f. s)
W . v . Stetten, Der Niederschlag liudolfingischer Hausüberlieferung i. d.
ersten Werken der ottonischen Geschichtsschreibung, Diss. Erlangen (masch.) 1954, S. 16 ungenau i. Anschl. an E . Eichmann, Die Kaiserkrönung i. A b e n d land 1, 1942, S. 1 1 8 , der byzantin. Einfluß vermutet. 8)
A n t a p . I I 67, hg. J. Becker S. 68, Z. 1.
«) I I 27, S. 50, Z. 23. 5) I I 23, S. 48, Z. 24. ·) H . Decker-Hauff, Die „ R e i c h s k r o n e " , angefertigt für Kaiser O t t o I., i n : P . E . Schramm, Herrschaftszeichen u. Staatssymbolik (Schrr. d. M G H . 13, 2, 1955, S. 560 ff.
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die direkte Rede der bairischen Großen verlieh, den kleinen staatstheoretischen Traktat mit dem malitiösen Hinweis beschloß, daß gegebenenfalls auch ein schlechter Herrscher, als göttliche Strafe, in Kauf zu nehmen sei. Denn die Worte „Subditorum namque flerumque exigunt merita, quatinus nonnutnquam a praelatis graventur, non reganiur" konnten weder in Regensburg noch in Magdeburg ernsthaft beanstandet werden I Wie Widukind von Korvei, läßt auch er Konrad I. angesichts des Todes in direkter Rede an die Großen auf Heinrich als den gegebenen Nachfolger hinweisen 1 ). Der Widukind-Leser 2 ) vermißt jedoch an der entscheidenden Stelle jeden Hinweis auf die charismatischen Qualitäten des Sachsenherzogs: Heinricum, Saxonum et Turingiorum ducem prudentissimum, regem eligite, dominum, constituite. Is enim est et scientia pollens et iustae severitatis censurae habundans. Wo Widukind gleichsam in einer translatio fortunae den tiefsten Grund für den Wechsel des Königshauses erblickt8), erscheinen bei Liudprand ausschließlich rationale Argumente. Da es naheliegt, in beiden Berichten den Reflex einer liudolfmgischen Hausüberliefeiung 4 ) zu sehen, erscheint sogar die Vermutung zulässig, Liudprand habe an dieser Stelle absichtlich rationalisiert. Für diese Deutung spricht der Sinnzusammenhang, in dem gelegentlich fortuna bei Liudprand begegnet. So legt er Berengar I« die an den Verräter Flambert gerichteten Worte in den Mund: Meminisse autern te volo, quantaecumque tibi accessiones et fortunae et dignitatis fuerint, eas te non potuisse nisi meis benefieiis consequi. .. .Neque vero cuiquatn salutem ac fortunas suas tantae curae fuisse umquam puto, quanti mihi fuit honos tuus5). Und nach Berengars Ermordung durch jenen Flambert weist Liudprand auf den Getreuen Milo hin, dessen Rat den König hätte retten können: Cuius si rex fretus consiliis esset, fortunas sibi omnes non tantum adversari sentiret, nisi quia forte hoc divinae praevidentiae consilium fuit, ut aliter fieri non possefi). Der Pluralfortunae, der offenbar jede Verwechselung mit dem antiken Fortuna-Kult ausschließen soll, bei) II 20, S. 46, Z. 13. ») Wid. 1 2 5 , S. 37, Z. i6ff. ») Verf., Wid. v. K. S. 237s.; ZRG. GA. 66, 1948, u f f . *) Zu diesem methodisch äußerst fruchtbaren Aspekt weiter Bereiche der ma.lichen Historiographie vgl. K. Hauck, Mittellat. Literatur (in: Deutsche Philologfie i. Aufriß, hg. W. Stammler, 1954) Sp. 1841 ff.; ders., Haus- u. sippengebundene Lit. ma.licher Adelsgeschlechter (MIÖG. 62,1954,121-145); ders., Wid. v. Korvei (in: Verfasserlexikon 4, 1953, Sp. 9460.) und W. von Stetten in der oben S. 482 Anm. 2 gen. Diss. s ) Antap. II 69, S. 68, Z. 17. ·) I l 7 3 , S . 7 o , Z . i .
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zeichnet die rein innerweltlichen Zufallsgegebenheiten im Sinne des Boethius 1 ) und steht so im Einklang mit Liudprands fatalistischem Praedestinationsglauben. Liudprand hat also den fatalistischen Aspekt des römischen Fortuna-Begriffes in seine christliche Prädestinationslehre eingebaut. Doch ist dieses von Haus aus antike Substrat auch bei ihm nicht unberührt geblieben von jenen Bedeutungszusammenhängen, die sich bei Widukind in den Vordergrund geschoben haben. Das zeigt sowohl die Zusammenstellung von fortunae mit accessiones und dignitas als auch und vor allem das Begriffspaar salutem ac fortunas, das seinerseits in einer Gleichung mit honos steht. Den Ausschlag geben jedoch die weiteren Worte der bairischen Großen an ihren Herzog, in denen sie die Bedingungen formulieren, unter denen Arnulf das Königtum Heinrichs anerkennen soll: „Aequum autem iustumque nobis videtur, ut a ceteris non dissentiens hunc regem eligeres, ipse vero te, ut tarn fortunatum et praedivitem virum, hoc pacto bearet animique tuifurorem muleeret, ut, quod decessores non habuere tut, tibi concedatur, scilicet quatinus totius Bagoariae pontifices tuae subiaceant dicioni, tuaeque sit potestati uno defuneto alterum ordinäre"2). Der Anspruch des Baiernherzogs auf spezifisch königliche Befugnisse gegenüber der Kirche wird hier ausdrücklich mit seinem Glück und seinem Reichtum begründet. A u c h ist nicht zu bezweifeln, daß Liudprand selbst diesen Kompromiß so verstanden wissen will, daß Heinrich I. in Baiern nicht die volle Königsgewalt ausüben kann. Hat er doch — hierin neben den Annales Iuvavenses maximi als unsere wichtigste Quelle — zuvor von Arnulfs Aspirationen auf die Königskrone berichtet 3 ). So begegnet uns auch bei Liudprand das Charismatische in zwei Schichten. Da er das Gottesgnadentum auf die Grundlage der Praedestinationslehre stellt, muß er allerdings aus seiner Königsvorstellung die ältere königsmystische Schicht verbannen. Doch gleichwohl haben jene Vorstellungen innerhalb seines Horizontes ihre Bedeutung nicht gänzlich verloren: unterhalb der Ebene des Königtums und im innerweltlich-empirischen Raum bewahrt seine allerdings fatalistisch verstandene Fortuna einen Widerschein jener charismatischen Bedeutung, die dem Königsglück auf einer älteren Stufe der Entwicklung zugekommen war. x)
A . Dören, F o r t u n a i. M A . u. i. d. Renaiss. (Vorträge d. B i b l . W a r b u r g 2,
1922/3), S. 7 7 ί ϊ . ; K . H a m p e i n : A r c h . f. K u l t u r g e s c h . 1 7 , 1926, 2 o f . ; H a e f e l e S. 62 m. weiterem S c h r i f t t u m . ») I I 23, s . 48, Z. 34ff. ») I I 21, S. 47, Z. 1 3 ; S c h r i f t t u m bei F . E r n s t in: B . G e b h a r d t , H d b . d. d t . G . 1, 8. A u f l . 1954, S. 167 m. A n m . 2 auf S. 170; W . Schlesinger in: Z R G . G A . 66, 1948, 403f.
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Der ruhige Ausgleich, der sich bei Wipo zwischen Heiligen- ünd Herrscherethik ergeben hat, läßt sich nicht nur an der Unbefangenheit ablesen, mit der hier die der imitatio gewidmeten Worte des Sulpicius Severus zur Rechtfertigung der Herrscherbiographie herangezogen werden1). Er ergibt sich ebensosehr aus dem Bedeutungsfeld, das virtus bei ihm beansprucht. Wie schon bei Sulpicius nimmt sie auch bei ihm eine zentrale Stellung ein. Im Widmungsschreiben an Heinrich III. charakterisiert Wipo seine fürstenerzieherische Absicht mit den Worten: Tibi gesta patris repraesento, ut, quoties ipse res clarissimas agere mediteris, prius paternas virtutes velut in speculo imagineris, et illud in te floreat abundantius, quod hereditasti a patriis radieibus2). Betont er hier die geblütscharismatische Seite des Begriffs, so tritt im Prolog bei der Erörterung des exemplarischen Charakters der Geschichte die virtus der nobilitas konkurrierend gegenüber: Ut enim virtus plerosque vulgares nobilitat, sie nobilitas sine virtutibus multos nobiles degenerat3): eine folgerichtige und notwendige Distinktion, da nur so der pädagogische Auftrag der Historie aufrechterhalten werden kann, den Wipo ganz im Sinne Bedas4) in den guten wie in den bösen Elementen der Geschichte gleichermaßen wirksam werden lassen möchte: Ex qua re boni ad virtutem incitantur, mali autem honesta invectione corrigunturh). Und gerade hier bezeugt die schon von H. Bresslau®) nachgewiesene Entlehnung aus Sulpicius Severus (Quo utique ad veram sapientiam . . . divinamque virtutem legentes incitabuntur1), daß Wipo wie schon im Falle der imitatio auch mit seiner virtus zentrale Begriffe des Martinsbiographen für sein Anliegen in Anspruch nimmt. Entscheidend bleibt jedoch, daß Wipo die virtus des Heiligen für den König beschlagnahmt, nicht umgekehrt den König in die hagiographische Sphäre hineinzieht. Denn Wipos virtus-Begriff oszilliert zwischen den beiden Bedeutungsfeldern, die ihm aus der römischen und der biblisch-hagiographischen Tradition zugekommen sind. So sieht Wipo zwar in der Wahl Konrads d. Ä. angesichts der geringen Machtstellung dieses Kandidaten caelestium virtutum favorem am Werke, ... licet genere et virtute atque in propriis bonis nemine esset inferior•8). Neben der *) Siehe oben S. 469 f.
*) S.4.Z.7.
3
) ) 5 ) ') 7 ) ·) 4
S. 4 , Z . 28. Siehe oben S. 469 Anm. 3. S. 7, Z. 16. Ausg. S. 7, Anm. 3. Vita Martini c. 1,6, S. 1 1 1 , Z. 8. c. 2, S. ig, Z. 19.
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in der Königswahl wirksamen virtus Gottes kennt Wipo also die virtüs des Kriegeradels, die mit genus und propria bona in gleicher Weise auf einer Ebene rangiert, wie wir es bei Einhard für den vigor hatten feststellen können. Doch mit diesen beiden Schichten hat es nicht sein Bewenden: in seinem abschließenden Urteil über die Gründe für die Wahl Konrads II. schlägt Wipo geradezu die Brücke zwischen beiden Bereichen, wenn er sagt: Illud tarnen hic dicendum est, quod nequaquam potuit remanere, ut ille non fieret princeps, et maximus, cut maximarum virtutum vigor inerat. Cum enim scriptum sit: ,Gloriam praecedit humilitas1, merito praecessit huius mundi gloriosos, cui regina virtutum. adhaerebat1). So wird aus der dynamischen unversehens eine ethische virtus, ein Vorgang, der sich in ganz analoger Weise bei Sulpicius Severus angebahnt hatte. Denn dieser hatte sich bereits gegen eine bloß dynamisch verstandene virtus mit den Worten gewendet: Discerentpotius Deo in humilitate servire, non in signis et virtutibus gloriari, quia melior esset infirmitatis conscientia virtutum vanitate2). An anderer Stelle heißt es von einem Tribun, der zum Anachoretentum übergegangen ist: . . . brevi tempore in omni genere virtutum perfectus emicuit. Potens ieiuniis, humilitate conspicuus, fide firmus facile se antiquis monachis studio virtutis aequaverafi). Wie Sulpicius mag auch Wipo im Einklang mit seiner pädagogischen Ambition den wertneutralen Charakter einer rein dynamischen virtus durchschaut haben, und als Sulpicius-Leser konnte er sehr wohl den ethischen virtutes den Vorrang gewähren, da sie anders als die dynamischen zu den Eigenschaften gehören, die man erwerben kann und die durch Erziehung gefördert zu werden vermögen. Die Bedeutung der stirps regia, des Geblüts, ist bei Wipo noch voll lebendig, ebenso wie das Bewußtsein vom ursprünglich dynamisch-charismatischen Charakter der virtus des Kriegeradels. Als konsequenter Verkünder des Gottesgnadentums ist er jedoch bemüht, diese Traditionen durch Umdeutungen und vermittelnde Brückenschläge harmonisch in das Bild des vicarius Christi einzufügen: nemo nisi illius imitator verus est dominator4). Wenn somit die mittelalterliche Geschichtsschreibung trotz der Fülle der Irrtümer, die ihr bei den Faktizitäten unterlaufen sein mögen, in der Wesensbestimmung ihres wichtigsten Gegenstandes, des Königtums, sich einer fast pedantischen Genauigkeit befleißigt, so dürfen wir erwarten, daß die große Krise des Investiturstreites *) ') ·) *)
c. 2, S. 20, Z. 12. Dialog. I 10, S. 162, Z. 22. Ebd. c. 22, S. 174, Z. 22. c. 3, S. 23, Ζ- 1.
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einen ihrer Realität entsprechenden Niederschlag in der Historiographie gefunden hat. Im Sinne unseres methodischen Vorhabens greifen wir erneut zur Vita Heinrici IV. Es hatte sich bereits gezeigt, wie hier ein Apologet desjenigen Herrschers, der gegen den Ansturm der Reformkirche das vorgregorianische Königtum hartnäckig verteidigte, dem hagiographischen Element die Schleusentore geöffnet hat. Zwei Begriffe bilden die Angelpunkte seiner Darstellung: fides und for tuna1). Aber die fides-Treue, diesen Grundpfeiler des alten Königtums, muß er erschüttert und pervertiert sehen, und für ihn, der an der Echtheit von Heinrichs Königtum nicht zweifelt, sind Glück und Unglück des Herrschers als gültige Maßstäbe zerbrochen. Zwar legt auch er noch Wert darauf zu zeigen, daß Heinrich nicht durch Waifen, sondern nur durch Untreue, durch Trug und List zeitweilig zu überwinden war. Aber anders als bei Widukind, Liudprand und Richer, um nur diese zu nennen, kommt die fortuna für den Biographen eines auf Erden unglücklichen Herrschers nur noch in jener Bedeutung in Betracht, die ihr Boethius verliehen hatte: als Allegorie für das zerbrechliche Glück, die fragilis felicitas dieser Welt 2 ). So hat denn auch dieser einsame Panegyriker Heinrichs IV., was den Kern seines Gegenstandes angeht, die Augen vor der harten Wirklichkeit nicht verschlossen. Doch am allerwenigsten ist er imstande, seinem König und Kaiser die felicitas vorzuenthalten, jenes Königsglück, in dessen Bannkreis auch er befangen ist. Aus anderen Gründen als seine literarischen Vorgänger muß denn auch er zur Sublimierung seine Zuflucht nehmen. Erst jetzt, am Schluß des Werkes, zeigt sich die entscheidende Bedeutung, die der einleitenden hagiographischen Laudatio, die dem Lob der misericordia in pauperes für das Ganze zukommt. Denn darauf greift er zurück, wenn er am Ende zwar nicht dem lebenden, wohl aber dem toten Herrscher mit Wendungen wiederum, die sich eng in Form und Inhalt an eine der brieflichen Totenklagen des Sulpicius auf den hl. Martin anlehnen3), die wahre Die folgenden Ausführungen knüpfen in mancher Hinsicht an die Arbeit von Haefele (oben S. 465 Anm. 1) an, ohne ihr in allen Punkten zu folgen. Namentlich hinsichtlich der Bedeutung von fortuna in der Vita sind Korrekturen am Platze. Ich werde an anderer Stelle näher darauf einzugehen haben. *) Siehe oben S. 484 Anm. 1. ') Ep. II. ad Aurelium diaconum, hg. C.Halm S. 143, Z. 17: quamquam sciam virum ilium non esse lugendum, cut post evictum mundum triumphatumque saeculum nunc demum reddita est corona iustitiae. Vgl. dazu auch Vita Η. IV. S. 43, Z. 23: . . . quamquam mors eius plangenda non fuit. Dem Sinne nach vergleichbar auch Sulp. Sev., ep. III., 21, S. 151, Z. 1: conparetur, st placet, saecularis illa pompa non dicam funeris, sed triumphi . . .
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felicitas bestätigt, die er im Jenseits errungen habe, nachdem sie ihm auf Erden versagt geblieben sei: Felix es, imperator H{einrice), qui tales excubias, tales intercessores tibi parasti, qui nunc multipliciter auctum de manu Domini recipis, quod in manus pauperum abscondisti. Turbolentum regnum pro tranquillo, defectivum pro aeterno, terrenum pro celesti mutasti. Nunc demum regnas, nunc diadema portas, quod tibi nec heres tuus praeripiat, nec adversarius invideat... Huic tuae felicitati debetur tripudium .. ,1). Anders als bisher steht hier die Begegnung von Herrscher- und Heiligenbiographie nicht mehr im Zeichen abwehrender Polemik und umdeutender Beschlagnahme. Die Antinomie der beiden Welten, die bisher einander gegenübergestanden hatten, wird hier im Jenseits aufgehoben. Um der Krone des Lebens teilhaftig zu werden, die Heinrich im Jenseits erringt, braucht man nun allerdings nach kirchlicher Auffassung keine irdische Krone getragen zu haben. Die Tugenden, denen Heinrich das himmlische diadema verdankt, sind denn auch keine spezifisch königlichen. Doch kann der Leser nicht leicht davon absehen, daß hier eben doch vom irdischen König die Rede ist2). Heinrichs himmlisches Königtum wird ausdrücklich adversativ seinem irdischen, die posthume felicitas der fragilen fortuna seiner Erdentage gegenübergestellt. Und wenn hinter diesen Worten ungenannt das Bild des hl. Martin aufleuchtet, so wird auch hier, freilich von einer äußersten Position aus, noch die Heiligkeit der Krone verteidigt. Uli post triumphos suos in tartara saeva trudentur: laetus excipitur, Martinus pauper et modicus caelum
Martinus dives
Abrahae sinu ingreditur.
c. 13, S. 43, Z. 28. Vgl. W i p o , Gesta Chuonradi c. 3, S. 23, Z. 3: felicitas est in mundo regnare, maxima autem in caelis triumphare. 2)
Magna
Ähnlich auch schon W i p o , Gesta Chuonradi c. 3, S. 22, Z. 15 (Ansprache d. E B . Aribo bei der Krönung): Beatus, qui suffert temptationem, quoniam hic accipiet coronam (Iacob. 1, 12: beatus vir, qui suffert tentationem\ cum probatus fuerit, accipiet coronam vitae). . . . pietas divina noluit te esse sine disciplina, ut post caeleste magisterium chrislianum caperes Imperium. Ad summam dignitatem pervenisti, vicarius es Christi. Man beachte den Unterschied: die temptationes Konrads v o r seiner Krönung, als caeleste magisterium gedeutet, sind Voraussetzungen seines i r d i s c h e n Königtums; Heinrich IV. erlangt die wahre Krone erst im Jenseits.
DAS IMPERIALE KÖNIGTUM IM 10. JAHRHUNDERT* Am Anfang des zweiten Buches seiner Res gestae Saxonicae gibt uns Widukind von Korvei seine berühmt gewordene Schilderung jenes Aachener Aktes vom Jahre 936, durch den Otto I. zum deutschen König gemacht wurde 1 ; eine berühmte Schilderung vornehmlich deshalb, weil sie die ausführlichste ist, die wir über dieses bedeutsame Ereignis besitzen. Wollte man jedoch all das, was Widukind hier berichtet, zugleich als Zeugnis für seine eigene politische Gedankenwelt auswerten, so wird man durch neuere Untersuchungen über den Quellenwert dieses Kapitels eines anderen belehrt: es spricht alles dafür, daß Widukind f ü r diesen Teil seines Werkes einen Krönungsordo als Vorlage benutzt hat 2 , und es ist sogar jüngst vermutet worden, dafi dies ein ottonischer Krönungsordo vom Jahre 936 selbst gewesen ist>. So erklärt es sich sehr einfach, dafi der in der Liturgie beheimatete, stark kirchlich gefärbte Herrscherbegriff an dieser Stelle in Widukinds sonst so weitgehend profanes Werk hineingeraten ist und sich dort wie ein Fremdkörper ausnimmt 4 . Denn dafi Widukind nicht nur im Ergebnis eine Profangeschichte geliefert hat, sondern dafi gerade dies seine bewußte Absicht war, läfit sich auf Grund seiner eigenen Aussage nachweisen 5 . Dieser Quellenzusammenhang schließt natürlich nicht aus, daß Widukind auch eigene politische Gedanken in seine Darstellung des Aachener Aktes hineingearbeitet hat. In der Tat ist dies in reichem Maße der Fall. Es läßt sich sogar f ü r die Schilderung des geistlichen Krönungsaktes nachweisen*, f ü r die
1 Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei, 5. Aufl., in Verb, mit H.-E. L ο h m a n n neu bearbeitet von P a u l H i r s c h (MG. SS. rer. Germ.), Hannover 1935, II 1, S. 63 ff. * E d m u n d E. S t e n g e l , Die Entstehungszeit der „Res Gestae Saxonicae" und der Kaisergedanke Widukinds von Korvei (Corona Quernea, Festgabe für K a r l S t r e c k e r = Schriften d. Reichsinst. f. ältere dt. Geschichtskunde 6, Leipzig 1941), S.156 ff. ' F r i t z R ö r i g , Geblütsrecht und freie Wahl in ihrer Auswirkung auf die deutsche Geschichte (Abh. d. dt. Ak. d. Wiss. zu Berlin 1945/46 Nr. 6, Berlin 1948), S. 45 f. 4 Vgl. demnächst H e l m u t B e u m a n n , Widukind von Korvei, Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschidite des 10. Jahrhunderts, Weimar 1950, S. 207 f. s Ebd. S. 7 ff. sowie d e r s e l b e , Widukind von Korvei als Geschichtsschreiber und seine politische Gedankenwelt (Westfalen 27, 1948), S. 164 ff. * Zu der Bemerkung über Hildebert von Mainz: Qui inter caetera gratiarum dona spiritum prophetiae accepisse predicatur (S. 65,22), vgl. B e u m a n n , Widukind von Korvei, S. 111 Anm.4. * Dem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, den der Verf. am 1. Oktober 1949 zum Tag der westfälischen Geschichte in Lippstadt gehalten hat.
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allein er j a den Ordo herangezogen haben k a n n ; um so mehr dürfte seine eigene Perspektive bei der diesem Kernstück vorausgehenden weltlichen Huldigung und Thronsetzung und bei dem anschließenden Krönungsmahl zur Geltung kommen. Dies allein ist jedoch schon Gegenstand mancher Untersuchungen gewesen 7 , und es erscheint reizvoller, zunächst einmal einen P u n k t ins Auge zu fassen, der bisher nahezu unbeachtet geblieben ist. W i d u k i n d beginnt sein zweites Buch mit der Nachricht, d a ß nach dem Tode Heinrichs I. der ganze populus d e r F r a n k e n und Sachsen sich den vom V a t e r bereits designierten Sohn O t t o zum prineeps gewählt habe. I m nächsten S a t z erfahren wir, clafi die P f a l z Aachen als O r t d e r universalis electio bestimmt wird. D a s Stichwort Aachen veranlaßt W i d u k i n d sodann zu einer etymologischen B e m e r k u n g : Est autem locus ille proximus lulo, a conditore lulio Caesare cognominato. In der T a t liegt Jülich 30 km von Aachen entfernt, doch ist es weder von C a e s a r gegründet worden, noch hängt sein Name überhaupt mit dem großen R ö m e r z u s a m m e n 8 . W a r es gelehrte Eitelkeit, die dem sächsischen Geschichtsschreiber diese Anmerkung in die Feder gab? D e n n was trägt es zur Sache bei - so möchte man fragen wenn das eine Tagereise von Aachen entfernte Jülich seinen Namen von C a e s a r herleitet und von ihm gegründet wurde? E i n solches Motiv ist W i d u kind nun allerdings aus verschiedenen Gründen nicht zuzutrauen. E s ist nämlich durchaus nicht seine Art, mit gelehrten Anmerkungen glänzen zu wollen, obwohl er über einen für seine Zeit nicht unerheblichen F u n d u s an antikem B i l dungsgut verfügte. Wohl aber hat e r eine ausgesprochene Vorliebe f ü r derartige Etymologien, die jedoch in ihrer F u n k t i o n etwas weit anderes darstellen als bloße gelehrte Glanzlichter. Sie haben für ihn vielmehr die Bedeutung eines wissenschaftlichen Argumentes 9 . So entscheidet er sich gegenüber den beiden ihm b e k a n n t gewordenen Ansichten über die H e r k u n f t der Sachsen, ihrer Ableitung von den D ä n e n und Normannen einerseits, von den Griechen andererseits, für die Griechen, weil er etymologische Zusammenhänge zwischen den heidnischen Gottheiten der Sachsen und denen der R ö m e r und Griechen entdeckt zu haben v e r m e i n t 1 0 . Das tragische E n d e der beiden Helden des Thüringerkrieges, Irings und Theuderichs, hält zwar auch W i d u k i n d für eine Sage, gibt jedoch dem Leser gleichsam zu bedenken, ob nicht doch e t w a s daran sein muß, wenn noch zu seinen T a g e n die Milchstraße den Namen Irings t r ä g t S o wird denn auch die Erzählung von dem grausigen und heimtückischen Mord der Sachsen an den Thüringern b a l d nach der ersten Landung durch den etymologischen Zusammenhang der dabei verwendeten kurzen Schwerter, sahs genannt, mit dem Sachsennamen e r h ä r t e t 1 2 , und hier kommt sogar eine ethnologische Bemerkung hinzu: diese Sachsenschwerter sind noch zu seiner Zeit bei den 7 Vgl. die von Ρ. Η i r s c h in der Ausgabe S. 63 ff. sowie bei R ö r i g, a. a. O., S. 14 ff. angeführte Literatur, ferner M a r t i n L i n t z e l , Zu den dt. Königswahlen der Ottonenzeit, ZRG 66, GA 1948, 46-63; W a l t e r S c h l e s i n g e r , Die Anfänge der dt. Königswahl, ebd. S. 381-440; E d m u n d Κ S t e n g e l , Land- und lehnreaitliche Grundlagen des Reidisfürstenstandes, ebd. S. 307. 8 Vgl. F. C r a m e r , Die Namen Jülich und Gressenich, Zeitsdlr. d. Aachener Geschichtsvereins 26, 1904, 327 ff., ferner die Literaturhinweise bei H i r s c h , Ausg. S. 63 Anm. 4. 9 Vgl. Β e u m a η η , Widukind von Korvei, S. 58 ff., sowie d e n s e l b e n in Westfalen 27, 1948, 167 f. ι» I 2, S. 4 und I 12, S. 20,7. » I 13, S. 22 f. 12 I 7 , S. 7, 88.
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Angelsachsen im Gebrauch l s . Audi sonst wendet Widukind einen methodischen Grundsatz an, der uns selbst vertraut ist: dem Historiker können die Verhältnisse seiner eigenen Zeit, zu denen natürlich audi die Sprache gehört, zur Gesdiichtsquelle werden. Die Wendung usque hodie, bis heute, ist nicht selten das Kennzeichen derartiger Gedankengänge. Widukinds schlichte Aussage, dafi die Sachsen zu Schiff zuerst bei einem O r t gelandet seien, qui usque hodie nuncupatur Hadolaun14, gewinnt freilich ihr eigentliches Profil erst dann, wenn man nicht nur das usque hodie als den typischen Hinweis auf etymologische Argumentierung erkannt hat, sondern außerdem weiß, dafi Hadolaun soviel wie „Kampfgehege" bedeutet 1 5 . Erst dann wird auch deutlich, weshalb Widukind diese Nachricht über die Landung der Sachsen mit den Worten pro certo autem nooimus einleiten zu können glaubt, um sie damit ausdrücklich im Gegensatz zum Inhalt des vorausgehenden Kapitels als völlig gesichert zu kennzeichnen 1 β : der Name „Kampfgehege" war ihm ein zuverlässiges Zeugnis f ü r die historische Bedeutung des Ortes. Nach diesen Beobachtungen dürfte es nicht mehr zweifelhaft sein, d a ß der Etymologie des Namens Jülich ebenfalls eine Funktion im gedanklichen Zusammenhang jenes Kapitels über die Aachener Krönung zukommt Sie ist zunächst ein ä propos zu dem Stichwort Aadien und stellt damit eine wenn auch sehr fragwürdige Verbindung her zwischen dem Krönungsort Ottos d. Gr. u n d dem ersten römischen Imperator, dessen Name zu einem spezifischen Herrsdierbegriff geworden ist. Die Gedankenverbindung, die Widukind hier herstellt, gibt uns nun aber ein doppeltes Rätsel auf. Seine Einstellung zum Kaisertum, dessen römische Tradition mit dem Namen Caesars hier beschworen wird, ist nur zu bekannt. Hat er doch Ottos eigene römische Kaiserkrönung verschwiegen und an ihre Stelle ein Heerkaisertum treten lassen, f ü r das sich zwar auch eine antike Tradition nachweisen läßt, die aber nur eine seiner Wurzeln darstellt 1 8 . Denn daneben prägt sich in diesem Heerkaisertum, das Otto d. Gr. nach der Lechfeldschlacht erwirbt, der germanische Begriff einer hegemonialen Oberherrschaft über Könige aus, die ihre charismatische Legitimierung aus dem Sdilachtensieg gewinnt. Dafi Widukind ein Kritiker der ottonischen Rompolitik gewesen ist, kann nicht mehr angezweifelt werden, seit das wichtigste unter den möglichen Gegenargumenten in sich zusammengebrochen ist: die Tatsache nämlidi, dafi Widukind in der letzten Fortsetzung seines Werkes, die nach dem Tode Ottos d. Gr. entstanden ist, diesen als imperator Eomanorum bezeichnet 19 . Denn Widukind hat damit keineswegs ein universales Romkaisertum anerkannt, sondern er hat lediglich von der in der politischen Gedankenwelt seiner Zeit be13 I 6, S. 7, ι». 15 1β
» I 3, S. 5, s.
Freundl. Hinweis von Herrn Professor J. O. P l a f i m a n n , Celle.
Zur Komposition dieser Kapitel vgl. Β c u m a η η , Widukind von Korvei, S. 67 ff. " D a r a u f machte mich ebenfalls Herr Professor J. O. P l a ß r a a n n , Celle, aufmerksam. Seiner Bitte, Widukinds auffällige und zunächst unverständliche Gedankenverbindung zu erklären, verdankt diese Untersuchung ihre Entstehung. Zur Etymologie als Denkform des Mittelalters siehe E. R. C u r t i u s, Europäisdie Literatur u. latein. Mittelalter, Bern 1948, S.51f. und 488 ff. le Vgl. S t e n g e l , Entstehungszeit; H e l m u t B e u m a n n , Die sakrale Legitimierung des Herrschers im Denken der ottonischen Zeit, ZRG 66, GA 1948, 16f. und 39ff.; d e r s e l b e , Westfalen 27, 1948, 174ff.; d e r s e l b e , Widukind von Korvei, S.228ff. *· Mit dieser Stelle glaubte z. B. R. Η ο 11 ζ m a η η (Gesch. d. sächs. Kaiserzeit, 2. Aufl. 1943, S.241, sowie in W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n , Deutsdil. Geschichtsquellen i. Ma., Deutsche Kaiserzeit 11, Berlin 1938, 29) die von Ε Ε. S t e n g e l mehrfach und zuletzt in der oben Anm. 2 genannten Arbeit vertretene Auffassung bündig widerlegen zu können.
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r e i t l i e g e n d e n M ö g l i c h k e i t G e b r a u c h g e m a c h t , den K a i s e r d e r R ö m e r a l s e i n e n H e r r s c h e r ü b e r die S t a d t R o m , d a s r ö m i s c h e T e r r i t o r i u m o d e r a l l e n f a l l s ü b e r I t a l i e n a u f z u f a s s e n . N a t ü r l i c h m u ß t e e r w i s s e n , dafi d i e s n i c h t d e r A u f f a s s u n g des H o f e s e n t s p r a c h , u n d so b l e i b t e r auch h i e r d e r K r i t i k e r , n u r d a l i e r j e t z t von e i n e r a n d e r e n S e i t e h e r a n s e t z t . W ä h r e n d e r so das R o m k a i s e r t u m in e i n e r sehr eingeschränkten F o r m gelten läßt, bleibt er seinem hegemonialen G e d a n k e n m i t dem .Zusatz rex gentium treu, n i m m t ihn a l l e r d i n g s a u f die E b e n e des K ö n i g t u m s zurück, in d e r er, w i e w i r noch sehen w e r d e n , auch u r s p r ü n g l i c h bei ihm beheimatet war20. W i e e r k l ä r t es sich n u n a b e r , d a ß a u s g e r e c h n e t ein solcher G e g n e r d e r R o m p o l i t i k es f ü r a n g e b r a c h t g e h a l t e n hat, e i n e V e r b i n d u n g s l i n i e zwischen C ä s a r u n d O t t o d. G r . h e r z u s t e l l e n ? D o c h nicht g e n u g d a m i t ! Ks ist j a nicht die K a i s e r k r ö n u n g O t t o s , s o n d e r n d i e K ö n i g s k r ö n u n g , die ihn z u j e n e r A n m e r k u n g v e r a n l a ß t h a t . W a s h a t d e n n a b e r , so m ü s s e n w i r f r a g e n , d a s K ö n i g t u m O t t o s d. G r . m i t C ä s a r , w a s h a t es ü b e r h a u p t mit der T r a d i t i o n des I m p e r i u m R o m a n u m z u t u n ? D i e s e F r a g e n stellen h e i ß t zugleich v e r s t e h e n , w e s h a l b die F o r s c h u n g von d i e s e r S t e l l e b i s h e r k a u m N o t i z g e n o m i n e n h a t 2 1 . S i e h a t t e a u s i h r e r P e r s p e k t i v e h e r a u s schlechterdings k e i n e M ö g l i c h k e i t d e r K r k l ä r u n g . W i r müssen d e m n a c h zunächst j e n e H i n d e r n i s s e n ä h e r b e l e u c h t e n , d i e in dem B i l d e , das sich die F o r s c h u n g vom K a i s e r p r o b l e m g e m a c h t h a t . e i n e r solchen K r k l ä r u n g e n t g e g e n s t e h e n . W i d u k i n d s W e r k ist j a k e i n e s w e g s das e i n z i g e S y m p t o m f ü r e i n e g e r m a n i s c h e R e s e r v e g e g e n ü b e r e i n e m römischen I m p e r i u m . L a t e n t e r oder o f f e n e r W i d e r s t a n d gegen e i n e r ö m i s c h e U n i v e r s a l p o l i t i k lassen sich v i e l m e h r bis in die T a g e K a r l s cl. G r . z u r ü c k v e r f o l g e n . E s ist z . B . l ä n g s t als a u f f ä l l i g v e r m e r k t w o r d e n , d a ß die a b e n d l ä n d i s c h e n H e r r s c h e r sich voi O t t o I I . n i c h t d a z u e n t s c h l i e ß e n k o n n t e n , das K a i s e r t u m und das R e i c h im I itel als römisch zu k e n n z e i c h n e n 2 2 . D e r Z u s a t z Romanorum zum linperatortitel taucht - w e n n man von e i n e m e i n z e l n e n N o t a r u n t e r O t t o I. a b s i e h t erst bei O t t o I I . a u f . W i r k e n n e n den G r u n d , d e r diesen H e r r s c h e r v e r a n l a ß l h a t , sein K a i s e r t u m a l s römisches zu q u a l i f i z i e r e n : es w a r die f e i n d l i c h e B e r ü h r u n g , in die er a u f s ü d i t a l i e n i s c h e m B o d e n mit B y z a n z geriet, mit d e r j e n i g e n M a c h t also, deren H e r r s c h e r u n v e r ä n d e r t a n d e m A n s p r u c h f e s t g e h a l t e n h a t t e n . K a i s e r d e r R ö m e r m i t u n i v e r s a l e r G e l t u n g zu s e i n 2 1 . A n d e r s h a t t e es noch j e n e r N o t a r O t t o s d. G r . im J a h r e 9 6 6 g e m e i n t , w e n n e r seinen K a i s e r imperator augustus Romanorum ac Francorum n a n n t e 2 4 . D e n n durch den Z u s a t z a c Francorum b r a c h t e e r doch o f f e n b a r zum A u s d r u c k , d a ß O t t o n u r i n s o f e r n „ K a i s e r d e r R ö m e r " w a r . als e r tatsächlich ü b e r R ö m e r gebot, b e s c h r ä n k t e a l s o das römische K a i s e r t u m e b e n s o w i e W i d u k i n c l a u f den t a t s ä c h lichen römischen Bereich j e n e r T a g e 2 5 . I m ü b r i g e n w a r O t t o ein imperator 2« B e u m a n n , Westfalen 27, 1948, 175 f.: d e r s . , Widukind von Korvei, S. 262 ff. 21 Einen Hinweis lediglich bei A n n e l i e s e G r a u , D e r Gedanke der Herkunft in der deutschen Geschichtsschreibung des Mittelalters, Diss. Leipzig 1938, S. 20 f.: Β e ii m a η η , Widukind von Korvei, S. 59 Anm. 6. 22 Vgl. zuletzt C a r l E r d m a n n , Das ottonische Reich als Imperium Romanum, DA 6, 1943. 412 ff. 2 3 W e r n e r O h n s o r g e , D a s Zweikaiserproblem im früheren Mittelalter, Hildesheim 1947, S. 66 f. 24 Notar Liutolf K. Vgl. Ε. E. S t e n g e l , Regnum und Imperium, Marburg 1930, S. 31 Anm. 12; d e r s e l b e , in Corona Quernea (Ffcstgabe K.Strecker, 1941), S. 154; E r d m a n n . S. 413 Anm. 1. 25 S t e n g e l spricht in Corona Quernea, S. 154, von einer „Unterscheidung des römischen und des deutschen Herrschaftsbereiches".
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Francorum. Noch später ist es zu einer offiziellen Bezeichnung des Reiches selbst als eines römischen gekommen. Die Entscheidung darüber, ob das Imperium ein deutsches oder das römische sein sollte, ist erst in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts gefallen und geht auf frühe Vertreter der cluniazensischen Reform zurück, die in der Umgebung Ottos III. Einfluß gewonnen hatten 2e . Nicht nur jener Notar von 966, sondern zahlreiche weitere Zeugnisse des 10. Jahrhunderts lassen erkennen, dafj die Ottonenzeit unter einem imperator Romanorum zweierlei verstehen konnte: einmal in gelehrter Erinnerung das Gesamtreich im Sinne der Antike, dann aber auch, in einem partikularen Sinne, die Herrschaft über das römische Gebiet oder allenfalls über Italien.27. Dieser eingeschränkte Reichsbegriff erklärt sich für die Ottonenzeit sehr einfach. Waren doch karolingische Kaiser des 9. Jahrhunderts tatsächlich auf Italien beschränkt gewesen, hatten doch sogar kleine italienische Machthaber die Kaiserwürde erlangt 28 . Die Forschung hat nun aber gemeint, schon Karl d. Gr. habe sein Romanum Imperium in diesem eingeschränkten Sinne verstanden. Gegen diese namentlich von Heldmann vertretene Auffassung haben bereits Caspar 2 * und neuerdings Ohnsorge 30 mit guten, wenn auch nicht durchschlagenden Gründen Stellung genommen. Ein wirklich durchschlagendes Argument ist merkwürdigerweise bisher übersehen worden, obwohl es sich an einer keineswegs versteckten Stelle findet, nämlich bei Einhard s l . Einhard bringt in seiner Biographie des Kaisers unmißverständlich zum Ausdruck, dalä sich Karl als Kaiser seinen Rivalen von Byzanz im Range überlegen fühlte und sie nur aus Großmut und um des Friedens willen als fra/res, Brüder, d. h. als gleichrangige Staatsoberhäupter anredete. Wenn Einhard in diesem Zusammenhang die Nachricht bietet, Karl habe die Kaiserwürde im Grunde nicht gewollt uncMsich nur der Überrumpelung durch den Papst gefügt, so nimmt er damit 'zunächst nur seinen Herrscher gegen den möglichen byzantinischen Vorwurf der Usurpation in Schutz und wälzt die Verantwortung Leo III. zu. Dieses Kronzeugnis für eine Reserve gegenüber dem römischen Kaisertum bereits bei seinem ersten abendländischen Inhaber verliert damit erheblich an Gewicht. Es braucht deshalb freilich nicht gänzlich aus der Luft gegriffen zu sein. Dies wird man allerdings nur dann annehmen können, wenn sich ein einleuchtendes Motiv für die ablehnende Haltung Karls aufzeigen läßt. Mehrere Möglichkeiten hat man hierfür bisher im Auge gehabt: Karl lehnte die päpstliche Initiative ab und sträubte sich überhaupt dagegen, daß die höchste weltliche Würde des Abendlandes vom Oberhaupt der Kirche vergeben werden sollte. Dafür sprach die Tatsache, daß Karl seinen eigenen Sohn ohne päpstliche Mitwirkung zum kaiserlichen Nachfolger hat krönen lassen. Dieses Verhalten läßt sich aber auch anders auslegen: nicht der Papst sollte vornehmlich ausgeschaltet werden, sondern die Römer, die j a mit ihrer Akklamation an dem 2« Ε Γ d m a η η , S. 433 ff. « E r d m a n n , S.421 ff. 28 Daneben konnte die staatsrechtliche Vorstellung mitspielen, daß das römische Territorium den einzigen legitimen Rest ehemaligen Reichsgebiets auf abendländischem Boden darstellte. » • E r i c h C a s p a r , Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft, ZKG 54, 1935, 25? ff. »o O h n s o r g e , S. 23 f. » Die folgenden Ausführungen über das Kaisertum Karls d. Gr. sind das Ergebnis von Untersuchungen, die ich demnächst ausführlicher und mit den notwendigen Belegen mitteilen werde.
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Akt von 800 ebenfalls beteiligt gewesen waren, und an deren Stelle nunmehr die Franken getreten sind. Und endlidi entsprach die Krönung des Sohnes durch den Yater byzantinischem Brauch. Damit wird jedodi die Krönung Ludwigs d. Fr. zu einer Bestätigung der Auffassung Einhards von der imperialen Rangüberlegenheit der Franken. Hinter der Meinung, Karl habe sdion im Jahre 800 eine politische Prärogative des Papsttums als Konsequenz gefürchtet, steckt endlich auch ein ungerechtfertigter Anachronismus: wie hätte Karl aus der Sicherheit seines theokratisdien Amtsbegriffs heraus die Problematik der Reformkirche und die Möglichkeit Gregors VII., in dem sich eine in ihrer Struktur völlig gewandelte Welt manifestiert, vorausahnen können? So hat man denn auch in jüngster Zeit Karls Motiv in einer anderen Richtung gesucht: er habe die päpstlidie Absicht durchschaut, ihn gegen Byzanz auszuspielen. Dies mufite ihn in eine politisch bedenkliche Rivalität zum Basileus hineinmanövrieren und das Zweikaiserproblem in die Welt bringen. Nun ist in der Tat nicht zu bezweifeln, dafi diese Frage Karl sehr beschäftigt hat, und daß es langwieriger Verhandlungen bedurfte, bis dann im Jahre 812 ein Ausgleich mit dem Kaiser am Bosporus zustanclekam. Es ist aber doch sehr die Frage, ob dieses Problem im Jahre 800 bereits akut war. Denn damals regierte in Byzanz die Kaiserin Irene, ein staatsrechtlich ungewöhnlicher Zustand, der im Westen offensichtlich als eine Art Vakanz des Kaisertums aufgefaßt wurde. Zudem haben auf päpstliche Veranlassung hin Verhandlungen über eine eheliche Verbindung Karls mit Irene geschwebt, die, wenn nicht alles trügt, zu einem beiderseitigen Einvernehmen geführt haben. Erst der Sturz Irenes durch eine frankenfeindliche Partei, der im Jahre 803 am fränkischen Hofe bekannt wurde, hat das Eheprojekt durchkreuzt und das Zweikaiserproblem geschaffen. Eine von Bedenkliihkeit zeugende Rücksichtnahme auf Byzanz hat man allerdings in Karls Kaisertitel erkennen wollen, den er vom Jahre 801 an geführt hat. Er lautet in seinem ersten, auf die Kaiserwürde bezogenen Teil Karolug serenissimus au gust us a Deo coronatus magnus pacificus imperaior, Romanum gubernans imperium. Die auffällige Verklausulierung, mit der durch die Gubernans-Wendung die römische Qualität des Kaisertums umschrieben wird, ist bisher damit erklärt worden, daß Karl, sei es aus Rücksicht auf Byzanz, sei es aus anderen Gründen, seinen Titel nach Möglichkeit entrömisieren wollte. In Wahrheit kann davon keine Rede sein. Entrömisiert worden ist der Titel erst im Jahre 812 nach dem Abkommen mit Byzanz. Denn von da an hat Karl die Wendung Romanum gubernans imperium fallen lassen. Solange sie jedoch im Titel stand, war das Kaisertum trotz der Verklausulierung unverkennbar als römisches gekennzeichnet. Diese Verklausulierung erklärt sich denn audi wesentlich einfacher: die Bezeichnung des Kaisers als eines Gubernator, eines Sachwalters oder Beauftragten, die im 8. Jahrhundert auch auf byzantinische Kaiser angewandt worden ist S2 , bedeutet keineswegs eine Rangminderung, sondern ist nichts als eine Form der Devotion gegenüber Gott oder Christus, als dessen Stellvertreter, Gubernator, sich der Kaiser auf Erden betrachtete. Und die Gründe, die zur Wahl dieser absonderlichen Devotionsformel geführt haben, liegen in einer anderen Richtung, als man bisher vermeint hat. Vermieden wird nämlidi mit der Gubernans-Wendung nicht die Qualifizierung des Kaisertums als eines römischen, sondern die Kennzeichnung des 32 Hierüber stellt Herr cand. phil. C l a s s e n , Göttingen, nähere Darlegungen in Aussicht. Vgl. K. H e l d m a n n , D a s Kaisertum Karls d. Gr., Weimar 1928, S. 158 Anm.4, S. 369 Anm. 3.
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Kaisers als eines „Kaisers der Römer". D a ß man dies vermeiden wollte, ja geradezu vermeiden mußte, hat einen sehr einfachen G r u n d : der Titel imperator Romanorum hätte unweigerlich in den Augen der Franken und Langobarden die Römer, d.h. die damaligen Bewohner der ewigen Stadt, zum herrschenden Reichsvolk gemacht. Zwar deckte sich Karls gesamter Herrschaftsbereich, auf den er ohne Frage sein Kaisertum bezogen hat, mit der ehemaligen westlichen Reichshälfte. Aber unverkennbar war dieses Gebiet nicht mehr von cioes Romani, sondern zum weitaus größten Teil von Germanen bewohnt. Aus diesem Umstand ergab sich ein weiteres und tieferes Problem, das freilich die ältere Forschung nicht mit dieser Schärfe sehen konnte. Denn erst jüngere rechtsgeschichtliche Untersuchungen haben uns eindringlich zum Bewußtsein gebracht, daß das Mittelalter wenigstens in seiner ersten Phase einen Begriff von Staat und Herrschaft hatte, der von dem des modernen Flächenstaates, von der abstrakten Staatsidee, von unserem Anstaltsbegriff völlig verschieden ist. Man hat f ü r dieses wesentlich germanische Verhältnis von Herrscher und Beherrschten den Begriff des Personenverbandsstaates geprägt, einer Personenherrschaft also, die in einem völlig persönlichen Verhältnis des Herrschers zum Untertanen zum Ausdruck kam. Auch das Lehnswesen ist von diesem persönlichen, auf wechselseitiger Treue beruhenden Verhältnis bestimmt. Und es liegt in der gleichen Richtung, wenn sidi das Frankenreich, das regnum Francorum, als die Herrschaft des Frankenstammes über unterworfene Stämme verstand. Der Widerspruch dieses persönlichen Staatsbegriffes zu dem des Romanum imperium der Antike w a r auch f ü r das mittelalterliche Denken nicht zu verkennen, weil er sinnfällig wurde, sobald man überhaupt den Versuch machte, beide miteinander zu verbinden. Keine Schwierigkeit hätte allerdings die Beschränkung der Kaiserherrschaft auf Rom selbst enthalten. In diesem Falle hätte man widerspruchsfrei von einem imperator Romanorum sprechen können, so wie es der Notar von 966 und Widukind tatsächlich getan haben S3. Die Tatsache allein schon, daß Karl diese Bezeichnung mit einem erheblichen A u f w a n d an Scharfsinn vermieden hat, läßt erkennen, daß er an eine solche Beschränkung nicht gedacht hat, sondern sein Kaisertum universal auffaßte. Μ Dies entsprach offenbar der römisch-päpstlichen Auffassung, die in den laudes zum Auedrude kommt: Carolo augusto, a Deo coronato .nagno et paeifico imperatori Romanorum, oita et oictorial (Ann. regni Fr. ad a 801, ed. K u r z e , S. 112). Das Wort Romanorum dürfte der Hauptanlaß für Karls Unwillen gewesen sein, da dies der Hauptpunkt war, in dem sein endgültiger Titel von der Fassung der laudes abweicht. Dali Karl nicht „Kaiser der Römer' sein wollte - was ohne weiteres verständlich ist schließt nicht notwendig ein, daß er das römische Kaisertum schlechthin ablehnte. Im Text der Vita Leonis (III c. 23), den C a s p a r (ZKG 54, 1935, 232 Anm. 53) für die authentische Fassung der laudes hält, fehlt das Wort Romanorum, wohl aber heißt es dort abschließend, Karl sei von allen zum imperator Romanorum gesetzt worden. Selbst wenn also das Romanorum der Reichsannalen ein eigenmächtiger Zusatz zum Text der laudes ist (H e i η ζ L ö w e, Die karolingische Reichsgründung und der Südosten, Stuttgart 1937, S. 162, denkt an eine naive Einfügung), steht es dennoch fest, daß der Titel imperator Romanorum in der Peterskirche gefallen ist, und zwar in den den Krönungsakt abschließenden laudes (vgl. Einhardi Karoli Anhang S. 46, und D u c h e s n e , Lib. pont. II, S. 37 Anm.). Damit ergibt sich der Verdacht, daß nicht der Akklamationstext des Lib. pont., sondern der der Reichsannalen authentisch ist. Andernfalls müßte man voraussetzen, daß beim gleichen Krönungsakt zwei verschiedene Titel verwendet worden seien. Es ist durchaus möglich, daß die Akklamation in der Fassung der Vita Leonis, die Ja später entstanden seiü dürfte als die Reichsannalen, bereits das Ergebnis späterer Verhandlungen spiegelt, bei denen fränkische Wünsche berücksichtigt worden sind.
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Wollte Karl daher seine Franken nicht als Reichsvolk fallen lassen, so konnte er die Römer keinesfalls als konstituierenden Faktor gebrauchen. Dies erklärt vollständig seinen Verzicht auf eine römische Krönung seines Sohnes. Denn so traten die Franken an die Stelle der akklamierenden Römer. Dann blieb aber zunächst kein anderer Ausweg, als das historische Romanum Imperium als eine abstrakte Größe zu übernehmen. Entscheidend war dann nicht mehr die Herrschaft über Rom allein, sondern die Herrschaft über die ehemaligen römischen Provinzen des Westens. Ks ist der Renovatio-Gedanke, der damit aus dem Bereich des Bildungslebens, des karolingischen Humanismus, in den der Politik gehoben wird, und der in der Legende der Kaiserbulle von 803 Renovatio Romani imperii seine klassische Formulierung gefunden hat. Aber auch so war eben nur das Problem des Reichsvolkes umgangen, nicht aber der Widerspruch der heterogenen Staatsbegriffe gelöst. Im zweigeteilten Titel Karls kam er nach wie vor wirksam zum Ausdruck: . . . imperator, Romanum gubernans Imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardorum. Das disjunktive qui et zeigt nur zu deutlich, dafi man sich bei der Formulierung dieses Titels bewufit war, heterogene Begriffe miteinander vereint zu haben. Den Anstoß zur Lösung auch dieses Problems gab erst jenes Abkommen mit Byzanz vom Jahre 812. Ks war ein formaler KompromilS, bei dem jeder der Beteiligten dem Partner Ranggleichheit zugestand unci sich im stillen sein Teil dabei dachte. Der Basileus hat anschließend seinen Titel durch den Zusatz 'Ρωμαίων erweitert und damit das historische Recht von Byzanz auf das Univcrsalkaisertum bekräftigt. Karls eigene Meinung dürfte Einhard zutreffend wiedergegeben haben: man ertrug am fränkischen Hof die byzantinische Anmaßung mit Geduld und befleißigte sich im diplomatischen Verkehr großmütig, den Basileis die Ranggleichheit zuzugestehen. Bei diesem Abkommen ist offenbar auch die Frage verhandelt worden, wer von den beiden Partnern sein Kaisertum als römisches qualifizieren sollte. Denn der Basileus hat dies anschließend getan, während die fränkische Kanzlei die Titulatur vollständig entröinisiert hat. Dem entspricht es auch, daß Einhard von Karl nur als imperator und augustus spricht, während er die byzantinischen Kaiser als imperatores Romani bezeichnet. Sein Sprachgebrauch berücksichtigt also schon das Ergebnis von 812. Nach unseren Überlegungen ist es einleuchtend, daß Karl leichten Herzens auf die römische Qualifizierung, die j a für das fränkische Bewußtsein ohnehin eine Belastung sein muflte, verzichten konnte, während sie für Byzanz einen historischen Rechtstitel enthielt. Doch was blieb übrig, wenn man das Imperium Karls nicht mehr als römisches ansah? Was haben wir uns unter einem unrömischen Kaisertum vorzustellen? Man hat diesen vielumstrittenen Begriff im allgemeinen in Verbindung gebracht mit dem angelsächsischen Großkönigtum hegemonialer Prägung, das bereits - in Erinnerung an einstige römische Provinzialkaiser auf britischem Boden - mit imperialen Vorstellungen versetzt war. Dem angelsächsischen Großkönig, bretroalda, fehlt wie seinem römischen Vorgänger die universale Geltung, und so haben wir hier den Ansatz zu einem partikularen Kaisertum. Es läßt sich nachweisen, daß dieser Begriff dem Angelsachsen Alkuin, dem Haupt jenes Gelehrtenkreises, den Karl um sich versammelt hatte, bekannt war. Man hat nun vermutet, Karl habe ein solches Kaisertum bereits vor 800 vorgeschwebt, und sein Unwille über die päpstliche Krönung sei darauf zurückzuführen, daß er diesen seinen Plan durchkreuzt sah. Vor allem das entrömisierte Kaisertum von 812 ließe sich mit diesem Hegemonialkaisertum identi-
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fixieren. Ehe germanisch-angelsächsische Komponente ist zwar jüngst durch Ohnsorge verworfen worden, dodi hält audi er daran fest, daß Karl im Grunde seit 800 ein nichtuniversales und niditrömisdies Kaisertum wollte, ein aufwärtsgepflanztes fränkisches Königtum, das mit byzantinischen Ansprüchen nicht kollidierte. Gegenüber all diesen Versuchen stimmt es jedoch bedenklich, daß sie keine Erklärung enthalten für die nach 812 nun ebenfalls entrömisierte Kaiserbulle. Sie lautet nunmehr statt Renooatio Romani imperii: Renooalio regni Frartcorum und ist in dieser Fassung auf die Nachfolger vererbt worden. Auch nach Ohnsorges neuem Erklärungsversuch bleibt es bei dem Urteil Schramms von der „sinnlosen Formel", die sich nur aus dem Bestreben erkläre, das römische Element um jeden Preis zu eliminieren. In der Tat ist nicht einzusehen, inwiefern das Frankenreich Gegenstand einer Renooalio, einer Erneuerung in dem Sinne sein konnte, wie dies für das Romanum imperium hatte gelten können. In Wahrheit ist dies aber auch gar nicht gemeint. Denn hier liegt nicht, wie bei der ursprünglichen Formel, ein Genitivus obiectivus. sondern ein eindeutiger Genetivue subiectivus vor: nicht das Frankenreich ist Gegenstand der Erneuerung, sondern die Erneuerung ist der Gegenstand der fränkischen Politik. Das Frankenvolk ist hier als Träger des Erneuerungsgedankens eindeutig proklamiert, und der Gegenstand dieser Erneuerung kann nach der von Schramm aufgedeckten Geschichte des Renovatio-Gedankens nur das Romanum imperium sein. Eine überaus geniale Formel also, die vom Reichsgedanken gerade soviel preisgibt, wie das Abkommen von 812 erforderte, nämlich die römische Qualifizierung, dafür aber mit dem Renovatio-Gedanken die ursprüngliche Konzeption hinüberrettet. Mit der Einführung der Franken als gedanklichem Subjekt ist nun überdies das Problem des Reichsvolkes unci der heterogenen Staatsbegriffe im fränkischen Sinne gelöst worden. In der formalen Konzession gegenüber Byzanz bei gleichzeitigem Festhalten an der Sache stimmt diese Formel genau zu der geschilderten Beurteilung des byzantinisch-fränkischen Verhältnisses durch Einhard. Die so verstandene Formel Renooalio regni Francorum ist geradezu ein Schlüssel zum Verständnis des mittelalterlichen Kaisertums überhaupt. Das kann in allen seinen Konsequenzen hier nicht ausgeführt werden. Jedenfalls ist sie das geistige Bindeglied, das das Romanum imperium von 800 mit dem imperium Francorum Reginos und Widukinds verbindet. Für das Verständnis Widukinds, zu dem wir nun zurückkehren können, ist es jedoch von Bedeutung, daß sowohl die Gubernans-Wendung des Kaisertitels von 801 als auch die zweite Kaiserbulle den Nachweis ermöglichen, daß das Problem des Reichsvolkes bereits an der Wiege des abendländischen Kaisertums akut geworden ist. Es hat audi weiterhin das entscheidende Hemmnis dargestellt, das der Einführung des Titels imperator Romanorum entgegenstand. Wir haben dafür aus der Zeit Ottos III. noch einen weiteren Beleg, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Dieser Herrscher hatte ja als erster das getan, was alle seine Vorgänger vermieden hatten: er hatte Rom als Residenz gewählt und sich auf die Römer als Reidisvolk gestützt. Freilich scheiterte dieser Versudi, und er scheiterte sogar an den Römern selbst. Die Enttäuschung darüber kommt in einer Rede zum Ausdruck, die der Herrscher nadi dem Zeugnis eines Zeitgenossen an die aufständischen Römer selbst gerichtet haben soll. Sie enthält folgende bemerkenswerten Sätze: „Seid ihr nicht meine Römer? Euretwegen habe ich mein Vaterland und meine Nächsten verlassen. Aus Liebe zu euch habe ich meine Sachsen und alle Deutschen, mein
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Blut, hintangesetzt, . . . euch habe ich als Söhne angenommen, euch allen vorgezogen. Um euretwillen, da idi euch allen voranstellte, habe ich aller Neid und Haß gegen midi erregt, . . . " 3 4 . Hier wird eindeutig die Preisgabe der Sachsen als Reichsvolk als das herausgestellt, was an dem imperator Romanorum zu beanstanden war. Es ist somit von vornherein zu vermuten, daß audi Widukinds Abneigung gegenüber dem Romkaisertum auf diesem Motiv beruht. Dies läßt sich jedoch aus seiner Darstellung selbst, aus seinem Geschichtsbild, wesentlich erhärten. Hier zeigt es sich nämlich, dafi das Problem des Reichsvolkes auch für ihn von entscheidender Bedeutung war. Diese Frage stellte sidi j a im Grunde bereits mit dem Übergang des noch unter Konrad I. als fränkisch aufgefafiten Königtums an die Sachsen im Jahre 919. Neben der schwierigen Frage der Legitimierung der neuen Dynastie, die eines der Hauptanliegen Widukinds darstellt 3 5 , galt es jetzt das Verhältnis der Sachsen zu den Franken neu zu bestimmen. Auf den verschiedenen Entstehungsstufen seines Werkes hat Widukind hierfür auch verschiedene Wege eingeschlagen 3e . In seiner ursprünglichen Fassung legte er alles darauf an, eine seit der ersten Begegnung der Sachsen und Franken im Thüringerkrieg von 531 unverändert fortbestehende politische Parität der beiden Stämme herauszuarbeiten, und er ist in diesem Bestreben auch nidit davor zurückgeschreckt, die Tatsache der Unterwerfung der Sachsen durch Karl d . G r . zu verschleiern und zu einer reinen Bekehrungsaktion abzuschwächen 37 . Dem Exemplar seines Werkes jedoch, das er der Tochter Ottos cl. Gr., Mathilde, widmete, fügte er einen Hinweis hinzu, mit dem er ein in der Urfassung bereits angeschlagenes Motiv weiterspann: die Übertragung der Gebeine des hl. Veit von St. Denis nach Korvei habe zur Folge gehabt, daß die Madit der Franken abnahm, die der Sachsen jedoch wuchs. Durch die Ankunft dieses Heiligen sei die Saxonia aus einer Sklavin zu einer Freien, aus einer Tributpflichtigen eine Herrin vieler Stämme geworden 3 8 . Wie gesagt: dieser Gedanke knüpft an einen ähnlichen an, der sich bereits in der ersten Fassung des Werkes findet 3 9 . Aber dort ist nur davon die Rede, dafi die Translatio des Heiligen dem Westfrankenreich Krieg, den Sachsen beständigen Frieden gebracht habe. Das Eingeständnis der einstigen Knechtschaft der Sachsen findet sich erst in dem Zusatz der Widmungsfassung. Hier, wo er für sein Kloster um die Gunst des Königshauses warb, hat er stärkere Farben gewählt, um die Verdienste des Heiligen herauszuarbeiten und hat in diesem Eifer einmal gleichsam die Katze aus dem Sack gelassen ohne zu bemerken, daß er damit seiner bisherigen politischen Linie widersprach. Widukind ist allerdings nicht so weit gegangen, das sächsische einfach an die Μ Thangmar, Vita Bernwardi c. 25, ed. Ρ e r t ζ, MG SS 4, 770; vgl. R. Η ο 11 ζ m a η η, Gesch. d. sächs. Kaiserzeit, München, 2. Aufl. 1943, S. 372 f. as Vgl. hierzu m e i n e Ausführungen in ZRG 66, GA 1948, 1 ff., in "Westfalen 27, 1948, 171 ff. sowie Widukind von Korvei, S. 237 ff. 36 Die folgende Beobachtung bedeutet eine weitere Präzisierung meiner bisherigen Auffassung. S' Vgl. Westfalen 27, 1948, 169ff.; B e u m a n n , Widukind von Korvei, S. 219ff. 38 Widukind I 34, S. 48, is: Coliio itaque tantum patronum, quo adveniente Saxonia ex seroa facta est libera et ex tributaria multarum gentium domina. Zur Entstehungsgeschichte des Kapitels vgl. B e u m a n n , Widukind von Korvei, S. 195f.; über die Beziehung des Gedankens zur Translatio-Idee. d e n s e l b e n , ebd., S. 220ff.,sowie ZRG 66, GA 1948, 21 ff. Zur Benutzung der Stelle durch die ältere Vita Mahthildis: ebd. S. 37 ff. 3» I 33, S. 46, β.
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Das i m p e r i a l t · K ö n i g t u m
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Stelle des fränkischen Reidisvolkes zu setzen 40 . In der Regel spricht er nach karolingischer Tradition vom imperium Franc orum. Die von ihm konstruierte unveränderte politische Parität der Franken und Sachsen und sein Gedanke von der durch Karl d. Gr. verwirklichten Glaubenseinheit, die nach einem Wort Einhards aus beiden Stämmen ein Volk gemacht habe 41 , erlauben es ihm jedoch, die Sachsen in das Reichsvolk als gleichberechtigten Partner der Franken einzufügen. Mehrfach kommt dies in der Wendung omnis populus Francorum atque Saxonum zum Ausdruck, und die vielumstrittene Frage, ob damit alle deutschen Stämme oder nur die genannten gemeint seien, wird damit eigentlich gegenstandslos: für Widukind kam es nur darauf an, das herrschende Reichsvolk zu kennzeichnen, dessen Herrschaftsbereich schon bei den Franken mehr umfaßt hatte als nur den namengebenden Stamm. Nur so wird es verständlich, wenit er das ganze deutsche Reich als omnem Franciam Saxoniamque42 bezeichnet. Wir haben bereits gesehen, daß Widukind einen Kaiser der Römer, wenn überhaupt, nur im partikularen Sinne gelten lassen wollte. Es war dies die letzte Modifikation seiner imperialen Vorstellungen, zu der er sich bereitgefunden hat. Wir können sogar eine Vermutung darüber äußern, von welcher Seite ihm die Anregung zu dieser Abwandlung zugetragen worden ist. Es läßt sich nämlich nachweisen, daß Widukind für die letzte Fortsetzung seines Werkes, in der er ja gerade den partikularen Romkaiser einführt, die ältere Vita der Königin Mathilde benutzt hat. Der Verfasser dieser Vita hatte bereits seinerseits Widukinds Widmungsfassung kennengelernt und sich in einer latenten Polemik mit ihr in der Frage des Heerkaisertums auseinandergesetzt. Er verurteilte Widukinds Heerkaisertum als illegitim und stellte ihm das römische entgegen 4S. Doch diese römische Herrschaft der Ottonen ist bei ihm eindeutig partikular gemeint, sie tritt zusätzlich und gleichrangig neben das sächsische regnum. So sagt er von Otto d. Gr.: Otto imperalor rem publicam gubernabat Latiound von Otto II. heißt es, daß er neben dem regnum Saxonum das regnum I.atinorum besaß 45 . Hier ist somit in einem merkwürdigen Grenzfall das Problem der Rompolitik in völli" paritätischem Sinne auf der Ebene des Königtums gelöst worden 4e . Widukind scheint nicht einmal diese Parität zuzugestehen. Denn er ergänzt den Titel imperator Romanorum durch den Zusatz rex gentium, und dies ist nun eindeutig jener hegemoniale Großkönig, von dessen angelsächsischer Wurzel bereits die Rede war. Der gleiche Beda, dem Alkuin diese Vorstellung ent4 0 Zum Problem des Reidisvolkes bei Widukind siehe Β e u m a η η , Westfalen 27, 1948, 170ff. sowie d e n s e l b e n , Widukind von Korvei, S.225. 41 W i d u k i n d I 15, S. 25,12; das. Anm. 4 die Parallelstellen aus Einhard und d e m Poeta Saxo. 4 2 I I I 63, S. 137,11. 4 3 Zum wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen Widukind und der älteren Mathildenvita besteht, vgl. Β e u m a η η , ZRG 66, G A 1948, 23 ff.; d e n s e l b e n , Widukind von Korvei, S. 256 ff. 44 c. 16, MG S S 10, 581, »s. « c. 16, S. 582. 48 Man beachte, daß die Vita zu 962 nur von der imperialis corona spricht: interea regem Ottonem papa Romam oocante, imperialem, ut credimus, Dei iussu accipere coronam (c. 13, S. 579, 51, vgl. d a z u ZRG 66, G A 1948, 40 f.). D e r Charakter dieses Imperiums bleibt offenbar absichtlich unbestimmt, und die E i n f ü h r u n g der Latini als des Reidisvolkes für dieses partikulare Imperium, das zugleich ein imperiales regnum (!) ist, k a n n als der Versuch gewertet werden, auch für das partikulare Romkaisertum die Römer der Zeit als Reichsvolk auszuschalten und d u r m ihre antiken Vorgänger (Latini) z u ersetzen: eine merkwürdige Kombination der gelehrten und der partikularen Römerreidisidee bei gleichzeitiger Verschränkung mit dem Gedanken des imperialen Königtums!
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liommen hatte, um sie möglicherweise dem fränkischen Hof zu vermitteln, gehört zu den wenigen mittelalterlichen Autoren, die Widukind nachweislich benutzt h a t A b e r audi sonst ist es nicht zu verkennen, daß ihm der Begriff der hegemonialen, auf Schlachtensieg und Herrschaft über eine Vielzahl von Stämmen und Reichen gegründeten Oberherrschaft vertraut war. Sie kommt nicht nur bei seinem Heerkaiser zum Zuge, sondern bereits bei dem nichtkaiserlichen Heinrich I., für den Widukind den Titel dominus rerum geprägt hat, ein zunächst antiker Terminus, der ursprünglich soviel wie „Herr der Welt" bedeutet, von Widukind aber offenbar im hegemonialen Sinne umgeprägt worden ist. Wenn er nämlich an anderer Stelle Heinrich als den regum maximus Europae kennzeichnet, so ist dies wohl die treffende Umschreibung auch des dominus rerum. Sein Sohn Otto dagegen, den auch Widukind für den größeren hält, steigt zum Imperator im Sinne des hegemonialen und nichtrömischen Heerkaisers auf. Der dominus rerum ist somit eine Vorstufe zu diesem imperaior48. Es wäre jedoch verfehlt, wenn man diesen imperialen Vorstellungen jegliche römische Tradition absprechen wollte. Schon der angelsächsische bretivaldaimperator zeugt ja von der Wirksamkeit der römischen Erinnerung. Vielleicht war es dieses Vorbild eines nicht an die Stadt Rom und die Römer gebundenen Imperiums, das bei der Formel Uenooatio regni Francorum Pate gestanden hat. Diese Formel jedenfalls hatte dem Abendland die Möglichkeit gezeigt, wie man den Erneuerungsgedanken in:tl die Tradition des Römerreichs auch ohne Bezogenheit auf die Römer der eigenen Zeit fassen konnte. Es ist auch sonst nicht Widukincls Art. römische Traditionen aus seinem politischen Denken zu verbannen 49 . Selbst einen so ausgesprochen germanischen Gedanken wie den des Königheils, den er zum Angelpunkt seiner Legitimierung der sächsischen Dynastie gemacht hat, fafit er mit der Terminologie des römischen Kdiserheils, der fortuna, und verbindet diese mit dem Zentral begriff des Sallust, den mores, zu einer Einheit. Und gerade Sallust, sein wichtigstes klassisches Muster, wurde maßgebend für seine eigenartig neutrale Haltung gegenüber den innerpolitischen Wirren seiner Zeit. Sein Staatsethos endlich wurde entscheidend geformt durch die Idee der pax Romana, einer imperialen pax somit, die sich schwerlich allein aus dem christlich modifizierten Friedensgedanken Augustins 50 herleitet. Es wäre daher begreiflich, wenn Widukinds imperialer lex, der re.v gentium und der dominus rerum, hegemoniale Oberherrschaftsideen germanischer Prägung mit der Tradition des Römerreichs, die als gelehrte Erinnerung lebendig war. verknüpft hat. Dies ist der Punkt, an dem unsere Betrachtung zur Frage nach der Funktion jener Etymologie des Namens Jülich zurückbiegt, von der sie ausgegangen ist. Wir erkennen jetzt: nachdem Widukind bereits Heinrich I. als einen imperialen König gekennzeichnet hatte, nachdem er im dominus rerum als dem regum maximus Europae bereits römisches und germanisches Ideengut miteinander verschmolzen hatte, war es keineswegs ohne Sinn, wenn er mit jener etymologischen Anmerkung das Königtum Ottos I. mit Cäsar in Verbindung brachte. Ebenso wie das Königtum Heinrichs I. hat auch das Ottos d. Gr., für Widukind « Widukind I 8, S. 8 ff. 4S Vgl. hierzu Β e u m a η η , Widukind von Korvei, S. 232 ff., 259, sowie Westfalen 27, 1948, S. 174. μ Zum folgenden B e u m a n η , Widukind von Korvei, S. 87ff., 97ff., 209ff., 252ff. 5 0 Vgl. hierzu H a r a l d F u c h s , Augustin und der antike Friedensgedanke. Untersuchungen zum 19. Buch der Civitas dei, Berlin 1926.
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imperialen Charakter. Der Geschichtsschreiber, der Ottos römische Krönung nidit akzeptiert hatte, war natürlich genötigt, das Kaisertum anders zu legitimieren. Es wird nunmehr deutlich, daß er sich dafür keineswegs mit dem Ungarnsieg von 955 begnügt hat. Vielmehr greift er zu einem Verfahren, das demjenigen ähnelt, mit dem er ein charismatisches Geblütsrecht der Liudolfinger zu konstruieren versucht hatte :>1 . Er verlegt die sachlichen Voraussetzungen für den zu legitimierenden Akt um eine Generation zurück und bahnt das Ereignis in einer progressiven Steigerung an. Die sachliche Voraussetzung des ottonischen Kaisertums ist die bereits in der sächsischen Königszeit gegebene hegemoniale Stellung des τ ex. Dies besagt aber, dal? Widukind hier nidit konstruiert, sondern sich an die Wirklichkeit hält. Doch ebenso, wie er das germanische Königsheil im Sinne der antiken Fortuna und Inviktie zu interpretieren sucht, verbindet sich bei ihm der hegemoniale Oberherrschaftsbegriff germanischer Prägung mit dem Gedanken von der Erneuerung des Römerreichs, der, wie sich nun gezeigt hat, das Problem des Reidisvolkes nidit zu tangieren brauchte. Dieser Gedanke ist als politische Idee bereits in der Königszeit Karls d. Gr. nachzuweisen, wenn Karl im Titel der Libri Carolini, jener an die byzantinische Adresse gerichteten Denkschrift über die Bilderfrage, seinem Königstitel hinzufügt Galliam Germaniam Italiamque regent in52. Die Herrschaft über die ehemaligen Provinzen dient hier als Argument gegen die byzantinisdien Weltgeltungsansprüche. Aus dem gleichen Rechtstitel legitimiert der Lorscher Annalist das Kaisertum Karls vom Jahre 800 5 S . Daß wir Widukinds HerrscherbegriIT mit Recht diesem „romfreien Renovatio-Gedanken" zugeordnet haben, wird endlich dadurch bestätigt, daß audi er dieses Argument der römischen Provinzen kenn): in jenem Exkurs über den hl. Veit, den wir bereits in einem anderen Zusammenhang berührt haben, heilU es von Otto d.Gr.: cuius poleritiae maiestatem non solum Germania, Italia atque Gallia, sed tota fere Eutopa non sustinet54. In einer der letzten seiner scharfsinnigen Untersudiungen zur politisdien Ideengeschidite des 10. Jahrhunderts hat Carl Erdmann 5 5 gezeigt, daß der Renovatio-Gedanke, dessen römisdie Tradition uns Schramm bereits kennen gelehrt hatte, in der ottonischen Zeit vom Norden nach Rom zurückgetragen worden ist. Schon Erdmann hat ihn vom engeren Romgedanken, dem ein nur partikulares Kaisertum entsprach, zu trennen gewußt. In den Problemen des Reidisvolkes und der heterogenen Staatsbegriffe haben wir nun die Motive für diese Unterscheidung kennengelernt. Dieser im Norden entwickelte RenovatioGedanke ermöglichte einen romfreien Kaiserbegriff, weil er die Erneuerung des imperium Romanum auf der Grundlage eines germanischen Reichsvolkes bedeutete. Zugleich wird der Weg sichtbar, auf dem das Mittelalter zu einer Synthese der heterogenen Staatsbegrifl'e gelangt ist: auf dem Umweg über das fränkische, später das fränkisch-sächsisdie Reichsvolk konnte das Imperium trotz seiner römischen Tradition als Personenverbandsstaat gedacht werden Dieses Reichsvolk war jedoch primär als Regnum organisiert. Wollte man es gleichzeitig zum Träger des Imperiums machen, so durfte die entscheidende Legitimierung nidit in jenem römischen Formalakt gesehen werden. Ein Kaiser51 Vgl. B e um a η n. ZRG 66, GA 1948, lt ff.: d e n s e l b e n , Westfalen 27, 1948, 171 f.; d e n s e l b e n , Widukind von Korvei, S. 259 ff. 52 Vgl. hierzu C a s ρ a r , S. 260 ff. 53 C a s ρ a r , S. 259. 5« I 34, S. 48, Ii. 55 A. a. O.
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tum, das nur auf der römisch-päpstlichen Verleihung beruhte, hatte bereits im 9. Jahrhundert zu der Konsequenz geführt, daß die Kaiserkrone in die Hände italienischer Magnaten geriet. Vielmehr mußte die imperiale Qualität bereits im Regnum latent gegeben sein 6 β . F ü r ein solches imperiales Königtum konnte die römische Kaiserkrönung eine Bedeutung haben, die der des Weistums nahekommt, wenn man nicht wie Widukind ganz von ihr absah. Wie so oft hat es das germanische Denken vorgezogen, auch die höchste Herrscherwürde auf tatsächliche und zugleich überlieferte Rechtsverhältnisse zu gründen statt auf einen staatsrechtlichen Formalakt, dessen Rechtswirksamkeit einzusehen dem eigenen Denken nicht ohne weiteres gegeben war. 5 ' Vgl. das von S t e n g e l , a. a. Ο., S. 154 Anm. 5 zitierte DO I. 318 aus der Zeit, in der Widukind sein Werk niederschrieb: quoniam omne preeeptum oel confirmatio nostri imperatorii iuris sub regali poiestaie semper esse Didebatur.
NOMEN IMPERATORIS S T U D I E N Z U R K A I S E R I D E E K A R L S D. G R . D A S Kaisertum Karls d. Gr. hat sich während der letzten Dezennien auf der Tagesordnung der wissenschaftlichen Diskussion hartnäckig behauptet2). Mancherlei neue und weiterführende Gesichtspunkte konnten gewonnen werden3), der Bereich der Quellen wurde erweitert4). Doch fehlt es nach wie vor in einer entscheidenden Frage an der wünschenswerten Übereinstimmung: Unversöhnt stehen einander gegenüber das Bild eines Frankenkönigs, der zwar danach trachtete, sein königliches Ansehen bis zur Grenze des Möglichen zu steigern und sich gern zu den höchsten Personen in der Welt zählen ließ, der aber zugleich von einer solchen Abneigung gegen alles Römische und insbesondere gegen das nomen imperatoris et augusti erfüllt war, daß er keinesfalls Kaiser werden wollte5); und das Bild eines Karl, der im Jahre 800 den Romzug antrat in der Absicht, die Ernte eines an Kämpfen reichen und mit Erfolgen !) Die nachstehend ausgeführten Gedankengänge sind zum erstenmal bei der Tagung des Instituts für geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebietes auf der Reichenau am 2. 4. 1957 vorgetragen worden. *) Zusammenstellung der Lit. bei H. Löwe in: B. Gebhardt, Hdb. d. dt. Gesch. 1, hg. H. Grundmann, 8. Aufl. 1954, S. 141! und F. Steinbach, Das Frankenreich (Hdb. d. dt. Gesch., neu hg. L. J u s t , I, 2, 1956), S. 88f. Ferner: H. F i c h t e n a u , Karl d. Gr. und das Kaisertum, MIÖG 61, 1953, 2 5 7 — 3 3 4 ; J . De6r, Die Vorrechte des Kaisers in Rom ( 7 7 2 — 8 0 0 ) , Schweizer Beitrr. z. Allgem. Gesch. 15, 1957, 5—63; W. Schlesinger, Kaisertum und Reichsteilung. Zur Divisio regnorum von 806, in: Forschungen zu Staat u. Verfassung, Festgabe F. Härtung, 1958, S. 9—51. *) Vor allem mit der stärkeren Berücksichtigung von Byzanz und des Zweikaiserproblems. Dazu zahlreiche Arbeiten von W. Ohnsorge, zuletzt zusammenfassend : Byzanz u. d. Abendland im 9. u. ro. Jahrhundert, Saeculum 5. 1954. 194—220. *) Namentlich um Herrschaftszeichen und Staatssymbolik: P. E. Schramm, Die Anerkennung Karls d. Gr. als Kaiser, ein Kapitel a. d. Gesch. d. ma.lichen ,,Staatssymbolik", HZ 1 7 2 , r95i, 4 4 9 — 5 1 5 ; ders., Karl d. Gr. i. Lichte d. Staatssymbolik, in: Karolingische u. ottonische Kunst, Werden, Wesen, Wirkung, 1957, S. 16—42; ders., Herrschaftszeichen u. Staatssymbolik (Schrr. d. MGH. 13, 1—3), 1954—55. passim. 5) Schramm, Anerkennung S. 480. 492; F. Dölger, Byzanz u. d. europ. Staatenwelt, 1953, S.283ff.; R.Drögereit, Kaiseridee u. Kaisertitel bei den Angelsachsen, ZRG 69 GA 1952, 24—73; Ohnsorge S. 201 f.
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gesegneten Herrscherlebens einzufahren 1 ). Zwar kann auch in diesem Bilde das Moment der Enttäuschung nicht fehlen, das den Weihnachtstag des Jahres 800 überschattete. Doch der enttäuschte Karl, der seine eigenen Kaiserpläne in einem vielleicht wichtigen Punkte durchkreuzt sah, ist ein anderer als der vom Papst überrumpelte „Kaiser wider Willen" 2 ). Die offene Frage, der wir uns hier gegenüber sehen, ist nicht gerade belanglos. Eines der folgenreichsten Ereignisse der mittelalterlichen Geschichte ist in seinen Ursachen ungeklärt. Aber auch die übrigen Bereiche der fränkischen Geschichte unter Karl d. Gr., von der Verfassung bis hin zum geistigen Leben, um von den Beziehungen zum Papsttum ganz zu schweigen, werden von der erörterten Frage in fundamentaler Weise berührt. Indessen scheint in letzter Zeit die Meinung in den Hintergrund zu treten, Karls Kaisertum sei das Ergebnis einer einseitig von den Päpsten betriebenen Politik gewesen, die ihn schrittweise und ohne sein Zutun in eine imperiale Stellung hineingezogen habe, bis er dann am Ende zu seinem größten Mißvergnügen von Leo I I I . überrumpelt wurde und die ihm höchst fatale Kaiserwürde hinnehmen mußte. Diesem von P. E . Schramm 3 ) vor allem an Hand der Herrschaftszeichen und der Staatssymbolik herausgearbeiteten Bild hat J . Deer 4 ) mit beachtenswerten Argumenten widersprochen. Die Vorrechte des Kaisers in Rom, die Karl nach Schramm von den Päpsten schon vor 800 Zug um Zug übertragen worden seien, haben nach Deer, sofern man dabei überhaupt von kaiserlichen Rechten sprechen könne, die Päpste allenfalls in der fraglichen Zeit selbst übernommen. In die Diskussion um diese Frage soll und kann hier nicht eingegriffen werden. Wenn jedoch weder die Päpste noch Karl selbst auf das Kaisertum hingearbeitet haben, so wird der Akt vom Weihnachtstage 800 zu einem bloßen Verkehrsunfall der Weltgeschichte, zu einer Not- oder Patentlösung, die aus den Schwierigkeiten des Tages, aus dem Bedürfnis nach einem kompetenten Richter über die römischen Feinde Leos I I I . geboren war 5 ). H. L ö w e , Von Theoderich d. Gr. zu Karl d. Gr., das Werden des Abendlandes im Geschichtsbild des frühen Ma.s, D A 9, 1952, 3 5 3 — 4 0 1 , bes. S. 379 fl. und in: Gebhardt, Hdb. d. dt. Gesch. 1, S. 1 3 9 ; S t e i n b a c h S. 6 5 f . ; F i c h t e n a u (oben S. 5 1 5 , Anm. 2); D e 6 r S. 44ft.; G. T e l l e n b a c h in: Historia Mundi, hg. F. V a l j a v e c , 5, Frühes MA., 1956, S. 4 2 5 0 . ; S c h l e s i n g e r , Kaisertum u. Reichsteilung. 2 ) Karl als „Kaiser wider Willen": S c h r a m m , Anerkennung S. 492. а ) S c h r a m m , Anerkennung. 4 ) Siehe oben S. 5 1 5 , Anm. 2. б ) So K. H e l d m a n n , Das Kaisertum Karls d. Gr. (Quellen u. Studien z. Verfassungsgesch. d. Dt. Reiches V I , 2), 1928, S. 207f. u. 438f.
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Doch vermag die Vorstellung von Karl d. Gr. als dem „Kaiser wider Willen" nicht recht zu befriedigen. Vergleicht man das politische Gewicht der beiden Partner des Jahres 800 — den Papst, der soeben noch als politischer Flüchtling am Hofe Karls zu Paderborn erschienen war und ohne den Frankenkönig nicht so bald nach Rom hätte zurückkehren können, und Karl auf der Höhe seiner politischen Macht an der Spitze eines seit den Tagen der Römer unerhörten Reiches — , so fragt man sich, was den Papst bewegen konnte, die soeben zu seinen Gunsten so glücklich wiederhergestellte Lage alsbald leichtfertig aufs Spiel zu setzen1). Aber auch im Bilde Karls verbleiben Widersprüche, wollte man die herrschende Meinung von seinem Verhältnis zum Kaisertum gelten lassen. Unter den Gründen, die für sie angeführt werden, erscheint Karls angebliche Abneigung gegen alles Römische. Wie reimen sich jedoch damit jene vielfältigen römischen Studien zusammen, die unter Karls persönlichem Protektorat in seinem Reiche und an seinem Hofe aufgeblüht waren ? Geht man von ihnen aus, so erscheint die Formel von der renovatio Romani imperii, die Karl seiner ersten Kaiserbulle 2 ) einprägen ließ, als die zwanglose politische Konsequenz jener Bildungs- und Kulturbewegung, die wir „Karolingische Renaissance" zu nennen pflegen. Die geistige Kontinuität und Einheit, die hier wahrzunehmen ist, wäre, wenn die geschilderte Auffassung zu Recht bestünde, nur das Trugbild eines innerfränkischen historischen Zusammenhanges und jedenfalls nicht das Kennzeichen einer umfassenden Konzeption. Und wie müßte Einhard, auf dessen Zeugnis 3 ) über Karls Verärgerung nach der Kaiserkrönung, über seine Abneigung gegen das nomen imperatoris, so viel Gewicht gelegt wird, seinen Kaiser mißverstanden haben, von dem er im gleichen Zusammenhang sagt: Neque ille toto regni sui tempore quicquam duxit antiquius, quam ut urbs Roma sua opera suoque labore vetere polieret auctoritate4), und dessen Portrait er im ganzen nach dem Muster der Caesares des Sueton gezeichnet hatl Diese und ähnliche Widersprüche bedürfen der Auflösung. Eine ihrer wesentlichen Ursachen liegt wohl darin, daß die fränkische Vorgeschichte des Kaisertums nicht deutlich genug herausgearbeitet werden konnte. Zwar fehlt es auch hier nicht an wertvollen Einzelbeobachtungen, wohl aber an dem folgerichtigen Zusammenhang der verstreuten Motive. Dies hat das Gewicht der T e l l e n b a c h S. 432. Zu ihr zuletzt S c h r a m m , Anerkennung, S. 494 Anm. 2. 3) Vita Karoli c. 28, hg. O. H o l d e r - E g g e r , SS. rer. Germ. 1911, S. 32. 4) Ebd. c. 27, S. 32. Einhard unterscheidet hiervon offenbar Karls Verehrung und sein Wirken für die ecclesia sancti Petri. 2)
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gegen die These vom „Kaiser wider Willen" vorgebrachten Argumente gemindert. Auf den folgenden Blättern soll versucht werden, solche Zusammenhänge aufzuspüren. Dabei ist von den Quellen auszugehen. i. D a s P a d e r b o r n e r E p o s vom J a h r e 799 Die Frage, um die es geht, lautet, auf eine einfache Formel gebracht: gab es vor dem Weihnachtstage des Jahres 800 im Frankenreich ein Kaiserprojekt oder doch wenigstens imperiale Tendenzen und Strömungen, die das karolingische Kaisertum vorbereitet haben ? Der Hinweis Carl Erdmanns 1 ) auf eine dem fränkischen Hof nahestehende Quelle, aus der sich ein fränkischer, genauer: Aachener Kaiserplan von 799 ergibt, hat wenig Anklang gefunden2). Es handelt sich um das panegyrische Epos Karolus Magnus et Leo papaz), das die Begegnung Karls mit Leo III. zu Paderborn 799 als die Vereinigung des rex pater Europae und des sumtnus Leo pastor in orbe behandelt. Die Bedeutung dieses Textes für unsere Frage steht und fällt mit seiner Datierung. Schon Erdmann hat durchschlagende Gründe dafür angeführt, daß das Epos in Paderborn und noch vor der Abreise des Papstes verfaßt worden ist4): 1. Karls Gemahlin Liutgard, die am 4. Juni 800 aus dem Leben schied, tritt in der Schilderung der Hofgesellschaft auf, ohne daß ihres Todes gedacht wird. 2. Karl wird überwiegend als rex bezeichnet, daneben auch als augustus, doch noch nicht als imperator. Hätte der Dichter nach 800 geschrieben, so müßte die Verwendung des rar-Titels aus seinem Bestreben erklärt werden, die für 799 noch amtliche Titulatur zu gebrauchen. Aber gerade dann hätte er die imperialisierende Terminologie vermeiden müssen. 3. Endlich weiß der Dichter noch nichts vom Ergebnis der Reise Leos, für ihn ist dieser noch aus Rom vertrieben. Gegen die ersten beiden Argumente ist bisher nichts vorgebracht worden. Gegen das dritte wurde eingewandt, der Schluß des Werkes mit der Schilderung von Romzug und Kaiserkrönung Karls scheine verloren gegangen zu sein5). Damit wird allerdings das Beweisthema selbst *) C. E r d m a n n , Forschungen z. polit. Ideenwelt d. Frühma.s, a. d. Nachlaß d. Verf. hg. v. F. B a e t h g e n , 1951, S. 21 ff. 2 ) O h n s o r g e S. 201 f. m. Anm. 55; H. L ö w e in: Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen i. Μ Α., Vorzeit u. Karolinger 2, 1953, 243 s . Positiver: S c h r a m m , Anerkennung S. 477f. 8 ) MG. Poetae 1, S. 366—379. 4 ) E r d m a n n S. 21 Anm. 4. 5 ) H. L ö w e (wie oben Anm. 2) S. 241 f. Gegen diese Annahme auch schon E r d m a n n S. 21 Anm. 3.
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zur Prämisse: handelt es sich doch hier um eine Vermutung, die nur zulässig erscheinen könnte, wenn nicht nur keine Gründe gegen eine spätere Abfassung vorlägen, sondern obendrein die spätere Entstehungszeit sich auf greifbare Beobachtungen stützen ließe. Die imperialisierende Terminologie bietet einen solchen Anhaltspunkt jedenfalls nicht, wie das zweite Argument Erdmanns zeigt. Die Annahme, der Dichter habe in Kenntnis der nachfolgenden römischen Ereignisse geschrieben und diese am Ende gar in einem verlorengegangenen Schlußteil des Epos dargestellt, läßt sich aber auch — und dies kommt zu Erdmanns Argumenten hinzu — durch positive Gründe ausschließen. Diese ergeben sich aus der Gesamttendenz des Panegyrikos. Das Werk ist in zwei Hauptteile gegliedert, deren erster mit dem panegyrischen Preise Karls und seiner Familie, der Schilderung der Hofgesellschaft und einer Jagdszene sowie der Bautätigkeit Karls in Aachen, das als Nova Roma emporwächst, den Herrscher zunächst ohne erkennbaren Zweck günstig zu stimmen sucht. Der nähere Zweck dieses Unternehmens offenbart sich jedoch im zweiten Teil, der von Leo III. und den Mißhandlungen redet, die dieser in Rom erleiden mußte. Wir hören von Leos Blendung und dem Verlust der Zunge, und mehrfach wird hervorgehoben1), daß Gott ihm beides auf wunderbare Weise wiedergegeben habe. Habe Gott somit die Gerechtigkeit der Sache Leos bereits bestätigt, so möge nun auch Karl ihm ein gerechter Richter werden. Die Worte qui iusto nostros exaviinet actus iudicio2) legt der Dichter Leo selbst in den Mund. Das spezielle Anliegen des Dichters ist damit deutlich: ein Plaidoyer für Leo III.! Dies hatte natürlich, nur einen Sinn, bevor der Fall Leos in Rom entschieden war. Ergibt sich somit bereits aus der Tendenz des Ganzen und aus der offen zutage tretenden dichterischen Motivation eine exakte historische Lokalisierung des Werkes, so ist weiterhin zu beachten, daß Karl in Rom nicht, wie der Dichter es noch erwartet hätte, als Richter über Leo aufgetreten ist, sondern nach dem Grundsatz papa a nemine iudicatur dem Papst einen Reinigungseid zugeschoben hat3). Unser leidenschaftlicher Anwalt Leos hätte seinem Mandanten einen schlechten Dienst erwiesen, wenn er ihm nach dem Präjudiz des Reinigungseides Worte in den Mund gelegt hätte, mit denen der Papst den Frankenherrscher als Richter über sich anerkannte. !) v. 3 6 8 ! ; 39öff.; 412; 439; 508s.; 5 1 3 0 . Vgl. dazu auch Karls Traumgesicht, v. 326ff. ») S. 376, v. 388 f. *) £ . C a s p a r , Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft, ZfKiG 54,
1935. 223 ff·
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Die spezielle Stoßrichtung des Epos stellt nicht nur die bereits von Erdmann begründete Datierung auf eine breitere Grundlage, sondern gibt uns auch weitere Anhaltspunkte für die Deutung des Inhalts. Ein Dichter, der Karl günstig stimmen wollte, durfte in seinem Lobpreis keine falschen Töne anschlagen. Ohne über die politischen Einzelheiten des Tages informiert sein zu müssen, bedurfte er einer Kenntnis der allgemeinen Tendenzen, des politischen Klimas, wenn anders sein Vorhaben Erfolg haben sollte. Dies gilt es bei dem Bild zu beachten, das von Karl entworfen wird. Er erscheint als der Leuchtturm und als Spitze Europas, als der höchste der Könige. Die Worte imperii ut quantum rex culmine reges excellit, tantum cunctis praeponitur arte1) klingen wörtlich an die Imperator-Definition des merowingischen Ämtertraktates an: Imperator, cuius regnum procellit in toto orbe, et sub eo reges aliorum regnorum2). Mehrfach wird Karl als augustus bezeichnet, so auch im Anschluß an die Worte: „und herrschend über die Stadt, die als zweites Rom zu neuer Blüte gewaltig emporwächst"3). Gemeint ist Aachen, und es folgt eine breite Schilderung der dort im Gang befindlichen Bauten. Die Stadt heißt Roma, Ventura Roma, nova Roma. Alkuins Brief über die drei höchsten Gewalten in der Welt4), in dem Byzanz als ncrua Roma bezeichnet wurde, mußte vor kurzem am Hofe eingetroffen sein. Byzanz wird also stillschweigend durch Aachen ersetzt, der Dichter hat die in Alkuins Brief eingeschlossene und noch zu erörternde Konsequenz bereits gezogen. Hätte Karl der Kaiserwürde reserviert oder gar ablehnend gegenübergestanden, so wäre er durch diesen „Panegyrikos" verärgert worden. Kann man dem unbekannten Dichter, der zwar nicht zu den politischen Beratern Karls gehört haben dürfte, aber jedenfalls im engeren Umkreise des Hofes gesucht werden muß, einen so schweren Fehlgriff in der Wahl seiner Mittel zutrauen ? Es fehlt auch nicht an Hinweisen, daß Karl selbst nach solchen Gedankengängen gehandelt hat. Die Bezeichnung Aachens mit dem offiziellen Namen von Byzanz ist den kunstgeschichtlichen Be1) v. 86 f. 2
) E r d m a n n S. 22 Anm. 2. Zur Kaiserdefinition des Ämtertraktates ebd. S. i6f.; S c h r a m m , Anerkennung S. 479f. u. 480 Anm. 1.; zur Datierung: R. B u c h n e r , Die Rechtsquellen (Beiheft zu Wattenbach-Levison, GQ), 1953. S. 60. 8 ) v. 92—96: Rex Karolus, caput orbis, amor populique decusque, Europae venerandus apex, pater optimus, heros, Augustus, sed et urbe potens, übt Roma secunda flore novo, ingenti, magna consurgit ad alta mole, tholis muro praecelsis sidera tangens. 4 ) MG. Epp. 4, 288 Nr. 174.
