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German Pages XXIV, 1068 [1083] Year 2020
Ulrich Blum
Wirtschaftskrieg Rivalität ökonomisch zu Ende denken
Wirtschaftskrieg
Ulrich Blum
Wirtschaftskrieg Rivalität ökonomisch zu Ende denken
Ulrich Blum Halle-Wittenberg, Martin-Luther-Universität Halle (Saale), Sachsen-Anhalt, Deutschland
ISBN 978-3-658-28363-6 ISBN 978-3-658-28364-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Margit Schlomski Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
[„Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“] HERAKLIT von Ephesos (* um 520 v. Chr.; † um 460 v. Chr.) Wirtschaftskrieg ist der bewusste, aggressive Einsatz geeigneter Mittel zum Zerstören bzw. Entwerten des Humankapitals, Sachkapitals, intel-lektuellen Kapitals und Organisations- bzw. Sozialkapitals eines wirt-schaftlichen Rivalen durch Individuen, Unternehmen und/oder Staaten ohne moralische Bedenken oder unter deren Rechtfertigung bzw. Hint-anstellung in einem abgegrenzten Markt, um wirtschaftliche Dominanz zu erhalten oder zu erzielen. Gewidmet meinem Freund Prof. Dr. Josef Schmid (1937–2018), an dessen umfassender Bildung ich teilhaben durfte, und der durch fruchtbare Hinweise und anregende Gespräche die Genesis dieses Buchs intensiv begleitet hat.
Prolog
„Aiunt multum legendum esse, non multa“ („Man sagt, es müsse viel, aber nicht vielerlei gelesen werden“) Plinius der Jüngere
Als ich vor etwa fünf Jahren einem Freund von meinem Vorhaben, ein Buch über „Wirtschaftskrieg“ zu schreiben, berichtete und ihn fragte, ob er die ersten Kapitel Korrektur zu lesen würde, antwortete er: „Das Buch kannst Du Dir sparen, das ist quasi eine ‚contradictio in adjecto‘, wo man Handel treibt, da gibt es keinen Krieg.“ Hat er Recht? Woher kommen dann die vielen Begriffe aus dem militärischen Sprachgebrauch, die man in Funk und Fernsehen, in der Presse und in der allgemeinen Konversation im Zusammenhang mit Wirtschaftsfragen vernimmt, wie z. B.: Preiskampf, Märkte erobern, feindliche Übernahme, Finanz-Dschihad? Weshalb gibt es viele Ereignisse in der Geschichte von Völkern, Staaten und Unternehmen, die im wahrsten Sinne des Wortes eher Vernichtung intendieren als normalem Wettbewerb ähneln? Ist erst durch die Präsidentschaft von Donald Trump ab dem Jahr 2017 der wirtschaftliche Ordnungskonsens aus den Fugen geraten oder haben alle Parteien bereits seit vielen Jahren durch eine Vielzahl von Handlungen das Welthandelssystem ausgehöhlt? Verweigern sich die USA als Land mit einer der weltweit geringsten Zollhürden, Rückversicherer der Ordnung zu sein oder sind sie Provokateur – vielleicht sogar beides? Und waren Kolonialismus und Imperialismus nicht oft zerstörerische Unternehmungen, bei denen wirtschaftliche Interessen dominierten und die militärische Intervention eher nachgelagert war? Wirtschaften bedeutet, durch planvolles Handeln Knappheit zu überwinden mit dem Ziel, Bedürfnisse zu befriedigen. Dem Lehrbuchwissen folgend stehen dabei zwei grundlegende Organisationsformen zur Verfügung: die der dezentralen Planung, also die Koordination über Märkte, und die der zentralen Planung, also die Steuerung durch Bürokratien. Vergessen wird dabei eine dritte Option: Gewalt! Es herrscht vielerorts ein Maß an Rivalität jenseits der marktwirtschaftlichen Ordnungskonzepte, das systemzerstörend wirkt.
VII
VIII
Prolog
Die liberale Ordnung mit ihren unbestrittenen Erfolgen, Wohlstand zu schaffen, stand schon immer angesichts ihrer scheinbaren Werteleere in der Kritik vor allem linksliberaler Intellektueller. Deren Zweifel sind mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Turbo- und Raubtierkapitalismus sind zwei inzwischen auch von der seriösen Wirtschaftspresse thematisierte Stichworte, welche die moralischen Grundlagen des liberalen Ordnungsrahmens der Marktwirtschaft herausfordern. Ungehemmte, entgrenzte ökonomische Rivalität, also Wirtschaftskrieg, ist kein Wettbewerb, weil sie endgültig zerstört! Die Weltfinanzkrise mit anschließender Schuldenkrise und den Folgen der geldpolitischen Reaktionen der Zentralbanken haben in den Vorstellungen vieler Bevölkerungsteile die Krise zum Dauerzustand werden lassen – das altgriechische κρίσις verweist hingegen auf einen Wendepunkt, beispielsweise im Urteil des Arztes, ob der Kranke überlebt oder stirbt. Dieser Punkt scheint noch nicht überschritten. „Multum, non multa“ – durch das Lesen von Vielem, aber nicht von Vielerlei und Beliebigem, soll der Blick geschärft und das Bewusstsein für eine sachliche Bestandsaufnahme und Analyse geschaffen werden. Der übergeordnete Zweck des Buchs ist das Vermitteln eines illusionslosen Blicks auf die wahren Verhältnisse in der Welt der Wirtschaft, um vor übertriebenen Erwartungen, falschen Einschätzungen und naiver Gutgläubigkeit zu bewahren, was im Namen des Wirtschaftens geschieht. Die dabei aufbereiteten Theorien und Modelle wurde nach Maßgabe ihrer Potentiale beigezogen, Wesentliches zum Erkenntnisgegenstand Wirtschaftskrieg beizusteuern und entsprechendes Interesse an diesem zu wecken.
Danksagung
Beim Schreiben des Buchs profitierte ich sehr von den anregenden Diskussionen und Hinweisen freundschaftlich verbundener Kolleginnen und Kollegen. Besonders danken möchte ich Prof. Dr. Michael Aßländer, Dr. Georg Beirer, PD Dr. Diemo Dietrich, Prof. Dr. Feng Xiaohu, Prof. Dr. Thomas Feltes, Prof. Dr. Werner Gleißner, Prof. Dr. Isabelle Jänchen, Dr. Markus Kartheininger, Dr. Hans-Peter Kasüschke, Dr. Elmar Keller, Dr. Elmar Kuhn, Prof. Dr. Tobias Knedlik, Prof. Dr. Andreas Müller, Prof. Dr. Werner Patzelt, Prof. Dr. Ingo Pies, Prof. Dr. Regina Radlbeck-Ossmann, Prof. Dr. Josef Schmid, Prof. Dr. Michael Veltins, Prof. Dr. Ralf Wehrspohn und Prof. Dr. Johannes Zachhuber. Das Thema Wirtschaftskrieg ist seit einigen Jahren der Inhalt regelmäßiger Lehrveranstaltungen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, an der Technischen Universität Dresden und an der University of International Business and Economics in Peking. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter und das intellektuelle Umfeld meines Lehrstuhls, Frau Dipl. Kffr. Christiane Henckel, Frau PD Dr. Inéz Labucay, Frau Prof. Dr. Claudia Lubk, Frau Dipl. Kffr. Laura Mahl, Frau Dr. Anja Niemiczek sowie die Herren Dr. Wilfried Ehrenfeld, Dr. Klaus Schmerler, Dr. Marc Schmid, Dr. Marcel Vockrodt waren eine stete Hilfe, sei es bei der Diskussion, beim Durchlesen oder bei den thematischen Gesprächen, auch im Kontext von Seminaren, Vorlesungen und Abschlussarbeiten. Herrn Clemens Fuhrmeister MSc., Carsten Andrae MSc. und Herrn Dr. Jan Engelhardt bin ich besonders verbunden, begleiteten sie doch die Vorlesungen über einige Jahre und bereicherte das Buchprojekt durch seine Anregungen. Meiner Tochter, Pfarrerin Elisa Victoria Blum, und meinem Sohn, Johannes Blum MSc., danke ich für viele fachliche Gespräche zwischen Philosophie und Ökonomie. Einige Studentinnen und Studenten leisteten Hervorragendes im Rahmen der Vorlesung; besonders danken möchte ich Herrn Magnus Neubert und Frau Lilli Baumgart. Herrn Dipl. Ing Pavel Borovskikh danke ich für die Unterstützung bei der Recherche russischer Texte. Herr Dr. Gerhard Kieselmann hat zur Definition des Wirtschaftskriegs wichtige Anregungen gegeben.
IX
X
Danksagung
Danken möchte ich schließlich der Offizierschule des Heeres für die Gelegenheit, im Rahmen der regelmäßigen Wehrübungen auf der Spiegelposition eines Inspektionschefs mein militärisches Wissen zu vertiefen. Besonders verbunden bin ich den Schulkommandeuren aus den Jahren 2009 bis 2016, den Generalen Franz Pfrengle, Jürgen Weigt, Christian Westphal und Harald Gante ebenso wie den Chefs der VII. Inspektion, den Oberstleutnanten Henry Hölzner, Dipl. Päd. Michael Schulz, Heiko Hoffmann und Dipl. Kfm. Michael Krobok MA. Danken möchte ich den Oberstleutnanten Gert Bach, Rüdiger Heinze, Dipl. Päd. Sebastian Nieder, Oliver Schmidt und Rainer Michael Winau, den Oberleutnanten Dipl. Ing. Frank Neff und Christian von Mach MSc. sowie Hauptmann Manuel Roth MSc. für die kritische Diskussion. Der Zugang zu den Gefechtssimulationssystemen und ergänzenden Taktikunterlagen kam dem Buch sehr zugute, weshalb ich auch den Oberstleutnanten Günther Jehmlich und Michael Meyer danke. Den Rektoren der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Herrn Prof. Dr. Udo Sträter und Herrn Prof. Dr. Christian Tietje sowie der Dekanin der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Frau Prof. Dr. Claudia Becker, danke ich für das regelmäßige Genehmigen der Wehrübungen, die die Nutzung der Möglichkeiten an der Offizierschule des Heeres in Dresden ermöglichten. Der Vizepräsident der University of International Business and Economics (UIBE) in Peking, Prof. Dr. Zhao Zhongxiu, gab mir die Möglichkeit, im Rahmen der mehrjährigen Internationalen Exzellenzprofessur der VR China an seiner Universität meine Kenntnisse der chinesischen Kultur zu vertiefen. Die wohlwollende Förderung der Alexander von Humboldt-Stiftung im Rahmen zweier Institutspartnerschaften meines Lehrstuhls mit der UIBE bzw. der Chinesischen Akademie der Wissenschaften waren Auslöser dieser Kooperation; dafür sei diesen besonders gedankt. Danksagen möchte ich Frau Margit Gröbke, die stetig die Texte schreiben und korrekturlesen musste in der Hoffnung, die letzte Runde sei nun endlich eingeleitet – was sie fast immer nicht war. Herr Torsten Geißler und Herr Morten Gantner leisteten hervorragende Arbeit bei der letzten Durchsicht des Gesamtmanuskripts. Ein Begriffs-, Personen- und Unternehmensregister erstellten Frau ZHU Xueqing und Frau Susanne Lamhaoui BSc, die mit Frau Viktoria Samp MSc auch die dieletzte Durchsicht besorgte. Ihnen danke ich vielmals. Vom Sommer 2019 an wurde das Buch unter der Leitung von Prof. Dr. Qiaoping LÜ ins Chinesische übersetzt. Dankbar bin ich ihr sowie den Promotionsstudentinnen am Lehrstuhl, Frau Li Menglu MA, Frau Xiao Xinyi MSc, Frau Zhao Yue MBA und Frau Zhong Jiarui MSc, für die intensiven begrifflichen und inhaltlichen Diskussionen, die dem Buch eine Reihe wertvoller Präzisierungen gegeben haben. Dank gilt schließlich Frau Annika Hoischen, Frau Margit Schlomski, Frau Selma Somogy, Herrn Srivatsan Venugopal und Herrn Prasenjit Das für die Betreuung seitens des Springer-Verlags.
Danksagung
XI
Der größte Dank gebührt meiner Familie, die über mehrere Jahre meine Arbeit an diesem Buch ertragen musste und die stets auf einen „baldigen Waffenstillstand“ hoffte. Die anregenden Gespräche mit ihr ordneten meine Gedanken und kamen der Verständlichkeit zugute. Halle, Deutschland im Frühjahr 2020
Ulrich Blum
Inhaltsverzeichnis
1
Wirtschaftskrieg als neues ökonomisches Paradigma. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
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Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität . . . . . . . . . 2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Rivalität und Kooperation als Treiber der Evolution. . . . . . . . . 2.1.2 Zweck und Ziel im Kriege sowie die Bedeutung der Signale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Kriegskunst und wunderliche Dreifaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Rivalität, Gewalt und die Definition des Wirtschaftskriegs. . . . 2.1.5 Neue Kriegsformen und der hybride Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Grenzüberschreitung und gesellschaftliche Entgrenzungen. . . . 2.2 Zerstörung von Stabilität: Vom Faustkeil zum Geld . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Interdependenz der Ordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Vom Schlag mit dem Faustkeil zum Geldkrieg. . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Macht der Rivalität und Macht der Niederlage. . . . . . . . . . . . . 2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Rivalität als Antrieb des ökonomischen Wandels . . . . . . . . . . . 2.3.2 Rivalität als Spiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Wohlfahrtstheoretische Sicht auf den Wirtschaftskrieg. . . . . . . 2.3.4 Dominanz und Kontrolle als strategisches Kriegsziel. . . . . . . . 2.3.5 Die Macht der kognitiven Dominanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Die Dominanzerwartungstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Handelskrieg statt Freihandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Magie der Jubiläen und ihre Projektion auf aktuelle Entwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Donald Trumps Handelskriegsdrohungen gegen China. . . . . . . 2.4.3 Aufstrebende Mächte als Störer der Ordnung. . . . . . . . . . . . . . 2.5 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 10 11 17 21 27 34 39 42 42 44 47 49 49 53 55 60 66 67 70 71 74 94 98 103 XIII
XIV
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Inhaltsverzeichnis
Das Menschen- und das Ordnungsbild im Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . . 3.1 Rivalität versus Kooperation, Biologie versus Sozialisation. . . . . . . . . . 3.1.1 Rivalität als irdisches und göttliches Phänomen . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Emanzipation des Wirtschaftskriegs vom militärischen Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Vorsprung durch Täuschung: Strategien, Finten und Tricks in der Kriegsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Evolutorische Spannungsverhältnisse in der Soziobiologie . . . 3.2.2 Erinnerung und Identität, Traumata, Rituale und Bindungskräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Ideen als Massenvernichtungswaffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Genetische und biologische Grundlagen kognitiver Strukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Habgier aus Leidenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Das Böse, der Sündenbockmechanismus und das Defizitäre des modernen Menschen. . . . . . . . . . . . . . . 3.2.7 Der Neid als Katalysator von Kooperation und Zerstörung. . . . 3.2.8 Wirtschaftskriegerisches Verhalten im gesellschaftlichen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.9 Dominanzerfahrungen und biographische Prägungen. . . . . . . . 3.3 Der personale Kern: Geld, Gier, Größenwahn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Konquistadoren und andere Wirtschaftskrieger in der Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Der Libor-Skandal: Gier frisst Verstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 116 117
Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Natur der Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Institutionen und der Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Napoleons Imperialismus als Katalysator der Institutionenbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die memetische Architektur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Der Aufbau der institutionellen Organisation durch memetische Bausteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Memetische und technologische Grundlagen von Institutionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Mythenbildung, memetische Bebürdung und memetischer Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Sprache und die Rivalität im Kopf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 178 179
120 122 128 129 132 136 137 140 144 146 147 152 154 158 162 166 168
181 182 183 188 193 195 200
Inhaltsverzeichnis
4.3
5
XV
Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation. . . . . . . . . . 4.3.1 Rationale Ordnungen: die ökonomische Begründung von Wohlstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Evolutorische Erklärungsansätze für Aufstieg und Fall von Zivilisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Der Ordnungsrahmen der Wirtschaft und der Wert guter Institutionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Ordnungsrahmen des militärischen Kriegs . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Der globale Ordnungsrahmen der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Modellierung von Dilemmastrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Gefangenendilemma: Der rationale Weg ins Elend. . . . . . . . . . 4.4.3 Feiglingsspiel: wer zuckt, verliert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Zusicherungsspiel: Vertrauen ist der Anfang von allem. . . . . . . 4.4.5 Erfahrungsbildung: Flucht ins Soziale Optimum. . . . . . . . . . . . 4.4.6 Weitere Spiele: Ausdifferenzierung der Modellwelt. . . . . . . . . 4.5 Wirtschaftskrieg im Modell fehlender Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Kollektives Handeln zum Lösen der Dilemmata. . . . . . . . . . . . 4.5.2 Positionsspiele: Vorsprung durch Täuschung. . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Wiederholte Grundspiele: Aus Erfahrung wird der Mensch klug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen. . . . . . . . . . . . 4.6.1 Systemkrieg: Die wirtschaftliche Auszehrung der DDR. . . . . . 4.6.2 Technologiekrieg im Kalten Krieg: Der Fall Brünnhilde. . . . . . 4.6.3 Stamokap 2.0 oder wie man die Geldordnung zerstört. . . . . . . 4.7 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kooperative und agonale Theorien des Staats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Begründung von Kooperation und Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Einordnung in die Logik und das Denken in Ordnungskategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Der Ukraine-Konflikt: Verstetigen eines Konflikts durch dubiose Kooperation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Staat als Kooperationssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Die Fundamente: griechische, chinesische, römische und arabische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Die Vorbereitung der Moderne: Wirtschaftliches Handeln als Gottesdienst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Das Zeitalter der Vernunft: Aufklärung im Kontext des Absolutismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 286
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287 290 294 295 303 307
XVI
Inhaltsverzeichnis
5.2.4
Die ökonomischen Aufklärer: Erklärer der Moderne und des Wohlstands. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 5.2.5 Ökonomische Modernisierer: Gerechtigkeit und der Gang der Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 5.2.6 Menschenwürde und Wirtschaftsordnung: Die Soziale Marktwirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 5.3 Staat als Ort des Konflikts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 5.3.1 Ewige und finale Kämpfe als Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . 346 5.3.2 Kampf der Klassen und Ethnien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 5.3.3 Die militante Sicht auf die Essenz des Staats . . . . . . . . . . . . . . 359 5.3.4 Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 5.3.5 Entkolonialisierung und nationale Befreiung . . . . . . . . . . . . . . 381 5.3.6 Identitätskonflikte im 21. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 5.4 Wirtschaftskrieg als Folge agonaler gesellschaftlicher Organisation. . . . 388 5.4.1 Klimakrieg: Die zerstörerische Kraft des Egoismus. . . . . . . . . 389 5.4.2 Krieg gegen die Arbeit in den Entwicklungsländern. . . . . . . . . 397 5.5 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 6
Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Hinreichende und notwendige Bedingungen des Erfolgs. . . . . . . . . . . . 6.1.1 Materielle und ideelle Voraussetzungen einer Zielverwirklichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Kautschukblockaden und -kriege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Das Fähigkeitenprofil von Unternehmen und Staaten . . . . . . . 6.2.2 Demographie: die zentrale personale Voraussetzung zum Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Unternehmertum, Handel und Technologie: Grundlagen industrieller Leistungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Nachhaltige Ressourcenverfügbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Intellektuelle Eigentumsrechte: der Rohstoff der Moderne. . . . 6.2.6 Informationssysteme als Führungsinstrument und die digitale Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Offene Märkte und Verkehrssysteme als Führungsinstrument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 Fiskalische Stabilität und die Kapitalisierung der Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Militärische Fähigkeiten als ultimative „hard power“ . . . . . . . 6.3 Bereitschaften und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Institutionelle Organisation von Staat und Unternehmen . . . . .
417 418 419 421 422 423 424 429 433 444 447 449 454 457 461 461
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Führung in der Wirtschaft: Die Bedeutung des Unternehmertums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Der Wille zum Erfolg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Vision und Motivation: Ideale und Ideologien. . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Umsetzung: die nationale Wirtschafts- und Sicherheitsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Rivale Wettbewerbslagen und ökonomischer Frieden. . . . . . . . 6.5.2 Wettbewerbsintensität: die Reichweite der Rivalität. . . . . . . . . 6.5.3 Wettbewerbsstrategien: Grundlage erfolgreicher Unternehmensführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.4 Potentieller Wettbewerb und branchentypische Wettbewerbslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen. . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Der Auszehrungskrieg der US-Autoindustrie in den fünfziger Jahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.2 Der Preiskrieg um den „Lebenssaft der Wirtschaft“ . . . . . . . . . 6.7 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
6.3.2
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Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Führung in komplexen Systemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Führung und ihre Effektivität zwischen Kooperation und Rivalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Messung von Führungserfolgen und -misserfolgen. . . . . . . . . . 7.2 Führungskultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Die Bedeutung von Transaktionskosten in der Führung . . . . . . 7.2.2 Wahrheit und Wahrhaftigkeit als Kern der Führung . . . . . . . . . 7.2.3 Allgemeine Grundregeln der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Führungsgrundsätze für die Führungsebenen Strategie, Operation und Taktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Sorgfalt und Ohnmacht in einem Führungsprozess. . . . . . . . . . 7.2.6 Kulturelle Faktoren der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck. . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Risiko und Ungewissheit als Friktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Führung unter Bedingungen unzureichender Information. . . . . 7.3.3 Rolle der Irreversibilität für den Entscheidungsprozess . . . . . . 7.3.4 Beherrschen von Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.5 Informationsasymmetrie und Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Überraschungen durch Systemik im globalen Wirtschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
462 463 464 467 467 468 471 474 481 484 485 488 497 498 505 506 507 513 517 517 520 524 527 533 538 541 542 548 550 553 558 562 562
XVIII
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7.4.2 Überraschung durch Innovation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Unternehmen und das Management von Krisen . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Entscheidung in hierarchischen Systemen. . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Corporate Governance, Compliance und Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . 7.5.1 Schwerpunkte der Corporate Governance und des Risikomanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.2 Folgen für den Wirtschaftskrieg der Unternehmen . . . . . . . . . . 7.6 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg an Beispielen. . . . . . . . 7.6.1 Wer übernimmt wen? Die Vernichtung von Mannesmann-D2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.2 Fast ein Pyrrhus-Sieg: der Elchtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.3 Zerstörerischer Innovationswettbewerb: Intel vs. AMD. . . . . . . 7.7 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
567 574 576 579
Das Kriegstheater der Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Relevanz von Lage und Standort aus ökonomischer Sicht . . . . 8.1.2 Raumbeherrschung durch Technologie: Von der Einigung Frankreichs zur Neuen Seidenstraße. . . . . . . 8.2 Die räumliche Dimension von Rivalität und Kooperation. . . . . . . . . . . . 8.2.1 Mentale Karten und wirtschaftliche Raumtypisierung . . . . . . . 8.2.2 Die Abgrenzung von Wirtschaftszonen und die evolutorische Dynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Konzepte des relevanten Markts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Raum als entscheidungsrelevante Kategorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Relevanz von Transportkosten: monopolistische Konkurrenz im Raum und Netzwerke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Imperiale Überdehnung: das räumliche Modell des Staats. . . . 8.3.3 Kooperative und agonale Elemente im räumlichen Wettbewerbsmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Konkurrenz der Staaten und politische Plattentektonik. . . . . . . 8.4 Räumliche Rivalitätsstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Kolonialismus als komplexe räumliche Wettbewerbs- und Eroberungsstrategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Räumliche Einsatzgrundsätze im Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . 8.4.3 Phasen des Handelskriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Raum als Gegenstand des Wirtschaftskriegs an Beispielen. . . . . . . . . . . 8.5.1 Vom Solar Valley zum Handelskrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.2 Seltene Erden und der Wille zum Monopol. . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603 604 606
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Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Der Hintergrund der unternehmerischen Rivalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Kombinierter Einsatz verbundener und vernetzter Kräfte im Wettbewerbsumfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Der Kampf von David gegen Goliath – too Big to Fail oder too Big to Jail? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen. . . . . . . . . . . 9.2.1 Einordnung in das Risikokalkül der Unternehmen . . . . . . . . . . 9.2.2 Personalsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Ressourcensicherung und Dominanz von Wertschöpfungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Innovations-, Patent-, Lizenz- und Markenstrategien . . . . . . . . 9.2.5 Kapitalsicherung und Finanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Preise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Mengen und Kapazitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Kooperationen, Fusionen und Aufspaltungen . . . . . . . . . . . . . . 9.3.5 Plattformmärkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.6 Ausspähen und Spionage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.7 Rendite durch Rufschädigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.8 Rechtsform und Beteiligungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.9 Signale und Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Bestimmung der Marktmacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Voraussetzungen des Erfolgs: Ausloten bzw. Überschreiten von Grenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Dominanz in Geschwindigkeit und Informationsnetzen. . . . . . 9.4.4 Operatives und taktische Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.5 Erfolgsmaßstäbe des Wirtschaftskriegs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.6 Die Einsatzgrundsätze im Einzelnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Vernichtungsfeldzüge zwischen Unternehmen an Beispielen. . . . . . . . . 9.5.1 Skandalisierung von Produkten: Das Phänomen der spontanen Beschleunigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Produktmobbing: Explodieren ostdeutsche Kühlschränke der Firma Foron?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.3 Kartelle und Preiskriege: Wie wirksam war das ostdeutsche Zementkartell?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX
651 652 654 657 659 659 660 661 662 668 670 671 675 677 680 683 685 687 689 694 695 695 696 697 701 702 706 708 708 711 712 716 718
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10 Der Staat im Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Die Durchsetzung des staatlichen Führungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Die Rivalität von Eliten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Staatliche Macht, staatliche Moral und Hegemonialansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Dominanzerwartungen des Staats im Wirtschaftskrieg. . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Institutionelle Stabilität und Dynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Finanzielle Nachhaltigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Kommunikative Verlässlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats. . . . . . . 10.3.1 Grundlagen einer strategischen nationalen Wirtschaftspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Handel und strategische Investitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Währungsdominanz, Krieg des Gelds und strategisches Nutzen der Deglobalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.4 Handelshemmnisse und Sanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.5 Wirtschaftspolitik als Teile staatlicher Machtentfaltung. . . . . . 10.3.6 Spionage, Sabotage, Zersetzung und Korruption. . . . . . . . . . . . 10.3.7 Klimamanipulationen und Wetterkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Das Rechtssystem als indirekt wirksame staatliche Waffe . . . . . . . . . . . 10.4.1 Nutzung der Rechtsordnung im Wirtschaftskrieg . . . . . . . . . . . 10.4.2 Die Währungsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Steuerpolitik und Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schwarzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.4 Terrorismus und Staatsterrorismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.5 Reparationen – die Fortsetzung des militärischen Kriegs mit wirtschaftlichen Mitteln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Grundüberlegungen des Einsatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.1 Wirtschaftsfrieden als Vorstufe des Wirtschaftskriegs im strategischen Kalkül. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.2 Operatives Ausgestalten der Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.3 Taktische Grundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1 Made in Germany: Wirtschaftskrieg Deutschland – England im 19. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Die bedrohliche Lage Zentraleuropas in den zwanziger und dreißiger Jahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.3 Währungskrieg oder die Welt in der Rationalitätsfalle . . . . . . . 10.7 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Die digitale Welt als ordnungsökonomische Herausforderung. . . . . . . . 11.1.1 Das Verschwimmen des Ordnungsrahmens und Algokap. . . . . 11.1.2 Künstliche Intelligenz und Algokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Cyberspionage, Cyberkrieg und Gefährdungspotentiale. . . . . . 11.1.4 Die digitale Gesellschaft: Kontrolle und Überwachung . . . . . . 11.2 Informationsasymmetrien in der digitalen Welt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Ist mehr Information bessere Information und die Relevanz Künstlicher Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Führung unter den Bedingungen massenhafter Datenverfügbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Der Rechtsrahmen des Handelns vor dem Hintergrund des Cyberrisikos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Digitalisierungszwänge als Treiber des Cyberrisikos . . . . . . . . 11.3 Instrumente des Cyberkriegs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Würmer, Viren und manipulierte Chips als direkt wirkende Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Marktplattformen als Waffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Metadaten und Cyberintelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Digitale Währungen und Machtteilung durch Blockchain-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Darknet und Kryptographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Einsatzgrundsätze im Cyberkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Das Risikoprofil des indirekten Cyber-Wirkens . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Strategische, operative und taktische Grundsätze . . . . . . . . . . . 11.4.3 Hacken, Gegenhacken und digitales Wettrüsten . . . . . . . . . . . . 11.5 Cyberkonflikte an Beispielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Patentkriege als Hochtechnologiekonflikt: Samsung gegen Apple. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.2 Der US-chinesische Hochtechnologiekonflikt. . . . . . . . . . . . . . 11.6 Fazit und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12 Die Zombifizierung oder das Zerstören von Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Die Infektion des Wettbewerbssystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Zerstörung von Wettbewerb in Wirtschaft und Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Die Zombifizierung anhand von Beispielen. . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Bad Governance und Zombifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Kapitalismus ohne Bankrott ist wie Religion ohne Hölle. . . . . 12.2.2 Triage und Schumpetersche Konkursgeschäfte. . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Die Erosion ordnungsökonomischen Vertrauens. . . . . . . . . . . .
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12.3 Die Zukunft zombifizierter Gesellschaften und der Krieg gegen die Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Zerstören des Vertrauens in das Geld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Zombifizierung trifft Postdemokratie: die Zentrifugalkräfte Europas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Zombifizierung als Zerstörer von Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . 12.4 Das Draghiat als Prototyp der Zombifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Fazit – das Ende der Gewissheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
902 902 904 907 911 923 925
13 Epilog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 936 14 Anhang: Übersicht über die Werke großer Kriegstheoretiker. . . . . . . . . . . 937 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 945 Autoren-und Namensindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1015 Institutionen-, Länder- und Städteindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033 Index wichtiger Schlüsselbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043
Über den Autor
Ulrich Blum, Prof. Dr. Dr. h.c. (Jahrgang 1953) ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist Inhaber des Alexander-von-HumboldtLehrstuhls an der University of International Business and Economics (UIBE) in Peking und Gründungsdirektor des Centers for Economics of Materials, einer gemeinsamen Forschungseinrichtung der Universität Halle und dem Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) der Fraunhofer-Gesellschaft. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Nach seinem Abitur (1973) verpflichtete er sich als Zeitsoldat bei der Bundeswehr und bekleidet heute den Dienstgrad eines Oberstleutnants der Reserve. Von 1975 bis 1979 studierte er Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität (TH) Karlsruhe (1975–1979). Nach seiner Promotion (1982) und seiner Habilitation (1986) ebendort nahm er im akademischen Jahr 1986/87 eine Gastprofessur an der Universität Montreal wahr, wo er im Rahmen regelmäßiger Aufenthalte forschte. Von 1987 bis 1992 war er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bamberg. Im Jahr 1991 wurde er auf den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Technischen Universität Dresden berufen und war hier in der Zeit von 1992 bis 1994 Gründungsdekan der Fakultät Wirtschaftswissenschaften. Von November 2004 bis Dezember 2011 war er Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und 2011/12 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Wirtschaftsforschungsinstitute. Im Oktober 2008 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Dresden. Im Jahr 2012 wurde er in die Europäische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Von 2012 bis 2016 war er Internationaler Exzellenzprofessor der Volksrepublik China. Von 2000 bis 2002 war er Vorsitzender der Kommission zur Evaluierung der Wirtschaftsintegrierenden Forschungsförderung beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie. Von 2005 bis 2007 saß er dem Lenkungskreis „Deutsche Normenstrategie“ und der europäischen Normungskommission „Future Landscape of European Standardization“ vor. Im Jahr 2007 war er Vorsitzender der Evaluierungskommission zur Exzellenzinitiative der Hochschulen in Sachsen. Von 2005 bis 2011 war er Mitglied der Jury des
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Über den Autor
Innovationspreises Sachsen und von 2009 bis 2015 Mitglied der Jury des Spitzenclusterwettbewerbs des Bundesministeriums für Forschung. Er ist Autor und Herausgeber von zahlreichen wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichungen in den Bereichen Institutionen- und Industrieökonomik, Risikotheorie, Normungswesen sowie Regional- und Verkehrsökonomie. Er hat mehrere Lehrbücher zur Volkswirtschaftslehre, zur Industrie- und Institutionenökonomik und zum Entrepreneurship verfasst bzw. herausgegeben. Er ist regelmäßig Gastautor und Interviewpartner großer in- und ausländischer Medien.
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Wirtschaftskrieg als neues ökonomisches Paradigma
„Si vis pacem para bellum“ („Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“) Marius Tullius Cicero
Lässt sich Wettbewerb auf einem hohen und intensiven Niveau aufrechterhalten – aber sozialverträglich gestalten, um seine Wohlfahrtseffekte zu entfalten – oder tendiert er stets entweder zum Abschlaffen, schlimmstenfalls mittels Kartelle, oder zur Radikalisierung? Das ist eine der zentralen Fragen fast aller Ordnungsökonomen. Für den militärischen Konflikt gibt es eine Antwort: Carl von Clausewitz verweist in seinem Buch Vom Kriege (1832) darauf, dass bewaffnete Konflikte grundsätzlich zur Eskalation neigen – nur die Politik als letztgültiger Zweck kann sie einhegen. René Girard (2007) betont in Achever Clausewitz, dass die Tendenz zum Angleichen der Verhaltensweisen – im Idealfall handeln dann alle „effizient“ – zur totalen Eskalation führt. Gibt es hierfür Entsprechungen in der Wirtschaft? Muss deshalb das Denken in ordnungsökonomischen Kategorien eine neue Bedeutung erhalten? Gerät die europäische Errungenschaft des Sozialstaats und einer werterückgebundenen Wirtschaftsordnung – in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard (1957b) – durch zwei atypische Kapitalismusformen unter Druck: Einmal durch den Marktradikalismus amerikanischer Prägung, der ganz im Sinne von Carl von Clausewitz und René Girard die eskalierte Form des Wettbewerbs ist – genau deshalb muss Wettbewerb bzw. Rivalität bis ans bittere Ende gedacht werden – und zum anderen durch den autoritären asiatischen Staatskapitalismus? Rivalität leitet sich aus dem lateinischen rivalitas ab und verweist auf Konflikte bei der gemeinsamen Nutzung eines Wasserlaufs, später im Umgang mit einem Nebenbuhler. Damit sie für die Gesellschaft förderlich abläuft, hat sich die Menschheit schon früh Regelwerke gegeben, die aber auch immer wieder ausgehebelt wurden – teils im © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_1
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Rahmen des Fortschritts, teils im Rahmen unfairen Verhaltens, und beides ist nicht klar zu unterscheiden, zumindest anfangs, wenn das künftige Ergebnis noch unbekannt ist. Denn langfristig sozialverträglich ist nur die Konkurrenz, zu der es des Mitstreiters bedarf, der nicht ultimativ vernichtet wird, wie die lateinische Wurzel concurrere – gemeinsam laufen – nahelegt. Wettlauf soll berührungsfrei sein, Ringen oder Boxen ist körperlich, gelegentlich die Gesundheit des Gegners, manchmal auch die eigene zerstörend. Krieg ist die final zerstörerische Komponente der Rivalität.1 Früher stand meist der militärische Krieg mit dem Ziel der Zerstörung im Mittelpunkt, der psychologische Krieg (Orakel, Propaganda) oder der Wirtschaftskrieg (Belagerung, Aushungern, Boykott, Sanktionen) waren eher sekundär. Das hat sich gedreht. Heute hingegen stehen sehr häufig wirtschaftliche Rivalitäten am Anfang der Eskalation. Die Rivalität der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme wurde Ende des letzten Jahrhunderts zu Lasten des Sozialismus als dem großen konkurrierenden Gesellschaftsentwurf und zu Gunsten der liberalen Marktwirtschaft entschieden. Als Vorstellung von sozialer Freiheit wurde er desavouiert durch den realen Sozialismus und Kommunismus sowjetischer oder asiatischer Prägung. Dabei entwickelte sich, wie Alexander Honneth (2015, S. 25, 51, 61) in seinem Buch Die Idee des Sozialismus ausführt, die Vorstellung der sozialen Gesellschaft schon früh als Komplement zur Entfesselung der Marktkräfte der Neuzeit. Diese Idee besitzt eine Tradition, die auf die Aufklärung, beispielsweise den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, zurückgeht. Der Antagonismus drückt sich möglicherweise auch in der Spaltung des Individuums in den citoyen, den Staatsbürger in der societas, dem Gemeinwesen, und in den bourgeois, den Bürger – im Grenzfall den global verorteten, bindungslosen „global citizen“ – aus. Nach ihrem offensichtlichen Sieg zum Ausklang des letzten Jahrhunderts, die Francis Fukuyama (1992) folgend ein End of History einleiten sollte, weil die in der marxistischen Theorie postulierte Dialektik der Geschichte nun auf jeden Fall zum Ende gekommen sei, scheint die Strahlkraft der freiheitlichen Ordnung nachzulassen, zumal sie offensichtlich häufig nicht den Bedarf an emotionaler Sinnstiftung in Gestalt von Mythos, Mysterium, Wunder und Autorität befriedigt. Der ökonomischen Theorie folgend existieren Pfadbindungen, die ebenso technologische wie kulturelle Wurzeln haben. Das naturwissenschaftliche Rationalmodell der modernen Gesellschaft prallt auf scheinbare Irrationalität, die dem liberalen Programm als zutiefst widersprechend angesehen und ihre politische Realisierung oft als populistisch eingeordnet wird. Das Rationalitätspostulat steht dem Bedarf nach entsprechenden Narrativen großer Teile der
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kann diese verschiedenen Synonyme für Rivalität und Konkurrenz entlang einer allerdings unscharfen Skala von den harten zu den weichen Bedeutungen anordnen; hier ein unvollkommener Vorschlag: (Vernichtungs-) Krieg, Blutvergießen (Blutbad), Fehde, Gefecht, Kampf (-handlung), Rivalität, Konkurrenz, Auseinandersetzung, Wettkampf, (Wett-) Streit, Contest, Wettlauf, Turnier, Ringen, Gegnerschaft, Nebenbuhlerschaft, Engagement, Spiel. Dies wird im dritten Kapitel aus sprachwissenschaftlicher Sicht vertieft.
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Bevölkerung entgegen. Dies aber wertet solche Ordnungen und politischen Handlungen auf, die sich gerade aus diesen Erzählungen speisen, vor allem solche, die – provokativ gesprochen – im Sinne eines Anknüpfens an große alte Zeiten dem Liberalen als revisionistisch erscheinen: Russland und China wollen ihre Erniedrigungen überwinden und die USA strebt zurück zum globalen Hegemonialstatus. Definiert man die grand strategy eines Lands oder eines Bündnisses als der das Mittel-Ziel-System, das dem Zweck des Überlebens dient, dann wird diese in diesen drei Ländern weit deutlicher als in Europa und seinen Staaten. Gerade in diesen Widersprüchen haben sich die Quellen der neuen Wirtschaftskriege angesiedelt. Historisch gilt dies auch – immer war der Wirtschaftskrieg wie auch der ihn meist begleitende Krieg eine Form der Auseinandersetzung von Identitäten. Für das Überleben in einer rivalen Welt ist das Fehlen von Narrativen ein schwerer Nachteil, weil damit existentielle Fragen der eigenen kollektiven Identität, der Dialektik aus Bewahrung und Weiterentwicklung und damit die Bereitschaft zum Formulieren und ggf. Durchsetzen eigener Interessen ausgeblendet werden. In liberalen Marktwirtschaften wird dies besonders an Unternehmen deutlich, die den Übergang vom Wettbewerb zum Wirtschaftskrieg gestalten wollen, und deshalb in den entsprechenden Abteilungen sorgsam Riten pflegen, die den Zusammenhalt fördern und an das erinnern, was gelegentlich als Kriegskultur bezeichnet wird. Wirtschaftskrieg als entgrenzte Rivalität lässt sich klar vom Wettbewerb auf der Grundlage der Innovationstheorie von Joseph Schumpeter (1912) abgrenzen. Beide beschreiben die Zerstörung als Wesensgehalt des Konkurrenzsystems. Die Vernichtung des Konkurrenten ist aber final und nicht schöpferisch. Diese zu verhindern erfordert eine staatliche Ordnung, beispielsweise im Unternehmens- oder im Konkursrecht, die den Wettbewerb überwölbt, damit der im Existenzkampf unterlegene Produktionsfaktor zur Produktivquelle des folgenden Aufschwungs wird. Gelingt das nicht, ergibt sich eine wirtschaftskriegerische, keine schöpferische Zerstörung – militärisch gesprochen: die Triage lohnt nicht, vom Schlachtfeld wird niemand geborgen. Militärisches Gedankengut findet sich an vielen Stellen des Wirtschaftslebens: Das liegt zunächst daran, dass mit der Industriellen Revolution Großunternehmen entstanden sind – und die Militärs wussten, wie man diese organisiert und führt. Von dieser Befruchtung hat sich die ökonomische Theorie über lange Jahre entfernt. Erst in der modernen Industrieökonomik und der modernen Institutionenökonomik knüpft sie an diese Tradition an, wenn sie die Interdependenzen des Handelns von Rivalen im Kontext der Spieltheorie und der Prinzipal-Agent-Theorie analysiert, die Bedeutung der Transaktionskosten – der Friktionen in der Sprache von Carl von Clausewitz – aufnimmt oder das Wesen von Signalen betrachtet. Die Konzepte der asymmetrischen Kriegsführung und der hybriden Kriegsführung sind in diesen ökonomischen Disziplinen bisher nur unzureichend etabliert; erstere betreffen konstitutiv und systematisch unterschiedliche Kräfteverhältnisse bzw. Ausgangslagen vor allem im institutionell-organisatorischen Kontext. Guerillakriege sind dafür bekannte militärische Beispiele, flash mobs, die Einzelhandelsgeschäfte lahmlegen, typische Veranstaltungen im Wirtschaftsleben.
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Zorn erscheint Peter Sloterdijk (2008) in Zorn und Zeit als die zentrale anthropologische Triebkraft menschlicher Existenz, welche in der Finanzkrise geboren wurde und die modernen Arten von Populismus und Fundamentalismen treibt. Freiheit hat für ihn nur dann Gehalt, wenn sie aus einem thymotischen Menschenbild hervorgeht, in welchem Zorn, Stolz, Wut und Hass ihren Platz haben. Er fordert, dessen Produktivkraft zu nutzen, aber so zu kanalisieren, dass er in eine ressentimentfreie politische Theorie mündet, anstatt wie bisher die klassischen Auswege des gesellschaftlichen Zornmanagements zu wählen, nämlich Anarchismus, Selbstjustiz und Selbstmordattentate, einschließlich der dazugehörigen Gewaltromantik, oder das Kumulieren des Zorns in einer „Zornbank“, um daraus Moral- und Racheprojekte zu speisen. In Frankreich hat sich eine école de guerre économique erfolgreich etabliert, die aus den strategischen, operativen und taktischen Konzepten des Militärs Erkenntnisse für einen Wirtschaftskrieg ableitet. Denn Unternehmen riskieren – ebenso wie Staaten – in der Realität stets die Vernichtung des Konkurrenten oder der eigenen Firma – Krösus wurde geweissagt: „Ihr werdet ein großes Reich vernichten!“2 – es war das eigene. Das Denken in geopolitischen und geostrategischen Kategorien ist für Großmächte wie die USA, China und Russland Normalität, und für andere Atommächte wie Frankreich oder England, aber für Indien oder Israel gilt dies ebenso. Deutschland tut sich aus historischen Gründen damit schwer, wird sich aber auf Dauer diesem Kalkül nicht entziehen können. Tatsächlich orientieren sich Länder, die keine naive Sicht auf die Verhältnisse der Welt haben, an geopolitischen, geostrategischen und geoökonomischen Überlegungen. Jüngstes Beispiel dafür ist die Seidenstraßen-Initiative Chinas, mit der das Land seine historische Position in der Welt zurückgewinnen will – ein Sachverhalt, der den etablierten Mächten ebenso wenig gefällt wie 100 Jahre früher der Aufstieg Deutschlands, der damals übrigens auch mit einer Handelsstraße verbunden war: der Bagdad-Bahn. Wenn sich nun auch noch der Iran als Knotenpunkt dieses Handelswegs neu aufstellt, um zu einer wesentlichen Drehscheibe des Handels im mittleren Osten zu werden, dann bedroht das den bisherigen Status Quo – und Saudi-Arabien antwortet darauf schon seit dem Frühjahr 2016 mit einem Ölpreiskrieg. Auch dessen Aktionen gegen Katar ordnen sich in dieses Bild ein ebenso wie Terrorismus und hybride Kriege in dieser Region. Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist schließlich der Versuch, Trittbrettfahren und Souveränität zu Lasten Dritter optimal zu verbinden – tatsächlich ist der BREXIT aber, wie fast alle Analysen zeigen, ein wohlstandsvernichtendes Programm, ein politisch vom Zaun gebrochener Wirtschaftskrieg gegen das eigene Land.
2Diese
Ökonomische Kriegsschule bildet Führungskräfte im Wirtschaftskrieg aus. In Deutschland gibt es nichts Vergleichbares. Der Leiter dieser Einrichtung, Christian Harbulot (2013), betont, dass es wichtig ist, gerade vor dem Hintergrund der Snowden-NSA-Affäre des Sommers 2013 nicht in einer „Kultur des Unausgesprochenen zu verharren“, sondern die harten Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.
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Derartige großflächige tektonische Verschiebungen werden meist von institutionellen und technologischen Innovationen getrieben. Manche Länder drohen dann, in Subduktionszonen zu gelangen, also unter eine mächtigere Scholle zu geraten. Wo soll unter den Bedingungen der Digitalisierung das Internet der Dinge in den USA ansetzen, wenn diese zwar über die modernste Cyber-Industrie verfügen, aber die industrielle Basis dafür fehlt? Muss sich Großbritannien gegen die Regulierung der EU wehren, wenn man als Schlüsselbranche nur noch die Finanzindustrie besitzt? In einer nach dem Prinzip des totalen, agonalen Wettbewerbs organisierten Welt, in der die Werteheterogenität immer größer wird, stellt sich die Frage nach den kulturellen Dächern für Kooperationen, also nach einer international akzeptierten Governance (deutsch: Ordnungsrahmen), besonders dringlich.3 Tatsächlich stellt das militärische Kriegsrecht ein auf jahrtausendelanger Erfahrung aufbauendes, gewachsenes System dar, von dem die globale Ökonomie lernen kann. Wie auch der militärische Krieg rekurriert der Wirtschaftskrieg nicht nur auf die technologische Grundlage; er besitzt auch eine Führungslehre und eine politische Philosophie und soll hier drei Perspektiven analysiert werden: 1. Wie entstehen Wirtschaftskriege, wie laufen sie ab und wie enden sie? Wirtschaftskrieg ist ein empirisches Phänomen, der deshalb an umfangreichen Beispielen vorgestellt wird mit dem Ziel, die Relevanz der Fragestellungen konkret zu unterfüttern und auch strukturelle Gemeinsamkeiten im Sinne einer positiven Theorie herauszuarbeiten. Was sind also rational von einer Unternehmens- oder Wirtschaftspolitik – als Zweck – zu erfassende Auslöser und was verbleibt im nichtrationalen Bereich – ist damit aber nicht zwingend verrückt? Beispiele werden die Realität des Wirtschaftskriegs verdeutlichen. 2. Welche zusätzliche Erkenntnis bietet die Lehre vom Wirtschaftskrieg? Wirtschaftskrieg als Paradigma erlaubt es, Wettbewerb besser zu verstehen, insbesondere dessen Auswüchse. Dabei ist besonders die kriegerische Härte, die in der
Agonalprinzip geht auf das alte Griechenland zurück. Das griechische Wort ἀγών (agon) bedeutet Auseinandersetzung, Streit, Wettkampf, Wettbewerb, Kampfspiel, aber auch Anstrengung. Die Fairness der Wettbewerbsregeln bedarf aber einer akzeptierten Ordnung, die auch in der Antike nicht immer gewährleistet werden konnte. Die grundlegende Idee der einer Ordnung unterliegenden olympischen Spiele – bis hin zur Friedenspflicht – bestand darin, eine Alternative zum lebensbedrohenden militärischen Kampf aufzuzeigen. Gerade hier aber blühte die Korruption besonders, und wer überführt wurde, musste ein überlebensgroßes Zeus-Standbild spenden, das den Namen des Sünders trug; abgeleitet aus dem Plural für Zeus wurden diese auch Zanes genannt. Adam Smith (1759, S. 124) schreibt hierzu: „In dem Wettlauf nach Reichtum, Ehre und Avancement, da mag er rennen, so schnell er kann und jeden Nerv und jeden Muskel anspannen, um all seine Mitbewerber zu überholen. Sollte er aber einen von ihnen niederrennen oder zu Boden werfen, dann wäre es mit der Nachsicht der Zuschauer ganz und gar zu Ende. Das wäre eine Verletzung der ehrlichen Spielregeln, die sie nicht zulassen können.“ 3Das
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1 Wirtschaftskrieg als neues ökonomisches Paradigma
Auseinandersetzung liegt, herauszustreichen. Beim Begriff des Kriegs kann man sich an Carl von Clausewitz (1832, S. 25) halten: „Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf“, der das Ziel hat „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“ und ihn damit „zu jedem ferneren Widerstand unfähig“ zu machen. Raymond Aron (1976, S. 19) verweist in seinem Buch Penser la guerre auf das Außergewöhnliche des dialektischen Nebeneinanderstellens von Gewalt und Willen, das sich auch als eine bestimmende Größe des Wirtschaftskriegs erweisen wird. Theoretisches Hintergrundswissen und geschichtliche Zusammenhänge werden deshalb vermittelt, um die Sicht auf den Wirtschaftskrieg zu ordnen. 3. Wie soll ein Wirtschaftskrieg (effizient) geführt werden? Eine normative Theorie und auch methodische Kompetenz gewinnen an Bedeutung, die sich einerseits mit den paradigmatischen Aspekten und der ökonomischen Theorie verschränkt, andererseits auch Rekurs auf militärische Wissensbestände nimmt. Der große Stratege Sun Zi und der berühmte Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz haben hier Vorlagen geliefert, die sich oft nahtlos auf den Wirtschaftskrieg übertragen lassen. Die erforderliche strategische Kompetenz lässt sich nur durch Bildung und philosophische Erhebung gewinnen (Clausewitz 1832, S. 38): „Obgleich sich unser Verstand immer zur Klarheit und Gewißheit hingedrängt fühlt, so fühlt sich doch unser Geist oft von der Ungewißheit angezogen. Statt sich mit dem Verstande auf dem engen Pfade philosophischer Untersuchung und logischer Schlußfolgen durchzuwinden, um, seiner selbst sich kaum bewußt, in Räumen anzukommen, wo er sich fremd fühlt, und wo ihn alle bekannten Gegenstände zu verlassen scheinen, weilt er lieber mit der Einbildungskraft im Reiche der Zufälle und des Glücks.“ Jedes Kapitel beschließt folglich mit einer erkenntnisleitenden Handlungsempfehlung. Ziel dieses Buchs über den Wirtschaftskrieg ist es, ein realistisches Bild der ökonomischen Rivalität zu entwickeln und in Breite und Tiefe zu begründen und damit den an der Front stehenden Entscheidungsträgern die notwendige theoretische und praktische Munition bereitzustellen. Carl von Clausewitz (1832, S. 11) bringt dies in seinem großen Werk Vom Kriege pointiert zum Ausdruck: „Ich hoffe, in diesem Buch manchen Faltenkniff in den Köpfen der Strategen und Staatsmänner auszubügeln und wenigstens überall zu zeigen, um was es sich handelt und was bei einem Krieg eigentlich in Betracht zu ziehen ist.“
Literatur Aron, R., 1976, Penser la querre: Clausewitz, Band 1: L’âge européen, Band 2: L’âge planétaire, Gallimard, Paris; zitiert nach: 1986, Den Krieg denken, Propylaen, Frankfurt a. M. Clausewitz, C. v., 1832, Vom Kriege, Dümmlers Verlag, Berlin; zitiert nach 1999, Vom Kriege Bände 1–3, Mundus Verlag, Essen. Erhard, L., 1957b, Wohlstand für Alle, Econ, Düsseldorf.
Literatur
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Fukuyama, F., 1992, The End of History and the Last Man, Free Press, New York. Girard, R., 2007, Achever Clausewitz, Carnets Nord, Paris. Harbulot, C., 2013, Frankreich tut, was es kann, Interview von Gesche Wüpper, Welt am Sonntag, 21. Juli: 31. Honneth, A., 2015, Die Idee des Sozialismus, Suhrkamp, Berlin. Schumpeter, J., 1912 (1962), Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, August Rabe, Berlin. Sloterdijk, P., 2008, Zorn und Zeit Politisch-psychologischer Versuch, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. Smith, A., 1759, The Theory of Moral Sentiments, A. Millar, London; zitiert nach: 2004, Die Theorie ethischer Gefühle, Meiner Verlag, Hamburg.
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Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
„In der Wirtschaft geht es nicht gnädiger zu als in der Schlacht im Teutoburger Wald.“ (Friedrich Dürrenmatt)
Der Wirtschaftskrieg ist der außerhalb der gesellschaftlichen Moral- und ökonomischen Effizienzvorstellungen stehende Zwilling des Wettbewerbs. Beide sind Ausdruck der Rivalität, also des individuellen Vorteilsstrebens. In den folgenden Ausführungen sollen beide, Wettbewerb und Wirtschaftskrieg, voneinander abgegrenzt werden, um zu einer Definition zu gelangen, die dann gleichermaßen empirischen und theoretischen Gehalt besitzt. Die Abgrenzung zwischen beiden ist mit Ethik und mit Religion verbunden, die das Vorteilsstreben der Individuen in gesellschaftlich akzeptierter Form kanalisieren sollen. Damit werden Institutionen und Werthaltungen bedeutsam. Militärischer Krieg ebenso wie Wirtschaftskrieg und andere Arten des Auslebens von Rivalität, auf die später noch eingegangen wird, sollen Dominanz durchsetzen. Dabei gab es immer die sich gegenseitig dienenden Kriegsunternehmer und die kriegsbereiten Staaten, wie Graf Helmuth von Moltke (1800–1891) zu Beginn seiner die Geschichte des deutsch-französischen Krieges von 1871–1871 (1891, S. 1–2) beobachtete. „Solange die Nationen ein gesondertes Dasein führen, wird es Streitigkeiten geben, welche nur mit den Waffen geschlichtet werden können, aber im Interesse der Menschheit ist zu hoffen, daß die Kriege seltener werden, wie sie furchtbarer geworden sind.“ Damit sieht er bereits früh das Erfordernis einer staatenüberwölbenden Ordnung. Auch ist er sehr modern, wenn er zeigt, wie gerade die Zunahme der Zahl der Entscheidungsträger eine Zurechnung erschwert, Verantwortung anonymisiert und Haftung zerstört: „Ueberhaupt ist es nicht mehr der Ehrgeiz der Fürsten, es sind die Stimmungen der Völker, das Unbehagen über innere Zustände, das Treiben der Parteien, besonders ihrer Wortführer, welche den Frieden gefährden. Leichter wird der folgenschwere Entschluß zum Kriege © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_2
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
von einer Versammlung gefaßt, in welcher Niemand die volle Verantwortung trägt, als von einem Einzelnen, wie hoch er auch gestellt sein möge, und öfter wird man ein friedliebendes Staatsoberhaupt finden, als eine Volksvertretung von Weisen! Die großen Kämpfe der neueren Zeit sind gegen den Willen der Regierenden entbrannt.“ Schließlich verweist er auf die treibende Macht der Wirtschaft: „Die Börse hat in unseren Tagen einen Einfluß gewonnen, welcher die bewaffnete Macht für ihre Interessen ins Feld zu rufen vermag. Mexico und Egypten sind von europäischen Heeren heimgesucht worden, um die Forderungen der hohen Finanz zu liquidieren. Weniger kommt es heute darauf an, ob ein Staat die Mittel besitzt, Krieg zu führen, als darauf, ob seine Leitung stark genug ist, ihn zu verhindern.“ Von Thukydides (454–399 v. Chr.) und Xenophon (431–354) über Caius Julius Caesar (100–33 v. Chr.) und Flavius Josephus (37–100), über Luo Guanzhong (1330– 1400)1 bis hin zu oben zitierteJm Graf Helmuth von Moltke haben Historiker, Soldaten oder Romanciers die Realität des Kriegs mit all ihren Verwicklungen geschrieben. Ihren sehr weitsichtigen, aber vor allem praktischen Erkenntnissen, stehen die Theoriegebäude gegenüber, die Sun Zi (544–466 v. Chr.) und Carl von Clausewitz (1780–1831) errichtet haben, um den Krieg einerseits zu erklären, zum anderen seine normativen Grundlagen herauszuarbeiten. Die Interaktion des Theoretischen und Abstrakten mit dem Praktischen und Empirischen verdichtet sich bei Ihnen zur Kriegskunst. Diese Kriegskunst wird in diesem Kapitel in den Kontext der ökonomischen Theorie gestellt, angereichert mit Elementen aus den Militärwissenschaften und anderer Wissensgebiete, um die Vielfalt seiner Erscheinungsformen zu zeigen. Eine klare Definition wird herausgearbeitet, ökonomisch fundiert und in den Kontext der Wettbewerbstheorie gestellt, um auch die Anreizstrukturen, die hinter der Bereitschaft stehen, ökonomische Gewalt anzuwenden, zu verdeutlichen. Am Beispiel des von US-Präsident Donald Trump entfachten Handelskriegs wird die Relevanz der Aussagen gestützt.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs Wirtschaftskriege sind aus ökonomischer Sicht der Ausdruck von Ungleichgewicht und Dominanz. Sie sind eng mit geostrategischen und geopolitischen Ansprüchen verbunden, wie im Buch War by Other Means: Geoeconomics and Statecraft von Robert Blackwill und Jennifer Harris (2016) am Beispiel der USA deutlich wird, die vorgeb-
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Buch Die drei Reiche (1367–1399) zählt zu den Klassikern der chinesischen Literatur. Es berichtet über die Periode vom Jahr 208, dem Zerfall der HAN-Dynastie in drei Reiche, bis zum Jahr 280, als das siegreiche Nordreich das Land vereinte und die JIN-Dynastie begründete. Der Roman zeigt die gleichermaßen politische und ökonomische Rivalität, das Auszehren des Lands und die Brutalität militärischer Konflikte, aber auch die vielen chinesischen Finten und Listen, die in späteren Teilen des Buchs aufgerufen werden.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
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lich den Einsatz von Markt und Wirtschaft zur Durchsetzung ihrer globalen Vormachtstellung nur ungenügend beherrschen. Genau das hat Donald Trump offensichtlich im Sinne entgrenzter Rivalität, mit der sich dieser Abschnitt befasst, geändert. Dabei ist der (See-) Handelskrieg die typische Waffe maritimer Mächte, die damit versuchen, den Rivalen ökonomisch zu strangulieren, und die militärische Intervention folgt oft erst anschließend, wenn der Widerstand zu groß ist, um die Ziele zu erzwingen. Der militärische Krieg hingegen – seine ökonomische Seite sind Kontrolle von und Verfügbarkeit über Land, Rohstoffe, Arbeitskräfte – ist eher für Landmächte typisch, und die ökonomische Machtübernahme erfolgt nach dem Sieg. Dieser Dualismus der Rivalität – Land gegen See – durchzieht die menschliche Geschichte und wird bei der Darstellung der Konzepte von Alexander Dugin (2014b) im vierten Kapitel thematisiert.
2.1.1 Rivalität und Kooperation als Treiber der Evolution Die Evolution der Welt, auch der menschlichen Zivilisation, vollzog sich immer im Spannungsfeld zwischen Rivalität und Kooperation. Zusammenarbeit bedingt angesichts des eigenen Interesses das des Partners nicht aus den Augen zu verlieren. Aber ein derartiges Verhalten kennt Grenzen: Unbekannte Ergebnisse entstehen oft erst durch Rivalität. Ökonomisches Handeln benötigt meist beides, ausgedrückt im Spannungsverhältnis zwischen Mars – dem Krieger, dem Rivalen – und Merkur – dem Kaufmann, der sich ohne Vertrauen auf kein Geschäft einlässt. Moral wird zu einem Weg, individuelle und gesellschaftliche Kosten zu senken. Daraus aber zu folgern, unmoralisches Verhalten sei individuell oder kollektiv ineffizient, ist nicht möglich, weil die Moral selber auch Gegenstand einer wettbewerblichen Überprüfung werden kann.2Kurz- oder mittelfristig ist unmoralisches Verhalten sogar oft extrem ertragreich. Das im Anschluss an das Titelblatt angegebene Zitat Heraklits von Ephesos spricht den Polemos (Poßlemow), also den Krieg, aber auch den Konflikt und den Kampf, als wesentliche Treiber der Veränderung an, der Verkrustungen aufbricht und damit, ganz im Faustischen Sinne, die Kraft ist, „die stets das Gute will und stets das Böse schafft“ (Goethe 1832). Krieg bzw. Kampf ist hier zunächst ein anthropologisches Phänomen: Der Polemos wird, wie Christian Stadler (2009) in seinem Buch Krieg schreibt, zur Synthese aus einer Dialektik von Bios, also menschlichen, metaphysischen Bedingungen, und Logos, also einer Rationalität, die sich dann in Rivalität äußert. Diese kann illegale oder illegitime Mittel nutzen, um Veränderungen zu erzwingen, vor allem auch, um zementierte Strukturen aufzubrechen. Die politische, soziale oder wirtschaftliche Dimension ist das durch den Polemos verursachte Zwieträchtige, die kühne Anti-
2Allerdings
war Merkur bzw. Hermes auch der Gott der Diebe und Wegelagerer, was die grundlegende Skepsis gegenüber dem Wirtschaftshandeln zeigt, die auch von anderen Kulturen, beispielsweise der chinesischen, geteilt wird.
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these, die häufig den Fortschritt erzwingt, gelegentlich aber auch zur Katastrophe führt, die Planungssicherheiten zerstört, aber auch Neues hervorbringt. Dieter Langewiesche (2019, S. 13–16) sieht in Der Gewaltsame Lehrer den militärischen Krieg gleichermaßen als Durchsetzer von Reformen wie als Methode, alte Strukturen zu bewahren – ökonomisch übersetzt: als Treiber von Innovationen wie als Konservierer verkrusteter Markt- und Wettbewerbsstrukturen. Wie Christian Stadler (2009) weiter schreibt, folgen aus dieser Betrachtung drei zentrale Fragestellungen, die später aufgegriffen werden, nämlich die Frage nach den Grenzen des Kriegs und der politischen Moralität, nach der Legalität und der rationalen Rechtlichkeit sowie schließlich nach der Legitimität und der kulturellen Sittlichkeit. Ähnlich ordnet dies Robert Kagan (2003, S. 3, 105–108) in Of Paradise and Power in Bezug auf die Machtfrage: Diese habe drei Fragen zu beantworten, nämlich nach ihrer Effektivität, der zugrunde liegenden Moral und ihrer Erwünschtheit, und er führt aus, dass sich hier Länder – konkret Europa und die USA – in den Bewertungen massiv unterscheiden, was zu unterschiedlichen politischen Ordnungen, verstanden als Vision von der Welt und der Legitimität politischen Handelns, führt. Man kann diese Gedanken auf die Wirtschaft übertragen: Gleiches gilt für die Anwendung von Macht in der Wirtschaft, was sich in der Verschiedenheit von Wirtschaftsordnungen niederschlägt – Macht verstanden im Sinne von Max Weber (1922) „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen […].“ Diese sind alle auch geistesgeschichtlich zuzuordnen und werden hier besonders unter den Bedingungen kooperativer oder – alternativ – konfliktorientierter (agonaler) Philosophien im vierten Kapitel betrachtet. Die griechischen Vorstellungen über Spannung (ἀγών) sind hilfreich, um die Mentalität des Wirtschaftskriegs und der zugrunde liegenden Mentalitäten zu erfassen. Im finalen Zustand folgt die Agonie (ἀγωνία), der Todeskampf, der Kampf um die letztgültige ökonomische Entscheidung. Die philosophische Betrachtung des Kriegs beginnt mit seiner ontologischen, metaphysischen Betrachtung durch Heraklit, aber sie endet bereits im 19. und 20. Jahrhundert mit dem Kampf um einen Platz in der Gesellschaft, wie es beispielsweise Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger oder jüngst Peter Sloterdijk formulierten. Rivalität drückt die Spannung zwischen dem Streben nach einzelmenschlicher Exzellenz einerseits und der sozialen Organisation und Moral andererseits aus; sie steht zwischen Philosophie und Politik bzw. Ökonomik. Konfliktquellen sind elementare Kräfte der Angst, der Ehre und der Interessenlagen. Dieser Eros im Sinne von Sigmund Freud (1921) geht in der kollektiven Moral nie ganz auf, es verbleibt immer etwas Inkommensurables, was genau diese Spannung im Menschen verfestigt. Im Kontext dieser Befassung mit Rivalität kann sich das Individuum dem Gesellschaftlichen, Politischen und Ökonomischen mit ihren möglichen zivilen aber auch gewaltfähigen Konfliktarten entziehen. Dann wird Ethik im Sinne von Søren Kierkegaard (1844, 1849) in der einzelmenschlichen Vervollkommnung suspendiert, der Einzelne überhöht sich, wie u. a. Friedrich Nietzsche ausführt, und überragt die anderen. Seit Platon (427–347 v. Chr.) und Thukydides existiert dieser Zusammenhang der Spannung aus Entrücken
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vom Gesellschaftlichen, Politischen, Ökonomischen und dem sich aus diesem Entziehen. Das Spannungsverhältnis hat Thukydides (431–404 v. Chr.) glänzend in seiner Leichenrede des Perikles formuliert, in der er Perikles den gelungenen Ausgleich beider Pole, der geistigen Freiheit der Individuen einerseits und der solidarischen Verbundenheit andererseits, in der attischen Demokratie feiern lässt. Diese unterlief die (falsche) Alternative von Relativismus und totaler Einheit und etablierte eine hierarchisch gestufte Ordnung, in der die Entfaltung der individuellen Kräfte eingebunden wird. Diese lässt eine differenzierte und daher kraftvolle politische Einheit entstehen. Faktisch ist dies das Ziel, das good governance anstrebt, nämlich das Überwinden der Knappheit an Koordinierungsroutinen nach Oliver Williamson (2002, 2005). Dann gelingt ein „e pluribus unum“, wie es in der amerikanischen Verfassung heißt. Freilich ist diese Balance höchst fragil; Thukydides folgend ist sie auch in der athenischen Demokratie nach Perikles' Tod alsbald zerbrochen. Auch die Freiheit in der Moderne ist gefährdet, weil partizipative Elemente über digitale Medien eine Bedrohung des Parlamentarismus darstellen und auch schnell Persönlichkeitsrechte tangieren können (Höffe 2015a). Joseph Vogl (2010/2011) fragt mit Recht, ob die moderne Konkurrenzwirtschaft als System in einer Art Oikodizee vergeht. Denn der scheinbar unerschütterliche Glaube der Ökonomen an die Selbstregulierungskräfte der Märkte ging in der Krise verloren, und die Welt befindet sich in einer Situation, die der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1710) erstmals in Bezug auf den Gottesglauben als Theodizee bezeichnet hat, also die Rechtfertigung eines allmächtigen Gottes angesichts von Katastrophen und Bösem. In der Folge des Erdbebens von Lissabon im Jahre 1755 postulierten daher Aufklärer wie Voltaire den Tod Gottes. Die Globalisierung setzt demokratische Souveränitätsrechte unter Druck, wie Hans-Peter Martin und Harald Schumann (1996) in ihrem Buch Die Globalisierungsfalle – Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand formulieren und insbesondere dabei die kritische Rolle der Weltfinanzmärkte beleuchten. Dani Rodrik fragt Has Globalization Gone too Far? (1997) und beschwört dabei das Risiko der sozialen Desintegration in der entwickelten Welt herauf. Im Globalization Paradox (2011) zweifelt er die Vereinbarkeit von offenen Grenzen und Märkten, Nationalstaat und Demokratie an. Tatsächlich scheinen alle drei unter den Bedingungen der Weltfinanzkrise seit dem Jahr 2008 oder der Flüchtlingskrise seit dem Jahr 2015 inkompatibel zu sein; eines der drei ist zu opfern. Offensichtlich opfert China die Demokratie, die Schweiz mit der Volksabstimmung zur Zuwanderungsbegrenzung oder England mit dem BREXIT opfern die Globalisierung und Europa opfert den Nationalstaat – der dann aber als Retter in der Finanzkrise gebraucht wird. Die ökonomische Theorie stellt hierfür Erklärungen bereit, weshalb auch eine theoriegestützte Krisenprognostik greifbar erscheint. Es fehlen große politische Debatten, um diese Entwicklung aufzuarbeiten, zumal die Ökonomie vergessen hat, dass ihre großen Fragen zunächst normativer Natur sind, wie Thomas Sedláček (2012) in seinem Buch Die Ökonomie von Gut und Böse entlang eines kultur- und geschichtswissenschaftlichen Überblicks zeigt, und die formale Analyse als sinnvolle Ergänzung zu sehen ist. Folgt man Thomas Mann (1875–1955) in den Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), dann bedingt die Orientierung des Menschen
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am Unpolitischen eine Entlastung der innerweltlichen Konflikte, weil deren Bedeutung sinkt. Dann aber verlegen die Menschen das Religiöse ins Soziale. Die neuen innerweltlichen Konflikte verschärfen sich, aber nun ohne Aussicht auf Lösung. Der Mensch ist gezwungen, seine Suche nach Verwirklichung konfliktträchtig in die eigene Hand zu nehmen, er kann sie nicht mehr abwälzen. Seine letzte Hilfe besteht darin, robuste Kooperationsstrukturen zum Kanalisieren der Rivalität aufzubauen. Deren Begründung – ein zentrales Thema der Staatsphilosophien – zählt damit zu den Grundlagen der Betrachtung eines Wirtschaftskriegs. Jede derartige Kooperationsstruktur ist wiederum selbst Gegenstand des Wettbewerbs der Systeme und Kern des ordnungsökonomischen Denkens. Es zählt zu den wesentlichen Kulturleistungen des Menschen, aus dem Naturrecht und der Religion in Verfassungen oder im Völkerrecht kodifizierte Regeln aufgebaut zu haben.3 Die damit verbundene Begründung in der Entwicklung der Staatsphilosophien, welche die Regeln zwischen Individuum und Gruppe (Staat) festlegen, umspannt zweieinhalb Jahrtausende politischer Kulturgeschichte. Sie trägt auch starke ökonomische Aspekte, beispielsweise in Gestalt der Eigentumsrechte. Damit sind die ökonomische und die politische Ordnung stets verschränkt. Dieser Rahmen scheint in Zeiten expansiver Entgrenzung infolge der Globalisierung aus dem Blickfeld zu rücken. Das Individuum lebt seine Rivalität aus, also seine Aggressivität und in bestimmten Bereichen auch sein normwidriges – durchaus rationales – Verhalten. Daher ist zu fragen, welche Schranken noch gültig bzw. neu zu setzen sind. Wenn Regelübertretungen an der Tagesordnung sind – trotz eines angeblich zivilisatorischen Fortschritts – weshalb entstehen dann nicht spontan neue Regeln, wie es gerade die liberale Ökonomik postuliert? Wer tariert die Dialektik zwischen Stabilität einerseits und dem für den Fortschritt notwendigen Austesten der Systemgrenzen und deren Überschreitung andererseits aus? Wo wird Rivalität unerträglich – moralisch und ökonomisch – und was sind die Maßstäbe hierfür und wer konstituiert diese? Um dies zu zeigen, soll zunächst geklärt werden, was Krieg ist. Carl von Clausewitz (1832, S. 39) ordnete ihn ein als „ein ernsthaftes Mittel zu einem ernsthaften Zweck“. Er sieht ihn als erweiterten Zweikampf mit dem Ziel (Clausewitz 1832, S. 25), „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ Damit soll er „zu jedem ferneren Widerstand unfähig“ sein. Die Vorstellung des erweiterten Zweikampfs lässt die vieldiskutierte Frage offen, ab welcher Größenordnung des Konflikts von einem Krieg zu sprechen ist. Harald Meller (2015) geht diesem Gedanken in seinem Beitrag
3Nicht
umsonst verweist die Präambel des im Jahr 1949 verabschiedeten deutschen Grundgesetzes (Deutscher Bundestag, o. D.) auf die „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ und versucht damit wesentliche, die Menschenrechte und die Menschenwürde definierende Rechte dem opportunistischen Handeln des Menschen, vor allem eines Parlaments, zu entziehen. Dies widerspricht elementar der ökonomistischen Betrachtung der Wahl öffentlicher Güter (public choice), die durch Mehrheit legitimiert ist. Denn die Verfassung unterliegt einer aufgeklärten Vernunft, die mehr ist als Rationalität im Sinne der simplen Beachtung von Regeln der Logik.
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Krieg – eine archäologische Spurensuche nach4 und zeigt die Breite der Definitionen, die auch der Tatsache geschuldet ist, dass Staaten im modernen Sinne als völkerrechtliche Träger des Kriegs einen vergleichsweise kurzen Teil der Menschheitsgeschichte abdecken. Das Dominanzstreben des Menschen, das Sigmund Freud (1905) in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie aus psychoanalytischer Sicht auf menschliche Triebe zurückführt, das auch anthropologisch, insbesondere bei Richard Dawkins (1976) in seinem Werk Das egoistische Gen genetisch und bei Irenäus Eibl-Bibesfeldt (1984) in Der Mensch – das riskierte Wesen ethologisch – also kulturübergreifend ähnliche Verhaltensmuster identifizierend – begründet wird, ist ein zentraler Treiber der Rivalität. Dort, wo es im Sinne von „the winner takes it all“ nur einen Sieger oder ersten Platz geben kann, sind Entgrenzungen sowie der Griff zu unangemessenen, illegitimen oder sogar illegalen Mitteln sehr wahrscheinlich. Ian Morris (2013, S. 7–10) betont den Selektionsaspekt in War – What it is Good for?, wenn er ausführt, der Sinn des Kriegs bestünde darin, Krieg zu vermeiden, und verweist darauf, dass der Anteil der Opfer an der Gesamtbevölkerung stetig zurückgegangen ist.5 Denn die Integration der eroberten Völker sei eine institutionelle Herausforderung, welche intern und schließlich auch extern pazifizierend wirke. Damit gewinnt Krieg eine evolutorische Effizienz und ist in die Komplexität sozialer ebenso wie biologischer Phänomene einzuordnen, wie es bei Gat (2006) deutlich wird. Im ökonomischen Wettbewerb wird Pareto-Optimalität angestrebt, die dann gegeben ist, wenn das dominante Unternehmen in mindestens einem Faktor besser als die anderen aufgestellt ist. Offensichtlich müssen die ethnologischen, anthropologischen, psychologischen und medizinischen Grundlagen des rivalen Handelns – über die ökonomischen Überlegungen hinaus – beim Betrachten des Wirtschaftskriegs berücksichtigt werden. Dies wiederum verweist auf die erforderliche Breite des Buchs, insbesondere auch auf die Notwendigkeit eines interdisziplinären Theorierahmens. Zukunft braucht Herkunft, Gegenwart verbindet beides, und das dominante Individuum, das dominante Unternehmen und der dominante Staat werden sich daher 4Dieser
Beitrag ist Teil eines gleichnamigen Sammelbands (Meller und Schefzik 2015) zu einer Ausstellung, die am Museum für Vorgeschichte vom 6.11.2015 bis 22.05.2016 stattfand und die gesamte Breite archäologischer Arbeit beim Erforschen des Phänomens „Krieg“ aufzeigte. 5Bei historischen Vergleichen ist es wichtig in Rechnung zu stellen, auf welcher Basis das „Massenhafte“ berechnet wird, auf das auch später Bezug genommen wird. Steven Pinker, Vertreter der These über den fortschreitenden Rückgang der Gewalt, hat in The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined (2011) die Opferzahlen auf die Bevölkerung Mitte des 20. Jh. hochgerechnet. Die drei größten historischen Katastrophen sind danach die Mongolischen Eroberungen Dschingis Khans (1206–1227), die An-Lushan-Rebellion in China (755–763) und der Erbfolgekrieg während der XIN-Dynastie (9–23). Der Zweite Weltkrieg besetzte nur Platz 10 (Spiegel 2016, S. 58). Die Kolonisierung der amerikanischen Kontinente vernichtete rund 90 % der Bevölkerung und wirkte damit sogar über die Zerstörung des Ackerbaus auf das Klima (Koch et al. 2019), was im siebten Kapitel noch einmal aufgegriffen wird.
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aus rivaler Sicht fragen, ob ihre bisher herausragende Position möglicherweise auch künftig aufrechtzuerhalten ist. Unterlegene werden ihre aktuelle und künftige Position analog prüfen. Im wirtschaftlichen Wettbewerb könnte es sich lohnen, mit anderen Mitteln als den legitimen oder legalen zuzuschlagen, um das Emporkommen von Rivalen rechtzeitig zu verhindern. Ein intertemporales Kalkül, das den tatsächlichen Status des Wettbewerbs vor dem Hintergrund einer künftig zu erwartenden eigenen bzw. fremden Dominanz bewertet, bietet wichtige Erklärungsgründe für den Ausbruch starker Rivalität. Der Entscheidungsträger vollzieht eine möglichst rationale Lageanalyse, die die eigene wirtschaftliche Position und die der wesentlichen Rivalen über einen als sinnvoll erachteten Zeitraum erfasst. Die Erwartung des Verlusts an Wettbewerbsfähigkeit – von militärischer Macht und technologischer Potenz über institutionelle Faktoren bis hin zu konkreten Branchen und Produkten – kann die Einsicht reifen lassen, dass es günstiger ist, sofort zuzuschlagen als dem eigenen Niedergang entgegenzusehen. Dabei ist nach dem Modell rationaler Erwartungen der Ökonomik, welches die Identität der Vorhersagen und der Realisierungen postuliert (Muth 1961; Lucas 1975; Sargent und Wallace 1976) keine strenge Rationalität erforderlich. Man kann sogar so weit gehen, auch völlig subjektive Einschätzungen im konstruktivistischen Sinne als individuelle Antreiber eines Konflikts zu akzeptieren, wenn sie sich gemäß dem Thomas-Prinzip (Thomas 1972) in realen Tatbeständen äußern, auf die andere real reagieren. Dann drohen Eskalationsspiralen, die wiederum auf die Lageeinschätzung – und die eigenen Maßnahmen – zurückwirken. Die Komplexität möglicher Rivalitätsebenen – militärisch, politisch, ökonomisch – erklärt, weshalb die Hybridisierung der Kriegsführung eine kaum zu vermeidende Folge ist. Der Präventivschlag kann als Folge eines intertemporalen Nutzenkalküls erklärt werden. Im Sport werden derartige Verhaltensweisen durch die sogenannte Positionstheorie, beim Kampf um Spitzenpositionen durch die Turniertheorie erfasst. Beide berücksichtigen auch Regelverstöße wie das Behindern der Zulassung von Wettbewerbern oder die Gabe leistungssteigernder Mittel. Ein grundlegendes ebenso individuelles wie gesellschaftliches Problem besteht darin, dass Wettbewerb Anstrengung und – im Vorfeld – Vorbereitung, also Training – bedeutet. Individuen sind ebenso wie Gesellschaften in sehr unterschiedlichem Maße in der Lage, diesen Stress auszuhalten – für manche bedeutet er regelmäßig Überforderung. Solange Wachstum vorhanden ist, lässt er sich ausgleichen, entweder, weil gemäß des Pareto-Prinzips alle bereits kurzfristig bessergestellt sind oder weil den Benachteiligten im Sinne des Kaldor-Hicks-Kompensationsgedankens aus dem Überschuss ein gegeben werden kann, ohne die Tüchtigen zu entmutigen. Ist das nicht mehr ohne Reibungsverluste möglich, entstehen Systemhass, Klassenkampf und Neid. Dann gilt schnell der Spruch von Arthur Schnitzler (1862–1931) in seinem Stück Der grüne Kakadu (1898): „Wenn der Haß feige wird, geht er maskiert in Gesellschaft und nennt sich Gerechtigkeit.“ In jeder Gleichheits- und Gerechtigkeitsdebatte findet sich schnell ein Kern des Agonalen. Beide Formen der Gerechtigkeit, die auf Thomas von Aquin (1273) zurückgehen, nämlich die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) als Instrument der Kompensation von als nicht tragbar angesehenen Unterschieden in der Ausstattung
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oder in der Beteiligung, und die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) als Tauschgerechtigkeit, können Quellen für Konflikte werden. Im ersten Fall ist beispielsweise der Neid als ebenso sozialisierende wie zerstörende Urkraft zu nennen, im zweiten die Problematik der Markmacht, die diskriminierendes Handeln ermöglicht. Gerechtigkeit erfordert ein Mindestmaß an Wahlfreiheit, womit eine Konkurrenz zur Gleichheit – im schlimmsten Fall Gleichmacherei – bestehen kann, die ebenfalls eine Quelle für Konflikte ist. Schließlich ist Gerechtigkeit nicht mit Recht gleichzusetzen, wie der lateinische Spruch „summum jus, summa iniuria“ bezeugt – weil eben nicht alles, was recht ist, auch billig ist, wie der Volksmund sagt. Gerechtigkeit verwirklicht sich normativ-objektiv in formalen Institutionen, vor allem in der Rechtsordnung und positiv-subjektiv im Sittengesetz, also in einem tugendhaften Verhalten. Gerechtigkeit soll eine für die Gesellschaft positive Ordnungskraft besitzen – ökonomisch: einen das Individuum in seiner Menschenwürde förderlichen ökonomischen Wettbewerbsrahmen aufspannen, was beispielsweise die Soziale Marktwirtschaft leistet. Das Agonale verwirklicht sich im Wettbewerb dann, wenn dieser zur Zweckrationalität der Gesellschaft degeneriert; nicht umsonst war die Werterückbindung der Wirtschaftsordnung ein zentrales Anliegen der Väter der Sozialen Marktwirtschaft. Erich Fromm (1976, S. 20) schreibt in Haben oder Sein:„Die Entwicklung des Wirtschaftssystems wurde nicht mehr durch die Frage: ‚Was ist gut für den Menschen?‘ bestimmt, sondern durch die Frage: Was ist gut für das Wachstum des Systems?‘ Die Schärfe des Konflikts versucht man zu verschleiern, daß alles, was dem Wachstum des Systems (oder auch nur eines Konzerns) diene, auch das Wohl der Menschen befördere.“ Georg Nolte (2018) fragt Ist die Welt gerecht? und stellt seine Analyse unter vier Themen: Armut, Sicherheit, Klimaschutz und globale Beziehungen. Dieser Vierklang wird hier intensiv thematisiert werden. Dabei besitzt das Primat des Ökonomischen tatsächlich ein hohes Eskalationspotential– und macht den Wirtschaftskrieg oft unvermeidbar.
2.1.2 Zweck und Ziel im Kriege sowie die Bedeutung der Signale Zu den größten Kriegstheoretikern, die dieses interdependente Konfliktsystem in Bezug auf die zeitliche Dimension, die Handlungsweisen der Akteure und die Analyse der Signale der Kontrahenten aufnahmen, zählen mit Sicherheit Sun Zi und Carl von Clausewitz. Sun Zi war ein Zeitgenosse von Lao Zi (604–531 v. Chr.) und Kong Zi (Konfuzius, 551–479 v. Chr.), wobei der Stil seines Werks Die Kunst des Kriegs den Einfluss der daoistischen Philosophie widerspiegelt. Rund 150 Jahre später wurde diese Arbeit von Sun Bin († 316v. Chr.), einem Urenkel von Sun Zi, in sein Werk Über die Kriegskunst aufgenommen. Lange Zeit ging man von einer Personenidentität von Sun Zi und Sun Bin aus. Dies wurde erst durch den gleichzeitigen archäologischen Fund unterschiedlicher Bambustäfelchen mit beiden Werken im Jahr 1972 aufgeklärt. In die Zwischenzeit ist General Tan Daoji († 436 v. Chr.) einzuordnen, der die 36 Strategeme zusammengeführt hat, die als Teil der chinesischen Allgemeinbildung auf Sun Zi
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zurückzuführen sind CBL (o. D.). Weitere Grundsätze der militärischen Führung finden sich bei Ch’i Chi-kuang (1528–1588) in dessen Werk Neue Abhandlung über den disziplinierten Dienst (1562). Carl von Clausewitz schließlich war ein brillanter Analytiker der Befreiungskriege und mit seinem Werk Vom Kriege (1832) einer der bis heute bedeutendsten Wegbereiter einer Verwissenschaftlichung der Kriegskunst. Sun Zi und Carl von Clausewitz eint vordergründig, dass beide den Krieg vermeiden wollen und ihn nur als Notlösung eines Konflikts sehen. So schreibt Sun Zi (o. D., S. 31): „Die größte Leistung (Kunst) besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.“ Der militärische Sieg besaß für ihn einen nachrangigen Wert, den Sieg durch List als spezielle Form der Kriegskunst sah er als vorrangiges Ziel; dazwischen ordnete er die Diplomatie ein. Dabei spielen Aufklärung (Spionage) und List eine entscheidende Rolle, diese sind also Mittel, die heute in der modernen Signaltheorie angesprochen werden. Carl von Clausewitz (1832, S. 39–40) führt aus: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Aber es ist nicht das Ziel, die Politik zu ersetzen, „denn die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden.“ Das Verständnis von Politik, darauf verweist Lennart Souchon (2012, S. 23, 63–68) in seinem Buch Carl von Clausewitz – Strategie im 21. Jahrhundert, bezieht sich dabei auf die Intelligenz des personifizierten Staats, liegt also nahe am Governancebegriff von Oliver Williamson (2010), der die Knappheit guter Entscheidungsroutinen betont, die zu überwinden ist. Krieg ist Teil der politischen Philosophie und orientiert sich in den Bereichen, in denen es möglich ist, am Prinzip der Vernunft. Der Krieg hat als Referenz den Zweikampf und wird durch den Willen des Angegriffenen, sich zu verteidigen, gekennzeichnet, wie bereits Clausewitz (1832, S. 186) betont. Ohne diese Anstrengung liegt eine einfache Besetzung oder Übernahme vor. Harro von Senger (2004) weist in seinem Buch 36 Strategeme für Manager darauf hin, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Sun Zi und Carl von Clausewitz in der Bedeutung liegt, die sie der List als militärisches Mittel zuordnen. Für Carl von Clausewitz ist sie dann ein Ausweg, wenn die eigene Schwäche dies zeitigt. Eine Konstellation Macht und List existiert nicht. Sie kommt vielmehr erst dann zum Zuge, wenn die Weisheit ausgedient hat. Anders als bei Sun Zi, welcher der List von vornherein eine wesentliche, strategierelevante Bedeutung zubilligt, erscheint sie bei Carl von Clausewitz (1832, S. 174) eher wie eine letzte Chance, das schon verlorene Kriegsglück zu drehen, also ein Teil der Taktik: „Je schwächer aber die Kräfte werden, welche der strategischen Führung unterworfen sind, um so zugänglicher wird diese der List sein, so daß dem ganz Schwachen und Kleinen, für den keine Vorsicht, keine Weisheit mehr ausreicht, auf dem Punkt, wo ihn alle Kunst zu verlassen scheint, die List sich als die letzte Hilfe desselben anbietet. Je hilfloser seine Lage ist, je mehr sich alles in einen einzigen verzweiflungsvollen Schlag zusammendrängt, umso williger tritt die List seiner Kühnheit zur Seite. Von aller weiteren Berechnung loslassend, von aller späteren Entgeltung befreit, dürfen Kühnheit und List einander steigern und so einen unmerklichen
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Hoffnungsschimmer auf einen einzigen Punkt vereinigen, zu einem einzigen Strahl, der allenfalls noch zu zünden vermag.“ Tatsächlich offenbart sich hier der wesentliche Unterschied zwischen der europäischen und der asiatischen Kriegskultur und -philosophie, wie Zhang Heng (2013) ausführt. Denn die chinesische Philosophie mit ihrer starken Begründung im Harmonischen betont das Kriminelle in jedem Krieg und vertritt die Sicht, dass selten tragfähige Lösungen entstehen, weshalb „Nicht-Krieg“ und „Vorsicht angesichts eines Kriegs“(Shen Zhan) von staatsphilosophischer Bedeutung sind. Eine Rechtfertigung für einen gerechten Krieg gibt es allenfalls bei fehlender Bereitschaft, das Herrschaftsprimat des Kaisers anzuerkennen. Da die konfuzianische Lehre ihren Schwerpunkt auf das harmonische Zusammenleben der Menschen als wesentlichen Zweck richtet, geht sie sehr vorsichtig mit umfassenden Wahrheitsansprüchen und extremen Positionen um und versucht sich, in die Position der Gegenseite hineinzuversetzen – ganz in einer Tradition des „audiatur et altera pars“ aus dem alten Rom; aber zugleich nimmt sie hieraus auch das Kalkül der Finte und des strategischen Handelns. Dann gilt es als Schwäche, wenn man zu früh Verhandlungspositionen räumt statt zu pokern – etwas, das Europa in den Verhandlungen mit China selten begreift. Insofern liegt die Gefahr im Umgang mit China im weitgehend fehlenden Verständnis seiner Verhaltensweisen. Der Westen hat diese Harmonie im 19. Jahrhundert, welches als Jahrhundert der Erniedrigung im Kollektivbewusstsein tief verankert ist, massiv gestört. Im Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China der Jahre 2018–2019 bewirkte dies ein geringes Vertrauen in die Bereitschaft des Westens, Verträge einzuhalten; am Ende dieses Kapitels wird dies weiter ausgeführt. Der Rekurs auf die Glanzzeiten des Lands im 18. Jahrhunderts übersetzt sich in den Anspruch, die eigene territoriale Integrität als „Ein China“ zu betonen. Zugleich folgt daraus das Bedürfnis, Institutionen zu schaffen, die dem eigenen Kulturkreis nahestehen und nicht Zeichen historischer westlicher Dominanz sind. Dies wird im vierten Kapitel unter dem Stichwort der Mythenbildung vertieft, im achten Kapitel territorial anhand der Seidenstraßeninitiative und im zehnten Kapitel im Beispiel aufgegriffen. Führung und Motivationsfragen der Heeresführung finden sich bei Ch’i Chi-kuang (1528–1588). Sein Buch Neue Abhandlung über den disziplinierten Dienst (1562) befasst sich mit Fragen des Rekrutierens, des Ausbildens und Führens von Soldaten sowie der notwendigen Anreize – und damit auch einem klar umrissenen Militärstrafrecht – enthält. Kai Werhahn-Mees (1980, S. 15) hat das chinesische Original ins Deutsche übertragen und kommentiert: „Was nun die kampfnahe Ausbildung betreffe, so sei der Charakter des Menschen von der Art, daß er liebe zu leben und hasse zu sterben. Die Kunst des Generals bestehe nun darin, daß sie liebten zu sterben und haßten zu leben. Das aber widerspräche dem Charakter des Menschen. Deshalb müsse in der Bereitschaft zu sterben, die Möglichkeit zum Überleben liegen. Mit einer solchen Einstellung würden Soldaten den Tod nicht mehr fürchten. Was Belohnung und Bestrafung von Soldaten anbelange, so solle man Lob und Anerkennung nicht immer nur durch Gold
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oder Silber ausdrücken, ein Wort, eine Geste seien oft viel wichtiger. Ebenso dürfte die Bestrafung nicht nur aus Gefängnis und Prügel bestehen, sondern auch hier könne ein Wort oder Schweigen wirkungsvollere sein.“ Man mag ökonomisch übersetzen: Erst die Bereitschaft zur Insolvenz macht möglich. Der politische Zweck, dem der Krieg nach Carl von Clausewitz als Mittel zu dienen hat und den Raymond Aron in seinem Klassiker Penser la guerre (1976) in die Zeitgeschichte einordnet, wird in der Erwiderung von Fürst Otto von Bismarck (1815–1898) besonders deutlich, der dem Vorwurf, den gefangenen Kaiser Napoleon III. nach dem Sieg bei Sedan (1./2.9.1870) zu rücksichtsvoll zu behandeln, mit Verweis auf die nicht im Irdischen anzusiedelnde Nemesis entgegnete (1870): „Allerdings ist die öffentliche Meinung nur zu sehr geneigt … unter anderem zu verlangen, daß bei Konflikten zwischen Staaten der Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand über den Besiegten zu Gericht setze und ihn für das, was er gegen ihn, womöglich auch für das, was er gegen andere begangen, zur Strafe ziehe. Ein solches Verlangen ist aber ungerechtfertigt; es zu stellen, heißt die Natur politischer Dinge, unter welche die Begriffe Strafe, Lohn, Rache nicht gehören, gänzlich mißverstehen; ihm entsprechen, hieße das Wesen der Politik fälschen. Die Politik hat die Bestrafung etwaiger Versündigungen von Fürsten und Völkern gegen das Moralgesetz der göttlichen Vorsehung, dem Lenker der Schlachten zu überlassen. Sie hat weder die Befugnis noch die Pflicht, das Richteramt zu üben. … Die Politik hat nicht zu rächen, was geschehen ist, sondern zu sorgen, daß es nicht wieder geschehe.“
Mit dem in der in der politischen Absicht begründeten Zweck und daraus den durch den Einsatz von Mitteln zu erreichenden, abzuleitenden Zielen folgt Carl von Clausewitz der Philosophie von Immanuel Kant (1785). In dieser wird der Zweck als etwas Absolutes gesehen, der sich nicht entwertet und über den kein anderer Zweck erhaben ist. Während es konkreter Entscheidungen bedarf, Ziele zu setzen, sind die Zwecke gegeben, oft als etwas Existentielles oder als Problemlagen. Ziele dienen der Erfüllung des Zwecks, tun sie es nicht, dann sind sie „ohne Sinn und Zweck“. Nur durch das Setzen zweckmäßiger und damit sinnvoller Ziele kann Führung als Motivationsaufgabe dauerhaft funktionieren. Werden Ziele durch den Einsatz von Mitteln erreicht, dann entfallen sie; neue Ziele sind aufzustellen. Der Zweck hingegen bleibt. Damit begründet Carl von Clausewitz (1832, S. 43–55) eine Zweck-Ziel-Mittel-Relation ganz im Sinne der modernen wirtschaftspolitischen Theorie (Blum 2004, S. 499–501). Die meisten Autoren, die sich mit dem militärischen Krieg oder dem Wirtschaftskrieg befassen, vollziehen diese durchaus sinnvolle Trennung von Zweck und Ziel nicht explizit nach. Karl-Ferdinand von Willisen (1919, S. 44) argumentiert: „Nur der Staat, das heißt die Leitung der Zivilregierung, kann die Ziele eines Wirtschaftskriegs bestimmen.“ Zu seiner Zeit erschien die Möglichkeit einzelner Unternehmen, aus Eigeninteresse einen Wirtschaftskrieg anzuzetteln, offensichtlich nicht durchführbar, obwohl man die Beispiele der Konquistadoren, der Handelsgesellschaften Englands und der Niederlande sowie gerade die Monopolisierung der Wirtschaft in Amerika um die Jahrhundertwende vor Augen hatte. Tatsächlich drückt sich hier die inzwischen faktisch überholte Vorstellung aus, der Staat sei in der Lage, die wirtschaftlichen Verhältnisse der
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Nation zu kontrollieren. Dieser auf den Staat orientierende Zweckgedanke scheint auch bei Georg Brodnitz (1920, S. 1) auf, wenn er als politisches Primat angibt, der Wirtschaftskrieg verfolge drei Ziele, und zwar • das kriegspolitische Ziel, nämlich das Unterstützen der militärischen Kriegsführung durch wirtschaftliche Maßnahmen; • das friedenspolitische Ziel, nämlich das Vereinnahmen möglichst vieler Unterpfände mit dem Ziel, bei Friedensverhandlungen die eigene Position zu stärken; • das wirtschaftspolitische Ziel, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit der gegnerischen Volkswirtschaft auf möglichst lange Zeit auszuschalten. Damit rücken hier zwei Aspekte in den Vordergrund, nämlich das staatliche Handeln in einem Wirtschaftskrieg, das immer im Kontext des Militärischen zu sehen ist, und zugleich die zeitliche Vorstellung einer möglichst langanhaltenden Schädigung. Dies steht im Einklang mit einer neueren Definition von Harald Pöcher (2005, S. 73): „Economic Warfare is a warfare based on non-military methods and means with the purpose to hit the opponent economy. At the end of the warfare the opponent’s economy should have lost market shares and the own economy should be better off.“ Diese Definitionen klammern das einzelwirtschaftlich-unternehmerische Handeln aus ebenso wie die Frage, welche Abwägungen den Einstieg in einen Wirtschaftskrieg sinnvoll machen.
2.1.3 Kriegskunst und wunderliche Dreifaltigkeit Sun Zi (o. D., S. 19) folgend zeichnet sich die Kriegskunst durch folgende fünf Konstanten aus, die der gute Führer beherrschen muss: „Das Gesetz der Moral veranlaßt die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig übereinzustimmen, so daß sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr erschrecken lassen. Himmel bedeutet Nacht und Tag, Kälte und Hitze, Tageszeit und Jahreszeit. Erde umfaßt große und kleine Entfernungen, Gefahr und Sicherheit, offenes Gelände und schmale Pässe, die Unwägbarkeit von Leben und Tod. Der Befehlshaber (General) steht für die Tugenden der Weisheit, der Aufrichtigkeit, des Wohlwollens, des Mutes und der Strenge. Methode und Disziplin müssen verstanden werden als die Gliederung der Armee in die richtigen Untereinheiten, die Rangordnung unter den Offizieren, die Behauptung der Straßen, auf denen der Nachschub zur Armee kommt, und die Kontrolle der militärischen Ausgaben.“
Im Krieg verwirklicht sich für Carl von Clausewitz die Durchsetzungsmacht durch Angriff und die Verhinderungsmacht durch Verteidigung, wobei der Krieg tatsächlich erst durch das Verteidigen beginnt, was wiederum den Wert der Abschreckung verdeutlicht. Dabei betont er im siebten Kapitel seines ersten Buchs besonders nachdrücklich acht Friktionen, also die Imponderabilien oder modern: die Transaktionskosten, die einen Erfolg verhindern können und an denen der Plan, also die Theorie, scheitern kann.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Sie lassen sich problemlos auf Rivalitätsbeziehungen zwischen Personen, Unternehmen oder Staaten übertragen. Er nennt die ungenügende Kenntnis des Gegners, die Zweifel und Unwägbarkeiten auslöst, Gerüchte, einschließlich verwirrender Berichte von Spionen, die Ungewissheit über die eigenen Fähigkeiten und Position, damit verbunden eine Asymmetrie zwischen der Papierlage und der realen Lage, die zu Fehleinschätzungen führen, sowie logistische Probleme. Besonders vermerkt er auch den Verlust an rationaler Kontrolle vor dem Ausbruch des Konflikts infolge starker subjektiver Eindrücke. Den Krieg als „ein wahres Chamäleon“ (Clausewitz 1832, S. 24) ordnet er entlang von drei Tendenzen auf drei Ebenen der Abstraktion, deren Durchmischung die Dynamik und das Wechselhafte ausmachen. Diese bezeichnet er als „wunderliche Dreifaltigkeit“, durch die er das Wechselspiel des Kriegs aus Gewalt, Zufall und politischem Werkzeug in seiner Vielschichtigkeit und Dynamik erfasst. Dabei sieht er drei übergreifende „Tendenzen“ des Kriegs am Werk: (1) dessen ursprüngliche Natur, (2) die Friktionen – modern Transaktionskosten – und schließlich (3) die Politik. Diese spiegeln sich an menschlichem Vermögen und institutionellen Trägern, sodass sich Abb. 2.1 ergibt: 1. Die oberste Ebene ist die des eigentlichen Kriegs, welcher sich durch Gewalt, Hass und Feindschaft auszeichnet – modern möchte man, auch gerade im Kontext des Tendenz 1
Tendenz 2 Abstrakte Ebene 1: der eigentliche Krieg und der Hintergrund seiner Intensität
Gewalt, Hass, Feindscha (Ehrgeiz, „level of ambion“)
Entscheidung (unter Ungewissheit)
Tendenz 3
untergeordnetes Werkzeug der Unternehmens-) Polik
Naturtrieb (Überlebenskampf)
Abstrakte Ebene 2: anthropologische und philosophische Begründung
freie Seelentägkeit (Kreavität, Intuion, Feigheit)
bloßer Verstand (Raonalität, Logik )
Club: Volk, Sippe (Firma)
Abstrakte Ebene 3: gesellschaliche Identäten und Rollen als Treiber des Konflikts
Hierarchie: Feldherr und sein Heer (CEO mit seinen operaven Einheiten)
Autonomie: Regierung (Vorstand)
Abb. 2.1 Die wundersame Dreifaltigkeit des Kriegs. (Quelle: eigene Darstellung)
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
23
Wirtschaftskriegs, besser von Ehrgeiz bzw. einem emotional vermittelten Anspruchsniveau, also dem „level of“, sprechen. Hier muss die Politik bzw. die Unternehmung über ihre Mittel unter Bedingungen der Ungewissheit entscheiden. 2. Die darunter liegende Ebene liefert aus anthropologischer und philosophischer Sicht den notwendigen Begründungszusammenhang. Dieser wird durch die Naturtriebe und, angesichts Ungewissheit bei Entscheidungen, auch von Kreativität, Instinkt, Moral und Intuition, aber auch Feigheit und Lethargie begleitet, die wiederum im Kontrast zu den logisch und verstandesgemäß eingesetzten Werkzeugen stehen. 3. Auf der dritten, der untersten Ebene, sind die gesellschaftlichen Identitäten und Rollen als Treiber des Konflikts zu nennen. Ohne die Leidenschaft der Völker, die sich in den Naturtrieben realisiert, wird die erforderliche Motivation auf übergeordneter Ebene – Hass und Feindschaft – nicht hinreichend ausgeprägt. Hier verwirklicht sich der Genius des Feldherren, der seine Streikraft richtig führt und die notwendigen – harten – Entscheidungen trifft. Ganz im Sinne der Politik als übergeordnetem Zweck übt die Regierung das Primat des Handelns aus. Ulrike Kleemeier (2002, S. 217) verweist darauf, dass sich damit eine klare Beziehung ergibt: Gewalt – Naturtrieb – Volk; Friktion – freie Seelentätigkeit – Streitkräfte und Politik – Verstand – Regierung. Mit einer gewissen Vorsicht kann man die drei Ausprägungen dem philosophischen Konzept von Platon zuordnen: Thymos ist eine der Gemütsbewegungen bzw. Grundmotivationen, die mit dem Erregungszustand verbunden ist und verweist auf das Anthropologische: die Feindschaft, die Gewaltbereitschaft und den Hass. Logos umfasst das Prinzip der Vernunft, also die Nutzung des Verstands. Eros schließlich beinhaltet die Lust, die Liebe zu anderen und auch eine Seelenverpflichtung in Verantwortung zu Höherem.6 Die Kunst der Rhetorik wird damit zu einer wesentlichen Qualität von Führungspersonen, wollen diese den benannten Dreiklang an ihre Untergebenen – gegebenenfalls auch an ihre Vorgesetzten als Träger des übergeordneten Willens vermitteln. Dabei dient rhetorische Kompetenz häufig auch dem Ziel, fehlendes Wissen zur verschleiern oder sogar Falsches, also fakenews, zu vermitteln; diese Schattenseite, auf die insbesondere auch Plato in seiner Kritik der Demokratie hinwies, wird im fünften Kapitel erneut aufgegriffen. Carl von Clausewitz (1832, S. 11–12) unterscheidet zwei Kriegsarten: • Als Krieg der ersten Art bezeichnet er den absoluten Krieg, der Dominanz und Vernichtung bewirkt und ein theoretischer Grenzfall ist, weil dann die Politik zurücktritt, die eigentlich den übergeordneten Zweck darstellt.
6Im
griechischen Verständnis ordnet sich Eros auch in die Machtbestrebungen der Eliten ein und wird damit zu einer öffentlichen Seelenangelegenheit. Insbesondere Thukydides hat sich diesem Aspekt, der auch einen Bezug zu den später diskutierten agonalen Staatsphilosophien herstellt, gewidmet.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
• Der Krieg der zweiten Art soll eine Kooperation erzwingen und entspricht der üblichen Realität. Damit verbunden sind als sogenannte Wechselwirkungen das Risiko der Eskalation und das ökonomische Kalkül, dass die Fortsetzung des Kriegs nicht mehr lohnt. Da sich aber die Widerstandskraft als Produkt aus Fähigkeiten und Willen ergibt, ist das Risiko einer maximalen Anstrengung, einen totalen Krieg zu führen, inhärent. Insgesamt ergibt sich durch diese dritte Wechselwirkung im Zusammenwirken mit den beiden anderen eine Tendenz zur permanenten Kriegsausweitung (Clausewitz 1832, S. 25–28). In The Direction of War führt daher Hew Strachan (2013, S. 59) aus, dass der Kampf bis zum Ende in der Logik der Wechselwirkungen mit dem politischen Zweckgedanken liegt – und tatsächlich ist diese Vorstellung auch heute vielen Rebellenorganisationen nicht fremd. Adolf Hitler hat ihn in Mein Kampf (1925) und auch kurz vor seinem Selbstmord erwähnt, und auch der Große Vaterländische Krieg Josef Stalins stellte einen Kampf bis zum Ende dar. René Girard (2007, S. 14–18; 108–109) verweist daher in seinem Buch Achever Clausewitz auf die letzte Konsequenz dieses Ansatzes in der Moderne: den Untergang nach totaler Eskalation. Denn vor dem Hintergrund einer zunehmenden Annäherung von Verhalten beim Optimieren effizienter Routinen aufgrund des steten Eliminierens ineffizienter Handlungsweisen ergäbe sich eine totale Reziprozität in der Wahl der Kampfmittel. Im Zweifelsfall sehe jeder seinen Angriff als Verteidigung, könne ihn damit problemlos moralisch begründen und die Eskalation erhöhen.7 Erst durch Verbote und durch Opfer – also durch das Abladen aller Schuld auf einen Sündenbock – könne diese Eskalationsspirale durchbrochen werden. Yuval Noah Harari verweist in Homo Deus – a Brief History of Tomorrow (2016, S. 75) darauf, dass ein Verhindern der Eskalation annähernd aussichtslos sei, weil der Eingreifende vor einem Komplexitätsproblem steht, die relevanten Wechselwirkungen nicht abschätzen zu können. Weiterhin grenzt Carl von Clausewitz (1832, S. 11–12) den kleinen vom großen Krieg ab: • Der kleine Krieg besteht meist aus begrenzten Operationen und versteht sich vor allem der Abnutzungs- und Auszehrungskrieg gegen einen überlegenen Gegner. Damit ist er partisanenhaft und entgrenzt und enthält Elemente, die heute als Teile der hybriden Kriegsführung betrachtet werden. • Der große Krieg hingegen umfasst die reguläre militärische Auseinandersetzung, und er ist im Sinne einer Theorie der Strategie auch Hauptgegenstand des Werks, aber ohne den kleinen Krieg auszuklammern, denn dies stünde auch im Gegensatz zu der postulierten Chamäleongleichheit.
7René
Girard (2007, S. 116) verweist dabei auf das Metaphorische der Begriffe Gift und Mitgift – die eben vergiftet sein kann.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
25
Der englische Generalstabsoffizier Charles Edward Callwell (1850–1928) hat das Thema des kleinen Kriegs als asymmetrischen Konflikt gegenüber einem Feind, der sich nicht zum offenen Gefecht stellt, vor allem vor dem Hintergrund der Kolonialkriege durchdrungen. In seinem Werk Small Wars – Their Principles and Practice (1896) definiert er diesen Konflikt vor allem über dessen strukturelle Eigenschaften. Es geht nicht um die Größenordnung, sondern die Art, also die Asymmetrie, die bereits von Carl von Clausewitz angesprochen wurde, die er dem regulären Krieg gegenüberstellt. Sie finden als Kampagnen für Eroberung und Annektion, als Vergeltungsmaßnahmen oder zum Niederwerfen eines gefährlichen Feindes statt. Dabei begünstigt die strategische Ebene den irregulär operierenden Feind infolge von dessen erhöhter Beweglichkeit, während die übliche Taktik, wenn sie denn möglich ist, regulären Armeen einen Vorteil bringt. Zentral ist dabei die Informationsüberlegenheit der irregulären Kräfte, weshalb den Aufklärungs- und Informationsabteilungen ein hoher Stellenwert für das erfolgreiche Bestehen von Konflikten zukommt. Ein normaler Sieg reicht in einem solchen Konflikt nicht, weil der Feind sein Besiegtsein nicht anerkennt, weshalb eine Strategie der verbrannten Erde anzuwenden sei, wie die auch Dieter Langewiesche (2019, S. 352–355) ausführt. Sehr gut lassen sich diese Bilder auf den ökonomischen Konflikt zwischen alten, eher unbeweglichen Konzernen und hochmobilen Gründern anwenden.8 Damit werden auch die drei Ebenen deutlich, die seitdem das militärische Handeln leiten (Lütsch 2017, S. 18): Die politische Ebene, also die des Zwecks, die strategische Ebene, also die Gliederung in Gefechte mit dem Ziel, den Gegner zu vernichten, und die taktische Ebene, also die Einzelhandlungen innerhalb der Gefechte. Heinz Guderian (1888–1954) hat deren Bündelung zum Erzielen durchschlagender Effizienz als einer der ersten in den beiden Schriften Achtung – Panzer! Die Entwicklung der Panzerwaffe, ihre Kampftaktik und ihre operativen Möglichkeiten (1937a) und Die Panzertruppen und ihr Zusammenwirken mit den anderen Waffen (1937b) beschrieben. Bolko von Oetinger, Thila von Ghyczy und Christopher Bassford (2003, S. 30–36) haben in ihrem Buch Clausewitz – Strategie denken diese wesentlichen Strukturen für das moderne Management aufbereitet und verweisen auf eine Dialektik im Denken dieses Kriegstheoretikers mit dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Offensichtlich wird immer ein Prinzip einem anderen gegenübergestellt: Sein-Nichtsein; Konflikt-Chance; Theorie–Genie; Prinzipien-Kreativität; Verstand-Gemüt; Handeln-Denken; Wagemut-Vorsicht. Aber auch: Willen-Gegenwillen; der Feind als plötzlicher Freund. Jedes Prinzip wird durch ein anderes in Schach gehalten. Allerdings geht es Carl von Clausewitz nicht um Synthese, sondern um Balance als Möglichkeit, den Krieg effizient als Mittel der Politik zu führen. Lennert Souchon (2012, S. 67) führt hierzu aus, die Gegenüberstellung diene dem Klären der Unterschiede im Sinngehalt. Einen klaren Sinngehalt gewinnt das kontrastive System, wenn man das der chinesischen
8Ein
guter Überblick findet sich bei Bradley Potter (2016).
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Philosophie entlehnte daoistische Prinzip von YIN und YANG bemüht – beispielsweise: in jedem Konflikt liegt eine Chance – jede Chance birgt wiederum Konfliktpotential. Wie Carl von Clausewitz (1832) in seinem sechsten und siebten Kapitel schreibt, interagieren diese Prinzipien mit den Handlungsebenen, die in Strategie9, Operation und Taktik ihre Ausprägung finden, weshalb Führungsgrundsätze, die sogenannte Kriegskunst, als interne, theoretische Orientierung ebenso bedeutsam sind wie die legalistische externe Ordnung, insbesondere im Völkerrecht. Erfolg bedeutet in einem Krieg, eine konkurrierende Ordnung zerstört zu haben. Der Beginn eines Kriegs verdeutlicht, dass die übergeordneten Normen, wenn sie existierten, die Rivalität nicht eindämmen konnten. Möglicherweise wurden oder werden sie selbst im Rahmen der Auseinandersetzung zerstört. Wesentliche Maßstäbe dafür sind die eigenen rules of engagement. In einem militärischen Krieg werden Waffen eingesetzt, die Folgen davon sind u. a. Zerstörung, Verwundung und Tod. Das Ergebnis kann Sieg, Waffenstillstand oder Niederlage sein. Mäßigung erscheint nicht angebracht, wenn Carl von Clausewitz (1832, S. 26) schreibt, dass „nie … in der Philosophie des Krieges selbst ein Prinzip der Ermäßigung hereingetragen werden [kann], ohne eine Absurdität zu begehen.“ Diese Aussagen gelten analog für den Wirtschaftskrieg, der hauptsächlich – aber eben nicht nur – wirtschaftliche Instrumente als Waffen nutzt; diese liegen aber im Gegensatz zu einem funktionsfähigen Wettbewerb außerhalb der Ordnungsprinzipien, gelten also als amoralisch; bekannt sind u. a. Boykotte oder das feindliche, gezielte Zerstören der Reputation von Konkurrenten. Wirtschaftskrieger können Individuen, Unternehmen und Staaten sein. Im Angesicht des Feindes ist „die Vernichtung seiner Streitkräfte das Hauptziel des ganzen kriegerischen Aktes“ (Clausewitz 1832, S. 583), sodass eine Fortsetzung des Kampfs nicht möglich ist. Analog gilt dies für den Wirtschaftskrieg als wohlstandsgefährdende Handlung. Es kracht und raucht nicht wie bei einem militärischen Konflikt, trotzdem sind materielle Zerstörung, das Verletzen bzw. Zerstören der persönlichen Integrität, möglicherweise Tod (oft Selbstmord gescheiterter Wirtschaftskrieger) die Folge. Annähernd gleichzeitig zu Vom Kriege veröffentlichte Antoine-Henri Jomini (1779– 1869) sein Werk Précis de L’art de Guerre (1836).10 Er hatte nie eine soldatische Ausbildung genossen, stieg aber aufgrund seiner Passion für die Analyse historischer Schlachten, deren strukturelle Auswertung und damit der Fähigkeit, Kriegsgeschehen vorherzusagen, in den Armeen der Schweiz, Frankreichs, Russlands und Preußens zu einem wichtigen Generalstabsoffizier auf. Er grenzt die Militärpolitik als konkrete
9Helmuth
Graf von Moltke definierte in seinem Aufsatz Über Strategie (1871) diese als „die Fortbildung des ursprünglich leitenden Gedankens entsprechend den stets sich ändernden Verhältnissen, die Kunst des Handelns unter dem Druck der schwierigsten Bedingungen“, und ordnet sich damit in den letzten Zweck des politischen Handelns im Sinne von Carl von Clausewitz ein (Gohl 2013, S. 202). 10Ein guter Überblick findet sich bei Christoph Abbeglen (1995).
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
27
Auseinandersetzung von der Kriegspolitik als staatliche Aufgabe, ganz im Sinne des Zwecks bei Carl von Clausewitz, ab. Weitere Teile der Kriegskunst bestehen aus der Strategie als Fähigkeit, eine Armee effektiv einzusetzen, der großen Taktik – heute würde man Ebene der Operationen sagen – als einer integrierten Schlachtenplanung, der Logistik als Fähigkeit der flexiblen Führung von Armeen in Raum und Zeit, dem Ingenieurwesen, das sich vor allem mit dem Angriff oder der Verteidigung von Festungen zu befassen hat, und schließlich der Taktik im Detail. Der militärische Führer ordnet das große Kriegstheater mit den strategischen Fronten in einzelne Operationsgebiete, die nachgelagerten Operationsfronten und die zugehörigen Operationslinien. Ganz deutlich wird in diesem sehr strukturierten Vorgehen das Erkenntnisziel, eine Abstraktion, also Verallgemeinerung zu erzielen, die Regelbildung und damit das sinnvolle Lernen für konkrete Einzelfälle ermöglicht – was den Erfolg von Antoine-Henri Jomini ausmachte und auch Vorbildcharakter für wirtschaftskriegerisches ökonomisches Denken besitzt.
2.1.4 Rivalität, Gewalt und die Definition des Wirtschaftskriegs Rivalität wird hier im Sinne von Reuven Brenner (1983, 1987) als universelles gesellschaftliches und vor allem anthropologisches Phänomen beschrieben, so wie es bereits Josef Schumpeter (1912, 1942) in seinem Konzept der Wirtschaft und der Demokratie getan hat. Sie hat an Breite und Tiefe zugenommen, weil immer mehr Lebensbereiche dem Primat der Märkte unterworfen wurden, was bereits das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels (1848) vorhersah, und weil durch die Globalisierung die Wettbewerbsintensität durch die Vielzahl neuer Rivalen anstieg. Dieser Siegeszug des Wettbewerbsprinzips wird an der schöpferischen Zerstörung sichtbar, die dann eben nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Triage bedingt, wenn Grenzen überschritten wurden; das Brechen von Regeln als Element der Überraschung – das Brechen von Regeln als Regel – zählt zu den wichtigen Erfolgskriterien der Kriegskunst in der Tradition von Carl von Clausewitz (1832). Selektion bedeutet auch Gewalt, die nicht immer als Wirtschaftskrieg bezeichnet werden darf, und dies gilt insbesondere dann, wenn sie Teil eines durch Regeln eingerahmten Wettbewerbs ist – abseits dessen der Wirtschaftskrieg lauert. Deshalb nimmt in der Kriegslehre die Diskussion über die moralische und die rechtliche Kategorisierung der Gewalt einen wichtigen Stellenwert ein. Ihre Bedeutung wird im dritten und vierten Kapitel verdeutlicht. Denn zunehmend herrscht eine Vorstellung vor, die im Sinne von Friedrich Nietzsche (1844–1900) ein Überleben der Schwachen – auch aus Angst vor deren Nihilismus – ablehnt.11 Die Vorstellung, dass sich Menschen an der frontier
11Zitat aus dem Antichrist (1894): „Die Schwachen und Mißratenen sollen zu Grunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“
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bewähren müssen, ist nicht nur der amerikanischen Gesellschaft an vielen Stellen sympathisch; sie wurde auch von Soziologen wie Max Weber (1895) in seiner Antrittsrede in Freiburg12 als zentral für die Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft erachtet. Was ist folglich unter einem Wirtschaftskrieg zu verstehen? Trotz häufiger Verwendung gibt es für ihn bisher keine stringente und allgemein akzeptierte Definition. Mit Sicherheit ist er mit ökonomischer Gewalt – analog zu militärischer Gewalt – verbunden und getrieben von starkem Dominanzstreben. Besonders erstaunlich ist es, wenn Ökonomen ein Buch zum Wirtschaftskrieg oder zu Wirtschaftsschlachten schreiben, beispielsweise Lester Thurow (1992) Head to Head – the Coming Economic Battle among Japan, Europe and America im Nachgang zur Neuordnung der Welt nach dem Fall der Mauer, ohne diesen Kampf hinlänglich ökonomisch zu präzisieren. In der viele historische und aktuelle Beispiele auswertenden Schrift von Robin Thomas Naylor (1999) Economic Warfare – Sanctions, Embargo Busting and their Human Cost findet man keine stringente, übergreifende Begriffsbestimmung. Tatsächlich wird der Wirtschaftskrieg weitgehend synonym als handelsbeschränkende Maßnahmen betrachtet; er betont also die staatliche Ebene. Sönke Neitzel (2010, S. 50) verwendet in seinem Beitrag Von Wirtschaftskriegen und der Wirtschaft im Kriege eine weitgefasste Definition: „Es handelt sich hierbei um Konflikte, die im Wesentlichen mit wirtschaftlichen Mitteln ausgetragen werden, auf die Wirtschaft zielen oder deren Ausgang von ökonomischen Faktoren dominiert wird. Wirtschaftskriege können somit Teil eines ‚heißen Krieges‘ sein, aber auch in Friedenszeiten ausgetragen werden, man denke an Handelsblockaden, Embargos oder Zollkriege, insbesondere in der frühen Neuzeit. Entscheidend ist, dass ökonomische Aspekte einen Krieg oder – in Friedenszeiten – den Charakter der bilateralen Beziehungen bestimmen.“ Dabei wirken vier wesentliche Charakteristika prägend für den ökonomischen Gehalt des Konflikts, nämlich Kriegsursachen, Kriegsziele, Kriegsführung und Kriegsfolgen. In erster Annäherung kann als Wirtschaftskrieg ein rivaler Prozess unter Nutzung von wirtschaftlicher Gewalt zum Durchsetzen eigener wirtschaftlicher Interessen mit dem Ziel, Überlegenheit zu bewahren bzw. zu erzwingen und langfristig zu sichern, bezeichnet werden. Üblicherweise finden derartige Auseinandersetzungen unter Kollektiven statt; mindestens eine Partei sollte als Einheit mit Gruppeninteressen ausgestattet sein. Das Ausüben von Gewalt wiederum ist mit Macht, mit Herrschaft, mit illegitimem Zwang und möglicherweise auch mit der Beeinträchtigung der körperlichen
12Zitat
aus Weber (1895): „Und wir dürfen uns nicht der optimistischen Haltung hingeben, daß mit der höchstmöglichen Entfaltung wirtschaftlicher Kultur bei uns die Arbeit getan sei und die Auslese im freien und ‚friedlichen’ ökonomischen Kampfe dem höher entwickelten Typus alsdann von selbst zum Sieg verhelfen werde. Nicht in erster Linie für die Art der volkswirtschaftlichen Organisation, die wir ihnen überliefern, werden unsere Nachfahren uns vor der Geschichte verantwortlich machen, sondern für das Maß des Ellenbogenraums, den wir ihnen in der Welt erringen und hinterlassen.“
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
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Unversehrtheit verbunden.13 Wie John Darwin (2013) in seinem Buch Unfinished Empire schreibt, zählt diese organisierte Gewaltausübung zu den wesentlichen Treibern des militärischen und ökonomischen Kolonialismus und zugleich der nationalen Identitätsfindung. Das Gewalttätige der modernen Wirtschaft ist den Menschen durchaus bewusst: Zwar ist seine Bedeutung für den Wohlstand völlig unbestritten, aber die Menschen assoziieren mit ihm in hohem Maße auch Gier, Rücksichtslosigkeit und Ausbeutung (Petersen 2013). Später wird gezeigt, dass nicht immer nur wirtschaftliche Gewalt den wirtschaftlichen Zielen dient – oft dient auch militärische Gewalt wirtschaftlichen Zielen oder wirtschaftliche Gewalt militärischen Zielen. Jörg Baberowski (2015) zeigt in seinem Buch Räume der Gewalt, dass Kriegsgräuel, Massaker und Völkermord kein Zivilisationsbruch, sondern Normalität sind. Sie lauern latent überall, sind gewissermaßen eine Konstante entgrenzten menschlichen Handelns. Er rekurriert hierbei auf Thomas Hobbes und Sigmund Freud sowie auf die moderne Anthropologie und Ethologie, erteilt aber zugleich der Suche nach Tätermotiven eine Abfuhr, weil befriedigende – man könnte sagen: kausale und rationale – Antworten nicht möglich scheinen. Insofern mag es nicht verwundern, dass die wirtschaftliche Gewalt, die gerade vom Finanzsektor in der Weltwirtschaftskrise ab 2008 ausging, zu körperlichen Kollateralschäden führte, die die individuell Verantwortlichen – gleich den Konquistadoren der spanischen Krone – weitgehend unberührt ließen. Wolf Schneider (2014, S. 94) beschreibt in seinem Buch Der Soldat: eine Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien – ein Nachruf den Krieg als „wechselseitiges Massentöten mit gutem Gewissen“. Durch das Massenhafte ergibt sich eine Abgrenzung zur Kriminalität, durch das gute Gewissen zum Bandenkrieg. Der Krieg unterliegt einer Ideologisierung, der Idee einer gerechten Sache, um die gewissenlose Mission voranzutreiben. Tatsächlich impliziert das gute Gewissen staatliche Legitimität mit Folge von Straffreiheit innerhalb des vom Völkerrecht gesetzten Rahmens14 – wenn
13Aus Sicht des Wirtschaftskriegs ist es bemerkenswert, dass die Charta der Vereinten Nationen in Artikel 2 Nr. 4 von einem Gewaltverbot, nicht hingegen von einem militärischen Gewaltverbot spricht. Erst in den Artikeln 39 (Feststellung einer Bedrohung, eines Bruchs des Friedens oder eines Angriffs), 41 (Maßnahmen außerhalb der Waffengewalt, vor allem wirtschaftliche Maßnahmen) und 42 (militärische Maßnahmen) differenzieren den Gewaltbegriff; vgl. Vereinte Nationen (o. D.). 14Der Historiker Stefan Kühl (2014) postuliert in seiner Analyse der Massentötungen im Dritten Reich: Ganz normale Organisationen – Zur Soziologie des Holocaust eine Verrohungsthese, weil durch die alltäglichen Erschießungen und Deportationen das vorgeblich rechtmäßige in den Augen der Öffentlichkeit bestätigt wurde und somit eine Grauzone zur Legalität entstand. Auch im Bankensektor galt der Verkauf von Schrottpapieren an unbedarfte Rentner, nachdem es alle Finanzhäuser gemacht hatten, schließlich als normal. Erst Katastrophen führen zur Neujustierung des Bewusstseins für Legales und Legitimes. Carroll P. Kakel III (2013) stellt in seinem Buch The American West and the Nazi East. A Comparative and Interpretative Perspective den deutschen Vernichtungskrieg im Osten in Relation zum amerikanischen Vernichtungskrieg im Westen und zeigt, dass Ausrottung ein wesentliches Kriegsziel sein kann.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
dieses eingehalten wird, was oft nicht geschieht. Stehen in einer Gesellschaft der Wert des Lebens aus der Sicht des Individuums und das Überleben des Staats aus kollektiver Sicht an oberster Stelle, so wird in der Wirtschaft die ökonomische Werthaltigkeit betont. Implizite Ziele jedes Kriegs sind Dominanz und das Durchsetzen des eigenen Imperativs, die in einer Definition hinzutreten müssen. Ob die gewünschte Überlegenheit tatsächlich erreicht wird, bleibt offen – ganz wie bei einem militärischen Krieg: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten derartigen Auseinandersetzungen nicht mehr im klassischen Sinne gewonnen, bei wirtschaftlichen, die später in Beispielen betrachtet werden, gelang dies durchaus. Im Extremfall existiert eine Parallelität von Ausrottungskrieg und ökonomisch verbrannter Erde.15 Karl-Ferdinand von Willisen (1919, S. 5) sieht den Wirtschaftskrieg weitgehend als Tätigkeitsfeld des Staats bzw. in einem staatlichen Rahmen verortet, weil er ihn von der Friedensordnung abgrenzt, die völkerrechtliche und nicht privatrechtliche Relationen beinhaltet. In seinem Buch Begriff und Wesen des Wirtschaftskrieges definiert er: „Unter Wirtschaftskrieg verstehen wir demnach einen Zustand, der durch gewaltsame Anwendung von Mitteln, die mit den völkerrechtlichen und privatrechtlichen Normen des Friedens unvereinbar sind, mit der Absicht geschaffen wird, die Volkswirtschaft eines anderen Staates zur Erreichung eines politischen Zieles oder darüber hinaus, auf möglichst lange Dauer zu schädigen.“ Georg Brodnitz (1920, S. 1) ordnet den Wirtschaftskrieg in die Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs ein, wenn er postuliert, England habe von Anfang an nicht nur mit militärischen, sondern auch mit wirtschaftlichen Mitteln gekämpft. In seinem Buch Das System des Wirtschaftskrieges wird diese Orientierung deutlich: „Unter dem Wirtschaftskrieg verstehen wir die Gesamtheit der unter Kriegsrecht zur wirtschaftlichen Niederringung des Gegners ergriffenen Maßnahmen. Es fallen hierunter also weder reine militärische Vorgänge, auch wenn sie tatsächlich wirtschaftliche Schädigungen bewirken, noch die während des Krieges, aber nicht aufgrund des Kriegsrechts zur Stärkung der eigenen Volkswirtschaft getanen Schritte.“ Die Übertragung der von Wolf Schneider (2014) vorgeschlagenen Definition muss prüfen, ob – und gegebenenfalls weshalb – es zu einer massenhaften Aufopferung von Menschen im militärischen Krieg und – in Analogie – von Gütern im Wirtschaftskrieg bei gutem Gewissen kommen kann. Mit Sicherheit ist im militärischen Bereich eine nachhaltige Desensibilisierung gegen die Tötungshemmung zu nennen. Martin van Creveld (2011, S. 10) verweist in seinem Buch Kriegs-Kultur auf die
15Der Erste Opiumkrieg (1839–1842) ist ein geeignetes Beispiel dafür, als England aus wirtschaftlichen Gründen das Kaiserreich China gezwungen hat, das englische Handelsbilanzdefizit durch die Duldung des Opiumhandels auszugleichen – was die Wirtschaft und Gesellschaft des gesamten Lands nachhaltig ruinierte, wie später im zehnten Kapitel ausgeführt wird. Die Effekte des Wirtschaftskriegs von Unternehmen kann man an der Kapitalvernichtung (am sogenannten Geldverbrennen) von Aktiengesellschaften sehen.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
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der Menschheitsgeschichte eigene Kriegskultur zurück, die sich nach außen durch Zeremonien, klassische Kulturgegenstände – Skulpturen, Monumentalbauten, Gemälde, Musik – ebenso darstellt wie nach innen durch Motivation, Aufopferungswillen, Gemeinschaftsverständnis und -erlebnis sowie durch das Oszillieren zwischen Kampffreude und Leid. Grund dafür ist die gewaltbereite Rivalität der Menschen, vor allem der Männer, weshalb sie sich in Gefahren begeben und dabei bereit sind, das eigene Leben zu opfern. Er verweist darauf, dass diese Opferbereitschaft mit einem wesentlichen Kulturfaktor verbunden ist, der einen Rahmen um das Kriegerische setzt und es überhöht. Vorbereitet wird diese Kriegskultur im Sport, der beispielsweise in der angelsächsischen Welt ebenso wie in Israel und historisch in Rom und in Griechenland eine wichtige Rolle zur Kriegsertüchtigung spielt. Neben dem Austragen dieser oft gewalttätigen Rivalität findet aber auch ein intellektueller Wettbewerb statt, zum Beispiel bei Brettspielen, die die strategischen Fähigkeiten betonen und damit eine enge Verwandtschaft zu Strategie- und Planspielen aufweisen. Zur Kultur zählt auch eine Vielzahl von Ritualisierungen, die gerade bei Kriegserklärungen sichtbar werden: vom Austausch diplomatischer Noten, welche die Kriegsgründe erläutern, bis hin zum Entsenden von Abgesandten, die, um Immunität zu gewährleisten, oft aus der geistlichen Klasse stammen.16 In seiner Kulturgeschichte des Kriegs verweist Bernd Hüppauf (2013) darauf, dass Kriege nicht nur gewalttätige Handlungsabläufe darstellen, sondern auch durch die Vorstellung der Menschen zu wesentlichen Faktoren der kulturellen Identitätsstiftung und Gemeinschaftsbildung werden – insbesondere zur Mythenbildung beitragen. Und er verdeutlicht im pessimistischen Sinne, dass der Cyberkrieg als verborgener Krieg einen erheblichen Druck auf die Sicherheitsethik der Moderne, also die Regelwerke, ausüben wird. Oft wurden vor dem Kampf Absprachen zum Aufstellen der Truppen und dem Zeitpunkt des Beginns der Auseinandersetzung getroffen. Kultur ist dabei(Casimir 1994, S. 44) als „Summe von Verhaltensmustern aufzufassen, die durch die […] Fähigkeit zur Traditionsbildung von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.“ Die Informationsträger dieser Kultur werden als Meme bezeichnet. Auch der Wirtschaftskrieg kennt derartige kulturelle Rituale, die heute besonders bei Unternehmensübernahmen zu finden sind, beispielsweise bei den Ankündigungen, den Angeboten oder dem Prozedere der Altaktionärsabfindung, die den Eindruck legitimen Handelns vermitteln sollen, um damit Hemmungen durch ein Gefühl des fair play zu überwinden. Sichtbar wird diese Entsprechung an den Orgien mancher Investmentbanken nach ertragreichen Spekulationssiegen, die Siegesriten nach gewonnenen
16Vor
diesem Hintergrund ist es als außerordentlich bedenklich anzusehen, wenn die USA dem IS im Nahen Osten offiziell den Cyberkrieg erklären. Denn damit implizieren sie nicht nur eine Staatlichkeit im Sinne des Kriegsrechts – es öffnet auch allen anderen die Möglichkeit zur Nachahmung, weil ein Damm gebrochen ist; es ist die erste derartige Kriegserklärung (Kurz 2016a).
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Schlachten ähneln und zu erstaunlichen Auswüchsen führen können.17 Die „Pathologie der Macho-Kultur“ erinnert, wie Arno Grün (2015, S. 31) es in seinem Buch Wider den Terrorismus nennt, besonders fatal an das Gebaren terroristischer Banden, die ihre Identität durch Gewalt – im ökonomischen Bereich: durch wirtschaftliche Gewalt – zu finden suchen und für die Leid und Schmerz Schwäche bedeutet. Gleichermaßen haben diese Gruppen bei ihrem regelüberschreitenden Handeln ein gutes Gewissen; zumindest sind die Gewissensbisse nicht hinreichend groß, um ein wirtschaftskriegerisches Handeln zu unterbinden. Fasst man diese Aspekte, einschließlich der grundlegenden Intentionen, welche die wirtschaftliche Auseinandersetzung begründen, zusammen, so gilt als abschließende Definition: Wirtschaftskrieg ist der bewusste, aggressive Einsatz geeigneter Mittel zum Zerstören bzw. Entwerten des Humankapitals, Sachkapitals, intellektuellen Kapitals und Organisations- bzw. Sozialkapitals eines wirtschaftlichen Rivalen durch Individuen, Unternehmen und/oder Staaten ohne moralische Bedenken oder unter deren Rechtfertigung bzw. deren Hintanstellung in einem abgegrenzten Markt, um wirtschaftliche Dominanz zu erhalten oder zu erzielen.
Das intentional Aggressive erscheint deshalb als kennzeichnend, weil der Rivale sichtbar und direkt angesprochen wird, anders als im Idealfall des polypolistischen Wettbewerbs, in welchem er anonym bleibt. Nur unvollkommener Wettbewerb macht das Gegenüber identifizierbar – kann also zu einem Wirtschaftskrieg eskalieren. Gerade dann, wenn der Wirtschaftskrieg bzw. dessen Androhung verhaltenserzwingend wirken soll, ist das Intentionale nicht zu verleugnen – und wird meist auch offen kommuniziert. Schließlich richten sich die Mittel auf Zerstörung: Das intellektuelle Kapital umfasst das kodifizierte Wissen (z. B. Patente, Gebrauchsmuster, Marken, Normen), also die sogenannten intellektuellen Eigentumsrechte. Das Organisationskapital deckt die institutionellen Arrangements auf der Ebene der Unternehmen, das Sozialkapital auf der des Staats ab, reicht möglicherweise sogar bis in private Bereiche hinein. Ohne Bedenken verweist darauf, dass entweder die ethische Referenz fehlt oder diese nicht relevant ist, weil die Antriebe (Gier) die Bedenken (Moral) überwiegen; dies gilt besonders bei allmächtigen moralischen Überlegenheitsvorstellungen. Weiterhin können moralische Bedenken hintenangestellt werden, weil der Wirtschaftskrieg, beispielsweise
17Das
Buch von Kevin Ross (2015) Young Money: Inside the Hidden World of Wall Street’s Post-Crash Recruits vermittelt hiervon einen Eindruck ebenso wie das Buch von Maureen Sherry (2016) Opening Belle, in dem sie ihre Erlebnisse in der Macho-Welt bei Bear Stearns dokumentierte. Der Film von Martin Scorsese (2013) Wolf of Wall Street und der Dokumentarfilm Inside Job von Charles Ferguson (2010) runden diese Bilder ab. Sie erinnern an die Orgien und die Ausschweifungen der führenden Schichten, die der große jüdisch-hellenistische Philosoph Philon von Alexandrien (ca. 10 v. Chr.–ca. 40 n. Chr.) in seinem Buch De Vita Contemplativa beschreibt, sobald das Feld des geordneten Wettbewerbs verlassen ist und Siegesfeiern zu Orgien werden.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
33
ein Boykott, einer höheren Sache dient. Schließlich ist für die Definition als viertes Element der Erfolg, die stabilisierte oder erzielte wirtschaftliche Dominanz, entscheidend. Inwieweit das Handeln – trotz guten Gewissens – legitim oder legal ist, wird im fünften Kapitel geprüft. Hier sei nur erwähnt, dass sich durchaus widersprechende Rechtssysteme bzw. -auffassungen gegenüberstehen können. Manche Wirtschaftskriege sind legal, wenn sie – analog zu einer militärischen Intervention – völkerrechtlich legitimiert werden, beispielsweise von den Vereinten Nationen. Der Eindruck, scharfer Wettbewerb werde immer stärker zu Wirtschaftskrieg, trügt nicht, denn tatsächlich werden heute die Märkte weit schneller umgeschichtet als früher, weshalb die Entwertungen aller Formen des Kapitals schneller und vollständiger ablaufen. Man spricht davon, die Wettbewerbsintensität, also die Geschwindigkeit, mit der Vorsprungsgewinne erodieren, habe zugenommen. Vor allem bei hochspezifischen Investitionen kann die Nutzung meist nur im Kontext eines konkreten Unternehmensprozesses profitabel erfolgen. „Verletzte“ Kapitalien auf dem ökonomischen Schlachtfeld sind dann bezogen auf die hohe Fortschrittsgeschwindigkeit so stark verwundet, dass keine Chance zu einer sinnvollen Triage besteht. Ein Wirtschaftskrieg spielt sich in einem nach räumlichen, sachlichen und zeitlichen Kriterien abgegrenzten relevanten Markt ab. Der räumliche Markt wird von Carl von Clausewitz (1832) als Kriegstheater bezeichnet. Nur innerhalb einer derartigen Abgrenzung bzw. Grenzziehung ist die Definition des Wirtschaftskriegs mit Inhalt zu füllen. In ihm sind die sachlichen, räumlichen und zeitlichen Schwerpunkte zu bilden, die in Vom Kriege vielerorts betont werden ebenso wie die inhaltliche Konzentration auf die wesentliche zu erbringende Leistung. Denn ansonsten wären die sachlichen Folgen nicht klar zu erfassen. Ebenso wäre die Frage zu klären, ob die Folgen dauerhaft sind – also eine totale Vernichtung bedeuten, bei Carl von Clausewitz ein großer Krieg erster Art – oder nur zeitlich begrenzt wirken, also eine wirtschaftliche Erholung möglich ist – und je schneller das gelingt, desto eher wird er zu einem kleinen Krieg zweiter Art. Diese Überlegung zu dauerhaften Wirtschaftskriegsfolgen und Möglichkeiten der Erholung wird besonders deutlich am Verfall der globalen Unternehmenswerte in Abb. 2.2 als einem verkürzenden und summarischen Indikator im Nachlauf der Weltfinanzkrise. Der Wirtschaftskrieg als Konzept legt es nahe, auch sein Gegenteil zu denken – den Wirtschaftsfrieden. Mit Sicherheit findet sich dieser idealtypisch im Polypol, aber auch im (Innovations-) Wettbewerb, der die Positionen aller Marktteilnehmer (langfristig) verbessert. Beides beinhaltet, anders als möglicherweise im gesellschaftlichen und vor allem im religiösen Bereich, keine Vorstellung von Harmonie. Hermes Andreas Kick (2013, S. 210) schreibt daher: „Frieden ist dann weder einfach Harmonie noch Krieg. Frieden ist dann ein Neutrum (weder das eine noch das andere).“ Das Friedenskonzept der Antike, nämlich das „einer Unterbrechung des Krieges unter Fortdauer des Kampfes zumindest des Spannungsverhältnisses (Agon)“ erscheint somit nicht als eine zweckmäßige Kategorisierung.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Wert in Milliarden US$
80.000.000 70.000.000 60.000.000 50.000.000 40.000.000 30.000.000 20.000.000 10.000.000 0
Abb. 2.2 Globale Börsenwerte, 2003 bis 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Zschäpitz 2016b und Bloomberg)
2.1.5 Neue Kriegsformen und der hybride Krieg Herfried Münkler (2002, S. 7–9, 27, 134, 190) sieht in seinem Buch über Die neuen Kriege Kriegsunternehmer als wesentliche Treiber des Systems, die sich aus den Rohstoffen, Auftragsgeldern oder – ganz wie im Dreißigjährigen Krieg – aus der bekriegten Region finanzieren, während der Staat nicht mehr der ursprüngliche Kriegsmonopolist ist. Damit ist oft nicht mehr klar, wo und wann der Krieg beginnt, und es existieren keinerlei vertragliche Beendigungen, was Analogien zu manchen Wirtschaftskriegen aufzeigt. Die Dezentralisierung von Partisanentum (defensiv) und Terrorismus (offensiv) als Merkmale der asymmetrischen Kriegsführung18 nutzt die Zivilbevölkerung
18Klassisch
ist die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten in einem kriegerischen Geschehen, aber auch zwischen postheroischen Gesellschaften und naturalistischen Gesellschaften bzw. zwischen einer territorialen oder einer virtuellen Auseinandersetzung, wobei letztere die Frage aufwirft, ob es gelingen kann, geographische Schutzzäune um virtuelle Gefechtsfelder zu ziehen. Der exzessiven Verwässerung des Begriffs bei Felix Wassermann (2015) in Asymmetrische Kriege: Eine politiktheoretische Untersuchung zur Kriegsführung im 21. Jahrhundert wird nicht gefolgt, macht sie doch strategische, operative oder taktische Vorteile schnell zu einer Asymmetrie und verirrt sich damit in Denkkategorien, die auf der Ebene von Fähigkeiten, Bereitschaften und Willen zu verorten sind. Gemäß der Genfer Konvention (1864) und der Haager Landkriegsordnung (1899) müssen Kombattanten als solche gekennzeichnet sein, beispielsweise durch eine Uniform oder eine Armbinde, ihre Waffen sichtbar tragen und unter einheitlicher Führung stehen. Nichtkombattanten können im Krieg zu schützende normale Zivilisten sein, aber auch Personal, das in den Streitkräften als Militärgeistlicher oder als Zivilpersonal dient. Sogenannte irreguläre Kräfte sind zunächst ganz einfach Straftäter nach den gültigen Gesetzen. Der Kombattantenstatus wurde für innerstaatliche Auseinandersetzungen nicht definiert.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
35
als unmittelbares Kriegsmittel, ähnlich wie das im Handelskrieg, insbesondere bei Boykotten, geschieht. Damit entstehen parallel zur historischen Entwicklung hin zu einer Verstaatlichung des Kriegs, die mit Professionalisierung und rechtlichen Rahmenstrukturen verbunden ist, auf einer leistungsfähigen Wirtschaft aufbaut und von modernen Staaten kaum noch zu finanzieren ist, sehr billig zu führende Armutskriege. Auch das ist aus der Sicht eines Wirtschaftskriegs von Interesse, weil hier beides existiert: Die hochprofessionalisierte Auseinandersetzung wie sie beispielsweise bei Patentkriegen zu beobachten ist, aber auch Abnutzungskriege durch systematische Rufschädigung. Dies aufnehmend konstatiert er in seinem Buch Kriegssplitter (2015c), der Krieg sei nicht verschwunden, er habe sich nur transformiert. Man kann es auch anders wenden: Krieg war schon immer ein komplexes System. Im realen Krieg der zweiten Art in der Sprache von Carl von Clausewitz, kombiniert mit dem Konzept des kleinen Kriegs, gefochten von hochbeweglichen Einheiten aus dem Volk heraus, nimmt er den Partisanenkrieg auf. Anders als Carl Schmitt (1963) in der Theorie des Partisanen, in der die lokale Verbundenheit betont wird, entwickelt sich mit dem modernen Terrorismus und den Akteuren der neuen Kriege ein extraterritorialer Kämpfertyp – ob als militärischer Krieger oder als Wirtschaftskrieger. Auch wenn Politik als übergeordneter Zweck bleibt, vereinnahmt er nun das gesamte Spektrum der Mittel, was zur Prägung des Begriffs hybrider Krieg geführt hat. Dieser befindet sich, ganz wie der Krieg bei Carl von Clausewitz einem Chamäleon gleicht, in einer steten Metamorphose (Lätsch 2017; Lätsch und Moccand 2010). Viele fragen, ob der hybride Krieg nur alter Wein in neuen Schläuchen sei, denn tatsächlich gab es die Verbindung verschiedener Instrumente bei der Auslösung von Konflikten schon immer. Möglicherweise sind die Fähigkeiten zu verdeckten Operationen das wirklich Neue, wodurch einzelne Gewalthandlungen nur schwer zuzuordnen sind (Schreiber 2016, S. 13). Als ideeller Vater des hybriden Kriegs wird oft der deutsch-russische Offizier Jewgenij Messner (1891–1974) genannt, der zunächst kaiserlich-russischer Offizier, dann Mitglied der russischen Freiheitsbewegung war und als glühender Antikommunist zum Leiter der Propagandaabteilung der Wehrmacht, Sektion Russland, wurde. Zu seinen wesentlichen Erkenntnissen zählen (Klus 2016; Peck 2016): • Die Dichotomie zwischen Krieg und Frieden verschwindet – ein de-jure Frieden muss nicht de-facto eingehalten werden. • Es existiert keine klassische Frontlinie – analog zum Fehlen einer Abgrenzung zwischen Krieg und Frieden ist auch die Linie der wesentlichen Auseinandersetzungen unbestimmt. • Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung verschiebt sich hin zu psychologischen Faktoren – eine direkte mentale Einwirkung zählt vermehrt, weil die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen, dass das alleinige Abwerfen von Bomben auf Zivilisten den Kampfwillen nicht bricht. • Die Kriegsführung wird vulgärer – der Anteil irregulärer unkonventioneller Waffen mit geringerer Qualität und Präzision und moralischer Standards nimmt zu.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
• Die polit-strategische Komplexität dominiert – die Zahl der in den Konflikt involvierten Parteien nimmt zu, sie können nicht mehr lokal begrenzt werden, was das Kriegstheater fragmentiert. Jewgenij Messner (1960) entwickelte in seinem Buch Meuterei oder der Name des Dritten Weltkriegs das Konzept des Meuterei-Kriegs, der alle Aktivitäten des Aufruhrs der Massen, der verdeckten Sabotage- und Terrorakte, von Guerilla-Aktionen, des Aushöhlens der gegnerischen Moral beinhaltet, gegebenenfalls ergänzt durch reguläre Kräfte, um den Gegner psychologisch kampfunfähig zu machen. Als einzige Gegenwehr sieht er das symmetrische Handeln – also beim Angegriffenen die moralischen Standards herunterzufahren und Gleiches mit Gleichem zu vergelten – eine Forderung, die auch von Jörg Baberowski (2015) vorgebracht wird. Die beiden Obristen der chinesischen Volksbefreiungsarmee Qiao Liang und Wang Xiangsui haben eine Anleitung zur asymmetrischen und hybriden Kriegsführung Unrestricted Warfare (1999) verfasst, welches eine profunde Darstellung der neuen Kriegsformen vor dem Hintergrund veränderter Waffentechnologien und Interessenlagen enthält. Dabei steht die strategische Rivalität mit den USA im Zentrum der Betrachtung. Es werden zwei Operationsformen unterschieden: Nichtmilitärischen Kriegsoperationen sind der Kern des hybriden Kriegs mit Instrumenten der Wirtschaft, der Ökologie oder des Terrors. Militärische Operationen jenseits des Kriegs stellen destabilisierende Aktivitäten dar, die durch militärisches Personal ausgeführt werden, wenn kein sichtbarer bzw. deklarierter Krieg vorliegt. Im US Army (2011) Field Manual 3-0 Operations wird ausgeführt: „A hybrid threat is the diverse and dynamic combination of regular forces, irregular forces, criminal elements, or a combination of these forces and elements, all unified to achieve mutually benefitting effects. Hybrid threats combine regular forces governed by international law, military tradition, and custom with irregular forces that act with no restriction on violence on their targets.“ Der seit 2012 amtierende Generalstabchef der russischen Streitkräfte, General Walerij Gerassimow (1955-), postuliert in einer Rede im Jahr 2013 zum Thema Der Wert der Wissenschaft ist die Vorhersehbarkeit, die Regeln des Kriegs haben sich verändert. Er schreibt (Gerassimow 2013, S. 2–3): „Politische Ziele seien nicht mehr allein mit konventioneller Feuerkraft zu erreichen, sondern durch den breit gestreuten Einsatz von Desinformationen, von politischen, ökonomischen, humanitären und anderen nicht militärischen Maßnahmen, die in Verbindung mit dem Protestpotential der Bevölkerung zum Einsatz kommen. Militärische Maßnahmen müssen einen verdeckten Charakter haben.“ Die Definition von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (2014) verdeutlicht dies: Hybride Kriegsführung ist „verdeckte Operationen und offener Einsatz von Mitteln, Einsickern von Geheimdienstpersonal, Militärpersonal ohne Hoheitsabzeichen, Desinformationen, sehr gezielte Propaganda, Schüren von sozialen Disparitäten oder Spannungen in einer bestimmten Region, massiver Aufwuchs von Truppen in Grenzregionen, auch als psychologisches Druckmittel – und das Ganze zum Teil
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs Neutralisierung des Konflikts
Hybrider Wirtschaskrieg
Tendenz zur wirtschalichen Bedrohung von Märkten bzw. Wirtschasräumen
Eingrenzung des Konflikts und Übernahme des Wirtschasraums
Intensität der Akvität
Unmielbare Handlungen der wirtschalichen Bedrohung von Märkten bzw. Wirtschasräumen
Schöpferische Zerstörung in Märkten
Unternehmenspolik
Rechtspolik Informaonspolik
Militärpolik
Krisenreakon
Verschärfung der Spannungen Unternehmensführungen oder Regierungen Erkennen zunehmende Spannungen gegensätzliche Interessen
Integraon des Markts bzw. des Wirtschasraums
Phasen
Latente Entstehung Eskalaon Beginnende Webewerbsverstöße Offener Wirtschaskonflikt Konfliktbewälgung Herstellen von Webewerb der Akvität
Verhärtung der Webewerbsinstrumente, Auau von Wiederauau des Markts Vernichtungsinstrumente Allianzen Zölle und Sankonen und Boykoe Übernahme des Wirtschasraums Vollständiges Embargo Retaliaonszölle Durchsetzen einer neuen Extraterritoriale Durchsetzung Behinderung des Konfiskaon Zerstörung der Fiskal- und Geldordnung Finanzverkehrs des Steuersystems von Guthaben Währungsordnung Durchsetzen einer neuen Illegime Akvitäten, Austesten rechtlicher Illegale Akvitäten, Rechtsordnung, Auswechseln von Eliten Nögungen Grenzen Erpressungen Starke strategische Agitaon und Propaganda, Durchsetzen der Cyberangriffe Signale Reputaonsvernichtung Informaonsdominanz Durchsetzen der kogniven Grundlegende Smmungsbeeinflussung Zerstörung vorhandener Gewissheiten Dominanz über soziale Medien Signalisieren von militärischen Durchsetzen der Auslösen gewaläger Unruhen Militärische Militärische Fähigkeiten und Willen Markntegraon und Revolten Nadelsche Intervenon
Integrierte und vernetzte Maßnahmen
Handelspolik Geld-, Fiskalpolik
Kognionspolik
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Abb. 2.3 Phasen und Aktivitätsniveau im hybriden Wirtschaftskrieg. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Gerassimow 2013)
kombiniert mit wirtschaftlichem Druck.“ Sie ergänzt (2015): „Das fundamental Neue ist die Kombination und die Orchestrierung dieses unerklärten Kriegs, bei dem erst die Gesamtbetrachtung der einzelnen Mosaikstücke den aggressiven Charakter des Plans entlarvt.“ Uwe Hartmann (2015, S. 19–23) führt in einer Abhandlung Hybrider Krieg als neue Bedrohung von Freiheit und Frieden aus, das Ziel des hybriden Kriegs sei nicht das Zerschlagen gegnerischer Streitkräfte, sondern die Destabilisierung staatlicher Strukturen, und die Art hänge jeweils von den spezifischen Kulturen der rivalen Parteien ab. Gemäß des von Carl von Clausewitz (1832, S. 25) geforderten Ziels, „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“, erscheint diese Vorgehensweise in ihrer Breite extrem zielführend, besitzt sie doch auch den großen Vorteil der ersten Wahl der Waffen. Weiterhin nutzt der (unterlegene) Angreifer häufig die Stärken des Gegners zu seinem Vorteil aus, indem er diese auch durch irreguläre Aktivitäten lahmlegt – im schlimmsten Fall durch Terrorismus, im Vorfeld oft durch Unterstützung krimineller Strukturen. Genau deshalb ist der Übergang von Wirtschaftskriminalität zu Wirtschaftskrieg fließend; oft ist eine genaue Einordnung erst möglich, wenn der hybride Krieg offenbar wird. General Walerij Gerassimow (2013, S. 2–3) unterscheidet sechs Phasen der Aktivität mit unterschiedlicher Intensität, die hier ökonomisch umgesetzt wurden. In Abb. 2.3 ist in der oberen Hälfte die Eskalationsstruktur dargestellt und darunter die jeweils zuzuordnenden ökonomischen Kriegsmittel, ergänzt um die militärischen Optionen.19
19Die
von Daniel Pünchera (2017) vorgenommene inhaltliche Aufbereitung wurde einbezogen.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Die wirtschaftskriegerischen Elemente in der Darstellung eskalieren bis hin zum totalen Wirtschaftskrieg, möglicherweise unterstützt durch militärische Maßnahmen, der dann in eine Phase der Eingrenzung und Deeskalation mündet, woran sich wieder eine wettbewerbliche Lage anschließt. Dabei werden von Walerij Gerassimow zwei Bereiche unterschieden, nämlich der militärische Aktivitätsbereich und der, in dem die übrigen hybriden Instrumente zusammengefasst werden, also informationstechnische, ökonomische, politische und diplomatische. Auf einen Wirtschaftskrieg übertragen existieren sechs wirtschaftliche Instrumente, die auch unter dem Blickwinkel der Dominanzausübung interessant sind, nämlich die Unternehmenspolitik, die Handels-, die Geld- und Fiskalpolitik des Staats, seine damit verbundene Rechtspolitik und schließlich eine übergreifende Informations- und Kognitionspolitik. Bei den unterstützenden militärischen Optionen sind neben klaren Signalen der Bereitschaft zur Gewaltanwendung vor allem die vorbereitenden Unruhen und Revolten von Bedeutung; letztere unterscheiden sich von Revolutionen durch fehlende Spezifität – also die Unbestimmtheit des Ziels, das im Verborgenen bleiben soll und nur der Aggressor kennt. In einem Interview, dessen Titel auf Carl von Clausewitz zurückgreift, La cyberguerre est la continuation moderne de la politique par d’autres moyens verdeutlicht JeanLouis Gergorin (2019, S. 123) dessen Überlegungen wie folgt: „Le constat essentiel au cœur de sa pensée est que le rôle des moyens non militaires pour atteindre des objectifs politiques et stratégiques a crû; et dans bien des cas leur efficacité a surpassé celle de l’utilisation des armes. Parmi ces moyens non militaires, il cite les sanctions économiques, l’utilisation des oppositions politiques à un gouvernement et les actions se déroulant dans l’espace informationnel. Pour Guerassimov, cet espace est central, qu’il y ait ou non des opérations militaires. Dans la vision russe, l’espace informationnel a toujours intégré les contenus informationnels et contenants informatiques.“ In einem hybriden Wirtschaftskrieg können grundsätzlich alle Instrumente isoliert genutzt werden, entfalten aber erst in der Integration ihre maximale Wirkung.20 Das wird im unteren Teil der Abbildung beispielhaft vollzogen. Dabei ist man daran interessiert, am Ende eines Wirtschaftskriegs einen Sieg „auszukosten“, also einen Markt bzw. einen Wirtschaftsraum zu übernehmen, der den eigenen Gestaltungsvorstellungen unterworfen werden kann. Oft stellt sich dann die Frage, ob bereits ein Angriff vorliegt. Idealerweise verwendet der Angreifer über alle hybriden Kategorien ausgewogene und geeignete Instrumente mit dem Ziel, mit diesen verbundenen Kräften maximale Wirkung zu entfalten. Den Gegner stellt dies vor das Problem, entweder mit einer unausgewogenen Antwort, also einer Schwerpunktbildung, zu eskalieren – was moralisch auf diesen zurückfallen kann – oder nicht geeignet zu reagieren – im schlimmsten Fall zu einer weitgehenden Passivität verurteilt zu sein.
20Das ist wie bei einem Hybrid-Pkw – beide Antriebe funktionieren separat, aber die maximale Effizienz liegt in der gegenseitigen Ergänzung.
2.1 Vom Wesen des Wirtschaftskriegs
39
Général d’armée Pierre de Villiers, benennt in seinem Buch Servir (2017, S. 52–63) die „7d“ des modernen Kriegs: durcissement, also die Härte der Auseinandersetzung, durée als die Dauer der Konfrontation, délai als das Erfordernis eines Agierens ohne Verzögerung infolge der Beschleunigung aller Handlungen, dispersion infolge der globalen Herausforderungen an weit entfernten Orten, dissémination der Kräfte, weil die Bedrohung überall auftreten kann, désinhibition als völlige Enthemmung der Kriegshandlungen und digitalisation. Vergleicht man die wirtschaftliche mit der militärischen Macht, so sind die Entsprechungen klar: Letztere soll Fähigkeiten zum Angriff und zur Verteidigung bzw. zur Verzögerung, sowie ergänzend in der Moderne, auch zur Stabilisierung bereitstellen. Sie impliziert damit auch zwei wesentliche Funktionen: den Gegner zu dem Verhalten zu zwingen, das man von ihm erwartet bzw. – im umgekehrten Fall – die erforderliche Abschreckung bereitzustellen, um es zu verhindern. Diese Gegendrohung ist nur erfolgreich, wenn sie glaubhaft ist, man selbst also über Möglichkeiten verfügt, dem Gegner einen Schaden zuzufügen, den zu ertragen er nicht gewillt ist. Unter den Bedingungen eines hybriden Konflikts können Gegendrohungen auf anderen sachlichen, räumlichen oder zeitlichen Feldern verwirklicht werden, beispielsweise kann ein militärischer Schlag durch einen Angriff auf das Finanzsystem erwidert werden. Damit entsteht eine große Unübersichtlichkeit bei der Bewertung des eigenen Abschreckungspotentials, welches den Angreifer in eine günstige Position rückt. In der entsprechenden Literatur wird diese Komplexität erst langsam zur Kenntnis genommen (Wijk 2018).
2.1.6 Grenzüberschreitung und gesellschaftliche Entgrenzungen Zweifellos soll die Konkurrenz Verbesserungen für alle Marktteilnehmer bringen. In der abendländischen Ethiktradition wird das individuelle Vorteilsstreben, wie Karl Homann und Michael Ungethüm in ihrem Beitrag zur Ethik des Wettbewerbs (2007) betonen, moralisch nicht geächtet, wenn es sich in einem Ordnungsrahmen bewegt, der den anderen Menschen und seine Rechte und Lebensmöglichkeiten nicht aus den Augen verliert. In Europa gründet er sich auf die christliche Religion und die Philosophie Immanuel Kants. Wirtschaftskrieg hingegen hat das Ziel, die Verlierer dauerhaft zu benachteiligen, ein Ausgleich der Zerstörung ist also nicht vorgesehen. Idealerweise erzeugt Wettbewerb kurzfristig Verlierer, deren Ressourcen aber später wachstumswirksam genutzt werden. Oft gelingt das aber nicht, und Analysen zeigen, dass die durch dominante Unternehmen gewonnene Übermacht langfristig zu allgemeinen Unterinvestitionen führt (Gutiérrez und Philippon 2016). Damit gewinnt der Spruch von John Maynard Keynes (1923, S. 80) eine neue Bedeutung: „In the long run we are all dead. Economists set themselves too easy, too useless a task if in tempestuous seasons they can only tell us that when the storm is long past the ocean is flat again.“ Die Menschheitsgeschichte bezeugt eine Dialektik aus Grenzüberschreitung und anschließendem Einhegen durch neue Institutionen. Die jüngsten Kinder dieser
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Entwicklung sind das Völkerrecht, das internationale Handelsrecht und das Kriegsvölkerrecht. Beim Aufbau eines globalen Umweltrechts wird dies sichtbar; bisher führen Staaten kaum kontrolliert einen Wirtschaftskrieg zulasten künftiger Lebensgrundlagen, wie auch der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen in Jahr 2018 belegt. Immer häufiger bestätigt sich in der Globalisierung eine Inversion der Ebene der Kooperation mit der der Rivalität: Alles ist rival, und unterhalb dieser Ebene finden sich Inseln der Kooperation, die dann aber ständig unter Druck stehen. Man wird erinnert an die gemeinsamen Weihnachtsfeiern von Deutschen und Engländern in den Gräben des Ersten Weltkriegs, die Richard van Emden (2013) eindrucksvoll in seinem Buch Meeting the Enemy beschreibt, wenn er das „menschliche Gesicht des großen Kriegs“ beleuchtet – aber dieser Frieden im Krieg dauerte nur wenige Stunden. Samsung und Apple bekämpften sich bis Mitte 2018 bis aufs Messer – dennoch liefert Samsung noch Bauteile an den Rivalen. Es ist die Leistung der meisten Hochkulturen, Regelwerke aufgebaut zu haben, die einen kulturerhaltenden Rahmen setzen, beispielsweise in den Zehn Geboten des jüdischchristlichen Erbes. Nicht umsonst bemühen sich Wissenschaftler um das, was man als Weltethos oder Minimalethik beschreibt, also eine gemeinsame, weltumspannende Wertegrundlage. Und genau wegen dieser manifesten kulturellen Unterschiede müssen diejenigen, die der Meinung sind, dass Menschenrechte universell seien, zunächst, wie Heinrich August Winkler (2015) in der Geschichte des Westens: Die Zeit der Gegenwart betont, zu einer schonungslosen Selbstkritik greifen, die dann zwingend zu strukturellen Korrekturen im eigenen Umfeld führen muss. Hans Joas (2015) erinnert in seinem Buch Sind die Menschenrechte westlich? daran, dass der Westen durch Sklaverei und Folter seine eigenen Werte regelmäßig und systematisch verrät, was die Tatsache an den Rand drängt, dass das Konzept der Magna Charta der Freiheit ein westliches ist, also ein Recht des Untergebenen gegen den Herrscher. Dies bedeutet nicht, dass dem östlichen Kulturkreis Gedanken zu Menschenrechten fremd sind. So hat sich der chinesische Philosoph Meng Zi (370–290 v. Chr.) intensiv mit diesen befasst – aber nicht als universellen Rechtsanspruch. Gerade der chinesische Kulturkreis zeigt, dass Konkurrenz etwas ist, woran man gegenseitig wächst, und dass Krieg selten Verbesserungen bringt. So schreibt Lao Zi (o. D. 2013, S. 63) „Wer im rechten Sinn einem Menschenherrscher hilft, vergewaltigt nicht durch Waffen die Welt, denn die Handlungen kommen auf das eigene Haupt zurück. Wo die Heere geweilt haben, wachsen Disteln und Dornen. Hinter den Kämpfen her kommen immer Hungerjahre. Darum sucht der Tüchtige nur Entscheidungen, nichts weiter; er wagt nicht, durch Gewalt zu erobern. Entscheidung, ohne sich zu brüsten, Entscheidung, ohne sich zu rühmen, Entscheidung, ohne stolz zu sein, Entscheidung, weil’s nicht anders geht, Entscheidung, ferne von Gewalt.“ Die Mittel, um Konkurrenz auszuüben, werden umfänglich in der ökonomischen Theorie gelehrt. Ebenso wie der Keil Kains als Werkzeug ein erstes Kapitalgut war, um wirtschaftlich tätig werden zu können, aber auch zur mörderischen Waffe gegen Abel wurde, haben auch die ökonomischen Instrumente zwei Gesichter. Geld kann in diesem Sinne als eine der ersten erst physischen, später virtuellen Waffen, vor allem als
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eine Waffe mit großer Fernwirkung angesehen werden; das gilt besonders für das Buchgeld, das der Bankensektor fast nach Belieben selbst schaffen kann. Damit einher geht die Vielzahl der Geldwirkungen, beispielsweise der Kredit, der einerseits eine Voraussetzung für künftigen Vermögensaufbau ist und damit von Joseph Schumpeter (1912, 1927, S. 483) als zentrale Bedingung für den Innovationsprozess gesehen wurde, weil jemand im Vertrauen auf einen künftigen Erfolg als Folge des Durchsetzens neuer Kombinationen in Gestalt neuer Produkte, Verfahren, Beschaffungs- und Absatzmärkte sowie Organisationsstrukturen bereit ist, Geld vorzustrecken; er ist aber auch Voraussetzung für Staatsausweitung, für Staatsverschuldung, für individuelle Schuldknechtschaft und für den Krieg gegen die Demokratie, mit dem die Finanzindustrie die Weltwirtschaftskrise 2008 auslöste. Das Bild von Kain und Abel ist auch deshalb interessant, weil es den – teuer erkauften – Sieg des sesshaften Ackerbauers gegen den jagenden und viehzüchtenden Nomaden im Zusammenhang mit einer Rebellion gegen das Gnadenprinzip und das Durchsetzen des Rivalitätsprinzips verdeutlicht. Erst jetzt wird Kapitalanhäufung in erhöhtem Umfang sinnvoll, also Sparen und Arbeitsteilung. Weiterhin zeigt es, wie die Konkurrenz um Gemeinschaftsgüter – hier um das Annehmen eines Opfers durch Gott – zum zentralen Element der menschlichen Rivalität und der damit verbundenen Logik der Eskalation wird. Tatsächlich ist der Feldbauer der Prototyp, der den Anspruch durchsetzt, das Eigentum besser privat als in Gemeinschaftsverfassung zu nutzen. Reinhard Sprenger (2017a) verweist in seinem Beitrag Unser aller Bruder Kain auf einen weiteren Aspekt: Da Kain nicht erfährt, worin sein Fehler liegt und weshalb sein Opfer nicht angenommen wird, ist sein Selbstwertgefühl tief verwundet. So tauscht er Scham als nicht verstandene Ablehnung mit Schuld als verstandene Ablehnung – er wird vom Opfer zum Täter, denn als Schuldiger kann man gestalten, ist medial präsent, kann seine Wut zeigen. Die Aggressivität mancher Wirtschaftskrieger lässt sich hiermit ebenso erklären wie ihre Grenzüberschreitungen – auf beides wird später eingegangen. Wirtschaftskrieg befasst sich demzufolge mit Grenzüberschreitungen, die in modernen Gesellschaften zunehmend zur Normalität zu werden scheinen. Auf diesen Antagonismus verwies bereits Thomas Mann (1918) in seinem frühen Werk zu den Betrachtungen eines Unpolitischen, die er als „Kampfschrift“ zur Selbsterforschung begriff, wenn er die Dialektik zwischen individueller geistiger Freiheit, also Autonomie, und gesellschaftlicher Bindung, also Einordnung, möglicherweise sogar Unterordnung durchdringt. Markus Kartheininger (2013, S. 256) nimmt dies auf, wenn er eruiert, welche formalen Bedingungen erforderlich sind, das Glücksstreben zu verfolgen und wie die damit verbundenen Sinnfragen über Religion, Geist, vor allem aber Philosophie, einzubinden sind. Den Grundfehler benennt er in der Sicht von Thomas Mann dort, wo der „‚Literat‘ Philosophie und Politik nicht mehr auseinanderzuhalten vermag“ und eine Dialektik aus ewigem Kompromiss und Fanatismus entstehen kann. Damit begründet sich die Auffassung von Thomas Mann, der Staat habe in erster Linie Kulturfaktor zu sein und erst sekundär eine technokratische Organisation. Dem wird er heute immer weniger gerecht, was rivalitätsverschärfend wirkt, wenn man dieser Argumentation folgt.
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Jede Grenzüberschreitung benennt indirekt Grenzen. In der Regel handelt es sich um Institutionen, die es erlauben, den öffentlichen Bereich gesellschaftlich, politisch, kulturell und wirtschaftlich gemeinsam zu nutzen. In diesem Sinne handelt es sich um Kollektivgüter, deren Stabilität davon abhängt, dass sie nicht ausgebeutet werden. Dabei sind zwei Missbrauchsfälle von Interesse, wie Sören Buttkereit und Ingo Pies in ihrem Beitrag über The Economic Ethics of Social Dilemmas (2006) ausführen: Das intentionale oder ethische Dilemma, in dem sich der Handelnde bewusst über Regeln hinwegsetzt, um seine Wohlfahrt zu verbessern, und dieses gegen das Kollektiv durchsetzt. Es ist meist dem nicht intentionalen oder sozialen Dilemma vorgelagert, in dem die Entscheidungsstruktur so vorgegeben ist, dass die Summe eigennützlichen (aber nicht böswilligen) Verhaltens zu suboptimalen Ergebnissen führt. Die Tragedy of the Commons – die Tragik der Allmende – von Gerret Hardin (1968) ist das spieltheoretisch ausformulierte Paradebeispiel, bei dem eine begrenzte, gemeinsame Ressource bis zu deren Zusammenbruch übernutzt wird, weil jeder Beteiligte zunächst den Vorteil hat, seinen Nutzungsanteil zu erhöhen. Als Beispiel hierfür wird das Überfischen der Weltmeere genannt. Das Forschungsprogramm der Ordonomik setzt sich zum Ziel, die Dilemmata durch verbesserte Institutionen und nachhaltige Selbstverpflichtungen zu lösen. Ausgangspunkt ist dabei der philosophische Dilemmabegriff, also zweier Übel, zwischen denen abzuwägen ist – gleichsam zwischen Pest und Cholera entscheiden zu müssen. Diese Situation stellt aus ökonomischer Sicht ein ineffizientes Gleichgewicht dar, das durch Veränderung der Anreizstrukturen aufgelöst werden kann. Dies wird im fünften Kapitel betrachtet.
2.2 Zerstörung von Stabilität: Vom Faustkeil zum Geld Durch Krieg und Wirtschaftskrieg wird Ordnung zerstört. Geld zählt dabei zu den wichtigsten, oft subtilsten, in jedem Fall jahrtausendealten Waffen. Noch älter ist in der biblischen Überlieferung der Faustkeil. Beide zerstören Stabilität, aus der Unordnung wächst jedoch häufig eine neue Ordnung. Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, um eine Kooperation zu gewährleisten, ist auch eine Frage der individuellen und kollektiven Geisteshaltung, in die die Rivalität eingebettet ist; dies wird in diesem Abschnitt betrachtet.
2.2.1 Die Interdependenz der Ordnungen Jede ökonomische Entreferentialisierung ist verbunden mit einer Zerstörung wesentlicher, bisher als sicher geglaubter und von staatlichen Institutionen gewährleisteter Sicherheiten. Der Begriff Wirtschaftskrieg ist daher nicht nur vom Begriff Konkurrenz abzugrenzen, sondern auch in den staatsphilosophischen Kontext einer Verschränkung der Ordnungen zu setzen. Der Wesensgehalt dieser Abgrenzung wird besonders
2.2 Zerstörung von Stabilität: Vom Faustkeil zum Geld
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deutlich in der Begründung des Sherman-Acts in den USA im Jahr 1890; denn hier wurde vorgetragen, dass es ein Land, das die Demokratie, also die Machtteilung, zum politischen Prinzip erkoren hat, nicht hinnehmen könne, dass auf wirtschaftlicher Ebene Machtkonzentration herrsche. Dieser Gedanke an die wechselseitige Bedingtheit der Ordnungen findet sich auch in der Konzipierung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland wieder und wird im fünften Kapitel als zentraler Ansatz, den Wirtschaftskrieg zu verhindern bzw. ihn zu effizienzsteigerndem Wettbewerb zu entwickeln, eingeführt. Carl von Clausewitz (1832, S. 39–40) schreibt in seinem Buch Vom Kriege: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Ein Kontinuum von der normalen Politik im Sinne des Tagesgeschäfts bis hin zum militärisch-kriegerischen Handeln wird aufgespannt. In diesem ist dann die Machtausübung des liberalen Staats ebenso wie die des autoritären Staats mit Gewalttätigkeit verbunden. Und sie ist „ein ernsthaftes Ding für einen ernsthaften Zweck“. Im Krieg gilt ebenso wie im Wirtschaftskrieg das Prinzip der Vernunft. Günther Roth (1993, S. 13–15) verweist darauf, dass die Vorstellung, im Krieg Fühlung mit dem Feind zu halten, weil der Krieg nur ein Mittel sei, das dem Zweck der Politik unterzuordnen ist, durchaus kontrovers gesehen wurde, beispielsweise von Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke d. Ä. (1800– 1891) im Krieg 1870/1871, als er auf die Unabhängigkeit des Kriegshandelns von der Politik, sobald die Auseinandersetzung begonnen hat, verwies, oder von Adolf Hitler, der die Politik für den Krieg instrumentalisierte. In der Tat unterscheidet sich der analytische Ansatz von Carl von Clausewitz von dem Helmuth von Moltkes, wie Reinhard Stumpf (1993, S. 680) schreibt: „Bei Clausewitz dominiert die Kriegstheorie, die sich auf die Kriegsgeschichte stützt. Moltke dagegen schreibt Kriegsgeschichte und zeigt erst spät theoretisches Interesse.“ Weiterhin zeigt Günther Roth (1993, S. 17–38), dass zwischen den dynastischen (Kabinetts-) Kriegen vor der Französischen Revolution mit ihren stehenden Heeren und den sich anschließend entwickelnden Volkskriegen ein wesentlicher Unterschied bestand, weil die Vernichtungsschlacht auch das Ende der Dynastie bedeuten konnte, weshalb man dieses Risiko nur selten einzugehen bereit war. In einem Wirtschaftskrieg lässt sich hier eine Parallele zu der unterschiedlichen Risikobereitschaft von Eigentümerunternehmen und angestellten Managern finden – denn letztere haben vergleichsweise wenig zu verlieren, wenn sie in einen Wirtschaftskrieg ziehen und dabei das eigene Unternehmen riskieren. Tatsächlich verfügt die Verbindung zwischen Militär und Wirtschaft auch über eine geistesgeschichtliche Tradition in der deutschen Wirtschaftsgeschichte: So beschäftigte sich bereits die Historische Schule mit der Frage, welche Rolle Unternehmer in einer Volkswirtschaft spielen, und Werner Sombart (1913a) sah sie im Spannungsfeld zwischen bürgerlichen und imperialistischen Tugenden. In der öffentlichen Wahrnehmung, gerade auch im Geschichtsunterricht, ist Krieg immer eng mit Politik, mit Emotionen, Psychologie und Rhetorik, mit Moral, somit mit Normsetzung und folglich auch mit den Rechtswissenschaften verbunden. Erinnert sei an den Ausspruch des römischen Feldherrn und Staatsmanns Marcus Porcius Cato (234–149 v. Chr.), der die Zerstörung des feindlichen Karthagos anmahnte, indem
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er jede Rede mit dem Ausspruch: „Ceterum censeo Cartharginem esse delendam“ („Im übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“) beendete, oder an Cicero (106–43 v. Chr.), der in de officiis (44b v. Chr.) den Begriff des bellum iustum prägte. Oft und völlig ungerechtfertigt treten die ökonomischen Bestimmungsgrößen des Kriegs in den Hintergrund. In ihrem Buch Castles, Battles and Bombs – How Economics Explain Military History wenden Jürgen Brauer und Hubert van Tuyll (2004) ökonomische Grundprinzipien auf die Kriegsführung seit dem hohen Mittelalter an. Das Buch von Leonard Dudley (1991) The Word and the Sword untersucht zwei zentrale Ausübungen und Grenzen staatlicher Macht, nämlich militärische Macht, also das Recht zum Führen von Kriegen, und fiskalische Macht, also das Erheben von Steuern. In großen Werken der Weltliteratur wurde die Rolle des Geldes als Kampfmittel regelmäßig beleuchtet. Zu nennen sind sicher die beiden bereits erwähnten Teile des Buches Faust von Wolfgang von Goethe. Noch moderner ist die Beschreibung des laisser-faire-Kapitalismus Frankreichs Mitte des 19. Jahrhunderts durch Émile Zola (1891) in L‘argent, der romanhaft die Spekulationen, Betrügereien und auch die Unfähigkeit des Staats aufzeigte.
2.2.2 Vom Schlag mit dem Faustkeil zum Geldkrieg Der Faustkeil, mit dem Kain seinen Bruder Abel erschlug, war das erste Werkzeug und zugleich aber auch die erste Waffe. Um ein Werkzeug zu schaffen, ist ein Minimum an Abstraktion erforderlich, und dies gilt auch für das Geld, dessen Funktionen als Tausch- und Zahlungsmittel sowie als Wertmaßstab und dabei insbesondere als Wertaufbewahrungsmittel eine Emanzipation des wirtschaftlichen Handelns vom konkreten Warengeschäft einleiteten. Der Weg dieser Abstraktion wird deutlich, wenn man die Entwicklung vom Warengeld zum Metallgeld (pecunia ist lateinisch Geld, pecus ist lateinisch das Vieh; argent ist im Französischen Geld und Silber) und schließlich zum Papiergeld und virtuellen Geld verfolgt. Geld stellte die erste ökonomische Waffe dar – und sie war von Anfang an ein Mittel zum Wirken im Nah- ebenso wie im Fernbereich. Durch das Spalten der Bilanzkonten in Guthaben und Schulden, die Grundlage des modernen Kreditgeschäfts, aber auch die Grundlage der modernen Abhängigkeiten, entstanden viele Konflikte: Kleine Kreditnehmer sind von ihrer Bank abhängig, Banken sind von großen Kreditnehmern abhängig, vor allem dann, wenn sie, wie in der Weltfinanzkrise von 2008, zu kollabieren drohen. Durch Geld lassen sich Vermögenswerte aktivieren, also als entkörperlichtes Abstraktum darstellen, und damit fungibel und vertretbar machen. Der Weg geht vom Grund und Boden, vom Allgemein- zum Privateigentum bis hin zum Kollateralisieren von Schulden und zum Hinterlegen mit Werten (asset backed securities). Geld besitzt reale Dimensionen, zudem ist sein Wert durch das Versprechen auf die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft gesichert. Es besitzt aber auch transzendente Dimensionen; denn der germanische Wortstamm des Begriffs Geld leitet
2.2 Zerstörung von Stabilität: Vom Faustkeil zum Geld
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sich vom Götteropfer ab, der Gottheit ist ihr Wohlwollen zu vergelten. Geld ist folglich nicht von der kulturgeschichtlichen Substitution vom Menschen- über das Tier- zum Pflanzenopfer und schließlich zum Geldopfer zu trennen. Nicht umsonst wird die faire Besteuerung in den Opfertheorien thematisiert, ob also die Zahlungspflichtigen gleiche fixe, einkommensproportionale oder gar progressive Abgaben leisten sollen – letzteres, weil unterstellt wird, der Nutzen jedes weiteren Einkommens nähme ab. Und der Begriff des Finanzamts leitet sich von den fines her – den lateinischen Geldstrafen, die noch heute im Englischen fine heißen – im Gegensatz zur normalen Strafe, der penalty (von lateinisch poena). Dieser Opfergedanke – wem das Geld werttechnisch tatsächlich geschuldet ist – wird in den Prägungen von Göttern und Herrschern widergespiegelt. Mit diesem Opfer tritt aber ein Problem der Rationalität auf: Waren Menschen- und Tieropfer noch transparent, sind es Pflanzen- oder Geldopfer nicht zwingend, vor allem dann nicht, wenn sie in einem nicht einsehbaren Gebinde dargebracht werden. Dann stellt sich die Frage, weshalb man selbst opfern soll, wenn doch die anderen opfern – und wenn alle so denken, bricht das System zusammen. Offensichtlich zieht sich vom Tanz um das goldene Kalb (Bibel, Ex 32), der pikanterweise stattfindet, als Moses mit den Zehn Geboten den Berg hinabsteigt, bis zur modernen Steuerhinterziehung eine rote Linie der mit Geld verbundenen Entsolidarisierung; nicht umsonst ist der letztgenannte Begriff mit dem Solidus, einer besonders haltbaren Münze aus der Währungsreform von Konstantin dem Grossen (270 oder 288–337), verbunden. Auch der Söldner, also der Soldat, der gegen Entgelt und nicht für die Moral kämpft, entlehnt hieraus seinen Namen. Er stellt damit das militärische Analogon des modernen Investmentbankers dar, der an der Investitionsfront einen Wirtschaftskrieg mittels Gelds führt. Durch die Möglichkeit zum Tausch wird die Bedeutung der anthropologisch vorgegebenen Abhängigkeit gemindert. Hierarchien verflachen, wie die informationstheoretisch fundierte Transaktionskostenökonomik lehrt. Christina von Braun (2012, S. 163–167) weist im Preis des Geldes mit Recht darauf hin, dass damit eine Polarisierung einhergeht. Der Fremde oder Gast – lateinisch hostis, englisch host – der etwas positiv im Sinne des „Vergelt’s Gott“ vergilt –, kann dies nur tun, wenn die Gemeinschaft das gemeinsame (Club-) Gut stabil hält, das ähnlich wie Geld zirkulieren muss. Geld aber ermöglicht die Abgrenzung des Geldkreislaufs der eigenen Gemeinschaft gegen die der anderen. Abgrenzung wird zur Feindschaft, der Gast wird fremd und feindselig (englisch: hostility; französisch: hostilité), Geld zur Waffe. Die Geldwirtschaft ermöglicht weiterhin die rationale Verdeutlichung von Ansprüchen und damit die Schuldenwirtschaft. Sie schafft in einer sehr modernen Form Abhängigkeiten, auf die David Graeber (2011) in seinem Buch Schulden: Die ersten 5000 Jahre hinweist. Nicht ohne Grund bestand eines der Hauptziele der englischen Kolonialpolitik darin, das Geldwesen, wie beispielsweise im 19. Jahrhundert in China, zu übernehmen und die Bevölkerung durch Verschuldung abhängig zu machen. Stagnation oder Rezession als Folge einer Schuldenkrise können sich dann explosiv lösen, wie Mitte der 2010er Jahre die Lage in Griechenland oder – begrenzter – in Spanien zeigt. Die Zwangsverschuldung ist auch eine beliebte Methode von private
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
equity Firmen, die den übernommenen Unternehmen die Kaufsumme auflasten und sie damit massiv unter Druck setzen. Man kann diese als eine ökonomische Weiterführung des im Krieg üblichen Fouragierens ansehen, also des sich Ernährens aus dem Lande, welche üblich war, wenn die Möglichkeiten der Besoldung der Truppen und des Nachführens von Ausrüstung und Nahrung nicht möglich war (Langewiesche 2019, S. 40). Carl von Clausewitz (1832, S. 52) war die Äquivalenz von Krieg mit seinen militärischen Mitteln und Handel mit seinem Geld sehr klar: „Die Waffenentscheidung ist für alle großen und kleinen Operationen des Krieges, was die bare Zahlung für den Wechselhandel ist; wie entfernt diese Beziehungen auch seien, wie selten die Realisationen eintreten mögen, ganz können sie niemals fehlen.“ Das folgende Zitat von Sima Qian (ca. 141–90 v. Chr.), dem Vater der chinesischen Geschichtsschreibung, der in seinem Buch Shiji die 2000 Jahre vor der Zeitenwende beleuchtet, verweist auf eine sehr ähnliche chinesische Position, wenn er dem großen Geschäftsmann Bai Gui21 in den Mund legt (Sima 91 v. Chr.: 2465): „Die Kunst des Handels ist wie die Kriegskunst! Leuten, die nicht klug sind, sich an die veränderte Lage anzupassen, die nicht mutig sind, Entscheidungen zu treffen, die nicht vorbereitet sind, zu gewinnen und zu verlieren, die nicht stark sind, um sich verteidigen zu können, denen werde ich diese Kunst nicht beibringen.“ René Girard (2007, S. 111) führt aus, Handel sei keine Metapher für den Krieg, sondern beträfe die gleiche Realität. Damit entwerte sich seiner Meinung nach die alte Idee von Charles-Louis Montesquieu (1748), bewaffnete Kriege könnten durch Handel vermieden werden. Gerade die historischen Kriegseigenschaften des Geldes verdeutlichen den Zusammenhang von Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftskrieg: Wirtschaftskriminalität kann instrumenteller Teil des Wirtschaftskriegs sein – aber umgekehrt gilt das selten! Tatsächlich gibt es viele Instrumente mit krimineller Herkunft im Wirtschaftskrieg: Das Herstellen und in den Verkehr Bringen von Falschgeld gilt gemeinhin als kriminell; das Einschleusen von Falschgeld ins Feindesland ist eine probate Methode, dessen Währungssystem zu zerstören. Die Manipulation von Börsen, im Rahmen der Finanzkrise eine regelmäßige Praxis vieler Finanzinstitute, ist ebenfalls strafbar. Das Zerstören des Finanzsystems mittels entsprechender Internetattacken kann ein wirksames Verfahren sein, im Wirtschaftskrieg zu obsiegen. Wirtschaftskrieg war über Jahrhunderte hinweg meist ein Geldkrieg, der zu langanhaltenden wirtschaftlichen Verwerfungen führte, oft große Reiche dauerhaft schwächte.22 So wurde Caesar an den Iden des März 44 v. Chr. auch deshalb ermordet, weil er angesichts einer breiten Verelendung der Bevölkerung eine Währungsreform durchführen
21Bai
Gui war der Kanzler von Kaiser Hui von WEI in der Zeit der Streitenden Reiche, verließ aber wegen seiner schlechten Erfahrung über die Schattenseiten der Politik dieses Land, in dem er Karriere gemacht hatte, und entschied sich für eine kaufmännische Karriere. 22Vgl. hierzu auch Ferrero (1908, Zweiter Band, S. 64, 168–169, 277–278).
2.2 Zerstörung von Stabilität: Vom Faustkeil zum Geld
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wollte, der sich die herrschende Schicht, vor allem Cicero, widersetzte. Denn durch die Edelmetallzuflüsse aus den eroberten Gebieten und das billige Getreide aus Ägypten hatten sich die Wirtschaftsbedingungen dramatisch zulasten des Produktionsfaktors Arbeit, insbesondere der Landbevölkerung, geändert. Durch die militärische und ökonomische Rivalität der Eliten und den Bürgerkrieg war das Land ausgeblutet. Ziel war es, neue Schuldenregister zu erstellen. Der durch die immer totalitärer werdende Herrschaft entstehende Druck entlud sich 43 v. Chr. in der 2. Römischen Proskription, in der man 2300 Senatoren und Ritter für vogelfrei erklärte und ihr Vermögen einzog. Auch Cicero fiel diesem Pogrom zum Opfer. Ähnlich war auch die Französische Revolution eine Folge des Staatsbankrotts von 1788 und der Innovation von John Law zur Giralgeldschöpfung, mit der er Geld von einer Waffe der Staaten zu einer Waffe von Banken gemacht hatte. Die Goldfunde Spaniens in den Kolonien führten kurzfristig zu Edelmetallschwemmen, dann zu exorbitanten Staatsausgaben für Kriege und zu staatlicher Verschwendung, anschließend zu Münzverschlechterungen, die in Inflationen mündeten (Spanische Staatsbankrotte 1557, 1575, 1596, 1627, 1647). Schließlich ruinierten die Billigimporte von Silber aus den lateinamerikanischen Kolonien Spaniens den Silberbergbau in Mitteleuropa und damit die Regionen, die ursprünglich eine wichtige wirtschaftliche Basis des Hauses Habsburg waren.
2.2.3 Macht der Rivalität und Macht der Niederlage Ebenso wie durch Wettbewerb, der alte Strukturen aufbricht, werden auch im Wirtschaftskrieg Gleichgewichte zerstört, die sich aus der wechselseitigen Kompatibilität der Pläne ergeben. In der Tat besteht die Aufgabe von Rivalität genau darin, alte Gleichgewichte zu eliminieren und neue zu finden, die im Schumpeterschen Sinne wohlfahrtserhöhend, im Sinne des Wirtschaftskriegs wohlfahrtssenkend wirken. Oft ist die durch dynamische Unternehmen oder Staaten vorgegebene Fortschrittsgeschwindigkeit so hoch, dass kein Gleichgewicht mehr entstehen kann. Ebenso ist eine Existenz kritischer Punkte in diesem schöpferischen Zerstörungsprozess denkbar, an denen die Destabilisierung, beispielsweise im Sinne einer ökonomischen Resonanzkatastrophe, so stark ist, dass Gleichgewicht und Stabilität nicht mehr aus den Marktkräften heraus entstehen können, sondern politisch erzwungen werden müssen. Derartige Sachverhalte treten häufig bei schweren Naturkatastrophen auf. In der Tat gewinnt das Konzept des Wirtschaftskriegs inhaltlich nur in dynamischer Sicht Substanz. Zwei Aspekte sind dabei von Bedeutung: Einmal die Wahl des richtigen, günstigen Zeitpunkts für die Attacke, also das Nutzen des Καιρός (Kairos).23 Pioniere
23Pittakos von Mytilene (ca. 650–570 v. Chr.) formuliert daher den berühmten Spruch: „Kairòòòn gnvqji“ (Kairon gnothi, den richtigen Augenblick erkenne!). òé.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
in der Wirtschaft, die als first mover scheiterten, hatten den genannten Kairos nicht. Napoleon blieb diese Gunst in der Schlacht bei Waterloo versagt, weil er zu spät losschlug und sein General Grouchy zu spät kam.24 Die zögerliche Lizenzstrategie beim technologisch überlegenen Videoformat Video 2000 und damit die fehlende Marktplattform, die schließlich Japan Victor mit VHS auf der Grundlage einer großzügigen Lizenzstrategie schuf, war auch einer der Gründe für das spätere Scheitern der Firma Grundig. Carl von Clausewitz (1832, S. 211) führt aus: „Der schnelle Sieg ist eine höhere Potenz des Sieges, die späte Entscheidung bei der Niederlage ein Erfolg für den Verlust.“ Die zweite zeitliche Dimension betrifft die Bewertung der Folgen der Rivalität: Ist es gelungen, dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen, ihn zu übernehmen, zu vernichten oder zu verdrängen und sein Marktgebiet zu gewinnen, oder war es ein PyrrhusSieg, bei dem alle zerstört das Schlachtfeld verlassen?25 Wie schnell kann also der Sieger aus dem Erfolg Nutzen ziehen, übersteigt der Nutzen der Rivalität jemals die Kosten – und wenn ja: ab wann? Aus ökonomischer Sicht sind die Gewinne, die Cash-Flows oder – auf staatlicher Ebene – die Wirtschaftsleistungen bzw. die Steuereinnahmen zu diskontieren. Ein Wirtschaftskrieg wird dann dadurch beschrieben, dass sich für die unterlegenen Unternehmen, Branchen, Regionen oder Länder anschließend ein stark abgesenkter Wachstumspfad auftut, wenn sie nicht überhaupt zerschlagen oder sogar vernichtet sind, und der Sieger das – im Sinne einer Gesamtsicht – durch ein verstärktes Wachstum nicht kompensieren kann: Die Dominanzerwartungen haben sich dann erfüllt. Tatsächlich ist der Sieg das Ziel des Kriegs, und Sun Zi (ca 500 v. Chr., S. 28, 25) führt aus: „Das große Ziel im Krieg soll der Sieg sein und kein langwieriger Feldzug“ und begründet dies weiter vorne wie folgt: „Wenn der Kampf tatsächlich begonnen hat und der Sieg lange auf sich warten läßt, dann werden die Waffen der Männer stumpf und ihr Eifer wird gedämpft.“ Um ein Scheitern produktiv zu nutzen, ist auch, wie Holger Afflerbach (2013) schreibt, eine Kunst der Niederlage notwendig, die durch das Kriegsvölkerrecht geregelt wird, wenn das schlichte Gemetzel, der unsystemische Krieg, zivilisiert und in eine systemische, regelgebundene Auseinandersetzung überführt wird. Ultimativ zählt dazu auch, im Gegner von heute einen künftigen Verhandlungspartner zu sehen. Eine Kultur der 24In
den Sternstunden der Menschheit (1927) beleuchtet Stefan Zweig (1881–1942) dieses Kairos; er widmet der Schlacht bei Waterloo die Miniatur Die Weltminute von Waterloo, die in der Hand des mittelmäßigen Heerführers Grouchy liegt, der im entscheidenden Moment dem Befehl sklavisch folgt statt sich des Gesamtauftrags bewusst zu sein (Zweig 2013, S. 147–172). Friedrich Schiller (1759–1805) führt in seinem Gedicht Resignation (1786) aus: „Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.“ Berühmt geworden ist der Spruch von Michael Gorbatschow (1931-) beim Besuch der DDR im Oktober 1989: „Toт, ктo пpиxoдит cлишкoм пoзднo, нaкaзывaeт Жизнь“ („Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“), den er so aber nie gesagt haben soll. 25Man hat zwar gewonnen, aber der Gewinn wurde zu teuer erkauft. Im Krieg gegen Rom (279 v. Chr.) hatte König Pyrrhus von Epirus nach der Schlacht bei Asculum geäußert: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren.“
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
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Niederlage (Schivelbusch 2003) kann also positive Impulse auslösen – ist möglicherweise Voraussetzung für künftigen Erfolg, weil sie ein Sich-Zu-Tode-Konkurrieren verhindert. Zu dieser Einsicht zu gelangen, bedurfte eines weiten Weges, von Vernichtungsfeldzügen zu ritterlichen Duellen, von Ermordung, Schändung und Versklaven des Besiegten („vae victis“ – „wehe den Besiegten“) zum ehrenhaften Gegner, wie dies von Richard van Emden (2013) anhand der Inseln der Kooperation im agonalen Ersten Weltkrieg verdeutlicht wird. Diese Einsicht in den Ausgleich zählt zu wichtigsten kulturellen Errungenschaften des kooperativen Ordnungsdachs einer Gesellschaft. In Erwartung des Gegenteils töteten sich auf Anordnung ihres Führers Eleazar die Besatzung der auf der Bergfestung Masada eingeschlossenen jüdischen Soldaten mit ihren Familien kurz vor Einnahme erst gegenseitig, dann verübten die wenigen Verbliebenen Selbstmord. Die Festung wurde über eine künstlich aufgeschüttete Rampe in den Jahren 73–74 n. Chr. von der 10. römischen Legion unter Flavius Sylva belagert und schließlich erobert. Die Belagerten ersparten sich so Gefangenschaft, Versklavung, Tod und Schändung. Der Vorgang ist durch die Niederschriften des Flavius Josephus zum de bello judaico wohldokumentiert, der die Erzählungen von zwei überlebenden Frauen und fünf Kindern, die sich versteckt gehalten hatten, auswertete. Masada spielt noch heute für das Selbstverständnis Israels und seiner Streitkräfte, das dort seine Soldaten vereidigt, eine bedeutende Rolle.
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität Rivalität erscheint als anthropologische Konstante, als ein Spiel der Natur, deren Begründung essentiell für die Betrachtung und wissenschaftliche Fundierung des Wirtschaftskriegs ist. Wenn der Spruch „das Spiel fesselt“ Gehalt hat, dann bedingen sich das Spielerische und die Rahmensetzung im Prozess der Rivalität. Dieser Abschnitt analysiert folglich, wie Rivalität als weitergehendes Konzept der Dominanzausübung gesehen werden kann.
2.3.1 Rivalität als Antrieb des ökonomischen Wandels Die hier formulierte, zerstörerische Rivalität kann in einen wohlfahrtstheoretischen Kontext gesetzt werden. Es lassen sich dann drei Arten von Rivalität unterscheiden: 1. Der Anpassungswettbewerb, durch welchen bisher ineffiziente Unternehmen gezwungen werden, den Stand der Technik zu nutzen oder unterzugehen. 2. Der Innovationswettbewerb, durch welchen neue Produkte, Verfahren, Organisationsformen oder Märkte das Nutzen der bisherigen verbessert, die Produktionsmöglichkeiten also steigen, wobei im Sinne von Schumpeter die Unterlasser, also untätige Unternehmer, vom Markt verschwinden und ihre Ressourcen von aktiven Unternehmern, den Entrepreneuren, genutzt werden.
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3. Der Wirtschaftskrieg, durch den Ressourcen des Gegners unwiederbringlich vernichtet werden und damit eine bezogen auf die Gesamtwohlfahrt längere Zeit anhaltende, möglicherweise sogar dauerhafte Verschlechterung eintritt. Diese Unterscheidung verdeutlicht, dass ein Wirtschaftskrieg in besonders dynamischen Märkten weniger leicht zu identifizieren ist, weil die Rivalität in einen konkurrenzorientierten und einen kriegerischen Teil zu zerlegen ist. Dies wird später im Rahmen wohlfahrtstheoretischer Überlegungen eingehend betrachtet. Im Sinne von William Baumol (1990) ist der Unternehmer ein Gewinnsuchender, und ob er eine Innovations-, eine Zerstörungsstrategie oder des rent-seeking verfolge, hinge von den regulatorischen Bedingungen ab. Wirtschaftskrieg ist Machtausübung, um langfristig Einkommen zu erzielen, die der normale Wettbewerb nicht ermöglicht. Damit steht er in Verbindung zum rent-seeking und zur Korruption, wobei beide wiederum mit der Wirtschaftskriminalität verbunden sind. • Robert Tollison (1982) definiert rent-seeking als eine Aktivität, die Erträge jenseits der nächstbesseren Ressourcenverwendung bietet, also einen nach wettbewerblichen Effizienzgesichtspunkten ungerechtfertigten Zusatzprofit. Es werden Ressourcen verschwendet, um in den Genuss der Rente zu gelangen. So versuchen beispielsweise die USA seit dem Winter 2017/2018, eigene Sanktionsgesetze gegenüber Russland extraterritorial durchzusetzen, indem sie Unternehmen, die sich beim Bau der zweiten Ostseepipeline zwischen Deutschland und Russland engagieren, androhen, sie zu Strafzahlungen zu verurteilen bzw. vom amerikanischen Markt fernzuhalten; damit eröffnen sie der eigenen Wirtschaft die Möglichkeit zum Export von LNG (liquid natural gaz). Dem gegenüber steht die Profitsuche, also das institutionell gewollte Herstellen von Marktunvollkommenheiten, um Gewinnchancen zu eröffnen, die dann durch das Patentwesen abgesichert werden. Jagdish Bhagwati (1982, 1983) zeigt, dass gelegentlich eine scheinbar unproduktive Rentensuche, beispielsweise der Lobbyismus, wohlfahrtssteigernd wirken kann, wenn dadurch ein Handelsabkommen, das allein bei den Beteiligten effizienzsteigernd wirkt, aber insgesamt durch Handelsumlenkung die globale Allokation schädigt, verhindert wird. • Korruption als Ausnutzung eines Machtvorteils zum persönlichen Vorteil (Johnston 1998), stellt ebenso keine markt- und wettbewerbskonforme Allokation dar und ist eins der schillerndsten Mittel des Wirtschaftskriegs; sie kann ohne staatliche Beteiligung nicht verwirklicht werden. Jens Ivo Engels (2014, S. 13–15) verweist in seinem Buch Die Geschichte der Korruption: Von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert auf die rasiermesserscharfe Härte des Begriffs. Dieser erlaube, weil moralisch aufgeladen, kein Kontinuum, ganz anders als andere Delikte; wegen dieser Wertbehaftung sei er damit auch kein analytischer Begriff, sondern eher ein Mythos, bei dem strikt zwischen den konkreten korruptionsverdächtigen Praktiken und der gesellschaftlichen Beurteilung derselben zu trennen sei. Tatsächlich über-
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
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schneiden sich diese mit dem, was Tim Burns (1961) als „Mikropolitik“ bezeichnet, also mit Verhaltensweisen bei informellen Absprachen der Konfliktauslösung und -bewältigung. So verschwimmt zum einen die Dichotomie zwischen privatem und öffentlichem Raum, die für die Ausgangsdefinition der Korruption maßgeblich ist, zum anderen kann die Gegenseitigkeit oder Vertrauensstiftung sogar bedeutsam für die Herausbildung stabiler Institutionen sein (Engels 2014, S. 44–54). Rivalität kann sich auf vielen Feldern manifestieren, u. a. auf dem politischen, wirtschaftlichen und militärischen. Sie interagieren dabei, werden zur gegenseitigen Unterstützung eingesetzt, und sind deshalb auch im Sinne der politischen Philosophie – wie es bereits Carl von Clausewitz tat, indem er das Primat des Politischen als Zweck begründete – zu betrachten. Wenn die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, wie sie im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels (1848) beschrieben wurde, die Konflikte in Richtung Wirtschaft verschoben hat, dann füllt der Wirtschaftskrieg in Abb. 2.4 das erste Feld aus und der klassische Krieg das vierte Feld. Dem entspricht das Konstrukt der Marktgesellschaft, das Karl Polanyi (1944) in der Beschreibung der Great Transformation eingeführt hat. Die diagonalen Felder sind von besonderem Interesse: Mittels Boykotts sollen militärische Lösungen ohne den Einsatz von Soldaten erzwungen werden – der Iran-Boykott bis Anfang 2016 ist dafür ein Prototyp. Der Imperialismus wiederum war eine Form von territorialer Ausbeutung, die später als rent-seeking eingeführt wird, um mittels militärischer Macht Wirtschaftsräume zu sichern. Herauszuheben ist der amerikanisch-britische Krieg 1812, durch welchen sich England Zugriff auf das für seine weltumspannend eingesetzte Marine
ökonomisch
ökonomisch
militärisch
moderner Wirtschaskrieg 1 2
militärisch
Instrumente (Miel) des Kriegs
Ziele des Kriegs
(Neo-) Imperialismus (Neo-) Kolonialismus
Finanzverkehrskontrollen, Handelsbeschränkungen, Boyko
3 4
(klassischer) militärischer Konflikt
Abb. 2.4 Ordnung der militärischen und wirtschaftlichen Konflikte. (Quelle: eigene Darstellung)
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
notwendiges Menschenmaterial aus den Kolonien sichern wollte (Gerste 2015, S. 184), oder das gewaltsame Öffnen von Ländern wie China (mit den Exzessen des Ersten Opiumkriegs 1839–1842) und Japan (1853 mit der sogenannten Schwarzen Flotte unter Matthew Calbraith Perry) durch England und Amerika. Imperialismus und Kolonialismus des 19. Jh. fallen insgesamt in diese Kategorie, deren ökonomischer Unterbau eine merkantilistische Doktrin des reinen Wirtschafskonflikts ist. Meist oszilliert die Realität zwischen diesen Feldern, weil Konflikte, wie der Ukraine-Konflikt ab dem Jahr 2014 zeigt, auf bestimmten Ebenen militärisch, auf anderen ökonomisch ausgetragen werden. Robin Thomas Naylor (1999, S. 383) führt aus, dass der Versuch, England abzuschotten, um es niederzuringen, die wesentliche Motivation für Napoleon war, Europa zu erobern; der Boykott Zentraleuropas durch England sei ein Auslöser für die Eroberungskriege Deutschlands im Osten: die Rohölsanktionen der USA gegen Japan erklären dessen asiatische Eroberungskriege. In jedem Fall eskalierten Sanktionen und lokale Konflikte, die möglicherweise politisch zu bewältigen gewesen wären, zu globalen Konflikten. Ebenso wenig wie ein Grenzkonflikt zum militärischen Krieg eskalieren muss, ist es zwingend, dass sich ein massiver Wettbewerbsvorstoß zum Wirtschaftskrieg ausweitet – das Eindämmen ist dann möglich, wenn der Konflikt nicht in der vollen Absicht des Angreifers steht. Die Aufteilung der Rivalität in die beiden Ausprägungsformen Wirtschaftskrieg und innerhalb eines Ordnungsmodells eingebetteten Wettbewerb ist deshalb nicht unkritisch, weil jede Vorstellung von Ordnung kulturelle Hintergründe besitzt, die zwischen Nationen, Ethnien oder Religionsgruppen erheblich variieren können. Welcher Ordnungsrahmen faktisch durchgesetzt wird, ist damit Gegenstand unterschiedlicher Rechtsrahmen und -wirklichkeiten. Wenn schließlich der Staat – wie er es gerade in der Eurokrise zeigt – keine Moral hat, sondern nur Interessen, dann wird es schwer, eine theoretisch befriedigende Trennlinie zwischen Wettbewerb und Wirtschaftskrieg zu ziehen, die aber ebenso notwendig ist wie die Aufgreif-, Vermutungs- und Eingreiftatbestände im Wettbewerbsrecht (Blum 2004, S. 567), die wettbewerbswidriges Handeln zu identifizieren trachten.26 Deutlich wird dies an der Vielzahl von Diskussionen, ob einzelne Länder ihre Rolle in dem globalen geostrategischen Spiel angemessen wahrnehmen. Matthias Herdegen (2018) sieht in seinem Buch Der Kampf um die Weltordnung für Deutschland erheblichen Nachholbedarf; insbesondere mangele es an der Fähigkeit, eigene strategische Positionen in der Dialektik aus Macht und Interessen zu bestimmen und dabei auch die Konkurrenz der Ordnungen einzubeziehen.
26Deutlich
wird diese Problematik von Moral- oder Interessenorientierung an der unterschiedlichen Behandlung illegal organisierter Beweismittel: So macht sich ein Bürger, der erpresserische Anrufe auf Tonträger aufnimmt, strafbar, und die Erkenntnis ist nicht gerichtsverwertbar; der Staat hingegen darf als Hehlerware beschaffte Steuer-CDs auswerten.
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
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2.3.2 Rivalität als Spiel Reuven Brenner (1983) stellt aus geschichtlicher Sicht Rivalität in den Kontext eines von Menschen betriebenen Glücksspiels und stellt die Frage, warum Risiko eingegangen wird. Alternativ: Was passiert eigentlich, wenn niemand bereit ist, sich und die Umwelt Risiken auszusetzen? Wenn vom Ablauf der Geschichte im Kontext des Spiels gesprochen wird und der Mensch über Ideen wettet (Brenner 1987), so nimmt diese Vorstellung starken Bezug auf die Arbeiten von Johan Huizinga (1933,1950). Dieser sieht, wie Knut Ebeling (2014, S. 13) erläutert, das Spiel als grundlegende Kraft und formative Substanz der Kultur selbst im Sinne einer philosophischen Anthropologie, die dem Menschsein vorgelagert ist, weil es einer Vielzahl von Geschöpfen, insbesondere Primaten, aber auch anderen Säugetieren, gemein ist. Tatsächlich geht das Spiel nach Johan Huizinga der Kultur vorher und zwar sowohl phylogenetisch, weil auch die Tiere spielen können, und ontogenetisch, weil es in der menschlichen Existenz und seiner Individualentwicklung selbst verankert ist. Spiel bedeutet im Sinne der späteren Kategorien immer ein Spannungsfeld zwischen dem Agonalen, also dem Aggressiven, und dem Kooperativen, also dem Bindung Erzeugenden. Nicht umsonst zeigt die von Johan Huizinga bemühte Metapher „ein Spiel fesselt“ die Bandbreite der Rivalität: einerseits das Spiel als Auseinandersetzung, andererseits das Fesseln, also die Bindung. Dieser erste Aspekt ist um einen zweiten zu ergänzen, weil Spiel immer etwas Allegorisches ist und die Handlung damit Kult, Kultus, Ritual oder Liturgisches beinhaltet. Der Verweis auf die Arbeiten von Sigmund Freud (1856–1939) und die Werke Totem und Tabu (1912/1913) sowie das Unbehagen der Kultur (1930) drängt sich unmittelbar auf. Schließlich ist Spiel auch Streit und impliziert Wettbewerb und Rivalität, und zwar nicht nur mit Waffen, sondern auch in der Kunst, im Sport oder in der Wirtschaft. Dabei entsteht ein essentielles Element, nämlich die Wette als Vorgriff auf ein Versprechen, weshalb dem Spiel immer Chance und Einsatz gemein ist. Die Erkenntnis daraus ist, dass Überleben nur mit Neugier, Innovation, Spiel(ern), Leidenschaft und Anderssein gelingt und so seine Dynamik gewinnt. Es basiert auf einer Irrationalität, die erst später infolge konkreter, für die Gesellschaft nützlicher Ergebnisse, vernünftig wird – andernfalls wird sie als unzweckmäßiger Handlungsstrang eliminiert. Damit überspannt diese Vorstellung alle Disziplinen, die sich an die Ökonomik annähern und versuchen, das Rationalismus-Postulat als nicht mehr angemessen auszuhebeln: Tatsächlich beinhaltet die ökonomische Lehre vor allem dort Irrationalität, wo sie ex-post rational umgewertet werden kann und als kognitive Dissonanz erscheint. Formen der zunächst (scheinbar) weitgehend gewaltfreien Rivalität finden sich im Sport, in der Wirtschaft, in der Politik; sie können aber allesamt schnell zu Gewalttätigkeiten eskalieren. Gerade Teile des amerikanischen Sports, beispielsweise Football, sehen sich als Entstehungs- und Übungsplatz für spätere körperliche
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Auseinandersetzungen, durch welche die Anglo World27 aus Sicht von Carl Brinkmann (1944) entsteht. Wenn in derartigen Auseinandersetzungen die Rangfolge neu geordnet und die Herrschaft über Räume neu verteilt wird, dann entspricht das der Vorstellung von Wettbewerb und Krieg, und letzterem vor allem dann, wenn sie bis zur Vernichtung des Konkurrenten führen. Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen Politik und Krieg (und Wirtschaft) komplex: Es war für Carl von Clausewitz (1832) wichtig, dass mit einem militärischen Krieg nicht die Politik (bzw. das politische Ringen) endet; und das gilt analog auch für den Wirtschaftskrieg, denn der Handel ist mit der Politik und der Wirtschaftskrieg mit dem militärischen Krieg eng verwandt. Das wird besonders deutlich an der Institution des Boykotts, benannt nach dem Engländer Charles Cunningham Boycott, der im Jahr 1880 als Landverwalter in einer Auseinandersetzung mit der irischen Landbevölkerung keine Pächter mehr fand, also boykottiert wurde. Diese wirtschaftskriegerische Aktivität sucht sehr häufig weiterhin nach politischen Lösungen und versucht, diese meist durch Boykott zu erzwingen. Konkurrenz und Rivalität sind grundlegende Elemente des Evolutionsprinzips. Das Entstehen der Arten in der Sicht von Charles Darwin (1859) wird im Wesentlichen durch Versuch und Irrtum getrieben, wobei bessere Varianten andere ersetzen. Dieser Verdrängungseffekt ist oft nicht vollkommen, weil es symbiotische Strukturen gibt, die eine weitere Existenz in Nischen gewährleisten. Insofern ist Rivalität nicht immer zwingend total, sondern eröffnet auch begrenzte, oft abgeschirmte Lebensräume, die dort einen oft nicht sofort zu erkennenden Zweck erfüllen. Friedrich August von Hayek (1945, 1960, 1968) sieht diese institutionelle Konkurrenz als wesentlichen Fortschrittstreiber, weil durch sie auch Informationen verfügbar werden, die ansonsten nicht gefunden würden. Wettbewerb als Entdeckungsverfahren und zugleich als Rückbindung der unternehmerischen Konkurrenz auf den Wettbewerb der Ordnungen stellt ein konstitutives Merkmal der Freiburger Schule und der Sozialen Marktwirtschaft dar (Eucken 1952; Erhard 1957b). Viele dieser rivalisierenden Auseinandersetzungen werden individuell ausgelebt und spielen für die Begründung von Persönlichkeit eine wichtige Rolle, wie Helmut Schoeck (1966) zeigt. Rivalität ist auch ein Gruppenphänomen, weshalb die Frage, unter welchen Bedingungen sich Menschen zu Kollektiven zusammentun, eine hohe Aufmerksamkeit genießt, zumal damit auch verbunden ist, wie diese Zusammengehörigkeit rechtlich
27Das
liberale Konkurrenzsystem wird als Ausdruck des angelsächsischen Expansionsdrangs und Wirtschaftsimperialismus eingeordnet, der im Sport eingeübt wird. Diese Einschätzung erinnert an die seit der Wirtschaftskrise wieder aufgeflammte Diskussion über eine angebliche angelsächsische, neoliberale Wirtschaftsideologie, die sich als kognitiver Kulturimperialismus ausbreitet. Merkmal dieser Anglo World ist auch das Einüben eines extremen Konkurrenzkampfs innerhalb organisierter Eliten, beispielsweise in Privatschulen, fraternities oder Debattierklubs. Nicht umsonst war Donald Trump in seiner Jugend Wrestler, eine Sportart, die heute seinen Politikstil prägt.
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
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abgesichert ist. Die Vertragslehre, in der griechischen Klassik begründet und bis heute stetig weiterentwickelt und auch ökonomisiert (Wuchanan 1975), macht deutlich, wie wichtig die Treiber (und Anreize) sind, um einen personalen Zusammenschluss zu einer Gesellschaft zu bewirken. Um den Wirtschaftskrieg vom Wettbewerb abzuheben, bedarf es eines Menschenbildes, das den homo oeconomicus seiner möglichen sozialen Rückbindung in allgemeiner Hinsicht beraubt, die dadurch gegeben sein kann, dass Gutes zu tun aus egoistischer Sicht langfristig nützlich ist. Wird der Zeithorizont dieses Rückbezugs verkürzt, liegt also die Gegenwartspräferenz sehr hoch, dann bezieht sich ein reziproker Altruismus allenfalls auf kleine Gruppen. Der Wolfskampf wird also zur ultima ratio der Rivalität, agonales Handeln ist Normalzustand und wird in entsprechenden Ethiken reflektiert, Kooperation herrscht nur im engsten Bereich, weshalb es zwischen Wirtschaftskriegern einerseits und Wettbewerbern andererseits zu völlig unterschiedlichen moralischen Bewertungen für die gleichen Sachverhalte kommt – die Finanzkrise gibt hier eine Fülle von Belegen, beispielsweise beim völlig selbstverständlichen Absaugen von Bankerboni aus öffentlichen Stützungsmitteln, die verhindern sollten, dass die betroffene Bank kollabiert.
2.3.3 Wohlfahrtstheoretische Sicht auf den Wirtschaftskrieg Betrachtet man Konflikte aus ökonomischer Sicht, so sind zunächst die wesentlichen Grundpfeiler ökonomischen Denkens einzubeziehen, nämlich das Knappheits-, das Opportunitätskosten- und das Marginalkalkül (Blum 2016a, S. 4–6). Analog zur Argumentation von Jack Hirshleifer (2001) in The Dark Side of the Force orientiert sich die Wahl zwischen Kooperation und Konflikt dann an diesen Größen: Opportunitäten, also Gelegenheiten und Günstigkeiten legen fest, ob die zusätzliche Gütereinheit besser getauscht oder geraubt werden soll. Dies hängt natürlich mit den relativen Knappheitsgraden zusammen und mit der Frage, welcher ergänzende Aufwand – Geld oder Gewalt – erforderlich ist, um das Gut zu beschaffen und wie es um die eigenen Fähigkeiten und die der Gegenseite bestellt ist. Die Wahl der Mittel ist dabei auch eine Frage der Präferenzen, also von Motivationen und Anreizen – möglicherweise gesteuert von biologischen und psychologischen Kräften. Und schließlich ist die Perzeption, also die Einschätzung der Zukunft, von Bedeutung, denn sie steuert die intertemporalen Wahlentscheidungen – heute Krieg oder heute Tausch? Diese grundlegenden Fragen werden in den folgenden Kapiteln abgehandelt. Hier erfolgt zunächst eine wohlfahrtstheoretische Einführung. Die Abb. 2.5 verdeutlicht dies. Analog zur Produktionsmöglichkeit privater Güter, die zwischen zwei Rivalen aufzuteilen sind, lässt sich auch zwischen der Produktion öffentlicher Güter, also Güter wie Gesetze oder Sicherheit, die ohne Rivalität genutzt werden und von denen kein Bürger ausgeschlossen werden kann, und privaten Gütern abwägen: Es ist die Debatte über die Entscheidung zwischen „Kanonen und Butter“.
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Private Güter („Butter“)
56
R1
N3 U2
45°
N4
Öffentliche Güter, u.a. Sicherheit („Kanonen“)
Abb. 2.5 Sicherheit als öffentliches Gut. (Quelle: eigene Darstellung)
Denn anfangs ergänzen sich Sicherheit (als öffentliches Gut) und Ernährung (als privates Gut) positiv – privat wird nicht produziert, wenn die Erträge der Mühen nicht vereinnahmt werden können. Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, auch Rechtssicherheit, kann keine Produktion privater Güter erfolgreich sein. Insofern stehen anfangs beide nicht in Konkurrenz, sondern bedingen sich. Dies bedeutetet: • In R1 wird das höchste Niveau privater Güter erzeugt; bei Expansion der Produktion an öffentlichen Gütern überwiegt bis hierhin deren Nutzen für die Bereitstellung privater Güter; von da an nimmt dieser durch Ressourcenkonkurrenz ab. • In Punkt U2 findet sich das Maximum der Utilitaristen, die, gemäß Jeremy Bentham, das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl propagieren. • Neoklassische Nutzenoptima N3 und N4 sind dort lokalisiert, wo infolge der Güterpräferenz der Tangentialpunkt mit der Produktionsmöglichkeitenkurve liegt. N4 ist dabei eher „sozialdemokratisch“ infolge des erhöhten Anteils an öffentlichen Gütern, N3 eher konservativ-liberal. Wirtschaftskriege tangieren die Stabilität auf staatlicher Ebene bzw. im Allgemeinen auch die Gewissheiten des Lebens, die dieses kalkulierbar machen. Wettbewerb hingegen ermöglicht es, dass die Beteiligten aneinander wachsen. Im Sport ist dies evident, weil ansonsten der Vergleich fehlte. Einen Gegner nicht vollkommen niederzuringen, quasi als militärischer Wettbewerb, birgt Gefahren, denn es gilt auch das Bonmot von
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
57
geldwerte Wirtschaftsleistung des Rivalen 1
Napoleon (1812) aus dem Russlandfeldzug: „Du darfst nicht zu oft mit einem Feinde kämpfen, denn sonst lehrst du ihn deine gesamte Kriegskunst.“ Genau hieran scheiterte er 1813. Noch präziser formulierte Friedrich Nietzsche (1893, S. 3): „Ein großer Sieg ist eine große Gefahr. Die menschliche Natur erträgt ihn schwerer als eine Niederlage.“ Tatsächlich liegt im Sieg häufig der Keim der künftigen Niederlage. Oft ist daher die strategisch umfassende Vernichtung das Ziel, vor allem dann, wenn die Zahl der Wettbewerber begrenzt ist und nur so eine dominante Position ausgebaut werden kann. Die im Folgenden vorgetragene Sicht fokussiert auf die Ergebnisse von Rivalität, weniger auf die Bewertung der Mittel als von Anfang an wirtschaftskriegerisch – denn sie könnten auch (noch) wettbewerblich sein. Im militärischen Krieg scheint diese Unterscheidung nicht erforderlich: Ob Waffen sprechen oder schweigen, ist leicht auszumachen; aber bei hybriden Kriegen fällt diese Abgrenzung bereits schwer. Die Abb. 2.6 stellt die Rivalität zwischen zwei Parteien dar, die im Wettstreit um Ressourcen oder Märkte liegen. Ausgehend von einem Punkt A0* unterhalb der innenliegenden Produktionsmöglichkeitenkurve erzwingt der Wettbewerbsdruck eine sich stetig verbessernde Nutzung der Ressourcen – bis hin zu Punkt A0‘ auf der Produktionsmöglichkeitenkurve. Dieser Anpassungswettbewerb verwendet nunmehr die vorhandenen Ressourcen nach dem Stand der Technik gemäß einer best practice und baut die nach Harvey Leibenstein (1966) benannte Allokationsineffizienz (A-inefficiency) ab. Ausgehend von dieser Allokation A0 ergeben sich vier Bereiche:
A2
KALDOR-HICKS-Welt
A2‘
S
A1 A1‘
E
K
PARETO-Welt
Welt des Wirtschaskriegs
A0 A0‘
A0*
P
U0
K
S KALDOR-HICKSWelt
°
45
geldwerte Wirtschaftsleistung des Rivalen 2 Abb. 2.6 Einordnung von Wettbewerb und Wirtschaftskrieg. (Quelle: eigene Darstellung)
58
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
1. Durch Innovationswettbewerb wird die Produktionsmöglichkeit beider Unternehmen infolge des technischen Fortschritts nach außen verschoben und der Punkt A0 erreicht, für den auch die Nutzenkurve U0 eingezeichnet ist. Alle Innovationen, die die wertmäßige Leistung mindestens eines der beiden Rivalen verbessern, liegen im nordöstlichen Quadranten E der effizienten Pareto-Welt28 – der idealen Welt des Wettbewerbs, bei dem alle Marktteilnehmer stetig aneinander wachsen, und damit verbunden der liberalen Ordnung. 2. Oberhalb einer 45°-Achse, aber außerhalb dieses E-Feldes, liegen diejenigen Ergebnisse, bei denen der Innovationsertrag des überlegenen Rivalen stets über dem Verlust des unterlegenen liegt; in den beiden Dreiecken S ist der Rivale 1 dem Rivalen 2 bzw. der Rivale 2 dem Rivalen 1 überlegen. Weil damit stets der Sieger den Besiegten kompensieren könnte, wird diese nach unten begrenzende Linie als Kaldor-HicksAchse bezeichnet.29 Intertemporal könnten die S-Felder Zwischenstationen sein: Es herrscht eine schöpferische Zerstörung nach Joseph Schumpeter, aber die Ressourcen des Unterlegenen werden reinvestiert, sodass langfristig tatsächlich das Feld E erreicht werden kann. Erfolgt diese positive Triage nicht, erzeugt der Sieger des Wirtschaftskriegs zwar einen gesamtwirtschaftlichen Vorteil, das zerstörte Kapital ist jedoch wirtschaftlich obsolet. 3. In den beiden Dreiecken K unterhalb der Kaldor-Hicks-Achse kann der Erfolgreichere den weniger Erfolgreichen nicht entschädigen; der Vorteil liegt nur noch individuell beim Sieger, ist nicht mehr kollektiv. Bei dieser Strategie der verbrannten Erde werden die Zerstörungen entweder selbst verursacht, um den Preis des Sieges unter hoffnungslosen Bedingungen zu erhöhen, oder um den Feind dauerhaft zu zerstören. Am Ende bekommt der Gewinner einen Vorteil, aber in dieser karthagischen Welt ist der Preis für den Sieg extrem hoch.30 4. Im rechteckigen Feld P scheitern sogar beide, weil beispielsweise eine Innovation zu einem umweltvernichtenden Ressourcenkampf geführt hat, durch den die Produktionsmöglichkeitenkurve möglicherweise sogar nach unten wandert (gestrichelte Kurve). Man könnte von einer Pyrrhus-Welt sprechen. 28Eine
Pareto-Verbesserung liegt vor, wenn sich mindestens ein Rivale verbessert und die anderen sich jeweils nicht verschlechtern. 29Dem Kaldor-Hicks-Kompensationskriterium zufolge besteht die Möglichkeit, dass diejenigen, die sich verbessern, diejenigen, die sich verschlechtern, entschädigen können und dabei einen Überschuss behalten. Im Sinne der Interdependenz der wirtschaftlichen und der politischen Ordnung beschreibt dieses Kompensationskriterium deutlich ein sozialpolitisches Paradigma. 30Grundsätzlich wurde diese Strategie von Römern und Karthagern sowohl als Mittel des destruktiven Angriffs als auch als Methode der verzweifelten Verteidigung angewendet. Scipio Aemilianus beendete die punischen Kriege in Karthago (146 v. Chr.), indem er die Stadt und alle ihre Ressourcen zerstörte, die Erde versalzte und entweder die Einwohner tötete oder sie in Sklaverei verkaufte, um die endgültige Niederwerfung des Feindes sicherzustellen. Zar Alexander I. wandte diese Strategie in den Befreiungskriegen (1812–1815) gegen Napoleon an, um das SichVersorgen aus dem Land, militärisch Fouragieren, zu verhindern.
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
59
Sehr oft werden schwere Zerstörungen in der Kaldor-Hicks-Welt als Wirtschaftskriege betrachtet, da vor Ort keine Kompensation stattfindet, zum Beispiel weil die zerstörten Regionen, Sektoren oder Unternehmen geographisch oder im Branchenmix ziemlich weit entfernt liegen, was für die Weltwirtschaft eher typisch ist. (3) und (4) sind wirtschaftliche Kriegswelten, in denen Triage nicht mehr produktiv ist. Die Fälle (3) und (4) spricht Thomas Schelling (1984, S. 369) in Choice and Consequence an, wenn er ausführt, dass sich Krieg oder Abschreckung nicht lohne: „The fact that war hurts – that not all losses are recoverable – makes war itself a dramatically nonzero-sum activity […].“ William Baumol (1990) würde argumentieren, dass die Pareto- und die Kaldor-Hicks Welten die produktive Seite des Unternehmertums darstellen, die karthagischen und die Pyrrhus-Welten die destruktive Seite. Rentensuchendes Verhalten und an seinen Grenzen Zombifizierung der Wirtschaft beinhalte einen Allokationspunkt P0', der nur durch Wettbewerbsdruck beseitigt werden könne. Im besten Fall ist Abschreckung eine Kriegskunst, die im Kopf des Gegners beginnt. Wie unter (4) erwähnt, kann die Rivalität schließlich auch dazu führen, dass sich die Preise massiv verschieben und dadurch die neuen optimalen Produktionspunkte einen der Kontrahenten benachteiligen: A1 könnte noch ein transienter Kaldor-Hicks-Punkt im Sinne der schöpferischen Zerstörung sein; bei A2 ist der Verlust nicht mehr auszugleichen. Verschiebt sich durch den Wirtschaftskrieg die Produktionsmöglichkeitenkurve, wie die gestrichelte, im Uhrzeigersinn schwenkende Kurve verdeutlicht, bedeutet der Weg von A1 und A2 nach A1′ und A2‘ einen Verlust für beide. Wenn Wirtschaftskrieg sich gesamtwirtschaftlich nicht lohnt – warum wird er dann geführt? Die wichtigste ökonomische Antwort lautet: Weil die Alternative schlechter ist, wie dies weiter unten in der Dominanzerwartungstheorie erörtert wird. Diese wohlfahrtstheoretische Betrachtung lässt sich wie folgt formal untersetzen: Sei γt die (Brutto-) Wachstumsrate als Folge von Innovationen in der Wirtschaft. Im Falle des Wirtschaftskriegs kann diese auch eine Aggression sein, die im einfachsten Fall als organisatorische Innovation zu begreifen ist. Der Triagefaktor τt gibt den Anteil erfolgreich wiederverwerteter Anlagen wieder. Die anteilige Vernichtung alter, ineffizienter und folglich nicht mehr verwertbarer Kombinationen ist dann (1 − τt ); γt und τt sind Zufallsgrößen. Risikobehaftete Ereignisse könnten sich negativ auf das Wachstum auswirken, beispielsweise als künftige Umweltschäden sowie Kosten der Rivalität, was durch die Zufallsgröße ηt ∈ [0, 1] erfasst wird, der die Nachhaltigkeit des Wachstums beschreibt. Für das gesamte zu erwartende Wachstum jeder Periode gilt dann:
E(ηt , γt , τt ) = ηt · γt − (1 − τt ) ≥ 0
(1.31)
Der Ausdruck kann nicht negativ werden, weil nie mehr vernichtet werden kann als durch Innovation entstanden ist. John Komlos (2014) hat in seinem Beitrag Has Creative
60
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Destruction become more Destructive einen Schumpeter-Creative-Destruction-Index (ScD-Index) gebildet, der sich auf diesen Sachverhalt angewendet wie folgt errechnet:31
ScDt =
(ηt · γt − (1 − τt )) . γt
(1.3.2)
Der Index erreicht ein Maximum von Eins, wenn keine Wachstumseinbußen auftreten und keinerlei Ausfälle durch Triage entstehen; der Wert Null wird erreicht, wenn das gesamte Wachstum durch entsprechende Einbußen oder durch fehlende Triagemöglichkeiten aufgefressen wird. Die Effizienzbetrachtung der Abb. 2.6 ist nur komparativ-statisch, vergleicht also Ausgangs- und Endzeitpunkte. Tatsächlich aber interessiert auch die Dauer, ist doch die Innovation unter Wettbewerbsbedingungen daran geknüpft, dass relativ zügig eine erfolgreiche Triage erfolgt, der Triagefaktor also hoch ist. Damit gewinnen die Resilienz des Systems und die zugehörige Latenzzeit, insbesondere der Verlierer, eine hohe Bedeutung. Die Fähigkeit, sich von einer Krise zu erholen, wird also in Beziehung zu der dafür erforderlichen Zeit gesetzt; diese sei hier mit T gegeben, wobei T auch den Wert unendlich annehmen kann; dann findet eine Erholung niemals statt. Sei weiterhin durch Yt, t = 0, 1, 2, …, T der theoretische Wachstumsprozess einer Innovation bzw. Aggression gegeben; sei der Kapitalzins i. Für eine Allokation oberhalb der Kaldor-Hicks-Linie muss gelten: T T E(ηt , γt , τt ) · Yt ( ηt · γt − (1 − τt )) · Yt = t (1 + i) (1 + i)t t=0 t=0
≥
T t=1
Yt (1 + i)t .
(1.3.3)
Ist diese Ungleichung nicht erfüllt, herrscht in jedem Fall Wirtschaftskrieg, weil die verzinste Summe der Erträge unter dem auf dem alten Wachstumspfad Erreichbaren liegt. Diese Definition ist der von Jeffrey Clemens (2013) in An Analysis of Economic Warfare überlegen, denn diese beschränkt sich auf die Fähigkeit, das Einkommen des Rivalen durch gezielte Maßnahmen zu senken. Dabei ist das eigene Wohlstandsniveau positiv mit dem der Verbündeten und negativ mit dem der Gegner verknüpft. Da nichts über die Dauer des Absenkens des feindlichen Einkommens gesagt wird, kann auch jeder erfolgreiche Wettbewerbsschlag als Wirtschaftskrieg aufgefasst werden.
2.3.4 Dominanz und Kontrolle als strategisches Kriegsziel Das Streben nach Dominanz ordnet sich in das in den beiden folgenden Kapiteln betrachtet Triebsystem der Menschen ein, insbesondere dem Drang nach Status und dem
31Komlos
Kalkül.
(2014) berücksichtigt nur die Differenz γ − τ und verwendet kein intertemporales
61
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
Nutzen der erzielten Dominanz
Arten der Beherrschung durch Kriegshandlungen
Handlungsrahmen für Fähigkeiten, Bereitschaen
Wille zur strategischen Beeinflussung Personale Voraussetzungen
Materielle Voraussetzungen
Informatorische Voraussetzungen
Räumliche Voraussetzungen
Zeitliche Voraussetzungen
Analyse der Bedingungen zum Erzielen strategischer Überlegenheit Militärischer Krieg
Polischer Krieg
Kontrolle von Territorien, Verkehrssystemen und Ressourcen
Kontrolle polischer Prozesse
Rechtskrieg
Wirtschaskrieg
Kontrolle der Rechtssetzung und Rechtsanwendung
Technologiekrieg
Beherrschung von Energie, Ressourcen, Unternehmen und Märkten durch Eliminieren der Konkurrenz
Informaonskrieg
Kogniver Krieg
Beherrschen der öffentlichen Meinung Kulturelle Dominanz • Sprache • Werte
Auau von Kooperaonen, Netzwerken, Allianzen und Nutzen von Synergien Stabilisierung der dauerhaen strategischen Beeinflussung
Abb. 2.7 Wege zum Herstellen strategischer Dominanz. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an HDv 100/200, Didier 2003)
Willen zu Bestrafung. Drei Dominanzziele des Wirtschaftskriegs sind von besonderer Bedeutung: die Durchsetzungsmacht mit dem Ziel, Dritten den eigenen Willen oder eigene Strukturen aufzuzwingen; die Verhinderungsmacht, um Entscheidungen und damit verbundene Handlungen, die zum Nachteil gereichen könnten, zu blockieren; die kommunikative Macht, den kulturellen Hintergrund, die Begriffe und die Denkkategorien zu bestimmen, um damit die Handlungsleitung zu manipulieren. Daher ist es wichtig, die Wege der strategischen Beeinflussung beim Abwägen der Handlungsoptionen darzustellen. Abb. 2.7 führt aus, dass das erfolgreiche, also dominanzerzwingendes Eintreten in starke Rivalitäten, an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft ist, die in ökonomischer Sicht allesamt Eingangsgrößen eines Produktionssystems sein könnten. Daraus leiten sich verschiedene Kriegsformen ab. Der politische Krieg – ganz im Sinne des übergeordneten Zwecks im Sinne von Carl von Clausewitz, bedarf keiner weiteren Erklärung, ebenso wenig wie der militärische Konflikt. Der Rechtskrieg bereitet häufig den militärischen Krieg vor, versucht, ihm die Legitimation zu geben. Meist liegt ein Disput über unklare Eigentumsansprüche bei materiellen oder immateriellen Ressourcen vor. Die Reunionskriege von Ludwig XIV zwischen 1683 und 1684 führten u. a. zu Annektierung von Elsass-Lothringen auf der Basis angeblich historisch begründeter Ansprüche und waren der erste Bruch der Abmachungen im Westfälischen Frieden. Ihm folgten der ebenfalls von der französischen Krone entfesselte Pfälzer Erbfolge-
62
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
krieg (1688–1697)32 und der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1717); auch hier ging es um das militärische Durchsetzen einer einseitigen Rechtsposition. Die Krimannexion durch Russland im Jahr 2014 reiht sich in diese Tradition des Kampfs um Territorien ein. Der Kampf um intellektuelle Eigentumsrechte wird beispielsweise in Patentkriegen ausgetragen. Mittels des extraterritorialen Durchsetzens von Recht versuchen Staaten, vornehmlich die USA, den eigenen Rechtraum zulasten der Souveränität anderer Länder auszudehnen. Während die ersten fünf Arten der Kriegsführung eher traditionelle sind, verdienen Information und kognitive Kriegsführung zunehmende Aufmerksamkeit. Harbulot, Moinet und Lucas (2002) argumentieren, dass sich Informationskriege durch eine Strategie zur Änderung von Überzeugungen zu kognitiven Kriegen entwickeln. Es gibt eine Reihe weiterer Optionen, den Prozess der strategischen Beeinflussung zu organisieren – insbesondere auch kognitive, weiche Ansätze, also soft power, statt militärischen, harten Vorgehensweisen, also hard power. Weiterhin existieren hintergründige, nicht sofort sichtbare Methoden wie die technologische Aufrüstung. Soft power und hard power sind meist institutionell interdependent, wenn beispielsweise die kognitiven Strukturen beeinflussende Inhalte über soziale Netzwerke mittels gezielt organisierter Internetattacken gestreut werden – im Extremfall sogenannte fake news – oder wohlmeinende Internetkonzerne gezielt Informationen filtern, um damit Meinungshoheit zu gewinnen.33 Derartige Beeinflussungen gewinnen stetig an Bedeutung, als da sind: • allgemeine soziale Kontrolle: Einflussnahme auf Stimmungen und Entscheidungsroutinen der Gesellschaft; • gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung (social maneuvering); • Verzerren von Informationen durch Veröffentlichung von Halbwahrheiten bzw. die einseitige Interpretation korrekter Fakten; • Desinformation, also das Verbreiten falscher oder verzerrter Meldungen; • Lobbying, Verleumdung, Intrige, Erpressung usw. Inzwischen ist dieser Informationskrieg der wohl wichtigste Begleiter militärischer, politischer und ökonomischer Auseinandersetzungen. In der griechischen und römischen Klassik stand als zentrales Mittel die Rhetorik im Vordergrund – man denke an das oben erwähnte „ceterum censeo …“ von Marcus Porcius Cato oder die Bedeutung von neuen
32Die
Härte der Kriegsführung durch den französischen Kommandeur Ezéchiel du Mas, Comte de Mélac (ca. 1630–1704) ist tief im kollektiven Gedächtnis der Pfalz verankert; räudige Straßenhunde werden dort noch heute häufig mit Mélac benannt. Derartige kollektive Erinnerungen werden im vierten Kapitel angesprochen. 33Der Politikwissenschaftler Joseph S. Nye (1990) charakterisiert diese in seinem Beitrag soft power als Fähigkeit, den (politischen) Willen Dritter zu beeinflussen; typische Wege sind die Kultur, das politische und ökonomische Wertesystem oder der internationale Auftritt eines Lands. Im Sinne des Ziels, Dominanz zu gewinnen, kann es sehr starke Attraktivität erzeugen, der nur schwer entgegengewirkt werden kann.
63
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
Informationstechnologien für große Umwälzungen, beispielsweise die Drucktechnik von Johannes Gutenberg (1400–1468) ab dem Jahr 1540 für die Reformation oder das Internet für die Arabischen Frühling (Arabellion) zu Anfang der 2010er Jahre. Russland sieht diese „Twitter-Revolution“ (Walerij Gerassimow, zitiert nach Bender, Freidel 2019) als geglückten Informationskrieg des Westens an, mit denen er in vordem stabilen Staaten innerhalb kürzester Zeit Aufstände entfachte – und übertrug diese Erkenntnis auf den Krim- und den Ukrainekonflikt. Eine wichtige Brücke zwischen Informationskrieg und kognitivem Krieg schlägt das Konzept der Reflexiven Kontrolle. Hier wird dem Adressaten eine Information übermittelt, auf deren Grundlage er eine erwünschte Handlung durchführt. Im rivalen Sinne wird der Gegner über gezielt manipulierte Informationen zu Handlungen getrieben, die dem Sender nützen und ihn als Opfer einer Attacke stilisieren (Thomas 2004; Snegovaya 2015; White 2016; Minton 2017; Giles et al. 2018). Die Information kann auch das eigene Umfeld zum Ziel haben, um dadurch die Ausgangslage in einer Auseinandersetzung zu verbessern. Offensichtlich soll ein getrübtes, wenn nicht sogar falsches Bild der Realität übermittelt werden, kognitive Einstellungen, insbesondere Vorurteile zu nutzen oder emotionale Dispositionen beispielsweise nationale Traumata, instrumentalisieren. Diese Mittel können defensiv im eigenen Bereich und offensiv gegenüber dem Gegenüber eingesetzt werden. Sie können dabei im Sinne einer Nützlichkeit positive oder negative Handlungen. In der Abb. 2.8 wird ein Portfolio vorgestellt, das diese beiden Dimensionen gegenüberstellt. Wenn der Adressat, meist der Gegner, die Manipulation erkennt und genau deshalb anders als gewünscht handelt, also tatsächlich zum eigenen Vorteil, spricht man von einem falsch-positiven Ergebnis. Umgekehrt kann auch das Gegenteil passieren: Die
Richtung
posiv negav
ausgelöste Handlungen
defensiv (eigene Instuon)
Movaon des eigenen Lagers im Sinne einer gerechten Mission
Verstärken des Feindbilds zum Erleichtern der Aacke
offensiv (gegnerische Instuon)
1
Vermieln guter Absichten zum Sedieren der Wachsamkeit 2 des Gegners
3 4
Streuen von Dissens beim Gegner, um ihn zu schwächen
Abb. 2.8 Das Portfolio der Reflexiven Kontrolle. (Quelle: Eigene Darstellung)
64
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Informationen sind nicht manipuliert, werden aber als solche aufgefasst, mit der Folge einer dann falsch-negativen Reaktion. Heidi Tworek (2019) zeigt in ihrem Beitrag Informationskriege den Kampf um die ersten Plattformmärkte – die Nachrichtenagenturen – und ihre Lebensadern – die Transatlantikkabel – im ersten Weltkrieg und verweist auf die Ähnlichkeiten zu den heutigen digitalen Netzwerken. Plattformen wie Facebook vermögen heute über intelligente (Bot-) Adressen, Informationsechoräume der Meinungsbildung aufzubauen und so Wahlen zu manipulieren – Russland soll diese massenhaft eingerichtet haben, um die US-Präsidentschaftswahlen 2016 zu beeinflussen. Im Wirtschaftskrieg wird der kognitiven Dominanz, also dem bewussten Erzeugen eines Sinngeflechts intersubjektiv identitätsstiftender Entitäten, das in der Polarität von Objektivität (existiert auch ohne die menschliche Sicht) und Subjektivität (existiert nur im betrachtenden Subjekt) steht, eine hohe Aufmerksamkeit gelten, denn durch sie kann das geeignete Vorfeld für eine effiziente Kampfführung erzeugt werden. Dies ist vor allem dann erforderlich, wenn öffentliche Meinungen und damit Entscheidungsprozesse beeinflusst werden müssen. So wird der erbitterte Kampf um die Dominanz des Internets der Zukunft zwischen den US-Firmen Oracle und Amazon vordergründig als Schlammschlacht der Jedi-Ritter, wie Stefan Aust und Hemmar Büchel (2019) ihren Beitrag titulieren, sichtbar. JEDI steht dabei für Joint Enterprise Defense Infrastructure, ein zentrales Cloud-Projekt für die US-Sicherheitsarchitektur, um das beide Unternehmen konkurrierten. Beide Unternehmensführer standen auch in unterschiedlichen politischen Lagern: Jeff Bezos, Amazon, in der Präsidentschaftswahl 2016 Unterstützer von Hillary Clinton, vs. Larry Ellison, Oracle, Unterstützer von Donald Trump. Ins Zentrum der Öffentlichkeit geriet der Kampf, als die Boulevardzeitung National Enquirer, Unterstützer des Trump-Lagers, von Jeff Bezos‘ Seitensprüngen in verwanzten Hotelzimmern in der Hoffnung berichtete, eine Scheidung würde sein Imperium zerstören. Auf die internationale Bühne kam der Fall mit der Ermordung von Jamal Khashoggi im Herbst 2018, der regelmäßig über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien in der zum Bezos-Imperium zählenden Washington Post berichtete. Dieses Land besaß für Oracle zentrale Bedeutung, und da der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman involviert schien, ergab sich ein willkommener Anlass, durch Boykottaufrufe den ungeliebten Konkurrenten aus dem Geschäft herauszukegeln. In der Folge griffen saudische Netzwerke die Systeme von Amazon und der Washington Post an. Inzwischen wurde Oracle ausgeschlossen, weil es die Firma die erforderlichen Anforderungen nicht erfüllen kann. Inzwischen werden derartige Manipulationen als „sharp power“ bezeichnet (Nye 2018), und das vermutete Ziel besteht darin, die kognitive Erosion des westlichen Ordnungsmodells zu power besser als smart power charakterisiert werden, weil sie die hohe Effizienz des Lands betont und die Kooperation durch Projekte wie die Seidenstraßeninitiative in die Öffentlichkeit rückt und zunächst der Binnenkommunikation dient, die dann positiv ins Ausland übergreifen soll. Im externen Wirtschaftskrieg bewusst eingesetzte Mittel zum Erzielen von Informationsüberlegenheit oder kognitiver Dominanz bieten sich vor allem den kräftemäßig Unterlegenen an,
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
65
um Hegemone, vor allem Demokratien, herauszufordern – siehe Russland gegen den Westen, vor allem die USA. Im Westen fehlen klare geostrategische Vorstellungen ebenso wie das Bewusstsein dafür, was für eine Demokratie konstitutiv und was bürokratische Selbstbeschäftigung ist und daher institutionell neu geordnet werden muss. Zu unterscheiden ist die gegenwärtige Dominanz von der künftig zu erwartenden: Sobald sich Rangfolgen ändern – vor allem bei wesentlichen der in Abb. 2.7 genannten Komponenten – nimmt die Konfliktgefahr zu, weil einen noch Überlegenen seine künftige Unterlegenheit motivieren könnte, jetzt den Konflikt zu suchen. So kann er vermeiden, im Sinne der Plattentektonik in eine Subduktionszone zu gelangen. In seinem Buch Strategy: A History analysiert der britische Militärhistoriker Lawrence Freedman (2013) das Wesen der Strategie und identifiziert sie als Einsatz beliebiger Mittel zum Erzielen von Dominanz in einer dynamischen und bestrittenen Lage. Dabei können die Mittel sowohl List – die Methode des Odysseus oder des Sun Zi – als auch Gewalt – der Ansatz des mutigen Achilles sein. Wenn Carl von Clausewitz das Politische mit dem Militärischen verbindet, so lässt sich das, verdeutlicht in Abb. 2.7, auch auf das politisch-ökonomische übertragen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Staat ins Spiel der ökonomischen Auseinandersetzung eintritt. Zunehmend stellt sich die Frage, weshalb die militärische Strategie der Gewalt in der Gegenwart nicht mehr aufgeht, die Besiegten also nicht einsehen wollen, dass sie besiegt wurden, sondern dann in asymmetrische Auseinandersetzungen verfallen. Dies ist eine Warnung an die Protagonisten des Wirtschaftskriegs, dessen Erfolg auch davon abhängt, abschließende Dominanz durchzusetzen und dabei das Umfeld zu gestalten und nicht Opfer von dessen Kräften zu werden. Dominanz und Kontrolle sind sichtbare Maßstäbe des Erfolgs von Wirtschaftskriegern. Der Dominanz auf der Seite des Siegers steht oft der Kontrollverlust bei den Verlierern gegenüber. In vielen westlichen Gesellschaften wird er angesichts der vorhandenen Krisen thematisiert und setzt häufig das klassische politische Spektrum unter Druck. Er wird zu einem kognitiven Problem. Denn der globale Verfall der Informationskosten hat es einerseits ermöglicht, durch Handel die Vorteile der Massenproduktion und der Vernetzung intensiver als jemals zuvor zu nutzen – rund eine Milliarde Menschen, die vom Hunger befreit wurden, sind hierfür ebenso ein Beleg wie der wirtschaftliche Erfolg vieler Schwellenländer. Der Verfall der Grenzen – die Entgrenzung – hat aber in den frühindustrialisierten Ländern viele Arbeitnehmer zu Globalisierungsverlierern gemacht. Anders als der global citizen, der überall auf der Welt einen Arbeitsplatz findet, können sie nur durch Abstimmung ihr Missfallen äußern. Dieses zeigt sich im anwachsenden Populismus und in der zunehmenden Delegitimierung bisheriger politischer Eliten ebenso wie in der zunehmenden Attraktivität autoritärer Systeme. Yasha Mounk (2018) verweist in The People vs. Democracy – Why Our Freedom is in Danger and How to Save It darauf, dass eine liberale Demokratie auf zwei Säulen ruht: Dem Willen des Volkes und der persönlichen Freiheit. Was passiert, wenn hier ein Antagonismus entsteht? Demokratie ohne Recht, wie beispielsweise seit 2017 in der Türkei, oder Rechtsstaat ohne Demokratie, wie die politischen Institutionen der Europäischen Union zeigen? Mündet letzteres, also die politische Wirkungslosigkeit des
66
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Bürgers gepaart mit dem Desinteresse der gewählten Repräsentanten an den Fragen der regional verankerten, nicht globalen Bürger, geradezu in den Populismus? Das ist eine aktuelle politökonomische Erklärung für die spätestens seit Präsident Barack Obama sichtbare Erosion des Ideals des Freihandels; denn für die Freihandelsrunden der Welthandelsorganisation (WTO), insbesondere die Doha-Runde, fand er kaum Interesse und seine Unterstützung für das Handelsabkommen war eher halbherzig. Mit Beginn der US-Präsidentschaft von Donald Trump zeigte sich deutlich: Der sichtbare Kontrollverlust über globale Wertschöpfungsketten, die anonym und anarchisch erscheinen, und ein Welthandelssystem, das die USA vorgeblich desindustrialisiert hat und ihr massive Handelsbilanzdefizite beschert, entziehen dem Freihandel seine Legitimität. Auch die Zivilgesellschaft ist skeptisch: Hierfür sind tief verwurzelte Bilder wie brennende und kollabierende Textilfabriken, Blutdiamanten, zusammenstürzende und Arbeiter unter sich begrabende Koltan-Bergwerke und das Abwracken ausgemusterter Containerfrachtschiffe die Ursache. Die Aufteilung der Wertschöpfungsketten in immer stärker fragmentierte, weltweit verteilte Arbeitsschritte im Sinne des Modells task trade (Grossman, Rossi-Hansberg 2008) erscheint als Ideal des Freihandels, hat aber die Systemstabilität nicht erhöht, zumal der Kampf um kritische, weil wohlstandsschaffende Wertschöpfungsstufen, transparent geworden ist. Denn die Digitalisierung erlaubt es, fragmentierte Wertschöpfungsstufen besser zu überwachen, und gegebenenfalls wieder zu konzentrieren. Genau das ist aktuell zu beobachten: Es verschieben sich die Gewichte, die auf Unternehmensebene als „make or buy“-Entscheidung bekannt sind. Das Sinken der Kontrollkosten durch immer leistungsfähiger werdende Informationssysteme und das Erhöhen von Risiko auf den Gebieten Politik, Ordnungsrahmen, Währung und insbesondere Sicherung von intellektuellen Eigentumsrechten, beispielsweise Patenten oder Warenzeichen, führt dazu, dass Unternehmen ihre Hierarchie auf den kritischen Feldern stärken. Damit werden Wertschöpfungsketten geschlossen, wenn die Kontrollkosten der vertikalen Integration niedriger sind als die erwarteten Verluste in Bezug auf Wohlstand, Lieferfähigkeit und Qualität infolge erhöhter Unwägbarkeiten des Weltmarkts. Auch das wird später unter institutionenökonomischen Blickwinkeln vertieft.
2.3.5 Die Macht der kognitiven Dominanz Aus dem klassischen Ziel der Gewinnung von Informationsdominanz wird unter den Bedingungen neuer, auch hybrider, Kriege, das Erzielen kognitiver Dominanz. Deren Grenzen werden immer wieder ausgelotet, besonders von Eliten, die damit ihre Weltsicht für allgemeinverbindlich erklären wollen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob diese demokratisch, durch Leistung oder durch Gewalt legitimiert sind. Vor mehr als 2000 Jahren wies Polybios (200–120 v. Chr.) auf diese Anmaßung hin, was später wieder aufgegriffen wird. Jörg Baberowski (2017) schreibt zum Thema Die Bürgergesellschaft ist
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
67
am Ende, dass eine pseudoliberale identitäre Ideologie34, statt sich der sozialen Anliegen der Mehrheitsgesellschaft anzunehmen, ihre partikulären Weltsichten durchzusetzen versuchte, weil sie aufgrund von Bildung und Beruf standortungebunden ist. Damit erst wurde die Elitenverachtung produziert, über die sich westliche Demokratien – aber nicht nur sie – wundern. „Die Bürgergesellschaft setzte den Allmachtsansprüchen des Staates Schranken, weil sich der Wille der Einzelnen in Korporationen, Verbänden und Parteien zum Ausdruck brachte.“ Genau das ist jetzt hinfällig und der gemeinsame Erfahrungsraum der europäischen Gesellschaften löst sich auf. Damit wird das möglich, was im Anschluss als Wirtschaftskrieg gegen die Arbeit in den Entwicklungsländern, später gegen das Klima und schließlich gegen die Demokratie definiert wird. Nicht umsonst ähneln sich die Sorgen von Wählern am linken und rechten Rand der Gesellschaft zunehmend, und es finden starke wechselseitige Wählerwanderungen statt (Kaiser 2016). Josef Schmid (2015, S. 18) schreibt in seinem Beitrag Von Heraklit zu Huntington – Wettkampf und Rivalität in Wirtschafts- und Geistesgeschichte zu dem, was hier als kognitive Kriegsvorbereitung anzusehen ist: Besonders in der angelsächsischen Welt war das Bestreben angelegt, begehrtes oder zu kontrollierendes fremdes Gut sich nicht eigenmächtig anzueignen, sondern in Ruhe eine Konstellation abzuwarten, in der der Zugriff aus Pflicht, Humanität und zur Rettung der westlichen Zivilisation vollzogen erscheint. In diesem Mischkomplex, „cant“ genannt, vereinen sich das Nützlichkeitsprinzip (des Utilitarismus nach Jeremy BENTHAM) und amerikanischer Pragmatismus, sodann der feste Glaube, damit das Gute zu repräsentieren, und schließlich die Überzeugung, zur Missionierung anderer Kontinente auserwählt zu sein. Hätte der Vorgang nicht schon etwas Providenzielles, Gottgefälliges, wäre er nicht so weit gediehen. Die Durchsetzung von Englisch als Weltsprache wirkt wie eine Nebenfolge dieses Komplexes.“
2.3.6 Die Dominanzerwartungstheorie Dem klassischen ökonomischen Kalkül folgend sollte freier Handel friedensschaffend wirken. Aber ist dies wirklich der Fall? Besitzt dieses Postulat aus ökonomischer Sicht Rationalitätsgehalt, vor allem dann, wenn die Zeit in das Kalkül einfließt und damit Risiko und Positionsvergleich? Reuven Glick und Alan M. Taylor (2010) untersuchen in ihrem Beitrag Collateral Damage: Trade Disruption and the Economic Impact of
34Als
Ideologie bezeichnet man bestimmte Grundeinstellungen und Werte von gesellschaftlichen Gruppen, die eine gemeinsame Weltsicht bzw. Weltanschauung bilden; sie bezieht sich somit auch auf den soziologischen Ethnienbegriff als Gruppe von Menschen gleicher Identität. Ethnien sind somit politisch konstituierte Systeme als Folge einer Umdeutung rationaler Vergesellschaftungsprozesse zu persönlich wirkenden Beziehungen im Sinne von Max Weber und unterscheiden sich hierdurch von Sippen. Im marxistischen Sinne wird die Ideologie oft als Ideensystem, das auf vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen aufbaut, und im liberalen Sinne als Wertesystem, ergänzt um eine positive (falsifizierbare) Theorie (Nutzinger 1972, S. 91–93), bezeichnet.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
War für die Zeit ab 1870 die Wirkungen kriegerischer Konflikte auf den Handel, die im Sinne von Negativsummenspielen erheblich sind – aber nicht abschreckend wirken. Unter den Bedingungen rationaler Erwartungen sollten daher potentielle Rivalen ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen reduzieren. James D. Morrow, Randolph M. Siverson und Tressa E. Tabares (1998) zeigen in The Political Determinants of International Trade: The Major Powers, 1907–1990, dass vor allem Demokratien und gleiche Interessen Handel beflügeln, weniger Allianzen. Eine ex-ante Rationalität ist nicht erkennbar. Diese tendenzielle Synchronisierung von Konflikt und Wirtschaft bestätigen auch Gerald Schneider und Vera E. Troeger (2006) in War and the World Economy: Stock Market Reactions to International Conflicts für die Gegenwart. Schließlich sollten auch Konflikte bei wirtschaftlich besonders verflochtenen Partnern selten sein, weil sie extrem teuer sind – die entsprechenden Signale eines Konflikts wären dann sehr glaubhaft, wie Erik Gartzke, Quan Li und Charles Boehmer (2001) in Investing in the Peace: Economic Interdependence and International Conflict betonen. Warum finden dann Auseinandersetzungen doch zwischen engen Handelspartner bzw. liefertechnisch stark verflochtenen Unternehmen statt? Für Karl-Ferdinand von Willisen (1919, S. 13) kann bereits der Tauschakt Feindseligkeit erzeugen, weil er die Abhängigkeit von Volkswirtschaften verdeutlicht, besonders dann, wenn eine Asymmetrie in den Machtverhältnissen besteht, die eine einseitige Mehrgewinnerzeugung begünstigt. Damit nimmt er bereits das vorweg, was in der Handelserwartungstheorie als Dichotomie bezeichnet wird. Dale C. Copeland (1996) schreibt in einem Beitrag zum Thema Economic Interdependence and War: A Theory of Trade Expectations, dass handelstreibende Länder eigentlich keinen Krieg führen sollten, aber gerade intensiv verflochtene es besonders häufig tun, und begründet eine einheitliche Theorie, die er vor allem in seinem Buch Economic Interdependence and War (2015) verdeutlicht: • Die liberale Position, die bereits bei Montesquieu (1748) im doux commerce aufscheint und die Albert Hirschman (1982) in seinem Beitrag Rival Interpretations of Market Society im Sinne einer dadurch begründeten Tugendhaftigkeit bestätigt, besagt, dass Handel wertvolle Vorteile erbringt, sodass vom Handel anhängige und besonders verwundbare Staaten keinesfalls den Konflikt suchen sollten – vereinfacht: Handel ist ertragreicher als Krieg. Das auf Richard Cobden (1853) zurückgehende Argument, dass Handel die Länder vereint, wurde später durch Norman Angell (1909) bestärkt, dass Krieg einfach zu kostspielig sei. Als dieser dann 1914 doch ausbrach, wurde das als Bestätigung gesehen. Im Zeitalter des nuklearen Patts, so argumentiert Richard Rosecrance (1986), haben Staaten die Wahl, entweder Handelsoder Territorialstaaten zu sein. Erstere würden ihren Wohlstand durch internationalen Austausch, letztere durch Territorialerweiterung erringen. Alexander Dugin (2014b) vertritt, wie später verdeutlicht wird, diese Position für Russland als neues Rom besonders nachdrücklich.
2.3 Der gesellschaftliche Wert der Rivalität
69
• Die realistische Position hingegen argumentiert, dass genau das Gegenteil der Fall sei: der ökonomische Austausch erhöhe das Kriegsrisiko, weil Staaten mit starken Sicherheitsinteressen das Risiko der Abhängigkeit ablehnen, insbesondere bei strategischen Rohstoffen. Abhängigkeit, wie Kenneth Waltz (1979) postuliert, oder gar Erpressungspotential, wie John Mearsheimer (1990) vermutet, führen zu einem Drang nach Ausweitung der politischen und territorialen Kontrolle. Diese Überlegungen gehen historisch auf die Arbeit von Friedrich List (1841) zurück, der die Idee der strategischen Wirtschaftspolitik zum Aufbau eines Lands – auch gegen den Widerstand seiner Rivalen – formulierte und wurden beispielsweise von Paul Krugman (1990) in der Neuen Außenhandelstheorie und Jean Tirole (1988) in der modernen Industrieökonomik stringent formuliert. Die Erwartung an künftige tektonische Machtverschiebungen, also die Dominanzerwartungen, müssen also zwingend in das Rivalitätskalkül einbezogen werden. Wird die gegenwärtige nationale Wettbewerbsposition in naher Zukunft durch einen Konkurrenten überwunden? Dann können wirtschaftliche Rivalitäten zu Wirtschaftskriegen und schließlich sogar zu echten Kriegen eskalieren, wie die Rivalität Deutschland-England an der Wende zum 19. Jahrhundert zeigt (Copeland 2015). Handel führte dort zu erhöhten Abhängigkeiten und wirkte infolge negativer Dominanzerwartungen dann nicht, wie Graham Allison (2017, S. 210) in seinem Buch Destined for War: Can America and China Escape the Thucydides’s Trap? postuliert, friedensstabilisierend. Die Abb. 2.9 greift diese Zusammenhänge am Beispiel des amerikanisch-chinesischen Handelskriegs auf: Die obere, fette und durchgezogene Linie gibt in Kaufkraftparitäten (purchasing power parities, PPP) gemessene bzw. prognostizierte Entwicklung der amerikanischen Wirtschaftsleistung an, die gestrichelte die Chinas. Im Jahr 2014 hat China die USA in der Gesamtleistung überholt; berücksichtigt man die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung, dann sind die USA gegenwärtig mehr als dreimal so wohlhabend. Aber mit Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft von rund sechs Prozent ist auch hier
laufende Mrd. US$, PPP
40.000 35.000
30.000 25.000 20.000 15.000 10.000
5.000 0 1975
1980
1985
USA Milliarden (PPP US$)
1990
1995
2000
2005
China Milliarden (PPP US$)
2010
2015
2020
2025
China Milliarden (PPP US$ WK)
Abb. 2.9 Konfliktentscheidungen bei Dominanzerwartungen – das Beispiel USA-China. (Quelle: eigene Darstellung aus International Monetary Fund 2018)
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
das Überholen nur eine Frage der Zeit. Gelingt es den USA, durch einen Wirtschaftskrieg die Wachstumsrate dauerhaft zu halbieren, dann sind die Chancen Chinas, die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden, stark beschränkt, da auch die stagnierende Bevölkerung keine zusätzlichen Impulse bereithält. Dies zeigt die fette unterbrochene Linie, die an das Jahr 2019 anschließt. Dieses Ziel verdeutlicht Steve Bannon, der intellektuelle Kopf der amerikanischen Rechten, in einem Interview mit Silke Mülherr und Clemens Wergin (2019), wenn er ausführt: „Die Eliten in Washington, in London und in Berlin sind alle von dem gleichen Denken geprägt. Sie glauben, dass der Aufstieg Chinas ein unabänderliches physikalisches Gesetz ist, und sie akzeptieren es einfach. Selbst jene, die sich der Bedrohung bewusst sind, haben sich offenbar so entschieden, nicht darauf zu reagieren. Sie haben sich einfach damit abgefunden, dass wir die absteigende Macht sind und China die aufsteigende. Aber das ist falsch, völlig falsch. Die schwindende Macht muss sich zur Wehr setzen, solange sie noch kann. Aber stattdessen haben die Eliten im Westen aufgegeben. Trump hat dagegen beschlossen, sich dagegen zu wehren, und deshalb wurde er zum Präsidenten gewählt. Der eigentliche Zweck der Trump-Verhandlungen mit China ist es, die Lieferketten nach Japan, Nordamerika und Westeuropa zurückzubringen.“ Diese Dominanzerwartung kann auch individuell wirken: In hochkompetitiven Organisationen wird es rational, Kollegen, bei denen eine künftige Überlegenheit vermutet wird, rechtzeitig Steine in den Weg zu legen, schlimmstenfalls durch üble Nachrede zu vernichten (Reh, Tröster, Quaquebeke 2018).
2.4 Handelskrieg statt Freihandel Mit dem Ende des planwirtschaftlich-sozialistischen Ordnungsmodells und damit der Integration von fast einem Drittel der Weltbevölkerung in den Freihandel, die 1979 mit den Reformen von DENG Xiaoping (1904–1997) in China begann und 1989 durch den Fall der Mauer ihren Abschluss fand, schien der Siegeszug des Kapitalismus, insbesondere die Vorstellung, man könne Märkte sich selbst überlassen („laisser faire“) vorgezeichnet. Über eine Milliarde Menschen konnten durch die Integrationsleistung der Weltwirtschaft aus der Armutsfalle befreit werden. Die Dotcom-Krise Anfang dieses Jahrtausends war eine erste Warnung, dass der Globalisierung kein leistungsfähiger Ordnungsrahmen zur Seite steht. Sie blieb regulatorisch unbeachtet. Die Folgen der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 setzten vor allem die Länder der sogenannten Ersten Welt wirtschaftlich unter massiven Druck durch implodierende Märkte, die den öffentlichen Kassen zur Stützung des Finanzsektors viele Billionen US-Dollar oder Euro zur Stützung abverlangten. Die Idee des freien Marktes geriet unter Druck und sah sich infolgedessen einer genauen Überprüfung ausgesetzt. Die USA konnten sich – ebenso wie Deutschland – relativ zügig erholen, aber zum Preis einer erheblichen Deindustrialisierung, der jedoch ein massives Wachstum bei den digitalen Dienstleistungen gegenüberstand, die inzwischen die Weltmärkte teil-
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
71
weise monopolisieren. Tatsächlich ist die zwingende Folge des Handels auf der Basis komparativer Vorteile – nach dem klassischen Paradigma des Freihandels – eine Spezialisierung der Länder, die sie strategisch angreifbar macht und möglicherweise den Interessen der Arbeitnehmer zuwiderläuft. Die Weltfinanzkrise hat diese Spezialisierung an vielen Stellen beschleunigt. Ist der drohende Handelskrieg seit der Amtsübernahme Donald Trumps ein Wirtschaftskrieg, der sich aus den Quellen der Weltfinanzkrise und ihren Kollateralschäden speist oder könnte er sich zu einem solchen entwickeln? Die Lage ist verworren, denn sie ist ohne die Krisenherde der Gegenwart – Ukraine/Russland /Krim, Syrien, Iran/Saudi-Arabien – weder denkbar noch zu lösen. Das Aufstreben der Schwellenländer, insbesondere Chinas, und die Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft haben die Schwerpunkte in der Weltordnung verändert. Auch kritische Rohstoffe haben eine neue Bedeutung erfahren, spätestens seit der Krise um die Seltenen Erden nach 2010. Die Schwierigkeiten, mit diesen Problemen umzugehen, haben die liberalen Demokratien, besonders ihr Primat des Rule of Law und eines Ordnungsmodells, stark unter Druck gesetzt, denn tatsächlich haben sie sich gegen die selbst gesetzten Regeln versündigt und mussten einen gewaltigen Kontrollverlust konstatieren. Ein neuer Wettbewerb zwischen alten Demokratien und modernen Autokratien ist die Folge, den sich nach 1989 zunächst niemand vorstellen konnte. Das Ende der Geschichte war nicht angesagt. Der folgende Abschnitt beschreibt diese Auseinandersetzung und rückt sie ergänzend in den Kontext geschichtlicher sowie geostrategischer Überlegungen.
2.4.1 Magie der Jubiläen und ihre Projektion auf aktuelle Entwicklungen Im laufenden Jahrzehnt wurden dabei besonders drei Jubiläen historisch-politisch breit diskutiert und ihre Strahlkraft auf die gegenwärtigen Konflikte betont; dabei stand regelmäßig die Frage im Mittelpunkt, ob man aus früheren Ereignissen für heute lernen könne. Die drei Jahre 1813–1913–2013 stehen repräsentativ für die fundamentalen Umwälzungen der Rivalitäten: erst territorial, dann technologisch und heute digital. 1517–2017, das 500-jährige Reformationsjubiläum verweist auf das Entstehen des modernen, sich selbst reflektierenden Individuums und die Rivalität der Herrschenden um Humankapital. 1618–2018 berührt das Gedenken an den Beginn des 30-jährigen Kriegs vor 400 Jahren als Beispiel eines totalen Ordnungsverfalls, der möglicherweise heute wieder beobachtet werden kann. 1. 1813–1913–2013 sind jeweils Zäsuren der globalen geostrategischen Plattentektonik: Nach der Revolution von 1789, die Frankreich die Führerschaft in den naturwissenschaftlichen Disziplinen kostete und zunächst in eine totalitäre Herrschaft der Jakobiner mündete, führte die Herrschaft Napoleon Bonapartes zur politischen Stabilisierung des Lands und zu einem starken Modernisierungsschub durch die mit den Eroberungen verbreiteten Gedanken der Aufklärung. Das aufstrebende Frankreich scheiterte schließlich
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
an Preußen -Russland-England und beerdigte damit auch die klassischen Militärstrategien. Der Wiener Kongress ist verbunden mit der letzten Neuordnung Europas auf der Basis einer Vorstellung von Harmonie und Ausgewogenheit, also der Erkenntnis, dass der Feind von gestern möglicherweise der künftige Partner sein wird. Im letzten Friedensjahr 1913 wies die Rivalität der die damalige globale Welt kontrollierenden europäischen Staaten auf der Grundlage von Industrie und Handel bereits deutlich auf die künftigen Großkonflikte hin. Der Modernisierungsschub durch die Erste und die Zweite Industrielle Revolution hatte nicht nur die europäischen Großmächte, sondern auch die Art des Kriegs, der 1914 ausbrach und auch zum Zusammenbruch des kolonialen Freihandels führte, verändert. Das aufstrebende Deutschland scheiterte am Bündnis zwischen England und den USA. Der Preis für England ist hoch, es verlor seine Ordnungshegemonie in Europa zugunsten der USA, die vordem keine Rolle gespielt hatten. Mit dem Entstehen der Sowjetunion und später durch die Chinesische Revolution meldet sich ein Drittel der Weltbevölkerung vom Welthandel ab. Christopher Clark (2012, S. 555, 560), Verfasser des Buchs The Sleepwalkers: How Europe Went to War in 1914, verweist auf die völlig fehlende Risikoeinschätzung des eigenen Handelns und das mangelnde Risikobewusstsein über die damalige geopolitische Lage, und führt weiter aus (Clark 2012, S. 562): „In this sense, the protagonists were sleepwalkers, watchful but unseeing, haunted by dreams, yet blind to the reality of the horror they were about to bring into the world.“ Die Instabilität der Lage von 2013 stellt er der von 1913 gegenüber: „In this sense, the men of 1914 are our contemporaries“. 2013 wurde die neue Rivalität auf der Basis von Digitalisierung und geistigen Eigentumsrechten in einer sicherheitspolitisch instabilen Welt von Regionaldisputen und Völkerrechtsverletzungen offenbar, wobei der bisherige Siegeszug der etablierten Demokratien an den Verlierern in ihren Ländern seine Grenzen findet, die sich zu Wort melden und ihre Eliten unter Druck setzen, wenn nicht sogar aus den Ämtern jagen. Zunehmend verschiebt die schlanke globale Produktion die Gewichte im freien Handel in Richtung der Kontrolle von Produktionsketten, insbesondere dort, wo Wissensanteile dominieren. 2. 1517–2017 – Reformationsjubiläum: Die Reformation ist für Europa wichtig, weil durch sie zwei Formen der wirtschaftlichen Konkurrenz verstärkt wurden und einen moralischen Unterbau erhalten. Einmal entstand die Konkurrenz des Humankapitals, ausgedrückt im Augsburger Religionsfrieden von 1555, durch den die Religionszugehörigkeit der Einwohner der der Herrschaft der Region folgt (cuius regio eius religio). In den protestantischen Gebieten führte das zur Gründung der Fürstenschulen und entfachte einen Wettbewerb um das Humankapital, zumal armen Fürstentümern wie beispielsweise Sachsen nur durch Erfindergeist der Weg zu Wohlstand offenstand. Hier liegt auch die Motivation für die späteren Gründungen von technischen Hochschulen. Die meereszugewandten Regionen verstärkten ihren Wohlstand hingegen durch Handel und internationale Arbeitsteilung. Beide Entwicklungen führten zum Aufbau neuer Institutionen, die wirtschaftliches Handeln stabilisierten und ihm
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
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eine moralische Qualität gaben, die sich auch in der Stützung durch den asketischen Protestantismus äußerte. Aus Sicht der lutherischen Reformation ist dies ein wichtiger Beitrag zum Entstehen des selbstverantwortlichen Individuums. 3. 1618–2018 – Beginn des Dreißigjährigen Kriegs: Dieser wird deshalb gerne mit der heutigen Situation in Verbindung gebracht, weil sich die Verworrenheit der Lage bezogen auf Regeln, Verträge und Loyalitäten gerade im Nahen Osten aufdrängt und die Auflösung von Ordnung das ist, was mit größter Regelmäßigkeit geschieht, wie dies beispielsweise Georg Schmidt (2018) in seinem Opus Die Reiter der Apokalypse – Geschichte des Dreißigjährigen Krieges ausführt, der auch auf die Probleme dieses Kriegs als Mythos der deutschen Geschichte verweist. Dessen spätere Beendigung durch den Westfälischen Frieden gilt als das große Werk des Völkerrechts, dessen Ordnungsprinzip in wesentlichen Teilen auch im Wiener Kongress aufgenommen wurde, auch von den preußisch-deutschen Siegern von 1871 beachtet wurde und damit knapp 300 Jahre stabil blieb. Erst die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg stellten erzwungene „Vergeltungsdiktate“ dar, die durch die entwürdigende Behandlung der Unterlegenen des Kriegs den Antagonismus zwischen den Nationen nicht wirklich beerdigen konnten und noch heute, vor allem in Mitteleuropa, politisch nachwirken. Auf einen wesentlichen technologischen Katalysator des Ordnungsverlusts ist hier zu verweisen, nämlich auf das Fracking (hydraulic fracturing), also das Gewinnen von Erdöl und Erdgas durch das Aufbrechen von Gesteinsschichten. Es hat die USA energetisch autark gemacht und ihr Interesse, als Rückversicherer der Weltordnung auftreten zu müssen, reduziert. Die Frage nach den fairen Beteiligungen der Verbündeten an der Sicherheitsarchitektur des Westens wurde schon zu Zeiten der Regierung von Barack Obama aufgeworfen.35 Damit einher gingen ein Interessensverlust an den nahöstlichen Krisenherden und ein Verfall der Ölpreise. Dies veränderte die strategischen Positionen Russlands und im Nahen Osten. Ohne den damit verbundenen Ölpreisverfall wären Krisen wie der Russland-Krim-Ukraine-Konflikt, der Konflikt um Syrien, der Antagonismus zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und schließlich auch die atomare Bedrohung durch Nordkorea, die sich im Windschatten davon entwickelte, kaum einzuordnen. Diese Konflikte werden allesamt später noch einmal aufgegriffen, schließlich gilt es auch, den Verlust an politischen Umgangsformen und dessen Bedeutung für Konflikteskalation bzw. -lösung zu betrachten.36 35Im Beschluss des NATO-Gipfels in Wales (1914) wurde ein Anteil des Verteidigungshaushalts am Bruttoinlandsprodukt von 2 % vereinbart – die meisten europäischen Bündnispartner sind noch heute weit davon entfernt – und der Druck Donald Trumps seit seiner Amtsübernahme 2017 auf die Trittbrettfahrer im Bündnis war zu erwarten. 36So verglich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble im Jahr 2014 Wladimir Putin mit Adolf Hitler, ebenso der britische Außenminister Boris Johnson im Jahr 2018. Barack Obama bezeichnete im Jahr 2014 Russland als Regionalmacht und verletzte damit den Stolz des Lands tief; wie überregional Russlands Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten sind, bekam der Westen abschließend in Syrien bitter zu spüren.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
2.4.2 Donald Trumps Handelskriegsdrohungen gegen China Vier Dinge stehen im Mittelpunkt der seit Amtsantritt von Donald Trump im Jahr 2017 eskalierenden Anti-Freihandels-Rhetorik der USA: Das dauerhafte Außenhandelsdefizit mit den NAFTA-Partnern Mexiko und Kanada sowie Europa und China, die Angst vor einem Verlust an Technologieführerschaft, was mit der Strategie „Made in China 2025“ verbunden ist, die sich eng an das deutsche Konzept „Industrie 4.0“ anlehnt (Wübbeke 2015) und spürbare Folgen für die globalen Wertschöpfungsketten haben wird. Schließlich sind sie um den möglichen Verlust an Innovationskraft und ihre geostrategische Position an der pazifischen Gegenküste besorgt. Der sogenannte KennanPunkt des Konflikts liegt aber früher, möglicherweise bei der Proklamation der Seidenstraßeninitiative durch den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping im Jahr 2013 und dem bewussten Ausschluss Chinas aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen TPP durch US-Präsident Barack Obama im Jahr 2015.37 Hinzu tritt in beiden Ländern eine Erinnerung an die Größe in alten Zeiten: die USA organisierten die pax americana, und China war eines der bedeutendsten Länder der Welt bis zur als Schmach empfundenen Kolonisierung durch Europa und die USA, die ein wichtiges Narrativ des Konflikts ist (Rappeport 2019) und auf dessen psychologisch-geschichtlichen Hintergründe im vierten Kapitel eingegangen wird.38 Gordon Barass und Nigel Inkster (2018, S. 62) führen in Xi Xinping: The Strategist Behind the Dream aus: „It is now abundantly clear, even if it had not previously been, that China is engaged in a relentless pursuit of a strategy designed to return it to what it sees as its historic and rightful place as the pre-eminent economic, political and military entity on the planet.“Martin Jacques, Verfasser des Buchs When China Rules the World (2012) führt ins Zentrum der System auseinander, wenn er ausführt (Moody 2019): „The West anticipated that China’s political system would not survive, that it was unsustainable and that it would be replaced, What Xi has demonstrated is that China’s system is legitimate, effective and very successful. He has given China a new set of objectives and is giving it a new place in the world, and there is no better expression of this than the Chinese Dream of national rejuvenation.“ Es lohnt sich, alte Betrachtungen der chinesischen Gesellschaft aus dem 19. Jahrhundert, in denen der Westen China erniedrigte, insbesondere England durch den Opiumkrieg von 1839 bis 1842 (vgl. die Ausführungen im zehnten Kapitel), in Erinnerung zu rufen. Der Marinepfarrer des deutschen Schutzgebiets Tsingtau, Hans Weicker (1898,
37George
Kennan beschrieb im Aufsatz The Sources of Soviet Conduct, von welchem Zeitpunkt anwärts die Sowjetunion gegenüber den USA feindlich wurde. Er wurde zunächst 1946 als „Langes Telegramm“ anonym veröffentlicht und 1947 in Foreign Affairs unter dem Autor „X“ abgedruckt. 38Das Eindämmen der illegalen Immigration aus Mexiko ist ein Beispiel aus dem Jahr 2019.
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
75
S. 18), zitiert den deutschen Pfarrer von Shanghai, Heinrich Hackmann (1864–1935), hierzu wie folgt: „Sowohl die Eigenständigkeit, wie die Kontinuität, wie die Spannkraft der chinesischen Kultur ist großartig. Dies Volk schritt in den Grundzügen seines heutigen Wesens bereits einher, als im Euphrat- und im Tigrislande jene Herrscher ihre Hand am Ruder hatten, deren Namen und Taten wir heute aus Trümmerhügeln wieder ausgraben. Dies Volk wechselte mit den Römern Gesandtschaften, und was sind uns die Römer heute? Ein Buchvolk. Aber dies Volk lebt und bewahrt den zusammenhängenden Fluß seiner Geschichte. Dies Volk hat mit der Energie seiner eigentümlichen Kultur ein Gebiet bezwungen und befruchtet, neben dem der riesigste Kulturbereich, den wir sonst kennen, klein wird: es hat außer dem engeren China die Mongolei, Tibet, Korea, Japan, Annam, Siam, ja Birma, Ceylon und die hinterindischen Inseln umspannt und den meisten Teilen dieses unübersehbaren Bezirks einen Charakter aufgeprägt, der bis zu dem heutigen Tage standhält. Wer vor so einem geschichtlichen Phänomen nicht nachdenklich und gefesselt stehen bleibt, der hat kein Auge für Geschichte. Ist es verwunderlich, daß der Chinese, der im Laufe seiner langen Geschichte noch kein ihm dauernd überlegenes Volk kennen gelernt hat, nur sehr allmählich von der Überzeugung abzubringen ist, sein Volk sei das Führervolk der Welt, sein Reich das ‚Reich der Mitte‘?“ Aus heutiger Sicht ist zu ergänzen: Vermutlich hat China mit der Überzeugung recht. Anders als beim globalen Markteintritt Deutschlands in den Sechzigerjahren oder dem Japans in den Siebziger- und Achtzigerjahren sind die USA heute aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur und dem Auslaufen eines den Industriebereich begünstigten langen Zyklus wesentlich empfindlicher; insbesondere hat es in vielen Sektoren die Fähigkeit zur industriellen Führerschaft verloren, also das Bestimmen der Länge des Produktlebenszyklus.39 Schließlich findet der Handelskrieg vor dem Hintergrund einer langen protektionistischen Tradition statt. So lag dem Sezessionskrieg 1861–1865 auch der Gegensatz Freihandel (Konföderation, u. a. wegen des Baumwollexports) gegen Zollschranken (Nordstaaten, u. a. zum Schutz der sich entwickelnden Industrie) zugrunde.
39Erinnert
sei an die massiven Defizite der amerikanischen Leistungsbilanz in den Sechzigerjahren, die dann zu Rüstungskompensationsgeschäften führten – sichtbar im Kauf des Starfighters durch die Bundeswehr, ein Vorgang der erheblich zur Demontage von Ludwig Erhard (1897– 1977) als Kanzler beitrug (Deutscher Bundestag 1965). US Finanzmister John Connally (1917– 1993) drohte Japan zu Anfang der Siebzigerjahre, alle ihre die USA erreichenden Pkw-Exporte in der St. Francisco Bay zu versenken, sollten sie nicht Handelsbeschränkungen zustimmen, was schließlich eine Aufwertung des Yen erzwang (New York Times 1971). Dieser erklärt teilweise die Krise Japans seit den 90er Jahren, welche in die Zombifizierung mündete, die im zwölften Kapitel behandelt wird. Denn der Fiskalstimulus, der die Exportverluste durch Steigerung der Binnennachfrage kompensieren sollte, mündete in eine Immobilienblase mit anschließendem Kollaps des Bankensystems.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Zweck des Wirtschaftskriegs: • Die USA wollen dauerhaft ihre ökonomische und geostrategische Überlegenheit und ihren Wohlstand gewährleistet sehen („America First“) und insbesondere ihre frühere Hegemonialstellung wiederherstellen. Zudem wollen sie zeigen, dass sie bereit sind ökonomischen Druck einzusetzen, um andere Ziele zu erreichen, die im politischen Prozess schwer zu erreichen sind.40 • China sucht nach 500 Jahren Abwesenheit von der Weltbühne als künftige Supermacht unter Vermeidung, aber nicht Ausklammern von Konflikten („Fuxing“, d. h. „Erwachen“), nach einer seiner Geschichte und Größe angemessenen Position. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die USA als Land, das seine Position durch unfairen Handel und das Absaugen von geistigem Eigentum erodieren sieht, auch getrieben von den durch die Globalisierung Abgehängten, ohne deren Unterstützung Donald Trump nicht zum Präsidenten gewählt worden wäre. • China, das alles vermeiden will, was seine Aufbaustrategie gefährdet, die auf ausländische Absatzmärkte und Technologieimport angewiesen ist. • Europa, das keine eigene Strategie verfolgt, und als wichtiger Technologielieferant zwischen die Mühlsteine der beiden Antagonisten geraten kann. Kriegsmittel: • Zölle und Vergeltungszölle, Blockade des Technologietransfers, illegales Absaugen von Technologien, Blockade von Investitionen und Unternehmensbeteiligungen bzw. -übernahmen, Abwertung der Währung, strategische Unterstützung wichtiger Industrien durch Subventionen, Steuererleichterungen oder Kreditprogramme, administrative Schikanen und schließlich extraterritoriale Rechtsdurchsetzung. Kriegsziele: • Jeweiliges Absichern der eigenen staatlichen bzw. wirtschaftlichen Entwicklung, weshalb die USA auf eine gezielte Reindustrialisierung und auf Handelskrieg setzen; China versucht mit aller Macht, der Mehrheit der Bevölkerung das gegebene Wohlstandsversprechen zu erfüllen und benötigt hierfür unbedingt einen „Wirtschaftsfrieden“, also die Kooperation mit den frühindustrialisierten Ländern.
40Das
Eindämmen der illegalen Immigration aus Mexiko ist ein Beispiel aus dem Jahr 2019.
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
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Kriegsfolgen: • Zerstörung der multilateralen Welthandelsordnung. Hintergrund für die Provokationen Donald Trumps ist das US-Handelsbilanzdefizit, das sich seit Jahren stabil mit inzwischen über 800 Mrd. US$ auftürmt und das in der Abb. 2.10 für die drei großen Handelblöcke USA, Europa und China (Zahlen hinter H:) dargestellt wird. In der Diskussion der Ursachen des Defizits, die Trump vorrangig in Handelsbeschränkungen der Partner sieht, werden gerne drei Faktoren übersehen: Zunächst sind die ausgleichenden Wirkungen der Dienstleistungsexporte sowie der erhaltenen Erwerbs- und Vermögensübertragungen zu ergänzen, bei denen die USA sehr gut abschneiden, weil sie oft lieber im Ausland produzieren und die Gewinne repatriieren als dorthin Waren zu liefern und weil sich hier auch ihre Dominanz in der Digitalwirtschaft manifestiert; die Dienstleistungsströme sind in Abb. 2.10 (Zahlen hinter DL:) dargestellt. Insgesamt beläuft sich der amerikanische Dienstleistungsbilanzüberschuss auf 128 Mrd. US$. Ergänzt man diesen um den positiven Saldo der Erwerbs- und Vermögensübertragungen des Jahres 2016 von 173 Mrd. US$, dann können diese das Handelsbilanzdefizit von knapp 800 Mrd. US$ zwar nicht ausgleichen, aber doch beträchtlich verringern; das Leistungsbilanzdefizit liegt dann bei etwa 500 Mrd. US$.
EU: H: 1.951 Mrd. US$*** DL: 845 Mrd. US$*
USA: H: 1.451 Mrd. US$*** DL: 752 Mrd.US$**
H: 386 Mrd. $*** DL: 16 Mrd. $**
H: 155 Mrd. US$*** DL: 54 Mrd. US$**
China: H: 2.098 Mrd. US$*** DL: 209 Mrd. US$***
Abb. 2.10 Waren- und Dienstleistungsexporte der USA, Europas und Chinas (US-Dollar), 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Eurostat (*), Bureau of Economic Statistics (**), WTO (***))
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Da gilt, dass die Gegenpositionen zum zwingend notwendigen Ausgleich der Zahlungsbilanz Kapital- und Vermögensübertragungen sind, führen die Rolle des USDollars als Ankerwährung (damit werden die USA zu einem Investitionsschwerpunkt für Kapital, insbesondere auch für Fluchtkapital) und die eigene niedrige Sparquote unvermeidbar zu einem Überschießen der Kapitalimporte und damit zu einem gewissermaßen „natürlichen“ Leistungsbilanzdefizit: Bis in die Zeiten der Regierung von Barack Obama hinein hielt das „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen den USA und China: China verkauft an die USA Güter zu niedrigen Preisen, die diese im eigenen Land nicht adäquat herstellen können, und fördert damit den Wohlstand der eigenen, aber auch der amerikanische Bevölkerung, die von positiven Kaufkrafteffekten profitiert. Die damit erzielten Einnahmeüberschüsse investiert China in amerikanische Schatzbriefe, wodurch der Geldkreislauf geschlossen wird. Die hierdurch verursachte Liquidität wiederum wirkte bis heute nicht inflationstreibend, weil die Niedrigpreise der Schwellenländer, hier auch Chinas, genau dem entgegenwirkten. Die Entwicklung dieses „ökonomischen Gleichgewichts des Schreckens“ kommt zunehmend zum Ende, und hierfür sind folgende Gründe maßgeblich: • In China steigt dessen Absorptionsquote – sie muss steigen, um hunderte Millionen Chinesen zu Wohlstand zu bringen. Das Investieren der eigenen Ersparnisse im Ausland ist mit den steigenden Wohlstandsansprüchen im eigenen Land unvereinbar. • Die auch vom Aufstieg der digitalen Wirtschaft beschleunigte Deindustrialisierung der USA seit der Regierung von Barack Obama – von etwa 20 % auf rund 12 % – hat nicht nur die Potenziale im Außenhandel weiter reduziert, auch das Desinteresse der Regierung Obama am Freihandel, insbesondere an der WTO und an der Doha-Runde, hat der Zerstörung des Freihandelsgedankens in der amerikanischen Bevölkerung den Weg bereitet. • Auf globaler Ebene ist es die Mobilmachung der Globalisierungsverlierer in den frühindustrialisierten Ländern – das europäische Beispiel dafür ist das Chlorhühnchen –, an dem die Freihandelsverträge schließlich scheiterten, sodass die Möglichkeit, rechtzeitig eine neue Ordnung des Welthandels zu konstituieren, verspielt wurde. In den USA sind Millionen von ehemaligen Arbeitnehmern im „rust belt“ verelendet und oft drogenabhängig.41 Das durchschnittliche Zollniveau der USA lag im Jahr 2018 mit 3,48 % bei etwas mehr als der Hälfte Europas (5,16 %). Das chinesische Zollniveau war wiederum mit 9,92 % knapp doppelt so hoch wie das europäische, ergänzt um Schranken beim Marktzugang, beim Kapitalverkehr oder bei Investitionen (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018a). 41Matthew
Desmond (2016) beschreibt in Evicted (Zwangsgeräumt) die völlige Zerstörung der Sozialstrukturen im Mittleren Westen der USA. Michael Hochgeschwender (2018) kommentiert die Situation in einer Buchbesprechung Der Kapitalismus ist doch farbenblind wie folgt: „Im Endeffekt hat die unheilige Allianz aus neoliberalem Kapitalismus, Säkularismus und kultureller Identitätspolitik ohne Rücksicht auf das Elend der Armen in den Vereinigten Staaten zu einem sozialen Desaster geführt.“
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
79
Anteil der gewerblichen Wirtscha am BIP
35
Südkorea
30
Polen
Tschechische Republik
Bulgarien
25
Ungarn
Schweden Litauen
Japan Slovenien Slowakei
Dänemark
20
USA
Spanien
Finnland Österreich Estland Kroaen Italien Belgien Portugal Frankreich Leland Niederlande
Malta
15
Deutschland Irland
10
Griechenland
Vereinigtes Königreich
Zypern
5
Luxemburg 0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
High-Tech-Input in die industrielle Produkon
Abb. 2.11 Betroffenheit ausgewählter Industrieländer durch Made in China 2025. (Quelle: eigene Darstellung aus Wübbeke et al. 2016, S. 8)
Die jeweiligen nationalen bzw. in Freihandelsabkommen geregelten Zölle sind das Ergebnis von Zollsenkungsrunden, die über viele Jahre vollzogen wurden. Das einseitige Erheben oder Erhöhen von Zöllen, wie von den USA durchgeführt, ist innerhalb dieses Reglements rechtswidrig; es bestehen Einspruchs- und Retaliationsmöglichkeiten, also das Erheben von Gegenzöllen. Mit der Zollanhebung im Mai 2019 lag das Zollniveau der USA gegenüber China bei knapp 8 % (Die Welt 2019b). Im Frühjahr 2019 hatte sich der Außenhandelsüberschuss Chinas gegenüber dem Spitzenwert vom Oktober 2018 auf knapp über 20 Mrd. US$ halbiert (Börsen-Zeitung 2019c). Die zweite Kriegsfront der USA gegen China findet sich auf dem Gebiet der Technologie. Das Land will technologisch hochwertige Wertschöpfungsketten im Rahmen seiner Strategie Made in China 202542 schließen und bedroht aus amerikanischer Sicht die industrielle Vormachtstellung der USA, vor allem in kritischen militärischen Belangen. Diese sicherheitspolitische Begründung auf Basis einer Vorschrift des Jahres 1962, also aus der Zeit des Kalten Kriegs, ermöglicht es dem Präsidenten der USA, über den Kongress hinweg Zölle zu erheben; dies soll die Maßnahme der Überprüfung durch die WTO entziehen. Jost Wübbeke, Mirjam Meissner, Max Zenglein, Jaqueline Ives und Björn Conrad (2016) haben die Folgen dieser Strategie für einzelne Volkswirtschaften analysiert und dabei deren Betroffenheit an zwei Indikatoren festgemacht: dem Anteil der industriellen (also gewerblichen) Wertschöpfung und dem Anteil der Hochtechnologie-Inputs in die industrielle Produktion. Die Abb. 2.11 enthält die Ergebnisse. Die dabei angesprochene 42Diese
Strategie wurde von der deutschen Industrie 4.0-Initiative abgeleitet.
80
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Betroffenheit ist janusköpfig: Denn mit ihrer Zunahme, also der Positionierung in Richtung des nordöstlichen Quadranten, steigt auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft aufgrund des Technologiegehalts ihrer Produktion und der globalen Absatzfähigkeit der handelbaren Güter. Geringe Industrieanteile und geringe Technologieintensität belegen eine zumindest sektorale Wettbewerbsschwäche. Denn das mit Made in China 2025 verbundene Güterbündel betrifft die eigene Wirtschaft nur begrenzt – sie könnte sogar von sinkenden Preisen als Folge einer global erhöhten Wettbewerbsintensität profitieren. Manche Länder, beispielsweise die USA oder England, kompensieren diesen Nachteil durch hohe Anteile an international handelbaren Dienstleistungen aus dem Finanzsektor oder aus den unternehmensorientierten Dienstleistungen bzw. durch hohe Gewinneinnahmen aus Unternehmen im Ausland. Allerdings löst das nicht das Verteilungsproblem im eigenen Land, insbesondere nicht die Zukunft der klassischen Arbeitnehmer; diese polit-ökonomische Flanke ist aber aus wahlstrategischen Gründen in einer Demokratie bedeutsam. Die erste Attacke Donald Trumps43 lag in der Steuerreform des Jahres 2018, welche die Attraktivität des Produktions- und Steuerstandorts USA stark verbesserte und gerade von den Europäern mit starker Missbilligung aufgenommen wurde. Die ersten Zölle ließ er im Januar 2018 auf Waschmaschinen und Solaranlagen aus China erheben. Die beiden Metalle Stahl und Aluminium kamen am 1. Juni 2018 dazu. Sie stehen nicht nur an der Spitze der Überkapazitäten in China; sie sind auch strategische Werkstoffe, die für eine Vielzahl von Anwendungen – von der Militärtechnologie bis hin zur Energiewende – infrage kommen. Wenn der große und aufstrebende Konkurrent China zeigt, wie eine aktive Handelspolitik Machtgleichgewichte verschieben kann, indem sie zunehmend Produktionsstufen mit hohen Wertschöpfungspotentialen ins Land zieht bzw. deren Abwanderung verhindert, warum sollen es die USA ihm nicht gleichtun und dabei auch das Abwandern eigener Wertschöpfungsstufen bzw. deren Technologien verhindern? Es handelt sich hier offensichtlich um ein neues Austarieren von „make-orbuy“-Entscheidungen auf globaler Ebene, das dann sinnvoll ist, wenn die Kontrolle über strategische Produktionsketten im Vergleich zu den Erträgen des Freihandels zunehmend an Gewicht gewinnt. Sicherheitspolitische Erwägungen können dieses transaktionskostentheoretische Kalkül stützen, wenn geeignete flankierende Maßnahmen ergriffen werden: das Verbessern des Humankapitals in der Industrie und die Aufwertung des Technologieanteils an der Industrie, wie Ulrich Blum und Ralf Wehrspohn (2018) in ihrem Beitrag Trumps Strafzölle ergeben strategisch Sinn schreiben. Allerdings kann nicht erwartet werden, dass sich die Handelsbilanz verbessert, solange die amerikanische Industrie nicht in der Lage ist, Speziallegierungen mit Stahl und Aluminium selbst herzustellen: So können die Anbieter ihre Abgabepreise weitgehend konstant halten, die mit Zoll verteuerten Importe in den USA verschlechtern sogar die Außenhandelsposition der USA, möglicherweise sogar mit negativen Folgen für die eigene Exportfähigkeit, weil
43Am
Ende des Abschnitts findet sich eine Chronologie der Entwicklung.
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
81
Güter, in die diese Importe eingebaut werden, teurer werden müssen – was ergänzend zum Wohlstandsverlust im Inland hinzukommt. Vielleicht kommt es aber nicht dazu, weil das amerikanische Handelsministerium eine Ausnahmegenehmigung für nicht substituierbare Importe erteilen kann. Eine Androhung von Retaliationszöllen auf amerikanische Autoimporte könnte für China sehr kontraproduktiv sein – ein Großteil davon stammt aus deutschen Werken und würde dort eine Solidarisierung mit den USA auslösen, die weitgehend vor Ort produzieren. Im Sommer 2018 lag der Importzoll bei 25 % und würde dann auf 50 % steigen. Zölle auf Sojabohnen hingegen würden direkt die Wählerschaft von Donald Trump treffen und damit der Vorstellung, nicht symmetrisch zurückzuschlagen, sondern den Gegner dort zu treffen, wo er empfindlich ist, entsprechen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass China in seinen Handelsverflechtungen eng mit dem pazifischen Raum verflochten ist – eine rigide Zollpolitik würde diese Wertschöpfungsketten erheblich beschädigen und möglicherweise Initiativen wie die der Seidenstraße zu Makulatur werden lassen. Für China kann die Zollpolitik bei Standardstahl sogar vorteilhaft sein: Da dieser im US-Inland leicht zu ersetzen ist, erleichtert das die Politik des Umbaus des Lands. Nicht übersehen sollte man, dass die Zentralregierung beim Abbau der beträchtlichen Überkapazitäten und bezüglich der damit verbundenen erheblichen Umweltschäden oft vor der Führung in den Provinzen kapitulieren musste, weshalb das Schließen illegaler Werke inzwischen teilweise über die Antikorruptions-„watch-dogs“ der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) erzwungen wird. Die forcierte Strategie Made in China 2025 findet ihre wohlstandstheoretische Begründung in der Analyse von Hubert Escaith und Satoshi Inomata (2013), die beispielhaft die Lieferverflechtungen aufwärts und abwärts der Wertschöpfungskette zeigen und dabei nachweisen, in welchem Umfang die globale Arbeitsteilung bisher den Westen begünstigt, die in hohem Maße durch den Verfall der Informations- und der Transportkosten – letztere gravierend zulasten der Umwelt – getrieben wird. Abb. 2.12 verdeutlicht dies beispielhaft durch die Landesflaggen, die darauf verweisen, dass es die frühen und die späten Stufen sind, die Länder reich machen – zulasten der sogenannten Werkbänke der globalen Wirtschaft – und dass damit ein Verteilungsproblem zwischen den Schwellenländern und den frühindustrialisierten Ländern entsteht. Die World Intellectual Property Organization (2017, S. 10) hat die Dynamik der zeitlichen Veränderungen qualitativ dargestellt; die Lachkurve wird tiefer – die rein industriellen Prozesse verlieren an Gewicht. Eine weitere Frage lautet, wie sich diese Lachkurve unter den Bedingungen des Pariser Klimavertrags und damit der Notwendigkeit, zirkuläre Elemente aus der Wirtschaft auszubauen, weiterentwickelt. Das wird am rechten Rand der Graphik angedeutet: Vermutlich wird eine moderne Recycling- und Verwertungswirtschaft in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Wertschöpfung leisten (Variante 1) – derzeit ist sie eher ein Verlustgeschäft (Variante 2). Das hohe Interesse Chinas an Recyclingfirmen deutet darauf hin, dass hierin strategisch bedeutsame Marktpotentiale gesehen werden.
82
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität Wertschöpfungshöhe 1
Die „Lachkurve” des Westens
2 1970 Upstream
Downstream
2017
?
?
Dekonstrukon, Recycling
Kundenspezifische Dienste
Markeng
Distribuon, Logisk
Fergung Versorgung mit Halbzeugen
Materialwirtscha
F&E
Produktdesign
Phasen des Wertschöpfungsprozesses
Abb. 2.12 Positionierung asiatischer Länder in der globalen Lieferverflechtung. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Escaith und Inomata (2013) und World Intellectual Property Organization 2017, S. 10)
Die aufstrebende Supermacht China ist immer weniger bereit, ihre bisherige Rolle als „Werkbank der Welt“ zu akzeptieren; nachdem die globalen Führungsfunktionen verteilt sind, setzt sie auf Wertschöpfungsketten. Anschaulich wird die Werthaltigkeit der einzelnen Prozessphasen in Abb. 2.13 an der Aufteilung der Wertschöpfung von drei Smartphones aus dem Hochpreissegment dargestellt. Tatsächlich liegt nur rund 1 % der durch Arbeit geschaffenen Wertschöpfung eines Smartphones im Herstellerland China. Hingegen bleibt über die Hälfte im Unternehmenssitzland, das die gesamte Wertschöpfungskette sowie hohe Anteile von Handel und Vertrieb kontrolliert. Genau deshalb entbrennt hierüber ein Kampf, weil hier ein
Anteile an der Wertschöpfung
45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
Materialkosten
Handel und Vertrieb
Samsung Galaxy S7
IP-Lizenzen
Apple Iphone 7
Arbeit, sonsge Vorleistungen
Unternehmenswertschöpfung
Huawei P9
Abb. 2.13 Prozentuale Verteilung der Wertschöpfungspositionen. (Quelle: Eigene Darstellung aus World Intellectual Property Organization 2017, S. 17)
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
83
Wertschöpfung in US$
350 300 250 200 150 100 50 0
Materialkosten
Handel und Vertrieb
Samsung Galaxy S7
IP-Lizenzen
Apple Iphone 7
Arbeit, sonsge Vorleistungen
Unternehmenswertschöpfung
Huawei P9
Abb. 2.14 Wertmäßige Verteilung der Wertschöpfungspositionen (Quelle: Eigene Darstellung aus World Intellectual Property Organization 2017 und Yuan 2017, S. 17)
wichtiges geostrategisches und ökonomisches Potential erkannt wird. Aus Nachhaltigkeitsgründen steigt die notwendige Kontrollkompetenz zum Recycling der Wertstoffe weiter. Diese neue Rivalität könnte die Globalisierung teilweise zurückdrängen. Die Abb. 2.14 zeigt nicht die Wertschöpfungsanteile, sondern die absoluten USDollar-Beträge. Dann wird der Unterschied der Positionierung in der Wertschöpfungskette noch dramatischer, weil es Apple durch die Werthaltigkeit der Marke gelingt, erheblich höhere Preise am Markt durchzusetzen als die beiden Konkurrenten. Auch der zugrunde liegende processing trade bläht das Handelsdefizit der USA mit China künstlich auf. Wird nämlich ein Produkt wie das iPhone in China aus weltweit importierten Komponenten zusammengesetzt, dann fließen diese von China importierten Vorleistungen in den negativen Saldo ein, obwohl sie eigentlich Drittländern zuzurechnen wären. Wellmer et al. (2017) heben in ihrem Beitrag die Bedeutung verlässlicher Rahmenbedingungen für den Metallerzbau hervor, weil auch durch intensive Recyclingstrategien infolge der Zeitverzögerung, gegeben durch die Lebens- bzw. Nutzungsdauer der Produkte, der Bedarf für eine low-carbon-Gesellschaft nicht gedeckt werden kann. Dabei habe insbesondere China gezeigt, dass es Rohstoffe durchaus als Mittel der Verbesserung seiner Wertschöpfungsposition sieht, wie an verschiedenen Verfahren vor der WTO zu sehen sei.44 Die chinesische Wirtschaftsstrategie „Schließen von Wertschöpfungsketten“ lässt sich bereits an den makroökonomischen Daten ablesen: In ihrem Monatsbericht vom Januar 2018 analysiert die Deutsche Bundesbank die Veränderungen der Import–ExportRelationen wichtiger internationaler Handelspartner (Deutsche Bundesbank 2018a, 44So wurden u. a. die USA und die EU im Jahr 2009 bei der WTO wegen der diskriminierenden Exportpolitik, konkret bei Bauxit, Flussspat, Magnesium, Mangan Siliziumkarbid, Siliziummetall, Phosphor und Zink, vorstellig ganz wie 2012 im Falle der Seltenen Erden; eine strategische Nutzung ist zu vermuten. Darüber hinaus ist wegen des illegalen Bergbaus ein großer Teil der (umweltgerechten) Ressourcenbewirtschaftung kaum möglich.
Imporerte Vorleistungen (Prozent des Produkonswerts)
84
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
1995
2014
Abb. 2.15 Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Importanteile. (Quelle: eigene Darstellung aus Deutsche Bundesbank 2018a)
S. 17); diese sind in der Abb. 2.15 wiedergegeben. So hat China in der Zeit von 1995 bis 2014 seine relative Abhängigkeit von Importen reduziert. Sie sank in diesen 20 Jahren von knapp 6 % auf rund 4 %. Wo liegen die wirtschaftsstrategischen Ursachen, auch im Sinne politischer Steuerung? China gelang es, seinen Anteil an der globalen Wertschöpfung, auch in Bereichen der Hochtechnologie, zu stärken, einmal durch strenge Regulierung, dann durch den Kauf international führender Unternehmen und damit den Kauf von Wissen, und schließlich durch Bildung (Pei 2018): Die Reformen der Jahrtausendwende, einschließlich des Aufbaus eines Elite-Hochschulsystems, haben es ermöglicht, Vorleistungen, die vordem im eigenen Lande technisch oder ökonomisch nicht darstellbar waren, zu substituieren, was den Exportüberschuss weiter steigerte. Blum (2018b) analysiert dies unter dem Thema Kampf um Wertschöpfungsketten und zeigt, dass dadurch weniger der Handel an sich als vielmehr der Freihandel auf Wettbewerbsmärkten unter Druck gerät. Sind die gewaltigen Qualifikationslücken der amerikanischen Arbeiterschaft ein weiterer Grund für das amerikanische Handelsdefizit infolge einer nicht möglichen Rückwärtsintegration? Mit Sicherheit gilt das für die Industrie – ganz anders als, wie weiter oben ausgeführt, beim deutschen industriellen Mittelstand, der über starke, rückwärts integrierte Wertschöpfungsketten verfügt. Das wird im Bild der hidden champions erfasst. China kopiert das in ausgewählten Bereichen, ebenso wie den Aufbau eines dualen Ausbildungssystems, das als Kernelement der deutschen Wirtschaft diese während der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren vital und robust erhalten hat. Wenn Donald Trump es mit America first wirklich ernst meint, muss er die Breiten(aus)bildung und seinen Mittelstand stärken. Erfolgreich sind die USA bei der Rückwärtsintegration im IT-gestützten Dienstleistungsbereich, wo sie weltweit Hochqualifizierte anziehen. Die Dienstleistungsbilanz weist gegenüber dem Rest der Welt einen gewaltigen Überschuss von knapp
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
85
250 Mrd. US$ aus. Das zeigt auch, wie unzweckmäßig eine Betrachtung ist, die allein auf bilaterale Strukturen aufsetzt: Das Handelsbilanzdefizit mit einem Land, beispielsweise Deutschland, könnten die USA mit einem anderen Land, beispielsweise mit den Niederlanden durch einen Dienstleistungsbilanzüberschuss, stark reduzieren. Denn in einem deutsch-niederländischen Kontext werden Spezialisierungsvorteile im Bereich Produktion und im Bereich Dienstleistungen wirksam. Letztlich sichern nur Forschung und Entwicklung auf Dauer die Produktivität und den Wohlstand eines Lands; Ulrich Blum und Kou Kou (2018) fragen daher Kommt China an die Weltspitze? und sehen hierfür gute Chancen: Innovationsführer Korea gibt 4 % seines Bruttoinlandsprodukts für F&E-Aktivitäten aus, in Japan sind es etwa 3,5 %. Deutschland erreicht fast das EU-Ziel von 3 % des BIP für F&E, knapp darunter liegen die Vereinigten Staaten mit etwa 2,7 %, etwas weiter darunter Frankreich. China investiert jährlich nur gut 2 % des BIP für Forschung und Entwicklung, liegt damit aber noch deutlich vor vielen entwickelten Staaten wie Großbritannien, Kanada oder Italien und vor den meisten Schwellenländern. Ähnliche Ergebnisse liefern die Patentanmeldungen. Die in den letzten Jahren kräftig gewachsenen Zahlen für China lagen im Jahr 2016 mit 1,2 Mio. Stück weit vor denen anderer Länder beispielsweise denen der USA als Nummer zwei mit 295.000 Patenten. Bezieht man dies auf die Zahl der Einwohner wie in Abb. 2.16, dann rangiert China auf dem vierten Platz – es dominieren Korea und Japan mit dem Drei- bzw. Zweifachen der USA und Chinas, die annähernd gleichauf liegen. Allerdings ist zu fragen, ob die Bevölkerungszahl bei Schwellenregionen die richtige Basis für eine solche Berechnung darstellt. So arbeiten in China rund 362 Mio. Beschäftigte in der Landwirtschaft, und es gibt 287 Mio. Wanderarbeiter. Nimmt man erstere aus der Rechnung heraus und unterstellt man einen für eine entwickelte Region normalen Anteil an Beschäftigten in der Landwirtschaft – das wären in China etwa 28 Mio. Personen – dann verdoppeln sich
Abb. 2.16 Internationale Rangfolge der Patentanmeldungen, 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Weltbank (2017) – Farben nach Ländergruppen)
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Abb. 2.17 Patentleistung von Spitzeninnovatoren im europäischen Markt. (Quelle: eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018c) und Europäisches Patentamt – Farben nach Sektoren)
die F&E- und Patentquoten, und China nähert sich Korea oder Japan, wie die Kategorie „China (entwickelt)“ zeigt, zunehmend an. Die Einschätzung des Werts eines Patents zeigt sich insbesondere an der Sicherung in Drittmärkten. Bei den Anträgen und den Patenterteilungen sieht man die Dominanz Asiens, und China spielt hier bereits in der vordersten Liga, wie Abb. 2.17 zeigt. Allerdings ist China bei Spezialbauteilen und bei kritischen Ressourcen stark vom Ausland abhängig: ohne den Import von Logikchips aus den Vereinigten Staaten, Japan, Korea und Europa und ohne importierte Rohstoffe, beispielsweise Kobalt und Lithium für die Elektromobilität, funktioniert die „Werkbank der Welt“ nicht. Ein allgemeiner Boykott der Amerikaner oder des Westens bei elektronischen Komponenten oder ein Abschnüren der Rohstoffversorgung ist trotzdem unwahrscheinlich, weil dieser nicht selektiv treffen würde – ein Großteil der Produkte mit westlicher Technologie wird wieder in den Westen zurückexportiert und somit ergäben sich ebendort starke Verwerfungen. Kurzfristig ist der Westen stark von China als Lieferant technologisch hochwertiger Bauteile abhängig. Selektiv muss das nicht gelten: Im April 2018 verfügte die amerikanische Regierung, dass ZTE wegen der wiederholten Belieferung von Nordkorea und des Iran keinen Zugang zu Halbleitern aus den USA bzw. von amerikanischen Unternehmen erhalten darf, was möglicherweise ohne eine Einigung die Insolvenz des Unternehmens bedeutet hätte, die nun der US-Kongress verhindern will. China revanchiert sich durch das Behindern einer Fusion des US-Halbleiteranbieters Qualcomm mit einem niederländischen Unternehmen NPX Semiconductors. China Mobile wurde im Jahre 2018 der Marktzugang in den USA aufgrund von Sicherheitsrisiken verwehrt, und die Fusionspläne von T-Mobile USA mit dem Mobiltelefonanbieter Sprint gerieten wegen der Verwendung chinesischer Technologie, vor allem von Huawei, unter Druck. Auf beiden Seiten dieser tektonischen Verwerfungszone werden langfristige Substitutionsstrategien greifen, die China im Bereich der Halbleiter bereits angekündigt hat, um anschließend zu klären, mit welchen Ländern man kooperieren kann und mit welchen nicht. Da aber die geostrategische Konstanz der Allianzen nie sicher ist, wie aktuell die Aufkündigung des Iran-Atomabkommens durch die USA zeigt, wird sich
2.4 Handelskrieg statt Freihandel
87
China auch in anderen Bereichen unabhängiger von den USA bzw. vom Westen machen, genauso wie die USA von China. Der Kampf um Wertschöpfungsketten wird intensiver werden. China kann derzeit den Kampf gegen die USA nicht gewinnen. Zunächst liegt dies an einem stetigen Abflachen des Wachstums der totalen Faktorproduktivität, die den Economist (2018g) an die späten Jahre der Sowjetunion erinnern. Das liegt weiterhin daran, dass die USA als Inhaber der einzigen globalen Währung die stärkste Waffe – die „Nuklearoption“ – besitzen. Es ist über lange Zeit auf Technologieimporte angewiesen und steht unter dem Druck, den Wohlstand in den Westen des Lands, zu den Wanderarbeitern oder zu den Bauern zu tragen – rund ein Drittel bis die Hälfte der chinesischen Bevölkerung harrt auf die Erfüllung des Wohlstandsversprechens durch die Kommunistische Partei Chinas (KPC). Das Land konnte sich durch seine rigide Geburtenkontrollpolitik aus der Malthusianischen Falle befreien. Es könnte in eine „Künstliche-Intelligenz-Falle“ geraten, wenn die Produktivitätssprünge und die damit verbundenen sektoralen Verschiebungen auf eine nicht hinreichend qualifizierte Beschäftigungsstruktur treffen – und das wäre wohl das Ende des Pakts zwischen der KPC und Bevölkerung: Wohlstand für Alle! Zölle auf amerikanische Dienstleitungsexporte treffen Softwareunternehmen, Rechtsanwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder chinesische Studenten in den USA, was eine massive Selbstschädigung bedeutet; hier ist Europa im Sinne einer glaubhaften Drohung sehr viel besser positioniert. Auch das Verkaufen chinesischer US-Dollarreserven – über eine Billion US-Dollar – wirkt nur begrenzt als Waffe:45 Der amerikanische Zinsdruck würde zwar steigen, aber ein möglicherweise fallender Dollarkurs verstärkt die Wirkung der US-Zölle noch – derzeit setzt China eher auf einen fallende Renminbi.46 Eine Verknappung von Seltenen Erden drosselt die Exporte, erhöht im Westen Substitutions- und Recyclinganstrengungen – und, im eigenen Land, die illegalen Ausfuhren, die bei rund 30 % der offiziellen Handelsvolumen liegt. Das Proklamieren von Überlegenheit vor allem im Kontext der Technologiestrategien „Made in China 2025“ erfolgte möglicherweise zu früh. Sun Zi (ca 500 v. Chr.) sagt: „Wenn du etwas vorhast, tue, als ob du es nicht vorhättest. Wenn du etwas willst, tue, als ob du es nicht benutzen wolltest.“ Das wurde offensichtlich nicht beachtet. Viele Partner Chinas fürchten nun das Tan DaojiStrategem „Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen“: „Bewege Feinde dazu, Dir zu vertrauen, um zum richtigen Zeitpunkt heimlich loszuschlagen.“
45Tatsächlich hatte Russland bereits einen Großteil seines amerikanischen Devisenschatzes im Sommer 2018 mehr oder minder heimlich abgestoßen und ist damit für eine chinesische Attacke gerüstet. 46Nach Berechnungen der Deutschen Bank müsste China den Renminbi um 18 % abwerten, um einen Zoll auf alle chinesischen Exporte von 25 % zu neutralisieren, weil bestimmte Güter in den USA nicht substituiert werden können und somit ein erhöhter Preis durchzusetzen möglich ist (Zschäpitz 2018b). Ein Drittel dieser Abwertung wurde tatsächlich im ersten Halbjahr 2018 vollzogen.
88
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Tatsächlich sandte China ab dem Frühjahr 2018 versöhnliche Signale: Der Vorstellung, der Handelskrieg entspräche spieltheoretisch einem Gefangenendilemma, bei dem alle verlieren, ist die Einsicht gewichen, dass er auch als Feiglingsspiel mit einem Sieger – den USA – und einem Verlierer – China – enden könne, dessen Aktienmarkt im zweiten Quartal 2018 um über 10 % eingebrochen ist. Dies wird später formal gezeigt. Es hat das ursprünglich kriegerische Vokabular aus der gesamten Öffentlichkeit verbannt, weil es in der eigenen Bevölkerung nicht erfüllbare Erwartungen befördern könnte, und hat erkannt, dass ein Zuviel an globaler China-Propaganda, ganz im Sinne einer übermäßigen Druckwerbung, kontraproduktiv ist. Denn inzwischen fahren neben den USA47 auch die Europäer die Zollschranken hoch und verhindern chinesische Direktinvestitionen. China baute überall dort die Zölle ab, wo es einerseits glaubt, dass die eigene Industrie eine hinreichende wettbewerbliche Reife besitzt, erduldete aber andererseits zugleich einen quasi von außen erzwungenen sektoralen Umbau in den alten Industrien. Es tut alles, um einen Ausweg aus dem „Wie du mir, so ich dir“(tit-for-tat) aufzuzeigen. Diese Strategie ist dem unsystematischen „Dealmaking“ auf jeden Fall ordnungsökonomisch – und hoffentlich auch in den Ergebnissen – überlegen, weil sie die Ordnung der Wirtschaft stabilisiert, wie Ulrich Blum (2018a) in Fuxing vs. Amercia First? zeigt. Die Tab. 2.1 fasst die Entwicklung bis zum Sommer 2019 zusammen. Zugleich sieht sich China einem zunehmenden reshoring bzw. backshoring gegenüber. Steffen Kinkel (2014) verweist in einer Analyse Future and Impact of Backshoring – Some Conclusions from 15 Years of Research on German Practices darauf, dass vor allem aus Qualitätsgründen und der Bedeutung einer Nähe zum Kunden eine Rückverlagerung geschieht, die auch technologisch durch moderne Produktionsverfahren erleichtert wird, dass aber die Intensität bisher nicht ausreicht, altindustrielle Regionen zu reindustrialisieren. Die Internationalisierung wird voranschreiten, aber mit erhöhter Sensitivität bezüglich kritischer Faktoren, vor allem in Bezug auf das Innovationsmilieu (Kinkel 2015, S. 36). Den Charakter eines Wirtschaftskriegs – präziser: eines ökonomischer Erzwingungskriegs, mit dem vor allem die USA China ihren Willen aufzwingen wollen – bestätigen die amtlichen Rücknahmen der Wachstumsperspektiven der Weltwirtschaft. So sieht der Internationale Währungsfonds (IWF) kumulierte Kosten von 500 Mrd. US$ – mit den USA als Hauptgeschädigte (Stocker 2018). Aus der Sicht von Donald Trump ist der Betrag aber eine zwingend notwendige Investition im Kampf um die Stabilisierung der amerikanischen Vorherrschaft, weshalb er unnachgiebig und eskalationsbereit bleibt. Die Deutsche Bundesbank (2018b, S. 14) sieht durch die bereits vorhandenen Zölle einen Schaden beim globalen Bruttoinlandsprodukt von knapp einem Prozent, der sich bei weiterer Eskalation schnell verdoppeln könnte. China, die USA, Mexiko und Kanada
47Dort ist das OFAC (Office for Foreign Assets Control), das für Sanktionen und Investitionsbeschränkungen zuständig ist.
Die USA kündigen den Rückzug aus NAFTA an und lassen Chinas unfaire Handelspraktiken untersuchen.
Steuerreform tritt in Kraft.
USA legt für importierte Solarpanele und Waschmaschinen eine 30 % Zoll fest.
August 2017
1. Januar 2018
22. Januar 2018
16. Februar 2018
Handelsminister Ross schlägt Zölle auf Stahl und Aluminium vor
Die USA lassen Stahlimporte untersuchen.
April 2017
9. Februar2019
Die USA erklärt den Rückzug aus dem bereits verhandelten TPP Abkommen.
Entlastung von 280 Mrd. US$, das sind etwa 1,3 % des Bruttoinlandsprodukts der USA
WTO fordert China auf, seine Märkte stärker zu öffnen und Joint-VentureZwang sowie forcierten Technologietransfer abzubauen.
China Maßnahme
Wert/Bezug
USA
Maßnahme
23. Januar 2017
Datum
Tab. 2.1 Eskalation und Deeskalation des US-China -Europa-Handelskriegs. Wert/Bezug
Europa
Die EU bezeichnet dies als Steuerkrieg.
Maßnahme
(Fortsetzung)
Wert/Bezug
2.4 Handelskrieg statt Freihandel 89
ZTE droht der Konkurs. Einigung gegen Strafzahlung und künftigere Unterlassung, die aber der US-Senat verhindern will. China kündigt an, das Atomabkommen weiter zu respektieren und sich den Sanktionen nicht anzuschließen sowie seine Unternehmen zu schützen.
Die USA blockieren den Export kritischer Schaltkreise an ZTE, das gegen NordKorea- und Iran-Sanktionen verstoßen hat.
16.April 2018
8. Mai 2018 Die USA kündigen das I ran-Atomabkommen und lässt Sanktionen wiederaufleben. Die USA kündigen an, diese auch extraterritorial durchsetzen zu wollen.
100 Mrd. US$
Die USA drohen mit neuen Zöllen.
China sagt, es werde um jeden Preis bis zum Ende kämpfen.
China kündigt Zölle auf 100 amerikanische Produkte (Flugzeuge, Autos, Sojabohnen) an.
5./6. April 2018
50 Mrd. US$
Die USA erlassen Zölle auf 1300 chinesische Produkte.
3. /4. April 2018
China nennt dies einen bedenklichen Angriff und erlässt Gegenszölle auf Whiskey, Jeans, HarleyDavidson usw.
USA legen für Aluminiumund Stahlimporte Zölle von 25 % bzw. 10 % fest.
China Maßnahme
Wert/Bezug
USA
Maßnahme
März 2018
Datum
Tab. 2.1 (Fortsetzung)
1,3 Mrd. US$
50 Mrd. US$
3 Mrd. US$
Wert/Bezug
Europa
Die EU kündigt an, ihre Unternehmen vor den Sanktionen schützen zu wollen. Trotzdem ziehen sich viele Unternehmen aus den gerade erst anberaumten I ran Geschäften zurück, um Sanktionen in den USA zu vermeiden.
Europa bereitet Vergeltungszölle auf Stahl, Aluminium oder Whiskey vor.
Maßnahme
(Fortsetzung)
Wert/Bezug
90 2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Die USA ordnen Untersuchungen zur strategischen Schädigung der Autoimporte an und bereiten Zölle von 25 % auf europäische Autoimporte vor.
Iran-Sanktionen der USA treten in Kraft.
Zölle gegen China erhöhen sich zum 1. Mai 2019 von 10 % auf 25 %.
USA droht mit Zöllen gegen Airbus.
7. August 2018
24. September 2018
10. April 2019
11 Mrd. US$
Gegenzölle gegen die USA 500 Mrd. US$ treten in Kraft; China reicht bei der WTO Klage gegen die USA ein
Zölle gegen China treten in Kraft.
6. Juli 2018
50 Mrd. US$
China senkt die Einfuhrzölle auf Autos von 25 % auf 15 %
Wert/Bezug
1. Juli 2018
200 Mrd. US$
China Maßnahme
Wert/Bezug
USA
Maßnahme
1. Juni 2018 US-Zölle treten in Kraft.
23. Mai 2018
Datum
Tab. 2.1 (Fortsetzung) Europa
EU-Kommission bereitet Gegenmaßnahmen vor.
EU-Abwehrmaßnahmen zum Schutz der eigenen Unternehmen treten in Kraft.
EU verkündet Zölle auf Mehrimporte, um Verdrängungswettbewerb zu verhindern.
Fachleute schlagen vor, Europa solle alle Zölle senken, um eine Eskalation zu vermeiden.
Gegenzölle treten in Kraft.
Maßnahme
(Fortsetzung)
Wert/Bezug
2.4 Handelskrieg statt Freihandel 91
USA drohen Europa mit Zöllen, wenn es kein Flüssiggas kauft
USA drohen mit Enteignung von Huaweis Patenten in dens USA als Folge einer Patentklage von Huawei gegen Verizon
USA werfen Europa wegen angekündigten Zinssenkungen Währungsdumping vor und drohen mit Gegenmaßnahmen
Apple erwägt wegen USZölle, ein Drittel seiner Produktion abzuziehen
Die USA setzen den Lieferstopp gegen Huawei vorläufig aus.
Mai 2019
17. Juni 2019
20. Juni 2019
21. Juni 2019
1. Juli 2019
Wert/Bezug zusätzlich 200 Mrd. US$
Maßnahme
USA
1. Mai 2019 Zollerhöhung tritt in Kraft
Datum
Tab. 2.1 (Fortsetzung) Wert/Bezug
China zieht die Klage vor der WTO, als Marktwirt schaft anerkannt zu werden zurück. Damit dürfen weiterhin Antidumping-Zölle gegen chinesische Billigprodukte erhoben werden
China droht den USA mit der Unterbrechung bei der Belieferung mit seltenen Erden
Gegenzölle gegen die USA zusätzlich treten zum 1. Juni 2019 in 600 Mrd. US$ Kraft
Maßnahme
China
EU reichen vor der WTO Klage gegen China wegen Schutz geistigen Eigentums ein.
Maßnahme
Europa
(Fortsetzung)
Wert/Bezug
92 2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Quelle: eigene Zusammenstellung.
100 Mrd. US$ 160 Mrd. US$
Chinesische Gegenzölle von 10 % treten auf US-I mporte von Gemüse, Fleisch, Chemikalien, Sojabohnen in Kraft, Weitere Zölle von 5 bis 10 % sollen zum 15. Dezember folgen.
Die USA krisieren, dass trotz Zusicherung eines Exportstopps das als Droge weitverbreitete Arzneimittel Fentanyl von China in die USA exportiert würde
USA erheben weiter Zölle in Höhe von 15 %. Ab 15. Dezember sollen Zölle von 15 % auf weitere Importe in Karft treten
Huawei kündigt Fertigstellung des eigenen Betriebssystems „Harmony OS“ an, das elektronische Systeme übergreifend eine ganzheitliche Ökologie schaffen soll, und bietet hierbei Europa Kooperation an
Die USA kündigen neue Zölle zusätzlich auf chinesische I mporte an, 300 Mrd. US$ setzen diese dann aber bis zum 15. Dezember 2019 aus
August 2019
1. September 2019
China kündigt das Ende sämtlicher Agrarimporte aus den USA an und reicht Klage gegen die USA wegen Töllen auf Solarmodule ein
Die USA kündigen Gegenzölle auf Pkw und französische Lebensmittel an
China Maßnahme
Wert/Bezug
USA
Maßnahme
11.Juli. 2019
Datum
Tab. 2.1 (Fortsetzung) Wert/Bezug
Europa
Europa erhöht die Importkontingente für amerikanisches Rindfleisch
Frankreich setzt im Alleingang eine Digitalsteuer fest.
Maßnahme
2019: 400 Mio. Euro 2020:650 Mio. EUR
Wert/Bezug
2.4 Handelskrieg statt Freihandel 93
94
2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
sind die Hauptleidtragenden, in Europa sind es Großbritannien und Italien. Deutschland ist bisher kaum betroffen. Auf Grundlage eines Simulationsmodells taxiert Galina Kolev (2019) vom Institut der Deutschen Wirtschaft die maximalen Folgen eines Handelskriegs zwischen den USA, China und der EU sowie Japan, Korea, Mexiko, Kanada und im Szenario einer wechselseitigen Belegung aller jeweiligen Importe mit einem Zoll von 25 % auf 3 % der globalen Wirtschaftsleistung. Langfristig wird der Wirtschaftskrieg und die stetig steigenden Produktionskosten Handelsumlenkungen und Verlagerungen auslösen, und dies wird vor allem die südöstlich gelegenen asiatischen Nachbarn begünstigen, was wiederum ihre Einbeziehung in den Wirtschaftsraum durch die maritime Seidenstraße als strategisch bedeutsames Handeln zum Integrieren von Wertschöpfungsketten nahelegt. Der Economist (2019e) spricht daher auch in einer Titelgeschichte von Weapons of Mass Disruption, wenn er postuliert, dass die seitens der USA eingesetzten wirtschaftskriegerischen Waffen die Weltwirtschaft zerrütten. Die Möglichkeiten Chinas, seinen großen Devisenschatz als Waffe zu nutzen, sind kritisch zu sehen. Denn jeder Verkauf in größeren Mengen zerstört deren Wert, was zu Berichtigungen in der Zentralbankbilanz der Volksrepublik führen müsste. Zudem war es Ziel der Käufe, die Aufwertung der eigenen Währung, des Yuan (Renminbi) zu begrenzen. Der Verfall der US-Währung würde die eigene Wirtschaft einem massiven Aufwertungsschock aussetzen. Es könnte dann internationale Abwertungswettläufe ergeben. Insofern scheint diese Waffe solange stumpf, wie die USA die Weltwährungsordnung dominieren. Tatsächlich hat China die Devisenreserven in den vergangenen Jahren behutsam verringert, um diese Risikoposition zu begrenzen. Auch der Bestand an US-Anleihen ist gefallen und liegt Mitte 2019 unter dem Japans, das nunmehr der größte Gläubiger der USA ist. Denn die USA könnten umgekehrt durch massive Inflationierung deren Werthaltigkeit ebenfalls zerstören. Man muss daher erwarten, dass China auch im Währungsbereich seine Interessen langfristig verstärkt zur Geltung bringt. Im Sinne der Systematik von Clausewitz lässt sich die Auseinandersetzung wie in Abb. 2.18 gezeigt einordnen. Strafzölle dienen meist dem Erzwingen von Marktöffnung oder dem Verhindern unfairer Handelspraktiken, können aber leicht zu einem offenen Boykott eskalieren oder dem gezielten Fokussieren auf ausgewählte Industrien. In der Totalität können sie dann versuchen, den Aufstieg eines Konkurrenten zu verhindern.
2.4.3 Aufstrebende Mächte als Störer der Ordnung Strebt China gegenüber den USA tatsächlich nach Dominanz und schafft damit ein langfristiges Vernichtungspotential? Tappen die USA in die sogenannte ThukydidesFalle? Dies vermutet Graham Allison (2017) in seinem Buch Destined for War: Can America and China Escape the Thucydides’s Trap? und verweist darauf, dass die Konflikte zwischen aufsteigender und etablierter Macht fast nie vermieden
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Krieg erster Art
Krieg zweiter Art erzwingen
umfassender Krieg
großer Krieg
besiegen / vernichten
Verhindern des Aufsegs Chinas als Konkurrent
Boyko der Wirtscha 1 2
begrenzter Schlag
kleiner Krieg
3 4
Vernichten der Netzwerkindustrie
Verhängen von Strafzöllen
Abb. 2.18 Einordnung des US -chinesische Konflikts nach Carl von Clausewitz. (Quelle: eigene Darstellung)
werden konnten, weshalb er wichtige Hinweise gibt, was geopolitisch im Konfliktmanagement zu beachten ist. Grundlage dafür ist die Analyse des fast dreißigjährigen Peloponnesischen Kriegs (431–404 v. Chr.) zwischen der etablierten Macht Sparta und dem aufstrebenden Athen, den der griechische Historiker Thukydides kriegsbegleitend dokumentierte (Thukydides 431–404 v. Chr.). In diesem siegte zwar Sparta durch eine Allianz mit Persien, dauerhaft konnte es aber keine Dominanz entfalten, weil es durch den Krieg ausgezehrt und von den Bündnispartnern abhängig war. Es war schließlich Phillip II von Mazedonien (359–336 v. Chr.) und Alexander der Grosse (356–323 v. Chr.), die diese Schwäche hegemonial nutzen konnte. Athen jedoch siegte kulturell in der hellenistischen Blütezeit. Der Hintergrund des Konflikts zwischen Sparta und Athen waren fundamentale kulturell, staatsphilosophische und machtpolitische Divergenzen, ganz analog zu Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg in Bezug auf die angelsächsische Welt oder heute zwischen China und den USA bzw. dem Westen. Man kann eine Parallele zwischen dem Projekt der Bagdad-Bahn und der Flottenpolitik des Deutschen Reichs einerseits und der Seidenstraßeninitiative Chinas andererseits ziehen, die beide eine Dimension zu Land und eine zu Wasser haben (Blum 2019a; Lü 2019). Deutschland sah sich durch die mögliche Blockade des Nordmeers von seinem großen Konkurrenten England herausgefordert; ebenso könnten die USA China verhältnismäßig leicht vom Gelben Meer bis zum Südchinesisches Meer vom Zugang zum Pazifik abschneiden. Landwege bieten sich als Substitut an – in diesem Fall gleichermaßen in
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
Richtung Indischer Ozean – und stellen damit eine doppelte Provokation dar: Einmal als Eindringen in bereits verteilte Interessensgebiete, aber auch als Zeichen der Umgehung der Bedrohung, was das bisherige Erpressungspotential mindert. Auch andere Parallelen sind bemerkenswert: Als „verspätete Nation“ verfügte Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts kaum über Rohstoffquellen außerhalb des eigenen Lands und trat erst spät als Kolonialmacht auf, um seine Wertschöpfungsketten zu sichern. Heute versucht China mit Macht, sich diese, vor allem in Afrika, mittels Direktinvestitionen zu sichern. Denn Rohstoffe, die für die Hochtechnologieindustrie wichtig sind, beispielsweise Seltene Erden oder Kobalt, sind zentral für die Absicherung einer wirtschaftlichen Expansion. Schließlich stehen auch die lange vor Chinas „Wiedererwachen“ (Fuxing) gegründeten internationalen Organisationen, deren Ausgestaltung weitgehend von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs bzw. vom Westen vorgenommen wurde, unter Druck, weil China seine eigene Governance der Weltordnung durchsetzen will, was beispielsweise an der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) als Gegenstück zur Weltbank und zum Weltwährungsfonds zu sehen ist. Nicht umsonst fragte Henry Kissinger in seinem Buch On China (2011), ob die Welt den Fehler, den sie zum Ausgang des 19. Jahrhunderts mit Deutschland gemacht hatte, heute mit China wiederholen wird – nämlich das Land nicht als gleichberechtigte Großmacht zu akzeptieren. Viele Ähnlichkeiten sind frappierend: Über 30 % des Welthandels werden heute über das Südchinesische Meer abgewickelt, das aber – ebenso wie damals die deutsche Nordsee – militärisch relativ einfach abzuriegeln ist. Ob dieses Meer ein Teil der chinesischen Territorialgewässer oder Wirtschaftszonen ist, kann aufs trefflichste diskutiert werden. Die Argumentation der USA, China missachte die UN-Seerechtskonventionen gegenüber den USA, läuft ins Leere, hat doch der USKongress das zugrunde liegende Abkommen bis heute nicht ratifiziert. Der Wirtschaftskonflikt Deutschland-England, der möglicherweise die rationalste Erklärung für den Ersten Weltkrieg gibt, und auch die fehlende Bereitschaft aufseiten der Alliierten, ihn vorzeitig zu beenden, legt dies nahe. Ein weiterer historischer Anknüpfungspunkt für die Störung der Ordnung sind die Auseinandersetzungen zwischen einer See- und einer Territorialmacht – in der Antike waren das Athen und Sparta bzw. Rom und Karthago. Alexander Dugin (2014b) nimmt diese Frage auf und beschreibt in Eurasian Mission – an Introduction to Neo-Eurasianism den Konflikt zwischen der Territorialmacht Russland – dem Nachfolger Roms – und der Seemacht, den Atlantikern um die NATO – Karthago. Ersteres steht für einen eher konservativen Werte- und Kulturbezug sowie häufig einen philosophischen Idealismus, das zweite für Offenheit und ein sich an ökonomischen Notwendigkeiten orientierendes System, das den global citizens entgegenkommt. Auch der Konflikt der amerikanischen Nordstaaten gegen die Südstaaten im Sezessionskrieg 1861–1865 ordnet sich hier ein: Cotton is King und Freihandel vs. industrielle Expansion mit Schutzzöllen; Feudalstruktur vs. klassischer Kapitalismus. Die Sklaverei als
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ökonomische Basis der Landwirtschaft der Südstaaten spielte hier eine eher moralische als eine ökonomisch valide Rolle.48 Schließlich ist die Erwartung in künftige tektonische Machtverschiebungen als weiteres Kalkül zu benennen, also die Dominanzerwartungen. Wird die gegenwärtige nationale Wettbewerbsposition in naher Zukunft durch einen Konkurrenten überwunden? Dann können wirtschaftliche Rivalitäten zu echten Kriegen eskalieren, wie die Rivalität Deutschland-England an der Wende zum 19. Jahrhundert zeigt (Copeland 2015) und Nikolaus Piper (2018) in einem Essay Erst der Zoll, dann der Krieg befürchtet. Tatsächlich gehen alle drei Erklärungen, nämlich die Thukydides-Falle, die Polarität maritim vs. kontinental sowie die Dominanzerwartungen in die gleiche Richtung. Auseinandersetzungen scheinen kaum einzuhegen zu sein. Die Dynamik der Entwicklung wurde bereits in der Abb. 2.8 verdeutlicht, die zeigt, dass auf Basis von Kaufkraftparitäten (PPP) China seit dem Jahr 2014 die größte Volkswirtschaft der Welt ist. Die Lücke im Pro-Kopf-Einkommen ist allerdings noch gewaltig; hier liegt China bei knapp 30 % der USA. Den derzeit seitens der amerikanischen Regierung als notwendig erachteten Aktivitätsraum verdeutlicht die Abb. 2.19: Die aktuelle Position eines „nicht großen Amerikas“ ist in die eines „großen Amerikas“ zu überführen, und dabei steht das Land vor einer Reihe von Herausforderungen, die weitgehend chinesischen Ursprungs sind. Hiergegen sind grundlegende Strategien zu entwickeln, aus denen sich dann entlang der Operationslinien die einzelnen, konkreten (taktischen) Handlungsweisen ableiten lassen, beispielsweise Zollerhebung, Patentklagen, Verbot von Unternehmensübernahmen oder Verhindern des Technologietransfers. Der Erfolg Europas im 19. Jahrhundert lässt sich als einzigartige Abweichung vom Normalen, als Great Divergence (Pomeranz 2000) sehen. Ganz dialektisch steht dem heute eine Great Convergence (Baldwin 2016) gegenüber. China schließt nur dorthin auf, wo seine Position historisch über Jahrtausende immer lag, und die Geschwindigkeit wird durch die immer bedeutenderen Rohstoffe Information, Kommunikation und Wissen stetig gesteigert, wobei Grenzen der Absorption zunehmend sichtbar werden. Das daraus entstehende ergänzende Konfliktpotential – wieder mit den USA – wird später betrachtet. Die grundlegende Frage dabei lautet aber, ob die weitere Expansion ohne gleichzeitige Öffnung möglich ist – und in der Tat wurden – auch unter dem Druck amerikanischer Handelssanktionen – Öffnungen des Markts beschlossen. Im Sinne des großen Reformers
48In
seiner Schrift The Time on Cross (1974) wies der spätere Nobelpreisträger Robert Fogel (1926–2013) gemeinsam mit Stanley Engerman nach, dass die Plantagen in den Südstaaten durch die Sklavenhaltung produktiver waren als die in den Nordstaaten und dass es den Sklaven dort, weil sie wichtige Kapitalgüter waren, materiell besser ging als den freien Farmarbeitern des Nordens. Obwohl er Sklaverei immer als Verbrechen gebrandmarkt hatte, beanspruchte er das Recht der klaren ökonomischen Analyse. Absurd war der Vorwurf des Rassismus, weil er mit einer Afroamerikanerin verheiratet war.
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aktuelle polische Posion
Operaonslinie
künig erwünschte polische Posion
Herausforderungen Bi- vs. Mulpolarität
„America is Great“
Bedrohung als Weltmacht
polische Handlungen
Bedrohung des Innovaonssystems
militärische Handlungen
Leistungsbilanzdefizite fehlende Anerkennung Erosion „so power“ Populismus durch Globalisierungsverlierer Herausforderung Handelswege
wirtscha liche Handlungen
jurissche Handlungen Informaonshandlungen
Aufrüstung, Militarisierung der Polik Unternehmen als industrielle Führer Ökonomische Dominanz durch globale Rechtssetzung und Kontrolle der Wertschöpfungskeen Reindustrialisierung Kognive Dominanz
Made in China 2025
Seidenstraße, AIIB
Kampf um Wertschöpfungskeen
Globalisierungsdruck
kognive Handlungen
Autoritäre Marktwirtscha
Abb. 2.19 Handlungsraum der US-Politik im Handelskrieg. (Quelle: eigene Darstellung)
Deng Xiaoping sind diese Reformen zwingend, gerät doch das Infrastruktur- und schuldengetrieben Wachstum an seine Grenzen, wie das Nachlassen der wirtschaftlichen Expansion in der zweiten Hälfte der Zweitausendzwanzigerjahre zeigt. Wie sagte er doch zur Systemfrage: „Es ist egal ob die Katze schwarz oder weiß ist – Hauptsache sie fängt Mäuse!“ Es besteht die realistische Option, dass die „Sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ durch Wandlung gestärkt aus der Krise hervorgeht. Henry Paulson, ein intimer Kenner Chinas und seiner Eliten, gibt am Ende seines Buchs Dealing with China (2015, S. 395–403) eine Reihe von Ratschlägen. Sie beginnen mit der klaren Identifikation eigener Ziele, Interessen und Fähigkeiten. Er hält es für eine falsche Konfrontationsstrategie, Institutionen gegen China zu bauen; Einweben in die internationalen Strukturen sei besser. Schließlich sollten die USA vor allem solche Maßnahmen unterstützt werden, die auch gut für die USA sind, die amerikanische Politik müsse mit einer Stimme auftreten (statt häufiger Kakophonie) und insbesondere in Drittländern ökonomische Führung übernehmen und damit keine weißen Flecken hinterlassen, die China dann füllt – und sich anschließend darüber beschweren. Diese könne für Europa gleichermaßen gelten, das insbesondere die im achten Kapitel diskutierte Seidenstraßenstrategie zunehmend als Bedrohung sieht anstatt sie zu gestalten.
2.5 Fazit und Handlungsempfehlungen Es gilt wie für alle Konflikte: „Si vis pacem, para bellum“ – „wer den Frieden will, bereite den Krieg vor“; Schwäche zieht Konflikte magisch an. Europa gerät unter die Räder genau wegen der völlig unzureichenden eigenen Sicherheitsstrategie, dem
2.5 Fazit und Handlungsempfehlungen
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unkoordinierten geostrategischen Auftritt und damit auch wegen fehlender Konzeptionen zur Ordnung der Wirtschaft. Da jenseits des ökonomischen Ordnungsrahmens die Abgründe des Wirtschaftskriegs lauern, liegt hier eine strategische Schwäche vor, deren Folgen für den künftigen Wohlstand noch nicht abzusehen sind. Die Komplexität der Interaktion legt es nahe, mit einer klaren Struktur einzelne Themengebiete abzuarbeiten – anders gesagt: Wer einen Wirtschaftskrieg führen will, sollte folgende fünf große Fragen beantworten können: 1. Die Kultur -, Persönlichkeits- und Identitätsfrage: „Woher kommen wir?“ Welche Grundlagen aus der Geschichte, der Philosophie und der Psychologie sind handlungsleitend? Ein Sprichwort sagt: „Nur wer seine Wurzeln kennt, kann Großes erreichen.“ Kultur ist eine wesentliche Quelle für gesellschaftliche Regeln und damit auch des in einem konkreten Gesellschaftssystem gültigen bzw. akzeptierten Ordnungsrahmens. Daher treten hier die Bruchpunkte abweichenden Verhaltens zutage: Ziel des Kriegs, auch des Wirtschaftskriegs, ist die Grenzüberschreitung, um eigenen Identitäten zum Durchbruch zu verhelfen, um etwas Großes zu tun – und damit vielleicht auch persönliche Größe zu erlangen, also seine Individualität kulturell und identitätsstiftend zu verankern. Daher zählen das Menschenbild, die Institutionen und die staatsphilosophischen Grundlagen zum Kern der Analyse. So sind institutionelle Rahmenbedingungen wesentlich für die Möglichkeit der Grenzübertretung; das Verhalten bzw. die Persönlichkeit der einzelnen Protagonisten ist von Interesse und wird beispielsweise in der Führungs- und in der Spieltheorie untersucht. Die Kapitel drei, vier und fünf widmen sich diesen Themen. Typisiert wird das an Persönlichkeiten wie den Konquistadoren zu Beginn der Neuzeit, den Geschäftemachern im Ost-West-Systemkrieg, den Bankern in der Weltfinanzkrise des letzten Jahrzehnts oder den Protagonisten aktivistischer Beteiligungsfonds. Hier betrachtete Beispiele befassen sich mit dem Kolonialismus, dem Libor-Skandal zu Anfang der 2010er Jahre, dem Kommunismus als unterlegene Wirtschaftsform, hier gezeigt am Niedergang der DDR, dem Systemkrieg der Europäischen Zentralbank gegen die Herrschaft des Rechts in Europa sowie dem Klimakrieg und dem Krieg gegen die Arbeit in armen Ländern. 2. Die Ressourcenfrage: „Was haben wir?“ Ohne materielle Ressourcen fällt die Kriegsführung schwer – aber sie bedarf auch des Willens. So sagte Sir Winston Churchill (1874–1965) am 13. Mai 1940 als frischgewählter Premier: „I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat!“ Man sollte in einen Wirtschaftskrieg mit mehr als nur Blut, Schweiß und Tränen eintreten. Fähigkeiten, Bereitschaft und Wille, der bekanntlich Berge versetzt, sind entscheidend, was im sechsten Kapitel behandelt wird. Verdeutlicht wird das durch die Darstellung des Auszehrungskriegs der US-Autoindustrie, die schließlich fast in sich kollabierte, und am Preiskrieg um Rohöl, maßgeblich ausgelöst durch die Entwicklung und Anwendung des Frackings in den USA, durch die Knappheit, Preise und geostrategische Abhängigkeiten völlig neu durchmischt wurden.
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3. Die Führungsfrage und das Handlungsumfeld: „Was ist das Ziel und was soll ich tun?“ Helmuth von Moltke (1800–1892), einer der großen militärischen Führer des Frankreichfeldzugs 1870/1871, führte in seinen Militärischen Werken (1892) aus: „Beim kriegerischen Handeln kommt es weniger darauf an, was man tut, als vielmehr, wie man es tut. Fester Entschluß und beharrliche Durchführung eines einfachen Gedankens führen am sichersten zum Ziel.“ Vereinfacht ausgedrückt: Was ist die wesentliche zu erbringende Leistung? Möglicherweise ist es das Lernen vom Besten: Fast alle Kriege wurden in der Geschichte von den Aggressoren verloren, weshalb der Überlegene möglicherweise die Verteidigungsstrategie bevorzugen sollte. Das steht im Zentrum des siebten Kapitels, auf dem dann nach der Behandlung des Handlungsumfelds – des Kriegstheaters – im achten Kapitel die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen im neunten Kapitel und von Staaten im zehnten Kapitel aufsetzen. Gezeigt werden die Führungsprobleme anhand der Übernahmeschlacht von Mannesmann -Vodafone und am Elchtest an einem Neuwagen der Daimler -Benz AG, der beinahe in einen Kampf aller gegen alle ausartete, sowie am Kampf AMD -Intel. Der Zusammenbruch der deutschen Photovoltaik-Industrie im Solar Valley durch die Subventionierung der gegnerischen Hersteller und der Kampf um Seltene Erden zeigen beispielhaft die Bedeutung des Raums für die Wirtschaftskriegsführung. Unternehmerische Feldzüge werden am Beispiel der „spontanen Beschleunigung“ von Produkten der Firma Audi in den USA in den 1980er Jahren, dem Produktmobbing gegen den ersten FCKW-freien Kühlschrank durch eine mächtige, aber technologisch unterlegene Konkurrenz in den 1990er Jahren und den Preiskrieg in der Zementindustrie in Deutschland nach der Jahrtausendwende aufgezeigt. Beispiele für staatliche Wirtschaftskriege findet man in der historischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und England zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im anschließenden Zoll- und Währungskrieg, der mit der Großen Depression 1929 verbunden war und schließlich im Wirtschaftskrieg im Nachgang der Marktliberalisierungen in den 1990er Jahren, der in die Weltwirtschaftskrise ab 2008 mündete. 4. Die Kommunikationsfrage: „Wie wird das erforderliche Informationsumfeld organisiert?“ Das betrifft die gesamte Spannbreite von der Aufklärung bis zur Krisenkommunikation. Napoleon Bonaparte führte aus (Mönninger 2003): „Geschlagen zu werden, ist verzeihlich, sich überraschen zu lassen jedoch unentschuldbar.“ Damit gilt auch: Eine Niederlage, perfekt ausgewertet und analysiert, kann Quelle eines künftigen Sieges sein. Die neuen Methoden der Digitalisierung haben den Cyberkrieg ermöglicht, dem das elfte Kapitel gewidmet ist. Gerade die Digitalisierung macht neue Formen der Auseinandersetzung möglich, wie Patentkriege, aber auch die modernen Methoden der Umwelt- und Gesichtserkennung zeigen. 5. Wie kann die totale Strukturzerstörung verhindert werden? Die Hybridisierung des Kriegs führt zu Formen der Auseinandersetzung, bei denen das Eskalationspotential an fast allen Fronten kaum noch zu kontrollieren ist – es droht die
2.5 Fazit und Handlungsempfehlungen
101
Zombifizierung von Gesellschaften und Wirtschaften. Dieser Gefahr entgegenzutreten, also Methoden der Eingrenzung zu finden, ist eine wesentliche Aufgabe beim Bau kooperativer Dächer. Mit der Zombifizierung droht der Größte Anzunehmende Unfall (GAU) der Ökonomie – die Zerstörung der notwendigen Systemrationalität, welche erst einen Wohlstand für Alle ermöglicht. Am genannten Beispiel China – USA wird deutlich, dass es vor allem das Fehlen einer dauerhaft tragfähigen Strategie seitens des Westens, begründet in Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft sowie realisiert in der Wirtschaft, ist, die das Problem erzeugt. Klare Strategien senden durchaus positive Signale an Rivalen. Dies gilt auch für die anderen bedeutenden Teilnehmer in der globalen Rivalität, also Europa und Russland. Die Vier sind wirtschaftlich und demographisch sehr unterschiedlich aufgestellt, wie die folgende Abb. 2.20 zeigt, weshalb auch einleuchtet, dass Russland seine militärischen Potentiale stark betont und China angesichts seines Potential Gelassenheit zeigen kann. Carl von Clausewitz (1832, S. 591–592) sieht den Krieger durchaus als Unternehmer, der diese Bedingungen bedenken muss, und fasste diese Einschätzungen verweisend auf die Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes sowie den Übergang von wissenschaftlicher Betrachtung hin zur Kriegskunst wie folgt zusammen: „Der Zwang, welchen wir unserem Gegner antun müssen, wird sich nach der Größe unserer und seiner politischen Forderungen richten. Insofern diese gegenseitig bekannt sind, würde es dasselbe Maß der Anstrengung geben; allein sie liegen nicht immer so offen da, und dies kann ein erster Grund zur Verschiedenheit in den Mitteln sein, die beide aufbieten.
Abb. 2.20 Die großen geostrategischen Rivalen. (Quelle: eigene Darstellung (Währungsumrechnung mit Kurs 2018))
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Die Lage und Verhältnisse der Staaten sind einander nicht gleich, dies kann ein zweiter Grund werden. Die Willensstärke, der Charakter, die Fähigkeiten der Regierungen sind sich ebensowenig gleich, dies ist ein dritter Grund. Diese drei Rücksichten bringen eine Ungewißheit in die Berechnung des Widerstandes, welchen man finden wird, folglich der Mittel, die man anwenden soll, und des Zieles, welches man sich setzen darf. Da im Kriege aus unzureichenden Anstrengungen nicht bloß ein Nichterfolg, sondern positiver Schaden entstehen kann, so treibt das beide Teile, sich einander zu überbieten, wodurch eine Wechselwirkung entsteht. Dies könnte an das äußerste Ziel der Anstrengungen führen, wenn sich ein solches bestimmen ließe. Dann würde aber die Rücksicht auf die Größe der politischen Forderungen verlorengehen, das Mittel alles Verhältnis zum Zweck verlieren und in den meisten Fällen diese Absicht einer äußersten Anstrengung an dem Gegengewicht der eigenen inneren Verhältnisse scheitern. Auf diese Weise wird der Kriegsunternehmer wieder in einen Mittelweg zurückgeführt, in welchem er gewissermaßen nach dem direkten Grundsatz handelt, um diejenigen Kräfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes eben hinreicht. Um diesen Grundsatz möglich zu machen, muß er jeder absoluten Notwendigkeit des Erfolges entsagen, die entfernten Möglichkeiten aus der Rechnung weglassen. Hier verläßt also die Tätigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathematik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urteils herauszufinden. Dieser Takt des Urteils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen und Verhältnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt und die nächsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen sollte. Um also das Maß der Mittel kennenzulernen, welches wir für den Krieg aufzubieten haben, müssen wir den politischen Zweck desselben unsererseits und von seiten des Feindes bedenken; wir müssen die Kräfte und Verhältnisse des feindlichen Staates und des unserigen, wir müssen den Charakter seiner Regierung, seines Volkes, die Fähigkeiten beider, und alles das wieder von unserer Seite, wir müssen die politischen Verbindungen anderer Staaten und die Wirkungen, welche der Krieg darin hervorbringen kann, in Betrachtung ziehen. Daß das Abwägen dieser mannigfachen und mannigfach durcheinandergreifenden Gegenstände eine große Aufgabe, daß es ein wahrer Lichtblick des Genies ist, hierin schnell das Rechte herauszufinden, während es ganz unmöglich sein würde, durch eine bloße schulgerechte Überlegung der Mannigfaltigkeit Herr zu werden, ist leicht zu begreifen.“
Literatur
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Daraus folgt für erfolgreiche Wirtschaftskrieger: 1. Jeder Wirtschaftskrieg ist vom Ende und vom Einsatz her zu denken. Sein individueller, unternehmens- und/oder staatspolitischer Zweck muss wohldefiniert sein. Zu Ende des Jahres 2018 war nicht klar, wie sich vor allem die beiden starken Präsidenten Xie Jinping und Donald Trump gesichtswahrend entflechten können. 2. Schwäche zieht den Gegner an – sei gewappnet. Der Angreifer versucht, den Gegner im Vorfeld zu schwächen – hier bieten sich besonders kognitive Ansätze der strategischen Beeinflussung durch soft power an. Smart power als Offenbarung gesellschaftlicher Effizienz ist wirkungsvoller als sharp power. China hat gleichzeitig globalen Freihandel befürwortet, die eigenen Märkte aber im Sinne der Erziehungszölle von Friedrich List (1841) abgeschottet, ohne dass der Westen im Rahmen der globalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation einschritt. Von der amerikanischen Aggressivität wurde es offenkundig überrascht. 3. Verlier nicht den Überblick; gerade der hybride Krieg eröffnet ungeahnte und unvorhergesehene Aktionsräume – auch zum Austesten dessen, was gerade noch toleriert wird. Tolerance warfare49 ist eine direkte Antwort auf Schwäche und versucht, entlang der hybriden Dimensionen diese Grenzen zum eigenen Vorteil zu identifizieren und gegebenenfalls sogar zu verschieben. 4. Wirtschaftskrieg ist eine Form übersteigerter Wettbewerbsintensität. Die Schwelle vom Wettbewerb zum Wirtschaftskrieg muss bewusst und mit klaren Abwägungen überschritten werden – ebenso wie die Möglichkeit der Deeskalation von Anfang an bedacht werden muss. Genau dies scheinen die USA im Handelskrieg mit China nicht zu beherrschen. 5. Es gibt aus moralischer Sicht keinen unbeabsichtigt oder aus Versehen geführten Wirtschaftskrieg. Gerade der Umgang mit Arbeit und Natur und den betroffenen Menschen zeigt das bewusst eingegangene ethische Dilemma. Insbesondere sind auch künftige Opfer zu berücksichtigen, die nicht nur bei den beiden Kontrahenten liegen werden.
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49Der
Begriff wurde vom International Institute for Strategic Studies (IISS) geprägt.
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2 Die Geburt des Wirtschaftskriegs aus dem Geiste der Rivalität
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Das Menschen- und das Ordnungsbild im Wirtschaftskrieg
„Homo homini lupus“1 „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ (Thomas Hobbes).
Alle Wirtschaftssysteme beziehen sich auf ein konkretes Menschenbild, auf dem ein spezifischer Ordnungsrahmen aufbaut. Das Bild des Menschen in der Demokratie und den liberalen Marktwirtschaften ist geprägt von Offenheit, Unterschiedlichkeit, Individualität, Soziabilität, Irrtumsfähigkeit und Schuldfähigkeit, also von der moralischen Kompetenz, zwischen dem Guten und dem Bösen unterscheiden zu können. Das Individuum steht im Zentrum, und erst die Selbstliebe befähigt es zur Liebe anderer – eine Erkenntnis der griechischen Philosophie, die sich im Christentum sowie der Aufklärung und der Reformation entwickelte. Dieses Bild steht in starkem Widerspruch zu anderen Menschenbildern, beispielsweise in Asien mit einem starken Gemeinschaftsbezug, insbesondere Familienorientierung. Zwei wichtige Spannungsverhältnisse sind für den Wirtschaftskrieg von Relevanz: Wie stark ist der Mensch ein kooperatives, wie stark ein rivales Wesen – und oft damit verbunden: Wie stark ist er biologisch, wie stark sozial determiniert? Daraus folgt auch unmittelbar, welche Pflichten er für die Gesellschaft auszuüben hat: Soll er als Unternehmer nur den Gewinn seines Unternehmens maximieren – bis hin zum Einsatz illegitimer Methoden oder solcher am Rande der Legalität – oder Aufgaben für die Gemeinschaft erfüllen? Hier verbindet sich das Menschenbild mit den Staatsphilosophien, die im fünften Kapitel thematisierten werden; beide wirken auf das Persönlichkeitsbild und damit die Beurteilung der moralischen Qualität des Handelns. Dabei zeigt sich aus der Sicht des Evolutionsprozesses, dass viele Elemente
1Ursprünglich „lupus est homo homini“ aus der Komödie Asinaria (Eseleien) des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus (ca. 254–184 v. Chr.).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_3
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sozial abweichenden Verhaltens, beispielsweise eine depressive Stimmung, in speziellen Situationen hilfreich sind und dass sie durchaus als effiziente Lösungen im Programm der Evolution angesehen werden können, um Herausforderungen der Anpassung an neue Umweltzustände zu meistern, wie Randolph M. Nesse (2019) in Good Reasons for Bad Feelings ausführt. Für Wirtschaftskrieger erzeugt vor allem fehlende Empathie grundlegende Wettbewerbsvorteile. Dieses Kapitel thematisiert die damit verbundenen Fragestellungen aus multidisziplinärer Sicht und zeigt, welche Eigenschaften erfolgreiche Wirtschaftskrieger auszeichnen. Die Treiber des Verhaltens werden einzeln aufgeführt, was aber nicht gleichzusetzen ist mit einer Monokausalität; gerade kulturelle Faktoren können anthropologische oder psychologische Effekte überlagen. Anhand von zwei Beispielen – den Konquistadoren vor 500 Jahren und den modernen wirtschaftskriegerischen Bankern – wird die Validität der Analyse zu belegen. Dabei zeigt sich, dass vor allem Führungspersonen, die ihre Anhänger zu mobilisieren, rekrutieren, trainieren und motivieren in der Lage sind, eine herausragende Bedeutung zukommt. Nicht umsonst wurde obiger Spruch zu „Rex regi lupus“ abgewandelt (Langewiesche 2019, S. 80).
3.1 Rivalität versus Kooperation, Biologie versus Sozialisation In seinem Opus Inventing the Individual – the Origins of Western Liberalism zeigt Larry Siedentop (2015), dass die Entdeckung der menschlichen Freiheit und ihrer Potentiale auf gemeinsamen Überzeugungen über Gleichheit und durch Geburt begründete Rechte aufbaut, wodurch Familie, Stamm und Kaste als Grundlage der sozialen Organisation überwunden wurden. Sie entwickelten sich aus der Vorstellung moralischer Gleichwertigkeit des Menschen, die aus dem Glauben folgt, Gott habe alle Menschen gleich geschaffen. Sie beruhen weiterhin auf der Trennung von Kirche und Staat als Ausdruck der Unterschiedlichkeit geistiger und weltlicher Macht, die erst den modernen Staat ermöglichte. Es ist ein Irrtum anzunehmen, das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften habe sich schon immer auf den homo oeconomicus als nutzenmaximierendes Wesen gestützt – dieser ist ein Kind der neoklassischen Theorie, also einer Entwicklung, die erst Ende des 19. Jh. ihren Ausgang nahm. Für Adam Smith, einen der wichtigsten Väter der Politischen Ökonomik als einer Lehre, die vom Menschen als politisches und nicht nur als ökonomisches Wesen ausgeht, ist der Reichtum keine Folge von Optimierung und Egoismus, sondern von Arbeitsteilung, die wiederum den Egoismus begrenzen bzw. kanalisieren kann. Diese Sicht hat sich aber mit zunehmendem Reichtum der Nationen geändert. Das gelingende Leben der Moderne ist stark fokussiert auf die Selbstbestimmung und insbesondere die Selbstverwirklichung. Ulrich Beck (1986) versteht in seinem Buch Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne hierunter ein Selbstgestaltungspotential durch Enttraditionalisierung der Lebensformen und den Verlust an Normarbeitsplätzen als standardisierte und langfristige Arbeitsverhältnisse. Im Extremfall wird das Leben zum Design, das in der Außenwirkung auszufüllen ist (Hornuff 2016).
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In der Außenwirkung liegt dann der Beweis des Gelingens. Frei nach Friedrich Nietzsche (1882) in der Fröhlichen Wissenschaft ist allerdings zu fragen, ob diese nach eigenem Design geschaffenen Individuen nur Schauspieler oder Blender oder tatsächlich Baumeister – besser: Bauzerstörer – sind. Das Paradigmatische des Konzepts Wirtschaftskrieg wird daran deutlich, denn es stellt auch den Wirtschaftskrieger – analog zum Unternehmer bei Joseph Schumpeter – ins Zentrum der Theorie, diskutiert also die wesentlichen Annahmen im Hinblick auf Menschenbild und politische Philosophie. Dies geschieht zunächst in einer historischen Rückschau, um den Beitrag der geistesgeschichtlichen Entwicklung zum heutigen Erkenntnisstand zu darzustellen. Dabei zeigt sich, wie Klaus Wahl (2015) in Aggression und Gewalt schreibt, die Interaktion von genetischen, psychologischen und sozialen Dispositionen. Weiterhin wird ausgeführt, wie sich durch die Entwicklung des modernen Kapitalismus der Wirtschaftskrieg vom militärischen Krieg emanzipierte. Damit verbunden ist die Bedeutung eines Ordnungsrahmens und – als Folge – das stete Löcken gegen diesen. So wird für die späteren Betrachtungen der Rahmen gesetzt, um die Persönlichkeitsstruktur der Wirtschaftskrieger und die gesellschaftlichen Bedingungen herauszuarbeiten und schließlich durch anschauliche Beispiele zu erörtern. Wie wichtig der Antagonismus zwischen den biologistischen und den sozialisationsorientierten Ansätzen ist, zeigen Forschungen, die das, was typisch männlich – oft wirtschaftskriegerisch – konnotiert ist, teilweise auf Funktionen einer kleinen Drüse, des nucleus praeopticus medialis, zurückführen (Roth, Strüber 2014). Ebenso kann aber gezeigt werden, dass das typisch Männliche, also Gewalttätigkeit, mangelndes Sozialverhalten, fehlende Moralfähigkeit, Kommunikationsdefizite oder Verantwortungslosigkeit, von der Moderne, ab dem 18. Jahrhundert in Europa definiert worden ist und, wie Christoph Kucklick (2008) in Das unmoralische Geschlecht schreibt, von der Rezeption der Staatstheorien, insbesondere von der Frage, welcher Art der Urzustand ist – kooperativ oder agonal – geprägt wird. Deshalb wird in diesem Abschnitt zunächst das Spannungsverhältnis aus sozialer Prägung und biologischer Bestimmtheit ausgeleuchtet.
3.1.1 Rivalität als irdisches und göttliches Phänomen Rivalität ist nicht nur eine anthropologische, sondern auch eine kulturelle Konstante, die in der Geschichte, wie Kenner des klassischen Altertums unmittelbar nachvollziehen können, gleichermaßen in den irdischen Ebenen und in den auf die Götterwelten projizierten Höhen vorkam. In der Illias und in der Odyssee von Homer findet jeder Kampf, der auf der Erde ausgefochten wird, zugleich seine Entsprechung in einem Konflikt unter den Göttern. Den Menschen gelingt es immer nur dann, einen kooperativen Rahmen zu schaffen, wenn das auch den Göttern genehm ist. Dieses Bild findet man in aufgewerteter Form in der Bibel wieder. Hier wird gezeigt, wie durch Rivalität Lernprozesse entstehen und wie wichtig extreme Rivalität sein kann, um schließlich kooperative Lösungen zu finden. In Anlehnung an Elmar Kuhn (2015) zum
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Thema Rivalität als Bedingung für glückendes Menschsein – Chancen und Grenzen aus biblischer Sicht werden hier drei Ebenen der Rivalität unterschieden, nämlich die unter den Göttern, die zwischen Mensch und Gott und schließlich die unter den Menschen. Sie bergen grundsätzliche Erkenntnisse über die Bedeutung von Rivalität für den zivilisatorischen Entwicklungsprozess. • Das Alte Testament der Bibel (1 Kön 17–18) befasst sich intensiv mit der Frage, welcher Gott der richtige ist und ob das Volk Israel in der Lage ist, mit seinem Gott gegen die anderen Gottheiten zu bestehen und hier eine auf Dauer tragfähige Wahl zu treffen, weil nur der richtige Gott Erfolg garantiert. Tatsächlich gelingt das im Bild des Elia, der als Prophet Jahwes die 450 Priester des Bahl herausfordert und sie nach seinem Sieg niedermetzeln lässt. Das hat Felix Mendelssohn-Bartholdy in epischer Breite in seinem Oratorium Elias verarbeitet. Die Essenz lautet, dass der Aufbau einer Idee, einer Ideologie oder einer Marke, also des richtigen Gottes, oft eine maximale Bereitschaft zur Rivalität erfordert. Anschließend müssen diese beharrlich gepflegt und öffentlichkeitswirksam inszeniert werden, um zum Garanten des Erfolges zu werden. • Die Stellung des Menschen zu Gott wird in der Arroganz Jakobs, der ersten Ich-AG der Welt, der Gott mit seinem überbordenden Ego herausfordert (Gen 27, 1–45) deutlich. Mit krimineller Energie bringt er seinen Bruder Esau um eines Linsengerichts willen, das dieser von ihm wegen seines großen Hungers erbittet, um dessen Erstgeburtsrecht und erschleicht sich mithilfe der Mutter Rebekka den Segen des Vaters Isaac. Gott lässt den Dingen ihren Lauf, weil er in Jakob den Auserwählten sieht, den er an seinem Scheitern wachsen sehen will. Erst nach der Flucht vor der Rache Esaus ringt Gott ihn nieder und lässt ihn Demut zur Versöhnung und Authentizität gewinnen. Aus ihm wird mit neuem Namen der Stammvater Israels, was einen Weg vom Ich zum Selbst, also von der genetisch-anthropologischen Rivalität zur Kooperation aufzeigt. Damit einher geht eine neue persönliche Strategie der Lagebeurteilung, des Lernens, mit Kritik umzugehen, verzeihen zu können und Verbündete zu suchen. Dies setzt den kooperativen Rahmen, der künftig für Israel maßgeblich war. In ähnlicher Form ringt in der Antike Prometheus (griechisch für Vordenker) mit den Göttern, um den Fortschritt durchzusetzen und Zivilisation zu schaffen. • Die Bibel zeigt an einer Vielzahl von Beispielen, dass Rivalität unter einem Dach nicht erwünscht ist; das Haus, die Familie, die Sippe sollten Orte des Friedens und der Kooperation sein. Das zu beobachtende Loslassen junger Wilder in Investmentbanken, um sie dort auszupressen und später die Besten von ihnen auszuwählen, schafft auf die Dauer keinen inneren Frieden und erleichtert wahrscheinlich sogar, was beabsichtigt ist, eine externe Kriegsführung. Beispiele aus der Bibel sind hierfür Abraham, aber auch David und insbesondere Kain und Abel. Letzteres zeigt, dass eine Übertreibung der Rivalität tödlich enden kann, dabei aber nicht gewährleistet wird, dass der Sieger auch tatsächlich den Gewinn davonträgt. Die moderne Psychologie zeigt deutlich, dass zu viel Wettbewerb in Organisationen nicht nur die
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Produktivität einschränkt, sondern auch riskiert, neben Strebern ebenfalls Talente zu vernichten (Reh, Tröster, Quaquebeke 2018). In seinem Beitrag Mord als Gottesdienst zeigt Friedrich Wilhelm Graf (2014), dass religiöse Gewaltbereitschaft und Enthemmung ihren Ursprung im Glauben an die Allmacht Gottes und im Anspruch haben, an dieser teilhaben zu wollen. Man möchte an der Omnipotentia eines allmächtigen Gottes teilhaben und damit alles rechtfertigen können. Karen Armstrong (2014) verdeutlicht in ihrem Buch Im Namen Gottes: Religion und Gewalt, dass der Religion die Gewalt zuzuschreiben ein Irrtum des Kategoriensystems sei, da die Gewalt zunächst durch Probleme der sozialen Ordnung verursacht werde. Der moderne Terrorismus ist eine spezielle Ausformung derartiger kollektiver Allmacht, die als gemeinsames Klubgut fungiert. Vermutlich muss er untergehen – denn nur seine totale Niederlage kann den gemeinschaftlichen Traum von der Weltherrschaft brechen. Arnold Angenendt (2014, S. 22–29) verweist in Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert darauf, dass dem Menschen zunächst eine angeborene Gewalthemmung innewohnt, die durch kulturelle Konditionierung überwunden werden muss. Dabei spielt der Übergang von einer kosmopolitischen Ordnung, die Sozialbeziehungen festigt, zu einer individualisierten, die Kreativität, Ordnung, aber auch Konflikte auslöst, den einige, aber nicht alle Religionen vollzogen haben, eine entscheidende Rolle. Franz Wuketits (2016) nennt drei Funktionen von Religion, nämlich das Placebo, also ein gutes Leben, Heilung und Erlösung, das Sedativum als Geborgenheit, Ruhe und sozialer Kitt sowie Lebensorientierung, also Daseinsbedeutung, Aus diesen ergäben sich Gruppenabgrenzungen, Teilungen in Insider und Outsider und eine religiöse Aufladung von Aufopferung. Anton Grabner-Haider (2016) verweist auf das Spannungsfeld aus Sinngebung und Intoleranz, das in allen Religionen herrscht und konflikttreibend wirkt. Diese Allmachtansprüche finden sich über den religiösen Fanatismus der Gegenwart und seiner entgrenzten Gewalt auch in der Ästhetisierung als Quasi-Kunst wieder – wie der ISIS zeigt. Man kann sie auch in den Allmachtphantasien von Politikern wie Nero, Iwan der Schreckliche, Napoleon Bonaparte, Josef Stalin, Adolf Hitler, Mao Zedong und Pol Pot finden und bei Wirtschaftsführern wie John D. Rockefeller, Andrew Carnegie, Richard Fuld oder Lloyd Blankfein, die alle ein außerordentliches politischoder ökonomisch-ideologisches Sendungsbewusstsein entfalteten. An den Schnittstellen fungierten die Profiteure des Sklavensystems, die Kolonisatoren, und ihre die Urbevölkerung und Stammesgesellschaften zerstörenden Helfer, beispielsweise George Armstrong Custer, sowie Konquistadoren wie Francisco Pizarro und Hernán Cortés. Basierten diese Allmachtansprüche in der Politik auf einer Klassen- oder Rassenlehre, so bezogen sie ihre Durchsetzungskraft in der Wirtschaft oft aus der calvinistischen Ethik. Gerade John D. Rockefeller und Andrew Carnegie sind bekannt für ihre späteren wohltätigen Stiftungen, mit denen sie sich vor der Öffentlichkeit – gleich einem Ablasshandel – von ihrer Schuld freizukaufen suchten. All das geschah mit der weitgehenden Billigung der christlichen Kirchen. Nur wenige, wie der französische Bischof François
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de Montmorency-Laval (1623–1708), protestierten. Er versuchte, den Verkauf von Alkohol an die Indianer zu unterbinden, den die Engländer neben Waffen als Handelsware eingesetzt haben und gegen Felle eintauschten; das begründete u. a. den Kolonialkonflikt zwischen England und Frankreich. In den christlichen Religionen des Westens gibt es derartige gewalttätige Anknüpfungspunkte eher selten, was der Macht von Aufklärung und Reformation geschuldet ist, die auch tief in das politische System hineinwirkte. Zugleich wird erkennbar, dass der noch jungen ökonomischen Wissenschaft diese Relativierung ihres Allmachtanspruchs noch fehlt, wie unter dem Stichwort Oikodizee bereits weiter oben ausgeführt wurde. Denn der Allerklärungsanspruch, oft von den anderen Sozialwissenschaften als ökonomischer Imperialismus gegeißelt, ähnelt sehr der Vorstellung, die Sonne drehe sich um die Erde. Bestimmte Organisationsformen bieten oft den Raum, derartige Allmachtphantasien zu entwickeln; gerade der Finanzsektor zeigt das anschaulich. So ist beispielsweise Goldman Sachs mit den wichtigen Zentralbanken der Welt vernetzt – meist in die höchsten Ämter wie bei Mario Draghi (Europäische Zentralbank), Mark Carney (Bank of England), Mario Monti (italienischer Ministerpräsident) oder William Dudley (Federal Reserve Board von New York) – und stellt oder stellte Minister sowie Vorstände und Aufsichtsräte in anderen Großbanken. Genutzt wurde dies im Jahr 2002 zum Frisieren der griechischen Staatsfinanzdaten, was – mit bekannten Folgen – den Beitritt zum Euro ermöglichte, oder zu Betrügereien um den Staatsfond 1Malaysia Development Berhad (1 MDB), was 2,7 Mrd. US$ eingebracht haben soll (Hein 2018b) und in den auch die Deutsche Bank involviert ist.
3.1.2 Die Emanzipation des Wirtschaftskriegs vom militärischen Krieg Der Wirtschaftskrieg ist eng mit der Entwicklung des modernen Kapitalismus verbunden und der Wirtschaftskrieger folgerichtig mit dem Unternehmertum. Militärische Kriege hatten fast immer die Aneignung von Ressourcen zum Ziel – Land, Bevölkerung, Bodenschätze und auch die Kontrolle über strategische Verkehrswege wie Meeresengen, Brücken und Furten oder Bergpässe. Aber erst eine hochentwickelte Arbeitsteilung, und damit verbunden das Aufkommen von Geld, ermöglichte die Nutzung wirtschaftlicher Instrumente, um durch einen Wirtschaftskrieg eine ökonomische Dominanz, möglicherweise sogar militärische Ziele, zu erreichen. Damit ist Wirtschaftskrieg mit der Entwicklung der modernen Marktwirtschaft aufs engste verwoben. Wenn Karl Marx und Friedrich Engels (1848) auf die inhärente Aggressivität des Kapitalismus hinwiesen, so drückten sie eigentlich nur etwas Selbstverständliches aus. Denn unter den Bedingungen der zentralen Planung, ihrem sozialistischen und kommunistischen Gegenentwurf zum Kapitalismus, ist ein Wirtschaftskrieg der einzelnen Betriebe untereinander theoretisch nicht denkbar und auch praktisch nur sehr eingeschränkt möglich. Daraus folgt unmittelbar, dass in
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entralverwaltungswirtschaften ein Wirtschaftskrieg nur von Staaten geführt werden Z kann, dem dann weitgehend auch nur die staatlichen Mittel, die er Unternehmen selbstverständlich aufzwingen kann, zur Verfügung stehen – wie das Erklären von Handelsbeschränkungen und Boykotten usw. Die faktische Integration aller Ebenen der Kriegsführung, wie sie in den sogenannten hybriden Kriegen thematisiert wird, ist dann nur äußerst eingeschränkt möglich. Eine weitere Konsequenz dieser Überlegung ist, dass nur entwickelte kapitalistische Unternehmen mit Staaten eine Koalition eingehen können, um einen Wirtschaftskrieg zu führen. Nur sie sind in der Lage, durch hohe Innovationsleistungen ständig neue Waffensysteme zu entwickeln, beispielsweise komplexe Kreditversicherungspakete, die so geschickt aus einzelnen Bestandteilen zusammengestellt waren, dass ihre explosive Wirkung verschleiert werden konnte. Wichtige Stufen dieses Prozesses sind: 1. Das Profitstreben und dessen philosophische und religiöse Legitimation: Es nimmt seinen Ausgang im Italien des ausgehenden Mittelalters. Die Stadtwirtschaften emanzipieren sich von der Vorstellung der Sicherung der Versorgung der Kleingruppe, des Stammes, der Stadt selber oder eines Herrschaftsgebiets und expandieren, um Profite zu erzielen. Damit entfesseln sie eine Innovationsdynamik in den realen Märkten, aber auch in den Finanzmärkten und in den Institutionen. Besonders die Entwicklung der doppelten Buchführung und damit des Ausweises darüber, wo der Profit entsteht, ist bedeutsam, um die Rechenbarkeit des Systems zu gewährleisten. 2. Die Entwicklung der Geldwirtschaft vom Gut zum virtualisierten System: War das Geld zunächst nichts anderes als ein Austauschsystem durch die Bereitstellung einer stabilen Referenzgröße, meist in Form von Edelmetallen und geprägten Münzen, um eine Fälschungssicherheit zu gewährleisten und die Herkunft auszuweisen, so entwickelte sich sehr schnell ein System der Kontoführung, in dem Schulden und Vermögen in Bücher eingetragen und überregional ausgeglichen werden konnten. Mit der damit verbundenen Entwicklung des Giralgeldes und der Weiterentwicklung zur Giralgeldschöpfung konnte die Expansion der Realwirtschaft durch die kreditgebende Bank maßgeblich unterstützt werden. Die Vertrauensfähigkeit der Währung hing damit nicht mehr vom Realwert eines Gegenstands ab, beispielsweise einer Goldmünze, sondern von der Reputation des Kaufmanns, der Institutionen, des Staates, die die Erwartung in die Rückzahlung stärkten. 3. Freibeuterei und staatlich belehnte Handelsgesellschaften: Während die Expansion chinesischer und arabischer Kaufleute bis weit ins 15. Jahrhundert hinein vorrangig der Erschließung neuer Markträume diente, sind es der Kolonialismus und die Konkurrenz unter den europäischen Staaten, die die Freibeuterei, also das vom Staat genehmigte Kapern von Schiffen, auf die territoriale Expansion übertrugen und mit staatlich belehnten Handelsgesellschaften das Zeitalter des Imperialismus einläuteten. Bekannt geworden sind die spanischen und portugiesischen Konquistadoren, die mit militärischer Rücksichtslosigkeit ökonomische Güter vereinnahmten, genau wie die Privatarmeen der niederländischen und englischen H andelsgesellschaften,
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die aus ökonomischen Gründen andere Länder ausbluteten. Dafür stehen berühmte Namen wie Jan Pieterszoon Coen von der Vereinigten Ostindiengesellschaft der Niederlande, der durch den von ihm entfesselten Muskatkrieg bekannt wurde, oder Hernán Cortés und Francisco Pizarro, die Eroberer Mexikos und Perus. Diese Gesellschaften sind deshalb interessant, weil sie stark von Spekulationsgeld getrieben worden sind, war doch der Erfolg nicht zwingend garantiert. Er hing von den unternehmerisch-militärischen Führungsqualitäten genauso ab wie von der Rücksichtslosigkeit, gegen Widerstand vorzugehen. Da die meisten dieser Eroberungen grundlegende maritime Fähigkeiten erforderten, waren gerade die Ausfallraten bei den Schiffen enorm. Im Zeitalter der Industrialisierung werden diese Entwicklungen mit Persönlichkeiten wie John D. Rockefeller oder in der Neuzeit mit David Fuld fortgesetzt. 4. Demographische Expansion und Entstehung der Arbeiterklasse: Die mit dem Fortschritt verbundene verringerte Kindersterblichkeit und die Erhöhung der Lebenserwartung stellten in den europäischen Ländern das erforderliche „Menschenmaterial“ zur Verfügung, um zum einen die wirtschaftliche Entwicklung in den Heimatländern voranzutreiben und zum anderen die notwendige Ressourcenund Absatzsicherung durch die Sicherstellung der überseeischen Ansprüche zu gewährleisten. Die Vorstellung, Demokratien seien friedfertiger als autokratische oder totalitäre Systeme, stößt dort an Grenzen, wo der Wohlstandsanspruch der Bevölkerung über freie Wahlen durchgesetzt wird und damit in Konflikt mit den entsprechenden Interessen anderer Länder gerät. Damit wurde der Kampf um Rohstoffe und um Absatzgebiete zu einem wichtigen kriegerischen Agenten der Moderne und ist auch gegenwärtig noch von hoher Relevanz.
3.1.3 Vorsprung durch Täuschung: Strategien, Finten und Tricks in der Kriegsführung Warum ist der Einsatz von Strategemen in Asien ein Teil des täglichen, historisch begründeten Gebrauchs, stößt aber in Europa auf Widerspruch? Weil die eigene Vorteilnahme im östlichen Kulturkreis in der philosophischen Hochkultur begründet liegt und daher nicht per se verurteilt wird: Die beiden großen Lehren, der Taoismus und der Konfuzianismus, verbinden mit strategischem Verhalten nichts Sündiges oder Schuldhaftes – ganz anders als es das Christentum gelegentlich tut. Man muss also kein schlechtes Gewissen haben und heftet sich keinen Makel an, wenn man Finten bzw. Tricks anwendet. Von strategischem Handeln wird in den Wirtschaftswissenschaften meist gesprochen, wenn die Reaktionen anderer in das eigene Entscheidungskalkül mit einbezogen werden. Oft ist damit auch die langfristige Sicht auf wirtschaftliches Handeln gemeint. Strategem leitet sich vom altgriechischen Wort strategema (Feldherrntätigkeit) ab und bedeutet Kunstgriff, List, Kriegslist, aber auch Gewandtheit im Ersinnen von Auswegen. Damit
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wird dieser Strategiebegriff umfassend genutzt, er gilt gleichermaßen für das, was hier durch die Termini Strategie, Operation, Taktik und Instrument erfasst wird, die aber ein Abschichten vom Allgemeinen und Umfassenden zum Konkreten und Detaillierten aufzeigen. Wie weiter oben berichtet, zählen die chinesischen Meister Sun Zi, Tan Daoji und Sun Bin zu den Meistern der List in der Kriegsführung. Teile des Alten Testaments der Bibel stützen diese Sichtweise: „Wohlan, wir wollen sie mit List niederhalten, daß sie nicht noch mehr werden…“ (Ex 1, 10). Allerdings hat sich die moralische Bewertung der Kriegslist, die das Alte Testament hier aufzeigt, durch einen Wandel in der Ethik im Neuen Testament verändert: „… wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um…“ (2. Korinther 4, 2). Geschichte, Mythologie und Sagen sind voller Strategeme, besonders voller List als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen: Man denke nur an den listigen Odysseus, der das Pferd von Troja ersann, und die noch mehr tricksenden Götter der Antike, aber auch an Niccolò Machiavelli in der Moderne. Auch die List des Kaisers Barbarossa und des Erzbischofs von Köln, Rainald von Dassel, ist berühmt: Als sie im Jahr 1164 die Reliquien der Heiligen Drei Könige überführten, ließen sie, um die Feinde zu verwirren, den Pferden die Hufeisen umgekehrt anschlagen. Noch heute ist der arabische Kulturkreis reich an Strategemen, die sich an rechtswissenschaftliche Fragestellungen anlehnen. Die folgende, Kulturkreise überschreitende Auswahl, möchte diese näher beleuchten.1 Beispiel 1 (Das Strategem der offenen Stadttore):
Der chinesische Reichskanzler Zhuge Kongming zog im Jahr 149 mit 2000 Soldaten zur Stadt Xicheng, um den dort lagernden Proviant nach Hanzhong zu verlegen. Da trugen ihm berittene Boten die Nachricht zu, der feindliche General Sima Yi aus dem Reiche Wei rücke mit einem Heer von 150.000 Mann gegen Xicheng vor. Dem Reichskanzler Zhuge Kongming stand zu diesem Zeitpunkt kein einziger General mit zusätzlichen Truppen zur Seite, nur zivile Beamte und 2500 Soldaten; alle anderen hatten die Stadt Xicheng bereits mit dem Proviant geräumt. Fahl vor Schrecken wurden die Gesichter der Beamten, als sie diese Nachricht vernahmen. Reichskanzler Zhuge Kongming begab sich auf die Stadtmauer und hielt Ausschau. Gleich einem Hornissenschwarm konnte man bereits am Horizont das Anrücken des feindlichen Generals Sima Yi sehen. In seiner Not befahl er: „Flaggen und Banner von der Stadtmauer herunternehmen und verbergen! Jeder Soldat auf seinen Posten!
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Bezeichnungen dieser drei Strategeme entstammen einer Liste von insgesamt 36 Strategemen, die seit über 2000 Jahren existieren und zur Sun Yi, der chinesischen Kriegskunst bzw. „Kunst des Vorteils“ gehören. Die inhaltliche Bedeutung aller Strategeme wird im Buch von Senger (2001) ausgiebig erklärt.
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Wer diesen eigenmächtig verlässt und seine Stimme laut erhebt, der wird enthauptet. Die vier Stadttore sind weit zu öffnen. Bei jedem Stadttor haben 20 Soldaten, als einfache Leute verkleidet, die Straße zu kehren. Wenn das Heer des Sima Yi herankommt, handle niemand selbstherrlich. Ich habe mein geheimes Strategem.“ Zhuge Kongming warf sich seinen Umhang aus Kranichfedern über, schmückte seinen Kopf mit einem nach oben gewölbten seidenen Hut und setzte sich mit einer Wölbbrettzither auf die Brüstung eines Beobachtungsturms an der Stadtmauer, begleitet von zwei Knappen. Dann entzündete er duftende Kräuter und begann, auf der Wölbbrettzither zu spielen. Dies erblickten die Späher des Generals Sima Yi von Ferne, wagten nicht weiter vorzudringen und kehrten in Eile zu Sima Yi zurück, um zu berichten. Erst lachte General Sima Yi ungläubig, dann aber ordnete er an, seine Truppen anzuhalten. Sodann nahm er sein Pferd und spähte selbst die Stadt aus. Tatsächlich, dort saß ein lächelnder und die Wölbbrettzither spielender Reichskanzler Zhuge Kongming! Schwaden brennender Duftkräuter verbreiteten sich um ihn und seine Knappen, von denen einer mit beiden Händen ein kostbares Schwert hielt, der andere mit einem Haarwedel Luft fächerte. Unterhalb im Tor standen im Stadttor etwa zwanzig die Straße kehrende Zivile. Dieses Bild löste große Zweifel bei Sima Yi aus. So befahl er dem Heer, in Richtung auf die nördlich gelegenen Berge abzuziehen. Der zweitgeborene Sohn Sima Zhao hingegen ahnte, dass dies nur eine zur Täuschung vorbereitete Szene sein könne, wurde aber vom Vater belehrt: „Zhuge Kongming pflegt vorsichtig und bedachtsam zu sein. Noch nie hat er ein Wagnis auf sich genommen. Weit geöffnet waren heute die Tore der Stadt. Das ließ mit Sicherheit auf einen Hinterhalt schließen. Wären meine Truppen in die Stadt eingedrungen, so wären sie bestimmt dem Strategem zum Opfer gefallen. Was weißt du schon! Ein schneller Rückzug war angezeigt.“ Den verblüfften Beamten bedeutete Zhuge Kongming: „Dieser Mann ging davon aus, dass ich vorsichtig und bedachtsam zu sein pflege und mich auf keine Wagnisse einlasse. Als er eine solche Szene sah, vermutete er, Soldaten lauerten in einem Hinterhalt. Daher trat er den Rückzug an. An sich scheue ich waghalsige Unternehmungen, heute aber suchte ich bei einem solchen Zuflucht, weil ich keine andere Wahl hatte.“ … „Hätten wir die Stadt aufgegeben und die Flucht ergriffen, dann wären wir bestimmt nicht weit gekommen. Sima Yi hätte uns gefangengenommen.“ Die Argumentation dieser perfekten Täuschung korrespondiert mit der modernen Signaltheorie: Starke Signale sollen Überzeugung und Glaubhaftigkeit vermitteln. Das gilt insbesondere für eine nachhaltige, über lange Zeit aufgebaute Reputation, also den guten Ruf, über den Zhuge Kongming offensichtlich verfügte. Beispiel 2 (Mit dem Messer eines anderen töten):
Will man einen Gegner ausschalten, ohne selbst aus der Deckung zu treten, dann empfiehlt es sich, ihn durch fremde Hände zu schlagen oder zu vernichten. Für dieses Alibi- oder Stellvertreter-Strategem gibt es anschauliche Beispiele auch außerhalb
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des chinesischen Kulturkreises, beispielsweise bei Samuel (2 Sam 11, S. 1–5, 14–17, 26–27):2 „Und als das Jahr um war, zur Zeit, da die Könige ins Feld zu ziehen pflegen, sandte David Joab und seine Männer mit ihm und ganz Israel, damit sie das Land der Ammoniter verheerten und Rabba belagerten. David aber blieb in Jerusalem. Und es begab sich, daß David um den Abend aufstand von seinem Lager und sich auf dem Dach des Königshauses erging; da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner Gestalt. Und David sandte hin und ließ nach der Frau fragen und man sagte: Das ist doch Batseba, die Tochter Eliams, die Frau Urias, des Hetiters. Und David sandte Boten hin und ließ sie holen. Und als sie zu ihm kam, wohnte er ihr bei; sie aber hatte sich gerade gereinigt von ihrer Unreinheit. Und sie kehrte in ihr Haus zurück. Und die Frau ward schwanger und sandte hin und ließ David sagen: Ich bin schwanger geworden. … Am andern Morgen schrieb David einen Brief an Joab und sandte ihn durch Uria. Er schrieb aber in dem Brief: Stellt Uria vornehin, wo der Kampf am härtesten ist, und zieht euch hinter ihm zurück, daß er erschlagen werde und sterbe. Als nun Joab die Stadt belagerte, stellte er Uria dorthin, wo er wußte, daß streitbare Männer standen. Und als die Männer der Stadt einen Ausfall machten und mit Joab kämpften, fielen einige vom Volk, von den Männern Davids, und Uria, der Hetiter, starb auch. …Und als Urias Frau hörte, daß ihr Mann Uria tot war, hielt sie die Totenklage um ihren Eheherrn. Sobald sie aber ausgetrauert hatte, sandte David hin und ließ sie in sein Haus holen, und sie wurde seine Frau und gebar ihm einen Sohn. Aber dem HERRN mißfiel die Tat, die David getan hatte.“
Im Gleichnis vom reichen und armen Viehbesitzer, bei dem der Reiche für sein Festgelage das einzige Tier des Armen schlachtet, hält Nathan, den der Herr zu David schickt, diesem den Spiegel vor (2 Sam 12, S. 5–14): Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan : So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, daß du getan hast, was ihm mißfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, daß sie deine Frau sei. So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause und will deine Frauen nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, daß er bei ihnen liegen
2Zitiert
nach der Luther-Bibel von 1984.
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soll an der lichten Sonne. Denn du hast's heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne. Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Die David-Geschichte des Alten Testaments der Bibel ist deshalb so lehrreich, weil hier ein Mensch, gefangen in seinen Begabungen und seinen Schwächen gezeigt wird, der immer wieder zwischen Kooperation und Agonie hin- und hergerissen wird. Auseinandersetzungen, die ihm aufgedrängt werden, beispielsweise mit dem Philister Goliath, besteht er mit Bravour und wird König Israels, verzehrt sich aber im Krieg um das Königreich mit dem bei Gott in Ungnade gefallenen Vorgängerkönig Saul. Er dringt in dessen Heerlager ein, während alle schlafen, und entwendete Saul, der von seinen Kriegern umringt ist, den Speer, um zu dokumentieren, dass er ihn hätte töten können. Als Verfolgter muss David bei den Philistern Asyl suchen. Später erst fällt Saul gemeinsam mit Davids Jugendfreund in der Schlacht. Sein geliebter erster Sohn Absalom wendet sich gegen ihn und wird getötet. Den Sohn von Batseba verliert er durch Gottes Geheiß. Seine Hybris führt dazu, dass das Volk von der Pest heimgesucht wird. Erst mit Salomon, dem zweiten Sohn mit Batseba, und dessen Krönung zum König, wird schließlich das kooperative Dach geschlossen.3 Der Gedanke der göttlichen Sühne einer verwerflichen Strategem-Anwendung ist dem chinesischen Kulturkreis eher fremd, wenngleich auch Strategem-Benutzer mit bösen Bestrebungen, etwa in Werken der chinesischen Literatur, oft ein übles Ende nehmen. Dem griechischen Kulturkreis ist die göttliche Sühne verwerflicher Listen in Gestalt von Nemesis, der Göttin der vergeltenden Gerechtigkeit, bekannt. Dieses Beispiel legt nahe, dass man eine Konfliktlage so gestalten sollte, dass sich zunächst die Konkurrenten zerfleischen; danach lässt sich umso einfacher zuschlagen. Beispielhaft sind die Preiskriege in der amerikanischen Automobilindustrie in den fünfziger Jahren, die bis zur Erschöpfung dauerten, um dann in den sechziger Jahren leichtes Opfer der deutschen und anschließend der japanischen Automobilhersteller zu werden. Ausgelöst wurden sie durch General Motors, das den Zweitgrößten im Markt, Ford, vernichten wollte. Auf der Strecke blieb tatsächlich der Vierte, American Motors. Er wurde von Chrysler übernommen, der sich dabei übernahm und schließlich mithilfe
3Arthur
Honegger (1892–1955) hat das Epos König David (1921) als symphonischen Psalm komponiert, dessen Nähe zum Ersten Weltkrieg bedrückend ist. Stefan Heym (1913–201) hat die Geschichte im König David Bericht (1972) aufgenommen und als Auseinandersetzung über Macht und Machtmissbrauch inszeniert.
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der US-Regierung saniert wurde, und anschließend ein erfolgloses Fusionsabenteuer mit Daimler-Benz einging.4 Beispiel 3 (Einen Backstein hinwerfen, um einen Jadestein zu erlangen):
Ziel dieses Strategems ist es, mittels einer unbedeutenden Gabe oder Gunsterweisung einen großen Gewinn zu erzielen. In der chinesischen Tradition ist das Jade, weil es in China ein sehr kostbares Mineral darstellt, das in Abhängigkeit von seinem Eisengehalt in den Farben Schwarz über Rot, Blau und Grün bis Weiß auftritt. In der chinesischen Volksreligion stellt der „Jade-Kaiser“ die höchste Gottheit dar. Die Umsetzung dieses Strategems im europäischen Kulturkreis findet man auch in der Fabel von Jean de La Fontaine vom Fuchs und Raben (La Fontaine 1668): Meister Rabe hockte im Geäst, hielt im Schnabel einen Käse fest; Meister Fuchs, nachdem er dies gerochen, hat etwa das Folgende gesprochen: „Gott zum Gruß, mein bester Herr von Rabe, Schönster, den ich je gesehen habe! Wahrlich, stimmten Eure Lieder. ebenbürtig zum Gefieder, Phönix wäret Ihr. unter allen hier.“ Unser Rabe kann das Glück kaum fassen, will sein schönstes Lied erklingen lassen, sperrt den Schnabel auf, so daß die Beute fällt, unser Fuchs sie packt und diese Rede hält: „Jeder Schmeichler, Freund, ernährt. sich von dem, der auf ihn hört. Daß ich also Euch gelehrt, ist wohl einen Käse wert. “ Reuig und verspätet schwört der Rabe, daß ihn keiner mehr zum besten habe. Der Gegner wird hier infolge seiner Eitelkeit fehlgeleitet, sodass er seinen Ertrag – den Käse – versehentlich aufgibt. Eitelkeit zu fördern kann eine leistungsfähige Waffe sein, wenn man beispielsweise aus Unternehmen ausgeschiedene Ingenieure, die formell keiner Weisung unterliegen, in Normungskommissionen entsendet, um deren Arbeit
4Die
sogenannte Fusion unter Gleichen war aber tatsächlich keine, weil die Kulturunterschiede zu groß waren. Das Abenteuer Daimler-Chrysler bekam daher den Spitznamen „Crimeler“.
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zu verzögern. Die verspätete Vereinheitlichung eröffnet die Möglichkeit, sich das Know-how in Ruhe anzueignen, möglicherweise der Markteinführung mit einem überlegenen Standard zuvorkommen.
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität Wirtschaftskrieg ist eine spezielle Ausformung bzw. Realisierung von Rivalität, die als Treiber von Evolution und Revolution anzusehen ist. Rivalität ist nicht allein den Menschen eigen – sie existiert analog in der sonstigen belebten Welt. Wenn Evolutionsforscher von einer gestuften Ähnlichkeit der Arten sprechen, dann ist die Seele das, was Menschen mit der Tier- und Pflanzenwelt verbindet und sie gerade von Maschinen oder anderweitigen digitalen System unterscheidet. Allerdings sind Menschen der Reflektion und zur Verantwortung fähig. Die Evolution des Menschen war immer dann besonders erfolgreich, wenn das Individuum in Gruppen oder Horden lebte, damit Institutionen begründete und die Last der Anpassung an die Umwelt für den Einzelnen verringerte. Curtis W. Marean (2016) schreibt über den Siegeszug des Homo Sapiens, dass vermutlich eine schwierige Klimaphase zu erhöhter Kooperation gezwungen hatte, was zugleich aber eine aggressive Territorialität förderte; dies wird auf eine Zeit vor etwa 12.000 Jahren datiert (Tomasello 2019). Das koevolutorische Spannungsverhältnis aus biologischen, psychologischen und sozialen Bedingungen ist offensichtlich für das Entstehen des Kriegers und damit auch des Wirtschaftskriegers relevant. Vordem war das Entstehen einer Moral erforderlich, die erst die erforderliche rivale Kooperation mit Gleichgesinnten gegen Dritte ermöglichte. Datiert wird diese Entwicklung auf eine Zeitepoche vor etwa 400.000 Jahren, in der ein Übergang von der individuellen Intentionalität, also der Fähigkeit der flexiblen Verhaltensanpassung an neue Umstände, zur gemeinsamen Intentionalität in Gruppen stattfand, weil insbesondere die Jagd erhöhte Kooperationsanstrengungen erforderte (Ferguson 2019). Vor rund 150.000 Jahren schließlich entstand durch das Vergrößern der Gruppen die kollektive Intentionalität, die später für die Institutionenbildung von herausragender Bedeutung ist. Geld als wesentlicher ökonomischer Indikator der Moderne – früher waren es andere Schätze wie Gold – spielt dabei eine wichtige Rolle. Seine Nichtverfügbarkeit bzw. Unregelmäßigkeiten des Einkommens können physische Entzugserscheinungen und Schmerz auslösen. Wenn Gewissheiten permanent zerbrechen, verschwindet nicht nur Vertrauen, hier leiden auch Seele und Körper. Damit ist der Zusammenhang wirtschaftskriegerischen Handelns, der aggressiv Brüche erzeugen will, aus anthropologischer Sicht umrissen. Der Nobelpreisträger Jacques Monod hat im Buch Le hasard et la nécessité. Essai sur la philosophie naturelle de la biologie moderne (1970) die Frage aufgeworfen, ob die menschliche Evolution eine Abfolge von Zufällen oder, entsprechend religiöser bzw. anthropozentrischer Vorstellungen, in einem höheren Sinne gewollt ist. Anhand des modernen Existentialismus führt er aus, dass für eine deterministische Sicht kein
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Platz ist und dass das Evolutionsprinzip nicht nur für die genetische Entwicklung gilt, sondern auch für Ideen und kulturelle Strukturen. Möglicherweise wird aber die Rolle des Zufalls überbetont, wie der Paläontologe Simon Conway Morris (2008), ein überzeugter Vertreter der Konvergenztheorie der Evolution, in seinem Buch Life’s Solution: Inevitable Humans in a Lonely Universe (2003) betont. Denn tatsächlich würden sich biologische Systeme optimal ihren Nischen anpassen, weshalb ein ähnlicher Problemdruck in verschiedenen biologischen Bereichen zu vergleichbaren Lösungen führt – bis hin zu Parallelevolutionen. Dieser Perspektive, dass vergleichbarer Selektionsdruck zu ähnlichen Lösungen führt, lässt sich zumindest auf kürzere Sicht bestätigen (Losos 2017). Das knüpft an die ökonomische Wettbewerbstheorie der Harvard-Schule an, die postuliert, dass gegebene Marktstrukturen zu bestimmtem Marktverhalten und konkreten Marktergebnissen führen (die sogenannte structure-conduct-performance-Hypothese; Mason 1939; Bain 1968), die im neunten Kapitel noch einmal aufgegriffen wird. Allerdings kann diese Abfolge keinesfalls deterministisch interpretiert werden (Blum 2004, S. 472–480). Für alle Aspekte einer die Vernichtung des Gegners einschließenden Rivalität ist es wichtig, ob darin das Ergebnis eines stabilen und zwingend notwendigen Trends zum Ausdruck kommt oder der reine Zufall. Müssen intelligente Gesellschaften Krieg bzw. Wirtschaftskrieg führen? Was bedeuten Zurechnung, Verantwortung und Haftung kollektiv bzw. individuell? Diese Frage steht im Zentrum des Abschnitts. Der Begriff Verantwortung (und damit auch Schuld) und die Fähigkeit, Menschen zu beurteilen, gewinnen für die moralische Bewertung des Wirtschaftskriegs erheblich an Bedeutung. Er betrifft die Willensfreiheit, die heute aus biologischer und hirnphysiologischer Sicht bezweifelt wird, weil der bewussten Entscheidung unbewusste Steuerungsprozesse vorausgehen, die aber dem Individuum den Eindruck der Autonomie belassen. Daher führen gleiche Rahmenbedingungen zu unterschiedlichen Ergebnissen, eine strikte Kausalität ist nicht beweisbar. Dem entgegensteht der philosophische und theologische Ansatz der individuellen Autonomie und Moralfähigkeit des Individuums. Daran schließt sich die Objektivität bei der Einschätzung von Persönlichkeiten und ihren Verhaltensweisen, also ihr profiling, an. Viele Eigenschaften, die in einer bestimmten Situation als verwerflich betrachtet werden, sind in einer anderen positiv. Insofern ist der Kontextbezug ebenso wichtig wie das Wissen, dass, wie bereits oben ausgeführt, viele der Erkenntnisse gerade einen vorläufigen Charakter tragen.
3.2.1 Evolutorische Spannungsverhältnisse in der Soziobiologie Die moderne Soziobiologie stellt als wichtigste Vorteile der Gruppe die Erleichterung bei der Sicherung des Nahrungsbedarfs, die Arbeitsteilung bei der langwierigen Aufzucht von Nachwuchs und das Entwickeln der vielfältigen Ausprägungen von Individualität heraus. Der eigentliche Begriff und das dazugehörige Forschungsprogramm gehen auf Ludwig Gumplowicz (1875, 1878) und in Deutschland insbesondere auf Irenäus
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Eibl-Eibesfeld (1928–2018) zurück. Letzterer gilt als wichtigster Begründer der Humanethologie, die die kulturübergreifende Gleichheit von Verhaltensmustern untersucht und dabei fragt, welche gesellschaftlichen Routinen entwickelt wurden, um Triebe sozialverträglich zu kanalisieren, und wo die Moderne zu strukturellen Fehlanpassungen führt. Im Zentrum stehen die Vorzüge der Verwandtenselektion und des reziproken Altruismus. Aus dieser Sicht besteht, wie Konrad Lorenz (1963) in Das sogenannte Böse sowie Irenäus Eibl-Eibesfeld in Der Mensch – das riskierte Wesen (1984) und in Die Biologie des menschlichen Verhaltens (1988) ausführen, ein angeborener Aggressionstrieb, der für das Überleben in der Urzeit erforderlich war; er besäße vor allem ein biologisch tief verankertes Misstrauen gegen Ungewohntes und Fremdes. Krieg sei eine innerartliche Aggression (Eibl-Eibesfeld 1994, S. 190–192), die er als Verhaltensweise definiert, „mit Hilfe derer ein Individuum oder eine Gruppe sein oder ihr Interesse gegen den Widerstand anderer durchsetzen kann.“ Kann dieser Aggressionstrieb nicht ausgelebt werden, komme es zur Explosion; möglicherweise ließe sich Gewalt damit exportieren, beispielsweise geographisch durch kriegerische Interventionen in Drittstaaten, was die Heimatfront entlastet, oder sachlich durch den Wirtschaftskrieg. In ein neues Licht rücken dann die im zweiten Kapitel formulierten Aussagen zu den frontier-Erlebnissen. Alternativ hilft das Konstrukt des Sündenbocks, auf den alle Schuld abgeladen wird, womit eine soziale Kohäsion zulasten Dritter erzeugt wird. Eibl-Eibesfeld (1994, S. 200–203) verweist darauf, dass dahinter ein Rangstreben steht, das anders als andere Triebe keine Selbstbegrenzung findet, zumal der Mensch ohne Waffen aufgrund seiner angeborenen Tötungshemmung nicht damit rechnet, dass ein Kampf tödlich endet – es sei denn, er hätte eine Waffe, den Faustkeil oder das Gewehr, die das überspielt. Bei Zwischengruppenaggressionen verschwimmt auch der Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung. Da Krieg auch Vernichtung zum Ziel hat, muss das Töten des Feindes zu einer Heldentat stilisiert werden. Der biologische Filter der Tötungshemmung, also nicht die eigene Art zu töten, wird durch einen kulturellen Faktor überlagert, den zum Feind Erklärten zu vernichten. Damit ist der, von dem die Aggression ausgeht und angreift, immer der Feind. Zu den wichtigen Begründern der Soziobiologie zählt weiterhin William Hamilton (1936–2000), der in seinem Werk The Genetical Evolution of Social Behaviour (1964) die Bedeutung der Verwandtenselektion (kin selection) betonte; insbesondere postuliert er, dass die Kooperationsintensität eine Funktion genetischer Nähe sei, um den Genpool der Gruppe erfolgreich zu verbreiten. Hierzu definierte er die genetische Fitness eines Lebewesens als Anzahl der weitergereichten Gene – und diese Fitness könne durchaus von Umweltbedingungen abhängen, beispielsweise von Verwandtschaftsstrukturen. Berühmt geworden ist seine Großmutter-Hypothese, der zufolge die parallele Aufzucht der Kinder von Müttern und ihren Töchtern verhindert wird, weil das menschliche Säugetier die eigene Menopause vergleichsweise lange überlebt. So könnten sich die Großmütter um die Enkel kümmern, was nicht möglich wäre, hätten sie gleichzeitig noch eigene Kinder. Insgesamt sei dies für die genetische Fitness positiv. Daraus folgt wiederum, dass unter den Bedingungen von echten Kooperationserträgen
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(spieltheoretisch also Positivsummenspielen) bei Überwinden von Dilemmata Altruismus eine sinnvolle und dominante Strategie ist.5 Darin liegt aber die Abgrenzung zu anderen Gruppen. Matt Ridley (1997) verdeutlicht in seinem Buch The Origins of Virtue: Human Instincts and The Evolution of Cooperation, dass tatsächlich mit zunehmender Kooperation die Gewalt zunimmt, was wiederum die häufig zu findende Doppelmoral erklärt. Da erst die Gruppe das eigene Ich zu reflektieren erlaubt, liegen hier auch die Wurzeln des Strebens nach Anerkennung, die Bedeutung des Lobes6 ebenso wie die zerstörerische Wirkung des Neides.7 Gruppenmitglieder sind Individuen mit eigenen Interessen, weshalb ihre Ziele mit denen anderer Gruppenmitglieder in Konflikt geraten können. Sobald sich die Individuen eigennützig bzw. opportunistisch verhalten und ihre eigenen Interessen, notfalls zulasten anderer, durchsetzen, wird das Umweltsystem, also die Ökologie in einem allgemeinen Sinne, erheblich belastet, falls es kein institutionelles Regelsystem als Rahmen gibt, um dieses Verhalten abzufangen und einen Ausgleich für ein erträgliches Zusammenleben zu organisieren. Tatsächlich ist der zivilisatorische GAU in der Menschheitsgeschichte häufig dokumentiert, weil, wie der Humanethologe Wulf Schiefenhövel argumentiert, Menschen an sich hemmungslose Maximierer seien. Sie seien Statussucher aus ihrer Natur heraus und versuchten, ihre Einflusssphären auf Kosten der Natur oder anderer Individuen oder Gruppen zu vergrößern. Insbesondere gäbe es hier im Gegensatz zu anderen Trieben keine begrenzenden Regelkreise – der Erfolg einer gelungenen Expansion löst noch mehr Erfolgsverlangen aus, was dann als Gier apostrophiert wird. Deshalb sei die Kraft des Ordnungsrahmens ein entscheidender Begrenzungsfaktor, der aber in der globalen Gesellschaft immer schwächer werde und somit der Kollaps drohe.8 Die Soziobiologie ist eng mit dem Namen Edward Wilson (1975) verbunden, der auch als Forscher über das Sozialverhalten von Insekten, insbesondere Ameisen, bekannt wurde (Wilson 1990). Er analysierte die biologischen Grundlagen sozialer
5Peter Singer sieht im Altruismus sogar eine absolute moralische Pflicht; vgl. The Most Good You Can Do. How Effective Altruism Is Changing Ideas About Living Ethically (2015). Yale University Press, New Haven/London. Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben (2016). 6Nicht umsonst sind Lob und Tadel erzieherisch verknüpft: „Nur wer lobt, kann Tadel voll zur Geltung bringen“ ist eine alte soldatische Regel. 7So erklärt sich auch, weshalb die weitgehend ethnisch verfassten Demokratien so langandauernd im Ersten Weltkrieg kämpften und nicht schon nach den Massenschlachten und dem Stellungskrieg des Herbstes 1914 versucht haben, einen Waffenstillstand zu erzielen – es war für die von den Bevölkerung abhängigen Regierungen, ganz anders als vordem in den aristokratischen Systemen, nicht möglich; dies erklärt auch den Unterschied zwischen dem Wiener Kongress und den Pariser Vorortverträgen; vgl. das Interview mit Henry Kissinger (2014): Die Diplomatie hatte abgedankt. 8Vgl. hierzu das dreibändige Werk Der Mensch in seiner Welt von Wulf Schiefenhövel, Christian Vogel, Gerhard Vollmer und Uwe Opolka (1994), insbesondere ebendort Eibl-Eibesfeld (1994, S. 200).
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Verhaltensweisen und thematisierte zwei wesentliche Fragen: Welche Interaktionen bestehen zwischen genetischer und sozialer Evolution? Was sind die Ziele dieses Evolutionsprozesses im Hinblick auf Ethik und Moral? Um die letztgenannte Sinnfrage zu beantworten, benötigten Menschen ein Epos der eigenen Entwicklung, wobei insbesondere dessen religiöse Aufladung wesentlich für die menschliche Sinnsuche sei (Wilson 1978). Ein weiterer wichtiger Protagonist ist Richard Dawkins (1976), dessen Überlegungen später im Kontext der Memetik eingeführt werden. Humanethologie und Soziobiologie sind nicht unumstritten; als biologisch aufgeladene Sozialwissenschaften leiden sie – wie auch die Wirtschaftswissenschaften – daran, dass gewisse soziale Phänomene einmalig sind, die Replikation in Versuchsanordnung meist schwierig, wenn nicht unmöglich, ist und erhobene Daten oft unter dem Vorbehalt des Irrtums stehen. Zudem gelten Ergebnisse gemeinhin als politisch unkorrekt, wenn sie die Dominanz erblicher Faktoren postulieren. Ihre Kritiker kommen oft aber auf anderem Weg zu ähnlichen Ergebnissen. Der Theologe Friedrich Schorlemmer (2014, S. 13–16: 49: 60: 71) relativiert diese Drastik, indem er die Gier als elementare, äußerst expressive Lebensäußerung bezeichnet. Er fragt nach Maß und Maßstab, damit sie nicht zu einer verschlingenden Kraft wird, und wann die Gier zu einem Schaden an der Seele führt.9 Dabei sieht er deutlich die Grenzen der Vernunft, wenn er Goethe (1808) in Faust I zitiert: „Er nennts Vernunft und brauchts allein, um tierischer als jedes Tier zu sein.“ Ludwig Erhard (1957a) wusste daher, dass selbstgesetzte Grenzen für eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung wichtig sind: „Der tiefe Sinn der Sozialen Marktwirtschaft liegt darin, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs und der sittlichen Verantwortung jedes einzelnen, dem ganzen gegenüber, zu verbinden.“
3.2.2 Erinnerung und Identität, Traumata, Rituale und Bindungskräfte Identität bedingt grundsätzlich eine Anerkennung durch Dritte; ohne diese fehlt dem Individuum Halt und Orientierung in der Moderne. Menschen definieren ihre Identität, also die Übereinstimmung einer Innen- und Außenwahrnehmung, in erheblichem Maße über ihre Erinnerungen, wie Martin Korte (2017) in Wir sind Gedächtnis – Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind ausführt. Identität ist kontingent zur Anerkennung durch Dritte – im Extremfall der Authentifizierung in digitalen Systemen. Ohne sie ist ein Leben in einer komplexen Welt kaum möglich, ist sie durch auch eine Bedingung für Individualität. Sie wird aus der Erinnerung gespeist und Vergangenheit bedingt oft Nostalgie (Economist 2018h), was später im Kontext der Mythenbildung aufgegriffen wird.
9Es ist bezeichnend, dass der lateinische Begriff avaritia gleichermaßen Gier und Geiz, also zwei Laster, beinhaltet.
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität
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Die Demenzforschung in ihrem Versuch, Erinnerungen nicht verblassen zu lassen, zeigt zugleich die Möglichkeiten auf, das Gedächtnis und damit auch Erinnerungen, durch die gezielte Bereitstellung von Informationen zu manipulieren (Cordis o. D.). Hierfür gibt es Vorlagen: Manche Rituale von Stammesvölkern sind eng mit traumatischen Ereignissen verbunden, und wenn diese kollektiver Natur sind, dann brennen sie sich tief in das Gedächtnis der Gruppe ein. Werden sie verdrängt, können sie, wenn sie plötzlich aufbrechen, zu einer unvorhersehbaren Belastung werden. Das gilt auch für Europa, das aus diesem Grund Schwierigkeiten hat, seine historische Last zu bewältigen und darauf aufbauend seine verdeckte Heterogenität aus der Vielfältigkeit seiner Geschichte als identitätsstiftendes Potential zu sehen. Der britische Anthropologe Harvey Whitehouse sieht in ihnen die Bindungskräfte (oft auch als gesellschaftlicher Kitt umschrieben), welche Gesellschaften zusammenhalten (Jones 2013), wobei zwei Varianten zu unterscheiden sind: Doktrinäre Rituale dienen in friedlichen Gesellschaften der Rahmensetzung, beispielsweise durch ein Regelwerk wie Talmud, Bibel und Koran bei den drei abrahamitischen Religionen. Die Aufnahme in den Kreis der Mitglieder manifestiert sich in Ritualen wie Beschneidung oder Taufe. Imaginistische Rituale dienen hingegen zum Bewältigen von Unruhe. Mit traumatisierenden Zeremonien, beispielsweise Racheschwüren, soll Abschreckung und zugleich Gruppenidentifikation erzeugt werden. Beide Arten von Ritualen spielen für den Krieg – worauf Martin van Creveld (2011) hinweist – und für den Wirtschaftskrieg eine Rolle. Sigmund Freud (1930) hat hierauf seine nicht unumstrittene Psychologie aufgebaut. Auch negative Dominanzerwartungen – also die Erwartung des künftigen Verlusts eigener Identität, heute oft mit Migration und Globalisierung in Verbindung gebracht, kann konfliktauslösen wirken. Die Bindungskräfte von Gesellschaften werden im Kontext des Begriffs Loyalität von der Schule des Funktionalismus untersucht. Gefragt wird, welche Funktionen eine soziale Gruppe erfüllen muss, damit soziale Abläufe ordnungsgemäß vonstattengehen können und effizient gewirtschaftet wird. In Exit, Voice, and Loyalty (1970) hinterfragt Albert Hirschman das Paradigma der vollständigen Konkurrenz und bietet zwei Perspektiven: Warum entstehen permanent Arrangements mit Schlupf (slack), die der Wettbewerbsmechanismus nicht eliminiert? Er postuliert, dass Abwanderung eine zentrale Größe in einem ökonomischen und Widerspruch in einem politischen Regelkreis darstellt. Denn beide signalisieren Unzufriedenheit und weisen auf Ineffizienzen hin, die sich entweder durch fallende Umsätze oder durch Protest äußern. Allerdings kann Abwanderung nur dann wirksam werden, wenn es eine echte Alternative gibt – also bei unvollkommenem Wettbewerb. Wenn der Staat seine Bürger einsperrt, entfällt diese Option. Durch Widerspruch erfolgt eine Artikulation der Kunden oder der Wähler mit dem Ziel, Veränderungen auszulösen. Je mehr die Möglichkeit der Abwanderung zunimmt, desto stärker sinkt die Bedeutung des Widerspruchs. In politischen Systemen erklärt das die fehlende Wahlbeteiligung in Demokratien ebenso wie die akzeptierte Emigration Unzufriedener aus Gewaltsystemen. Wenn hingegen ein Individuum vermuten kann, durch Widerspruch Veränderungen bewirken zu können, von denen es dann selbst profitiert, so erzeugt dies eine Loyalität, die eine Abwanderung verhindert.
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3 Das Menschen- und das Ordnungsbild im Wirtschaftskrieg
Reale Institutionen werden weiterhin durch glaubhafte Drohungen zusammengehalten. Hierbei handelt es sich um das Ankündigen einer Handlung, gegen die der Konkurrent keine Aktivität entwickeln kann, die zur Gegendrohung taugt. Denn genau die Unmöglichkeit einer angemessenen Antwort macht die Drohung glaubhaft. Es entwickelt sich eine soziale Kohäsion unter den Individuen oder Gruppen, weil auf die Handlung einer Partei (oder auch deren Nichthandlung) eine bestimmte Antwort folgt, die diese schlechterstellt. Die Glaubhaftigkeit dieser Drohung ergibt sich daraus, dass das Gegenüber seine Schlechterstellung nicht abwälzen, d. h. beispielsweise nicht versichern kann, sodass diese ihn oder die Gruppe tatsächlich trifft. Ein typisches und bekanntes Muster für eine glaubhafte Drohung stellt die potentielle Konkurrenz dar, weil sie die Macht eines Monopolisten durch den möglichen Markteintritt eines Dritten, beispielsweise eines Anbieters aus einer anderen Region, drastisch beschränkt. Auf politischer Ebene spielt das Gleichgewicht des Schreckens eine ähnliche Rolle. Schließlich sind Opfer und Opferbereitschaft für die Gruppenkohäsion wichtig; gerade unter zeitlichem Entscheidungsdruck ist Teambildung oft ein Selektionsvorteil. Teams erzeugen den sozialen Kitt von Institutionen, weil Opfer im Sinne von sacrificium als Voraussetzung für eine gesellschaftliche Kulturleistung und das Schaffen von Institutionen anzusehen sind, womit gleichermaßen eine memetische und eine ökonomische Kategorie entsteht. In der Auffassung von Sigmund Freud (1930) bestehen sie aus Verzichtshandlungen in Bezug auf zentrale Triebkategorien, also Sexualität, Territorialität und Status.10 Dieses Opfer lässt Identität als eine Differenzierung von anderen entstehen und beschränkt im evolutionsökonomischen Sinne die Wahlmöglichkeiten. Im Opfer werden häufig unlösbare gesellschaftliche Konflikte verarbeitet und im Kult symbolisch ausgetragen, womit durch sie aus Sicht der modernen Industrieökonomik und der Psychologie versunkene Kosten folgen (Schaub 1997). Damit erzeugen sie auf individueller Ebene die Selbstverpflichtung und für Organisationen die Bindungswirkung. Gleichgerichtetes Verhalten wird für das Individuum rational
10Sigmund
Freud (1921, 1930) unterstellt, das Leben sei auf Lustvermehrung ausgerichtet. Diese ist aber vor dem Hintergrund der eigenen Körperlichkeit und der Außenwelt nicht realisierbar, so dass mittels einer ersatzweisen Orientierung auf die Rationalität die Quellen der Unlust bekämpft werden. Das ist aber nur in Grenzen möglich, weil wiederum die Kultur, die das Menschsein konstituiert, auf Triebverzicht orientiert ist, um ein soziales Zusammenleben zu ermöglichen. Tabus dienen dabei dazu, den Lebensrhythmus nicht zu stören bzw. den sozialen Kitt der Gesellschaft durch Tatbestände, die eine Gruppe oder Gesellschaft in Existenznot bringen, nicht brüchig werden zu lassen. Die moderne Verhaltensforschung belegt diese enge Verbindung von Religion und Moral, beispielsweise in der Theorie der reproduktiven Religiosität. Eine konservative Sexualmoral ist praktisch allen Hochreligionen gemeinsam. Klassische Tabus betreffen Inzest oder Kannibalismus. Moderne Tabus beziehen sich oft auf politische Korrektheiten, also das Verhindern des Diskurses über Dinge, die Herrschende in schwierige Begründungstatbestände bringen. Möglicherweise sind Geld und Geldbeziehungen auch besonders tabuisiert, denn sonst wäre nicht erklärbar, dass sie in einem solchen Maß durch Intransparenz und Verschweigen krisenrelevant werden können – vom persönlichen Bereich bis hin zur Ebene der Staaten.
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität
135
und unterstützt damit die Pfadbindung. Wird die Organisation verlassen, so sind die dort geleisteten Investitionen umso vergeblicher, je spezifischer sie zu erbringen waren. Speziell kann die aus dem Opfer heraus begründete Forderung auch erlöschen, beispielsweise bei Auswanderung, wenn man seinen Sozialversicherungsschutz verliert, obwohl man jahrelang aufopfernd in die Kassen eingezahlt hat. Diese Unumkehrbarkeit erzeugt Stabilität im Innern von Institutionen und verringert die Bestreitbarkeit durch konkurrierende Organisationen. Durch Opfer werden Kollektivgüter mit starken positiven Externalitäten geschaffen, die der Gemeinschaft nützen, auch wenn nicht alle gleichmäßig dazu beigetragen haben. Stets besteht ein individueller Anreiz, etwas weniger zu opfern – nur wenn sich alle dem Kollektiv entziehen, dann bricht das System zusammen, es geht in der Rationalitätsfalle unter. Somit ergibt sich ein Pendant zum Allmende-Problem (Hardin 1968). Eine Tendenz zur Produktverschlechterung besteht bei allen Gütern, deren Eigenschaften (durch den Gebrauch bzw. Konsum) erst erfahren werden und in die vertraut werden muss (Akerlof 1970). Das Dilemma, ob für den Einzelnen Trittbrettfahren bzw. Mogeln durch schlechte Opfergaben oder aber totale Kooperation sinnvoll ist, kann nur durch Signalgebung aufgelöst werden. Zu allen Zeiten hat es Versuche der Opfersubstitution gegeben: Wie häufig und nachhaltig ist es möglich, das Opfer zu reduzieren, ohne den Gott zu erzürnen (bzw. heute: den sozialen Kitt zu gefährden) – denn die Folge könnte das Totalopfer sein? Sobald ein solcher Erosionsprozess begonnen hat, steigen die individuellen Anreize zur Opfersubstitution. Das System ist also nicht selbststabilisierend, sondern explosiv – wer will schon der letzte sein, der noch ein Opfer erbringt? Allein dieses göttliche Opfer bzw. die Gottesgabe im Sinne von sacrificium besitzt gesellschaftlich sinnstiftendes Potential und unterscheidet sich wesentlich vom rechtlichen, der victima.11 Uneigennützige Hilfe in der Verfolgung einer Pflichtenethik wird durch den Umfang der damit einhergehenden Opfer messbar und weist moralisches Handeln aus. Allerdings sollte immer gesehen werden, dass derartige Möglichkeiten, Gutes zu tun, begrenzt sind und meist erhebliche Transaktionskosten verursachen, weshalb Märkte für moralische Güter genutzt werden sollten (Clark und Lee 2011). Das ist auch deshalb sinnvoll, weil moralisches Verhalten, besonders Nächstenliebe, nicht allgemein eingefordert werden kann, weil nicht alle die Nächsten sind, der Nächste jedem in einer anderen Form widerfährt und es insbesondere in der christlichen Tradition ein Charisma ist, also ein göttliches Geschenk.
11Der
Soldat vereint beide Aspekte auf sich – er ist mögliches Opfer durch Tod, körperliche oder seelische Beschädigung im Sinne von victima, aber er kämpft oft in dem Glauben, im Sinne von sacrificium für seine Land, seine Sippe oder seine Ideen einzustehen. Die Beurteilung der Qualität beider Zustände ist oft Gegenstand kontroverser Debatten und geschichtlicher Interpretationen. Häufig versuchen Wirtschaftskrieger durch kultische Handlungen, den Anspruch, Teil eines sacrificiums zu sein, zu belegen, indem man sich als Teil einer Armee empfindet, vorgibt, Gottes Willen zu erfüllen oder Siegesfeiern nach erfolgreichen Übernahmeschlachten veranstaltet; dies wird später vertieft.
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3 Das Menschen- und das Ordnungsbild im Wirtschaftskrieg
Beide Kategorien von Opfer fallen dann zusammen, wenn der rechtlich festgestellten Opferstatus moralisch überhöht wird, um daraus Ansprüche auf Kompensation abzuleiten: Opfer des Kolonialismus, Opfer der Transformation, Opfer der Globalisierung. Es entsteht ein Wettbewerb um das größte Opfer, was im Sinne von Friedrich Nietzsche eine Sklavenmoral begünstigt und im vierten Kapitel unter dem Begriff des Martyriums aufgegriffen wird.
3.2.3 Ideen als Massenvernichtungswaffen Im historischen Rückblick wird gerne nur der militärische Krieg als gewalttätig angesehen. Aber Gewalt kann auch von anderen Verhaltensweisen ausgehen: So hat die Weltwirtschaftskrise vor dem Hintergrund stagnierender oder zurückgehender Entwicklungsetats der begüterten Ersten Welt für Entwicklungsländer durchaus etwas Bedrohliches, weil sie massive Verwerfungen in deren Aufbauprozess auslöste – mit Hunger und Tod als Folgen. Rivalität kann Mission und Sucht sein und ideologisch als Allmachtphantasie überhöht werden. Deutlich wird das am heute oft in der Interpretationsdiskussion stehenden arabischen Begriff des Jihad: Historisch umfasste er zunächst die höchste geistige und körperliche Anstrengung sowie Disziplin im Glauben – er war ein „Kampf als Gottesdienst“. In späteren Zeiten, als die Nomaden immer mehr sesshaft geworden sind, stand das Empire Building mit dem Ziel im Zentrum, eine sakrale Geographie oder aus wirtschaftlicher Sicht eine sakrale Ökonomie (Adrom 2009; Morenz 1969) aufzubauen. In den fünf Büchern Mose des Alten Testaments wird diese Strategie vorgelebt: Die Expansion wird als öffentliches Gut zu einem zentralen gemeinsamen Projekt. Bernhard Lewis (2013) argumentiert, dass der Konflikt der muslimischen Welt mit dem Westen systemisch angelegt ist. Die oben als sakrale Geographie beschriebenen Eroberungen reichten in einer ersten Phase bis weit nach Europa hinein. Die zweite Phase orientierte sich nach Osten in Richtung Balkan, Ungarn, aber auch weit nach Asien und Russland und über islamische Kaufleute bis nach Ostasien; sie wurden im Zeitalter des Imperialismus teilweise zurückgedrängt. Für Osama Bin Laden war der Sieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan, der den Zusammenbruch dieses Ostroms auslöste, ein Erfolg des Jihad. Als dritten Schritt betrachtet Bernhard Lewis die Immigration und das Durchsetzen eigener Werte vor Ort, was durch den liberalen Multikulturalismus der westlichen Welt leichtfällt. Diese Auseinandersetzung verläuft hier zwischen Wissen und Freiheit einerseits sowie zwischen religiöser und kultureller Loyalität andererseits. Sie findet auch andernorts statt: Als Maßnahme der Gruppenidentifikation in der lustvoll ausgetragenen Gewalttätigkeit gesellschaftlicher Verlierer, sogenannter Hooligans, im Umfeld von Fußballspielen, im In-den-Jihad-Ziehen zur Unterstützung des Islamischen Staats bis hin zu den identitätsstiftenden Ritualen in der Finanzindustrie, um die Mitarbeiter auf den Kampf vorzubereiten bzw. Erfolge zu feiern. Kevin Ross (2015) berichtet in Young Money über derartige Exzesse. Benjamin Barber (1995) sieht das als wechselseitige ideologische Konfrontation, wenn er im Buch
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Jihad vs. McWorld auf den Antagonismus zwischen einer Orientierung an der Ethnie (tribalism) und an der der Marktsysteme des globalen Kapitalismus hinweist, die in der amerikanischen neoliberalen Deregulierung eine missionarische Überhöhung ist. Daraus lässt sich über die Macht der Ideen viel lernen: Sie werden zu Massenvernichtungswaffen, von den Eroberungszügen Mohammeds über die Kreuzzüge bis zu Napoleon Bonaparte oder Adolf Hitler und Josef Stalin. Timothy Snyder (2015a) führt in seinem Buch Black Earth und in einem Interview (2015b) aus, dass es dreier Dinge bedarf, um diese Massenvernichtung erfolgreich werden zu lassen: einer Ideologie, eines ökologischen Auslösers in Form von bedrohlichen Umwelteinflüssen und der Zerstörung staatlicher Ordnung. Die beiden letztgenannten Protagonisten des Völkermordes sind deshalb interessant, weil hier eine menschenverachtende Idee durch eine andere in Schach gehalten bzw. niedergerungen werden sollte. Daraus ist die Lehre abzuleiten, dass die Verbündeten von einst oft zu den schlimmsten Gegnern von morgen werden können. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem islamischen Fundamentalismus zeigt sich diese Dialektik klar und deutlich. Zudem pointiert er ihre Fähigkeit, Terror als Marke zu etablieren. Überträgt man deren sakrale räumliche Geographie auf einen zu erobernden bzw. zu dominierenden Produktraum und das ultimative Vernichten aller Gegner, so zeigt sich die Bedeutung der Etablierung von Marken, das branding, also die Ideologisierung eines Produkts; die Firma Apple mag hier als Referenz dienen. Damit wird auf ideeller Ebene der Wettbewerb der Innovationen bedeutsam, der in Wirtschaftskrieg ausartet, wenn neben der Ideologisierung zwei weitere Bedingungen erfüllt sind: die vorherige Zerstörung von institutioneller Ordnung und die Bedrohung der wirtschaftlichen Ökologie.12 Man kann es auch anders wenden: Es existiert nur noch ein Primat des Glaubens. Wolfgang Huber (2014) nennt es in seinem Beitrag Du sollst nicht töten – und nicht töten lassen das Fremdgötterverbot, das bereits bei Moses die Gewalt der Leviten, eines der zwölf Stämme Israels, gegen Glaubensabweichler, die dem Götzendienst frönten, rechtfertigte (Ex 32, 15–32). Töten dient damit nicht mehr dem Überleben eines Stammes, sondern dem Durchsetzen eines Prinzips – wirtschaftlich: dem Prinzip des Ausweises der Wettbewerbs- und Durchsetzungsstärke.
3.2.4 Genetische und biologische Grundlagen kognitiver Strukturen Sind Menschen genetisch determiniert? Sind sie allein Ergebnis der Sozialisierung? Robert Plomin (2018) führt in Blueprint – How DNA Makes Us Who We Are auf Basis der Zwillingsforschung aus, dass vor allem die Potentiale erblich sein – wie sie
12Nicht
umsonst wird heute gerne bei Hochtechnologien von Ökologie gesprochen, also einer Umgebung, in der sich eine Firma bzw. ihr Produkt gesellschaftlich-technologisch-ökonomisch bewegt.
138
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a usgeschöpft werden, sei aber dem Umfeld geschuldet. Eine Arbeitsgruppe um Richard Karlsson Linnér (Lee, Linnér et al. 2018) zeigt auf Basis einer Analyse von über einer Million Individuen, dass 124 genetische Varianten im Genom besonders relevant für Risikobereitschaft sind. Steven Pinker (1997) argumentiert in seinem Buch How the Mind Works, die für die Organisation der Gesellschaft relevanten Netzwerkstrukturen seien Ergebnisse grundlegender kognitiver Strukturen mit genetischer Grundlage, weil das menschliche Hirn keine tabula rasa, sondern vielmehr ein Menge spezialisierter, im Selektionsprozess der Natur ausgeformter Schaltkreise sei. Dem stehen die Aussagen von Niels Birbaumer und Jörg Zittlau (2015) in ihrem Buch Dein Hirn weiß mehr als Du denkst entgegen. Sie sind der Ansicht, das Gehirn gleiche bei der Geburt einer tabula rasa und nur wenig sei bereits festgelegt, vieles bilde sich erst später. Dieser Unterschied hat beträchtliche Folgen für die Beantwortung der Frage, wie eine Gesellschaft mit gesellschaftlich abweichendem Verhalten umgehen soll bzw. kann – ob man also Manager, wenn sie über sehr ähnliche psychopathische Dispositionen wie Verbrecher verfügen, die sie zu Wirtschaftskriegern machen, resozialisieren kann. Ausgangspunkt für Birbaumer (2015) ist dabei das Experiment von Stanley Milgram (1963, 1974), das testet, bis zu welcher Grenze Individuen autoritären Anweisungen Folge leisten. Dabei konnten keinerlei Unterschiede im Hinblick auf Geschlecht, Rasse, Herkunft usw. festgestellt werden.13 Das stellte die Psychologie vor völlig neue Herausforderungen, weil zum einen die der Untersuchung implizit zugrunde gelegte Vermutung, Deutsche seien aufgrund ihrer Verbrechen im Zweiten Weltkrieg besonders obrigkeitshörig, nicht bestätigt wurde, zugleich aber die durchschnittliche Gewalttat ein männliches Gesicht trägt. Birbaumer zeigt, dass vielmehr wesentliche Sozialisierungsdefizite auslösend sind, wenn konkrete biologische Defekte am Hirn vorhanden sind, die sich im Fehlen von Empathie sowie von Gefühlen wie Schuld und Reue manifestieren. Biologische Manifestationen sind Funktionsunterschiede der Amygdala und des medialen Präfrontalkortex, Schädigungen, die möglicherweise durch Krankheit oder externe Einwirkung hervorgerufen werden. Damit können aus ähnlichen Dispositionen sowohl kaltblütige Verbrecher hervorgehen als auch rücksichtslos handelnde Unternehmenslenker oder wagemutige Feldherren. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die Eigen- oder Fremdbestimmung, wie Emilie A. Caspar, Julia F. Christensen, Axel Cleeremans und Patrick Haggar (2016) in ihrem Beitrag Coercion Changes the Sense of Agency in the Human Brain zeigen: Wer unter Zwang handelt, erlebt das passiver und damit weniger kontrolliert, als wenn ein eigener Entschluss dahintersteht. Eine Kausalität im Sinne eines zwingenden Beziehungszusammenhangs kann daraus allerdings nicht gefolgert werden. Madeleine Mensch und Martin Rettenberger (2015) zeigen in einer Literaturauswertung über Die Bedeutung des Psychopathy-Konstrukts
13Neuere
Untersuchungen zum Führungsverhalten zeigen, dass die Digitalisierung, durch die eine personale Rückkopplung unterbunden wird, eine aggressive Führung erfordert (Landmann und Strahl 2016) – möglicherweise begünstigt sie diese im Sinne der Milgram-These.
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität
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für die kriminologische und psychologische Erforschung von Wirtschaftskriminalität und abweichendem Verhalten im Arbeitskontext, dass psychopathologische oder gar hirnorganische Abweichungen nur bei einer sehr kleinen Gruppe von (Wirtschaftsstraf-) Tätern Erklärungswert haben. Dabei folgt die Analyse den Kategorien Führung, Produktivität, Arbeitsleistung und Ausbildung, Psychopathie im Kontext abträglichen bzw. wirtschaftskriminellen Verhaltens am Arbeitsplatz und den neurowissenschaftlichen Grundlagen im Kontext der Ökonomik. Sie unterscheiden dabei: 1. Das Psychopathie-Konzept in der klassischen Tradition (Pinel 1809; Rush 1812; Cleckley 1941), das gekennzeichnet ist durch beeinträchtigte Affektivität, Impulsivität, moralische Verwahrlosung, Aggressivität, fehlendes Berücksichtigen negativer Folgen des Handelns bei sich und Dritten; dies wird heute ergänzt (Mensch und Rettenberger 2015; Hare 2003; Smith und Lilienfeld 2013) durch oberflächlichen Charme, Unehrlichkeit, Egozentrik, Manipulation Dritter und Risikofreude. 2. Die dissoziale bzw. asoziale Persönlichkeitsstörung, die auch im kriminellen Verhalten zum Ausdruck kommen kann, ohne dass die Betroffenen dabei Ausformungen der Psychopathie zeigen; die Störungsbilder werden klassifiziert gemäß den Vorgaben der American Psychiatric Association (2003). 3. Die „Dunkle Triade“ als Kombination aus Psychopathie, Narzissmus und Machiavellismus (Jonason und Webster 2010). Dabei wird der Narzissmus gekennzeichnet durch bereits oben erwähnte fehlende Empathie, Anspruchsberechtigung und Selbstüberschätzung (Mathieu und St-Jean 2013). Machiavellismus wiederum zeichnet sich aus durch Unehrlichkeit und Missachtung von Moral, die mit dem Ziel eingesetzt werden, die persönliche Macht auszuweiten (Jonason, Slomski, Partyka 2012). Erfolgreiche Manager oder Unternehmer können leicht unter diese Gruppen fallen, zumal die soziale Stellung eine Selbstselektion erklären könnte – ebenso wie das Rationalbild der Ökonomie, also der homo oeconomicus. In der Psychologie erscheint die Befundlage für die Masse der Täter als unklar; Ökonomen sind sich dieser Nähe sehr viel sicherer. Diese Frage wird anschließend aufgenommen. In jedem Fall wird deutlich, dass durch jahrtausendlange Auswahlprozesse als effizient eingeübte und genetisch verankerte Verhaltensweisen nicht einfach wegfallen, wenn sich die Bedingungen ändern – die alten evolutorischen Programme laufen weiter (Harari 2016, S. 110–116) und suchen sich nur neue Felder. Eine Krankheit wie die Toxoplasmose verringert die Risikoscheu, weil der Parasit als Endwirt die Katze benötigt, weshalb der befallene Zwischenwirt – Säugetiere, damit auch Menschen – hinreichend leichtsinnig und impulsiv sein muss, um dem Endwirt als Nahrung zu dienen. Zugleich erhöht sie den Testosteronspiegel. Wie eine Forschergruppe um Stefanie Johnson (2018) schreibt, variieren die Durchseuchungsquoten erheblich, sowohl nach Ländern wie nach Gruppen, beispielsweise Studiengängen: Gegenüber üblichen 22 % liegt diese bei BWL-Studenten bei 31 %, bei der
140
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Spezialausrichtung Entrepreneurship sogar bei 42 %, sodass sie folgert (Johnson et. al.: 1) „… that infection prevalence was a consistent, positive predictor of entrepreneurial activity.“ Neuere Forschungen im Kontext des Flemish Gut Flora Project (Zittlau 2019) belegen schließlich, dass das Mikrobiom, also die im Körper lebenden Bakterien, erheblichen Einfluss auf die seelischen Dispositionen nehmen. Dabei gilt eine wechselseitige Beziehung, und die als „Big Five“ bekannten Persönlichkeitsmerkmale wie Aufgeschlossenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Verträglichkeit – also Bestandteile der Rücksichtnahme und Empathie – sowie Neurotizismus – also emotionale Labilität und Verletzlichkeit – lassen sich auf konkrete Darmflorakompositionen zurückführen.
3.2.5 Habgier aus Leidenschaft An dieser Schnittstelle zwischen anthropologisch-evolutorisch verankertem Verhalten einerseits und seiner Spiegelung vor dem Hintergrund von Moral und Ethik andererseits ist zu prüfen, welche Rolle das Bewusstsein und die menschliche Fähigkeit zur Reflektion spielen und inwieweit ökonomische Paradigmen, besonders das der Rationalität, sowie die Anreizmechanismen einen Einfluss ausüben. Wo sind das Bewusstsein und gegebenenfalls das Böse im Hirn angesiedelt, und wer weiß das? Die Hirnforscher, die Psychologen oder die Philosophen? „Wie erwächst subjektives Erleben aus objektiver Hirntätigkeit“, lässt Susan Blackmore (2019) den australischen Philosophen David Chalmers fragen. Heute teilt die Kognitionsforschung, wie Andreas Engel (2015) in seinem Beitrag Vom Käfer in der Schachtel, den noch keiner gesehen hat schreibt14, das Bewusstsein in Teilfunktionen und fahndet auf dieser Basis nach den biologischen Grundlagen mentaler Prozesse. Dabei zeigt sich, dass der menschliche Geist ein Evolutionsergebnis ist, und dass der Bewusstseinsprozess eine Integrationsleistung vieler Hirnareale ist. Die totale, aber unspezifische Synchronisierung bewirkt offensichtlich eine totale Blockade, worin die Wirkung von Narkosepräparaten besteht. Weiterhin spielt die Einbettung des biologisch Objektiven in das erlebte Subjektive eine wichtige Rolle, um die Qualität von Ereignissen einzuordnen und in eine Dritte-Person-Perspektive zu bringen. Möglicherweise gibt es irreduzibel subjektive Merkmale des Bewusstseins, die sich naturwissenschaftlich nicht abbilden lassen und ein Konzept über Bewusstsein sinnlos machen. Über das Böse ist gut theoretisieren, und die Kunst hat historisch häufig davon Gebrauch gemacht und macht das heute noch. Nicht umsonst bewegt sich eine künstlerisch ummantelte Aufforderung zur Gewalt oft in Grauzonen, überschreitet gelegentlich Grenzen. Gerade die Literatur verherrlicht Mörder und Kriminalität: Fjodor
14Damit
wird auf das Argument von Ludwig von Wittgenstein (1933) abgehoben, dass es, wenn alle Menschen eine Schachtel mit einem Käfer mit sich führten, den sie sich aber nie gegenseitig zeigten, irrelevant sei, ob dieser tatsächlich existiere.
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Dostojewski (1821–1861) hat diesen in Schuld und Sühne (1869) überhöht, bei Ernst Jünger (1920) werden In Stahlgewittern (1920) Gewaltphantasien ausgelebt, Heinrich Böll (1917–1985) fragt in Ende einer Dienstfahrt (1966), ob Wehrdienstbeschädigung als künstlerisches Happening zu begreifen ist. Es sind vor allem die Surrealisten, die aus einer Position der Moralfreiheit Gewalt als Elixier der eigenen Verwirklichung beschreiben und den Terror als Kunstform hoffähig machten. So schreibt André Breton (1896–1966) in seinem Second manifeste du surréalisme (1930): „L'acte surréaliste le plus simple consiste, révolvers aux poings, à descendre dans la rue et à tirer au hasard, tant qu'on peut, dans la foule.“ Böses Handeln wird erst im Kontext eines Neuro-Feedbacks zum selbst erlebbaren Bösen, was sich im Überschreiten moralischer Grenzen äußert – ein Prozess, der Psychopathen leichtfällt. Adressierte Hirnareal sind der präfrontale Kortex und die im Mandelkern, der Amygdala, verankerte Fähigkeit zur Stressverarbeitung. Darauf wird weiter unten vertieft eingegangen. Können abweichende Verhaltensweisen klar identifiziert und damit geächtet werden? Bis wann sind sie sozial (noch) akzeptabel? Die Theorie des konstanten abweichenden Verhaltens (constant deviant behavior,Quinney 1964, 1965) postuliert, dass es auf der individuellen Angebotsseite eine anthropologisch vorgegebene Bereitschaft zu abweichendem Verhalten gibt und dass gesellschaftliche Konventionen darüber entscheiden, was davon als kriminell, kriegerisch usw. (im Sinne einer Nachfrage) eingeordnet wird. Ist es das Ausleben von Aggressivität oder das Erleben von Selbstwirksamkeit und damit die Abgrenzung von Individuation und Einzelnsein als Entwicklungsmuster, das Paola-Ludovika Coriando (2003) in Individuation und Einzelnsein: Nietzsche – Leibniz – Aristoteles anspricht und das neben der Psychologie auch die Philosophie beschäftigt? Dann nämlich verschiebt sich die anthropologische Disposition zum Anderssein möglicherweise in solche Felder, die vorteilhaft sind, um sich selbst als Individuum zu erleben. Daraus ergeben sich bedenkenswerte anthropologische Folgen: Sind die Banker der Moderne die neuen Konquistadoren, entsprechen sie also den Feldherren der Vergangenheit? Begünstigt nicht die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels (1848) beschrieben wurde, genau diese Verschiebung? Wurde nicht in der Great Transformation von Karl Polanyi (1944) die Gesellschaft als Anhängsel des Markts charakterisiert und deshalb der Begriff der Marktgesellschaft geprägt? Entspricht dem nicht der von Carl von Clausewitz und von René Girard postulierte Zwang zur Eskalation von Konflikten? Nutzen diese Konquistadoren die Sicherheit, in der sich Gesellschaften wiegen, im Sinne der Theorie von Hyman Minsky (1919–1996) in seinem Werk Can "It" Happen Again? – Essays on Instability and Finance (1982) strategisch aus? Für ihn stieg das Risiko des Auftretens einer neuen Krise mit der zeitlichen Entfernung zur letzten Krise. Sind die steten Deklarationen, sich nach dem Aufdecken einer Kalamität, beispielsweise einer Börsenmanipulation oder dem Verkauf giftiger Finanzpapiere, bessern zu wollen, nichts anderes als Lippenbekenntnisse, weil die Organisationsstrukturen eine Orientierung an einer gesellschaftlich akzeptierten
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Ethik verhindern? Entsprechen dem nicht die Sozialisierungsriten junger Hochschulabsolventen in den Investmentabteilungen der Banken, das „two and out“, also das Entlassen der meisten nach zwei Jahren, wenn sie nach 100-h-Wochenarbeitszeiten ausgebrannt sind? Denn im „banker nine-to-five“ drückt sich eine Arbeitszeit von morgens neun Uhr bis fünf Uhr morgens am Folgetag aus, was mit einer Konditionierung bis hin zur Gehirnwäsche verbunden ist. Zumindest weisen Arbeiten von Kevin Ross (2015) darauf hin, und diese Verhältnisse werden als Beispiele für Wirtschaftskriege ebenso wie die der spanischen conquista aufgegriffen, an die sie erinnern. Denn für diesen Personenkreis existiert entweder objektiv keine Rückkopplung, die sie für die Folgen ihres Tuns verantwortlich macht, oder sie sind in der Lage, derartige Risiken auszublenden. Zugleich kann das Engagement für eine Sache, etwas Gutes für die Allgemeinheit geleistet zu haben oder zu leisten, das abweichende Verhalten geradezu heraufbeschwören und in der Selbstreflektion legitimieren. Anna C. Merritt, Daniel A. Effron, und Benoît Monin (2010) führen in ihrem Beitrag Moral Self-Licensing: When Being Good Frees Us to Be Bad aus, dass Individuen ein inneres moralisches Konto aufbauen bzw. in moralischen Gleichgewichten rechnen und damit eine Art inneres Ablasssystem für Fehlverhalten besitzen. Man ist an das Zorn-Konzept von Peter Sloterdijk erinnert. Bisherige Bonuszahlungen geben dieser Vorstellung scheinbar auch ein hohes Maß an Objektivität. Die Theorie der Risikohomöostase (Wilde 1982, 1994) gibt für derartiges wirtschaftskriegerisches Verhalten eine beeindruckende Erklärung: Individuen wollen ihr Risikoniveau aufrechterhalten; werden bestimmte Bereiche sicherer gemacht, die Kosten von Dritten übernommen oder ausgeblendet, dann ist der Einzelne oder die Gruppe bereit, erhöhte Gefahren einzugehen. Benötigen die Individuen für ihr Wohlbefinden ein bestimmtes Risikoniveau, dann verschaffen sie sich dieses auf anderen Gebieten – das Risiko schwappt gleichsam in andere Bereiche, beispielsweise vom Verkehr in den Freizeitsport. Erklärt dies, weshalb Steven Pinker (2011) – jenseits der weiter vorne diskutierten Umrechnung der Opferzahlen auf die relevanten Bevölkerungsgrößen – von einer gegenüber früheren Zeiten friedfertigeren Welt sprechen kann? Haben sich nicht möglicherweise die militärischen Konflikte in neue Bereiche verschoben – beispielsweise hin zu ökonomischen Konflikten? Kompensieren das nicht Länder mit niedriger Kriminalitätsrate, beispielsweise Japan und Finnland, mit erhöhten Suizidraten und vermehrtem Auftreten psychischer Krankheiten? Tatsächlich kann in der westlichen Welt ein Sinken der Verbrechenszahlen festgestellt werden (Economist 2013b), aber es gibt nur wenige Ausführungen zu Substitutionseffekten in Richtung Wirtschaftskriminalität und schon gar nicht in Richtung Wirtschaftskrieg, die aufzuklären schwer, die Täter einer Verurteilung zuzuführen noch schwerer fällt und die eine extrem hohe Dunkelziffer aufweisen. Die Risikohomöostase scheint auch auf individueller Ebene zu wirken. Die Selbstkontrolle ist eine begrenzte Ressource, wie Roy Baumeister und John Tierney (2012) in ihrem Buch Willpower berichten. Wird sie künstlich erzwungen, bahnen sich Ausbrüche anderweitig ihren Weg – es kommt also zu einem Erosionseffekt, sobald ein künstlich
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erhöhtes Niveau erzwungen wird. Selbstkontrolle wird ökonomisch im Kontext der Selbstbindung betrachtet. Sie ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für Führung – aber auch allgemein für das menschliche Zusammenleben. Das nudging – die kleinen Stupser der Verhaltensökonomen – kann den Menschen das Risikogefühl abtrainieren, weil sie sich permanent auf Sicherheitssysteme verlassen – mit fatalen Folgen für das Leben dort, wo diese nicht existieren oder versagen.15 Der Risikosubstitutionsmechanismus ist ein Verhaltensphänomen der Verlagerung von Risiko. Ulrich Blum, Gertraud Foosund Marc Gaudry (1988) zeigen im Verkehrssektor, dass die Gurtanlegepflicht das Sicherheitsgefühl der Autofahrer zwar erhöht, diese deshalb aber riskanter fahren und mehr Unfälle verursachen. Der spezifische Schaden sinkt (besonders bei Gesichtsverletzungen), durch die Zunahme der Schadenszahlen aber verbessert sich der Erwartungswert der Schadenskosten weniger stark als erwartet. Risikobewusstsein, subjektiv als Angst wahrgenommen, macht vorsichtig und senkt folglich die Kosten von Schadensereignissen. Dieses persönliche Risikoniveau variiert nach Kulturen und Persönlichkeitstypen, wie das Phänomen der Selbstüberschätzung (im Extremfall Hybris als extreme kognitive Verzerrung) zeigt. Denn aus dem Überschätzen müsste eigentlich folgen, dass damit Schäden verbunden sind, die eine Korrektur dieses Verhaltens durch persönliche Einsicht oder durch Selektion, also soziobiologisch auslösen. Tatsächlich bringt aber Selbstüberschätzung in Form des damit verbundenen Selbstbewusstseins durchaus Selektionsvorteile (Anderson, Brion, Moore, Kennedy 2012), vor allem deshalb, weil damit der gesellschaftliche Status zunimmt und das Individuum öffentlich kompetent erscheint. Dietrich Dörner zeigt in seinem unveröffentlichten Exposé Großer Mann deutlich, wie stark sich Personen mit Selbstüberschätzung durchsetzen können und selbst eigene Fehler überspielen, um wieder eine dominante Position zu gewinnen. Dabei wird aber gelegentlich auch die eigene Kompetenz zu hoch eingeschätzt, was in modernen Gesellschaften mit ihren Sozial- und Versicherungssystemen, die Misserfolge abfedern, oft nicht auffällt. Denn das Soziale an der Sozialen Marktwirtschaft liegt auch darin begründet, dass Personen, die als Innovatoren Risiko auf sich nehmen, nicht die Existenzvernichtung droht. Damit ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen sozialem Netz als Risikoauffangposition und sozialer Hängematte als Missbrauch derselben. Zweifelsfrei kann dieses im Sinne einer Pervertierung des ursprünglichen Ordnungsgedankens ausgenutzt werden; neben der sozialen Toleranz oder sogar Akzeptanz existierte bis weit in den Anfang der Finanzkrise hinein auch eine Bewunderung draufgängerischer und risikoreicher Verhaltensweisen. Nicht nur die Personen traten großspurig auf, auch ihre Reflektion in der Presse war entsprechend.
15Richard
Thaler und Cass Sunstein (2009) behaupten, dass kleine Anstöße (nudge) viel bewegen können. Denn die Erkenntnis, derer sich bereits Sokrates in der Mäeutik (Hebammenkunst) bediente, lautet, dass die Art, wie eine Entscheidung präsentiert wird, das Verhalten beeinflusst.
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3.2.6 Das Böse, der Sündenbockmechanismus und das Defizitäre des modernen Menschen Damit rückt das, was allgemein als das Böse bezeichnet wird, in das Zentrum der Betrachtung. Immanuel Kant (1792) postuliert in Über das radikale Böse in der menschlichen Natur (1792) und in Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), das Böse sei dem Menschen aufgrund seines Freiheitscharakters immanent und in einer Dominanz der Eigenliebe über die Vernunft begründet. Im christlichen Kulturkreis wird das Böse durch den Teufel symbolisiert. Die moderne Gesellschaft tut sich damit schwer und versucht, es auf Krankheiten zu reduzieren, beispielsweise Hirnschädigungen. Jemanden ein krankes Hirn anzudichten, fällt leichter als Hölle und Feuer anzusprechen, wie Annette Ramelsberger (2018) in Das Böse unter uns schreibt, obgleich es keine wissenschaftliche Kategorie darstellt, die vermessen oder skaliert werden könne. Ähnlich zur Definition des Kriegs und des Wirtschaftskriegs beschreibt es Georg Beirer (2006, S. 65–66) in seinem Beitrag Der Mensch – ratlos vor dem Bösen als etwas, das schadet und zerstört, als ein faktisches physisches Übel, das aber auch zum moralischen Übel wird, weil es als „Tat der Freiheit [ …] das bejahte Nein zum Guten“ ist. Böses wird willentlich getan, um sich und andere zu zerstören – was in christlicher-humanistischer Tradition als massive Entfremdung von sich selbst aufzufassen ist, was möglicherweise aber auch, wie unter dem Stichwort Empathie weiter unten berichtet wird, eine biologische Ursache haben kann. Georg Beirer folgt dem von Carl Gustav Jung (1964) in Der Mensch und seine Symbole etablierten Persönlichkeitsmodell, das postuliert, dass jeder Mensch einen Schatten besitzt als im Ichaufbau vernachlässigte, abgelegte und nicht akzeptierte Teile seiner Selbst oder auch Teile nicht bewusst erfahrener oder kollektiver Elemente. Dieser inferiore Persönlichkeitsanteil, zu dem auch das Böse zählt, kann nun als eine Form der Bewältigung – neben anderen – auf Dritte projiziert werden mit der Folge, dass die eigene Aggression als die eines anderen wahrgenommen wird. Dann ist der eigene Angriff nichts anderes als eine Form der Verteidigung. Ziel muss es folglich sein, das Böse als antithetische Quelle zu erkennen, deren Gegenstück das Gute ist, und es im Sinne einer Synthese positiv zu integrieren. Was wäre – um die Geschichte von Kain und Abel noch einmal aufzunehmen – wenn Gewalt und mörderischer Wettbewerb am Anfang der Kultur stünden? Der Religionsphilosoph René Girardthematisiert das gemeinsam mit Guy Lefort und Jean-Michel Oughourlian in Des choses cachées depuis la fondation du monde (1981). Es existiere eine Gründungsgewalt, die in ein Opfer zugunsten aller umgewertet werde und damit die Gesellschaft reinige. Dieser Sündenbockmechanismus besitzt alttestamentarischen Bezug,16 seine Beispiele reichen aber über das Martyrium Christi bis in die Moderne.
16Anlässlich des jüdischen Versöhnungsfestes bzw. des Festes der Sündenvergebung, Jom Kippur, wurden vom Hohepriester die Sünden des Volkes Israel kundgetan und durch Handauflegung auf einen Ziegenbock übertragen, der anschließend mit den Sünden in die Wüste verjagt wurde und dort vermutlich elend zugrunde ging (vgl. Lev 16, S. 1–16).
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität
145
Damit Der Religionsphilosoph lautet die Frage: Wie viel agonale Rivalitätserfahrung ist nötig, um schließlich ordnungsökonomisches Verhalten zu stabilisieren? Haben scheinbar sinnlose Opfer einen Sinn? Was passiert, wenn diese Sinnstiftungen als gesellschaftliche Erfahrung erodieren? Später thematisiert René Girard (1987) den Sündenbockmechanismus als soziales Verfahren, durch welches eine Verbindung zwischen einer konkreten Bedrohung und dem ausgewählten Sündenbock hergestellt wird, das häufig jeder Logik entbehrt und nur mit psychologischen Erklärungsmodellen nachvollziehbar verstanden werden kann. Dann entledigt sich die Gemeinschaft des Übels in einem kultischen Akt und erfährt eine Versöhnung und Stabilisierung. Nicht uninteressant ist es zu beobachten, dass seitens der Politik die – sicher am Anfang der Weltwirtschaftskrise stehende – Finanzkrise verantwortlich gemacht und damit die Banken in diese Rolle gedrängt werden, um vom eigenen Regulierungsversagen abzulenken. Ian Robertson (2012, S. 299) verweist am Beispiel des Nationalsozialismus und des Holocausts darauf, wie mächtig dieser Sündenbockmechanismus bei nationalen Traumata sein kann. Reuven Brenner (1983: Kap. 4) zeigt in diesem Zusammenhang, dass geschichtliche Prozesse, die durch das Eingehen von Risiko als Wetten oder als Spekulation anzusehen sind, auch zur ethnischen Diskriminierung verwendet werden, um andere Gruppen zu verfolgen, wenn die eigene ökonomische Position unter Druck gerät. In der hier vorgetragenen Begrifflichkeit wird Antisemitismus in seinen ökonomischen Konsequenzen zum Wirtschaftskrieg, genährt von der Vorstellung jüdischer Macht als Erklärung gesellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Erfolges. So war Antisemitismus während der Weltwirtschaftskrise manifest – in Deutschland, aber ebenso in Mitteleuropa oder in den USA. Georg Beirer (2015) spricht in seinem Beitrag über Armut – befreit in Christus die Liebe leben den Umgang des Menschen mit defizitären Erfahrungen aus theologischer Sicht an. Er geht dabei davon aus, dass nur das vom Menschen selbst Erkannte auch von ihm bekämpft werden kann. Der Mensch muss die Abgründe seines Wesens akzeptieren, denn nur dadurch kann er die Antithese, eine selbstgewählte Enthaltsamkeit – hier Armut genannt – finden und seine Defizite erkennen. Damit kann er sich der externen Beurteilung zu entziehen und wird frei, anstatt seine Fehler zu verneinen und sie vergeblich zu bekämpfen. Gier ist nichts anderes als die Opposition zu fehlender Bedürfnisbefriedigung; wird sie erkannt, ist sie allein durch ein bewusstes Zurücknehmen materieller Ansprüche zu heilen. Dann kann sie – in der sozialverträglichen Synthese – zu einem wichtigen gesellschaftlichen Antrieb für Veränderung werden. In dieser Dialektik verweist psychische Armut auf emotionale Defekte mit Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstabwertung, geistige Armut auf das Fehlen von Autonomie und Bereitschaft zur Erkenntnis, moralische Armut findet sich in der Suche nach Wert und Nützlichkeit und in geistlicher Armut manifestiert sich die Vorstellung der Allmacht, eines Kontos, auf das eingezahlt wird, um das Leben zu bewerten. Forderung nach freiwilliger und selbstbefreiender Armut ist nicht Forderung nach Verzicht, sondern ein inneres Lösen von fremden Zwängen. Sie wirkt damit für jedes Wirtschaftssystem, das auf Nützlichkeits- und Effizienzabwägungen basiert, durchaus als Bedrohung.
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3 Das Menschen- und das Ordnungsbild im Wirtschaftskrieg
Eigentlich sind alle Menschen mehr oder weniger labil. Es ist allein die Frage, wie sie damit umgehen. Labilität stellt keine eigene Erkenntniskategorie dar. Psychische Stärke erwächst im Umfang mit dem Negativen – ex negativo – im Angesicht benannter Abgründe und der darauf aufbauenden Fähigkeit, sich selbst zu stabilisieren. Wirtschaftskriegern fällt es möglicherweise schwer, dies in sozial akzeptierten Bahnen zu leisten. Möglicherweise sonnen sie sich in der medialen Berichterstattung vermeintlicher Erfolge, was von einer Vielzahl labiler Persönlichkeiten bekannt ist. Das kann auch süchtig machen, in jedem Fall jedoch bestätigende Rückkopplungseffekte erzeugen.
3.2.7 Der Neid als Katalysator von Kooperation und Zerstörung Deutlich zeigt sich diese Dialektik aus Normalität und sozial zu Sanktionierendem im Neid. Dieser ist ein wesentlicher Regulator zwischenmenschlicher Beziehungen; die Angst vor ihm dämpft und moduliert unzählige Handlungen. So schreibt Helmut Schoeck (1966/1992, S. 14) in seinem Buch Der Neid und die Gesellschaft: „Ich glaube nämlich, zwei Tatsachen zeigen zu können: Einmal, daß der Neid viel universaler ist, als man bis jetzt meistens zugegeben oder auch nur gesehen hat, ja daß er jedes soziale Zusammenleben überhaupt erst ermöglicht. Zum anderen aber halte ich den Neid als unausgesprochenen und zugegebenen Angelpunkt der Sozialpolitik für viel zerstörender als jene eingestehen werden, die ihre Sozial- und Wirtschaftsphilosophie aus ihm herausgesponnen haben.“ Neid ist eine Erscheinung der sozialen Nähe (invidious proximity), im Zweifelsfall zwischen Nachbarn, was eine Verbindung zur rivalitas am Eingang des Buchs herstellt. Dabei geht es nicht um absolute Unterschiede, sondern um deren subjektive Wahrnehmung – der Neidische sucht nach Bestätigung seiner Neidsucht. Zu diesem Befund passen empirische Ergebnisse, wonach nicht die Einkommenshöhe mit der Kriminalitätsrate in Beziehung steht, sondern die (wahrgenommenen) Unterschiede.17 Hieraus erklärt sich möglicherweise auch die Aggressivität Griechenlands gegenüber dem helfenden Deutschland, dem es über die EU und den Euro nahe ist. Neiden ist, wie Helmut Schoeck (1966) weiter ausführt, eine frühe, unentrinnbare und unstillbare Antriebskomponente des Menschen, weshalb er sein Verhältnis zur Umwelt stets so zu organisieren weiß, dass der Neid nicht zur Ruhe kommt. Das für den Wirtschaftskrieg zentrale Konzept der Dominanzerwartungen findet hier seine psychologische Unterfütterung. Wenn ein Mensch oder eine Gruppe gegenüber Dritten zur Einschätzung gelangt, die eigene, objektiv messbare Position, sei subjektiv
17Horst
Entorf und Hannes Spengler (2002) belegen das für Deutschland; Hans-Jörg Albrecht und Horst Entorf (2003) für Europa; vgl. hierzu den Überblick von Thomas Feltes (2005) sowie allgemeine Analysen zum Thema Ungleichheit und abweichendes Verhalten des Equality Trust (https://www.equalitytrust.org.uk/).
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eingeschätzt niedriger als die beanspruchte, und wenn gleichzeitig der Glaube vorherrscht, diese könne möglicherweise sogar erodieren und sei kaum durch eigene Leistungsanstrengungen zu stabilisieren, dann entsteht Positionsneid. Zweierlei folgt hieraus: Soziale Reformen werden diesen Neid nicht verringern. Je mehr man dem Neider durch Geschenke und Wohltaten den vermeintlichen Grund zum Neid nehmen will, umso stärker zeigt man ihm auch die Überlegenheit. Im schlimmsten Fall beneidet er dann den Charakter des Wohltäters, was die Möglichkeiten, Wohltaten auszuüben, begrenzt. Neider sind durchaus bereit, sich selbst zu schaden, wenn sie damit auch dem Beneideten einen Schaden zufügen können – Neid besitzt ein erhebliches Potential zur Selbstdestruktion. Des Weiteren wird in einer Art Übersteigerung der passive Neider zum aggressiven Verbrecher, wenn er der subjektiv erlebten Ungerechtigkeit (dem Schicksal) nachhelfen will. Hierin liegt auch eine psychologische Begründung für das im zweiten Kapitel eingeführte Rationalmodell der Dominanzerwartungen, dem zufolge wirtschaftlich Handelnde, die ihre Position erodieren sehen, besonders aggressiv werden können. Neid ist schließlich ein wesentlicher Treiber der conspicous consumption, eines betont auffälligen Konsumverhaltens, eines Geltungskonsums, auf das Thorstein Veblen (1857–1929) in seiner The Theory Of The Leisure Class (1899) hinwies und das später vertieft wird. Sie ist aber auch eine Quelle der Gewalt, auf die Armin Falk (2017b) in dem Beitrag Status Inequality, Moral Disengagement and Violence hinweist: Positionsunterschiede führten zu einer moralischen Abkopplung, einem Rückgang an Fähigkeit, sich in die Lage des Anderen zu versetzen, und ließen Neid und Verachtung wachsen. Damit reduziere sich auch die Hemmung, diesem Gewalt anzutun.
3.2.8 Wirtschaftskriegerisches Verhalten im gesellschaftlichen Kontext Man kann die individuellen oder kollektiven Ansprüche ins Transzendente verschieben, wenn sie nicht im Hier und Jetzt zu verwirklichen sind, und deshalb führte Karl Marx (1844) aus: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks.“ Denn die Religion kann zur Fähigkeit verhelfen, auch unter widrigen Lebensumständen zufrieden und hoffnungsvoll zu sein, denn sie bietet Vorstellungen an, die den Neidischen vom Neid und den Beneideten von seinem Schuldgefühl und der Furcht vor den Neidern befreien. Der Heidelberger Psychiater Hans-Ludwig Kröber (2012) schreibt dazu im Essay Töten ist menschlich, dass Rivalität als reines Lusterlebnis oder auch als Selbstverwirklichung und Selbstvergewisserung eigener Kräfte Gewaltanwendung wahrscheinlich macht und scheinbar legitimiert. Es geht folglich nicht allein darum, ob Gewaltanwendung mit einem Fehlen an Empathie verbunden ist, sondern auch darum, welche Zerstörungslust, welche Aggressivität in einzelnen Menschen schlummert und welche
148
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Gruppenstrukturen existieren, die diese befördern oder begrenzen. Genau hier setzt die staatliche Führung an, die dieses Verhalten durch Strafandrohung und, im Vorfeld, durch ein Erziehungssystem eindämmen kann. Analog kann nur durch Führung und Durchsetzung eines Gewaltmonopols eine Menge latent gewaltbereiter Menschen im gesellschaftlichen Kontext, ob in der Wirtschaft, in einer Armee oder in der Politik, in Schach gehalten werden. Dem physisch wirksamen Gewaltmonopol des Staats entspricht das ökonomisch wirksame Ordnungsmonopol, das offene Märkte gewährleisten und wirtschaftliche Macht verhindern soll. Wie bei der Aufgabe des Staats, seine Bürger vor Krieg und Terrorismus zu schützen, stellt sich dann die Frage nach dem ökonomischen Schutz – vor allem im Kontext hybrider Konflikte und des ökonomisch getriebenen Terrorismus, den Marc Engelhard (2014) in seinem Buch Heiliger Krieg heiliger Profit beschreibt. Das Führungspersonal nutzt dann gleichermaßen physisch- und ökonomisch-gewalttätige Mittel zur Zielerreichung. Dem entgegenzuwirken ist die Aufgabe staatlicher Führung zivilgesellschaftlicher Profilierung. Diese wiederum wirkt dem Korresponsivitätsprinzip entgegen, wenn dieses im negativen Sinne eines „Gleiches und Gleiches gesellt sich gern“ zu stabilen Kernen gesellschaftlich normwidrigen Handelns degeneriert. Denn hier droht, wie Franz Neyer und Judith Lehnart (2008), Gerhard Roth und Michael Pauen (2008) sowie Gerhard Roth (2012) ausführen, die Stabilisierung von Potentialen zur Persönlichkeitsveränderung besonders dann, wenn der neue Einfluss langanhaltend wirkt. Bei Straftätern lassen sich drei typische Profile unterscheiden: 1. Die instrumentellen Straftäter, die über ihre Umgebung gelernt haben, Gewalt als Strategielösung anzuwenden, weil sie ihnen Status verleiht. 2. Die Täter ohne Fähigkeit zur Stressverarbeitung, die eine unzureichende Impulshemmung für eigenes, reaktives aggressives Verhalten, verbunden mit einem Selbstberuhigungssystem, also einer geschwächten Fähigkeit zur Empathie, besitzen. Meist handelt es sich um eher erfolglose Psychopathen. Tatsächlich fanden Forscher im Kontext der Zwillingsforschung 80 % Übereinstimmung bei Eigentumsdelikten und 50 % bei Gewaltdelikten, was die Idee des „geborenen Verbrechers“ stützt, die auf Cesare Lombroso (1835–1909) in seinem Werk L'uomo delinquente. In rapporto all'antropologia, alla giurisprudenza ed alle discipline carcerarie (1876) zurückgeht, der Verbrecher nach physischen Eigenschaften typisierte. Heute werden genetische Dispositionen, die auf eine Tendenz zu Gewalt hinweisen, betont, weshalb auch das Gen (MAOA = Monoaminoxidase-A) als Krieger-Gen bezeichnet wird (Guo, Roettger, Cai 2008; Beaver, DeLisi, Vaughn, Barnes 2009).18 Auch dem Gen
18Nicht
umsonst debattieren Anthropologen intensiv über die Frage, ob der Mensch an sich zum Krieger „geboren“ ist oder erst die Entwicklung – das Definieren von Eigentumsrechten durch Sesshaftwerden und damit die Erhöhung der Bevölkerungsdichte – wesentliche Auslöser für kollektive Gewaltauseinandersetzungen waren, wie Douglas Fry und Patrik Soderberg (2013) ausführen. An der individuellen Gewaltdisposition wird hingegen nicht gezweifelt.
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität
149
CDH13 wird ein entsprechendes Potential zuerkannt. Allerdings existiert hier kein einfacher biologischer Determinismus, weil auch Umwelteinflüsse im positiven und negativen Sinne wirksam werden können. 3. Schließlich fallen Psychopathen mit hoher Intelligenz, mit Kompetenz für manipulatives Verhalten, gering entwickelter Fähigkeit zur Empathie, chronischer Neigung zum Lügen und oft charismatischer Außenwirkung in die dritte Kategorie; sie sind oft außerordentlich erfolgreich. Erwin Wexberg (1930) reduziert in seinem Werk zur Individualpsychologie diesen Unterschied darauf, dass die einen auf der nützlichen und die anderen auf der von der Gesellschaft nicht akzeptierten Seite stehen. Offensichtlich ist, wie Kevin Dutton (2012, S. 230) ausführt, der Abstand zwischen Führungspersönlichkeiten in Politik, Wirtschaft oder Militär einerseits und krankhaften Psychopathen andererseits sehr gering. Verüben sie Verbrechen, dann ist die Verwunderung oft groß, weil sie vorher selten auffällig geworden sind. Er nennt sieben Prinzipien, die jemanden vom Opfer zum Sieger werden lassen: Skrupellosigkeit, Charme, Fokussierung, mentale Härte, Furchtlosigkeit, Achtsamkeit und Handlungsorientierung. Ihre hohe Risikobereitschaft und mentale Immunität gegen Bestrafungen, ihre Skrupellosigkeit und ihr geringes Empathieniveau prädestinieren sie, Grenzen zu überwinden, an denen andere scheitern. Sie verfügen damit über ein hohes Potential, die Welt zu verändern. Derartige pathologische Narzisse weisen offensichtlich, wie ein Team um den Forscher Stefan Roepke19 zeigt, eine veränderte Hirnaktivität auf, weil die Zellschichten, die für Mitgefühl verantwortlich sind, weniger entwickelt sind.20 Die soziobiologische Forschung erklärt ihre Doppelmoral als folgerichtig infolge des starken inneren Zusammenhangs, der sich gegen Dritte wendet. Die erhöhte Präsenz von Männern wird damit erklärt, dass sie – im Gegensatz zu Frauen als genetisch knappes Gut – einem erheblichen Konkurrenzdruck im Selektionssystem ausgesetzt waren. Die von Hans-Joachim Maaz (2012, S. 23; 60–64) im Buch Die narzisstische Gesellschaft benannten Persönlichkeitsstörungen schreiben den betroffenen Individuen ein basales Minderwertigkeitsgefühl zu, das auch durch Erfolge nicht zu beruhigen ist, vor allem dann nicht, wenn das Rampenlicht erloschen ist. Politische Folgen sieht er in totalitären Gesellschaftssystemen ebenso wie in größenwahnsinnigen
19Vgl.
Bajbouj, Dziobek, Heekeren, Heuser, Roepke, Renneberg, Schulze, Vater (2013). Phänomen wird auf die mandelgroße Amygdala im Hirn zurückgeführt, die für die Entwicklung von Gefühlen und Angst zuständig sein soll. Personen mit Schädigungen dieses Organs zeigen Verhaltensstörungen; bei Gewalttätern ist ihr Volumen oft verringert. Bei Ulrike Meinhof wurden posthum im basalen Teil des rechten Schläfenlappens ausgedehnte Schädigungen festgestellt. Im Jahr 1962 war sie wegen eines Tumorverdachts am Hirn operiert worden (ARTE 2002). Kathrin Hollmer (2016, S. 39) berichtet in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel Drogenhändler sind auch Händler von dem erfolgreichen Experiment, Talente im Gefängnis mit ihrer Kompetenz zu Eigeninitiative und Durchsetzungskraft zu Firmengründern umzuschulen. 20Dieses
150
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nternehmensführern, die ihre mentalen Probleme an ihren Institutionen bis hin zum U Kollaps abarbeiten, dabei Trümmerhaufen – oder im Falle moderner Staaten: Schuldenberge – hinterlassen, die er als „narzisstische Illusion“ bezeichnet. Im Falle von Personen mit Finanzverantwortung wird die fehlende Qualität und Kontrolle über das Berichtswesen moniert, wie Charles Ham, Mark Lang, Nicholas Seybert und Sean Wang (2015) in dem Artikel CFO Narcissism and Financial Reporting Quality zeigen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn gerade besonders selbstbewusste Führungspersönlichkeiten, so schreiben David Hirshleifer, Angie Low und Siew Hong Theoh (2015) in ihrem Beitrag Are Overconfident CEOs Better Innovators, scheinen besonders produktiv zu sein – allerdings nur in hochinnovativen Industrien. Zhou Yi (2016) berichtet über einen bemerkenswerten Selbstverstärkungsmechanismus im Kunstgewerbe: In seinem Beitrag Narcissism and the Art Market Performance führt er aus, dass narzisstische Künstler mehr Erfolg haben und mehr Anerkennung finden und sich das auf ihr Auftreten positiv rückkoppelt. In gewissen Grenzen dient Eigenliebe tatsächlich der psychischen Gesundheit. Diese Konflikt- und Risikoorientierung bestätigen die Forschungen von Nassir Ghaemi (2012), der in seinem Buch A First-Rate Madness postuliert, dass Friedenszeiten gesunde Führungskräfte befördern, während in einer Welt des Umbruchs geistig Kranke im Vorteil sein können. Das von ihm formulierte inverse Gesetz des gesunden geistigen Verstands besagt, dass psychisch Kranke in guten Zeiten behandelt werden, in schlechten Zeiten aber der Gesellschaft von Vorteil sein können. Depressionen, an denen Persönlichkeiten wie Adolf Hitler oder Winston Churchill litten, unterstützten deren Führungseigenschaften, wenn sie hierdurch die Welt klarer sehen lassen – was sie dann für sich auszunutzen verstanden. Wenn hingegen bei den Betroffenen die kognitiven Verzerrungen (eines Tages) ein Niveau erreichen, das es unmöglich macht, rationale und reflektierte Überlegungen anzustellen, dann gilt diese Aussage nicht. Beides, fehlende Klarheit bei der Sicht der Dinge und veränderte Umfeldbedingungen bedeuten für diesen Personenkreis Niedergang und Irrelevanz, die sie meist nur schwer verkraften. So sind zwischen März 2013 und Dezember 2014 weltweit 51 Banker mehr oder minder mysteriös verstorben – Selbstmorde, Morde, Unfälle, Flugzeugabstürze usw. (Kielinger 2014). In China sind 72 Milliardäre in der Zeit von 2010 bis 2016 verstorben, davon 17 offensichtlich an Selbstmord, 14 wurden zum Tode verurteilt, die übrigen starben eher mysteriös wegen gesundheitlicher Probleme oder im Verkehr (Hellmann 2016). Die Einstufungen des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association (2013), die verwendet werden, um (angeblich) kranke Straftäter zu beurteilen, belegen die Kompatibilität mit Eigenschaften von Führungskräften, beispielsweise im erwähnten Narzissmus. Denn Personen mit einer sogenannten Cluster-B-Persönlichkeitsstörung besitzen ein extremes Ego, sind aber kaum fähig, sich in die Lage und die Gedankenwelt Dritter hineinzuversetzen. Sie erwarten infolge ihres geringen Selbstwertgefühls zwar ständig die Anerkennung Dritter und überkompensieren durch eigenes Auftreten, missachten dabei aber oft grundlegende soziale Normen. Offensichtlich sind sie durch ihr Auftreten in der Gesellschaft
3.2 Anthropologische Grundlagen der Rivalität
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sehr wettbewerbsfähig, wobei allerdings das Niveau des Narzissmus nicht die soziale Konkurrenzkompetenz determiniert (Luchner, Houston, Walker, Houston 2011). Vielmehr spielt hier die Frage eine Rolle, ob der Narzissmus in Form von Arroganz, überbetriebenem Selbstbewusstsein oder Aggressivität ausgelebt wird und damit neben einer normalen auch einer übersteigerten Wettbewerbshaltung Vorschub geleistet wird, oder ob er verdeckt ist. Dann treten Personen mit niedrigem Selbstbewusstsein verletzlich und übersensibel auf, zeigen wenig normales Verhalten, reagieren aber in bestimmten Situationen mit einem übersteigerten Wettbewerbsverhalten. Dieses Verhalten zeigt sich auch beim Begleichen alter Rechnungen in öffentlichen Medien, was Narzisse erst recht ins Abseits treibt, da ihre Umgebung sie als feindlich und ausbeuterisch empfindet. Dem gegenüber stehen dissoziale Persönlichkeiten, die sich durch Mangel an Empathie und Ignoranz von Regeln und Werten usw. auszeichnen, weshalb dann auch von dissozialen Störungen gesprochen wird.21 Aus Sicht der modernen Gehirnforschung besteht eine Beziehung zwischen Empathie und dem Großzügigkeitszentrum im Gehirn. Gutes tun führt bei empathischen Menschen zu verstärkten Aktivitätsmustern im sogenannten subgenual anterioren cingulären Kortex (sgACC), d. h. prosoziales Verhalten wird bei diesen Personen belohnt (Lockwood, Apps, Valton, Viding, Roiser 2016). Grundsätzlich lässt sich daher die Frage aufwerfen, was eigentlich als seelisch gesund eingeschätzt wird. Mit Sicherheit zählt dazu die Fähigkeit, eigene psychologische Probleme, von der Gewalt gegen Dritte bis hin zur Gewalt gegen sich selbst, von Verleugnungsprozessen bis hin zu narzisstischen Allmachtphantasien, in sich selbst wahrzunehmen. Damit entsteht ein Raum für Zweifel, eigene Verletzlichkeit sowie interpersonale und eigene Abhängigkeiten seelisch anzuerkennen. Diese als depressive Position bezeichnete innere Einstellung, so führen Marianne Leuzinger-Bohlberger und Heinz Weiss (2014) in ihrem Buch Psychologie – die Lehre vom Unbewussten aus, erlaubt es, frühen Spaltungen der Persönlichkeit vorzubeugen. In der Tat gilt eine derartige Reflexionskompetenz als ein Zeichen psychischer Reife. Das Modell der Spiegelneuronen im menschlichen Hirn, aber auch im Hirn anderer Primaten, weist auf die kultur- und identitätsschaffende Eigenschaft hin, die Zustände anderer Menschen zu spiegeln und damit einen Fremd- aber auch einen Selbsterkenntnisprozess auszulösen.22 Es werden Vorgänge simuliert, um die Welt zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Der Mensch leidet, wenn er das Elend anderer Menschen sieht. Es gibt auch die Möglichkeit, Empathie zu trainieren, was wiederum zeigt, wie bedeutsam positive Referenzgruppen sind, um negative Korresponsivitäten zu durchbrechen. Versuche des Hirnforschers Christian Keysers (2011) verweisen darauf, dass
21Vgl.
auch Sass, H., Wittchen, H.-U., Zaudig, M., Houben, I. (2003) sowie Miller, J., Widiger, T., Campbell, W. (2010). 22Ein klassisches Beispiel ist der Ansteckungseffekt des Gähnens. Allerdings ist aus dem Sich-inden-Anderen-Versenken nicht zu folgern, dass damit gleichzeitig das Tun abgedeckt ist – hierzu muss man erst in dessen Schuhen laufen.
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Psychopathen die Fähigkeit besitzen, das Spiegeln und damit die Empathie abzuschalten. Allerdings wird die reale Existenz der Spiegelneuronen inzwischen bezweifelt (Hickok 2015). Interessant ist in diesem Kontext, dass Schmerzmittel, die das eigene Empfinden reduzieren, auch die Fähigkeit, sich in Dritte hineinzuversetzen, verringern, wie Dominik Mischkowski, Jennifer Crocker und Baldwin M. Way (2016) in From Painkiller to Empathy Killer: Acetaminophen (Paracetamol) Reduces Empathy for Pain, Social Cognitive and Affective Neuroscience ausführen.
3.2.9 Dominanzerfahrungen und biographische Prägungen Dominanzerfahrungen spielen bereits in der sozialen Genese von Kindern eine wichtige Rolle. Wie Manuel Stoiber und Mechthild Schäfer (2013) berichten, verfügt rund ein Drittel aller Kinder über eine hohe Bereitschaft zur Zielverfolgung, also den Willen, andere zur Verfolgung eigener Ziele hinter sich zu scharen und zur Ressourcenkontrolle zu nutzen, was für das Durchsetzen von Dominanzerwartungen als wesentlich erscheint. Dabei werden zwei Strategien sichtbar: Die der Kooperation, um mit Hilfe von Sympathie und Akzeptanz zum Ziel zu gelangen, und die des Erzwingens durch Aggressivität, unter Inkaufnahme, dabei nicht beliebt – aber doch populär – zu sein. Diese Popularität ist oftmals für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche die einzige Möglichkeit, eine Form von Anerkennung (wenn auch negativer Art) zu bekommen. Sie wollen wahrgenommen werden! Die althergebrachte Weisheit: „Besser eine schlechte Kritik als gar keine!“ bewahrheitet sich auch hier. Derartige bullies müssen aber ihre Mobbingstrategie irgendwann durch wohlwollende Kooperationsangebote sozial überwölben, um nachhaltig führen zu können. Gerade durch Konformitätsdruck stabilisieren sich derartige Netzwerke, wie die Konformismusforschung, die auf Solomon Asch (1907–1996) zurückgeht, zeigt. Ohne derartige Zwänge können sich extrem heterogene Gruppen entwickeln, die identitätsübergreifend konstituiert sind, wie Forschungen von Johnson et al. (2009) zeigen. Verglichen wurden Straßengangs, die weitgehend als öffentliche Bedrohung angesehen werden, und Internetspielforen, die extreme heterogen im Hinblick auf Alter, Geschlecht, gesellschaftlichen Hintergrund usw. konstituiert sind. Beide bauen arbeitsteilige Teams auf, sind also damit nicht monolithisch. Das Ergebnis entspricht auch Forschungen zur Entstehung internationale Verbrechenssyndikate. Wie eine Arbeitsgruppe um Martin Obschonka et al. (2013) feststellt, waren viele Führungskräfte in jungen Jahren sozial auffällig und zeichneten sich durch häufige Regelverstöße aus. Risikodispositionen hängen schließlich auch, wie eine Forschergruppe um Vladas Griskevicius et al. (2013) belegt, stark von den Einflüssen auf einen Menschen während seiner Kindheit ab. So sind Menschen, also auch Führungskräfte, dann bereit, kurzfristig Risiken einzugehen, wenn sie als Kinder in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sind. Umgekehrt hat ein wohlhabendes Milieu in der Kindheit ein risikoärmeres und vorsichtigeres Verhalten zur Folge. Der unbändige Aufstiegswillen ist oft Schlüsselerlebnissen geschuldet, beispielsweise der Sichtbarkeit fehlerhafter eigener Routinen, die
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sozial verankert sind und aus eigener Sicht ein einsames und gefühltes Außenseitersein im Kontrast zu erfolgreichen Handlungsweisen der Referenzgruppe konstruieren. Die Prägungen in frühen Lebensphasen bestätigen auch andere Untersuchungen. Ulrike Malmendier und Stefan Nagel (2011) führen in ihrem Beitrag Depression Babies: Do Macroeconomic Experiences Affect Risk-Taking? aus, dass sich die Theorie, nach der beispielsweise Personen, die während der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre negativen makroökonomischen Schocks ausgesetzt waren, eine verminderte Risikobereitschaft zeigen, bestätigt hat. In der Tat weisen ihre Untersuchungen aus, dass Personen, die in früheren Zeiten durch Erfolge an der Börse geprägt wurden, risikobereiter investieren. Grundsätzlich gilt offensichtlich, dass das Erleben ökonomischer Unruhen den Risikoappetit begrenzt, wie Samuli Knüpfer, Elias Rantapuska und Matti Sarvimäk (2014) im Beitrag Labor Market Experiences and Portfolio Choice: Evidence from the Finnish Great Depression zu Anfang der neunziger Jahre nachweisen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Luigi Guiso, Paola Sapienza und Luigi Zingales (2014) in ihrem Beitrag Time Varying Risk Aversion, der das Risikoverhalten italienischer Bankkunden nach dem Aktiencrash Ende der neunziger Jahre untersuchte, das als panisch beschrieben wird. Neben diesen gesellschaftlichen Einflüssen besteht allerdings auch eine genetische Risikodisposition, auf die Amir Barnea, Henrik Cronqvist und Stephan Siegel (2010) in ihrem Artikel Nature or Nurture: What Determines Investor Behavior? auf der Basis von Zwillingsstudien verweisen. Niederländische Forscher führen aus, dass Methylierungen, also das Auslesen der DNS, durch eine Hungererfahrung, verändert werden – so geschehen im niederländischen Hungerwinter 1944/1945: Die damals als „Hungerbabys“ geborenen Frauen brachten wiederum auffallend kleine Kinder zur Welt, die auch überdurchschnittlich häufig an kardiovaskulären Krankheitssymptomen litten. Tatsächlich zeigt die Epigenetik, also die Lehre von den Faktoren, die die Aktivität von Genen beeinflussen, dass schädliche Chemikalien, Entbehrungen oder Stress, insbesondere traumatische Erfahrungen, die Aktivitätsmuster der Gene verändern können (Czaja 2008), ohne in die Folgestruktur der DNA einzugreifen. Diese Effekte können auch noch in Folgegenerationen wirksam werden (Skinner 2015). Das Elternhaus kann eine gewichtige Rolle spielen. Kinder aus reichem Haus besitzen häufig ein großes Ego, ihre Neigung zu narzisstischem Verhalten nimmt mit dem elterlichen Vermögen zu und ihre Fähigkeiten als Vorgesetzte ab, wie Sean R. Martin, Stéphane Côté und Todd Woodruff (2016) im Beitrag Growing Up Wealthy Makes Leaders More Narcissistic schreiben. Auch die ersten Erfahrungen beim Berufseinstieg prägen den Charakter. Wie Antoinette Schoar und Luo Zuo (2011) in ihrem Beitrag Shaped by Booms and Busts: how the Economy Impacts CEO Careers and Management Style berichten, führt ein Karrierebeginn in wirtschaftlich schlechten Zeiten dauerhaft zu einer eher konservativen Einschätzung von Risiken als wenn die ersten beruflichen Schritte in einer boomenden Wirtschaft gegangen worden wären. Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so scheinen negative Schocks die Risikoscheu zu erhöhen, aber ungünstige Lebensumstände sie zu verringern – möglicherweise weil nur durch das Eingehen von Risiko ein Entkommen aus dieser scheinbar aussichtslosen,
154
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inferioren Lage möglich ist und im Gegensatz zu bereits Erfolgreichen der Rückfall auf die ärmere oder weniger einflussreiche Position im Sinne einer Verlustangst nicht so schmerzhaft empfunden wird. Claude Aqueveque und Catherine Encina (2010) sprechen im Zusammenhang mit Unternehmen von sozialem Zynismus, wenn die Führung zur Verantwortung für ihr Umfeld23 keinen Zugang hat. Die letztgenannte Gruppe trifft man im Buch Tod eines Investment-Bankers – Eine Sittengeschichte der Finanzbranche von Nils Ole Oermann (2013a) zuhauf und auch das typische Verhalten der Bullies, Truppen hinter sich zu scharen. Das gilt nicht nur für Branchen, sondern möglicherweise auch für Regionen: Auch das Silicon Valley scheint solche Individuen anzuziehen, die ganz im Gegensatz zur amerikanischen Tradition der Philanthropie der Erfolgreichen ihr Vermögen kaum für wohltätige Zwecke zur Verfügung stellen. Wiederum anders gewendet: Veränderungen von Beziehungsstrukturen sind damit von entscheidender Bedeutung, um abweichendes Verhalten zu verändern (Neyer, Lehnart, Eccles 2010). Das Verschwinden von Hierarchie hingegen bedeutet dann eine Bedrohung, weil in spontanen Netzen von Beziehungsstrukturen, in einem Schwarm der Gewalt, eine Steuerung von außen versagt. Jana Cahlíková, Lubomir Cingl und Ian Levely (2016) zeigen schließlich in ihrem Beitrag How Stress Affects Performance and Competitiveness across Gender, dass Frauen unter Druck weniger kompetitiv sind, was auch ihre unterschiedliche Leistungsfähigkeit im Arbeitsmarkt erklären könnte. Man möchte ergänzen: Möglicherweise bauen männlich dominierte Arbeitswelten derartige Stressfaktoren bewusst auf, um weibliche Konkurrenz zu vermindern – wie das Buch von Maureen Sherry (2016) impliziert.
3.3 Der personale Kern: Geld, Gier, Größenwahn Wie weiter oben ausgeführt, liefert die Psychologie in den Theorien des constant deviant behavior, der Risikohomöostasis und des Korresponsivitätsprinzips drei wesentliche Erklärungsansätze für das Auftreten exzessiver Rivalität in Gestalt von Normen überschreitenden Formen der Auseinandersetzung, • weil in einer Gesellschaft eine gegebene Streuung von Verhaltensweisen und damit auch abweichendes Verhalten existiert, dessen Normwidrigkeit über einen gesellschaftlichen Konsens definiert wird – und das gilt auch für kriminelles, also extrem normwidriges Verhalten;
23Dies gilt besonders für CSA (Corporate Social Accountability) und CSR (Corporate Social Responsibility).
3.3 Der personale Kern: Geld, Gier, Größenwahn
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• weil Menschen versuchen, ihr persönliches Risikoniveau konstant zu halten, sodass risikovermindernde Maßnahmen, beispielsweise ein Bonussystem der Bezahlung ohne Malus, die Risikobereitschaft erhöht; • weil sich Menschen dem Korresponsivitätsprinzip folgend ihre Umwelt und ihr Umfeld nach ihren Persönlichkeitseigenschaften aussuchen, was wiederum die eigenen Charakterausprägungen verstärken kann. Der Wille zur Macht überwölbt dies – und auch der Wille, einer Macht zu gehorchen, von dieser also Entscheidungen abgenommen zu bekommen. Denn häufig zerfällt Ordnung, wenn Macht nicht ausgeübt wird und ein Machtvakuum längere Zeit besteht. Feldherren der Moderne, des Zeitalters dynamischer Großunternehmen, die sich unter den Zwang der Eroberung von Märkten setzen und sich damit eine ständige Expansionskrise einreden, sind deshalb meist narzisstische Persönlichkeiten, besonders in der IT-Branche und in der Finanzindustrie. Investmentbanker können mit Stammesführern, Kreuzrittern und Konquistadoren verglichen werden. Sie bedienen sich übrigens eines ähnlichen Vokabulars – und ihre „Truppen“ rekrutieren sich praktisch aufgrund einer charakterlichen Ähnlichkeit selbst. Als Papst Urban II. am 27. November 1095 zu den Kreuzzügen aufrief, schallten die Ritter: „Deus lo vult“ – „Gott will es“. Am 8. November 2009 erklärte der Chef von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, der staunenden Öffentlichkeit „Ich bin ein Banker, der Gottes Willen verrichtet“. Für diesen „Gottesdienst“ bezog er im Jahr 2012 ein Einkommen von 13,3 Mio. € (Süddeutschen Zeitung 2013d).24 „Wir sind Raubtiere!“ pflegte Lawrence Ellison, Chef von Oracle, seinen Mitarbeitern einzuhämmern, Konkurrenten sind Feinde, Oracle eine Firma der Krieger. Ihr Schlachtruf: „Wir killen sie, wir killen sie!“ (Ziegler 2003). Wirtschaftskrieger haben die Routinen ihrer Durchsetzung oft von klein auf eingeübt, sie sind also Profis und haben als Aufsteiger eine geringe Verlustangst. Das ist typisch für eine Vielzahl von historischen Persönlichkeiten wie Francisco Pizarro (1476 oder 1478– 1541) und Hernán Cortés (1485–1547), aber auch für John D. Rockefeller (1839–1937), Edwin Mitchel (1953–2000) oder dessen Ziehsohn Anju Jain (1963–). So soll Franzisco Pizarro, der das Inkareich zerstörte, Schweinehirt gewesen sein. Hernán Cortés kam aus dem verarmten spanischen Kleinadel. Seine Truppen sammelte er vor allem aus seiner Region, und diese Homogenität, also der Verzicht auf die Meinung Dritter und den Diskurs, erleichtern das Radikalisieren in der Gruppe. Beide metzelten, technologisch weit überlegen, gnadenlos die Azteken bzw. Inkas in Mittel- und Südamerika nieder.
24Diese
Vorstellung göttlicher Vorhersehung und sozialdarwinistisch geprägter Herrschaftslegitimierung hat bei englischen und amerikanischen Führungskräften Tradition und liegt in einer sehr profanen Interpretation der Lehre des Jean Calvin begründet; typisch war es für die Gründergeneration des amerikanischen Industrie- und Finanzwesens, beispielsweise George ‚Divine Right‘ Baer, John Pierpont Morgan, John D. Rockefeller oder Andrew Carnegie (Engdahl 2009, S. 30–31, 62). Damit verbunden war auch ein geopolitischer Expansionismus, der im „Manifest Destiny“ von 1845 niedergelegt ist. Dies wird im fünften Kapitel vertieft.
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Tatsächlich erhöhen ethnische Fraktionierungen die Transaktionskosten (Alesina et. al. 2003) und senken die Leistung. Dies fördert Echo-Blasen und begünstigt die eine Radikalisierung der Gruppe. Wie Nils Ole Oermann (2013a) in seiner Sittengeschichte beschreibt, treffen auch auf Investmentbanker diese Charakteristika vollumfänglich zu, beispielsweise auf den von ihm beschriebenen Edson Mitchel, der sich gerne als Gott bezeichnete. Anshu Jain, der seine Nachfolge antrat, konnte seinen Freund Bill Broeksmit nicht als Risikovorstand inthronisieren, weil man Angst vor dem „Durchmarsch“ von Anshu‘s army hatte. Im soziobiologischen Sinne trifft hier das Phänomen der hohen internen Identität, die Aggressivität nach außen wirken lässt, zu. Gerne wird in diesem Kontext auch von narzisstischem Verhalten gesprochen. Man darf aber nicht verkennen, dass diese Risikobereitschaft, die den Willen – meist auch die Aufgabe – Gewinne zu erzielen, schnell in Gier umschlagen lässt, auch von einer Kaskade scheinbar Unbeteiligter getrieben wird, beispielsweise von den Aktionären und deren verzweifelter Suche nach rentablen Anlagen in einem Niedrigstzinsumfeld. Das Handelsblatt (2014b) nannte den früheren Chef von Goldman Sachs Deutschland, Alexander Dibelius, einen „Hai“ und charakterisiert ihn wegen seiner asketischen Lebensweise, seiner Durchsetzungskraft und Unerbittlichkeit als „Deutschlands härtesten Banker“. Bei Wirtschaftskriegern bisher nicht sichtbar ist das, was im Militärischen als ritterliches Verhalten bezeichnet. So sprachen auch seine Gegner immer mit höchster Anerkennung vom „Wüstenfuchs“ Generalfeldmarschall Erwin Rommel (1891–1944). Dem amerikanischen General Douglas MacArthur (1880–1964) besaß im Jahr 1945 die Weitsicht, Kaiser Hirohito (1901–1989) auf dem Thron zu belassen, um der sehr traditionellen japanischen Gesellschaft den Übergang Japans zur Demokratie zu erleichtern. Hier ordnet sich auch das Singen der ersten Strophe der deutschen Nationalhymne im Jahr 2008 der Chefs der irischen Pleitebank Anglo-Irish, David Drumm und John Bowe ein. Sie amüsierten sich darüber, dass sie das u. a. von Deutschland zur Rettung der irischen Banken eingelegte „dumme deutsche Geld“ nie zurückgeben würden (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013c).25 Die wegen risikoreicher Spekulationsgeschäfte und illegaler Kredite in Schieflage geratene Bank musste vom irischen Staat mit rund 34 Mrd. € aufgefangen werden, was den Staat beinahe selbst in die Insolvenz gestürzt hat. Die verantwortlichen Vorstände Willie McAteer und Pat Whelan wurden anschließend strafrechtlich verurteilt. Zeichneten sich bisher vor allem Banker durch dieses Zur-Schau-Stellen von Omnipotenz aus, so übernehmen inzwischen sogenannte aggressive Investoren deren Rolle und versuchen, Unternehmen mit einem durch erhebliche Finanzmittel gehebelten Psychoterror ihren Willen aufzuzwingen.
25Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung (2019c) verweist darauf, dass das deutsche Geld wirklich dumm ist. Die Rentabilität seiner Auslandsinvestitionen liegt weit unter dem internationalen Durchschnitt. Die USA erzielen fast das Dreifache. Damit werden die Erträge der Exportüberschüsse verschleudert.
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Wirtschaftskrieger sonnen sich gerne in ihren Allmachtphantasien, und ab einem bestimmten Umkipp-Punkt empfinden sie sich als Superstars, beuten tatsächlich ihre Unternehmen eher aus als Leistung abzuliefern:26 Sie verdienen mehr Geld als die Kollegen, betreiben Öffentlichkeitsarbeit und schreiben Bücher. Nach öffentlichen Auszeichnungen besteht das Risiko einer Kernschmelze ihrer Leistung, weil sie glauben, sie seien so, wie sie wirken bzw. ihre Wirkung medial inszeniert haben, wie Ulrike Malmendier und Geoff Tate in ihrem Artikel Superstar CEOs (2009) ausführen. Ein skurriles Beispiel für einen aus dem Ruder gelaufenen Firmenführer ist Jean-Marie Messier, Chef von Vivendi, der sich in seiner Autobiographie als J6M bezeichnete (Jean-Marie Messier Moi-Même-Maître-du-Monde; Messier 2000). Bernd Neubacher (2015) berichtet in seinem Artikel Banker überschätzen sich über eine von IBM durchgeführte Studie, die ein beachtliches Auseinanderklaffen von Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung bei Bankern konstatiert, wobei das im Vermögensmanagement besonders extrem ist. Hier ordnen sich die sogenannten aktivistischen Aktionäre bzw. ihre Beteiligungsgesellschaften ein. Berüchtigt ist beispielsweise der amerikanische Fonds Eliott mit seinem Chef Paul Singer, der mit nur 3 % Anteil am Essener ThyssenKrupp-Konzern den Vorstandsvorsitzenden, Heinrich Hiesinger, und den Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner, binnen kürzester Zeit zum Abdanken zwang, um freie Hand bei der Aufspaltung des Konzerns zu bekommen. Es wird in diesem Kontext von Psychoterror und Druck gesprochen, der auch im privaten Umfeld aufgebaut wird, wie Sven Astheimer (2018) in seinem Beitrag Deutschlands kostbarster Schatz (2018) berichtet. Derartige Führungspersönlichkeiten zerstören, betrügen und manipulieren ohne die geringsten Schuldgefühle. Ihre Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen, also ihre emotionale Intelligenz, macht sie zu potenten Manipulatoren. Ein Mangel an Empathie ist hilfreich, um moralische und legale Bedenken auszublenden. Stellt man die erwünschten Eigenschaften von Führungspersönlichkeiten den psychopathischen Ausprägungen (jeweils in Klammern) gegenüber (Dutton 2012, S. 159), dann wird klar, dass die Distanz zur Anomalie oft sehr gering und oft auch nicht unmittelbar augenfällig ist. • • • • •
Charisma (oberflächlicher Charme) Selbstsicherheit (Größenwahn) Fähigkeit, zu beeinflussen (Hang zur Manipulation) Überzeugungskraft (Hochstapelei) Visionäres Denken (Phantasien, Erdichten komplizierter Geschichten)
26Tatsächlich befördern Leistungsdruck und die Illusion, Leistung sei etwas Individuelles, sie sei Teil eines individuellen Designs, diese Allmachtphantasien. Damit entsteht eine Wirkungskette hin zu Herrschaftswillen und schließlich den rivalitätsfördernden Dominanzerwartungen. Auch die beschriebenen charismatischen Wirtschaftskrieger benötigen ihr Umfeld, wie mehrfach dargestellt wurde. Damit muss auch Leistung im individuell-kollektiven Spannungsfeld verortet werden (Verheyen 2018).
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• Fähigkeit, Risiken einzugehen (Impulsivität) • Handlungsorientierung (Erlebnishunger) • Fähigkeit, schwierige Entscheidungen zu treffen (Gefühlsarmut) Die folgenden zwei Beispiele, nämlich die Identifikation der historischen Konquistadoren und der Verursacher des LIBOR-Skandals (und ähnlich gelagerter anderer Bankskandale) als Wirtschaftskrieger, zeigen sehr deutlich, wie wichtig bestimmte Persönlichkeitseigenschaften für nachhaltig rivales Handeln sind.