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Ziehungen zur Seite zu stellen, die von der Aachener Pfalzkapelle nach Konstantinopel weisen 1 ). Karl machte Aachen 813 zur Stätte der Kaiserkrönung, und Ludwig d. Fr. folgte 817 diesem Beispiel. Endlich wurde in Aachen außer der Pfalz und der Pfalzkirche ein Gebäude errichtet, das den Namen „Lateran" erhielt 2 ). In ihm haben Synoden getagt, was eine Vorstellung von seiner Größe gibt. Es heißt auch secretarium, und dies kann „bischöfliches Absteigequartier" bedeuten. Einhard spricht von einer domus pontificis, die neben der Kirche stand. Tatsächlich hat Karl Rom nicht wieder aufgesucht, wohl aber Leo I I I . Aachen. Dies sind von dem Paderborner Epos unabhängige Nachrichten und Tatbestände, die mit dem Plan einer Nova Roma in Verbindung gebracht werden können. Ob in den Paderborner Tagen angesichts der prekären Lage des Papstes geradezu an Aachen als eine Residenz oder doch wenigstens Nebenresidenz des Papstes gedacht worden ist, wie Erdmann vermutet hat, ist nicht mehr mit Sicherheit zu fassen. Jedenfalls fiel die Entscheidung für die Rückkehr des Papstes nach Rom, und die dortigen Ereignisse haben den Aachener Kaisergedanken, dessen Spuren uns erhalten geblieben sind, zunächst durchkreuzt. Karl selbst hat ihn jedoch nicht aus dem Auge verloren, und zwischen den wie weit auch immer ausgereiften Erwägungen von Paderborn und der Krönung Ludwigs d. Fr. zu Aachen im Jahre 813 besteht ein evidenter Zusammenhang. 2. E i n h a r d Die Annahme, Karl habe sein Kaisertum einer Überrumpelung durch den Papst verdankt, pflegt in erster Linie auf das Zeugnis Einhards gestützt zu werden. Daneben beruft man sich auf die Annales Maximiniani, deren Bericht zu 801 den Einhard-Annalen nahesteht, dem Satz über die Krönung jedoch die sonst nicht belegten Worte nesciente domno Carolo einfügt 3 ). Einhard sagt bekanntlich, Karl habe das nomen imperatoris so sehr verabscheut, daß er die Peterskirche trotz des hohen Feiertages nicht betreten hätte, wenn ihm der Plan des Papstes bekannt gewesen wäre 4 ). Die Vita Karoli ist nach der herrschenden Anschauung nach 830, jedenJ
) H . F i c h t e n a u , Byzanz u. d. Pfalz zu Aachen, M I Ö G 5 9 , 1 9 5 1 , 1 — 5 4 ; d e r s . , MIÖG 61, 1953, 3 3 3 ; T e l l e n b a c h S. 430; S c h r a m m , Anerkennung S. 477. 2 ) E r d m a n n S. 2 3 ! ") MG. SS. 13, i g f i . 4 ) Vita Karoli c. 28, S. 32: Quo tempore imperatoris et augusti nomen accepit. Quod primo in tantum aversatus est, ut adfirmaret se eo die, quamvis praecipua festivitas esset, ecclesiam non intraturum, si pontificis consilium praescire potuisset.
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falls vor 836 niedergeschrieben worden1). Sie ist keine deskriptive, auf bloße Fixierung historischer Nachrichten abzielende Schrift, sondern ganz und gar auf Reflexion und Wertung eingestellt2). Dies gilt auch von dem Satz über Karls Reaktion. Er hat eine klar erkennbare Funktion im Zusammenhang des Ganzen. Denn Einhard fährt fort: Invidiam tarnen suscepti nominis, Romanis imperatoribus super hoc indignantibus, magna tulit patientia. Vicitque eorum contumaciam magnanimitate, qua eis procul dubio longe praestantior erat. . . Wie sonst geht es Einhard auch hier um Charakterisierung, nicht um Bericht. Der historische „Stoff" ist ihm nur Belegmaterial für die zentralen Tugenden Karls, seine magnanimitas und patientia?). Diese besteht hier darin, daß er den Haß der byzantinischen Kaiser standhaft erträgt, obwohl ihn wegen der Kaiserwürde kein Vorwurf treffen kann: er hat sie nicht nur nicht erstrebt, sondern sogar verabscheut. Zu beachten ist auch, daß Einhard Karls Abneigung gegen das nomen imperatoris ausdrücklich nur als erste Reaktion charakterisiert: Quod prim ο in tantum aversatus est. . . Diese erste ablehnende Reaktion gehört zu den klassischen Verhaltensnormen, die uns, wie H. Fichtenau überzeugend belegt hat4), für zahlreiche römische Kaisererhebungen überliefert sind. Für Einhard durfte im Bilde Karls, das er bewußt nach römischen Vorlagen zeichnete, auch dieser Zug nicht fehlen, ein profan-antikes Gegenstück zur kanonischen Resistenz bei der mittelalterlichen Bischofswahl. Der ein Menschenalter nach den Ereignissen aufgezeichnete Satz ist also in erster Linie durch apologetische und charakterisierende Absichten bestimmt. Wird dieser Satz, als Nachricht genommen, durch das nesciente domno Carolo der Annales Maximiniani in ausreichender Weise gestützt ? Die Annales Maximiniani leiten sich von einer verlorenen fränkischen Annalenkompilation her, die bis 829 reichte und zu deren weiteren Ableitungen die Salzburger Jahrbücher und die Annales Xantenses gehören. Nach 796 und so auch zu 801 folgen die Maximiniani einer den Annales qui dicuntur Einhardi nahestehenden Redaktion der Reichsannalen, die um wenige NachrichL ö w e in: Wattenbach-Levison 2, 2 7 4 ; vgl. jedoch F . L . G a n s h o f , Eginhard, Biographe de Charlemagne (Bibl. d'Humanisme et Renaissance 13, Genfeve 1951), S. 222, der den für den Terminus ad quem entscheidenden Brief des Lupus v. Ferrifere im Anschl. an Levillain in die Jahre 829—830 setzt (statt 828—836). Vgl. auch H Z 180, 1955, 460, Anm. 2. 2 ) S. H e l l m a n n , Einhards literarische Stellung, H V S 27, 1932, 4 0 — 1 1 0 . 3 ) H e l l m a n n , bes. S. 91 ff.; V e r f . , Die Historiographie des Ma.s als Quelle f. d. Ideengesch. d. Königtums, H Z 180, 1955, 478 fi. *) F i c h t e n a u (stets wie oben S. 5 1 5 Anm. 2) S. 2 6 4 0 .
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ten „unbekannter Herkunft" vermehrt wurden 1 ). Zu diesen gehören die zitierten Worte über Karls Unkenntnis. Nichts steht der Annahme entgegen, daß die Quelle für diesen Zusatz Einhards Vita gewesen ist2). Aus dessen Worten . . . sipontificis consilium praescire potuisset war die zusätzliche Nachricht jedenfalls leicht zu gewinnen. Diese Annahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, daß die von denMaximiniani benutzte Redaktion der Reichsannalen den Namen Einhards vor allem deshalb führt, weil sie häufig mit der Vita Karoli zusammen abgeschrieben und überliefert worden ist3). A m Ende brauchte also der Annalist nur im gleichen Codex zu blättern, um die Grundlage für seine Nachricht zu finden. Von Nachrichten, die unabhängig voneinander entstanden wären und sich gegenseitig stützten, kann man bei dieser Sachlage schwerlich sprechen4). Einhard ist nun allerdings ein qualifizierter Gewährsmann, und man wird sich trotz aller gemachten Einschränkungen davor hüten müssen, den Nachrichtengehalt seiner apologetischen und charakterisierenden Reflexion über das nomen imperatoris gänzlich beiseite zu schieben. Dazu besteht jedoch im Hinblick auf unsere sonstige Kenntnis der Vorgänge auch keinerlei Anlaß. Es läßt sich vielmehr zeigen, daß Einhards Formulierung an keiner Stelle im Widerspruch steht zu dem, was uns anderweit bekannt ist, ohne daß daraus folgt, Karl habe nicht Kaiser werden wollen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Einhard mit keinem Wort den Anspruch erhebt, sich in der Form des Kaisertitels (imperatoris et augusti nomen) an den tatsächlichen Wortlaut der Akklamation zu halten, die am Weihnachtstage 800 in der Peterskirche erklungen war. Natürlich kannte er diesen Wortlaut aus den Reichsannalen so gut wie wir. Dort heißt es: Carolo augusto, a Deo coronato magno et pacifico imperatori Romanorum, vita et victoria/5). Dieser durch die Vita Leonis®) gedeckte Wortlaut ist von Einhard gekürzt worden. x)
L ö w e in: Wattenbach-Levison 2, 257. F i c h t e n a u S. 275. 3) Alle erhaltenen Exemplare der Annales q. d. Einhardi folgen in den Hss. der Vita Karoli. L ö w e in: Wattenbach-Levison 2, 254. *) Die Worte Notkers (I c. 26) . . . antistes apostolicus . . . nihil minus suspicantem ipsum pronuntiavit imperaiorem kommen ebensowenig als eine von Einhard unabhängige Nachricht in Betracht. F i c h t e n a u S. 275^ im Anschl. an H e l d m a n n S. 312 Anm. 3. s) Annales regni Francorum, hg. F. K u r z e , SS. rer. Germ. 1895, S. 112 zu 801. ·) Hg. D u c h e s n e , 2, S. 7. Dort fehlt zwar im Text der Akklamation das Wort Romanorum, doch heißt es kurz danach: et ab omnibus constitutus est imperator Romanorum. Wie P. C l a s s e n , Romanum guberaans imperium, 2)
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Von Gewicht ist aber allein die Streichung des Genitivs Romanorum. Man wird ihm daraus keinen Vorwurf machen können, da von dem Titel imperator Romanorum nicht wahrheitsgemäß gesagt werden konnte, Karl habe ihn „angenommen" (accepit). Bekanntlich hat Karl statt dessen die Umschreibung Romanum gubernans Imperium gewählt und damit ein staatsrechtliches Problem gelöst, das sich mit dem Titel imperator Romanorum für ihn und die Franken ergab: das Reichsvolk des imperator Romanorum wären in fränkischen Augen die Römer gewesen1). Insofern hatte das nomen imperatoris vom Weihnachtstage 800 in der Tat für Karl eine unerträgliche Zumutung bedeutet. Für die Verfassung des Frankenreiches stellte die Kaiserwürde ohnehin, wie wir noch sehen werden, ein schwer lösbares Problem dar. Es hieß jedoch diese Problematik auf die Spitze treiben, wenn durch eine solche Gestaltung des Titels der Führungsanspruch der Franci offen in Frage gestellt wurde 2 ). Da Karl nach Ausweis der Urkunden diese Form des Titels auch nicht akzeptiert hat3), wird man Einhards Bericht in diesem Punkte nicht unkorrekt finden können, zumal er auch sonst nicht ausschließlich auf das Stichjahr 800 bezogen ist. Die in unlösbarem gedanklichem Zusammenhang folgenden beiden Sätze über das Verhältnis zu Byzanz schließen nämlich die ganze weitere Entwicklung bis zum Jahre 812 ein. Stilistisch gesprochen, hat sich Einhard mit einer Ellipse geholfen: das von ihm gestrichene Romanorum ist nämlich für das D A 9, 1951, 117, Anm. 67 erkennen läßt, waren meine einschlägigen Bemerkungen in W a G 10, 1950, 123 Anm. 33 mißverständlich. Entscheidend ist, daß die Reichsannalen den Ereignissen zeitlich näher stehen als die erst nach dem Tode Leos III. (816) aufgezeichnete Papstvita. Ein eigenmächtiger Zusatz des den Franken so anstößigen Genitivs Romanorum ist den Reichsannalen kaum zuzutrauen, wohl aber seine Streichung dem Biographen Leos III., da nach 812 der fragliche Genitiv in Byzanz üblich geworden war, während die Franken zugleich jede römische Qualifizierung des Kaisertums fallengelassen hatten. Das nachfolgende constitutus est imperator Romanorum zeigt allerdings, daß solche Rücksichtnahme, falls sie waltete, nur unvollständig zur Geltung gelangt ist. So wird man für die Vita Leonis auch Ungenauigkeit der Überlieferung in Betracht zu ziehen haben. Auch E r d m a n n S. 27 Anm. 2 gibt der Fassung der Reichsannalen den Vorzug. "Der imperator Romanorum war ebenso eine Neuerung wie sein offenbares Vorbild, der patricius Romanorum, ist also zugleich lectio difficilior. x)
Verf., Romkaiser u. fränk. Reichsvolk, in: Festschr. Ε. E. Stengel, 1952, S. 175 ff.; ders., Das imperiale Königtum i. 10. Jahrhundert, W a G 10, 1950, i23ff.; S c h r a m m , Anerkennung, S. 499ff.; C l a s s e n S. 120.
2)
E r d m a n n S. 26f.; L ö w e in: Gebhardt, Hdb. d. dt. Gesch. 1, 8. Aufl., S. 139; S t e i n b a c h S. 66.
8)
Zur Entwicklung des urkundlichen Titels: C a s p a r S. 26of.
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Verständnis des folgenden Satzes gleichwohl erforderlich. Das notnen, das Karl anfangs (primo) verabscheute (aversaius est), lautete Imperator Romanorum. Aber dieses nomen hat Karl nicht angenommen (accept/). Einhards Ellipse wäre etwa folgendermaßen aufzulösen: imperatoris et augusti nomen, quodprimo aversatus est, deinde accepit1), nämlich nach der Streichung des Wortes Romanorum und seiner Ersetzung durch Romanum gubernans Imperium. Folgerichtig bestand dann auch das Karl zuvor unbekannte consilium pontificis darin, daß Leo III. Karl zum Kaiser der Römer machen wollte. Der Leser mag geneigt sein, dieser Deutung entgegenzuhalten, man könne Einhard nicht zutrauen, ganz verschiedene Dinge in einem Atemzuge gemeint zu haben: Tatsachenbericht, Apologie, Charakterisierung und typologisierende Bezugnahme auf eine charakteristische Verhaltensnorm des antiken Kaisers. Eine Analyse seiner Praefatio 2 ) hat jedoch bereits gezeigt, wie naiv es wäre, Einhard Naivität zu unterstellen. Die Meisterschaft, mit der er es verstand, auf mehreren Ebenen zugleich zu denken — vielleicht gehört dies zur brevitas, deren er sich befleißigen wollte3) — , sucht im Mittelalter ihresgleichen. Im übrigen spricht methodisch für diese Deutung des vielerörterten und vielgedeuteten Satzes, daß sie sich an eindeutige und urkundlich belegte Tatsachen hält: an die gesicherte Entwicklung des Kaisertitels. U m den Kaisertitel, und nur um diesen, handelt es sich aber auch bei Einhard. Die vorgeschlagene Deutung setzt voraus, daß vor dem Weihnachtstage 800 über die Kaiserfrage mit Karl verhandelt worden war. Dies wird uns durch die Annales Laureshamenses ausdrücklich bezeugt, durch eine Quelle also, die, im unmittelbaren Anschluß an die Ereignisse aufgezeichnet, diesen erheblich näher steht als Einhards Vita und die Annales Maximiniani. 3. D i e A n n a l e s L a u r e s h a m e n s e s u n d die N o m e n - T h e o r i e Der Quellenwert der Annales Laureshamenses ist zuletzt von H. Fichtenau eingehend untersucht worden4). Nicht alle seine Argumente, mit denen er ihren Wert als einer erstrangigen Quelle zu *) D e m naheliegenden Einwand, Einhard hätte sich unschwer auch so ausdrücken können, wenn er gerade dies meinte, ist entgegenzuhalten, daß dann seine apologetischen und charakterisierenden Absichten beeinträchtigt worden wären. 2)
V e r f . , Topos u. Gedankengefüge bei Einhard, Archiv f. Kulturgesch. 33,
1951. 337—35°· 3)
So in der Praefatio, S. 1.
4)
F i c h t e n a u S. 2870.
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begründen sucht, sind stichhaltig. So kann das Wiener Fragment dieser Annalen schon deshalb nicht Autograph sein, weil es schlechtere Lesarten bietet als andere Überlieferungszweige 1 ). Beachtung verdienen jedoch die Indizien, die auf den Bischof Richbod von Trier, den vormaligen Abt von Lorsch, als Verfasser der Annalen hinweisen2). Eine Reihe, freilich nicht alle feststellbaren textgeschichtlichen Zäsuren der Annalen lassen sich mit der Biographie Richbods gut in Einklang bringen: der Gedanke, Karls Kaisertum nicht nur auf seine tatsächliche Herrschaft über Rom zu stützen, ubi semper Caesares sedere soliti erant, sondern auch auf die reliquas sedes, quas ipse per Italiam seu Galliam nec non et Germaniam tenebat, habe nirgends näher liegen können als in Trier, wo Richbod nachweislich archäologische Interessen pflegte und sich der kaiserlichen Tradition Triers bewußt werden mußte. Fraglich bleibt, an welche sedes der Annalist bei der Germania gedacht hat, die nach dem herrschenden karolingischen Sprachgebrauch durch den Rhein von der Gallia getrennt wurde3). Er kann nicht nur einstige römische, er muß auch karolingische sedes gemeint haben4). Endlich zeichnen sich die Annales Laureshamenses gegenüber den Reichsannalen durch sehr viel präzisere Nachrichten über Sachsen aus, und Fichtenau möchte als Quelle für diese Informationen Echternach in Anspruch nehmen, den Ausgangspunkt Willehads, also jenes Kloster, dessen Bedeutung für die Sachsenmission von H. Büttner 5 ) unterstrichen worden ist. Tatsächlich erscheint im Briefwechsel Alkuins Richbod als Mittelsmann zwischen Alkuin und dem Abt Beornrad von Echternach, dem gleichzeitigen Erzbischof von Sens. Unabhängig von Fichtenau konnte inzwischen nachgewiesen werden, daß die Vita Willehadi um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Echternach entstanden ist6). Diese Vita hat das Raisonnement der Annales Laureshamenses über die Kaiserfrage oder deren Quelle ausgeschrieben und um einige charakteristische Gesichtspunkte be1)
Vgl. demnächst H. H o f f m a n n , Unteres, z. karol. Annalistik (Bonner Histor. Forschungen 11). 2) F i c h t e n a u S. 2g6ff. 8) M a r g r e t L u g g e , Gallia u. Francia i. MA., Diss. Bonn (masch.) 1953. 4) Vgl. etwa Regino, Chronicon a. 876, hg. F. Kurze, MG. SS. rer. Germ. 1890, S. I i i : . . . Ludowicus . . . apud Franconofurt principalem sedem orientalis regni residebat. 6) H. B ü t t n e r und I. D i e t r i c h , Weserland u. Hessen i. Kräftespiel der karolingischen u. frühen otton. Politik, in: Westfalen 30, 1952, 137 Anm. 26; F i c h t e n a u S. 302. ·) G e r l i n d e N i e m e y e r , Die Herkunft der Vita Willehadi, DA 12, 1956,
17—35-
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reichert1). Das Diktat des Willehad-Biographen hat dabei deutliche Spuren hinterlassen2). Stoff und Zusammenhang der Vita boten jedoch keinen unmittelbaren Anlaß zu diesem Exkurs, der daher auch einigermaßen willkürlich das Gefüge der Vita durchbricht. Dies alles würde sich gut erklären, wenn Richbod als Verfasser der Annalen den Text nach Echternach vermittelt hätte, so daß ihm dort eine besondere Beachtung sicher sein konnte. War Richbod der Verfasser der Annalen, so würde ins Gewicht fallen, daß er zum Kreise Alkuins gehörte3). Fichtenau hat weiterhin auf eindrucksvolle Diktatberührungen zwischen dem Annalentext zu 801 und zeitgenössischen Gerichtsurkunden Karls d. Gr. hingewiesen, unter denen vor allem die Wendung quorum petitionem ipse rex Karolus denegare noluit, sed. . . hervorzuheben ist4). Es handelt sich dabei nicht um karolingisches Kanzleidiktat schlechthin, sondern um Diktat aus der Zeit des Romzuges. Man braucht daraus nicht mit Fichtenau auf die Benutzung eines amtlichen Protokolls über die römischen Vorgänge zu schließen. Wohl aber gilt es zu bedenken, daß der Annalist, der das Urkundenformular woher auch immer kennen mochte, diese Wendungen in ihrer Rechtsbedeutung verstanden haben muß und somit ein rechtsförmliches Verfahren im Auge hatte, als er die Vorverhandlungen über die Kaiserwürde Karls beschrieb. Es handelt sich also nicht um willkürliche Phrasen, sondern um präzise rechtsbedeutsame Formulierungen, die der Verfasser kaum leichtfertig und willkürlich gebraucht hat. Doch auch unabhängig von der Frage des Verfassers gibt es keine den Quellenwert dieser Annalen einschränkenden Gesichtspunkte. Sie gelten mit Recht als annähernd gleichzeitig geführt 6 ), ihr Inhalt läßt sich ohne Schwierigkeiten mit den sonstigen Nachrichten vereinbaren. Dies gilt, wie sich nunmehr gezeigt hat, sogar für Einhard. Weiterführende Gesichtspunkte ergeben sich zudem aus einer Analyse des Jahresberichtes zu 801. Dort heißt es 6 ): !) N i e m e y e r S. 32ff. mit Gegenüberstellung der T e x t e ; H. L ö w e , D A 9, 1952, 380 m. Anm. 105. 2 ) Vgl. V i t a Willehadi, MG. SS. 2, 381 f., c. 5: quem . . . catholica Europas consistens Christi veneraia pariter et gratulabunda suscepit ecclesia; c. 10: . . . ibique consistens gravi coepit corporis febre vexari; . . . ne videamur sicut oves non habentes pastorem, errabundi vagare. 8 ) F i c h t e n a u S. 3ίϊ. 4) D K 171 für F a r f a von 791: quorum petitionem denegare noluimus, sed F i c h t e n a u S. 319. 5 ) W a t t e n b a c h - L e v i s o n 2, 187!. «) M G . SS. 1, 38 zu 801.
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Et quia iam tunc cessabat α parte Graecorum nomen imperatoris et femineum Imperium apud se abebant, tunc visum est et ipso apostolico Leoni et universis sänctis patribus qui in ipso concilio aderant, seu reliquo Christiane populo, ut ipsum Carolum regem Franchorum imperatorem nominare debuissent, qui ipsam Romam tenebat, ubi semper Caesares sedere soliti erant, seu reliquas sedes, quas ipse per Italiam seu Galliam nec non et Germaniam tenebat, quiaDeus omnipotens has omnes sedes in potestate eius concessit; ideo iustum eis esse videbatur, ut ipse cum Dei adiutorio et universo christiano populo petente ipsum nomen aberet. Quorum petitionem ipse rex Karolus denegare noluit, sed cum omni humilitate subiectus Deo et petitione sacerdotum et universi christiani populi . . . ipsum nomen imperatoris cum consecratione domini Leonis papae suscepit.
Die Kaiserwürde Karls erhält hier eine doppelte Begründung: das nomen imperatoris ist von den Griechen gewichen, es bedarf eines neuen Trägers. Als solcher bietet sich Karl dar, weil er über Rom herrscht, ubi semper Caesares sedere soliti erant, sowie über die übrigen sedes in Italien, Gallien und Germanien, und weil Gott alle diese sedes in seine potest as gegeben habe. Dies wird von den Teilnehmern der römischen Synode festgestellt, vor denen Leo III. sich durch Eid gereinigt hatte. Die Übertragung des nomen imperatoris erfolgt weiterhin auf Bitten des universus christianus populus. Dieser wird von den sacerdotes ausdrücklich unterschieden. Im Gegensatz zu den Reichsannalen, die den cunctus Romanorum populus als handelndes Subjekt bei der Akklamation einführen, werden hier die beteiligten römischen Laien als christianus populus gedeutet. Die Annales Mettenses priores, die, wie H. Hoffmann zeigen kann, um 805 im karolingischen Hauskloster Chelles, dem Karls Schwester Gisela vorstand, entstanden sind1), schreiben die Reichsannalen an der entsprechenden Stelle aus, fügen jedoch nach den Worten Post laudes ein: a plebe decantatas2). Diese Ergänzung der Vorlage, die auf eine interpretierende Umdeutung der von den Reichsannalen korrekt festgehaltenen Vorgänge hinausläuft, verrät die gleiche Empfindlichkeit in der Reichs volkfrage wie Karls urkundlicher Titel und Einhard. In der Methode bestehen freilich Unterschiede: Einhard zieht sich auf den undeterminierten Kaisertitel zurück, den wir als Ergebnis des Ausgleichs mit Byzanz von 812 aufzufassen haben 3 ); die Kanzlei war 801 auf das unpersönliche Romanum Imperium ausgewichen. Der universus christianus populus der Annales Laureshamenses und die ebenfalls als Kirchenvolk aufzufas1)
Siehe oben S. 526 Anm. 1. Hg. B. v. S i m s o n , SS. rer. Germ. 1905, S. 87. Freundlicher Hinweis von Herrn Dr. H. H o f f m a n n . *) S c h r a m m , Anerkennung S. 5 0 4 ! m. Anm. 3. 2)
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sende plebs der Annales Mettenses priores verweisen uns auf Alkuins Imperium christianum, über das Karl schon vor 800 herrschte1). Die Annales Mettenses priores zehren auch sonst vom Geiste Alkuins, der zu Chelles, ihrem Entstehungsort, und zu Karls dort residierender Schwester Gisela lebhafte Beziehungen unterhielt2). Mit der RichbodThese wären solche auch für die Annales Laureshamenses faßbar. Das Raisonnement der Annales Laureshamenses über die Gründe von Karls Kaiserwürde läuft, ohne daß der Terminus gebraucht wird, auf eine Translatio nominis hinaus. Byzanz hat sich selbst für die Kaiserwürde disqualifiziert, Karl dagegen verfügt bereits mit den sedes über die potestas, die ihn von der Sache her zum Träger des nomen imperatoris bestimmt3). Dieses zwischen nomen und potestas, zwischen bloßem Titel und effektiver Herrschaft unterscheidende Gedankenschema 4 ) gehört zu den Grundkategorien des fränkischen Staatsdenkens seit 751. Es begegnet zuerst in der päpstlichen Antwort auf die Königsfrage Pippins 5 ) und gelangt so in die fränkische Überlieferung, wird als theoretische Grundlage der karolingischen Herrschaft wesentlich für das politische Selbstverständnis der Dynastie. Die Reichsannalen sprechen von den Merowingerkönigen, qui non habentes regalem potestatem. Zacharias habe Pippin mitgeteilt, ut melius esset illum regem vocari, qui potestatem haberet, quam illum, qui sine regali potestate manebat; ut non conturbaretur ordo. Childerich III. trägt den Königstitel zu Unrecht {false rex vocabatur)β). Nach demChronicon Laurissense breve erschien es Zacharias melius atque utilius . . ., ut ille rex nominaretur et esset, qui potestatem in regno habebat, quam ille, qui falso rex appellabatur1). Siehe unten S. 537 fi. S c h l e s i n g e r , Kaisertum u. Reichsteilung S. 42f.; demnächst auch H. H o f f m a n n (wie oben S. 526 Anm. 1). 3) L ö w e , D A 9, 1952, 380S.; S c h r a m m , Anerkennung S. 490. 4) L ö w e , D A 9, 1952, 382 Anm. 111. 5) F. K e r n , Gottesgnadentum u. Widerstandsrecht i. früheren MA., 2. Aufl., hg. R. B u c h n e r , 1954 S. 2 5 2 ! Anm. 104 ( = 1. Aufl. S. 298); H. B ü t t n e r , Aus den Anfängen des abendländischen Staatsdenkens. Die Königserhebung Pippins, H J B 71, 1952, 77—90 (wiederabgedr. in: Das Königtum, seine geistigen u. rechtl. Grundlagen, Mainauvorträge 1954 = Vorträge u. Forschungen 3, hg. Th. Mayer, 1956, 155—167). ') Annales regni Francorum zu 749, S. 8. 7) Hg. H. S c h n o r r v. C a r o l s f e l d , NA 36, 1911, 28. Aufschlußreich auch der nächste Satz: Mandavit itaque praefatus pontifex regi (Pippin!) et Francorum populo, ut Pippinus, qui potestate regia utebatur, rex appellaretur et in sede regali constitueretur. Die Bedeutung dieses Berichtes unterstreicht K e r n S. 253.
2)
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Der Fortsetzer Fredegars, der unter unseren Gewährsmännern den Ereignissen zeitlich am nächsten stand, faßt in der gedrängten Kürze eines einzigen Satzes die Elemente der Königserhebung — päpstliche Ermächtigung, Wahl, Weihe und subiectio principum — zusammen und kennzeichnet den Gesamtvorgang mit den Worten ut antiquitus ordo deposcit1). In den Reichsannalen meint ordo die göttliche Weltordnung, die durch das Auseinanderfallen des nomen regis und der potestas bedroht erscheint. Dies ergibt sich aus den philosophisch-theologischen Quellgründen des Gedankenschemas, die bei Augustin, Isidor und Pseudo-Cyprian zu erkennen sind2). Der Ordo-Begriff des Fredegar-Fortsetzers deckt sich damit nicht. Die Reichsannalen haben an entsprechender Stelle secundum morem Francorum. Doch trifft dies sachlich nach allem, was wir wissen, allenfalls für die Wahl, nicht für die Salbung zu. Gerade darauf scheint aber der Fredegar-Fortsetzer Rücksicht zu nehmen, wenn er sich nicht auf das fränkische Herkommen, sondern gewissermaßen auf eine andere Antiquitas beruft: auf die biblischen Präzedenzfälle der Königssalbung und auf die päpstliche Grundsatzentscheidung, die absolutes und insofern „altes" Recht offenbart hatte3). Daß die Reichsannalen und nicht der Fredegar-Fortsetzer den Ordo-Begriff im ursprünglichen Gedankenzusammenhang der päpstlichen Dekretale bieten, ist evident. Keinesfalls können die Reichsannalen, wie es die typographische Anordnung der Ausgabe von Kurze suggeriert, diesen Zusammenhang aus dem Fredegar-Fortsetzer hergestellt haben. Eine gemeinsame Quelle ist daher vorauszusetzen. Es liegt nahe, das päpstliche Responsum selbst dafür in Anspruch zu nehmen4). Auch in späteren Quellen wird diese Nomen-Theorie tradiert. So formulieren die Annales Fuldenses zu 752: . . . ut Pippinus, qui pot est ate regia utebatur, nominis quoque dignitate frueretur6). Vollends hat Einhard im 1. Kapitel seiner Vita Karoli zur Rechtfertigung des Dynastiewechseis von 751 diese Theorie in aller Breite 1 ) c. 33, SS. rer. Merov. 2, S. 182: Quo tempore, una cum consilio et consensu omnium Francorum missa relatione ad sede apostolica, auctoritaie praecepta, praecelsus Pippinus electione totius Francorum in sedem regni cum consecratione episcoporum et subiectione principum una cum regina Bertradane, ut antiquitus ordo deposcit, sublimatur in regno. *) K e r n S. 252; B ü t t n e r , H J B 71, 1952, 82fl.
*) W. S c h l e s i n g e r , Karlingische Königswahlen, in: Zur Gesch. u. Problematik der Demokratie, Festgabe H. Herzfeld, 1958, S. 208 f. m. Anm. 12. *) So auch S c h l e s i n g e r , Karlingische Königswahlen, S. 209 Anm. 12. *) Hg. F. K u r z e , SS. rer. Germ. 1891, S. 6 zu 802.
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expliziert 1 ): Das merowingische Geschlecht endet nur scheinbar mit Childerich III., da es in Wahrheit schon längst nullius vigoris war und nichts Nennenswertes weiter vorzuweisen hatte außer dem inane, ja inutile regis vocabulum. Die opes et potentia regni sind bei den Hausmeiern, während der König regio tantum nomine contentus auf dem Thron sitzt ac speciem dominantis effingeret. Es fällt ins Gewicht, daß gerade Einhard sich diese Theorie so nachdrücklich zu eigen gemacht hat; denn er stellt der Annahme des nomen imperatoris durch Karl den Hinweis zur Seite, Karl sei durch seine magnanimitas den Romani imperatores überlegen gewesen8). So tritt zur Fülle der Aspekte, die Einhards Formulierungen gerade hier erkennen ließen, auch noch die Nomen-Theorie, wenn auch, anders als in den Lorscher Annalen, nur als ein Motiv unter vielen. Nicht nur Einhard, sondern auch andere unter den jüngeren karolingischen Autoren formulieren — eine Wirkung der Bildungsund Sprachreform — mit größerer Präzision. Der Bearbeiter der Reichsannalen sagt von den Merowingern zu 749: Qui nomen tantum regis, sed nullam potestatem regiam habuerunt3). Von Karl d. Gr. heißt es bei Notker Balbulus nicht weniger eindeutig: . . . ut qui iam re ipsa rector et imperator plurimarum erat nationum nomen quoque imperatoris Caesaris et augusti apostolica auctoritate gloriosus assequeretur1). Daß Karl das nomen imperatoris erhielt, weil er der Sache nach bereits Kaiser war, konnte nicht deutlicher gesagt werden. Die Nomen-Theorie darf nicht „nominalistisch" mißverstanden werden 5 ). Dies lehrt bereits der enge Zusammenhang mit dem OrdoGedanken®). Der or do, die göttliche Weltordnung, erscheint nach dieser Theorie gerade gestört, wenn das nomen nicht zugleich mehr ist als bloßer „Name" und „Titel". Wendungen wie nomen Romanum, nomen christianum, nomtnis dignitas, nominis auctoritas1) lassen den durchaus noch „numinosen" Vollgehalt des Begriffes erkennen. Erst dies macht es überhaupt verständlich, daß die V e r f . in: Westfalen 30, 1952, 162ff. *) V e r f . in: HZ 180, 1955, 4770·. be?. S. 479 Anm. 1. *) Hg. F. K u r z e , S. 9; L ö w e , D A 9, 1952, 381 Anm. 110. *) Gesta Karoli I, c. 26, MG. SS. 2, 74. Dazu E r d m a n n S. 2 Anm. 1; W. v. d. S t e i n e n , Notker der Dichter u. seine geistige Welt, Darstellungsband, 1948, S. 71 ff.; S c h r a m m , Anerkennung, S. 490. *) Davor warnt H. G r u n d m a n n , Bericht über die 21. Versammlung deutscher Historiker in Marburg, Lahn, Beih. z. Zs. „Gesch. i. Wiss. u. Unterr.", 1952, S. 12f. Dazu V e r f . in: Westfalen 30, 1952, 163 Anm. 95; F i c h t e n a u S. 259 ff. *) Ihn setzt auch S t e i n b a c h S. 55 und 65 für 751 und 800 voraus. 7) F i c h t e n a u S. 2590.
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Nomen-Frage ein solches staatstheoretisches Gewicht erhalten konnte. Ein „Nominalist" würde nicht gerade das notnen zum Ausgangspunkt aller Erwägungen genommen habenl Es kommt hinzu, daß die Nomen-Theorie des päpstlichen Responsum von 751, die bereits in der fränkischen Anfrage angelegt war, auch im Lichte des sogenannten Übersetzungsproblems gesehen werden muß. Wie hat man sich das Echo der päpstlichen Grundsatzentscheidung beim fränkischen Laienadel vorzustellen ? In seine Gedankenwelt übertragen, stellt sich der Dynastie Wechsel als die notwendige Folge einer Verlagerung des „Königsheils" von den Merowingern auf die neue stirps regia dar1). Der charismatische Aspekt der NomenTheorie dürfte also die letzte Erklärung für die zentrale Stellung sein, die sie seit 751 im politischen Bewußtsein der Franken einnehmen konnte. Die zündende Wirkung des kirchlichen, patristischen Gedankenschemas war dem Umstände zu verdanken, daß sich in ihm kirchliche und fränkische Staatsvorstellungen harmonisch durchdringen konnten. Wie anders hätte sonst auch bei der ungemeinen Konsistenz des mos Francorum eine kirchliche Staatstheorie im Frankenreich normative Geltung erringen können ? Den charismatischen Vorstellungen der Germanen vom Königtum ist jedoch der Gedanke nicht fremd gewesen, daß ein Königsgeschlecht sein Heil verlieren könne, so daß ein Königsopfer geboten erschien2). Im Sinne der Nomen-Theorie bedeutete der unfähige König auf dem Thron, daß das nomen regis seinen numinosen Vollgehalt eingebüßt hatte und zu einem inane regis vocabulum (Einhard) entartet war. Im Auseinandertreten von nomen und potestas wurde die Entartung, die conturbatio ordinis, manifest. Diese Grundkategorie frühmittelalterlichen Staatsdenkens läßt sich auch sonst mannigfach belegen. So sagt die anonyme Vita Hludovici von Ludwig d. Fr. nach dem Sündenbekenntnis von Compiegne 830: solo nomine imperator aestatem transegit3). Tatsächlich war Ludwig damals seiner Funktionen enthoben. Die Annales Bertiniani begründen die Verlassung Karls von der Provence, des Sohnes Lothars I., im Jahre 861 mit Untüchtigkeit: inutilis 1) H. M i t t e i s , Der Staat des hohen MA.s, 4. Aufl. 1953, S. 55; Pauli Hist. Langobard. V I 16, hg. G. W a i t z , MG. S S . rer. Germ. 1878, S. 218, von den Merowingern: . . . Francorum regibus a solita fortitudine et scientia degenerantibus . . .; von den Karolingern: quippe cum caelitus esset dispositum, ad Horum progeniem Francorum transvehi regnum. 2
) K e r n S. 145ff. (1. Aufl. S. lögff.); M i t t e i s S. 7 L mit Lit.
' ) Vita Hludovici c. 45, MG. SS. 2, 633; Quellen z. karol. Reichsgesch. 1, hg. R. R a u , S. 336·
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atque inconveniens regio honori et nominix). Und ebendort heißt es zu 871: Hincmarus Laudunensis nomine-tantum episcopus, homo insolentiae singularis . . .2). Zu einer eingehenden Erörterung der Nomen-Theorie kam es im Jahre 871 zwischen Kaiser Ludwig II. und Basileios I. Die beiden Herrscher hatten sich zu einer gemeinsamen Operation gegen die Sarazenen in Süditalien zusammengefunden und außerdem eine Eheverbindung zwischen dem Sohn des Basileios, seinem Erben und Mitkaiser Konstantinos, und der Tochter Ludwigs II., Ermengard, in Aussicht genommen. Beides kam nicht zustande. Von dem aus diesem Anlaß geführten Briefwechsel zwischen den beiden Herrschern ist uns der sogenannte Kaiserbrief Ludwigs II. von 8713) erhalten, verfaßt von Anastasius Bibliothecarius. Aus ihm ergibt sich, daß Basileios die protokollarische Behandlung Ludwigs II. als imperator von der in Aussicht genommenen Ehe der beiderseitigen Kinder abhängig machen wollte4). Auch war ohnehin in dem Brief des Basileios, auf den sich Ludwig II. bezieht, viel de imperatorio nomine die Rede gewesen, da Ludwig obendrein den Titel Imperator augustus Romanorum5) für sich in Anspruch genommen hatte. Ludwig gesteht nun, die byzantinische Erregung über das vocabuli nomen nicht recht verstehen zu können, da die imperii dignitas vor Gott nicht in vocabuli nomine, set in culmine pietatis gloriosa consistat. Es bestehe daher kein Anlaß zur Verwunderung, quod appellamur, vielmehr sei zu beachten, quod sumus6). Ludwig II. wendet sich also ausdrücklich gegen die Behandlung des nomen imperatoris als eines bloßen Titels, der zum politischen Handelsobjekt gemacht werden könne. Er führt dagegen die unbezweifelbare Substanz seiner kaiserlichen Würde ins Feld. Invenimuspraesertim, cum ipsipatrui nostri, gloriosi reges, absque invidia imperatorem nos vocitent et imperatorem esseprocul dubiofatentur7). Die von Byzanz aufgeworfene Titelfrage ist in Ludwigs Augen insofern bedeutungslos, als sie nur das nomen, das !) Hg. G. W a i t z , SS. rer. Germ. 1883, S. 56. Ebd. S. 116. s ) MG. Epp. 7, 383—394, rec. W. H e n z e ; L. M. H a r t m a n n , Gesch. Italiens i. MA. III, 1, 1908, S. 306 Anm. 26; W. H e n z e , N A 35, 1910, 663; E. 2)
P e r e i s , Papst Nikolaus I. und Anastasius Bibliothecarius, 1920, S. 238 Anm. 5; F. D ö l g e r , Europas Gestaltung im Spiegel der fränkisch-byzantinischen Auseinandersetzung des 9. Jahrhunderts, in: Der Vertrag von Verdun, hg. T h . M a y e r , 1943, S. 229fr.; W. O h n s o r g e S. 210. *) S. 390 Z. 25 ff. s ) S. 389 Z. 2 ff. ·) S. 386 Z. 25 ff. 7)
S. 387 Z. i6ff.
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vocabulum, die „Benennung" meint und nicht zugleich auch die Sache, die dignitas, das esse. Auch in der Antapodosis des Liutprand von Cremona tritt uns die Nomen-Theorie, hier sogar in besonders zugespitzter Form, zur Begründung eines Thronwechsels entgegen, wenn es im Hinblick auf Berengar II. heißt: Obwohl die Italiener Hugo und Lothar wiederholt als Könige angenommen hätten, Berengarium tarnen nomine solum marchionem, potestate vero regem, illos vocabulo reges, actu autem neque pro comitibus habebant1). In seiner Legatio hält Liutprand dem Basileus entgegen: Romanam civitatem dominus meus non vi aut tyrannice invasit, sed a tyranni, immo tyrannorum iugo liberavit. Nonne effeminati dominabantur eius? Et quod gravius sive turpius, nonne meretrices? dormiebat, ut puto, tunc potestas tua, immo decessorum tuorum, qui nomine solo, non autem re ipsa imperatores Romanorum vocantui2'). Vom Gedankenschema der Nomen-Theorie hat sich endlich auch im Anschluß an Einhards Vita Karoli Widukind von Korvei bei der Begründung des Dynastiewechsels von 919 leiten lassen3). Die immer wiederkehrende Antithese von nomen und res, nomen und potestas zeigt, daß das Mittelalter zwischen Herrschern zu unterscheiden suchte, die das nomen regis oder imperatoris zu Recht oder zu Unrecht führten. Karl d. Gr. war nun allerdings in Einhards Augen schwerlich ein solcher, der den Kaisertitel zu Unrecht führte. Wenn er das nomen imperatoris empfing, so muß vorausgesetzt werden, daß Karl in Einhards Augen über die sachlichen Voraussetzungen der Kaiserwürde bereits verfügte. Die Pointe besteht also darin, daß Römer und Papst dem Frankenkönig nichts gegeben haben, was diesem nicht auf Grund seiner eigenen Leistung der Sache nach bereits längst zukam. Rom verleiht das nomen, aber nicht die potestas. Das Raisonnement der Lorscher Annalen, in dem Karl und Byzanz im Sinne der Nomen-Theorie antithetisch einander gegenübergestellt werden, entspricht also der Theorie, mit der im Frankenreich das Königtum Pippins gerechtfertigt worden war. Für unsere Frage nach imperialen Tendenzen im Frankenreich vor 800 ist es nun von Bedeutung, ob die Anwendung dieser Theorie auf die Kaiserfrage und damit auf das Verhältnis des Frankenherrschers zu Byzanz im Frankenreich vorbereitet worden ist. Daran fehlt es in der Tat nicht. Mit den Annales Laureshamenses berühren sich die 1)
Antapodosis V 30; Die Werke Liutprands v. Cremona, 3. Aufl. hg. v. J. B e c k e r , SS. rer. Genn. 1915, S. 148 Z. 24. Ähnlich II 39, S. 54f. 2) Legatio 5, S. 178. s ) V e r f . in: Westfalen 30, 1952, 162ff.
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Libri Carolini 1 ) in doppelter Hinsicht: in der Abwertung des byzantinischen Kaisertums, auf die die gesamte dogmatische Auseinandersetzung über die Bilderfrage und den Kaiserkult hinausläuft, und in dem Hinweis auf Karls Herrschaft über die Gallia, Germania und Italia 2 ). Fichtenau hat dargetan, daß die Libri Carolini wohl das heidnische Kaisertum der Römer und den byzantinischen Herrscherkult ablehnen, aber kein Verdikt über das christliche Kaisertum seit Konstantin d. Gr. fällen3). Eine grundsätzliche Abneigung Karls gegen die Kaiserwürde als solche läßt sich also ohnehin aus den Libri Carolini nicht herauslesen. Bei der gegen Byzanz gerichteten polemischen Tendenz des Ganzen kann die Anführung der Provinzen in der Intitulatio doch wohl nur besagen, daß Karl seine Herrschaft über einstiges römisches Gebiet betonen, daß er den rex Francorum als Rechtsnachfolger der römischen Herrscher über Gallien, Germanien und Italien hinstellen wollte. Dies ist jedoch die unmittelbare Vorstufe zum Raisonnement der Annales Laureshamenses4), und man kann dieses also nicht als eine bloße Substituierung aus dem post hoc ansehen. Im Juni 799 richtete Alkuin an Karl seinen berühmten Brief über die drei höchsten Personen in der Welt 5 ). Diese sind die apostoltca sublimitas, über deren Lage er von Karl Nachricht und Urteil erbittet; ferner die imperialis dignitas et secundae Romae saecularis potentia, die mit der gottlosen Absetzung des gubernator imperii durch die eigenen Bürger disqualifiziert ist. Endlich Karls regalis dignitas, in der ihn Christus zum rector populi christiani bestellt hat. Diese ist ceteris praefatis dignitatibus potentia excellentior, sapientia clarior, regni dignitate sublimior. Karl, in dem allein tota salus ecclesiarum Christi inclinata recumbit, ist also für Alkuin an Macht, Weisheit und Würde die persona altissima in mundo. Im Sinne der Nomen-Theorie konnte aus diesen Feststellungen nur der Schluß gezogen werden, daß der Or do — wie einst 751 — durch eine falsche Verteilung der Würden, der nomina, gestört sei, und daß Karl die imperialis dignitas gebühre. Genau diese Schlußfolgerung ziehen jedenfalls die Annales Laureshamenses aus den von Alkuin beschriebenen Sachverhalten. Wir haben gesehen, daß dieser Brief Karl in Paderborn erreichte®), wo nach Ausweis des dort entstandenen Panegyrikos auf 1) 2)
») 4) s) e)
MG. Conc. 2 Suppl. 1924; dazu C a s p a r S. 183s. C a s p a r S. 2öof.; S c h r a m m , Anerkennung S. 478f. m. Anm. 3. F i c h t e n a u S. 2760. C a s p a r S. 262. MG. Epp. 4, 288 Nr. 174. Siehe oben S. 520 u. unten S. 545 f.
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Karl und Leo die Kaiserfrage bereits zum Gespräch der Hofkreise geworden war. Wenn hier der Name Nova Roma für Aachen reklamiert wurde, so ist auch dies eine durch Alkuins Zeilen nahegelegte Konsequenz 1 ). Umstände und Zeitpunkt seiner Entstehung geben dem Alkuin-Brief einen ebenso handgreiflichen Bezug auf die Kaiserfrage wie sein Inhalt. Die mit diesem Brief belegte Anwendung der Nomen-Theorie auf Karls Verhältnis zu Byzanz wurde Karl nahegebracht, als mit der Flucht Leos nach Paderborn sich jene Konstellation herausgebildet hatte, die zu den unmittelbaren kausalen Voraussetzungen der Kaiserkrönung Karls gehört. Das Gedankenschema, mit dem die Annales Laureshamenses Karls Kaisertum begründen, ist also Karl von Alkuin nahegelegt worden2), als die Ereignisse sich zuzuspitzen begannen. Es war als bloßes Gedankenschema dem Hofe seit 751 wohl vertraut, seine Anwendung auf das Verhältnis zu Byzanz war durch die Libri Carolini wohl vorbereitet. Hätten wir die Annales Laureshamenses nicht, so könnte demjenigen, der die Nomen-Theorie auf Grund der übrigen behandelten Zeugnisse schlechthin als die fränkische Begründung für Karls Anspruch auf die Kaiserwürde ansähe, entgegengehalten werden, dies müsse so lange Hypothese bleiben, bis eine Quelle nachgewiesen sei, in der es ausdrücklich so gesagt wird. Diese Quelle haben wir in den Annales Laureshamenses3). Wenn dies alles richtig ist, müßte Karl nicht erst von der römischen Synode im Anschluß an die Eidesreinigung Leos III. vor die Kaiserfrage gestellt worden sein, sondern bereits mit der Absicht, Kaiser zu werden, den Romzug angetreten haben. Da wir nämlich in Alkuins Brief und dem Paderborner Epos zwei voneinander unabhängige Quellen haben, die die Paderborner Zusammenkunft unter den Gesichtspunkt der Kaiserfrage stellen, kann naheliegenden weiteren Erwägungen nicht ausgewichen werden: Die Verhandlungen Leos III. mit Karl zu Paderborn endeten jedenfalls mit dem Ergebnis, daß Karl sich bereit erklärte, in Rom als Richter aufzutreten. Daß hierfür die Kompetenzen des Patricius nicht ausreichten, es vielmehr eines Kaisers bedurfte, wird von niemandem bezweifelt4). Der hier bestehende Kausalzusammenhang wird obendrein durch den Zeitpunkt der Kaiserkrönung — zwischen der Eidesreinigung Leos III. und dem Prozeß gegen die römischen !) E r d m a n n S. 22 m. Anm. 9. Auch die Provinztheorie war Alkuin vertraut. Vgl. die Adresse Epp. 4, 157 Nr. 110: Carolo regi Germaniae, Galliae atque Italiae. *) Vgl. die von C a s p a r S. 262 zusammengestellten „Brücken aus der Königsin die Kaiserzeit". 4) C a s p a r S. 22gf. 2)
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Feinde des Papstes — sinnfällig gemacht 1 ). Die Konsequenz der Kaiserkrönung lag also in dem Paderborner Verhandlungsergebnis bereits eingeschlossen. Zu allem Überfluß fehlt es aber auch hier nicht an einem weiteren und von den bisherigen Quellen und Erwägungen ganz unabhängigen Zeugnis. J. Deer hat jüngst das Zeremoniell untersucht, mit dem Karl d. Gr. in Rom empfangen wurde2). Für die Frage, ob ihm dabei die Ehren eines Kaisers oder die eines Patricius erwiesen wurden, ist ausschlaggebend, beim wievielten Meilensteine vor der Stadt der Empfang stattfand. Im Falle des Exarchen und Patricius war dies der erste Meilenstein, beim Kaiser der sechste. Ein weiterer Unterschied bestand darin, daß nur beim Kaiser, nicht aber beim Patricius-Exarchen der Papst den Gast persönlich einholte. Bei seinem ersten Besuch in Rom 774 wurde Karl am ersten Meilenstein empfangen, während der Papst in Rom verblieb und den Gast vor St. Peter erwartete. Auch sagt die Vita Hadriani expressis verbis: sicut mos est exarchum autpatricium suscipiendum3). Für die beiden nächsten Besuche, 781 und 787, fehlen uns die entsprechenden Nachrichten. Ein völlig anderes Bild bietet jedoch Karls Empfang am 23. November 800: Schon beim zwölften Meilenstein empfing ihn der Papst persönlich und mit einem Festmahl. Und hatte Karl 774 den Weg vom ersten Meilenstein bis zu St. Peter mit seiner Begleitung zu Fuß zurückgelegt, so zog er nunmehr in glanzvoller Prozession hoch zu Pferde bis vor St. Peter4). Dies war der Empfang eines Kaisers, und keinem der Beteiligten konnte das verborgen bleiben. Von Interesse ist im Vergleich dazu auch das Zeremoniell beim Empfang Leos III. in Paderborn, das unser Panegyriker ausführlich schildert. Karl schickte lediglich seinen Sohn Pippin mit großer Gefolgschaft dem Papst entgegen5) und erwartete selbst den Gast vor dem Lager. Dabei ließ Karl sein Heer in Form eines Kreises (in modum coronae; orbis ad instar)*) aufstellen und trat in dessen Mitte. 4. A l k u i n In dreifacher Hinsicht berührten sich die Annales Laureshamenses bei ihrem Bericht über Karls Kaiserkrönung mit der Gedankenwelt Alkuins: der christianus populus, in den Annalen das l)
C a s p a r S. 230.
*) D e i r S. 42fi. *) *) ') ·)
D e 6 r S. 43. A n n a l e s regni F r a n c o r u m zu 800, S. 1 1 0 ; D e 6 r S. 4 4 s . v. 455ff. v. 489 ff.
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Reichsvolk des Kaisers, ist die Konsequenz des Imperium christianum, von dem bei Alkuin schon vor 800 in den Briefen oftmals die Rede ist 1 ); die Nomen-Theorie verknüpft die Annalen mit Alkuins Brief von 799 über die drei höchsten Personen2); und endlich spricht auch Alkuin von Karls Herrschaft über die drei Provinzen 3 ). Nun hat man aber Alkuins Imperium christianum, weil es sich aus der Terminologie der militia Christi herleitet, als rein spirituellen und gänzlich unpolitischen Begriff aus der Vorgeschichte des Kaisertums eliminieren wollen4). Mustert man daraufhin nochmals die Belege, so bestätigen in der Tat viele von ihnen die rein spirituelle Bedeutung 6 ). Es fehlt jedoch nicht an solchen, nach denen das imperium christianum mit Karls Herrschaft identisch war®), und zwar nicht nur als die Gemeinschaft der Christen, sondern auch als ein im Raum sich erstreckender Herrschaftsbereich. Die religiöspolitische Ambivalenz des Begriffes wird vollends deutlich, wenn Alkuin 799 an Arn von Salzburg zum Tode der Markgrafen Erich von Friaul und Gerold von Baiern von diesen schreibt: quiterminos custodierunt etiam et dilataverunt christiani imperii7). Auch hat Al!) Siehe oben S. 528. 2)
Siehe oben S. 535.
®) Siehe oben S. 536, A n m . 2. 4)
H. L ö w e ,
D i e karolingische R e i c h s g r ü n d u n g
und der Südosten,
1937,
S. 1 3 7 s . ; d e r s . , D A 9, 1952, 3 8 3 0 . ; d e r s . , in: W a t t e n b a c h - L e v i s o n 2, 234; E r d m a n n S. 19. 5)
Zusammenstellung-der B e l e g e bei L ö w e , Karol. R e i c h s g r ü n d u n g S. 1 3 9 0 .
*) E p p . 4, 241 Nr. 148, A l k u i n 798 v o r M i t t e Juli an Karl, s e t z t sich f ü r eine B e k ä m p f u n g des A d o p t i a n i s m u s ein: quatenus haec impia heresis extinguatur,
antequam latius spargatur per orbem christiani
divina pietas tibi tuisque filiis
omnimodis
imperii,
quod
commisit regendum atque gubernandum.
Gewiß
gefährdet die Häresie die g a n z e Christenheit ( L ö w e S. 141), doch wird das christianum
imperium
durch d e n quod-Sa.tz
zugleich als K a r l s H e r r s c h a f t s -
bereich definiert; in ep. 1 7 7 , S. 292, v o n 799 (nach Juli 10) will A l k u i n beten, .. . quatenus
per vestram prosperitatem
christianum
tueatur
imperium,
fides catholica defendatur, iustitiae regula omnibus innotescat. D e r G e g e n ü b e r stellung v o n christianum
imperium
und fides catholica entspricht in ep. 202,
S. 336, v o n 800 M i t t e J u n i die des imperium fides:
ac veluti armis imperium
apostolicae
fidei
christianum
christianum
und der apostolica
fortiter dilatare laborat, ita et
veritatem defendere, docere, et propagare studeat, ipso
auxi-
liante, in cuius potestate sunt omnia regna terrarum. A u c h L ö w e S. 142 r ä u m t ein, daß diese Gegenüberstellungen den Schluß nahelegen, d a ß das christianum
imperium
„ s t a a t l i c h g e m e i n t i s t " . D a g e g e n spricht auch nicht der H i n w e i s
auf Christi potestas über alle regna terrarum, denn aus ihr gerade ergibt sich Christi „ Z u s t ä n d i g k e i t " als Helfer f ü r die kriegerische A u s w e i t u n g des imperium 7)
christianum.
Ep. 185, S. 310. Nach L ö w e , S. 141, spricht aus dieser Stelle „nur das
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kuin nach Karls Kaiserkrönung seine Terminologie nicht etwa revidiert, wie man es erwarten müßte, wenn ihm eine politische Deutung des Imperium christianum gänzlich ferngelegen hätte. Im Glückwunsch zur Königskrönung von Karls d. Gr. gleichnamigem Sohn hält Alkuin diesem das Beispiel seines Vaters vor: rectoris et imperatoris populi christianiv). Und Karl bleibt auch nach 800 in Alkuins Briefen das Haupt des von ihm schon vorher propagierten imperium christianuma). In seiner Vita Willibrordi, die vor 797 entstanden ist3), hat Alkuin Karls Vorfahren, Karl Martell und Pippin, in eine imperialisierende Beleuchtung gerückt 4 ), die derjenigen gleicht, die man in den Annales Mettenses priores von 805 findet6). Die imperiale Stellung, die Alkuin den Vorfahren Karls zuschreibt, hat hegemonialen Charakter und leitet sich offenbar aus angelsächsischen Vorstellungen her®). Es ist aber bezeichnend, daß Alkuin, der sich auch sonst, vor allem in seiner nach England gerichteten Korrespondenz, in gentilen Vorstellungen gut zu Hause fühlt 7 ), diese Begriffswelt auf Karl nicht übertragen hat8). Für diesen denkt er nicht an ein auf die gens Francorum, sondern auf den populus christianus gestütztes Kaisertum. Karl hat diesen Lösungsvorschlag zum Reichsvolkproblem nicht angenommen. Dies mag dazu beigetragen haben, Alkuins Rolle als Schrittmacher eines Kaisergedankens vor 800 zu verschleiern. Bewußtsein, daß hier die fränkischen Reichsgrenzen mit denen des imperium christianum identisch waren". Mehr soll auch hier nicht behauptet werden. l)
Ep. 217, S. 360 f.
*) Ep. 249, S. 402; A. K l e i n c l a u s z , Alcuin, 1948, S. 264. a)
L ö w e in: Wattenbach-Levison 2, 172.
*) c. 13, SS. rer. Merov. 7, 127 von Karl Martell: Qui multas gentes sceptris adiecit Francorum, inter quas etiam cum triumphi gloria Fresiam . .. paterno addidit imperio; c. 23, S. 133 f.: Pippinum, qui modo cum triumphis maximis et omni dignitate gloriosissime Francorum regit imperium . . . Seit namque omnis populus, quibus nobilissimus victor celebratur triumphis vel quantum terminos nostri dilataverit imperii. Vgl. auch ep. 93 an Leo III. 5) L ö w e , D A 9, 1952, 39of.; S c h l e s i n g e r , Kaisertum und Reichsteilung, S. 380., 42 fl. ·) Ε. E. S t e n g e l , Kaisertitel und Suveränitätsidee, D A 3, 1939, 26f. mit Nachweis der Entlehnung aus Beda; Schlesinger, Kaisertum u. Reichsteilung S. 42 f. 7) 8)
Ep. 129, S. 191; S t e n g e l a. a. Ο.
Eine Brücke bildet allerdings der Begriff imperiale regnum, den Alkuin aus Beda entlehnt hat ( S t e n g e l S. 27 Anm. 3), in ep. 129 (S. 191) von 797 auf das Reich von Kent anwendet, in ep. 121 (S. 177) von 796/97 aber auch auf Karl d. Gr.
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5. Die D i v i s i o r e g n o r u m von 806 Karls angebliche Abneigung gegen die Kaiserwürde als solche hat man auch aus seinem Verhalten nach 800 erkennen wollen. Das tastende Suchen der Kanzlei nach der angemessenen Form des Titels und der endgültige Titel selbst sind als Zeichen für die peinliche Überraschung gewertet worden, die Karl am Weihnachtstage 800 widerfahren sei. Der endgültige urkundliche Kaisertitel spiegele noch in der umständlichen Umschreibung der Kaiserwürde das Bestreben, die Brüskierung des oströmischen Kaisertums nicht auf die Spitze zu treiben. Diesen Deutungen ist jedoch inzwischen der Boden entzogen worden. Die Formel Romanum gubernans Imperium, an die man dabei angeknüpft hatte, konnte als gut justinianisch nachgewiesen werden1), und die Rücksichten, die in ihr zum Ausdruck kommen, galten nicht Byzanz, sondern der Stellung der Franken als Reichsvolk. Karl vermeidet die Fassung imperator Romanorum, als der er akklamiert worden war, und betont im zweiten Teil des Titels seine Stellung als rex Francorum et Langobardorum. Die Transpersonalität der Kaiserwürde, die zum personal gefaßten Königstitel in auffälligem Gegensatz steht2), deckt sich mit den Annales Laureshamenses, die die Kaiserwürde auf Karls Herrschaft über die Italia, Gallia und Germania sowie über Rom stützen, ubi semper Caesares sedere soliti erant. Die imperiale Vergangenheit des eigenen Herrschaftsbereiches ist der Gegenstand jener Renovatio, von der die Devise der ersten Kaiserbulle spricht. Schramm hat gezeigt, daß der auf ihrer Rückseite angebrachte KaisertitelZ>owz'««j Noster Karolus Imperator Pius Felix Perpetuus Augustus „der alten, jedoch seit dem 7. Jahrhundert nur noch verkürzt fortgeführten Kaisertitulation" entnommen wurde3). Karl hat im Jahre 802 seine gesamten Untertanen auf das nomen Caesaris in Eid genommen, also auch ihnen gegenüber mit dem Kaisertum Ernst gemacht4). Eine Abneigung gegen dieses ist aus all dem nicht zu entnehmen. Dies gilt auch für die Divisio regnorum von 806, in der Karl zu Diedenhofen sein Reich für den Fall seines Ablebens unter seine Durch P. C l a s s e n (wie oben S. 523 Anm. 6). 2
) Verf. in: Festschr. Stengel S. i76f.; ders. in: W a G 10, 1950, i 2 2 f f . ; d e r s . , Zur Entwicklung transpersonaler Staatsvorstellungen, in: Das Königtum, hg. Th. M a y e r (Vortrr. u. Forschungen 3), 1956, S. 204; Th. M a y e r , Staatsauffassungi. d. Karolingerzeit, ebd. S. 1 7 1 ( = H Z 173,1952,469f.); S c h r a m m , Anerkennung S. 500 f. s ) S c h r a m m , Anerkennung S. 494. 4
) M G Cap. 1, Nr. 33, S. g i f i . ; S c h r a m m , Anerkennung S. 495f.; Th. M a y e r S. 1 7 8 s .
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drei Söhne teilte 1 ). In dieser Divisio wird allerdings, im Gegensatz zur Ordinatio imperii von 817, die Kaiserfrage nicht geregelt. Wenn irgendwo, so hätte es sich aber hier zeigen müssen, ob Karl gewillt war, die Kaiserwürde zu einem dauernden und integrierenden Bestandteil des Frankenreiches zu machen. Die Divisio von 806 war daher stets einer der stärksten Trümpfe in der Hand derer, die in Karl nur den „Kaiser wider Willen" zu sehen vermochten. Die vorliegende Untersuchung war bis zu diesem Punkte gediehen, als, im Frühjahr 1957, W. Schlesinger mich zu einem gemeinsamen Studium der Divisio von 806 aufforderte. Unsere Aufmerksamkeit wurde alsbald durch eine Fassimg des Eingangsprotokolls in Anspruch genommen, die der Herausgeber Boretius in den Apparat gewiesen hatte. Während das in den Text gesetzte Protokoll den kanzleigemäßen Kaisertitel und die Promulgatio omnibusfidelibus sanctaeDei aecclaesiae ac nostris, praesentibis scilicet etfuturis bietet, lautet die dazu im Apparat gegebene Variante: Imperator Caesar Karolus rex Francorum invictissimus et Romani rector imperii pius felix victor ac triumphaior semper augustus omnibus fidelibus sanctae Dei aecclesiae et cuncto populo catholico praesenti etfuturo gentium ac nationum, que sub imperio et regimine eius constitute sunt. W. Schlesinger2) hat daraufhin die Divisio von 806 eingehend untersucht. Seine Ergebnisse3) runden das hier entworfene Bild ab: Bei der Beurteilung dieses zweiten, ausführlicheren Protokolls war von der Überlieferung auszugehen. Boretius hatte sich auf drei Handschriften und auf den Druck bei Pithou von 1594 gestützt, der auf eine verlorene Handschrift zurückgeht. Nach Boretius verteilen sich die beiden Fassungen des Protokolls auf je zwei dieser Überlieferungen. Eine Prüfung der Handschriften ergab jedoch, daß die von Boretius in den Text gesetzte Fassung mit dem kanzleigemäßen Titel allein von der Hs. 1 aus dem 9. oder 10. Jahrhundert, heute in London, geboten wird, die überhaupt nur ein Bruchstück des Textes enthält, nämlich außer dem Protokoll den Anfang der Einleitung. Die andere Fassung des Protokolls wird aber nunmehr außer durch die drei übrigen Überlieferungen auch durch die erst in jüngster Zeit bekanntgewordene Darmstädter Hs. Nr. 231 aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts gedeckt. Die Divisio von 806 war M G Cap. 1, S. 126 Nr. 45. Kaisertum u. Reichsteilung, zur Divisio regnorum von 806, in: Festschrift F. Härtung, 1958, S. 9 — 5 1 . ') Für die Quellen- und Literaturhinweise sowie für die Begründungen im einzelnen kann hier auf die Abhandlung von S c h l e s i n g e r (s. vorige Anm.) verwiesen werden, der ich mich im folgenden anschließe. 2)
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ferner die Vorlage für einen Reichsteilungsplan Ludwigs d. Fr., der zu 831 gesetzt wird. In dieser Regni divisio hat Ludwigs Absicht ihren Niederschlag gefunden, die Ordinatio Imperii von 817 zugunsten seines nachgeborenen Sohnes Karl umzustoßen. Die Divisio von 831 schließt sich im Wortlaut so eng an die von 806 an, daß sie zur Herstellung des Textes von 806 ebenfalls heranzuziehen ist. Dabei ergibt sich, daß auch die Vorlage der Divisio von 831 das von Boretius in den Apparat gesetzte Protokoll enthalten hat. Dieses ist damit auf fünf Uberlieferungen gegen eine gestützt und gehört zweifellos in den Text. Aus den Reichsannalen wissen wir, daß der Text der Divisio durch Einhard dem Papst zur Unterschrift vorgelegt worden ist. Ludwig d. Fr., der sich bei seinen Versuchen, die Ordinatio von 817 umzustoßen, der vor allem von der Kirche getragenen Reichseinheitspartei gegenübersah, wird schwerlich darauf verzichtet haben, beim Rückgriff auf die Divisio von 806 deren päpstliche Sanktion mit ins Feld zu führen. Schon diese Erwägung spricht dafür, daß der dem Papst vorgelegte Text das längere Protokoll aufwies. Das nur durch das Londoner Fragment repräsentierte kleinere Protokoll kann nun aber nicht seinerseits in den Apparat verwiesen werden. Denn nur der kanzleigemäße Titel, nicht aber die bei Karl äußerst seltene Promulgatio omnibusfidelibus sanctae Dei aecclaesiae ac nostris kommt als eigenmächtige Schreiberemendation in Betracht. Wir haben es also mit zwei gleichberechtigten Fassungen mindestens des Protokolls zu tun. Der nichtkanzleigemäße Titel des volleren Protokolls stellt ebenso wie Karls Titel auf seiner ersten Kaiserbulle einen Rückgriff auf die ältere römische Kaisertitulatur seit Konstantin d. Gr. dar. Für die nähere Bestimmung der Vorlage ist die Formel pius felix victor ac triumphator semper augustus ausschlaggebend. Ihre griechische Entsprechung verschwindet in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts in Byzanz mit der Einführimg eines kürzeren Kaisertitels. Der Formel fehlt in der Divisio das Prädikat inclitus (vor victor), das zum regelmäßigen Bestandteil der konstantinischen Titulatur gehört. Dieser Umstand gibt uns die Möglichkeit, die Vorlage zu erkennen, aus der die Kanzlei den für Karl sonst ungewöhnlichen Titel der Divisio entnommen hat: es ist das Constitutum Constantini, in dem Konstantin ein Titel zugeschrieben wird, der im Anschluß an die Triumphaltitel die Formel pius felix victor ac triumphator semper augustus, also ebenfalls ohne das Prädikat inclitus, enthält. Auch der Anfang mit Imperator Caesar hat dort seine wörtliche Entsprechung. Das gleiche gilt für die ebenfalls ungewöhnliche Promulgatio: den Worten cuncto populo catholico prae-
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senil etfuturο gentium ac nationum, que sub imperio etregimine eius constitute sunt entsprechen im CC cuncto populo Romano gloriae imperii nostri subiacenti und nosse volumus omnem populum universarum gentium ac nationum. Der die Divisio von 806 betreffende Bericht der Reichsannalen unterscheidet partitio und testamentum auf der einen, constitutiones pacts conservandae causafactae auf der anderen Seite. In Verbindung mit dem Inhalt der Divisio und formalen Beobachtungen an den Handschriften ergibt sich, daß die Divisio offenbar schon in Diedenhofen selbst aus zwei Texten redaktionell zusammengesetzt worden ist: dem die Teilung betreffenden „Testament" (c. 1—5) nebst einem Vorspruch und den constitutiones pacts (c. 6—20) in Form eines Kapitulars, aus dessen sonst nicht erhaltener Eingangsformel wenigstens die Datierung in einem St.-Galler Codex des 9. Jahrhunderts auf uns gekommen sein dürfte. Die beiden verschiedenen Protokolle sind also erst bei der Gesamtredaktion vorangestellt worden. Die Herstellung zweier durch das Protokoll unterschiedener Fassungen setzt unterschiedliche Zweckbestimmungen voraus und deutet auf sorgfältige politische Überlegungen hin. Diese Tatbestände machen die Divisio regnorum von 806 mit einem Schlage zu einer der wichtigsten Quellen für die Kaiseridee Karls d. Gr. Weit davon entfernt, bei dieser Reichsteilung innerlich vom Kaisertum Abschied zu nehmen, hat sich Karl mit der Entlehnung des Titels aus dem Constitutum Constantini in typologisierender Bezugnahme zum „Novus Constantinus" gemacht. Bei der Berührung des Konstantins-Titels der Divisio mit der Titellegende der ersten Kaiserbulle erhält auch diese ihren prägnanten Sinn: das Romanum Imperium, dem hier die Renovatio gilt, ist das Reich Konstantins d. Gr., der selbst ein Erneuerer des Reiches gewesen war. Es kommt hinzu, daß der Titel Romani rector imperii dem Gelasianischen Sakramentar entstammt. Ihm hätten fränkische oder christliche Bezeichnungen des Reiches entlehnt werden können. Wenn man sich für die römische entschied, so spricht auch daraus die Absicht, an das alte christliche Römerreich anzuknüpfen. Dem imperium christianum Alkuins widersprach die Konzeption nicht. Das Reichsvolk des Kaisers ist nicht wie bei Konstantin der cunctus populus Romanus, sondern in bewußter Abwandlung der Vorlage der cunctus populus catholicus. Dies ist das Reichsvolk des Kaisers in den Annales Laureshamenses, nun aber eingeschränkt auf die gentes und nationes, que sub imperio et regimine eius constitute sunt. Und deutlicher als im kanzleigemäßen Titel werden die Franken als die führende gens betont, wenn nunmehr der Titel rex Francorum invictisstmus von imperialen Nomina eingerahmt erscheint und vor
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dem Titel Romani rector imperii steht. Hatte der kanzleigemäße Titel transpersonales Romanum Imperium und gentile Königsherrschaft über Personenverbände schroff einander gegenübergestellt, so begegnen wir jetzt dem Versuch, beide Prinzipien miteinander zu verschmelzen. Die Franken sind das Reichsvolk des Imperator Caesar Karolus rex invictissimus, nach Kapitel 20 der Divisio — eine Erinnerung an den Prolog der Lex Salica 1 ) — der Deo amabilis populus noster. Karls Herrschaftsanspruch als Kaiser umfaßt also über Rom und Reichsitalien hinaus die Franken und andere gentes ac nationes, aber nur insoweit sie sub imperio et regimine eins constitute sunt. Anders als das Constitutum Constantini, das mit Wendungen wie populum universarum gentium ac nationum oder omnis populus et gentium nationes in universo orbe terrarum einen universalen Herrschaftsanspruch voraussetzte, beschränkt sich Karl auch als Kaiser auf seinen effektiven Machtbereich. Einen universalen Herrschaftsanspruch dürfte Karl ohnehin niemals erhoben haben. Auch zu dieser Frage gibt die Nomen-Theorie den Schlüssel: Das nomen imperatoris gebührt demjenigen, der die imperialepotestas der Sache nach bereits besitzt. Die Kaiserwürde soll nicht die Herrschaft mehren, sondern die bereits errungene Herrschaft durch die angemessene Würde krönen. Vom universalen Herrschafts- und Geltungsanspruch ist nur der Geltungsanspruch geblieben. Es geht im Sinne des Alkuin-Briefes vom Juni 799 um die Rangordnung der höchsten Personen in der Welt. Nach dem Merowingischen Ämtertraktat, dessen Auffassung der Paderborner Panegyriker teilte, war derjenige imperator, cuius regnum procellit in toto orbe, et subeo reges aliorum regnorum2). Auch als Herrschaft über gentes ac nationes steht Karls Kaisertum mit dieser Definition im Einklang. Aber auch das im Londoner Fragment erhaltene Protokoll verdient Beachtung. Die Publicatio omnibus fidelibus sanctae Dei aecclaesiae ac nostris, praesentibus scilicet et futuris begegnet bei Karl d. Gr. sonst nur in zwei formulargleichen Urkunden aus dem Jahre 799. Erst unter Ludwig d. Fr. wird sie allmählich und dann endgültig zum festen Bestandteil des Formulars. Vorher findet sie sich in Briefen der Päpste an Pippin und Karl d. Gr., allerdings nicht in der Publicatio oder Adresse. Die charakteristische Verschmelzung der von Haus aus verschiedenen Wortbedeutungen von fides — „Zuverlässigkeit" und „Vertragstreue" im römischen, „Glaube" und „Glaubensfestigkeit" im kirchlichen, aber auch !) Lex Salica, 100 Titel-Text, hg. Κ. A. E c k h a r d t , 1953, Francus diligit, Christus eorum regnum costodiat. 2) Siehe oben S. 520.
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„Treue" im germanischen Sinne — läßt sich in den Papstbriefen des Codex Carolinus beobachten. Wenn schließlich der Papst den Frankenkönig als fidelis beati Petri bezeichnet (758) und 764 von den fideles sanciae Dei ecclesiae et nostri spricht, so wird in der Ambivalenz des Sprachgebrauches, im Zusammenfallen von „Treue'' und „Glauben" im Begriff der fides fränkischer Einfluß erkennbar. Ein im Original erhaltenes und unzweifelhaft echtes Diplom Pippins von 755 für St. Denis enthält in der Tat in seiner Publicatio die Wendung cognuscat omnium fidelium Dei et nostrorum . . . sagacetas. Die Urkunde fällt in das Jahr nach den entscheidenden Vorgängen von 754. Ihre Publicatio ist der Ausdruck einer religiöspolitischen Konzeption, in der für die Stellung des Königs zu seiner Gefolgschaft die Konsequenzen aus der Königssalbung und aus dem Gottesgnadentum gezogen werden. Der Gedanke, die Gefolgschaften Gottes und des Königs in Eins zu setzen, die des Königs also zugleich auch religiös, das Verhältnis der Gläubigen zu Gott zugleich gefolgschaftlich zu interpretieren, ist so originell, kühn und konsequenzenreich, daß die Formel nicht als belanglose Kanzleifloskel abgetan werden kann. Sie steht auf dem Hintergrund einer langen geschichtlichen Entwicklung, der seit den Tagen Chlodwigs fortschreitenden Integration der staatlichen und kirchlichen Sphäre im Frankenreich. So ist der Empfänger der Urkunde kaum zufällig St. Denis: Abt Fulrad, der schon die berühmte Königsfrage an Papst Zacharias überbracht hatte, kommt als Urheber dieses Gedankens ernsthaft in Betracht. Wenn die Formel weiterhin von der fränkischen Kanzlei nicht mehr gebraucht wird, dafür aber von der päpstlichen, so kann sich dahinter durchaus eine Auseinandersetzung um die Führung der fideles Dei verbergen. Die Londoner Fassung der Divisio von 806 greift die Formel in ihrer päpstlichen Fassung, die im Codex Carolinus zugänglich war, wieder auf. Doch läßt sich zeigen, daß gerade damals die Pippinsche Konzeption von 755 bekannt gewesen ist. Sie hat ihren Niederschlag gefunden in den Annales Mettenses priores, der im Kloster Chelles unter der Obhut von Karls Schwester Gisela entstandenen1) karolingischen Hauschronik. Hier wird in deutlich erkennbarem Anschluß an Alkuinsche Gedankengänge die Stellung der Hausmeier seit Pippin d . M . als imperiales Königtum gedeutet, und auch hier begegnet die Formel fideles Dei (et) regis. Das Auftreten des gleichen Gedankens in der Publicatio der Diplome 188 und 189 vom Juni 799 wird daher kaum Zufall sein. Die römischen Vorgänge vom 25. April dürften zu diesem Zeitpunkt schon bekannt, ja selbst die Einladung an Leo III. ergangen sein. Aus dem gleichen Monat !) Siehe oben S. 526 Anm. 1.
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stammt der mehrfach erörterte Brief Alkuins 1 ). Nach dem 13. Juni brach Karl von Aachen aus nach Paderborn auf. Die Publicatio des Londoner Fragmentes der Divisio von 806 greift also auf eine Konzeption zurück, die bei Karl für den Sommer 799 belegt ist und mit der Aachener Kaiseridee zusammengestellt werden muß, die im Paderborner Epos ihren Niederschlag fand. Diese Konzeption unterscheidet sich wesentlich von der des Konstantin-Protokolls der Divisio. Dem Rückgriff auf das christliche Kaisertum Konstantins wird in der parallelen Fassung der Rückgriff auf Pippin zur Seite gestellt. Für den Kirchenschutz, der in der Divisio von 806 den drei Söhnen gemeinsam anvertraut wird, beruft sich Karl sogar auf seinen gleichnamigen Großvater. Die darin liegende Bagatellisierung der zwischen Pippin und Stephan getroffenen Abmachungen deckt sich wiederum mit dem Geschichtsbild der Annales Mettenses priores von 805. Schreiben diese doch sogar Pippin dem Mittleren ein unmittelbares Gottesgnadentum zu 2 ). Wie bei der Nomen-Theorie geht es auch hier um den Nachweis einer längst vor allen römischen oder päpstlichen Anerkennungsund Weiheakten von den Karolingern aus eigener Kraft erworbenen Stellung. Beide Protokolle der Divisio lassen also eine tiefdringende Beschäftigung mit dem Kaisergedanken erkennen. Daß die Divisio ihn ignoriert habe, wird man schon danach nicht sagen können. Aber auch der übrige Kontext enthält mehr als die bloße Regelung der Nachfolge im fränkischen Königreich. Es ist stets vom regnum und tmperium die Rede, die Verfügungen betreffen also auch das Imperium. Und daß der Begriff Imperium hier den Sinn von „Kaiserherrschaft" hat, ergibt sich aus einer Wendung wie dominatus regalis atque imperialis. Bei der Vereidigung der Untertanen auf das nomen Caesaris 802 hatte Karl angeordnet: non, utmultiusque nunc existimaverunt, tantum fidelitate domno imperatori usque in vita ipsius. Schon hier wird das Kaisertum als dauernder Bestandteil der fränkischen Verfassung aufgefaßt, und das hat sich auch 806 nicht geändert. Zwar wird das Reich geteilt, aber Karls Söhne werden consortes nicht nur des regnum, sondern auch des Imperium. Dabei ist zu beachten, daß der Begriff consors selbst sich aus der Terminologie des spätantiken Kaisertums seit Diokletian herleitet. Consors successorque, consors imperii begegnet bei Sueton für das antike Mitkaisertum, und der Sueton-Leser Einhard, Überbringer der Divisio von 806 an den Papst, läßt Karl d. Gr. 813 seinen Sohn Ludwig zum consortem sibi totius regni et imperialis nominis heredem x)
Epp. 4, S. 288 Nr. 174, siehe oben S. 535. V e r f . in: H Z 180, 1955, 474^
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machen. Zwar blieb die entscheidende Frage, in welcher Weise das Kaisertum, das seinem Wesen nach Einherrschaft war, mit dem altfränkischen Teilungsprinzip zusammengefügt werden sollte, offen. Doch unbeachtet blieb die Kaiserfrage als solche nicht. Bereits W. Ohnsorge hatte die Vermutung ausgesprochen, Leo III. habe bei seinem Besuch in Aachen 804 das Constitutum Constantini Karl als Verhandlungsgrundlage präsentiert, und Karl habe dies nicht nur zurückgewiesen, sondern mit der Divisio von 806 dem Papst eine Antwort erteilt. Diese Vermutung hat nun in dem Konstantins-Protokoll der Divisio ihre Bestätigimg gefunden. Die Antwort bestand jedoch nicht in einer Absage an den Kaisergedanken. Indem Karl den Kaisertitel aus dem Constitutum Constantini übernahm, identifizierte er sich mit dem über das Reich verfügenden Konstantin selbst. Der politische Anspruch des Papsttums, der mit der Vorlage der Schenkung erhoben wurde, ist mit dem Hinweis auf Karls Herrschaft über den cunctus populus catholicus, über gentes ac nationes zurückgewiesen worden, an deren Spitze er eine Stellung einnahm, die hinter der Konstantins d. Gr. nicht zurückstand. Karl antwortete also im Geiste auch der Lorscher Annalen. Denn dort wie hier gibt der Gedanke den Ausschlag, daß das nomen imperatoris keines übergeordneten Spenders bedarf, sondern aus eigener Kraft erworben wurde. In einem entscheidenden Punkte war allerdings 806 das Raisonnement der Lorscher Annalen bereits überholt: Nach dem Sturz der Kaiserin Irene konnte von einem femineum imperium nicht mehr die Rede sein, und 803 war es zum Bruch mit Byzanz gekommen. Erst 813 waren die Voraussetzungen zur Lösung der noch offenen Fragen gegeben. Ein Jahr zuvor war ein Ausgleich mit Byzanz zustande gekommen, bei dem Karl die offizielle Anerkennung seines nomen imperatoris durch den Ostkaiser mit territorialen Abtretungen erkauft hatte. Weiterhin trat er gewissermaßen die römische Qualifizierung des Kaisertums an Byzanz ab. Im Hinblick auf die in der Divisio von 806 angelegten Alternativen fiel damit die Entscheidung gegen die Konstantin-Nachfolge und für die auf das imperiale Königtum Pippins zurückgehende Idee eines „romfreien" Kaisertums, das in den Paderborner Tagen von 799 bereits erwogen worden war. Die Lösimg der Kaiserfrage war weiterhin dadurch entscheidend erleichtert worden, daß Ludwig als einziger Sohn überlebte und so der Konflikt des Kaisergedankens mit dem fränkischen Erbrecht wenigstens fürs erste vermieden werden konnte. Thegan, unser ausführlichster Berichterstatter über die Vorgänge von 813, läßt ein Empfinden für die Tragweite erkennen, die einer Vererbung der
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Kaiserwürde gleichwohl zukam. Nach ihm rief Karl seinen Sohn Ludwig zu sich cum omni exercitu, episcopis, abbatibus, ducibus, comitibus, locopositis, und fragte auf diesem Reichstag zu Aachen omnes a maximo usque ad minimum, si eis placuisset, ut nomen suum, id est imperatoris, filio suo Hludowico tradidisset1). DieZustimmung aller wird auf Gottes Eingebung zurückgeführt. W. Schlesinger2) macht darauf aufmerksam, daß Karls Frage, die er so betont an alle a maximo usque ad minimum richtete, auf eine Grundsatzentscheidung über das Kaisertum abgestellt war. Der sonst stets selbstherrlich entscheidende Karl fragte die fränkischen Grcßen, ob er das nomen imperatoris auf Ludwig übertragen solle. Nicht die Person des Nachfolgers konnte zweifelhaft sein, wohl aber war seit 806 die Frage in der Schwebe, ob und wie die Kaiserwürde mit dem fränkischen Volks- und Staatsrecht in Einklang gebracht werden konnte. Karl hat in einem doppelten Sinne das Kaisertum nunmehr auf die gens Francorum gestellt: indem er den fränkischen Großen die Entscheidung über die Fortführung des Kaisertums überließ, führte er statt der römischen eine fränkische Akklamation herbei und gewann zugleich die Zustimmung der Franken zu diesem Verfahren. Bei dem anschließenden Krönungsakt vermied Karl alles, was der Nomen-Theorie und seiner Auffassung von der Rolle der Franken als Reichsvolk des Kaisers widersprochen hätte: die Akklamation der Römer und den Papst als Coronator. Im übrigen entspricht der Hergang byzantinischem Vorbild 3 ), denn hinter Byzanz wollte Karl und sollte Ludwig nicht zurückstehen. Den Romanis imperatoribus, wie man sie nunmehr unbefangen nennen konnte, blieb Karl auch nach 812 nach Einhards Worten magnanimitate . . . procul dubio longe praestantior1). Die „fränkische" Konzeption des Kaisertums ist mit der Devise der zweiten Kaiserbulle wohl auf die kürzeste Formel gebracht worden: an die Stelle der Renovatio Romani imperii, die dem Konstantins-Titel von 806 entsprochen hatte, trat jetzt die Renovatio regni Francorum. Die neue Formel entspricht ganz der Lage von 8x3. Ort und Personenkreis der Handelnden hatten zu Aachen das regnum Francorum repräsentiert, Franken, nicht Römer, hatten über die Kaiserfrage entschieden. Indem der populus Francorum über die höchste Würde hatte verfügen können und damit sichtlich zum Reichsvolk des Kaisers geworden war, vollendete sich die „Er!) c. 6, M G . SS. 2, 591. 2)
Karlingische Königswahlen S. 215 f.
8)
D ö l g e r (wie oben S. 533 A n m . 3) S. 222 m. A n m . 44. V i t a Karoli c. 28, S. 32; dazu H Z 180, 1955, 479.
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neuerung des Frankenreiches", mit der Karls Vorfahren begonnen hatten. Auch diese vielerörterte Formel 1 ) erhält schließlich ihren Sinn aus der seit 7 5 1 nicht preisgegebenen fränkischen Grundüberzeugung, daß Würde und Rang des Herrschers nur durch die eigene Leistung gerechtfertigt werden. 1
) P. £ . Schramm, Die deutschen Kaiser u. Könige in Bildern ihrer Zeit 1, 1928, S. 42, 169!, Abb. 13a, b; die Deutung von H. Löwe, DA 9, 1952, 391 f., der die Formel zum Geschichtsbild der Annales Mettenses priores von 805 stellt, überzeugt und wird durch die Ergebnisse Schlesingers (Kaisertum u. Reichsteilung S. 49) bekräftigt.
DAS PADERBORNER EPOS"
Die folgenden Darlegungen dienen der Einführung in die geschichtlichen Fragen und Zusammenhänge, die das Epos Carolus Magnus et Leo papa berührt und zugleich beleuchtet. Dabei kann an frühere Studien des Verfassers angeknüpft werden (vgl. unten A. 6, 67 u. 114); auf sie muß daher für die nähere Begründung der hier vorgetragenen Auffassungen wiederholt verwiesen werden. Die weitere Diskussion hat alsdann kräftige Antriebe durch die Aachener Karlsausstellung von 1965 und das in Verbindung mit dieser entstandene Karlswerk (bisher 3 Bände; vgl. Anmerkung 1 ) erhalten. Nicht zuletzt gaben jedoch die ergebnisreichen Ausgrabungen der letzten Jahre an der Nordseite des Paderborner Doms allen Anlaß, in eine erneute Erörterung und Prüfung der mit der Paderborner Zusammenkunft Karls des Großen und Papst Leos III. zusammenhängenden Fragen einzutreten und in einer nach wie vor durch ständige Bewegung gekennzeichneten Forschungslage eine Zwischenbilanz zu versuchen.
Folgende Abkürzungen werden verwandt: ΑΗΡ. = Archivum historiae Pontifkiae Ann. = Annales BM. = J. Fr. BÖHMER und E. MUHLBACHER, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751—918, 2. Auflage vollendet von J. LECHNER (Regesta Imperii 1 , 1908) DA. = Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Epp. = Monumenta Germaniae historica, Epistolae in Quart Hg., hg. = Herausgeber, herausgegeben HJb. = Historisches Jahrbuch HZ· = Historische Zeitschrift MG. = Monumenta Germaniae historica MIÖG. = Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung NA. = Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Poetae = Monumenta Germaniae historica, Poetae latini medii aevi Schulausgabe — Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum seperatim editi SS. = Monumenta Germaniae historica, Scriptores in Folio ZKiG· = Zeitschrift für Kirchengeschichte Zs. = Zeitschrift
Papst Leos III. Besuch in Paderborn Im Sommer des Jahres 79g war Paderborn Schauplatz eines politischen Vorganges von höchstem Rang und weltgeschichtlicher Tragweite: des Besuches Papst Leos III. bei Karl d. Gr., der hier, inmitten des Sachsenlandes, Hof hielt 1 . Es war die erste Begegnung Karls mit dem Nachfolger Hadrians I., der 795 gestorben war und den Karl 774, 781 und 787 in Rom aufgesucht hatte. Seit der Reise Stephans II. über die Alpen im Jahre 754 hatten die Franken keinen Papst in ihrem Lande gesehen. Damals hatte Stephan II. die fränkische Waffenhilfe gegen die Langobardengefahr erbeten und erlangt. Ein sehr viel ernsterer Anlaß führte diesmal den Papst ins ferne Sachsenland. Am 25. April 799 hatte eine römische Adelsgruppe in der Absicht, Leo zu stürzen, ein Attentat inszeniert und versucht, ihn durch Blendung und Verstümmelung der Zunge amtsunfähig zu machen®. Die Führer des Aufstandes waren der Primicerius Paschalis und der Saccellarius Campulus, Inhaber hoher Ämter der päpstlichen Bürokratie bereits seit den Tagen Hadrians, Paschalis obendrein dessen Neffe. Beide konnten dem Frankenkönig, den sie als Gesandte Hadrians aufgesucht hatten, nicht unbekannt sein. Von den politischen Motiven, die wir nicht kennen, aber voraussetzen müssen, sind die Anklagen zu unterscheiden, die gegen den Papst wegen seiner Lebens- und Amtsführung erhoben wurden. Dem Unternehmen ist freilich nur ein bescheidener Teilerfolg beschieden gewesen: Schon beim Attentat selbst war Leo mit leichten Verletzungen davongekommen. Anschließend gelang es ihm, aus der Haft seiner Gegner und aus der Stadt zu fliehen und sich in den Schutz fränkischer misst zu begeben. Vielleicht ist es diesem für die Urheber wohl unerwarteten Ausgang des Putsches zuzuschreiben, daß eine förmliche Absetzung des Papstes, falls diese beabsichtigt war, vollends die Wahl eines Nachfolgers unterblieben sind'. Indem der Papst vielmehr den Frankenkönig aufsuchte, verlagerte sich die Auseinandersetzung um seine Person zunächst an dessen Hof und damit nach Paderborn. Zweifel an der Eignimg Leos für das höchste kirchliche Amt hat Karl bereits bei Leos Amtsantritt gehegt 4 . Alkuins Briefwechsel mit Arn von Salzburg enthält
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BM. 350ε; zuletzt P. C L A S S E N , Karl der Große, das Papsttum und Byzanz, in: Karl der Große, Lebenswerk und Nadlieben χ (hg. von W. B A U N F F E L S , 1965) S. 569 ff mit Literaturangaben. B M . 348b; H . ZIMMERMANN, Papstabsetzungen des Mittelalters 1 (in: MIÖG.69,1961) S . 2 7 f f ; C L A S S E N in: Karl der Große 1 S . 569. ZIMMERMANN in: MIÖG. 69 S. 27 f mit A. 8. Epp. 4 S. 135 ff Nr. 92 f; CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 568.
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Das Paderborner Epos
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Anspielungen, die in dieselbe Richtung weisen, und bezeugt zugleich die wachsende römische Opposition 5 . Diese hatte es nun immerhin vermocht, den Papst von seinem Amtssitz zu verdrängen. Die Nachricht von diesen römischen Vorgängen erreichte Karl in Aachen während des Mai zunächst in der Version, der Papst sei geblendet und somit amtsunfähig. Denn in diesem Sinne wurde Alkuin vom König brieflich informiert*. Karl erwog sogleich einen Romzug, doch kollidierte dies mit dem für den Sommer vorgesehenen Feldzug ins Sachsenland, mit dem Alkuin bereits im März gerechnet hatte 7 . Mit Entschiedenheit trat dieser jetzt für den Vorrang der römischen Fragen ein und riet zum Frieden mit den Sachsen. Einem weiteren Brief Karls, auf den Alkuin im Juli antwortete 8 , war zu entnehmen, daß der Papst gesund sei und sich auf dem Wege ins Frankenreich befinde. Noch war von der Romfahrt die Rede, an der teilzunehmen Alkuin aufgefordert, aber nicht bereit war. Wenn der hier beant5
Ebd. S. 569 mit A . 142. V g l . a u ß e r d e n dort a n g e f ü h r t e n Briefen Epp. 4 N r . 1 4 6 u. 1 5 g a u A den a n E r z b i s A o f A r n v o n S a l z b u r g gerichteten Brief A l k u i n s N r . 1 7 3 , bisher w e g e n der A n s p i e l u n g e n auf s A w e r e römische W i r r e n , die auch den P a p s t b e t r a f e n , z u M a i 799 eingeordnet, als f r ü h e s t e R e a k t i o n A l k u i n s auf Nachrichten über den A n s c h l a g auf Leo III.: Et ubi fons aequitati5 et iustitiae ad omnes per rivulos sanctitatis profiliere debuit, ibi maxime iniquitatis palustris profunditas exalatur: sicut forte a sanctissima sede auditurus eris, quid ibi scelerum et nimiae atrocitatis nuper gestum esse refertur. H a u p t a n l a ß u n d -inhalt des Briefes ist j e d o A A l k u i n s G l ü c k w u n s c h zur V e r l e i h u n g des erzbischöflichen Palliums, d a s A m a m 20. A p r i l 798 erhalten hatte ( G e r m a n i a p o n t i f i c i a 1 , bearbeitet v o n A . BRACKMANN, 1 9 1 1 S. 8 N r . 7). Im M a i 799 l a g dies ü b e r ein Jahr zurück, u n d a u s diesem Z e i t r a u m sind zahlreiche an A m gerichtete B r i e f e A l k u i n s erhalten. D i e Reihe b e g i n n t i m Juni 798 mit Brief 146, der nach A r n s Rüdekehr a u s R o m f r a g t u n d u. a. A n t w o r t erbittet, quid Romanorum nobilitas novi habeat adinventum. K u r z v o r d e m 4. A u g u s t (Brief 150) w i r d der W u n s c h nach einer B e g e g n u n g mit A m mit der Bitte u m Unterrichtung de prosperitate domtii apostolici v e r b u n d e n . Sie w i r d im S e p t e m b e r (Brief 156) wiederholt. D e n E i n g a n g der mit U n g e d u l d e r w a r t e t e n Nachricht A m s b e s t ä t i g t Brief 1 5 7 f ü r M i t t e September. D e r d ü r f t i g e Inhalt des erhaltenen B r i e f e s gibt A n l a ß z u erneuter Frage n a A d e m Papst. Ein weiterer Brief A r n s traf a m 6. O k t o b e r in T o u r s ein (von A l k u i n m i t Brief 1 5 8 bestätigt). A u s A l k u i n s Brief 1 5 9 v o m N o v e m b e r w i r d deutlich, d a ß in einem n e u e r l i A e n Brief A m e n d l i A auf die Lage des Papstes e i n g e g a n g e n ist, denn A l k u i n b e s t ä t i g t die I n f o r m a t i o n e n de domtii apostolici religiosa vita et iustitia; quales et quomodo iniustas patitur perturbationes a filtis discordiae. Multo me gaudio refocilatum fore fateor, quod pater ecclesiarum pio animo et fideli absque dolo Deo servire satagit. A m hatte somit auf wiederholte d r ä n g e n d e F r a g e n A n f e i n d u n g e n des P a p s t e s d u r A die R ö m e r b e s t ä t i g t , den P a p s t b e l a s t e n d e N a A r i A t e n j e d o A dementiert. D e r v e r l o r e n e Brief k ö n n t e sehr w o h l eine A n t w o r t auf A l k u i n s Brief 1 7 3 g e w e s e n sein; dieser w ä r e d a n n z w i s A e n d e n B r i e f e n 158 u n d 1 5 9 (Ende O k t o b e r — A n f a n g N o v e m b e r ) einzuordnen. D a z u w ü r d e es passen, d a ß A l k u i n in Brief 1 5 7 ein Z u s a m m e n t r e f f e n mit A m n o A e r h o f f t , diese H o f f n u n g j e d o A in Brief 158 a u f g e g e b e n h a t . Brief 1 7 3 bringt e i n g a n g s die g l e i A e R e s i g n a t i o n z u m A u s d r u d e . Brief 1 7 3 w ü r d e damit z u einem interessanten Z e u g n i s ü b e r r ö m i s A e V o r g ä n g e , die z u r V o r g e s A i A t e des A u f s t a n d e s v o n 799 z u r e A n e n w ä r e n .