3.3.1 Konquistadoren und andere Wirtschaftskrieger in der Geschichte Die conquista war zunächst ein Instrument des spanischen Königreichs, neue Gebiete zu erschließen (Mondfeld 1981; Bartolomé 2002; Siegert 2006). Die Konquistadoren setzten sich zusammen aus Abenteurern, Söldner, Händlern, auch begleitenden Geistlichen, die den christlichen Glauben in die eroberten Gebiete tragen sollten. In der Regel erwarb der Chef einer solchen Gruppe, beispielsweise Hernán Cortés, das Recht auf die Erschließung des vereinbarten Gebiets, das aber mangels geographischer Kenntnisse meist nur unbestimmt abgegrenzt werden konnte. Diese Lizenz beinhaltete das Recht, die Kolonie wirtschaftlich auszubeuten, also Waren zu importieren und zu exportieren. Dafür erhielt die Krone eine Lizenzzahlung. Sie war nur insoweit an der conquista beteiligt, als ihr bestimmte Rechtssetzungen und Gerichtsbarkeiten zustanden, weshalb sie nach der Eroberung zunehmend in die Länder „einsickerte“ und diese schließlich übernahm. Die Interdependenz zwischen Ökonomie und Krieg zeigt sich im Kontext der Kolonialisierung, hier beispielhaft dargestellt am Gewürzhandel. Vom 12. bis 15. Jahrhundert wurde dieser von den Arabern und Phöniziern organisiert und kontrolliert. Zölle und Gewinnspannen bewirkten, dass vorrangig die reicheren Teile der Gesellschaft in den Genuss von Gewürzen kamen. Venedig war besonders begünstigt, handelte es doch mit den Arabern, die wichtige Land- und Schiffswege kontrollierten, wodurch sie zum dominanten Anbieter für diesen exklusiven Markt in Europa wurden. Diese Monopolstellung der Venezianer zu brechen, war das Ziel Spaniens und Portugals, weshalb sie einen eigenen Handelsweg zu den Gewürzinseln zu finden suchten, um Venedig als Zwischenhändler abzulösen. Christoph Kolumbus (1451–1506) vermutete, einen Seeweg nach Indien gefunden zu haben, als er am 12. Oktober 1492 auf Land stieß – tatsächlich entdeckte er den bis dahin unbekannten Kontinent Amerika. Gewürze konnten von dort nicht beschafft werden, sondern vielmehr Gold, was Portugals und Spaniens Wirtschaft langfristig durch den ressource curse – den Fluch der Rohstoffe – und durch das, was später bei Daron Acemoglu und James Robinson (2012) als extraktives Handeln bezeichnet wird, schwer schädigte und eine Vielzahl von Staatsbankrotten auslöste.
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Im Jahr 1497 erhielt Vasco da Gama (ca. 1469–1524) vom portugiesischen König den Auftrag, den Seeweg nach Indien zu finden, den sein Landsmann Bartolomeu Dias (1450–1500) bereits zum Jahreswechsel 1487/1488 durch die Umfahrung des Kaps der Guten Hoffnung vorerkundet hatte. Mithilfe des Lotsen und seinerzeit besten Kenners des Indischen Ozeans, Ahmed Ben Madjid (1432–1500), gelangte er am 20. Mai 1498 zur Hafenstadt Kalikut an der Malabarküste, dem größten Umschlaghafen für Gewürze. Der Vertrag, den Vasco da Gama abschloss, sah vor, dass Portugal den Erwerb von Pfeffer, Nelken und Ingwer mit Gold, Silber und Korallen bezahlen sollte. Tatsächlich lieferte er bei seiner Rückkehr Krieg, erzwang die Vertreibung der ansässigen arabischen Händler, richtete rücksichtslos Hunderte Pilger, die nach Mekka unterwegs waren, hin und etablierte so die Dominanz Portugals im indischen Gewürzhandel. So wurde der Weg zu den Gewürzinseln geöffnet und die bisherigen Handelswege ausgetrocknet. Die Engländer, die einen Zugang zu Gewürzen über den Nordpol suchten, scheiterten dabei kläglich. Besonders deutlich wird die wirtschaftskriegerische Dimension an einem Gewürz: der Muskatnuss. Nachdem sie schon immer ein begehrtes Handelsgut war, beginnt ihr ökonomischer Durchbruch mit der Vorstellung, sie helfe gegen die Pest, die um 1550 wieder einmal in London grassierte. Wie die anderen Gewürze kam sie traditionell über verschlungene Wege aus Konstantinopel über Venedig nach London und wurde dort von Heilpraktikern zu horrenden Preisen verkauft. Die Nachfrage nach Muskatnüssen als Heilmittel stieg, und nun stellte sich die Frage, wie man die Herrschaft über die Gewürzinseln erlangen könne. Es waren die Niederländer, die mit Brutalität und Geschick zunächst eine große Aktiengesellschaft aus der Taufe hoben, die Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), die wagemutige holländische Kaufleute im Jahr 1602 gemeinsam gründeten. Ein Ziel dieser bis ins 18. Jh. hinein größten Handelsorganisation der Welt war es, die portugiesisch kontrollierten Gewürzinseln unter ihre Herrschaft zu bringen und ein Handelsmonopol für die Muskatnuss zu errichten.27 Dafür setzten sie Jan Pieterszoon Coen ein, der, wie Werner Sombart (1913a) beschrieb, die Eigenschaften eines Seeräubers mit denen eines bürgerlichen Kaufmanns auf das Beste vereinte. Er vertrieb die Portugiesen aus dem heutigen Indonesien und brachte die Muskatnussproduktion unter seine Kontrolle. Nebenher wurden tausende Einheimische getötet, verschleppt oder zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Profitmaximierung durch Monopolisierung der Gewürzproduktion und ihres Handels, wobei in diese Mission auch religiöse Vorstellungen des Calvinismus, der zivilisatorischen Überlegenheit und der persönlichen Allmacht eingingen. Die
27Vgl.
hierzu Paetsch (2014), Kühn (2012).
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unbedingte Gefolgschaft der Untergebenen, hier der Söldner und Mitglieder der VOC, eröffnete die Möglichkeit, sich an dieser Allmacht beteiligt zu sehen. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die VOC, insbesondere Jan Pieterszoon Coen, der im Alter von 34 Jahren die Führung des Expeditionscorps übernahm. • Die portugiesische Krone und ihre Handelsorganisationen, die 1621 den Handel weitgehend kontrollierten. • Die indigenen Stämme Indonesiens. Kriegsmittel: • Ausnutzen der technischen Überlegenheit durch bewegliche Schiffe, Feuerwaffen und extreme Rücksichtslosigkeit. • Aufbau effizienter Institutionen, die die Produktion und den Handel zur Profitmaximierung rechenbar machten. Kriegsziel: • Monopolisierung der Wertschöpfungskette der ostindischen Gewürze, insbesondere der Muskatnuss; Aufbau eigener territorialer Herrschaftsstrukturen als Unternehmen. Kriegsfolgen: • Dominanz im Gewürzhandel für fast 150 Jahre. In der damaligen Zeit herrschte auch zwischen den beiden Seefahrernationen England und Holland heftige Rivalität, nicht nur um die Gewürzinseln, sondern auch um die Halbinsel Manhattan, deren Gouverneur der bekannte Peter Stuyvesant war. Für die Engländer war sie ein wichtiger Brückenkopf im Pelzhandel. Nach einem erbitterten Krieg, der die beiden Länder auch als Handelsnationen schwächte, einigte man sich in einem Friedensvertrag auf einen Inseltausch – die Engländer bekamen Manhattan und die Holländer die Molukkeninsel Run mit ihren Muskatnusswäldern, und damit gewann die Ostindienkompanie für mehr als ein Jahrhundert das absolute Monopol auf die Muskatnuss. Aber die Freude darüber währte nicht ewig: Ein findiger Franzose, Pierre Poivre (1719–1786), reiste als Kundschafter, ähnlich wie später Alexander von Humboldt, durch die Welt, bis es ihn als Verwalter auf die Insel Mauritius verschlug, nicht weit von Madagaskar entfernt. Dort wurde er zum Landwirt und entdeckte, dass man auch dort die Muskatnuss profitabel anbauen kann, weshalb er deren Samen er zwischen 1769 und 1790 durch Raub und Schmuggel von den Banda-Inseln in den südlichen Molukken beschaffte. Durch
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den Anbau auf Mauritius und im karibischen Grenada brach er das holländische Monopol, und die Möglichkeit, bis zu 60.000 % Gewinnspanne zu realisieren, hatte ein Ende. Die Tradition der europäischen Kolonialmächte, militärische Kriege anzuzetteln, weil sie wirtschaftskriegerisch die beanspruchte Dominanz nicht hinreichend erfolgreich durchsetzen konnten, findet seine Entsprechung im Ersten Opiumkrieg (1839– 1842), den England führte, um sein Handelsdefizit infolge der Tee- und Seidenkäufe von China durch einen forcierten Export eigener Waren nach China – besser: durch das In-Den-Markt-Pressen von bengalischem Opium – auszugleichen und dabei die chinesische Gesellschaft nachhaltig ruinierte. Die Parallelen zur modernen Finanzwelt sind verblüffend. Auch hier ist es eine Gruppe von Männern mit unterschiedlichem Hintergrund in Ausbildung und Herkunft, die nicht mit bestimmten Finanzinnovationen erschlossene Märkte erobern, um dort ihre Produkte zu vertreiben. Ihre Strategie ist dabei rein extraktiv orientiert, Nachhaltigkeit spielt keine Rolle. Der religiösen Bekehrung der Eroberten entspricht die wirtschaftliche Bekehrung, die suggeriert, dass die Märkte ohne diese Innovationen nicht mehr funktionieren können. Vor allem die holländischen und englischen28 Handelsorganisationen können heute als hochprofessionelle Privatinstitutionen angesehen werden, die den hybriden Wirtschaftskrieg als Erwerbsmodell professionell betrieben, sich eine dauerhafte Privatfinanzierung durch Anteilsausgabe – im Gegensatz zur häufigen Projektfinanzierung der spanischen und holländischen Konquistadoren – sicherten, klare Rahmenverträge mit dem Staat aushandelten sowie das Anreizproblem (Agencyproblem) mit den Partnern in der Unternehmensführung und den Beschäftigten lösten und dabei effiziente Kommunikationskanäle entwickelten. Ihre Governance war damit ursächlich für die Entwicklung des modernen Kapitalismus gerade in diesen beiden Ländern. Diese Breite zwischen Ehre und Gewalt spiegelt sich auch in dem von Werner Sombart (1913a) vorgetragenen Unternehmerbild wieder. Im deutschen Kulturraum, ist vor allem Klaus Störtebeker (1360–1401) als Pirat bekannt. Vermutlich hieß er Johann Störtebeker und war ein Vitalienhändler, also ein Geschäftsmann, der im Übergang von Mittelalter zur Neuzeit seinen Lebensunterhalt aus dem Verkauf von Beutegut verdiente und dabei die noch vorhandenen Freiräume, die erst die fürstlichen Territorialstaaten schlossen, nutzte (Rohmann 2011). Im englischen Kulturraum stellt Sir Henry Morgan (1635–1688) eine der schillerndsten Figuren dar, gelang es ihm doch, die Seiten mehrfach zu wechseln: Admiral und Eroberer von Panama, Freibeuter im Dienste Englands gegen Spanien, dessen Kopf die spanische Krone nach dem Friedensschluss von Breda (1672) forderte, bis hin zur Ernennung zum Vizegouverneur von Jamaika mit dem Auftrag, den Schutz gegen Piraten zu organisieren (Minster 2017).
28Neben der holländischen VOC sind die British East India Company oder die Hudson Bay Company zu nennen.
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3.3.2 Der Libor-Skandal: Gier frisst Verstand Unternehmerisches Handeln wirkt durch die periodischen Anspannungen infolge punktueller Herausforderungen auf den menschlichen Metabolismus wie das Agieren eines Feldherrn auf den Krieg – und am extremsten erscheint hierbei die Finanzindustrie. John Coates (2012) beschreibt in seinem Buch The Hour Between Dog and Wolf: Risk-Taking Gut Feelings and the Biology of Boom and Bust, was ebenso wie in den obigen Ausführungen als Glücksspiel, aber auch durchaus kriegsähnlich (Coates 2012, S. 3 „non-lethal risk“) in den Handelsräumen von Investmentbanken abläuft, was er als Trader selber erlebt hat, bevor er in die Wissenschaft zurückkehrte, um sich der Neurologie zu widmen. Dort ist man, wie im Krieg (Coates (2012, S. 5), „long stretches of boredom punctuated by brief periods of terror“ ausgesetzt, wobei sich Euphorie und Panik abwechseln und was über einen langen Zeitraum in den Händlern zu einer Ausschüttung übermäßiger Mengen des Stresshormons Cortisol führt. Die Folgen davon sind Machtbewusstsein und übersteigertes Selbstvertrauen in die eigenen Möglichkeiten. Das Kriegerische in den Persönlichkeiten erstreckt sich neben dem unbändigen Engagement für die Sache auch auf den Körper, der stets für den Einsatz trainiert wird, um das Leistungspensum zu schaffen, das für den Machterhalt im Strategieraum der Investmentbanker, sozusagen auf einem Feldherrenhügel, erforderlich ist. Das erscheint vor allem als Problem von Männern (Coates, S. 252), denn „when it comes to losing money, women may be less hormonally reactive than men.“ Die Dominanz männlicher Feldherren und auch Wirtschaftskrieger ist generell manifest. Weiterhin wird vermutet, dass der Botenstoff Dopamin als Auslöser bzw. Verstärker für psychopatisches Verhalten wirkt (Buckholtz et al. 2010). Unternehmer sind ebenfalls, wie John Gartner (2005) in seinem Buch The Hypomanic Edge berichtet, in einer derartigen Hypomanie gefangen, also einem gleichzeitigen Zustand von Energie und Selbstbewusstsein, gekoppelt mit Rastlosigkeit und Risikobereitschaft. Auch angeblich harmlose Hormone wie der Botenstoff Oxytocin, das Glücks- und Sozialbindungshormon, besitzen eine dunkle Seite: Denn das Verstärken sozialer Bindung erhöht auch die Abschottung, was wiederum Ausgrenzung bedeutet, also die anthropologischen Anlagen der kin selection verstärkt (Neumann 2009). Investmentbanker gelten als Hauptbeteiligte in einem Spiel, von dem viele glauben, dass es die Gesellschaft Wohlstand und Sicherheit kostet. Scheinbar fehlt dem Wirtschaftskrieg der dezidierte Gegner, gegen den der Konflikt ausgetragen wird. Tatsächlich sind es spezifische Gruppen, die zunächst womöglich gar nicht merken, dass sie zwischen die Fronten geraten sind, beispielsweise wenn ihre Ersparnisse vernichtet bzw. ihre Steuern quasi zwangsverpfändet bzw. zugunsten des Personals von Banken umverteilt werden. Aber wer sind diese Leute und was bewegt sie? Nils Ole Oermann (2013b) legt ausgehend von dem 2000 verstorbenen Edson Mitchell, dem Prototypen des Investmentbankers, eine Anthropologie der Finanz- und Wirtschaftskrise vor und erzählt den Aufstieg der Deutschen Bank im globalen Investmentbanking. Mitchell machte die Deutsche Bank ab Mitte der 1990er-Jahre von einem zweitklassigen Marktteilnehmer zum Global Player im Investmentbanking. Anshu Jain etwa, der C o-Vorstandsvorsitzende
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der Deutschen Bank, wurde maßgeblich von ihm geprägt. An Edson Mitchells Karriere lässt sich so gut wie vielleicht an keiner anderen erklären, wie in den letzten 15 Jahren das Investmentbanking zum bestimmenden Spiel in der globalen Finanzindustrie werden konnte, nach welchen Regeln es gespielt wird und wer die Spieler sind. Der frühere Deutschlandchef von Goldman Sachs, Alexander Dibelius, wurde bereits als „Hai“ und als „Deutschlands härtesten Banker“ weiter oben eingeführt. Derartige harte Männer scheinen den Finanzsektor auszuzeichnen, der wie sonst nur noch die katholische Kirche maskulin orientiert ist. Sich hinter einer respektablen und kompetenten Fassade versteckend, führen sie einen hybriden Wirtschaftskrieg, in dem die Abgrenzung zur Kriminalität verschwimmt. Wie der von Charles Ferguson (2010) gedrehte Dokumentarfilm Inside Job beleuchtet, zählt das Bezahlen der Bordellrechnung mit der Firmenkreditkarte ebenso zur Normalität wie das Bündeln schlechter Kredite zu einem mit Triple-A gerateten Papier. Wenn dann der Untersuchungsausschuss des amerikanischen Kongresses nachfragt, lautet die Antwort, Rating sei nur Meinung. Es existiert eine starke Verflechtung zwischen der amerikanischen Administration, den Universitäten, besonders den Elitefakultäten der Wirtschaftswissenschaften, und der Finanzindustrie, hier vor allem Goldman Sachs, das als eine der erfolgreichsten Kaderschmieden angesehen werden muss. Mit dem unkritischen Glauben an Modelle geht eine mentale Korruption der Wirtschaftswissenschaften einher, der dann wirtschaftspolitisch wenig entgegengesetzt wird. Viele Staaten und Unternehmen stehen vor dem Dilemma, sich der Beratung durch Institutionen versichern zu müssen, denen sie eigentlich aus moralischen Gründen ablehnend gegenüberstehen, weil nur diese die notwendigen Kompetenzen aufweisen, über die sie selbst nicht verfügen. Deutlich wird diese Mentalität und Abhängigkeit im Buch von Greg Smith (2012) Why I Left Goldman Sachs: „Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden weiterhin Geschäfte mit Ihnen machen. Natürlich trauen wir Ihnen schon lange nicht mehr über den Weg, weil wir Goldman Sachs für einen Hedgefonds halten. Wir wissen, dass es Ihnen nur um Ihre eigenen Interessen geht. Aber wir wissen auch, dass Sie die klügsten Köpfe an der Wallstreet sind. Und manchmal sind wir eben gezwungen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.“ Der Verfasser berichtet über eine vergiftete und zerstörerische Kultur, in der die Kunden als Trottel, englisch muppets, tituliert werden, die man abzocken müsse; gleiches gelte für die Staaten (Buttlar 2012, S. 25). Genau das machte Goldman Sachs auch, als es die Staatsverschuldung von Griechenland derartig manipulierte, dass das Land der Europäischen Union beitreten konnte. Es ist mehr als eine Randnotiz der Gegenwart, dass dieser Vorgang im Rahmen einer Sonderberichterstattung der EZB überprüft worden ist, aber von deren Zentralbankchef, Mario Draghi, ehemaliger Mitarbeiter von Goldman Sachs, unter Verschluss gehalten wird. In völliger moralischer Analogie lassen sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von New York sehen, die der Großbank JPMorgan Chase bzw. der von ihr übernommenen Investmentbank Bear Stearns im Herbst 2012 vorwarf, Kunden bewusst Anleihen verkauft zu haben, denen Wohnungsbaudarlehen zugrunde lagen, die allesamt gefährdet waren.
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In einem solchen Milieu reift das heran, was zu einem der größten Skandale der Finanzkrise wurde: die Manipulation des LIBOR (London Interbank Offered Rate), also des wichtigsten globalen Zins-Referenzkurses, die im Jahr 2012 bekannt wurde. Bereits im Herbst 2011 wurden die Räume der Royal Bank of Scotland auf Veranlassung der Europäischen Kommission wegen des Verdachts der Manipulation des EURIBOR (European Interbank Offered Rate) durchsucht. Spätere Untersuchungen betrafen Manipulationen des Goldpreises. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Sichern der eigenen Allmachtposition sowohl beruflich als auch privat durch erfolgreiches Manipulieren von Zinsen, die der eigenen Institution wirtschaftlichen Erfolg bescheren, so dass die Akteure nach außen erfolgreich erscheinen, was wiederum im Sinne des Eigennutzes zum Vereinnahmen hoher Boni führt. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Praktisch alle am internationalen Bankplatz London tätigen Häuser, insbesondere die Bank of America, Barclays Bank, Mitsubishi-Bank, CitiGroup, Credit Suisse, die Deutsche Bank, Hongkong & Shanghai Banking Corporation (HSBC), JPMorgan Chase, Lloyd’s of London, Rabo-Bank, Royal Bank of Scotland und die Union Bank of Switzerland (UBS) • Als individuell Verantwortliche wurden insbesondere die Vorstände bzw. Beteiligten Martin Taylor und Bob Diamond (Barclays), als wichtigster Drahtzieher Tom Hayes (UBS und CitiGroup) genannt. • Staaten, deren Fähigkeit, Krisen zu puffern, ausgetestet wurde. • Indirekt die Wirtschaftssubjekte, die zwischen die Fronten der Auseinandersetzung geraten sind, besonders Sparer oder zur Bankenrettung zwangsverpflichtete Steuerzahler. Kriegsmittel: • Absprache über Zinssetzungen beim täglichen Fixing zwischen den Händlern. Kriegsziel: • Profitmaximierung und Risikominimierung Kriegsfolgen: • Persönliche Bereicherung, schließlich Strafverfolgung von Bankern und Banken, Benachteiligung einer Vielzahl von Kreditnehmern und Zerstörung des Vertrauens in internationale Handelsplattformen.
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Raonal-manipulierte Zinserwartungen: Banken manipulieren Zinsen, um Gewinne zu vereinnahmen.
An jedem Wochentag kurz vor 11 Uhr legen die Banken fest, zu welchem Zinssatz sie sich weltweit gegenseig Geld leihen.
Die Häle der Daten wird als Ausreißer eliminiert und mit dem Rest der LIBOR als Mielwert berechnet.
Die Finanzkrise hae das Vertrauen der Banken erschüert, weshalb sie sich kein Geld ausliehen. Jede hae einen Anreiz, einen niedrigen LIBOR auszuweisen. Die Zentralbanken ersetzten das Interbankengeschä.
Nutzung des LIBOR-Zinses Rund 500 Billionen Dollar beträgt das jährliche Volumen, das weitgehend aus Derivaten besteht; der Zins geht in die Berechnung fast aller Zinsfestsetzungen ein. Dies geschieht zeit- und länderbezogen, also für 10 Laufzeiten und 15 Währungen.
Webewerbsversagen: Durch fehlendes Vertrauen wird dem Risikoausweis des LIBOR als Maßzahl der Bonität wird nicht mehr vertraut.
Abb. 3.1 Das LIBOR-Manipulationssystem. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Süddeutschen Zeitung 2013a)
Die Abb. 3.1 zeigt schematisch, dass die Ermittlung dieses Zinses in hohem Maße komplex und infolge der wenig transparenten Schritte auch manipulationsanfällig ist. Die inzwischen avisierten Strafen haben nunmehr bei Banken zur Überlegung geführt, aus der Berechnung auszusteigen, was wiederum die Verlässlichkeit der Zinswerte beeinflusst, weshalb die Regulierungsbehörden eine Verpflichtung zur Kooperation erlassen wollen. Durch diese Manipulationen sind nicht nur bei Privaten, sondern auch bei notleidenden Staaten Schäden in Milliardenhöhe entstanden, und das war Teil des Geschäftsmodells. Eine Veränderung von 0,01 % in die richtige Richtung konnte einem Händler an diesem Tag problemlos 30 Mio. US$ Zusatzgewinn einbringen. Auch die Deutsche Bank geriet in den Strudel dieser Entwicklung. Die milliardenhohen Schäden zerstörten die Gewinne der Jahre 2012 bis 2017. Der ehemalige Chef von Barclays, Martin Taylor (2012), spricht davon, auf den Drahtzieher dieser Manipulationen, Bob Diamond, hereingefallen zu sein – war dieser doch bereits durch eine Vielzahl von Regelverstößen auffällig geworden, aber für die Bank unverzichtbar. Daniel Zulauf (2012) beschreibt bei der erheblich in die Zinsmanipulationen verwickelten Union Bank of Switzerland (UBS) den Zynismus, mit welchem die Geschäftsmodelle v erfolgt
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wurden, um ungehemmt eigene Handelspositionen auf Kosten Dritter zu stärken – alles Dinge, die für die Hypothese einer vom Rest der Gesellschaft abgekoppelten Wertestruktur sprechen, zumal sie von den Chefetagen billigend in Kauf genommen wurden. Der ebenfalls manipulierte EURIBOR-Zinssatz führte analog zu Ermittlungen der europäischen Finanzaufsicht. Auch die Manipulierung der Währungskurse wurde im Jahr 2016 von der britischen Finanzaufsicht FCA (Financial Conduct Authority) aufgegriffen. Mit hohem Aufwand wird seither versucht, den entstandenen Schaden zu beziffern und zu ahnden. Die in den USA und Europa verfügten Gesamtstrafen für die Teilnehmer beliefen sich auf 1,44 Mrd. €. Die Deutsche Bank, bei der Razzien stattfanden, hat mit den amerikanischen Behörden wegen Währungsmanipulationen einen Vergleich über 2,5 Mrd. US$ geschlossen. Die zentrale Figur hinter den Manipulatoren, Tom Hayes, Händler bei UBS und der CitiGroup, wurden mit 15 Jahren Gefängnis bestraft. Wie wenig anreizkompatibel aus Sicht der Gesamtgesellschaft das Vergütungssystem im Finanzsektor ist, zeigt das der Deutschen Bank: In den Jahren 2012 bis 2017 zerstörten Strafen von rund 15 Mrd. € den Gewinn; der Verlust in diesen sieben Jahre betrug insgesamt 6 Mrd. € und wäre nicht angefallen, hätte man Boni von 16 Mrd. € gezahlt (Handelsblatt 2019, S. 47). Noch schlimmer erging es den Aktionären, denen beispielsweise in den Jahren 2012 und 2013 nur etwa 1 Mrd. € an Dividende zugestanden wurde – etwa ein Fünftel der Boni (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014e; Hein 2014); die Vorstände erhielten von da an ein um ein Drittel erhöhtes Grundgehalt von 3,8 Mio. € (Frühauf 2014a). Bezieht man die Gewinne und Boni der Jahre 2010 bis 2018 aufeinander (Schreiber 2019), so errechnet sich eine Korrelation von unter 0,5; für die Jahre von 2012 bis 2018 von nur 0,2 – mit sinnvollen Anreizstrukturen ist die nicht vereinbar.
3.4 Fazit und Handlungsempfehlungen Für demokratische Gesellschaften bezieht die Interdependenz der Ordnungen – klassisch als Beziehung zwischen der Organisation der Wirtschaft und der des Staats, wie dies im zweiten Kapitel anhand des Sherman-Acts aufgezeigt wurde, – auch das Individuum im Sinne der Werterückbindung ein. Politisch verdeutlicht hat dies der amerikanische Senator John McCain in einem Beitrag, den seine Frau anlässlich der Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises für Verdienste um das die transatlantischen Beziehungen im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz verlas (zitiert nach Werin 2018): „Der wahre Grund, warum wir nach München kommen, ist, weil wir glauben, dass bestimmte Werte unsere Welt regieren sollten. Und weil wir glauben, dass der Frieden und der Wohlstand, die uns lieb sind, abhängen vom Erfolg dieser Werte und dass sie es verdienen, für sie zu kämpfen. Wir kommen nach München, weil wir in einer Welt leben wollen, in der die Wahrheit die Lüge überwindet, in der nationale Souveränität über die Knechtschaft triumphiert und Recht über die Unterdrückung siegt, in der Freiheit die Tyrannei überwindet, in der Macht in Legitimität umgewandelt wird und das Schicksal
3.4 Fazit und Handlungsempfehlungen
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von Völkern und Nationen von Recht und Gesetz bestimmt wird – und nicht von den Launen eines Anführers.“ Genau dieses wird von aggressiven Kriegern und Wirtschaftskriegern herausgefordert, die damit Gesellschaften zunächst nachhaltig schaden. Derartige Wirtschaftskriege bergen aber oft die Quelle von auf lange Sicht erfolgreichen institutionellen Veränderungen. Führungspersönlichkeiten, die in Krisen überzeugen, besitzen andere Eigenschaften als solche, die im Frieden wirken. Möglicherweise suchen potentielle Wirtschaftskrieger die Herausforderung ebenso wie es von militärischen Führern vermutet wird, die ihre Armee einsetzen wollen – oder von Feuerwehrleuten, die als Feuerteufel den Brand legen, um sich im Löschen der Katastrophe zu bewähren. Wirtschaftskrieger im staatlichen oder im unternehmerischen Haus zu haben, kann daher zweckmäßig sein, um eine plötzlich heraufziehende Krise effizient zu bewältigen, stellt aber auch eine Gefahr dar, wenn derartige „Falken“ als Kriegstreiber das Schicksal herauszufordern suchen, um sich diesem zu stellen und als erfolgreiche Persönlichkeiten auszustrahlen. Aus den Ausführungen ergibt sich eine Reihe von Empfehlungen für erfolgreiche Wirtschaftskrieger: 1. Jeder Führungsverantwortliche sollte wissen, wer in seinem Zuständigkeitsbereich als Taube oder als Falke einzuschätzen ist – seine Aufgabe ist es, sie zeitlich, örtlich und sachlich richtig einzusetzen. 2. Wirtschaftskrieger haben keine Scheu, diejenigen Vorgesetzten, die sie in ihr Amt gebracht haben, zugunsten der eigenen Karriere zu opfern. Auf der Hut zu sein und die Letztverantwortung nicht aus der Hand zu geben, ist zwingend notwendig, um in einer Krise der eigenen Liquidierung zu entgehen. 3. Zu jeder entry-Strategie bedarf es einer exit-Strategie – das darf nie vergessen werden. Die dafür erforderlichen Entscheidungswege sind gegebenenfalls durch Manöver im eigenen Haus zu trainieren. Die Treiber des Systems werden oft zu Getriebenen, müssen um ihrer Ehre oder ihres Einkommens willen liefern, wie das die Konquistadoren zeigen. 4. Optionen sind klar zu formulieren, auf mögliche Gegenreaktionen und wie hoch sie in Bezug auf die eigene Schädigung sind, zu prüfen. Eine Drohung ist nur glaubhaft, eine Handlung entfaltet nur die volle Wirkung, wenn der Gegner nichts entgegensetzen kann, was abschreckend wirkt oder beträchtliche bzw. unerwartete Schäden erzeugt. Gerade der LIBOR-Skandal offenbart diese Macht, die das skandalöse Handeln lange zu stabilisieren verhalf. 5. Wirtschaftliche Auseinandersetzungen sind oft mit politischen und militärischen verknüpft. Prüfe die Interdependenzen. Analysiere, welche Optionen in der Auseinandersetzung tatsächlich bestehen, wenn bestimmte Kooperationskanäle nicht beschädigt werden dürfen. Die Konquistadoren waren tatsächlich hybride Krieger und in gewissem Sinne auch die Verursacher des LIBOR-Skandals, weil Mitteleinsatz und Wirkungen nicht auf das Wirtschaftliche beschränkt bleiben.
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6. Es gibt Wirtschaftskriege, die man sich aussuchen kann, und solche, die zwingend geführt werden müssen. Wenn also ein Wirtschaftskrieg schon nicht zu vermeiden ist, weil alle Alternativen schlechter sind, dann muss er richtig geführt werden.
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Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
“Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.” (Benjamin Franklin)
Weshalb entstehen und vergehen immer wieder große Zivilisationen oder Reiche? Warum sind insbesondere kulturell hochstehende Regionen regelmäßig von militärisch stärkeren, aber kulturell rückständigen Völkern überrollt worden, die dann die Kultur absorbierten, später aber oft selber schwächelten? Man denke nur an die Reiche am Mittelmeer oder Mittelamerikas. Was begründet den Aufstieg und Fall des Wohlstands von Zivilisationen, von Nationen? Warum spielte in der Mitte des letzten Jahrtausends die Wiederentdeckung der griechisch-römischen Zivilisation eine so herausragende Rolle für den Aufbruch Europas? Weshalb sind Regeln, Riten oder Bräuche wichtig für eine Gesellschaft? Eine ökonomische Antwort darauf gibt die Institutionenökonomik, aber die Bedeutung der Fragen verweist auch auf andere staatswissenschaftliche Disziplinen, was folgendes Zitat von Douglas North (1992, S. 7) verdeutlicht: „Das Kernproblem der menschlichen Geschichte ist die Erklärung der weit divergierenden Bahnen, auf denen historischer Wandel erfolgte. Wie haben Gesellschaften sich auseinanderentwickelt? Was erklärt ihre höchst unterschiedlichen Leistungsmerkmale? Schließlich stammen wir alle von primitiven Jäger- und Sammlerhorden ab.“ Institutionen gibt es auch im Tierreich, aber Menschen sind fähig, größere Gruppen zu organisieren und über einen nur wenige Personen umfassenden Altruismus hinauszuwachsen. Damit entwickelt sich ein Potential für gleichzeitig genetische und kulturelle Koevolution. Ernst Fehr und Urs Fischbacher (2003) sprechen in einem Übersichtsartikel von einer kulturell-genetischen Koevolution. Die Grenze der Gruppengröße wird vom Anteil bzw. Anzahl der Trittbrettfahrer bestimmt, vor allem unter Bedingungen der © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_4
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Erfahrungsbildung, wobei die Bestrafung von Abweichlern oder solchen Individuen, die Sanktionen nicht vollziehen wollen, eine wichtige und stabilisierende Wirkung entfaltet. Dabei spielt die Erfahrungsbildung durch den Aufbau eines generationenübergreifenden Wissensvorrats eine zentrale Rolle ebenso wie die Fähigkeit zum Denken in Szenarien (Laland 2019; Suddendorf 2019), was wieder eng mit der Sprachkompetenz verbunden ist. Der britische Anthropologe Richard Wrangham sieht in The Goodness Paradox (2019) die Koevolution von Menschwerdung und Sprache im Tyrannenmord, weil der homo sapiens in seiner frühen Zeit extrem egalitäre Systeme hervorbrachte; die nur durch das Brechen der Vormachtstellung des Alphatieres möglich war und Koordination erforderte. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Umstellung der Ernährung auf Ackerbau und Kochen; ohne sie hätte sich der Unterkiefer nicht zurückentwickelt, was die Sprachfähigkeit um die sogenannten Labiodentallaute, bei der sich die Schneidezähne auf die Unterlippe berühren, bereicherte und die Kommunikationskompetenz erheblich ausweitete (Blasi et al. 2019). Das folgende Kapitel verbindet die Erkenntnisse der modernen Institutionenökonomik bei der Analyse von Dilemmata und ihrem Potential für das Entstehen von Konflikten mit den sie formalisierenden spieltheoretischen Modelle; dabei bindet es auch Erkenntnisse der Psychologie und Linguistik ein, um die Breite dessen, was sich inzwischen zur Disziplin des evolutorischen Institutionalismus entwickelt hat, aufzuzeigen. Entlang von drei Beispiele wird das bewusste Zerstören von Institutionen beleuchtet. Der globale Systemwettbewerb des 20. Jahrhunderts wird an zwei Wirtschaftskriegen zwischen kapitalistischer und kommunistischer Wirtschaftsordnung beschrieben. Anschließend wir das zerstören der europäischen Währungsordnung als Institutionenversagen identifiziert.
4.1 Die Natur der Institutionen Durch Institutionen werden die Reibungskosten des gesellschaftlichen Zusammenwirkens – und damit auch des wirtschaftlichen – beeinflusst. Existiert institutioneller Wettbewerb, so führt dies zu einem steten Sinken der Transaktionskosten. Viele dieser Institutionen beruhen auf kulturellen – oft religiösen – Traditionslinien aus langanhaltenden Erfahrungen und Prägungen, die gelegentlich auch traumatische Ursachen haben und die Mentalitäten von Völkern prägten; damit werden sie zu Ethnien gemäß der soziologischen Definition. Institutionen besitzen daher auch eine nach außen und nach innen wirkende Symbolik, um die Identifikation zu erleichtern, beispielsweise Beschneidung und Taufe im jüdischen und christlichen Kulturkreis, Vereidigungszeremonien bei der Zuerkennung einer neuen Staatsbürgerschaft oder rituelle Feierlichkeiten. Die Institutionen befinden sich wiederum im Wettbewerb: Auch mit diesen befinden sie sich im Wettbewerb: Welche Ausformung ist besser als eine konkurrierende geeignet, eine Organisation – beispielsweise ein Unternehmen oder einen Staat – mit Identität zu versehen?
4.1 Die Natur der Institutionen
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Transaktionskosten in der Sprache der modernen Ökonomik bzw. Friktionen in der von Carl von Clausewitz werden zunächst durch Veränderungen der Technologien (einschließlich genetischer Strukturen) und der Vorlieben der Menschen beeinflusst – oft geht beides Hand in Hand; derartige Koevolutionen werden später ausgiebig behandelt. Sie können als externe Schocks über eine Gesellschaft kommen, beispielsweise durch ein Naturereignis ausgelöst werden. Ein für die institutionelle Entwicklung Kontinentaleuropas sicher wichtiges Ereignis war der Ausbruch des Vulkans Tambora im April 1815, der, wie Jan Grossarth (2016) in 1816 – ein apokalyptischer Sommer ohne Ernte schreibt, nicht nur Hungersnöte in Europa und massive Auswanderungsbewegungen in die Neue Welt auslöste, sondern auch durch die heftigen Preissprünge und Nahrungsmittelspekulationen die Einstellung der Bevölkerung zum sich gerade entwickelnden Kapitalismus über lange Zeit negativ beeinflusste. Dabei traten die Effekte besonders dort auf, wo die Fruchtbarkeit der Böden unzureichend ist. Allerdings zwangen diese Folgen auch die Landesherren zu Reformen und zur Modernisierung der Landwirtschaft (Mayr 2018). Weiterhin entwickelten sich starke Migrationsbewegungen, vor allem nach Nordamerika. Diese ebenso wie Kriege führen zu starken gesellschaftlichen Friktionen sowie technologischem Wandel, der Gesellschaften spaltet, Präferenzen beeinflusst und damit auch die Risikoposition einzelner Gruppen oder Nationen, wie Achim Falk (2017a) in seinem Beitrag Die Vermessung der Welt feststellt. Dieser Abschnitt führt in das ökonomische Konzept der Institutionen ein und zeigt die Bedeutung von institutioneller Evolution an einem historischen Beispiel, um die Relevanz der Dichotomie zwischen Rivalität und Kooperation für die Entwicklung einer Gesellschaft zu verdeutlichen.
4.1.1 Institutionen und der Staat Die historisch wohl kleinste Institution ist die Familie. Der Staat stellt ein weiteres typisches Beispiel dar, dessen Begründung in den Staatstheorien behandelt wird. Immanuel Kant sagt „Der Staat ist ein Volk, das sich selbst beherrscht.“ Ludwig XIV. von Frankreich behauptet: „L’état, c’est moi!“ Der klassischen Staatsrechtslehre folgend ist ein Staat1 ein Gebilde mit folgenden Eigenschaften: • einem Staatsvolk als mehr oder minder stabiler Kernbevölkerung; • einem Staatsgebiet oder -territorium als einem klar abgegrenzten oder definierten Landbesitz; • einer Regierung, die eine Staatsgewalt, insbesondere das Gewaltmonopol, ausübt.
1von
lat. status: Zustand, Verfassung.
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Die wesentlichen Vorgaben, die ein Zusammenleben im Staatsgebiet ermöglichen bzw. erleichtern, werden in einer Verfassung niedergelegt, der nachrangige Gesetze folgen. Ziel ist es, die Regeln so zu gestalten, dass sie ein hohes Maß an Selbstdurchsetzung besitzen, also kein ständiger Eingriff von außen nötig ist. In Demokratien werden diese Regeln von der Legislative aufgestellt, von der Exekutive ausgeführt, durchgesetzt und kontrolliert und von der Judikative im Zweifelsfall überprüft. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Regelwerk durch die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 institutionalisiert. Zu den damit zusammenhängenden Disputen in der Institutionenökonomik und in der Ethik zählt die Frage nach der Moralfähigkeit von Institutionen, besonders solcher, die für das kooperative Dach von Gesellschaften relevant sind. Der klassische Weg, Moralisches in den politischen Bereich zu überführen, ist der politische Willensbildungsprozess, beispielsweise durch Wahlen oder durch individuelles Handeln von Amtsträgern nach staatspolitischen Maximen, beispielsweise nach dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant. Die Akzeptanz des kooperativen Dachs wird systematisch zerstört, wenn es selber zum Träger von Moral wird und damit die Bürger zum Objekt moralischer Bevormundung werden. Moralisieren des Politischen zerstört die Demokratie, weil es im schlimmsten Fall im Gegensatz zum Konzept der Demokratie selbst steht, dessen Fundament auch eine moralische Qualität besitzt: die Autonomie des Menschen. Die Frage nach der Moralfähigkeit stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Aufgabenverteilung im Staat: Soll eine Aufgabe, beispielsweise Klimaschutz, wie er beispielhaft im fünften Kapitel betrachtet wird, Aufgabe des Kollektivs oder – subsidiär – des einzelnen Bürgers sein. Wird dieser als öffentliches Gut begriffen, erscheint die Antwort klar – der Staat. Soll er dies direkt leisten oder Rahmenbedingungen setzen? Hierhinter steht die Frage nach der Freiheitlichkeit der Ordnung. Paternalistische Systeme setzen auf Zwang, bestenfalls auf manipulative Anstöße, sogenannte nudges, auf die bereits im dritten Kapitel eingegangen wurde. Unternehmen oder die Familie sind klassische private Institutionen, hier wird der Einfluss von personaler Moral besonders deutlich – in vielen historischen Fällen ist er eng mit Religion verbunden. Sie werden durch Verträge, die teilweise explizit und teilweise implizit sind, konstituiert. Explizite Verträge sollen vernunftgetrieben sein und stellen meist klar begründbare Sachverhalte dar, argumentieren also kausal, oder zeigen auf, durch welche Mittel erwünschte Ziele zu erreichen sind, folgen also einer finalen Sicht. Gerade implizite Verträge und Regeln drücken Erwartungshaltungen aus, sind oft intuitiv geprägt und weichen scheinbar von diesem Primat der Rationalität ab. Werte und Moral sind für das Senken von Transaktionskosten wichtig. Kann von Geschäftspartnern grundsätzlich Ehrlichkeit angenommen werden, lassen sich Kontrollkosten einsparen. Je breiter aber die Werte gestreut sind, desto weniger taugen sie zur Differenzierung zwischen Personengruppen oder Nationen. Universelle Menschenrechte können heute kaum die einzigartige Prägung eines Staats begründen – weil Universalität keinen Raum für Differenzierung lässt. Zusätzliches muss hinzutreten – das wird durch-
4.1 Die Natur der Institutionen
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aus an unterschiedlichen politischen Philosophien und Wirtschaftsgesinnungen deutlich. Deutschland ist dualistisch, schwankt zwischen der Dialektik von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und der preußischen Eindeutigkeit Immanuel Kants. Englands Liberalismus wird stark vom Freiheitsgedanken John Stuart Mills geprägt, Frankreich von der Vorstellung des starken Staats in der Tradition von Jean-Jacques Rousseau. Italiens scheinbare Prinzipienlosigkeit lässt sich verstehen, wenn man Niccolò Machiavelli begriffen hat. Alexis de Tocqueville hat nicht nur die Demokratie in den USA beschrieben – noch heute gelten seine Analysen dort als prägend. Die exzessive Deregulierung im angelsächsischen Raum unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan ist schließlich der philosophischen Linie von Ayn Rand zuzuordnen. Russland ist heute nur zu verstehen, wenn man Alexander Dugin gelesen hat, Asien, vor allem China, Korea und Japan, ist geprägt vom daoistischen und konfuzianischen Erbe. Genau deshalb werden die Staatsphilosophen im Folgekapitel vertieft.
4.1.2 Napoleons Imperialismus als Katalysator der Institutionenbildung Viele Kriege entstanden im Kampf um Ressourcen, insbesondere um Land mit seinen Bodenschätzen und um Zugänge zu Verkehrswegen, um Steuerzahler, also Wirtschaftsleistung, und um Allianzen, deren Durchsetzung erst eine territoriale Ausdehnung über die eigenen Kapazitäten hinaus ermöglichte (Blum und Dudley 1991). Zugleich spielten Ideen, Religionen, Ideologien und anderweitige Überzeugungen eine zentrale Rolle. In historischer Nahsicht wird die Interdependenz zwischen dem Militärischen und dem Zivilen besonders in den Kriegen Napoleons deutlich: Als dieser Anfang des 19. Jahrhunderts gen Moskau zog, um Russland zu schlagen, tat er das aus ökonomischen Gründen: Vorher hatte er das getreidereiche Russland, das mit seinen Exporten England ernährt hatte, zum Beitritt zur Kontinentalblockade gezwungen, was erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten für den russischen Staatshaushalt auslöste. Zar Alexander I. widerrief daraufhin die Ausfuhrblockade. Napoleons Strafexpedition mündete in seine Niederlage und führte zu seiner Abdankung im Jahr 1814. Seinem Versuch, Europa erneut zu unterwerfen, indem er aus der Verbannung von der Insel Elba floh, nach Frankreich zurückkehrte und dort eine Armee sammelte, wurde in der Schlacht von Waterloo (1815) ein finales Ende bereitet. Die Kontinentalblockade, die England von den Nahrungsmitteln abschneiden sollte, führte dort zu einer massiven Erhöhung der Getreidepreise. Nach Ende der Napoleonischen Kriege brachen die Preise ein. Schließlich wurden zum Schutz der inländischen Produktion, um also ein gewisses Niveau an Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die sogenannten corn laws verabschiedet, die den Getreideimport beschränkten. Diese Jahre hoher Getreidepreise und starker Volatilität haben die Geschichte der ökonomischen Lehrmeinungen nachhaltig beeinflusst: Kurz vor der Jahrhundertwende hatte Thomas Malthus (1798) das Bevölkerungsgesetz entwickelt,
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und nur zwei Jahrzehnte später veröffentlichte David Ricardo (1817) seine Theorien der komparativen Kosten und der Differentialrente, die im Folgekapitel vertieft werden. Hinzu tritt das positive Erbe der Revolution, vor allem im Hinblick auf die Rechtskodifikation, und das kriegsbedingte Zerstören alter Strukturen, welche eine Vorbedingung der nachhaltigen Modernisierung erst Preußens und dann Deutschlands war; darauf wird später eingegangen.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus Das ökonomische Denken in Ordnungskonzepten stellt eine der wichtigen Leistungen dar, deren Dynamik durch den evolutorischen Institutionalismus beschrieben wird. Joel Mokyr (2016) hat in A Culture of Growth auf die kulturellen Bedingungen in großer Detaillierung verwiesen. In einer Welt der Rivalität und Dilemmata stellt ein Kooperationsdach, durch das sich Rivalität einhegen lässt, eine Kulturleistung ersten Ranges dar – aber es ist nicht zwingend Normalität. Welche anthropologisch-primären Motivationen des Menschen führen zu einem Drang nach Differenzierung und werden damit zur Grundlage des Konkurrenzmechanismus? Dilemmastrukturen, die bei der Gestaltung von Institutionen als öffentliche Güter von großer Bedeutung sind, werden theoretisch durchdrungen und sozialverträgliche Lösungsverfahren aufgezeigt. Dabei zeigt sich, dass kooperatives Verhalten vor allem eine Folge steter negativer Erfahrungen ist, dass Gesellschaften also lernen, ausweglose Verlustsituationen mittels Zusammenarbeit zu vermeiden und dadurch Wissen akkumulieren können. Dieses Buch schließt an ein früheres an: In The Levers of Riches – Technological Creativity and Economic Progress beschreibt Joel Mokyr (1990, S. 11) wesentliche technologische Voraussetzungen: „technical problems involve a struggle between mind and matter, that is, they involve control of the physical environment. The other component is social: For a new technique to be implemented, the innovator has to react with a human environment comprised of competitors, customers, suppliers, the authorities, neighbors, possibly the priest.“ Es bedürfe folglich einer Mindestzahl an kreativen Personen oder Gesellschaften, zu der Diversität und Fragmentierung einen positiven Beitrag leisten können, um den Rest der Welt mitzuziehen und vor Cardwells Gesetz (Cardwell 1972, S. 210) zu bewahren, dass nämlich keine Nation der Welt bisher über mehr als vergleichsweise kurze Perioden kreativ war (Mokyr 1990, S. 207). Insbesondere rein staatliche Innovationssysteme stoßen schnell an Grenzen, wie das Beispiel China belegt, wenn die Regierung ihr Interesse an technischem Fortschritt verliert (Mokyr 1990, S. 237). Tatsächlich besitzt die institutionelle Prägung eine erhebliche Bedeutung für die Orientierung von Gesellschaften, was Jonathan Haidt (2016) in seinem Beitrag How Capitalism Changes Conscience verdeutlicht. Dabei bildet die eine Dimension des Ordnungssystems das Wertesystem zwischen Tradition und Moderne ab, das in Relation zum Spannungsverhältnis aus Überlebens- und Selbstentfaltungswerten gesetzt wird.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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Kriterien für die erste Dimension sind die Bezüge zu Religion, Riten und Autorität, für die zweite Dimension ökonomische und physische Sicherheit im Gegensatz zur Autonomie und zu einer Werthaltung jenseits des rein Ökonomischen. Der Autor argumentiert nun, dass das Problem des modernen Kapitalismus darin liege, dass die Fortschrittsbewegung nicht diagonal erfolge, also gleichermaßen institutionell modernisiere, und den individuellen Raum der Selbstverwirklichung öffne, sondern erst mehr oder weniger ersatzlos Wertegrundlagen zerstöre, sodass traditionelle Gesellschaften überfordert werden. Das erinnert an die Ausführungen von Gunnar Myrdal (1968) im Asian Drama, dass man zunächst die Routinen verändern müsse, bevor gesellschaftliche Entwicklung möglich wird. Die grundsätzliche Frage lautet, wie gesellschaftliche Anpassungsprozesse organisiert werden und welche Geschwindigkeit von Gesellschaften akzeptiert wird, um Identitäten und Kohäsion aufrechtzuerhalten; das wird im Folgenden thematisiert. Bereits weiter oben wurden die Grenzen, die Individuen, Gruppen oder Gesellschaft für ihre eigene Definition benötigen, thematisiert. Weitere Aspekte, nämlich die Bedeutung von Grenzen als konkrete institutionelle Arrangements, die den geographischen Raum oder den Güterraum abbilden, werden im achten Kapitel behandelt.
4.2.1 Die memetische Architektur Eine theoretische Durchdringung des Entwicklungsgedankens findet sich gleichermaßen in der modernen Evolutionsökonomik wie dem Konzept der Memetik, die das biologische System von Variation und Selektion den Sozialwissenschaften zugänglich macht und sich dabei an die Genetik anlehnt. Wenn der wesentliche Treiber des biologischen Entwicklungsprozesses das Gen als kopierfähiges biologisches Muster ist, so fragt Richard Dawkins (1976) in seinem Werk The Selfish Gene nach der korrespondierenden sozial- und kulturwissenschaftlichen Einheit, die er und Susan Blackmore (1999) in The Meme Machine als Mem bezeichnen. Es sind also Codizes, die von Menschen über die Zeit weitergereicht werden und die Kultur begründen. Sie können somit als kopierfähige kulturelle Muster verstanden werden. Als kulturelle Gene und damit als Instrumente der Imitation und Replikation verdeutlichen sie, weshalb Ideenbausteine von der Ethik über die Symbolik bis hin zu kollektiven Traumata bedeutsam sind, will man menschliche Handlung, insbesondere auch Interaktion, erklären. Für Rivalität gilt dies in besonderem Maße. Mit genetischen, auch den Tieren gemeinen Dispositionen, die oft als Triebe bezeichnet werden, ergeben sich relevante Begründungszusammenhänge für Gruppenidentität und Ethnizität, also eine gemeinsam unterstellte bzw. wahrgenommene Wirklichkeit, die sich bei verschiedenen Volksgruppen auch in unterschiedlichem Kooperations- oder Aggressionsbereitschaften äußern können. Diese sind genetisch infolge von Koevolutionsprozessen determiniert und besitzen Auswirkungen auf verhaltensbeeinflussende Botenstoffe im Gehirn, was den frühen Forschungen zur Humanethologie eine biologische Grundlage gibt (Eibl-Eibesfeldt
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1976). Denn tatsächlich wurden nicht nur Tiere domestiziert – und in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichem Erfolg, wie das Beispiel Hund (Beginn der Domestizierung vor über 30.000 Jahren) oder Katze (vor nur 10.000 Jahren; vgl. Montague et al. 2014) zeigt. Auch der Mensch ist Ergebnis dieser Domestizierungsdynamik, auf die bereits Konrad Lorenz (1973) verwies und die auf Dauer, aus seiner Sicht, dehumanisierend wirkt, womit ein Gegensatz zum Postulat entsteht, Gene seien egoistisch.2 Martin Nowak und Roger Highfield (2013) verweisen in ihrem Buch Kooperative Intelligenz: Das Erfolgsgeheimnis der Evolution ebenso wie Edward Wilson (2012) in seinem Buch The Social Conquest of Earth darauf, dass das Erfolgsmodell Mensch durch Eusozialität gekennzeichnet ist. Damit wird eine Ordnung bezeichnet, die alle Ausprägungen umfasst zwischen der Kooperation im Bienenschwarm, die bis zur Selbstaufopferung reicht, weil alle miteinander verwandt sind, bis hin zur (identitätsbildenden) Verteidigung des Eigenen aufgrund der Herausforderung konkurrierender Gruppen. Eines der größten Erfolgsbeispiele hierfür ist die Monogamie der Menschen, die durch diese Interaktion eine memetische und genetische Optimierung erreichte, die die Evolution des Hirns maßgeblich beförderte (Blake 2015). In solchen ethnischen Identitäten besteht Konsens über das Ordnungsverhältnis und den Umgang mit Rivalität und Kooperation. Durch sie entsteht auch das Vorbild für reziproken Altruismus, für Loyalität und gesellschaftliche Stabilität jenseits reiner Marktbeziehungen und Autoritäten. Der Vorteil des anderen (oder der Allgemeinheit) folgt anreizkonform aus dem eigenen Vorteil – do, ut des3 –, weil in der Arbeitsteilung oder über die Zeitachse betrachtet jeder in den anderen investiert und sich darauf verlässt, dass dieser – solidarisch – Gleiches tut. Trittbrettfahrer und Mogler, welche die Ressourcen beanspruchen, ohne etwas einzubringen, müssen also identifiziert und diszipliniert werden – im schlimmsten Fall werden sie ausgeschlossen oder umgebracht. Wenn Meme damit Instrumente der Imitation und Replikation sind, beispielsweise Ideen, Ideologien, Sprache, Metaphern bis hin zu Melodien oder Bildern, dann wird deutlich, dass sie Kultur determinieren, weshalb Ethik, Religion, Staatsverständnis, Symbole, kollektive Traumata4 zu den entscheidenden zu verhandelnden Erklärungs-
2Explizit
nannte er: Funktionsstörungen infolge des Selektionsdrucks, Übervölkerung, Verwüstung des natürlichen Lebensraumes, Wettlauf der Menschheit mit sich selbst im Sinne von Gier und überbordender Rivalität, Wärmetod des Gefühls, genetischen Verfall, Abreißen der Tradition (man kann es als memetisches Analogon zum vorhergenannten genetischen Verfall bezeichnen) und Indoktrinierbarkeit. 3„Ich gebe (dir), damit du gibst.“ 4Oft sind es unscheinbare Zeichen, die später relevant werden: die Schlachten auf dem Amselfeld für Serbien, die Geburt Russlands in Kiew, der Waggon von Compiègne für Deutsche und Franzosen, die Revolutionen in Frankreich, die nie stabile Strukturen hervorgebracht haben, die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise zeitgleich mit dem Zusammenbruch von Teilen der Landwirtschaft in den USA oder die großen Inflationen und Versailles für Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Symbolik zählt, um in einem Informationskrieg Herz und Seele zu gewinnen.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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faktoren dafür zählen, wie sich Rivalität gesellschaftlich organisiert. Diese besitzen dabei sowohl eine positive Bedeutung im Sinne einer empirisch relevanten Darstellung von gesellschaftlicher Realität als auch eine normative Disposition, weil sie die Regeln des Zusammenlebens organisieren. Diese hängt aber auch von genetisch verorteten Verhaltensweisen ab, teilweise als Triebe identifiziert, die auch Tieren gemein sind, wie Territorialität, Possessivität, Rangstreben, Kooperationsstreben oder Bestrafungsbereitschaft. Die Interaktion dieser Größen bestimmt die Gruppenidentität, also die Ethnie. Sie umfasst Gesellschaften oder Gruppen, die eine gemeinsam unterstellte Wirklichkeit benutzen. In der Moderne entwickeln sich derartige Identitäten oft zu den wesentlichen gesellschaftlichen Bruchlinien. Damit werden die Regeln für Unter- und Überordnung bestimmt sowie die Bedeutung von Leistung, Zugehörigkeit und ebenbesagter Macht im Sinne der Motivationstheorie festgelegt. Diese kann zum personellen Wohl ausgeübt werden oder zum Gruppenwohl, also zum Wohl der Sozialgemeinschaft. Frank Salter (2003) argumentiert in seinem Buch On Genetic Interest: Family, Ethnicity, and Humanity in an Age of Mass Migration, dass ethnisch homogene Gesellschaften leichter in der Lage waren, demokratische Strukturen aufzubauen – vgl. die USA aufgrund ihres Einwanderungshintergrunds und der frontier-Erfahrungen oder die europäischen Nationalstaaten –, während multikulturelle Gesellschaften eher zu autoritäreren Herrschaftsformen neigen. Unterschieden wird (McClelland 1975; McCelland und Burnham Burnham 1976, Schultheiss 2006) die personenorientierte Macht (sogenannte p-Macht) von der sozialbezogenen Macht (sogenannte s-Macht). Im Hinblick auf Machtausübung zählt besonders die Sichtbarkeit des Sieges vor Ort, wie Ian Robertson (2012, S. 107–127; S. 152–154; S. 194) in seinem Buch The Winner Effect: How Power Affects Your Brain ausführt. Erfolge zu Hause erzeugen Selbstbestätigung und Überlegenheit, machen sogar süchtig und steigern die intrinsischen Motivationen. Das Hormon Testosteron befördert vor allem die p-Macht, die ihren Trägern als Nullsummenspiel erscheint; Geld gilt als Mittel der unbegrenzten Macht, weil es sich der demokratischen Kontrolle entzieht. Schließlich vermag s-Macht die p-Macht in Schach zu halten. Durch diese persönliche Machtausübung entsteht Machtdistanz (Hofstede, Hofstede und Minkov 2010), die zentral für die Beurteilung von Führungskulturen und damit die Entwicklung von spezifischen Gesellschaften ist. Damit verbunden sind das Scheitern der Mächtigen und folglich die Schmach und die Scham, die das vordem mächtige Individuum in aller Härte erlebt, weil eben die Machtausübung auch individuell erfolgte; ihre Bewältigung gilt als wesentliche Voraussetzung für das soziale Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung. Macht kann auch – ebenso wie weiter unten den Neid – als soziale Relation betrachtet werden, und es erscheint derjenige als mächtig, von dem Machtausübung erwartet wird. Das kann kraft Amtes, kraft Funktion, kraft Hierarchie oder kraft Fähigkeit zur Überzeugung der Fall sein. Neben dieser nach außen sichtbaren Macht existiert auch die unsichtbare, die sich in informellen Gruppen manifestiert. Macht wird nur durch Machtausübung wachgehalten. Zurückhaltung kann systemzerstörend wirken.
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Das ökonomische Evolutionsmodell nimmt direkten Bezug auf gesellschaftliche Paradigmen. In Anlehnung an Thomas Kuhn (1962) formuliert Giovanni Dosi (1982) die Relevanz technologischer Paradigmen aus Sicht des Unternehmens, die eine spezifische Anforderung betreffen, also beispielsweise die Entwicklung (das Modell) eines Finanzprodukts, und das dazugehörige Marktumfeld (die Herausforderungen). Die Technologie wird dann entlang verschiedener alternativer Pfade, die heuristisch abgeleitet werden und in technologische Paradigmen münden (können) zum Problemlöser. Das Umfeld ist dabei von Unsicherheit und Heterogenität gekennzeichnet. Damit gehen Innovationen in der Sicht von Richard Nelson und Sidney Winter (1982) in An Evolutionary Theory of Economic Change aus zufälligen Mutationen hervor, die sich am Markt durchgesetzt haben und die als nichttriviale Änderung der Produktion oder des Produkts auftreten, zu denen es keinerlei Vorerfahrung gibt. Ausgangspunkt ist ein strukturelles Ungleichgewicht, in dem der Innovator als Monopolist auf Zeit fortwährende Marktungleichgewichte auslöst. Basisinnovationen führen zu technologischen Entwicklungslinien (Trajektorien), welche die Wahlfreiheit der Entwicklung einschränken. Durch Informationsdefizite ausgelöste Marktunvollkommenheiten verstärken diese. Die richtige Überlebensstrategie besitzt also paradigmatischen Charakter, bewährt sich aber erst im Ergebnis. Die erfolgreichen Routinen sind zugleich Meme, die sich mit genetischen Gegebenheiten optimal verbunden haben. Erfolgreich Rivalität zu bestehen, wird damit zu einer spezifischen, evolutionsgetriebenen Interaktion biologischer und sozialer Faktoren. Meme als kulturelle Informationseinheiten und damit Sinndeutungsmuster werfen die Frage auf, welche einzelnen Zuordnungen zwischen einzelnen Memen existieren. Oft gibt es grundlegende Meme, auf denen andere aufbauen, im einfachsten Fall eine Hierarchie. Dann werden Inhalte nur durch den Rückgriff auf andere Informationen plausibel. Rupert Riedl (1975, 1976) spricht dann von einer memetischen Bebürdung. Tatsächlich ist sie Teil einer institutionellen Architektur, die entweder struktureller, memetischer oder funktionaler Art sein kann: Der Parlamentarier ist die strukturelle Voraussetzung für ein parlamentarisch aufgebautes politisches System; ein Motor ist die Funktionsvoraussetzung für ein Auto. Das gilt ebenso für die memetische Architektur: entfernt man die unteren Schichten, also die Referenzmeme, oder diskreditiert diese, können ganze Kulturgebäude kollabieren. Ein typisch deutscher Fall ist verbunden mit dem Begriff der Nation nach dem zweiten Weltkrieg. Umgekehrt können nationale Erfahrungen, oft Traumata, wesentliche Entwicklungspfade auskleiden. Memetische Erfahrungen stellen damit auch versunkene Kosten dar, und diese wiederum begründen Irreversibilität.5
5Der
Begriff der versunkenen Kosten wurde von William Baumol (Baumol, Panzar, Willig 1988) im Kontext der Theorie der bestreitbaren Märkte geprägt. Wenn Markteintritts- und -austrittskosten null sind, dann geraten auch Monopole unter Wettbewerbsdruck. Dieser potentielle Wettbewerb wirkt dann wie tatsächlicher. Unternehmen werden versuchen, durch versunkene Kosten, also Kosten, die bei Marktaustritt nicht abgegolten werden, diese Bestreitbarkeit zu verhindern.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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Werner Patzelt (2015) befasst sich in seiner Analyse Welchen Beitrag leistet der Evolutorische Institutionalismus zum Erklären und Einhegen von Rivalität? mit dem Wechselspiel aus Stabilität und Wandel in mehrschichtigen Institutionen, bei denen gleichsam eine über mehrere Stufen abgestimmte Koordination erfolgt; auf der oberen Ebene kann das beispielsweise den Ordnungsrahmen einer Wirtschaft betreffen und auf der nachgelagerten, unteren Ebene die Spielzüge. Dies entspricht der Vorstellung einer mehrstufigen Prinzipal-Agent-Struktur, bei der jede Ebene eigene Erfahrungen aus Veränderungen des Umweltzustands bezieht. Das Governance-Konzept von Oliver Williamson (2010) spricht in diesem Zusammenhang von der Knappheit tragfähiger Routinen. Ausgehend von einer genetisch verankerten Rivalität arbeitet Werner Patzelt die Bedeutung eines Evolutionsalgorithmus heraus, der gleichermaßen eine Ordnung in die Systeme und in deren Dynamik bringt, um die steten Phasen aus Variation und Rekombination von Bauplänen, die Selektion aus den dabei gefundenen Ergebnissen, also dem Variierten bzw. Rekombinierten mit anschließender differentieller Reproduktion des tatsächlich Hervorgebrachten, aufzuzeigen. Dies mündet schließlich in eine Spezialisation und Typenbildung als Ergebnis des Zusammenwirkens von differentieller Reproduktion und Populationsökologie, ein algorithmischer Ansatz, welcher den anthropologischen Vorstellungen der Entwicklung des modernen Menschen entspricht. Auf der Wirklichkeitsschicht soziokultureller Strukturen definiert sich die Institution als eine Klasse von Bauplänen (analog der biologischen Baumuster einer Tierart), auf die ein persönliches Rollenset aufsetzt und dadurch einen friedensliebenden Konsumenten oder einen Wirtschaftskrieger gebiert. Auf den durch Zeugung und Geburt fixierten Phänotyp wird also ein durch biographische Prägung und Sozialisation variierter Memotyp aufgesetzt (Patzelt 2011, S. 131–182). In den sozioökonomischen Evolutionstheorien bleibt aber ebenso wie in der Biologie offen, wie das Neue in die Welt kommt, wenn die grundlegende genetische oder memetische Anlage hierzu fehlt – letzteres ist auch die Voraussetzung für Erfindungen und Entdeckungen und für das Wirksamwerden von Innovationen. Andreas Wagner (2015) verweist in seinem Buch Arrival of the Fittest: How Nature Innovates auf die Lösung im biologischen Bereich: Durch grundlegende Modularität des biologischen Systems sowie durch Redundanz und Konnektivität wird garantiert, dass spontane genetische Variation nicht zum Ausfall des Gesamtsystems führt; jeder Phänotyp, also das äußere Erscheinungsbild eines Organismus, kann durch eine Vielzahl von Genotypen, also Erbbildern des Organismus, verwirklicht werden. Das gilt gleichermaßen auch für memetische und damit für ökonomische Systeme: So wird die gesellschaftliche Anpassungsfähigkeit oder – alternativ – die militante Aggressivität von Individuen durch eine unterschiedliche Anzahl von Prägungen bestimmt. Niklas Luhmann (1969, S. 150) folgend ergibt sich eine funktionale Äquivalenz zwischen Geschichte und Organisation; somit entwickeln sich durch Selektion immer wieder neue Varianten dessen, was erfolgreich ist, was bleibt und was ausscheiden muss, ganz im Sinne der evolutorischen Institutionen. Das Bild gilt auch für technische Prozesse; hier kann
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eine bestimmte Funktionalität (z. B. Durchrostungssicherheit) durch eine Vielzahl von Werkstofftechnologien erzielt werden; welche verwendet werden, wird über eine technologisch-ökonomische Selektion entschieden. Wie stark derartige memetische Bebürdungen über die Zeit tragen, zeigt eine Studie von Francesco D'Acunto, Marcel Prokopczuk und Michael Weber zum Thema Distrust in Finance Lingers: Jewish Persecution and Households' Investments (2014); sie können nachweisen, dass dort in Deutschland, wo antijüdische Pogrome besonders heftig waren, heute eine besonders hohe Ablehnung gegen Finanzmärkte, gemessen am Halten von Aktien, besteht. Analoges gilt für das Sparverhalten, wie eine Studie von Christian von Scheve (Stocker 2015) zeigt, die die nachhaltigen Folgen einer speziellen Sozialisierung für den Umgang mit Geld untersucht. Es bedarf starker Gegenkräfte, um derartige Bebürdungsstrukturen zu überwinden: Erst durch das faktische Erkennen der Fehlerhaftigkeit bisher akzeptierter Wertsysteme entstehen teilweise unter hohem Druck neue Wertsysteme, die dann zeitlich durchaus stabil sein können. Große Reformer waren in der Lage, diese nach elementaren Niederlagen zu prägen.
4.2.2 Der Aufbau der institutionellen Organisation durch memetische Bausteine Aus ökonomischer Sicht sind die Transaktionskosten, also die Kosten für das Errichten und Betreiben, gegebenenfalls auch für das Auflösen bestimmter Institutionen, für die Selektion spezieller institutioneller Ausformungen relevant. Wichtigste Ausprägungen sind Vertragskosten und Organisationskosten die gleichermaßen den privaten und den öffentlichen Bereich betreffen. Vertrauen als individuelle Überzeugung in die Aufrichtigkeit und Redlichkeit eines Dritten oder als Glaube an die Regelbindung einer Institution oder Organisation, kann die Transaktionskosten erheblich senken, weil die Kontrollkosten sinken. Deshalb zählen die Vertrauen begründende Ethik, Religion und Kultur zu den wichtigen Institutionen, die die Transaktionskosten beeinflussen. Die Kernaussage der Institutionenökonomik lautet demzufolge (Blum, Dudley, Leibbrand, Weiske 2005, S. 43): „Weil in der Realität Transaktionskosten auftreten, sind institutionelle Arrangements relevant.“
Institutionen sind demzufolge das Schmiermittel, das Transaktionskosten als „Sand im Getriebe von Wirtschaft und Gesellschaft“ überwinden hilft. Wenn das Vertrauen in die Institutionen fehlt, beispielsweise in Politiker oder Banken, denen mehrheitlich misstraut wird, dann geht das an die Substanz einer Gesellschaft, wie Carsten Knop (2015) in seinem Beitrag Wer zweimal lügt, dem glaubt man nicht verdeutlicht. Auf hoher Abstraktionsebene lassen sich die wechselseitigen Zuordnungen von Individuen und Gruppen durch jeweilige Über- und Unterordnung, durch Gleichordnung
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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Befehl und Gehorsam (verkale Instuon)
Autonomie, Tausch (atomissche Instuon)
Teilen (horizontale Instuon)
Abb. 4.1 Memetisches Dreieck der Identität. (Quelle: eigene Darstellung)
oder durch völlige Unabhängigkeit charakterisieren. Diese drei unterschiedlichen institutionellen Arrangements, Gesellschaftstypen oder Unternehmensstrukturen bauen auf drei verschiedenen menschlichen Interaktionstypen auf, nämlich Gehorsam, Teilen und Autonomie. Derartige Strukturen finden sich bereits im Tierreich: In Herden gibt es immer Anführer, Individualisten (Querulanten) und Hörige (Angepasste). Oft wird die Position bereits in der räumlichen Anordnung sichtbar – etwas, was beispielsweise Bert Hellinger (2001) als wesentliches Erkennungsmerkmal für familiäre Konfliktstrukturen sieht. Die Abb. 4.1 zeigt diese in der Form des memetischen Dreiecks. Sie unterscheiden sich durch die für jede Ausprägung speziellen Transaktionskosten: 1. Das System des Gehorsams erleichtert die Identifikation von Positionen sowie Rechten und Pflichten, weil das untergeordnete Gruppenmitglied gehorcht, um gewisse Vorzüge, meist in Form öffentlicher Güter (z. B. Sicherheit), zu erhalten. Im Falle der Verweigerung wird es transzendent (Vorenthalten von Sakramenten), psychisch oder physisch bestraft bzw. werden ihm die Vorzüge, beispielsweise der Schutz, vorenthalten. Die sehr direkte Form dieses Systems erleichtert es, den Mitgliedern einer Gruppe die ihnen zustehenden Ressourcen zugänglich zu machen, lässt ihnen aber wenig Anreize zur Eigenaktivität. Diese hierarchische Organisation wird von einem Prinzipal (Herrscher, Leviathan) geführt, dem Untergebene auf unterschiedlich tief gestaffelten Ebenen in einer Führungskaskade nachgeordnet sind. Im militärischen Bereich entspricht dieses System der Befehlstaktik. In diesen hierarchischen Strukturen übernimmt der Prinzipal oft das externe (systematische)
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Risiko, beispielsweise als Unternehmer in Form des Haftungskapitals oder als Fürst das staatliche Existenzrisiko. Niedrige Kosten der Informationsübermittlung begünstigen diese Organisationsform, sodass die Tiefe der Hierarchie leicht überwunden werden kann. Ihre ideelle Grundlage ist eine Ideologie, eine Individualethik, die Loyalität einfordert und durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam ausgefüllt wird. Die Absicherung der Herrschaft erfolgt über die seitens des Prinzipals definierten Eigentumsrechte und (vor allem) auch durch Sprache. Denn sie ist ein Herrschaftsinstrument und wird üblicherweise vom Prinzipal als privates Gut deklariert. Sprache wird zum Mittel, Realität zu erkennen und im Sinne des Prinzipals zu interpretieren. Besonders deutlich wird das heute noch an Elementen der normannischen Herrschaftssprache im Englischen, die weit über die lateinische Benennung des gebratenen Fleisches (veal, pork) und die angelsächsische Bezeichnung des lebenden Tiers (ox, swine) hinausgeht und sich insbesondere auch in vielen Worten mit romanischer Wurzel, vor allem zur Beschreibung abstrakter Kontexte, Redewendungen und grammatikalischen Konstruktionen wiederfindet, die den sozialen Status dokumentieren. Das Neusprech in George Orwells Werk 1984 (Orwell 1949) zeigt die Auswirkungen einer Herrschaft der Sprache, die auch im Kontext der modernen political correctness gesehen werden muss, die in ihrer positiven Ausformung einen Gleichheitsgrundsatz über die Sprache realisieren will. Daniel und Sarah Diefenbach (2017, S. 15) schreiben in Es war doch gut gemeint – Wie Political Correctness unsere zerstört freiheitliche Gesellschaft, dass Sprache als Element zur Gestaltung von Realität eingesetzt werden soll, und damit auch im kognitiven Raum eskalierend wirken kann; damit erwächst der Linguistik, insbesondere den kognitiven Metaphern, eine Bedeutung als Kriegsmittel: Soziale Gruppen unterscheiden sich – und ordnen sich – daher häufig nach ihren Sprachcodes. Nicht umsonst wies Friedrich Nietzsche (1894) der Sprache eine zentrale Herrschaftsfunktion zu.6 Durch Ludwig von Wittgenstein (1921) wurde im Tractatus Logico-Philosophicus die Abbildtheorie der Sprache begründet, die betont, dass „alle Philosophie Sprachkritik“ sei; in seinem Spätwerk Philosophische Untersuchungen ergänzt er (1953): „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ Dabei überblicken die Individuen häufig nicht die Folgen des konkreten Sprachgebrauchs. So wurde auf der semantischen Ebene beispielsweise der Begriff des Bankers im Kontext mit der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 negativ belegt. Damit entstehen Reflexe, die das Bankwesen insgesamt diskreditieren. Erinnerungskulturell brennt sich das ins individuelle und kollektive Gedächtnis ein und determiniert individuelles – und über den politischen Prozess – kollektives Handeln, das wiederum den Banker weiter viktimisieren kann.
6„Im 20. Jahrhundert werden diejenigen die wahre Herrschaft ausüben, die den Sprachgebrauch bestimmen.“ (Nietzsche 1894).
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
191
2. Eine Gesellschaft, die auf Teilen aufbaut, wird die Identifikation und damit die Gruppenzugehörigkeit durch bereits weiter oben angesprochene Initialriten kenntlich machen. Damit werden Kosten versenkt, denn bei einem Austritt aus der Gruppe entwerten sich diese Investitionen. Gemeinsame (Club-) Güter erhalten nur Mitglieder, Außenstehenden werden diese vorenthalten. Personen, die als Mitglied der Gruppe nicht zum Teilen bereit sind, werden oft stigmatisiert oder ausgeschlossen. Dem Prinzipal dieser flachen Organisation sind alle Untergebenen gleichrangig nachgeordnet. Niedrige Kosten der Informationsspeicherung begünstigen diese Organisationsform, weil ansonsten dezentrales Handeln schwierig würde. Der ideelle Hintergrund rekurriert auf unterschiedliche Ethiken, beispielsweise Religion, Humanismus oder Staatsphilosophien. Im Sinne einer Solidar- oder Versichertengemeinschaft ist Loyalität folglich das direkte Ergebnis des reziproken Altruismus unter Gleichen. Sie bilden einen Club, deren Mitglieder sich am spezifischen Sprachcode (Dialekt, Gruppencode) erkennen und dadurch von anderen (konkurrierenden) Gruppen unterscheiden bzw. abgrenzen. Loyalität erscheint zunächst als ein Abstraktum und zieht in der praktischen Umsetzung durchaus Konsequenzen nach sich. So wird man sich gegenüber dem Nachbarn, dessen Leid man persönlich erlebt, eher altruistisch verhalten, als gegenüber den Mitversicherten in der Krankenversicherung, die man – ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf andere – bereit ist auszubeuten. Diese Entkopplung wird zum grundlegenden Problem für die Funktionsfähigkeit moderner vom Individualismus geprägter Sozialstaaten. Der Wettbewerb um die Aushöhlung moderner und hochkomplexer Sozial- wie auch Steuersysteme kann bereits als eine Art Vorstufe zu einem Wirtschaftskrieg des Bürgers gegenüber dem Staat und damit auch indirekt gegenüber dem Mitbürger verstanden werden, der damit eine moralische Vorlage für das Verhalten der Finanzindustrie in den vergangenen Jahren ist. 3. Im atomistischen System herrscht vollkommene marktliche Reziprozität; ein jeder trägt seine eigene Last, also seine Opportunitätskosten, ein Abwälzen auf bzw. ein Übernehmen durch Dritte ist ausgeschlossen. Niall Ferguson (2017) hat dieses Konzept in eine Wirtschaftsgeschichte des Kampfs um die globale Macht in seinem Buch The Square and the Tower – Networks, Hierarchies and the Struggle for Global Power überführt; das erste steht für Hierarchie und Macht, das zweite für Netzwerke und Kooperation, die sich seiner Meinung nach antagonistisch gegenüberstehen. Diese Radikalität scheint in der Realität eher zweifelhaft. Zudem ist der große historische Gegner zu Beginn der Moderne eher die Kirche – eine integrierte Hierarchie-Netzwerk-Struktur, wie Ulrich Blum und Leonard Dudley (2003) in Standardized Latin and Medieval Economic Growth zeigen: Das Netzwerk wird durch das mittelalterliche Latein als gemeinsamer Code aufgespannt; die Hierarchie ergibt sich aus dem Dogma, die Lehre, repräsentiert durch das Papsttum. Das, was fehlt, ist das atomistische Element, das sich leicht entlang dieser Argumentation als das Individuum identifizieren ließe, das in das System eingreift – Alquin, Gregor VII, Martin Luther,
192
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Johannes Gutenberg, Thomas Paine oder Lenin sind nur einige der vielen zu nennenden Namen. Im memetischen Dreieck ist Vertrauen ein wesentlicher Bestandteil der Systemstabilität. Es muss entweder in Bezug auf die Marktteilnehmer in einem atomistischen Wettbewerb, in die Institutionen als Grundlage der Reziprozität oder in die Führung im Sinne der Autorität gegeben sein. Kurt Imhoff (2011) betont, dass Vertrauen immer auf drei Einheiten Bezug nimmt, nämlich auf Personen, auf Institutionen (also Regelwerke, ökonomisch: den Ordnungsrahmen) und auf Organisationen, womit er kompetente (letzte) Autoritäten meint. Wenn Personen versagen, dann müssen Institutionen verhindern, dass das Vertrauen zerrinnt, wenn auch diese versagen, dann müssen die letztzuständigen Autoritäten stabilisierend einschreiten. Sie sind für das Funktionieren des Institutionensystems zuständig. Das Institutionensystem selber ist der Vertrauensrahmen für personales Handeln. Kurt Imhof zeigt weiter, dass sich der soziale Wettbewerb in modernen Gesellschaften (auch) als Konkurrenz um Reputation realisiert, die nach der Transaktionskostentheorie die Handlungskosten einer Gesellschaft verringert. Hierdurch kann eine soziale Ordnung, später memetische Bebürdung genannt, innerhalb des institutionellen Regelwerks geschaffen werden. Funktioniert das nicht, so ergibt sich als Ausfallbürgschaft die Reputation der Institution, an die das Individuum appellieren kann, im Extremfall ist das der Appell an eine letzte Instanz, beispielsweise an ein Verfassungsgericht. So ist der Wettbewerb um Reputation auf allen Ebenen eine Konkurrenz der Systeme und steht damit vor zwei entscheidenden Herausforderungen: nämlich die Erwartung, das Vertrauen nicht zu enttäuschen, und die Systeme, die das Vertrauen zerstören können, einzugrenzen. Wenn auf allen diesen drei Ebenen das Vertrauen erodiert ist und die Erwartungshaltung enttäuscht wurde, dann sind failed states oder failed organizations die Folge. Hieraus folgen dann die Grenzüberschreitungen, die den Ordnungsrahmen zusammenbrechen lassen, der eigentlich die Rivalität in einen Wettbewerbsrahmen zwingen soll, dies aber nicht leistet und deshalb die Eskalation in einen Wirtschaftskrieg ermöglicht. Dieser Globalisierungskonflikt wird von Thomas Friedman (2001) in einem Beitrag für die International Herald Tribune auf zwei Dimensionen projiziert, nämlich das Gegensatzpaar Separatist – Integrationist (hier ergänzt um die Attribute agonal – kooperativ) sowie das Gegensatzpaar „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen“ (Let-them-eat-cakes in historischer Analogie zur Empathie von Marie-Antoinette von Frankreich angesichts der hungernden Bürger von Paris) und die Sicherheitsnetzsuchenden (safetynetters). Damit ergeben sich vier Felder, die als politische Richtungspositionen interpretiert werden können – aber auch als Möglichkeiten für Koalitionen, falls im Sinne der Transaktionskostentheorie eine der Trennungen die andere stark dominiert. Sie werden in der Abb. 4.2 gezeigt.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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Republikaner
Libertäre
Ökonomische Naonalisten
1
2
3
4
Sozialdemokraten
Integraonisten, Kooperaonisten
Agonale, Separasten
„Lass sie Kuchen essen“
„Sicherheitsnetz-Sucher“ Abb. 4.2 Wirtschaftspolitische Positionen im globalen Rahmen. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Friedman (2001) und Rosenau (2003, S. 140))
4.2.3 Memetische und technologische Grundlagen von Institutionen Im Dreieck der memetischen Identität ist Blut das typische Opfer der vertikal-hierarchischen, Glaube (Religion, Ideologie) das der flachen und Freiheit das der atomistischen Organisation.7 Die Spezifität nimmt über die drei Organisationsformen zu, weil wachsende Kosten zu ihrer Stabilisierung versenkt werden müssen. Im historischen Prozess lässt sich häufig eine Entwicklung von der ersten Kategorie des Menschenopfers über das Tieropfer zum Getreideopfer beobachten. Joseph Watts, Oliver Sheehan, Quentin D. Atkinson, Joseph Bulbulia und Russell D. Gray (2016) zeigen in ihrem Beitrag Ritual Human Sacrifice Promoted and Sustained the Evolution of Stratified Societies, dass Menschenopfer kulturhistorisch besonders ausgeprägt in hierarchischen Gesellschaften als Ausdruck der Allmacht zu finden waren und halfen, den Kitt zu erzeugen, um von weitgehend horizontal organisierten Hordenstrukturen zu hierarchischen Staaten mit komplexer Schichtendifferenzierung zu gelangen. Lizzie Wade (2018) belegt dies über das Aztekenvolk in ihrem Beitrag Nahrung für die Götter,
7Freiheitsopfer
wurden in demokratischen Gesellschaften in vielerlei Form verlangt, beispielsweise in Form von Wehrdienst, sozialem Jahr, usw. – aber auch das verfällt unter dem Druck von Markt und Individualismus.
194
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Tab. 4.1 Eigenschaften institutioneller Arrangements Einteilung
Vertikal
Horizontal
Atomistisch
Physische Eigenschaft
Leichtigkeit
Haltbarkeit
Dekodierbarkeit
Transaktionskosten
Transport
Speichern
Reproduktion
Externalität
Skalenvorteil
Verbundvorteil
keine
Information
privates Gut
Clubgut
öffentliches Gut
Ethik
Individualethik
Nomadenethik, Altruismus
Minimalethik
Opfer
Gehorsamkeit, Steuern, Investition für Prinzipal
Teilen, Investition für andere
keines
Risikoträger
Prinzipal
Gemeinschaft
Individuum
Trilemma
Nationalstaat
Demokratie
offene Märkte und Grenzen
Quelle: in Anlehnung an Blum, Dudley, Leibbrand, Weiske (2005, S. 40)
in dem sie die industrielle Präzision des Tötungsmechanismus, deren dunkle Ästhetik in der Zur-Schau-Stellung der Skelette zeigt und darauf verweist, dass es eine enge Beziehung zwischen der Bedeutung einer Institution und der Größe des damit erforderlichen Opfers, das zu leisten ist, gibt. Die Opfersubstitution ist auch typisch für den Übergang von polytheistischen zu monotheistischen Religionen, wie das biblische Beispiel von Abraham und Isaak (Gen 22, S. 1–19) zeigt. Die Geschichte liefert hierzu viele Beispiele. Deutlich wird dabei, dass es zu einer Vereinheitlichung der Opferwährung kommt, die immer mehr monetär – als Steuer – erbracht wird. Realopfer, wie der Wehrdienst, wurden in postheroischen Gesellschaften weitgehend abgeschafft. Deshalb ist für moderne Gesellschaften die Steuerflucht so bedrohlich, weil sie sich weitgehend auf das Steueropfer kapriziert und kaum noch weitergehende Bindungen einfordern bzw. entfalten. Tab. 4.1 dokumentiert die wesentlichen Eigenschaften der drei institutionellen Gestaltungsmöglichkeiten des memetischen Dreiecks der Identität. Die erste Rubrik benennt die physischen Eigenschaften des Informationsträgers, woraus sich dann die spezifischen Transaktionskosten für den Informationstransport, die -speicherung und die Wissensreproduktion ergeben. Damit sind wiederum besondere Externalitäten verbunden, denen sich auch im Sinne der Netzwerkökonomik zentralistische, verteilte und integrierte Netze zuordnen lassen. Neben den gutstechnischen Eigenschaften der Information sind dann die spezifischen Opfer aufgeführt, die wiederum dem Risikoträger zugewendet werden, für ihn also als oberste Verkörperung der übergreifend handelnden Institution erbracht werden. Mit jeder Ordnung ist eine sie kennzeichnende Ethik verbunden, die vorgibt, was moralisches Verhalten ist.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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Obiges Modell des memetischen Dreiecks stellt im Kontext der Transaktionskostenökonomik das fehlende theoretische Fundament des Globalisierungsparadoxons bereit, das Dani Rodrik (2011) beschreibt. Diesem zufolge haben Gesellschaften nur zwei aus den drei obigen Arrangements zur freien Wahl, das dritte ergibt sich zwangsläufig; so sind Nationalstaat und Globalisierung mit der Demokratie inkompatibel, was China, aber auch Europa an vielen Stellen, zeigt. Aus makroökonomischer Sicht ist eine weitere Begründung zu ergänzen – das Mundell-Fleming-Trilemma, (Fleming 1962; Mundell 1963) demzufolge sich freier Kapitalverkehr (Globalisierung), monetäre Autonomie (Nationalstaat) und eine Steuerung der Wechselkurse (fiskalische Demokratie) ausschließen. Dieser Konflikt hat direkte Auswirkungen auf Identitäten von Gesellschaften zwischen Kollektiv und Individualität, über welche Systeme also der Zusammenhalt organisiert ist – im Sinne von Winston Churchill: Über Blut als das vertikale Element des sich Aufopferns aufgrund einer Stammeszugehörigkeit oder einer Ideologie, über Schweiß als dem Kitt der gemeinsamen Anstrengung und des sich stetig gegenseitig Unterstützens, welches kollektive Erlebnisses generiert, ganz typisch im Mannschaftssport, oder den Tränen eines Bindungszerfalls und einer Atomisierung und Individualisierung der Gesellschaft mit ihrem Rückzug in eine Vielzahl von Einzelidentitäten. Klaus Segbers (2019) verweist in seinem Beitrag Die Rückkehr der Stammesgesellschaften auf eine politisch, wirtschaftlich und sozial unbewältigte Globalisierung, die dem Bedarf nach Bindungen und Traditionen entgegensteht. Der Widerstand manifestiere sich dann im sogenannten Populismus, welcher die Bürgerlichkeit zerstört. Der Diskurs über die Bedeutung von Identitäten wird später regelmäßig aufscheinen und im fünften Kapitel intensiv analysiert, weil, wie dies bereits das dritte Kapitel bereits zeigte, wirtschaftskriegerische Systeme durch starke Identitäten ihren Zusammenhalt organisieren.
4.2.4 Mythenbildung, memetische Bebürdung und memetischer Krieg Herfried Münkler (2009, S. 11, 15, 21) definiert Mythen als „Ansammlungen symbolischen Kapitals, von denen man gut leben kann, solang man sie hegt und pflegt.“ In ihnen „wird das Selbstbewusstsein eines politischen Verbands zum Ausdruck gebracht bzw. das Selbstbewusstsein speist sich aus ihnen.“ Sie ermöglichen die Wir/Sie-Unterscheidung durch „narrative Variation, ikonische Verdichtung und rituelle Inszenierung.“ Damit werden Mythen zu Teilen des kollektiven Gedächtnisses und sind gleichsam wesentliche Meme der gesellschaftlichen Architektur. Insbesondere wirken sie dann kraftvoll, wenn sie auf allen drei Ebenen präsent sind, beispielsweise an Nationalfeiertagen durch Bezug auf siegreiche Traditionen, das Präsentieren entsprechender Bilder und Symbole und insbesondere ebendieses in großen, oft militärischen Aufmärschen. Auf entsprechende Analogien bei siegreichen Wirtschaftskriegsfeiern war bereits früher
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
verwiesen worden. Dementsprechend verbinden Mythen, wie Herfried Münkler (2009, S. 28) weiter ausführt, Vergangenheit und Zukunft und geben für die Gegenwart notwendige Handlungsanweisungen, die sich in diese Traditionslinie einfügen lassen. Gerade der Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China des Jahres 2018 verdeutlicht die Bedeutung von Mythen: Denn China knüpft an die Geschehnisse des Ersten Opiumkriegs (1839–1842) an, der ebenfalls wie bei der aktuellen Krise das Erzwingen eines Ausgleichs der Handelsbilanz zugrunde lag. Daher ist die Bedeutung der historischen Mythenbildung für die Moderne ein wichtiger Aspekt wirtschaftskriegerischer Auseinandersetzungen, denen sich Pål Kolstø (2005) verschrieben hat. Dabei unterscheidet er die Aufklärer von den Funktionalisten. Erstere sehen Mythen in Kontrast zur Faktizität vor allem dort, wo die Realität das Bild stört. Die Aufgabe des Analytikers besteht darin, diesen Schleier herunterzureißen, allerdings wissend, dass es eine objektive Realität nicht geben kann. Die Funktionalisten hingegen betonen die wesentlichen anthropologischen und psychologischen Aufgaben, die Mythen8 bei der Stabilisierung von Gemeinwesen zukommen, die allerdings in hohem Maße dysfunktional werden können, wenn sie auf Gruppen mit einem anders gerichteten Verständnis stoßen. Er unterscheidet folgende Dimensionen:9 1. Der Mythos, etwas Besonderes zu sein (sui generis): Dies trifft beispielsweise auf die Juden zu, die sich als auserwähltes Volk Gottes sehen, oder die US-Amerikaner, die postulieren, in „God’s own country“ zu leben. Hierdurch wird vor allem Ethnizität definiert. 2. Der Mythos, an der frontier die Zivilisation zu verteidigen (antemurale): Im Vordergrund steht nicht das ethnische Element, sondern vielmehr die Überzeugung, kulturell einzigartig zu sein. Sichtbar wird dies beispielsweise in dem Anspruch auf kulturelle Überlegenheit Frankreichs in Europa oder in Asien, wo sich jeweils Korea, China und Japan den anderen Ländern gegenüber als überlegen betrachten. In der Tat können derartige Mythen extrem symmetrisch sein. 3. Der Mythos von Diskriminierung und Verfolgung (Martyrium): Dieser gilt insbesondere für schwache Volksgruppen, die dadurch zur Identität finden – und möglicherweise zum Sieg – tatsächlich erzeugt er aber vor allem eine Sklavenmoral, die Herrschaft ausnutzen kann.
8Arthur
Schopenhauer (1819) war der Auffassung, der Mensch könne zwar ohne Wahrheit leben, nicht aber ohne Mythen. Sie seien eine Ersatzreligion, wichtiger als die Religion selbst. 9Der Bezug zur Faschismustheorie von Umberto Eco (1997) ist an einigen Stellen auffallend; von den genannten 14 Punkten sind insbesondere der Traditionalismus und das Ablehnen der Moderne, Irrationalismus und fehlende Kritikfähigkeit, Rassismus und Existenzangst der Bevölkerung, Nationalismus, Gefühl der Demütigung, Elite- und Heldentum sowie Männlichkeitswahn zu nennen.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
197
4. Der Mythos der Herkunft (antiquitas): Sie nimmt vor allem Bezug auf erste Landrechte (first nations) oder auf gesellschaftliche Position (in Europa der Adel und in den USA die pilgrim fathers). Hierauf kann sich auch der Mythos gemeinsamer Vorfahren oder spezieller, tradierter Verhaltensweisen (Tapferkeit) beziehen. Einige für den Wirtschaftskrieg wichtige Mythen sollen hier näher betrachtet werden. Sie sind deshalb wichtig, weil sie zum Narrativ einiger schwerer Konflikte zählen, die sich in der zweiten Dekade des zweiten Jahrtausends entwickelten: Der Ukraine-Krim-Krise und dem US-chinesischen Handelskrieg. • Martyrium I: Im 20. Jahrhundert spielten für Deutschland die Dolchstoßlegende (dem im Feld unbesiegten Heer fiel die Politik zu Ende des Ersten Weltkriegs in den Rücken), der Frieden von Versailles (Diktat von Versailles) mit seinen Gebietsabtretungen und die Inflation, die vor allem die gesellschaftsstabilisierende Mittelschicht zerstörte, eine nachhaltige Rolle und erklären (nicht rechtfertigen) die Entwicklung der dreißiger Jahre (Keynes 1919; Taylor 1961). Ohne die Erinnerung an die Inflation wäre die heutige starke Position der Deutschen Bundesbank nicht denkbar, ohne das Fanal des Zweiten Weltkriegs wäre die Soziale Marktwirtschaft in dieser Form nicht entstanden. • Martyrium II: Für China spielt der als Schmach empfundene Niedergang ab dem 17. Jahrhundert und die Kolonisierung im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle, die ihren besonderen Höhepunkt nicht nur in den Opiumkriegen oder der Niederschlagung des Boxeraufstands durch westliche Bündnisarmeen findet; auch an der Seite des Westens gekämpft und dann mit dem Frieden von Versailles am 4. Mai 2019 die deutsche Kolonie Tsingtau an Japan zu verlieren, womit die japanische Expansion über einen wichtigen Brückenkopf verfügte, ist als Verrat des Westens tief im kollektiven Bewusstsein verankert. • Martyrium III: Für viele Menschen in Russland ist die verlorene Größe nach Ende der Sowjetunion eine Bürde, vor allem deshalb, weil aus ihrer Sicht der Westen diese Schwäche zwischen 1990 und 2010 zur Expansion von NATO und Europäischer Union nutzte und insbesondere der Ukraine und Georgien die Aufnahme in das Militärbündnis in Aussicht stellte – was Russland zu einem klaren Kriegsgrund erklärte. • Antemurale: In Frankreich spielen besonders die historischen Probleme, die mit der militärischen Unterlegenheit gegenüber Deutschland in der nachnapoleonischen Zeit und später mit der demographischen Stagnation zwischen den Weltkriegen zusammenhängen, eine entscheidende Rolle. Hinzu tritt die Zerstörung der naturwissenschaftlichen Basis infolge der Französischen Revolution. Der von den Engländern im Exil gedemütigte spätere Präsident der V. Republik, Charles de Gaulle (1890–1970) sah es als seine wesentliche Aufgabe, dem Land wieder Größe zu geben. Oft schien es in den 60er Jahren so, als sei das „Land De Gaulle“ größer als das Land Frankreich. Dieses Bewusstsein kannte er auch bei seinem ehemaligen
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Kriegsgegner als wesentlich an, um partnerschaftsfähig zu sein.10 Die nukleare Aufrüstung war ein wesentlicher Treiber, dieses nationale Defizit auszugleichen. In Bezug auf die in der gegenwärtigen Krise im Vergleich zu Deutschland höchst unterschiedlichen wirtschaftlichen Konzepte spielt sicher das Deflationserlebnis der 30er Jahre eine erhebliche Rolle, weshalb das Land in Fragen der Geldwertstabilität eine entgegengesetzte Meinung vertritt. • Antiquitas I: Für Serbien spielen die Schlachten auf dem Amselfeld11 eine wichtige Rolle, dabei ist insbesondere die des Jahres 1389 bedeutend, weil sie eine wesentliche Frage serbischer Souveränität berührt. Das Amselfeld selber befindet sich im Kosovo, und nicht umsonst hielt Slobodan Milošević nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens ebendort eine große Rede über die Einheit einer groß-serbischen Republik. • Antiquitas II: Oft wird in der Politik mit Russland vergessen, dass sein Ursprung in Kiew lag; somit stellt die Tatsache, dass diese Stadt heute nicht mehr zu Russland gehört, eine historische Last dar. Wie wichtig solche historischen Erinnerungen sind, sieht man daran, dass es unter kultivierten Russen Überlegungen gibt, Kaliningrad in Kant-Stadt umzubenennen, weil sie die Philosophie dieses großen Königsbergers als bedeutsam für Europa ansehen und den Schmerz über den Verlust dieser Stadt für Deutschland aus philosophischer Sicht durchaus nachempfinden können. • Martyrium und sui generis: Orville Schell und John Delury (2013) sprechen in ihrem Buch China’s Long March to the Twenty-First Century davon, dass Chinas Handeln als steter Versuch zu verstehen sei, seine Geschichte der Schande zu kompensieren und zu rächen. Denn für China sind drei prägende Erinnerungen zu benennen: nämlich Hunger, Erniedrigung und Fremdherrschaft. Vor den durch Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen wurde mindestens die Hälfte der chinesischen Bevölkerung regelmäßig von Hunger heimgesucht. Darauf beruht das Erfahrungswissen einer ganzen Generation, die heute in Amt und Würden ist. Fremdherrschaft wird vor allem mit dem Boxer-Aufstand verbunden, aber auch mit der historisch häufigen politischen Instabilität des chinesischen Reiches. Schließlich spielt Erniedrigung besonders für die mittlere Generation eine Rolle, die im Rahmen der Kulturrevolution mit ansehen musste, wie ihre Eltern misshandelt und ihre Familien zerstört wurden. Interessant ist im gegenwärtigen Inselstreit die chinesische Position, die an die maritime Dominanz unter dem großen Seefahrer Zheng He anknüpft, der
10Dieses honorige Gefühl ließ ihn im Jahr 1962 in Ludwigsburg der deutschen Jugend sagen: „Je vous félicite, ensuite, d'être de jeunes Allemands, c'est-à-dire les enfants d'un grand peuple…“ 11Es gab tatsächlich vier Schlachten auf dem Amselfeld, nämlich im Jahr 1389 zwischen serbisch/ bosnischen Kräften und osmanischen Truppen, im Jahr 1402 zwischen zwei serbischen Heeren, im Jahr 1448 zwischen Kreuzfahrern und osmanischen Truppen und schließlich im Jahr 1915 eine Schlacht im Rahmen des Ersten Weltkriegs.
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in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Weltmeere bereiste, weshalb es einen Großteil der Inseln im südchinesischen Meer für sich beansprucht. Mit dem Verbrennen (andere sagen Abwracken) der Flotte infolge der immensen Kosten für den Staatshaushalt nach seinem Tod 1433 (oder 1435) wurde eine regional orientierte Politik eingeleitet, auch weil einige Naturkatastrophen erhebliche Mittel erforderten und die chinesische Mauer dringend saniert werden musste. Trotzdem gelten seine Reisen heute als Anknüpfungspunkt für Chinas globale Bedeutung, weshalb sie im Jahre 2005 in China und in Taiwan gefeiert wurden. • Martyrium und antiquitas: Seine Niederlage im Zweiten Weltkrieg hat Japan weit mehr erschüttert als seine zwangsweise Öffnung im 19. Jahrhundert, die sogenannte Mejo-Restauration, die dem Land eine Modernisierung der Institutionen ermöglichte. Die Tatsache, dass im Kabinett Abe des Jahres 2015 von 19 Ministern 14 einem Unterstützungsverein für den Yasukuni-Schrein, der auch Kriegsverbrecher würdigt, angehören, verdeutlicht dieses fehlende Annehmen der Vergangenheit, der in dem Versuch gipfelt, das Land von psychologischen, die Nation beschränkenden Fesseln, durch Rückgriff auf seine aus Innensicht starke Herkunft zu emanzipieren. Dass das aus moderner Sicht atavistisch anmutet und Konflikte mit den Nachbarn schürt, vor allem mit China und Korea, ist aus der Innensicht wenig relevant. Das Aktivieren nostalgischer Mythen ist oft entscheidend dafür, dass ein Umkipp-Punkt (tipping point) überschritten wird und eine bisher stabile Lage außer Kontrolle gerät. Ein Beispiel sind die Dominanzerwartungen der europäischen Mächte im Jahr 1914, bei denen jede Partei den Kontinent im Sinne der eigenen großen Vergangenheiten zu ordnen suchte, solange dies noch aussichtsreich erschien, und die vorherrschende, geradezu hysterische Kriegsbereitschaft. Yuval Noah Harari (2016, S. 261) verweist in Homo Deus darauf, dass sehr häufig moralische Urteile als Tatsachen dargestellt werden, um praktische Handlungen zu legitimieren. Wenn beispielsweise postuliert wird, Amerika sei „God‘s own country“, ist das ein unbeweisbares Werturteil. Überprüfbar hingegen ist die Aussage, die Kodifizierung der Menschenrechte habe ihren Ausgangspunkt in der Verfassung der USA. Wenn das Werturteil als gesetzt erklärt wird und die Aussage über die Menschenrechte stimmt, dann lässt sich ableiten, Amerikas internationale Militärinterventionen seien gleichermaßen moralisch wie juristisch gerechte Kriege. Zugleich wird die Debatte dem rationalen Diskurs entzogen – alles entschwindet in die Welt der Alternativlosigkeit. Derartige Mythen sind Ansatzpunkte einer memetischen Kriegsführung. Individuen oder Gruppen sind mit bestimmten Ideen zu infizieren – quasi als „viruses of the mind“, wie Brian J. Hancock (2010, S. 41) in seinem Beitrag Memetic Warfare: The Future of War schreibt. – als Teil einer hybriden Kriegsführung, wie dies bereits im zweiten Kapitel dargestellt wurde. Dabei nimmt er Bezug auf kultische Handlungen, wie sie für Al-Qaida üblich sind, und mit denen auch Gehirnwäschen und das Umprogrammieren von Individuen erfolgen. Der Krieg gilt insbesondere westlichen Idealen wie Freiheit,
200
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Tab. 4.2 Stellgrößen der memetischen Kriegsführung primäre Stellgrößen
sekundäre Stellgrößen
männliche Stellgrößen
weibliche Stellgrößen
Wiederholungstricks
Ärger
Identität
Macht
Sicherheit
Altruismus
Angst und Furcht
Zugehörigkeit
Dominanz
Einsatz
Geben
Nutzen von Günstigkeiten
Zuwendung
Nutzen von Günstigkeiten
Zuwendung
Trojanische Pferde
Kalkül
Zustimmung
Investition
Einprägung
Gehorsam
Gedächtniskunst
Teilen
Wahrheit
Quelle: in Anlehnung an Hancock (2010, S. 44)
Menschenrechte, Herrschaft des Rechts, freie Wahlen, Pluralismus und Gewaltenteilung. Tab. 4.2 fasst die wesentlichen Stellgrößen einer memetischen Bebürdung zusammen. Insbesondere die Unterstützung durch visuelle Inhalte eignet sich hierfür, und derartige Prozesse, obwohl von oben, also hierarchisch inszeniert, verbreiten sich von unten nach oben, also im Sinne des Entstehens von Gruppeneinstellungen (horizontal) oder sogar über spontane Schwärme (atomistisch).
4.2.5 Sprache und die Rivalität im Kopf Uwe Pörksen (2015, S. 10–14) folgend erfüllt Sprache die Funktionen, Kontakte in einem Beziehungsumfeld zu ermöglichen und Gefühle und Wertungen auszudrücken. Sie hat einen Appellationscharakter beim Erzeugen von Aufmerksamkeit und führt durch Poetik und Rhetorik das Element der List in die Darstellung ein. Mit zunehmender Komplexität des Erklärungsgegenstands gewinnt ihre Systematisierungs-, Ordnungsund Erklärungsaufgabe für eine fremdartige Begriffswelt an Bedeutung, wobei sie einen wesentlichen Beitrag zu Horizonterweiterung leistet. Sprache erfüllt eine wichtige Aufgabe bei der Gewinnung von Informationsüberlegenheit, insbesondere auch von kognitiver Dominanz. Oft bedient sie sich dabei nachhaltig wirkender Bilder, häufig solcher, die tief in den kulturellen Erfahrungen der Menschen verankert sind. So heißt es in Psalm 57 der Bibel über die Menschen und ihre Sprache: „… Verzehrende Flammen sind die Menschen und ihre Zungen scharfe Schwerter …“ Wenn Rivalität ein evolutorisches Prinzip ist, dessen Realisierung an vielen Stellen sichtbar wird, stellt sich die Frage, ob – und wenn ja: wie – man die Neigung zum Wettbewerb – oder Wirtschaftskrieg – messen kann, sei es auf individueller Ebene oder bei Gruppen. Einen Zugang bietet die Sprache. Der Strukturalismus (Sneed 1971, Balzer und Moulines, Sneed 1987) bietet eine Antwort auf die Frage, auf welchen Grundlagen die soziale Wirklichkeit konstruiert wird. Dabei spielt die Sprache eine zentrale Rolle, ist sie doch als zentrales Kopiermedium zu sehen. Dies schließt an die sprachwissenschaft-
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
201
lichen Lehren an, die von Konfuzius12 (551–449 v. Chr.) bis Friedrich Nietzsche (1844– 1900) und Ludwig von Wittgenstein (1889–1951) die Bedeutung der Dominanz von Inhalten zur Gestaltung (Manipulation) von Gesellschaften, vor allem mittels Metaphern, betonten. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, so führt Ludwig von Wittgenstein (1921) in seinem im Jahr 1918 vollendeten Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus aus und stellt damit implizit die Frage, wie anschlussfähig die heutigen Sprachnormen in Bezug auf die Sprache des Wirtschaftskriegs sind. In der Rhetorik ist die Metapher ein Stilmittel, in welchem ein Ausdruck einen anderen ersetzt mit dem Ziel, dessen Bedeutung zu schärfen. In der kognitiven Linguistik gelten Metaphern als eines der wesentlichen Mittel, Denkprozesse zu strukturieren. Sie werden als konzeptuelle Metaphern beschrieben, die einen Quellbereich auf einem Zielbereich abbilden und dabei zwei zunächst unabhängige Konzepte verschmelzen. In dem Maße, in den Sprache und Denken wechselseitig verbunden sind und damit handlungsleitend werden, kann die Nutzung von Begriffen aus dem Krieg in ökonomischen Kontexten wirtschaftliche Aktivitäten beeinflussen. Im Zentrum der hier vorgetragenen Überlegung steht, dass das aus dem Militärischen abgeleitete Sprachgut durch seine Nutzung im wirtschaftlichen Bereich auch auf das Handeln ebendort wirkt. Die Hypothese lautet also, dass die Sprache das Denken beeinflusst und dass bestimmte Sprachkategorien, konkret Metaphern, das Denken und Handeln gleichermaßen steuern können, und damit speziell auch ökonomische und rivale – konkret wirtschaftskriegerische – Verhaltensweisen beeinflussen, ja steuern. Dieses Argument ist der Kern der linguistischen Relativitätstheorie, die von zwei grundlegenden Hypothesen ausgeht, nämlich dass. • eine sprachliche Diversität existiert, auch unterhalb von nationalen Referenzsprachen (beispielsweise durch Dialekte oder schichtenspezifische Codes) und • diese das Erfassen und Konzeptualisieren der Welt beeinflusst. Historisch haben sich bereits Konfuzius (Kong Zi), Johann Gottfried Herder (1744– 1803), der in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) diese als Schöpfung des Menschen bezeichnet, um gleichermaßen Bedürfnisse und Erkenntnisse zu kommunizieren, Wilhelm von Humboldt(1767–1835), der die Idee einer inneren Sprachform begründete, sowie Friedrich Nietzsche und Ludwig Wittgenstein damit beschäftigt.
12Konfuzius
(o. D., 2011, S. 95) soll gesagt haben: „Wenn die Begriffe nicht richtig sind, dann stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht; gedeihen Moral und Kunst nicht, so treffen die Strafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Darum sorge der Edle, dass er seine Begriffe unter allen Umständen zu Worte bringen kann und seine Worte unter allen Umständen zu Taten machen kann. Der Edle duldet nicht, dass in seinen Worten irgendetwas in Unordnung ist. Das ist es, worauf es ankommt.“
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Lew Semjonowitsch Wygotski (1896–1934) betont in seinem Werk Denken und Sprechen (1934), dass sich die Gedanken im Vorgang des Denkens durch die Sprache selbst wandeln. Aufgrund der Betrachtung und Analyse der sprachlichen Entwicklung von Kindern, also deren Spracherwerb, postuliert Lew Wygotski (1934), dass ein Kind eine Sprache umso besser verstehen bzw. nutzen kann, je leichter es diese selbst begrifflich zu variieren in der Lage ist. Durch die Verhaltensregeln, die ihm die Eltern sprachlich beigebracht haben, kann es Strukturen analysieren und diese durch Umformulierung auf ähnliche und sogar auf neue Situationen anwenden. Kinder werden nur dadurch zu denkenden Wesen, dass sie sich in der Kommunikation mit anderen die Sprache, neue Kenntnisse, die Logik und andere Werkzeuge des Denkens aneignen. Gemäß dieser Vorstellung sind Denken und Sprechen untrennbar miteinander verbunden. Untersuchungen von Edward Sapir (1921) und Benjamin Lee Whorf (1956) stützen diese Vorstellung. Ihre Untersuchungen über Naturvölker lassen diesen sprachlichen Relativismus in der schwachen Form als gesichert erscheinen. Das Untersuchungsprogramm beinhaltete die Unterscheidung von Farben und das Sprachverständnis im Bereich der Mathematik und damit von Raum und Zeit. Das ging so weit, dass die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese sogar von einem deterministischen Bezug zwischen Sprache und Denken ausging, den bereits Ludwig Wittgenstein formuliert hatte. Diese Hypothese wurde stark kritisiert und auch, gerade was die Analyse bei den Hopi-Indianern betraf, widerlegt. Steven Pinker (1994) als entschiedener Gegner dieser Überlegungen hat die methodischen Fehler in den Arbeiten, die die Sapir-Whorf-Hypothese ursprünglich begründeten, herausgearbeitet, wodurch verbesserte Untersuchungsmethoden entwickelt wurden. Forschungen aus jüngster Zeit von Lera Boroditsky (2010, 2012) und von M. Keith Chen (2013) deuten darauf hin, dass tatsächlich ein schwacher sprachlicher Determinismus nachweisbar ist. Dabei wird vor allem die Orientierungsfähigkeit sowie das räumliche und das zeitliche Vorstellungsvermögen von der konkreten Sprache stark beeinflusst (Boroditsky 2001), was wiederum für das Mittel-Raum-Zeit-Kontinuum des Wirtschaftskriegs von entscheidender Bedeutung ist, weil dies kognitive Prozesse erheblich beeinflusst. In ihrem bahnbrechenden Werk Metaphors We Live by verweisen George Lakoff und Mark Johnson (1980) auf den rivalen, ja kriegerischen Gehalt beim Argumentieren, der in den gewählten Metaphern zum Ausdruck kommt. Die hohe Bedeutung der hierbei genutzten Metaphern liegt darin, dass durch sie die sprachliche Interaktion, also der Austausch von Argumenten, auf ein kriegerisches Niveau gehoben wird, wie beispielsweise die Äußerung verdeutlicht: „Sein Argument habe ich abgeschossen“ (Lakoff, Johnson, S. 4). Gilles Fauconnier und Mark Turner (2002) ergänzen diesen Gedanken, indem sie die Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis in den Kontext des metaphorischen Rekombinierens stellen. Durch den Verschnitt (blending) von einzelnen, zunächst unabhängigen Metaphern, gelingt es, scheinbar Unzusammenhängendes zusammenzuführen und damit neue Inhalte zu beschreiben, wenn nicht sogar zu schaffen. Weiterhin zeigen die Forschungen von Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander (2013), dass das Bilden von Analogien in Kombination mit der Logik die kreative Intuition befördert
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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und in der Sprache wirksam wird. Damit wird auch die Pfadabhängigkeit deutlich, weil Analogien nur über den Rekurs auf die Vergangenheit existieren können. Steven Pinker (2007, S. 311–329) verweist in seinem Buch The Stuff of Thought: Language as a Window into Human Nature, dass Metaphern zu Analogien werden, wenn die logischen Konstrukte aus einem Bereich in ein neues Anwendungsfeld übertragen werden. Das geht über die konzeptuelle Metapher, beispielsweise über das Eselsohr als Merk- und Erinnerungsgröße in einem Buch, weit hinaus. So werden Raumkonzepte genutzt, um Phänomene in anderen Bereichen logisch zu unterlegen, beispielsweise Produkträume, aber auch Zeiträume. Carl von Clausewitz (1832) war besonders um eine präzise Nutzung der Sprache und eindeutige Bilder bemüht, konnten doch zweideutige Kommandos und falsche Assoziationen schnell militärische Katastrophen auslösen. Nicht umsonst beginnt sein Hauptwerk Vom Kriege mit der Definition, was Krieg eigentlich sei, worauf Ariane Slater (2015, S. 35–37) in ihrem Buch Militärsprache in einem gesonderten Abschnitt hinweist. Wenn aber militärische Begriffe in dieser Tradition klar belegt sind und keine „Allgemeinheiten, Gemeinsprüche und Salbadereien aller Art“ sein sollen, wie Carl von Clausewitz (1832, S. 12) in seinem Vorwort ausführt, dann dürfte diese Stringenz bei der Übertragung auf ein anderes soziales Umfeld – die Wirtschaft – erhalten bleiben, möglicherweise aber mit einer anderen inhaltlichen Belegung. Für Leonard Dudley (2017) spielt in The Singularity of Western Innovation: The Language Nexus die Standardisierung der Sprache in Frankreich und England im 17. Jahrhundert eine entscheidende Rolle, um Kooperationssysteme zu verbessern, die im 18. Jahrhundert innovationstreibend wirkten und vor allem im 19. Jahrhundert eine militärische Überlegenheit gegenüber Asien wirksam werden ließen. Sprache und Sprachbilder, also Metaphern, verändern also die Wirklichkeit (Patzelt 2016). Viele militärische Begriffe sind heute Normalität im üblichen Sprachschatz, wie Dieter Neumann (2016) in Aufs Korn genommen zeigt, zeugen also nicht von belliziöser Mentalität des Sprechers, der sie nutzt – aber seit der Finanzkrise kommen verstärkt neue Metaphern hinzu. Franz Müntefering prägte im Jahr 2005 die Debatte um die PrivateEquity mit folgendem Ausspruch (Bild Am Sonntag 2005): „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.“ Gerade Kriegsbegriffe spielen in der Sprachverwendung der Wirtschaft eine wichtige Rolle. Denkt man an das Konzept Krieg, dann folgen hierbei Assoziationen wie Soldaten und Befehle. Operationsformen wie Angriff und Verteidigung werden deutlich. Möglicherweise gelangen auch Gedanken von Bomben, Zerstörung, Toten und Verletzten, vielleicht auch von Frieden, ins Bewusstsein. Derartige Implikationen des Konzepts Krieg sind örtlich, geschichtlich und kulturell sehr verschieden, teilweise sogar hochindividuell, weshalb es Gruppensprachen gibt, in deren Code kein Externer eindringen kann. Tatsächlich entsteht durch das Konzept Krieg ein Stillleben im Kopf, das auch in einem Zeitablauf dynamisiert werden kann, dem sogenannten Skript. Relevante
204
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Eroberung
Theorie der Rivalität Ebene 1: generischer Raum (generic space)
Input 1: Krieg
• Strategie, Operaon, Takk • Begrifflichkeiten
Abbildung H-> K Abbildung K-> H
Kunst des Wirtschaskriegs
Input 2: Handel • Strategie, Operaon, Takk • Begrifflichkeiten
Ebene 2: Verschmelzen (blending)
• Strategie, Operaon, Takk • Begrifflichkeiten
Abb. 4.3 Kognitives Verschmelzen von Krieg und Handel zu Wirtschaftskrieg. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Blum und Zhou 2015)
Stationen sind die Planung eines Kriegs, der Angriff, das Niederringen des Gegners durch den Einsatz verbundener militärischer Mittel und schließlich das Friedensoktroi. Die Metaphern sind nun ein Weg, von einem konzeptuellen System in ein anderes zu wechseln und dabei diese beabsichtigten Bilder zu nutzen, um Inhalte, Zusammenhänge, aber auch emotionale Befindlichkeiten zu verdeutlichen, wie die Abb. 4.3 zeigt. Das strategische Nutzen von Metaphern kann im Gehirn Deutungsmuster aufbauen, sogenannte frames, welche dann vorbewusste manipulative Effekte auf den Erkenntnisprozess ausüben. Derartiges framing ist eine etablierte Methode der kognitiven Beeinflussung. Die Schülerin des Linguisten George Lakoff, Elisabeth Wehling, hat insbesondere den politischen Sprachgebrauch hieraufhin untersucht (Wehling 2016), sondern auch für die ARD im Jahr 2019 eine Kampfschrift verfasst, um Gegner des gegenwärtigen öffentlichen Fernsehens in Deutschland mit ihren Begriffen wie „ARD-Krake“ etwas entgegenzusetzen, beispielsweise Privatsender als medienkapitalistische Heuschrecken zu bezeichnen, damit eine Begrifflichkeit aus der Eigenkapitaldebatte aufnehmend. Gelegentlich schmücken sich Personen mit derartigen Begriffen, beispielsweise Donald Trump, der sich gerne als Tariff Man bezeichnet. Mit kriegerischen Metaphern befasst sich Veronika Koller (2004, S. 39–41) in ihrer Schrift Metaphor and Gender in Business Media Discourse, denen sie einen
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
205
Abb. 4.4 Die Beziehung bellizistischer Metaphern in der Ökonomie zum Zinsniveau, 2000 bis 2013. (Quelle: eigene Darstellung mit Daten aus Zhou 2015 und Europäischer Zentralbank)
maskulinen und zugleich verhaltensbeeinflussenden Kontext13 unterstellt. Dabei spielt das Hybridisieren, also das Mischen ursprünglich getrennter Systeme, eine wesentliche Rolle. Hierdurch würden Inhalte mit teilweise ideologisch geprägten Assoziationen aufgeladen. Die im Marketing genutzten Begriffsbilder aus Krieg und Sport (war, sports) verdeutliche die (männliche) Rivalität und der Begriff Spiel (game) schwäche durch seine Reflektion auf Spielregeln diese ebenso ab wie er sie durch den Bezug auf Wettbewerb betont. Der Economist (2014b) verweist darauf, dass die englische Sprache, die in ihren Codes im eigenen Land soziale Klassen diskriminiert, auf der internationalen Bühne klassen- und ethnienübergreifend wirkt, weil die Mehrzahl Globish spricht und dieser Code die in vielen Ländern extrem manifesten sozialen Barrieren einreißt. Zhou Bing (2015) hat die zeitliche Häufung einiger der von Veronika Koller genannten kriegerischen Metaphern anhand der Ausgaben der Wochenzeitschrift Die Zeit (Online-Ausgabe) analysiert. Gesucht wurde nach Begriffen wie: Kampf, Schlacht, Feldzug, Angriff, Verteidigung, Manöver, Front, Marsch, Schützengraben, Eroberer, Feind, Opfer, Truppe, Veteran, Taktik, Bombe, Gewehr, Waffe, Blut, Kapitulation, Niederlage, Besiegte, Überlebende. Man entdeckt bei den auf Jahresbasis aufaddierten Nennungen eine leichte Zunahme über die vierzehn Jahre und eine Orientierung an den ökonomischen
13Sie schreibt der Kriegsmetaphorik eine hegemoniale Männlichkeit zu, wenn sie, die Promotionsschrift von Sally Johnson (1997) zum Thema Theorizing Language and Masculinity: A Feminist Perspective zitierend, deren Vorstellung einer „rigid, control-oriented masculinity of the military“ betont und Bezug auf den „global executive“ den Begriff des „ersatz soldier“ prägt (Koller 2004, S. 35).
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Abb. 4.5 Nutzungsfrequenz des Begriffs JING ZHENG in wissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträgen, 1956 bis 2012. (Quelle: Lü (2015); Daten der Datenbank Tongfang o. D.)
Verwerfungen, beispielsweise an den Folgen der DotCom-Krise, der Bankenkrise und schließlich am Wiederauftreten der Staatsschuldenkrise. Das wird in Abb. 4.4 wiedergegeben. Deutlich erkennt man eine Korrelation zwischen den Nennungen kriegerischer Metaphern und der von der EZB gemessenen Umlaufrendite. Dieses krisenbedingte Ansteigen des Zinsniveaus hat die EZB in der Regel mit einer Senkung der Leitzinsen beantwortet.14 In der Tat werden militärische Metaphern heute gerne als Kampfmittel zum Erzielen kognitiver Dominanz in der Wirtschaft genutzt. Schließlich steigt im militärischen Krieg die Bereitschaft, Wirtschaftsstreitigkeiten als Krieg zu bezeichnen, wie die Übersichtstabellen von Martin Shubik und J. Hoult Verkerke (1989: 488–491) zeigen. Noch deutlicher zeigt sich in Abb. 4.5 der Einfluss kriegerischer Metaphern in China mit seinem WTO-Beitritt im Jahre 2001, der als ein Durchbrechen der metaphorischen Schallmauer gesehen werden kann. Lü (2015) zeigt, dass mit der Öffnung von Chinas Wirtschaft um die Jahrtausendwende beispielsweise der Begriff Rivalität selbst, chinesisch mit JING ZHENG (竞争) übersetzt, häufiger als vordem vorkommt. Er ist eher negativ besetzt.15 14Analysiert man die Beziehungen mit Hilfe eines ökonometrischen Modells, so zeigt sich, dass die Erhöhung der EZB-Bilanzsumme um 1 % zu einem Sinken der Umlaufrendite um 0,18 % führt – die Elastizität beträgt also −0,18. Für die DAX-Kurse ist die Elastizität 0,32 und für die Zahl kriegerischer Metaphern 0,22. Das Bestimmtheitsmaß beträgt 0,54 (Blum und Zhou 2015). 15Der Begriff besteht aus zwei Lexemen: Das Lexem JING (竞) wird in traditioneller Schrift 競. geschrieben und besteht aus zwei Teilen, gleichbedeutend wie das lateinische concurrere, dass nämlich zwei Menschen nebeneinander gemeinsam zum Ziel laufen. Der zweite Sinn- des Lexems JING (竞) ist positiv gemeint: stark. JING (竞) ist deshalb eine Übersetzungsvariante für den deutschen Begriff Wettlauf im Sport. Aber in Verbindung mit dem Lexem ZHENG (争) ist JING ZHENG (竞 争) dann eher negativ gemeint, denn ZHENG (争) bedeutet Kämpfen, Streiten und Ringen, was in der chinesischen, konfuzianisch geprägten Kultur unerwünscht oder zu vermeiden ist.
4.2 Die Ordnung der Wirtschaft und der evolutorische Institutionalismus
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Tab. 4.3 Das Wortfeld des Wirtschaftskriegs Handelnde
Handlungen
Mittel
Wirkungen
Aufstellung
Feldherr Führer Armee Truppe Kommando Kämpfer Feind Gegner Eroberer Sieger Besiegter Überlebender Opfer Gefallener Deserteur Veteran Truppe Armee Bataillon
Strategie Operation Taktik Manöver Angriff Verteidigung Verzögerung Stabilisierung Stoß - Gegenstoß Feldzug Kampf Schlacht Marsch Kapitulation Rückzug Zerstören Sprengen Verschanzen Laden
Feuer Torpedo Mine Bombe Granate Sperre Nuklearwaffe Bazooka Gewehr Waffe Munition Kanone Granate Pfeil Speer (-spitze) Geschoss
Siegen Vernichten Zerschlagen Versenken Abschießen Einschlag Einschuss Blut Sprengung Kampfunfähigkeit
Schützengraben Bunker Festung Kampflinie Front Kampfzone Phalanx Hinterhalt Flanke
(Quelle: Koller (2004) und Zhou (2015), eigene Recherchen)
Werden die Kriegsbegriffe, die im Militär sehr konkret sind, als abstrakte Metaphern bei zivilen Personen korrekt verwendet? So versteht ein Soldat unter dem Begriff „Vernichten“, dass die verbliebene Kampfkraft des Gegners bei höchstens 10 % liegt. „Zerschlagen“ impliziert eine Restkampfkraft von höchstens 30 %. Auf einer Härteskala von 1 bis 10 Punkten sollte dann der erste Begriff 9 Punkte, der zweite 7 Punkte bekommen, wenn Befragte ihn richtig eingeordnet haben. Genau dies wurde in einer Gegenüberstellung der Einordnung von (wirtschafts-) kriegerischen Begriffen bei Studenten im ersten Semester und jungen Offizieren geprüft. Tab. 4.3 enthält das Wortfeld des Wirtschaftskriegs. Tatsächlich ordnen Soldaten die oben genannten Referenzbegriffe mit 8,24 Punkten und 7,24 Punkten sehr gut ein; befragte Studenten liegen etwa jeweils 0,7 Punkte tiefer. Die Korrelation zwischen Offizieren und Studenten liegt bei einem Wert von 0,45. Männliche Studenten kommen allerdings mit 0,6 weit nähe an die Offiziere heran als weibliche mit 0,2. Das scheint die These von Verona Koller zu bestätigen, dass der Wirtschaftskrieg ein männliches Gesicht besitzt – was auch der Augenschein bestätigt. Neben dem bellizistischen Jargon sind auch andere Metaphern erwähnenswert. In einem Interview mit dem an Ludwig Wittgenstein anlehnenden, hintersinnigen Titel Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meines Erfolgs zeigt der Philosoph und Managementberater Jürgen Werner (WirtschaftsWoche 2014a), dass die Sprache der
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Wirtschaftsführer vor allem Angst vor Risiko, vor Macht- und Kontrollverlust und vor Fehlern ausdrückt. Ausdrücke wie das „Freisetzen von Mitarbeitern“ seien struktureller Zynismus, das stete Sprechen von „Strategiewechsel“ verrate, dass Strategien, die eigentlich langfristig angelegt sein sollten, gar nicht existierten. Viele Begriffe seien der Mechanik entlehnt, beispielsweise das „Hebeln von Finanzprodukten“, um eine deterministische Sicherheit zu suggerieren, die es tatsächlich nicht gibt. In zwei Beiträgen befasst sich Elke Muchlinski (2014a, b) mit der Kommunikationsstrategie von Zentralbanken während der Finanzkrise und beim Wiederherstellen von Vertrauen. Dabei verweist sie auf die wesentliche Bedeutung von Sprache jenseits des Fachjargons, der nur Insidern zugänglich ist. Tatsächlich ist das, was als Vertrauenskanal in der Krisenanalyse bezeichnet wird, entscheidend für die Vertrauensbildung, weshalb eine Begriffsbildung mittels Kriegsmetaphern der ökonomischen Theoriebildung abträglich ist. Durch Sprache kann die Frage von Schuld, also die Zuordnung von Täter = böse und Opfer = gut, neu zugeordnet werden. Das wird immer dann wichtig, wenn plötzlich Opfer zu Tätern werden. Das Konstruieren politisch korrekter Täter-Opfer-Hierarchien gelingt beispielsweise dadurch, dass das abweichende Verhalten eines aus einer eigentlichen Opfergruppe in ein anderes Kategoriensystem eingeordnet wird (Ullrich und Diefenbach 2017, S. 110–120). Im Kontext des Wirtschaftskriegs sichtbare Fälle finden sich in der Zerstörung von Gewerkschaftsunternehmen wie der Bank für Gemeinwirtschaft, der Ladenkette co op oder der Neuen Heimat in den achtziger Jahren, die nie als Systemfehler, sondern nur als persönliche Fehlleistungen kategorisiert wurden. Bemerkenswert ist der Umgang des US-Präsidenten Donald Trump mit der Sprache, weil er in restringiertem Sprachcode die Missachtung klassischer moralischer Standards des Regierungshandelns kommuniziert mit dem Medium Twitter verbreitet und bei seiner Wählerschaft mit dieser unterkomplexen Weltsicht Identität stiftet – damit Realität schafft und Bereitschaft zu Aggressivität gegen das „etablierte System“. Sprache prägt schließlich auch das, was als wahr und falsch angesehen wird, vor allem deshalb, weil erste Nachrichten kaum aus dem Hirn zu löschen sind. Dies wird zunehmend in der sogenannten Fake-News-Debatte offenbar. Vor allem dann, wenn dies in einen frame, also einen sprachlichen Bezugsrahmen, gesetzt wird, der tief verankert ist. Inzwischen werden Datenspuren und Mimik verwendet, um konkrete Gedanken von Menschen zu identifizieren. In die Diskussion gekommen ist daher das EZB-Speak, also eine Sprache seitens der Europäischen Zentralbank, mit der sie mit den Märkten kommuniziert. Sie bleibt außerhalb eines Kreises von Fachleuten weitgehend unverständlich und unterhöhlt daher ihre Legitimität, wie Markus Zydra (2019) in Schluss mit Orakeln ausführt.
4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation
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4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation Zu den wichtigsten den Wettbewerb stabilisierenden, also die Rivalität produktiv kanalisierenden Institutionen zählt der marktwirtschaftliche Ordnungsrahmen. Der Wirtschaftskrieg der Unternehmen und noch mehr der Wirtschaftskrieg der Staaten sind beide in der Lage, ihn zu zerstören. Denn nur durch ihn kann sich wirtschaftliche Produktivität langfristig entfalten, wie auch die Geschichte zeigt, für die Angus Maddison (2007) in den Contours of the World Economy 1–2030 AD ein datengestütztes Überblickswerk vorgelegt hat. Insbesondere die historischen Umbrüche des 19. Jahrhunderts haben viele noch für die Gegenwart gültige Pfadabhängigkeiten geschaffen, die gleichermaßen geisteswissenschaftlich wie geostrategisch Bedeutung besitzen, wie Jürgen Osterhammel (2016a) in Die Verwandlung der Welt zeigt. Ordnung als Gegenstück zu Chaos ist vor allem unter Bedingungen hybrider Kriege von höchster Relevanz und wird daher im Folgenden thematisiert.
4.3.1 Rationale Ordnungen: die ökonomische Begründung von Wohlstand Zentrales Ziel des Wettbewerbs ist es, Wohlstand zu erzielen. In der ökonomischen Theorie wird dieser auf drei systematische Ansatzpunkte zurückgeführt: 1. Reichtum durch Produktionsfaktoren: Die Natur bzw. der Boden ist aus Sicht der Physiokraten, vor allem François Quesnay (1694–1774) und Jacques Turgot, Baron de l’Aulne (1727–1781), deshalb als Wohlstandsspender evident, weil scheinbar nichts geschehen muss, um das Entstehen von Gütern bzw. Nahrungsmitteln zu ermöglichen. Die Produktivität von Arbeit geht auf Aristoteles, Thomas von Aquin, Adam Smith und Karl Marx zurück, die die Arbeitswertlehre prägten. Die Produktivität von Kapital wird besonders seitens der französischen Schule von Jean-Baptiste Say betont. Wenn nun Renditen (bzw. der Mehrwert) an Eigner von Produktionsfaktoren fließen, die als nichtproduktiv angesehen werden, entsteht Ausbeutung: Da Karl Marx (1867) allein die Arbeit als produktiv ansah, ist Ausbeutung zu konstatieren, wenn die Zuordnung von Gewinnen (der Mehrwert) zu den Bodeneignern (Vorwurf an den Kolonialismus) oder den Kapitaleignern (Vorwurf an den Kapitalismus) erfolgt, weil, wie bei François Quesnay (1758), nur der Boden produktiv ist bzw. im Sinne von Jean-Baptiste Say (1803) allein das Kapital Quelle des Reichtums darstellt. Klassenkampf und Kolonialismus können damit als Wirtschaftskrieg angesehen werden, je nachdem, wie die definitorische Übereinkunft zu Quellen des Reichtums und dazugehörigen Eigentumsrechten lautet. 2. Arbeitsteilung und Handel: Der zweite Erklärungsstrang für Wohlstand bezieht sich auf die Arbeitsteilung, wie sie von Adam Smith (1776) verdeutlicht wird. Denn
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
dadurch, dass jede Person bzw. jede Region das tut, was sie am besten kann, können alle Beteiligten Spezialisierungsvorteile realisieren. David Ricardo (1817) griff diese Idee auf und führte in seiner Theorie der komparativen Kosten aus, nicht absolute, sondern relative Kostenvorteile seien bedeutsam, um den Ertrag vom Freihandel zu vereinnahmen. Auf die Bedeutung von Informationsfluss und Sprache, vor allem deren Standardisierung, welche Kooperationsstrukturen erleichtert, war bereits weiter oben verwiesen worden (Blum und Dudley 2001, 2003). Als Gegenbeispiele des Freihandels sind die Kontrolle der Handelswege, das Abschöpfen von nicht leistungsbedingten Wegezöllen (Wegelagerei), die Piraterie oder der Boykott von Waren und das Blockieren von Häfen zu nennen; sie sind auch typische Instrumente des Wirtschaftskriegs. 3. Externalitäten:16 An diese hatte bereits Friedrich List (1841) gedacht, als er die Bedeutung von Institutionen herausstrich und die optimale Kombination von Humanund Sachkapital zu dem, was heute als Organisations- und Sozialkapital bezeichnet wird, betonte. Paul Romer (1986) zeigt das besonders am Wachstum, das heute zu einem großen Teil wissensgetrieben ist und keine einfache Vermehrung von Produktionseinsatz darstellt. Dabei spielen technologische Milieus eine wichtige Rolle, ebenso wie verwendungsoffene Technologien (general purpose technologies (GPT); Bresnahan, Trajtenberg 1995; Helpman 1998), die wiederum effiziente Clusterstrukturen begünstigen (Blum 2008, 2013c). Der Aufbau von Externalitäten und Clustern kann wiederum von Staaten im Sinne eines strategischen Ansatzes zum Erzwingen einseitiger Vorteile – bis hin zum Wirtschaftskrieg – genutzt werden. Auf diese setzen die neue Außenhandelstheorie und die Industrieökonomik auf, die betonen, dass Staaten durch strategischen Handel in der Lage sind, gezielt Vorteile auf sich zu ziehen. Ergänzt wird das durch das Konzept des task trade, also einem Handel, bei denen sich die Arbeitsteilung entlang der separierbaren Aufgabeninhalte die Transaktionskosten minimiert; diese Theorie dient vor allem dazu, das Offshoring zu erklären. Vorteile besitzen solche Standorte, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Substanz, oft ihres industriellen Erbes, transaktionskostenminimal arbeiten und in hohem Maße externe Effekte ausschöpfen können (Grossman, Rossi-Hansberg 2008). Diese drei Ebenen werden, wie Otfried Höffe (2016) in seinem Beitrag Dürfen Unternehmer Gewinne machen? verdeutlicht, auch durch die großen politischen Philosophen angesprochen. Dabei wird klar, dass Wohlstand durch Produktion nicht nur aus Profitinteresse entsteht, sondern auch im Drang, öffentliche Anerkennung zu finden – er nennt Thales von Milet als Beispiel. Für den Handel und damit auch für das Finanzwesen können John Locke oder Voltaire als Referenz dienen. Die Externalitäten beziehen sich auf Rahmenbedingungen, die erstmalig Adam Smith anspricht. Das wird später vertieft.
16Kostendegressionsvorteile, Verbundvorteile, Netzwerkvorteile, Agglomerationsvorteile, Lernkurveneffekte.
4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation
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4.3.2 Evolutorische Erklärungsansätze für Aufstieg und Fall von Zivilisationen Offensichtlich besitzen die Ordnungsprinzipien der Gesellschaft eine wesentliche Bedeutung für ihre Entwicklung, weshalb sich die Wachstumstheorie jenseits der formalen Modelltheorie früh mit den Rahmenbedingungen, insbesondere auch Regelwerken, befasste, die Wohlstand begründen. Sie knüpft dabei an eine frühere Debatte der (funktionalistischen) Entwicklungsökonomen, beispielsweise Gunnar Myrdal (1967, 1968), Albert Hirschman (1968, 1970) und Mancur Olson (1982) an, die später von der neuen Institutionenökonomik aufgegriffen wurde, insbesondere von Douglass North (1981) sowie in einer Serie wirtschaftshistorischer Analysen von Ulrich Blum und Leonard Dudley (1989, 1991, 1996, 1999, 2000, 2001), welche die Bedeutung von Sprunginnovationen im Informationssektor und deren gesellschaftliche Nutzung zum Aufbau von Wissenskapital im Bildungssystem aufzeigten. Damit beziehen sie sich auf eine spezifische Tradition der Informationsökonomik, die Harold Innis (1950, 1961) begründete. Die enge Korrelation von Bildungsausgaben und Wachstum wurde bereits von Friedrich List (1841) thematisiert und kürzlich von Eric Hanushek und Ludger Wössmann (2015) in einer internationalen Studie The Knowledge Capital of Nations: Education and the Economics of Growth nachgewiesen. Benedikt Koehler (2014) zeigt in seinem Buch Early Islam and the Birth of Capitalism, wie die islamische Hochkultur eine freie Wirtschaft und gesellschaftlich produktive Institutionen, vor allem im Bereich Bildungs- und Sozialkapital, hervorbrachte. Denn dem Religionsgründer Mohammed stand infolge seiner Herkunft aus dem Nomaden- und Unternehmertum beides sehr nahe. Später brachten die Kreuzritter diese Gedanken nach Europa und befruchteten damit die Aufklärung. Damit rücken die tief liegenden, möglicherweise über Jahrhunderte wirkenden Grundlagen in das Zentrum des Interesses, wie Enrico Spolaore und Romain Wacziarg (2013) zeigen, die dabei nicht nur auf direkt wirkende Produktivitätseffekte, sondern auch auf indirekte Wirkungsmechanismen eingehen, die untergründige Innovationsbarrieren beiseiteräumen können. Daron Acemoglu und James Robinson (2012) führen in ihrem Opus Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity and Poverty ein Gegensatzpaar ein, um den Erfolg von gesellschaftlicher Entwicklung bzw. deren Misserfolg zu erklären: Inklusive Institutionen begünstigen die gesamte Gesellschaft, extraktive hingegen ermöglichen die Ausbeutung von Teilen zugunsten von herrschenden Eliten; der direkte wirtschaftskriegerische Bezug zur Finanzkrise ist evident. Ihre Behauptung geht dahin, dass ein Großteil des Misserfolgs von Nationen in ihrer Entwicklungsgeschichte darauf zurückzuführen ist, dass hier in erheblichem Maße extraktive Institutionen vorherrschten, beispielsweise der eher staatlich und kriegerisch organisierte Außenhandel Spaniens gegen den kaufmännisch organisierten Englands, womit eine wesentliche kulturelle Voraussetzung für die spätere Industrialisierung erbracht wurde. Gegenwärtig sind gute Indikatoren für extraktives Handeln auf privater Ebene das Schwarzgeldaufkommen bestimmter Länder, vor allem Asiens, die Steuerhinterziehung und deren Gegenstück –
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Abb. 4.6 Das nationale Kapital ausgewählter Länder, 1870 bis 2010. (Quelle: eigene Darstellung mit Daten aus Piketty 2013)
die Steueroasen – und auf staatlicher Ebene die oligarchisch-oligopolistischen Gesellschaftsstrukturen vieler Schwellenländer. Oft fällt beides zusammen. Genau in dieser internationalen Dimension liegt eine Schwäche der Argumente, weil zu erklären ist, weshalb Inklusion mit Rückständigkeit einhergehen kann – die Tradition Englands hat Indien nicht geholfen. Wichtige inklusive Institutionen sind die klare Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit des Gerichtswesens, der Parlamentarismus und eine effiziente, unbestechliche Verwaltung. Wenn Thomas Piketty (2013) in seinem Buch Le capital au 21ème siècle schreibt, eine neue Aristokratie entstünde, weil Kapitalrenditen dauerhaft über den Wachstumsraten der Wirtschaft lägen (r > g), die sich Eliten dauerhaft in der Lage sind anzueignen, dann verdeutlicht dies eine quasi marktgesteuerte, extraktive Verhaltensweise, die der Staat im Wettbewerb der Systeme nicht eindämmen kann – und verweist darauf, dass sich diese Aristokratie, wie seinerzeit im Absolutismus, eine eigene Ethik anmaßt, mit der sie sich über Belange Dritter hinwegsetzen kann; diese Aussagen hat bereits früher der Jesuit Friedhelm Hengsbach getroffen. Zudem zerstöre Einkommen aus Vermögen langfristig den Leistungsanreiz und damit eine schöpferische Kraft des Kapitalismus. Abb. 4.6 zeigt die Entwicklung des nationalen Kapitals der vergangenen 140 Jahre in ausgewählten Ländern. Deutlich sichtbar sind die Folgen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Rainer Rilling (2014) bringt das politisch-ökonomische Spannungsfeld, das das Buch aufwirft, auf den Punkt: „Der besondere Wert seines ‚Geschichtsbuchs‘ (Piketty) aber liegt in dem grundlegenden Wandel des Blicks auf die Geschichte der Ungleichheit des Kapitalismus, den der Autor im Ergebnis seiner Datenanalyse vorschlägt. Er formuliert eine empirisch grundierte Gegenthese zu dem einschlägigen großen ‚Märchen‘ der US-Wirtschaftswissenschaften, das 1953/54 der einflussreiche damalige Präsident der American Economic Association, Simon
4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation
213
Abb. 4.7 Zahl der Millionäre, 2017. (Quelle: eigene Darstellung und Berechnungen aus Capgemini 2018, S. 11)
Kuznets, in mehreren Studien formulierte, wonach die wachsende Ungleichheit in der Entstehungsphase des Kapitalismus mit der zunehmenden Industrialisierung von einer gleichsam ewigen Ära zunehmender Gleichheit abgelöst worden sei. Eine Erzählung mit Happy End, die gut in die kalte Zeit der Systemkonkurrenz gepasst hat.“
Genau dieses happy end, dass nämlich mehr Reichtum für eine Gruppe auch weniger Armut für die unteren Schichten bedeutet, ist aber immer weniger zu gewährleisten. Ungleichheit ist gleichermaßen Anreiz und Bedrohung: Christian Lessmann (2015) verweist in einem Beitrag Regional Inequality and Internal Conflict auf das mit der Ungleichheit signifikant zunehmende Risiko von Konflikten innerhalb und zwischen Regionen bzw. Ländern. Walter Scheidel (2017) ergänzt in seinem Buch The Great Leveller: Violence and the History of Inequality from the Stone Age to the Twenty-First Century, dass genau diese Konflikte neben Pandemien und Naturkatastrophen – faktisch apokalyptisch – wieder Gleichheit erzwingen. An vielen Stellen führt er aus, wie weitgehend Gewalt Unterschiede einebnet und wie stark sie gerade die Expansion des Staats und seines Steuersystems befördert hat (Scheidel 2017, S. 233, 386). Starmans, Sheskin und Bloom (2017) führen in Why People Prefer Unequal Societies aus, das Problem sei nicht die Ungleichheit, sondern die Unfairness, gegen die sich die Menschen wehrten. Norbert Berthold (2016) schlägt vor dem Hintergrund der Analyse von Thomas Piketty vor, durch mehr Markt im Sinne von Mitarbeiterbeteiligung das Problem zu entschärfen. Angesichts der Trivialität, dass die politische Mitte der wesentliche Anker demokratischer Tugenden ist, scheint das Verhindern ihrer Pauperisierung von hoher Bedeutung für die Stabilität moderner Staaten. Carlos Goés (2016) vom Internationalen Währungsfonds hat inzwischen die Kapitalismusformel von Thomas Piketty in einer ökonometrischen Analyse Testing Piketty’s Hypothesis on the Drivers of Income
214
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Inequality: Evidence from Panel VARs with Heterogeneous Dynamics widerlegt – und die Ursache sei das Unterstellen einer konstanten Sparquote in den Ländern, die aber nicht existiere. Laut OECD (2011) ist Ungleichheit heute vor allem vom technologischen Wandel getrieben. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung wiederum belegt, dass es vor allem die Digitalisierung in Verbund mit der Markmacht sind, die Löhne unter Druck setzen (Hagelüken 2018). Weitere Ursachen zunehmender Ungleichheit ergeben sich durch die Immigration wenig Qualifizierter und die wachsende Konzentration der Unternehmen – teilweise gebündelt durch Vermögensfonds – und der damit zurückgehenden Wettbewerbsintensität, die dauerhaft überhöhte Gewinne gewährleistet. Dies wird später thematisiert. Im Beitrag The Rate of Return on Everything, 1870–2015 stützen Òscar Jordà, Katharina Knoll, Dmitry Kuvshinov, Moritz Schularick und Alan M. Taylor (2017) die Aussagen von Thomas Piketty und zeigen, dass in der US- Beobachtungsperiode die Kapitalrenditen über dem Wirtschaftswachstum lagen und die schlechte Produktivitätssteigerungen in jüngster Zeit dies verstärkt haben. Capgemini (2018, S. 8) zeigt in seinem jährliche World Wealth Report 2018 für das Jahr 2017 eine Zunahme der großen Vermögensinhaber global von knapp 10 %, aber mit deutlichem Schwerpunkt auf Europa, Nordamerika und vor allem Asien. Abb. 4.7 unterstützt dies und zeigt die regionale Verteilung der US-Dollar-Millionäre17, die auch auf die Größe der Bevölkerung bezogen ist und die Dominanz der Schweiz belegt. Für das Jahr 2018 verzeichnet Capgemini (2019) einen leichten Rückgang gleichermaßen beim Finanzvermögen wie bei der Zahl der Millionäre. Das Wealth Management der Union Bank of Switzerland (UBS) zählt weltweit 1542 Milliardäre mit 6 Billionen Dollar Vermögen, davon hälftig in den USA, aber mit hohen Zuwachsraten in Asien. Sie seien verantwortlich für rund 28 Mio. Arbeitsplätze, für ein Drittel der Kunstsammlungen oder erhebliche Anteile großer Spenden bzw. Stiftungen (Börsen-Zeitung 2017f). Daron Acemoglu und James Robinson erwähnen, dass die Unterscheidung in extraktiv und inklusiv für die Beschreibung des ökonomischen Erfolgs von Gesellschaften wesentlich ist und andere Faktoren, wie Religion oder Standorte, demgegenüber zurücktreten. Damit begeben sie sich in den Gegensatz zu anderen Arbeiten. Joel Mokyr (2016) führt in A Culture of Growth: The Origins of the Modern Economy aus, dass gerade die geographisch-politische Fragmentierung und die damit verbundene übernationale Existenz von Eliten ein wichtiger Faktor ist, der Europa einzigartig macht. Jared Diamond (1997) analysiert in seinem Buch Guns, Germs, and Steel die Bedingungen der neolithischen Revolution, weshalb Europa bzw. Eurasien besonders von dieser profitierten, und findet dafür drei entscheidende Argumente: die Vielfalt an Kulturpflanzen in einem dem Menschen zuträglichen Klima; die O st-West-Orientierung, die aus klimatechnischen
17Man
spricht von sog. HNWI (High-Net-Worth-Individuals), also Personen mit einem investierbaren Vermögen von mindestens 1 Mio. US$; solche Vermögenswerte, die nicht investiert werden können, beispielsweise Wohnimmobilien, sind in der Abgrenzung von Capgemini nicht berücksichtigt.
4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation
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Gründen Technologien und Handelssysteme erleichterte, und eine dynamische Bevölkerungsentwicklung, die immer wieder durch große Plagen (beispielsweise die Pest) eingedämmt wurde, die wiederum zu einer gesundheitlichen Immunisierung geführt haben. Das ermöglichte das Ausdehnen der Arbeitsteilung, eine dynamische Entwicklung von neuen Technologien und schließlich auch eine Bevölkerungsexpansion. Forschungen zeigen allerdings, dass die Pflanzenzüchtung zunächst an vielen Stellen des Fruchtbaren Halbmonds Mesopotamiens rund 10.000 v. Chr. begann (Riehl 2014), es vor allem die Koevolution der Milchwirtschaft war, also die Zucht des Milchviehs ebenso wie die Laktoseverträglichkeit jenseits des Kleinkindalters, die die moderne Landwirtschaft und damit Europa begünstigte (Cook 2014; Curry 2014). Hansjörg Küster (2013) weist in seinem Buch Am Anfang war das Korn darauf hin, dass erst die Pflanzkulturen die menschliche Zivilisation ermöglichten. Als in Europa das Anbaupotential durch Raubbau zu Beginn der Neuzeit erschöpft war, weil die Kohabitation vieler sich ergänzender Pflanzen zugunsten der Intensivierung aufgegeben worden war, versuchten die Nationen, einen Ausgleich durch die Kolonisierung der übrigen Welt zu finden. Diese die Sozialstrukturen beeinflussende Bedeutung des Ackerbaus zeigt weitere Wirkungen. Je nach Kooperationsbedarf entwickeln sich individualistische Getreideanbaugesellschaften oder kollektivistische Reisanbaugesellschaften, wie eine Arbeitsgruppe um Thomas Talhelm et al. (2014) anhand von Analysen in China ausführt. Allerdings sind diese neolithischen Bedingungen auch zu relativieren, wie Hermann Parzinger (2014) in seinem Buch Die Kinder des Prometheus zeigt, weil die Synchronisierung von Viehzucht und Ackerbau sehr unvollkommen war, auch von den Klimazonen abhing und die technologischen Irreversibilitäten – industrieökonomisch: die versunkenen Kosten – beträchtlich waren. Die Sprachfertigkeiten wurden teilweise durch diese neolithische Revolution geprägt und erklären auch in einem gewissen Maße die Dominanz der fünf großen Sprachfamilien der Alten Welt (Heggarty 2014).18 Das verweist als generelle Erkenntnis auf das spätere Werk von Jared Diamond (2005) Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed. Hier treibt er die Gedanken des Systemzusammenbruchs auf die Spitze, indem er den Umgang von Gesellschaften mit Bedrohungen zu einem bewussten Vorgang macht, ihnen, wie der Titel zeigt, eine Wahl eröffnet. Er identifiziert dabei fünf zentrale Faktoren, die er an fünf historischen zivilisatorischen Katastrophen überprüft; diese sind im oberen Teil der Tab. 4.4 aufgeführt: die Maya-Zivilisation, deren landwirtschaftliche Basis durch Übernutzung der Böden und Klimawandel implodierte, welche wiederum zu Bürgerkriegen um die Ressourcenbasis führte, ganz ähnlich wie auch die Anasazi-Indianer, bei denen zunehmende Trockenheit der kritische Faktor war; die Osterinseln, deren Bevölkerung
18Die
durch die Verbreitung der Landwirtschaft geprägten Sprachfamilien der Alten Welt sind das Indoeuropäische, das Sinotibetische, das Austronesische, das Afroasiatische und die Niger-KongoSprachen; die neue Welt kennt ein weit differenziertes Bild von zehn Sprachfamilien (Heggarty 2014).
X
Mittelmeerreiche (12. Jh. v.Chr.)
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Johnson (2008)
X
Azteken (Mittelamerika, 15. Jh.)
X X X
X
Gana (Afrika, 9. Jh.)
X
X
X
Wikinger (Grönland 15. Jh.)
X
X
Pitcairn-Inseln (Pazifik, X 15. Jh.) X
X
X
Oster-Inseln (Pazifik, 15. Jh.)
X
X
X
Anasazi-Indianer (Utah, 13. Jh.)
X
Abschottung, Zerstören der Handelsbeziehungen
X
Feindliche Nachbarn, Invasoren
Maya (Mittelamerika, 9. Jh.)
Umweltprobleme, Epi- Klimaveränderung, demien, Bevölkerungs- Naturkatastrophen wachstum
Tab. 4.4 Fallstudien des Niedergangs
X
X
X
X
X
X
X
X
Unvermögen des Lösens gesellschaftlicher Probleme
216 4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation
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sich durch Abholzen der Wälder die Lebensgrundlage nahm; die durch die „Meuterei auf der Bounty“ bekannten Pitcairn-Inseln, bei deren Bevölkerung Jared Diamond ergänzend den demographischen Kollaps ins Spiel bringt, weil irgendwann jeder mit jedem verwandt ist und damit Inzest-Regeln greifen, die natürliche Vermehrung begrenze; die Wikinger in Grönland, die bereits bei ihrer Landnahme auf eine kaum tragfähige Ressourcenstruktur trafen, die sie dann übernutzten – insbesondere auch bei Verwendung der fossilen Rohstoffquelle Torf –, was schließlich angesichts der Kälteperioden die Kolonisatoren zur Aufgabe zwang. Die folgenden drei Zusammenbrüche ergänzen das: In seinem Buch 1177 B.C., The Year Civilization Collapsed beschreibt der Direktor des Archäologischen Instituts der George-Washington-University Eric H. Cline (2014) den Zusammenbruch der alten Großreiche der Bronzezeit innerhalb von kürzester Zeit als Folge eines Engpasses in der Metallversorgung, ergänzt durch den Migrationsdruck durch Seevölker, die über viele Jahrzehnte hinweg vom Meer aus Auszehrungskriege entfachten und die Handelswege lahmlegten, wodurch strategische Rohstoffabhängigkeiten ihre kulturzerstörende Wirkung entfalten konnten. Das Reich Gana in Afrika fiel islamisch Eroberern anheim und das der Azteken den unterdrückten Nachbarn und den spanischen Eroberern zum Opfer. Auch massive Erdbeben und Klimaveränderungen können einen zerstörerischen Beitrag geleistet haben. Die Klimaforschung (Anderson, Johnson, Koyama 2015; Blom 2017; Camenisch 2016) belegt die destabilisierenden und gewaltauslösenden Wirkungen von Wetter- und Klimaschocks im letzten Jahrtausend, die im Zusammenwirken mit anderen Auslösern ein hochinterdependentes System darstellt (Fischer 2017). So fiel die Reformation des 15. Jahrhunderts in eine Zeit großer Instabilität durch Seuchen und Missernten, die das Auftreten neuer Autoritäten begünstigte. Dies verdeutlicht schließlich auch einen zentralen Faktor des Niedergangs: schlechte Governance, also fehlende Problemlösungskapazität von Gesellschaften, meist einhergehend mit extrem extraktiven, die Nachhaltigkeit vernachlässigenden Herrschaftsstrukturen. Das Werk von David Landes (1998) The Worth and Poverty of Nations geht der Frage nach, worin die wesentlichen, wohlstandsbegründenden Differenzierungsmerkmale des Westens bestehen, und weist auf folgende wesentliche Charakteristika hin: die günstige geographische Lage – analog zu Jared Diamond; geeignete politische Rahmenbedingungen, die sich durch eine Fragmentierung der Bevölkerung und Dezentralität der Entwicklungszentren ergaben, wodurch die Ausbeutung begrenzt wurde und die Löhne steigen konnten; der dadurch erzeugte Innovationsdruck, der die Technologieentwicklung vorantrieb; schließlich, im Sinne von Max Weber, ein Wertesystem, das Arbeit als täglichen Gottesdienst ansah. Man erinnere sich daran, dass auch Charles-Louis Montesquieu (1748) im L‘esprit des lois zeigt, wie stark institutionelle Strukturen von geographisch-klimatischen Gegebenheiten abhängen. Diese Betrachtungen schließen an ein früheres Werk von David Landes (1969) über den Unbound Prometheus an, in welchem er die systemkritischen Innovationen Europas seit der Industriellen Revolution betrachtet. Neben den klassischen Faktoren wie Ersetzen von Arbeit durch Technik, Kraftmaschinen und die verbesserte Kenntnis der stofflichen Materialeigenschaften, vor
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allem bei Metallen und in der Chemie, benennt er auch die neue Arbeitsdisziplin der Fabrik. Eine wesentliche Ausprägung dieser industriellen Orientierung sieht Gregory Clark (2007a) in seinem Buch A Farewell to Alms in der in den europäischen Staaten überlegenen Nutzung des Produktivfaktors Arbeit. Offensichtlich werden zum Herausbilden dieses Vorzugs eine langanhaltende Siedlungsgeschichte und dauerhafte Perioden der Sicherheit benötigt. Er behauptet, Ober- und Unterschichten unterschieden sich genetisch mit starken ökonomischen Folgen. Am Beispiel von England führt er aus, dass die starke demographische Reproduktion der Wohlhabenden ab dem Jahr 1200 bei insgesamt stagnierender Bevölkerung zwar zu deren Verarmung führte, sich dadurch aber deren Wirtschaftsgesinnung ausbreitete. Verfügbare Technologien konnten daher in voller Breite genutzt werden. In einem Interview (Clark 2007b) über Das kapitalistische Gen weist er insbesondere auf die sich verändernde Zinspräferenz hin, die in der Menschheitsgeschichte zu sinkenden Zinssätzen führte. „Wer keine Geduld hat, den muss man daher mit einem hohen Zinssatz locken, um Kapital zu investieren.[…], damit ein Land wirtschaftlich erfolgreich sein kann, muss es die Kultur und damit die Menschen ändern; das braucht Zeit.“ Damit knüpft er an das Erfordernis institutioneller Änderungen als Vorbedingungen für Entwicklung an. Douglas C. North, John J. Wallis und Barry R. Weingast (2009) postulieren in Violence and Social Order eine Dialektik, in der die Gewalt politisch eingehegt wird, wodurch langfristig offene Gesellschaften entstehen, die den Wettbewerb begünstigen und sich dann dynamisch entwickeln. Denn Gesellschaften hätten ein Interesse, Gewalt einzuhegen, und werden deshalb gewalttätigen Mitgliedern, die oft den Staat kontrollieren, eine Rente geben, die höher ist als der Ertrag aus Gewaltausübung. Ausgangspunkt sind Ordnungen mit begrenztem Zugang für die Individuen (limited-access order, LAO). Abhängig von der Fähigkeit, Gewalt zu unterdrücken und wirtschaftliche und politische Ordnung zu etablieren entwickeln sich diese von einem fragilen Zustand – die Stabilität ist unter stetem Druck – über eine Grundordnung – es gibt mehr Stabilität und Resilienz – hin zu einer reifen Ordnung, die auf Dauer angelegt ist und eine hohe Anzahl Eliten Raum zur Entwicklung gibt. Im Gegensatz dazu liegt Ordnungen mit offenem Zugang (open-access order, OAO) ökonomischer und politischer Wettbewerb zugrunde. Es ist vor allem der Vertrauensvorschuss der Eliten gegenüber der Bevölkerung, der diesen Sprung von einer LAO zu einer OAO erlaubt, weil diese glauben, sich besser als vorher zu stellen, und damit das moderne Verfassungssystem schafft. Im Sinne des memetischen Dreiecks beschreibt er den Weg von der hierarchischen, auf Befehl und Gehorsam aufbauenden Gesellschaft, in die des Teilens, was auch bestimmte Aspekte der weiter oben genannten Dialektik von extraktiven und inklusiven Routinen beinhaltet. Tatsächlich lässt sich die Frage, ob rent-seeking schädlich ist oder nicht und sogar eine Form des profit-seeking beinhaltet, nur auf einer Zeitachse beantworten. Douglas C. North, John J. Wallis und Barry R. Weingast (2009) behaupten daher, dass das
4.3 Ordnungsökonomik als Dach für Rivalität und Kooperation
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Polische Ordnung
begrenzter Zugang
Stabilität (Autokrae)
offener Zugang
Instabilität (transitorisch) 1 2 3 4
offener Zugang
wirtschaliche Ordnung
begrenzter Zugang
Instabilität (transitorisch)
Stabilität (offene Gesellscha)
Abb. 4.8 Portfolio der gesellschaftlichen Entwicklungsoptionen. (Eigene Darstellung nach Pies 2008, S. 15)
klassische rent-seeking aus der Position der Entwicklungsökonomie eine völlig falsche Sicht auf die zugrunde liegenden Prozesse ergibt. Bereits durch Jagdish Bhagwati (1982, 1983) wurde die Vorstellung von einer grundsätzlichen Schädlichkeit des rent-seeking relativiert. Tatsächlich halten die Einschätzungen von Mancur Olson (1982) oder von Albert Hirschman (1968), dass die Suche nach Renten immer schlecht sei, dem empirischen Befund nicht stand. So würden gerade in ärmeren Ländern die Eliten, die Renten abschöpfen, genau dadurch im Land gehalten und wären Vertreter stabiler (allerdings totalitärer oder autoritärer) Herrschaftsformen. Würden diese Renten demokratisiert, käme es entweder zu einem Konflikt der Eliten mit der eigenen Bevölkerung, ganz wie es auch Wilfredo Pareto (1916) sah, oder diese wanderten einfach ab. Es bedarf eines Mindestniveaus an Einkommen, um ein gemeinsames Interesse von Eliten und Bevölkerung an einer Demokratisierung zu finden, das die Autoren bei rund 8000,- Euro Jahreseinkommen pro Kopf der Bevölkerung ansetzen. Damit verlieren die klassischen Unterscheidungskriterien von Institutionen, insbesondere inklusive oder extraktive Arrangements, an Erklärungskraft. Denn das extraktive Verhalten von heute kann morgen ein inklusives Verhalten ermöglichen. So beinhaltete der klassische Kolonialismus immer eine extraktive Strategie zulasten der abhängigen Völker, erlaubte aber auch die Entwicklung im Heimatland, was am englischen Beispiel besonders gut zu sehen ist. Auch die Industrialisierung kann als extraktive Verhaltensweise eingeordnet werden, wie die Geistesgeschichte, insbesondere bei Karl Marx (1867) zeigt.
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Ingo Pies (2008) hat den begrenzten bzw. den offenen Zugang in Bezug auf die politische und die ökonomische Realisierung im Sinne der Interdependenz der Ordnungen von Walter Eucken (1940, 1952) einander gegenübergestellt. Daraus ergeben sich zwei stabile und zwei instabile Strukturen. Im Fall der Stabilität entstehen in der ersten Ordnung leistungslose Renten durch Abschottung. Infolge der Art der Organisation der Wirtschaft im Sinne des memetischen Dreiecks haben derartige autoritäre Formen meist begrenzte Entwicklungspotentiale. Die zweite stabile Form umfasst die klassischen Wachstumsökonomien, die Leistungsrenten durch Wettbewerb anbieten. Problematisch bleiben die beiden anderen Quadranten, die entweder eine autoritäre politische Ordnung mit offener Wirtschaft zeigen – wie das Modell China – oder das Gegenteil – das Modell Russland. Entscheidend ist die Frage, welcher Weg im Übergang gewählt wird, welche Fessel also zuerst gesprengt wird, die ökonomische oder die politische. Hinsichtlich des wirtschaftlichen Erfolgs erscheint das Modell China geeigneter als das Modell Russland. Abb. 4.8 verdeutlicht die Struktur. Tatsächlich zeigen aber auch Gesellschaften mit gleichzeitig offenem ökonomischen und politischen Zugang Ermüdungs- wenn nicht sogar Verfallserscheinungen. Wie Francis Fukuyama (2015) in seinem Beitrag Warum steht es so schlecht um die Demokratie ausführt, werden die Mühen einer dauerhaften Demokratie unterschätzt, weshalb sich gerade junge Demokratien von ihr zugunsten autoritär gelenkter Staatsformen abwenden. Denn auch gute Staaten in offenen Gesellschaften bedürfen des Zwangs, um ihr Funktionieren zu gewährleisten, weshalb die Einsicht hierin und die Kooperationsbereitschaft – die Einsicht in das Notwendige – zwingend für die Systemstabilität sind. Allerdings gelingt es aber nur mit Schwierigkeiten, die dafür erforderlichen Institutionen hinreichend zügig – und öffentlich akzeptiert – bereitzustellen. In jedem Fall spielen Zeitpräferenzen für die Frage des Erfolgs von Gesellschaften eine wichtige Rolle, wie bereits in der Debatte sichtbar wird, ob Manager den kurzfristigen Erfolg des Unternehmens (shareholder value; vgl. hierzu das neunte Kapitel) maximieren sollen – im Extremfall als aktivistischer Chef eines Eigenkapitalfonds, der Unternehmen unter Druck setzt – oder es besser sei, sich an langfristigen Zielen zu orientieren. Geduld kann ein wichtiger Erfolgsfaktor sein, den heutigen Nutzen zugunsten der Zukunft zu opfern (Falk 2018). Das Buch von Niall Ferguson (2011) schließlich beschreibt in Civilisation: The West and the Rest sechs Killerapplikationen des westlichen Wohlstands, nämlich das Wettbewerbssystem, das Wissenschaftssystem, das Rechtssystem und Eigentumsrechte, eine professionelle Medizin, die Konsumorientierung und schließlich das Arbeitsethos, ganz im Sinne von Max Weber. Das Problem der westlichen Moderne sei, dass diese Applikationen problemlos von konkurrierenden Gesellschaften heruntergeladen werden können, während der Westen sie sogar selbst aus seinen Systemen löscht. Ricardo Duchesne (2011) argumentiert in seinem Buch über die Uniqueness of Western Civilization, dass zum Schaffen dieser Erfolgsfaktoren bestimmte Grundstrukturen erforderlich waren, die bereits in der aristokratischen Kriegerkultur der Indogermanen angelegt waren, insbesondere das Freiheits- und Individualismuskonzept und
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das Orientieren des Handelns nach Vernunftskriterien sowie ein faustischer Antrieb, der Eliten weitertrieb, die Grenzen (die frontier) zu überschreiten. Dieter Langewiesche (2019) sieht in Der gewaltsame Lehrer im Krieg einen wichtigen Gestaltungsmotor, ganz in der Tradition von Thukydides. Insbesondere bilde sich durch den Krieg der Nationalstaat und auch die Fähigkeit und Möglichkeit des einzelnen Bürgers heraus, am globalen Konkurrenzkampf teilzuhaben. Philip Hoffman (2015) wählt in Why did Europe Conquer the World? die ständigen militärischen Konflikte Europas als Folge seiner Kleinstaaterei zum Ausgangspunkt der Analyse und stellt den militärischen Wettbewerb, ähnlich wie Leonard Dudley (1991) ins Zentrum der Analyse. In seinem Tourniermodell postuliert er vier zentrale Erfolgsfaktoren: Zunächst müsse häufig Krieg herrschen und die Herrscher mit zunächst ähnlichen nicht zu hohen politischen Kosten der Ressourcenmobilisierung konfrontiert sein; die Gewinnerwartung müsse oberhalb der Mobilisierungskosten liegen. Dann müssten die Ausgaben für den Krieg selbst hoch sein, was den Sieg wertvoll mache. Weiterhin sei das Nutzen der Schießpulvertechnologie zentral und schließlich das Lernen vom Besten, auch vom Gegner, d. h. die problemlose Dissemination von Innovationen. Diese Bedingungen unterschieden Europa vom Rest der Welt und erzeugten seine strategische Überlegenheit, ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrtausends die Welt zu erobern und erscheinen ihm als dominant gegenüber anderen Erklärungsansätzen, vor allem denen von Diamond (1997, 2005). Zeitgleich findet auch eine wissenschaftliche Revolution statt, auf die David Wootton (2016) verweist. Eine mentale Revolution entwickelt sich, weil sich die Menschen nicht mehr allein dem Begreifen der Vergangenheit, sondern vor allem auch der Zukunft widmeten – der Eroberung neuen Wissens. Christian Kleinschmidt (2017) argumentiert in seiner Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, dass es vor allem die Kombination aus Geist und Gewalt gewesen sei, die Europa zur vorherrschenden Macht werden ließ. Neues Wissen muss offensichtlich immer wieder nachhaltig durchgesetzt werden. Denn historisches Wissen, das nicht im Sinne von Verhaltensänderungen genutzt wird, ist wertlos; gibt es hingegen entsprechende Impulse, verbreitet es sich und verliert den strategischen Vorteil. Neues Wissen treibt den Fortschritt (Harari 2016, S. 84). Prototypisch dafür steht die Entdeckung Amerikas, für die auch neue Worte und neue Sprachkonzepte geschaffen werden, beispielsweise im Englischen der Begriff discovery, dessen Wortstamm damals nur im Portugiesischen vorhanden war. Es ist das Zusammengehen von Theorie und Praxis, die später von Gottfried Wilhelm Leibniz zur Forschungsmaxime erhoben wird sowie „agents of change“ (Wootton 2016, S. 561), wie Buchdruck und Teleskop. Sehr umfassend analysiert Deirdre McCloskey in ihrem dreibändigen opus magnum die Erfolgsfaktoren des Westens. In Bourgeois Virtues (2006) vollzieht sie eine Interpretation der westlichen Geistesgeschichte mit dem Ziel, der Abwertung marktwirtschaftlichen und gewinnorientierten Handelns als geist- und tugendlos eine Tugendsicht entgegenzusetzen: Tugend wird zum entscheidenden Beschleuniger der Entwicklung in dem Maße, in dem entsprechendes Verhalten selbststabilisierend und schließlich auch -verstärkend wirkt. In Bourgeois Dignity (2010) entwickelt sie diese
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Gedanken weiter und erklärt den Westen mit der Würde und der Freiheit des Bürgers – insbesondere der freie Umgang mit Geld wird zum Ausdruck dieser Würde, weshalb sie Ansätze, welche die Bedeutung des asketischen Protestantismus von Max Weber (1904/1905) und der aus wirtschaftlichem Erfolg ableitbaren Gnadengewissheit hervorheben, verwirft. In Bourgeois Equality (2016) konzentriert sie sich auf das, was sie als „große Bereicherung“ beschreibt: Ausgehend von der schottischen Aufklärung und ihrem Fokus auf Praktikabilität und Empirismus führt sie aus, dass die wesentliche Änderung, die sich im 18. Jahrhundert in Europa vollzieht, der Wille zur Implementierung des Gedachten ist. Durch dessen Umsetzung wird die Gesellschaft aufgebrochen und das, was man heute als Mittelstand bezeichnet, dessen Ehrbegriff aus dem Handeln und nicht aus dem Stand erklärt wird, entsteht. Das ist aber nicht neu! Auf diesen Unterschied hat bereits Michael Assländer (2005) in seinem Buch Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung – Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit hingewiesen. Dort analysiert er das Tugendbild und den Begriff der Würde von Patriziern und Bürgern und zeigt, dass sich ersterer aus dem Stand heraus, letzterer über das Ergebnis seiner Arbeit definiert. Seit der Aufklärung wurden die universellen Menschenrechte als kraftvolles Paradigma der Inklusion und des offenen Zugangs mit Recht als Kern des abendländischen Erbes und der Identität Europas begriffen und schließlich auch nach Amerika verpflanzt. Dort wird in der Verfassung mit dem Begriff self evident das naturrechtlich Selbstverständliche dieser Menschenrechte mit einer Charakterisierung angesprochen, die sonst der naturwissenschaftlichen Erkenntnis vorbehalten ist. Dieser Anspruch auf Universalismus bedeutet, dass er sich auch auf alle anderen Länder erstreckt, er ist also hegemonialer Natur und wird häufig auch (beidseitig) nach dem Motto „What is universalism for the West, is imperialism for the rest.“ ideologisiert. Der Islamwissenschaftler Ulrich Rudolph (2016) fordert in Vorsicht vor dem Mythos, die eigene Aufklärung, also das Streben nach Emanzipation und Mündigkeit, kritisch zu hinterfragen. Denn zum europäischen Aufklärungskanon zählt eine Fülle von Kulturbeiträgen aus dem asiatischen und islamischen Raum. Tatsächlich wäre die europäische Neuzeit ohne den Rückgriff auf die arabischen Übersetzungen der griechischen Philosophen kaum denkbar, weshalb hierauf im Folgekapitel intensiv eingegangen wird. Es gilt, wie der Philosoph Otfried Höffe (2015b) ausführt, einen Diskurs über Aufklärung und Universalismus zu führen, und zwar auf den Ebenen der Moral und Rechtsgeschichte zum Auffinden der Quellen von Recht und Moral, im Kulturvergleich zur Erfassung des gemeinsamen Rechts- und Moralerbes, das schließlich ein Weltmoralund Weltrechtserbe begründet. Dieses kann übergreifend dem Widerspruch der einzelnen Traditionen standhalten. Ziel muss es sein, hieraus einen kreativen, möglicherweise zeitraubenden Lernprozess zu gestalten – diesen hat der Westen selbst in Anspruch genommen und muss ihn auch anderen Gesellschaften zugestehen. Wer die Werterückbindung von (demokratischer und liberaler) Ordnung wertschätzt, muss anderen Gesellschaften zugestehen, ihre eigenen Quellen zu entdecken und zu nutzen. Bereits in Europa oder im sogenannten Westen existieren unterschiedliche politische Philosophien, was
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später eingehend betrachtet wird. Südkorea oder Taiwan haben ihre eigene „asiatische Demokratie“ begründet. Wie viel Leid dabei zumutbar ist, wird von Otfried Höffe allerdings nicht diskutiert – und genau an dieser Stelle scheiden sich die Geister, wenn sie einen humanitär begründeten Schutz einfordern, weil sie es nicht als Kollateralschaden der gesellschaftlichen Entwicklung abtun mögen. Aber ohne Leid sind Lernprozesse möglicherweise nicht nachhaltig. In der Neuzeit haben sich diesem humanistischen Anspruch nicht nur die Außenpolitik, sondern auch die Sicherheitspolitik, die Entwicklungspolitik und die Wirtschaftspolitik unterworfen, letztere beispielsweise in den WTO-Regeln. Im Sinne von Samuel Huntington (1996) ist damit eine Konfrontation mit den nichtwestlichen Ländern entstanden, die am 11. September 2001 eskalierte. Es steht die große Frage im Raum, was zu tun ist, wenn der Westen seine hegemoniale Position verliert. Muss er dann von seinen universellen Wertvorstellungen, vor allem aber von deren Verbreitung, Abstand nehmen? War das Projekt für die langfristige Entwicklung der Gesellschaften zu groß und gerät es nicht auch dadurch unter Druck, dass der Westen dem Anspruch auf Weltgeltung, den Länder wie China, aber auch andere Schwellenländer, beispielsweise Brasilien, inzwischen erheben, nichts Adäquates entgegenzusetzen hat? Leitet dies auch Grenzen der demokratischen Mission ein? In der Tat ist das Erbe der Aufklärung reformbedürftig, auch deshalb, weil aus ihm möglicherweise direkt wirtschaftskriegerisches Handeln folgte. Denn die Kant’sche Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit und das Schaffen eines rationalen Weltbildes führte genau zu den Problemen, die einen Rückfall in diese Unmündigkeit erzeugen: fehlender Werterückbezug, Ignoranz bezüglich der Interessenslagen Dritter, Verlust an Furcht bzw. an Angst vor dem Unvorhergesehenen, das als zu bewältigen erscheint, tatsächlich aber nicht zu bewältigen ist. In ihrer Dialektik der Aufklärung schreiben Max Horkheimer und Theodor Adorno (1969, S. 7): „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie sollte die Mythen auflösen und die Einbildung durch Wissen stürzen.“ Tatsächlich ist der Mensch in seinem Innersten wenig aufgeklärt, häufig irrational und nur dann, wenn er bewusst gefordert wird, fähig, das Bessere dem Guten vorzuziehen. Häufig rationalisiert er vordem irrationales Handeln, was als kognitive Dissonanz bezeichnet wird. Wenn Angst kein guter Ratgeber mehr ist, dann führt irrationales Handeln, weil der letzte Hinderungsgrund der Reflexion entfällt, direkt in die Katastrophen, die beispielsweise an den Finanzmärkten, aber auch beim Empire Building großer gescheiterter Unternehmen offenbar geworden sind. Insofern genießen gerade die fernöstlichen Philosophien, die die Rationalität nicht als Waffe zur Eroberung von Gesellschaften oder Märkten sehen, durchaus Respekt für ihre Vorstellung der Entwicklung. Im Wirtschaftskrieg lassen sich die Erfolgsfaktoren wirtschaftlicher Entwicklung nutzen, um Gesellschaften zu destabilisieren. Dazu zählt insbesondere die Zerstörung
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der oft mit Religion verbundenen Werterückbindung und der bürgerlichen Tugenden, einschließlich des Willens zur Innovation. Tatschlich birgt der Weg in den Wohlstand durch gute Institutionen oft die Gefahr der Zerstörung ihrer Grundlagen – ein Phänomen, dem sich schon der griechische Philosoph Polybios (200–120 v. Chr.) widmete. Er warnte vor den Folgen des Wohlstands und der Herrschaftsanmaßung der Eliten: Seine Ideen des Niedergangs finden sich auch bei den später vorgestellten agonalen Staatsphilosophen wieder. Der amerikanische Philosoph Eric Hoffer (1898–1983), der wegen seiner Biographie und seiner Fähigkeit, die Probleme der einfachen Menschen zu erfassen, auch „Hafenarbeiter-Philosoph“ (longshoreman philosopher) genannt wurde, greift dieses Thema in seinem Buch The True Believer: Thoughts on the Nature of Mass Movements (1951) auf: Wenn die intellektuelle Elite kein Wirkungsfeld hat und die Unterschicht sich von dieser verlassen fühlt und insbesondere nicht mehr an die Wirksamkeit der Vielzahl von Wirtschafts- und Sozialprogrammen glaubt, dann entsteht eine gefährliche Mischung mit der Folge einer Dekonstruktion der Institutionen. Diesen Niedergang thematisiert auch der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld (2017, S. 3), wenn er die Erziehung zur Unselbständigkeit und – bei jungen Männern – zum Unheroischen, also zur Verteidigungsunfähigkeit, als wesentlichen Grund für den Niedergang des Westens ansieht und damit die Ideen von Philosophen wie Oswald Spengler und Friedrich Nietzsche fortführt.
4.3.3 Der Ordnungsrahmen der Wirtschaft und der Wert guter Institutionen Die Bereitschaft, sich in Konflikten an Regeln zu halten, hängt stark von der Einschätzung der eigenen Stärke im Vergleich zu der des Gegners ab. Wenn Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) in seinem philosophischen Traktat über die Freundschaft (de amicitia, 44a v. Chr.) ausführt, wahre Freundschaft sei interdependent mit einer Tugendlehre und nur unter Gleichen möglich, so gilt dies auch für Konflikte: Sie werden nur tugendhaft ausgefochten und durchgestanden, wenn sich die Gegner auf Augenhöhe befinden, was historisch beispielsweise in Ritterturnieren verdeutlicht wird. Deshalb spielt die Turniertheorie zur Beschreibung fairer Auswahlentscheidungen in der Ökonomik eine wichtige Rolle. Leistung wird belohnt, wodurch Motivation entsteht, wie der Konnektionismus, der auf Edward Thorndike (1874–1949) zurückgeht, betont. Der radikale Behaviorismus, den Burrhus Frederic Skinner (1904–1990) begründete, betont diese Kraft der positiven, aber auch der negativen Verstärkung, die für den Wirtschaftskrieg im Sinne der Machtausübung relevant ist. Eine Auswahlentscheidung kann nur sozialverträglich sein, wenn das Erreichbare, nämlich Macht, nicht unendlich werden kann, also nicht die Grundlage des Turniers erodiert. Tatsächlich aber liefert die Moderne mit der unbegrenzten Macht durch Geld oder durch Information Beispiele für das Gegenteil. Die Gegenwart zeigt im Kontext des NSA-Skandals im Sommer 2013, dass infolge der technologischen Überlegenheit der USA diese Augenhöhe für den Rest der
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Welt nicht besteht.19 Tatsächlich liegen hier schwere ordnungspolitische Fehlsteuerungen (Hecker 2013) vor. Folgerichtig ist hier nicht nur der Wirtschaftskrieg im Sinne einer positiven Analyse zu beschreiben, sondern es ist auch im Sinne einer normativen Theorie auszuführen, wie Wirtschaftskriege effizient zu führen sind. Sie müssen also wie eine übliche militärische Intervention vom Einsatz her gedacht werden, um seine optimale Vorbereitung zu gewährleisten und den gewünschten Zweck zu erfüllen. Und dem Willen zum Wirtschaftskrieg, der eben oft nicht zu vermeiden ist, muss die Erkenntnis folgen, dass damit Härte und keine Kuschelökonomik verbunden ist. Insbesondere das Denken in Kategorien von Geopolitik und -strategie sowie Empire Building – sowohl unternehmerisch als auch staatlich – erscheint zwingend, um die Moderne zu begreifen. Es entspricht der deutschen Tradition der Ökonomik, Ordnungsentwürfen für den ökonomischen Wettbewerb in das Gedankengut der Staatstheorien einzubetten; daher wird später auf sie einzugehen sein. Allen Wettbewerbskonzepten ist gemein, dass sie vier Funktionen des Wettbewerbs als relevante Erfolgskriterien sehen, nämlich die Steuerungs- und Lenkungsfunktion zur Koordination der Pläne sowie der Allokation von Faktoren und Gütern, die Anreizfunktion, um Ressourcen effizient zu verwenden, die Verteilungsfunktion mit dem Ziel der Aufteilung der Entlohnung nach dem Äquivalenzprinzip und die Freiheitsfunktion zur Begrenzung wirtschaftlicher Macht. Die Ordnungsentwürfe unterscheiden sich vor allem in zwei Fragen: Ist Wettbewerb an sich ein Wert und soll er daher um seiner selbst willen geschützt werden? Es ist die Soziale Marktwirtschaft deutscher Prägung, mit ihren verschiedenen Schulen, die diesen Freiheitsgedanken stark betont. Als Alternative kann der Nutzen für den Käufer in den Vordergrund treten. Der kann möglicherweise durch große Unternehmen besser als durch eine Vielzahl kleiner befriedigt werden, weshalb zu prüfen ist, ob durch Machtkonzentration genügend Restwettbewerb existiert und ob die Wettbewerbsbehörde eingreifen muss. Vor allem starke Kostendegressionseffekte und irreversibel einzugehende Kosten können hierfür sprechen. Die wesentlichen Grenzüberschreitungen des Wettbewerbs sind im Kartellrecht kodifiziert. Damit wird die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen und die Offenheit der Märkte gewährleistet – auch gegen den Willen der Unternehmen, was im heutigen Deutschland einen erheblichen Unterschied zu den Gegebenheiten bis zum Zweiten Weltkrieg ausmacht, weil bis dahin die Vertragsfreiheit über die Wettbewerbsfreiheit gesetzt war.20 Wettbewerbsbeschränkende Verträge sind in Marktwirtschaften grundsätz-
19Die WirtschaftsWoche (8. Juli 2013: 58) schreibt, dass die USA jeden Monat rund 500 Mio. elektronische Nachrichten in Deutschland abgreifen. Neben der sicher sinnvollen Terrorbekämpfung alarmiert das vor allem die Wirtschaft und die Industrie, weil, anders als in Deutschland, die Durchlässigkeit der Geheimdienste zu den Unternehmen in den USA sehr groß ist, so dass als Abfallprodukt (Hauptprodukt?) Wirtschafts- und Industriespionage folgen können. Analoges Verhalten gilt für viele Länder, insbesondere auch für Russland und China. 20Hintergrund war eine Entscheidung des Reichsgerichts im Jahr 1897 zum sächsischen Holzstoffkartell, die das Ziel hatte, die betroffenen Unternehmen vor dem Bankrott infolge der Wirt-
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individuelle Selbstbindung
Verhaltenskodices
konstuiert Integrität und Reputaon
unterstützen indirekt
kollekves Arrangement
kollekve Selbstbindung Abb. 4.9 Portfolio der gesellschaftlichen Entwicklungsoptionen. (Quelle: eigene Darstellung nach Beckmann und Pies 2006, S. 22)
lich verboten bzw. in Einzelfällen einer Genehmigung zu unterwerfen, beispielsweise um eine wirtschaftliche Gegenmacht aufzubauen, und es existiert eine Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen. Schließlich werden Zusammenschlüsse ab einer bestimmten Größenordnung einer Kontrolle unterworfen. Im Wirtschaftskrieg wird regelmäßig gegen diese verstoßen. Nicht alle Grenzüberschreitungen lassen sich rechtlich fassen und ausschließen. Daher sind Konventionen, Regeln und Selbstverpflichtungen – oft als Teil einer ethnischen Zugehörigkeit und Identität, starke memetische Mittel, Transaktionskosten zu senken. In diese Richtung argumentieren Markus Beckmann und Ingo Pies (2006, 2007) in ihrem Beitrag Freiheit durch Bindung: Durch Bindung werden Reputation aufgebaut, Kontrolle reduziert und Kooperation erleichtert, es geht also um das Erweitern von positiven Freiheitsdimensionen, also nicht „Freiheit von“, sondern „Freiheit zu“. Die Abb. 4.9 macht deutlich, dass kollektive Selbstbindungen der individuellen Selbstbindung und der Sichtbarwerdung in kollektiven Arrangements als Grundlage bedürfen.
schaftskrise zu bewahren. Nach Franz Böhm (1948) legte dieses Urteil die Grundlage dafür, dass Deutschland bis zur Dekartellierung durch die Alliierten zum Kartellland wurde.
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4.3.4 Ordnungsrahmen des militärischen Kriegs Galt in Rom noch laut Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) „inter arma enim silent legem“, also „beim Waffengang schweigen die Gesetze“, so versucht das Kriegsvölkerrecht als eines der jüngsten Kinder des Völkerrechts, Rivalität zu bändigen. Heute ist der rechtliche Ordnungsrahmen des Militärs in nationalen, allgemeinen völkerrechtlichen und kriegsvölkerrechtlichen Gesetzen und Vereinbarungen geregelt. Spätestens seit dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal nimmt er eine sehr sichtbare öffentliche Position ein, an der sich die Konfliktparteien zunehmend orientieren (müssen). Das moderne Kriegsrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es neben Rechten und Pflichten der Staaten auch Individualrechte kodifiziert. Es umfasst zwei Bereiche: Das Recht zum Krieg (ius ad bellum) und das Recht im Krieg (ius in bello). Frühe Hinweise auf Kriegsgesetze finden sich im 20. Kapitel des 5. Buchs Mose (Dtn 20, 1–20). So sollen diejenigen nicht zum Kriegsdienst herangezogen werden, die für den Fortbestand des Volkes bedeutend sind, die gerade investiert haben – ob in Familie, Haus oder Weinberg – oder die zaghaft sind. Der Glaube an die gerechte Sache und an einen Gott – gegen die Vielgötterei der anderen und die damit verbundenen (Opfer-) Gräuel – wird ebenso herausgestrichen wie die Unnachsichtigkeit, falls Friedensangebote nicht angenommen werden. Im Sinne der Nachhaltigkeit wird betont, nichts aus dem belagerten und eroberten Land zu entnehmen und zu zerstören, was eine langfristige wirtschaftliche Grundlage ist, also auf den produktiven Kapitalstock zu achten. Meist waren die Väter der Regelwerke zum Kriegsrecht Staatsphilosophen; deren Ideen werden später vertieft. Institutionelle Impulse kamen aber auch unmittelbar aufgrund der Kriegsgreuel der Schlacht von Solferino, die den Arzt Henry Dunant (1828– 1910) bewegten, das Rote Kreuz zu gründen. Gelegentlich wurden sie aber auch durch den Kriegsherren – hier Abraham Lincoln (1809–1865) – unmittelbar während eines Konflikts – hier des Sezessionskriegs (1861–1865) – geschaffen, um der Brutalität der Auseinandersetzung Einhalt zu gebieten, indem er den in die USA emigrierten deutschen Professor Franz Lieber (1800–1872) beauftragte, ein entsprechendes Regelwerk zu schaffen, das als Order 100 im Jahr 1963 für die Nordstaatenarmee verpflichtend wurde. Tatsächlich wurde dieser Ausgangspunkt einer Bewegung, vor allem durch Russland betrieben, Waffensysteme international zu begrenzen bzw. zu ächten, welche 1874 in eine Konferenz in Brüssel und schließlich in die Haager Konvention von 1899 und 1907 mündete, wie Peter Hollquist (2019) in The Laws of War schreibt. Für den Wirtschaftskrieg ist die Kenntnis des militärischen Ordnungsrahmens deshalb wichtig, weil er wesentlich übergreifender als das internationale, ökonomische Regelwerk ist. Da in vielen Fällen wirtschaftliche und militärische Konflikte verbunden sind, beispielsweise beim Vorgehen gegen Schurkenstaaten, bei Einsätzen gegen Piraterie oder bei der Friedenserzwingung, der auch eine wirtschaftliche und politische Stabilisierung folgen muss (sogenanntes Nation Building), ist diese Kenntnis bedeutsam.
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Aus Artikel 2 Ziffer 4 der Charta der Vereinten Nationen folgt unmittelbar, dass das Ausüben von Gewalt gegen Staaten (militärischer Krieg wird begrifflich nicht genannt) völkerrechtswidrig ist; die Kriegstatbestände werden im Artikel 42 benannt ebenso wie wirtschaftliche Sanktionen (Artikel 41). Allerdings existiert eine Reihe von Ausnahmen für das Recht zum Krieg, u. a. • wenn der betreffende Staat zustimmt (alle in Deutschland nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz beschlossenen Auslandseinsätze der Bundeswehr beruhen auf dem Einverständnis des betreffenden Staates mit Ausnahme des Kosovo, dessen Staatlichkeit nicht klar ist). • bei Selbstverteidigung, bis der UN-Sicherheitsrat die „erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“; offenbleibt aber, ob das auch eine präventive Selbstverteidigung einschließt. • wenn ein Mandat des UN-Sicherheitsrats im Sinne „friedensschaffender, -erzwingender oder -bewahrender“ Maßnahmen vorliegt; auch hier beruhen alle gegenwärtigen, nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz beschlossenen Auslandseinsätze der Bundeswehr auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrats. • wenn eigene Staatsangehörige zu retten sind. Inwieweit eine weitere Ausnahme vom militärischen Gewaltverbot bei humanitären Interventionen vorliegt, ist offen. Das betrifft beispielsweise den Kosovo-Konflikt des Jahres 1999 (Intervention) ebenso wie den gegenwärtigen Syrienkonflikt (keine Intervention). Die grundlegende Problematik besteht in der bislang offenen Frage, ob die Übertragung des Gewaltmonopols von den Nationalstaaten auf die Vereinten Nationen mit ihrem Beitritt zu der Organisation im zwischenstaatlichen Kontext exklusiv ist oder nicht – ob also auch andere Organisationen militärische Gewalt legal ausüben dürfen, um Frieden zu erzwingen und Völkerrechtsverstöße zu unterbinden. Für die Wirtschaft gilt, dass im Frieden der Wirtschaftskrieg dem Friedensrecht, im Krieg dem Kriegsrecht unterliegt (Lowe, Tzanakopoulos 2012). Ökonomische Gewalt wird von Ländern und Ländergruppen auch ohne Mandat quasi gewohnheitsmäßig ausgeübt. Sie unterliegt damit – anders als der militärische Einsatz – in Deutschland keinerlei Parlamentsvorbehalt.
4.3.5 Der globale Ordnungsrahmen der Wirtschaft Der Ordnungsrahmen der Weltwirtschaft wird durch eine Vielzahl von Akteuren auf verschiedenen Ebenen, sowie Ihren Abkommen, Statuten und Verträgen geregelt (Engelhardt, Klein 2015). Auf der obersten Ebene sind die zentralen internationalen Institutionen angesiedelt. Mit Hinblick auf Handel und geistiges Eigentum ist die Welthandelsorganisation (WTO), die 1994 im Kontext der sogenannten Uruguay-Runde gegründet wurde mit ihren Hauptabkommen maßgeblich. Zu den Hauptabkommen der WTO gehören das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das GATS (General
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Abb. 4.10 Heimatstaaten (links) und Zielstaaten (rechts) von Streitschlichtungsverfahren im Bereich von Investitionen. (Quelle: Engelhardt (2020: 73–74), UNCTAD 2018)
Agreement on Tariffs and Services), welches die Dienstleistungsbereiche integriert, und das TRIPS (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights). Die WTO hat derzeit 159 Mitglieder und umfasst etwas mehr als 80 % der Staatengemeinschaft. Nur wenige sind ausgenommen, einige haben entweder einen Beobachterstatus, wie beispielsweise einige arabische Länder und Länder der ehemaligen Sowjetunion, oder sind überhaupt nicht involviert, wie Somalia oder Nordkorea. Die WTO ist weitgehend eine Koordinierungseinrichtung, die auch mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank kooperiert, um eine international abgestimmte Handelspolitik zu erreichen, die hilft, Handelshemmnisse zu verringern und Handelsauseinandersetzungen, insbesondere Handelskriege, zu vermeiden. Daher ist eine ihrer wichtigsten Funktionen, strittige Fragen über den Dispute Settlement Body (DSB) zu entscheiden. Ein aktuelles Beispiel hierfür war im Jahr 2012/2013 eine Antidumpingklage der Europäischen Union gegen die Volksrepublik China wegen des Exports von Solarpanelen. Da die WTO-Abkommen nationales, europäisches und internationales Recht berühren, wird erwartet, dass diese entsprechend angepasst werden. Dabei ist es besonders wichtig, die Streitschlichtungsfunktion anzuerkennen, weil ansonsten die Funktion der WTO ausgehöhlt würde. In unterschiedlichen Bereichen werden die Verträge und Abkommen der großen internationalen Institutionen durch regionale, interregionale sowie bilaterale Abkommen ergänzt. Dies trifft auf den Bereich des Handels zu, gleichsam jedoch auch auf den Bereich der Investitionen und des Investitionsschutzes. Im Bereich der Investitionen schließen Staaten und Staatenbünde sogenannte Investitionsschutzabkommen ab. Diese Investitionsschutzabkommen regeln den Umgang mit internationalen Investitionen und legen für den Fall von Disputen den Umgang mit diesen fest. Internationalen Streitschlichtungssysteme, welche meist in Investitionsschutzabkommen vereinbart werden, können geeignete Mittel sein, Informationsasymmetrien, insbesondere zeitliche Inkonsistenzen, bei internationalen Investitionen zu überwinden und damit die später im Kontext der Spieltheorie besprochenen Dilemmata zu vermeiden. Anreizprobleme, die sich ergeben, wenn der Staat zunächst als Ordnungsgeber
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und Regelsetzer agiert, und später als Vertragspartner bei Investitionen von Unternehmen auftritt, werden hierdurch verringert. Da der Staat dabei auf die eigene Gerichtsbarkeit verzichtet, sind damit erhebliche Eingriffe in die staatliche Souveränität verbunden, weshalb der Vorteil, auf zeitinkonsistente Verhaltensweisen einzuwirken, deutlich sein muss. Jan Engelhardt zeigt in seiner Auswertung hierzu deutlich, dass erhebliche Asymmetrien bestehen, wie dies die obige Abb. 4.10 verdeutlicht. Dargestellt sind links die Herkunftsländer und rechts die Zielländer von Klagen wobei eine zunehmende Anzahl durch eine Verstärkung der Tönung sichtbar wird. Eine Reihe von Ländern nutzt ihre Marktmacht, um sich gänzlich aus dem Verfahren zurückzuziehen, beispielsweise China. Zu den wichtigsten Prinzipien der WTO zählt die Nichtdiskriminierung, die sich wiederum in zwei Teilprinzipien verwirklicht, nämlich der Meistbegünstigung und der Inländergleichbehandlung. Erste bedeutet, dass einem Drittland gegebene Handelsvorteile auch den anderen Ländern gewährt werden müssen, was auch die Reziprozität impliziert, dass also die Begünstigung auch vom anderen Land dem ersten Land zuerkannt wird. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es, ausländische Unternehmen anders als inländische zu behandeln, wobei das bei Entwicklungsländern zum Teil relativiert ist. Diese Prinzipien werden auch in Investitionsschutzabkommen übernommen und um Investitionsrelevante Regelungen ergänzt. Eines der großen Ziele der WTO ist weiterhin der Abbau von Handelsbarrieren und Zöllen und schließlich das, was heute insgesamt als Multilateralismus zusammengefasst wird, nämlich der Versuch, international auf der wirtschaftlichen Ebene ein level playing field zu erreichen, was auch bedingt, wirtschaftliche Vorgänge transparent zu machen. Damit wird auch die Wettbewerbsordnung, insbesondere das Kartellrecht, zu einem entscheidenden Bestimmungsfaktor. Tatsächlich existiert dieses aber nicht, weil viele der Methoden, derer sich beispielsweise China über die staatliche Kontrolle von Großteilen der Wirtschaft bedient, bei Gründung der WTO nicht vorstellbar waren. Auf der internationalen Ebene existiert jedoch kein einheitliches Wettbewerbsrecht, allerdings werden nationale Wettbewerbsrechtsordnungen bzw. die Rechtsordnung der EU, gegebenenfalls sogar nationale Rechtsordnungen, auf Drittländer angewendet, wenn es das sogenannte Auswirkungsprinzip erfordert. Denn gerade Wettbewerbsverstöße wirken sich oft nicht nur im Inland, sondern auch in Drittländern aus, die damit ein Zugriffsrecht erhalten. Inwieweit damit über Auswirkungstatbestände Einfluss auf die nationale Wirtschaftspolitik anderer Länder genommen werden kann und soll, ist immer wieder strittig. Hier liegt ein erhebliches Konfliktpotential, beispielsweise dann, wenn die Europäische Kartellbehörde in den USA bereits genehmigte Zusammenschlüsse verwirft, wie im Jahr 2002 für Honeywell und General Electric, weil eine marktbeherrschende Stellung bei Flugzeugcockpits befürchtet wurde (Grant und Neven 2005). Die europäischen sowie die internationalen Wettbewerbsordnungen enthalten drei Regelungen, nämlich zu Wettbewerbsbeschränkungen (einschließlich dem grundsätzlichen Kartellverbot), zu marktbeherrschenden Verhaltensweisen und Tatbeständen sowie zur Fusionskontrolle. Sie variieren in erheblichem Maße darin, ab welchen Schwellen eine solche Beschränkung vorliegt und insbesondere ein Marktmachtmissbrauch vor-
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
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handen sein könnte, den es zu überprüfen gilt. Schließlich gibt es in einigen Ländern wie den USA Möglichkeiten, marktbeherrschende Unternehmen zu zerschlagen, weil ansonsten durch internes Wachstum ein Verdrängen von Konkurrenten unmöglich wäre. Auch die Androhung einer Zerschlagung stellt eine wirksame Waffe des Staats bzw. seines Kartellamts dar, marktbeherrschende Verhaltensweisen zu unterbinden, um den Wettbewerb langfristig aufrechtzuerhalten. Die Wettbewerbsintensität wurde im zweiten Kapitel als Geschwindigkeit der Erosion von Vorsprungsgewinnen definiert; dies gibt Hinweise zur Bekämpfung von Marktmacht und Marktmachtmissbrauch, weil damit ein Instrumenteneinsatz zum Wiederherstellen wettbewerblicher Strukturen abgeleitet werden kann. Allerdings ist zu thematisieren, ob eine erhöhte Konzentration nicht sogar Wohlfahrtseffekte auslösen kann, sodass diese zu akzeptieren sind, weil sie den Nutzen der Konsumenten mehrt, wie dies der more economic approach der Europäischen Kommission ermöglicht. Zwar wird in marktwirtschaftlich orientierten Staaten das Verbot der Kartellbildung recht ähnlich gesehen, es bestehen aber Unterschiede in Bezug auf die Einschätzung von Marktmachtmissbrauch und der Entwicklung von Konzentration. Tatsächlich spannt sich ein Kontinuum auf zwischen der Vorstellung der Chicago-Schule, dass nämlich Marktmacht, wenn sie dem Kunden nicht mehr dient, problemlos durch neue Unternehmen, die am Markt auftreten können, entwertet wird – es muss also nur die Markteintrittsmöglichkeit offengehalten werden – und der Schule der Sozialen Marktwirtschaft, insbesondere auch in der freiheitlichen Tradition von Erich Hoppmann (1968), die fordert, dass Wettbewerbsfreiheit in jedem Fall und unmittelbar zu gewährleisten sei, weshalb bereits erste Anzeichen von Konzentration und Marktmacht zu verhindern sind. Dies wird in siebten und neunten Kapitel vertieft.
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens Die moderne Spieltheorie stellt wichtige formale Werkzeuge bereit, um die Konflikte beim Aufbau von Institutionen, insbesondere eines die Rivalität ordnenden Rahmens, zu analysieren. Besondere Probleme erwachsen dann, wenn individuell vernünftiges Verhalten zu kollektiv unvernünftigen Ergebnissen führt. So erscheint es für den Einzelnen als richtig, auf die Weide eine zusätzliche Kuh zum Fressen zu schicken – tun das aber alle, droht Überweidung. Der am Ende des zweiten Kapitels betrachtete Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China führt unmittelbar in die spieltheoretischen Modelle ein: Ist wirtschaftliches Handeln das Verteilen eines gegebenen Ressourcenvorrats – ein Nullsummenspiel in der Überzeugung von Donald Trump – oder erzeugt er zusätzliche Wachstumsimpulse, wovon Ökonomen überzeugt sind? Verlieren alle oder nur einige? Gewinnt Donald Trump immer, weil er der bessere deal-maker ist? Tatsächlich stellt der Ordnungsrahmen, der übergreifend Rivalität kanalisiert, ein öffentliches Gut (mindestens ein Clubgut) dar, denn er schließt niemanden (zumindest explizit) aus, und der Nutzen der von ihm bereitgestellten Güter ist nicht rival. Sicherheit
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
ist hiervon ein wesentlicher Bestandteil und steht vor der ständigen Herausforderung, einerseits den Wettstreit der darunter liegenden Ebenen zu kanalisieren, darf diesen andererseits aber nicht ersticken, weil ansonsten die Fortschrittsfähigkeit von Gesellschaften gefährdet wird. Obiger Sachverhalt ist als Tragedy of the Commons, die Tragik der Allmende (Hardin 1968), bekannt. Eine gemeinsame Ressource (im Beispiel: eine Wiese) ist zu bewirtschaften, und der Ertrag ist maximal, wenn die Beteiligten kooperieren und die Ausbeutung auf das begrenzen, was an Ertrag nachhaltig möglich ist. Da aber zunächst der Nichtkooperierende, der stärker ausbeutet (beispielsweise mehr Kühe als optimal auf die Wiese treibt), zunächst einen Vorteil hat, werden es alle tun, bis die Ressource untergeht (die Wiese verkarstet). Offensichtlich führt die Summe individueller Rationalität in die kollektive Zerstörung. Jeder verbessert sich (zunächst), wenn er nicht kooperiert – das ist die dominante Strategie. Aber ohne Koordination ist ein Ausbrechen aus der misslichen Lage nicht sinnvoll – das aber lohnt sich für keinen, es liegt ein sogenanntes Nash-Gleichgewicht vor, das aber ineffizient ist und von der Kooperationslösung dominiert wird. Jeder Wirtschaftskrieg ist Ausfluss von Dilemmasituationen, die hier modelliert werden.
4.4.1 Modellierung von Dilemmastrukturen Die Spieltheorie hat früh Eingang in die militärische Konfliktanalyse gefunden. So hat insbesondere Thomas Schelling (1960) in seinem Buch Strategy of Conflict die Denkwelt vieler prominenter Spieltheoretiker beeinflusst. Bekannt ist das beispielsweise im Kontext des NATO-Nachrüstungsbeschlusses: Hier war die Frage, bis zu welcher Ebene der Eskalation die NATO dem Warschauer Pakt eine glaubhafte Drohung entgegenstellt. Möglicherweise hat die Nutzung der Spieltheorie als Mittel der strategischen, operativen und taktischen Analyse ihre zivile Durchsetzung gefördert. Die glaubhafte Drohung ist ein wichtiges Signal, um andere zu Handlungen zu bewegen, die für einen selbst vorteilhaft sind. Sie ist damit ein wichtiges verhaltenserzwingendes Versprechen. Da Signale umso glaubhafter sind, je niedriger der diesbezügliche Aufwand für den Sender ist, wird deutlich, dass derjenige mit den günstigeren Kosten grundsätzlich glaubhafter signalisieren kann. Von diesen glaubhaften Signalen ist das wohlfeile Reden (cheap talk) abzugrenzen, dessen Ziel darin besteht, Interessenslagen zu bekunden, beispielsweise dann, wenn eine Anhebung der Preise in einem engen Markt einem Beteiligten als sinnvoll erscheint und er deshalb anlässlich einer Pressekonferenz ausführt, er erwarte in der Zukunft in seiner Branche steigende Preise. Das können dann andere annehmen, um daraus Schlüsse für ihr eigenes Verhalten zu ziehen, insbesondere es nicht auszunutzen und einen Preiskrieg zu entfachen, wenn die erstgenannte Partei zu einer Preiserhöhung schreitet. Thomas Schelling (1960) zeigt die Bedeutung nachhaltiger Verpflichtungen, sogenannter firm commitments, als Festlegungen, die ihre Signalstärke durch Irrever-
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
233
sibilität gewinnen. Dies mündet in die moderne Konfliktanalyse bzw. die Analyse von Bestreitbarkeit in Märkten, die über die Industrieökonomik hinauswächst, weil sie explizit das Zerstörerische in den Auseinandersetzungen in die Betrachtung einbezieht. Kai Konrad (2009) analysiert die Strategien und die Dynamik dieser Bestreitbarkeit in einem stark am neoklassischen Instrumentarium orientierten System. Er zeigt deutlich, dass wesentliche militärische Paradigmen, beispielsweise strategische Allianzen, mit ökonomischen Paradigmen, beispielsweise Externalitäten, verbunden werden können und eine Vielzahl von Typen der Bestreitbarkeit existiert, bis hin zur Sabotage von Systemen, die im ökonomischen Kontext analysiert werden können. Damit öffnete sich die ökonomische Dilemma-Theorie in Richtung einer Konflikttheorie, die in Arbeiten wie der von Jack Hirshleifer (1993, 2001) über The Dark Side of the Force sowie der von Charles Anderton und John Carter (2009) zum Thema Principles of Conflict Economics ihren Niederschlag fanden. Im Modell von Intriligator (1975) sowie Intriligator und Brito (1983), das von Wolfson (1985) erweitert wurde, werden die Bedingungen der Abwehr eines Angriffs durch eine Überlebensfunktion formalisiert, die das verbleibende militärische Arsenal einer Partei nach dem Angriff einer anderen Partei mit einer bestimmten Anzahl von Waffen beschreibt. Oft können Koalitionen nur durch Seitenzahlungen stabilisiert werden, um die Nachteile, die einer Partei ansonsten entstehen könnten, zu vermeiden. Typisch ist das im Führer-Verfolger-Wettbewerbsmodell, bei dem das erste, größere Unternehmen, in den Markt eintritt, das zweite, kleinere, dann die Restnachfrage bedient. Hier ließe sich ein höherer Gesamtgewinn erzielen, wenn der Stackelberg-Verfolger seinen Marktanteil erhöht und der Stackelberg-Führer diese senkt und eine Entschädigung – eine Seitenzahlung in der Fachsprache – vom bevorteilten Stackelberg-Verfolger aus dem erhöhten Gesamtgewinn erhält. Damit entstehen Kooperationen, die auch als Schelling-Punkt bezeichnet und durch die Auswahl des günstigsten Nash-Gleichgewichts, also eines Gleichgewichts, aus dem heraus sich keine Partei verbessern kann, bestimmt werden. Für die Bewertung der Ergebnisse gilt: Wenn ein Ergebnis nicht mehr verbessert werden kann, ohne den anderen zu schädigen, dann ist die Lösung Pareto-effizient – was nicht bedeutet, dass sie sozial erwünscht ist. Ist es für keinen der Spieler attraktiv, von der gefundenen Lösung abzuweichen, dann handelt es sich um ein Nash-Gleichgewicht. Wesentlich ist weiterhin, ob eine Strategie eine andere dominiert – dann ist nämlich letztere obsolet. Offensichtlich haben Nash-Gleichgewichte immer die Eigenschaft, nicht dominiert zu sein. Thomas Schelling sind in diesem Kontext wichtige Innovationen zu verdanken, wie Roger Meyerson (2009) zeigt: Hervorzuheben sind die Bedeutung nachhaltiger Vorab-Festlegungen (commitments) für die Glaubhaftigkeit und die Notwendigkeit, multiple Gleichgewichte von nichtkooperativen Gleichgewichten und damit die Unzulänglichkeit der klassischen Darstellung von Spielen in Normalform einzubeziehen. Ingo Pies (2007) weist zu Recht darauf hin, dass diese Bindungen auch Selbstfestlegungen sein können. Zugleich bedeutet jede Bindung, auch die Kosten des Sich-Lösens
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einzubeziehen – militärisch: die Kosten des engagements um die des disengagements zu ergänzen. Damit gewinnt das Erringen von Unumkehrbarkeit (Irreversibilität), wie diese von der modernen Industrieökonomik im Kontext der Vermachtung von Märkten, und von der modernen Institutionenökonomik analog für das Verkrusten gesellschaftlicher Strukturen beschrieben wird, herausragende Bedeutung. Insbesondere das Vertrauensspiel (Dasgupta 1988; Kreps 1990), bei dem der erste Spieler Vertrauen geben kann oder nicht und wenn er es gegeben hat, dieses dann bestätigt oder enttäuscht werden kann, zeigt den Wert glaubhafter Festlegungen, weil sich im Gleichgewicht jede Partei besser stellt, wenn sie entweder kein Vertrauen gibt oder gegebenes Vertrauen enttäuscht, was aber insgesamt ineffizient ist. Für die Analyse von Konkurrenzbeziehungen zwischen Unternehmen spielen derartige Überlegungen eine entscheidende Rolle. Aber auch die Stabilität persönlicher Beziehungen durch altruistisches Verhalten kann damit dargestellt werden; die soldatische Verpflichtung zur Kameradschaft (§ 12 SG) ist hier einzuordnen, denn sie stellt eine rationale Aufforderung zum Altruismus dar, auf den sich der Kamerad verlassen kann. Außerdem können hintereinandergeschaltete, sogenannte wiederholte Spiele, Lerneffekte auslösen. Derartige Analysen sind immer dann besonders wichtig, wenn individuell rationales Verhalten jeweils kollektiv inferiore Ergebnisse bringt. Entweder streben dann die Teilnehmer eine kooperative Lösung an, sie geben sich – wie typischerweise im Sport – Regeln, die zugleich selbstverstärkend im Sinne ihrer Einhaltung wirken, oder es entsteht ein längerfristiger evolutionärer Prozess, weil die Akzeptanz dilemmabedingter Verluste sinkt. Es entstehen Regeln, oft auf der Basis von Ethik und/oder Religion, die moralisches Handeln vorschreiben und ggf. auch Vorkehrungen zur Bekämpfung abweichenden, sozialschädlichen Handelns legitimieren, um zu sozial stabilen Ergebnissen zu kommen. Dabei zeigt die neuere Forschung, dass insbesondere herausfordernde Umweltbedingungen und an Einwohnerzahl große und komplexe soziale Gebilde zu moralisch anspruchsvolleren Göttern führen als vergleichsweise angenehme Lebensverhältnisse (Whitehouse et al. 2019). Inwieweit die Spieltheorie tatsächlich Probleme lösen kann, ist kritisch zu hinterfragen. Denn die Kenntnis ihrer Rationalität bedingt ein permanentes Denken in den vermuteten Kategorien des Gegenübers – und dessen sich aus eigenem Handeln ergebenden Verhaltensweisen. Damit kann auch der politische Diskurs beeinflusst werden – wie historisch die NATO-Nachrüstung und aktuell die steten Krisen auf der koreanischen Halbinsel belegen. Der berühmte Spieltheoretiker und Wissenschaftler Ariel Rubinstein (2013) schreibt deshalb: „In meinen Augen ist die Spieltheorie eine Ansammlung von Fabeln und Sprichwörtern. Die Implementierung eines Modells der Spieltheorie ist ebenso wahrscheinlich wie die Umsetzung einer Fabel. Eine gute Fabel versetzt uns in die Lage, eine Lebenssituation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und könnte irgendwann einmal unser Denken und Handeln beeinflussen.“ Es gilt darüber hinaus, dass alle Spiele, die theoretisch durchdrungen wurden, ex-post von Interesse sind. Lässt sich eine Lage durch ein Spiel beschreiben, wird berechenbar, wer gewinnt. Ziel im Wirtschaftskrieg muss es aber sein – wie beim Schach – neue, gewinnfähige Konstellationen zu entwickeln, die das Gegenüber nur schwer einschätzen kann.
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
235
In den folgenden drei Unterabschnitten werden drei Spiele vorgestellt, die für eine strategische Analyse bedeutsam sind (Blum 2016c): Das Gefangenendilemma (prisoner‘s dilemma), das Feiglingsspiel (chicken game) und das Zusicherungsspiel (assurance game). Daran schließt sich eine Betrachtung der Möglichkeiten an, aus den ungünstigen Lösungen der beiden erstgenannten Spiele zu entkommen. Anschließend werden weitere, aus Sicht des Wirtschaftskriegs wichtige, Spieltypen betrachtet. Wichtigste Elemente eines Spiels sind • die Anzahl der Spieler als Teilnehmer, die Einfluss auf das Spielergebnis nehmen, • die Spielregeln, die allen bekannt sind, die einzuhalten sind und unter denen das Spiel abläuft, • der Informationsstand, den die Spieler haben, insbesondere auch die (fehlende) gegenseitige Kommunikationsmöglichkeit bei der Entscheidung, und die Rationalität bzw. Vernunft, • die Aktionen (Strategien), die die einzelnen Spieler aus ihrem Aktionsvorrat wählen, und ihre Abfolge (gleichzeitig oder sequentiell), • die Auszahlungen (Spielergebnisse), die ein Spieler aufgrund seiner Aktion, gegeben die Aktion des anderen, erhält, • die Gleichgewichte oder Ungleichgewichte. Meist liegen reine Strategien vor, man kann nur die eine oder die andere wählen; gelegentlich gibt es auch gemischte Strategien. Weiterhin können Spiele hintereinandergeschaltet werden; man spricht dann von sequentiellen Spielen. Schließlich lässt sich unterscheiden, ob die Gesamtauszahlung grundsätzlich konstant ist, der Gewinn des einen also immer zulasten des anderen geht, oder ob die Auszahlungssummen über die Spielstrategien variieren. Im erstgenannten Fall spricht man von einem Nullsummenspiel, und man kann einfach zeigen, dass dann eine Minimax-Strategie grundsätzlich zum Erfolg führt. Sie besagt nämlich, dass die schlechtesten Auszahlungen zu maximieren sind, also unter den gegebenen Umständen das bestmögliche Resultat anzustreben ist. Ein klassisches Beispiel dafür ist das in der Kindererziehung gerne praktizierte Spiel: „Der eine teilt, der andere wählt“, bei dem der Handelnde die kleinste für ihn gerade noch zumutbare Aufteilung festlegt, die von dem anderen auch noch akzeptiert wird (und vice versa). Allerdings sind unter den Bedingungen von Nullsummenspielen (oder sogar Negativsummenspielen) weder Krieg noch Abschreckung sinnvoll, wie dies bereits im zweiten Kapitel dargestellt wurde (Schelling 1984, S. 269).
4.4.2 Gefangenendilemma: Der rationale Weg ins Elend Das Gefangenendilemma ist ein klassisches Beispiel für eine in die Katastrophe eskalierende Lösung, weil die individuelle und die kollektive Rationalität auseinanderfallen. Typische Beispiele finden sich beim Wettrüsten oder beim Klimaschutz; ein Bei-
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
spiel verdeutlicht dies: Zwei Verdächtige, die man einer schweren Straftat beschuldigt, werden festgenommen und in isolierte Zellen gesperrt, sodass sie nicht miteinander kommunizieren können. Der Staatsanwalt verfügt nicht über genügend Beweise, um die Verdächtigen zu überführen, es sei denn, mindestens einer handelt als Kronzeuge. Er konfrontiert deshalb beide Gefangenen separat mit den Konsequenzen ihrer möglichen Handlungsalternativen (Kronzeuge oder Schweigen). Schweigen beide, steht immer noch genügend belastendes Material zur Verfügung, um die Verdächtigen zu jeweils zwei Monaten Haft zu verurteilen. Beschuldigen sich beide gegenseitig (als Kronzeugen), erhält jeder eine Haftstrafe von 12 Monaten. Falls jedoch einer als Kronzeuge aussagt, der andere hingegen nicht, wird der Erste umgehend entlassen (Kronzeugenbonus), während der Schweigende für 18 Monate ins Gefängnis wandert. Das Ergebnis wird in Tab. 4.5 wiedergegeben. Unabhängig von der Entscheidung des anderen Gefangenen ist es für jeden Spieler rational, als Kronzeuge aufzutreten. Als Dilemma wird dieses Ergebnis bezeichnet, weil es die unterstellte Rationalität der Spieler verhindert, dass diese gemeinsam schweigen (also kooperieren) und dadurch die für beide höher ausfallenden Auszahlungen der Zelle A (geringere Strafe) erreichen. Zwei Eigenschaften sind bedeutsam: • Nur das Ergebnis in Zelle A ist dem in Zelle D überlegen. Die Ergebnisse B, C und D sind paarweise unvergleichbar – sie sind in einer Komponente besser, in der anderen schlechter. Sie besitzen die besagte Pareto-Eigenschaft. • Gerät man in Zelle D, so gibt es kein Entrinnen. Das Wechseln der Strategie durch einen Beteiligten verschlechtert dessen Position und verbessert die des Gegenspielers, ist also nicht attraktiv. Eine derartige Situation wird als Nash-Gleichgewicht bezeichnet. • Um also das Gleichgewicht zu identifizieren, wird die jeweils beste Antwort eines Spielers auf alle zulässigen Strategien seines Gegenspielers gesucht. Die zur besten Antwort gehörende Auszahlung ist unterstrichen. Strategien-Paare, bei denen beide Auszahlungen unterstrichen sind, stellen Nash-Gleichgewichte dar. Zugleich wird im Sinne von Carl von Clausewitz das Eskalationspotential deutlich: Das Misstrauen des einen säht das Misstrauen des anderen, weshalb die inferiore Lösung erzielt wird.
Tab. 4.5 Numerisches Beispiel für das Gefangenendilemma
Gefangener 2 Kronzeuge
Schweigen
Gefangener 1 Quelle: eigene Darstellung
Schweigen Kronzeuge
–2/–2 0 / – 18
A C B D
– 18 / 0 – 12 / – 12
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
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Eine bewährte Methode, dem ineffizienten Ergebnis zu entgehen, ist im Falle einer sequentiellen Anordnung tit-for-tat („wie Du mir, so ich Dir“), wobei der erste Spieler zunächst ein Vertrauenssignal sendet, also Kooperation signalisiert. Der zweite Spieler verwendet dann die gleiche Aktion, spielt also auch auf Kooperation. Tut er das nicht, dann fällt der erste Spieler auf Nichtkooperation zurück.21
4.4.3 Feiglingsspiel: wer zuckt, verliert Im Feiglingsspiel (chicken game) ergeben sich zwei Nash-Gleichgewichte, in denen jeweils ein Spieler die kooperative Strategie wählt, während der andere nicht kooperiert. Typisch ist die Mutprobe zweier Jugendlicher, die mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zufahren. Der Spieler, der dem entgegenkommenden Fahrzeug als erster ausweicht, ist der Verlierer (der Feigling). Der nicht ausweichende Spieler ist der Gewinner (der Mutige). Weichen beide gleichzeitig aus, können weder Feigling noch Mutiger identifiziert werden. Weicht keiner aus, verlieren beide durch einen tödlichen Unfall. Thomas Schelling (1960) hat in seinem Buch Strategy of Conflict gezeigt, wie bei zunächst gleichstarken Parteien die eine durch Provokation und impulsives Handeln einen Vorteil erringen kann, indem sie die Nervenstärke der anderen testet – wie es der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis tat. Typisch dafür sind Nachbarschaftskonflikte, wie in Tab. 4.6 gezeigt: Ein Nachbar A besitzt eine Ziege und eine Wiese, ein anderer Nachbar B einen Hund und einen Gemüsegarten. Die Grundstücke der beiden sind nicht durch einen Zaun getrennt. Deshalb jagt der Hund des B die Ziege des A, sodass diese keine Milch gibt. Umgekehrt frisst die Ziege des A regelmäßig Gemüse im Gemüsegarten des B, wenn der seinen Hund ausführt. Sinnvoll wäre es deshalb für beide Seiten, einen Zaun zu errichten. Eine Möglichkeit bestünde darin, den Bau eines Zaunes gemeinsam durchzuführen. Da dieser jedoch mit Kosten verbunden ist, bevorzugt es jeder Nachbar, wenn der andere den Bau allein ausführt. Wenn der andere jedoch keine Aktivitäten entwickelt, ist jeder Spieler auch bereit, den Zaun im Alleingang zu errichten. Es existieren zwei (Nash-) Gleichgewichte – eines in Zelle B, das andere in Zelle C. Die Zellen A, B und C sind Pareto-effizient, D ist dagegen Pareto-ineffizient. Da es unter der beschriebenen Spielstruktur für beide Spieler günstiger ist, wenn der Nachbar den Zaun alleine baut, wird jeder Spieler versuchen, sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass er selbst keinen Zaun bauen wird. Gelingt es einem von beiden, sich unwiderruflich festzulegen, dann bezahlt der andere allein. Folglich werden beide ver-
21Man
kann argumentieren, es handele sich hier um eine Mischung aus Neuem und Altem Testament: Der erste Zug ist vertrauensbildend (Bergpredigt), der zweite völlige Reziprozität (Auge um Auge, Zahn um Zahn – im Guten wie im Schlechten).
238
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Tab. 4.6 Numerisches Beispiel für das Feiglingsspiel
Nachbar B baut Zaun
Nachbar A
baut Zaun baut keinen Zaun
baut keinen Zaun
6/6
A C B D
7/4
4/7 2/2
Quelle: eigene Darstellung
suchen, sich unwiderruflich festzulegen (commitment). Es besteht dann die Gefahr, dass beide auf stur schalten und Zelle D erreicht wird. Dieses Ergebnis wurde gerne im Kontext der Konfrontation der Supermächte betont.
4.4.4 Zusicherungsspiel: Vertrauen ist der Anfang von allem Das Zusicherungsspiel besitzt genau wie das Feiglingsspiel zwei Nash-Gleichgewichte. Allerdings beinhaltet das eine die beidseitige Kooperation, während das andere (wie im Gefangenendilemma) durch die Nichtkooperation beider Spieler gekennzeichnet ist. Man stelle sich vor, es sei der vorletzte Schultag für zwei befreundete Schüler, die fest davon überzeugt sind, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich ziehen könnten, wenn sie beide mit einem völlig verrückten Haarschnitt morgens zum letzten Schultag erschienen. Eine Nacht der schweren Entscheidung folgt. Wie werden die Vorgesetzten und die Kameraden reagieren? Wird der Freund seinen Schwur wirklich halten? Zwar ist es für beide das Größte, wenn jeder verrückt erscheint, dennoch besteht die Gefahr, dass der Freund nicht mitzieht. Für denjenigen, der auf den Haarschnitt verzichtet, ist es nämlich fast genauso toll, den anderen mit seinem lächerlichen Aussehen zu erleben, wie selbst im Mittelpunkt zu stehen. Schrecklich wäre es dagegen, als einziger mit einem verrückten Haarschnitt in der Reihe zu stehen. Wahrscheinlich, so werden beide denken, ist es deshalb doch das Beste, wenn keiner sich die Haare schneiden lässt. Die Situation ist in Tab. 4.7 wiedergegeben. Tab. 4.7 Numerisches Beispiel für das Zusicherungsspiel
Schüler 2 Haarschnitt
Schüler 1 Quelle: eigene Darstellung
Haarschnitt kein Haarschnitt
6/6 4/0
kein Haarschnitt A C B D
0/4 2/2
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
239
Das bevorzugte Ergebnis ist in der beschriebenen Situation die Kooperation. Das Besondere des Zusicherungsspiels ist, dass es eigentlich kein Dilemma zu sein brauchte. Wenn nur beide Spieler kooperieren, erreichen sie die höchstmögliche Auszahlung. Misstrauen sich die Spieler hingegen, wird es sinnvoll, selbst nichtkooperativ zu handeln. Klassisch findet sich diese Situation beim Durchsetzen von Moral, um dem Feiglingsspiel und insbesondere dem Gefangenendilemma zu entgehen. Denn eigentlich ist es rational, Feigling zu spielen, wenn die Hoffnung besteht, dass man damit durchkommt. Bündnisse folgen der Idee, dass der langfristige Schaden, eine Selbstverpflichtung nicht einzuhalten und damit selber Schutz (Reputation) zu verlieren, zu hoch ist. Durch diese Reputationskosten drehen sich die Auszahlungen, es entsteht ein Zusicherungsspiel. In jedem Schützengraben wird Vertrauen gespielt. Die NATO-Frage anlässlich der Ukraine-Krim-Krise des Jahres 2014 lautet: Spielen wir Gefangenendilemma, Feiglingsspiel oder Zusicherungsspiel? Analog haben in den dreißiger Jahren Kartellanden ihre Verabredungen dadurch abgesichert, dass sie von allen Beteiligten einen offenen Wechsel unterschreiben ließen, in den für den Fall des Kartellverstoßes der Kartellnotar den Schadensbetrag einzusetzen hatte – und von da an wirkte die gesamte Härte des Wechselrechts. Damit zeigt sich, dass es zwei wichtige und unterschiedliche Strategien gibt, nämlich die Vertrauensstrategie, die die für die Auszahlung dominanten Ergebnisse bewirkt und im Gegensatz zu den aus Misstrauen erzeugten risikodominanten Strategien steht, die Risiko vermeiden wollen.
4.4.5 Erfahrungsbildung: Flucht ins Soziale Optimum Betrachtet man die Auszahlungen entlang der Zeilen, dann sieht man, dass jedes Spiel einzigartig durch bestimmte Größenrelationen charakterisiert wird. Das aber bedeutet, dass der Übergang von der einen zu einer anderen Spiel- und damit Dilemmasituation durch Manipulation der Auszahlungen möglich ist. Tab. 4.8 verdeutlicht diese Ordnung. Die Situation eines Gefangenendilemmas oder eines Feiglingsspiels ist typisch für den Umgang mit Gemeinschaftsgütern: immer dort, wo kollektiv Sicherheit zu organisieren, wo Umweltübernutzung (vgl. historisch die Allmende) zu vermeiden, wo ein fairer Zugang zu Ressourcen offenzuhalten ist, existieren derartige Rationalitätsfallen. Sie sind eine wesentliche Ursache für Konflikte und stehen deshalb im Zentrum der weiteren Analyse. Gesellschaften sind lernfähig, weshalb es möglich ist, sich nach einer Vielzahl inferiorer Ergebnisse im Sinne des Gefangenendilemmas oder des Feiglingsspiels schließlich auf vertrauensbildende Maßnahmen, also auf ein Vertrauensspiel zu einigen. Tatsächlich findet sich dieses Ergebnis bereits bei den Staatstheorien: Denn wenn auch der Stärkste in der Nacht erschlagen werden kann (Hobbes 1651) dann sind vertragliche Strukturen aus Sicht des Individuums zwingend, um einen Staat zu begründen. Entlang dieser Beispiele lässt sich die Qualität der Rivalität identifizieren und verdeutlichen:
240 Tab. 4.8 Typisierung der Spiele
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs Grundspiel
Zeilenspieler (Spieler 1)
Gefangenendilemma:
B1 > A1 > D1 > C1 und 2A1 > B1 + C1
Feiglingsspiel:
B1 > A1 > C1 > D1
Zusicherungsspiel:
A1 > D1 > C1 und A1 > B1
Soziales Optimum:
A1 > C1 > D1 und A1 > B1
Quelle: eigene Darstellung
• Die Lösung des Gefangenendilemmas beschreibt in jedem Fall einen Wirtschaftskrieg; die Auszahlungen im Nash-Gleichgewicht werden einzeln und in der Summe von den jeweiligen Auszahlungen der Kooperationslösung dominiert. • Die Lösung des Zusicherungsspiels spricht in keinem Fall für einen Wirtschaftskrieg, hier wird der beste Wert auch als Nash-Gleichgewicht identifiziert. Gleiches gilt für das Soziale Optimum. • Interessant ist der Fall des Feiglingsspiels. Denn aus der Relation B1 > A1 > C1 > D1 folgt nicht, ob die Summe der Auszahlungen in den Quadranten B und C der beiden Nash-Gleichgewichte größer oder kleiner (bzw. als Grenzfall gleich) der Summe der Auszahlung im Kooperationsquadranten A ist. Ist sie größer, ist Kompensation möglich – kein Wirtschaftskrieg – ist sie kleiner, dann herrscht Wirtschaftskrieg.
4.4.6 Weitere Spiele: Ausdifferenzierung der Modellwelt 1. Der eine teilt, der andere wählt: Hier teilt die eine Partei die gemeinsame Ressource auf, die andere wählt. Dieses Nullsummenspiel erzwingt Fairness im Verhalten; die beste Strategie ist die der Minimierung der maximalen Verluste, die sogenannte Minimax-Strategie. Gerade in der Erziehung besitzt das Anleiten zu derartigem Handeln eine wichtige und systemstabilisierende Funktion. 2. Ultimatumspiel: Einem Spieler wird ein Geldbetrag angeboten, den er aufteilen muss. Einen Anteil behält er, den anderen bietet er einem Dritten an. Lehnt dieser die angebotene Summe ab, gehen beide leer aus. Nimmt er an, behält auch der erste Spieler sein Geld. Hier wird ebenfalls Fairness und Altruismus gefordert. Dieses Verhalten ist typisch bei der Aufteilung des Diebesguts, aber auch bei der Verteilung von Kriegsbeute. Hierdurch lässt sich die Rationalität der Beteiligten testen. Denn eigentlich müsste der, dem die Aufteilung angeboten wird, auch die kleinste Summe annehmen – sie ist besser als nichts. Tatsächlich wird er das ablehnen, weil er sich unfair behandelt fühlt und hierdurch den Widersacher bestrafen kann. Das Problem der Fairness bei der Aufteilung war bereits früh Gegenstand experimenteller Untersuchungen (Güth, Schmittberger, Schwarze 1982). Dabei zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung der Aufteilung ungefähr 50 % beträgt, wenn der Aufteilende dem Wählenden ein Angebot unterhalb einer
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
241
Spanne von 20–30 % macht. Offensichtlich wirkt dann das Fairnessprinzip so stark, dass eine Ablehnung vorprogrammiert ist. Das ist ein typischer Fall dafür, wie rationales Verhalten durch moralische Vorstellungen unterdrückt wird. Denn eigentlich würde sich der Wählende auch bei einer noch so kleinen Summe, die ihm der Zuteilende anbietet, monetär besserstellen als zuvor. Allerdings lässt sich der daraus folgende Egalitarismus, der für Individuen, Stämme oder kleine (überschaubare) Gruppen gilt, nicht auf große Gruppen oder Völker übertragen (Harari 2016, S. 191–198): Denn ansonsten wären ungleiche Verteilungen zwischen Nationen oder innerhalb von Hierarchien nicht stabil. Das Fehlen eines kollektiven Entscheidungsmechanismus und weit unterschiedliche Informationsstände über Ressourcenverfügbarkeiten und Risiken führen dazu, dass sich Anführer herausbilden, die über Anreize und Strafen Kooperation der Massen erzwingen, wie das die Prinzipal-Agent-Theorie zeigt. Das erlaubt es ihnen, sich einen erhöhten Teil der Ressourcen zu sichern und im Konfliktfall auch gegenüber ähnlich strukturierten Hierarchien auf faire Aufteilungen zu verzichten – wenn für sie das persönliche Auskommen gesichert ist. 3. Vetospiel: Dieses Spiel führt unter den Bedingungen einer beidseitigen Blockade regelmäßig zu ineffizienten Ergebnissen, weil die Lösung mit hoher Wahrscheinlichkeit der eines Gefangendilemmas entspricht. Es lässt sich aber in den allgemeinen Kontext der Koordination einstellen, was an folgendem Beispiel gezeigt werden soll, das ein von André Kaiser und Niels Ehlert (2009) formuliertes Beispiel weiterführt: Eine übergeordnete Institution, beispielsweise die Zentralbank (Z), will in einzelnen Mitgliedsländern (ML) einer Währungsunion fiskalische Disziplin durchsetzen. Die Neigung, diesem Willen zu folgen, hängt im Wesentlichen davon ab, ob es ein bail-out gibt, dass also im Insolvenzfall die Kosten über die Zentralbank finanziert werden, beispielsweise durch eine lockere Geldpolitik durch Aufkaufen von Staatspapieren oder das Senken der Zinsen auf ein niedriges Niveau, oder ob das nicht geschieht. Die Zentralbank wiederum wird umso geneigter sein, Ländern in einer Krise zu helfen, je höher die indirekt wirkenden Kosten des Nichthandelns sind. Damit ist das spieltheoretische Arrangement einfach: Unter der Bedingung, dass eine fiskalische Disziplin (D) herrscht, stellt sich die Frage eines bail-outs nicht, und das Spiel ist zu Ende. Herrschte zunächst keine fiskalische Disziplin, so kann das Land versuchen, durch Austeritätsmaßnahmen seine Schulden zu konsolidieren (A) oder weiter fiskalisch undiszipliniert im Sinne exzessiver Ausgaben (E) handeln. Die Zentralbank wiederum hat die Möglichkeit, den bail-out (BO) durchzuführen oder ihn zu unterlassen (NBO). Die Tab. 4.9 enthält die entsprechenden Auszahlungen. Die wesentliche Frage stellt sich nun im Sinne des oben Ausgeführten zu den Relationen der Auszahlungen, die die Art des Spiels determinieren. So ist zu vermuten, dass ein Land dann eher bereit ist, Austeritätsmaßnahmen einzuleiten, wenn deren Härten durch den bail-out abgepuffert werden. Eine Zentralbank wird zum bail-out vor allem dann bereit sein, wenn sie befürchten muss, dass ohne diesen
242
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Tab. 4.9 Grundstruktur des Vetospiels um den bail-out Auszahlungen
E, BO
E, NBO
A,−
Zentralbank
Z(E, BO)
Z(E, NBO)
Mitgliedsland
ML(E, BO)
ML(E, NBO)
Z(A, −)
ML(A, −)
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Kaiser und Ehlert (2009)
weit höhere Kosten auf sie zukommen als mit ihm. Damit wird klar, dass die Relationen zwischen den Auszahlungswerten für die Lösungsfähigkeit maßgeblich sind, ob es also einen Kompromissbereich geben kann oder auf Veto gespielt wird, wie Tab. 4.10 verdeutlicht. Die unterschiedlichen Spielarrangements werden im folgenden Abschnitt gezeigt. 4. Freiwilligendilemma: Dieses Spiel ist eine Sonderform des Gefangenendilemmas: Einer muss das Opfer bringen, damit der Rest überlebt. Die erwähnte Kriegskultur versucht, dieses Problem beim Militär zu überwinden. In der Tierwelt ist das Phänomen gut zu beobachten, wenn Pinguine am Rand einer Eisscholle stehen und nicht wissen, ob das Wasser frei oder mit Raubfischen durchsetzt ist. Aber ohne Sprung ins Wasser verhungert die Gruppe. Die Freiwilligkeit wird in der Praxis durch das Drängen der Hinteren, die die Vorderen über die Klippen stoßen, erzwungen. In der Wirtschaft kann es, beispielsweise im Rahmen einer Fusion, sinnvoll sein, einen Unternehmensteil dem Konkurrenten zu opfern, an dem dieser sich dann aber verschlucken kann. 5. Hirschjagd: Der Name geht auf eine Erzählung des französischen Aufklärers Jean-Jacques Rousseau zurück: Um einen Hirsch zu erlegen, müssen alle Einwohner eines Dorfs ihre definierten Plätze beibehalten. Was aber passiert, wenn ein Hase den Weg eines Dörflers kreuzt – wird er diesen erlegen und damit die Gesamtjagd riskieren? Hier wird das Gefangenendilemma also gedreht. Für Rousseau war dies ein Hinweis auf den Antagonismus zwischen Individuum und Kollektiv. Die Tab. 4.11 verdeutlicht, dass das Soziale Optimum bei der Hirschjagd liegt. Dies wird aber dann nicht erreicht, wenn der potentielle Hasenjäger, falls er den Hasen
Tab. 4.10 Auszahlungen im Vetospiel
Mitgliedsland Austeriät
Zentralbank Quelle: eigene Darstellung
bail-out no bail-out
Zba / Lba Zna / Lna
exzess. Ausgaben A C B D
Zbe / Lbe Zne / Lne
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
243
Tab. 4.11 Auszahlungen bei der Hirschjagd
Kollektiv Hirschjagd
Hasenjagd
Individuum
Hasenjagd Hirschjagd
A C B D
3/3 0/7
7/0 10 / 10
Quelle: eigene Darstellung
vorbeihoppeln lässt, nur einen Bruchteil des Hirsches zugeteilt bekommt, den Hasen aber für sich allein vereinnahmen könnte. In der Wirtschaft oder auch der Politik kann mit einer derartigen Struktur eine schwache Allianz aufgebrochen werden: „Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ 6. Liberales Paradoxon: Während beim Gefangenendilemma die fehlende Kooperation als dominante Strategie zu identifizieren ist, wird beim liberalen Paradoxon die soziale Konformität zum Problem. Das typische Beispiel dafür ist das eines Bündnisses (oder einer Partei), das eine Armee (oder einen Delegierten) abordnen muss. Spieler A wäre zwar bereit, die Aufgabe zu übernehmen, findet aber, dass sich Spieler B ständig gedrückt hat und die Aufgabe zu übernehmen hat. Spieler B hat grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Aufgabe und findet, eigentlich sollte keiner den Job machen, der aber aus übergeordneten Gründen erledigt werden muss. In dem Modell müssen also die beiden individuellen Präferenzen genauso berücksichtigt werden wie die kollektiven. In der folgenden Tabelle wird das dargestellt: Für den Zellenspieler des Liberalen Paradoxons gilt A>B>C>D. Das Nash-Gleichgewicht findet sich in Zelle C von Tab. 4.12. Das Soziale Optimum in Zelle B wird nicht erreicht. Offensichtlich schließen sich Entscheidungsfreiheit und kollektives Wohl aus.
Tab. 4.12 Auszahlungen im Liberalen Paradoxon
Individuum 2 engagiert sich
Indivi- engagiert sich nicht duum 1 engagiert sich Quelle: eigene Darstellung
10 / 2 7/7
engagiert sich nicht A C B D
3/3 2 / 10
244
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Die Ukrainekrise eignet sich dafür als Beispiel, weil sich hier die Frage stellt, ob sich ein Land ökonomisch und politisch seine eigenen Bündnisse wählen darf. Nach byzantinisch-sowjetisch-russischer Auffassung lautet die Antwort nein, außerdem hatte man nach dem Fall der Mauer dem Westen das Versprechen abgenommen, die NATO nicht über die alten Grenzen hinaus auszudehnen. Aus westlich-liberaler Sicht lautet die Antwort ja, weshalb die EU die Bündnisbitten aus dem Osten positiv aufnahm. In der Ukraine eskaliert nunmehr dieses Dilemma. 7. Gottesbeweis: Der Glaube an die Existenz eines Gottes wird gerne mit dessen Offenbarung in Zusammenhang gebracht. Ähnlich funktioniert der Glaube an eine Wahrsagung, an eine Prophezeiung, an ein Omen, an die Richtigkeit eines Ratings oder schlicht an die Güte einer Prognose. Stets sucht der Mensch nach dem Beweis für Richtigkeit. Beim Rating erwartet er, dass die Methode offengelegt wird, was die Agenturen nicht wollen, um ihr Herrschaftswissen zu behalten – ähnlich liegt es bei Prognosen. Allgemein soll hier von der Beweisbarkeit des Wirkens einer höheren Autorität (Spieler 1) gesprochen werden, dem eine Person oder Institution gegenübersteht (Spieler 2). Jeder der Spieler hat Primär- und Sekundärziele: • Die höhere Autorität will, dass man an sie bzw. ihre Prophezeiungen, Prognosen, Ratings usw. glaubt, will sich aber nicht offenbaren. • Der zweite Spieler will eine klare Bestätigung seines Glaubens oder Unglaubens, würde aber gerne an die höhere Autorität glauben. • Man ordnet nun Auszahlungen entsprechend der primären und dann der sekundären Präferenzen. Eine mögliche Auszahlungsmatrix mit B > A > D > C ist in Tab. 4.13 gegeben. Sie macht deutlich, dass aus der Strategie, sich nicht zu offenbaren, für die höhere Autorität immer die dominierenden Auszahlungen folgen, wie immer Spieler 2 auch entscheidet. Damit kann die erste Zeile des Spiels als irrelevant eliminiert werden – obgleich in Zelle A das Soziale Optimum zu finden ist. Dann aber müsste die höhere Autorität irrational handeln. 8. Schönheitswettbewerb: Zwei Spieler hoffen auf den Gewinn bei der Wahl der richtigen Schönheit. Sie werden dabei die Dame auswählen, der sie die höchsten Gewinnchancen zurechnen, nicht die, die sie am schönsten einschätzen. Es wird also ein Herdenverhalten eingerechnet, wie es bei Spekulationsblasen usw. vorherrscht – man versucht, nach gleichen Kriterien auszuwählen wie der Gegenspieler. Tab. 4.13 Auszahlungen im Gottesbeweis
Individuum/Institution 2 glaubt offenbart sich höhere Autorität 1 offenbart sich nicht
Quelle: eigene Darstellung
7 / 10 10 / 5
glaubt nicht A C B D
3/3 5/7
4.4 Dilemma des Bereitstellens eines Ordnungsrahmens
245
Versteigerungen geht oft im Sinne einer Präselektion ein Schönheitswettbewerb vorweg – und dort ist das beste Produkt nicht zwingend das mit den wertvollsten Eigenschaften, sondern das, was alle als wertvoll ansehen. Derartiges Herdenoder Schwarmverhalten erzeugt eine anonymisierte Führung – alle tun das, was alle als sinnvoll erachten – und verhindert, dass Verantwortung zugeordnet werden kann. Verantwortung ist aber unteilbar, auch wenn eine Entscheidung vorher durch Zusammenführung allen Wissens vorbereitet wird. 9. Kampf der Geschlechter: Ein Ehepaar will gemeinsam den Abend entweder beim Fußballspiel – vom Mann präferiert – oder im Konzert – von der Frau präferiert – verbringen. Beide entscheiden getrennt. Ginge die Frau also ins Fußballstadion, wäre die beste Wahl des Mannes, auch dorthin zu gehen; also liegt dort ein Nash-Gleichgewicht. Analoges gilt für das Konzert. Bei reinen Strategien gibt es zwei Nash-Gleichgewichte und keine dominanten Strategien. Die Lösung kann diktatorisch, beispielsweise durch Würfeln erfolgen oder dadurch, dass zusätzliche Informationen in das Kalkül einbezogen werden, die das Dilemma auflösen. Zu dem zentralen Problem zählt die Unmöglichkeit des Mischens, was auch typisch für viele militärische Operationen ist, wenn verschiedene Optionen zur Auswahl stehen und nicht gleichzeitig zwei oder mehr Schwerpunkte gebildet werden sollen. Gleiches gilt für den Wirtschaftskrieg bei der Frage, welcher Markt (als erster) erobert werden soll. Möglicherweise sind damit auch komplexe Reihenfolgeprobleme verbunden. Zwei Spielvarianten leiten sich aus dem hier Dargestellten ab: 10. Auf der Basis des Teilen-Wählen-Dilemmas (vgl. 1) lässt sich die sogenannte Nash-Verhandlungslösung ableiten. Wenn nämlich die Ansprüche über 100 % reichen, dann müssen sich die Teilnehmer fragen, welche Aufteilung akzeptabel ist. Der Ansatz ist, die möglichen Anteile zu multiplizieren und damit das Wahrscheinlichkeitsprodukt auszuweisen. Dies ist bei einer Teilung 50:50 maximal (50*50 = 2500, das ist größer als jede andere Variante, beispielsweise 51:49 oder – im Extremfall – 99:1). Tatsächlich lässt sich zeigen, dass hier akzeptierte Gleichgewichte entstehen, die strategisches Verhalten nicht einträglich machen. 11. Noch interessanter ist die Suche nach einem Ergebnis, wenn mehr als zwei Spieler auftreten und hintereinandergeschaltet werden – das Triell-Dilemma (abgeleitet vom Duell, das um einen Spieler erweitert wurde). Drei Männer kämpfen um eine Frau, und offensichtlich kann das Problem nur durch ein Triell gelöst werden. Man entscheidet sich, das Problem durch paarweise Duelle zu lösen. Die Trefferwahrscheinlichkeiten der drei Individuen unterscheiden sich mit p(A) 0. Die entsprechenden Auszahlungen finden sich in Tab. 4.14, die vier Situationen werden entlang der Interessenlage des Zeilenspielers (erster Term jeder Zelle) und des Spaltenspielers (zweiter Term) charakterisiert, wobei die Spieltypisierungen aus Tab. 4.8 zugrunde liegen. Der Sachverhalt wird nun graphisch interpretiert. In Abb. 4.11 erkennt man zwei charakteristische Bereiche: Jenseits des Schnittpunkts der beiden Hyperbeln, für welche die Bedingung B > A des Zeilenspielers (bzw. C > A des Spaltenspielers) gilt, befindet sich das Gefangenendilemma. Für Werte w/c zwischen 1 und 2 besteht ein Soziales Optimum und ein Zusicherungsspiel, für w/c zwischen 0 und 1 nur ein Soziales Optimum. Offensichtlich führen hohe Erträge des Wirtschaftskriegs (oder geringe Kosten) dazu, dass kein Anreiz zu einer Kooperation besteht. Die Abbildung zeigt die Diskriminanten des Übergangs von einer Dilemmaform zu einer anderen in einem Diagramm, das das Verhältnis aus Profit und Kosten der Wahrscheinlichkeit des Siegs gegenüberstellt. Hohe Erträge durch wettbewerbswidriges Verhalten führen – wenn sich beide Parteien an der Eskalation um den rechtzeitigen Erstschlag beteiligen – zu inferioren Lösungen. Ein Feiglingsspiel kann durch Einführung eines selektiven Bestrafungssystems eingebaut werden (Blum, Dudley, Leibbrand, Weiske 2005). Weiterhin können ergänzende Aspekte wie das Verhalten des Umfelds (im Sport: der Zuschauer), der internationalen Organisationen (im Sport: der professionellen Sportinstitutionen), die Fähigkeit zur Kontrolle von Abrüstungsvereinbarungen oder wettbewerbswidrigen Vorbereitungen (im Sport: Antidoping-Einrichtungen) einbezogen werden.
4.5 Wirtschaftskrieg im Modell fehlender Kooperation
249
Tab. 4.14 Wirtschaftskriegsspiel (Zeilenspieler)
Quelle: eigene Darstellung.
1,4
p=1
1,0
0,8
0,6
0,4
Soziales Opmum und Zusicherungsspiel
Soziales Opmum
Wahrscheinlichkleit p
1,2
Gefangenendilemma
0,2
0,0 0,0
1,0
2,0
3,0
4,0
5,0
6,0
7,0
8,0
9,0
10,0
w/c
w=c
p=1-1/(w/c)
p=1/(w/c)
Abb. 4.11 Graphische Darstellung des Wirtschaftskriegsspiels. (Quelle: eigene Darstellung)
Der Theorie der Dominanzerwartungen folgend könnten – im Sinne des Feiglingsspiels – die Erwartungen, dass der Rivale auf Dauer eine Überlegenheit aufbaut, die er derzeit noch nicht hat immer stichhaltiger werden. Dann könnte ein sofortiger wirtschaftskriegerischer Präventivschlag sinnvoll sein, weil er eine kalkulierbar bessere Erfolgschance hat als die künftige Auseinandersetzung.
250
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
4.5.3 Wiederholte Grundspiele: Aus Erfahrung wird der Mensch klug Bei statischen Spielen ist nur möglich, der Dilemma-Situation zu entkommen durch Beeinflussung der Auszahlungsstruktur der Spieler; das geschah oben durch Veränderung von Humankapitaleinsatz und Kooperationsproduktivität. Analog kann der Staat eingreifen und regelwidriges Verhalten mit Strafzahlungen ahnden. Ist die Strafe hinreichend hoch festgesetzt, kann das zu einer Verschiebung der Nash-Gleichgewichte und somit zur Auflösung des Dilemmas führen. Dem Dilemma lässt sich auch entrinnen, wenn die Spiele hinreichend oft wiederholt werden und die Spieler dadurch Erfahrungen sammeln, schließlich infolge der negativen Ergebnisse ihr Verhalten ändern und Vertrauen bilden (Taylor und Ward 1982; Mueller 1989). Dabei darf den Spielern die genaue Anzahl der Wiederholungen nicht bekannt sein, sonst könnten sie sich strategisch verhalten. Denn der rationale Spieler würde in der vorletzten Runde mogeln; da sein Gegenpart das weiß, mogelt er bereits in der vor-vorletzten Runde – und diese Rationalität führt dazu, dass das Mogeln stets weiter nach vorn verlegt wird. Diese Rückwärtsinduktion lässt sich nur vermeiden, wenn das Spiel unendlich oft wiederholt wird, sein Ende also im Verborgenen bleibt. Oft sind Spiele in übergeordnete Spiele eingebettet, weil die Regeln der einen Ebene oft aus Spielzügeentscheidungen der darüber gelegenen Ebene abgeleitet werden. Dann existiert zu einem Spiel ein Metaspiel. Dies ist insbesondere in Bezug auf das Festlegen von Kooperationslösungen relevant. Allerdings stehen alle dynamischen Spiele vor dem von Finn E. Kydland und Edward C. Prescott (1977) in ihrem Beitrag Rules rather than Discretion: The Inconsistency of Optimal Plans formulierten kontrolltheoretischen Problem, dass unter der Bedingung rationaler Erwartungen aller Beteiligten bei fest vorgegebener Zielfunktion keine Zielerreichung möglich ist, weil immer und erfolglos gegen die Rationalität des Gegenübers gehandelt wird. Dieses Argument hat eine ähnliche Macht wie die Kritik von Robert E. Lucas (1976) zum Thema Econometric Policy Evaluation: A Critique, dass unter der Bedingung rationaler Vorhersagen alle Wirtschaftspolitik ineffizient wird. Man kann das auch im Kontext der im zweiten Kapitel vorgetragenen Argumente zu den drei Wechselwirkungen (Clausewitz 1832) und der aus ihnen hervorbrechenden Eskalationsdynamik (Girard 2007) sehen: Beste Antworten auf bisher beste Antworten führen in die Apokalypse, zerstören Institutionen.
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen Im Folgenden werden drei Beispiele des Systemkriegs aufgezeigt: Zwei spielten sich unter dem atomaren Dach des „Gleichgewichts des Schreckens“ ab, das militärische Grenzüberschreitungen verhinderte – gleichsam ein Zusicherungsspiel auf der
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
251
militärisch-politischen Ebene – allerdings gekoppelt mit Elementen von Feiglings- und Gefangenendilemmaspielen im ökonomischen Bereich. Der in den siebziger Jahren eingeleitete Prozess der Entspannung mündete in die am 1. August 1975 unterzeichnete Schlussakte von Helsinki, in welcher in drei „Körben“ grundlegende Prinzipien der Zusammenarbeit im Hinblick auf Politik, Sicherheit, Völkerrecht und Menschenrechte, weiterhin Fragen der Wirtschaft und der Umwelt und schließlich humanitäre Fragen angesprochen wurden. Die damit etablierte Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) firmiert seit dem Jahr 1995 als OSZE (Organisation über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Sie hat wesentlich zum Wandel durch Annäherung, einem von Egon Bahr begründeten Konzept, beigetragen und das friedliche Schmelzen des Eisernen Vorhangs begünstigt. Das dritte Beispiel behandelt die systematische Zerstörung der Reputation der Europäischen Zentralbank. Sie war die Folge eines ersten Wirtschaftskriegs der Finanzindustrie mittels ihrer als ökonomischer Sprengsatz wirkenden Finanzinnovationen gegen die Gesellschaft und die Demokratie. Die Banken hatten nach dem Fall der Mauer erfolgreich das Kapital bereitgestellt, um die Investitionen zu schultern, die Millionen von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern aus der Armut befreit haben. Aber unter bestimmten Bedingungen wirkt die Medizin gefährlicher als die Krankheit, und der vermehrte Einsatz dieser Finanzinstrumente verschleiert die Risiken und brachte die Welt an den Rand eines ökonomischen Kollapses. Gering verschuldete Länder konnten die Krisenkosten puffern, bei hochverschuldeten war das anders, und so folgte eine Staatsschuldenkrise, in deren Folge Zentralbanken und supranationale Organisationen das Kommando übernahmen und den kollabierenden Ländern – meist gegen den Willen der Parlamente, die Sanierungsbedingungen als Voraussetzung für Rettungskredite diktierten. Das Budgetrecht des Parlaments als dessen vornehmstes Privileg wurde ausgehebelt, Vertragsrecht stand gegen Demokratie. Der zunächst unbemerkte Wirtschaftskrieg, der in die Finanzkrise mündete, wird hier zunächst als Zerstörung der Reputation von Institutionen behandelt. Später wird gezeigt, wie dadurch ein Währungskrieg zwischen den Wirtschaftsräumen entstand und abschließend ausgeführt, wie in der Folge die Wirtschaftssubstanz der Länder zerstört wird.