• Epp. 4 N r . 1 7 4 . Z u r C h r o n o l o g i e dieses u n d der w e i t e r e n e i n s A l ä g i g e n Briefe v g l . V e r f a s s e r , D i e K a i s e r f r a g e bei den P a d e r b o r n e r V e r h a n d l u n g e n v o n 799 (in: D a s erste Jahrtausend, T e x t b a n d 1 , 1962) S. 300 A . 35; CLASSEN in: K a r l der G r o ß e 1 S. 570 mit A . 1 4 6 f. 7 Epp. 4 N r . 169. 8 Ebd. Nr. 1 7 7 .
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Das Paderbomer Epos
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wortete Brief Karls noch aus Aachen gekommen war', so könnte für die Entscheidung, den geplanten Sachsenfeldzug nicht aufzugeben, die Nachricht von der Gesundheit des Papstes und seiner Absicht, ins Frankenreich zu reisen, den Ausschlag gegeben haben. In seiner Antwort an Alkuin läßt der König freilich erkennen, daß er audi noch in Paderborn, wo er inzwischen eingetroffen war, an einen Romzug für das gleiche Jahr dachte. Bittet er doch Alkuin, wenn er schon selbst nicht teilnehmen wolle, statt dessen einige seiner Schüler aus Tours abzuordnen 10 . Nicht auszuschließen ist, daß dieser zweite Brief Karls bereits nach Leos Ankunft in Paderborn abgesandt worden ist, da in ihm nochmals ausdrücklich von der „wunderbaren Gesundheit des Papstes" die Rede war. Karls Absicht mag also zunächst den Wünschen Alkuins entsprochen haben, Karl möge den Papst alsbald selbst nach Rom zurückführen und in seinem Amt restituieren 11 . Die Reichsannalen betonen, Karl habe trotz der aus Rom eingetroffenen alarmierenden Nachrichten den Sachsenfeldzug nicht aufgegeben. Bedenkt man die protokollarische Sorgfalt, mit der im frühen Mittelalter die Orte für Begegnungen auf höchster Ebene ausgewählt wurden, um je nach Lage der Dinge einem Gefälle oder einem Gleichgewicht der Rang- und Machtverhältnisse zu entsprechen 12 , so liegt es nahe, daß Karl mit seiner Disposition, den Papst in Paderborn und nicht etwa in Aachen zu empfangen, das beiderseitige Verhältnis hervortreten
lassen
wollte". Damit verband sich eine weitere Demonstration. In Paderborn, der von Karl schon seit vielen Jahren im Sachsenland bevorzugten Stätte, war inzwischen eine königliche Pfalz und eine „Kirche von wunderbarer Größe" 1 4 errichtet worden, die Befriedung des Landes war weit fortgeschritten und die Mission hatte verheißungsvolle Anfänge genommen. W o anders als hier konnte sich Karl überzeugender als Vorkämpfer des christlichen Glaubens und als Heidenbesieger darstellen 1 *? Auch sonst hatten dem König solche Gesichtspunkte nicht fem• Dies erwägt CLASSEN in: Karl der Große Ι S. 570 A . 147. »· Epp. 4 Nr. 178. " Ebd. Nr. 177. u Vgl. den Hinweis von H. BÜTTNER, Heinrichs I. Südwest- und Westpolitik (1964) S. 49 f. " Ann. regni Francorum (Schulausgabe von Fr. KURZE, 1895) S. 1 0 7 : . . . iter tarnen suum, quod in Saxoniam facere constituerat, non omisit. Dazu: Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 3 0 1 ; CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 570. " A n n . Laureshamenses zu 799 (SS. 1 S. 38): Aedificavit ecclesiam mira (!) magnituäinis. Dazu: Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 303 A. 53. Vgl. femer über die Grabungen zur Baugeschichte des Domes (1952-59) die Berichte von Fr. J. ESTERHUES, H. THÜMMLER und A. DOMS in: Westfalen 43 (1965) S. 1 1 9 - 3 3 . Zu den jüngsten Ausgrabungen an der Nordseite des Domes s. u. S. 99. « D a s erste Jahrtausend, Textband 1 S. 302 f ; CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 570. Den missionsgeschichtlichen Gesichtspunkt betont nachdrücklich K. HAUCH, Die fränkischdeutsche Monarchie und der Weserraum (in: Ausstellungskatalog Kunst und Kultur im Weserraum 800-1600 1,1966) S. 1 0 1 .
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Das Paderborner Epos
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gelegen. Dem Empfang des Papstes in Paderborn ist die Überweisung eines großen Teils der riesigen Avarenbeute an die römische Kirche im Jahre 796 zur Seite zu stellen 1 ®. Es kommt hinzu, daß Karl zwar mit größerem Heeresaufgebot ins Sachsenland einrückte, mit den militärischen Aufgaben jedoch seinen Sohn Karl betraute, um selbst in Paderborn zu residieren 17 . Im Vordergrund standen hier die Verhandlungen mit Leo III., der von Juli bis Oktober anwesend war, sowie mit Abgesandten der römischen Gegenpartei. Nach der Abreise des Papstes erschien noch eine Gesandtschaft des Patricius Michael von Sizilien. So wurden auch die Vertreter Ostroms nach Paderborn dirigiert und nicht nach Aachen, wohin Karl anschließend für den Winter zurückgekehrt ist 18 . Karls Entschluß, trotz allem für den Sommer nach Paderborn zu gehen, war eine politische Entscheidung, die den kommenden Verhandlungen die Richtung wies, mit der sich Karl jedoch zugleich von Alkuin trennte, der gerade dem widerraten hatte 1 ' und sich denn auch bald bitter darüber beklagen mußte, zu den Paderborner Verhandlungen nicht hinzugezogen zu werden 20 . Die Differenz der Auffassungen war gewiß nicht prinzipieller Natur. Dürfte doch Alkuin selbst den Brief verfaßt haben, mit dem Karl 796 Leo zu seinem Amtsantritt gratuliert, die Geschenke aus der Avarenbeute übersandt und die beiderseitigen Befugnisse mit den berühmten Worten abgegrenzte hatte: „ U n s e r ist es, mit der Hilfe des göttlichen Erbarmens die heilige Kirche Christi allenthalben vor dem Einbruch der Heiden und der Verwüstung der Ungläubigen außen mit den Waffen zu verteidigen und innen mit der Erkenntnis des katholischen Glaubens zu festigen. E u e r ist es, Heiliger Vater, mit zu Gott erhobenen Händen wie Moses unser Waffenwerk zu unterstützen, auf daß durch Eure Intercession dank Gottes Führung und Gabe das christliche Volk über die Feinde seines heiligen Namens allezeit und allenthalben Sieg habe und der Name unseres Herrn Jesu Christi in der ganzen Welt gepriesen werde 2 1 ." Für das politische Handeln boten diese Grundsätze gleichwohl einen weiten Spielraum, ganz zu schweigen davon, daß Alkuin den Zeitpunkt, da über den Nachfolger Petri eine Katastrophe hereingebrochen war, schwerlich für geeignet halten mochte, Grundsätze der Gewaltenteilung zu demonstrieren. Letzten Endes stand dem Politiker der Theologe gegenüber. ιβ BM. 328η. " Ebd. 350d-f. »8 Ebd. 350g-h. 19 Epp. 4 Nr. 174. 2» Ebd. Nr. 1 7 g ; Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 304 f mit A . 69. Z u weiteren Spannungen zwischen Alkuin und Karl ebd. A. 7 1 . 21 Epp. 4 Nr. 93 S. 1 3 7 Z. 3 1 f f . Die Übersetzung nach E. CASPAR, Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft (in: ZKiG. 54, 1935) S. 216. Alkuin als Verfasser des Briefes: L. WALLACH, Alcuin and Charlemagne (Cornell Studies in Classical Philology 32, 1959) S. 1 9 im A n s c h l u ß a n L . HALPHEN.
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Das Paderborner Epos Das Epos Karolus
Magnus et Leo
295 papa
Daß Alkuin darauf angewiesen blieb, die ihn aufs höchste bewegenden Paderborner Vorgänge aus dem fernen Tours zu verfolgen und sich durch den in Paderborn weilenden A r n von Salzburg, seinen auch sonst wichtigsten Korrespondenten, auf dem laufenden halten zu lassen, hat uns mit Alkuins Briefen eine unschätzbare Quelle f ü r die Paderborner Verhandlungen eingebracht. Daneben ist, wenn man von den knappen Notizen anderer Quellen absieht, vor allem das Epos zu stellen, dessen lateinischer Text in einer erneuten Revision, zusammen mit einer deutschen Prosaübertragung, hier vorgelegt wird. Der längst bekannte Text ist durch die von Carl Erdmann getroffene Feststellung, daß die Dichtung, in der der Empfang des Papstes durch Karl d. Gr. zu Paderborn ausführlich geschildert wird, unmittelbar unter dem Eindruck der Vorgänge selbst noch in Paderborn und vor der Rückkehr des Papstes nach Rom entstanden ist, als Geschichtsquelle sozusagen neu entdeckt worden 1 2 . Hatte man bis dahin wegen der imperialen Prädikate, mit denen der Dichter Karl feiert, eine Entstehung nach der Kaiserkrönung vom Weihnachtstage 800 angenommen, so verbietet sich dies, weil die am 4. Juni 800 in Tours verstorbene Königin Luitgard 2 ' vom Dichter unbefangen als eine Lebende behandelt wird (Vers 184). Eine weitere Einengung der Entstehungszeit ergibt sich daraus, daß der Dichter, der ohnehin nur die Vorgänge des Paderborner Ankunftstages schildert, das weitere Schicksal des Papstes nicht kennt, wenn er mit den Worten schließt: „Mit solchen Ehren wurde Leo von Karl empfangen, er, der vor den Römern geflohen und aus seinem Lande vertrieben worden w a r . " Der unbekannte Dichter 24 ist ein leidenschaftlicher Anwalt des Papstes gegenüber dem König, den er im panegyrischen ersten Teil des Epos mit überschwenglichem Lob günstig zu stimmen sucht. Eines der Hauptargumente f ü r die gerechte Sache des Papstes ist die von Gott verfügte wunderbare Heilung der Augen und der Zunge. Blendung und Verstümmelung werden somit vorausgesetzt. Doch schon im August hatte Alkuin einem Briefe Karls entnehmen können, das Wunder bestehe vielmehr in der Vereitelung des Anschlages 25 . Im gleichen Sinne hat sich L e o 2 ' selbst vor der ·* C. E R D M A N N , Forschungen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters (1951) S. 21 f f ; vgl. aud» bereits denselben, Das ottonische Reich als Imperium Romanum (in: DA. 6, 1943) S . 418. Μ BM. 355a. ** Zur Frage der Person vgl. Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 296 A. 1 u. S. 316 A. 133. 15 Epp. 4 Nr. 178. M Erklärung vom 23. Dezember 800: . . . qualiter homines mali adversus me insurrexerunt et debilitate voluerunt; Epp. 5 S. 63. Vgl. die erschöpfende Zusammenstellung und kritische Prüfung der Nachrichten bei S . A B E L und B . SIMSON, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen 2 (1883) S. 168 ff, und Exkurs I S. 583-87; CASPAR in: ZKiG. 54
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Das Paderborner Epos
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römischen Synode im Dezember 800 erklärt. Diese Klarstellung ist also spätestens im August 799 und somit in Paderborn erfolgt. A u s einem an Karl gerichteten Gedicht Theodulfs von O r l e a n s " ergibt sidi weiterhin, daß die Version von der Blendung und wunderbaren Heilung des Papstes erst von dessen Gegnern angefochten und damit in Frage gestellt worden ist. Denn sie hätten behauptet, eine Blendung und Verstümmelung der Zunge habe gar nicht stattgefunden, und von einer den Papst rechtfertigenden Heilung durch den hl. Petrus könne somit nicht die Rede sein 28 . D a es zuvor von Leo heißt, Karl habe ihn bei sich aufgenommen 2 ', also in Paderborn empfangen und beherbergt, und da wir wissen, daß auch Leos Gegner eine Vertretung nach Paderborn entsandt hatten 50 , dürfte diese poetische Darstellung einen Ausschnitt aus den Paderborner Verhandlungen wiedergeben. Das Gedicht selbst gehört in die erste Hälfte des Jahres 800, da es einerseits die Restituierung des Papstes in Rom (Herbst 799) voraussetzt", andererseits in die Aufforderung an Karl ausklingt, er möge Orleans besuchen 32 . Dieser Besuch hat in den Monaten Juni—Juli 800 stattgefunden".
220 mit Ä . 20. Zu den von L . W A L L A C H in: Traditio 1 1 (1955) S . 37-63 vorgebrachten Zweifeln an der Tatsache eines Reinigungseides und der Echtheit des überlieferten Textes, denen sich Z I M M E R M A N N in: MIÖG. 69 S. 34 anschließt, vgl. Das erste Jahrtausend, Textband 1 S . 297 A . 1 2 ; W . W A T T E N B A C H und W . L E V I S O N , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Vorzeit und Karolinger 4 (bearbeitet von H. LÖTE, 1963) S. 457 mit A. 300; C L A S S E N in: Karl der Große 1 S . 578 A . 200. 17 Poetae 1 S. 523 f, Nr. 32. 28 Vers 21 f: Reddita namque negat, negat haec ablata fuisse, / Haec auferre tarnen se voluisse canit (sc. seditiosa cohors, d. h. die Aufständischen). Μ Vers 13 f. 30 Zustimmung verdient der Hinweis von C L A S S E N in: Karl der Große 1 S . 570 A. 150, daß mit einer Anwesenheit von „Führern" der Aufständischen in Paderborn schwerlich gerechnet werden kann. Doch dürfte es sich um Boten gehandelt haben, die über Vollmachten verfügten, da sie nach Alkuins Brief Nr. 179 mehrere Alternativvorschläge zu machen wußten. 31 Vers 29 f: Per se reddit ei membrorum damna pavenda, / Et per te sedis officiique decus. Bei diesem Zeitansatz muß allerdings reddit als Kontraktion des Perfekts reddidit aufgefaßt werden. Dies wird durch den Bezug auf die Heilung des Körpers nahegelegt, jedoch nicht zwingend erfordert. Auch die Präsensform, die immerhin im Text steht, ergibt einen Sinn: Petrus ist von sich aus imstande, die Wunden des Leibes zu heilen und durch Dich Sitz und Amt wiederherzustellen. C L A S S E N paraphrasiert ebenso S. 577 „Karl soll dessen Amt wiederherstellen". In diesem Falle wäre das Gedicht vor Leos Rüdekehr nach Rom und damit in die Zeit der Paderbomer Verhandlungen von 799 zu stellen und als unmittelbare Reaktion auf die Paderborner Einlassungen der Papstgegner anzusehen. Die schwankende Haltung zur Frage der wunderbaren Rechtfertigung des Papstes würde zu diesem Zeitansatz noch besser passen. 32 Vers 46: Et videat dominum urbs Aureliana suum. 33 W . VON DEN S T E I N E N , Karl und die Diditer (in: Karl der Große 2, 1965) S. 82 setzt das Gedicht nach Karls Besuch in Orleans und vor seinem Romzug an, an dem Theodulf selbst teilgenommen hat. Ähnlich C L A S S E N in: Karl der Große 1 S. 577 A. 193. Die urbs Aureliana, die hier Karl zu sehen wünscht, ist jedoch bei Theodulf auch sonst Orleans, vgl. Carmen 30 Vers 34 und 37 Strophe 5, Poetae 1 S. 521 bzw. 529. S.
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Das Paderbomer Epos
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Bemerkenswert ist, daß Theodulf die Darstellung der Papstgegner nicht akzeptiert, sondern daran festhält, Petrus habe durch Wiederverleihung der Augen und der Zunge den Papst gerechtfertigt. Eine gewisse Unsicherheit ist jedoch lidit zu verkennen. Unterläßt er es doch nicht hinzuzufügen, daß es sich um ein kaum geringeres Wunder handeln würde, wenn die Gegner recht hätten und Petrus somit das Attentat überhaupt vereitelt habe' 4 . Für diese von Theodulf sozusagen nur hypothetisch eingeführte Alternativdeutung des Sachverhalts hatte sich Alkuin bereits im August 799 auf Grund einer brieflichen Mitteilung Karls e n t s c h i e d e n D i e Darstellung Theodulfs stimmt hierin mit der durch Alkuins Briefe verbürgten zeitlichen Abfolge der Vorgänge überein: denn mit guten Gründen haben die Herausgeber Alkuins nach Paderborn gerichteten Brief an Arn von Salzburg, der die Anwesenheit von Vertretern der Papstgegner aus Rom bezeugt, als Brief 179 eingeordnet und ebenfalls in den August gesetzt. Man darf vermuten, daß die Briefe Karls und Arns, die Alkuin im August beantwortete, vom gleichen Boten überbracht worden waren. In beiden hatten sich die Vorstellungen der römischen Gesandten niedergeschlagen: in Arns Schreiben die gegen den Papst erhobenen Anklagen und der Vorschlag, ihm einen Reinigungseid aufzuerlegen oder ihn zum Rücktritt zu veranlassen 3 '; im Schreiben des Königs die Klarstellung über den tatsächlichen Verlauf des gegen Leo verübten Anschlages. Spätestens in der ersten Hälfte des August war somit in Paderborn die Lesart von der Blendung und Verstümmelung erledigt. Der Dichter unseres Epos baut jedoch ganz unbefangen seine Verteidigung des Papstes gerade auf dieser Version a u f " . So wird man schließen dürfen, daß er sein Gedicht zum Abschluß gebracht M
Vers 23 f : Reddita sunt, mirum est, mirum est auferre nequisse, / Est tarnen in dubio, hinc mirer an inde magis. s5 Epp. 4 Nr. 178 S. 29; Z. 4: . . . qui (sc. Deus) impias conpescuit manus a pravo voluntatis effectuvolentes caecatis mentibus lumen suum extinguere et se ipsos impio consitio proprio privare capite. ' • E b d . Nr. 179 S. 297 Z. 1 3 - 1 7 : Intellego quoque multos esse aemulatores eiusdem praedicti domni apostolici; deponere eum quaerentes subdola suggestione; crimina adulterii vel periurii Uli inponere quaerentes; et tunc, sacramento gravissimi iurisiurandi ab his se purgaret criminibus, ordinantes; sic consilio secreto suadentes, ut deponeret sine iuramento pontificatum et quietam in quolibet monasterio ageret vitam. Vgl. Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 309. 37 Anders zu beurteilen sind die aus der Zeit nach Leos Rehabilitierung stammenden Berichte. Nach dem Sieg des Papstes über seine Gegner scheint auch der Hof keinen Wert mehr darauf gelegt zu haben, die anfänglichen Nachrichten von der Blendung und Verstümmelung in der Öffentlichkeit zu dementieren. Daran festgehalten haben die Reichsannalen und die Ann. Mettenses priores von 805 (Schulausgabe von B. VON SIMSON, 1905 S. 83: Ohne Erwähnung der Zunge) sowie Einhard, Vita Karoli magni (Schulausgabe von G. WAITZ und O. HOLDER-EGGER, 1 9 1 1 ) c. 28. Die Lorsdier Annalen (SS. 1 S. 37 zu 799) unterscheiden: . . . et absciderunt linguam eius et voluerunt eruere oculos eius et eum morti tradere. Sed... non perficerunt. Der Bearbeiter der Reichsannalen relativiert den Text seiner Vor-
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Das Paderborner Epos
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hat, bevor die römischen Gesandten eintrafen oder doch jedenfalls, bevor die Verhandlungen mit diesen zu den Ergebnissen geführt hatten, die durch Karl und Arn an Alkuin übermittelt worden sind. In die gleiche Richtung weisen auch die Worte, die der Dichter unseres Epos den Papst an die fränkischen Königsboten richten läßt, in deren Schutz er sich nach seiner Flucht aus Rom begeben hat: „Es sei mir vergönnt, des herrlichsten Fürsten Angesicht zu schauen, daß er mit gerechtem Urteil unser Handeln prüfe, daß er als machtvoller Rächer die furchtbaren Mißhandlungen, die wir erduldet, vergelte" M . Wiederum aus Alkuins Brief an Arn vom August ergibt sich, daß die Gesandtschaft der Gegner Leos in Paderborn rechtliche Verfahrensfragen erörtert hat. Dabei war vom Reinigungseid die Rede, ein Ausweg, gegen den sich Alkuin beschwörend wendet mit dem Hinweis auf die Immunität des Papstes, auf den kanonischen Grundsatz apostolicam sedem iudiciariam esse, non iudicandam". Wenn unser Dichter Leo von Karl sagen läßt, iusto nostros examinet actus iudicio, so läßt er den Papst damit die rechtliche Position der Immunität preisgeben, die Alkuin im August verteidigt, ja er läßt ihn sogar mehr preisgeben, als die Gegner mit dem Vorschlag des Reinigungseides gefordert haben. Tatsächlich war am Ende der Reinigungseid Leos vor dem römischen Konzil vom Dezember 800 die Kompromißlösung, die es erlaubte, ohne die Eröffnimg eines förmlichen Gerichtsverfahrens den Grundsatz der apostolischen Immunität40 gerade noch zu wahren, ohne jedoch auf Kosten jedweden Rechtsgedankens das Amt den Träger uneingeschränkt decken zu lassen 41 . Mit einem gewissen Recht ist darauf hingewiesen worden, es hieße „den Poeten auf eine präzisierte und sehr folgenreich gemeinte Aussage" festlegen42, wolle man unterstellen, er habe mit den Worten Leos das rechtliche Verfahren im Auge gehabt, mit dessen Hilfe der römische Konflikt bereinigt werden sollte. Es ist einzuräumen, daß es der
läge durch den Zusatz ut aliquibus visum est (Schulausgabe S. 107). Mit den Lorscher Annalen stimmt die Vita Leonis auffällig überein: . . . crudeliter oculos evellere et ipsum penitus caecare conati sunt. Nam lingua eius praecisa, et, ut ipsi tunc arbitrati sunt, caecum eum et mutum in media platea dimiserunt. Nicht minder auffällig freilich, wenn es schon im nächsten Satz heißt: Postmodum vero ... iterum eum bis oculos et linguam amplius crudeliter eruerunt, Voraussetzung für die anschließende Heilung durch Petrus (et visum recepit et lingua ad loquendum Uli restituta est); Liber pontificalis 2 (hg. von L. DUCHESNE, 1886) S. 4 f. Mit einer annalistischen Entstehung der Vita Leonis harmoniert dieser Befund nicht. Vgl. unten Anm. 125. »e Vers 388 ff. " Epp. 4 Nr. 179 S. 297 Z. 24. « V g l . die Worte der römischen Konzilsväter vom Dezember 800 nach der Vita Leonis: Nos sedem apostolicam... iudicare non audemus. Nam ab ipsa nos omnes et vicario suo iudicamur; ipsa autem a nemine iudicatur; Liber pontificalis 2 S. 7. K. HELDMANN, Das Kaisertum Karls des Großen. Theorien und Wirklichkeit (1928) S. 106; CASPAR in: Z K i G . 54 S. 228 f ; ZIMMERMANN in: M I Ö G . 69 S. 37.
H
A B E L / SIMSON 2 S . 1 6 7 A . 2 .
BM. 348b; Ann. qui dicuntur Einhardi zu 799 (Schulausgabe von Fr. KURZE, 1895) S. 107.
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Das Paderbomer Epos
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von uns bekannten Schriftquellen kommt jedenfalls hier so wenig wie sonst in Frage. Bestätigt wird durch die Vita Leonis des Papstbuches, und nur durch sie, daß Karl seinen Sohn Pippin, den Unterkönig von Italien, dem Papst von Paderborn aus entgegengeschickt hat 55 . Daß der Dichter darüber hinaus diese Verfügung Karls auf die Ankunft eines päpstlichen Boten folgen läßt, der Leos Herannahen ankündigt, ist völlig unbedenklich. Ausdrücklich bestätigt die Vita Leonis, daß Karl den Papst bei der Begrüßung umarmte und küßte", bestätigt ferner die anschließenden liturgischen Handlungen 57 . Gegen eine Paderborner Ortskenntnis scheint Vers 426 zu sprechen: Est locus insignis, quo Patra et Lippa fluentant. Paderborn liegt nicht an der Lippe 58 , sondern an der Pader, die unterhalb von Dom und Abdinghof aus mehreren ungewöhnlich starken Quellen entspringt und ca. 4 km nordwestlich der Stadt beim heutigen Neuhaus in die Lippe mündet. Immerhin durchfließt diese die weite Ebene, die vom Paderborner Dom- und Pfalzhügel aus nach den unmittelbar anschließenden Worten des Dichters überblickt werden kann. Im übrigen verlegt der Dichter Paderborn gar nicht an das Ufer der Lippe, wenn er sagt: „Es ist da ein berühmter Ort, wo Pader und Lippe fließen; er liegt auf der Höhe in einer kahlen Ebene, ringsum dehnt sich weit das Gelände." Wer nicht ohnehin wußte, wo Paderborn lag, dem wäre mit der Angabe „an der Pader" oder „an den Paderquellen" kaum gedient gewesen, während die Lippe in Verbindung mit der Pader einen guten Wegweiser abgibt. Doch solche Erwägungen dürften beim Dichter nicht einmal im Vordergrund gestanden haben. Denn er bewegt sich hier, wie schon die ersten Worte erkennen lassen (est locus insignis), in der Topik des Städtelobes 58 und nennt in diesem Zusammenhang die natürlichen Vorzüge der Lage. Dazu gehört neben dem Hügel mit dem weiten Rundblick der Reichtum an Wasserläufen. Ein weit ausführlicheres Lob Paderborns enthält die jüngere Translatio sancti Liborii 60 . Auch sie nennt, und zwar an erster Stelle, die Lage 55
Vita Leonis im Liber pontificalis 2 S. 6. Vers 498; Vita Leonis S. 6: Et pariter se amplectentes cum lacrimis se osculaverunt . . . « V e r s 513-21; Vita Leonis im Liber Pontificalis 2 S. 6: ...et a praedicto pontifice Gloria in excelsisDeo inchoante et a cuncto clero suscipiente, oratione super cuncto populo data,. .. 58 VON DEN STEINEN in: Karl der Große 2 S. 89; vgl. auch S. 92. 59 Zur Topik des Städtelobes vgl. E. GIEGLER, Das Genos der Laudes urbium im lateinischen Mittelalter. Beiträge zur Topik des Städtelobs und der Stadtschilderung (Phil. Diss. Masch. Würzburg 1953). 80 Aus der Zeit des Bischofs Biso (887-909), c. 3, SS. 4 S. 150; hg. von A. COHAUSZ (Erconrads Translatio S. Liborii, 1966) S. 49 f; ABEL / SIMSON 2 S. 178 A. 3. Allgemein zu dieser Quelle zuletzt Kl. HONSELMANN, Die Annahme des Christentums durch die Sachsen im Lichte sächsischer Quellen des 9. Jahrhunderts (in: Westfälische Zs. 108, 1958) S. 214 f; ders., Reliquientranslationen nach Sachsen (in: Das erste Jahrtausend, Textband 1 , 1962) S. 173 f f ; Verfasser, Die Stellung des Weserraumes im geistigen Leben des Früh- und Hochmittelalters (in: Ausstellungskatalog Kunst und Kultur im Weserraum 800-1600 I, 1966) S. 147. 56
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inmitten einer weiten Ebene, hebt weiterhin die zahlreichen Quellen innerhalb des Ortes hervor, die sich zu einem Bett vereinigen, und versäumt nicht, auf weitere Flußläufe hinzuweisen (nec desunt hinc et alia flumina), wobei wiederum an die Lippe und ferner an die Alme zu denken ist. Wenn unser Dichter nur zwei Gewässer namhaft macht, so ist dies auf sein Bedürfnis zurückzuführen, der Vita Martini des Venantius Fortunatus, von der er sich auch sonst vielfach hat leiten lassen· 1 , eine weitere Einzelheit nachzubilden. Die Verse, die er dort im Auge hatte, lauten: Ut placide Rhenum transcendere possis et Histrum, Pergis ad Augustam, qua Virdo et Licca
fluentant'2.
Bei Venantius ist von Augsburg die Rede, wo Wertadi und Lech fließen, und auch bei ihm führt der Weg dorthin über den Rhein. Wenn es sich somit zeigt, daß es dem Dichter darauf ankam, den für Augsburg geprägten Vers des Venantius Fortunatus für Paderborn zu adaptieren, dann erklärt dies vollauf die Nennung von gerade zwei Flußläufen, die im übrigen, wie oben dargelegt, zur Lokalisierung Paderborns sehr wohl dienlich sein konnten. Jedenfalls hat er sich hier unter dem Einfluß der literarischen Vorlage weniger weit von der Wirklichkeit entfernt als bei seiner an Vergil orientierten Schilderung vom Bau der Aachener Pfalz nach dem Muster des Baues von Karthago, wo er sich dazu hat hinreißen lassen, auch für Aachen die Aushebung eines Hafenbeckens in seine Darstellung aufzunehmen": Dichterische Imitatio hier wie dort, aber jetzt mit einer wahrlich massiven Korrektur der Wirklichkeit' 4 ! Das Beispiel zeigt mit aller Deutlichkeit, wie verfehlt es wäre, aus der Lokalisierung Paderborns bei Pader und Lippe auf Unkenntnis der örtlichkeit schließen zu wollen. Oder soll man es im Ernst einem karolingischen Hofdichter zutrauen, Aachen für eine Hafenstadt angesehen zu haben? 81
Das erste Jahrtausend, Textband l S. 296 A . 3 und S. 298 mit A. 1 9 ; vgl. audi unten S. 1 7 . Vita Martini IV Vers 641 f ; M G . Auetores antiquissimi 4 S. 368. " Vers 104 nach Virgil, Aeneis 1 Vers 427 f. M Z u m rhetorisch-panegyrisch überhöhten Wirklichkeitsbild des Dichters vgl. die Würdigung des Epos bei VON DEN STEINEN in: Karl der Große 2 S. 89-93, der allerdings eine sehr viel weiter gehende poetische Verwandlung der Wirklichkeit annimmt und entsprechende Zweifel an der hier erneut vorgetragenen historischen Auslegung äußert. Es fehlt aber auch nicht an Übereinstimmungen: Das Epos kein Fragment (S. 90), entscheidend f ü r den Zeitansatz; zur imperialisierenden Terminologie (nova Roma, caput Orbis, pharus Europae, augustus usw.): „Auf eine politische Absicht kann ich das nicht einengen, so gewiß jener Frankenstolz, der im Epos naiv mitklingt, in den vermutbaren Vorverhandlungen über einen etwaigen Kaisertitel für Karl zur Geltung gekommen sein wird" (S. 93). Ein Wirklidikeitsbezug wird also auch hier vorausgesetzt, und zwar gerade im entscheidenden Punkt. Die Meinungsverschiedenheit betrifft somit nicht das Ergebnis, sondern die Abgrenzung der historischen Wirklichkeit gegen die poetisch überhöhte des Dichters. Die oben vorgetragene Interpretation geht davon aus, daß in der Dichtung historische und poetisch „verwandelte" Wirklichkeit enthalten sind. 62
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Das Epos als Quelle für den „Aachener Kaiser-Gedanken" Spricht somit alles dafür und nichts dagegen, daß unser Dichter den Empfang des Papstes in Paderborn selbst miterlebt und alsbald zur Feder gegriffen hat, um sie in den Dienst Leos III. zu stellen, so wird das Epos damit für die Vorgeschichte der Kaiserkrönung Karls des Großen und für die Geschichte der karolingischen Kaiseridee zu einem Zeugnis von erheblicher Bedeutung. Es ist für diesen Fragenkreis vor allem in seinem ersten Teil in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Der Dichter legt es hier darauf an, die mächtigste Herrschergestalt seiner Zeit heller als die Sonne erstrahlen zu lassen, als den Inbegriff aller nur denkbaren Herrschertugenden, unter denen — im Einklang mit Karls eigenen bildungspolitischen Maßnahmen und Zielen — literarisch-wissenschaftliche Bildung und nicht zuletzt Weisheit schlechthin eine nicht geringe Rolle spielen. Die in geradezu barocker Weise überladene Panegyrik scheint die Grenzen des guten Geschmacks zu berühren, wenn nicht zu überschreiten, doch müssen wir uns bei unserem Urteil in dieser Hinsicht hüten, die Maßstäbe unserer Zeit ins Spiel zu bringen. Panegyrik kennzeichnet die karlische Hofdichtung auch sonst. Daß Karl sie zu schätzen wußte, ist daher nicht zu bezweifeln. Wie weit man damit gehen konnte, ohne das gebotene Maß zu überschreiten, zeigen die an den König gerichteten Briefe Alkuins, der seinen Herrn hinreichend gekannt haben dürfte, um zu wissen, wie dick die Farben aufgetragen werden durften. Wenn Karl im übrigen wissenschaftliche Traktate über philosophische, theologische und chronologische Fragen, die er von seinen Hofgelehrten hatte ausarbeiten lassen, als in seinem Namen stilisierte Briefe an Alkuin richtete und wenn er es zugelassen hat, daß lateinische Gedichte in seinem eigenen Namen verfaßt wurden, so wird nicht eben nahegelegt, es hätte Karl peinlich berühren können, wenn die ihm gewidmete Panegyrik auch den Bereich der literarisch-wissenschaftlichen Bildung einbezog" 5 . Um so auffälliger sind jedoch die „politischen" Prädikate, mit denen unser Dichter seinen Herrscher ausstattet. Zwar ist auch für ihn Karl nach wie vor der König (rex), doch läßt er es dabei nicht bewenden. Er ist für ihn zugleich augustus".
So ist Karl vor dem Weihnachtstage 800 von keinem angeredet oder
bezeichnet worden. Es kommt hinzu, daß dieses kaiserliche Prädikat in dem Gedicht durchaus nicht isoliert steht, sondern in der Umgebung zahlreicher weiterer 65 VON DEN STEINEN fragt in: Karl der Große 2 S. 92: „Durfte der Verfasser glauben, Karl werde an so ungemessener Panegyrik Gefallen finden?" und bezweifelt von hier aus die Bestimmung der Dichtung für den Vortrag bei Hofe. Mit einer solchen redinet HAUCK in: Ausstellungskatalog Kunst und Kultur im Weserraum 1 S. 101. e« Vers 64 und 332.
Das Paderborner Epos
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Prädikate und Charakterisierungen gleichen Inhalts. Hierher könnte bereits der Sonnenvergleich am Eingang gehören, doch braucht darauf kein Gewicht gelegt zu werden. U m ein spezifisches Kaiserprädikat handelt es sich jedoch bei victor pius atque triumphans
(Vers 27), und mit Recht hat bereits Carl Erdmann auf
die Anklänge zur Kaiserdefinition des merowingischen Ämtertraktates bei W e n dungen wie scilicet imperii ut quantum rex culmine reges excellit, tantum preponitur
cunctis
arte hingewiesen". Solche überkönigliche Stellung wird auch sonst
hervorgehoben® 8 . Karl ist Εuropae vetierandus
apex, pater optimus
(Vers 93)
und „Leuchtturm Europas" (Europae pharus, Vers 12), dies im Anschluß wiederum an Venantius Fortunatus, der eine entsprechende Metapher für den heiligen Martin geprägt hatte: Eine in doppelter Hinsicht beziehungsreidie Entlehnung, da Karl so, freilich nur für den Kenner, als Vorkämpfer des christlichen Glaubens mit dem Apostel Galliens in eine typologische Beziehung gesetzt und Europa als der weitere Wirkungsbereich an die Stelle Galliens tritt ··. A l s pater Europae steht Karl schließlich neben dem summus Leo pastor in orbe (Vers 504). Ein Vorrang des Papstes soll damit nicht angedeutet werden 7 0 . Denn auch Karls überragende Stellung innerhalb des orbis wird unermüdlich hervorgehoben 7 1 . In diesem weitesten Bereich ist sie derjenigen des Papstes völlig adäquat. Er übertrifft per orbem alle Könige an Güte, Gerechtigkeit und Macht (Verse 28-29), genießt den höchsten Ruhm (Vers 55), und als der höchste unter · ' Vers 86 f; dazu ERDMANN, Forschungen, S. 16 f and S. 22 mit A. 2; Verfasser, Nomen imperatoris. Studien zur Kaiseridee Karls des Großen (in: HZ. 185, 1958) 5. 520 mit A. 2. I m Ä m t e r t r a k t a t h e i ß t es v o m K a i s e r : Imperator, cuius regnum procellit in tot0 orbe, et sub eo reges aliorum regnorum; G . BAESECKE, D e g r a d u s R o m a n o r u m ( i n : F e s t s c h r i f t R. HOLTZMANN, 1933) S. 5. V e r s 28 f : Rex cunctos superat reges bonitate potentior extat; V e r s 70: Summus apex regum.
per orbem; 1 Iustior
est cunctis
cunctisque
" V i t a s. Martini I Vers 49: Gallica celsa pharus. Vgl. Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 307 A. 84. Im gleichen Sinne audi Ε. ROSENSTOCK, Die Furt der Franken und das Schisma ( i n : E. ROSENSTOCK u n d J. WITTIG, D a s A l t e r d e r Kirche, 1927) S. 515 f.
70 n
So auch VON DEN STEINEN in: Karl der Große 2 S. 90. Zur Aufstellung des fränkischen Heeres orbis ad instar beim Empfang des Papstes (Vers 490) Das erste Jahrtausend, Textband 1 S. 304 mit A. 64 und S. 308 mit A. 90. Auch P. E. SCHRAMM, Karl der Große. Denkart und Grundauffassungen — die von ihm bewirkte Correctio („Renaissance") (in: HZ. 198, 1964) schließt S. 330 A. 3 die Möglichkeit nicht aus, daß der Dichter bei der Beschreibung des Empfangszeremoniells den Doppelsinn von orbis — Kreis und Erdkreis — im Auge hatte, will jedoch für die kreisförmige Aufstellung als solche sowohl hier als auch bei der sächsischen Stammesversammlung zu Marklo nur praktische Gründe gelten lassen, zögert anderseits aber nicht, das Monogramm auf Karls Metallbulle aus der Königszeit als absichtsvolle Relation zwischen nomen und orbis zu deuten. Diese Deutung hat allerdings kein Dichter bestätigt. Zur sächsischen Stammesvers a m m l u n g , d i e disposito
grandi orbe t a g t e u n d b e i d e r d e r hl. L e b u i n in medio orbe s t a n d ,
vgl. K. HAUCH, Ein Utrechter Missionar auf der altsächsischen Stammesversammlung (in: Das erste Jahrtausend, Textband 2, 1964) S. 738. R. FOLZ, Le Couronnement Imperial de Charlemagne (1964) S. 150, formuliert im Anschluß an Vers 489 f: „ . . . & la maniere d'une couronne, έ Limitation du monde."
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Das Paderbomer Epos
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den Königen ist er audi der größte Weise auf Erden". Und so ist er denn, alles in allem, das Haupt der Welt, das caput orbis (Vers 92). Indem der Dichter diese bisher für Rom übliche Metapher auf die Person des Frankenkönigs überträgt, verleiht er ihm auch die seit alters damit gemeinte Funktion. Es ist dies der früheste Beleg einer solchen Personalisierung der auch in karolingischer Zeit geläufigen Rom-Metapher, womit im übrigen ganz unwillkürlich und gerade deshalb so signifikant der Unterschied des hauptstadtlosen fränkischen Personenverbandsstaates zum Römerreich mit institutioneller Hauptstadt ausgedrückt wird. Man hat sich zu fragen, ob sich in diesen panegyrischen Motiven nur dichterische Phantasie und Freizügigkeit entfaltet oder ob sich zugleich politische Wirklichkeit der Paderborner Tage und Wochen niedergeschlagen hat. Eine vorsichtige Interpretation braucht keinen Wert darauf zu legen, dem Dichter selbst eine andere politische Absicht zu unterstellen als diejenige, die in seinem Plädoyer für Leo III. nun freilich so deutlich wie möglich zutage tritt. Dieser Tendenz mag alles untergeordnet gewesen sein, aber ihr konnte es sehr wohl dienen, auch für die Person Karls, auf den es jetzt vor allem ankam, die richtigen Töne zu treffen, das heißt nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief zu greifen. Träfe die auch in unserer Zeit noch gelegentlich vertretene Auffassung zu, Karl habe die Kaiserwürde verabscheut und sie nur einer Überrumpelung durch den Papst zu verdanken gehabt, so hätte der Dichter mit seinen imperialen Anspielungen in einer Ahnungslosigkeit, die sich mit seinen sonstigen guten Informationen schlecht vertragen würde, völlig danebengegriffen. Karl hatte es jedoch schon geraume Zeit vor diesen Ereignissen geduldet, auch in der offiziellen Briefanrede mit Prädikaten aus dem Arsenal des kaiserlichen Protokolls bedacht zu werden". n
Vers 70: Summus apex regum, summus quoque in orbe sophista. ™ Vgl. die Briefe Alkuins Nr. 149 von 798 Juli 22, Epp. 4 S. 242 (... magnifico atque a Deo coronato regi); Nr. 1 6 3 von ca. 799, Epp. 4 S. 263 (Domini David, rectoris optimi, victoris maximi Flaccus Albinus); Nr. 1 9 7 , kurz nach 800 Juni 4, Epp. 4 S. 325 (Domino piissimo et pacifico regi et praestantissimo triumphatori); Nr. 202 von 800, Epp. 4 S. 335 (Maximo atque invictissimo triumphatori atque clementissimo regnorum rectori Karolo regi Francorum et Langobardorum ac patricio Romanorum). Daneben verdient Alkuins Glückwunsch zum Avarensieg mit der Anrede Domino excellentissimo et in omni Christi honore devotissimo Carolo regi Germaniae, Galliae atque Italiae von 796 nach August 1 0 (Nr. 1 1 0 , Epp. 4 S. 1 5 7 ) Beachtung, da Karl als Herrscher über die Germania, Gallia und Italia auch im Titel der Libri Carolini und im Text der Lorscher Annalen zu 800 erscheint. Dazu CASPAR in: Z K i G . 54 S. 262. Ferner Alkuins Brief 261 (Epp. 4 S. 418 f), der zusammen mit Brief 262 als Widmungsschreiben zur Alkuin-Bibel vor Weihnachten 800 einzuordnen ist, mit der Wendung ad splendorem imperialis potentiae vestrae. Zur Alkuin-Bibel vgl. F. L. GANSHOF, La revision de la bible par Alcuin (in: Bibliotheque d'humanisme et renaissance 9 , 1 9 4 7 ) S. 7-20; G. ELLARD, Master Alcuin, Liturgist (Chicago 1956) S. 1 9 2 f f ; B. FISCHER, Die Alkuin-Bibel (1957). Die Anspielung auf Aachen in Brief 262 (Epp. 4 S. 420 Z. 10) betrifft nicht die Überreichung der Bibel daselbst (so CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 577 A . 194); Alkuin erinnert sich (memoro .,. dixisse) vielmehr an ein früheres mit Karl in Aachen geführtes Gespräch. Gegen die Annahme von GANSHOF, Alkuin habe
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In die gleiche Richtung geht nun aber auch die Schilderung, die das Epos dem Bau der Aachener Pfalz angedeihen läßt. Denn Karl ist als caput orbis, Europae apex und augustus auch zugleich Herr einer Roma secunda, die sich „in neuer Blüte mit großer gewaltiger Masse zum Himmel erhebt" 74 . Gemeint ist die Aachener Pfalz, in der Karl als Bauherr maßgebende Weisungen erteilt. Sie wird auch als das künftige Rom (ventura Roma, Vers 98) und weiterhin schlechtweg als Roma (Vers 124) bezeichnet. Wie caput orbis vom Dichter stillschweigend von Rom auf Karl übertragen wird, so Roma secunda von Byzanz auf Aachen, und auch dies erstmalig und in Abweichung vom bisherigen karolingischen Sprachgebrauch, dem Alkuin noch im Juni 799 folgte, wenn er dort im Räsonnement über die drei höchsten Personen in der Welt als deren zweite die imperialis dignitas et secundae Romae saecülaris potentia nennt75.
Dessen Bestätigung in abhängigen und in unabhängigen Quellen Die bloße Erwägung, die panegyrische und apologetische Absicht des Dichters lege eine politische Relevanz dieser imperialisierenden Momente nahe, vermag vielleicht, für sich allein genommen, noch nicht zu befriedigen. Wir sind jedoch für die Deutung auch nicht bloß auf eine solche immanente Interpretation angewiesen. Hinzu kommt zunächst, daß es sich um Töne handelt, die in der bisherigen und vielfach durchaus auch panegyrischen Hofdichtung nicht belegt sind. Es fällt daher ins Gewicht, daß ihr erstmaliger Gebrauch dort zu beobachten ist, wo „die Kette der Ereignisse" einsetzt, „die unmittelbar auf die Erhebung Karls zum Kaiser zuführen" 7 '. Auf diesen Ereigniszusammenhang wird noch einzugehen sein. Wir fragen zunächst, ob und inwieweit eine politische Deutung der imperialisierenden Passagen des Epos durch andere Zeugnisse des karolingischen Zeitalters gestützt wird. Dabei haben wir zu unterscheiden zwischen solchen Quellen, die nachweisbar oder vermutlich vom Epos abhängen und daher in erster Linie als einigermaßen zeitgenössische Interpretationen in Betracht kommen, und solchen, die als unabhängige Zeugnisse herangezogen werden können. die Bibel zur Kaiserkrönung, von der er vorher gewußt habe, überreichen lassen, bestehen somit keine Bedenken. NORDENFALK in: Ausstellungskatalog Karl der Große (1965) S. 262 Nr. 428; B. BISCHOFF, Die Hofbibliothek Karls des Großen (in: Karl der Große 2, 1965) S. 45 mit A. 21. 74 Verse 92-96. 7t Epp. 4 Nr. 174 S. 288 Z. 20. Entsprechend Alkuin an den nach Rom aufbrechenden König, Carmen 45 Vers 31 (Poetae 1 S. 258): Roma caput mundi, primi quoque culmen honoris. "CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 569.
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Das Paderbomer Epos
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Zur erstgenannten Gruppe gehört die nach 804 entstandene und Karl gewidmete Ekloge Modoins 77 , ein Hirtengedicht nach dem Vorbild Vergils und des Calpurnius. Daneben hat Modoin auch unser Epos benutzt, so beim Vergleich Karls mit der Sonne, wo die Abhängigkeit bis zur wörtlichen Übernahme eines Verses geht, so aber auch bei der Apostrophierung Karls als caput orbis und Aachens als Roma. Das neue Rom ist freilich inzwischen nicht mehr ein „kommendes Rom", sondern Wirklichkeit geworden: „Hoch von der neuen Roma Burg überschaut mein Palaemon Alle die Reiche, die seinem Triumphgebote sich stellen, Und die Zeiten, zurückverwandelt zur alten Gesittung: Golden emeut wird Rom der Erde da wiedergeboren" 78 . Der letzte dieser Verse, Aurea Roma iterum renovata renascitur orbi. Locus classicus für die sogenannte karolingische „Renaissance", bezieht sich auf die nova Roma Karls, wie auch hier Aachen bezeichnet wird. Die Pointe liegt darin, daß Modoin im Anschluß an das Epos von 799 daran auch für den inzwischen im alten Rom zum Kaiser gekrönten Karl festhält. Ebenso hält er jedoch auch daran fest, daß das caput orbis nunmehr von Karl selbst dargestellt wird, und die oben für die Übertragung dieses Prädikats gegebene Deutung wird durch Modoin bestätigt: Der Ort, an dem Karl, das caput orbis, weilt, darf Rom genannt werden (Quo caput orbis erit, Romam vocitare licebit / Forte locum)'7'. Wie im Epos wird auch hier über das bisherige „Neurom" am Bosporus stillschweigend hinweggegangen, ja, ihm wird diese seine bisherige Funktion indirekt abgesprochen. Denn sonst hätte Aachen allenfalls Roma tertia genannt werden dürfen. Modoins Ekloge ist gewiß kein politisches Gedicht, doch wird es aus der am Ende angefügten Widmung an Karl deutlich, daß sich der damals wohl noch junge Dichter mit diesem Werk bei Karl einführen möchte. Wessen es bedarf, um bei Karl Gehör zu finden, wird im Gedicht selbst offen erörtert. Im Dialog zwischen einem Greis und einem jungen Dichter (puer) geht es um die Frage, welche Aussichten dieser habe, bei Karl Beifall zu finden. In diesem Zusammenhang hält der Ältere zweifelnd dem Jüngeren entgegen, er habe es bisher an politischen Dichtungen fehlen lassen (Publica
nulla canis, nulli tua carmina
digna, / Sed cunctis despecta patent, stultissime vates)80. Die „politischen" An77
Hg. von E. DUMMLER in: Poetae 1 S. 382-92; danach verbessert in: N A . 1 1 (1885) S. 75-91. Dazu: Das erste Jahrtausend, Textband ι S. 3 1 4 - 1 7 mit Literaturangaben (A. 1 2 0 ) ; J. FLECKENSTEIN, Die Bildungsreform Karls des Großen als Verwirklichung der Norma rectitudinis (1953) S. 96 f f ; VON DEN STEINEN in: Karl der Große 2 S. 24 und 87 f. 78 Modoin, Ekloge 1 Verse 24-27 (in: N A . 1 1 S. 82 f ) ; Übertragung bei VON DEN STEINEN in: Karl der Große 2 S. 88. ™ Vers 40 f. so Ekloge 1 Vers 33 f , in: N A . 1 1 S. 83.
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spielungen auf die nova Roma und das caput Orbis gehören im Dialog zu den Einlassungen des jüngeren Partners, mit dem sich Modoin identifiziert81. So wird nicht nur offen ausgesprochen, daß der Dichter Karls Anerkennung sucht, die rechte Weise, dies Ziel zu erreichen, ist sogar selbst thematisch. Wenn nun dabei die rustica carmina (I Vers 29) den publica carmina gegenübergestellt werden, die bei Karl die bessere Aussicht haben, Gehör und Beifall zu finden, so müssen wohl die „politischen" Anspielungen der Ekloge im Sinne dieses Gegensatzes gedeutet werden. Auf jeden Fall gilt audi hier, was schon für das Epos vorausgesetzt werden mußte: Modoin, der es selbst ausspricht, daß er Karls Beifall erhoffe βϊ , mußte ebenso wie der politische Anwalt Leos III. von 799 darauf bedacht sein, auch dann den rechten Ton zu treffen, wenn er selbst gar nicht darauf ausging, ein politisches Programm zu vertreten. Am Ende des Jahrhunderts, in den letzten Tagen Karls III., hat Notker von St. Gallen in seinen Gesta Karoli das Thema caput Orbis mit aller Deutlichkeit präzisiert, wenn er vom Romzug Karls im Jahre 800 sagt: Caput orbis ad caput quondam orbis absque mora perrexit**. Daß Rom seine einstige Rolle als Haupt der Welt schon vor der Kaiserkrönung Karls an diesen verloren hat, ist also auch Notkers Meinung, und die damit verbundene Vorstellung von der Legitimation Karls zum Kaisertum wird ganz entsprechend erläutert. Denn Leo hat Karl nach Rom gerufen, ut, qui iam re ipsa rector et imperator plurimarum erat nationum, nomen quoque imperatoris caesaris et augusti apostolica auctoritate gloriosius assequereturM. Karl ist der Sache nach bereits rector und imperator vieler Völkerschaften, ja caput orbis, bevor er kraft apostolischer Autorität den Kaisertitel erhält. Dies deckt sich inhaltlich mit dem offiziösen und zeitgenössischen Bericht der Lorscher Annalen über die Vorgänge vom Weihnachtstage 800 M , es 81 M 88
M 86
VON DEN STEINEN in: Karl der Große 2 S. 87 f. Im Prolog und im Epilog. Gesta Karoli I c. 26, hg. von H. F. HAEFELE (SS. rer. Germ. NS. 12, 1959) S. 35 f; hg. von R. RAU, Quellen zur karolingischen Reichsgeschidite 3 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, I960) S. 360.
Wie vorige Anm. Ann. Laureshamenses zu 801 in: SS. 1 , S. 58. Danach wird Karl von den Konzilsvätern des Kaisertitels für würdig erachtet als ein soldier, qui ipsam Romam tenebat, ubi semper caesares sedere soliti erant, seu reliquas sedes, quas ipse per ltaliam seu Gallium nec non et Germanium tenebat, quia Deus omnipotens has omnes sedes in potestate eius concessit. Dazu HZ. 185 S. 525 ff, zu den sedes per Germanium ebd., S. 526 mit A. 4. Da der Rhein die Grenze zwischen der karolingisdien Gallia und Germania bildete (M. LUGGE, „Gallia" und „Francia" im Mittelalter = Bonner historische Forschungen 15, I960, S. 39 f), gehörte Karls nova Roma Aachen, sein palatium, quod nominavit Lateranis (siehe unten S. 22 A. 87) zu den sedes per Galliam, während als sedes per Germanium an ostwärts des Rheins gelegene Pfalzen und somit auch an Paderborn zu denken ist; vgl. die Übersichtskarte von A. GAUERT in: Karl der Große 1 nach S. 320, sowie im Ausstellungskatalog Karl der Große (1965) vor S. 17. Zu der in obigen Worten der Lorscher Annalen stedcenden Nomen-
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deckt sich aber auch mit den Auffassungen des Paderborner Dichters, der Karls Stellung bereits 799 in gleicher Weise charakterisiert. Diese bis ins Detail gehende Übereinstimmung der Auffassungen braucht nicht unabhängig davon zu sein, daß St. Gallen, das Kloster Notkers, auch die Heimat der einzigen auf uns gekommenen Handschrift des Paderborner Epos ist, und wenn diese in Notkers Tagen dort noch nicht vorgelegen haben sollte — was immerhin möglich erscheint — so könnte doch ihre Vorlage auch einem Notker zu Gesicht gekommen sein. Weitere Indizien liefert die Handschrift selbst 853 . Wie dem aber auch sei: Die oben vorgetragene politische Auslegung der Paderborner Dichtung wird in jeder Hinsicht durch Modoin gestützt, der sie nicht anders verstanden hat, und sollte Notker nicht zu den Lesern des Epos gehört haben, so müßte man schließen, daß dessen Auffassungen auch noch anderwärts in uns unzugänglich gewordenen Quellen überliefert waren und so in Notkers Bewußtsein eintreten konnten. Man kann im Zweifel sein, welches die weitergehende Hypothese ist, die Annahme eines direkten oder eines bloß indirekten Überlieferungszusammenhanges. Die zweite hätte insofern weitergehende Konsequenzen, als bei ihr und gerade bei ihr vorausgesetzt werden müßte, daß wir es mit Reflexen einer politischen Strömung zu tun haben. Eine dritte Möglichkeit, nämlich eine spontane und von Überlieferungen unabhängige Konzeption Notkers, wird man ausschließen dürfen, da in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts das karolingische Kaisertum längst von der kurialen, römischen Auffassung geprägt war, so daß die politische Wirklichkeit seiner Zeit als Quelle für Notkers Formulierungen auszuscheiden hat. Zu den unabhängigen Zeugnissen, die den imperialen Motiven des Paderborner Epos stützend zur Seite zu stellen sind, gehören zunächst die Nachrichten über einen Aachener „Lateran" 86 . Als das früheste unter ihnen besagt das Chronicon Moissiacense zum Jahre 796, Karl habe in Aachen außer der Kirche audi ein palatium
errichtet, quod nominavit
Lateranis".
Spätere Belege aus der
Zeit Ludwigs des Frommen bezeugen, daß damals der Name des Lateran an einem besonderen Gebäude haftete, das auch als secretarium
bezeichnet wird und viel-
leicht mit einem der beiden archäologisch gesicherten Annexbauten der Pfalz-
8 0
Theorie vgl. HZ. 185 S. 528 f f ; weitere Belege bei A. B O R S T , Kaisertum und Namentheorie im Jahre 800 (in: Festschrift P . E. SCHRAMM 1, 1964) S . 36-51; Ε . E. S T E N G E L , Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter (1965) S. 320 f; klare Zusammenfassung bei CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 586 f. Faksimile der hier einschlägigen Seiten des Wiener Fragments der Lorscher Annalen: Ebd. Abb. 2 vor S. 577, zur Frage des autographen Charakters ebd. A. 197. — Zur Frage der von Alkuin zur Kaiserkrönung, von der er vorher gewußt haben müßte, gewidmeten Bibel vgl. oben 85a S. 18 A. 73. Siehe unten S. 57 f mit A. 6. E R D M A N N , Forschungen S. 23. SS. 1 S. 303.
123]
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kapelle zu identifizieren ist88. Man hat daher die an und für sich präzise Angabe der Chronik von Moissac für irrig halten wollen 8 '. In einer noch unveröffentlichten Abhandlung wendet sich jedoch W. S C H L E S I N G E R * 0 gegen solche Zweifel, redinet vielmehr damit, daß der Name des Laterans ursprünglich dem Aachener palatium selbst galt und erst später in Reduktion des ursprünglichen Gedankens an einem Nebengebäude haften geblieben ist. Selbst bei vorsichtiger Beurteilung dieser Belege wäre es unmethodisch, sie für die Interpretation des Paderborner Epos nicht heranzuziehen. Der Name „Lateran" ist jedenfalls in Aachen sicher belegt. So sollten audi die Indizien für einej Regensburger Parallele, so undeutlich sie auch vorerst noch sein mögen, nicht ignoriert werden". Nicht geringzuachten ist die Bestätigung für die Auffassung der Aachener Pfalz als einer nova Roma, die sich aus der Aachener Pfalzanlage selbst und den baugeschichtlichen Zusammenhängen, in die sie einzuordnen ist, ergibt' 2 . Die Vorbilder der Pfalzkapelle sind, unbeschadet selbständiger Abwandlungen, in Ravenna und Konstantinopel zu suchen. Eigens aus Rom und Ravenna herbeigeschaffte Marmorsäulen", auf die Alkuin im Juli 7 9 8 " anspielt, wurden dem Aachener Zentralbau auf Karls Weisung hin eingefügt. Aus Ravenna hat Karl ein auf Theoderich den Großen bezogenes Standbild holen und an hervorgehobener Stelle seiner Pfalzanlage aufstellen lassen' 5 . Die aula regia, im heutigen Rathaus ζ. T. noch erhalten, steht der Trierer Palastaula in vieler Hinsicht nahe, erinnert jedoch als Dreiapsidensaal an das Triklinium Leos III. im Lateran", bestätigt somit die Nachricht palatium quod nominavit Lateranis der 88
So A . HUYSKENS, Aachen zur Karolingerzeit (in: Aachen zum Jahre 1951 = Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz, 1951) S. 59 f f ; zurückhaltend G. BANDMANN, Die Vorbilder der Aachener Pfalzkapelle (in: Karl der Große 3, 1965) S. 457. Vgl. auch E . EWIG, Residence et capitale pendant le haut moyen-äge (in: Revue historique 1963) S. 59; C. B R Ü H L , Zum Hauptstadtproblem im frühen Mittelalter (in: Festschrift für Harald Keller, 1963) S. 53 mit A. 148-52. 88 ERDMANN, Forschungen S. 23 A. 3. · · Verfasser dankt seinem Kollegen für freundlich gewährten Einbilde in das Manuskript. 81 R . STROBEL und J. SYDOW, Der „Latron" in Regensburg (in: HJb. 83,1964), S . 1-27. • 2 BANDMANN in: Karl der Große 3 S . 424-62. ·» Einhard, Vita Karoli c. 26. " E p p . 4 Nr. 149 S. 244 Z. 24 f; dazu der Brief Hadrians I. an Karl von ca. 787, Codex Carolinus Nr. 81 (Epp. 3, S. 614), mit dem der Bitte Karls entsprochen wird, aus dem Palast von Ravenna musivisdie und marmorne Spolien zu beziehen; BANDMANN in: Karl der Große 3 S. 424 mit A. 5. " H . LÖTE, Von Theoderich dem Großen zu Karl dem Großen (in: DA. 9, 1952) S. 392 f f ; H . HOFTMANN, Die Aachener Theoderichstatue (in: Das erste Jahrtausend, Textband 1, 1962) S. 318-35. " W . S A G E , Zur archäologischen Untersuchung karolingisdier Pfalzen in Deutschland (in: Karl der Große 3, 1965) S . 327; L . HUGOT, Die Pfalz Karls des Großen in Aachen (ebd.) S. 546 ff mit Figur 3 auf S. 547; ders. in: Ausstellungskatalog Karl der Große (196;) S. 395 ff, mit Plan S. 396 und Abb. 1 1 9 f.
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C h r o n i k v o n Moissac. A n t i k e m Vorbild scheint auch die W e s t f a s s a d e mit repräsentativer Außenkonche (exedra)
verpflichtet z u sein, der nunmehr zwei jüngst
im Bereich des A t r i u m s freigelegte Halbkreiskonchen zuzuordnen s i n d " . Hier könnte im Schnittpunkt der Achsen des T r i c h o r u s " schon v o n Karl der T h r o n errichtet worden sein, der uns f ü r das 1 0 . und 1 1 . Jahrhundert daselbst bezeugt w i r d " . D a s Paderborner „ T h r o n f u n d a m e n t " w ä r e die gleichzeitige Parallele 1 0 0 . D a ß w i r es bei der Aachener P f a l z und ihrer Pfalzkapelle mit „imperialer A r c h i t e k t u r " zu tun haben, k a n n nach den Ergebnissen der kunstgeschichtlichen Forschung nicht bezweifelt werden. Diese A u f f a s s u n g ist keineswegs neu, doch ist sie, w a s betont werden muß, durch jüngste Grabungsergebnisse nicht nur nicht eingeschränkt, sondern bekräftigt worden.
D a s E p o s i m Z u s a m m e n h a n g der E r e i g n i s g e s c h i c h t e W e n n wir zuletzt nach den Konsequenzen f r a g e n , die sich aus dieser D e u t u n g der Paderborner Dichtung f ü r die Vorgeschichte des karolingischen Kaisertums ergeben, so bedeutet dies zugleich eine letzte P r ü f u n g dieser Deutung selbst. D e n n ihre Zuverlässigkeit hängt auch d a v o n ab, ob das Epos als eine f ü r diesen Fragenkreis neu erschlossene Quelle sich in plausibler W e i s e dem Bilde einfügen läßt, das w i r aus den übrigen Zeugnissen zu gewinnen v e r m ö g e n 1 0 1 . In dieser »? F. KREUSCH, Kirche, Atrium und Portikus der Aachener Pfalz (in: Karl der Große 3, 1965) S. 505 f f , mit Figur 8 nach S. 490 und Figur 1 2 nach S. 498 ( = Taf. X dieses Bandes) sowie Abb. 1 nach S. 514. »8 KREUSCH erkennt ebd. S. 509 eine Absicht darin, daß die Nordsüd-Achsen der beiden seitlichen Halbkreiskonchen gegen den auf der ostwestlichen Mittelachse gelegenen Mittelpunkt der Westfrontnische hin einschwenken; vgl. dazu unten Tafel X. »e Dazu demnächst Verfasser, Grab und Thron Karls des Großen zu Aachen (in: Karl der Große 4, 1967) mit Korrektumachtrag 1 . In der Zusammenstellung von Thron und Westfrontnische könnte, wie ich einem im August 1966 auf dem Magdalensberg (Kärnten) geführten Gespräch mit Herrn Dozent Dr. A. VETTERS entnehme, das Motiv des römischen Tribunals aufgegriffen worden sein. Doch ist dies vielleicht nur einer unter mehreren möglichen Aspekten. Auch bleiben weitere Grabungsergebnisse abzuwarten. 1»» Siehe unten S. 105 und Taf. VIII-X. 101
In diesem Sinne ist die ideengeschichtliche Analyse notwendiges Mittel der historischen Kritik. Anders BRÜHL in: Festschrift Keller, S. 53 mit A. 1 5 1 , der ERDMANNS Deutung des Aachener Laterans als Residenz des Papstes bei seinen Besuchen in der Ventura Roma ausdrücklich zustimmt, „irgendwelche ideengeschichtliche Folgerungen" jedoch abweist. In der Konsequenz bedeutet dies den Verzicht auf historische Kritik im weiteren Sinne und einen methodischen Rückschritt auch gegenüber der modernen Diplomatik, die sich bei der Analyse von Urkundenfälschungen selbstverständlich zur Klärung von Zeitstellung und Motiven ideengeschichtlicher Gesichtspunkte bedient. Berechtigt ist allerdings die ebd. ausgesprochene Warnung vor „gewagten Spekulationen"; doch gilt diese für jede Forschung, nicht nur für die ideengeschichtliche. Der Verzicht auf ideengeschichtliche Gesichtspunkte kann durchaus unmethodisch sein und kommt schon gar nicht als Ausweis einer besonders kritischen Haltung in Frage.
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Hinsicht ergibt sich zunächst, daß während des Paderbomer Aufenthalts Leos III. daselbst nicht nur nach Lösungen für den Konflikt des Papstes mit seinen römischen Gegnern gesucht wurde, sondern daß auch bereits damals die Kaiserfrage ins Spiel gebracht worden ist 108 . Der zwischen beiden Fragenkreisen bestehende Sachzusammenhang konnte dies unmittelbar nahelegen10*. Alkuin und unser Dichter stimmen darin überein, daß bei der gegebenen Lage allein Karl imstande sei, den Papst in Rom zu restituieren und die dortigen Verhältnisse zu seinen Gunsten zu ordnen. Zu Alkuins erster Reaktion auf den römischen Aufstand — in seinem Brief an Karl vom Juni 799 — gehört das vieldiskutierte Räsonnement über die drei höchsten Personen in der Welt'104. Die erste von ihnen, der Papst, ist von seinem Amtssitz vertrieben, die zweite, der Kaiser der secunda Roma, ist abgesetzt, und nur Karl, die dritte persona in mundo altissima, der rector populi diristiani, ist handlungsfähig. Seine königliche Würde ist ohnehin im Vergleich zur Würde der beiden anderen „Personen" höher im Rang (sublimior). Unter den gegebenen Umständen liegt das ganze Heil der Christenheit jetzt bei ihm. Zu den Bedingungen für Karls alleinige Verantwortung und Zuständigkeit gehört jedenfalls nach dieser Darlegung der Sturz des oströmischen Kaisers Konstantin durch seine Mutter Eirene, deren nunmehrige Alleinherrschaft in Byzanz selbst staatsrechtlich umstritten war und von Alkuin ebensowenig anerkannt wurde wie von den Lorscher Annalen, die die Erhebung Karls zum Kaiser in erster Linie auf die byzantinische „Thronvakanz" stützen105. Anders als der Paderborner Dichter hat Alkuin somit Ostrom nicht aus seinen Erwägungen ausgeschlossen. Indem er vielmehr den Auftrag Karls auf einen lediglich okkasionellen Ausfall der Kaisergewalt stützt, rechnet er doch wohl
101 Vgl. hierzu die kritischen und wohlabgewogenen Ausführungen bei FOLZ S. 150 (Implikation der Kaiserfrage) und 5. 153-56 (zu Alkuins Brief 174 und zum Paderbomer Epos) sowie bei CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 574 f; W. SCHLESINGER, Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters 1
(1963)
S . 2 1 6 ; STENGEL
S . 3 1 7 , u n d K . HAUCK
in: Ausstellungskatalog Kirnst und Kultur im Weserraum 1 S. 101. — Die Nachricht des Johannes Diaconus (Gesta episcoporum Neapolit. c. 48, in: MG. SS. rerum Langobardicarum, S. 428) hic (Leo III. nach dem Attentat) tarnen fugiens ad Carolum regem spopondit ei, ut,side suis illum defenderet inimicis, augustali eum diademate coronaret, könnte demnach auf guter Oberlieferung beruhen. Behandlung der Kaiserfrage in Faderborn ist auch in der älteren Forschung sdion vermutet worden, so von H. LUDEN (1828) und H. LEO (1830). Hierzu HELDMANN S. 68 Α. 1 ; A. BORST, Ranke und Karl der Große (in: Dauer und Wandel der Geschichte. Festgabe für K. von Raumer, 1965) S. 461. 10» So audi FOLZ S. 150; CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 573 f. 104
E p p . 4 N r . 1 7 4 S . 2 8 8 Z . 1 7 - 2 7 ; FOLZ S . 1 4 9 f u n d 1 5 3 ; CLASSEN i n : K a r l d e r G r o ß e S . 5 7 1 ; STENGEL S . 3 2 1 .
1
10s VV. OHNSORGE, Das Kaisertum der Eirene und die Kaiserkrönung Karls des Großen (in: S a e c u l u m 1 4 , 1 9 6 3 ) S. 221-47.
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mit der Zuständigkeit eines rechtmäßigen Kaisers für die Lösung der in Rom entstandenen Probleme 10e . Auch in der heutigen Forschung besteht Übereinstimmung darin, daß Karl als patricius Romanorum in Rom nicht über die volle Jurisdiktion verfügte, daß ihm insbesondere das Recht abging, Kapitalverbrechen abzuurteilen 107 . Bevor Karl die Gegner Leos wegen Majestätsverbrechens, wie es ausdrücklich heißt, zum Tode verurteilte und dann zur Verbannung begnadigte, war er zum Kaiser erhoben worden, und daß bei dieser Reihenfolge der Handlungen der jurisdiktionelle Gesichtspunkt Berücksichtigung gefunden hat, ist unbestritten. Zwar ist Karl nicht allein aus diesem Grunde und sozusagen zur Behebung eines aktuellen jurisdiktionellen Notstandes vom Papst zum Kaiser gemacht worden, aber daß die Kaiserkrönung in den römischen Handlungsverlauf ausgerechnet zwischen den Reinigungseid Leos III. und die Aburteilung seiner Gegner eingeordnet worden ist, läßt sich so am besten erklären. Auch sonst hat Karl, wie die jüngere eingehende Diskussion der einschlägigen Zeugnisse auch und gerade aus dem Bereich der Herrschaftszeichen und Staatssymbolik ergeben hat, vor seinem Einzug in Rom am 24. November 800 keinerlei kaiserliche Vorrechte in Rom ausgeübt. Vielmehr läßt sich umgekehrt zeigen, wie die Päpste in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts in ihrem Streben nach Emanzipation vom Römischen Reich sich schrittweise spezifisch kaiserliche Vorrechte, wie das der Münzprägung, aneigneten und umgekehrt in den Urkunden die Datierung nach den Kaisern fallenließen 108 . Dieser Emanzipationsprozeß fällt zusammen mit der wohl stufenweisen Entstehung des angeblichen Privilegs Konstantins des Großen für Papst Silvester I. 10 ', das dazu bestimmt war, Rom 108
Dies ergänzend zu den Darlegungen in H Z . 1 8 5 S. 535 f ; CLASSEN in: K a r l der Große 1 S. 5 7 1 ; STENGEL S. 3 2 1 . Allgemein zu A l k u i n s Anteil an Karls W e g zum Kaisertum: H Z . 1 8 5 S. 537 f f ; STENGEL S. 3 1 0 f f . Erwägenswert die vermittelnden Formulierungen bei CLASSEN S. 572 mit A . 1 6 3 . 107 HELDMANN S. 207 f f ; CASPAR in: Z K i G . 54 S. 229 f f ; ZIMMERMANN in: M I Ö G . 69 S. 34 mit A . 45; H . DANNENBAUER, Grundlagen der mittelalterlichen Welt (1958) S. 59 mit A . 3 1 ; FOLZ S. 1 5 0 ; CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 574. ΙΟΒ Vgl. zuletzt J. DEER, Z u m Patrizius-Romanorum-Titel Karls des Großen (in: Α Η Ρ . 3, 1965) S. 3 1 - 8 6 ; dort die frühere Literatur. Siehe auch unten S. 5 1 A . 1 9 6 1M T e x t bei C . MIRBT, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus (» Erst recht bleibt von dieser Deutung die Frage unberührt, ob Karl vor 800 in Rom kaiserliche Ehrenrechte wahrgenommen hat oder ob ihm solche vom Papst vindiziert worden sind.
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durch die bildliche Darstellung, mit der audi sie sich zur Deckung bringen ließ, nicht zurückgewiesen worden. Halten wir uns an diese Zeugnisse aus der Zeit zwischen Leos Rüdekehr nach Rom und seiner durch den Reinigungseid vom 23. Dezember 800 bewirkten Rehabilitierung, so zeichnet sich in Umrissen eine Linie ab, auf die sich Papst und König hinsichtlich der Grundfragen ihres beiderseitigen Verhältnisses geeinigt haben könnten. Sie läßt sich für das Verhältnis des Frankenkönigs zum hl. Petrus bis in die Tage Stephans II. und Pippins und darüber hinaus zurückverfolgen 184 . Nach der Rehabilitierung dürfte der Papst jedoch, im Wiederbesitz seiner vollen Handlungsfreiheit, abweichende Dispositionen getroffen haben. Karls Zustimmung zur Annahme der Kaiserwürde lag bereits vor, und in dieser Zeitspanne zwischen dem 23. und 25. Dezember hat das consilium pontificis, auf das Einhard anspielt, seinen historischen Ort. Die Bedeutung unseres Epos als Quelle für das Thema der Paderborner Verhandlungen, für die Vorgeschichte der Kaiserkrönung Karls des Großen, für den „Aachener Kaisergedanken" als einer fränkischen Alternative zum römischpäpstlichen, für die Rolle, die der Aachener Pfalz in diesem Zusammenhang zugedacht war, für ihre imperiale Architektur und nicht zuletzt für die Deutung der jüngsten Paderborner Grabungsergebnisse ist damit umschrieben. Daß bei der Paderborner Zusammenkunft Leos III. und Karls des Großen auch über die Kaiserfrage verhandelt wurde, ist hiernach hinreichend gesichert, so daß sich in Paderborn eine Entscheidung von weltgeschichtlicher Tragweite angebahnt hat. Ob den Gedanken an eine solche Rangerhöhung des mächtigsten und größten der bisherigen Frankenkönige allein die Lage eingegeben hat, die der Anschlag auf Leo III. und seine Vertreibung aus Rom heraufbeschworen hatte, muß allerdings bezweifelt werden. Es kann hier nicht näher ausgeführt werden, in welcher Weise einzelne Elemente des Kaisergedankens in Karls Königszeit, ja sogar in der seines Vaters verwurzelt sind 185 . Ebendort vermögen wir die Ausgangspunkte für die Schwankungen zu erkennen, denen Kaisertum und Kaiseridee im weiteren Verlauf ausgesetzt blieben. Von einer eindeutigen Kaiseridee Karls des Großen kann so wenig die Rede sein wie von einer fest umrissenen karolingischen oder gar mittelalterlichen Kaiseridee. Karl selbst hat sich offensichtlich, wie es bei einem Politiker nicht anders erwartet werden kann, in seiner Haltung zur Kaiserfrage von der jeweiligen Lage bestimmen lassen, ohne freilich eine Grundposition IM Ausführlich belegt und erörtert bei Th. ZVÖLFER, Sankt Peter, Apostelfürst und Himmelspförtner (1929) S. 64 f f . ies Vgl. hierzu die eingehenden Darlegungen bei SCHLESINGER, Beiträge 1 S. 2 1 5 f f . Für die angelsächsische Komponente STENGEL S. 287 f f .
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aufzugeben, die in ersten Umrissen im Paderborner Epos widergespiegelt wird und sich bis zum Jahre 813 weiterverfolgen läßt. Der Einfluß der außerordentlichen politischen Lage ist hier mit Händen zu greifen, und wenn unser Epos erst auf Grund einer möglichst genauen zeitlichen Einordnung und damit auf dem Hintergrund der konkreten geschichtlichen Vorgänge zum Reden gebracht werden konnte, so gilt dies auch für alle übrigen die Kaiserfrage betreffenden Quellen: In jedem Falle erfordert ihre Auslegung sorgfältige Beachtung von Zeitstellung und politischer Lage. Wir haben auch keinen Anlaß, Karl eine monolithische Unbeweglichkeit zu unterstellen. Die Frage, ob er Kaiser werden wollte oder nicht, ob er darauf hingearbeitet hat oder dafür mühsam gewonnen werden mußte, ist im Lichte dieser Erwägungen allzuwenig differenziert. Zu fragen wäre vielmehr, ob es in der wechselnden Abfolge der politischen Konstellationen und Pläne schon in Karls Königszeit Situationen gegeben hat, die den Gedanken an eine imperiale Rangerhöhung des Frankenkönigs nahelegen konnten. An einem solchen Zeugnis fehlt es nicht.
Ein Kaiserplan Hadrians I. von 781 Eine heute in Rom liegende Lorscher Handschrift des 10. Jahrhunderts enthält eine Reihe von christlichen Inschriften, die aus verschiedenen Städten Italiens, wie Ravenna, Mailand, Pavia, Ivrea und so auch aus Rom, zusammengetragen worden sind 184 . Darunter findet sich ein Altartitel, in dem folgender Gedankengang in Distichen ausgeführt wird: Christus, der Herr des Himmels,und Sohn der Jungfrau, hat die Lenkimg dieser Welt durch Priester und Könige, aus deren beider Geschlecht er selbst stammte, vorgesehen. Die Gläubigen (oves fidei) hat er dem Hirten Petrus unterstellt, auf daß dieser sie seinem Vertreter Hadrian anvertraue. Aber auch das Romanum imperium spendet er in der ihm treu ergebenen Stadt solchen Dienern (fomulis), die ihm wohlgefällig sind. Und nun der entscheidende Satz: Quod (sc. Romanum imperium) Carolus mire praecellentissimus hie rex / Suscipiet dextra glorificante Petri. So gipfelt das Gedicht in dem Wunsch, König Karl möge das Romanum imperium aus der Hand des hl. Petrus empfangen. Die daran anschließenden letzten beiden Verse (Pro cuius vita triumphisque haec munera regno / Obtulit antistes congrua rite sibi) weisen auf Gaben hin, die
im Cod. Vat. Palat. 833; Poetae 1 S. 101-107. Dazu die Vorbemerkung S. 100.
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der Leser des Altartitels vor sich sah (haec munera) und die Hadrian pro vita triumphisque Karls dargebracht hatte 187 . Für die zeitliche Einordnung ergibt sich aus der Nennung Hadrians eine Eingrenzung auf dessen Amtszeit (772-95). Die Stiftung des Altartitels zugunsten Karls wird man unbedenklich mit einem Romaufenthalt des Königs in Verbindung bringen können, so daß die Jahre 774, 7 8 1 und 787 in Frage kommen. Schon HELDMANN 189 hat mit Recht für die nähere Datierung auf folgende in der Handschrift und bei DÜMMLER anschließende Inschrift aufmerksam gemacht: 18' Ebd. S. 1 0 6 N r . X I I I : In Altare Caelorum Dominus, qui cum patre condidit orbem, Disponit terras virgine natus homo. Utque sacerdotum regumque est Stirpe creatus, Providus huic mundo curat utrumque geri. Tradit oves fidei Petro pastore regendas, Quas vice Hadriane crederet ille sua. Quin et Romanum largitur in urbe fideli Imperium famuli[s] qui placuere sibi. Quod Carolus mire praecellentissimus [hie] rex Suscipiet dextra glorificante Petri. Pro cuius vita triumphisque haec munera regno Obtulit antistes congrua rite sibi. In V e r s 8 ist Imperium famulis statt Pontificatum famuli der Handschrift einleuchtende Konjektur der Herausgeber PAPEBROCH und DÜMMLER. Weitere Emendationsvorschläge stellt SCHRAMM, H Z . 1 7 2 , 1 9 5 1 , S. 462 A n m . 1 zusammen: PAGI und GREGOROVIUS: vexillum. Ein Romanum vexillum ist jedoch sonst nicht belegt und wäre nicht dasselbe wie das v o n Leo III. gespendete Romanae urbis vexillum. Diese Konjektur ist vom Lateranmosaik eingegeben, w i e denn auch Gregorovius das Gedicht auf eine entsprechende bildliche Darstellung bezieht, die er a m A l t a r voraussetzt. G a n z abgesehen v o n den erheblichen K o n s e quenzen f ü r die Geschichte der Fahnen ist an dieser Stelle aus G r ü n d e n der inneren S y m metrie kein Würdezeichen, sondern eine Würde oder Funktion zu erwarten. Rossi und DUCHESNE: patriciatum und (v. 9) quem. Patriciatum paßt jedoch so wenig in den V e r s w i e das pontificatum der Hs., beide erfordern die Emendation von quod zu quem, und v o m Patriziat konnte mit Bezug auf K a r l 7 8 1 schwerlich suscipiet gesagt werden, da er die W ü r d e bereits seit 774 besaß. D a s von SCHRAMM erwogene principatum paßt wiederum weder in den Vers noch zu quod Für die Lesart Imperium spricht: 1 . die innere Logik des Gedichtes. Gott hat gewollt, daß die Welt durch Priester und Könige regiert wird. Dementsprechend sind die oves fidei dem hl. Petrus und seinen Nachfolgern anvertraut worden. Die dem entsprechende weltliche Funktion ist eine römische (Romanum). 2. Vorbild f ü r A u f b a u und G e d a n k e n g a n g des Altartitels: der in der Hs. vorausgehende Titel In Altäre (Vox arcana patris, DUCHESNE, Lib. pont. 1 S. 3 1 0 ) aus der Zeit des Papstes Pelagius II. (579-590). Die Übereinstimmung erstreckt sich auch auf die Terminologie (humanam sumens de virgine formam — cum plebe fideli — offert munera — Romana . . . sceptra . . . quorum imperio — pro quibus antistis). D e m päpstlichen A m t wird hier das imperium der Romana sceptra gegenübergestellt. 3. D a s pontificatum der Hs. ist offensichtlich eine nachträgliche Ä n d e r u n g , bei welcher der ursprüngliche Begriff durch sein Gegenteil ersetzt worden ist. 198 HELDMANN S. 445. In der Hs. Vat. Pal. 833, von der mir ein Mikrofilm vorliegt, bilden die Tituli aus St. Peter in R o m auf den Blättern 27r-29v eine geschlossene Gruppe. Ich gebe die Überschriften in der Reihenfolge der Handschrift, dazu das jeweilige Incipit: In paradiso beati Petri (Quamvis clara fides); In fronte eiusdem ecclesiae (Credite victuras) [f. 2 7 r ] ;
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In palleo altaris. Pastor ovile Dei servans sine crimine Petre, Qui praebes Christi pabula sancta gregi: Tu Caroli clemens devoti munera regis Suscipe, quae cupiens obtulit ipse tibi. Hildegarda pio cum quo regina fidelis Actibus insignis mentis amore dedit. Hier wird der hl. Petrus selbst gebeten, die vom König Karl gemeinsam mit der Königin Hildegard dargebrachten Gaben entgegenzunehmen. Nichts liegt näher, als beide Inschriften auf den gleidien Altar zu beziehen. In der einen erscheint Papst Hadrian als Stifter, in der anderen das Königspaar. Als einziger Heiliger wird in beiden Petrus genannt, im zweiten ausdrücklich als Empfänger der munera regis. Geht man von der Zusammengehörigkeit beider Titel aus, so handelt es sidi um den gleichen Petrusaltar in Verbindung mit einem Romaufenthalt Karls und der Königin Hildegard. Diese ist 783 gestorben189 und weilte 781 gemeinsam mit Karl in Rom leo . Alles spricht somit dafür, die beiden Inschriften eines Petrusaltars mit dem Besuch von 781 in Verbindung zu bringen und auf den Altar der römischen Peterskirche zu beziehen. Betrachtet man nun die für Karls Romfahrt von 781 bezeugten Vorgänge, so springt als erstes die Schenkung der Sabina und einer Reihe fiskalischer Einkünfte an die römische Kirche und damit den hl. Petrus ins Auge. Dies blieb zwar erheblich hinter dem umfassenderen Schenkungsversprechen Pippins zurück, das Karl bei seinem ersten Romaufenthalt 774 unter feierlicher Deponierung des Privilegs auf dem Altar und der Confessio sancti Petri sowie in einer zweiten Ausfertigung auch auf dem Petrusgrab erneuert hatte 1 ' 1 . Die Sdienkung von 781 war das Ergebnis eines Kompromisses, bei dem der Papst seinerseits auf die in den Schenkungsversprechungen von 754 und 774 zugestandenen weitergehenden Ansprüche verzichtet zu haben scheint. Wie in den beiden Altartiteln war es also zu Gesdienken Karls an den hl. Petrus und zu einer Gabe Hadrians zugunsten des regnum (haec munera regno / Obtulit antistes) gekommen. Liegt es zunächst nahe, bei den munera der Altartitel an kostbare Weihegaben zu denSuper limina in introitu ecclesiae (Qui regni claves); In porta eiusdem dextra (Lumine sed magno) [f. 27 v]; In sinistra (Lux arcana Dei) [f. 28t]; In throno (Iustitiae sedis) [ί. 28v]; In altare (Vox arcana patris); In eodem (Caelorum dominus = DUMMLER Nr. XIII) [f. 291·]; In palleo altaris (Pastor ovile = DÜMMLER NR. XIV) [f. 29V]. »8« BM. 261b. 1(0 Zu Hildegards Teilnahme am Romzug ebd. 251a und 236. wi Ebd. 235b; CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 551 u. 558.
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ken, die auf dem Altar bei solchem Anlaß dargebracht worden wären, so wird durch die ausdrückliche Bezeichnung der königlichen Schenkungen als munera in dem bestätigenden Brief Hadrians vom gleichen Jahr die Möglichkeit eröffnet, die munera überhaupt auf Privilegien zu beziehen, die auf dem Petrusaltar, wie schon 774, niedergelegt worden sind 192 . Darf man hiernach Zeitstellung und Ort der beiden Altartitel als einigermaßen gesichert betrachten, so ergibt sich die Möglichkeit, den im ersten der beiden Titel ausgesprochenen Wunsch, Petrus möge Karl das Römische Reich übertragen, in den geschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Als derjenige, der den Wunsch ausspHcht, kommt in erster Linie Hadrian selbst in Frage, der anschließend genannte Spender der munera zugunsten des Reiches. Von ihm hat Karl bei diesem Romaufenthalt seinen vierjährigen Sohn Karlmann auf den Namen Pippin taufen lassen, wobei eine Gevatterschaft (compaternitas) zwischen Karl und Hadrian, aber audi zwischen der Königin und dem Papst 198 hergestellt wurde. Der Getaufte sowie sein Bruder Ludwig wurden alsdann vom Papst zu Königen gesalbt und gekrönt. Beide sollten Unterkönige im Reiche Karls sein, Pippin in Italien, Ludwig in Aquitanien, Karl herrschte danach über mehrere reges und regna. Aus den fränkischen Quellen ergibt sich für diesen Romzug außerdem ein Bündnis Karls mit der Kaiserin Eirene, der Witwe des 780 verstorbenen Leons IV. und Mutter von dessen Sohn und Nachfolger Konstantin VI., für den sie selbst, der Form nach als Mitkaiserin, die Regentschaft führte 194 . Das Bündnis wurde durch eine Verlobung Konstantins VI. mit Karls Tochter Rothrud untermauert. Die Initiative dazu dürfte von Eirene ausgegangen sein, die schon damals Anlaß hatte, mit allen Mitteln nach einer Sicherung ihrer politisch umstrittenen Stellung zu suchen 195 . Der Preis für dieses Bündnis war anscheinend ein förmlicher byzantinischer Verzicht auf die alten Ansprüche des Reichs in Italien. Ursächlich dürfte 192
Cod. Carolinus Nr. 68 von 781 (Epp. 3 S. 597). Vgl. vor allem den Satz . . . multis documents de vestris allatis muneribus ecclesia beati Petri enituit, tarn de civitatibus quam de diversis territoriis sub integritate eidem Dei apostolo a vobis offertis (S. 597, 34). Der Terminus munera für die Schenkung Karls legt es bei der engen Zusammengehörigkeit der beiden Altartitel nahe, auch die von Hadrian dem regnum (haec munera regno / Obtulit antistes) dargebrachten munera auf ein Privileg zu beziehen, mit dem Hadrian 781 auf weitergehende Ansprüche verzichtet hat und mit dem CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 558 m i t A n m . 87 im Anschluß an J. FICKER u n d J . HALLER (gegen CASPAR) rechnet. DUCHESNE
(Liber pontificalis 1 S. 516 N. 31) und P. E. SCHRAMM, Die Anerkennung Karls d. Gr. als Kaiser, HZ. 1 7 2 , 1 9 5 1 , S. 462 deuten jedoch regnum als „Krone". Dies hätte Konsequenzen, deren Erörterung an dieser Stelle zu weit führen würde. Der Kaiserplan Hadrians gewänne dann in einer wichtigen Einzelheit noch deutlichere Umrisse. 1»» Ebd. S. 598 Z. 7: pro ... spiritali commatre, domna regina; so auch danach öfters. 'M Das Folgende nach CLASSEN in: Karl der Große 1 S. 558 f. 105 Zur innenpolitischen und staatsrechtlichen Stellung der Eirene OHNSORGE in: Saeculum 14 S. 2 2 3 f f ; DE6R i n : Α Η Ρ . 3 S. 7 3 f f .
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mit diesem byzantinisch-fränkischen Bündnis der f ü r das gleiche Jahr bezeugte Aufstand des Patricius und Strategen Elpidius von Sizilien gegen Eirene zusammenhängen, den die Kaiserin erst durch den Einsatz einer großen Flotte niederschlagen konnte. Elpidius floh nach A f r i k a und warf sich dort zum Gegenkaiser auf. Chronologische Differenzen in der byzantinischen Berichterstattung gegenüber der fränkischen lassen es zweifelhaft erscheinen, ob das fränkisch-byzantinische Bündnis als Ursache oder als Folge des sizilischen Aufstandes zu gelten hat. Nur nach den fränkischen Quellen ist das Bündnis zu Karls Romaufenthalt im Frühjahr 781 zu stellen, und in diesem Falle wäre der Aufstand des Elpidius als Reaktion auf die territoriale Verzichterklärung Eirenes aufzufassen. Folgt man dieser in der modernen Forschung vorherrschenden A u f f a s s u n g , so erhält der an Karl gerichtete Kaiserwunsch Hadrians seinen plausiblen historischen Ort. Zweifellos ist das fränkische Bündnis mit Byzanz eine Enttäuschung f ü r Hadrian gewesen, die seine ebenfalls vorauszusetzende Enttäuschung über Karls reduzierte Territorialschenkung an die römische Kirche noch übertreffen konnte. Denn in diesem Bündnis wurden alle päpstlichen Hoffnungen auf eine antibyzantinische Revindikationspolitik des Frankenherrschers zugunsten der römischen Kirche zunichte. In dieser Lage konnte eine an Karl gerichtete A u f forderung, selbst die Kaiserwürde zu übernehmen, darauf hinzielen, Karl unter Ausnutzung der umstrittenen Stellung Eirenes auf einen antibyzantinischen Kurs festzulegen 1 ". Es wäre dies der gleiche Gedanke, den wenig später der Patricius Elpidius in die Tat umzusetzen gesucht hat, wenn auch ohne jeden Erfolg. Karl hat sich offensichtlich durch ein solches Ansinnen nicht beirren lassen, so daß dieser päpstliche Kaiserplan von 7 8 1 eine Episode ohne greifbare Folgen geblieben ist. Freilich wird man im Lichte dieses Präzedenzfalles schon gar nicht mehr davon ausgehen können, daß die Vorgeschichte des karolingischen Kaisertums erst im Paderborner Sommer 799 ihren A n f a n g genommen hat, von der Annahme ganz zu schweigen, die Kaiserwürde sei am Weihnachtstage 800 sozusagen aus heiterem Himmel, ohne alle Vorbereitung auf Karl herniedergefallen.
m Vgl. auch die Ersetzung der Kaiserjahre in den Urkunden Hadrians durch die Formel regnante domino et salvatore nostro Ihesu Christo, zuerst belegt mit Jaffe/Etald Nr. 2435 vom 1 . Dezember 781 (!). Dies bedeutet Negation der Kaiserherrschaft in Reichsitalien und paßt zur bereits früher belegten Idee einer res publica Romanorum ebenso wie zu den Zielen der Konstantinischen Schenkung. Vgl. zuletzt Di:kr in: ΑΗΡ. 3 S. 72 ff. Zusammenhang mit dem Constitutum Constantini: Ebd. S. 78. Die erstmalige Bezeugung zu 781 kann auf dem Zufall der Überlieferung beruhen. Letzte Datierung nach Kaiserjahren: J a f f t / Ewald Nr. 2395 von 772 Februar 20. So kommt audi Karls Schenkungsversprechen von 774 als Anlaß für die Änderung in Frage; Deer S. 82.
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Hadrians Brief von 778 (Codex Carolinus Nr. 60) Mit Karls Romzug und der Schenkung von 781 hängt auch der an Karl gerichtete Brief Hadrians von 778197 eng zusammen. Er besagt, daß die Taufe Karlmanns durch den Papst schon f ü r Ostern 778 in Aussicht genommen worden war, Karl den damals geplanten Romzug jedoch nicht ausgeführt hat. Mit der Bitte, Karl möge an dieser Absicht festhalten, verbindet Hadrian die weitere nach der Erfüllung des Schenkungsversprechens von 774. Karl möge auf diese Weise zur Erhöhung der römischen Kirche ebenso beitragen, wie einst in den Tagen Silvesters I. Kaiser Konstantin die römische Kirche erhöht und ihr „Gewalt in diesen westlichen Gegenden" verliehn hat. Wenn Karl durch Einlösung seines Versprechens die Schenkung Konstantins verwirkliche, könnten alle Völker in den Ruf einstimmen: „Domine, salvum fac regem, et exaudi nos in die, in qua invocaverimus te; quia ecce novus christianissimus Dei Constantinus imperator his temporibus surrexit,per quem omniaDeus sanctae suaeecclesiae beatiapostolorum principis Petri largiri dignatus est." Bis hierher erfährt man über die päpstlichen Ansprüche lediglich so viel, wie der Konstantinsvergleich hergibt, also jedenfalls die potestas in his Hesperiae partibus. Denn daß dieser Vergleich einen Restitutionswunsch enthält, ergibt sich aus der Anknüpfung des folgenden Satzes mit Sed et cuncta alia. ..vestris temporibus restituantur. In ihm werden Besitzansprüche in Tuszien, Spoleto, Benevent, Korsika und der Sabina namhaft gemacht, die auf Schenkungen verschiedener Kaiser, Patrizier und anderer gottesfürchtiger Männer beruhten. Sie sind also nicht identisch mit der vorher genannten Schenkung Konstantins, doch wird auch ihre Restituierung Karl ans Herz gelegt. Diesen Restitutionswünschen folgt der Satz Urtde et plures donationes in sacro nostro scrinio Lateranensae reconditas habemus. Hadrian hat, so heißt es weiter, diese im lateranensischen Archiv vorhandenen Belege Karl durch seine Gesandten vorlegen lassen. Völlig offen bleibt es nach diesem Wortlaut, ob die dem König zugeleiteten Privilegien lediglich die zuletzt mit Sed et cuncta alia eingeführten Besitztitel betrafen 1 9 8 oder zugleich die an erster Stelle genannten Verfügungen Konstantins. Daß unter den präsentierten Donationes sich auch diejenige Kon1,7
188
Codex Carolinus NR. 60, Epp. 3, S. 585 f f ; dazu CASPAR in: ZKiG. 54 S. 157 f f , u n d ETIG i n : HJb. 7 5 , S. 3 2 ff. So CASPAR i n : ZKiG. 54 S. 158, der mit A n f o r d e r u n g v o n Belegen f ü r die Einzelansprüche des Papstes durch Karl rechnet u n d die vorgelegten U r k u n d e n n u r auf „privaten Patrim o n i e n b e s i t z i n n e r h a l b der g e n a n n t e n politischen Bezirke, nicht öffentliche Hoheitsrechte" bezieht. Für die u n t e r Sed et cuncta alia a n g e f ü h r t e n Titel leuchtet dies ein, u n d sehr w o h l m a g hier die Vorlage urkundlicher Belege auf einen Wunsch Karls zurückgehen. Doch h a t der P a p s t , wie die sorgfältige Stilisierung des Briefes zeigt, die Beschränkung auf Einzeltitel nicht akzeptiert, indem er diese erst in 2. Linie u n d sozusagen hilfsweise nach den ö f f e n t lichen Hoheitsrechten geltend machte.