4.6.1 Systemkrieg: Die wirtschaftliche Auszehrung der DDR Der bereits beschriebene Wettbewerb der Ordnungen, der oft auch als Systemwettbewerb bezeichnet wird, war in Deutschland besonders sichtbar, da sich an der innerdeutschen Grenze zwei antagonistische Wirtschaftssysteme teilten, also zwei diametral verschiedene Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen aufeinanderprallten, und das auch noch vor dem Hintergrund einer zuerst heißen Kriegsangst und ab den sechziger Jahren zunehmend eines Kalten Kriegs, einer Art Mexican-Standoff-Lage. Die Unterlegenheit des sozialistisch-kommunistischen Ordnungsmodells fand ihren Niederschlag in
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
dessen Kollaps. Trotzdem erzielte es besonders in der Industrialisierungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg große Erfolge, und der Sputnik-Gagarin-Schock war maßgeblich dafür, dass sich die westliche Welt Gedanken machte, wie es um ihre Zukunftspotentiale bestellt ist. Tatsächlich war die Lage aber weniger bedrohlich, weil in den Ländern des Ostblocks die vorhandenen Technologien, die oft noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammten und entweder aus Deutschland abtransportiert oder von Amerika im Rahmen des gemeinsamen Kampfes geliefert worden waren, dupliziert wurden. Wirtschaftsbereiche mit geringer Produktivität, besonders die Landwirtschaft, wurden zentralisiert und reorganisiert, um die entsprechenden Arbeitskräfte freizusetzen, die die produktiven Bereiche verstärkten. Der Fortschritt war ursächlich nur auf die Faktorwanderung zurückzuführen, das Vervielfachen vorhandener Technologien, nicht auf endogenen Fortschritt. Diese Art der Verstärkung der Wirtschaftsleistung stieß in den 60er Jahren zunehmend an Grenzen, weshalb auch unter Chruschtschow verschiedene Formen der Liberalisierung diskutiert wurden, die schließlich dazu führten, dass der DDR ein erhöhter Freiheitsgrad in der Wirtschaftsplanung zugestanden wurde und sie damit auch teilweise den Vorgaben des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) entkommen konnte. Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (NÖSPL) vom Juni 1963 erschien der SED schließlich als bedrohlich für ihren Vormachtanspruch, weshalb sie es scheitern ließ. Damit wurde sie aber wieder zur Gefangenen ihres starren Planungssystems, das durch weitere Zentralisierungen verschärft wurde, weshalb die illegale Technologiebeschaffung aus Drittländern an Priorität gewann. Das Kriegerische lag in den Absichten, den Methoden und wurde, auch seitens der DDR, so eingeordnet. So liest man in der Einleitung zum Buch Probleme der Militärökonomie (Autorenkollektiv 1967, S. 5): „Im vorliegenden Buch werden einige wichtige Probleme des Wechselverhältnisses zwischen Ökonomie und Militärwesen, der ökonomischen Kriegsvorbereitung des Imperialismus und der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung im Sozialismus behandelt. Angesichts der zunehmenden Aggressivität des westdeutschen Imperialismus und Militarismus gewinnt der allseitige militärische Schutz der sozialistischen Errungenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik immer mehr an Gewicht.“ Insbesondere wird betont, dass die monopolistische Wirtschaft einen Kriegstreiber ersten Ranges darstellt. Gleichermaßen erfolgt in Rückschau eine Bestandsaufnahme der Leistungsfähigkeit der ehemaligen Kombinate und der verlorenen Entwicklungschancen nach der Einheit in einem Buch ehemaliger Kombinatsdirektoren (2014) Jetzt reden wir, in der mehr oder minder direkt der Vorwurf der massiven Wertvernichtung der ostdeutschen Wirtschaft erst durch den Systemkrieg, abschließend durch die Treuhandprivatisierung, durchscheint. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Durchsetzen des demokratisch-liberalen Ideals bzw. der kommunistisch-sozialistischen Ideologie.
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
253
Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die Bundesrepublik Deutschland (BRD), die nach dem Krieg durch ihre Lage im marktwirtschaftlichen Westen eine Wohlstandsentwicklung, das sogenannte Wirtschaftswunder, erleben durfte. Allerdings war diese Entwicklung nicht zwangsläufig, musste doch gerade Ludwig Erhard, wie Daniel Koerfer (1998) ausführt, mühevoll mit den Besatzungsmächten, insbesondere den Amerikanern, um eine liberale Wirtschaftsordnung ringen, die durch Wettbewerb niedrige Preise erzwingt. Damit stand er auch im Gegensatz zum Kanzler Konrad Adenauer und der Industrie, die die Soziale Marktwirtschaft als Konsumentensozialismus bezeichneten. • Die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die nach der Abtrennung der Ostgebiete als neues Ostdeutschland firmierte und eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg infolge der moderneren Kapitalausstattung die besseren Startchancen als der Westen hatte, diese aber durch die Demontagen des Besatzungsregimes, die Autarkiepolitik und das Umgestalten des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems nach sowjetischem Vorbild einbüßte. • Die NATO, die als Sicherheitsbündnis des Westens aufgebaut wurde, aber zugleich ein Wertebündnis darstellt. Entscheidend für den Niedergang des Ostens war nicht nur die Glaubwürdigkeit, mit der durch den Nachrüstungsbeschluss auf die sowjetische Stationierung der weitreichenden Mittelstreckenrakete SS-20 reagiert wurde, sondern auch das Star-Wars-Programm des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, das die Priorität von Defensivwaffen angesichts immer umfangreicher werdender Offensivwaffen erkannte. Der Sowjetunion, die ohnehin durch den Afghanistankrieg, der schließlich 1988 verlorenging, geschwächt war, nötigte dies eine Expansion ihres Rüstungshaushalts auf, was erheblich zu ihrem wirtschaftlichen Niedergang beitrug und auch auf die Satellitenländer durchschlug. • Der Warschauer Pakt als das der NATO entgegengerichtete Militärbündnis mit interner Disziplinierungsmacht (vgl. Ungarn 1956; Tschechoslowakei 1968). • Die COCOM (Coordinating Committee on Multilateral Export Control), das durch ein Embargo den kommunistischen (Feind-) Staaten den Zugang zu westlicher Spitzentechnologie verwehrte, und die Tor Egil Førland in seinen Analysen (1990, 1991) als klaren Akt des Wirtschaftskriegs sieht. • Der Bereich KoKo (Kommerzielle Koordinierung) des DDR Außenhandels ministeriums, das u. a. damit beauftragt war, Embargoware zu beschaffen und zu diesem Zweck auch Unternehmen im Ausland unterhielt. Er sollte, häufig auch mit illegalen Methoden, einen wesentlichen Beitrag zur sozialpolitischen Stabilisierung der DDR über eine Ausweitung des Konsums leisten, die vom Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker (1912–1994) als Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik bezeichnet wurde und 1982 fast zur Zahlungsunfähigkeit der DDR geführt
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
hatte.24 Wie Matthias Judt (2013, S. 21) in seiner Analyse des Bereichs Kommerzielle Koordinierung betont, hatte sie die Aufgabe, die strukturellen Defizite der sozialistischen Planwirtschaft auszugleichen. Allein aus dem von ihr abgewickelten Häftlingsfreikauf erlöste sie zwischen 1962 und 1989 über 3,4 Mrd. DM. Tilmann Botzenhard (2013) berichtet über 470 Mio. DM an Erlösen aus entwendeten Kunstgegenständen – die Opfer des Kunstraubs wurden oft in die Psychiatrie eingewiesen – und summiert den Wert der Erträge der KoKo auf insgesamt 17,2 Mrd. DM. • Hinzu treten Nachrichtendienste mit vielen Spionen und Wirtschaftsspionen auf beiden Seiten. Kriegsmittel: • Vor allem Spionage, teilweise auch Sabotage, im Falle des Ostblocks auch Entführungen von Bürgern, um Lösegeld zu erpressen. Kriegsziel: • Westen: Friedliche Koexistenz, was Wandel durch Annäherung impliziert und vom Osten – trotz des Helsinki-Prozesses – als Aggressivität angesehen wurde • Osten: Sieg im Systemwettbewerb, also aus der friedlichen Koexistenz heraus deren Überwindung, um der sozialistisch-kommunistischen Idee zum Durchbruch zu verhelfen, wobei das damit verbundene Stärken militärischer Potentiale explizit vorgesehen war. Kriegsfolgen: • In Verbindung mit dem vorher genannten Star-Wars-Effekt auch der Niedergang der UdSSR und Zusammenbruch des Ostblocks sowie Zerstörung des kommunistisch-sozialistischen Heilsparadigmas. Der Leiter der Kommerziellen Koordinierung, Alexander Schalck-Golodkowski (1932– 2015) berichtete in seiner im Jahr 1970 gemeinsam mit Heinz Volpert (1932–1986) eingereichten Dissertationsschrift25 über den Wirtschaftskrieg mit dem Westen und beschrieb auch konkret die Aufgabenstellungen der Zukunft. Ziel hierbei war es, eine
24Dokumentiert sind u. a. Waffenexport, Zigarettenschmuggel, Enteignung und Verkauf privater Antiquitäten im westlichen Ausland, Blutplasmaexport, Häftlingsfreikäufe. 25Gutachter war u. a. Generaloberst Erich Mielke (1907–2000), der formal keinerlei Befähigung zur Abnahme einer Dissertation besaß. Es entstand eine Dokumentation von hohem zeitgeschichtlichem Wert. Oberst i.G. Heinz Volpert war mit dem für Häftlingsfreikauf, vulgo Menschenhandel befasst, arbeitete im Ministerium für Staatssicherheit und starb im Jahr 1986 unter mysteriösen Umständen in einer Sauna.
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
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strategische Aufstellung zu entwickeln, um der „imperialistischen Aggressionspolitik“ zu kontern, die die Volkswirtschaft der DDR schädigte und sich dabei der Diversion, der Sabotage und anderer Störtätigkeiten zum Lahmlegen des Produktionsablaufs bediente. So wurden die direkten und indirekten Schäden durch die aktuell wichtigsten sechs Vorfälle auf rund 1 Mrd. Ostmark geschätzt. Ziel in diesem Wirtschaftskrieg müsse es sein, dem „Feind mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten, durch Anwendung seiner eigenen Methoden und Moralbegriffe, Schaden zuzufügen sowie die sich bietenden Möglichkeiten des feindlichen Wirtschaftspotentials zur allseitigen Stärkung der DDR voll zu nutzen.“ Tatsächlich scheint hier etwas auf, was man als asymmetrischen Wirtschaftskrieg bezeichnen möchte, denn seitens der Bundesrepublik war die wirtschaftliche Vernichtung der DDR nicht avisiert. Aber das marktwirtschaftliche System besaß eine strukturelle Gewalt26, die für das zentralverwaltungswirtschaftliche System eine stete Bedrohung war. Den Niedergang der DDR konnte das nicht verhindern. Es war der Ölpreis-Schock Anfang der siebziger Jahre, der das Ende der Zentralverwaltungswirtschaften sichtbar einleitete, weil die fundamentalen Verschiebungen der weltweiten Arbeitsteilung zu falschen Anpassungsreaktionen führten. Während im Westen besonders Funktionen, die stark an Märkten ausgerichtet und im Sinne einer Kontrolle nicht leicht zu überwachen waren, dezentralisiert wurden – Stichwort: Profitcenter –, wurde in den kommunistisch-sozialistischen Ländern zentralisiert. Am extremsten vollzog sich das unter Erich Honecker, der den Rest der gewerblichen privaten Wirtschaft der DDR in die Kombinate integrierte und damit eine Gruppe von Unternehmen, die rund 50 % produktiver als der Rest der Wirtschaft war, um ihre Leistungskraft brachte. Die Folge war ein Verlust an Exportmärkten bei gleichzeitig erhöhtem Bedarf an Devisen für Importe und auch für Konsumzwecke, um die Bevölkerung ruhigzustellen; sie besaß Anfang der achtziger Jahre den höchsten Lebensstandard im Ostblock. Tatsächlich wurde die Entwicklung im Nachbarland Polen, nämlich die Revolte der Unzufriedenen durch fehlenden wirtschaftlichen Wohlstand, als Warnung wahrgenommen, weshalb die Konsumorientierung ausgeweitet wurde. Damit ging ein immer bedrohlicher werdender Importüberhang im Handel mit dem Westen einher und ein zunehmender Kreditbedarf, der sich seit Mitte der 70er Jahre aufbaut und auf die Alexander Schalck-Golodkowski mehrfach vergeblich hingewiesen hatte. Diese führten schließlich zu einem Kreditstopp des westlichen Auslands. Die drohende Zahlungsunfähigkeit wurde im Jahr 1983 durch einen zwischen Alexander Schalck-Golodkowski und Franz-Josef Strauss (1915–1988) eingefädelten Kredit, den sogenannten Strauss-Kredit, über den letzterer auch in seinen Erinnerungen (1989) berichtete, abgewendet; das verschob den Zusammenbruch auf günstigere Zeiten, denn damals begannen bereits Glasnost und Perestroika in der UdSSR.
26Das
Konzept geht auf den norwegischen Friedensforscher Johan Galtung (1969) zurück, wurde von der westdeutschen totalitären Linken ab Ende der sechziger Jahre instrumentalisiert und wird später erneut aufgegriffen.
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Faktisch war die KoKo von da an weitgehend damit befasst, statt einen Beitrag zur Modernisierung der DDR-Wirtschaft zu leisten deren Devisenversorgung sicherzustellen (Judt 2013, S. 138). Die Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen, die der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR, Gerhard Schürer (1921–2010) mit Alexander Schalck-Golodkowski und anderen im Jahr 1989 verfasste, belegt die verheerende Verfassung der Volkswirtschaft der DDR, der im Fazit der Expertengruppe als Ausweg nur blieb, entweder das System aufzugeben oder den Lebensstandard drastisch zu senken. Die Abb. 4.12 dokumentiert diese Entwicklung. Tobias Wunschik (2014) verdeutlicht die Wirtschaftsengpässe, vor denen die DDR ab Anfang der achtziger Jahre stand, in seinem Buch über Knastware für den Feind. Die zunehmenden Qualitätsprobleme der DDR wurden in einem internen Bericht wie folgt beschrieben (zitiert nach Wunschik 2014, S. 204): „Im Verlauf des Jahres 1982 trat zum Beispiel eine zunehmende Instabilität der Qualität bei den Erzeugnissen des VEB Gasund Elektrogeräte Dessau (Kombinat Haushaltsgeräte) auf. Das führte zu umfangreichen Reklamationen und zur Sperrung kompletter Lieferungen für den Verkauf für das Versandhaus Quelle.“ Letztlich beendete Quelle ab 1983 den Bezug vieler Haushaltsgeräte aus der DDR. Im Werk Dessau arbeiteten allein bis zu 350 Gefangene, und das Problem der Häftlingsarbeit war schon damals bekannt, weil Häftlinge in den Geräten Kassiber schmuggelten. Zudem zeigt die Abbildung deutlich, dass der heutige Entwicklungspfad in den neuen Ländern faktisch eine Verlängerung der Entwicklung aus den 50er und 60er Jahren darstellt, die wirtschaftlich betrachtet oft als die guten Jahre der DDR bezeichnet wurden.
Abb. 4.12 Entwicklung der pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in Deutschland, 1900 bis 2016. (Quelle: Blum 2013a, 2019).
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
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Tatsächlich wurden nämlich die unter der Zentralverwaltungswirtschaft entstandenen Defizite mit der Treuhandprivatisierung und der sich daran anschließenden Währungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht gelöst. Die Meinung der Fachleute wurde nicht geschätzt, weshalb Bundesbankpräsident Pöhl (1929–2014) im Sommer 1991 von seinem Amt zurücktrat: „Wir haben die D-Mark von einem Tag auf den anderen eingeführt, praktisch ohne jede Vorbereitung, und ich möchte hinzufügen: zum falschen Wechselkurs. Daher ist das Ergebnis ein Desaster“, so Otto Pöhl im März 1991 im Europäischen Parlament (zitiert nach Wittkowski 2014). Die Regierung hatte die Deutsche Bundesbank und ihren Präsidenten gezielt desavouiert, und im Jahr 2014, kurz vor seinem Tod, ergänzte er: „Der Kurs, zu dem die Ost-Mark gegen die West-Mark getauscht wurde, entsprach nicht den ökonomischen Realitäten.“ (Pöhl zu seinem 85. Geburtstag, zitiert nach Fränkischer Tag 2014). Der Aufschwung in den neuen Ländern in den 90er Jahren war nichts anderes als ein Aufholen der Stagnation der Jahre unter Erich Honecker. Die falschen Wirtschaftsstrukturen half er nicht zu überwinden. Die Privatisierung kann man als eine Art Feiglingsspiel sehen, in dem sich die Treuhand mit den Strategien „Schließen“ oder „Weiterbetreiben“ und die Industrie mit „Kaufen“ oder „Nichtkaufen“ belauerten. Wegen der Auflagen erschien den Unternehmen eine Übernahme aus der der Insolvenz heraus sinnvoll – mit dem Risiko, dass die Treuhand weiterfinanziert und damit ein Konkurrent oft unter Preis im Markt anbietet. Aus Sicht der Treuhand konnte nur der Wille der Aufrechterhaltung der Produktion verdeutlichen, dass eine einfache Marktbereinigung nicht akzeptiert wird. Erst nach der Ermordung von Detlev Rohwedder (1932–1991) schaltet die Treuhand auf eine weitgehende Stilllegungsstrategie um, wenn der Verkauf nicht zügig möglich war. Schließlich war es den politisch Handelnden der Wende auch wichtiger, aus dem Verkauf des seitens der Sowjetunion und der DDR konfiszierten Eigentums Gewinn für die Staatskasse zu machen als über nachhaltige Eigentumsstrukturen ein ostdeutsches Wirtschaftswunder zu erzeugen. Denn das Fehlen von Unternehmenszentralen und ein unterkritisch großer Mittelstand – insbesondere auch bei Familienunternehmen, die wenig global wirksam werden – sind die entscheidenden Wachstumsbarrieren der neuen Länder (Blum 2013a). Denn faktisch gab es keine Vorbedingung der Anerkennung der Konfiskationen seitens der Sowjetunion, wie Gorbatschow mehrfach betont hatte, sondern dies war eine rein fiskalisch motivierte Erfindung der Architekten der Einheit. Knapp 30 Jahren nach der Einheit ist der irreversible Schaden deutlich: Eine Region, die vor dem Krieg 30 % reicher war als das Reich, ist 30 Jahre nach der Einheit 30 % ärmer als die Republik. Dem deutschen Finanzminister war – im Sinne der der Hirschjagd – der Spatz in der Hand wichtiger als die (künftige) Taube auf dem Dach. Zudem besitzt die Einwohner wenig Produktivvermögen. Die zu geringe Ersparnis und der Bedarf nach schnellen Erfolgen zur Stabilisierung der Arbeitsmärkte erforderte massive Investitionen, zu denen nur Gebietsfremde in der Lage waren. Auch Immobilien wurden verkauft, um die Erneuerung des Wohnungsbestands zu ermöglichen.
258
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
4.6.2 Technologiekrieg im Kalten Krieg: Der Fall Brünnhilde Der Fall „Brünnhilde“ ist ein Wirtschaftskrimi ersten Ranges aus der Zeit des Kalten Kriegs, betrifft er doch den Kampf um die Technologieführerschaft im Bereich der Überschallpassagierflugzeuge, also der Concorde und der TU 144 (Concordski), wobei die Kompetenz auf diesem Gebiet auch unmittelbar für Fernbomber verwertbar ist. Die Spionage des Ostens im Westen ist belegt, der umgekehrte Weg kaum. Offen bleibt, in welchem Umfang im Westen die Kenntnis, ausspioniert zu werden, dazu führte, dass frisierte Unterlagen an die Sowjetunion gingen, die schließlich zum Absturz zweier TU 144 führten. Ebenso offen bleibt die Vermutung, dieser Crash sei durch einen französischen Abfangjäger ausgelöst worden, der die Triebwerke beim Vorführflug anlässlich der Paris Air Show in Le Bourget im Jahr 1973 erkunden wollte, was wiederum beim sowjetischen Piloten zu Irritationen und flugtechnischen Ausweichmanövern führte. Das Kriegerische liegt in den Grenzüberschreitungen, die tatsächlich auch Menschenleben gekostet haben. Zugleich hat es die sowjetische Flugzeugindustrie im Bereich der zivilen Produktion für viele Jahre zurückgeworfen. Die wechselseitige Erkundung der Technologie mit teilweise gewagten Manövern ordnet sich in ein Feiglingsspiel ein, das hier offensichtlich der Westen gewann, mit dem man versuchte, den Mexican Standoff zu überwinden. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Durchsetzen des demokratisch-liberalen Ideals bzw. der kommunistisch-sozialistischen Ideologie. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die englische British Aerospace und die französische Aerospatiale, die in einem Regierungsabkommen von 1962 beauftragt worden waren, die Concorde als ziviles Überschallflugzeug zu entwickeln – damals noch in Konkurrenz zu dem amerikanischen Projekt SST (Super Sonic Transport) von Boeing, das dann aber aus Kostengründen eingestellt wurde. Durch diese Innovation sollte der europäische Führungsanspruch auf dem Gebiet der Überschallflugzeuge verdeutlicht und über die dual use auch ein wesentlicher Beitrag zum Fortschritt der Militärkapazitäten der beiden Länder geleistet werden. • Die Firma Tupolew, von Andrej Tupolew, dem legendären Flugzeugkonstrukteur, begründet und geleitet, die später von seinem Sohn Alexej fortgeführt wurde. Sie ist und war einer der erfolgreichsten Hersteller sowjetischer Flugzeuge. Die von ihm gebaute TU 144, von der NATO als Charger bezeichnet, bekam bei ihrer ersten Vorstellung auf der Pariser Luftfahrtmesse den Spitznamen Concordski, weil sie im Design und in den Abmaßen praktisch ein Ebenbild der französisch-englischen Concorde war.
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
259
• Eine Vielzahl von Agenten und ebenso viele Gerüchte, wer von wem die wesentlichen Konstruktionsmuster ausspioniert hatte. Kriegsmittel: • Alle Instrumente, die unter dem Dach der Spionage vorstellbar sind, von Begünstigung bis Erpressung, von technischer bis „menschlicher“ Aufklärung. Kriegsziel: • Zugang zur Schlüsseltechnologie, die auch militärisch verwertbar ist und Dominanz in einem speziellen Segment des Flugzeugmarkts. Kriegsfolgen: • Eskalation der Rüstungsspirale, weiter Beschleunigung des technologischen Rückstands. Die Verbindung von zivilen und militärischen Interessen, also die Fähigkeit zur dual use, war in hohem Maß bestimmend dafür, dass in den 60er Jahren von französischer und englischer Seite die Planung, ein Überschallverkehrsflugzeug zu entwickeln, aufgenommen wurde. Auch die Vereinigten Staaten planten eine entsprechende Entwicklung. Besonders die Steuerungsfähigkeit des Systems und die extreme Erhitzung der Oberfläche im Überschallbereich stellten Herausforderungen an Elektronik und Material dar, die es zu bewältigen galt, ebenso wie die Verfügbarkeit von hocheffizienten und belastbaren Antriebsaggregaten, die in der Lage waren, das Flugzeug über hinreichende Entfernungen zu bewegen – letzteres war neben der Steuerung eine wichtige Schwachstelle der UdSSR. Andrej Tupolew war ein Entwurf geglückt, der sehr große Ähnlichkeiten mit dem französisch-englischen Flugzeug aufwies. Das Flugzeug wurde bereits in der Phase seiner Entwicklung vonseiten der NATO durch die Aufnahme in die C OCOM-Liste27 als relevante militärische Entwicklung eingeordnet, weshalb es den russischen Ingenieuren nicht möglich war, ein fortschrittliches Cockpit aus den USA zu importieren. Eine entsprechende Einrichtung wurde erst eingebaut, als die NASA in den 90er Jahren eine der verbliebenen Maschinen kaufte, um damit im Überschallbereich Experimente durchzuführen. Sehr früh kam das Gerücht auf, dass wesentliche Teile der Maschine ausspioniert waren. Eine der zentralen Personen, die damit in Verbindung gebracht wurden, war der Schweizer Chemiker Jean-Paul Soupert, der nach einem Bericht des Spiegels (1969) die Koordination der Beschaffung der erforderlichen Unterlagen in Europa übernommen
27Tatsächlich
diente die Aufnahme in die Liste den Ländern des Ostblocks als glaubhaftes Signal, dass hier eine relevante Technologie vorliegt; vgl. Naylor (1999, S. 37).
260
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hatte. Darüber hinaus war vom britischen Triebwerkhersteller bekannt, dass seine Ingenieure regelmäßig zu Wodka-Gelagen in die russische Botschaft eingeladen wurden. Zu Zeiten des Kalten Kriegs gab es auch für Industriespionage oberhalb des taktischen und operativen Geschäfts ein strategisches Gleichgewicht des Schreckens, das aber auch garantierte, dass festgenommene Spione meist nach kurzer Zeit gegeneinander ausgetauscht wurden. Insofern gab es ein Kooperationsdach für das Personal, natürlich nicht für die Entwicklungen und die damit verbundenen Möglichkeiten, todbringende Rivalität zu erzeugen. So verhaftete die französische Spionageabwehrorganisation nicht nur Jean-Paul Soupert, sondern auch verschiedene Informanten, letztere teilweise als Priester verkleidet, die dann zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Soupert, der sich als Doppelagent anbot, verschwand plötzlich und wurde schließlich für tot erklärt. Wenngleich der Concordski kein großer Erfolg beschieden war, ist ihr Nachfolgemodell, die Tupolew 160, ein gefürchteter Überschallfernbomber, mit Schwenkflügeln ausgerüstet, um seine Start- und Landefähigkeit zu verbessern. Wesentliche Erkenntnisse, insbesondere in der Antriebstechnik der TU 144 kamen auch ihm zugute.
4.6.3 Stamokap 2.0 oder wie man die Geldordnung zerstört Der klassische Wirtschaftskrieg ist ein Handelskrieg oder ein guerre d’argent, ein Währungskrieg. Das moderne Analogon ist der Finanzkrieg, der am besten von Ländern mit einer dominanten Währung geführt werden kann (Bracken 2007; Cohen 1998). In der Europäischen Währungszone ist es gelungen, einen solchen unter dem Dach einer gemeinsamen Währung, dem Euro, nach innen gerichtet durchzuführen und dabei die Reputation der Zentralbank zu zerstören. Ausgangspunkt war die Weltfinanzkrise, ausgelöst durch teilweise überbordende Schuldenstände, vor allem aber durch, wie die Krise zeigte, falsch bewertete Anlagenpapiere, die ihre Werthaltigkeit über Nacht verloren. Diese toxischen Papiere28 führten in praktisch allen Ländern zu schweren Belastungen des Finanzsektors; Staaten mussten ihren Bankensektor mit öffentlichen Mitteln retten, um einen Systemkollaps zu vermeiden – und tun, wie das Beispiel Italien zeigt, es noch heute, obwohl vereinbart worden ist, künftig den Steuerzahler nicht mehr damit zu belasten. Schon vor der Krise waren manche Länder, besonders des mediterranen Südens, durch konstante Reformverweigerung, hohe Schuldenstände und eine unzureichende wirtschaftliche Dynamik, besonders im Bereich der handelbaren Güter, vorgeschädigt. Tatsächlich hatte der Euro, der noch vor seiner Einführung in erheblichem Maße wirtschaftliche Konvergenz der Beitrittsländer erzwungen hatte, anschließend
28Viele
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verdienten erst Millionen beim Testieren der Bilanzen von Finanzinstituten, die toxische Papiere in den Umlauf brachten, und anschließend weitere Millionen in der Beratung, um faule Kredite abzuwickeln bzw. Finanzhäuser zu stabilisieren (Szigetvari 2017).
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
261
fast explosionsartig divergente Prozesse ausgelöst, vor allem durch mangelnde Fiskaldisziplin, was bereits im Jahr 2005 vom ehemaligen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer (2005, S. 299) als Gefahr für die Finanzstabilität erkannt wurde: „Angesichts des schon bisher entstandenen Vertrauensverlusts in der Öffentlichkeit und an den Märkten kommt es darauf an, dass die bisherige Erosion der vereinbarten Fiskaldisziplin bald und nachhaltig gestoppt wird.“ Genau das ist aber nicht geschehen. So nahm die Verschuldung weiter rapide zu, wie die Zahlen in Abb. 4.13 zeigen. Die Graphik belegt weiterhin, dass dieses Problem ein globales ist; vor allem China wird inzwischen kritisch beäugt, weil sein schuldengetriebenes Wachstumsmodell nicht mehr problemlos funktioniert, weshalb neue Konzepte – von dem Erweitern der Markträume durch die Seidenstraßeninitiative bis hin zu gezielten Technologieinvestitionen – aufgelegt werden. Das zwang die EZB in einen Mehrfrontenkrieg, für den sie institutionell nicht vorgesehen ist. Die verfehlte Grundhypothese der Währungsunion war, dass in den Beitrittsstaaten ein gemeinsamer Außenwert und ein gemeinsamer Zins mit deren Wirtschaftsentwicklung vereinbar seien bzw. eine Vereinbarkeit durch wirtschaftliche Konvergenz erzwungen werden könne. Das, was man als optimalen Währungsraum bezeichnet, in dem externe Schocks symmetrisch wirken und damit eine gleichartige Reaktion der Währungshüter ermöglichen, war zunächst nicht gegeben, sollte sich aber
Abb. 4.13 Entwicklung des Schuldenstands ausgewählter Länder, 2006 und 2016 (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung (2017e) und International Monetary Fund)
262
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
entwickeln. Gleichzeitig sollte nun die Stabilität der Finanzsektoren, der Staaten und des Währungsraums unter den Bedingungen, die Währungspolitik wirksam zu halten, gewährleistet werden. Das konnte nicht funktionieren, und eigentlich gibt es nur drei Auswege: das Auflösen des Währungsverbundes (bzw. sein Aufspalten), massive Transfers oder das Vergesellschaften der Schulden durch die EZB. Letzteres wird immer stärker zur Realität. Der Ausnahmezustand im Sinne von Carl Schmitt war erreicht, weil nur noch die Europäische Zentralbank Souveränität besitzt. Ihr Handeln, nämlich massive Zinssenkungen durch Fluten der Märkte mit Geld zu erzwingen und so Stabilität zu erhalten und Investitionen anzuregen, hat kaum gefruchtet, außer den Reformdruck von den Krisenländern zu nehmen. Tatsächlich kontrolliert die EZB heute wie nie zuvor die Wirtschaft, deren größter Anteilseigner sie geworden ist. Das von den Kommunisten – die nie gewagt hätten, in ihren Ländern Zinsen auf null verfallen zu lassen – avisierte Verschmelzen von Staat und Unternehmen ist wie in Marktwirtschaften nie zuvor Wirklichkeit geworden. Gemäß der goldenen Regel der Finanzpolitik lässt sich eine Staatsverschuldung dann rechtfertigen, wenn die über die Zukunft verteilten Erträge der Investitionen den künftigen Generationen auch über den Schuldendienst angemessen zugeordnet werden. Ansonsten wirkt die Schuldenaufnahme tatsächlich wie eine Steuer und man spricht von der ricardianischen Äquivalenz. Tatsächlich aber werden staatliche Schulden häufig für konsumtive Ziele aufgenommen, vor allem für das Bezahlen von Personal. Und auch über den Investitionsbegriff herrscht wenig Einigkeit: Sind es nur Sachinvestitionen wie Straßen und Gebäude oder auch Bildungsinvestitionen, denen bekanntlich auch eine Produktivwirkung zuerkannt wird. Hinzuzuzählen ist weiterhin die indirekte Verschuldung, besonders aus Pensions- und Rentenanwartschaften, welche die Tragfähigkeit der Verschuldung ebenfalls beeinflussen.29 Vergessen wird schließlich meist, dass auch öffentliche Unterinvestitionen wie eine Staatsverschuldung wirken können. Unstrittig ist, dass Staatsverschuldung auch eine Notfallfinanzierung darstellt und dass auch die besagte Schuldentragfähigkeit, also die Fähigkeit, aus künftigen Steuereinnahmen die Kredite bedienen zu können, gewährleistet sein muss. Im Maastricht-Vertrag (1992) zur Einführung der Währungsunion wurde daher die als Kennziffer verwendete Schuldenstandsquote als Verhältnis aus Schuldenstand zur Wirtschaftsleistung, gemessen durch das Bruttoinlandsprodukt, mit einer Obergrenze von 60 % festgelegt. Diese Grenze wird kritisch hinterfragt: Reinhart und Rogoff (2010) setzten sie in der Studie Growth in a Time of Debt auf 90 % fest, allerdings wurde ihnen nachgewiesen, dass sie sich verrechnet hatten. Die Relevanz derartiger Schwellenwerte erscheint problematisch angesichts der Tricksereien der Nationalstaaten, die inzwischen die Stabilität ihrer Haushalte über den Primärsaldo erfassen wollen – der den Kapitaldienst unberücksichtigt lässt. Für das Jahr 2013 bedeutete das für Griechenland, dass aus seinem Haushaltsdefizit
29Der Sachverständigenrat (2007) hat in seinem Gutachten Staatsverschuldung wirksam begrenzen ausgiebig dazu Stellung bezogen.
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
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von 12,7 % eines von etwas über 4 % wurde. Da man auch konzedierte, die Folgen der Reformauflagen für den Haushalt zu berücksichtigen – also die durch Sparprogramme zunächst überproportional sinkenden Staatseinnahmen auszuklammern – und die hypothetischen einsetzte, konnte man einen Überschuss von 0,8 % des BIPs ausweisen – trotzdem müssen aber 12,8 % des BIPs fiskalisch bezahlt werden (WirtschaftsWoche 2014b, S. 24). Inzwischen entwickelt sich aus den USA heraus eine Modern Monetary Theory, die ein Schuldenmachen des Staats ohne Reue postuliert; die kreislaufanalytische Richtigkeit vergisst allerdings, dass unter diesen Bedingungen irgendwann alles Eigentumstitel an den Staat fallen – ganz analog wie beim Wiederaufbau Ostdeutschlands eine Gesellschaft ohne eigenes Produktiveigentum entstand, was weiter oben angeschnitten wurde. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Durchsetzen der Währungseinheit Europas vermittels der Herrschaft der Zentralbank, die zum größten Halter staatlicher und privater Vermögenstitel wird – vereinfacht als Draghiat bezeichnet. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, verdeutlichte das am 25.07.2012 mit den Worten „Whatever it takes“ (Plickert 2014) – also gegen alle Widerstände. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Investmentbanker und Finanzinstitute, die durch die die Deregulierung nutzenden Möglichkeiten, Risiken vermittels sogenannter Finanzinnovationen umzuverteilen, zum Auslöser der Finanzkrise wurden. • Nationalstaaten, die sich überschuldet hatten, oft durch parteipolitische Überbietungsprozesse im Rahmen demokratischer Wahlen, und damit ihre Länder strukturell vorgeschwächt haben. • Der inzwischen verstorbene Helmuth Kohl (1930–2017), ehemaliger Bundeskanzler und „Vater der deutschen Einheit“. Er wollte auch zum „Vater der europäischen Vereinigung“ werden und hat sich den Südländern, vor allem Frankreich, gebeugt, die sich ihre Unterstützung des deutschen Einigungsprozesses durch den Verzicht auf die deutsche Währungssouveränität abkaufen ließen. • Angela Merkel, Bundeskanzlerin; sie entscheidet oft erst unter Druck, wodurch das Parlament nur geringe Chancen hat, die vorgegebene Politik zu beeinflussen, und wurde deshalb vom Verfassungsgericht gerügt, das Parlament nicht angemessen zu beteiligen. Sie muss auf die Inflationsangst der Deutschen Rücksicht nehmen • Mario Draghi, ehemaliger Chef der italienischen Zentralbank, bei den Jesuiten und, wie sein Vorgänger Jean-Claude Trichet, ebenfalls bei Goldman Sachs sozialisiert. Er ist vehementer Befürworter der Staatsfinanzierung über die Zentralbank als Mittel der Krisenbekämpfung. Er hat als Zentralbankchef die italienischen Schuldenstände ebenso manipuliert (nach Berechnung der Deutschen Bundesbank um 1 %) wie er als Mitarbeiter von Goldman Sachs an den Transaktionen beteiligt war, die in Griechen-
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•
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land das Haushaltsdefizit so weit absenkte, dass beide Länder eurofähig wurden (Murswieck 2016); die Berichte hierüber werden bis heute von der EZB geheim gehalten.30 Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, der neben den monetären Risiken auch die institutionellen Gefahren eines dauerhaften Reputationsverlusts für die Zentralbanken sieht. Seit dem Rückzug von Jürgen Stark Ende 2011 als EZB-Volkswirt steht er auf einsamen Posten, denn dessen Nachfolger, Peter Praet, als wahrer Architekt der europäischen Geldpolitik hinter Mario Draghi, besitzt für die deutsche Stabilitätstradition wenig Verständnis. Wolfgang Schäuble, loyaler Finanzminister seiner Kanzlerin, der alles tut, das absehbare Desaster über den jeweils nächsten (Bundes- oder Landes-) Wahltermin zu verschieben, aber deutlich die Destabilisierung sieht und gelegentlich anspricht. Die Zivilgesellschaft, die um die verfassungs- und rechtskonforme Auslegung des europäischen Vertragswerks ringt.31 Das Bundesverfassungsgericht, das regelmäßig die Grenzen des Mandats der EZB vor dem Hintergrund der Verträge prüft und erhebliche Demokratiedefizite in der Eurozone beklagt, die Fragen an den Europäischen Gerichtshof weiterverweist, der sich aber bisher nicht zu harten Beschränkungen der Europäischen Zentralbank durchringen konnte. Dazu: Viele Komparsen, die die Gefechtslage schnell unübersichtlich machen.
Kriegsmittel: • Schulden, mit denen sich die Staaten vollpumpten und die die Finanzinstitute bereitwillig ausreichten, weil diese ihr Risikoportfolio scheinbar balancierten; die Erhöhung staatlicher Schulden geschah in Erwartung künftiger Einnahmen aus dem damit indizierten Wachstum und um im Sinne der Gefälligkeitsdemokratie politische (Parteien-) Macht zu sichern. • Zinssenkungen zum Sichern der Liquidität im Bankensektor und zur Finanzierbarkeit der Staatsschulden bis in den negativen Bereich. • Entschuldungsprogramme, die die Nachfrage der Krisenländer unter Druck setzen.
30Es
muss als Treppenwitz der Geschichte angesehen werden, dass die an den Manipulationen Beteiligten – von Goldman Sachs über die Mitarbeiter der Griechischen Zentralbank und des Griechischen Statistikamts – bis heute deshalb nicht juristisch belangt wurden. Andreas Georgiou, griechischstämmiger Fachmann vom Internationalen Währungsfonds (IWF), deckte im Jahr 2010 als frischberufener Chef der neuaufgestellten griechischen Statistikbehörde die Manipulationen auf. Deshalb wurde er im Sommer 2016 abgesetzt, und wegen Verletzung der Amtspflichten angeklagt (Piller 2017). Im Sommer 2018 wurde er zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. 31Vgl. hierzu insbesondere das Buch von Markus Kerber, Dieter Spethmann, Joachim Starbatty und Franz Ludwig Graf Stauffenberg (2010) zum Kampf um den Lissabon-Vertrag.
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265
• Quantitatives Easing, also eine Geldmengenausweitung, durch den Aufkauf zunächst von Staatspapieren auf dem Sekundärmarkt; glaubhafte Drohungen des OMT-Programms (Outright Monetary Transactions, vorbehaltlose geldpolitische Geschäfte); ab dem Jahr 2016 zusätzliches Aufkaufen von öffentlichen und privaten Wertpapieren im Umfang von 60 Mrd. € pro Monat. Die fehlende Wirksamkeit führte bisher nicht zu einer neuen Politik, sondern zum Ausweiten der Interventionen. • Abgeben von Reformversprechen seitens der Krisenländer mit dem Ziel, Soforthilfen zu erlangen; meist werden die Versprechen nicht eingehalten, wie bei Griechenland und Italien zu beobachten ist. Kriegsziel: • Durchsetzen der Irreversibilität der Euro-Einführung in allen aktuell teilnehmenden Staaten. Die für einen Wirtschaftskrieg typische „Gewalt“ wird dabei vor allem in den Krisensymptomen und -ausbrüchen der europäischen Peripheriestaaten deutlich. Kriegsfolgen: • Als Nebenziel bzw. Kollateralschaden wird immer deutlicher: eine Monopolisierung staatlicher und privater Vermögen bei der Europäischen Zentralbank und damit der Beginn der Systemzerstörung von freiheitlicher Ordnung. Faktisch wird der Staat zum Reparateur der Wirtschaft – wie dies die Stamokap-Theorie postuliert. • Im Finanzstabilitätsbericht des Jahres 2013 schreibt die Deutsche Bundesbank (2014, S. 10) an hervorgehobener Stelle: „Je mehr sich die Märkte an die außerordentlichen finanziellen Bedingungen gewöhnen, umso höher dürften die Kosten ausfallen, sobald sich Zinsen und Refinanzierungsbedingungen normalisieren.“ Der Warnung ist nichts hinzuzufügen. In welchem Umfang das alles durch messbares und justitiables Fehlverhalten ausgelöst wurde, machen die beiden nächsten Abbildungen deutlich. Die Abb. 4.14 zeigt, dass die Zahlungen mit Ausnahme des Jahres 2012 über die Zeit stetig zugenommen haben. Erfasst wurden hier die ersten fünf Jahre nach der Finanzkrise, weil anschließend immer höhere Anteile von Strafzahlungen andere Hintergründe besaßen, beispielsweise die Umgehung amerikanischer Sanktionen, die aber auch hier erfasst sind, beispielsweise das Verbot von Finanzgeschäften mit dem Iran; im Jahr 2014 wurde BNP Paribas mit einer Strafe von über 9 Mrd. US$ belegt. Die Zahlungen nach entsprechenden Delikten sind in der Abb. 4.15 zu finden.32 Insgesamt gibt Boston Consulting die Höhe der Strafzahlungen aller Banken bis Ende 2017
32Die Kategorien sind nicht direkt abtrennbar, weil sich US-Sanktionen auch auf Geldwäsche beziehen können; die Daten erlauben aber keine verbesserte Trennschärfe.
266
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs 250
Mrd. US$
200 150 100 50
0 2009
2010
2011
Jahreszahlungen
2012
2013
2014
kumulierte Jahreszahlungen
Abb. 4.14 Strafzahlungen der Finanzindustrie (einschließlich Rückstellungen), 2009 bis 2014. (Quelle: eigene Darstellung und Recherchen, Frankfurter Allgemeine Zeitung (2014f), Die Welt 2015a)
80
Milliarden US$
70 60
50 40 30 20
10 0 US-Sankonen
Geldwäsche, Steuerhinterziehung
Wirtschaskrise
Sonsges
Abb. 4.15 Strafzahlungen der Finanzindustrie nach Deliktarten, 2009 bis 5/2014. (Quelle: eigene Darstellung und Recherchen, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014f.)
mit 321 Mrd. US$ an, davon die Hälfte für Vergehen im Kontext der Finanzkrise (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017b). Die USA sind in der Lage, ihr Recht extraterritorial durchzusetzen, weil keine internationale Großbank den Bankplatz USA aussparen kann. Problematisch ist das Vorgehen aber deshalb, weil Banken um arbeitsfähig zu bleiben, ein hohes Interesse haben, Anschuldigungen im Wege eines Vergleichs (deals) aus der Welt zu schaffen, was aber den anklagenden Staatsanwälten eine ungeheure Machtfülle gibt und das Rechtssystem ad absurdum führt. Die Strafe liegt beim 16-fachen der angelsächsischen Bank Standard Chartered im Jahr 2012, was den Eindruck von Basarjustiz auslöst. Damit stellen diese Strafen auch eine probate Refinanzierungsquelle des Staats für die Kosten der Finanzkrise dar.
267
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
Die Abb. 4.16 zeigt die Zahlungen nach Ländern. Es dominieren die USA. Setzt man aber die Zahlen ins Verhältnis zur Bevölkerungsgröße, so wird die Schweiz zu einem dominanten Ziel, besonders wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Bei der Unterscheidung nach Instituten in Abb. 4.17 wird deutlich, dass von den rund 94 Mrd. US$ alleine rund 84 Mrd. US$ auf zehn Banken fallen. Cornelia Woll zeigt, dass diese Strafzahlungen inzwischen zu einer Art Ablasshandel verkommen sind – der Ablass fließt häufig in die USA, weil ansonsten der Verlust der Lizenz droht; bestes Beispiel ist oben
USA Großbritannien Schweiz Deutschland Frankreich Spanien Niederlande Österreich Japan 0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Milliarden US$
Abb. 4.16 Strafzahlungen der Finanzindustrie (einschließlich Rückstellungen) nach Ländern, 2009 bis 2014. (Quelle: eigene Darstellung und Recherchen, Frankfurter Allgemeine Zeitung (2014f), Die Welt 2015a)
Bank of America (USA) JPMorgan Chase (USA) Lloyds (GBR) Cigroup (USA) Barclays (GBR) Royal Bank of Scotland (GBR) Deutsche Bank (DEU) HSBC (GBR) BNP Paribas (FRA) Santander (ESP) Goldman Sachs (USA) Credit Suisse (CHE) UBS (CHE) Morgan Stanley (USA) 0,0
10,0
20,0
30,0
40,0
50,0
60,0
70,0
80,0
90,0
100,0
Milliarden US$
Abb. 4.17 Strafzahlungen der Finanzindustrie (einschließlich Rückstellungen) nach Instituten, 2009 bis 2014. (Quelle: eigene Darstellung und Recherchen, Frankfurter Allgemeine Zeitung (2014f), Die Welt (2015a) – Farben nach Ländergruppen)
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genannte BNP Paribas. „Unschuld hat ein Preisschild bekommen“, und vor allem die Großbanken seine begünstigt – too big to fail, aber auch too big to jail der Vorstände und solchen Verantwortlichen wegen daraus folgenden Finanzmarktturbolenzen (Krischke 2019). Anat Admati und Martin Hellwig (2013) entlarven in ihrem Buch The Bankers‘ New Clothes viele der Behauptungen des Finanzsektors, die gegen eine systemstabilisierende Regulierung vorgebracht werden, als unwahr und reine Interessenspolitik – im Extremfall werden durch einen spezifischen, nicht durchschaubaren Jargon, Nebelkerzen geworfen, die Verwirrung stiften, Wirtschaftspolitiker ratlos lassen, wobei diese ohnehin kein echtes Interesse an nachhaltigen Maßnahmen zu haben scheinen. Damit wird auch die Sachverhaltsaufklärung der Krisenursachen verhindert, die nach den beiden Autoren in den Qualitätsmängeln bei Finanzprodukten, insbesondere bei Subprime-Krediten, in einem Übermaß an Verschuldung, einer risikoinadäquaten Fristentransformation bei Banken und einer insgesamt fehlerhaften und nicht anreizkompatiblen Systemarchitektur bestehen. Die Aufarbeitung und Ahndung dessen, was die Schocks im internationalen Finanzsystem ausgelöst hat, dauert im Jahr 2017, als zehn Jahre später, noch an; die geschätzten Strafzahlungen summieren sich (Frühjahr 2017) auf 321 Mrd. US$ (NTV 2017). Die einheitliche Währung legte die üblichen Schockabsorber lahm, die über Märkte einen Ausgleich von länderspezifisch unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen ermöglichen, nämlich Wechselkurs und Zins, dessen Entwicklung für die großen Währungsräume in Abb. 4.18 wiedergegeben ist. Legt man die sogenannte Taylor-Regel zugrunde, so hätte zur Jahreswende 2017/18 der korrekte Zinssatz in Deutschland 3,9 % betragen müssen, in Griechenland aber −8,65 %, was die Verwerfungen im System verdeutlicht (Ettel und Zschäpitz 2018a).33 Damit wurde dieses eigentlich anti-liberale Projekt einem liberalisierten, global aktiven Finanzmarkt ausgeliefert. Die Möglichkeit der Nationalstaaten, mittels der Fiskalpolitik ausgleichend einzugreifen, wurde von diesen nicht genutzt. Die Europäische Zentralbank (EZB) war infolge der Finanzkrise gezwungen, in zwei Richtungen in den Märkten zu intervenieren: Zum einen musste sie ihre Liquidität garantieren, weil das Interbankengeschäft durch das gegenseitige Misstrauen der Finanzinstitute praktisch zum Erliegen gekommen war, was das Risiko eines systemischen Kollapses des Gesamtsystems immer bedrohlicher werden ließ. Zum anderen gerieten
33Die
Taylor-Regel (Taylor 1993) orientiert sich am realen Gleichgewichtszins und empfiehlt Zinssenkungen, wenn Kapazitäten brachliegen und die Geldentwertung unter dem Inflationsziel liegt. Der Einheitszinssatz ist für alle ineffizient, weil bei den einen keine Expansionskräfte freigesetzt werden, bei den anderen eine Blasenbildung droht, in jedem Fall die sinnvolle Investitionsorientierung nach Knappheit versagt. Die Taylor-Regel könnte künftig abgelöst werden, weil einer ihrer beiden Schaltgrößen, nämlich die Auslastung der Wirtschaft, wie oben angeführt, innerhalb der Währungszone extrem ungleich ist. Die neue Orphanides-Regel würde allein Inflation und Inflationserwartungen vergleichen (Ettel und Zschäpitz 2019b).
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
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Abb. 4.18 Zinsentwicklung wesentlicher Währungsgebiete, 1/1999 bis 8/2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Zentralbanken (o. D. a)
die Staatshaushalte immer stärker unter Druck und die Länder waren nicht bereit, dies durch eine angemessene Fiskalpolitik abzuwenden. Die massiven Zinssenkungen und schließlich auch die Interventionen am Sekundärmarkt zum Kauf von Staatspapieren sowie das stete Absenken der Qualitätsanforderungen an zu verkaufende bzw. zu beleihende Papiere waren die Folge, sodass die EZB heute ein massives Bonitätsrisiko in ihrem Portfolio trägt. Abb. 4.19 zeigt, dass die amerikanische und die chinesische Zentralbank (FED bzw. PBC) seit 2015 einen Konsolidierungskurs verfolgen, während Japan und die Europäische Zentralbank (BoJ bzw. EZB) weiter einen Expansionskurs verfolgen. Ende 2018 stößt das monetäre Fluten der Märkte mit rund 60 Mrd. € pro Monat an Grenzen, weil die Primärmärkte, also Staaten (und Unternehmen) inzwischen sicher sein können, dass die EZB kauft und daher die Fiktion, ein Kauf nur auf Sekundärmärkten sei keine Staatsverschuldung, für die formal die Parlamente zuständig wären, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Da die Käufe zugleich nach Länderquoten erfolgen, trocknet das die
Abb. 4.19 Entwicklung des Bilanzvolumens wichtiger Zentralbanken, 1/2003 bis 7/2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Zentralbanken o. D. b)
270
4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Märkte der Länder aus, die nur geringe oder keine Schulden aufnehmen. Zudem ist der Anteil auf 33 % des nationalen Anleihenvolumens begrenzt. Durch das Umschichten der Käufe zugunsten schwacher Länder könnte das Programm weitergeführt werden. Das aber widerspräche den Zusicherungen der EZB gegenüber dem Europäischen Gerichtshof. Bereits im Sommer 2017 wurde erneut das Verfassungsgericht angerufen, über die Aufkaufprogramme zu befinden; es hat diese Frage an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht, der im Dezember 2018 die Vereinbarkeit der Aufkaufpolitik mit der Europäischen Verfassung feststellte und damit das Bundesverfassungsgericht unter Zugzwang setzt. Das immer noch nicht abgebaute wirtschaftliche Ungleichgewicht in der Euro-Zone lässt sich im sogenannten Targo-2-Saldo identifizieren. Er macht die Verschuldungsbzw. Guthabenspositionen der Euro-Länder bei der EZB aus der Abwicklung von Geldtransaktionen in Abb. 4.20 aus Sicht Deutschlands sichtbar, das zum Jahresende 2018 eine Forderung von knapp 1000 Mrd. € geltend machte. Die größten Negativsalden wiesen Italien mit rund 450 Mrd. € und Spanien mit rund 400 Mrd. € aus. Wenn beispielsweise ein Export von Deutschland nach Griechenland erfolgt, der Kunde bezahlen muss, aber das Land keine verfügbaren Mittel besitzt, um die Position auszugleichen, wird das als Schuldenposition des Lands innerhalb der EZB zugunsten Deutschlands sichtbar. In diesem Saldo drücken sich damit neben Fluchtgeldern auch Leistungsbilanzungleichgewichte aus. Im Sommer 2018 erreichte er fast die Billionengrenze. Erst wenn die ultralockere Geldpolitik aufhört und damit das Ausleihen von Geld wieder Kosten verursacht – in der Regel bei der Zentralbank mehr als bei anderen Banken – wird dieser erst schrumpfen. Dass es sich hier um versteckte Staatsfinanzierung und bail-out überschuldeter Länder handelt, die in den Euro-Verträgen ausgeschlossen sind, und damit um einen eklatanten Rechtsbruch, ist die Meinung vieler deutscher Ökonomen oder Juristen, wird aber auf europäischer Ebene anders beurteilt.
Abb. 4.20 Entwicklung des Target-2-Saldos der Bundesrepublik Deutschland, 1/1999 bis 12/2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Deutsche Bundesbank 2019)
4.6 Institutioneller Kern des Wirtschaftskriegs an Beispielen
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Markus Kerber (2016) spricht von einer Usurpation der Zentralbank durch die Politik, wenn er aufzeigt, wie wichtig eine unabhängige Zentralbank für die Stabilität von Erwartungen ist, wie gerne aber Regierungen mittels Geldpolitik ihr schlechtes Regierungshandeln kaschieren wollen, und verweist u. a. auf die schwierigen Erfahrungen im Dritten Reich oder in Frankreich mit der Politisierung der Zentralbank. Tatsächlich kommt aber – zumindest nach der Wahl des Zentralbankpräsidenten Mario Draghi – weniger der politische Wille europäischer Regierungen zum Ausdruck als vielmehr dessen eigenwilliger Gestaltungsanspruch, u. a. das Propagieren einer vorgeblichen Deflationsgefahr und der Versuch, gegen fundamentale ökonomische Gesetzmäßigkeiten eine Inflation von 2 % im Euroraum durchzusetzen. Denn tatsächlich hat die Globalisierung die Wettbewerbsräume erweitert, die Konkurrenz intensiviert und damit durch den Markteintritt neuer Länder die Preise für gewerbliche Güter gesenkt. Zudem führt die Null-Zins-Politik der Zentralbanken zu verstärkten Sparanstrengungen der Haushalte, um künftige Deckungslücken bei der Alterssicherung zu verringern – sie erzeugt also genau die Kaufzurückhaltung, die mittels Niedrigzinsen und Inflationspolitik bekämpft werden soll. Kevin Dowd und Martin Hutchinson (2016) schreiben in dem Beitrag Learning the Right Lesson from the Financial Crisis, dass in der Wirtschaftspolitik Instrumente, die versagen, durch andere ersetzt werden. Nur in der keynesianischen Geldpolitik – konkret Quantitative Easing (QE) – wird versucht, Unwirksamkeit durch ständige Dosiserhöhung zu überwinden – jedoch erfolglos. Mit dem Jahr 2019 und der drohenden Rezession stößt die EZB mit ihren Anleihenkäufen an die Grenze und verletzt insbesondere den Kapitalschlüssel, was besonders am Beispiel Italien deutlich wird: Das Land verfügt über knapp 16 % des Bruttoinlandsprodukts des Euroraums, sein Anteil am Kapitalschlüssel beträgt 18 % im Jahr 2017 waren aber im Schnitt 20 % der Anleihenkäufe italienischer Herkunft, wie Friedrich Heinemann (2018) in dem Beitrag Was Draghi verschweigt zeigt. Die EZB plante, die Zinsen ab dem Jahr 2019 langsam zu erhöhen, was aber angeblich an den weltwirtschaftlichen Risiken infolge des Handelskriegs USA-China-Europa scheiterte. Bei allen niedrigverzinslichen Wertpapieren entstünden dann massive Abschläge, welche die Finanzinstitute in die Krise zwingen würden – auch die EZB, die diese in Billionenvolumen hält. Sie kann also die Zinsen um des eigenen Überlebens willen nur extrem langsam steigen lassen. Allerdings verändert sich das Umfeld rasant, vor allem durch die wirtschaftlich gute Lage der USA und den dortigen Zinsanstieg; tatsächlich läuft die wirtschaftliche Lage in den USA so gut, dass bis Ende 2019 ein Zinsniveau von 3 % prognostiziert wird. Ganz anders im Süden Europas: Italien versuchte im Frühjahr 2018, gegenüber den Gläubigern der Eurozone einen Schuldenschnitt durchzusetzen; die Regierung will das Staatsdefizit massiv erhöhen, um ihre Wahlversprechen finanzieren zu können. Da die Banken in Europa die höchsten Bestände an notleidenden Krediten besitzen, die mit jeder Zinsanhebung zunehmen, und die anderen europäischen Banken mit den italienischen stark verflochten sind, kann eine systemische Krise ausbrechen. Die stete Rettung maroder Banken verstößt gegen die europäischen Reglements. Auch
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
Griechenlands Banken sind im Herbst 2018 erneut unter Druck geraten. Europa und die Europäische Zentralbank besitzen angesichts des niedrigen Zinssatzes und der hohen Verschuldung des Südens kaum noch Munition, eine neue Krise zu bekämpfen – außer mittels massiver Transfers aus dem Norden. In jedem Fall ist der Preis für das institutionelle Zerstörungswerk hoch, wie im zwölften Kapitel über die Zombifizierung aufgezeigt wird. Der Economist (2018d) zieht eine Verbindung der italienischen Tragödie zu eingangs erwähntem Trilemma: Brüssel sei nicht in der Lage, diese Gegensätzlichkeiten aufzulösen. Tatsächlich seien alle drei Aspekte in Europa nicht vollständig entwickelt und daher notleidend: Demokratische Prozesse seien auf europäischer Ebene extrem unvollkommen, das gemeinsame Staatswesen sei nicht ausgeprägt und schließlich kämen die Früchte der Eurozone und der Globalisierung nicht allen zugute – im Falle Italiens selbstverschuldet, weil es die Chancen, die durch abgesenkte Zinsen nach der Euroeinführung gewonnene fiskalische Flexibilität nicht zum Rückführen der Staatsschulden genutzt hat. Die Abläufe ordnen sich gut in die Ausführungen zur Erfahrungsbildung ein – nur genau in die Gegenrichtung. Wurde dort das kooperative Soziale Optimum durch Kompetenz und Netzwerkbildung erzielt, löst es sich hier durch Unfähigkeit und Trittbrettfahren – vor allem die Unfähigkeit, sich an gesetzte Regeln zu halten, gepaart mit dem Unwillen, dies mit Sanktionen zu belegen – auf. Mit der Wahl von Christine Lagarde, vordem geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, zur Präsidentin der Europäischen Zentralbank, dürfte der Ausstieg aus der systemzerstörenden Zinspolitik weiter verschoben und die Südländer der Währungsunion geschont werden – bis zum Knall. „Forget about the Treaty“ war ihre Antwort auf die Forderung, das europäische Vertragswerk einzuhalten (Beutelsbacher, Gersemann, Kaiser, Seibel 2019).
4.7 Fazit und Handlungsempfehlungen Institutionen entstehen oder werden geschaffen, um Transaktionskosten, insbesondere Risiken, zu reduzieren, und stellen eine wesentliche Rahmenordnung bereit, um Rivalität zu kanalisieren. Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren, das sich in der Regel innerhalb dieses Rahmens abspielt. Allerdings wird damit nicht gewährleistet, dass alle diese Regeln einhalten – hierzu bedarf es des Schiedsrichters. Gelegentlich wird die Rahmenordnung auch durch die Spieler zerstört. Wenn der Rahmen wettbewerblicher Fairness im Sinne des Überlebens des Konkurrenten, zumindest seiner Produktionsfaktoren, nicht mehr gewährleistet ist, weil die ihn auskleidenden Regeln gebrochen werden, oder der Rahmen selbst zerstört wird, kann – muss aber nicht – Wirtschaftskrieg vorliegen; es könnte auch eine ineffiziente Institution abgelöst werden zum allseitigen Vorteil. Nicht immer ist während des Prozesses der Zerstörung schon klar zu
4.7 Fazit und Handlungsempfehlungen
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beurteilen, wie das Ergebnis einzuordnen ist – das gilt für den Wettbewerb wie für den Wirtschaftskrieg, die beide unter der Rivalität subsumiert werden. Der Systemkrieg war erfolgreich, aber hat bis heute in vielen Teilen Europas oder der ehemaligen Sowjetunion wirtschaftlich und gesellschaftlich erodierte Standorte hinterlassen. So war der mitteldeutsche Wirtschaftsraum in den dreißiger Jahren rund 30 % reicher als das Reich; er ist heute 30 % ärmer als der Westteil der Bundesrepublik. Auch das Retten des Euros war erfolgreich, aber der Schaden bei Sparern, die Folgen für das Vertrauen in die Geldordnung und die Konsequenzen für die Realwirtschaft, die über Jahre unter der Droge Null-Prozent-Zinsen stand, werden erst in langer Zukunft sichtbar. Daraus ergibt sich eine Reihe von Handlungsempfehlungen für den Umgang mit institutionellen Rahmenbedingungen in einem Wirtschaftskrieg: 1. Analysier vor dem Einstieg in einen Konflikt genau die institutionellen Strukturen, innerhalb derer die Auseinandersetzung erfolgt – und ob er eingedämmt werden kann oder ein erhebliches Eskalationsrisiko besteht! Institutionellen Wettbewerb zuzulassen, ist eine Stärke – wird das verhindert, dann kann sich ein Stau bilden, der sich wirtschaftskriegerisch entlädt. Die Anreizstrukturen geben ein Signal, ob Eskalation droht, wie in den Beispielen deutlich wird. 2. Gerade die kognitive Kriegsführung ist als Vorbereitung einer ökonomischen Aggression von besonderer Bedeutung, wenn es ihr gelingt, die kulturellen Erfolgsfaktoren einer Gesellschaft auszuhöhlen – vor allem wesentliche Tugenden, oder die Schwächen des Systems als Waffen gegen dieses zu nutzen, wie gerade der Systemkrieg verdeutlichte. 3. Viele Dilemmasituationen sind nur durch Vertrauen friedlich zu lösen – und Vertrauen ist ein wertvolles Signal, das sorgsam genutzt werden muss. Wenn personales Vertrauen versagt, muss institutionelles und dann organisatorisches Vertrauen einspringen. Der Wirtschaftskrieger versucht, alle drei sukzessive zu zerstören. 4. Gerade der Angriff auf Institutionen ist sehr geeignet, Strukturen der darunterliegenden Ebene – vor allem Sozial- und Marktstrukturen – zu beschädigen und den Wandel zu eigenen Gunsten zu erzwingen. Der strategisch überlegen Denkende nutzt diese Möglichkeit. 5. Prüf sorgfältig, ob im Rahmen einer jeden rivalen Auseinandersetzung Regelübertretungen, die den Wettbewerbsrahmen sprengen, sinnvoll sind! Denn auch in einer agonalen Welt kann die Beschränkung auf Wettbewerb sinnvoll sein, um selbst zu überleben. Einen einmal zerstörten Kooperationsrahmen neu zu bauen, ist meist aufwendig und hat einen hohen Preis. 6. Gib in einer Konfliktlage nicht alle institutionellen Kontakte auf! Auch in einer agonalen Welt sind Inseln der Kooperation wichtig.
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4 Der institutionelle Rahmen des Wirtschaftskriegs
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Kooperative und agonale Theorien des Staats
Jede Idee ist messbar: Wieviel Blut hat sie gekostet. (Sprichwort)
Die Entstehung moderner Zivilisationen geht auch auf die Fähigkeit des Homo Sapiens zurück, ein einzigartiges Verhältnis aus Individualität und Soziabilität aufgebaut zu haben, das auf nachgeordneter Ebene durch Wettbewerb und Tausch seine Entsprechung findet. William N. Goetzmann (2016) führt in seinem Buch Money Changes Everything – How Finance Made Civilization Possible aus, dass gerade Geld und Kredit zentrale Triebfedern für die Herausbildung von Institutionen waren, weil sie Berechenbarkeit, Vertrauen, Zukunftsperspektiven, Ordnungsrahmen, damit auch Philosophie, erforderten. Ähnlich sieht das Wolfgang Reinhard (2016), der Die Unterwerfung der Welt – Globalgeschichte und europäische Expansion 1415–2015 betrachtet und die Bedeutung von Gold und Kredit in den Mittelpunkt stellt. Allerdings entwickeln sich die Großregionen der Welt höchst unterschiedlich; kulturgeschichtlich und zugleich ökonomisch sind besonders die europäische Philosophie (mit ihren teilweise jüdischen und arabischen Wurzeln) und die chinesische Philosophie wegen ihrer noch heute sichtbaren Erfolgswirksamkeit bedeutsam. Das folgende Kapitel stellt die einzelnen staatsphilosophischen Wurzeln vor, die entlang ihrer kooperativen oder agonalen Bezüge eingeordnet werden. Zwei Beispiele zeigen, weshalb die globalen Klimaherausforderungen und die weltweite Arbeitsteilung, vor diesem Hintergrund reflektiert werden müssen. Denn sie fragen, in welchem Umfang Solidarität unter Fremden, wie dies Ingo Pies (2015) zeigt, sinnvoll, vielleicht berechtigt, möglicherweise sogar zum Systemüberleben zwingend ist und insbesondere durch freie Märkte ermöglicht wird. Gerade die weiter unten betrachtete liberale Ökonomik weist darauf hin, dass der Preismechanismus fähig ist, individuelles Verhalten besser © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_5
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
zu kanalisieren und Solidarität weniger als Opfer als vielmehr als Investition zu sehen, eine Erkenntnis, die auch auf internationaler Ebene Gültigkeit beansprucht. Als Gegenposition für eine realpolitische Sicht kann der Aufsatz des amerikanischen Diplomaten und Architekten der Eindämmungspolitik gegen die Sowjetunion, George F. Kennan (1904–2005), herangezogen werden, der in der Schrift Morality and Foreign Policy (1985) für eine klare und moralfreie Außenpolitik plädierte.
5.1 Die Begründung von Kooperation und Konflikt Christian Watrin (1962, S. 5) führt in seiner Habilitationsschrift Weltwirtschaft und Außenhandelstheorie – zur Theorie ökonomischer Konflikte aus, dass die (Welt-) Wirtschaft als ein kooperatives System mit dem Ziel der Wohlfahrtssteigerung gesehen werden kann, aber auch als eines der antagonistischen Beziehungen. Beide Aspekte zusammengenommen führten wiederum zu einer völlig unterschiedlichen Theoriebildung. Erstere fokussiert auf Harmonie, Ausgleich und Gleichgewicht und damit auf Ordnung, letztere, von empirischen Beobachtungen zu ökonomischen Konflikten unterstützt, auf manifeste Ungleichgewichte, die, wie die Regionalökonomik zeigt, selbstverstärkend wirken können. Auf Ordnung wiederum sind wesentliche internationale Institutionen aufgebaut; sie geraten durch agonale Antagonismen unter Druck. Für die moderne Weltwirtschaft ist nach dem Ende des Ost-West-Systemkonflikts dieser Unterschied deshalb interessant, weil sich gerade in Bezug auf das asiatische Wirtschaftsmodell deutliche Unterschiede ausmachen lassen, die auf den sehr unterschiedlichen philosophischen Umgang mit dem Gegensätzlichen in Europa und China zurückzuführen ist. Wird der Gegensatz im sogenannten Abendland meist durch Dialektik1 – also durch eine Argumentation im Sinne von These – Antithese – und Synthese – überwunden, so wird dessen Existenz in Asien nicht in dieser Härte gesehen, weil sich Gegensätzliches möglicherweise bedingt: Der Daoismus proklamiert, alles Agonale enthalte etwas Kooperatives, alles Kooperative habe etwas Agonales, beide lebten tatsächlich in harmonischer Bedingtheit. Im Folgenden wird dieser Frage nachgegangen und dabei am Beispiel des Ukrainekonflikts ab dem Jahr 2013 gezeigt, wie sich Agonales und Kooperatives gegenseitig bedingen. Die späteren Unterabschnitte dienen der Vertiefung entlang wichtiger politischer Philosophen. Dabei wird zwischen den kooperativen und den agonalen Konzeptionen unterschieden. Constantin Rauer (2015) zeigt in seiner Philosophie des Kriegs die Breite der staatsphilosophischen Herkunft – von der Sichtweise als legitimer Teil der Erwerbskunst bei Aristoteles über das Einhegen des Kriegs durch Recht bis hin zum apodiktischen Krieg bei
1Dialektik
ist traditionell eine Methode der Gesprächsführung, die im scholastischen Diskurs verwirklicht wird. Sie dient der Argumentation anhand der Prinzipien der Logik zum Finden der Wahrheit.
5.1 Die Begründung von Kooperation und Konflikt
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Niccolò Machiavelli. Viele Gegensätze, gerade auch im globalen Handel, lassen sich auf den Antagonismus zwischen liberalem ökonomischen Denken einerseits und merkantilistischen Konzeptionen andererseits zurückführen. Allerdings reicht das nicht. Vielmehr weist Pankaj Mishra (2017) in seinem Buch Age of Anger: A History of the Present darauf hin, dass das liberale Projekt mit wirtschaftlicher Freiheit, Emanzipation, Würde und Vernunft stets begleitet war von zunehmender, die Sozialstrukturen zerstörender Bindungslosigkeit sowie von Krieg, Sklaverei und Macht, um die Früchte des Vereinnahmten zu behalten. Bezugnehmend auf Jean-Jacques Rousseau führt er aus, dass eine Gesellschaft, die Individualität und Konkurrenz betont, freiheitsbedrohend werden kann. Yuval Noah Harari erklärt in Homo Deus (2016, S. 336–349) die Konfliktstrukturen, die hier als Gegensatzpaar agonal und kooperativ eingeführt werden, mittels eines humanistischen Schismas: Aus diesem habe sich eine Orthodoxie als liberaler Humanismus, der den Menschen als einzigartig ansieht und Gesellschaften aus dem Individuum heraus erklärt und aufbaut, die damit ihre Ordnung schaffen, aber auch der sozialistische Humanismus und der evolutionäre Humanismus. Für diese ist das liberale Verständnis des Menschen unvollständig, wie sind dann Kollektividentitäten zu begründen? Daher sei für Sozialisten das Schaffen starker Kollektivstrukturen bedeutsam, um gesellschaftliche Widersprüche zu beseitigen, notfalls solche, die den präsumtiven Willen der Gesamtheit mit Gewalt durchsetzen. Der evolutorische Humanismus, stark in Darwins Evolutionstheorie verwurzelt, sieht die Welt als Kampf an, und Konflikte seien willkommene Treiber der Entwicklung, um zu höherwertigen Menschen zu kommen, wie das beispielsweise bei Friedrich Nietzsche in der Philosophie oder bei Adolf Hitler in den politischen Zielen zu finden ist.
5.1.1 Einordnung in die Logik und das Denken in Ordnungskategorien Wenn die Gesetze der Logik Gültigkeit haben, die für das Entscheiden erforderlichen Informationen vorliegen und sich alle Handelnden rational verhalten, so kann das dialektische Prinzip dann Kooperationslösungen als Synthese erzeugen, wenn Neues entsteht, das die Polaritäten und Widersprüchlichkeiten des Alten – den Streit oder den Polemos von Heraklit als Grundprinzip des Logos und der Welt – auflöst. Georg Wilhelm Friedrich Hegel schreibt in seiner Phänomenologie des Geistes (1806) der Dialektik drei Aspekte zu: • Die Ebene des Abstrakten oder Verständigen: Der Verstand geht von etwas als existent voraus; dieses ist in diesem Sinne (quasi-) objektiv. • Die Ebene des Dialektischen oder Negativ-Vernünftigen: Die Einseitigkeit obiger Objektivität wird verneint, es entsteht der provozierende und erkenntnisschaffende Gegensatz, sodass insgesamt keine Erkenntnis möglich ist.
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• Die Ebene des Spekulativen oder Positiv-Vernünftigen: Das Zusammenfassen der Widersprüche mit dem Ziel, diese aufzuheben. Der Philosoph Karl-Otto Apel (1922–2017) bezog dies auf eine spezielle Diskursethik, wenn er in Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral (1988) über Letztbegründungen nachdachte und postulierte, etwas zu bestreiten, hieße es anzuerkennen. Ein sinnvoller Diskurs sei nur in Gruppen möglich, die nach moralischen Regeln alle Teilnehmer als gleichberechtigt ansähen und ernstnähmen. Quasi-objektive Tatbestände müssten in einer solchen Form in den Diskurs eingebracht werden, dass sie verteidigt werden könnten. Faktisch kann erst durch die Negation Erkenntnis entstehen, was er wie folgt ausdrückt: „omnis determinatio est negatio“ – alle Abgrenzung (im Sinne von Bestimmung und Erkenntnis) ist Negation. Er führt weiter in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817/1830) aus: „Etwas ist nur in seiner Grenze das, was es ist.“ Karl Popper entwickelt dies in seinem Werk Logik der Forschung (1935) zu seiner Erkenntnismethode des Kritischen Rationalismus weiter, der zufolge – vereinfacht gesprochen – eine Hypothese so lange als wahr bzw. gültig anzusehen ist, wie keine Widerlegung erfolgte. Das bedeutet, das Aussagen oder – allgemeiner – Modelle so zu formulieren sind, dass sie falsifizierbar sind; ist dies nicht möglich, spricht man von Modellplatonismus. Im Zentrum der Moderne steht das Konzept der Vernunft, das durch die Aufklärung zum zentralen Motor des Fortschritts wurde. Es verlangt, sich des Verstands dahin gehend zu bedienen, aus dem Beobachteten und Erfahrenen im wissenschaftlichen Sinne auf allgemeine Regeln zu schließen und im praktischen Sinne Logos und Rationalität durch Werterückbindung am Humanum als Zweck zu orientieren. Eine implizite These, die dieses Kapitel begleitet, lautet, dass der Erfolg des Westens der Kultur des Diskurses um Tugendethik und Verantwortungsethik und der daraus immer wieder neu geschaffenen Harmonie zu verdanken ist. Für beides ist die Stellung der Individualität entscheidend. Wie Regina Radlbeck-Ossmann (2015) in einem Essay Lob der Selbstsorge schreibt, finden sich frühste Zeugen, welche die Tradition der Selbstsorge2 begründeten, in den Schriften der griechischen Tragiker Sophokles und Euripides. „Sich selbst zum Freund zu haben“ verweist in der Vorstellung von Sokrates (469–399 v.Chr.) darauf, dass Selbstsorge ein wesentliches Element der politischen und ethischen Pflicht sei, um zur Gemeinsorge fähig zu sein, was er den Athenern in seiner berühmten Verteidigungsrede rät. Diesen Gedanken greift Aristoteles (384–322 v.Chr.) in der Nikomachischen Ethik auf, in der er Lebensweisen reflektiert, die zum guten Leben führen. Nur durch Selbstliebe seien Tugenden zu entwickeln, also Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Maß, deren Angemessenheit in Bezug auf das Wesen des Menschen
2Vgl. hierzu auch den Eintrag von Wilhelm Schmid (1995) im Historischen Wörterbuch der Philosophie.
5.1 Die Begründung von Kooperation und Konflikt
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Gradmesser für ihre Verbindlichkeit sind. Dann könne die gesamte Gemeinschaft von diesen Tugenden profitieren. Das damit entstehende Selbstbild ist entscheidend für die Sicht der Welt, was im siebten Kapitel im Kontext des Selbstbildschutzes betrachtet wird, also dem Versuch, sich seine Sicht der Welt in Opposition zur Umgebung aufrechtzuerhalten. Das wiederum kann zu massiven Fehlwahrnehmungen führen, welche in Relation zum Feindbild stehen. Nicht umsonst werden im (Wirtschafts-) Krieg Feindbilder gepredigt, um Individuen für den Konflikt zu begeistern. Zudem führen Fehlwahrnehmungen zu Fehleinschätzungen und bergen die Gefahr, dass sich Auseinandersetzungen massiv zuspitzen. Das Gegenteil der Selbstsorge ist die Selbstsucht.3 Sie besitzt eine starke theologische Wurzel und ist bei den Puritanern die Konkretisierung der Erbsünde, die Korruption der Persönlichkeit. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil viele Wirtschaftskrieger, wie die kommenden Abschnitte zeigen werden, ihre Aufgabe als sakrale Mission sehen und teilweise auch aus einem puritanischen Milieu stammen. Die verweltlichte Erbsünde wiederum erzeugt eine Lust, an allem schuld zu sein, wie Ulrich Greiner (2018) zeigt, mit der Folge von Rigorismus und Hypermoral – beispielsweise einer Art jüngstem Gericht im Netz, die Wirtschaftskrieger sehr effizient ausnutzen können. Im dritten Kapitel wurde verdeutlicht wurde beschrieben, dass es Ziel zivilisatorischen Handelns ist, dem agonalen Streben ein kooperatives Dach zu geben und es so nach dem Wettbewerbsprinzip sozial nützlich zu machen, um hierdurch die Dialektik aus Kooperation und Agonalem aufzulösen. Tatsächlich bieten manche Staatsphilosophien genau diese Lösung an, andere verwerfen sie, weil sie die evolutionäre oder gar revolutionäre Dynamik der Gesellschaft und damit auch der Wirtschaft bremst. Nicht jeder der in den folgenden Ausführungen Benannten ist daher ein klassischer Philosoph – manche sind eher als Literaten oder als Politiker in Erscheinung getreten. Kriterium der Nennung ist, dass wesentliche Kerne ihres Denkens in der politischen Ökonomik den Anspruch erheben, ökonomische Ordnungssysteme zu erklären oder gar zu gestalten. Diese letztgenannte Unterscheidung der deskriptiven von der präskriptiven Ebene bezieht sich damit auf zwei Fragen: Existiert in der sichtbaren Realität Kooperation oder Konflikt? Ist ein kooperatives Dach wünschenswert und erreichbar oder soll es als fortschrittsverhinderndes Instrument durch Rivalität überwunden werden? Das Wechselspiel zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv spielt in vielen Staatstheorien eine herausragende Rolle bei der Analyse gesellschaftlicher Prozesse. Typischerweise unterscheiden kooperative Theorien Individuum und Gesellschaft (bzw. Gemeinschaft oder Zivilisation). Auf agonaler Ebene stellt sich der Antagonismus als
3Vgl.
hierzu auch den Eintrag von Michael Albrecht (1995) im Historischen Wörterbuch der Philosophie.
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
Dualität zwischen dem Ich, besser dem Ego, und der Masse dar4. Auch die Semantik unterscheidet sich in beiden Fällen erheblich, beruht doch das eine System auf Konsens, dem original compact der englischen Staatslehre, das andere auf Befehl und Gehorsam, wie die Ausführungen weiter oben bereits zeigten. Im folgenden Kapitel werden kooperative und agonale Staatsphilosophien unterschieden, wobei diese Trennung nicht immer sauber erfolgen kann. Erstere sehen die Essenz sozialer Organisation in stabilen Ordnungsrahmen. Unter agonal werden die Denker eingeordnet, die den Konflikt als unausweichlich und nicht durch Kooperation dauerhaft einzudämmen ansehen, seine positive Gestaltungskraft in den Vordergrund stellen oder ihn gar predigen. Deutlich wird dies bei der Darstellung die Bedeutung philosophischer Schulen – oft ideologischer Schulen. Gerade die Gegenwart zeigt, wie sehr das ökonomische System bewusst durch Deregulierung gestaltet wurde und auf einzelnen Denkern, beispielsweise aus der Chicago-Schule um Milton Friedman, dessen wirtschaftspolitische Konzepte später dargelegt werden, und der MIT-Schule um Robert Solow (1924) als Vater der modernen Wachstumstheorie und der Analyse der Bedeutung des technischen Fortschritts aufbauen. Roman Pletter (2017) berichtet über Die mächtigste Schule der Welt, dass praktisch alle ökonomischen Entscheidungsträger der Moderne vom MIT kommen: Mario Draghi, Lucas Papademos, Ben Bernanke, Paul Krugman, Kenneth Rogoff, Olivier Blanchard – und viele andere. Eine Generation zuvor waren es die Chicago-Boys, über deren Wirken Naomi Klein (2007) ein provokantes Buch mit dem Titel The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism geschrieben hat, das kurz vor der Finanzkrise von vielen noch in die Verschwörungstheorien eingeordnet wurde. Roman Pletter fragt, was passiert, wenn deren Ideen falsch sind. Man kann ergänzen: Was geschieht, wenn daraus Politik wird und damit Lebensformen vorbei an der Demokratie und der bürgerlichen Partizipation nachhaltig verändert werden? Damit wird das urliberale Primat von deren Trennung unterlaufen. Wurde das nicht während der Finanzkrise im Krieg gegen die Demokratie sichtbar, in der der Bürger zur Machtlosigkeit verdammt wurde und sich seitdem viele Menschen in ihren Bezügen unwohl fühlen?
5.1.2 Der Ukraine-Konflikt: Verstetigen eines Konflikts durch dubiose Kooperation? Wie immer bei großen Konflikten ist die Vorgeschichte lang und beinhaltet sehr unterschiedliche Perspektiven. Für Russland erfolgte der Startschuss mit dem Zerfall der Sowjetunion. Für Wladimir Putin war dieser eine der größten Katastrophen in der russischen Geschichte und wurde aus seiner Sicht vom Westen zum Erweitern von
4Man
kann das auch durch Klasse und Rasse ergänzen, wie es beispielsweise Ludwig Gumplowicz und Karl Marx taten, die später diskutiert werden.
5.1 Die Begründung von Kooperation und Konflikt
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dessen Einflusssphären rücksichtslos ausgenutzt – er war Russlands Versailles; Christian Steiner (2018) berichtet hierüber in seinem Beitrag Als der Rubel nicht mehr rollte. Der damalige amerikanische Präsident Barack Obama hat sicher in dieser Wunde gewühlt, als er im Sommer 2014 betonte, Russland sei allenfalls eine Regionalmacht. Der Niedergang der Sowjetunion war die Folge der Schwächung des Lands durch den Krieg in Afghanistan sowie eines Wirtschaftskriegs, ausgelöst durch das star-wars Programm unter Präsident Ronald Reagan, der das Ziel hatte, die USA durch einen Schutzschild gegen atomare Bedrohung von außen zu immunisieren. Die eigenen Rüstungsanstrengungen überforderten die Sowjetunion. Hinzu trat der Verfall des Ölpreises, der noch 1986 bei etwa 100 US$ pro Barrel stand, auf unter 10 US$, was aus russischer Sicht auf gezielte Manipulationen der USA zurückging, dem Land die Einnahmen raubte und in einen Staatsbankrott mündete.5 Auch nationale Mythen sind ein wichtiger Ansatzpunkt und ein Treiber von Konflikten. Russland wurde in Kiew gegründet, die Kiewer Rus ist ein nationaler Mythos, die Trennung Kiews vom Mutterland damit auch ein nationales Trauma. Die Lösung, die Europa für derartige Schwierigkeiten bereithält, nämlich eine Integration und damit das Entfallen der Grenzen, ist im gegenwärtigen zivilisatorischen Status nicht vorgesehen.6 Den ideologischen Unterbau für diese Denkweisen liefert nicht nur der Politphilosoph Alexander Dugin, sondern auch der angebliche Lieblingsphilosoph von Wladimir Putin, der von der Sowjetunion exilierte Iwan Iljin (1883–1954). Dieser warnte in einer Vielzahl von Schriften vom Zerfall Russlands – zu dem aus seiner Sicht die Ukraine integral zählte – und den Interessen des Auslands an einer derartigen Entwicklung, und führte klar aus, dass derjenige, der dem Bösen keinen Widerstand entgegensetzt, dessen Sieg gewährleiste und verantworte. Iwan Iljin (1956) schreibt: „Der Führer dient, statt Karriere zu machen; kämpft, statt eine Statistenrolle zu spielen; schlägt den Feind, statt leere Worte zu verkünden; lenkt, statt sich ans Ausland zu verkaufen“. Der gegenwärtige Schulterschluss zwischen säkularer und geistlicher Macht in den Personen Wladimir Putin und Patriarch Kyrill I. verdeutlicht diese Suche nach geistiger Sinnstiftung und Rechtfertigung. Erzpriester Wsewolod Tschaplin warnte vor der Entfremdung Russlands vom Westen mit den inzwischen beträchtlichen wirtschaftskriegerischen Folgen, wenn er ausführt (zitiert nach Bennets 2015): „Das Hauptproblem zwischen Russland und dem Westen ist nicht politischer, sondern einer sehr viel ernsthafteren Natur – es ist ein spirituelles Problem.“
5Vgl.
das Interview von Nikolai Patruschew, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der Russischen Föderation, das in der Rossijskaja Gaseta vom 15. Oktober 2014 (Jegorow 2014) veröffentlicht wurde und auch in der Süddeutschen Zeitung (Brill 2014) dokumentiert ist. Das Thema lautet „Der zweite Kalte [Krieg]“. Wann das Interview gehalten wurde, ist nicht bekannt. 6Wie prekär dies aber ist, zeigen die Absetzbewegungen Polens, Ungarns und insbesondere Englands ab dem Jahr 2016 von der Europäischen Union.
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
Tatsächlich kam die Krim nur durch einen Zufall zur Ukraine, nämlich durch ein Dekret von Nikita Chruschtschow im Jahr 1954 (angeblich unterschrieben im Zustand der Trunkenheit), und es war nie vorstellbar, dass das einmal zu einem staatlichen Problem werden könnte, weil die Sowjetunion, wie so viele Diktaturen, mental auf die Ewigkeit angelegt war.7 Im Jahr 1994 unterschrieben die Präsidenten Russlands, der Ukraine und der USA das Budapester Memorandum über die Vernichtung der auf ukrainischem Staatsgebiet stationierten Atomwaffen und bestätigten damit den nichtnuklearen Status der Ukraine endgültig. Im Gegenzug gaben Russland und die USA Sicherheitsgarantien, die die Anerkennung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität und die Zusage, keine Atomwaffen gegen sie einzusetzen, enthielten. Bündnismentalitäten haben Wurzeln in der politischen Philosophie. Während für Europa die Frage nach Bündniszugehörigkeiten im Kontext des aufgeklärten Paradigmas der Souveränität des Volkes entschieden werden kann, sehen das Russland und vordem die Sowjetunion im byzantinischen Sinne völlig anders: Als nach dem Fall der Mauer vereinbart wurde, die Ostgrenze der NATO nicht in Richtung Russland zu verschieben, war das für Russland ein gesetzter Tatbestand, wie auch Joshua R. Itzkowitz Shifrinson (2014) in einem Beitrag zu How the West Broke Its Promise to Moscow in Foreign Affairs schreibt, und weshalb Henry Kissinger zur Mäßigung rät. Tatsächlich hat das westliche Bündnis auch keine offensiven Anstrengungen unternommen. Allerdings beinhaltet das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Frage nach der freien Wahl der Bündniszugehörigkeit. So wurde die Ausdehnung der NATO in Richtung Polen, Ungarn, der Tschechischen und der Slowakischen Republik, der baltischen Staaten sowie die EU-Erweiterung – es wurden inzwischen fast alle Transformationsländer des Ostens aufgenommen bzw. assoziiert – in Russland mit Skepsis gesehen; man konnte sich dem aber angesichts der wirtschaftlichen und militärischen Schwäche nicht entgegenstellen. Auch das lose Staatenbündnis der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als Nachfolgeorganisation der Sowjetunion war nicht handlungsfähig und musste diese geopolitische und damit auch geostrategische Veränderung hinnehmen. Während die Osterweiterung von NATO und EU im Rahmen des Dialogs mit Russland vorbereitet und abgesprochen war, fand sich das Land mit der Georgienkrise und den vehement betonten westlichen Interessen ebendort in einer sicherheitspolitischen Zwangslage, die sich im Fall der Ukraine zu wiederholen drohte: Die Avancen der NATO, insbesondere der USA in Richtung Georgien, schienen das alte russische Trauma der Einkreisung zu bewahrheiten. Der durch Russland militärisch gelöste Konflikt um Südossetien und Abchasien, als Kaukasuskrieg des Jahres 2008 bekannt, hätte dem Westen als Warnung dienen sollen. Schließlich bestätigte sich das
7Eine
Analyse des Anschlusses der Krim an die Russische Föderation aus völkerrechtlicher Sicht kommt zu durchaus unterschiedlichen Bewertungen (Geistlinger 2014; Luchterhandt 2014).
5.1 Die Begründung von Kooperation und Konflikt
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russische Trauma der Einkreisung erneut durch die erzwungene Abdankung des alten ukrainischen Regimes, insbesondere des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Diese war im Majdan-Vertrag nicht vorgesehen, vielmehr waren ein konstitutioneller Neuaufbau und Wahlen seitens der Vertragspartner, zu denen auch die EU und Russland zählten, vereinbart. Nach westlichem Demokratieverständnis geschah am 23. Februar 2014 ein Staatsstreich, wenn auch einer, der den europäischen und amerikanischen Interessenslagen entgegenkam. Der amerikanische Politikwissenschaftlicher John Mearsheimer (2014) sieht in einem Beitrag Why the Ukraine Crisis is the West’s Fault in der amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs hier essentielle Fehlbeurteilungen des Westens. Die westliche Sicht dazu ist eine völlig andere: Es herrscht die grundsätzliche Überzeugung, das eigene Bündnis existiere nur zu Verteidigungszwecken, es gäbe eine stabile Partnerschaft mit Russland, um derartige Konflikte zu beseitigen, die ohnehin nicht mehr in die heutige Zeit passten, wo Territorialität einer von vielen, aber nicht der wichtigste Aspekt der strategischen Aufstellung sei. Aber auch die ukrainische Sicht ist zu beachten: das Land versuchte sich, nach der Orangenen Revolution 2004 westlich zu orientieren, weshalb auch im Jahr 2014 ein Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen werden sollte – was aber dann auf russischen Druck ausgesetzt und inzwischen auf das Jahr 2025 verschoben wurde. Die zunehmende Prosperität begünstigt aber vor allem die alten industriellen Zentren des Ostens. Den Westen, der lange Zeit ein Teil der KuK-Monarchie um die Stadt Lemberg war, erreichte diese nicht (Mykhnenko 2015), was die innere Zerrissenheit – über die bereits sprachlich-ethnische hinaus – zusätzlich erhöhte. Als Fazit stellt Herfried Münkler (2014a) fest: „Wo postimperiale Räume keine stabile neue Ordnung entwickeln, werden sie zur Einladung, neoimperiale Träume Wirklichkeit werden zu lassen.“ Faktisch drängen – mit unterschiedlichen Absichten und Werteordnungen – der Westen und Russland in dieses Vakuum. Aus der Analyse des Ukraine-Konflikts lässt sich lernen, dass geschichtliche und staatsphilosophische Ursachen als Ausgangspunkt von Konflikten, bei deren Eskalation oder bei den Möglichkeiten zur Eindämmung bzw. friedlichen Lösung eine wesentliche Rolle spielen. Eine Reihe von Fragen steht dabei im Vordergrund: • Welches Menschenbild und welche Staatsauffassung vertreten die beiden Parteien? Welche nationalen Traumata sind vorhanden und werden instrumentalisiert bzw. könnten instrumentalisiert werden? • Was ist die Grundlage ökonomischer Ordnungsvorstellungen? Was sind die Werterückbindungen? • Was sind bewährte Routinen der Konfliktbewältigung? Die staatsphilosophischen Grundlagen für die Antworten werden in den folgenden Abschnitten dargestellt.
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
5.2 Der Staat als Kooperationssystem Der Staat8 ist eine zentrale Institution zur Lösung der existentiellen Dilemmata des Menschen im Naturzustand. Wie Jan Rolin (2005) ausführt, kann ohne den Rekurs auf die naturrechtlich-rechtsphilosophischen Lehren zur Legitimation von Staat und Staatsgewalt und den Bezug auf zentrale Begriffe wie Freiheit, Souveränität, Verfassung, Volk und Nation oder Ziele und Zweck eines Staatswesens die Bedeutung der Institution Staat nicht erfasst werden. Der französische Sozialphilosoph Pierre Bourdieu (1930– 2002) thematisiert in seinen posthum veröffentlichten Vorlesungen Sur l’état (2012) besonders dessen symbolische Autorität, weil er selbst Definitionsmacht besitzt, aber auch bestimmten anderen Autoritäten, beispielsweise Priestern, Wissenschaftlern und Richtern, eine Definitionsmacht zuweist. Er schafft damit Einheitlichkeit, normt das, was Normalität ist, bewirkt damit aber zugleich Ausgrenzung und Ungleichheit. Durch einen (hypothetischen) Vertrag wird der Staat begründet, ein vernunftgetriebener Konsens wird, wie Christian Watrin (1962, S. 38) schreibt, zum rationalen Konsens erhoben, sodass Abweichen von der Kooperation als nichtrational erscheint. Aus anthropologischer Sicht ist Freiheit eine Illusion, die für die Evolution hilfreich ist. Kultur9 wird damit zu einem elementaren Freiheitsausbruch aus der Abhängigkeit. Religion erzeugt eine symbolische Welt, die es erlaubt, Freiheit zu verstehen und zu entwickeln. Durch die Reformation wurde das unbedingte Freiheitspotential des Christentums entbündelt: Wenn der Ursprung der Freiheit göttlich ist, in der konkreten Welt aber eine Abhängigkeit besteht, dann liegt diese zunächst einmal in den Menschen selbst, und nur Gott kann sie durch Gnade lösen. Das entkoppelt sich in einem liberalen Staat. Er dient dazu, Freiheit zu gewährleisten. Freiheit hinterfragt, ob sie einem übergeordneten Selbstzweck dient oder im Kontext einer Freiheit wovon – sich also gegen Beschränkungen richtend – und einer Freiheit wofür – sich also auf ein Nützlichkeitskonzept hin orientierend – austariert werden muss. Der Soziologe Isaiah Berlin (1958, S. 5) postuliert in seiner Oxforder Antrittsvorlesung den manipulationsfreien Selbstzweck: „liberty is liberty, not equality or fairness or justice or culture, or human happiness or a quiet conscience.“ Man mag dem Platon entgegensetzen: Mit einem Zuviel an Freiheit kippt der Staat in die Knechtschaft, weil der Staat in Einzelgruppen mit ihren Egoismen zerfalle.
8Diese Abschnitte wurden teilweise auf Grundlage der Vorlage von Blum (2004, Kap. 2) erheblich ausgebaut. Darüber hinaus wurden übergreifend die Bücher von Blaug (1982, 1985), Heilbronner (1972), Koester (1982), Knoll (1957), Müller (2011), Nienhaus (2015) und Roback (1970) herangezogen. 9Kultur ist ein Gegensatz zur Natur – cultura ist die Bearbeitung der Natur, um sie für den Menschen zu organisieren, der sie aber nicht hinter sich lassen kann. Sie kann durch wirtschaftliche Selbstbestimmung gewonnen werden, aber auch durch die Pflicht, die sie begründet (Kant).
5.2 Der Staat als Kooperationssystem
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5.2.1 Die Fundamente: griechische, chinesische, römische und arabische Philosophie Die Frage nach Begründung und Gestaltung des Staatswesens ist so alt wie die Gesellschaften. Philosophen wie Perikles, Sokrates, Platon, Xenophon und Aristoteles befassten sich bereits in der klassischen Antike mit den Beziehungen zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und ethischen und gesellschaftlichen Normen. Diese Zeit von 800 v.Chr. bis 200 v.Chr. wurde von Karl Jaspers (1949, S. 28) auch als Achsenzeit bezeichnet, in der weitgehend unabhängig voneinander von verschiedenen Hochkulturen ein dualistisches Weltbild entwickelt wird, in das gleichermaßen das technologisch Materielle und das religiös-philosophisch Immaterielle eingehen. 1. Perikles (490–429 v.Chr.): Er fasste bereits vorher die wesentliche Spannungsbreite zwischen Konflikt und Glück in seinem berühmten Spruch zusammen: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit; das Geheimnis der Freiheit ist der Mut!“ Deshalb müssen nach seiner Vorstellung freie Gesellschaften mutig und verteidigungsbereit sein. 2. Platon (427–347 v.Chr.): Nicht die Mehrheit, sondern die Besten und Weisesten sollten herrschen. Er war ein Schüler von Sokrates (469–399 v.Chr.), dessen Lehre er verschriftlichte und weiterentwickelte.10 Er zählte zu den ersten, die sich die Frage nach den Regeln eines Kriegs gestellt haben. Der Peloponnesische Krieg (431–404 v.Chr.), der von Sparta gewonnen wurde, prägte seine frühen Jahre. Schließlich wurde durch diesen innergriechischen Konflikt die Fähigkeit des Lands, externe Mächte von sich fernzuhalten, spürbar geschwächt. Gegner war nicht nur das Großreich Persien, das man gerade noch in der Lage war, in Schach zu halten, sondern auch für die sich entwickelnde Großmacht im Norden – Mazedonien. In seinem Hauptwerk Πολιτεία (Politeia, 370 v.Chr.) untersucht er die Regierungsformen und setzt sie in einen Kontext zum Zustand der Seele. Jedem der drei Stände der Gesellschaft ordnet er eine Seelen- und eine Regierungsform zu: Der Lehrstand verwirklicht das Vernunftprinzip in der Aristokratie; der Wehrstand die Tugend des Mutes in der Timokratie und schließlich der Nährstand das Laster der Begierde in
10Sokrates
ist für die abendländische Philosophie deshalb von großer Bedeutung, weil er den Respekt vor dem Recht über sein individuelles Wohlergehen stellte und das Todesurteil wegen schlechten Einflusses auf die Jugend und Missachtung der Götter akzeptierte. Ähnlich verhielt sich später Marcus Porcius Cato der Jüngere (95–46. v.Chr.), der große Gegenspieler Caesars, der den Freitod wählte, nachdem er als traditioneller Verteidiger der römischen Bürgerrechte, insbesondere auch der Überzeugung, dass Freiheit der Ordnung bedürfe und die Menschenwürde wichtiger als das Leben sei, um sein Ansehen und seine Ämter gebracht worden war und nicht dem Opportunismus von Cicero anhing.
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
den drei Formen Oligarchie, Demokratie und Tyrannis. Dabei wird ein Systemverfall entlang dieser Staatsordnungen unterstellt: Vor allem der Handel, so Platon, verderbe bei fehlender Tauschgerechtigkeit die Seele durch das Polarisieren der Gesellschaft in Reiche und Arme; das oligarchische System tue dies, indem es sich durch die Revolte der Armen demokratisiert. Allerdings degenerieren die mit der Demokratie verbundenen positiv besetzten Tugenden Freiheit und Anstand schnell zu Willkür, Übermut, Verschwendungssucht und Schamlosigkeit. Damit entsteht die Grundlage der Tyrannis. Weiterhin analysiert er in der Politeia die Bedingungen der Kriegsführung unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und erkennt den Kampf um knappe Ressourcen als vernunftgetriebenen Kriegsgrund. In diesem Sinne ist Krieg nicht wünschenswert, aber schwer zu vermeiden, gleich einer Krankheit. Politische Fehler ordnet er – ganz modern im Sinne einer Führungslehre – in seinem Dialog Τίμαιος (Timaios, Spätwerk aber nicht klar zu datieren) vier Ursachen zu Überschätzung eigener Fähigkeiten, auf die Unterschätzung des Problems bzw. des Gegners, auf das Festhalten an falschen Hoffnungen und schließlich auf den Zorn. 3. Xenophon (450–354 v.Chr.): Er ist ein weiterer Schüler des Sokrates und diskutiert in seinem Werk Oikonomikos die Haushalts- und Geschäftsführung und die Vorteile der Arbeitsteilung in ihrer Beziehung zur Größe von Märkten. Als Stratege wurde er wegen seiner Meisterleistung bei der Rückführung des griechischen Söldnerheeres in Folge des persischen Bürgerkriegs (401 v.Chr.) bekannt, dem er als Beobachter folgte; er kann damit auch als professioneller Heerführer und Manager gelten. Als Feldherr und Offizierskorps durch Schlacht und Meuchelmorde vollständig ausgelöscht waren, übernahm er die Reorganisation. Er ist einer der ersten, der militärische und ökonomische Handlungsgrundsätze miteinander verbindet. 4. Aristoteles (384–322 v.Chr.): Er stellt die grundlegende Frage, was ein Leben zu einem guten Leben macht und gilt als Vater der Tugendethik. Ein wichtiger Aspekt sind gerechte Preise, die beim Handel zugrunde zu legen sind und die einen Bezug zur Wertigkeit bzw. zum Status der Handelnden bzw. der Erzeuger haben müssten. Denn eine spezielle Form der Erwerbskunst sei die Bereicherungskunst mit dem Ziel des Erwerbs um des Erwerbs willen. Diese Überlegung trifft damit eine der zentralen Triebfedern des Wirtschaftskriegs, nämlich die Gier als eine der Laster bzw. Todsünden der klassischen Tugendlehre. Trotzdem bleibt für ihn der Krieg eine akzeptable Form, die gesellschaftlichen Lebensgrundlagen zu sichern, und er wird erst dann verwerflich, wenn er um seiner selbst geführt wird. Wenn Carl von Clausewitz auf das Tugendhafte des Feldherrn verweist, so liegt der Grundbezug in der Philosophie von Aristoteles. 5. Marcus Tullius Cicero (106–43 v.Chr.): Sein Leben fällt in die Zeit der Bürgerkriege, in der die Republik unterging, weil Populisten das Volk gegen starrsinnige Eliten in Stellung brachten; Cicero hatte vor diesen popularis, die sich auf die direkte Volksansprache auf den Foren stützen, stets gewarnt; zu diesen zählte auch Caius
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Julius Caesar (100–44 v.Chr.).11 Die beiden Hauptwerken von Cicero, Vom Staat (de re publica, 54–51 v.Chr.) und Vom pflichtgemäßen Handeln (de officiis, 44 v.Chr.) reflektieren diese Erfahrungen; in ihnen begründet er die Unterscheidung zwischen dem gerechten, damit gottgewollten und schicksalhaft erfolgreichen Krieg (bellum iustum), und ungerechten Kriegen. Er führt die Diskussion, ob in einem Krieg überhaupt eine Ordnung aufrechterhalten werden kann, und unterscheidet zwischen dem Recht zum Krieg (ius ad bellum) und dem Recht im Krieg (ius in bello). Philosophisch knüpft er dabei an die sogenannte mittlere Stoa an, politisch an den Bürgerkrieg (49–45 v.Chr.), der zur autokratischen Herrschaft Caesars führte. Dabei steht die Pflicht des römischen Bürgers, in der sich jeder herausragende Staatsmann wiederzufinden hat, im Kern der Debatte, ebenso wie die Vorstellung der Würde, die den Menschen vom Tier unterscheidbar macht – was John Stuart Mill später aufgreift. Der Bürger ist gesetzt in die gelebte Pflicht zur Organisation des Staatswesens. Sie überwindet auch den Gegensatz von Zwist und Krieg, den man bei Platon findet, und verortet Konflikte in einem übergreifenden humanistischen Konzept, dem der Staat (und nicht mehr die Stadtdemokratie, also die polis) zu dienen hat. Frieden ist für ihn nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern besitzt seine eigene Legitimität dadurch, dass er Gerechtigkeit im Innern ermöglicht. Er entwickelt die griechische ϕιλανθρωπία (philantropia, Menschenliebe) zur humanitas, also dem modernen Konzept der Menschenwürde und bereitet damit den Weg hin zu den modernen Menschenrechten. 6. Augustinus von Hippo (354–430): Er zählt zu den großen lateinischen Kirchenlehrern und war im Durchsetzen des römischen Dogmas im Streit mit den Donatisten, einer nordafrikanischen Abspaltung der Kirche in Karthago, ein begnadeter Informationskrieger. Er nutzte u. a. klassische Formen des framing, wenn er den Begriff des Schismas durch den der Häresie ersetzte, damit die Gläubigen in eine existentielle Notlage brachte, und erzielte damit auch kognitive Dominanz (Gaumer 2016, S. 51). Er postuliert, jeder Einzelne verfüge über eine Individualbeziehung zu Gott, was unabhängig vom Stand für die unabdingbare Würde essentiell sei. Als Folge des Liebesgebots ergäbe sich eine neue Gemeinschaftsbeziehung, konstituieren sich also Barmherzigkeit und Solidarität. Dies ist essentiell für die Erweiterung der Analyse der Kriegsführung von der polis hin zum Nationalstaat, die er in seinen beiden Werken Gegen den Manichäer Faust (contra faustum manichäum, 400) und Vom Gottesstaat (de civitate dei, 413–426) elaboriert. Er unterscheidet dabei zwischen dem Frieden im Diesseits als organisatorische Struktur und dem Frieden im Jenseits als relevanten transzendenten Anspruch, der Menschen dazu anleitet, Orientierungskompetenz im Diesseits zu gewinnen. Es stellte sich die Frage nach der Legitimation
11Dominik
Maschek (2018) hat in seinem Buch Die römischen Bürgerkriege – Archäologie und Geschichte einer Krisenzeit die Folgen extremer sozialer Ungleichheit und des Zerstörens vertrauter Lebenswelten herausgearbeitet – was auch an heutige Konfliktlinien erinnert.
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staatlichen Handelns, insbesondere in Bezug auf die Verantwortung vor etwas Höherem. Das Leben im Diesseits als inferiore und als mindere Existenz müsse dem Kampf gegen das Böse dienen, um das Seelenheil zu erlangen. Aus diesem Grund kann der radikale Pazifismus tatsächlich angesichts einer höheren Erkenntnis als ungerecht und faktisch kriegerisch angesehen werden. Ungerechte Kriege bedeuten für den einzelnen Soldaten nur dann einen Befehlsnotstand, wenn er sich offensichtlich dem höheren, transzendenten Willen und dessen Regeln widersetzt. Gerechte Kriege müssten auf jeden Fall erklärt werden, um legitim im Sinne des bellum iustum zu sein. Damit kommt erstmalig die Idee des Widerstandsrechts und des Appells an das Gewissen und an die Rechtmäßigkeit in die Diskussion. Auch trägt er den Gedanken der Verhältnismäßigkeit der Mittel vor, wenn er fordert, dass die Maßnahme kein größeres Elend hervorrufen dürfe als sie beseitige. In der Nachfolge haben spanische Autoren wie Isidor von Sevilla (560–636 n. Chr.) die Idee des gerechten Kriegs weiterentwickelt, das konstitutiv für das katholische Kriegsrecht ist. Allerdings relativiert sich der Ordnungsgedanke von Augustinus deshalb, weil ein Vorwegnehmen des Reichs Gottes als Ziel im Diesseits aufgrund der Sündhaftigkeit des Menschen nicht möglich sei. Insofern ist die Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones – Fragen zu Wirtschaft und Geld – (Franziskus 2018) beachtlich, weil sie dort den Anspruch aller Menschen auf Gemeinwohl postuliert, Entscheidungsträger auf moralisches Handeln im Sinne der christlichen Ethik verpflichtet und kirchliches Handeln hier in Anspruch nimmt (Posener 2018). Damit mahnt die Kirche zehn Jahre nach Beginn der Finanzkrise die fehlende Lernfähigkeit der Institutionen aus Politik und Wirtschaft an, die ihre überholten Prinzipien nicht infrage stellten. Im Kontext dieser Betrachtung muss die grundlegend skeptische Haltung der Antike zu freien Märkten betont werden. Schließlich war Hermes (römisch Merkur) der Gott der Kaufleute, aber auch der Wegelagerer und Diebe – also einer agonalen Übersteigerung. Umgekehrt galt ein guter Staatsmann in Rom als guter Bauer (agricola bonus). Diese Dichotomie ist seitdem erkenntnisleitend und findet sich auch in der chinesischen Philosophie wieder, die vor allem in der konfuzianischen Tradition die Frage nach der Moral des ökonomischen Handelns stellt. So zeigt Yao Jiehou (2011), dass Sokrates, der fast gleichzeitig mit Konfuzius (Kong Zi) lebte, nicht nur in seinem Umfeld ähnlich dramatischen zeitgeschichtlichen Umwälzungen ausgesetzt war. Er verweist auch darauf, dass dessen Konzept der Güte und des Verzeihens erhebliche Überschneidungen mit den Harmonievorstellungen von Konfuzius aufweist. Aber auch der Effizienzgedanke, der in der Haushaltswirtschaft des Xenophon aufscheint, wird von der Schule der Legalisten beleuchtet (Binswanger 2009, S. 103–120; Hu 2009). Nicht unerwähnt darf daher ihr wichtiger Beitrag bleiben, der annähernd zeitgleich zur griechischen Antike im alten China, nämlich in der Frühlings- und Herbstperiode sowie in der Zeit der Streitenden Reiche (ca. 770–255 v.Chr.), eine philosophische Aufklärung ähnlicher Spannkraft zwischen dem Kooperativen und dem Agonalen vollzog, die gleichermaßen das Thema der Begründung staatlicher Herrschaft einbezog:
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7. Lao Zi (eigentlich Li Er, 604–531 v.Chr.): Er begründete12 im DAO DE JING (Tao Te King) den Taoismus, der keine philosophische Kosmologie aufbaut, wie es in der Philosophie, der Mythologie und auch der Mystik Griechenlands der Fall ist. Vielmehr unternimmt er – fast geschichtsmüde und ohne Bezüge zu seiner konkreten Gegenwart – den Versuch, dem Individuum durch Beobachtung das Weltprinzip erfahrbar zu machen und so eine Einordnung in das Prinzip des Kosmos (DAO) und die Art und Weise des DAO, das DE, zu geben. In jedem Prinzip ist auch das Gegenprinzip beheimatet, im DAO also auch das DE, was im YIN (Erde, Weiblichkeit, Nacht, Mond, Schwarz usw.) und YANG (Himmel, Männlichkeit, Tag, Sonne, Weiß usw.) als den beiden ersten Potenzen zum Ausdruck kommt. Der Mensch als dritte Potenz droht Unordnung in dieses System zu bringen und soll sich nicht selbst finden, sondern leer werden, sich aufgeben, mit dem DAO eins werden – was der christlich-abendländischen Tradition, die auf einem personalen Gott fußt, widerspricht. Bereits der Versuch der Erklärung zerstört die Erklärung.13 Für die daoistische Regierungslehre, das WU WEI, folgt daraus, dass der Mensch als Störer die prästabilisierte Ordnung aus dem Gleichgewicht bringt. Waffen sind Instrumente des Übels und somit von tugendhaften Menschen abzulehnen, der Krieg ist die letzte Option, wenn alle anderen Möglichkeiten des Ausgleichs scheitern (Zhang 2013, S. 12). Allerdings wird nicht wirklich klar, ob die Ordnung vorzivilisatorisch sein soll oder anarchisch-spontan (Long 2002). Daraus begründet sich einerseits politisch die Aufforderung zur Zurückhaltung an den Herrscher, zum anderen ökonomisch eine Ablehnung von Verschwendung und die Aufforderung zur Genügsamkeit (Neubert 2016). Über jesuitische Priester nahm diese Gedankenwelt ihren Weg nach Europa (Clarke 1997, S. 43) und beeinflusste physiokratisches Denken. „Laissez faire, laissez passer, le monde va lui même“ lautet die Devise, die dem Anhänger der physiokratischen Schule Vincent de Gournay (1712–1759) zugeschrieben wird und die tatsächlich dem WU WEI (無爲)“ des chinesischen Daoismus entlehnt ist – und 250 Jahre später in der Deregulierung ihre Wiederauferstehung feierte. 8. Kong Zi (eigentlich Kong Qiu oder Konfuzius, 551–479 v.Chr.): Viele kennen seine Aussage „Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln: durch Nachdenken, das ist der edelste, durch nachahmen, das ist der einfachste und durch Erfahrung, das ist der bitterste.“ Er verlässt den Weg von Lao Zi, mit dem er in Rivalität stand, und
12Es wird bezweifelt, ob er eine historische Person war oder ob nicht seine Schriften eine Vielzahl von philosophischen Gedanken verschiedener Philosophen der Zeit synthetisieren. 13Die Sprüche sind unerschöpfliche Quellen asiatischer Weisheit und werden an wichtigen Stellen eingebaut, um zu verdeutlichen, wie die asiatische Kultur die Konflikte der Moderne einordnet. Der UNESCO folgend ist das DAO DE JING der am meisten übersetzte Kulturkanon der Welt, vor ihm liegt nur noch die Bibel. Wenn man DAO und DE als Sinn und Nichtsinn übersetzt, scheint es für Menschen des abendländischen Kulturkreises verständlich und naheliegend – aber die Nähe täuscht. DAO und DE sind völlig andere Dimensionen als Sinn und Nichtsinn.
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begründet eine neue Schule. Diese befasst sich mit dem, was heute als politische Wissenschaft, politische Ökonomik und Governance bezeichnet wird: eine Lehre der Herrschafts-, Höflichkeits- und Ritualenverhältnisse, die auf einer starken Familienorganisation und damit verbunden einer starken Harmonielehre beruht. Jeder Mensch ist ein Glied einer Abfolge von Vorfahren, die ihm einen Schatz an Wissen, insbesondere Sittlichkeit mitgegeben haben, was den Bezug zur Memetik herstellt. Ausgeglichenheit, Fairness und Öffentlichkeit für gesellschaftliche Prozesse, was nicht mit Kollektivismus verwechselt werden darf, stehen im Zentrum des privaten und öffentlichen Lebens (Staat als Familie). Wettbewerb um Positionen spielt eine entscheidende Rolle bei der Auswahl des Führungspersonals, beispielsweise für die Verwaltung, und das hat in China die Meritokratie als Herrschaftsform stark begünstigt, die bis in die Gegenwart reicht (Bell 2006). Auf die Vorstellung von Fairness und Ausgleich bezogen bedeutet dies, dass Vorstellungen, es müsse immer nur einen Gewinner geben, der den gesamten Ertrag vereinnahmen darf, nicht akzeptabel sind. Vielmehr soll durch eine rationale Ordnung Harmonie gewährleistet werden – und genau hier unterscheidet sich diese Lehre auch von der eher antirationalen Vorstellung des DAO (Long 2002). Drei Dinge sind nach Kong Zi mit besonderer Vorsicht zu behandeln: Fasten, Krieg und Krankheit. Er plädierte gegen ungerechte Kriege, man solle nicht voreilig den Gefühlen folgen und nicht ohne Vorbereitung kämpfen. 9. Mo Zi (ca. 470–381 v.Chr.): Er zählt zu den sogenannten Wanderphilosophen Chinas. In seinen sieben Regeln, die den sogenannten Mohismus, eine utilitaristische Lehre begründen, kritisiert er die Prasserei der Oberschicht, die Ausbeutung der breiten Massen, die Korruption und Willkür der Beamten, die fehlende Solidarität mit angegriffenen Nachbarn sowie die nicht vorhandene Wehrfähigkeit des Volkes, die er defensiv sah, wie er in seinem Werk Feigong ausführt, in dem er den Krieg grundsätzlich verdammt und ihm die universelle Liebe entgegensetzt. Anders als Kong Zi rekrutierte er seine Anhänger aus den unteren sozialen Schichten. Sein Werk behandelt zwölf Themen aus je drei Perspektiven – daraus folgten die späteren Interpretationen seines philosophischen Werks in drei Traditionslinien. Die Realität verkörperte sich für ihn in dem, was der Mensch sehen und hören kann. Gute Politik beruht auf realen Bedingungen und Tatsachen, um daraus für die Gesellschaft Gewinn zu schöpfen. Skeptisch war er bezüglich der Wirkung von Anreizen, also von Belohnungen und Bestrafungen. Anders als bei Kong Zi betont er nicht die tugendhafte Menschlichkeit, sondern vielmehr eine tugendhafte Rechtschaffenheit, die aber anerzogen werden muss. Denn eigentlich sei der Mensch, der ohne gesellschaftliche Bindung aufwächst, ganz ähnlich wie später bei Thomas Hobbes, egoistisch, kurzsichtig und handele wie ein wildes Tier. Diese Vorstellung vom an sich schlechten Menschen vertrat später auch der Philosoph Xun Zi (298–220 v.Chr.). Ohne Hierarchie, verwirklicht durch Fürst und Volk, Vorgesetzte und Untergebene, Ältere und Jüngere, gäbe es keine Ordnung, deren Aufgabe es auch sei, in die Familienbeziehungen hineinzuwirken. Er postuliert, dass ohne diese Art Gemeinschaftsvertrag nicht einmal eine gemeinsame Sprache möglich sei. Die Empathie
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für Dritte soll so ausgestaltet sein, dass zwischen den Interessen des Selbst und dem anderer kein Unterschied besteht: Jeder, der egoistisch handelt, handelt zugleich im Sinne der Gesellschaft und erhöht damit den Nutzen aller. Hier klingt etwas davon an, was später bei Adam Smith und Immanuel Kant aufscheint. 10. Meng Zi (370–290 v.Chr.): Er gilt als der bedeutendste Nachfolger von Kong Zi. Er entwickelte aus einem positiven Menschenbild heraus den höchst anspruchsvollen Begriff der Menschenwürde. Bedeutung hatte für ihn eine Bildung auf der Grundlage von Tugenden, die damit die soziale und politische Ordnung des Konfuzianismus konstituieren (Schleichert und Roetz 2009, S. 20–45): – REN: Menschlichkeit, Humanität und Nächstenliebe, und dieses spricht nicht nur das Verhalten der Menschen untereinander sondern auch in der Hierarchie gegenüber Höher- oder Tieferstehenden an, die mit Wohlwollen und Güte zu behandeln sind. – LI und ZHI: Sitte, Sittlichkeit und Klugheit, die eine Grundlage des Staats im Sinne einer Goldenen Regel und dem Finden eines rechten Maßes begründen. Ren als äußeres und Li als innere Maxime sollen komplementär wirken. – YI und ZHONG: Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Pflichterfüllung und Loyalität, womit eine Unterwerfung unter gegebene Gesellschaftsverhältnisse verbunden ist. – XIAO: Kindespflicht und Pietät, vor allem die umfassenden Aufgaben der Kinder, den Eltern zu dienen und ihnen zur Ehre zu gereichen. Da diese dem Menschen vor aller Sozialisierung eigen sind, bestimmt sich hieraus auch seine a-priori Würde. Allerdings gelang es nie, diese Regeln der Menschenwürde auch als individuellen rechtlichen Anspruch der Untergebenen gegen den Herrscher auszugestalten – eine Umkehrung des Herrscher-Untergebenen-Prinzips, das heute als eine westliche Kulturleistung erscheint; es ist allerdings für ihn denkbar, eine ungerechte Herrschaft durch die Untertanen zu beenden. Der Einsatz von Gewalt ist dann gerecht, wenn subjektive Motive und objektive Folgen gleich seien, um das Volk aus einer misslichen Lage zu retten. Er stellt sich mit der Tugendlehre gegen den Utilitarismus der Mohisten und macht den Konfuzianismus zur Staatsphilosophie des damaligen Chinas. 11. Zhuang Zi (eigentlich Zhuang Zhou, 369–286 v.Chr.): Er gilt als Vervollständiger des Daoismus und wandte sich gegen die Dogmatisierung der Lehre von Kong Zi durch dessen Schüler. Seine Morallehre besitzt wichtige staatsphilosophische Aspekte, weil sie verdeutlicht, dass diese nicht dogmatisch wie in konfuzianischer Tradition zu sehen ist. Vielmehr soll der Mensch immer der Natur entsprechend leben, nicht gegen sie, um zu DAO zu kommen. Das DAO liegt nicht im Dogma, sondern eben in der Natur. Daher fällt es schwer, durch sie Ordnung in der Gesellschaft herzustellen, weil gleichsam spieltheoretisch immer wieder eskalierende Dilemmasituationen auftreten, wie das folgende Beispiel zeigt: Der Versuch, sein Eigentum in einer verschlossenen Kiste zu schützen, führe nur dazu, dass die gesamte Kiste gestohlen werde. Grundsätzlich könne sich der Mensch aus diesen moralischen Verstrickungen nicht lösen.
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12. Huan Kuan (eigentlich Huan Cigong, 2. und 1. Jh. v.Chr.): Er lebte während der Zeit des Herrschers Zhao (reg. 87–74 v.Chr.) und dokumentierte in seinem Buch Yantielun eine Konferenz aus dem Jahre 81 v.Chr., zur Zeit der Han-Dynastie, zwischen chinesischen Beamten und konfuzianischen Gelehrten über die Produktion und den Verkauf von Salz, Eisen und Alkohol (Huan und Bai [Hrsg.] 2012; Sang und Wang 2011). Er schrieb die diskutierten Fragen in Dialogform nieder, die sich im Spannungsverhältnis aus konfuzianischer Herrschaft durch Tugenden und aus der Herrschaft des Rechts, die von Han Fei Zi in der Schule des Legalismus begründet wurde und später verhandelt wird, ergeben. Dabei prallten zwei fundamental unterschiedliche politische Philosophien aufeinander, beispielsweise die Entscheidungen darüber, ob der Feind – die Hunnen – mit Waffengewalt niedergerungen oder durch Geschenke von Eroberungen abgehalten werden soll. Aus ökonomischer Sicht sind die strukturellen Fragen über die Wirtschaftsordnung und die konkrete Wirtschaftspolitik von Bedeutung, weil durch Monopole die Staatsfinanzierung gesichert wird. Mit den Monopolen verbunden ist eine Bevorratungswirtschaft zum Krisenausgleich, die hohe Kosten und Extraprofite erzeugt. Damit sind sie aus konfuzianischer Sicht abzulehnen, zumal die Profitorientierung im Gegensatz zum Tugendideal steht, während die Legalisten auf eine Verbesserung der Qualität der Beamten setzen. Eine weitere Debatte betrifft die Monopolisierung des staatlichen Münzwesens, wodurch die Monetisierung und damit auch die Expansion der Wirtschaft unterstützt werden sollte. Diese Währungsreform könnte aber zu vermehrter Korruption führen, weil sich Reiche den Steuern durch das Kaufen von Beamten entziehen können. Zudem sind Münzgewinne möglich, wenn die intelligenten Kaufleute das gute Geld horten und das schlechte im Umlauf belassen würden.14 Schließlich werden die mit der Expansion der Wirtschaft verbundene Internationalisierung und die Potentiale des Handels besprochen, die insbesondere den Reichtum der Städte erhöhen könnten, wofür aber die agrarorientierte konfuzianische Tradition wenig Raum lassen will. Es liegt daher aus der Sicht des Wirtschaftskriegs nahe, das europäische Zeitalter der Vernunft in Damaskus zu Zeiten des Abbasiden-Kalifats (750–1258 n.Chr.) beginnen zu lassen. Hier übertrugen Forscher das naturwissenschaftliche und staatsphilosophische Erbe der Klassik ins Arabische und pflegten den theologischen Diskurs. Frederick Starr (2013) schreibt in seinem Werk über das Lost Enlightenment, wie das an der Rationalität orientierte Potential des Islam durch die ab dem 9. Jh. einsetzende Gegenbewegung des Sufismus mit seinen starken religiös-dogmatischen Strömungen verkümmerte. Tatsächlich finden sich bereits Vorläufer des Vernunftprinzips von Immanuel Kant in der
14Das
ist, wie Bertram Schefold (2015) in seinem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zum Thema Chinas erster Ökonom schreibt, ein Vorgriff auf das Greshamsche Gesetz. Es wurde aber vorher bereits früher vom preußischen Domherren Nikolaus Kopernikus formuliert.
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arabischen Philosophie, beispielsweise bei dem großen andalusischen Philosophen Ibn Rushd (1126–1198), der auch als Averroës bekannt ist, und einer der großen Übersetzer und Kommentatoren des Aristoteles war. Er sah im Logos die einzige Chance des Menschen für die Bewältigung von Konflikten. 13. Baha’ al-Din Ibn Shaddad (1145–1234): Der muslimische Historiker, Jurist und Philosoph mit kurdischen Wurzeln zählt zu den bedeutendsten Analytikern des Kriegsrechts seiner Zeit. Er zeigt nicht nur durch die von ihm verfasste Biographie des Herrschers Saladin (1137/1138–1193), dessen Weisheit er rühmte und mit der er die Nachwelt befruchtete, sondern auch mit dem Werk Die Vorzüge des Jihad, auf welch hohem kulturellem Niveau die damalige arabische Welt stand. In diesem erörtert er, welche Handlungen in einem Krieg erlaubt sind und welche nicht. Er befasst sich also mit dem ius in bello in einer Zeit, die durch die Kreuzzüge an Grausamkeit nicht zu überbieten ist: Die arabische Expansion hatte das Heilige Land überrannt und Kirche und Fürsten versuchten, es in verschiedenen Kreuzzügen zurückzuerobern. Saladin hielt sich in diesen Kämpfen weitgehend an die Vorgaben, die Baha’ al-Din Ibn Shaddad ihm im Sinne eines gerechten Kriegs gemacht hatte und wurde deshalb auch der Nachwelt als honoriger Herrscher bekannt. Er stellt eine Reihe von Forderungen auf, die aus heutiger Sicht ausgesprochen modern klingen, nämlich: – Gewalt ist zu begrenzen; auch der absolute Krieg rechtfertigt keine absolute Gewaltanwendung! – Der geschlagene Feind besitzt Persönlichkeitsrechte, die zu achten sind. – Unbeteiligte am Konflikt genießen Schutz! Saladin hielt sich an diese Vorgaben, was ihn als besonnenen Herrscher in die Geschichte eingehen ließ. Nicht umsonst schreibt Sir Hamilton Gibb (1973) in seiner Biographie The Life of Saladin im Zusammenhang mit der Eroberung der Städte Tyros, Tripolis und Antiochia, dass dieser Sieg nicht allein seinen militärischen Qualitäten zuzuschreiben ist: „This is a complete misapprehension. Saladin processed, indeed, personal military virtues of a high order; but his victories were due to his possession of moral qualities which have little in common with those of a great general.“ Damit erfährt die Kriegslehre von Baha’ al-Din Ibn Shaddad eine Bestätigung, die ganz anders lautet als die im 19. Jahrhundert vorherrschende und auch die von Carl von Clausewitz (1832) betonte Unbeschränktheit der Handlungen im Kriegsgeschehen betrifft.
5.2.2 Die Vorbereitung der Moderne: Wirtschaftliches Handeln als Gottesdienst Das 16. und 17. Jahrhundert waren für die Entwicklung nicht nur der ökonomischen Lehre, sondern auch der kirchlichen Dogmen zum Krieg von entscheidender Bedeutung,
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weil hier gleichermaßen der innerchristliche Konflikt mit Ungläubigen und damit auch die Frage des gerechten Kriegs und der legitimen Kriegsmittel thematisiert wurde. Einen glänzenden Überblick gibt Michael Becker (2017) im Buch Kriegsrecht im frühneuzeitlichen Protestantismus, in welchem er den spezifischen Beitrag des Protestantismus vor dem Hintergrund der vor allem katholischen, vorreformatorischen Geistesgeschichte reflektiert. 14. Thomas von Aquin (1225–1274): Der Dominikanermönch gilt gemeinsam mit den anderen beiden großen Scholastikern Albertus Magnus (1200–1280) und Johannes Duns Scotus (ca. 1266–1308) als der Kirchenlehrer, der die Philosophie aus der Theologie herausführte und sie im christlichen Kontext zu einer eigenen Lehre entwickelte. Eine der wichtigen Voraussetzungen hierfür bestand in der durch Petrus Abelardus (1079–1142) entwickelten hermeneutischen Methode der Kritik an Texten der Kirchenväter, um deren Widersprüche aufzulösen und diese aus sich und ihrer Zeit heraus zu verstehen. So wurde im Abwägungsprozess die Dialektik zur scholastischen Methode weiterentwickelt, also der gezielten Untersuchung von Prämissen und der Validität von Beweisführungen. Thomas von Aquin behandelte auf dieser erkenntnistheoretischen Grundlage staatsphilosophische Fragen u. a. im Kontext von Ökonomie und Krieg. Politischer Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass der Mensch ein soziales und für staatliches Leben geschaffenes Wesen, ein zoon politikon (ζῷον πολιτικόν), ist. Wirtschaften sieht er als Verwirklichung des Schöpfungsauftrags, das dem Ziel vollendeter Glückseligkeit untersteht und im Füreinander eine soziale Dimension erhält. Es wird damit zum Akt praktischer Vernunft (vgl. Kant). Ziel müsse das Wohlergehen im Gemeinwesen, das Erhalten des Notwendigen und des Angemessenen sein. In der summa theologica (1273) deutete er den Handel mit Geld gegen Zins als ungerecht und postulierte die Unvereinbarkeit von Christ und Kaufmann; nur in Ausnahmen, wie der Beteiligung an Unternehmen oder zur Güterbeschaffung in Not, seien Zinsen hinzunehmen. So vertrat er das Verbot für Christen, Geld gegen Zins zu nehmen (kanonisches Zinsverbot), mit der Folge, dass sich Juden dieser „unehrlichen“ Betätigung als Händler und Geldverleiher widmeten. Er vermutete, dass Verkäufer dazu neigen, besondere Nachfragesituationen zur Preissteigerung auszunutzen. Im Allgemeinen sei für den Tausch der Güter der Wert entscheidend, der sich aus den menschlichen Bedürfnissen ergäbe. Er knüpfte damit an Aristoteles und an Augustinus an, die den Wert nach der natürlichen Ordnung und nach dem Gebrauchswert unterschieden und postulierten, dass Tausch nur möglich sei, wenn beide Parteien einen Vorteil hätten. Somit war für Thomas von Aquin derjenige Preis gerecht, der sich als Marktpreis zwischen zwei fair handelnden Marktpartnern ergibt; er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass dieser zeitund raumbezogen ist. Der objektive Wert eines Gutes wurde dem geronnenen labor et expensae gleichgesetzt. Zwei wesentliche christliche Ziele lägen infolge ihrer Verschiedenheit in Konflikt, nämlich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, was wiederum menschliches Handeln begrenzt. Gerechtigkeit besäße zwei Ausprägungsformen,
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nämlich die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa), die als Instrument der Kompensation von als nicht tragbar angesehenen Unterschieden in der Ausstattung oder in der Beteiligung anzusehen ist, und die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva); beide Unterscheidungen sind heute noch relevant und modern. Das Ergebnis einer derartigen Unausgewogenheit am Markt, Ausbeutung oder Raubzug, ist für ihn auch äquivalent mit dem Ergebnis eines ungerechten Kriegs. In der Kriegslehre fragt er zunächst, wem die Kriegsführungsbefugnis obliegt; das war ursprünglich der Herrscher, später der Souverän. Dann diskutiert er die Begründungen für einen gerechten oder einen ungerechten Krieg und betont die Bedeutung der guten Absicht, besonders das Streben nach Frieden. Schließlich behandelt er die Frage, der legitimen Kriegsmittel, die komplementär zum gerechten Krieg sein müssen. In jedem Fall darf keine (Eigentums-) Ordnung so weit gehen, dass sie den Menschen zerstört – hier entstehen erste Gedanken zur Sozialverpflichtung des Eigentums; damit ist Widerstand und (Mund-) Raub u. U. zu rechtfertigen. Spanische Spätscholastiker der Schule von Salamanca, für die Francisco de Vitoria (1483–1546) als einer der wichtigsten Vertreter angesehen werden kann, nahmen diese Ideen auf und entwickelten sie weiter. Insbesondere setzt er sich mit der (gewaltsamen) Indianermissionierung auseinander und diskutiert die drei wesentlichen Argumentationslinien: Die Weigerung, das Evangelium anzunehmen, führe zur Verdammnis, woraus sich ein Recht der Obrigkeit auf Disziplinierung ableite. Den christlichen Herrschern seien die Untergebenen zu Gehorsam verpflichtet; antichristliche Schmähungen gaben das Recht zum Krieg, und da Unglaube schwerer wiege als Blasphemie, sei Krieg gegen den Unglauben legitim. Diese infidelitas besäße tatsächlich zwei Bestandteile, einen theologischen und einen juristischen. Eine religiöse Verfehlung berechtigte nicht sofort zu Gewalt, weil der Glauben nicht erzwungen werden dürfe, wie das kirchlicher Tradition, auch aus den Kreuzzügen entspräche. Die Schule erkannte den Wert von Eigentum, auch bei Nichtchristen als Anreiz für die Gewinnerzielung, aber auch für den nachhaltigen Umgang und insbesondere den Wert verteilten Wissens, den später Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek aufnehmen und zu einem zentralen Stoßkeil gegen zentralverwaltungswirtschaftliche Systeme ausbauen. Domingo de Soto (1494–1560) postulierte vor dem Hintergrund einer Armuts- und dadurch auch Migrationskrise in seinem Werk In causa pauperum deliberatio (1547), es gäbe als Ausfluss der Schöpfung eine Weltgemeinschaft. Darauf aufbauend gewährleiste ein ius in gentium nicht nur den freien Güterverkehr, sondern auch eine unbeschränkte Migration. Aus der Schule von Salamanca ging auch Francisco Suárez (1548– 1617) hervor, der das Moderne um die Idee bereicherte, nur durch Kooperation und Gemeinschaftsbemühungen (misericordia, also Barmherzigkeit, sowie mutui amoris, also gegenseitige Zuneigung) dem Frieden aller gedient sei, weshalb völkerrechtliche Normen dies widerspiegeln müssen (Schmid 2017). 15. Jan Hus (1370–1415): Der für seine Überzeugungen und unter Bruch des Versprechens eines freien Geleits hingerichtete Prediger und ehemalige Rektor der
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arls-Universität zu Prag ist deshalb interessant, weil sich an ihm zeigt, welche K Rolle der von Johannes Gutenberg (ca. 1400–1468) entwickelte Buchdruck als universelles Kommunikationsinstrument spielte, was aber Jan Hus fehlte und ihm die Möglichkeit nahm, Informationsüberlegenheit gegenüber dem Papst zu erzielen. Er ist eine wichtige Person des tschechischen Nationalbewusstseins, insbesondere durch die Revolutions- und Reformationskriege in Böhmen zwischen 1419 und 1436. 16. Martin Luther (1483–1546): Indem er die christliche Lehre auf die Innerlichkeit, das verantwortende Individuum, umstellte, kann er als Begründer des Gewissens als individuelle moralische Instanz des modernen Menschen gelten. Nicht Außenzwänge bestimmen das Verhalten, sondern selbstgesetzte Innenzwänge – das moderne Bürgertum entsteht. Es zählt nur der Glaube – sola fide – und der Mensch ist sündig nur durch Abwesenheit von Gott, weil er nicht alleiniger Herr seines Lebens ist. Wenn man das aber erkenne, sei durch die Gnade Gottes eine Umkehr möglich. Von dieser Sünde als existentielle Kategorie grenzt er die Schuld als moralische Kategorie ab. Hier entwickelt sich der erste Teil der protestantischen Ethik, auf die Max Weber rekurrierte und die Tobias Becker (2016) in Deutsche Protestantische Republik als für Deutschland zutiefst identitätsstiftend bezeichnet. Der zweite Teil stammt von Huldrych Zwingli und Johannes Calvin, nämlich die Gnadengewissheit durch (ökonomischen) Erfolg im Diesseits. Hier war Martin Luther skeptisch und blieb weitgehend bei den auf Aristoteles zurückgehenden Vorstellungen der Scholastiker über die Stellung des Christen im Wirtschaftsleben. Aber seine Zinsargumentation differenziert: Erfolg sei ein Segen Gottes, auch der Zins. Aber verwerflich sei es, diesen auszuschütten, wenn der Erfolg noch nicht erzielt ist, quasi als Spekulation auf Gottes Wohlwollen. Seine Lehre, zunächst niedergelegt in den 95 Thesen (1517) verbreitete sich durch den Buchdruck in Windeseile über Europa; die deutsche Bibelübersetzung brach das Informationsmonopol der katholischen Kirche. Er verhindert durch seine Unterstützung feudaler Herrschaftsstrukturen, die außerhalb der Städte zu finden waren, die Entstehung eines k apitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems; insbesondere verteufelte Luther den Handel und den Geldverleih gegen Zins, beispielsweise in Von Kaufshandlung und Wucher (1524). Trotzdem gewannen weltliche Normen und Maßstäbe, hauptsächlich in Bezug auf die Freiheit des Menschen, durch die Reformation an Gewicht. Auf der anderen Seite musste er durch die weltlichen Konflikte um seinen Glauben, u. a. die Bauernaufstände oder die Pflichten der säkularen Herrscher für die neu entstandene evangelische Kirche, zwischen säkularem und kirchlichen Recht vermitteln, wodurch, wie Martin Heckell in Martin Luthers Reformation und das Recht (2016) betont, erst die Trennung von Kirche und Staat rechtlich verortet wurde. Eine erste Ausformung fand sich im cuius regio eius religio des Augsburger Religionsfriedens (1555). In seiner Schrift Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können (1526) trägt Martin Luther vier wesentliche Handlungsweisen in Kriegen vor: Sei von friedlicher Gesinnung, beschränke dich auf Gegengewalt, schütze die Hilflosen und denke an deine individuelle Verantwortlichkeit. Verantwortliches Handeln beruht darauf, von
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den Folgen her zu denken – vom Einsatz, wie das modern genannt wird. Im Sinne der Zwei-Reiche-Lehre müsse in einer realen Welt Ordnungsgewalt vorhanden sein. 17. Huldrych Zwingli (1484–1531): Er kann als Vorgänger von Johannes Calvin angesehen werden und sieht den Bibeltext als direkte Grundlage menschlichen Handelns und politischer Verpflichtung, die von der katholischen Kirche negiert werde. Er gilt als strikter Gegner eines Söldnerwesens. Er stirbt im sogenannten Zweiten Kappeler Krieg, den Zürich gegen die katholischen Kantone führte, um die Reformation zu retten. Sein Nachfolger Heinrich Bullinger (1504–1575) konsolidiert die Glaubensgemeinschaft und gilt heute als Begründer der reformierten Kirche. Auf die hier zugrunde liegende asketische Wirtschaftsethik nimmt später Max Weber in seiner Erklärung des Siegeszugs der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Bezug. 18. Johannes Calvin (1509–1564): Seine Hochachtung vor Gott und seiner Schöpfung kommt darin zum Ausdruck, dass er die altkirchliche Unterscheidung in Gottähnlichkeit (similitudo) und Gottgleichheit (imago) zugunsten Letzteren verwirft und damit auch die Willensfreiheit negiert, würde sie doch die Gnade Christi zerstören (Bockwoldt 2010, S. 87, 92). Die Lehre von der Prädestination, der zufolge Erfolg, Tüchtigkeit und Bescheidenheit auf Erden ein Zeichen für Gottes Wohlgefälligkeit seien, folgt aus der Entscheidung für Gott (Lindemann 2010, S. 100), weil Menschen an Ihren Früchten zu erkennen sind und sich daher für Gott entscheiden, was die Dialektik aus göttlichem Wesen und Vernunft auflöst. Die Lehre von der Prädestination, zufolge Erfolg, Tüchtigkeit und Bescheidenheit auf Erden ein Zeichen für Gottes Wohlgefälligkeit seien, gab dem gewinnorientierten Wirtschaften, das das Verlangen nach Gnadengewissheit stillen sollte, eine moralphilosophische Begründung – obwohl dies eher eine volkspädagogische als eine theologische Interpretation darstellt. In England und in den USA zeigte diese Glaubenslehre ihre Wirkungen in der Industriellen Revolution. Max Weber (1904/1905) postulierte daher, dass der asketische Protestantismus wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung des modernen Kapitalismus bereitstellte. Empirische Untersuchungen (Blum und Dudley 2001) stützen diese These nur zum Teil und heben ergänzend hervor, dass vor allem die Vernetzungsfähigkeit für die wirtschaftliche Effizienz bedeutsam ist, weil erst sie es erlaubt, die Fähigkeiten der Wirtschaftsgesinnung produktiv zu heben. Der Calvinismus hat zugleich nachhaltig die doktrinären und volkpädagogischen Anmaßungen geprägt, die noch heute im Sinne eines moralischen Paternalismus bei den Kirchen und im Staat zu sehen ist – Belehrung statt Ermutigung zu mündigen und aufgeklärten Handeln – und ist damit auch eine der Wurzeln der Hypermoral, auf die im zwölften Kapitel einzugehen ist.
5.2.3 Das Zeitalter der Vernunft: Aufklärung im Kontext des Absolutismus Das Zeitalter der Vernunft wird in Europa gerne mit der Aufklärung und der Renaissance sowie der Rezeption griechischer und römischer Quellen in Verbindung gebracht. Rein-
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hart Koselleck (1959, S. 11–12) führt aus, dass die Katastrophe der Religionskriege ursächlich für die Konzentration von Macht im Absolutismus war und dessen Missbrauch wiederum die Aufklärung beförderte. Aus dem vorangegangenen Abschnitt wird hingegen deutlich, dass es wesentliche Bezüge zum chinesischen und arabischen Raum gibt. Häufig wird ausgeblendet, dass gerade die muslimische Welt in der Zeit um die erste Jahrtausendwende kulturell hochentwickelt war. Hiervon künden noch heute die der Nachwelt erhaltenen Baudenkmäler, beispielsweise in Spanien und im Nahen Osten, aber auch Literatur, Medizin, Pharmazie oder Astronomie. Friedrich II. von Staufen (1194–1250) war von dieser Kultur stark beeinflusst, auch wenn er die Muslime in Sizilien und während der Kreuzzüge bekämpfte. Sein Buch über die Falknerei und den Vogelflug De arte venandi cum avibus (Über die Kunst mit Vögeln zu jagen, 1248) gilt als eines der größten naturwissenschaftlichen Werke des Mittelalters, das posthum von seinem Sohn Manfred überarbeitet und abgeschlossen wurde. Das zeigt, wie sehr der moderne Islamismus das Ergebnis eines – allerdings schon sehr frühen – Traditionsbruchs ist, der es unmöglich macht, die kanonischen Quellen der eigenen Religion kritisch zu diskutieren – also Theologie im wissenschaftlichen Sinn zu betreiben.15 Mit Alberico Gentili (1552–1608) tritt ein Jurist auf die Bühne, dem nicht nur der Spruch „Silete Theologii in munero alieno“ („Theologen schweigt bei sachfremden Dingen“) die Trennung von Kirche und Staat propagiert, sondern auch das Konzept de Religionskriegs verwarf. Ein weiteres wesentliches Element ist die oben beschriebene Entdeckung des Individuums durch die Reformation, vor allem durch Martin Luther. 19. Jean Bodin (1530–1596): Er ist der Vater des modernen Souveränitätsbegriffs und sieht in seinem Hauptwerk Les six livres de la République (1576) den Staat als Diener des Individuums; er definiert die Souveränität als Unabhängigkeit staatlicher Gewalt von innerstaatlichen, vor allem ständischen Bindungen. Inwieweit souveräne, am Wohl des Bürgers ausgerichtete Staaten, möglicherweise sogar mit demokratischer Verfassung, einen verringerten Hang zu kriegerischen Auseinandersetzungen haben, ist in der politischen Wissenschaft umstritten. 20. Hugo Grotius (1583–1645): Er gilt als der Begründer des modernen Völkerrechts. Er wurde in den 80-jährigen Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien hineingeboren, der von 1568 bis 1648 dauerte (und wie der 30-jährige Krieg in Deutschland mit dem Westfälischen Frieden beendet wurde). Damit lebte er in einem Spannungsfeld zwischen der calvinistischen Ethik Hollands und der katholischen Herrschaft Spaniens oder, weltlich ausgedrückt, in einem Spagat zwischen einem
15Hamed Abdel-Samad (2015) nennt sein Buch deshalb Mohamed – eine Abrechnung und macht die fehlende Reflektion des Korans und die Bedingungen, unter denen er aufgeschrieben wurde, dafür verantwortlich. Er gibt Beispiele dafür, die diese Religion eher als einen verbrecherischen, stark wirtschaftlich orientierten Bund erscheinen lassen. Tatsächlich verweist Benedikt Koehler (2014) in seinem Buch Early Islam and the Birth of Capitalism auf die ökonomische und institutionelle Modernität – vom Risikokapital über Stiftungen bis zu Rechtsschulen.
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christlichen Ordnungssystem und dem Ordnungssystem der Rationalität, möglicherweise auch der unbegrenzten Macht. Mit seinem im Jahr 1609 veröffentlichten Buch Mare Liberum (Von der Freiheit der Meere), einer Auftragsarbeit für die im Jahr 1601 von holländischen Kaufleuten gegründete Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), weist er den Anspruch Spaniens und Portugals auf Handelsmonopole zurück. Sein im Jahr 1625 erschienenes Hauptwerk De jure belli ac pacis libri tres (Über das Recht des Kriegs und des Friedens) adressiert folglich den Krieg unter rechtsinstitutionellen Gesichtspunkten. Dabei unterscheidet er zwischen dem privaten und dem staatlichen Krieg, was damals, in der Zeit der Bildung von Nationalstaaten, vernünftig erschien, aus heutiger Sicht sogar als ausgesprochen modern erscheint und für den Wirtschaftskrieg, der ein breites Spektrum von konfliktbereiten Handelnden kennt, besonders relevant ist. Neben der bereits eingeführten Unterscheidung zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg fragte er auch danach, von wem der Konflikt ausgeht und wer die höchste Gewalt innehat, also der Souverän ist. Hugo Grotius (1625) definiert Krieg als „Streitigkeiten zwischen Personen, die durch kein gemeinsames bürgerliches Recht verbunden sind“. Um diese zu beseitigen, existieren drei Möglichkeiten: die Aussprache (colloqium), das Abkommen (compromissum) und das Los (sors). Der öffentliche Krieg erfordere die Existenz von Staaten, weshalb zerfallende Staaten für die Kriegsführung ein Problem seien. Insofern besitzt für ihn die Erhaltung des Staates eine hohe Priorität, und das gilt auch dann, wenn dadurch das Individuum infolge von Unterdrückung leiden müsse; es habe aus dieser Lage heraus noch kein Widerstandsrecht. Jeder Frieden sei einem Bürgerkrieg vorzuziehen. Das, was heute als Gewaltmonopol des Staats bezeichnet wird, konstituiert sich hier – und dessen Auflösung durch die Privatisierung des Kriegs mittels Söldnerheere, wie die Firma Blackwater aus den USA im Irak-Konflikt. Auch das kann man nicht nur zu den failed states der Moderne in Bezug setzen, sondern auch zu unter Konkurrenzdruck desintegrierenden Unternehmen. Schließlich prägte er auch das humanitäre Völkerrecht, weil das Naturrecht ein Vorrecht gegenüber dem Krieg habe, was den Handelnden in der Wahl ihre Instrumente Grenzen auferlege. 21. Thomas Hobbes (1588–1679): Als Zeitgenosse mörderischer Religionskriege in Europa lässt seine rationale Begründung des Staats als Garant des Friedens vor dem Hintergrund heutiger Konflikte in einem modernen Licht erscheinen. Der dezidierte Antischolastiker und Vertreter der materialistischen Philosophie leitet in seinem Hauptwerk Leviathan (1651) die Autorität des Staates, d. h. des Souveräns, und die Subordinationspflicht des Bürgers aus einer grundlegenden Angst vor nicht beeinflussbaren, übermächtigen Veränderungen ab. Die Grundantriebskräfte seien das Streben nach Lustgewinn und nach Selbsterhaltung (appetitus et fuga, Begierde und Furcht) und würden durch Macht befriedigt. Die Gleichheit aller im Naturzustand (im Schlaf kann auch der Stärkste umgebracht werden) und das natürliche Recht auf Einsatz aller notwendigen Mittel zur Selbsterhaltung (homo homini lupus est) mache einen Herrschaftsvertrag zwingend, um nicht in einen Krieg „aller
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gegen alle“ (bellum omnium contra omnes) abzugleiten: „Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, daß Du ihnen ebenso Dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst“. Dies kann kriegerisch (commonwealth by acquisition) oder friedlich (commonwealth by institution) erfolgen. Der Souverän soll eine Vernunftsmoral haben, sein Befehl ist moralisches Gesetz. Darf anschließend dieser Bürger aber vom Souverän – dem Leviathan, einer fiktiven Person – Gerechtigkeit verlangen? In Analogie zur Geschichte des Hiob (Ijob 40: 15–24) in der Bibel argumentiert Hobbes: Als Hiob Gott fehlende Gerechtigkeit vorwirft, verweist dieser auf das Ungeheuer Behemoth, der Allegorie für den Krieg aller gegen alle, und fragt Hiob, ob er glaube, dass sich Behemoth ihm vertraglich unterwerfen werde. Dann verweist er auf das andere Ungeheurer, Leviathan, und zeigt Hiob, dass er mit diesem keinen Streit gewinnen könne. Die Essenz ist klar: Nach Konstituierung des Staats durch einen Begünstigungsvertrag, denn Leviathan ist kein Vertragspartner, können die Individuen gegen diesen keinerlei Rechte mehr geltend machen; es ist ein einseitiger Bund wie zwischen Gott und Israel, der keine Ansprüche des auserwählten Volks ermöglicht. Unter der Bedingung konstitutiver Abhängigkeitsbeziehungen unter den Menschen leistet er der politischen Säkularisierung dadurch Vorschub, dass er die mit ihnen verbundenen Ängste und Hoffnungen auf das utopische Paradies referenziert. Obwohl Hobbes die Macht des Souveräns in diesem starken Staat, der die Freiheit der Individuen einschränkt, als unveräußerlich ansieht, müssen dennoch nicht alle Befehle befolgt werden, vor allem dann nicht, wenn sie die Unversehrtheit des Bürgers bedrohen (Recht auf Notwehr); insbesondere darf dieser sich weigern, Selbstmord zu begehen und darf den Kriegsdienst (Recht auf Feigheit) und den Befehl zum Bürgerkrieg verweigern. Trotzdem steht er infolge seiner Sozialethik am Übergang zu den agonalen Staatstheorien. 22. Baruch de Spinoza (1632–1677): Er lebte eine Generation später als Hugo Grotius und sieht in seinem Tractatus Theologico-Politicus (1670; verfasst ca. 1660) den Frieden infolge der Erfahrungen aus dem 30- und dem 80-jährigen Krieg als mehr als eine Abwesenheit von Krieg an, nämlich als ein System zur Freiheitssicherung. Er hebt sich von Thomas Hobbes ab. Bei ihm geht der Staatsvertrag nicht aus einem Begünstigungsverhältnis hervor sondern er hält auch die Möglichkeit zur Auflösung und Rückforderung von Verträgen offen. Nach diesem Ansatz dürfen institutionelle Arrangements nicht von Gesinnungen gesteuert werden. Denn eine gute Tat sei Sünde, wenn sie dem Staat schadet; umgekehrt sei eine schlechte Tat, die dem Staat nützt, ein frommes Werk. Tatsächlich kann er als der Staatsphilosoph des Goldenen holländischen Zeitalters (gouden eeuw) der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angesehen werden. Die Physis als göttliche Substanz realisiert sich in den Menschen, die einen Anspruch auf Autonomie und Souveränität haben. Sie haben das Recht, als Individuen oder als Staaten extreme Gewalt zurückzuweisen, sodass sich hieraus
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eine philosophische Rechtfertigung für den Krieg ergibt, nämlich als glaubhafte Drohung oder als glaubhafte Abschreckung. Letztlich habe der Mensch das Recht, in einem eigenen Rechtssystem zu leben. Aus ökonomischer Sicht ist seine Ethik nach geometrischer Methode dargestellt (1675) interessant, weil er eine Lehre der Affekte entwickelt, die den heutigen Vorstellungen von Anreizen und Innovationsdrang sehr nahekommt; sein Lehrsatz 12 lautet (Spinoza 1675, S. 139): „Der Geist sucht, soviel er vermag, sich das vorzustellen, was das Tätigkeitsvermögen vermehrt und erweitert.“ Er wird erweitert um Dinge, die positiv und negativ wirken und verkoppelt mit dem obengenannten Freiheitsbegriff (Spinoza 1675, S. 207): „Das menschliche Unvermögen in Mäßigung und Beschränkung der Affekte nenne ich Unfreiheit.“ 23. John Locke (1632–1704): Für ihn als Naturalisten ist das Gehirn eine tabula rasa, angeborene Gedanken sind also nicht vorhanden, sie bilden sich erst in der Realität. Wichtige Prägungen entwickeln sich innerhalb von drei Regelsystemen: Dem göttlichen Gesetz als Polarität von Sünde und Pflichten; dem zivilen Gesetz als Polarität von Verbrechen und Unschuld; das philosophische Gesetz als Polarität von Tugend und Laster. Damit wird nicht nur der Absolutismus, bei Thomas Hobbes noch begründet, eingehegt. Es entsteht auch etwas wie die Moral einer öffentlichen Meinung. Er ging in seinen Two Treatises of Government (1690) ebenso wie Thomas Hobbes von einem Urzustand ohne Staat aus; in ihm sind alle bereits mit Eigentumsrechten ausgestattet, sie sind natürlich gleich, frei und mit Würde versehen. Sie seien in der Lage, durch vernunftmäßiges Einhalten der Gesetze der Natur einen erträglichen Zustand zu bewahren; dennoch könne dieser aus Mangel an einer anerkannten Rechtsprechung auch gewalttätig sein, da jeder das natürliche Recht habe, einen Angriff, den er für rechtswidrig hält, abzuwehren oder zu vergelten. Es scheidet sich die politische Wirklichkeit in ein Reich der Moral und ein Reich der Politik, was eine Kunst – eine Kultur – des Urteilens erzeugte. Der Naturzustand entwickelt sich nach John Locke durch die Einführung des Geldes von einer lockeren Gemeinschaft zu einer arbeitsteiligen Tauschwirtschaft, die die Ungleichheiten verschärft, sodass der Naturzustand in dieser zweiten Phase immer instabiler wird. Das verleitet die Individuen (besser: die Besitzenden), einen original compact zu schließen und damit der Gemeinschaft ihre natürlichen Rechte, insbesondere das Eigentumsrecht, sowie das Recht auf Selbstjustiz zu überantworten. Das entstehende civil government herrscht nicht unumschränkt und könne notfalls mit Gewalt – beispielsweise durch Bürgerkrieg – abgesetzt werden. Oberste Pflicht des Staates sei der Erhalt von Leben, Freiheit und Eigentum der Bürger, also das Vermeiden bzw. Begrenzen von Konflikten. Er postuliert das Eigentum als wesentliche Grundlage des Liberalismus. Eigentümer haben das Recht, ein Parlament zu wählen. Seine liberale Definition des Eigentums besagt, dass Reichtum unbegrenzt möglich sein solle, aber Armut aus Gründen der Stabilität des Gemeinwesens und des Naturrechts zu begrenzen sei.
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24. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716): Er gilt als Begründer des Perspektivismus, also einer Weltsicht, in der keine Wahrnehmung ohne bewusste Aufnahme existiert. Alles subjektive Erleben ist anders strukturiert als die objektiv beschreibbare Natur, sie wird aus einer konkreten Perspektive wahrgenommen. Der bewusste Standpunkt gegenüber Tatsachen stellt immer nur eine Auswahl, eine konkrete Perspektive des zu Erfassenden, dar. Diese Perspektive nennt er „Monade“ – heute würde man u. a. von einem „frame“ sprechen. Wirklichkeit ist kein physikalischer Erkenntnisprozess, sondern ein kognitiver. Fakten existieren nicht an sich, sondern aus konkreten Perspektiven, die es erlauben, sie zu erkennen. Er ist auch ein Wegbereiter dessen, was heute als Governance bezeichnet würde – vor allem hinsichtlich der Konzentration der Staatstätigkeit auf die Kernkompetenzen (Verteidigung und Ordnung, Bildung und Erziehung, Fürsorge). Er wurde wie kein anderer auch von den chinesischen Überlieferungen beeinflusst und brachte sie in die europäische Aufklärung ein; seine Wirkung auf die physiokratische Schule ist von besonderer Bedeutung, implementiert diese doch das WU WEI, wie bereits weiter oben berichtet: Es existiere eine natürliche, gottgewollte Ordnung, die das gesellschaftliche Zusammenleben auf der Grundlage vollkommener Freiheit garantieren soll und die der Herrscher garantieren müsse – darin erschöpfe sich seine Aufgabe. Die tatsächliche, positive Ordnung werde dadurch legitim, dass sie sich immer auf die natürliche Ordnung hinbewege. Zu nennen sind François Quesnay (1694–1774), der Leibarzt von Ludwig XV. und Madame Pompadour, der die volkswirtschaftliche Kreislaufanalyse aus dem Blutkreislauf ableitet, und Anne Robert Jacques Turgot (1727–1781), der mit einer Finanzreform das französische Königtum retten wollte und vor dessen Zerstörung durch Revolution warnte: Ohne Religion, also Bezugssystem, schwankten Menschen zwischen Unterdrückung und Revolte; Grenzen der Gewalt sei nur durch Gegengewalt aufzuzeigen. Die Physiokraten gehen von einer natürlichen, gottgewollten Ordnung aus Handeln Menschen vernünftig, so Leibniz, so ergäbe sich Harmonie als Einheit in Vielheit und alles habe seinen richtigen, von der göttlichen Vernunft vorgesehen Platz; insbesondere würde dadurch auch Konkurrenz eingedämmt und Liebe und Vertraulichkeit in der Gesellschaft herrschen, wie er in Sozietät und Wirtschaft (1671) ausführt. Er unterscheidet Tatsachenwahrheiten aufgrund von nachweislichen Wirkungen von Vernunftswahrheiten, die aus der Vernunft durch Abwägen zwischen Identität und Widerspruch zu bestimmen seien (Leibniz 1715). „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war – ausgenommen der Verstand selbst.“ Die in seinem Werk Versuch der Theodizee über die Güte Gottes, die Freiheit der Menschen und den Ursprung des Übels (1710) postulierte Freiheit, „in der besten aller Welten zu leben“, begründet für ihn ein offenes Menschenbild, in dem moralische Verwerflichkeit als Erkenntnisunfähigkeit zu interpretieren ist. Dieser Anspruch ist hochmodern, stellt er doch das gegenwärtige ökonomische System damit infrage. Denn tatsächlich leisten die Wirtschaftstheorie und insbesondere die
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Wirtschaftspolitik nicht den geforderten Beitrag, den Ursprung des Übels durch kluges Regierungshandeln aufzufangen – es geschieht eher das Gegenteil: Zentrale staatserhaltende Institutionen verlieren ihre Glaubhaftigkeit. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass er die Infinitesimalrechnung und den Binärcode entwickelt und damit die Digitalisierung vorbereitet hat. 25. Charles-Louis de Secondât, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689–1755): Seine Theorien von der Gewaltenteilung, veröffentlicht in dem Werk L’esprit des lois (1748), unterscheiden zwischen Exekutive, Legislative und Judikative als unabhängige Institutionen im Sinne von checks and balances, begründen den bürgerlich-konstitutionellen Staat und beeinflussten in hohem Maße die Amerikanische und die Französische Revolution. Zugleich zeigt er, wie stark institutionelle Strukturen von geographisch-klimatischen Gegebenheiten abhängen, und ist damit ein Vordenker der modernen ökonomischen und politischen Geographie. Im Konzept des doux commerce (Montesquieu 1748, S. 2) vertritt er die Auffassung, dass der Handel sanfte Sitten (commerce doux) erzeugt und damit Krieg verhindert – was im zweiten Kapitel im Kontext der Dominanzerwartungstheorie angesprochen wurde. 26. Voltaire (1694–1778): Er wurde unter dem Namen François-Marie Arout geboren und gilt als die Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts, die einer breiten Öffentlichkeit die Aufklärung nahegebracht hat, weil er in der Lage war, seine Gedanken gleichermaßen in Gedichte, Theaterstücke, anderweitige literarische Werke und auch in philosophische Schriften einzubauen. Eines seiner wichtigsten Zeugnisse ist die Schrift Traité sur la tolérance (1763), in der er darauf verweist, dass in einer Welt der Toleranz das Intolerante besonders schmerze, weshalb sich daraus neue Intoleranz ergäbe – beispielsweise das Vertreiben der dogmatischen Jesuiten aus China oder das mörderische Vertreiben der Hugenotten aus Frankreich. Der preußische König Friedrich II. bat ihn an seinen Hof, wo er den aufgeklärten Absolutismus und damit auch die Gedankenwelt von Immanuel Kant kennenlernte – diese freiheitliche und rechtsstaatliche Monarchie hielt er für die den Menschen angemessene Staatsform. Es ist besonders die Gleichheit der Bürger vor dem Recht, die er für die Menschen forderte, und er sprach somit der Kirche das Recht ab, staatliche Macht auszuüben. Deshalb forderte er die Trennung von Kirche und Staat und war der Wegbereiter für einen modernen Monotheismus. Er trat offen für den politischen Diskurs ein, weshalb ihm der Spruch in den Mund gelegt wurde: „Ich mißbillige deine Aussage, würde aber bis auf den Tod dein Recht verteidigen, sie zu äußern.“ 27. David Hume (1711–1776): Mit seinem Werk A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects, das er zwischen 1739 und 1740 verfasste, begründete David Hume nicht nur die analytische Philosophie sondern auch den Empirismus und den Skeptizismus. Seine Frage nach dem Ursprung der Ideen – im Unterschied zur Wahrnehmung – jenseits aller Metaphysik regten später Immanuel Kant zum Verfassen der Kritik der reinen
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Vernunft an, deren Ziel es sicher auch war (Roback 1970, S. 41), „die Welt vor der Verwüstung zu bewahren, die Humes Skeptizismus würde heraufbeschworen haben.“ David Hume bestreitet die Existenz eines freien Willens – alles bestehe aus Ursache und Wirkung – weshalb er auch das Konzept der Vernunft relativiert, weil sie keine Entscheidungen begründen könne. Es gäbe letztlich keine sichere Erkenntnis. Humes Gesetz besagt folglich, dass aus dem Sein kein Sollen abgeleitet werden kann. Er geht davon aus, dass die Ratio nicht auf Leidenschaften und Gefühlsregungen wirkt, denn Erkenntnis könne wahr oder falsch sein, Gefühle hingegen entziehen sich dem, können sich aber auf etwas richten, beispielsweise Vernunft bewirken. Wenn diese wiederum im Sinne eines moral sense auf moralischen Anschauungen beruhen, ergibt sich eine Werterückbindung. Damit nimmt er spätere Überlegungen der Existentialisten vorweg. Das Moralische des Handelns ergibt sich folglich aus der eigenen Verantwortung und aus der Anschauung Dritter, weshalb Konflikte, so sie diese Bedingungen erfüllen, moralisch zu rechtfertigen sind. Immer dann, wenn sich Eigeninteresse und Gemeinwohl als inkompatibel erweisen, degeneriert erstere aus der Außensicht zu unersättlicher Habgier und Ambition, ihr Träger wird zum Schurken – was an die Personalisierung der Schuldzuweisungen in der Finanzkrise 2008 erinnert, worauf Johannes Fioole (2016, S. 152) hinweist. 28. Jean-Jacques Rousseau (1712–1778): Auf der Grundlage der Ideen des Naturrechts, dass aus der Würde des Menschen sein Anspruch auf Freiheit und Gleichheit folge, leitet der aus Genf stammende Philosoph in seinem Hauptwerk contrat social (1762a) ab, dass Herrschaftsverhältnisse nur durch vertragliche Übereinkunft geschaffen werden dürften, wobei der Staat den Kollektivwillen repräsentiere. Der Mensch sei im Urzustand unabhängig und gegenüber anderen gleichgültig sowie ohne moralische Verpflichtung, es herrsche pure Eigenliebe (amour de soi), die zu Selbstsucht entarten könne (amour propre). Der Einzelne versuche, seine Bedürfnisse zu befriedigen, ohne andere zu stören. Bevölkerungszunahme und Naturkatastrophen brächten diese heile Welt immer stärker ins Wanken, sie drohe sich durch die Selbstsucht sowie das Auftreten von Arbeitsteilung und Eigentum in Richtung auf eine Situation Hobbesscher Prägung zu entwickeln, was den Wirtschaftskrieg faktisch umschreibt. Der Kampf aller gegen alle führe schließlich zu einem Staatsvertrag, bei dem alle durch einen Kollektivwillen, die volonté générale, verbunden sind, der nicht die einfache Addition von Einzelwillen, den volontés particulières, darstellt, sondern sich dadurch ergibt, dass sich beim Abstimmen gegensätzliche Auffassungen kompensieren. Der citoyen ist die Inkarnation dieser volonté générale. Für Jean-Jacques Rousseau führt Wissen nicht zu Besserung der Einsichten – ein scharfer Widerspruch zur Aufklärung. Auch haben Rechtschaffenheit und Moral nichts mit Wissen zu tun. Er propagiert eine Entfremdung des Menschen von der Natur und damit die existentielle Frage, wie der Mensch in der Zivilisation seine Unabhängigkeit bewahren kann. Er bietet einen politischen und einen
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pädagogischen Ausweg an – den aufgeklärten Staat oder das, was er in Émile ou de l‘éducation (1762b) niedergelegt hat. Während Jean-Jacques Rousseau in Frankreich verfolgt wurde, genoss er in Preußen und Russland hohe Anerkennung, übrigens ebenso wie sein Gegenspieler Voltaire. Denn hier verlangten zwei nach Aufklärung suchende konservative Mächte nach neuer Legitimierung, wie Frank-Lothar Kroll (2012) schreibt. Die Lehre von der Gleichheit wurde erst später zum Brandbeschleuniger der Französischen Revolution. Historisch beriefen sich vor allem Volksdemokratien auf Jean-Jacques Rousseau, aber auch der Faschismus wird als eine seiner posthumen Entlarvungen angesehen, wie Victor Klemperer (1995) in seinen Tagebüchern 1933–1945 mit dem Titel Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten schreibt. Gleichzeitig betont Rousseau (Mishra 2017, S. 32) eine „Kommerzgesellschaft“, eine „auf endloser Konkurrenz, Begierde und Eitelkeit basierende Gesellschaft deformiere eine wertvolle Eigenschaft des Menschen: seine schlichte Zufriedenheit und unbefangene Selbstliebe (amour de soi).“ Tatsächlich ist er ein Übergangsprophet zur agonalen Welt, denn er teilte weder den Entwicklungsoptimismus der Liberalen noch deren Vision einer offenen Gesellschaft – vor allem nicht die Idee individueller Würde. 29. Adam Smith (1723–1790): In seinem Hauptwerk An Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations (1776) formuliert Adam Smith eine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung und des wirtschaftlichen Wachstums auf Grundlage einer Trias von Ethik, Ökonomie und Politik als Ordnungsrahmen. Sie baut auf einem früheren Werk Theory of Moral Sentiments (1759) auf, in welchem der impartial spectator im Sinne eines Gewissens oder Überichs die moralische Qualität individueller Entscheidungen hinterfragt. Die Leistung von Adam Smith besteht in der Anpassung der Moralphilosophie an die Bedingungen einer modernen, arbeitsteiligen und hochkomplexen Wirtschaft, bei der das Gesamtergebnis nicht mehr durch individuelle Moral gesteuert werden kann, weshalb eine Ordnungsethik als Vorstufe für einen Ordnungsrahmen entscheidende Bedeutung gewinnt. Die unsichtbare Hand, die je einmal in beiden Werken benannt ist, ordnet das ökonomische Geschehen. Zur Entfaltung der menschlichen Produktivkräfte seien das Investieren von Kapital, eine freie Rechts- und Wirtschaftsordnung sowie eine über Märkte und Wettbewerb koordinierte Wirtschaft erforderlich: Von jedem Tausch profitierten beide Partner, sonst käme ein solcher nicht zustande; nicht durch Zwang, sondern dadurch, dass jeder seine eigenen Ziele verfolge und von einer „unsichtbaren Hand“ geführt ein Ziel erreiche, das er gar nicht angestrebt habe, fördere der egoistische Trieb zugleich die Interessen der Allgemeinheit. Allerdings sieht er deutlich, dass „niederträchtige Eifersucht“ (Smith 1776, S. 437) den an sich auf Frieden und Ausgleich ausgerichteten Handel zur „Quelle der Zwietracht und des Hasses“ werden lässt. Vor allem dann, wenn Leute desselben Gewerbes zusammenkämen, hätten sie für den Markt nichts Gutes im Sinn – sie würden versuchen, Preise zu erhöhen oder sich das Publikum zu verschwören.
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Der Gedanke der unsichtbaren Hand wird von Holger Afflerbach (2013, S. 9) in seinem Buch über die Kunst der Niederlage aufgegriffen, wenn er die Frage analysiert, ob es eine unsichtbare Hand des Kriegs gibt, die einem siegreichen Feldherren nahelegt, den Gegner nicht vollständig zu erniedrigen. Er schreibt (S. 9): „Es handelt sich also nicht um eine moralische Frage. Die mephistophelische Grundidee – die Kraft, die stets das Böse will und das Gute schafft – kann auch auf das Aufhören im Kriege übertragen werden: […] Egoistische und eigensüchtige Motive … verhindern im Normalfall, dass es zum Äußersten kommt.“ Und falls diese unsichtbare Hand nicht wirksam wird, sind die Ursachen ähnlich: „[…] es geschieht durch Monopolbildung […], wenn der Sieger so überlegen ist, dass er auf den Besiegten keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht […].“ 30. Immanuel Kant (1724–1804): Für ihn ist das moralische Handeln grundsätzlich mit dem guten Willen verbunden, der allein durch das Wollen gut wird. Der gute Wille wiederum ist mit der Vorstellung einer inneren Pflicht verbunden, eines Handelns aus eigener Begründung, nicht einem pflichtgemäßen, also einem intentionalen Handeln, denn allein der gute Wille ist gut. Wenn Immanuel Kant folglich postulierte, dass der Wille des Menschen durch das „moralische Gesetz“ bestimmt werde und in eine reine praktische Vernunft münde, so meint er, dass dieser durch die Anatomie des Willens zum Gesetz wird. Das moralische Gesetz als Ausdruck einer kategorisch gebietenden Vernunft stellt die ethische Grundausstattung des Menschen dar, die er a priori besitzt, ohne jegliche Eigenerfahrungen gesammelt zu haben. Sie verwirkliche in der realen Welt den Begriff der Freiheit. Als sittlichen Grundsatz antwortete Immanuel Kant (1785) in der Kritik der reinen Vernunft auf die Frage „Was soll ich tun?“: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“,16 was als kategorischer Imperativ bezeichnet wird. Dabei wird nicht der Wille selbst angesprochen, sondern die Maxime, also der allgemeine Handlungsgrundsatz. Aus diesem lässt sich das humane Handeln nicht unmittelbar ableiten. In seinem praktischen Imperativ mahnt er intentional, den Menschen nicht nur als Mittel sondern auch als Zweck zu sehen, weil sich deontische Prinzipien nicht aus einem Nutzenkalkül, wie es die Utilitaristen tun, herleiten lassen.17 Denn der Mensch dürfe niemals Autoritäten blind gehorchen, selbst wenn es sich um Gott handele, denn jeder Mensch könne sich dann seinen eigenen Gott machen, dem er gehorche. Damit verortet er klar die individuelle Verantwortung und Haftung für eigenes Handeln (Kant 1790): „Man darf sich bei Vergehungen gegen die Redlich-
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sogenannte Goldene Regel „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füge keinem anderen zu“ ist weniger strikt, weil es sich nur auf das eigene Selbst bezieht, der kategorische Imperativ aber eine Verallgemeinerung verlangt. 17Überspitzt ließe sich ansonsten sagen: Jede Idee ist daran messbar – wieviel Blut hat sie gekostet bzw. kostet sie?
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keit niemals auf die Schwäche der menschlichen Natur berufen; denn in der Redlichkeit kann man vollkommen sein.“ Folgerichtig entwerten sich gute Handlungen aus ökonomischen Überlegungen in der Hoffnung auf spätere Gewinne moralisch selbst. Die Bedeutung Kants als großer Aufklärer ist für den Anspruch der Gesellschaft auf Rationalität, insbesondere Vernunft nicht zu unterschätzen. „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel an Verstand, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ Dies ist das genaue Gegenteil dessen, was als Sachzwang (Schelsky 1961) oder postdemokratische Alternativlosigkeit (Crouch 2004) in der Moderne postuliert wird. Für Immanuel Kant ist der gerechte Staat eine Republik, die auf der Grundlage der Gleichheit der Staatsbürger aufbaut, ohne dem einzelnen vorzuschreiben, auf eine bestimmte Art glücklich zu sein; gegen diesen a priori gerechten Staat habe das Individuum aber nur ein begrenztes Widerstandsrecht. Legitimität gewinne dieser Staat durch den Bezug auf das Sittengesetz als abstraktes Prinzip, das durch die moralischen Gefühle der Menschen gefüllt werde, was auch eine moralische Evolution erlaube. Damit werde der Staat zur moralischen Instanz. In seinem letzten Werk Zum ewigen Frieden (1795), das die UN-Charta stark beeinflusste, führt er aus, dass kein Staat das Recht habe, sich in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen, selbst wenn dieser mit einer „inneren Krankheit“ ringe. Denn würde so etwas erstmalig geschehen, dann wäre es um die Autonomie aller Staaten geschehen und ein höheres Rechtsgut verletzt.18 Wichtige Bedingung für den ewigen Frieden sind drei Definitivartikel, die auch Kantsches Dreieck genannt werden: 1. Eine bürgerliche Verfassung, die republikanisch sein soll. Dabei unterscheidet er zwischen Herrschafts- und Regierungsform. Die forma imperii kann durch einen, durch viele oder alle ausgeübt werden, die forma regiminis republikanisch oder despotisch organisiert sein, je nachdem, ob die Judikative getrennt oder vereint ist. 2. Ein Völkerrecht, das auf einem Föderalismus freier Staaten aufbaut und die Freiheit der einzelnen Staaten sichert. 3. Ein Weltbürgerrecht mit eingeschränkter allgemeiner Hospitalität. Diese berechtigt zu einem Besuch, nicht aber zur willkürlichen Niederlassung. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatte erhebliche Bedenken gegen einen ewigen Frieden. In den Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) führt er aus, dass damit ein Abschlaffen der Gesellschaft einhergehen könne; das wird später noch vertieft.
18Immanuel Kant kam der Titel zu der Schrift, als er an einem Gasthaus „Zum ewigen Frieden“ vorbeikam, dessen Schild einen Friedhof zeigte (Dombrowski 2015).
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31. Johann Gottlieb Fichte (1762–1814): Er gilt als Begründer des deutschen Idealismus und Subjektivismus und war ein großer Verehrer Immanuel Kants. Er schuf in wenigen Jahren ein Werk, das stark von den Umwälzungen durch die Revolutionen und Kriege der damaligen Zeit geprägt war. Für ihn steht der Mensch als Prinzip im Mittelpunkt der Schöpfung. Die Gesellschaft erzeuge Rechtsverhältnisse dadurch, dass das Individuum zu allen anderen in einem Anerkennungsverhältnis stehen muss. Das individuelle Recht auf Leben und Unversehrtheit sei die Folge derartiger institutioneller Arrangements. Menschen seien befugt, einen rechts- und gesetzeslosen Zustand zu verlassen, und ein neues Gemeinwesen zu begründen. Analoges gilt für Staaten, sodass sich für beide eine naturrechtliche Begründung ergibt. Wird diese verweigert, so entstehe ein Recht auf Krieg. Da dieser aber institutionelle Gegner braucht, werde der Zwang zur Konstitutionalisierung für rechtens erachtet. Wenn das Leben bereits für den unerleuchteten Menschen als höchstes Gut angesehen werde, gleichsam sein letzter Zweck sei, und um dieses zu sichern, Eigentumsrechte erforderlich sind, dann bedürfe es eines ordnenden Staates. Krieg als Lebens- und Eigentumsvernichtung sei in diesem Sinne bedrohlich und müsse aus moralischen Gründen so kurz und so schmerzlos wie möglich ausgefochten werden. An dieser Stelle gewinnt für ein kriegerisches Engagement ein einziges Argument Tragfähigkeit: nämlich die Erhaltung und die Wiedergewinnung von Freiheit. 32. Jean-Baptiste Say (1767–1832): Die später von Ricardo und Mill weiterentwickelten Vorstellungen vom allgemeinen Gleichgewicht der Wirtschaft werden von dem französischen Ökonomen Say formuliert, der in seinem Werk Traité d'Économie Politique (1803) das Gesetz von der Erhaltung der Kaufkraft bzw. die Theorie der Absatzwege postuliert: Güter werden im Endeffekt mit Gütern bezahlt; Geld wirkt damit nur wie ein Schleier, was zählt, sind die relativen Preise, die im realen Sektor der Wirtschaft bestimmt werden. Eine generelle Überproduktion sei damit nicht möglich. Eine partielle Überproduktion impliziere eine Unterproduktion auf anderen Märkten, d. h. verstopfte Absatzwege. Da Geld kein Wertaufbewahrungsmittel sei, könne es keine monetäre Überschussnachfrage und somit auch kein Überschussangebot an Gütern geben. Die Produktion, so Say, nicht die Konsumfähigkeit, begrenze die Zufriedenstellung menschlicher Bedürfnisse, die unersättlich sind. Eine gute Regierung fördere demzufolge die Produktion, eine schlechte den Konsum. Ökonomische Krisen sind damit die Folge von Regierungshandeln, das in den Lauf der Märkte eingreift. Viele Vorstellungen von Deregulierung, auch die, die mit der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 in Verbindung gebracht werden, finden ihre inneren Begründungen in den Vorstellungen von Say. Insbesondere gilt das für die freien Kapitalmärkte, weil Kapital als wesentlicher Treiber der ökonomischen Entwicklung gilt. 33. David Ricardo (1772–1832): Er begründet die Lehre von der Einkommensverteilung, den Steuern, den Differentialrenten und der internationalen Arbeitsteilung und wird mit dem Erscheinen der Principles of Political Economy and Taxation (1817) zum führenden Wirtschaftswissenschaftler seiner Zeit. Er postuliert, dass in
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allen Ländern und zu allen Zeiten der Gewinn von der Arbeitsmenge abhänge, die auf dem Land eingesetzt oder mit Kapital kombiniert werde. Daraus folge eine Verteilung des Einkommens als Lohn, Grundrente und Profit. Die Arbeitsmenge werde der Höhe nach so bestimmt, dass die hieraus erzielte Entlohnung den Lebensunterhalt der Arbeiter gewährleiste. Der natürliche Wert aller reproduzierbaren Güter gehe ausschließlich auf den eingebrachten realen Arbeitsaufwand zurück. Zu seinen wichtigsten Erkenntnissen zählen Aussagen zur Entlohnung, zum Handel und zu Steuern. Dauerhafte Überrenditen, so erkennt er, seien in Märkten mit begrenztem Zugang, beispielsweise durch Zölle und Transportkosten, möglich. In der Theorie der Differentialrente zeigt er das am Beispiel der Landwirtschaft. Stellt man eine Wertigkeit der Böden nach aufsteigender Fruchtbarkeit her19, so besagt die Theorie, dass auf den Böden so lange Früchte angebaut werden, wie sich die Kultivierung der zuletzt hinzugenommenen Fläche noch durch den Verkauf der Ernte rentiert, die dann als Grenzertragsboden bezeichnet wird. Wenn nun die Preise steigen und keine Nachbeschaffung zu den gegebenen Preisen, beispielsweise über Importe, möglich ist, könne auch ein schlechterer, bisher nicht kultivierter Boden, bewirtschaftet werden, weil die erhöhten Kosten durch die gestiegenen Preise gedeckt seien. Für alle übrigen Böden seien die Kosten aber nicht gestiegen, dort entstehe ein leistungsloser Zusatzgewinn, die Differentialrente. Seitdem werden Einkommensbezieher, die Einkommen ohne (sichtbare) Leistung erhalten, als Rentiers, und das nicht durch Leistung gerechtfertigte Einkommen auch als Rente bezeichnet. Weiterhin begründet David Ricardo die Theorie der komparativen Kosten- und Standortvorteile, deren zentrale Aussage darin besteht, dass Handel nicht nur bei absoluten, sondern auch bei relativen Kostenvorteilen günstig sei und belegt das an einem Handelsabkommen zwischen England und Portugal des Jahres 1703: – Zur Erfüllung des Tauschabkommens benötigt England die jährliche Arbeitskraft von 100 Arbeitern zur Herstellung des nach Portugal zu exportierenden Tuchs; ohne Vertrag wären 120 Arbeiter nötig, die aus Portugal importierte Weinmenge selbst herzustellen. – Zur Erfüllung des Tauschabkommens benötigt Portugal die jährliche Arbeitskraft von 80 Arbeitern zur Herstellung der nach England zu exportierenden Weinmenge; ohne diesen Vertrag wären 90 Arbeiter nötig, die aus England importierte Tuchmenge herzustellen.
19Für die Bodenwertigkeit interessierten sich auch die Steuerbehörden, weshalb im Oktober 1934 in Deutschland ein „Gesetz über die Schätzung des Kulturbodens in Deutschland“ erlassen wurde. Für Grünland und Ackerland wurde die Fruchtbarkeit skaliert und dann für Nachteile der Bewirtschaftung, z. B. Hanglage, Korrekturen durchgeführt. Berühmt sind die für das Reichsgebiet als Referenz (Bodenwert = 100) verwendeten Schwarzerdeböden der Magdeburger Börde, die aus damaliger Sicht das Optimum darstellten.
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Obwohl Portugal den Engländern bei der Produktion beider Güter absolut überlegen ist, gereicht der Tausch dennoch beiden zum Vorteil: – Die Engländer sparen den Einsatz von 20 Arbeitskräften ein, die sie anderweitig beschäftigen können – es entsteht mithin ein volkswirtschaftlicher Gewinn in Höhe der Produktionsleistung von 20 Arbeitern. – Der volkswirtschaftliche Gewinn Portugals liegt analog in der Leistung von 10 eingesparten Arbeitern. Die liberale Handelstheorie geht von der Gültigkeit dieser Gesetzmäßigkeiten aus. Demzufolge gibt es keine schlechten Standorte, sondern nur an die Standortbedingungen unangepasste Wirtschaftsstrukturen. Ökonomische Konflikte sind für sie (vermeidbare) Störungen des Kooperationssystems. Von Sonderinteressen der Länder wird ebenso abgesehen wie von antagonistischen Wirtschaftsgesinnungen bzw. -philosophien, die einen ökonomischen Nationalismus begründen. Ebenso werden Marktunvollkommenheiten und Marktmacht ausgeblendet, die erst in der Neuen Außenhandelstheorie berücksichtigt werden. Sie geht historisch auf die Arbeit von Friedrich List (1841) zurück und wurde von Paul Krugman (1990) stringent formuliert. Von besonderer Relevanz ist aus heutiger Sicht auch seine Steuerlehre, die unter dem Begriff Ricardianische Äquivalenz bekannt ist. Tatsächlich seien Steuern und Schulden dann identisch, wenn dauerhaft keine Rückzahlung erfolge – und wenn sie geschehe, dann seien erhöhte Steuern nötig. Das steht in krassem Gegensatz zu dem, was später John Maynard Keynes verkündete. 34. Friedrich List (1789–1846): Er befasst sich in seinem Hauptwerk Das nationale System der politischen Ökonomie (1841) mit Problemstellungen, die man aus moderner Sicht mit dem Titel Das nationale System der Technologiestrategien belegen würde, und begründet die Institutionenlehre. In vielen seiner Argumente erscheint er als Merkantilist, wenn er ausführlich nationale technologische Aufholstrategien untersucht, mit denen er den Rückstand Deutschlands gegenüber England überwinden will. Auf der anderen Seite sieht er in stabilen Kooperationsformen wesentliche Treiber des langfristigen Wachstums. Wie Eugen Wendler (2017, S. 393–394) in seinem Beitrag Was kann die heutige Wirtschaftswissenschaft von Friedrich List lernen? verdeutlicht, erkennt er, dass ein Handel auf Basis komparativer Vorteile Wirtschaftszweige zerstören und Handelszerwürfnisse befördern könne. Im Einzelnen nennt Friedrich List folgende wichtige Elemente einer nationalen Aufbaustrategie: – Die Bedeutung des Humankapitals, besonders einer differenzierten Qualifikationsstruktur, und die Notwendigkeit einer intensiven Ausbildung; hier steht er im Gegensatz zur Klassik, die derartige Aktivitäten als unproduktiv begreift. – Die Notwendigkeit, die besten verfügbaren Technologien zu importieren.
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– Die Integration von Humankapital und investiertem Kapital; er weist darauf hin, dass die Fähigkeit, Wohlstand zu erzeugen, wichtiger als der Wohlstand selbst und die Ausbildung am Arbeitsplatz von zentraler Bedeutung für die Entwicklung sei. – Die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes für die Entwicklung der Wirtschaft; er betont, dass Landwirtschaft und Dienstleistungen für ihre eigene Entwicklung hierauf angewiesen seien. – Die Bedeutung eines Ordnungs- und Institutionenrahmens; nur hierdurch sei eine konstante nationale Wirtschaftspolitik zu gewährleisten. Zugleich wirke diese transaktionskostensenkend. – Die Notwendigkeit, Schutzzölle für aufstrebende Branchen zu gewähren; ausgiebig diskutiert er die Probleme des Freihandels und befürwortet „Erziehungszölle“ (Entwicklungszölle), um „minder vorgerückte“ Volkswirtschaften vor billigen Importen zu schützen und zu entwickeln sowie eine außenwirtschaftliche Balance herzustellen, um schwere Handelskrisen zu verhindern. Eugen Wendler (2018) destilliert aus dem Werk von Friedrich List sieben Todsünden der Ökonomie heraus, die als wirtschaftskriegerische Elemente in diesem Buch, vor allem in den Beispielen, immer wieder aufscheinen: Bestechung und Korruption, Körperliche Schwerstarbeit, Ausbeutung von Arbeitnehmern durch Fabrikanten, Sklaven- und Drogenhandel, Habgier und Spekulationssucht, Naturund Umweltzerstörung, Nationale Hybris und Egoismus. Friedrich List gilt auch als Begründer des Konzepts der Großraumwirtschaft, der alleinig eine unabhängige nationale Existenz zukäme und die einen gewissen Grad von Autarkie infolge territorialer Abrundung habe. Diese wurde später von Friedrich Naumann (1860–1919) in seiner Schrift Mitteleuropa (1915) weiterentwickelt und gab u.a. der Kolonialherrschaft („Platz an der Sonne“) in Wilhelminischer Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sowie der späteren Expansion Deutschlands in Richtung Osten im Zweiten Weltkrieg („Volk ohne Raum“) eine ökonomische Grundlage. In dem gleichnamigen Buch von Hans Grimm (1933) wurde in romanhafter Form eine ideologische Vorlage für die nationalsozialistische Ideologie geliefert. Friedrich List war der Gedanke nicht fern, durch ökonomische Beziehungen politische Einigungsprozesse voranzutreiben. Aufgabe des Staates sei es, seinen Mitgliedern die höchstmögliche individuelle Wohlfahrt zu ermöglichen. In der Suche nach einem Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus näherte er sich stark dem heutigen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft an (Wendler 2018a). Im Gegensatz zur klassischen Schule betont er hierbei, dass die Individuen den größten Teil ihrer produktiven Kraft aus gesellschaftlichen Institutionen und nicht aus der Konkurrenz beziehen, und leitet daraus umfassende Aufgaben des Staates in der Wirtschaft ab. Im Bereich des Währungswesens ist er ein Anhänger des Papiergeldes, das durch die Produktivität der Wirtschaft gedeckt wird (z. B. durch Eisenbahnanlagen), und erkennt – ganz im Sinne der modernen Theorie – die Möglichkeit einer Konkurrenz um das bessere Geld.
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Derartige Ideen waren in den Vorstellungen der Überlegenheit der europäischen Kultur angelegt, wie auch Dieter Langenwiesche (2019, S. 361–400) in Der gewaltsame Lehrer im Kontext des europäischen und amerikanischen Imperialismus ausführt; insbesondere in den späten Phasen des Kolonialismus nahm die militärische Brutalität zum Durchsetzen nationaler Interessen zu: Deutschland in Namibia, die USA gegenüber den indigenen Völkern Nordamerikas und der Philippinen, Belgien im Kongo und England gegen die Buren20 im heutigen Südafrika; letztere waren holländische, deutsche und französische Siedler aus dem 17. und 18. Jahrhundert der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), die sich im damals weitgehend unbesiedelten Kapgebiet angesiedelt hatten und nun verdrängt wurden. Schließlich führte Italien Ausrottungskriege gegen Äthiopien und später Libyen. Man kann diese Kolonialisierungen als genozidalen Wirtschaftskrieg bezeichnen. An großräumigen und globalisierten Ländern bzw. Wirtschaftszonen lässt sich zeigen, dass der Staat eine umso bedeutendere Rolle spielt, je größer die Offenheit ist. Anscheinend existiert eine gleichzeitige Präferenz für Globalisierung und staatliche Globalisierungsversicherung. Nur so können die Globalisierungsverlierer kompensiert werden, wodurch sich eine Abstimmung an der Urne zugunsten von Abschottung verhindern lässt. Der Sachverhalt wird später unter dem Stichwort Globalisierungsparadoxon noch einmal aufgegriffen.
5.2.4 Die ökonomischen Aufklärer: Erklärer der Moderne und des Wohlstands Bereits durch Adam Smith wurde die Moderne philosophisch und ökonomisch durch seine beiden Hauptwerke eingeführt. Tatsächlich entwickelte sich das 19. Jahrhundert zu einer Quelle ökonomischer Erkenntnis: 35. Charles Alexis Henri Maurice Clérel de Tocqueville (1805–1859): Er gilt als Begründer der vergleichenden Politikwissenschaften und untersucht in seinem Hauptwerk über die Demokratie in Amerika (1835, 1840) die Bedingungen der Konstitutionalisierung des demokratischen Systems, das er infolge der Lebensund Gestaltungsansprüche der Menschen als unausweichlich ansah und damit aber ständig die Freiheitsrechte herausfordere. Die einzige Alternative zur Demokratie läge unter den geistigen und sozialen Bedingungen der Moderne in der Despotie. Dabei sah er, dass eine sich aus der Demokratie entwickelnde Despotie die Entwürdigung des Menschen ohne die klassischen Verfahren von physischer
20Ein wichtiger Grund Englands für den Burenkrieg (1899–1902) lag auch im Zugriff auf die südafrikanischen Goldminen (Engdahl 2009, S. 58–59).
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Unterwerfung erreichen würde – vielmehr würde sie die Institutionen aushöhlen und die Menschheit „im Zustand der Kindheit“ festhalten. Vor allem machtvolle, zentralistische Institutionen bergen die Gefahr der Entwicklung zu einer illiberalen Demokratie. Der Staat werde zum Ort des Amüsements gefügiger Wähler, auch befördert durch eine Mehrheit, welche die Träger abweichender Meinungen ächtet und diskreditiert. Daher seien vor allem dezentral organisierte Intermediäre zwischen Staat und Bevölkerung wichtig. Er erkannte die Macht, die die Wirtschaft auf die Politik ausübt, und postulierte damit bereits ein Jahrzehnt vor Friedrich Engels und Karl Marx die der kapitalistischen Ordnung innewohnende Kraft der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter das Primat des Markts. Schließlich verdeutlichte er in seinem späteren dreibändigen Werk über die Zeit der Französischen Revolution, das Ancien Régime und die Revolution (1856), wie schnell der Versuch, eine Revolution durch Reformen zu vermeiden, den Umsturzwillen beschleunigt; das wird auch als Tocqueville-Effekt bezeichnet. Gleichermaßen erhöhen die Liberalisierungseffekte die Sensibilität für Unzulänglichkeiten, weshalb der Druck auf die politische Führung weiter zunimmt. Der große konservative Staatstheoretiker Edmund Burke (1729–1797) argumentierte bereits früher, dass Verfassungen als organische Gebilde evolutorisch weiterzuentwickeln sind, um revolutionäre Umstürze zu vermeiden, weshalb er beispielsweise die kolonialen Emanzipationsbestrebungen Nordamerikas unterstützte – ebenso wie de Tocqueville. Bereits früher argumentierte Guillaume Thomas François Raynal (1713–1796), auch Abbé Raynal genannt in seinem damaligen Bestseller Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes (1770), es gäbe einen Nutzen der Revolution als Kontrast zur Versklavung, und er positionierte die neue Welt als Land der Unschuld, die von Europa mit Tyrannis und Ausblutungssteuern überzogen würde. Nicht umsonst unterstützte er – wie viele Aristokraten Frankreichs, die amerikanische Unabhängigkeit als neues Kooperationssystem. 3 6. John Stuart Mill (1806–1873): Zu seinen wesentlichen Beiträgen in den Principles of Political Economy (1848) und dem liberalen Opus On Liberty (1859a) gehören die Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten von Produktion und Einkommensverteilung: Während die Produktion nicht vom Menschen durch technische und naturwissenschaftliche Gesetze beeinflusst werden könne („physikalische Wahrheiten“), habe er Macht über die Verteilung des Einkommens, sodass die vorhandene Einkommensverteilung veränderbar sei – sie beziehen sich auf „geistige Phänomene“. In diesen Änderungen sah er eine Chance, den Übergang der Wirtschaft in einen stationären Zustand aufgrund fallender Gewinnraten zu vermeiden. Die Stagnation hielt er zwar für wünschenswert, aber für instabil, weil Spekulanten versuchen würden, mit risikoreichen Investitionen eine erhöhte Gewinnrate zu erreichen. Damit erklärt er bereits wesentliche Triebkräfte des Wirtschaftskriegs, vor allem die spezielle Form der Zombifizierung der Wirtschaft, bei der „untote“ Unternehmen gesunde Unternehmen zerstören.
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Handel war für ihn etwas Friedensschaffendes (Mill 1848, S. 143), „weil er die persönlichen Interessen stärkt, die zu ihm in natürlichem Gegensatz stehen.“ Ganz im Gegensatz zur späteren merkantilistischen Theorie, die den Handelspartner als Feind sieht, entwickelten sich hier gleichgerichtete Interessen am gegenseitigen Wohlergehen; er ist damit einer der ersten Protagonisten einer Interdependenz von ökonomischem und politischem System. Dem Staat sprach John Stuart Mill vor allem ordnungspolitische Funktionen zu, um die individuellen Freiheitsrechte zu gewährleisten. Eine Person besitze ethischen Wert, weil sie Nutzen empfinden könne. Damit gewinnt die Lehre von der Nützlichkeit Bedeutung. In der Tat sieht der Utilitarismus das Ziel moralischen Handelns in der Vermeidung von Leid und der Mehrung von Wohlgefühl, was aber nicht gleichzusetzen ist mit einem Bejahen egomanischen und egoistischen (Wirtschafts-) Handelns. Hier bezieht er sich auf Cicero im Sinne einer Lebensvorstellung, die über eine einfache Sinnlichkeit hinausgeht, weshalb er als „säkularen Kompromiss zwischen Hellenismus und Christentum“(Forschner 2016) das Glück von der Zufriedenheit unterscheidet. Dem Staat komme die Aufgabe zu, das Gesellschaftssystem so auszugestalten, dass die Wohlfahrt aller Bürger maximiert werde, wobei Glück für einzelne auch durch edelmütiges, altruistisches Verhalten entsteht. Im Extremfall werde nicht, wie bei Immanuel Kant, das Brechen mit den eigenen Neigungen und Triebe erwartet; vielmehr glaubt er an die Fähigkeit zur Selbstkorrektur, der Vernunftsansprüche auf das, was der Mensch im Sinne der Stoiker zu leisten vermag. Hierdurch werde das Nützliche moralisch. Diese Vorstellung wurde auch von dem Ökonomen Jeremy Bentham (1748–1822) begründet. Er schreibt in seiner Introduction into the Principles of Morals and Legislation (1789), es sei das Ziel eines Gemeinwesens, „das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl“ zu verwirklichen. Das bedeutet auch, dass Abschreckung, beispielsweise gegenüber Kriminellen, und damit auch Strafe, so zu organisieren sind, dass künftiges Leid glaubhaft vermieden wird. Damit wird auch staatliche Gewalt gerechtfertigt. Die weiter oben bereits angesprochenen Opfer als wesentliche Kraft der Zusammenführung des Staats finden bei ihm ihre ökonomische Ausgestaltung: Er fordert, das staatliche Steuersystem so zu gestalten, dass Steuerschuldner die gleichen Opfer zu erbringen hätten und begründete damit die steuerlichen Opfertheorien. John Stuart Mill befasste sich auch mit der moralischen Seite von Konflikten. In seinem Werk A Few Words on Non-Intervention (1859b) thematisiert er angesichts der Bauarbeiten am Suezkanal (1859–1869) das, was heute als humanitäre Intervention bezeichnet wird und sich auf die Grundsätze einer internationalen Moral berufen kann. Der Bau trug durchaus wirtschaftskriegerische Züge, versuchte doch Frankreich, damit den englischen Handel mit Indien zu stören. 37. Augustin Cournot (1801–1877): Er begründet die moderne Monopol- und Duopoltheorie mit seiner Schrift Recherches sur les principes mathématiques de la théorie des richesses (1838); zugleich gilt er als Vater der mathematischen Wirtschaftstheorie durch seine Analyse von Vorgängen in der Wirtschaft auf der Basis
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des Marginalkalküls und des Zufallsprinzips. Er zeigt, dass eine Konzentration auf der Angebotsseite, verglichen mit einer Versorgung durch viele Anbieter in einem Polypol, zu zusätzlichen volkswirtschaftlichen Kosten führt. Staatliche Monopolleistungen können sich selbst finanzieren, indem den Nutzern Steuern auferlegt würden, die ihrer Höhe nach dem Vorteil, den sie aus diesen Maßnahmen erzielen, entsprächen. Die Sicherung von Handelswegen, insbesondere die Passagekosten für Meerengen und Kanäle oder die Mauten auf Straßen folgen dieser Methodik und eröffnen damit Begehrlichkeiten und Konfliktpotentiale. 38. Gustav von Schmoller (1838–1917): Er ist einer der wichtigsten Väter einer werterückgebundenen und der praktischen Wirtschaftspolitik dienenden ökonomischen Lehre. Die Nationalökonomie als Sozialwissenschaft hatte für ihn die Aufgabe, einen Weg zwischen dem Manchesterkapitalismus und dem Sozialismus/ Kommunismus zu finden. Ökonomen müssen daher sowohl gesellschaftlich als auch politisch Position beziehen. Er war damit auch prägend für die wirtschaftliche Entwicklung im 1871 neugegründeten Deutschen Reich. Der Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft bzw. der individuellen Nutzenorientierung und des methodologischen Individualismus einerseits und einer kulturell gefassten Ökonomik andererseits eskalierte im sogenannten Methodenstreit, der erst durch die Abgrenzung der Österreichischen Schule der Nationalökonomie verdeutlicht wurde. Dabei war der „Jüngeren historischen Schule“ der Nationalökonomie, die Gustav von Schmoller vertrat, das normativ und theoretisch geleitete Vorgehen nicht fremd; vielmehr war er der Meinung, dass das menschliche Handeln gegenüber den Rahmenbedingungen nicht invariant sei, es damit also keine allgemeingültigen Gesetze gäbe, es zu fassen – eine Auffassung, die zur Vermeidung wirtschaftskriegerischer Folgen von als helfend gemeinten Interventionen vor allem internationale Organisationen reflektieren sollten. Damit griff er auch die Frage nach der Zukunft des Menschen auf, die bereits von Friedrich Nietzsche und Max Weber thematisiert worden waren – letztere beide sahen den künftigen Fachidioten und Genussmenschen als zivilisatorische Bedrohung. Er gilt als einer der Vorväter der Sozialen Marktwirtschaft. Seine Werttheorie menschlicher Bedürfnisse, niedergelegt in dem Werk über Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre (Schmoller 1900/1904), führte auch dazu, dass er sich für die psychologische Ökonomie und das, was sich heute zur Neuroökonomik entwickelt hat, interessierte. Der Preis war für ihn ein von den Kosten unabhängiger Güterpreis, was zu einem Konflikt mit Léon Walras (1834– 1910) führte. 39. Eugen von Böhm-Bawerk (1851–1914), eigentlich Eugen Böhm Ritter von Bawerk: Er gilt als der Begründer der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, der das Verdienst zukommt, das Wesen des Kapitals und des Zinses in moderner Form herausgearbeitet zu haben und dabei zu zeigen, dass das Erheben von Zinsen grundsätzlich nicht einer ausbeuterischen Wirtschaftsgesinnung folgt, sondern vielmehr als ein intertemporaler Tausch angesehen werden kann. In seinem
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Hauptwerk Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorie (1884) führt er aus, dass der Zins dadurch entstehe, dass die eine Partei über Kapital verfüge, es aber erst in der Zukunft zu nutzen gedenke, und eine andere Partei die beabsichtigte Nutzung des Kapitals von der Zukunft in die Gegenwart vorverlagern möchte. Beide können diese unterschiedlichen Interessenlagen tauschen und beide haben einen Vorteil davon. Der Zins ist der intertemporale Gegenwert dieses Tausches, er ermöglicht es einem Unternehmer, durch Produktionsumwege seine Gewinne zu erhöhen. Aus seiner Sicht sind Exportüberschüsse nicht zwingend positiv zu bewerten, wie es der Merkantilismus tat, sondern können auch auf eine fehlende Investitionsneigung im Inland zurückgehen. Damit verweist er auf Basis seiner sehr kooperationsorientierten Theorie auf Konfliktfelder infolge starker ökonomischer Divergenzen, die seit Einführung des Euro in der Europäischen Union von Bedeutung sind und später als Beispiel wirtschaftskriegerischen Handelns angeschnitten werden. 40. Karl Menger (1840–1921): Er gilt als weiterer Begründer der Österreichischen Schule der Nationalökonomik und der Grenznutzenschule, deren Fundamente er in seiner Habilitationsschrift: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (1871) darstellte. Die Aussage, die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert sei irrelevant, weil der Wert eines Guts nur aufgrund subjektiver Einschätzungen abgeleitet werden könne, brachte ihn nicht nur in Konflikt mit der Vorstellung der marxistischen Schule, sondern auch der historischen Schule um Gustav von Schmoller. Diesem warf er analytische und logische Unschärfe vor und begründete damit den Methodenstreit. Denn seine theoriegestützte Vorgehensweise stellte ihn vor die Frage, wie Erkenntnis überhaupt entstehe. Dabei wurde im Induktionsproblem deutlich, dass die Ableitung einer Theorie aus vielen Einzelbeobachtungen Ungenauigkeiten ausweist, die seinem Drang nach analytischer Exaktheit widersprach. 41. Max Weber (1864–1920): Er zählt zu den größten Denkern der deutschen Geistesgeschichte und hat sich Zeit seines Lebens mit drei großen Fragen befasst: Wie ist die abendländische Gesellschaft und insbesondere in ihr der moderne Kapitalismus entstanden – und weshalb wurde Europa begünstigt? Wie lässt sich das Konzept der Wertefreiheit, das in den Naturwissenschaften selbstverständlich ist, auf die Geisteswissenschaften, insbesondere auf die Sozialwissenschaften, übertragen und welche Folgen hat dies? Als dritte Frage hat er schließlich geprüft, welche Qualitäten Religionsstifter, Kaiser und Könige, Feldherren, aber auch Revolutionäre und aus heutiger Sicht Wirtschaftsführer und Investmentbanker haben müssen, um erfolgreich zu sein und Menschen hinter sich zu scharen? Dabei definiert er den Begriff der Herrschaft als „Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.“ Hieraus leiten sich drei Typen der Herrschaft ab: die legale, die auf der rechtmäßigen Ordnung beruht, die traditionale, die auf historischer Legitimität und Autorität aufbaut, und die charismatische, die sich auf hergebrachte Transzendenz, authentische Ausstrahlung und Vorbild stützt. Erfolgreiche Organisationen benötigen eine spezielle Aura in der Führung, die Max Weber
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im Typus des „charismatischen Herrschers“ identifizierte. Niedergelegt ist dies in Politik als Beruf (1919), wie seine berühmte Vorlesung in Freiburg heißt. Sie soll auch verdeutlichen, dass es einer Berufung zum Politiker bedarf – nicht der moderne Berufspolitiker steht im Fokus. Politiker sollen einerseits verantwortungsethisch handeln, diese Pflicht aber mit gesinnungsethischen Positionen harmonisieren. Max Weber (1904/1905) sieht in seinem Werk Die protestantische Ethik in dieser protestantischen Ethik, insbesondere im asketischen Protestantismus calvinistischer Herkunft, eine wesentliche Triebfeder für die moderne Wirtschaft, weil sie das Sparen über die Konsumtion setzt, indem sie die Gewissheit über die Gnade Gottes im Jenseits mit dem Erfolg im Diesseits verknüpft. Damit geht er über die von Karl Marx vorgetragenen materiell-technologischen Ursachen hinaus: Er postuliert eine rationale Geisteshaltung, die das erzeugt, was man heute gerne als Reputationskapital bezeichnet. Verträge werden billig, Menschen und Gesellschaften gehen ehrlich miteinander um, auch wenn es angesichts großer Handelsdistanzen keine Möglichkeit gibt, sich für Verfehlungen zu rächen. Denn die Widersprüchlichkeiten der Moderne waren ihm bewusst, insbesondere das Verhängnisvolle einer Entwicklung zum „Berufsmenschentums“ und schließlich zum „Fachmenschen ohne Geist“ – hier dem potentiellen Wirtschaftskrieger (Kraus 2016). Er sah die moderne Wirtschaftsordnung nicht nur als Konkurrenz, sondern insbesondere auch als existentiellen Kampf, der die kaufmännischen und nicht nur die zivilisatorischen Tugenden bedrohte, weshalb er protestantische Ethik und Asketik als wirtschaftlich so bedeutsam einstufte. Unter den Bedingungen eines rationalen Staats würde sich ein rationaler Kapitalismus mit freiem Spiel der Kräfte und Finanzinstitutionen klassischer Spekulation entwickeln; ein politischer Kapitalismus als Folge autoritären Einwirkens auf die Märkte fördere das rücksichtslose Vereinnahmen von Gewinnen und beinhaltet das, was hier als wirtschaftskriegerische Strukturen bezeichnet wird. Die letzte Ausprägung ist die des traditionellen (Frei-) Handelskapitalismus. Die Moderne sieht Max Weber (1919) durch die Entzauberung der Welt, als da sind Entmagisierung, Entsakralisierung und Enttranszendentalisierung geprägt. „Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muß man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche.“ Diese Begriffswelt war ihm so wichtig, dass er sie, wie Hans Joas (2017, S. 222) in seiner profunden und kritischen Analyse des Entzauberungsbegriffs in Die Macht des Heiligen ausführt, diesen in spätere Werke einfügt, auch in die späteren Ausgaben der protestantischen Ethik. 42. Ludwig von Mises (1881–1973): Mit seinem großen Beitrag über die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen (1920), das später in dem Buch Die Gemeinwirtschaft (1922) aufging, eröffnete er die sogenannte Kalkulationsdebatte. Sie besagt, dass Geld keinen eigentlichen Maßstab des Werts und des Preises darstellt, was aber für eine Werterechnung unerheblich sei, wenn die Veränderung
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der Austauschverhältnisse sich in einem engen Schwankungsrahmen halten. Problematisch sei insbesondere, dass in das Tauschverhältnis grundsätzlich nicht alle subjektiv maßgeblichen Wertfaktoren eingehen können. Somit sei sie allenfalls für die Wirtschaftsführung sinnvoll und versage dort, wo Werte außerhalb des Tauschhandels berechnet würden. Damit ist ohne Wirtschaftsführung keine Wirtschaft möglich – er streitet dem Sozialismus somit die Eigenschaft ab, eine Wirtschaft zu sein, weshalb alle ihre Planungen fehlerhaft werden. Oskar Lange (1936) hingegen argumentierte, das zentralverwaltungswirtschaftliche Modell sei die duale Darstellung des marktwirtschaftlichen Modells – das eine optimiere nach Mengen bei durch den Markt (polypolistisch) vorgegebenen Preisen, das andere setze richtige Preise, damit die Mengenpläne in der zentralen Koordinierung aufgehen. Ludwig von Mises sah, wie später argumentiert wird, im Verfall der Geldordnung eine wesentliche Ursache für wirtschaftskriegerische Auseinandersetzungen; er wird damit zu einem der präzisen Vorahner der Wirtschaftskrisen ab den Jahren 1929 bzw. 2008 (Polleit 2014). In seiner Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel (1912) gelang es ihm, die Geldtheorie mit der Grenznutzenschule zu verschmelzen und zeigte, dass eine Erhöhung der Kreditmenge über die Ersparnis hinaus grundsätzlich zu Fehlentwicklungen führen müsse, weshalb er die gute Wirtschaftspolitik zu einer existentiellen Gesellschafts- und Kulturfrage erhob. 43. Joseph Schumpeter (1883–1950): Seine beiden großen Wettbewerbsideen, die Innovationstheorie und die Demokratietheorie, spielen in einem Wirtschaftskrieg wichtige Rollen. Denn im ersten Fall stellt sich die Frage, was den ökonomischen Durchmarsch des Innovators – des schöpferischen Unternehmers – so begrenzt, dass die schöpferische Zerstörung keine Wüste hinterlässt – also Wettbewerb und nicht Wirtschaftskrieg herrscht, wie das zu Anfang ausgeführt wurde. Hier hatte Joseph Schumpeter (1942) durchaus Zweifel und befürchtete, dass das Unternehmertum an seinen eigenen Erfolgen zugrunde gehen könnte, auch weil es eine Kulturform sei, die die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden ergänze. Im zweiten Fall vertrat er eine völlig entideologisierte Vorstellung von Demokratie als Macht auf Zeit und Teil einer Arbeitsteilung; ob sie tatsächlich geeignet ist, ethisch fundierte gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnungsrahmen zu gewährleisten, muss offenbleiben. Sein moderner Demokratiebegriff lehnt sich an evolutorische Auffassungen des Wirtschaftsgeschehens aus der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1912) an, denn politische Innovationen ermöglichen den Konkurs, also das Ausscheiden des politischen Gegners aus dem Markt. Ebenso wie der ökonomische Markt anonym und anarchisch ist, setzt er sich kritisch mit dem politischen Markt und seinen vorgeblichen Antriebsfedern auseinander. Dabei sieht er das Kernproblem der politischen Philosophie darin, dass diese sich an einem Gemeinwohl als Triebkraft des politischen Prozesses ausrichtet, das nach seiner Meinung – ganz im Gegensatz zu den Vorstellungen von Thomas von Aquin (1225–1274) in seiner Summa Theologiae (1273) oder Jean-Jacques Rousseau – definitorisch nicht zu fassen sei.
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In seinem Werk Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie (1942, S. 397–399, 428) führt er aus, gemäß der „Philosophie der Demokratie im achtzehnten Jahrhundert [sei die demokratische Methode daher] jene institutionelle Ordnung zur Erzielung politischer Entscheide, die das Gemeinwohl dadurch verwirklicht, daß sie das Volk selbst über die Streitfragen entscheiden läßt und zwar durch die Wahl von Personen, die zusammenzutreten haben, um seinen Willen auszuführen.“ Für Schumpeter existiert allerdings kein konsensuales Gemeinwohl infolge eines Menschenbilds, demzufolge „verschiedenen Individuen und Gruppen das Gemeinwohl mit Notwendigkeit etwas Verschiedenes bedeuten muß.“ Demzufolge ist die demokratische Methode „diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen des Volkes erwerben.“ Faktisch wird der Wille des Volkes durch den Willen der Mehrheit ersetzt. Politische Legitimität wird nicht durch die Verfolgung irgendeines vermeintlichen Gemeinwohls erzeugt, sondern alleine durch Stimmenmehrheit und durch die Möglichkeit der Abwahl. Demokratie ist lediglich als Methode zu sehen, als Sammlung von Spielregeln, und gründet nicht direkt auf Werte religiöser oder sozialer Art; das reduziert den demokratietheoretischen Anspruch (Schmidt 2018). Das steht im Kontrast zu Schulen, die postulieren, dass demokratische Systeme auf Grundlagen aufbauen, die sie selbst nicht bereitzustellen vermögen, beispielsweise Ernst-Wolfgang Böckenförde (1976) oder Francis Fukuyama (1995) in Bezug auf das Vertrauenskapital einer Gesellschaft. 44. John Maynard Keynes (1883–1946): Er war Mitglied des Lehrkörpers am Kings College der Universität Cambridge, Finanzbeauftragter der britischen Regierung bei der Versailler Friedenskonferenz und verwies in seinem Traktat Economic Consequences of the Peace (1919) auf die verheerenden Folgen der Absprachen für die Zukunft – die sich dann auch bewahrheiteten. Er war ein entschiedener Gegner der Golddeckung von Währungen, zu der England 1925 mit der Folge hoher Arbeitslosigkeit und massiver Streiks zurückkehrte. In seinem Hauptwerk The General Theory of Employment, Interest and Money (1936) erklärte er, dass das von den klassischen Ökonomen behauptete Streben des Marktes nach Gleichgewicht wegen der zeitlichen Anpassungsverzögerungen nicht real sei. Keynes' berühmtes Werk ist somit eine Kritik an den ökonomischen Theorien der Klassiker und Neoklassiker. „Auf lange Sicht sind wir alle tot. Die Volkswirtschaftslehre macht es sich zu leicht und ihre Aufgabe wertlos, wenn sie in stürmischen Zeiten nur sagen kann, daß der Ozean wieder ruhig wird, nachdem der Sturm vorüber ist.“ Er sucht nach einem Ausgleich zwischen liberaler Wirtschaftssteuerung und sozialer Verantwortung der Politik, was gerade zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise einleuchtete. Zentraler Gegenstand ist dabei der Grundsatz der wirksamen Nachfrage, der als Kritik der klassischen Behauptung: „Jedes Angebot schafft sich selbst die Nachfrage“ anzusehen ist. Nicht immer werde der gesamte Wert der produzierten Güter unmittelbar nachfragewirksam, sondern nur
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im Zustand der Vollbeschäftigung, den die Klassiker als Normalfall ansähen. Die Unternehmen könnten einen Teil der Ersparnis nicht für Investitionen nutzen, sodass dann wiederum die Gesamtnachfrage zurückginge. Hier müsse dann der Staat kompensierend eingreifen. Keynes empfahl der britischen Regierung, die Folgen der Weltwirtschaftskrise durch staatliche Ausgabenprogramme zu bekämpfen, um die vorhandene Nachfragelücke zu schließen – ganz im Gegensatz zu den Vorschlägen der damals führenden Ökonomen. Zu den großen Erfolgen seiner Wirtschaftspolitik zählen der durch Roosevelts New Deal in den USA eingeleitete Wirtschaftsaufschwung und der durch Hitler ab 1933 in Deutschland – auf letzteren verweist er in der Einleitung der deutschen Ausgabe von 1936, die noch heute in vielen englischen Ausgaben erscheint. Joseph Schumpeter kritisiert am wirtschaftstheoretischen und -politischen Konzept von Keynes die fehlende Einbeziehung der durch Innovationen entstehenden Wirtschaftsdynamik; es setze die Rentabilität künftiger Investitionen zu niedrig an. Joachim Starbatty und Jürgen Stark verweisen in Schumpeter vs. Keynes (2016) darauf, dass genau diese induzierte Rentabilitätssenkung durch die Zentralbanken im Nachgang der Weltfinanzkrise der Zombifizierung der Ökonomie Vorschub leistet, weshalb eine keynesianische Politik allenfalls am kurzen Ende praktiziert werden kann, was die Rückbesinnung auf die Österreichische Schule der Nationalökonomie noch dringlicher macht. 45. Friedrich August von Hayek (1899–1992): Er gilt als der große, liberale Ökonom, aber auch als Staatswissenschaftler der Moderne, er war ein persönlicher Freund von John Maynard Keynes, aber auch dessen größter intellektueller Antagonist. In seinem Werk setzt er sich kritisch mit sozialistischen bzw. vorgeblich gemeinwohlorientierten Gesellschaftsverfassungen auseinander, die er allesamt als Entmündigung des Individuums sieht. Es sind nicht so sehr deren Wertannahmen der jeweiligen Ordnungen und ihre Funktionsprinzipien, die Friedrich August von Hayek (1945) kritisiert, als vielmehr die unterstellten institutionellen Arrangements. In Anlehnung an die Arbeiten von Ludwig von Mises (1922) zeigt er, dass die reale Komplexität der Welt es nicht erlaube, alle relevanten Informationen zu erfassen, die für ein zentrales Entscheiden erforderlich sind. Allein das Wettbewerbssystem sei in der Lage, dezentrale und verteilte Informationen dergestalt zu verdichten, dass daraus für alle effizient verwertbares Wissen entsteht. Das zentrale Entscheiden des Staates stelle damit ein „Anmaßen von Wissen“ dar (Hayek 1945), das tatsächlich nicht existiert – eine Kritik an der kommunistischen Zentralverwaltung ebenso wie an der Geldpolitik während der Finanzkrise seit dem Jahr 2008.21 Damit begründet
21Man
könnte das Versagen der Ökonomen bei der Vorhersage der Finanzkrise – der Oikodizee – damit begründen, dass die zur Prognose verwendeten Strukturmodelle tatsächlich nur zentrales Wissen der Modellierer und der Statistischen Ämter verarbeiten können und damit in eine Art Hayeksche Falle tappen.
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er die Notwendigkeit offener Gesellschaften und warnt vor Tendenzen, die Road to Serfdom (1944) zu gehen, der für ihn einem wirtschaftlichen Bürgerkrieg bzw. einer Ausbeutungswirtschaft entspricht, die Menschenrechte negieren. In The Constitution of Liberty betont Friedrich August von Hayek (1960) die Notwendigkeit, der Staat müsse „echte Gesetze“ schaffen, weil nur diese eine freiheitliche Gesellschaft gewährleisten. Hierunter verstand er Regeln, die hinreichend abstrakt sind und sich auf unbekannte Problemlagen beziehen und damit auch „the rule of the law“ gewährleisten – ganz im Gegensatz zu der seit dem Zweiten Weltkrieg um sich greifenden Gesetzgebung, deren Ziel es ist, materielle Ziele vor allem sozialpolitischer Art prozesspolitisch durchzusetzen.22 Institutionelle Arrangements werden für Friedrich August von Hayek ebenso wie der Wettbewerb, der sich innerhalb derselben abspielt, zum Ergebnis eines evolutorischen Konkurrenzprozesses, der versucht, neue Lösungen zu entdecken. In dieser biologistischen Sicht ist die Institution des Markts, der erst Wettbewerb ermöglicht, ein auf Selektion beruhendes Kulturgut ersten Ranges, das es erlaubt, Vertrauen effizient zu nutzen. Allerdings durchdringt er den Selektionsmechanismus selbst – die Transaktionskosten – nicht. 46. Karl Popper (1902–1994): Das Schaffen von Wissen war für ihn ein kritisches Raten, weil jedes Schöpfen von Wissen aus Informationen zu neuen Wissenslücken führen müsse, ganz ähnlich wie das scio nescio der Klassik, das als Paradoxon von Sokrates bekannt ist. Damit schließt er auch unmittelbar an den Spruch der Aufklärung von Immanuel Kant an, das „sapere aude“. Seine Erfahrungen mit totalitären Systemen fasste er in dem Werk Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1944) zusammen und wurde damit – mit dem vorgenannten Friedrich August von Hayek – zu einem der entschiedensten Gegner geschlossener Weltmodelle, die die im folgenden Abschnitt gezeigten agonalen Philosophen auszeichnen, die er in Platon, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx bzw. Friedrich Engels sah. Er war im Sinne der politischen Ökonomik ein Pessimist, weshalb er Rechtssysteme und Regierungsformen anstrebte, die es den aus seiner Sicht natürlicherweise inkompetenten Herrschern unmöglich machen, zu weitgehenden Schaden anzurichten. Damit orientierte er sich an den abstrakten Gesetzen von Friedrich August von Hayek ebenso wie an der von Kant beeinflussten Sozialen Marktwirtschaft mit ihrer Unterscheidung in Spielregeln und Handlungen (Spielzüge) die auf Walter Eucken (1952) zurückgehen. 47. Milton Friedman (1912–2006): Er gilt als Exponent der Chicago-Schule und zählt neben v. Hayek und v. Mises zu den wenigen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, die dem klassischen Kapitalismus das Wort reden; seine Ideen betrachtet er als Konterrevolution zur Theorie von Keynes. Der Sozialstaat ist für ihn Betrug an allen, die
22Iris
Karabelas (2010) hat in ihrer Schrift Freiheit statt Sozialismus die gesellschafts- und ordnungspolitische Bedeutung Friedrich August von Hayeks detailliert nachgezeichnet.
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arbeiten und Steuern zahlen. Hierzu seine Argumentation: Es gebe vier Möglichkeiten, Geld auszugeben, und zwischen diesen besteht ein klares Wertungsgefälle: – Man könne eigenes Geld zur Befriedigung eigener Bedürfnisse ausgeben, beispielsweise durch den Einkauf im Supermarkt für den eigenen Haushalt. – Man könne eigenes Geld zur Befriedigung fremder Bedürfnisse ausgeben, etwa in Form von Geschenken. – Man könne anderer Leute Geld zur Befriedigung eigener Bedürfnisse ausgeben, beispielsweise eine Mahlzeit auf Kosten der Firma einnehmen. – Man könne anderer Leute Geld zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer ausgeben, etwa als Politiker. Milton Friedman folgend nimmt die Leichtfertigkeit bei der Geldausgabe von Punkt (1) nach Punkt (4) eindeutig zu; insbesondere der Sozialstaat bediene sich dieser Möglichkeiten (3) und (4) und sei daher ein Hort öffentlicher Verschwendung. Seine erste wirtschaftliche Forderung besteht daher darin, den Staatshaushalt zusammenzustreichen, im Sozialhaushalt einzusparen und die freigewordenen Mittel lieber den Bedürftigen direkt zuzuwenden. Die von Friedman neukonzipierte monetaristische Theorie besagt, dass bei Inflation in dem einfachen Modell grundsätzlich Güter- und Geldkreislauf identisch sind. Langfristig ist Inflation ein Problem der Zentralbank, weshalb eine gute Geldpolitik für den Wohlstand zwingend notwendig ist; er sagt (Friedman 1982): „Stetiges, langsames Wachstum der Geldmenge bedeutet niedrige Zinsen. Es ist bedeutsam auch darauf zu verweisen, was der Monetarismus nicht leistet: Er sagt wenig über die Fiskalpolitik, die Regierungspolitik gegenüber der Industrie oder das langfristige Wachstum der Wirtschaft aus. Schlechte Geldpolitik kann eine gesunde Wirtschaft zerstören, aber gute Geldpolitik allein kann eine kranke Wirtschaft nicht heilen“. Die Umsetzung dieser Theorie in einer Reihe von Entwicklungsländern haben viele als Akt wirtschaftskriegerischer Aggression gesehen; insbesondere wurde ihm die intellektuelle Beteiligung am Sturz Salvador Allendes im Jahr 1973 zugeschrieben
5.2.5 Ökonomische Modernisierer: Gerechtigkeit und der Gang der Geschichte Sie beziehen die Vertragslehre vor allem auf die aus ökonomischer Sicht bedeutsamen Eigentums- und Verfügungsrechte. Zugleich zeigen sie den Wert des institutionellen Wettbewerbs und die Bedeutung der Transaktionskosten, also des Sands im Getriebe der Wirtschaft für die Fähigkeit, Kooperationslösungen bzw. wettbewerbliche Arrangements zu erzielen. 48. James Buchanan (1919–2013): Er ist der Begründer der public-choice theory, der Theorie über die Wahl öffentlicher Güter, in der er eine pessimistische Sicht
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auf Staatsdiener postuliert, weil diese sich gegenseitig in die Hände arbeiteten und anfällig für Korruption sind oder rent-seeking, also Entlohnungen oberhalb der Marktrenditen, seien. Diese Expansion des Staats sei also mit Skepsis zu sehen, man müsse wettbewerbsähnliche Mechanismen schaffen, indem man die Regeln von den Handlungen trennt, wie er gemeinsam mit Gordon Tullock im Calculus of Consent (1962) schreibt und damit Ideen der Sozialen Marktwirtschaft und der Freiburger Schule um Walter Eucken aufnimmt. In seinem staatswissenschaftlich bedeutendsten Werk, The Limits of Liberty: Between Anarchy and Leviathan (1975), analysiert er die gesellschaftliche Ordnung auf der Grundlage einer denkbar schlechtesten Ausgangslage, nämlich einem „Hobbesschen Dschungel“. Im Status Quo, der irgendwie zustande gekommen ist, haben die Individuen gewisse Präferenzen und bewerten die Legitimität der vorhandenen Regeln durch Vergleich mit allen denkbaren property-rightsVereinbarungen. Indikatoren des Legitimitätsglaubens sind hierbei – Neuverhandlungserwartungen (renegotiation expectations), d. h. das Ergebnis der Neuverhandlungen der Regeln bei Rückfall in die Anarchie als explikativer Ansatz, auch um zu begründen, dass abweichende Präferenzen nicht notwendigerweise zu massiven Regelverstößen führen müssen und – Abstimmung über alternative Regeln. Diese hypothetischen Überlegungen ermöglichen es zugleich, Anhaltspunkte über Mängel bei den Regeln zu gewinnen und verweist auf Verfahren der Konfliktbeilegung. Eine Regierung verdient ihre Legitimität dadurch, dass die Regeln der Kollektivverfassung so weiterentwickelt werden, dass sie konsensfähig bleiben und einen akzeptablen Kompromiss zu Neuverhandlungserwartungen darstellen. 49. John Rawls (1921–2002): In seinem Werk A Theory of Justice (1971) geht er von einem Urzustand aus, in dem keinerlei eigentumsrechtliche Vereinbarungen, moralische Verpflichtungen oder Erkenntnisse über eigene Fähigkeiten und Stärken (Schleier des Unwissens) existieren. Die wirtschaftliche Lage wird durch mäßige Knappheit gekennzeichnet. Kooperation dient lediglich der Planabstimmung. Die Gleichheit der Individuen und ihrer Lage bewirkt nun auch die völlige Übereinstimmung beim Finden gemeinsamer Regeln, die folgenden Grundsätzen genügen müssen: (1) Jeder hat das Recht auf das umfassendste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das insgesamt möglich ist. (2) Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen wie folgt beschaffen sein: a) Sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen (MaximinPrinzip). b) Sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen. John Rawls stellt damit vor allem einen Bezug auf die distributive Gerechtigkeit her und zeigt zugleich eine untere Grenze der gerechten Kapitalakkumulation auf. Weiterhin gilt, dass (1) gegenüber (2) übergeordnet und (2b) wiederum wichtiger als
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(2a) ist. Der Grundsatz (2a) ist hierbei von zentraler Bedeutung und wird auch als Differenzenkriterium bezeichnet. Das Maximin-Kriterium gründet sich auf extreme Risikoaversion und fordert die Maximierung der Auszahlung des schlechtmöglichsten Ergebnisses. Damit wird die schlechtergestellte Person in ihrem Nutzenmaximum erfasst, während die bessergestellte Person Nutzenverzicht leistet. Dies stellt einen massiven Einwurf gegen das Pareto-Kriterium dar und unterstellt eine Kaldor-Hicks-Lage, in der also der bessergestellte gegebenenfalls Teile seines Mehrertrags abgeben kann – also kein Wirtschaftskrieg herrscht. John Rawls nennt als Vorteile des Differenzenkriteriums, dass – Ungleichheiten zugunsten der weniger Begüterten wirken und – die Benachteiligung derjenigen Personen, die ansonsten mehr erhielten, sich in Grenzen hält und sie wenigstens immer noch bessergestellt sind. Seine Vorstellung von Ausgleich ist wichtig, um untere Grenzen für ein aus ökonomischen Verteilungsgesichtspunkten moralisches Handeln einzuziehen, beispielsweise bei der Behandlung von Menschen in armen Ländern durch extraktive Politiken bereits entwickelter Staaten. 50. Anthony de Jasay (1925-): Der in Ungarn gebürtige und dort aufgewachsene und später nach Frankreich emigrierte politische Philosoph stellt in seinem Hauptwerk The State (1985) den Staat in das Spannungsverhältnis „‘The origin of the state is conquest’ and ‘the origin of the state is the social contract“ (§ 1.1.2), einmal als reale Feststellung, zum anderen als politische Begründung. In diesem Kontext diskutiert er die Staatstheorien und stellt fest, dass moderne Staaten durch beide Randpunkte hinreichend zu erklären seien. Der kapitalistische Staat sei dann dadurch gekennzeichnet, dass er keine Rechtfertigung für Eigentum erfordere und dass er Vertragsfreiheit gewährleiste. Die Grundlage für Eigentumsrechte sei das „finders-are-keepers“-Prinzip im Sinne einer wechselseitigen, impliziten Bedingung. Jasay bestreitet, dass es einen Staat aus Gründen irgendeiner Klugheit oder Vorsicht gebe – er sei vielmehr das Ergebnis einer meist gewalttätigen Setzung; deshalb sei das Ideal eigentlich eine geordnete Anarchie. Damit stellt er sich auch in den Gegensatz zu klassischen Liberalen wie Karl Popper und Friedrich August von Hayek, denen er vorwirft, wenig definierte Begriffe zu verwenden, was beliebige Interventionen rechtfertigt und bei der Bereitstellung öffentlicher Güter die Antwort auf Fragen der Grenzen offenzulassen. In jedem Staat werde der Zusammenhalt erkauft – in der Demokratie beutet, ganz im Sinne der Staatslehre Platons, die Mehrheit die Minderheit aus, weshalb er dazu tendiert, eher totalitärer als demokratischer zu werden. Staatskapitalismus sei dann die Verschmelzung des Prinzips der politischen und der wirtschaftlichen Macht und beende die Anomalie, dass militärische Macht vom Staat monopolisiert, wirtschaftliche hingegen im Staat verteilt werde. „People will finally be stopped from claiming through politics what is denied them by economics.“ (§ 5.1.1) Der von Norbert Elias (1939) beschriebene Monopolmechanismus, demzufolge der überlegene Herrscher das Ausscheiden von Konkurrenten erzwingt, konzentriere die
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Macht über Armee, Land und Geld beim Staat mit der Bürokratie als Institution der Abhängigen, von der wiederum der Monopolist abhänge. 51. Robert Nozick (1938–2002): Er versucht, die Staatsnotwendigkeit gegenüber dem Anarchismus zu rechtfertigen und geht dabei in seinem liberalen Werk Anarchy, State, and Utopia (1974) von einer günstigen Ausgangslage Lockescher Prägung aus, die er als liberalen Kontrapunkt zu John Rawls setzt. Hierzu führt er aus, dass jede beliebige Staatsform begründbar sei, falls man nur einen hinreichend abstoßenden Urzustand schildere. Die Rechtfertigung der Staatsnotwendigkeit sei gegeben, wenn in „moralisch zulässigen Schritten“ ein Staat entstehen könne, der sogar dem günstigen Anarchiezustand vorzuziehen sei. Robert Nozicks Staat entsteht unbeabsichtigt durch die unsichtbare Hand eines Konkurrenzmechanismus, der personelle Schutzvereinigungen (z. B. als Konsumoder Produktionsvereinigungen) hervorbringt, an die die Mitglieder bestimmte Rechte abtreten, um die Durchsetzung ihrer natürlichen Eigentumsrechte zu ermöglichen. Über Konkurrenz, Verdrängung und Zusammenschluss entsteht ein einheitliches Rechtssystem. Sobald eine Schutzvereinigung das Gewaltmonopol für die zahlenden Mitglieder hat, entsteht ein Ultraminimalstaat, der sich zum Minimalstaat entwickelt, falls alle in seinen geographischen Grenzen Lebenden in den Schutz, auch gegen ein geringeres Entgelt (Gedanke der Umverteilung) einbezogen werden. Das Bild des Staats entspricht somit dem des Nachtwächterstaats des klassischen Liberalismus. 52. Francis Fukuyama (1952-): Mit seinem Buch End of History and the Last Man (1992) postulierte er den finalen Sieg des demokratischen Staatssystems. Für ihn sind die treibenden Kräfte des Liberalismus das Konstituieren von Grundrechten – gleichermaßen als Abwehrrechte und als Schutzrechte – das Rechtsstaatsprinzip und die freie Marktwirtschaft. Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus scheiterten aus seiner Sicht an ihren inneren Widersprüchen. Deshalb baut er eine neue Dialektik auf, die in das Ende des Hegelianischen Weltbilds mündet. Er nutzt somit die dialektische Methode, um den Untergang der materialistisch-dialektischen Geschichtsauffassung, die auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Ludwig Feuerbach und Karl Marx zurückgeht, zu rechtfertigen. Die zugrunde liegende These ist der extreme Liberalismus, die Antithese sind die verschiedenen Totalitarismen und die Synthese ist die liberale Demokratie als finaler Zustand. Damit wird die Beendigung dieser im steten Wechsel voranschreitenden Geschichtssicht in die Demokratietheorie eingeordnet. Angesichts der Entwicklungen des modernen Terrorismus nach dem 11. September 2001 hat er seine Aussagen relativiert, insbesondere die Synthese einer dann nicht mehr dialektischen Geschichtsentwicklung in die Zukunft verschoben. Allerdings erscheint als völlig unstrittig, dass auch unter den Bedingungen der Arabellion oder des Islamismus kein kraftvoller, antithetischer Politikentwurf der liberalen Demokratie gegenübersteht. Damit ist die später von Samuel Huntington (1996) aufgeworfene Debatte eines Clash of Civilizations (schlecht übersetzt mit Kampf
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der Kulturen) nicht als teilweise Widerlegung zu verstehen.23 Tatsächlich flammt der Systemwettbewerb – historisch Kapitalismus gegen Kommunismus – nur neu auf: durch atypische Kapitalismusformen wie der Marktradikalismus in den USA oder Großbritanniens im Kontext des BREXIT, der vor allem als standörtliche Steuerkonkurrenz wirksam wird, und die autoritären Marktwirtschaften Asiens, vor allem Chinas. Hinzu tritt die Identität als der Teil des Menschen, der nach eigener Würde strebt, und die in der Moderne vernachlässigt wird mit adversen Folgen für die gesellschaftlich Kohäsion, wie Francis Fukuyama (2018) in Identity ausführt: Dem linken Ansatz der Emanzipation von Marginalisierung und individueller Diskriminierung stehe der rechte Ansatz des Erhalts von Status und traditionellen gesellschaftlichen Bezugspunkten gegenüber; die aktuell Benachteiligten werden gegen die sich durch die Zukunft Bedrohten ausgespielt, was die Zustimmung zur Demokratie auszehre. In seinem Buch Trust (1995) betont er die Bedeutung von Vertrauen für marktwirtschaftliche Gesellschaften, womit er den bemerkenswerten Aufstieg Chinas erklärt, welches aufgrund des konfuzianischen Ethos den wirtschaftlichen Erfolg stimulierende Werthaltungen besitzt
Institutionen haben die Aufgabe, die Effizienz einer Gesellschaft zu erhöhen (i. d. R. die Transaktionskosten zu senken) und spiegeln damit eine konkrete Struktur dieser Transaktionskosten wider. Der Wettbewerb der Institutionen stellt einen Versuch dar, effiziente institutionelle Arrangements, also solche mit einer möglichst niedrigen Summe aus Transformations- und Transaktionskosten, hervorzubringen. 53. Ronald Coase (1910–2013): Die neoklassische Theorie macht zu den Aufgaben von Unternehmen kaum Aussagen; allein die Technologie des repräsentativen Unternehmens ist so zu wählen, dass die Produktion in einem Durchschnittskostenminimum stattfinden kann. Schumpeter sieht im Unternehmer die treibende Kraft; die Größenstruktur der Unternehmen ist die Folge der erforderlichen Institutionalisierung von Innovationsprozessen. Coase dagegen setzt in The Nature of the Firm (1937) die These, Unternehmen hätten zur Aufgabe, Transaktionskosten einzusparen. Das Unternehmen wächst solange, wie die externen, also marktbedingten, Transaktionskosten über den internen Transaktionskosten, also den Kosten der hierarchischen Koordination, liegen, formal also dort, wo die Grenzraten der Substitution zwischen externer und interner Koordination identisch sind. Darüber hinaus gibt es Übergangsformen zwischen Markt und Hierarchie, die als Hybride identifiziert werden. Seine Analyse bewegt sich nahe an den Vorstellungen
23Die
Übersetzung des Originaltitels Clash of Civilizations in Kampf der Kulturen überzeugt weder sprachlich noch inhaltlich. Besser zu verstehen ist das Werk als „Zusammenprall der Kulturgesellschaften“. Faktisch ähneln seine civilizations eher großräumigen Ethnien.
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von Carl von Clausewitz, der die Transaktionskosten als Friktionen bezeichnete, die auch durch die Unwägbarkeiten der Zukunft entstehen. 54. Oliver Williamson (1932-): Sein Werk The Economic Institutions of Capitalism (1985) widmet sich der Aufarbeitung des Coaseschen Programms, indem er die Bestimmungsgründe für Transaktionskosten untersucht und ihren Bezug zu den Wettbewerbsbedingungen herstellt: Konzentration ist damit nicht nur ein Mittel der Wettbewerbsbeschränkung sondern vielmehr eine Antwort auf die Frage nach dem besten institutionellen Arrangement, das wiederum von den Transaktionskosten abhängt. In diesem Sinne spielt die Spezifität von Transaktionen eine gewichtige Rolle, also das Verursachen spezifischer Kosten, beispielsweise für Investitionsgüter oder für Informationen, die anderweitig nur beschränkt verwendet werden können, also irreversibel sind. Man kann auch von versunkenen Kosten sprechen. Eine hohe Spezifität impliziert, dass die Ausweichmöglichkeiten gering sind; sie schaffen damit Verpflichtungen, auch gegenüber Transaktionspartnern, und implizieren hohe Transaktionskosten. Drohende Konflikte können bereits hinreichend hohe Risikokosten erzeugen, die Investitionen unterbinden – der Konflikt muss nicht tatsächlich ausgefochten werden, um den Gegner in die Knie zu zwingen. 55. Douglass North (1920–2015): In seinem Hauptwerk Institutions, Institutional Change and Economic Performance (1990) richtet er sein Augenmerk auf die Frage, was die wirtschaftliche Entwicklung fördert und was sie beschränkt. Er sieht hier eine langanhaltende Tendenz der Ausweitung der Transaktionskosten bei sinkenden Produktionskosten, wobei ersteres schließlich die volkswirtschaftliche Entwicklung beschränkt. Dabei sind Institutionen zentrale Orientierungspunkte für individuelles Verhalten, insbesondere für Anreize. Sie erzeugen pfadabhängiges Wachstum, das die Möglichkeit der Anwendung eines Optimierungskalküls für die Wahl der „besten“ Organisationsform einschränkt. Schließlich aber werde – ebenso wie bei Unternehmen – der Wettbewerb dominieren; gerade die Kleinstaaterei Europas habe die Wettbewerbsintensität erhöht und ihre Entwicklung begünstigt. Das sind Gedanken, die bereits Wilhelm von Humboldt teilte. Ian Morris (2013) überträgt dieses Selektionssystem auf kriegerische Auseinandersetzungen, eine „unsichtbare Faust“, die den Überlegenen einen langfristigen Vorteil zuschreibt. Wirtschaftskriege als exzessive Rivalität werden damit zu einer Form agonaler institutioneller Selektion.
5.2.6 Menschenwürde und Wirtschaftsordnung: Die Soziale Marktwirtschaft Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft geht auf eine ökonomische Schule zurück, die sich stark an die historischen Auffassungen der deutschen Volkswirtschaftslehre anlehnte und ab der Weimarer Republik versuchte, den Markt mit allgemeinen Werten der Gesellschaft, insbesondere den Aspekt der Menschenwürde, vereinbar zu machen
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und eine Werterückbindung der Ordnung vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden und schließlich auch eintreffenden Katastrophen des Dritten Reichs zu erzielen. Diese Geburt aus der Krise ist eine der Stützen der Forderungen, auch im Krisenmodus, wie er seit der Weltfinanzkrise 2008 herrscht, die Orientierung an den Ordnungsregeln, also der Ordnungsökonomik und -politik, nicht zu vergessen. Der wesentliche Unterschied zum klassischen Kapitalismus besteht in drei grundlegenden Erkenntnissen: Wettbewerb erodiert Preise, und das ist bereits eine soziale Errungenschaft; er steigert die Effizienz und macht damit Soziales bezahlbar; schließlich schützt soziale Abfederung zunächst denjenigen, der Risiko eingeht, ermöglicht ihm möglicherweise erst den Wagemut. Die nachfolgenden Personen, die an vorderster Stelle zu nennen sind, vermitteln infolge der Unterschiedlichkeit in Herkunft, prägenden Erfahrungen vor allem in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts durchaus unterschiedliche konzeptionelle Schwerpunkte; ihnen ist der Gedanke an die Freiheit des Menschen und der Werterückbindung jeglicher Ordnung als Vernunftsprinzip gemein.24 56. Franz Oppenheimer (1864–1943): Er war Doktorvater von Ludwig Erhard und Professor für Soziologie und Nationalökonomik. Sein wissenschaftliches Schaffen gilt der Kritik der gesellschaftlichen und ökonomischen Vermachtung, weil diese unmündig mache, zugleich aber auch deren Folgen für die Verteilung von Einkommen und Vermögen, weshalb er gerne ein liberaler Sozialist genannt wird. Er tritt deshalb auch für eine Bodenreform ein, um die Macht des ostelbischen Adels zu brechen. Seine Suche nach einem Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus führt ihn zum Genossenschaftswesen. Als Wissenschaftler jüdischen Glaubens wurde er nach der Machtergreifung 1933 vertrieben und stirbt verarmt in den USA. Es ist Ludwig Erhard zu danken, dass sein Gedenken in Deutschland nach dem Krieg wachgehalten wurde. In seinem Werk Der Staat (1908) zeigt er die Genese des Verfassungsstaats als ökonomischen Entwicklungsprozess. 57. Alexander Rüstow (1885–1963): Er definierte den neuen Liberalismus (Rüstow 1950) im scharfen Gegensatz zum laissez faire des klassischen Liberalismus, weil ein starker Staat Voraussetzung für eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung sei – ganz im Gegensatz zu Friedrich August von Hayek oder Ludwig von Mises, die in den siebziger Jahren den Begriff des Neoliberalismus im Kontext der Mount Pèlerin Society (MPS), die sich als Konterrevolution nicht nur zur Planwirtschaft sondern auch zum praktizierten Wohlfahrtsstaat, usurpierten und schließlich durch die Folgen exzessiver Deregulierung in der Wirtschaftskrise ab 2008 desavouierten. Wegen der Bedeutung des starken Staats brachte Alexander Rüstow auch dem Dritten Reich Sympathien entgegen, sah dessen Ideologie aber später als dämonische Ersatzreligion.
24Horst
Friedrich Wünsche (2016) hat einen Aufsatz Zur Ideengeschichte der Sozialen Marktwirtschaft geschrieben, die vor allem das sozialphilosophische Anliegen herausarbeitet, mehr aus der Historischen Schule denn der Freiburger Schule.
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58. Walter Eucken (1891–1950): Sein Vater war Literaturnobelpreisträger und kantischer Philosoph, weshalb seine Vorstellungen zu einer ökonomischen Ordnung in seinem Hauptwerk Grundsätze der Wirtschaftspolitik (1952) hiervon, insbesondere in Gestalt der konstituierenden und regulierender Prinzipien, stark geprägt sind. Für seine Analyse ist die Idee der Interdependenz der Ordnungen von entscheidender Bedeutung. Man kann in einem Staat nicht Systeme nach unterschiedlichen Ordnungsstrukturen gestalten, ohne Widersprüche und Effizienzverluste zu ernten. Ludwig Erhard brachte dies auf den Nenner, als er gefragt wurde, ob nicht ein bisschen Marktwirtschaft ausreiche, und er erwiderte, man könne auch nicht ein bisschen schwanger sein. Zugleich gibt es einen Wettbewerb der Ordnungen unter den Wirtschaftssystemen. Diese Interdependenz der Ordnungen erinnert an die Begründung des Sherman-Akts der amerikanischen Kartellgesetzgebung: Man könne nicht eine Wirtschaftsordnung billigen, die Könige als Inhaber wirtschaftlicher Macht, also Monopole, erlaube, während man als politisches Primat das Prinzip der Demokratie gesetzt habe, das die Ballung von Macht, also Könige, verhindern solle. Freiheit brauche Regeln, nicht umsonst sei der Schöpfungsprozess ein hochorganisierter und in Regeln eingebetteter Vorgang. Deshalb führt Walter Eucken (1947, S. 43) auch über die Grenzen der Theorie folgendes aus: Die klassische Nationalökonomie „scheiterte hauptsächlich daran, daß ihre theoretischen Lösungen der Mannigfaltigkeit geschichtlichen Lebens nicht entsprach.“ Diese korrespondiert mit vielen Strukturen, die in demokratischen Gesellschaften heute völlig normal und weitgehend unreflektiert sind: Beispielsweise mit den Spielregeln der Marktwirtschaft, den konstituierenden Prinzipien, die der Mensch bei seiner wirtschaftlichen Betätigung einhalten soll. Tatsächlich solle er auch einen Anreiz haben, diese Regeln einzuhalten, sie sollten also selbstverstärkend wirken, wie bei einem Fußballspiel, bei dem das Foul nicht Ziel des Spielablaufs sein darf. Allerdings sei auch dann Fehlverhalten nicht auszuschließen, weshalb es der regulierenden Prinzipien bedarf, also des gezielten Eingriffs einer übergeordneten Instanz, die gegebenenfalls die Verstöße ahndet und die durch das wettbewerbswidrige Verhalten entstandenen Vorteile abschöpft. Verwirklicht ist diese Struktur im Kartellrecht: Die Regel „Du sollst nicht Marktmacht missbrauchen wider deinen Nächsten“ wird exegesiert im Kartellverfahren, indem örtlich und zeitlich bestimmt wird, was tatsächlich Marktmacht bedeutet und ob diese auch wirklich missbräuchlich eingesetzt wurde. Schon während des Kriegs, im Jahr 1943, engagierte sich Walter Eucken auf Initiative von Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), dem Leiter des Priesterseminars der Bekennenden Kirche, gemeinsam mit Constantin Dietze und Adolph Lampe mit der Schrift Politische Gemeinschaftsordnung – ein Versuch zur Selbstbestimmung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung. Stephan Holthaus (2015) hat das Ringen um eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung des Freiburger Kreises insbesondere eine ordnungsökonomische Balance zwischen Privategoismus und Gemeinwohlverpflichtung zu finden, in der Schrift Zwischen Gewissen und Gewinn nachgezeichnet.