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stantins befunden hat, ist einigermaßen wahrscheinlich. Dafür spricht zunächst, daß der diesen Komplex betreffende Abschnitt des Briefes sich an mehreren Stellen so eng mit dem Text des Constitutum berührt, daß an dessen Benutzung nicht gut gezweifelt werden kann I , e . Dieses existierte also bereits, und es ist dann schwer einzusehen, weshalb Hadrian ausgerechnet das für seine an erster und betonter Stelle genannten allgemeinen Ansprüche verfügbare Dokument nicht vorgelegt haben sollte. Es kommt hinzu, daß der vage und summarische Hinweis auf eine Verfügung Konstantins ohne die Vorlage des Constitutum für den Adressaten unverständlich bleiben mußte. Man wird sich auch zu fragen haben, ob die Karl zugeleiteten urkundlichen Belege überhaupt Originale gewesen sind und nicht vielmehr Abschriften, was sich schon aus Gründen der Sicherheit empfehlen mußte. Zwischen diesen ließ sich die auf Konstantins Namen lautende Fiktion in äußerlich unauffälliger Weise unterbringen, in unverdächtiger Gemeinschaft mit echten Dokumenten glaubwürdigen Inhalts. Hadrians Brief an Karl von 778 kommt somit als Zeugnis für die Ubersendung des Constitutum an den Frankenkönig sehr wohl in Betracht. Geht man hiervon aus, so erscheint ganz von selbst der den gentes in den Mund gelegte Ruf Ecce novus
christianissimus
Dei Constantinus
imperator
his temporibus
surrexit
als die Andeutung einer möglichen Konsequenz aus der in der Donatio Constantini enthaltenen kurialen Kaiseridee. Denn nach der fingierten Schenkung verfügte der Papst auch über eine von ihm selbst nicht in Anspruch genommene Kaiserkrone, konnte also einen novus Constantinus imperator jederzeit kreieren. Ausdrücklich weist der Brief auf die näheren mündlichen Instruktionen der päpstlichen Gesandten hin, die Brief und Urkunden zu überbringen hatten. Erst auf dem Hintergrund dieses Briefes werden auch die Worte
Romanum
largitur in urbe fideli / Imperium famulis qui placuere sibi des besprochenen Altartitels von 781 ganz verständlich. Es erübrigt sich hiernach, mit HELDMANN200 daran Anstoß zu nehmen, daß der Fall bisher nicht vorgelegen hatte. Ohnehin gibt das Präsens largitur der Aussage eher den Charakter einer Satzung, die besagt, daß die römische Kaiserwürde in der Stadt Rom verliehen wird. Dies war in der Tat aus der Donatio Constantini abzuleiten, auf die sich Hadrian — übrigens ebenfalls unter Verwendung des Verbs largiri
(potestatem...
largiri
dignatus) — bereits bezogen hatte. Der dort in Aussicht gestellten Akklamation zum novus Constantinus quod Carolus
imperator entspricht im Altartitel von 781 die Bitte
suscipiet.
Rundet sich somit das Bild zu einem in den Jahren 778 bis 781 faßbaren Kai1ΊΒ
EVIG in: HJb. 75 S. 32 f f ; GEKICKE in: Zs. für Reditsgesdüdite, kanonistische Abteilung 43 S. 27 ff.
ioo HELDMANN S. 445.
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serplan Hadrians I., so verdient allerdings auch der Unterschied Beachtung, der hinsichtlich der Ämterfiliation zwischen Brief und Altartitel zu erkennen ist. In diesem ist von Konstantin nicht mehr die Rede. Ausdrücklich heißt es vielmehr, Karl möge das Romanum imperium aus der Rechten des hl. Petrus entgegennehmen. Die unmittelbare Investitur durch Petrus entspricht der rechten Gruppe des Lateranmosaiks und dem besprochenen Gedicht Theodulfs von 800. Endlich wird in den Versen von 781 die kaiserliche Gewalt als Herrschaft über das Romanum imperium charakterisiert, also in der abstrakten Form, der Karl selbst nach 800 zugestimmt hat. Auch der Bindung an die Stadt Rom (in urbe fideli) hat er in seiner Antwort auf die Kaiserfrage des Konzils von 800 nicht widersprochen. Der Papst ist allenfalls auf die Rolle des Interzessors beschränkt, von den Romani ist überhaupt nicht die Rede. Faßt man den Brief Hadrians von 778 als Ausdruck der kurialen römischen Kaiseridee im Sinne der Donatio Constantini auf, so läßt sich die im Altartitel von 781 festgehaltene Konzeption als nichtkuriale römische Kaiseridee bezeichnen, positiv vielleicht als die Idee eines Petrus-Kaisertums. Denn der entscheidende Unterschied besteht im völligen Zurücktreten des Papstes hinter dem Apostelfürsten, der in den Beziehungen zwischen den fränkischen Königen und der römischen Kirche seit Pippin eine beherrschende und von den Franken anerkannte Stellung einnahm 201 . Fragt man nach den Erwartungen, mit denen Karl am Weihnachtstage 800 die Peterskirche betreten haben könnte, so kommt das in dem Altartitel Hadrians I. von 781 festgehaltene Konzept als Anhaltspunkt in Frage. Das consilium pontificis hingegen, der „Plan des Papstes", der Karl hätte veranlassen können, die Peterskirche am Weihnachtstage 800 nicht zu betreten, dürfte auf der Linie gelegen haben, die Hadrians Brief von 778 erkennen läßt. 781 hat Karl beide Konzeptionen abgelehnt. Bei den in Paderborn eingeleiteten Verhandlungen der Jahre 799 und 800 hat er sich für die eine von ihnen gewinnen lassen, wurde jedoch mit der anderen konfrontiert und kehrte daher schließlich zur dritten Variante zurück, die in den ersten Paderborner Wochen entwickelt worden war: zum Aachener Kaisergedanken. 201
Ein Nachklang i n Brief Hadrians an Karl von 782, Codex Carolinus Nr. 72 (Epp 3 S. 602 f). Hier wird nicht nur das Romprädikat caput totius mundi zum erstenmal für die römische Kirche beansprucht (vgl. audi Codex Carolinus Nr. 94, S. 636 Z. 5; dazu CASPAR in: Z K i G . 54 S. 1 6 8 ; W. ULLMANN, Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter, i960, S. 1 5 5 mit A . 50 u. 52), sondern auch einander gegenübergestellt: Quia, quantum caput totius mundi, eandem sanctam Romanam ecclesiam, eiusque rectorem simulque pontificem amplectendo seu fovendo honor abüit er que glorificando diligitis, tantum vos beatus Petrus apostolorum princeps inconcussos facit triumphos hic et in futuro victores super omnes regnare reges. Z u beachten ist, daß die Herrschaft über alle Könige (hegemoniales und imperiales Königtum; vgl. SCHLESINGER, Beiträge 1 S. 224 f ; STENGEL S. 3 1 0 f f ) f ü r die Z u kunft (in futuro) als Verleihung durch den hl. Petrus verheißen, zugleich aber der römischen Kirche als „Haupt der ganzen Welt" gegenübergestellt wird.
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Nachtrag
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1971
1966, im gleichen Jahre wie der vorstehende Beitrag, sind erschienen: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. von H. Jedin, III, Die mittelalterliche Kirche, 1. Halbband: Vom kirchlichen Frühmittelalter zur gregorianischen Reform. L. Falkenstein, Der „Lateran" der karolingischen Pfalz zu Aachen (Kölner historische Abhandlungen, hrsg. von Th. Schleifer, 13). Im Handbuch der Kirchengeschichte hat E. Ewig der Karolingerzeit eine auch für die politische Geschichte höchst beachtenswerte Darstellung gewidmet. Hadrians Brief von 778 (Codex Carolinus Nr. 60) wird, wie schon 1956 (siehe oben Anm. 109), als Terminus ad quem fur das CC in Anspruch genommen (S. 69 f.). Wegen des Rechtsinhaits möchte Ewig dem Pontifikat Hadrians, näherhin den Jahren 774—778, gegenüber früheren Ansätzen den Vorzug geben. Dies paßt zu der oben S. 52 ff. begründeten These, nach der Hadrian das CC 778 an Karl geschickt hat. S. 102 ff. kommen die in diesem Beitrag, dessen Erstveröffentlichung nicht mehr berücksichtigt werden konnte, entwickelten Gesichtspunkte in kritisch abwägender Darstellung zur Geltung. Daß Karl „eine Kaiserproklamation durch die Franken unter Ausschluß der Römer . . . nicht vorgeschwebt haben" kann (S. 108), geht angesichts des Aachener Krönungsaktes von 813 zu weit, doch dürfte sich Karl durch den Gesichtspunkt der staatsrechtlichen Legitimität zugunsten der römischen Lösung haben bestimmen lassen. Beachtung verdient Ewigs Hinweis auf die vom Papst geleistete Proskynese (S. 108 Anm. 6). Sie spricht gegen eine auf das CC gestützte Annahme, „Leo III. sei in der Rolle eines Papstes erschienen, der selbst Rang und Attribute eines Kaisers besessen habe." Dies paßt zum Bildprogramm des Lateranmosaiks (oben S. 40 ff.), das ebenfalls die im CC enthaltenen Ansprüche nicht hervorkehrt, schließt jedoch
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nicht aus, daß Leo und die Römer sich stärker in den Vordergrund gespielt haben, als es Karl erwünscht sein konnte. Falkenstein geht S. 95 ff. ausführlich auf das Paderborner Epos ein und setzt sich außer mit Erdmann (vgl. oben Anm. 22) mit den hier vorgetragenen Auffassungen auseinander, insoweit sie in Grundzügen bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden waren (vgl. in diesem Sammelbande S. 255 ff. so wie den oben Anm. 6 zitierten Aufsatz von 1962). Im Vordergrund steht die Frage nach dem Quellenwert des Epos für die Baugeschichte der Aachener Pfalz, nicht so sehr für die politische Ideengeschichte. Hält man beides auseinander, so lassen sich die Unterschiede der Auffassungen erheblich reduzieren. Wenn oben im Anschluß an Erdmann von einem „Aachener Kaisergedanken" gesprochen worden ist, so nicht im Sinne eines städtebaulichen, sondern eines politischen Programms. An welchem der Aachener Gebäude der Name des Laterans tatsächlich gehaftet hat, kann auch von F. nicht überzeugend geklärt werden. Vgl. die kritische Rezension von H. Hoffmann in: Rheinische Vierteljahrsblätter 32, 1968, S. 575—577. Der 1968 erschienenen Sonderausgabe seines oben Anm. 1 zitierten Beitrages hat P. Classen einen ausführlichen Nachtrag angefügt und dort die Diskussion zahlreicher Einzelprobleme fortgeführt. Auch zu einigen der hier entwickelten Thesen wird Stellung genommen. Zur Frage des Kaisertitels, seiner Vorgeschichte und seiner Bedeutung ist inzwischen auch H. Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG Ergänzungsband 21, 1967) heranzuziehen. Man vergleiche ferner zu Anm. 15: K. Hauck, Die Ausbreitung des Glaubens in Sachsen und die Verteidigung der römischen Kirche als konkurrierende Herrscheraufgaben Karls des Großen (Frühmittelalterliche Studien 4, 1970, S. 1 3 8 - 1 7 2 ) ; zu Anm. 100: W. Winkelmann, Die Königspfalz und die Bischofspfalz des 11. und 12. Jahrhunderts in Paderborn (ebd. S. 398—415), S. 401 mit Anm. 16; zu Anm. 109: Die Edition des CC von H. Fuhrmann (Constitutum Constantini, MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum 10, 1968);
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zu Anm. 157: Irene Haselbach, Aufstieg und Herrschaft der Karlinger in der Darstellung der sogenannten Annales Mettenses priores. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Ideen im Reiche Karls des Großen (Historische Studien 412), 1970; zu Anm. 186: Die maßgebende Edition der Lorscher Sammlung bei De Rossi, Inscriptiones Christianae urbis Romae II 1, Rom 1888, S. 142 ff. Die hier behandelten Inschriften das. S. 145 f. Anstelle dieser (bis zum Redaktionsschluß der Erstveröffentlichung nicht erreichbaren) Edition wurde ein Mikrofilm der Handschrift herangezogen (vgl. Anm. 188).
GRAB UND THRON KARLS DES GROSSEN ZU AACHEN*
Über die Lage des Grabes, in dem Karl der Große am 28. Januar 814, dem Tage seines Ablebens,1 beigesetzt worden ist, erfahren wir von seinem Biographen Einhard2 und einer Reihe anderer karolingischer Quellen3 lediglich, daß es in der Aachener Pfalzkapelle angelegt wurde. Vom Karlsgrab ist in nachkarolingischer Zeit erneut die Rede, nachdem Otto ΠΙ. im Jahre 1000 auf dem Rückweg von Gnesen zu Aachen das Karlsgrab hatte suchen und öffnen lassen, um seinem großen Vorgänger in einer von den Zeitgenossen als ungewöhnlich und befremdend empfundenen Weise zu huldigen.4 Wir erfahren, daß das Grab erst mühsam gesucht werden mußte. Im Schweigen der karolingischen Uberlieferung über den genauen Standort kann dies seine alleinige Ursache nicht gehabt haben. Das Grab muß vielmehr zu dieser Zeit nicht ohne weiteres erkennbar gewesen sein. Als Grund dafür bietet sich die Heimsuchung Aachens durch die Normannen im Jahre 882 an.5 Da das Kaisergrab dabei von Plünderung verschont geblieben ist, muß es vor dem Eintreffen der Normannen getarnt worden sein.' Otto ΙΠ. hat es gleichwohl gefunden. Doch auch bei dieser Gelegenheit scheint keiner der Berichterstatter die Lage des wiedergefundenen Grabes preiszugeben. Ebenso verhalten sich unsere Quellen zum Jahre 1165.' Otto III. hatte offenbar den vorgefundenen Zustand ein-
* Die vorliegende Untersuchung ist eigens aus dem Anlaß dieser Publikation u n t e r n o m m e n worden. A m Anfang stand eine Bonner Seminarübung im Wintersemester 1 9 6 3 / 6 4 . Es folgten Vorträge auf der Reichenau (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte), an der Universität Wien, in F r a n k f u r t (Frankfurter Verein für Geschichte u n d Landeskunde), an der Freien Universität Berlin, vor d e m Historischen Verein zu Münster sowie eine Seminarübung in Marburg. Für vielfache Anregungen u n d Hinweise, die ich bei diesen Gelegenheiten erhalten habe, bin ich manchen Fachkollegen u n d S t u d e n t e n , insbesondere meinem Mitarbeiter Lothar Boschen, zu Dank verpflichtet. 1 BM 2 508 c. 2 Vita Karoli Magni c. 31, hrsg. von O. Holder-Egger, MG. SS. rer. Germ., 1911, S. 35 f. 3 Chron. Laurissense breve V 1, hrsg. von H. Schnorr von Carolsfeld, Das Chronicon Laurissense breve (NA 3 6 , 1 9 1 1 ) , S. 36; Chron. Moissiacense a. a. 813, MG. SS. 2, S. 259; Thegan, Vita Hludowici imperatoris c. 7, MG. SS. 2, S. 592; Ermoldus Nigellus, In h o n o r e m Hludowici II 87 f , MG. Poet. lat. 2, S. 26. 4 Die Quellen bei J . F. Böhmer, Regesta Imperii 2,3: Die Regesten des Kaiserreiches unter O t t o III.. 980(983)—1002, neubearbeitet von M. Uhlirz, G r a z - K ö l n 1 9 5 6 / 5 7 , Nr. 1370 b, S 7 6 0 f. 5 BM 2 1573a. Vgl. E. Dümmler, Geschichte des ostfrankischen Reiches 3, Leipzig 1888, S 158 f.; W. Vogel, Die N o r m a n n e n u n d das Fränkische Reich bis zur Gründung der Normandie ( 7 9 9 - 9 1 1 ) (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren u n d neueren Geschichte 14), Heidelberg 1906, S. 282 f. ® Vgl. Th. Lindner, Die Fabel von der Bestattung Karls des Großen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 14, 1 8 9 2 ) , S . 148 f.; J . Buchkremer, Das Grab Karls des Großen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 29, 1907), S. 132 ff.; E. Teichmann, Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des G r o ß e n (wie u n t e n A n m . 44), S. 157. 7 Außer den bei Buchkremer, Das Grab Karls des G r o ß e n , S. 139 Anm. 1 und 2, genannten Quellen vgl. Aegidius von Orval, Gesta episcoporum Leodiensium III 36, MG. SS. 25, S. 108; Gesta episcoporum Leodiensium abbreviata a. a. 1166, MG. SS. 25, S. 132; Annales Aquenses a a. 1166, MG. SS. 16, S. 6 8 6 ; Annales Stadenses a. a. 1166, MG. SS. 16, S. 345; Annales Parchenses a. a. 1165, MG. SS. 16, S. 606; Hermanni Altahensis Annales a. a. 1166, MG. SS. 17, S. 384; Reiner: Annales (Leodienses) a. a. 1215, MG. SS. 16, S. 673; G o t t f r i e d von Viterbo, Pantheon XXIII 13, MG. SS. 2 2 , S. 220.
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G r a b u n d T h r o n Karls d e s G r o ß e n
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schließlich der Tarnung soweit wiederhergestellt, 8 daß Friedrich Barbarossa, wenn wir seinem eigenen Privileg von 1166® folgen, einer Vision bedurfte, um das Grab zu finden, aus dem er Karls Gebeine feierlich erheben ließ, um sie in einem Schrein zu bergen, in dem sie noch heute, nunmehr im gotischen Chor der Aachener Marienkirche aus dem Jahre 1414, ruhen. 10 Über den Ort des ursprünglichen Grabes schweigt die Überlieferung auch bei diesem Anlaß. Über die Form des Grabes und die Art der Bestattung unterrichten uns am eingehendsten außer Einhard drei Quellen über den Besuch Ottos III. Wir beginnen mit diesen, da sie nach dem Stande der Forschung als voneinander unabhängige Zeugen gelten. Es handelt sich um Thietmar von Merseburg, Ademar von Chabannes und die Chronik von Novalese. Thietmars Chronik entstand 1012-1018 zu Merseburg, 11 die Frankengeschichte Ademars von Chabannes, eines Angehörigen des Klosters des hl. Eparchius zu Angouleme, ist um 1030 anzusetzen; 12 in den Jahren 1027-1050 verfaßte ein Mönch in Bremeam Po bei Lomello die Chronik des im Tal von Susa gelegenen Klosters Novalese. 13 Dieser beruft sich auf den Grafen Otto von Lomello als Augenzeugen, der ihm sehr wohl persönlich bekannt sein konnte, da er in der unmittelbaren Nachbarschaft des Klosters Breme zu Hause war. Otto von Lomello wird als Teilnehmer der Gnesenfahrt Ottos III. und seines anschließenden Besuches von Aachen in Anspruch genommen. 14 Das einzige Zeugnis dafür ist jedoch die Chronik von Novalese. Nach ihr gehörte der Graf bei der Öffnung des Karlsgrabes zu den drei Begleitern des Kaisers, und sein Bericht wird in wörtlicher Rede folgendermaßen wiedergegeben:1® „Wir traten bei Karl ein. Denn er lag nicht, wie die Körper anderer Verstorbener, sondern er saß auf einem Hochsitz, als lebe er. Er war mit goldener Krone gekrönt, hielt das Zepter in den Händen mit angezogenen Handschuhen, durch die bereits die Fingernägel durchbohrend herausgekommen waren. Über ihm war eine Decke aus Kalk und Marmorstein gefertigt. Als wir an sie kamen, brachen wir gleich ein Loch in sie hinein. Als wir dann zu ihm hereinkamen, 8 Thietmar, Chron. IV 47, hrsg. von R. Holtzmann ^wie Anm. 11), S. 186: Crucem auream, quae in colio etus pependit cum vestimentorum parte adhuc imputribilium sumens, caetera cum veneratione magna reposuit. Chron. Novahciense III 32, hrsg. von Cipolla (wie Anm. 13), S. 198: . . . omnia deficientia circa eum reparavit... reaedificato tuguriolo, abiit. 9 Siehe unten Anm. 68 und 69. 1 0 K. Faymonville, Das Münster zu Aachen (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, hrsg. von P. Clemen, 10.1), Dusseldorf 1916, S. 204 ff. 11 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, hrsg. von R. Holtzmann, MG. SS. rer. Germ., NS., 1935; zur Entstehungszeit ebda S. XXVIII "f.; Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Deutsche Kaiserzeit 1,1, Berlin 1938, S. 5 2 - 5 8 , insbes. S. 54 f. 12 Ademar de Chabannes, Chronique, hrsg. von J. Chavanon (Collection de Textes), Paris 1897; M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 2, München 1923, S. 284 ff.; Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen 1,2, Berlin 1939, S. 310 f.; K. F. Werner, Ademar von Chabannes und die Historia pontificum et comitum Engolismensium (DA 19, 1963), S. 297 ff. mit weiterer Literatur. 1 3 Chronicon Novahciense, hrsg. von C. Cipolla, Monumenta Novaliciensia Vetustiora 2 (Fonti per la storia d'Italia), Rom 1901; vgl. M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 2, S. 294 ff.; Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen 1, 2, S. 327 f. 14 M. Uhlirz, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Otto III., Berlin 1954, S. 401 Anm. 54, S. 558; Böhmer-Uhlirz, Regesta Imperii 2,3, Nr. 1338 c; zurückhaltend äußert sich P. E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio, 2. Aufl., Darmstadt 1957, S. 139 mit Anm. 1; R. Holtzmann, Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit, München 1941, 4. Aufl. 1961, S. 360 ff., nennt Otto von Lomello als Teilnehmer der Gnesenfahrt nicht. 15 Chron. Noval. III 32, hrsg. von Cipolla, S. 197 f.: „Intraoimus ergo ad Karolum. non enim iacebat, ut mos est aliorum defunctorum corpora, sed in quondam cathedram ceu vivus residebat, coronam auream erat coronatus. sceptrum cum mantonibus indutis tenens in manibus, a quibus iam ipse ungule perforando processerant. erat autem supra se tugurium ex calce et marmoribus valde compositum, quod übt ad eum venimus, protinus in eum foramen fecimus frangendo. at ubi ad eum mgresst sumus, odorem permaximum sentivimus. adoravimus ergo eum statim poplitibusf lexis ac ienua. statimque Otto imperator albis eum vestimentis induit, ungulasque incidit, et omnia deficentia circa eum reparavit. nil vero ex artibus suis putrescendo adhuc defecerat, sed de sumitate nasui sui parum minus erat, quam ex auro ilico fecit restitui. abstraensque ab illtus ore dentem unum, reaedificato tuguriolo, abiit."
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Grab und T h r o n Karls des G r o ß e n
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empfanden wir einen sehr starken Geruch. W i r richteten sofort ein Gebet an ihn mit gebeugten Kniekehlen. Dann bekleidete ihn Kaiser Otto mit weißen Gewändern, schnitt ihm die Nägel und stellte alles Fehlende um ihn wieder her. V o n seinen Gliedern aber war bis dahin nichts durch Verwesung vernichtet, außer daß von seiner Nasenspitze ein weniges fehlte, was der Kaiser aus Gold ergänzen ließ. Aus seinem Munde zog er einen Zahn, dann ließ er die Decke wiederherstellen und ging w e g . " So die Übersetzung von ROBERT HOLTZMANN,16 der diesem Bericht denjenigen Thietmars zur Seite stellt, 17 den er folgendermaßen wiedergibt: „ D a (der Kaiser) darüber im Zweifel war, wo die Gebeine Karls ruhten, ließ er da, wo er sie vermutete, heimlich das Pflaster aufbrechen und graben, bis sie auf einem königlichen Thronsitze gefunden wurden. E r nahm das goldene Kreuz, welches dem Leichnam am Halse hing, nebst einem Teil der Kleider, die noch unverwest waren, und legte das übrige mit großer Ehrfurcht zurück." 1 8 HOLTZM ANNS Schlußfolgerung lautet : 1 9 „Und mag vielleicht dieser oder jener Punkt bereits etwas ausgeschmückt sein: daß der Graf von Lomello am Besuch des Grabes Karls des Großen teilgenommen und später zu Hause darüber berichtet hat, ist nicht zu bezweifeln. Und so muß auch die vielerörterte Frage, ob Karl wirklich in aufrecht sitzender Stellung beerdigt worden ist, auf Grund von zwei unabhängigen Quellen bejaht werden. Vereinzelt wird uns auch sonst gelegentlich von einer ähnlichen Art der Bestattung bei hochgestellten Persönlichkeiten gemeldet." Nicht eigens herangezogen hat HOLTZMANN die Chronik des Ademar von Chabannes, die zwar in Einzelheiten abweicht, das Sitzen der Leiche auf dem Throne jedoch bestätigt. 20 In den Regesta Imperii hat sich MATHILDE UHLIRZ der durch R . HOLTZMANN autorisierten Auffassung angeschlossen. 21 HOLTZMANNS Hinweis auf angebliche Parallelen zu der hier vorausgesetzten Sitzbestattung hält einer Prüfung nicht stand. Zweifellos hatte er dabei auch und in erster Linie den 923 verstorbenen Bischof Sigmund von Halberstadt im Auge, von dem Thietmar berichtet, er habe die Lage seines künftigen Grabes im Halberstädter D o m schon vor seinem Ableben festgelegt, non iacendo, sed supra cathedram sedendo}* Daraus hat bereits der Annalista Saxo im 12. Jahrhundert, der Thietmar an dieser Stelle ausschrieb, eine Sitzbestattung gemacht, 23 und an dieser Deutung hält auch HOLTZMANN24 und mit ihm Thietmars letzter Übersetzer WERNER TRILLMICH fest. 25 Doch kann es keinerlei Zweifel unterliegen, daß Thietmar, der vorher von dem längeren Krankenlager des Verstorbenen berichtet hatte, nur sagen wollte, der Bischof habe
R. Holtzmann, Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit, S. 365 f. Thietmar, Chron. IV 4 7 , hrsg. von Holtzmann, S. 184/186: Karoticesaris ossa ubirequiescerent, cum dubitaret, rupto clam pavimento, ubi ea esse putaoit, fodere, quousque haec in solio inventa sunt regio, iussit. Crucem auream, quae in coUo eins pepend.it, cum vestimentorum parte adhuc imputribitium sumens, caetera cum veneratione magna reposuit. 1 8 Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit, S. 365. 1» Ebda. S. 366. 2 0 II 25, hrsg. von Chavanon, S. 105, zum Jahre 814. Vgl. auch III 31, S. 153 f. (in der Redaktion C) zum Jahre 1000, dazu unten S. 17 mit Anm. 66 sowie Korrekturnachtrag S. 36 ff. 2 1 Wie Anm. 4. 2 2 Thietmar, Chron. I 22, hrsg. von Holtzmann, S. 28: Positum est autem corpus prefatipresulis in dextera parte altaris Christiprotomartiris in gradu preiacenti, ut ipse antea premonstravit, non iacendo, sed supra cathedram sedendo, sperans se patroni suimet intercessione sancta et benediccione sacerdotaüperpetualiter muniri 2 3 Annalista Saxo a. a. 923, MG. SS. 6, S. 595: Sigismundus Halberstadensis sextus episcopus, 19. KaL [Febr.] obitt, positus in dextra parte altaris Christi protomartiris, non iacens, sed supra cathedram sedens. 2 4 Mit der Zurückweisung Lindners, Holtzmann, Ausg. (wie Anm. 11), S. 29 Anm. 7. 2 5 Thietmar von Merseburg, Chronik, Neu übertragen und erläutert von W. Trillmich (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, hrsg. von R. Buchner, 9), Darmstadt 1957, S. 27. 16
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Grab und Thron Karls des Großen
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die Verfugung über sein Grab nicht während des Krankenlagers - non iacendo sondern noch in voller Amtsausübung - supra cathedram sedendo - getroffen. 26 Dies erfordert nicht nur die grammatische Konstruktion, sondern auch das Wort cathedra, das bei Thietmar niemals „Stuhl" oder „ T h r o n " , sondern stets das bischöfliche Amt bedeutet. 27 Zu allem Überfluß fassen wir in den Gesta episcoporum Halberstadensium Thietmars Quelle für diese Episode. 8 8 In ihr steht an Stelle der metaphorischen Umschreibung Thietmars ganz schlicht und eindeutig dum viveret. Weder kann also davon die Rede sein, daß Bischof Sigmund von Halberstadt sitzend bestattet worden ist, noch kann man Thietmar nachsagen, er habe solches suggerieren wollen und am Ende eine besondere Vorliebe für Nachrichten über Sitzbestattungen gehabt. 29 Auch sonst dürfen wir davon ausgehen, daß eine sitzende Bestattung weder in römischer noch in mittelalterlicher Zeit anderweit bezeugt ist. 30 Hätten wir es bei Karl dem Großen mit einer solchen zu tun, so würde es sich um ein Unicum handeln, ohne jede Tradition und ohne eine solche hervorgerufen zu haben. Auch der Novaleser Chronist bezeichnet die Sitzbestattung ausdrücklich als unüblich 31 und dürfte wenigstens damit das Richtige getroffen haben. E s ist nunmehr an der Zeit, Einhards Schilderung des Karlsgrabes näher in Augenschein zu nehmen. Bei ihm lesen wir im 31. Kapitel der Vita Karoli: 3 2 „Sein Leichnam wurde in der üblichen Weise gewaschen und besorgt und unter großem Wehklagen des gesamten Volkes nach der Kirche getragen und daselbst bestattet - humatum est - . Man war anfangs uneinig, wo man ihn beisetzen solle, da er selbst bei seinen Lebzeiten nichts darüber bestimmt hatte; zuletzt aber vereinigten sich alle dahin, nirgends könne er eine würdigere Grabstätte finden als in der Kirche, die er selbst aus Liebe zu Gott und zu unserem Herrn Jesus Christus und zu Ehren der heiligen und ewigen Jungfrau, der Gottesmutter, in Aachen auf eigene Kosten erbaut hat. In dieser wurde er beigesetzt am gleichen Tage, da er gestorben war, und über dem Grab wurde ein vergoldeter Bogen (arms) mit Bild und Inschrift errichtet. Die Inschrift (titulus) lautete folgendermaßen: Unter diesem Grabmal (conditorium) liegt der Leib Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers, der das Reich der Franken in denkwürdiger Weise So schon völlig überzeugend Th. Lindner (wie Anm. 6), S. 189ff. Vgl. die einschlägigen Belege in der Ausgabe von R. Holtzmann, Register, S. 589f. s. v. cathedra. 2 8 MG. SS. 23, S. 82: Corpus vero eius in claustro positum, multo tempore post a domno Hil· dewardo episcopo transkitum in ecclesiam iuxta summum altare sancti Stephani ad meriaianam plagam honorifice est locatum. Sic enirn ipse, dum viveret, semper exoptaverat se locandum, sperans se patroni sui sancta intercessione et sacerdotali benedictione, super se assidue facienda, iugiter muniendum. Für die Priorität von älteren Teilen des in den Gesta episcoporum Halberstadensium überlieferten Textes gegenüber Thietmar ist diese Stelle ein durchschlagender Beleg, der die These von B. Schmeidler, Zu den älteren Geschichtsquellen von Halberstadt (Sachsen und Anhalt 16, 1940), S. 107ff., wiederlegt. Eine erneute Untersuchung der von Schmeidler für die Halberstädter, aber auch für die Magdeburger Geschichtsschreibung behandelten Fragen ist erforderlich und zur Zeit im Gange. 2 9 Wohl aber zeigt der Novaleser Chronist ein besonderes Interesse für ungewöhnliche Grab-Befunde. Ein Gegenstück zum Karlsgrab bildet bei ihm dasjenige des Kaisers Maximian zu Marseille. Bei seiner Öffnung erweist sich auch Maximians Leiche als unverwest. Ihre anschließende, auf den Rat des Erzbischofs Rainbald von Arles und anderer erfolgte Versenkung im Meer hat wunderbare Naturerscheinungen zur Folge. Chron. Noval., Appendix 11, hrsg. von Cipolla, S. 299f. Vgl. auch II 4, S. 131f. (Grab von Karls angeblicher Gattin Berta) und II 12, S. 156 (Grab des Waltharius). 3 0 Th. Lindner, Die Fabel von der Bestattung Karls des Großen (wie Anm. 6). 31 . . .ut mos est aliorum defunctorum corpora, sed , . . Chron. Noval. III 32, hrsg. von Cipolla, S. 197, 9f. 3 2 Hrsg. von O. Holder-Egger, S. 35f.: Corpus more soUemni lotum et curatum et maximo totius populi luctu ecclesiae inlatum atque humatum est. Dubitatum estprimo, ubi repont deberet, eo quod ipse vivus de hoc nihil praecepisset. Tandem omnium animis sedit nusquam eum honestius tumulari posse quam in ea basilica, quam ipse propter amorem Dei et domint nostrilesu Christi et ob honorem sanctae et aeternae virginis, genetricis eius, proprio sumptu in eodem vico construxit. In hac sepultus est eadem die, qua defunctus est, arcusque supra tumuhim deauratus cum imagine et tiiulo exstructus. Titulus ille hoc modo descpritus est: SUB HOC CONDITORIO SITUM EST CORPUS KAROLIMAGNI ATQUE ORTHODOXIIMPERATORIS, QUIREGNUM FRANCOR UM NOBILITER AMPLIA VIT ET PER ANNOS XL VIIFELICITER REXIT. DECESSITSEPTUAGENARIUS ANNO [DOMINIDCCCXIIII], INDICTIONE [VII] , V. KAL. FEBR. 26
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Grab u n d T h r o n Karls d e s G r o ß e n
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vergrößert und 47 Jahre hindurch glücklich regiert hat. Der Siebzigjährige starb im Jahre des Herrn 814, in der 7. Indiktion, am 28. Januar."33 Von einer Sitzbestattung verlautet hier nichts, ja, die einschlägigen Vokabeln - humatum est, sepultus est - sind die gleichen, mit denen die üblichen Erdgräber mit Sarkophagen gewöhnlich bezeichnet wurden. 31 Ausdrücklich von einem Erdgrab spricht der Planctus de obitu Karoli, 36 anscheinend in Bobbio bald nach dem Tode des Kaisers entstanden,39 wenn er es beklagt, daß den Kaiser Karl nunmehr ein mit Inschrift versehenes Erdgrab - telluris titulatus tumulus bedeckt, und wenn er von den Erdschollen spricht, denen Karl überantwortet worden sei glebis terrae tradidit.31 Thietmar, einer der für die Sitzbestattung herangezogenen Gewährsmänner, hat dieses Gedicht gekannt, da er daraus - in anderem Zusammenhang - einen Vers zitiert.38 Wenn er in seinem Bericht zum Jahre 1000 vom Aufbrechen des Fußbodens (pavimentum) und vom Ausgraben (jödere) spricht, befindet er sich in dieser Hinsicht mit dem Dichter im Einklang. Für eine Bestattung im Königsornat oder doch wenigstens mit königlichen Beigaben, die allerdings kein Sitzen der Leiche auf dem Thron voraussetzt, kann man sich auf das zeitgenössische Chronicon Laurissense breve stützen, das mit seiner Wendung sepultusque est... cultu regio in diese Richtung weist. 39 Mit dem archäologischen Befund läßt sich eine Sitzbestattung schon überhaupt nicht in Einklang bringen. Im Gegensatz zu den genannten Historikern haben sich die Kunsthistoriker und Archäologen bei ihren Lokalisierungs- und Rekonstruktionsversuchen an den Historiker THEODOR LINDNER angeschlossen, der 1892 bereits mit guten Gründen die historische und sachliche Unmöglichkeit einer sitzenden Bestattung Karls des Großen dargelegt hatte.40 Der Aachener Dombaumeister JOSEPH BUCHKREMER konnte auf Grund von Zeugnissen des 14.-18. Jahrhunderts und gestützt auf einen entsprechenden archäologischen Befund nachweisen, 41 33 Die obige Übersetzung schließt sich mit einigen Ausnahmen an die von R. Rau, Einhard, Leben Karls des Großen (Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 1, Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, hrsg. von R. Buchner, 5), Darmstadt 1962, S. 203, gegebene an. Die Inschrift ist einzeln überliefert in Clm 14641, f. 31 ν (vgl. B. Bischoff, Palaographie [Deutsche Philologie im Aufriß, hrsg. von W. Stammler, Bd. 1,2. Aufl., Berlin 1957), Sp. 447f. Abb. 2, der, Sp. 451, die Schrift dem ersten Drittel des 9. Jahrhunderts und dem Kloster Fulda zuweist) und in Cod. Vindob. 969, f. 55 ν (vgl. auch Ausgabe der Vita Karoli, hrsg. von Holder—Egger, S. 35, Note w). 34 Vgl. auch Chron. Laurissense breve V 1, hrsg. von Schnorr von Carolsfeld, S. 36: sepultusque in villa regia Aquisgrarti; Chron. Moissiacense a. a. 813, MG. SS. 2, S. 259: et sepelierunt eum in Aquisgranipalatio; Thegan, Vita Hludowici 7, MG. SS. 2, S. 592: humatum est corpus eius in aecclesta. 35 Strophe 9 und 14, hrsg. von E. Dümmler, MG. Poet. lat. 1, S. 435f., und von O. Holder-Egger im Anhang seiner Ausgabe der Vita Karoli, S. 49. 36 Dümmler, Vorbemerkung zu seiner Ausgabe, S. 434. 31 Für ein Erdgrab spricht ferner Thietmar, Chron. IV 47, hrsg. von Holtzmann, S. 185, 34: rupto clam pavtmento, ubi ea esse putavit, fodere tussit; Ann. Hildesheimenses a. a. 1000, hrsg. von G. Waitz, MG. SS. rer. Germ., 1878, S. 28: ossa.. .effödere tussit. Zu 1165 Reiner, Ann. s. Iacobi Leodiensis a. a. 1 215, MG. SS. 16, S. 673: corpus beati Carlomanni, quod avus suus Fredertcus imperator de terra levaverat; Gaufredus de Bruil, Chron. a. a. 1167, MG. SS. 26, S. 202: corpus KaroliMagni elevans α terra. 3S Chron. VIII 30, hrsg. von Holtzmann, S. 528, 18ff. Vgl. Dümmler, MG. Poet. lat. 1,S. 434. 39 Chron. Lauriss, breve V 1, hrsg. von Schnorr von Carolsfeld, S. 36; zur Entstehungszeit Wattenbach—Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Vorzeit und Karolinger 2, bearb. von W. Levison t und H. Löwe, Weimar 1953, S. 264 f. Vgl. Thegan, Vita Hlud. c. 6, MG. SS. 2, S. 591, 34 über Karl den Großen anläßlich der Krönung Ludwigs des Frommen; ornavit se cultu regio, et coronam capitisuo imposuit. Vgl. hierzu C. Brühl, Frankischer Krönungsbrauch und das Problem der „Festkrönungen" (HZ 194, 1962), S. 265ff.,bes. S. 276 f. 40 Th. Lindner, Die Fabel von der Bestattung Karls des Großen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 14, 1892), S. 131-212; Ders., (in Erwiderung auf H. Grauert, Zu den Nachrichten über die Bestattung Karls des Großen [Historisches Jahrbuch 14, 1893], S. 302—319), Zur Fabel von der Bestattung Karls des Großen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 18, 1896), S. 6 5 - 7 6 . 41 J. Buchkremer, Das Grab Karls des Großen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 29, 1907), S. 6 8 - 2 1 0 ; Ders. (in Erwiderung auf E. Teichmann [s. u. Anm. 44)), Zur Geschichte des Grabes Karls des Großen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 38, 1916), S. 253—268.
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Grab u n d T h r o n Karls des Großen
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daß sich in der fraglichen Zeit an der dem Ostchor unmittelbar benachbarten nordöstlichen Wand des Sechzehnecks der noch 'heute in Aachen vorhandene antike Prcserpinasarkophag befunden hat, über dem ein Relief oder eine Statue Karl den Großen darstellte.42 Wahrscheinlich hatte das Ganze die Form eines Arkosolgrabes und wurde jedenfalls den Besuchern der Kirche als ursprüngliches Grab Karls des Großen gezeigt. Auch BUCHKREMER hält es dafür, doch kann dies unmöglich zutreffen. Denn die Auffindung eines derartig spektakulären Grabes hätte weder den Normannen noch Otto dem III. Schwierigkeiten bereiten können, und dieser hätte es schon gar nicht durch Aufgraben des Fußbodens freizulegen vermocht.43 Thietmars dahingehende Nachricht wird jedoch durch die Terminologie der karolingischen Quellen so gedeckt, daß an ihr nicht vorbeizukommen ist. Auf weitere Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten dieser These hat EDUARD TEICHMANN hingewiesen, dessen eigener Lokalisierungsvorschlag sich auf die BUCHKREMER ursprünglich noch nicht zugänglich gewesenen Grabungen von 1910 stützt.44 Damals wurde vor dem karolingischen Rechteckchor im östlichen Gewölbejoch hinter einem ebenfalls freigelegten Altarfundament ein Erdgrab von 1 m Breite, 2,80 m Tiefe und 2,70 m Länge freigelegt, in das der Proserpinasarkophag hineinpassen würde. 46 Es ist dies das einzige Erdgrab, das - von zwei Heiligengräbern abgesehen - im Inneren der Kirche archäologisch nachgewiesen werden konnte.4· Das war insofern mißlich, als außer dem Grabe Karls des Großen auch noch dasjenige Ottos III. im Inneren der Kirche untergebracht werden mußte. Von Otto III. wissen wir nun, daß er mitten im Chor beigesetzt worden ist.47 Auch TEICHMANN nimmt daher das aufgefundene Grab als dasjenige Ottos III. in Anspruch, behauptet jedoch darüber hinaus, im gleichen Grabe habe zuvor der Proserpinasarkophag mit den Gebeinen Karls des Großen gelegen. Otto III. sei dann mit Rücksicht auf seine besondere Verehrung Karls des Großen im gleichen Grabe beigesetzt worden. Beide Särge hätten fortan übereinander gestanden. Um nun einen reibungslosen Ablauf der feierlichen Erhebung Karls im Jahre 1165 nicht in Frage stellen zu müssen, sieht sich TEICHMANN ZU der Annahme genötigt, man habe Ottos Sarg unter denjenigen Karls placiert.48 Eine plausible Vorstellung von Einhards arcus und conditorium, die BUCHKREMERS Bogengrab immerhin für sich in Anspruch nehmen konnte, erhalten wir bei TEICHMANN nicht.49 Das Kronzeugnis für seine These findet er in der Aachener Chordienstordnung des 14. Jahr-
Über diese „ M e m o r i a " vgl. a u c h J . B u c h k r e m e r , Zur B a u g e s c h i c h t e d e s A a c h e n e r M ü n s t e r s ( Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 2 2 , 1 9 0 0 ) , S . 2 1 5 f. u n d S . 2 2 4 f. S o schon T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 191 5, S . 1 9 5 , s o w i e Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 9 , 1 9 1 7 , S . 1 9 4 ff. 4 4 E. T e i c h m a n n , Zur Lage u n d G e s c h i c h t e d e s G r a b e s Karls d e s G r o ß e n ( Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e ner G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 1 9 1 5 ) , S . 141 — 2 0 2 ; Ders. (in E r w i d e r u n g a u f J . B u c h k r e m e r , Zur G e s c h i c h t e des G r a b e s Karls d e s G r o ß e n (s. o. A n m . 41 ]), Zur Lage u n d G e s c h i c h t e d e s G r a b e s Karls d e s G r o ß e n . Eine E r w i d e r u n g ( Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 9 , 1 9 1 7 ) , S. 1 5 5 — 2 1 7 ; Ders., Zu der Lage d e s Z w e i k a i s e r - G r a b e s in der A a c h e n e r P f a l z k a p e l l e ( A n n a l e n d e s H i s t o r i s c h e n V e r e i n s für d e n N i e d e r r h e i n 1 2 8 , 1 9 3 6 ) , S. 1 2 6 - 1 3 7 . 4 s P l a n s k i z z e bei T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 191 5, n a c h S . 1 6 8 , Figur II u n d III. 4 6 Vgl. d e n z u s a m m e n f a s s e n d e n B e r i c h t d e s R e g i e r u n g s b a u m e i s t e r s E. S c h m i d t über d i e Ausg r a b u n g e n von 1 9 1 0 , d e r e n D u r c h f ü h r u n g i h m ü b e r t r a g e n w a r , bei T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 1 9 1 5 , S . 1 4 2 ff. Das G r a b u n g s p r o t o k o l l m i t L i c h t b i l d e r n be f i n d e t sich h e u t e b e i m L a n d e s k o n s e r v a t o r in B o n n , in A b s c h r i f t e n b e i m S t a d t a r c h i v A a c h e n (Hs 1 0 4 8 ) u n d im D i o z e s a n a r c h i v , vgl. K r e u s c h ( w i e u n t e n A n m . 1 0 9 ) , S. 1 2 4 , Nr. 53. 4 7 B o h m e r - U h l i r z , R e g e s t a I m p e r i i 2, 3, Nr. 1450/1V 1, S . 8 3 2 . 4 8 T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 191 5, S. 1 6 3 ff. Dort, n a c h S . 1 8 4 , a u c h die S k i z z e n von E. S c h m i d t . 4 « Vgl. e b d . S . 1 5 6 . 42
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Grab u n d T h r o n Karls des Großen
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hunderte, die sich noch auf die Verhältnisse vor der Errichtung des gotischen Chores bezieht.60 In ihr heißt es: Duo scolares νel tres stantes ante altare b. Mariae virgims cantent unum Kyrie eleison. Duo sacerdotes stantes secus sepulcrum sancti Karoli cantent Qui passurus. Eine Hand des 15. Jahrhunderts hat offenkundig mit Rücksicht auf den 1414 geweihten gotischen Chor die Worte ante durch retro und b. Mariae virgims durch in choro ersetzt sowie secus sepulcrum sancti Karoli ersatzlos gestrichen. 61 Die Chordienstordnung des 15. Jahrhunderts™ übernimmt diese Korrekturen und ersetzt die Ortsbestimmung secus sepulcrum sancti Karoli durch ibidem. Der Text lautet nunmehr: Duo scolares vel tres stantes retro altare in choro cantent unum Kyrie eleison. Duo sacerdotes stantes ibidem cantent Qui passurus.™ Um das hier genannte „Karlsgrab" mit dem 1 9 1 0 im Ostjoch des Sechzehnecks gefundenen Erdgrab identifizieren zu können, ist TEICHMANN zunächst64 davon ausgegangen, daß das westlich dieses Grabes aufgedeckte Altarfundament den Marienaltar getragen habe. Unter dem altare in choro der jüngeren Ordnung versteht er den dem hl. Petrus geweihten Hauptaltar des gotischen Chores. Hinter diesem haben die scolares wie die sacerdotes nach 1 4 1 4 Aufstellung genommen. TEICHMANN glaubt voraussetzen zu dürfen, daß die relative Anordnung dieser Gruppen auch im karolingischen Chor vor 1414 keine andere gewesen sei. Dem entspricht allerdings die Ersetzung des ursprünglichen ante durch retro auf den ersten Blick nicht. In umständlichen Erörterungen hat TEICHMANN jedoch darzulegen gesucht, daß das ältere ante ebenso wie das jüngere retro die Ostseite des Altars bezeichnet, weil der Standort des zelebrierenden Priesters im Laufe des Mittelalters von der Ostseite des Altars auf dessen Westseite verlegt worden sei.65 Dabei mußte weiterhin vorausgesetzt werden, daß der Text der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Handschrift wesentlich älter sei als diese selbst. Es erübrigt sich, diese ursprüngliche Deutung TEICHMANNS auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, da er später eine ihrer wesentlichen Voraussetzungen selbst aufgegeben hat, indem er sich der durch BUCHKREMER vertretenen Lokalisierung des Marienaltars im karolingischen Chorquadrat anschloß und gleichzeitig der Auffassung beipflichtete, daß das Altarfundament des Ostjochs dem Petrusaltar zuzuordnen sei.66 Zwar hat TEICHMANN auch unter diesen veränderten Voraussetzungen daran festgehalten, daß die Lage des mit sepulcrum sancti Karoli bezeichneten Ortes von der späteren Gruppierung der Sänger her zu bestimmen sei, dabei jedoch übersehen, daß im Gegensatz zur Chordienstordnung des 15. Jahrhunderts, nach der die Priester ibidem, also bei den scolares zu stehen haben, die ältere Ordnung für beide Gruppen verschiedene Bezugspunkte namhaft macht. Es ergibt sich vielmehr, daß nach Fertigstellung
T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 1 9 1 5 , S. 1 8 2 f f . , s o w i e Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 9 , 191 7, S . 1 6 7 f f . ; Ders., L a g e d e s Z w e i k a i s e r - G r a b e s ( w i e A n m . 4 4 ) , S . 1 3 2 f f . Zur Ü b e r l i e f e r u n g vgl. O. G a t z w e i l e r , Die l i t u r g i s c h e n H a n d s c h r i f t e n d e s A a c h e n e r M ü n s t e r s t i f t e s ( Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 4 6 , 1 9 2 4 ) , S . 1 2 ff. 5 1 F a k s i m i l e bei T e i c h m a n n , Zur Lage d e s Z w e i k a i s e r - G r a b e s , n a c h S . 1 2 6 , F i g . 2. " Vgl. G a t z w e i l e r S. 1 8 f f . Teichmann (wie Anm. 50). 5 4 T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 1 9 1 5 , S. 1 4 5 f f . ; Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 9 , 1 9 1 7 , S. 1 7 2 ff. 5 5 T e i c h m a n n , Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 7 , 191 5, S . 1 84 f f . ; Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 3 9 , 1 9 1 7 , S. 1 6 7 ff. 5 6 E. T e i c h m a n n , Über d e n S t a n d o r t d e s M a r i e n a l t a r s d e r A a c h e n e r P f a l z k a p e l l e s o w i e über d i e R u h e s t ä t t e Karls d e s G r o ß e n u n d die Lage d e s e r s t e n G r a b e s O t t o s III., A a c h e n o. J . ( 1 9 2 6 ) , S . 1 2 f f . ; Ders., Z u der Lage d e s Z w e i k a i s e r - G r a b e s , S . 1 3 0 . Vgl. J . B u c h k r e m e r , Z u r G e s c h i c h t e d e s G r a b e s Karls d e s G r o ß e n ( w i e A n m . 4 1 ) , S . 2 5 6 f . ; A . H u y s k e n s , V o r t r a g v o m 2 5 . A p r i l 1 9 2 3 : Die C h o r a l t ä r e d e s A a c h e n e r M ü n s t e r s u n d ihr l i t u r g i s c h e r G e b r a u c h i m f r ü h e r e n M i t t e l alter (vgl. Z e i t s c h r i f t d e s A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r e i n s 4 5 , 1 9 2 3 , S . 2 9 6 f f . ) .
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Grab u n d T h r o n Karls des Großen
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des gotischen Chores die relative Zuordnung der beiden Gruppen verändert worden ist. So bleibt nur die Frage, was in der älteren Ordnung mit sepulcrum sancti Karoli gemeint war. Mit Entschiedenheit weist es TEICHMANN zurück, unter sepulcrum hier den Karlsschrein verstehen zu wollen, für den die Chordienstordnung capsa oder feretrum zu sagen pflegt. 67 Es kommt hinzu, daß der Schrein im 15. Jahrhundert hinter dem Hauptaltar des gotischen Chores stand,68 also eben dort, wo die Sänger nun ihren Platz hatten. Die Streichung einer auf den Schrein zu beziehenden Ortsangabe würde daher der Motivierung entbehren. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Streichung auch dann motiviert war, wenn mit sepulcrum der Karlsschrein bezeichnet werden sollte. Da nämlich nach der jüngeren Ordnung die Priester bei den scolares standen, genügte eine einzige Ortsangabe, und es bedarf keiner besonderen Begründung, daß die zweite und nicht die erste gestrichen worden ist. Im 14. Jahrhundert, also zur Zeit der Entstehung der Handschrift, die die ältere Fassung der Chordienstordnung überliefert, befand sich an der Stelle, die TEICHMANN für das sepulcrum sancti Karoli annimmt, das Grab Ottos III., über dem nach dem sicheren Zeugnis des Aachener Totenbuches69 der Karlsschrein seine Aufstellung gefunden hatte. Unter diesen Umständen wäre es schwer zu erklären, daß der Standort der Priester, wenn er schon bei dieser Örtlichkeit angenommen werden soll, weder durch den Karlsschrein noch durch das Grab Ottos III. bestimmt worden wäre, sondern durch die Nennung des Karlsgrabes, das nach TEICHMANN bis 1165 mit dem Grabe Ottos III. identisch gewesen sein soll. Als Ortsangabe für eine Chordienstordnung kam das ursprüngliche Grab Karls des Großen allenfalls im 9. Jahrhundert in Frage, schon nicht mehr im 10., da Otto III. es erst nach längerem Suchen zu finden vermochte.80 Und wenn auch Friedrich Barbarossa im Jahre 1165 sich der gleichen Lage gegenübersah, 61 so kann nicht angenommen werden, daß der durch Otto III. hergestellte Zustand das Grab zur Ortsangabe in einer Chordienstordnung empfohlen hat. TEICHMANN rechnet denn auch damit, daß sich in der Handschrift des 14. Jahrhunderts der Text einer sehr viel älteren, vielleicht karolingischen Chordienstordnung erhalten habe, muß jedoch selbst einräumen, daß die Bezeichnung Karls als eines Heiligen sich damit nur dann vereinbaren läßt, wenn man das Wort sancti als Interpolation aus der Zeit nach 1165 auffaßt.92 Nach 1165 ruhten die Gebeine Karls jedoch nicht mehr im ursprünglichen Grabe, sondern im Karlsschrein. Als „Grab" Karls des Großen wird uns hinfort das von BUCHKREMER näher beschriebene Arkosolgrab genannt."3 Ein Interpolator, der nach 1165 den Text der neuen Sachlage anzupassen suchte, 5 7 Zeitschrift des Aache ner Geschichtsvereins 37, 191 5, S. 182 f.\ Zur Lage des Zweikaiser Grabes, S. 133. 5 8 K. Faymonville (wie Anm. 10), S. 2 0 8 , E. Teichmann, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 37, 191 5, S. 171 ff ; Ders., Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 39, 1917, S. 177 ff.; Ders., Zur Lage des Zweikaiser-Grabes, S. 133. 5 9 E. Teichmann, Das älteste Aachener Totenbuch (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 38, 1 9 1 6 ) , Nr. 23, (23. J a n u a r ) , S. 53: Sub feretro sancti Karoli iacet sepultus (sc. Otto imperator tercius). 6 0 Vgl. den Bericht Thietmars (oben Anm. 17), ferner Lampert v. Hersfeld, Ann. a. a. 1 0 0 0 , hrsg. von O. Holder Egger, MG. SS. rer. Germ., 1 894, S. 48: a pluribus eousque . . . ignorata: Ann. Altahenses maiores a. a. 1 000, hrsg. von E. Oefele, MG. SS. rer. Germ., 1 891, S. 16: a pluribus inscita. 6 1 Vgl. S. 17 f. mit Anm. 69. 6 2 Teichmann, Zur Lage des Zweikaiser-Grabes, S. 134. Teichmann ist übrigens nach seinem Einlenken in der Frage der Altare auf seine ursprüngliche Deutung von älterem ante und jüngerem retro im Sinne von „ostwärts" nicht zurückgekommen,da sie nunmehr seiner These im Wege gestanden hätte. Man wird ihm zustimmen dürfen, wenn er in einem Text des 14. Jahr hunder ts ante als westlich, retro als ostwärts versteht. Ob dies bei einem höheren Alter des Textes und vollends, wenn er aus der karolingischen Zeit stammen sollte, in gleicher Weise gilt, ist allerdings die Frage (vgl. J . Braun, Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung 1, München 1 9 2 4 , S. 412 ff.). Es braucht nicht eigens betont zu werden, daß eine Zuruckdatierung der Chordienstordnung bloße petitio principu ware. 6 3 Vgl. J . Buchkremer, Das Grab Karls des Großen, S. 105 ff.; vgl. auch Teichmann, Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 37, 191 5, S. 198.
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Grab und T h r o n Karls des Großen
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hätte gut daran getan, nicht nur sancti hinzuzufügen, sondern sepulcrum durch capsa oder feretrum zu ersetzen, wenn er den von TEICHMANN angenommenen Ort im Auge hatte und sepulcrum keinesfalls für den Schrein verwendet wissen wollte. Das sepulcrum sancti Karoli der Chordienstordnung ist entweder auf den Karlsschrein oder auf das Arkosolgrab zu beziehen. Für beide ist die Bezeichnung „Grab" im 15. und 16. Jahrhundert belegt.84 Wie dem aber auch sei: lokalisieren läßt sich dieses sepulcrum mit Hilfe der Chordienstordnung nicht. TEICHMANNS These vom Doppelgrab entbehrt also jeder Grundlage in den Quellen und wird obendrein durch die mit Rücksicht auf den Erhebungsakt von 1165 postulierte Vertauschung der beiden Särge kompromittiert. Dieser Anstoß ließe sich allerdings vermeiden, wenn man sich mit A. HUYSKENS65 an den in der Redaktion C der Ademarschen Chronik überlieferten Bericht zum Jahre 1000 hält. Denn hier lesen wir,66 Otto III. habe den auf einem goldenen Throne sitzend vorgefundenen Leib Karls des Großen feierlich erheben, allem Volke zeigen und auf die rechte Seite der Kirche umbetten lassen. Die Ortsangabe in dextro membro basilicae ipsius retro altare sancti Johannis baptistae paßt zu dem von B U C H K R E M E R nachgewiesenen Arkosolgrab, die cripta aurea super illud mirifica... fabricata kann auf die Bogenarchitektur dieser Anlage bezogen werden.67 Betrachtet man die Umbettung als den sachlich zutreffenden Kern eines im übrigen hagiographisch ausgeschmückten Berichtes zum Jahre 1000, so hätte in dem Erdgrab des Ostjochs der Sarg Ottos III. den durch die Translatio frei gewordenen Platz Karls des Großen einnehmen können. Dem steht allerdings das mit guten Gründen als echt geltende Diplom Friedrich Barbarossas vom 8. Januar 1166 entgegen.68 In ihm wird ausdrücklich gesagt, das Grab habe mit Rucksicht auf äußere und innere Feinde an verborgener Stelle gelegen.69 Dieses Zeugnis aus der Kanzlei Friedrichs I. können wir trotz der hagiographischen Stilisierung noch weniger anB u c h k r e m e r , e b d . S. 1 0 6 . A. H u y s k e n s , Karl der G r o ß e und seine L i e b h n g s p f a l z A a c h e n , A a c h e n 1 9 1 4 , S. 2 6 ; D e r s . , in seiner B e s p r e c h u n g von H. Wismann (wie A n m . 1 1 6 ) ( Z e i t s c h r i f t des A a c h e n e r G e s c h i c h t s v e r eins 5 5 , 1 9 3 3 / 3 4 ) , S. 2 2 5 . 64 65
6 6 Hrsg. von Chavanon, S. 153 f.: Quibus diebus Oto imperator per somnum monitus est ut levaret corpus Caroli Magni imperatoris, quod Aquis humatus erat, sed vetustate obliterante, ignorabatur locus certus, ubi quiescebat. Et peracto triduano jejunio, inventus est eo loco, quem per visum cognoverat imperator, sedens in aurea cathedra, intra arcuatam speluncam, infra basilicam Marie, coronatus corona ex auro et gemmis, tenens sceptrum et ensem ex auro purissimo, et ipsum corpus incorruptum inventum est. Quod levatum populis demonstratum est. Quidam vero canonicorum ejusdem loci, Adalbertus, cum enormi et procero corpore esset, coronam Caroli quasi pro mensura capiti suo circumponens, inventus est strictiori vertice, coronam amplitudine sua vincentem circulum capitis. Crus proprium etiam ad cruris mensuram regis dimetiens, inventus est brevior, et ipsum ejus crus protinus divina virtute confractum est. Qui supervivens annis XL, semper debilis permansit. Corpus vero Caroli conditum in dextro membro basilicae ispius retro altare sancti Johannis Baptistae, et cripta aurea super illud mirifica est fabricata, multisque signis et miraculis clarescere cepit. Non tarnen sollempnitas de ipso agitur, nisi commune more anniversarium defunctorum 6 7 Vgl. o b e n A n m . 6 3 . I m r e c h t e n , d. h. südlichen T e i l des u n t e r e n Umganges ist ein A l t a r J o h a n n e s des Evangelisten durch die C h o r d i e n s t o r d n u n g des 1 4 . J a h r h u n d e r t s b e z e u g t , währ e n d sich der Altar J o h a n n e s des T ä u f e r s n a c h der gleichen Quelle an e n t s p r e c h e n d e r Stelle im O b e r g e s c h o ß b e f a n d . Vgl. B u c h k r e m e r , D a s G r a b Karls des G r o ß e n , S. 1 4 6 f. Falls m a n n i c h t fur das 1 2 . J a h r h u n d e r t eine andere A n o r d n u n g voraussetzen will, ware eine V e r w e c h s l u n g dieser A l t ä r e a n z u n e h m e n . Nach der Lokalisierung B u c h k r e m e r s stand der J o h a n n e s a l t a r des U n t e r g e s c h o s s e s für d e n , der die K i r c h e v o m W e s t p o r t a l her b e t r a t , am zweiten Pfeiler der r e c h t e n Seite und war der erste Altar, der a u f d e m Wege zum A r k o s o l g r a b passiert wurde. V o n dieser Stelle aus wurde die im ubernächsten J o c h b e f i n d l i c h e Anlage selbst s i c h t b a r .
K . F . S t u m p f , Die R e i c h s k a n z l e r 2, Die K a i s e r u r k u n d e n des Χ . , X I . u n d X I I . J a h r h u n d e r t s , I n n s b r u c k 1 8 6 5 - 1 8 8 3 , Nr. 4 0 6 1 , S. 3 6 0 ; hrsg. von H. L o e r s c h , Das falsche D i p l o m Karls des G r o ß e n und F r i e d r i c h s I. Privileg fur A a c h e n vom 8. J a n u a r 1 1 6 6 , in· G . R a u s c h e n , Die Legende Karls des G r o ß e n im 1 1 . und 1 2 . J a h r h u n d e r t ( P u b l i k a t i o n e n der Gesellschaft fur R h e i n i s c h e G e s c h i c h t s k u n d e 7 ) , Leipzig 1 8 9 0 , S. 1 5 4 f f . ; zur E c h t h e i t L o e r s c h , e b d . , S. 1 6 2 f f . ; Ch. Cramer, Die A a c h e n e r Karlsfalschung und die Heiligsprechungsurkunde Friedrichs I in ihren Beziehungen zu K a i s e r h o f und R e i c h s k a n z l e i , Phil. Diss, ( m a s c h . ) Marburg 1 9 4 4 . 68
6 9 Hrsg. von Loersch, S. 155: Inde est quod nos. . . sollempnem curiam in natali domini aput Aquisgranum celebravimus, ubi corpus eius sanctissimum pro timore hostis exteri vel inimici familiaris caute reconditum sed divina revelatione mantfestatum elevavimus et exaltavimus quarto kalendas lanuarii
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Grab u n d T h r o n Karls des G r o ß e n
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zweifeln als die damit übereinstimmende und dadurch zugleich gestützte Nachricht Thietmars über die Suche nach dem Karlsgrab im Jahre 1000. Thietmar bringt deutlich genug zum Ausdruck, Otto III. habe den vorgefundenen Zustand •wiederhergestellt.70 Dies erklärt, daß 1165 das Grab abermals gesucht werden mußte. Eine bereits von Otto III. veranlaßte Translatio läßt sich also mit den glaubwürdigsten Nachrichten, die wir über Otto III. einerseits und über Friedrich Barbarossa anderseits haben, nicht vereinbaren. Die Redaktion C der Ademarschen Chronik (hinfort C),'1 die früher als das Werk eines zwischen 1159 und 1165 tätigen Interpolators galt,72 wird inzwischen mit Nachdruck Ademar selbst zugeschrieben.73 Die Bemerkung über den Kanoniker Adalbert, der in frevelhafter Weise mit Karls Krone und Gebeinen sein Spiel getrieben haben soll, daraufhin zur Strafe selbst einen Beinbruch erlitten und als Invalide noch 40 Jahre gelebt habe, führt auf einen terminus post quem von 1040. Mit der Nachricht der Chronik von St. Martial, Ademar sei 1034 in Jerusalem gestorben,74 läßt sich dies nicht vereinbaren. Die 40 Jahre, die der Frevler noch gelebt habe, entsprechen einem biblisch-hagiographischen Schema ;76 seine Anwendung spricht nicht für einen zeitgenössischen Autor. Immerhin kann eine Kenntnis der Version von Karls Sitzbestattung Ademar nicht abgesprochen werden, da er sie zu 814 selbst berichtet.7* Zu diesem Bericht hatte C Ergänzungen beigesteuert, durch die der schon bei Ademar reichhaltige Katalog von Grabbeigaben noch vermehrt wird. Die zum Jahre 1000 von C angeführten Beigaben sind weit weniger zahlreich und halten sich ziemlich genau in den Grenzen der Novaleser Chronik.77 Selbst wenn C in der vorliegenden Fassung eine Redaktion von Ademars Hand wäre, so hätte dieser wenigstens ursprünglich der Öffnung des Karlsgrabes durch Otto III. überhaupt nicht gedacht. Dies spricht dafür, daß ihm die Fabel von der Sitzbestattung zunächst lediglich in einer auf 814 zugeschnittenen Version zugänglich gewesen ist. Daß die in C einerseits zu 814 und anderseits zu 1000 begegnenden Berichte über eine Sitzbestattung Karls des Großen auf verschiedenen Wegen in das Werk Eingang gefunden haben, läßt sich nicht nur hierauf und auf den unterschiedlichen Beigabenkatalog stützen. Es spricht dafür auch der Umstand, daß die von Otto III. veranlaßte Elevatio Bestandteil eines längeren Zusatzes der Redaktion C ist, der hauptsächlich von Adalbert von Prag und Brun von Querfurt handelt. Die Passionen beider Märtyrer werden in eigentümlicher Weise miteinander verschränkt. Jeder Phase aus dem Wirken und Leiden des einen korrespondiert eine solche aus dem des anderen, wobei es nicht ohne schwere sachliche Irrtümer und Motiwertauschungen abgeht. Adalbert erscheint als Erzbischof von Prag, Brun als Bischof von Augsburg und Vorgänger Udalrichs daselbst, Adalbert und Brun wirken zeitweise als Missionare bei den
70
Siehe oben Anm. 8. ' Zur Handschrift Paris, Bibl. Nationale, MS. lat. 5926, s. XII, vgl. Chavanon S. XX f. G. Waitz, Vorwort seiner Ausgabe, MG. SS. 4, S. 110 f; Chavanon, S. XXI. 13 L. Halphen, Remarques sur la chronique d'Ademar de Chabannes (in: Ders., A travers l'historie du moyen äge, Paris 1950), S. 132 ff. (zuerst erschienen: Revue Historique 98, 1908, S. 2 9 4 ff.); Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen (wie A n m . 12) S 3 1 1 · K. F. Werner (wie A n m . 12), S. 297 ff. 14 Chavanon, S. X mit Anm. 3; Mamtius 2, S. 2 8 4 f.; Wattenbach-Holtzmann 1, 2, S. 3 1 0 f ; Werner S. 297. Numeri 1 4 , 3 3 f. Zur Zahl 40 vgl. Isidor, Liber n u m e r o r u m qui in sanctis scripturis occurrunf c. 23, Miene, PL 83, Sp. 197 f.; Hrabanus Maurus, De laudibus s. Crucis I 18, Migne, PL 107, Sp. 221 f. Freundlicher Hinweis von Dr. Roderich Schmidt. 75 Vgl. oben S. 11 mit Anm. 20. 77 Vgl. oben A n m . 66. C hat über Chron. Nov. hinaus nur das goldene Schwert, das a u c h von Ademar zu 8 1 4 genannt wird. 7
12
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Grab u n d T h r o n Karls des Großen
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Petschnegen, was nur für Brun zutrifft; bei ihnen erleidet Adalbert den Tod, während Brun als Schützling des Herrschers der Russen von dessen Bruder und Thronrivalen umgebracht wird. Die Russen werden als ein Teil der Ungarn neben den weißen und den schwarzen Ungarn eingeführt, und der Erwerbung der Adalbertsreliquien durch Boleslaw von Polen entspricht diejenige der Brunreliquien durch den Herrscher der Russen. Otto III. übergibt die hl. Lanze entgegen unserer sonstigen Überlieferung78 nicht Boleslaw von Polen, sondern Reliquien, d. h. Partikel von dieser und dem in ihr eingeschlossenen Nagel dem König Stephan von Ungarn für dessen eigene Lanze. Die Bezeichnung reliqttias ex clavis Domini et lancea sancti Mauricii entspricht den Angaben des Gallus anonymus79 sowie der Inschrift, die Heinrich IV. auf der von ihm veranlaßtenMetallhülle des Wiener Stückes hat anbringen lassen.80 Boleslaw erhält - offenbar statt dessen - den goldenen Thron Karls des Großen aus dessen Grab.81 Das Prinzip der Korrespondenz waltet somit auch hier, und es ist damit zu rechnen, daß die Transponierung der Lanze nach Ungarn nicht anders als die übrigen Motiwertauschungen zu beurteilen ist. Sowenig Brun von Querfurt Bischof von Augsburg gewesen ist und bei den Russen ums Leben kam,82 so wenig haben wir Anlaß, die Erzählungen von der Lanzenübertragung an den Ungarnkönig83 und der des Karlsthrones an Boleslaw von Polen84 als historische Nachrichten zu werten.85 Dies um so weniger, als die in Krakau aufbewahrte Replik der hl. Lanze8· unsere Nachrichten von der Übertragung dieser an Boleslaw bestätigt, während weder ein Karlsthron in Polen noch eine sacra lancea in Ungarn anderweitig bezeugt sind. Allerdings verrät unser Text eine Kenntnis der ungarischen Königslanze, mit der Heinrich III. den König Peter investiert hat und die schon vorher zu den Insignien des Ungarnkönigs gehört zu haben scheint.87 Denn es ist von der propria lancea Stephans die Rede, für die Otto III. „Reliquien" von den Nägeln des Herrn und von der Mauritiuslanze gespendet habe. Festzuhalten bleibt, daß die angebliche Schenkung des Karlsthrones an Boleslaw als Äquivalent für die ihm abgesprochene hl. Lanze eingeführt zu sein scheint und dann Anlaß gewesen ist, von der Öffnung des Karlsgrabes durch Otto III. zu berichten. Dieser Zusammenhang verweist uns in den Bereich der hagiographischen Tradition über Adalbert und Brun.88 In ihr sind Austauschvorgänge, wie sie hier auf die Spitze getrieben werden, schon früh bezeugt. Die Passio Adalbert! einer Tegernseer Handschrift kann dafür als Beispiel dienen.
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Böhmer-Uhlirz, Regesta imperii 2, 3, Nr. 1349 d. I 6 MG. SS. 9, S. 429; hrsg. von K. Maleczyfiski, Galli anonymi cronica et gesta ducum sive principum Polonorum (Monumenta Poloniae historica, NS. 2. 1952), S. 19. 80 P. E. Schramm,Herrschaftszeichen und Staatssymbolik 2 (Schriften der Monumenta Germania« historica 13, 2), Stuttgart 1955, S. 513; H. Fillitz, Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches, Wien-München 1954, S. 54. 79
81 III 31, hrsg. von Chavanon, S. 154: solium ejus aureum Imperator Oto direxit regi Botisclavo pro reliquiis sancti Adalbert! martiris. Rex autem Botisclavus, accepto dono, misit imperatori brachium de corpore ejusdem sancti, et imperator gaudens illud excepit, et in honore sancti Adalberti martiris basilicam Aquisgrani construxit miriflcam, et ancillamm Dei congregationem ibi disposuit. Aliud quoque monasterium Rorrtae construxit in honore ipsius martiris. 82
H. G. Voigt, Eine neuerdings wiederentdeckte mittelalterliche Lebensbeschreibung des Preußenmissionars Brun von Querfurt (Sachsen und Anhalt 3,1927), S. 87—134; Lexikon für Theologie und Kirche 2, 2. Aufl., 1958, Sp. 732. 83 Als Tatsache angenommen von M. Uhlirz, Jahrbücher, Exkurs XIII, S. 503 ff.; vorsichtiger Schramm, Herrschaftszeichen 2, S. 503. Μ Μ. Uhlirz, Jahrbücher, S. 333 mit Anm. 77. 85 R. Wenskus, (wie Anm. 88), S. 239 Anm. 185. 86 Schramm, Herrschaftszeichen 2, S. 502 f. 87 M. Uhlirz, Jahrbücher, S. 503 ff. 88 Hierzu und zum folgenden R. Wenskus, Studien zui historisch-politischen Gedankenwelt Bruns von Querfurt (Mitteldeutsche Forschungen 5, 1956), bes. S. 202 ff.
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Grab und Thron Karls des Großen
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Sie ist mit guten Gründen als Ableitung des verlorenen Liber de passione martyris angesprochen worden, den der Gallus anonymus für die Gnesener Vorgänge des Jahres 1000 benutzt und ausdrücklich zitiert hat.89 Zu den Vorlagen dieser wahrscheinlich in Sachsen entstandenen Arbeit über den hl. Adalbert gehörte die italienische Vita Adalbert! des Canaparius, deren positive Beurteilung der Rompolitik Brun von Querfurt in seiner Vita Adalbert! zurückgewiesen hat. Eine zweite, in Polen entstandene Redaktion dieses Liber wird von R. WENSKUS als Quelle Thietmars für dessen Nachrichten über das Martyrium Adalberts und über Gnesen in Anspruch genommen. Als weitere Ableitung der zweiten, wenn nicht gar einer dritten Redaktion des Liber de passione martyris kommt die in Montecassino um 1080 entstandene interpolierte Fassung der älteren Adalbertsvita des Canaparius in Betracht. Die Wirkung des verlorenen Liber de passione martyris reichte nicht nur bis Montecassino, sondern erstreckte sich auch auf Westeuropa. Schon während des 11. Jahrhunderts lassen sich Spuren in Moyenmoutier und bei Rodulfus Glaber feststellen.90 Man wird es nicht für ausgeschlossen halten dürfen, daß sie auch in Angouleme bekannt geworden ist. Dies alles gilt freilich nur für die Tradition vom Martyrium des hl. Adalbert. Unsere Quellen über Brun von Querfurtfließenwesentlich spärlicher.91 Es fällt allerdings auf, daß der Tegernseer Codex, in dem sich die aus dem Liber de passione martyris abgeleitete Passio Adalbert! befindet, auch den kurzen Bericht eines Wipert über das Martyrium Bruns enthält.92 Die Handschrift stammt aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts. Die besondere Hervorhebung, die Augsburg in C als ursprünglicher Bischofssitz Bruns von Querfurt erfährt, insbesondere die Nachricht von der Gründung eines dem hl. Udalrich geweihten Klosters durch Udalrichs Nachfolger Brun (1006-1029), den Bruder Heinrichs II., ist in diesem Zusammenhang insofern von Interesse, als Bischof Brun von Augsburg 1012 das Stift St. Ulrich und Afra tatsächlich in ein Benediktinerkloster umgewandelt und wahrscheinlich mit Mönchen aus Tegernsee besiedelt hat.93 Doch gerade wenn man auf Grund dieser Zusammenhänge die in Angouleme festgehaltene Version wegen ihres besonderen Interesses an Augsburg und an Ungarn mit Augsburg in Verbindung bringen wollte, könnte sie schwerlich schon von Ademar selbst aufgezeichnet worden sein. Denn Ademar war ein Zeitgenosse Bruns von Augsburg, und zu dessen Lebzeiten oder bald danach kann in Augsburg Udalrich kaum als dessen von Otto III. eingesetzter Vorgänger und als Nachfolger Bruns von Querfurt angesprochen worden sein. Als Missionar der Russen wird Brun von Querfurt außer in der Redaktion Ademars nur noch in der Vita Romualdi des Petrus Damiani in Anspruch genommen.94 Dies verdient insofern Beachtung, als den Camaldulensern eine Version sehr wohl zuzutrauen wäre, in der Adalbert und Brun als zwei Angehörige dieses Kreises auf Grund einer parallelisierenden Darstellung völlig gleichmäßig zur Geltung gelangen und in der Ungarn hinter Polen nicht zurücktritt. Bei einer italienischen Provenienz wäre auch die Kombination der beiden Märtyrerpassionen mit dem Bericht von der Öffnung des Karlsgrabes durch Otto III. leicht zu erklären, da
I 6, MG. SS. 9, S. 428, 35; hrsg. von K. Maleczyrtski (wie Anm. 79), S. 18, 5; Wenskus S. 202. Wenskus S. 245 f. Voigt (wie Anm. 82). 9 2 MG. SS. 4, S. 579 f.; Wenskus S. 239 Anm. 185. 9 3 F. Zoepfl, Das Bistum Augsburg, München-Augsburg 1955, S. 88; nach K. Hallinger, GorzeKluny, Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter (Studia Anselmiana 2 2 / 2 3 ) , R o m 1950, S. 278 mit Anm. 41, kamen allerdings die ersten Äbte von St. Afra nicht aus Tegernsee, sondern vielleicht aus St. Gallen. 9 4 Cap. 27, Migne, PL 144, Sp. 9 7 8 ; Voigt S. 97. 89
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dieser Vorgang nach Ausweis der Novaleser Chronik einschließlich der Behauptung einer Thronbestattung dort bekannt war. Für unsere unmittelbaren Bedürfnisse reduziert sich das mit C gegebene Problem auf zwei Fragen: 1. Kann die dort vorliegende Kombination der Adalbertslegende mit der Öffnung des Karlsgrabes bereits für den verlorenen Liber de passione martyris vorausgesetzt werden? Da dieser von Thietmar benutzt worden ist, könnte dann auch dessen Bericht über das Karlsgrab aus der gleichen Quelle geflossen sein. Es böte sich damit die Möglichkeit, Thietmars vermeintliches Kronzeugnis für die Sitzbestattung Karls des Großen zu relativieren und buchstäblich in den Bereich der Legende zu verweisen. 2. Kommt die Passage über Adalbert, Brun und die Öffnung des Karlsgrabes als genuiner Bestandteil einer von Ademar selbst verfaßten Redaktion seines Werkes in Betracht? Damit wären wesentliche Einzelheiten der Vorgänge von 1165 entweder durch Ademar bzw. seinen Gewährsmann literarisch oder - unter der Voraussetzung eines historischen Kerns - durch Otto III. ipso facto vorweggenommen worden. In beiden Fällen hätten wir ein bemerkenswertes Frühzeugnis für die Geschichte des Karlskultes gewonnen. Sollte Otto III. eine Umbettung veranlaßt haben, käme das Erdgrab vor dem Marienaltar als ursprüngliches Karlsgrab in Frage, ohne daß dies mit der späteren Beisetzung Ottos III. an der gleichen Stelle kollidieren würde. Beide Fragen müssen negativ beantwortet werden. Der Anknüpfungspunkt für die in C vorliegende Kombination von Karlsgrab und Adalbert-Brun-Legende ist der an Boleslaw überwiesene goldene Thron, der in dieser Version die Replik der hl. Lanze ersetzt. Nach dem Liber de passione martyris hat jedoch Boleslaw gerade die Lanze erhalten. Damit entfiel der für die in C überlieferte Fassung gegebene Grund, der Öffnung des Karlsgrabes zu gedenken. Irren wir nicht, so handelt es sich um eine völlig sekundäre Motivkombination, deren ursprünglicher Anlaß das Bedürfnis war, die ungarische Königslanze zu einer sacra lancea zu machen.95 Thietmar, der IV 28 vom Martyrium Adalberts erzählt und IV 44.45 von der Gnesenfahrt Ottos III. handelt, reiht zwar die Öffnung des Karlsgrabes in IV 47 chronologisch richtig ein, stellt jedoch nicht nur keinen Zusammenhang mit den Gnesener Vorgängen her, sondern macht ausdrücklich einen völlig andersartigen Gesichtspunkt namhaft, um dessentwillen er die Öffnung des Karlsgrabes erwähnt. Wir werden auf ihn zurückkommen müssen.9® Zur Beantwortung der zweiten Frage ist davon auszugehen, daß eine Translatio der Gebeine Karls des Großen im Jahre 1000 sich mit Thietmars caetera cum veneratione magna reposmt ebensowenig verträgt wie mit dem Diplom Friedrichs I. von 1166, während gerade diese beiden Quellen einander gegenseitig stützen. Entfällt somit die Möglichkeit, daß Otto III. den Akt von 1165 in wesentlichen Punkten vorweggenommen hat, so hat der Autor des Textes selbst die volle Belastung zu tragen, die sich aus der Übereinstimmung mit Tatsachen und Berichten von 1165 ergibt. Hier wie dort wird das Grab auf Grund eines übernatürlichen Fingerzeiges gefunden. In beiden Fällen schließt sich eine Elevatio an, nur daß die Gebeine Karls 1165 in einem Schrein geborgen werden, von dem wir wissen, daß er über dem Grab Ottos III. und somit vor dem Marienaltar seine Aufstellung fand,97 während Otto III. nach C eine neue
®s J . Deir, Die Entstehung des ungarischen Königtums (Archivum Europae centro-orientalis 8, 1942), S. 60 ff. 9 6 Vgl. unten S. 32 ff. Vgl. oben Anm. 59.
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Grabanlage im rechten Teil der Kirche geschaffen haben soll: Corpus vero Caroli conditum in dextro membro basilicae ipsius retro altare sancti Johannis baptistae et cripta aurea super illud mirifica est fabricata. Das liest sich wie eine Beschreibung des BucHKREMERschen Arkosolgrabes, das sich tatsächlich in dextro membro basilicae befunden hat und einen Bogen aufwies. Es versteht sich von selbst, daß die im Privileg Friedrichs I. enthaltenen Angaben unmöglich auf eine solche Anlage bezogen werden können. Das Arkosolgrab, das erst vom 14. Jahrhundert an mit Sicherheit bezeugt ist, kann daher frühestens 1165 entstanden sein. Will man daher die verblüffenden Übereinstimmungen zwischen dem, was wir über Otto III. erfahren, und den tatsächlichen Vorgängen von 1165 erklären, so hat man die Wahl zwischen dem bloßen Zufall, der Unterstellung, Barbarossa habe sich durch C in seinem Verhalten bestimmen lassen, und der Annahme, die Erzählung über Otto III. sei nach 1165 und in Kenntnis der Heiligsprechung Karls des Großen aufgezeichnet worden, um die Heiligkeit der Gebeine Karls zurückzudatieren. Daß die letzte der drei Möglichkeiten die wahrscheinlichste ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Auf die Heiligkeit kam es C in der Tat an: . . . multisque signis et miraculis clarescere eepit. Doch einschränkend wird hinzugefügt: Non tarnen sollempnitas de ipso agjtur, nisi commmi more anniversarium dejmctorum. Welche Sorge mag wohl zu diesem Dementi Veranlassung gegeben haben? Wird hier die Aachener Geistlichkeit selbst gegen den Vorwurf eines illegalen Heiligenkultes in Schutz genommen? Als eine Rücksichtnahme auf die förmliche Elevatio und Heiligsprechung von 1165 ist dies ohne weiteres verständlich, vor 1165 und vollends zur Zeit Ademars jedoch nicht in gleicher Weise. Die verdächtige Passage hat nun obendrein ein wörtliches Gegenstück in der Chronik des Gaufredus de Bruil von 1183/84.®® Gaufred ist Schüler und seit 1160 Mönch zu St. Martial in Limoges gewesen, um dann 1177 Prior in dem St. Martial unterstellten Kloster von Vigeois zu werden." Er berichtet über die Heiligsprechung Karls des Großen: Preterea Fredericus corpus Karoli Magni elevans α terra, in capsa aurea infiniti pretii lapidibus decorata collocavit. Extunc auctoritate metropolitans Coloniensis Aquisgrani solempnitas de eodem cesare augusto orthodoxo sicut de sancto agitur, quae prius fiebat de fideli defuncto.10° Die beiden Formulierungen können nicht unabhängig voneinander entstanden sein, da sie nicht nur in der Wahl der Worte, sondern auch in der Art der Antithese miteinander übereinstimmen. Die Frage der Priorität ist nicht leicht zu entscheiden: Gaufred berichtet über einen tatsächlichen Vorgang und hätte daher völlig unbefangen und sachgemäß auf den Übergang vom bloßen Totengedächtnis zum Heiligenkult hinweisen können. Es konnte nicht naheliegen, sich für diesen Gedanken die Formulierung aus einem Bericht über Otto III. auszuleihen und sie durch Streichung der Negation den Erfordernissen des Jahres 1165 anzupassen. In dieser Hinsicht erscheint das umgekehrte Verhältnis plausibler: Ein Interpolator, der eine Redaktion der Ademarschen Chronik - wie wir nun sagen dürfen 101 -
9 8 MG. SS. 26, S. 198 ff. Vollständige Ausgabe von Ph. Labbe, Nova Bibliotheca manuscriptorum 2, Paris 1 6 5 7 , S. 2 7 9 ff. 9 9 Histoire littlraire de la France 14, Paris 1817, S. 3 3 7 ff.; O. Holder-Egger, Vorbemerkung seiner Ausgabe, MG. SS. 24, S. 198 f.; U. Chevalier, Repertoire des sources historiques du moyen äge, Bio-Bibliographie 1, Paris 1 9 0 5 , Sp. 1 7 1 1 . 1 0 0 Gaufred z. J . 1 1 6 7 , SS. 24, S. 202. 1 0 1 Zur Entstehungszeit von C ist auch der in dieser Redaktion vorliegende Zusatz zu Ademar I 57 (Chavanon S. 58 Anm. s*j heranzuziehen. Er handelt von der Gründung des Klosters Figeac (Dioz. Cahors) durch König Pippin, der gemeinsam mit Papst Stephan II. 7 5 5 nach der Salbung Pippins zu St. Denis nach dort gezogen sein soll, um die Kirche von Figeac durch den Papst weihen zu lassen. Doch Gott k o m m t dem Papst zuvor, indem er selbst bei Nacht und Nebel die Kirche und ihre Altare weiht. Konig und Papst Reben dem Kloster daraufhin Privilegien, in denen ihm neben
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G r a b u n d T h r o n Karls d e s G r o ß e n
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um eine Passage erweiterte, in der die Öffnung des Karlsgrabes durch Otto III. nach dem Muster der Elevatio und Translatio von 1165 stilisiert werden sollte, konnte bei Heranziehung des von Gaufred überlieferten Textes sich veranlaßt sehen, den Hinweis auf die solempnitas in negierter Form zu übernehmen. Ein ausdrückliches Dementi dieses Inhaltes konnte geboten erscheinen, da andernfalls seine Erzählung wegen ihrer weitgehenden Übereinstimmung mit der hinlänglich bekannten Elevatio und Translatio von 1165 ihre Glaubwürdigkeit hätte einbüßen müssen. Allzu deutlich vermeint man zwischen den Zeilen des Interpolators das unausgesprochene „noch nicht" herauszuhören, als daß ein solches Motiv dem Verfasser abgesprochen werden könnte. Doch gerade die sinnvolle Motivierung, die der negativen Fassung offensichtlich zugrunde liegt, ist es zugleich, aus der sich ein Einwand gegen solche Filiation der beiden Texte ergibt. Die antithetische Fügung, die Gegenüberstellung des non tarnen und nisi ist gerade hier wohlbegründet, während man bei Gaufred vergeblich danach fragt, was ihn zu dem Relativsatz quae prius fiebat de fideli defuncto veranlaßt haben könnte. 102 Bei den engen Beziehungen Ademars und Gaufreds zu St. Martial in Limoges 103 konnte Gaufred, dessen Chronik dort einsetzt, wo Ademar mit der seinigen aufgehört hatte, 104 auch die Redaktion C der Ademarschen Chronik nebst der hier in Betracht kommenden Interpolation kennen und sich gedrängt fühlen, die dort angetroffene negative Aussage für 1165 positiv zu wenden. In diesem Falle wäre die Interpolation zwischen 1165 und 1183/84 anzusetzen. Für den terminus post quem, auf den es vor allem ankäme, ist zwar mit der zuletzt erörterten Möglichkeit nichts Neues gewonnen, doch ist es für den Anachronismus unseres Interpolators immerhin bezeichnend, daß die Tilgung der Negation genügte, um einen seiner Sätze in einen Bericht über 1165 übertragen zu können. Entscheidend für die Datierung der Interpolation ist das vom Interpolator vorausgesetzte Arkosolgrab. Falls die
anderen Kirchen auch das Kloster Conques unterstellt wird. Der T e x t berührt sich eng mit J E . 2321, einer Fälschung auf Papst Stephan II. zu 7 5 5 (gedruckt in Gallia Christiana 1, Instru menta Nr. 34, S. 43), verrät aber auch die Kenntnis von J E . 2554, einer Fälschung auf Paschal I. zu 822 (gedruckt ebd. Nr. 35, S. 4 3 f.) sowie einer solchen auf König Pippin zu 755, DKar. 33. Diese ist in zwei Fassungen überliefert, deren zweite (B) eine Erweiterung der ersten (A) darstellt. Mühlbacher (Vorbemerkung zu DKar. 33, S. 45 f.) setzt Α ins 12. J a h r h u n d e r t . Alle diese Fälschungen b e h a u p t e n eine Unterstellung von Conques unter Figeac. Dies gilt auch von dem bisher u n a n g e f o c h t e n e n und in DKar. 3 3 b e n u t z t e n Diplom Pippins I. von Aquitanien von 838 Aug. 23 (G. Desjardins, Cartulaire de l'Abbaye de Conques, Paris 1879, Nr. 581, S. 411 ff.). Mit einem Streit über die Frage der Unterstellung des einen Klosters unter das andere sind die Päpste Gregor VII. (JL. 5267 von 1084 J a n . 7, gedruckt zuletzt von L. Santifaller, Quellen und Forschungen zum Urkunden- und Kanzleiwesen Papst Gregors VII. [Studi e Testi 190, R o m 1957), 1, Nr. 216, S. 260 f.) u n d Urban II. (Jl. 5 6 5 4 von 1096 Juli 15) b e f a ß t worden. Die U r k u n d e n dieser beiden Päpste lassen nicht nur keine Kenntnis der von Figeac vertretenen Version e r k e n n e n ; Gregor VII. bezieht sich vielmehr auf Verfügungen nicht genannter Klostergründer, in denen umgekehrt Figeac dem Kloster C o n q u e s sicut capiti membrum unterstellt sein sollte. Vgl. zu diesem Komplex Desjardins im V o r w o r t zu seiner Ausgabe des Cartulars, S. XVI ff.; Ders., in Bibliothfcque de l'Ecole des Chartes 33, 1872, S. 259 ff.; M. Buchner. Das Vizepapsttum des A b t e s von St. Denis (Quellenfälschungen aus dem Gebiete der Geschichte, hrsg. von M. Buchner, 2), Paderborn 1928, S. 1 4 3 ff.; F. Bousquet, Conques (Dictionnaire d'histoire et de glographie ecclesiastiques 13, 1956), Sp. 4 7 2 ff. mit weiterer Literatur. Fur C ist entscheidend, daß die auf Pippin und Stephan II. zu 7 5 5 gefälschten U r k u n d e n ausdrücklich vorausgesetzt werden, so daß sie nicht gut ihrerseits aus C abgeleitet sein k ö n n e n . C kann also auch an dieser Stelle unmöglich von Ademar herrühren. Ein Interpolator m u ß in j e d e m Fall a n g e n o m m e n werden, auch wenn die Grundlage von C eine besondere von Ademar verfaßte Redaktion gewesen sein mag, die zu den Quellen der bald nach 1159 entstandenen Historia pontificum et comitum Engolismensium (HP) gehörte. Halphen (wie Anm. 73), S. 146, und Werner (wie A n m . 12), S. 300, rechnen mit einer verlorenen zwischen Α und C vermittelnden Redaktion Ademars, aus der HP geschöpft habe. Vgl. auch den Korrekturnachtrag unten S. 36 ff. 101 Allerdings läßt G a u f r e d in seiner Chronik (vgl. die Ausgabe von Labbe, oben A n m . 98) ein ungewöhnlich starkes Interesse für Heiligenkult u n d liturgische sollempnitates erkennen, von dem er sich häufig sogar zu Exkursen hinreißen läßt. Die originäre Formulierung seiner Bemerkung über den Karlskult ist ihm insofern durchaus zuzutrauen. 103 Siehe oben A n m . 99; zu Ademar: Manitius 2, S. 2 8 4 ff. > R. Schmidt S. 132 f. 13s Chron. V 20, hrsg. von Holtzmann, S. 245. 136 Gesta Chuonradi c. 35, hrsg. von Bresslau, S. 55, 16. 137 So die Übersetzung von W. Trillmich, Wipo, Taten Kaiser Konrads II. (Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgiscnen Kirche und des Reiches, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, hrsg. von R. Buchner, 11, Darmstadt 1961), S. 557. 138 Zur Person K. Hauck, Wipo (Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon 4, hrsg. von K. Langosch, Berlin 1953), Sp. 1018-1026. 139 Die Belege bei Schramm, Krönung in Deutschland, und Ders., Herrschaftszeichen 1, S. 347 ff.
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möglich bei Otto II., ausgeschlossen, wie bei Konrad II., bei Heinrich II. Weltliche Thronsetzungen zu Aachen können wir jedoch bei allen diesen Herrschern annehmen, für Otto den Großen, Heinrich II. und Konrad II. sind sie ausdrücklich belegt. Der von Wipo gerühmte Thron stand somit im Atrium der Pfalzkapelle. Damit hat die Idee des Karlsthrones ihre vollste Entfaltung erreicht. Ihre Geschichte geht jedoch weiter. Bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts lassen uns unsere Zeugnisse zur Frage der Aachener Thronsetzungen im Stich.140 Inzwischen hat der Investiturstreit die Stellung des Königs zur Kirche verändert und die Verfassung des Reiches in neue Bahnen gelenkt. Der Vorhang vor der uns interessierenden Szenerie hebt sich erst wieder bei der Aachener Krönung Friedrich Barbarossas,141 und erst jetzt hat das Bild die Umrisse angenommen, die man bisher stillschweigend für die ottonische und salische Zeit vorausgesetzt hat. Otto von Freising berichtet, Barbarossa sei nach seinem Eintreffen in Aachen von den Bischöfen aus dem Palatium in die Marienkirche geführt worden, habe in dieser vom Kölner Erzbischof die Krone empfangen und dann auf dem Throne des Frankenreichs, der in der gleichen Kirche von Karl dem Großen gesetzt worden war, Platz genommen.142 Hier wird zum erstenmal der Thron des Obergeschosses als Karlsthron und zugleich als sedes regit Francorum bezeichnet.143 Man könnte meinen, die Funktion des Atrium-Thrones sei nunmehr auf den im Inneren der Kirche stehenden Thron übergegangen, sie habe sich von Wahl und Huldigung gelöst und mit dem spezifisch kirchlichen Zeremoniell von Salbung und Krönung verbunden. Ein die Geschichte der deutschen Königswahl und -krönung ohnehin kennzeichnender Trend fortschreitender Verkirchlichung hat sich hier in eindrucksvoller und anschaulicher Weise ausgewirkt. Es ist vielleicht kein Zufall, daß uns dies zuerst bei Friedrich Barbarossa bezeugt wird, der mit der Heiligsprechung Karls des Großen und der Erhebung seiner Gebeine für die Geschichte des Karlskultes überhaupt und die Geschichte des Karlsgrabes, von der wir ausgegangen sind, in vergleichbarer Weise Epoche gemacht hat. Die Vermutung drängt sich auf, daß die Reklamierung des in der Kirche stehenden Thrones als Karlsthron und die spätere Erhebung und Heiligsprechung Karls in einem engeren Zusammenhang stehen. Der Karlsthron war bis dahin nicht nur eine Idee gewesen, sondern zugleich ein konkreter Gegenstand. Zwar könnte sich die Idee von ihrem Träger, dem Thron des Atriums, gelöst haben und mit einem anderen verbunden worden sein. Man hat sich aber auch zu fragen, ob nicht am Ende mit der Idee auch der Träger transferiert worden ist. In diesem Falle wäre der Karls thron des Atriums selbst in das Obergeschoß überfuhrt worden. Als verloren hätte dann lediglich sein dortiger durch das archisolium verdrängter Vorgänger zu gelten. Es muß dem Urteil der Fachleute überlassen
1 4 0 Die Quellenbelege für Aachener Krönungen bei W. Kaemmerer, Die Aachener Königskrönungen (Quellentexte zur Aachener Geschichte, hrsg. von W. Kaemmerer, 3), Aachen 1961; vgl. auch A. Schulte, Die Kaiser- und Königskrönungen zu Aachen (Rheinische Neujahrsblätter 3), Bonn 1924. 1 4 1 H. Simonsfeld, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrich I., 1. Leipzig 1908, S. 41 f. 1 4 2 Gesta Fridenci I. lmperatoris II 3, hrsg. von G. Waitz, MG. SS. rer. Germ., 1912, S. 104:
. . . in proximo sabbato Aquisgrani venit; sequenti die, id est ea dominica, qua Letare Ierusalem canitur, ab episcopis a palatio in aecclesiam beatae Mariae semper virginis deductus cum omnium qui aderant applausu ab Arnaldo Coloniensi archiepiscopo, aliis cooperantibus, coronatus in se de r e g n i Francorum, quae in eadem aecclesia a Karolo Magno posita est, collocatur.
1 4 3 In seiner vor 1147 verfaßten Chronik gedenkt Otto des Aachener Thrones in ähnlicher Weise: V 32, hrsg. von A. Hofmeister, MG. SS. rer. Germ., 1912, S. 257, 11 ff.: in palatio Aquisgrani
ubi ipse aecclesiam miri operis in honore sanctae Mariae semper virginis construxerat que r e g n i constituerat.. . ; V 35, S. 259, 31 f . : . . . sedemque regni
sedemFrancorum,
palatium Aquis. . . Für den Standort ergibt sich hier nichts. Schwerlich hat Otto von Freising in der Chronik einen anderen Thron oder auch nur einen anderen Standort desselben im Auge, so daß der zu 1152 bezeugte Zustand bereits für die Zeit Konrads III. angenommen werden kann.
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bleiben, ob die archäologischen Befunde144 der Annahme einer ursprünglichen Aufstellung des Thrones im Atrium entgegenkommen. Thietmars Bericht über die Lage des Karlsgrabes in solio regio erscheint jetzt in einem anderen Licht. Was für den Thron im Obergeschoß nicht gelten konnte, gilt für das im Atrium stationierte archisolium: Es kommt als Ortsangabe für ein Grab sehr wohl in Frage. Die Lesart von der Sitzbestattung erklärt sich so als das Mißverständnis einer Formulierung, die uns bei Thietmar vorliegt. Es bietet sich nunmehr eine Theorie über die Lage des Karlsgrabes an, nachdem mit der Eliminierung der Sitzbestattung eine Ortsangabe gewonnen ist. Den bisherigen archäologischen Befunden, die im Inneren der Kirche nur für Otto III. Platz lassen, entspricht es, wenn das Grab außerhalb des Innenraumes der Pfalzkapelle angenommen werden muß. Dies scheint allerdings mit Einhards dezidierter Lokalisierung in tcchsia}a mit der er nicht allein steht, zu kollidieren. Doch eine Bestattung vor der Schwelle der Kirche, mit der wir nunmehr zu rechnen haben, entsprach derjenigen Pippins zu St. Denis, von dem Einhard selbst und die nach ihm benannten Annalen sagen, er habe in eccksia geruht.14· Auch für das Weitere dürfen wir uns Einhard anvertrauen, von dem wir erfahren, daß nach dem Tod Karls der Ort seiner Beisetzung anfangs umstritten gewesen sei, weil Karl bei Lebzeiten darüber nichts verfügt habe. Dem widerspricht ein Diplom Karls von 769 für St. Denis, in dem er selbst sagt, er wolle wie sein Vater dort einst beigesetzt werden.147 Nach Einhard hat man sich schließlich auf die Aachener Pfalzkapelle geeinigt. Es gab also zuvor verschiedene Meinungen, und die nächstliegende Alternative zu Aachen war St. Denis. Wenn Einhard eine Verfügung Karls über den Ort seiner Beisetzung bestreitet, so mag sogar dies zu den strittigen Punkten gehört haben, und die Emphase, mit der er die getroffene Entscheidung zugunsten Aachens rechtfertigt, weist in die gleiche Richtung. Für St. Denis sprach nicht nur das Grab des Vaters, sondern auch das der Mutter,148 sprach nicht zuletzt, daß Karl selbst seines Vaters Grab durch die Errichtung eines augmentum, eines Vorbaues vor der Kirche, in pietätvoller Weise ausgestaltet und geehrt hatte.149 Hatte er selbst einst dort ruhen wollen, so dürfen diese Baumaßnahmen zugleich als Vorkehrungen für seine künftige Ruhestätte in Anspruch genommen werden. Dies um so mehr, als Karl diese Anlage offenbar nicht nur mit einem Bild Pippins, sondern auch mit seinem eigenen hat ausstatten lassen. Denn in
144 v g l . dazu J . B u c h k r e m e r , Der Konigsstuhl der Aachener Pfalzkapelle und seine Umgebung (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 2 1 , 1 8 9 9 ) , S. 1 3 5 ff., bes. S. 1 6 3 f.; Ders., V o m Königsstuhl und seiner Umgebung (Dom zu Aachen, Beiträge zur Baugeschichte 2 ) , Aachen 1 9 4 1 , S. 7 ff.; Schramm, Herrschaftszeichen 1, S. 3 3 7 ff.; F . Kreusch, (wie A n m . 1 0 9 ) , S. 8 5 ff.; Ders., Die Pfalzkapelle zu Aachen (in Bd. III dieser Publikation); H. Appuhn, Zum Thron Karls des Großen (Aachener Kunstblätter des Museumsvereins 2 4 / 2 5 , 1 9 6 2 / 6 3 ) , S. 1 2 7 ff. 1 4 5 Vgl. oben Anm. 3 2 . 1 4 6 Vita Karoli c. 1 8 , hrsg. von Holder-Egger, S. 2 3 ; vgl. auch Ann. q. d. Einhardi 7 6 8 , hrsg. von F . Kurze, MG. SS. rer. G e r m . , 1 8 9 5 , S. 2 7 .
1 4 7 DKar. 55, S. 81: . . . ad casa sancti domniDyonisii martyris, ubiipse pretiosus domnus cum sanctis sociis suis in corpore requiescit et domnus et genitor noster Pippinus rex requiescere videtur et nos, si domino placuerit, sepeliri cupimus, donatumque ibidem ad ipso sancto loco esse volumus, et ubi Folleradus abbas et custos praeesse dinoscitur, hoc est. . . Der Satzteil et ubi
Folleradus - dinoscitur ist falsch eingeordnet, vgl. die Urkunde Pippins, DKar. 2 8 . Bei beiden Urkunden handelt es sich um „Nachzeichnungen" bzw. „Abschriften in D i p l o m f o r m " aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Bedenken gegen Inhalt und Fassung bestehen nicht, vgl. die Vorbemerkung von Mühlbacher. 1 4 8 Vgl. oben Anm. 1 4 6 . 1 4 9 Suger von St. Denis, Liber de rebus in administratione sua gestis 2 5 , Migne, P L 1 8 6 , Sp. 1 2 2 8 A; E . Panofsky, A b b o t Suger on the Abbey Church o f St. Denis and its Art Treasures, Princeton 1 9 4 6 , S. 4 4 und S. 1 5 3 ; vgl. S. M. Crosby, The A b b e y o f St. Denis 1, New Haven 1 9 4 2 , S. 1 2 1 ; J . F o r m ^ , L'abbaye royale de Samt-Denis, Recherches nouvelles, Paris 1 9 6 0 , S. 6 3 f.
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einem Gedicht des Mönches Dungal von St. Denis, auf das Schramm aufmerksam gemacht hat, ist von diesen Bildern die Rede.150 Wenn die Anwälte Aachens sich bei der Beratung über die Beisetzung Karls durchgesetzt haben, so liegt es nahe, daß sie den Befürwortern von St. Denis wenigstens hinsichtlich der relativen Lage des Grabes zur Kirche und seiner Form entgegengekommen sind. Daß dies tatsächlich geschehen ist, läßt sich aus einem Brief Ludwigs des Frommen von 835 an Abt Hilduin von St. Denis erschließen.161 Auch hier ist von dem Grab Pippins die Rede, und wir horchen auf, wenn uns dabei Begriffe wie titulus und conditorium begegnen! Die Inschrift auf dem conditorium Pippins - so heißt es - bringe die demütige Verehrung des dort Bestatteten für den hl. Dionysius zum Ausdruck. Nichts liegt näher, als das Pippinsche conditorium mit dem Vorbau, dem augmentum, zu identifizieren, das Karl nach Sugers Worten über dem Grab seines Vaters hatte errichten lassen.162 Mit titulus und conditorium sind uns für Pippins Grab zwei Begriffe aus der Inschrift des Karlsgrabes belegt, mit den Bildern Pippins und Karls ein drittes gemeinsames Merkmal. Wir können folgern, daß auch Karls conditorium, von dem bisher niemand eine plausible Vorstellung entwickelt hat, ein augmentum im Sinne Sugers, im Hinblick auf den von Einhard genannten arcus eine vor die Westfassade der Aachener Kirche gesetzte Bogenarchitektur gewesen ist. Karls Aachener Grab sollte - so dürfen wir schließen dem seines Vaters zu St. Denis soweit als möglich entsprechen. Der Fulrad-Bau von St. Denis wies nach der auf Grabungen gestützten Rekonstruktion von J. Formig£ einen Vorbau vor der westlichen Eingangshalle auf, der mit der von Karl über dem Grab Pippins errichteten Anlage in Verbindung gebracht wird und ein Grab enthält.163 Nach Thietmar hat Otto III. das Karlsgrab als ein Erdgrab in solio regio gefunden. Der Thron, der für das 10. und 11. Jahrhundert im Atrium vorausgesetzt werden muß und dort nicht schon von vornherein, aber im Laufe der Zeit als Karlsthron angesprochen worden ist, muß nicht schon von Karl dem Großen an dieser Stelle errichtet worden sein. Ob der heutige Karlsthron dafür in Frage kommt, hängt nicht zuletzt von den archäologischen Befunden ab.164 Die antiken Spolien, aus denen er zusammengesetzt ist, weisen zwar in die Zeit Karls des Großen, doch besagt dies nichts über den ursprünglichen Standort. Im Atrium wurde spätestens 936 dieser oder ein anderer Thron aufgestellt, und man kann nicht bestreiten, daß die damals in Aachen anberaumte universalis electio Ottos des Großen einen Anlaß dafür bieten konnte.166 Zu diesem Zeitpunkt war jedoch das Karlsgrab bereits nicht mehr kenntlich, da es, wie wir annehmen müssen, 882 angesichts der Normannengefahr durch Beseitigung von Inschrift und Bild sowie durch ausreichende sonstige Maßnahmen unkenntlich gemacht worden war.16* Das alsdann unverfängliche conditorium blieb erhalten und bot sich spätestens 936 für die Aufnahme des Thrones an. Dieser erhielt so einen architektonischen Baldachin,
1 5 0 MG. Poet. lat. 1, S. 4 0 5 : Effigies regum . . .; P. E. Schramm, Karl der Große im Lichte der Staatssymbolik (Karolingische und ottonische Kunst, Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 3, Wiesbaden 1 9 5 7 ) , S. 18 mit Anm. 4.
1 5 1 MG. Epp. 5, S. 325 ff., Nr. 19. S. 326, 34 f.: Quique (sc. Pippinus) cum quanta se humilitate ante limina basilicae sanctorum martyrum perfuncto huius vitae curriculo sepeliri preceperit, titulus etiam ipsius conditorii innotescit 1 5 2 Die Stelle bei Suger (vgl. Anm. 149) lautet: Accessimus igitur ad priorem valvarum introitum, et deponentes augmentum quoddam, quod a Karolo Magno factum perhibebatur, honesta satis occasione, quia pater suus Pipinus imperator extra in introitu valvarum pro peccatis patris sui Karoli Martelli prostratum se sepeliri non supinum fecerat.
153 Vgl. Formige S. 6 3 f. und Fig. 4 0 auf S. 51. 154 Vgl. die Anm. 1 4 4 genannte Literatur. 1 5 5 So die Vermutung von Mitteis und Schramm (wie oben A n m . 1 2 1 ) , freilich ohne die Annahme eines stationären Throns. Vgl. j e d o c h auch K. Hauck, Die O t t o n e n und Aachen 8 7 6 — 9 3 6 , in diesem Bande. 156 Vgl. oben A n m . 6.
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Grab und Thron Karls des Großen
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den P. E . SCHRAMM beim heutigen Standort des Thrones im Obergeschoß ausdrücklich vermißt hat, 157 oder besser gesagt: eine „Laube". 1 ®* D a für den Thron ebenso wie fur das inzwischen vielleicht vergessene Grab die gleiche zentrale Position unter der Bogenarchitektur und in Verlängerung der Kirchenachse sich von selbst anbot, konnte das Grab nunmehr exakt unter dem Thron liegen. Man braucht sich nur einen Thron wie den heutigen Karlsthron mit seinem Unterbau in dieser Position vorzustellen, um zu verstehen, daß Otto III. das Grab in solio regio finden konnte. Den Thron, unter dem er es fand, hatte er ein gutes Vierteljahr zuvor als s e i n e n Karlsthron eigens hervorgehoben. 169 Zu den Gründen, die ihn veranlaßt haben mögen, den vorgefundenen Zustand des Grabes wiederherzustellen und von einer besonderen Kennzeichnung der Stätte, vollends aber von einer Transferierung an einen anderen Platz abzusehen, dürfte die Lage des Grabes unter dem arcbisolium regni gehört haben. Die spezifische Bedeutung des Thrones, auf die es gerade diesem Herrscher angekommen war, wurde durch die zutage getretene enge Verbindung mit dem Karlsgrab in einer kaum noch zu übertreffenden Weise unterstrichen. Zu einer Änderung des vorgefundenen Zustandes bestand gerade unter dieser Voraussetzung keinerlei Anlaß. Im Jahre 1165 war dieser besondere Grund hinfällig geworden. Dies ergibt sich aus der Bezeugung des „Karlsthrones" im Obergeschoß der Pfalzkapelle zu 1152. leo Vorerst liegen allerdings keine ausreichenden archäologischen Indizien für die Annahme vor, das arcbisolium selbst sei aus dem Atrium in das Obergeschoß der Pfalzkapelle transferiert worden und habe dort einen anderen Thron verdrängt. Wenn der heute im Obergeschoß stehende Karlsthron schon 936 und dann wohl seit der Zeit Karls des Großen dort gestanden hat, ist gleichwohl die Idee des Karlsthrones zunächst nicht mit diesem, sondern mit dem für das Atrium zu erschließenden Thron verbunden und auf die weltliche Thronsetzung bezogen worden. Doch schon 936 rivalisierte mit der weltlichen Thronsetzung die geistliche 1 * 1 auf dem Thron der Oberkirche. Wenn dieser seinen „weltlichen" Rivalen bis spätestens 1152 überflügelt hat, indem er die Karls-Tradition an sich zog, so prägt sich darin eine Akzentverlagerung zugunsten der geistlichen Elemente der Königserhebung aus. In jedem Falle hat die neue Lokalisierung des „Karlsthrones" den Weg zur Elevatio und Translatio der Gebeine Karls des Großen frei gemacht, wenn nicht dazu herausgefordert. Durch die Translatio in das Innere der Kirche wurde die frühere Zuordnung von Thron und Grab in gewisser Weise wiederhergestellt. Das conditorium, das nunmehr weder ein Grab noch einen Thron zu überwölben hatte, war damit funktionslos geworden. Seiner Beseitigung standen die bisherigen Gründe jedenfalls nicht mehr entgegen. Die Aufstellung des Throns vor dem Kirchenportal paßt gut zu den zahlreichen Nachrichten, die wir aus dem Mittelalter seit der karolingischen Zeit über die Abhaltung von Gerichten vor Kirchenportalen besitzen. 162 Genannt sei nur ein besonders einschlägiges Beispiel: A m 14. Oktober 1001 hat Otto III. in seiner Pfalz zu Pavia eine Gerichtssitzung abgehalten, die nach der darüber erhaltenen Urkunde stattfand in palatio domni imperatoris in laubia ipsius
157 Vgl. Schramm, Herrschaftszeichen I, S. 540f. Die „auszeichnende Stelle", die Schramm, Die Krönung in Deutschland (wie Anm. 121), S. 211, an der Westfassade vergeblich sucht, wäre hiermit gegeben. Vgl. den Korrekturnachtrag, unten S. 35 f. 158 Vgl. unten und Anm. 162 und 163.
Vgl. oben Anm. 125. Vgl. Anm. 143. Schramm, Krönung in Deutschland, S. 208 ff. Dagegen Mitteis (wie Anm. 121), S. 45. 1 6 2 J . Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer 2, 4. Aufl., besorgt durch A. Heusicr und R. Hüb· ner, Leipzig 1899, S. 428 f. Die dort angeführten Belege lassen sich erheblich vermehren. 159
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Grab und Thron Karls des Großen
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palacü, que extad ante capellam sancti Mauricii.le3 Vor der Pfalzkapelle zu Pavia befand sich also eine Laube, unter der der Kaiser Gericht hielt. Er dürfte dabei auf einem Thron gesessen haben. Einer Erklärung bedarf es noch, daß die Lage des Karlsgrabes nach dem Zeugnis des Barbarossa-Privilegs von 1166 vor der Elevatio nicht allgemein bekannt war, obwohl Otto III. gute eineinhalb Jahrhunderte zuvor das Grab ausgemacht, geöffnet und damit auch einiges Aufsehen erregt hatte. Die von ihm veranlaßte Wiederherstellung des status quo kann als einziger Grund dafür, daß der Ort erneut der Vergessenheit anheimgefallen ist, nicht befriedigen. Der Besuch Ottos III. am Karlsgrab ist in Sachsen, Oberitalien und Aquitanien bekannt geworden, hat also ein Echo gefunden, das mit dem Schleier des Vergessens, der den Schauplatz als solchen bald wieder bedeckt zu haben scheint, in einem eigentümlichen Widerspruch steht. Doch gerade die Art dieses Echos ist es, in der wir den Grund für diesen scheinbaren Widerspruch aufzufinden vermögen. In einem Teil der Überlieferung wurde die Ortsangabe in solio regio zur „Sitzbestattung" deformiert und damit völlig unkenntlich gemacht. Dem steht eine andere Quellengruppe gegenüber, in der Ottos III. Vorgehen Tadel erfährt. So heißt es in den Annales Hildesheimenses zum Jahre 1000 von Otto III.:J2»» tunc ammirationis causa Magni imperatoris Karoli ossa contra divine religionis ecclesiastica effodere precepit; qua tum in abdito sepulture mirificas rerum varietates invenit. Sed de hoc, ut postea claruit, ulcionem aeterai vindicis incurrit. Nam predictus ei imperator post tantae commissionis facinus comparmt et ei predixit.1'1 Kein religiöses Motiv, sondern bloße ammiratio habe den Kaiser zu einem Verstoß gegen die kirchlichen und göttlichen Gebote veranlaßt, zu einem so schweren Vergehen (jacinus), daß er sich die Strafe Gottes zuzog. Gemeint ist offenkundig sein baldiger Tod. Die sonst gut unterrichteten Quedlinburger Annalen, wie die Hildesheimer eine Ableitung des reicheren verlorenen Hildesheimer Annalenwerkes (Annales Hildesheimenses majores), 1 « 6 gedenken des Vorganges überhaupt nicht, 168 und wenn ihnen der oben zitierte Text vorgelegen hat, 167 so haben sie sich nicht in der Lage gesehen, der Sache eine positive Wendung zu geben, und es daher vorgezogen, den als peinlich empfundenen Sachverhalt ganz zu linterdrücken. Thietmar hat solche Rücksicht nicht genommen. Zwar ist sein Urteil bei weitem nicht so massiv wie das der Annales Hildesheimenses. Kritik übt jedoch auch er. Sie geht in eine Richtung, die sogar unser besonderes Interesse erwecken muß, da sie offenkundig die wahren Motive Ottos III. zum Gegenstand hat. Das Kapitel IV 47 seiner Chronik, in dem von der Öffnung des Karlsgrabes die Rede ist, beginnt mit der Feststellung, Otto III. habe die alte Gewohnheit der Römer - antiquam Romanorum consuetudinem - , die schon zum großen Teil untergegangen sei, für seine Zeit erneuern wollen. In dieser Hinsicht habe er vieles getan, was auf mancherlei Kritik gestoßen sei. 168 Anschließend werden zwei Beispiele für solches
1 6 3 PO III 411, S. 844; C. Manaresi, I Placiti del „Regnum Italiae" 2, 1 (Fonti per la storia d'Italia), Rom 1957, Nr. 266, S. 475 ff. 1 6 4 Hrsg. von G. Waitz, SS. rer. Germ., 1878, S. 28. 1 6 5 L. Tradelius, Die größeren Hildesheimer Jahrbücher und ihre Ableitungen, Phil. Diss. Berlin 1936; Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen 1, 1, S. 40 ff. 1 6 6 MG. SS. 3, S. 77. 1 6 7 Die ab 1007 verfaßten Ann. Quedlinburgenses stützen sich auf ein bis 1003 reichendes Exemplaf der verlorenen Ann. Hildesheimenses maioves; Wattenbach—Holtzmann, S. 45. 1 6 8 Hrsg. von Holtzmann, S. 184: Imperator antiquam Romanorum consuetudinem iam ex parte magna deletam suis cupiens renovare temporibus, multa faciebat, quae diversi diverse sentiebant.
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G r a b u n d T h r o n Karls des G r o ß e n
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Verhalten angeführt. A n erster Stelle erfahren wir, der Kaiser habe an einem erhöhten und gesondert aufgestellten halbkreisförmigen Tisch getafelt. 19 ' Wir wissen, daß es sich dabei um eine spätantik-byzantinische Sitte handelt. 170 Als zweites Beispiel wird alsdann Ottos Besuch am Karlsgrab und dessen ö f l n u n g angeführt. Inwiefern - so müssen wir weiterfragen konnte dies als die Erneuerung einer römischen Sitte gelten? Die Antwort ist einfach und überraschend zugleich: Bei Lukan, einem im Mittelalter ungemein beliebten Autor, konnte man lesen, daß Caesar bei seinem Besuch Alexandrias und seiner Besichtigung der Stadt an erster Stelle das Grab Alexanders des Großen aufgesucht habe. 171 In seinen Kaiserbiographien berichtet Sueton von Augustus, dieser habe in Alexandria das Alexandergrab nicht nur aufgesucht, sondern auch öffnen lassen und auf die Frage, ob er auch noch das Mausoleum der ptolemäischen Könige sehen wolle, erwidert, er habe einen König, keine Leichen sehen wollen. 172 Von Caligula berichtet der gleiche Sueton eine noch weiter ausgeprägte Verehrung Alexanders des Großen. Dieser habe sogar die angeblich schiefe Kopfhaltung seines Leitbildes nachgeahmt und gelegentlich den Brustpanzer Alexanders angelegt. 173 Der Kaiser Julian war von der Überzeugung durchdrungen, daß die Seele Alexanders in ihm lebe, daß Alexander der Große in ihm eine Reinkarnation erfahren habe. 171 Der Alexanderkult spielt also bei den römischen Kaisern eine nicht unerhebliche Rolle. Schon E. KORNEM ANN hat in diesem Zusammenhang beiläufig auf die Parallele Ottos III. hingewiesen. 174 CARL ERDMANN war für die Kaiseridee Ottos III. zu dem Ergebnis gekommen, daß sie literarischen Uberlieferungen und Studien stärker verpflichtet war als den politischen Forderungen des Tages. 176 So konnte für Ottos griechisch-römisches Ämter- und Titelwesen der als römisches Staatshandbuch geltende merowingische Ämtertraktat als Quelle namhaft gemacht werden. Es würde dieser Verhaltensweise entsprechen, wenn der Herrscher, der Rom zu seiner Residenz gemacht hat, für seine Karlsverehrung eine Form wählte, die er bei römischen Kaisern, insbesondere bei Caesar und Augustus, vorgebildet fand. Beachtung verdient freilich, daß bei dem Ottonen Karl der Große den Platz Alexanders eingenommen hat. Gewiß handelt es sich um einen extremen Fall im Rahmen der Bestrebungen Ottos III., das römische Kaisertum zu erneuern. Diese seine Politik hat auch im ganzen bei seinen Zeitgenossen Kritik erfahren, die um so verständlicher wird, wenn, wie wir nunmehr annehmen müssen, das kühne Erneuerungsprogramm dieses Herrschers im Falle der Öffnung des Karlsgrabes mit einem Verhalten belastet war, das den religiösen Vorstellungen des Zeitalters 177 zuwiderlief.
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S. 184: solus ad mensam quasi semicircuhts factam loco caeteris emmenciori sedebat. 170 Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio (wie Anm. 14), S. 110 ff.; O. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938, S. 103. 171 Lukan, Pharsalia X 19 ff. Hierau und zum folgenden A. Heuss, Alexander der Große und die politische Ideologie des Altertums (Antike und Abendland 4, 1954), S. 65 ff. 172 Sueton, Augustus 18. 173 Sueton, Caligula 52. 174 J . Straub, Die Himmelfahrt des Julianus Apostata (Gymnasium 69, 1962), S. 315 mit Anm. 29. 175 Weltgeschichte des Mittelmeer-Raumes, hrsg. von H. Bengtson, 2, München 1949, S. 57. I76 C . Erdmann, Forschungen zur politischen Ideenwelt des Friihmjttelalters, Berlin 1951, S. 103 ff. 177 Zu Thietmars eigener Auffassung vgl. Chron. VI 45, hrsg. von Holtzmann, S. 330; vgl. auch Einl. S. XVIII. Hier macht er sich selbst schwerste Vorwürfe, dafi er als Propst von Walbeck (1002—1009) auf Drängen seines Bruders das Grab des dortigen Propstes Willigis habe ausräumen lassen: . . . quodutinam nonfecissem; et quod gentibus nefas videbatur, christianus ego in deiectione sepulcri et ossium confratris mei operabar. Eine eigene Krankheit führt er auf diese Sünde zurück, und selbst eine Bußfahrt nach Köln läßt ihn nicht die erhoffte Ruhe finden, da ihm Willigis in der Nacht erscheint: „Hic ego sum", ätquid, „Willigisus, qui culpa tut errans vagor."
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Grab u n d Thron Karls des Großen
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Der Motivzusammenhang, in den Thietmar die Grabesöflnung einordnet, ist, wie sich nunmehr gezeigt hat, völlig verschieden von demjenigen, den wir beim Interpolator Ademars (C) antreffen. Schwerlich kann somit Thietmar hierfür eine der Interpolation vergleichbare Quelle polnischer Provenienz vor sich gehabt haben. Auch der Chronist von Novalese läßt jegliche positive Stilisierung vermissen, betont vielmehr den makabren Charakter der Szene. Ademar endlich hat, wie sich zeigen ließ, die Aktion Ottos III. gänzlich beiseite gelassen, indem er von der angeblichen Beisetzung Karls des Großen auf einem Thron lediglich zu 814 berichtet. Es ergibt sich, daß für das Motiv Ottos III. Thietmar unser bester Gewährsmann ist. Es handelt sich um ein unkirchliches Motiv, und in dieser Hinsicht bieten die um 1060 verfaßten 178 Hildesheimer Annalen mit ihrem anmirationis causa ein Seitenstück. Denn diese Wendung steht im Gegensatz zu causa orationis, dem Motiv Ottos III. bei seinem Zug zum Grab Adalberts von Prag im gleichen Jahresbericht der Hildesheimer Annalen. 17 ' Der innere Abstand zur hagiographischen Stilisierung, die der Interpolator Ademars dem Vorgang angedeihen läßt, wird damit deutlich. Erneuerung einer Verhaltensweise des paganen römischen Kaisertums, frevelhafte Störung der Grabesruhe: dies war ein Vorgang, den zu schildern den Gegnern Ottos III. näher liegen mußte als seinen Freunden. In den Augen dieser konnte es vielmehr geboten erscheinen, den peinlichen Vorfall mit Schweigen zu übergehen. Insbesondere mochte es nicht im Interesse der Aachener Stiftsgeistlichkeit liegen, das Andenken ihres kaiserlichen Wohltäters durch eine Pflege der Erinnerung an die Öffnung des Karlsgrabes zu beeinträchtigen. Nicht zuletzt konnte auch die Aachener Kirche selbst durch eine solche „Freveltat" kompromittiert erscheinen. Dem entspricht es, daß die Aachener Überlieferung der Öffnung des Grabes durch Otto III. überhaupt nicht gedenkt, ganz zu schweigen von der Version einer Thronbestattung, die in Aachen erst in nachmittelalterlicher Zeit bekannt geworden ist. 180 Mit dem Vorgang selbst konnte jedoch auch die dabei ermittelte Lage des Grabes der Vergessenheit anheimfallen. Die auf diesen Blättern vorgeschlagene Lokalisierung des ursprünglichen Grabes Karls des Großen ist lediglich eine Theorie, wie ausdrücklich betont werden muß. Sie stellt den Versuch dar, die uns zur Verfügung stehenden Quellen und Befunde so widerspruchsfrei wie nur möglich miteinander in Einklang zu bringen. Ob Karl der Große wirklich an der angenommenen Stelle beigesetzt worden ist, kann nur mit den Mitteln der Archäologie geklärt werden. Sie und die Kunstgeschichte haben daher nun wieder das Wort. Ein Ansatz bietet sich von dieser Seite vielleicht schon jetzt: FELIX Κ KEUSCH hat im nördlichen Atriumsflügel unweit der Westfassade ein Viertelkreisfundament festgestellt, das im Südflügel ein Gegenstück hat. 181 Die Anlage, auf die diese Fundamentreste hinweisen könnten, spricht KREUSCH als einen der Westfassade vorgelagerten Quernarthex an. Über die Gestalt von Atrium und Westfassade der Pfalzkapelle scheint auch aus diesem Grund das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein.
178 Vgl. die Anm. 165 zitierte Literatur. S. 28: Imperator Otto III. causa orationis ad sanctum Adalberdum rem quadragesimae tempore Sclaviam intravit. 179
episcopum et marti-
'»0 Lindner (wie Anm. 6), S. 168 ff. 181 Kreusch (wie Anm. 109), S. 115 ff.; über die Grabungen F. Kreusch — W. Lehmbruck — L. Hugot, Die neue Bischofsgruft am Aachener Dom (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 68, 1956), S. 413 ff., bes. 419 ff.
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G r a b u n d T h r o n Karls d e s G r o ß e n
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KORREKTURNACHTRAG 1966 1. Zu Atrium und
Westfassade
Inzwischen hat FELIX KREUSCH die oben erwähnten Beobachtungen wesentlich ergänzen können. 1 " Die im nördlichen und südlichen Atriumsflügel hervorgetretenen Fundamentreste gehören zu teilweise noch im aufgehenden Mauerwerk erhaltenen Halbkreiskonchen, die in ihren Abmessungen der die Außenfront des Westbaues zierenden Exedra zugeordnet sind und mit ihr zusammen einen Trichoros, eine Dreikonchenanlage, bilden, wie eine solche inzwischen auch für die Aula erschlossen worden ist. 183 Der von KREUSCH veröffentlichte Grundriß der Anlage zeigt, daß die Achsen der nördlichen und südlichen Konchen nicht zusammenfallen, sondern sich in einem stumpfen Winkel auf der Mittelachse der Kirche zwar nicht schneiden, aber sehr nahe kommen und dicht beim Mittelpunkt der Exedra einen Ort hervorheben, der für einen Thron ernsthaft in Betracht gezogen werden muß. Der ursprüngliche Standort des Karlsthrones wurde bisher offengelassen. Festzuhalten war lediglich, daß der 936 im Atrium bezeugte Thron nach Thietmars Lokalisierung des Grabes in solio regio mit diesem in enger Verbindung gestanden hat. 184 Geht man von der Lage des Pippingrabes zu St. Denis „vor der Schwelle der Basilika" aus, 185 so wäre in Aachen das Karlsgrab unmittelbar vor dem Spannfundament der großen Westnische auf der Mittelachse zu suchen. 186 Der nach Aufdeckung der Halbkreiskonchen im Nord- und Südflügel des Atriums für die Aufstellung eines Thrones sich anbietende Platz liegt etwa 6 m westlich von der Außenkante des Spannfundamentes entfernt. Das Grab selbst würde bei einer Länge von etwa 2,30 m mit seiner westlichen Begrenzung noch immer von der Rückseite eines dort stationierten Thrones mehr als 3 m entfernt sein. Eine solche Anordnung hätte die Ortsangabe in solio regio nur dann nahelegen können, wenn mit solium regium der Trichoros insgesamt und gewissermaßen im Sinne einer pars pro toto bezeichnet worden wäre. Doch ist zu bedenken, daß der Trichoros eine Bauphase darstellt, die dem von BUCHKREMER 1 8 ' rekonstruierten Atrium vorausgegangen ist. Die beiden Konchen wurden also vermutlich noch während des 9. Jahrhunderts zugunsten des bisher schon bekannten Atriums aufgegeben. Nach einer solchen baulichen Umgestaltung konnte sich die Bezeichnung solium regum für den der Kirche vorgelagerten Raum nicht mehr in gleicher Weise anbieten wie zuvor. Das neue Atrium nahm jedoch dem durch den Trichoros zuvor auf der Mittelachse hervorgehobenen Ort seinen architektonischen Rang. Vom Trichoros blieb lediglich die noch heute bestehende Konche der Westfessade erhalten, so daß es nunmehr naheliegen konnte, den Thron näher an diese heranzurücken. Damit würde er unmittelbar vor oder gar auf das Grab gekommen sein. Als Anlaß für solche Veränderungen im Westen der Kirche kommt übrigens die Bildung des Kanonikerstiftes in den fünfziger Jahren 188 sowie die Anwesenheit der
1 8 2 F. Kreusch, Kirche, Atrium und Porticus der Aachener Pfalz, in diesem Werk, Bd. ΙΠ, S. 463-533, bes. S. 506-511, mit Fig. 8 (nach S. 490) und Fig. 12 (nach S. 498) sowie Abb. 1 (S. 515). 1 8 3 L. Hugot, Die Pfalz Karls des Großen in Aachen, in diesem Werk, Bd. III, S. 534-572, bes. S. 546 ff. mit Fig. 3 (S. 547). 1 8 4 Siehe oben S. 24 ff. 1 8 5 Siehe oben S. 29 ff.; vgl. allerdings £. Lehmann, in diesem Werk, Bd. ΙΠ, S. 311 Anm. 24. 1 8 6 Kreusch, Fig. 9 (nach S. 490) und Fig. 12 (nach S. 498). 1 8 7 J . Buchkremer, Das Atrium der karolingischen Pfalzkapelle zu Aachen (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 20, 1898), S. 247-264. 1 8 8 Th. Schiefer, Die älteste Kaiserurkunde der Aachener Kirche (Festschrift J. Quint, Bonn 1964, S. 187-193).
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Grab und T h r o n Karls des G r o ß e n
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Normannen im Jahre 882 in Betracht. 1 8 9 Danach dürften Instandsetzungsarbeiten ohnehin erforderlich gewesen sein. 190 FELIX KREUSCH, der das Karlsgrab an ganz anderer Stelle vermutet, 1 · 1 hat „die Errichtung einer großen Arkade mit zwei in der Tiefe gestaffelten Säulen als Randstützen" über dem genannten Spannfundament als Westabschluß der Eingangshalle erwogen. 1 9 2 Die sphärische Kurve, mit der die Vorhalle in die große Westnische einschneidet, scheint jedenfalls einen besonderen architektonischen Abschluß zu erfordern. Sollte Einhards condttorium, sein arcus cum imagine et titulo, damit identisch gewesen sein? 2. Zu Aiemar
von Chabannes
Herrn Dr. L. FALKENSTTEIN (Aachen) verdanke ich den ersten Hinweis auf die von DANIELLE GABORIT-CHOPIN193 und inzwischen auch von FELIX KREUSCH194 veröffentlichte Zeichnung aus Cod. Vat. Reg. lat. 263 fol. 2 3 5 r aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. 1 9 6 E s handelt sich um Fragmente der Chronik Ademars von Chabannes, die den bisherigen Herausgebern und der übrigen Ademar-Forschung unbekannt geblieben waren. Die Zeichnung steht zwischen dem Schluß des II. und dem Anfang des III. Buches. Nach den Feststellungen von D . GABORIT-CHOPIN stammen Text und Zeichnung von der Hand Ademars selbst. 199 Die Zeichnung, die uns zunächst interessieren soll, zeigt die Kirche sowie eine mit Edelsteinen verzierte Tumba, diese mit der Aufschrift Hic reqmescit Karolus imperator,19'
Gemeint ist die
Aachener Pfalzkapelle, doch ergibt sich dies nur aus dem Zusammenhang, da die Zeichnung selbst so gut wie keine Ähnlichkeit mit dem Aachener Bau erkennen läßt. Die gezeichnete Architektur zeigt rechts einen aus vier Arkadengeschossen bestehenden Turm, links einen kuppelgewölbten Rundbau, dazwischen ein langgestrecktes Schiff mit 9 rundbogigen Fenstern in der oberen Zone. Die im Gegensatz zur Kirche perspektivisch gegebene Grabtumba ist vor die Kirchenarchitektur gezeichnet. Um eine Darstellung nach eigenem Augenschein handelt es sich offenkundig nicht. Wohl aber könnte der Zeichner einzelne Informationen verarbeitet haben. Zu denken wäre an den gekuppelten Rundbau sowie an den Turm, dessen Mehrgeschossigkeit auf eine freilich ungenaue Nachricht über den Aachener Westbau zurückgehen könnte. Das langgestreckte Schiff hat an der heutigen Münsterkirche keine Entsprechung. Allerdings dürfen dabei die einstigen basilikalen Annexbauten nicht außer acht gelassen werden. Mit Ausnahme zweier Details ist der Bau im ganzen normal proportioniert. Durch Überdimensionierung fallen jedoch die Grabanlage selbst und die mit Beschlägen versehene T ü r auf. Diese erscheint hinter
Siehe oben S. 9. 1 9 0 Zu Vorgängen, bei denen in Aachen der Thron einer Rolle gespielt haben könnte, vgl. K. Hauck, Die Ottonen und Aachen, 876—936, in diesem Bande. 1 9 1 S. o. S. 24, und Kreusch, Kirche, Atrium und Porticus, S. 499. 1 9 2 Ebd. S. 489. 1 9 3 D. Gaborit-Chopin, Un dessin de Peglise d'Aix-la-Chapelle par Ademar de Chabannes dans un manuscrit de la Bibliotheque Vaticane (Cahiers archelogiques 14, Paris 1964, S. 233—235). (wie Anm. 182), Abb. 19 (S. 523). 1 9 5 Beschrieben von A. Wilmart, Codices Reginenses latini 2 (Bibliothecae Apostolicae Vaticanae codices manu scripti recensiti), Rom 1945, S. 47—49. 1 9 6 Gaborit-Chopin S. 233. Auch Professor J . Boussard (Paris) schreibt nach einer Mitteilung, die ich Herrn cand. phil. W. Busch, einem Teilnehmer seines Seminars über Ademar Poitiers 1965), verdanke, den vorliegenden Text der Hand Ademars zu. 9 7 Zweifellos von der gleichen Hand wie der übrige Text. 189
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dem Grab an der Wand des Rundbaues und reicht dort fast bis unter das Dachgesims. Grab und Portal sind einander offenkundig zugeordnet, und dies wird durch die überdimensionale Darstellung dieser und nur dieser beiden Objekte sinnfällig hervorgehoben. Die einer solchen Darstellung zugrunde liegende Information könnte besagt haben, daß Karl der Große vor der Schwelle seiner Kirche bestattet worden ist, die Zeichnung erweckt den Eindruck, als wolle sie gerade dies zum Ausdruck bringen. Um eine zeichnerische Wiedergabe der Sitzbestattung handelt es sich jedenfalls nicht. Allerdings läßt sich auch nicht mit Sicherheit sagen, daß die Handschrift, um deren Fragmente es sich handelt, den entsprechenden Bericht Ademars zu 814 enthielt, da das vorhergehende Blatt, auf dem Ademars einschlägige Passage198 zu erwarten wäre, ausgefallen ist. Der erhaltene Schluß des zweiten Buches geht nicht mit der Redaktion A, sondern mit C zusammen.199 Der unterhalb der Zeichnung einsetzende Anfang des dritten Buches entspricht allerdings wieder der Version von A, während C hier an Stelle von Kapitel 1 bis 15 Einhards Vita Karoli und die Vita Hludowici des sogenannten Astronomus wiedergibt. 200 Es handelt sich also um Fragmente einer Redaktion von der Hand Ademars, die weder mit Α noch mit C identisch ist, sich jedoch mit beiden berührt. Soweit die Reichsannalen zugrunde liegen, steht der Text der Fragmente diesen sogar näher als A. 201 Um so fraglicher muß es erscheinen, ob die bisher nur durch die Pariser Handschrift 5926 vertretene Fassung C im ganzen Ademar zugeschrieben werden kann, da die dafür in Anspruch genommenen Momente auf eine zwischen Α und C vermittelnde Redaktion Ademars202 von der Art der nunmehr aufgetauchten Fragmente zurückgehen könnten. Das Kapitel III 31, zu dem C seinen Exkurs mit der Grabesöffnung durch Otto III. bietet, fehlt allerdings in den Fragmenten, nicht jedoch das Kapitel II 57. In unserem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß der zu diesem Kapitel in C beigesteuerte Bericht über Figeac 203 in den Fragmenten ebenso fehlt wie in A. Herrn Kollegen Boussard verdanke ich ferner den bisher unveröffentlichten Text der Redaktion V aus Cod. Vat. Reg. lat. 692. SM Diese von der Forschung ebenfalls Ademar zugeschriebene Redaktion enthält lediglich solche Nachrichten und Passagen, die sich in den umfangreicheren bekannten Quellen Ademars nicht finden.206 In unserem Zusammenhang interessiert, daß diese „Kurzfassung" Ademars Bericht über die Thronbestattung Karls des Großen zu
Hrsg. von Chavanon, S. 105: Dompnus vero piisimus. . . sigillatum est sepulchrum ei. 199 235 r: et luctus pro eo fuerit per uniuersam terram, etiam et inter paganos plangebatur quasi pater Orbis. Maximus uero planctus inter christianos fuit. et praecipue per uniuersum regnum eius. Oleo sancto autem inunctus ab episcopis et uiatico sumpto et omnibus suis dispositis. commendans deo spiritum suum obüt in pace anno octingentesimo quarto decimo ab incarnatione domini nostri iesu christi, qui uiuit et regnat solus deus in saecula saeculorum. amen. Vgl. Ademar Α und C, hrsg. von Chavanon, S. 106 f. mit Note y * . 2 0 0 Chavanon S. XX. 2 0 1 Zum Beispiel f. 231 v: . . . ibique (sc. in Compiegne) tassilo dux baioariorum in uassatico se commendans. per manus suas sacramenta iurauit multa super reliquias sanctorum manus imponens et fidelitatem regi promisit pipino pio. et filüs eius domno carolo et carlomanno sicut uassus. recta mente et firma deuotione per iustitiam sicut uassus dominis suis esse debet Vgl. Ademar I 58, hrsg. von Chavanon, S. 59, Ann. regni Franc, a. a. 757, hrsg. von Kurze, S. 14/15. f. 233 r: Et quia dixerat (Tassilo III.) si decern filios haberet. ante uohiisset omnes amittere quam placita sie manerent sicut vurauerat. et quia dixerat melius se esse mori quam ita untere. Vgl. Ademar Π 9, hrsg. von Chavanon, S. 84, Ann. regni Franc, a. a. 788, hrsg. von Kurze, S. 80. 2 0 2 S. o. S. 22 f. Anm. 101. 2 0 3 S. o. S. 22 f. Anm. 101. 204 VrI. auch L. Halphen, Une redaction ignoree de la Chronique d'Ademar de Chabannes (zuerst Bibliotheque de l'Ecole des chartes 66, 1905, S. 655—660, wiederabgedruckt in: Ders., A travers lTiistoire du moyen äge, Paris 1950, S. 1 3 2 - 1 4 6 ) ; K. F. Werner, Ademar von Chabannes und die Historia pontificum et comitum Engolismensium (DA 19, 1963), S. 299. 2 °S Werner S. 300. 198
376
Grab und Thron Karls des Großen
[38]
814 ebenfalls enthält. Dies stützt die oben geäußerte Vermutung, 2 0 4 daß die Version über die Sitzbestattung Ademar bereits in einer auf 814 zugeschnittenen Version bekanntgeworden ist.
3. Parallelen %ur Thronanlage des Aachener Atriums Die Annahme einer Thronanlage im Atrium der Aachener Pfalzkapelle ruft die Frage nach vergleichbaren Objekten hervor. Wenn es an gesicherten älteren oder zeitgenössischen Beispielen fehlt, so ist dies angesichts unserer außerordentlich geringen Kenntnisse über frühmittelalterliche Throne kein methodischer Einwand. Einige Hinweise sind immerhin möglich. Bei den Ausgrabungen des zuständigen Landesamtes für Denkmalpflege konnten an der Nordseite des Paderborner Domes bereits 1964 die Grundmauern eines Saalbaues freigelegt' werden, der vom Ausgräber WILHELM WINKELMANN in die Zeit Karls des Großen datiert wird. Dieser Zeitansatz würde besagen, daß wir es mit dem Schauplatz der Begegnung Karls des Großen mit Papst Leo III. vom Sommer 799 zu tun haben, für den uns der literarische Beleg für eine Paderborner Königsaula vorliegt. 807 Im Jahre 1965 kam es im Bereich zwischen diesem Gebäude und der Nordwand des heutigen Domes zur „Freilegung eines Thronunterbaues an der Ostseite des westlichen Hofraumes, in der Hauptachse der ganzen Anlage, im Westteil des mittleren Durchganges gelegen: Ein aus Plänerkalksteinen aufgemauerter Steinblock von fast 3 m Länge und 1,5 m Breite, auf den von Westen her vier erhaltene Stufen führen, während eine fünfte noch im Ansatz zu erkennen und eine sechste schon im 9. Jahrhundert während bischöflicher Baumaßnahmen mit einer Höherlegung des Gesamtniveaus abgetragen worden ist." 2 0 9 Unter der Voraussetzung, daß die bisherige Deutung des Befundes zutrifft, würde die Aufstellung unter freiem Himmel eine Parallele zum Thron des Aachener Atriums bilden, die sechs Stufen des Unterbaues jedoch derjenigen des erhaltenen Aachener Karlsthrones entsprechen. Bei der Bewertung würde die gleichzeitige Entstehung der Aachener und Paderborner Anlagen besonders ins Gewicht fallen. Nach einem Hinweis von DR. RODERICH SCHMIDT209 befand sich auf dem Hradschin zu Prag ein offenbar ebenfalls im Freien stehender Thron, der von Cosmas von Prag als
sedesprindpalis
der böhmischen Herrscher angesprochen wird. Zu erinnern ist endlich an den erst spät bezeugten, vielleicht aber doch der Entstehung nach wesentlich älteren „Herzogsstuhl" auf dem Zollfeld in Kärnten. 2 1 1 Zu prüfen ist die Frage des Thrones von St. Emmeram inRegensburg, 2 1 0 der zwischen Aachen und Prag vermittelt haben könnte, und man wird sich auch zu fragen haben, an welche Tradition der 1308 zuerst erwähnte Königsstuhl zu Rhens 2 1 2 angeknüpft hat.
S. o. S. 18. 2 0 7 H. Beumann, Die Kaiserfrage bei den Paderbomer Verhandlungen von 799 (Das erste Jahrtausend, hrsg. von V. H. Elbern, Textband 1, Düsseldorf 1962), S. 298. 2 0 8 Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte und Altertumskommission für Westfalen, Neujahrsgruß, Münster 1966, mit Titelbild und Bild 2. 2 0 9 Protokoll der 14. Arbeitssitzung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte in Marburg am 22. Januar 1966, S. 4 f. 2 1 0 K. und M. Uhlirz, Handbuch der Geschichte Österreich-Ungarns 1, Graz-Wien-Köln 1963, S. 186 f., 195. AbbUdungen in: Kärnten in europäischer Schau, 7. Kärntner Hochschulwochen 1960, Berichte Heft 6, Abb. 9. 2 1 1 M. Piendl, Die Pfalz Kaiser Arnulfs bei St. Emmeram in Regensburg (Thum und Taxis-Studien 2, 1962), S. 110 f. und Tafel 7 a. 2 1 2 Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 16, 3: Die Kunstdenkmäler des Landkreises Koblenz, Düsseldorf 1944, S. 2 8 6 - 2 9 0 ; Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 5: Rheinland-Pfalz und Saarland, hrsg. von L. Petry, 2. Aufl., Stuttgart 1965, S. 309 f., mit weiterer Literatur. 206
DIE BEDEUTUNG LOTHARINGIENS FÜR DIE OTTONISCHE MISSIONSPOLITIK IM OSTEN
Unser Thema 1 steht im engsten Zusammenhang mit einer Reihe historischer Fragen von allgemeinerer Bedeutung und Tragweite. Die Formulierung selbst legt es nahe, an die weitergehende Frage nach dem Verhältnis von West und Ost in der deutschen Geschichte namentlich während der Entstehungszeit des Deutschen Reiches zu denken. 1928 veröffentlichte Michael Seidlmayer seine Münchener Dissertation unter dem Titel „Deutscher Nord und Süd im Hochmittelalter". 1961 hat Walter Schlesinger das Thema „West und Ost in der deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters" 2 behandelt. Es geht bei Betrachtungen dieser Art um mehr als die bloße Feststellung politischer und kultureller Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der Himmelsrichtungen. Das Gewicht, das einem Thema wie „Deutscher Nord und Süd im Reich Heinrichs I." allein schon wegen der Doppelwahl des Jahres 919, aber nicht nur ihretwegen, zukommen würde, liegt auf der Hand. Fragestellungen solcher Art zielen einerseits auf eine Differenzierung des historischen Bildes, andererseits auf die Freilegung der Wege und Kräfte, die zur politischen und kulturellen Integration geführt haben. Der Nachdruck soll hier auf dem zweiten Gesichtspunkt liegen, wenn im Folgenden ohne den Anspruch auf Vollständigkeit west-östlichen Verbindungen nachgegangen wird, die sich bei einer Betrachtung der ottonischen Missionspolitik erkennen lassen. Die in der Gründung des Magdeburger Erzbistums kulminierende Missionspolitik Ottos des Großen steht in engstem Zusammenhang mit seiner Kaiserpolitik, ja sie ist insbesondere mit der Erneuerung der Kaiserwürde am 2. Fe-
1 Vortrag, gehalten bei der 26. Arbeitstagung des „Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn" am 8. April 1968 in Bonn. Die Vortragsfassung ist, von einigen redaktionellen Änderungen und sachlichen Präzisierungen abgesehen, unter Hinzufügung der Belege, beibehalten worden. Der zweite, die Primatsprivilegien des 10. Jahrhunderts betreffende Teil (S. 28 ff.) bietet Teilergebnisse eines umfassenden Forschungsprogrammes (Arbeitstitel: Quellenkritische Untersuchungen zur Frühgeschichte des Magdeburger Erzbistums), das anläßlich des Millenariums der Gründung des Magdeburger Erzbistums in Angriff genommen worden ist. Eine ausführlichere Darlegung ist in diesem künftigen Rahmen vorgesehen. 2 Festgabe für P. Kirn, 1961, S. 111-131 (wiederabgedr. in: W. S c h l e s i n g e r , Beiträge z. deutschen Verfassungsgesch. d. Mittelalters 2, 1963, S. 233-253).
378
Die Bedeutung Lotharingiens
[15]
bruar 962 in konkludenter Aktionseinheit verbunden 3 . Der hier ausdrücklich bezeugte ideengeschichtliche Zusammenhang zwischen Missionspolitik und Kaiseridee hatte, wie das abendländische Kaisertum selbst, sein Vorbild in der Missionspolitik Karls des Großen, die ebenfalls zu den Voraussetzungen der Kaiserwürde gerechnet werden m u ß 4 . Unser Gegenstand steht ferner im Zusammenhang mit der Entstehung des Deutschen Reichs als einer überstammlichen politischen Gemeinschaft im Kreise der karolingischen Nachfolgereiche, die sich seit dem Ende des 9. und vollends während des 10. Jahrhunderts als eine neuartige, vorfränkische oder vorkarolingische Verhältnisse durchaus nicht restaurierende Formation herausbildeten: Auf der Grundlage eines offenbar in historischen Tiefenschichten verwurzelten supragentilen, nicht zuletzt durch die Sprache mitbestimmten Gruppenbewußtseins sehen wir die europäischen Großvölker und -reiche entstehen, als Grundlagen der europäischen Nationen und damit zugleich Europas, insofern dieses als eine Gemeinschaft solcher Völker und Staaten seine geschichtliche Gestalt gewonnen hat6. Der endgültige Anschluß Lotharingiens an das ostfränkische Reich Heinrichs I. gehört zu den für die deutsche Geschichte folgenreichsten Leistungen dieses ersten Königs aus dem sächsischen Hause. Franz Steinbach hat einen wesentlichen Gesichtspunkt getroffen, als er diesen Vorgang als die Wiedervereinigung zweier karolingischer Teilreiche charakterisierte e . In gleicher Weise hat Kurt Reindel das baierische Herzogtum Arnulfs beschrieben 7 . 8 JL 3690 = Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg 1, bearb. von Fr. I s r a e l und W. M ö l l e n b e r g , 1937 (künftig: UBEM) Nr. 28; dazu H. B e u m a n n , Das Kaisertum Ottos d. Gr. Ein Rückblick nach tausend Jahren, HZ 195, 1962, S. 5?9-573, bes. S. 552 ff. (wiederabgedr. in: Das Kaisertum Ottos d. Gr., zwei Vorträge von H. B e u m a n n und Η. Β ü 11 η e r , hg. v. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, 1963, dort bes. S. 30 ff.); Hagen K e l l e r , Das Kaisertum Ottos d. Gr. im Verständnis seiner Zeit (DA 20, 1964, S. 325-388), S. 362 ff. Korrekturnachtrag: Zu den Papsturkunden der Ottonenzeit vgl. jetzt auch J. F. B ö h m e r , Regesta Imperii II, 5, Papstregesten 911-1024, bearb. v. H. Z i m m e r m a n n , 1969. Die hier nach JL ziierten Stücke sind dort mit Hilfe der Konkordanztafel (S. 505 ff.) leicht aufzufinden. 4 H. B e u m a n n , Das Paderborner Epos und die Kaiseridee Karls d. Gr., in: Karolus Magnus et Leo papa (Studien und Quellen z. westfäl. Gesch. 8), 1966, S. 5 f. m. Anm. 15; K. H a u c k , Paderborn, das Zentrum von Karls Sachsen-Mission 777, in: Adel u. Kirche,
G. Teilenbach dargebracht, S. 131 f.; vgl. auch dens., Polit. und asketische Aspekte der Christianisierung, in: Dauer und Wandel der Geschichte, Festgabe K. v. Raumer, 1965, S. 58 ff. 5 W. S c h l e s i n g e r , Die Grundlegung der deutschen Einheit im frühen Mittelalter, in: Die deutsche Einheit als Problem der europäischen Geschichte, hg. C. Hinrichs u. W. Berges, o. J. [1960], S. 5-45 (wiederabgedr. in: W. S c h l e s i n g e r , Beiträge zur deutschen Verfassungsgesch. des Mittelalters 1 , 1 9 6 3 , S. 245-285. Das. S. 346 ff. Literaturhinweise); Fr. G r a u s , Die Entstehung der mittelalterlichen Staaten in Mitteleuropa, Historica 10, Praha 1965, S. 5-65. β Fr. S t e i n b a c h , Gibt es einen lothringischen Raum? Rhein. Vierteljahrsbll. 9, 1939, S. 58 (wiederabgedr. in: Collectanea Fr. Steinbach, hg. Fr. Petri und G. Droege, 1967, S. 235); H. B e u m a n n , Einleitung zu C. Erdmann, Otton. Studien, 1968, S. VI f. ' K. R e i n d e l , Herzog Arnulf und das regnum Bavariae, Zs. f. Bayer. Landesgesch. 17, 1954, 239 f. (wiederabgedr. in: Die Entstehung des deutschen Reiches, hg. v. H. Kämpf [Wege der Forschung 1], 1956, S. 272 f.).
Die Bedeutung Lotharingiens
[16]
379
Die Angliederung Lotharingiens an das ostfränkische Reich 8 hat dieses nicht nur in quantitativer Hinsicht verändert. Die Folge war eine Verschiebung der Gewichte, eine Veränderung der inneren Proportionen. Indem schließlich der Angliederung die Eingliederung folgte, gewann das deutsche Reich des Mittelalters überhaupt erst seine eigentliche Gestalt e . Denn für den historischen Begriff des ottonischen Reiches ist Aachen, die mit der Tradition Karls des Großen sozusagen aufgeladene Wahl- und Krönungsstätte Ottos des Großen, sind die kirchlichen Metropolen von Köln und Trier unentbehrlich, und der Nachdruck, mit dem Otto der Große, das Werk des Vaters vollendend, die Eingliederung Lotharingiens in den Verband seines Reiches verfolgt hat, zeigt nicht nur die Wahl von Aachen zur Stätte der universalis electio von 936, sondern eindringlicher noch als diese politische Demonstration die Einsetzung seines Bruders Brun zum Kölner Metropoliten und der politische Auftrag, der diesem für Lotharingien und die Westpolitik zuteil geworden ist. Instruktiv ist an dieser Stelle eine Gegenüberstellung der letzten ostfränkischen Karolinger mit den beiden ersten Herrschern aus ottonischem Hause: Die Aufgabe, an der die Söhne Arnulfs gescheitert waren, vermochten Heinrich I. und Otto der Große als Angehörige gerade desjenigen Stammes zu lösen, der als letzter für das Christentum und den fränkischen Reichsverband gewonnen worden war. Angesichts der führenden Rolle, die Baiern innerhalb des ostfränkischen Reichs seit Ludwig dem Deutschen gespielt hatte, nicht minder aber audi wegen seiner im Vergleich zu Sachsen ungleich tieferen Verwurzelung in der fränkischen Reichsgeschichte und Reichskultur, sollte man meinen, daß im Ringen um die Zentralgewalt nach dem Tode Konrads I. die Baiern Herzog Arnulfs die besseren Chancen gehabt hätten. So läßt sich die Westpolitik Heinrichs I. auch aus dem Bestreben erklären, durch die Inkorporation der karolingischen Kernlande zwischen Rhein, Maas und Mosel im politischen Kampf um die Hegemonie gegenüber dem süddeutschen Rivalen wettbewerbsfähig zu werden. Wenn wir nach den Voraussetzungen der Integration Lotharingiens in das Ottonenreich fragen, so berühren wir endlich audi und schon an der Schwelle
» P. E. H ü b i n g e r , König Heinrich I. und der deutsche Westen, Ann. d. Histor. Vereins f. d. Niederrhein 131, 1937, S. 1 - 2 3 ; H. S p r o e m b e r g ,
Die lothringische Politik Ottos
d. Gr., Rhein. Vierteljahrsbll. 11, 1941, S. 1 - 1 0 1 (wiederabgedr. in: Ders., Beiträge zur belgisch-niederländischen Geschichte, 1959). Vgl. auch die Urkunden Zwentibolds und Ludwigs d. K., bearb. von Th. S c h i e f f e r
(=
MGH, Diplomata regum Germaniae ex Stirpe K a r o -
linorum 4), I 9 6 0 , sowie Th. S c h i e f f e r , Die lothringische Kanzlei um 900, D A 14, 19S8, S. 1 6 - 1 4 8 (audi selbständig); ders., Die rheinischen Lande an der Schwelle der deutschen Geschichte ( =
Gesellschaft f. rhein. Geschichtskunde, 1960). Auf der durch die Edition der
Diplome geschaffenen quellenkritischen Grundlage fußen Κ. Η a u c k ,
Die Ottonen
Aachen, 8 7 6 - 9 6 3 , in: Karl d. Gr., Lebenswerk und Nachleben 4, 1967, S. 3 9 - 5 3 ; H. mann,
und
Beu-
König Zwentibolds Kurswechsel im Jahre 898, Rhein. Vierteljahrsbll. 31, 1966/67,
S. 1 7 - 4 1 ; E. H l a w i t s c h k a ,
Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen
Geschichte (Schriften der M G H 21), 1968. » W.
Schlesinger,
Ottos d. Gr. (wie Anm. 3).
Grundlegung
(wie Anm.
5);
H. B e u m a n n ,
Das
Kaisertum
380
Die Bedeutung Lotharingiens
[17]
unseres Themas den Fragenkreis der Mission, noch nicht zwar der Ostmission, wohl aber der Sachsenmission, mit der für jene die Grundlagen gelegt worden sind. Die Sachsenmission ist unter dem Gesichtspunkt west-östlicher Beziehungen schon vielfach behandelt worden, in politischer Hinsicht ebensowohl wie in missionsgeschichtlicher 10, und man muß hinzufügen, daß das Zeitalter diese beiden Bereiche als eine Einheit aufgefaßt hat. Die Wurzeln der ottonischen Westpolitik lassen sich in das 9. Jahrhundert zurückverfolgen. Hierher gehört vor allem die doppelte karolingische Verschwägerung der Liudolfinger. Durch die Ehe seiner Schwester Liutgard mit Ludwig dem Jüngeren und seiner Tochter Oda mit Zwentibold war Otto der Erlauchte, Heinrichs I. Vater, auf zweifache Weise mit den ostfränkischen Karolingern verbunden, und gerade die Ehe der Tochter hat eine Brücke nach Lotharingien geschlagen, vor dessen Ostgrenze der Liudolfinger über Einfluß und Besitz verfügte: So in Essen und Werden, aber auch bei Ruhrort, wo der durch Otto den Erlauchten dem Essener Stift übereignete Oberhof Beek zu lokalisieren ist Bei seiner für den 11. Mai 898 bezeugten Anwesenheit zu Aachen hat Otto der schwerwiegenden Entscheidung seines königlichen Schwiegersohnes beigewohnt, die dessen folgenreichen Bruch mit Reginar Langhals einleitete 12 , und er dürfte dem König auch zur Abtei Maastricht gefolgt sein, die dieser am übernächsten Tage Reginar entzog und dem Trierer Erzbischof Radbot restituierte. Hier ist nicht nur an die spätere Bedeutung Aachens für die Ottonen seit 936 bis zum denkwürdigen Besuch Ottos III. zu erinnern, den dieser im Jahre 1000 dem Grab und dem Thron Karls des Großen abstatten sollte 13, sondern auch schon an die Übertragung des Servatius-Kultes von Maastricht nach Quedlinburg, an eine Stätte, deren Bedeutung für Heinrich I. mit derjenigen Magdeburgs für seinen Sohn Otto verglichen werden kann. Dieser hat in der von ihm errichteten Mauritius-Kirche die letzte Ruhestätte gefunden, der Vater in der Stiftskirche auf
" H. B ü t t n e r und I. D i e t r i c h , Weserland und Hessen im Kräftespiel der karolingischen und f r ü h e n ottonischen Politik, Westfalen 30, 1952, S. 133-149; H. B e u m a n n , Einhard und die karolingische Tradition im ottonischen Corvey, ebd. S. 150-174 (wiederabgedr. in: H. B e u m a n n , Ideengeschichtliche Studien zu Einhard und anderen Geschichtsschreibern des früheren Mittelalters, 1962); Κ. Η a u c k , Paderborn, das Zentrum von Karls Sachsen-Mission 777 (wie Anm. 4); K. H o n s e l m a n n , Reliquientranslationen nach Sachsen, in: Das erste Jahrtausend, Textband 1, 1962, S. 159-193 m. Kartenskizze S. 161; vgl. audi Karte u n d Verzeichnis der Reliquientranslationen bei Κ. Η a u c k , Die fränkischdeutsche Monarchie und der Weserraum, in: Kunst und Kultur im Weserraum 800-1600, S. 120 f.; H. B e u m a n n , Die Stellung des Weserraumes im geistigen Leben des Früh- und Hochmittelalters, ebd. S. 144-160 sowie die dort S. 160 angef. Lit. 11 Η. B e u m a n n , König Zwentibolds Kurswechsel (wie Anm. 8) S. 36 Anm. 55; zur Ostgrenze Lotharingiens zuletzt H l a w i t s c h k a (wie Anm. 8) S. 16 m. Anm. 34. 12 Zu diesen Vorgängen K. H a u c k , Die Ottonen u. Aachen (wie Anm. 8) S. 48; H. B e u m a n n , König Zwentibolds Kurswechsel. 18
H. B e u m a n n , G r a b und Thron Karls d. Gr. zu Aachen, in: Karl d. Gr., Lebenswerk und Nachleben 4, 1967, S. 9-38, bes. S. 32 ff.
[18]
381
Die Bedeutung Lotharingiens
dem Quedlinburger Berg 1 4 , für die Servatius 937 als Patrozinium erwähnt wird Dieses geht also auf Heinrich I. zurück, der am 16. September 929 zu Quedlinburg sein Haus bestellte der Gattin Mathilde die Erbgüter zu Quedlinburg übereignete, seinen Sohn Otto zum Nachfolger bestimmte und den jüngsten, damals vierjährigen Sohn Brun der Kirche von Utrecht zur Erziehung übergab. Vorausgegangen war die Vermählung seiner Tochter Gerberga mit Giselbert, dem Herzog von Lotharingien aus dem Hause der Reginare, höchstwahrscheinlich im Sommer 928 zu Maastricht, wo Heinrich, die Entscheidung Zwentibolds von 898 durch einen Kompromiß korrigierend, der Übertragung der ServatiusAbtei an Giselbert auf Lebenszeit unter Vorbehalt der Trierer Rechte zustimmte Selbstbewußt urkundete Giselbert als Herzog von Gottes Gnaden und rector der Kirche von Maastricht ls , hierin Arnulf von Baiern vergleichbar 18 und wie dieser im Nachklang ursprünglich weitergehender, auf die Königswürde zielender Ansprüche 20 . Aus dem verwickelten Geflecht der Westpolitik jener Jahre 2 1 schält sich so ein kultgeschichtlicher Brückenschlag von der Herzlandschaft Niederlothringens zu dem neubegründeten Familienstift des ottonischen Hauses am Ostharz heraus. Wenn man davon ausgeht, daß die politische Integration primär ein Vorgang der Bewußtseinsbildung ist, so kann die Bedeutung von Reliquienübertragungen nicht hoch genug veranschlagt werden. Zahlreiche Translationen aus der Gallia hatte das Sachsenland bereits im 9. Jahrhundert erlebt 22 , so die des hl. Vitus von Saint-Denis nach Corvey 836 und, im gleichen Jahr, die des hl. Liborius von Le Mans nach Paderborn. Die Einholung der Vitus-Reliquien aus Saint-Denis, dem durch seine Königsnähe, ja als Grablege merowingischer Könige und des Königs Pippin ausgezeichneten Kloster, nach Corvey diente, wie es heißt, dem Heil des Sachsenlandes und seines Stammes 23 . Von Corvey aus ist der Vitus-Kult in das
"
C. E r d m a n n , Das Grab Heinrichs I., DA 4, 1941, S. 76-97; ders., Beiträge z. Gesch.
Heinrichs I., in: Sachsen u. Anhalt 17, 1941/43, S. 14-61 (beide Arbeiten wiederabgedr. in: ders., Ottonische Studien, hg. v. H. Beumann, 1968). 's C. E r d m a n n , Beiträge (wie Anm. 14) S. 30 f. ( = Ottonische Studien S. 99 f.). ' · K. S c h m i d , Die Thronfolge Ottos d. Gr., ZRG GA 81, 1964, 80-163, bes. S. 101 f. « Böhmer-Ottenthal,
Regesta Imperii II, 1 (künftig: BO), Nr. 2 2 b und 23; K.
H a u c k , Die Ottonen u. Aachen S. 50. '8 Gysalbertus 1 (
gratia dei dux rectorque
K. Reindel
s. Traiectensis
ecclesie.
BO Nr. 23.
in: Handbuch der Bayerischen Geschichte 1, hg. v. M. Spindler, 1^67,
S. 209 m. Anm. 4. 2» BO Nr. l a ; H. B ü t t n e r , Heinrichs I. Südwest- und Westpolitik, 1964, S. 14 m. Anm. 31; B e u m a n n ,
Einleitung (wie Anm. 6), S. VI.
21
Vgl. die eingehende Darstellung H. B ü t t n e r s
(wie vor. Anm.).
22
Vgl. die Anm. 10 gen. Zusammenstellung von K.
Hauck.
Translatio s. Viti c. S, hg. v. F. S t e η t r u ρ in: Abhandlungen über Corveyer Geschichtsschreibung, hg. v. F. Philippi, 1906, S. 84 f.; H o n s e i m a n n S. 175 ff.; B e u m a n n , Die Stellung des Weserraums S. 146 f. Spuren älterer missionarischer Impulse bereits des 8. Jahrhunderts aus Saint-Denis verfolgt K. H a u c k , Paderborn (wie Anm. 4). Als solche werden auch Dionysius- und Vitus-Patrozinien in Anspruch genommen (S. 119 ff.). 23
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östliche Sachsen gewandert Durch Widukinds lebendige Darstellung ist die Szene bekannt, in der Heinrich I. in den Jahren des Kampfes um Lotharingien von Karl dem Einfältigen, seinem Bonner Vertragspartner von 921, das Geschenk einer Hand des hl. Dionysius erhielt, zur Mahnung an das inzwischen von Heinrich gebrochene Bündnis 25 . Unübersehbar ist die Anspielung des Handreliquiars auf den geleisteten Bündniseid, die auch in Widukinds Worten anklingt, wenn seine Deutung auch im übrigen eine andere Wendung nimmt. Diesen Teil des einzigartigen Heiltums der fränkischen Bewohner Galliens, wie es ausdrücklich heißt, will Karl der Einfältige nach seinen eigenen Worten dem König Heinrich übereignen, nachdem der Märtyrer Vitus zum Unheil der Westfranken und zum ewigen Frieden der Sachsen die Saxonia aufgesucht habe; und wenn Widukind anschließend26 dem ottonischen Königshaus den Kult des hl. Vitus als desjenigen nahelegt, dem die europäische Hegemonie zu verdanken sei, so ist die Idee eines Reichspatrons auch durch die Gegenüberstellung der entsprechenden Funktion des westfränkischen Dionysius angedeutet. Zu den Patronen des Quedlinburger Hochaltars gehörte jedoch neben der Trinität, Maria, Johannes dem Täufer, Petrus, Stephanus und Servatius auch Dionysius Wieder liegt der Zusammenhang mit Heinrich I. und seinem Kampf um Lotharingien, der ihm diese Reliquie eingebracht hatte, nahe. Widukind hat es schließlich nicht versäumt, des Besuches zu gedenken, den Otto der Große 946 dem Kloster SaintDenis bei seinem Frankreichfeldzug abstattete: memoriam quoque Dyonisii martyris digne honorans veneratus est28. Im Damenstift zu Herford, der Schwester Corveys, war Heinrichs zweite Gemahlin Mathilde erzogen worden. Hier wurden Reliquien der hl. Pusinna bewahrt, die vor 862 aus Binson in der Diözese Chälons-sur-Marne überführt worden waren 29 . Der Kult Pusinnas gelangte von dort im 9. Jahrhundert nach Wendhausen bei Thale; das dortige Damenstift ist von der Königin Mathilde Quedlinburg unterstellt worden. Die Bezeugung des Kultes zu Quedlinburg selbst findet darin ihre natürliche Erklärung. Nach der hagiographischen Tradition gehört Pusinna zu den sechs Schwestern der hl. Liudtrud, deren Gebeine 860 in Niggenkerken bei Corvey niedergelegt worden waren so . Erzbischof Dietrich I. 2 4 B e u m a n n , Einhard u. d. karol. Tradition (wie Anm. 10) S. 153 ( = Ideengeschichtliche Studien S. 18), Anm. 38. Drübeck allerdings erst für 980 gesichert (DO II. 22S; vgl. auch P. K e h r , Vorbemerkung zu DLdJ. 26). Auch sonst bedarf die Zeitstellung der ostsächsischen Vitus-Patrozinien erneuter Prüfung. 25 Widukind, Sadisengeschidite I 33, hg. v. P. Hirsch und H.-E. Lohmann, 1935 (MGH SSRG, Schulausgabe), S. 45 f.; B ü t t n e r , Heinrichs I. Südwest- und Westpolitik, S. 29.
Μ I 34, S. 47 f. « E r d m a n n , Beiträge (wie Anm. 14) S. 30 ( = Otton. Studien S. 9 9 f . ) . 29 III 3, S. 107. 29 H o n s e l m a n n , S. 178 ff.; zum Folgenden H. B e u m a n n , Pusinna, Liudtrud und Mauritius. Quellenkritisches zur Geschichte ihrer hagiographischen Beziehungen, in: Ostwestfälisch-weserländische Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde, hg. v. H. Stoob (im Drude).
»•Honselmann
S. 1 8 5 f .
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von Trier ( 9 6 5 - 9 7 7 ) , der uns in anderem Zusammenhang wiederbegegnen wird, hat das Leben Liudtruds auf Grund einer verlorenen Prosa-Vita in lateinischen Versen behandelt 3 1 . Liudtrud hatte nach dieser Darstellung Reliquien des hl. Mauritius in Saint-Maurice-d'Agaune erworben und ihr Leben dem Kult dieses Heiligen in der von ihr selbst auf väterlichem Erbe in der Diözese Chälons-surMarne errichteten Kirche gewidmet. Fragt man nach der causa scribendi Dietrichs, so bietet sich daher die Rolle an, die Mauritius als vollends seit der Kaiserkrönung von Otto dem Großen besonders favorisierter Heiliger in dieser hagiographischen Tradition spielt. Ähnlichen Motiven könnte eine jüngst entdeckte, wohl ebenfalls noch in ottonischer Zeit in Frankreich entstandene Prosa-Vita der hl. Pusinna 3 2 ihre Entstehung verdanken, die sich bei näherer Prüfung als eine aus der Prosa-Vorlage Dietrichs abgeleitete und auf Pusinna umgeschriebene hagiographische Fälschung entpuppt, deren Urheber es darauf angekommen sein dürfte, an Stelle Liudtruds nunmehr Pusinna als Mauritius-Verehrerin erscheinen zu lassen. Der hl. Mauritius war der Spezialpatron Ottos des Großen, seiner Magdeburger Kirche, ja seines Reichs 3 3 . Ihm haben die Ottonen offenbar seit ihrer Erwerbung die Heilige Lanze zugeschrieben, ohne daß sich diese Deutung im 10. Jahrhundert bereits allgemein durchgesetzt hätte. Das eine wie das andere bestätigt Widukind von Corvey teils direkt, teils indirekt, wenn er die sacra lancea, die er in dieser Weise neutral bezeichnet, unter die Insignien einreiht, die Heinrich I. von seinem Vorgänger Konrad erhielt 3 4 , und damit die burgundische Provenienz bestreitet, die ihrerseits für den Zusammenhang des Objektes mit dem hl. Mauritius die Grundlage gebildet haben muß. Dieser Einstellung des Corveyer Geschichtsschreibers entspricht es, daß Widukind in den Jahren 967/68 der Widmungsredaktion seiner Sachsengeschichte die für das O h r der königlichen Äbtissin von Quedlinburg bestimmten Sätze einfügte, mit denen er den hl. Vitus als Reichspatron empfahl 3 5 , ohne daß er den Rivalen Mauritius dort, wo es zu erwarten gewesen wäre, audi nur genannt hätte 3 6 . Es verdient Beachtung, daß in den gleichen Jahren auf Ravennater Synoden der Magdeburger Plan Ottos des Großen seiner Vollendung entgegenging. Die Widmung der Sachsengeschichte an die Kaisertochter Mathilde zu eben diesem Zeitpunkt enthüllt den konkreten Bezug des nachdrücklichen Hinweises auf die politische Bedeutung des Corveyer Klosterpatrons.
31 Hg. ν. K. S t r e c k e r , MGH Poetae Iat. 5, 1937, S. 153-173. 8 2 B. de G a i f f i e r , La plus ancienne vie de sainte Pusinne de Binson honoree en Westphalie, Analecta Bollandiana 76, 1958, S. 188-223; Nachweis der Fälschung bei B e u m a n n (wie Anm. 29). 38 B e u m a n n , Kaisertum S. 553 ff. (Separatum S. 31 ff.). 8 4 I 25, S. 38. 8 8 I 34, S. 48. 8 8 B e u m a n n , Kaisertum S. 545 m. Anm. 5 (Separatausg. S. 23). Der Widmung Widukinds ist das Privileg Johannes' XIII. vom April 967 für Mathilde von Quedlinburg, JL 3716, gegenüberzustellen. Dazu W. O h n s o r g e , Die Anerkennung des Kaisertums Ottos I. durch Byzanz (Byz. Zs. 54, 1961, S. 35 f.); K e l l e r (wie Anm. 3) S. 383 m. Anm. 278.
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Ein solcher Geltungsanspruch des Corveyer Vitus-Kultes war nicht ganz unbegründet. Denn schon für die Zeit Heinrichs I. läßt sich Vitus auf der Prager Burg als eines der wenigen Indizien für eine Missionspolitik des ersten Sachsenherrschers nachweisen 37 . Die sächsische und auch Corveyer Herkunft späterer Präger Bischöfe 38 bestätigt diesen Zusammenhang. So haben Kultwanderungen aus der Gallia in die Germania auch noch in der ottonischen Zeit die Mission begleitet, ja ihre politische Bedeutung tritt erst jetzt recht eigentlich zutage. Was Widukind für den hl. Vitus postuliert, ist zu diesem Zeitpunkt für den hl. Mauritius, den Patron des mit einer Königspfalz 3 9 verbundenen Magdeburger Benediktinerklosters, das vor nunmehr 1000 Jahren in eine erzbischöfliche Kirche umgewandelt worden ist, längst durchgesetzt. Die Kultübertragung von Saint-Maurice nach Magdeburg steht im Zusammenhang mit Ottos Burgundpolitik, die bereits der Vater eingeleitet hatte. Nach Lotharingien weist die Herkunft der Magdeburger Mönche aus dem Trierer Kloster St. Maximin, dem auch Adalbert, der erste Magdeburger Metropolit, angehört hatte. Die Bedeutung Lotharingiens für die Kirchen- und Missionspolitik Ottos des Großen wird durch nichts stärker unterstrichen als durch die Stellung, die der Gründung des Magdeburger Erzbistums in der Gesamtkonzeption dieses Herrschers zukommt. St. Maximin war der wichtigste Ausgangspunkt der Gorzer Reform für das Reich 4 0 . Als ihr Förderer hatte Ottos Bruder Brun seit 953 den Kölner Erzstuhl inne und verkörperte durch die Verbindung des geistlichen Amtes mit einer politischen Funktion in einzigartiger Weise die Konzeption des ottonischen Reichskirchensystems in seiner frühen Phase, das regale sacerdotium41 nach der berühmten Formulierung seines Biographen Ruotger. Dessen Vita Brunonis kann als Niederschlag politischer Auffassungen des Gorzer Kreises in Anspruch genommen werden und steht mit der Hervorhebung eines imperialen Königtums Ottos des Großen in der Literatur dieses Kreises nicht allein 4 2 . Das lotharingische Mönchtum, das schon bei Heinrich I. Königsschutz und Königsnähe gesucht hatte 4 3 , tritt unter Otto als eine für die Ostmission und die Kaiseridee in gleicher Weise wirkende Kraft hervor, die der König in seinen Dienst zu nehmen wußte. Und wenn er dies bereits 937 bei der Einrichtung seines Magde-
s 7 A. H a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands 3/4, S. 191; W. W e g e n e r , Böhmen/ Mähren und das Reich im Hochmittelalter, 1959, S. 201 ff. Bis zur Gründung des Prager Bistums 976 unterstand die böhmische Kirche dem Bischof von Regensburg. Vgl. auch W. S c h l e s i n g e r , Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter 1, 1962, S. 23. >8 A. H a u c k , KG 3, S. 198 u. 266; W e g e n e r S. 209.
" W. S c h l e s i n g e r , Zur Geschichte der Magdeburger Königspfalz, Bll. f. dt. Landesgeschichte 104, 1968, S. 1-31. 4 0 K. H a l l i n g e r , Gorze-Kluny, 2 Bde. (Studia Anselmiana 22-25), 1950/51; Th. S c h i e f f e r , Cluniazensische oder gorzische Reformbewegung? Archiv f mittelrhein. Kirchengesch. 4, 1952, S. 24-44; B e u m a n n , Kaisertum S. 539 (Separatausg. S. 17). « Ruotgeri Vita Brunonis c. 20, hg. v. I. Ott (MGH SSRG NS 10), 1951, S. 19, 19. 4 2 F. L e t t e r , Die Vita Brunonis des Ruotger. Ihre historiographische und ideengeschichtliche Stellung (Bonner histor. Forschungen 9), 1958; K e l l e r (wie Anm. 3), passim. 4> H. B ü t t n e r , Verfassungsgeschichte und lothringische Klosterreform, in: Aus Mittelalter und Neuzeit, Festschr. G. Kallen, 1957, S 17-27; L ο 11 e r S. 67 und Anm. 14.
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burger Klosters tat, so hat er audi hier wie in so manch anderer Hinsicht an seinen Vater angeknüpft. Die umfassende politische Konzeption, die durch den Magdeburger Plan einer großzügigen kirchlichen Organisation für das östliche Missionsgebiet ebenso wie durch das Reichskirchensystem und die Kaiserpolitik charakterisiert worden ist, war bei der Gründung des Magdeburger Moritzklosters noch nicht in Sicht. Fragt man nach dem Charakter dieser ersten Maßnahme, so liegt der Vergleich mit dem Quedlinburg Heinrichs I. näher. Neben den lotharingischen Servatius tritt der burgundische Mauritius, der allerdings, was bisher übersehen worden ist, schon in einer Litanei des 8. Jahrhunderts aus der Zeit Papst Hadrians als Spezialpatron für Karls Sohn Pippin als Unterkönig von Italien dem hl. Martin als Patron Ludwigs für Aquitanien gegenübergestellt worden war 4 4 . Erst in den fünfziger Jahren, nach dem Aufstand Liudolfs und bei der Ungarnschlacht auf dem Lechfeld kommt das neue Konzept zum Durchbruch, doch geschah dies nicht unvorbereitet. Die Synoden von Ingelheim und Trier bilden 948 in mancher Hinsicht ein wichtiges Vorspiel 45 . Zum ersten Mal seit der Synode von Hohenaltheim 916 sehen wir einen päpstlichen Legaten auf deutschem Boden wirken4®. Marinus von Bomarzo, den Papst Agapit II. entsandt hatte, leitete nicht nur die beiden Synoden, auf deren Tagesordnung vor allem die strittigen Fragen der Besetzung des Reimser Erzstuhles und des französischen Thrones standen, er hat zugleich an der Einrichtung der Missionsbistümer Brandenburg und Havelberg mitgewirkt; und wenn bei dieser Synode die Bischöfe von Schleswig, Ripen und Aarhus als Anwesende zum ersten Mal genannt werden, so fassen wir damit die Anfänge einer großzügigen Missionspolitik von ihrer kirchenorganisatorischen
1 4 Litania Karolina, hg. v. O. Holder-Egger in: Einhardi Vita Karoli Magni, ed. sexta (MGH SSRG, Schulausg.), 1911, S. 46 f.; Text audi bei B. O p f e r m a n n , Die liturgischen Herrscherakklamationen im Sacrum Imperium des Mittelalters, 1953, S. 101; zur Datierung Ε. H. K a n t o r o w i c z , Laudes regiae, 1958 1 , S. 37, sowie P. C l a s s e n , Karl d. Gr., das Papsttum und Byzanz, in: Karl d. Gr., Lebenswerk und Nachleben 1, 1965 (audi erweiterte Sonderausgabe 1968), S. 583 Anm. 228; allgemein: R. E l z e , Die Herrsdierlaudes im Mittelalter, ZRG KA 40,1954, S. 201-223. α BO Nr. 166a und 169a; H. Z i m m e r m a n n , Ottonische Studien I. Frankreich und Reims in der Politik der Ottonenzeit, in: MIÖG Erg.-Bd. 20, 1, 1962, S. 135; H. F u h r m a n n , Die Synoden von Ingelheim, in: Ingelheim am Rhein, Forschungen und Studien zur Geschichte Ingelheims, hg. v. J. Autenrieth, 1964, S. 159 ff., bes. S. 163 f. m. Anm. 11 u. 12 (S. 172 f.); H. B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe Friedrich und Wilhelm und das Papsttum des 10. Jahrhunderts, in: Festschr. J. Bärmann Τ. 1 (Geschichtl. Landeskunde, hg. v. J. Bärmann, A. Gerlich und L. Petry 3), 1966, S. 1-26, bes. S. 7 ff. Als Indizien eines imperialen Anspruchs Ottos d. Gr. vor 962 sind ferner zu beachten: Der König handelt 951 in Italien potestate imperiali (Die Briefe Rathers von Verona, bearb. v. F. Weigle, MGH, Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 1, 1949, Nr. 7, S. 41, 15); der Augsburger Reidistag von 952 August 7 (BO Nr. 217 a); die Legation des Johannes von Gorze nach Cordoba 953 ff. (BO Nr. 231b); dazu K e l l e r (wie Anm. 3) S. 334 ff.
** O. E n g e l m a n n , Die päpstlichen Legaten in Deutschland bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, 1913, S. 94 f.
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Seite 4 '. Die Einschaltung des Papsttums durch den Legaten Marinus hatte sich zwar aus den Hauptagenden der Synoden, insbesondere durch die vorausgegangene Anrufung des Papstes seitens einer der streitenden Parteien Frankreichs, ergeben. Doch nun ergriff der König die Gelegenheit, Rat und Hilfe des Legaten für das Missionsprogramm in Anspruch zu nehmen. Dieses beschränkte sich schon damals nicht auf Jütland, sondern erstreckte sich auch auf die Gründung von Bistümern in Brandenburg und Havelberg noch im gleichen Jahre 4 8 . Auch hier hat sich der König des päpstlichen Legaten bedient. Der erste Kontakt Ottos mit der römischen Kirche in Sachen seiner Kirchenpolitik an der Slawengrenze war freilich auch dies nicht. Schon 941 bezeugt eines seiner Diplome für das Magdeburger Moritzkloster den päpstlichen Schutz, die Unterstellung des Klosters unter das Romanum mundiburdium Vorausgegangen war Erzbischof Friedrich von Mainz, der 937 durch Papst Leo VII. mit Privileg zum päpstlichen Vikar in der Germania bestellt wurde 50 . Damit erhielt die führende Stellung des Mainzer Metropoliten im Bereich des vormals ostfränkischen Reiches nicht nur die apostolische Anerkennung, sie wurde sozusagen kirchenpolitisch institutionalisiert. Das Haupt der größten Kirchenprovinz Deutschlands mußte dazu prädestiniert erscheinen, konnte sich aber obendrein auf die Mainzer Bonifatius-Tradition berufen, wie dies Friedrich nachweislich auch getan hat 5 1 . Als vicarius et missus . . . apostolicae sedis totius Cermaniae verfügte der Mainzer nunmehr über Vollmachten, die zu denen des Erzkanzlers (und des Erzkapellans) 52 hinzutraten. Mainz, bereits vom Fuldaer Annalisten des 9. Jahrhunderts metropolis Germaniae genannt5®, durfte einen solchen Anspruch jetzt in substantieller und inhaltlich scharf umrissener Weise vertreten. Die Festlegung des Geltungsbereichs auf die „ganze Germania" ent" Wie F u h r m a n n , Die Synoden von Ingelheim, S. 163 f. überzeugend darlegt, sind die Bischöfe Liafdag von Ripen, Horath von Schleswig und Reginbrand von Aarhus bei der Ingelheimer Synode geweiht worden. « D O I. 105 für Brandenburg von 948 Okt. 1 (BO Nr. 169); W. S c h l e s i n g e r , Bemerkungen zur sog. Stiftungsurkunde des Bistums Havelberg von 946 Mai 9, Jahrbuch f. d. Gesch. Mittel- und Ostdeutschlands 5, 1956, S. 1 - 3 8 (wiederabgedr. in: ders., Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, 1961, S. 413-446); ders., Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter 1, 1962, S. 294 (Anm. zu S. 22). « D O I. 37 ( = UBEM Nr. 5) von 941 Apr. 23. 5» JL 3631 = Mainzer Urkundenbuch 1, bearb. v. M. Stimming, 1932, Nr. 199; Ε. E. S t e n g e l , Primat und Archicancellariat der Abtei Fulda, ein Kapitel bonifatianischer Tradition, in: St. Bonifatius, Gedenkgabe zum zwölfhundertjährigen Todestag, 1954, S. 489 f.; H. B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe (wie Anm. 45) S. 2 ff. 51 S t e n g e l S. 489 m. Anm. 7; B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe S. 3. M J. F l e c k e n s t e i n , Die Hofkapelle der deutschen Könige 2 (Schriften der MGH 16/11), 1966, S. 22 m. Anm. 24. Zum unbestritten alleinigen Inhaber der beiden Hofämter wurde - nach einer langen Zeit des Schwankens - Wilhelm von Mainz freilich erst 965 nach dem Tode Bruns von Köln. W. E r b e n in: W. Erben, L. Schmitz-Kallenberg und O. Redlich, Urkundenlehre 1, 1907, S. 57; F1 e c k e η s t e i η S. 26 f. 5» Annales Fuldenses zu 719 und 852, hg. v. Fr. Kurze (MGH SSRG, Schulausg.), 1891, S. 2 u. 42; M. L u g g e , „Gallia" und „Francia" im Mittelalter (Bonner histor. Forschungen 15), 1960, S. 50 m. Anm. 231.
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hielt allerdings eine gravierende Einschränkung. Denn nach dem Sprachgebraudi der Zeit erstredete sich die Befugnis des Vikars f ü r die Germania nicht auf Lotharingien, das nach der karolingischen Sprachregelung zur Gallia gehörte und in ottonischer Zeit selbst als Gallia, als der gallische Teil des Reiches neben dem germanischen bezeichnet wurde 5 4 . Zur ottonischen Germania gehörte aber auch ebensowenig wie zur karolingischen Baiern d. h. die Kirchenprovinz Salzburg, da sich d a f ü r unter den Namen der alten römischen Donauprovinzen derjenige Noricums durchgesetzt hatte 5 5 . So brauchte das Mainzer Privileg von 937 die Erzbischöfe von Köln, Trier und Salzburg nicht zu kränken, betroffen war allenfalls der ferne Metropolit von Hamburg/Bremen, der als einziger Erzbischof, dem es an Suffraganen gänzlich fehlte, ohnehin nicht als ebenbürtig zu gelten vermochte M . Dabei ist es allerdings nicht geblieben. Privilegien der Päpste Agapit II. und Johannes XII. f ü r Friedrichs Nachfolger Wilhelm, den Königssohn auf dem Mainzer Stuhl, verbrieften den Vikariat in partibus totius Germaniae Galliaeque Die Ausdehnung der Vikariatsbefugnisse auf die Gallia könnte sogar schon zum Inhalt eines verlorenen Privilegs, das Friedrich von Papst Marinus II. (942-946) erhalten hatte, gehört haben 5 β . Zu den Vorrechten, die der Mainzer Metropolit gegenüber seinen sonst gleichrangigen Amtskollegen innerhalb des Reiches beanspruchte, gehörte auch die Krönung des Königs 5 e . Hier hatte es gerade im Vorjahr des ersten Mainzer Vikariatsprivilegs, bei der Aachener Krönung Ottos des Großen 936, zwischen den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln einen Streit gegeben. Nach dem Bericht Widukinds machte der Trierer das apostolische Alter seiner Kirche, die sozusagen vom hl. Petrus gegründet sei, der Kölner die Lage des Krönungsortes in seiner Kirchenprovinz geltend e o . Wie der Mainzer seinen Anspruch begründet hat, verrät unser Gewährsmann nicht' 1 . Immerhin hat er sich im wesentlichen durchgesetzt, doch wurde dem Kölner beim Akt der Salbung und Krönung eine Mitwirkung konzediert. Das Gewicht seines kirchenrechtlichen Argumentes dürfte den Ausschlag gegeben haben, aber es unterstreicht nur die starke Stellung
54 L u g g e S. 4 9 f . ; E. E w i g , Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts, i n : Spiegel der Geschichte, Festg. M. Braubach, 1964, S. 99-140, bes. S. 105 f. 68 E w i g (wie vorige Anm.) S. 104. · · F u h r m a n n (wie Anm. 45) S. 164. " JL Nr. 3668, Mainzer UB 1 Nr. 199; JL 3674, Mainzer UB 1 Nr. 200. ®8 Zum Deperditum des Marinus vgl. B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe S. 4 ff., der es f ü r möglich halten will, mit Gallia sei nicht bloß Lotharingien gemeint, sondern „der gesamte Raum der antiken Gallia", also „auch das westfränkisch-französische Reich". Die auf Frankreich ausgedehnte Befugnis habe die kirchenrechtliche H a n d h a b e f ü r Friedrichs Befassung mit dem Reimser Kirchenstreit gebildet.