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59. Franz Böhm (1895–1977): Er ist einer der Begründer der Freiburger Schule und prägte den Begriff des Ordoliberalismus, also einer liberalen Wirtschaftsordnung, die durch rechtliche Rahmenbedingungen geschützt ist. Sein Augenmerk gilt den Problemen wirtschaftlicher Macht, u. a. der freiheitsbedrohenden Rolle der Kartelle (Böhm 1950). 60. Ludwig Erhard (1897–1977): Nach ihm ist die Soziale Marktwirtschaft eine politische Ökonomik, keine rein ökonomische Angelegenheit; genau deshalb betonte er immer die Bedeutung von freiheitlicher Politik. Der Markt ist an sich sozial, weil Wettbewerb die Preise senke und ein reichhaltiges Güterangebot entsprechend der Präferenzen der Kunden schaffe. Wesentlich ist dabei die Machtfreiheit, um die Wirtschaftssubjekte, also den Konsumenten, zu stärken. In seinem Buch Wohlstand für Alle (1957) bietet er einen wirtschaftspolitischen Ordnungsentwurf, also den der Sozialen Marktwirtschaft, an. Als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft ab 1948 und späterer Wirtschaftsminister konnte er durch seine Zielstrebigkeit die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland durchsetzen. Die Soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard (1957b) ist eines der erfolgreichsten einen Wirtschaftskrieg verhindernden Ordnungskonzepte, weil sie zeigt, dass ein Ordnungsrahmen versagt, wenn sich Individuen durch fehlende Tugend bewusst und systematisch gegen ihn versündigen – auch wenn ökonomische Anreize dafürsprechen, es zu tun. Sie ist ohne die Verbindung zur Freiburger Schule um Walter Eucken (1891–1950) und die Sollens- und Tugendethik von Immanuel Kant (1724–1804) nicht zu verstehen. Die Tugend baut wiederum auf Institutionen auf, die dauerhaft und verlässlich sein sollen – das Versenken von Kosten zum Herstellen von Irreversibilität und Glaubhaftigkeit ist daher entscheidend für den Erfolg. Umgekehrt kann keine Institution ohne einen tugendhaften Unterbau entstehen. Klassische Stabilisierungsfaktoren waren Autorität, Religion, Tradition und Ethnizität, die in der Moderne zunehmend angezweifelt werden. Die Idee der Rechtsgemeinschaft, so wirkungskräftig sie bisher war, muss erst den emotionalen Zugang zu den Bürgern finden, um als Ersatz zu taugen. Eine analoge Interdependenz herrscht in Bezug auf die Idee der Verantwortung und die Glaubhaftigkeit ihrer Durchsetzung. Walter Eucken (1952) unterschied die Spielregeln von den Spielzügen, wodurch eine Balance aus Vertragsfreiheit, Anreizkompatibilität und Eigenverantwortung entsteht, eingebettet in ein Wettbewerbssystem und eine subsidiär aufgestellte Sozialordnung. Denn die Kontrolle mittels der Verantwortungsethik läuft ins Leere, wenn tugendwidriges Handeln zum Massensport wird, weil die extrem hohen Transaktionskosten das System paralysieren – die erfolglosen Versuche, die Folgen der Finanzkrise juristisch aufzuarbeiten, sind ein beredtes Beispiel dafür. Eine eigentlich bei Überschreitung der Grenzen des Akzeptablen zwingend notwendige Katharsis gab es hier nicht. 61. Wilhelm Röpke (1899–1966): Er hat den Wandel im Denken von Alexander Rüstow maßgeblich beeinflusst. Für ihn ist besonders die Rückbindung auf Kultur, Rechte, Sitten, Normen und Werte von besonderer Bedeutung, die eine Wirtschafts-
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ordnung aufzunehmen habe (Röpke 1958), seinen ökonomischen Humanismus nannte er auch den Dritten Weg, weshalb in der Erinnerung in die Dritte-WegDebatte der siebziger Jahre (ein Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus) liberale Ökonomen immer wieder betonten, die Soziale Marktwirtschaft sei der Dritte Weg, jeder andere Dritte Weg sei der Weg in die Dritte Welt. Schon früh erkannte er im Nationalismus das die Ordnung Zerstörende und musste durch sein prononciertes Bekenntnis zum liberalen Ideal 1933 emigrieren – erst in die Türkei, anschließend in die Schweiz. Marktwirtschaft war für ihn eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine offene und liberale Gesellschaft, weshalb ihn diese zusätzlichen Erfolgsfaktoren interessierten. In einer Schrift zum Thema Das Kulturideal des Liberalismus (1947), das gleich zu Anfang mit einem Kapitel über den Niedergang des Liberalismus beginnt und vom „Maskenball der Ideologien“ und von der „Wortvermummung“ als Ausdruck der begrifflichen Unschärfe spricht, führt er aus, dass Liberalismus eigentlich das Gegenteil von Servilität sei. Da ein Gesellschaftssystem, das auf einem bestimmten Menschenbild aufbaue – vor allem einem positiven – immer zum Scheitern verurteilt sei, müsse man also vom durchschnittlichen Menschen ausgehen, war für ihn die Kulturrückbindung die wesentliche Bedingung, um eine menschenwürdige Ordnung zu begründen. Damit verweist er auch auf die totalitären Risiken des überhöhten Glaubens an die Rationalität und die Grenzen, die dem Gebrauch der Vernunft gesetzt sind und nimmt damit die Debatte, die Joseph Kardinal Ratzinger angestoßen hat, vorweg. 62. Alfred Müller-Armack (1901–1978): Er postulierte, dass die zentrale Wirtschaftslenkung und die rein liberale Marktwirtschaft gleichermaßen „innerlich verbraucht“ seien. Die Korrektur sah er allerdings, anders als Ludwig Erhard, in einer sozialen Steuerung. Er wurde dessen wichtigster Berater; er warnte stets vor dem Gefälligkeitsstaat und der Erdrosselung der Wirtschaftsaktivität durch ein auf stete Ausweitung angelegtes Sozialversicherungssystem. Er schied 1963 aus der Politik aus. 63. Albert Hirschman (1915–2012): Er fragt in seinem Buch Exit, Voice, and Loyalty (1970), warum permanent Arrangements mit Schlupf, also Leerlauf, entstehen, die nicht durch den Wettbewerbsmechanismus ausscheiden? Abwanderung und Widerspruch seien wichtige Größen in einem Regelkreis. Kunden reagieren auf mangelnde Qualität durch Protest oder Kaufverweigerung und geben den Unternehmen hierdurch die Gelegenheit zur (rechtzeitigen) Anpassung. Werde auf Kundenbeschwerden nicht reagiert, erfolge eine Abwanderung. Diese könne aber nur wirksam werden, wenn eine echte Alternative vorhanden sei – also bei Wettbewerb oder mindestens einer monopolistischen Konkurrenz als Form des unvollkommenen Wettbewerbs. Kollusives Verhalten von Unternehmen verhindere das. Analoges gelte im politischen Raum bei fehlender Unterscheidbarkeit von Parteien oder beim Einsperren von Individuen durch den Staat. Problemloses Abwandern mache Widerspruch vergleichsweise aufwendig, sodass der betroffene Markt oder die Partei untergehen können. In politischen Systemen zeige sich das an fehlender Wahlbeteiligung in Demokratien ebenso wie an akzeptierter Emigration Unzufriedener aus Gewaltsystemen. Wenn
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nun für ein Individuum die Möglichkeit bestehe, durch Widerspruch Veränderungen auslösen zu können, von denen es dann selbst profitiere, dann erzeuge das Loyalität, welche die Abwanderung in Schach halte. Unternehmen setzen derartige Signale im Rahmen der Kundenbindung ein. Im Zeitalter der Globalisierung bändigt die Option der Abwanderung den Leviathan und erzeugt Systemwettbewerb. Abwanderung wird zu einer glaubhaften Drohung als sozial integrative Komponente wettbewerblichen Handelns (Blum 2006b). Daneben hat er sich auch mit der Theorie polarisierter Entwicklung befasst. Er zeigt in der Strategy of Economic Development (1968), dass Polarisationen sich weiter aufschaukeln, Reiche reicher werden, Arme ärmer. Dies knüpft an die Theorien der französischen Ökonomen François Perroux (1955) und Jacques Raoul Boudeville (1968) an, aber auch an Gunnar Myrdal (1967). Hier schließt sich der Kreis wieder zu Ian Morris (2013).
Fasst man den Begriff Soziale Marktwirtschaft unter dem hier Gesagten zusammen, so lässt sie sich wie folgt definieren: Soziale Marktwirtschaft ist eine sittlich begründete und verantwortete ökonomische Lehre von der Freiheit des Individuums und seiner Fähigkeit, schöpferisch zu handeln. Sie wird getragen von der Idee der Vernunft und Menschenwürde. Freiheits- und Vernunftprinzip begründen die Begrenzung von Macht und deren Kontrolle sowie die Grenzen staatlichen, insbesondere bürokratischen Handelns durch Ordnung. Märkte sollen herrschaftsfrei sein – im positiven Sinne: anarchisch. Gute Ordnung zeichnet sich durch die Fähigkeit des Systems aus, die Knappheit an guten Regeln heute und in Zukunft innovativ zu überwinden. Mit der Globalisierung und der Finanzkrise hat sich die Frage nach den ethischen Grundlagen der Wirtschaftsordnung neu gestellt. Eine wesentliche Rolle haben dabei auch die Kirchen mit ihren Sozialschriften gespielt. 64. Benedikt XVI. (1927-): Auch unter dem Namen Kardinal Joseph Ratzinger bekannt, gilt als intellektuell überragender katholischer Theologe. Er verfasst im Jahr 2009 die Enzyklika Caritas in Veritate25 (Die Liebe in der Wahrheit) und thematisiert hierin als (theologischer) Staatsphilosoph die Frage, wie die Zentrifugal- und Desintegrationstendenzen der modernen Gesellschaft unter den Bedingungen der Globalisierung im Sinne des christlichen Menschenbilds – allgemeiner: einer am Humanum orientierten Gesellschaft – eingedämmt werden können, ohne die große, auch freiheitliche, Dynamik der Moderne zu beschädigen. Seine Schrift greift deshalb weit über ihre religionswissenschaftliche Relevanz
25Für
einen Ökonomen ist die deutsche Übersetzung Die Liebe in der Wahrheit erklärungsbedürftig. Für den deutschen Begriff Liebe hält das Lateinische mehrere Übersetzungen bereit (u. a. auch amor). Mit caritas werden auch Wertschätzung und Hochachtung erfasst; das Adjektiv carus bedeutet neben lieb auch teuer und wertvoll – amicus carus, ein teurer Freund. Im Englischen scheint das in Begriffen wie careful oder to care auf.
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hinaus, weil sie nach den Kräften fragt, die eine Gesellschaft konstituieren und zusammenhalten. Die Wahrheit, eines seiner klassischen Themen, kann nur in Vertrauenskulturen existieren, und um diese zu etablieren, bedarf es der Zuwendung und der Empathie. Nur wenn man dem Gegenüber wohlwollend zugetan ist, kann das für die Wirtschaft bedeutende Reputationskapital entstehen. Caritas in Veritate wäre nicht so brisant und nicht so prophetisch, wenn nicht der Typus des Wirtschaftskriegers durch Cupiditas in Mendacio (die Begierde in der Lüge) charakterisiert würde, von Individuen an den obersten Schaltstellen der Finanzindustrie, die genau diese von Benedikt geforderte Empathie für den Dritten nicht besitzen. Benedikt folgend empfängt das Gesellschaftssystem seinen Zusammenhalt aus der individuellen Wertschätzung und Wahrhaftigkeit seiner Mitglieder, und zwar dezentral von unten und nicht verordnet von oben, faktisch wie bei Rousseau, dessen volonté générale – aus mathematischer Sicht unmöglich – ein aggregationstheoretisches Nirwana ist. Dabei spricht die Liebe die Gesinnung an – Kant reflektiert an dieser Stelle auf das Sittengesetz – und die Wahrh(aftigk)eit, die Verantwortung vor dem eigenen Tun. Die Enzyklika bezieht sich auf ihre Vorgänger und rechtfertigt sich auch durch diese: Rerum Novarum (Leo XIII. 1891), welche die Würde des Menschen unter die drei Leitbegriffe Personalität, Solidarität,26 Subsidiarität fasst und Eigentum, Familie und Staat als Grundpfeiler der Gesellschaft sieht; Quadrigesimo Anno(Pius XI. 1931) und insbesondere Centesimus Annus (Johannes Paul II. 1991), die dem Staat die Pflicht zuwies, dem Schöpferischen des Menschen Raum zu geben und die Kreativität auch in Fortsetzung der Schöpfung als Aufgabe des Menschen erkannte. Sie bezieht sich aber besonders auf Populorum Progressio (Paul VI. 1967) mit ihrem Anliegen, einen Ausgleich zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden der Welt zu finden.
5.3 Staat als Ort des Konflikts Im Sinne des Heraklit-Zitats am Anfang stellen agonale Verhältnisse – das Leben im Konflikt – vielfältige Quellen der Kreativität dar. Denn sie lehren den Menschen zu improvisieren, sich Widrigkeiten entgegenzustellen, innovative Lösungen zu suchen und Nischen zu erkunden. Vor allem das 19. und 20. Jahrhundert waren in starkem Maße Zeitalter der Konfliktlehre. Erhebliche Teile des agonalen Denkgebäudes sind mit der Bewältigung von Trieben, vor allem der Sexualität verbunden, und knüpfen damit an
26Der
Begriff wurde vom französischen Offizier Hippolyte Renaud (1842) in einer Streitschrift: Solidarité: vue synthétique sur la doctrine de Charles Fourier als ökonomische Kategorie geprägt, der das nicht-vernetzte Denken kritisierte und daher das Einbeziehen der Interessen scheinbar Unbetroffener anmahnte. Der Staat solle daher um dieser Solidarität willen umverteilen.
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Sigmund Freud an. Sie verdeutlichen, wie beispielsweise Camille Paglia (1990) prototypisch ausführt, damit auch die Zerrissenheit zwischen dem Anspruch auf Rationalität und der Gefangenheit in der eigenen Körperlichkeit und Atavismen, den sie in ihrem Hauptwerk Sexual Personae als „Faschismus der Natur“ bezeichnet, und die westliche Kultur, insbesondere der jüdisch-christlichen Morallehre, als den gescheiterten Versuch ansieht, diesen Dämon zu bändigen. An ihrer Person werden gesellschaftliche Zerrissenheit, politische Moral- und Wahrheitsansprüche und damit das Verschieben gesellschaftliche Konfliktlinien deutlich: Sie hat inzwischen erhebliche Probleme, in den USA ihre Ideen öffentlich zu machen – ob als Buch oder in Vorlesungen (Stein 2019a). Die historisch eher linke Position, Meinungsfreiheit einzufordern, scheint sich verkehrt zu haben; inzwischen rechtfertigt die politische Linke moralisierenden Beschränkungen mit dem Argument, bestimmte Inhalte seien der Bevölkerung nicht zuzumuten. Es ist scheinbar die politische Rechte, welche den Anspruch nach Offenheit stellt. Leonard Dudley (1991) sieht in der Dialektik zwischen Militär- und Informationsinnovationen die wahre Quelle des Fortschritts. Friede hingegen kann Langweile erzeugen. Nicht umsonst haben sich viele Reformen und Innovationen aus Konfliktlagen entwickelt. Das wirft ein Schlaglicht auf die Frage, inwieweit der Kapitalismus seit der Überwindung des Sozialismus – und nachdem beide den Faschismus besiegt hatten – noch eine innovative Zukunft hat – eine Frage, die Francis Fukuyama (1992) in der Hypothese eines End of History im Sinne der Dialektik von Georg Wilhelm Friedrich Hegel thematisierte. Viele agonale Staatstheorien oszillieren zwischen rechter und linker Radikalität und werfen die Frage auf, ob die Unterscheidung zwischen rechts und links sinnvoll ist. Dies gilt umso mehr, wenn Kommunismus ebenso wie Nationalsozialismus und Faschismus als das eingeordnet werden, was sie aus Sicht vieler Philosophen wie Friedrich August von Hayek (1944) sind, nämlich Degenerationen des Sozialismus – oder in den Worten von Yuval Noah Harari (2017): Kontrapunkte zum Liberalismus. Die Ähnlichkeit betont Wolfgang Schivelbusch (2005) in Entfernte Verwandtschaft: Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933–1939. Im sogenannten Historikerstreit hatte der Historiker Ernst Nolte (1923–2016) in einem Zeitungsbeitrag Vergangenheit, die nicht vergehen will (1986) den Vorrang der sowjet-kommunistische Klassenvernichtung vor dem Holocaust behauptete, den Nationalismus zur Antwort auf den sowjetischen Bolschewismus erklärt und damit den Konsens von damaliger historischer Forschung und Politik aufgekündigt, die den Nationalsozialismus vor allem in antidemokratischen Kontinuitäten der deutschen Geschichte sah. Erst Jahre später, auch infolge der Aufarbeitung kommunistischer Völkermorde im Schwarzbuch des Kommunismus (Courtois et al. 1996), war eine gehaltvoller Diskurs über seine Gedanken möglich (Seewald 2016). Als illegitimes Kind des revolutionären Sozialismus war der Faschismus nach Meinung von Richard Herzinger (2016) auch deshalb erfolgreich, weil er direkt an linke antibürgerliche Traditionen anknüpfte und die breite Öffentlichkeit seine Absichten nicht ernst nahm. Heinrich August Winkler (2017) macht die Unterschiede der bolschewikischen und der faschistischen Revolutionen gegenüber der bürgerlichen im Beitrag Zur Wiederholung nicht empfohlen deutlich: Während die atlantischen Revolutionen
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– USA und Frankreich – schließlich dem Projekt der Menschenrechte zum Durchbruch verholfen habe, seien die faschistischen gegenaufklärerisch und die kommunistischen eine Verabsolutierung des Gleichheitsgedankens. Modern mag man sagen: Heutige Anhänger dieser Konzepte sind verlorene Kinder, einmal des tribalen Blutsprinzips und zum anderen des klassenbezogenen Gleichheitsprinzips, die sich des Staats als extremistische Parteien bemächtigen wollen. Damit gewinnt die Sicht des Staats als Hort des Konflikts zwei Dimensionen: zum einen die Vision, durch einen fundamental ausgefochtenen (letzten) Konflikt anschließend ewigen Frieden zu finden – die Erlöservision, die gesinnungsethisch fundiert ist und im Kommunismus, Sozialismus und Faschismus beheimatet ist; zum anderen die Sicht, dass das Staatswesen – oder das Unternehmen – im Sinne des ewigen Kampfs zur Dominanz verpflichtet – oder dem Untergang geweiht ist. Hinzu tritt, wie Hamed Abdel-Samad (2014) in Der islamische Faschismus betont, eine radikalisierte Bewegung des politischen Islams, die ebenfalls faschistische Züge trägt, wie diese seinerzeit von Umberto Eco (1997) benannt und im vierten Kapitel erläutert wurden. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Tarmo Kunnas (2017) in seinem Opus Faszination eines Trugbildes – Der europäische Intellektuelle und die faschistische Versuchung 1919–1949 deutlich macht, wie breit aufgestellt auch literarisch, intellektuell und philosophisch der Faschismus in der Zwischenkriegszeit war, vielleicht weil er sich vor allem über gemeinsame Feinde definierte: die zersetzenden Wirkungen des Materialismus und teilweise des Rationalismus sowie die Gegnerschaft zu Liberalismus und Kommunismus. Nicht nur versagt er sich einer Rechts-Links-Dichotomie, die ihm gerne angedichtet wird; ihre Protagonisten sahen sich als eine breite Bewegung zur Rettung des alten Europas, das ihrer Meinung an innerer Auszehrung verging – was sehr an Friedrich Nietzsche erinnert, aber ohne die Untiefen der niederen Politik. Vor allem rekurrieren sie alle auf ihre eigenen, spezifischen Wurzeln. So schreibt Tarmo Kunnas (2017, S. 55): „Der Faschismus bzw. die faschistischen Bewegungen und ihre Auswirkungen haben in den verschiedenen nationalen Umfeldern ein jeweils anderes Gesicht angenommen, und wenn sich die Bewegungen von Deutschland oder Italien aus in anderen Ländern ausgebreitet haben, so haben sie sich akklimatisiert, sind zu einem organischen Bestandteil der politischen Kultur des Ziellandes geworden und haben sich den Bedürfnissen seiner Bewohner angepasst.“ Dabei zeigen sich deutliche gemeinsame Dominanzen der Ideenwelt: Die Frage nach Wahrheit und Exaktheit und damit verbunden ein Antiintellektualismus, die Sicht auf das Leben als Kampf und damit das Erfordernis zu Opfern, die Bedeutung der Identität – national oder als Rasse – und die Ablehnung demokratischer Verfahren wegen ihrer Schwäche und der Möglichkeit, Volkes Willen zu erfassen. In modernen Staaten wie China scheint beides zu verschmelzen, nämlich das Marktliberale mit dem Staatsautoritären ebenso wie der gesinnungsethische Erlösungsanspruch mit der wirtschaftskriegerischen Verfolgung eines Dominanzziels. Aber auch das Phänomen Donald Trump (1946-) lässt aufhorchen, wird dort doch der Staat als Institution begriffen, der die Wirtschaft – wie in China – als Instrument nationaler
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Interessen instrumentalisieren darf, ein Sachverhalt, der den US-amerikanischen Vorstellungen bisher auch nicht völlig fremd war, nun aber im „Systemkrieg“ an Stoßkraft gewinnt.
5.3.1 Ewige und finale Kämpfe als Grundlagen Es ist die chinesische Schule des Legalismus, die das grundlegende Erfordernis formuliert, Menschen müssten umerzogen werden, um ein gedeihliches Staatswesen zu erhalten. Erst knapp 2000 Jahre später kann mit dem was als Machiavellismus bezeichnet wird, wieder eine starke Konfliktphilosophie identifiziert werden. 1. Xun Zi (298–220 v.Chr.): Seine Philosophie beschreibt den Übergang vom Konfuzianismus zum Legalismus. Kritisch setzt er sich mit den bestehenden vier Schulen von Lao Zi, Kong Zi, Meng Zi und Zhuang Zi auseinander und integriert auch Ideen anderer Schulen, beispielsweise den Legalismus, in sein Lehrsystem. Mit Konzentration auf die politisch-moralische Ebene grenzt er sich von Meng Zi ab und postuliert – ähnlich wie später Thomas Hobbes – dass die Natur des Menschen schlecht sei und der Staat die einzige Form, die dem Menschen ein gesichertes, geordnetes und sittliches Leben sichern könne. „Der Mensch ist böse veranlagt, was an ihm gut ist, ist erarbeitet (WEI). Es gehört zu der Veranlagung des Menschen, daß er schon egoistisch geboren wird“. Damit gewinne die Herrschaft von Tugend und Moral eine wichtige Bedeutung beim Regieren des Volkes. „Es gibt drei Arten, Autorität auszuüben: die tugendhafte, die m isstrauisch-gewaltsame und die hemmungslos-wahnsinnige. […] Die erste resultiert in Stabilität und Stärke, die zweite in Gefährdung und Schwäche, die dritte führt zum totalen Untergang“ (Xun Zi, Kap 23.2; Kap. 16.2; zitiert nach Schleichert und Roetz 2009, S. 241–242, 248). Nach dem Legalismus soll Gleichheit vor dem Gesetz bestehen, unabhängig von Stand und Herkunft. Der Staat soll dabei die Fähigen und Tüchtigen fördern und diejenigen bestrafen, die sich abweichend verhalten und ihren Trieben nachgeben. „Wenn man ohne zu belehren bestraft, dann wird es zwar viele Strafen geben, aber keinen Sieg über das Unrecht. Wenn man ohne zu strafen nur belehrt, dann sind die Übeltäter nicht gewarnt“ (Xun Zi, Kap. 10.17; zitiert nach Schleichert und Roetz 2009, S. 257). Aus der Herrschaft der/durch Tugend (im Englischen „rule by virtue“) wird bei Xun Zi die Herrschaft der Gesetze auf der Grundlage ethischer und menschenwürdiger Grundbedingungen („rule of law“), ein Konzept, auf der die westlichen Demokratien aufbauen. Das wird von den Legalisten zur Herrschaftsform des „rule by law“, der Herrschaft vermittels Gesetze verformt und stellt somit einen Kontrapunkt zum Konfuzianismus dar. 2. Han Fei Zi (290–233 v.Chr.): Sein Leben fällt in die Zeit der Streitenden Reiche; er begründete die Schule der Legalisten auf der Grundlage der Lehre von Xun Zi:
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Dies postulierte, anders als Meng Zi, der Mensch sei von Natur aus böse und müsse daher durch Erziehung in Richtung Sittlichkeit und rechtes Handeln umkonditioniert werden. Daher müsse der Staat ein Anreizsystem aus Belohnung und zugleich Bestrafung aufbauen und mit Macht durchsetzen, zugleich aber selbst tugendhaft sein. Damit stehen die Methoden der Machtentfaltung und ihre Legitimation, vor allem durch die Person des Herrschers, im Zentrum seiner Betrachtungen. Die von Han Fei Zi als Schüler von Xun Zi weiterentwickelte Lehre steht im Kontrast zur Betonung des Werts der Landwirtschaft und zur Ablehnung des Kaufmannstums im Konfuzianismus sowie zur Vorbildfunktion der Alten. Im Zentrum findet sich die Herrschaft des Rechts. Er legte in seinem Werk Erkenntnisse aus der Herrschaft von Shang Yang (390–338 v.Chr.) nieder, der in der Zeit der Streitenden Reiche als Reichskanzler vom Reich QIN und späterer Einiger ganz Chinas die Erziehung zum Angriffskrieg zur Pflicht und Staatsraison erklärte, einen Spitzelstaat mit Sippenhaft aufbaute, aber auch einen professionellen Beamtenstaat ohne Nepotismus einführte und das Steuersystem reformierte. Folgende Hauptgedanken konstituieren damit die soziale und politische Ordnung des Legalismus (Schleichert und Roetz 2009, S. 181–182): – FA: Das Gesetz, das der Herrscher formuliert und erlässt. Es ist ohne Ansehen der Person durchzusetzen. – SHI: Die Macht, die mit der Person des Herrschers verbunden ist und ihn zu Gesetzgeber, Richter und Strafenden macht. – SHU: Die Governance, also die mit der Staats- und Wirtschaftsführung verbundenen Fähigkeiten des Herrschers, die vor allem auf seine Führungskompetenz im Innern seines Machtapparats, aber auch gegenüber dem Volk abhebt. Intendierte Rechtsbrüche ließen sich, so Han Fei Zi, offensichtlich nicht durch reine Bestrafungssysteme einschränken, wie auch die Realität der Wirtschaftskriminalität und des wirtschaftskriegerischen Handelns zeigt. Zugleich wirken Strafen und Belohnungen nicht symmetrisch, wie die prospect theory ausführt (Kahneman und Tversky 1979). Offensichtlich bedarf es Integrationsfaktoren, die dies verhindern, die bei Travis Hirschi (1969) im Werk Causes for Delinquency auf die Faktoren Bindung, Überzeugung, Verpflichtung und Beteiligung reduziert werden. In diesem Sinne sind FA und SHI notwendige Bedingungen, sie sind aber nicht hinreichend, es bedarf auch des SHU, welches verhindert, dass sich Individuen auf illegale Handlungsalternativen kaprizieren (Bussmann 2016) – und gerade die totalitäre Umsetzung des Legalismus in China während der QIN-Dynastie belegt dies (Baumgart 2016). Es entwickelte sich aus der Herrschaft des Rechts ein tyrannisches System, dem die Protagonisten zu Opfer fielen, wie später auch Robespierre in der Französischen Revolution, weil eben Anreize nicht ausreichen, wenn Tugend fehlt. 3. Niccolò Machiavelli (1469–1527): Über viele Jahre war er eine Art Vorsitzender des Sicherheitskabinetts am Florentinischen Hof und vereinte somit politische Theorie mit politischer Praxis, anders als viele andere Staatsphilosophen vor ihm.
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In seinem Hauptwerk über den Fürsten, Il Principe (1710) untersucht er die Vereinbarkeit von Politik und Moral, das sittliche Problem der Macht, und postuliert, dass die Staatsraison über der Moral stehe. Ohne einen Herrn über sich würde der Mensch maßlos und ziellos, er müsse daher durch Autoritäten eingehegt werden. Dem Befehlsgeber stehen also die Befehlsempfänger gegenüber, die sich in ihrer Unterwerfungssehnsucht in den Machthaber hineinprojizieren, seine Allmachtphantasien teilen bzw. weitertreiben. Damit ist er ein erster wichtiger Vertreter der agonalen Weltsicht, die den erfolgreichen Politiker – oder Unternehmensführer – als rücksichtlosen und pragmatischen – prinzipienlosen – Machtmenschen sieht. In der Auseinandersetzung und dem Vernichten des politischen Gegners erkennt er eine wesentliche Möglichkeit, selbst zu Ruhm zu kommen. Nicht umsonst bewunderte er die implizite Expansionslogik der römischen Republik. Er legt aber nahe, die schmutzigsten Dinge auf Dritte zu übertragen, um nicht seinen Ruf zu beschädigen.27 Allerdings begründet er das auf einer klaren, libertären Auffassung, die die Rolle des Staats zugunsten privaten Handelns zurückdrängt, insbesondere Besitz schützt und Steuern senkt. 4. Jean-Baptiste Colbert (1619–1683): Er stand ursprünglich in den Diensten des Kardinals Mazarin und wurde ab 1661 Leiter der Staatsfinanzen (contrôleur général des finances). Er ist vermutlich die Person der Wirtschaftsgeschichte, die gleichermaßen militärische und ökonomische Mittel als integrierte Strategie und Operationsführung nutzte, um nationale Stärke zu erreichen. Er verfolgte mit seiner aggressiven Politik eines guerre d’argent das Ziel, die französische Hegemonie dauerhaft auszuweiten, indem er für den absolutistischen Herrscher möglichst große Goldund Silberbudgets akkumulierte. Als Mittel dazu bediente er sich der Förderung des Handels, insbesondere des Außenhandels, bei Behinderung des Imports durch Zölle. Das Ziel der Autarkie bedeutete auch, möglichst wenig Abhängigkeit von Dritten, was zugleich Freiheit für aggressives Handeln eröffnete. Im Innern schuf er die Zolleinheit Frankreichs, reformierte das Steuerwesen durch ein System der Steuerpacht und das Einführen indirekter Steuern. Durch monopolistische, großgewerbliche Verlage und Manufaktur organisierte er die Industrie, gründete Handelskompanien, die mit Privilegien für den Übersee- (Kolonien-) Handel ausgestattet waren, um billig Rohstoffe zu beschaffen und bot damit die Vorlage für den späteren Imperialismus anderer Länder.
27Die
perfekte Inkarnation findet sich in der Person von Joseph Fouché (1759–1820), der allen Systemen vom französischen Königreich über die Republik bis hin zum Kaiserreich diente und rücksichtlos Gegner vernichtete, ohne je selbst Hand anzulegen. Grandios verarbeitet ist dies in Joseph Fouché – Bildnis eines politischen Menschen von Stefan Zweig (1922, S. 10–22), der die menschlichen „Erfolgsfaktoren“ verdeutlicht: Kaltblütigkeit, im Hintergrund wirkender Strippenzieher, frechstirniges und provokant-öffentliches Ändern von Meinungen, Menschenverachtung, chamäleonartiges Verhalten.
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5. Thomas Robert Malthus (1766–1834): Sein Hauptwerk schrieb er vor dem Hintergrund einer massiven Bevölkerungsexplosion und der zunehmenden Verschlechterung der Lebensmittelversorgung Englands und damit der Verelendung der Massen. Malthus formulierte daraufhin in An Essay on the Principle of Population (1798, 1803): „Unter der Annahme, daß Lebensmittel für die Existenz des Menschen notwendig sind“ und „daß die Leidenschaft zwischen den Geschlechtern notwendig ist, [behaupte ich,] daß die Kraft der Bevölkerung unendlich viel größer ist als die Kraft der Erde, dem Menschen ein Auskommen zu gewähren. Die Bevölkerung wächst, wenn sie nicht kontrolliert wird, in geometrischer Reihe. Die Subsistenz wächst nur in arithmetischer Reihe“. Thomas Malthus nahm daher an, dass Löhne über dem Subsistenzniveau zu starker Bevölkerungsexpansion und letztlich zum Sinken der Einkommen unter das Subsistenzniveau und somit zur Verelendung führten; dadurch würde Arbeitskraft knapp und der Preis der Arbeit stiege wieder. Thomas Malthus forderte daher präventive Hemmungen (Geburtenkontrolle), um repressive Hemmungen (Krieg, Hunger, usw.) zu vermeiden. „Wer in eine bereits in Besitz genommene Welt geboren wird, hat, wenn er die Mittel zu seiner Existenz weder von seinen Verwandten noch durch seine Arbeit finden kann, durchaus kein Recht auf Ernährung. An der großen Tafel der Natur ist kein Gedeck für ihn aufgelegt. Die Natur befiehlt ihm zu gehen und säumt nicht, ihren Befehl zu vollziehen.“28 Das Gesetz verweist in direkter Linie auf die Konflikte, die sich um Ressourcen entwickeln können, teilweise aus Staatsraison, teilweise aber auch aus Gründen des politischen Drucks von innen; in England verelendete die Bevölkerung als Folge von Landflucht und Industrialisierung. Nicht umsonst stütze sich Charles Darwin (1859) auf diese Argumentation, die letztlich auf einen Antagonismus aus Vermehrungsund Vernichtungstendenz hinausläuft, weshalb Krieg auch eine normale Tendenz sei (Khalatbari 2009, S. 15, 19). 6. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831): Immanuel Kant definiert in seiner Philosophie analytische Urteile als solche, die durch Erfahrung untersetzt sind, und nennt diese a-priori synthetisch. Im Gegensatz dazu stehen Urteile, zu denen keinerlei empirischer oder mathematisch-naturwissenschaftlicher Zugang möglich ist. Dieser Problematik stellt sich der deutsche Idealismus. Durch Georg Wilhelm Friedrich Hegel wird in Fortentwicklung von Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Schelling (1775–1854) dieses Programm weiterentwickelt. In seinem Werk Phänomonologie des Geistes (1806) betrachtet er Idee (Logos), Natur und Geist, wobei die dialektische Methode den Begriff treibt und damit den Prozess des Weltgeists. Hier setzt später Karl Marx mit dem dialektischen Materialismus auf. Er selbst wendet dieses Gedankengut auf Konflikte an, wenn er in den Grundlinien der Philosophie des
28In der Erstauflage von 1798 ist das Bild von der Tafel der Natur noch nicht enthalten, es erscheint erst in der zweiten Auflage von 1803.
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Rechts (1821: §324) schreibt: Der Krieg als der Zustand, in welchem mit der Eitelkeit der zeitlichen Güter und Dinge, die sonst eine erbauliche Redensart zu sein pflegt, Ernst gemacht wird, ist hiermit das Moment, worin die Idealität des Besonderen ihr Recht erhält und Wirklichkeit wird; er hat die höchste Bedeutung, daß durch ihn, wie ich es anderwärts ausgedrückt habe, ‘die sittliche Gesundheit der Völker in ihrer Indifferenz gegen das Festwerden der endlichen Bestimmtheiten erhalten wird, wie die Bewegung der Winde die See vor der Fäulnis bewahrt, in welche sie eine dauernde Ruhe, wie die Völker ein dauernder oder gar ein ewiger Friede, versetzen würde‘. 7. Isidore Marie Auguste François Xavier Comte (1798–1857): Er gilt als ein Begründer der modernen Soziologie und beschreibt im Système de politique positive (1854) das Gesetz der drei Phasen (kindliche Religion, jungenhafte Metaphysik und schließlich männliche positive Wissenschaft), denen er ein Sozial- und Berufssystem zuordnet. Für das theologische Stadium seien Krieg und Militär relevant; Priester und Adel dominierten. Kriege brächten Fortschritt, gesellschaftliche Differenzierung und seien der Arbeit vorzuziehen, weil das Soldatentum einen positiven Erziehungseffekt habe, das Ausweiten des Herrschaftsgebiets und das Anhalten der Eroberten zur Arbeit ermögliche, wodurch diese dem Soldatentum entzogen seien. Das fördere Industrialisierung und Wohlstand. 8. Søren Kierkegaard (1813–1855): Er gilt als einer der wesentlichen Begründer der Existenzphilosophie und des späteren Existentialismus, also einer Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens, die sich im Wert seiner Existenz manifestiert und die, wie er in Die Krankheit zum Tode (1849) ausführt, auf den Einzelnen rekurriert. Das Leben sei eine ständige Prüfung, und das Leben nicht lebenswert, wenn man sich ihm nicht unterziehe. Die Suche nach dem anderen Selbst könne zum Scheitern und damit zur Verachtung der eigenen Person führen, oder zum Erfolg, dann aber zur Selbstentfremdung; aus beidem folge Verzweiflung, deren einziger Ausweg es ist, das Selbst zu akzeptieren. Der Mensch sei gefangen in einem immerwährenden Dilemma zwischen Vernunft und Glauben. Mit der Fähigkeit zur Entscheidung komme das Böse als eine der menschlichen Handlungsmöglichkeiten, die vom Stadium der Entwicklung abhängig ist, in die Welt. Er öffnet eine radikal agonale Sicht auf das Diesseits zwischen einem Leben nach dem Lustprinzip und einem Leben im Glauben, den er in seiner Kritik an der Moderne beschreibt: dem Diktum des „herabgesetzten Kurswerts des Menschen“, der droht, sich zu überheben. Der Mensch müsse sich selber miterleben durch eigene Seinserfahrungen – im Extremfall: durch ein Austesten des Lebens, genau das, was Wirtschaftskrieger vorleben. Bereits lange vor Gustave le Bon thematisiert er den Antagonismus zwischen dem Ich und der Masse, welchen er jenseits des Vernunftprinzips verortet. Ins Zentrum rücken damit die inneren Existenzbedingungen des Menschen – anders als die äußeren Bedingungen, denen sich Karl Marx widmete. Er sieht die zunehmende Diktatur des „man“ als unpersönliche Forderung an das Individuum mit einem das Ich auflösenden Konformismuszwang.
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5.3.2 Kampf der Klassen und Ethnien 9. Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895): Mit dem Kommunistischen Manifest (1848) entwerfen sie das erste Globalisierungsszenario, indem sie ausführen, wie alle gesellschaftlichen Funktionen dem Primat der Ökonomie unterworfen würden, insbesondere der Bourgeois als Revolutionär „Produktion und Konsumption kosmopolitisch gestaltet“ hat (Marx und Engels 1848, S. 27). Dabei ist die Geschichte der Welt eine Geschichte immerwährender Klassenkämpfe, die erst mit dem Sieg des Proletariats durch eine kommunistische Revolution in eine lebenswerte Ordnung münden könnten. „Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ (Marx und Engels 1848, S. 60). Bemerkenswert sind vor allem die Folgen, die dieser Prozess nach sich zöge: Zerstörung des bürgerlichen Privatrechts, insbesondere des Eigentums- und des Erbrechts, von selbständigem Unternehmertum, von Familienstrukturen und staatliches Zentralisieren der Erziehung vom Kleinkindalter an, schließlich auch gleicher Zwang zur Arbeit. Dieser erste grundlegende politische, geschichtliche und ökonomische Entwurf mündet später in das Hauptwerk von Karl Marx Das Kapital (1867), in welchem er die zentralen Fragen der kapitalistischen Ordnung anspricht: Was ist der Wert? Woher kommt der Mehrwert? Wer erstellt ihn, wer erhält ihn? Was sind die Mechanismen der Entlohnung? Wie entstehen Krisen. Damit stellt er sich gegen die Vulgärökonomik der Klassiker, die nach seiner Überzeugung die politische Ökonomik so verengt haben, damit der Kapitalismus zu rechtfertigen ist. In dem Werk wird die Dualität zwischen historischem Reichtum und dem agonalen Alptraum der modernen Industrialisierung philosophisch erfasst und der Wissenschaftliche Sozialismus entscheidend geprägt. Ausgehend von der dialektischen Methode Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831), dessen System den Anspruch erhebt, alle Erscheinungen der Natur und des Geisteslebens aus der Natur des Geistes selbst zu erklären und dem religiösen Materialismus Ludwig Feuerbachs (1804–1872), der Gott als ein vom Menschen gemachtes Wesen ansah, auf das der Mensch zum Zwecke seiner Glückseligkeit seine Wünsche, Ideale und Nöte projiziere (Feuerbach, 1841, 1868), weshalb die Theologie durch die Anthropologie zu ersetzen sei, entwickelte er den Historischen Materialismus. Die Dialektik des Seins impliziere auch das Nichtsein und als Folge das Werden. Die Entwicklung der Menschheit vollzöge sich entsprechend der jeweiligen Produktionsverhältnisse (These) und deren Veränderungen (Antithese), woraus gesetzmäßig eine höhere wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation (Synthese) entstünde (z. B. Feudalismus – Kapitalismus – Sozialismus). Der materielle Unterbau einer Gesellschaft bedinge ihren ideellen Überbau, das Sein bestimme also das Bewusstsein. Die verschiedenen Klassen, die in jeder Gesellschaft existieren, stünden im Widerstreit gegeneinander. Die Auseinandersetzung des
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Proletariats und der Bourgeoisie aufgrund unterschiedlicher, durch den Kapitalismus bedingter Eigentumsverhältnisse würde den Klassenstaat durch die Diktatur des Proletariats in einen klassenlosen Staat überführen. Der moderne chinesische Marxismus setzt hier an, wenn er die Fähigkeit zur permanenten Selbst-Revolution und damit einer Entwicklung entlang historischer Regel zu einem Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften propagiert. Gerade deshalb bleiben zwei Aspekt der Lehre von Karl Marx dauerhaft relevant, wie Stephan Lorz (2018) in seinem Beitrag In der frühkapitalistischen Phase der digitalen Ökonomie ausführt: Menschenrechte bleiben ohne Teilhabe unvollständig und unterminieren, falls diese nicht ausreichend gegeben ist, die Akzeptanz eines Wirtschaftssystems. Damit ist die Verteilung des produzierten Wohlstands immer wieder zu hinterfragen, wie dies bereits weiter oben thematisiert wurde. Die Opfer der automatischen Webmaschine des Jahres 1784 in England sind heute die von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz Bedrohten, die Ihrem Unmut, so sie können, inzwischen über das Wahlsystem, Luft machen. Mit seiner Sprache prägte er das Deutsch vielleicht wie kein anderer nach Martin Luther. Den ökonomischen Fachtermini nicht gerade nahestehende Begriffe wie Bluthund, Entfremdung, Fachidiot, Lumpenproletariat (Heine 2018). Sein Antisemitismus drückte sich hierin ebenfalls aus. Obwohl selbst aus einer jüdischen Rabbinerfamilie stammend, wimmeln seine Werke und insbesondere seine Korrespondenz mit Friedrich Engels von antisemitischen und rassistischen Stereotypen; so nannte er Ferdinand Lassalle (1825–1864), einen der Gründerväter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands den „jüdische[n] Nigger Lassalle“ (Engels und Marx 2009). Karl Marx sieht die gesellschaftliche Instabilität der kapitalistischen Wirtschaftsordnung im Geld begründet, das auch den Wert der Arbeit – analog einer Ware – bemesse. Dies zerstöre das unmittelbare Beziehungsgeflecht im Gemeinwesen. Der wirtschaftliche Drang, Profitraten über die Mehrwertaneignung zu erhöhen, wozu Rationalisierungsinvestitionen erforderlich seien, deren Ertrag aber durch den Wettbewerb beständig schmelze, drücke die Löhne auf Subsistenzniveau, führe damit zu Arbeitslosigkeit, Absatzkrisen durch Nachfrageausfall und schließlich den Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung. Erst die Überwindung der Entfremdung durch Abschaffung des Privateigentums sowie der Ausbeutung des Menschen durch die kommunistische Revolution begründe ein System, das die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus überwinde. Denn dessen eingebauter Zwang zur Konzentration infolge des Wettbewerbs führe zu immer stärker werdenden Wirtschaftszyklen und Krisen aufgrund sinkender Profitraten und zur dadurch bedingten erhöhten wirtschaftlichen Aggressivität und Spekulationsneigung. Die genannten Krisenausprägungen, die Polarisierung der Einkommen und der Vermögen, sind zweifelsfrei treffende Beschreibungen eines Wirtschaftskriegs – und ebenso seine Überlegung, der Kapitalismus würde an sich selbst scheitern. Der durch diese Krisen getriebene Umbau der Gesellschaft könne durch den Einsatz von Gewalt, also militärischen Krieg oder revolutionären Terrorismus als Katalysator, gestützt werden. „Gewalt ist
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der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz“, schreibt er (Marx 1867, S. 791). Die Nähe von Krieg zur Ökonomie machen Karl Marx und Friedrich Engels in einem Zeitungsbeitrag für die neue Oder-Zeitung Zu den Angelegenheiten in der Krim (1855, S. 536) sehr deutlich, wenn sie postulieren, dass arbeitsintensive Volkswirtschaften meist auch kriegsintensive sind: „Wer das alte Vorurteil teilt - ein Vorurteil, das wir nebst vielen andern der unkritischen Verwechselung moderner mit antiken Gesellschaftszuständen verdanken, das Vorurteil, daß Industrie und Handel den kriegerischen Charakter eines Volkes zerstören, der kann sich jetzt in England, selbst in Manchester, seiner industriellen Metropolis, vom Gegenteil belehren. Die Sache ist sehr einfach. Bei den Modernen steigt, wenn nicht der Reichtum des einzelnen, jedenfalls der Nationalreichtum mit der gesteigerten Arbeit; bei den Alten stieg er mit der gesteigerten Faulheit der Nation. Stewart, der schottische Nationalökonom, der zehn Jahre vor Adam Smith sein bedeutendes Werk veröffentlichte, hatte bereits diese Pointe gefunden und entwickelt.“ Einige Aussagen wirken heute prophetisch: Das Sinken der Zinsen („tendenzielles Fallen der Profitraten“) und die Entfremdung der Arbeit – beide sind in modernen Gesellschaften Realität und destabilisieren sie. Gerade in den modernen Cyber-Industrien ist die Konzentrationsthese deutlich sichtbar, und Klimaausbeutung bzw. Zerstörung von Lebensgrundlagen in Entwicklungsländern durch Arbeitsausbeutung – alle jeweiligen institutionellen Mängel der Länder berücksichtigend – sind nicht zu leugnen. Auch entwickelte Länder müssen ein zunehmendes Wohlstandsgefälle in ihren Ländern erkennen, was die politische Mitte der Gesellschaft destabilisiert und den extremen Rändern Zuwachs beschert. Auch gerät diese Mitte zunehmend unter Druck: Man kann heute den Staat als den größten Mehrwertaneigner sehen, so beispielsweise Karl Homann und Ingo Pies (2018) in Karl Marx als Klassiker: Freiheitsphilosoph, Systemdenker, ökonomischer Autodidakt, politischer Demagoge – ein Titel, der das Spektrum dieses großen Philosophen gut ausleuchtet. Nicht ohne Grund knüpft das moderne China mit der Sozialisten Marktwirtschaft chinesischer Prägung an Karl Marx an, dessen Theorie es gilt, an die praktischen Bedürfnisse des Lands während verschiedener Entwicklungsstadien anzupassen, insbesondere dabei die Produktivität zu steigern und Krisen zu vermeiden. Deshalb hat Staatspräsident Xi Jinping die Aufgabe postuliert, dessen Theorie so weiterzuentwickeln, dass sie an der „frontier of all times“ bleibt (China Daily 2017). Daher ist die Folgerung von Gerd Koenen (2017) in Die Farbe ist Rot – Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, das Projekt sei nach dem Fall der Sowjetunion erledigt, durchaus kritisch zu hinterfragen. Insbesondere die beiden von ihm herausgearbeiteten Paradoxien, nämlich das Revisionistische kommunistischer Theorien in Bezug auf einen früheren Paradieszustand und das Gesetzmäßige in Bezug auf historische Abläufe, spielen im chinesischen Modell keine wesentliche Rolle. Karl Marx hätte sein Werk nicht ohne den steten Druck und die finanziellen Zuwendungen Friedrich Engels schreiben können. Er war ein großer Fabrikant und
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ein begnadeter Spekulant, kannte sich im Unternehmertum aus (dem „hündischen Kommerz“), weshalb er wesentliche faktische Impulse – besonders in das Kommunistische Manifest – einbrachte, wenn er auf die stete Ungewissheit des Marktgeschehens, die Dynamik und die fehlende Planbarkeit verweist. Der Marxismus ist ihm, der zwei Seiten lebte – die des Unternehmers und die des Revolutionärs – mit zu verdanken. 10. Ludwig Gumplowicz (1838–1909): Als Sohn eines Rabbiners im von Österreich-Ungarn annektierten Kraków geboren, gewann er bereits früh Erfahrungen mit ethnischen Konflikten. Dies ließ ihn für Minderheiten eintreten und für ihre Sache kämpfen – wobei er sich kaum Illusionen machte über die Möglichkeiten der Integration. Denn den Staat sieht er als Unterdrückungsund Unterwerfungsapparat, dessen Machtapparat bestimmte Herrschaftsgruppen usurpieren, um andere Gruppen (Ethnien29, Rassen30 oder Klassen31) zu kontrollieren; damit gilt er als einer der Begründer der modernen Soziologie (Gumplowicz 1885). In dem Maße, in dem es Staaten tatsächlich gelänge, Minderheiten zu integrieren, müsse sich die latente Aggressivität nach außen wenden, um Befriedigung zu erfahren. Ulrich Menzel (2015) grenzt daher den Begriff des Hegemons entlang der Frage, wer Nutznießer öffentlicher Güter ist, von dem des Imperiums ab: Hegemonie sei verbunden mit einer Teilhabe aller, Imperium nur der Begünstigten. In seinem Hauptwerk Rasse und Staat (1875)
29Als
Ethnie bezeichnet man Gruppen mit gemeinsamer Identität. Oft ergibt sich daraus eine Zugehörigkeit oder Zuordnung zu Volk, Nation oder Kultur. Begründet wird sie durch Abstammung, Gleichheit oder Ähnlichkeit von Habitus oder Sitten. Ethnien besitzen demzufolge für gesellschaftsrelevante Fragen eine gemeinsame Sicht der Dinge. 30Die Frage, ob es Rassen gibt, beschäftigt Natur- und Geisteswissenschaften gleichermaßen, vor allem seitdem political correctness eine maßgebliche Bedeutung bei der Interpretation der Wirklichkeit besitzt. Der Politikwissenschaftler Ibram Kendi (2019) führ aus, „dass jemand, dem man vorwirft, ein Rassist zu sein, erst einmal darauf besteht, dass er kein Rassist ist. Damit aber zählt er sich zu einer Kategorie, die es meinen Forschungen zufolge gar nicht gibt. Nur sehr wenige Menschen können erklären, was Rassismus ist, aber alle definieren sich erst einmal weit weg. Das ist der Widerspruch.“ Richard Lewontin (1972) argumentiert, dass aufgrund einer Unterschiedlichkeit von nur etwa 6 % der genetischen Diversität zwischen den sogenannten Rassen, aber einer weit größeren innerhalb dieser Gruppen, diese Kategorisierung keine Berechtigung habe. Richard Dawkins (2004) entgegnet dem in The Ancestors Tale, dass dies eine Frage der Kategorisierung sei, weil die geringe Anzahl von genetischen Rassenmerkmalen stark mit anderen rassenspezifischen Charakteristika korreliere. David Reich (2018) argumentiert in Who We Are and How We Got Here – Ancient DNA and the New Science of the Past,, dass sozial zugeordnete Rassenmerkmale oft mit genetischen Unterschieden einhergehen. Adam Rutherford (2017) führt in A Brief Story of Everyone who has ever Lived aus, dass genetische Unterschiede zwischen Schwarzhäutigen größer sein können als zwischen einem Afrikaner und einem Schweden. 31Der Begriff Rasse wird bei Gumplowicz im Sinne des 19. Jahrhunderts gebraucht: als willensfähige, handlungsfähige, unterscheidbare und geschichtlich-politische Einheit!
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wendet Ludwig Gumplowicz die biologischen Entwicklungsaxiome von Charles Darwin (1809–1882) auf Gesellschaften an und führt sinngemäß aus, dass das, was in ihm denke, die Gruppe sei. In seiner Argumentation sieht er das Individuum als Atom, als passives Glied seiner Gruppe, das sich nur aus dieser erklärt. Das Primat der Gruppe vor dem Individuum macht diese auch zum Träger des Überlebenskampfes: Er schreibt in seinem Buch Der Rassenkampf (1883) „jedes mächtigere ethnische oder soziale Element strebt danach, das in seinem Machtbereich befindliche oder dahin gelangende schwächere Element seinen Zwecken dienstbar zu machen.“ Krieg, Zerstörung oder Unterwerfung werden somit zum ewigen Begleiter menschlicher Entwicklung – anders als bei Karl Marx oder auch bei Francis Fukuyama, der mit der Auflösung des Systemgegensatzes ein End of History (1992) postulierte. Der Staat entstehe nicht durch Gesellschaftsvertrag, sondern durch Krieg als anthropologischem Naturprozess. Ob allerdings die natürliche Auslese reiche, wurde später von Francis Galton (1822–1911) bezweifelt, der in der Eugenik, die er in seinem Werk Hereditary Genius (1869) als Disziplin begründete, eine zivilisatorische Unterstützung des Selektionsprozesses sah. Denn die Zivilisation befördere die Nachkommenschaft der Schwachen, die Starken aber setzten aus Bequemlichkeit immer weniger Kinder in die Welt. Damit entstand ein „wissenschaftlicher Rassismus“, der, wie Ricarda Haase (2012) ausführt, in hohem Maße die nationalsozialistische Ideologie und den darauf aufbauenden Völkermord beeinflusste. Populärwissenschaftlich-intellektuell wurde dies unterfüttert durch Houston Stewart Chamberlains Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1899). In der Tat macht gerade diese Entwicklung deutlich, wie kurz der Weg von der wissenschaftlichen Erkenntnis über eine Pseudo-Wissenschaft zu einer Ideologie ist. Und neben den nationalsozialistischen militärischen Vernichtungskrieg trat folglich auch ein wirtschaftlicher Vernichtungskrieg, vom Plündern der Ressourcen der besetzten Länder bis hin zur Deportation der Bevölkerung in Konzentrationslager und ihre „Vernichtung durch Arbeit“. 11. Gustave Le Bon (184–1931): Der französische Soziologe schreibt in seinem Werk Psychologie des foules (1895), dass Individuen in der Masse ihre Individualität und Verantwortung aufgeben und sich leicht beeinflussen lassen. Eine manipulative Rede basiere nicht auf Vernunft, sondern auf Behauptung, Wiederholung und Übertragung und der Glaubhaftigkeit des Redners derart, dass suggestive Macht von ihm ausgeht, die seine Aussagen als Realität erscheinen lassen. Sie werden oft durch manipulationsfähige Führer fremdgesteuert, seien von genialen Ideen fasziniert, zugleich aber leichtgläubig und intolerant, lassen sich daher gezielt lenken, zumal sie sich intelligenzmäßig meist nach unten anpassen. Daher seien impulsive Ausbrüche keine Seltenheit. Wie stark ein sozialer Druck wirken kann, zeige die moderne Konformismusforschung, die die Deformation der Persönlichkeit in streng organisierten sozialen bzw. sozial agierenden Netzen betont. Gerade die Bedeutung der Führung wurde später von Sigmund Freud aufgegriffen. Dieser Sachverhalt besitzt noch heute für die Führungslehre eine erhebliche Bedeutung.
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12. Friedrich Nietzsche (1844–1900): Wenige Philosophen haben so konsequent wie er darauf verwiesen, dass der Referenzmaßstab der menschlichen Orientierung die irdische Realität sei und dass es dahinter kein unveränderliches religiöses oder moralisches Referenzsystem gebe. Damit wird die Kritik der Lebensschwäche seines zeitgenössischen Umfelds zu einer zentralen Motivationskraft seines Werks, befasst er sich doch an vielen Stellen mit deren Überwinden, dem „Willen zur Macht“ und dem Herausbilden des „Übermenschen“, der eine dionysische und hedonistische Lebensweise befolgt und diese gegen Widersacher durchsetzt. In der Götzendämmerung (1889, S. 9) führt er eingangs aus: „increscunt animi, virscit volnere virtus“ – frei übersetzt: „was uns nicht umwirft, macht uns nur härter.“ Weiter führt er aus (Nietzsche 1889, S. 35–36): „Moral, das heißt jede gesunde Moral, ist von einem Instinkt des Lebens beherrscht … Die widernatürliche Moral, das heißt fast jede Moral, die bisher gelehrt und gepredigt worden ist, wendet sich umgekehrt gerade gegen die Instinkte des Lebens … Das Leben ist zu Ende, wo das ‚Reich Gottes‘ anfängt …“ Damit geraten vor allem die systemstabilisierenden Elemente der Kultur, insbesondere die Religion und die politischen Ordnungsprinzipien, in sein Visier. So sei die Sünde des Christentums nichts als eine Projektion, sie existiere nur im Kopf der Gläubigen; der Mensch hingegen sei ein Tier, stünde also jenseits moralischen Verhaltens. Jeder Zivilisationsfortschritt werde erkauft mit Instinktverlust, einer „Ent-Tierung“ des Menschen. Moral sieht er als einen Käfig, mit dem sich die Menschen umgeben, um ihre sozialen Prozesse und ihre individuellen Lebensabläufe zu verstetigen – sie senkt die gesellschaftlichen Transaktionskosten. Vor allem werde Moral hohl und unglaubwürdig, wenn sie sich in nicht mehr reflektierten Institutionen manifestiere, und müsse daher zusammenbrechen. In Also sprach Zarathustra (1883–1885) formuliert er daher konsequent: „Was fällt, soll man auch noch stoßen.“ In der Genealogie der Moral (1887) bringt er seine Vorbehalte gegen Abhängigkeit auf den Punkt: „Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, daß das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der Tat, versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten. Während alle vornehme Moral aus einem triumphierenden Ja-Sagen zu sich selbst herauswächst, sagt die Sklaven-Moral von vornherein nein zu einem ‚Außerhalb‘, zu einem ‚Anders’ zu einem ‚Nichtselbst: und dieses Nein ist ihre schöpferische Tat. Diese Umkehrung des wertesetzenden Blicks – diese notwendige Richtung nach außen statt zurück auf sich selbst – gehört eben zum Ressentiment: die Sklaven-Moral bedarf, um zu entstehen, immer zunächst einer Gegen- und Außenwelt, sie bedarf, physiologisch gesprochen, äußerer Reize, um überhaupt zu agieren – ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion.“ Tarmo Kunnas (2017, S. 627) sieht ihn als „Prophet der Dekadenz, als Offenbarer des Werteverfalls.“, als den „Mystagogen“ eines unpolitischen Faschismus. Seine Form der Ablehnung minderer sozialer Kate-
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gorien wird in einem Skeptizismus deutlich, der keinerlei Transzendenz akzeptiert und damit das Überlebensprinzip in den Vordergrund rückt. Modern gesprochen wird damit das „Eure Armut kotzt mich an“ zwangsläufig.32 Laut Feng Xiaohu (1996) tut man Friedrich Nietzsche unrecht, wenn man ihn als philosophische Fortsetzung des Darwinismus interpretiere. Er sei – gerade auch vor dem Hintergrund fernöstlicher Philosophie – vielmehr elitär bis zum Aristokratischen, setzt Kontrapunkte gegen das Plebejische, das dumpfe Rohe und auf die Hoffnung, Technologie sei ein Problemlöser – was immer wieder aufhorchen lassen sollte. Durchgängig treibt ihn die Sorge, dass die plumpe Macht der Masse die wenigen Leistungsstarken und Systemerhaltenden bedroht, und ihre Ressentiments reine Negation sind, weshalb er den seinerzeit aufkeimenden Nihilismus mit Sorge betrachtete. Damit zählt er zu den Theoretikern des Wirtschaftskriegs als einem Krieg von oben, wodurch verhindert werden soll, dass die Mehrheit die Minderheit majorisiert und damit den Staat als aufgeklärtes Eliteprojekt zerstört. 13. Vilfredo Pareto (1848–1923): Den Ökonomen ist er bekannt als Begründer der modernen Wohlfahrtstheorie, die er, aufbauend auf Erkenntnissen der Grenznutzenschule, entwickelte. Er behauptete, dass sich aus den Nutzenkalkülen der Konsumenten und Produzenten zwar Marktgleichgewichte ergäben, sich diese aber nicht in der Realität herleiten ließen, weil eine exakte Nutzenmessung unmöglich sei. Er zeigte, dass unter der Annahme eines vollkommenen Marktes in einer Konkurrenzwirtschaft die Allokation der Produktionsfaktoren „Pareto-optimal“ ist, d. h. die allgemeine Wohlfahrt nicht mehr zu steigern ist. Der Begriff der Pareto-Optimalität besagt, dass der Nutzen (oder Ertrag) eines Marktteilnehmers nicht erhöht werden kann, ohne dass durch dieselbe Maßnahme der Nutzen (oder Ertrag) mindestens eines anderen Marktteilnehmers vermindert wird. Da eine absolute Nutzenmessung nicht möglich ist, können extrem ungleiche Einkommens- oder Vermögensverteilungen Pareto-optimal sein, wenn sich die Lage der Minderbemittelten nur auf Kosten der Reichen verbessern lässt. Denn es kann nicht bewiesen werden, dass der Nutzenverlust der Reichen durch den Nutzengewinn der Armen überkompensiert wird – was übliche Sozialpolitik unterstellt. Gerade radikalliberale Ökonomen sind für diese Sicht empfänglich. In seinem Hauptwerk Trattato di sociologia generale (1916) postulierte er, dass die meisten menschlichen Handlungen im objektiven Sinne nichtlogisch (subjektiv logisch), deshalb jedoch nicht unlogisch (absurd) seien. Hierzu prägte er den Begriff Residuum als konstanten Kern von Verhaltensweisen und Denkmustern, insbesondere der Neigung zum Verharren und zum Kombinieren, und der Derivation als Versuch des Menschen, nichtlogischen Verhaltensweisen einen logischen Anstrich zu geben. Die Geschichte begriff er als Ansammlung unlogischer Verhaltensweisen aufeinanderfolgender Eliten: Eine herrschende Elite könne ihre Macht durch physische Gewalt
32Der Spruch findet sich in diversen Abwandlungen gelegentlich als Aufkleber auf Autos und wird Bertolt Brecht zugeschrieben.
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gegenüber der nichtherrschenden opponierenden Elite und durch Gefühlskonsens (z. B. Vaterlandsliebe) mit dem Volk erhalten. Diese Form der Herrschaft, die auf dem Residuum des Verharrens aufbaut, sei billig, da keinerlei soziale Zugeständnisse zur Machterhaltung der Elite notwendig sind. Erst wenn die Elite von der „Rückenmarkschwindsucht des Humanitären“ erfasst werde, dem Volke soziale Zugeständnisse mache und ihm Wohlstand zur Erhaltung des sozialen Konsenses gewähre, wenn sie den Frieden dem Krieg vorziehe, die opponierende Elite nicht mehr verfolge und eliminiere, dann erhielten die Residuen der Kombination in der herrschenden Elite die Übermacht; dies führe zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Die herrschende Elite versuche, sich der opponierenden Elite dadurch zu erwehren, dass sie diese z. T. absorbiert und damit ihrer Führung beraubt; die opponierende Elite versuche, die herrschende Elite aus ihrer Position zu verdrängen – das sei die einzige Situation, in der beide Eliten wirklich auf das Volk angewiesen seien, das sich auf die eine oder die andere Seite schlagen könne. In allen anderen Lagen gäben die Eliten nur vor, dem Volk zu dienen, tatsächlich aber bereicherten sie sich an ihm. Hat die bisher opponierende Elite die Führung übernommen und die alte verdrängt, wird sie wieder vom Residuum des Verharrens geprägt, und der Ablauf beginnt von vorn. Wirtschaftliche Verlierer dieser Auseinandersetzung seien die Bezieher fester Einkommen und Rentner, wirtschaftliche Gewinner die Spekulanten, also die Wirtschaftskrieger. Oft wird seine Theorie als Wegbereiter des Faschismus benannt: Zu seinen gelehrigen Schülern zählte insbesondere Benito Mussolini. 14. Thorstein Bunde Veblen (1857–1929): In der The Theory Of The Leisure Class (1899) verweist er auf die Bedeutung des Geltungsnutzens – conspicous consumption – für die wirtschaftlichen Antriebskräfte. Besitz sei Grundlage für gesellschaftliches Ansehen; Statusempfinden sei subjektiv und das Ergebnis neidvollen Vergleichs. Ein Lebensstil als Wohlleben ohne Wertebasis („leisure“) sei verwerflich, führe das Streben danach doch dazu, dass der Mensch in eine ewige Tretmühle gerate. Nur Menschen mit starken religiösen Bindungen können sich dem entziehen und damit ihre Schaffenskraft produktiv nutzen. Der Bedarf nach Geltungs- und Luxusgütern sei ein wichtiger Motor der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung, die auch vom Räuberinstinkt der Unternehmen – ein Bezug zu Werner Sombart – getrieben werde. Viele Innovationen treten zunächst als Luxusgüter auf den Markt, bis durch Nachahmung und Massenproduktion die Preise dafür so stark fallen, dass sie zum Konsum für alle geeignet sind. Er zeigt damit auf die andere Seite des Neids, nämlich auf die der Erzeugung, oft zusammenhängend mit einem Schmarotzertum der Oberschicht und betontem Müßiggang, die Schattenseite einer Polarisierung der Schichten, auf die auch Eric Hoffer hingewiesen hatte. Auf der anderen Seite stehe der Instinct of Workmanship (1914), also die industrielle Kunstfertigkeit und Arbeitsmotivation. Er wurde damit zu einem der wichtigsten Begründer der amerikanischen Schule des Institutionalismus. Thorstein Veblen (1915, 1919) versuchte, seine Überlegungen in die Diskussion um den Ersten Weltkrieg einzubringen, indem er auf die Bedeutung der in
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Deutschland verfestigten Gesellschaftsstrukturen verwies, aber auch die Rolle des amerikanischen Kapitalismus für die Kriegsziele diskutierte. Auseinandersetzungen um materielle Ressourcen müssten erst in einen Streit um spirituelles Kapital (z. B. die nationale Ehre) verwandelt werden, um die Massen für gewaltsame Auseinandersetzungen und Kriege erfolgreich zu mobilisieren.
5.3.3 Die militante Sicht auf die Essenz des Staats Die philosophische Entwicklung der agonalen Staatstheorien sieht den Staat in der Moderne zunehmend an der frontier im Kampf gegen interne und externe Bedrohungen – sei es durch Klassen, Ethnien oder Identitäten; sie fordern seine Notwendigkeit heraus. Dabei werden grundlegende Probleme von Individualität und Identität, des Führens und der Unterwerfung, von Elite und Volk sowie Demokratie und Autokratie thematisiert. Die Staatsphilosophie oder -theorie erhält damit eine politische Richtung, die schließlich, wie der Folgeabschnitt zeigt, zur Legitimation der totalitären Wirrungen des 20. Jahrhunderts wird. 15. Houston Stewart Chamberlain (1855–1927), der Schwiegersohn von Cosima und Richard Wagner: Er wird heute gerne als völkischer, antisemitischer Ideologe des Dritten Reichs, im besten Fall als gebildeter Rassist, gesehen. Sein Buch Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899) basiert auf den sozialdarwinistischen Schriften von Edward Tyler, Herbert Spencer, der die gesellschaftliche Entwicklung von einem kriegerischen Mobilisierungswettbewerb getragen und daher die Kriegsgesellschaft als Kollektivsystem sieht, und insbesondere auf dem Essai sur l'inégalité des races humaines (1853–1855) von Arthur de Gobineau (1816–1882). Diese lehnt er aber inhaltlich ab und übersetzt sie in die Notwendigkeit, hochstehende Kulturen von den Folgen rassischer Durchmischung zu schützen. Seine Weltsicht stellt das Erbe des Abendlands ins Zentrum, also Griechenlands Kunst und Philosophie, Roms Recht und die christliche Botschaft33 und proklamiert einen kulturellen Endkampf. Allein die germanische und die jüdische Rasse hält er für rein gegenüber dem restlichen Menschenchaos, wobei für ihn Germane der ist, der sich als Germane fühlt. Er wählt also eine ethnische und keine rassische Abgrenzung. Nur sie und die Juden hätten seiner Meinung nach das Gebot erkannt, die Rassen rein zu halten, weshalb er letztere nicht als minderwertig sondern als andersartig ansieht. Erst die Überlagerung seiner Rassentheorie durch den Sozialdarwinismus erzeugte die gefährliche Mischung, die sich die Ideologen des NS-Regimes zunutze machten, allen voran Adolf Hitler, aber auch sein Parteiphilosoph und -ideologe
33Ähnlich
Bundespräsident Theodor Heuss (1950) „Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen.“
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Alfred Rosenberg (1893–1946), der eine Unzahl pseudowissenschaftlicher antisemitischer Traktate produzierte. Einfluss gewann Chamberlain dadurch, dass er in der Lage war, seine wissenschaftlichen Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren und damit deren Weltsicht bis hin ins Kaiserhaus, später zu Adolf Hitler, zu beeinflussen. Udo Bermbach (2015) zeigt in der Biographie Houston Stewart Chamberlain: Wagners Schwiegersohn – Hitlers Vordenker die Kulturgeschichte des deutschen Bildungsbürgertums und deren tiefliegende Ursachen als Verführer der Deutschen durch den Nationalsozialismus, wie Herfried Münkler (2015a) in einer Rezension schreibt. Die Einzigartigkeit, die Chamberlain jeder Kultur zuschreibt, führt Oswald Spengler (1880–1936) in dem von ihm postulierten Untergang des Abendlandes (1918, 1922) weiter und macht sie zum Anker einer Pfadentwicklung eines Willens, über die sich Zivilisation konstituiert. In seiner Kulturkreistheorie postuliert er, Geschichte ließe sich vorausbestimmen, aber nicht aufgrund eines dialektischen Prinzips wie bei Karl Marx. Vielmehr ergäbe sich eine grundlegende und unabänderliche Regelmäßigkeit aus Frühzeit, Blüte, Herbst und Spätzeit und der Niedergang, die nicht aufzuhalten sei; ökonomisch erinnert das an den Produktlebenszyklus. Das steht im Gegensatz zu Theorien in der Tradition von Norbert Elias (1897–1990) Über den Prozeß der Zivilisation (1939), die Gesellschaft über starke Individuen und ihr Geflecht erklärt. 16. Arthur Schnitzler (1862–1931): Zunächst als Neuropsychologe ausgebildet und Kollege Sigmund Freuds, gilt in der Literaturwissenschaft als einer der Begründer des inneren Monologs, in dem seelische und äußere Vorgänge aus der Erlebnisund Bewusstseinsperspektive des Erzählenden formuliert werden, was die Totalität subjektiver Eindrücke zu erschließen erlaubt. Seine Skepsis und seine Illusionslosigkeit über die agonale Realität machten ihn zu einem Protagonisten des Nihilismus, einer Weltsicht der Verneinung jeglicher Ordnung und Sittlichkeit. Dieser Begriff wurde vom russischen Dichter Iwan Sergejewitsch Turgenjew (1818–1883) in seinem Buch Väter und Söhne (1862) geprägt. Er wird in Hinblick auf Anarchie und Absurdität auch von Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche aufgenommen. In seinem posthum veröffentlichten Werk Über Krieg und Frieden (1939) schreibt er: „Jeder Krieg wird unter den nichtigsten Vorwänden begonnen, aus guten Gründen weitergeführt und mit den verlogensten Argumenten beschlossen“. Für hybride Kriege und Wirtschaftskriege gilt dies besonders. 17. Werner Sombart (1863–1941): In seinem Werk Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen (1913a, S. 27) sieht er den „kapitalistischen Geist“ der Unternehmer als zentralen Treiber, der eine Wirtschaftsgesinnung besäße, die vom Prinzip der Bedarfsdeckung und vom Traditionalismus zugunsten eines dynamischen Unternehmertums in Form von „Geldgier, Abenteuerlust und Erfindungsgeist“ und Bürgergeist in Form von „Rechnerei und Bedachtsamkeit, …, Vernünftigkeit und Wirtschaftlichkeit“ Abschied nimmt. Tatsächlich wird so ein Unternehmer zum Eroberer und ähnelt eher einem
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erfolgreichen Feldherrn als einem klassischen Handwerksmeister, der im Gildesystem geschützt operieren konnte.34 In seinem Buch Krieg und Kapitalismus (1913b) führt er aus, dass erfolgreiche Militärnationen ihren Geist in die Gesellschaft trügen; die Entwicklung vom Handwerk zum kapitalistischen Betrieb sieht er analog zu dem vom Ritterheer zur stehenden, hochorganisierten Armee, zumal die Tugenden von Militär und Unternehmertum ähnlich seien und an Werte anknüpfen, die Max Weber mit der protestantischen Ethik assoziierte. Diese Ideologie des Kriegs als gesellschaftliche Kraftquelle wird von Hans Joas (1996) als verantwortlich für die Kriegskonformität der Intellektuellen vor 1914 und damit für die Leichtigkeit gesehen, mit der Deutschland in den Ersten Weltkrieg eintrat. Tatsächlich sah Werner Sombart den Krieg durchaus als Katalysator eines Heilungsprozesses für das zerrissene Deutschland und entwickelte, im Kontrast zum Sozialismus, für den er anfänglich durchaus Sympathien hatte, eine auf Autarkie und Antikapitalismus bezogenen Ordnungsentwurf, den er Nationalsozialismus verwirklicht sah. 18. Robert Michels (1876–1936): Der Begründer der modernen Politikwissenschaft sieht den Gegensatz zwischen Führertum und Demokratie als konstitutiv für moderne Gesellschaften an. Für die Organisation des Staats spielt das ordnungsgemäße Funktionieren der „Parteimaschinen“ eine herausragende Rolle, weil hier die entsprechenden Qualifikationen aufgebaut und später machtpolitisch genutzt werden können. Schließlich monopolisiere das System des demokratischen Wechsels die Macht der Parteien, deren Funktionäre nicht zwingend hochqualifizierte, aber machtroutinierte Personen seien. Das werte die Politik in der Öffentlichkeit ab, weshalb die Skepsis der Intellektuellen gegenüber dem politischen Geschäft steige und ihre Bereitschaft, sich einzubringen, sinke. Zunehmend schwinde in einer derartigen Organisation der ideelle Gehalt und es stelle sich die Frage der Macht. Machterhalt werde zentral, weshalb Robert Michels (1911) auch das „Eherne Gesetz der Oligarchie“ postulierte. Der Weg zur Macht bedeute einen mühseligen Aufstieg und eine Integration in die vorhandenen Eliten. Stark beeinflusst hat ihn sein Turiner Kollege Gaetano Mosca (1858–1941), von dem er die Elitetheorie übernahm und der den Begriff der „politischen oder herrschenden Klasse“ in die Soziologie eingeführt hatte. Wie bei Vilfredo Pareto erklärt sich Politik aus dem Willen zur Änderung der Machtverhältnisse. Ganz anders findet man diese Elitegedanken bei José Ortega y Gasset (1883–1955), bei dem sich Eliten durch besondere Qualifikationen auszeichnen, welche die Massen
34Bemerkenswert sind die Ausführungen von Thomas (1901, S. 279) in den Buddenbrooks dazu, wenn er die Geschäftspraktiken des Hermann hagenström, der – ganz Kaufmann der neuen Zeit – das Haus Buddenbrook schließlich zerstört, benennt: „Die legere und großzügige Art, mit der er Geld verdiente und verausgabte, war etwas anderes als die zähe, geduldige und von streng überlieferten Prinzipien geleitete Arbeit seiner Mitbürger.“
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nicht besitzen, der aber genau deshalb auch falsche Gleichheitsideale bekämpft. In seinem Aufstand der Massen (1929/1930, S. 12) schreibt er: „Anderssein ist unanständig. Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht 'wie alle' ist, wer nicht 'wie alle' denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.“ Er hält den Zwang zur Gleichheit für einen wesentlichen Auslöser des Faschismus. Seine Sorge über die Vereinnahmung der Gesellschaft durch die Massen erinnert in Bezug auf deren Intelligenz an Gustave Le Bon und in Bezug auf das Vernichten des Elitären an Friedrich Nietzsche. Die agonale Beziehung zwischen Masse und Macht wird später von Elias Canetti thematisiert. Die Moderne hat hierzu eine teilweise völlig konträre Auffassung entwickelt, wenn sie von Schwarmintelligenz spricht oder wenn James Surowiecki (2005) über die Wisdom of the Crowds und die Grenzen des Expertenwissens schreibt – wobei dem Individuum, das diese Weisheit erkennt, eine Schlüsselrolle zufällt und Vertrauen nur individuell und nicht gegen Gruppen belastbar ist (Surowiecki 2005, S. 273). 1 9. Karl Jaspers (1883–1969): Er vertieft das Gespaltensein, das bereits Søren Kierkegaard ansprach, und thematisierte in seiner Allgemeinen Psychopathologie (1913, S. 271) das Konzept der Grenzsituation, die er von der objektiven Lage und der den Menschen zur Handlung auffordernden, daraus abgeleiteten Situation abgrenzte: „Sofern es aber letzte Situationen gibt, die, obgleich im Alltag verborgen oder nicht beachtet, unumgänglich das Ganze des Lebens bestimmen (wie Tod, Schuld, Kampf als Unausweichlichkeiten), sprechen wir von Grenzsituationen. Was der Mensch eigentlich ist und werden kann, hat seinen letzten Ursprung in der Erfahrung, Aneignung und Überwindung der Grenzsituation.“ Gemeinsam mit Martin Heidegger opponiert er gegen die neukantianischen Strömungen seiner Zeit und verhilft schließlich der Existenzphilosophie zum Durchbruch. In Die geistige Situation der Zeit (1931) widmet er sich dem infolge von Relativismus, fehlender Transzendenz und Nihilismus bindungslosen Menschen, der seine Traditionen aufnehmen muss, um mündig zu werden. Hermes Kick (2009) leitet daraus eine Prozesskette ab, die in eine präkritische Phase, eine Krisis als Grenzsituation und in eine postkritische Phase untergliedert wird. – Der präkritischen Phase gehen Triebe und Gefährdungen, deren Befriedigung und ein daraus folgendes Bewusstsein über existente Dilemmata voraus, das zu Staunen, Zweifel und Angst führt mit der Möglichkeit von Stabilisierung oder Flucht als Lösung; greift diese nicht, verstärken sich die Ambivalenz der Gefährdung und der Druck der Ausweglosigkeit. – In der Krise scheinen lebensdienliche Barrieren wie Schmerz, Scham, Ekel, Moral und Gewissen sowie seelische Strukturen auf, die dann eine Entscheidung erzwingen. – Diese kann sowohl in einer erhellenden, aufklärenden Problembewältigung bestehen als auch in einem Kreislauf aus Rache und Hass; sie legt gleichsam die
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conditio humana offen, also die existenzphilosophischen Kerne aus Angst, Sinnlosigkeit, Tod, Schuld und Entfremdung. Faktisch polarisiert sich die Existenz zwischen agonaler und kooperativer Lösung. Dieses Schisma des fortschrittsgläubigen und utilitaristisch programmierten Menschen, den Massen gegenüberstehend und an sich und dem Gegenüber scheiternd, hat Karl Jaspers deutlich in die Politik hineingetragen: beispielsweise in den Umgang mit dem Terror des Dritten Reichs und in die damit verbundene Frage von Schuld und Sühne sowie in die politischen Weichenstellungen der jungen Bundesrepublik, also die deutsche Teilung oder die Notstandsgesetzgebung. 20. Franz Kafka (1883–1924): Er ist weniger Philosoph denn Literat und gilt heute als Vorbote einer Sicht auf den Staat als undurchsichtiges Machtsystem unter den Bedingungen der Suche nach dem eigenen Ich und des staatlich-sittlichen Handelns, das mit dem Begriff des Kafkaesken vollumfänglich beschrieben wird. In seinen Büchern Das Urteil (1916) oder Der Prozeß (1925), der erst im Nachlass veröffentlicht wurde, nimmt er sich des Schicksals des Menschen in einem ihm absurd erscheinenden Überwachungsstaat an. „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Tatsächlich ist das Werk ein Menetekel angesichts der vollständigen, aber indirekten Kontrolle, die Franz Kafka (1915) in Vor dem Gesetz in der Türhüterlegende aufgreift. Der Rechtsuchende durchschreitet die offene Tür des Gesetzes aus eigener Entmündigung nicht mehr. In dem Buch In der Strafkolonie (1919) wird ein scheinbar konsistentes Rechtssystem dargestellt und an ihm gezeigt, wie fanatische Ideologie und Technologie bei fehlender Gewaltenteilung den Menschen unterwerfen können. 21. Carl Schmitt (1888–1985) ist einer der umstrittensten aber auch einer der begabtesten deutschen Staatsrechtler. Ihm verdankt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Ewigkeitsgarantie, also die Unantastbarkeit der ersten Artikel; Ausgangspunkt waren in der Weimarer Republik seine verfassungsrechtlichen Einwände gegen das Außerkraftsetzen von wesentlichen Verfassungsbestandteilen durch das Parlament. Zugleich war er aber auch ein antibürgerlicher, antiliberaler Staatstheoretiker und sympathisierte mit den Nationalsozialisten. Zeit seines Lebens – auch nach dem Zweiten Weltkrieg und wissend um die Shoa – war er ein glühender Antisemit, wie Reinhard Mehring (2018) in Vom Umgang mit Carl Schmitt zeigt. Er begründete die wissenschaftliche Disziplin der Verfassungslehre und analysierte die Frage von Macht und Gewalt und ihre Verortung im Rechtssystem. Nach seiner Vorstellung sollte ein starker Staat eine freie Wirtschaft gewährleisten, weshalb das politische System sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren müsse und insbesondere zu verhindern sei, dass der Staat Beute von Interessensgruppen werde. Gerade der Liberalismus sei nicht willens und fähig, sich gegen Interessensgruppen zu wehren; er warf ihm Unentschlossenheit und Führungsunfähigkeit vor, denn er ersetze Entscheidungen durch Endlosdebatten. Auch im parlamentarischen System solle die „blutige Entscheidungsschlacht“
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gesucht werden, um konsequent politische und ökonomische Räume zu gestalten, statt im Unverbindlichen zu verharren. Kompromiss setzte er folgerichtig mit Schwäche gleich, Liberalismus mit Libertinage, die das Durchsetzen von Lebensrecht zunichtemachen. Damit ist er auch ein Antidialektiker, weil es für ihn nur eine radikale Lösung gibt, und ein früher Protagonist der politischen Alternativlosigkeit. Tatsächlich vertritt er eine Staatstheorie, die sich nicht vom (gewünschten) Normalfall friedlicher Umstände sondern vom Ausnahmefall definiert, womit die Rechtsordnung als übergeordnete Norm eine besondere Stellung gewinnt. Folgerichtig identifiziert Carl Schmitt Feindschaft als politischen tatsächlich relevanten Ausnahmezustand. Der Begriff des Politischen (1927) verdeutlicht den radikalen, nicht zu überwindenden und damit auch nicht zu harmonisierenden und agonal bleibenden Antagonismus zwischen Freund und Feind – Feind im staatlichen Sinne (hostis) nicht im persönlichen (inimicus), der sich auch zunächst der moralischen Wertung entzieht.35 Diese anthropologische Sicht auf die Existenz des Menschen und der Begriff des Feinds werden zum Kern des Politischen. Er schreibt (Schmitt 1932, S. 27): „Die eigentlich politische Unterscheidung ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt menschlichen Handlungen und Motiven ihren politischen Sinn; auf sie führen schließlich alle politischen Handlungen und Motive zurück. … „Zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines bewaffneten Kampfes, das bedeutet hier eines Krieges. … Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist seinsmäßige Negierung eines anderen Seins.“ Diese Feindschaft existiert in drei Ausformungen: der konventionellen, der wirklichen und der absoluten. Während erstere den Ausgleich und den Frieden ermöglicht, kennt letztere keine Rücksicht oder Einhegung – in der Sprache von Josef Göbbels ist sie total – wegen der postulierten eigenen Überlegenheit und dem damit verbundene Aufbau von Allmachtphantasien und Feindbildern. Im Vorwort führt er aus: „Die Hegung und klare Begrenzung des Krieges enthält eine Relativierung der Feindschaft. Jede solche Relativierung ist ein großer Fortschritt im Sinne der Humanität. Freilich ist es nicht leicht, ihn zu bewirken, denn es fällt den Menschen schwer, ihren Feind nicht für einen Verbrecher zu halten. Dem europäischen Völkerrecht des zwischenstaatlichen Landkrieges ist der seltene Schritt jedenfalls gelungen. Wie er anderen Völkern gelingen wird, die in ihrer Geschichte nur Kolonial- und Bürgerkriege kennen, bleibt abzuwarten. Auf
35Helmuth
Lethen (2018) kleidet in seinem Buch über Die Staatsräte – Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt das genannten Quartett in fiktive Diskussionen, die gerade in Bezug auf Carl Schmitt lesenswert sind, weil dessen Radikalität des Denkens und Antiliberalität deutlich: Der Feind sei omnipräsent wie Satan und es gäbe eigentlich gar keine Freunde, nur Feinde, und der Mensch im Sinne der politischen Anthropologie ein gefährliches Wesen (Lethen 2018, S. 123–149).
5.3 Staat als Ort des Konflikts
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keinen Fall ist es ein Fortschritt im Sinne der Humanität, den gehegten Krieg des europäischen Völkerrechts als reaktionär und verbrecherisch zu ächten und statt dessen, im Namen des gerechten Krieges, revolutionäre Klassen- oder Rassenfeindschaften zu entfesseln, die Feind und Verbrecher nicht mehr unterscheiden können und auch nicht mehr unterscheiden wollen.“ Demzufolge seien politische – und auch ökonomische – Normen ein klares Ergebnis der Entscheidung zwischen Freund und Feind. Dieser Gegensatz werde damit auch nicht im Sinne einer Dialektik aufgelöst, er sei vielmehr eine Konstante. Der Mensch müsse sich auf der irdischen Ebene ebenso entscheiden wie auf der transzendenten – dort zwischen Gott und Satan. Krieg sei die externe Realisierung von Feindschaft und werde damit zu einer konstitutiven Rechtfertigung des Staats; er sei nicht Vater aller Dinge aber Vater des Staats. Ein Weltstaat werde zur contradictio in adjecto, weil Krieg dort nicht mehr möglich sei und der Staat seine Funktion verliere. Dann existiere nur noch Gesellschaft als soziale Struktur. Diese Dualität führe zu folgenden spezifischen Ausformungen: – Staat: Freund – Feind, – Moral: gut – böse, – Kunst: schön – hässlich, – Ökonomie: nützlich – schädlich bzw. effizient – ineffizient, – Religion: heilig – frevlerisch. Detlef von Daniels (2019) führt in Die zarten Seelen freier Bürger aus, dass damit der liberalen Sicht des Populismus als ein Feld für Abgehängte und Minderbemittelte, weil nicht hinreichend komplex und rational denkend, eine völlig eigenständige Sicht entgegengesetzt wird. Denn die Unterscheidungsdualismen, speziell Freund – Feind, impliziert eine Welt der kriegerischen und ideologischen Auseinandersetzungen, der Ungerechtigkeiten mit allenfalls Inseln des Rationalen und Liberalen. Das populistische entspricht dem agonalen Urzustand, nicht die liberale Welt einer Fairness nach John Rawls. Carl Schmitts Ziel war die autoritäre Präsidialdiktatur, da der Souverän jenseits der gültigen Rechtsordnung zu verorten sei. Denn, wie er in der Politischen Theologie (1922) ausführte, sei der Diktator im revolutionären Umfeld die konstituierende Macht (pouvoir constituant), ansonsten sei er an die konstituierte Macht gebunden (pouvoir constitué). Hierzu führt er gleich in der ersten Zeile seiner Schrift aus (Schmitt 1922, S. 13): „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Noch detaillierter: „Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muß hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muß eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale Zustand wirklich herrscht.“ Die damit dem Herrscher gegebene Definitionsmacht findet ihre deutlichen Entsprechungen in den Erklärungen der Gegenwart zum Thema Finanzkrise, Schuldenkrise, Klimakrise und den damit geübten antidemokratischen Praktiken. In der Tat ist die Souveränität der Europäischen Zentralbank (EZB) durch das ihre konstitutiven rechtlichen
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Vorgaben mindestens überdehnende wenn nicht sogar brechende Mandat deutlich geworden.36 Carl Schmitt sympathisierte stark mit der Idee einer volonté générale im Sinne von Jean-Jacques Rousseau und damit aus staatlicher Sicht mit starken kollektiven Idealen des Diktatorischen, des ultimativ Souveränen. Er vertrat ein Primat des Politischen gegenüber dem Rechtlichen, das dem folgen müsse. Faktisch gibt er damit das vor, was heute als chinesisches Modell bezeichnet werden kann, weshalb er zu den dortigen Haus-und-Hof-Philosophen zählt. Zugleich ist das die Vision der Europäischen Zentralbank unter Mario Draghi. Tatsächlich scheinen hier starke anthropologische Vorstellungen durch, die Machtstreben und Machterhalt zu einer sozialdarwinistischen Maxime erheben und damit der aufklärerischen Moderne ebenso eine Abfuhr erteilen wie einer schwächlichen Moralität. Wirkliches Primat hätten die existentiellen Fragen, in denen ein Souverän auch den Krieg und das Vernichten der Gegner anordnen dürfe. Ganz nahe operiert Carl Schmitt in Bezug auf die Alternativlosigkeit des Handelns der modernen Politik, die schon in der Postdemokratie von Colin Crouch (2004), später in der Theorie der Sachzwänge von Helmuth Schelsky (1961) aufschien: In seinem Werk Die Diktatur (1921) treibt er das Agonale auf die Spitze: „Daß jede Diktatur die Ausnahme von der Norm enthält, besagt nicht zufällige Negation einer beliebigen Norm. Die innere Dialektik des Begriffs liegt darin, daß gerade die Norm negiert wird, deren Herrschaft durch die Diktatur in der geschichtlich-politischen Wirklichkeit gesichert werden soll.“ In der Finanzkrise ist dies genau das, was die Regierungen, teilweise an den Parlamenten vorbei, durchgesetzt haben, nämlich die Norm der Stabilität zu negieren, die das Demokratische sichern soll. Und dabei ist – ganz im Sinne von Carl Schmitt, kein rechtsfreier Zustand gemeint. Es ergibt sich ein wichtiger Anknüpfungspunkt zu den im zweiten Kapitel getroffenen Ausführungen von Joseph Vogl (2010/2011): Er behauptet, die Finanzmärkte haben sich, seit dem 17. Jahrhundert entreferentialisiert und zunehmend von der Realwirtschaft entkoppelt. Seine Krisenvorstellungen knüpfen an die Konzepte von Hyman Minsky (1982) an, der sich mit den Instabilitäten der Märkte befasste und dessen Auffassungen gegenwärtig Hochkonjunktur haben: Anstelle von durch reale Einkünfte abgesicherten Investitionen verleiten dauerhaft niedrige Zinsen zu Investitionen mit niedriger Rentabilität, weshalb die Werthaltigkeit des Finanzvermögens scheinbar steigt. Bei steigenden Zinsen mündet dies in ein Schnee-
36Der
Staatsrechtler Martin Kriele führt in der Einführung in die Staatslehre (2013, S. 273) aus: Im demokratischen Verfassungsstaat kann es keinen Souverän geben. Nur wenn es keinen Souverän gibt, gibt es eine verlässliche, auf Menschenrechten und nicht nur auf Toleranz beruhende Freiheit.“ Wenn das Volk den Verfassungsstaat per Mehrheitsbeschluss abschafft, dann „steht es jedenfalls nicht innerhalb des Verfassungsstaats“, sondern außerhalb – ebenso wie bei dessen Begründung. Die Frage nach dem Souverän bleibt davon unberührt.
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ballsystem der Finanzierungen, um die Liquidität aufrechtzuerhalten – bis zum Zusammenbruch, dem sogenannten „Minsky-Moment“. Der Mathematiker Benoît Mandelbrot (2005), der die Hysterie der Preisentwicklungen und die Entkopplung von den realen Grundlagen analysierte, bezeichnet dies als freak events. In seinem Buch Der Souveränitätseffekt postuliert Joseph Vogl (2015), souverän sei der, der „eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz plaziert!“ und führt aus, dass diese neue Herrschaft eine über künftige Renditen sei, der auch durch die Ökonomisierung des Regierens Vorschub geleistet wird. Das ist Carl Schmitt auf die Gegenwart bezogen! 22. Martin Heidegger (1889–1976) war der Nachfolger auf den Lehrstuhl des wohl berühmtesten jüdisch stämmigen deutschen Philosophen und Mathematikers des 20. Jh. und zugleich Begründers der philosophischen Phänomenologie, Edmund Husserl (1859–1937) in Freiburg. Dieser beeinflusste ihn und später auch die französischen Existentialisten in hohem Maße. Martin Heidegger begründete in seinem Hauptwerk Sein und Zeit (1927) die Fundamentalontologie. Ist die Ontologie eine Forschungsrichtung, die der Wirklichkeit eine Ordnung entlang von Entitäten und ihren Beziehungen geben will, so versucht die Fundamentalontologie, für alternative Ontologien eine gemeinsame Basis bereitzustellen, indem die Existenz der Dinge, ihre komplexe Interaktion sowie die Sprache als Gegenstand der Analyse in den Vordergrund gestellt werden. Denn in der Sprache finden die Realität und die Nichtwirklichkeit ihren Niederschlag, weshalb sie als geeigneter Analysegegenstand angesehen wird. Aus dieser Sicht hat die Ontologie starke Beziehungen zum klassischen griechischen Konzept der Metaphysik. In der Sprachtheorie und in der Metaphysik beeinflusste er schließlich auch den späten Ludwig Wittgenstein (Geier 2017). Dieser gilt heute deshalb als ein Protagonist des digitalen Zeitalters, weil er früh die Frage aufwarf, worin sich der Mensch von der Maschine unterscheide; dies betrachtete Martin Heidegger im Blauen Buch (1958) unter den Fragen „Was ist Schmerz?“, „Was ist Denken?“ oder „Was ist Meinen?“. Durch sie und den sprachlichen Ausdruck nehmen Individuen ihr Gegenüber als Menschen war, weshalb Empathie für ihn ein intrinsischer Teil des Humanum war Im Zentrum der Analyse stehen bei Martin Heidegger das Sein, also die Existenz, und die Machenschaftlichkeit, also das Handeln. Nach Martin Heidegger führe die moderne Technik zu einer veränderten Auffassung der Wertestrukturen und berge die Gefahr der Zerstörung der Ressourcen, weshalb er die Technik von der Kunst abgrenzt, bei der diese Gefahr nicht bestehe. Das Wesen der Technik beruhe auf dem es konstituierenden „Gestell“, das wiederum im Sinne eines „lock in“ die Gefahr birgt, irreversible Prozesse in Gang zu setzen. Der Mensch sei ein Gast auf der Erde und nicht befugt, ihre Existenzgrundlagen zu vernichten. Heidegger ist hier ganz modern, nämlich Repräsentant einer Antimoderne und Technikskepsis sichtbar, die heute weit in die Mitten der Gesellschaft hineinreicht. Aber genau diese Existenzvernichtung geschähe im Selektionsprozess. Denn der menschliche Subjektivismus, der das Seiende betone und ihm ein Primat gebe, mache sich zugleich zum Subjekt
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und zum Objekt des Selektionssystems; er werde damit zum Maß aller Dinge mit dem von Carl von Clausewitz angesprochenen Eskalationspotential. Tatsächlich geht hier der Humanist weiter als der Egoist, denn er rekurriert auf die Allmacht eines sich selbst definierenden Geistes.37 Dabei denke der Mensch in Kategorien, die vor der Unterscheidung in Theorie und Praxis lägen, während die Sprache als Herrschaftsinstrument das Denken verfälsche und damit die konfliktbezogenen Kommunikationen korrumpiere. Als Folge davon würde der Humanismus zu einem natürlichen Komplizen aller Totalitarismen. Das erinnert an das Zitat von Franz Grillparzer (1791–1872), der in der Jüdin von Toledo (1855) ausführt: „Der Weg der neueren Menschheit geht vom Humanismus über den Nationalismus zum Bestialismus.“ Das verdeutlicht anschaulich Martin Heideggers dunkle Seite.38 Diese Betrachtung war auch Arthur Schopenhauer (1788–1860) nicht fremd, der die Idee einer unabhängig von der Wahrnehmung existierenden Welt ablehnte: Die damit verbundene Wirklichkeit geht über eine imaginative Vorstellung hinaus. Der Mensch erfahre in dieser Welt durch Eigenbeobachtung sein Selbst, insbesondere seinen Willen, der der grundlose Hintergrund hinter allem, auch den Naturgesetzen ist. Damit werde dieser unbedingte Wille blind und voluntaristisch. Die Selbsterfahrung dieser Welt als Vorstellung drücke die personifizierte und erkenntnisorientierte Wahrnehmung aus – es gebe damit kein Objekt ohne Beobachter, also Subjekt. Handeln könne nicht ohne Bezug zur rationalen Welt erfolgen, womit die Willensfreiheit relativiert werde. Sein berühmter Spruch „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“ aus dem Werk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) verdeutlicht, dass dem Handeln stets – außer im Zustand der Melancholie, in dem sich der Mensch davon emanzipiert – ein Wille und damit ein Wollen zugrunde liegt, und dieses Wollen dient vor allem dem Vermeiden eigenen Leids. Um dies politisch durchzusetzen, müssen die Intelligenten und geistig Überlegenen herrschen, insbesondere auch, weil auf den Materialismus der Gesellschaft der Bestialismus folge. Dieses Wollen aufgrund philosophischer Überlegungen lasse sich aber nicht direkt in politisches Handeln umsetzen. Tatsächlich gibt es einen unüberbrückbaren Hiatus zwischen Philosophie und Politik, also eine Entkopplung von Handlungsbereitschaft, den Antrieb, und Handeln, den Vollzug. Der in vielen Aspekten dem Nationalsozialismus zugeneigte Martin Heidegger machte diese Erfahrung ebenso wie Jean-Paul Sartre in Bezug auf den Kommunismus und Stalinismus. Tatsächlich
37Erinnert
sei hier an die Überlegungen von Stephen Hawkins (1988, insbes. Kap. 8) zur Quantentheorie, der die Tatsache, dass Materie aus dem Nichts entsteht, als Anti-Gottes-Beweis ansieht und damit auch der Transzendenz keinen Raum gibt. 38Erinnert sei hier an das Werk Das Parfum von Patrick Süskind (1985), welches das Häuten der Laure Richis als 35. Opfer von J ean-Baptiste Grenouille als Rechtfertigung des ehernen Ziels sah, das ultimative Parfum zu gewinnen.
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geht der Rassismusvorwurf ins Leere, wie Wolfram Hogrebe (2015) anlässlich der Veröffentlichung des Nachlasses der Jahre 1931 bis 1948 kommentiert, die infolge der Farbe der Kladde, in der sie Heidegger niedergeschrieben hatte, als Schwarze Hefte apostrophiert werden. Hogrebe führt aus, dass Heidegger zwar ein kultureller Antisemit war, aber kein vulgärer oder biologistischer Rassist, weshalb Hannah Arendt (1906–1975) seine Schülerin und auch seine Geliebte sein konnte und von ihm sagte (zitiert nach Hogrebe 2015, S. 61), er habe „keinen Charakter und folglich auch keinen schlechten.“ 23. Elias Canetti (1905–1994): Das staatstheoretische Hauptwerk Masse und Macht (1960) des späteren Literarturnobelpreisträgers des Jahres 1981 betrachtet das Spannungsfeld zwischen Ego und Masse anthropologisch aus diversen Perspektiven der Machtausübung. Gleich zum Eingang seines Buchs formuliert er das menschliche Urproblem (Canetti 1960, S. 9–10): „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“ … „Alle Abstände, die die Menschen um sich geschaffen haben, sind von dieser Berührungsangst diktiert.“ … „Es ist die Masse allein, in der der Mensch von dieser Berührungsfurcht erlöst werden kann.“ Die Masse ist ein von Affekten geleitetes Gebilde (Canetti 1960, S. 12–13), das dem Menschen die Furcht vor Berührungen nimmt. In einer Art „Entladung“ befreit sich der von der Masse umfasste Mensch von seiner Individualität. Zugleich entsteht eine Rivalität zu Andersartigen außerhalb der Masse – auch gegenüber anderen Massen – welche in einen Überlebenskampf münden kann. Panik sei ein spontanes Zerfallen der Masse. Der Krieg sei ein Konflikt zwischen Massen – er ist dann entschieden, wenn der Haufen an Toten und Verletzten beim Gegner größer ist als der eigene. Zu jedem Kampf gehören zwei Massen: Aus Sicht der eigenen Partei die der lebenden Krieger, aus Sicht auf den Gegner der wünschenswerte Haufen der Toten. Diese Verschränkung bezeichnet Elias Canetti (1960, S. 66–79) als Doppelmasse. Derartige Massen haben vier Eigenschaften: Sie wollen immer weiter wachsen, es herrscht innerhalb der Struktur Gleichheit, die Masse rückt gerne zusammen und liebt Dichte und sie braucht eine Richtung, die nicht nur spontan, sondern durch einen Führer vorgegeben wird. Dabei verwendet die Masse einen eigenen Symbolismus, der zugleich in einer bildreichen Sprache zum Ausdruck kommt. Denn die Massensymbole wie beispielsweise Feuer, Meer, Regen, Wald, Korn und Wind, die Elias Canetti (1960, S. 81–100) benennt, werden auch zur Verdeutlichung von Massenphänomenen verwendet und damit zu Metaphern, wenn beispielsweise Massen, immer in Unruhe, wie ein Meer wogen, aber ein Heer wie ein verwurzelter Wald standhaft ist. Besitzt die Masse einen Führer, dann sei dieser nicht wie bei Gustave Le Bon oder bei Sigmund Freud ein aus der Masse hervorgegangenes Phänomen oder eine Folge kollektiver Libido. Vielmehr sei er die Folge der Todesdrohung aufgrund eines Befehl-Gehorsam-Systems. Eine besondere Masse ist die Meute, die sich als Jagd- und als Kriegsmeute manifestiert (Canetti 1960, S. 101–124). Jagdmeuten erinnern an historische
370
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Konquistadoren ebenso wie – aus der Perspektive der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 – Bankmitarbeiter, die unbedarfte Kundenkreise mit Ramschpapieren, beispielsweise von Lehman Brothers, „erlegten“.39 Teilnehmer an unternehmerischen oder staatlichen Wirtschaftskriegen können als Kriegsmeuten bezeichnet werden, denn zu jeder Meute wird eine Gegenmeute benötigt. Oft liege die Grundlage für die Herausbildung derartiger Strukturen in einer Niederlage, dann bildet sich zunächst eine Klagemeute, aus der dann eine Kriegsmeute hervorgeht und die, im Falle eines Sieges, ihren Triumph feiert und damit die Attraktivität der Gruppe erhöht – sie wird in der Sprache von Elias Canetti zur Vermehrungsmeute. Befehl und Gehorsam, an die der Mensch von klein auf gewöhnt ist und die quasi als Sozialisierungskonstante gelten, erklären die Machtverhältnisse über Meuten. Sie basieren auf dem Recht des Stärkeren, das besonders autoritäre und totalitäre Strukturen auszeichnet. Der Befehl hat einen Anspruch auf Vollzug, der Empfänger weiß um die Macht, die im Befehl liegt und die Möglichkeiten der Sanktionierung bei Nichtbefolgen – im Extremfall ist es eine Entscheidung über Leben und Tod. Elias Canetti (1960, S. 335–371) zerlegt nunmehr den Befehl in zwei Komponenten, nämlich in den Antriebs- bzw. Anreizanteil und den Stachel. Durch Ersteren handele der Mensch im Extremfall aus Angst vor Bestrafung und tue das, was der Befehlsgeber verlangt. Weil es nicht freiwillig geschehe, verbleibe ein Stachel. Dieser schmerze dauerhaft und könne nur aufgelöst werden, wenn sich entweder das Befehlsverhältnis umkehre, also der Befehlsgeber zum Befehlsempfänger werde – ein Phänomen, das bei Regimeänderungen besonders häufig auftritt – wenn sich also die Machtverhältnisse zwischen Regulatoren und Regulierten in der Wirtschaft verändern, oder wenn der Befehlsempfänger selbst nachgelagerten Individuen oder Gruppen Befehle geben und damit eigene Macht verspüren könne. Die Präsenz des Befehlsstachels führe zu Handlungen bis zur Selbstverleugnung. Erst wenn die Befehlsquelle eliminiert sei, können die Folgen im Sinne einer Vernunft erkennbar werden – die Täter können diese aber unter Berufung auf eine Art Befehlsnotstand nicht auf sich beziehen. Auch dieses Phänomen sei gleichermaßen bei der Ahndung massenhafter Kriegsverbrechen und beim Handeln im Wirtschaftskrieg, besonders beim bewussten Vernichten des Vermögens Dritter, zu beobachten. 24. Jean-Paul Sartre (1905–1980): Er postuliert in seinem Hauptwerk L'être et le néant (1943), der Mensch sei dazu verurteilt, frei zu sein, und entwickelt hieraus den Existentialismus zu einer politischen Philosophie, die die gesellschaftlichen Debatten Europas in den sechziger Jahren erheblich beeinflusst hat. Berühmt ist sein Spruch „Die Existenz geht der Essenz voraus“, weil der Mensch in eine Welt
39Der
Hedgefonds Bridgewater wurde so auffällig, dass sich sogar die Menschenrechtskommission des amerikanischen Bundesstaats Connecticut mit ihm beschäftigte – er gilt wegen seiner Mischung aus Sexorgien, Einschüchterung, Angst und Überwachung als „finsteres Reich“ (Hulverscheidt 2016c: 21).
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geworfen werde, in der es zunächst weder Gut noch Böse gibt, der Mensch also erst durch sein Handeln zum Individuum wird. Unter diesen Bedingungen ist alles moralisch, was der Mensch verantworte – im Extremfall also auch das Töten. Der Mensch sei sein eigener und einziger Gesetzgeber. Später schränkte er diese Aussage vor dem Hintergrund der politischen Erfahrungen ein, weil sein Existentialismus als Antihumanismus aufgefasst werden musste. Insbesondere die frühere Hinwendung zum Marxismus relativiert er, weil er bei diesem einen Endzustand postuliert sieht, der im Widerspruch zum existentialistischen Geworfensein steht. 25. Albert Camus (1913–1960): In Algerien geboren, entwickelt er sich zum zweiten zentralen Existentialisten der französischen Schule und bricht bereits früh mit dem Kommunismus. In den drei Kernromanen Le Mythe de Sisyphe (1942a)40, L’Étranger (1942b) und La Peste (1947) thematisiert er die Konfrontation von Individuen und Institutionen mit dem Absurden, also der Unmöglichkeit, dem Elend der Welt einen Sinn abzugewinnen. Die Erkenntnis dieser Absurdität verhelfe, diese anzunehmen und sich gegen sie aufzulehnen. Allein das persönliche Engagement der Sinnsuche befreie hiervon, erzeuge jedoch existentielle Konflikte, weil die Alternative die Revolte sei. Der Mensch habe die Wahl, das Absurde anzunehmen und damit – wie Sisyphos – ein glücklicher Mensch zu sein oder das Absurde umzudrehen und durch Selbstmord den Zyklus zu beenden. Das alles ist heute ein Prototyp für die Lage in der Finanzkrise seit dem Jahre 1988 und ihrer Protagonisten. Denn einerseits erscheinen die beobachtbaren Vorgänge für die Bevölkerung als absurd, andererseits verlangt sie nach Erklärungen, die ihr vorenthalten werden – oder in den Worten des Arztes Bernard Rieux: „Die einzige Art, die Pest zu bekämpfen, ist die Wahrheit“ (Camus 1947, S. 54; eigene Übersetzung). 2 6. Ayn Rand (1905–1982): Die eigentlich als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in Russland Geborene postuliert das Primat der individuellen Moralität. Es existiere eine vom Bewusstsein unabhängige Realität, weshalb ihre Lehre auch als Objektivismus bezeichnet wird. Diese könne durch Rationalität, Logik und saubere Empirik erfasst werden. Damit werde Rationalität zu einer ethischen Primärtugend und begründet einen rationalen Egoismus, den die Hauptfiguren ihrer Romane, beispielsweise Howard Roark in The Fountainehead (1943) oder John Galt in Atlas Shrugged (1957) leben, die alle Einzelkämpfer sind. Die erste Aufgabe des Staats sei daher die Gefahrenabwehr, nicht die Hilfe für Bedürftige. Vielmehr müsse sich die Gesellschaft davor hüten, die Kreativen und Motivierten permanent durch vorgeblich sozialpolitisch begründete Fesseln zu lähmen, weshalb es Aufgabe des machtvoll agierenden, rationalen Individuums sei, diese Fesseln zu sprengen. Altruismus ist folglich ein die eigene Leistung enteignender Zwang, Egoismus hingegen der Weg, ein Staatswesen ausbeutungsfrei zu konstituieren. Gefordert wird maximale
40Sie
ist eine Adaptation der Figur des Abraham aus Kierkegaards Furcht und Zittern (1842).
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individuelle Freiheit ohne Rücksicht auf soziale Freiheiten41 und damit verbundene staatliche Ordnungsfunktionen, die beispielsweise der französische Philosoph Émile Durkheim (1858–1917) in seinem Buch Le socialisme (1896/1928) angesichts der kapitalistischen Verwerfungen einforderte. Vielmehr beschränken sich die öffentlichen Aufgaben auf die Polizei – das Unterbinden von Kriminalität –, die Gerichtsbarkeit – das Sichern von Eigentum – und das Militär – den Schutz vor fremden Eroberern. Ihre Vorstellungen haben im Wesentlichen den philosophischen Unterbau der totalen Deregulierung der Märkte ab den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begründet – und viele Politiker und Ökonomen wie Ronald Reagan (1911–2004), Margaret Thatcher (1925–2013) oder Alan Greenspan (1926-) berufen sich auf Ayn Rand. Letzterer schrieb – ganz in der Tradition des Fountainehead in einem Essay über Gold & Economic Freedom (1966) zur Weltwirtschaftskrise 1929: „Stripped of its academic jargon, the welfare state is nothing more than a mechanism by which governments confiscate the wealth of the productive members of a society to support a wide variety of welfare schemes. A substantial part of the confiscation is effected by taxation. But the welfare statists were quick to recognize that if they wished to retain political power, the amount of taxation had to be limited and they had to resort to programs of massive deficit spending, i.e., they had to borrow money, by issuing government bonds, to finance welfare expenditures on a large scale.“ Der Steuerstreit in den USA in den Jahren 2012 und 2013 ist ohne diese egoistische ideologische Fixierung ebenso wenig zu verstehen wie das Handeln in der Krise geretteter Unternehmen, die den amerikanischen Staat, wie der Versicherungskonzern AIG, auf Entschädigung verklagen wollten. 2 7. Samuel Huntington (1927–2008): Er begann seine Karriere als Sicherheits- und militärpolitischer Berater, insbesondere analysierte er das Spannungsverhältnis zwischen der Militär- und der Zivilgesellschaft. Er verwies auf die Notwendigkeit, klare Konfliktanalysen durchzuführen, um die systemischen Zusammenhänge zu erfassen und zu bewältigen, um Friedensordnungen schaffen zu können. Als Harvard-Professor für Politikwissenschaft sowie als Berater der US-Regierung leistete er mit seinem Buch Clash of Civilisations and the Remaking of World Orders (1996) einen wichtigen Beitrag zur Analyse der modernen Konfliktlinien von Gesellschaften, das allerdings nicht ohne massive Kritik blieb, weil seinen Aussagen rassistische Implikationen unterstellt werden. Bereits vor ihm hatte Benjamin Barber (1995) mit dem Buch Jihad vs. McWorld auf den Antagonismus zwischen einer Orientierung an der Ethnie (tribalism) und an den Marktsystemen des globalen
41Grundlegend
ist die Idee, dass viele Freiheitsgüter tatsächlich öffentliche Güter sind und gemeinsam entwickelt werden können. Zudem könne durch soziale Freiheit der Antagonismus zwischen den drei Idealen der Französischen Revolution, nämlich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, aufgelöst werden (Honneth 2015, S. 51–83).
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Kapitalismus hingewiesen. Richard David Precht (2015) bringt es in einem Beitrag auf den Punkt: Der Kampf zwischen dem blutleeren Kapitalismus und der blutigen Politik derer, die um ihre Identität fürchten. Huntingtons zentrale Frage lautet: Welche zivilisatorischen Entwicklungen haben die Demokratie begründet und in drei Wellen von der Aufklärung bis heute immer größere Anteile der Weltbevölkerung einbezogen? Dabei betrachtet er die modernen westlichen Gesellschaften als fragile Gebilde, die nicht mehr durch Ideologien zusammengehalten werden, zumal die stark begünstigende Kraft des Kalten Kriegs – und an anderer Stelle dessen konfliktverhindernde oder – eindämmende Wirkung – entfallen ist. Damit treten neue zivilisatorische Konflikte auf. Er schreibt in Foreign Affairs (1993): „It is my hypothesis that the fundamental source of conflict in this new world will not be primarily ideological or primarily economic. The great divisions among humankind and the dominating source of conflict will be cultural. Nation states will remain the most powerful actors in world affairs, but the principal conflicts of global politics will occur between nations and groups of different civilizations. The clash of civilizations will dominate global politics. The fault lines between civilizations will be the battle lines of the future.“ Von den wesentlichen acht zivilisatorischen Pfaden, die es auf der Welt gibt, nämlich der westlichen Welt, der östlichen Orthodoxie, des katholischen Süd- und Mittelamerikas, des Islam, Schwarzafrikas, Chinas, der Hindus, der Buddhisten und Japans, sieht er drei, nämlich den islamischen, den chinesischen und den hinduistischen, als zentrale Herausforderung. Dabei entstehe das Problem, dass sich besonders die muslimische Zivilisation gegenüber nichtmuslimischen Zivilisationen abgrenze und damit ein hohes Aggressionspotential entfalte. Er gibt dafür folgende Erklärungen: 1. Fundamentalismus: Ein Rekurs auf fundamentale Strukturen entwickelte sich, nachdem andere Bindungskräfte schwächer werden; es sei nicht zu erwarten, dass historisch gewachsene Bindungskräfte, beispielsweise die Religion, einfach verschwänden. Eine universalistische Kultur werde nicht entstehen. 2. Das globale Dorf und ökonomischer Regionalismus: Die Welt rücke zusammen und das Machtgleichgewicht der Kulturkreise verschiebe sich. Unterschiedliche Werthaltungen werden wesentlich fühlbarer als vorher, und fundamentalistische Anschauungen stabilisieren sich. 3. Neue Identitätsbegründung und die Stabilität der kulturellen Identitäten: Lokale und regionale Identitäten werden durch die Globalisierung geschwächt, sodass religiöse Identitäten diese distanzüberwindend ersetzen. Es entstehen auf konkurrierenden Werthaltungen gründende Gesellschaften, für die sich weit schwieriger Kompromisse finden lassen als für politische oder wirtschaftliche Fragestellungen. 4. Die duale Rolle des Westens: Er polarisiere den Rest der Welt und erzeuge Grenzkonflikte, weil er einmal Vorbild und Macht (im Zweifelsfall mit den
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USA als Hegemon) darstelle, zum anderen in Konkurrenz zu den eigenen Traditionen stehe. Amerika müsse sich zurücknehmen und gleichzeitig führen. Dabei entstehen zwei Arten von Konfliktlinien, nämlich Bruchlinienkonflikte und Kernstaatenkonflikte. Erstere seien gekennzeichnet durch unmittelbare Nachbarschaftsauseinandersetzungen, hier seien beispielsweise die Balkankonflikte einzuordnen. Sie haben allerdings eine begrenzte Auswirkung, können also im Gegensatz zu den Kernstaatenkonflikten, die große Staaten einbeziehen, auch im Sinne externer Interventionen eingedämmt werden. Eine wichtige Argumentation betrifft die Modernisierung der Zivilisationen, insbesondere die Nichtkernmodernisierung (beispielsweise Russlands), die nach seiner Meinung autoritäre Entwicklungen bevorzugt, um ein Land zu stabilisieren, weshalb er auch dem universellen Demokratieprinzip skeptisch gegenübersteht. Dieses sei nicht dazu in der Lage, in einer Welt der Multipolarität und Multikultur die Identitätsfrage: „Wer bist du?“ zu beantworten, die die alte politische Solidaritätsfrage: „Auf welcher Seite stehst du?“ zunehmend ersetzt. Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht und die Parisierungen im Handelskrieg zwischen den USA und China ab dem Jahr 2018 bestätigen ihn Viele Argumente erinnern an Oswald Spengler (1918, 1922): In seiner Kulturkreistheorie postuliert er das zyklische Entstehen und Vergehen von Kulturen, die allenfalls verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden könnten, und postuliert damit einen Determinismus, den vorher nur der Marxismus kannte. Völker seien Werke der Kultur mit der Nation als Idee der Völker oder aber Fellachenvölker. Kultur wird damit zu einem chauvinistisch untersetzen Kampfbegriff. Eingebunden in den preußischen Kulturkonservativismus begründet er einen Fortschrittspessimismus, der die fehlende Konfliktbereitschaft einer Gesellschaft als Ausgang des späteren Untergangs sah. In seinem zweiten Band geraten allerdings diese Zyklen durch den Caesarismus einer Massendemokratie mit inhärenter Tendenz zur Diktatur unter Druck, was eher an das eherne Gesetz der Oligarchie von Robert Michels (1911) erinnert. In eine ähnliche Richtung argumentiert der italienische Kulturphilosoph Julius Evola (1898–1974) in seinem Buch Rivolta contro il Mondo Moderno (1934), das aus einer aristokratisch-römisch-klassischen, mit faschistischen Elementen durchwobenen Perspektive eine Abrechnung mit sämtlichen Regierungsund Herrschaftsformen seiner Zeit enthält, die auf Abgrenzungen wie Klasse, Rasse oder Nation zielt. Der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad schätzt in seinem Buch Der Untergang der islamischen Welt (2010) den politischen Islam als faschistisch ein und bestärkt diese Interpretation. Wichtigste Kritiker dieser Sicht sind vor allem Amartya Sen (2007) und Jonathan Sacks (2005). Neuerdings führt Robert Kagan (2003, S. 3) diese Argumentation fort, wenn er postuliert, „Americans are from Mars and Europeans are from Venus“, weil den Europäern in hohem Maße die Fähigkeit abhandengekommen sei, die realen Rivalitäten der Moderne zur Kenntnis zu nehmen.
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28. André Glucksmann (1937–2015): Der französische Philosoph nimmt in seinem Leben eine Entwicklung vom Maoisten (bis Mitte der siebziger Jahre) bis zum Totalitarismuskritiker. In jüdisch-deutsch-französischer Tradition wandelt er sich vom Existentialisten nach Sartre zu einem die gesamteuropäische Tradition aufnehmenden Aufklärer, der aber, und hier blieb er sich treu, dem Staat eine große Interventionsaufgabe zuschreibt, um Ordnungsprinzipien durchzusetzen. In diesem Kontext beschäftigt er sich auch mit der deutschen Philosophie in der idealistischen und dialektischen Tradition von Fichte, Hegel über Marx und Nietzsche bis Heidegger, deren inhärentes Gewaltpotential er zu entzaubern sucht. Postuliert er Anfang der sechziger Jahre, getrieben von den herrschenden Eliten, eine langfristige Entwicklung des französischen Staats in Richtung Faschismus, so fokussiert er nun erst auf das Anarchische, später auf das Überleben des Liberalen. Ursprünglich ein Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), wird er ausgeschlossen, als er gegen den russischen Einmarsch in Ungarn im Jahr 1957 protestiert. Daraufhin schließt er sich der maoistischen gauche prolétarienne an. Die Konfrontation mit der kommunistischen Wirklichkeit lässt ihn zum radikalen Totalitarismus- und Utopiekritiker werden, woraus mit dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy, mit dem er mehrere, die Öffentlichkeit wachrüttelnde Aufrufe zu den Völkermorden auf dem Balkan oder in Libyen verfasst, die nouveaux philosophes entstehen. Zivilisation besteht für ihn auch in der Fähigkeit einer Gruppe, das Böse auszugrenzen oder zu tabuisieren. Schon mit dem Buch Le discours de la guerre (1967) macht er sich einen Namen als Staatsphilosoph, eskaliert aber in der Veröffentlichung La force du vertige (1983), in der er das Wegsehen des Westens, vor allem seiner Friedensbewegungen, angesichts der ihre Interessen rücksichtlos durchsetzenden modernen Totalismen thematisiert, und mit der Ethik des äußersten Notfalls auf Abschreckung setzt: Seiner Meinung nach habe der Staat offensiv mit seinem Gewaltmonopol zu drohen, notfalls mit einem zweiten Hiroshima, um dadurch ein neues Auschwitz oder einen Gulag wie in Wokurta zu vermeiden.
5.3.4 Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts Kommunismus und Faschismus stellen die beiden zentralen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts dar. Sie basieren stark auf den klassenkämpferischen und rassistischen Ansätzen, in die bereits weiter oben eingeführt wurde, insbesondere auf Ludwig Gumplowicz, Stewart Chamberlain und Karl Marx. Robert Gellately (2007) hat die drei europäischen Totalitarismen in Lenin, Stalin, and Hitler: The Age of Social Catastrophe miteinander verglichen und verweist auf die unterschiedlichen Systeme zur Stabilisierung der Herrschaft: Terror und permanente Säuberungen bei den Kommunisten von Anfang an, hingegen weitgehende Konsensbildung durch antijüdische
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und antibolschewistische Propaganda, die der deutschen Öffentlichkeit nach der Kriegsniederlage und Wirtschaftskrise zugänglich war. 29. Lenin (1870–1924), eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow: Anders als die Konzeption von Karl Marx und Friedrich Engels, die einen schließlich absterbenden Staat vorhersahen, geht das Konzept des Leninismus (und später des Stalinismus) von einem straff zentralistisch organisierten Staatswesen aus, bei dem die Führung durch eine geheimdienstlich organisierte und daher als Kaderpartei ausgeformte Avantgarde die kommunistische Ideologie durchsetzt; dies erschien umso notwendiger, als die Arbeiterklasse nicht ohne Hilfe zum richtigen Bewusstsein gelangen könne. Seine Schrift Der Imperialismus als höchste Ausformung des Kapitalismus (1916) propagiert die proletarische Revolution als zwingende Konsequenz, um den faulenden bürgerlichen Staat, gekennzeichnet durch Monopolkapitalismus und imperialistische Ausbeutung, zu überwinden. Der historische Determinismus des dialektischen Geschichtsprozesses legitimiert dabei das Ausüben von Zwang. Während noch bei Karl Marx der Unterbau, die ökonomischen Produktionsbedingungen, für den Überbau und damit die Revolution verantwortlich zeichnen sollte, degeneriert das bei Lenin zum Willen der Avantgarde, der Revolutionäre – Revolutionen werden zu „Lokomotiven der Geschichte“, Geschichte zum Kampfplatz der Völker mit dem Ziel der Dominanz. Der Leipziger Philosoph Hugo Fischer schreibt in seinem im Jahr 1933 gedruckten, dann eingestampften und erst im Jahr 2017 erneut erschienen Buch Lenin – der Machiavelli des Ostens (1933), dass mit Lenin ein Politiker neuen Typs auftritt, der eher Machtpolitiker als Ideologe ist und damit das historische Kairos (Καιρός) abzupassen, um der Geschichte den von ihm gewünschten Lauf zu geben; er schreibt, Lenin zitierend (Fisher 1933, S. 81, 85): „Um die tatsächliche Macht eines kapitalistischen Staats zu prüfen, gibt es kein andres Mittel und kann es kein andres geben als den Krieg.“, denn dieser sei unmittelbares Ergebnis des Privateigentums, und der Krieg sei das beste Mittel, gestörte Gleichgewichte wiederherzustellen. Revolution wird damit zu einer Form des Gegen-Kriegs. 30. Josef Wissarionowitsch Stalin (1878–1953): Er hat das Programm Lenins rücksichtslos durchgesetzt und mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft den Klassenkampf bis ins Land hineingetragen. In der Suche nach der welthistorisch optimalen Gesellschaftsordnung und personifiziert durch den Führer – fast im Sinne eines End of History (Fukuyama 1992) – wird der Mensch von seinen historischen Übeln befreit und zum neuen Sowjetmenschen. Endre Kiss schreibt in Die Philosophie des Imperialismus macht Revolution. Zur Deutung des Stalin-Phänomens (2010, S. 305), dass „das Wesen des Stalinismus in nichts anderem Bestand [habe] als in dem Anspruch, seine eigene ‚Realität‘ als Optimum der Geschichte aufrechtzuerhalten.“ Dies zu gewährleisten, rechtfertigte den Terror und zeige Ähnlichkeiten zum Nationalsozialismus. Wolfgang Schivelbusch (2005) argumentiert, dass der Aufstieg des Faschismus in Europa auch der Tatsache geschuldet war, dass dieser
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nach den Massenmorden, auch dem Völkermord in der Ukraine in den dreißiger Jahren (Holodomor), eine attraktive totalitäre Alternative für Nichtdemokraten war. Die von ihm und auch von Friedrich August von Hayek stets postulierte Systemnähe wird von Werner Fuld (1997, S. 279) bestätigt, der in der Biographie über Walter Benjamin (1892–1940) ausführt, wie der Hitler-Stalin-Pakt die europäische Linke in Erklärungsnot brachte, die nun den Faschismus als Vorbereitung zur proletarischen Revolution guthieß, und wie vor den Nationalsozialisten geflüchtet insbesondere in Frankreich zu Verfolgten wurden. Berthold Brecht (1898–1956) verstieg sich beispielsweise zu argumentieren, damit würde im kranken Körper Deutschlands ein heilendes Fieber hervorgerufen. 31. Benito Amilcare Andrea Mussolini (1283–1945): Als erstes Kind einer sozialistisch geprägten Familie zählt er zu den bedeutenden Gründungsvätern des Faschismus. Dabei war er zunächst Redakteur des sozialistischen Lotta di Classe und dann des Avanti!, mit der er sich wegen seiner nationalistischen Gesinnung überwarf, und gründete die rechtnationale Zeitung Il populo d’Italia, die er als Sprachrohr gegen eine seiner Auffassung nach reformunfähige Rechte ebenso wie gegen ein staatszerstörende Linke positionierte. Im Frühjahr 1919 gründete er die ersten Kampfbünde, die er als Keimzelle einer Anti-Partei, also Partei neuen Typs sah. Sein Korporatismus ähnelte stark den wirtschaftspolitischen Konzeptionen des New Deal in den USA, und er war daher auch ein wichtiger Kommunikator der Reformen von Theodor Roosevelt in Italien (Schivelbusch 2005). Das Symbol des Faschismus, das Rutenbündel mit einem Beil als Zeichen der Herrschaft (lat. fascis) verdeutlichte den ebenso militärischen wie ökonomischen Machtanspruch. Dies knüpfte an imperiale römische Traditionen an – sichtbar beispielsweise im Versuch, den Mittelmeerraum zum italienischen Herrschaftsgebiet zu machen und Teile Nordafrikas im Wege einer Riconquista zu kolonialisieren. Sehr früh zeigten sich die typischen Elemente faschistischer Herrschaft: Ablehnung von Parlamentarismus, Demokratie, Liberalität und Pluralismus, Legitimierung von Herrschaft über Massenbewegungen sowie Antikommunismus. Der italienische Faschismus ist deshalb für die Wirtschaftskrieger der Gegenwart lehrreich, weil er der liberalen Gesellschaft ihre Errungenschaften vorwirft und diese als ideenlos und langweilig abtut: Zu nennen sind ihr Erfolge, mit möglichst geringen Reibungsverlusten die Unterschiede ihrer Mitglieder in Bezug auf Identitäten, Begabungen und Schichten zu überwinden, oder ihre Fähigkeit, über Ordnungsregeln und Märkte schweren Moralkonflikten den Boden zu entziehen. Das Gegenstück dazu ist die Revolte, um diese Gegensätze auszuleben, der Krieg als Katalysator eines Fortschritts, des Zerstörens der gesellschaftlichen Selbstzufriedenheit und Inaktivität, die Bewährung an der frontier einer definierten Gemeinschaft. 32. Adolf Hitler (1889–1945): Seine ursprünglichen Prägungen lassen sich zunächst im Linksextremismus verorten, war er doch einer der Räte in der im April 1919 ausgerufenen Münchner Räterepublik. Sein Antisemitismus scheint sich danach – in Opposition zu den damaligen Mitrevolutionären und im Versuch, sich von dieser
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Aktivität zu distanzieren – entwickelt zu haben, wie Sven Felix Kellerhoff (2019) in Hitlers politische Karriere begann im Linksextremismus schreibt, und war damit keine Prägung seiner Zeit in Wien. Das von ihm während seiner Festungshaft in Landsberg/Lech verfasste Werk Mein Kampf (1924) stellt den Versuch dar, sein eigenes revolutionäres Ringen in einen Gegenentwurf zum Marxismus münden zu lassen. Es legitimiert Diskriminierung, Rechtsungleichheit und negiert insbesondere das, was als Unveräußerlichkeit der Menschenwürde bezeichnet wird. Besonders deutlich wird es an seinen Aussagen zum Wesen der Rasse und der daraus folgenden Begründung des Rassenkampfes (Hitler 1925, S. 313): „Denn da das Minderwertige der Zahl nach gegenüber dem Besten immer überwiegt, würde es bei gleicher Lebenserhaltung und Fortpflanzungsmöglichkeit das Schlechtere sich so viel schneller vermehren, daß endlich das Beste zwangsweise in den Hintergrund treten müßte. Eine Korrektur zugunsten des Besseren muß also vorgenommen werden.“42 Vor diesem Hintergrund setzte er rücksichtslos eine Rassenideologie durch, in die die Vernichtungskriege des Dritten Reichs ebenso einzuordnen sind wie der millionenfache Mord an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Behinderten und anderen missliebigen Personen. Sein unbändiger Wille zur Vernichtung und zum Krieg wird häufig auf sein Scheitern in der Jugend zurückgeführt, auf den fehlgeschlagenen Versuch, als Künstler zu reüssieren und eine bürgerliche Karriere zu machen. Die Essenz der Biographie von Peter Longerich (2015) Hitler lautet, dass Hitler als durchsetzungsstark und listenreich, stets um seine Allmachtsposition besorgt und daher auch mit unglaublicher Brutalität Opponenten vernichtend zu sehen sei. Er besaß die Fähigkeit, hochkomplexe Lagen zu ordnen und entscheidungsfähig zu machen. Brigitte Hamann zeigt in Hitlers Wien – Lehrjahre eines Diktators (1996), dass er sich von den vielen Herumtreibern und Männerwohnheimbewohnern kaum unterschied. Weniger das künftig Verbrecherische wird sichtbar als vielmehr die Anfälligkeit für Heilslehren, die der seinerzeitigen Gewöhnlichkeit und Durchschnittlichkeit künftigen Glanz verleihen sollen. Das Umfeld einer Vielvölkerumgebung mit unzureichend funktionierendem Parlamentarismus und einer durch die Industrialisierung unter Druck geratenen Sozialstruktur produzierte massive Verwerfungen und stand im starken Kontrast zur Wiener Moderne, von der er ausgeschlossen war. Das scheint seine Ablehnung von Demokratie, kultureller Vielfalt und seinen Hass auf bürgerliche Milieus, auch erfolgreiche jüdische Milieus, geprägt zu haben.43 In seiner ersten programmatischen
42Das
Buch erlebte eine reiche Geschichte von Überarbeitungen, die es auch erlauben, Rückschlüsse auf die Veränderung seiner ideologischen Positionen zu ziehen. Zu diesem Punkt führen Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel (2015, S. 742) in Hitler, Mein Kampf: Eine kritische Edition aus, dass hier nicht nur ein Bezug zu Houston Stewart Chamberlain (1899) besteht, sondern auch zu quasi-wissenschaftlichen anthropologischen Forschungen, die insbesondere der nordischen Rasse eine verringerte Reproduktionsrate attestierte. 43Die kommentierte Edition (Hartmann, Vordermayer, Plöckinger, Töppel 2015, S. 768, 770) weist u. a. darauf hin, wie stark die Zeit seit dem 19 Jh. rassistisch aufgeladen war, und zitiert Benjamin Disraeli: „All is race; there is no other truth.“
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Rassenrede, die Reginald Phelps (1968, S. 394) zusammenfasst und kommentiert, „erscheint der Jude als Volksverderber, Urheber der ‚Rassensenkung‘, Zerstörer der Volksgesundheit, als der große Aushungerer, der zuerst die Produktionsmittel und dann die ganze Kultur des Volkes vernichtet. Kunst, Literatur, Presse, Theater, schließlich der Mädchenhandel — alles liegt in der Hand des Juden, alles dient der Errichtung seiner Diktatur.“ In seinem Beitrag Wo Hitler Wirtschaft lernte verweist Nikolaus Piper (2019) auf den Antisemitismus mit sozialistischer Note, den dieser aus dem Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft (1919) von Gottfried Feder (1883–1941) zog. Hierin wird das Abschaffen der Zinsen vorgeschlagen – was an Silvio Gesell und die Vollgeld-Initiativen erinnert, die im zwölften Kapitel angesprochen werden – und an das Monetisieren der Staatsschulden, indem diese zu Zahlungsmitteln werden – was nahe bei dem, liegt, was die Europäische Zentralbank heute betreibt. Gottfried Feder machte die Begriffe Mammon und Mammonismus populär, mit denen heute, wie Nikolaus Piper schreibt, mancher radikale Linke wie Rechte gedankenlos umgehen. Rassenideologische Selektionsmaxime und Vernichtungsideologie werden an folgendem Zitat, angeblich kurz vor seinem Tod im April des Jahres 1945 im Führerbunker in Berlin geäußert, deutlich:44 „Wenn der Krieg verlorengeht, ist es vollkommen egal, wenn das Volk mit untergeht. Ich könnte darüber noch keine Träne weinen, denn es hätte nichts anderes verdient.“ Wolfgang Bialas (2014) betont in seiner Analyse über Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus (2014) die radikal partikulare Moral, die sich allein auf die deutsche Volksgemeinschaft bezog, die das Recht des Stärkeren und die rassische Ungleichheit als dominante Faktoren der Selektion vor humanistisch-christlichen Werten zeigt, und mit diesem Dogma eine Spaltung in Gemeinschaftssinn und Aufopferung einerseits, Unterwerfung und Vernichtung andererseits, zu legitimieren versucht.45 Timothy Snyder (2016) beschreibt ihn in seinem Beitrag In der Zone der Zerstörung als einen in Rassenkategorien denkenden Anarchisten, der mit einer bestimmten Sicht auf das Judentum eine Welt der Staatszerstörung und Menschenvernichtung erzeugte. Vor allem die Totalität seines Ansatzes implizierte auch den globalen Kampf. Yuval Noah Harari (2016, S. 348) führt aus, wie Adolf Hitler durch die Kriegserfahrung die Herrschaft des Willens erlernt und daraus seine spätere Macht entwickelt: „Als Hitler an die deutschen Wähler appellierte und um ihr Vertrauen bat, konnte er nur mit einem einzigen Argument um sie werben: Seine Erfahrungen in den Schützengräben hätten ihm beigebracht, was man auf der Universität, beim Generalstab oder in einem Ministerium niemals lernt. Die Menschen folgten ihm und gaben ihm ihre Stimme, weil sie sich mit ihm identifizierten und weil auch sie glaubten, dass die Welt ein Dschungel ist und dass uns das, was uns nicht umbringt, nur noch stärker macht.“ In In the Bunker with Hitler beschreibt Bernd Freytag von Loringhoven
44Zitiert 45Vgl.
nach https://www.quotez.net/german/adolf_hitler.htm, Zugriff am 1.9.2014. auch Wildt (2014).
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(2005, S. 82–92) als letzter aus dem Führerbunker Geflohener die Persönlichkeit des Führers, die vielen der im dritten Kapitel beschriebenen pathologischen Eigenschaften entsprechen: Mentale Konzentration, Empathielosigkeit, Charisma, Fähigkeit zur Manipulation Dritter. Der deutsch-israelische Wissenschaftler Avraham Barkai (1988) stellt in seinem Buch Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus: Ideologie, Theorie, Politik 1933–1945 dessen relative Modernität im Vergleich zu den Entwürfen der politischen Widersacher, vor allem der demokratischen Parteien, in den Vordergrund. Insbesondere der praktizierte Keynesianismus, auf den auch John Maynard Keynes (1936) in der deutschen Erstausgabe seiner General Theory verweist, erscheint als eine wichtige Begründung für die breite Akzeptanz in der Gesellschaft, die diesen als sozialverträglicher ansah als die wirtschaftskriegerische Austeritätspolitik der Regierung von Reichskanzler Heinrich Brüning (1885–1970), welche die Verelendung während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 noch verschärfte. 33. Ulrike Meinhof (1934–1976): Als intellektueller Kopf der Baader-MeinhofGruppe und der Rote-Armee-Fraktion war sie verantwortlich für eine der größten Herausforderungen politischer, aber auch wirtschaftlicher Art der jungen Bundesrepublik Deutschland. Sie übernahm das Konzept der strukturellen Gewalt des norwegischen Friedensforschers Johan Galtung (1969), der diese als „avoidable impairment of fundamental human needs“ bezeichnet. Damit wird Gewalt zu einem institutionellen Phänomen,46 und die Institution als wichtige gesellschaftliche Größe zum Träger von Gewalt – möglicherweise mit der Konsequenz, dass sie als moralfähig definiert wird – mit den weiter oben genannten gefährlichen Folgen. Mit der Begründung, das System der Bundesrepublik Deutschland übe strukturelle Gewalt aus, wird Gegengewalt auf allen Ebenen legitimiert, und die RAF überzieht das Land mit terroristischen Aktionen. Der Kampfspruch „Macht kaputt, was Euch kaputtmacht“ verdeutlicht die Rechtfertigung dieser Gegengewalt gegenüber einer vorgeblich vorhandenen institutionellen Gewalt von Staat und Wirtschaft, die als Unterdrückungsapparat gegen die Gesellschaft genutzt würden. Diese Verbindung von Staat und Politik wird als Staatsmonopolkapitalismus (Stamokap) bezeichnet und als finales Stadium der kapitalistischen Ordnung eingeordnet. Dem feindlichen Gegenüber wird das Recht, als Mensch behandelt zu werden, abgesprochen („Bullen sind Schweine“), womit man sich in die Tradition der Totalitarismen von Josef Stalin und Adolf Hitler, aber auch von Pol Pot begab. Die Konzentration auf wirtschaftliche Entscheidungsträger wie Hanns Martin Schleyer oder Jürgen Ponto und die im zweitgenannten Fall damit verbundene Manipulation der nächsten Angehörigen der Familie, um den Mord begehen zu können, zeigte die Stoßrichtung: Wirtschaftsvertreter zu treffen, die nach den Erfahrungen des Dritten 46Es sei an die anfänglich berichteten Kriegslisten erinnert, beispielsweise „mit dem Messer des anderen töten“, also institutionelle Bedingungen so zu setzen, dass man sich selbst die Hände nicht schmutzig machen muss.
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Reichs den Sozialausgleich zwischen Unternehmern und Beschäftigten zum wesentlichen Schwerpunkt ihres Handelns machten, um den Klassenkampf als wirtschaftlichen Bürgerkrieg zu vermeiden.
5.3.5 Entkolonialisierung und nationale Befreiung Zum Verständnis der Entkolonialisierung Asiens zählt das Wissen, dass einige ihrer späteren Führungspersonen wie Ho Chi Minh (1890–1969) aus Vietnam oder Mao Zedong aus China 1919 bei den Pariser Friedensgesprächen zugegen waren. Sie mussten dort erkennen, dass freie Bürger und unabhängige Länder von den Siegermächten nicht gewünscht waren, auch weil dies der Sicherstellung der eigenen Rohstoffversorgung und Absatzmärkte sowie dem Eindämmen des besiegten Deutschlands entgegenstand; auf diesen wirtschaftskriegerischen Aspekt des Kolonialismus wird im zehnten Kapitel eingegangen. So wurde die deutsche Kolonie Tsingtau im Frieden von Versailles Japan zugeschlagen, was bis heute in China als nationale Scham empfunden wird und ein enttäuschtes Bild des Westens prägte. In Indien führten im gleichen Jahr die Unabhängigkeitsbestrebungen zum Massaker von Amritsar und begründeten den Aufstieg von Mahatma Gandhi (1869–1948) zur führenden Integrationsfigur der Entkolonialisierung des Subkontinents. Er wurde durch seinen friedlichen Widerstand weltberühmt, scheiterte aber letztlich an den willkürlichen Grenzziehungen bei Gründung von Indien und Pakistan, die Ausgangspunkte noch bis in die Gegenwart schwelender Konflikte sind. In Vietnam und China wurden die disziplinierten kommunistischen Bewegungen zu Urzellen der Verwirklichung nationaler Ziele, und ihre Führer begleiteten die politischen Emanzipationsbewegungen Europas und Amerikas in den Sechzigerjahren. 34. Mao Zedong (1893–1976): Die japanische Aggression gegen China und die erniedrigende Kolonialisierung durch den Westen erklären in erheblichem Maße die kommunistische Revolution im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg. Denn zunächst waren ihre Unterstützer eher schwach – oft Entrechtete und Intellektuelle, letztere oft auch Enttäuschte, nach dem Ersten Weltkrieg nicht als Gleichberechtigte in den Pariser Friedensverhandlungen anerkannt zu sein. Der berühmte „Lange Marsch“ war das schließlich erfolgreiche Unterfangen, sich durch Gewinnung von Raum der technologischen und finanziell vom Westen unterstützten Kuomintang zu entziehen und damit deren Front zu überdehnen. Er stellt einen der wesentlichen Gründungsmythen Chinas dar. Der Personenkult – das Denken so wie Mao – war legendär und fand ihren Höhepunkt in der berühmten Mao-Bibel. Ihr offizieller Name Worte des Vorsitzenden Mao Zedong (1967) muss bezüglich der chinesischen Zeichensetzung kritisch reflektiert werden, weil diese im philosophischen Sinne des Konfuzianismus und des Buddhismus implizieren, dass es sich hier um eine reine Lehre handelt, die von unlauterem Beiwerk gesäubert ist.
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Seine beiden späten Revolutionen, der Große Sprung und die Kulturrevolution versuchten, das Land in die Moderne zu zwingen und das Aufkommen bürgerlicher Schichten und Lebensformen durch permanente Revolution zu verhindern – die menschlichen Kosten waren immens. Viele seiner Zitate sind von zeitloser Bedeutung, weil sie auf die revolutionären Bedingungen ebenso anzuwenden sind wie auf die aktuellen Reformprozesse (Spengler 2010): „Eine Revolution ist kein Gastmahl“ adressiert die Last der Revolution ebenso wie die Kritik am Luxusgebaren chinesischer Parteikader, gegen die Xi Jinping ab dem Jahr 2016 massiv vorgegangen ist. Partisanen sind erfolgreich, wenn sie wie Fische mit der Strömung des Wassers – dem Volk – schwimmen; genau dies wird im neunten Kapitel als erfolgreiches Handeln unterlegener Unternehmen im Wirtschaftskrieg erkannt. Die Stadt über das Land zu erobern war die Strategie, die das Unternehmen Huawei zu einer globalen Größe werden ließ.
5.3.6 Identitätskonflikte im 21. Jahrhundert Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bilden sich Konfliktlinien heraus, die an die früheren Argumente von Carl Schmidt, Arthur Schnitzler, Francis Fukuyama und Samuel Huntington anknüpfen. Zugleich erinnern sie an die im vierten Kapitel vorgetragenen identitätsstiftenden Rückbesinnungen, die von Pål Kolstø thematisiert wurden, also Volk und Kultur als etwas Besonderes legitimieren. Die zentralen Fragen lauten: Was ist die Essenz des Staats und wodurch wird seine Identität begründet? Existiert ein Kampf der Identitäten? Dies sind aktuelle Themen, die vor allem von der Neuen Rechten konfliktträchtig artikuliert werden. Einer ihrer radikalsten, obsessiv rassistischen Vertreter ist Renaud Camus, der in seinem Buch Le grand remplacement (2011) einen muslimischen Sturm auf Europa heraufziehen sieht. Auch die Linke propagiert Identitätsprobleme: In wie viele Identitäten kann man Gesellschaften aufteilen, die dann Minderheitenrechte beanspruchen, beispielsweise in der Geschlechterfrage, aber auch – und hier gibt es eine starke Überschneidung zur Rechten – in Bezug auf Ethnizität, die durch Migration herausgefordert wird? Ist diese tendenziell links-emanzipatorische Sicht mit den gegenwärtigen Regeln der Demokratie und der Mehrheitsbildung vereinbar? Diese beiden Ausprägungen der Identitätskonflikte, die Unterschiedlichkeit und Abgrenzung betonen, sind als fundamentaler Konflikt zum christlichen Menschenbild zu sehen, das über die Gottebenbildlichkeit genau derartige interne oder externe Abgrenzungen überwinden half. Tatsächlich hat der globale Humanismus das Identitätsproblem großer Teile der Bevölkerung nicht verringert – eher im Gegenteil – mit der Folge, dass eine Leere aufgetreten ist, die nunmehr evolutorisch-nationalistisch gefüllt wird und gegenwärtig das politische System erheblich unter Druck setzt, weil der Staat selbst ohne ein Minimum an Identifikation seiner Bürger mit den Institutionen nur mit hohen Transaktionskosten funktionieren kann.
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Die dauerhafte Krise ist zentral für die Entwicklung der vergangenen Jahre – Krise als ein Zustand, bei dem eine Entscheidung bevorsteht, aber noch nicht eingetreten ist; sie drückt sich aus in Attentismus, in Kontrahenten in steter Lauerstellung und in Instabilität. Dann sind Institutionen, insbesondere Staaten und Gesellschaften, nur mit hohen Transaktionskosten dauerhaft stabil zu halten. 35. Alain de Benoist (1943-): Er gilt als einer der Influencer und der Neuen Rechten (Meister 2018) und als Schreckgespenst der Medien. Sein zentrales Thema ist die Frage nach der Identität von Gesellschaften, womit er auch zum intellektuellen Impulsgeber der Identitären Bewegung wurde. Er sieht die Gesellschaftsstruktur als extrem fragil an, weil erreichte soziale Positionen vor dem Hintergrund der Globalisierung nicht mehr stabil sind, weshalb Identitäten zerbrechen und damit politische Systeme in Mitleidenschaft gezogen werden. Damit entsteht die Notwendigkeit eines neuen Typs Politiker, der in der Lage ist, Strömungen in der Gesellschaft aufzunehmen; damit ergibt sich eine Nähe zum modernen Populismus. Dies formt er in seinem Buch Le moment populiste (2017) im Hinblick auf ein dreifaches Abgehängtsein aus: Politisch, weil die bisher die westlichen Demokratien stabilisierenden Parteien elitär geworden seien und sich nicht mehr für die Probleme der breiten Massen interessieren – die Rechten haben die Nation und die Linken das Volk aufgegeben. Damit entstünde ein Bruch der Mittelschichten mit den herkömmlichen Eliten, die nicht mehr ihre Probleme lösen wollten oder könnten. Sozial beschreibt er den Druck, der sich aufbaut, wenn eine ständige Angst abzusteigen herrscht. Er sieht eine durch Geldwirtschaft und Finanzkapital usurpierte Kultur und damit die stete Verflachung der Gesellschaften, die damit ihrer Identität beraubt würden, und so den sozialen Kitt als wesentliche Grundlage der Stabilisierung zerstört; sie stünde damit am Rande des Abgrunds (Au bord du gouffre, 2011). Mit diesen Vorstellungen ist er ein klassischer Gegner des liberalen Kapitalismus und des politischen Liberalismus, oszilliert gleichsam zwischen klassisch rechten und linken Positionen, die er aber für die Moderne nicht mehr als tragfähige Kategorien sieht. Praktisch fordert er den Wirtschaftskrieg gegen die Ursachen, die in marktwirtschaftlichen Ordnungen ohne global durchgesetzte Regeln selbst den Wirtschaftskrieg auslösen. 36. Peter Sloterdijk (1947-): Sein Buch Zorn und Zeit (2006) verweist im Sinne einer europäischen Kultur- und Rivalitätsgeschichte darauf, dass die große abendländische Literatur mit dem Zorn des tapferen Achill in der Illias von Homer (ca. 800 v.Chr.) beginnt. Dieser Zorn (griechisch μῆνις für Zorn, aber auch Groll) enthalte etwas göttlich Produktives, das Veränderungen erzwinge, und auf einem thymotischen Weltbild aufbaue – dass das von Zorn und Krieg, von Wut und Hass. Im Extremfall bedeute Thymos, dass sich ein Mensch infolge seiner Unvollkommenheit gegen sich selbst aufbringe, was wiederum Bezug auf ein grundsätzlich vorhandenes Ethos nehme. Das Problem der Moderne sei, das Austreiben des Zorns aus der Welt nie richtig gelinge und dass Freiheit nur unter thymotischen Bedingungen als
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errungener Zweck einer Gesellschaft allgemeine Anerkennung finde. Gelinge dies nicht, würde Zorn in zwei Formen seine explosive Wirkung entfalten: im Terror, der Selbstjustiz, dem Ausleben von Allmachtsphantasien, oder auf ein Bankkonto eingezahlt, aus dessen Depot dann moralische Bomben oder Racheprojekte entnommen und gezündet würden. Er stellt sich damit gegen die libidobasierte Psychoanalyse, die obige sozial abweichende Verhaltensweisen vor allem unbefriedigten erotischen Wünschen zuschreibt. Ähnlich argumentiert Pankaj Mishra (2017) in Age of Anger – a History of the Present, wenn er auf die Zornesfrüchte eines durch die Moderne zunehmend infrage gestellten Wohlstands und Gleichheitsversprechens abhebt. Erinnert sei daran, dass für Maximilien de Robespierre (1758–1794) Terror dann etwas Tugendhaftes darstellte, wenn dadurch das öffentliche gegen das individuelle Interesse im Sinne einer prompten und strengen Gerechtigkeit durchgesetzt wurde. 37. Rolf Peter Sieferle (1949–2016): Wie viele konservative bzw. rechte Staatsphilosophen der Moderne startete der spätere Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen seine Karriere im linksextremen Milieu, konkret als zeitweiliger Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an der Universität Heidelberg. Er promovierte über Karl Marx, begründete im Anschluss mit seiner Schrift Der unterirdische Wald – Energiekrise und industrielle Revolution (1982) über die Bedeutung naturräumlicher Ressourcen für die Industriegeschichte die historische Ökologie und errang damit nationale und internationale Anerkennung. Später widmete er sich kritisch dem humanitären Universalismus, der seiner Meinung nach in einer globalen Welt nicht aufrechterhalten werden könne. In dem 1994 erschienenen Buch Epochenwechsel schreibt er, in scharfem Kontrast zu den Ideen von Francis Fukuyama, dass der Sieg der liberalen Marktwirtschaften eine Illusion sei und nicht das Ende der Geschichte und der Ideologien bedeute. Liberale Gesellschaften seien inhärent instabil, besonders angesichts ihrer Unfähigkeit, kulturelle Stabilität zu erzeugen, um damit einen Abstieg in Gewalt und Barbarei zu verhindern. Hinzu tritt die Endlichkeit der Ressourcen, die das liberale Wirtschaftsmodell auf die Dauer in sich kollabieren lassen wird. In der Tat vermisst er in der deutschen Gesellschaft eine aristokratische Vision, die den kleinbürgerlichen Milieus entgegentritt und damit institutionelle Wettbewerbsfähigkeit vor dem Hintergrund eines Wettbewerbs der Systeme ermöglicht. Mit seinem skandalauslösenden Buch Finis Germania, das im Jahr 2017 posthum veröffentlicht wurde, schuf er einen scharf kritisierten Bestseller. Er postuliert, dass für Deutschland durch Auschwitz und den verlorenen Krieg ein Sonderweg existiere, der einerseits zu fehlender gesellschaftlicher Zivilcourage und wohlfahrtsökonomischen Abhängigkeiten führe, zum anderen eine Unfähigkeit erzeuge, auf neue historische Herausforderungen, wie beispielsweise die Migration, zu reagieren. Letztere sieht er besonders aus ökologischen Gesichtspunkten als Gefahr, gegen die sich die Gesellschaft wehren müsse. Denn der Wohlstand auf Basis der industriellen Ausbeutung von Ressourcen sei eine Ausnahmeerscheinung der letzten Jahrhunderte, die in diesem Maße aber nicht nachhaltig fortgesetzt werden könne, weshalb die Basis, Migration zu ertragen, schmal sei. Das Verzehren von kulturellem
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Kapital und der damit unausweichliche Niedergang erinnern stark an die Ausführungen von Oswald Spengler. Die fehlende Anerkennung seiner Voraussagen, die sich mit der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 zu erfüllen schienen, trieb ihn dazu, die Bewahrung der nationalen Identität als zentrales Thema Deutschlands zu identifizieren, das aus seiner Sicht dem kulturellen Untergang geweiht sei. 38. Michel Houellebecq (1956-): Der prononcierte Kulturkritiker bezeichnet die westliche Konsumgesellschaft als narzisstisch, egozentrisch, in Echokammern verhaftet und sieht sie damit als nicht kommunikationsfähig an. Er erhielt im Jahr 2018 den Oswald-Spengler-Preis, was klar auf seine grundlegenden Ideen verweist: Die westlichen Gesellschaften degenerierten und seien, wenn sie sich nicht in ihrer kulturellen Qualität ertüchtigen, dem Untergang geweiht. Es ist in diesem Zusammenhang pikant, dass sein Buch Soumission (2015) am gleichen Tag erschien, an dem der Terroranschlag auf die französische Zeitschrift Charlie Hebdo verübt wurde. Auf dessen Titelblatt wurde er als Magier karikiert mit der Prophezeiung: „2015 verliere ich meine Zähne, 2022 feiere ich Ramadan“ (Charlie Hebdo 2015, eigene Übersetzung). Mit diesem Buch trug er sich den Vorwurf ein, ein ausgeprägter Antisemit und Rassist zu sein und die Islamophobie zu kultivieren. Anders als viele Neurechte hat er allerdings wenig dafür getan, diese Vorstellungen zu relativieren, vielmehr hat er sie eher in seinen Äußerungen bestätigt, was eine große Freiheit des Geistes belegt. In seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Oswald-Spengler-Preises (2018) führte er aus, dass es weniger um einen Untergang des Abendlands gehe, sondern um einen systematischen Selbstmord: „Die westliche Welt in ihrer Gesamtheit bringt sich um, soviel ist sicher, und übrigens werden meine Bücher in der ganzen westlichen Welt auf genau diese Weise verstanden. Aber innerhalb der westlichen Welt hat Europa sich für eine besondere Form des Selbstmords entschieden, welche beinhaltet, die Nationen, die es ausmachen, zu ermorden.“ Er verurteilt die Unfähigkeit, gesellschaftlich stabile Strukturen, gerade auf der Basis von Solidarität und Altruismus, heute noch auszuformen. Es gäbe zwei Formen des Wettbewerbs, nämlich den Wettbewerb innerhalb einer Spezies und den zwischen den Spezies. Tatsächlich aber hänge das Überleben davon ab, nicht das Gleiche besser herzustellen, sondern etwas zu produzieren, was niemandem sonst möglich sei, und das gelte ganz besonders für den kulturellen Bereich wie er in Extension du domaine de la lutte (1994) ausführt. Genau deshalb sei die Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft von zwei Größen abhängig, der Demographie – dem Willen, stabile Bevölkerungsstrukturen zu gewährleisten – und der Religion – der kulturellen Sinnstiftung. 39. Alexander Dugin (1962- ): Der Professor für politische Theorie an der Moskauer Staatsuniversität gilt – unbewiesen – als philosophischer Einflüsterer Wladimir Putins und seine Philosophie, niedergelegt im Werk The Fourth Political Theory (2012), ist eine scheinbar krude Zusammenfassung rechts- und linksideologischer Gedankensplitter, die teilweise auf den in seinen Schriften gegen die moderne Welt revoltierenden Julius Evola (1898–1974) rekurrieren. Die erste politische Theorie
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
ist seiner Meinung nach der liberalen Demokratie, die zweite der Marxismus, die dritte der Faschismus. Bei der nur undeutlich formulierten vierten Theorie leiht er sich gleichermaßen Ideen von Francis Fukuyama und von Samuel Huntington, wenn er konstatiert, dass der Liberalismus nach dem Niedergang des Kommunismus seinen wichtigsten Gegner verloren habe, weshalb eine liberale Ideologie, ein Postliberalismus, das Individuum zum normativen, kulturimperialen Thema mache. Der Einzelne gerate zunehmend in Konflikt mit der Globalisierung. In Einklang mit Friedrich Nietzsche sieht er die Abkehr von den klassischen, sozial, kulturell und ethnisch sinnstiftenden Institutionen wie Glaube, Tradition und Ethnizität als zwangsläufigen Weg der Moderne. Der Mensch streife alles ab, was ihn domestiziere. Das Denken des Seins mutiere zu einem technischen Denken, das den Menschen gleich einem Gerüst zusammenhält; Martin Heidegger hätte es als Gestell bezeichnet, also ein gigantisches Gestänge als Sinnbild eines totalitätsbeanspruchenden technologischen Systems, auf dem das Dasein aufliegt. Wer sich dem bewahrend entgegenstelle, sei ein Fundamentalkonservativer – beispielsweise ein Islamist, der sich auf ein scheinbar rationales und abgeschlossenes Weltbild stütze, ein Liberalkonservativer, der diesen unausweichlichen Prozess kanalisieren und gestalten wolle oder ein Revolutionär, der die bisherigen Identitäten aus Rasse, Klasse oder Individualität mit der Emergenz einer neuen politischen Theorie überwinden wolle, die er folgerichtig ebenfalls als Dasein bezeichnet. In deren politischer – imperialer – Konsequenz fordert er, diese Rolle müsse Russland übernehmen, um Eurasien vor der inneren und äußeren Zerstörung zu retten. Den politischen Anspruch als politische Notstandsüberwindung des zivilisatorisch schwächelnden Westens verdeutlicht er in seinem Buch Martin Heidegger: The Philosophy of another Beginning (2014a). In seinem Folgebuch Eurasian Mission – an Introduction to Neo-Eurasianism (2014b) sieht er einen Konflikt zwischen der Territorialmacht Russland – dem Nachfolger Roms – und der Seemacht, den Atlantikern um die NATO – Karthago – voraus. Hierbei steht Erstere für kulturelle Vielfalt und Idealismus, die Zweite für ein ultra-liberalistisches System, das praktisch alle Funktionen der Welt, wie im Kommunistischen Manifest postuliert, ökonomisiert und damit angleicht. In seiner geographischen Dimension erinnern diese Gedanken stark an die später noch vorzustellenden Ideen von Halford Mackinder (1904) in The Geographical Pivot of History und die Bedeutung, die er dem russischen Kernland und dem atlantischen Ring zuschrieb. Hier entsteht ein Bezug zu dem Konzept der Ozeanokratie des 19. Jahrhunderts, also der Fähigkeit, die Weltmeere zu dominieren (Langewiesche 2019, S. 34–35). Diese Gedanken schließt Alexander Dugin in The Last War of the World-Island – the Geopolitics of Contemporary Russia (2015) ab, wenn er den Konflikt Russlands beschreibt, das von seinen Anfängen in der Kiewer Rus bis heute historische Traditionen aufgebaut hat, die jetzt in der Globalisierung drohen unterzugehen. Faktisch definiert er eine Linie der hybriden Kriegsführung, die ideologisch determiniert sei, um die europäischen, oft abendländisch genannten, Traditionen
5.3 Staat als Ort des Konflikts
387
zu retten. Diese Überlegungen werden im Epos von Lew Gumiljow (1912–1992) Searches for an Imaginary Kingdom, The Legend of the Kingdom of Prester John (1987) historisch angereichert, womit eine eurasische Orientierung Russlands mit Bindungen zu China statt der Westanbindung im Sinne des Vollzugs historischer Entwicklungen seit dem 8. Jh. n.Ch. gefordert wird.47 Alberto Alesina, Armando Miano und Stefanie Stantcheva (2018) zeigen in Immigration and Redistribution auf der Grundlage einer empirischen Studie in sechs Ländern, dass die Bereitschaft zu sozialstaatlicher Solidarität mit der wahrgenommenen Immigration sinkt. Verallgemeinert bröckelt mit der Heterogenität der Bevölkerung der Kitt, der sie zusammenhält. Die Gesellschaft zerfällt durch Proklamation unverrückbarer Identitätsverwirklichungsansprüche, einmal im Sinne eines ausgrenzenden Ethnopluralismus, meist auf einer eher rechts-konservativen Position, zum anderen durch Radikalisierung von individuellen Dispositionen, eher ein links-emanzipatorisches Konstrukt, das jeden individuellen Anspruch in eine förderungsfähige und -verpflichtende gesellschaftliche Minderheitenpolitik transformieren will. Der Demo kratiefeindlichkeit der extremen Linken – sie sind die verlorenen Kinder der Aufklärung – infolge einer Radikalisierung der Vorstellung von Gleichheit steht die Demokratiefeindlichkeit der extremen Rechten – sie sind die verlorenen Kinder des Stammesprinzips, die Gleichheit als ein falsches, kulturgeschichtlich bisher wenig erfolgreiches Modell im Lichte der dauernden anthropologisch bedingten Rivalität sehen, wie dies Manfred van Creveld (2018) in Gleichheit – das falsche Versprechen postuliert. Tatsächlich hängen beide Extremismen der Idee einer Re-Volte an, also einem Umsturz in ein Utopia der Vergangenheit, vernichten damit aber demokratisches und liberales Handeln in der Gegenwart für die Zukunft und können mit Diktatoren wie Lenin, Stalin, Hitler oder Mao auf eine blutgetränkte Geschichte verweisen. Nils Markwardt (2018) bezeichnet dies in seinem Beitrag Kopfüber in die Hölle und zurück als „eine Politik des Untoten“, und sie hat Bezüge zu dem, was Alexis de Tocqueville in seinen Erfahrungen zur Französischen Revolution beschrieb. Andreas Rosenfelder (2018) entfaltet im Beitrag Das Buch, das uns retten kann die Dissertationsschrift von Reinhart KoselleckKritik und Krise (1973)48 und zeigt, wie sich die europäische Geistesgeschichte der Welt bemächtigt und diese in eine Dauerkrise gestürzt hat. Er erkennt, dass eine politisch nicht zur Verantwortung verpflichtete Privatmoral, entwickelt aus der bürgerlichen Moral, entsteht, „stark genug, das ganze Staatsgebilde in die Luft zu sprengen.“ Denn das Entstehen kooperativer Strukturen und das Gewaltmonopol des Staats wird – ganz anthropologisch – geistesgeschichtlich aus dem Krieg, dem Bürgerkrieg, dem Wolf-Sein des Menschen erklärt. Er schreibt weiter (Rosenfelder 2017): 47Verwiesen
sei auf die Ausführungen zu nationalen Traumata im vierten Kapitel. Das Buch von Lew Gumiljow (2005) Von der Rus zu Rußland – Ethnische Geschichte der Russen spannend erzählt verdeutlicht dies. 48Die Promotionsschrift stammt aus dem Jahr 1954.
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
„Dass die nur scheinbar besiegte Bestie des Bürgerkriegs im Innersten des modernen Staats schlummert, ja dass sie sich auf dem Feld der Moral austoben und am Ende wieder in echtes Kriegsgeschehen verwandeln kann – diesen auf den ersten Blick paranoiden und antiaufklärerisch wirkenden Gedanken verstehen wir erst im Licht der Jetztzeit richtig. Auch das Internet erscheint uns ja längst nicht mehr als der digitale Salon, in dem eine gutbürgerliche Etikette und eine neue globale Moral heranwachsen, sondern als ideologische Kampfzone, als Instrument der Denunziation und sogar als Kriegswaffe, die Regierungen stürzen und ganze Regionen destabilisieren kann.“
5.4 Wirtschaftskrieg als Folge agonaler gesellschaftlicher Organisation Die folgenden beiden Beispiele zeigen das Aushöhlen und den Zusammenbruch des wirtschaftlichen Kooperationssystems, weil es der agonalen Aggressivität nichts Glaubhaftes entgegenzusetzen hat. Das liegt u. a. daran, dass durch ideologisch verankerte Überzeugungen keine glaubhaften wechselseitigen Verpflichtungen für moralisches Handeln entstehen. Das zur Stabilisierung erforderliche Reputationskapital und damit das Vertrauen in die Kooperationsbereitschaft sind zu gering, um belastbare Gleichgewichte zu erzielen. Erinnert sei noch einmal, dass die Finanzkrise u. a. ihren philosophischen Ausgangspunkt bei Ayn Rand hatte, die Ronald Reagan, Margaret Thatcher oder Alan Greenspan bewunderten. Wenn es „no such thing as society“ gibt (Thatcher 1987), dann lässt sich Rücksichtnahme auf andere ausblenden. An zwei kulturraumübergreifenden Sachverhalten sei dies gezeigt: Am Klimakrieg, der im Wesentlichen auf Marktmacht und politische Ignoranz zurückzuführen ist, und an der Vernichtung der Arbeitskraft in Entwicklungsländern, die dort das Humankapital dauerhaft schädigt. Beides steht im krassen Widerspruch zu dem, was im Westen gerne als abendländisches Menschenrechtserbe bezeichnet wird, insbesondere verstößt es gegen die unbedingte Würde des Menschen. Das mögliche Auftreten einer Klimakrise wurde bereits in den Siebzigerjahren diskutiert, fand damals aber keine Resonanz bzw. wurde vor allem von den starken Lobbygruppen der fossilen Energieträgerindustrie politisch und wissenschaftlich hintertrieben (Rich 2019). Gefordert ist offenbar eine global erst zu verwirklichende Ethik, um wirtschaftspolitische Maßnahmen zu begründen, die zunächst den bisher Begünstigten Kosten aufbürden, um künftige Schäden abzuwenden, die zunächst und zuvorderst in der Dritten Welt auftreten. Tatsächlich notwendig ist hier ein philosophischer Diskurs, in dem ein Utilitarist andere Positionen äußert als ein Anhänger von John Rawls, der die am wenigsten Begünstigten im Blick behält, der die Frage von anthropologisch begründeten Partikularethiken im Sinne von Carl Schmitt und Arnold Gehlen der universellen Handlungsmaxime eines Immanuel Kant entgegensetzt, aufgrund dessen die Frage zu stellen ist, ob der westliche Lebensstil verallgemeinerbar ist. Die Antwort hierauf überfordert aber möglicherweise moderne Gesellschaften, wie Tine Stein
5.4 Wirtschaftskrieg als Folge agonaler gesellschaftlicher …
389
(2019b) in ihrem Beitrag Moral in Zeiten der Klimakrise betont, wobei diese Erkenntnisse auch auf andere globale Probleme wie die, die durch weltumspannende Lieferketten und Arbeitsmärkte ausgelöst werden, angewendet werden können.
5.4.1 Klimakrieg: Die zerstörerische Kraft des Egoismus Der Klimakrieg verdient deshalb eine spezielle Beachtung, weil es hinreichende geschichtliche Erfahrungen gibt, wie Veränderungen des globalen Klimas – ob anthropogen oder durch natürliche Prozesse einschließlich Vulkanismus ausgelöst – Wetterlagen in einer Stärke änderten, dass Gesellschaften massiv unter Druck gerieten. Das bedeutet keine Monokausalität. Es verweist jedoch darauf, dass Entscheidungsräume verengt werden und Umkipp-Punkte plötzlich sichtbar werden, welche in die Katastrophe führen können. Die militärisch-ökonomischen Unruhen des Nahen Ostens, auch ausgelöst durch lange Trockenheitsperioden Anfang des Jahrtausends, finden hier einen gewissen Begründungszusammenhang. Wenn das arktische Schild im Sommer abschmilzt, könnte sich eine gefährliche Konkurrenz um die maritime Nordpassage zwischen den USA, China und dem territorial angrenzenden Russland ergeben. Der anthropogene Ausstoß von Kohlendioxid wird heute als eine der wesentlichen Ursachen für die Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde angesehen; von der Menge des Ausstoßes dominiert es die anderen Klimagase wie Methan oder Lachgas erheblich, obwohl diese eine wesentlich stärkere Wirkung entfalten.49 Weniger der Einfluss an sich als vielmehr sein Umfang ist Gegenstand heftigster wissenschaftlicher Diskussionen. Die erste beträchtliche Zunahme der Klimagaskonzentration erfolgte vermutlich mit der neolithischen Revolution, also mit der Einführung der Land- und Viehwirtschaft in der damit verbundenen Warmzeit des Holozäns vor rund 10.000 Jahren. Eine große Unbekannte bleibt bisher die Absorptionsfähigkeit der Weltmeere bei der Wärmeund der CO2-Aufnahme. Die Menschheitsgeschichte belegt, welche Wirkungen Wetter- und Klimagewalten ausüben können. So zeigen Robert W. Anderson, Noel D. Johnson und Mark Koyama (2015) in ihrem Beitrag Jewish Persecutions and Weather Shocks: 1100–1800, dass Kälteperioden Minderheitenverfolgungen auslösten und die Progrome vor allem dort besonders heftig wirkten, wo schlechte Bodenqualitäten vorlagen und Institutionen schwach waren. Aus historischer Sicht sind viele Umwälzungen bekannt, die Klimaschocks folgten, insbesondere im ausgehenden Mittelalter oder im Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs (Schmidt 2018, S. 87–93), als kleine Eiszeit bekannt. Philipp Blom (2017) untersucht in Die Welt aus den Angeln diese detailliert für die Zeit von
49So
besitzt Methan eine rund 22-fache und Lachgas eine rund 310-fache Klimawirksamkeit bezogen auf Kohlendioxid. Extrem ist der Wert der verschiedenen Fluorkohlenwasserstoffe, die Werte bis über das 10.000-fache erreichen können. Zudem sind diese Moleküle teilweise extrem stabil.
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
1570–1700; sie brachte den Gesellschaften nicht nur Hunger, Pest und Tod, sondern mit der Reformation und den anschließenden Kriegen, Migrationen und neuen Handelsinitiativen eine nachhaltige Veränderung der Geotektonik Europas. Knapp eineinhalb Jahrhunderte früher war ebenfalls eine Kaltperiode zu verzeichnen, die Chantal Camenisch (2016) im Beitrag The 1430s: a Cold Period of Extraordinary Internal Climate Variability during the Early Spörer Minimum with Social and Economic Impacts in North-Western and Central Europe analysieren und zeigen, dass diese Jahre in Mittel- und Nord-West-Europa zu den kältesten des Jahrtausends zählten: Das Untersuchungsdesign ist von besonderem Interesse, weil es neben der geschichtlichen Klimarekonstruktion indirekt auf vorhandene oder fehlende Stabilisatoren des Systems verweist, und ist in der Abb. 5.1 dargestellt. Vier Wirkungsrunden werden unterschieden: Biophysikalische Erstrundeneffekte, also der Bereich der Nahrungsmittelproduktion; Zweitrundeneffekte bei Wirtschaftswachstum und Gesundheit – bei Mensch und Tier; Drittrundeneffekte bei Demographie und Sozialstruktur; Viertrundeneffekte bei kulturellen – hier eingeschlossen auch technologischen und organisatorischen – Antworten auf die Krise. Vor allem institutionelle Resilienz, und hier spielen integrierte Märkte eine wichtige Rolle, sowie das Vermeiden von Konflikten erscheinen an vorderster Front der Abwehrstrategien. Diese Ereignisse bestätigen die Aussagen von Harald Meller und Thomas Puttkammer (2017) im Begleitband zur Ausstellung Klimagewalten: Treibende Kraft der Evolution, dass nämlich vor allem kalte Perioden zu Selektionsdruck und damit zu
Eisbohrkerne
Strahlungseinwirkungen • • • •
Sonne Vulkane Klimagase Erdumlauahn
Systemmodell der Erde
• • •
Klimastasken ausgelöste Klimaschwankungen chaosche Klimaschwankungen
Klimarekonstrukon
archeomagnesche Daten, astronomische Beobachtungen, Sedimente aus Seen
•
•
Zuordnung von
• ausgelösten, • chaoschen Schwankungen
Temperaturen und ihre jahreszeitliche Verteilung Sommerniederschläge
nicht-klimasche Treiber
Historische Dokumente
Zuordnung zu
Polische Bedingungen Krieg Grad der Markntegraon
• •
Klima, anderen Treibern
sozioökonomische Faktoren (Evoluon, Schocks, Anpassungen)
• • •
Entwicklung der Getreidepreise Lagerinfrastrukturen für Getreide Handelsregulierungen
• • •
Preiskontrollen Markntervenonen Hungersnöte, …
Geschichtswissenschaen
Baumringe
• • •
Naturwissenschaen
Klimaarchive
Abb. 5.1 Systemanalyse des Klimawandels. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Camenisch et al. 2016, S. 2109)
5.4 Wirtschaftskrieg als Folge agonaler gesellschaftlicher …
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Fortschritt führen durch Aussterben, Abwandern oder (genetische oder zivilisatorische Anpassung und dass Kälteperioden, die erdgeschichtlich weniger häufig waren als Wärmeperioden, die großen Evolutionsschübe hervorgebracht haben. Auch wenn Überleben in Warmzeiten also leichter als in Kaltzeiten fällt, muss das Risiko begrenzt werden, auch und gerade dann, wenn Unkenntnis und oft auch Propaganda dominieren. Die Abb. 5.2 stellt den Zusammenhang von einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur und global wirksamer Einzelereignisse her; demzufolge dürften massive, ökonomisch wirksame Umverteilungseffekte auftreten. Die Darstellung folgt dem Burning-Embers Diagram (Diagramm der brennenden Glut) des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC). Problematisch für das Finden eines Konsenses ist die völlig heterogene Interessenslage der Teilnehmer an der Klimapolitik, die sich aus der geographischen Lage, dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsstatus, dem Regierungssystem und schließlich den eigenen Ressourcen ergeben. So reicht die pro-Kopf-Produktion von Kohlendioxyd von Indien mit rund 1,4 t/Person über Deutschland mit 9,1 t/Person bis zu den USA und Katar mit 16,9 t/Person bzw. 38,2 t/Person. Man erkennt, dass ähnliche Wohlstandsniveaus mit vollkommen unterschiedlichen CO2-Verbräuchen vereinbar sind, dass also – neben geographischer Lage – auch Technologien und Verbrauchsgewohn-
Bedrohung einzigarge Ökosysteme und Kulturen z.B. Korallenriffe
extreme Weerereignisse z.B. Wirbelstürme kein erkennbares Risiko moderates Risiko
ungleich verteilte Risiken z.B. Weinbau in Norddeutschland, versinkende Inseln in der Südsee
hohes Risiko
global relevante Risiken z.B. Trockenheiten, Hungersnöte, Überflutungen
sehr hohes Risiko
große Einzelereignisse z.B. Eisschmelze in Grönland
0,0° vor der industriellen Revoluon
0,8° 1,0° bereits eingetretene Erderwärmung
2,0° internaonal vereinbarte Grenze
3,0°
4,0°
5,0° vermutete Erderwärmung nach 2010 ohne Klimaschutz
Abb. 5.2 Wirkungen des Klimawandels und 2° Ziel. (Quelle: eigene Darstellung aus Süddeutsche Zeitung 2014a)
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5 Kooperative und agonale Theorien des Staats
heiten bedeutsam sind – gerade im Vergleich USA und Europa. Im globalen Durchschnitt liegt der Wert bei knapp 0,5 t CO2 pro Person. Sollen die Ziele des Pariser Klimaertrags – den Anstieg der Temperatur auf 2° zu begrenzen – erreicht werden, dann muss vor allem die massive Expansion der Emissionen in den Schwellenländern gedrosselt werden. Einfach ist das nicht, gibt es doch nicht nur den wirtschaftlichen Aufbauwillen ungeachtet dessen Folgen, sondern auch ethnische Problemstellungen, beispielsweise in der Konkurrenzlage China-Indien-Pakistan-Bangladesch-Vietnam. Daraus ergibt sich eine extrem komplexe Konfliktlage, die auch sofort auf das Kriegerische des Handelns verweist: Es wird nicht nur der Kooperationsrahmen verlassen, es wird auch das langfristige Schädigen von Gesellschaften billigend in Kauf genommen – bis hin zu deren wirtschaftlicher, im Rahmen von Extremwetterereignissen auch physischen Vernichtung. Insbesondere gilt dies für viele Pazifikinseln, aber auch für Landstriche entlang von Flussdeltas vor allem in Asien, denen auch die Mittel für den Deichbau fehlen. Dabei existiert ein institutioneller Rahmen, und auch die erforderlichen Instrumente stehen zur Verfügung, beispielsweise in Form von Umweltlizenzen. Abb. 5.3 zeigt die Zahl der betroffenen Einwohner und ihren Anteil an der Bevölkerung in einzelnen Ländern zum Jahr 2100. In vielen Fällen gleicht der globale Kapitalismus, der keinen weltumspannenden Ordnungsrahmen kennt, einem Vertrag zulasten Dritter, vor allem schwacher Volkswirtschaften und Personengruppen. Wie eine Arbeitsgruppe um Carl-Friedrich Schleussner et al. (2016) vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung zeigt, besteht besonders in ethnisch gespaltenen Gesellschaften ein erhebliches Risiko, dass Wetterkatastrophen zu Gewaltausbrüchen führen. Die vorhandenen Marktsignale über Ressourcenraubbau und Ausbeutung von Arbeitskräften in Entwicklungs- und Schwellenländern werden gerne überhört, um die eigene Wohlstandsposition zu sichern, insbesondere geschieht dieses Wahren von Besitzständen unmittelbar über den politischen Prozess. Damit
Abb. 5.3 Grad der Betroffenheit vom Klimawandel im Jahr 2100. (Quelle: eigene Darstellung aus Daten von Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014g)
5.4 Wirtschaftskrieg als Folge agonaler gesellschaftlicher …
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wird die Bevölkerung im Wohlstandsgürtel dieser Welt schnell zum Treiber von Wirtschaftskriegen. Der Economist (2014c) hat untersucht, was die wichtigsten bisherigen Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen waren. Es dominiert das Montrealer Protokoll (5,6 Mrd. t) gefolgt von der Wasser- und der Nuklearenergie (2,8 bzw. 2,2 Mrd. t) und der Ein-Kind-Politik Chinas (600 Mio. t). Eine gleiche Wirkung haben die Erneuerbaren Energien (600 Mio. t), es folgen die Umweltstandards bei Autos in den Pkw der USA (460 Mio. t) und die Bewahrung des Brasilianischen Regenwaldes (400 Mio. t). Alle anderen bisherigen Maßnahmen sind weitgehend vernachlässigbar. Viele Schwellenländer setzen völlig ungehemmt eine Entwicklungsstrategie fort, die weitgehend auf einer Energiebereitstellung mittels fossiler Brennstoffe aufbaut. Werden sie moralisch unter Druck gesetzt, dann verweisen sie gerne auf die Industrialisierungsstrategien vor allem der westlichen Welt. Damit entspricht die Situation der eines Gefangenendilemmas, in dem um den Umgang mit dem öffentlichen Gut „Klima“ gerungen wird. Die Rücksichtlosigkeit vieler entwickelter Länder, aber auch der Regierungen mancher Schwellen- und Entwicklungsländer, verweist darauf, dass kooperatives Handeln hier dem rivalen geopfert wird. Erinnert ist man an das Abwerfen der Last sozialer Verantwortung bei Ayn Rand oder dem Gesetz der Tafel bei Thomas Hobbes. Die Abb. 5.4 macht die Dramatik der Entwicklung deutlich. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Je nach Interessenlage: Erhöhen des Umweltschutzes zu einer Quasireligion bzw. Durchsetzen einer ökonomischen Bewirtschaftung der Umwelt bzw. kurzfristige Kapitalverwertung; letzteres wird besonders deutlich im Abholzen der Regenwälder, beispielsweise zur Palmölproduktion in Indonesien.
Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Gesinnungstäter, die in den entwickelten Industrieländern leben und die Klimaerwärmung als Ersatzreligion verstehen. Sie sprechen den Klimaskeptikern jede Seriosität ab. Man findet sie vor allem im nördlichen Europa, prototypisch für sie ist Deutschland:50 Sie wollen den CO2-Ausstoß reduzieren und dabei ein Vorbild für andere Länder sein. Der Tsunami des Frühjahrs 2011 in Japan, dessen Tausende von Toten der anschließenden Atomkatastrophe zugeschrieben werden, machte ihre Dilemmasituation offenbar. Denn der Atomausstieg führt nicht nur zu immensen
50Hans-Dieter
Radecke und Lorenz Teufel berichten über diese „Diktatur der Zukunft“ in Cicero (2013) und nennen als Protagonisten den Potsdamer Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber, der bereit ist, die Demokratie zugunsten des Klimaschutzes aufzugeben, und den Grazer Professor Richard Parncutt, der die Todesstrafe für einflussreiche Leugner des Klimawandels forderte.
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Abb. 5.4 Treibhausgasemissionen im Vergleich, 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Daten aus Frankfurter Allgemeine Zeitung 2017d)
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Kosten und Wirtschaftsrisiken, er erhöht auch durch die Nutzung der Reserven aus fossil betriebenen Kraftwerken den CO2-Eintrag in die Atmosphäre. Das Vorpreschen in diese Richtung könnte mehr Schaden als Nutzen stiften. Wachstumstäter, die in den Schwellenländern zu verorten sind, die ihre wirtschaftliche Expansion, auch durch die Größe ihrer Bevölkerungen getrieben, weitgehend rücksichtlos vorantreiben und das auch mit dem Hinweis rechtfertigen, die klassischen Industrieländer hätten in ihren Aufbaujahren auch keine Rücksicht auf Umweltbelange genommen. Opportunisten aus den Industrieländern, die zur Kooperation bereit sind, wenn es nur ihrer Wirtschaft und vor allem ihrem Lebenskomfort nicht zu sehr schadet. So glänzt die Bundesrepublik mit einer nach Meinung des IPCC-Berichts von 2014 völlig ineffizienten Klimapolitik, deren Milliardenaufwand besser in andere klimaverbessernde Maßnahmen gesteckt würde. Gerichte, auch Verfassungsgerichte, die zunehmend angerufen werden, um Klimaschutz durchzusetzen. Finanzinstitutionen, die sich vermehrt aus klimaschädlichen Finanzierungen zurückziehen, weil sie die Risikotragfähigkeit der Investitionen als gefährdet einstufen, und hier vor allem auch Versicherungen, welche die erforderlichen Prämien angesichts steigender Schäden anheben. Gewinner, das sind vor allem Länder der nördlichen Hemisphäre, deren Kultivierungszonen sich nach Norden verschieben und die damit verbesserten Möglichkeiten ihrer land- und forstwirtschaftlichen Produktion sehen. Opfer sind vor allem Küstenländer und Inseln, meist zugleich Entwicklungsländer, die im Falle eines steigenden Meeresspiegels oder bei einer Verschärfung der Extrem-
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wetterereignisse erheblich betroffen sind – bis zum Untergang ihres Staats, weil er im Meer verschwindet. • Experten, die an der Debatte materiell und/oder immateriell verdienen: Oft besteht eine erhebliche Parteilichkeit infolge einer Finanzierung, die vorgefassten politischen Meinungen oder Unternehmensinteressen folgt.51 • Banken, die mit CO2-Zertifikaten spekulierten, und dabei möglicherweise Hilfe zum Steuerbetrug leisteten. Auf lange Sicht könnten sich bei ihnen Klumpenrisiken aus Klimaveränderungen konzentrieren. • Dazu: Eine Vielzahl sich am Trog der Uneinigkeit sättigender Nichtregierungsorganisationen. Kriegsmittel: • Einsetzen von Externalitäten als Waffen der Auseinandersetzung durch strategische Investitionen im Energiesektor. • Fehlendes Ratifizieren von Klimaschutzabkommen bzw. deren Nichteinhaltung. • Ausstoß von Treibhausgasen zum Forcieren der wirtschaftlichen Entwicklung. • Verringerung von Absorptionsflächen, vor allem Zerstörung des Walds. • Spekulation mit CO2-Zertifikaten. Kriegsziel: • Kein Zurückfahren oder gar Opfern ökonomischer Expansionspläne aufseiten der Schwellenländer und der entwickelten Welt. • Wirtschaftliche Dominanz als Anbieter von Rohstoffen bei Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch rohstoffreichen Industrieländern. • Erzielen der ultimativen Informationsüberlegenheit vonseiten der Klimaschützer, teilweise auch seitens der Klimaleugner. Kriegsfolgen: • Diese sind noch offen; es ist zu befürchten, dass es Ende des Jahrhunderts vor allem in den Entwicklungsländern zum klimabedingten Wirtschaftskollaps kommen kann. Das zentrale kooperative Dach, das zum Klimaschutz verabschiedet wurde, stellt die Klimarahmenkonvention dar, die im Kontext der Konferenz von Rio de Janeiro im Jahr
51Tatsächlich
findet hier ein Wissenschaftskrieg statt, der über Parteilichkeit hinaus auch auf Probleme der Datengewinnung, der Interpretation der thick tails der zugrunde gelegten Verteilungen und der Prognoseverfahren hinweist; vgl. Blasberg und Kolenberg (2012), EIKE-PIK (2011) und Weisser (2012).
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1992 verabschiedet wurde, allerdings nicht von allen Ländern unterschrieben wurde, beispielsweise den USA,52 weil Klimaschutz ein Allmende-Problem darstellt: Kooperiert ein Land nicht bei der Reduktion der Treibgasemissionen, so ist das Durchsetzen von Emissionsgrenzen, auch durch entsprechende ökonomische Regelungen wie Klimasteuern oder Emissionszertifikate, ohne Zwangsmaßnahmen praktisch unmöglich. Das Pariser Klimaabkommen des Jahres 2016, das auch eine weit stärkere Rückführung von verbrauchten Ressourcen in den Wertstoffkreislauf fordert, wurde bereits im Jahr 2017 von den USA gekündigt. Pionier- und Vorbildhandeln können kontraproduktiv wirken und ein „grünes Paradoxon“ auslösen. Genau dieses beschreibt Hans-Werner Sinn (2008a, b) im Kontext des klassischen Ressourcenmodells von Harold Hotelling (1931). Wenn nämlich die entwickelten Länder intern die Umweltgüter (z. B. CO2) verknappen, dann sinken weltweit die diesen zugrunde liegenden Ressourcenpreise (z. B. Erdöl) gegenüber dem normalen Trend. Wird dieses Sinken antizipiert, dann werden die Besitzer dieser Ressourcen die Ausbeutung intensivieren und die Umweltlage verschlechtert sich. Wenn sie dann noch befürchten, diese Ressourcen später gar nicht mehr oder allenfalls zu erheblichen Kosten nutzen zu können, werden sie die Exploitation besonders stark steigern. Insbesondere für kohlenstoffhaltige Energieträger ist das relevant, besteht doch das Risiko eines Klimaschocks, der in Europa nicht zwingend mit einem Temperaturanstieg verbunden sein muss, wie geschichtliche Erfahrungen am Anfang des 18. Jh. belegen (Kulke 2010), durch den aber extreme Wetterlagen mit massiven Schäden häufiger auftreten können. Auch wenn viele Länder nicht direkt betroffen sind oder sich sogar Verbesserungen ihrer Klimalage und Vegetationsperiode vorstellen, vor allem in den weiter nördlichen und weiter südlichen Hemisphären, werden sie sich des Konfliktpotentials nicht entziehen können, das erst durch Migration, dann durch wirtschaftlichen Zerfall und schließlich militärische Kriege wirksam werden kann. Eine Hoffnung für das globale Durchsetzen einer Klimapolitik ruht nicht allein auf einem effizienten Lizenzsystem; auch die Entscheidung vieler Investoren, ihr Geld nur noch in ethische Fonds zu investieren, könnte helfen. Tatsächlich zeigt aber Holger Zschäpitz (2016a) in einem Beitrag über Echter Zaster nur mit Laster, dass „Sündenfonds“ besser als „Gutmenschenfonds“ abschneiden und somit gesinnungsethisches Engagement einen echten Preis besitzt. Andere Optionen sind massive Aufforstungen – ein Hektar Wald bindet in Deutschland jährlich rund fünf Tonnen Kohlenstoff – und im Extremfall sogar climate engineering. Tatsächlich werden derartige Verfahren bereits heute eingesetzt: Das Schießen mit Schallkanonen, um Hagel vorzeitig und damit nicht an kritischen Stellen abgehen zu lassen, oder das Impfen von Wolken, um ein Abregnen über trockenen Regionen zu erzielen. Die US-Luftwaffe hat eine Denkschrift Die Beherrschung des Wetters im Jahr 2025 verfasst, weil sie hier ebenso sicherheitsstrategische Angriffsbzw. Verteidigungsoptionen wie ökonomische Potentiale sieht (Kulke 2018).
52Vgl.
hierzu auch den Beitrag von Ehrenfeld (2009).
5.4 Wirtschaftskrieg als Folge agonaler gesellschaftlicher …
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Schließlich wird diskutiert, ob – analog zum im vierten Kapitel angesprochenen und in diesem Kapitel philosophisch begründeten humanitären Völkerrecht – ein militärisches Interventionsrecht besteht, um massive, global wirkende Klimasünden, welche die eigene wirtschaftliche Entwicklung zulasten anderer Länder forcieren, zu unterbinden, wie Helene Bubrowski (2019) in Wem gehört der Regenwald? fragt. Der Gesichtspunkt gewinnt angesichts der massiven Abholzungen und Brandlegungen in den Regenwäldern Südamerikas und Afrikas, die auch als grüne Lunge global fungieren, an Aufmerksamkeit. In jedem Fall hat die Drohung mit wirtschaftlichen Maßnahmen, also Wirtschaftskrieg, gegenüber Brasilien und den südamerikanischen Staaten, das Handelsabkommen Mercosur seitens der Europäischen Union nicht zu ratifizieren, bereits kurzfristig Änderungen bewirkt.
5.4.2 Krieg gegen die Arbeit in den Entwicklungsländern Die Globalisierung hat durch den Verfall der Transportkosten und damit die räumliche Vergrößerung der Märkte wesentliche Preise international angeglichen, vor allem die des Kapitals, der qualifizierten Arbeit, der Umwelt und der Rohstoffe. Die Einheitlichkeit des weltweiten risikoadjustierten Zinssatzes ist im Wesentlichen eine Folge der Bankenregulierung, insbesondere von Basel III, und nicht umsonst wehren sich einige Länder vehement gegen den Durchgriff auf ihre Kapitalknappheit, gerade die USA. Ebenfalls verweigern sich viele Mittelständler in Europa, besonders in Deutschland, der Kapitalmarktorientierung, die ihnen eine Unternehmensführung aufzwingen will, die sehr häufig nicht mehr der Nachhaltigkeit dient. Qualifizierten Arbeitnehmern steht heute ein weltweiter Arbeitsmarkt zur Verfügung, und ihre Vergütung variiert inzwischen eher nach Kaufkraftunterschieden als nach dem Entwicklungsstatus von Regionen. Im Umweltbereich werden schließlich weltweit einheitliche Knappheitsrelationen über die entsprechenden Standards, besonders im Bereich der Treibhausgase, festgesetzt, was wiederum einen Einfluss auf die Energiekosten ausübt. Schließlich unterliegen Rohstoffe seit Beginn des internationalen Handels einer einheitlichen Preissetzung, die nur durch die Transportkosten differenziert wird. Unter diesen Bedingungen werden Wettbewerbsunterschiede über Wechselkurse und lokale Preise ausgeglichen. Hier stehen Immobilien im Fokus, aber auch der Faktor Arbeit, auf den der Preisdruck zerstörerisch wirken kann.53 Eine faire Preisgestaltung entsprechend den liberalen, ökonomischen Vorstellungen würde auf relative Knappheit und Faktorqualitäten als Maßstäbe verweisen. Tatsächlich aber wirken die Nachteile
53Für
ein Weltmeisterschaftstrikot des Jahres 2018 gibt Adidas bei einem Verkaufspreis von 90 € folgende Werte an (Ashelm 2018): Vertrieb 2,25 €, Marketing 2,60 €, Material, Herstellung und Transport 8,60 €, Lizenzgebühr DFB 5,50 €, Sporthandel 39,64 €, Adidas 17,00 € und Mehrwertsteuer 14,36 €.
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zulasten der Herstellerländer, wenn sie die Technologie nicht selbst bereitstellen und sie damit austauschbar sind. Daraus folgt ein Druck auf Löhne sowie Sozialstandards und wie Brände und kollabierende Fabriken zeigen, auch auf Baustandards. Die Vorstellung, dass ein derartiger Tausch von komparativen Kostenvorteilen geleitet wird, was dem Paradigma von David Ricardo entspricht und dem Friedrich List entschieden widersprach, ist infolge des hohen Grads der Unterbeschäftigung verfehlt. In der Folge existieren Arbeitsbedingungen, die in der Halbleiterindustrie oder in der Textilindustrie zu Selbstmorden führen (Beispiel ist Foxconn in China); Christoph Hein (2014) berichtet in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Lager unserer Sklavinnen. Das Dilemma liegt auf der Hand: Bietet ein Abnehmer erhöhte Löhne und verlangt damit Preisaufschläge, dann kann ihn das den Markt kosten, wenn die anderen nicht ebenfalls die Preise anheben. Arbeit bzw. Humankapital wird zu einem endlos ausbeutungsfähigen Produktionsfaktor (Bude 2014), ohne dass es zu Aufständen kommt: Teile der Bevölkerung sehen das als ein Spiel, bei dem sie erfolgreiche Teilnehmer sind, die Opfer hingegen haben selten Fürsprecher. Die Lösung wäre es, sich über ein kooperatives Dach im Sinne eines Metaspiels zu verständigen, was bei Normen möglich ist, sonst aber kartellrechtlich geahndet wird. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Kurzfristige Renditemaximierung Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Regierungen: Sie sind als Regulierer dafür verantwortlich, dass die meisten Preise für weltweit handelbare Güter international einheitlich festgesetzt werden, weshalb die Preise lokaler Güter, vor allem der Arbeit einfacher und mittlerer Qualifikation – neben Immobilien – den internationalen Ausgleich schultern müssen. Zugleich sind sie oft, weil sie durch ihre eigene nationale Industrie bevorzugte Projekte in Entwicklungsländern fördern und damit Abhängigkeiten erhöhen, Träger der strategischen Entwicklungspolitik. Schließlich sind Politiker in Entwicklungs- und Schwellenländern oft auch Eigentümer von Unternehmen, in denen die Sozial- und Baustandards nicht eingehalten werden bzw. sind mit den Unternehmen vernetzt; sie zeigen deshalb oft kein Interesse am Durchsetzen von Regulierungen, wenn sie beispielsweise westliche Kontrolleure aus Produktionsbetrieben in den Entwicklungsländern verbannen. • Unternehmen: Trotz bekannter Transparenzcodes [im Textilbereich beispielsweise Oeko-Tex® und Codes der social accountability und responsibility (CSA, CSR), die clean clothes- oder die Saubere-Kleidung-Kampagne] ist wenig kollektives Handeln sichtbar, um die Bedingungen in den Beschaffungsländern zu verändern, weil ihnen der Konkurrenzdruck auf den einheimischen Produktmärkten scheinbar keine Wahl lässt und der Einstieg in einen Qualitätswettbewerb (statt eines Preiswettbewerbs)
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in ihrem Segment nicht einträglich erscheint. Dabei würden faire Einkommen die Preise nur um wenige Cents verteuern. Selbst dort, wo Markenunternehmen eigentlich Signale für Nachhaltigkeit geben könnten, findet dies nicht statt, weil die aufgeblähten Unternehmenswerte durch entsprechende Gewinne bedient werden müssen, was den Kostendruck erhöht. • NGOs: Diese Nicht-Regierungsorganisationen treten sehr häufig als Wächter der öffentlichen – globalen – Moral auf, geben damit wichtige institutionelle Impulse für verantwortliches, nachhaltiges Wirtschaften, müssen sich aber für ihre Aktivitäten selten materiell verantworten, wenn Fehleinschätzungen aufgetreten sind.54 • Zertifizierer: Diese sind verantwortlich dafür, dass bestimmte Normen tatsächlich eingehalten werden. Die Pflicht zum Zertifizieren wird teils von Staaten gesetzt, teils von Versicherern erzwungen oder von verbundenen Unternehmen im Rahmen der Qualitätskontrolle verlangt – vor allem entlang der Beschaffungs- und Absatzwege. Kriegsmittel: • Ausländische Direktinvestitionen sowie eindeutig bindende Lieferverträge, die einen Exklusivcharakter besitzen, zählen zu den wichtigsten Instrumenten. Dabei werden die verlängerten Werkbänke in die Lieferketten eingebaut, erhalten also das Material (zum Beispiel Tuche), das sie nur für den vorgesehenen Abnehmer verwerten dürfen. Eigenproduktion ist dabei untersagt, auch die Entwicklung eigener Designs.55 • Information der Öffentlichkeit über Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern, um dort Änderungen zu erzwingen. Kriegsziel: • Seitens der Unternehmen: Billigster Einkauf aus Entwicklungsländern, um die Unternehmensgewinne in den entwickelten Ländern zu maximieren. • Seitens der NGOs: Durchsetzen von Nachhaltigkeitsstandards, insbesondere der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI).
54Erinnert sei nur an die Ölplattform Brent Spar, die versenkt werden sollte, worauf Greenpeace im Jahr 1995 eine Kampagne gegen die Betreiber Esso und Shell auslöste und diese mittels öffentlichen Drucks zu einer alternativen Entsorgung zwang. Allerdings stellten sich die angegebenen Daten, auf denen die Aktivität von Greenpeace beruhte, schließlich als fehlerhaft heraus, und Millionen an US-Dollars waren sinnlos ausgegeben worden. 55Derartige Knebelverträge sind häufig dann üblich, wenn bei verlängerten Werkbänken der Abfluss von Wissen verhindert werden soll. Allerdings kann es im Interesse des auslagernden Unternehmens liegen, die verlängerte Werkbank technologisch zu ertüchtigen, weil darüberhinausgehende Interessen, beispielsweise der partnerschaftlichen Entwicklung, es nahelegen. So wurde beispielsweise durch die Lizenzfertigung des Starfighters die Flugzeugindustrie in der Bundesrepublik Deutschland neu begründet.
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• Seitens der Staaten: Etablieren von WTO-konformen Regeln im Sinne eines Metaspiels. Kriegsfolge: • Stabilisierung von Ausbeutungsregimen zur nachhaltigen Profiterzielung und dauerhaften Ausbeutung von Arbeitnehmern, die international keine Marktmacht besitzen. Deutlich wird dieser Wirtschaftskrieg, der gleichermaßen Rohstoffe auf dem Weltmarkt verschleudert und Humankapital unter Lohndruck setzt, in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern: • Der Begriff der Blut-Diamanten verweist auf die Methoden des Abbaus – teils illegal, oft mit Gewalt erzwungen. • An vielen Smartphones klebt Blut, weil die Rohstoffe unter Sklavenbedingungen gefördert werden; in Afrika, vor allem dem Kongo, haben Coltan und Kobalt eine traurige Berühmtheit erreicht. Lithium ist für den Batteriebau im Rahmen der Elektromobilität erforderlich und bedroht indigene Strukturen in Südamerika. • Das Bleichen von Jeans zur Befriedigung von Modebedürfnissen in den Industrieländern erzeugt in der Volksrepublik China gewaltige Umweltschäden, unter denen auch die Bevölkerung nachhaltig leidet. Chinesischen Statistiken folgend (Süddeutsche Zeitung 2014b) liegt die jährliche Zahl der Unfalltoten infolge betrieblicher Unfälle in der Volksrepublik bei über 50.000 pro Jahr. • Immer wieder treten Brände in Fabriken auf oder stürzen Gebäude ein. Zu trauriger Berühmtheit kam die Textilfabrik Rana Plaza, Bangladesch, im Jahr 2013 mit mehr als 1100 Toten. Billigste Textilien werden aus dem asiatischen Wirtschaftsraum bezogen (Gassmann 2015). Nach dem Brand in einer Textilfabrik in Karatschi, Pakistan, mit 260 Toten steht inzwischen der deutsche Hersteller Kik vor Gericht, um zu prüfen, ob er wegen der billigenden Inkaufnahme der Arbeitsbedingungen schadensersatzpflichtig ist – ein Prozess, in dem rechtliches Neuland zwischen Schuld und Verantwortung betreten wird (Dohmen 2016). Im Frühjahr 2018 konnte eine Einigung mit den Opfern des Textilfabrikbrandes erreicht werden. Das Volumen beträgt seitens des Filialisten Kik 5 Mio. €. Waisen erhalten eine Monatsrente von rund 6 € pro Monat (Hein 2018a), nachdem kurz vorher das Verfahren beinahe endete, weil die Ansprüche nach pakistanischem Recht verjährt waren. Katharina Worpenberg (2017) zeigt in einer Schrift über Die „Better Cotton Initiative“ als Instrument für New Governance“, dass durchaus Wege bestehen, diesen Wirtschaftskrieg einzuhegen und zu vermeiden, wenn entlang der Wertschöpfungskette ordnungsökonomische Regeln durchgesetzt werden. Hierzu zählen insbesondere klare Produktionsstandards, ein Qualifizierungsprogramm, ein Programm der Anreize für stete Qualitätssteigerungen, eine Dokumentation der Wertschöpfungskette und ein Zertifizierungssystem für die Endkundenhändler.
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• Der Durst der Industrieländer nach Palmöl als Grundstoff für die Lebensmittel- aber auch die Chemie und Treibstoffindustrie hat zum massiven Eingriff in die Regenwälder geführt; Monokulturen erscheinen zunehmend als extreme Bedrohung für Klima und Biodiversität (Struebig et al. 2011). Konkret bringen die großen Plantagen Orang-Utans an den Rand der Auslöschung. Die damit entstehenden Schäden werden zunehmend als irreversibel eingeordnet, allerdings sind die zivilgesellschaftlichen und regierungsamtlichen Initiativen, diese Ausbeutung zu begrenzen wenn nicht gar beenden, bisher wenig erfolgreich, wie Maria Backhouse (2015) in ihrem Buch Grüne Landnahme – Palmölexpansion und Landkonflikte in Amazonien in einer breit angelegten Analyse aufzeigt. Als besonders fragwürdig erscheint die Expansion der Palmölproduktion, weil im Raffinerieprozess potentiell kanzerogen eingestufte Ester im Öl entstehen, das wiederum in Süßigkeiten vor allem bei Kleinkindern Grenzwerte schnell übersteigt, wie Berit Uhlmann (2019) über Das allgegenwärtige Fett schreibt. • Wie erpressbar Entwicklungs- und Schwellenländer sind, sieht man am Beispiel Bangladesch, wo Baustoffexperten über die Qualität der Baumaterialien für Fabrikgebäude streiten. Die avisierten Normen würden für 30 % der Fabriken das Aus bedeuten – mit massiven Arbeitsplatzverlusten als Folge (Hein 2014). • Die australische Menschenrechtsorganisation Walk Free (o. D.) errechnet einen Global Slavery Index; diesem zufolge arbeiteten im Jahr 2013 weltweit knapp 30 Mio. Menschen in moderner Sklaverei. Höchste Anteile finden sich in Mauretanien und Usbekistan (über 4 % der Bevölkerung), in Haiti (über 2 %) und in Katar, Indien, Pakistan, Bangladesch, im Kongo, im Sudan oder in der Zentralafrikanischen Republik (über 1 % der Bevölkerung). Evi Hartmann (2016) analysiert in ihrem Buch die Lieferverflechtungen, dem sie deshalb den Titel gibt Wie viele Sklaven halten Sie? Das zeigt deutlich, wie das Freihandelsparadigma nur durch die Verletzung einer Annahme – der Vollbeschäftigung – zu einem wirtschaftskriegerischen Ausbeutungsparadigma verkommt. Denn tatsächlich wird dort die Natur – durch Verseuchung – entwertet und die Rohstoffe werden – durch Raubbau, Schmuggel und Korruption – verschleudert und für die Menschen werden die Lebenschancen und die Lebenserwartung begrenzt. In Übereinstimmung mit den Aussagen im vierten Kapitel zur Signaltheorie böte sich an, das Dilemma dadurch aufzulösen, dass das Unternehmen seine Qualität ausweist, seine Sozial- und Produktionsstandards entlang der Lieferkette durchsetzt und sich damit von anderen Unternehmen positiv abhebt. Eine derartige Nachhaltigkeitsstrategie, die dem Unternehmen sein eigenes Marktgleichgewicht gibt, das sich von dem der Konkurrenz unterscheidet, würde auch einem nachhaltigen shareholder value (vgl. hierzu das neunte Kapitel) entsprechen. Problematisch ist aber, dass gerade in der Textilindustrie die Qualitätsunterschiede zwischen Billig- und Hochpreisanbietern minimal sind. Der Kunde weiß, dass er meist nur ein Markenzeichen bezahlt und oft als Schnäppchenjäger auftritt, der seine politische Moral zwar bekundet, aber nicht danach
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lebt. Die normative Ethik von Horst Steinmann und Albert Löhr (1991) verweist hier auf Lösungen in Gestalt von Minimalstandards, die aber interkulturell nur schwer zu kommunizieren sind.
5.5 Fazit und Handlungsempfehlungen Ziel dieses Kapitels war es, die Dialektik zwischen Kooperationsstrukturen und agonalen Strukturen aufzuzeigen. Historisch existieren beide und wurden auch von den Staatsphilosophen erwähnt und gegeneinander abgewogen. Die kulturelle Entwicklung der vergangenen dreitausend Jahre ging dahin, agonale Systeme durch Kooperationsstrukturen zu überwölben. Das Problem dabei war und bleibt, dass der Mensch seine agonal-anthropologische Disposition zwar aus dem Blickfeld verloren, sie aber nicht aberzogen bekommen hat. Gleichzeitig erleichtert die Globalisierung das Ausleben derartiger Eigenschaften, weil sich die Verantwortlichen der nationalstaatlichen Verfolgung entziehen können. Moralisch besonders fragwürdig wird das, wenn Kooperationssysteme benutzt – missbraucht – werden, um wirtschaftskriegerische Maßnahmen durchzusetzen und dabei das Recht des (ökonomisch, gegebenenfalls auch militärisch und finanziell) Stärkeren zu nutzen. Peter Leo, Mitautor von Mit Rechten reden (2017), thematisiert dieses Dilemma in einem Interview (Delius 2018) vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verschmelzung von Moral und Politik im öffentlichen Diskurs, der sich auch auf diese Problematik übertragen lässt, wie folgt: „Der sportliche, der ökonomische, der wissenschaftliche und der politische Wettkampf prämiert das Schadenwollen ja sogar, allerdings nicht mit Gewissensruhe, sondern mit Geld, Macht und Prestige. Wer aber mit ein und derselben Haltung dem anderen schaden und zugleich das eigene Gewissen beruhigen will, verwischt diesen Unterschied. Denkbar ist das nur, wenn man, statt für sich das Gute anzustreben, das Böse unter dem Namen ‚Menschenfeindschaft‘ verdinglicht hat. Wie aber bekämpft man das Böse? Indem man es sich vom Leib hält und den öffentlichen Raum von ihm säubert. Da aber die Zwanghaftigkeit dieser Hygienemoral schlecht zur Pragmatik des Politischen passt, muss man sie durch Effizienzbehauptungen rationalisieren.“ Der Klimakrieg und der Krieg gegen die Arbeit sind dafür besonders illustrative Beispiele, weil sie eigentlich den Moralvorstellungen der Völker, die weitgehend für diese verantwortlich sind, entgegenstehen sollten. Aber auch das Verhindern von Klimakatastrophen kann Geschädigte hervorbringen, kann er doch leicht über das Preissystem zu einem Klassenkampf entarten – nur noch Begüterte können sich Elektrofahrzeuge leisten oder Aktien von Windkraftunternehmen kaufen, um die erhöhten Kosten über Dividende hereinzuspielen. Genau dies verdeutlicht auch die Dilemmastruktur, in der sich Entwicklungspolitik bewegt, die oft mit einem zunächst vorhandenen Erkenntnisnotstand verbunden ist, der aber dann bewusst nicht beseitigt wird, weil die Dinge scheinbar erfolgreich laufen:
5.5 Fazit und Handlungsempfehlungen
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Viele Entwicklungsprojekte haben ihren Preis – und auch die Industrialisierung Europas war kein Spaziergang sondern hartes Konditionieren einer Arbeiterschaft. Wenn aber Moral auf eine Ethik reflektiert und diese für das Gemeinwesen verbindlich ist, um es zusammenzuhalten, dann sind Verhaltensweisen irgendwann zu korrigieren. Ein Wirtschaftskrieger sollte diese Dinge bedenken, wenn er in den Einsatz geht – er könnte gemäß den eigenen Vorstellungen erfolgreich sein, er könnte aber auch aus obigen übergeordneten Gründen „zurückgepfiffen“ werden. In Bezug auf die beiden Fallstudien ist Letzteres erst in Ansätzen sichtbar. Nicht umsonst hat Carl von Clausewitz (1832, S. 39–40) betont, dass die Politik nicht schweigen darf, wenn die militärische Auseinandersetzung begonnen hat. 1. Beachte, dass politische Philosophien und historische Prägungen nachhaltig wirken; achte vor allem darauf, ob nationale Traumata existieren – sie können Kooperationen aushöhlen und zerstören. Ebenso sind Dominanzüberzeugungen in Bezug auf Rasse oder Identität oft Grundlagen dafür, die Positionen Dritter nicht als berechtig einordnen zu wollen. Hier besteht ein wichtiger Ansatz der staatsphilosophischen Aufklärung – ohne sie werden (Wirtschafts-) Kriege perpetuiert. 2. Rechne in Konfliktlagen nicht damit, dass Kooperationsstrukturen halten, vor allem dann nicht, wenn bisher kein eigener wesentlicher Beitrag erfolgte, sie zu stabilisieren, oder wenn oben genannte starke, staatsphilosophisch begründete (Vor-) Urteile bestehen! 3. Der beste Angriff auf Kooperationsstrukturen besteht darin, diese durch starke gegenteilige Überzeugungen zu diskreditieren, die die agonalen Staatsphilosophien bereitstellen. Ist dies das Ziel, dann stärke Identitäten und fragmentiere damit die Gesellschaft. Genau dies ist gegenwärtig in der Klimapolitik und im Umgang globaler Unternehmen mit ihren Lieferanten in den Entwicklungsländern zu beobachten, deren gleichwertige Lebensberechtigungen grundlegend in Zweifel gezogen werden. 4. Viele derartige agonale Impulse lassen sich durch eine geeignete Informationspolitik verstärken. Ziel muss es sein, kognitive Dominanz zu erzielen. Die Sprache und die Taxonomie der Begriffe sind wichtige Instrumente. Durch das Verwischen von moralischen und politischen Positionen gelingt es, den Gegner auf zwei Fronten zu schwächen: seiner faktischen Position und ihrer Legitimität. 5. Auch Reformverweigerung kann Krieg bedeuten, denn sie erleichtert das Abrutschen in eine agonale Welt. Tatsächlich erzeugen fehlende Reformen Konfliktlagen, die leicht zu Kriegen oder Wirtschaftskriegen eskalieren – entweder auf direktem Wege oder dadurch, dass im Reformprozess immer unerfüllbarere Positionen durchgesetzt werden sollen, welche Institutionen zum Kollabieren bringen. Fehlende oder unzureichende soft power kann dann ungewollte hard power auslösen. 6. Halt in agonalen Welten immer eine Insel der Kooperation offen! Ein „rotes Telefon“ ist entscheidend, wenn Eskalationen begrenzt werden sollen. Dann ist es wichtig, die Position des Gegners zu verstehen – auch wenn man sie nicht teilt oder ihr zustimmt.
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Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“ (Sprichwort).
Rivalität besitzt gemäß den im dritten und vierten Kapitel über das Menschenbild und den institutionellen Rahmen vorgetragenen Ausführungen einerseits eine anthropologische Grundlage, andererseits ist sie auch eine Folge des kulturellen und zivilisatorischen Umfelds und damit auch der Sozialisierung. Dabei war auf das Buch von Philip Hoffman (2015) verwiesen worden, der die Überlegenheit Europas als Eroberer der Welt und als Taktgeber der Wirtschaft in den vergangenen 500 Jahren seiner zunächst kleinräumigen Staatenstruktur zuschreibt, die die stete Rivalität sowohl kulturell als auch technologisch förderte. Es musste gelernt werden, kooperative Dächer über die agonale Rivalität zu bauen, was eine hohe Kunst in den Verhandlungen erforderte und die Entwicklung einer Rechtstradition forcierte. Es sind also die bereits betrachteten drei Aspekte, nämlich das Bild des Individuums, die von Individuen und oft durch mühselige Erfahrung errichteten Institutionen und die mit diesen verbundenen Werthaltungen, die weitgehend die weichen Faktoren ausmachen, um Rivalität erfogreich zu meistern und sich dadurch das Überleben in einer agonalen Welt zu sichern. Hier finden sich die wesentlichen Grundlagen von soft power. Was sind nun die Aspekte der hard power? Im Militärischen sind diese mit den sogenannten Fähigkeiten in Verbindung zu bringen, die bei sinnvoller Orientierung auf die zu lösenden Probleme und Fragestellungen Einsatzbereitschaft erzeugen. Ohne den Willen geht aber nichts, er ist die zentrale Größe, weshalb ihm später unter dem Aspekt der Führung ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Mao Zedong wird der Satz zugeschrieben: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ Länder unterhalten eine eigene Rüstungsindustrie, um Unabhängigkeit zu gewährleisten und über den Export Einfluss auf andere Länder zu nehmen. Gilt © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_6
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dies auch für den Wirtschaftskrieg? Müssen bestimmte Fähigkeiten selbsterstellt sein, um erfolgreich im Wirtschaftskrieg zu bestehen. Tatschlich verweisen die folgenden Ausführungen deutlich hierauf, insbesondere auch auf die Tatsache, dass ultimativ hard power eine Stütze von soft power ist – im Extremfall wird soft power zu no-power. Schließlich verschwimmen bei vielen Wirtschaftskriegen die Grenzen zwischen Staat und Unternehmen: Staaten als Sanktionsgeber nehmen nicht nur andere Staaten, sondern auch konkrete Unternehmen ins Visier, wie der im elften Kapitel aufgegriffene Wirtschaftskrieg der USA und Chinas am Falle von ZTE oder Huawei im Jahr 2019 zeigt. Umgekehrt können große Unternehmen kleinere Staaten massiv unter Druck setzen und steuerlich ausplündern, wie im zehnten Kapitel verdeutlicht wird. In diesem Kapitel werden die Bestimmungsgründe wirtschaftskriegerischer Fähigkeiten, die Bereitschaft zu deren Verwendung und der Wille zur Dominanz detailliert dargestellt. Entlang von zwei Bespielen, dem Auszehrungskrieg der US-Automobilindustrie sowie dem Kampf um Öl, wird die Relevanz dieser Betrachtungen aufgezeigt.
6.1 Hinreichende und notwendige Bedingungen des Erfolgs Die Fähigkeit, Ziele durch Führung zu erreichen, hängt im Wesentlichen ab von den zur Verfügung stehenden Ressourcen, den Bedingungen und Möglichkeiten, diese im Sinne der Ziele einzusetzen und dem Willen, die entsprechenden Energien zu mobilisieren, um die rivale Kraft des Gegenübers oder ungünstige Rahmenbedingungen abzuwehren, zu brechen oder zu vernichten. Offensichtlich stellt die Einsatzfähigkeit von Material und Personal, die objektiv gemessen werden können, eine wichtige Determinante dar. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Rahmenbedingungen überhaupt den Einsatz genau dieses Geräts und dieses Personals erfordern – dann kann es schnell so sein, dass die den Rahmenbedingungen, Zwecken und Zielen entsprechende Einsatzbereitschaft nicht gegeben ist. Schließlich ist zu prüfen, welche Willenskraft auf der eigenen Seite besteht, um die avisierten Ziele zu erreichen. Dabei spielt die Führung in ihrer gesamten Breite und Tiefe eine zentrale Rolle. Der Gesamterfolg kennt offensichtlich sowohl objektive, also systemorientierte, wie subjektive, also auf den handelnden Menschen bezogene Faktoren, die man verkürzt auf folgende Faustformel bringen kann:
Gesamterfolg = Systemterfolg × Anwendungserfolg = Qualität × Akzeptanz Carl von Clausewitz (1832, S. 28) hat die Formel auf den Gegner bezogen, wenn er ausführt:
Widerstandskraft des Gegners = Größe der Mittel × Stärke der Willenskraft. Ähnlich sieht dies der Général d’armée Pierre de Villiers, der dies in seinem Buch Servir (2017, S. 71–74) auf den Dreiklang „vouloir, agir, pouvoir“ verdichtet. Die Größe der Mittel ist objektiv gegeben, der Wille ist auf der Basis der Motivation des Gegners zu
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schätzen. Die multiplikative Verknüpfung macht deutlich, dass unzureichender Systemerfolg nicht durch erhöhten Einsatz von Anwendungsbemühen bzw. fehlender Wille nicht durch Material kompensiert werden kann; dies gilt auch umgekehrt. In seiner Schrift World Power Assessment – a Calculus of Strategic Drift (1975) analysiert Ray S. Cline (1918–1996), US-Sicherheitsberater während der Kuba-Krise des Jahres 1962 und später unter Präsident Richard Nixon (1913–1994), die wesentlichen Bestimmungsgründe der wahrgenommenen Macht (perceived power, Pp). Er sieht dabei zwei Faktoren im Spiel: Einmal die Summe aus Demographie und Territorium (C), ökonomischer Basis (E) und militärischer Stärke (M) und zum anderen strategische Kompetenz und Willenskraft, sodass sich ergibt:
PP = (C + E + M) × (S + W ). Die einzelnen Fähigkeiten werden als Indikatoren (Zielerreichungsgrade) formuliert und mit Multiplikatoren für Strategie und Willen multipliziert. Das Ergebnis zeigt für die Siebzigerjahre, dass es den westlichen Ländern selten an den Fähigkeiten mangelt; die Schwäche liegt vielmehr in der Strategiefähigkeit und der politischen Willenskraft. Auf dieser Basis werden politektonische Zonen gebildet und den USA den dringenden Ratschlag gegeben, aus Eigeninteresse eine ozeanische Allianz zu bilden, um die totalitären eurasischen Mächte in Schach zu halten (Cline 1975, S. 130–136). Dieser Abschnitt befasst sich mit der Gesamtheit der Voraussetzungen für das erfolgreiche Führen eines Wirtschaftskriegs – oder auch dessen Abwehr –, setzt dann den Analyserahmen und zeigt die Relevanz an einem Beispiel.
6.1.1 Materielle und ideelle Voraussetzungen einer Zielverwirklichung Folgt man der Definition des Wirtschaftskriegs im Hinblick auf das dauerhafte Zerstören der ökonomischen Werte beim Gegner, dann ist ein sorgfältiges Abwägen vor Beginn des Eintritts in die Auseinandersetzungen zwingend. Insbesondere gilt es, die eigene Niederlage oder Auszehrung zu verhindern. Daher ist zu prüfen, ob die Ziele möglicherweise auch durch normalen Wettbewerb erreicht werden können; letzteres aber impliziert auch die Fähigkeit, diesen Wettbewerb einhegen zu können, dass er also nicht zu einem Wirtschaftskrieg eskaliert. In seinem Buch The Pity of War analysiert Niall Ferguson (1998) den Ersten Weltkrieg unter Fragestellungen, die in verallgemeinerter Form auf den Wirtschaftskrieg in Bezug auf Fähigkeiten, Bereitschaften und Willen von herausragender Bedeutung sind (Ferguson 1998, S. 12–13): 1. Ist die Auseinandersetzung seitens des Ersthandelnden unvermeidbar – und worin bestehen die entscheidenden Triebkräfte? 2. Welche Risikoeinschätzung besteht beim Ersthandelnden?
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3. Weshalb treten Neutrale bzw. scheinbar Unbeteiligte in die Auseinandersetzung ein? 4. Welche Motivationen tragen den Krieg? 5. Warum reicht materielle Überlegenheit nicht aus, Entscheidungen zu erzwingen? 6. Weshalb setzen Soldaten die Schlacht trotz unerhörter Grauen fort – und warum erlahmte die Kampfkraft ab einem bestimmten Moment? Gerade der letztgenannte Punkt zeigt, dass zu den Fähigkeiten neben materiellen und personellen Ressourcen und deren Einsatzbereitschaft der Wille gehört – und dieser muss durch mentale Fähigkeiten abgesichert sein: Einen Wert eigener Qualität besitzen offensichtlich Führungsfähigkeit(en), -bereitschaft und -wille. Damit werden altruistische Ausgleichskonzeptionen, wie sie das Ultimatumspiel verdeutlicht, bedeutungslos; explizites Ziel ist Dominanz! Die drei Begriffe Einsatzfähigkeit, Einsatzbereitschaft und Einsatzwillen, die dann in anschließenden Abschnitten erneut aufgegriffen werden, werden in Anlehnung an die Heeresdienstvorschrift der Bundeswehr (HDv 100/100) wie folgt definiert: 1. Unter Einsatzfähigkeit versteht man die objektive Tauglichkeit von Material oder Personal für den Einsatz, die von einsatzfähig bis nicht einsatzfähig reichen kann. Sie ist eine Funktion der Materialerhaltung und personeller Kompetenzen. Die verschiedenen Fähigkeitenprofile werden anschließend detailliert dargestellt. 2. Unter Einsatzbereitschaft versteht man im militärischen Bereich einen Zustand für technische Geräte, der es erlaubt, die ihnen zugedachte Aufgabe ohne weiteren Wartungsaufwand unverzüglich erfüllen zu können. Ein einsatzbereites Gerät ist für die sofortige Benutzung verfügbar. Beim Personal spricht man von Gefechtsbereitschaft, bei der die Kräfte für die sofortige Erfüllung militärischer Aufgaben bereitstehen. Marschbereitschaft gibt die logistische Sicht wieder. Es handelt sich also um die Möglichkeit eines Truppenteils bzw. einer Dienststelle, in Einsatzgliederung mit voller personeller und materieller Stärke einen Auftrag zu erfüllen. Der Begriff Bereitschaft knüpft folglich an das Ausschöpfen eines durch Fähigkeiten beschriebenen Potentials an. So kann für eine Übernahmeschlacht das Kapital durchaus vorhanden sein. Ebenso aber ist sicherzustellen, dass die Mittel auch kurzfristig seitens der Banken bereitgestellt werden, also die Nutzung der Mittel kurzfristig möglich ist. 3. Der Einsatzwille ergibt sich aus einer Vielzahl von kulturellen, anthropologischen, psychologischen und sozialen Aspekten, der Einsicht in die strategischen Vorgaben und der Motivationslage der Menschen im Führungsprozess. Der Wille zur Macht spielt eine entscheidende Rolle, also die Fähigkeit, sich durchzusetzen, dabei keinen Selbstblockaden zu erliegen, analytisch die notwendigen Sachverhalte aufklären, ordnen und bewerten zu können und schließlich die erforderlichen Handlungen umzusetzen – schlicht: zu führen. Wille kann in erheblichem Umfang fehlende Fähigkeiten aufwiegen – im Militärischen sind die Partisanenkriege beredtes Beispiel. In ökonomischer Perspektive sind es vor allem zivilgesellschaftliche Aktivitäten, die
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durch moralischen Krieg auch Großkonzerne unter Druck setzen können – man denke beispielsweise an den Druck, Kohleindustrien die Finanzierung am Kapitalmarkt zu entziehen. Erfolgreiche asymmetrische Kriegsführungen dieser Art werden im neunten Kapitel dargestellt. Für einen Wirtschaftskrieg, also die Absicht, als Land auf Kosten anderer Länder oder als Unternehmen zulasten anderer Unternehmen nachhaltige Wohlstandsgewinne zu erzielen und dabei deren Schädigung billigend in Kauf zu nehmen, sie also zu vernichten oder zu zerschlagen,1 sind die personellen, materiellen und institutionellen Fähigkeiten wesentliche Voraussetzungen für einen erfolgsversprechenden Eintritt in einen Konflikt. Beim Personal sind insbesondere die Fähigkeiten (Qualifikation, körperlicher Zustand), die Motivation und die Bereitschaft zur Aufopferung für das entsprechende Ziel, beim Material die Modernität des Kapitalstocks, die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Halbwaren, die IT-Infrastruktur, ggf. auch juristische Kompetenzen sowie der konkrete Einfluss der Institutionen einschließlich des Zugangs zur Politik im Sinne des Lobbyismus zu nennen. Sind diese gegeben und mit den Charakteristika des Konflikts kompatibel, ist also der Einsatzwert gesichert, dann kann nur noch ein fehlender Wille den Sieg verhindern.
6.1.2 Kautschukblockaden und -kriege Als Beispiel für das Zusammenwirken von Fähigkeiten, Bereitschaft und Willen soll hier der Kautschukkonflikt dienen, um auch die hybride Natur von Wirtschaftskrieg und militärischem Krieg zu verdeutlichen. Der Naturkautschuk, gewonnen aus dem Kautschukbaum in Südamerika, wurde dort bereits in vorchristlicher Zeit zum Formen von Bällen benutzt. Man stellte daraus auch Überzüge für Schuhe her, Gummistiefeln ähnlich, ebenso wie Gefäße und sogar Kleidungsstücke. Mit der Entdeckung Mittelamerikas durch Hernán Cortés wurde der Kautschuk in Europa eingeführt. Bekannt wurde er, als Hernán Cortés für Karl V. anlässlich eines Besuchs in der Heimat ein aztekisches Ballspiel darbot, um die Exotik des neueroberten Kontinents zu verdeutlichen. Damit begann seine industrielle Anwendung, die, wie bei den Azteken, zunächst Bekleidungsstücke, Stiefel oder Radiergummis betraf und später in Reifen und industrielles Material mündete. Bald wurde er auch zu einer kriegsentscheidenden Ressource, weil er neben der Bekleidung auch für flexible Schläuche, Reifen, Behälter usw. nutzbar war. Im Jahr 1839 entwickelte Charles Goodyear durch das Vulkanisierungsverfahren den ersten richtigen Gummi, der sich vor allem durch seine gleichmäßige Elastizität auszeichnete.2 Mit der Erfindung des Luftreifens durch John
1Die 2Für
Begriffe Zerschlagen und Vernichten wurden im vierten Kapitel definiert. die technisch-geschichtlichen Ausführungen, vgl. Rummenhöller (1985).
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Boyd Dunlop im Jahr 1888 entstand eine wesentliche Voraussetzung für den Boom der Fahrzeugindustrie. Dieses strategische Potential des Kautschuks, also der Zuwachs an industriellen Fähigkeiten, machte es früh sinnvoll, das Monopol der Großplantagen Brasiliens zu überwinden, das seinerzeit diese Lebensader der Industrialisierung kontrollierte. Insofern waren das Außerlandesschmuggeln von Samen der Kautschukbäume und ihre Ansaat in Indochina im Jahr 1876 eine logische Folge. Wichtige Anbauländer wurden (nach Maßgabe der Produktionsmengen) Malaysia, Indonesien, Sri Lanka (Ceylon), Kambodscha, Thailand, Indien, Liberia, aber auch der Kongo als belgische Kolonie, womit sich ein Kautschukoligopol ergab. Dieses sowie unsichere Verkehrswege setzten Deutschland im Ersten Weltkrieg erheblich unter Druck und begrenzten infolge von Produktionsengpässen seine industriellen Fähigkeiten. Die Erfindung des sogenannten Methylkautschuks von Fritz Hoffmann im Jahr 1909/1910, der damit das Herstellen eines Gummiersatzes ermöglichte, stellte damit einen strategischen Durchbruch dar. Sie setzte eine dynamische Entwicklung in Gang, die sich im Zweiten Weltkrieg verstärkte, als nunmehr nicht nur die Achsenmächte von der Versorgung mit Naturkautschuk abgeschnitten wurden, auch die Amerikaner standen im Risiko, ihre Beschaffungsmärkte durch die japanischen Eroberungen zu verlieren. Wolfgang Jünger (1940) gibt in Kampf um Kautschuk, einen tiefen Einblick in diesen Wirtschaftskrieg aus Sicht der beteiligten Mächte, der sich mit der Erfindung der Vulkanisierung durch Charles Goodyear (1800– 1860) im Jahr 1839 über mehr als 100 Jahre zog. Die Verbindung zwischen Wirtschaftskrieg und militärischem Krieg wird an dieser Stelle besonders deutlich, weil der Wirtschaftskrieg zu einem Teil der militärischen Strategie wird, um die Fähigkeiten der Kriegsgegner einzuschränken. Damit erklärt sich einerseits der Drang zu Substituten in Deutschland, aber auch die expansive Sicherung von Plantagen durch Japan und die USA in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Das Bedrohen der Schifffahrt (U-Boot-Krieg) wurde damit ebenso wirtschaftsrelevant wie das Bombardieren der deutschen Synthesekautschukproduktionsstätten, wie Uta Hohn (1994) in ihrem Beitrag The Bomber's Baedeker: Target Book for Strategic Bombing in the Economic Warfare against German Towns 1943–1945 belegt.
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg Das Fähigkeitenprofil eines Unternehmens und eines Staats hängt stark von den verfügbaren Ressourcen und Technologien sowie den Kompetenzen des Personals ab. Daher wird in diesem Abschnitt ein erstes Augenmerk auf die Bevölkerung und die Verfügbarkeit von Rohstoffen und von Technologien gelegt. Vor allem intellektuelle Eigentumsrechte sind aus Sicht der modernen Ökonomik ein Kern der Sicherung der Überlebensfähigkeit. Schließlich sind leistungsfähige Informationssysteme wesentlich für Aufklärung und Führung. Nicht vergessen werden darf allerdings die natürliche Basis eines Lands in der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft und der Fischerei. Um diese
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
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wurden nicht nur viele militärische Kriege und wirtschaftliche Konflikte ausgetragen; sie war auch lange Zeit zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche gesellschaftliche Entwicklung. Die folgenden Ausführungen stellen die gesamtstaatlich bereitgestellten Fähigkeiten in den Vordergrund; der daraus abzuleitende unternehmerische Ausschnitt wird im neunten Kapitel über die Unternehmen betrachtet.
6.2.1 Das Fähigkeitenprofil von Unternehmen und Staaten Um sein Fähigkeitenprofil zu kennen, muss ein Unternehmen oder ein Staat Antworten auf eine Reihe von wichtigen Fragen finden: 1. Die Wirksamkeit: Welche Mittel stehen zur Verfügung, wenn ökonomische Auseinandersetzungen eingegangen werden? Die Antwort darauf bestimmt die rivale Kraft; zentraler Bestandteil sind neben Ressourcen, Sach- und Humankapital sowie Technologien die vorhandenen Finanzmittel, die im Kontext von Eigenkapitalfonds auch gerne als Feuerkraft bezeichnet werden. 2. Die Durchhaltefähigkeit: Wie lange stehen diese Mittel zu Verfügung, wer kann in welchem Umfang Unterstützung leisten? Die Antwort darauf muss Angaben zu verfügbaren, nachzuführenden Reserven enthalten. 3. Die Überlebensfähigkeit: Wie kann der Kern des Unternehmens bzw. des Staats erhalten werden für den Fall einer Auseinandersetzung, die die eigenen Abwehrmöglichkeiten übersteigt? Im Sinne des anfänglichen Clausewitz-Zitats ist es von entscheidender Bedeutung, dass es gelingt, kooperative Fenster offenzuhalten – was zugleich eine Führungskompetenz darstellt. 4. Die Führungskompetenz: Wie kann die Fähigkeit, das Unternehmen oder das Land in einer Auseinandersetzung zu führen, gesichert werden? Im Mittelpunkt steht die Antwort auf die Frage: „Wer handelt wie?“ Das Herstellen von Informationsüberlegenheit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. 5. Die Logistikkompetenz: Wie werden Mobilität und Dislozierung, also die Verteilung der Aktivitäten im Raum, abgesichert? Die Antwort hierauf betrifft das physische Verkehrssystem im Hinblick auf seine Verkehrswertigkeit, also Systemeigenschaft, aber ebenso die Affinität der Güter, Eignung für einen konkreten Verkehrsablauf zu besitzen (Voigt 1973). Erst beides zusammen eröffnet Gestaltungskraft. 6. Die Informationskompetenz: • Diese betrifft im klassischen Sinne zunächst die Nachrichtengewinnung: Wie erfolgt die Informationsbeschaffung und die entsprechende Auswertung, und wie werden diese Aufklärungsergebnisse umgesetzt? Aufklärung ist immer zielgerichtet und berücksichtigt die gegebene Lage ebenso wie die Wirkung der einsetzbaren Mittel. Die Informationsüberlegenheit besitzt hierbei einen zentralen Stellenwert. In Bezug auf die physische Logistik ist die Möglichkeit, durch
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Vor- oder Parallellauf Informationen rechtzeitig verfügbar zu haben, entscheidend für den Wettbewerbsvorsprung. • In einem allgemeineren Sinn betrifft dies den Digitalisierungsgrad, also die digitale Durchdringung der Wertschöpfungskette. Er gilt als zentraler künftiger Treiber des Wettbewerbs, stellt aber, wie das im elften Kapitel erläutert wird, auch erhebliche Gefahrenpotentiale dar.
6.2.2 Demographie: die zentrale personale Voraussetzung zum Wirtschaftskrieg Alle gesellschaftlichen Aktivitäten beruhen auf dem Handeln oder zumindest auf der Präsenz von Menschen. In der Geschichte waren sie extrem personalintensiv und erst durch den technischen Fortschritt und den zunehmenden Kapitaleinsatz ist es gelungen, Arbeitskraft einzusparen. Dies hat dazu beigetragen, die pessimistischen Vorhersagen der Bevölkerungslehre von Thomas Malthus (1798) nicht in Erfüllung gehen zu lassen. Allerdings verläuft die Bevölkerungsabnahme in entwickelten Staaten heute in einer Vielzahl von Facetten und erscheint durchaus als bedrohlich, weil der Geburtenrückgang die Sozialversicherungssysteme infolge einer Zunahme der Alterslast, die militärische Interventionsfähigkeit und die Friedenserzwingung in Konfliktländern durch fehlende Großverbände ebenso unter Druck setzt wie er möglicherweise auch die Innovationssysteme schwächt. Wie Lutz Schneider (2007, 2011) zeigt, die Innovationsfähigkeit eng mit dem fluiden Wissen junger Beschäftigter verbunden ist – im Gegensatz zum kristallinen Erfahrungswissen, das sich mit zunehmendem Alter aufbaut. Es ist bis heute nicht wirklich klar, worin die Ursachen des demographischen Übergangs ab der Mitte des letzten Jahrhunderts tatsächlich bestehen. Denn die meisten Spezies vermehren sich bei Verbesserung ihrer Lebensbedingungen; beim Menschen scheinen die Wahlprozesse anders zu liegen, weil möglicherweise die Ökonomisierung der Gesellschaften, also das Durchsetzen ökonomischer Regeln für die Gestaltung der Sozialbeziehungen, insbesondere in den Familien, Prioritäten nachhaltig verschiebt. Josef Schmid (2013) unterscheidet drei geschichtliche Etappen der Ersten Welt auf dem Weg zur demographischen Implosion:3 1. Umerziehung zur Industrienation im Kontext der Industriellen Revolution: Diese Entwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert überführte die Agrar- in eine Industriegesellschaft. Sie erzeugte einen Rationalisierungsschub in allen Bereichen der Gesellschaft und veränderte die Rolle der Familie: Lagen die Geburten vorher bei 10 bis 15 Kindern, von denen nur die Hälfte überlebte, sank die Kindersterb-
3Davon
ist die erzwungene Ein-Kind-Politik in China ab dem Jahr 1979 zu unterscheiden, die inzwischen weitgehend zurückgenommen wurde, aber ähnliche Effekte auslöste.
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lichkeit und halbierte sich die Kinderzahl bis auf rund 2,2 Kinder pro Familie in der Zwischenkriegszeit. 2. Individualismus durch Bindungsangst: Nach dem Babyboom bis 1964 schmolz die Anzahl der Geburten vom seinerzeitigen Bevölkerungserhalt um etwa ein Drittel auf rund 1,3 bis 1,4 Kinder pro Familie. Wesentliche Treiber dafür waren wirtschaftliche Verlustangst gepaart mit Qualifikationsdruck. Fehlendes Systemvertrauen und die Gleichzeitigkeit von Qualifikationsabschluss und Familienphasen stellen erhebliche Hindernisse für eine demographische Stabilisierung dar. Insbesondere fehlen zweite und dritte Kinder. Der starke Geburtenrückgang ab 1964 wird allgemein als Pillenknick bezeichnet. Die 1961 erfundenen Kontrazeptiva waren und sind eine biotechnische Innovation. Sie haben die Realisierung oder Verhinderung von Nachwuchs perfektioniert, sind aber eher Mittel als die Hauptursache für diesen Vorgang und sollten daher die wesentlichen, im Hintergrund wirkenden sozialen Zustände nicht verdecken. 3. Reise ohne Wiederkehr: Der dritte Rückgang, der aktuell zu beobachten ist, trifft nunmehr bereits ausgedünnte Kohorten und Individuen, die mit der Erfahrung keiner oder nur weniger Geschwister aufgewachsen sind. Die schon deutlich unter dem Bestandserhaltungsniveau liegenden Geburtendefizite wachsen mit jeder kleiner werdenden Müttergeneration und können von Jahr zu Jahr auch durch vernünftige Einwanderung immer weniger kompensiert werden. Die damit verbundenen negativen Rückkopplungseffekte beschleunigen die Implosion und benötigen keinen gesellschaftlichen Auslöser. Zunehmend verliert die Gesellschaft ihre Demographiefestigkeit. Will man das ändern, bedarf es massiver Verhaltensänderungen. Denn die Folgen, auch im Hinblick auf die vorhandene weltweite Rivalität, sind erheblich: Wie wichtig der human factor historisch war, sieht man deutlich am preußischen Verbot der Kinderarbeit (1839) – denn die Maloche machte Kinder zu wehruntauglichen Krüppeln. Moderne Armeen haben ebenso wie moderne Produktionsprozesse wesentliche Funktionen automatisiert, d. h. durch Kapitalintensität Rationalisierungserfolge im Personalbereich realisiert (z. B. durch Drohnen). Allerdings sind dem in beiden Gebieten Grenzen gesetzt: Insbesondere hilft Technologieorientierung sehr bei der militärischen Aufklärung, wenig aber bei den gehäuft auftretenden asymmetrischen Konflikten. Sie ist auch eine Frage politischer Legitimität – wer kämpft für wen, wessen Kinder werden geopfert? Im antiken Athen durften nur solche Bürger über einen Krieg abstimmen, die Söhne im wehrfähigen Alter hatten. Den einzigen Sohn in den Krieg zu schicken, stellt Gesellschaften vor völlig andere Herausforderungen als den dritten oder vierten, vor allem dann, wenn Nachfolgen in Familienunternehmen zu organisieren sind.4 Damit
4Im
Jahr 2017 hatten viele der europäischen Staatsführer keine Kinder, insbesondere trifft das auf die großen Länder zu, beispielsweise Angela Merkel (D), Jean-Claude Juncker (EU), Theresa May (GB), Paolo Gentiloni (I) oder Emmanuel Macron (F).
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Abb. 6.1 Geburtenraten und Bevölkerungswachstum, 2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Statistisches Bundesamt 2019a)
werden militärische Konflikte einerseits zu einem Elitenproblem bei der Rekrutierung von Führungspersonal, andererseits entstehen sie durch junge Menschen ohne Perspektive. Nicht umsonst gibt es Theorien, die nationale Unruhepotentiale mit dem youth bulge, also einer erhöhten Anzahl junger Menschen, insbesondere zweiter, dritter oder vierter Söhne in der Gesellschaft mit fehlenden wirtschaftlichen Entwicklungschancen verbinden. Gunnar Heinsohn (2003) verdeutlichte dies in seinem Werk Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen und verband das Konzept schließlich mit einem Kriegsindex zur Beschreibung der Konfliktwahrscheinlichkeit, der inzwischen Eingang in eine Vielzahl weiterer Arbeiten gefunden hat (Kröhnert 2006). Bekanntermaßen entsorgte die englische Oberschicht den zweiten Sohn typischerweise in die Kolonien, den dritten in die High Church, weil nur einer erben sollte, um den Besitz nicht zu zerstören und die Bedeutung der Familie nicht zu schmälern. Eine Realteilung hingegen hätte den Besitz zersplittert, ein Vorgang, der schnell zu suboptimalen Betriebsgrößen führt, wie Beispiele aus dem alten Griechenland ebenso zeigen wie in der Neuzeit.5 Die Abb. 6.1 gibt für die Kontinente die Fertilität, also die Zahl der Kinder, die einer Generation von Frauen folgen, sowie das natürliche Bevölkerungswachstum an. Deutlich werden extreme Unterschiede zwischen der westlichen Welt und Entwicklungs- und Schwellenländern; der Wert für Asien liegt nur deshalb so niedrig, weil China seit Jahrzehnten eine Ein-Kind-Politik verfolgt, die erst im Jahr 2015 aufgehoben wurde. Die
5Zugleich
hat die Realteilung die Notwendigkeit einer differenzierten Erwerbstätigkeit erzwungen, was beispielsweise die Industrialisierung in Schwaben begünstigte.
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
427
niedrige Fertilität in der westlichen Welt als postheroische Gesellschaft verweist auf die Notwendigkeit, durch technischen Fortschritt den Problemen der demographischen Implosion zu begegnen und die verfügbaren Potentiale gut auszunutzen. Das bedeutet nicht allein, die Frauenerwerbstätigkeit zu steigern, weil hier eine Konkurrenz zu Fertilität und Humankapitalbildung bestehen kann, sondern auch den hohen Anteilen der aus dem Ausbildungssystem bisher dauerhaft Herausfallenden – vor allem junger Männer – zu begegnen. Ohne technologische Innovationen und auch qualifizierter Immigration sind die implodierenden Nationen von Wachstumsdefiziten bedroht. Deutlich sieht man diese Problematik an folgenden Zahlen (Sengupta 2016): Weltweit sind 25 % der Bevölkerung in der Altersklasse von bis zu 24 Jahren; in den entwickelten Ländern sind es 17 %, in den weniger entwickelten Ländern (ohne China) sind es 29 % und in den unterentwickelten Ländern 32 %. Länder mit Anteilen über 30 % sind: Nigeria, Pakistan, Jordanien, Irak, Guatemala, Syrien, Jemen, Palästinensergebiete, Zimbabwe – fast alle sind in interne bzw. externe Unruhen verstrickt. Aufbauend auf dieser Entwicklung wird sich die Rangfolge der großen Nationen in den kommenden Jahren dramatisch verändern, wie die UN prognostiziert. Blieb die Rangfolge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ stabil – China führte vor Indien und den USA –, so wird im Jahr 2050 vermutlich Indien das bevölkerungsreichste Land der Welt mit rund 1,71 Mrd. Menschen sein, vor China mit 1,35 Mrd. Menschen, gefolgt von Nigeria mit 400 und den USA mit 389 Mio. Menschen. Deutschland, 1950 noch auf Platz sieben, besetzt gegenwärtig Platz 15, wird im Jahr 2050 auf Platz 25 absinken und auf Platz 42 im Jahr 2100.6 Der rasante demographische Wandel in China wirkt bereits heute auf die wirtschaftliche Entwicklung, weil der anteilsmäßig stark zunehmenden Rentnergeneration ebenso Rechnung getragen werden muss wie der Stagnation der für den Arbeitsmarkt verfügbaren Talente. Richard Dobbs, Jaana Remes, Jonathan Woetzel (2015, S. 8–12) haben in ihrem Beitrag Where to Look for Global Growth analysiert, wie sich in den kommenden 50 Jahren der demographische Rückenwind für die globale Produktivitätsentwicklung, die sie auf rund 1,8 % pro Jahr schätzen, durch den demographischen Wandel unter ansonsten gleichen Bedingungen auswirkt. Die Abb. 6.2 zeigt die Ergebnisse: Fast überall wird der demographische Beitrag negativ, und er ist immer negativ bei einer pro-Kopf-Betrachtung. Damit geraten auch die Zinsen unter Druck – ihr Tiefststand ist also nicht allein eine Folge des Zentralbankhandelns. So wird sich für Deutschland das Produktivitätswachstum insgesamt halbieren, pro Kopf sinkt es allerdings nur um zwei Prozent. Diese negative Tendenz gilt für alle entwickelten Länder; in Schwellenländern ist das Bild auf der aggregierten Ebene auch negativ, bei Betrachtung von pro-Kopf-Werten zeigen Länder wie die Türkei oder Südafrika ein positives Bild. Es
6Die
aktuelle gültige Prognose des Statistischen Bundesamt (2006) geht im Jahr 2100 von zwischen 70 und 75 Mio. Personen aus. Die Migrationsströme seit dem Frühjahr 2015 sind hierin bisher nicht berücksichtigt.
428
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Abb. 6.2 Produktivitätswachstum in ausgewählten Ländern infolge des demographischen Wandels, 2015 bis 2064. (Quelle: eigene Darstellung aus Dobbs, Remes, Woetzel (2015, S. 3) (Darstellung aus “Where to look for global growth”, January 2015, McKinsey Quarterly, www. mckinsey.com. Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission.)
wird also erhebliche Anstrengungen kosten, Wachstumsprozesse weiter zu stützen, um die aus der Demographie erwachsenen Fähigkeiten nicht zu beschränken. Weniger Kinder sollten zunehmende Knappheit beim Faktor Arbeit erzeugen; in Deutschland wird dies zunehmend sichtbar, weshalb ein erheblicher Produktivitätsdruck entsteht, um die sogenannten Lohnstückkosten, also die im globalen Wettbewerb relevanten Kosten für ein Standardindustriegut, niedrig zu halten. Der oben angesprochene Exportüberschuss verringert allerdings die erforderlichen Investitionen, weil volkswirtschaftliche Ersparnis im Ausland getätigt wird.7 Weiterhin begrenzt die globale Konkurrenz der Produkte, aber auch die Migration, den Anteil der Einkommen an der Wirtschaftsleistung, was Löhne vor allem bei wenig Qualifizierten unter Druck setzt. Ihre Hoffnungslosigkeit bringen sie zunehmend an den Wahlurnen zur Geltung, weil die Globalisierung für sie ein Wirtschaftskrieg ist. Umgekehrt entvölkert die Migration die Herkunftsländer von Qualifizierten. So sind auf dem Balkan teilweise bis zu 50 % der Menschen abgewandert, was alle Hoffnung auf eine wirtschaftliche Stabilisierung zerstört, wie Florian Hassel (2017) in Nichts wie weg hier berichtet.
7Der
Exportüberschuss, also der Saldo aus Exporten und Importen, entspricht zugleich dem Kapitalexport des Lands.
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
429
6.2.3 Unternehmertum, Handel und Technologie: Grundlagen industrieller Leistungsfähigkeit Noch vor zwanzig Jahren wurde der allgemeinen Aussage, die bisher industrialisierten Staaten müssten sich zur Wahrung ihres Wohlstands in Richtung Dienstleistungsgesellschaften entwickeln, nicht widersprochen. In Europa wurde Deutschland stets als überindustrialisiert empfunden, und es wurde argumentiert, dadurch würde das Land wesentliche Wohlstandsmöglichkeiten verschenken. Durch die Finanzkrise ab dem Jahr 2008 wurde offenbar, dass die Realwirtschaft tatsächlich beträchtlich zur Standortprägung beiträgt, weil hier in unmittelbarem Sinne Waren gegen Waren getauscht werden (Say 1803; Mill 1848) – nicht gegen finanztechnische Illusionen – und weil die dazugehörigen Investitionen mit erheblichen versunkenen Kosten, also Irreversibilitäten, verbunden sind und standortprägend wirken. Es ist die gewerbliche Wirtschaft, insbesondere internationalisierte Familienunternehmen, die ein Garant für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Stabilität sind, der inzwischen manche Schwellenländer, vor allem China, nacheifern. Derartige GME, also global medium-sized enterprises sind Ausdruck einer standörtlichen industrial heritage (industrielles Erbe), durch ein nachhaltiges Wirtschaftsethos geprägt und für bestimmte Wirtschaftsräume typisch (Abelshauser 2013). Diese herausragende Stellung verdankt Europa, wie Leonard Dudley (2012) in seinem Buch Mothers of Innovation: How Expanding Social Networks Gave Birth to the Industrial Revolution zeigt, neuen Kooperations- und Kommunikationstechnologien und Verhaltensweisen, die sich dort ab dem 18. Jahrhundert massiv ausformten. Ohne eine leistungsfähige industrielle Aufstellung ist es nicht möglich, produktionsorientierte Dienstleistungen, seien sie der Absatzseite oder den Produktionsfaktoren zugeordnet, insbesondere Forschung und Entwicklung, angemessen zu organisieren. Die Erfahrung lehrt wiederum, dass das Abwandern von Unternehmen immer auch mit einem Ausdünnen der entsprechenden Forschung einhergeht. Gleichermaßen gilt, dass eine internationale Einbindung in die Konkurrenzwirtschaft für die Produktivität in höchstem Maße rentabel ist: Regional tätige Unternehmen weisen die geringste Produktivität auf, besitzen sie aber internationale Absatzmärkte, so nimmt ihre Leistungsfähigkeit zu, und wenn sie sogar über ausländische Niederlassungen verfügen, dann wird die Produktivität maximal (Helpman, Melitz, Yeaple 2004). Offensichtlich gelten die Vorzüge der Arbeitsteilung nicht nur zwischen Unternehmen, sondern auch in Unternehmen. Leistungsfähige Wertschöpfungsketten zeichnen sich dadurch aus, dass sie am Beginn des Produktionsflusses hohe Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsfähigkeiten besitzen und am Ende der betrieblichen Wertschöpfungskette dominante Marktimpulse setzen können. Im Sinne der Breite des Angebots werden dadurch vor allem verwendungsoffene Technologien (Bresnahan und Trajtenberg, 1995; Helpman 1998) erfolgsrelevant, weil sie standortprägend wirken und besonders für den international tätigen gewerblichen Mittelstand eine wettbewerbsfähige Basis erzeugen (Blum 2008).
430
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Abb. 6.3 Wertschöpfung in der Industrie, 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Brookings (2018) – Farben nach Ländergruppen)
Wenn Strategie, wie Helmuth Karl Bernhard von Moltke (1800–1891) betonte, den Transfer von Wissen ins tägliche Leben bedeutet,8 dann ist die Relevanz der technologischen Basis erheblich. Denn oft läuft die militärische Strategie den technologischen Möglichkeiten hinterher, beispielsweise im Ersten Weltkrieg, und Vorteile auf dem Schlachtfeld hatte meist die Partei, welche über eine erhöhte technologische Anpassungsgeschwindigkeit verfügte (Strachan 2013, S. 166–192). Eine der besonderen und in der Krise herausragenden Fähigkeiten Deutschlands liegt in seiner Exportstärke. Tatsächlich ähnelt die Ausfuhr der deutschen Großindustrie den Mustern, wie sie in anderen Ländern bekannt sind. Hinzu tritt allerdings der oben erwähnte gewerbliche Mittelstand, oft inhabergeführt, der in der industriellen Tradition verwurzelt ist und mit Sicherheit auch sehr stark durch das gewerblich orientierte duale System geprägt wird; damit besitzt Deutschland einen erhöhten Industrieanteil, der in Abb. 6.3 international eingeordnet ist und der sich auch in der Warenausfuhr niederschlägt, weil Industrieprodukte grundsätzlich international handelbar sind. Diese deutsche Exportstärke ist in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten, weil sie zu einer unzureichenden Binnennachfrage in Kontrast gesetzt wird. Es wird argumentiert, sie verkürze die Chancen für andere Länder, nach Deutschland zu exportieren und damit den eigenen Außenhandelssaldo zu verbessern. Für die Zukunft werden besondere Teil dieser industriellen Basis besondere Bedeutung gewinnen, insbesondere die Fähigkeiten zu Digitalisierung (Stichwort Industrie 4.0) und damit auch die zentrale Bedeutung der Verfügbarkeit einer mikroelektronischen Produktionsbasis – wie dies China im Frühjahr 2018 im Wirtschaftskrieg mit den USA leidvoll erfahren musste.
8Zitiert
bei Strachan (2013, S. 168).