· · Grundlegend hierzu U. S t u t z , Der Erzbischof von Mainz und die deutsche Königswahl, 1910. «o Widukind II 1, S. 65 f. el . . . cessit tarnen uterque eorum Hildtberhti cunctis notae almitati
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des Mainzer Rivalen, wenn dieser ohne vergleichbare Rechtsgründe die Vorhand behielt. Der Verlierer war Trier, und vielleicht hat dieser Vorfall der Trierer Kirche das Motiv gegeben, die Legende ihrer apostolischen Provenienz in der Folge literarisch auszubauen und um die Fiktion des babylonischen Alters der Stadt zu ergänzen e2 . Jedenfalls zeigt der Aachener Streit um das Krönungsrecht die Bedeutung, die bei einer Frage nieht bloß protokollarischen Charakters neben kirchenrechtlichen Argumenten wie dem der örtlichen Zuständigkeit den auf Alter und Tradition gegründeten Rangansprüchen beigelegt worden ist. Die Ausweitung des Mainzer Vikariats auf die Gallia und damit auf Lotharingien scheint allerdings dem Inhaber dieser Befugnis bei der nächstfolgenden Aachener Krönung keinen erkennbaren Vorsprung vor den lotharingischen Kollegen gebracht zu haben. Denn bei der Krönung Ottos II. zum Mitkönig im Mai 9 6 1 " unmittelbar nach einem großen, wegen der bevorstehenden Romfahrt abgehaltenen Wormser Reichstag 64 sehen wir diesmal sogar ausdrücklich alle drei rheinischen Metropoliten an der Weihe- und Krönungshandlung beteiligt. Eine erneute Kontroverse, die in einem weitergehenden, auch den Trierer Erzbischof einschließenden Kompromiß endete, ist zu vermuten. Man wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß Weihe und Salbung des Königs, die 936 in betonter Weise neben die weltlichen Handlungen von Wahl, Huldigung und Thronsetzung getreten Waren, zugleich den Testfall für die Frage bildeten, wem die Spitzenstellung unter den Kirchenfürsten des Reiches zukam. Schon die Ämter des Erzkapellans und Erzkanzlers mochten dabei ins Gewicht fallen, doch gehörte die Tätigkeit dieser Amtsträger zum servitium regis im weiterea Sinne. Es handelte sich um Hofämter, die zwar von Geistlichen wahrgenommen wurden, doch ging das Licht, das diesen Ämtern den Glanz verlieh, einseitig vom König aus 95 . Eine Verbindung der Krönungsbefugnis mit diesen Ämtern, etwa dem des Erzkapellans, konnte nicht in Frage kommen. Auch trat die endgültige Personalunion dieser vornehmsten Hofämter mit dem Mainzer Erzstuhl erst 965, nach dem Tode Bruns von Köln, ein. Doch gerade die Symbiose von Königtum und Kirche, die in der vorgregorianischen Ordnung auf eine Integration der Kirche in den politischen Verband des Reichs hinauslief, schuf Bedingungen, unter denen die Frage einer Anpassung der kirchlichen Organisation an die politische möglich wurde, ja sich aufdrängen konnte. Kongruenz von politischer und kirchlicher Gliederung hatte die spätantike civitas gekannt. Der Begriff Diözese begegnet auch in der diokletianischen Verwaltungsreform, und ·* E. W i n h e l l e r , Die Lebensbeschreibungen der vorkarolingischen Bischöfe von Trier, 1935, S. 40; E. E w i g , Kaiserliche und apostol. Tradition im mittelalterlichen Trier, Trierer Zs. 24-26, 1956/58, S. 147-186, dort S. 160 ff. zur apostol. Tradition; R T K o m a s , Studien zur Trierer Geschichtsschreibung des 11. Jahrhunderts, insbesondere zu den Gesta Tr»verorum (Rhein. Archiv 68), 1968. ·» BO Nr. 299 a. " BO Nr. 297 a. 65 Siehe oben S. 23 Anm. 52.
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wenn Pseudo-Isidor im 9. Jahrhundert den Rang kirchlicher Metropolen und Primate solchen Plätzen vorbehält, die schon in heidnischer Zeit politische und kultische Zentralen gewesen waren M , so lag dem einerseits die Erinnerung an tatsächliche Verhältnisse zugrunde, anderseits wurde die Restaurierung der von PseudoIsidor beschriebenen alten kirchlichen Ordnung nahegelegt 97 . Dem pseudoisidorischen Postulat entsprach der Titel eines Erzbischofs von Pannonien, der für den Slawenmissionar Methodius bald nach dem Erscheinen Pseudo-Isidors belegt ist und der in fiktiver Weise an die einstige politische und kirchliche Stellung Sirmiums anknüpfte®8. Damit ist die Nennung Adalberts von Passau in den Akten der Ingelheimer Synode von 948 als Bischof von Lauriacum-Lorch zu vergleichen Zugrunde lagen hier die Nachrichten der Vita Severini über Lorch und Passau aus der Endphase des römischen Noricum ripense70. In der Zeit Ottos II. hat Pilgrim von Passau diesen Ansatz mit Hilfe kühner Urkundenfälschungen kräftig ausgebaut, um in Rivalität zu Salzburg seiner Kirche den Rang einer Metropole und zugleich der für Ungarn zuständigen Missionszentrale zu gewinnen Ähnliche Wege hat in nahezu der gleichen Zeit, nämlich vor 969, die Trierer Kirche mit der Fiktion des Silvester-Privilegs und mit der EuchariusVita beschritten 7t . Dem Ziele einer Anpassung der kirchlichen Organisation an die politische vermochten freilich solche Anknüpfungen an römerzeitliche oder missionszeitliche Verhältnisse oder Traditionen nicht in jedem Falle zu dienen. In der Regel mußte vielmehr der sozusagen restaurative Versuch, Ansprüche der eigenen Zeit im ω Η. F u h r m a n n , Studien zur Geschichte mittelalterlicher Patriarchate II, ZRG KA 40, 1954, S. 22. •7 H. F u h r m a n n , Konstantinische Schenkung und abendländisches Kaisertum (DA 22, 1966, S. 63-178), S. 170 ff. An den locus classicus Ps.-Isidors (Decretales Ps.-Isidorianae, hg. v. Hinschius, Ps.-Clemens c. 28, S. 39): In Ulis vera civitatibu s, in quibus olim apud ethnicos primi flamines eorum atque primi legis doetores erant, episcoporum primates poni vel patriarchas . . . constituerunt apostoli knüpfen in Magdeburg die Gesta archiepiscoporum sowie die Narratio über die Entstehung des Erzbistums im Entwurf einer Papsturkunde v. Ende des 10. Jh.s unmittelbar an: Gesta c. 9, MGH SS 14, S. 381, 33: Preterea statuit (sc. Johannes papa), . . . ut secundum desiderium imperatoris in hiis civitatibus, in quibus olim barbari[ci] ritus maxima viguit superstitio, id est (Katalog der Suffraganbistümer) in honore domini episcopia fundarentur . . .·, UBEM Nr. 130, S. 184: . . . a piissimo Ottone decretum est, ut... in civitatibus, in quibus olim barbarici ritus maxima viguit superstitio, . . . episcopia fundarentur.
·» E. D ü m m l e r , Gesch. d. ostfränkischen Reiches 2, 2. Aufl. 1887, S. 263; K. R e i η d e 1 in: Handbudi der Bayerischen Gesch. 1, 1967, S. 198 f.; Κ. Β ο s 1, Das großmährische Reich in der polit. Welt des 9. Jahrhunderts (Bayer. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Klasse., SB 1966 H. 7), S. 1 4 f . m. Anm. 30; V. B a r t u n e k , Leben und Wirken der Heil. Cyrill und Method, in: Sancti Cyrillus et Methodius, Leben und Wirken, Praha 1963, S. 29. «· BO Nr. 166 a. 7 0 E. Z ö l l n e r , Die Lordier Tradition im Wandel des Jahrhunderts, MIÖG 71, 1963, S. 221-236. 7 1 H. F i c h t e n a u , Zu den Urkundenfälschungen Pilgrims von Passau, Mitt. d. Oberösterr. Landesarchivs 8, 1964, S. 81-100; H. B ü t t n e r , Erzbischof Willigis von Mainz und das Papsttum bei der Bistumserrichtung in Böhmen und Mähren im 10. Jh., Rhein. Vierteljahrsbll. 30,1965, S. 6 u. 10 ff. 7 1 E. W i η h e 11 e r (wie Anm. 62), S. 40.
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Die Bedeutung Lotharingiens
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Rahmen einer total veränderten Welt auf obsolete Verhältnisse zu begründen, eher zum Scheitern verurteilt sein. Bezeichnenderweise endete der Erzbischof Methodius von Pannonien als Erzbischof von Mähren, blieben die ähnlich begründeten Ambitionen der Kirchen von Passau und Trier erfolglos. Schon dieser unvollständige Überblick lenkt die Aufmerksamkeit auf einen weiteren für die Rivalitäten ottonischer Reichskirchen offenbar relevanten Gesichtspunkt: Die Zukunft dieses Reiches und seiner Kirchen lag auf dem Felde der Mission. In welchem Maße das Missionsfeld konkurrierende Kräfte auf den Plan zu rufen vermochte, hatte schon die Salzburger Kirche als älteste Missionsmetropole des deutschen Reichs immer wieder erfahren müssen: Vielleicht schon in den Tagen Virgils mit der Konkurrenz von Herrenchiemsee bei der Karantanenmission 7 S , sodann als Metropole in der Auseinandersetzung mit Aquileja 7 4 , später im Kampf gegen Methodius und - nach einem weiteren Jahrhundert - mit Pilgrim von Passau. Das Missionsfeld eröffnete einerseits die in umfassenden Ausbaumöglichkeiten liegende Chance, vermochte jedoch anderseits auch Konflikte heraufzubeschwören, und gerade eine erfolgreiche Missionszentrale setzte sich schließlich der Gefahr aus, daß sich das von ihr erschlossene, ausgebaute und konsolidierte Missionsgebiet von der Mutterkirche emanzipierte. Salzburg hat mit bemerkenswertem Erfolg wenigstens in Kärnten solchen Möglichkeiten einen energischen Riegel vorgeschoben, indem es dort kein vollberechtigtes Suffraganbistum zuließ 7 5 . Doch dies ist Ausnahme geblieben. Schon ein flüchtiger Blick auf das gesamte im Norden und Osten dem Reich vorgelagerte Missionsgebiet lehrt, daß der normale Gang der Dinge ein anderer war. Der Errichtung einer erzbischöflichen Missionszentrale in Magdeburg hat Ottos eigener Sohn Wilhelm als Erzbischof von Mainz schon beim ersten Auftauchen des Planes im Jahre 955 leidenschaftlichen Widerstand entgegengesetzt, und zwar mit ausdrücklicher Berufung auf seine Befugnisse als apostolischer Vikar 7 ®. Der Kaiser hat sich hier als der Stärkere durchgesetzt. Es ist jedoch bezeichnend für das trotz dieses Rückschlages ungeminderte Interesse der Mainzer Kirche an der Ostmission, wenn wir wenige Jahre nach dem Tode Ottos des Großen die Unterstellung des 976 gegründeten Bistums Prag unter die Mainzer Kirche beobachten können Doch auch die zunächst siegreiche Elbmetropole mußte das Schicksal ihrer ursprüng-
7 8 Conversio Bagoariorum et Carantanorum, hg. v. M. Kos, Ljubljana 1936, c. 4, S. 130. Auf diese in einer Marburger Seminarübung während des Sommer-Semesters 1967 behandelte Frage hoffe ich an anderer Stelle eingehen zu können. 7 4 K. R e i η d e I , Bayern im Karolingerreich, in: Karl d. Gr., Lebenswerk und Nachleben 1, 1965, S. 240; H. B ü t t n e r , Mission und Kirchenorganisation des Frankenreiches, ebd. S. 485. 7 5 Privileg P. Alexanders II. von 1070 März 21, JL 4673; J. O b e r s t e i n e r , Das Bistum Gurk in seiner Entwicklung und in seiner reichs- und kirchenrechtlichen Stellung (österr. Archiv f. Kirchenrecht 8, 1957, S. 185-208); W. S e i d e n s c h n u r , Die Salzburger Eigenbistümer in ihrer reichs-, kirchen- und landrechtlichen Stellung, ZRG KA 9 , 1 9 1 9 , S. 177-287.
7« Brief Wilhelms an Papst Agapit II. von 955, J a f f i , Bibliotheca 3, S. 347 Nr. 18; H. B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe (wie Anm. 45) S. 15 ff.; K e l l e r (wie Anm. 3) S. 363 f. ™ H. B ü t t n e r , Erzbischof Willigis (wie Anm. 71).
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Die Bedeutung Lotharingiens
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lichen Rivalin teilen, als im Jahre 1000 mit Unterstützung Ottos III. die polnische Kirche ihr eigenes Erzbistum erhielt und sich so von Magdeburg zu emanzipieren vermochte 78 . Der gleiche Vorgang folgte auf dem Fuße in Ungarn auf Kosten Salzburgs 79 . Berühmt geworden sind die verzweifelten Anstrengungen Erzbischofs Adalberts von Bremen, der sich bereits deutlich abzeichnenden Emanzipation seines skandinavischen Missionsfeldes durch die Errichtung eines nordischen Patriarchats mit Sitz in Hamburg vorzubeugen 80 . Im Widerstand gegen drohende Verluste solcher Art erkennen wir wie im Spiegel nochmals die Bedeutung, die der Mission für Rang, Ansehen und Einfluß zugeschrieben wurde. Dies gilt auch für den König selbst. Denn die mit der Kaiserwürde verbundene Rangerhöhung hat Papst Johannes XII., gewiß durch den Kaiser dazu inspiriert, auf Ottos Erfolge im Heidenkampf und in der Mission zurückgeführt 81 . In diesem Zusammenhang ist eine Gruppe päpstlicher Privilegien von Interesse, mit denen den Metropoliten von Magdeburg, Trier und Mainz in den Jahren 9 6 8 - 9 7 5 der Primat, also der Vorrang vor allen Bischöfen und Erzbischöfen eines bestimmten Bereichs, verliehen worden ist. Der Geltungsbereich des Primats erstreckte sich auf die Germania oder die Germania und Gallia, also auf das Reich. Es handelt sich um ein sehr kurzlebiges Phänomen, deutlich geschieden von den älteren Vergleichsfällen 82 , aber auch von den Primaten des Reformzeitalters 83 . Die ottonenzeitlichen Primatsprivilegien sind gerade in jüngster Zeit mehrfach erörtert worden, bilden jedoch nach wie vor ein ungelöstes Problem, bei dem quellenkritische und sachliche Fragen ineinandergreifen. Die bisherigen Untersuchungen haben sich zumeist in isolierender Betrachtungsweise auf einen einzelnen Empfänger bezogen 8 4 . Es soll versucht werden, durch eine
B ö h m e r - M . U h l i r z , Regesta Imperii, Otto III., 1956, Nr. 1349 e. ' · M. U h l i r z , Otto III. (Jahrbücher des deutschen Reiches), 1954, S. 572-582. 8 0 H. F u h r m a n n , Studien zur Gesch. mittelalterl. Patriarchate III, darin: Der Patriarchatsplan Adalberts von Bremen, ZRG KA 41,1955, S. 120-170, 177 f.; ders., Provincia constat duodecim episcopatibus, zum Patriarchat6plan Erzbischof Adalberts von Hamburg-Bremen, in: Studia Gratiana 1 1 , 1 9 6 7 (Collectanea Stephan Kuttner I), S. 389-404. 78
«1 JL 3690; UBEM Nr. 28; Β e u m a η η , Kaisertum S. 552 f. (Separatausg. S. 30 f.). 8 2 H. S c h m i d t , Trier und Reims in ihrer verfassungsgeschichtlichen Entwicklung bis zum Primatialstreit des 9. Jahrhunderts, ZRG KA 18, 1929, S. 1 - 1 1 1 ; J. H e y d e n r e i c h , Die Metropolitangewalt der Erzbischöfe von Trier bis auf Baldewin (Marburger Studien z. älteren deutschen Geschichte II, 5), 1938, S. 113 ff.; W. L e ν i s ο η , Die Anfänge rhein. Bistümer i. d. Legende, in: ders.. Aus rhein. u. fränk. Frühzeit, 1948, S. 22 ff.; F u h r m a n n , Studien II, ZRG KA 40, 1954, S. 1 - 8 4 ; E w i g , Kaiserl. u. apostol. Tradition (wie Anrti. 62) S. 169 ff. F u h r m a n n , Studien III, ZRG KA 41,1955, S. 1 0 7 f f . Ρ. Κ e h r , Das Erzbistum Magdeburg und die erste Organisation der christlichen Kirche in Polen (Abhh. Preuß. Ak. d. Wiss. 1920, phil.-hist. Klasse Nr. 1); Ο. Ο ρ p e r m a n n , Rhein. Urkundenstudien 2, Groningen 1951, S. 139-148; Zum Mainzer Primat vgl. B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe (wie Anm. 45) sowie dens., Erzbischof Willigis von Mainz und das Papsttum (wie Anm. 71) S. 1 ff.; vergleichende Würdigung bei Ε. E. S t e η g e 1, Primat und Archicancellariat der Abtei Fulda (wie Anm. 50); Ε. Ε w i g , Kaiserliche und apostol. Tradition im mittelalterl. Trier (wie Anm. 62); F u h r m a n n , (wie Anm. 83) S. 104 ff.; ders., Konstantinisdie Schenkung und abendländisdies Kaisertum (wie Anm. 67) S. 165 ff.; ders., 88
84
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Die Bedeutung Lotharingiens
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zusammenhängende Betrachtung der ganzen Gruppe Licht in das Dunkel zu bringen. Dabei kann von Trier ausgegangen werden. Vom Trierer Silvesterprivileg und der Eucharius-Vita war bereits die Rede Beide sollten das apostolische Alter der Trierer Kirche dokumentieren, und es ist kaum zu bezweifeln, daß sie zur Erlangung eines Privilegs Papst Johannes XIII. für Erzbischof Dietrich vom Jahre 9 6 9 8 6 vorgelegt worden sind. Der Papst bestätigt hier zunächst auf Grund solchen Materials, daß die Trierer Kirche dank der Wirksamkeit der Apostelschüler Eucharius, Valerius und Maternus als älteste Galliens anzuerkennen sei. Auf Grund der nachgewiesenen Tradition 8 7 wird alsdann der Rang des Trierer Metropoliten festgelegt. Dies geschieht in einer eigentümlichen Kasuistik: Sofern ein apostolischer Legat gleich welchen Weihegrades in kirchlichen Geschäften oder zur Abhaltung einer Synode nach Gallien und Germanien entsandt wird, soll der Trierer Erzbischof nächst diesem Legaten unter allen Bischöfen den ersten Platz innehaben, andernfalls soll er nach dem Kaiser oder König sitzen und die Befugnisse eines Vorsitzenden wahrnehmen, sozusagen wie ein für diese Gebiete, also wohl für Gallien und Germanien, eingesetzter apostolischer Vikar 8 8 . Niemand hat bisher bezweifelt, daß mit diesen Umschreibungen dem Trierer Erzbischof der Primat in der Gallia und Germania und somit der Vorrang vor allen Bischöfen und Erzbischöfen des ottonischen Reiches mit Ausnahme vielleicht von Salzburg verliehen werden sollte 8 9 . Umstritten ist allerdings die EchtPseudo-Isidor in Rom vom Ende der Karolingerzeit bis zum Reformpapsttum (Zs. f. Kirchengesch. 78, 1967, S. 15-66), S. 36 ff.; C. G. F ü r s t , Cardinalis, Prolegomena zu einer Rechtsgeschichte des römischen Kardinalskollegiums, 1967, S. 146 ff. (Magdeburg), 186 f. (Trier); W. S c h l e s i n g e r , Zur Geschichte der Magdeburger Kdnigspfalz (Bll. f. dt. Landesgesch. 104, 1968, S. 1-31), S. 25 ff. Siehe oben S. 26. 8« JL 3736 von 969 Jan. 25; Druck: B e y e r , Mittelrhein. UB 1, 1860 (künftig: MUB), S. 288 Nr. 232. Uberlieferung: Einzelkopie des 11. Jh.s auf Pergament im Staatsarchiv Koblenz (Fotokopie im Forschungsinstitut Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden, Marburg a. d. L., Ε 2306); Gesta Treverorum, Hss.-Klasse C = Wyttenbach-Müller 1, S. 107 ff., vgl. MG Η SS 8, S. 169 Ν. * 1; Regest: H e y d e n r e i c h s . 151 Nr. 59; zum Zusammenhang des Privilegs mit dem Silvesterprivileg und der Euchariusvita: W i n h e l l e r S. 44 f.; E w i g S. 163 ff. 85
8 7 Daß dabei auch die im Privileg nicht erwähnte Trierer Helenatradition eine Rolle gespielt hat, folgert E w i g , Kaiserl. u. apostol. Tradition, S. 148 f., aus der Schenkung der römischen Cella IV coronatorum an EB. Dietrich unter dem 18. Jan. 975 (JL 3779, MUB 1 Nr. 247 [dort irrig zu 976]). Vgl. jedoch unten Anm. 102. 88 . . . decernentes, ut quandocumque a nostra principah et apostolica sede episcopus, presbiter vel diaconus vel subdiaconus sive quilibet Ordinarius legatus pro fcclesiasticf utilitatis causa seu pro agenda sinodo in Galliam Germaniamve destinatus fuerit, Treverensis presul post eundem apostolicum legatum primum inter alios pontifices locum obtineat; et si missus Romany fcclesif defuerit, similiter post imperatorem sive regem sedendi, sententiam edicendi et sinodale iudicium canonicf promulgandi primatum habeat, utpote in illis partibus vicarius nostrf sedis apostolicf merito constitutus.
8» Dies hängt von dem Grade der Bestimmtheit ab, mit dem die Worte in illis partibus auf den vorher genannten Legatensprengel bezogen werden können. Es ist zu vermuten, daß eine Bestimmtheit hier absichtlich vermieden worden ist. Vgl. auch Anm. 102.
[30]
Die B e d e u t u n g L o t h a r i n g i e n s
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h e i t d e r U r k u n d e , u n d g e r a d e in j ü n g s t e r Z e i t ist sie m i t B e r u f i m g a u f O p p e r m a n n e r n e u t a n g e z w e i f e l t w o r d e n D o d i selbst O p p e r m a n n h a t in seiner einschlägigen S t u d i e m e h r G r ü n d e f ü r die E c h t h e i t b e i g e b r a c h t , als i h m vielleicht lieb w a r
u n d E u g e n E w i g h a t die v e r b l e i b e n d e n B e d e n k e n e n t k r ä f t e t " 2 . F ü r die
A u t h e n t i z i t ä t s p r e c h e n nicht z u l e t z t die e r h a l t e n e n N a d i u r k u n d e n . N a c h i h n e n h a t n o c h E r z b i s c h o f D i e t r i c h selbst v o n d e n b e i d e n N a c h f o l g e r n J o h a n n e s ' X I I I . , Benedikt VI. und Benedikt VII., 9 7 3 " und 9 7 5 beide wiederholen
den T e x t v o n 9 6 9
M
je eine Bestätigung eingeholt;
nahezu wörtlich, mit A u s n a h m e
einer
g r ö ß e r e n E r w e i t e r i m g i m d r i t t e n P r i v i l e g v o n 9 7 5 , die z u d e n V o r r e c h t e n d e r T r i e r e r M e t r o p o l i t a n k i r c h e u n d ihres H a u p t e s d e n G e b r a u c h e i n e r R e i t d e c k e (naccutri)
purpurnen
s o w i e des V o r t r a g e k r e u z e s , b e i d e s nach d e m V o r b i l d R a v e n -
n a s , f e r n e r ein K a r d i n a l s k o l l e g i u m h i n z u f ü g t . D o c h auch h i e r reichen die b i s h e r w e g e n d i e s e r B e s t i m m u n g e n e r h o b e n e n E i n w ä n d e nicht a u s , d a s Stüde in F r a g e z u s t e l l e n , δ . B e n e d i k t V I I . h a t a u ß e r d e m d e r T r i e r e r K i r c h e a m gleichen T a g e die
9 0 F ü r s t , Cardinalis (wie Anm. 84) S. 186 f., in erster Linie mit Bezug auf die bestätigende Nachurkunde Benedikts VII. von 975 Jan. 18 (JL 3783) und die dort hinzutretenden Bestimmungen über die Kardinalkleriker. Fürst stützt sich jedoch auf das sämtliche Trierer Primatsprivilegien betreffende Verdikt Oppermanns, wenn auch mit unverkennbarer Zurückhaltung, sowie auf die krit. Rezension von J. R a m a c k e r s , HZ 179, 1955, S. 116-121.
Rhein. Urkundenstudien 2 (wie Anm. 84) S. 147 ff. »2 Kaiserl. u. apostol. Trad. S. 1 8 3 f . ; vgl. auch F u h r m a n n , ZRG KA 41, 1955, S. 105 Anm. 37. »» JL 3768; Überlieferung: Gesta Treverorum, Hss.-Kl. C (Waitz, MGH SS 8, S. 126 f.), hg. v. H. Wyttenbach u. M. F. J. Müller, 1, 1836, S. 103-106 (dies gegenüber Mansi 19, S. 45-48, der bessere Text); Reg.: H e y d e n r e i c h S. 151 Nr. 60. »< JL 3783; Η e y d e η r e i c h S. 151 Nr. 61; MUB 1, S. 302 Nr. 246 (unvollständig); J. N. v. H o n t h e i m , Historie Trevirensis diplomatica et pragmatica 1, 1750, S. 312 ff.; Μ i g η e , PL 137, S. 320 ff.; Überlieferung: Einzelkopie des 10./11. Jh.s im Staatsarchiv Koblenz (Fotokopie i. Forschungsinstitut Lichtbildarchiv ält. Originalurkunden, Marburg a. d. L., Ε 2253). 8 5 F ü r s t S. 187 macht geltend, daß ζ. Ζ. P. Benedikts VII. Ravennater Kardinäle noch nicht nachzuweisen seien. Ein voll ausgebildetes Kardinalskapitel habe es in Ravenna erst um 1100 gegeben. F ü r s t zitiert jedoch selbst S. 165 m. Anm. 10 u. 11 eine Ravennater Synodalurk. v. 998 (et subscribentes confirmaverunt episcopi qui aderant et presbyteri cardinales ecclesiae Ravennatis, Mansi 19, S. 221 B) sowie einen Theobaldus Dei gratia presbyter sanetae Ravennatis ecclesiae cardinalis, bezeugt in einem Judikat von 1016 Apr. 30. Nur die individuelle Nennung von 1016 wird von F. akzeptiert, die zu 998 gen. presbyteri cardinales ohne einleuchtende Gründe als Interpolation ausgeschaltet. Wenn, wie F. voraussetzt, das Trierer Privileg von 975 im Falle seiner Echtheit als Beleg für ein Ravennater Kardinalskollegium genommen werden müßte, so wären die Belege zu 998 und 1016 als davon unabhängige Bestätigung anzusehen, ja die Zeugnisse stützten einander gegenseitig. Es ist jedoch zu beachten, daß sich Benedikt VII. im Trierer Privileg nur für naccum und Vortragekreuz auf Ravenna beruft, nicht auch für die Kardinalkleriker. Daß dieses Privileg auch für Ravenna solche voraussetzt, läßt sich allenfalls indirekt erschließen: Die Trierer Kardinalkleriker sollen Theoderico ardiiepiscopo missam celebrante Dalmatiken und Sandalen tragen; vorher heißt es von der Ravennater und der Trierer Kirche: in missarum solemniis celebrandis, in equitando cum nacco stationes et in omni honore äquales existant. Geht man von den Ravennater Kardinalsbelegen aus, kann man getrost annehmen, der Text von 975 wolle auch die Kardinalkleriker zu den Merkmalen der aequalitas rechnen. Eine solche extensive Auslegung wäre jedoch unstatthaft, wenn in Ravenna ein Kardinalskollegium erst um 1100 angenommen werden könnte. In 81
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Die B e d e u t u n g L o t h a r i n g i e n s
Cella q u a t u o r c o r o n a t o r u m
eine der stadtrömischen Titelkirchen
[31] übereignet,
als A b s t e i g e q u a r t i e r für d e n apostolischen Q u a s i - V i k a r v o n T r i e r , der hier nun o h n e U m s c h w e i f e u n d nachdrücklich als I n h a b e r des P r i m a t e s u n d als V i k a r in der Gallia u n d G e r m a n i a bezeichnet w i r d " . V e r l o r e n ist eine Bestätigung des P r i m a t e s durch Benedikt VII. für Erzbischof E k b e r t ( 9 7 7 - 9 9 3 ) , die
demnach
9 7 7 - 9 8 3 einzuordnen w ä r e · · . D i e R e f o r m p ä p s t e L e o I X . 1 0 0 u n d V i k t o r
II.101
h a b e n den T r i e r e r Erzbischöfen beide Privilegien bestätigt, d a s Primatsprivileg allerdings m i t der b e m e r k e n s w e r t e n ausdrücklichen Einschränkung des G e l t u n g s bereichs auf die Gallia
Belgica102,
in o f f e n k u n d i g e r Rücksichtnahme
auf
die
diesem Falle hätte Benedikt VII. einen sachlichen Grund gehabt, bei der Erwähnung der Kardinäle das Ravennater Vorbild nicht zu nennen. ·« JL 3779; Überlieferung: Gesta Treverorum, Hss.-Kl. C (Wyttenbach/Müller 1, S. 109) sowie im Balduineum 1 des STA Koblenz (danach MUB 1 S. 303 f. Nr. 247); Migne PL 137 Sp. 318. »? H.-W. Κ1 e w i t ζ , Die Entstehung des Kardinalskollegium (ZRG KA 25, 1936, wiederabgedr. in: ders., Reformpapsttum und Kardinalkolleg, 1957 [danach zitiert]), S. 58; R a m a c k e r s (wie Anm. 90) S. 120 meldet audi gegenüber diesem Stück Zweifel an, vgl. unten Anm. 102. •8 . . . rtosse volumus de sancta fratris nostri Theoderici s. Treverensis ecclesif archiepiscopi primatisque nostra predecessorumque nostrorum ab exordio christianitatis per b. Petrum constitutione tocius Gallif ac Germanif . . . devotione. - fratri nostro Theoderico Treverensis ecclesif archiepiscopo vicarioque nostro carissimo in partibus totius Gallif et Germanif. - . . . eidem fratri nostro Theoderico s. Treverensis ecclesif archiepiscopo digmssimoque nostro vicario in partibus totius Gall if et Germanif. »» Zu erschließen aus JL 4158 = MUB 1 Nr. 329. E w i g , Kaiserl. u. apostol. Trad. S. 181 m. Anm. 127. 100 1049 Apr. 13. JL 41S8; Η e y d e η r e i c h S. 152 Nr. 83; MUB'l Nr. 329 (mit einer Textauslassung unter falschem Verweis auf JL 3736 = MUB Nr. 232, statt auf JL 3783); Η ο η t h e i m l S . 386f. (nicht wortgetreu und stark gekürzt); vollständiger Text: W y t t e n b a c h / M ü l l e r l , S. 145-150; Überlieferung: Einzelkopie im STA Koblenz (Fotokopie im Marburger Lichtbildarchiv, E. 2279 = 5196). Daraus der Druck im MUB; Gesta Treverorum, Hss.-Kl. C (Daraus Wyttenbach/Müller). Incipit: Aeternum divinae dispensations consilium. Die Unterschriftenliste hält kritischer Prüfung stand. Die Varianten der Einzelkopie verdienen durchweg gegenüber der literarischen Überlieferung den Vorzug. - Ein weiteres Privileg Leos IX. für EB. Eberhard v. Trier von 1049 Apr. 17, JL 4161 = MUB 1 Nr. 330 (Regest) = H e y d e n r e i c h S. 152 Nr. 84 (quia licet indigni), im Balduineum 1 überliefert, wiederholt weitgehend JL 3738 von 975 Jan. 18. Die Echtheitsfrage bleibt hier ebenso zu prüfen wie bei JL 4160 vom gleichen Tage (und mit gleichem Incipit), einer wörtlichen NU von JL 3779 (Cella IV coronatorum). Dazu Anm. 102. , M 1057 Apr. 25, JL 4365 = MUB 1, Nr. 350 = H e y d e n r e i c h S. 153 Nr. 87. Überlieferung: Einzelkopie im STA Koblenz (Fotokopie im Marburger Lichtbildarchiv, Ε 2285). 102 Leo IX. bestätigt auf Grund vorgelegter Privilegien seiner Vorgänger in JL 4158 (s. o. Anm. 100) primatum Gallif Belgicf, legt jedoch sodann in wörtl. Anschluß an die VUU. des 10. Jh.s den Platz des Metropoliten für den Fall fest, daß ein päpstl. Legat in Galliam Germaniamve directus anwesend sei. Entsprechend verfährt Viktor II. in JL. 4365, formuliert jedodi noch eindeutiger: . . . decernimus ac confirmamus tibi tuisque post te successoribus primatum Gallif Belgicf. Der Legationsbereich des päpstl. Legaten (Gallia und Germania) wird also klar unterschieden vom Geltungsbereich des Primats. Die Trierer Primatsprivilegien des 10. Jh.s vermeiden es überhaupt, den Geltungsbereich des Primats unmittelbar zu bestim-
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Die Bedeutung Lotharingiens
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Primatsbestimmungen Pseudo-Isidors, nach denen die römischen Provinzen der Notitia Galliarum zugrunde zu legen waren 103 . Dies entspricht bereits der späteren Praxis Gregors VII., und indem sich die reformzeitlichen Trierer Primatsprivilegien in zeitgerechter Weise von denen des 10. Jahrhunderts abheben, bestätigen sie indirekt die Echtheit der älteren Vorurkunden, deren abweichende Auffassung des Primats mit entsprechenden Urkunden der gleichen Zeit in Einklang steht. Zweifel erheben sich gleichwohl, wenn man einen Blick auf die ottonenzeitlichen Primatsprivilegien für andere Empfänger wirft. Dem Trierer Privileg Johannes' XIII. von 969 geht das Primatsprivileg des gleichen Papstes von 968 für Erzbischof Adalbert von Magdeburg voraus 104 . Dieses verleiht allerdings nur den Primat in der Germania und betont die aequalitas, die Gleichrangigkeit der Magdeburger Kirche mit den linksrheinischen Metropolen. Der ausdrücklich bezeichnete Vorrang des Magdeburgers vor anderen Erzbischöfen in der Germania konnte also 968 nur den Amtskollegen von Hamburg-Bremen betreffen, wenn man davon ausgeht, daß Salzburg in Noricum lag 105 . Da Magdeburgs Stellung und Geltung in erkennbarer Weise durch Hamburg-Bremen in dieser Zeit nicht gefährdet oder auch nur beeinträchtigt erscheint, könnte die Spitze dieses Privilegs im Falle seiner Echtheit eher gegen die Vikariatsbefugnisse des Mainzer Oberhirten gerichtet gewesen sein. Dafür hätte es jedoch genügt, die Gleichrangigkeit festzulegen, und es kompromittiert dieses nur kopial überlieferte Stück, wenn das nächste Magdeburger Papstprivileg, das diese Frage berührt, die Urkunde Benedikts VII. von 981 für Erzbischof Giselher l o e , nur die Gleichrangigkeit im Verhältnis zu den linksrheinischen Metropolen festhält, des Primates aber nicht gedenkt. Anders als in Trier taucht er in Magdeburg auch in keiner späteren Urkunde wieder auf. Stattdessen begegnet der Primat 975 zum ersten und zugleich zum letzten Mal in Mainz. Dieser Beleg, ein für Erzbischof Willigis von Benedikt VII. ausgestell-
men. Es muß betont werden, daß die bisherige, am Legationssprengel des Legaten orientierte Auslegung nicht zwingend ist (vgl. Anm. 89). Eine eindeutige Präzisierung bietet im 10. Jh. nur Benedikt VII. bei der Schenkung der Cella IV coronatorum (JL 3779: Primat und Vikariat tocius Gallif ac Germanif, vgl. Anm. 98), und man hat sich zu fragen, ob dieser Text nicht gerade dadurch kompromittiert wird. Noch gravierender ist die Diskrepanz zwischen dem Primatsprivileg Leos IX. (JL 4158) und der Bestätigung der römischen Titelkirche durch den gleichen Papst (JL 4160) in Form einer wörtl. Wiederholung der VU Benedikts VII., also ohne Umstellung auf die Gallia Belgtca'. Die bereits im Hinblick auf die Cella IV coronatorum von R a m a c k e r s (Anm. 90) geäußerten Bedenken erhalten von hier aus weitere Nahrung. 103 F u h r m a n n , Studien II, ZRG KA 40, 1954, S. 76. 104 JL 3729 und 3730 = UBEM Nr. 63 Β u. A; zur diplomat. Beurteilung ausführlich zuletzt K e h r , Das Erzbistum Magdeburg (wie Anm. 84) S. 18-22; zu den Kardinalklerikern: F ü r s t S. 146-151. κ» Dies von K e h r S. 21 nicht berücksichtigt. Vgl. jedoch oben S. 24. IM JL 3808 = UBEM Nr. 95.
396 tes Palliumsprivileg
Die B e d e u t u n g Lotharingiens
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ist zugleich ein wichtiges Dokument für die Geschichte
der deutschen K ö n i g s w a h l 1 , e . D e n n die Verleihung des Palliums als des vom Papst zu vergebenden Abzeidiens der Metropolitenwürde erscheint hier verbunden mit der Bestätigung des Vorrechts seines Inhabers, in der ganzen Germania und Gallia nächst dem Papst in allen Kirchengeschäften, das heißt bei der Königskrönung und der Abhaltung einer Synode, vor allen Erzbischöfen und Bischöfen den Vorrang zu h a b e n I o e . V o m Vikariat, wie er noch
Erzbischof
Wilhelm verliehen worden war, ist hier nicht mehr die Rede, doch macht es der Wortlaut, nach dem lediglich bereits bestehende
Vorrechte
aus Anlaß
der
Palliumsverleihung bekräftigt werden sollen, deutlich, daß der bisherige Mainzer Vikariat nunmehr als „Präeminenz" in die Beleuchtung eines Primats gerückt wird, und wir erinnern uns, daß auch schon in den Trierer Privilegien seit 9 6 9 Primat und Vikariat als zwei Seiten der gleichen Medaille erschienen sind. So hat denn auch Gregor V. 9 9 7 den Erzbischof Willigis noch einmal als seinen Vikar bezeichnetno. W e n n wir von dieser Überlieferung ausgehen, so hat es in den Jahren 9 6 8 bis ca. 9 8 0 im Ottonenreich eine förmliche Hausse von Primatsprivilegien gegeben, einen Wettlauf der Metropoli en um die kirchliche Spitzenstellung im Regnum, wie dergleichen weder vorher noch nachher geschehen ist. Vorausgegangen war zwar während des 9. Jahrhunderts in den T a g e n Hinkmars von Reims und Dietgauds von Trier ein Streit um den Primat in der Gallia Belgica
ul
, doch war
dieser nur auf den Bereich der einstigen römischen Provinz bezogen und gerade nicht auf einen politischen Verband seiner Zeit " 2 . Die anders gerichtete Tendenz 107 JL 3784 = Mainzer UB 1, Nr. 217. Als Diktatvorlage, freilich unter Auslassung der Passage über Primat und Krönungsrecht, wiederbenutzt in dem verlorenen Palliumsprivileg Benedikts VIII. für EB. Waithard von Magdeburg von 1012 (Archiv f. Dipl. 1, 1955, S. 193 f., wiederabgedr. in: W. S c h l e s i n g e r , Mitteldeutsche Beiträge z. deutschen Verfassungsgesch. d. Ma.s, 1961, S. 359 f. Rekonstruktion der echten Vorlage von JL 3989 = UBEM Nr. 131). Ich beabsichtige, darauf andernorts ausführlicher einzugehen. 108 S t u t z , Der Erzbischof von Mainz (wie Anm. 59) S. 21 ff. 10e . . . servata dumtaxat privilegiorum tuorum mtegntate, quo in tota Germania et Gallia post summi culmen pontificis in omnibus ecclesiasticis negotiis, id est in rege consecrando et synodo habenda, ceteris omnibus tarn archieptscopis quam et episcopis apostolica auctoritate, sicut iustum et rectum esse videtur, praemineas. Dazu audi E w i g , Kaiserl. u. apostol. Trad. S. 180 f.; B ü t t n e r , Erzbischof Willigis (wie Anm. 71) S. 1 m. Anm. 2. " 0 JL 3876; E w i g , Kaiserl. u. apostol. Trad. S. 180 m. Anm. 171. 111 Siehe oben S. 28 Anm. 82; F u h r m a n n , Studien II, ZRG KA 40, 1954, S. 12 ff. u. 35 ff. 1 1 1 Auf das Karolingerreich nördlich der Alpen bezieht sich die Ernennung des EB. Drogo zum päpstl. Vikar für Gallien und Germanien 844 durch P. Sergius II., JE 2586 (vgl. 2607); Annales Bertiniani zu 844, hg. v. G. Waitz, MGH SSRG, Sdiulausg., 1883, 5. 30; H e y d e n r e i c h S. 148 Nr. 27. Dasselbe gilt für das Vikariats- und Primatsprivileg P. Johannes' VIII. für Ansegis von Sens, JE 3032; MGH Epp. 7, S. 315 f. Nr. 3; Can. 7 der Synode von Ponthion, MGH Capit. reg. Franc. 2, S. 352, 11: Sicut domnus papa Johannes sanxit. . . . Ansigisum Senonum archiepiscopum, suam vicem teuere et primatum ei Galliae et Germaniae contulit in evocanda synodo et definiendo cancmice. . . .; dazu F u h r m a n n , Studien III., ZRG KA 41, 1955, S. 107 Anm. 38. Der Beleg verdient wegen der später in Trier und Mainz hervortreten-
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des 10. Jahrhunderts zeigt sich gerade audi in Trier, wo die Vorgänge aus den Tagen Dietgauds bestenfalls als Vorspiel zu den weitergehenden Ansprüchen des Erzbischofs Dietrich in Frage kommen, der jedoch seinerseits einen Führungsanspruch gegenüber allen Metropoliten und Bischöfen des Ottonenreichs nicht anders anmeldet als sein Mainzer Kollege. Für einen starken Widerhall dieser sozusagen „national" gerichteten Primatsidee des 10. Jahrhunderts spricht es, daß Papst Johannes XIII. 969 auf das Trierer Primatsprivileg vom 22. Januar am 8. November ein solches für den Abt Werner von Fulda folgen ließ, das diesem den primatus sedendi vor allen anderen Äbten der Gallia und Germania verbürgte n®. Man hat sich zu fragen, was den Päpsten von Johannes XIII. bis zu Benedikt VII. vorgeschwebt haben mag, wenn sie, wie es scheint, in blinder Freigebigkeit und innerhalb eines kurzen Zeitraumes, ja sozusagen gleichzeitig, deutschen Metropoliten exklusive Vorrechte verliehen, die einander ausschlossen. Haben sie sich nicht in einen heillosen Widerspruch mit sich selbst verwickelt, wenn sie mit solchen Vergünstigungen gleich mehreren Metropoliten eine Spitzenstellung in der Gallia und Germania, also mit Bezug auf den gleichen Raum gewährten? Die härteste Kollision besteht zwischen den Privilegien Benedikts VII. einerseits für Mainz, anderseits für Trier im gleichen Jahre 975. Die beiden Trierer Vorurkunden von 973 und 969 rivalisieren mit Mainz nur dann, wenn man für den damaligen Erzbischof Ruotbert voraussetzt, auch er sei wie Wilhelm als apostolischer Vikar bestätigt worden. Doch gerade dies wird uns nirgends bezeugt. Schon gar nicht besteht ein sachlicher Widerspruch zwischen dem Trierer Primat und dem des Abtes von Fulda, da dieser sich nur auf die Äbte bezog. Wohl aber hätte man beim Trierer Privileg von 969 eine Rücksichtnahme auf das Magdeburger Primatsprivileg vom Vorjahre erwarten können, wenn man es Johannes XIII. nicht zutrauen will, seinen Magdeburger Gunsterweis vom Oktober 968 schon im Januar 969 wieder aufgehoben zu haben. Sind Privilegien solcher Art von den Päpsten der Zeit als Vergünstigungen, die den Aussteller so wenig kosteten, wie sie dem Empfänger einbrachten, auf die leichte Schulter genommen worden? Sind sie allenfalls Ausdruck ephemerer innerdeutscher Rivalitäten, eine Episode, für die eigene Zeit ebenso unerheblich wie für die Nachwelt? Eine solche Beurteilung vermag kaum zu befriedigen, am allerwenigsten im Falle von Mainz, wo gerade aus dem Primat das Recht der Königskrönung abgeleitet wird. Auch der Vorsitz bei den Reichssynoden war keine Bagatellsache, und nicht zuletzt legen es die allgemeinen Überlegungen, von denen wir ausgegangen sind, nicht eben nahe, die Frage nach den Tendenzen gar nicht erst zu stellen, die in den Primatsprivilegien des 10. Jahrhunderts verborgen liegen könnten. Immerhin hat in ihnen der Gedanke an eine kirchliche,
den Kombination von Vikariat und Primat Beachtung. Zum Unterschied der beiden Institutionen vgl. F u h r m a n n , Studien II., ZRG KA 40, 1954, S. 76; E w i g , Kaiserl. u. apostol. Trad., S. 180. lis JL 3739; S t e n g e l (wie Anm. SO) S. 490 ff.
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auf den politischen Verband des Reiches bezogene Führungsspitze vielfachen und insofern doch auch nachdrücklichen Ausdruck gefunden. Schwerlich von ungefähr tritt uns das Phänomen erst nach der Renovatio Imperii entgegen, in einer Zeit also, in der das Verhältnis von Papst und Kaiser, von Sacerdotium und Regnum in neuer und dringlicherer Weise zur Diskussion gestellt war, ja mit der erweiterten Grundlage auch einen neuen Aggregatzustand gewonnen hatte. Ich greife eigenen Untersuchungen, die später ausführlicher darzulegen sein werden, vor, wenn ich es nunmehr versuche, in das wirre Gestrüpp der Überlieferung eine Schneise zu hauen, um zu einem freieren Durchblick zu gelangen. Das Magdeburger Privileg von 968, das neben dem Primat die Gleichrangigkeit der Elbmetropole mit den linksrheinischen ehrwürdigen Geschwistern und ein Kardinalskollegium für die Magdeburger Kirche verbrieft, lasse ich zunächst beiseite. Sein authentisches Ansehen verdankt es vor allem dem Rehabilitierungsversuch Kehrs, der jedoch lediglich konstatieren konnte, der Diplomatiker vermöge dem Text nichts anzuhaben, der Inhalt sei durch zeitgenössische Analoga hinreichend b e g l a u b i g t l u . Eine Lösung des Problems ist, wenn überhaupt, nur zu erwarten, wenn man es in dem weiter gesteckten Rahmen erörtert, der sich mit der Berücksichtigung von Fulda, Mainz und Trier ergibt. Dabei ist zunächst zu fragen, wo die historischen Ursprünge der im 10. Jahrhundert so plötzlich und gehäuft auftretenden Primatsansprüche zu suchen sind. Ganz von selbst fällt hier der Blick auf Mainz, dessen 975 zuerst belegter Primat offenkundig aus dem dortigen älteren, 937 begründeten Vikariat entwickelt worden ist 1 1 5 . Auch das erste Trierer Primatsprivileg von 969 läßt solchen Zusammenhang erkennen, wenn der dortige Primat zugleich als Vikariat gedeutet wird und damit unausgesprochen eine Spitze gegen Mainz e n t h ä l t l l e . Schon dies legt die Vermutung nahe, die Umdeutung des Vikariats in einen Primat habe ihren historischen Ort in Mainz und sei dort bereits vor 969 eingetreten. Daß das Trierer Privileg auf einen gleichartigen Mainzer Anspruch antwortet, ergibt sich vollends aus Indizien, die das Mainzer Privileg von 975 selbst bietet. Es war schon bemerkt worden, daß die das Krönungsrecht des Mainzers einschließende Primatsformel als Bestätigung bereits bestehender Vorrechte formuliert ist, nicht als Neuverleihung. Damit wird der Gedanke an ein Deperditum, ein verlorenes Papstprivileg für einen früheren Mainzer Erzbischof nahegelegt, das von Benedikt VII. für Erzbischof Willigis lediglich bestätigt worden ist.
"< Wie Amn. 84, S. 20. 1 1 5 E w i g , Kaiserl. u. apostol. Trad. S. 180. Der Begriff des Primates, in JL 3784 ebenso vermieden wie der des Vikariats, wird verbal mit praemineas und durch die inhaltliche Bestimmung (Vorrang vor allen Erzbischöfen und Bischöfen in omnibus ecclesiasticis negotiis) hinreichend eindeutig umschrieben. 1 1 β E w i g S. 178 mit dem Hinweis, daß andererseits der gallisch-germanische Primat den älteren Trierer Primatsanspruch gegenüber Reims einschloß. Besser vielleicht: nicht aussdiloß, denn er war nicht aufgehoben und wurde 1049 ausdrücklich erneuert. Die geographische Umschreibung des Trierer Primatssprengeis darf man um so weniger pressen ( E w i g S. 178), als die Primatsprivilegien selbst die ausdrückliche Umschreibung vermeiden (siehe Anm. 89 u. 102).
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Diese Vermutung läßt sich auf Grund eines anderen Umstandes zu hoher Wahrscheinlichkeit erhärten. Das Palliumsprivileg des Willigis enthält nämlich in der üblichen, die Palliumstage festlegenden Formel die hier als Zusatz bezeichnete Bestimmung, der Inhaber des Palliums dürfe dieses außerdem an den Festtagen des Laurentius und Mauritius sowie weiterer genannter Heiliger tragen. Diese zusätzliche Vergünstigung wird gewährt aus Liebe zu Kaiser Otto, pro amore dilectissimi filii nostri domni Ottonis piissimi imperatoris Augusti, wie es ausdrücklich heißt. Damit fassen wir eine Spur, die in die Februartage des Jahres 962, genauer in die Woche nach der Kaiserkrönung Ottos des Großen führt Hier hatte bald nach dem Krönungstage, dem 2. Februar, schon am 7. Februar Johannes XII. dem Erzbischof Friedrich von Salzburg ein neues Palliumsprivileg ausgestellt, in dem in ausdrücklicher Erweiterung der bereits früher gewährten Palliumstage das Tragen des erzbischöflichen Abzeichens auf Bitten Kaiser Ottos auch an den Festtagen des Laurentius und Mauritius zugestanden wird. Am 12. Februar geschah für Erzbischof Heinrich von Trier das Gleiche. Die Intervention des Kaisers wird in ganz ähnlicher Form betont. Die notorisch schlechte Überlieferung der Papsturkunden von Hamburg-Bremen dürfte es erklären, daß die beiden Sieghelfer der Lechfeldschlacht, mit denen wir an dieser Stelle die politische Bedeutung der Heiligenverehrung erneut berühren, unter den Palliumstagen erst 988 auftauchen. In Köln fehlt jeder Hinweis, doch besaß Brun von Köln das außergewöhnliche Vorrecht, das Pallium ohne Einengung auf festgelegte Tage nach eigenem Ermessen zu tragen. Dieses Privileg brauchte, ja konnte nicht erweitert werden. Für Magdeburg war die Frage 962 noch nicht spruchreif, doch enthält der Katalog von Palliumstagen im Privileg Adalberts von 968 neben dem dort ohnehin selbstverständlichen Mauritiustag auch den Tag des hl. Laurentius. Damit wird deutlich, daß Otto der Große unmittelbar nach seiner Kaiserkrönimg für sämtliche in Frage kommenden Metropoliten des deutschen Reiches neue Palliumsprivilegien erwirkt hat, um die Verehrung zweier Heiliger in festlicher Form sicherzustellen, denen er seinen größten Triumph im Heidenkampf und nach den Worten Johannes XII. somit auch die Kaiserwürde selbst verdankte. Es kann also schwerlich bezweifelt werden, daß der in diesem Zusammenhang im Mainzer Privileg von 975 genannte Kaiser Otto, zu jenem Zeitpunkt auf Otto II. zu beziehen, ursprünglich Otto den Großen selbst bedeutete, daß also hier ein ebenfalls in der Krönungswoche von 962 für Wilhelm von Mainz ausgestelltes und heute verlorenes Privileg wörtlich wiederholt worden ist. War das Palliumsprivileg des Willigis in diesem Punkte die bloße Wiederholung einer erstmalig seinem dritten Vorgänger Wilhelm gewährten Vergünstigung, so stellt sich unmittelbar die Frage, ob solches auch für den Primat und das Krönungsrecht in Betracht gezogen werden kann. Dabei ist vom Krönungsrecht einerseits, von der Stellung Wilhelms zu seinem königlichen und kaiserlichen Vater anderseits auszugehen. Die Frage des Krönungsrechtes war, wie wir gesehen hatten, bei der Aachener Krönung Ottos II. 961, kurz vor dem Aufbruch 117
Hierzu und zum Folgenden B e u n a n n , Kaisertum S. 553 ff. (Separatausg. S. 31), dort
audi die Quellenbelege.
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des Vaters zur Romfahrt, zum zweiten Male unter den rheinischen Metropoliten strittig gewesen. Die Aktualität dieses Themas war also 962 und für Wilhelm zweifellos größer als 975, zwei Jahre nach dem Tode Ottos des Großen und dem Amtsantritt des noch jugendlichen Nachfolgers, für Willigis. Vorausgegangen war 955 ein weit schwererer Konflikt Wilhelms mit seinem königlichen Vater, der die Vikariatsbefugnisse des Mainzers unmittelbar betraf und sich nicht zuletzt an dem Magdeburger Erzbistumsplan des Königs entzündet hatte 1 1 8 . Mit schärfsten Worten hatte Wilhelm in seinem an Papst Agapit II. gerichteten Beschwerdeschreiben die Übergehung des apostolischen Vikars für Deutschland in einer so schwerwiegenden Frage verurteilt, und scharfe Seitenhiebe waren auf den Abt Hadamar von Fulda gefallen, der in dieser Angelegenheit als Geschäftsträger des Königs in Rom verhandelt hatte. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß die Fragen von Vikariat und Primat in dieser Zeit politisch relevant waren, so lieferte ihn dieser Brief, der zugleich entschiedene Kritik an der auf das Reichskirchensystem zielenden Politik übt und in eine Demissionsdrohung ausklingt. Die mit dem Magdeburger Plan drohende Verkürzung der Mainzer Kirchenprovinz um mehrere Diözesen, zunächst um die Halberstädter, Havelberger und Brandenburger, nicht minder aber und wohl vor allem die Abschnürung von einem aussichtsreich im Aufbau befindlichen Missionsfeld dürften die Schärfe dieses Einspruchs bestimmt haben. Bekanntlich ist der Magdeburger Plan trotz der Verfügung Johannes' X I I . " " wegen innerdeutscher Widerstände zunächst nicht verwirklicht worden. Mit zwei Opponenten mußte der König von vornherein rechnen, dem zuständigen Diözesanbischof von Halberstadt und dem Erzbischof von Mainz. In der durch Wilhelm 955 bekämpften Anfangsphase war der Halberstädter offenbar dadurch gewonnen worden, daß mit der gedachten Verlegung seines Sitzes nach Magdeburg er selbst Inhaber der höheren Würde werden sollte 12°. Dies mußte jedoch maximal zu Lasten der Mainzer Kirchenprovinz gehen, die dabei außer den beiden Missionsbistümern jenseits der Elbe mit Halberstadt einen ehrwürdigen Suffragan aus der Missionszeit im Bereich Altdeutschlands verloren hätte. Der König scheint daher schon bald umdisponiert zu haben im Sinne der schließlich 968 gefundenen Lösung, die den Bestand des Bistums Halberstadt bei einigen Opfern zugunsten der Magdeburger Erzdiözese und der Diözese Merseburg wahrte 1 ! 1 . Mit dieser für Halberstadt immerhin erträglicheren Lösung waren vor allem die kanonischen Hindernisse umgangen, die einer Bistumsverlegung im Wege standen, nicht aber die sonstigen Bedenken, die sowohl in Halberstadt als auch in Mainz in kaum verminderter Form weiterbestehen mußten. Aus solchen Gründen hat man daher den Zeitpunkt der Erzbistumsgründung mit dem unmittelbar vorher erfolgten Ableben Bernhards von Halberstadt und Wilhelms von Mainz am Anfang des gleichen Jahres in Verbindung gebracht. Erst der Tod Siehe oben S. 27 m. Anm. 76. 11» JL 3690 = UBEM Nr. 28. « » BO Nr. 240 n. 121 B O Nr. 473 a u. 474. 118
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Die B e d e u t u n g L o t h a r i n g i e n s
beider O p p o n e n t e n schien den W e g zur Verwirklichung des P l a n e s freigemacht zu h a b e n l 2 2 . F ü r B e r n h a r d v o n H a l b e r s t a d t b e z e u g t dies T h i e t m a r v o n M e r s e b u r g drücklich
12s
aus-
. A n d e r s verhält es sich mit W i l h e l m v o n M a i n z . V o n i h m weiß der
gleiche T h i e t m a r zu berichten
n>
, der K a i s e r h a b e ihm den A u f t r a g erteilt, M a g -
d e b u r g einzurichten u n d andere Reichsgeschäfte w a h r z u n e h m e n . D e m ist W i d u kinds Nachricht zur Seite zu stellen, der Kaiser h a b e 9 6 6 bei seinem A u f b r u c h nach Italien W i l h e l m z u m Reichsverweser b e s t e l l t I 2 ä . Dies w a r nicht der erste V e r t r a u e n s b e w e i s solcher A r t . Schon 9 6 1 h a t t e der nach Italien
aufbrechende
H e r r s c h e r seinen g e r a d e g e k r ö n t e n S o h n O t t o in die O b h u t W i l h e l m s gegeben, in dessen D i p l o m e n dieser d e n n auch w ä h r e n d der A b w e s e n h e i t des V a t e r s a u s schließlich als Erzkapellan und m e h r f a c h als Intervenient g e n a n n t w i r d 1 2 e . D a z u p a ß t es gut, d a ß u n m i t t e l b a r v o r der W a h l O t t o s II. auf d e m W o r m s e r Reichstag v o m M a i 9 6 1 , nämlich a m 2 3 . April, W i l h e l m z u m e r s t e n M a l e in einem D i p l o m
1 8 1 Bei der Ravennater Synode von 967 April gab der noch ausstehende Konsens des Halberstädter Bischofs und des Mainzer Erzbischofs jedenfalls Anlaß zu Vertagung nicht zwar des Beschlusses über die Errichtung des Erzbistums, die sogar durch päpstl. Synodaldekret unmittelbar verfügt worden ist (JL 3715 = UBEM Nr. 52), wohl aber der konkreten und insbes. besitzrechtlichen Regelungen. BO Nr. 474 = UBEM Nr. 61. 125 Chronik II 11, hg. v. R. Holtzmann, MGH SSRG NS 9,1935, S. 50. D a n a * hat Bernhard die Zustimmung quamdiu vixit nicht erteilt, i « II 18, S. 58 ff. 125 Widukind III 73, S. 150: Wilhelmus . . . a patre sibi commendatum regebat Francorum imperium. 12« Brun von Köln wird als Erzkapellan lediglich in DO II. 1, 961 Juli 25, genannt, doch befand sich Otto d. Gr. zu diesem Zeitpunkt noch in Thüringen (vgl. DO I. Nr. 230). Danach verschwindet der Name Bruns aus den Diplomen Ottos II. zugunsten Wilhelms, und dieser interveniert auch für das Trierer Kloster St. Maximin (DO II. 7). Der aus Italien Febr. 965 zurückkehrende Kaiser trifft zunächst, in Heimsheim zw. Stuttgart und Pforzheim, mit seinen Söhnen Otto und Wilhelm zusammen (BO Nr. 371 a), erst danach auch, zu Worms, mit Brun von Köln (ebd. Nr. 371 b). Dieses Bild deckt sich mit Cont. Reg. zu 961 (hg. v. Fr. Kurze S. 171): Ordinate vero filio pater . . . filium Williheimo ardiiepiscopo tuendum et nutriendum commisit. Nach Ruotger, V. Brun. c. 41 (hg. v. I. Ott, S. 43, 10) hat Otto d. Gr. den Thronfolger ardiiepiscopis, patruo fratrique, . . . ad custodiam regni cisalpini, also Wilhelm und Brun gemeinsam, anvertraut. Es verdient Beachtung, daß unter den zeitgenöss. Autoren dies lediglich Bruns eigener Biograph behauptet. Vgl. die Zusammenstellung der Quellen bei R. K ö p k e u. E. D ü m m l e r , Kaiser Otto d. Gr., 1876, S. 323 Anm. 1; BO Nr. 303 a. Von der Frage der Regentschaft während des Italienzuges ist selbstverständlich Bruns davon unabhängiger politischer Auftrag für die Westpolitik zu unterscheiden (B e u m a η η , Kaisertum S. 539, Separatausg. S. 17), der während der Romfahrt seines königlichen Bruders schwerlich ausgesetzt worden ist, und dies um so weniger, als Otto d. Gr. Hermann Billung vertretungsweise mit der sächsischen Herzogsgewalt während seiner eigenen Abwesenheit betraut hat ( K ö p k e - D ü m m l e r S. 324; H. B e u m a n n in: B1I. f. dt. Landesgeschichte 91, 1954, S. 372 f.). Das Zeugnis der Urk. Graf Siegfrieds v. Luxemburg von 963 (wie unten Anm. 130): Brunonem, . . . qui tunc principatum totius regni post ipsum (sc. imperatorem Ottonem) tenebat, bezieht sich auf einen früheren Zeitpunkt (tunc), mit totum regnum ist ganz Lotharingien gemeint (vgl. die Unterschrift Friderici Luthariensium ducis sowie O p p e r m a n n , Rhein. Urkundenstudien 2, S. 49 ff.).
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seines Vaters zugunsten der Magdeburger Moritzkirche als Intervenient genannt wird 121, und daß zahlreiche Interventionen Wilhelms zugunsten des gleichen Klosters folgen 12e . Der auch und vor allem die Magdeburger Pläne betreffende Konflikt von 955 dürfte daher zu diesem Zeitpunkt bereinigt gewesen sein. Als Grund für die weitere Verzögerung der Erzbistumsgründung bis zum Jahre 968 wird man daher nicht so sehr einen Widerstand Wilhelms als vielmehr denjenigen Bernhards von Halberstadt anzunehmen haben; auf einen solchen und nur auf ihn weist jedenfalls Thietmar hin. Anderseits hat der Kaiser auch Bernhards Widerstand nicht für unüberwindlich gehalten, da er noch zu dessen Lebzeiten, im April 967, die Angelegenheit bei der Ravennater Synode erneut ins Rollen brachte. Man hat sich zu fragen, auf welche Weise es Ottc dem Großen gelingen konnte, die Bedenken Wilhelms von Mainz auszuräumen oder doch wenigstens zu beschwichtigen. Hier bietet sich das auf Grund ganz andersartiger Beobachtungen erschlossene Palliumsprivileg Johannes' XII. für Wilhelm von Anfang Februar 962 als Erklärung an. Ist schon gar nicht daran zu denken, daß der Kaiser bei der Erwirkung neuer Palliumsprivilegien für die Metropoliten Deutschlands ausgerechnet Wilhelm von Mainz nach dem gewiß mühsam wiederhergestellten Einvernehmen ausgelassen haben sollte, so spricht auch mancherlei dafür, daß schon diese Urkunde die das Krönungsrecht einschließende Primatsformel von 975 enthalten hat. Für den Mainzer Metropoliten des Jahres 962 war sie sozusagen nach Maß gearbeitet: Sie klärte das noch im Vorjahre strittig gebliebene Krönungsrecht, bedeutete aber auch in der Magdeburger Frage einen Trost, da hier der Vorrang des Mainzers vor allen Erzbischöfen und Bischöfen, also auch vor einem künftigen Magdeburger Metropoliten, ausdrücklich festgelegt wurde. Setzt man eine dahingehende Vereinbarung zwischen dem nach Rc n aufbrechenden König und seinem Sohne Wilhelm voraus, so kann in ihr die Bereinigung des vorher bestehenden Konfliktes ihren Grund gehabt haben, so daß Wilhelm nun sowohl als Intervenient für das Magdeburger Kloster als auch für die Reichsregentschaft während der Abwesenheit des Vaters - wenn man den ihm übertragenen Schutz des unmündigen Mitkönigs und Thronfolgers so bez- : chnen will - zur Verfügung stand. Der Kaiser konnte schließlich wenigstens auf die Zustimmung des Erzbischofs von Mainz zählen, als er bei Johannes XII. das Gründungsprivileg für das Magdeburger Erzbistum vom 12. Februar erwirkte. Dieser gleichwohl vorerst vergebliche Schritt gewinnt unter solcher Voraussetzung jedenfalls an Plausibilität. Die Hypothese eines verlorenen Palliumsprivilegs für Wilhelm von Mainz aus dem Anfang des Februar 962 nach dem Tenor des Willigis-Privilegs von 975 129 ist auch sonst an dem Maße zu prüfen, in dem sie geschichtliche Sachverhalte 1» D O I. 230 = UBEM Nr. 24. »" Κ e 11 e r (wie Anm. 3) S. 363 ff. 12» Vgl. auch die bereits dahingehende Vermutung von H. Z i m m e r m a n n , Gründung und Bedeutung des Bistums Bamberg f. d. Osten (Südostdeutsches Archiv 10, 1967, S. 35-49), S. 38 Anm. 22.
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verständlicher zu machen, Zusammenhänge aufzuhellen vermag. Muß es ohne weiteres einleuchten, daß dem päpstlichen Dekret zur Errichtung der Elbmetropole eine Verständigung wenigstens mit dem Oberhaupt der zuständigen Mainzer Kirchenprovinz vorausgegangen war, wenn schon ein Konsens des Halberstädter Ordinarius nicht hatte erreicht werden können, so paßt das Deperditum wie ein missing link in die politische Szenerie und kausale Abfolge der Ereignisse. Die Verständigung zwischen Vater und Sohn in der Magdeburger Frage - unabhängig von dem Deperditum bezeugt - wird ihrerseits durch dieses erklärt, indem es uns den politischen Preis verrät, den der Vater gezahlt hat. Die Gewährung des Vorranges gegenüber allen Erzbischöfen kann unmittelbar auf den Kernpunkt des Mainzer Beschwerdebriefes von 955, die Mißachtung der Vikariatsbefugnis, bezogen werden. Aber auch die Transponierung des bisherigen Mainzer Vikariats in einen Primat läßt sich aus der konkreten Konfliktsituation von 961 verständlich machen: Weit eher als der Vikariat kam der Primat als Kompensation für die Mainzer Verluste in Betracht, die mit der Errichtung des Magdeburger Erzbistums notwendig verbunden sein mußten, da dieser anders als jener, wie das Wort selbst und die beigefügte Definition erkennen lassen, auf die Rangfrage, die kirchliche Spitzenstellung innerhalb des politischen Verbandes, gerichtet war. Der gleiche Gesichtspunkt bot aber auch die geeignete Handhabe in der Frage des Krönungsrechtes. Dieses dem päpstlichen Vikar zuzugestehen, implizierte ein Krönungsrecht des Papstes selbst. Dafür gab es hinreichende karolingerzeitliche Präzedenzfälle. Man kann es auch nicht ausschließen, daß der Mainzer Vikariat, den Friedrich 937, also unmittelbar nach dem handfesten Aachener Streit um das Krönungsrecht, erworben hatte, auf eine Lösung der Frage in diesem Sinne zielte. Bei der Krönung Ottos II. 961 hat Wilhelms Vikariat in dieser Sache jedenfalls nicht den Ausschlag gegeben. Nicht nur wegen der Magdeburger Frage, sondern auch aus dem Gesichtswinkel des Krönungsrechtes war offenbar der Primat dem Vikariat vorzuziehen, da durch ihn in eindeutigster Weise die Frage des Vorranges in omnibus ecclesiasticis negotiis, zu denen, wie es ausdrücklich heißt (id est in rege consecrando), auch die Krönung gehörte, entschieden werden konnte. So vermag endlich das Mainzer Deperditum von 962 eine einleuchtende historische Erklärung für die Entstehimg der ottonischen Primatsidee zu liefern. Ohnehin mußte bei der Frage nach ihrer Genesis wegen des dort seit 937 bestehenden Vikariats der erste Verdacht auf Mainz fallen; dieser Sinnzusammenhang wird nunmehr sehr viel konkreter greifbar. Offenbar vermochte auch die Mainzer Bonifatius-Tradition, auf die der Vikariat gestützt worden war, eine überzeugendere Begründung für die kirchliche Spitzenstellung innerhalb des Ottonenreichs zu liefern als die auf Gallien bezogene apostolische Tradition von Trier. Das angenommene Primatsprivileg für Wilhelm von Mainz von 962 wäre das erste seiner Art im ottonischen Deutschland und rückt allein schon deshalb jedes einzelne Stück der hier zu behandelnden Gruppe in ein verändertes Licht. Dies gilt auch für das Privileg des Fuldaer Abtes von 969. Mit guten Gründen hat bereits Stengel das auf die Bonifatius-Tradition zurückgehende Mainzer Vorbild
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für den Ehrgeiz des Fuldaer Abtes in Anspruch genommen. Diese Annahme hatte jedoch den Haken, daß in der bisherigen Mainzer Überlieferung nur der Vikariat, nicht aber ein Primatsanspruch nachzuweisen war. Nun ist es zwar selbstverständlich, daß ein Vikariat, als begrenzte Stellvertretung des Papstes, für einen Abt überhaupt nicht in Frage kommen konnte, und so könnte man meinen, eben deshalb sei man für Fulda auf die Würde eines Primas der Äbte verfallen. Doch kommt ein Bedürfnis der Adaptation an den monastischen Zweck als Wurzel für die ottonenzeitliche Umbildung des Vikariats zum Primat ernstlich nicht in Betracht. Denn schon vor dem Fuldaer Primatsprivileg gab es das Trierer vom 22. Januar 969 und nach vorliegender Überlieferung das bisher in unserer Betrachtung zurückgestellte Magdeburger Privileg vom Oktober 968. Damit scheidet das Fuldaer Stück als Ausgangspunkt der ottonenzeitlichen Primatsidee aus. Es hat vielmehr seinerseits einen bereits bestehenden erzbischöflichen Primat, nicht einen Vikariat, zur Voraussetzung. Die Formulierung wie die Sache selbst lassen daran keinen Zweifel. Johannes XIII. verfügt für den Abt von Fulda, ut isdem . . . abbas ante alios abbates Galliae seu Germaniae primatum sedendi in omni loco, quo conveniant, obtineat neenon et archimandrita consultior et honorabilior nostra apostolica auetoritate permaneat. Für den sekundären Charakter der Bestimmung sind nicht so sehr die offensichtlichen Übereinstimmungen mit den erzbischöflichen Primatsformeln (Gallia und Germania als Geltungsbereich, Vorrang in der Sitzordnung) kennzeichnend, sondern das Verhalten des Textes an den Stellen, bei denen die Adaptierung Schwierigkeiten bereiten mußte. Zu den Synoden, bei denen der erzbischöfliche Primas den Vorsitz haben sollte, fehlte bei den Äbten die Analogie, daher die vage Formulierung in omni loco, quo conveniant. Der Fall ist niemals praktisch geworden. Das gleiche gilt von dem Titel archimandrita, eine seltene, zuweilen auch für Erzbischöfe 1 ' 0 (!) verwendete Bezeichnung. Hält man nun mit Stengel daran fest, daß der Abt des Fuldaer Bonifatius-Klosters sein Primatsprivileg mit dem Blick auf das Oberhaupt seiner Kirchenprovinz, auf Mainz als eines alten Rivalen im Hinblick auf die bonifatianische Tradition, erwirkt hat, so ergibt sich auch von hier aus das Postulat eines 969 bereits vorliegenden Mainzer Primatsprivilegs. Das auf Grund ganz anderer Indizien erschlossene Deperditum für Wilhelm von 962 erhält von hier aus eine weitere Stütze, der Fuldaer Primat als solcher findet eine ungezwungenere Erklärung. Man kann jedoch noch einen Schritt weitergehen. Das Privileg für Abt Werner γοη Fulda vom 8. November 969 enthält in seiner Primatsformel die verräterische Wendung pro magno amore praefati piissimi et Christianissimi domni Ottonis imperatoris Augusti, als einzige Primatsformel des 10. Jahrhunderts, die sich auf eine Intervention Ottos des Großen beruft. Es ist die Interventionsformel der Palliumsprivilegien Johannes' XII. von 962, in diesen für die auf Bitten des Kaisers gewährten zusätzlichen Palliumstage verwendet und auch dort (wie im
"0 So für EB. Heinrich von Trier 963 (MUB 1, Nr. 211 = Die Regesten der EBB. v. Köln 1, bearb. v. Fr. Oediger, 1954-1961, Nr. 450).
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Palliumsprivileg des Willigis von 975) in den Nachurkunden mitgeschleppt, so daß ein verlorenes Primatsprivileg schon für Abt Hadamar aus dem gleichen Jahre ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann; dieser hatte als einer der treusten Helfer Ottos des Großen nicht nur schon 955 zum Verdruß Wilhelms von Mainz in Rom über den Magdeburger Plan verhandelt, sondern war auch bei der Kaiserkrönung selbst anwesend m . Bei der gleichen Gelegenheit wie der Mainzer Primat Wilhelms gewährt, erhielt der Primat des Fuldaer Abtes eine Motivation aus der unmittelbaren politischen Lage: Der Kaiser mochte Hadamar von Fulda nicht leer ausgehen lassen, als er den Metropoliten des Reichs neue und ehrenvollere Palliumsprivilegien erwirkte, seinem Sohn Wilhelm obendrein die Spitzenstellung unter seinesgleichen. Nichts deutet darauf hin, daß Wilhelms Nachfolger Hatto II. und Ruodbert überhaupt Primatsprivilegien erhalten haben. Als Bestandteil des Palliumsprivilegs handelte es sich ohnehin nur um eine Verfügung ad personam, nicht ad sedem wie in Trier (und in Magdeburg). Man wird es der politisch starken Stellung des Willigis zuschreiben müssen, wenn es diesem als einzigem unter den Nachfolgern Wilhelms gelungen ist, die diesem einst unter der außergewöhnlichen Gunst der Stunde zuteil gewordene Privilegierung nochmals zu erreichen 1S2 . Papst Johannes XIII., der auch in der Magdeburger Frage im Vergleich zu Johannes XII. sich als sehr viel selbstbewußterer und die kirchlichen Gesichtspunkte strenger wahrender Verhandlungspartner gezeigt hatte, wandte kaum mehr als ein Vierteljahr nach Gründung der Magdeburger Metropole Primat und Vikariat dem Trierer Erzbischof Dietrich zu und nahm dies zum Anlaß, den Rang des Begünstigten im Verhältnis zu päpstlichen Legaten festzulegen. Gerade diese das Konzept einer päpstlichen Legatenpolitik andeutende Präzisierung läßt den Geist Johannes' XIII. erkennen, und es ist wohl kein Zufall, daß gerade dieses Privileg ein Zitat aus den pseudo-isidorischen Dekretalen e n t h ä l t m . Die Bestätigung, die Dietrich von Trier durch Benedikt VI. am 27. Januar 973 erhielt, läßt sich durch ein Diplom Ottos II. für die erzbischöfliche Kirche zu Trier stützen, in der diese als Metropole ganz Galliens und Gennaniens bezeichnet wird 1M . Ernste Zweifel vermag auch die dritte durch Dietrich bei Benedikt VII. erwirkte Bestätigung vom 18. Januar 975 nicht zu erwecken 1S5 . Wir können die Frage insofern offenlassen, als die Privilegierung des Willigis von Mainz mit Primat und Krönungsrecht erst im März des gleichen Jahres geschehen ist, so daß i « BO Nr. 311. m So auch H. B ü t t n e r , Erzbischof Willigis von Mainz (Jahresbericht der Görresgesellschaft 1967, Köln 1968, S. 1-11), S. 4 f. H. F u h r m a n n , Pseudoisidor in Rom (wie Anm. 84), S. 38. »M DO II. von 973 August 27: . . . venientes Treuerim tocius Gallie Germanieque metropolim a predicto ardiiepiscopo honorabiliter suscepti sumus. "» Zur inhaltlichen Erweiterung gegenüber den VUU. vgl. oben S. 30 ff.; alle drei Trierer Primatsprivilegien nennen als Schreiber einen Notar Stephan, den audi das Magdeburger Primatsprivileg von 968 (JL 3729 = UBEM Nr. 63 B) anführt, ebenso aber audi JL 3728 = UBEM Nr. 62 von 968 Okt. 18 für EB. Adalbert von Magdeburg. Vgl. F u h r m a n n , Pseudoisidor in Rom S. 38.
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unter der Voraussetzung eines inzwischen eingetretenen Kurswechsels eine Kollision im strengen Sinne gar nicht vorliegt. Ergibt sich somit am Ende doch eine widerspruchsfreie Abfolge von Primatsprivilegien, so gilt dies nicht f ü r das bisher außer Betracht gelassene Magdeburger Stück. Es ist das einzige, dessen Einordnung Schwierigkeiten bereitet. Wäre es echt, so hätte Johannes XIII. durch das Trierer Privileg vom Januar 969 bereits nach einem Vierteljahr die Magdeburger Verfügung zugunsten Triers aufgehoben, ohne daß der Kaiser, der bereits am 26. Mai nach seiner Rückkehr aus Apulien wieder in Rom weilte 13β , zugunsten seiner Lieblingskirche eingegriffen hätte. Es kommt hinzu, daß das Magdeburger Primatsprivileg auch unabhängig von diesen Erwägungen seit eh und je Bedenken erweckt hat, die durch die Darlegungen Kehrs keinesfalls als ausgeräumt zu gelten haben und neuerdings hinsichtlich der Bestimmungen über die Kardinalkleriker vermehrt worden sind 137. Das Stück ist in zwei Fassungen überliefert. Die ausführlichere Version hat die Form eines Privilegs, die kürzere ist als Brief stilisiert. Kehr plädiert, ohne das Filiationsverhältnis zu diskutieren, für die Echtheit des Privilegs und spricht den kürzeren Text als Ableitung aus jenem an. Ein Vergleich beider Texte ergibt jedoch, daß die überwiegenden Indizien für die Priorität des kürzeren Textes sprechen. Damit ist den Darlegungen Kehrs der Boden entzogen. Gegen die Echtheit auch nur einer der beiden Fassungen spricht aber auch der Vergleich mit den Primatsprivilegien desselben Ausstellers f ü r Trier und Fulda, die nach Ductus und Gesamtcharakter erheblich abweichen. Manche Indizien, die ich in einer geplanten eingehenderen Studie darzulegen haben werde, sprechen dafür, daß es sich um eine Fälschung aus der Zeit Erzbischof Giselhers handelt, mit der dieser auf die Gründung des Erzbistums Gnesen reagiert hat. 'Der in diesem Text zugrunde gelegte Begriff der Germania, aus der Mainz ausdrücklich ausgeschlossen ist, entspricht dem karolingischen nach der Definition Einhards. Diese Germania reichte von der Donau bis zur Nordsee und vom Rhein bis zur Weichsel lS8 . Auf die ottonenzeitlichen Verhältnisse projiziert, Schloß diese Germania Polen in sich, und das Magdeburger Interesse an einem Primat in der Germania, der den Vorrang auch vor Erzbischöfen bedeutete, Salzburg aber schwerlich betraf, wird wohl überhaupt erst verständlich im Hinblick auf das von Otto III. geschaffene Erzbistum Gnesen, die Metropole der von ihm neben die Germania gestellten, ja aus dieser ausgegliederten Sclavinia13e. Damit schließt sich der Kreis: Am An-
is« BO Nr. 495. i « F ü r s t 5.146 ff. »e Einhard, V. Karoli M. c. 15, hg. v. O. Holder-Egger, MGH SSRG, Schulausg., 1911, S. 18,22: Deirtde omnes barbaras ac feras nationes, quae inter Rhenum ac Visulam fluvios Oceanumque ac Danubium positae, . . . Germaniam incolunt, ita perdomuit, ut eas tributarias efficeret. 139 Vgl. die Darstellung der huldigenden Provinzen im Evangeliar Ottos III., d m . 4453 (P. E. S c h r a m m - F. M ü t h e r i c h , Denkmale der deutschen Könige und Kaiser, 1962, Nr. 108, 5. 155 f. u. S. 322) sowie das entsprechende Doppelblatt der Bamberger staatl. Bib].,
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fang steht der als Kompensation für das Magdeburger Erzbistum dem Mainzer Oberhirten verliehene Primat, am Ende die Fälschung eines Primatsprivilegs durch Giselher von Magdeburg, von dem audi er sich einen Ausgleich des Verlustes erhoffen mochte, der für Magdeburg mit der kirchlichen Emanzipation Polens eintrat. Tatsächlich verfügte die Magdeburger Kirche zur Zeit Giselhers nur über die Garantie ihrer Gleichrangigkeit als Metropole im Vergleich zu Mainz, Köln und Trier. Schon in seinem Synodaldekret von 967 140 hatte Johannes XIII. festgelegt, Magdeburg solle den übrigen Metropolitansitzen nicht nachstehen, sed cum primis prima et cum antiquis antiqua inconvulsa permaneat. Aus dem geringen Alter sollte Magdeburg also kein Nachteil erwachsen, es sollte der Fiktion nach als eine prima und antiqua ecclesia gelten d ü r f e n D e m entspricht die Bestimmung Benedikts VII. für Erzbischof Giselher von 981 1 4 ! , die nur insofern einen Schritt weitergeht, als durch sie implizit sämtliche Primate aufgehoben werden. Denn hier heißt es, bezeichnenderweise wie im Privileg des Willigis innerhalb der Palliumsformel, der Magdeburger Erzbischof solle ordine standi atque sedendi omnique negotio ecclesiastico tractando den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln aequalis per omnia sein. Die uneingeschränkte aequalitas der vier genannten Metropoliten in omni negotio ecclesiastico, also in den gleichen Agenden, in denen Willigis von Mainz noch 975 den Primat erhalten hatte, bedeutet offensichtlich einen Schlußstrich, und es ließe sich sehr wohl denken, daß ein vorangegangener Streit zwischen Mainz und Trier um den Primat in der Germania und Gallia dem Papst Anlaß gegeben hat, dem Gedanken des Primates den der aequalitas entgegenzusetzen. Die aequalitas-Formel im Magdeburger Privileg Benedikts VII. ist durch eine schlagende Diktatberührung mit dem nahezu gleichzeitigen Privileg desselben Ausstellers für das Kloster Memleben als authentisch gesichert144. Darf somit die aequalitas der Reichsmetropoliten als antithetische Alternative zum Gedanken des Primates einer einzelnen Metropolitankirche gegenüber allen anderen verstanden werden, so ist damit das auf 968 lautende Magdeburger Primatsprivileg vollends erledigt. Denn in ihm werden gerade die einander ausschließenden Bestimmungen des Primates einerseits und der aequalitas anderseits Class. 79 (ebd. Nr. 107; Ausstellungskatalog Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr, 1956, Nr. 381 m. Bildtafel 40); H. L u d a t , Reichspolitik und Piastenstaat um die Jahrtausendwende (Saeculum 14, 1963, S. 325-339), S. 330 ff.; ders., Piasten und Ottonen, in: I/Europe aux IXe-XI« siicles, Warschau 1968, S. 329 m. Anm. 16. 1« JL 3715 = UBEM Nr. 52. κ ι Dazu F u h r m a n n , Konstantinische Schenkung und abendländisches Kaisertum, DA 22, 1966, S. 168 f. l « JL 3808 = UBEM Nr. 95. 1 4 8 Vgl. die dahingehende Vermutung bei E w i g , Kaiserl. u. apostol. Trad., S. 181. 144 UB der ReiAsabtei Hersfeld 1, bearb. v. H. Weirich, 1936, Nr. 65, S. 126, 23: Sit que
locus ille . . . monasteriis Uuldensi, Augensi nostrorum decessorum auctoritate munitis aequalis per omnia ; JL 3808 = UBEM Nr. 95: s i t q u e . . . archiepiscopis scilicet Moguntino, Treuerensi et Coloniensi ( qualis per omnia.
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zu einem hybriden Gebilde miteinander verbunden, wobei der innere Widerspruch allenfalls durch die Einschränkung des Primates auf die Germania gemildert erscheint. Gemildert dadurch, daß vom Geltungsbereich des Magdeburger Primats die linksrheinischen Metropoliten ausdrücklich ausgeschlossen werden. Von einer aequalitas mit den drei linksrheinischen Erzbischöfen konnte doch aber dann wohl gerade nicht die Rede sein! Der Text setzt doch offenbar voraus, daß diese zunächst einmal untereinander aequales waren, so daß ihnen gerade diejenige Auszeichnung innerhalb der Gallia fehlte, die dem Magdeburger Metropoliten innerhalb der Germania vindiziert werden sollte. Zwar ist einzuräumen, daß zum Zeitpunkt des Magdeburger Privilegs - nach dem Ableben Wilhelms von Mainz - keiner der linksrheinischen Metropoliten über einen Primat verfügte. Doch schon drei Monate später wurde er dem Trierer für die Germania und Gallia zugesprochen. Hätte Adalbert von Magdeburg für sich und seine Kirche jenes außergewöhnliche Privileg wirklich erhalten, so müßte man voraussetzen, daß der Kaiser es ebenso erwirkt hat wie die übrigen zugunsten Magdeburgs ergangenen Papsturkunden. Doch anders als das päpstliche Dekret vom 20. April 967, das die kaiserliche Unterschriftszeile trägt, anders audi als das Palliumsprivileg für Adalbert vom 18. Oktober 968, das den Kaiser als Intervenienten und in der Datierung anführt, weiß das Primatsprivileg den Namen des Herrschers an keiner Stelle zu nennen. Dies würde freilich für sich allein genommen nicht zu der Annahme zwingen, der Papst habe hier sua sponte gehandelt. Daß er jedoch so bald danach, wie es geschehen sein müßte, und während der Kaiser noch in Italien stand und in Rom zurückerwartet wurde, diese Verfügung durch sein Trierer Privileg vom 22. Januar 969 desavouiert haben sollte, hat jede historische Wahrscheinlichkeit gegen sich. Benedikt VII. hat dem Erzbischof Giselher dann allerdings im Jahre 981 nicht nur durch die Statuierung der Gleichrangigkeit aller Reichsmetropoliten eine indirekte Gunst erwiesen, sondern ihm auch zugleich die Vollmacht erteilt, für den Dienst am Mauritiusaltar Kardinalpriester, Kardinaldiakone und Kardinalsubdiakone zu ordinieren. Das auf Johannes XIII. lautende Primatsprivileg enthält diese Vergünstigung auch, wird aber dadurch nur zusätzlich kompromittiert, da die dort genannte Zahl von 12 Kardinalpriestern nicht einmal von dem ausdrücklich genannten römischen Vorbild erreicht wird und auch außerhalb Roms nicht zu belegen ist 14S . Benedikt VII. hatte hier für Giselher keine Zahlen genannt, ebensowenig wie in seinem Trierer Privileg von 975, das somit durch sein Magdeburger Stück gedeckt wird 14e .
145 F ü r s t
(wie Anm. 84).
· Eine beiläufige, auf den ersten Blick unscheinbare, aber gerade deshalb eindrucksvolle Stütze erfährt JL 3783 von 975 gerade in der über die VUU hinausgehenden Passage über die Gleichstellung mit Ravenna durch v. 88,3 der von EB. Dietrich, dem Empfänger des Privilegs, verf. poetischen Vita Liudtrudis (s. Anm. 31), wo es von Ravenna heißt: Locum post Romam secundum his tenenti in partibus. Die regionale Einschränkung (his in partibus) des auf Ravenna bezogenen Rom-Prädikats ist ein Zusatz Dietrichs gegenüber seiner Prosavorlage. Sie läßt Raum für eine andere secunda Roma außerhalb Italiens. Dazu paßt der erste Beleg für 14
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Das Thema der Kardinalkleriker, mit denen zunächst die Trierer, dann die Magdeburger Kirche ausgezeichnet wurde, soll uns noch einmal in das Herz Lotharingiens zurückführen. Anfang Februar 997 tagte zu Pavia unter dem Vorsitz Papst Gregors V. eine Synode, auf der der Kampf gegen Erzbischof Giselher von Magdeburg wegen der Merseburger Frage eröffnet wurde 147 . Die Wendung, die sich hier vollzog, steht im Zusammenhang mit einem grundsätzlichen Kurswechsel in der Ostpolitik und Kaiserpolitik Ottos III. Für den Osten bedeutete dies die Abkehr von der vor allem auch durch Giselher bisher vertretenen Politik zugunsten einer neuen Konzeption, die im Jahre 1000 zu Gnesen Gestalt annahm. Von dort wandte sich der junge Kaiser nach Aachen und huldigte daselbst seinem großen Vorgänger Karl nach dem Vorbild des Augustus am Grabe Alexanders des Großen 148 . Keiner der Ottonen hat wie dieser Aachen geliebt, er als einziger hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Den Thron Karls des Großen hat er als sein Erbe ausdrücklich in Anspruch genommen. Aus Gnesen brachte er eine Reliquie des hl. Adalbert nach Aachen und stiftete dem Preußenapostel daselbst eine Kirche: Zum ersten Male eine Translatio von Ost nach West, aus der Sclavinia in die Gallia! Auf der gleichen Synode von Pavia, die mit der Kampfansage an Giselher diese folgenreiche Wendung eingeleitet hat, erteilte Gregor V. dem Kaiser für sein Aachener Pfalzstift das Privileg, dort sieben Kardinalpriester und sieben Kardinaldiakone zur Betreuung des Marienaltars bestellen zu dürfen u e . Nicht so sehr das Trierer als vielmehr das Magdeburger Vorbild dürfte hier bestimmend gewesen sein, das Aachener Pfalzstift sollte hinter der Magdeburger Pfalzkathedrale nicht zurückstehen 150 . Die Reise, die Otto III. von Gnesen über Magdeburg nach Aachen führte, war ein neuer demonstrativer Brückenschlag von Ost nach West, in seiner politischen Aussagekraft vergleichbar allein der Krönung von 936 und doch zugleich ein andersartiges, ja neuartiges Bekenntnis zu der in Aachen verankerten karolingischen Tradition. die Bezeichnung Triers als Roma secunda in der aus dem letzten Viertel des 10. Jh.s stammenden Vita s. Deicoli. Vgl. Η. Τ h ο m a s , Der Mönch Theoderich von Trier und die Vita Deicoli (Rhein. Vierteljahrsbll. 31, 1966/67, S. 42-63), S. 56. Als Autor erweist Thomas mit überzeugenden Argumenten Theoderich, Mönch zunächst im burgund. Kl. Lure (Lüders), Diözese Besangon, seit 1006 des KI. St. Eucharius (St. Matthias) zu Trier und Vf. der Translatio s. Celsi. Vgl. auch dens., Studien (wie Anm. 62) S. 162 ff.; zu EB Dietrichs poet. Vita Liudtrudis: Β e u m a η η , Pusinna, Liudtrud und Mauritius (wie Anm. 29) bei Anm. 53. Für einen Zusammenhang von Trierer Primatsanspruch, aequalitas mit Ravenna und secunda-RomaPrädikat spricht auch die Chronologie: Terminus post quem für die Vita Deicoli ist Mai 973 ( T h o m a s , Der Mönch Theoderich S. 49), das um den Ravenna-Vergleich erweiterte Primatsprivileg (JL 3783) ist auf den 18. Jan. 975 datiert, sein Empfänger ist Vf. der V. s. Liudtrudis. M ' Böhmer-M. Uhlirz Nr. 1217i; W. S c h l e s i n g e r in: H. B e u m a n n u. W. S c h l e s i n g e r , Urkundenstudien zur deutschen Ostpolitik unter Otto III., Archiv f. Diplomatik 1, 1955, S. 214 ( = W. S c h l e s i n g e r , Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, 1961, S. 377). 1 4 8 H. B e u m a n n , Grab und Thron Karls d. Gr. zu Aachen (wie Anm. 13), S. 32 f. 14» JL 3875 von 997 Febr. 8. Dazu F ü τ s t S. 119ff.; W. S c h l e s i n g e r , Zur Geschichte d. Magdeburger Königspfalz (wie Anm. 84) S. 25 ff. 15« Vgl. die i. d. vorigen Anm. gen. Arbeit von W. S c h l e s i n g e r .
DAS KAISERTUM OTTOS DES GROSSEN EIN RÜCKBLICK NACH TAUSEND J A H R E N * EIN Jahrtausend trennt uns von dem Krönungsakt des 2. Februar 962 in der Peterskirche zu Rom, durch den Otto d. Gr. die Kaiserwürde erwarb. Im Geschichtsbewußtsein des deutschen Volkes scheint die Distanz allerdings weit größer zu sein: während bereits seit geraumer Zeit Vorbereitungen getroffen werden, der Erhebung der Gebeine Karls d. Gr. im Jahre 1965 mit einer Ausstellung und einer umfangreichen Publikation zu gedenken, hat die tausendste Wiederkehr des Krönungstages Ottos d. Gr. offizielle Veranstaltungen nur außerhalb Deutschlands, nämlich in Wien und in Rom, ausgelöst. Dem römischen Festakt war eine wissenschaftlicheTagung in Ravenna vorausgegangen. In Deutschland hat es, sieht man von einigen Sätzen in der Berliner Rede des Bundespräsidenten vom 2. Februar dieses Jahres 1 ) ab, keine offizielle Reaktion gegeben, von vergleichbaren Veranstaltungen ganz zu schweigen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung würdigte das Ereignis mit einer Woche Verspätung durch einen Beitrag 2 ), bei dem man sich nur fragen kann, was für die Lage bezeichnender ist: daß er geschrieben werden konnte, oder daß er in einer unserer führenden Zeitungen erscheinen durfte. Dabei kann man nicht sagen, daß wir in einer jubiläumsfeindlichen Zeit leben. Karls V. wurde mit einem wissenschaftlichen Symposion3), des Kurfürsten Clemens August von Köln mit einer Ausstellung4), des tausendjährigen Trierer Marktkreuzes mit einer *) Die folgenden Ausführungen geben in etwas erweiterter und um die notwendigsten Belege vermehrter Fassung einen Vortrag wieder, der in einer Stunde des Gedenkens an die Kaiserkrönung Ottos d. Gr. vor dem Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e. V. am 17. März 1962 im Ratssaal zu Konstanz gehalten wurde. Rede zur Eröffnung der „Grünen Woche". 3 ) M. Freund, Das trügerische Jahrtausend. Frankfurter Aligemeine Zeitung v. 10. Febr. 1962, Nr. 35. a ) 2 6 . - 2 9 . Nov. 1958. Vgl. Karl V., der Kaiser und seine Zeit, hrsg. v. P. Rassow u. F . Schalk, 1960. 4 ) Der Ausstellungskatalog „Kurfürst Clemens August, Landesherr und Mäzen des 18. Jahrhunderts, Ausstellung im Schloß Augustusburg zu Brühl 1961", Köln, enthält auch eine Abbildung der Wiener Krone (Taf. 60) und
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Sondermarke der Bundespost gedacht. Die Beispiele ließen sich vermehren. Wie erklärt sich die deutsche Zurückhaltung gegenüber einem historischen Ereignis, daß wie wenige in den Gang der deutschen Geschichte eingegriffen hat, gegenüber dem Beginn der deutschen Kaiserzeit, der Wilhelm v. Giesebrecht sein großes Werk widmete, gegenüber dem mittelalterlichen Kaisertum 1 ) also, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, wie es seit dem 15. Jahrhundert hieß und das bis in die Tage Napoleons Bestand gehabt hat, damals freilich längst seiner einstigen Bedeutung und seines alten Glanzes beraubt ? Mögen im einzelnen auch mancherlei Zufälle mit im Spiel gewesen sein, die dazu geführt haben, dem Trierer Marktkreuz größere Aufmerksamkeit zu sichern als Otto dem Großen und dem Beginn der deutschen Kaiserzeit: im ganzen fehlt es nicht an tieferen Gründen. Die deutsche Kaiserpolitik des Mittelalters, die mit dem 2. Februar 962 ihren Anfang nahm, ist in den Kreisen der deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts bereits lebhaft umstritten gewesen. Nun ist zwar der politische Hintergrund der Sybel-Fickerschen Kontroverse 2 ), das Ringen um die deutsche Frage im klein- oder großdeutschen Sinne, längst nicht mehr aktuell. Die sachlichen Argumente jedoch, die im Pro und Contra des einstigen Streites ausgetauscht worden sind, haben ihr Gewicht offenbar auch heute noch nicht verloren. Martin Lintzels Buch über „Die Kaiserpolitik anderer Reichsinsignien, deren Aachener Kopien in der Ausstellung als Hinweis auf die Beziehungen des Hauses Wittelsbach zur Kaiserwürde gezeigt wurden. x) Zum Jubiläumsjahr der Lechfeldschlacht sind erschienen H. Appelt, Die Schlacht auf dem Lechfeld, Blätter für die Heimatkunde von Graz 29, 1955, 39—47; T. v. Bogyay, Lechfeld am Ende und Anfang. Ein ungarischer Beitrag zur Tausendjahrfeier des Sieges am Lechfeld, 1955; H. Büttner, Die Ungarn, das Reich und Europa bis zur Lechfeldschlacht des Jahres 955, Zs. f. bayer. L G 19, 1956, 433—58; B. Eberl, Die Ungarnschlacht auf dem Lechfeld (Gunzenle) im Jahre 955, Abh. z. Gesch. d. Stadt Augsburg, Schriftenreihe des Stadtarchivs Augsburg 7 (1955); E. Gebele, Tausend Jahre Ungarnschlacht, Schwäbische Blätter f. Volksbildung u. Heimatpflege 6, 1955; F. Zoepfl, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, 1955; W. Zorn, Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt (1955). 3 ) Die Hauptschriften erschienen in den Jahren 1859—62, also am Ende des 9. Saeculums seit der Renovatio von 962. Vgl. Univcrsalstaat oder Nationalstaat, Macht und Ende des Ersten Deutschen Reiches, Die Streitschriften von Heinrich von Sybel und Julius Ficker, hrsg. u. eingel. v. Friedrich Schneider, 1941; Fr. Schneider, Die neueren Anschauungen der deutschen Historiker über die deutsche Kaiserpolitik des Mittelalters und die mit ihr verbundene Ostpolitik, 6 1943.