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
431
Zunächst ist aus theoretischer Sicht zu fragen, was die Ursache und was die Wirkung ist: Da der Konsum der Haushalte dem in anderen Ländern ähnelt, fällt der Fokus auf das zweite große Aggregat der Binnennachfrage, nämlich die Investitionen. Hier greift statt dem nachfrageorientierten Ansatz des Keynesianismus der angebotsorientierte und kapitalorientierte Ansatz der Österreichischen Schule. In der Tat reinvestiert Deutschland nur geringe Teile seiner volkswirtschaftlichen Ersparnis und exportiert den Rest. Spiegelbild dieser inländischen Investitionsschwäche ist damit die Exportstärke – im intertemporalen Kalkül ließe sich sagen, dass die kurzfristigen Perspektiven des Standorts gut sind, die langfristigen aber als kritisch einzustufen sind. Im Nachgang der deutschen Einheit wurde ein Importsog wirksam, um die Reindustrialisierung in den neuen Ländern güterwirtschaftlich zu ermöglichen und zu finanzieren, zu dem sich auch Kapitalimporte parallel entwickelten, was zu einer reduzierten außenwirtschaftlichen Einbindung führte, wie Abb. 6.4 zeigt. Die hierdurch induzierte Inflationsgefahr wurde seitens der Deutschen Bundesbank mit erhöhten Zinsen bekämpft, was insgesamt eine Aufwertung der deutschen Währung auslöste. Dies erzeugte wiederum einen Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit mit der Folge weiterer Verluste auf den Exportmärkten. Erst die Anpassungsleistungen Ende der 90er Jahre durch die sogenannten „Hartz-Reformen“ haben das Exportwunder, das durch günstige Lohnstückkosten unterlegt ist, ausgelöst. Tatsächlich steht diese Option jedem Land offen. Deutlich sichtbar sind die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Offenheit der deutschen Volkswirtschaft, also der Anteil von Exporten und Importen an der Wirtschaftsleistung, die von 70 % im Jahr 2008 auf 60 % im Folgejahr zurückging. Im Jahr 2017 lag bei einer Wirtschaftsleistung von 3277 Mrd. € die Exportquote Deutschlands bei 39 %, die Importquote bei 31,5 %, sodass sich ein Überschuss von 7,5 % errechnet, wie dies Abb. 6.4 zeigt. Der häufige, und seit der Regierung Trump zunehmend obsessiv vorgetragen Vorwurf der USA, Deutschland erhöhe künstlich seine Exportüberschüsse,
Abb. 6.4 Anteil von Exporten und Importen an der Wirtschaftsleistung, 1991 bis 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Statistisches Bundesamt 2018)
432
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
geht unter den Bedingungen freier Märkte ins Leere; genannt wird regelmäßig die zu niedrigen Lohnstückkosten führende Lohnfindung, die aber tatsächlich frei ist und vom Staat nicht manipuliert wird. Andere wichtige Stellschrauben der Wettbewerbsfähigkeit wie die Zentralbank- oder die Zollpolitik sind der deutschen Regierung entzogen. Zu den eher selten angesprochenen Problemen zählt allerdings, dass der mit den Exportüberschüssen im Ausland aufgebaute deutsche Kapitalstock durch die Weltwirtschaftskrise ab dem Jahr 2008 erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde – übertrieben gesagt, es sind Porsches geliefert worden, die mit Subprimes bezahlt wurden. Man könnte diese Lage insgesamt mit einer strategischen Überdehnung des Lands gleichsetzen: Das Kernland wird zugunsten der Stabilisierung ausgebeutet. Das lässt sich bestätigen, weil im Sinne der österreichischen Schule die Ursache dieses Überschusses eine zu geringe Investitionstätigkeit, also Zukunftsvorsorge ist. Anton Konrad (2014) weist darauf hin, dass die deutsche Leistungsbilanzstärke ein seit Jahrzehnten beobachtetes Phänomen sei, das der amerikanische Ökonom Charles P. Kindleberger (1966, 1976) beleuchtet hat und auf makroökonomische und strukturelle Gründe verweist, insbesondere den erhöhten Industrialisierungsgrad und die damit verbundene Exportneigung, die historisch trotz Aufwertungen durch stabile Lohnstückkosten durch Rationalisierungsinvestitionen verteidigt wurden. Zunehmend gewinnt die Kontrolle der eigenen Wertschöpfungsketten an Bedeutung; sie dient nicht nur der Absicherung gegenüber Skandalen, wie das Beispiel der Ausbeutung von Arbeit im fünften Kapitel belegt, sondern auch der Sicherung der Versorgung, ob auf nationale Ebene durch strategisches Handeln des Staats oder auf unternehmerischer Ebene. Die später angesprochene Krise der Versorgung mit Seltenen Erden ist ein Beispiel, das gezeigt hat, dass die Rohstoffversorgung nicht nur mit Preisrisiken leben muss; auch Nichtverfügbarkeit kann auftreten. Das zweite Kapitel machte deutlich, dass vor allem China eine erhebliche volkswirtschaftliche Mittel aufwendet, seine Wertschöpfungsketten zu schließen, Wenn Länder und Unternehmen mit unterschiedlichen Technologien ähnliche, im wechselseitigen Wettbewerb stehende Güter produzieren, sind sie trotz von derartigen asymmetrische Schocks unterschiedlich betroffen, dann schnell existenzbedrohend werden. Schließlich ist die Fähigkeit, neue Unternehmen hervorzubringen, entscheidend für die rivale Überlegenheit und für Resilienz im Falle einer Niederlage. Zentrale Kriterien sind hierfür die Dauer, die es benötigt, ein Unternehmen zu gründen, eine Insolvenz abzuwickeln, Infrastrukturzugang zu erhalten sowie die Adäquanz und Transparenz des regulatorischen Umfelds. Wie Abb. 6.5 belegt, liegen nach Erhebungen der Weltbank (2018) die Kernländer Europas für ein doing business hier nicht auf den vorderen Plätzen und haben sich auch in den vergangenen Jahren zumeist verschlechtert. China rangiert nur im Mittelfeld im Kontrast zu den chinesischen Regionen Taiwan und Hongkong, hat sich aber leicht verbessert, weil es an einigen Stellen die Märkte – auch infolge des internationalen Drucks – geöffnet hat. Weit abgeschlagen findet sich der Iran – hinter dem großen Konkurrenten Saudi-Arabien. Somalia ist mit Rang 190 das am schlechtesten bewertete Land.
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
433
Abb. 6.5 Ränge ausgewählter Länder im Doing Business, 2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Weltbank (2018, S. 4) – Farben nach Ländergruppen)
6.2.4 Nachhaltige Ressourcenverfügbarkeit Die Nutzung von Ressourcen ist meist untrennbar mit dem Verbrauch an Umwelt verbunden. Diese Problematik existierte schon in früheren Zeiten, denn flächendeckende Abholzungen waren die unmittelbaren Folgen des Bergbaus und des Schiffbaus. Zypern wurde infolge des historischen Kupfermonopols vor der Zeitenwende (ca. 2500 v. Chr. bis 1000 v. Chr.) abgeholzt, ebenso Teile des Atlasgebirges Nordafrikas. Rom vernichtete als Seefahrernation die Wälder auf dem Apennin, Spanien und Portugal die auf der iberischen Halbinsel und England seinen großen Waldbestand vor allem im Süden. Die Kohleförderung und die Stahlerzeugung zählten in der ersten Phase der Industrialisierung zu den besonders naturzerstörenden Produktionen. Durch den königlichen Oberberghauptmann aus Freiberg Hans Carl von Carlowitz (1645–1714) wurde der Begriff der Nachhaltigkeit geprägt, als er im Jahr 1713 in seinem Werk Sylvicultura oeconomica verfügte, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden dürfe, wie durch planmäßiges Aufforsten nachwachsen könne.
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Die dominant genutzten Ressourcen sind für die erdgeschichtlichen Einteilungen von Bedeutung: Steinzeit (3,4 Mio. Jahre v. Chr.–2200 Jahre v. Chr.), Bronzezeit (2200 v. Chr.–800 v. Chr.), Eisenzeit (1200 v. Chr.–200 v. Chr.) und gegenwärtig die Karbonzeit. Heute werden gerne technologieorientierte Einteilungen verwendet: 1787–1800: Erste Industrielle Revolution (Industrie 1.0) – markiert durch den Übergang der Agrar- zur Industriegesellschaft, getrieben von den ersten Kraftmaschinen (Dampfmaschine) und dem mechanischen Webstuhl. 1840–1900: Zweite Industrielle Revolution (Industrie 2.0) – neben die Kohle- und Stahlindustrie treten die Chemie- und die Elektroindustrie; das Transportwesen wird durch Eisenbahn und Dampfschiffe modernisiert. 1950–2000: Dritte Industrielle Revolution (Industrie 3.0) – Computer und Roboter automatisieren die Produktion; produktionsorientierte Dienstleistungen gewinnen an Gewicht. 2000–20XX: Vierte Industrielle Revolution (Industrie 4.0) – markiert durch die Vernetzung von Mensch, Maschine und den Erzeugnissen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. In der Zeit der Ersten und die Zweiten Industriellen Revolution waren Kohle und Stahl die wesentlichen Treiber der Entwicklung, vor allem in der Rüstungsindustrie, aber auch das Eisenbahnwesen oder den Schwermaschinenbau. Zunehmend werden Information und Wissen zu den zentralen Rohstoffen der Moderne; mit den damit verbundenen Konflikten befasst sich das elfte Kapitel. Die Übergänge stellen Gesellschaften teilweise vor krisenhafte Situationen; waren sie historisch meist obrigkeitsstaatlich bzw. unternehmerisch erzwungen, können die Benachteiligten heute in demokratischen Staaten das politische System nutzen, ihre Unzufriedenheit zu äußern, was vielerorts als Spaltung der Gesellschaft empfunden wird.9 Vor allem Spezialstähle spielen eine wichtige Rolle in der der Industrie, vor allem im Fahrzeugbau, und gewinnen im Kontext der Verbundwerkstoffe eine zunehmende Bedeutung; der Weltstahlverbrauch ist somit ein guter Indikator der globalen Konjunktur. Stahl ist ein Werkstoff der Zukunft mit erheblichem strategischen Potential, was sich auch in der internationalen Wettbewerbslage niederschlägt. Vor allem die Schwellenländer haben erhebliche (Über-) Kapazitäten zunächst bei den Massenstählen aufgebaut, drängen aber zunehmend in den Spezialmarkt ein, um ihre Wertschöpfungsketten zu verlängern und die ausländischen Direktinvestitionen der multinationalen Konzerne vor Ort beliefern zu können. Abb. 6.6 zeigt die zehn größten Stahlproduzenten der Welt. Die im Jahr 2019 gescheiterte Fusion von Thyssen-Krupp mit der doppelt so großen Tata Steel Group hätte diese deutsch-indische Verbindung zu Nummer Drei des Welt-
9Vgl.
hierzu zu den Problemen des Übergangs und den menschlichen Kosten der digitalen Revolution Frey, Osborne (2013) und Frey (2019).
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Abb. 6.6 Die zehn größten Stahlhersteller der Welt, 2018. (Quelle: eigene Darstellung aus World Steel Association (2019, S. 9) – Farben nach Ländergruppen)
markts gemacht (knapp 50 Mio. Tonnen Jahresproduktion 2018). Die USA als früher bedeutender Stahlhersteller sind nicht vertreten, was die Heftigkeit des Handelskriegs im Jahr 2018 erklären mag. Das größte US-Unternehmen, U.S. Steel Corporation, rangiert mit 25 Mio. t auf Platz 26. Betrachtet man allerdings die Länderproduktion, dann führt China vor Indien und Japan, und die USA belegen bereits den vierten Platz vor Südkorea, Russland und Deutschland (World Steel Association 2019, S. 9). Die strategische Investition in ressourcenreiche Länder ist oft mit dem Begriff des Ressourcenfluchs verbunden. Michael Ross (2012) zeigt in seinem Buch The Oil Curse, dass viele der Ölländer, vor allem aus der OPEC, heute ärmer sind als vor dreißig Jahren und überdurchschnittlich häufig autoritär regiert werden, wenn sie sich nicht sogar im Krieg oder Bürgerkrieg befinden – letzteres wird dem oben benannten Überschuss an jungen Männern ohne Perspektive zugeschrieben. Deshalb wird gerne von einem Paradoxon gesprochen. Denn tatsächlich führt Rohstoffreichtum nicht immer zu Wohlstand, oft sogar in Armut und Abhängigkeit, weil ein massiver Einfluss auf die lokale Preisbildung besteht. Dieses wird in der ökonomischen Theorie unter zwei Aspekten behandelt: Die Neue Außenhandelstheorie (Krugman 1990) erklärt das Vor- bzw. Rückwälzen von Anpassungslasten durch strategische irreversible Investitionen. Infolge von Unteilbarkeiten können scheinbar großzügige Investitionsgeschenke an Entwicklungsländer dazu führen, dass sich die Lage dieser Länder verschlechtert, wenn die damit erzeugten Produkte nicht zu lagern sind und deshalb um jeden Preis verkauft werden müssen. Das Transferproblem (Samuelson 1964; Balassa 1964) wiederum, auch holländische oder ostdeutsche Krankheit (Blum und Scharfe 2002) genannt, erklärt die Folgen einer überhöhten Nachfrage, beispielsweise durch Öleinnahmen stimuliert, auf ein lokal nicht vermehrbares Angebot. Trifft diese beispielsweise auf den Immobilienmarkt steigt dort das Preisniveau zum Schaden der sonstigen Wirtschaft. Der damit
436
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
ausgelöste Lohndruck setzt die übrige Wirtschaft unter Druck; dies erklärt oft die Zerstörung der Exportindustrien. Wenn dann die Rohstoffexpansion an Grenzen stößt oder der Preis der entsprechenden Ressourcen verfällt, dann existieren keinerlei wirtschaftliche Auffangpositionen. Russland ist als entwickeltes Land zum Jahreswechsel 2014/2015 in eine derartige Falle geraten, aber auch viele Schwellenländer wie Brasilien oder Venezuela. Zu den weiteren oft negativen Effekten der Ressourcenausbeutung zählt inzwischen auch das land grabbing, also das Aufkaufen großer Flächen durch internationale Investoren, die mit modernsten Methoden bewirtschaftet werden, damit aber die örtliche Bevölkerung in Armut stoßen. Preisvolatilität und Knappheit rufen Finanzinvestoren auf den Plan, die zwar über Zukunftskontrakte die Preise glätten, aber auch eine Spekulationsblase aufbauen können. Das Problem liegt weniger in steigenden Rohstoffpreisen, denn diese hängen weitgehend von Angebot und Nachfrage bzw. den entsprechenden Zukunftserwartungen ab. Tatsächlich stellt eine Preis- oder Mengenabsicherung eine klassische Versicherung dar. Problematisch sind die auf diesen aufbauenden Spekulationen, denn damit entkoppeln sich Realwirtschaft und Finanzwirtschaft. Nicht umsonst war einer der Ausgangspunkte der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 die Spekulation mit Rohstoffpapieren, nachdem es keine alternativen Anlagemöglichkeiten für überschüssiges Finanzvermögen gab. Die Rohstoffförderung liegt weltweit in den Händen weniger international tätiger Unternehmen, man kann von einem Oligopol sprechen, das aber weiter unter Konzentrationsdruck steht, insbesondere seit dem Verfall der Rohstoffpreise ab dem Jahr 2014; die Interdependenz der Preise infolge von teilweisen Substitutionsbedingungen lässt das Preisniveau und damit auch die Werthaltigkeit der Unternehmen seitdem auf breiter Front sinken. So versuchte BHP Billiton im Jahre 2008 die damalige Nummer zwei, Rio Tinto, für 147 Mrd. US$ (ca. 110 Mrd. €) zu übernehmen. Die folgende Tab. 6.1 gibt einen Überblick. Gleichermaßen ist auch der Handel hochkonzentriert. Die vier größten Rohstoffhändler der Welt setzen zusammen rund 700 Mrd. US$ um: Vitol rund 303 Mrd. US$, Glencore Xstrata rund 240 Mrd. US$, Trafiguria rund 133 Mrd. US$ und Mercuria rund 98 Mrd. US$. Tab. 6.1 zeigt dies. Durch den Aufstieg der Schwellenländer ergab sich über lange Jahre ein stabiles Nachfragewachstum, wobei die Sicherung der Versorgung der Industrieländer, beispielsweise mit Niob für die Stahlindustrie oder Neodym für die Lasertechnik und die Magnetindustrie eine hohe Aufmerksamkeit genießt. Tatsächlich nimmt das Versorgungsrisiko bei kritischen Rohstoffen, besonders für die Hochtechnologieindustrie, stetig zu. Länder wie die Volksrepublik China haben daher versucht, sich in (westliche) Rohstoffkonzerne einzukaufen, was ihnen aus strategischen Sicherheitsgründen verweigert wurde, weshalb das Land jetzt im Rahmen der Entwicklungshilfe vor allem in Afrika kräftig in die Exploration investiert. Nicht ohne Folgen unterläuft der in den letzten Jahren zunehmende Rohstoffprotektionismus die Bestrebungen zum Freihandel, eine Entwicklung, auf deren Konfliktpotential schon der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht (1937) die amerikanische Öffentlichkeit dringlich hingewiesen hat, weshalb dieser Beitrag auch heute noch als Menetekel gesehen wird. Heute besagt eine WTO-Regel, dass
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437
Tab. 6.1 Weltweite Bergbauunternehmen Name
Börsenwert in Mill. Euro 2013
2016(2015*)
BHP Billiton
124.502
50.300
Australien
Rio Tinto
85.380
40.700
Großbritannien, Australien
Vale
56.209
China Shenhua Energy Statoil
Brasilien 45.000*
54.457
Coal India Glencore-Xstrata
Unternehmenssitz
43.589
Alcoa
China Norwegen
32.000*
Indien
16.300
Großbritannien
8800
USA Großbritannien
Anglo-American
23.250
4500
Freeport McMoran
21.547
4900
Barrick Gold
13.709
USA
Newmont Mining
11.713
USA
USA
Treck Resources
10.334
Kanada
Anglogold Ashanti
4114
Südafrika
African Rainbow
2688
Südafrika
Quelle: eigene Recherchen.
die Preissetzung von Gütern fair zu sein hat, insbesondere das inländische Preisniveau dem internationalen entsprechen soll, um nicht einseitig Veredelungsvorteile auf sich zu ziehen. Häufig ist das aber in der Realität nicht der Fall. So exportiert Quebec indirekt über seine Stahlproduktion den billig eingesetzten Strom, inzwischen setzen die USA preiswertes Erdgas in der Grundstoffindustrie ein, um damit über den Export der entsprechenden Güter zum Wiedererstarken ihrer Industrie beizutragen. Die Klimapolitik erhöht den Bedarf an Seltenen Erden, die eigentlich nicht selten sind, deren Exploration aber üblicherweise zu erheblichen Umweltbelastungen führt. Dies stellt ein erhebliches Dilemma dar, weil die Schadensreduzierung auf der einen Seite im Rahmen der Dekarbonisierung erhöhte Umweltbelastungen an anderer Stelle erzeugt. Deutlich sieht man in der Abb. 6.7, dass der sogenannten Mountain-Pass Area, als die Dominanz der USA an einer Mine, die allerdings mit schweren Umweltproblemen zu kämpfen hatte und schließlich insolvent ging, einbrach. China gelang es ab Mitte der achtziger Jahre, im Rahmen der wirtschaftlichen Öffnung den Markt sukzessive zu monopolisieren, was in Abb. 6.8 deutlich wird, als plötzlich Seltene Erden massiv zur internationalen, weitgehend aus China exportierter Handelsware wurden; es scheiterte dann aber mit seiner radikalen Verknappungs- und Verteuerungspolitik ab 2010, die in ebenfalls Abb. 6.8 deutlich wird, was eine Suche nach Substituten und nach
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Abb. 6.7 Förderung Seltener Erden nach Herkunft, 1965 bis 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Schmid (2018, S. 114) und US Geological Survey) 3.000
Gewicht (Tonnen)
2.500
60.000 2.000
50.000 40.000
1.500
30.000
1.000
20.000 500
10.000
0 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
0
Wert (Millionen US$)
80.000 70.000
Neogewicht
Handelsvolumen
Abb. 6.8 Wert- und Mengenentwicklung bei Seltenen Erden, 1992 bis 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Uncomtrade o. D.)
neuen Vorkommen auslöste. Auch der Mountain-Pass wurde wieder aufgeschlossen, musste aber bereits 2017 wegen des Preisverfalls erneut Insolvenz anmelden. Die Produktion konzentriert sich weitgehend in China (über 80 % der Weltproduktion; Wübbeke 2013). Gallium ist von strategischer Bedeutung für Solarzellen und Halbleiter, Indium für Leuchtdioden, Neodym für elektrische Antriebstechnik, Magnete und Kondensatoren oder Tantal für Kondensatoren. Neodym und Dysprosium gemeinsam sind essentiell für temperaturstabile Hochleistungsmagnete. China versucht zunehmend,
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durch Vorwärtsintegration den Markt für Seltene-Erden-Produkte zu dominieren, um erhöhte Wertschöpfungsanteile ins Land zu ziehen und Wertschöpfungsketten zu schließen. Diese Strategie erzeugt erhebliche Konflikte mit den USA, wie bereits im zweiten Kapitel gezeigt wurde. Damit entwickelt es sich auch zu einem wichtigen Seltene-Erden-Importeur. Damit entwickelt China sich auch zu einem wichtigen SelteneErden-Importeur, der inzwischen die wesentlichen frühen Stufen in der Wertschöpfung dominiert und damit selektives Drohpotential entfalten kann – eine breite Drohkulisse aufzubauen dürfte schwerfallen, weil die Suche nach Substituten und Alternativen sowie das Aufschließen von Minen außerhalb Chinas nicht im langfristigen Interesse des Lands liegt. Auch für Rohstoffe wie Titan (Flugzeugbau) oder Palladium (Katalysatoren), aber auch klassische Metalle wie Aluminium, Kupfer oder Eisenerz wird es kritisch. Olivier Vidal, Bruno Goffé und Nicholas Arndt (2013) verdeutlichen in ihrem Beitrag Metals for a Low-Carbon Society, dass zur Bewältigung einer globalen Energiewende auch die Wachstumsraten bei der Förderung ganz gewöhnlicher Metalle beträchtlich sein müssen. So benötigt man die neunzigfache Menge an Aluminium sowie die fünfzigfache Menge an Eisen und Kupfer, was eine Ausweitung der Förderung um jährlich fünf bis 18 % erfordert. Da viele Rohstoffe nur als Kuppelprodukte vorkommen, ist ihre Gewinnung an die großen Ausbeutungen der hauptsächlichen Metalle gekoppelt. So ist Indium ein Nebenprodukt der Zinkerze, Rhenium und Kobalt sind Nebenprodukte des Kupfers. Richard Kerr (2015) zeigt in seinem Beitrag Wann wird Kupfer knapp, dass die Kupferförderung um das Jahr 2040 ihren Höhepunkt erreichen wird, bereits heute zunehmend Vorkommen mit geringer Kupferkonzentration abgebaut werden müssen und dabei erhebliche Konflikte auftreten. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Ausbeutung der großen Pangunamine in Papua Neuguinea entfachte beispielsweise einen zehnjährigen Bürgerkrieg mit 20.000 Toten und führte zur Stilllegung der Mine; die Vorkommen im Nordwesten Pakistans können aufgrund der Sicherheitslage nicht ausgebeutet werden. Rebellengruppen wissen um diesen Wert und können hier ein Druckpotential aufbauen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Kritikalität von besonderem Interesse. Er besaß historisch zwei Dimensionen, nämlich Verfügbarkeit und Vulnerabilität, also die Folgen von Preisspitzen, einer Verknappung und möglicherweise auch einer Nichtverfügbarkeit. Heute kommen noch die Umweltfolgen der bergmännischen Extraktion, der Anreicherung, Verarbeitung und der Entsorgung der Endprodukte am Ende des Lebenszyklus hinzu. Eigentlich sollten sich diese drei Dimensionen in den (Knappheits-) Preisen widerspiegeln – sie tun dies aber nur begrenzt. Dies kann bedrohlich werden, weil viele Unternehmen ähnliche Produkte herstellen oder Funktionen auf sehr unterschiedlicher Werkstoff- und damit Rohstoffbasis erfüllen: Damit ist nicht mehr gewährleistet, dass Preiserhöhungen alle Hersteller gleichermaßen treffen – sie wirken tendenziell asymmetrisch und können daher massiv die Überlebensfähigkeit von Unternehmen tangieren. Wenn beispielsweise Neodym und Dysprosium knapp werden, dann sind die Hersteller der entsprechenden Magneten unter Druck, während solche auf Basis von Samarium und Kobalt weniger betroffen sind. Gehen Erstere in Insolvenz und trifft
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der nächste Preiszyklus Kobalt, dann werden auch diese ausscheiden und allein Elektromagnettechnologien überleben. Zwei Bedeutungsstränge der Kritikalität sollen hier zusammengebracht werden: Im technischen Kontext hat der Begriff unter anderem Wurzeln in der Nuklearindustrie und in der Thermodynamik. Eine Kettenreaktion tritt in den kritischen Zustand – den Betriebszustand eines Reaktors – ein, wenn er so viele Neutronen erzeugt, wie er in einem stationären und autarken Prozess benötigt. In der Thermodynamik sind kritische Zustände Phasenübergänge, beispielsweise von der Flüssigkeit zum Gas, wobei beide nicht getrennt werden können. In diesem Sinne sind kritische Zustände sehr spezifisch, oft prekäre Gleichgewichte, welche aber die Stabilität des Systems gewährleisten. Als wirtschaftlicher Begriff bezieht es sich auf Ressourcen, die eine in einem sehr allgemeinen Sinne sicherheitspolitische Bedeutung besitzen und für den laufenden Betrieb der Wirtschaft erforderlich sind. Ressourcen oder Materialien sind dann kritisch, wenn ihre (weitere) Verfügbarkeit nicht garantiert ist und keine Ersatzstoffe vorhanden sind. Diese Verwundbarkeit besitzt in erster Näherung eine eher stationäre Perspektive: Bei ausreichendem Druck entwickeln Gesellschaften immer Substitutionsmöglichkeiten – Krieg oder Wirtschaftskrieg setzte hier oft an, zu verhindern, dass dies geschieht bzw. dass es eine rationale Perspektive hierfür gibt. Kritikalität ergänzt hier wirtschaftlicher Knappheit um das sicherheitspolitische Argument. Als technoökonomischer Begriff kann also der für die soziale, wirtschaftliche oder militärische Stabilität wichtige Wendepunkt beschrieben, ab dem Knappheit als Ressource oder Deponiekapazität (Abfall in der Landschaft, im Wasser oder in der Luft) die Stabilität gefährdet. Unternehmerische Qualität, auf die im siebten Kapitel eingegangen wird, kann ein Maß für die Kompetenz eines Innovators sein, diese Spannung abzubauen oder sogar zu beseitigen. Dann wird er zum Industriellen Führer, also der Person, die die Dauer eines Produktlebenszyklus festlegt. Die langanhaltende Kritikalität von Rohöl als dem Lebensblut der modernen Wirtschaft hat sich durch die modernen Produktionsmethoden der USA (fracking) bei Gas und Öl, die das Land weitgehend unabhängig von Importen, insbesondere solchen aus Krisenländern gemacht haben, weitgehend aufgelöst – aus Knappheit wurde Fülle, was auch das politische Geisteshaltung verändert hat. Billige Energiepreise haben den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Weltfinanzkrise erleichtert. Die strategische Interventionsbereitschaft in Krisengebieten des Nahen Ostens ist in Folge gesunken, und diese neue Unabhängigkeit hat es auch erlaubt, Wirtschaftssanktionen zum vorherrschenden politischen Instrument unter US-Präsident Donald Trump werden zu lassen. In der Folge füllt das rohstoff- und insbesondere ölhungrige China die von den USA hinterlassene strategische Lücke – aber auch Russland. Das Aufrüstungsprogramm legt dies nahe, dass es sich für die Sicherheit seiner Beschaffungsquellen und -wege engagieren wird und in diese Lücke springen könnte. Abb. 6.9 gibt die größten Erdölproduzenten des Jahres 2013 mit ihren Fördervolumina wider. Diese haben seit dem Jahr 2014 systematisch ein Überangebot von 1 bis 2 Mio. Barrel Öl pro Tag aufgebaut. Als besagtes Lebensblut der Wirtschaft stellt eine hohe Preisvolatilität die Weltwirtschaft vor erhebliche Probleme. Das hat einmal mit den reinen Gewinnungskosten zu
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Abb. 6.9 Weltweit größte Erdölproduzenten und Erdölreserven, 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Handelsblatt (2017b) – Farben nach Ländergruppen)
tun, die aufgrund geologischer Gegebenheiten sowie der on- oder off-shore-Gewinnung höchst unterschiedlich sind; hinzu tritt bei vielen Ländern die Finanzierungsfunktion für den Staatshaushalt. In vielen Fällen gewährleisten erst Preise oberhalb von 100 US$ pro Barrel (Brent) eine fiskalische Stabilität – und damit Exportländern wie Deutschland auch reiche Ausfuhren. Mit der Entwicklung des Frackings, also dem hydraulischen Aufschluss von Gesteinsschichten zum Zwecke der Extrahierung von Öl oder Gas, das mit dem Namen des Unternehmers und Pioniers George Mitchel (1919–2013), der nicht an das Ende des Ölzeitalters in den USA glaubte, verbunden ist, wechselten die USA von der Nachfrage- auf die Anbieterseite. So wurde ab Herbst 2014 das OPEC-Kartell10 zur faktischen Wirkungslosigkeit verdammt. Zunächst lag die Rentabilitätsschwelle bei über 60 US$, seitdem sinkt sie durch technologische Verbesserungen beständig; seitdem bestimmten nicht mehr die OPEC oder Saudi-Arabien die Preise und die Märkte werden neu verteilt. Allerdings wird der erhebliche Preisrückgang seit Sommer 2014 sehr kritisch hinterfragt, weil er in einem Großteil der Erzeugerländer massive Störungen
10Das
OPEC-Kartell stand in den sechziger Jahren im Zentrum eines veritablen Wirtschaftskriegs. Es wurde im Jahr 1960 gegründet mit dem Ziel, eine dauerhafte Monopolstellung zu erzielen. Im Yom-Kippur-Krieg kam es zu einem Lieferboykott gegen die westlichen Staaten, um die Israel angreifenden arabischen Staaten zu unterstützen. Inzwischen hat es durch Austritte und eine Vielzahl ungebundener Anbieter sowie durch die Unterstützung des Saudischen Regimes durch die USA, das damit über eine lange Zeit versuchte, die Preise zu moderieren, erheblich an Einfluss verloren.
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des wirtschaftlichen Gleichgewichts bewirken kann, wenn die entsprechenden Anlagen entwerten und die Kredite, vor allem aus hochverzinslichen Anleihen, nicht mehr bedient werden können. Insbesondere das genannte Fracking bedurfte zunächst eines erhöhten Preisniveaus, um wirtschaftlich zu sein, allerdings konnten die Kosten seit Einführung des Systems halbiert werden und lagen im Jahr 2018 bei 40 bis 50 US$ je Barrel Öl. Damit wurden die USA weitgehend zum Selbstversorger und übten massiven Druck auf den Ölpreis aus. Viele Länder sind auf die Öleinkommen zur Finanzierung des Staats (und leistungsloser Einkommen) angewiesen, Die Schwellenwerte für einen ausgeglichen Staatshaushalt lagen im Jahr 2014 nach einer Übersicht des Economist (2014d) zwischen 140 US$ pro Barrel Öl im Iran und 70 € für die anderen arabischen Länder der Golfregion. Gas stellt ein wichtiges Energiesubstitut zum Erdöl dar. Ursprünglich ein abgefackeltes Koppelprodukt, wurden leitungsgebundene Infrastrukturen aufgebaut, um das Produkt zu vermarkten. Inzwischen versuchen Länder, die über keine direkten Anschlüsse zu den großen Nachfragern verfügen, durch Verflüssigung und Verschiffung in etablierte Märkte einzudringen. Im Sommer 2017 bedrohten die USA die deutschen Partner des Konsortiums North-Stream-II, das von Russland nach Deutschland eine zweite Erdgasverbindung verlegt, mit Sanktionen – vermutlich auch, um amerikanisches Flüssiggas in den europäischen Markt drücken zu können. Das Thema wird später in einem Beispiel und dann im elften Kapitel im Kontext des staatlichen Wirtschaftskriegs erneut aufgenommen. Kohle, ob Steinkohle oder Braunkohle, ist in vielen entwickelten Ländern aufgrund der Treibhausgasproblematik eine geächtete Form der Energiegewinnung. Trotzdem befindet sich dieser Rohstoff weiter im Aufwind. Allein China, Indien und die USA setzen etwa ein Drittel der Weltförderung in ihren Kraftwerken ein – und planen, die Nutzung weiter zu erhöhen. Eine der kontrovers diskutierten Fragen – auch im Hinblick auf die Kontrolle voroder nachgelagerter Wertschöpfungsketten – lautet, ob Rohstoffländer erhöhte Teile der Veredlung selbst übernehmen sollten, auch um dem resource curse zu entgehen bzw. diesen zu verringern. Die Antwort hierauf kann nicht allgemeingültig sein. Denn oft hängt es von der Verfügbarkeit preiswerter Energie ab, vor allem auch Elektrizität. Zudem erfordert die eigene Weiterverwertung die Stabilität von Wertschöpfungsketten für die erforderlichen Veredelungsindustrien. Schließlich ist auch zu beachten, wie sich Angebots- und Nachfrageelastizitäten entlang der Absatzkette verändern. Ein gut lagerbarer Rohstoff, beispielsweise Erdnüsse, in ein leicht verderbliches Öl zu raffinieren, kann aus Angebotsstärke eine Nachfrageabhängigkeit erzeugen. Die bis weit in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts als kaum bedeutsam angesehenen Wasserressourcen bergen angesichts des vermuteten Klimawandels, des Wachstums der Bevölkerung und der Tatsache, dass Wasser für alles Leben ebenso wie für sehr viele technische Prozesse eine unabdingbare Voraussetzung ist, ein erhebliches Konfliktpotential. Europas Wasserverbrauch wirkt mit rund 350 Kubikkilometer
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vergleichsweise klein – auch angesichts der Größe der Bevölkerung im Vergleich zu anderen Regionen; allerdings liegt die industrielle Verwendung hoch. In den übrigen Regionen dominiert der Verbrauch in der Landwirtschaft. Das U.S. National Intelligence Council führte Ende 2012 in dem Bericht Global Trends 2013 aus, dass vernetzte Versorgungsrisiken im Wasser-, Energie- und Ernährungsbereich zu den weltweit relevantesten Entwicklungen zählen, wie Marianne Beisheim (2013) in einem Beitrag zum Thema Der Nexus Wasser-Energie-Nahrung (water-energy-food, WEF) schreibt. So verbraucht der Agrarsektor rund 70 % der genutzten Süßwasserressourcen. Diese Nutzung beträgt zwar nur Bruchteile der tatsächlichen Reserven, sie auszubeuten kann jedoch gefährliche Entwicklungen auslösen, wie beispielsweise die Austrocknung des Aralsees in Kasachstan belegt, der vom viertgrößten Binnengewässer der Welt auf rund die Hälfte schrumpfte und dabei 90 % seines Wasservolumens einbüßte. Die stete Debatte um die Nutzung des Wassers an den amerikanischen großen Seen und das Austrocknen des Colorados, der die Landwirtschaft und die verschwenderischen Privathaushalte in Kalifornien versorgt, zeigen das ebenso. Der Kampf um Süßwasserressourcen wird schnell zu einem Wirtschaftskrieg, der leicht in einen militärischen Konflikt umkippen kann – im Nahe Osten ist Wasser regelmäßig eine Konfliktursache zwischen den Ländern. Die Integration Tibets in das chinesische Staatsgebiet ist mit der Sicherung von Quellgebieten im Himalaja verbunden, denn es verfügt bei 20 % der Weltbevölkerung nur über 7 % der Frischwasserressourcen, und viele große Ströme wie der Ganges, der Mekong oder der Brahmaputra entspringen hier. Der Klimawandel beschleunigt das Abschmelzen der großen Gletscher des Himalajas, was bereits in absehbarer Zeit zu kritischen Engpässen führen kann. Eine Vielzahl von Produktionen benötigt sehr viel Wasser – dafür bekannt sind die Stahlproduktion und der Energiesektor, aber auch die Herstellung vieler Nahrungsmittel. Aber sogar der Informationssektor ist wegen seines Energiebedarfs von einer sicheren Wasserversorgung abhängig. Inzwischen gibt es weltweit knapp 20.000 Entsalzungsanlagen, diese aber verbrauchen erhebliche Mengen an Energie, weshalb sich die Forschung um neue Verfahren jenseits des Standards, der Umkehr-Osmose, bemüht, die möglicherweise auf dem „Wunderwerksoff“ Graphen aufbauen. Diese Kritikalität gilt auch für die Nutzung der Weltmeere im Rahmen der Fischerei. So entwickelte sich das Piratentum am Horn von Afrika auch aus der Ausweitung der Befischung durch die Industrieländer mit ihren hocheffizienten Flotten, denen die indigene Bevölkerung nichts entgegensetzen konnte. Zur Ressourcenproblematik zählt auch die endliche Deponiekapazität der Erde. Zu unterscheiden sind Schadstoffe mit totaler Diffusion – beispielsweise Klimagase – von Einträgen in das (Bio-) System mit (zunächst) weitgehend lokaler Wirkung, beispielsweise von Schwermetallen in Böden. Eine Zwischenrolle spielen Schadstoffe, die in die Weltmeere gelangen; bekannt geworden ist der Eintrag von Plastikmüll. Das im Kontext der Spieltheorie ausgeführte Dilemmaproblem wird umso größer, je stärker diese Diffusion ist.
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6.2.5 Intellektuelle Eigentumsrechte: der Rohstoff der Moderne Patente, Marken und Warenzeichen sowie das Copyright werden unter dem Oberbegriff Intellektuelle Eigentumsrechte (Intellectual Property Rights, IPR) subsumiert und können mittels Lizenzen an Dritte weitergereicht werden. Hinzu kommen verschiedene Formen der Vereinheitlichung, also Normen, Standards und Spezifikationen. Sie sind nichtkörperliche, sogenannte intangible Gegenstände des Anlagevermögens, in die ein Unternehmen aber massiv investieren muss, will es die für die langfristige Wettbewerbssicherung notwendigen Kernkompetenzen aufbauen und erhalten. Da dieses Versenken von Kosten ein hohes Zukunftsrisiko in sich birgt, werden bestimmte Formen der Sicherung durch den Gesetzgeber erleichtert. Insbesondere durch Patente, Marken und Warenzeichen sowie den Copyrightschutz ist es möglich, sich auf Zeit die exklusive Nutzung eines intellektuellen Eigentumsrechts zu sichern. Zugleich wird damit der Technologietransfer gefördert, weil beispielsweise in einer Patentschrift alle Eigenschaften des zugrunde liegenden Rechts offengelegt werden müssen. Normen und Standards ergänzen diese als intellektuelles Eigentum mit dem Charakter eines Clubguts oder öffentlichen Guts (Blum 2006a; Blum, Bahke, Eickhoff 2002; Farrell 1989). Sie werden durch drei Eigenschaften gekennzeichnet (Stango 2004): lock-in, also das Eingesperrtsein in eine bestimmte Technologie – hier wird gerne der Schreibmaschinentastaturstandard QWERTY genannt, der nur eingeführt wurde, um das Verhaken der Anschlagbügel zu verhindern; Pfadbindung, weil beispielsweise ein Standard für die Spurbreite der Straßenbahn in einer Stadt praktisch irreversibel ist; erhöhte Trägheit (Inertia), weil die Handelnden nicht wissen, welcher Standard bei einer Auseinandersetzung (Krieg der Standards) obsiegen wird, weshalb dann gerne eine Norm als allgemeine Plattform etabliert wird. In dem Maße, in dem geistiges Eigentum die Folge von wissenschaftlicher Leistung wird, gewinnt dessen Zurechenbarkeit an Bedeutung, will man dieses als Ressource nutzen. Denn nur durch einen klaren Ausweis der Herkunft, also des Schöpfers des Wissens, ist es über die Reputation möglich, den Wahrheitsgehalt des intellektuellen Eigentums zu überprüfen und dieses verantwortlich auch im Sinne der Qualitätssicherung zu nutzen. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gründet häufig auf intellektuellen Eigentumsrechten, vornehmlich Patenten und Marken. Als sogenannte Kernkompetenzen (Prahalad, Hamel 1990) stehen sie im Zentrum der Innovationsfähigkeiten. Angesprochen sind Techniken und Technologien, die Ästhetik und das Design, schließlich auch die kulturellen Bedingtheiten einer Wirtschaft, die diese umrahmen. In der Tat sind die meisten Innovationen zunächst kultureller Natur, aus denen sich dann Finanzinnovationen ergeben, die schließlich in Markt-, Produkt-, Verfahrens- und Innovationsinnovationen münden. Hohe Markenwerte, wie in Abb. 6.10 gezeigt, bündeln diese Kompetenzen. Bestimmte Technologien sind dann strategisch relevant, wenn sie hinsichtlich ihrer bereits oben angesprochenen Verwendungsoffenheit eine Vielfalt an Nutzungs-
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1. Apple (1) 2. Google (2) 3. Coca-Cola (3) 4. Microso (5) 5. Toyota (8) 6. IBM (4) 7. Samsung (7) 8. Amazon ( -) 9. Mercedes-Benz (9) 10. General Electric (10) 11. BMW (11) 22. SAP (22) 38. Audi (25) 40. VW (31) 50. Porsche (60) 51. Allianz (55) 52. Siemens (49) 60. Adidas (59) 77. DHL (81) 88. Mini ( -) 2016
0 50 2014 (Wert in Klammern)
100 150 Wert in Milliarden US$
200
Abb. 6.10 Die wertvollsten Marken der Welt, 2014 und 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014h, 2016d)
potentialen sowie ökonomischen Entwicklungslinien aufzeigen. Vor allem die modernen Informationstechnologien sind als general purpose technologies (GPT; Bresnahan und Trajtenberg 1995; Helpman 1998) von strategischer Bedeutung und unter dem Begriff der connectivity, als Zusammenschluss von Elementen, die durchaus heterogen sein können, unter einem Gesamtdach vereint, beispielsweise im Verkehrssektor, im Fertigungsbereich oder in Cybersystemen. Sie sind häufig wesentliche Treiber des Unternehmens- bzw. Markenwerts, die Abb. 6.10 zeigt. Im Vergleich der Werte von 2014 auf 2016 werden der Verlust an Markenwert durch die Krise der deutschen Autoindustrie in Folge der Dieselskandale deutlich, die auch zu massiven Kursverlusten und damit Zerstörung von goodwill geführt haben – ganz anders als bei Unternehmen, die auf digitale Geschäftsmodelle gesetzt haben.11
11Der Goodwill im Sinne einer Differenz von Unternehmenswert und Realwert wird als relative Größe über das Tobin-Q erfasst; diese drückt das Verhältnis aus Marktwert (Börsenwert) und Reproduktionswert der Anlagen und Einrichtungen (Buchwert) aus; vgl. Tobin (1969) sowie Smithers und Wright (2000).
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Intellektuelle Eigentumsrechte, die für derartige Werte eine hohe Bedeutung haben, werden gerne zum Gegenstand der Nachahmung, man spricht dann von Plagiaten. Friedrich List hat das als „Lernen vom Besten“ bezeichnet, und tatsächlich haben Preußen und Deutschland lange Zeit den Weg des Abschöpfens von Wissen aus England beschritten. England wollte sich dagegen mit dem Herkunftszeichengesetz wehren – es kam aber zu spät, denn bei seinem Einsatz Anfang des letzten Jahrhunderts hatte Deutschland mit England zumindest gleichgezogen; das wird im zehnten Kapitel erneut aufgegriffen. Dabei wollen andere Unternehmen die Reputation des Zielunternehmens auf sich lenken, zugleich ist es aber auch möglich, damit die Reputation eines Zielunternehmens gezielt zu zerstören – in Analogie zum Falschgeld, das im Rahmen einer regulären Kriegsführung über dem Feindesland abgeworfen wird. Denn wenn nicht mehr klar ist, was das Original und was die Fälschung ist und das Produkt ständig Mängel aufweist, dann ist es schnell um den guten Namen geschehen. Plagiate geben damit zunächst widersprüchliche Signale: Sie sind zumindest kurzfristig ebenso Abzocke wie Ausweis einer Qualität, denn sonst gäbe es zum Nachmachen keinen Anreiz, zerstören aber langfristig die Reputation des Originals. Dies gilt vor allem dann, wenn die Unterscheidung auf ersten Blick schwerfällt. Das werbewirksame Zerstören der Kopien bietet sich als Propagandamaßnahme des Ursprungslands der Plagiate an, beispielsweise wenn Dampfwalzen in China über gefälschte Uhren oder Software fahren. Ein besonders intelligenter und wirtschaftskriegerischer Weg zum Erfolg ist der, mit dem Plagiat schneller als das Original an den Markt zu kommen als das Entwicklerunternehmen, indem Informationen über eine Wagnisfinanzierung abgeschöpft werden, weil hier die wesentlichen Kompetenzen offengelegt werden müssen. Weiterhin befördert der Onlinehandel das unkontrollierte Verbreiten von Plagiaten. Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) schätzt, dass rund sieben Prozent der Einfuhren in die EU Fälschungen sind (Kutsche 2019). Während Patentkriege zwischen Unternehmen stattfinden und der staatliche Einfluss durch die Patentgesetzgebung– ebenfalls durch die Verfahrensweisen der Gerichte, mit Patenstreitigkeiten umzugehen – vorgegeben ist, zeigen Kriege um Standards und Normen ein weit differenziertes Bild, weil sie alle Ebenen von den einzelnen Unternehmen bis hin zu den Staaten betreffen (Blum, Bahke, Eickhoff 2002; Blum 2006a). Der Spruch: „Wer die Norm hat, hat den Markt“ ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb Normung eine strategische Handlung ist, die an der Spitze eines Unternehmens koordiniert werden muss. Sie ist eine spezielle Ausformung der sogenannten Vereinheitlichung, zu der Standardisierung sowie betriebliche Typung und Spezifikationen zählen. Geschlossene Standards werden von einer Gruppe von Unternehmen gemeinsam zur Förderung ihrer Produkte geschaffen. Offene Standards stehen auch Dritten zur Verfügung. Am Vereinheitlichen mittels Normen besteht ein großes öffentliches Interesse, um die Sicherheit von Produkten zu erhöhen sowie Risiken zu beherrschen, die insbesondere durch starke physikalische Kräfte und durch Irreversibilität entstehen. Aus Sicht eines innovationsstarken einzelnen Unternehmens besteht die Herausforderung darin, eigene Spezifikationen am Markt mit Macht durchzusetzen, möglicherweise
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dadurch Marktmacht aufzubauen, gegebenenfalls einen Wirtschaftskrieg erfolgreich zu bestreiten, oder durch Normung eine Marktplattform aufzubauen, die den Absatz dadurch gewährleistet, dass die Kunden Vertrauen in den langfristigen Bestand der Technologie haben, was die Risiken erheblich senkt. Die Neigung, sich am Prozess der Normung zu beteiligen, liegt folglich in der Abwägung zwischen den Chancen, ein Monopol auszubeuten und den Möglichkeiten, Netzwerkeffekte zu realisieren und insbesondere Risiken zu senken, weil dann der Kunde davon ausgehen kann, dass eine Technologie sicher ist. Tatsächlich entstehen durch Normung Plattformen, die in die Konzeption der sogenannten zweiseitigen Märkte eingeordnet werden können (Blum 2006a). Ihre wesentlichen Effekte sind Netzwerkeffekte, Verbundeffekte und Skaleneffekte. Eine fehlerhafte Normung kann schnell in Sackgassen führen, die, wie bereits erwähnt, dann als lock-in-Effekte bezeichnet werden. Die Normung selbst stellt mindestens drei Güter bereit, nämlich ein öffentliches Gut in Gestalt der Norm, ein Clubgut durch das Arbeiten der interessierten Kreise an der Norm, die dadurch ein Vorsprungswissen gewinnen und nutzen können und schließlich ein privates Gut. Viele Unternehmen setzen mit Weiterentwicklungen auf bestehende Normen auf, um auf jeden Fall Mindestanforderungen im Sinne des technischen Fortschritts zu erfüllen, wenn nicht zu übertreffen. Bei Normen ist es erforderlich, den Nutzern die zugrunde liegenden Patente zu angemessenen Preisen zur Verfügung zu stellen. Ihre Entstehungsgeschichte ist stark mit der Sicherung von Leib und Leben verbunden, beispielsweise mit der Einführung der Elektrifizierung, also der Sicherheit für Leib und Leben, dann dem Vermeiden irreversibler Schäden und dem Schutz vor großen Kräften; schließlich tritt die militärische Normung hinzu. Aus diesem Grunde existieren in vielen Ländern zwei Normungsorganisationen, nämlich eine für die elektrotechnische Normung und eine Normung, die für alle übrigen Bereiche zuständig ist. Handelsplattformen, die durch ihre weitgehende Standardisierung bzw. Normung den Zugang erleichtern, stellen eine wesentliche Grundlage zweiseitiger Märkte dar. Denn sie sind tatsächlich Vermittler, organisieren den Markt und können wettbewerbsmächtig dann werden, wenn sie neben der Vermittlungsfunktion auch noch die Beschaffungsund/oder die Absatzseite kontrollieren können. Massive Kostenvorteile können entstehen, die im Kontext des raising rivals cost im neunten Kapitel diskutiert werden.
6.2.6 Informationssysteme als Führungsinstrument und die digitale Welt Das Beschaffen von Informationen, im englischsprachigen Raum mit intelligence bezeichnet, spielte im Wettbewerbsprozess schon immer eine zentrale Rolle; in der militärischen Kriegsführung und auch für das erfolgreiche Führen eines Wirtschaftskriegs ist sie essentiell, zumal auch das Informationssystem entgrenzt ist. Denn hier geht es darum, Informationen über Forschung und Entwicklung, Innovationsstrategien oder die Robustheit von Unternehmen oder Staaten abzugreifen und für das eigene Handeln
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nutzbar zu machen. In einer globalen Welt, in der Rivalität auf vielen, interdependenten Ebenen stattfindet, verschwimmen corporate bzw. business, economic, national und military intelligence. Damit wird Wirtschaftskrieg zu einer informationsökonomischen Disziplin. Da dieser Krieg in erheblichem Maße auf der Ebene der modernen Kommunikationssysteme ausgefochten wird und der moderne Mensch technisch fast ungeschützt seine Geheimnisse preisgibt, sogar eine Art persönlichen Exhibitionismus seiner Daten feiert, wird aus Sicht des Unternehmens das Erzielen der Informationsüberlegenheit im Fokus jeder Auseinandersetzung stehen. Das bedeutet: Besser aufklären, besser informiert sein, aber auch: besser vernebeln, besser desinformieren. Diese Formen der Aufklärung und des Ausspähens werden meist unter dem Begriff competitive intelligence (CI) gebündelt. Ziel ist es, Informationen zu erhalten, um für die künftigen Auseinandersetzungen gerüstet zu sein. Dabei werden allgemein zugängliche Daten, vor allem amtliche Statistiken und Verbandsinformationen, erhoben und mit Informationen, die über gezielte Ansprache von Fachleuten oder Unternehmensmitarbeitern gewonnen werden, in Relation gesetzt. Hinzu tritt halblegales und illegales Abgreifen von Informationen – vom Analysieren von Industrieabfällen bis hin zum gezielten Hacken von Systemen. Zum Erreichen einer strategischen, operativen oder auch taktischen Überlegenheit ist die Dominanz in den Kommunikationssystemen oft essentiell. Viele militärische Schlachten wurden durch Informationsüberlegenheit gewonnen – von der Schlacht bei Tannenberg im Ersten Weltkrieg über die Kryptographie im Zweiten Weltkrieg bis hin zum Yom-Kippur-Krieg: In Tannenberg gelang es über eine einfache Telefonschleife, die russische militärische Führung abzuhören; Enigma ist als Beispiel erfolgreichen Cyberkriegs legendär. Die Israelis standen vor dem Problem, zunächst die räumlich näheren syrischen Truppen im Norden niederringen zu müssen, bevor sie die am Sinai anrückenden Ägypter stellen konnten. Um also dort den Vormarsch zu verzögern, übernahmen sie nachts das Kommando einer ägyptischen Brigade, der sie befahlen, auf den israelischen Feind – tatsächlich eine andere ägyptische Brigade – zu schießen. Das erzeugte die Zeitreserve, um mit Tiefladern vor allem die Panzerwaffe vom Norden zeitgerecht zu verlegen, die dann an der ägyptischen Front siegreich wirkte. „Informationsüberlegenheit ist gegeben“, wie die HDv 100/100 in Kap. 29, Nr. 29020 ausführt, „wenn Handlungen zur Gewinnung, Steuerung, Verarbeitung, Übermittlung und Sicherheit von Information ohne nachhaltige Einwirkung von Gegnern bzw. Konfliktparteien durchgeführt werden können und ihnen diese Handlungsfreiheit verwehrt werden kann.“ Die beste Informationsüberlegenheit im Sinne von Effizienz und Effektivität ist die, bei der das gegnerische Unternehmen bzw. der gegnerische Staat nicht merkt, ein Aufklärungsziel zu sein. „Überlegene eigene Informationen und uneingeschränkte Informationsfähigkeit tragen dazu bei, rasch, lagegerecht und flexibel zu entscheiden, Kräfte zu sparen und sie wirkungsvoll einzusetzen.“, wie HDv 100/100 Kap. 29, Nr. 29021 weiter verdeutlicht. „Im Gegenzug muß die gegnerische Führung dadurch beeinträchtigt werden, daß ihr diese Fähigkeit soweit wie möglich genommen wird oder sie nur die – richtige oder falsche – Information erhält, die der eigenen
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Operationsführung dient. Gelingt beides besser als dem Gegner bzw. den Konfliktparteien, entsteht Informationsüberlegenheit. Sie ist Voraussetzung für Führungs- und schließlich Wirkungsüberlegenheit.“ Damit wird auch deutlich, dass es besonders geschickt ist, das Herstellen von Informationsüberlegenheit zugleich bzw. vor allem dann mit Desinformation zu verbinden, wenn dieses nicht unbeobachtet vonstattengehen kann. Zu dieser Informationsüberlegenheit zählt auch das Säen und Nutzen von Verschwörungstheorien, weil der Glaube an einen allmächtigen Manipulator den Menschen im Leben ein bisher fehlendes Koordinatensystem gibt – und damit zu eigenen Gunsten genutzt werden kann. Auch Unternehmen sind in ihrer Führungsfähigkeit hiervon auf dramatische Weise abhängig, wie das Beispiel von Nathan Rothschild (1777–1836) im Kontext der Schlacht von Waterloo im Jahr 1815 belegt. Durch seinen eigenen Nachrichtendienst überholte er die Nachricht von der drohenden Niederlage bei Waterloo, die die Börse in den Keller trieb – die consoles fielen und fielen. Denn tatsächlich kam Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819) rechtzeitig zur Hilfe, Napoleon Bonaparte wurde besiegt und Nathan Rothschild kaufte sich, die fallenden Kurse nutzend, ein Vermögen „for a song“ zusammen, wie Aaron Levine (2000) in seiner Monographie über jüdische Wirtschaftsethik schreibt. Die digitale Kompetenz der Wirtschaft wird als eine zentrale Fähigkeit angesehen, die vierte Industrialisierung erfolgreich zu bewältigen. Der Wettbewerbsvorsprung der USA oder Englands, die gemessen an der Wirtschaftsleistung eine fast doppelt so starke Digitalwirtschaft haben wie Deutschland (nämlich 8 % bzw. 10 % im Vergleich zu 5,4 %; Die Welt 2016b) könnte daher langfristig die Wettbewerbspositionen nachhaltig verschieben. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine führende Position im Herstellen von Mikrochips. Abb. 6.11 belegt die führende Position der westlichen Welt, insbesondere der USA, mit der Folge, dass China heute mehr für den Import von Halbleitern ausgibt als für den von Öl und gegenüber entsprechenden Sanktionen der USA sehr verwundbar ist. Dies wird im elften Kapitel noch einmal aufgegriffen. Durch Industrie 4.0 steigt der Bedarf an Sensorik und intelligenter Datenverarbeitung in der Industrie, aber auch Produkten des Anlagenbaus, darunter Werkzeugmaschinen, oder Produkten der Fahrzeugindustrie, was Herstellern wie Bosch, Infineon oder Nvidia große Zukunftschancen beschert. Große Lohnfertiger, beispielsweise Foxconn aus Taiwan, das auch erhebliche Fertigungskapazitäten in China unterhält, überlegen daher, eigene Produktionslinien aufzubauen.
6.2.7 Offene Märkte und Verkehrssysteme als Führungsinstrument Offene Märkte zählen zu den wesentlichen Voraussetzungen, um logistische Kompetenzen als Fähigkeiten ausspielen zu können. Sie hängen einmal von den institutionellen Ordnungen ab, die in einer Vielzahl von nationalen, aber auch internationalen Regelungen festgelegt sind. Bei den Luftverkehrsfreiheiten werden die
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Intel (USA) Samsung (KOR) TSMC (TWN) Broadcom (SGP) Qualcomm (USA) SK Hynix (KOR) Micron (USA) Texas Instruments (USA) Toshiba (JPN) NXP (NLD) Mediatek (TWN) Infineon (DEU) 0
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Umsatz in Milliarden US$ Abb. 6.11 Die 12 größten Chiphersteller der Welt, 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung (2017d) und IC Insights – Farben nach Ländergruppen)
Transitrechte, die Rechte in Bezug auf direkte Verkehrsbeziehungen zwischen Ländern sowie die Kabotagerechte betrachtet, also das Recht eines ausländischen Verkehrsunternehmens, im Inland Verkehrsleistungen zu erbringen. Für das Seerecht ist die Freiheit der Meere wichtig, die die Offenheit der Meere außerhalb der Küstenzonen festschreibt und durch eine Reihe von Konventionen und Schiedsgerichte untersetzt ist. Der Handel verändert sich, wie die Abb. 6.12 zeigt, meist überproportional zur Wirtschaftsleistung, wobei beide Größen interdependent sind. Einschränkungen des Handels, beispielsweise durch Wirtschaftskriege, wirken ebenso auf die Wirtschaftsleistung zurück wie ein Konjunktureinbruch auf den Handelsaustausch. Beachtenswert ist, dass seit dem Jahr 2012 diese Überproportionalität der Beziehung zwischen Handel und Wirtschaftsleitung nicht mehr sichtbar ist. Rolf J. Langhammer (2016a) gibt in seinem Beitrag über Die Bremser der Globalisierung zwei Erklärungen: Deutlich langsamer wachsende, grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten oder eine verlängerte Stagnation im Rahmen der normalen zyklischen Entwicklung, die auf Anpassungsprozesse in den Schwellenländern zurückzuführen sind, die sich durch überhöhte Ausgaben bei lokalen Gütern eine holländische Krankheit zugezogen haben, also aufgeblähte Preise gepaart mit Leistungsbilanzdefiziten. Eine andere Erklärung könnte in veränderten Migrationsmustern liegen. Bisher leisteten Zuwanderer durch Überweisungen in ihre Heimatländer einen erheblichen Beitrag zu deren Wachstum und Importfähigkeit. Umgekehrt blühte der Diasporahandel, also der Export aus den Heimatländern zugunsten der Migranten. Die gegenwärtigen Migrationsströme, die weitgehend auf Notlagen zurückgehen, können aber beides nicht leisten. Zugleich steigt in den Zielländern infolge der Erhöhung der Sozialausgaben der Anteil der lokalen Wirtschaft, verringert sich also internationale Offenheit und Wettbewerbsfähigkeit (Langhammer 2016b).
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
451
Abb. 6.12 Entwicklung der Wirtschaftsleistung und des Handels aus globaler Sicht, 1995 bis 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus International Monetary Fund 2018)
Die Logistik gehört zu den klassischen militärischen Fähigkeiten. So gewann General Erich Ludendorff (1865–1934) auch durch seine hohen logistischen Kompetenzen im Jahr 1914 die Schlachten von Tannenberg und den Masuren in Ostpreußen, in das russische Truppen bereits tief eingedrungen waren. Die von ihm später bekleidete Position eines Generalquartiermeisters verdeutlichte seine Begabung, das Transportwesen über die Eisenbahn so effizient zu organisieren, dass damit eine Überlegenheit an der Front erzielt werden konnte. Die militärisch-logistischen Anforderungen gaben besonders der Normung einen starken Auftrieb, denn es war erforderlich, Vereinheitlichungen nicht nur in den Waffensystemen, sondern auch in den Transportsystemen und in der Transportinfrastruktur zu erzielen. Deshalb wurde bereits im Jahr 1917 das Deutsche Institut für Normung gegründet. Heute zählen zu den wichtigsten derartigen Standardisierungen die Palette und der Container. Die Fähigkeit, Logistik im Rahmen eines Wirtschaftskriegs effizient einzusetzen, ist unabdingbar, weil fehlende Lieferkapazitäten bei der Eroberung eines neuen Marktes den Weg in die Niederlage bereiten. Aus moderner Sicht sind damit logistische Systeme von zentraler Bedeutung. Hierzu zählen besonders Kapazitäten, die international einsetzbar und verschiebbar sind, also Luftflotten und Handelsflotten zur See; Abb. 6.13 zeigt die global bedeutendsten Reedereien. So gibt es in einer Vielzahl von Ländern Gesetze, die bestimmen, dass der Anteil ausländischer Investitionen im Transportbereich eine gewisse Quote nicht überschreiten darf. Das schützt beispielsweise amerikanische Fluggesellschaften vor der Übernahme, weil sie für den Staat eine wichtige logistische (militärische) Reserve darstellen. Gleichermaßen hat die amerikanische Regierung Einspruch erhoben, als chinesische Investoren amerikanische Handelshäfen übernehmen wollten.
452
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Abb. 6.13 Marktanteile der Reedereien nach Unternehmen, 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung 2018c und Alphaliner)
Deutschland verfügte historisch über eine der größten Handelsflotten der Welt; im Zuge der Preiskriege in Folge des Rückgangs des Welthandels nach der Weltfinanzkrise ab dem Jahr 2008 und des Kapazitätsaufbaus in Fernost verfielen in einem Preiskrieg die Frachtraten, besonders dramatisch ab dem Jahr 2015 (Kaden 2017) und erzwangen eine massive Konsolidierung. Trotzdem ist Europa ein dominanter Sitz von Reedereien. Seitdem schlitterte nicht nur die große Reederei Hanjin aus Korea, die einst knapp 4 % des Weltmarkts auf sich vereinte, in die Insolvenz. Größte Schiffeigner sind heute Griechenland, Japan und China mit jeweils rund 80 Mrd. US$ an investiertem Schiffskapital (Nicolai 2017). Inzwischen baut Griechenland vor dem Hintergrund der globalen Umweltziele – Gas ist der kohledioxidgünstigste fossile Brennstoff, und die USA versuchen systematisch, die Belieferung Europas durch Russland zu verringern – seine Flüssiggasflotte massiv aus und kontrolliert die Hälfte der globalen Bestellungen des Jahres 2018 (Nicolai 2018). Reedereisitz und Schiffseigentum fallen meist auseinander. Das hatte Konsequenzen: Als Piraten am Horn von Afrika zunehmend die freie Seefahrt bedrohten, sah sich Deutschland auch bei deutschen Schiffen meist nicht zuständig, fuhren diese doch unter ausländischer Flagge. Zur Sicherung der Handelswege wurde ein Mandat der EU geschaffen – die Marine-Mission Atalanta. Inzwischen entwickelt sich auch der Golf von Guinea zu einem Schwerpunkt der Piraterie, nachdem viele Reedereien Afrika umfahren und nicht mehr den Weg durch den Suezkanal nehmen. Wie strategisch relevant die Bedeutung freier Seewege und der funktionierenden Schifffahrt ist, sieht man am Fall der oben bereits erwähnten Insolvenz der Reederei Hanjin im Sommer 2016 als Folge eines Preiskriegs der Reedereien infolge von Überkapazitäten – was auch den Kooperations- bzw. Fusionsdruck erklärt. Der auf ihren
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
453
Tab. 6.2 Rangfolge der Containerhäfen nach Umschlagswert, 2012 Containerhafenstadt/Land
Mrd. US$
Containerhafenstadt/Land
Mrd. US$
Shanghai/China
32,5
Guangzhou/China
14,7
Singapur/Singapur
31,6
Qingdao/China
14,5
Hongkong/China
23,1
Los Angeles - Long Beach/USA
14,1
Shengzhen/China
22,9
Dubai/VAE
13,3
Busan/Südkorea
17,0
Ningbo/China
16,8
Hamburg/Deutschland
8,9
Quelle: eigene Darstellung aus Süddeutsche Zeitung (2013e) und WTO
Schiffen gebundene Warenwert lag bei etwa 14,5 Mrd. US$. Vor allem kleine Unternehmen, die nicht schnell ausweichen können, wurden durch das Fehlen notwendiger Lieferungen existentiell gefährdet, weil kein Hafen die Schiffe einlaufen ließ und betankte in Sorge, die Rechnungen nicht beglichen zu bekommen (Börsen-Zeitung 2016e). Neben den Transportkapazitäten sind die Handelswege als „Lebensadern der Wirtschaft“ – von großer Bedeutung. Aufmerksamkeit hat Chinas Plan erweckt, parallel zum Panama-Kanal einen Kanal durch Nicaragua zu bauen, der dann Schiffe mit bis zu 25.000 Standardcontainern fassen könnte – das liegt mehr als ein Viertel oberhalb der Kapazität der größten gegenwärtig vorhandenen Containerschiffe und beim Doppelten der Durchfahrtgröße des Panama-Kanals nach abgeschlossener Überholung im Jahr 2016. China ist auch tätig, seine Abhängigkeit von der Durchfahrt durch die Enge von Malakka zu verringern und die Kontrolle über das Südchinesische Meer zu gewinnen. Deshalb meldet es historische Eigentumsansprüche auf Inseln an, die völkerrechtlich inzwischen Ländern wie Vietnam oder den Philippinen zugerechnet werden,12 und versucht, einen direkten Zugang zum Indischen Ozean zu erlangen. In Myanmar baut es (bzw. die chinesische Firma SINOPEC) einen Tiefseehafen auf Mayday Island mit Pipelineverbindung in die Volksrepublik. Die Umarmungspolitik durch die Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB) ergänzt dies, sodass hier der Kampf um Interessensgebiete beginnen dürfte. Die USA werden aller Voraussicht nach versuchen, diese Veränderung der strategischen Lage mit einer Eindämmungspolitik zu verhindern. Die hierin sichtbare Verschiebung der weltweiten Handelsschwerpunkte weg von Europa wird an der Rangfolge der größten Containerhäfen sichtbar, die sich in Tab. 6.2 wiederfindet. Verkehrsinfrastrukturen wie Häfen, Flugplätze, aber auch Schienen- und Straßenwege werden zunehmend zu interessanten Investitionsobjekten, weil sie starken Voraussetzungscharakter besitzen für Markterschließung und Produktivitätswachstum. Gleiches
12Völkerrechtlich scheint dieser Sachverhalt klar gegen China zu sprechen, wäre da nicht die Vielzahl einseitiger Statusveränderungen, welche die internationale Gemeinschaft vorgenommen, erzwungen oder toleriert hat – von der Gründung Israels über die Unabhängigkeit des Kosovo bis hin zur Annexion der Ukraine.
454
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
gilt für digitale Infrastrukturen. Im achten Kapitel wird dies unter räumlichen Gesichtspunkten vertieft und im zehnten und elften Kapitel in den Kontext staatlicher Machtentfaltung und digitaler Beherrschung gestellt.
6.2.8 Fiskalische Stabilität und die Kapitalisierung der Wirtschaft Für einen Staat und ebenso für ein Unternehmen ist im Fall einer Krise die Verfügbarkeit über Finanzmittel, die sogenannten deep pockets, eine wichtige Bedingung für die Fähigkeit, Stabilität aufrechtzuerhalten und die Krise zu meistern. Jede Auseinandersetzung zwischen Unternehmen oder zwischen Staaten bedarf der Finanzierung, weshalb die Solidität der staatlichen Haushaltsführung ebenso bedeutsam ist wie die der Unternehmen. Auf staatlicher Ebene wurde diesem Gesichtspunkt in den Maastricht-Kriterien Rechnung getragen, die die jährliche Verschuldung auf drei Prozent des Staatshaushalts und die Verschuldungsquote auf 60 % der Wirtschaftsleistung begrenzten – allerdings ohne Erfolg, wie die gegenwärtige Krise zeigt. Bei Unternehmen existiert in diesem Sinne keine axiomatische Grenze, allerdings wird diese, abhängig von der Wirtschaftsstruktur, durch Ratingverfahren gesetzt. Aus diesem Grund besitzen unterschiedliche Branchen in unterschiedlichen Ländern auch sehr verschiedene Risikozinsen, die beispielsweise bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen sichtbar werden. Abb. 6.14 dokumentiert, dass es den USA immer wieder gelungen ist, ihre Verschuldung zu senken – und dies vor allem durch Inflation und finanzielle Repression, also zulasten der Geldvermögen, aber auch durch wirtschaftliches Wachstum. Die Verschuldung liegt heute auf einem Niveau, das dem nach dem Zweiten Weltkrieg entspricht. Nur solche Länder, die zu Beginn der Krise eine niedrige Schuldenquote aufwiesen, hatten die Chance, durch Verschuldung eine effiziente Defizitfinanzierung für stabilisierende öffentliche Ausgaben zu leisten und damit auch die finanzielle Repression zu begrenzen. Denn in der Krise führten die privaten Haushalte und Unternehmen ihre
Abb. 6.14 Die langfristige Entwicklung der Verschuldung in den USA und Europa, 1950 bis 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Zentralbanken o. D. c)
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
455
4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0
9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0
Devisenreserven 2017/18
Goldreserven (Tonnen)
Devisenserven (Mrd. US$)
Schuldenquoten nach unten, was gleichbedeutend mit einer dramatischen Verringerung von Ausgaben war, insbesondere von solchen für Investitionen. Individuell war dies rational, verschlimmerte aber im Sinne des Gefangenendilemmas die Depression. Dort, wo Staaten dies ausgleichen konnten, waren die kontraktiven Effekte begrenzt; sonst führten sie zu genau den wirtschaftskriegerischen Zerstörungen, wie die Beispiele Griechenland oder Portugal zeigen. Eine robuste Staatsfinanzierung stellt das Äquivalent zu einer soliden Eigenkapitalbasis im Unternehmen dar. Die Bankenstabilität ist eine wesentliche Fähigkeit, ganz im Sinne der bereits genannten Funktion des Kredits – neben dem Eigenkapital als wesentliches Finanzierungsinstrument von Unternehmen, insbesondere von Innovationen. Infolge der starken Verflechtung muss durch Stresstests, die die Aufsichtsbehörden durchführen und die nach den Erfahrungen der Weltfinanzkrise ab dem Jahr 2008 an Stringenz und in den qualitativen und quantitativen Anforderungen – was gilt als Sicherheit und in welcher Höhe wird es benötigt – zugenommen haben, die Stabilität der Finanzinstitutionen nachgewiesen werden. Ansonsten sollen sie abgewickelt werden bzw. es soll ein bail-in erfolgen, was bedeutet, dass Einlagen als Sicherheiten herangezogen werden. Ziel ist es, bei Krisen gegen die durch die hohe Systemik beförderte Ansteckungsgefahr Puffer aufzubauen. Für einen Staat sind auch seine Devisenvorräte ein wichtiges Kriterium für seine Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen. Damit sind Defizitländer besonders belastet, weil sie im Falle einer Krise Probleme bekommen können, ihre Importe zu bezahlen. Als letzte Hilfe können auch die Goldreserven, die in Krisensituationen gerne am Weltmarkt liquidiert werden, herangezogen werden. Die Abb. 6.15 zeigt den Status der weltweit größten Devisen- und Goldreservenhalter für die Jahre 2017 und 2018; die meisten der Werte blieben bis 2017 weitgehend konstant, nur China hat seine Vorräte um rund
Goldreserven 2018
Abb. 6.15 Die zehn Länder mit den größten Goldreserven und ihre Devisenreserven, 2017/2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018d) und International Monetary, Weltbank)
456
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
100 t aufgestockt. Seine Devisenreserven, die es bis Ende 2015 abgebaut hatte, um seine Währung zu stützen, liegen inzwischen wieder bei über 3 Billionen US-Dollar. Der Ölpreiskrieg ist auch an Russland nicht spurlos vorbeigegangen; hier betrug der Rückgang seit 2014 bis 2015 fast 30 %, wächst aber seitdem wieder und hat Mitte 2017 400 Mrd. US$ überschritten. Seinen Goldvorrat hingegen baut es systematisch auf. Die deutschen Devisenreserven liegen Ende 2017 bei etwa 190 Mrd. US$. Eine weitere wichtige Quelle für die Handlungsfähigkeiten der Staaten sind ihnen verfügbare Investitionsfonds. Das Vermögen einschlägiger Staatsfonds findet sich in Abb. 6.16. Bei Unternehmen haben durch Staatseinfluss oder durch moralischen Druck erzeugte Veränderungen der Finanzströme erhebliche Folgen für ihr Geschäftsmodell. So führt der zunehmende Abzug von Kapital aus den klassischen fossilen Energien dazu, dass in diesen Sektoren notwendige Investitionen unterbleiben und der politisch-moralische Willen quasi über die Finanzmärkte durchgesetzt wird. Begünstigt sind dann Unternehmen und Länder mit hohen technologischen Kapazitäten oder Standortvorteilen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien. Die amerikanischen Fracking-Investitionen haben erst die Unabhängigkeit der USA von Importen erreicht und damit den weltweiten Ölmarkt unter Druck gesetzt, was auch der Absicht, Russland wegen der Ukrainekrise zu strafen, entgegenkam. In den damit ausgelösten Preiskrieg ist schließlich Saudi-Arabien eingestiegen. Inzwischen erodieren dort und in Russland die Staatsfonds, auch Norwegen gerät unter Druck. Für Saudi-Arabien ist ein Defizit von 15 %
People's Bank of China (BoC, CHN)** Bank of Japan (BoJ, JPN)** Government Pensions Investments Fund (GPIF, JPN)** Government Pension Fund - Global (GPF-G, NOR)
Norges Bank Investment Management (NBIM, NOR)** Abu Dhabi Investment Authority (ADIA, UAE) China Investment Corporaon (CIC, CHN) Arab Agricultural Investment and Development (AAAID, SAU)** Kuwait Investment Authority (KIA, KWT) Saudi Arabian Monetary Agency (SAMA, SAU) Central Bank of the Russian Federaon (CBR, RUS)** Swiss Naonal Bank (SNB, CHE)** Hong Kong Monetary Authority Investment Porolio (HK-MAIP; HKG) SAFE Investment Company (SAFE, CHN) Government of Singapore Investment Porolio ( GSIC, SGP) Qatar Investment Authority (QIA, QAT)
Naonal Social Security Fund (NSSF, CHN) Investment Corporaon (IC, UAE) Temasek Holdings (TH, SGP)* 0
1000
2000
3000
4000
Milliarden US$
Abb. 6.16 Verwaltetes Vermögen von Staatsfonds, 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Die Welt (2014b, 2015c), Welt am Sonntag (2017b) und eigene Recherchen (*: Werte für 2015; **: Werte für 2013) – Farben nach Ländergruppen)
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
457
im Staatshaushalt verkraftbar, besitzt es doch rund 600 Mrd. US$ an Währungsreserven; für Russland ist das weit problematischer. Allerdings ist diese Strategie nicht ohne Risiko – ein Bumerangeffekt kann zur eigenen Bedrohung werden: In den USA steht die Fracking-Industrie mit rund 500 Mrd. US$ im Obligo; fallen die Kredite durch Insolvenzen aus, droht die nächste Finanzkrise.
6.2.9 Militärische Fähigkeiten als ultimative „hard power“ Ohne eine industrielle Basis ist es auch nicht möglich, das notwendige militärische Gerät im eigenen Land zu erstellen. Ist man allein von Importen abhängig, wird man leicht erpressbar. Deutlich sieht man an kleinen Staaten wie Israel oder Schweden, dass bestimmte Rüstungsproduktionen als für das Land strategisch wichtig angesehen werden. In Bündnissen werden hingegen oft Aufgabenteilungen festgelegt. Diese liegen teilweise in der Kategorie der Waffensysteme oder stellen außenwirtschaftliche Kompensationen dar: So war historisch der Rüstungsexport der USA in andere NATO-Länder (mit Ausnahme Frankreichs und Großbritanniens) sehr hoch, kompensierte er doch die Stationierungsausgaben, welche sonst massive Leistungsbilanzprobleme ausgelöst hätten. Die deutsche Rüstungsindustrie gilt als leistungsfähig: Im Durchschnitt der fünf Jahre 2009 bis 2013 liegt ihr weltweiter Marktanteil bei rund 7 %; es führen die USA mit 29 % vor Russland mit 27 % (Statistisches Bundesamt 2014). Nicht unerhebliche Teile der Produktion sind mittelständisch organisiert. Nimmt man Unternehmensgrößen als Maßstab, so sind international allerdings die USA führend, wie Tab. 6.3 beleuchtet; in die Betrachtung einzubeziehen ist, dass in der EADS ein wesentlicher Teil der deutschen Waffenindustrie gebündelt ist. Es fällt den Ländern, besonders den demokratischen, immer schwerer, die Rüstungslasten zu stemmen und vor ihren Bevölkerungen zu rechtfertigen. Die hohe Spezifität der Produkte macht sie extrem teuer, die zivile Nutzung (dual use) wird selten vergolten, sodass zunehmend Kooperationen genutzt werden müssen, um Verbundvorteile (vor allem Plattformstrategien) mit Kostendegressionseffekten zu verbinden. Dies ist vor allem für kleinere Länder bedeutsam, die ihre Kräfte bündeln. So nutzen die Armeen der Europäischen Union beispielsweise 33 Panzertypen, die USA nur drei (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018h). Normung und Standardisierung werden zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor. Tatsächlich geht die Normung stark aus der militärischen Vereinheitlichung hervor. Ähnliche Entwicklungen haben der Maschinenbau, der Anlagenbau und aktuell auch der Schienenfahrzeugbau zu bewältigen. Querschnittsanalysen zeigen, dass autokratische Länder hohe Rüstungsausgaben haben, bei demokratischen Ländern dominieren solche, die eine Präsidialverfassung besitzen. Weiterhin sind absehbare Konflikte ein wichtiger Treiber der Ausgaben. Linke Regierungen und die Repräsentanz von Frauen in den Entscheidungsgremien reduzieren
458
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Tab. 6.3 Weltweite Rüstungsunternehmen nach Umsatz im Rüstungsgeschäft, 2015 Rang
Name
Wichtige Produkte
Umsatz (Mrd. US-Dollar)
1
Lockheed Martin (USA)
Flugzeuge, Waffensysteme
36,6
2
Boeing (USA)
Flugzeuge, Waffensysteme
28,0
3
BAE Systems (GBR)
Flugzeuge, Waffensysteme
25,5
4
Raytheon (USA)
Abwehrraketen
21,8
5
Northrop Grumman (USA)
Flugzeuge, Waffensysteme
20,1
6
General Dynamics (USA)
Schiffe, Waffensysteme
19,2
7
Airbus (DEU/FRA)
Flugzeuge, Waffensysteme
12,9
8
Finmeccanica (ITA)
Flugzeuge, Hubschrauber
9,3
9
L-3 Communications (USA)
Kommunikationssysteme*
8,8
10
United Technologies (USA)
Hubschrauber, Turbinen
9,5
11
Thales (FRA)
Flugzeuge, Waffensysteme
Rheinmetall (DEU)
Panzer, Waffen*
3,0
Kraus-Maffei-Wegmann (DEU)
Panzer*
2,1
Thyssen-Krupp – HDW (DEU)
Schiffe, U-Boote*
1,7
Diehl (DEU)
Munition*
1,4
Weitere, nicht eingeordnete Unternehmen Halliburton (USA)
Techn. Dienstleister
Rolls-Royce (GBR)
Motoren, Turbinen
Snecma (FRA)
Turbinen
Titan (FRA)
Waffensysteme
Saab (SWE)
Flugzeuge, Waffensysteme
Quelle: eigene Darstellung aus Handelsblatt (2017a, Zeilen 1–11), alle übrigen Daten: SIPRI (o. D.) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (2013a) * Zahlen für 2011.
diese Ausgaben (Nordhaus, Oneal, Russet 2012; Whitten und Williams 2011; Blum J. 2017). Der Wille (und die Notwendigkeit) zum Angriff, zur Verteidigung und zur Macht drückt sich u. a. im Anteil der Militärausgaben an der Wirtschaftsleistung aus, die in Abb. 6.17 wiedergegeben sind und die auch als klares Signal – beispielsweise für die Freiheit der Meere oder das Durchsetzen von Marktzugängen – zu deuten sind. Dabei ist es sehr schwer, die Gesamtausgaben genau zu erfassen, weil sie oft in anderen Etats versteckt sind. Zudem werden Naturalsteuern in Form der Wehrpflicht oder extrem stark gekaderten Armeen, beispielsweise in der Schweiz, nicht klar bilanziert, was Berufsarmeen scheinbar teurer erscheinen lässt. Veränderungen der Rüstungsausgaben können als sehr klare Signale – auch wirtschaftspolitisch – angesehen werden, wie das
6.2 Fähigkeiten und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
459
Abb. 6.17 Militärbudget als Anteil der Wirtschaftsleistung, 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Statistisches Bundesamt (2016) und NATO – Farben nach Bündnissen)
eispiel China zeigt.13 Peer Steinbrück (2009) brachte die reale Bedeutung potentieller B Abschreckung humorvoll in seiner Bemerkung zum Steuerstreit mit der Schweiz und der Existenz einer schwarzen Sünderliste auf den Punkt: „Dass eine solche Liste erarbeitet werden könnte, (…) ist umgangssprachlich formuliert, die siebte Kavallerie im Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann. Aber die muss nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt.“ Aber auch andere Länder rüsten auf, um Signale als ernstzunehmende Regionalmacht zu stärken. Das betrifft beispielsweise Brasilien oder Saudi-Arabien. Wie die historische Erfahrung lehrt, können vom Westen dabei im Sinne des Aufbaus von Stabilitätsankern unterstütze Länder politisch sehr plötzlich kippen: der Iran oder Pakistan sind deutliche Beispiele. Insofern muss die Weltgemeinschaft der Gefahr einer massiven Verschiebung der Kräftegleichgewichte ins Auge sehen, auch vor dem Hintergrund des nachlassenden Willens der USA, als weltweite Ordnungsmacht aufzutreten, zumal sie hier in jüngster Zeit nicht nur militärisch, sondern auch moralisch den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurden. Eine Übersicht der größten Rüstungsexporteure enthält Abb. 6.18. Abb. 6.19
13Das
sieht man an China: Ganz in der Tradition seines großen Seefahrers Zheng He erhebt es den Anspruch, zumindest eine regionale Ordnungsmacht zu sein und sich damit auch den territorialen Bestand, der ihm durch eine 600-jährige Schwächephase verlorenging, erneut zu sichern. Eine geschichtliche Darstellung findet sich bei Gavin Menzies (2004), der in seinem Buch 1421: The Year China Discovered the World die Reisen der Flotte detailliert beschreibt. Es ist aber wissenschaftlich umstritten.
460
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Vereinigte Staaten Russland Frankreich Deutschland China Großbritannien Spanien Israel Italien Niederlande 0
10
2008-2012
20 Milliarden US$
30
40
2013-2017
Abb. 6.18 Die weltweit größten Rüstungsexporteure. (Quelle: eigene Darstellung; Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018b), Sipri o. D.) 3.000.000
500.000
450.000 400.000 350.000
2.000.000
300.000 250.000
1.500.000
200.000
1.000.000
150.000
100.000
500.000
US$ je Person
Anzahl der Personen
2.500.000
50.000 0 Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Kroaen Leland Litauen Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Rumänien Schweden Schweiz Serbien Slowakei Slowenien Spanien Tschechische Republik Ungarn Vereinigtes Königreich Europa China Russland USA
0
Personal im Militär
US-$/Person
Abb. 6.19 Rüstungsanstrengungen in Europa und der Großmächte, 2016. (Quelle: eigene Darstellung Weltbank (2015a), Sipri o. D.)
zeigt die Rüstungsanstrengungen in Europa und im Vergleich hierzu die Chinas, Russlands und der USA im Jahr 2016. Deutlich wird, dass allein die USA eine schlagkräftige Kombination aus Personalstärke und Aufwand pro Soldaten besitzen. Dies ist nicht nur eine Frage der Lohnniveaus: Die Niederlande geben pro Militärperson mit 220.000 US$ fast das Doppelte des benachbarten Belgiens aus; Spitzenreiter in Europa ist das Vereinigte Königreich mit über 320.000 US$.
6.3 Bereitschaften und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg
461
Inwieweit Nuklearkapazitäten für das Durchsetzen wirtschaftlicher Ansprüche relevant sind, ist nicht einfach zu beantworten. Historisch war das Gleichgewicht des Schreckens durch die USA und die Sowjetunion (ab 1945 bzw. 1949) und später England (ab 1953) sowie China und Frankreich (ab 1964) und Israel (vermutlich ab 1967) die Voraussetzung für den Systemkrieg. Durch die später hinzugekommenen Nuklearkapazitäten [zeitweise Südafrika, dann einige der Nachfolgestaaten der Sowjetunion wie die Ukraine, Weißrussland und Kasachstan (1991 bis 1995/1996) sowie Indien, Pakistan (seit 1998) und Nordkorea (vermutlich seit 2013)] ist inzwischen eine prekäre Lage entstanden.14 Zugleich gibt es viele Länder, die extrem kurzfristig Nuklearwaffen entwickeln könnten, wenn die Bedrohungslage es erfordert; dazu zählen alle größeren europäischen Staaten, aber auch Japan, Südkorea oder Australien, möglicherweise auch Indonesien, die bisher auf die Entwicklung vertraglich verzichtet haben. Gerade Nordkorea und vordem der Iran zeigen, dass hier ein erhebliches Druckpotential existiert, um ein wirtschaftliches und politisches Überleben zu erpressen.
6.3 Bereitschaften und ihre Bedeutung im Wirtschaftskrieg Bei gegebenen Fähigkeiten stellt sich die Frage, ob die politische Organisation eines Lands oder das Führungssystem eines Unternehmens in der Lage ist, die gestellten Anforderungen zu den vorhandenen Fähigkeiten zielgerichtet in Bezug zu setzen. Diese Problemstellung ist im Wesentlichen mit der institutionellen Aufstellung eines Staats oder eines Unternehmens verbunden; die wichtigsten Punkte wurden daher bereits in den vorangegangenen Kapiteln angesprochen. Im militärischen Bereich verändert im einfachsten Fall die Mobilmachung, welche die Fähigkeiten bereitstellt, die Gleichgewichtslage fundamental. In einem hybriden Krieg bzw. in einem Wirtschaftskrieg entspricht das dem Schaffen institutioneller Voraussetzungen, um in einen Konflikt einzusteigen, beispielsweise durch die erforderliche Gesetzgebung, die Boykotte vorsieht, oder den Aufbau einer Kriegskasse, sollen Unternehmen feindlich übernommen werden. Hierdurch erwächst die Möglichkeit, kurzfristig loszuschlagen; allerdings gibt die Mobilisierung selbst auch dem Gegner eine Vorwarnzeit. Zwei Aspekte erscheinen im Kontext des Wirtschaftskriegs im Sinne der soft power als besonders diskussionswürdig: der institutionelle Rahmen und die Rolle des Unternehmertums (Entrepreneurship).
6.3.1 Institutionelle Organisation von Staat und Unternehmen Weder im militärischen noch im wirtschaftlichen Bereich ist es möglich, ohne Vorbereitung aus dem Stand anzugreifen; immer gibt es eine Vorwarnung, die sich aus
14Vgl. auch Economist (2015a), der die zeitlichen Abläufe im Beitrag The New Nuclear Age dokumentierte.
462
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
der Abfolge erster Zeichen, dann der Kennung, schließlich dem Alarm und dann dem Angriff ergibt. Im militärischen Bereich ist Kennung entscheidend: Ein einfliegendes Zivilflugzeug könnte die Folge irrtümlichen Handelns, aber auch die Tarnung für einen versteckten Nuklearangriff sein, weshalb die richtige Interpretation schwacher Signale zentral für den Entscheidungsprozess ist – gegebenenfalls für das Auslösen des Alarms und die Mobilisierung.15 Im Kontext des Systemwettbewerbs wird die strategische Beweglichkeit und Entscheidungsfähigkeit der gelenkten Demokratien bzw. autoritären Schwellenländer im Gegensatz zu den westlichen Demokratien häufig als Vorteil hervorgehoben. Allerdings fallen dabei meist die damit verbundenen sozialen Kosten aus der Betrachtung heraus. Demokratien haben mit Sicherheit große Probleme, strategische Ziele zu avisieren und dabei einen Grundkonsens zu finden, der über eine Wahlperiode hinausreicht. Der Wille zur Realisierung der Ziele wird hier noch gar nicht angesprochen. Unternehmen fällt das scheinbar leichter, sie unterliegen aber dennoch institutionellen Bindungskräften, beispielsweise wechselnden Eigentümerstrukturen und Mitbestimmungsregeln bei großen Publikumsgesellschaften, weshalb besonders mittelständische Unternehmen hier strategische Vorteile haben – das Prinzipal-Agent-Problem existiert meist nicht auf der Führungsebene. Friedrich August von Hayek (1945) betonte, dass zentrale Entscheidungssysteme immer vor großen Risiken stehen, weil sie nur Teile der Informationen verarbeiten können – wäre das anders, hätten die staatlich organisierten Zentralverwaltungswirtschaften sozialistischer oder kommunistischer Prägung als dominante Erfolgsmodelle im Systemwettbewerb obsiegt; er nennt das „Anmaßen von Wissen“, das tatsächlich nicht verfügbar ist. Denn tatsächlich ist das Informationssystem in der Marktwirtschaft ebenfalls wie ein Markt gestaltet, sodass sich, wenn keine Manipulationen auftreten, die wahre Information dauerhaft durchsetzt, also zu Wissen wird.16 Gleichermaßen gilt aber auch, dass sich autoritäre Systeme leichter einer strategischen Industriepolitik bedienen können, um ihre Ziele, beispielsweise die Dominanz in bestimmten Sektoren zu erringen, durchzusetzen – und dabei die Strukturen der Konkurrenz billigend zerstören. Das ist insbesondere dann erfolgreich, wenn dabei ein Technologiepfad genutzt wird, der weltweit dominant und leistungsfähig ist.
6.3.2 Führung in der Wirtschaft: Die Bedeutung des Unternehmertums Modernes Unternehmertum ist mit der Vorstellung von der Freiheit des Individuums verbunden. Diese fand im ausgehenden Mittelalter, besonders in Städten, eine verstärkte 15Man
denke einerseits an die Landung von Mathias Rust am 28. Mai 1987 auf dem Roten Platz in Moskau, andererseits den Abschuss der Maschinen der Korean Air durch die russische Luftverteidigung am 7. September 2010. 16Das ist der Grund für das harte Vorgehen der Börsenaufsicht gegenüber Kursmanipulationen.
6.4 Der Wille zum Erfolg
463
Resonanz (im Gegensatz zum eher kollektivistisch organisierten System der Grundherrschaft). Waren den Christen vormals die unehrlichen Berufe, insbesondere das Ausleihen von Geld gegen Zins, verboten (kanonisches Zinsverbot), so entstand später ausgehend von den oberitalienischen Städten, vor allem Venedig und Florenz, ein weitgespanntes Bankensystem, für das die Dynastie der Medici bekannt ist, und ein den Handel begünstigendes System des Geldtausches und Geldverleihs. Es bildeten sich städtische Kaufmannsgeschlechter (königliche Kaufleute) heraus, die zum Teil bis heute ihre Bedeutung nicht verloren haben, also das, was Werner Sombart als „kapitalistischen Geist“ bezeichnete. Analog prägte Joseph Schumpeter (1912) die schöpferische Zerstörung durch den innovativen Unternehmer, der die Strukturen einer (vordem zunächst) stationären Wirtschaft aufbricht. Diese schöpferische Zerstörung ist, um zur vollen Wirkung zu kommen, darauf angewiesen, dass der durch die Zerstörung beschädigte Produktionsfaktor in den neuen Verwendungen eine erhöhte Produktivität entfalten kann. Wird dies verhindert, beispielsweise weil Faktorwanderungen im Rahmen von Sozialpolitik unterbunden werden oder durch zentrale Planung Märkte beschränkt sind, dann ist Misserfolg zwangsläufig. Faktisch führt dann der Staat einen regulatorischen Wirtschaftskrieg gegen seine Unternehmer. Ingo Pies (2013) zeigt deutlich die Veränderung des theoretischen Dogmas bei Joseph Schumpeter, der sich zunehmend vom personalen Unternehmer abwendet und das Unternehmen, auch in seinen kapitalistischen Großformen, adressiert. Bereits in seinem Werk über Die Krise des Steuerstaates (1918) postulierte Joseph Schumpeter, dass die kapitalistische Ordnung an ihren Erfolgen zusammenbrechen werde: Nicht der Markt der vielen kleinen konkurrierenden Anbieter, sondern die Konzentration wirtschaftlicher Macht mit der Möglichkeit eines hohen Produktivitäts- und Technologiefortschritts gewährleiste ein hohes Konsum- und Wohlstandsniveau – Schumpeter stand den Monopolen daher aufgeschlossen gegenüber. Dies wird später in seinem Werk über Business Cycles (1939) ausformuliert. Seinen Niederschlag findet das heute in der Kontinuität von Innovationen, die in Großunternehmen durch langfristige Planung möglich sind.
6.4 Der Wille zum Erfolg Fähigkeiten eröffnen Potentiale, die durch lageangepasste Bereitschaften konkretisiert werden; sie eröffnen Handlungsmöglichkeiten, die das Gewollte, also das zu erreichende Ziel, fokussieren. Abschließend steht somit im Sinne der Zielvorgabe der Wille zum Erfolg, militärisch level of ambition, im Zentrum der Betrachtung. Welche Eigenschaften sind erforderlich, um unter den Bedingungen von VUKA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) zu führen, Fehler erster Art (eine Hypothese wird abgelehnt, obwohl sie korrekt ist) und zweiter Art (eine Hypothese wird angenommen, obwohl sie falsch ist) zu vermeiden – denn es kommen entsprechend der wundersamen Dreifaltigkeit von Carl von Clausewitz hier Rationalität und Unsicherheit zusammen. Tilmann
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Gerhardt und Jens Riedel (2013) behaupten in ihrem Beitrag Auf der Suche nach verborgenen Schätzen, dass der intelligente Umgang mit VUKA (künftige) Führungskräfte besonders auszeichnet, weil zu ihrer Bewältigung Neugier, ganzheitliches Denken, Überzeugungskraft und Entschlossenheit erforderlich sind. Fokussierung auf die eigene Agenda bzw. im Falle einer kooperativen Erarbeitung: der zu eigen gemachten Agenda, Eigenmotivation, Durchhaltevermögen sowie Planung und Entwickeln von Perspektive sind zentral. Abgerundet wird dies durch (den Willen zur) Letztverantwortung – die unteilbar mit der Führungsaufgabe verbunden ist. Damit rückt das, was im Militärischen als „Führung mit Auftrag“ bzw. „Auftragstaktik“ bezeichnet wird, in den Vordergrund, was im siebten Kapitel thematisiert wird. Weiterhin müssen Ziele in den Überzeugungen der Handlungsträger tief verankert sein, um den Willen zur Umsetzung abzusichern; in der Öffentlichkeit wird das im mentalen Trainingsprogramm von Sportlern sichtbar, denen es ein „Sieger-Mem“ einzupflanzen gilt. Häufig ist aber auch eine kulturelle und/oder emotionale Basis wichtig. Man sieht das deutlich an im Wirtschaftskrieg schlagkräftigen Unternehmen, die intern starke Bindungskräfte pflegen.
6.4.1 Vision und Motivation: Ideale und Ideologien Die Bindungskraft kann im einfachsten Fall ein Ideal, eine Idee oder sogar eine Ideologie sein; in Erweiterung des Ansatzes von Torben Lütjen (2012) stehen folgende vier konstitutiven Eigenschaften im Vordergrund: 1. Das Austarieren des Spannungsfelds von hinreichender Konkretisierung und notwendiger Abstraktion, das durch die Vision geschieht. Allerdings sind Visionen ohne Fähigkeiten reine Träumerei – es bedarf mehr. 2. Das Einbetten in eine abstrakte politische Idee, die mit einer unmittelbaren Handlungsanleitung ausgestattet ist, welche die Welt verändern kann; diese soll hier als Mission bezeichnet werden. 3. Das Zuordnen eines Narrativs zu dieser Idee, aus dem die historische Aufgabe der Protagonisten unmittelbar abzuleiten ist; dies stellt die Passion dar. 4. Das Verorten und Erden dieser Idee in klar definierten sozialen Lebenswelten17, aus denen konkrete Anweisungen für die richtige Lebensgestaltung folgen, die weit über eine konkrete Politik hinausgehen; dies wird hier als Rezeption bezeichnet.
17Jürgen
Habermas (1981, 1988) unterscheidet drei Erscheinungsformen, die alle stark mit dem Wirtschaftssystem verbunden sind, nämlich der allgemein in der Kultur verfügbare Wissensvorrat, die Gesellschaft als Ausdruck legitimer institutioneller Arrangements und die Persönlichkeit als Ausdruck von Kompetenzen.
6.4 Der Wille zum Erfolg
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Vor der Mission steht meist die Vision; deren zu starke Konkretisierung erzeugt Inflexibilität und stützt die Aussage, Visionen seien für Irre; ein zu hoher Abstraktionsgrad verhindert das Vermitteln der Idee und kann sogar in Beliebigkeit ausarten. Oft ist die Vision bereits Teil des mission statements. Die Passion, also die Geschichte eines zum Erfüllen der Idee erbrachten Opfers, stützt das Narrativ, also die in einem gewissen Maße philosophisch angehauchte (Erfolgs-) Geschichte, die um des Erfolgs willen erzählt wird; dazu ist es für die Führungspersönlichkeit essentiell, die Vision zu teilen – ganz im Sinne des Führungsgedankens, Dritte für eigene Ideen zu gewinnen. So muss sie Eigenschaften vereinen, die mit denen eines Dirigenten vergleichbar sind: Motivation, Instrumente, Raum, Zeit und Information als Definition des Führungsprozesses sind in diesem Bild besonders manifest. Dieser Vierklang aus Vision, Mission, Passion und Rezeption ist wichtig für die Durchsetzungsfähigkeit von Ideen. Er gilt auch für einen ordnungsökonomischen Entwurf wie die Soziale Marktwirtschaft, nämlich die Idee der Freiheit und damit das Verwirklichen offener Märkte infolge der Tragödie des Nationalsozialismus, der auch durch die Kartellierung der Wirtschaft begünstigt war, und der auf den fruchtbaren Boden einer Bevölkerung fiel, die weitgehend der katholischen und evangelischen Soziallehre verbunden war. Daraus entstand das, was man als menschenwürdige Wirtschaftsordnung bezeichnen kann. In der Tat kann die Soziale Marktwirtschaft damit auf Traditionslinien zurückgeführt werden. Auch das Ideal der Freiheit, die es zu verteidigen lohnt, ist in einen solchen Vierklang einzuordnen. Gleichermaßen stehen die Gegner einer solchen freiheitlichen Ordnung vor der Notwendigkeit, genau diese Gegnerschaft ideologisch zu begründen, um damit ein Aggressionspotential zu erzeugen. Dies zeigt die Grenzen einer ideologiefreien Wissenschaft, vor allem einer Wirtschaftspolitik oder Sicherheitspolitik jenseits von tragenden Idealen, auf und setzt auch der Ideologiefreiheit der Bürokratie im Sinne von Max Weber (1922) Grenzen. Denn tatsächlich steht im Hintergrund des ordnungsökonomischen Entwurfs die Verschränkung des Politischen mit dem Ökonomischen, auch im Sinne des Wettbewerbs als Erosion von wirtschaftlicher Macht, weshalb offene Märkte in einer freien Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind.18 Bereits Francis Bacon (1562–1626) führt in seinem Novum Organum (1620) aus, dass Wissensentstehung kein rationaler Prozess ist. Tatsächlich sind Ideologie und Wissensentstehung miteinander verbunden und erzeugen das, was als Realität angesehen wird, weshalb immer zu prüfen ist, in welchem impliziten Rahmen sich Wissen und Ideologie bewegen. Der Erfolg von Vision, Mission, Passion und Rezeption basiert, wie die Ausführungen zeigen, zunächst auf einer Niederlage. Tatsächlich existiert eine zeitliche Dialektik des tragischen Helden, dessen Untergang nicht vergeblich ist. Der Verlierer kommt später 18Man beachte, dass die biblische Passionsgeschichte tatsächlich diese vier Elemente deutlich ausfüllt. Auch die marktwirtschaftliche Revolution Chinas unter Deng Xiaoping folgt dem Muster einer entkolonialisierten Gesellschaft (Vision), der konkreten Befreiung (Mission), der Leidensgeschichte, insbesondere dem Langen Marsch (Passion) und die Rezeption der chinesischen Version des Kommunismus in den philosophischen Traditionslinien des Konfuzianismus.
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
– posthum – wieder zu Ehren, weil er etwas Übermenschliches geleistet hat, die Opfer waren nicht umsonst, weil sie sozialen Kitt erzeugten, Bevölkerungen dadurch reiften, aber auch Traumata entwickelten, wenn keine Läuterung eintrat – man denke nur an das Versailles- und Inflationstrauma der Deutschen. In seinem Buch The Terrorist’s Dilemma: Managing Violent Covert Organizations benennt Jacob Shapiro (2013, S. 19–20; S. 26–62) mehrere Problemstellungen, die auch für den im siebten Kapitel thematisierten benannten Führungsprozess im Wirtschaftskrieg einen interessanten Analyserahmen darstellen. Insbesondere im Nachgang der Finanzkrise wurden häufig das Führungsverhalten und die Führungsziele als gesellschaftlich unverantwortlich benannt, was ebenfalls im Kontext des Terrorismus geschieht: • Systemrationalität: Tatsächlich sind terroristische Organisationen, auch wenn sie emotional aufgeladene Ziele verfolgen, auf der Ebene der Operationen durchaus rational, insbesondere auch im Hinblick auf ihr Führungs- und Entlohnungssystem im Sinne der Prinzipal-Agent-Theorie. Die beginnt bei ihrem Entlohnungssystem – bis hin zur Versorgung von Hinterbliebenen im Falle von Selbstmordattentätern. Loyalität besitzt eine wesentliche Bedeutung für den Erfolg, weshalb die Vergütungen die outside options im Sinne von Albert Hirschmans (1970) exit-voice reflektieren. Führungsentscheidungen unterliegen einer Mittel-Ziel-Abwägung wie im üblichen Führungsprozess, es werden die verschiedenen Optionen betrachtet und bewertet sowie auch die indirekten Folgen erfasst. • Divergente Präferenzen: Infolge der geheimbündlerischen Natur der Führungsstruktur existiert selten eine interne Entscheidungstransparenz, ganz zu schweigen von einer begrenzten Öffentlichkeit. Insofern ergibt sich ein dauerhafter Konflikt über zwei Themen: den Mitteleinsatz und die Wahl der Operationen bzw. der Taktik. Dies ähnelt der Führungsproblematik im Wirtschaftskrieg, weil – wie die Beispiele der Finanzkrise verdeutlichen, genau hierdurch Transparenz nicht möglich war – eine großangelegte Spekulation lässt sich nicht am Marktplatz bereden – und damit regulatorische Kontrolle versagen musste. • Sicherheit vs. Effizienz und Kontrolle: Die Bewältigung dieses Dilemmas ist entscheidend für das Überleben des Systems. Denn im Sinne des Prinzipal-Agent-Problems weiß der Vorgesetzte nicht, ob Ziele durch Hingabe oder glückliche Umstände erreicht wurden. Erfolg wird damit zu einer Frage der Bereitschaft zur Gewalt, zum Durchsetzen der Ziele, der Systemunsicherheit, der Kohärenz der Gruppe, insbesondere ihrer Führung und schließlich zum Sicherheitsdruck von außen. Insbesondere der gemeinsame Kitt, also das Narrativ, ist für den Zusammenhalt essentiell. Im Wirtschaftskrieg sind dies die institutionelle Stärke und Reputation der Regulierungseinrichtung, beispielsweise der Zentralbank oder der Wettbewerbsbehörde, die beispielsweise durch Finanzinnovationen ausgehebelt werden sollen.
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
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6.4.2 Umsetzung: die nationale Wirtschafts- und Sicherheitsstrategie Es ist kaum möglich, die strategische Verknüpfung von Human- und Sachkapital unter dem Gesichtspunkt einer nationalen Aufbaustrategie zu diskutieren, ohne bei Friedrich List (1841) zu beginnen. Er gründete im Jahr 1819 den Handels- und Gewerbeverein, um die 38 deutschen Zollsysteme zu überwinden: „Nur alsdann werden die Völker den höchsten Grad physischen Wohlstandes erreichen, wenn sie allgemeinen, freien, unbeschränkten Handelsverkehr unter sich festsetzen.“ 1828 schloss Preußen mit dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt ein Zollabkommen. Diese Politik zielte darauf ab, ein einheitliches preußisches Zollgebiet aufzubauen. Sie war imperialistisch, weil Preußen sich mit Rücksichtslosigkeit nichtpreußische Teile des Deutschen Bundes einverleibte. Sie war merkantilistisch, weil sie hierzu Mittel der Zollpolitik einsetzte. Sie war aufgrund der diese Politik tragenden Idee vom Nationalstaat nationalistisch und sie war liberal, weil sie den Handel durch niedrige Einfuhrzölle und den Wegfall der meisten Binnenzölle beleben wollte und, um der Stützung der Produktion willen, von Einfuhrzöllen auf Rohstoffe absah. Dieser Verbindung scheinbar widersprüchlicher wirtschaftspolitischer Instrumente ist typisch für gelungene Aufbauoperationen. Im Sinne klarer Signale aus einer hard-power heraus benötigt jede nationale Wirtschaftsstrategie auch eine ergänzende Sicherheits- und damit Militärstrategie. Demokratien tun sich durchaus schwer damit, die erforderlichen Verteidigungsausgaben zu schultern, wie Johannes Blum (2017) in Defense Burden and the Effect of Democracy: Evidence from a Spatial Panel Analysis auf Basis einer breit angelegten Studie über 98 Länder und 17 Jahre zeigt. Treiber der Verteidigungsausgaben sind Nachbarschaftseffekte, die auch konkrete Bedrohungslagen einer Region erfassen, und die Position in der Handelskette – Importländer leben offensichtlich in dem Bewusstsein, verstärkt ihre Lieferketten sichern zu müssen. Chinas Ausbau seiner Marinekapazitäten muss als Zeichen der Sicherung seiner Handelswege – auch angesichts einer nachlassenden Bereitschaft der USA, internationaler Ordnungsgarant zu sein – angesehen werden.
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess Wettbewerb als ökonomische Ausgestaltung von Rivalität wurde im zweiten Kapitel als Abfolge aus Innovation und Übergang von Marktanteilen von den Unterlassern an die Unternehmer definiert. Die Anzahl der Anbieter, die von ihnen verwendete Technologie und die Größe des Marktes sind von erheblicher Bedeutung für die Qualität des Wettbewerbs. Die damit verbundenen Wettbewerbsformen unterscheiden sich nach dem Grad der Interdependenz zwischen den Anbietern sowie in der Fähigkeit, Marktmacht auszuüben. Letztere wird oft mittels der Differentialrente definiert, also der Möglichkeit, Preise oberhalb der Identität von Grenzkosten und Preis zu nehmen. Die mit erhöhter Marktmacht verbundene Wettbewerbsintensität drückt aus, mit welcher Geschwindigkeit Vorsprungsgewinne, die oft durch Innovationen begründet werden, erodieren.
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
6.5.1 Rivale Wettbewerbslagen und ökonomischer Frieden Maximale Marktmacht existiert im Monopol, einer Angebotsform, die jedes Unternehmen gerne – notfalls durch Wirtschaftskrieg – erringen will. Tatsächlich ist das Monopol das Ziel des Wirtschaftskriegs! Nur ein Unternehmen versorgt den gesamten Markt. Da der Monopolist entweder Preise oder Mengen setzen und sich die Nachfrage nur anpassen kann, wird er versuchen, einen maximalen Gewinn zu erzielen, was durch überhöhte Preise und eine erheblich verminderte Angebotsmenge zu beträchtlichen volkswirtschaftlichen Kosten führt. Die Existenz bzw. Stabilität eines Monopols ist an zwei Bedingungen geknüpft, nämlich entweder an die Fähigkeit, durch eine entsprechende Abschirmung von Konkurrenz die Wettbewerber vom Markt fernzuhalten, beispielsweise auch durch die Unterstützung von staatlichen Einrichtungen, was eine Folge von rent-seeking sein kann. Alternativ kann ein natürliches Monopol vorliegen, weil bezogen auf die Technologie nur ein einziger Anbieter in dem Markt kostendeckend arbeiten kann. Üblicherweise wird dann dieses Monopol reguliert, um das Abschöpfen überhöhter Profite zu verhindern. Keine Marktmacht existiert hingegen im Polypol, einer Marktform, in der sich viele Anbieter und viele Nachfrager mit einem homogenen Gut gegenüberstehen. Hier kann der einzelne Hersteller die Preise nicht beeinflussen, er fungiert als reiner Mengenanpasser. In einer solchen Lage werden die Anbieter alles tun, sich vom Mitbewerber abzusetzen, um somit Preisgestaltungsspielräume zu gewinnen. Dies erfolgt üblicherweise durch unterschiedliche Produktsortimente oder Variationen bei den Produkt- oder Servicequalitäten, einem Feld, welches im Rahmen des Marketing-Mix betrachtet wird. Das Polypol ist im Sinne der Herrschaftsfreiheit anarchisch – das ist der vollkommene Wirtschaftsfrieden. Im oligopolistischen Wettbewerb existiert eine erhebliche Interdependenz unter den Anbietern, die Marktmacht beschränken kann. Vor allem ist die Transparenz sehr hoch und nimmt mit der Enge des Markts, also der Zahl der Hersteller, meist zu. Man unterscheidet den Mengenwettbewerb, der durch das Cournotsche Modell erfasst wird, innerhalb dessen sich mehr oder minder gleichgewichtige Partner den Markt aufteilen, oder durch das Stackelberg-Modell beschrieben wird, in welchem ein Marktführer, meist der zuerst in den Markt Eintretende, einen Großteil der Nachfrage bedient und dem Verfolger nur eine Restnachfrage überlässt. Auch hier können wie beim Monopol überhöhte Gewinne zulasten der Absatzmenge vereinnahmt werden. Im Stackelberg-Fall könnten beide durch Absprachen ihren Gewinn erhöhen, wenn das kleinere auf Kosten des größeren Unternehmens wächst. Wenn aber keine Produktionsflexibilität für derartige Arrangements gegeben ist, wird dieses gemeinsame Optimum nicht erreicht und es gelingt nicht, den Gesamtgewinn zu steigern. Im Spence-Dixit-Modell (Dixit 1980) wird das Unvermögen, nach Markteintritt eine Umverteilung der Produktionsmengen mit dem Ziel einer kollusiven Gewinnerhöhung durchzuführen, damit erklärt, dass bereits vor dem Markteintritt eine irreversible Festlegung der Kapazitäten erfolgen muss, die dann während des Wettbewerbs nicht mehr revidiert werden kann. Abb. 6.20 fasst die Wettbewerbsformen zusammen und stellt die wechselseitigen Beziehungen her.
469
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
Reines Cournot-Monopol
Monopol
Natürliches Monopol Monopolistische Konkurrenz
Cournot-(Mengen-) Oligopol
Oligopol
Stackelberg-(Mengen-) Oligopol Bertrand-(Preis-) Oligopol Bertrand (Preis-) Oligopol mit Produktdifferenzierung
Polypol
Vollständige Konkurrenz
Entscheidungsvariablen Verhaltensmodelle Angebotsmenge gegeben Angebotspreis gegeben
RamseyPreise
Webewerbsmodell
Oligopol. Interdependenz oder Kollusion
Marktstruktur
Angebotsmenge gegeben Preisdiskriminierung Angebotspreis gegeben
Preis als Datum
Abb. 6.20 Überblick über die Wettbewerbsformen. (Quelle: eigene Darstellung)
Eigentlich dürfte das Cournot-Monopol nicht stabil sein, denn einem Unternehmen, das kleinste Preissenkungen vornimmt, müsste bei homogenen Produkten der gesamte Markt zufließen und es ergäbe sich ein Preiskrieg, ein race to the bottom, was dem Bertrand-Gleichgewicht entspricht. In diesem Preiswettbewerb, dem Bertrand-Modell, konkurrieren die Unternehmen bis hinunter zu Grenzkostenpreisen, weshalb das Marktergebnis analog dem polypolistischen Wettbewerb entspricht. In der Realität ist diese Entwicklung eines totalen Preisverfalls selten zu verzeichnen. Zwar wird die Interdependenz der Unternehmen über Reaktionsfunktionen beschrieben, die ausdrücken, unter welchem Preis-Mengen-Regime jeder der beiden Anbieter einen maximalen Gewinn vereinnahmen kann. Neben diesen formalen, am Gewinnoptimum orientierten Reaktionsfunktionen existieren auch Mutmaßungsgleichgewichte (Bresnahan 1981), die erklären, weshalb Cournot-Gleichgewichte nicht d auerhaft stabil sind, zugleich aber der Wettbewerb nicht zum Bertrand-Gleichgewicht führt. Denn die Teilnehmer haben Vorstellungen davon, wie hoch angemessene Preise und Gewinne sein sollten und versuchen, bevor ein Preiskampf im Sinne von cut throat competition stattfindet, durch wechselseitige Signalgebung eine Grenze zu kommunizieren, unter die der Gewinn nicht fallen sollte. Im Monopol existiert nur ein Anbieter, Oligopole können sich durch Kartellbildung zu Monopolen zusammenschließen, dann tritt eine durch Absprachen verbundene Gruppe von Unternehmen wie eine Einheit auf. Allerdings ist der geteilte Gewinn für alle kleiner als im Falle eines Ausbrechens, wenn der andere nicht rechtzeitig reagiert, weshalb derartige Strukturen nicht dauerhaft stabil sind. Monopolstellungen können
470
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
stabil sein, wenn der Anbieter seine Preise sehr niedrig setzt, um das Eintreten für Dritte unmöglich zu machen bzw. diese aus dem Markt zu werfen.19 Bei Mehrprodukt- und Mehrregionenmärkten ergeben sich ergänzende Konstellationen. Denn dann ist es möglicherweise nicht zweckmäßig, im gleichen Markt zurückzuschlagen, in dem man von einem Konkurrenten angegriffen wird, sondern dem, auf welchem der Mitbewerber am verletzlichsten ist. Damit entsteht Multimarktwettbewerb: Entlastungsangriffe werden nicht dort geführt, wo man unter Druck steht, hier wird verteidigt, stabilisiert oder verzögert, vielmehr bildet man neue Schwerpunkte und schlägt dort zurück, wo der Gegner am empfindlichsten getroffen wird. Somit frisst sich der Preiskrieg durch Regionen und Marktsegmente. Im militärischen Bereich spricht man von multi-domain operations und von cross-domain coercion, also von bereichsübergreifenden Operationen und Erzwingungsmaßnahmen (Mallory 2019). Diese stellen das wirtschaftskriegerische Pendant zum Schumpeter-Wettbewerb dar, sobald dieser entgrenzt ist, und erfolgen in einer hybriden Kriegsführung dort, wo sie am wirkungsvollsten sind. Führt die Einsicht, dass Eskalation allen schaden wird, zu kooperativem Verhalten, dann werden sich die Unternehmen darauf einigen, die Märkte zu teilen: Denn oft gibt es zwischen den Produkten Substitute, und die Preisunterbietung mit dem Ziel, den Konkurrenten zu zerstören, führt auch dazu, dass man eigene substitutive Produkte oder die gleichen Produkte in regional angrenzenden Märkten nicht auf dem bisherigen Preisniveau halten kann. Dann bietet sich eine Kartellvereinbarung an, bei der Kenneth Judd (1985) zufolge der Gesamtmarkt in einzelne Interessensgebiete, also abgegrenzte Teilmärkte, aufgeteilt wird. Der Wirtschaftskrieg wird vermieden, und das Aufteilen in Interessenssphären garantiert Ruhe, selten aber Effizienz, weil durch diese Kollusion bzw. sogar Kartellbildung sehr leicht Renten abgeschöpft werden können. Den Vorstellungen von Joseph Schumpeter (1912) folgend ist die Dynamik des Wirtschaftsgeschehens durch Innovation und schöpferische Zerstörung gekennzeichnet. In der Welt von Werner Sombart (1913a, b) wird ein hohes aggressives Potential der Unternehmer unterstellt. Dann rücken neben diesen rivalen Konkurrenzlagen, die gleichbedeutend mit Insolvenz und dem steten Ausscheiden von Unternehmen aus dem Markt sind, vor allem solche Wettbewerbsregime ins Zentrum des Interesses, die eine hinreichende Stabilität für eine friedliche Koexistenz gewährleisten. Damit ist gleichermaßen die Frage nach den Mechanismen, die eine stetige Erneuerung der Wirtschaft gewährleisten, verbunden. Denn ohne neue, teilweise gewaltsam geöffnete Freiräume, die neuen Anbietern den Markteinstieg ermöglichen, dürfte langfristig eine Sklerose folgen. Mit anderen Worten: Ohne schöpferische Zerstörung gibt es auch keine Modernisierung der Wirtschaft. Schöpferische Zerstörung bedeutet also keinesfalls
19Jakob
Fugger (1459–1525) nutzte dies, um einen europaweiten Rohstoffkonzern mit eigenen Bergwerken und Handelsgeschäften aufzubauen und wurde so zu einem der reichsten Personen der damaligen Zeit.
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Monopolisierung durch Vernichtung von Konkurrenz; vielmehr werden durch das Ausscheiden ineffizienter Kombinationen Ressourcen für neue Kombinationen, also neue Innovationsprozesse, frei. Insofern haben die Freiheit zum Markteintritt – und korrespondierend die Möglichkeit des Marktaustritts – eine entscheidende Bedeutung für freie und offenen Märkte, die genau um dieser Freiheit und Offenheit willen einer Rahmenordnung unterliegen müssen – also einem kooperativen Dach über einer agonalen Welt. Dieser ständige Wandel wird nur in wenigen Fällen stark verlangsamt bzw. kommt nur zum Stillstand, wenn man eine scheinbar friedliche Koexistenz der Unternehmen feststellt. Die ökonomische Theorie bietet zwei Argumente für diese Situation an, nämlich Raumkosten und versunkene Kosten, die im achten und im neunten Kapitel aufgegriffen werden.
6.5.2 Wettbewerbsintensität: die Reichweite der Rivalität Erhard Kantzenbach (1967) postuliert,20 dass Wettbewerb umso intensiver ist, je schneller die Vorsprungsgewinne eines Innovators erodieren. Die optimale Mischung aus Innovationsfähigkeit, welche Vorsprünge ermöglicht, und Wettbewerb, welcher den Transfer der Marktanteile erst zum Pionier und dann anschließend an andere Marktteilnehmer ermöglicht, liegt aus seiner Sicht im Wettbewerbsmodell des weiten Oligopols bei mäßiger Produktheterogenität, weil hier unternehmerische Existenzrisiken, Finanzierungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten der Marktdurchdringung optimal verbunden sind. Aber wie wird diese Intensität gemessen? Und existieren sektorale Spezifika, die einen Vergleich über die Branchen hinweg ermöglichen? In der Praxis ist beides schwer zu beantworten. Nachfolgende Indikatoren sprechen für eine intensive Konkurrenz, die sich meist als Preiswettbewerb niederschlägt und oft in Kartelle oder Wirtschaftskriege mündet: • Eine niedrige Rentabilität zwischen den etablierten Unternehmen einer Branche, die oft verbunden ist mit einem hohen Anteil der (versunkenen) Fixkosten an der Wertschöpfung; hierdurch besteht ein Zwang, die vorhandenen Produktionskapazitäten möglichst gut auszulasten, notfalls über Preissenkungen. • Ein geringes Branchenwachstum; expansionswillige Unternehmen werden dann Marktanteile von anderen Wettbewerbern erkämpfen, was typisch für die Auseinandersetzungen in engen lokalen Märkten ist. Daher versuchen expansive Unternehmen gerne, ihre Marktgrenzen auszuweiten. • Eine schlechte Lagerfähigkeit des Produkts; dann wird eine hohe und in jedem Fall gleichmäßige Auslastung der Produktionskapazitäten gewünscht, was wiederum über Preissenkungen erreicht werden kann. Flexibel angepasste Preise, die nach Jahres-
20Vgl.
hierzu auch Blum, Müller, Weiske (2006. S. 22–25).
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zeiten, Stunden oder Wetterlagen variieren, sind typisch und beispielsweise bei Restaurants bekannt. • Fehlende Produktdifferenzierung; dann sind Homogenität und Austauschbarkeit der Güter dominierende Kaufkriterien, was wiederum Preisdruck erzeugt. • Hohe Marktaustrittsbarrieren vor allem durch versunkene Kosten, beispielsweise in Gestalt nicht anderweitig verwertbarer Aktiva, der Notwendigkeit von Sozialplänen, emotionale Bindungen zur Branche; dann bleiben auch unrentable Unternehmen im Markt und verschärfen den Wettbewerb. Hier droht cut-throat competition. • Ein großer Anteil von Eigentümer-Unternehmern; diese bleiben auch im Markt, wenn keine angemessene Rentabilität erzielbar ist. Derartige Nekrophilie ist soziologisch bzw. anthropologisch bedingt und nicht mittels rationaler Argumente auszumerzen. Der Eintritt neuer Marktteilnehmer kann durch Eintrittsbarrieren sowie durch die bekundeten Reaktionen der etablierten Unternehmen behindert, wenn nicht sogar verhindert werden. Dann lässt sich auch ein erhöhtes Preisniveau verbunden mit einer hohen Rentabilität erreichen. Umgekehrt wirkt die permanente Drohung eines Markteintritts, sogenannter potentieller Wettbewerb, in erheblichem Maße disziplinierend. Besonders (potentielle) Substitute stellen, auch wenn sie unvollkommen sind, in Abhängigkeit zu den vorherrschenden Elastizitäten einen Preisdeckel für einen Monopolisten dar. Dies kann ihn zwingen, Wettbewerbspreise zu nehmen. Man kann das mit einem Gleichgewicht des Schreckens vergleichen. Eine horizontale Konkurrenz, also Wettbewerb auf identischer Wertschöpfungsebene, findet zwischen Unternehmen in der gleichen Branche oder in solchen Branchen, die im Sinne der Substitutionsmöglichkeiten ähnliche Güter erzeugen, statt. Dann sind neben den direkten Konkurrenzgütern auch partielle Substitute in die Bedrohungsanalyse einzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn • eine hohe Preiselastizität der Nachfrage für die Produkte der Branche existiert; • Ersatzprodukte existieren, die ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen als das Produkt der Branche oder das eigene Gut, vor allem dann, wenn bei diesem hohen Wachstum und/oder eine hohe Ertragskraft vorliegen; • Veränderungen der Technologie oder der Präferenzen zu Bedarfsverschiebungen führen. Branchen- oder sektorübergreifende Substitute sind besonders bedrohlich: So lässt sich beispielsweise die Dienstleistung des Friseurs teilweise durch einen Frisierstab oder ein Kinobesuch durch den Einsatz von Heimkinoanlagen substituieren. Ebenso kann ein realer Krieg durch einen virtuellen Krieg ersetzt werden. Neben den horizontalen Wettbewerb zwischen Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe tritt die vertikale Konkurrenz entlang der Lieferkette. Die Rentabilität einer Branche oder eines Unternehmens hängt wesentlich von der Wettbewerbsposition
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in der Lieferkette ab, beispielsweise von der Fähigkeit, bei Kunden Preiserhöhungen oder bei Lieferanten Preiszugeständnisse zu erzwingen oder Qualitätsstandards zu definieren; letzteres geschieht oft mittels Zertifizierung (ISO 9000 ff.). Eine starke Marktstellung eines Unternehmens in der Lieferkette liegt regelmäßig dann vor, wenn dies für Abnehmer oder Lieferanten schwer zu ersetzen ist. Dann können Kostenerhöhungen im Vorleistungsbereich schwer weitergereicht werden. Lieferanten und Kunden haben eine schwache Stellung, wenn sie leicht ersetzt werden können, es also für das Unternehmen eine Vielzahl von Beschaffungs- und Absatzkanälen gibt. Bedeutungsvoll sind damit die ökonomischen Wechselflexibilitäten, gegebenenfalls auch technische Umstellungsflexibilitäten. So ist die Nachfragemacht im Handel dadurch relevant geworden, dass Lieferanten ihre Produktion und die Spezifität ihrer Leistung nur auf einen oder wenige Kunden ausgerichtet haben, insbesondere kein eigenes Marketing durchführen und deshalb erhebliche Kosten einsparen. Mittelständische Unternehmen erhöhen ihre Marktmacht oft dadurch, dass sie Rückwärtsintegration betreiben, also die Maschinen bauen, auf denen die Maschinen hergestellt werden, die sie verkaufen. Damit vermeiden sie eine teure Patentstrategie und sichern trotzdem ihr Wissen. Konkurrenten, vor allem Großunternehmen, die gerne mittels Patentstreitigkeiten kleine Unternehmen zu blockieren versuchen, laufen so ins Leere. Abb. 6.21 stellt das ökonomische Kalkül der Marktformen dem juristischen Kalkül des unbilligen Missbrauchs von Marktmacht gegenüber. Der anarchische Bereich bei fehlender Marktmacht kommt dem neoklassischen Ideal nahe, ist tatsächlich aber ein Schlafmützenwettbewerb. Erst Unvollkommenheiten, die Marktmacht ermöglichen, brechen diese Lage auf. Kartelle ohne Marktmacht bleiben meist wirtschaftlich unwirksam, können also keine erhöhten Renditen vereinnahmen. Im anarchischen Bereich führt Marktmacht nach Joseph Schumpeter (1912) zu schöpferischer Zerstörung, die aber bei Vorliegen eines Ordnungsrahmens kanalisiert werden kann, damit freiwerdende Ressourcen nicht zerstört, sondern einer alternativen Nutzung zugeführt werden. Erst im Falle von Vernichtungsmacht wird die ökonomische Lage gefährlich, weil der Überlegene zum Monopolisten aufsteigen kann. Wenn sich dann der Staat dieser Lage bedient, entwickelt sich der Staatsmonopolkapitalismus im Sinne von Rudolph Hilferding (1910). Ein Ordnungsrahmen versucht, das einzufrieden, am besten durch eine begrenzte Anzahl ähnlich großer Anbieter, dem weiten Oligopol mit entsprechender strategischer Interdependenz. Absprachen können hier schließlich zu Kartellen führen, um das Risiko des Untergangs, das jeder Wirtschaftskrieger eingeht, zu reduzieren; sie sind die ökonomischen Äquivalente zu politischen Bündnissen. Besonders interessant ist der Bereich rechtlich vorhandener, aber ökonomisch unwirksamer Kartelle, weil dieser Sonderfall selten zu finden ist, aber beispielsweise im ostdeutschen Zementkartell der neunziger Jahre, das später als Beispiel eines Wirtschaftskriegs aufgegriffen wird, teilweise der Realität entspricht (Blum 2007a). Im Gegensatz dazu versuchen Kartelle durch Absprachen Vernichtungsmacht nicht zur Anwendung kommen zu lassen, wobei verdeutlicht wird, dass der Wirtschafts-
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Kein Ordnungsrahmen
(neoklassischer) SchlafmützenWebewerb Wirtschasfrieden
Ordnungsrahmen
(geordneter) klassischer Webewerb
Absprachen
Keine Marktmacht
ökonomisch unwirksames Kartell
Marktmacht
schöpferische Zerstörung
Vernichtungsmacht
Wirtschaskrieg
Leistungswebewerb
oligopolissche Interdependenz
Kooperaon
Kartell
Abb. 6.21 Wettbewerbsintensitäten im institutionellen Kontext. (Quelle: eigene Darstellung)
krieg immer dann ausbricht, wenn sich in Strukturen, die Vernichtungsmacht besitzen, Kooperations- oder Ordnungsinstitutionen auflösen, also Anarchie herrscht. Die optimale Kombination findet sich im Zentrum des Würfels beim Leistungswettbewerb, der durch Marktmacht intensiviert ist.
6.5.3 Wettbewerbsstrategien: Grundlage erfolgreicher Unternehmensführung Für erfolgreiche Innovationen ist die Wahl der Wettbewerbsaufstellung entscheidend. Die beiden Wettbewerbsanalytiker Coimbatore Krishnarao Prahalad und Gary Hamel (1990) zeigen, dass auf der Input-Seite sogenannte Kernkompetenzen entscheidend sind, die oft durch Patente oder Markenrechte geschützt werden.21 Da es mittelständischen Unternehmen meist schwerfällt, sich gegen Patentkriege zur Wehr zu setzen, wählen sie oft die Rückwärtsintegration, sichern also ihre Kernkompetenzen, indem sie kritische Funktionen, beispielsweise Forschung und Entwicklung einschließlich oder spezielle Fertigungsprozesse nicht outsourcen, sondern im eigenen Haus belassen. Michael Porter (1999) führt den Erfolg eines Unternehmens oder eines Geschäftsfelds maßgeblich auf die Wettbewerbsintensität in der entsprechenden Branche bzw. 21Vgl.
hierzu auch Blum, Müller, Weiske (2006: 25–26).
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6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
auf dem entsprechenden Markt zurück. Folglich ist es das zentrale Ziel eines Unternehmens oder eines Geschäftsfelds, dem Wettbewerb zu entkommen, d. h. einen eigenen monopolistischen Bereich aufzubauen, eine Differentialrente zu sichern, also nicht in wettbewerbsverseuchten Gewässern, sondern im offenen Meer zu segeln. Statt einer red ocean strategy ist in den Worten von W. Chan Kim und Renée Mauborgne (2005) eine blue ocean strategy zu entwickeln, wie sie dies in Blue Ocean Strategy: How to Create Uncontested Market Space and Make the Competition Irrelevant darlegen. Zu den wirtschaftlich profitabelsten Möglichkeiten des wettbewerbsfreien Segelns zählen reemergente Technologien, also Technologien, die eigentlich als überwunden galten und die in neuer Spezifikation wieder auferstehen. Dies gilt häufig für Güter nach Auslaufen des Produktlebenszyklus‘, weil dann eine qualifizierte Restnachfrage – oft als langes Ende der Kaufverteilung – in einem Luxusmarkt befriedigt werden kann. Ryan Raffaelli (2013) zeigt dies an der Schweizer Uhrenindustrie, die durch den Angriff der japanischen Industrie, die erst mit List-Zöllen aufgebaut wurde, fast zerstört wurde, sich aber dann neu erfand. Vor allem Güter mit einem hohen industriellen oder regionalen Erbe oder einer historisch starken Markenposition sind hier begünstigt. Damit eröffnet der massiv zerstörerisch wirkende disruptive Innovationsschub Inseln der Wettbewerbsfreiheit. Neben der Branchenstruktur und ihren spezifischen Wirkungen auf den Wettbewerb, beispielsweise infolge von Kostenstrukturen, der Rate des technischen Fortschritts, dem Wachstum oder der Nähe zu einer politisch bestimmten Nachfrage, ist nach Michael Porter (1999) folgenden fünf Wettbewerbskräften Beachtung zu schenken, die Abb. 6.22 aufzeigt:
Potenelle neue Konkurrenten
Webewerber in der Branche Bedrohung durch die Verhandlungsmacht der Lieferanten
Rivalität unter den bestehenden Unternehmen
Bedrohung durch die Verhandlungsmacht der Kunden
Abnehmerbeziehungen
Lieferantenbeziehungen
Bedrohung durch Markteintrie
Bedrohung durch Ersatzgüter
Substuonsprodukte Abb. 6.22 Die Wettbewerbskräfte nach Porter. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Porter (1999, S. 34))
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
• Realer Wettbewerb: Hier handelt es sich um den Wettbewerb der bestehenden Unternehmen in ihrer Branche. • Potentieller Wettbewerb: Die Bedrohung entsteht durch unbekannte Unternehmen, die kurz- bis mittelfristig zum Markteintritt fähig sind, weil sie die Technologie verfügbar haben oder in räumlich entfernten Märkten bereits tätig sind. • Substitutionskonkurrenz: Hier liegt die Bedrohung in möglichen Ersatzprodukten und -diensten. • Anbietermacht: Die betrifft die Verhandlungsstärke der Lieferanten. • Nachfragemacht: Die Verhandlungsmacht der Abnehmer ist vor allem im Einzelhandel bedeutsam geworden. Während also vorhandene Konkurrenten meist gut sichtbar und damit in ihren Absichten und Möglichkeiten gut aufzuklären sind, gilt dies für potentielle Konkurrenten oder Substitute weit weniger. Frühaufklärung ist aber zwingend erforderlich, um rechtzeitig agieren zu können und ein pures Reagieren zu vermeiden. Die wesentliche Leistung des Unternehmers besteht dann möglicherweise darin, rechtzeitig zu einem Präventionsschlag auszuholen und das Gesetz des Handelns an sich zu ziehen. Insbesondere sind die falschen, also ungefährlichen, von den richtigen, also bedrohlichen Wettbewerbern zu unterscheiden. Gerade die digitale Wirtschaft stellt eine Herausforderung ersten Ranges dar. Potentielle Konkurrenten können leicht für lange Zeit unsichtbar bleiben, gleichzeitig eröffnet dies aber auch die Chance einer intelligenten Aufklärung, wenn die Informationsmedien und die persönlichen Verfahren des Abschöpfens von Informationen kompetent genutzt werden. Auf der Absatzseite besetzen mittelständische Unternehmen gerne spezielle Nischen, um aus ihren Kernkompetenzen Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dabei werden sie durch positive Bedingungen im Umfeld, die Spillovers – die oft auf general purpose technologies (GPT) basieren – gefördert. Der damit verbundene Wachstumsimpuls ist umso stärker, je offener die Märkte sind und je internationaler die Ausrichtung des Unternehmens ist, weil es sich dann an den Weltbesten messen muss. Damit erklärt sich der weiter oben erwähnte Erfolg der global medium-sized enterprises, der GME. Basierend auf diesen fünf Wettbewerbskräften ist die unternehmerische Wettbewerbsstrategie abzuleiten, um einem Unternehmen einen langfristigen Erfolg zu sichern. Michael Porter (1999, S. 64 f.) fordert folglich, die Abwehrmöglichkeiten des Unternehmens mittels einer angemessenen strategischen und operativen Positionierung zu stärken, die die Dynamik des Wettbewerbs berücksichtigt. Drei bewährte Strategien kristallisieren sich dabei heraus, nämlich die der umfassenden Kostenführerschaft, der Differenzierung und der Konzentration auf Schwerpunkte, wie die Abb. 6.23 verdeutlicht. Die Wahl der strategischen Ausrichtung des Unternehmens im Sinne von Diversifikation, Kostenführerschaft oder Fokussierung ergibt sich aus der sorgfältigen Analyse einer Vielzahl von Einflussgrößen. Zu nennen sind die (oft technologisch vorgegebenen) Kostenstrukturen, die damit verbundenen Marktstrukturen, die Preissetzungsmöglich-
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
477
Welt der Branchen Welt der Segmente
Strategisches Zielobjekt
Strategischer Vorteil Singularität aus Sicht des Käufers
Kostenvorsprung
Differenzierung, vor allem im Sinne der monopolisschen Konkurrenz
Umfassende Kostenführerscha, vor allem durch Nutzen von Kostendegressionseffekten
Konzentraon auf Schwerpunkte (Fokussierung), vor allem durch Kernkompetenzen und Nutzung Verwendungsoffener Technologien
Abb. 6.23 Die drei Strategiegruppen nach Porter. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Porter 1999, S. 75)
keiten, das Nutzen von Informationsasymmetrien oder das Innovationsverhalten. Probleme bereitet aber die strittige Eineindeutigkeit des structure-conduct-performance-Ansatzes der Harvard-Schule. Diese besagt, dass aus der Marktstruktur, beispielsweise einem Oligopol, eindeutig ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten folgt, beispielsweise Kartellabsprachen zu organisieren. Aus diesem ergeben sich wiederum eindeutige Wettbewerbsergebnisse, beispielsweise hohe Gewinne. Genau das ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht gesichert, sondern wird nur unter ganz spezifischen Bedingungen erfüllt. So haben die Elektrizitätsversorger in Deutschland seit der Energiewende massive Gewinnprobleme, obwohl es weniger als eine Handvoll großer Anbieter gibt. Das Konzept von Michael Porter (1999) besitzt hier einen starken Bezug zum Dreieck der memetischen Identität, weil einzelne Strategien eine bestimmte institutionelle Architektur bevorzugen: 1. Die Differenzierungsstrategie zielt darauf ab, ein Produkt oder eine Leistung anzubieten, die sich deutlich vom Produkt der Wettbewerber abhebt. Ziel der Differenzierungsstrategie ist es, einen intensiven Preiswettbewerb zu vermeiden. Will das Unternehmen erfolgreich eine Differenzierungsstrategie implementieren, dann sollte es über einen Markennamen verfügen bzw. diesen mittels hoher Marketingkompetenz aufbauen, also Kosten versenken, sich durch hohe Kreativität und Innovationsbereitschaft, abgesichert mittels Intellektueller Eigentumsrechte,
478
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
also Patenten, Marken, Warenzeichen (intellectual property rights, IPRs) vor Wettbewerbern schützen und damit auf Qualität und technologische Kompetenz setzen. Der relevante Wettbewerb findet nie über Preise, meist aber über Qualitäten und bessere Organisationsformen, also institutionelle Arrangements, statt, oft abgesichert durch überdurchschnittlich qualifizierte Mitarbeiter und das Vorhandensein von positiver corporate culture. Die damit erforderliche Kreativität und der notwendige Informationsfluss unter Gleichen legt eine flache Organisationsstruktur nahe. Die unterstellte monopolistische Konkurrenz legt eine Marktaufteilung unter den Wettbewerbern nahe. 2. Die Strategie der umfassenden Kostenführerschaft zielt darauf ab, externe Ökonomien zu realisieren, also durch große Produktionsanlagen, das Ausnutzen von Erfahrungskurvenvorteilen, durch Verbundvorteile mit anderen Unternehmensteilen sowie durch ein striktes Kostenmanagement die niedrigsten Produktionskosten aller Anbieter einer Branche zu erzielen. Das erschwert den Markteintritt auch solcher Produzenten, die über eine verbesserte Technologie verfügen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, auch die günstigsten Preise anzubieten, also in den Preiswettbewerb einzusteigen. Damit werden die Kapitalausstattung zur Finanzierung der hohen Investitionen, das Verstetigen der Verfahrensinnovationen, das Standardisieren der Produkte, das Outsourcen strategisch unbedeutender Komponenten und eine Organisationsstruktur mit klar gegliederten Verantwortlichkeiten zu wesentlichen Erfolgsfaktoren; sie dürfte damit stark vertikal organisiert sein. 3. Wenn hinreichend große Substitutionslücken aufgebaut werden können, dann bietet sich die Strategie der Fokussierung, also der Konzentration auf Schwerpunkte und Nischen an. Um Reputation und Markennamen zu sichern, ist das laufende Versenken von Kosten für das konkrete Unternehmensziel nötig und die Produktion zu integrieren, um zu verhindern, dass Lieferanten durch Einkauf der Technologie zu Konkurrenten aufsteigen. Gesucht ist also der „Libero“ im System, was eine atomistische Struktur nahelegt. Diese Grundstrategien können durch zusätzliche Elemente ergänzt werden: 4. Die Outpacing-Strategie setzt darauf, stete Innovationsvorsprünge zu generieren und diese durch Skalen- und Verbundvorteile kostenseitig so abzusichern, dass extrem wettbewerbsorientierte Preise möglich sind. Damit verbunden ist oft das Streben nach technologischer oder industrieller Führerschaft, also der Fähigkeit, den Technologiebzw. den Produktlebenszyklus zu bestimmen. 5. Das Nutzen der long tails zum Bedienen der Nachfrage in einer hochkonzentrierten Nische. Eigentlich erlauben es die Enden der Verteilungsfunktion bezüglich eines Produktsegments in normalen regionalen Märkten mit beschränkter Kommunikationsverbreitung nicht, bestimmte Güter infolge der minimalen Nachfrage kostendeckend zu erstellen. Moderne Kommunikationssysteme, insbesondere das Internet, gestatten aber, eine hinreichende Nachfrage zu bündeln, um den entsprechenden Markt zu erschließen.
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
479
hoch
6. Man kann diesen Rahmen dynamisch sehen und damit die Frage stellen, in welchem Bereichen Unternehmen infolge von möglichen Angriffen von außen gefährdet sind. Dann ist zu prüfen, ob sie von sich aus – im präventiven Sinne – zur Attacke schreiten oder die erforderliche Verteidigungsbereitschaft herstellen. Interessant sind insbesondere solche Märkte, die ein Übernehmender durch Synergien mit seinen eigenen Kompetenzen ertüchtigen kann; in Abb 6.24 wird dies durch Unternehmen (2) verdeutlicht. Für Unternehmen (4) dürfte sich niemand interessieren, Unternehmen (1) muss stets wegen seiner Aggressionsfähigkeit beobachtet werden, Unternehmen (3) ist ein interessanter Übernahmekandidat. 7. Wettbewerb findet auf der Beschaffungs- und auf der Absatzseite statt. Die Abb. 6.25 stellt beide Gesichtspunkte miteinander in Beziehung. Im ersten Feld findet sich der bereits erwähnte blue ocean einer wettbewerbsarmen Zone, die W. Cham Kim und Renée Mauborgne (2005) als bevorzugten Markt der Unternehmen bezeichnen, noch besser als das zweite Feld, weil man hier ohne Schwierigkeiten seine Produkte platzieren kann und auch kein Risiko eingeht, auf der Beschaffungsseite unter Druck zu geraten. Das zweite Feld ist für Clusterstrukturen von Interesse, wenn die regionale Wirtschaftsförderung beispielsweise die Ressourcen, insbesondere bei Forschung und Entwicklung, sowie Humankapital fördert und damit horizontale Cluster begünstigt. Im dritten Feld gewinnt der Wettbewerb mit Substituten aufgrund unterschiedlicher Ressourcen an Bedeutung. Das vierte Feld ist das einer sehr hohen Wettbewerbs-
2
Wahrscheinlichkeit des Ausbaus der Marktposion
Marktarakvität durchschnilich gering
1
4
Hohes Potenal zum Angriff
Arakve Angriffs- bzw. Verteidigungsbereiche im Wirtscha skrieg
3
gering
durchschnilich
Webewerbsvorteile
hoch
Abb. 6.24 Marktattraktivität - Wettbewerbsvorteils – Matrix. (Quelle: eigene Darstellung)
480
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Ähnlichkeit bei Ressourcen und Vorleistungen (inkl. Subs tute)
niedrig hoch
Gemeinsamkeiten im Absatzmarkt (inkl. Subs tute)
niedrig
hoch
„blue ocean“ Webewerber niedrige Intensität im des Webewerbs Beschaffungsmarkt Webewerber im Absatzmarkt
1
2
3
4
„red ocean“ hohe Intensität des Webewerbs
Abb. 6.25 Wettbewerbsintensität in der Beschaffungs-Absatz-Matrix. Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Chen (1996, S. 108) und Kim und Mauborgne (2005)
intensität, ein red ocean – möglicherweise ein Wirtschaftskrieg. Oft befinden sich hier Unternehmen am Ende einer vordem erfolgreichen Clusterentwicklung, die vom Auslaufen eines langen Entwicklungszyklus betroffen sind, wodurch keine positiven Externalitäten mehr existieren und ein cut-throat competition mit anderen, gealterten Clustern vorherrscht; das kann man beispielsweise in der Stahlbranche seit Jahren beobachten. Allerdings kann der blaue Ozean auch in ein Gebiet ohne Herausforderung und ohne Märkte führen – man wäre dann in den „Rossbreiten“ gelandet, um in dem Wortfeld dieser Metaphorik zu bleiben. Oft besteht nämlich die Wahl nicht zwischen blauem oder rotem Ozean; es existiert auch die Möglichkeit, über den Rand zu schauen und die Chancen vor Ort zu nutzen. Direktvermarktung war lange ein solches Beispiel, heute das Nutzen des Internets oder das Bepreisen von Zugaben, die inzwischen wertvoll geworden sind, bisher aber kostenlos abgegeben wurden. Derartige Märkte formen komplexe Netzwerke. Im elften Kapitel werden die digitalen Netzwerke betrachtet, die auch in der realen Welt als Fähigkeiten, wie weiter oben beschrieben, eine hohe Bedeutung besitzen. Wird die Ökonomie als Waffe instrumentalisiert und sieht man, dass sich Netzwerke durch Konzentration von Lieferstrukturen und den Aufbau von Handelsplattformen immer stärker zu Naben-Speichen-Systemen (hub and spoke) entwickeln, dann wird deutlich, dass die
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
481
Naben als Orte höchster Konzentration einmal wichtig sind, um Wissen abzusaugen – bei Verkehrsknotenpunkten durch Aufklärung, bei digitalen Knoten durch Anzapfen. Insbesondere eine Engpassfunktion kann den sogenannten choke-point-Effekt bewirken, der erheblich die Gunst der am Konflikt beteiligten verändert. So konnten die USA nach der Attacke auf die twin towers am 11. September 2001 über den Zugang zum digitalen Kommunikationsnetz der Banken SWIFT wesentliche Informationen über die Terrorismusfinanzierung erlangen und damit die Lage zu ihren Gunsten verändern.
6.5.4 Potentieller Wettbewerb und branchentypische Wettbewerbslagen Innovationen als neue Kombinationen (Schumpeter 1927, S. 483) beruhen auf bestimmten Fähigkeiten, die auf weichen Faktoren, beispielsweise kulturellen Prägungen, aufbauen und die harten Faktoren wie Forschung und Entwicklung oft erst ertüchtigen. Sie sind gleichsam der Angriff auf die Struktur der Wirtschaft, indem sie Produkte, Verfahren, Märkte oder Institutionen unter Druck setzen. Fehlt der Markterfolg, lässt sich bei der Neuerung nicht von einer Innovation sprechen, es muss also gleichermaßen die Bereitschaft vorhanden sein, diese in den Markt zu drücken ebenso wie es auf der Nachfrageseite interessant sein muss, diese aufzunehmen. Die Möglichkeit, hier den Zeitpunkt seitens des Unternehmens zu wählen, ermöglicht es, im Innovationsprozess mit Überraschungseffekten zu arbeiten und konkurrierende Unternehmen unter Druck zu setzen bzw. aus den bestrittenen Märkten zu vertreiben. Analog zu einem militärischen Gefecht spielt das Überrumpeln eine entscheidende Rolle, weshalb das Handeln meist ohne Ankündigung erfolgt oder die Ankündigung sofort zu einem entsprechenden Handeln führt. Dabei muss klar sein, dass andere Unternehmen dies wissen und möglicherweise präventiv handeln. Ein potentieller Wettbewerb liegt immer dann vor, wenn ein Unternehmer zwar über die Fähigkeit verfügt, einen Markt zu bestreiten, diese aber zumindest derzeit noch nicht nutzt. Das kann daran liegen, dass der betroffene Markt aktuell nicht hinreichend ergiebig ist, beispielsweise, wenn er durch versunkene Kosten geschützt ist, dass er nicht in das Kalkül des möglichen Angreifers passt oder dass dieser selbst erst einige technologische Sprünge machen muss, um hierzu in der Lage zu sein. Fallen Ankündigung und Schlag zeitlich auseinander, dann ergibt sich eine Latenzzeit, in der eine Drohung in der Luft liegt, beispielsweise die des Markteintritts zu einem unvorhergesehenen Zeitpunkt, was dem potentiellen Wettbewerb entspricht. Die damit verbundene Unsicherheit zwingt den Gegner zum Handeln, meist zum Senken der Preise, um einen Markteintritt unattraktiv zu machen, womit trotz möglicher Monopolstellung Wettbewerbspreise herrschen können. Zugleich erlaubt ihm die Ankündigung aber auch die Vorbereitung von Abwehrmaßnahmen. Die Abb. 6.26 zeigt die Sicht des Gegners und geht seitens des Angreifers davon aus, dass eine Innovation einen festen technologischen Sprung beinhaltet. Grundlagen sind
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Grad der empfundenen Bedrohung
482
Überraschungsinnovaon
Ankündigung eines (bedingten) Markteintris
Auau von Fähigkeiten, Bereitschaen, Willen
0
Latenzzeit
(Zeit zwischen Ankündigung und Realisierung)
Abb. 6.26 Eskalationsstruktur von Bedrohungen. (Quelle: eigene Darstellung)
bestimmte vor allem technologische Fähigkeiten, die sich aus dem unternehmerischen und wirtschaftlichen Umfeld ergebende Bereitschaften und der Willen zur Durchsetzung der Neuerung. Das höchste Bedrohungsniveau wird dann erreicht, wenn die Innovation überraschend in den Markt eingeführt wird und damit alte Strukturen zerstört, wie Joseph Schumpeter (1912) modelliert. Je nach Qualität und Absicherung, beispielsweise über Patente, sowie weitere und anschließende Innovationsfähigkeiten, erreicht das angreifende Unternehmen einen langanhaltenden Vorsprung; dieser verfällt mit der Stärke der Resilienz des Gegners. Die Ankündigung einer Innovation kann eine wesentliche Bedrohung darstellen, vor allem dann, wenn damit gegnerische Unternehmen in eine Haltung des Abwartens gedrängt werden. So erklärte die Firma IBM in den siebziger Jahren regelmäßig, neue Rechner einführen zu wollen, gab aber die Schnittstellen nicht bekannt, sodass die Hersteller von Peripheriegeräten, beispielsweise Druckern, aber auch konkurrierender Hersteller von Zentraleinheiten, nicht reagieren konnten. Erst durch Drohungen des US-Kartellamts unterblieb dieses Verhalten. Tatsächlich entwertet sich die Drohung eines Markteintritts über die Zeit, auch durch den Verfall des damit verbundenen Innovationsvorsprungs, auf den Konkurrenten reagieren, um nicht langanhaltend das Opfer potentieller Konkurrenz zu werden. Der Aufbau von Fähigkeiten und das Verschleiern der dazugehörigen Innovationsbereitschaften sowie eines Markteroberungswillens wirken anfangs wesentlich weniger bedrohlich auf die Gegner als die Androhung eines unmittelbar bevorstehenden konkreten Markteintritts. Aufgrund der damit verbundenen Offenheit der
6.5 Durchsetzung von Rivalität im Wettbewerbsprozess
483
Lage, der geringen Spezifität des Wissens um die Neuerung, sind Abwehrreaktionen nur mit erheblichen Schwierigkeiten vorzubereiten. Ein Sich-Verzetteln droht, will man der Bedrohungskulisse dauerhaft begegnen. Der Grad der Internationalisierung von Angebot und Nachfrage bestimmt in erheblichem Maß die erforderlichen Fähigkeiten, die aufzubauen sind, wenn man ein Angriffspotential aufbauen bzw. vor einem solchen schützen will. Bereitschaften sind aufrechtzuerhalten, der konkrete Wille ist zu verbergen, um die Latenzzeit zu verringern. Karel Eloot, Alan Huang und Martin Lehnich (2013)22 unterscheiden in ihrem Beitrag A New Area for Manufacturing in China bei der Analyse der Wettbewerbsbedingungen fünf Arten von gewerblichen Unternehmen, die aufgrund ihrer internationalen Liefermöglichkeit hier im Vordergrund stehen:23 1. Globale Hersteller für lokale Märkte: Diese erbringen rund ein Drittel der weltweiten Produktionsleistung und stellen vor allem Haushaltsgeräte, Transportgeräte, Chemieprodukte, elektrische und mechanische Maschinen sowie pharmazeutische Erzeugnisse her. Ihr wesentlicher Erfolgsfaktor ist die Fähigkeit, auf globaler Ebene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten arbeitsteilig zu erstellen, an den jeweiligen Produktionsstandorten zu implementieren und dabei durch einen ständigen Strom von Innovationen die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Ihre internationale Innovationsfähigkeit ist daher von besonderer Bedeutung für die Erfolge im Konkurrenzkampf. Die grundsätzlich bestehende Lieferfähigkeit von außen weist auf die hohe Bedeutung der potentiellen Konkurrenz hin. 2. Energie- und ressourcenintensive Waren: Diese machen rund 22 Prozent der globalen gewerblichen Wirtschaft aus und betreffen besonders die Minenindustrie, dazu Zellstoff und Papier sowie andere Gewinnungsindustrien. Die wesentlichen Erfolgsfaktoren bestehen hier in einem privilegierten Zugang zu den Materialien und Energiequellen und in den dafür erforderlichen Wettbewerbsvorteilen auf dem Gebiet des Transportwesens. Damit sind die Möglichkeit und der Wille, die Wettbewerbsfähigkeit international handelbarer Produkte über die Marktmacht bei Ressourcen infolge privilegierter Verfügbarkeiten zu verstärken, besonders bedeutsam. Allerdings kann hier auch die Quelle für eine Niederlage liegen, wenn dadurch bei Konkurrenten der Wille zum Aufbau von Substituten verstärkt wird. Vor allem bei Verfahrensinnovationen können Überraschungseffekte genutzt werden. 3. Globale Technologien und globale Innovatoren: Diese machen rund neun Prozent der weltwirtschaftlichen gewerblichen Produktion aus und betreffen besonders
22Exzerpiert
aus “A new era for manufacturing in China”, June 2013, McKinsey Quarterly, www. mckinsey.com. Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission. 23Dies beinhaltet neben klassischen industriellen Produkten auch produktionsorientierte Dienstleistungen.
484
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
konsumnahe Elektronikprodukte, Büromaschinen, Halbleiter und Mikroelektronik sowie Telekommunikationsausrüstungen, ebenso wie Ausrüstungs- und Steuerungssysteme für die medizinische, die optische und andere mikrotechnische Industrien. Erfolgsfaktoren sind hier eine starke arbeitsteilige Forschung und Entwicklung auf globaler Ebene und die hohe Wertigkeit der Produkte, insbesondere in Bezug auf Wert pro Volumen bzw. Wert pro Gewicht, um Vorteile im Transportbereich zu erzielen, da dann ein Versand per Flugzeug rentabel wird. Der strategische Wettbewerbsvorteil liegt daher im globalen Liefernetzwerk, das durch eine komplexe Logistik jederzeit genutzt werden kann. Zugleich können zugrunde liegende Technologien in Ländern, die dafür besonders günstige Voraussetzungen bieten, geschützt werden. Diese Industrien stellen sich im Sinne von Thomas Friedman (2004) in einer flachen Welt strategisch auf, der potentielle Wettbewerb besitzt vor allem eine standörtliche Dimension. 4. Regionale gewerbliche Produkte: Diese betreffen rund ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung und beinhalten besonders die Herstellung von Metallen, Nahrungs- und Genussmitteln sowie von Getränken sowie Druck und Tabak. Hier ist die Innovationsleistung weniger bedeutend als vielmehr die Fähigkeit, Markttrends zu beobachten und damit die Konsumenten im Blick zu behalten, was es auch erforderlich macht, eine sehr genaue Konkurrenzbeobachtung vorzunehmen. Das ist ein üblicher Bereich gnadenlosen Wettbewerbs, wenn es nicht gelingt, ein Markenimage aufzubauen. 5. Arbeitsintensive handelbare Güter: Diese machen rund sieben Prozent der weltwirtschaftlichen Produktionsleistung aus und beinhalten insbesondere Textilien, Bekleidung und andere handwerkliche Erzeugnisse. Hier sind die niedrigen Produktionskosten entscheidend. Logistik und Marken- bzw. Designschutz spielen eine wichtige Rolle, um im Konkurrenzkampf zu überleben.
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen Die folgenden Beispiele zeigen, dass bei vielen Wirtschaftskriegen die Fähigkeiten zum Niederringen des Gegners nicht ausreichten, weil sich während der Operationen die Umfeldbedingungen – ob industriell, wie im ersten Beispiel, oder ressourcenpolitisch, wie im zweiten – veränderten. Der Fall des US-Automarkts spricht die industriellen Kapazitäten eines Lands an, nämlich die Autoindustrie, bei der einige Unternehmen eine zwangsweise Konsolidierung erreichen wollen, um ihre langfristige Ertragslage zu verbessern. Dabei blieb aber ihre Konkurrenzfähigkeit auf der Strecke, wovon besonders ausländische Anbieter profitierten. Der zweite Fall thematisiert den Wirtschaftskrieg ums Rohöl, der mit dem großtechnischen Erschließen von Schieferöl- und Gasvorkommen in den USA begann, dann aber in den Sog des Kampfs um die Vorherrschaft im Mittleren Osten geriet.
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen
485
6.6.1 Der Auszehrungskrieg der US-Autoindustrie in den fünfziger Jahren Wirtschaftskriege im amerikanischen Verkehrsmarkt können auf eine lange Tradition verweisen. Im 19. Jahrhundert ruinierte zunächst die Bahnindustrie die Binnenschifffahrt, indem sie im Winter, wenn die Kanäle zugefroren waren, Monopolpreise verlangte, um im Sommer aus diesen Gewinnen Dumpingpreise zu finanzieren. Als sich das Passagiergeschäft nicht mehr lohnte, begannen die Unternehmen, angesichts des Verbots seitens der Regierung, das Angebot einzustellen, mit einer gezielten Verwahrlosungsstrategie, bis die letzten Passagiere vergrault waren. Der Wille zur Monopolisierung blieb ungebrochen, und klimatische und geographische Randbedingungen begünstigten die Fähigkeiten, dieses Ziel nachhaltig zu verfolgen. Wie Stephen B. Goddard (1996) in seinem Buch Getting There: The Epic Struggle between Road and Rail in the American Century beschreibt, versuchten die Autohersteller den Absatz an Automobilen als Folge von dessen Rückgang nach dem Ersten Weltkrieg wieder anzukurbeln und bauten mit ihren Zulieferern leistungsfähige Bussysteme auf. Besonders taten sich General Motors (GM), der Reifenhersteller Firestone und der Treibstoffanbieter Standard Oil dabei hervor, die u. a. Greyhound, die National City Lines und Yellow Coach gründeten bzw. unter ihre Kontrolle brachten. Getrieben wurde dies vom GM-Manager Alfred P. Sloan. Unter dieser Konkurrenz brachen die Straßenbahnen zusammen, die schnell demontiert wurden, um den innerstädtischen Busmarkt auszuweiten. Die hier eingesetzten Busse waren allerdings oft unbequem und konnten gegen das Flair des Autos nicht gewinnen. Die monopolistische Macht und dieses Gebaren wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Gegenstand eines Antitrustverfahrens und später einer Senatsuntersuchung – aber da war es bereits zu spät, das Straßenbahnnetz war durch die General Motors streetcar conspiracy auf rund ein Siebtel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den USA rund 100 selbständige Autohersteller. Infolge des Nachfragerückgangs durch das Auslaufen der Kriegsproduktionen und die Anpassungsrezession drehte sich der Verkäufermarkt in einen Käufermarkt, und die Unternehmen gerieten stark unter Druck. In der stark verschärften Konkurrenzlage versuchten schließlich GM und Ford, sich gegenseitig mit einem Preiskrieg aus dem Markt zu drängen. Dabei handelte es sich um eine besondere Form des Gefangenendilemmas, nämlich ein Oligopolspiel, bei dem mit massiven Preissenkungen Märkte erobert werden sollen, die dann alle nachziehen müssen, wobei schließlich keiner gewinnt. Das hatte zur Folge, dass eine Vielzahl von Unternehmen unterging und andere sich konsolidierten. Es entstand die American Motors Corporation (AMC), die später wiederum von Chrysler geschluckt wurde. Vom Markt verschwanden damals auch noch bekanntere Hersteller wie Crosley, Hudson, KaiserFrazer, Nash Packard, Studebaker, Tucker und Willy's (Jeep). Kriegerisch war nicht nur der Wettstreit, auch die massiven industriellen Kollateralschäden sind anzuführen, von
486
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
denen sich die US-Autoindustrie über Jahrzehnte nicht erholte und deshalb auch staatlicher Hilfen bedurfte. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Monopolisierung des Markts ab den fünfziger Jahren Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • GM (General Motors), als seinerzeit weltweit größtes Autounternehmen. Es wurde im Jahr 1908 gegründet und war bekannt für seine stets aggressive und gelegentlich ruchlose Expansionspolitik. Erfahrungen im Wirtschaftskrieg sammelte das Unternehmen zum Beispiel bei der Zerstörung der amerikanischen Straßenbahnindustrie durch ein Linienbussystem – auch das Verkehrsunternehmen Greyhound ist eine GM-Gründung, die zugleich für den Absatz der eigenen Busse sorgte. In Deutschland übernahm GM im Jahr 1929, also während der Wirtschaftskrise, Opel. • Ford, als seinerzeit zweiter auf dem amerikanischen Markt und weltweit zweitgrößter Anbieter. Das Unternehmen war der zweite Versuch von Henry Ford, in den Markt einzusteigen – sein erstes Unternehmen erlangte unter dem Namen „Cadillac“ bei GM Berühmtheit. Berühmt wurde das Unternehmen wegen seines Beitrags zur Serienfertigung (Modell T). Die Expansion nach Europa erfolgte im Jahr 1925 mit der Gründung von Ford Deutschland, das 1929 nach Köln umsiedelte. • Chrysler, im Jahr 1925 von einem ehemaligen Mitarbeiter von GM aus zwei Autounternehmen, Chalmer und Maxwell, gegründet. In Chrysler ging im Jahr 1987 auch AMC, das in den Turbulenzen des Autokriegs im Jahr 1954 gegründet worden war, als vierter bedeutender US-Hersteller auf. • Eine Vielzahl kleinerer Autohersteller, die inzwischen aufgekauft wurden oder untergegangen sind. Kriegsmittel: • Massive Preissenkungen. Kriegsziel: • Sukzessives Vernichten bzw. Aufkaufen der anderen Unternehmen und Marktbereinigung, wobei im Falle von damit verbundenen Strukturproblemen durch massives Lobbying die amerikanische Staatskasse in Anspruch genommen wird. Kriegsfolgen: • Langfristige Schwächung der US-Autoindustrie, die damit Opfer der Attacke durch Importeure wurde.
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen
487
Tatsächlich konnten über die Marktbereinigung hinaus und damit ein instabiles Oligopol die Kriegsziele von Ford und GM nicht erreicht werden. Chrysler wurde Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts durch US-Bürgschaften vor der Insolvenz gerettet, ging dann eine Partnerschaft mit Daimler-Benz ein, die schließlich scheiterte und den Spottnamen Crimeler bekam. Im Jahr 2000 geriet Ford infolge der Rabattschlachten und einer falschen Modellpolitik in eine tiefe Krise, die rund zehn Jahre anhielt. GM musste 2007 verstaatlicht werden, um das Unternehmen zu retten. Keiner der beiden großen, GM und Ford, wurde vernichtet und verließ den Markt. Allerdings schwächte dieser Preiskrieg die gesamte US-amerikanische Autoindustrie, deren Kundschaft nunmehr über den Qualitätswettbewerb, den die Preissenkungen ausgelöst hatten, für ausländische Bewerber offen war. Das wurde durch den lange Zeit überbewerteten US-Dollar verstärkt. Denn infolge der massiven Verschiebungen der Währungsstrukturen durch den Zweiten Weltkrieg und das Fixieren der Währungskurse im Abkommen von Bretton Wood war der US-Dollar überbewertet und eröffnete damit der damals unterbewerteten Deutschen Mark (analog auch zum japanischen Yen) eine erhebliche Exportchance. Fachleute behaupten, dass der damalige Preiskrieg, der immer wieder aufflackerte, wesentlich zum Niedergang der amerikanischen Autoindustrie beigetragen hat. Denn ausländische Autohersteller produzieren inzwischen sehr erfolgreich in den USA und füllen dort stabile Marktnischen, die der amerikanischen Industrie, die im Preiskrieg auf Skalenökonomien setzte, nicht zugänglich sind. Die Fähigkeit, über Plattformstrategien Verbundvorteile zu nutzen, stellt dabei einen wichtigen Erfolgsfaktor dar. Betrachtet man die Länder, in denen die großen Automobilkonzerne beheimatet sind, also Japan, Deutschland, die USA, Frankreich und Italien sowie Südkorea, so bestreitet Japan etwas mehr als ein Drittel, Deutschland etwas weniger als ein Drittel der globalen Produktionsmenge, die USA nur ein Fünftel – obwohl das Land von der Einwohnerzahl her größer als Deutschland und Japan zusammen ist. Das Beispiel wirft ein Schlaglicht auf ein nicht abschließend im Vorhinein zu lösendes Problem: Wann werden Preisvorstöße systemzerstörend? Wie tragfähig sind die finanziellen Ressourcen? Wie robust ist die industrielle Basis? Wie qualifiziert ist das Humankapital, nach dem Zusammenbruch von Unternehmen neue Arbeitsplätze zu finden, also erfolgreiche Triage zu ermöglichen? Wann darf bzw. muss das Kartellamt eingreifen? Wann wird die Preisoffensive ein Wirtschaftskrieg? Da es sich bei dieser ökonomischen Kriegsführung in den Fällen von Ford und General Motors um streng hierarchische Organisationen handelte, die sich in einem Oligopolspiel mit Ähnlichkeiten zum Gefangenendilemma oder Feiglingsspiel verfangen hatten, erscheinen Zuordnung und Verantwortung für das Debakel klar. Die Haftung mussten die Aktionäre der beiden Unternehmen übernehmen, die Arbeitnehmer zahlten durch Arbeitslosigkeit oder Lohnsenkung, der Steuerzahler durch Notfallkredite.
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6.6.2 Der Preiskrieg um den „Lebenssaft der Wirtschaft“ Energieträger zählen zu den wesentlichen Fähigkeiten der Moderne. Vor allem das Rohöl konnte infolge seiner günstigen Transport- und Nutzungsmöglichkeiten eine wichtige Bedeutung im Entwicklungsprozess erzielen. Viele Länder sind auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohöl und Erdgas angewiesen, vor allem dann, wenn eine weitere wirtschaftliche Basis, beispielsweise in der Industrie fehlt – und oft infolge des weiter oben erwähnten Transferproblems nicht entsteht. Der Niedergang der Sowjetunion und die Gründungskrise Russlands wurden begleitet von wirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund eines Rohölpreisverfalls. Der Rubelkurs kollabierte nach Währungsfreigabe im August 1998 auf ein Fünftel des ursprünglichen Werts. Vorher hatte eine Anpassungskrise infolge einer Inflation von fast 200 % den Geldüberhang eliminiert und den Weg zu einer Währungsreform erzwungen. Ende 1998 stand der Ölpreis bei 9,10 US$. Das haben Wladimir Putin und auch erhebliche Teile des russischen Volks nicht vergessen. Für die USA öffnete dies den Weg zur einzigen globalen Macht – dem politischen Auseinanderfallen der Sowjetunion folgte der wirtschaftliche Zusammenbruch. Als eine der energiehungrigsten Volkswirtschaften der Welt hängt das Wohl und Wehe der USA entscheidend von niedrigen Energiepreisen ab; jede Regierung weiß, dass dies eine offene Flanke ist – deshalb konnte die Fracking-Industrie in den USA trotz erheblicher Umweltbedenken ausgebaut werden. In der Folge wurde das Land unabhängig von Ölimporten, was zu einem massiven Druck auf die Rohölpreise geführt hat und nach der Ölpreisoffensive von Saudi-Arabien wiederum beginnt, die Fracking-Industrie, welche diese Entwicklung ausgelöst hatte, aus dem Markt zu drängen. Abb. 6.27 zeigt die Preisentwicklung des Öls. Die Rohölversorgung verbesserte sich auch durch den Iran-Atom-Vertrag im Sommer 2015, der nach 30 Jahren des Boykotts und Sanktionen dem Land den Zugang zu den Weltmärkten öffnete. Das Aufkündigen dieses Vertrags durch die USA im Jahr 2018 hat nicht nur zu Spannungen auf den globalen Ölmärkten geführt; auch das extraterritoriale Durchsetzen der Sanktionen bei den Handelspartnern setzt die globale Wirtschaft unter Druck. Ergänzt wird dies durch den Versuch der USA, Absatz für ihr Naturgas zu finden und deshalb einen Ausbau des Pipelinesystems nach Europa – konkret North-Stream-II – zu verhindern. Dies geschieht auch mit extraterritorialen Erzwingungsmaßnahmen gegen deutsche Unternehmen, die zwar völkerrechtswidrig sind (Luchterhandt 2018), denen aber Europa schutzlos ausgeliefert ist mangels Willen zur geostrategischen Positionierung und vor allem infolge fehlender Fähigkeiten, Zahlungsverkehre ohne die USA abzuwickeln: Wirtschaftliche Beziehungen zum Iran bedeuten Ausschluss vom US-Markt und massive Strafzahlungen – derartiges hat BNP Paribas im Jahr 2012 über 9 Mrd. US$ gekostet. Die hier beschriebene Auseinandersetzung ist nicht nur ein multipolarer Wirtschaftskrieg – sie ist auch ein hybrider militärischer Krieg, in dem die ökonomische Rivalität als ein wichtiger, eingebetteter Treiber fungiert. Denn Fracking hat nicht nur den Druck
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen
489
120
Banken- EU-SchuldenKrise Krise
lfd. US$ je Barrel WTI
100
80
60
Zweite Ölkrise
40
20
0 1970
Fall der Mauer
Beginn des großtechnischen Frackings in den USA
Erste Ölkrise
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
Abb. 6.27 Entwicklung der Rohölpreise, 1970 bis 2018. (Quelle: eigene Darstellung mit Daten aus Stooq 2019)
im internationalen Ölmarkt gemindert, es hat auch den klassischen Lieferländern die Endlichkeit ihrer Wettbewerbsposition vor Augen geführt, die durch die internationale Abkehr von fossilen Brennstoffen aus Gründen der Klimaziele noch verstärkt wird. In der arabischen Welt wird dies überlagert durch die Rivalität zwischen Sunniten (und den damit verbundenen Religionsgemeinschaften, insbesondere den saudischen fundamentalistischen Wahhabiten) und den Schiiten (mit den Alawiten in Syrien als Herrschaftsgruppe, die nicht mit den türkischen Alewiten zu verwechseln sind). Die beiden wichtigsten im Mittleren Osten wirkenden Organisationen, Al-Qaida (seit Anfang des Jahrtausends) und der Islamische Staat (IS) werden international als terroristische Bedrohung wahrgenommen. Letztere sind in erheblichem Maße im Sinne des hybriden Kriegs wirtschaftlich tätig. Nach Daten des Economist (2015c) und der Wirtschafts Woche (2015b) verfügte der IS im Jahr 2015 über Einnahmen von rund 2 Mrd. US$, fast ein Viertel bis ein Drittel davon waren Einnahmen aus Öl; hinzu kamen Gelder aus Konfiskationen und Lösegelderpressungen – ebenfalls etwa ein Drittel – sowie in erheblichem Maße auch regulär erhobene Steuern und Verkauf von Elektrizität und landwirtschaftlicher Produkte. Im Sommer 2017 beliefen sich die Einnahmen aus dem Ölgeschäft, trotz des Verlustes erheblicher Gebiete, immer noch auf rund 1. Mio. US$ pro Tag (Foschini, Tonacci 2017). Bei den Ausgaben dominieren die Ausgaben für das Militär, aber auch Sozialleistungen und Investitionen in die Infrastruktur (Wasser, Elektrizität, Straßen) sind bedeutsam. Der Zahlungsverkehr mit dem Ausland wird über
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
befreundete Golfstaaten, aber auch über das Hawala (Wechsel) genannte Transaktionssystem abgewickelt, das an die Zeiten des Fugger- und Medici-Geldverkehrs erinnert. Die Auseinandersetzung folgt den vorgestellten Wettbewerbskonzepten, gerade im Sinne der modernen Industrieökonomik, weil Öl ein vergleichsweis homogenes Gut ist: Die Marktteilnehmer sind weitgehend bekannt und ändern sich kurzfristig nicht. Es existieren beschaffungsseitig erhebliche regionale Substitutionsmöglichkeiten, zumal die Pipeline- und Schiffsinfrastruktur global auf hohem Standard ausgebaut ist. Gas als Substitut ist ein ebenfalls global weitgehend sehr gut verfügbares Gut – und die Verfügbarkeit nimmt zu, wenn es nach Ausbau der erforderlichen Umwandlungsterminals Gas-Flüssiggas-Gas als liquid natural gas (LNG) im Tankerschiff verladen werden kann. Zudem sind diese fossilen Energieträger gut zu speichern. Dieser Flexibilität gegenüber stehen die hohen Investitionskosten in die Anlagen, weshalb auch bei Preisverfall lange Durststrecken in Kauf genommen werden in der Hoffnung, ruinöse Konkurrenz zu überleben, weil es die anderen sind, die aus dem Markt austreten. Erheblicher Mehrbedarf kann auch nur durch langfristig angelegte Investitionen befriedigt werden. Öl – oder auch Gas – ist als Druckmittel im Sinne von Sanktionsmechanismen dann geeignet, wenn gleichzeitig eine Kontrolle der Finanztransaktionen die Durchsetzung flankiert. Genau dies ist der Vorteil, den die USA besitzen. Allerdings führen Boykotte auch zu Ausweichverhalten, vor allem stimulieren sie den technischen Fortschritt. Im schlimmsten Fall wird der Rohstoff weitestgehend ersetzt, wie dies bei Naturkautschuk (Latex) geschehen ist, das heute auf Spezialmärkten eine wichtige Rolle spielt. Auf theoretischer Ebene stellt sich die Frage nach der optimalen Exploitation und nach welchen Kriterien dies im Wirtschaftskrieg bemessen wird. Erinnert sei hier an die bereits angesprochene Hotelling-Regel, der zufolge der Preis eines Rohstoffs mit dem Zinssatz ansteigen sollte, an die Erfordernisse, Haushalte zu finanzieren oder Eliten zu akkommodieren, wie dies im Konzept der limited- bzw. der open-acces order (LAO, OAO) gezeigt wurde (North, Wallis, Weingast 2009). Damit verbinde sich die Frage, ob open-access-Gesellschaften durch Wirtschaftskrieg in das frühere Stadium einer limited-access-Gesellschaft zurückfallen können, wie dies beispielsweise bei Venezuela zu beobachten ist. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Der USA: Hohe Priorität hat der Erhalt der weitgehenden Autarkie im Energiebereich und Nutzen der technologischen Kompetenzen, vor allem in der Fördertechnik, um die eigene geostrategische Position zu stärken und die Position als einzige globale Großmacht durchzusetzen. Niedrige Ölpreise halfen Ende der 2010e Jahre, die Einnahmen des Islamischen Staats (IS) zu reduzieren. Der Druck auf Russland wegen der Ukraine- und Krimkrise war anfänglich ein gern gesehener Kollateralnutzen, gewinnt aber an Bedeutung wegen der Krise in Nah-Ost. Seit Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran im Jahr steht auch der Regimewechsel dort im Fokus.
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen
491
• Saudi-Arabien: Ein nachhaltiges Schädigen des Irans als Protektor der schiitischen Muslime steht im Fokus. Damit verbunden ist die politische Destabilisierung des Iran, der nach dem Aufheben des bisherigen internationalen Boykotts, der aufgrund des iranischen Atomprogramms verhängt worden war, nunmehr vor der Wiederaufnahme der Ölexporte sowie umfangreichen Investitionen steht. Begrenzt S audi-Arabien ergänzend das Potential der US-Fracking-Kapazität, dann sind die USA verstärkt auf den internationalen Markt angewiesen – das dürfte die Notwendigkeit, die Schutzfunktion im arabischen Raum beizubehalten, verstärken, an der S audi-Arabien interessiert ist, und ihm die Fortsetzung seiner aktivistischen Außen- und Militärpolitik weiter ermöglichen. Langfristig benötigt Saudi-Arabien für einen ausgeglichenen Staatshaushalt erhöhte Ölpreise. • Vereinigte Arabische Emirate: Ähnlich wie Saudi-Arabien versteht es sich als Schutzmacht der Sunniten und besitzt eine der schlagkräftigsten Armeen vor Ort. Durch eine Pipeline wäre es von einer möglichen Sperrung der Straße von Hormus weniger betroffen. • Russland: Die Rückgewinnung seines Einflusses als politische Weltmacht durch die militärische Intervention in Syrien angesichts der Herabwürdigung durch US-Präsident Barack Obama, nur eine Regionalmacht zu sein, ist Teil des neuen Selbstverständnisses. Seine Abstiegsangst versucht es daher durch seinen Großmachtanspruch zu kompensieren. Das Stabilisieren des politischen Systems erscheint nur auf der Basis eines nachhaltigen Rohstoffexports möglich. Russland und der Iran als die beiden Hauptgeschädigten nähern sich an, was das strategische Gleichgewicht in der Region wiederum nachhaltig verändert. Die US-Sanktionspolitik verstärkt diese Tendenz. Im Falle eines Kriegs käme es jedoch in die Zwickmühle, weil eine Schwächung des Irans neue Handlungsräume gerade auch durch die starke Präsenz in Syrien eröffnen würde. Andererseits könne ein Regimewechsel in Teheran die USA begünstigen. Zudem besitzt Russland gute Beziehungen zu Israel. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die USA, die mit der Fracking-Technologie ihre Produktion an Rohöl von 1994 bis 2015 um rund 50 % gesteigert haben24 und hierdurch ihren Weltmarktanteil leicht auf knapp 15 % erhöhten. • Saudi-Arabien war lange Zeit der Garant einer stabilen und nachhaltigen Förderpolitik mit dem Ziel, angemessene, aber für die Industrieländer wachstumsfördernde Preise zu gewährleisten (swing-pricing). Seit dem Jahr 1994 nahm die Produktion um rund 30 % zu und führte zu einem leichten Rückgang des Marktanteils auf knapp
24Das Angebot stieg in dieser Zeit um rund 36 % auf etwa 96 Mio. Barrel pro Tag. Zu den Angaben, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2016a).
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13 %. Das Land fühlt sich als Schutzmacht der heiligen Stätten von Mekka und Medina zur Führung der muslimischen Sache berufen – was identisch ist mit der sunnitischen Strömung, deren Widerstandsgruppen und Aufständische es unterstützt. Durch die bisher hohen Rohöleinnahmen ist es auch ein wichtiger Exporteur seines fundamentalistisch-intoleranten Islams – was weltweit an der Finanzierung einer Vielzahl von Kulturzentren und von über 1500 Moscheen sichtbar wird. • Der Iran, der aufgrund seines Atomprogramms mit Sanktionen belegt wurde und daher seinen Weltmarktanteil von 5,3 % auf 3,7 % (3,5 Mio. Barrel pro Tag 2014) sinken sah. Mit dem Abschluss des Atomvertrags mit dem Iran am 7. September 2015 hat sich das strategische Umfeld für Saudi-Arabien – und damit für seine Nachbarn – grundlegend geändert, weil der Iran nun nach dem Aufheben der Sanktionen, aber auf verbesserte Absatzchancen hofft. Die Wirtschaft ist im Vergleich zu der der arabischen Nachbarschaft breit diversifiziert25 und kann daher eine Fülle von Kooperationsmöglichkeiten anbieten. Er sieht sich als Schutzmacht aller Schiiten und unterstützt die entsprechenden Widerstands- und Rebellengruppen. • Die Golfstaaten, allen voran Katar, das offiziell nicht Partei ist, indirekt aber durch Finanzhilfen an sunnitische Gruppen in das Geschehen eingreift. • Russland, das von diesem Ölpreiskrieg schwer getroffen wurde und ebenfalls seine Förderung auf elf Mio. Barrel oder knapp elf Prozent der Weltproduktion erhöht hat. Es sieht darin eine geostrategische Möglichkeit, seine Präsenz im Mittelmeerraum zu stabilisieren.26 Zugleich besteht die Möglichkeit, unter Umgehung von Polen und der Ukraine über North-Stream-II von Deutschlands Energienot im Nachgang des Atomausstiegs und dem künftigen Kohleausstieg zu profitieren, was wiederum diese Länder, die USA und zunehmend Teile der Europäischen Union auf den Plan ruft, Deutschland zu ersuchen – seitens der USA: mit extraterritorialen Druckmitteln auf die beteiligten Unternehmen – das annähernd fertiggestellte Projekt aufzugeben. Kriegsmittel: • Preisunterbietung und seitens Saudi-Arabiens das klassische Setzen eines markteintrittsverhindernden Preises (Limit-Pricing). • Finanzielle Unterstützung des Terrors durch Saudi-Arabien und den Iran. • Sanktionen und extraterritoriales Durchsetzen eigenen Rechts seitens der USA.
25Das
Land ist ein großer Förderer von Eisenerz und Kupfer, besitzt leistungsfähige landwirtschaftliche Böden sowie eine industrielle Tradition aus Shah-Zeiten, an die sich anknüpfen lässt. 26Russland sah sich über Jahrhunderte als Protektor und Nachfahre des Ostchristentums. Mit der Eroberung des christlichen Konstantinopels durch den osmanischen Sultan Mehmet II. im Jahr 1453 sah es seine Rolle als Protektor der Christen und der Bosporus-Meerenge – eine Position, die auch die kommunistischen Herrscher und heute Wladimir Putin einnehmen.
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen
493
Kriegsziel: • Ziel des Preiskriegs seitens der USA ist das Unterminieren der Investitionsfähigkeit des Irans und des Weiteren Abbaus der Schieferöl- und -gasvorkommen in den USA, aber auch weltweit. • Kriegsziel Saudi-Arabiens ist die dauerhafte Positionierung als regionaler Hegemon. Kriegsfolgen: • Die Zahl der noch fördernden Einrichtungen hat sich bis zum Jahr 2016 halbiert. Damit droht eine Finanzkrise infolge des Zusammenbruchs bei Fracking-Finanzierungen. Die langfristige Aufrechterhaltung der Förderinfrastruktur ist nicht gesichert, wenn nicht durch verbesserte Technologien die Kosten sinken – was inzwischen teilweise geschieht. Manche Förderländer könnten infolge der niedrigen Preise fiskalisch kollabieren, weil sie durch große Abhängigkeit von den Einnahmen ihre Haushalte nicht ausgleichen können.27 Die Beteiligten befinden sich in einem Gefangenendilemma mit dem Potential einer (immer wieder aufflackernden) Eskalation, das nur durch Koordination zu überwinden ist – was die OPEC bisher nicht zu leisten vermochte. • Ein Kollaps des Irans könnte dazu führen, dass nach dem Irak, Syrien und Libyen das dritte Land im Nahen Osten, auch infolge seitens des Westens wenig durchdachter Interventionen, dauerhaft destabilisiert ist. Es wird davon ausgegangen, dass bei rund 60 US$ pro Barrel die US-Anbieter ihre Produktion von Schieferöl massiv hochfahren würden, sodass dieser Wert eine obere Preisschwelle darstellt, die nicht so schnell überboten werden kann, weil dann eine schnelle Mengenausweitung erfolgt. Für die einzelnen Länder ergeben sich die in Abb. 6.28 aufgeführten Förderkosten. Abb. 6.29 gibt die Merit-Order, also die Günstigkeitsfolge des internationalen Ölmarkts an, die zeigt, ab welchen Preisen sich welche Art der Förderung lohnt. Verbindet man die Punkte der Durchschnittskosten, erhält man eine Angebotsfunktion. Diese weist demzufolge eine mit der Menge exponentiell wachsenden Preis aus. Anhand der Spieltheorie sollen zwei Modellierungen vorgestellt werden, deren Ausgestaltung davon abhängt, ob das Angebot des amerikanischen Fracking-Öls elastisch ist oder nicht; das ist den Spielern zunächst nicht bekannt, sie müssen also gegebenenfalls Erfahrungen sammeln. Weiterhin stellt sich die Frage, wie die Endkundenpreise auf Mengenänderungen reagieren; das sollte bekannt sein.
27So
benötigt der Iran im Jahr 2018 nur rund 40 US$ pro Fass zum Haushaltsausgleich, sein Gegner Saudi-Arabien aber rund 80 US$. Spitzenreiter ist Venezuela, das Land mit den größten Ölreserven der Welt, mit über 200 US$ pro Fass (Die Welt 2018a).
494
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Saudi-Arabien Iran Irak Russland Indonesien US-Nicht-Schieferöl Norwegen US-Schieferöl Kanada Venezuela Nigeria Brasilien Großbritannien 0,0
5,0
10,0
15,0
20,0
25,0
30,0
35,0
40,0
45,0
50,0
US$ pro Barrel
50
59
60 % Konfidenzintervall des Break-Even-Preises für jede Kategorie
Russland onshore
60
59 58
83
Ölsande
60
Tiefsee
70
Schweröl
Gewichteter durchschnittlicher Break-Even-Wert
80
Festlandssockel
90
Onshore Milerer Osten
49 46 42
40
Produzierende Ölfelder extra schweres Öl
Realer Break-Even-Preis (US$ je Barrel)
100
Onshore Rest der Welt
Abb. 6.28 Förderkosten der globalen Ölanbieter, 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus Die Welt (2016c) und Street Journal – Farben nach Ländergruppen)
30 26
20 10
Vorhandene Ressourcen jeder Angebotsgruppe zum Stand 2019 0
0
200
400
600
800
Nicht produzierende Felder
1,000
1,200
1,400
Gesamte förderfähige flüssige Ressourcen (Milliarden Barrel) Abb. 6.29 Rystad-Merit-Order-Struktur des internationalen Ölmarkts, 2019. (Quelle: eigene Darstellung adaptiert von Rystad 2019)
6.6 Ressourceneinsatz im Wirtschaftskrieg an Beispielen
495
• Wenn das US-Angebot flexibel auf Preisveränderungen reagieren kann, dann bedeutet das, dass eine Rücknahme der Menge seitens Saudi-Arabiens durch die USA aufgefangen wird – man verliert Marktanteile, ohne dass sich preislich etwas ändert. • Wenn allerdings das US-Angebot unflexibel reagiert, dann lohnt es sich, die Menge zurücknehmen. Wenn dann infolge des Gesamtsinkens des Angebotsvolumens der Preis der Abnehmer überproportional ansteigt, dann kann sich die Erlössituation sogar verbessern. Je nach der Erwartung wird also die eine oder die andere Strategie gewählt oder notfalls – wenn es noch möglich ist, revidiert. Weiterhin hängt das Handeln auch von der Kooperationsbereitschaft anderer Staaten ab, die ebenfalls die Marktanteile, die Saudi-Arabien freimacht, bedienen könnten.28 Möglicherweise spielen aber noch ganz andere Erwägungen eine Rolle, nämlich die langfristige strategische Orientierung, wie Ulrich Blum (2016c) in Öl als Waffe schreibt. Saudi-Arabien und der Iran kämpfen um die Vorherrschaft als Regionalmacht. Ihr Zerwürfnis nahm bereits im Jahr 1976 – also noch zu Zeiten des Shahs Mohammad Reza Pahlavi (1919–1980) – seinen Anfang, als die saudische Regierung den Wunsch des Irans, höhere Preise am Markt durchzusetzen, blockierte. Mit dem Sturz des Shahs und dem von den Saudis unterstützten Krieg des Iraks gegen den Iran wurde dieser Antagonismus zementiert. Die Bindung des Iraks an Saudi-Arabien endete erst durch den Einmarsch in Kuwait im Jahr 1990 und mit der direkten Bedrohung des saudischen Königreichs durch das laizistische System des Iraks, was zum ersten Kuwaitkrieg und zur Annäherung Saudi-Arabiens an den Iran führte. Erst der Sturz Saddam Husseins (1937–2006) durch die USA – gegen den nachdrücklichen Rat der Saudis – im Jahr 2003 im zweiten Irakkrieg veränderte die Schlachtordnung erneut und machte, befördert durch die Radikalisierung der iranischen Regierung, beide Länder wieder zu Antagonisten. Sie fechten faktisch einen Stellvertreterkrieg im Jemen, im Libanon und in den Palästinensergebieten, in Libyen, im Irak und in Syrien aus (Iran: Huthi-Rebellen, Hisbollah; Saudi-Arabien: IS, Hamas). Unübersichtlich wird die Lage dadurch, dass im Grenzgebiet zur Türkei die Konfliktländer Irak und Syrien kurdische Minderheiten haben und die Türkei selbst gegen ihre kurdischen Minderheiten einen Bürgerkrieg führt. Da der IS diesen anfangs unterstützte, konnte er die Türkei als Rückzugs- und Logistikraum nutzen. Zu dieser Zeit war die Türkei mit dem Regime Assad befreundet. Neben den entfesselten Konflikten führt Saudi-Arabien auch einen Wirtschaftskrieg gegen die eigene sunnitische Minderheit, die weitgehend in den erdölreichen Regionen siedelt, aber vom Ölboom bisher kaum profitierte. Hier liegt auch das Zentrum der Arabellion-Ansteckung Anfang der 2010er Jahre. Worin bestehen die ökonomischen Gefahren des Ölpreiskriegs – besonders der extrem geringen Ölpreise? Tatsächlich ergibt sich durch ihn eine massive Umverteilung von Ein-
28Zu
den spieltheoretischen Formulierungen, vgl. Fattouh, Poudineh, Sen (2016).
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6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
kommen – und wegen der Werthaltigkeit von Anlagen, die von Gewinnen abhängig sind: auch Vermögen – weltweit. Besonders zu erwähnen sind: 1. Die Investitionsneigung in den Förderländern geht zurück – und zwar gleichermaßen in Exploration und Fördertechnologie (rund 300 Mrd. US$ pro Jahr; Kloepfer 2015) sowie in sonstige Anlagen und Bauten. Institutionelle Investoren ziehen sich aus Ölförderunternehmen zurück. Die Investitionszurückhaltung von heute ist die erhöhte Knappheit von morgen. Ob sie in den Zielländern entsprechend kompensiert werden kann, ist fraglich, weil viele dieser Länder eher stagnieren und die Unternehmen ohnehin nur begrenzt ihre Kapazitäten erneuern oder ausbauen. 2. Waren im Jahr 2011 noch rund 3900 Öl- und Gasbohranlagen aktiv, sind es Anfang 2016 nur noch rund 1750 (Hulverscheidt 2016b). 3. Die Vermögensumverteilung und insbesondere die Fracking-Finanzierung mittels Hochzins-Anleihen stellt eine große Bedrohung der Finanzmärkte dar. 4. Der technische Fortschritt in energie- und rohstoffarmen Produkten und Produktionsverfahren geht zurück, damit steigt das langfristige Klimarisiko. 5. In den Zielländern, bei denen die Preise ohnehin stagnieren, droht eine Deflation, die besonders dann gefährlich wird, wenn sich die Zentralbanken genötigt sehen, einen Krieg um die Herrschaft auf dem Geldmarkt zu entfesseln und die Märkte noch weiter mit Liquidität fluten.
5%
200
0%
150
Anteil des BIP
50
-10%
0 -15%
-50
-20%
Mrd. US$
100
-5%
-100
-25%
-150
-30%
-200 Einnahmenänderung absolut (rechte Skala) Einnahmenänderung relav (linke Skala)
Abb. 6.30 Umverteilungseffekte des Ölpreiskriegs, 2015. (Quelle: Die Welt (2015b) und Flossbach von Storch, BP, IEA , IMF)
6.7 Fazit und Handlungsempfehlungen
497
6. Die Subsistenzbasis in den Förderländern sinkt, es droht eine enorme Ausweitung der Migrationsbewegungen. 7. Die Abb. 6.30 verdeutlicht die erheblichen Umverteilungsfolgen des Ölpreiskriegs. Die einseitige Spezialisierung auf Ölverkäufe bzw. auf Raffinierung führt in den Erzeugerländern zu beträchtlichen fiskalischen Einbrüchen. Die entlastenden Effekte in den Absatzländern sind hingegen eher – relativ gesehen – klein. 8. Die Strafmaßnahmen der USA gegen den Iran haben ab dem Sommer 2018 zu einer Verschärfung der Lage geführt; die mit Aufheben der Sanktionen im Herbst 2017 auf fast 4 Mio. Fass pro Tag angestiegene Ölproduktion ist um ein Viertel eingebrochen und sinkt weiter, seit die USA Länder mit Sanktionen bedrohen, die vom Iran Öl kaufen. Einige Länder haben sechsmonatige Übergangsfristen, beispielsweise China und Indien, die beide rund 1,2 Mio. Fass pro Tag abnehmen (Börsen-Zeitung 2018e), und es wird sich zeigen, ob die USA langfristig gegenüber diesen beiden Ländern fähig sind, Sanktionen durchzusetzen.
6.7 Fazit und Handlungsempfehlungen Strategische Entscheidungen haben, weil sie auf eine weite Sicht angelegt sind, eine lange Halbwertzeit, weshalb sie sorgsam bedacht werden müssen. Das gilt gleichermaßen für aggressives Verhalten – den Markteintritt und den Versuch, einen Konkurrenten zu verdrängen oder zu vernichten bzw. zu übernehmen – wie für das Akkommodieren, also das Finden eines Arrangements, innerhalb dessen die Wettbewerber wohlwollend miteinander umgehen. Insbesondere muss auch der in einem Markt Angegriffene, also der Verteidiger, bedenken, dass seine strategischen Optionen nicht allein auf eine Verzögerung oder auf ein Hinhalten des Aggressors gerichtet sein können; erfolgversprechender ist es, dort zurückzuschlagen, wo es der Angreifer nicht erwartet und es ihn besonders schmerzt, um Initiative zu gewinnen. Das aber befördert die räumliche und sachliche Konfliktausbreitung, was also wohlbedacht sein muss. Dies ist einer der Gründe, weshalb Wettbewerb zu einem Wirtschaftskrieg eskalieren kann. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn keine Gesprächskanäle zwischen den Kontrahenten offenbleiben – derartige Kontakte können aber kartellrechtlich bedenklich sein – bzw. ein staatliches Interesse an der Auseinandersetzung besteht, wodurch der Konflikt noch geschürt wird. Stets ist eine klare Einschätzung der eigenen Bereitschaft, Fähigkeit und des Willens zur Zielerreichung wichtig, ob es möglich ist, eine avisierte Auseinandersetzung durchzustehen. In der Regel ist gerade der Durchhaltewille leicht zu gefährden, beispielsweise durch begleitende Informationskriege und Propaganda. Dann erodieren meist Bereitschaft und Fähigkeit ohne weiteres Zutun von außen. Gerade die Debatte um die Frage, ob ein im Wettbewerbskrieg geschlagener Gegner bereits todgeweiht ist oder nicht, bedeutet viel für dessen Fähigkeiten, seine Absatz- und Beschaffungsmärkte zusammenzuhalten. Diese sind aber entscheidend, um einen Angriff oder eine Verteidigung durchhalten zu können. Die materiellen und die personellen Voraussetzungen des Erfolgs zu sichern, ist damit von entscheidender Bedeutung.
498
6 Fähigkeit, Bereitschaft und Wille zum Wirtschaftskrieg
Das wird an den genannten Beispielen deutlich: So hat der Auszehrungskrieg der amerikanischen Autoindustrie, eine Art Verdun-Strategie, zwar eine Konsolidierung der Branche erzwungen, der Preis einer anhaltenden globalen Wettbewerbsschwäche aber war hoch, vor allem in den Premiumsegmenten. Insgesamt reichten die Ressourcen nicht, heute ist das Risiko des lachenden Dritten sichtbar, ganz analog auch zu dem, was früher über das wechselseitige Zerfleischen der Konkurrenten ausgeführt wurde. Der Ölpreiskrieg zeigt fast leerbuchhaft, wie eine veränderte Preispolitik – Saudi-Arabien wurde vom Swing-Preissetzer zum Limit-Preissetzer – Schockwellen durch einen Markt sendet und wie effektiv ein derartiger Preiskrieg ist. Konkrete Erkenntnisse hieraus sind: 1. Erkenn die Signale und stärke die eigene Signalkompetenz! Fähigkeiten werden meist durch das Versenken von Kosten nachhaltig gebildet und bestimmen damit Handlungspfade, beeinflussen auch eigene Entscheidungen und die des Gegners. Unterscheide sorgfältig, was er wissen muss, was er wissen kann und wo ein Schleier des Unwissens die eigene Position stärkt. Denke vom Einsatz her! 2. Alle Fähigkeiten sind von geringem Wert, wenn sie nicht der Einsatzbereitschaft dienen. Die Analyse des Wettbewerbsumfelds ist entscheidend und muss auch potentielle Wettbewerber, die kurzfristig in den Markt eintreten können, umfassen. 3. Der Willen zum Erfolg muss im Team verankert sein. Kampfgeist und Durchhaltewille lassen sich nur erzeugen, wenn gemeinsame Ziele gemeinsam erreicht werden sollen. Der Wille kann Berge versetzen. Im Sinne der Auseinandersetzung zwischen David und Goliath gilt: Der erste Schuss muss sitzen! 4. Fähigkeiten, Bereitschaften und Wille zusammen konstituieren die hard power; über sie zu verfügen, macht den Einsatz oft unnötig, und wenn er nötig ist, wird er erfolgreich; soft power kann die hard power sinnvoll ergänzen (aber nicht ersetzen), besonders nicht im Sinne kultureller Attraktivität, welche die Identifikation mit den gemeinsamen Zielen im Führungsprozess sicherstellt. 5. Plan rational, denn nur so sind das Ziel und der Auftrag klar zu vermitteln! Berücksichtig aber, dass nichts so stark wie die Macht des Irrationalen ist! Sie ist auch für tipping points verantwortlich, die völlig Unerwartetes auslösen können. 6. Vergiss nie: Wenn du es planst, dann plaudere nicht! Wenn du es wagst, dann zaudere nicht! Wenn es misslingt, dann schaudere nicht!
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7
Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Den richtigen Augenblick erkenne! (Pittakos von Mytilene, ca. 650–570 v.Chr.)
Zweck allen Führens ist es, eigene oder gemeinsame Ziele durch eine Motivation Dritter zu verwirklichen, was zunächst voraussetzt, über die Ziele zu entscheiden und systematisch und planvoll den Mittel-Raum-Zeit-Informationen-Führungsprozess zu realisieren und mit den erforderlichen Persönlichkeitseigenschaften zu untersetzen.1 Führung bedeutet zugleich immer Verantwortung für andere und impliziert ein Minimum an Hierarchie. Netzwerke ohne Führung, die eine erkennbare Entwicklungsdynamik entfachen, werden im Gegensatz zu Systemen unter Führung als Schwarm bezeichnet, möglicherweise von einer Schwarmintelligenz (Surowiecki 2004) geleitet und sind insbesondere für irreguläre Kräfte charakteristisch. Der bekannte US-General Norman Schwarzkopf sagte einmal (zitiert nach Sprenger 2017b): „Führung ist eine kraftvolle Mischung aus Strategie und Vertrauen. Aber wenn Du ohne eines von beiden auskommen musst, verzichte auf die Strategie.“ Wie Reinhard Sprenger weiter ausführt, ist Führung essentiell auf Legitimität angewiesen: „Wer glaubt, führen zu können, ohne dass ihm die Leute folgen, geht nur spazieren.“
1Wie
komplex, oft gegenläufig diese Eigenschaften sein können bzw. sollen, scheint im Flyer der Bundeswehr (o. D) zu Anforderungen an den Offizier 21 auf: Selbständig, willensstark, zielstrebig, entscheidungswillig, verlässlich, handlungssicher, leistungsfähig, robust, diszipliniert, kritikfähig, teamfähig, verantwortungsbewusst, sozial kompetent, kameradschaftlich, interkulturell kompetent, kommunikationsfähig, innovativ, kreativ, fachlich kompetent, tapfer, pflichtbewusst, loyal, vorbildlich, wertebewusst, traditionsbewusst. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_7
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506
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Das folgende Kapitel betrachtet die Führung des Wirtschaftskriegs zunächst aus Sicht des Führungserfolgs unter Bedingungen hoher Komplexität, um darauf aufbauend in grundlegende Regeln einzuführen, die es ermöglichen, effizient unter ungünstigen Umfeldbedingungen zu entscheiden. Die Prinzipal-Agent-Theorie wird herangezogen, um zu zeigen, wie Führung mit Informationsasymmetrien umgehen soll. Unumkehrbarkeiten, die sich aus dem Handeln ergeben, werden nicht nur als Bedrohung, sondern auch als gestaltende Kraft gesehen. Erfolgreiche Führung manifestiert sich im erfolgreichen Umgang mit den Unwägbarkeiten der Zukunft, gemeinhin Ungewissheit und Risiko, und somit der Krise und einem hohen Maß an Selbstreflektion. Im Wirtschaftskrieg stehen dem Handeln oft Regeln der guten Unternehmensführung gegenüber, weshalb die Corporate Governance und die Compliance thematisiert werden. An drei Beispielen werden fehlerhafte Führungsprozesse dargestellt, die das Potential hatten, Unternehmen zu ruinieren, also an der Schwelle zum Wirtschaftskrieg standen bzw. diese teilweise bereits überschritten hatten: der Übernahme eines Mobilfunkanbieters, den Krieg zweier Chiphersteller und der Schleuderfahrt eines innovativen Pkw.
7.1 Führung in komplexen Systemen Die multidimensionalen Anforderungen des Handelns im Mittel-Raum-ZeitInformationen-Gefüge, auch als Führungstetragon bezeichnet, machen die Führungsperson vergleichbar mit dem Dirigenten eines Orchesters, der möglichst reibungslos – in der Sprache von Carl von Clausewitz: mit geringen Friktionen – die gewünschten Ergebnisse zu verwirklichen trachtet. Konfuzius (o. D. 2011, S. 70) stellt drei Anforderungen an eine Führungspersönlichkeit, wenn er unter dem Titel Der dreifache Sieg ausführt: „Weisheit macht frei von Zweifeln, Sittlichkeit macht frei von Leid, Entschlossenheit macht frei von Furcht.“ Carl von Clausewitz (1832, S. 153–154) verlangt in Fortsetzung dieses Gedankens von Führern Standfestigkeit im Sinne von Charakterstärke als Teil des Genius, also des Überlegenden und Abwägenden, nicht im Sinne von Eigensinn, die für ihn als Fehler im Gemüt gelten und kaum zu korrigieren sind und sich in Zweifeln Selbstsucht und Eitelkeit niederschlagen. Manche Personen mit derartigen Problemen versuchen sich in der Simulation – sie simulieren nicht vorhandene Charakterstärke und rücken schnell in die Nähe von Persönlichkeiten mit Defekten, die bereits im dritten Kapitel im Kontext der wirtschaftskriegerischen Persönlichkeiten verhandelt wurden. In diesem Abschnitt wird der Führungsprozess als strukturiertes System beschrieben, insbesondere werden die wesentlichen Friktionen behandelt. Dazu wird zunächst eine Struktur zur Einordnung von Führungsmodellen vorgeschlagen, entlang derer das Hauptproblem der Hierarchie, die Informationsasymmetrie, betrachtet wird. Dabei werden die oben benannten Eigenschaften Weisheit, also das Verstehen der Lage und der Transaktions- und Transformationsaufgaben der Führung, Sittlichkeit, also der würdige Umgang mit Menschen und damit die Berücksichtigung von individuellem Können und kulturellem Umfeld und schließlich die Entschlossenheit durch Selbstvertrauen, die sich
7.1 Führung in komplexen Systemen
507
in der Durchsetzungskraft manifestiert, thematisiert. Die Folge der Friktionen ist, dass oft aktuelle Lagen an historisch bekannten Entwicklungen gespiegelt werden. Deshalb spielt bei Carl von Clausewitz die Analyse historischer Kriege als Hintergrund einer Theorieentwicklung eine maßgebliche Rolle, wobei er besonders die Überraschung, also die Innovation, prominent betont. In der Tat ist die Beseitigung von Hindernissen auf der eigenen Seite ein zentraler Teil des Führungserfolgs. Ökonomisch gesprochen: Besser man räumt als Unternehmer seine eigenen Produkte ab, als wenn der Gegner das tut – und das Unternehmen gleich mit zerstört. Herfried Münkler (2014b) zeigt an Beispielen der Geschichte, wie stark sich Militärs und Politiker von historischen Kriegsmustern leiten ließen – von der Schlacht bei Cannae zu römischer Zeit bis zum Schlieffen-Plan im Ersten Weltkrieg. Auch gewisse Muster wiederholen sich; der Begriff des Pyrrhussiegs ist eine starke Metapher, wenn also der Preis der Niederringung des Gegners die annähernde Zerstörung der eigenen Truppe ist. Im Kampf gegen die Mittelmächte opferte England sein Empire. Klare Schadensabwägungen – militärisch und wirtschaftlich – sind also notwendig; diese werden daher anschließend beispielhaft entwickelt.
7.1.1 Führung und ihre Effektivität zwischen Kooperation und Rivalität Führung ist kein deterministischer Prozess – sie findet in einem Umfeld voll von Friktionen statt, wie es Carl von Clausewitz ausdrückte. Sie ist, also durch fehlende Informationen über den Gegner, die Landschaft, das Wetter und insbesondere über die Zukunft charakterisiert. Führung geht nie ohne Konflikte einher; deren Bewältigung stellt meist einen Lackmustest für die Qualität der Führung dar. Eigene Fehler zuzugeben und zu überwinden, Verantwortung zu übernehmen und Fehlertoleranz als Erziehungsprinzip zu nutzen, sind essentiell. Eine wichtige Motivationsaufgabe für die Führungspersönlichkeit ist es, dabei auch – im Sinne einer zeitgemäßen Führung – die soziale, politische und gesellschaftliche Situation der Untergebenen im eigenen Führungsverhalten bei der Erfüllung des Auftrags zu berücksichtigen. Damit muss die Rivalität innerhalb der Führungsgruppe ebenso wie zwischen den geführten Personen überwunden, zumindest aber kanalisiert werden, um sie im Sinne eines kreativen Diskurses fruchtbar zu machen. Wegen der Offenheit des Systems ist die personale Einheit von Führung und Verantwortung unabdingbar. Dabei ist nicht immer klar, ob über die Ziele vollkommene und vollständige Information oder gar Einigung besteht. Das muss in einem Führungsprozess berücksichtigt werden, weshalb eine Führungspersönlichkeit die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen, besitzen muss. Dabei müssen in einem stetigen und revolvierenden Ablauf – oft in einer Kaskade – ständig neue Informationen aufgenommen und bewertet werden. Handlungen sind dementsprechend zu verändern. Dem Informationssystem kommt somit eine herausragende Bedeutung zu, um Wissen zu generieren, kompetent zu handeln und schließlich auch zur Innovation – zur Überraschung – fähig zu sein. Außerdem ist die zeitliche Dimension, die Dimension der
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Rechtzeitigkeit, zu beachten. In Anlehnung an die HDv100/900, welche die wesentlichen Führungsbegriffe der Bundeswehr enthält, ist. Führung ein ständiger, revolvierender und planvoller Prozess des motivierenden, richtungsweisenden und steuernden Einwirkens auf das Verhalten anderer Menschen, der den zielgerichteten Einsatz von Kräften und Mitteln sowie Information in Raum und Zeit umfasst. Die vier Dimensionen des Führungsraums, nämlich Kräfte/Mittel (also die sachliche Komponente), Information, Zeit und Raum, werden hier als Führungstetragon bezeichnet. Um des Erfolgs willen muss in einigen, wenn nicht allen dieser vier Bereiche, jeweils eine spezifische Überlegenheit hergestellt werden.2 Dabei ist das Ändern der bisherigen Richtung der Entwicklung eines der herausragenden Ziele des Führungsprozesses. Erfolgreiche Führer sind zur Motivation fähig, um das System zu verändern, nicht um im System zu wirken; letzteres ist eine typische Manageraufgabe. Lao Zi (o. D. 2013, S. 50) schreibt unter dem Sichtwort Reinheit des Wirkens hierzu: „Herrscht ein ganz Großer, so weiß das Volk kaum, dass er da ist. Mindere werden geliebt und gelobt, noch Mindere werden gefürchtet, noch Mindere werden verachtet. Wie überlegt muss man sein mit seinen Worten! Die Werke sind vollbracht, die Geschäfte gehen ihren Lauf, und die Leute denken alle: ‚Wir sind frei.‘“ Luciano Floridi (2015) schreibt in seinem Beitrag Der CEO als Vordenker und Erzähler, dass dem Narrativ, das den Führungsprozess begleitet, eine entscheidende Bedeutung zukommt, nach dem Motto: „Wenn Sie die Geschichte nicht selbst erzählen, erzählt sie ein anderer.“ Der Bezug zu dem, was im sechsten Kapitel im Kontext des Vierklangs aus Vision, Mission, Passion und Rezeption als wesentliche Motivationsgrundlage im Führungsprozess angesprochen wurde, wird hier sichtbar. Damit schälen sich aus Führungssicht drei wesentliche Untersuchungsfelder heraus: • Der Aspekt der Motivation: Was leitet menschliches Verhalten? Welche Rolle spielen anthropologische Aspekte, insbesondere solche der Ethnologie, der Psychologie und der modernen Medizin? • Der Aspekt der Institution: Welches institutionelle Umfeld erlaubt es, die Führungsaufgabe zu erfüllen und wie sind die einzelnen Arrangements zu charakterisieren? Wie wird insbesondere mit Dilemmata – bis hin zu Entscheidungsnotständen – umgegangen? • Die Relevanz der Information: Welche Qualität besitzt der Informationsfluss im Führungssystem und wie wird die Information in der Auseinandersetzung genutzt?
2An
kaum einer anderen Stelle wird Führen so sichtbar wie beim Dirigenten, der die Vielschichtigkeit des Gesamtprozesses leiten und koordinieren muss. Die Polyphonie eines Orchesters, in das sich jeder einfinden muss, enthält immer Wettbewerb, aber auch ein sich Zurücknehmen oder das Übernehmen von Führung. Die Ausführungen des israelischen Dirigenten Itay Talgam (o. D.) hierzu sind sehens- und lesenswert.
7.1 Führung in komplexen Systemen
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Klaus Schweinsberg (2014, S. 13–20) verweist darauf, dass der Berechenbarkeitsfetischismus der Moderne ein echtes Führen verhindert, weil dessen Qualität in der steten Anpassung an neue, vorher unbekannte Bedingungen liegt, die Carl von Clausewitz (1832, S. 58) als Nebel der Ungewissheit bezeichnet: „Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit.“ Man beachte die Modernität der Argumentation im Vorgriff auf Frank Knight (1921) die der Ungewissheit die Unwägbarkeit der Zukunft zuordnet, anders als einem zu bewältigenden Risiko; man kann sogar vom Bewusstsein des steten Zerfalls aller Ordnung sprechen, die nur eine Generation nach dem Tod von Carl von Clausewitz im Entropiegesetz3 erfasst wurde (Oetinger, Ghyczy, Bassford 2003, S. 96). Die Fähigkeit, sich darauf einzurichten, zählt damit zu den wichtigsten mentalen Eigenschaften eines Vorgesetzten, um die zu Führenden zu motivieren. Daher ist Management ohne Führung richtungslos, Führung ohne Management wirkungslos. Der Général d’armée Pierre de Villiers führt im Buch Que’est-ce q’un chef? (2018, S. 81) dazu aus: „Le vrai chef dirige, sans pratiquement commander. Il donne aux personnes concernées une vision d’ensemble claire et compréhensible, leur expose l’objectif global, l’œuvre commune à entreprendre. Il leur fait partager les raisons de son choix et leur montre les problèmes à résoudre. Puis, il laisse définir par des intéressés la façon de s’y prendre, chacun à son niveau, conjointement avec ses collègues, dans le respect des objectifs et des valeurs de l’organisation. Chacun s’investit totalement et est fier de contribue à l’œuvre commune par ses idées, ses connaissance, sa compétence.“
„Cui servire est regnare“ lautet ein alter lateinischer Spruch und verweist auf die Interdependenzen des Führungsprozesses, die bereits Martin Luther in Von der Freyheith eines Christenmenschen (1520) im Rekurs auf den Apostel Paulus betonte: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Pierre de Villiers verbindet Freiheit und Loyalität in seinem Buch Servir (2017, S. 12) wie folgt: „… la vraie loyauté consiste à dire la vérité à son chef. La vraie liberté est d’être capable à le faire, quels que soient les risques et les conséquences.“ Wird zuordenbare und damit auch zur Verantwortung fähige Führung durch Schwarmstrukturen ersetzt, beispielsweise durch Schwarmgewalt, die aufgrund einer starken Vernetzung, im Extremfall einer Hyperkonnektivität, einen hohen Grad an systemischer Interdependenz erzeugt, dann gelingt es kaum, Zugangspunkte für eine gezielte Beeinflussung zu finden. Somit fällt es schwer, das System von einem tipping point, also einem Umkipp-Punkt, wegzubewegen und zu stabilisieren, es droht bzw.
319 Jahre
nach dem Tod von Carl von Clausewitz im Jahr 1831 entwickelte der Physikdozent an der Artillerie- und Ingenieurschule der preußischen Armee, Rudolf Clausius (1822–1880), den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und führte 1865 das Konzept der Entropie ein.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
herrscht bereits Kontrollverlust. Malcolm Gladwell (2000) hat dieses aus der Epidemiologie stammende Konzept auf die Sozialwissenschaften angewandt, um zu zeigen, wie sich soziale Explosionen ohne Vorwarnzeit spontan entwickeln können. Das scheint aber außerhalb des gewalttätigen und gut zu verortenden Krawalls auch für andere systemische Bereiche mit Schwarmintelligenz gültig zu sein, beispielsweise im Kontext von Spekulationswellen oder im Verhalten von Finanzinvestoren. Denn hier erodiert die fundamentale Loyalität zu einem Unternehmen oder einem Wirtschaftssystem. Tatsächlich stehen hinter einem Trend, der ein System zum Kippen bringt, drei wesentliche Faktoren: Im Sinne eines Gesetzes der Wenigen sind es eine kleine, aber zentrale Gruppe von Unterstützern, ein Aufmerksamkeitsfaktor, der die Wahrnehmung immer wieder auf den zentralen Aspekt lenkt und schließlich der richtige, selbstverstärkend wirkende Kontext. Im Zusammenhang mit den Finanzmarktliberalisierungen waren das die wenigen charismatischen Unterstützer wie Ronald Reagan, Margaret Thatcher oder Gerhard Schröder; der Aufmerksamkeitsfaktor entstand durch die anfänglichen Erfolge, die Wohlstand an der Börse für alle suggerierten; und schließlich war der Kontext die ultimative und finale Zerstörung des sozialistischen Gesellschaftsmodells. Gerade dann, wenn Gruppen vermeintlichen Führern folgen, ist Vorsicht geboten, wie die bereits im fünften Kapitel genannten Überlegungen des französischen Soziologen Gustave Le Bon belegen. Unter welchen Bedingungen werden Individuen ihren Führern folgen und dabei selbst Risiken eingehen? Sind diese Risikoeinschätzungen weltweit ähnlich? Tatsächlich lässt sich zeigen, dass der value of life, also der Wert des Lebens, aus Innensicht ebenso wie aus gesellschaftlichem Blickwinkel kulturell und durch das Wohlstandsniveau determiniert wird. Insbesondere stellt sich auch die Frage, welche Entbehrungen man Menschen in Drittländern im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung zumuten kann. Dabei ist an den folgenden Gedanken von Immanuel Kant (1724–1804) in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) zu erinnern: „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“ Wenn man alles, was Würde hat, ökonomisiert, bereitet man den Weg für das Programm, das Karl Marx und Friedrich Engels (1848) im Kommunistischen Manifest vorgezeichnet haben, nämlich die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Der Wirtschaftskrieg wird hierdurch nachhaltig begünstigt. Die auf den Beitrag Transformational Leadership and Organizational Culture von Bernard Bass und Bruce Avolio (1994a) zurückgehende Konzeption einer umfassenden Führung, des Full Range Leadership, ordnet Führungsmodelle entlang von zwei Dimensionen (Bass und Avolio 1994b): einmal die Stärke, mit der sich der Vorgesetzte in die Führung einbringt, zum anderen die Effektivität, wie dies in Abb. 7.1 dargestellt ist. Beide Dimensionen kommen dem Konzept des militärischen Konflikts bzw. Wirtschaftskriegs entgegen, weil sie das Ziel einer konkreten Mission darstellen. In diese beiden Gegensatzpaare ordnen sie die wesentlichen Führungsstile ein und postulieren,
7.1 Führung in komplexen Systemen mehr Kooperaon (verringert gesellschaliche Transakonskosten)
511
Effekvität
Vertrauensbasierte Führung (VF) aufgeklärte Führung (AF) intellektuelle Führung (IF)
begleitende Führung (BF) Bedingte Belohnung: PA-Kontext
passiv
Management by Excepon: Entmündigt und frustriert Laisser-Faire: Vermeidet Intervenonen
Ineffekvität
akv
mehr Rivalität (erhöht gesellschaliche Transakonskosten)
Abb. 7.1 Full Range Leadership. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Bass und Avolio 1994b, S. 6)
dass sich diese entlang einer Diagonale vom südwestlichen zum nordöstlichen Quadranten entwickeln und damit zwei Felder leer lassen. Drei Gruppen von Führungstechniken werden unterschieden, die hier auch in den Kontext der bereits anfangs angesprochenen Prinzipal-Agent-Theorie (PA-Theorie) gestellt werden: 1. Bei der Laisser-faire-Führung ist der Vorgesetzte minimal engagiert, es fehlt die klare Führung, damit Verantwortung, damit auch die Positionierung und die konkrete Erwartung an zu liefernde Ergebnisse. Auf die Fähigkeiten von Mitarbeitern und die ihnen verfügbaren materiellen und immateriellen Ressourcen wird nicht eingegangen. In der Regel ist damit eine chaotische Führung programmiert, wenn nicht durch Schwarmintelligenz oder durch spontane Koordinierung, beispielsweise in kleinen Gruppen, wie sie in der Forschung oft üblich sind, eine Richtung in den Ablauf eingebracht wird; die Kenntnis des Willens der übergeordneten Führung ist dann für die Zielerreichung besonders wichtig. Informationsasymmetrien und sich verändernde Umweltzustände werden nicht thematisiert. 2. Bei der transaktionalen Führung besteht ein direkter Kontakt zwischen Führung (Prinzipal) und Untergebenem (Agent); sie existiert in zwei Ausprägungen, nämlich
512
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
einmal als Management by Exception nach dem Feuerwehrprinzips, zum anderen als bedingte Entlohnung (contingent reward) gemäß einem expliziten oder impliziten Vertrag • Das koordinierende Eingreifen in Ausnahmesituationen steht im Sinne der PA-Theorie vor dem Problem, dass der Feuerwehreinsatz zu spät kommt, weil die Motivation, das Feuer rechtzeitig zu melden, möglicherweise nicht gegeben war. Zugleich dokumentiert die Meldung die Inkompetenz des Agenten. Aus mentaler Sicht ist dieser Führungsstil negativ belegt durch das systemische Aufzeigen der Fehler der Untergebenen und die entsprechenden Frustrationserlebnisse des Vorgesetzten. • Das System der bedingten Entlohnung entspricht genau dem PA-Referenzmodell, weil hier seitens des Prinzipals explizite und/oder implizite Vertragsangebote unterbreitet werden, die der Agent annehmen oder ablehnen kann; je nach Fähigkeit zur Beobachtung entsteht neben dem Markt Arbeit gegen Lohn ein zweiter Markt Ehrlichkeit des Agenten gegen Risikoübernahme durch den Prinzipal 3. Bei der transformationalen Führung ist es das Ziel, durch Individualisierung des Führungsprozesses auch einen emotionalen Zugang zum Untergebenen zu finden. Damit gewinnt der Führer eine erhöhte Bedeutung über seine Rolle als Vorgesetzter hinaus – er muss Vorbild sein und als Erzieher wirken. Vier Stufen werden unterschieden, nämlich • der leidenschaftliche, empathische, die Mitarbeiter begleitende Führer (BF), der im besten Sinne der Mitarbeiter zu handeln sucht; • der intellektuelle Führer (IF), der den Mitarbeitern analytische Perspektiven eröffnet, insbesondere auch im Risikokalkül und im strategisch-operativ-taktischen Denken; • der aufgeklärte Führer (AF), der – gemeinsam mit seinen Mitarbeitern – Visionen und Missionen entwickeln kann und ein Scheitern als Teil der Passion sieht, die zusammenschweißt; • der Vertrauensführer (VF), der über die Inspiration hinaus fähig ist, ein hohes Maß an eigener Verpflichtung zu Persistenz und Resilienz zu verdeutlichen. In diesem System sollten die Informationsasymmetrien niedrig liegen, weil ein enges Vertrauensverhältnis durch impliziten Vertrag im Sinne einer Identifizierung mit der Gruppe vorliegt. Während das transaktionale Führungssystem vor allem für vertikale Hierarchien mit einem hohen Maß an Standardisierung von Führungsprozessen sinnvoll ist, sollte das transformationale Führungssystem in flachen Hierarchien mit hochindividualisierten Gruppenmitgliedern eingesetzt werden – möglicherweise dort, wo Führungsverantwortungen aufgabenspezifisch variieren, weil es keine Personenidentität von Autorität nach Fachkompetenz, dienstlicher Stellung, konkreter dienstlicher Aufgabe usw. gibt. In der neueren Führungsforschung wird die Annahme einer unidirektional-hierarchischen Führungssituation aufgegeben. Führung findet verteilt und mit wechselnder Verantwortung
7.1 Führung in komplexen Systemen
513
statt (shared leadership), entsprechende Netzwerke weisen eine geringe Netzwerkzentralität auf (Small und Rentsch 2010) und die Führungsaufgabe wird rotierend wahrgenommen (Hernandez, Eberly, Avolio, Johnson 2011, S. 1177): „An important contributor to shared leadership emergence may be the development of leader–follower relationships where followers take charge, challenge their leaders' viewpoints and engage in leadership behaviors themselves.“ Dieser hohe Grad an Selbstorganisation kann für Projekte, die einen hohen Grad an Innovationsfähigkeit und erhebliche Flexibilität erfordern, besser geeignet sein als für Routineaufgaben, da Individualisierung die Transaktionskosten der Führung erhöht. Hohe Individualisierung öffnet erhebliche Gefahren für den Vorgesetzten, weil gerade die Idee des Führens nach dem Maßstab, wie man selbst geführt werden will, angesichts der Pluralität der Begabungen, Persönlichkeiten usw. versagt. Schnell kann sich die Empathie-Falle öffnen: Ausgebrannt-Sein, Einsamkeit, Mangel adäquater Rückmeldung, Manipulation und Diskriminierung bis hin zu Vertrauenserschleichen und Korruption. Chefs zufriedener Teams oder Unternehmen sind aufgrund des Rückkopplungsaufwands oft extrem beansprucht. Kühles, empathieloses Verhalten hilft hingegen, die wirklich Besten herauszufiltern – ob zu führen, hängt von den Bedingungen ab. Diskussionswürdig sind noch die beiden offenen Quadranten. Die gesamte Kaskade verschiebt sich in Abhängigkeit der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nach links-oben, wenn Kooperation billig ist, weil dann das Einwirken des Führers weniger intensiv sein muss, da ein Grundkonsens über das zu Leistende besteht (beispielsweise durch das Vorherrschen einer kooperativen politischen Philosophie). Umgekehrt ist eine Verschiebung nach rechts-unten festzustellen, wenn Misstrauen herrscht, Kontrolle intensiviert werden muss, das zu Leistende nicht akzeptiert wird und durchgesetzt werden muss (beispielsweise infolge einer agonalen politischen Philosophie).
7.1.2 Messung von Führungserfolgen und -misserfolgen Führung erzeugt Erfolge und Misserfolge – und im Wirtschaftskrieg ist der Erfolg des einen der Misserfolg des anderen, ganz im Gegensatz zum Wettbewerb. Wie sind die Schäden zu messen und zu bewerten, und gibt es strukturelle Regelmäßigkeiten, die es zu analysieren lohnt? Verkehrsunfälle sind bekannte und typische Schadensereignisse, die allgemein in Bezug auf ihre beiden wesentlichen Charakteristika, nämlich Häufigkeit und Höhe des Schadens, bekannt sind. Zwischen diesen beiden wesentlichen Größen ist zu unterscheiden. Je nach Rahmenbedingung kann sich das Schadensprofil ändern, aber grundsätzlich gilt immer: Es gibt viele kleine Unfälle, selten große Massenkarambolagen. Man kann einen charakteristischen Kurvenverlauf der Schadensereignisse finden, eine sogenannte Pareto-Verteilung, wenn nun sie Schadensereignisse hinsichtlich ihrer Schwere in eine Rangfolge stellt. Dann ordnet, man den ersten Rang den Unfallereignissen, welche gemessen an der Anzahl der beteiligten Fahrzeuge, der Anzahl der Toten
514
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
oder Verletzten den größten Schaden ausweisen. Den absteigend zweiten Rang erhält die nächst geringere Schadensgruppe und den dritten Rang für das drittgrößte Schadensereignis. Man erhält eine streng monoton fallende Kurve, die in der Regel folgender Funktion genügt:
Y = X −α
(7.1)
Der Parameter α ist verantwortlich für die Stärke, mit der die Rangfolge abfällt, ob es also wenige kurze, heftige und entscheidungserzwingende Schlachten gibt und anschließend herrscht Ruhe – also eine steil abfallende Kurve, die dann schnell zur Nulllinie konvergiert – oder viele kleine Scharmützel, oft gleichbedeutend mit einer Auszehrungs- oder einer Ermattungsstrategie – also eine sehr flache Kurve. Derartige Funktionen sind auch für eine Vielzahl anderer Phänomene charakteristisch, beispielsweise die Verteilung von Städtegrößen in einem Siedlungsgebiet: Der größten Stadt wird der erste Rang zugewiesen, der nächstgrößeren der zweite Rang usw. Die Siedlungsstruktur ist sehr konzentriert, wenn die Kurve sehr steil abfällt. Hingegen ist eine Siedlungsstruktur ausgewogen, wenn die Kurve eher flach verläuft. Die wissenschaftliche Forschung macht sich diese Rangverteilung zunutze, um spezielle Schadensprofile darzustellen und in Bezug auf unterschiedliche Rahmenbedingungen unterscheidbar zu machen. Charakteristisch ist dabei immer der Koeffizient, der die Abfallgeschwindigkeit in der Grafik darstellt. Je geringer dieser ist, desto flacher ist die Rangverteilung, je höher er ist, desto steiler ist der Abfall.4 Wie sieht das bei kriegerischen Ereignissen aus? Gibt es Anhaltspunkte, die es erlauben, Häufigkeit und Ereignisschwere in einen Zusammenhang der Art, wie in Gl. 7.1 gegeben, zu stellen? Die Hypothese von Juan Camilio Bohorquez, Sean Gourley, Alexander R. Dixon, Michael Spagat und Neil F. Johnson (2009) in dem Artikel Common Ecology Quantifies Human Insurgency lautet: Kriegerische Ereignisse folgen einem Potenzgesetz, also einer Pareto-Verteilung: Ereignisse mit hohen Verletztenbzw. Gefallenenzahlen sind seltener als solche mit wenigen. Wie groß ist dann α und wovon hängt es (noch) ab? Gibt es also institutionelle, geographische, technologische, informatorische Unterschiede? Institutionelle Unterschiede betreffen die Führungsstruktur, in die dieses Kapitel einführt. Technologische Unterschiede gehen auf die Präzision und Leistungskraft von Waffensystemen zurück, betreffen also Einsatzbereitschaft und -fähigkeit, die zugleich auf geographische und siedlungsstrukturelle Unterschiede verweisen, die die Wirksamkeit von Waffensystemen beeinflussen, auch wegen des Vermeidens von Kollateralschäden. Informatorische Unterschiede betreffen insbesondere die bei asymmetrischen Kriegen bedeutsame Rückkopplung durch die Medien, nochmals beschleunigt durch soziale Netzwerke und information leakage, welche dem dezentral handelnden Gegner quasi kostenfrei eine Informationsführung geben. Abb. 7.2 gibt die konkrete Rangverteilung für bekannte kriegerische Ereignisse wider.
4Der
Exponent wird mit einem führenden Minuszeichen dargestellt, weshalb α positiv ist.
515
7.1 Führung in komplexen Systemen
1,5
2,5
2,0
3,0
3,5
Abb. 7.2 Verteilung von α nach kriegerischen Ereignissen. (Quelle: eigene Darstellung, aus Bohorquez et al. 2009, S. 922)
Verlorene Beschäigung
60,000 50,000
y = 48441x-0.987 R² = 0.9826
40,000 30,000 20,000 10,000 0
0
20
40 Rang
60
80
Abb. 7.3 Rangverteilung der größten Unternehmensinsolvenzen in Deutschland, 2008 bis 2015. (Quelle: eigene Darstellung mit Daten von Creditreform 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016)
Setzt man die Pleite eines Unternehmens als Ergebnis einer verlorenen Schlacht und die Zahl der betroffenen Mitarbeiter als Schadensgröße an, dann ergibt sich bei Unternehmensinsolvenzen eine völlig analoge charakteristische Funktion. Die Abb. 7.3 verdeutlicht das für den Zeitraum 2008 bis 2015. Große Schäden sind seltener als kleine, und die errechnete Potenz liegt bei einem Wert von etwa α = –1. Auch wenn die beiden Extremwerte von 52.000 Beschäftigten herausgenommen werden, bleibt diese Beziehung stabil. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass der Wert von α nach Kriegstyp variiert und für konventionelle Kriege bei etwa α = 1,7 liegt. Bürgerkriege haben ganz selten
516
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Großschäden, weshalb sich die Kurve flach entwickelt; diese Werte tendieren um α =3. Im gesamten Durchschnitt liegt er bei α = 2,5, was bedeutet: Ein Terroranschlag mit 10 Opfern ist 316-mal so wahrscheinlich wie einer mit 100 Toten und 100.000-mal so wahrscheinlich wie einer mit 1000 Toten. Abb. 7.2 zeigt die Zusammenhänge. Man kann diese Zusammenhänge auch auf politische Phänomene übertragen – Revolten, Streiks oder andere Kundgebungen – oder auf die Wirtschaft: Die Übernahmeschlacht im Gegensatz zu dezentral organisierten shit storms5, die das Informationssystem eines Unternehmens (oder – siehe oben – eines Politikers bzw. einer politischen Institutionen) lahmlegen, flash mobs oder andersartige spontane Kaufüberfälle, die einem militärischen Partisanensystem ähneln, weshalb auch von einer ökonomischen Talibanisierung gesprochen werden kann. Alex Weisiger (2013, S. 3–5) analysiert in seinem Buch Logics of War: Explanations of Limited and Unlimited Conflicts die Frage, aus welchen Gründen manche Kriege langwierig und verzehrend, andere aber kurz und heftig sind. Seiner Meinung nach hat das mit Wahrnehmungsproblemen, also Lageeinschätzungen zu tun. Bei Fehleinschätzungen über die Stärke des Gegners oder bei aus innenpolitischen Stabilisierungsgründen geführten Kriegen sind die Auseinandersetzungen eher kurz, weil sich schnell eine neue Rationalität durchsetzt. Aber immer dann, wenn Kriege präventiv begonnen werden, um den Machtzuwachs des Gegners rechtzeitig zu begrenzen oder wenn ein eigener Machtverlust droht oder falls der Gegner als grundsätzlich böse eingeschätzt wird, folgen langanhaltende Auseinandersetzungen. Einer der wichtigsten Gründe sind sich verändernde Machtkonstellationen, wie dies die Dominanzerwartungstheorie des Konflikts postuliert: Die Auseinandersetzung wird heute eingegangen, weil morgen die eigenen Erfolgschancen, den Konflikt als Sieger zu beenden, weniger günstig erscheint. Alex Weisiger reduziert die wesentlichen Kriegsgründe und die Faktoren, die die Härte (Ausdauer) eines Konflikts beeinflussen, auf drei Faktoren: 1. Divergierende Erwartungen und wechselseitiger Überoptimismus: Eine falsche Beurteilung der aktuellen Lage und der künftigen Entwicklung führt in den Konflikt. Wenn dieser beseitigt wird, können die Auseinandersetzungen sehr schnell abklingen. 2. Vermittlungsprobleme der Innenpolitik: Im engeren Sinne handelt es sich um Prinzipal-Agent-Probleme infolge von Informationsasymmetrien zwischen Eliten und Bevölkerung. Oft wird durch einen externen Konflikt von internen Problemen abgelenkt. Wird dann der vollständige Informationsstand bei der Bevölkerung hergestellt, ist oft ein Ablösen der Eliten die Folge, wie es bei einer Reihe von Konflikten, beispielsweise zwischen Argentinien und Großbritannien um die Falkland-Malvinas-Inseln, geschah.
5Der
Begriff entstammt der Soldatensprache des Zweiten Weltkriegs, bedeutete ursprünglich starkes Feindfeuer und wird heute mit Wutwellen übersetzt.
7.2 Führungskultur
517
3. Fehlende Vertrauensbasis: Dem Gegner ist nicht zu trauen und entsprechend ausgehandelte Vereinbarungen erscheinen nicht als tragfähig. Hier liegt der wesentliche Grund für langanhaltende und verzehrende Konflikte. Zwei Arten dieses dispositiven Verpflichtungsproblems machen diese Konflikte besonders kostspielig: Der Feind wird von den eigenen Opfern, die er im Rahmen des Konflikts zu erbringen hat, nicht abgeschreckt und die als Reaktion darauf oft angekündigte Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation, die durch die Darstellung des bösen Charakters des Gegners zusätzlich verstärkt wird, führt zu einer Brutalisierung und Verlängerung der Auseinandersetzung. Aus dieser dispositiven Sicht heraus erfolgt die Anpassung des Gegners an die Situation, denn er sieht, dass die Auseinandersetzung mit dem anderen und seine vorgetragenen Vermutungen über böse Absichten nichts anderes sind als eine Entschuldigung, einen harten Konflikt anzetteln zu müssen und deshalb selbst keine Chance zum Ausweichen mehr zu haben.
7.2 Führungskultur Als wesentliche Elemente des Führungsprozesses waren eingangs die Motivation dritter Personen zum Verfolgen und Erreichen eigener oder gemeinsamer Ziele und die planvolle und richtungsweisende bzw. steuernde Vorgehensweise genannt worden. In der Regel will der Führungsprozess durch Vorgabe der Richtung und steuernde Einflussnahme gegebene Entwicklungen beeinflussen bzw. steuern. Im Mittelpunkt der Ausführungen dieses Abschnitts stehen daher die von Carl von Clausewitz benannten Friktionen – ökonomisch: die Transaktionskosten – und der effiziente Umgang mit diesen.
7.2.1 Die Bedeutung von Transaktionskosten in der Führung Führung ist eine Kunst, die mit Können, geistiger Kraft und Kreativität verbunden und ohne Persönlichkeit und Charakter kaum zu realisieren ist. Gerade das im vierten Kapitel gezeigte Spiel des Triells verdeutlicht, dass Abwarten wichtig sein kann, wenn es im Markt mehr als einen Dualismus gibt. Weil Entscheidungsprozesse ohne die Unwägbarkeit der Zukunft, also die zeitliche Dimension, nicht denkbar sind, benötigen diese die Fähigkeit, nicht nur sachlich, sondern auch menschlich zu überzeugen. Weiterhin müssen Transaktionskosten aufgewendet werden, weil die Informationslage über geographische, politische oder sachliche Bedingungen grundsätzlich unsicher ist. Informationsasymmetrien müssen dann vermindert, also fehlende Informationen beschafft werden, um ungleiche Informationsstände auszugleichen bzw. Vereinbarungen abzuschließen, die diese berücksichtigen. Derartige Transaktionskosten steigen noch an, wenn das strategische und opportunistische Verhalten der Gegenspieler, die begrenzte
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Rationalität der Handelnden und die beschränkte Informationsverarbeitungsfähigkeit des Menschen einzubeziehen sind. Daher sind solche persönlichen Qualitäten und sachliche Bedingungen von zentraler Bedeutung, welche die Transaktionskosten mindern. Klaus Schweinsberg (2014) betont, dass Anständig Führen Haltung und Handwerk beinhalten müsse, denn Haltung ohne Handwerk bleibe wirkungslos und Handwerk ohne Haltung richtungslos, und nennt acht wesentliche Eigenschaften guten Führens, deren Beachtung sich für den Führungsprozess im Wirtschaftskrieg – ob als Angreifer oder als Verteidiger – anbietet: 1. Klares Ansprechen der Absicht als Fähigkeit, Aufgabe, Ziel, mögliche Hindernisse usw. zu vermitteln; im Rahmen des Führens im Wirtschaftskrieg wird insbesondere die Fähigkeit, den Willen der übergeordneten Führung zu vermitteln, betont. Gute Führer beginnen daher ihre Ausführungen gerne mit den Worten: „Meine Absicht ist es …“. 2. Vermitteln einer spürbaren Authentizität; das Führen in einem Wirtschaftskrieg wird mit der Vermittlung von Glaubhaftigkeit und Wahrheit in Verbindung gebracht, um die Komplexität und die Handlungskosten in hierarchischen Systemen zu verringern. 3. Die Fähigkeit, Autonomie und Souveränität im Handeln durch eine spürbare Agilität zu verdeutlichen; im Wettbewerb – ob in Sport, Politik oder Wirtschaft – und deshalb auch im Wirtschaftskrieg spielt Serendipität eine herausragende Rolle. Sie ist eine Fähigkeit, an Schnittstellen kreative Möglichkeiten zu erkennen, also Zufälle bzw. das Schicksal produktiv zu nutzen. Wer das beherrschte, hatte in kriegerischen Auseinandersetzungen stets Fortune. Louis Pasteur (1933) sagt: „Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist.‟ 4. Das Unterscheiden zwischen Tatsachen und Meinung und eine kompromisslose Aufrichtigkeit, die menschlich nicht immer einfach ist; aber nur mit ihr können unter Bedingungen von fehlendem oder unzureichendem Wissen bestmögliche Ergebnisse erzielt, insbesondere auch Fehler ausgemerzt oder aus ihnen gelernt werden. Der Stoiker Epiktet (50–138 n. Chr.) schreibt: „Nicht die Dinge beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinung über die Dinge.“ 5. Das stete Vorleben kompromissloser Achtsamkeit; es gilt die Unteilbarkeit von Führung und Verantwortung, möglicherweise sogar Haftung. Diese verbindet sich nicht nur mit Sachen, sondern besonders mit Menschen, die in ihrer Individualität und Würde, aber auch mit ihren Fehlern angenommen werden möchten. Nicht umsonst bedeutet gutes Führen oft auch Korrigieren und Erziehen. Wer achtsam ist, ist meist auch präsent. Die mentale oder körperliche Gegenwart des Führers ist maßgeblich für die Transmission von mentaler Kraft auf Untergebene. Vertrauen allein reicht nicht, zumal es auch der Kitt von Cliquen ist. Deshalb schreibt Stefan Kühl (2018): „Führen allein durch Vertrauen ist naiv.“ 6. Eine mentale Fokussierung auf die Sache im Sinne von kompromissloser Aufmerksamkeit; der Führer nimmt auf seiner hierarchischen Ebene die zentrale Wissenskoordination und -verarbeitung vor und informiert alle im Sinne des Auftragsprinzips
7.2 Führungskultur
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umfassend über die Absichten und benennt einen starken Stellvertreter, der bei Ausfall einspringen kann. 7. Das Vermitteln der eigenen, echten Ambition; im Militärischen spricht man gerne vom level of ambition, um zu verdeutlichen, was mittels der vorzuhaltenden Fähigkeiten erreicht werden soll. Dies ist ohne Vision und Mission nicht möglich und wurde bereits im sechsten Kapitel beschrieben. 8. Eine gesunde Ausdauer; damit einher geht häufig die Frustrationstoleranz. Winston Churchill wird nachgesagt, auf die Frage, was Erfolg sei, geantwortet zu haben: „Von einem Misserfolg zum nächsten zu schreiten, ohne unterzugehen.“ Diese Resilienz ist ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Führer. Führungspersönlichkeiten zählen zum Kostbarsten, was eine Gesellschaft hervorbringen kann. Vertrauen, Selbstkontrolle, Urteilsvermögen, Selbstreflektion und Empathiefähigkeit zählen zu den herausragenden Eigenschaften. Wenn häufig debattiert wird, den Menschen ginge die Arbeit aus und das Ergebnis sei Arbeitslosigkeit, so ist dies falsch! Tatsächlich gehen die Arbeitgeber aus, die Arbeit für andere zu schaffen bereit sind. (Wirtschafts-) Krieg ist häufig die Lösung der Wahl, wenn das Eliteprojekt nach oben verstopft ist und sich damit Raum in der Breite suchen muss. Die demographische Implosion geht bekanntlich von oben, von den besonders Qualifizierten, bei denen die Opportunitätskosten der Kinder besonders hoch liegen, aus – und sie liegen noch höher, wenn dem Nachwuchs keine angemessenen Berufsperspektiven offenstehen. Deshalb war Kolonialismus auch immer ein Weg, auf jeder Ebene der Gesellschaft Platz zu schaffen und den internen Konkurrenzdruck zu verringern – natürlich zulasten der Kolonialisierten. In der industrialisierten Welt zählt zu diesen Perspektiven die mögliche Vergänglichkeit der eigenen Führungspositionen, das Wissen um einen Positionswechsel des eigenen Lands oder in der eigenen Wirtschafts- und Kulturzone im Hinblick auf ihre internationale Bedeutung. Gerade unter Druck zeigen sich Führungspersönlichkeiten – und Nicht-Führer erzeugen massive Ausfälle. Denn in einer Welt unter ständigem Veränderungsdruck ist die Fähigkeit zur Analyse entscheidend und Aktionismus ist der größte Erfolgstöter, wie Thomas Hutzschenreuter (2016) schreibt. Regelmäßig müssten im Unternehmen folgende Fragen beantwortet werden: „Welcher Bedarf stellt sich in meinem Unternehmen, sich zu verändern? Was ist das richtige Maß an Transformation? Und welche Rolle kann und soll die Unternehmensleitung im Veränderungsprozess spielen?“ Ein robustes Unternehmen ist dabei in die Gesellschaft integriert, wettbewerblich mindestens so gut aufgestellt wie die Mitbewerber und besitzt diese Fähigkeit auch für die absehbare Zukunft („fit for the future“). Wichtig ist, wie dies später entlang der Ratinganforderungen gezeigt wird, heutige Robustheit nicht auf eine künftige zu extrapolieren. Ansonsten riskiert das Unternehmen, dass Wettbewerb zur Disruption, ggf. zum Wirtschaftskrieg wird, weil er Innovationsprozesse der Wettbewerber überrollt. Auch hohe Markteintrittsbarrieren durch versunkene Kosten sind kein dauerhafter Schutz, wie gerade die Auseinandersetzung zwischen digitalen und klassischen Industrien zeigt. Aus
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diesem Grund müssen Unternehmen sich bereits ändern, wenn noch kein Leidensdruck vorhanden ist – das macht einen zum Angreifer und verhindert, dass man angegriffen wird. Und wenn Änderungen erforderlich sind, dann sind sie kühl zu planen, damit nicht dem Chaos eines „repetitive change syndroms“ verfallen wird – stete Änderungen durch Initiativenchaos lähmen das Unternehmen.
7.2.2 Wahrheit und Wahrhaftigkeit als Kern der Führung „Was ist Wahrheit?“ – diese bekannte Frage des Pontius Pilatus an Jesus aus dem Evangelium des Johannes (Bibel: Joh 18/38) formuliert eines der Hauptprobleme der Menschheit auf der Suche nach Orientierung und Fixpunkten – und im Sinne des Führungsprozesses: zur Minimierung von Transaktionskosten. Eine Gesellschaft benötigt Wahrheiten um der Verfügbarkeit einer verlässlichen Handlungs- und damit auch Planungsbasis willen – also eines Referenzsystems, auf das sich Individuen und Gesellschaften einstellen können; Wahrheit wird zur Erfüllung der Wirklichkeit. Hierzu zählt auch die Logik, ohne welche ein rationales Analysieren und Handeln unmöglich wäre. Insbesondere Recht und Gesetz beruhen auf der Akzeptanz von Wahrheit. Nur aus Wahrem folgt Wahres – und aus Falschem folgt Beliebiges („ex falso quodlibet“) bzw. das, was folgt, ist aus dem Vorsatz nicht als wahr zu identifizieren. Ein weiterer Zugang findet sich in den Aussagesätzen, die eine Übereinstimmung zwischen einer Proposition und einer Realität beschreiben; das wird als Korrespondenzaussage bezeichnet und war von der griechischen Klassik bis zur Scholastik ein probater Ansatz. So erkannte bereits der Kirchenlehrer Augustinus (354–430), dass es unzweifelhaft Wahrheitssuchende und Denkende geben müsse, wie auch Descartes („cogito, ergo sum“) formulierte. Die Wahrheit wird nur durch eine Erleuchtung des Geistes verfügbar. In seinem Opus Quaestiones disputatae de veritate (entstanden zwischen 1256 und 1259) entwickelte Thomas von Aquin Wahrheit aus der Dialektik zwischen den (materiellen) Dingen und dem Verstand, aus denen Erkenntnis entsteht. Über dieser steht der göttliche Verstand als Maßstab. Damit existiert eine Wahrheit jenseits des menschlichen Betrachters. Diesen Wahrheitsbegriff übernahm weitgehend auch Immanuel Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft (1787). Hier setzte Karl Marx auf, denn für ihn ist Wahrheit die Übereinstimmung von Bewusstsein und den bewusst erkannten Dingen. Alternativ zur Korrespondenztheorie formuliert der Empirismus die Grenze des Wissens zwischen dem, was beobachtbar und was nicht zu beobachten ist – das ist aber wiederum eine Funktion des wissenschaftlichen Fortschritts – ggf. sogar der Manipulation (Esfeld 2017). Der Konstruktivismus wiederum postuliert als wahr, was als solches im herrschaftsfreien Diskurs erkannt wird; hier finden sich oft Grundlagen für Definitionen und tiefe Annahmen, beispielsweise der Masse eines Kilogramms. Instrumentalisten sehen als wahr das an, was Zusammenhänge adäquat beschreibt – zunächst unabhängig vom Realitätsgehalt. Im Gegensatz zu diesem quasi-objektiven Wahrheitsbegriff kann aber auch das wahr sein, was ein Individuum als richtig empfindet – es ist wahrhaftig und besitzt
7.2 Führungskultur
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uthentizität. Die Kohärenztheorie führt aus, wahr sei das, was sich in die bisherigen A Theorierahmen einordnen lässt – ein Wahrheitsbegriff, der offensichtlich Fortschritt behindert. Den Überlegungen von Jürgen Habermas (1973) folgend ist Wahrheit in der sozialen Welt (nicht in den Naturwissenschaften!) ein Ergebnis im herrschaftsfreien Diskurs. Wissenschaftliche Wahrheit ist damit ein Konsensprodukt, das im Kontext der Falsifikation eingeschränkt wird: Sie gilt, solange sich dieser Konsens bzw. dessen Inhalt bewährt und nicht das Gegenteil erkannt wird.6 Was in concreto eine gute Gesellschaft ist, lässt seine Sozialtheorie offen. Statt eines Anmaßens von Wissen sollten sich die weniger Begünstigten ihrer Lage selber bewusst werden, weil kein Außenstehender zu beurteilen vermag, was das Beste sei. Der damit verbundene Dissens erfordert den Aufbau eines Diskurses, einer kommunikativen, überwölbenden Rationalität. Theodor Fontane (1819–1898) führt in Der Stechlin (1899, S. 10) aus: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.“ Schließlich gibt es eine existentielle Wahrheit, die Philosophen wie Karl Jaspers in seinem Werk Von der Wahrheit (1947), aber auch Theologen wie Paul Tillich (1886– 1965) in Probleme der Theologischen Methode (1946) beschäftigte. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich Wahrheiten auch auf transzendente Dinge beziehen können. Joseph Kardinal Ratzinger (2000), später Benedikt XVI, schreibt in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Der angezweifelte Wahrheitsanspruch, aufbauend auf Augustinus, zum religiösen Wahrheitsanspruch in der Tradition der philosophischen Aufklärung: „Das Christentum beruht … nicht auf mythischen Bildern und Ahnungen, deren Rechtfertigung schließlich in der politischen Nützlichkeit liegt, sondern er bezieht sich auf das Göttliche, das die vernünftige Analyse der Wirklichkeit wahrnehmen kann.“ Er folgert daraus: „Es geht um die Frage, ob die Vernunft beziehungsweise das Vernünftige am Anfang aller Dinge und auf ihrem Grund steht oder nicht. … ob die Vernunft ein zufälliges Produkt … im Ozean des Unvernünftigen letztlich auch bedeutungslos bleibt …“ Damit verbindet er, um der Überlebensfähigkeit der Gesellschaften willen, die Rückbindung rationaler Ordnungen auf Werte und eine humane Ethik. Wahrheit fordert das heraus, was heute als Fake News bezeichnet wird. Denn oft stellen Fakten die Welt infrage, die Bestätigung der eigenen Vorstellungen erzeugt positive Emotionen und verankert sich damit gut im Bewusstsein. Tatsächlich ist der Mensch herausgefordert, nicht an der Unmöglichkeit einer Wahrheit zu scheitern (Spaemann 2012). Durch Unwahres lassen sich Meinungen kanalisieren und über die folgenden Handlungen Realitäten erzeugen. Diskursversagen ist die Folge (Pincione, Tesón 2006). Etwas Falsches lässt sich nur mit großem Aufwand aus dem Kopf löschen. Zugleich gilt aber auch oben Gesagtes: Was die Wahrheit ist, ist philosophisch nicht
6Diese
neue Wahrheit kann buchstäblich über Gesellschaften hereinbrechen, wie die Wirtschaftswissenschaften zeigen. Ihre Verengung auf den mainstream wurde erst durch die gegenwärtige Finanzkrise aufgebrochen.
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eindeutig. Erinnert sei hier an das Höhlengleichnis von Platon oder das physikalische Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger (1887–1961), das als Schrödingers Katze berühmt wurde (Schrödinger 1935, S. 812, 829) und mit dem er Ideen von Werner Heisenberg (1901–1976) ad absurdum führen wollte, weil nicht evident ist, ob die in eine Kiste mit Tötungseinrichtung, die an den Zerfall einer radioaktiven Substanz gekoppelt ist, eingeschlossene Katze zu einem bestimmten Zeitpunkt lebt oder tot ist – sie ist zwischen beiden Zuständen „verschmiert“. Erst durch Messen ergäbe sich klar der eine oder der andere Zustand, und wäre die Katze tot beim Öffnen der Kiste, wäre diese Überprüfung gleichsam die Todesursache. Es gibt schließlich auch unentscheidbare Dinge, auch in den scheinbar exakten Naturwissenschaften (Cubitt, Pérez-García, Wolf 2019). Die Authentizität des Führenden verbindet die quasi-objektiven Wahrheiten – beispielsweise das Ergebnis einer Wettbewerbsanalyse – mit den subjektiven, möglicherweise existentiellen Wahrheiten des Vorgesetzten. Wahrhaftigkeit, Rechtschaffenheit und Anstand gewinnen eine zentrale Bedeutung; der Anstand selbst hat im Sinne des Ordensgründers Benedikt von Nursia in der Regula Benedicti zwei Bedeutungen: Der Führungsprozess muss klar, sauber und eindeutig ausgestaltet sein – vor allem auch knapp, verständlich und in den meisten Fällen im Kopf zu memorisieren sein – und die aufgezeigten Wege und Ziele müssen im moralischen Sinne den Anstandsregeln folgen. Modern gesprochen: Durch Authentizität gewinnt eine Person die für den Führungsprozess notwendige Glaubhaftigkeit und nachhaltige Verlässlichkeit. Wie Michael M. Winter und Boudewijn Arts (2015) schreiben, basiert sie auf Neugier, Erkenntniskraft, Bindungsvermögen und Entschlossenheit. Sie stellt also das Gegenteil des Narzissmus dar, der weiter oben im Kontext wirtschaftskriegerischen Führungsverhaltens besprochen wurde. Der naturwissenschaftliche Zugang, der auch stark von den modernen Sozialwissenschaften verfolgt wird, gründet auf der Idee, das alles Wissen, das systematisch und damit auch nachvollziehbar erzeugt wird, auf Hypothesen beruht, wie Systeme zusammengesetzt sind, Gesetze, die die Wirkungszusammenhänge beschreiben, sowie Randbedingungen, für die die Gültigkeit der Aussagen beansprucht wird, ggf. auch solche, welche eine wahrscheinlichkeitsorientierte Fortschreibung in die Zukunft ermöglichen. All dies zusammen begründet eine Theorie, also ein System von Aussagen (Sätzen, Lehrsätzen, Theoremen, Hypothesen, Axiomen, Annahmen) über ein bestimmtes Forschungsgebiet und die hieraus ableitbaren Folgerungen. Die Methode der Deduktion, die die Logik des Führungsprozesses abzubilden vermag, beschreibt Wolfgang Eichhorn (1972, S. 336) wie folgt: 1. „Als Methode der Deduktion wird die nach dem folgenden Prinzip durchgeführte Methode des Aufbaus einer Theorie bezeichnet: Gegeben sei ein System S von Grundaussagen (Annahmen, Axiomen, Grundsätzen, Voraussetzungen, Prämissen, Postulaten, Hypothesen, mit Anfangs-, Rand- und Nebenbedingungen) über die Gegenstände eines bestimmten Forschungsgebietes. Dieses System S wird gemäß dem folgenden Prinzip erweitert: Ein Satz s über dieselben Gegenstände gehört dann und nur dann zur durch S abgesteckten Theorie, wenn er eine logische Folge (Konsequenz)
7.2 Führungskultur
523
einer (oder mehrerer oder aller) Grundaussage(n) ist. Man sagt dann auch, daß S den Satz s impliziert oder daß S eine hinreichende Bedingung für s ist oder daß s aus S deduziert (abgeleitet, gefolgert) werden kann. Die häufig anzutreffende Behauptung, daß s nur dann gilt, wenn S gilt, ist falsch: s kann möglicherweise ebenfalls aus einem ganz anderen System S‛ von Grundannahmen folgen. Die Folgerungen aus S sind im Prinzip mit S bereits gegeben, aber eben nur im Prinzip! Ein übermenschlich scharfer Geist würde zu jedem S sofort T angeben können, der Theoretiker ist oft schon zufrieden, wenn es ihm gelingt, einen kleinen Teil der Menge aller Konsequenzen aus S zu deduzieren.“ Oft wird hier extrem unsauber gehandelt, wie das folgende Beispiel illustriert: Ein Forscher bringt einer Ratte bei, bei Ertönen eines Klingelzeichens durch ein Labyrinth zur Futterstelle zu laufen. Anschließend hackt er ihr die Beine ab. Beim nächsten Klingelzeichen bewegt sich die Ratte sich nicht zur Futterstelle. Der Forscher folgert, dass die Ratte mit den Beinen hört und durch das Abhacken der Beine taub wurde. Das Aufstellen der Antezedenzbedingungen, also der Randbedingungen und Annahmensysteme sowie die Entdeckung von Hypothesen ist ein schöpferischer Vorgang, der irrationale Elemente (Intuition) enthalten kann, für die die beiden folgenden Ansätze gelten: 2. Die Methode der Induktion besteht darin, von besonderen Sätzen, Aussagen und Erkenntnissen, die z. B. die Ergebnisse von Beobachtungen, Experimenten usw. beschreiben, zu allgemeinen Sätzen, Hypothesen und Annahmen zu gelangen. Das Festlegen eines Induktionsprinzips gewährleistet die Nachvollziehbarkeit des Prozesses. 3. Die Methode der Abduktion besteht darin, aus beobachtbaren Ergebnissen zu den sie erzeugenden besonderen Sätzen, Hypothesen und Annahmen zu gelangen. Oft ist es der Ansatz der Ärzte, die Krankheitssymptome sehen, oder das des Wirtschaftswissenschaftlers, der eine konjunkturelle Krise beobachtet; beide müssen auf Gesetzmäßigkeiten und Randbedingungen schließen, um therapieren zu können. Auch in der Cyberwelt sind derartige Anamnesen tägliches Geschäft, wenn bei Attacken auf die Hintergründe zu eruieren sind. Auch hier sind klare Abduktionsprinzipien um der Nachvollziehbarkeit willen essentiell. Insgesamt ergibt sich der in Abb. 7.4 gezeigte Zusammenhang: Wahrheit ist in diesem System das Ergebnis einer Theorie – aber weshalb sollte diese wahr sein. Man gerät in einen infiniten Regress, greift zu Zirkelschlüssen oder setzt ein Dogma an den Anfang. Diese Problematik des Suchens nach einer Letztbegründung wird vom Philosophen Hans Albert (1991) als „Münchhausen-Trilemma“ bezeichnet. Durch gezielte und nachvollziehbare Experimente als Ausdruck des Induktionsprinzips sind Menschen in der Lage, Theorien stetig zu verbessern – oder ggf. zu
524
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Explanans
Aussagen über Antezedenzbedingungen • variabel (Instrumente) • fix (Infrastruktur, …)
Gesetze, Sätze, Hypothesen
logische Dedukon (A)
(H)
unvollständige Indukon
Abdukon
(gegeben)
(gesucht)
(gegeben)
(gesucht)
(gegeben)
(gegeben)
(gesucht)
(gesucht)
(gesucht)
(gegeben)
(gegeben)
(gegeben)
(nach Grad der Determinaon variabel oder fix)
Explanandum
• Zielpunkte • Prognosen
(E)
Direktes Einwirken: Erreichen wirtschaspolischer Ziele durch Einsatz von Instrumenten bei gegebenem Rahmen und Gesetzmäßigkeiten
Kontrollschleife bei fehlender Zielerreichung: Suche nach Barrieren bzw. Fehlern bei den Antezedenzbedingungen (falsche Instrumente, fehlerhae Einschätzungen oder adverse Rahmenbedingungen), Problemen der Transformaon über Gesetze, Sätze oder Hypothesen.
Abb. 7.4 Logische Schließverfahren. (Quelle: eigene Darstellung)
falsifizieren. Damit wird Erfahrungswissen zu echtem Wissen und kann formal kodiert werden. Dann ist es nicht der Koch mit seiner genialen Intuition, der mit einer Prise Salz dem Gericht die letzte Verfeinerung gibt und dadurch nicht zu ersetzen ist. Sein Gefühl für gute Speisen wird substituiert durch die exakt abgestimmte – schließlich eine digital erfasste Größe. Derartige Prozesse führen dazu, dass Wissensvorsprünge schmelzen, eine Fabrik muss nicht mehr durch erfahrene Werksleiter eingefahren werden muss. Sie ist exakt kopierbar. Das aber stellt alte Industrienationen vor völlig neue Herausforderungen.
7.2.3 Allgemeine Grundregeln der Führung Einige Grundregeln der militärischen Kriegsführung können direkt auf den Wirtschaftskrieg übertragen werden; sie müssen den entsprechenden Entscheidungen, einen Konflikt aufzunehmen, vorangestellt werden. Ziel ist es, Transaktionskosten zu senken und eine aufgabenbezogene bestmögliche Führungsstruktur im Sinne von Über-, Bei- und Unterordnungen, Aufgabenverteilungen usw. zu erreichen. Jede verantwortliche Führungskraft muss diese Zusammenhänge beherzigen. Wenn Führen bedeutet, durch Einwirken auf Menschen Ziele zu erreichen und dabei im Sinne des Führungstetragons Kräfte, Mittel, Raum, Zeit und Informationen zu berücksichtigen, dann ist der Führungsprozess in einer komplexen Auseinandersetzung möglichst einfach zu gestalten, um alle mitzunehmen und auf die Reaktionen
7.2 Führungskultur
525
vorzubereiten. Führung bedient sich einer einfachen Sprache, leere Phrasen wie „kalkuliertes Risiko“ der „vernünftige militärische Entscheidung“ bleiben inhaltsleer, wenn nicht verdeutlicht wird, was die Grundlage der Kalkulation oder des vernünftigen Abwägungsprozesses sind. Deshalb lautet die zentrale Frage an eine Führungskraft analog zur zentralen Frage „Was soll ich tun?“ von Immanuel Kant: „Was ist dein Ziel?“ Genau das wollte Bernard Law 1. Viscount Montgomery of Alamein (1887–1976) stets von seinen Führern wissen. Leicht wird Wesentliches vergessen oder nicht so kommuniziert, dass es hinreichend präzise aufgenommen werden kann. Dabei spielt das Anordnen der Sprachsequenzen für die Verständlichkeit eine wichtige Rolle. Deshalb sind, wie auch die moderne Neurobiologie belegt, Standardstrukturen zu nutzen und ein Verkomplizieren zu vermeiden (Bornkessel-Schlesewsky und Schlesewsky2014). Das folgt auch den Erfahrungen der modernen Gedächtnisforschung. So zeigt Daniel Schacter (2001) sieben Gedächtnissünden auf: • Wichtige Dinge werden vergessen wegen 1. Transienz, also durch das stete Altern des Gehirns; 2. Geistesabwesenheit durch die Überlagerung von Aufmerksamkeit und Erinnerung; 3. Blockade, wenn Informationen aufbereitet werden, aber andere Gedächtnisinhalte diese überlagern – oft „liegt etwas auf der Zunge“. • Erinnerungen geraten durcheinander wegen 4. Fehlattribution, die richtige Information wird mit einer falschen Quelle in Verbindung gebracht; 5. Suggestibilität als Folge einer Überzeugungskraft, die die eigene Information überlagert; 6. Verzerrung, wenn die gegenwärtige Sicht der Dinge mit früheren Informationen im Widerspruch steht, vor allem bekannt unter dem Motto „früher war alles besser“. • Es werden Inhalte im Gedächtnis behalten, die besser vergessen worden wären, wegen 7. Persistenz, vor allem als Trauma und Phobien, die aus den Urtiefen des Gehirns nach oben gespült werden und das Denken blockieren. Da Komplexität aber etwas Natürliches, Kompliziertheit hingegen menschengemacht ist, muss man bei Entscheidungen die Gesamtheit der Netzwerkstruktur, also der Rückkopplungen, im Auge behalten. Rolf Dobelli (2011) verweist in seiner Rubrik Klarer Denken: Warum wir sehr oft nur den Weg und nicht die Gabelungen sehen darauf, dass auch die nicht verfolgten Pfade vor allem hinsichtlich des Risikoprofils einzubeziehen sind. Dies gilt umso mehr, wenn unbeabsichtigte Kollateraleffekte auftreten können. Die Finanzkrise ist ein Beispiel, bei dem risikoreiche, meist kurzfristig ertragreiche Finanzinnovationen eingesetzt wurden, die aber langfristig erhebliche toxische Nebeneffekte auslösten.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Im Führungsprozess – ob mit rivalen oder kooperativen Zielen – zählen zwar komparative Vorteile, zu sehr ausgeprägte Stärken können aber kontraproduktiv wirken: Im Sinne eines Paradoxons der Exzellenz, so schreiben Thomas und Sarah DeLong (2011), könnte der Fokus zu stark auf die Gebiete gerichtet werden, die die Führungspersönlichkeit sehr gut beherrscht, was aber zur Vernachlässigung anderer Bereiche durch Ausblenden des großen Ganzen führt. Damit wird hohe Kompetenz zum Fluch. Hieran sind die Führungspersonen der Finanzinstitutionen während der Krise gescheitert. Der Umgang mit Komplexität wird unter diesen Bedingungen zu einer großen Herausforderung, die insbesondere als Teil der natürlichen Ordnung anzusehen ist, die der Mensch im schlimmsten Fall durch seine Sicht der Dinge kompliziert und damit unlösbar macht. Komplexe Systeme können sich spontan organisieren, das ist eine Kraft, auf die insbesondere Friedrich von Hayek (1945) vertraute. Alternativ lassen sich die relevanten und beherrschbaren Teile des Gesamtsystems identifizieren, um es im Führungsprozess zu integrieren. Diese Einfachheit als kontrastive Lösung, das Herausarbeiten der wesentlichen zu erbringenden Leistung sowie der möglichen unterstützenden und beschränkenden Faktoren, wird besonders von Unternehmen in Nischen gewählt. Daher sind auf der strategischen Ebene folgende Schritte essentiell, die später in einem Lagevortrag verarbeitet werden: 1. Abstecken des Rahmens: Was sind die richtigen Fragen? Was ist auszuklammern? 2. Sachverhaltsaufklärung: Wie ist die eigene Position und wie die der anderen Wettbewerber? Ohne das gemeinsame Anerkenntnis eines Sachverhalts wird der Lüge Tür und Tor geöffnet. 3. Ziele: Für welche verschiedenen Zukunftsentwürfe soll geplant werden? 4. Potentiale: Welches sind die vorhandenen oder erforderlichen Fähigkeiten und Bereitschaften? 5. Entscheidung: Wie lauten die Strategie, die abgeleitete Operation und die folgende Taktik? 6. Kommunikation: Wie wird der Führungsprozess informationstechnisch umgesetzt, dabei der Wille der übergeordneten Ebene kommuniziert und welche (komplexitätsreduzierenden) Ankerbegriffe werden dabei gewählt? 7. Bindung: Welche Verpflichtungen werden eingegangen und welcher Wille zum Erfolg kann aktiviert werden? 8. Entwicklung: Wie werden Änderungen einbezogen, verarbeitet und wie wirken sie zurück auf die vorangegangenen Punkte? Führen ist aufs engste mit Menschenkenntnis und -einschätzung verbunden. Nicht umsonst besteht eine ihrer wesentlichen Aufgaben darin, die richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort einzusetzen. Im individuellen Kontakt werden damit Ehrlichkeit und Authentizität zu wesentlichen Erfolgsfaktoren, und diese lassen sich nicht einfach überprüfen. Führungspersonal kann hier viel von Kriminalbeamten lernen, die regelmäßig den Wahrheitsgehalt von Aussagen überprüfen müssen und damit wird, wie
7.2 Führungskultur
527
beispielsweise Joe Navarro (2012) beschreibt, die Körpersprache zu einem zentralen Element, um die Authentizität zu sichern, die ansonsten nur durch die sprachliche Kommunikation übermittelt wird.
7.2.4 Führungsgrundsätze für die Führungsebenen Strategie, Operation und Taktik Der Führungsprozess unterscheidet drei Ebenen, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten vom Allgemeinen zum Speziellen ordnen. Oft entsprechen sie den organisatorischen Ebenen, wenn eine vertikale Hierarchie existiert; allerdings ist dies nicht zwingend. Für Carl von Clausewitz (1832) ist die Taktik die Lehre vom Gebrauch der einzelnen Mittel (Personal, Material, Raum usw.), denen ein definierter Kampfwert zugeordnet wird. Strategie ist die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Kriegs. Dazwischen liegt die operative Ebene, die die Synergien der den Mitteln zugeordneten Fähigkeiten nutzt. Um diese Ebenen zu ordnen, sind Zweck und Ziel entscheidend (Clausewitz 1832, S. 32), Ziele dienen dem übergeordneten Zweck, den der politische Souverän – oder im Falle der Wirtschaft: die Geschäftsleitung – vorgibt. Der politische Zweck des Kriegs ist „Das Gesetz des Äußersten, …“ 1. Auf der strategischen Ebene ist zu entscheiden, ob eine Auseinandersetzung überhaupt aufzunehmen ist, also: Soll ein Parteifreund von seinem sicheren Listenplatz verdrängt werden? Soll der konkurrierende Kühlschrankhersteller vernichtet werden? Soll die Auseinandersetzung mit einem potentiellen Nuklearstaat aufgenommen werden? Die strategische Ebene füllt den langfristigen Zeit- und damit auch Planungshorizont. 2. Auf der operativen Ebene werden die wesentlichen Schritte abgebildet, die als umfassende und integrierend wirkende Bausteine die Strategie ausfüllen. Unter einer Operation werden alle solche Handlungen subsumiert, die im Hinblick auf das Führungstetragon interdependent sind und einem gemeinsamen Ziel dienen. Die operative Ebene stützt sich auf Fähigkeiten, nicht auf Kräfte und Mittel, denn diese sind der taktischen Ebene zugeordnet. Ziel ist es, Synergien über das Zusammenwirken verbundener und vernetzter Kräfte aufzubauen. Kern der operativen Ebene ist das Denken im Raum-Zeit-Kräfte-Gefüge unter Ausnutzung der relevanten Informationen als wesentliche Voraussetzung zum Herstellen von Überlegenheit.7 3. Die taktische Ebene betrachtet die konkreten Einzelhandlungen, also die jeweiligen Feindberührungen – von Scharmützeln bis zu Schlachten. Taktik ist, aus dem Griechischen kommend, die Kunst, die richtige Aufstellung zu wählen. Insbesondere ist davor zu warnen, Aufgaben und Aufträge bzw. die Handlungen zu komplex werden 7Vgl.
hierzu das Konzept der Operation verbundener Kräfte, HDv 100/200 mit ihren vier wesentlichen Elementen: Feuer, Bewegung, Sperren, elektronischer Kampf.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
zu lassen; vielmehr sind die Glaubhaftigkeit der Wirkung sowie die Klarheit von Entschluss und Willen zu stärken, wie dies Helmuth von Moltke (1800–1892) in seinen Militärischen Werken (1892) betonte. Damit gelingt es, alle Formen der Fehlinformation zu vermeiden. Wenn in den Wirtschaftswissenschaften von Strategie gesprochen wird, dann bezieht sich dies in militärischer Sicht meist auf der Ebene der Operationen und der Taktiken. So hat eine strategische Preissetzung eher mit taktischen Erwägungen zu tun, die sich aus konkreten Operationsüberlegungen ableiten: Dem ist die Strategie vorgelagert, nämlich die Entscheidung, einen Markt zu erobern oder ein Unternehmen zu übernehmen oder es zu zerschlagen oder zu vernichten. In diesem Sinne wird hier die militärische Abgrenzung verwendet, da sie in sich stimmig ist. Thomas Glavinic (2016, S. 87) schreibt in Der Jonaskomplex (2016) im Abschnitt Weststeiermark an Hand des Schachspiels: „Strategie ist das, was man braucht, wenn nichts los ist, und Taktik ist das, was man braucht, wenn etwas los ist.“ Damit wird auch deutlich, weshalb viele Entscheidungsträger nicht zur strategischen Reflektion fähig sind: Ihnen fehlt das Kontemplative, das zwingend notwendig ist, um die Strukturen zu durchdringen, die ihnen bewusst sein müssen, um taktisch schnell handeln zu können. 1. Die Wahl der Strategie hängt grundsätzlich von der eigenen Einschätzung der Fähigkeiten, Bereitschaften und dem Willen zum Erfolg ab – und der entsprechenden Einschätzung beim Gegner. Denn die Entscheidung, in eine Auseinandersetzung einzutreten, bedeutet, sich klare Vorstellungen über die möglichen Zukunftsszenarien zu machen. Eine große Rolle spielt dabei die Einschätzung der vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten in den sachlichen und räumlichen Märkten und die verfügbare Zeit für eine Kampagne. In den Kräfte- und Fähigkeitenvergleich in Bezug auf die konkurrierenden Unternehmen sind in jedem Fall auch die verfügbaren bzw. erforderlichen Reserven einzubeziehen. Die größte Herausforderung beim Führen besteht darin, sich nicht von den Routinen der Bürokratie und von sinnloser Kommunikation überwältigen zu lassen. Denn diese Todeszone zerstört den Führungsprozess. Vom römischen Staatsmann Gaius Marius (158/57–86 v.Chr.) wird erzählt, er habe einen Sklaven gehabt, der ihm immer abends die Frage stellen musste: „Mein Herr, habt Ihr heute etwas Gutes getan?“ Sagte Marius nein, so antwortet der Sklave: „Mein Herr, dies war ein vergeblicher Tag.“ Antwortete er mit ja, dann sagte der Sklave: „Mein Herr, dies war ein guter Tag“ Gleichermaßen sollte sich der Vorgesetzte jeden Tag fragen lassen: „Haben Sie heute geführt?“ 2. Auf der Ebene der Operation wird die zielgerichtete Interaktion, also das Bündeln der Einzeloperationen, zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Sie sind als zeitlich und räumlich zusammenhängende Handlungen definiert, die Kräfte auf ein gemeinsames Ziel fokussieren. Operationen werden bestimmt durch ihren Zweck, ihre Art und den Grad der Anwendung von Marktmacht. Sie können nach Intensität variieren, je
7.2 Führungskultur
529
n achdem, ob es das Ziel ist, den Konkurrenten den eigenen Willen aufzuzwingen und sich ultimativ durchzusetzen, oder ob es das Ziel ist (derzeit nur) eine Marktpräsenz zu erzielen. Führen mit Zielvorgabe wird dann effizient und transparent, wenn diese allen bekannt ist – nicht nur Untergebenen, sondern auch den Gleichgestellten. Nicht umsonst zählt die Frage nach den Zielen der übergeordneten Führung zu einer der wesentlichsten im Führungsprozess. Die vier wesentlichen Operationsarten sind Angriff, Verteidigung, Verzögerung und Stabilisierung. a) Beim Angriff wird der Markt erobert und das Unternehmen übernommen, zerschlagen oder vernichtet. Das Gesetz des Handelns liegt beim Angreifer; diese Operationsart ist entscheidungserzwingend. Auf dem ökonomischen Gefechtsfeld wird der Angriff durch Innovationen, Preissenkungen, Abschotten von Märkten, Aufkauf von Aktien usw. geführt – darauf wird im Einzelnen später eingegangen. Im Militärischen wird gerne über die Flanken geführt. Ökonomisch übersetzt wird also nicht die wettbewerbliche Kernkompetenz des gegnerischen Unternehmens herausgefordert, sondern der Vorstoß erfolgt gemäß dem Konzept des Multimarktwettbewerbs dort, wo sich Schwachstellen befinden. Eine andere Taktik erlaubt dem Gegner einen scheinbaren Einbruch an der Hauptfront, um dann über die Flanken einen Kesselschluss zu vollziehen. In der ökonomischen Interpretation wird dem Gegner scheinbar erlaubt, in einen Markt einzudringen, um ihn dort schließlich einzuschließen und auszutrocknen. Dieses Verhalten hat die deutsche Automobilindustrie zu Zeiten der Abwrackprämie angewendet: Viele Billiganbieter drangen in den Markt ein, verkauften sie doch Autos in einem Preissegment, in dem der Hebeleffekt der Abwrackprämie maximal wurde. Diese Sonderkonjunktur endete aber schnell und bereitet heute manchem Importeur Probleme, weil er anschließend erheblich weniger Autos verkaufte und damit sein vorzuhaltendes Servicesystem nicht auslasten kann. Durch Angriff wird das Gesetz des Handelns gewahrt, es lassen sich der Zeitpunkt, die gewählten Instrumente des Angriffs, der entsprechende Teilmarkt und die Intensität selbst wählen. Das ist nur möglich, wenn der Auftrag klar ist, insbesondere die wesentliche zu erbringende Leistung definiert und gegebenenfalls an Zwischenzielen konkretisiert wird. Im Angriff werden Schwerpunkte gebildet, und dies ist umso wichtiger, je größer die eigene Unterlegenheit ist. Insbesondere sollte der Angriff immer die eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten. Wie Al Ries und Jack Trout (1986, S. 23) verdeutlichen, gelten hierfür im übertragenen Sinne die Gesetze der Impulserhaltung und Energieerhaltung. Ein überlegener Angreifer wird dem Gegner zunehmende Verluste zufügen, sodass seine Überlegenheit mit jeder weiteren Operation steigt. Es ist vergleichbar mit dem Zusammenprall eines Lkw mit einem Kleinwagen; das Übertragen des Moments führt infolge dessen geringer Masse zur Beschleunigung nach hinten, deren Energie dann in Materialverformung bis zur Unkenntlichkeit umgewandelt wird. Ist diese punktuelle Überlegenheit allerdings nicht vorhanden, dann geschieht genau das Gegenteil: Mit
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
jeder Angriffswelle werden seine Kräfte überproportional im Vergleich zum Verteidiger dezimiert. b) Bei der Verteidigung versucht das abwehrende Unternehmen, Marktanteile zu halten bzw. sich gegen Übernahme, Zerschlagen oder Vernichten zu wehren. Zwar hat der Verteidiger nicht den Vorteil der Initiative, aber er kann sich auf mögliche Szenarien vorbereiten und hierzu vor Ort seine Stellungen stärken. In der militärischen Tradition war Verteidigung ein Zusammenspiel von Raumgeometrie und Logistik. Genau das ist auch im Wirtschaftsbereich gefordert, wenn es gilt, die Lieferbeziehungen auch im Krisenfall stabil zu halten. Das kann durch ein Kundenbindungsprogramm geschehen, das aber, sobald es wirksam wird, als essential facility der Marktzutrittsbeschränkung kartellrechtliche Probleme aufwerfen kann (Blum und Veltins 2004). Auch die Verteidigung erzwingt Entscheidungen, wenn der Gegner den Angriff abbricht, weil er nicht siegen kann. c) Bei Stabilisierungsoperationen wird das Ziel verfolgt, Konflikte einzudämmen, im einfachsten Fall eine unruhige zu Marktlage beruhigen, die beispielsweise dadurch entstanden ist, dass die Wettbewerbsbehörde aufgrund von Verhalten, die mit dem Wettbewerbsrecht in Konflikt stehen, Untersuchungen eingeleitet hat. Das Herstellen von Legalität und das Vermitteln von Legitimität sind zentrale Voraussetzungen des Erfolgs.8 Auch diese Operationsart hat das Ziel, Entscheidungen zu erzwingen, notfalls gegen den Willen einzelner Beteiligter. Im Wirtschaftskrieg wird diese Operationsart vor allem dort angewandt, wo durch Externe ein hybrider Krieg beendet werden soll und erfasst damit alle genannten Dominanzebenen. d) Die Verzögerung ist als vierte Operationsart zu nennen, die der Entscheidungsvorbereitung dient, beispielsweise seitens eines Angegriffenen, der Zeit gewinnen will, einen Entschluss vorzubereiten, und daher versucht, den Angreifer abzunutzen und zu binden. So ist es vernünftig, im Preiskampf die eigenen Preise in Abhängigkeit von der Lieferbereitschaft des Gegners zu variieren, was insbesondere in Märkten mit hoher Transparenz möglich ist.
8Stabilisierungsoperationen
spielen im militärischen Umfeld dort eine besondere Rolle, wo durch Insurgenten, also zur Auflehnung und zum Aufstand aufrufende Gruppen, die staatliche Integrität sowie Legalität und Legitimität gefährdet sind bzw. bereits Bindungen an die staatliche Ordnungsmacht gelöst und die mediale Dominanz erreicht ist. Der Dreiklang von Besetzen, anschließendem Halten des Raums und darauffolgende Aufbaumaßnahmen sind wirtschaftlich gerade dort wichtig, wo militärische und wirtschaftliche Kriege interagieren, beispielsweise in einem Drogenkrieg. Dabei ist die tatsächliche Lage ebenso wichtig wie die wahrgenommene Lage – gefühlte Ohnmacht kann bei Stabilisierungsoperationen disruptiv wirken. Im hybriden Wirtschaftskrieg treten die ökonomischen Dimensionen hinzu. Wichtig ist vor allem, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, was eine Verbesserung der Lebensbedingungen impliziert, und die Einheitlichkeit von Führung und Vorgehen im Sinne der erforderlichen Operationslinien zu verdeutlichen, welche den bisherigen Zustand in den gewünschten überführen sollen.
7.2 Führungskultur
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Aus der Verteidigung heraus können Gegenangriff und Gegenstöße erfolgen. Gegenangriffe sind immer geplant, benötigen also einen zeitlichen, logistischen und in Bezug auf die verwendeten Mittel geeigneten Vorlauf, mit denen gewirkt werden soll. So kann der Preisoffensive des gegnerischen Unternehmens erst dann durch eine Gegenoffensive begegnet werden, wenn ihr Fokus auf bestimmte Produkte oder Regionen deutlich geworden ist. Der Gegenstoß hingegen stellt die lokal positionierten Mitarbeiter in hohe Verantwortung, wenn sie beispielsweise erkennen, dass das mit Preiskrieg angreifenden Unternehmen vor Lieferengpässen steht, die kurzfristig ausgenutzt werden können. 3. Die Ebene der Taktik führt einzelne Handlungen zu Operationen zusammen. Hier konkretisiert sich der Einsatz in den oben beschriebenen räumlichen, zeitlichen und einsatzkraftrelevanten Dimensionen unter Einschluss des informatorischen Aspekts. Ziel ist es, die Kräfte des gegnerischen Unternehmens zu binden und zu kanalisieren, zu zerschlagen oder zu vernichten. Dabei spielt die vermutete Absicht des Gegners eine entscheidende Rolle und ist im eigenen Führungsprozess zu berücksichtigen. Eine der wichtigsten Herausforderungen besteht darin, den Gegenspieler zu überraschen. Eine Möglichkeit ist dabei, ihn mittels ständiger Routinen derart einzunebeln, ihn an regelmäßige Preisoffensiven zu gewöhnen, dass ihm dann, wenn nämlich der entscheidende Vorstoß kommt, beispielsweise sein strategischer Lieferant übernommen wird, ein vernichtender Schlag versetzt werden kann. Aus der Operationsführung ist die Koordinierung des jeweiligen taktischen Systemeinsatzes abzuleiten: Welche Preispolitik? Markteintritt mit welchen Kapazitäten? Welche Produkt- und Designqualitäten? Welche Distributionskanäle? Welche indirekten Wirkungsmittel wie Angriffe auf die Finanzierung, das Personal, die Lieferkette? a) In der Auseinandersetzung (militärisch: Gefecht) sind die wesentlichen Gesichtspunkte: erstens das direkte Einwirken in Stärke, Zeitpunkt und Dauer (Feuer); zweitens der Aufbau von Sperren, um den Gegner abzunutzen, zu lenken, zu kanalisieren oder aufzuhalten, auch um die Instrumente des Angriffs präzise ins Ziel bringen zu können; drittens die Bewegung, also einerseits die eigenen Kräfte und Instrumente ins Ziel zu bringen, und auch Flexibilität, dem Gegner auszuweichen; viertens die Informationsüberlegenheit, um das Gesetz des Handelns stets zu bewahren. b) Typische Kampfelemente des Feuers9 sind das massive Senken von Preisen, eine Attacke auf die Kommunikationsmittel durch Spam usw. oder das Manipulieren von Aktienkursen durch falsche ad-hoc-Nachrichten. Klassische Sperren sind Patente, mit denen der Technologieraum vermint wird. Flexibilität und Bewegung sind zentral, um in unterschiedlichen räumlichen oder sachlichen Märkten
9Feuer
ist inzwischen eine anerkannte Metapher der Wirtschaftspresse, wenn ausgeführt wird, ein Unternehmen stünde unter Feuer – und suche Deckung.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
e rfolgreich anzugreifen und erfordern auch das Sicherstellen der eigenen Logistik. Die Informationsüberlegenheit ist schließlich von besonderer Bedeutung, weil sie alle oben genannten drei taktischen Elemente koordiniert. Zu ihr zählt das Identifizieren der von den eigenen Zielen betroffenen Personen, also der Zielgruppen mit den zugehörigen Kundennutzen, und der damit zu erzwingende Aufbau von Kundennähe; das wiederum erfordert eine klare und nachhaltige Ansprache, die auch die innovativen Potentiale der Konkurrenz und damit ihre Reaktionsmöglichkeiten einbezieht. c) Bei der räumlichen Verteilung von Aktivitäten müssen Schwerpunkte gebildet werden, um in einer Auseinandersetzung auch eine kritische Masse zur Verfügung zu haben und somit die Überlegenheit zu erringen, den Gegner zu schlagen beziehungsweise zu vernichten. Die zentrale, zu beantwortende Frage an alle nachgelagerten Führungsbereiche lautet: Was sind die jeweilig wesentlichen Leistungen? So hilft eine Preisoffensive nicht, wenn kurz nach ihrem Beginn das Solange-Vorrat-Reicht-Prinzip greift – der Reputationsverlust wäre immens und würde vermutlich alle Anstrengungen zunichtemachen. Das bedeutet, dass mit den Kräften zu haushalten ist und dass auch Reserven zu bilden sind. Meist sind das finanzielle Reserven, aber auch materielle und personale Reserven – und für letztere gilt wieder, dass sie eine hohe Beweglichkeit im geographischen Raum und im Produktraum aufweisen müssen. So ist bei einer erfolgreichen Preisoffensive die Nachlieferung der entsprechenden Produkte bzw. der Leistungen zwingend erforderlich. Das kann auch bedeuten, Verkaufsmannschaften zu verstärken. Reserven bilden bedeutet weiterhin, dass man Auffangpositionen, Verstärkungspositionen und – für den Verteidigungs-, Verzögerungs- und Stabilisierungsbereich – Potentiale für Gegenmaßnahmen aufbauen kann. Man kann sich den Feind nicht aussuchen, es reicht ein Angreifer zum Zwang, Krieg zu führen. Drei Möglichkeiten stehen zur Verfügung, um damit umzugehen (Focus 2015, S. 38–40): Der (Gegen-) Angriff, auch wenn er noch so verzweifelt erscheint, deshalb gerne die „Methode Winston Churchill“ genannt: Sieg um jeden Preis, so lang der Weg auch sein mag. Die entsprechenden Mittel finden sich später im Wirtschaftskrieg der Unternehmen im neunten Kapitel. Alternativ ist es auch möglich, sich in seinem Markt einzumauern, eine Festung aufzubauen, was oft nur mit staatlicher Unterstützung möglich ist und auch als „Methode Israel“ bezeichnet wird. Sie wird im Wirtschaftskrieg der Staaten angeschnitten. Schließlich kann man auch hoffen und beten, die Gefahr möge vorübergehen – die „Methode Margot Kässmann“. Tatsächlich brechen Attacken auch zusammen, weil sich die angreifenden Unternehmen übernommen haben oder sich plötzlich anderen Zielen zuwenden. Auf allen Ebenen – Strategie, Operation und Taktik – und bei allen Operationsarten gilt: Führen bedeutet grundsätzlich Entscheiden – und Nichtentscheiden legt ebenfalls Handlungen bzw. Nichthandlungen und damit oft auch Ausgeliefertsein fest. Die beste Möglichkeit, mit einer unbekannten Zukunft umzugehen, ist, diese zu gestalten.
7.2 Führungskultur
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Dabei folgt die Verteilung der Handlungsalternativen keiner Glockenkurve, sondern einer Pareto-Verteilung: Es gibt sehr wenige sehr gute Entscheidungen und sehr viele schlechte – die Kunst des Führens ist es, die erste Gruppe zu identifizieren und die beste Handlung zu realisieren. Jeder Führungsprozess bildet im Hinblick auf die zu treffenden Entscheidungen eine Kaskade aus den Elementen Anspruchsniveau (militärisch: level of ambition), Festlegung des Raum-Zeit-Gefüges, der Mittel, insbesondere der Fähigkeiten, der Bereitschaften und des einzufordernden Willens sowie schließlich des dazu zweckmäßigen Führungssystems, welches eingangs bereits betrachtet wurde.
7.2.5 Sorgfalt und Ohnmacht in einem Führungsprozess Führung ist mit Friktionen und mit hohen Transaktionskosten verbunden, vor allem mit erheblichen Irreversibilitäten infolge der Spezifität des eigentlichen Führungsablaufs. Die Beschränkung der Flexibilität behindert einerseits die zügige Anpassung an eine veränderte Lage, andererseits macht sie das Handeln glaubhaft. Bei hoher strategischer Bedeutung und Spezifität besteht ein Handlungsdruck gepaart mit dem Risiko, im Falle eines Fehlschlags nur noch wenig Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, weshalb hier eine hohe Verwundbarkeit des Gegners, aber auch der eigenen Position vorliegt. Das Verfolgen dieser kostenträchtigen Variante ist nur durch die strategische Relevanz zu rechtfertigen und stellt durch die fehlende Flexibilität die nachhaltigste und glaubhafteste im Sinne des Drohpotentials dar; ist die strategische Relevanz nicht gegeben, liegt purer Leichtsinn vor. Im gegenteiligen Fall stellt sich die grundlegende Frage nach der Wirksamkeit. Schließlich besteht eine große Versuchung, bei hoher strategischer Relevanz zu Mitteln mit geringer Spezifität zu greifen, weil hier leicht umgesteuert werden kann. Die Spezifität steigt meist mit der Vorhersehbarkeit des Handelns, weil dadurch Abwehrmaßnahmen getroffen werden, die dann wieder zu überwinden sind, was eine kostenträchtige Widmung von Mitteln beinhaltet, die auf den jeweiligen Gegner ausgerichtet sind, liegt dieser vorteilhaften Variante oft ein Überraschungseffekt zugrunde. Carl von Clausewitz (1832, S. 580) schreibt: „Nur wer mit geringen Mitteln Großes tut, hat es glücklich getroffen.“ Der Zusammenhang wird an der Abb. 7.5 deutlich und greift den Gedanken der weiter oben genannten Kritikalität auf: die Vulnerabilität entspricht hier der strategischen Bedeutung, die Verfügbarkeit der Spezifität. Hieraus ergibt sich eine Reihe von Folgerungen für Unternehmen und Staaten in Bezug auf ihre relative Größe und Bedeutung: 1. Im Wirtschaftskrieg ist die Verteidigung die bevorzugte Operationsart des Marktführers. Er ist in höchstem Maße verwundbar durch die Regulierungsbehörden, die Konsumentenschützer, die NGOs oder die Handelsorganisationen, wie dies Unternehmen wie Microsoft, Google oder Intel erleben durften. Er muss seine eigene
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Strategische Bedeutung
Spezifität
niedrig
niedrig
hoch
geringe Verwundbarkeit
Versuchung
1 2
hoch
3 4
Leichtsinn
hohe Verwundbarkeit
Abb. 7.5 Relevanzmatrix der Führung. (Quelle: eigene Darstellung)
Organisation flexibel halten, indem er sich selbst mit Innovationen unter Druck setzt, gerät aber dadurch auch in Versuchung, sich durch monopolistisches Gebaren zu übernehmen. Sehr gut ist das Sich-Selbst-Attackieren bei Apple zu beobachten. Lao Zi (o. D. 2013, S. 66) sagt: „Wer andere kennt, ist klug. Wer sich selbst kennt, ist weise. Wer andere besiegt, hat Kraft. Wer sich selbst besiegt, ist stark. Wer sich durchsetzt, hat Willen. Wer sich genügen lässt, ist reich. Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer. Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebt.“ Da oft zwischen Angriff und Verteidigung nicht genau zu unterscheiden ist – vor allem von besagten Regulierern –, sollte er nur erhebliche und deutliche Wettbewerbsvorstöße der Mitbewerber zurückschlagen, wie im Spence-Dixit-Modell erklärt wird und sich nach Lao Zi darauf konzentrieren „Dauer zu haben und zu leben“. 2. Es ist sind vor allem die Zweiten und Dritten in Märkten, vor allem in übersichtlichen engen oder weiten, heterogenen Oligopolen, für die sich der Angriff anbietet. Dazu gehört eine Mentalität, Aggressivität in ihren Innovationsdimensionen bewusst zu gestalten, was heute oft verpönt ist, sich also vom sogenannten Kuschelmilieu zu entfernen.10 Derartige Verhaltensweisen sind Kern der Inhalte, die weiter vorne im Kontext des Menschenbilds erläutert wurden: Härte, Empathielosigkeit bis hin zu
10Es
existieren inzwischen Seminare zur konfrontativen Pädagogik und zur aggressiven Führung, die bis hin zum Herstellen verhaltenssteuernder Umfeldbedingungen gehen, beispielsweise der angriffsbetonten Ausstattung von Büro- und Seminarräumen.
7.2 Führungskultur
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Grausamkeit und Nüchternheit der Analyse und Entscheidung. Zentral für den Erfolg des Angriffs ist die Schwerpunktbildung; sie erfordert zu entscheiden, an welcher Stelle geographisch und/oder im Produktsortiment mit welchen Kapazitäten der Markteintritt erfolgen oder verstärkt werden soll. Die Kräfte und Fähigkeiten sind mit dem Ziel zu bündeln, auf nachgelagerter taktischer Ebene diese effizient und effektiv sowie zeitlich koordiniert einzusetzen. Ein kritischer Faktor ist daher die Entscheidung, wie ein Operationsverbund gestaltet werden soll. Das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn ein Unternehmen angreift – das gilt aber analog auch für die Verteidigung –, ein breites Spektrum an Produkten in verschiedenen Märkten bereitstellt, die Spezifität also breit angelegt ist und deren Bedeutung in jedem einzelnen Fall als niedrig erscheint und sich erst durch die Summierung ergibt. Es muss dann verhindern, sich zu verzetteln und über alle Dimensionen des relevanten Markts hinweg, also sachlich, geographisch und zeitlich, seine Führung koordinieren. Dann kann der Schwerpunkt schnell verschwimmen. Denn er sollte dort gesetzt werden wo der Konkurrent schwach, das eigene Unternehmen stark ist und, übergreifend, wo die Entscheidung gesucht oder erwartet wird. Angegriffenen Unternehmen ist zu raten, neben der Verteidigung ihrer Märkte oder sogar Existenz dort zurückzuschlagen, wo der schwächste Punkt des Konkurrenten ausgemacht wird, wie der Multimarktwettbewerb lehrt, und nicht am Angriffspunkt. Ein wichtiger Aspekt ist das Tragen des Angriffs über die Flanken, also das Blockieren des Vormarsches des Angreifers und der Versuch, ihn über die Flanke zu zerschlagen oder zu vernichten. Diese Art des Angriffs nimmt den Gedanken des Multimarktwettbewerbs auf und trägt den Krieg in bisher nicht bestrittene Gebiete, wobei das Nutzen des Überraschungseffekts entscheidend ist. Militärisch spricht man vom „Hammer-Amboss-Prinzip“. Allerdings werden – im Gegensatz zum Multimarktwettbewerb – nicht nur bekannte Produkte unter Druck gesetzt, vielmehr folgt der Flankenkrieg der Idee, durch Innovation als ultimativer Attacke den Konkurrenten indirekt unter Druck zu setzen, ihm also seinen Markt durch Substitute auszudünnen – einen blue-ocean Ansatz zu verfolgen. Dies machten beispielsweise mit großem Erfolg die Hersteller von Kugelschreibern nach dem Zweiten Weltkrieg und setzten die Produzenten von Füllern massiv unter Druck. Sie verfolgten sie insbesondere bis in das Herz ihrer Absatzgebiete, beispielsweise die Schulen, die ursprünglich nur Griffel, dann Bleistift, schließlich Füllfederhalter kannten. 3. Eine weitere spezielle Form des Angriffs sind Guerillaoperationen. Sie sind grundsätzlich kleinen Anbietern zu empfehlen, die ein Marktsegment aufbauen bzw. ein solches ausdehnen wollen, weil es für den Großen nicht hinreichend interessant ist. Angriffe erfolgen aus dem ökonomischen Hinterhalt, also an Orten oder von Institutionen, an die der Angegriffene nicht denkt. Bei sogenannten Ambush-Aktionen, also Hinterhaltsaktionen, wird eine Veranstaltung Dritter gestört. Harmlos erscheinen originelle Aktionen wie die des Bekleidungsherstellers Trigema, der beim Finale des DFB-Pokals über dem Berliner Olympiastadion einen Zeppelin mit eigenem Firmenlogo kreisen ließ, obwohl man nicht zu den Sponsoren gehörte.
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Rechtlich fragwürdig und echt kriegerisch ist hingegen das „Umdrehen“ von Veranstaltungen, beispielsweise das heimliche Zerstören von Ausstellungsgegenständen des Konkurrenten und das Anpreisen der eigenen Ware, wie dies Samsung dem Konkurrenten LuckyGoldstar (LG) anlässlich der IfA in Berlin im Jahr 2014 vorgeworfen hat (Schürmann 2016). Leistungsfähig ist eine ergänzende digitale Unterstützung (z. B. durch shaming, also das generische Unternehmen an den Pranger zu stellen, durch shit storms oder durch flash mobs11). Wie aber bereits in den Ausführungen zum irregulären Krieg verdeutlicht und bei William Polk (2007) ausgeführt, scheitern viele Partisanenbewegungen dann, wenn sie sich zu regulären Strukturen entwickeln, sich also als Marktführer aufbauen bzw. diesen kopieren wollen. Analog sind derartige Empörungswellen in den Medien, insbesondere im Internet, zwar in der Lage, Personen oder Institutionen zu zerstören, wirken aber in den seltensten Fällen konstruktiv im Sinne des Aufbaus neuer und besserer Institutionen. Deshalb werden sie gerne – mit Eskalationspotential – durch entsprechende shit storms beantwortet. Dann liegt die eigene Fähigkeit darin, sich bei der Gegenattacke rechtzeitig wegzuducken. 4. Der Angriff kennt drei Phasen, nämlich die Annäherung, das Einbrechen und den Kampf durch die Tiefe. Typisch für die erste Phase ist – neben logistischen Vorbereitungen für eine Marktoffensive – das Anschleichen über den Finanzmarkt mit der Absicht, Kontrollmehrheiten am gegnerischen Unternehmen zu erzielen und es damit in eine verteidigungsunfähige Position zu bringen, die schließlich in einer feindlichen Übernahme endet. Gerade die später vorgetragenen Beispiele der Zementindustrie und der Kampf der US-Autoindustrie zeigen das Einbrechen in den Markt der Konkurrenz und dann die Totalität der Preiskriege, die sich über den Multimarktwettbewerb in kürzester Zeit flächendeckend ausgebreitet hatten. Dieses Verfolgen des Besiegten bis zu seiner endgültigen Vernichtung ist entscheidend, weil „ohne Verfolgen kein Sieg eine große Wirkung haben kann“, wie Carl von Clausewitz (1832, S. 236) schreibt. 5. Gelegentlich sind Kriegsziele begrenzt, beispielsweise die auf nur eine Insel begrenzte Eroberung oder das Verdrängen aus einem regionalen Teilmarkt. Die zugehörigen Signale müssen glaubhaft sein und dürfen anschließend nicht infrage gestellt werden. Der Ertrag eines derartigen begrenzten Schlags muss in jedem Fall kleiner sein als der aus einer bedingungslosen Kapitulation und größer als der aus einem Kompromiss, der den Krieg vermieden hätte. Bestes Beispiel für ein derartiges glaubhaftes Signal ist die Aussage von Fürst Otto von Bismarck nach der
11Inzwischen
sind flash-mob-Aktivitäten arbeitsgerichtlich erlaubt; vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2014i). Der wesentliche Unterschied zwischen shaming und shit storms ist, dass sich shit storms gegen Institutionen, also Unternehmen, staatliche Einrichtungen oder prominente Personen, richten, das shaming hingegen gegen nicht in der Öffentlichkeit Stehende gerichtet wird, teilweise gegen völlig Anonyme wie alle Dicken, alle Schlechtgekleideten, alle Armen usw.
7.2 Führungskultur
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Reichsgründung 1871, Deutschland sei nunmehr territorial satisfiziert, was er durch seine Bündnispolitik und seine Vermittlerfunktion im Berliner Kongress verdeutlichte. 6. Jede Stärke hat auch eine Schwäche, deshalb gilt vor allen Dingen, die Kernkompetenzen des Konkurrenten auszuspähen und zu prüfen, welche Schwachstellen sich daraus ergeben. Dies wird auch als „Achilles-Prinzip“ oder „Siegfried-Prinzip“ bezeichnet. Über Patente und Lizenzen lassen sich technische Entwicklungslinien des Konkurrenten abschotten, und auch hier kann sich das angreifende Unternehmen dem Konkurrenten annähern, ohne sofort aufgeklärt zu werden. Man spricht vom Einmauern des Konkurrenten, wenn man dessen Kernkompetenzen mit einem Wall von Patenten umgibt, sodass eine Weiterentwicklung nicht möglich ist. Dazu muss die eigene Forschung hinreichend leistungsfähig sein. Insbesondere Großunternehmen nutzen diese Methode, um an das Know-how der kleinen und mittleren Unternehmen heranzukommen; alternativ kann man diese auch in Patentstreitigkeiten verwickeln und infolge der weit höheren finanziellen Feuerkraft zur Aufgabe zwingen. Liegt keine Weiterverwertungsabsicht vor, handelt es sich um Patent-Trolle, deren Aktivitäten zu einem Rückgang der Innovationstätigkeit in den attackierten Unternehmen führen können. Für die USA konnte gezeigt werden, dass Unternehmen nach Verlust von patent infringement cases gegen Patent-Trolle in den zwei nachfolgenden Jahren ihre F&E-Ausgaben um 20 % reduzieren, also einen Rückgang der Innovationstätigkeit auslösen, der bei normalen Patentverletzungsverfahren nicht zu beobachten ist (Cohen, Gurun, Kominers 2014). Alle diese Instrumente begrenzen das technologische Entwicklungspotential des Konkurrenten, wodurch dessen Marktentwicklungs- und Marktdurchdringungschancen kanalisiert, möglicherweise nachhaltig beeinträchtigt werden. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, den Markt mit gezieltem Dumping unter Druck zu setzen. Die Latenzzeit für WTO-konforme Untersuchungen beträgt in der Regel 16 Monate; in diesem Zeitraum wurde möglicherweise das attackierte Unternehmen längst niedergerungen. Auf allen Ebenen ergibt sich die Möglichkeit zur Eskalation – vertikal im gleichen Markt mit härteren Mitteln als bisher, horizontal durch das Nutzen gleichartiger Instrumente in einem anderen Markt, an dem der Gegner besonders verwundbar ist, oder diagonal, also mit härteren Mitteln in einem anderen Markt; im Ökonomischen entsprechenden die beiden letztgenannten Handlungen dem Multimarktwettbewerb. Die Diagonaloperation zu nutzen ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn der Gegner Möglichkeiten zu anti access (A2) oder area denial (AD) aufgebaut hat, beispielsweise durch Stützpunkte (bubbles), die das eigene Handeln beschränken und erst niederzuringen sind; zu denken ist an besonders reputierliche Niederlassungen oder Kundenbindungssystem. Der Erfolg des Siegers ist der Misserfolg des Verlierers – und gelegentlich ist klar, dass eine Verteidigung angesichts der Überlegenheit sinnlos ist. Was lässt sich für den Fall der Ohnmacht für die Führung lernen?
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1. Wie Erich Fromm (1937) aus sozialpsychologischer Sicht vorträgt, bedeutet Ohnmacht die Unfähigkeit, sich gegen Angriffe zu verteidigen, also Hilflosigkeit. Diese wird oft rationalisiert durch Geschäftigkeit („ballistische Aktionen“), Scheinaktivität, Kontrollsucht und Führungsanspruch – worauf auch Dietrich Dörner (2011) hinweist und was später noch einmal aufgegriffen wird. Wenn faktische Ohnmacht zu einem Machtanspruch degeneriert, versucht der Neurotiker, die Welt zweizuteilen; Vorgesetzte werden für ihn unerträglich, im sozialen Umfeld lebt er seine Machtansprüche aus. Autoritäre – agonale – Philosophien geben ihm den Begründungsbzw. Rechtfertigungsgrund für sein Handeln. 2. Marianne Groenemeyer (1981) verweist darauf, dass unter Bedingungen der Ohnmacht zwei Reaktionen zu erwarten sind: der Versuch, die Mittel der Macht zu übernehmen und in härteste Konkurrenz einzutreten, ggf. bis zum Untergang, oder sich aus der Erkenntnis der Ohnmacht neue Fähigkeiten erwachsen zu lassen. Die erstgenannte Option ist eigentlich keine, weil das Individuum dann gefangen ist in seinem durch Dritte eingeschränkten Wirkungsraum – entfallen aber diese Grenzen, wird es handlungsunfähig, es ist dann nicht mehr in der Lage, auf neue Handlungsspielräume zu reagieren. Die Erfahrung der Ohnmacht positiv zu nutzen heißt, sich der Begrenzung bewusst zu werden und das zu akzeptieren, um hieraus neue Fähigkeiten abzuleiten – modern gesagt: individuelle soziale Innovationen. 3. Georg Beirer (o. D.) sieht Ohnmacht nicht im Gegenüber zur Macht, sondern im Gegenüber zur Kompetenz. Damit proklamiert er einen Paradigmenwechsel im Umgang: Das Erkennen und Bearbeiten von Ohnmacht führen zum Gewinn von Kompetenz und damit zu neuen Fähigkeiten. Für die Führungspersönlichkeit stellt Ohnmacht also eine Chance dar, über sich und die eigenen Gestaltungsräume positiv nachzudenken und zu lernen; sie lehrt Resilienz.
7.2.6 Kulturelle Faktoren der Führung Wenn Transaktionskosten für institutionelle Arrangements relevant sind und ihre Höhe die Art der Organisation von Systemen bestimmt, dann spielen diejenigen kulturellen Faktoren eine Rolle, die einen direkten oder indirekten Einfluss auf die Transaktionskosten nehmen. Ein direkter Einfluss ist möglich, weil bestimmte kulturelle Normen die Art der Organisation stark beeinflussen. So ist das konfuzianische System stark auf die Familie und das Lernen vom Besten fokussiert, mit der Folge, dass Vertrauen besonders innerhalb dieses engen Kreises besteht, was wiederum professionelles Management in Unternehmen mithilfe Dritter erschwert. Im Extremfall wird die Größe des Unternehmens durch die Anzahl der Familienmitglieder begrenzt. Ein indirekter Einfluss kann dadurch entstehen, dass Kommunikationsmittel, insbesondere die Sprache, unterschiedlich fähig sind, komplexe Sachverhalte auszudrücken. In der Linguistik geht das innerhalb einer Sprachgruppe mit der von Basil Bernstein et al. (1973) vorgetragenen
7.2 Führungskultur
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Problematik des restringierten Codes (im Gegensatz zum elaborierten Code) einher, dessen Unterkomplexität es nicht erlauben soll, schwierige Sachverhalte im Gehirn zu formulieren und damit auch an Dritte zu übermitteln. Langfristig wirksame Sozialisationsprozesse verändern grundlegende gesellschaftliche Dispositionen, indem sie beispielsweise ein Händlervolk entlang der Küste oder Tüftler in entlegenen Bergregionen hervorbringen. Insofern ist der interkulturelle Vergleich für Führungsprozesse außerordentlich interessant. Dabei ist zunächst zu fragen, was unter Werten zu verstehen ist. Shalom Schwartz (2012) nennt als wesentliche Eigenschaften von Werten: Überzeugung, Motivationsbezogenheit, Transzendenz, Selektions- und Bewertungsbezogenheit und Hierarchie im Sinne einer Ordnung der Werte. Sie dienen im Wesentlichen der Machtausübung, der Erfolgsorientierung, der Lusterfüllung (Hedonismus), der Eigenorientierung, sie geben Sicherheit, erfüllen Ansprüche der Allgemeingültigkeit und des wohlwollenden Verhaltens, also Altruismus, und haben eine Beziehung zu Tradition und Konformität. Luigi Guiso, Paola Sapienza und Luigi Zingales (2013) zeigen in einer Analyse über The Value of Corporate Culture, dass weniger die vorgegebenen als vielmehr die gelebten Werte maßgeblich sind und dass am Markt gehandelte Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten haben, entsprechende Standards aufrechtzuerhalten – was für die mittelständischen (Familien-) Unternehmen spricht. In der Arbeit (Guiso, Sapienza, Zingales 2013, S. 2) zitieren sie den ehemaligen Chef von Goldman Sachs, Greg Smith, der den Verfall der Unternehmenskultur beklagt: „Culture was always a vital part of Goldman Sachs’s success. It revolved around teamwork, integrity, a spirit of humility, and always doing right by our clients. The culture was the secret sauce that made this place great and allowed us to earn our clients’ trust for 143 years.“ … „I am sad to say that I look around today and see virtually no trace of the culture that made me love working for this firm for many years.“ Im Sommer 2017 kaufte Goldman Sachs über Mittelsmänner Papiere des staatseigenen Petroleumkonzerns ab und stabilisierte so das dortige Regime, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (2017a) unter dem Titel Blutgeld für den Diktator meldete. Der ehemalige Wiedervereinigungs-General der Bundeswehr und spätere Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm (2001), verfasste in der Berliner Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Wegweiser für Tugenden mit dem Titel Preußisch werden in neun Tagen; zu den Tugenden, die auf Immanuel Kant, Friedrich den Großen, Scharnhorst und Gneisenau sowie Stein und Hardenberg zurückgehen, zählt er insbesondere: • Nüchternheit im Sinne von Schnörkellosigkeit, eines „mehr Sein als Scheinen“, eines ausgeprägten Realitätssinns, eines Ablehnens moralischen Rigorismus; • Aufklärung als Selbstbefreiung des Menschen, die ihn zum Individuum macht, als Abkehr von Ideologien; • Treue als Treue zu sich selbst und als Treue zu anderen, ganz im Gegensatz zu blindem Gehorsam;
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
• Toleranz als Maxime, die Meinung anderer gelten zu lassen, aber auch als Streit um Prinzipien, die aber nie die Menschenwürde beschädigen darf; • Pünktlichkeit als wesentliche Erleichterung des Lebens, um das Zusammenleben zu erleichtern – nur mit Pünktlichkeit lässt sich getrennt marschieren, aber vereint schlagen; • Tapferkeit als Fähigkeit, bewusst in die Gefahr hinein zu handeln und sich dabei möglicherweise selbst zu gefährden, darin auch der Willen zur Zivilcourage, insbesondere nicht wegzuschauen, wenn Schwache angegriffen werden; • Disziplin als grundlegende Einstellung, sich selbst zu beschränken durch Einhalten von Regeln, Verantwortung zu übernehmen – ohne dabei Spontanität und Menschlichkeit zu opfern; • Innovation Fähigkeit zu entscheidenden Reformen, vor allem auch im institutionellen Umfeld, um Verkrustungen zugunsten des Gemeinsinns aufzubrechen; • Bescheidenheit im Sinne der Selbstbeschränkung und Zurückhaltung in materiellen Dingen, wissend, dass das Sprichwort „Bescheidenheit ist eine Zier doch weiter kommt man ohne ihr“ oft kurzfristig mehr Erfolg gewährleistet. Niederländische Sozialpsychologen (Hofstede, Hofstede, Minkov 2010) haben in diesem Kontext die Wertesysteme der Welt vermessen12 und dabei fünf wesentliche Kriterien für erfolgreiche Führungsprozesse herausgearbeitet, nämlich • Machtdistanz: Sie drückt aus, wie stark die weniger einflussreichen Mitglieder einer Gesellschaft oder eines Unternehmens die ungleiche Verteilung von Macht erwarten und akzeptieren. Geringe Machtdistanz bedeutet, dass die Kultur stärker auf eine Interaktion zwischen den Inhabern von Macht und den weniger Mächtigen angelegt ist. • Maskulinität: Sie ist dort hoch, wo die Rollenverteilung unter den Geschlechtern klar festgelegt ist, beispielsweise durch leistungs- und wettbewerbsorientierte Männer und fürsorgliche und bescheidene Frauen. Feminine Gesellschaften zeichnen sich durch eine stärkere Annäherung dieser Rollenmuster aus. • Unsicherheitsvermeidung: Kulturen und Unternehmen mit geringer Unsicherheitsvermeidung tolerieren unklare und unbekannte Situationen eher, während solche mit starker Unsicherheitsvermeidung versuchen, derartige Situationen zu verhindern und in Stressbedrohung geraten, wenn das nicht möglich ist. • Langzeitorientierung: Diese ist eng mit dem Konzept der Nachhaltigkeit verbunden und impliziert eine Orientierung auf die Zukunft, was wiederum das Verfolgen pragmatischer Tugenden wie Beharrlichkeit und Sparsamkeit impliziert. Für die Kurzzeitorientierung wird insbesondere die Bedeutung des „Gesichtswahrens“ angegeben.
12Die Validität der empirischen Ausfüllung des Konzepts wird wegen der einseitigen Datenbasis – Personal von IBM – angezweifelt.
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
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• Individualismus: Dieser entspricht weitgehend der Individualismuskonzeption von Ulrich Beck (2008). In hochindividualistischen Gesellschaften sind die Bindungen zwischen den Individuen locker und es herrscht das Primat des Einzelnen, der für sich selber und (ggf. noch) für seine Familie sorgt. In kollektiven Gesellschaften ist der Gemeinschaftsgeist stark entwickelt und dominiert damit auch die individuellen Interessen. Mit der Kultur eng verbunden ist die Frage, welche Mitarbeiter ein Vorgesetzter fördern soll, denn diese machen sich beispielsweise im asiatischen Raum erheblich weniger auf sich aufmerksam und stellen ihre Qualitäten – oder Fehler – weniger prononciert heraus als im westlichen Kulturkreis. Oft gilt die Aufmerksamkeit denen, die als Spitze angesehen werden und denen, die als schwach erscheinen – letztere im Kontext einer aktivierenden Förderung. Oft frustriert es die breite Mitte, die die Last der Arbeit trägt, die dann innerlich kündigen.
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck Führen unter Unsicherheit bedeutet, die Zielebenen des Entscheidungsprozesses richtig zu erfassen, diese dann organisationstechnisch zu unterlegen und mit dem entsprechenden Führungssystem zu harmonisieren. In der Regel vollzieht sich der Führungsprozess über mehrere Hierarchiestufen, weshalb er stets die Rahmenbedingungen im Auge haben muss, um die Willensbildung vor allem im Hinblick auf die Erwartungen der übergeordneten Ebenen zu vermitteln. In einer Welt der steten Verschiebung der geoökonomischen und -politischen Platten ist daher die Aufmerksamkeit auf wichtige (Mega-) Trends und auf grundlegende Risiken zu legen. Diese sind vor dem Hintergrund der im sechsten Kapitel beschriebenen Fähigkeiten, Bereitschaften und Willensprofile zu reflektieren: Dies reicht vom demographischen Wandel, der Digitalisierung oder den Verfall der Transaktionskosten bis hin zur Individualisierung einer Vielzahl von Lebensbereichen (Blum und Gleissner 2001). Auch langfristig scheinbar stabile Entwicklungen nicht frei von Schocks und Verwerfungen. Erfolgreiche Unternehmer wie David Rockefeller oder Bill Gates haben aus entsprechenden Disruptionen heraus neue Trends geschaffen, an die keiner vorher geglaubt hatte. Dabei wird der intelligente Umgang mit den Unwägbarkeiten der Zukunft zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Der – im Vergleich zum Rivalen – bessere Umgang mit Unsicherheit, mit Irreversibilität und mit Komplexität wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. In einer komplexen Welt lösen sich als fest eingeschätzte Beziehungen oft auf, beispielsweise die, die in der ökonomischen Theorie zwischen Geld, Einkommen, Zins, sowie Ersparnis, Investitionen und Schulden existieren. Trotz unterstellter Rationalität der Menschen gelingt es nicht, den Beziehungen eine Systematik und damit eine Prognostizierbarkeit abzuringen: Es geht also nicht nur um Unsicherheit, es geht um radikale Unsicherheit, oft sogar um Ungewissheit.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Abb. 7.6 Globale Risikoperzeptionen, 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Allianz 2017)
Im Bereich der Geopolitik gibt die Abb. 7.6 Auskunft über die Risikoperzeption der großen Wirtschaftsregionen der Welt im Jahre 2017. Oft spiegeln diese Risikoeinschätzungen die Ereignisse und Erfahrungen der vorangegangenen Zeiträume wider, erscheinen damit daher als reaktiv denn als prognostisch. Die Entwicklung des Global Risk Report des Schweizer Weltwirtschaftsforums zeigt dies deutlich. War die beiden Toprisiken des Jahres 2009 der Börsencrash und eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft, so wurde 2014 soziale Ungerechtigkeit und Wetterextreme benannt und 2019 wieder Wetterextreme und zugleich das Scheitern eines globalen Klimaschutzes (World Economic Forum 2019, S. 8; Ettel und Zschäpitz 2019a). Fragen der Cybersicherheit stehen 2014 und 2019 an fünfter Stelle, dürften aber im Nachgang folgenreicher Ereignisse dann anwachsen. Zugleich sagen diese Einschätzungen nichts über die Kosten eines zuzuordnenden Risikomanagements: Im globalen Rahmen dürften Folgen von Wetterextrema weitaus kleiner sein als massive Cyberattacken, wie diese im elften Kapitel ausgeführt werden.
7.3.1 Risiko und Ungewissheit als Friktionen Unsicherheit stellt eine der wesentlichen Friktionen in einem Führungsprozess dar. Sie wird im Prinzipal-Agent-Modell, das im folgenden Abschnitt vorgestellt wird, durch Informationsasymmetrien erfasst. Frank Knight (1921) strukturiert das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und den Dimensionen der Unsicherheit in seinem Beitrag Risk, Uncertainty, and Profit entsprechend Abb. 7.7. Eine Entscheidung kann unter Sicherheit oder unter Unsicherheit gefällt werden; im ersten Fall ist der Prozess determiniert. Der zweite Fall wiederum zerfällt in Risiko und Ungewissheit. Für Ungewissheiten gibt es keine Wahrscheinlichkeitsverteilung, weil Ereignisse oft erstmalig auftreten und damit singulärer Natur sind. Risiko hingegen lässt sich durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschreiben, die entweder durch objektive
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
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Determiniertheit des Zustands
Sicherheit
Unsicherheit
Risiko
Ungewissheit
„objekve“ Verteilungen
keine
geringe
Unwägbarkeit der Zukun
„subjekve" Verteilungen
hohe
sehr hohe
extrem hohe
Abb. 7.7 Dimensionen der Determiniertheit von Entscheidungen. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Knight 1921)
Verfahren gewonnen werden können, also mittels Messverfahren, und somit reproduzierbar sind, oder auf subjektiven Einschätzungen beruht. Später nimmt Friedrich August von Hayek (1945) hierauf Bezug, wenn er Märkten die Fähigkeit zuspricht, Wissen zu synthetisieren, was die Zentralverwaltungswirtschaft nicht vermag. George Shackle (1949) weist in seinem Buch Expectations in Economics darauf hin, dass Menschen heute entscheiden und damit für eine unbekannte Zukunft Festlegungen treffen, weshalb Überraschungen Normalität und Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht möglich sind. Oft muss ein Ereignis erstmalig aufgetreten sein, damit es überhaupt als möglich bzw. existent wahrgenommen wird. Im Fall negativer Folgen wird es oft als Gefahr beschrieben, was nur sagt, dass ein Problem vorliegt; Eine Risikoeinschätzung bedarf mit Wahrscheinlichkeiten belegte Ereignisse, um Aussagen über das Ausmaß der Gefahr – oder des Nutzens – zu treffen. Dann ist es häufig auch möglich, die (probabilistische) Wirkungskette nachzustellen, die zu dem Ereignis führt, und es damit einer Risikoabschätzung zugänglich zu machen. „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“ schreibt Friedrich Dürrenmatt (1961, S. 85) in dem Buch Die Physiker. Aber es muss eben erstmalig gedacht oder passiert sein, um kategorisiert und systematisch analysiert werden zu können. Elon Musk (zitiert nach Beutelsbacher, Hegmann, Vetter 2018) ergänzt dies um die Rückkopplungseffekte: „Die Zukunft ist wie ein sich verzweigender Wahrscheinlichkeitsbaum, und wir können Dinge tun, die die Wahrscheinlichkeiten beeinflussen.“ Individuen bilden ihre Erwartungen häufig entlang linearer Extrapolationen. Die meisten Wachstumsprozesse verlaufen allerdings exponentiell und sind daher zu Beginn
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg Wirkungsstärke
Zeit Abb. 7.8 Überraschung durch divergente Erwartungsbildung. (Quelle: eigene Darstellung)
der Entwicklung kaum wahrnehmbar, liegen sie doch unter dem linearen Trend, wie Abb. 7.8 zeigt. Unterhalb der linearen Erwartungsfunktion herrscht Ruhe – es ist aber die Ruhe vor dem Sturm, sobald der exponentielle den linearen Expansionsbereich durchstößt.13 So erging es England an der Wende zum 20. Jahrhundert, als es den immensen wirtschaftlichen und technologischen Aufschwung des Deutschen Kaiserreichs sah – und so geht es heute den USA mit Blick auf China. Dann ist es aber bereits zu spät, es entsteht disruptiver Stress. Exponentielle Prozesse sind bezogen auf Konflikte auch deshalb kritisch zu betrachten, weil in einer Welt der ständigen Beschleunigung und Kontrolle durch Systeme der künstlichen Intelligenz das zeitgerecht steuernde Eingreifen von Menschen schwierig wird und sich automatisierte Algorithmen aufschaukeln können, was chaotische Kurseinbrüche an den Börsen regelmäßig zeigen. Dies kann zur Bedrohung werden, weil, wie die Sätze von Turing (1937) und Rice (1953) ausführen, die Korrektheit eines Algorithmus‘ grundsätzlich nicht bewiesen werden kann. Denn hierfür wäre ein Meta-Algorithmus erforderlich, der dann zur Kontrolle einen Meta-Meta-Algorithmus usw. benötigt. Weil nicht alle erforderlichen Regeln von vornherein bekannt sind, um auf das Handeln anderer korrekt zu reagieren, greift die künstliche Intelligenz zum Verfahren des Tiefenlernens (deep learning), also des autonomen Erzeugens von Handlungsstrukturen auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen. Diese sind aber grundsätzlich nicht kontrollierbar und können damit im Rahmen exponentieller Prozesse leicht zu exponentiellen Schäden führen.
13Klassisch
ist das Beispiel des ersten Berichts des Club of Rome, in welchem er ausführt, dass bei einer täglichen Verdoppelung der Abdeckung eines Teichs mit Seerosen noch am Tag vor der vollständigen Überwucherung und dem Tod des Systems noch alle von der Schönheit berauscht sind; vgl. Meadows (1972).
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
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Man spricht vom Auftreten Schwarzer Schwäne, wenn seltene beziehungsweise unvorhergesehene Ereignisse eintreffen. Für Carl von Clausewitz (1832, S. 100) zählten diese zu den Friktionen: „Endlich ist die große Ungewißheit aller Datis im Kriege eine eigentümliche Schwierigkeit, weil alles Handeln gewissermaßen in einem bloßen Dämmerlicht verrichtet wird,…“ Der kulturelle Hintergrund dafür ist die Aussagenlogik in der Art: „Alle Schwäne sind weiß.“ Gemäß der Falsifikation nach Karl Popper (1935) genügt bereits ein einziges Gegenbeispiel, um diese (All-) Aussage in ihrer Allgemeingültigkeit zu entwerten. Die Wissenschaftstheorie hat sich mit dieser Fragestellung deshalb befasst, weil sie über die Schließverfahren einen Zugang zu der Beweisbarkeit von Theorien suchte. Im System der Falsifikation ist eine Theorie solange gültig und hat sich bewährt, wie es keinen Gegenbeweis gibt. Genau dieser erfolgte im 17. Jahrhundert durch das Auffinden eines schwarzen Schwans in Australien. Schwarze Schwäne sind die Metapher für das aller Voraussicht nach nicht Passierende. Heute stehen sie für das, was man als Restrisiko bezeichnen würde, eigentlich für Ungewissheiten. In einem gleichnamigen Buch wurde das Thema vom Börsenhändler und Publizisten Nassim Nicholas Taleb (2007) aufgegriffen. Dem Menschen fällt es nämlich schwer, Durchschnittsereignisse von Extremereignissen zu trennen und somit vernünftig mit singulären Ereignissen umzugehen: Manche Prozesse lassen sich durch statistische Verteilungen, deren Wahrscheinlichkeit um die Mitte schwankt und die wenige Ausreißer besitzen, vernünftig abbilden. Nassim Nicholas Taleb nennt diese Welt Mediokristan, ein Land, das durch die Tyrannei des Durchschnitts beherrscht wird. Im Gegensatz dazu steht das Land Extremistan, bei dem die Skalierbarkeit fehlt, weil Ausreißer dominieren – das ist der Ort der Schwarzen Schwäne. Er argumentiert nun, für die klassische Erfahrungsbildung, die Induktion, tauge Mediokristan sehr gut: Hier werde aus vielen speziellen Einzelwahrnehmungen auf Gesetzmäßigkeiten geschlossen. Für Extremistan gilt das nicht. Der Truthahn, der gefüttert wird, dürfte bis Thanksgiving zu den glücklichsten Tieren der Welt zählen, bis er terminal überrascht wird – die bisher gemachte Erfahrung taugt nicht als Gesetzmäßigkeit.14 Allerdings werden in der modernen Medienwelt extreme Ereignisse häufig besonders herausgestellt und dadurch tendenziell überbewertet, weshalb ein Forecaster’s Dilemma (Lerch, Thorarinsdottir, Ravazzolo, Gneiting 2017) folgt, mit sachkundigen Analyse überhaupt wahrgenommen zu werden, weshalb man kritische Vorhersagen mit ihren Wahrscheinlichkeitsverteilungen unterlegen sollte. Strategische Denker zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich für unwahrscheinliche, aber zu Brüchen führende Veränderungen viel Zeit nehmen. Außerdem verfallen sie nicht dem Trugschluss des Spielers (gambler’s fallacy), demzufolge Individuen glauben, dass statistisch auf ein Ja ein Nein folgen muss – auf einen Gewinn ein Verlust, auf eine genehmigte Finanzierung eine abgelehnte. Tritt nun eine Folge gleicher Ergebnisse auf, dann glauben viele, dass das nächste Ergebnis anders lauten muss – auch wenn die
14Ein typischer Vertreter von Extremistan und den dort stattfindenden Innovationen dürfte Steve Jobs gewesen sein.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Risiken völlig unabhängig sind. Schließlich ist ihnen bewusst, dass sich langanhaltende Trends und Pfade oft unvermittelt – scheinbar zufällig – kreuzen oder durch das Kairos einer Führungspersönlichkeit zusammengebracht werden; dies wird als Kontingenz bezeichnet. Sie beruht eben nicht auf Schnelligkeit und Agilität allein, sondern auch auf der Fähigkeit des strategischen Abwartens: Die unerbittlich ablaufende Zeit – versinnbildlicht im griechischen Gott Chronos (Χρόνος) – setzt dem Menschen objektive Fristen, die durch Verstand und Intuition – emotionale Intelligenz – zu bewältigen sind.15 Prozesse, die in der Zukunft stattfinden und heute nur unvollständig beschrieben werden können, erzeugen Unsicherheit und damit ein Restrisiko, weil Unsicherheit bezüglich des Eintritts von Ereignissen besteht, von denen nur ein Teil als Risiko beschrieben und damit bewältigt werden kann; der verbleibende Teil müsste besser als (Rest-) Ungewissheit beschrieben werden. Zum anderen besteht ein finanzielles Restrisiko darin, dass es sehr teuer ist, das Gesamtrisiko insgesamt abzudecken. Gelegentlich wird argumentiert, die Finanzkrise hätte durch saubere Analysen vorhergesehen werden können. Dies gilt nur begrenzt. Denn viele der heute analysierten systemischen Zusammenhänge traten erstmalig auf. Prognosen beziehen sich, ihrem lateinischen Wortstamm folgend, auf künftige Erkenntnisse. Oft bedarf es eines Krisenauslösers, dem tipping point – und dessen Bedeutung wird meist erst im Nachhinein sichtbar – er ist es, den Schwarzen Schwan auftreten lässt. In der Finanzkrise ab 2008 war dieser Auslöser möglicherweise die Bereitschaft, Lehman Brothers in Konkurs gehen zu lassen – womit insbesondere die Finanzwirtschaftskrieger nicht gerechnet hatten. Oft sind die frühen Warner, die schließlich richtig lagen, eher Propheten gewesen. Über die Prophetie sagt der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940; zitiert nach Fuld 1979, S. 235): „Prophetie ist ein Vorgang in der moralischen Welt. Was der Prophet voraussieht, sind die Strafgerichte.“ Die Frage, was bekannt und was unbekannt ist – und möglicherweise immer unbekannt bleiben wird, weil es möglicherweise noch nicht einmal existiert, ist ein wichtiger Erkenntnisgegenstand der Metaphysik. Diese ist ein Teil der theoretischen Philosophie und umfasst „die allgemeinsten Strukturen der Wirklichkeit“ (Rapp 2016, S. 9), insbesondere die Erkenntnistheorie. Diese ist für Führungsprozesse bedeutsam, weil sie die Frage stellt, unter welchen Bedingungen eindeutig logisch gefolgert werden kann und wie man zu Erkenntnissen gelangt und versucht, Antworten darauf zu finden; das erkenntnistheoretische Modell der Deduktion, Induktion und Abduktion wurde weiter vorne vorgestellt. Analytisch sauberes Schließen ist entscheidend im Führungsprozess. Das ist natürlich nur in Grenzen möglich, weshalb Erfahrungswissen und Heuristiken große Bedeutung haben. Beispielhaft sollen hier einige Probleme verdeutlicht werden (Blum 2016b, S. 16–19):
15Jeder
Führungspersönlichkeit seien die Ausführungen von Lucius Annaeus Seneca (4 v.Chr.-65) De brevitate vitae (49) ans Herz gelegt, die zeigen, wie wenig Unterschiede im Zeitmanagement zwischen damals und heute bestehen.
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7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
Das logisch-rationale Entscheidungskalkül der Moderne hängt vom deduktionistischen Ideal des Wenn-Dann ab. Die grundlegenden Strukturen sind also kausal oder probabilistisch-kausal. Hiervon zu unterscheiden ist die finale Betrachtungsweise, die bei der Zielformulierung und beim Ableiten von Instrumenten oft von Bedeutung ist und damit im Führungsprozess einen hohen Stellenwert einnimmt und das Um-Zu betont. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld (2013) hat auf einer Pressekonferenz im Februar 2012 das grundlegende Erkenntnisproblem mit folgender Feststellung auf den Punkt gebracht: „[T]here are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns – there are things we do not know we don't know.“ Dies wird in Abb. 7.9 verdeutlicht. Die Normalität, im ersten Quadranten eingeordnet, ist das existente Wissen, das bekannt und zugänglich ist; daneben befindet sich im zweiten Quadranten das bekannte Unwissen, was beispielsweise einen Anreiz zu Forschung und zu Innovation geben kann. Im dritten Quadranten findet man Wissen, das unbekannt ist, oft weil sich Individuen der Aufklärung – im Sinne von Immanuel Kant – verweigern. Dies wird anschließend unter dem Gesichtspunkt von Konformitätszwang und Weltbildschutz verhandelt. Sich über unbekanntes Nichtexistentes, wie im vierten Quadranten aufgezeigt, Gedanken zu machen, kann sehr sinnvoll sein – wie die weiter oben gestellte Frage nach der Existenz eines Schwarzen Schwans deutlich gemacht hat. Es kann, wie Christof Rapp (2016, S. 27–31) zeigt, Teile von Mythen und Fiktionen sein – gerade Mythen sind besonders wichtig zur Analyse von Konflikten, auch im Führungsprozess, und manche Fiktion
Grundsätzliche Existenz von Wissen
bekannt
Nicht vorhandenes Wissen (Unwissen)
Bekanntes, existentes Wissen 1 2 3 4
unbekannt
Aktueller Wissensstand eines Individuums oder einer Gruppe
Vorhandenes Wissen
Unbekanntes Wissen, also Wissen, das noch nicht bekannt ist, aber exisert.
Bekanntes Unwissen, also Wissen, von dem bekannt ist, dass es nicht exisert. Unbekanntes Unwissen, also Unwissen, dessen Existenz unbekannt ist.
Abb. 7.9 Wissens-Unwissens-Matrix. (Quelle: eigene Darstellung)
548
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
wurde wahr, weil sie die Phantasie und damit die Innovationsbereitschaft anregte. Gerade fiktive Diskurse wirken bereichernd und führen zu erkenntnisschaffenden Gedankenexperimenten.
7.3.2 Führung unter Bedingungen unzureichender Information Tatsächlich ist der anfangs benannte value of life ein wichtiges Signal, das gleichermaßen horizontal – im Vergleich zu Konkurrenten – und vertikal entlang des Führungsprozesses wirkt; er ist aber nicht zwingend bekannt und damit auch nicht Engagement und Opferbereitschaft. Das führt hin zu der bereits weiter oben angeschnittenen Problematik des Führens unter Bedingungen fehlender Informationen. In dem Modell wird unterstellt, dass zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen unterschiedliche Informationsstände bestehen. Der Prinzipal ist dabei risikoneutral und beurteilt Ergebnisse nur nach ihrem Erwartungswert. Durch den Vertrag soll der besserinformierte Agent seine Informationen preisgeben, wofür er neben der Entlohnung auch ein verstetigtes Einkommen bekommt. Das Unternehmerrisiko verbleibt beim Prinzipal, der den Agenten gleichsam versichert. Dieser ist nämlich risikoscheu, wählt also bei zwei Ergebnissen mit gleichem Erwartungswert das mit dem geringeren Risiko. Zwei Probleme stehen im Zentrum dieser vertragstheoretischen Analysen (Tirole 1986; Blum, Dudley, Leibbrand, Weiske 2005, S. 102–164): 1. Der Umgang mit einer Situation, in der vor Vertragsabschluss unterschiedliche Informationsstände vorliegen, beispielsweise über die Qualität eines Gebrauchtwagens. Die zentrale Frage lautet dann: Welche Signale sind erforderlich, um das Problem einer ineffizienten Allokation zu vermeiden, oder kann das Problem durch Screening des Prinzipals gelöst werden? 2. Der Umgang mit einer Situation, in der nach Vertragsabschluss unterschiedliche Informationsstände herrschen, weil einem Beteiligten Informationen zugänglich gemacht werden, die dem anderen unbekannt bleiben, oder weil ein Handeln möglich ist, das der andere zu beobachten nicht in der Lage ist. Die zentrale Frage lautet dann: Welche Anreize (Strafe oder Belohnung) sind erforderlich, um vertragskonformes Verhalten zu erreichen? Die Grundstruktur findet sich in der Abb. 7.10. Sie zeigt den Prinzipal, also den Vorgesetzten, den Agenten und die Informationsbarriere, die zwischen Kontrolle und Berichtswesen existiert. Zugleich existiert ein dem Prinzipal nicht bekannter Zustand der Natur (state of nature), welcher die Produktivität des Agenten verbessert oder verschlechtert. Da er nicht beobachtet werden kann, steht er in der Versuchung zu behaupten, es seien schlechte Arbeitsbedingungen gewesen, aber durch seine heldenhafte Aufopferung sei der Konflikt vorteilhaft bewältigt worden – tatsächlich waren es aber günstige Umstände. Grundsätzliche Folge ist, dass die Entlohnung des Agenten
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
549
berichtet
kontrolliert
berichtet
Informaonsbarriere
kontrolliert
entlohnt, versichert
Prinzipal
Agent Abb. 7.10 Klassisches Prinzipal-Agent-Problem. (Quelle: eigene Darstellung)
nicht der Grenzproduktivitätsregel folgt, sondern eine Prämie für Wahrhaftigkeit gegeben wird und Anstrengungen unter misslichen, aber nicht beobachtbaren Bedingungen nicht honoriert werden. Es ist wichtig, ob neue Informationen vor oder nach Vertragsabschluss hinzukommen, oder allgemeiner, ob die Informationsasymmetrie bereits vor Vertragsschluss besteht oder erst danach auftritt. Im ersten Fall entstehen die Selektionsprobleme, weil die Agenten einen Anreiz haben, vorzugeben, sie gehörten der Gruppe mit dem für den Prinzipal nützlicheren Typ an. Bei diesen adverse selection-Problemen legt die Natur beispielsweise fest, ob ein Agent durch hohe oder niedrige Kosten (Bildung, Fleiß, Gesundheit) charakterisiert wird. Für Agenten mit einem für den Prinzipal wünschenswerten Typ wäre es vorteilhaft, wenn sie dem Prinzipal diesbezügliche Informationen mitteilen könnten. Diese müssen jedoch auch glaubhaft sein. Beispielhaft ist das Signalisieren des eigenen Typs bei der Bewerbung um eine Arbeitsstelle durch Zeugnisse; einem fleißigen und intelligenten Arbeitnehmer wird es leichter fallen, gute Noten nachzuweisen, als einem faulen und dummen. Manchmal agiert der Prinzipal auch zuerst und erschließt sich Informationen über die Agenten auf indirektem Wege, indem er selektive Verträge (self-selection) anbietet, bei denen die Agenten die ihnen zugedachten Verträge aus eigenem Anreiz wählen; typisch hierfür sind private Krankenversicherungsverträge mit unterschiedlichen Selbstbehalten. Zum zweiten Bereich zählen die moral hazard-Probleme, bei denen der Prinzipal dem Agenten einen Vertrag anbietet, den dieser annehmen oder ablehnen kann; anschließend
550
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
erfolgt eine nicht beobachtbare Anstrengung des Agenten oder es trifft eine Information ein, die nur der Agent beobachten kann. Der Agent kann nun diese Informationsasymmetrie zu seiner Nutzensteigerung ausnutzen, was der Prinzipal gerne durch das Angebot eines guten Vertrages verhindern oder einschränken würde. Typisch hierfür ist die Schadenszunahme nach Abschluss von Kaskoverträgen, weil Kunden nun sorgloser mit dem Auto fahren. Verpflichtungen spielen als glaubhafte Signale eine wichtige Rolle, um Informationsasymmetrien abzubauen. Selbstbindung besitzt hier eine besondere Bedeutung: So wurde in der Geschichte die Friedensgewährleistung oder gar -erzwingung oft durch Heirat oder Geiselaustausch unter Mitgliedern der Königshäuser abgesichert. Carl von Clausewitz (1832) hat stets auf die Bedeutung der Friktionen hingewiesen, also der Reibungsverluste, die im Kriegsgeschehen auftreten und durch Führung, die aber ebenfalls unter derartigen Imponderabilien leidet, zu bewältigen sind. Dabei muss man sich auf die Unwägbarkeiten einlassen, die beispielsweise Ronald Gerste (2015) in seinem Buch Wie das Wetter Geschichte macht: Katastrophen und Klimawandel von der Antike bis heute am Beispiel vieler historischer Fälle aufzeigt, um die Rolle von Wetter und Klima auf das Kriegsglück zu verdeutlichen. Allgemein spricht man in diesem Zusammenhang in der modernen Spieltheorie und in der Prinzipal-Agent-Theorie vom Zustand der Natur (state of nature). Damit verbunden ist ein besonderer Aspekt für das Ausleben politischer, militärischer und wirtschaftlicher Rivalität: die unter diesen Umweltbedingungen zeitrichtige Entscheidung und Handlung, das Kairos (Καιρός). Hieran scheiterte, wie Stefan Zweig (1927) in den Sternstunden der Menschheit zeigt, beispielsweise Napoleon bei Waterloo 1815, als dessen Truppen durch das Regenwetter in der Änderung ihrer Aufstellung stark beeinträchtigt waren und dem sein Marschall Emmanuel de Grouchy (1766–1847) nicht rechtzeitig zur Hilfe kam. Vergeblich suchte er nach der Armee von Blücher, um sie zu binden, der aber hatte bereits in die Schlacht, die Truppen von Wellington unterstützend, eingegriffen. Gebhard Leberecht Blücher kam hier seine faszinierende Fähigkeit zugute, gleichzeitig ausgezeichneter Stratege zu sein, der das angebliche militärische Genie von Napoleon nicht fürchtete, und seine stete väterliche Fürsorge für die Soldaten. Denn in der Schlacht von Ligny war er am 16. Juni 1815 noch geschlagen worden, und Napoleon rechnete nicht damit, dass die preußische Armee so schnell wieder reorganisiert werden konnte.16
7.3.3 Rolle der Irreversibilität für den Entscheidungsprozess Risiken lassen sich durch das Beschränken der zulässigen Handlungsmöglichkeiten reduzieren. Das Herstellen von Irreversibilität besitzt einen hohen Stellenwert, um
16Diese Führungsqualitäten betont insbesondere das Buch von Michael I. Leggiere (2018) Blücher Scourge of Napoleon.
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
551
Glaubhaftigkeit des Handelns zu signalisieren – der Eroberer der Burg, der nach dem Erklimmen der Zinnen die Leiter hinter sich wegstößt, signalisiert dem Gegner unbändigen Kampfeswillen ebenso wie der Investor, der mit einer weit überhöhten Produktionskapazität in den Markt eintritt und damit verdeutlicht, dass er ihn aufrollen wird. Vier Arten von Irreversibilitäten lassen sich in diesem Kontext unterscheiden (Blum 2004, S. 466–467): 1. Das Agamemnon-Prinzip: Agamemnon stand vor Troja und sagte sinngemäß: „Wir haben so viel Blut vergossen, das Blutvergießen darf nicht umsonst sein, jetzt müssen wir durchhalten!“ In der Ökonomie bedeutet das, gutes Geld dem schlechten Geld hinterherzuwerfen; eigentlich sollte man das nicht tun – das schlechte ist bekanntlich in jedem Fall verloren, und ebenso werden die Toten durch das Erobern von Troja nicht lebendig. Das Verhalten erinnert an Angela Merkel, die ohne Alternativen zu berücksichtigen den Durchmarsch bei der Eurorettung organisiert. Im Falle Trojas war dieses alternativlose Anrennen gegen die Mauern bekanntlich nicht erfolgreich – die Einnahme der Stadt erfolgte durch die List von Odysseus. Allgemeiner: Eigentlich bedeutet Irreversibilität, dass man frei entscheiden kann – denn weder Tote noch verlorenes Geld sind zurückzuholen. Tatsächlich aber wird man versuchen, das Ziel doch noch zu erreichen – der moralische Anspruch, die Rechtfertigung vor einer transzendenten Instanz, dass die Anstrengung nicht umsonst war, hilft, im Kampf durchzuhalten oder beim Nachschießen von Geld. Um derartige Traumata zu verhindern, führt Fürst Otto von Bismarck (1870), wie bereits im zweiten Kapitel umfänglich zitiert, aus: „Die Politik hat nicht zu rächen, was geschehen ist, sondern zu sorgen, daß es nicht wieder geschehe.“ Gerade nationale Mythen und Traumata, im übertragenden Sinne also vergossenes Blut, haben immer wieder durch ihr irrationales Moment, auch Massen begeisternd, wirtschaftliches und politisches Handeln geleitet – meist mit schrecklichen Folgen. 2. Das Odysseus-Prinzip: Odysseus befahl seinen Ruderern, sich Wachs in die Ohren zu pressen, um nicht dem Gesang der Sirenen zu erliegen und zu kentern. Sich selbst ließ er aber an den Pfahl binden, um den Gesang der Sirenen gefahrlos lauschen zu können. Derartige Selbstbindungen liegen bei einem Theaterabonnement, einem Skipass oder – noch einfacher – einer Bürgschaft vor (in der Antike: Geiselaustausch). Selbstbindung der Nationen in Vertragssystemen ist vor allem bei Bündnissystemen für deren Glaubhaftigkeit zentral. Gleiches gilt für Unternehmensnetzwerke. Wenn zur Stabilisierung von Preis- oder Mengenabsprachen im Dritten Reich von den im Kartell verbundenen Unternehmen betragsmäßig offene, aber unterschriebene Wechsel als Sicherheiten verlangt wurden, dann entspricht dies dem hier beschriebenen geiselanalogen Bindungsgedanken. 3. Das Cortés-Prinzip: Hernán Cortés landete mit einer zahlenmäßig unterlegenen Streitmacht, allerdings mit überlegener Technologie, in Mexiko. Er überzeugte Montezuma davon, dass er nicht mehr zurückkehren werde, indem er fast alle seine Schiffe verbrannte und damit seinen Mitstreitern den Rückweg nach Spanien
552
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
abschnitt. Montezuma willigte in die Übergabegespräche ein und wurde dann hintergangen und ermordet. 4. Das Caesar-Prinzip: „Alea iacta est“, die Würfel sind geworfen (noch nicht gefallen). Das sprach Gaius Julius Caesar beim Überschreiten des Rubikons, der die demilitarisierte Zone um Rom abgrenzte, in die kein siegreicher Feldherr eindringen durfte, um die Politik Roms nicht unter Druck zu setzen. Er hätte wieder zurückgekonnt, dann wären die Würfel anders gefallen, als sie durch den Marsch auf Rom gefallen sind. Allgemein: Die Entscheidung ist zwar auf dem Weg, kann aber noch zurückgenommen werden: Das ist die Lage, wenn Interkontinentalraketen bereits in der Luft sind und auf das Land zielen und man vielleicht noch zwei Minuten Zeit hat, sie zurückzuholen oder rechtzeitig zu sprengen. Durch Irreversibilitäten kommt es zu lock-in-Effekten; das weiter oben angeschnittene Beispiel der noch heute verwendeten QWERZ- bzw. Q WERTY-Schreibmaschinentastatur belegt dies. Analog sieht man die Schwierigkeiten eines Lands mit einem gutausgebauten Schienensystem, eine Magnetschwebebahn einzuführen. Wie nachhaltig kriegsentscheidend versunkene Kosten wirken können, erkennt man im historischen Kontext besonders an Bogenschützen. Junge Leute, mit Langbögen bewaffnet wie in Agincourt im Jahr 1415 auf englischer Seite, brachten den Franzosen eine vernichtende Niederlage bei. Da sie praktisch von Geburt an darauf trainiert wurden, den Bogen schnell zu spannen und zu schießen, also eine hohe Schlussfolge von bis zu 20 Pfeilen pro Minute realisieren konnten, waren Gefallene kurzfristig nicht zu ersetzen. Irreversibilität stellt ein starkes Signal dar, weil derjenige, der Kosten versenkt hat, diese Entscheidung im Anschluss nicht wieder zurücknehmen kann. Da bekannt ist, dass das bessere Risiko billiger signalisieren kann als das schlechtere, und das Signal der Irreversibilität im Anschluss an das Versenken von Kosten annähernd kostenfrei ist (weil der zugrunde liegende Vorgang eben irreversibel ist), bedeutet das, dass damit das wirtschaftliche Verhalten der Konkurrenten erheblich beeinflusst werden kann. Nicht umsonst werden in allen Formen von Auseinandersetzungen irreversible Signale verwendet, um eine besondere Glaubhaftigkeit auszustrahlen. Auf der Ebene der Wettbewerbsanalyse spielt daher die Beobachtung des strategischen Verhaltens von Unternehmen bei Investitionen eine wichtige Rolle, weil diese in bestimmten Branchen grundsätzlich als versunkene Kosten anzusehen sind, beispielsweise auf dem Gebiet der Mikroelektronik oder der Zementproduktion. Man spricht dann von freundlichem oder unfreundlichem Verhalten: Ein Wettbewerber gibt dann ein aggressives Signal, wenn er in eine Produktionskapazität investiert, die nahe am Marktvolumen liegt und diese Kosten irreversibel, also nur zum Zwecke dieser Produktion, zu nutzen sind. Typisch sind Chinas massive Investitionen in die Solarindustrie. Umgekehrt bedeutet der Eintritt eines Bauunternehmens in einen regionalen Markt mit einer mittleren Angebotskapazität angesichts eines großen Marktsassen, dass man mit diesem in Frieden leben will.
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
553
7.3.4 Beherrschen von Komplexität Bereits zu Eingang des Kapitels war ausgeführt worden, dass Komplexität natürlich ist und der Mensch dazu neigt, diese zu verkomplizieren. Tatsächlich gibt es zwei Lösungen für den Umgang mit ihr: die Bereitschaft, Selbstorganisation zuzulassen, oder die Reduktion auf das Wesentliche im Sinne der simplifizierenden Abstraktion. Für einen Theoretiker, der ein komplexes System analysieren und darauf aufbauend Entwicklungspfade ausweisen will, möglicherweise mit dem Ziel des führenden und gestaltenden Eingreifens, steht die Frage der Modellierbarkeit an vorderster Stelle. Die zentrale ökonomische Frage lautet dann, ob Modelle überhaupt geschaffen werden können, weil das zugrunde liegende System in seinen Elementen separabel und somit reduzierbar ist. Die bisherigen Erfahrungen, beispielsweise bei der Klimamodellierung oder der Konjunkturprognose, lassen Zweifel aufkommen. Vor allem unter der Bedingung von interdependenten Ereignissen führt die Konzentration auf Einzelziele oder -ereignisse zu unterkomplexen Entscheidungsmodellen. Im Extremfall ist es die Alternative Pest oder Cholera – oder wie bei Homer die Meeresungeheuer Scylla und Charybdis, zwischen denen Odysseus entscheiden musste. Die klassische ökonomische Bewertungstheorie versagt dann (Martin und Pindyck 2015), vor allem das ihr zugrunde liegende Marginalkalkül. In welcher Reihenfolge dann vorgegangen werden muss, hängt von der Bewertung der zu enumerierenden und mit Kosten bzw. Erträgen zu bewertenden Kombinationsmöglichkeiten ab. Das spieltheoretisch eingeführte Trilemmaproblem des Triels gibt hier Lösungshinweise. Dietrich Dörner (2011, S. 71) führt aus, dass Komplexität auf zwei Ursachen zurückzuführen ist: eine Vielzahl von Variablen und deren Vernetztheit, also fehlende Unabhängigkeit. Das überfordert das lineare Denken des Menschen, weshalb es zu massiven Fehleinschätzungen kommt. Insbesondere wird der Handelnde alles tun, dass sein Weltbild nicht durch Außeneinflüsse zerstört wird – möglicherweise mit verheerenden Folgen für das Selbstbild. Die damit einhergehenden Anpassungsmechanismen finden sich in Abb. 7.11 (Dörner 2011, S. 80). Gerade dann, wenn derartiges Handeln ein hohes Maß an Amoralität besitzt, wird das Individuum um des Selbstbildschutzes willen Regeln im Nachgang zurechtbiegen bzw. sich an Dritten, die ebenso versagt haben, orientieren – doch Gleichheit im Unrecht existiert nicht als ethische Maxime, bzw. sollte nicht existieren. Der Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, Daniel Kahneman (2011), hat die Frage des falschen Denkens und Handelns in seinem Buch Thinking, Fast and Slow, thematisiert. In der Tat müssen im klassischen Führungs- und Entscheidungsprozess Festlegungen unter den Bedingungen der Komplexität und insbesondere der Unsicherheit getroffen werden. Dabei fehlen nicht nur relevante Informationen, möglicherweise sind sie auch unter den einzelnen am Führungs- und Entscheidungsprozess Beteiligten unterschiedlich verteilt. Üblicherweise nimmt die Unsicherheit entlang des Führungsstrangs ab, wie dies im Prinzipal-Agent-Modell aufgezeigt wurde. Dies bedeutet, dass
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg Redukonismus affirmave Wahrnehmung
Wahrnehmungsabwehr „Ballissche“ Akonen
Weltbildschutz „Groupthink“
Fremdaribuon von Misserfolg Die „loyale“ Gruppe Marginalisierung von Misserfolg Unterlassung „historischer“ Analysen zur Idenfikaon der Wirkfaktoren
Abb. 7.11 Auswahlentscheidungen unter Bedingungen des Selbstbildschutzes. (Quelle: eigene Darstellung nach Dörner 2011, S. 80)
demjenigen, der sich sehr nah an der Entscheidungsausführung befindet, die meisten relevanten Informationen vorliegen. Das legt es nahe, mit Auftrag, also nach dem Konzept der Auftragstaktik dezentral zu führen. Diese erlaubt es, Hierarchien über Freiheitsgrade in ihren speziellen Kompetenzen zu nutzen und Komplexität zu reduzieren. Wegfall von Führungsebenen riskiert damit, diese zu erhöhen. Michael Tomasello (2008, 2011, 2014) wies in diesem Kontext auf die Bedeutung der Kommunikationsstrukturen für das Entscheidungsverhalten hin, insbesondere auch für das kollektive Handeln. Dabei spielt die Interaktion von Sprache und Gestik eine wichtige Rolle, um einerseits Gruppenkohäsion zu erzeugen, andererseits innerhalb derselben auch Rollenund Aufgabenteilung in den verschiedenen Funktionen sicherzustellen. Marco Sigg (2014) zeigt in seinem Buch Der Unterführer als Feldherr im Taschenformat: Theorie und Praxis der Auftragstaktik im deutschen Heer, 1869 bis 1945, dass die Komplexität und die Unwägbarkeiten des Kriegs, den Carl von Clausewitz (1832, S. 42) in der Wandlungsfähigkeit mit einem Chamäleon verglich, durch permanente Friktionen entstünden, die nur durch dezentrales Führen bewältigt werden könnten. Nichtentscheiden sei schlimmer als Fehlentscheiden, weshalb zur Auftragstaktik auch eine Kultur der Fehlertoleranz gehöre Wie Jörg Muth (2011) in Command Culture – Officer Education in the US Army and the German Armed Forces 1901–1940, and Consequences for World War II schreibt, lag hierin eine der großen Stärken des mittleren Führungsebenen der deutschen Streitkräfte, weil sie die Fähigkeit besaßen zu improvisieren und in unübersichtlichen Lagen die Soldaten kameradschaftlich an unberechenbare taktische Lagen heranzuführen.
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
555
Wie soll kommuniziert werden, um Entscheidungen unter Bedingungen hoher Komplexität zu erleichtern und Auswahlprozesse zu begünstigen, wenn keine einfachen Wenn-Dann-Regeln (Kausalregeln) vorhanden sind, weil vieldimensionale Wirkungsketten, insbesondere Netzwerke, vorliegen, die unbekannte Rückkopplungen erlauben? Insbesondere in dynamischen Systemen ist es nicht klar, ob derartige Interdependenzen zu konvergentem oder divergentem bzw. chaotischem Verhalten führen.17 Für eine Ursachen- und Abhängigkeitsforschung in derartigen Systemen werden häufig Wirkungs- und Abhängigkeitsketten, beispielsweise Netzpläne, erstellt. Sind diese nicht deterministisch, so erfolgt die Abbildung über probabilistische Markov-Ketten. Im Gegensatz zu dieser kausalen Darstellung von Abhängigkeiten steht die finale Darstellung, also das Abbilden von Um-Zu-Regeln. Sie sind für den Führungsprozess besonders dort interessant, wo dieser zielorientiert abläuft, also ein Ziel fokussiert wird und dann die Bedingungen abgefragt werden, die erfüllt sein müssen, um es zu erreichen. Man kann in einem einfachen Entscheidungssystem diesen Weltbildschutz als Problem konfirmatorischen Gruppenzwangs berücksichtigen, dem die individuelle Autonomie gegenübersteht. Dann besteht die Möglichkeit eines ewigen Kreislaufs des Scheiterns, wenn nicht ein Eingriff von außen passiert, der Innovationen in die Analyse bringt. Vor allem die Unsicherheitsbarriere, die sich auch stets hinsichtlich Ursachen und Ausprägung verändern kann, erklärt den Aufbau eines geschlossenen Weltbilds von überlasteten Entscheidern oder ihren Teams. Politisch spricht man dann gerne von einem „Kokon der Ahnungslosen“ (möglicherweise in einem „Tal der Ahnungslosen“) oder – im deutschen Fall – von einem „Raumschiff Berlin“. Fehlende Neugier und Innovation verzögern dann Prozesse, die damit noch schwerer zu lösen sind – und erzeugen genau die – auf nationaler Ebene – demokratiezerstörenden Probleme, auf die Helmut Schelsky und Colin Crouch hingewiesen haben. Im Umgang mit Komplexität ergibt sich ein typischer Zyklus von der Entwicklung von Ideen und deren Realisierung, der beachtet werden muss, weil er die Interaktion zwischen Komplexität und fehlender Information des Entscheiders bzw. der in die Entscheidung Einbezogenen verdeutlicht. Dieser Zyklus wird gerne wie folgt kolportiert: Die ursprüngliche Idee trifft zunächst auf Widerstand, weil sie als zu merkwürdig und zu wenig realisierbar angesehen wird. Nach und nach gewinnt sie aber Beachtung, und die Betroffenen interessieren sich nun für ihre Umsetzung, sodass sich über einen Schneeballeffekt eine kritische Masse an Befürwortern ansammelt. Die Idee wird zu einem Standard und zählt zum institutionellen Umfeld des Systems. Irgendwann wird sie realisiert sein, aber ihre Erfolgswirksamkeit lässt schließlich nach und sie erfährt ihren
17Oft
scheint die Frage, was Ursache und was Wirkung ist, nicht wirklich klar; gerade die sozialwissenschaftliche Wirkungsanalyse steht hier vor oft schwer aufzulösenden Problemen. Tatsächlich erscheint diese Problematik weit grundsätzlicher, wie die moderne Quantenphysik zeigt (Walther und Brukner 2019).
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Niedergang. Sodann schläft die Idee ein – bis sie später neu geboren wird und wieder als Lösungsmöglichkeit betrachtet wird. Gerade im Wissenschaftsbereich sind solche Ideenzyklen zu finden, ebenso im Bereich der Wirtschaftspolitik. Typisch hierfür sind die Konjunkturen verschiedener Führungs- und Managementregeln, die periodisch auftauchen und dann wieder vergehen. In diesem Kontext ist besonders die Logik des Misslingens, von der Dietrich Dörner (1989) spricht, zu beachten. Der Problemlöser steht vor einer Vielzahl interdependenter Variablen und unvollständiger Informationen, und stellt sich die Frage, wie er zielorientiert entscheiden soll. Dabei wird deutlich, dass die Interdependenzen ebenso unterschätzt werden wie die dynamischen Eigenschaften, die zu exponentiellen Effekten führen können. Dies reduziert die Fähigkeit, Ziele präzise zu beschreiben. Dadurch können die langfristigen Wirkungen aus dem Blick geraten und deshalb werden kurzfristige, bisher erfolgreich erachtete, Lösungen präferiert. Dietrich Dörner weist auf eine Reihe von Problemen beim Umgang mit komplexen Systemen hin, nämlich die falsche Zielsetzung, die fehlende Berücksichtigung von Netzwerkeffekten und damit von Rückkopplungen und Nebenwirkungen, die Einseitigkeit der Betrachtung und der Schwerpunktbildungen auch als Folge eigener, unreflektierter Erfahrungen, eine Tendenz zum Übersteuern des Systems. Damit sollen Wirkung erzwungen werden. Die Folge ist ein autoritäres, nicht hinreichend kommunikatives Führungsverhalten. Besonders aus Sicht des Wirtschaftskriegs ist seine Beschreibung des Räuber-Beute-Systems (Dörner 1989, S. 213–223) wichtig, bei der eine Population auf Kosten einer anderen lebt und zugunsten des eigenen Wachstums übermäßig ausbeutet. Das zunächst stabile, eigene exponentielle Wachstum fällt in sich zusammen, sobald die Beute ausgerottet ist, es ergibt sich eine „Richtungsänderung“, die infolge „‚im Untergrund‛ verlaufender Entwicklungen … zusammenbricht.“ Börsenkrache fallen für ihn in diese Kategorie. Konfirmatorischer Zwang stellt im Gruppenkontext einen wesentlichen Faktor für falsche Entscheidungen dar, weil hierdurch das unvoreingenommene Denken verhindert wird und der Konformismus an sich keine informatorische Marktlösung im Sinne von Friedrich August von Hayek (1945) entstehen lässt. In der Abb. 7.12 wird deutlich, dass das befangene Analysieren von Ursachen des Scheiterns dazu führt, in einen Zyklus des Scheiterns zu geraten. Schließlich vermuten Menschen auch schnell hinter negativen Nachrichten und Fehlschlägen gerne Verschwörungen und suchen Sündenböcke – genau dies aber behindert rationale Aufklärung. In ihrem Beitrag Are You Ready to Decide? führen Philip Meissner, Oliver Sibony und Torsten Wulf (2015) aus, dass diese konfirmatorischen Zwänge so stark wirken, dass man sinnvollerweise eine Checkliste abarbeitet, um sich seiner freien Meinung sicher zu sein. Dabei ordnen sie die Fragen, um die Antworten zu bewerten, in zwei Dimensionen, nämlich der Innensicht der Entscheider (Pluralität vs. Konformität) und die Ergebnisse hinsichtlich potentieller Chancen und Gefahren. Die vier Felder regen dann an, entweder Projekte grundlegend zu überprüfen, einem Stresstest zu unterwerfen, nach neuen Informationen zur Vermeidung von Konformität zu suchen oder zu entscheiden. Dabei ist auch der Typ des Entscheiders wichtig – ist er eher Visionär, den man erden muss, ein
557
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck Eingang Was ist die Ursache des Scheiterns?
bekannt, quasi-objekv
„richge“ Maßnahmen
Ausgang
nicht bekannt, ist also zu analysieren
Ergebnisse der Analyse müssen in ein vorgefasstes Bild passen.
Unschärfe, Informaonsasymmetrie (Risiko, Ungewißheit) Analysesystem
Konfirmatorische Konstrukonen
Erneutes Scheitern
Freie Analyse der Mißerfolge
Stellung des Reglers ist abhängig vom Entscheider oder des Entscheidungsteams im Spannungsverhältnis aus Autonomie (+) und Gruppenverhalten (-).
Abb. 7.12 Die Falle des Scheiterns durch konfirmatorischen Zwang. (Quelle: eigene Darstellung in Weiterentwicklung einer Vortragsskizze von Dörner (unveröffentlicht))
Aufpasser und Kontrolleur, dessen Ideen von außen herausgefordert werden müssen, ein Motivator, der durch in eine formale Struktur und durch Regelbindung einzufangen ist, ein Flexibler, der durch Regelbindung einzugrenzen ist, oder ein Katalysator, der sich gerne in bekannter Umgebung ausruht und daher neuen ad-hoc-Teams herauszufordern ist (Lovallo und Sibony 2013).18 Niklas Luhmann (1927–1998) postulierte in seinem Buch Legitimation durch Verfahren (1969), dass unter Bedingungen hoher Komplexität und fehlender naturwissenschaftlicher, selbstevidenter Wahrheiten klar strukturierte Verfahren notwendig seien, deren gesellschaftliche Akzeptanz durch Legitimität gesetzt ist. Dabei garantieren diese Verfahren nicht unbedingt richtige Entscheidungen; so kann es auch in Gerichten zu Fehlurteilen kommen, es kommt also auf das Wie der Routine an, nicht auf das Was. Insbesondere hat damit die Forderung, bei scheinbaren Fehlentscheidungen bzw. Fehlentwicklung mehr Transparenz oder mehr Regulierung (oder beides) zu fordern, wenig
18Exzerpiert
aus „Early-stage research on decision-making styles“, April 2013, McKinsey Quarterly, www.mckinsey.com. Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. „Are you ready to decide?“, April 2015, McKinsey Quarterly, www.mckinsey.com. Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
mit Wissen, viel aber mit Systemvertrauen zu tun, das in modernen Gesellschaften zunehmend das personelle Vertrauen ersetzt. Da im evolutorisch-heuristischen Sinne (Nelson und Winter 1982) diese Routinen anderweitige Alternativen eliminieren, wirken sie komplexitätsreduzierend, das Abschneiden von Information steht aber im Kontrast zu dem Wesensgehalt eines umfassenden im Marktprozess entstehenden Wissens (Hayek 1945). Allerdings kann diese vorgeblich klare und verlässliche Strukturierung auch zu massiven Fehlleistungen führen: Bei Notfallevakuierungen ist das größte Problem, sich vom Wichtigen zu trennen. Der Soldat definiert sich über seine Waffe – ob und wie er sie im Extremfall wegwerfen soll, ist nicht klar. In einer disruptiven Welt mit massiven Modernisierungsschüben wird der Ausbruch aus dem Tradierten und das Wegwerfen des bisher Geliebten, Bewährten, aber nun Überflüssigen, überlebenswichtig. Institutionen können sich aber aufgrund des Eigeninteresses der in ihnen Handelnden verselbständigen (Niskanen 2004; Parkinson 1957), wie man das heute bei NGOs oder Compliance-Einrichtungen deutlich sieht, weshalb eine Ritualisierung der komplexitätsreduzierenden Routinen schließlich einer Totemisierung und Tabuisierung im Sinne von Sigmund Freud (1912/1913) gleicht, dysfunktional wird und damit komplexitätserhöhend wirkt.
7.3.5 Informationsasymmetrie und Signale Signale sind bewusst gesetzte und damit zielorientierte Informationen, die ein Sender an einen Empfänger übermittelt, um Unsicherheit – möglicherweise nur zum Schein – zu mindern. Das geschieht oft beabsichtigt, das muss aber nicht zwingend so sein. Im Kontext der business intelligence werden auf der Empfängerseite von den Unternehmen besonders die Signale von Konkurrenten analysiert, die diese unbewusst geben, beispielsweise Kosteninformationen oder Angaben zu technologischen Prozessen. Umgekehrt werden auf der Senderseite Signale so gesetzt, dass die Konkurrenten möglichst manipuliert und irregeführt werden. Zunächst bezieht sich die Signaltheorie auf Erkenntnisse aus der Biologie, die insbesondere im Balzverhalten von Menschen und Tieren deutlich werden. Dabei spielt die Frage, ob derartige Signale wahrhaftig und glaubhaft sind, eine entscheidende Rolle, um beim Empfänger die erforderliche Einordnung zu ermöglichen. Wie die Signaltheorie zeigt (Akerlof 1970; Spence 2002), ist das bessere Risiko in der Lage, billiger zu signalisieren. Preise sind dann nicht nur Preis-, sondern auch Qualitätssignale, was bedeutet, dass erhöhte Preise Kunden nicht zwingend abschrecken, wenn sie diese als Qualitätsausweise ansehen. Damit stellt sich die ergänzende Frage, ob sich ein schlechteres Risiko hinter einem besseren Risiko verstecken kann. Das wird beispielsweise im Milgrom-Roberts-Modell (Milgrom und Roberts 1982) analysiert: Verglichen werden im Zwei-Perioden-Kontext die Gesamtgewinne eines Marktsassen und eines
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
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Tab. 7.1 Gewinnbedingungen im Modell von Milgrom und Roberts Kosten des Marktsassen
Gewinn in Periode 1 Marktsasse Eintrittswilliges Unternehmen
Gewinn in Periode 2 Marktsasse Eintrittswilliges Unternehmen
Niedrig
Monopolgewinn 0 bei niedrigem Preis
Monopolgewinn 0 bei niedrigen Preis
Hoch
Monopolgewinn bei hohem Preis
Duopolgewinn bei Duopolgewinn bei hohem Preis hohem Preis
0
Quelle: eigene Darstellung
Markteintrittswilligen. Dabei ist die eigene Kostenstruktur dem Marktsassen bekannt, der Markteintrittswillige erlangt Kenntnis dieser Größen erst nach Zutritt in den Markt, weiß allerdings bereits vorher, dass die Grenzkosten des etablierten Unternehmens mit der Wahrscheinlichkeit p niedrig und mit der Residualwahrscheinlichkeit 1 – p hoch sind. Tab. 7.1 stellt die Bedingungen und Ergebnisse dar. Wären die Kosten des ersten Unternehmens dem zweiten bekannt, würde es eintreten, wenn dessen Kosten hoch sind, sonst nicht. Dies wird in der obigen Tab. 7.1 verdeutlicht: Für die beiden Kategorien niedriger oder hoher Kosten bleibt der Marktsasse in der ersten Periode Monopolist mit den Monopolgewinnen, die sich bei niedrigen oder hohen Preis ergeben. Allerdings fordern hohe Kosten des Marktsassen, wenn sie bekannt werden, zum Markteintritt heraus, weshalb sich in der zweiten Periode dann für beide, den ehemaligen Marktsassen und dem Eingetretenen, einen Duopolgewinn ergibt. Die zentrale Frage für den Marktsassen lautet dann: Ist es sinnvoll, sich als Niedrigkostenanbieter auszugeben, um den Marktzutritt zu verhindern? Offensichtlich ist dies nur sinnvoll, wenn dieses Signal nicht mehr Geld verbrennt als im später gesicherten Monopol eingespielt werden kann. Tatsächlich ist es nur für den Niedrigkostenanbieter sinnvoll, derartige Signale zu setzen – als besseres Risiko kann es dies billiger als das Hochkostenunternehmen leisten. Der Eintrittswillige kann aus dem Signal lernen, dass es nicht lohnend ist einzutreten. Der Erfolg hängt davon ab, dass dieses Signal hinreichend differenzierend wirkt, dass also der niedrige von dem hohen Preis hinreichend abgrenzbar ist. Im ersten Fall spricht man von Trennungsgleichgewichten, im zweiten Fall von fehlender Differenzierung von Poolinggleichgewichten – der Markteintrittswillige kann also nichts lernen, die Informationsasymmetrie bleibt bestehen und der Markteintritt unterbleibt. Immer dann, wenn versunkene Kosten vorliegen, besteht ein erhebliches Risiko der Fehlentscheidung beim Markteintritt; wenn sich die Gewinnhoffnungen nicht erfüllen, wird Geld verbrannt, weil ein kostenfreier Rückzug nicht möglich ist. Dies wird im Spence-Dixit-Modell erklärt (Dixit 1980): Ebenfalls in einem Zwei-Perioden-Kontext wird die Marktstruktur der zweiten Periode durch die Höhe der irreversiblen
560
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Investitionskosten19 des ersten Unternehmens in der Ausgangsperiode bestimmt. Die Marktgröße ist gegeben durch den erwarteten und diskontierten Gesamtgewinn; es stellt sich die Frage, wie viele Anbieter er aufnehmen kann. Die ökonomische Erkenntnis ist, dass dies von der Höhe der irreversiblen Investitionskosten abhängt. Übersteigen diese den Monopolgewinn, dann besteht selbst für einen Monopolisten keine Möglichkeit, einen positiven Gewinn zu erwirtschaften – er tritt nicht ein, die Anbieterzahl ist somit null. In einer solchen Lage kann nur der Staat das Angebot selbst bereitstellen oder durch Subventionierung eines Unternehmens ermöglichen. Allgemein gesprochen: Liegen der Totalgewinn beispielsweise bei G1 und die versunkenen Kosten bei F, dann erfolgt der Markteintritt immer dann, wenn F kleiner oder gleich G1 ist. Zunächst herrscht dann ein Monopol. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, ob noch ein zweiter Anbieter im Markt Platz findet. Da durch die mit dessen Markteintritt verbundene Kapazitätsausweitung das Preisniveau sinkt, dürfte der neue unter dem vormaligen Gewinn, also G2 unter G1 liegen. Damit ist auch der zuerst in den Markt Eingetretene beschädigt, aber wegen der Irreversibilität der Investition ist Umkehr nicht möglich. Ist der Gewinn also größer als F, dann erfolgt ein zweiter Markteintritt und es herrscht ein Duopol – und Preise und Gewinne sinken weiter. Dies wird als accommodated entry bezeichnet. Analog verläuft diese beim Dritten, Vierten – bis für ein Unternehmen kein Gewinn mehr möglich ist, es wird blockiert, was als blocked entry benannt ist. Der Markt ist dann besetzt, und alle Anbieter machen Übergewinne, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Preis auf Grenzkosten gedrückt wurde. Wenn jetzt die Kosten F nur knapp unter dem Gewinn, beispielsweise dem Dritten liegen, also F liegt nur knapp unter G3, dann kann es sich für einen Marktsassen lohnen, die Menge leicht über die auszuweiten, womit der Gewinn für alle, aber auch G3 sinkt und unter F gedrückt wird. Damit droht er einen Preiskrieg an, was wiederum als Abschreckung gegenüber dem angreifenden Unternehmen wirkt. Dies wird als deterred entry bezeichnet. Analog können bei bisher blockierten Märkten durch Sinken dieser irreversiblen Investitionskosten Schwellenwerte unterschritten werden, die neue Markteintritte ermöglichen. Damit spielen Innovationen eine entscheidende Rolle dafür, bisher marktmächtige Märkte in den Wettbewerb zu zwingen. Den Wirtschaftskrieg zu führen wird dort sinnvoll, wo man glaubhaft eine verbesserte Technologie signalisieren und gegebenenfalls die des Gegners vernichten kann. Inwieweit im Selektionsprozess Lügen und Hintergehen durch falsche Signale vor allem langfristig sinnvoll ist, wird diskutiert. So kann es im Interesse des Senders liegen, falsche Signale zu senden, um die Empfänger zu einem Handeln zu bewegen, das
19Durch
die Annahme der Irreversibilität wird gewährleistet, dass sich das Unternehmen nicht irren kann, also nach vergeblichem Markteintritt wieder austritt und die Anlagen verkauft – denn dieser Verkaufspreis läge bei null.
7.3 Entscheidung unter Unsicherheit und unter Druck
561
ihre Position schwächt. Damit entsteht für den Sender ein Selektionsvorteil, der spieltheoretisch im sogenannten Zermürbungskrieg bzw. Abnutzungskrieg (war of attrition) modelliert wird. Wenngleich es das Ziel ist, möglichst billige Signale zu senden, um die Glaubhaftigkeit zu erhöhen, kann im Sinne versunkener Kosten auch ein sehr teures Signal die Glaubhaftigkeit erhöhen, weil der Sender damit eine starke Investition unternimmt. Derartige teure Signale betreffen zum Beispiel das Übernehmen physischer Risiken – die gefährliche Jagd zu atavistischen Zeiten, um die begehrteste Frau des Stammes ehelichen zu können, das Opfer im religiösen Sinne in höchster Not, um den Gott gnädig zu stimmen, oder heute der Extremsport, aber auch ein militärischer Krieg. Das bewusste Setzen von Signalen spielt vor allem in Vorankündigungen eine wichtige Rolle (Farrell und Saloner 1986). Denn unter den Bedingungen von Netzwerkexternalitäten führt das Signal einer Produktankündigung dazu, dass andere entweder auch zu der neuen Spezifikation übergehen und damit einen Herdeneffekt zugunsten dieser Technologie auslösen oder deren Verkaufsmöglichkeiten für einige Zeit, bis die Adaption erreicht ist, beschränkt bleibt. So hat beispielsweise IBM in den 60er und 70er Jahren jeder neuen Computergeneration unterschiedliche Schnittstellen gegeben, mit der Folge, dass die Hersteller von Peripherietechnologien über lange Zeit nicht entwicklungs- und schließlich nicht verkaufsfähig waren. Das hat die Wettbewerbsbehörde in den USA dazu bewogen, IBM mit der Zerschlagung zu drohen, sollte das Unternehmen diese Spezifikationen nicht rechtzeitig offenlegen, um Konkurrenz zu ermöglichen. Im ökonomischen Wettstreit erscheint es für ein Unternehmen besonders wichtig, nach seinem eigenen Markteintritt den des Wettbewerbers zu verhindern. Das wird immer dann gelingen, wenn es deutlich machen kann, dass ein konkurrierendes Unternehmen keine Chance hat, weil es Kosten versenken muss, die dann irreversibel und verloren sind. Liegen dessen Kosten höher, weil es mit einer schlechteren Technologie als der Marktsasse anbieten muss, dann wird der Markteintritt unterbleiben, und das dominante Unternehmen kann als Monopolist auftreten. Das gelingt immer dann gut, wenn der Marktsasse kostengünstig signalisieren kann, wie dies im Entscheidungskalkül des Milgrom-Roberts-Modells weiter oben formuliert wurde. Analog kann auch ein vorhandenes Unternehmen mit einer besseren Technologie aus dem Markt verdrängt werden; möglicherweise ist das Unternehmen sogar bereit, einen speziellen Markt aufzugeben, wenn es dann in einem anderen Markt in Ruhe produzieren kann, wie dies Kenneth Judd (1985) für substitutive Produkte zeigt. Neben den bewusst gesetzten und kostenbehafteten Signalen spielen auch kostenfreie Signale eine Rolle, die in der Literatur als cheap talk (Farrell 1987; Farrell und Gibbons 1989), also wohlfeiles Reden, bezeichnet werden. So kann beispielsweise eine Kartellvereinbarung vorbereitet werden, wenn man vorher über die Schwierigkeiten der Marktlage diskutiert. Im Kampf der Geschlechter ist es möglich, ein Kooperationsgleichgewicht zu finden, wenn die beiden Partner vorher abgesprochen haben, ob sie einen Theaterbesuch oder den Besuch eines Fußballspiels präferieren. Gelegentlich werden
562
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
mit cheap talk auch leere Drohungen in Verbindung gebracht, die aber – weil sie eine Drohung sein wollen – Signale darstellen, die auf wichtige Befindlichkeiten schließen lassen.20
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung In dem auf William Sharpe (1964, 1970) zurückgehenden Portfoliomodell der Kapitalmarkttheorie unterscheidet man zwischen dem systematischen und dem unsystematischen Risiko; letzteres lässt sich durch Diversifikation eliminieren, indem man nicht alle Eier in ein Nest legt, weil die einzelnen Risiken nicht vollkommen korreliert sind. Wenn eine Sturmflut kommt und somit das Wasser steigt, dann hebt es zunächst die Schiffe aller Flottenverbände – systematisches Risiko – aber die Wellen können die einzelnen Schiffe unterschiedlich treffen, weshalb verschiedene Bautypen geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls zu verringern. Deshalb ist zu fragen, ob bestimmte Krisen ein systematisches oder ein unsystematisches Risiko erzeugen. Bei volkswirtschaftlichen Krisen gilt tendenziell das erste, vor allem dann, wenn sie systemisch wirken. In diesem Abschnitt wird das Konzept der Unsicherheit mit dem Entscheidungskalkül und dem Führungssystem zusammengeführt, um zu verdeutlichen, wie ihrer Wirkung nach unbekannte oder fehlerhaft eingeschätzte Interdependenzen zu Krisenauslösern werden. Diese wiederum sind fähig, in der Krisenabwehr wirtschaftskriegerisches Verhalten ertragreich zu machen, um das Schlimmste für die eigene Position zu vermeiden. Das erfordert eine sorgfältige Beurteilung der eigenen Lage und Perspektiven des Handelns.
7.4.1 Überraschungen durch Systemik im globalen Wirtschaftssystem Das Modellieren von Krisen hat eine längere geschichtliche Tradition, weil immer zu prüfen ist, welche relevanten Aggregate einzubeziehen sind. Mit zunehmender weltwirtschaftlicher Verflechtung mussten die Modelle die erhöhte Komplexität berücksichtigen. Insbesondere gilt es, die drei großen Träger der Krise, nämlich die Staaten, die
20Typisches wohlfeiles Reden findet statt, um im Sinne des tit-for-tat-Spiels eine Ankündigung über Preisentwicklungen – wie vor einigen Jahren in der Tourismusindustrie, in der ein Marktführer vor Saisonbeginn ausführte, er könne sich etwa 5 % höhere Preise gut vorstellen. DeutscheBank-Chef Rolf Breuer führte im Jahr 2002 aus, die Firma des Medienmoguls Leo Kirch sei nicht mehr kreditwürdig, was zum Kollaps des Unternehmens führte und inzwischen von der Justiz wegen Verletzung der Verschwiegenheits- und Treuepflicht aufgegriffen wurde. Tatsächlich wurde ein milliardenteurer Vergleich geschlossen, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen und es erscheint plausibel, dass die Deutsche Bank an der Zerschlagung des Kirch-Imperiums Geld verdienen wollte, was ohne dessen Insolvenz nicht möglich gewesen wäre.
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung Wirtschalicher Abschwung führt zu Kreditausfällen Bankenkrise
Wegbrechende Kreditvergabe an Unternehmen vermindert Invesonen
563
Makroökonomische Krise
Staatsschulden -krise
Abb. 7.13 Teufelskreis der Krise. (Quelle: eigene Darstellung aus Sachverständigenrat 2012; Shambaugh 2012)
Banken und die Gesamtwirtschaft in ihren Abhängigkeiten zu beschreiben. Der Sachverständigenrat (2012, S. 1) spricht von einem Teufelskreis der Krise infolge der in Abb. 7.13 gezeigten Interdependenzen: Jede Größe hängt verstärkend von der anderen ab, sodass ein Ausweg kaum möglich ist. Lässt man mangels staatlicher Ressourcen (Fähigkeiten) oder infolge politischen Willens (Durchsetzung des Haftungsprinzips) Banken zusammenbrechen, löst das schwere Schockwellen in der Wirtschaft aus und verringert die Einnahmen des Staats, erhöht aber seine Verpflichtungen bei den Sozialtransfers. Unter Opportunitätsgesichtspunkten könnten diese Kosten denen der Bankenrettung gegenübergestellt werden, aber diese zu vergleichen, ist nicht einfach. Setzt der Staat selbst wegen Überschuldung auf Sparpolitik, verringert das die Nachfrage, die krisenbedingt möglicherweise auch bei den Privaten gesunken ist. Der Weg in die finanzielle Repression wird frei. Werden die Banken nicht hinreichend unterstützt oder verschärft man die Risikovorschriften, werden sie ihre Bilanzen verkürzen und das Kreditvolumen herunterfahren. Damit sinkt die gesamtwirtschaftliche Investition mit Folgen für Steuereinahmen und Beschäftigung, womit die Sozialtransfers zunehmen. Man unterscheidet vier Generationen von Krisenmodellen: 1. Die Modelle der ersten Generation orientieren sich vor allem an Makro-Variablen und werden stark von Überlegungen der Weltbank inspiriert, wie fundamentale Ungleichgewichte, besonders im außenwirtschaftlichen Bereich, therapiert werden
564
7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
können. Ihr grundlegender Gedanke besteht darin, dass die Ansteckung über die außenwirtschaftlichen Beziehungen der Länder erfolgt. Damit beschreibt die erste Generation Finanzkrisen als Folge einer inkonsistenten Wirtschaftspolitik (Krugman 1979; Flood und Garber 1984). 2. Die Modelle der zweiten Generation beziehen den Staat explizit in die Ansteckungsprozesse ein, denn häufig sind es staatliche Defizite, die die Gesamtwirtschaft aus der Bahn werfen; dabei sind Defizite an sich nicht schädlich: Ein als Investitionsstandort attraktives Land wird sich im Ausland verschulden und Industrieanlagen importieren, besitzt also ein Defizit. Das aber ist gerechtfertigt, wenn es mit den Erlösen die Zinsen und das entliehene Kapital zurückzahlen kann. Wenn das aber nicht möglich ist, entstehen Leistungsbilanzprobleme. Auch der Staat kann als Kapitalvermittler derartige unternehmerische Defizite stützen. Problematisch wird diese Überlegung für einen Staat aber dann, wenn er auf Dauer die Schulden nicht zu produktiven Investitionen (also die Steuerbasis erhöhende Investitionen) einsetzt. Ein Unternehmer kann seine Verluste nicht einfach durch Preiserhöhungen ausgleichen, der Staat kann aber durch Verschuldung oder Steuererhöhung seine Haushaltsdefizite ausgleichen. Aber langfristig macht das den Investitionsstandort unattraktiv, Vermögen wird außer Lands geschafft und eine Krise ist vorprogrammiert. Damit beschreiben die Modelle der zweiten Generation explizit das Abwägen zwischen der Beibehaltung eines festen Wechselkurses und dem Erreichen anderer wirtschaftspolitischer Ziele (Obstfeld 1996). 3. Im Nachgang der Asienkrise 1997/1998 wurden verschiedene Erklärungsmodelle entwickelt, die unter dem Begriff der Modelle der dritten Generation zusammengefasst werden und die im Unterschied zu früheren Modellen eine mikroökonomische Perspektive einnehmen und die Bedeutung von kurzfristigen Kapitalflüssen betonen (Jeanne und Zettelmeyer 2002; Corsetti, Pesenti, Roubini 1999; Schneider und Tornell 2004). Tatsächlich ist das Verschuldungsproblem nicht nur ein Problem des Staats, sondern auch der Unternehmen und der privaten Haushalte. Diese können ein Land durch ihre exzessive Kreditaufnahme aus der Bahn werfen, wie das gegenwärtig in der Europäischen Union sichtbar wird. Aus diesem Grund ist es zweckmäßig, den Bankensektor in die Krisenbetrachtung mit einzubeziehen. Er und der Staat sind gleichermaßen die Mikro-Ursachen für die Makro-Verwerfungen, die sich in den Zahlungsbilanzen niederschlagen. Das Neue dieser Modelle besteht darin, dass die zentralen Ursachen der Krise nicht beim Staat, sondern im privaten Sektor, insbesondere im Banken- und Finanzsektor bzw. dessen Regulierung, liegen (Chang und Velasco 2001) 4. Zu den Modellen der vierten Generation können Arbeiten gezählt werden, die sich mit dem Zusammenhang von Vermögenspreisblasen, Bankenkrisen und Staatsschuldenkrisen befassen. Theoretische Untersuchungen zur Entstehung von Vermögenspreisblasen gibt es schon länger (Kindleberger 1996). Es ist Hyman Minsky (1982) zu verdanken, auf die unterschiedlichen Risikoprofile von Finanzierungen der Unternehmen hingewiesen zu haben. Bei Erwartung künftiger Rückflüsse
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
565
– sogenanntem hedge financing – erscheint das Risiko als niedrig. Spekulative Finanzierung ist kritischer, weil sie darauf aufbaut, aktuelle Kredite gegebenenfalls über künftige Kredite zu refinanzieren, weshalb Rezessionen schnell dramatische Folgen haben können. Der Extremfall ist die Ponzi-Finanzierung21, bei der die Unternehmen darauf vertrauen, dass durch die Wirtschaftsentwicklung die Werthaltigkeit der Anlagen so stark steigt, dass künftige Finanzierungskosten absorbiert werden – und wenn dies nicht möglich ist, kollabiert das System. Tatsächlich unterscheidet die Theorie eine Reihe von Übertragungsmechanismen der Krise, nämlich zum einen den realwirtschaftlichen Kanal mit seinen Nachfrageausfällen und durch Multiplikator- und Akzeleratoreffekte ausgelösten Aufschaukelungsprozessen; zum anderen existiert der finanzwirtschaftlicher Kanal, der durch die systemische Verbindung der Finanzinstitute und -märkte in erheblichem Maße krisenverstärkend wirken kann. Zwischen beiden existieren Verbindungen, nämlich der Kreditkanal, also die Kreditvergabe der Banken, die wiederum von der Geldpolitik der Zentralbank beeinflusst wird, der Vermögenskanal, weil Erschütterungen an den Finanzmärkten nicht nur in der Finanzindustrie selbst Wirkung zeigen, sondern auch über die Veränderung von Vermögenniveaus die Realwirtschaft beeinflussen. Dies ist beispielsweise beim Vermögenseffekt des Konsums – wenn sich die Haushalte reicher fühlen, konsumieren sie mehr – von Bedeutung, hat aber auch Auswirkungen auf die Eigenkapital- und damit Verschuldungsposition der Unternehmen in ihren Bilanzen. Schließlich wird der Stimmungskanal in der Literatur identifiziert, der vor allem mit dem Vertrauen in die künftige Entwicklung der Wirtschaft verbunden ist. Zwischen diesen Kanälen gibt es Verbindungen, weil Impulse des einen Bereichs mit hoher Geschwindigkeit in den anderen Kanal weiterleitet werden. So beeinflussen Stimmungen Vermögensdispositionen und bestimmen damit die Bewertung einzelner Marktposition von Unternehmen oder Konsumenten. Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff (2009) zeigen in ihrem Buch This Time is Different: Eight Centuries of Financially Folly, dass aus übergreifender Sicht vier Faktoren eine Rolle für künftige Krisen spielen und daher die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen erregen müssen: steigende Immobilienpreise, ungewöhnliche Kapitalflüsse, Finanzinnovationen und eine Liberalisierung der (Kapital-) Märkte. Auch kann sich die eigentlich zur Verringerung von Risiken angewendete Diversifizierungsstrategie dann ins Gegenteil verkehren, wenn durch diese die Übertragungsmechanismen verflechtungsbedingt intensiviert werden. Auch die Netzwerkstruktur ist bedeutsam, weil dann, wenn in integrierten Systemen mit hoher Marktbedeutung einzelner Elemente
21Das
Ponzi-Schema geht auf Charles Ponzi (1882–1949) zurück. Laufende Zinszahlungen werden nicht aus den Erträgen einer Investition beglichen, sondern aus neu eingeworbenen Geldmitteln. Das System funktioniert solange, wie die Ausschüttungsberechtigten reinvestieren bzw. hinreichend viele Neukunden Vertrauen in die Stabilität haben.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Krisen auftreten, diese weit schlechter abzufangen sind als in einem radialen System, in dem man die Probleme auf einzelne Satelliten begrenzen kann, die zwar in Bezug auf eine große zentrale Bank stehen, diese aber nicht letal treffen können. Moritz Schularick und Alan Taylor (2012, S. 1035) haben formale Krisenprognosemodelle vorgelegt, die von Tobias Lohse (2014) verbessert wurden, indem er neben den Finanzindikatoren auch den Rohstoffsektor in seine Betrachtung einbezieht, der in Bezug auf die Krisenprognose besonders gut durch Metalle erfasst wird. Es gelingt ihm, die Güte der Krisenprognose unter Einbeziehung dieses realwirtschaftlichen Indikators gegenüber früheren Arbeiten, auf die er Rekurs nimmt, erheblich zu verbessern. Beide Abb. 7.14 und 7.15 weisen die beiden Weltkriege aus und verdeutlichen, dass sich Volatilitäten und Niveaus seit Ende des Bretton-Woods-Abkommens, ebenfalls markiert, dramatisch nach oben verschoben haben und damit die Planungsfähigkeit der Unternehmen beschränken. Die Ausbreitung der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 wurde gelegentlich als pandemisch bezeichnet, und tatsächlich kann die Biologie eine Reihe von hilfreichen Hinweisen geben. Denn die Superschleudern (superspreader) von Viren und Bakterien sind nicht zwingend selbst krank und daher unauffällig. Astrid Viciano (2018) betrachtet in Neue Angst vor alten Seuchen die Spanische Grippe, tatsächlich ein Virus, der um die Welt
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005
Vielfaches des Bruoinlandsprodukts (BIP)
2,5
Bankausleihungen/BIP
Bankak va/BIP
weite Geldmenge/BIP
öff. Schulden/BIP
Abb. 7.14 Internationale Finanzkennzahlen als Risikoindikatoren, 1870 bis 2008. (Quelle: eigene Darstellung aus Lohse 2014, S. 10)
567
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
450
Index 1900 = 100
400 350 300 250 200 150 100 0
1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
50
Energie
Metalle
Mineralien
Edelmetalle
Abb. 7.15 Internationale Ressourcenkennzahlen als Risikoindikatoren, 1900 bis 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Lohse 2014, S. 13 aktualisiert)
raste, und zeigt nicht nur die rasend schnelle Verbreitung, sondern auch die konsekutiven Wellen 1918/1919, 1920 und 1921, bis er schließlich auslief – ganz ähnlich wie die steten Nachbeben der Finanzkrise. Analog können gut – von Wirtschaftskriegern – geführte Finanzinstitutionen oder Länder die Aufschaukelungsprozesse für Dritte massiv erhöhen, beispielsweise durch Bilanzverkürzung zur Stabilisierung der eigenen Kreditrisiken oder durch Konsolidierung der Haushalte unter Krisenbedingungen, was im eigenen Bereich unproblematisch ist, aber weitere Schocks ins krisengeschüttelte Umfeld aussendet. Analog können sich bestimmte Länder Regulierungssysteme leisten, die in anderen verheerend wirken – die tatsächliche Weigerung, nach der Krise die Finanzmärkte, insbesondere die Schattenbanken, effektiv zu regulieren, lassen sich hier einordnen.
7.4.2 Überraschung durch Innovation Unter Innovation versteht man in der Tradition von Joseph Schumpeter (1912) wirtschaftlich relevante – man kann aber auch ergänzen: politisch relevante, gesellschaftlich relevante – neue Kombinationen, die sich in Produkten, Verfahren, dem Zugang
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
bzw. der Eroberung neuer (Beschaffungs- oder Absatz-) Märkte und in neuen institutionellen Arrangements äußern. Oft sind diese mit dem gehäuften Auftreten von Schwarzen Schwänen verbunden. Aus ökonomischer Sicht sind derartige Innovationsüberraschungen deshalb bedeutsam, weil sich damit die Frage auftut, wie sich ein Unternehmen, eine Institution oder eine Gesellschaft nicht nur auf die Nutzen, sondern auch auf mögliche Schäden vorbereiten kann, ob sie also im Sinne des oben Gesagten diversifizieren kann. Tatsächlich begünstigt eine Innovation die einen, setzt aber andere unter Druck, was wiederum hohe Summen für die Prävention erfordert. Sie ist faktisch ein Angriff auf bestehende Strukturen mit Vernichtungsabsicht. Daher ist der Umgang mit Schwarzen Schwänen ein wichtiger Teil der Risikovorsorge. Meist sind die Basisinnovationen Dritter für Unternehmen oft überraschend, weshalb das Risikomanagement auch andere Unternehmen, Märkte, volkswirtschaftliche Entwicklungen und schließlich mögliche Ereignisse wie Naturkatastrophen berücksichtigen muss. Verbesserungsinnovationen hingegen sind durchaus vorhersehbar, für sie werden auch Trendstudien angefertigt („was wird in den kommenden xxx Jahren erwartet“), sodass hier eine Risikodiversifikation möglich erscheint. Zunächst sei der Innovationsprozess als Schwarzer Schwan-Auslöser analysiert. In jedem Fall gilt, dass auch das Erkunden krummer Wege im Innovationsprozess eine hohe Bedeutung besitzt. Dabei ist die Methode der Forschung mit Systematik zu verfolgen, weil der Fortschritt meist eine Schnecke ist und sich die Dokumentation deshalb lohnt, weil man später, im Falle eines Misserfolgs, aber mit neuen Erkenntnissen, weiß, an welcher Stelle man anknüpfen kann; das Stichwort, das hier gerne genannt wird, ist die Forschungs- und Entwicklungsbiographie, die niederzulegen ist. Wie bereits oben gezeigt wurde, lässt der Innovationsprozess Schwarze Schwäne außerhalb von Naturereignissen auftreten: Besonders bedeutsam sind solche Innovationen, bei denen die Relevanz der Erfindungen nicht gleich klar erkennbar war: beispielsweise die Kernspaltung, die Informationstechnologien oder neue strategische Konzepte in der politischen, wirtschaftsstrategischen oder militärischen Interaktion. Innovationen bauen meist auf der wirtschaftlich (gesellschaftlich, militärisch) erfolgreichen Verwertung von Inventionen (Erfindungen, Entdeckungen) auf, müssen es aber nicht, wie beispielsweise die Kleidermode als erfolgreiche Innovation belegt. Militärisch induzierten Erfindungen kommt hier eine besondere Rolle zu. So hatten Schlüsselerfindungen wie die gegossene Kanonenkugel, die Raketentechnologie der Gruppe um Wernher von Braun, die Düsentriebwerke bei Messerschmidt, das mobile Radar in englischen Flugzeugen, die Feuerkraft der Landminen der Industriewerke Karlsruhe (IWK) oder die Atombombe ungeahnte strategische Folgen. Gleichermaßen gilt das aber auch für neue operative und taktische Konzepte, die ohne Technologie innovationsrelevant wurden. Sie sind im Hinblick auf ihre zivile Verwendung (dual use) besonders bedeutsam, weil oft die grundlegenden Kosten bereits finanziert sind und die Wirtschaftsunternehmen des entsprechenden Staats äußerst preiswerte technologische Offensiven fahren können. Innovationen in Bezug auf die Struktur von Institutionen sind, wie Ulrich Blum und Leonard Dudley (1989, 1991, 1999, 2000, 2001) an vielfältigen
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7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
geschichtlichen Beispielen gezeigt haben, meist von technologischen Veränderungen getrieben, insbesondere solchen der Militär- und der Informationstechnologie. Jack Hirshleifer (1993, 2001) nennt zwei wesentliche Systeme der Konfliktökonomik, nämlich die Technologie der Produktion und die Technologie der Auseinandersetzung. Nach seiner Auffassung erzeugt erstgenannte einen Mehrwert, die zweite organisiert nichts anderes als eine Verteilung vorhandener Ressourcen. Dieser Vorstellung kann hier nicht gefolgt werden, weil die Konflikte selber in hohem Maße kreative Kräfte freisetzen und damit ein wesentlicher Teil des Innovationssystems sind. Ob beide sauber zu trennen sind, ist zu hinterfragen. Im Wirtschaftskrieg kann es schließlich sogar so weit kommen, dass sich alle Beteiligten dauerhaft schlechterstellen. Abb. 7.16 detailliert die Zusammenhänge: Ausgangspunkt sind zunächst gesellschaftliche und kulturelle Innovationen, die gleichsam erst im Sinne des Motivationssystems die Vision und die Mission, etwas Neues zu wagen, erzeugen. Dann muss der wichtigste Teil der Kette bereitstehen – der Finanzinvestor, der auf die Idee einen Kredit (oder Eigenkapital) gibt, also vertraut. Je mehr Realinnovationen von Finanzinnovationen abhängen (also die Finanzierung sichtbar vorbereitet wird) und je stärker sie Folge einer kulturellen Prägung sind, desto leichter ist die Innovationswirkung abzuschätzen. Das muss aber nicht der Fall sein, wenn Menschen die schwachen Signale nicht aufnehmen. Daher spielt deren Erkennen und Auswerten eine erhebliche Rolle in der Ökonomie (und auch beim Militär). An Produktinnovationen schließen sich nach der Reifephase
Gesellschaliche und kulturelle Voraussetzungen (kulturelle Innovaonen)
Finanzinnovaon
Realinnovaon Produknnovaon Verfahrensinnovaon
Marknnovaon Instuonelle Innovaon Abb. 7.16 Innovationsprozess im gesamtwirtschaftlichen Kontext. (Quelle: eigene Darstellung)
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
oft kosteneinsparende Verfahrensinnovationen an, schließlich werden neue Absatzmärkte oder Rohstoffmärkte erschlossen. Wichtig sind organisatorische Innovationen – oft konkurrieren Unternehmen heute nicht mit der Technologie oder dem Produkt, sondern mit der Art der Organisation ihres Hauses, durch die Wettbewerbsvorsprünge nachhaltig gesichert werden. Im Führungsprozess gilt es damit, ganz im Sinne der eingangs gegebenen Definition, das zeitliche Jetzt und das zeitliche Morgen gleichermaßen im Auge zu behalten. Die Erfahrung lehrt, dass die operative Geschäftsfeldführung (Gefechtsfeldführung) die Frage künftiger Entwicklungen, also das Investieren in Reserven, Innovationen oder Kooperationen, oft verdrängt. Die Vorstellung aus der Theorie von Joseph Schumpeter, dass nämlich die Finanzinnovationen den Realinnovationen vorangehen und der Kredit die treibende Kraft der Realwirtschaft ist, lässt sich allerdings bezweifeln, wenn man die aktuelle Lage beleuchtet. Stephan Schulmeister (2013) argumentiert, es existierten zwei Spielanordnungen und zwei Phasen des langen Zyklus’, nämlich zunächst die reale Phase, die an ihrem Erfolg zugrunde geht, weil Wohlstandssteigerungen über Lohndruck und öffentliche Wohltaten des Staats im Sinne einer Konsumdemokratie die Wachstumskräfte abwürgen. An sie schließt sich die Finanzphase an, in der versucht wird, Renditen, die die reale Wirtschaft nicht mehr abwirft, durch Spekulation zu erzielen; sie geht an ihrem Misserfolg zugrunde. Abb. 7.17 zeigt die zeitliche Entwicklung des Real- und des außerbörslich gehandelten Finanzkapitals, insbesondere deren Expansion und Zyklizität. Es sind die (vergleichsweise selten auftretenden) Basisinnovationen, die auch als disruptiven Innovationen (Christensen, Baumann, Ruggles, Stadtler 2006), Sprunginnovationen und Urknalldisruptoren (Downes und Nunes 2013, S. 66; Nunes und
Abb. 7.17 Entwicklung des Realkapitals und des außerbörslich gehandelten Finanzkapitals, 1998 bis 2013. (Quelle: eigene Darstellung aus Institut Der Deutschen Wirtschaft 2014)
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
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Downes 2015) bezeichnet werden, die die Welt voranbringen und verändern, und diese Radikalität verdanken sie ihrer schlichten Eigenschaft, im Gegensatz zu Verbesserungsinnovationen keinerlei Systemimmanenz zu besitzen. Sie wirken wie Schwarze Schwäne. Trotzdem wird häufig von Erfindungen und Entdeckungen mehr erwartet, als in ihnen steckt; weit über 90 % der Neuerungen schaffen es nicht zum wirtschaftlichen Erfolg, erreichen also das Prädikat einer Innovation nicht. Oft sind es die Pionierunternehmen, die untergehen, d. h. der second mover obsiegt über den first mover, der scheitert, weil die Markteintrittskosten zu hoch waren, die Technologie noch reifen musste oder die Kunden sich an das Neue gewöhnen mussten. De Havilland baute mit der Comet das erste kommerzielle Düsenflugzeug des Westens – gesiegt hat aber Boeing mit der 707; dem ersten PC von Commodore war auch nicht der Erfolg des IBM-PC vergönnt. Aktuell wird die Zukunft zeigen, ob beispielsweise der Cargo-Lifter nur eine verrückte Idee war, auch durch eine problematische Industrie- und Unternehmenspolitik, wie dies Mirko Titze (2005) beschreibt, oder ein gefallener Pionier, was neuere Aktivitäten in den USA und Russland nahelegen. Große Sprunginnovationen entwickelten sich hingegen aus der Nuklearforschung, die sich, obwohl von Otto Hahn und Ernest Rutherford in den zwanziger Jahren noch für wirtschaftlich irrelevant erklärt, zu einer innovationstreibenden general purpose technology (GPT) ausbaute. Gegenwärtig dürfte dem 3-D-Drucker auf Verfahrensebene diese Bedeutung zukommen. Tatsächlich müssen sich viele Neuerungen in einer Achterbahn, dem sogenannten Hype-Zyklus, bewähren, um zu richtigen Innovationen zu werden. Gartner (o. D.) gibt typische fünf Phasen der Aufmerksamkeit bei neuen Produkten oder Verfahren an: Ausgehend von einem technologischen Auslöser und Impulsgenerator steigt die Aufmerksamkeit massiv, bis sie nach ihrem Höhepunkt auf dem Gipfel der überzogenen Erwartungen zusammenbricht und im Tal der Ernüchterung und der Enttäuschungen ihren Boden bildet. Es entsteht ein langsamer Aufschwung im Sinne eines Pfades der Erleuchtung, der in stabilen Markverhältnissen endet, dem Plateau der Produktivität und des Etablierens der Praxis. Diesem Muster folgen viele Innovationen und finden ihren Niederschlag im anschließend dargestellten Produktlebenszyklus, weil sie bestimmte Märkte intensiv aufmischen, beispielsweise die Kommunikation revolutionieren wie das Internet, und somit als Boom-Crash-Boom Zyklen sichtbar werden. Denn erst auf dem stabilen Plateau der Produktivität, die technologische Verfahrensinnovationen lohnend macht, winken andauernde wirtschaftliche Erfolge. Manche Märkte werden durch sequentielle Hypes gekennzeichnet, die dann von einem Hersteller zum nächsten wandern. So ist die Innovationsgeschwindigkeit in der Mikroelektronik so hoch, dass nach dem ersten Erfolg oft keine Stabilisierung mehr eintritt, sondern vielmehr das folgende Unternehmen den nächsten Hype setzt. Dann müssen sich die Investitionen in dieser sehr kurzen Phase amortisieren. Das ist für die Mikroelektronik typisch und war für die Art der Auseinandersetzung zwischen Intel und AMD bestimmend. Eine der Grundlagen des Konzepts, die konjunkturelle Entwicklung als Abfolge wellenartiger wirtschaftlicher Zyklen zu sehen, ist die Erkenntnis, dass sich ökonomisches Wachstum als S-förmige Funktion der Zeit darstellen lässt. Gabriel Tarde (1890) erkannte
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in seinem Buch Les lois de l’imitation diesen Zusammenhang und postulierte, dass die Geschichte eines jeden Produkts in folgende drei Phasen unterteilt werden kann: In einer Einführungsphase wird sich die Absatzmenge des Gutes kaum erhöhen; sobald das Gut hemmende Wachstumsgrenzen durchstoßen hat, folgt die Wachstumsphase; in einer Abklingphase fällt die Nachfrage, das Gut wird durch neue Produkte verdrängt. Diese Vorstellung entspricht im Wesentlichen dem Produktlebenszyklus der Betriebswirtschaftslehre, der in der Abb. 7.18 wiedergegeben ist. Folgende Phasen werden unterschieden: • In der Forschungsphase werden über Marktanalysen und über technische Forschungen Ideen gesammelt, die sich in späteren Entwicklungsprojekten realisieren. • In der Entwicklungsphase reifen die Ideen zu Industrieprodukten heran. • Die Einführungsphase bringt die Bestätigung, ob der Markt das neue Produkt annimmt; schlägt es ein, so kann mit progressiv zunehmender Nachfrage infolge einer Selbstwerbung gerechnet werden. Hier finden der Angriff auf bestehende Strukturen und gegebenenfalls der erfolgreiche Einbruch in vorhandene Märkte statt. Kühnes Handeln ist oberste Maxime. • Die Wachstumsphase ist durch eine steil ansteigende Nachfrage gekennzeichnet und erfordert erhebliche Finanzmittel zur Ausweitung der Produktionskapazitäten. Der
Umsatz Gewinn CashFlow
Umsatz
Gewinn
0
Zeit
CashFlow
Forschung
Entwicklung
Einführung
Wachstum
Reife
Sättigung
Abseg
Abb. 7.18 Phasen des Produktlebenszyklus. (Quelle: eigene Darstellung)
Auslauf
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
573
Konkurrenzdruck ist wegen vorhandener Produktionsmittelengpässe noch nicht spürbar. Hier muss der Durchbruch erfolgt sein, sonst sind keine dauerhaften Renditen zu erzielen. • Die Reifephase muss zugleich die Gewinnphase des Produkts sein. Eine Kapazitätsausweitung lohnt sich kaum, Rationalisierungsinvestitionen hingegen schon. Der Markt ist besetzt. • In der Sättigungsphase verstärkt sich der Konkurrenzdruck und drückt die Preise und die Gewinnmargen – möglich ist ein Preisverfall bis zu den Grenzkosten (d. h. ein gerade noch positiver Deckungsbeitrag). Das Unternehmen muss versuchen, seine Ertragskraft durch Rationalisierungsinvestitionen zu sichern. • In der Abstiegsphase wird die Nachfrage von neuen Produkten abgezogen; dieser Prozess lässt sich zwar durch diverse Maßnahmen (z. B. Sondermodelle bei Autos) verzögern, aber nicht aufhalten. Spätestens jetzt muss sich ein Industrieunternehmen aus der Produktion zurückziehen. • Im Auslaufbereich existieren nur in Sonderfällen eine qualifizierte Nachfrage zu überhöhten Preisen (z. B. für Oldtimer) sowie eine auf die Sicherung der Ersatzteilversorgung beschränkte Absatzmöglichkeit. Dieser Bereich ist für die handwerkliche Fertigung interessant. Das kann man verallgemeinern und in den Kontext der allgemeinen evolutorischen Innovationstheorie stellen: Die Finanzinnovationen bereiten die Realinnovationen nicht vor, sondern sind die Folge von Geldkapital, das nicht real investiert wird. Die Unternehmer reinvestieren nicht in neue Gebäude und Anlagen, im Sinne der Vorstellung von Gerhard Mensch (1975) findet kein Auflösen des technologischen Patts statt: Der schöpferische Zerstörungsprozess wird ersetzt durch einen Finanzinnovationshype, der zunächst in der verzweifelten Suche nach Anlage Finanzblasen aufbaut. In der Regel ist die Grundlage dafür eine besonders innovative realwirtschaftliche Idee aus der ersten Phase, an deren Erfolg viele partizipieren wollen. Das ist anfangs risikoreich, der erforderliche Kredit ist teuer, das Eigenkapital rar. Mit zunehmendem Erfolg ändert sich das und es kommt zu kognitiven Verzerrungen, also zu einem Herdentrieb. Trägt die Idee einen größeren Teil der Wirtschaft in die Reifephase, dann entsteht eine überbordende Liquidität mangels hinreichender Reinvestitionen. Fehlende Renditemöglichkeiten sind Ursache und Folge. Der Staat wirkt als Verstärker, weil er Steuern reduziert oder Subventionen vergibt, oft im Wettlauf um Investoren.22 Er stabilisiert die niedrigen Zinsen über die Zentralbank, um den Absturz der Wirtschaft hinauszuzögern. Folge hiervon kann eine Zombifizierung der Wirtschaft sein, also das Unvermögen, die schöpferischen Zerstörungsprozesse realwirtschaftlich ablaufen
22Man
denke nur an die weltweite Internetblase, die Immobilienblase in den USA oder die Erneuerbare-Energien-Blase, deren Stabilisierung künstlich verzögert wird. Aktuell erscheint der Hype der Sozialen Cybernetzwerke bedrohlich zu werden, wenn man die Übernahmepreise von WhatsApp durch Facebook betrachtet.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
zu lassen. Sichtbar wird diese Entwicklung daran, dass Leistungsbilanzdefizitländer, die Kapital importieren, dieses nicht langfristig realwirtschaftlich binden, sondern ihre Banken damit befeuern, die damit ihre Ausleihen an Kunden, oft Immobilienunternehmen, verstärken können. Auf der Basis der Synergetik hatte er dies später formalisiert (Mensch, Haag, Weidlich 1991). Es entstehen massive systemische Risiken. Johannes Reich (2014) vom Bankhaus Metzler führt aus: „Wenn man Märkte und ihr Funktionieren über eine lange Zeit betrachtet, dann muss man zu dem Schluß kommen, daß wir in einer großen Blase leben.“ Von effizienten Kapitalmärkten ist keine Spur, und diese können möglicherweise unter den Bedingungen des Wirtschaftskriegs nicht existieren. Der amerikanische Ökonom Robert Gordon (2016) verstärkt in seinem Buch The Rise and Fall of American Growth die negative Sicht, wenn er argumentiert, die Innovationsaktivität der Neuzeit sei ein welthistorischer Sonderfall und laufe infolge abnehmender Externalitäten und immer marginaler werdender Innovationen zunehmend aus. Uwe Sunde (2016) sieht in seinem Beitrag Vom Anfang und Ende des Wachstums die Rendite des demographischen Übergangs seit Beginn der Industrialisierung, die gleichzeitig hohe Wachstumsraten und geringe, abnehmende Ungleichheit vereinbar machte und auf der hohen sozialen Mobilität aufbaute, im Auslaufen. Damit wird jegliche Wachstumspolitik erschwert und das erzeugt meist eine erhöhte Verschuldung. Der Versuch, die eigenen (dominanten) Positionen zu stabilisieren – bei Unternehmen und Individuen: nicht mehr erzielbaren Renditen hinterherzulaufen – dürfte wirtschaftskriegerische Motivationen verstärken.
7.4.3 Unternehmen und das Management von Krisen Schwarze Schwan-Phänomene führen häufig zu strukturellen Verschiebungen, die man als plattentektonische Effekte sehen kann. Oft sind das Kombinationen von Ereignissen, weshalb dann auch von einem gehäuften Auftreten gesprochen wird. Das Erdbeben vor Japan war ein Ereignis, dass aber gleichzeitig ein Tsunami auftrat und ein Atomkraftwerk entgegen aller herrschenden Meinung technologisch nicht hinreichend gesichert war und schließlich die Bedienungsmannschaft auch noch versagte, war in dieser Kombination nicht vorauszusehen. Aber im Nachhinein ergibt sich, wie oben bereits ausgeführt, eine deutliche Sachlogik der Abläufe und schicksalhaften Verkettungen. Die Risikoanalyse der Unternehmen versucht, aus dem Lernen der ex-post-Prozesse Aufschlüsse über die aus ex-ante-Sicht relevanten Rezeptoren zu bekommen. In Abb. 7.19 sind die strategischen Krisen mit den grundlegenden Entscheidungsfehlern verbunden: Ein Unternehmen ist in den falschen Markt eingetreten, das angebotene Produkt ist nicht hinreichend attraktiv, der Zeitpunkt des Zutritts war falsch gewählt, die Innovation eines anderen wurde nicht rechtzeitig aufgeklärt. Damit existiert eine Vorgeschichte, die das betroffene Unternehmen in eine Abwehrposition zwingt. Dann setzen Bewältigungs- und Diversifikationsstrategien gar nicht oder zu spät ein. Diese Rentabilitätskrise stellt das Unternehmen vor wesentliche operative Entscheidungen, wenn es sich nicht aus dem Markt – als neue strategische Entscheidung
575
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
Strategische Krise
Rentabilitätskrise Ertragskrise Liquiditätskrise
Externe Schocks (Wirtschaskriege) lösen aus und verstärken Die Erfolgspotenale des Unternehmens verschlechtern sich
Der Unternehmensgewinn ist nicht risikoadäquat
Es treten Verluste und Liquiditätsengpässe auf
Insolvenz
Abb. 7.19 Krisenentwicklung im Kontext des Unternehmens. (Quelle: eigene Darstellung)
– zurückzieht, beispielsweise in Bezug auf Vertriebswege, Kooperationsmuster, Wettbewerbsverhalten. Die Ertragskrise zeigt bereits das operative Versagen, hier kann nur noch kurzfristig mit preispolitischen Maßnahmen oder Werbung usw. reagiert werden, alles andere ist gesetzt. Das bedeutet aber nicht, dass nicht gleichzeitig neue Operationspläne oder sogar strategische Entscheidungen anstehen. Als Folge einer Liquiditätskrise droht dann meist das Ausscheiden aus dem Markt. Am einfachsten ergeben sich Risiken für Unternehmen aus der Innovationsleistung der Konkurrenten oder der Entwicklung langanhaltender Marktphasen (Heuss 1965) oder Innovationszyklen (Nefiodow 1999). Wenn Joseph Schumpeter (1912) von sogenannten Konkursgeschäften spricht, dem wash out alter Branchen, die dann übernommen und stillgelegt bzw. umstrukturiert werden, dann ist das mit dem Krisenmodell der Unternehmen kompatibel. In der Überlagerung der unternehmerischen Krisen ergeben sich dann typische Muster der konjunkturellen Entwicklung. Ein Risikomanagement besteht im Einzelnen aus folgenden Schritten (Gleissner 2001): 1. Dem Setzen der Ziele: Nur durch die Vorgabe der Ziele ist es möglich, effizient mit Risiko umzugehen, weil sich aus den Zielen Wertungen ableiten lassen, beispielsweise zur Bereitschaft, an gewissen Stellen Schäden zu akzeptieren und diese an anderer Stelle unter allen (Kosten-) Bedingungen zu vermeiden.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
2. Dem Identifizieren der Risiken: Hier sind alle auf das Unternehmen einwirkende und möglicherweise auch selbstausgelöste Risiken zu erfassen. Die wesentlichen Fragen lauten also: Wovon geht das Risiko aus, um welche Art handelt es sich? Dieser Teil dient der Sachverhaltsaufklärung und der Problemansprache. 3. Der Risikoanalyse und Risikobewertung: Jedes einzelne Risiko ist, wenn möglich, in seinen Parametern (im einfachsten Fall Erwartungswert und Varianz) zu beschreiben und im Hinblick auf seine Folgen zu bewerten. Durch diesen Schritt erfolgt eine Beurteilung der Lage. Die wesentlichen Fragen lauten also: Was sind die Bedingungen und Eigenschaften des Risikos? Welche Eintrittswahrscheinlichkeiten und welche Zahlungen sind damit verbunden (positiv: upward-risk, landläufig Chance; negativ: downward risk, landläufig Risiko im engeren Sinne)? Welche Risiken erscheinen als nebulös oder werden verdrängt und bedürfen daher einer besonderen Aufmerksamkeit? 4. Der Risikoaggregation: Da Risiken in der Regel nicht alleine auftreten, sich gerne auch gegenseitig bedingen, dient ihre Aggregation der Gesamtschau. Denn die Unkorreliertheit ist eine Ausnahme, weshalb Verstärkungs- oder Abschwächungseffekte einzubeziehen sind. 5. Der Risikobewältigung: Man kann sie durch reine Vermeidungsstrategien erreichen – eine Technologie wird nicht eingesetzt bzw. eliminiert, wie es aktuell bei der Atomkraft in einzelnen Ländern zu beobachten ist, wobei hinterfragt werden muss, ob das eine auf der kleinstaatlich-nationalen Ebene überzeugende Strategie ist. Alternativ kann das Risiko abgewälzt, diversifiziert, versichert oder getragen, also durch Eigenkapital abgepuffert, werden. Letzteres führt aber zu Kosten, sodass die Höhe des Eigenkapitals einem Abwägungsprozess unterliegt bzw. auch eine Untergrenze durch Regulierungsvorgaben erzwungen wird.
7.4.4 Entscheidung in hierarchischen Systemen Der Führungsprozess findet über verschiedene Ebenen statt. Jede Führungsebene, die durch ihre Fähigkeiten (Aufgaben, Kompetenzen) charakterisiert wird, ist Teil eines Kreislaufs, der mit der Lagefeststellung in Bezug auf die vorgegebenen Aufgaben und Ziele beginnt und die in einen Entscheidungsfindungsprozess mündet, der dann Planungen und Konzeptionen auslöst und schließlich zu Anordnungen und Befehlen mit dem Ziel der Umsetzung führt. Abschließend erfolgt eine Kontrolle. In dieser Kaskade sind die Entscheidungen und Anordnungen der oberen Ebene, also die dortigen Spielzüge, oft auch die Spielregeln der nachgelagerten Ebene. Da das System mehrstufig angelegt ist, muss im Blick nach oben die übergeordnete Zielsetzung verinnerlicht, nach unten müssen die Ergebnisse abgefragt und geprüft werden. Der militärische Führungsvorgang umfasst die Lagefeststellung, die Planung einschließlich Beurteilung der Lage, Entschluss- und Operationsplan sowie die
7.4 Krisenmodelle und Folgen für die Führung
577
efehlsgebung und Kontrolle. Die damit verbundenen Phasen der Lagebeurteilung, B der Verdichtung der gewonnenen Informationen zu einem Lagevortrag zur Unterrichtung oder zur Entscheidung und schließlich das Hinzufügen einer entsprechenden lagebezogenen Geländebeurteilung im konkreten Einsatzraum sollen hier als Referenz zum ökonomischen Entscheidungsprozess verwendet werden. Dabei wird von einem angreifenden Unternehmen ausgegangen, der Rivale ist der Verteidiger. Im Falle der eigenen Abwehr gelten die Aussagen symmetrisch. Die Lagebeurteilung umfasst folgende sieben Phasen: 1. Auswertung des Auftrages: Ein unklarer, gelegentlich auch widersprüchlicher Auftrag, ist die fast sichere Garantie des Scheiterns. Ohne Klarheit, was gewollt ist, kann nicht abgeleitet werden, was zu tun ist und was dem mit Sicherheit oder möglicherweise entgegensteht. Gerade bei der Operation verbundener Kräfte ist wichtig, dass hier die Koordination hervorragend abgestimmt ist, weshalb eine Gruppe, die beispielsweise die Preispolitik des Konkurrenten ins Visier nimmt, gleichzeitig durch eine andere Gruppe gestützt wird, die die Finanzierung unter die Lupe nimmt. Damit können die Aufträge präzise vermittelt werden. Wichtige Elemente sind: • Was ist die Absicht der übergeordneten Führung? Diese koordiniert noch andere Operationsebenen, weshalb jedem Handelnden bewusst sein muss, worin die übergeordnete Absicht besteht und was daraus für die anderen Teile des Unternehmens, seines Wettbewerbsumfelds und der Handlungen folgt. Dabei sind auch solche Faktoren einzubeziehen, die günstig oder nachteilig wirken können, beispielsweise die Entwicklung der Konjunktur oder die politischen Rahmenbedingungen im Sinne des Zustands der Natur. Im später vorgestellten Prinzipal-Agent-Model wird dies als Zustand der Natur (state of nature) bezeichnet. • Was sind wesentliche zu erbringende eigene Leistungen? Gerade beim Führen mit Auftrag (Auftragstaktik) ist es entscheidend, klare Zwischen- und Hauptziele zu formulieren, beispielsweise im Sinne eines Zeitpfads der Marktdurchdringung. • Welche Auflagen sind zu beachten? Vor allem bei Gütern, die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind, muss die Versorgung gewährleistet sein. So darf es nicht wie im Pharmabereich vorkommen, dass ein Konkurrent verdrängt wird und ein wesentliches Medikament vom eigenen Unternehmen dann nicht oder nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung steht. • Gab es schon eine Lagefeststellung und damit möglicherweise eine grundlegende Lageänderung zu früher? 2. Beurteilung der Lage des Rivalen, seines Informationsumfelds sowie seiner Absichten: Es sind die wesentlichen Interessenslagen abzuleiten, auch persönlicher Dispositionen der Führungskräfte einschließlich der Quellen, aus denen sich aus deren Sicht der Konflikt speist. Dies ermöglicht es, dessen Möglichkeiten, auf Angriffe zu reagieren, einzuschätzen. Hier gilt es, die Ziele des Gegners herauszuarbeiten und im spieltheoretischen Sinne zu prüfen, welche Antworten man selber
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
auf dessen konkreten Instrumenteneinsatz hat und welche Antworten er bei eigenem Instrumenteneinsatz hat. Insbesondere sind die Interdependenzen im Bereich Preise, Mengen und Qualitäten sowie die verfügbaren Ressourcen, also die verfügbare Kampfkraft herauszuarbeiten. Folgende Fragen sind zu beantworten: • Welche Fähigkeiten hat der Rivale bzw. haben die Rivalen? Welche Möglichkeiten der Reaktion auf eigenes Verhalten bestehen? Wie hoch liegt die Verteidigungsfähigkeit? • Was ist seine vermutete Absicht? Welche Möglichkeiten bestehen bei Unternehmensübernahmen, aus der feindlichen eine freundliche Entwicklung werden zu lassen, bei Rivalität um räumliche oder sachliche Märkte entsprechende Teilungen abzusprechen? 3. Beurteilung der eigenen Lage: Hierzu zählen die Lage der eigenen Kräfte und ihres Informationsumfeldes, einschließlich der konkreten Absichten, um im Führungsprozess der nachgelagerten Ebene die notwendigen Informationen bereitstellen und wiederum eine entsprechende Lagebeurteilung vornehmen zu können. Folgende Fragen sind zu beantworten: • Wie hoch ist das eigene Leistungsvermögen und welche Reserven können nachgeführt werden? Wichtige Faktoren sind beispielsweise die finanziellen Ressourcen, um einen Preiskrieg durchhalten zu können, die logistische Kompetenz, um jederzeitige Lieferbereitschaft zu gewährleisten, oder • Wie sind die Einsatzwertfaktoren zu beurteilen? Wie hoch liegt die Feuerkraft, also die Fähigkeit zu Blitzaktionen, um beispielsweise Märkte zu überschwemmen (der sogenannte hit-and-run entry, beispielsweise von Kaffeeröstern, die saisonal kurzfristige Marktchancen massiv nutzen)? Welche Umweltbedingungen wirken nachteilig, welche günstig? • Bei koordiniertem Vorgehen, beispielsweise dem Erobern von Teilmärkten oder abschnittsweiser Eroberung: Wie ist die Lage der Nachbarn? • Welches abschließende Urteil über den Einsatzwert des eigenen Unternehmens bzw. der involvierten Teile ist zu treffen? 4. Durchführen einer Markt- und Konkurrenzbeurteilung: Das ökonomische „Gelände“ ist der räumliche, sachliche oder zeitliche Markt – bei Carl von Clausewitz das Kriegstheater. Zu prüfen ist entsprechend den einzelnen Zwischenund Hauptzielen, welche Möglichkeiten des Wirkens vor allem auf der Preis-, der Qualitäts- und der Distributionsebene bestehen und wie diese zu beurteilen sind. Hilfreich ist dabei vor allem die Analyse von Kostenstrukturen, von Kernkompetenzen und von wesentlichen Wettbewerbskräften. 5. Durchführen eines Kräfte- und Fähigkeitenvergleichs: Hier sind die eigenen und fremden Fähigkeiten, Bereitschaften und auch der Willen abzuwägen. 6. Abwägen der Möglichkeiten des Handelns: der Unternehmensführer sollte zwingend verschiedene Optionen des Handelns einbeziehen, zumal er nur hierdurch im Gespräch mit seinem Umfeld zusätzliche entscheidungsrelevante Gesichtspunkte gewinnen kann.
7.5 Corporate Governance, Compliance und Wirtschaftskrieg
579
Tab. 7.2 Grobstruktur eines Lagevortrags zur Unterrichtung und zum Entschluss LVU
LVE
Auftrag
Auftrag
Lage des Rivalen
Lage des Rivalen
Lage und Absicht der übergeordneten Führung, Lage und Absicht der übergeordneten Führung, ggf. von Nachbarn ggf. von Nachbarn Eigene Lage
Marktbeurteilung (räumlich, sachlich, zeitlich)
Besondere Führungsprobleme
Kräftevergleich
Anträge und Vorschläge Besondere Führungsprobleme
Eigene Lage
Anträge und Vorschläge
Vorstellung der Handlungsoptionen und Vorschlag des Entschlusses
Zusammenfassung
Entschluss
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an HDv 100/100
7. Zusammenfassung, Entschluss und Verteilung der Aufgaben: • Welches sind kritische Schwerpunkte des eigenen Handelns? • Was ist die zentrale zu erbringende Leistung? • Wer macht was, mit welchen Mitteln, ggf. in welchem Schwerpunkt, wann und wo, um welches Teilziel oder Hauptziel zu erreichen und muss sich dabei mit wem koordinieren? Diese Lagebeurteilung dient entweder der Unterrichtung, man spricht dann von einem Lagevortrag zur Unterrichtung (LVU), oder löst eine Entscheidung (LVE) aus; die wesentlichen Handlungsschritte sind in Tab. 7.2 gezeigt.
7.5 Corporate Governance, Compliance und Wirtschaftskrieg Die Corporate Governance stellt den Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens dar. Historischer Hintergrund waren die spektakulären Betrugs-, Bilanzfälschungs-, Korruptions- und Missbrauchsfälle bei Enron, Wordcom, Flowtex, Siemens, Holzmann oder Mannesmann. Diese lösten die Schaffung eines deutschen Governance-Codex‘ aus, der beständig angepasst wird und aktuell im Status von 2015 vorliegt. Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft müssen dem § 61 AktG entsprechen. Grundsätzlich gilt: explain or comply, das heißt, die Regeln gelten, wenn man das Abweichen von ihnen nicht klar erklären kann. Die Regeln der Corporate Governance sind ins allgemeine Rechtssystem eingebettet. In wieweit sie bindend sind, ist offen, allerdings existiert eine Reihe von Rahmenregelungen, die ihre Existenz praktisch voraussetzen, beispielsweise die Anforderungen an Frühwarn- und
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
Überwachungssysteme durch den Vorstand oder die Einrichtung eines Ausschusses zur Prüfung der Wirksamkeit des internen Risikomanagements durch den Aufsichtsrat (§§ 91, 107 AktG). Weiterhin sind im Wertpapierhandelsgesetz (WPHG § 33) Regeln für Kontrollverfahren von börsennotierten Unternehmen festgehalten, im Umweltbereich gilt das Bundesemissionsschutzgesetz für genehmigungspflichtige Anlagen (§ 52), Abfallentsorger unterliegen speziellen Sorgfältigkeitsverpflichtungen und schließlich gilt die Europäische Richtlinie für Geldwäsche (Art. 11, § 14).
7.5.1 Schwerpunkte der Corporate Governance und des Risikomanagements Schwerpunkte finden sich in den Feldern Wettbewerb, Korruption, besondere Risikogeschäfte, Produkthaftung und Gleichstellung, für die Corporate Governance Regeln und den damit verbundenen Compliance-Regeln. Bis auf die Gleichstellungsfragen sind auch alle im Kernbestand der Aktivitäten des Wirtschaftskriegs. Aus diesem Grund ist das Risikomanagement eines Unternehmens eine wesentliche Basis, um entsprechende Probleme zu vermeiden, vorrangig in der Abfolge der Risikoidentifikation, Risikobeurteilung und Risikosteuerung. Die Erstgenannte fokussiert sich auf Aspekte der Kundenstrategie, die dann analysiert und bewertet und schließlich im Rahmen der Risikosteuerung bewältigt werden. Viele Unternehmen haben deshalb einen eigenen Chief Compliance Officer, der die entsprechenden Berichte zu erstellen hat und unbedingt unabhängig von jeder Gewinn- und Verlustverantwortung sein muss, selbständige Aufklärungspflichten ausübt und dem Aufsichtsrat unmittelbar auskunftsfähig ist. Abb. 7.20 verweist auf die Schwerpunkte der Compliance, zu denen neuerdings auch
Abb. 7.20 Schwerpunkte von Compliance-Konflikten, 2018. (Quelle: eigene Darstellung aus CMS 2019, S. 15)
7.5 Corporate Governance, Compliance und Wirtschaftskrieg
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die Haftung für die Kontrolle der Lieferketten hinzutritt. Die Bereiche Produkthaftung und Arbeitsrecht, -sicherheit und Schwarzarbeit sind herausgehoben, weil diese vor dem Hintergrund weitgehender rechtlicher Klarheit sehr aktiv, von den Unternehmen gestaltet werden können. Ein Konflikt zwischen Wirtschaftskrieg und Compliance tritt besonders in Bereichen auf, in denen • wirtschaftskriminelles Verhalten vorliegt, wie es beispielsweise im Finanzbereich zu konstatieren war und immer noch ist, • Verstöße gegen gesetzliche Regeln aus dem Wettbewerbs-, dem Umwelt-, dem Gesellschafts- und dem Haftungsrecht auftreten, und im Inland zum Gegenstand von Rechtsauseinandersetzungen werden können. Allerdings ist auch der Bereich interessant, der die extraterritoriale Auslegung des nationalen Rechts betrifft (beispielsweise in den USA in Bezug auf die Verletzung des amerikanischen Rechts durch Banken, die zwar ausländische Eigentümer haben, aber in den USA tätig sind) oder Aktivitäten im Ausland durchführen. In Abb. 7.20 sind die dem Wirtschaftskrieg besonders affinen Konfliktfelder dunkel hervorgehoben.
7.5.2 Folgen für den Wirtschaftskrieg der Unternehmen Grundsätzlich muss gelten, dass alle Aktivitäten unterhalb der Compliance-Schwellen des Unternehmens anzuordnen sind, um nicht mit gesetzlichen Haftungsfragen in Konflikt zu geraten. Damit wird ein Bündeln der Instrumente wichtig, die alle bis an die kritischen Grenzen herangeführt werden können, diese aber nicht überschreiten dürfen und trotzdem insgesamt die wirtschaftskriegerischen Ziele durchsetzen sollen. Dabei besteht allerdings ein hohes Risiko, dass das, was beabsichtigt wurde und den Compliance-Regeln angepasst erscheint, später auch so behandelt wird. Im Wettbewerbsbereich typisch ist die Legalausnahme, die Kooperationen zwischen den Unternehmen nicht mehr von der Genehmigung des Kartellsamts abhängig macht, sondern das Risiko bewusst den Unternehmen selbst überlässt, weshalb im Nachhinein beträchtliche Haftungsprobleme entstehen können, nämlich dann, wenn tatsächlich Wettbewerbsregeln übertreten wurden. Ein besonderer Fall ist die Kronzeugenregel, die den kolludierenden Unternehmen Anreize bietet, aus dem Kartell auszubrechen. Meist wird der erste Kronzeuge von Bußgeldern freigestellt und kann so mittels der staatlich verhängten Ordnungsgelder den ehemaligen Partner schaden. Nicht betroffen davon sind mögliche zivilrechtliche Ansprüche. Allerdings erfolgen auch Selbstanzeigen, die der Unsicherheit über die Graubereiche der gesetzlichen Lage geschuldet sind, und vorhandene, eher vorwettbewerbliche Kooperationsstrukturen schwer beschädigen können.
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7 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg
7.6 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg an Beispielen Die folgenden drei Beispiele beleuchten, wie verhängnisvoll es sein kann, wenn strategische, operative und taktische Ebenen in der Wirtschaftskriegsführung nicht klar getrennt werden. Im Falle des Versuchs der Mannesmann-D2, eine marktdominante Stellung in Europa zu gewinnen, wurden sowohl die eigenen Ressourcen überschätzt als auch die Möglichkeiten Dritter, auf das eigene Unternehmen einzuwirken, nicht sorgfältig erkundet. Schließlich entpuppte sich der Vorstand als Persönlichkeit, der es am Willen zum Sieg mangelte und die gegenüber der Konkurrenz, die ihn später schluckte, käuflich war. Das zweite Beispiel zeigt, wie im Rahmen einer zufälligen Überprüfung des Fahrverhaltens von Personenkraftwagen, nämlich dem Elchtest, schnell von einem taktischen Fehler auf einen strategischen Angriff geschlossen wurde, der überhaupt nicht stattfand. Im dritten Beispiel wird anhand des Innovationswettbewerbs zwischen AMD und Intel gezeigt, wie der breitgefächerte Operationsansatz das innovativere Unternehmen in die Knie zwingen kann.
7.6.1 Wer übernimmt wen? Die Vernichtung von Mannesmann-D2 Mit der Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts bestand auf der Ebene des drahtlosen Telefonverkehrs die Notwendigkeit, einen Konkurrenten für den bisherigen Monopolanbieter Deutsche Post/Telekom zu etablieren. Ausgewählt wurde für das neue digitale Netz die Firma Mannesmann, die im Wettbewerb mit der Telekom in wenigen Monaten ein leistungsfähiges System aufbauen konnte, womit sich ein Duopol etablierte. Ähnliche Entwicklungen ergaben sich auch im Ausland, und es stellte sich sehr schnell die Frage, in welchem Umfang länderübergreifende Koalitionen gebildet würden, um das Telefonieren in Fremdnetzen (roaming) zu ermöglichen. Zugleich wurde klar, dass nur ein über die Ländergrenzen hinweg anbietendes Unternehmen langfristig die Schlagkraft besitzen würde, den Kunden den Service dieser modernen Technologie zu bieten. Damit war für alle Unternehmen klar: Entweder sie internationalisieren ihren Markt oder sie werden geschluckt. Der Untergang der Mannesmann AG ist zunächst ein Prototyp für die ebenso mentalen wie sachlichen Unterschiede zwischen dem rheinischen Kapitalismus – oft als „Deutschland-AG“ apostrophiert, also einem System wechselseitiger Beteiligungen und korporativer Strukturen, von dem sich Deutschland durch verschiedene Entflechtungsgesetze am Ende der neunziger Jahre verabschiedete – und dem angelsächsischen „laissez-faire“-Kapitalismus. Er stellt für viele ein Paradebeispiel für eine fehlgeleitete Übernahmeschlacht dar, an deren Ende die Auflösung eines großen, traditionsstarken Konzerns stand, der die Wirtschaftsgeschichte Deutschlands prägte. Diese Entwicklung stand nicht im Zusammenhang mit den alten Kernkompetenzen des Unternehmens, nämlich zunächst dem Bau von Röhren, später Maschinenbau aber auch Elektronik, sondern mit dem Einstieg des Unternehmens in den Telekommunikationsmarkt.
7.6 Führung und Entscheidung im Wirtschaftskrieg an Beispielen
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Dieser besitzt extrem hohe Netzwerkexternalitäten. Die Übernahmeschlacht, die Mannesmann auslöste, ist ein Lehrbeispiel dafür, wie sich eine fehlgeleitete strategische Vorstellung schnell ins Gegenteil verkehren kann und sogar der Versuch, in letzter Sekunde eine Frontbegradigung zur Rettung des Unternehmens zu erzielen, scheiterte. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Marktdominanz durch Internationalisierung des bisher weitgehend nationalen Geschäfts. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Mannesmann-D2, von Klaus Esser als Vorstandsvorsitzendem geleitet; das im Jahr 1890 gegründete und durch das Verfahren zur Herstellung nahtloser Stahlrohre berühmt gewordene Unternehmen beschloss im Jahr 1990, eine Lizenz zum Aufbau und Betrieb des privaten D2-Mobilfunknetzes in Deutschland zu übernehmen. Die ausgesprochen hohen Gewinnraten infolge eines sehr schnellen Ausbaus des Netzes und einer hohen Kundenakzeptanz führten dazu, dass die Mobilfunksparte den übrigen Konzern schnell in den Schatten stellte. Deshalb plante man, die alten Technologien abzuspalten, in einer eigenen Firma – der Atecs Mannesmann AG – zusammenzufassen und dort an die Börse zu bringen. • Vodafone, ein englisches Unternehmen, 1984 gegründet. Der Name ist eine Kombination aus den drei Geschäftsfeldern nämlich: voice, data und fone. Es wurde vom Vorstandsvorsitzenden Chris Gent in den 90er Jahren zu einem der führenden weltweit tätigen Mobilfunkkonzerne ausgebaut. Es hat zu diesem Zweck entweder im Ausland Unternehmen aufgekauft oder selbst Tochtergesellschaften gegründet. • Orange, ebenfalls ursprünglich ein englisches, international tätiges Telekommunikationsunternehmen; es wurde im Jahr 1994 von Hutchison Whampoa und British Aerospace gegründet und trat als vierter Mobilfunkbetreiber in den britischen Markt ein. Es begann Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts massiv in die Internationalisierung zu investieren. Heute ist es eine Tochter von France Telekom. • Vivendi, ein französischer Medienkonzern, der im Jahr 2000 mit Sitz in Paris gegründet wurde; seine Tradition geht auf den Bereich der Trinkwasserinfrastruktur und -aufbereitung zurück, aus dem sich ein diversifiziertes Unternehmen entwickelte. Mit SFR besitzt es den zweitgrößten Mobilfunkanbieter in Frankreich, der ursprünglich von Vodafone aufgebaut worden ist und zu 44 % dem britischen Konzern gehörte, aber schließlich vollständig an Vivendi verkauft wurde. • Hutchison Whampoa, ein Unternehmen mit Sitz in Honkong, das dort 1828 mit dem Ziel, zunächst Handelsgeschäfte zu betreiben und die dazu erforderlichen Infrastrukturen (z. B. Häfen) aufzubauen, gegründet wurde und später auch in die Telekommunikation einstieg. In Europa wurde es durch die Gründung von Orange bekannt. Weltweit ist es einer der größten Betreiber von Mobilfunknetzen, vor allem solchen der dritten Generation.
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• Das Landgericht Düsseldorf, das die Anklage im Mannesmann-Prozess erhob und die Verhandlungen führte. Kriegsmittel: • Übernahme von Anteilen an fremden Unternehmen, um sich einmal gegen die Übernahme Dritter zu wappnen, andererseits Kontrollmehrheiten zu erlangen. Kriegsziel: • Dominanz auf den Märkten, Nutzen von Skalen-, Verbund- und Netzvorteilen sowie persönliches Empire Building. Kriegsfolgen: • Zerstörung eines traditionsreichen Konzerns und Verlust einer wichtigen Unternehmenszentrale in Deutschland, Verengung der Märkte. • Aufbau eines Systems rechtlicher Referenzmaßstäbe für Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Unternehmensführern durch Staat, Gerichte und Unternehmen (Corporate-Governance-Codex). Im Oktober 1999 gab der Mannesmann-Chef Klaus Esser bekannt, er wolle das britische Telekom-Unternehmen Orange kaufen. Damit wollte er im Sinne einer Giftpille, also einer Sperre, das Unternehmen kartellrechtlich unattraktiv für eine Vodafone-Übernahme machen, denn diese hätte vermutlich aus kartellrechtlichen Gründen eine Entflechtung der gerade vollzogenen Fusion erforderlich gemacht. Kurz danach signalisierte die britische Vodafone, die bereits mit 34 % an Mannesmann beteiligt war, sie wolle Mannesmann vollständig übernehmen und integrieren. Im November 1999 legte sie den Aktionären ein Angebot vor, wodurch der Wert der Aktien steil anstieg. Allerdings bezeichnete der Vorstand von Mannesmann den Preis als völlig unangemessen und lehnte eine Übernahme ab. Daraufhin stockte Vodafone das Angebot, zahlbar in eigenen Aktien, erneut auf, sodass sich die Offerte dann auf 124 Mrd. DM belief, die höchste Summe der seinerzeitigen Wirtschaftsgeschichte. Auch dieses Angebot lehnte der Mannesmann-Vorstand ab. Allerdings hatte Mannesmann durch die Struktur seiner Unternehmung – einerseits Anbieter von Stahlerzeugnissen, dann von Elektronik und schließlich Kommunikationsanbieter – Probleme im eigenen Hause, weshalb es im gleichen Monat zu erheblichen Auseinandersetzungen mit den Arbeitnehmervertretern kam, was als großes Kommunikationsversagen anzusehen ist. Dieses „Zuviel auf einmal“ wurde intensiviert, als der Vorstand ankündigte, nunmehr den Konzern verstärkt umbauen zu wollen. Im Dezember 1999 gab die Europäische Kommission grünes Licht für die Übernahme von Orange durch Mannesmann. Gleichzeitig warnte Mannesmann die eigenen Aktionäre vor den Risiken der Übernahme durch Vodafone. Schließlich nahm Mannesmann Gespräche
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mit dem französischen Medien- und Telekommunikationskonzern Vivendi auf, um den Markt in Europa weiter zu verbreitern. Die Übernahmeschlacht entwickelte sich mit hoher Geschwindigkeit und verdeutlicht, dass eine Konsolidierung selten friedfertig abläuft. Von da an wurde es diffus und Mannesmann geriet selbst unter Übernahmedruck, weil es im Angriff infolge besagter Probleme an der Heimatfront seine eigene Verteidigungsfähigkeit vernachlässigt hatte: Als Weiße Ritter, also Retter vor einer feindlichen Übernahme, dienten einerseits ein Angebot von AOL-Europa und andererseits die mögliche Beteiligung seitens Vivendi. Beide Hoffnungen platzten jedoch, und Vivendi gab mit Vodafone die Gründung einer gemeinsamen Internetfirma bekannt, die 50 % von Mannesmann erwerben wollte. Der Aufsichtsratsvorsitzende Joachim Funk gab Klaus Esser Ende Januar eine Zusage für eine Büroausstattung mit Fahrer auf Lebenszeit, wenn er der Übernahme zustimmt, wozu er auch von Hutchison Whampoa gedrängt wurde. Anfang Februar 2000 besiegelten Esser und Gent, der Vorstand von Vodafone, die Einigung. Vodafone bezahlte 190 Mrd. DM in eigenen Aktien und Klaus Esser wurde zunächst Vizechef. Mit der Zustimmung des Aufsichtsrats wurden Sonderzuwendungen an Esser, die übrigen vier Vorstände und den Aufsichtsratsvorsitzenden Funk in Höhe von 48 Mio. DM gezahlt. Im Anschluss wurde Esser als stellvertretender Vorstand abberufen und erhielt dafür eine Entschädigung von 30 Mio. DM. Wegen der Gesamtabfindung, die bei Esser 60 Mio. DM betrug, geriet er in das Visier der Justiz. Ein Verfahren sollte wegen Verdachts auf Untreue eröffnet werden. Zunächst lehnte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ein Verfolgen ab, wurde dann aber von der Generalstaatsanwaltschaft zur Aufnahme von Ermittlungen gezwungen. Es kam zur Anklage, bei der neben Esser auch der IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann, zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats der Mannesmann AG, aussagen mussten. Nach einer rechtlichen Auseinandersetzung, die bis ins Jahr 2004 reichte, ließ die Staatsanwaltschaft Düsseldorf durchblicken, dass sie in den Entschädigungszahlungen keine strafbare Untreue sieht. Trotzdem erhielt sie die Anklage aufrecht. Im Rahmen des Verfahrens wurde deutlich, dass der Gewerkschaftsvertreter sich bei der Prämienzusage der Stimme enthalten hat, andere Mitglieder nicht gefragt worden sind, sodass die Tatvorwürfe ausgeweitet wurden. Im Urteil vom Juli 2004 sprach das Gericht den Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann und die übrigen Angeklagten frei. Allerdings reichte die Staatsanwaltschaft im Herbst 2004 einen Revisionsantrag ein. Das Verfahren wurde schließlich wieder im Oktober 2006 vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelt. Es endete mit einer äußerst umstrittenen Einstellung des Verfahrens gegen alle Angeklagten nach § 153a der Strafprozessordnung. Die Angeklagten mussten eine Geldbuße von knapp 6 Mio. € leisten, die standardmäßig an wohltätige Organisationen fließt – bei Klaus Esser waren dies 1,5 Mio. €. Die Führungsmannschaft um Klaus Esser hatte die Fähigkeiten des eigenen Unternehmens dramatisch über- und die der anderen Marktteilnehmer unterschätzt. Schließlich fehlte es auch am Willen zum Sieg, wie zum Schluss der Schwenk, sich aus dem Unternehmen herauskaufen zu lassen, verdeutlicht. Auch die institutionelle Struktur des Unternehmens ist kritisch zu hinterfragen, erzeugte sie doch nicht die erforderliche
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Stabilität, um eine Übernahmeschlacht erfolgreich zu bestreiten. Gerade die Unruhe im eigenen Haus infolge der geplanten Aufspaltung machte es schwer, eine starke Abwehrfront aufzubauen und die wesentlich zu erbringende Leistung im Rahmen der Übernahmeschlacht zu vermitteln. Vodafone konnte sich als dominanter Anbieter in Europa neben den ehemals staatlichen Konzernen etablieren.
7.6.2 Fast ein Pyrrhus-Sieg: der Elchtest Im Herbst 1997 prüfte der Autotester Robert Collin in Schweden die neue A-Klasse, mit deren Hilfe Mercedes den Wettbewerb gegenüber dem den Markt dominierenden VW-Golf und ähnlichen Autos dieser Klasse Marktanteile gewinnen wollte. Bei einem Auslenkungsmanöver, das in Schweden Elchtest genannt wird, geriet das Auto ins Schleudern und kippte um. Dieser Test ist in Schweden von hoher Sicherheitsrelevanz, weil in der Morgen- und Abenddämmerung häufig Unfälle durch Elche auf der Straße geschehen, wobei eine Kollision meist tödlich verläuft. Diese Nachricht traf den Daimler-Benz-Vorstand unverhofft auf einer Auto-Messe in Tokio, auf welcher der neue Maybach vorgestellt wurde. Sofort ventilierte dieser den Plan, diesen vorgeblichen Angriff mit einem Gegenangriff zu kontern, in diesem Fall einen Wagen des Konkurrenten VW zu kippen, dem unterstellt wurde, hinter der Attacke zu stehen. Der Elchtest besitzt nicht nur eine wesentliche Funktionalität für das normale Fahren, er ist auch für den Beweis notwendig, ob möglicherweise ein Selbstmord mithilfe einer Kollision mit einem Elch verschleiert werden soll. Denn tatsächlich versuchen sich Menschen umzubringen und wollen damit den Anschein vermitteln, es sei ein Unfall gewesen, um ihren Familienangehörigen die Versicherungsprämie zu sichern. Fehlendes Auslenken wird dann als Selbstmordindiz gewertet – aber Auslenken ist nur sinnvoll, wenn es nicht ebenfalls tödlich endet. Denn die Selbstmorddunkelziffer ist hoch: Im mittleren Westen der USA sind Kollisionen mit langen Zügen typisch, die mit begrenzter Geschwindigkeit fahren und eigentlich kilometerweit sicht- und hörbar sein sollten. Trotzdem kommt es jedes Jahr zu Dutzenden tödlicher Unfälle. Die Versicherungsbranche, so wird gemutmaßt, hat den Elchtest in Schweden daher forciert, weil nur ein Auslenken kurz vor der Kollision mit dem Elch zeigt, dass keine Selbstmordabsicht vorliegt. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Eindringen in den Markt der Kompaktklasse seitens der Daimler-Chrysler-AG sowie Vermeiden von moral-hazard-Problemen bei den Versicherern. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Daimler-Chrysler AG, damals gerade erst mit dem amerikanischen Unternehmen als Fusion unter Gleichen zusammengeschlossen; die Hybris, nunmehr einen
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globalen Konzern geschmiedet zu haben, machte das Management immun gegenüber Problemen, die es mit der Qualitätskontrolle hatte. Denn eigentlich hätte man es besser wissen müssen. Schon das Debakel zehn Jahre vorher um die Motorenaufhängung des sogenannten Bonanza-Benz hatte gezeigt, dass der Anspruch, nicht nur in der Technologie, sondern auch in der Qualität ein weltweit führender Anbieter zu sein, gelegentlich von der Realität widerlegt wurde. • Volkswagen AG, das Unternehmen, das mit der Golf-Klasse die Referenz für Erfolg in diesem Segment setzte und heute noch setzt; es fand im neuen A-Klasse Mercedes einen veritablen Herausforderer. Denn dieser hatte in Bezug auf die Verkehrssicherheit konstruktionsbedingt einige wesentliche Vorteile, weil er durch seine vordere Aufprallzone, die den Motor bei einem Frontalunfall unter die Passagierzelle schiebt und damit den kurzen Vorbau kompensiert, was eine ingenieurtechnische Meisterleistung darstellt. Insofern war dem Unternehmen zur Verteidigung seines Führungsanspruchs durchaus einiges zuzutrauen. • Die übrigen deutschen und internationalen Anbieter, die in der Golf-Klasse produzierten und nicht wussten, wie ihre Produkte auf den Auslenkungstest der schwedischen Automobiltester reagieren würden. • Franz Steinkühler, IG-Metall-Chef, der in dieser Situation als Einziger der patriotischen Aufgabe gewachsen war, das Gesamtwohl der deutschen Automobilindustrie vor den Führungsmängeln der einzelnen Vorstände zu retten. Kriegsmittel: • Konkurrierende Fahrzeuge aus der Bahn werfen. Kriegsziel: • Rache, Schutz der eigenen Wettbewerbsposition. Kriegsfolgen: • Keine, weil in letzter Sekunde der Wirtschaftskrieg vermieden wurde. Der Vorstand von Mercedes mutmaßte sofort, dass der Wettbewerber VW hinter diesem Debakel steckt und prüfte, ob man einen Test arrangieren könne, mithilfe dessen man einen VW-Golf zum Umfallen bringen könnte. Diese Vergeltungsmaßnahme erschien dem Unternehmen als angemessen, um zu verhindern, als einziges Unternehmen in der Branche ein Fahrzeug mit diesem Makel herzustellen. Der zuständige IG-Metall-Vorsitzende, der dem Gespräch beiwohnte, ermahnte den Vorstand, nicht zu derartigen Vergeltungsmaßnahmen zu greifen und damit einen Branchenkrieg zu entfachen, ohne absolut sicher zu sein, dass VW diesen Test wirklich ausgelöst hatte. Er mutmaßte, dass nach einem Umfallen des Golfs anschließend VW ein Fahrzeug der
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Firma Opel umfallen lassen würde und Opel dann einen Ford umkippen könnte bis schließlich die ganze Welt über die kippanfälligen deutschen Autos lache und ein Riesenschaden für die gesamte Branche unvermeidlich würde. Er organisierte ein Gespräch zwischen den Vorständen von VW und Mercedes, das die Sachlage klärte. Deutlich wird, wie wichtig Nachrichtenkanäle sind, die auch bei schweren Konflikten offenbleiben – die Politik schweigt eben nicht, wenn der Krieg beginnt, wie das schon Carl von Clausewitz (1832) betonte. Um eine Vernichtung der Reputation zu verhindern und ein derartiges Zusicherungsspiel organisieren zu können, sind belastbare Institutionen ebenso wichtig wie eine klare Führung, die die Möglichkeit des Irrtums mit einbezieht. Im Ergebnis hat dieser Test die Fahrsicherheit der Autos erheblich verbessert. Durch die elektronischen Stabilisierungssysteme (ESP) ist es gelungen, schwere Unfälle infolge von Auslenkbewegungen zu vermeiden.
7.6.3 Zerstörerischer Innovationswettbewerb: Intel vs. AMD Infolge extrem hoher Investitionen und des schnellen Preisverfalls nach der Markteinführung können in der Halbleiterindustrie Pioniergewinne nur über eine sehr kurze Zeitspanne eingefahren werden. Nicht umsonst nennt Shane Greenstein (2004) sein Sammelwerk zum strategischen Management in der Computerindustrie auch Diamonds Are Forever, Computers Are Not. Vor diesem Problem stand und steht bis heute der ewig Zweite der Mikroprozessorbranche, AMD. Infolge der Lizenzfertigung entwickelte sich die Intel-Architektur zum Quasi-Standard der Branche (Rodengen 1998, S. 102). Tatsächlich sah der ursprüngliche Lizenzvertrag den gegenseitigen Austausch von mikroelektronischen Komponenten, um die Fertigung zu konzentrieren. Die Bewertung sollte auf der Grundlage der Komplexität des Designs stattfinden, nicht des Marktpotentials. Dies schien Intel infolge des Erfolgs seiner Prozessorarchitektur zu benachteiligen, weshalb das Lizenzabkommen zunächst angepasst, schließlich im Jahr 1986 gekündigt wurde. Damit war AMD gezwungen, eine eigene Prozessorarchitektur zu entwickeln. In der Folge griff Intel zu Mitteln, um AMD zu schädigen, die jeder Vorstellung von einem marktwirtschaftlichen Wettbewerbsverhalten widersprachen. Der dadurch erzielte Vorteil konnte auch nicht mehr durch anschließende Straf- und Kompensationszahlungen ausgeglichen werden, was verdeutlicht, weshalb gerade in schnelllebigen, dynamischen Märkten der Wirtschaftskrieg für den Angreifer hohe Chancen bereithält, weil die Chance des Zerschlagens oder Vernichtens, also des dauerhaften Schädigens des Gegners hoch ist und auch im Nachhinein kaum wiedergutzumachen ist. Aber es zeigt auch, dass der wahre Gegner des Marktführers die Regulierungsinstitutionen sind – eine Erfahrung, die auch Microsoft einige Jahre später machte. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Monopolisierung des Markts
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Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Intel, das als Hersteller von Prozessoren dem weltweiten Publikum durch die Belieferung von IBM (8088 und 8086 Serie) ab 1978 weltbekannt wurde. Es entstand als Ausgründung der Mitarbeiter von Fairchild Semiconductors. Einer seiner Väter, Gordon Moore, prägte das Gesetz von Moore, demzufolge sich bei gegebenen (minimalen) Kosten die Komplexität elektronischer Bauteile alle 12 bis 24 Monate verdoppelt. Das Unternehmen ist über die Mikroprozessoren hinaus auch ein dominanter Anbieter von Graphikchips. Als der den Markt weltweit dominierende Pionier sind nicht nur seine Erfolge, sondern auch seine Misserfolge legendär, beispielsweise der Gleitkommazahl- (FDIV-) Fehler im Pentium von 1993, der zu Rechenfehlern führte, oder die auslesbare Seriennummer im Pentium III von 1999, der vermuten ließ, man könne damit auf einfache Weise Rechner ausspionieren. • AMD: Von einem der Intel-Gründer finanziert, produzierte das Unternehmen 1969 zunächst Prozessoren in Intel-Lizenz, nach der Kündigung des Vertrags im Jahr 1986 baute das Unternehmen eigene Prozessoren als Alternativen zur Intel-Architektur. Meist war es ein technologischer Verfolger, was in Märkten, in denen die Verkaufserfolge der ersten drei bis sechs Monate angesichts des dann drohenden Preisverfalls zählen, um die erforderlichen Renditen zu erwirtschaften, bedrohlich ist. Aber es gelangen auch technologische Sprünge, beispielsweise im Jahr 2000 die bahnbrechende 180-nm-Kupfertechnologie. Durch das Ausgliedern seiner Produktionsstätten im Jahr 2008 (Globalfoundries) ist es heute vor allem eine auf Forschung und Entwicklung konzentrierte Gesellschaft. Ebenso wie Intel besitzt es eine starke Graphiksparte, nämlich die Firma ATI, die im Jahr 2006 übernommen wurde. • Federal Trade Commission (FTC) der USA, die gleichzeitig als Kartellamt die Hüterin der Wettbewerbsordnung wie auch des Verbraucherschutzes ist. Ihre Aufgabe besteht darin, das Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung zu verhindern. Der Sherman-Act von 1890 ermöglicht ein zwangsweises Entflechten von Unternehmen. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl anderer Hersteller von Mikroprozessoren, die aber nicht mit denen der beiden anderen Anbieter kompatibel sind. Allerdings führt die Entwicklung in Richtung Tablets und Smartphones dazu, dass sich der Markt neu ordnet und über die Produkte eine Substitutionskonkurrenz auftritt. Insbesondere die Bindung des Prozessors an das Betriebssystem eröffnet an Android orientierten Chipherstellern (besser: Entwicklern, denn das Unternehmen lizensiert weitgehend), wie beispielsweise ARM, neue Potentiale. Kriegsmittel: • Bei Intel: Forschung und Entwicklung, aber auch Patentkriege, um den Zugang zu Technologien zu verwehren, ebenso wie das Nutzen von Marktmacht, um Absatzkanäle von AMD zu verstopfen.
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• Bei AMD: Forschung und Entwicklung. Kriegsziele: • AMD: Versuch, sich als zweiter globaler Anbieter neben Intel zu stabilisieren. • Intel: Weitgehende Dominanz im Markt für Mikroprozessoren, vor allem bei Servern und PC- und Laptop-Anwendungen, einschließlich der zugehörigen Graphik zu gewinnen, weshalb der Konkurrent AMD vernichtet werden sollte, zumindest niedergehalten werden sollte, wenn dessen Zerstörung kartellrechtliche Probleme aufgeworfen hätte. Kriegsmittel: • Eine Stackelberg-Führer-Verfolger-Lösung und dauerhafte Verlangsamung des technischen Fortschritts – möglicherweise zugunsten anderer Produkte wie Tablets und Smartphones. In einem Rechtsstreit versuchte Intel zunächst, AMD nach dem Kündigen der Lizenzvereinbarung den Zugriff auf sein bisher akkumuliertes Wissen zu blockieren. In einer außergerichtlichen Einigung vereinbarten beide Parteien, dass ein Zugriff von AMD auf die Kenntnisse der fünften Generation der Intel-Prozessoren unterbleibt. AMD entwickelte daraufhin eine eigene Generation beginnend mit dem sogenannten AMD-K5. Damit war auch der Weg geebnet für die ersten Preiskriege, da insbesondere ab dem Jahr 1998 bei AMD extrem innovative und kostengünstige Fabrikationsverfahren zum Einsatz kamen, die zum Teil auch technologisch überlegene Produkte herzustellen erlaubten, insbesondere auch was Energieverbrauch und Wärmeabgabe als zwei wesentliche kritische Größen für Laptops betrifft. Hector Ruiz (2013, S. 8, 36, 40) beschreibt in seinem Buch Slingshot, also Schleuder, die Auseinandersetzung zwischen AMD und Intel als Kampf David – Goliath, und verweist auf zwei wichtige Charakteristika, die den strategischen Markteintritt von AMD begünstigten und erschwerten: • Grundsätzlich positiv gesehen wurde von AMD die Strategie Intel inside, zu der Intel die Abnehmer zwang – und auf diesem Wege auch sogenannte market development funds ausreichte. Denn es flossen dabei zwar – wie auch auf anderen Wegen – Gelder bzw. wurden Rabatte gewährt, aber zugleich verwehrte sie den Original Equipment Manufacturers (OEM), eine durchgängige eigene Markenstrategie aufzubauen, da sie faktisch nur Hüllen bauten. • Als grundsätzlich schwierig wurden die hohen Vorlaufkosten angesehen. Dauert die Entwicklung eines Rechners um einen Chip herum 6 bis 12 Monate und ist dieser Rechner erfolgreich, dann müssen enorme Kapazitäten rechtzeitig aufgebaut sein. Derartige Fabs zu errichten, kostet mehr als 2 Mrd. US$ und nimmt mindestens 18 Monate in Anspruch.
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Die OEMs stehen folglich vor einem Gefangenendilemma: Alle stellen sich besser, wenn es einen Konkurrenten für Intel gäbe: Solange dieser aber nicht die volle Marktpräsenz besitzt, ist das Abgehen von Intel mit erheblichen Risiken der Nichtbelieferung und erhöhter Preise verbunden. Da das auch Investoren wissen, zögern diese wiederum, einen Konkurrenten aufzubauen. Speziell handelt es sich um ein Allmendeproblem, weil erst mit hinreichendem Niveau gleichgerichteten Verhaltens bei den OEM die Strategie von AMD hätte erfolgreich werden können. Bereits im Jahr 2000 soll Intel Lieferungen von Intel Chips an die Computerhersteller Compaq oder Gateway zurückgehalten haben, um beide Unternehmen zu zwingen, nicht von AMD zu kaufen. Das erschwerte, die erforderlichen Kundenbeziehungen aufzubauen, die auch eine Stabilität erzeugen, um die Firma für institutionelle Investoren attraktiv zu machen. Im Jahr 2005 spitzte sich der Wirtschaftskrieg zwischen beiden Parteien erstmalig zu, da Intel seine Abnehmer wie Dell, HP oder IBM, die alle an einer Kooperation mit AMD interessiert waren und daher begannen, neue Produktlinien aufzubauen, mittels seiner Marktmacht zwang, weitgehend nur die eigenen Produkte einzubauen. Das geschah durch Rabattverträge mit großen Anbietern, Prämien für die Marktpflege, in Deutschland wurde seitens Intels sogar auf der Ebene der Handelsunternehmen wie der Saturn-Media-Markt-Kette interveniert. Das führte zu Untersuchungen der koreanischen, japanischen und der europäischen Wettbewerbsbehörden sowie der amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC. In den ersten drei Fällen wurden Strafen in Milliardenhöhe ausgesprochen, in den USA erfolgte im Jahr 2009 eine außergerichtliche Einigung durch Zahlungen Intels in Höhe von 1,25 Mrd. US$. Allein in bisher weniger erschlossenen Märkten, beispielsweise in China und Lateinamerika, feierte AMD Erfolge. Tatsächlich wäre damals eine Zerstörung von AMD für Intel ausgesprochen problematisch gewesen, weil es dann zum Monopolanbieter geworden wäre, dem allerhöchstens über Substitutionskonkurrenz ein Wettbewerb gegenübergestanden hätte. Damit ergäbe sich auch eine direkte Bedrohung im Kontext des Sherman-Acts, also eine Zerschlagung der Firma. Spieltheoretisch gab es damit immer wieder einen gewissen Druck zu einer Kooperationslösung. Wie weiter oben ausgeführt wurde, ist der größte Feind des Marktführers die Regulierungsbehörde, nicht der Marktverfolger – das sollte bewusst sein. Die wissenschaftliche Literatur hat sich des Themas angenommen und verweist darauf, dass neben der Angebotsseite, als Frage, wie Wettbewerb auf Innovation und Investition wirkt, auch die Nachfrage, nämlich die Antizipation von Preisverfall und Produktverbesserungen, einbezogen wird. Ronald Goettler und Brett Gordon (2011) zeigen, dass durch den Wettbewerb Qualitätsverbesserungen verlangsamt werden, den Konsumenten aber ein massiver Preisvorteil zugutekommt.
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7.7 Fazit und Handlungsempfehlungen Der Führungserfolg hängt wesentlich von der Fähigkeit ab, das Umfeld für die Ziele zu motivieren und die erforderlichen Instrumente in Zeit und Raum bereitzustellen. Ganz wichtig sind dabei aber die Kommunikations- und Informationsbedingungen, insbesondere das Bewältigen von Informationsasymmetrien: Da ein gleichmäßiger Informationsfluss nicht immer gewährleistet werden kann, müssen auf untergeordneter Ebene – als Voraussetzung für ein Führen mit Auftrag – die übergeordneten Ziele bekannt und die Fähigkeiten vorhanden sein, diese dezentral umzusetzen und wiederum in entsprechende Führungsanweisungen umzuwandeln. Es muss aber auch klar sein, dass diese Unterschiedlichkeit der Informationsstände nur bewältigt werden kann, wenn anreizkompatible Verträge existieren. Im Zweifelsfalle ist der Führer weniger informiert und versichert den Agenten, der besser informiert ist; der Preis der Risikoübernahme besteht in der Entlohnung und im Übermitteln der notwendigen Informationen durch den Agenten, um zu verifizieren, dass dieser die vereinbarte Leistung erbringt. Im Wirtschaftskrieg, also auf hoher Eskalationsstufe der wirtschaftlichen Rivalität, wird dieses Sich-Aufeinander-Verlassen zum entscheidenden personalen Erfolgsfaktor. Im Falle von D2-Mannesmann wird nicht wirklich deutlich, welche Führungsvorgänge zu welchem Ziel führen sollten; selbst vom Ende gedacht lässt einen die Lösung, auch durch die spätere juristische Aufarbeitung, seitens des deutschen Konzerns eher ratlos. Umgekehrt sieht es von der Perspektive Vodafones aus, dem es gelang, durch ein Herauskaufen des Vorstands und mit einem Angriff von einer Seite, auf den viele nicht vorbereitet waren, einen globalen Konzern zu entwickeln. Die Geschichte des Elchtests macht deutlich, wie schnell sich ohne Führung und nicht abgesicherte Information, also durch reine Vermutungen, ein Konflikt in der deutschen Automobilwirtschaft hätte entwickeln können. Hier liegt ein massives Versagen dessen vor, was als business intelligence bezeichnet wird und im zehnten Kapitel vertieft wird. Bei dem chinesischen Unternehmen Huawei ist es interessant zu beobachten, wie es sich langfristig orientiert, aber dem Problem eines fehlenden Reputationskapitals ausgesetzt ist, was seine Eroberungspläne ausbremst. Im Falle von Intel gegen AMD war der Sieg greifbar – aber die Methode, Märkte zu verminen war im Wettbewerbsplan von AMD nicht vorgesehen – und die Tatsache, dass diese Marktpflege illegal und später juristisch und finanziell massiv geahndet wurde, konnte die entstandenen, dauerhaften Nachteile nicht aufwiegen. Schließlich suchen Kunden Beschaffungsmärkte, bei denen sie wählen können – was der Monopolisierung seitens strategischer Zulieferer Grenzen setzt. Es gilt aber auch: AMD war immer ein potentieller Konkurrent, weshalb Intel bei seiner Preispolitik an Grenzen stieß. Die Führungskraft, die sich auf eine Auseinandersetzung vorbereitet, sollte folgende zehn Punkte beherzigen: 1. Leg fest, was über den Gegner bekannt sein muss, identifiziere stets die Ziele klar, prüfe und bewerte ihre Erfüllbarkeit im Raum-Mittel-Zeit-Informations-Entscheidungsraum
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und leite daraus die notwendigen Entschlüsse ab! Vor dem Entschluss hole die Meinung deines Umfelds ein – Diskussionsbereitschaft und Kritikfähigkeit erhöhen die Akzeptanz der erteilten Aufträge, sie sind Voraussetzung für transparentes Handeln und Pflichterfüllung. Das begründet die verantwortungsvolle Führung und befördert den Willen zur Zielerreichung. Vor allem der M annesmann-D2 hat es daran gefehlt. 2. „Wer klare Begriffe hat, kann befehlen“, sagt Goethe (1833, S. 112). In der Bibel (Mt 5, 37) heißt es: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ Nutz eine eindeutige, einfache, klare und knappe Sprache; der Mensch hat nur begrenzte Möglichkeiten des Speicherns. Intelligenz ist das gezielte Vernichten von redundanter Information. Wenn möglich, unterstütz Aussagen durch Graphiken und Bilder, weil diese die Merkprozesse verbessern! Lass Aufträge notfalls kurz wiederholen, um sicherzustellen, dass das Gesagte auch das Verstandene ist! 3. Versuch stets, das Ziel ohne Auseinandersetzung zu erreichen! Möglicherweise existiert eine Vielzahl anderer Zugänge, einen Markt aufzurollen (freundliche Übernahme) oder die Gewinne zu steigern (Normung und Standardisierung zum Gewähren einer gemeinsamen und öffentlich glaubhaften Plattform), die es nicht erforderlich machen, den Mitbewerber zu zerschlagen oder zu zerstören. Der Schuss könnte, wie bei Krösus, nach hinten losgehen – auch das belegt die gescheiterten Übernahmeversuche seitens Mannesmann-D2. Bedenk, dass Signale wichtig sind und dass die richtigen Signale richtig gesetzt werden müssen! Denn nur so werden sie so verstanden, wie es beabsichtigt wurde. Das gilt auch für Signale, die der Desinformation gelten. 4. Tritt nie in eine Auseinandersetzung ein, die nicht zu gewinnen ist! Hier ist das Augenmaß des Wirtschaftsführers besonders gefragt, weil er nicht nur über seine strategischen, operativen und taktischen Möglichkeiten Bescheid wissen muss, sondern auch die Möglichkeiten des Gegners einbeziehen und die eigenen und fremden Ressourcen abwägen muss, um nicht den Erfolg im Sinne eines Pyrrhus-Siegs zu teuer zu erkaufen oder durch den Angriff die Verteidigungsfähigkeit zerstört. In diese Falle wäre beinahe die Daimler-Benz-AG getappt. Bilde deshalb rechtzeitig Reserven. Wenn Verteidigung die (aufgezwungene) Operationsart ist, bestimme frühzeitig, wie lange durchgehalten werden muss – Positionen, die aufgegeben wurden, sind schwer zurückzugewinnen. Wenn der Rückzug unvermeidlich ist: Er ist dann keine Schande, wenn er dazu dient, aus neuen Positionen heraus Widerstand zu leisten. Mental muss gelten: Wir ziehen uns nicht zurück, sondern machen kehrt und marschieren geradeaus. Möglicherweise hat dies AMD gerettet. 5. Zieh stets das indirekte Handeln dem direkten Handeln vor – meist ist das erfolgversprechender als eine konfrontative Strategie, selten kann man sein Glück erzwingen! Indirektes Wirken über Netzwerke kann den Angriff, aber auch die Abwehr, wie der Elchtest beleuchtet, wesentlich erleichtern. Es ist dem frontal Binden und dem an der Flanke Zuschlagen der Vorzug zu geben (Hammer-Amboss-Prinzip). Gerade
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der Frontalangriff macht dem Mitbewerber deutlich, welche eigene Operationsführung oder Taktik genutzt wird; ein Angriff von den Flanken, beispielsweise im Sinne des Multimarktwettbewerbs auf Drittmärkten, ist erfolgsversprechender und kräfteschonender. Auch die asiatische Kriegsführung zeigt, dass mit Finessen und Tricksereien mehr gewonnen wird als mit plumper Gewalt. Ahm den Feind nicht nach – Diversifikation bei Produkten, Gütern, Handlungen überrascht! 6. Überraschung ist alles, wenn man die Initiative besitzt. Dies setzt zunächst ein Unternehmen voraus, das sich stets rechtzeitig transformiert hat, also die Fähigkeiten bereithält, die in Zukunft höchstwahrscheinlich erforderlich sind. Dann erfordert dies eine saubere Aufklärung und ein benchmarking gegenüber dem Gegner. Aber: Nicht alles ist planbar! Bedenk, dass die Welt voller Schwarzer Schwäne ist und dass ein Plan B entscheidend sein kann, wenn Unvorhergesehenes eintritt. Führung erfordert auch, sich die Katastrophe vorzustellen, bevor sie eintritt – was bedeutet, in Szenarien zu denken. Analysier im Team im Nachhinein sorgfältig, was das nächste Mal besser gemacht werden muss Daher ist Sachverhaltsaufklärung – auch bei eigenen Fehlern – der Schlüssel zum künftigen Erfolg. 7. Behalt die Initiative, warte nicht, bis alles perfekt ist – das passiert nie! Agier eher als zu reagieren, das Gesetz des Handelns begünstigt die Initiative, und gehe das scheinbar Unmögliche mit Mut an – das wird den Gegner überraschen! Oft ist Angriff die beste Verteidigung (Präventivschlag): Wenn ein Schlag eines Mitbewerbers in einem als bedeutsam erkannten Markt bevorsteht, so kann diesem erfolgsversprechend zuvorgekommen und dessen Aufmarsch gestört werden. Überrasch den Gegner durch Täuschung, durch Schnelligkeit und Beweglichkeit, auch durch das Brechen scheinbar unverrückbarer Regeln, durch Innovationen sowie durch Informationsüberlegenheit! Wenn du überrascht wirst: Verfall nicht in Aktionismus – er zerstört Führungsvertrauen und behindert das zielgerichtete Wirken und die Konzentration auf die echten Schwachstellen des Gegners! 8. Entscheid bewusst! Bilde Schwerpunkte und kommuniziere die wesentliche zu erbringende Leistung an das eigene Team Durch das Konzentrieren der Kräfte entsteht zwar ein Risiko, da eigene Flanken offenbleiben. Aber eine überall gleiche Präsenz im Markt erlaubt es nicht, die Auseinandersetzung rechtzeitig in die Tiefe oder Breite der Märkte oder Produktsortimente zu führen. Fehlende Schwerpunkte signalisieren Unsicherheit. Deshalb sind Informationsüberlegenheit und Schnelligkeit entscheidend. Zentral ist die rechtzeitige Aufklärung, die business intelligence, um trotz Schwerpunkbildung Risiken zu begrenzen. Versperr dabei dem Konkurrenten den Expansionspfad und bestimme seinen ihm damit noch möglichen Entwicklungskorridor. Dieses Einengen oder Verlangsamen der Handlungsfähigkeit durch Patentblockaden, durch Übernahme zentraler Lieferanten, Blockieren von Absatzmärkten oder durch Aushöhlen seiner Finanzressourcen soll ihn auf Abwege führen, auf denen er später effizient zerschlagen werden kann. Die Beeinflussung seines kognitiven Umfelds durch Informationsmanipulation ist dabei hilfreich.
Literatur
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9. Such die Besten aus und sei ihnen gegenüber authentisch: Sag, was du denkst; handel, wie du es sagst; sei, wer du bist! Übernimm Verantwortung für das Befohlene bzw. die eigenen Entscheidungen Verantwortung ist unteilbar, der Erfolg hingegen hat viele Väter. Jeder Auftrag muss in seiner Durchführung Handlungsfreiheit ermöglichen. Verantwortung besteht auch darin, den richtigen Beauftragten mit Zielen und Handlungsfreiheiten ausgestattet zu haben. Wenn deine Mitarbeiter scheitern, scheiterst auch du – zeig Empathie, aber auch Führungsstärke, wie es das nächste Mal besser geht. 10. Gib nie auf!
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Das Kriegstheater der Wirtschaft
„Εἰ στρατεύσεις ἐπὶ τοὺς Πέρσας, μεγάλην ἀρχὴν καταλύσεις“ „Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören“ (Weissagung des Orakels von Delphi an KRÖSUS)
In seinem Epos The Rise and the Fall of the Great Powers schreibt Paul Kennedy (1987), dass große Mächte typischerweise vier Phasen durchlaufen: die des Aufstiegs, die der Überdehnung, die der sich anschließenden Erschöpfung, welche den anschließenden Abstieg einleitet. Damit lehnt er sich an Ideen an, die bereits Oswald Spengler (1918, 1922) formuliert hatte und die weiter vorne eingehend betrachtet wurden. Auf der Ebene des Unternehmens entspricht dies dem Konzept des Produktlebenszyklus, der auch räumlich interpretiert werden kann: Innovationen starten in den Agglomerationszentren, und ihre Aktivitäten wandern mit zunehmendem Alter in die Peripherie, um dort schließlich zu sterben (Vernon 1966). An der Grenze ihres Wirtschaftsraums sind Unternehmen besonders anfällig für die Attacken der Konkurrenten; gleiches gilt für die Grenzräume von Staaten. Historisch waren es natürliche Grenzen wie Berge und Seen, die das Staatswesen geographisch prägten, später traten Befestigungen hinzu: die chinesische Mauer, die Festungsmauern des berühmten Sébastien Le Prestre, Seigneur de Vauban (1633–1707), General und Festungsbaumeister von Ludwig XIV. Kostenbarrieren oder Patente im Ökonomischen, schließlich kognitive Grenzen und Ideologie oder Religion. Nie waren sie von Dauer. Tatsächlich sind dies Mauern – analog dem eingangs über die hybriden Elemente der Dominanz gesagten – in einem breiten Kontinuum von konkreten bis hin zu abstrakten Ausprägungen vorstellbar. Viele Konflikte entwickeln sich überraschend aus der Peripherie heraus – oft außerhalb der Mauern; die europäische Finanzkrise belegt das ebenso wie der Nahe Osten oder Russland – ein Beispiel ist die Ostukraine mit der überalterten Montanindustrie; die © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_8
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
seitens Russland unterstützten Abspaltungsversuche binden gleichermaßen militärische, ökonomische und politische Kräfte weltweit. Ein anderes Beispiel ist der Brexit. Das erneute Aufbauen von Grenzen dürfte nach Schätzung von WTO und IWF vor allem in den unmittelbar betroffenen Ländern England und Irland zu Wachstumseinbußen von 4 bis 4 % führen (Börsen-Zeitung 2018e). Damit erhält Rivalität eine räumliche Dimension. Auch Governance–, insbesondere Verwaltungsmechanismen, können Überdehnung erzeugen, beispielsweise der Versuch der Zentralisierung, der bei regional unterschiedlichen Identitäten erhebliche Widerstände erzeugt, oder bei Unternehmen in Bezug auf die Sortimentsbreite oder -tiefe. Das Kriegstheater der Wirtschaft wird in diesem Kapitel in seiner räumlichen, sachlichen und zeitlichen Dimension betrachtet. Dabei werden zunächst die wesentlichen Faktoren der Raumbeherrschung und der Raumabgrenzung verdeutlicht, um aufzuzeigen, dass bestimmte Auslöser – nicht Ursachen – durch Lage und Struktur von Räumen zu erklären sind, beispielsweise die Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen, fehlende Schutzbarrieren gegen Invasoren oder eine isolierte Lage. Damit entsteht möglicherweise eine extreme Anfälligkeit für externe Schocks. Anschließend werden typische Wirtschaftskriegsformen strukturell erklärt, die dann an Beispielen – der globalen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Solarindustrie und den Kampf um Seltene Erden – verdeutlicht werden.
8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen Grenzen sollen abgrenzen, ansonsten wären sie obsolet. Sie definieren Gültigkeitsbereiche für Rechtsverhältnisse, insbesondere Eigentumsverhältnisse, oder Sphären der Machtausübung – personal, gesellschaftlich, national. Grenzen gewährleisten Entwicklung, indem sie vor externer Aggression abschirmen, erzeugen aber auch Konflikte wegen Grenzüberschreitungen und Entgrenzung – zwischen Kulturen, Klassen, Rassen und Ethnien. Sie können hart sein wie der Eiserne Vorhang oder weich – im letztgenannten Fall ein Übergangskontinuum darstellen, wie es in Staatenbünden entlang aller Grenzen oft der Fall ist. Häufig betreffen sie Ideologien oder Geisteshaltungen – wo liegt die Grenze des Wettbewerbs, wo die der Vernunft, wie lässt sich – im Sinne der philosophischen Ausführungen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel im fünften Kapitel – etwas identifizieren oder gar definieren ohne Abgrenzung? Oft werden Grenzen politisch oder wirtschaftlich geschaffen, gelegentlich aber auch von den naturräumlichen Bedingungen vorgegeben. Verhaltenspsychologen wie die Nobelpreisträger Konrad Lorenz oder Nikolaas Tinbergen (1907–1988) postulieren, dass das Bedürfnis nach Grenzen, also nach Territorialität, anthropologisch verwurzelt sei.1
1Nikolaas
Tinbergen sah hier enge Verbindungen von Mensch und Tier. Seine Antrittsvorlesung in Oxford im Jahr 1966 lautete On War and Peace in Animals and Man (1968).
8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen
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Eine derartige Sicht auf den Raum und die Zwänge, die er durch natürliche Grenzen für die Entwicklung von Gesellschaften bedeutet, wird von Tim Marshall (2015) in seinem Buch Prisoners of Geography, anhand von zehn Großräumen gezeigt. Rivalität zwischen Nachbarn wird durch die Macht der Geographie, so der deutsche Titel, dann sichtbar, wenn naturräumliche Grenzen, beispielsweise Gebirge oder Meere, sie behindern. Die historische Rivalität in Europa konnte so friktionsarm wirksam werden. Tatsächlich besitzt sie dennoch eine innere Entwicklungsgrenze, die sogenannte Hajnal-Linie, genannt nach dem John Hajnal (1924–2008), der dies in seinem Buch European Marriage Pattern in Historical Perspektive (1965) aufzeigte. Sie verläuft von St. Petersburg nach Triest und teilt den Kontinent in einen westlichen, katholisch und später auch protestantischen Teil, in dem im Vergleich zum Osten später geheiratet oder gar nicht geheiratet wird, in dem Witwen selten erneut eine Ehe eingehen und auch der Altersabstand zwischen den Paaren größer ist, Das begrenzte das Bevölkerungswachstum. Geostrategisch bedeutsam sind geographische Lagen dann, wenn sie nachhaltige Vorteile bringen – die Insellage Englands, die Einzigartigkeit der Positionierung Nordamerikas, aber auch die Probleme des kontinentalen Deutschlands und Chinas, die leicht von den Weltmeeren abgeschnitten werden können – und wurden, wie der Fall des deutschen Reichs 1915 zeigt. Genau in dieser Bedrohungslage lebt China gegenwärtig (Economist 2019f). Die geographische Lage bedingt auch Klima- und Wettbedingungen: Regionen mit mehreren Ernten haben einen anderen Sinn für Vorratshaltung und Sparen als solche, die durch harte Winter oft nur auf eine Ernte beschränkt sind. Das trennt den Norden vom Süden Europas entlang der Alpen. Schließlich spielen auch Bedingungen wie Vulkanismus, Erdbeben eine Rolle, wobei diese teilweise globale Auswirkungen haben. In Fatum führt Kyle Harper (2020) aus, wie durch Vulkanismus die Blütezeit Roms zwischen 200 v.Chr. und 150 n.Chr. zu Ende geht; Kälte, Missernten und Seuchen dezimieren die Bevölkerung, lösten möglicherweise die Völkerwanderungen aus. Seuchen wurden pandemisch, wenn Inkubationszeiten langsamer als Transportzeiten waren (Gerste 2020). Die Kälteeinbrüche infolge von Eruptionen der Vulkane Hekla und Askja in Island in den Jahren 536, 540 und 547 (Loveluck et al. 2018) oder die kleine Eiszeit vom 15. Jahrhundert bis zum Beginn der Industrialisierung (Koch et al. 2018) folgten.2 Die Französische Revolution kann mit den Eruptionen entlang der Laki-Kette auf Island
2Diese
kleine Eiszeit wird mit der Vernichtung von rund 90 % der indigenen Bevölkerung Mittelamerikas durch die Kolonialisierung in Verbindung gebracht, weil eine Ackerfläche von der Größe Frankreichs wieder zu Urwald wurde. Die dabei der Atmosphäre entzogenen 7 Mrd. t CO2 lassen sich leicht nachvollziehen: Unterstellt man einen Holzuwachs unter tropischen Bedingungen von nur 5 t pro Hektar, also rund die Hälfte des europäischen Durchschnitts, nimmt man an, dass eine Tonne Holz rund 500 kg Kohlenstoff enthält und damit rund 1,5 t CO2 abbaut (der Sauerstoff verbleibt in der Atmosphäre), und nimmt man die Fläche von Frankreich von 56 Mio. Hektar, dann sind dazu knapp 17 Jahre nötig (56 × 5 × 7,5 × 16,7 = 7000).
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
und der folgenden Missernte in Verbindung gebracht werden. Der Ausbruch des Vulkans Tambora im Jahr 1815, über den bereits im zweiten Kapitel berichtet wurde, war möglicherweise bereits für Napoleon kriegsentscheidend infolge der für ihn verheerenden Wetterlage anlässlich der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815; er beförderte in jedem Fall massive Auswanderungen aus Europa und erzwang politische Reformen. Diese räumliche Sicht findet sich bei Carl von Clausewitz (1832, S. 255) in der Definition des Kriegstheaters, die damit die US-Militärdoktrin stark geprägt hat. „Eigentlich denkt man sich darunter einen solchen Teil des ganzen Kriegsraumes, der gedeckte Seiten und dadurch eine gewisse Selbständigkeit hat. Diese Deckung kann in Festungen liegen, in großen Hindernissen der Gegend, auch in einer beträchtlichen Entfernung von dem übrigen Kriegsraum. – Ein solcher Teil ist kein bloßes Stück des Ganzen, sondern selbst ein kleines Ganze, welcher dadurch mehr oder weniger in dem Fall ist, daß die Veränderungen, welche sich auf dem übrigen Kriegsraum zutragen, keinen unmittelbaren, sondern nur einen mittelbaren Einfluß auf ihn haben.“ In der ökonomischen Sprache wird diese Unabhängigkeit des Handelns mit dem Konzept der Substitutionslücke erfasst. Diesem folgend sind zwei Märkte dann sachlich, räumlich oder zeitlich zu trennen, wenn bei Veränderungen von Preisen, Mengen oder Qualitäten der Güter in einem Markt die entsprechenden Güter im anderen Markt nicht beeinflusst werden. In diesem Abschnitt wird der räumliche Aspekt der Märkte betont und an einem historischen Beispiel verdeutlicht. Das Raumkonzept lässt sich auch auf Produkträume oder Zeiträume uneingeschränkt übertragen, wie die späteren Abschnitte und die Folgekapitel zeigen. Darüber hinaus sind auch intersubjektive Netzwerke als kognitive Entitäten durchaus Räume, allerdings besitzt das Abgrenzungsproblem in dieser virtuellen Welt eine neue Komplexität – es ist (noch) ein Dschungel, wie für Menschen in grauen Vorzeiten.
8.1.1 Relevanz von Lage und Standort aus ökonomischer Sicht Die Eskalationsdynamik des Wirtschaftskriegs macht es wahrscheinlich, dass Räume – ob geographische Räume, Produkträume oder gar Zeiträume – in Breite und Tiefe durchdrungen werden. Die damit verbundenen Mechanismen sind in den Standorttheorien, der Raumwirtschaftslehre bzw. Regionalökonomik (Weber 1909; Christaller 1933; Lösch 1948) und der Neuen Ökonomischen Geographie (Krugman 1987, 1991, 1993; Lammers und Stiller 2000) entwickelt worden. Verkürzt ausgedrückt: Verbrannte Erde lässt sich nicht nur in einer Landschaft, sondern auch in einem Produktsortiment oder in der Erinnerung der Konsumenten infolge der Beschädigung einer Marke hinterlassen. Im Militärischen kann dieses Kriegstheater auch als Sicherheitsnetzwerk eines Lands oder eines begrenzten Schlachtfelds gesehen werden, das sich durch die Beziehungen zu Verbündeten, Feinden und potentiellen Feinden konstituiert. Dieses security web (Rosh 1988) stellt eine wesentliche Bestimmungsgröße der strategischen Analyse dar und kann auf die später vorgestellte ökonomische Definition des relevanten Markts übertragen werden.
8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen
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Damit kann sich die Analyse von ökonomischer Rivalität dieser Theorien bedienen, die grundsätzlich die Bedeutung von Ressourcen, Verkehrswegen, Bevölkerungsdichte (Mischung und Ballung und damit auch die Vorteile städtischer Agglomerationen) und schließlich auch von Klimazonen betonen. Je nachdem, welche Mischung der Faktoren bevorzugt wird, ergeben sich verschiedene Standorttheorien. Sie unterscheiden sich auch in der Art der Wettbewerbsaufstellung: welche Bedeutung die Technologie des Angebots oder die Präferenzen der Nachfrager haben und welcher Einfluss der Politik zukommt, die entsprechenden Standortfaktoren zu gestalten. In der Tradition von Friedrich List (1841) den standortprägenden Strategien des Staats im Sinne einer Aufbaupolitik eine wesentliche Bedeutung zu. Standorte haben eine regionale Bedeutung, sie strahlen auf ökonomische Räume aus. Diese kontrollieren sie, in diesen findet ein Teil des Wettbewerbs statt. Die Subsistenz der Wirtschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass alle „von der Hand in den Mund“ leben, sie also keinerlei Vorräte bilden können, um eine Zeitreserve aufzubauen, die es erlaubt, Kapital zu bilden und dann in der folgenden Produktionsperiode durch erhöhte Effizienz wirtschaftliches Wachstum auszulösen. Eine Gesellschaft muss Kapital aufbauen, will sie der Subsistenzwirtschaft entkommen. Das ist eine Frage der Organisation und der Allokation von Ressourcen, die allerdings stark vom geographischen und klimatischen Umfeld begünstigt oder unter Druck gesetzt werden kann – Europa war hier, wie bereits anfangs gezeigt wurde, historisch begünstigt. Erst die Organisation des Territoriums mittels Personal, Mitteln und Zeit und die damit ermöglichte Urbanisierung brachte durch die damit verbundenen Agglomerationsvorteile Hochkulturen hervor, die deshalb – ganz im Sinne der Moderne – schnell ihren Rohstoffhunger an Vieh, landwirtschaftlichen Böden und Rohstoffen zeigten, weshalb die Rohstoffversorgung zu den wesentlichen Fähigkeiten in einem Wirtschaftskrieg zählt.3 Für die Abgrenzung von Räumen ist deren Erreichbarkeit wichtig, die in der Sprache von Carl von Clausewitz von Friktionen behindert wird. Diese werden mittels Transporttechnologien überwunden. Da nicht alle Güter physisch sind, spielen auch Informationstechnologien eine gewichtige Rolle. Gleichermaßen kann Sprache eine Barriere darstellen. Bei begrenzter Transportfähigkeit und einem lokalisierten Angebot bzw. einer lokalisierten Nachfrage ist entscheiden, wer die Verlegung im Raum übernimmt. So zieht üblicherweise ein Schauspielhaus seine Kunden an. Unternehmen wiederum sind gleichermaßen Punkte des konzentrierten Bedarfs an Dienstleistungen wie deren Produzenten. Jagdish Bhagwati (1987) schlägt folgendes Ordnungssystem für die Mobilität von Anbietern bzw. von Nutzern nach Maßgabe von Technologie und physischer Nähe vor:
3Im Spiegel Spezial (5/2006) wird dieser Aspekt in historischer Dimension vertieft. So wird berichtet, dass der ägyptische König Sechemchet vor 4600 Jahren ein Heer anführte, um den Sinai in seine Gewalt zu bekommen. Weder die Eroberung des Lands noch die Unterwerfung der dort heimischen Völker war sein Ziel. Dem Pharao ging es allein um das Kupfererz, das reichlich auf der Halbinsel zu finden war.
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
1. Ist die physische Nähe zentral, dann folgen daraus Dienste auf kurze Entfernung. Mit Direktinvestitionen versuchen mobile Anbieter, den Markt für immobile Nutzer zu organisieren. Die meisten Kultur- und Bildungseinrichtungen sammeln wiederum mobile Nutzer um sich. Herrscht Immobilität auf beiden Seiten, dann existieren nur extrem kleine örtliche Märkte – wie typischerweise bei Immobilien. 2. Ist die physische Nähe nicht zentral, dann folgen daraus Dienste auf weite Entfernung. Sie gewinnen weltwirtschaftlich eine immer größere Bedeutung infolge des Verfalls der Transportkosten und der neuen Kommunikations- und Informationstechnologien. Aus Sicht der modernen Wirtschaftsgeographie lässt sich Nähe mit einer Vielzahl von Attributen – formal: Metriken – verbinden. Neben der geographischen Abstandsmetrik kann für wirtschaftliche Aktivitäten der (Reise-) Zeitabstand, der Abstand in Bezug auf Technologien, auf die Forschung oder auf Ausbildung und Kompetenzen des Personals von Bedeutung sein, die insbesondere, wie Philipp Marek, Mirko Titze, M., Clemens Fuhrmeister und Ulrich Blum (2016) in R&D Collaboration and the Role of Proximity ausführen. Daraus konstituieren sich Cluster, die Regionen wirtschaftliche Stabilität verleihen – auch gegen wirtschaftskriegerische Attacken, weil es symbiotische Stabilisatoren gibt. Die moderne Theorie unterscheidet zwischen vertikalen, horizontalen und lateralen Clustern und Non-Cluster-Industrien (Blum 2008, 2013c). 1. Vertikale Cluster sind systemisch durch einen Führungskopf, oft eine große Unternehmung, organisiert und liefern diesem zu. Infolge der Leistungsinterdependenz ist das Technologie- und Innovationsverhalten auf die Anforderungen der Systemspitze ausgerichtet. 2. Horizontale Cluster beruhen auf einer gemeinsamen, meist regional verorteten Technologie und sind der Kern des Erfolgs und der Stabilität mittelständischer Unternehmen, fußen häufig auf verwendungsoffene Technologie, weshalb die Konkurrenz meist die Arbeitskräfte und weniger den Absatz betrifft – das reduziert die Verwundbarkeit. 3. Laterale Cluster entstehen aus regional zunächst weitgehend heterogenen Unternehmen. Diese haben sich meist aus Gründen angesiedelt, die nicht in einer gemeinsamen Technologie oder industriellen Tradition liegen, sondern der Arbeitskräfteverfügbarkeit, der Verkehrsanbindung, einer kriegsbedingten Dislozierung oder schlicht der Heimat des ursprünglichen Gründers geschuldet sind. Sie werden durch eine überspannende verwendungsoffene Technologie –oft durch öffentliche Förderung angeregt – ertüchtigt. 4. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Non-Cluster-Industrien, beispielsweise Pressspanwerke, Laminatbodenwerke, Zellulosewerke, auch Teile extraktiver Industrien. Oft handelt es sich um verlängerte Werkbänke. Das Headquarter liegt meist in einer Metropole, wo das Interesse für regionale Entwicklungsprobleme eher gering ist.
8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen
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Damit sind derartige Non-Cluster-Industrien oft gegenüber wirtschaftskriegerischen Angriffen extrem empfindlich. Durch einen militärischen Krieg wird bisher Lokales unmittelbar dem unbeschränkten Test der Rivalität unterzogen. Darin sind die Fähigkeiten, die Bereitschaften, der Wille, also aus ökonomischer Sicht das Organisationskapital, das Human-, Sach- und Sozialkapital integriert. Analoges gilt für den Wirtschaftskrieg, der infolge der Integration der Wirtschaft praktisch kaum Platz für rein lokale Nischen belässt. So betrifft ein Währungskrieg selbst den letzten Brötchenbäcker. Stabilität liegt in der Dichte der Abwehrstruktur begründet, und hier sind vor allem horizontale und laterale Cluster durch ihre intensive Vernetzung sehr robust. In der Tat hat sich der clusterbasierte und global tätige deutsch industrielle Mittelstand bisher sowohl in der Finanzkrise wie auch in der verschärften Wettbewerbsintensität gut geschlagen. Betrachtet man die Dynamik der Globalisierung, dann scheint eine Abgrenzung vernünftig, die vor allem die Internationalisierung und damit die möglichen Territorien und Grenzen berücksichtigt und vor allem durch die sie treibenden Handlungsträger bestimmt ist: 1. Konkurrenz der Unternehmen: Diese minimale Interaktionsvariante brachte bereits kulturelle und technologische Berührungen, die den Fortschritt beschleunigten und auch eine Wanderung von Menschen, gelegentlich auch von Kapital, zwischen Regionen auslöste. In der Regel brauchte man, wenn sich diese Kontakte bis in entferntere Gebiete erstreckten, auch entsprechende Sprachkenntnisse, um das eigene Wissen vor Ort in einem neuen Umfeld umsetzen zu können. Hier war besonders das im Menschen innewohnende Wissen (embodied knowledge) wegbereitend; später, mit verstärkter Kodifizierung dieses Wissens, trat das entkörperte Wissen (disembodied knowledge) hinzu. Das Geldsystem war hier in seiner Integrationskraft besonders erfolgreich. Schließlich entstand auch eine Wanderung von intellektuellem Eigentum, also Rechten wie Patenten, Marken oder Warenzeichen. Diese Integrationseffekte führten letztendlich auch zur Übernahme von kulturell geprägten Verhaltensroutinen, beispielsweise Erwerbssinn, Kaufmannsethos, einschließlich der entsprechenden diese absichernden Institutionen. Schließlich findet in diesem globalen System Wettbewerb auf einer einheitlichen Ebene statt, einem level playing field. Die Welt ist flach nannte Thomas Friedman (2004) sein Buch. 2. Konkurrenz der Staaten: Mit Beginn der weltweiten Durchdringung der Wirtschaft formierte sich auch die Internationalisierung der Imperien und Staaten; Griechenland gegen Persien (6. und 5. Jahrhundert v. Chr.) oder Rom gegen Karthago (Punische Kriege, 264–146 v. Chr.) sind Beispiele aus dem Altertum, solche aus dem Zeitalter der Nationalstaaten und damit des Kolonialismus und des Imperialismus sind die Krisen, die mit der Aufteilung Afrikas (Faschoda-Krise 1898), des Nahen Ostens (geheimes
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
Sykes-Picot-Abkommen 1916) oder der Unabhängigkeit Britisch-Indiens (1947) verbunden sind. Die militärische Aufgabe bestand nun darin, nicht allein Märkte um des nationalen Wohlstands willen, also im wirtschaftlichen Interesse, offenzuhalten; sie war auch die Voraussetzung für die politisch-imperiale Gestaltung. Hegemonialinteressen formierten sich ebenso wie das Denken in Interessenszonen (beispielsweise die Monroe-Doktrin den USA oder die Breschnew-Doktrin in der ehemaligen UdSSR).4 3. Konkurrenz der Individuen: Sie ist neu und ein Kind der Globalisierung, die es ermöglicht, Aktivitäten in einem nie dagewesenen Maße weltweit zu dezentralisieren und damit nach ökonomischen Effizienzkriterien räumlich zu verteilen, da Informationsaustausch, -speicherung und -verarbeitung annähernd kostenlos sind. Die Macht des Staats verfällt in dem Maße, wie Bürger abwandern können – persönlich, intellektuell und steuerlich. Schließlich gelingt es nur noch, Menschen in dem Maße zur Finanzierung des Gemeinwesens beizuziehen, das der Standortrente entspricht, die der Staat durch gute Institutionen erzeugt. Dies wird in der Raumtheorie von Charles Tiebout (1956) behandelt, der zufolge sich einzelne Raumeinheiten strategisch so aufstellen, dass sie mit unterschiedlichen Mischungen aus Besteuerung und öffentlicher Leistung im unvollkommenen Wettbewerb stehen. Die Bürger können dann ihren Standort entsprechend ihrer Präferenzen wählen. Albert Hirschman (1970) ergänzt dies durch sein Konzept von Exit, Voice and Loyalty: Unzufriedenheit löst sich dadurch, dass entweder Widerspruch erfolgt mit der Folge einer Änderung der Bedingungen, oder Unzufriedene abwandern. Teil der Globalisierung ist auch der Verlust an Identität, wie dies Ulrich Greiner in einem Beitrag Das Eigene und das Fremde (2017) ausführt, die Inländer werden heimatlos angesichts von zunehmender kultureller Diversität durch Migration, welche die geistesgeschichtlichen Grundlagen der europäischen Moderne, also das Individuum und das Liberale herausfordert wie dies im dritten Kapitel ausgeführt wurde (Siedentop 2015). Werner Plumpe (2017b) verweist in seinem Beitrag Die Globalisierung – eine umkehrbare Geschichte? auf die geschichtliche Erkenntnis, dass Isolation immer zu Wohlstandseinbußen führte – gerade der Abstieg Chinas zu Beginn der europäischen Neuzeit mache das deutlich. Oft riefen die Spezialisierungserfolge Neider auf den Plan – die Konflikte Englands mit den Niederlanden im 17. Jahrhundert, die dann die
4Die
vom amerikanischen Präsidenten James Monroe (1758–1831) im Jahr 1823 proklamierte Monroe-Doktrin fordert „Amerika den Amerikanern“ und damit für die Amerikaner das Recht, ihre Angelegenheiten ohne auswärtige Intervention zu regeln. Vor allem sollten die europäischen Mächte abgeschreckt werden, Südamerika zu rekolonialisieren. Der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew (1906–1982) proklamierte im Jahr 1968 im Nachgang des Prager Frühlings die Breschnew-Doktrin; sie beinhaltete die beschränkte Souveränität der sozialistischen Staaten des Ostens.
8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen
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erzielten Erfolge zunichte gemacht haben, sind ein sehr gutes Beispiel dafür.5 Auf diese Problematik verwies im zweiten Kapitel die Dominanzerwartungstheorie.
8.1.2 Raumbeherrschung durch Technologie: Von der Einigung Frankreichs zur Neuen Seidenstraße Im 15. Jahrhundert legten die französischen Könige innerhalb von kurzer Zeit die Grundlagen für den französischen Zentralstaat, der bis zur Französischen Revolution andauerte – sie tatsächlich sogar bis heute überdauerte. Die Historiker erklären das mit dem Ausbau des Handels, der einen Druck aufbaute, größere politische Einheiten zu gestalten. In Konsequenz wird die zunehmende wirtschaftliche Integration eines Lands auf einen verstärkten Handelsaustausch zurückgeführt. Tatsächlich widerlegen dies aber die Fakten. Welche Macht sollte lokale Machthaber daran hindern, Transporte zu überfallen? Wie sollte die Infanterie aus den regionalen Machtzentren den Handel schützen, wenn die Bedeutung der Fußtruppen abnahm? Waren nicht die berittenen Bogenschützen die wesentlichste technologische Errungenschaft des 14. Jahrhunderts? Tatsächlich war es eine verbesserte Militärtechnologie, die die Eroberung und Kontrolle von Gebieten preiswerter gestaltete und zum Sinken räumlicher Transaktionskosten, also territorialer Kontrollkosten, führte. Es entspricht der Argumentation von Douglass C. North (1981, S. 66), dass die Feudalherren durch die Veränderungen der Militärtechnologie überflüssig wurden, sich die optimale Größe von Staaten erhöhte und radikale Umwälzungen bei Eigentumsrechten mit sich brachten. Ulrich Blum und Leonard Dudley (1989) zeigen, dass neue Militärtechnologien wie die metallurgische Gusstechnologie als general purpose technology (GPT; Bresnahan und Trajtenberg 1995, Helpman 1998) eine Zunahme entsprechender Skalenökonomien auslösten. Sie erlaubten die territoriale Ausweitung des Lands und halfen, den französischen Zentralstaat zu begründen. Der technische Prozess des Gießens von Kanonenkugeln wurde möglich, weil es gelang, die Schmelztemperatur durch Beigabe von Kohlenstoff zu senken, wodurch die Gussformen stabil blieben. Die neuen Metallkugeln wurden als Projektile um das Jahr 1430 in Frankreich eingeführt, erstmalig in einer Feldschlacht des Jahres 1431 vom Herzog von Burgund eingesetzt und spielten schließlich bei der Belagerung von Gent (1418) eine bedeutende Rolle. Das Herstellen von steinernen Kugeln war vordem sehr teuer und produktionstechnisch kaum zu rationalisieren. Die Passung im Kanonenlauf war unzureichend und begrenzte nicht nur die Energieausbeute des Pulvers und damit die Reichweite und
5Wenigen
ist heute bekannt, wie stark England und die Niederlande im 17. Jahrhundert um die Vorherrschaft auf den Weltmeeren gerungen haben. So gelang es den Holländern, im Jahr 1667 unter ihrem genialen Admiral Michiel de Ruyter, auf der Themse bis nach London vorzudringen („sog. Medwey-Überfall“) und England vernichtend zu schlagen. Auch die beiden Revanche-Versuche von 1672 und 1673 konnten sie erfolgreich abwehren.
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
inschlagstärke (tatsächlich lag die Schussweite bei nur etwa 100 m), sie erhöhte auch E den Verschleiß im Kanonenrohr. Sie stellte folglich keine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Katapult dar, auch im Hinblick auf die Feuergeschwindigkeit. Zudem waren bei der Entfernung auch die Pfeile der Bogenschützen zu überwinden, was die Bedienermannschaften einer erheblichen Gefahr aussetzte. Außerdem war der Transport der Kanonen, des Pulvers und der Projektile mühsam. Daher stellt die Technologiehypothese eine wichtige Alternative zu anderen Überlegungen, vor allem zur Kommerzialisierungsthese dar, und die Gusstechnologie wird zum glaubhaften Auslöser, um mittels der Kanonenkugel ein bisher dezentrales System in kurzer Zeit unter einheitliche Führung zu stellen. Tatsächlich entmachtete Karl VII. im Jahr 1439 mithilfe der Generalstände die französische Nobilität, verbot private Armeen und die Besteuerung der Landbauern durch den örtlichen Adel. Der sich anschließende Aufstand wurde niedergeschlagen und ein zentralistisches Steuersystem eingeführt. Diese Hypothese stützt auch die geostrategische Einschätzung der Bedeutung wichtiger Technologien – ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der Eisenbahn und damit verbunden großer Infrastrukturinvestitionen: Deutschland interessierte sich folglich für die wirtschaftliche Integration des Osmanischen Reichs, einem Bündnispartner (Blum 2019a; Lü 2019). Die Verlängerung der Bahnstrecken von Istanbul in Richtung Ankara und nach Bagdad war somit eine logische Folge; für England war dies eine Bedrohung, suchte es doch den Zugriff auf Erdölquellen, weshalb es sich in Kuwait festsetzte. Eine ganz ähnliche Ambiguität besitzt die Seidenstraßeninitiative der chinesischen Regierung, die in der Abb. 8.1 gezeigt ist:6 Vor allem den terrestrischen Zweig – ebenfalls auf Bahnkorridoren aufbauend – sieht sie als Integrationskanal für den eigenen unterentwickelten Westen mit den Märkten bis hin nach Europa. Dabei stehen drei Aspekte im Vordergrund (Lukas 2019): das Vernetzen Chinas mit seinen westlichen Wirtschaftsräumen bis hin nach Europa; die ökonomische und damit auch politische Stabilisierung von Chinas direkten westlichen Anrainerstaaten; das Sichern und Decken des Ressourcenbedarfs. Viele Nachbarn halten die Aktivitäten als für einen neokolonialistischen Akt, weshalb beispielsweise die EU-Botschafter im Frühjahr 2018 der chinesischen Regierung ein Memorandum übergeben haben. In diesem kritisieren sie das wenig partnerschaftliche Verhalten Chinas bei Planung und Durchführung (Böge und Kafsack 2018). Sie unterstellen eine starke ideologische Mission und den Aufbau eines Handelsraums nach chinesischen Regeln, um die WTO abzulösen, zumal sich die USA zunehmend aus den internationalen Vertragsstrukturen zurückziehen. Auch dürften die USA den Schwerpunkt Teheran bei der terrestrischen Seidenstraße missbilligen – der Bündnispartner Saudi-Arabien wird umbzw. übergangen. Vergessen wird dabei, dass die USA unter Barack Obama China aus handelspolitischen Gründen bewusst dem Pazifischen Handelsabkommen TPP (Trans Pacific Partnership) fernhalten wollten und dass die geostrategische Position Chinas
6Seidenstraße
ist ein Begriff, den im Jahr 1877 der deutsche Geographe Ferdinand von Richthofen (1833–1905) in seinem Buch Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien (1877, S. 460–503) prägte. Mit ihm beschrieb er die antiken Handelswege von Xi‘an (China) über Zentralasien bis zum Mittelmeer.