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Ottos d.Gr." von 19431) ist alles andere als ein Beispiel engagierter und gegenwartsbezogener Geschichtsschreibung, steht jedoch im Ergebnis der Sybelschen Auffassung nahe. Lintzel faßt dieses sein Resultat in den Satz zusammen: „Die Kaiserpolitik Ottos war für die innere und äußere Sicherung des deutschen Staates nicht notwendig, und sie hat einzelne Bezirke der innerpolitischen Stellung des Königs vielleicht, die deutsche Politik im Osten und Norden höchstwahrscheinlich beeinträchtigt" 2 ). Im Hinblick auf die Folgen solcher Politik, die bei diesem Urteil noch nicht berücksichtigt sind, heißt es weiter: „Der Weg, den Otto einschlug, lockte und führte schließlich in einen Abgrund. . . .Gewiß, es mag sein, daß dieser Weg dem deutschen Reich zunächst ein glanzvolleres Dasein sicherte; aber wenn man auf sein Ende sieht, so muß sich der Eindruck des Glanzes verdunkeln" 3 ). Die Begründungen für dieses auf den ersten Blick vernichtend anmutende Urteil können allenfalls in Einzelheiten, kaum jedoch in ihrer Gesamtheit entkräftet werden 4 ). Am allerwenigsten wird man in der Beurteilung der späteren Folgen zu einem wesentlich anderen Ergebnis gelangen können. Das Urteil über Otto d. Gr. kann allerdings auf sie nicht in erster Linie gestützt werden, da man ihm billigerweise nicht nachträglich vorhalten kann, er habe das Reformpapsttum und eine Gestalt wie Gregor VII. als künftige Möglichkeit außer acht gelassen. Eine Politik, die erst unter den veränderten Verhältnissen einer späteren Epoche ihre verhängnisvolle Kehrseite zeigte, hätte gleichwohl der Lage des 10. Jahrhunderts angemessen sein können. Doch auch und gerade dies wird in Zweifel gezogen. Den Herrschaftsrechten Ottos, die er vor der Kaiserkrönung besaß, sei durch diese außer der Herrschaft über Rom und den Kirchenstaat und vor allem über den Papst nichts Greifbares hinzugefügt worden. Diese Herrschaft war jedoch labil, und wenn sie auch von Otto, freilich unter erheblichem Kräfteaufwand, durchgesetzt werden konnte, so sei doch ihr Nutzen für den deutschen Staat, ja nicht einmal für die ottonische Missionspolitik im Osten, bei der man es am ehesten erwarten müßte, zu erkennen. Weder sie noch die Königsherrschaft über die deutsche Kirche, auf die sich Ottos Regierung in ihrer zweiten Phase stützte, habe durch die Kaiserwürde gefördert werden können. Im Gegenteil: Gerade x ) Wiederabgedruckt in M. Lintzel, Ausgewählte Schriften 2, 1961 (hier nach der 1. Ausgabe zitiert). 2 ) S. 101. 3 ) S. 112. *) Mit Lintzels Buch hat sich auseinandergesetzt F. Rörig, Die Kaiserpolitik Ottos d. Gr., in: Festschrift Ε. E. Stengel, 1952, S. 203—222.
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auf dem Felde der Missionspolitik haben sich nach 962 Schwierigkeiten ergeben, von denen vorher nichts zu spüren gewesen war. V o n einer Universalherrschaft über das christliche Abendland, wie sie K a r l d . G r . noch hatte ausüben können, konnte ohnehin keine R e d e mehr sein. Allenfalls kann m a n von einer universalen Geltung, von einer höheren dignitas des Kaisers gegenüber den Königen sprechen. M a n hat eingeräumt, daß die Italienpolitik, mit der m a n das Gesamtphänomen zu bezeichnen pflegt, keine unteilbare Einheit zu sein brauchte. Die Erwerbung des Langobardenreiches sei sicher anders und auch günstiger zu beurteilen als die Rompolitik, und von beiden seien Ottos Unternehmungen in Süditalien zu unterscheiden, deren Nutzen a m wenigsten einzuleuchten vermöge. Daß der erste Schritt hier den zweiten und dieser den dritten notwendig nach sich gezogen habe, könne jedenfalls nicht überzeugend begründet werden. E s wird zugegeben, daß die traditionellen Interessen der süddeutschen S t ä m m e a m Langobardenreich den K ö n i g zum Eingreifen in Oberitalien veranlassen konnten, u m einem Herauswachsen dieser S t ä m m e aus dem deutschen Reich vorzubeugen, doch sprechen die geringen Erfolge der bairischen und alemannischen Italienpolitik nicht für eine besondere Aktualität gerade dieser Gefahr. Auch g a b es in der Welt des 10. Jahrhunderts keinen ernsthaften Rivalen, der Otto dem Großen in der Herrschaft über R o m und das Papsttum hätte zuvorkommen können. Schließlich hatte sich die Kaiserkrone unlängst in den Händen eines Wido, L a m b e r t und Berengar befunden, ohne daß dadurch das ostfränkischdeutsche Reich gefährdet oder auch nur in seiner Entfaltung behindert worden wäre. Endlich könne m a n auch handelspolitische Motive als zwingend k a u m in Anspruch nehmen, d a nicht einzusehen sei, weshalb die Italiener der im Norden angrenzenden Großmacht den Handel hätten verwehren sollen. Daß die Kaiserpolitik Ottos für die innere und äußere Sicherung des deutschen Staates notwendig gewesen sei, läßt sich nach der eingehenden und scharfsinnigen Analyse Lintzels gewiß nicht mehr vertreten. D a s Urteil wiegt schwer, wenn m a n die schicksalhaften Folgen bedenkt, die diese Politik gerade für die deutsche Geschichte nach sich gezogen hat. E s ist jedoch die Frage, ob dies das letzte und abschließende Urteil des Historikers über die Kaiserpolitik Ottos d. Gr. sein kann. D a die vorgetragene Argumentation in sich überwiegend schlüssig ist, wird man ihre Grundlagen zu überprüfen haben, die nicht oder nur unzulänglich erörterten Prämissen, auf die die Beweisführung gegründet ist. Hierher gehört zunächst der Begriff des „deutschen S t a a t e s " , dessen „Interessen" durchgängig als Beurteilungsmaßstab voraus-
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gesetzt werden. Die damit berührte Frage nach der Entstehung des deutschen Volkes und Reiches hat zuletzt Walter Schlesinger zusammenfassend erörtert 1 ). Die ersten entscheidenden Symptome fassen wir im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts. Als die früheste erkennbare Regung eines überstammlichen Gemeinschaftsbewußtseins der im ostfränkischen Reich vereinigten Stämme darf die Erhebung Arnulfs von Kärnten um so eher gelten, als die Zurückweisung der ihm angebotenen westfränkischen Krone die Tendenz zur Herauslösung aus dem Gesamtreich verrät. In den Wahlen von 911 und 919, über die Emanzipation vom karolingischen Hause bis hin zur Erhebung eines nichtfränkischen Königs, wird dieser Weg konsequent fortgesetzt. Das hier in politisches Handeln umgesetzte Gemeinschaftsbewußtsein ist sicherlich durch die Schicksalsgemeinschaft im Verbände des ostfränkischen Reichs zur Entfaltung gelangt, scheint aber, wie Indizien erkennen lassen, ältere Wurzeln zu haben. Ebenfalls im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts bemerkt man ein von den dynastischen Teilungen der Karolinger unabhängiges Bewußtsein einer Dreigliederung des Gesamtreichs in ά\£ Germania, Gallia und Italia, wobei sich die Germania mit der Francia orienlalis, dem Bereich der deutschen Stämme, deckt. Bei ihnen hat sich obendrein gegenüber dem romanischen Bereich im Westen und Süden sowie dem slawischen im Osten ein auf die sprachlichen Verschiedenheiten gegründetes Kontrastbewußtsein herausgeformt. Wir fassen es im Zusammenhang mit den frühen Belegen für das Wort „Deutsch", das zunächst auf die Sprache, die lingua gentilis, geht und den Begriffen des Welschen und des Wendischen korrespondiert. Das in diesen Worten sich ausprägende Distanzgefühl gehört offenbar einer sehr viel älteren Stufe an; erst die politische Konstellation des in große Teile zerlegten Frankenreichs hat solchen bisher verborgenen Kräften zur politischen Wirkung verholfen. Die sich hier herausformende neue Individualität ist ein supragentiles Gebilde, darin dem Frankenreich vergleichbar, das mit Recht als Uberwinder des völkerwanderungszeitlichen Gentiiismus bezeichnet worden ist; es unterscheidet sich jedoch von ihm durch die Bedeutung, die hier der Sprache offenbar auf dem Umweg über ein Kontrastbewußtsein als Integrationsfaktor zukommt. E s ist bezeichnend, daß eine gentile Deutung dieser neuen Gemeinschaft nur auf dem Umweg über gelehrte Spekulation gewonnen werden konnte : mit Hilfe der in Fulda gemachten Entdeckung, daß die Teutonen 1 ) W. Schlesinger, Die Grundlagen der deutschen Einheit im frühen Mittelalter, in: Die deutsche Einheit als Problem der europäischen Geschi hte, Beiheft zu „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht" (1960), S. 5—45.
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Germanen gewesen waren1). Dank der sprachlichen Nähe dieses Stammesnamens zum fränkischen theodisk konnten die Teutonen zur gens eponyma des deutschen Volkes werden. Daß sich eine solche gelehrte Spekulation anders als zum Beispiel diejenige von der trojanischen Abkunft der Franken durchsetzen konnte, spricht für die Lebendigkeit des Gemeinschaftsbewußtseins, auf das sie sich bezog, beleuchtet aber auch den Unterschied gegenüber dem Frankenreich, das in der gens Francorum sein tatsächliches Reichsvolk hatte. Bevor ein deutsches Reich entstand, beobachten wir die Entstehung einer neuen Wir-Gruppe, mit der das deutsche Volk in die Geschichte eintritt. Damit beginnt zugleich das Zeitalter der europäischen Völker. Kann man nun aber mit Martin Lintzel sagen: „Es gab im 10. Jahrhundert keine Tradition universaler Art, die mächtiger gewesen wäre als das, was man den deutschen Staatsgedanken in dieser Zeit nennen könnte" 2 ) ? Die Indizien, auf die sich die Forschung auf der Suche nach den Anfängen des deutschen Gemeinschaftsbewußtseins zu stützen pflegt, gehören überwiegend in den Bereich des „Unterschwelligen". Die Terminologie sowohl der amtlichen Dokumente als auch der zeitgenössischen Geschichtsschreiber nimmt von solchen Gegebenheiten wenig Notiz. Im Bonner Vertrag von 921 treten einander gegenüber der rex Francorum occidentalium und der rex Francorum orientalium2). Widukind von Korvei betrachtet denpopulus Francorum atque Saxonum als das Reichsvolk der Ottonen 4 ), und die Belege für das Bewußtsein, in einer fränkischen Tradition zu stehen, lassen sich ohne Schwierigkeit vermehren. Niemand zweifelt daran, daß in der Aachener Wahl und Krönung Ottos d. Gr. von 936 die beteiligten Vertreter aller deutschen Stämme ein eindrucksvolles Bekenntnis ihrer Solidarität abgelegt haben. Die Wahl fand jedoch im Gegensatz zu den vorausgegangenen Königswahlen in Aachen, der Kaiserstadt Karls d. Gr. 5 ), und damit zugleich auf lothringischem Boden 6 ) statt, also außerhalb des Ann. Fuld. zu 876, hrsg. v. Kurze S. 89: Theutonica lingua; es handelt sich um den Teil der Annalen, in dem Tacitus benutzt ist. Vgl. S. Hellmann, NA 33, 1908, 742; L. Weisgerber, Der Sinn des Wortes „Deutsch", 1949, S. 49. s ) Lintzel S. 52. 3 ) MG Const. 1 Nr. 1. 4 ) Vf., Widukind von Korvei, 1950, S. 225ff. 5 ) Nachdrücklich betont bei P. E . Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio I, 1929 ( 2 1957), S. 68. β ) P. E . Hübinger, König Heinrich I. und der deutsche Westen, AHVNrh. 131, 1937, 23.
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Bereichs der deutschen Stämme. Wir werden auf die Aachener K r ö n u n g noch zurückzukommen haben und fragen zunächst nach der Rolle Lothringens im ottonischen Reich. Die Erwerbung Lothringens durch Heinrich I. 1 ), von Franz Steinbach treffend als Zusammenschluß zweier Reiche charakterisiert 2 ), bedeutet in unserem Zusammenhang, daß die ottonische Politik schon in ihren ersten Anfängen über den Bereich der deutschen Stämme hinausstrebte. Der supragentilen Gemeinschaft des deutschen Volkes, die sich im ostfränkischen Reich abgezeichnet hatte, gehörten dieLotharingier nicht an, und sie sind im weiteren Verlauf auch nur zu einem Teil mit dem deutschen Volk verschmolzen worden. Deutsches Volk und ottonischesReich lassen sich also schon in der Zeit Heinrichs I. nicht zur Deckung bringen, u n d dies gilt u m so mehr von der Zeit Ottos d.Gr., in der die Reichsgrenzen in den slawischen R a u m jenseits von Elbe und Saale und mit der M a r k Verona in italienisches Gebiet vorgetrieben wurden. Gemessen am Siedlungsraum der deutschen Stämme bedeutete der Zusammenschluß mit Lotharingien eine Erweiterung des ottonischen Reiches u m etwa ein Drittel der bisherigen Fläche, hinsichtlich des historischen, kulturellen und politischen Gewichtes noch um einiges m e h r : den Städten Aachen, Köln und Trier wird m a n allenfalls Mainz, Regensburg und Magdeburg gegenüberstellen können. Schon hieraus folgt eine Verschiebung der Gewichte, die den Charakter des Ganzen verändern mußte. Die Art dieser Veränderung ergibt sich aus dem besonderen und, im Vergleich zu den deutschen Stammesgebieten, völlig andersartigen Charakter Lotharingiens. Franz Steinbach hat darauf hingewiesen, daß seine Grenzen im Vertrag von Verdun im Osten und Westen lediglich nach den Bedürfnissen des Ost- und Westreichs gezogen worden waren 3 ); ohne räumliche und ethnische Einheit saß es, wie m a n gesagt hat, rittlings auf der Sprachgrenze. Konzipiert waren diese Grenzen im übrigen ursprünglich für das Teilreich des Kaisers Lothar, das außerdem Burgund u n d Italien und vor allem die beiden Kaiserstädte Aachen und R o m umschloß. Erst aus dem Zerfall dieses von H a u s aus unorganischen Gebildes war das Reich Lothars II. hervorgegangen, dessen N a m e n es fernerhin tragen sollte. An der Erhebung Arnulfs 887 hatten sich die Lothringer 1
) Hübinger (wie vorige Anm.); H. Sproemberg, Die lothringische Politik Ottos d. Gr., RhVjbll. 11, 1941, 1—101 (auch in: Beitrr. z. belgisch-niederländischen Gesch., 1959, S. 111 ff.). 2 ) F. Steinbach, Gibt es einen lotharingischen R a u m ? RhVjbll. 9, 1939, 52—66. 3
) Steinbach S. 57 f.
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nicht beteiligt, doch erschien ihr Episkopat schon im nächsten J a h r auf einer Mainzer Synode. Arnulf war bereits als König von Italien anerkannt, als er seinen Bastard Zwentibold 995 zum König in Lothringen einsetzte. Zwentibold hat hier im eigenen N a m e n u n d mit einer eigenen Kanzlei geurkundet, und Theodor Schleifer hat den Vorgang geradezu als eine Reichsteilung bezeichnet 1 ), die einen engen politischen Anschluß des Sohnes an den Vater allerdings nicht ausschließen konnte. Beachtung verdient die E h e Zwentibolds mit Oda, der Tochter des Sachsenherzogs Otto u n d Schwester Heinrichs I., die auf Veranlassung Arnulfs geschlossen wurde. Die Erinnerung an die E h e Liudgards, der Schwester Ottos d. Erlauchten, mit Ludwig dem Jüngeren dürfte dabei mitgespielt haben 2 ). Dieser hatte in den Verträgen von 879 und 880 den westfränkischen Teil Lothringens zurückgewonnen. Die lothringische Politik Heinrichs I. hatte also eine Tradition in seiner eigenen Familie. Es fällt auf, daß Arnulf, der 896 vom Papst Formosus die Kaiserkrone erhielt, 894 König von Italien geworden war und 895 seinen Sohn zum König von Lotharingien gemacht hatte. Die damit begründete hegemoniale Stellung kommt als Voraussetzung seiner Kaiserwürde in Betracht, und unter dem imperialen Gesichtsp u n k t könnte die Frage, ob Zwentibold Unterkönig oder Herrscher eines Teilreichs gewesen ist, gegenstandslos werden. Jedenfalls hat der Fuldaer Annalist die K r ö n u n g Karls d. K. zu Metz 869 in solchem Lichte gesehen, wenn er mißbilligend berichtet, Karl habe sich imperator et augustus nennen lassen, quasi duo regna possessurus3). Das Bild rundet sich vollends bei einem Blick auf Arnulfs Burgundpolitik 4 ). Diese steht in engstem Zusammenhang mit der lothringischen, aber auch mit der Italienpolitik. Gegen Rudolf von Burgund, den Beherrscher der westlichen Alpenpässe, hat Arnulf Ludwig von der Provence, den südlichen Rivalen Rudolfs, begünstigt. 893 steht Zwentibold vor Pavia, 894 operiert Arnulf in Oberitalien u n d in Burgund, wo auch Zwentibold mit einem schwäbischen Heer erscheint. Endlich weiß der Fuldaer Annalist, der hierin allerdings allein steht, zu melden, Zwentibold sei 895 auf dem Reichstag zu Worms nicht nur in Lothringen, sondern auch in Burgund König geworden. Die Nachricht braucht nicht falsch zu sein, da eine Herrschaftsausübung Zwentibolds im R a u m von Besangon nachzuweisen ist. Wir können also festhalten, 1
) Th. Schieffer, Die lothringische Kanzlei um 900, DA 14, 1958, 27f. ) Schieffer S. 30. 3 ) Ann. Fuld. S. 6 9 f . ; Ε. E. Stengel, Kaisertitel und Suveränitätsidee, DA 3, 1939, 6 f . 4 ) Zum Folgenden Schieffer S. 25 ff. 2
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daß der erste von den deutschen S t ä m m e n erhobene König die Hegemonie über einen R a u m erstrebt hat, der im großen u n d ganzen das Mittelreich Lothars I. von 843 umfaßte. Es liegt auf der H a n d , daß die Linien der ottonischen Politik hier vorgeprägt sind. Der Herrschaftsantritt Ludwigs des Kindes bedeutete das E n d e des lothringischen Sonderkönigtums u n d damit des Versuchs, dem Reich Lothars II. Dauer zu verleihen 1 ). Eine Sonderstellung wahrte Lothringen aber auch unter dem letzten ostfränkischen Karolinger. An seiner E r h e b u n g zu Forchheim sehen wir die Lothringer nicht beteiligt, vielmehr k o m m t es zu einer gesonderten Huldigung in Diedenhofen wenige Wochen darauf 2 ). U m ein frühes Beispiel des Königsumritts im Sinne einer fortgesetzten Wahl 3 ) handelt es sich hier wohl k a u m . Denn die Lothringer fehlen auch k ü n f t i g auf ostfränkischen Reichsversammlungen, während f ü r Herbst 906 eine lothringische Versammlung zu Metz bezeugt ist, u n d zu diesem Bilde paßt auch gut, daß die Erzkanzlerwürde Ratbods von Trier nicht aufgehoben wurde. Allerdings tritt jetzt an die Stelle des besonderen lotharingischen Königs das Amtsherzogtum in den H ä n d e n der Konradiner, die zwar im Moselraum verwurzelt waren, ihren Machtschwerpunkt jedoch im Ostreich hatten. I m Schatten dieser nicht im L a n d e residierenden Amtsträger reifte die bodenständige Herzogsgewalt des mächtigen Reginar, des Herren zwischen Maas u n d Scheide, an dessen Gegenwirkung Zwentibold hatte scheitern müssen. Reginar ist es denn auch gewesen, der nach dem Tode Ludwigs des Kindes 911 den Anschluß Lothringens an das Westfränkische Reich Karls des Einfältigen herbeiführte. Der Unterschied zur H a l t u n g der deutschen Stämme, die einen Konradiner erhoben, ist deutlich. Ein E n d e der ostfränkisch-deutschen Westpolitik bedeutete diese Wendung der Dinge nicht. König K o n r a d hat die Wiedergewinnung Lothringens sogar als Erstes in Angriff genommen, m u ß t e sich allerdings mit ephemeren Teilerfolgen im Elsaß u n d in Friesland begnügen 4 ). Erst seinem Nachfolger ist der volle Erfolg beschieden gewesen. Niemand wird sagen wollen, daß die ostfränkische Lothringenpolitik, deren Kontinuität wir verfolgen konnten, den Interessen des deutschen Volkes zuwidergelaufen sei. Schließlich wohnten links des Rheines Menschen der gleichen Zunge, und erst die Gewinnung des linken Rheinufers sicherte die verkehrs!) Ebd. S. 33f. ) Das Folgende wieder nach Schleifer S. 108 f. s ) Hierzu Roderich Schmidt, Königsumritt und Huldigung in ottonischsalischer Zeit (Vortrr. u. Forsch. 6, 1961, hrsg. v. Th. Mayer), S. 97—233. 4 ) R. Holtzmann, Gesch. d. sächs. Kaiserzeit, 3 1955, S. 61. 2
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politisch für die Integration der deutschen Stämme so wichtige Rheinlinie 1 ). Das gerade hier massierte umfangreiche Reichsgut dürfte einen weiteren Anreiz gebildet haben. Der Satz Lintzels von der dominierenden Rolle des deutschen Staatsgedankens gegenüber jedweden universalen Tendenzen u n d der karolingischen Reichstradition gilt jedoch für Lothringen in keiner Weise. W ä h r e n d sich im Osten und Westen neue geschichtliche Formationen abzeichneten, war Lothringen sozusagen Übriggeblieben,· f ü r sein politisches Bewußtsein angewiesen allein auf eine Tradition, die allerdings ein ganz besonderes Gewicht hatte. Lothringen war die Heimat der Karolinger und besaß mit Aachen die H a u p t s t a d t Karls d. Gr. So ist es kein Wunder, daß Lothringen den Kaisergedanken lebendiger bewahrt hat als irgendein anderes L a n d nördlich der Alpen 2 ). Bezeichnend d a f ü r ist, daß Karl der Einfältige in den Jahren seiner Herrschaft über Lothringen vorzugsweise in diesem L a n d e residiert hat und hier auch weit mehr Unterstützung f a n d als in seiner westfränkischen Heimat 3 ). Die staatsrechtliche Bedeutung, die dieser Karolinger der Herrschaft über Lothringen beilegte, ergibt sich aus dem zuletzt von Karl d. Gr. geführten Titel rex Francorum, den Karl d. E. nach dem Erwerb Lothringens in seinen U r k u n d e n führte 4 ). Als Pflegestätte spätkarolingischer, von der Hofschule Karls d. K. beeinflußter Kultur und Tradition tritt uns am Anfang des 10. J a h r h u n d e r t s Lüttich unter Bischof Stephan entgegen, dem in dieser Hinsicht sein einstiger Mitschüler R a d b o d von Utrecht zur Seite zu stellen ist. Im H i n t e r g r u n d steht die Gestalt H u k b a l d s von St. A m a n d , der zwischen westfränkischem u n d lothringischem Geistesleben vermittelte. Aus der Schule Stephans ist endlich mit Rather eine der fesselndsten Figuren des ottonischen Geisteslebens hervorgegangen 6 ). Bezeichnend noch für die spätere H a l t u n g des lothringischen R o m a n e n t u m s ist Bischof Wazo von Lüttich, der Zeitgenosse Heinrichs III., der trotz seines Konfliktes mit diesem das Romanum Imperium, nicht ausdrücklich das deutsche KönigVgl. Hübinger S. 3 f. und das dort zitierte Urteil Rankes (Weltgesch. VI, 2, 1885, S. 126): „An das spätere Deutschland h ä t t e sich nicht denken lassen, wenn die deutschen Bestandteile (Lothringens) in dem westfränkischen Reich verblieben wären"; Steinbach S. 58. 2 3
) Vgl. auch Rörig S. 208f. ) Hübinger S. 9; Sproemberg, Beitrr. S. 126.
*) Hübinger S. 7 f. 5 ) Sproemberg in: Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im MA, Deutsche Kaiserzeit I, 1, 1938, S. 124ff.
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tum, bejaht hat 1 ). In diesem Zusammenhang ist jedoch vor allem das lothringische Reformmönchtum der Gorzer Observanz zu nennen 2 ), das im Gegensatz zu der von Cluny Schutz und Herrschaft des Königs bejaht hat 3 ) und zu den treibenden Kräften der ottonischen Kaiser-, Rom- und Universalpolitik gezählt werden muß. Zum Gorzer Kreis gehört der Abt Adso von Montier-en-Der 4 ), der in seinem Brief an Ottos Schwester Gerberga um 950 den Gedanken äußert, der Fortbestand des römischen Reiches sei erforderlich, um das Kommen des Antichrist aufzuhalten, und es werde durch das fränkische Königtum derzeit gleichsam vertreten. Endlich weist er auf einen letzten großen Frankenkönig voraus, der das ganze römische Reich noch einmal vereinen werde 5 ). Zu den Hochburgen der Gorzer Reform gehörte das Trierer Kloster St. Maximin. Aus ihm kamen die Mönche, mit denen Otto d. Gr. das Magdeburger Mauritius-Kloster 937 besiedelte, und aus St. Maximin war auch Adalbert hervorgegangen, der erste Erzbischof von Magdeburg, den Otto d. Gr. zuvor nach Kiew entsandt hatte, wo es um die Frage eines Anschlusses des Reiches von Kiew an die römische Kirche ging. In weiträumige, universale Zusammenhänge gehört auch die Reise, die der Reformabt Johannes von Gorze im Auftrage Ottos 953 nach Cordoba unternahm. Die Bedeutung, die Otto d. Gr. der Herrschaft über Lothringen beigemessen hat, ergibt sich aus der Einsetzung seines Bruders Brun zum Metropoliten von Köln und zum archidux, zum tutor und provisor des Okzidents, wie es Ruotger 6 ) ausdrückt, also zum obersten Leiter der Reichspolitik im Westen 7 ). Als Exponent der ottonischen Reichsregierung hat auch Brun das Gorzer Reformmönchtum tatkräftig gefördert 8 ), und es verdient Beachtung, daß der Biograph, den er aus diesem Kreise gefunden hat, das ottonische Reichskirchensystem, das in Bruns Doppelstellung eine beispielhafte Verkörperung gefunden hat, gegen seine Kritiker leidenschaft1
) Sproemberg, Lüttich u. d. Reich im MA, in: Beitrr. S. 353. ) Grundlegend K. Hallinger O. S. B., Gorze-Kluny, 2 Bde., Rom 1950/51 (Studia Anselmiana 22—25); dazu Th. Schleifer, Cluniazensische od. gorzische Reformbewegung ? Archiv f. mittelrh. KiG 4, 1952, 24—44. 3 ) H. Büttner, Verfassungsgeschichte und lothring. Klosterreform, in: Aus MA u. Neuzeit, Festschr. G. Kallen, 1957, S. 17—27; F. Lotter, Die Vita Brunonis des Ruotger. Ihre historiographische und ideengeschichtl. Stelig. (Bonner Histor. Forsch. 9), 1958, S. 67 u. Anm. 14. *) Hallinger S. 60; Lotter S. 79. 5 ) Lotter S. 98 mit weiterer Lit. β ) Vita Brunonis c. 20, hrsg. v. I. Ott (MG SSRG NS 10) 1951, S. 19. 7 ) Sproemberg in: Wattenbach-Holtzmann S. 84f. mit Anm. 5. 8 ) Lotter S. 86ff. 2
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lieh in Schutz nahm 1 ). Es spricht manches dafür, daß die Reichskirchenpohtik, zu der Otto nach den bösen Erfahrungen, die er mit den Stämmen und Herzögen hatte machen müssen, schließlich überging, in Lothringen die stärkste Unterstützung fand, wenn es sich nicht gar um eine lothringische Konzeption gehandelt hat 2 ). Ähnliches gilt, wie sich gezeigt hat, für die Missionspolitik im Osten, es gilt aber auch für die Kaiserpolitik in ihrer römischen Form. Nicht nur Ruotger in seiner Vita Brunonis, sondern auch andere lothringische Geschichtsschreiber belegen Otto den Großen seit etwa 955 mit dem Titel imperator und lassen ihn 962 zum caesar oder augustus werden 3 ). Zwar handelt es sich hier um Aufzeichnungen aus der Zeit nach 962, doch gewinnt in diesem Zusammenhang eine Beobachtung Stengeis an Bedeutung, nach der in Diplomen Ottos seit 940, die sich durchweg auf Trier beziehen, von einer imperialis auetoritas die Rede ist4). Im Hinblick auf die Kritik, die die ottonische Italienpolitik in Sachsen hier und da erfahren hat, findet sich sogar bei Martin Lintzel die zweifelnde Bemerkung, ob eine Unterlassung der Italienpolitik nicht am Ende eine noch sehr viel stärkere Kritik hervorgerufen haben würde 6 ). Damit dürfte wohl der Kern der Dinge getroffen sein. Der ottonische König war kein Autokrat, der machen konnte, was er wollte oder für richtig hielt. Es ist längst Gemeingut der Forschung, daß die Politik der mittelalterlichen Herrscher als Resultante von Kräften aufzufassen ist, die bei Hofe Einfluß hatten und deren Tendenzen in Rechnung zu stellen waren. Franz Steinbach 6 ) hat darauf hingewiesen, daß die freiwillige Option Lothringens für das Reich Heinrichs I. nach einer längeren Phase des Schwankens zwischen West und Ost als Zustimmung zu einer politischen Konzeption aufzufassen ist, die dem in Lothringen lebendigen Reichsgedanken entsprach. Man darf daher fragen, ob Lothringen nicht vornehmlich dadurch auf die Dauer für das ottonische Reich gewonnen worden ist, daß die ottonische Politik Traditionen auf1
) H. Hoffmann, Politik u. Kultur im otton. Reichskirchensystem, RhVjbll. 22, 1957, 31—55. 2 ) Es verdient in diesem Zusammenhang Beachtung, daß sich die klassische Formulierung dieser Konzeption in Ruotgers Vita Brunonis (c. 20 S. 19) findet. Ruotger legt hier Otto d. Gr. die bekannten an Brun gerichteten W o r t e in d e n M u n d : . . . cum video per Dei omnipotentis regale sacerdotium accessisse. 3
gratiam
nostro
imperio
) Lotter S. 95 ff. ) Ε. E. Stengel, Den Kaiser macht das Heer, 1910, S. 21; Lotter S. 93 mit Anm. 158. B ) Lintzel S. 105. ») RhVjbll. 9, 1939, 58. 4
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gegriffen hat, die auf dem Boden Lothringens lebendig geblieben waren und dominierten. In diesen Zusammenhang gehört sicher auch die Wahl Aachens als Ort der ersten deutschen Königserhebung nach der Angliederung Lothringens. Ähnlich verhält es sich mit den süddeutschen Stämmen. Mit Chiavenna und Bozen griffen sie über die Alpenpässe hinüber, und das Interesse am langobardischen Italien hatte bei den Baiern und Alemannen eine lange Tradition 1 ). Die Forschungen Gerd Tellenbachs und seiner Mitarbeiter2) haben eine breite Adelsschicht im langobardischen Italien der karolingischen und ottonischen Zeit sichtbar werden lassen, für die fränkische und alemannische Abstammung gesichert ist. Sie lebten nach salischem, ribuarischem und alemannischem Recht. An entsprechenden lebendigen Beziehungen über die Grenzen hinweg dürfte es nicht gefehlt haben. Die volle Eingliederung dieser Stämme in den ottonischen Herrschaftsbereich ist erst von Otto d. Gr. zum Abschluß gebracht worden. Vom Gegenkönigtum des Baiernherzogs Arnulf im Jahre 919 bis zur vollen Durchsetzung der Reichsgewalt war es ein langer und mühsamer Weg gewesen. Man kann natürlich nicht beweisen, daß zur Sicherung dieses Ergebnisses eine ottonische Italienpolitik notwendig gewesen sei. Aber so sollte die Frage auch nicht gestellt werden. Es muß jedoch damit gerechnet werden, daß im Zusammenspiel der Kräfte, das der ottonischen Politik schließlich die Richtung gab, auch die Interessen der süddeutschen Stämme zur Geltung gelangt sind. Vollends unwahrscheinlich ist es jedoch, daß ausgerechnet die süddeutschen Stämme eine einseitig auf die Eingliederung slawischer Völkerschaften jenseits von Saale und Elbe gerichtete Politik als eine solche hätten betrachten können, die auch ihren Interessen entsprach. Selbst bei einer sehr hohen Einschätzung der supragentilen Solidarität kann man nicht voraussetzen, daß die Slawenpolitik in höherem Maße als die West- und Südpolitik als Wahrnehmung deutscher Interessen galt, zumal da nicht vorauszusehen war, daß zwar die Elbslawen eines Tages Deutsche werden würden, nicht aber die Romanen Lothringens und diejenigen der Mark Verona. Man hat nicht ganz zu Unrecht von einem bairischen Teilreich nach x
) K. Bosl, Bayern u. Italien, Zwölfhundert Jahre kultureller u. menschlicher Begegnung, in: Gemeinsames Erbe, 1959, 55ff. 2 ) Studien u. Vorarbeiten zur Gesch. d. großfränk. u. frühdeutschen Adels, hrsg. v. G. Tellenbach (Forsch, zur oberrh. LG 4), 1957, darin G. Tellenbach, Der großfränkische Adel u. d. Regierung Italiens in der Blütezeit des Karolingerreiches, S. 40—70; E. Hlawitschka, Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien (774—962) (Forsch, z. oberrh. LG 8), 1960.
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919 gesprochen1). Die Königsherrschaft auch über die bairische Kirche ist von Otto d. Gr. nach dem Ableben Herzog Arnulfs durchgesetzt worden. Aber erst 954 erlosch der bairische Erzkaplanat des Salzburger Metropoliten, zwei Jahre vor dem Erlöschen der lothringischen Erzkanzlerwürde des Trierers. Erst nach dem Tode Bruns von Köln kam es zu dem einheitlichen Mainzer Erzkaplanat für das ganze Reich diesseits der Alpen 2 ). So sind letzte Rücksichten auf regionale Sonderinteressen erst fallen gelassen worden, als die Italien- und Kaiserpolitik bereits eingeleitet war. Unsere Vorstellung von der Macht der fränkisch-karolingischen Tradition im ottonischen Reich wäre unvollständig, wollten wir dabei unseren Blick auf Lothringen einengen. Bei aller Würdigung der Indizien, die im rechtsrheinischen Bereich für die Entfaltung eines deutschen Gemeinschaftsbewußtseins sprechen, kann man doch nicht mit Bestimmtheit sagen, daß dieses Bewußtsein gegenüber der karolingischen Tradition bereits das Ubergewicht gewonnen hatte. Ich beschränke mich auf zwei Beispiele, von denen jedes auf seine Art signifikant ist. Die wohl bedeutendste Pflegestätte der karolingischen Reichskultur rechts des Rheins ist das Kloster Fulda 3 ) gewesen. Zwar hat Fulda auch einen bedeutenden Anteil an der Entstehung der ältesten Schriftdenkmäler in deutscher Sprache, und wohl hat hier die Bezeichnung der Deutschen als Teutonici ihren Ursprung; im Vordergrund steht jedoch der Bonifatius-Kult und eine Gestalt wie Hrabanus Maurus, der in den karolingischen Bruderkriegen Ludwig den Frommen und Lothar I., also die Vertreter des Kaisertums, unterstützt hat. Der bonifatianische Leitgedanke der Romverbundenheit4) ist gerade in Fulda auf klassische Weise zur Geltung gelangt. Beim Bau der zweiten karolingischen Anlage wurde der mos Romanus bestimmend 5 ); der Abt Sturm reiste eigens nach Rom, um J)
K. Reindel, Herzog Arnulf u. d. regnum Bavariae, Zs. f. bayer. LG. 17, 1954, 240 ( = Die Entstehung d.Dt. Reiches, hg. v. H. Kämpf, 1956, S. 272 f.). 2 ) E . Ewig, Kaiserl. u. apostolische Tradition im mittelalterlichen Trier, Trierer Zs. 24/26, 1956/58, 175. 8 ) Zusammenfassend Ε . E . Stengel, Die Reichsabtei Fulda in der deutschen Gesch., 1948 (auch in: Ders., Abhandlungen u. Untersuchungen z. Hess. Gesch., 1960, lfi.). 4 ) Th. Schiefler, Winfrid-Bonifatius u. d. christl. Grundlegung Europas, 1954. 5 ) Ein Zusammenhang zwischen der allgemeinen Romverbundenheit des Bonifatius und der Rolle, die der mos Romanus in der karolingischen Baugeschichte Fuldas gespielt hat, fehlt offenbar nicht. Vgl. Vf., Die Lage des Bonifatiusgrabes und seine Bedeutung für die Entwicklung der Fuldaer Klosterkirchen, Marburger Jb. f. Kunstwiss. 14, 1949, 38 f. mit Anm. 149; Adolf Schmidt, Westwerke u. Doppelchöre, Westf. Zs. 106, 1956, 379 u.
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die römischen Gewohnheiten zu studieren; das noch von Bonifatius selbst erwirkte päpstliche Exemtionsprivileg für Fulda gehört zu den frühesten seiner Art, und zu seiner jeweils erforderlichen Erneuerung ist so mancher Fuldaer Abt nach Rom gezogen. Als solche wurden die Äbte, wie Stengel betont hat, „zu geborenen Trägern diplomatischer Missionen des königlichen Hofes" 1 ). Schon Ludwig d. Dt. hat 975 einen Fuldaer Mönch mit einer römischen Mission bötraut, um den Übergang der Kaiserkrone an Karl d. K. zu verhindern 2 ). Bekannt ist die Vertrauensstellung, die Abt Hadamar bei Otto dem Großen in dieser Hinsicht genoß. Hadamar reiste 948 und 955, also auch unmittelbar nach der Ungarnschlacht, nach Rom, sein Nachfolger Hatto II. 961 zur Vorbereitung von Romzug und Kaiserkrönung. Die militärische Sollstärke des Fuldaer Kontingents beim Aufgebot zu einem Italienzug des 10. Jahrhunderts betrug 60 Panzerreiter. Sie ist der des Abtes von Reichenau und des Bischofs von Würzburg zu vergleichen und wird übertroffen nur von 7 Bistümern, zu denen Köln, Mainz und Trier gehören 3 ). Der erhebliche Beitrag Fuldas zur karolingischen Sachsenmission ist durch jüngere Forschungen in ein helleres Licht gerückt worden 4 ). Der von der Nordsee bis zu den Alpen sich erstreckende Fuldaer Streubesitz 6 ) gibt eine Vorstellung von den Möglichkeiten einer von Fulda ausgehenden kulturellen Ausstrahlung. Lothringen und den fränkischen Bereich im Herzen Deutschlands wird man als Träger karolingischer Traditionen eher in Anspruch nehmen wollen als Sachsen. Aber auch in Sachsen sind solche Überlieferungen nicht unlebendig gewesen®). Unter den Rompilgern des 9. Jahrhunderts fehlt es nicht an sächsischen Adligen. Dem Sachsenstamm, auf den es mit Rücksicht auf die Herkunft der Ottonen hier besonders ankommt, sind karolingische Traditionen nicht allein durch Fulda und die mainfränkische Basis der Sachsen404f.; O. Doppelfeld, More Romano. Die beiden karolingischen Domgrundrisse von Köln, Kölner Domblatt 8/9, 1954, 33 fl.; W. Meyer-Barkhausen, Die karolingische Klosterkirche zu Fulda in ihren baugeschichtl. Beziehungen zu Rom, Hess. Jb. f. LG 10, 1960, 1—15. *) Stengel, Reichsabtei Fulda S. 12. 2 ) Stengel, DA 3,1939, 54f.; ders., Reichsabtei Fulda S. 12 u. 16 mit Anm. 19. 3 ) Ebd. 14. 4 ) H. Büttner u. I. Dietrich, Weserland u. Hessen im Kräftespiel der karoling. u. frühen otton. Politik, Westfalen 30, 1952, 135ff.; Stengel, DA 9, 1952, 520 fi.; H. Goetting, Das Fuldaer Missionskloster Brunshausen u. seine Lage, Harz-Zs. 5/6, 1953/54, 9—27. 6 ) Stengel, Reichsabtei Fulda S. 20f. *) Büttner u. Dietrich (wie oben Anm. 4); Vf., Einhard u. d. karoling. Tradition im otton. Corvey, Westfalen 30, 1952, 150—174.
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mission zugewachsen, sondern ebensosehr aus dem westfränkischen Reich. Das Kloster Corvey trägt noch heute den Namen seines westfränkischen Mutterklosters. Zu seinen Gründern in den Tagen Ludwigs d. Fr. gehören Angehörige des Karolingerhauses selbst. Die beiden Hauptreliquien des Klosters bekräftigten diese Verbindung : die des hl. Stephan stammte aus der kaiserlichen Hofkapelle, die des hl. Vitus aus St. Denis. Weiterhin lassen sich literarische Beziehungen zum kaiserlichen Hof und zum Mutterkloster während des 9. Jahrhunderts nachweisen. Der Hinweis auf Anskar, der von Corbie nach Corvey ging und dort als Lehrer wirkte, mag an dieser Stelle genügen. Erst auf diesem Hintergrunde wird jedoch der Geschichtsschreiber Widukind von Corvey verständlich1). Seine Sachsengeschichte hat lange Zeit und durchaus mit einem gewissen Recht als klassische Formulierung sächsischen Stammesgeistes im 10. Jahrhundert gegolten. Dies ist jedoch nur ihre eine Seite. Der sächsische Stamm, dessen Ursprungssage Widukind an den Anfang stelltest für ihn auf Grund einer eigentümlichenTheorie zum Reichsvolk der Ottonen geworden. Für Widukind besteht zwischen den Franken und den Sachsen seit der Waffenbrüderschaft im Thüringerkrieg das Verhältnis von societas und amicitia, ein Verhältnis also, wie es tatsächlich erst im Bonner Vertrag von 921 zwischen Karl d. E . und Heinrich I. hergestellt worden ist 2 ). Die Bekehrung der Sachsen zum Christentum läßt aus diesen und den Franken quasi una gens ex Christiana fide werden3). So kann Widukind schließlich den ottonischen Herrschaftsbereich als omnis Francia Saxoniaque bezeichnen, und omnis populus Francorum atque Saxonum ist die Formel zur Umschreibung der Wähler Konrads I. und Heinrichs I. An der sächsischen Überlegenheit gegenüber den Franken wird allerdings kein Zweifel gelassen. Widukind entwickelt hier eine förmliche Translationstheorie 4 ), die Transferierung der Gebeine des hl. Veit von St. Denis nach Corvey hat nach seiner Auffassung eine Translatio der europäischen Hegemonie von den Hierzu und zum Folgenden Vf. (wie vorige Anm.); ders., Widukind v. Korvei. Zu Widukind auch K. Hauck in: Verfasserlexikon d. dt. Lit. d. MAs 4, 1953, 9 4 6 — 9 5 8 . 2 ) MG Const. 1 Nr. 1; dazu W . Fritze, Die fränkische Schwurfreundschaft der Merowingerzeit, ZRG GA 71, 1954, 125. 8 ) Widukind I 15, hrsg. v. H . - E . Lohmann u. P. Hirsch (MG SSRG), 1935, 5. 25, dazu Vf., Westfalen 30, 1952, 158. 4 ) Dies gilt auch für den Übergang von fortuna und mores an Heinrich I. (Wid. I 25), wie sich vollends aus der bisher übersehenen Quelle, Sali. Cat. 2,
ergibt: . . . fortuna simul cum moribus immutatur. Ita Imperium semper ad optumum quemque α minus bono trans fertur.
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Franken auf die Sachsen zur Folge. Otto d. Gr. ist für Widukind totius orbis caput, seine Macht erstreckt sich nicht allein über die Germania, die Italia und die Gallia, sondern fast über ganz Europa1). Das ist karolingischer Universalismus, wie die karolingische Provenienz eines jeden der hier verwendeten Begriffe, von caput orbis*) über die lateinischen Ländernamen3) bis hin zum Europabegriff4) erkennen läßt. Die Unterstützung der ottonischen Hegemonialpolitik durch einen Sachsen wie Widukind wiegt um so schwerer, als dieser Geschichtsschreiber bekanntlich Ottos römische Kaiserkrönung nicht nur übergeht und damit indirekt kritisiert, sondern die Kaiserwürde seines Herrschers auf eine Akklamation des Heeres nach der Lechfeldschlacht zurückführt. Weniger bekannt, doch nicht minder auffällig ist es, daß Widukind auch Ottos Missionspolitik im Osten unerwähnt läßt, ja daß er entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit bei der Beisetzung des Kaisers auf die Lokalisierung des Grabes verzichtet und so die Magdeburger Kirche nach ihrer Erhebung zur Metropole nicht einmal an der Stelle, an der man es hätte erwarten müssen, erwähnt5). Seine offen ausgesprochene Ab!) W i d u k i n d I 34 S. 48. ) Schramm, Kaiser, R o m u. Renovatio S. 28ff. u. 37f. s ) ΛΙ. Lugge, ,,Gallia" und „ F r a n c i a " im MA (Bonner Histor. Forsch. 15), 1960, S. 37ff.; Karls d. Gr. H e r r s c h a f t über die Italia, Gallia und Germania wird in der Intitulatio der Libri Carolini gegenüber Byzanz betont, ebenso in Alkuins Brief Nr. 110 (MG E p p . 4 S. 157). Sie begründet Karls Anspruch auf die Kaiserwürde im Bericht der Ann. Lauresh. zu 801 (MG SS 1 S. 38). Dazu Vf., H Z 185, 1958, 525ff. 4 ) J. Fischer, Oriens — Occidens — E u r o p a . Begriff u. Gedanke „ E u r o p a " in der s p ä t e n Antike u. im f r ü h e n MA, 1957. 5 ) Vf., W i d u k i n d v. Korvei S. 258 Anm. 7. Dies ist die einzige E r w ä h n u n g Magdeburgs bei W i d u k i n d nach der G r ü n d u n g des Erzbistums, d. h. in der nach 973 niedergeschriebenen Fortsetzung. Bei der 967/68 abgeschlossenen Widmungsfassung b r a u c h t eine K e n n t n i s der R a v e n n a t e r Synodalbeschlüsse von 967 (Böhmer-Ottenthal, R I Nr. 447; U B E r z s t i f t Magdeburg, bearb. v. F. Israel u. W. Möllenberg, 1937, Nr. 52) noch nicht vorausgesetzt zu werden. Die Magdeburger Kirche e r w ä h n t Widukind allein bei der B e s t a t t u n g der Königin E d g i t h a 946: sepulta est autem in civitate Magathaburg in basilica nova, latere aquilonali ad orientem (II 41 S. 100). D e m entspricht die analoge Formel f ü r die B e s t a t t u n g Heinrichs I. in Quedlinburg, I 41 S. 60f. D a ß W i d u k i n d bei der Formulierung des Schlußsatzes seines dritten Buches diese beiden Schlußformeln von Buch I und I I im Auge h a t t e , ist evident. Umsomehr fällt auf, d a ß er das Grab Ottos d. Gr. nicht näher lokalisiert. Völlig u n e r w ä h n t bleibt bei W i d u k i n d der hl. Mauritius. W ä h r e n d das G r a b Heinrichs I. in basilica sancti Petri ante altare liegt, r u h t E d g i t h a lediglich in basilica nova. Auch die Mauritiuslanze (vgl. u n t e n S. 558 ff.) n e n n t er n u r sacra lancea ( I I I 46 S. 127). I m übrigen ist Magdeburg f ü r ihn urbs regia (II 6 S. 72), 2
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neigung gegen monastische Reformbestrebungen seiner Zeit 1 ) könnte bei ihm eine Voreingenommenheit gegenüber der Magdeburger Kirche hervorgerufen haben, und wenn wir den Anteil des Gorzer Reformkreises an der Ostpolitik und Kaiserpolitik Ottos nicht zu hoch eingeschätzt haben, ließe sich Widukinds Reserve gegenüber beiden Komplexen auch auf diesen Nenner bringen. Schwerer wiegen die ideengeschichtlichen Zusammenhänge, in die sich seine Position einordnen läßt. Wir können jedoch festhalten, daß dieser zeitgenössische Kritiker der ottonischen Rompolitik eine „deutsche" Politik im Sinne der modernen Kritiker Ottos d. Gr. ebenfalls nicht befürwortet hat. Auch er steht vielmehr im Banne der karolingischen Tradition und der fränkischen Reichsidee, die er den veränderten Verhältnissen seiner Zeit anzupassen sucht. Daß in der ottonischen Kaiser- und Reichsidee karolingische Traditionen zur Geltung gelangt sind, bestreitet niemand. Bestritten wird lediglich, daß die Macht dieser Tradition groß genug gewesen sei, um Otto zu einer solchen Politik zu verpflichten2). Unser skizzenhafter Uberblick sollte ze'gen, daß das Gewicht dieser Tradition für das 10. Jahrhundert von den modernen Kritikern der ottonischen Politik gewiß unterschätzt wird. Diese Tradition stellte, wie man heute sagen würde, ein „Politicum" dar, das nicht ohne weiteres ignoriert werden konnte. Ob Ottos Politik durch diese Tradition determiniert wurde, oder ob auch andere Wege offen gestanden haben, ist eine Frage, die den Historiker überfordert. Anders verhält es sich dagegen mit dem Spielraum der Möglichkeiten, der in der karolingischen Kaiseridee selbst angelegt war. Wir müssen uns ihre Entstehung und Entwicklung in einigen Grundzügen vergegenwärtigen, wollen wir dem Problem von der Tradition her näher kommen. Es darf heute als gesichert gelten, daß Karl d. Gr. hatte Kaiser werden wollen, als er im Jahre 800 nach Rom zog3). Aber in der Auffassung dieser Kaiserwürde, insbesondere hinsichtlich der Art ihrer Begründung, gingen bereits die Meinungen der unmittelbar beteiligten Zeitgenossen nicht unerheblich auseinander. Wir unterscheiden deutlich eine fränkische und eine römische Konzeption, deren Wurzeln auf beiden Seiten bis in die Tage Pippins zurückund zwar die regia urbs schlechthin, da dieser Begriff auch ohne den Namen als Ortsangabe begegnet (III 10 S. 109). !) I I 37 S. 98. 2 ) Lintzel S. 4 6 ff. 3 ) Vf., Nomen imperatoris. Studien zur Kaiseridee Karls d. Gr., H Z 185, 1958, 5 1 5 — 5 4 9 mit weiterer L i t . ; Stengel, Imperator u. Imperium bei den Angelsachsen, DA 16, 1960, 4 6 ff.
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reichen. Die Auffassung der fränkischen Königsherrschaft als einer Herrschaft über die fideles Dei et regis, in einer Urkunde Pippins von 755 zuerst belegt und von Karl d. Gr. nach dem Avarensieg 796 und im Jahre 799 aufgegriffen, enthielt den Anspruch eines hegemonialen christlichen Großkönigtums, wie er durch die Identifizierung der fideles Dei mit den fideles regis kaum prägnanter zum Ausdruck gebracht werden konnte 1 ). Der Gedanke berührt sich mit dem Begriff des Imperium, christianum, mit dem Alkuin schon vor 800 das Frankenreich bezeichnet. Nicht minder beachtenswert ist jedoch die imperialisierende Beleuchtung, in die Alkuin in seiner vor 797 entstandenen Vita Willibrordi Karls Vorfahren, Karl Martell und Pippin, rückt 2 ). Sein aus Beda entlehnter Begriff des imperiale regnum, eines imperialen Königtums also, den er auf das Reich von Kent, aber auch auf Karl d. Gr. als König anwendet, trifft den Kern des Gemeinten wohl am besten 3 ). Es handelt sich um ein hegemoniales Großkönigtum, dem zum Kaisertum nichts fehlt als das nomen imperatoris. Während der Paderborner Verhandlungen Leos III. mit Karl im Sommer 799 haben sich die fränkischen Auffassungen zum sogenannten Aachener Kaisergedanken verdichtet 4 ). Die damals im Bau befindliche Aachener Pfalz wird als Nova Roma bezeichnet, also mit dem für Byzanz üblichen Namen belegt, daneben auch als künftiges Rom. Karl selbst heißt pater Europae, ja zum ersten Male wird die bisher nur für Rom gebräuchliche Metapher caput orbis personalisiert und auf Karl angewendet. Aus Ein*) Schlesinger, Kaisertum u. Reichsteilung. Zur Divisio regnorum von 806, in: Forschungen zu Staat u. Verfassung, Festgabe F. Härtung, 1958, S. 268. ; Stengel, DA 16, 1960, 47f. Ebd. 48 Anm. 60 vermutet Stengel, daß die Formel vornehmlich in mit Adresse ausgestatteten Mandaten an einzelne Getreue des Königs gebraucht worden sei, einer Urkundengruppe, von der sich fast nichts erhalten habe. Vgl. jedoch die von Stengel in völlig anderem Zusammenhang (UB Fulda I, 2, 1956, S. 250f.) zitierten Formeln si gratiam dei et nostram habere vultis (MG DDKar. 1 Nr. 172 v. 791 Aug. 28, frühester Beleg); cum dei et nostra gratia (ebd. Nr. 187 v. 799 Febr. 2); sicuti gratiam dei et nostram vultis habere propiciam (ebd. Nr. 217 v. 812 Apr. 2). Auch hier
handelt es sich um Mandate an einzelne fideles. Der Treue der fideles dei et regis entspricht also bei Karl d. Gr. die gratia dei et nostra. Es ist der gleiche Gedanke, der somit von Karl nicht erst 799 aufgegriffen worden ist. 2 ) HZ 185, 1958, 537ff.; Stengel, DA 16, 1960, 38ff. s ) Stengel, DA 3, 1939, 26 mit Anm. 3; Vf., HZ 185, 1958, 539 Anm. 8. *) C. Erdmann, Forsch, z. polit. Ideenwelt d. FrühMAs, 1951, S. 21 ff.; Vf., HZ 185, 1958, 518ff.; Stengel, DA 16, 1960, 46; Vf., Die Kaiserfrage bei den Paderborner Verhandlungen von 799, in: Das Erste Jahrtausend. Kultur u. Kunst im Werdenden Abendland an Rhein u. Ruhr, Textband 1, 1962, S. 296—317.
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hard und anderen Quellen wissen wir, daß neben der Aachener Pfalzkapelle ein Gebäude errichtet worden ist, das domus pontificis oder Lateran hieß. So ist an der Absicht, Aachen zu einer nova Roma auszugestalten, nicht zu zweifeln. Die Realisierung des Kaisertums am Weihnachtstage 800 war allerdings ein Kompromiß, der nicht in allen Punkten Karls Vorstellungen entsprochen haben dürfte. Immerhin hatte er wohl schon in Paderborn die Aacheher Konzeption zugunsten einer römischen aufgegeben. Der Bericht der Lorscher Annalen über das Römische Konzil, das Karl vor der Krönung die Kaiserwürde antrug, erwähnt ausdrücklich seine Zustimmung. Als Gründe für Karls Anspruch werden angeführt, daß das nomen imperatoris von den Griechen gewichen sei, da sie nur über ein femineum Imperium verfügten, und daß andererseits Karl dieser Titel gebühre, weil er über die Kaiserresidenz Rom und die übrigen sedes in Italien, Gallien und Germanien verfüge. Es handelt sich um ein Gedankenschema, daß mutatis mutandis bereits als Begründung für die Erhebung Pippins 751 gedient hatte. Zugrunde liegt die Auffassung, daß nomen und potestas einander entsprechen müssen und nicht auseinanderfallen dürfen, da andernfalls die Weltordnung, der ordo, gestört ist 1 ). Der moderne Kritiker des mittelalterlichen Kaisertums pflegt gelegentlich zu beanstanden, daß die Kaiserwürde außer gewissen Befugnissen gegenüber Rom, dem Papsttum und dem Kirchenstaat dem Inhaber nichts einbrachte, was er nicht auch schon als König besessen habe 2 ). Im Sinne der fränkischen Nomen-Theorie wäre dem entgegenzuhalten, daß Pippin nicht hätte König, Karl nicht hätte Kaiser werden können, wenn sie nicht bereits vorher über die dem Titel entsprechende potestas verfügt hätten. Kaiser wie Wido, Lambert und Berengar sind im Sinne dieser Grundauffassung nur dem Namen nach Kaiser gewesen 3 ). I n Analogie zu Pippin war diese Theorie auf Karls Kaisertum allerdings nur anzuwenden, wenn man, wie es die Lorscher Annalen auch tun, Byzanz in die Rechnung einsetzte. Tatsächlich konnte Byzanz nicht ignoriert werden, und das dürfte einer der Gründe für Karls Einschwenken in die römische Linie gewesen sein 4 ). !) HZ 185, 1958, 525fi. ) Lintzel S. 73; W. Holtzmann, Das mittelalterl. Imperium u. d. werdenden Nationen (AG f. Forsch. NRW, Geisteswiss. H. 7), 1953, S. 8f. s ) Dem entspricht Liudprands Zurückhaltung in der Verwendung des Kaisertitels für diese Herrscher. Vgl. Lintzel, Studien über Liudprand v. Cremona, 1933, S. 60 (auch in ausgew. Schrr. 2, 1961); Lotter S. 100. 4 ) Hierzu die einschlägigen Arbeiten von W. Ohnsorge: Das Zweikaiserproblem im früheren MA, 1947; Abendland u. Byzanz, ges. Aufss. z. Gesch. 2
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Man darf vermuten, daß der Akt in der Peterskirche über diese fränkischen Vorstellungen hinausgegangen ist. Die Richtung, in der dies vermutlich geschah, ergibt sich auch1) daraus, daß Leo III. 804 bei seinem Besuch in Aachen Karl dem Großen die Konstantinische Fälschung präsentiert hat 2 ). Die fränkische Reaktion war ein allgemeiner Rückgriff auf den Aachener Kaisergedanken von 799. Zeugnisse dafür sind die für den innerfränkischen Gebrauch bestimmte Fassung der Divisio regnorum von 8063), die 805 entstandenen Annales Mettenses priores4), die zwischen 804 und 814 einzuordnenden EklogenModoins 5 ), in denen bei direkten Entlehnungen aus dem Paderborner Epos von 799 der Aachener Kaisergedanke weiterentwickelt wird, und endlich die Aachener Kaiserkrönung Ludwigs d. Fr. von 813®) und die Lothars I. von 8177). Auch die Ersetzung der Bullendevise Renovatio Romani imperii durch Renovatio regni Francorum gehört in diesen Zusammenhang 8 ). Unter den Nachfolgern Karls d. Gr. hat sich bekanntlich nicht die Aachener, sondern die römische Lösung durchgesetzt. Gleichwohl fehlt es im weiteren Verlauf des Jahrhunderts nicht an mancherlei Zeugnissen dafür, daß auch die nichtrömische Konzeption lebendig geblieben ist9). Sie hat auch die Entwicklung des ottonischen Kaisergedankens mitbestimmt. Ganz eindeutig steht Widukind von Korvei in seiner Tradition. Auch für ihn gilt die fränkische Nomen-Theorie10), ja sie ist der Angelpunkt seiner ganzen Geschichtsauffassung 11 ). Nach ihm war schon Konrad I. nur dem d. byzantin.-abendländ. Beziehungen u. d. Kaisertums, 1957; Der PatriciusTitel Karls d. Gr., Byzant. Zs. 53, 1960, 300—321. Zu Einhards bekanntem Hinweis vgl. Vf., HZ 185, 1958, 521 ff. 2 ) Ohnsorge, Abendland S. 90ff. ( = ZRG GA 68, 1951, 90ff.); Schlesinger, Kaisertum u. Reichsteilung S. 36ff. 3 ) Ebd., bes. S. 26ff.; Stengel, DA 16, 1960, 47. 4 ) Hrsg. v. B. v. Simson (MG SSRG) 1905; dazu H. Löwe, Von Theoderich d. Gr. zu Karl d. Gr., DA 9, 1952, 390ff.; Schlesinger, Kaisertum u. Reichsteilung S. 38 ff.; Hoffmann, Untersuchungen zur karolingischen Annalistik (Bonner Histor. Forsch. 10), 1958, S. 61 ff.; Stengel, DA 16, 1960, 47f. e ) Vf., Kaiserfrage bei den Paderb. Verhh. S. 314ff. ') Schlesinger, Karlingische Königswahlen, in: Zur Gesch. u. Problematik d. Demokratie, Festgabe H. Herzfeld, 1958, S. 215f. mit Anm. 42. 7 ) Erdmann, Forschungen S. 25. e ) Ohnsorge, Abendland u. Byzanz S. U l f . ; Löwe, DA 9, 1952, 392; Schlesinger, Kaisertum u. Reichsteilung S. 49; Vf., HZ 185, 1958, 548f. ·) Stengel, DA 3, 1939, 6f. u. 50ff.; Erdmann, Forschungen S. 29ff. 10 ) Zur Tradition dieser Theorie im 9. u. 10. Jahrhundert vgl. Vf., HZ 185, 1958, 532 ff. u ) Vf., Westfalen 30, 1952, 162ff.
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Namen nach König, der Sache nach lag die höchste Gewalt bei Otto d. E. Dieses Mißverhältnis wird durch Konrad selbst auf seinem Sterbebett in Ordnung gebracht. Erst Heinrich wird — so die Prophezeiung des sterbenden Konrad — wahrhaft König, vere rex, sein, weil nur er über die erforderlichenMachtgrundlagen und obendrein über Königsheil verfügt1). Ebenso wie die Vorfahren Karls in den Metzer Annalen und bei Alkuin charakterisiert Widukind Heinrichs Stellung und diejenige Ottos d. Gr. als König im Sinne eines imperialen Königtums: Heinrich ist rerum dominus und regum maximusEuropae, Herrscher über ein magnum latumque Imperium2). Sein Ungarnsieg bringt ihm eine triumphale Ehrung durch das Heer ein, die in einer imperatorischen Akklamation gipfelt3). Auch Otto, der nach Widukinds Auffassung den Kaisertitel auf dem Lechfeld erworben hat, ist von Anfang an imperialer König 4 ). Dem geflissentlichen Übergehen der römischen Kaiserkrönung von 962 steht in Widukinds Darstellung die Ausführlichkeit gegenüber, mit der er der Aachener Krönung von 936 gedenkt6). In der Gesamtökonomie seiner Darstellung verdient diese Gewichts Verteilung größte Beachtung. Die Entscheidung für Aachen als Ort der Wahl und Krönung veranlaßt ihn zu dem Hinweis auf die Nähe zu Jülich, das nach seinem Gründer Julius Caesar benannt sei6). Bedenkt man, daß Widukind dies alles nach 962 aufgezeichnet hat, so wird deutlich, daß er ebenso wie die Metzer Annalen von 805 die Grundlagen des Kaisertums in der Vergangenheit aufzuspüren sucht. Wenn im 11. Jahrhundert die deutsche Königswahl de facto zu einer indirekten Kaiserwahl geworden ist7), so gehört Widukind ohne Zweifel zu den Wegbereitern dieser Konzeption. Wie der Paderborner Dichter von 799 und nach ihm Modoin Karl d. Gr. 8 ), so belegt Widukind Otto mit dem Prädikat caput orbis9). In diese Zusammenhänge fügt sich die Kaiserakklamation auf dem Lechfeld harmonisch ein. !) I 25 S. 38. I 41 S. 60. 3 ) I I I 49 S. 128. *) Zu Begriff u. verfassungsgeschichtl. Bedeutung des imperialen Königtums vgl. Vf., Das Imperium u. d. regna bei Wipo, in: Aus Gesch. u. Landeskunde, Festschr. F. Steinbach, 1960, S. 28 ff. mit Anm. 71. 5 ) II I f . S. 63ff. e ) Vf., Das imperiale Königtum im 10. Jahrhundert, Welt als Geschichte 10, 1950, 117—130. ') Vf., Imperium u. regna S. 33ff., bes. 35. 8 ) Vf., Kaiserfrage bei den Paderb. Verhh. S. 307 u. 315. 9 ) I 34 S. 48. Auch Notker Balbulus, der in seinen Gesta Karoli sowohl die Nomentheorie als auch den hegemonialen, nicht-römischen Kaisergedanken vertritt (Belege bei Erdmann, Forschungen S. 2 Anm. 1; 30 Anm. 3: Notker 2)
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Widukind steht nun aber mit diesen Auffassungen nicht allein, und sie haben, was wichtiger ist, in der ottonischen Politik vor 962 durchaus eine Grundlage. Von der lothringischen Geschichtsschreibung, die Otto d. Gr. von den fünfziger Jahren an als Imperator bezeichnet, war bereits die Rede. Imperator wird hier zum Titel des imperialen Königs, im Sinne des caesar futurus, wie es Ruotger 1 ) ausdrückt. Die ältere Lebensbeschreibung der Königin Mathilde polemisiert indirekt gegen Ottos Heerkaisertum von 955, als wäre es eine Tatsache 2 ). War es dies am Ende wirklich ? Im staatsrechtlichen Sinne zweifellos nicht, da Ottos Kanzlei keine Notiz davon genommen hat. Eine Siegesfeier mit imperatorischer Akklamation schließt dies jedoch nicht aus. Ruotger, von dem wir nunmehr wissen, daß er von Widukind unabhängig ist3), nennt unter den wichtigsten Ereignissen des Schlachttages außer dem Sieg noch gesondert gloriosissimum imperatoris triumphum4). A n einer triumphalen Siegesfeier ist also nicht zu zweifeln 6 ). Die Lebendigkeit des nichtrömischen Kaisergedankens im ottonischen Reich vor 962 wird auch durch die Liturgie bestätigt. Das nach der vorherrschenden Ansicht vor 962 im St. Albanskloster zu Mainz zusammengestellte ottonische Pontifikale, das bald erhebliche Verbreitung und Geltung erlangte, ja spätestens um die JahrI 26; I I 11), stellt I 26 Rom als das caput quondam orbis Karl dem Gr. als nunmehrigem caput orbis gegenüber: caput orbis ad caput quondam orbis absque mora perrexit. Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls d. Gr., hrsg. v. H. F. Haefele (MG SSRG NS 12), 1959, S. 35. Vgl. Schramm, Kaiser, Rom u. Renovatio S. 37. Zum gleichen Gedanken bei Brun v. Querfurt (Vita Adalb e r t c. 18) und Wipo (Tetralogus Vers 99) vgl. R. Wenskus, Studien zur histor.-politischen Gedankenwelt Bruns v. Querfurt (Mitteldeutsche Forsch. 5), 1956, S. 107f. mit Anm. 102. !) Vita Brunonis c. 41 S. 43. s ) Vf., ZRG GA 66, 1948, 39ff.; als Kritiker einer Kaiserakklamation durch das Heer kommt auch Atto v. Vercelli in Betracht. Dazu Schramm, Kaiser, Rom u. Renovatio S. 80; Lotter S. 92. 3 ) Ott in ihrer Einleitung zur Ausgabe d. Vita Brunonis, 1951, S. XIVff. 4 ) Kap. 35 S. 36. Daß es sich bei dieser Wendung nicht etwa nur um eine Metapher für die Tatsache des Sieges schlechthin handelt, ergibt sich daraus, daß Ruotger den Sieg und den Triumph in seinem Katalog der wichtigsten Ereignisse des Tages gesondert a u f f ü h r t : miserendum post victoriam Cunonis interitum, gloriosissimum imperatoris triumphum . . . 5 ) Vgl. hierzu auch die beachtenswerten Erörterungen von K. Hauck, zuletzt in: Geschichtsdenken u. Geschichtsbild im MA (Wege d. Forsch. 21), hrsg. v. W. Lammers, 1961, S. 181 f. mit Anm. 45. Eine tatsächliche Kaiserakklamation auf dem Lechfeld erwägt auch Schramm, Kaiser, Rom u. Renovatio S. 80f. und verweist S. 81 Anm. 2 auf eine Krönung Heinrichs IV. im Feldlager vor Rom.
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tausendwende von der römischen Kirche angenommen und für das ganze Ottonenreich maßgebend wurde, enthält außer einem Ordo der Königskrönung zwei Ordines für die Kaiserkrönung 1 ). Der eine ist der römische Ordo, auch Ordo Cencius I. genannt 2 ), der andere trägt die Uberschrift benedictio ad. ordinandum imperatorem secundum occidentales3). Er beruht auf einem älteren fränkischen Ordo für die Königskrönung und ist lediglich durch die Änderung der betreffenden Titel und Bezeichnungen ohne inhaltliche Eingriffe, wahrscheinlich im Skriptorium von St. Alban selbst, zu einem Kaiserordo gemacht worden; wie vor allem das Fehlen jeglichen Bezuges auf Rom erkennen läßt, ist dieser Text für den Fall einer nichtrömischen Kaiserkrönung in das Pontifikale aufgenommen worden. „Okzident" meint hier wahrscheinlich das Abendland im Gegensatz zu Byzanz und schließt wohl auch Rom aus 4 ), und in diesem Bereich gab es in der Tat, in Spanien und in England, Präzedenzfälle für nichtrömische Kaisertitel. Carl Erdmann, dem wir den Nachweis dieser Zusammenhänge verdanken, betont jedoch mit Recht, daß ein Mainzer Bearbeiter der Ottonenzeit an so periphere Anwendungsfälle kaum gedacht haben dürfte 5 ). Sehr viel näher lag die durch Widukind vertretene sozusagen „weltliche" Parallele. Es ergibt sich also, daß der oder die Liturgiker des St. Albansklosters auch die kirchliche Sanktionierung eines nichtrömischen Kaisertums in Betracht gezogen haben 6 ). Man wird nach all dem einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Ottos Ungarnsieg und seiner Kaiserwürde nicht ausschließen können; doch pflegt der kritische Historiker sich erst zufrieden zu geben, wenn es in einer amtlichen Urkunde so steht. Dies ist nun aber hier in der Tat der Fall. In dem Privileg Papst Johannes XII. vom 12. Februar 9627), also 10 Tage nach der Kaiserkrönung ausgestellt, mit dem das Magdeburger Kloster zum Erzbistum erhoben werden soll, heißt es, König Otto sei nach dem Sieg über barbarische Erdmann, Forschungen S. 52 ff. ) M. Andrieu, Les Ordines Romani du haut moyen äge 4, 1956, Nr. XLV S. 459ff.; Die Ordines für die Weihe u. Krönung d. Kaisers u. d. Kaiserin, hrsg. v. R. Elze (MG Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum 9), 1960, Nr. I. s ) Andrieu 4 Nr. XLVIIf. S. 503ff. u. 517ff.; Elze Nr. II; Erdmann, Forschungen S. 72 ff. 4 ) Ebd. S. 73f.; Andrieu 4 S. 495. s ) Ein solcher ist allerdings inzwischen mit dem von Elze unter Nr. X I edierten südfranzösischen, für Spanien bestimmten Ordo, der auf dem „westlichen" des Mainzer Pontifikale beruht, für das 12. Jahrhundert belegt. б ) Erdmann, Forschungen S. 81 f. 7 ) JL 3690; UB Erzstift Magdeburg 1 Nr. 28. а
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Völker, nämlich die Avaren — gemeint sind die Ungarn — und sehr viele andere, nach Rom gekommen, um zur Verteidigung der heiligen Kirche Gottes triumphalem victoriae in inperii culmen .. .coronam vom hl. Petrus durch den Papst zu empfangen 1 ). Zweck der Kaiserkrönung ist hier die defensio sanctae Dei ecclesiae, wie im folgenden Satz nochmals betont wird 2 ). Otto hat sich jedoch als defensor ecclesiae bereits bewährt, wenn anders der Hinweis auf die hinter ihm liegenden Heidensiege einen Sinn haben soll. So kann auch die Kaiserkrone als triumphalis victoriae corona bezeichnet werden. Ruotger hatte den gloriosissimus imperatoris triumphus erwähnt, bei Widukind heißt es entsprechend Triumpho celebri rex factus gloriosus ab exercitu pater patriae imperatorque appellatus est. Papst Johannes XII., der sich auch in der Magdeburger Frage, wie gerade diese Urkunde zeigt, höchst willfährig erwies3), hat also diese zweifellos ottonische Begründung für die Kaiserwürde, die übrigens ebenfalls auf dem Boden der nomen-potestas-Theorie steht, sanktioniert 4 ). Daß es Otto gewesen ist, der diesem Gesichtspunkt Geltung verschaffte, lehrt das Privileg des gleichen Papstes für Erzbischof Friedrich von Salzburg, das wenige Tage vor dem Magdeburger Privileg, am 7. Februar 962, ausgestellt wurde 8 ). Der Papst konzediert hier, indem er ausdrücklich eine frühere Verleihung revidiert, auf Bitten Kaiser Ottos den Gebrauch des Palliums an Festtagen Nunc vero dei operante dementia carissimus et christianissimus filius noster rex Otto, devictis barbaris gentibus, Auaribus scilicet ceterisque quam pluribus, ut ad defensionem sanctae dei aecclesiae triumphalem victoriae in inperii culmen per nos a beato Petro apostolorum principe susciperet coronam, summam et universalem, cut deo auctore presidemus, adiit sedem. 8 ) Quem paterno afjectu suscipientes ad defensionem sanctae dei aecclesiae in inperatorem cum beati Petri apostoli benedictione unximus. Es fällt auf, daß Otto schon als König geistlicher Sohn des Papstes gewesen ist: filius noster — paterno aßectu. *) A. Brackmann, Die Ostpolitik Ottos d. Gr., HZ 134, 1926, 242—256 ( = Ges. Aufss., 1941, 140—-153); ders., Magdeburg als Hauptstadt des dt. Ostens im frühen MA, 1937, S. 13 f. l ) H. Hirsch, Der mittelalterl. Kaisergedanke in d. liturg. Gebeten, aus MÖIG 44, 1930, 1—20 wiederabgedruckt in: Heidenmission u. Kreuzzugsgedanke in d. dt. Ostpolitik d. MAs, hrsg. v. H. Beumann (Wege d. Forsch. 7), 1962, S. 34f. mit Anm. 45; Erdmann, Der Heidenkrieg in d. Liturgie u. die Kaiserkrönung Ottos I., aus MÖIG 46, 1932, 129—142 wiederabgedr. im gleichen Sammelband, hier S. 55 f. s ) JL 3689; Salzburger U B 2, hrsg. v. W. Hauthaler u. F. Martin, 1916, Nr. 49; Brackmann, Germania Pontificia 1, 1911, S. 14 Nr. 31; E. Dümmler, Kaiser Otto d. Gr. (Jbb. d. dt. Gesch.), 1876, S. 332 mit Anm. 4.
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des hl. Laurentius und des hl. Mauritius, sonst nur am Tage des Salzburger Patrons Rupertus und am Geburtstage des Erzbischofs selbst 1 ). Am Laurentiustag hattfe Otto auf dem Lechfeld gesiegt und diesem Heiligen die Gründung eines Bistums gelobt, dessen Errichtung zu Merseburg im Magdeburger Privileg Johanns XII. bestätigt wird 2 ). Doch was soll die Ehrung des Magdeburger Patrons in Salzburg ? Er dürfte kaum nur als solcher in diesen Zusammenhang geraten sein. Hans Hirsch, der als erster auf den Zusammenhang dieses Privilegs mit dem Ungarnsieg von 955 aufmerksam gemacht hat, hat auf die Heilige Lanze hingewiesen, die Otto als siegesmächtige Reliquie mit in den Kampf geführt hatte 3 ). Dagegen konnte Carl Erdmann, vom Stand der damaligen Forschung aus mit Recht, einwenden, daß die Heilige Lanze erst seit dem 11. Jahrhundert als Mauritiuslanze gegolten habe, im 10. Jahrhundert dagegen nach dem Zeugnis Liudprands von Cremona als Lanze Konstantins d. Gr. 4 ). Nun steht aber dieses Privileg mit der Einbeziehung der Feste der Heiligen Laurentius und Mauritius in die Palliumstage nicht allein. Am wenigsten konnte es vielleicht bisher auffallen, daß auch Erzbischof Adalbert von Magdeburg nach dem Privileg Johanns X I I I . für diesen6) das Pallium an den Festtagen der Heiligen, deren Reliquien in Magdeburg ruhten, also auch am Tage des hl. Mauritius, der nicht einmal ausdrücklich genannt wird, tragen durfte. Ausdrücklich genannt wird jedoch unter den Palliumstagen das Fest des hl. Laurentius. Weit schwerer fällt es ins Gewicht, daß schon Johannes XII. am 12. Februar 962, also am gleichen Tage, an dem er die Gründung des Magdeburger Erzbistums verbriefte und nur wenige Tage nach dem Palliums-Privileg für Salzburg, dem Erzbischof Heinrich I. von Trier ein Palliumsprivileg erteilte 8 ), das in doppelter Hinsicht dem Salzburger zur Seite zu stellen ist: ebenso wie der Erzbischof von Salzburg besaß nämlich auch Heinrich von . . . Concedimus denique fraternitati vestre utendi pallium quatuor festivitatibus, quibus in alio privilegio vobis minime concessimus; nunc vero propter petitionem Ottonis serenissimi atque invictissimi imperatoris donamus licentiam, videlicet in festivitate sancti Laurentii, in festivitate sancti Mauritii, in festivitate sancti Rudberti et in natalicii tut die. D a s e r w ä h n t e frühere P r i v i l e g ist n i c h t e r h a l t e n ( B r a c k m a n n G. P . 1 Nr. 30). s
) D ü m m l e r 2 5 5 m i t A n m . 4 ; Hirsch, K a i s e r g e d a n k e S. 33 m i t A n m . 3 9 ;
E r d m a n n , H e i d e n k r i e g S. 55 m i t A n m . 30. 3
) Hirsch, K a i s e r g e d a n k e S. 33.
*) E r d m a n n , H e i d e n k r i e g S. 55 A n m . 30. 6
) J L 3 7 2 8 ; U B E r z s t i f t M a g d e b u r g 1 Nr. 62.
·) J. v. P f l u g k - H a r t t u n g , A c t a P o n t . R o m . i n e d i t a 1, 1881, S. 7 Nr. 9.
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Trier damals bereits ein Palliumsprivileg des gleichen Papstes 1 ), von dem sich das zweite wiederum vor allem dadurch unterscheidet, daß nunmehr ebenfalls auf Bitten Ottos d. Gr. der Gebrauch des Palliums an den Festtagen des hl. Laurentius und des hl. Mauritius zugestanden wird 2 ). Otto d. Gr. hat also in den von mancherlei Verhandlungen ausgefüllten Tagen nach der Kaiserkrönung bei Johann XII. für die Metropoliten von Salzburg und Trier das Recht erwirkt, die Heiligen Laurentius und Mauritius durch das Tragen des Palliums an ihren Festtagen besonders zu ehren. Die Vermutung drängt sich auf, daß auch die übrigen Metropoliten des Reichs entsprechende Privilegien erhalten haben 3 ). Für Mainz läßt sich dies mit einiger Sicherheit erschließen. Papst Benedikt VII. verleiht dem Erzbischof Willigis 975 pro amore dilectissimi filii nostri domni Ottonis piissimi imperatoris augusti, an den Tagen der Heiligen Laurentius undMauritius,Viktor, Alban, Sergius und Bachus das Pallium zu tragen 4 ). Der Vergleich mit den Urkunden Johanns XII. für Salzburg und Trier legt die Vermutung nahe, daß das Privileg Benedikts VII. für Mainz auf einem verlorenen Palliumsprivileg Johanns XII. für die gleiche Kirche beruht 6 ). Unsicherer sind die Spuren, die sich in der Hamburger Überlieferung finden. Aber auch hier fehlen unter den Palliumstagen die Feste des Laurentius und Mauritius nicht. Sie begegnen zuerst in dem Privileg Johanns XV. für Erzbischof Liawizo (Lubentius) vom 8. November 988®). Die Echtheit der Urkunde ist umstritten 7 ). In der vorliegenden Form handelt es sich um kein spezielles Palliumsprivileg, sondern um !) JL 3682; Mittelrh. U B 1, hrsg. v. H. Beyer, I860, Nr. 202 v. 957 Jan. 8; Dümmler S. 332 f. 2 ) Item pro amore Ottonis piissimi regis, spiritualis filii nostri, concedimus vobis utendi pallium in sancti Laurentii et in sancti Mauritii et in omnibus festivitatibus, quibus in vestro episcopatu celebrantur . . . Für die Echtheit der beiden Trierer Palliumsurkunden Johanns XII., JL 3682 u. 3691, spricht, daß die zweite nicht ohne erneute Zuziehung des Liber Diurnus aus der ersten abgeleitet worden sein kann. Vgl. J. Heydenreich, Die Metropolitangewalt der Erzbischöfe von Trier bis auf Balduin, 1938, S. 140 ff. 3 ) Vgl. die Übersicht ebd. S. 23 Anm. 15. 4 ) JL 3784; Mainzer U B 1, hrsg. v. M. Stimming, 1932, Nr. 217. 5 ) JL 3784 ist ohnehin nach dem einschlägigen Formular Nr. 45 des Liber Diurnus stilisiert. ·) JL 3835; Hamburgisches U B 1, hrsg. v. J. M. Lappenberg, 1907, S. 58fi. Nr. 52; F. Curschmann, Die älteren Papsturkunden des Erzbistums Hamburg, 1909, Nr. 18. 7 ) Curschmann hält die Urkunde S. 66f. für echt. Zweifel äußern G. Bonwetsch, ZVHambG 15, 86f. u. Brackmann, GGA 173, 1911, 504f. Vgl. auch H. Fuhrmann, ZRG KA 41, 1955, 145f. mit Anm. 149.
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eine allgemeine Privilegienbestätigung, in die die Bestimmungen über das Pallium aufgenommen worden sind. Diese erscheinen am allerwenigsten verdächtig. Adam von Bremen, der für seine Hamburgische Kirchengeschichte das Archiv seiner Kirche benutzt hat, bestätigt für Lubentius ausdrücklich den Empfang des Palliums durch Johannes XV. 1 ). Die Tage des Laurentius und Mauritius werden auch in diesem Privileg ausdrücklich zu den bisher üblichen Palliumstagen hinzugefügt, allerdings nicht auf Bitten des Kaisers, sondern des Erzbischofs 2 ). Lediglich für Köln läßt uns die urkundliche Überlieferung im Stich. In seinem Bericht über die Schlacht auf dem Lechfeld hebt Ruotger allerdings die Bedeutung des hl. Laurentius für den Sieg sehr nachdrücklich hervor 8 ). So war die Erinnerung an diesen Sieghelfer von 955 auch in Köln lebendig 4 ). Im übrigen bedurfte Brun eines derartig speziellen Privilegs nicht, da ihm Abt Hadamar von Fulda schon 955 aus Rom ein Palliumsprivileg mitgebracht hatte, das preter consuetudinem, wie Ruotger c. 27 hervorhebt, die Palliumstage in das Belieben des Empfängers stellte. Papst Johannes XIII. hat nicht nur dem erst von ihm bestätigten Magdeburger Erzbischof die entsprechende Vergünstigung geII 29, hrsg. v. B. Schmeidler (MG SSRG), 1917, S. 89. 2
) Insuper addimus pro voto vestrae dignissimae petitionis, in nataliciis beatorum martyrum Laurencii, MauHcii sociorumque eorundem, et in singulis festivitatibus vobis comtnissae ecclesiae pallio vos indui. Die Festtage der
Heiligen Laurentius und Mauritius als Pallientage danach auch im Priv. Clemens' II. v. 1047 Apr. 24, Curschmann Nr. 22, sowie in dem Leos IX. für EB Adalbert v. 1053, JL 4290; Migne PL 143 Sp. 701 ff., Curschmann Nr. 23. Echtheit dieser Privilegien gesichert durch P. Kehr in: Festschr. Hans. Geschichtsver., Jahresversammlung in Göttingen 1900, S. 73f. s ) Vita Brunonis c. 35 S. 36: Imperator indici sanxit ieiunium ipsa, que tunc erat, in vigilia sancti Laurentii martyris, per cuius interventum sibi populoque suo ipsum Deum poposcit esse refugium. . . . bellum primo sancte festivitate diluculo susceptum . . .
*) Nach Wid. III 49 S. 129 hat Otto nach der Ungarnschlacht kirchliche Dankfeiern angeordnet: . . . decretis proinde honoribus et dignis laudibus summae divinitati per singulas ecclesias. Vgl. Stengel, Den Kaiser macht das
Heer 69f. mit Anm. 3. Als Reflex der durch Widukind mitgeteilten Verfügung Ottos ist die Aufnahme des Ungarnsiegs in die Datierung zweier Urkunden des EB Robert v. Trier v. 955 Sept. 9 (Mittelrh. UB 1 Nr. 198) und v. 955 Nov. 21 (ebd. Nr. 199) zu betrachten. Die ursprüngliche Fassung überliefert nur die zweite Urkunde: eodem anno Otto rex Ungros vicit. Der entsprechende
Passus in der ersten Urkunde ist später durch imperialisierende Anachronismen erweitert worden; dazu Stengel, Den Kaiser usw. S. 20ff.; ders., DA 3, 1939, 18 Anm. 2 und Corona Quernea, Festschr. K. Strecker, 1941, S. 148 Anm. 3.
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währt, sondern auch dem Erzbischof Dietrich von Trier 1 ). Die Festtage des Laurentius und Mauritius werden wie in den übrigen Urkunden als zusätzlich gewährte Palliumstage genannt, obwohl sie dies nach dem Privileg Johanns XII. für Dietrichs Vorgänger tatsächlich nicht mehr waren. Daraus ergibt sich, daß der in der Mainzer Urkunde Benedikts VII. ebenfalls im Tenor einer zusätzlichen Neuverleihung gehaltene Passus das Vorhandensein einer Vorurkunde gleichen Inhalts nicht ausschließt. Zum Unterschied von allen anderen Privilegien enthält jedoch dasjenige Johanns XIII. für Dietrich von Trier Begründungen für die Hinzufügung des Laurentius- und Mauritiustages zu den Palliumstagen, die im Wortlaut festgehalten zu werden verdienen: Verum etiam pro inestimabili amore dilectissimifilii nostri domni Ottonis semper benedicti imperatoris insuper largimur in natale beatissimi Laurentii, quo idem gloriosus augustus dimicando suorum kostium meruit victor existere2), beatique Mauritii solempnitate, quam ipse propensius cum regni suifidelibus fertur excolere. Damit ist zunächst der Zusammenhang zwischen dem Ungarnsieg und der Ergänzung der Palliumstage um den des Laurentius auch für die Privilegien Johanns XII., die dieser unmittelbar nach der Kaiserkrönung ausgestellt hat, gesichert. Nimmt man dessen Urkunde für Magdeburg, von der wir ausgegangen waren, hinzu, so hat dieser Papst im Anschluß an die Kaiserkrönung mindestens in drei Urkunden auf Ottos Ungarnsieg Bezug genommen; mit dem Verlust weiterer Urkunden dieser Art für Mainz und Hamburg ist zu rechnen. Die Initiative Ottos d. Gr. wird in allen Urkunden ausdrücklich hervorgehoben. Der bereits von Hirsch und Erdmann konstatierte Zusammenhang zwischen Ottos Heidensieg und seiner Kaiserwürde läßt sich damit auf eine breitere Quellengrundlage stützen. Der den hl. Mauritius betreffende Relativsatz3) ist für die Beurteilung des ottonischen Mauritiuskultes insofern von zentraler JL 3737; Mittelrh. UB 1 S. 280 Nr. 222. Zur Datierung Heydenreich S. 23f. (zu 969). 2 ) Auf diesen Relativsatz machte in anderem Zusammenhang aufmerksam Stengel, Den Kaiser usw. S. 69f. Anm. 3. 3 ) Brackmann, Magdeburg als Hauptstadt S. 5; ders., Die polit. Bedeutung d. Mauritius-Verehrung im frühen MA, in: Ges. Aufss. S. 216. H.-W. Klewitz, Die Festkrönungen der dt. Könige, ZRG KA 28, 1939, 68 fi., erwägt auf Grund dieser Pallienprivilegien Festkrönungen am Mauritiustag. Vgl. auch Thietmar VI 27 über Heinrich II.: annualem . . Thebaidae legionis festivitatem, qua maxima tunc veneracione potuit, complete studuit. Zum Mauritiuskult vgl. ferner H. J. Rieckenberg, Königstraße u. Königsgut, Anhg. I: Die Verehrung des hl. Mauritius, AUF 17, 1942, 131—135.
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Bedeutung, als dieser Kult hier nicht an Magdeburg geknüpft erscheint, wo er seit 937 durch Otto selbst lokalisiert worden war. Ottos Bemühungen um die Gebeine des burgundischen Schutzpatrons wurden allerdings erst am Weihnachtstage des Jahres 960 von Erfolg gekrönt 1 ). Doch schon in Ottos erstem Privileg für das Magdeburger Kloster vom 21. September 9372) erscheint Mauritius als Hauptpatron. Die Urkunde gedenkt König Rudolfs II. von Burgund, der die Gebeine des hl. Innozenz geschickt habe. Man darf wohl annehmen, daß Ottos Verhandlungen mit dem Burgunderkönig von vornherein auf den Erwerb der Mauritius-Reliquien gerichtet gewesen waren. Albert Brackmann 3 ) hat Ottos MauritiusVerehrung mit seiner Burgund- und Italienpolitik in Verbindung gebracht und in diesen Zusammenhang auch den Erwerb der Heiligen Lanze durch Heinrich I. aus den Händen des Burgunderkönigs eingeordnet. Wenn der hl. Mauritius als Patron der Magdeburger Kirche unter Otto d. Gr. nach dem eindeutigen Zeugnis Johannes XIII. zum Reichspatron aufgestiegen ist und damit eine Funktion erlangte, die Widukind von Corvey für den hl. Vitus propagiert hat 4 ), so wird man dies auch mit der Rolle Magdeburgs als der urbs regia schlechthin, als der Hauptstadt Ottos d. Gr. in Verbindung zu bringen haben. Der Patron einer Kirche, für die Otto d. Gr. bei Johannes XIII. offensichtlich auf Kosten von Mainz den Primat in der Germania und more Romanae ecclesiae ein Kardinalskollegium erwirkte 5 ), durfte wohl als spezieller Schutzheiliger des Reiches selbst gelten. Mit einiger Sicherheit läßt sich sagen, daß die Heilige Lanze in der Zeit Ottos I I I . als Mauritiuslanze gegolten hat®). Zu dem Zeugnis Bruns von Querfurt in seinem Brief an König Heinrich II. vom Jahre 1008 und dem des Gallus Anonymus aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts, der Herzog Boleslaw Chrobry die „Lanze des hl. Mauritius" von Ottos I I I . empfangen läßt, tritt die Nachricht des Adhemar von Chabannes, nach der König Stephan von Ungarn von Otto III. für seine Königslanze Reliquien ex clavis domini et lancea Brackmann, Ges. Aufss. S. 235. ) DO I 14 = UB Erzstift Magdeburg 1 Nr. 1 v. 937 Sept. 21. ») Ges. Aufss. S. 211 ff. 4 ) I 34 S. 48. Vgl. oben S. 544. 5 ) JL 3729 u. 3730 = UB Erzstift Magdeburg 1 Nr. 63. Die Zurücksetzung von Mainz betonen Fuhrmann, ZRG KA 41, 1955, 105 Anm. 37 und Ewig, Trierer Zs. 24/26, 1956/58, 175 ff. ·) So vor allem Brackmann, Ges. Aufss. S. 226ff.; zusammenfassend und weiterführend Schramm, Herrschaftszeichen u. Staatssymbolik 2, 1955, S. 492ff. mit der älteren Lit.; Μ. Uhlirz, Zu d. hl. Lanzen d. karol. Teilreiche, MIÖG 68, 1960, 197 ff. 2
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s. Mauricii erhalten habe1). Um eine bloße sozusagen anachronistische Umdeutung der Lanze kann es sich bei dieser Nachricht nicht handeln, da die Übereignung von Reliquien der Lanze — und nicht nur des Nagels — den Reliquiencharakter der Lanze als solcher voraussetzt. So hat diese Nachricht die innere Wahrscheinlichkeit für sich, und P. E. Schramm, der auf sie aufmerksam gemacht hat, knüpft die plausible Vermutung daran, daß auch die Krakauer Lanze, die Otto III. dem Polenherrscher zu Gnesen übereignete, solche Partikel enthielt. In seiner eingehenden Erörterung des archäologischen Befundes hat Schramm weiterhin wahrscheinlich gemacht, daß die Wiener Lanze nicht nur die Nagelreliquie bereits enthielt, als sie vom Grafen Samson dem König Rudolf II. von Burgund 921/22 übergeben wurde, sondern daß auch die am Lanzenblatt befestigten Flanschen das Metall enthalten, das zur Herstellung der Mittelöffnung herausgestanzt worden war1). Die Konservierung dieses Metalles in Gestalt der sonst schwer erklärbaren Flanschen leuchtet ohne weiteres ein, wenn die Lanze schon damals als Reliquie gegolten hat. Doch selbst wenn dem nicht so war — die Konstantins-Deutung Liudprands könnte eine italienisch-langobardische Tradition1) wiedergeben — so braucht der Bedeutungswandel, der aus dem Objekt eine Mauritiuslanze werden ließ, nicht erst durch den ottonischen Mauritiuskult hervorgerufen zu sein. Nicht minder wahrscheinlich ist es, daß die Lanze dem in Burgund verehrten Heiligen auch in Burgund selbst zugeordnet worden ist. Dem steht bisher das Zeugnis Liudprands entgegen, doch besagt dies genau besehen nur, daß die Lanze einen Bedeutungswandel erfahren hat. Offen bleibt, wann dieser Wandel eingetreten ist. Denn Liudprand kann durchaus eine ältere bodenständige Tradition seines Heimatlandes wiedergeben und im Zusammenhang mit seinem Interesse für Byzanz und Kaiser Konstantin d. Gr. propagiert haben1). Er wäre damit Widukind von Corvey zur Seite zu stellen, der, wie wir gesehen haben, nicht den hl. Mauritius, sondern den hl. Vitus als Reichspatron empfiehlt. Für eine Frühdatierung der 1
) Schramm, Herrschaftszeichen 2 S. 517ff. «) Ebd. S. 535. a ) Brackmann, Ges. Aufss. S. 222. 4 ) Antap. IV 25, hrsg. v. J. Becker (MG SSRG), 1915, S. 91 f. Leg. c. 17 S. 184f. weist Liudprand gegenüber Byzanz auf die Privilegia Konstantins hin, quae penes nos sunt: K. Otto habe die Schenkung Konstantins für seinen Teil erfüllt, Byzanz jedoch nicht (Schramm, Kaiser, Rom u. Renovatio S. 73). Nach Liudprand tritt Otto also in die Konstantins-Nachfolge ein; dazu paßt gut seine Deutung der Heiligen Lanze als Konstantinslanze. Vgl. auch H.-W. Klewitz, Die hl. Lanze H.s I., DA 6, 1943, 43 ff.
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Mauritius-Deutung spricht, daß unter den Geschenken, die im Jahre 926 Hugo von Franzien dem König Aethelstan sandte, sich eine Fahnenlanze des hl. Mauritius befand 1 ). Der Gedanke an eine Mauritiuslanze war also in den Tagen Heinrichs I. nicht unzeitgemäß. Wir stehen somit vor der Frage, ob der ottonische Mauritiuskult in der Heiligen Lanze seinen letzten Grund hatte, oder ob umgekehrt diese Lanze erst sekundär in diesen Kult hineingezogen worden ist. Mit der bisherigen Forschung hat auch Brackmann seinen Erörterungen die zweite der genannten Möglichkeiten zugrunde gelegt. Zu einer befriedigenden Erklärung der beherrschenden Rolle, die dem Mauritiuskult unter Otto d. Gr. zugefallen ist, gelangt er dabei allerdings nicht. Brackmann hat die Gründe in der ottonischen „Außenpolitik" gesucht, in Ottos d. Gr. Politik gegenüber Italien, Burgund und der slawischen Welt im Osten. Wir werden sehen, daß Ottos Burgund- und Italienpolitik wahrscheinlich ebenso alt ist wie seine Ostpolitik, so daß die Begründung des Magdeburger Mauritiuskultes 937 durchaus schon in diesen Zusammenhang gerückt werden könnte. Nicht nur sie würde jedoch einen sehr viel einleuchtenderen historischen Hintergrund erhalten, wenn die Heilige Lanze, die Otto von seinem Vater erbte, bereits diesem als Mauritiuslanze gegolten hätte. Auch das Aufrücken des hl. Mauritius zum Reichspatron, dem Otto mit seinen Getreuen ganz besondere Verehrung erwies, wäre um so verständlicher, wenn man voraussetzen würde, daß Otto die Siege von Birten und vom Lechfeld nicht nur der Heiligen Lanze, sondern mit ihr auch dem hl. Mauritius verdanken zu können glaubte. Dafür sprechen nun aber die von Otto selbst erwirkten Papstprivilegien für die Metropoliten des Reiches, durch die dem Tagesheiligen der Lechfeldschlacht und dem hl. Mauritius eine besondere Verehrung gesichert werden sollte. Man könnte einwenden, daß das Trierer Privileg Johanns XIII. die Einführung des Mauritiusfestes als Palliumstag gerade nicht mit dem Ungarnsieg begründet, obwohl dies sich als gemeinsame Begründung für beide Heilige, den Laurentius wie den Mauritius, angeboten hätte, wenn der Ungarnsieg tatsächlich bei diesen Verfügungen die gemeinsame und alleinige Ursache gewesen wäre. Der alleinige Grund für die Hervorhebung des hl. Mauritius konnte der Ungarnsieg aber schon deshalb nicht sein, weil der ottonische Mauritiuskult auf jeden Fall bis 937 zurückreichte, während der hl. Laurentius erst durch den in dieser Hinsicht zufälligen Tag der Ungarnschlacht seine spezifische Bedeutung gewonnen hatte. Zum Reichspatron ist er nicht aufgerückt, doch konnte er dem Mauritius x
) Schramm, Herrschaftszeichen 2 S. 534.
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nunmehr zur Seite gestellt werden. Dies geschah in den behandelten Privilegien im unmittelbaren Zusammenhang mit Ottos Kaiserkrönung, als deren Voraussetzung Ottos Heidenkriege und besonders der Ungarnsieg durch Johann XII. anerkannt worden sind. Die Erweiterung der Pallientage um die Feste des Laurentius und Mauritius ist von der Absicht Ottos d. Gr. schwer zu trennen, die Bedeutung seines Ungarnsieges, der ihn als defensor ecclesiae in besonderem Maße ausgewiesen hatte, während der römischen Verhandlungen des Februars 962 zur Geltung zu bringen. Die Nachbarschaft des Sieghelfers Laurentius, in der wir den Mauritius durch nahezu alle Metropolen des Reiches verfolgen können, läßt sich gewiß auch mit seiner Rolle als Reichspatron erklären; zum Greifen nahe liegt jedoch der Schluß, daß zu den Sieghelfern der Lechfeldschlacht nicht nur der Tagesheilige, sondern auch der hl. Mauritius gehörte, dessen Lanze Otto d. Gr. ergriff, als in der Krise der Schlacht die sacra lancea in den Kampf führte. Zu einem Beweise reichen wohl auch diese Indizien und Belege noch nicht aus; doch ohne Zweifel erklärt sich die Rolle des Mauritius als des ottonischen Reichspatrons sehr viel zwangloser, wenn er durch Vermittlung der Heiligen Lanze als Sieghelfer von Birten und vom Lechfeld in Anspruch genommen werden konnte. Damit würde jedoch auf die zwischen der Politik Heinrichs I. und seines Sohnes und Nachfolgers ohnehin schon hervorgetretene Kontinuität ein weiteres Licht fallen. War es die Heilige Lanze, die als Mauritiuslanze den Mauritiuskult nach Magdeburg gezogen hat, so sind die Grundlagen der mit Magdeburg und dem hl. Mauritius gekennzeichneten Konzeption Ottos d. Gr. bei Heinrich I. zu suchen. Zu den Voraussetzungen der Kaiserwürde, die im Privileg Johanns XII. für Magdeburg von 962 angeführt werden, gehören neben dem Ungarnsieg auch Ottos Erfolge gegenüber weiteren barbarischen Völkern. Auch damit hatte er das Amt des defensor ecclesiae wahrgenommen. So wird Ottos gesamte Ost- und Missionspolitik an der Elb- und Saalelinie, deren Anfänge mit den Anfängen seiner Regierung zusammenfallen, in eine imperiale Beleuchtung gerückt. Durch militärische Aktionen hatte Heinrich I. auch hier vorgearbeitet, wie er ja auch in der Ungarnbekämpfung ein Vorbild gegeben hatte. Unabhängig davon, ob schon er mit der Heiligen Lanze auch den ottonischen Mauritiuskult begründet hatte, erhebt sich die Frage, ob die imperiale Tendenz in der ottonischen Politik auch sonst soweit zurückreicht, wie es Widukind uns glauben machen will, oder ob sich ein Kurswechsel erkennen läßt. Alles deutet zunächst darauf hin, daß die Kaiserfrage nach der Lechfeldschlacht nicht wieder von der Tagesordnung verschwunden
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ist. Es fällt auf, daß nach dem Ungarnsieg noch im Jahre 955 der Fuldaer Abt Hadamar von Otto nach Rom entsandt wurde1). Es ging um missionspolitische Fragen, wie wir aus dem Protest des Mainzer Erzbischofs Wilhelm erschließen können. Die Annahme liegt nahe, daß auch weitere Konsequenzen des soeben errungenen epochalen Heidensieges besprochen worden sind. 960 empfing Otto den Kardinaldiakon Johannes und den Skriniar Azzo, die den König im Auftrage des Papstes zum Italien- und Romzug aufforderten 2 ). Beide Gesandten waren auch bei der Regensburger Reichsversammlung zu Weihnachten 960 anwesend, die durch das Eintreffen der Gebeine des hl. Mauritius aus Burgund gekrönt wurde3). Von einer Gegenleistung des Papstes für die erbetene militärische Hilfe verlautet zwar nichts, doch muß das Angebot einer solchen vorausgesetzt werden, da Otto schon damals, spätestens aber im November 961 mit der Gesandtschaft Hattos von Fulda 4 ) dem Papst umfangreiche Zusicherungen übermittelt hat 5 ). Nachdem auch die Wiener Krone mit einiger Wahrscheinlichkeit als die Kaiserkrone Ottos d. Gr. angesprochen werden kann®), kommen wir, da ihre Herstellung in Deutschland außer Frage steht, mit den Vorbereitungen der Kaiserkrönung zeitlich wohl noch weiter herauf. Zu den Vorbereitungen darf vermutlich auch das schon erwähnte, um 960 entstandene Mainzer Pontifikale gerechnet werden. Es enthielt zwei Ordines für die Kaiserkrönung, den „römischen" und den „westlichen". Der „römische" beruht auf einem Ordo für die Papstweihe, der „westliche" auf einem älteren fränkischen Königsordo. Beide dürften, nach einer Mitteilung, für die ich Reinhard Elze zu danken !) Böhmer-Ottenthal Nr. 240n. 2 ) Ebd. Nr. 289b. 3 ) Ebd. Nr. 289c. Ebd. Nr. 307e. 5 ) Ebd. Nr. 309a. β ) H. Decker-Hauff in: Schramm, Herrschaftszeichen 2 S. 560—637. Die Worte Liudprands, Historia Ottonis, c. 3 S. 160 ubi miro ornatu novoque apparatu susceptus ab eodem summo pontifice . . . unctionem suscepit imperii besagen allerdings über Ottos Krone nichts, da vom ornatus und apparatus des Papstes die Rede ist. Dies ergibt sich vollends aus der Parallelstelle Antap. I I 38 S. 54. Hier heißt es von König Ludwig I I I . v. Italien, der den Markgrafen Adalbert von Tuszien besucht: proficiscitur Lucam, ubi decenter miroque apparatu ab Adelberto suscipitur. Daß hier der apparatus Adalberts gemeint ist, wird anschließend eigens gesagt (c. 39 S. 54f.): Cumque Hulodoicus in domo Adelberti tot militum elegantes adesse copias cerner et, tantarn etiam dignitatem totque impensas prospiceret, invidiae zelo tactus suis clanculum infit: ,,Hic rex potius quam marchio poterat appellari; nullo quippe mihi inferior, nisi nomine solummodo est." Vgl. auch Antap. II 42 S. 65.
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habe, damals in Mainz eigens für dieses Pontifikale hergestellt worden sein. Natürlich durfte in einem Pontifikale auch ein Ordo für die Kaiserkrönung aus Gründen der Vollständigkeit nicht fehlen, so daß die Berücksichtigung auch dieses Themas keinerlei politischen Anlaß zu haben brauchte. Die Aufnahme zweier Ordines für den gleichen Zweck läßt jedoch erkennen, daß die Mainzer Liturgiker bei der Herstellung des Pontifikale der Kaiserkrönung eine erhöhte Beachtung geschenkt haben. Einer der beiden Ordines dürfte bei Ottos Kaiserkrönung in Rom verwendet worden sein, und wir haben damit zu rechnen, daß Otto bei seinem Romzuge eine Krone und zwei Ordines für Weihe und Krönung des Kaisers mit sich führte. Einen Italienzug hatte Otto schon 951 unternommen, und im Anschluß an seinen damaligen Herrschaftsantritt in Pavia schickte er eine Gesandtschaft pro susceptione sui nach Rom. Diese Nachricht Flodoards wird durch Widukind (simulato itinere Romam proficisci statuit) bestätigt 1 ). Eine Sondierung in der Kaiserfrage ist hier mit guten Gründen angenommen worden 2 ). Aus einer Nachricht der Annales Farfenses, die auf 941 zu beziehen ist, hat endlich Frithjof Sielaff in einer mir nicht zugänglichen ungedruckten Greifswalder Habilitationsschrift von 1954, deren Ergebnisse er jedoch mitgeteilt hat 3 ), den Schluß gezogen, daß Otto bereits 941 in Italien eingegriffen habe. Dies gehöre in den Zusammenhang seiner eben damals einsetzenden Burgundpolitik. Zeitlich sind wir damit dem Ableben Heinrichs I. nahe gekommen, dem Widukind den Plan eines Romzuges nachsagt. Nur der Tod habe ihn daran gehindert 4 ). Für die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht sind in letzter Zeit manche Gesichtspunkte beigebracht worden 5 ). Das Interesse Heinrichs I. an Burgund und Italien kann nicht gering gewesen sein, wenn man bedenkt, daß er für die Heilige Lanze mit der Abtretung Basels einen ungewöhnlich hohen Preis zahlte. Schon deshalb dürfte ihm dieses Objekt nicht nur als Reliquie, sondern ») Dümmler S. 199 mit Anm. 2. 2 ) Ebd.; Holtzmann, Sächs. Kaiserzeit S. 148f. 3 ) F. Sielaff, Erben der Karolinger. Studien z. Gesch. d. früheren HochMAs. Die oben verwerteten Ergebnisse sind mitgeteilt von E. Müller-Mertens, Das Zeitalter der Ottonen, 1955, S. 87 mit Anm. 2. Nach einer freundlichen Mitteilung W. Schlesingers hat Sielaff seine Thesen in einem Berliner Vortrag ausführlich und einleuchtend begründet. «) Wid. I 40 S. 59. 5 ) H. Heimpel, Bemerkungen z. Gesch. König Heinrichs I. (Berr. über d. Verhh. d. Sächs. Ak., Phil.-Hist. 88, 1936, H. 4), 1937, S. 40fl.; Erdmann, Der ungesalbte König, DA 2, 1938, 339; Brackmann, Ges. Aufss. S. 225.
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auch als Herrschaftszeichen und damit als Unterpfand eines Anspruchs auf Italien wertvoll gewesen sein. Die beiden letzten Träger der Kaiserkrone vor Otto dem Gr., Berengar von Friaul und Ludwig der Blinde von Burgund, waren 924 und 928 gestorben 1 ). Nach ihnen hat dann Hugo von der Provence, seit 926 König von Italien, die Kaiserwürde wenn auch erfolglos erstrebt. Sein letzter Versuch fällt in das gleiche Jahr 941, für das ein erstes Eingreifen Ottos d. Gr. in Italien vermutet worden ist 2 ). So scheint die Kaiserfrage in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts auch außerhalb Italiens keineswegs geruht zu haben. Handelt es sich hier zum Teil nur um allerdings gut begründete Vermutungen, so weisen die allbekannten und gesicherten historischen Tatsachen durchaus in die gleiche Richtung. Der von Heinrich I. erfolgreich betriebene Anschluß des regnum Lotharii war, im Gesamtzusammenhang der ottonischen Politik betrachtet, ein erster Schritt auf dem Wege zur Wiedervereinigung ehemaliger karolingischer Teilreiche, dem mit der Anerkennung Ottos in Italien ein zweiter, mit der von den Ottonen zielbewußt betriebenen und von Konrad II. erreichten Angliederung Burgunds ein dritter Schritt gefolgt ist. Im Ergebnis gelangte nahezu das gesamte Mittelreich Lothars I. von 843 mit den Kaiserstädten Rom und Aachen unter die Herrschaft der deutschen Kaiser 3 ). Es spricht alles dafür, daß die Grundlinien dieser Politik von Heinrich I. gelegt worden sind, und Otto d. Gr. hat sie offenbar unverzüglich weiter verfolgt. Von einem Kurswechsel ist hier nichts zu verspüren. Eine expansive, auf Hegemonie über eine Mehrzahl von Ländern und Völkern gerichtete Tendenz wird in gleicher Weise durch die ottonische Politik im Norden und Osten bestätigt. Die ottonische Ostpolitik hat die Grundlagen geschaffen für die spätere Erweiterung des deutschen Volksbodens über Elbe und Saale hinaus, die Grundlagen letzten Endes für die Entstehung der deutschen Neustämme. Hier also, so meinen die Kritiker der ottonischen Kaiserpolitik, habe Otto d. Gr. die echten Interessen des deutschen Volkes wahrgenommen, und das Urteil über Nutzen oder Schaden der Kaiserpolitik ist immer wieder auch durch die Förderungen und Beeinträchtigungen bestimmt worden, die die Ostpolitik durch die Kaiser- und Italienpolitik erfahren hat. Doch auch in dieser Argumentation steckt ein Anachronismus. Die Ausbreitung der ottonischen Herrschaft im Osten bedeutete in der Perspektive des Holtzmann, Sachs. Kaiserzeit S. 99. Müller-Mertens S. 87. 3 ) Vgl. G. Barraclough, Die ma.lichen Grundlagen d. modernen Dtld., übers, v. F . Baethgen, 1953, S. 40ff. 2)
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10. Jahrhunderts lediglich die Einverleibung slawischer Stämme und ihre Christianisierung. Die Kombination von staatlicher Expansion und kirchlicher Mission, von Grenzmarken und Missionssprengeln im Heidenland ist doch auch und vor allem als die Fortführung einer karolingischen Tradition zu deuten. Mit der Errichtung des Erzbistums Magdeburg hat Otto d. Gr. die weiträumige Lücke, die zwischen den karolingischen Missionszentralen von Hamburg-Bremen und Salzburg klaffte, an einem wichtigen Abschnitt geschlossen. Wir berühren damit den Zusammenhang von Missionspolitik und Kaisertum. Hans Hirsch 1 ) hat als erster nachdrücklich auf die Rolle des Kaisergedankens in den liturgischen Gebeten hingewiesen und vor allem auf das Kaisergebet der alten römischen Karfreitagsliturgie, in dem die Hilfe Gottes für den Kaiser bei der Unterwerfung der Heidenvölker ausdrücklich erfleht wird. Hier heißt es: respice ad Romanum benignus Imperium, ut gentes, quae in sua feritate confidunt,potentiae tuae dexter a comprimantur. Aus den weiterführenden Untersuchungen Gerd Tellenbachs ergibt sich, daß ein fränkischer Liturgiker bereits vor 750 den Begriff Romanum imperium durch den Zusatz sive Francorum ergänzt hat 2 ). Dem ist das fränkische Sendungsbewußtsein zur Seite zu stellen, das aus dem Prolog der Lex Salica zu uns spricht. Zwar kann man, wie Carl Erdmann in einer den ottonischen Verhältnissen gewidmeten Studie zeigen konnte, nicht nachweisen, daß die Liturgie der Ottonenzeit dem Kaiser in höherem Maße als dem Könige die Aufgabe der Heidenbekämpfung und -missionierung zugesprochen habe 3 ). Was sich aus der Liturgie nicht erweisen läßt, ergibt sich jedoch aus anderen Zeugnissen und Zusammenhängen, für Otto d. Gr. vor allem aus der Urkunde Papst Johannes XII. von 962 für Magdeburg sowie aus den behandelten Pallienprivilegien. Wenn sich die Forschung immer wieder irritiert gezeigt hat angesichts der auch im Hinblick auf Heidenkrieg und Mission nur schwer faßbaren Unterschiede zwischen Königtum und Kaisertum, so muß auch hier an den imperialen Charakter des fränkischen Königtums vor 800 und des ottonischen vor 962 erinnert werden. Der als defensor ecclesiae, als Heidensieger und dilatator imperii christiani ausgewiesene König durfte sich als potentieller Kaiser betrachten. So hat auch Widukind die bei der Aachener Krönung von 936 gesprochenen Worte des Krönungsordo, die den Heidenkrieg betrafen, im Wortlaut aus!) Wie oben S. 553 Anm. 4. 2 ) G. Teilenbach, Rom. u. christl. Reichsgedanke in d. Liturgie d. frühen MAs (SB Heidelberg, Phil.-Hist. 1934/35, 1. Abh.), S. 53 Nr. 2. 3 ) Erdmann, Heidenkrieg S. 60 ff.
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drücklich zitiert: accipe hunc gladium, quo eicias omnes Christi adversaries, barbaros et malos Christianos, auctoritate divina tibi tradita omni potestate totius imperii Francorum, ad firmissimam pacem omnium Christianorum1). Der Sache nach handelte es sich auch hier um einen universalen und damit imperialen Auftrag. Daß Otto d. Gr. sich als Träger eines solchen universalen Missionsauftrages betrachtete, hat Albert Brackmann in seinen eindringlichen Untersuchungen über die Gründung des Magdeburger Erzbistums gezeigt2). Der Plan als solcher hat wahrscheinlich bereits bei der Gründung des Mauritius-Klosters 937 bestanden. Die Besiedlung des Klosters mit Trierer Mönchen schlug eine Brücke nach Lothringen, die Transferierung des Mauritius-Kultes eine solche nach Burgund. Spätestens im Jahre der Lechfeldschlacht, in dem sich Erzbischof Wilhelm vonMainz scharf dagegen wendet3), können wir Ottos Magdeburger Plan mit Sicherheit fassen. So bestand er also erst recht im Jahre 961, als Adalbert, der spätere erste Magdeburger Erzbischof, von Otto nach Kiew entsandt wurde, um das russische Reich zu missionieren4). Die Mission schlug bekanntlich fehl, weil Byzanz zuvorgekommen war. Es verdient Beachtung, daß Otto am Vorabend der Kaiserkrönung das byzantinische Kaisertum als Rivalen auf dem von ihm beanspruchten östlichen Missionsfelde erlebt hat. Die Überlegung konnte sich aufdrängen, ob nicht gerade in der außerfränkischen, heidnischen Welt die Kaiserwürde, und zwar in diesem Falle die römische Kaiserwürde, eine höhere missionspolitische Autorität zu gewähren vermochte. Das Gründungsprivileg Johannes XII. für Magdeburg spiegelt eine umfassende missionspolitische Konzeption5). Eindeutig bezeichnet die Urkunde Otto als den Herren der gegenwärtigen und zukünftigen Mission im Slawenlande, als den Herren auch der dort zu gründenden Kirchen. Von einer Begrenzung des Missionsfeldes nach Osten ist keine Rede. In dieser Gestalt ist der Plan allerdings nicht verwirklicht worden. Als endlich im Jahre 967 der von Mainz und Halberstadt ausgehende innerdeutsche Widerstand überwunden war, hatten sich im Osten, aber auch in Rom selbst die Verhältnisse geändert. Jenseits der Oder war in den dazwischen liegenden Jahren das polnische Reich Mieskos entstanden, Miesko selbst war 966 zum Christentum übergetreten. Es muß dahingestellt bleiWid. I I 1 S. 66. ) Vgl. oben S. 553 Anm. 4. a ) Böhmer-Ottenthal Nr. 240n. *) Cont. Reginonis zu 961, hrsg. v. F. Kurze (MG SSRG), 1890, S. 170; Brackmann, Ges. Aufss. S. 144; ders., Magdeburg als H a u p t s t a d t S. 16. B ) Brackmann, Ges. Aufss. S. 144ff.; ders., Magdeburg als H a u p t s t a d t S. 18fE. 3
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ben, ob Miesko schon damals eine unmittelbare Verbindung mit Rom aufgenommen hat, wie dies für seine späteren Jahre nachzuweisen ist. Eine solche Annahme würde am besten erklären, weshalb in dem endgültigen Gründungsprivileg Johanns XIII. von 9671) anstelle des offenen Missionsfeldes im Osten 2 ) ausdrücklich die bereits bestehenden Suffraganbistümer Brandenburg, Havelberg, Merseburg, Zeitz und Meißen genannt werden. Herr der Mission ist jetzt nicht mehr der Kaiser, sondern ausdrücklich der Papst. So ist davon die Rede, daß Otto darum gebeten habe, das Christentum möge durch die apostolica auctoritas des Papstes im Norden verbreitet werden. In welchem Maße auch in den Augen Ottos die kaiserlichen Rechte auf Kosten der päpstlichen zurückgesetzt worden sind, läßt seine eigene Gegendarstellung in dem Mandat 3 ) erkennen, mit dem er allen seinen Getreuen in Sachsen Weisungen zur Ausführung des Magdeburger Planes erteilt. Die Differenz der beiderseitigen Auffassungen gipfelte in der Frage, wer bei der Einsetzung des Magdeburger Metropoliten über die ausschlaggebende Kompetenz verfüge. In dem erwähnten Mandat ist der kaiserliche Standpunkt deutlich fixiert. Hier teilt Otto seinen Getreuen mit: Adalbertum ... archiepiscopum et metropolitanum .. .fieri decrevimus pariter et elegimus, quem et Romam pro pallio a domno papa suscipiendo direximus4). Mit äußerster Bestimmtheit vindiziert sich Otto hier die Entscheidungsbefugnis in der Frage der Person, ja selbst die Verleihung des Palliums durch den Papst geht auf Ottos Veranlassung zurück. Zwar befiehlt Otto noch eine förmliche Wahl durch die Bischöfe, Grafen und übrigen comprovinciales, an die das Mandat gerichtet ist, so daß den kanonischen Erfordernissen entsprochen wird. Die Ordination soll sogar im Beisein der päpstlichen Legaten geschehen, jedoch zu dem Zweck, ut haec eadem praesentia vestra ante deum et sanctos eius intentionis nostrae sit testis /«/«^.Ausschlaggebend soll auch hier der kaiserliche Wille sein. Besondere Beachtung verdient jedoch der Eingang der Corroboration?/ ut haec nostra vestraque post deum electio firma et stabilis perseveret . . . Dem sind die Worte Johanns XIII. aus seinem Privileg für Adalbert gegenüber!) JL 3715; U B Erzstift Magdeburg 1 Nr. 52. s ) In der Wendung per congrua loca, ubi per Worum predicationem christianitas creverit, episcopos ordinäre klingt der ursprüngliche Gedanke noch an. Er fehlt jedoch gänzlich im Privileg Johanns X I I I . v. 968 Okt. 18 für E B Adalbert, JL 3728 = U B Erzstift Magdeburg 1 Nr. 62. 3
) DO I 366 = U B Erzstift Magdeburg 1 Nr. 67.
4
) DO I 366 = U B Erzst. Magdeburg 1 Nr. 67.
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zustellen: . . . quia ... nostra post deum te auctoritas promovit1). Der Sinn der Worte post deum, auf die es hier ankommt, ergibt sich aus der sog. Narratio erectionis ecclesiae Magdeburgensis 2 ), nach der die Synode von Ravenna die Errichtung eines Bistums in Magdeburg beschließt et hoc eius iudicio et discretione, in quo maxima reparandae et confirmandae religionis post deum fidutia erat, fieri debere omnio iudicavit. Die Synode schiebt also demjenigen die letzte Entscheidungsbefugnis zu, dem nächst Gott in Fragen der reparanda et confirmanda religio das höchste Vertrauen zu gelten hat. Wen die Narratio hier meint, wird nicht ausdrücklich gesagt, ja man gewinnt den Eindruck, es sei der entscheidende Punkt mit dieser Umschreibung vorsichtig umgangen worden. Die Begriffe reparare und confirmare im Hinblick auf die religio weisen jedoch nur zu deutlich auf die kaiserlichen Pflichten der defensio ecclesiae hin. Auch sonst steht in der Narratio der Kaiser und nicht der Papst im Vordergrund. Otto hat die Ravennater Synode einberufen, und ihm schiebt diese das entscheidende Wort bei der Begründung des Erzbistums zu. Nach all dem kann es nicht zweifelhaft sein, daß es im Ringen zwischen Otto d. Gr. und Papst Johannes XIII. um die Frage gegangen ist, wem von beiden die auctoritas post deum bei der Begründung und Besetzung des Magdeburger Stuhles zukomme. Die Formulierung des kaiserlichen Mandats an die Getreuen (nostra vestraque post deum electio) steht jedenfalls auf dem Boden jener Auffassung, die bei Pippin und Karl d. Gr. mit der Formel fideles dei et nostri zuerst begegnet. Zu dem ideengeschichtlichen Zusammenhang, in den die Position Johannes XIII. gehört, gibt sein Privileg vom 20. April 967 einen vielsagenden Hinweis. Der Papst verfügt, ut Magdaburch . . . deinceps metropolis sit et nominetur auctoritate beati Petri apostolorum principis et ea, qua predecessores nostri Constantinopolim statuerunt3). Auch hier geht es um die auctoritas, um die Vollmacht zur Begründung einer Metropole. Der Papst stützt sich jedoch nicht nur auf seine apostolische Legitimation, sondern auch auf diejenige, die sich aus einer angeblichen „Statuierung" Konstantinopels durch das Papsttum ergeben soll. Im nächsten Satz wird Otto als derjenige Kaiser gerühmt, der als dritter nach KonJL 3731 = UB Erzst. Magdeburg 1 Nr. 64; in JL 3728 = UB Erzst. Magdeburg 1 Nr. 62 v. 968 Okt. 18 heißt es entsprechend: die vorher gen. B i s c h ö f e h ä t t e n nostro post deum iudicio, qualiter sedes ordinari debeat, E r w ä g u n g e n a n g e s t e l l t .
eadem
archiepiscopalis
•) U B Erzst. Magdeburg 1 Nr. 61. Zur Frage der Echtheit: Böhmer-Ottenthal Nr. 473b („völlig unanfechtbar"). s)
J L 3 7 1 5 = U B E r z s t . M a g d e b u r g 1 Nr. 52.
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stantin die römische Kirche in besonderem Maße erhöht habe 1 ). Als Hintergrund für die seltsame Begründung, die die päpstliche Vollmacht in der Metropolitanfrage hier erfährt, möchte man zunächst an das Constitutum Constantini denken, Wir erinnern uns nochmals der Rolle, die dieses Schriftstück im Jahre 804 gespielt hat. Karl d. Gr. hatte, nachdem ihm die Fälschung von Leo III. präsentiert worden war, den Aachener Kaisergedanken von 799 aktiviert, sich dem Papst gegenüber jedoch selbst als neuer Konstantin dargestellt, als Kaiser, der aus eigener Autorität über das Reich verfügt. Auch Otto dem Gr. dürfte das Constitutum bald nach der Kaiserkrönung in jener Prunkabschrift vorgelegt worden sein, die von der Hand des Kardinaldiakons Johannes stammte. Dieser hatte im Jahre 960 die Aufforderung zum Romzug überbracht, war 964 auf Veranlassung Papst Johannes XII. verstümmelt worden und ist danach an den Hof Ottos d. Gr. geflohen 2 ). Nach einer Vermutung P. E. Schramms hat der politische Flüchtling bei dieser Gelegenheit den ottonischen Hof über die päpstlichen Machenschaften unterrichtet, da sich Otto I I I . später über die Entstehung der Prunkurkunde wohlinformiert zeigt 3 ). Wenn dies richtig ist, muß erst recht Otto d. Gr. in den Jahren 967/68 informiert gewesen sein. Aus der Konstantinischen Fälschung ließ sich nun aber mit dem besten Willen nicht ableiten, die Päpste hätten Konstantinopel „statuiert". Das Verbum statuere begegnet im Privileg Johanns X I I I . für Adalbert dort, wo von der Begründung der Metropole die Rede ist 4 ). Man könnte also daran denken, daß der Papst bei Konstantinopel an den Patriarchat gedacht hat, zumal da sich mit der Verleihung des Primats in der Germania für Magdeburg 5 ) ein vergleichbarer kirchlicher Rang ergab. Nun hat bereits Schramm die einleuchtende Vermutung ausgesprochen, daß das Papsttum in den Tagen Ottos d.Gr. eigens eine Prunkabschrift des Constitutum Constantini deshalb herstellen ließ, weil das Original der Fälschung nicht zur Verfügung stand, der Text vielmehr einem Codex entnommen werden mußte. Ein Codex, der diesen Text enthielt, war die Dekretalen*) . . . quia filius noster . . . Otto . . . tercius post Constantinum nam aecclesiam exaltavit.
maxime
Roma-
*) Schramm, Kaiser, R o m u. R e n o v a t i o S. 70ff. *) E b d . S. 72; D O I I I 389. 4
) J L 3728 = U B E r z s t i f t Magdeburg 1 Nr. 62: comprovinciales episcopi. . . in predicta Magadaburg civitate archiepiscopalem sedem privilegio apostolicae sedis statui ordinaverunt. s
) J L 3729, 3730 = U B E r z s t i f t Magdeburg 1 Nr. 63.
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Sammlung Pseudo-Isidors 1 ). Aus ihr hat Johann X I I I . in seinem Privileg für Erzbischof Dietrich von Trier vom 22. Januar 969 den dritten Clemensbrief zitiert. Eine direkte Benutzung Ps.-Isidors wird angenommen 2 ). Im dritten angeblichen Brief des Papstes Anaclet, einem Werk des Fälschers, ist von Primaten die Rede, die auch an gewissen Orten Patriarchen genannt würden, qui in metropoli a beato Petro ordinante domino et a praedecessore nostro praedicto demente servante, a nobis constituti sunt3). Aus dieser Stelle konnte Johannes XIII. in der Tat den Schluß ziehen, auch der Patriarchat von Konstantinopel sei von seinen Vorgängern eingerichtet worden. Die Berufung auf,,historische" Präzedenzfälle zur Legitimation seiner Kompetenz in der Magdeburger Frage und damit zugleich für den Bereich der Heidenmission gehört auch sonst zum Stile dieses Papstes. Im Privileg für Adalbert 4 ) beruft er sich für die bei dessen Einsetzung von ihm in Anspruch genommene auctoritas auf seinen Vorgänger Zacharias, der den Heidenmissionar Bonifatius in Mainz inthronisiert habe. Bei diesem Vergleich liegt auf der missionspolitischen Seite der Sache sogar der besondere Akzent, da Adalbert als olim ad gentes missus dem Bonifatius als einem ad gentes destinatus gegenübergestellt wird. In der Tat war auch nach Ottos Auffassung Adalberts in Kiew gewonnene missionspolitische Erfahrung für die Wahl seiner Person ausschlaggebend 5 ). Schon Papst Nikolaus I. hatte in einem Brief an Boris von Bulgarien die Einsetzung von Patriarchen, Erzbischöfen und sogar Bischöfen dem römischen Stuhl reserviert®). Nach Ps.-Isidor, auf den Nikolaus I. sich hier stützte, war die Einsetzung neuer Primate bei einem neu bekehrten Heidenvolk zulässig, wenn es wegen der großen Zahl der Bischöfe erforderlich erschien 7 ). Die Bedeutung der pseudoisidorischen Dekretalen wird von der Forschung für das 10. Jahrhundert im allgemeinen gering eingeschätzt. Wohl mit Recht hat jedoch bereits Gerd Teilenbach 8 ) gegenSchramm, Kaiser, Rom u. Renovatio 1, S. 164; G. Tellenbach, Liberias, 1936, S. 221. 2 ) JL 3736; Migne PL 135 Sp. 974; Mittelrhein. UB 1 S. 288 Nr. 232; H. Fuhrmann (wie folgende Anm.), ZRG KA 41, 1955, 105 A. 36. s ) Decretales Ps.-Isidorianae, hrsg. v. Hinschius, S. 82: Ep. Anacleti III. c. 29. Dazu H. Fuhrmann, Studien z. Gesch. ma.licher Patriarchate, II, ZRG KA 40, 1954, 24. 4 ) JL 3728 = UB Erzst. Magdeburg 1 Nr. 62. 5
) DO I 366 = UB Erzst. Magdeburg 1 Nr. 67: Adalbertum episcopum, Rugis olim praedicatorem destinatum et missum . . .
e
) MG Epp. 6 S. 593 c. 73; Fuhrmann, ZRG KA 40, 1955, 30 A. 99. ') Ep. Annicii c. 3, Hinschius S. 121. 8 ) Liberias S. 220 ff.
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über dieser Auffassung Bedenken angemeldet. Besondere Beachtung verdient hier das Ausmaß, in dem sich die Synode von Hohenaltheim 916 auf Ps.-Isidor gestützt hat 1 ). Zumal für Rom ist Kenntnis Ps.-Isidors für das 10. Jahrhundert auch sonst bezeugt 2 ). Auf ihn dürfte sich somit auch Johann X I I I . gestützt haben, wenn er eine auctoritas in Anspruch nahm, qua predecessores nostri Constantinopolim statuerunt. Diese Formulierung ist aber andererseits und offenbar ganz absichtlich so unbestimmt gehalten, daß sie auch eine weitergehende Deutung zuließ. Konstantinopel war nicht nur Patriarchensitz, sondern auch und doch wohl in erster Linie Kaiserresidenz. Der anschließende Vergleich Ottos d. Gr. mit Konstantin legt gerade diese Gedankenverbindung nahe. Gegenüber der konstantinischen Fälschung würde freilich die Behauptung, Konstantinopel sei auch als Kaiserstadt auf eine päpstliche Willensentscheidung zurückzuführen, eine Umkehrung des Sachverhaltes bedeuten. Doch hatte bereits Nikolaus I. in einem Brief an Kaiser Michael die römische Kirche als diejenige hingestellt, ex qua imperandi fastigium vos et patres vestri ordine caelitus disposito percepistip). Angesichts dieses Vorganges ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß Johannes X I I I . die von ihm behauptete Statuierung Konstantinopels durch seine Vorgänger in einem ganz umfassenden Sinne verstanden wissen wollte. Diese Beobachtungen lassen erkennen, daß die zuerst von Albert Brackmann dargelegte Divergenz der kaiserlichen und päpstlichen Auffassungen in der Magdeburger Frage weiter gereicht hat, als der erste Augenschein erkennen ließ. Wesentlich ist in unserem Zusammenhang die universalpolitische Bedeutung, die beide, Kaiser und Papst, der Magdeburger Frage beigelegt haben. Schon Brackmann hat aus seinen Beobachtungen einen engen Zusammenhang zwischen Ottos Ostpolitik und seiner Kaiserpolitik gefolgert. Dem ist entgegengehalten worden, daß Ottos Missionspolitik erst nach seiner Kaiserkrönung auf päpstlichen Widerstand gestoßen sei, während er als König ungehindert habe Bistümer im Slawenlande gründen können. Von einem Nutzen der Kaiserpolitik für die Ostpolitik könne also keine Rede sein 4 ). Wer so argumen) Ebd. S. 2 2 1 ; M. Hellmann, Die Synode von Hohenaltheim (916), Überarb. Fassg. in: Die Entstehung des deutschen Rciches, hrsg. v. H. Kämpf (Wege der Forschung 1), 1956, S. 296ff. 2 ) Schramm, Kaiser, Rom u. Renovatio 1, S. 164 Α. 1. 3 ) M G E p p . 6 Nr. 90 S . 5 0 8 Z . 3 0 ; G.Laehr, Die Konstantinische Schenkung i. d. abendl. Lit. d. Ma.s bis z. Mitte d. 14. Jahrhunderts, 1926, S. 128f., auch 15ff. 4 ) Lintzel, Kaiserpolitik S. 65 ff. L. widerspricht sich selbst, wenn er S. 69 1
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tiert, übersieht allerdings, daß die Begründung einer Metropole und erst recht eines Primates für alle noch zu bekehrenden Slawen Völker nicht nur graduell, sondern prinzipiell über Ottos königliche Missionspolitik hinausging. Der Metropolit bedurfte des Palliums als der Legitimation durch die universale Kirche; und daß der Papst das Pallium zu verleihen hatte, bestritt auch Otto d. Gr. nicht. Allerdings wünschte er sich einen Papst, der auch in dieser Hinsicht den kaiserlichen Anordnungen ohne Einschränkung folgte 1 ). Für das Papsttum ergab sich, wie wir gesehen haben, gerade hier der Ansatzpunkt zur Durchsetzung eigener jurisdiktioneller Ansprüche. Der Konflikt, der entstanden war, beruhte also darauf, daß Ottos Magdeburger Pläne nicht nationalpolitischen, sondern universalen oder, wie wir heute sagen würden, europäischen Charakter hatten. An der Spitze eines Reiches stehend, das zwar auf der Basis der deutschen Stämme errichtet worden war, sich aber über diese Grundlage hinaus längst zu einem Großreich entfaltet hatte, hat Otto d. Gr. diesem seinem Reich und seiner Kirche einen Missionsauftrag erteilt, der einen Raum betraf, dessen Grenzen sich in der unbestimmten Weite der slawischen Welt zu verlieren schienen. Eine solche die Proportionen der deutschen Stämme weit hinter sich lassende Aufgabe mochte in den Augen Ottos und seiner Berater der vollen Rückendeckung durch die römische Kirche bedürfen, wenn das ottonische Reich als Träger eines universalen Missionsanspruchs gegenüber den heidnischen Völkerschaften glaubwürdig erscheinen sollte. Kaiserpolitik und Ostpolitik Ottos d. Gr. sind nach den Maßstäben ihrer Zeit Weltpolitik gewesen. In dieser Welt gab es außer Magdeburg, Aachen und Rom auch noch Byzanz und die Welt des Islam. Kiew, Byzanz, Süditalien und Cordoba bezeichnen einen Radius, der bei dem Urteil über die ottonische Kaiserpolitik im Auge zu behalten ist. Wir Nachlebenden, die wir tausend Jahre später auf das ottonische Reich zurückblicken, glauben leicht klüger sein zu dürfen als die selbst in die Entscheidung hineingestellten Zeitgenossen. Die hohen und höchsten Ziele, die sie sich gesteckt haben, gingen über einen selbständigen Widerstand des Papstes gegen Ottos Absichten für ausgeschlossen hält („dafür fehlte wie das Recht auch der Grund und die Macht"), dann jedoch S. 71 aus Brackmanns Ergebnissen den Schluß zieht, „daß die päpstliche Politik Otto ausgerechnet nach der Kaiserkrönung durchaus nicht vorbehaltlos zur Verfügung stand". Vgl. auch W. Holtzmann (wie oben S. 548 Anm. 2). 1
) D O I 3 6 6 = U B Erzst. M a g d e b u r g 1, Nr. 6 7 : . . . quem et Romain a domno papa suseipiendo direximus.
pro
pallio
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die bloße Sicherung der politischen Existenz hinaus. Wir wissen, wie wenig von all dem erreicht werden konnte, wir überschauen das im Grunde tragische Schicksal des mittelalterlichen Kaisertums, und es geht uns deshalb so viel an, weil es ein Stück unseres deutschen Schicksals gewesen ist. Wir überblicken die historischen Zusammenhänge, die eine in der karolingischen Welt schon einmal gescheiterte Idee im 10. J a h r h u n d e r t und danach vollends mit Tendenzen in Konflikt bringen mußte, die sich im Zeitalter Ottos d. Gr., dem rückschauenden Auge des Historikers erkennbar, unter der Oberfläche abzeichneten. Die neue historische Formation, deren Umrisse wir seit dem 10. J a h r h u n d e r t zu erkennen vermögen, wird von den europäischen Völkern gebildet, denen die Z u k u n f t Europas gehören sollte. Vielleicht ist das deutsche Volk sogar die erste dieser neuen Bildungen gewesen. Von seiner Vollendung und inneren Konsolidierung war es freilich auch im Zeitalter Ottos d. Gr. noch weit entfernt, und niemand vermag zu sagen, ob die schweren inneren Krisen, die den König Otto bis an den Abgrund getrieben hatten, und die dem Kaiser Otto erspart geblieben sind, auf anderem Wege besser hätten gemeistert werden können, als dadurch, d a ß diesem werdenden Volke Aufgaben gestellt wurden, die über sein eigenes unfertiges Dasein hinauswiesen. Niemand zweifelt an der konsolidierenden Wirkung der Ungarnschlacht. Niemand zweifelt auch daran, daß in der ottonischen Ostpolitik die Grundlagen für die spätere Vollendung des deutschen Volkes zu suchen sind. Den Zeitgenossen galt das eine wie das andere als Leistung und Aufgabe, deren wahre Bedeutung sich ihnen erst in umfassenderen Zusammenhängen zu erschließen vermochte. Nachtrag. W ä h r e n d d e r D r u c k l e g u n g w u r d e n m i r n o c h folgende A r b e i t e n z u g ä n g l i c h : H . G r u n d m a n n , B e t r a c h t u n g e n z u r K a i s e r k r ö n u n g O t t o s I . (SB B a y e r . A k . d . W i s s . , p h i l . - h i s t . - K l . 1962 H . 2, v e r k ü r z t v o r g e t r a g e n a m 2. F e b r u a r 1962), 1962. J . De£r, K a i s e r O t t o d. G r . u n d die R e i c h s k r o n e ( B e i t r ä g e z. K u n s t g e s c h . u. A r c h ä o l o g i e d. F r ü h m i t t e l a l t e r s , A k t e n ζ. V I I . I n t e r n a t . K o n g r e ß f. F r ü h m i t t c l a l t e r f o r s c h u n g , 2 1 . — 2 8 . S e p t e m b e r 1958, hg. v . H . Fillitz, 1961, 2 6 1 — 2 7 7 ) . Vgl. o b e n S. 562 A n m . 6. W . O h n s o r g e , Die A n e r k e n n u n g des K a i s e r t u m s O t t o s I. d u r c h B y z a n z , B y z . Zs. 54, 1961, 2 8 — 5 2 . Bei seiner I n t e r p r e t a t i o n v o n J L 3715 (s. oben S. 568 f.) k o m m t O. (S. 33 ff.) zu E r g e b n i s s e n , die die o b i g e n A u s f ü h r u n g e n b e s t ä t i g e n . D i e s gilt a u c h f ü r seine D e u t u n g des S a t z e s auctoritate . . . qua praedecessores nostri Constantinopolim statuerunt. D e r v o n O. v o r a u s g e s e t z t e Z u s a m m e n h a n g m i t d e m C C w i r d d u r c h die o b e n (S. 569 f.) a n g e z o g e n e n Belege a u s P s . - I s i d o r , die o f f e n b a r die B r ü c k e g e b i l d e t h a b e n , e v i d e n t g e m a c h t .
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EXKURS (1963) Kaisersigna unter Papsturkunden im 10. Jahrhundert A L S eine Besonderheit der Reichsidee Ottos I I I . gilt das Programm einer gemeinsamen Führung der Christenheit durch Kaiser und Papst. Hierzu wird gern auf eine sowohl von Papst Gregor V . als auch von Otto I I I . unterzeichnete Urkunde für das spanische Bistum Vieh vom Mai 9 9 8 hingewiesen 1 ). Sie enthält die Entscheidung einer von Papst und Kaiser gemeinsam abgehaltenen römischen Synode in der Frage der Besetzung dieses Bistums, die zwischen Waldald und Arnulf strittig gewesen war. Das erhaltene Original der Urkunde zeigt außer der eigenhändigen Unterschrift des Papstes auch die des Kaisers. Robert Holtzmann hat dies als völliges U n i k u m eigens hervorgehoben 2 ). E i n U n i k u m ist das Stück jedoch lediglich als Original. Vorausgegangen war das Privileg desselben Papstes für das rheinische Kloster Vilich von Mai 996, das die Unterschriften beider Häupter der Christenheit ebenfalls aufwies 3 ) . Als Mitunterzeichner von Papsturkunden steht Otto I I I . jedoch nicht so allein, wie man bisher angenommen hat. Vielmehr gibt es aus den Tagen Ottos des Großen und J o h a n n s X I I I . mehrere Präzedenzfälle. V o n seinem literarisch gebildeten E n k e l unterscheidet sich der Großvater hier lediglich darin, daß er die Unterschrift nicht mit vollem Namenszug eigenhändig ausgeführt hat, sondern die in den eigenen Diplomen übliche Unterschriftszeile mit seinem Monogramm 4 ) hat anbringen lassen. Hierher gehört das Privileg J o h a n n s X I I I . vom 26. Mai 969, das die Erhebung Benevents zur Metropole verfügt 5 ). Die zahlreiJ L 3888. Dazu P. Kehr, Die ältesten Papsturkunden Spaniens (Abh. Ak. Berlin 1926, Phil.-hist. Kl. Nr. 2), 1926, S. 19ff.; R. Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, s 1955, S. 570f.; Faksimile der Unterschriften ebd. S. 336, Abb. 33, des ganzen Privilegs bei Kehr sowie in: Pontificum Romanorum diplomata papyracea, Rom 1929; M. Uhlirz, Jahrbücher, Otto III., S. 268f.; Böhmer-Uhlirz, Regesta Imperii, Otto III., Nr. 1279c; M. Boye, Die Synoden Deutschlands und Reichsitaliens von 922—1059, ZRG Κ A 18, 1929, 265. 2 ) Holtzmann, Kaiserzeit S. 352. 3 ) J L 3865; Kehr S. 18f. *) Vgl. unten S. 53 Anm. 5. 5 ) J L 3738; MPL 135, Sp. 976ff.; Böhmer-Ottenthal Nr. 495. Zur Überliefe-
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chen Unterschriften werden von Papst und Kaiser angeführt; die Unterschriftszeile Signum domni Ottonis piissimi imperatoris entspricht hier wie in den noch zu nennenden Stücken dem Formular der Kaiserurkunden. Das ist kein bloßer Konsens wie bei den übrigen Synodalen, sondern eine Mitbeurkundung. Wie dieses Privileg beurkunden auch die übrigen ohne Ausnahme Synodalbeschlüsse und betreffen kirchliche Metropolen oder die Rechte von Metropoliten. Das früheste Beispiel dieser Art ist das Privileg Johanns X I I I . vom 20. April 967, mit dem die Erhebung Magdeburgs zur Metropole sanktioniert wird 1 ). Inhaltlich ist dieses Stück dem Privileg für Benevent zur Seite zu stellen: In beiden Fällen handelt es sich um den Ausbau der höheren kirchlichen Organisation an den Grenzen des Imperiums; in beiden Fällen tritt der Kaiser an der Seite des Papstes handelnd und mitbestimmend hervor. Die Rechte des Mainzer Erzbischofs Wilhelm wurden durch die Exemtion des Klosters Hersfeld berührt, die Johann XIII. am 2. Januar 968 gewährte 2 ). Mit dem Widerstand Wilhelms in der Magdeburger Frage 3 ) dürfte diese Maßnahme allerdings kaum noch zusammenhängen, es sei denn, das Privileg wäre der Abschluß sehr viel weiter zurückliegender Verhandlungen. Denn Wilhelm war in dieser Zeit bereits mit der Verwirklichung des Magdeburger Plans betraut 4 ). Die Motive für die dem Kloster Hersfeld gewährte Vergünstigung könnten jedoch in der Rivalität der Klöster Hersfeld und Fulda gesucht werden, nachdem die Äbte Hadamar und Hatto von Fulda durch das besondere Vertrauen Ottos des Großen ausgezeichnet worden waren. An der Spitze der Unterschriften dieses Privilegs stehen die Signumzeilen Ottos des Großen und seines kaiserlichen Sohnes. Besonders aufschlußreich ist das ebenfalls von Otto dem Großen mitgezeichnete Privileg Johanns XIII. für die Metropole Salzburg 5 ). Mit ihm wird der ehemalige Erzbischof Herold exkommunirung im Cop. von 1464 des Archivio Capitolare zu Benevent vgl. P. Kehr, NGG 1898, S. 49. 1) JL 3715; UB Erzst. Magdeburg Nr. 52. 2 ) JL 3723; UB der Reichabtei Hersfeld 1,1, bearb. v. H. Weirich, 1936, Nr. 56. 3 ) H. Goetting, AUF 15, 1935, S. 162f. *) Thietmar II 18, hrsg. v. R. Holtzmann, 1935, S. 58ff. 5 ) JL 3717; Brackmann, GP 1, 1911, Nr. 33; Böhmer-Ottenthal Nr. 449; MPL 135, Sp. 954ff., Nr. 3; Salzburger UB 2, S. 91, Nr. 51. Im Registrum capituli ecclesiae Salisburgensis (Kammerbücher) torn. I (cod. 359 des Wiener HHStA, fol. 10—12) hat der Abschreiber des 13. Jahrhunderts auch das in die Unterschriftszeile eingefügte Monogramm wiedergegeben.
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Das Kaisertum Ottos des Großen
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ziert. Ottos Bruder Heinrich hatte ihn, der einst am Aufstand Liudolfs gegen Otto den Großen beteiligt gewesen war, ohne geistliches Gerichtsverfahren absetzen und blenden lassen 1 ). Mit der Einsetzung eines Nachfolgers kam es zum Schisma in der Kirchenprovinz, da Herold von Säben aus weiter amtierte und schon bald in seinem Mainzer Kollegen, Ottos Sohn Wilhelm, einen eifrigen Fürsprecher bei Papst Agapit II. fand 2 ). Vergebens hatte Papst Johannes XII. in dem von Otto dem Großen veranlaßten Palliumsprivileg vom 7. Februar 962 durch Androhung der Exkommunikation den Widerspenstigen zum Nachgeben zu bewegen gesucht 3 ). Erst Johannes XIII. hat durch seine vom Kaiser mitgezeichnete Verfügung, die das gewiß anfechtbare Verfahren nachträglich legalisierte, einen Schlußstrich gezogen. Als kirchenrechtliche Gründe für die Exkommunikation werden angeführt, Herold habe die Kirchen geplündert, ihre Schätze den Heiden ausgeliefert, sich mit diesen verbündet und so Tod und Beraubung von Christen verursacht. Als weiterer Grund erscheint der Vorwurf, Herold habe als Rebell die Treue gegenüber Gott und dem Kaiser, seinem Herrn, gebrochen {contra dominum et piissimum imperatorem suum seniorem rebellis et infidelis). Nicht eben leichten Herzens dürfte der Papst die Exkommunikation des Metropoliten unter dem Druck des Kaisers auch mit dessen herrschaftlichen Befugnissen gegenüber der Kirche begründet und diese damit sanktioniert haben. Otto der Große hat somit nicht nur seine Erfolge im Heidenkrieg und in der Heidenmission als Voraussetzung der Kaiserwürde angesehen und die Anerkennung dieses Zusammenhangs in Rom durchgesetzt; er hat darüberhinaus dieser Kaiserwürde einen Inhalt zu geben gewußt, der sie zu einem wirksamen Instrument einer mehr als königlichen Herrschaft über die Kirche werden ließ. Gegenüber der ottonischen Königsherrschaft beobachten wir einen spürbaren Zuwachs an Kompetenzen imperialen Charakters in Fragen der universalkirchlichen Jurisdiktion 4 ). Köpke-Dümmler S. 248f.; Hirsch (wie oben S. 27 Anm. 4) S. 34. ) Vgl. oben S. 27 Anm. 5; Hirsch S. 33f. 3 ) In dem oben S. 40 Anm. 3 genannten Brief. 4 ) Fr. Dölger, Die Ottonenkaiser und Byzanz, in: Karolingische und ottonische Kunst (Forschungen z. Kunstgesch. u. christl. Archäologie 3), 1957, S. 54, hat bereits auf di ; Unterschriften Ottos I. unter Synodalprotokollen (ohne Belege, mit Verweis lediglich auf J. Haller, Das Papsttum II 2 S. 226, wo nur von Otto III. die Rede ist) aufmerksam gemacht und auf das byzantinischc Vorbild hingewiesen. 2
ZUR HANDSCHRIFT DER VITA HEINRICI IV. (Clm 14 095)
N a d i den Kontroversen in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts ist die Frage nadi dem Verfasser der Vita Heinrici IV. zwischen den beiden Weltkriegen abermals in einer Reihe von Arbeiten untersucht worden 1 . Den Anstoß zur erneuten Erörterung eines nach wie vor ungelösten Problems hat Bernhard Sdimeidler gegeben, indem er auf Grund umfassender Diktatuntersuchungen an Urkunden und Briefen Heinridis IV. dessen für uns namenlose „Helfer im Investiturstreit" zu ermitteln suchte 2 . In diese Studien hat er audi die anonyme Lebensbeschreibung des Kaisers einbezogen und sie dem von ihm postulierten „Mainzer Diktator" zugeschrieben 3 . Schmeidlers Buch hat nicht nur zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen, sondern auch dank der in seinen Thesen liegenden Herausforderung gleichgerichtete Untersuchungen Anderer und nidit zuletzt eine fruchtbare Diskussion über das Methodenproblem des Stilvergleichs angeregt 4 . Eine Klärung dieser Fragen war in den dreißiger Jahren audi aus einem anderen Grunde dringlich geworden: Mitarbeiter der Monumenta Germaniae historica bereiteten in dieser Zeit die Ausgabe der Diplome Heinrichs IV., der Briefsammlungen seiner Zeit und der Briefe dieses Herrschers vor 5 .
1 Die ältere Literatur in der Einleitung zur maßgebenden Ausgabe von W. E b e r h a r d (MG. SS. rer. Germ., 1899); im übrigen W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Deutsche Kaiserzeit 1,3 (1940) 377 ff.; J a c o b - H o h e n l e u t n e r , Quellenkunde der deutschen Geschichte im Mittelalter 2 (1961) 56 f.; F.-J. S c h m a l e in: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 12, 1963) 35 ff. mit ausgewählter Lit. 47 ff. 2 B. S c h m e i d l e r , Über den wahren Verfasser der Vita Heinrici IV. imperatoris (Papsttum und Kaisertum, Festschrift Paul Kehr, 1926, 233-249); ders., Kaiser Heinrich IV. und seine Helfer im Investiturstreit (1927). 3 Ebd. 362-369. 4 Κ. Ρ i ν e c , Studien und Forschungen zur Ausgabe des Codex Udalrici (MIÖG. 45, 1931; 48, 1934); S. H e l l m a n n , Die Vita Heinrici IV. und die Kaiserliche Kanzlei (HV. 28, 1934, 273-334; wiederabgedruckt in: Ders., Ausgewählte Abhandlungen zur Historiographie und Geistesgeschichte des Mittelalters, hg. von H. B e u m a n n , 1961, 231292). Zur Methodenfrage zusammenfassend und vorerst abschließend C. E r d m a n n , Studien zur Briefliteratur Deutschlands im 11. Jahrhundert (Schriften der MG. 1, 1938); ferner ders., Untersuchungen zu den Briefen Heinrichs IV. (AUF. 16, 1939) 242-253 sowie C. E r d m a n n - D . v o n G l a d i ß , Gottschalk von Aachen im Dienste Heinrichs IV. (DA. 3, 1939, 115-174). 5 Die Urkunden Heinrichs IV., bearbeitet von D. v o n G l a d i ß (MG. Diplomata regum et imperatorum Germ. 6, 1941-59); Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., bearbeitet von C. E r d m a n n und N. F i c k e r m a n n (MG. Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 5, 1950); Die Briefe Heinrichs IV., hg. von C. E r d m a n n (MG. Deutsches Mittelalter 1, 1937).
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Zur Handschrift der Vita Heinrici IV.
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In diesem Zusammenhang ist die Vita Heinrici IV. und die Frage nach ihrem Verfasser immer wieder zur Spradie gekommen. Siegmund Hellmann hat sie sogar in den Mittelpunkt seines gewichtigen Beitrags zu diesen Diskussionen gestellt*. Was den Autor angeht, so kam er, der die Methode des Stilvergleichs in die rechten Bahnen zu lenken bemüht war, von dieser Seite her zu einem skeptischen Ergebnis. Dem entspricht es, daß Carl Erdmann bei der Prüfung der in seinen Augen und auch heute noch aussichtsreichsten These, nach der Bischof Erlung von Würzburg, vormaliger Kanzler Heinrichs IV., als dessen Biograph zu gelten hat, für diese nur außerstilistische Gründe anzuführen vermochte, während nach seinen eigenen Diktatzuweisungen und -vergleichen Erlung als Verfasser der Vita schwerlich in Betracht zu kommen schien7. An diesem Punkte hat die Diskussion in jüngster Zeit wieder eingesetzt. Das stilkritische Hindernis, dem sich Erdmann in der Erlung-Frage gegenübergesehen hatte, darf vielleicht als beseitigt gelten, nachdem begründete Zweifel lautgeworden sind, ob wir Erlung als Briefdiktator überhaupt fassen können 8 . Der hierfür ausschlaggebende Brief Erlungs, den er als Bischof an Otto von Bamberg gerichtet hat", muß durchaus nicht von ihm selbst diktiert worden sein, und nach den eindrucksvollen Belegen zur epistolographischen Praxis hochgestellter Persönlichkeiten, die Hartmut Hoffmann zusammengestellt hat 10 , ist dies bei dem Reichsbischof und vormaligen Kanzler Erlung sogar unwahrscheinlich. Zugleich sind erneut aufi» r stilistische Gesichtspunkte zugunsten Erlungs vorgebracht worden 11 . Mehr als plausible Vermutungen lassen sich gleichwohl über die Entstehung einer so wichtigen Quelle und eines nicht minder bedeutenden Denkmals der biographischen Literatur des Mittelalters auch heute nicht äußern. Für die Erlung-These ist die Beseitigung des stilkritischen Hindernisses nicht nur ein Gewinn. Sie beraubt uns zugleich einer Möglichkeit, über die Vermutungen hinaus zur Gewißheit zu gelangen. Jedenfalls hat der Stilvergleich in der Verfasserfrage zu keinem positiven Ergebnis geführt. Es ist zu fragen, welche anderen Wege eingeschlagen werden können, um, wenn nicht zu einer Lösung, so doch wenigstens zu neuen Ansätzen zu kommen. Sollten die Möglichkeiten, die der Diktatvergleich bietet, hier vorerst als erschöpft gelten müssen, so gilt das gleiche für andere Methoden und Fragestellungen noch nicht. Es gibt zu denken, daß eine eingehendere Würdigung des Fortuna-Begriffs, der in der Vita mit allem Nachdruck als Leitmotiv hervorgehoben wird, bis zum Jahre 1954 auf sich hat warten lassen12. Ein Zeugnis Ekkehards von Aura über
• Vgl. oben Anm. 4. 7 E r d m a n n , Untersuchungen, 238 ff., bes. 242 if. Vgl. bereits H e l l m a n n , 334; F.-J. S c h m a l e , Fiktionen im Codex Udalrici (ZBLG. 20, 1957) 455 f., bes. Anm. 54; ders., Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., 38 f. Kritisch gegenüber Schmale in der Frage der Fiktionen P. C l a s s e n , Heinrichs IV. Briefe im Codex Udalrici (DA. 20, 1964, 115-129), S. 127 jedoch zustimmend in der oben berührten Frage. • Ph. J a f f έ , Bibliotheca rer. Germ. 5 (1869), 228 N r . 118 ( = E. 228). 10 H . H o f f m a n n , Zur mittelalterlichen Brieftechnik (Spiegel der Geschichte, Festgabe M. Braubadi, 1964), bes. 150 ff. 11 S c h m a l e , Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., 41 f., teilweise im Anschluß an S c h m e i d l e r , Kaiser Heinrich IV., 368; vgl. unten Anm. 19. 12 F. H a e f e l e , Fortuna Heinrici IV. imperatoris. Untersuchungen zur Lebensbeschreibung des dritten Saliers (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, hg. von L. Santifaller, 1954); H . W o l f r a m , Fortuna in mittelalterlichen Stammesgeschichten ( M I D G . 72, 1964, 1-33). 8
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Zur Handschrift der Vita Heinrici IV.
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Erlung hat danach vermehrtes Gewicht erhalten 15 . Zugleich ist die Frage der Entstehungszeit, über die bis dahin ein nur mangelhaft begründetes Einvernehmen herrschte, zur Diskussion gestellt worden 14 . Wer ihr weiter nachgeht, wird der anderen nach einer über Totenklage und Nachruf hinausgehenden politischen Absicht des Verfassers nicht ausweichen können. Ideen- und verfassungsgeschichtliche Gesichtspunkte drängen sich heute beim Studium dieser Schrift in anderer Weise auf als zur Zeit der ihr früher gewidmeten Untersuchungen. Solche Wege sollen im folgenden allerdings nicht schon eingeschlagen werden. Bei einer Prüfung der einzigen Handschrift, die wir von der Vita besitzen, ergab es sich nämlich, daß nicht einmal die „klassischen" Verfahrensweisen bisher hinreichend zur Wirkung gelangt sind. Dies gilt ebenso f ü r die Text- wie für die Überlieferungsgeschichte. Zwar wird als Heimat der heute in München liegenden Handschrift mit naheliegenden Gründen das Kloster St. Emmeram zu Regensburg, in dessen Fonds sie noch heute ruht, angenommen 15 , doch fehlt es an einer näheren Bestimmung, wie weit diese Provenienz zeitlich zurückzuverfolgen ist. Für den Standort des Adressaten ist dies jedoch von erheblicher Wichtigkeit, da die Handschrift als das Widmungsexemplar gilt, das der Anonymus dem ungenannten Adressaten übersandt hat 1 ·. Aber audi in diesem nicht minder wesentlichen Punkte sucht man vergebens nach einer hinreichenden Begründung. Zwar hat vor mehr als einem halben Jahrhundert Wilhelm Gundlach die Handschrift in dieser Hinsicht eingehend untersucht 17 , doch ist seiner Behauptung ihres autographen Charakters eine erneute Erörterung nicht wieder gewidmet worden. Lediglich Oswald Holder-Egger und Wilhelm Eberhard haben als Herausgeber in den Noten der Ausgabe Beobachtungen Gundlachs sei es bestätigt, sei es korrigiert. In seiner Vorrede hat Holder-Egger Gundlachs These vom Autograph zugleich mit dessen Versuch, Gottschalk von Aachen als Verfasser zu bestimmen, ohne Diskussion zurückgewiesen und die H a n d schrift allenfalls als Widmungsexemplar gelten lassen 18 . Seit dem Wiederaufleben der Diskussion in den zwanziger Jahren ist vor allem vom Stil der Vita die Rede gewesen, die Handschrift trat demgegenüber in den Hintergrund 1 9 . Daß eine nähere Beschäftigung mit ihr trotz der vorliegenden kritischen Ausgabe auch heute noch 13
Ekkehardi Chronicon universale zu 1105, Ree. C (MG. SS. 6, S. 226 Z. 38 f.); dazu H a e f e l e , 86 f.; zu Ekkehard-C zuletzt I. S c h m a l e - O t t , Die Rezension C der Weltdironik Ekkehards (DA. 12, 1956, 363-387), mit der Vermutung, daß der in Würzburg lebende Schotte David oder am Ende gar Bischof Erlung selbst Verfasser dieser Rezension sei. 14 H a e f e l e , 87 ff. Vgl. ferner Vita c. 1, 12, Zeile 28-31: Oppraessores pauperum oppressit, raptores in direptionem dedit, contra se contumaces contraque suam potentiam se levantes adeo retundit, ut in posteris eorum regiae vindictae vestigia hodieque compareant. Der Hinweis auf Zeitgenossen des Verfassers als Nachkommen von Zeitgenossen Heirichs IV. wirkt retrospektiv. 15 Einleitung zur Ausgabe S. 2 f.; Μ. Μ a η i t i u s , Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 3 (1931), 5 8 1 ; W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n , 382; S c h m a 1 e , Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., 35 f. und 45. 1β H o l d e r - E g g e r in der Ausgabe E b e r h a r d s S. 8 ; W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n , 382; S c h m a l e (wie vorige Anmerkung). 17 W. G u n d l a c h , Wer ist der Verfasser des Carmen de bello Saxonico? (1887) 121 ff. 19 H o l d e r - E g g e r (wie Anm. 16). 11 S c h m e i d l e r s Versuch (Kaiser Heinrich IV., 368), die Schrift in Würzburg zu lokalisieren, führte zu keinem sicheren Ergebnis. Die Möglichkeit, das Skriptorium auf Grund von Schriftverwandtschaft zu bestimmen, beurteilt B. B i s c h o f f (mündlich) für diese Zeit skeptisch; vgl. auch B. B i s c h o f f , Paläographie [ 2 1956] Sp. 42.
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Zur Handschrift der Vita Heinrici IV.
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seinen Nutzen haben kann und über die bisher herrschenden Vermutungen 20 hinaus Präzisierungen ermöglicht, soll im folgenden dargelegt werden. Die Handschrift der Vita Heinrici IV. 21 bildet den ersten Teil eines Sammelbandes (Clm 14095), der wohl im 15. Jahrhundert zusammengestellt worden ist. Sie umfaßt hier die Blätter 1-26 und besteht aus drei Quaternionen und einem Doppelblatt. Die 2., 3. und 4. Lage tragen jeweils auf der Vorderseite ihres ersten Blattes in der Mitte des unteren Randes eine Lagenzählung 11-1111, die mit breiter Feder von einer jüngeren, aber noch mittelalterlichen H a n d auf ff.9r, 17r und 25r eingetragen worden ist. Dies geschah offenbar noch vor Zusammenstellung des Sammelbandes, da die Zählung nicht weitergeht. Die Blätter sind 12,5 cm breit, 17,5 cm hoch. Beim Binden des Codex ist durch Beschneiden das Format der verschiedenen Bestandteile ausgeglichen worden, wie der Substanzverlust erkennen läßt, von dem Marginalien des 14. Jahrhunderts zur gleichzeitigen Handschrift der Passio s. Margarete (f. 57 ff.) auf f. 58v, 59v, 66r und öfter betroffen worden sind. Die 4 Faszikel der Vita Heinrici IV. haben dabei in erkennbarer Weise nicht gelitten, könnten vielmehr das Maß für den Sammelcodex abgegeben haben. Seine Blätter weisen in der rechten oberen Ecke eine durchlaufende Foliierung von 1 bis 172 aus neuerer Zeit auf. Der Text der Vita beginnt ohne Überschrift auf f. l v oben. Die Vorderseite des 1. Blattes ist ursprünglich frei gelassen worden, wohl um Beschädigungen der Schrift zu vermeiden, enthält jedoch Eintragungen von Händen des 15. und 16. Jahrhunderts. An der Spitze der Seite findet sich zunächst das Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes 22 . Es beginnt unmittelbar unter dem oberen Rand und lautet: Hystoria Heinrici imperatoris tercii huius nominis. Vita sancti Alexii confessoris. De translacione sancti Nicolay. Passio sancte Margarethe virginis et martiris. De assumpcione gloriose virginis Marie. Passio Cristine virginis et martiris. Passio sancti Achacii et sociorum eius. Passio sanctorum martirum Romuli Marchiciani Crescendi Carissimi V [Rest der Zeile ausradiert] 2 3 Vita sancte Radegunde virginis composita a Fortunato episcopo.
Dulcissimi.
Die angeführten Titel entsprechen auch in ihrer Reihenfolge dem Inhalt des Codex. Die auf die Vita Heinrici IV. folgenden Teile stammen durchwegs von jüngeren Händen als jene, f. 27-142ν von solchen des 14. Jahrhunderts, während die beiden am Schluß angefügten Werke (f. 143-172) im 12. Jahrhundert aufgezeichnet worden sind, jedoch später als die Kaiserbiographie, deren Schrift dem 20 Bezeichnend für die Forschungslage das Urteil v o n R. H o l t z m a n n in:Wattenb a c h - H o l t z m a n n , 382 ( vermutlich das Original [unsicher ob v o m Verfasser selbst geschrieben]") und die jüngste einschlägige Formulierung bei Schmale, Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. S. 35 („Die fast völlige Fehlerlosigkeit der Handschrift und die sorgfältigen Korrekturen zeigen, daß die Vita in der originalen Reinschrift vorliegt, die entweder v o m Autor selbst oder in seinem A u f t r a g niedergeschrieben worden ist"). 21 Vgl. W. W a t t e n b a c h in E b e r h a r d s Ausgabe, 2 f. 22 Mitgeteilt v o n W a t t e n b a c h (wie vorige Anmerkung). 23 Mit der danach angeführten Vita Radegunde beginnt f. 159r eine neue Lage. N a c h trägliche Entfernung eines Faszikels ist also nicht auszuschließen.
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Zur H a n d s c h r i f t der Vita Heinrici IV.
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Anfang des Jahrhunderts zugewiesen werden muß und somit der Entstehungszeit der Vita selbst 24 . Die H a n d , die das Inhaltsverzeichnis auf f. 1 eingetragen hat, ist unschwer als diejenige des Dionysius Menger zu bestimmen, dessen im Jahre 1500 hergestellter Katalog der Bibliothek von St. Emmeram als Clm 14 675 vorliegt 25 . Er war es audi, der auf dem oberen Rand des Einbandes von Clm 14 596, ebenfalls aus St. Emmeram, der die „Regensburger rhetorischen Briefe" enthält, den Vermerk Alius libellus rhetoricalis sive epistole disertissime. A 3. anbrachte 28 . Die St. Emmeramer Provenienz der Sammelhandsdirift und mit ihr auch die der Vita Heinrici IV. ist damit bis zur Zeit Mengers (f 1530) zurückzuverfolgen. Nach einer Zeile Zwischenraum folgt auf das Inhaltsverzeichnis von einer anderen, aber der gleidien Zeit angehörigen H a n d : LaufdibusJ21 commendatur Henricus imperator tercius28 ab auctore huius libelli, cuius tarnen famam Uber29 qui titulatur supplementum cronicarum30 [ac e]tiamn cronica Artdree32 in obliquam partem [verjtunt33. Eine Humanistenhai.d des 16. Jahrhunderts hat dem hinzugefügt: Noli mirari idem cum Arnulpho nostro imperatore et vere nostro accidit, quem nos in caelum laudibus evehimus, alii vituperant. Die nachdrückliche Kennzeichnung Kaiser Arnulfs als eines noster legt es nahe, audi den Urheber dieser Eintragung in St. Emmeram zu lokalisieren. Von der gleichen H a n d rührt eine am linken Rand von f. 125v zum Anfang der Passio s. Achacii stehende Marginalie und sehr wahrscheinlich auch der am unteren Rand von f. 26v unter den Sdiluß der Vita Heinrici IV. gesetzte Vermerk 33 " 1518 suprascripta bistoria opera Ioannis Aventini typis est vulgata her. Dieser H a n d , die damit des näheren nach 1518 anzusetzen ist, läßt sidi schließlich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch ein IV"" zuweisen, das auf f. 1 über dem Wort tercius steht und durch Verweisungszeichen auf dieses bezogen wird 34 . Von den drei Händen, die auf f. l r tätig geworden sind, ist somit die erste als die des Dionysius Menger und die dritte aus inhaltlichen Gründen in St. Emmeram zu lokalisieren. Für die zweite wird das Gleiche nicht nur durch die Umstände, sondern auch durch die Erwähnung der Cronica Andree nahegelegt. Denn bei ihr handelt es ** So schon W a t t e n b a c h (wie oben Anm. 21), 3. 85 Ober Mengers Katalog vgl. B. B i s c h o f f , Studien zur Geschichte des Klosters St. Emmeram im Spätmittelalter (1324-1525) (Stud. u. Mitt. OSB. 65, 1953/54, 152-198) S. 181 ff. Clm 14095 konnte in dem Katalog nicht verifiziert werden. M N . F i c k e r m a n n in: Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV. (wie oben Anm. 5) 260. 87 Lau unter der Quarzlampe eindeutig zu erkennen, der Rest des Wortes abgegriffen. 18 Dahinter am Zeilenende als Verweisungszeichen zwei senkrechte Federstriche, über dem W o r t das korrespondierende Zeichen, rechts von diesem IV"", mit größter W a h r scheinlichkeit von der noch zu erwähnenden Humanistenhand. M Uber von jüngerer H a n d , verwandt, wenn nicht identisch mit der nachfolgend a u f tretenden Humanistenhand. Weder Rasur noch Spuren älterer Schrift sind zu erkennen, dodi handelt es sich um den A n f a n g der Zeile. Auch die übrigen Zeilenanfänge dieser Eintragung haben durch Abgreifen stark gelitten. 30 Nach einem Hinweis, den ich meinem Kollegen Fr. Β r u η h ö 1 ζ 1 verdanke, d ü r f t e es sich um das Supplementum chronicorum orbis ab initio mundi usque ad a. 1482 libri X V des Jacobus Philippus Foresta von Bergamo handeln. Vgl. A. P o t t h a s t , Bibl. 1 ( 2 1896), 454 s. v. Foresta. 31 Ac e von derselben H a n d wie Uber auf abgegriffenem Zeilenanfang ergänzt. » Vgl. unten S. 209 mit Anm. 35. '' ver (Zeilenanfang) abgegriffen; links daneben auf dem Rand der Seite in sehr kleiner 33a 34 (jüngerer?) Schrift vertunt. Tafel II. Siehe oben Anm. 28.
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sidi offenbar um die Chronica pontificum et imperatorum Romanorum des Regensburger Augustinerchorherren Andreas (ca. 1380—1438)35. Näherer Deutung und Datierung entzieht sich vorerst lediglich eine in der unteren linken Ecke von f. l r stehende Anordnung von drei Sdiriftzeichen, deren mittleres wie ein F erscheint. Beachtung verdienen diese Eintragungen nicht allein aus überlieferungsgeschiditlidien Gründen. Dionysius Menger und der Urheber des älteren der beiden Raisonnements haben bereits vor Aventin, der als Entdecker der Kaiservita gilt, sich mit dieser beschäftigt. Ob der Titel Hystoria Heinrici imperatoris tercii huius nominis von Menger eigens geprägt worden ist, nachdem die Handschrift keinen trug, oder ob er in dieser Hinsicht an eine Tradition anknüpfen konnte, muß offen bleiben. Für eine solche fehlt jeder Anhaltspunkt. Der Epilog des Werkes selbst bietet, auf f. 26v audi dem oberflächlichen Betrachter ins Auge fallend, den Begs iff der Gesta (Ecce habes de gestis . . ,) 35a , den Menger jedenfalls nicht aufgegriffen hat. Zwar hat Menger audi sonst die Titel seines Inhaltsverzeichnisses nicht immer wortwörtlich den Rubriken entnommen, die außer der Vita Heinrici IV. jedes im Codex enthaltene Werk aufweist, doch hat er sich eng an diese angelehnt und vor allem die Gattungsbegriffe (Vita, Translacio, Passio) mit Ausnahme lediglich der Passio s. Achacii et sociorum eins von dort bezogen. Diese hat f. 125v die Überschrift De sancto Achacio et sociis eius. Den Gattungsbegriff hat er hier ergänzt, auf diesen also offenbar Wert gelegt. Die Prägung des Begriffes Hystoria für die Kaiserbiographie ist ihm somit zuzutrauen. War dem so, dann hat Menger die Schrift über Heinrich IV. vom übrigen rein hagiographischen Inhalt des Codex deutlich abgehoben und vielleicht auch, um dies zu bewirken, den Terminus Vita vermieden, der sich außer Gesta anbieten konnte". Solcher Hervorkehrung des historiographisdien Charakters der Schrift gegenüber dem hagiographischen der übrigen Werke, mit denen sie im Clm 14095 vergesellschaftet ist, steht nun diese Vergesellschaftung selbst gegenüber. Der Unterschied der Gattungen ist freilich nicht ganz so groß, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte, da auch der Kaiservita ein hagiographisdier Einschlag, der gerade am Anfang stark hervortritt, nicht fehlt. Will man nicht annehmen, daß der bloße Zufall der einigermaßen zueinander passenden Formate zur Zusammenstellung der Sammelhandschrift den einzigen Gesichtspunkt gebildet hat, so könnte das hagiographisdie Moment sehr wohl die Anordnung bewirkt oder doch wenigstens beeinflußt haben. Eine gewisse Differenz der Gesichtspunkte, die bei der Zusammenstellung des Codex einerseits, der Fixierung ihres Inhaltes durch Menger anderseits in Ersdieinung tritt, kommt also als ein wenn audi schwaches Indiz dafür in Betracht, daß Menger den Sammelcodex bereits als solchen vorgefunden hat 37 . " H g . v o n L e i d i η g e r (Quellen und Erörtungen zur bayerischen und deutschen G e schichte N . F. 1, 1903) 1 ff.; daselbst über Heinrich IV. im Ansdiluß an Ekkehard S. 48. s5 a Tafel II. " Der Terminus „Vita" zuerst im Titel der Editio princeps Aventins v o n 1518: Heinrici IV. caesaris augusti, ducis vero Boiorum VII., vita. 57 In die gleiche Richtung weist die Beobachtung, daß beim ersten Raisonnement und nur bei diesem die Zeilenanfänge offensichtlich durch Abgreifen gelitten haben. D i e genau auf der Mitte der Seite, v o m oberen und unteren Rand gleidiweit entfernt stehende Eintragung scheint demnach etwas älter zu sein als Mengers Inhaltsverzeichnis, da dessen letzte Zeile so wenig wie alle anderen Abnutzungsspuren erkennen läßt. Solche fehlen allerdings auch völlig auf der Rückseite des Faszikels der Vita (f. 26v). Diese Seite war somit in der fraglichen Zeit gegen eine Abnutzung geschützt, vermutlich, weil der Faszikel bereits dem Sammelband angehörte.
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Der Verfasser des ersten Raisonnements hat die positive Würdigung Heinrichs IV. für so bemerkenswert gehalten, daß er auf sie an möglichst sichtbarer und betonter Stelle hinweisen zu sollen glaubte. Das darin zum Ausdruck kommende Moment des Erstaunens ist audi dem Verfasser des folgenden Eintrags (Noli mirari.. •) nidit entgangen. Der f. l v beginnende Text unserer Vita ist in sauberer Buchschrift einspaltig auf ein blindes Linienschema von 23 Zeilen eingetragen worden. Die saubere Schrift sowie eine Reihe von ausgearbeiteten Initialen und nidit zuletzt die figurale Gestaltung der letzten Seite (26v) 38 kennzeichnen das Manuskript als Reinschrift. An dieser waren zunächst zwei Hände beteiligt. Die erste hat den weitaus größten Teil geschrieben, eine zweite lediglich den Sdiluß des dritten Quaternios von f. 23v Zeile 5 (Igitur constrictus ...) an. Mit dem Doppelblatt setzt die erste Hand wieder ein und wird von der zweiten nur noch einmal für wenige Zeilen auf f. 26r Zeile 10-14 (quamquam mors . . . puduit, qui) abgelöst 3 '. Es spricht nicht gegen den Charakter der Reinschrift, daß die Handschrift eine Reihe von Korrekturen aufweist 40 . Es handelt sich zunächst um Hinzufügungen, die teils über der Zeile, teils am Rande erscheinen. Die am rechten oder am linken Rande stehenden Ergänzungen haben im Kontext an dieser Stelle ihren rechten Platz. Als nachgetragen erweisen sie sich mehrfach schon durch die andere Färbung der Tinte, gelegentlich selbst durch ihre Verbindung mit einer Rasur (debeant, f . 21r) 41 . Worte, die innerhalb der Zeile einzufügen waren, sind über diese gesetzt worden. Es finden sich ferner auf Rasur stehende Buchstaben, Worte und sogar ganze Zeilen, auch Tilgungen durch Rasur, die eine Lücke hervorgerufen haben. Schließlich sind einzelne Buchstaben durch bloße Ergänzung oder Überschreibung korrigiert worden. Wilhelm Gundladi, der die Handschrift und insbesondere die Korrekturen einer eingehenden Prüfung unterzogen hat, wies die Korrekturen insgesamt der ersten der beiden Schreiberhände zu. Die Herausgeber sind ihm darin gefolgt, nicht dagegen in seiner weitergehenden Behauptung, es handele sich um die Hand des Verfassers 42 . Gundladi hatte dies aus dem redaktionellen Charakter einer Anzahl von Korrekturen gefolgert und obendrein in der Haupthand diejenige Gottschalks von Aachen erkennen zu können geglaubt, den er auch aus stilistischen Gründen als Verfasser in Anspruch genommen hat. Der Schriftvergleich, für den Gundladi die Majuskelbuchstaben aus der Handschrift der Vita solchen aus dem unzweifelhaft von Gottschalk geschriebenen D H IV. 458 gegenübergestellt hat, vermag freilich nidit zu überzeugen. Auch die Verschiedenheit des Stilisten Gottschalk vom Biographen Heinrichs ist inzwischen dargelegt worden 43 . 38
Tafel II. Vgl. G. B e r t h o l d , Speierer Gesdiichtsbeiträge 1 (Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 31, 1911) 108; dazu ferner M. T a n g l , Zur Frage des Verfassers der Vita Heinrici IV. (NA 31, 1906), 481; ders. in: NA 37 (1912), 319; P. L e h m a n n , Figurale Schriftflächen (Zeitschrift f. Buchkunde 1, 1924, 74-77; wiederabgedruckt in: Ders., Erforschung des Mittelalters 3, 1960, 60-66); W a t t e n b a c h - H o l t z m a n n , 384 Anm. 74; Η a e f e 1 e , 49 Anm. 10. 3 * G u n d l a c h , Carmen, 124 f. Das zweite Auftreten von Hand 2 (f. 26r) ist von den Herausgebern ( E b e r h a r d , 43) nicht vermerkt worden, kann aber nidit bezweifelt werden. 40 Zusammengestellt und erörtert bei G u η d 1 a c h , Carmen, 125 ff. Vgl. audi die Noten 41 der Ausgabe. E b e r h a r d , 37 Zeile 7 mit Note a. " H o l d e r - E g g e r in der Ausgabe E b e r h a r d s , 8 mit Anm. 3. 43 H e l l m a n n , 285 mit Anm. 24; E r d m a n n - v o n G l a d i ß , 146 f.
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Mit der Ausschließung Gottschalks sind freilich Gundlachs Thesen noch keineswegs in toto widerlegt. Eine Identität der ersten H a n d mit der des Urhebers von zum Teil redaktionellen Korrekturen könnte gleichwohl bedeuten, daß wir es mit einem Autograph im buchstäblichen Sinne zu tun haben. Doch hatte Oswald HolderEgger gute Gründe, auch dies mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen. Zwar hat auch er ebenso wie der letzte Bearbeiter der Wattenbachschen Ausgabe, Wilhelm Eberhard, die Korrekturen der ersten H a n d zugewiesen. Doch finden sich im Kontext dieses Schreibers sinnentstellende Abschreibfehler, und die Auslassung von unentbehrlichen Worten wie finiten Verben beim Zeilenwechsel zeigen mit der gleichen Deutlichkeit, daß hier nicht der Verfasser die Feder geführt hat 44 . Bei dem Reinschriflcharakter des Manuskripts ist dies ohnehin unwahrscheinlich. Für möglich wollte es Holder-Egger dagegen halten, daß es sich bei unserer Handschrift um das Widmungsexemplar handelt, das der Anonymus dem nicht genannten Adressaten übersandt hat. Von der Zeitstellung der Schrift her läßt sich gegen die Annahme, unsere H a n d schrift sei das Widmungsexemplar des nach der herrschenden Auffassung unmittelbar nach dem Tode Heinrichs IV. entstandenen Werkes, nichts einwenden 45 . Der Umstand, daß wir nur diese eine Handschrift besitzen, würde sich sogar, wenn es das Widmungsexemplar wäre, mit der an den Adressaten gerichteten Bitte des Verfassers, ut haec scripta nulli detegas, aut, siqua foras exierint, auctorem non prodasie, in Verbindung bringen lassen: Der Empfänger könnte die ihm nahegelegte Diskretion, nicht zuletzt vielleicht auch im Interesse seiner eigenen Sicherheit, so streng befolgt haben, daß dem Werke aus diesem Grund bis in die Tage Aventins jeder literarische Wiederhall und weitere Verbreitung versagt geblieben sind 47 . Gewißheit läßt sich allerdings auf Grund einer solchen Kombination nicht gewinnen. Die Singularität der Uberlieferung ist keinesfalls ungewöhnlich, und die Diskretion, um die der Verfasser bittet, betrifft - recht besehen - nur seinen Namen, bei dessen Unterdrückung er eine weitere Verbreitung zulassen will 48 . Der kunstreiche literarische Aufwand, der zum Ruhm des Werkes nicht wenig beigetragen hat, nidit weniger aber auch die vehemente Aggressivität, mit der Heinridi V. dem Leser geradezu als Unmensch vor Augen gestellt wird, legen es nicht eben nahe, dem Autor die Bitte um völlige Unterdrückung der Schrift als eine ernstgemeinte abzunehmen, während das Ausmaß, in dem sich der Anonymus politisch exponiert, die Bitte um Verheimlichung seines Namens glaubwürdig macht. Um einen Topos der literarischen Bescheidenheit, von der hier, da es um die Sache, nicht um den Stil geht, ohnehin keine Rede ist, handelt es sich jedenfalls nicht. Die Polemik gegen Heinrich V., die sich zuweilen mit auffälligen, an seine Adresse gerichteten Warnungen verbindet, zeigt an, daß die Absicht des Verfassers sich nicht darin erschöpfte, den Tod Heinrichs IV. zu beklagen und ihm ein Denkmal zu 44 F. 23r Zeile 9 ( E b e r h a r d , 29 Zeile 27) schrieb Hand 1 zunächst nam rut armorum pondere aut inherenti conexione fatigatus in profundum trahebatur. Alsdann wurde durch Nachtragung von um über der Zeile inherentium hergestellt. Dies erfordert zweifellos der Sinnzusammenhang. Der falsche Ablativ dürfte durch das nachfolgende conexione bewirkt worden sein. Vgl. auch unten Anm. 91 u. 92. 45 Nach W a t t e n b a c h in der Ausgabe E b e r h a r d s , 3 und S c h m e i d l e r , Kaiser Heinrich IV. (wie oben Anm. 19) wirkt die Schrift für 1106 sogar archaisch. " E b e r h a r d , 13 Zeile 12. 47 S c h m a l e , Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., 41. 48 Η e 11 m a η η , 274 spricht von „literarischer Selbstverstellung" im Hinblick auf die Bitte, die Schrift „niemand zugänglich zu machen".
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setzen. Kann somit eine politische Intention nicht ausgeschlossen werden, so ebensowenig eine weitere Verbreitung der Schrift. Auch in einem solchen Zusammenhang könnte die uns vorliegende Handschrift entstanden sein. Mit der paläographischen Zeitstellung und mit dem kalligraphischen Charakter des Manuskripts als einer sorgfältig korrigierten Reinschrift wäre audi dies zu vereinbaren. Bei Abwägung dieser Gesichtspunkte ergibt sidi also lediglich, daß die Handschrift der Vita als Widmungsexemplar in Frage kommt. Will man den Grad der Wahrscheinlichkeit, der dieser Möglichkeit beigemessen werden kann, bestimmen, muß man sich den Korrekturen näher zuwenden, die bereits Gundlach, freilich im Hinblick auf ein anderes Beweisthema, eingehend untersucht hat. Eine erneute Überprüfung an H a n d der Handschrift selbst, bei der auch die Quarzlampe herangezogen wurde, sowie mit Hilfe einer vollständigen Photographie führte zu Ergebnissen, die von denen Gundlachs und der bisherigen Herausgeber abweichen 48 . Auszugehen ist davon, daß die Handschrift mit großer Sorgfalt korrigiert worden ist. Grundlach hatte sämtliche Korrekturen H a n d 1 zugewiesen. Die Herausgeber sind ihm darin mit einer einzigen Ausnahme gefolgt. Diese betrifft das Wort colla, f. 9v Zeile 7 50 , dessen α auf Rasur steht und mit Recht einer anderen H a n d zugewiesen wird. Die Rasur hat zu einer leichten Beschädigung des zweiten l geführt, das somit zum ursprünglichen Bestand gehört, und zur Tilgung eines Buchstabens gedient, der nicht mehr bestimmt werden kann. Das an seine Stelle gesetzte α ist mit spitzerer Feder geschrieben, die Tinte erscheint dunkler. In der Form weicht das α insofern ab, als der Federzug, der seinen Bauch formte, einen fast spitzen Haken bildet, der der Cauda von H a n d 1 nahekommt. Die beiden Enden dieses Federzuges ragen ferner ein wenig nach rechts über den Schaft des α hinaus. Dieses α ist in der gesamten Handschrift singulär, die Korrektur galt einem bloßen Schreiberversehen. Die übrigen Korrekturen lassen sich nicht nur nach den bereits oben angedeuteten Gesichtspunkten gruppieren. Ihre Entstehungsweise wird dadurch beleuchtet, daß einige von ihnen noch während des Schreibens selbst vom Schreiber vorgenommen worden sind, während andere, wie vor allem die stärker verblaßte Tinte erkennen läßt, einem besonderen, der Korrektur eigens gewidmeten Arbeitsgange zugeschrieben werden können. Hierher gehören namentlich einige der am Ende einer Zeile und am Anfang der nächsten stehenden Nachträge. Besonders deutlich ist dies bei dem f. 26v Zeile 4-5 nachgetragenen deficie/bant. Auf den ersten Blick erscheint dieser Nachtrag, der übrigens in der Ausgabe Eberhards 51 nidit angemerkt worden ist, von seiner Umgebung so verschieden, daß man an eine andere H a n d denken möchte. Gleichwohl ist den bisherigen Beurteilern zuzustimmen: Die erste H a n d , der auch dieser Nachtrag zugehört, war bei der Niederschrift des umgebenden Kontextes - wie auch sonst gelegentlich - in einen schrägeren Duktus verfallen, bei der Nachtragung des fehlenden Verbs jedoch zur senkrechten Stellung der Buchstaben zurückgekehrt, die wie die einzelnen Buchstibenformen selbst und vor allem die charakteristische NT-Ligatur für diese H a n d anderweit mehrfadi zu belegen ist, Auch sonst wird deutlich, daß nach Fertigstellung der Reinschrift diese einer Korrektur unterzogen worden ist, bei der der erste Schreiber ausgelassene Worte 4i Der Verfasser hat der Handschriftenabteilung der Münchener Staatsbibliothek f ü r die Überlassung eines Films, den Kollegen B. B i s c h o f f und Fr. Β r u η h ö 1 ζ 1 sowie H e r r n Oberbibliotheksrat D r . K. D a c h s f ü r H i l f e und wertvolle Ratschläge zu danken, die der Untersuchung zugute gekommen sind. 50 51 Ε b e r h a r d , 21 Zeile 7. S. 44 Zeile 8. Vgl. Tafel II.
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ergänzte. Nicht immer ergibt sidi mit der gleichen Klarheit, daß das ausgelassene Wort in der Vorlage gestanden hat. Eine ganze Gruppe von Nachtragungen ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß audi ohne sie der Text möglich und vertretbar erscheint. Es empfiehlt sich jedoch, die Vermutung redaktioneller Eingriffe in all den Fällen zunächst zurückzustellen, bei denen Nachträge am Ende oder am Anfang der Zeile auftreten oder wie im Falle von deficiebant auf Ende und Anfang zweier aufeinanderfolgender Zeilen verteilt wurden. Im Katalog der als redaktionell interpretierbaren Nachträge müssen vielmehr die übrigens mit vollem Recht der ersten H a n d zugewiesenen Eintragungen an den Rändern zurückgestellt werden, weil der erste Schreiber - anders als der zweite - zur Auslassung von Worten beim Zeilenwechsel neigte 511 . Der Arbeitsgang, dem die von H a n d 1 vorgenommenen Korrekturen ihre Entstehung verdanken, ist nicht der einzige, der von der ersten Niederschrift zu unterscheiden ist. Einem einzigen Arbeitsgang und vielleicht einem mit keinem der beiden Schreiber identischen Zeichner ist auch die Einfügung verhältnismäßig großer gemalter, allerdings nicht kolorierter Initialen überlassen worden. Zu ihnen gehört als erste das f. l v Zeile l 5 2 den Text eröffnende Q (Quis dabit aquam .. .). Sein Schweif überfährt die Oberlängen von'oculis, des ersten Wortes der zweiten Zeile. Der erste Schreiber hat also, da die Initiale den linken Rand des Schriftspiegels nicht überschreitet, für diese Platz ausgespart. Weitere Initialen dieser Art sind, soweit sie am Anfang einer Zeile stehen, auf den linken Rand herausgestellt worden, andere stehen innerhalb der Zeile. Bei der erstgenannten Gruppe hält der Rest des Wortes mit dessen zweitem Budistaben den Rand des Schriftspiegels in den meisten Fällen genau ein. Abweichungen von dieser Regel zeigen die zweite und dritte Initiale. Sie stehen f. 4r auf dem linken Rande. Bei der zweiten, dem Ο von Oppraessores (Zeile 5)53, ist vor dem ersten ρ ein Buchstabe ausradiert, der genau in der Fluchtlinie der linken Schriftspiegelbegrenzung gestanden hatte. Links von der Rasur findet sich, auf den freien Rand herausgerückt, das fett ausgemalte O, dessen plumpe Ausführung dem Zeidiner nicht zuzutrauen ist. Der radierte und nicht mehr erkennbare Buchstabe dürfte ein normales Ο gewesen sein, das erst naditräglich durch eine Initiale ersetzt wurde, und zwar nicht schon im Zusammenhang mit der Herstellung der übrigen gemalten Initialen, sondern erst danach während eines Korrekturganges. Denn wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte auch diese Initiale dem Zeichner überlassen werden können. H a t der Schreiber in denjenigen Fällen, in denen die Initiale an den Zeilenanfang gehörte, dieser den Platz von vornherein auf dem linken Rand angewiesen, indem er für den Rest des Wortes die linke Begrenzung des Schriftspiegels innehielt, so mußte er, wenn im Innern der Zeile eine solche Initiale stehen sollte, den dafür erforderlichen Platz freilassen. Die Lücken in der Zeile, die er dafür ausgespart hat, waren in der Regel so reichlich bemessen, daß sie von der Initiale nicht völlig in Anspruch genommen werden. Eine Ausnahme bildet hier die Initiale Η (Hanc legationem patris, f. 22r Zeile 5)54. Sie füllt die vorgesehene Lücke aus, ohne durch sie beengt zu werden. Anders bei der Initiale I auf f. 3r Zeile 21 (Ille modo personam imperatorisJ55: Der für sie zur Verfügung stehende Platz war nicht größer, als
51 a Dittographie beim Zeilenwechsel: fol. 17v usquelusque, E b e r h a r d , N o t e a. 52 53 Ε b e r h a r d , 9. Ebd., 12 Zeile 28; siehe Tafel I Abb. c. 55 " Ebd., 38 Zeile 9. Ebd., 11 Zeile 27; siehe Tafel I Abb. a.
32 Zeile 11
1 «**-.. a) f. 3 r, Ζ. 21; Eberhard S. 11, Ζ. 27. m ιJ ^ v m b f R
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