8.1 Lage und Abgrenzung von Räumen
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Moskau Duisburg
Brest Almaty
Venedig
Dostyl
Istanbul Athen
Peking Urumqi
Teheran
Xi‘an Chongqing
Gwadar Kalkua
Shanghai
Wuhan Kunming Qinzhou
Landweg Seeweg Schienenweg Pipeline
Nairobi
Hambantota
Jakarta
© Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Blum 2019
Abb. 8.1 Die Korridore der Neuen Seidenstraße („OBOR – One Belt, One Road“). (Quelle: eigene Darstellung)
heute stark der des Deutschen Reichs vor 100 Jahren entspricht: Die maritimen Handelswege sind leicht abzuschneiden. Auch die mit der Seidenstraßeninitiative einhergehende Gründung der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) als finanzielles Vehikel ähnelt durchaus dem US-amerikanischen Ansatz nach dem Zweiten Weltkrieg, durch neue Institutionen, insbesondere dem European Recovery Program, landläufig bekannt als Marshall-Plan, das zerstörte Europa wieder aufzubauen. Bereits heute sind erste Zeichen einer Überdehnung unübersehbar; praktisch alle Staaten entlang der Seidenstraße haben nationale Staatsschuldenquoten von nahe 100 %. Insbesondere Sri-Lanka hat sich enorme Schulden aufgeladen, um seine Infrastruktur, insbesondere Häfen zu erneuern, ebenso Pakistan, das als Meereszugang für Westchina eine bedeutende Rolle spielt. Auch ist nicht wirklich klar, wie fit die westchinesischen Regionen wirklich sind, diese Chancen zu nutzen (Blum et al. 2019) und welche gegenläufigen Handelsströme – außer solchen aus dem entfernten Europa – die geplanten Transportkapazitäten auslasten werden. Es wird also abzuwarten sein, wie sich in dem neuen Handelssystem eine harmonische Balance einstellen wird. Abzuwarten bleibt schließlich, wie China die immer wieder postulierte ökonomische Offenheit mit dem strategischen Handeln seiner staatlichen Unternehmen und dem Versuch, das Kommunikationssystem gegen Einflüsse von außen abzusperren, in Einklang bringen wird. In die Problematik einzubeziehen ist immer der enorme Druck, dem China bei seiner Entwicklung unterliegt. Weit über die Hälfte der Bevölkerung leben unterhalb des europäischen Wohlstandsniveaus, oft als arme Bauern oder Wanderarbeiter. Greifen die Rationalisierungsanstrengungen in der Landwirtschaft, die Digitalisierung der Industrie und die Anstrengungen bei künstlicher Intelligenz, dann geraten rund
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
600 Mio. Menschen unter Druck, wenn sie nicht in technologisch anspruchsvollen Berufen angekommen sind – es ist ein Wettrennen gegen die Zeit, nicht in eine digitale Malthusianische Falle und damit in eine tiefe Krise zu geraten. Aus geoökonomischer Sicht ist im Kontext der maritimen Seidenstraße der Wirtschaftsraum China – Südkorea – Japan von besonderem Interesse, und China hat hier Kooperationswillen gegenüber den beiden Nachbarn signalisiert, sie in die Initiative grundlegend einzubinden. Die drei Länder bestreiten einen Großteil der globalen Produktion von LCD-Bildschirmen, Arbeitsspeicherchips oder Elektroakkus und kontrollieren über ihre Schifffahrt erhebliche Teile der Transportwege.
8.2 Die räumliche Dimension von Rivalität und Kooperation Die ökonomische Theorie bietet eine Vielzahl von Konzepten, wie Raum auf Markt- und Wettbewerbslagen wirkt. Im Zusammenhang mit Zeiträumen und Güterräumen eröffnen sich ausgesprochen innovative Konstellationen für Wettbewerbsregime, die insbesondere – im Sinne des Führungsprozesses – als Einsatz im Güter-Raum-Zeit-Kontinuum dargestellt werden können. Dieser Abschnitt widmet sich zunächst dem Raum als mentales Konzept, um dann auf die Bedeutung der Abgrenzung als Schranke zwischen Kooperation und Rivalität und die evolutorische Dynamik einzugehen. Schließlich wird geklärt, was einen relevanten Markt in der ökonomischen Theorie charakterisiert.
8.2.1 Mentale Karten und wirtschaftliche Raumtypisierung Der militärische Krieg nimmt unmittelbaren Bezug auf die Raum-Zeit-MittelInformationskoordination im Tetragon der Führung. Dieses Kapitel befasst sich mit der Darstellung der Relevanz des geographischen Raums in der Ökonomik und mit den damit verbundenen räumlichen Wettbewerbskonzepten hinaus auch mit anderen Räumen, beispielsweise Güter- bzw. Produkträumen oder Zeiträumen, und überträgt militärische Erkenntnisse auf den Wirtschaftskrieg. Hier ist das Konzept der mentalen bzw. kognitiven Karten (mental maps) von besonderer Bedeutung. Es drückt aus der Sicht einer Person, gelegentlich auch einer Gruppe, die Eindrücke aus, die von einem Gebiet der Interaktion – hier der wirtschaftlichen Interaktion – ausgehen. Üblicherweise werden damit Präferenzen erfasst und über Abstandsmaße vergleichbar gemacht. So kann man beispielsweise Personen nach ihrer Neigung, den öffentlichen Verkehr zu nutzen, befragen, die Bedienungsqualität einschätzen lassen und schließlich, in einem Objektivierungsschritt, die Haltestationen in einer Karte eintragen lassen bzw. deren Entfernung zum Bezugspunkt – Wohnung oder Arbeitsplatz – einschätzen lassen. Das Konzept geht weitgehend auf Kevin Lynch (1960) zurück, der Versuchsgruppen darum bat, die wesentlichen Punkte einer Stadt zu zeichnen und dies in seinem Werk über The Image of a City ausführte. Diese Methode ist auch sehr gut in der Lage, Erfahrungen abzugreifen, die Menschen in einer konkreten Umgebung gemacht haben. Offenkundig
8.2 Die räumliche Dimension von Rivalität und Kooperation
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sind Gütermärkte in ihrem räumlichen, sachlichen und zeitlichen Kontext sehr geeignet, entsprechende Landschaften zu schaffen und dann auf ihre Bestreitbarkeit zu prüfen. Will man komplexe Operationen verdeutlichen, dann bietet es sich an, diese in mental maps einzuzeichnen, die dann nicht nur geographische Räume, sondern Produkteigenschaften enthalten können, beispielsweise den Grad der Qualitätsdifferenzierung. Im Sinne eines mehrdimensionalen Raumkonzepts (Greenhut et al. 1987) lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Rivalität auf unterschiedlichen Ebenen modellieren: So sind Güterräume durch Sortimentsbreite und -tiefe charakterisiert, die wiederum das Wettbewerbsregime festlegen. Diese Güterräume, mit geographischen Räumen kombiniert, umfassen hochkomplexe Gebilde, beispielsweise das hochdifferenzierte fränkische Bierangebot infolge seiner Vielzahl lokaler Brauereien und seiner Gaststättenkultur. Ergänzt man dies um eine dritte, die zeitliche Dimension, so lassen sich Veränderungen der Konsumgewohnheiten im Jahresablauf einbeziehen. Das hätte wiederum Folgen für die Konkurrenzbeziehungen, auf die auch bestimmte regionale Feiern einwirken, die für den Bierkonsum bedeutsam sind, beispielsweise Kirchweihfeste, aber auch entsprechende Einschränkungen wie Sperrstunden, die dann wie eine Kollusion wirken. Daraus lässt sich eine strategische Aufstellung zeichnen, die es einem Angreifer gestattet, deutlich zu entscheiden, wo, wann und mit welchen Mitteln er den konzentrierten Schlag für den Markteintritt durchführen soll. Die Beherrschung geographischer Räume war häufig mit Konflikten verbunden; ob der Zugang zum Meer, die Nutzung von Wasserstraßen, die natürlichen Ressourcen – die Gründe für Rivalität traten immer in einer politisch-wirtschaftlich-militärischen Verquickung auf. Das Denken in Wirtschaftsräumen war demzufolge eng verknüpft mit Fragen des Wachstums, der Expansion der Bevölkerung, dem Zugang zu Ressourcen und Technologien – den bekannten Fähigkeiten aus dem sechsten Kapitel – und damit auch der Innovationsintensität als wichtigem Element des ökonomischen Angriffs. Der Reichtum von Regionen, die Steuern, die man aus diesen ziehen kann ebenso wie die Möglichkeit, durch ein einheitliches Geld Räume als Währungsraum zu beherrschen, stellt eine wichtige Attraktivität für die geographisch-ökonomische Herrschaftsausübung und damit die Rivalität dar. Auch heute ist diese räumliche Rivalität relevant und zeigt sich oft in massiven Divergenzen in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, die Konflikte erzeugen. Eine mögliche Charakterisierung zeigt die Abb. 8.2. Sie unterscheidet frühindustrialisierte, spätindustrialisierte, Schwellen- und Transformationsländer. Frühindustrialisierte Länder weisen in der Regel eine differenzierte Wirtschaftsstruktur auf, sie kontrollieren viele Markennamen und andere Schutzrechte wie Patente, ihr Finanzsektor ist hochentwickelt und ihr Innovationssystem ist in der Lage, stets weltmarktfähige Produkte bereitzustellen. Insbesondere verfügen sie über einen breit- und tiefgestaffelten Mittelstand – also über viele Sektoren mit unterschiedlichen Betriebsgrößen. Spätindustrialisierte Länder, vor allem die entlang der europäischen Peripherie, haben ihre Industrie häufig aus verlängerten Werkbänken oder Unternehmen aus Staatsbesitz entwickelt und weisen damit wenig mittelständische Strukturen auf. Auch ihr Innovationssystem ist weniger leistungsfähig als das in den frühindustrialisierten Ländern. Oft konkurrieren sie im Produktspektrum mit den
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft Führungsfunkonen
Finanzdienstleistungen
KMUs und GMEs
Mielstand
Technologieführerscha
Frühindustrialisierte Länder
große Dichte
große Dichte
große Dichte
große Dichte
große Relevanz
Spändustrialisierte Länder
geringe Dichte
große Dichte
geringe Dichte
milere Dichte
geringe Dichte
Posransformaonsländer
sehr geringe Dichte
sehr geringe Dichte
geringe Dichte
geringe Dichte
geringe Dichte
Schwellenländer
dynamischer Auau
dynamischer Auau
dynamischer Auau
geringe Dichte
dynamischer Auau
Entwicklungsländer
zu vernachlässigen
zu vernachlässigen
zu vernachlässigen
zu vernachlässigen
zu vernachlässigen
Art der Industrialisierung
Abb. 8.2 Einteilung der Industrialisierungstypen. (Quelle: eigene Darstellung)
Schwellenländern, die wiederum versuchen, Produktionen aus frühindustrialisierten Ländern zu kopieren. Eine nachteilige Eigenschaft der Transformationsländer ist, dass sie über einen viel zu kleinteiligen gewerblichen Mittelstand verfügen und ihr Unternehmensbesatz vor allem aus verlängerten Werkbänken besteht, weil sie während ihrer sozialistisch-kommunistischen Zeit den Anschluss an wesentliche Technologieent wicklungen verloren haben, den sie nunmehr aufholen müssen. Eine strategisch-geographische Unterscheidung ist die der Triade, die zwischen Europa, den USA und den asiatischen Ländern unterscheidet und ihnen gemeinsame Wirtschaftsinteressen unterstellt. Ein Teil dieser Abgrenzung findet sich dann in der Gruppenbildung der G6 (USA, Japan, Deutschland, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien), die sich im Jahr 1975 konstituierten, um den Folgen des Auseinanderbrechens des System der festen Wechselkurse (Bretton-Woods-System) und den Folgen der Ölpreiskrise in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu begegnen. Im Jahr 1976 trat Kanada hinzu (G7) und 1998 Russland (G8), das im Jahr 2014 in Folge der Krimkrise ausgeschlossen wurde. Auf ihren Gipfeltreffen versuchen sie, die internationale Wirtschaftspolitik zu koordinieren. Sie wird ergänzt durch die G20, welche auch die wichtigsten Schwellenländer berücksichtigt.
8.2 Die räumliche Dimension von Rivalität und Kooperation
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8.2.2 Die Abgrenzung von Wirtschaftszonen und die evolutorische Dynamik Die Grenzen eines Staats, die Grenzen der Wirtschaft (auch eines Währungssystems) und die Grenzen der militärischen Machtentfaltung sind nicht identisch. Das, was als Offenheit von Staatsgrenzen bezeichnet wird, ist der Tatsache geschuldet, dass erstere kontrolliert und polizeilich überwacht werden können, die wirtschaftlichen Grenzen (oder auch die Grenzen für grenzüberschreitende Kriminalität) aber der Fähigkeit zur Kontrolle meist entgleiten. In einigen Bereichen lässt sich das ändern, beispielsweise dann, wenn die Staatsgrenzen stark mit Sprachgrenzen korrelieren. Hier entsprechen sich wirtschaftliche und staatliche Ausdehnung (z. B. bei elektronischen Plattformen in französischer Sprache, die die meisten Engländer ohnehin nicht lesen können). Grundsätzlich stellt sich damit die Frage, was das moderne Grenzverständnis tatsächlich leiten soll: das politisch-staatliche System, das ökonomische System – oder existieren solche Grenzen im Sinne einer Durchsetzbarkeit nicht mehr? Die Relevanz einer Einheitlichkeit der Grenzen ergab sich erst mit der Schaffung des Nationalstaats (mit den konstitutiven Merkmalen Staatsvolk, Staatsterritorium, Staatssprache). Das etablierte den Krieg als Form der Auseinandersetzung, die mehr als territoriale Aspekte besaß. Hingegen dominierte in früheren, oft ethnischen Auseinandersetzungen, der Gruppenbezug, beispielsweise der Stamm. Aber auch die hier beschriebene nationale Ebene löst sich auf, wie beispielsweise der cyber war oder der moderne Terrorismus verdeutlichen – letzterer ist oft nur an der anonymen Wirkung interessiert, ohne Ansicht der Verletzten oder Getöteten. Der Übergang vom Clan und Stamm zur Familie, insbesondere zur arbeitsteiligen Bauernfamilie, sowie das christliche Menschenbild der Gleichheit vor Gott werden historisch als wesentliche Errungenschaften aufgefasst, die Ehrenmord und Vendetta verhinderten und damit den Weg zur modernen Gesellschaft öffneten (Jussen 2014, S. 8). Die Frage der Relevanz von Grenzen für die moderne Politik wirft Herfried Münkler (2015c) in seinem Buch Kriegssplitter auf. Während Peter Sloterdijk (2016a, b) ein Loblied auf die Grenze singt, weil erst durch diese Abgrenzung handlungsfähige Einheiten entstehen, weist Herfried Münkler (2016) – ganz modern – darauf hin, dass in der modernen Welt die klassischen Grenzen entfallen. Die neuen sind eher virtuell und durch Informations- und Kommunikationssysteme, Transportsysteme, möglicherweise auch Sprachen und Kulturen determiniert. Tatsächlich verweist aber die Faktenlage der Krisen – ob Finanzkrise seit 2008, die damit verbundene Staatsschuldenkrise oder die Flüchtlingskrise seit 2015 – auf das bisher noch Essentielle der nationalen Handlungsfähigkeit angesichts nationenübergreifender Handlungsverweigerung. Diese Unfähigkeit zu einer europäischen oder globalen Governance hat viele überrascht, und es stellt sich die Frage, inwieweit andere übernationale Institutionen, vor allem auch im Wettbewerbsbereich, aus nationalstaatlichen Egoismen heraus unter Druck geraten. In den ehemaligen Kolonien sind die heutigen Grenzen Gegenstand ständiger Dispute, weil ihre Festlegung häufig weder die natürlichen Gegebenheiten noch die
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
ethnischen oder religiösen Differenzierungen berücksichtigte. So beruht die Organisation Afrikanischer Staaten (OAS) auf der Akzeptanz der Kolonialgrenzen, die teilweise willkürlich gezogen wurden – zwischen englischen und französischen Interessensgebieten im Nachlauf der Faschoda-Krise 1898, die aufgrund der beidseitigen imperialen Ansprüche beinahe einen Weltkrieg ausgelöst hätten. In einem anderen Fall wurde erst durch den Schiedsspruch von Papst Alexander VI. die spanische von der portugiesischen Einflusssphäre in Südamerika abgegrenzt und im Vertrag von Tordesillas (1494) kodifiziert. Charles-Louis de Montesquieu (1748), dem das berühmte Werk über den L‘esprit des lois zu verdanken ist, führt in diesem aus, in welchem Maße Gesetze im Speziellen und Institutionen im Allgemeinen auch von der Landschaft abhängen. Offensichtlich waren der mitteleuropäische und der mediterrane Raum stark begünstigt: Denn bis etwa zum 15. Jahrhundert lässt sich in vielen Weltregionen, insbesondere in China, ein ungefährer Gleichklang der wirtschaftlichen Entwicklung feststellen, der in Europa erst mit der Aufklärung zu einer Turboentwicklung führte, die Abb. 8.3 zeigt. Das gemäßigte Klima, die Entwicklung von Konkurrenz und Kommunikation, insbesondere im Umfeld der italienischen Städte und Stadtstaaten, der knapper werdende Faktor Arbeit und die Bewältigung des Problems der Staatsfinanzierung über Steuern und das Zollwesen sind hier mit Sicherheit maßgebliche Kulturfaktoren. Deutlich wird das am kulturellen Nachholbedarf der Subsaharazone: Wie Franz Baumann (2012) ausführt, machte die extrem niedrige Bevölkerungsdichte Afrikas eine Mehrwertproduktion, die sich die Herrscher aneignen konnten, extrem schwer – ganz im Gegenteil zu Europa. Auch durch klimatisch bedingte Seuchen, auch bei Tieren, die für
Abb. 8.3 Wohlstandsentwicklung: Der Westen gegen die übrige Welt, 0 bis 2030. (Quelle: eigene Darstellung aus Maddison 2008)
8.2 Die räumliche Dimension von Rivalität und Kooperation
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das Transportwesen wichtig sind, konnte keine kommunikative und transportintensive gesellschaftliche Organisation aufgebaut werden. Unter diesen Bedingungen war das Rekrutieren von Sklaven ein probates Mittel, um durch erzwungene Agglomeration das Arbeitsproblem zu lösen – allerdings auf Kosten einer langfristigen wirtschaftlichen, und dadurch induziert, auch kulturellen und zivilisatorischen Entfaltung. Wie Tobias Zick (2012) ausführt, muss der Sklavenhandel als einer der wesentlichen Faktoren anerkannt werden, der Afrika über Jahrhunderte seiner wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten beraubte. Tief hat er sich in das kulturelle Gedächtnis der schwarzen Bevölkerung eingegraben, die den arabischen Sklavenhändlern schutzlos ausgeliefert war. Das entspricht den Vorstellungen von Daron Acemoglu und James Robinson (2012), dass nämlich extraktives Handeln die wirtschaftliche Entwicklung von Gesellschaften schädigt. Diese Ausführungen zeigen, dass Grenzen dann besonders hart sind und verteidigt werden, wenn sie verschiedene politische oder wirtschaftliche Systeme trennen. Extrem wird es dann, wenn ein Staat durch unterschiedliche Ideologien auseinanderfällt und damit ein Bürgerkrieg droht – die Art von Krieg, die Hugo Grotius auf jeden Fall vermieden wissen wollte, auch weil der Sieg einer Partei über die andere die Wunden nicht heilt, sondern vielmehr für lange Zeit das Zusammenleben vergiftet. Geschichtliche Beispiele sind der Amerikanische Bürgerkrieg, auf den Süden – eher aristokratisch, auf Freihandel angewiesen („Cotton is King“) und mit Sklavenhaltung – dem Norden – eher republikanisch, Schutzzölle um des Aufbaus der Industrie und der Verhinderung einer verelendenden Arbeiterschicht präferierend – traf.7 Viele sehen im Zweiten Weltkrieg einen europäischen Bürgerkrieg, in jedem Fall war er ein Systemkrieg mit dem Eisernen Vorhang als Demarkationslinie. Ähnliche Beispiele sind Korea, Jemen oder der Sudan.
8.2.3 Konzepte des relevanten Markts Relevante Märkte müssen bei Wettbewerbsvorstößen durch die angreifenden und verteidigenden Unternehmen abgegrenzt werden. Bekannt sind derartige Abgrenzungen vor allem bei der Prüfung von Wettbewerbsverstößen, insbesondere bei Kartellen. Denn oft ist es nur möglich, vor dem Hintergrund eines Vergleichsmarkts mit ähnlicher Struktur, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen tatsächlich zu belegen. Demzufolge existieren drei Formen von Vergleichsmärkten, die in Abb. 8.4 dargestellt sind: 1. Das Konzept des geographisch-räumlichen Vergleichsmarkts: Hier ist zu überprüfen, ob ein ähnliches Produkt unter ähnlichen Nachfragebedingungen an einem anderen Standort oder in einer anderen Region vergleichbare Marktergebnisse erzielt und wie die dortige Wettbewerbslage einzuschätzen ist. Dabei sind die seitens der
7Vgl.
Fogel und Engerman (1974).
620
Abgrenzungskriterium
räumlich
8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
Methode der Abgrenzung physisch-physikalisch
Landschaft, Erreichbarkeit
ökonomisch
Produkträume
sonstige Unterscheidungen
Sprache, Rechtsraum
Homogenitätskonzept
sachlich
Substitutionskonzept Industriekonzept Produktflexibilitätskonzept
zeitlich
Sichtweise
Kundensicht: Bedarfsmarktkonzept
Unternehmenssicht: Nachfragemacht
Wettbewerbliche Entwicklung des Guts in der Branche unter ähnlichen Vorzeichen zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt (beispielsweise Folgen eines externen Schocks)
Abb. 8.4 Kriterien zur Abgrenzung des relevanten Markts. (Quelle: eigene Darstellung)
Anbieter eingesetzten Technologien, insbesondere die Fixkostenorientierung und die versunkenen Kosten, die Dritte vor einem Markteintritt abschrecken können und die damit den sogenannten Marktsassen begünstigen, von Bedeutung. 2. Das Konzept des sachlichen Vergleichsmarkts: In einem gegebenen Markt ist ein Gut bzw. eine Produktion zu finden, die auf der Angebotsseite mit ähnlichen technologischen Rahmenbedingungen verbunden ist und auf der Nachfrageseite ähnliche Ge- oder Verbrauchstrukturen besitzt. Oft orientiert sich das Interesse an strategischen Gruppen also sehr unterschiedlichen Industrien, die aber ähnliche Kostenstrukturen besitzen. 3. Das Konzept des zeitlichen Vergleichsmarkts: Wettbewerbsprozesse, die meist zu einem früheren Zeitpunkt unter ähnlichen Rahmenbedingungen stattfanden, werden auf die gegenwärtige Lage bezogen, um die Wettbewerbsqualität zu bewerten. Eingebettet sind diese drei Vergleichsmärkte in ein Institutionengefüge, das man auch als Institutionen- und Governanceraum bezeichnen möchte. Immer dann, wenn Märkte entlang räumlicher, sachlicher oder zeitlicher Dimensionen abgegrenzt und verglichen werden, kommt auch dem umgebenden Institutionengefüge eine entscheidende Bedeutung zu. Gerade dies bestimme den Kooperationsrahmen, der Rivalität auf Märkten überwölben soll. In der modernen Sicht treten virtuelle Räume hinzu, die
8.3 Raum als entscheidungsrelevante Kategorie
621
später betrachtet werden. Sie sind weit schwerer als andere Räume zu kontrollieren. Das Schützen digitaler Grenzen wird zu einer Sicherheitsfrage gleichermaßen für Staaten wie Unternehmen, zu welcher demokratische Staaten, gerade bei Datenmissbrauch, durchaus legitimiert sind. So wird der räumlich relevante Markt für Zement wegen des kostspieligen Versands auf eine Region mit einem Durchmesser von rund 100 km begrenzt. Das war für die Betrachtung des Zementkartells wichtig (Blum 2009). Sachliche Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn exklusive Belieferungen von Geschäften, beispielsweise hochwertige Markenuhren oder prestigegeladene High Fidelity-Anlagen, die Konkurrenz schädigen – genau dann nämlich, wenn es keinen gleichwertigen Ersatz gibt und das Geschäftsmodell auf diese Gütergruppe angewiesen ist. Der Vergleich der zeitlichen Entwicklung der Konzentration bei Herstellern von DVD-Recordern mit denen von Videorecordern eröffnet die Möglichkeit, langfristige Entwicklungen abzuschätzen, um wettbewerbspolitisch rechtzeitig eingreifen zu können. Sachliche Vergleichsmarktkonzepte beziehen sich oft auf vier Aspekte: 1. Das Homogenitätskonzept, das solche Güter oder Gütergruppen zusammenfasst, die eine hohe Ähnlichkeit aufweisen, beispielsweise Zementsorten, Solarpaneele usw. 2. Das Konzept der Substitutionslücke, bei dem die Bedarfsmärkte so aufgeteilt werden, dass ihre Güter eine hohe interne Substitutivität aufweisen, aber gegenüber anderen Bedarfsmärkten sehr unterschiedlich sind. 3. Das Industriekonzept, das auf Güter rekurriert, die aus gleichen Industrien hervorgehen. 4. Das Produktionsflexibilitätskonzept, bei dem Bedarfsmärkte zusammengefasst bzw. eingeschlossen werden, auf denen ein Hersteller aufgrund seiner Technologie in kurzer Zeit liefern kann; ex post kann das über Kreuzpreiselastizitäten des Angebots erfasst werden. Im Marketing unterscheidet man demzufolge die Sortimentsbreite und die Sortimentstiefe. Die Sortimentsbreite gibt an, wie viele unterschiedliche Güter von einem Unternehmen hergestellt oder in einem Kaufhaus angeboten werden. Diese Produkte sind daher entweder unabhängig im Konsum oder komplementär. Die Variationsbreite eines Produkts, also die Anzahl der verfügbaren Spezifikationen, wird als Sortimentstiefe bezeichnet. Demzufolge herrschen hier substitutive Beziehungen vor, und es besteht Konkurrenz.
8.3 Raum als entscheidungsrelevante Kategorie Für Ökonomen und Militärs stellen die Kosten der Raumüberwindung – einschließlich der notwendigen Transportzeit, also der Zeitkosten – gleichermaßen zentrale Entscheidungsgrößen dar. Sperren wie Gebirge, Flüsse, aber auch Vegetation wie dichte
622
8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
Wälder gelten als natürliche Barrieren gen den Vormarsch für Truppen und Handelskarawanen. Als Hannibal 218 v. Chr. mit Elefanten die Alpen überwand und den Kampf im zweiten punischen Krieg auf die italienische Halbinsel verlagerte, war das nicht nur eine organisatorisch-technische Meisterleistung – er nutzte auch den Überraschungseffekt, denn die Alpen galten bis dahin als sichere Barriere. Derartige Hindernisse machen im Kontext des Führungsprozesses die räumlich-zeitliche Koordination besonders komplex. Dieser Abschnitt zeigt an den räumlichen Friktionen, also den Transportkosten, deren Folgen für den Wettbewerb auf. Da sich diese ändern können, kann im Falle des Sinkens das Ausweiten einer Kontrollsphäre erleichtert werden, es kann bei einer Zunahme des Transportaufwands aber auch zur Überdehnung kommen – die Peripherie ist dann nicht mehr zu halten. Die als Machtzonen verstandenen Gebiete können als tektonische Platten angesehen werden, bei denen sich die überlegene über die unterlegen schiebt; der Untergang eines eroberten Markts ist eine Art Subduktion.
8.3.1 Relevanz von Transportkosten: monopolistische Konkurrenz im Raum und Netzwerke Die Analyse der räumlichen Marktabdeckung (bzw. Machtabdeckung) als theoretisches Konstrukt spricht die Bedeutung von Transportkosten, aber auch die damit verbundenen Transport- und Produktionstechnologien an. Bereits Johann Heinrich von Thünen (1783–1850) beschrieb in seinem Werk Der isolierten Staat (1826) diese Interaktionen und wies damit die Logik konzentrischer, um ein Marktzentrum (Machtzentrum) angeordneter Produktionszonen nach, wodurch er Wege aufzeichnete, wie effizient zu wirtschaften sei. August Lösch (1948) gelang es, auf der Grundlage der Theorie des interregionalen Handels die Abgrenzung der Regionen ökonomisch zu rechtfertigen und damit die ökonomische Theorie der Marktnetze zu begründen, die Walter Christaller (1933) bereits siedlungsstrukturell vorgezeichnet hatte. Er zeigte, dass das Hexagon unter der Bedingung einer Maximierung der Nachfrage (bzw. der Produktion) im Raum und der Bedingung völliger Flächenabdeckung die ideale geometrische Form ist; sie kommt dem Ideal eines Kreises am nächsten, ist aber in der Fachsprache der Techniker flächenschlüssig, hinterlässt also keine Überlappungen oder nicht bediente Flächenteile (sogenannte Zwickel). Tatsächlich besitzen Unternehmen im Zentrum ihrer Absatzgebiete eine bevorzugte Stellung und konkurrieren an den Berührungspunkten ihrer Marktgebiete mit denen anderer Anbieter. Die Grenze der Marktmacht wird dort spürbar. Für die Globalisierung ist dieses Modell der monopolistischen Konkurrenz deshalb bedeutend, weil das Unternehmen durch das Senken seiner Produktionskosten die Absatzweite vergrößern kann. Denn an den Kanten des Hexagons, also der Absatzgrenze gilt, dass die Grenzkosten des Transports gleich den durch eine verbesserte Technologie oder eine Produktionsmengenausweitung vermiedenen Grenzkosten der Produktion sind.
8.3 Raum als entscheidungsrelevante Kategorie
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Das aber bedeutet, dass wenig diversifizierte Unternehmen bzw. Unternehmen, die transporttechnisch weitgehend homogene Güter erstellen, damit einen Markteroberungsvorteil gewinnen. Alternativ kann man mit Massengütern, die die Kosten der Penetration ferner Märkte einspielen, quasi Huckepack Edelprodukte verkaufen: Dies geschieht beispielsweise durch Hersteller europäischen Massenbiers, das nach Amerika verkauft wird und logistisch Edelbier im Huckepackverfahren mitnimmt. Massive Investitionen, die nur durch Ausfuhr einen Sinn ergeben, und der Ausbau der Logistiksysteme könnten demzufolge ein klares Kriegssignal darstellen. Tatsächlich liegen diesen Raumstrukturen Netzwerke zugrunde, und dies gilt insbesondere dann, wenn es Hierarchien gibt; im Verkehrssystem wird das beispielsweise in integrierten Strukturen deutlich, die von übergeordneten Autobahnen bis untergeordneten Gemeindewegen reichen. Dies gilt auch im Abstrakten: In Anlehnung an das memetische Dreieck werden drei verschiedenen Netzwerkstrukturen unterschieden (Blum und Dudley 2002). Ausgehend von zehn Punkten im Raum lassen sich Verbindungen so ziehen, dass sich ein zentralisiertes, ein dezentralisiertes und ein verteiltes Netz ergeben. Abb. 8.5 verdeutlicht, dass im zentralisierten Netz (b) alle Wege immer über den Punkt A genommen werden müssen, der das Netz zusammenhält. Typ (c) ist dezentraler, aber erst Typ (d) eröffnet alternative Zugänge zu einem bestimmten Raumpunkt – institutionell entspricht dies der vertikalen, der horizontalen und der atomistischen Struktur. Erst das verteilte oder integrierte Netz (d) ist vollständig polyzentralistisch und stellt damit die höchste räumliche Integrationsstufe dar. Verändern sich nun die Kostenstrukturen, dann werden möglicherweise neue Verbindungen entstehen oder vergehen – da es aber keine „halben Verbindungen“ gibt, kann die Ökonomie lange Zeit stabil bleiben, weil die
K
E
D
B
J
E
D
B
(a) Zehn Punkte im Raum F
A
K
J
F
A
(b) Zentralisiertes Netz C
C H
G
K
E
H
G
K
E
D
B
(c) Dezentralisiertes Netz D J
B F
A
J
F
A
(d) Verteiltes Netz C
C H
G
H
G
Abb. 8.5 Systematisierung der Netzwerktypen. (Quelle: Blum, Dudley, Leibbrand, Weiske 2005, S. 79)
624
8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
vorhandene Netzwerkstruktur immer noch trotz technologischen Wandels günstig ist. Irgendwann kippt das System und erzwingt ein neues Netzarrangement. Dies wird als small-world-Effekt bezeichnet (Watts und Strogatz 1998). Netzwerkstrukturen besitzen folglich Inertia, also eine verzögerte Anpassungsdynamik. Gerade die früher genannten Veränderungen von Informationsnetzen sind bedeutsam, weil Innovationen strategische Landschaften völlig neu sortierten, die Machtentfaltung und Dominanzstrukturen änderten.
8.3.2 Imperiale Überdehnung: das räumliche Modell des Staats Das obige Modell (Blum und Dudley 1989) basiert auf der Konkurrenz der Produzenten privater Güter; August Lösch zeigte diese monopolistische Marktdynamik am Beispiel von Bierbrauereien. Unter der Voraussetzung von Kostendegressionseffekten beim Brauen von Bier ist Ballung, also Inhomogenität, selbst in einer homogenen Fläche, und damit räumliche Konzentration die Folge. Bei einem öffentlichen Gut, beispielsweise der Nationalverteidigung oder der Sicherheit, ist derartiges Verhalten nicht unmittelbar einsichtig, weil ein großer Anreiz zum Trittbrettfahren besteht. Will nämlich eine Gesellschaft öffentliche Güter jenseits der privaten Zahlungsbereitschaft bereitstellen, muss sie Wege finden, ihre Mitglieder zum Beitrag zu zwingen, d. h. Steuern erheben. Wie stark dabei die Bereitschaft zur Kooperation ist, hängt von den Erfahrungen, die die Gesellschaft mit nichtkooperativem Verhalten gemacht hat, ab; das wurde bei der Betrachtung der Staatstheorien ausgiebig behandelt und herausgearbeitet. Angenommen, ein Staat habe nur den Zweck der Landesverteidigung; dann stellt er das öffentliche Gut Sicherheit bereit und finanziert es aus Zwangssteuern. Außerdem könne dieser Staat die Ländereien, die er sich einverleibt, kostenlos verteidigen. Dann erlaubt es das Modell von August Lösch, die Staatsgrenzen zu identifizieren. Dazu sei weiter angenommen, es gäbe ein individuelles Subsistenzniveau als pro-Kopf-Einkommen (nach Steuern) und die Einkommen variierten echt. Dann wird die Bevölkerungsdichte zu einer fallenden Funktion der Bruttosteuerrate, weil genau die Bevölkerungsteile abwandern, denen die Steuerlast zu hoch erscheint und die in den damit erzeugten öffentlichen Gütern keinen hinreichenden Nutzen erkennen. Es sei weiter unterstellt, die Verwaltungskosten der Steuererhebung seien null im Zentrum und stiegen mit wachsender Entfernung von diesem an. Schließlich wird bei den Bürgern ein konstanter Nettosteuersatz erhoben, der infolge der mit der Entfernung wachsenden Verwaltungskosten aus Sicht der Zentrale mit der Entfernung monoton sinkt. Da Verteidigung nicht kostenfrei ist, ist es vernünftig anzunehmen, dass die Kosten mit der Entfernung steigen – möglicherweise sogar überproportional, weil sich die Fläche mit jeder Entfernungseinheit quadratisch erhöht. Dann liegt die Staatsgrenze dort, wo der Steuerbeitrag gerade noch die Kontrollkosten finanziert. Durch Innovationen können sich die Kosten des Steuereintreibens oder der Produktion von Sicherheit genauso ändern wie die Bereitschaft der Bevölkerung, Steuern zu zahlen oder Sicherheit nachzufragen, die dem Wandel der Zeit, insbesondere konkreten Bedingungen,
8.3 Raum als entscheidungsrelevante Kategorie
625
u nterliegt. Dann wird es denkbar, dass es zu einer Konkurrenz von Staaten kommt oder dass bestimmte Territorien vernachlässigt werden – weil sie zu weit entfernt sind und sich ihre Kontrolle nicht lohnt. Externe und interne Schocks können eine derartige Überdehnung explosionsartig wirksam werden lassen und zu einem Systemkollaps führen: • Eine Erklärung des Kollapses des Römischen Reichs ist die imperiale Überdehnung, weil der Druck durch die Völkerwanderungen durch die fehlende Verteidigungsbereitschaft des eigenen Volks nicht aufgefangen werden konnte. • Die Zentralverwaltungswirtschaft und insbesondere die Sowjetunion scheiterten letztlich deshalb an ihren inneren Widersprüchen, weil die modernen Technologien und der Verfall der Informationskosten das zentrale Entscheidungssystem zu teuer werden ließen. • Daimler-Benz als integrierter, weltweit in Kooperationen eingebundener Konzern, zog sich auf sein Kerngeschäft zurück, weil die Führungsfähigkeit des Gesamtsystems nicht mehr gegeben war. • Den USA könnte auf Dauer die Schuldentragfähigkeit entgleiten mit der Folge einer Notwendigkeit zum wirtschaftlichen und machtpolitischen Rückzug; gerade überhöhte Schuldenstände waren geschichtlich immer wieder Gründe für einen Systemkollaps, beispielsweise im kolonialen Spanien oder unter dem französischen Absolutismus. Offensichtlich besteht eine erhebliche Ambivalenz zwischen den von Zentralgewalten angestrebten Vergrößerungen der Einflusszonen – ob geographischer Raum oder Wirtschaftsraum – und den damit verbundenen Transaktionskosten. Zugleich führt eine Zentralgewalt zur Homogenisierung, oft zerstört sie Innovation. Das gilt nicht nur für Europa: Man sieht das auch in China, dessen große Kulturentwicklungen und technologische Schübe oft in Perioden eines nicht existenten Einheitsstaats stattfanden – insbesondere in der Zeit der Streitenden Reiche (475–221 v. Chr.). Es wird abzuwarten sein, ob gigantische Konzerne, die inzwischen bei einer Marktkapitalisierung von 1 Billion US-Dollar liegen, ihre internen, größen- und komplexitätsbedingten Koordinationsprobleme bewältigen werden, ihre Innovationsfähigkeit aufrechterhalten können, und welche Bedeutung regulatorische Interventionen der Wettbewerbsbehörden auf das Größenwachstum ausüben. Auch könnten zunehmende Kapitalintensitäten die Basis hoher Renditen langfristig zerstören.
8.3.3 Kooperative und agonale Elemente im räumlichen Wettbewerbsmodell Das räumliche Wettbewerbsmodell geht davon aus, dass Rivalität an konkreten räumlichen Grenzen, also an der Front der Auseinandersetzung, ausgelebt wird. Das kann,
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
wie bei militärischen Auseinandersetzungen, eine geographische Grenze sein, an der ein Marktgebiet ein anderes berührt, es kann aber auch den Produktraum betreffen, der damit einer virtuellen Dimension entspricht. Allerdings muss diese Front beliefert werden – ökonomisch gesprochen: Angebot und Nachfrage müssen in irgendeiner Form koordiniert werden, weil sonst die Front zusammenbräche. Am leichtesten lässt sich der Zusammenhang von Rivalität an der Front und Vorgang im Hotelling-Modell (1929) verdeutlichen. Am Beispiel eines an beiden Enden begrenzten Strands steht jeweils ein Eisverkäufer und bedient die homogen verteilten Sonnenbadenden. Bewegt sich der eine etwas zur Mitte, so behält er sein rückwärtiges Marktgebiet, kann aber in das Gebiet des Konkurrenten eindringen, wenn das einzige Kriterium für die Nachfrage darin besteht, die Länge des Wegs zu minimieren. So bewegen sich die Eisverkäufer immer weiter aufeinander zu, bis sie schließlich Rücken an Rücken stehen und alle Badenden wie am Anfang die gleiche Entfernung zurücklegen müssen, um ein Eis zu kaufen, wodurch sich für sie keine Verbesserung ergibt. Tatsächlich wäre es am günstigsten, wenn man die Transportentfernungen minimieren will, den einen Verkäufer auf ein Viertel und den anderen auf drei Viertel der Strecke zu setzen. Genau das verhindert aber der Markt- bzw. Konkurrenzmechanismus. Das Modell von Hotelling (1929) beantwortet aber nicht, warum diese Konkurrenten nun koexistieren. Tatsächlich wird in den Übertragungen dieses Modells auf politische Wahlmechanismen, die Anthony Downs (1957) in An Economic Theory of Democracy durchgeführt hat, von der Existenz weiterer Anbieter, hier der Parteien, ausgegangen. Auch in den Stadtmodellen, beispielsweise bei Alonso (1964), wird argumentiert, dass die durch diese Effekte im Zentrum entstehende Ballung für die einzelnen Anbieter günstig ist, weil sie dem Kunden hohe Wahlfreiheiten auf engstem Raum ermöglicht. Was dabei nicht betrachtet wird, ist die Möglichkeit, aus dieser Situation heraus einen Vernichtungsfeldzug gegen den Konkurrenten zu starten, um dessen Angebot zu übernehmen, damit Monopolist zu werden und die positiven Externalitäten der Marktstruktur infolge der Mannigfaltigkeit von Anbietern der gleichen Branche in einem begrenzten Raum zu absorbieren. Das konstituierende Element des langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs würde ausgeschaltet, weil der räumlich differenzierte Wettbewerb durch ein monopolistisches räumliches Angebot ersetzt wird, welches die Gewinne steigen und die Absatzmengen fallen lässt. Im Beispiel: Einer der beiden Eisverkäufer im Zentrum wird eliminiert. Genau das erfüllt die definitorischen Anforderungen an einen Wirtschaftskrieg, weil die Ökonomie dieses Strandes infolge erhöhter Transaktionskosten und des Wegfalls positiver Externalitäten langfristig auf einen niedrigeren Absatzpfad fixiert wird.
8.3.4 Konkurrenz der Staaten und politische Plattentektonik In einem System der Konkurrenz der Staaten verändern Technologien und Präferenzen – letztere beispielsweise durch Ideologien befeuert – nachhaltig die Stabilität der Räume.
8.3 Raum als entscheidungsrelevante Kategorie
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Das Modell der Plattentektonik wird dann zum Verständnis der Vorgänge hilfreich. Hierunter versteht man die Verschiebung der großen Kontinentalplatten und die damit verbundenen geophysikalischen Prozesse in der Lithosphäre (Erdkruste und oberer Erdmantel, also die obersten 100 km bis 200 km). Vulkanismus und Erdbeben geben täglich Zeugnis davon. Ursache ist die Kontinentaldrift, die die heutige Welt, ausgehend von einem Urkontinent Pangäa, geschaffen hat. Alfred Wegener hat diese Theorie im Jahr 1915 formuliert, als er die Passung der Kontinente Afrika und Südamerika analysierte. Ursache der Plattentektonik sind Konvektionsströme im Erdinneren und/oder gleitende, in Dichte und Mächtigkeit unterschiedliche Lithosphärenplatten, die mit zunehmender Mächtigkeit ins Erdinnere gezogen werden. In Analogie dazu wird von einer politischen Plattentektonik gesprochen, wenn fundamentale Bündnissysteme, gesellschaftliche Gleichgewichte oder Systeme der globalen Arbeitsteilung getrieben von untergründigen Kräften sich zu verschieben beginnen. Der diese Analogie treibende geologische Hintergrund wurde anlässlich des Tohoku-Erdbebens in Japan im März 2011 sichtbar, das von einer komplexen Überschiebung der japanischen Platte und der nordamerikanischen Platte ausgelöst wurde. Ebenso wie die Plattentektonik, in der sich kontinuierlich Spannungen aufbauen, bis sie sich entladen, ist dies auch für Gesellschaften vorstellbar, die einen tipping point überschreiten. Die Reibung, die eine Anpassung verhindert, bezeichnet man in der ökonomischen Theorie als Transaktionskosten. Außerdem sind derartige Prozesse meist irreversibel – und können daher mit Instrumenten der modernen Ökonomik, die sich den Fragen der Unumkehrbarkeit und der Pfadbindung widmet, beschrieben werden (Nelson und Winter 1982; Blum et al. 2006). Da zur Plattentektonik schließlich nicht nur die Verschiebung der Kontinente, sondern auch die Subduktion, nämlich das Verschwinden von Erdkruste, ebenso wie das Aufsteigen von Erdkruste mit der Bildung von Gebirgen sowie der Vulkanismus zählen, kann man viele Parallelen zum wirtschaftlichen Geschehen finden, über Niedergang, Unterwerfung bis hin zu plötzlichen Neubildungen und Eruptionen – gleichsam Schwarzen Schwänen. Ein historisches Beispiel ist der Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie; Ökonomen argumentieren, dass die Effizienz der Wirtschaft vor dem Hintergrund eines falschen Informationssystems zu gering war (Blum und Dudley 1999, 2000). Das Schmelzen des Eisernen Vorhangs zeigte deutlich, welche disruptiven Urkräfte möglich sind, was besonders an der Implosion der Sowjetunion sichtbar wird. Derartige Effekte spielen auch auf wirtschaftlicher Ebene, in der Wirtschaftsgeographie und besonders in der Innovation eine bedeutende Rolle. Insbesondere disruptive Technologien gelten als Ursache starker Verwerfungen auf Märkten, aber auch gesellschaftlich und insbesondere militärisch, wie das Beispiel der gegossenen Kanonenkugel eingangs zeigte. Das ist zu koppeln mit der bereits diskutierten Bereitschaft und Fähigkeit sowie dem Faktor Willen, also dem Grad der Aggressivität, der systemisch angelegt ist und – auf der anderen Seite – damit, welcher Wille zum Erhalt bzw. zur Verteidigung eigener Werte vorhanden ist. Solche Auseinandersetzungen sind derzeit auf praktisch allen geostrategischen Feldern zwischen den USA und China zu beobachten.
628
8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
8.4 Räumliche Rivalitätsstrategien Räumliche Rivalität äußerte sich seit Erfindung des militärischen Kriegs in Eroberungsstrategien; oft kamen wirtschaftskriegerische Elemente hinzu. Die Beispiele der vorangegangenen Kapitel haben sie vielfach beleuchtet. Im europäischen Bewusstsein und noch weit stärker in dem der ehemaligen Kolonien besonders präsenten Teilen sind die durchaus hybriden militärisch-ökonomischen Strategien aus der Zeit des Imperialismus. Territorialitätsansprüche äußerten sich in diesem Zeitalter und später dann während des nationalstaatlichen Kolonialismus durch ökonomische, schließlich durch politische Expansion. Der europäische Kolonialismus entdeckte, eroberte und unterwarf ab dem 16. Jahrhundert Amerika, Afrika und Asien – zunächst eher, wie seitens der Portugiesen, in Form von Handelsstationen, später zur Sicherung von Rohstoffen und zum Vorführen imperialer Macht. Kolonialismus kann als eine sehr spezielle Form des territorialen rent-seeking angesehen werden, weil die Kosten für die Eroberung und Sicherung von Ressourcen und Absatzmärkten offensichtlich niedriger waren als das Erzielen von Leistungseinkommen. Historisch stellt er den Versuch dar, mittels militärischer Gewalt ökonomische Ziele zu erreichen, er ordnet sich also in die militärische Kriegsführung ein. Aus historischer Sicht kann man diese Vorgehensweise bereits im alten Ägypten als „sakrale Ökonomie“ finden. Diesen Begriff nutzt Siegfried Morenz (1969) in seinem Beitrag „Prestige-Wirtschaft“ im alten Ägypten und drückt damit eine Herrschaftsform aus, die offene Repräsentation und Wirtschaftsorganisation vereint. Sie ist vor allem auf die Binnenwirtschaft ausgerichtet, um die Herrschaft als Hierarchie zu stabilisieren. Die europäischen Kolonialsysteme ordnen sich hier problemlos in diese Definition ein.8 Damit bestand, wie beispielsweise die Befreiungskriege in Indochina zeigen, ein erhebliches militärisches Eskalationsrisiko. Oft wurde die Nutzung von Kolonien, wie zur Zeit Roms, versteigert; analog erfolgte die Vergabe von Kaufmanns-, Erschließungsund Ausbeutungsrechten für die privilegierte Gesellschaft Englands oder Spaniens. Dadurch gelang es dem Staat, an Teile der Renten im Sinne der Rentendissipation (Posner 1975) zu gelangen. Deshalb werden hier die rivalen, aber auch kooperativen Hintergründe des Kolonialismus dargestellt, um daraus Lehren für den Wirtschaftskrieg abzuleiten.
8.4.1 Kolonialismus als komplexe räumliche Wettbewerbs- und Eroberungsstrategie Die Phasen der Kolonisation werden von Brad Bartel (1989) in drei Kategorien unterteilt: Auslöschung und Wiederbesiedlung als ein abrupter Kulturwandel, Akkulturation
8Die
bürgerliche Variante findet sich im von Thorstein Veblen (1899) in der Theory of the Leisure Class beschriebenen Geltungskonsum (conspicuous consumption).
8.4 Räumliche Rivalitätsstrategien
629
als langsame Adaptation der indigenen Kultur an die der neuen Herrscher und schließlich Equilibrium als Siedlungsenklaven in einer ansonsten fremden Kultur; letzteres entspricht in der Moderne den Indianerreservaten oder den Homelands in Südafrika. Aus ökonomischer Sicht sind besonders die Adaptationsphasen von Interesse. Dies aufnehmend, verweist Celine Wawruschka (2009) auf die Bedeutung der ökonomischen core-periphery-Modelle, in deren Rahmen sich die Kolonisierungsstruktur der europäischen Mächte – und damit ihr wirtschaftskriegerisches Verhalten – sehr gut beschreiben lässt; man möchte ergänzen: eigentlich leisten dies alle räumlichen Polarisationsmodelle.9 Jürgen Osterhammel (1995) folgend sind sechs Schritte im Kolonialisierungsprozess zu unterscheiden:10 • • • • •
Sicherung des Handelsmonopols Sichern der militärischen Dominanz und Entwaffnen der indigenen Bevölkerung Aufbau einer Steuerbasis Aufbau eines Rechtssystems und einer Verwaltung Modernisierung der Gesellschaft durch Reforminitiativen, auch auf wirtschaftlicher Ebene • Stabilisierung in einer Art Gesellschaftsvertrag und ökonomische Expansion, die auch den indigenen Eliten von Nutzen ist. Besonders der fünfte Punkt ist relevant, weil er die Bedeutung der Veränderung von Normen als Bedingung der Entwicklung unterstreicht (Myrdal 1968). Die Interdependenz zwischen Ökonomie und Krieg im Kontext der Kolonialisierung zeigt sich sehr deutlich am Muskatkrieg im 17. Jahrhundert, der bereits im dritten Kapitel als Beispiel angesprochen wurde. Weitere Beispiele sind: • Kolonialisierung Chinas: Besonders zu nennen sind die Opiumkriege (1839– 1842; 1946–1860; Unterwerfung Chinas durch England) und der Boxeraufstand (1900/1901; Revolte gegen die Kolonialmächte), die bis heute in der chinesischen Mentalität präsent sind. • Zwangsweise Öffnung Japans: In Jahr 1853 landete der Amerikaner Matthew Perry mit seinen Schiffen und erzwang schließlich die Öffnung des Lands – eine Forderung, die seit Ende des 18. Jahrhundert seitens Russlands, Europas und den USA bestand und in die Modernisierung des Staats unter den Meiji führte (vgl. Martin 1992). • Kolonialisierung des Fernen Ostens durch Europa, die USA und Japan: Die imperial-koloniale Ausgangslage vor dem Zweiten Weltkrieg wirkt bis heute nach. Den japanischen Imperialismus leitete besonders die Sicherung von Rohstoffen. Für Indochina war Kautschuk die wesentlichste Einnahmequelle, die diese Kolonien
9Eine
Übersicht hierüber findet sich bei Blum (1986). auch die Rezension von Benner (1995).
10Vgl.
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
ertragreich machte. Die Niederlage Japans und die Eroberung von drei K urilen-Inseln und einer Inselgruppe durch Russland sind bis heute ein kritischer Punkt in den Beziehungen zwischen beiden Ländern; das Verweigern der Rückgabe durch Russland verhinderte in den siebziger Jahren ein Investitionsabkommen für Sibirien. • Das Kautschuk-Oligopol Englands und der Niederlande führte zu diversen Anpassungsreaktionen (neben dem ewigen Schummeln und dem heimlichen Verkauf von Übermengen): Zur Ausweitung von Plantagen, vor allem seitens der USA in Südamerika, und zur Kautschuksynthese (Buna-Werke im Jahr 1936), beide sind bedeutende Quellen der Konkurrenz. Zwar konnten die ehemaligen Kolonien ihre Marktdominanz zunächst wiedererlangen, allerdings beendeten Produktionsausfälle infolge der Zerstörung der Plantagenstruktur während des Einmarsches Japans sowie die Kriegswirren in den Jahren 1943 bis 1947 ihre wirtschaftliche Vorrangstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren die Kolonien so ihre wirtschaftliche Basis.11 • Kolonialisierung im Nahen und Mittleren Osten: die Staatenbildung und Entkolonialisierung funktionierten meist auf der Basis von kolonialen Grenzziehungen (in Afrika ist das ein Teil des OAS-Statuts). Nachwirkungen finden sich bis heute im Dualismus Pakistan-Indien (mit Afghanistan als Indiens heimlichem Verbündeten, um Pakistan zu binden), in den Versuchen der Kolonialisierung Afghanistans und Persiens (des Irans), auch im Kontext mit dem Zugang zum Öl und Russlands Zugang zum Meer oder im Zerfall des Osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg und in der Neuaufteilung des Nahen und Mittleren Ostens mit den Folgeproblemen der Gründung Israels, insbesondere im Laufe des Zweiten Weltkriegs (Zusicherung eines arabischen Staats im Sinne des Panarabismus durch England, zugleich aber auch die Zusicherung eines Lands als Heimatland für die Juden). Der Zwist zwischen Israel und seinen Nachbarn, aber auch unter diesen, findet hier einen Ausgangspunkt – dieser liegt aber auch im sehr unterschiedlichen Grad der gesellschaftlichen Modernität und des wirtschaftlichen Erfolgs.12 • Die Postkolonialisierung: Hierunter sollen solche Prozesse verstanden werden, die nach außen den Kolonialismus entgegengerichtet sind, tatsächlich aber neue Abhängigkeiten fördern. Hierzu zählen vor allem solche Verträge, bei denen Marktmacht durchgesetzt wird oder die mit korrupten Eliten – vornehmlich in Entwicklungsländern – meist mit dem Ziel geschlossen werden, exklusive wirtschaftliche Rechte zu erhalten, beispielsweise beim Rohstoffabbau oder bei teuren und nur übergreifend zu bauenden Netzsystemen (z. B. Kommunikationsnetzen, Verkehrssystemen usw.).
11Der
Film Indochina des Regisseurs Régis Wargnier mit Catherine Deneuve als Hauptdarstellerin, der in Vietnam spielt, beschreibt dies ebenso wie der Film Fitzcarraldo des Regisseurs Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. 12Beispielsweise zählen hierzu die strategische Neuausrichtung der Türkei ebenso wie die Verbindung syrischer und iranischer Interessen oder die Annährung der Hamas an die Fatah (vgl. auch Böhmer 2011).
8.4 Räumliche Rivalitätsstrategien
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Jürgen Osterhammel (2016b, S. 11) weist insbesondere darauf hin, dass der Übergang von meist (neo-) kolonialen Imperien zu Nationalstaaten selten ohne tiefgründiges Aufbrechen nationaler Traumata möglich ist.
8.4.2 Räumliche Einsatzgrundsätze im Wirtschaftskrieg Neben den geographischen Räumen existieren auch Produkt- oder Güterräume, Zeiträume und institutionelle Räume. Güterräume werden charakterisiert durch die Sortimentsbreite, also die Anzahl unterschiedlicher Produkte, und die Sortimentstiefe, also die Anzahl der Substitute. Das Vorhandensein von Raum bedeutet, dass dieser überwunden werden muss, entweder seitens der Kunden durch das Beeinflussen und Überwinden von Präferenzen, oder durch die Anbieter, die die Güter im geographischen Raum verteilen müssen. Auch die Kommunikation ist anzuführen, die die Organisationssysteme zusammenhält. Raum bedeutet in jedem Fall, dass es in seinem Zentrum einen monopolistischen Bereich gibt und der Wettbewerb an den Rändern zu den konkurrierenden Räumen abläuft. Raum bedeutet in Verbindung mit Zeit, dass Aktivitäten im Raum-Zeit-Diagramm, einem entscheidenden Bereich des Führungstetragons, geleistet werden müssen. Überraschungseffekte bedürfen eines besonders hohen Grads an Koordination und damit auch einer sehr präzisen Erkundung. Hier gewinnt die Aufklärung, im Extremfall bis zur Industriespionage (business intelligence), eine herausragende Bedeutung. Führen im Raum ist auch die Zuordnung von Verantwortlichkeiten für Produktsegmente und Marktgebiete ebenso wie für die finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen. Für die Operation vernetzter und verbundener Kräfte ist damit die Koordination entscheidend, und im Falle von Überschneidungen ist in dieser Matrix klar zu regeln, wie die Zuständigkeiten verlaufen. Damit gewinnen klare Marktabgrenzungen in den Führungs- und Verantwortungslinien, an denen eine Koordination erfolgen muss, eine herausragende Bedeutung. Ein Wirtschaftskrieg besteht analog zu einem militärischen Krieg – Feuer und Bewegung im Sinne der Stoßkraft und des Gewinns von Tiefe, Sperren im Sinne von Blockieren, Stauen und Kanalisieren durch Minen sowie Kampf um Informationsüberlegenheit – aus folgenden räumlich bedeutsamen Hauptelementen: • Feuer bedeutet, das anzugreifende Unternehmen nicht nur am Wettbewerbsrand unter Druck zu setzen, sondern es vielmehr mit besonderer Hartnäckigkeit im Kern seines Markts anzugreifen, also in seinem monopolistischen Bereich. Das kann örtlich interpretiert werden, beispielsweise, wenn ein Bierbrauer direkt neben der Brauerei eines Konkurrenten ein Auslieferungslager und eine Kneipe eröffnet. Es kann auch sachlich ausgestaltet werden, indem der Angreifer konkrete Sortimente unter Druck setzt. • Genau hier bietet es sich auch an, das zweite Element zu nutzen, nämlich Bewegung, also Märkte möglicherweise zu verändern, sobald sich der Gegner darauf eingerichtet
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hat, seinen Kernbereich zu verteidigen; auch dies kann wiederum geographisch oder sachlich gesehen werden, in vielen Fällen auch als Kombination beider Größen. Damit verbunden ist das produktionsseitige Sicherstellen der steten Lieferfähigkeit, also die Bereitstellung kostengünstiger Ressourcen. Durch das Senken der Produktionskosten infolge der mit der Marktausweitung (Verbreiterung und/oder Vertiefung) verbundenen Kostendegression kann wiederum der Vorstoß weiter in den Raum getragen werden. Ziel muss es sein, durch technischen Fortschritt, also durch Verfahrensinnovation, die Kosten der Herstellung stetig zu senken, um Absatzgebiete zu vergrößern. Durch attraktive Produktinnovationen lässt sich die Nachfragebereitschaft der Kunden vom Konkurrenten zugunsten der eigenen Angebote abziehen. • Sperren impliziert, Ressourcen und Märkte zu blockieren, wobei das insbesondere durch Nachfragemacht oder durch Lieferboykotte möglich ist. Besonders geeignet erscheinen aus Sicht der modernen Technologien Patente, weshalb man gerne von Patentminen spricht, die entweder die Technologie des Gegners abblocken, deren Entwicklung verlangsamen oder in Bereiche lockt, in denen man dann besonders erfolgreich zuschlagen kann. Das wird noch Gegenstand späterer Ausführungen sein. Wichtig ist es hier, die Bedeutung von Puffern, also räumlichen oder sachlichen Märkten, die also eine Distanz zu den eigenen Angeboten besitzen, zum eigenen Vorteil zu nutzen, wenn man den Konkurrenten auf Abstand halten will. Diese Verzögerungen sind insbesondere dann als operative Maßnahme auf Zeit sinnvoll, wenn dadurch Reserven geschaffen und eine Gegenoffensive vorbereitet werden soll. Die räumliche Betrachtung bedeutet schließlich auch, dass man im Fall der Verteidigung des eigenen Markts immer versucht, den Gegner dort, wo er eine scheinbare Stärke aufweist, auflaufen zu lassen, um ihn dann an der Flanke oder im Rücken zu schlagen. Der Flankenangriff hat zur Folge, dass man ebenfalls eine offene Flanke besitzt, die man gegebenenfalls schützen muss. Der Kampf um den Markt breitet sich dann mit hoher Geschwindigkeit aus: Ein jeder greift die größte Schwachstelle des Gegners an, die regional sein kann, oft betrifft sie aber auch bestimmte Produkte. Es entsteht ein sogenannter Multimarktwettbewerb. Der Angriff in den Rücken erfordert höhere Transaktionskosten, weil er im Hinblick auf die geographische und die produkträumliche Dimension aufwendiger ist, hat ein erhöhtes Überraschungsmoment, wirkt aber ähnlich.
8.4.3 Phasen des Handelskriegs Historisch wurde als Handelskrieg ein bewaffneter Konflikt bezeichnet, mithilfe dessen die Wirtschaftskraft des Gegners eingeschränkt werden sollte. Typischerweise fand er zur See statt, weil die Freiheit der Meere eigentlich einen offenen und unbeschränkten Güterverkehr gewährleistet, während zu Lande ohnehin die klassischen territorialen, durch Staaten definierten Möglichkeiten des Transports, bestanden. Damit eskalierte der Handelskrieg meist zu einem Seekrieg. Bereits im vierten Kapitel wurde die von
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Napoleon Bonaparte dekretierte Kontinentalsperre gegen England des Jahres 1806 betrachtet. Ein Handelskrieg durchläuft meist zehn typische Phasen, die sich stark an denen einer bewaffneten Auseinandersetzung orientieren: 1. Das Schlafwandlertum: Handelskriege haben eine lange Vorlaufzeit. Eigentlich existiert für Handelsbeziehungen ein kooperatives Dach – beispielsweise die WTO-Regeln oder die Regeln über Handelsräume wie die europäische Freihandelszone (EU-EFTA), die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) usw. Oft sind anfangs die Ursachen gar nicht so offensichtlich, beispielsweise wenn eine strategische Investitions- und damit oft auch Subventionspolitik in einem Land die Wettbewerbslage zu dessen Gunsten im Sinne der industrieökonomischen Konzepte in der Neuen Außenhandelstheorie langfristig verändern soll. Was zunächst erfolgreich erscheint, nämlich im Sinne von Friedrich List (1841) nationale Wettbewerbsvorteile zu erzeugen, und oft auch von anderen Ländern als vorbildlich angesehen wird, birgt in sich schon den Keim künftiger schwerer Auseinandersetzungen. Der Handelskrieg entwickelt sich scheinbar aus dem Nichts – wie sich ein Stau oft aus dem Nichts entwickelt. 2. Der politische Krieg: Gerade beim Handelskrieg bestätigt sich das Clausewitz-Zitat von der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Denn zunächst versuchen die Kontrahenten, das sich aufbauende Handelsproblem auf politischem Wege zu lösen. Besonders explosiv wird es, wenn die wirtschaftliche Grundlage territorial ist, beispielsweise die Exploration in rechtlich umstrittenen Territorien oder Gewässern, weil dann eine militärische Komponente entstehen kann, wie die Auseinandersetzungen in Asien zeigen. 3. Die Begeisterungsphase: Das Gefühl, „denen werden wir es zeigen“, ist auch im Vorfeld von Handelskriegen typisch – gut zu beobachten in der Vorbereitungszeit der Anti-Dumping-Klage gegen China durch das Unternehmen Solar-World in Deutschland. Der Kriegsenthusiasmus aller europäischen Länder vor dem Ersten Weltkrieg ist hier ebenso zu nennen wie die Begeisterung der englischen Öffentlichkeit vor der Intervention in den Falklands/Malvinas. 4. Die Mobilmachung: Hier bringt der Staat seine ureigenen, klassischen Instrumente des Wirtschaftskriegs in Stellung, nämlich tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse, also Zölle oder Grenzkontrollen13; hinzu treten Selbstbeschränkungsabkommen, die
13Besonders
Frankreich beweist an dieser Stelle immer wieder größte Phantasie. So wie Karl Martell (732) bei Poitier den Vormarsch der Mauren zum Stillstand brachte und vorgeblich das Abendland rettete, verzögerte Frankreich den Import japanischer Videorekorder im Jahr 1982. Es verlangte das Öffnen aller Pakete im dortigen Zollamt mit dem Ziel zu überprüfen, ob eine französische Gebrauchsanweisung beilag – allerdings war das Zollamt personell unterbesetzt! Japan erklärte sich daraufhin zu freiwilligen Exportbeschränkungen bereit; vgl. auch Ohashi (2002) sowie Fairbrother und Quisthoudt-Rowohl (2009).
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die Gegenseite nach außen wohlwollend, innerlich zähneknirschend akzeptiert, um eine Eskalation zu vermeiden – und um dann nach einem Bereich zu suchen, auf dem man sich rächen kann. 5. Der materielle Konflikt: Dieser wird dadurch wirksam, dass den Beschränkungen der einen Seite die Beschränkungen der anderen Seite entgegengestellt werden. Im Sinne des Multimarktwettbewerbs erfolgen die Gegenmaßnahmen (Retorsionen) asymmetrisch, also in einer Form, die dem Angreifer maximal schadet und möglichst der Wirtschaft in diesem Sektor eine neue Entwicklungsmöglichkeit gibt. Importzölle für Stahl werden dann mit Einfuhrverboten bei Spaghetti geahndet. 6. Der Informations- und Vertragskrieg: Ganz zentral für den Erfolg ist es, rechtzeitig die Informationsüberlegenheit zu erringen – bis hin zur sogenannten Lufthoheit über den Stammtischen des eigenen Lands als erforderlichen politischen Rückhalt. Als politisches Kampfgas wirkt die Macht der Bilder – die Arbeiter, die auf Kurzarbeit sind oder entlassen werden. Das nebelt ein, verschleiert die Ursachen und die Auslöser, denn: „Die Wahrheit stirbt zuerst.“ Es ist auch die Stunde des politischen Lobbyismus, denn hier entstehen ausbaufähige Potentiale zum langfristigen rent-seeking, also der Bezug leistungsloser Einkommen durch staatliches Handeln (Protektionismus). Der Informationskrieg lässt auch die bisher durch den Handelskrieg gebrochenen Abmachungen nicht unberührt. 7. Die ersten Toten und die Heimführung in Zinksärgen: Meist kommen die protektionistischen Maßnahmen zu spät und wirken möglicherweise nicht, weil die Ursachen des Debakels tiefer liegen, beispielsweise eine gegenüber dem mit Zoll belegten Land inferiore Technologie; dann sind Insolvenzen nicht zu vermeiden. Durch die Vergeltungsmaßnahmen entstehen weitere Insolvenzen. Es wird deutlich, dass die Maßnahmen zu verschärfen sind, um den Rest der eigenen Wirtschaft zu retten, denn: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ 8. Sieg, Kapitulation und Kriegsgewinnler: Eine der Seiten wird siegen, die andere wird kapitulieren, beide werden in der Regel beschädigt. Besonderes Augenmerk ist auf die Gewinner der Auseinandersetzung zu legen. Die Finanzinstitute haben möglicherweise erhöhte Risikoprämien vereinnahmen können. Die Verengung der betroffenen Märkte und die damit verbundene Verknappung hat die Wettbewerbslage von unbeteiligten Anbietern verbessert. In fast allen Handelskriegen gibt es lachende Dritte. 9. Die Klage der Mütter und die Aufräumleistung der Trümmerfrauen: Das sichtbare wirtschaftliche Debakel wird die Zahl derer, die es schon immer gewusst haben, erhöhen. Sie beklagen vor allem den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, denn Protektionismus ist kein Treiber für Innovation – im Gegenteil: er lässt Leistungsträger abschlaffen. 10. Der Wiederaufbau: Aufräumarbeiten sind zu leisten – im schlimmsten Fall durch neue strategische Industrien, die dann für die nächste Runde eines Handelskriegs bemüht werden.
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Der vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu Endes Jahres 2017 entfachte Handelskrieg befand sich Ende des Jahres 2018 bereits in der sechsten Phase. Das Verbinden von geographischen Räumen und Produkt- oder Güterräumen, möglicherweise auch Zeiträumen in Operationen mit wechselnden Schwerpunkten ist im Handelskrieg dann naheliegend, wenn bestimmte Gewässer nicht ganzjährig zu befahren sind, Angebote durch Erntezeiten jahreszeitlich beschränkt sind und sich dadurch Konkurrenzlagen zeitlich konzentrieren14. Eine Politik möglichst niedriger Preise bietet sich an, wenn die Konkurrenz lieferfähig ist. Bei wetter- oder transportbedingten Ausfällen kompensiert man dies durch ausbeuterische Preise. Unter diesen Bedingungen erscheint Handel nicht als friedensschaffend: Handel wird getrieben, solange dieser aktuell und vor allem auch in Zukunft ertragreich ist. Steigt hingegen das langfristige Risiko der Abhängigkeit und damit der Verwundbarkeit infolge des Handels, dann dominieren langfristige Konflikterwartungen, Konflikt oder Frieden sind im Sinne der modernen Theorie Realoptionen (Hommel, Scholich, Vollrath 2001), durch welche künftige Handlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund von Unsicherheit und sich im Zeitablauf ändernden Handlungsspielräumen bewertet werden. Wenn Werner Plumpe (2017a) in Wo Wirtschaft gedeiht, übergeht sie Grenzen schreibt, Erfolg sei weniger eine Frage der Gewalt als der Entfaltung der eigenen produktiven Kräfte, so ist das zwar historisch richtig, aber im Erfolg kann die Quelle von Neid und künftigem Zwist liegen. Der Ägyptologe Rainer Nutz verwendet für seine Analyse Ägypten: Der Handel im Mittleren Reich (2009) ein Schema der Gütereinteilung, das für die folgenden Überlegungen angepasst wurde und in Abb. 8.6 wiedergegeben ist. Bei völliger und gleichzeitiger Symmetrie ergibt sich der Kassa-Handel, fallen beide Geschäfte auseinander, spricht man von Terminhandel; das jeweilige Gegengeschäft kann auch Geld sein. Bei Unausgeglichenheit findet aber die (teilweise) Ausbeutung einer Marktseite statt. Wird eine derartige Situation für die Zukunft erwartet, dann wird der künftig Benachteiligte Realoptionen außerhalb des Handels in Erwägung ziehen. Besteht demzufolge für ein Land oder ein Unternehmen ein relevantes Risiko, langfristig in das Feld 2 abzurutschen, dann ist ein sofortiger Wirtschaftskrieg eine rationale Option. Gleiches gilt, wenn die Felder 1 oder 2 nur zu stabilisieren sind, wenn regelmäßige Dotationen oder Tribute geleistet werden. Beides war typisch für den Kolonialismus und gibt den Befreiungskriegen eine rationale Begründung. Weiterhin erklärt das Konzept der Dominanzerwartungen die Kriegsbereitschaft Napoleons gegen Russland in Voraussicht eines künftigen vollständigen Bündnisabfalls und eines Handels mit England zum Nachteil Frankreichs. Ebenso verweist es
14Erinnert
sei nur an die „Rossbreiten“ in der historischen Seefahrt, als der Antrieb nur durch Windkraft möglich war. Dort, wo die Sonne senkrecht einstrahlte, ergibt sich eine Zone von Aufwinden ohne Seitwärtswinde, die wie eine Sperre wirkten, weshalb dort Segelschiffe oft längere Zeit vor sich hin dümpelten – und zur Erleichterung der Schiffe die Rösser über Bord gehenließen. In dieser Zeit war kolonialer Handel stark eingeschränkt.
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8 Das Kriegstheater der Wirtschaft
Findet die Akon ausgeglichen sta ?
Klassischer Kassa-Handel
nein
Raub, Diebstahl, Auspressung 1 2 3 4
nein
Findet die Akon gleichzeig sta ?
ja
ja
Klassischer Termin-Handel
Tribute, Dotaonen
Abb. 8.6 Einteilung des Handels nach Zeit und Abhängigkeit. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Nutz 2009, S. 39)
auf die Logik der Kriegsbereitschaft Deutschlands und Englands im Ersten Weltkrieg: Einerseits erhoffte man sich den Zugang zu den durch die Kolonialmächte versperrten Ressourcen, insbesondere angesichts der protektionistischen Zölle der USA und der Pläne hinsichtlich eines britischen Zollvertrags, andererseits wollte man den Kolonialhandel und die Kolonialherrschaft stören. Der ehemalige Budgetdirektor des Weißen Hauses unter Ronald Reagan, David A. Stockman (2015), sieht in dem Kriegseintritt der USA deshalb einen Schlag gegen Europa, weil hierdurch nicht nur die Siegesaussicht Englands vergeblich geworden wäre, was einen Frieden begünstigt hätte, sondern auch das Gleichgewicht des Kontinents so nachhaltig gestört wurde, dass die weiteren Katastrophen ihren Ausgang nahmen. Der Zweite Weltkrieg folgt auf deutscher Seite der Erfahrung des Versailler Vertrags – eines Karthago-Friedens, der die ökonomischen Bewegungsfreiheiten massiv beschränkte, was bereits John Maynard Keynes (1919) in seiner Schrift zu The Economic Consequences of the Peace anmerkte. Als Delegationsmitglied antwortete er darauf mit seinem Rücktritt. Der Frieden, der den Deutschen auch in einer theatralischen Inszenierung als Diktat vorgeführt wurde, erzeugte auch eine negative Erwartungshaltung bezüglich des Handels. Damit bewirkte er eine Obsession nach territorialer Expansion, um die strategische Ressourcenknappheit zu überwinden; letztere war bereits im Konzept der Großraumwirtschaft von Friedrich Naumann (1915) ebenso angedacht wie in der Denkschrift des deutschen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht (1937) über Germany’s Colonial Demands. Hjalmar Schacht analysiert in der angesehenen Zeitschrift für Außenpolitik Foreign Affairs, wie bedrohlich es für Deutschland sei, durch den Kolonialismus der
8.5 Raum als Gegenstand des Wirtschaftskriegs an Beispielen
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iegermächte des Ersten Weltkriegs von den wesentlichen Rohstoffen abgeschnitten zu S sein. Diese Äußerung fällt in ein Umfeld, in dem das Kaiserreich Japan bereits große Teile Asiens dominierte, um eine Ressourcensicherung für sich zu erzwingen. Die USA verwirklichten ebenfalls ihre kolonialistischen Ambitionen, weil sie sich spezifische Rohstoffe für ihre Wirtschaft und ihre Sicherheitslage sichern wollten. Hjalmar Schacht betont in seinem Aufsatz, wie gut eigentlich der Freihandel als Ideal sei, man sich wohl aber einer Illusion hingebe, von diesem in der modernen Welt auszugehen. Insbesondere die USA haben aus dieser Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg gelernt und mit dem Marshall-Plan, benannt nach dem US-Außenminister George C. Marshall (1880–1959), das European Recovery Program (ERP) im Kontext der OECD (Organisation für Wirtschaftliche Kooperation und Zusammenarbeit) geschaffen, um die Handelsströme zu aktivieren und den Westen Europas damit nachhaltig friedensfähig zu machen. Der Ostblock und die Sowjetunion verweigerten sich dem, und mit der Zeit des Kalten Kriegs prägte die Politik stetig negative Dominanzerwartungen – was gegenwärtig offensichtlich Russland erbt. In einer Analyse zu den technologischen Spezialisierungsmustern einzelner Länder zwischen 1890 und 1990 zeigt Giovanna Vertova (1999), welche Kontinuität diese in den betrachteten Ländern USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Schweden und Schweiz aufweisen. Dann aber ist auch davon auszugehen, dass eine Rivalität zwischen einzelnen Ländern, wenn sie aus diesen Gründen ausbricht, von erheblicher Stabilität sein wird.
8.5 Raum als Gegenstand des Wirtschaftskriegs an Beispielen Die folgenden beiden Beispiele zeigen auf, wie wesentlich die Raumgewinnung in der globalen Konkurrenzwirtschaft ist. Dabei stellt die Solarökonomie einen Paradefall dafür dar, wie hohe Transportkosten durch starke Kostendegressionseffekte der Produktion überwunden werden können, was tatsächlich in einem Zusammenhang steht: Denn die Grenze des Markts wird dort erreicht, wo die Grenzkosten der Belieferung des letzten (entferntesten) Teilnehmers durch die zurückgehenden Grenzkosten der Produktausweitung infolge externer Ökonomien kompensiert werden. Das haben asiatische Hersteller, allen voran Japan, bereits sehr früh verstanden, weil sie ihre Märkte schon immer nur über große Entfernungen erreichen konnten. Ebenfalls raumrelevant ist die Bereitstellung Seltener Erden, weil sie, auch unter dem Gesichtspunkt der schwierigen Umweltverhältnisse ihrer Gewinnungsindustrien, eine Standortprägung besitzt.
8.5.1 Vom Solar Valley zum Handelskrieg Am Anfang des Solar Valleys stand die Idee, in den Neuen Ländern die Kompetenzen aus dem industriellen Erbe der Region Bitterfeld/Wolfen zu nutzen und dabei eine
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Hochtechnologie aufzubauen. Denn alle Erfahrung der Welt lehrt, dass man für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung eine technologische Basis, also ein Bündel verwendungsoffener Technologien (general purpose technologies (GPT), Bresnahan und Trajtenberg 1995; Helpman 1998) benötigt, kompetente Fachkräfte und schließlich einen offenen Horizont – „einen blauen Ozean“, auf dem man segeln kann, ohne stets in wettbewerbsinfizierte Gewässer zu geraten, die einem in alten Märkten drohen. Insofern war die Entwicklung der Solartechnologie in Ostdeutschland wirtschaftspolitisch klug und in Bezug auf die Idee des Aufbaus Ost geradezu herausfordernd. Gefördert wurde diese Technologie bzw. ihr Markt über das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG 2000), das vor allem das Einspeisen ins Netz nach unterschiedlichen Sätzen begünstigte und meist Renditen im zweistelligen Prozentbereich ermöglichte. Allerdings machte man die Rechnung ohne die fernöstliche Konkurrenz, die nach dem ersten Investitionszyklus massiv in eigene Fabrikationsanlagen investierte, und reduzierte in einer Art erfolgsverwöhntem Schlafwandlertum die Förderinstrumente nicht rechtzeitig. So kamen zunehmende Anteile der Einspeisevergütung fernöstlichen Exporteuren und Herstellern zugute. Damit entstand eine wachsende Konkurrenz und eine dem Liberalen Paradoxon vergleichbare Dilemmasituation: Statt gemeinsam eine sinnvolle Marktregelung aufzubauen, schnappte sich jedes Unternehmen den gerade günstigsten Absatzmarkt in der Hoffnung, damit zu überleben. Tatsächlich aber half man den Konkurrenten, durch die Subventionen eine schlagfähige Industrie aufzubauen, die die eigene schließlich in die Knie zwang. Industriepolitisch war deutsche Solarindustrie unfähig, die deutlich sichtbaren Signale aus Fernost zu interpretieren und vor allem die eigene Wertschöpfungstiefe zu erhöhen, um zu verhindern, dass Fertigungstechnologien abwandern. Anlässlich des erfolgreichen Börsenstarts mit 20 € pro Aktie am 5. Oktober 2005 stellte der Vorstand von Q-Cells, Anton Millner, gegenüber einem Reporter auf dem Rückflug von Frankfurt nach Leipzig fest, der Ertragspfad sei stabil, China als wesentlicher Konkurrent habe einen technologischen Abstand von fünf Jahren und fügte hinzu: „das können Sie schreiben, tatsächlich sind es aber eher 10 Jahre.“15 Bereits Ende des Jahrzehnts verfiel der Aktienkurs, der zum Jahresende 2007 in seiner Spitze bei 82,34 € gelegen hatte, infolge der intensiven Konkurrenz aus Fernost und lag bereits Ende 2008 unter dem Ausgabekurs. Im Jahr 2012 wurde das Unternehmen nach einer Insolvenz vom koreanischen Mischkonzern Hanwha übernommen. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Nachhaltiges Erzielen der technologischen Führerschaft durch China.
15Der Verfasser konnte dieses sehr laut und fröhlich geführte Gespräch an Bord eines Flugzeugs von Frankfurt nach Leipzig im Anschluss an den Börsengang mitverfolgen.
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Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die deutsche Solarindustrie, nach der Wende mit öffentlichen Subventionen aus der Taufe gehoben; das Ziel, eine alternative Energiegewinnung aufzubauen, knüpfte an die Pioniererfolge der AEG in den 70er Jahren an, die bereits damals Solarpaneele großindustriell herstellte, ohne allerdings jemals die Kosten soweit senken zu können, um wettbewerbsfähig zu sein. Durch die staatliche Förderung entstanden Fertigungsanlagen, mit denen in Massenproduktion durch Subventionen gestützte Solaranlagen hergestellt wurden, allerdings litt von Anfang an die industrielle Forschung und Entwicklung, die weitgehend als nachholend bezeichnet werden muss und erst heute im Bereich bestimmter Technologien Erfolge zeitigt – was möglicherweise zu spät ist. • Die ausländische, insbesondere die chinesische Solarindustrie, die durch die deutsche Förderung erst international wettbewerbsfähig gemacht wurde, weil die Förderung des Absatzes über die Einspeisevergütungen die Nachfrage nach Solarmodulen allgemein – und damit auch nach denen aus China – stimulierte. • Die Bundesregierung, wie ein Gesinnungstäter blind gegenüber den Folgen einer falschen Subventionspolitik; denn ursprünglich war die Idee genial, den Markt über eine Nachfrageförderung zu stimulieren und damit die Beihilferegelungen der Europäischen Union zu unterlaufen. Es wurden nur die Folgen für die nationale Angebotslage völlig unterschätzt, die heute dazu führen, dass von den Subventionen über 80 % ins Ausland fließen, also dort die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Es wurde versäumt, die erforderliche Innovationspolitik nachhaltig voranzutreiben. Insbesondere die Vorstellung, diese aus den Erlösen der Emissionslizenzen zu finanzieren, vernachlässigte die Tatsache, dass die Unternehmen, auch durch die Wirtschaftskrise bedingt, viel weniger CO2 ausstießen als geplant – womit der Ertrag annähernd verschwand. Kriegsmittel: • Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) seitens des Bundestags und des Bundesrats als Verfahren der Nachfragesubventionierung, um die lokalen Anbieter zu stützen, ohne dass die EU aus Gründen der Diskriminierung einschreiten kann und ohne dass ein öffentlicher Haushalt belastet wird: Die Lizenzeinnahmen aus der CO2-Bewirtschaftung sollten genutzt werden, um Forschung und Entwicklung haushaltsneutral zu stärken. • Strategischer Ausbau der Kapazitäten in der chinesischen Solarindustrie; damit sollten möglichst hohe Anteile der Subventionen abgegriffen werden. • Versuch Chinas, den Status einer Marktwirtschaft zu erlangen, was für das Land vorteilhaft bei WTO-Antidumpingverfahren ist. • Unterwanderung der Verbände über Beteiligungskäufe, wodurch eine nationale oder europäische Meinungsbildung dort nicht mehr stattfand.
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Kriegsziel: • Herstellen der strategischen Dominanz durch penetration und predatory pricing. Kriegsfolgen: • Weitgehende Vernichtung der deutschen Solarindustrie; durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) dauerhafte Erhöhung der Energiekosten, die Haushalte und Wirtschaft belasten und bestimmte Produktionen aus dem Land treiben. Mit dem EEG begann die Phase des Schlafwandlertums – alle Anbieter konnten scheinbar an dem Geldsegen teilhaben, aber es waren zunächst weitgehend deutsche Unternehmen, die hier mit staatlicher Hilfe in den Markt geschoben wurden. Nicht vorhersehbar für die Politik war offensichtlich, dass die öffentliche Förderung innerhalb von wenigen Jahren weltweit zu einer Vervielfachung der Kapazitäten in den Schwellenländern, vornehmlich in China, führte. In der Phase der Begeisterung am Ende des Jahrzehnts konnte sich die deutsche Solarindustrie rühmen, die größte der Welt zu sein. Tatsächlich wurde die Lage kurz danach bedrohlich, es folgte die Mobilmachung mit der Verfügung der EU-Kommission auf vorläufiges Einführen von Antidumpingzöllen am 5. Juni 2013, die Ende des Jahres in dauerhafte Zölle umgewandelt wurden. Die Phase „der ersten Toten und deren Heimführung in Zinksärgen“ wurde eingeleitet durch massenhafte Insolvenzen und Restrukturierungen. Die Zahl der Anbieter in Deutschland ging im Jahr 2012 um rund ein Drittel auf knapp über zwanzig zurück, die Beschäftigtenzahl fiel sogar noch etwas stärker: bis Jahresende 2013 war die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Arbeitsplätze vernichtet. Unter den aus dem Markt ausgeschiedenen, bzw. in Insolvenz und Restrukturierung gegangenen Unternehmen finden sich die Firmen Solon, Solar Millennium, Q-Cells (Verkauf an den südkoreanischen Anbieter Hanwha), Solar World, das eine Antidumpingklage gegen China über die EU angestrengt hat, schließlich Conergy. Unternehmen wie Bosch und Siemens gaben ihre Aktivitäten in der Solarbranche auf, andere global tätige Anbieter, wie First Solar, zogen sich aus ihren Produktionsstätten in Deutschland zurück. Bis Ende des Jahres 2013 hatte sich die Beschäftigung in dieser Branche halbiert. Die chinesische Industrie feiert nur scheinbar einen Sieg; auch sie wird von Insolvenzen geplagt. In Deutschland hat vor allem die hoch entwickelte Zulieferindustrie überlebt. Abb. 8.7 zeigt die global dominanten Anbieter. Inzwischen sieht man, dass China – nach den ersten Insolvenzen von führenden Unternehmen im eigenen Lande – bestrebt ist, seinen Markt zu konsolidieren, also einen Teil der Überkapazitäten16 herunterzufahren und nationale Champions aufzubauen. Hierfür
16Weltweit
lagen im Krisenjahr 2012 die Produktionskapazitäten beim Doppelten des Absatzes, der rund 40 GWp umfasste (die Produktionskapazität wird in der herstellbaren Menge multipliziert mit der maximalen Leistungsabgabe berechnet, GWp: Gigawatt peak, also die Spitzenleistung in Gigawatt). Allein China hat Herstellungskapazitäten von rund 60 GWp, Europa von rund 10 GWp.
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Abb. 8.7 Die weltweit größten Solarkonzerne, 2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Statistisches Bundesamt (2019b) und eigene Recherchen)
hat es ein grünes Investitionsprogramm verabschiedet, das die heimische Solarindustrie stützt. Das im September 2012 von der EU-Kommission initiierte Anti-DumpingVerfahren, welches Anfang Juni 2013 zu einheitlichen Schutzzöllen von 11,8 % auf chinesische Produkte führte und das ab August 2012 zu herstellerspezifischen Zöllen zwischen 30 % und 70 % führen sollte, wurde durch einen Kompromiss abgewendet. Dieser sieht eine freiwillige Beschränkung der überwiegenden Zahl chinesischer Hersteller vor, die nunmehr zu Preisen von mindestens 0,56 € pro kWp in den deutschen Markt einliefern, wobei die Menge von 7 GWp pro Jahr nicht überschritten werden soll – was knapp die Hälfte des bisherigen jährlichen Zubaus in Deutschland ist. Die nicht am Kompromiss teilnehmenden Anbieter zahlen ab August 2013 einen Zoll von 47,6 %. Schließlich wurden seit der Kompromissfindung andere Dumping-Baustellen, vor allem bei den Lieferungen der Netzausstatter Huawei und ZTE, nicht mehr thematisiert. Faktisch führt dies zu Umgehungslieferungen – China exportiert angeblich über Drittländer – und nachdem die Herstellkosten inzwischen bei rund 0,50 € pro kWp angelangt sind, werden die Kostensenkungspotentiale für den Markt nicht genutzt. Zudem entwickelten sich durch Umgehungsstrategien mafiöse Märkte. Im Sommer 2017 ging der deutsche Hersteller Solarworld zum zweiten Mal in die Insolvenz. In diese Debatte ist die Problematik des WTO-Beitritts Chinas im Jahre 2001 einzuordnen, das damals akzeptierte, für die folgenden 15 Jahre als Nicht-Markt-Ökonomie klassifiziert worden zu sein. Nach zehn Jahren intensiver Wirtschaftsreformen versucht es nun allerdings, das zu verändern. Dieser Versuch, den Status einer Marktökonomie zu erlangen, wird aber von der EU, den USA und Japan nicht honoriert und es bleibt als Nicht-Markt-Ökonomie klassifiziert. Von dieser Klassifikation hängt ab, wie Anti-Dumping-Klagen abgewickelt werden (Cornelis 2007): Bei Marktwirtschaften
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werden üblicherweise die Inlandspreise als Referenz herangezogen, bei Nicht-MarktÖkonomien die Referenzpreise aus vergleichbaren Drittländern. Die Anerkennung als Marktwirtschaft bedeutet, dass angesichts kaum zu überprüfender Preis- und Subventionssysteme in China Antidumpingklagen künftig wohl ins Leere laufen werden.
8.5.2 Seltene Erden und der Wille zum Monopol Seltene Erden sind heute strategische Inputs für Hochtechnologieprodukte, insbesondere auch für alle Erzeugnisse der regenerativen Energieindustrie. Es handelt sich dabei um 17 chemische Elemente aus der dritten Untergruppe des Periodensystems. Über ihre Bedeutung als kritische Ressource wurde bereits im sechsten Kapitel berichtet. Sie sind ein interessantes Beispiel für die Überlagerung verschiedener Formen von Grenzen: Territorial findet die Förderung fast nur in China statt, dass diese Stellung nutzt, den Export zu steuern und insbesondere auch eigene Wertschöpfungsketten zu fördern (Blum 2018b). Bezogen auf den Produktraum bestehen daher intensive Versuche des Recyclings und der Substitution. Politisch und insbesondere wirtschaftspolitisch werden Grenzen der Einflussnahme auf der Ebene des WTO-Reglements sichtbar. Seltene Erden sind tatsächlich nicht selten, sondern nur schwer abzubauen, und das erfolgt zum Teil mit erheblichen Umweltschäden. In den 60er, 70er und 80er Jahren waren die USA mit ihrem Lagerstätte Mountain Pass Deposit führender Anbieter und erzeugten mehr als die Hälfte des weltweiten Verbrauchs. Erst Mitte der 80er Jahre stieg China in die Produktion ein und weitete diese stetig aus. Gegenüber der Mitte der 80er Jahre hat sich heute der Verbrauch von Seltenen Erden mehr als verdreifacht, und hiervon werden knapp 84 % von China erzeugt, das davon 60 % für die eigene Fertigung nutzt (Gavin 2013). Seltene Erden stellen für alle Hochtechnologieprodukte einen annähernd unverzichtbaren, weil kaum substituierbaren Input dar und sind insbesondere für die Energiewende – von Solarzellen über Windräder bis hin zu Fusionsreaktoren – unerlässlich. Schließlich sind sie auch ein zentraler Bestandteil der modernen Technologie, ohne den Autos ebenso wenig funktionieren wie beispielsweise die Apparatemedizin, die Smartphones, die Elektromobilität oder moderne Beleuchtungssysteme. Damit stellt die Verfügbarkeit von Seltenen Erden eine entscheidende Bedingung für den Wohlstand in einer entwickelten Gesellschaft dar. Es gab offensichtlich keinen politischen Willen, diese strategische Abhängigkeit von einem Land wie China zu vermeiden. Im Jahr 2009 reichten die EU, die USA und Mexiko eine formale Beschwerde bei der WTO gegen Chinas Exportbeschränkungen ein, die das Land mit zwei Argumenten rechtfertigte, nämlich der der Einführung des Umweltschutzes und der Endlichkeit der Vorräte, die eine nachhaltige Extraktion nahelegen.17 Damit folgte es der Argumentation 17Der Hotelling-Regel (Hotelling 1931) folgend sollen die Preisänderungen für den Rohstoff dem Kapitalzins entsprechen, weil dann das Investieren in die Extraktion ebenso profitabel ist wie die Anlage am Kapitalmarkt. Risikozuschläge sind dabei zu berücksichtigen.
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des Liberalen Paradoxons, dass die nationale, souveräne Entscheidung gegenüber kollektiven Zwängen betont, auch wenn das insgesamt, also global, nicht zwingend wohlfahrtssteigernd ist. Den Grad des rivalen Engagements in dieser Sache erkennt man am besten daran, dass der Wirtschaftsstreit schnell zu massiven sicherheitspolitischen Konflikten zwischen China und Japan führte. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Nachhaltiges Verbessern der Wertschöpfung in China durch Vorwärtsintegration der Wertschöpfungsketten bei Produkten, die kritische Ressourcen chinesischer Herkunft benötigen. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die Volksrepublik China, gegenwärtig annähernd Monopolist für die Gewinnung Seltener Erden; sie verwendet diese auch zur Förderung der eigenen Industrieproduktion und verwirklicht damit ihre strategische Industriepolitik zulasten anderer Länder. Somit folgt der Handel nicht mehr komparativen Kostenvorteilen, sondern strategische Interessen geben Richtung und Volumen des Tausches vor. Insbesondere verweigert sie den diskriminierungsfreien Zugang gemäß den Regularien der WTO. Im Jahr 2010 senkte sie den Export um rund 40 %, was bei gegebener globaler Knappheit zu einer klassischen Umlenkung von Exporten in heimische Verwendungen führt. • Die übrigen Industrie- und Schwellenländer, teilweise mit eigenen Vorkommen ausgestattet, deren Erschließung aber rund fünf Jahre dauern wird, sodass die Monopolstellung Chinas kurzfristig kaum zu schwächen ist. • Die WTO, Träger einer fairen Handelsordnung; China hat hierzu gewisse Sonderregelungen in seinem Beitrittsprotokoll zur WTO aus dem Jahre 2001 verhandelt. Dessen ungeachtet haben Mitte 2012 die EU, die USA und Japan ein WTO-Streitbeilegungsverfahren gegen China im Hinblick auf die chinesische Exportpolitik für Seltene Erden beantragt. Es wird damit offensichtlich, dass hier auch eine Problemstellung der internationalen Rechtspolitik vorliegt. Angesprochen sind unterschiedliche Auffassungen zur WTO-Regel des diskriminierungsfreien Zugangs sowie die Möglichkeit externer Investoren, durch Direktinvestitionen in China ebendort Lagerstätten der Rohstoffe zu erschließen. • Das Weltethos, immer wieder bei Umweltfragen bemüht, hier aber kaum Gegenstand der Debatte; tatsächlich findet die chinesische Produktion gegenwärtig unter Bedingungen statt, die weder als umweltkonform noch als sozialverträglich bezeichnet werden können. Damit drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt moralisch vertretbar ist, wenn sich Importländer in die Abhängigkeit von chinesischen Lieferungen begeben. Ob hierbei unterschiedliche ethische Standards verschiedener Kulturkreise im Sinne eines Kulturrelativismus zu berücksichtigen sind, wäre zu diskutieren ebenso wie die Inanspruchnahme von Sonderregelungen bezüglich der
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Umweltschutzbelange. Auf diese berief sich China explizit im Kontext der Erhebung von Exportzöllen und der Durchführung von Ausfuhrbeschränkungen, um seine restriktive Politik zu Seltenen Erden welthandelsrechtlich zu rechtfertigen. Kriegsmittel: • Preissenkungen und geringe Umweltstandards, um über die Produktionskosten potentiellen Mitbewerbern keinen ertragreichen Marktzutrittsplan zu geben. • Chinas prioritäres Nutzen der Seltenen Erden für die eigenen Produkte. • Verhindern von Auslandsinvestitionen an den Rohstoffquellen. Kriegsziel: • Beschleunigen der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung in wichtigen Bereichen der Hochtechnologie und Gewinnen eines politischen Hebels im Streit um Territorialansprüche mit Nachbarländern, insbesondere Japan. Kriegsfolgen: • Aufseiten des Westens: massive Unsicherheit, ob sich Investitionen in die Gewinnung Seltener Erden langfristig rentieren; hohe Anstrengungen in der Materialwirtschaft bei der Suche nach Substituten. • In China: Kurzfristig ein Verlust an Reputation als Handelspartner und langfristig ein Verlust an Marktmacht. China nutzte seine Monopolstellung bei Seltenen Erden inzwischen dafür, seine Territorialdispute mit den Nachbarn, insbesondere die Inselketten und die Größe seiner maritimen Wirtschaftszone betreffend, durchzusetzen. So eskalierte im September 2010 der Streit mit Japan, als ein chinesischer Fischkutter von Patrouillenbooten der japanischen Küstenwache in der Nähe einer Inselgruppe, die von beiden Ländern beansprucht wird, aufgebracht wurde. Der Kapitän des chinesischen Schiffs wurde zwei Wochen lang in Japan festgehalten. Wie bei vielen derartigen Rohstoffkriegen führt die exzessive Nutzung dieses Instruments dazu, dass nicht nur über Ersatzquellen nachgedacht wird: So hat sich Vietnam, ebenfalls in steter Spannung mit China lebend, mit Japan darauf geeinigt, Chinas Dominanz zu brechen und eine Kooperation im sogenannten Dong-Pao-Projekt im Norden des Lands zu starten. Japan selbst verfügt in seinen Gewässern über Seltene Erden. Die kalifornische Mountain-Pass-Mine wurde ebenfalls wieder aufgeschlossen, nur um im Jahr 2015, nach dem Zusammenbruch der Preise, erneut in Insolvenz zu gehen. In Australien werden beim Projekt Mount Weld Investitionen getätigt. Die Verarbeitung des geschürften Materials wird vermutlich in Schwellenländern durchgeführt werden, was wiederum neue Abhängigkeiten – vor allem aber auch Umweltprobleme
8.6 Fazit und Handlungsempfehlungen
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– schaffen könnte. Auch Ersatzstoffe und ein verstärktes Recycling werden in Betracht gezogen. Infolge dieser Entwicklungen hat sich der UBS-ETF-Index für Seltene Erden binnen zwölf Monaten von seinem Höchststand im Frühjahr 2012 halbiert. Im Jahr 2016 lag der Preisstand wieder auf einem Niveau ähnlich wie vor der Preisexplosion. Damit wird eine Reihe von Investitionen an anderen Standorten unrentabel, was die westliche Welt vor die Frage stellt, in welchem Umfang die Versorgungssicherheit als öffentliches Gut einen Preis hat, für den der Staat zu ihrer Sicherung gegebenenfalls Subventionen leisten soll – im Sinne eine Optionsguts. Tatsächlich ist angesichts der Marktmacht eines Anbieters und seiner möglichen Unzuverlässigkeit grundsätzlich zu fragen, ob nicht eigene Kapazitäten vorzuhalten eine wichtige Versicherung darstellt – also durch den Aufbau eigener potentieller Konkurrenz externe Anbieter in Schach zu halten. Die Tatsache, dass eine derartige glaubhafte Drohung möglicherweise nie eingelöst werden muss, nimmt einer solchen Politik nicht ihren Sinn.
8.6 Fazit und Handlungsempfehlungen Der Raum – ob geographischer Raum, sachlicher (Produkt-)Raum oder Zeitraum – erzeugt Unvollkommenheiten, zerstört den vollkommenen Wettbewerb und eröffnet damit die Gelegenheit zu Vorstößen, bietet Deckung und erlaubt Anschleichen, beispielsweise, um Informationen der Konkurrenten abzugreifen. Durch Raum werden Transportoder allgemeine Transaktionskosten relevant, die die Größe der Märkte beschränken. Gleiches gilt bei öffentlichen Gütern für die Größe der Staaten. Wenn die Staaten kleiner sind als es die Reichweite ihrer öffentlichen Güter und die Kosten der Bereitstellung und Kontrolle erlauben und sie gleichsam zwischen anderen Staaten eingezwängt sind, so werden sie als Pufferstaaten bezeichnet, die gerne die Gelegenheit nutzen, sich dieser strategischen Umklammerung zu entziehen. Damit sind Krisen vorprogrammiert. Durch Wirtschaftskrieg kann Rivalität in allen diesen Dimensionen eskalieren und damit verbrannte Erde im Sinne einer dauerhaften Entwertung ökonomischer Werte hinterlassen werden – beim Angegriffenen, beim Angreifer, möglicherweise bei beiden. Staaten können auch entscheiden, ob sie verschiedene Externalitäten, also öffentliche Güter, mit entsprechendem Zusatznutzen bereitstellen und versuchen, diese über ihre territorialen Grenzen hinaus zu verbreiten. Ein typisches Beispiel dafür sind die klassischen Steuerparadiese, wie die Schweiz oder Liechtenstein, deren Gebiete weit kleiner sind als die Größe des von ihnen verantworteten Währungsraums. Nicht umsonst ist es das Ziel der amerikanischen Regierung, stets den US-Dollar als internationale Währung zu halten, weil damit wirtschaftspolitische Sünden schnell auf andere Länder abgewälzt werden können (für die man aber auch oft die Kastanien aus dem Feuer geholt hat). Die Nutzung des Raums ist ein wesentliches Merkmal, das die Art des Wettbewerbs bestimmt. Strategische Verkehrswege oder Rohstoffvorkommen, die für den Aufbau
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langanhaltender Wettbewerbsvorteile genutzt werden können, sind für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Umgekehrt bedeutet das auch, dass der Zugriff auf solche Vorkommen, wenn sie nicht im eigenen Land vorhanden sind, nicht nur wohlstands-, sondern auch sicherheitspolitisch relevant ist. Raum und Transportkosten eröffnen angriffswilligen Unternehmen die Möglichkeit, Produktionskosten gegen Transportkosten auszuspielen, also durch massive Investitionen in die Anlagen die Stückkosten zu senken und hierdurch Absatzmärkte zu erweitern. Früher kannte man das von Japan, beispielsweise beim Durchsetzen des Videostandards VHS, heute nutzt China diese Erkenntnis. Da eine gesicherte Rohstoffbeschaffung damit zum wesentlichen Erfolgsfaktor wird, muss es nicht verwundern, wie diese zentralistisch gesteuert und abgesichert wird. Raum in Verbindung mit Zeit stellt Führungskräfte vor ein intertemporales Entscheidungsproblem: Wie ist die heutige bzw. die künftige Raumnutzung in ihren kooperativen oder agonalen Perspektiven einzuordnen – und was folgt daraus für die gegenwärtige Strategie? Da Führung sich konkret in Räumen – ob sachlichen, geographischen oder zeitlichen – abspielt, ist die Nutzung des Raums zum eigenen Vorteil essentiell in der ökonomischen Kriegsführung. Eine Führungskraft sollte daher die folgenden Regeln beherzigen: 1. Mach den Raum zum Freund, denn er gibt Deckung, weil er zur Differenzierung zwingt; aus der Deckung heraus zu operieren, ist kostengünstig, erlaubt Überraschungen und erhöht die Erfolgsquote des eigenen Handelns. Gerade der Verlust der geographischen Differenzierung durch das Internet macht das Nutzen zeitlicher und sachlicher Differenzierungsmöglichkeiten besonders notwendig – und ertragreich. 2. Nutz andere Anbieter als Puffer, wenn noch kein vernichtender Wettbewerbsschlag gegen den Konkurrenten geführt wurde! Denn durch Nischen können Anbieter mit starken Produkten in begrenzten Märkten eine Abschottung leisten. Ziel ist es, sie im entscheidenden Moment auf die eigene Seite zu ziehen – die Deckung ist der Verbündete. In diesem Sinne waren die Attacken im Solarkrieg ebenso wie im Krieg um Seltene Erden zu offensichtlich – und schlugen letztlich langfristig fehl. 3. Durch Raum entsteht lokalisierte Marktmacht, die sich der Staat oder das Unternehmen zur langfristigen Ausbeutung sichern können. Beute nie kurzfristig aus, das bietet Anreize zu Markteintritten und politischer Konkurrenz! Nachhaltige Strategien stabilisieren die Kontrolle des Raums. Auch dies lässt sich aus dem Fall Seltene Erden lernen. 4. Eine mental map, also geistige Karte ist zentral, um sich die Höhen und Täler, die Klippen und Sümpfe des Wirtschaftskriegs zu verdeutlichen und das Mittel-Raum-Zeit-Kalkül zu beherrschen. Ohne sie bleibt jede sorgfältige Planung lückenhaft. 5. Im Handelskrieg ist die Koalition zwischen Staat und Unternehmen essentiell. Plane die Kooperation sorgfältig, auch im Sinne des Lobbyismus. Wisse, dass in offenen
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Volkswirtschaften Unternehmen existieren, die vom gegnerischen Land kontrolliert werden. Sie können unter nationaler Flagge auftreten und die eigene Arbeit stören. 6. Netzwerke erzeugen Inertia. Nutz dies zum eigenen Vorteil, wenn es der technische Fortschritt ermöglicht, hierdurch Kosten- und Leistungsführer zu werden! Denn diejenigen, welche small-world-Effekte als erste einsetzen, gewinnen massive Wettbewerbsvorteile.
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Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
„Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“ „Was immer du tust, handle vorsichtig und bedenke die Folgen.“ (Sprichwort aus dem Mittelalter)
Ziel eines Unternehmens ist es, Märkte zu erobern und erforderlichenfalls dabei andere Unternehmen zu schwächen bzw. im Falle des Wirtschaftskriegs zu zerstören. Dies drückt sich in den Gewinnen der Unternehmen bzw. ihrem Wert – dem Unternehmenswert (economic value) aus. Wird dieser vor Anteilseignern getrieben, so spricht man von der Maximierung des shareholder value. Der Erfolg dieser Strategie zeigt sich im Größenwachstum der Unternehmen, und insbesondere im Bereich der digitalen Wirtschaft und des Handels wird eine zunehmende Dominanz weniger Anbieter sichtbar, vor allem in den USA und China. Der Ordnungsrahmen und insbesondere das Wettbewerbsrecht sollen dies verhindern, beide wirken aber nur dann erfolgreich, wenn sie mit den entsprechenden Eingriffsregeln ausgestattet sind bzw. wenn deren Anwendung auch politisch erwünscht ist. Da Unternehmen im Sinne der Differenzierung versuchen, aus der Konkurrenz auszubrechen, wie dies im sechsten und achten Kapitel in der Konzeption der monopolistischen Konkurrenz vorgetragenen wurde, findet in den entwickelten Volkswirtschaften selten eine perfekte Konkurrenz. Und sogar unbewegliche, „nekrophile“ Unternehmen bekommen plötzlich einen eigenen monopolistischen Bereich infolge von Restnachfragen, weil sich alle anderen von ihnen wegdifferenziert haben. Überlegenheit ergibt sich aus Fähigkeiten, der Bereitschaft, diese einzusetzen, und dem Willen zum Erfolg; dies wurde im sechsten Kapitel beschrieben. Dabei sollte ein alter militärischer Grundsatz befolgt werden, nämlich Schwerpunkte zu bilden und die verfügbaren Fähigkeiten in bestmöglicher Kombination einzusetzen. Der
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_9
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
wohl bekannteste kombinierte Instrumenteneinsatz in den Wirtschaftswissenschaften findet sich im sogenannten Marketing-Mix. Hier werden die Preis-, die Produkt-, die Kommunikations- und die Distributionspolitik einander verbunden. Die einzelnen Instrumente und ihre Kombinationen werden in den Kontext der Fähigkeiten gesetzt, um zu zeigen, wie vor allem innovative Möglichkeiten genutzt werden können, um Dominanz zu erzielen. Auch marktorganisatorische Maßnahmen werden in diese Betrachtungen einbezogen. Schließlich werden daraus die wesentlichen Einsatzgrundsätze abgeleitet. Das aggressive Potential von Unternehmensführungen lässt sich an der Maximierung des shareholder value nicht durch Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit mittels Investitionen, sondern durch Wertpapierkäufe, welche die Aktienrückkurse steigern lassen und damit auch die erfolgswirksamen Vergütungen (Boni) erhöhen. Schnell wird dann gegenüber der Gruppe der stakeholder, also Anspruchsgruppen gegenüber den Unternehmen jenseits der Eigentümer, beispielsweise Kunden oder Arbeitnehmern, zu Verhaltensweisen gegriffen, die jenseits des Akzeptablen liegen, teilweise sogar kriminell sind, beispielsweise das Verkaufen technisch unausgereifter oder korrumpierter Produkte. Beispiele zu Ende des 2010er Jahre sind der Dieselskandal oder der Skandal um die Boeing 737Max. In diesem Kapitel wird zunächst das Risikokalkül aufgegriffen, das einer strategischen Entscheidung zum Markteintritt vorangeht. Mit dem Risiko ist immer die Zeit, besser: die Zukunft verbunden. Eine Dimension, Überlegenheit zu erzielen, liegt in der Geschwindigkeit, die eigenen Mittel einzusetzen, um damit das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Ein Element der Fristigkeit ist auch die Verantwortung der Führung – soll sie an kurz- mittel- oder langfristigen Erfolgen gemessen werden? Wie der Economist (2017a) auf Basis einer Studie von McKinsey ausführt, sind langfristige Strategen besser aufgestellt als kurzfristige Taktiker – aber es ist nicht klar, ob Unternehmen unter Druck kurzfristig handeln oder kurzfristiges Handeln Unternehmen kurzsichtig macht. An drei Beispielen werden diese Überlegungen validiert: Am Anfang steht der Vernichtungskrieg der Marktsassen gegen einen ausländischen Markteindringling in den Pkw-Markt der USA. Ähnlich gelagert ist das vernichtende Produktmobbing westdeutscher gegen ostdeutsche Produkte. Schließlich sind Kartelle häufig mit Preiskriegen verbunden, sobald sie sich auflösen, was am Beispiel der Zementbranche aufgezeigt wird.
9.1 Der Hintergrund der unternehmerischen Rivalität Hinter aller Rivalität stehen menschliche Dispositionen, die von Individuen oder Gruppen entschieden werden. Deshalb wurde im dritten Kapitel postuliert, dass allein das Individuum moralfähig, weil verantwortlich sein kann, auch dann, wenn das Handeln
9.1 Der Hintergrund der unternehmerischen Rivalität
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über Unternehmen oder Staaten gebündelt wirksam wird. Möglicherweise ändert sich diese Sicht eines Tages, wenn Künstliche Intelligenz (KI) wirksam wird. Aber bereits hier ist die Frage aufzuwerfen, wer für die grundlegenden Programme verantwortlich zeichnet – ein Tatbestand, der mit Beginn der Diskussion über autonomes Fahren und Haftung bei Unfällen sichtbar wurde. Die aktuell relevanten Fragen lauten: Soll es – neben dem (natürlichen) Personenstrafrecht – auch ein solches für juristische Personen geben? Ist also ein Unternehmensstrafrecht sinnvoll und ist somit von einer Strafmündigkeit von Institutionen auszugehen? Aus Sicht der alleinigen Moralfähigkeit des Individuums bzw. der Gruppen, die wiederum aus Individuen bestehen, ist dies zu verneinen. Unternehmen im Angriff versuchen, Wirkung auf unternehmensspezifische Wertschöpfungsketten auszuüben, also eigene zu stärken und die des Rivalen zu schwächen, um diesen zu schaden. Bei Staaten ist der Gegenstand der Vernichtung die gesamte Leistungsverflechtung, beispielsweise durch Boykott, wodurch eine breitere Wirkung erzielt wird. In manchen Volkswirtschaften mit staatlicher Lenkung oder in solchen, in denen die Kartellbehörden nicht nachhaltig intervenieren, um das Entstehen übermächtiger Unternehmen zu verhindern, verschmilzt beides. Die zugehörigen Begriffe im angelsächsischen Raum sind crony capitalism und im Militärischen khaki capitalism. Hierzu steht ein später zu betrachtender Instrumentenmix bereit, den zu nutzen vorteilhaft ist, weil jedes der einzelnen Instrumente in der Regel abnehmende Wirkungserträge aufweist. Gelegentlich führt ein Zuviel an Mitteleinsatz sogar zu negativen Folgen. Man kann beispielsweise im Bereich des Marketings ausrechnen, wie stark eine Druckwerbung intensiviert werden soll, da es nicht zweckmäßig ist, das Instrument zu forcieren, wenn die damit verbundenen Zusatzkosten durch den Zusatzertrag nicht mehr getragen werden. Tatsächlich setzen heute Unternehmen ihre Mittel geschickter ein als früher, denn gerade große Firmen sind in der Lage, Gewinne auf hohem Niveau zu stabilisieren. Das zeigt eine Analyse der Mitarbeiterin von Goldman Sachs, Sumana Manohar, für Renditen amerikanischer Unternehmen. Anders als früher reicht der Wettbewerbsdruck offensichtlich nicht aus, diese trotz schwacher Nachfrage und erheblicher Überkapazitäten zu erodieren. Das, so die Autorin, werfe fundamentale Fragen zur Funktionsweise der kapitalistischen Ordnung auf.1 Gerade US-Unternehmen nutzen für die erforderliche Stabilisierung der Gewinne den Druck auf die Beschäftigten und insbesondere die Gewerkschaften weit stärker aus, als es in Europa bekannt ist. Das sogenannte union busting, das in den USA seit Beginn der Industrialisierung eine Tradition besitzt (Rügemer 2015) kann auch als wirtschaftskriegerisches Verhalten gedeutet werden.
1Die Studie ist offiziell nicht verfügbar, wird zitiert u. a. von Claus Hulverscheidt (2016a) und Bloomberg (2016).
654
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Die Ausführungen dieses Abschnitts behandeln zunächst das Konzept des Einsatzes verbundener Kräfte und führen dieses an einem Beispiel aus. Dabei wird gezeigt, dass zu den materiellen auch immaterielle Mittel treten können – also List oder besser: Kalkül.
9.1.1 Kombinierter Einsatz verbundener und vernetzter Kräfte im Wettbewerbsumfeld Die militärische Doktrin des engen Zusammenwirkens der einzelnen Truppengattungen war historisch in der Operation verbundener Waffen von Panzergeneral Heinz Guderian (1937a, b) entwickelt worden. Ziel war es, den gemeinsamen Gefechtswert zu optimieren. Analog ist die taktische Zielfokussierung für den ökonomischen Instrumenteneinsatz – die Wahl des effizienten Mix – zentral. In diesem Sinn erzeugte der Aufstieg Chinas für die US-Wirtschaft weitaus mehr Druck, weil neue Produkte mit hohem Technologiegehalt solche aus den USA attackierten, die tendenziell am Ende des Produktlebenszyklus standen, was auch daran sichtbar wurde, dass das Zusammenwirken der Industrie mit Hochtechnologieunternehmen brüchig geworden war. Daraus ergab sich ein disruptiver Effekt, der weit über das dreißig Jahre vorher beim globalen Markteintritt Japans beobachtet wurde. Vor allem stehen heute für derartige Angriffe auf scheinbar stabile, alte Märkte zur Kombination des verbundenen Instrumenteneinsatz Informationssysteme als leistungsfähiges Führungsinstrument zur Verfügung, die damit eine vernetzte Operationsführung weit einfacher ermöglichen als in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das erleichtert gleichermaßen, wie, wann, gegen wen und wo der Angriff erfolgen soll. Beim in der Betriebswirtschaftslehre bekannten Marketing-Mix als verbundenem Mitteleinsatz sollte keinerlei Zielgegensatz vorliegen. Dies wird beim verbundenen Einsatz meist als selbstverständlich unterstellt. Die Wirtschaftspolitik kennt aber auch den Einsatz scheinbar gegensätzlicher Mittel, beispielsweise ein Flankieren der Fiskalpolitik durch Geldpolitik, eine Kombination von Angebots- und Nachfragemaßnahmen oder, gerade in Krisen, in der Verwendung von Kausaltherapie und Neutralisierungspolitik. Erstere versucht, wirtschaftspolitische Ziele durch einen ursachengerechten Eingriff zu erreichen, während die zweitgenannte Maßnahme eine Kompensation als negativ erachteter Entwicklungen anstrebt. Durch derartiges Handeln sollen die Auswirkungen negativer Maßnahmen auf die Bevölkerung – meist auch Wähler – begrenzt werden. Im Wirtschaftskrieg hingegen ist das Zufügen von Schäden Ziel des Handelns, weshalb auf die in Bezug auf die Zielerreichung gleichgerichtete Wirkung Wert zu legen ist. Welche Instrumente in intelligenter Kombination einzusetzen sind, hängt davon ab, welches Wettbewerbsumfeld in dem konkreten Markt vorherrscht, was Teil einer sorgfältigen Lageanalyse ist. Unternehmen haben die Möglichkeit, sich hinter verschiedenen Schutzwällen zu verschanzen. Hierzu zählen beispielsweise versunkene Kosten, ein für sie günstiges und Konkurrenten abschreckende Regulierungsumfeld oder die Existenz natürlicher Monopole. Innovation ist wesentlicher Treiber des Wett-
655
9.1 Der Hintergrund der unternehmerischen Rivalität
hoch hoch
niedrig
Ja Profitabilität
hoch Unternehmen mit Schutzwällen, die sie vor Webewerb schützen können (aber nicht müssen)
niedrig
1 blockierter Markteintri
Dominanz
2 poteneller Markteintri 3
späte Erträge
4
Marktaustri
5
Verdrängung
Dominanz
niedrig
Innovaon
hoch
hoch Dominanz
niedrig
Profitabilität
Nein
hoch niedrig
6
Nischenmärkte
7
staatlich regulierte Märkte
8
lokale Märkte, Selbstversorgung
Dominanz
niedrig
Abb. 9.1 Strategische Fragen zum Markteintritt. (Quelle: eigene Darstellung)
bewerbs, im Falle kontinuierlicher Neuerungen auch eine Barriere, und ermöglicht, aber garantiert nicht zwingend die Profitabilität. Auch Dominanz ist keine zwangsläufige Folge dieser beiden Elemente. Abb. 9.1 zeigt einen Entscheidungsbaum, der die Abfolge der Dominanzdurchsetzung über Innovation und Profitabilität zeigt. Ihr theoretischer Hintergrund lässt sich teils in der Theorie bestreitbarer Märkte, teils der Marktstruktur-Marktverhaltens-Marktergebnis-Hypothese der Harvard-Schule verorten. Die aggressive Ergänzung besteht darin, dass die Dominanz des oder der Konkurrenten möglicherweise nur durch Wirtschaftskrieg gebrochen werden kann. • Das erste Kriterium betrifft die Innovationsfähigkeit und damit die Möglichkeit, im Sinne von Schumpeter neue Kombinationen am Markt zu realisieren, aus denen Wettbewerbsvorteile erwachsen. • Das zweite Kriterium betrifft die Profitabilität. Liegt dies hoch, so kann dies mit einer hohen Innovationsintensität mit zu wenigen Wettbewerbern verbunden sein, sich aber auch als Folge verkrusteter Märkte ergeben. • Das dritte Kriterium adressiert die Vorlaufkosten, beispielsweise durch vor Beginn der Betriebsphase aufzubauende Netzwerke oder hohe versunkene Kosten bei Unternehmen aus der Baustoffindustrie, der Chemie oder der Mikroelektronik, was zu Irreversibilitäten und starkem Willen, im Markt zu verharren, führt. Bei den Feldern (1) und (5) sowie in geringerem Maße bei Feld (2) ist die Wettbewerbsaufsicht gefordert; Wirtschaftskrieg ist hier attraktiv. Unternehmen in Feld (3) rechnen mit späterer Dominanz, weshalb Marktmacht sehr plötzlich entstehen kann. Bei Feld (4) ist zu prüfen, ob die Innovationen durch verbesserte Geschäftsmodelle getragen
656
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
werden können. Die Felder (6), (7) und (8) sind unkritisch, könnten aber anfällig für eine Zombifizierung sein (vgl. das zwölfte Kapitel). Unter (1) sind Unternehmen einzuordnen, die im harten technologischen Wettbewerb stehen, beispielsweise Apple, Samsung oder Huawei. Erzielen sie dauerhafte Dominanz, dann ist ihre Zerschlagung zu erwägen, wie dies auch seitens der Wettbewerbspolitik ins Gespräch gebracht wird, beispielsweise bei Alphabet (Google) oder Facebook. Feld (2) umfasst potentielle Folgeinnovatoren, die von den dominanten Unternehmen abgeblockt und möglicherweise durch Patentdispute unter Druckgesetzt werden können. Feld (3) adressiert die potentiell Erfolgreichen von morgen, die „Einhörner“; oft handelt es sich um Netzwerkindustrien, die aktuell durch ein „Verbrennen von Geld“ versuchen, eine kritische Masse von Nutzern möglichst schnell zu überschreiten, um dadurch künftige Dominanz aufzubauen und dann Gewinne zu erzielen. Das ist beispielsweise Yahoo im Gegensatz zu Google nicht gelungen. Dann scheiden diese, die sich in Feld (4) finden, aus dem Markt aus oder werden aufgrund ihrer Technologiekompetenz übernommen, was wiederum die Fusionsaufsicht wegen potentieller Marktbeherrschung auf den Plan rufen kann. Historisch findet man hier auch erfolglose Pionierunternehmen, die Märkte vorbereitet haben, dann aber gescheitert sind, wie die Comet von De Havilland als erstes kommerzielles Strahltriebflugzeug (1939) oder die Commodore-Rechner in den Achtzigerjahren. In Feld (3) finden sich oft auch neue Geschäftsmodelle, die mit minimalen Infrastrukturkosten den Markt extrem situativ bedienen – in Deutschland lange Zeit das Modell der Kaffeeröster mit ihren saisonalen Spezialprodukten – und damit nach Anlaufverlusten und Eliminierung von Konkurrenz mit Zeitverzögerung Rückflüsse vereinnahmen; im angelsächsischen Raum wird dies mit hit-and-run entry und exit beschrieben. In Feld (5) finden sich viele Anbieter in verkrusteten Märkten mit geringer Innovationsdynamik, aber extrem hohen Vorlaufkosten, historisch beispielsweise aus der Baustoffindustrie, später auch der Solarbranche oder der Speicherchipindustrie, dies sich langandauernde Preiskriege liefern, um Konkurrenten zu verdrängen. Überleben ist dann oft eine Frage der finanziellen Ressourcen, der deep pockets, oder dem Treffen von Abrachen, um die Wettbewerbsintensität zu reduzieren. In Feld (6) tummeln sich üblicherweise Nischenanbieter für Güter, die entweder sehr lokal sind oder eine gewisse Exklusivität besitzen – beispielsweise Oldtimer-Ersatzteile. Feld (7) betrifft vor allem regulierte Unternehmen, beispielsweise der staatlichen Daseinsfürsorge. In Feld (8) zuzuordnen, beispielsweise als dörfliche Selbstversorgungseinrichtungen oder Erwerbsmodelle einer ansonsten beschäftigungslosen Schickeria. Diese wettbewerbstheoretische Gesamtschau, begründet in den vorangegangenen Kapiteln, bezieht sich vor allem auf eine Abfolge, die mit dem Wettbewerb als Entdeckungsverfahren beginnt (Hayek 1968), in deren Mittelpunkt die meist durch Kostenversenken erzeugte Innovation steht (Schumpeter 1912), welche zunächst als Schutzwall wirkt und den Übergang von Marktanteilen von Unterlassern zu den Unternehmern begünstigt. Zunehmende Konkurrenz durch eine nachlassende Wirkung dieser Abschottung, beispielsweise durch Nachahmung, begrenzt zum einen Marktmacht begrenzt (Eucken 1940, 1952) und lässt zum anderen die Innovations- bzw. Monopolrenten erodieren (Baumol, Panzar, Willig 1988).
9.1 Der Hintergrund der unternehmerischen Rivalität
657
9.1.2 Der Kampf von David gegen Goliath – too Big to Fail oder too Big to Jail? Im Alten Testament wird im Buch Mose der Kampf von David gegen Goliath geschildert, der verdeutlicht, dass der Kleine (und Schnelle) gegenüber dem Großen (und Schwerfälligen) durchaus eine Siegeschance hat. Allerdings muss der erste Schuss auch sitzen! Tatsächlich ist die Steinschleuder ein Symbol für die Fähigkeit, mit einem sehr kleinen, aber flexiblen und wirksamen Waffensystem den Großen zu schlagen; das gelingt vor allem dann, wenn der Gegner psychologisch in seiner Überlegenheit, vielleicht sogar Hybris bestärkt wird, also mittels einer psychologischen Kampfkomponente. Die Bibel erzählt diese Geschichte in Samuel (1 Sam 17) als Auseinandersetzung zwischen dem jüdischen Volk und den Philistern, deren Armeen durch einen Hügel voneinander getrennt waren. Es war im Wesentlichen das Vertrauen auf Gottes Hilfe, das David ermutigte, sich Goliath entgegenzustellen und ihn mit einer Steinschleuder zu besiegen. Zugleich wird gezeigt, dass die Hybris Goliaths diesen überheblich und nachlässig machte, weshalb er plötzlich unbeweglich und vom Stein aus der Schleuder Davids getötet wurde. Das wiederum deprimierte die Philister so sehr, dass sie flohen und schließlich von den ihnen nachsetzenden Juden aufgerieben wurden. Es erfüllt sich das über die Operationsführung Gesagte: Angriff ist für den dominanten Marktteilnehmer kritisch, der Zweite hingegen kann durch geniale Schwerpunktsetzung obsiegen. Der David-Goliath-Effekt wird in der Verhaltensforschung gerne als Metapher verwendet, um zu verdeutlichen, weshalb eine Schwäche zu einer Stärke werden kann. Im Marketing ist das als Phänomen der zu starken Werbung bekannt, die den Kunden unter Druck setzt und dazu führt, dass der Kunde genau das gegenteilige Produkt und nicht das angepriesene nachfragt, sich also für den Schwächeren entscheidet. Bedrohte Alternativen können damit eine Überlebensnische finden, um aus ihr heraus den Angreifer effizient zu schlagen. Der Kampf von David gegen Goliath findet in der germanischen Mythologie seine Entsprechung in der Auseinandersetzung zwischen Siegfried und dem Drachen oder bei den Griechen in den Erfolgen von Herkules, der nicht nur Tiere oder Menschen bezwang, sondern auch, wie im Augiasstall, für Ordnung sorgte. In jedem dieser Fälle spielte List eine zentrale Rolle und ist als wesentliches nicht materielles Mittel des Kampfs zu sehen. Neben strategischer Kompetenz zählt auch operatives und taktisches Geschick dazu, insbesondere das Nutzen von Informationsasymmetrien, also die Unfähigkeit des Gegners auszunutzen, sich angemessene Informationen zu beschaffen und damit Wissen zu erzeugen, das für eine sachgerechte Entscheidung erforderlich ist. In der ökonomischen Theorie gilt grundsätzlich, dass die Auseinandersetzung nicht nur auf der Ebene kleiner und großer Unternehmen zu kategorisieren ist, sondern auch auf der von langsamen und schnellen. Es ist allein ein ineffizienter Ordnungsrahmen, der die Schnellen zum Untergang zwingt, bzw. ihr
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Wachstum solange reduziert, bis sich die strukturkonservierende Wirkung der Großen durchsetzen kann. Too big to fail ist nicht nur ein Problem großer Banken, sondern auch alter Industrien, deren Verdrängung durch schöpferische Unternehmer in der Tradition von Joseph Schumpeter (1912) Arbeitsplätze vernichtet, was von der Politik oft mit Argwohn gesehen wird. Das Größenproblem kann weitere Folgen haben: Sind nationale Regierungen noch in der Lage, Unternehmen zu verklagen, gerade solche der Finanzindustrie, wenn diese in der Folge des Schocks die übrige Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen? Dieser als too big to jail-Problematik bezeichnete Tatbestand kann auch dazu führen, dass mittelständische Unternehmen mit hoher Inventions- und Innovationsaggressivität seitens des Staats unterdrückt werden, weil die Folgen für die Gesamtwirtschaft wahlpolitisch negativ sind. Nicht nur deshalb agieren erfolgreiche (kleine, schnelle) Unternehmen aus dem Verborgenen, sind hidden champions, und verfolgen oft das Ziel, geheim zu bleiben, um wenig Angriffsfläche zu bieten, auch gegenüber dem Ausspähen durch Dritte. Dieses Verhalten findet seinen Niederschlag in der Kapitalstruktur, die auch die Publizitätspflicht auf ein Minimum reduziert. Trotzdem gilt auch, dass es ein zu kleines Unternehmen schwer hat, in der Weltwirtschaft zu reüssieren. Die Globalisierung erzwingt Mindestgrößen, auf die bereits Joseph Schumpeter (1942) hingewiesen hatte: Er befürchtete, dass die Zukunft nicht den kleinen, spontan innovierenden, sondern den großen, systematisch innovierenden Firmen gehören könnte. Es sind die Skalenökonomien, die Verbundökonomien, die Netzökonomien und die Lernkurveneffekte, die zu ihrer Nutzung eine Mindestgröße erforderlich machen. Und unter den Bedingungen des Fachkräftemangels ist dieser Aspekt um besagtes employer branding zu ergänzen, also den Arbeitgeber als Marke zu etablieren, damit dieser leichter seine Mitarbeiter finden kann. Es scheint erforderlich, eine gewisse Systemgröße und -fähigkeit zu haben, um ökonomische Auseinandersetzungen siegreich bestehen zu können. Größe ist auch mit Exportfähigkeit und Dezentralisierungspotential verbunden, weshalb die Wissenschaft nachweisen kann, dass Unternehmen in regionalen Märkten die geringste Produktivität und solche mit überregionalen Märkten eine erhöhte Produktivität aufweisen, die weiter zunimmt, je größer der Absatzraum wird (Helpman, Melitz, Yeaple 2004). Die höchste Produktivität können Unternehmen mit ausländischen Kooperationspartnern oder Filialen vorweisen. Dahinter verbirgt sich das, was in der Wettbewerbsökonomie als MarktstrukturMarktverhalten-Marktergebnisansatz (structure-conduct-performance) bezeichnet wird (Mason1939; Bain 1968): Es wird postuliert, eine gewisse Marktstruktur, beispielsweise die Größe der Unternehmen in einer Gruppe, führe zu bestimmten Verhaltensweisen, z. B. Investitionspräferenzen, die dann schließlich erhöhte Gewinne auslösen. Typisch dafür ist das Modell der weiten Oligopole mit begrenzter Produktheterogenität von Erhard Kantzenbach (1967), wodurch ein zu harter Wettbewerb verhindert wird, was wiederum die Finanzierungsmöglichkeiten erleichtert und damit Wachstum fördert.
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen
659
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen Das Vorhandensein von Fähigkeiten, Bereitschaften und Willen wurde im sechsten Kapitel als entscheidender Faktor für das erfolgreiche Führen eines Wirtschaftskriegs ausgewiesen. Für die effiziente Aufstellung sind der Personal-, der Ressourcen-, der Innovations- und der Finanzbereich von herausragender Bedeutung; diese werden im Folgenden analysiert. Sie wirken direkt auf die strategische Aufstellung des Unternehmens, das verbunden mit dem Rivalitätsumfeld und den daraus abzuleitenden (vermuteten) Dominanzerwartungen, das jeweilige Risikoprofil des Unternehmens prägt. Man kann diese beispielsweise durch Simulationsverfahren ermitteln, die die einzelnen Risiken auf der Grundlage eines Audits erfassen. Es ist besonders deren Kombination, beispielsweise ein Großschaden verbunden mit dem Ausfall des Entwicklungsingenieurs und dem Verlust des wichtigsten Kunden, die ein Unternehmen in Gefahr bringt. Das Eigenkapital dient demzufolge als zentraler Puffer für alle möglichen Kalamitäten, die einzeln oder gemeinsam – dann oft mit kumulierenden Auswirkungen – auftreten können. Der folgende Abschnitt beleuchtet daher das Risikokalkül und nimmt dann Bezug auf wesentliche Fähigkeiten.
9.2.1 Einordnung in das Risikokalkül der Unternehmen Das Risikokalkül eines Unternehmens lässt sich sehr einfach auf der Grundlage einer Gewinnverteilung analysieren, die verschiedene positive und negative Ereignisse, beispielsweise als Folge interner Handlungen oder externer Umwelteinflüsse, als Ergebnisses eines stochastischen Prozesses – also eines Risikoprozesses – darstellt (Blum und Leibbrand 2003). Dies geschieht in Abb. 9.2. Unterstellt wird ein Gewinn mit einem Erwartungswert von 10 Mrd. €. Es wird angenommen, dass sich das Unternehmen vorrangig auf worst-case-Szenarien vorbereitet. Um Verluste auffangen zu können, sind zwei Werte aus der Risikoanalyse zentral: der value at risk bzw. das risk adjusted capital. Ersterer beschreibt, welche Verlusthöhe aus der aggregierten Betrachtung mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit (hier 1 %) innerhalb eines gegebenen Zeithorizonts (z. B. Vertragsdauer des Vorstands) nicht überschritten werden darf, ohne das Unternehmen zu zerstören. Ist dieser größer als das Eigenkapital, dann kann das Unternehmen entweder mehr Eigenkapital aufbauen, im Rahmen des Risikomanagements Risiken vermeiden oder diversifizieren – oder den wesentlichen Konkurrenten zerstören – bzw. es versuchen. Die zweite Größe gibt an, wieviel Kapital durch die aggregierten Risiken (hier bei 1 %) gefährdet bzw. für dessen Deckung erforderlich ist. Dem Unternehmen steht nun ein zweites gegenüber. Die Auseinandersetzung um den Markt erzeugt bei jeder der beiden Parteien Zukunftserwartungen, die aber meist nicht symmetrisch sein werden. Haben beide Unternehmen positive Erwartungen – liegt
660
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg VaR (1%) RaC (1%)
Forecast: Gewinnvor vorSteuer Steuer Prognose: Gewinn
20 Ausreißer 57 Outliers
Frequency Chart
,036
182
,027
136,5
,018
91
,009
45,5
,000
-EK
Absolute Häufigkeiten
Wahrscheinlichkeit
3.000 (Versuche) 5.000Durchläufe Trials
0 0,00
erwarteter Gewinn
-100 Mio. €
-40 Mio. €
Resultat der aggregierten Risikowirkungen
12 Mio. €
70 Mio. €
130 Mio. €
Streuung des Gewinns
Abb. 9.2 Ergebnisse einer Risikosimulation für Unternehmen. (Quelle: eigene Darstellung)
also die überwiegende Wahrscheinlichkeitsmasse im positiven Bereich – dann sollten sie sich hinsichtlich ihrer Konkurrenz auseinandersetzen. Negative Erwartungen hingegen können eine wirtschaftskriegerische Eskalationsspirale auslösen, um durch rechtzeitigen Angriff Vorteile auszuspielen und Positionen zu sichern. Das wirkt dann auf die Aktivierung von Fähigkeiten und Bereitschaften sowie den Konfliktwillen zurück. Diese Detaillierung findet sich in Abb. 9.3.
9.2.2 Personalsicherung Personal als ultimate ressource spielt für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen eine entscheidende Rolle: einmal im direkten Sinne der zu erbringenden Arbeitsleistung, an welcher Stelle auch immer, ob in Forschung und Entwicklung, Marketing, Logistik usw., zum anderen aber auch im Sinne der corporate identity und damit des Unternehmens als Marke. Das spielt heute deshalb eine große Rolle, weil Fehlverhalten hier nach außen wirkt und schnell die Basis der Reputation des Unternehmens erodieren kann. In der Tat nimmt die Bedeutung die moralische Verlässlichkeit der Mitarbeiter
661
Zukunserwartungen
0
130 Mio. € 70 Mio. €
Streuung des Gewinns
erwarteten Gewinn
0,00
12 Mio. € -40 Mio. €
-EK
-100 Mio. € ,000
,009
,018
Resultat der aggregierten Risikowirkungen
136,5
45,5
182
91
20 Ausreißer VaR (1%)
Niveau der Abhängigkeit des Unternehmens X
Prognose: Gewinn vor Steuer
RaC (1%)
Frequency Chart
,027
,036
3.000 Durchläufe (Versuche)
Wahrscheinlichkeit
Risikoprofil Unternehmen X
Absolute Häufigkeiten
Dominanzerwartungen des Unternehmens X
Fähigkeits-BereitschasWillens-Profil des Unternehmens Y
Dominanzerwartungen des Unternehmens Y
136,5
182
0
20 Ausreißer
130 Mio. €
Eskalaon?
Niveau der Abhängigkeit des Unternehmens Y
VaR (1%)
RaC (1%)
Frequency Chart
Prognose: Gewinn vor Steuer
70 Mio. €
Eskalaon?
Risikoprofil Unternehmen Y
,036
45,5
91
,027
,018
12 Mio. €
erwarteten Gewinn
0,00
Streuung des Gewinns
,009
-40 Mio. €
-EK
Resultat der aggregierten Risikowirkungen
-100 Mio. €
3.000 Durchläufe (Versuche)
Wahrscheinlichkeit
Absolute Häufigkeiten
,000
Fähigkeits-BereitschasWillens-Profil des Unternehmens X
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen
Allgemeines Rivalitätsumfeld Abb. 9.3 Abgleich der Dominanzerwartungen im Zwei-Unternehmens-Fall. (Quelle: eigene Darstellung)
in einer Welt, in der sich die Anforderungen aus vielfältigen kulturellen Vorgaben zusammensetzen, stetig zu. Ebenfalls bedeutsam ist die Personalsicherung für solche Länder, die an demographischer Implosion leiden und sich daher einem zunehmenden Wettbewerb um Qualifizierte stellen müssen. Neben den entsprechenden Systemen der Selbstrekrutierung (in Deutschland beispielsweise mittels des dualen Systems) gewinnt das bereits mehrfach erwähnte employer branding, also das Unternehmen als Marke für Personal zu positionieren, eine wachsende Relevanz.
9.2.3 Ressourcensicherung und Dominanz von Wertschöpfungsketten Unternehmen können Ressourcen in der Regel nur sichern, wenn sie in ihrem Eigentum oder in ihrer Verfügungsgewalt stehen. Insofern haben große Unternehmen dann eigene Gewinnungsbetriebe, sind also rückwärts integriert, wenn sie auf den Freihandel nicht vertrauen – bzw. negative Dominanzerwartungen haben. Fehlende Verfügbarkeit kann wiederum zu Innovationsanstrengungen führen, die den Input ersetzen, beispielsweise
662
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Naturkautschuk durch künstlichen Kautschuk, was in Deutschland durch die Kautschuksynthese gelang, womit den französischen und niederländischen Kolonien in Asien ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen wurde. Anfang der 2010er Jahre hat die enorme Verteuerung der Seltenen Erden seitens der Volksrepublik China dessen strategische Position eher geschwächt. Denn in einer Sicherstellungsstrategie muss abgewogen werden, welche Ressourcen durch eine Recycling- und Substitutionsstrategie sichergestellt werden sollen und an welcher Stelle es günstiger erscheint, auf ein Ersatzgut zu setzen, das die gleiche Aufgabe erfüllt. Offensichtlich ist die Breite der Rohstoffnutzung ein wichtiger Maßstab, vor allem im Kontext verwendungsoffener Technologien. So wurde beispielsweise Kupferkabel durch Glasfaserkabel in den Kommunikationsnetzen ersetzt – aber auch das Handy stellt ein Substitut zum klassischen Festnetz dar. Massive Eingriffe in die globalen Wertschöpfungsketten werden sich aufgrund von Umweltschutzgesetzgebungen und neuen Technologien, insbesondere der Digitalisierung, ergeben. Eine der zu nennenden Faktoren sind additive Herstellungsverfahren, die Maschinen sind gemeinhin bekannt als 3-D-Drucker. Zentrale Ressource sind hier auch die Werkstoffe zum Drucken.
9.2.4 Innovations-, Patent-, Lizenz- und Markenstrategien Zu den wichtigsten intellektuellen Eigentumsrechten eines Unternehmens bzw. einer Volkswirtschaft zählen Marken und Patente. Deren Nutzungsübertragung an Dritte kann lizensiert werden. Gelingt es einem Unternehmen, eine Marke aufzubauen, die einen hohen eigenen Goodwill2 besitzt, so gewinnt es damit Marktmacht und die Möglichkeit, Differentialrenten abzuschöpfen. Der Versuch, andere Marken auszuhöhlen, gelingt in der Regel dadurch, dass man deren Wert durch Skandalisierung relativiert oder durch Plagiate erodiert, die dann wie Falschgeld wirken. Dazu reichen meist vergleichsweise einfache Vorkommnisse, über die im siebten Kapitel anhand des legendären Elchtests in der Automobilwirtschaft berichtet wurde. Patente sind die erste Stufe des Technologietransfers, weil sie Kenntnisse offenlegen und damit teure Parallelforschung vermeiden. Sie gewähren einen Schutz auf Zeit, und die Länge der Schutzperiode erhöht den Anreiz zum Patentieren und zu zeitlich vorlaufender Forschung und Entwicklung. In der Tat würde ohne Patente die Rendite aus Erfindungen und Entwicklungen vergemeinschaftet, sodass der Innovationsanreiz entfiele. Allerdings führt diese Abschottung gegen Dritte durch fehlende Konkurrenz zu volkswirtschaftlichen Kosten. Insofern ist die Länge der Patentlaufzeit stets Gegenstand der wirtschaftspolitischen Diskussion. Gerne werden Patente als Indikatoren der Innovationsleistung verwendet; das sind sie nicht in jedem Fall, allenfalls können sie das Inventionspotential beschreiben 2Typischerweise kann man das über das Tobin-Q messen, also das Verhältnis aus Marktwert eines Unternehmens zu Wiederbeschaffungskosten (näherungsweise ist dies der Buchwert); vgl. Tobin (1969).
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen
663
– die Innovation selbst wird durch den Markterfolg definiert. Zudem schwankt der erfinderische Gehalt eines Patents von Land zu Land – er liegt beispielsweise in Deutschland weit höher als in Japan, das eine starke Zerlegung in einzelne Bestandteile praktiziert. Auch ist zu hinterfragen, was mit dem Patent geschieht – ob es tatsächlich wirtschaftlich genutzt wird, ob es als Sperre gegen Dritte gedacht ist oder ob es, zumindest zum aktuellen Zeitpunkt, eine reine Erfindungsleistung ohne wirtschaftliches Interesse bleibt. Da über die Qualität des Patents und damit seine Einordnung in die drei Kategorien nur der Anmelder Bescheid weiß, wird er ein wichtiges Schutzrecht im Ausland anmelden, wodurch dessen Relevanz nach außen dokumentiert ist. Abb. 9.4 gibt die Forschungs- und Entwicklungsausgaben ausgewählter Unternehmen (in Klammern: Sitzland) wieder, wobei die jeweiligen Wirtschaftsbereiche farblich unterschieden sind. Basis- bzw. Sprunginnovation können Volkswirtschaften radikal ändern. Mit Einschränkungen gilt dies auch für Verbesserungsinnovationen, bei denen nur inkrementelle Fortschritte erzielt werden. Beide bauen sie auf sehr verschiedenen Strukturen auf, nämlich einmal auf radikal Neuem, was eine große Nähe zur Forschung impliziert Internaonal Amazon (USA) Alphabet (Google, USA) Intel (USA) Samsung (KOR) Volkswagen (DEU) Microso (USA) Roche (CHE) Merck (USA) Apple (USA) Novars (CHE) nur Deutschland Volkswagen Daimler-Benz Siemens Bayer BMW SAP Connental Merck BASF Deutsche Telekom 0
2
4
6
8 10 12 Milliarden US$
14
16
18
Abb. 9.4 Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen multinationaler Unternehmen, 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (2017c) und PWC Strategy – Farben nach Ländergruppen)
664
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
(beispielsweise bei Shockleys Transistor), oder dem Kombinieren vorhandenen Wissens, was auch als Hybridisierung (Weizman 1996; Youn, Strumsky, Bettencourt, Lobo 2015) bezeichnet wird (beispielsweise bei Edisons Glühbirne). Von disruptiven Technologien oder Innovationen spricht man dann, wenn durch die damit verbundenen technologischen bzw. wirtschaftlichen Innovationen bisherige Geschäftsmodelle nachhaltig zerstört werden. Oft sind die begünstigten Unternehmen völlig andere als die bisherigen Marktführer, was auch eine beträchtliche Relevanz für die Arbeitsteilung und die Standortstrukturen besitzt. Gerne wird dann der Begriff der Urknalldisruptoren genannt (Downes und Nunes 2013), welche durch völlig ungehinderte – spontan-undisziplinierte – Expansionen gekennzeichnet sind. Anders als beim normalen Produktlebenszyklus gibt es nur zwei Phasen: die versuchsweisen Erstnutzer und dann das Ausschöpfen des Mehrheitsmarkts. Neuere Forschung belegt, dass Unternehmen offensichtlich eine Wahl haben, entweder die erforderlichen ökonomischen Potentiale durch Zukäufe bzw. Fusionen zu erschließen oder durch eigene Innovationen (Haucap und Stiebale 2016). Erfolgreiche Zusammenschlüsse verringern im Anschluss die Forschungsanstrengungen. Das erscheint auch im Sinne des ökonomischen Kalküls als Wahl zwischen Alternativen plausibel. Praktisch bedeutet es, dass Fusionen nicht nur die Wettbewerbsintensität verringern können, weil enge Märkte Absprachen erleichtern; es ist auch möglich, dass der künftige Wettbewerb durch nachlassenden Forscherdrang begrenzt wird. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (2019) hat auf Grundlage einer breiten Datenauswertung festgestellte, dass patentstarke Unternehmen von gegenseitigen Übernahmen absehen. Tatsächlich kaufen patentstarke die schwächeren Unternehmen. Weiterhin nimmt die Konzentration der Patente in der Hand weniger Unternehmen zu, was möglicherweise damit verbunden ist. Mittelständler beanspruchen derartige Schutzrechte seltener und präferieren strikte Geheimhaltung, sind diese doch, wie bereits berichtet, durch die Offenlegung in der Patentschrift bereits ein Teil des Technologietransfers; sie treibt die Sorge um, von Großunternehmen in Patentkriege verwickelt zu werden, die sie finanziell nicht durchstehen können. Je nach Innovationshöhe sind sie auch sehr unterschiedlich von Patentkriegen bzw. Normungs- und Standardkriegen betroffen. Denn da Patente den Zugang zu Märkten zeitweise unterbinden, sind sie auch Gegenstand von Wirtschaftskriegen; Patententeignungen bzw. die Nichtbeachtung im Falle von Konflikten oder Notlagen sind die logischen Folgen. Die moderne Digitalisierung verwischt diese Grenzen zunehmend, weil beispielsweise schutzfähige Texte oder patentierte Produkte – neuerdings über den 3-D-Drucker – beliebig und schwer kontrollierbar verbreitet werden können. Besonders Prozesse um vorgebliche Patentverletzungen sind bedeutsam, und da im internationalen Vergleich die technische Werthaltigkeit einzelner Patente sehr unterschiedlich ausfällt, schlägt dies direkt auf den Schutzeffekt durch. Bei kleineren Patenten wird gerne seitens der Konkurrenz versucht, diese durch ergänzende Patente einzumauern, sodass der Inhaber in der Weiterentwicklung beschränkt ist. Mittelständische Unternehmen tun sich oft finanziell schwer, Patentprozesse zu führen. Auch wenn diese
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen
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irgendwann gewonnen würden, wäre die Belastung zu groß. Gerade diese immens hohen Risikokosten legen den Schutz des eigenen geistigen Eigentums durch Rückwärtsintegration nahe. In der Tat unterscheiden sich die Aneignungsmechanismen innovationsaktiver Unternehmen nach ihrer Größe deutlich voneinander. Immer spielen der zeitliche Vorsprung und die Geheimhaltung eine große Rolle, die aber bei kleinen Unternehmen relativ gesehen bedeutender sind als bei großen, weil diese nicht über die Marktmacht und ebenso wenig über die finanziellen Mittel verfügen, sich mittels juristischer Verfahren gegen das Verletzen von Patenten zu wehren. Informationsunsicherheit entsteht auch durch neue Schutzfelder, sichtbar beispielsweise am europäisch-amerikanischen Streit um die Zulassung von Patenten auf Gene. Auch stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit Märkte durch Trivialpatente abgeschottet werden können, weil gewisse Funktionen ohne deren Nutzung nicht zu vollziehen sind. Kartellbehörden haben dann die Möglichkeit, die dadurch bedingte Marktmacht zu beschränken, indem Zwangslizensierungen angeordnet werden. Das hängt aber davon ab, wie der entsprechende Ordnungsrahmen des Staats ausgestaltet ist. Der Produkt- und Technologieraum kann vermint werden, sodass kein Konkurrent hinzutreten kann, außerdem kann der Wettbewerber, wie im sechsten Kapitel beschrieben, umzingelt quasi (eingemauert) werden, um ihn technologisch unter Quarantäne zu stellen. Patentverwertungsgesellschaften, gerne auch Patenttrolle genannt, spielen eine zunehmend bedeutende Rolle bei Konflikten um das geistige Eigentum. Sie bündeln Patentfamilien aus Insolvenzen oder verwerten solche aus mittelständischen Unternehmen, denen hierzu die Ressourcen fehlen, indem sie die Lizenzvergabe oder den Lizenzhandel organisieren. Damit ist hier eine Art Gegenmacht gegen die IPR-Verwertungseinrichtungen der großen Konzerne entstanden. So erregte in Deutschland Anfang des Jahres 2014 ein Patent aus dem Erbe von Bosch Aufmerksamkeit, welches das prioritäre Freischalten in belasteten Netzen ermöglicht, beispielsweise zum Durchleiten von Notrufen. Apple weigerte sich, Lizenzgebühren zu zahlen, und wurde deshalb verklagt. In den USA erzielt dieses Geschäftsmodell erhebliche Zuwachsraten; während klassische Patentstreitigkeiten nur moderate Steigerungen erleben, explodiert deren Zahl im Verwertungsbereich, wie die Tab. 9.1 zeigt und stellt eine große Gefahr für die Innovationsbereitschaft der Unternehmen dar (Cohen, Gurun, Kominers 2014). Inzwischen geraten auch offene (open source) Programme ins Visier vor allem ihrer früheren Entwickler, wenn diese wie beispielsweise im Falle von Linux nachweisen können, dass die sogenannte general public licence (GPL) nicht eingehalten wird. Diese erlegt den Weiterentwicklern das Veröffentlichen ihre Ergebnisse dort auf, wo ehemalige Linux-Software berührt ist, was aber nicht immer klar ist. Der Übergang vom Entwickler zum Abmahntroll, der hohe Vertragsstrafen vereinnahmt, kann daher extrem lukrativ sein (Heeg 2018), stellt aber das Geschäftsmodell der open source, auf das viele Hersteller – von Maschinensteuerungen bis hin zu Smartphones – angewiesen sind, infrage.
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Tab. 9.1 Anzahl der Patentstreitigkeiten in den USA Jahr
Operativ tätiges Unternehmen
Patentverwerter
Individuum oder Trust
Universität
2007
1826
428
190
14
2008
1661
376
199
10
2011
1755
1094
182
12
2012
1966
2.751
206
17
Quelle: Eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung (2013b)
Unternehmen müssen genau prüfen, welcher strategische Markteintritt in einem bestimmten Forschungsfeld vernünftig ist und welche Konsequenzen das für andere Unternehmen hat. Dabei bedarf es vor allem finanzieller Reserven, um die hohe Wettbewerbsintensität, die mit einer solchen Entscheidung verbunden ist, durchstehen zu können. An der Solarindustrie sieht man deutlich, dass Fehlentscheidungen weltweit zu einer großen Kapitalvernichtung führen können. Patente sind sehr gut geeignet, die Kosten der Rivalen zu erhöhen, diese vor unüberwindliche Markteintrittsbarrieren zu stellen oder sie aus dem Markt zu drängen, wenn sie auf diese angewiesen sind; wenn der Inhaber sie nicht selbst nutzt, liegt ein Sperrpatent vor. Allerdings gibt es Möglichkeiten, durch Gerichtsbeschluss Zwangslizenzierungen durchzusetzen. Alternativ können, wie Nancy Gallini (1984) nachweist, alte, weniger wertvolle Lizenzen quasi verramscht werden, um damit sogar überlegene Produkte und ihre Hersteller zu beschädigen; der Kampf VHS vs. Video 2000 ist hier beispielhaft zu nennen. Das berührt direkt, wie Ulrich Blum, Torsten Bahke und Gisela Eickhoff (2002) und Ulrich Blum (2007b) zeigen, den Vorteil von Standardisierungs- und Normungsstrategien, weil sie bewährte und wirtschaftlich tragfähige – nicht unbedingt die besten – Technologien dauerhaft verfügbar machen und dadurch das Risiko des Attentismus beim Käufer reduzieren. Carl Shapiro und Hal Varian (1999) zeigen in ihrem Beitrag The Art of Standards Wars anhand historischer Beispiele, wie die Eigenschaft der langfristigen Pfadfestlegung zu bedeutenden Normungskriegen geführt hat, beispielsweise der Kampf um die Spurweite bei der Eisenbahn in den USA, der Kampf zwischen Gleich- und Wechselstrom in Netzen, aber auch das Setzen von Standards bei Rechnern oder Speichermedien. Da die Normung bereits eine staatliche oder private, aber staatlich belehnte Aufgabe ist, ergibt sich hier ein wichtiger Übergang zum Wirtschaftskrieg der Staaten. Das wird umso deutlicher, je stärker die Norm zur konkreten staatlichen Wohlfahrt beiträgt; oft hängt das mit starken Netzwerkeffekten zusammen – dann werden die Auseinandersetzungen mit großer Bitterkeit ausgetragen. Daher spielt eine Reihe von Faktoren eine entscheidende Rolle bei einem Krieg der Standards und für die Erfolgschancen eines Angreifers (oder Verteidigers):
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen
667
• Die Größe der installierten Basis, auf der der Standard aufbaut: Sie erzeugt die besagte Pfadbindung, nur durch revolutionäre Sprunginnovationen lässt sie sich ablösen – faktisch zerstören. Zu dieser Basis zählen auch wichtige komplementäre Güter. • Die intellektuellen Eigentumsrechte: Patente sichern Standards ab. Im Falle eines offenen Standards und insbesondere bei Normen sind diese den Nutzern zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stellen. • Innovationsmilieu und Innovationspotential: Die eigenen Fähigkeiten, aber auch die, die das Umfeld als Synergie bereitstellen kann, sind entscheidend für die Erfolgsaussichten eines Kriegs um Standards. Wenn Wettbewerb aus Innovation und Transfer besteht und Standards auf Patenten aufbauen, dann wird durch sie die wesentliche Absicherungs- und Vorsprungsfunktion bereitgestellt. Damit wird das Innovationspotential maßgeblich von der Technologiekompetenz abhängig. Neben Patenten können auch Warenzeichen, Marken oder unverwechselbare Designs zentral für Innovationserfolge sein, sodass sich die Ausführungen auch auf Design- und Markenkriege übertragen lassen. • First-mover-Vorteile: Oft hat der Erste im Markt einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung, vor allem dann, wenn es ihm gelingt, die Marktplattform zu definieren. Das ist aber mit hohen Risiken verbunden, weshalb ein Interesse daran bestehen kann, einen offenen Standard oder sogar eine Normung einzuleiten, die die Technologiebasis verlässlich macht und damit eine erhöhte Nachfragebereitschaft induziert. Diese Strategie ist häufig der des Kriegs um Standards überlegen (Blum, Bahke, Eickhoff 2002). Tatsächlich finden sich am Rand der ökonomischen Schlachtfelder viele gescheiterte first mover, beispielsweise der Hersteller der ersten Düsenverkehrsflugzeuge De Havilland, der mit seinem Modell Comet scheiterte, oder der erste Kleinrechner Commodore, der vom IBM-PC vernichtet wurde. • Fertigungskapazitäten: Sie spielten ebenso wie das Innovationspotential bereits bei den Fähigkeiten eine wichtige Rolle. Besonders dem fast prototyping kommt eine herausragende Bedeutung zu. Eines der wichtigen Wettbewerbsprobleme der chinesischen Wirtschaft ist das Fehlen von Facharbeitern, weshalb dort das zügige Umsetzen technologischer Ideen immer wieder an Grenzen stößt. Carl Shapiro und Hal Varian (1999) identifizieren vier Rivalitätsstrategien, nämlich einmal die des evolutionären Wettbewerbs, dann die der Auseinandersetzung zwischen neuen, revolutionären Lösungen, bei denen irgendwann ein Standard als erfolgreich ausgesiebt wird sowie den Kampf zwischen einem revolutionären und einem evolutionären Fortschritt. Diese sind in Abb. 9.5 dargestellt. Üblicherweise gehen die jeweiligen Erfolgsfaktoren auch mit konkreten Preissetzungen einher. So wird ein Präventivschlag mit Limitpreisen, also markteintrittsverhindernden Preisen erfolgen, für das Herausdrängen aus einer installierten Basis sind Penetrationspreise erfolgreich. Der Erfolg im Krieg um Standards, um eine breit installierte Basis zu dominieren, ist kein Garant für künftigen Erfolg, wenngleich die
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Rivalisierende Technologie
Kompabilität
Inkompabilität
rivalisierende Evoluonen 1 2
Evoluon versus Revoluon
3 4 Inkompabilität
Eigene Technologie
Kompabilität
Revoluon versus Evoluon
rivalisierende Revoluonen
Abb. 9.5 Klassifikation der Rivalität um Standards. (Quelle: eigene Darstellung aus Shapiro und Varian 1999)
lock-in-Effekte eine Trägheit des Wechsels bei Kunden bedingen. Viele Unternehmen haben sich auf frühere Erfolge verlassen und wurden durch Angriffe mit revolutionären Technologien hinweggefegt; Atari ist ein Beispiel dafür. Problematisch werden Innovationsstrategien dann, wenn durch sie neue Leistungen auf dem Markt angeboten werden, was aber einhergeht mit einer Außerkraftsetzung bzw. einer rechtlichen Neuinterpretation von zulässigem Handeln im bisherigen regulatorischen Rahmen, wie es beispielsweise der Taxidienst Uber im Jahr 2014 praktiziert. Denn dann sind Vorteile und Nachteile besonders abzuwägen, insbesondere ist zu fragen, weshalb einem Außenstehenden Wettbewerbsstrategien zugestanden werden, die bei einem Innenstehenden, also lizenzierten Taxibetreiber, sofort zum Entzug der Lizenz führen müssten. Somit tritt der Fall eines Wettbewerbs der institutionellen Arrangements auf; dann muss das angreifende Unternehmen bei dieser Konfrontationsstrategie zwischen den Chancen einer Rechtsänderung und der Bedrohung der Aufrechterhaltung der bisherigen Regulierungen abwägen und notfalls eine leistungsfähige alternative Strategie in Reserve haben.
9.2.5 Kapitalsicherung und Finanzierung Mit dem Einzug des Konzepts des shareholder values, also der Optimierung des Werts eines Unternehmens zugunsten der Anteilseigner, gerieten andere Maßstäbe des Erfolgs von Unternehmen, insbesondere aus gesellschaftlicher Sicht, in erheblichem Maße unter
9.2 Dominanzerzielung im Wirtschaftskrieg der Unternehmen
669
Druck. Bald erkannte man, dass auch die stake-holder von Bedeutung sind, denn die Reputation eines Unternehmens kann, sobald sie unter Druck gerät, den Unternehmenswert massiv zum Einbruch führen. Die damit verbundene starke Kapitalmarkt- aber auch Reputationsabhängigkeit der modernen Publikumsgesellschaften hat den mittelständischen Unternehmen, die oft sehr langfristige Zielsysteme ihr Eigen nennen, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschafft. Viele von ihnen versuchen genau aus diesem Grund, keine allzu bedeutende Rolle in der Öffentlichkeit zu spielen, sich also zu verstecken (im stealth-modus zu existieren), um nicht als Rivale oder Übernahmekandidat aufgeklärt zu werden. Zudem erhöht jede Prominenz im öffentlichen Raum das Reputationsrisiko. Daher sind sie bestrebt, ihren Firmenwert langfristig zu maximieren, und Langfristigkeit bedeutet, Randbedingungen wie Kundenzufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter als entscheidende Parameter einzubeziehen. Publikumsgesellschaften kaufen häufig zum Zweck der Wertmaximierung ihre eigenen Aktien zurück, was ihre Verschuldung meist senkt und sie robust gegen externe Übernahmeattacken macht. Zu den wichtigsten, den Unternehmenswert reduzierenden strategischen Schwächen zählt folglich eine überhöhte Unternehmensverschuldung, die die langfristigen Investitionsmöglichkeiten begrenzt, es sei denn, das würde durch eine lockere Geldpolitik oder staatliche Garantien kompensiert. Die Abb. 9.6 zeigt die Verschuldungsdynamik für ausgewählte Länder. Links oben befinden sich Schwellenländer wie die Türkei, Mexiko und Brasilien, die aus einer geringen Verschuldung heraus das Unternehmenswachstum durch eine starke Kreditaufnahme forciert haben. China (im Feld
Abb. 9.6 Unternehmensschulden ausgewählter Länder (ohne Finanzinstitutionen), 2008 bis 2018. (Quelle: eigene Darstellung mit Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2018)
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
rechts-oben) tat das ebenso, aber auf der Basis einer bereits vorhandenen hohen Unternehmensverschuldung. Viele frühindustrialisierte Länder haben ihre Verschuldung weitgehend konstant gehalten, teilweise sogar reduziert wie das Vereinigte Königreich. Damit haben sie sich unternehmerisch rational verhalten – Konsolidierung war wegen der ungewissen Zukunft sinnvoll – aber auch zur finanziellen Repression beigetragen, also einen für die Konjunktur abträglichen Nachfrageausfall erzeugt, der teilweise vom Staat aufzufangen war. Kapital- und Finanzierungssicherung sind heute nicht nur Aufgaben des regulären Finanzsystems, sondern auch von Schattenbanken, insbesondere private equity. Damit gehen erhebliche wettbewerbliche Probleme einher, auf die später Bezug genommen wird. Im zehnten Kapitel werden Probleme der Schwarzgeldfinanzierung von Unternehmen aus Sicht der Wettbewerbsordnung aufgeworfen, weil durch das „Weißwaschen“ des Gelds Wettbewerbsverzerrungen auftreten und eine Zombifizierung der Unternehmen droht. Denn oft wird das Schwarzgeld als Kredit ausgereicht und macht durch Verringerung der Kapitalkosten die Unternehmen, die diese Finanzierung annehmen, gegenüber regulär finanzierten Unternehmen wettbewerbsfähiger – höhlt also die Substanz Letzterer aus. Derartige Geschäfte können lebensbedrohlich sein, wie im Sommer 2016 der Chef von Unister, einem Reiseportal, erleben musste (Dowideit und Naumann 2016).
9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen Klassische Instrumente der Unternehmen bei der Eroberung von Absatzmärkten sind die Preis- und die Mengenpolitik. In der mikroökonomischen Theorie ist der Preis zunächst ein Indikator für Knappheit. Allerdings kann der Preis auch Reputationseffekte auslösen, weil ein hoher Preis signalisiert, dass das Gut begehrt ist. Im Extremfall entwickelt sich ein anomales Nachfrageverhalten, was bedeutet, dass der Preis mit der Nachfrage steigt und somit das Gut mit wachsendem Preis erst edel und interessant wird. Auch das Umgekehrte gilt. Ein zu niedriger Preis signalisiert, dass die Qualität nicht genügt, weshalb die Nachfrager abwandern, was wiederum zu Preissenkungen zwingt. Dann verschwinden die Märkte für niedrige Qualitäten vollkommen. Aber auch hochwertige Produkte können durch Informationsasymmetrien über die wahren Produkteigenschaften unter Druck geraten. So erklärt George Akerlof (1970) im Market for Lemons, weshalb gewisse Märkte nicht existieren, weil Zitronen – schlechte Autos – mit niedrigen Preisen in dieser Abwärtsspirale die guten Autos verdrängen. Es handelt sich um ein erfolgreiches Beispiel verborgener Eigenschaften, die es dem Kunden nicht erlauben, die guten Autos zu erkennen. Das lässt sich nur durch verlässliche Signale verhindern, also beispielsweise durch eine Garantie. Diese können durch das Werfen von Nebelkerzen, also durch Desinformation, gestört werden, die bis in ein Mobbing hineinreichen kann. Nach der Wende erwies es sich beispielsweise für die westdeutsche Konkurrenz als sehr effizient, die Fähigkeit ostdeutscher Anbieter des
9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen
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Anlagenbaus, ihre Verträge angesichts der Treuhandprivatisierung erfüllen zu können, in Zweifel zu ziehen, um selbst den Auftrag zu erhalten. Voraussetzung ist hier, dass die Feindaufklärung von hoher Qualität ist, um den Gegner gezielt zu treffen und sich und die eigenen Produkte nicht zu schädigen, weil es unbeabsichtigte Rückwirkungen gibt. Neben den Preisen sind auch die Mengen wichtig, weil gerade ein Markteintritt mit hoher Kapazität die bisherigen Marktsassen nicht ohne Reaktion belassen kann. Sie stellen ein aggressives Signal dar, vor allem wenn damit versunkene Kosten verbunden sind, das Unternehmen also nicht kurzfristig aus dem Markt ausscheiden kann. Kaum angesprochen werden Qualitäten, die erst durch die Innovationstheorie (Schumpeter 1912) als herausragendes Instrument formuliert wurden. Eingebunden wird das in die Fähigkeiten, auch in den gezielten Einsatz von intellektuellen Eigentumsrechten, wie bereits weiter oben verdeutlicht wurde. Welche Instrumente in welcher Kombination zum Einsatz kommen, hängt weitgehend davon ab, worin die wesentliche Leistung bestehen soll.
9.3.1 Preise Im Referenzparadigma der vollkommenen Konkurrenz ist der Preis ein Datum, an den sich die Anbieter nur mengenmäßig anpassen können. In der Realität streben Produzenten Marktmacht an, womit Preise gleichermaßen Knappheitsindikatoren und Signale für eine Vielzahl anderer ökonomischer Tatbestände, insbesondere Qualität und Reputation, sind. Preise als Signale werden in der volkswirtschaftlichen Theorie, insbesondere in der Industrieökonomik, als strategische Waffen eines Unternehmens eingeschätzt, sind aber im Sinne des hier Behandelten eher auf der operativ-taktischen Ebene anzusiedeln. Um Preise erfolgreich setzen zu können, bedarf das Unternehmen einer hohen Kompetenz, die von der Kenntnis seiner Kunden, deren Einkommen und Präferenzen, also deren Preis-Absatz-Funktion für konkrete Produkte, bis hin zu den Reaktionen bei den Mitbewerbern und schließlich den konjunkturellen und strukturellen Rahmenbedingungen reicht. Dies schafft Kenntnisse über Preiserhöhungsspielräume. Die Preissetzungen der Unternehmen können nach verschiedenen Kriterien differenzieren und diskriminieren. Bei einer Preisdifferenzierung folgen die Preisaufund -abschläge den Kostenunterschieden für verschiedene Qualitäten und Ausstattungen (beispielsweise der Expresslieferung eines Fernsehapparats oder Preisaufschlag wegen einer Sonderlackierung beim Pkw). Bei Preisdiskriminierung wird der Preis nach anderen Kriterien variiert, beispielsweise nach der Menge (Rabatte und Boni), nach Personengruppen, bei denen in der Regel die Zahlungsbereitschaft abgegriffen wird, die über die Nachfrageelastizität bezüglich des Preises erfasst werden kann (z. B. die Dringlichkeit der Reise, was bei Reisen Spätbuchern hohe Preise beschert) oder Standorten. Entsprechend einem verallgemeinerten Raumkonzept lassen sich Preise analog nach sachlichen oder qualitativen Aspekten ebenso nach der zeitlichen Inanspruchnahme
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
variieren. Ebenso kann durch Bündelung von Angeboten diskriminierend angeboten werden, wie beispielsweise im Bereich der Handys zu beobachten ist. Mithilfe einer ausbeuterischen Preissetzung (predatory pricing) versucht ein Unternehmen, durch das Herabsetzen der Preise und das Ausnutzen eigener Erfahrungskurveneffekte andere Unternehmen, die Substitute oder direkt konkurrierende Produkte herstellen, in die Verlustzone zu schieben. Noch weitergehender ist das Setzen von Verdrängungspreisen, das die Zerstörung des anderen Unternehmens zur Folge haben kann. Im Falle komplementärer Produkte kommt captive pricing zum Einsatz: Das Gebrauchsgut wird preiswert verkauft (Öllampe, Filmapparat, Pfeife, Rasierapparat, Kaffeemaschine), um beim zugehörigen Verbrauchsgut (Öl, Film, Tabak, Rasierklinge, Kaffeekapsel) hohe Preise zu verlangen und damit zusätzliche Gewinne zu vereinnahmen. Dies gelingt umso besser, je stärker beide Güter beispielsweise durch patentierte Standards verbunden sind. Wenn dabei Märkte abgeschottet werden können, insbesondere der eigene Markt durch hohe Preise den Markt subventioniert, in dem Konkurrenten durch einen Verkauf unter den Kosten zerstört werden sollen, so spricht man von Dumping. Um Dumping zu verhindern, existieren geordnete Verfahren, die in Vorschriften der World Trade Organization (WTO o. D.) oder Europäischen Union (2016) geregelt werden. Dabei kann der Preisvorteil, der durch das Dumping entsteht, mithilfe eines allgemeinen Zolls abgeschöpft werden. Gelegentlich werden auch unternehmensspezifische Individualzölle festgelegt, die besondere Bedingungen berücksichtigen und dann meist unter dem Normalzoll liegen, was bedeuten kann, dass eine Antidumpingklage ins Leere läuft. Tatsächlich ist das Abschöpfen von Zöllen auch mit Wohlstandsverlusten für das Inland verbunden, die nicht notwendigerweise durch eine verbesserte Aktivität der bisher benachteiligten Unternehmen, die das Dumpingverfahren angestrebt hatten, kompensiert wird. Wenn es Retaliationszölle gibt, die in der Regel im Sinne des Multimarktwettbewerbs an anderen empfindlichen Stellen ansetzen, dann entstehen in einem Dumpingkrieg für beide Seiten oft nur Verluste. In wettbewerblichen Märkten muss der Angreifer mindestens den Penetrationspreis setzen, um überhaupt eindringen zu können. Weiterhin hat das Unternehmen auch die Möglichkeit, durch hedonische Preissetzung eine Variation nach Qualitätscharakteristika vorzunehmen, die zwingend preisdifferenzierend, meist aber auch preisdiskriminierend ist.3 Von besonderem Interesse ist die Limit-Preissetzung (limit-pricing). Als solche bezeichnet man den höchstmöglichen Preis, der den Markteintritt von potentiellen
3Bei
einer Preisdifferenzierung folgen die Preisauf- und -abschläge den Kostenunterschieden für verschiedene Qualitäten, sie erfolgt also rein angebotsseitig. Bei einer Preisdiskriminierung wird der Preis nach Kundengruppen variiert, beispielsweise die Zahlungsbereitschaft abgegriffen. Diese sogenannten Ramsey-Preise orientieren sich bei Reisenden an der Dringlichkeit, gemessen durch die Nachfrageelastizität bezüglich des Preises.
9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen
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Konkurrenten verhindert. Eine solche Abschottungsstrategie muss allerdings sehr gut bedacht werden, weil man in der Lage sein muss, die Kostenstruktur des Konkurrenten abzuschätzen. Hat dieser hohe Kosten, so wird er sich nicht auf einen Kampf um den Markt einlassen. Hat er hingegen niedrige Kosten, so kann der Limit-Preis so tief liegen, dass der Marktsasse dauerhaft Verluste einfahren wird. Denn hat er den Preis in die Verlustzone gedrückt, um den Marktzutritt zu verhindern, herrscht ein dauerhaft niedriges Preisniveau. Schließlich führt dieses Verhalten dazu, dass Unternehmen Wettbewerbspreise unter der Bedingung des potentiellen Markteintritts setzen müssen, um Markteintritte zu verhindern. In Verbindung mit verkürzten Produktlebenszyklen droht dann auf Dauer ein ruinöser Verfall der Preise – sogenannte cut-throat competition. Diese Aussagen sind allerdings zu hinterfragen, sobald Mehrgüter- und Mehrregionenmärkte vorliegen und die Güter substitutiv sind, sich also mehr oder minder stark ersetzen können. So zwingt, wie bereits im Kontext des Multimarktwettbewerbs beschrieben ist, der Eintritt eines Angreifers im Orangensaftmarkt den anderen Hersteller von Orangensaft, der aber zugleich auch Apfelsaft erzeugt, den Preis des Orangensafts zu senken. Dann aber wird er den Preis des Apfelsaftes nicht auf altem Niveau halten können, da dieser ein Substitut ist. Insofern wird er sich fragen müssen, ob er sich auf diese Schlacht einlässt oder lieber mit dem angreifenden Unternehmen einen Waffenstillstand schließt, sich also aus dem Orangenmarkt zurückzieht und nur noch Apfelsaft vertreibt (Judd 1985). Beide könnten dann im Rahmen dieser Einigung vorsehen, für beide Produkte erhöhte Preise zu nehmen. Derartige Marktaufteilungsstrategien sind als Kartelle verboten, existierten aber in Deutschland – oft aus historischen Gründen – lange Zeit implizit zwischen Autoherstellern. Im politischen Sinne werden Interessensphären abgeglichen, militärisch gesprochen werden Demarkationszonen festgelegt. Wenn angegriffene Unternehmen im Multimarktwettbewerb nicht im betroffenen Markt, sondern in einem anderen Markt, in dem der Konkurrent die höchste Empfindlichkeit besitzt, zurückschlagen, dann metastasieren Preiskriege schnell. Schließlich kann eine gesamte Branche insolvenzgefährdet sein. Ein solches Verhalten besitzt sein Pendant in der Operationsführung, wenn ein neuer Kriegsschauplatz aufgemacht wird, um dort gegnerische Kräfte zu binden, gegebenenfalls sogar eine Neudislozierung zu erzwingen, die aus eigener Sicht vorteilhaft ist. Neben den hier genannten unfreundlichen Preisstrategien sollen auch freundliche eine Erwähnung finden. Dazu zählen zunächst hohe Preise, die der Marktführer setzt, um seine Kooperationsbereitschaft gegenüber kleinen Anbietern zu signalisieren, oft deshalb, weil er diese als Partner braucht – was aber an der Nebenbedingung hängt, selbst nicht in einem engen Markt im harten Wettbewerb zu stehen. Ein typischer Fall ist das Baugewerbe, in dem kleine Betriebe oft Unterauftragsnehmer sind. Eine weitere ist eine Preispflege, das sogenannte swing-pricing, bei dem die Mengen so gesetzt werden, dass angemessene Preise die Folge sind – womit der Übergang zu den Mengenstrategien beschrieben wird, die aber nur hinreichend marktmächtigen Unternehmen möglich sind.
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Schließlich ist die Preispsychologie zu berücksichtigen, weil Menschen vor allem bei kurzfristigen Käufen weit von rationalen Entscheidungsverhalten entfernt sind. Es bestehen Abhängigkeiten, beispielsweise von einem selten gekauften zugunsten eines Mittelklassefahrzeugs; so wertete der VW-Phaeton den VW-Passat auf. Durch entsprechende Preiskaskaden bei ähnlichen Gütern lassen sich Kunden – im Sinne der Durchschnittsbildung – auf das Produkt mit dem höchsten Deckungsbeitrag lenken, was im Sinne der obigen Ausführungen den Tatbestand der Preisdiskriminierung bestmöglich dann erfüllt, wenn es gelingt, verschiedenen Kundengruppen unterschiedliche Durchschnitte darzubieten, beispielsweise im Internet. Umgekehrt sind Preisschwellen und deren Unterschreiten zu berücksichtigen, beispielsweise im Kontext deflationärer Tendenzen, die dann ganze Preisstrukturen zum Zusammenbrechen bringen. Negativ für den Wettbewerb können auch Preisgarantien in Bezug auf die Aussage, „der billigste vor Ort zu sein“ wirken. Denn dadurch entstehen für Markteintrittswillige erhebliche Probleme, oft sogar unüberwindliche Schranken, die langfristig die Marktstruktur verengen. Grundsätzlich gilt, dass bei einer dynamischen, sich an Wettbewerbslagen und Kunden orientierenden Preissetzung die Vorteile der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit für die Kunden abgewogen werden müssen gegenüber der Fähigkeit, Marktchancen kurzfristig zu nutzen. Gerade Big-Data-Auswertungen erlauben starke Diskriminierungen. Der psychologische Widerstand der Käufer kann erheblich sein und Märkte zerstören, was beispielsweise die Taxifirma Uber in New York erleben musste. Wird das System durch Algorithmen gesteuert und bestehen enge Märkte, kann schnell ein massiver Preisverfall (race to the bottom) auftreten. Gleichermaßen können sich Kartelle entwickeln, weil Signale für Wohlverhalten – also tit-for-tat – ausgetauscht werden können (vgl. viertes Kapitel), um preisstabilisierende Mutmaßungsgleichgewichte (Bresnahan 1981) zu ermöglichen. Wenn Unternehmen ähnliche oder sogar identische Algorithmen verwenden, verschärft sich dieses Problem einer algorithmischen Kollusion (Monopolkommission 2018, S. 66–71). Wenn den Anbietern das Nachfrageverhalten der Konsumenten nicht bekannt ist und ihnen keine Informationen über die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager für die angebotenen Güter vorliegen und die angebotenen Güter Einzelobjekte sind, bietet sich ein als Versteigerung oder Auktion bezeichnetes Verfahren der Preisbestimmung an (Blum, Müller, Weiske 2006, S. 145–160). Zu den zentralen Problemen der Auktionen zählt, sie gegen Kollusion und damit gegen Korruption wasserdicht zu machen; gerade hier findet sich ein reiches Feld wirtschaftskriegerischen Handelns. Daher wird teilweise zu bizarren Methoden gegriffen, beispielsweise das Isolieren der Bieter in angeschlossenen Einrichtungen, um die Koordination untereinander zu verhindern. Oft wird vor die Auktion ein Schönheitswettbewerb geschaltet, der die Mindestvoraussetzungen der Teilnahme regelt, beispielsweise die finanzielle Potenz. In Analogie zur imperialen Überdehnung von Ländern und auch von Empire-Building-Unternehmen (bzw. Unternehmern) kann auch ein Unternehmen seine
9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen
675
eigenen Fähigkeiten beim Ersteigern überschätzen – es fällt dann dem Fluch des Siegers (winner’s curse; Thaler 1992) anheim, weil es die Leistung zum vereinbarten Preis nicht erbringen kann, und damit zerstört es sich selbst. In Fortführung des mikroökonomischen Wettbewerbsmodells und wegen der vermuteten erhöhten Transparenz der Internetmärkte wurde lange Zeit von einem Einebnen der Preisunterschiede ausgegangen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Es ist nicht nur möglich, das Kundenverhalten mit den Kaufhandlungen abzugreifen, um es durch Big Data nutzbar zu machen, wie die späteren Ausführungen zeigen. Es können auch kleinste Nachfragen bedient werden – beispielsweise findet das Angebot eines Händlers antiquarischer Bücher aus den Bibliotheken verstorbener deutscher Immigranten in Amerika kaum eine Nachfrage, wohl aber in Deutschland. Auch der Vertrieb alter Ersatzteile wird lohnend, gebrauchte Gegenstände lassen sich vermarkten, und so bekommen Dinge einen Preis, der ansonsten nicht existierte. In engen Märkten existiert eine beachtliche oligopolistische Interdependenz. Kartelle bilden sich dann umso leichter heraus, wie die Verifizierung der Preisabsprachen kontrolliert werden kann. Der Versuch des Staats, mittels Preistransparenz Wettbewerb zu erzwingen, verfängt dann in der Regel nicht, wie das Beispiel des dänischen Zementmarkts zeigt (Albaek, Mollgaard, Overgaard 1997). Kunden erleben diese Koordination regelmäßig an den Tankstellen, weil die großen Hersteller die quasi-offiziellen Preisapps nutzen, um ihre eigene Preispolitik zu optimieren (Busse 2016).
9.3.2 Mengen und Kapazitäten Die wichtigste Mengenstrategie ist der Markteintritt mit einer Kapazität, die oberhalb der Größe des bisherigen freien Marktes liegt, um zu signalisieren, dass die bereits im Markt vorhandene Konkurrenten, die Marktsassen, unter Druck gesetzt werden sollen. Liegen dabei irreversible (versunkene) Kosten vor, kann also die Investition nicht im Nachhinein zurückgenommen werden, so wird auch ein hoher Durchhaltewille signalisiert. In einem solchem Umfeld können die Angegriffenen entweder aus dem Markt ausscheiden, den Marktzutritt des Konkurrenten hinnehmen oder schließlich versuchen, eine Absprache mit ihm zu treffen. Die Abschreckungsstrategie ist möglicherweise die teuerste, weil damit ein Preiskrieg angezettelt wird. Ein Marktzutritt mit geringen Kapazitäten ist hingegen als freundlicher Akt zu werten. Deutlich wurde dies im Kontext des weiter oben beschriebenen Spence-Dixit-Modells mit den Optionen des blocked entry für den Fall, dass die langfristige Gewinnchance unter den versunkenen Kosten liegt, des deterred entries für den Fall, dass beide in ähnlicher Höhe liegen und der Marktsasse durch ein Spielen mit den Mengen den Preis drücken kann, um den Herausforderer vom Eintritt angesichts absehbarer Gewinnrückgänge vom Eintritt abzuhalten, oder des accommodated entry infolge auskömmlicher Gewinnperspektiven,
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für die die Kosten eines Preiskriegs nie durch künftige Erträge aufgewogen werden können.4 Im Kontext der Mengenstrategien kommt daher dem Investitionsverhalten eine große Bedeutung zu. Während Unterinvestitionen Friedensbereitschaft signalisieren, kommt eine Überinvestition in Anlagen mit hoher Spezifität vor allem dann einer Kriegserklärung gleich, wenn damit Leistungen im Kernbereich des Marktsassen angeboten werden sollen. Typisches Beispiel dafür ist der exzessive Ausbau der japanischen Automobilindustrie in den siebziger Jahren. Analog kann die Entschlossenheit zum Markteintritt auch durch hohe Werbeanstrengungen verdeutlicht werden, deren Kosten nur durch einen lang andauernden Erfolg am Markt zurückgewonnen werden können und daher auch irreversibel – versunken – sind. Die massive Werbung der neu einzuführenden Zeitschrift Focus im Jahr 1993 zeigte dem Spiegel, dass hier der Marktzugang erzwungen werden soll. Bei Gütern mit hohem sozialen Geltungsnutzen sind derartige Verfahren im Sinne einer Luxusstrategie typisch – beispielsweise in Teilen der Kosmetikbranche. Auch das Ausgeben erheblicher Mittel für Forschung und Entwicklung kann als Kriegserklärung verstanden werden – vgl. die chinesische Mikrotechnologie- oder Solarindustrie. Hinzu tritt, dass sich das besonders dann lohnt, wenn sich die damit verbundenen externen Ökonomien5 auf das eigene Unternehmen beschränken, also keine Übertragung (spill-overs) auf andere Unternehmen erfolgt, was wiederum mit einem Protektionismus im Bereich der intellektuellen Eigentumsrechte einhergeht. Derartige massive Investitionen sind typisch in der Sicherheitspolitik: Als Ronald Reagan im Jahr 1983 seine Strategic Defense Initiative (oft als Star Wars apostrophiert) verkündete, wurde deutlich, dass die USA bereit waren, sich auf ein Wettrüsten mit der UdSSR einzulassen, nachdem sich diese in Europa durch die Stationierung der SS20 einen zunächst überraschenden Vorteil verschafft hatte, der zum Nachrüstungsbeschluss des Jahres 1979 führte. Versunkene Investitionen können auf ihrem Beschaffungsmarkt zwar nicht zurückgewonnen werden, weshalb sie zum Durchhalten nötigen, allerdings lassen sie sich über die produzierten Produkte verdienen. Sie lassen sich vor allem auch durch technischen Fortschritt entwerten: So war das klassische Fernmeldenetz ein natürliches Monopol, da es sich für einen Konkurrenten nicht lohnte, ein zweites Netz parallel im Boden zu versenken. Letztlich kann sich das dominante Unternehmen den Teil des Markts aussuchen,
4Einer
der auf dem Gebiet der Mengenstrategien erfolgreichsten Wirtschaftskrieger war Jakob Fugger, der erst Rohstoffvorkommen, beispielsweise Silber und Kupfer, unter seine Kontrolle brachte, damit dann die Märkte überflutete, die Wettbewerber aus dem Markt drängte und mit der dadurch gewonnenen Macht einschneidende Handelsverlagerungen, beispielsweise Pfeffer von Venedig nach Lissabon, erzwingen konnte, um Konkurrenten im Nahbereich auszuhungern (vgl. Steinmetz 2015). Die dadurch erzielten politischen Effekte erinnern auffallend an den Ölpreiskrieg seit Anfang 2015. 5Das sind die Skalenökonomien, die intern (Massenproduktion, Lernkurven) oder extern zur Unternehmung sein können, die Verbundvorteile und die Netzwerkeffekte.
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den es mit sinkenden Durchschnittskosten bedienen kann und den Teil, dessen Versorgung mit steigenden Kosten verbunden ist, Dritten überlassen. Dies wird als Rosinenpicken (cherry picking) bezeichnet. Tatsächlich erzeugen versunkene Kosten dann einen Anreiz zum technischen Fortschritt, wenn der Markt attraktiv ist und eine Innovation ihn aufbrechen kann. Insofern besteht oft ein Interesse, ihn durch Rechte abzusichern – entweder durch staatliche Begünstigung oder Patente. Zu den extrem innovativen Mengenstrategien im Wirtschaftskrieg zählt die Erklärung einer Produktionsunterbrechung aufgrund von höherer Gewalt, um damit ohne Schadensersatzanspruch vorhandene Lieferverpflichtungen zu unterlaufen und Preiserhöhungen durchzusetzen. Force-majeure-Klauseln sind üblich, um Hersteller gegen Klagen der Abnehmer im Falle der Zerstörung der Anlagen durch Erdbeben, Kriegseinwirkung oder Feuer, aber auch gegen Streik oder Unterbrechung der eigenen Belieferung abzusichern. Ein regulärer – oder sogar abgestimmter – Stillstand der Anlage als Mittel der Erpressung von Kunden fällt nicht hierunter. Im Frühsommer 2015 gab es eine Epidemie von entsprechenden Erklärungen – über 30 Anbieter erklärten force majeure im ohnehin hochkonzentrierten Polyolefinemarkt und setzten damit die mittelständischen Verarbeiter massiv unter Druck (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2015a). Im Spätsommer 2016 wurde die Produktion von VW für eine Woche lahmgelegt, weil ein Zulieferer seine Lieferungen einstellte. Infolge der Milliardenkosten von Dieselgate, also der betrügerischen Abgasmanipulation, versuchte der Konzern, den Kostendruck in der Lieferkette weiterzureichen und seinem Partner die Entwicklungskosten nicht zu vergüten. Karl-Heinz Büschmann (2016a) führt in seinem Artikel Fairplay dazu aus, dass die Globalisierung offensichtlich die Sitten verrohen lasse, und da der Markt selbst keine Anstandsregeln bereitstelle, mit derartigen Mitteln zurückgeschlagen werde. Einen Sonderfall der Mengenstrategie stellt der Konkurrenzeinkauf dar, also die Eliminierung des Angebots der Wettbewerber. Wenn Konkurrenten billiger als das eigene Unternehmen beliefert werden, können Lockangebote ebenso ausgeschaltet wie Lieferanten bedrängt werden. Schließlich soll die Drohung – und gelegentliche Realisierung – der Vernichtung konkurrierender Produkte als Mengenstrategie nicht aus den Augen verloren werden. Das kann einmal auf indirekten Wegen durch Zerstörung der Reputation geschehen, wie die späteren Beispiele von Foron oder Audi zeigen. Zum anderen kann auch zu physischer Gewalt gegriffen werden, was französische Bauern regelmäßig durchexerzieren. Das kann bis hin zu Sprengstoffanschlägen gehen, mit denen französische Winzer eine gegnerische Kooperative verwüsteten (Wüpper 2016).
9.3.3 Kosten Zu den besonders erfolgreichen und indirekt wirkenden Maßnahmen, einem Konkurrenten das Leben zu erschweren und ihn gegebenenfalls aus dem Markt zu
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drängen, zählen Verfahren, die dessen Kosten erhöhen. Sie sind meist mit vertikalen Zusammenschlüssen oder Kooperationen verbunden. Hierdurch werden in engen Märkten Preiseffekte zulasten der Wettbewerber ausgelöst. Bekannte und wissenschaftlich untersuchte Beispiele dafür sind die Vorwärtsintegration des Aluminiumherstellers Alcoa in den Jahren 1888–1930 (Perry 1980) und Standard Oil, welches das Raffineriegewerbe monopolisierte und den Transportsektor unter seinen Einfluss nahm, weshalb es schließlich im Jahr 1911 auf der Grundlage des Sherman Acts als Unternehmen zerschlagen wurde (Granitz und Klein 1996). Das Modell des Erhöhens der Kosten der Wettbewerber (raising rivals costs) geht von zwei hintereinandergeschalteten Monopolen bzw. Unternehmen mit hinreichender Marktmacht aus, beispielsweise ein Rohstoffhersteller und ein Verarbeiter. Dann wird jeder seinen Monopolgewinn vereinnahmen, auf jeder Stufe wird damit das Angebot verknappt, und es treten die damit verbundenen Wohlfahrtsverluste auf, die auf diese doppelte Marginalisierung zurückgehen: Denn die Preis-Absatz-Funktion in der ersten Stufe ist die Grenzertragsfunktion der zweiten Stufe. Werden beide Stufen zusammengefasst, entfällt eine Marginalisierung mit der Folge gesunkener Preise, erhöhter Mengen und eines geringeren Wohlfahrtsverlusts, aber einer Zunahme der Konzentration. In Abb. 9.7 sind je zwei konkurrierende Unternehmen auf der Lieferantenseite (U) und auf der Absatzseite (A) dargestellt, in diesem Fall mit duopolistischer Marktmacht. Fusionieren die Unternehmen U1 und A1 zu einem vertikal integrierten Monopol V1, ergäbe sich ein Wohlfahrtsgewinn – auch wenn durch das Monopol immer noch Wohlfahrtsverluste herrschen, sind diese aber nun niedriger als vordem. In jeden Fall verschiebt sich die Marktmacht. Drei Fälle sind zu unterscheiden: Kundenabschoung
Lieferantenabschoung
Markt U1
Rivalität
Markt U2
V1
A1
U1
Rivalität
Markt U2
V1
Rivalität
(1)
Preisdruck
A2
A1
U1
V1
Rivalität
A2
A1
(2)
Abb. 9.7 Indirekter Kostendruck. (Quelle: eigene Darstellung)
Rivalität
A2
(3)
Rivalität
A2 An
9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen
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1. Lieferanten-Abschottung (supplyer bzw. input foreclosure): Unternehmen mit einer dominanten Position aufwärts der Wertschöpfungskette (A1) beschränken eine Ressource gegenüber Wettbewerbern abwärts der Wertschöpfungskette. Zunächst liefern U1 nur an A1 und U2 an A1 und an A2. A2 könnte auch durch U1 beliefert werden. Durch die Integration des Lieferanten U1 in das Unternehmen A1 wird dieses zum neuen Unternehmen V1. Die doppelte Marginalisierung entfällt und es sinken die Kosten. U2 wird aus der Belieferung gedrängt, was aus Sicht von A2 dessen Marktmacht erhöht und damit die Bezugskosten. U1 könnte A2 beliefern, aber nur zu dem erhöhten Monopolpreis. Durch das Beherrschen eines in einem engen Markt wesentlichen Lieferanten ist es folglich möglich, die Bezugskosten des Konkurrenten zu erhöhen. So kaufte Samsung im Herbst 2013 die sächsische Forma Novaled, die auch Lucky Goldstar (LG) in Korea beliefert. Diese Integration verringert die doppelte Marginalisierung nur für Samsung, was LG unter Druck setzt, wenn es die erhöhten alten Bezugskosten tragen muss. 2. Kunden-Abschottung (customer bzw. ouput foreclosure): Unternehmen mit einer dominanten Position abwärts der Wertschöpfungskette (U1) beschränken eine Ressource gegenüber nachgelagerten Wettbewerbern. Zunächst liefert U1 an A1 und A2 und U2 nur an A1. A1 könnte auch durch U2 beliefert werden. Statt nach der Fusion zum Unternehmen V1 die Abgabepreise an A2 zu erhöhen, kann die integrierte Firma ihre Endkundenpreise senken. Dann setzt sie sich nicht der wettbewerblichen Auseinandersetzung durch Diskriminierung aus. 3. Preisdruck (price squeeze): Durch Übernahme des vorgelagerten Unternehmens U1 durch A1 produziert jenes durch den Wegfall der doppelten Marginalisierung kostengünstiger. Es setzt die anderen Abnehmer dann einem Preisdruck aus, wenn es die Marktpreise senkt, die Konkurrenten ihm dieses aber nicht gleichtun können, weil das neue Unternehmen V1 diesen Vorteil auf der ersten Stufe (A1) aber nicht an die Konkurrenten weiterreicht. Damit ist es möglich, ein Unternehmen durch die Abschottung von seinen Inputs, beispielsweise von seinen Rohstoffbezügen, aus dem Markt zu drängen. Das kann gleichermaßen eine unternehmerische Strategie in engen Märkten – Tesla kaufte im Jahr 2017 den Automobilzulieferer Grohman und lenkte die Produktion vollständig auf die eigenen Fahrzeuge um, sodass Konkurrenten wie BMW massiv unter Druck gerieten – oder eine nationale Strategie sein – wie sie China beispielsweise bei Seltenen Erden zu praktizieren versuchte. Derartige Abschottungen oder Maßnahmen des Preisdrucks treten in einer Vielzahl von Ausprägungen auf, die Steven Salop und David Scheffman (1983) in den Kontext der Marktbarrieren stellen und zeigen, dass Unternehmen aus dem Markt gedrängt oder auch Markteintritte verhindert werden. Kip Viscusi, John Vernon und Joseph Harrington (2000, S. 182) zeigen, dass Mindestlöhne genau diese Eigenschaften erfüllen können. Besonders elektronische Marktplattformen besitzen das Potential, durch das Entfallen der zweiseitigen Marginalisierung Marktmacht zu entfalten.
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Das Verbrennen von Geld, also eine gleichzeitige feindliche Preis- und Mengenstrategie, verbunden mit dem massiven Einsatz in den Markteroberungsinvestitionen, ist vor allem aus Netzunternehmen bekannt – historisch beispielsweise Eisenbahnen, neuerdings solchen der digitalen Wirtschaft. Das Risiko ist erheblich; den Erfolgreichen wie Amazon stehen auch fast Gescheiterte wie Uber, AOL oder auch Apple sowie endgültige Vernichtete, im Mobilfunkbereich beispielsweise Hutchison Whampoa, gegenüber.
9.3.4 Kooperationen, Fusionen und Aufspaltungen Der Instrumenteneinsatz hängt erheblich von der Position in der Lieferkette ab. Denn diese definieren die möglichen Felder der wirtschaftlichen Auseinandersetzung, in erster Linie die Einschätzung bzw. Einordnung dritter Unternehmen als Konkurrenten oder als Verbündete. Ausgangspunkt ist dabei das bereits im sechsten Kapitel eingeführte Konzept der Wettbewerbskräfte von Michael Porter (1999), das die horizontale Wettbewerbsebene gleicher Wertschöpfungsstufen von den vor- oder nachgelagerten Ebenen unterscheidet. Diese definieren auch mögliche Kooperations-, Übernahme- bzw. Fusionsstrategien, aber auch Möglichkeiten der Kollusion. Dabei zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs bei der Integration von Unternehmen eher gering ausfällt, obwohl sie oft rational begründet sind: Die Verwendung finanzieller Mittel außerhalb des Unternehmens ist im Sinne der Unternehmenswertrechnung profitabler als innerhalb, die Lieferkette und die Kernkompetenzen sind zu stabilisieren, die Technologieverfügbarkeit ist zu sichern, Konkurrenten sind zu schädigen, oder Märkte sind zu arrondieren. Fusionen treten häufig in Wellen auf, erfolgen also nicht zwingend aus strategischen Gründen, sondern vielmehr – aus verhaltensökonomischer Sicht – aus irrationalem Überschwang oder scheinbar günstigen Rahmenbedingungen. Billiges Zentralbankgeld weitet nicht nur die Nachfrage aus, es entsteht auch ein Kampf um knappe Ressourcen, der über Fusionen befriedigt werden kann. Dieser Gedankengang lässt sich auch verallgemeinern: Sinken die Kapitalkosten, dann werden bei teuren Ressourcen Übernahmen attraktiv, sind hingegen Ressourcen, vor allem Arbeit, relativ preiswert, dann lohnt sich für das Unternehmen das interne Wachstum. Strategische Gründe für Fusionen liegen in der Erleichterung des Marktzutritts oder des Zugangs zu Technologien. Dabei befassen sich die meisten Firmen vor allem mit Übernahmen – selten bereiten sie sich strategisch auf den Fall, selbst übernommen zu werden vor, obwohl es eine Vielzahl von Verteidigungsmaßnahmen gibt, die teils institutioneller Struktur sind – starke und verlässliche Anteilseigner – und teils im hohen Unternehmenswerten liegen. Im Wirtschaftskrieg USA – China, aber auch Europa – China, über den das zweite Kapitel berichtete, werden inzwischen Unternehmenskäufe seitens der Volksrepublik abgeblockt, weil beim Marktzugang, den China erschwert, keine Reziprozität vorhanden ist und die Furcht vor technologischer Dominanz zunehmend wächst. Dies begrenzt auch die Wachstumsmöglichkeiten der vorhandenen Beteiligungen, auch weil sie aus technologischen Netzwerken plötzlich ausgeschlossen werden. Zugleich
9.3 Die Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen
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verstößt China nicht explizit, aber dem Geiste nach, gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO, denn es munitioniert viele Unternehmen mit Staatsgeldern (Beihilfen oder günstigen Krediten) auf, solche Käufe zu tätigen. Die Übernahme von Kuka als einem der wichtigsten Roboterhersteller der Welt hat zu Reaktionen der deutschen Politik geführt, die die Übernahme in anderen strategischen Bereichen – Energienetze (Encevo), Chipanlagenbau (Aixtron) oder Spezialwerkzeugmaschinen (Leifeld) im Jahr 2018 indirekt oder direkt verhinderte. Das Unternehmen Kuka selbst hat heute in Deutschland Kooperationsprobleme, weil es bei Intellektuellen Eigentumsrechten durch den chinesischen Besitzer nicht als hinreichend zuverlässig gilt. Die USA sehen in chinesischen Übernahmen inzwischen ein Sicherheitsrisiko ebenso wie in der Nutzung chinesischer Technologien, was zu einem Ausschluss bestimmter Unternehmen vom amerikanischen Markt führt, beispielsweise der Netzausstatter und Smartphonehersteller Huawei. Im Jahr 2016 erreichten die chinesischen Auslandskäufe ihren Höhepunkt mit 183 Mrd. US$, davon knapp 86 Mrd. US$ in Deutschland (Böckler Impuls 2017; Börsen-Zeitung 2018d); seitdem gehen sie zurück. Tatsächlich befürchtet das Land nicht nur die negative öffentliche Wirkung in den Zielländern; zunehmend spielte bei den Käufen auch Fluchtkapital, das gegebenenfalls auch in unproduktive Verwendungen ging, eine Rolle. Daher ist es inzwischen Ziel, ganz im Sinne der im zweiten Kapitel betrachteten Strategie, eigene Wertschöpfung entlang der globalen Wertschöpfungsketten zu erhöhen (Gao und Horbach 2017): Investitionen im Kontext der Seidenstraßen-Initiative (OBOR, One Belt One Road) sowie im Ressourcen- und im Hochtechnologiebereich werden durch staatliche Förderung und das Bereitstellen von Devisen gefördert. Investitionen in Immobilien und Entertainment ohne echtes operatives Geschäft werden beschränkt. Investitionen, die aus nationaler Anschauung sicherheitspolitisch bedenklich sind, weil sie zu einem eigenen Abfluss an Wissen führen können oder Boykotte von Drittstaaten provozieren könnten, sowie solche in Glücksspiel u. ä. sind verboten. Die Bundesrepublik wiederum kontrolliert Käufe von außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums auf zwei Wegen: Einmal kann der Erwerber selbst beim Bundesministerium für Wirtschaft eine Unbedenklichkeitserklärung beantragen, die erhält, wenn es nicht zu einer Prüfung kommt. In jedem Fall wird geprüft, wenn der dieser eine kritische Infrastruktur übernehmen will (Wefers 2018). Betrachtet man Kooperationen entlang der vertikalen Wertschöpfungskette, so lösen Störungen hier oft Dominoeffekte aus. Genau diese Interdependenzen können im Fokus des Angreifers liegen. So schlug im Jahr 1998 angeblich der Blitz in die Türschlossproduktionsanlagen der Firma Kiekert ein und verhinderte so bei Ford über Wochen das Ausliefern von Pkw; vermutet wurde, dass dies ein Protest war, da Ford einseitig versuchte, Lieferverträge zu verändern. Konvergente, also zusammenwachsende Technologien führen häufig zu branchenübergreifenden Kooperationen bzw. Übernahme und Fusionen und begründen Clusterstrukturen. Liegen durch Patente gesicherte Schlüsseltechnologien im Zugriff eines
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dominanten Unternehmens, kann es als Systemführer den anderen Partnern die Strategie – auch das Verhalten gegen Dritte – diktieren. Interagieren horizontale und vertikale Beziehungen, wie es beispielsweise im Finanzsektor üblich ist, da die Unternehmen einerseits Konkurrenten sind, gleichzeitig aber auch Konsortialgeschäfte betreiben und schließlich auch am Interbankenmarkt Geldgeschäfte untereinander abwickeln, dann wird die Struktur systemisch. Aufschaukelungsprozesse über Finanz- aber auch Reputationskanäle – mangels Verlässlichkeit leihen sich bestimmte Banken kein Geld mehr – können schnell den Einsturz mehrerer Häuser gleichzeitig oder in kurzen Abständen nacheinander auslösen. Das gilt umso mehr, als die Bilanz und insbesondere das Eigenkapital (aber auch das Fremdkapital) sichernden Anlagen gleichzeitig unter Druck geraten und eine Kernschmelze der Vermögenssubstanz auslösen. Damit entwickelt sich eine Systemik, die einen hohen Grad an Unverwundbarkeit erzeugt, da man das einzelne Unternehmen nicht zusammenbrechen lassen darf. Wissen das alle, dann ist gegenüber den Wettbewerbsregeln und der Wirtschaftsordnung ein aggressives Verhalten an den Märkten spieltheoretisch rational – bis zur Katastrophe. Kooperationsstrategien werden dann ordnungsökonomisch kritisch, wenn sie zu kollusivem Verhalten führen. Dies kann bereits durch cheap talk, also wohlfeiles Reden als Signal an Dritte, vorbereitet werden. So kann anlässlich einer Tourismusmesse ein Vorstand vor der Presse sinnieren, eigentlich lägen doch die Preise zu niedrig – und damit ein Signal an die Konkurrenz geben, Preiserhöhungen mitzumachen statt zu bekämpfen. Tatsächlich lassen sich hierdurch stabile Mutmaßungsgleichgewichte (Bresnahan 1981) erzeugen. Kai-Uwe Kühn (2001) weist deshalb darauf hin, dass es auf die Art der Kommunikation ankommt, die kritisch ist, weil das Marktverhalten vor den Gerichten kaum zu verifizieren ist. Insbesondere Informationen über künftiges Verhalten erscheinen dann als wettbewerbsrechtlich kritisch. Eine besondere Form der Kooperation ist die mit innovativen Kunden, das sogenannte pretendotyping, das in Amerika die Firma Tesla extensiv praktiziert: Sie testet die Qualität ihrer Innovationen anhand der Bereitschaft der Kunden bzw. Händler zu investieren und erhält damit frühe Kundeninformation. In den siebziger Jahren Vertrieb die Firma K-Tel in dieser Form ihre Platten. Sie stellte verschiedene Musikhits zusammen und bewarb sie über das Radio, ohne dass eine Platte gepresst war. Anhand der (frustrierten) Kundenreaktionen in den Plattengeschäften und den verzweifelten Anrufen der Händler konnte sie den Absatz bemessen. Noch frühere Informationen lassen sich gewinnen mit dem Pretotyp, der Vorstufe des Prototyps, oder einer virtuellen Simulation. Durch Aufspaltungen versuchen Konzerne, bei denen die einzelnen Unternehmensteile mehr wert sind als das Unternehmen insgesamt, negative Synergien zu reduzieren. Damit sollen am Markt Spezialisierungsvorteile stärker gehoben und Querfinanzierungen unproduktiver Konzernteile verhindert werden. Zudem spült das Geld in die Kasse der Muttergesellschaft. Oft versuchen aktivistische Aktionäre, meist Fonds, hieraus Kapital zu schlagen, weil sie am Markt auf kurzfristig steigende Aktienkurse spekuliert haben. Besonders berüchtigt und erfolgreich sind hier US-Fonds wie Elliott, dessen Eigentümer
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Paul Singer ist. Gemeinsam mit dem schwedischen Großaktionär Cevian erzwang er im Herbst 2018 die Aufspaltung von Thyssen-Krupp. Aufspaltungen können auch erzwungen werden, um Marktmacht – und ggf. Wirtschaftskriege, wie von Standard Oil entfesselt – zu verhindern. Gegenwärtig trifft die Debatte die Internetgiganten Google, Facebook oder Amazon wegen ihrer Versuche, kognitive Dominanz in ihren Märkten zu erzielen.
9.3.5 Plattformmärkte Märkte stellen seit alters her die Grundlage für das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage dar. Als Plattform wurden sie oft spontan errichtet, zum Teil aber auch durch politische Macht erzeugt und kontrolliert, wie es beim Entstehen des frühen Kapitalismus im ausgehenden Mittelalter geschah. Die technologische Innovation des Internets und damit verbunden, die institutionelle Innovation der elektronischen Marktplattform, ermöglichen es, nicht nur alle Marktteilnehmer zu verbinden, wie es klassisch der Fall war, sondern auch Produzent und Konsument paarweise in Beziehung zu setzen. Damit entsteht das, was man heute als Prosumer bezeichnet. Während in den klassischen Märkten die Preisfindung aber auch die Qualitätskontrolle in der räumlichen Ballung stattfand, weshalb Transparenz eine wesentliche Aufgabe war und die Märkte deshalb auch eine bestimmte Größe benötigten, um ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, ist das heute durch die fehlende Notwendigkeit einer räumlichen Konzentration nicht mehr gegeben. Gleichermaßen ist aber die Qualitätsauswahl weiterhin ein wichtiges Thema; wurde fehlende Qualität historisch mit dem Pranger bestraft, so sind das heute die „gefällt mir“ oder Empfehlungsnotizen, im Extremfall Aktivitäten wie das shaming oder der shit storm. Die Betrachtung der Externalitäten zwischen Marktteilnehmern steht im Zentrum der two-sided markets (Rochet und Tirole 2003) oder multi-sided platforms (Evans 2003). Hagiu und Wright (2011) nennen sechs zentrale Eigenschaften, die diese Plattformmärkte definieren und die einen direkten Hinweis auf wesentliche Fähigkeiten geben, die im Wettbewerb zu berücksichtigen sind: Eine Plattform muss Teil einer Institution sein; der hauptsächliche Nutzen muss in der Interaktion der Akteure liegen; zwischen diesen muss ein direktes Austauschverhältnis bestehen; dieses muss durch die Plattform ermöglicht werden (sogenannte enabling-Funktion); die Teilnahme auf der Plattform ist eine bewusste Entscheidung (affiliation-Funktion); die Nutzer müssen unterschiedliche Positionen am Markt einnehmen, beispielsweise als Käufer und Verkäufer, durch verschiedene Präferenzen usw. (distinct-consumer-types-Funktion). Die oben bereits genannten Externalitäten können direkt wirken, indem der Nutzen proportional zur Anzahl der Teilnehmer steigt – beispielsweise bei einem Telefonsystem – oder indirekt, wenn der Nutzen einer Person zunimmt, wenn eine andere Person die Plattform nutzt, beispielsweise bei einem Computerbetriebssystem (Katz und Shapiro 1985, S. 424). Dabei spielt der Netzwerktyp eine herausragende Rolle: Bei Rundfunksendern
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beispielsweise steigt der Nutzen linear mit den Hörern und bei Telefonsystemen quadratisch; treten noch indirekte Netzwerkeffekte hinzu, ergibt sich ein mit der Teilnehmerzahl exponentieller Nutzenzuwachs. Dieser wiederum bestimmt auf direktem Wege die Zahlungsbereitschaft der Kunden und verweist auf das Problem der kritischen Masse (Evans und Schmalensee 2010, S. 22): Erst mit den Einnahmen aus einer hinreichenden Teilnehmerzahl gelingt es, die mit der Kundenzahl oft proportional, aufgrund von Skalierungsvorteilen vielleicht irgendwann auch unterproportional steigenden Kosten zu decken. Hier findet sich der Grund, weshalb es in derartigen Märkten anfangs oft zu massivem „Geldverbrennen“ kommt. Damit werden bereits wichtige wirtschaftskriegerische Maßnahmen sichtbar: Verhindern, dass der Gegner diesen kritischen Punkt erreicht, indem man ihn bereits in der Phase der Schwäche angreift, was oft damit verbunden ist, dass es zu einem Wettlauf des Geldverbrennens kommt, oder indem man die Kosten des Aufbaus einer Plattformbasis beim Gegner nach oben treibt. Auf derartigen Plattformen konkurrieren nicht einzelne Firmen um Kunden oder einzelne Nachfrager um das Angebot; vielmehr ist ein partizipatives System mit direkter Rückkopplungsfähigkeit entstanden. Der Plattformbetreiber kann dieses, wie es von Facebook bekannt ist, zu seiner eigenen Informationsgewinnung nutzen, auch indem er die Bedingungen des Markts verändert, um damit quantitative Analysen durchführen zu können, beispielsweise um die Angebots- und Nachfragefunktionen zu schätzen. Der Wettbewerbsvorteil bei etablierten Plattformen liegt offensichtlich dort, wo den Teilnehmern erhöhte Externalitäten zugutekommen – was wiederum die Frage aufwirft, wie diese zwischen Kunden und Betreibern aufgeteilt werden. Möglicherweise werden sie dann, wenn eine marktmächtige, vielleicht sogar monopolistische Stellung aufgebaut ist und der Kunde damit von bisher mehreren (multi-homing) auf eine Plattform (single-homing) gezwungen wird, ganz vom Betreiber vereinnahmt. Dieser kann dann eine Informationsdominanz erzielen, und es lohnt sich keine neue Parallelinvestition; die Markteintrittsbarriere lässt sich allein durch Innovation oder durch staatliche Regulierung überwinden. Die vorhandene Plattform wird dann als wesentliche Einrichtung (essential facility) im wettbewerbsrechtlichen Sinne bezeichnet. Ein zweiter Wettbewerbsaspekt findet sich in den Kostenhöhe und -struktur: fix für den Zugang, variabel für die Nutzungsintensität. Marktmacht lässt sich hier nicht mit den klassischen Methoden identifizieren, weil beispielsweise bei Suchmaschinen Kunden nicht mit Geld zahlen, sondern mit ihrer Zeit und ihrem Verhalten, also persönlichen Profilen, beispielsweise Vorlieben, und sonstigen Informationen, beispielsweise Netzwerkkontakten. Insofern spielt die Analyse des Gesamtmarkts eine wichtige Rolle, also die sorgfältige – meist sehr komplexe – Marktabgrenzung, die Identifikation der Faktoren, die Marktmacht begründen, beispielsweise Netzwerkeffekte, Lern- und Gewöhnungseffekte einschließlich Wechselkosten – vereinfach Bequemlichkeit – oder multi-homing. Die Mitglieder sind dann nach den klassischen Methoden der Wettbewerbsanalyse zu sezieren. Gerade die Fähigkeit von Plattformmärkten, Bollwerke gegen Konkurrenz zu bilden, wird im zwölften Kapitel noch einmal aufgegriffen.
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Abb. 9.8 Die größten Sozialen Netzwerke, 2019. (Quelle: eigene Darstellung aus We are Social 2019)
Für das, was gehandelt wird, ist der Betreiber meist weder rechtlich noch moralisch zuständig. Seine Marktmacht drückt sich auch nicht wie bisher in der Fähigkeit aus, Preise zu gestalten. Vielmehr erzielt er seine Erträge entweder durch Beiträge der Anbieter, die die Plattform nutzen und dafür Gebühren zahlen, oder durch die ergänzend eingeblendete Werbung. Damit entsteht das, was man modern als Plattformkapitalismus bezeichnet, der alternative Angebote problemlos aus dem Markt drängen kann – also alternative Plattformen am Entstehen hindern kann, ungeliebte Kunden (Anbieter oder Nachfrager) abschaltet oder klassische Märkte aushöhlt. Die Abb. 9.8 zeigt die größten Sozialen Netzwerke, von denen fast alle in Amerika ihren Firmensitz haben, womit die Marktmacht der USA, möglicherweise auch Kontrollmacht und sicher die Informationsüberlegenheit deutlich werden. Zwei Anbieter stammen aus der Volksrepublik China, eines aus Russland und dessen Ableger (Telegram) aus Deutschland.
9.3.6 Ausspähen und Spionage Economic und business intelligence spielen auf der Ebene der Konkurrenz zwischen Schwellenländern und entwickelten Regionen eine große Rolle, weil die Fähigkeit aufzuholen oft mit dem Herstellen von Kopien und Plagiaten verbunden ist. Die von Friedrich List (1841) propagierte Entwicklungstheorie war darauf gerichtet, die Vorherrschaft
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Englands durch entsprechendes Lernen vom Besten zu brechen. Problematisch ist diese Strategie dann, wenn ein Land hinreichend aufgeschlossen hat und nun selbst zum Gegenstand des Ausspähens und der Industriespionage wird. Diese Positionsänderung kann dazu führen, dass plötzlich Rechtsnormen durchgesetzt werden sollen bzw. müssen, deren Notwendigkeit aber von einer Mehrzahl bisher nicht technologisch führender Unternehmen nicht gesehen wird, insbesondere dann, wenn sie wenig endkunden-, sondern hauptsächlich vorleistungsorientiert sind. Wegen der von Friedrich List erwähnten strategischen Partnerschaft mit dem Staat liegt es nahe, den Sachverhalt erneut im Kontext des Cyberkrieg aufzugreifen. Wichtigste Ziele des Plagiierens sind zunächst Luxusgüter, also Schmuck, Uhren, Haute Couture und die dazugehörigen Accessoires. Aber auch Maschinen werden gefälscht, und mancher chinesischer Pkw im Heimatmarkt ähnelt verblüffend europäischen Vorbildern. Problematisch wird das Plagiieren dann, wenn es sicherheitsund gesundheitskritische Produkte zum Ziel hat. Denn hier wird oft das äußere (Marken-) Design gefälscht, aber nicht das Design der sogenannten funktionalen Werkstoffe, also der Zusammensetzung und ihrer Synthetisierung. Bei Pharma-Produkten oder Bolzen, die Düsentriebwerke halten, wird dies lebensgefährlich. Das kann beabsichtigt sein – der Erfolg falscher Lebensmittelkarten oder von Falschgeld im Krieg zeigt dies. Weiterhin existieren Schlüsseltechnologien, die als sogenannte enabler wichtige Voraussetzungen für andere Produktionsstufen entlang der Lieferkette sind. Das kann dazu führen, dass Investitionen in kritischen Ländern unterbleiben, weil der Technologieabfluss als wichtiger Teil des Wirtschaftskriegs nicht zu verhindern ist: So tätigt Infineon eine strategische Halbleiterinvestition in Österreich und nicht in Fernost. Nach einer Übersicht des Corporate Trusts (2012) nimmt die Bedeutung der Abwehr gegen Industriespionage stetig zu. So steigen die Fallzahlen in Deutschland deutlich – weit mehr als die Hälfte aller Unternehmen muss sich heute mit Problemen der Industriespionage befassen. Dabei ist der Mittelstand am häufigsten betroffen, auch weil er die geringsten Fähigkeiten zur institutionalisierten Abwehr besitzt und auch die Bereitschaft und der Willen dafür fehlen. Der Gesamtschaden beläuft sich auf etwa 4,3 Mrd. € und ist 2012 gegenüber der Analyse von 2007 um rund 50 % gestiegen. Die Schadenshöhe steigt mit der Größe der Unternehmen an und reicht bis zu mehreren Millionen Euro. In der Betroffenheit rangiert inzwischen der Datendiebstahl bzw. der Datenmissbrauch an dritter Stelle nach klassischem Diebstahl und Unterschlagung sowie Betrug und Untreue – aber mit steigender Tendenz, während die anderen Deliktarten zurückgehen; hier sehen die deutschen Unternehmen auch ihre offenste Flanke (Stocker 2014). Dabei spielen nicht nur Cyber-Attacken eine Rolle; konventionelle Methoden vom Diebstahl des Rechners im Zug über Abhöraktivitäten mittels Minispionen, das Lauschen mittels der Reflektion von Licht an Fenstern, hinter denen gesprochen wird bis hin zum Bau von Liebesnestern zählen noch heute zum Standardrepertoire. Heute ersetzt das Netz das, was früher die kleinräumige soziale Kontrolle in einem Dorf war, der man sich durch Fortzug in die Stadt entziehen konnte. Denn der, der nicht frei kommunizieren kann, büßt wesentliche verfassungsgestützte Eigentums- und
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Menschenrechte ein. Frank Schirrmacher (2013) schreibt: „Wer sich heute an den digitalen Stromkreis anschließt, verschmilzt mit einem gigantischen Lügendetektor.“ Und er zitiert einen Google-Chef: „Wir werden die Antworten auf ihre Fragen kennen, ehe sie selbst die Antworten wissen.“ Den Unternehmen und Staaten, die über diese Daten verfügen, wächst massiv Macht zu. Big Data löst zunehmend einen Trend zur Konzentration aus, weil es ein System ist, das in seiner Extremform Skalenökonomien, Verbundvorteile, Netzwerkökonomien und Lernkurveneffekte kombiniert. Im Grenzfall generiert Big Data eine Verschwisterung von Staat und Großindustrie und ist damit mittelstandsfeindlich.6 Denn diese Unternehmen sind vom Nutzen weitgehend ausgeschlossen, werden aber dann, wenn sie technologieintensiv und hidden champions sind wie beispielsweise der deutsche Maschinenbau, zu bevorzugten Opfern. Daher ist gerade mit wirtschafts- und personalsensiblen Daten – auf Laptops bei Auslandsreisen – Vorsicht angesagt; eine gewisse Paranoia ist hilfreich und schützt. Das Ausspähen, historisch eine Aufgabe des Militärs und der Geheimdienste, rückt daher näher an den Privatsektor heran, von dem bekanntlich auch – siehe Terrorismus – spezielle Gefahren ausgehen, die man genau mit diesen Methoden aufklären kann. Daher wird die Verzahnung eines militärisch-industriellen Komplexes zunächst zu einer Sicherheitsfrage, und ein paralleles Internet zum regulären Internet entsteht mit dem Ziel des Datenabschöpfens, wie George Dyson (2013) formuliert. Er erinnert auch an die Aussage von Präsident Dwight Eisenhower anlässlich seiner Abschiedsrede im Jahr 1961, auf den militärisch-industriellen Komplex aufzupassen und auf die die zugehörige wissenschaftlich-technische Elite. Viele wettbewerbsrelevante Informationen sind öffentlich zugänglich, und es bedarf vor allem eines sauberen Systematisierens und Auswertens, um Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen für das eigene Unternehmen abzuleiten. Gelegentlich kommen auch skurrile Verfahren zum Einsatz, beispielsweise das Durchwühlen von Abfalltonnen, um sorglos weggeworfenen Unterlagen auszuwerten, neben Klassikern wie Erpressung und Honigfallen.
9.3.7 Rendite durch Rufschädigung Wie ganz zu Anfang beschrieben wurde, signalisiert das bessere Risiko kostengünstiger, weshalb Unternehmen immer versuchen werden, starke Signale zu geben. Hierdurch
6Erinnert
sei hier nur an die Abstimmung im Deutschen Bundestag vom 29. Juni 2012 zur Freigabe der Daten aus den Einwohnermelderegister, das nur eine opt-out-Klausel enthält: der Bürger muss seinen Widerspruch einlegen, wenn er verhindern will, dass seine Daten anderweitig genutzt werden. Erst im Anschluss an massive Proteste kam es zu einer neuen Gesetzgebung, die nunmehr eine „opt-in-Klausel“ enthält und damit restriktiv gefasst ist. Es wirft ein Schlaglicht auf die Unbekümmertheit der Volksvertreter in Datenangelegenheiten.
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sind sie in der Lage, Reputation aufzubauen, was wieder zu Markenwerten und, bilanztechnisch gesprochen, zu Goodwill und economic value führt. Die leistungsfähigste Methode, diesen zu zerstören, ist industrielles Mobbing, also das Befördern nachteiliger Informationen über den Konkurrenten. So können Produkteigenschaften verzerrt wiedergegeben werden, wie die späteren Beispiele von Skandalisierungen und Produktmobbing zeigen. Ebenso lässt sich leicht der Jahresabschluss eines Unternehmens in Zweifel ziehen, was Hedgefonds gerne nutzen, um den Unternehmenswert auf Talfahrt zu schicken und sich dann günstig mit den entsprechenden Aktien einzudecken, was zugleich auch die unkontrollierte und damit missbräuchlich einsetzbare Macht der Analysten belegt (Köhler und Rezmer 2016). Genau das widerfuhr im Frühsommer 2016 dem Werbeunternehmen Ströer durch den amerikanischen Hedgefonds Muddy Waters – mit einem für diese Art von Geschäftsgebaren genialen Namen (Börsen-Zeitung 2016f). Tatsächlich sind das die Greueltaten eines Wirtschaftskriegs, denn sie liegen jenseits jeder Fairness, Corporate Governance und rechtlichen Wettbewerbsregeln. Für sie gilt auch kein Naturgesetz im Sinne impliziter Gegenkräfte, also countervailing powers, die das System begrenzen. Und schließlich können sie sich – wie in der klassischen Spionage – auch gegen die eigenen Unternehmen oder Mitarbeiter wenden. Denn schließlich ist auch zu prüfen, ob die Bedienungsmannschaft des Systems zuverlässig ist. Die Spieltheorie führt aus, dass vor allem zeitlich begrenzte Karrieren im Sinne der öfter erwähnten Rückwärtsinduktion gefährlich werden, weil Verrat dann kalkulierbar wird. Umgekehrt setzt aber die unbefristete Karriere die Vorgesetzten in massive Abhängigkeiten ihrer Untergebenen. Das aber verwischt die Qualität der Signale, denn ihre Glaubhaftigkeit baut darauf auf, dass das bessere Risiko billiger signalisieren kann, was unter Cyber-War-Gesichtspunkten nicht zwingend ist. Insofern bedarf es politischer Signale, also eines weltweiten Intelligence Codes, um Persönlichkeitsrechte zu bewahren und zugleich die Glaubhaftigkeit von Signalen zu erhöhen.7 Wird Rivalität über Signale ausgetragen, dann wird economic intelligence, also ökonomische Frühaufklärung, besonders relevant. Denn dadurch ist es möglich, das Handeln des Gegners zu interpretieren. Tarnen, Täuschen oder Blenden als militärische Maßnahmen finden hier ihre Entsprechung, indem Produktentwicklungen bewusst anders oder falsch dargestellt werden. Der operative und taktische Einsatz von Desinformation ist damit bedeutsam. Man kann das noch verstärken, wenn es gelingt, die Bewertungssysteme des Gegners zu manipulieren, also seine Prioritätenstrukturen zu beeinflussen. So ist bekannt, dass die Sicherheit im Schienenverkehr als so selbstverständlich eingeschätzt wird, dass sie auf der Liste der Kriterien für die Nutzung der Bahn weit hinten rangiert. Wenn gelegentlich ein Unfall passiert, dann wird Sicherheit für eine
7Deutlich
sieht man das an den NSA-Kontroversen im Sommer 2013, wo die Fähigkeit zu politischen Signalen zwischen den Bündnispartner zumindest in der Außensicht des Bürgers zusammengebrochen ist. Vermutlich wird sie aber nur zu erreichen sein, wenn technologische Augenhöhe existiert.
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Zeitlang bedeutend. Weil die Wahrnehmung der Menschen manipuliert werden kann, gelingt es auch, Produkteigenschaften umzuwerten und daraus Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Das spielt in heißumkämpften Märkten eine besondere Rolle, beispielsweise im chinesischen oder amerikanischen Automarkt, wenn dort Qualitätsdebatten im Sinne von cheap talk lanciert werden, um die heimischen Produkte zu stützen. Das gezielte Skandalisieren von Führungspersonen kann nicht nur diesen, sondern auch dem gesamten Unternehmen schaden. So zeigt Stefan Aust (2017) in seiner Geschichte eines Verrats, wie eine vom Erfolg eines Marktneulings unter Druck gesetzte alteingesessene Vermögensverwaltungsgesellschaft versucht, den Unternehmenschef des Konkurrenten zu diffamieren. Besonders interessant ist es, Mitglieder in einem sozialen Netzwerk zu identifizieren, die einflussreich bzw. beeinflussbar sind. Sinan Aral und Dylan Walker (2012) führen das im Beitrag Identifying Influential and Susceptible Members of Social Networks aus. Dabei wird deutlich, dass die identifizierbare, individuell-kommunikative Einbettung in das Netzwerk neben klassischen soziodemographischen Kategorien einen wesentlichen Erklärungsgehalt besitzt. Thomas W. Valente (2012) zeigt, dass gezielte Interventionen in einem Network ein erhebliches Beeinflussungspotential haben, beispielsweise in Form der Offenlegung bestimmter Persönlichkeitsprofile von Kontaktpersonen, will man vorgegebene Beeinflussungen zielgerichtet durchführen.
9.3.8 Rechtsform und Beteiligungen Gerne wird die Rechtsform als Waffe unterschätzt. Denn sie besitzt einmal über das Instrument der Haftungsbegrenzung die Möglichkeit, die eigenen Gewinne zu maximieren und die späteren Folgekosten zu externalisieren. Ist das Unternehmen dann noch systemisch, wie beispielsweise die meisten Finanzinstitute, dann kann problemlos der Steuerzahler in Haftung genommen werden. Die Kapitalgesellschaft besitzt zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit, im schlimmsten Fall ist sie aber eine Briefkastenfirma in Panama, auf die schon aus Gründen nationaler Rechtshoheiten kein Zugriff möglich ist, um Verantwortung einzufordern – und damit einen Anreiz zu verantwortlichem Handeln zu geben. Daniel Dammler (2016) postuliert deshalb in seinem Buch Konzern und Moderne, dass keine technische Innovation so viel Kriminalität erzeugt hat wie die Anonymisierung der Unternehmensstrukturen durch die „corporate revolution“. Letztlich erlaube sie durch ihre intransparenten Strukturen ein Anschleichen. Bei Aktiengesellschaften wird bei Verfehlungen selten das Management, sondern meist der Aktionär in Haftung genommen, wenn dem Unternehmen ein Bußgeld auferlegt wird. Das verstärkt die negativen Anreize zur Übertretung von Complianceregeln, ob durch Kartellbildung oder durch Betrug, was man an den Automobilunternehmen im Rahmen von Dieselgate ab 2016 sehen konnte. Verstärkt wird das möglicherweise noch durch die Kurzfristigkeit der Planungen als Folge der Erfolgsprämienregelungen (Boni).
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Auch bei Unternehmensübernahmen ist eine Kostensteigerung zulasten Dritter möglich. Will ein Unternehmen ein anderes kaufen, so bietet sich für einen Konkurrenten die Abgabe eines Angebots an, um den Preis nach oben zu treiben. Schließlich kann sich, wie bei der Versteigerung, ein Fluch des Siegers ergeben (winner’s curse). Durch den hohen Kaufpreis unterbleiben möglicherweise wichtige Investitionen, erforderliche Preissteigerungen verringern die Wettbewerbsfähigkeit, erhöhte Kredite für die Finanzierung des Kaufs belasten die Bilanz, verschlechtern das Rating und führen zu neuen Kapitalkosten. Eine zunehmende Bedeutung kommt den großen privaten Vermögensfonds zu, die nämlich zum einen über eine gezielte Portfoliostreuung ihre Branchendominanz erhalten können und zum anderen zur Kursmanipulation fähig sind. Es bestehen dadurch drei wirtschaftskriegerische Optionen: 1. Unternehmen übernahmereif schießen: Bereits weiter oben wurde der Fall von Ströer angeschnitten, dessen Kurs durch aggressive Analysen von Muddy Waters im Jahr 2016 unter Druck geriet. Ähnliches passierte der Beteiligungsgesellschaft Aurelius im Frühjahr 2017, die vom Hedgefonds Gotham City bedrängt wurde, wodurch ein Marktwert von rund 1 Mrd. € oder 50 % des Unternehmenswerts vernichtet worden ist. Parallel wurde dabei auf einen Kurseinbruch mit Leerverkäufen gewettet und es wurden Millionen verdient (Köhler und Landgraf 2017). Aurelius selbst ist nicht für seinen Umgang mit Samthandschuhen bekannt: Nach dem Kauf eines Bauzulieferers schloss es kurzfristig das gesamte Unternehmen und verlagerte die Produktion nach Polen. Der schwedische Finanzinvestor Cevian, der 6,2 % der Aktien von ABB hält, bot Teile des Unternehmens ohne Wissen des Vorstands chinesischen Käufern an (Büschmann 2016b). 2. Wettbewerb zugunsten eigener Renditen und zulasten Dritter beschränken: Große Beteiligungsgesellschaften können ihre Aktivitäten sektoral bündeln und mittels derartiger horizontaler Beteiligungen – meist Minderheitsbeteiligungen – über ihre Präsenz in Aufsichtsräten die Wettbewerbsintensität reduzieren, was wieder ihre Renditen verbessert. Die Abb. 9.9 zeigt, dass BlackRock heute ein dominantes Unternehmen ist und die USA der wichtigste Standort mit zwei Dritteln des Fondvermögens der hier genannten Unternehmen. Setzt man die Daten hingegen in Relation zur Größe der Bevölkerung, dann dominiert die Schweiz mit rund 144 TEuro pro Einwohner den Markt – was auch die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von derartigen Geschäftsmodellen verdeutlicht. Die verwalteten Vermögen haben im Vergleich zu 2015 um rund 6 % zugenommen, was ungefähr dem Wachstum der Weltwirtschaft entspricht. Infolge ihrer Machtkonzentration stehen die Vermögensfonds, insbesondere BlackRock, im Fokus der Wettbewerbshüter. Ein zentrales Problem aus liberaler, ordnungsökonomischer Sicht besteht in deren Marktdominanz (Economist 2013d; Seibel 2014; Welt am Sonntag 2016, 2017c), die gelegentlich auch noch durch Absprachen verstärkt wird, was dann die Kartell- und Strafverfolgungsbehörden auf den Plan ruft. BlackRock ist in einer Reihe von Fällen der größte Financier von einzel-
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BlackRock (USA) Vanguard (USA) State Street Global (USA) Fidelity Investment (USA) Allianz (DEU) JPMorgan Chase (USA) BNY Mellon (USA) AXA (FRA) Capital (USA) Goldman Sachs (USA) Prudenal Financial (USA) PNB Paribas (FRA) UBS (CHE) Deutsche Bank (DEU) Amundi (FRA) Legal & General (GBR) Wellington Management (GBR) Wells Fargo (USA) HSBC (GBR)* Nuveen (USA) Northern Trust AM (USA) * Wert für 2015
0
1000
2000 Mrd.US$
3000
4000
5000
6000
Abb. 9.9 Die größten Vermögensfonds, 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung (2017b) und Monopolkommission (2018, S. 177) – Farben nach Ländergruppen)
nen globalen Unternehmen, beispielsweise von Apple, Exxon, Microsoft, General Electric, JP Morgan Chase, Procter & Gamble, Royal Dutch Shell und Nestlé sowie in Deutschland Bayer, BASF, Allianz, Merck, Munich Re, Deutsche Bank, E.ON, ProSiebenSat 1. Die Liste der Unternehmen, bei denen BlackRock zweitwichtigster Geldgeber ist, wirkt ebenso prominent: Google, Berkshire Hathaway, Petrochina, Johnson & Johnson, Wells Fargo und China. Die Fusion von Bayer und Monsanto, die im Jahr 2016 eingeleitet wurde, ist sicher vorteilhaft für BlackRock, das mit 7 % bzw. 5,75 % an den beiden Unternehmen beteiligt ist – die Summe der parallelen Kapitalbeteiligungen der größten private-equity-Firmen liegt bei knapp 20 % bzw. 25 % (Werner 2016). Da viele dieser Unternehmen aus ähnlichen oder verbundenen Branchen stammen, ist der kontrollierende Einfluss durchaus geeignet, Wettbewerbskräfte lahmzulegen, wie es Axel Ockenfels und Martin Schmalz (2016) in ihrem Beitrag Die stille Gefahr für den Wettbewerb bestätigen – und damit auch erhöhte Profitraten durchzusetzen, was die ökonomische Entwertung des Produktionsfaktors Arbeit, auf den Thomas Piketty hingewiesen hat, beschleunigt. Ökonometrische Analysen bestätigen diesen Rückgang der Wettbewerbsintensität (He und Huang 2017), weshalb auch eine neue Form der Konzentrationsmessung in der Wirtschaft vorgetragen wird (Azar 2012). In ihren Hauptgutachten 2016 und 2018 hat die Monopolkommission (2016, S. 190–241, 2018, S. 175–213) diese Problematik detailliert aufbereitet. Zudem ergeben sich Potentiale der Investitionssteuerung, die selbst großen
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Wirtschaftsnationen wie Deutschland nicht zur Verfügung stehen (Buchter 2016). Zugleich sind aber derartige Großinvestoren auch Gegengewichte zu Finanzinstituten, wenn obskure Machenschaften aufzudecken sind, was BlackRock oder PimCo, eine Allianz-Tochter, wegen fauler Anleihen bei der Deutschen Bank leisteten, um für ihre Investoren Schadenersatz zu erhalten – was Kleininvestoren typischerweise meist versagt bleibt (Piper 2014). Schließlich besteht auch durchaus ein machtbegrenzendes, aber damit systemisches Risiko, wenn Investoren aus derartig großen Kapitalsammelstellen Mittel abziehen, was zu erheblichen Entwertungs- und Ansteckungsproblemen bei Unternehmen führen kann. 3. Das Zerstören der marktwirtschaftlichen Ordnung; Die Nachfrage nach Vermögensgütern angesichts fehlender anderer Renditen hat in den Jahren, die der Weltfinanzkrise ab dem Jahr 2008 folgten, infolge des künstlich durch die Zentralbanken geschaffenen Niedrigzinsumfelds zugenommen. Die damit einhergehende Vermögenspreisinflation bei lokal nicht oder nur sehr langsam vermehrbaren Gütern, nämlich Grund und Boden und damit auch Gebäuden und schließlich Mieten entziehen Bürgern in den Metropolen oft die Existenzgrundlage; ebenso haben die Preise von land- und forstwirtschaftlichen Flächen sowie die Pachten global erheblich angezogen. Die Enteignungsdebatte von Wohnungen und die Unmöglichkeit normaler Landwirte in Deutschland, Boden zu kaufen, oder das land grabbing in Afrika, müssen gemeinsam mit dem im vierten Kapitel als Herrschaft der Zentralbanken bezeichneten Draghiat gedacht werden. Große Fonds verstärken diese Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Sie treten besonders intensiv als Käufer auf, auch im Bereich der Aktiengesellschaften, die dann auch gelegentlich von der Börse genommen werden. Unternehmensführungen sehen das Zurückkaufen eigener Aktien als Mittel, sich „teuer“ zu machen, als probate Verteidigung gegen Übernahmen. Damit verringert sich die breite Streuung von Aktien im Publikum. Aktienmärkte sind dann nicht mehr Ausdruck einer Finanzierungsdemokratie, und freie Kapitalmärkte werden zum Instrument der Oligopolisierung, schaffen sich damit aber auch langfristig ab. Der Aufbau von Beteiligungen ist kein ausschließliches Privileg von Vermögensfonds. Zunächst sind Großunternehmen aktiv, und hier sind vorrangig die weltweiten chinesischen Übernahmen zu nennen, die deshalb unter Kritik stehen, weil ausländische Unternehmen kaum Zugriff auf Schlüsselunternehmen im Reich der Mitte haben bzw. nur Minderheitsbeteiligungen eingehen können. Das wurde auch als Konkubinenmodell bezeichnet: Nach seiner Öffnung lobte die Regierung der Volksrepublik China international Beteiligungen mit der Möglichkeit des Marktzugangs, zum Preis von Investitionen und Technologietransfer aus. Der Erfolg der chinesischen Wirtschaft hat die Kriegskassen gefüllt, und nun sucht das Land international nach Beteiligungen, besonders in Zukunftsindustrien. Von 2015 auf 2016 hat sich das Volumen verdoppelt, wobei ein deutlicher Schwerpunkt auf Investitionen in Deutschland liegt. Tatsächlich
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gelten chinesische Beteiligungen als solide und unterstützen – gerade im Mittelstand – das Weiterleben der alten Unternehmenskultur. Allerdings führt die hohe Zahlungsbereitschaft zur Veränderung der Usancen, weil auch extrem gute Leistungen und damit Unternehmenswerte nicht vorm Kauf schützen. Damit werden treue Ankeraktionäre sehr wichtig. Inzwischen hat die chinesische Regierung selbst Begrenzungen eingebaut, besonders bei fachlich nicht nachvollziehbaren Übernahmen, bei denen leicht Kapitalflucht zu vermuten ist. Abb. 9.10 zeigt die Übernahmen nach Ländern; man sieht, dass von einer besonderen Übernahmeintensität, bedenkt man die Größe der Volkswirtschaft, eigentlich nicht die Rede sein kann. Faktisch ähnelt eine Übernahme den Dilemmastrukturen, die bereits bei der Darstellung der Spieltheorie beschrieben wurden. So können sich beide Spieler gegenseitig versichern, weitgehend deckungsgleiche Ziele zu haben – dann liegt der einfache Fall friedlicher Übernahmen und ein Zusicherungsspiel vor; alternativ können sich gegenseitige Bedrohungslagen entwickeln, vor allem dann, wenn eine Übernahme mit einer Gegenübernahme beantwortet wird, was beim Übernahmeversuch von Porsche gegenüber VW der Fall war, der im Jahr 2009 bekanntlich mit der Integration von Porsche in den VW-Konzern endete – ein Feiglingsspiel. Schließlich kann gerade bei staatlich organisierten strategischen Übernahmen von mehreren Unternehmen das Problem auftreten, dass sich jemand als erster bedient und damit die übrigen Übernahmen torpediert – der Fall der Hirschjagd. In den letztgenannten Fällen können auch die Anteilseigner, die üblicherweise mit einer Prämie aus ihrem Aktienengagement ausscheiden, nachhaltige Verluste erleiden. Inzwischen nutzen zunehmend auch mittelständische Familienunternehmen diesen Weg, um ihr Portfolio zu arrondieren und eine Gegenmacht zu den großen OEMs (Original Equipment Manufacturer) aufzubauen. Dadurch ändert sich die Gefechtslage
Abb. 9.10 Die größten Investoren in Deutschland, 2016. (Quelle: eigene Darstellung aus der Börsen-Zeitung (2017a) und Ernst & Young – Farben nach Ländergruppen)
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im besten Sinne des Wortes, und das hat VW ab dem Jahr 2016 zu spüren bekommen. Nachdem sich sein Zulieferer Prevent bei einem gemeinsamen Forschungsprojekt ausgebeutet und von den Preisen gequält fühlte (Ignacio Lopez, der als Einkaufsmanager das System aufbaute, wurde deshalb auch der „Würger von Wolfsburg“ genannt), setzte der Inhaber Nijaz Hastor die Belieferung mit Teilen an VW aus und zwang es so an den Verhandlungstisch (Büschmann 2016b). Durch ein Delisting kann der Druck vor fremden Übernahmen verringert werden. Was bei mittelständischen Unternehmen meist ein großer Vorteil infolge des Ermöglichens langanhaltender und nachhaltiger Planungshorizonte ist, kann sich aber bei Großunternehmen ins Gegenteil verkehren. Denn die Komplexität ihrer Struktur wird meist am besten durch (anonyme) Kapitalmärkte kontrolliert. Ineffizienzen können die Folge sein. Schließlich ist auch Delisting als Vorbereitung zum Angriff anzusehen, weil man dadurch eine offene Flanke schützt.
9.3.9 Signale und Kommunikation Kommunikation, Information und Signale sind wesentliche Elemente des (hybriden) Wirtschaftskriegs. Weiter oben, vor allem im Kontext der Spieltheorie, war über die zentrale Rolle der Signale ausgeführt worden, dass das bessere Risiko billiger signalisiert. Im Kontext des Wirtschaftskriegs ist es wichtig, nach außen eine konsistente und positiv wirkende Darstellung des Unternehmens zu erzeugen. Damit wird die Taxonomie der Denkkategorien zum zentralen Ansatzpunkt der Vorbereitung eines Angriffs bzw. des sich Einstellens auf die Verteidigung. Die Philosophie von Michel Foucault (1966) weist auf die Bedeutung mentaler Kategorien hin, vor allem die Macht, die einem Individuum oder Unternehmen zuwächst, wenn es in andere eine neue Taxonomie etabliert und Dritte damit überzeugt bzw. sie diesen aufzwingt, was beispielsweise im Kontext der political correctness versucht wird. Der Economist (2018c) weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Benennung der Unternehmen hin: Insbesondere Kontexte, die auf Hochtechnologie oder moderne Produkte hinweisen, sind gegenüber solchen, die das altindustrielle Erbe benennen oder auf altbackene Produkte verweisen, überlegen. Aktivistische Handlungen des Protests klingen sympathischer als extremistische. E-Mobility erscheint umweltfreundlicher als Diesel. Zum Bereich des Signalisierens und der externen Kommunikation zählen typischerweise Werbemaßnahmen der Unternehmen, insbesondere auch das Gewähren von Rabatten in Form von Vergünstigungen in Bezug auf Preise, Mengen oder anderen Zusatzleistungen. Eine besonders aggressive Form des Angriffs ist es, Rabattaktionen der Konkurrenz, beispielsweise Gutscheine, im eigenen Haus zu akzeptieren. Ein derartiger Rabattklau stört die Sortimentskalkulationen des Gegners empfindlich, wenn er die Attraktivität der Lockangebote zerstört, und kann die Logistik stark durcheinanderbringen, weil erhoffte Verkäufe nicht stattfinden.
9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen
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9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen Militärische Einsatzgrundsätze versuchen, dem Handeln der kämpfenden Einheit durch Vorgabe von Normen Stabilität und Planbarkeit zu geben, zugleich aber der Kreativität Raum zu lassen. Sie beruhen auf der Kenntnis der Eigenarten und Wirkungsweisen, insbesondere also auch der Fähigkeiten, Bereitschaften und der Willensstärke einzelner Truppengattungen, Kampfverbänden und der in diese integrierten Soldaten. Analoges gilt auch für das Unternehmen. Eine zentrale Grundlage ist dabei die Lagebeurteilung und die Entschlussfassung, welche dann zu Handlungsoptionen bzw. Handlungen führt. Gerne werden diese in Entscheidungstabellen, die in spieltheoretische Konzepte zusammengeführt werden können und schließlich auch die Grundlage für Simulationen sind, weil viele der Vorgänge nicht deterministisch, sondern stochastischer Natur sind und damit über Monte-Carlo-Simulationen in ihren Wirkungen erfasst werden müssen. Oft führen derartige Simulationen zu Ergebnissen, die in ganz bestimmte Richtungen konvergieren. Offensichtlich existieren bezogen auf das Handeln bevorzugte Lösungspfade, die auf einen dominanten Selektionsmechanismus verweisen. So ist ein typisches Muster beim Entstehen neuer Industrien, dass zunächst Schwärme von Unternehmen auftreten, diese expandieren, wonach es einen Kampf bis aufs Messer (cut-throat competition) um Marktanteile gibt. Sobald die Märkte reifen, führt der Selektionsprozess die Mehrheit in die Insolvenz oder Übernahmen, sodass zum Schluss nur noch wenige Marktteilnehmer in einem Oligopol übrigbleiben – eventuell mit einigen mittleren Anbietern in Nischen (sogenanntes heterogenes Oligopol). Derartige Systeme werden mittels Simulationssoftware agentenbasiert modelliert und erlauben es, die Wirkung alternativer Rahmenbedingungen und Typisierungen für Unternehmen zu untersuchen. Wie Cornelia Lehmann-Waffenschmidt (2006) zeigt, sind derartige Entwicklungen industrietypisch und erlauben es damit auch, Mustervorhersagen zu geben.
9.4.1 Bestimmung der Marktmacht Klassische Methoden der Bestimmung von Marktmacht folgen auf der Grundlage einer klaren räumlich-sachlich-zeitlichen Marktabgrenzung im Kontext der Marktstruktur-Marktverhaltens-Marktergebnis-Hypothese der Harvard-Schule, im Rahmen einer Kostenstrukturanalyse entsprechend dem Chicago-Konzept der Bestreitbaren Märkte sowie der Identifikation von Kernkompetenzen, wie sie im sechsten Kapitel eingeführt wurden. Eine wichtige Komponente ist bei der Marktabgrenzung der SSNIPTest (small but significant and non-transitory increase in price), der ausgehend von einem zunächst klein gewählten Markt prüft, ob ein marktbeherrschendes Unternehmen durch eine Preiserhöhung seine Profitabilität dauerhaft ausweiten kann. Ist das der Fall, wird der Markt ausgeweitet um auszuloten, ab wann Kunden zu Substituten abwandern. Bei Plattformmärkten ist dies dann nicht möglich, wenn keine Preise vorliegen, beispielsweise bei Suchmaschinen. Hier bewährt es sich, vor allem Wechselkosten von
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Kunden zu analysieren und die Robustheit gegen das Auftreten neuer Konkurrenten zu identifizieren. Hohe fixe oder variable versunkene Kosten wirken hier als Burggräben oder Burgwälle, die den Angriff erschweren. Typische, aber in der Regel nur hinreichende Erkennungsmerkmale sind eine starke Marktpräsenz erkennbar am Marktanteil, eine hohe Innovationsdynamik erkennbar an der Patentintensität oder dem Anteil neuer Produkte im Markt und eine starke Marke, erkennbar am Firmenwert. Hinzu treten qualifizierte und loyale Mitarbeiter, also ein erfolgreiches employer branding. Gerade letztere sind entscheidend, sind doch Angebote des Angreifenden, Führungspersonal im Falle der freiwilligen Kapitulation zu schonen, also mit hohen Summen abzufinden, immer wieder verführerisch.
9.4.2 Voraussetzungen des Erfolgs: Ausloten bzw. Überschreiten von Grenzen Ein kluger Angreifer bezieht im Sinne des dem Kapitel vorangestellten Leitsatzes immer die Aktivitäten des Gegners als Folge des eigenen Handelns in das Kalkül ein. Dabei spielt die im dritten Kapitel eingeführte glaubhafte Drohung eine bedeutende Rolle. Das Konstrukt ist gleichermaßen für die Strategie als oberste Ebene, für die daraus abgeleitete Operationsführung und schließlich für die Taktik zu verwenden, weshalb das Konzept der List und die bekannten Modelle der Spieltheorie als wichtige Bestandteile der Entscheidungsvorbereitung, -bewertung und -festlegung anzusehen sind. Deutlich wird dies an der Marktmacht großer amerikanischer Internetkonzerne, die in Europa mit nationalen Regierungen steuerverschonende Abmachungen zulasten der Staatskasse abschließen – quasi als Erpressung für eine Ansiedlung, was im elften Kapitel vertieft wird. Zugleich werden die Grenzen der politischen Einflussnahme auch dadurch überschritten, dass das Demokratieprinzip ausgehebelt wird. Evgeny Morozov (2016) führt zum Thema Die Rückkehr des Feudalismus: Weil sie allen Zugang zu unseren Daten haben, können große Technologiekonzerne jedem ihre Bedingungen diktieren – sogar dem Staat aus, wie der bereits erwähnte Plattformkapitalismus grundlegende Souveränitätsstrukturen außer Kraft setzt. Dies wird im zehnten Kapitel aufgegriffen. Prototypisch handeln an dieser Front die erfolgreichen amerikanischen Internetkonzerne, die der Economist (2016e) auch als frontier firms bezeichnet: Sie sichern ihr Wissen weit mehr als die hinterherhängende Konkurrenz durch Patente ab; sie sind Weltbürger und können sich daher jederzeit mit den besten Firmen bzw. Technologen weltweit vergleichen, ihre Entwicklungen werden damit weit schneller als die der Konkurrenz global absorbiert. Schließlich haben sie alle ihre sehr eigene, schwer nachzuahmende secret sauce, also Kombination von Fähigkeiten. Insbesondere in Zeiten, in denen weniger disruptive Innovationen auftreten, sichert das eine dauerhafte Dominanz. Das angreifende Unternehmen, was die verantwortlichen Führer explizit einschließt, das vorgegebene Grenzen überschreitet, muss Konflikte mit dem Gesetz einkalkulieren
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bzw. – auf Unternehmensebene – die Governance-Regeln berücksichtigen. Dies betrifft nationale und internationale Vorgaben des Zivil- und des Strafrechts ebenso wie das Wettbewerbsrecht. Tatsächlich verstößt mindestens eine der Parteien im Wirtschaftskrieg scheinbar zwangsweise gegen gültige Complianceregeln. Im Fall einer rechtlichen Verfolgung bietet es sich dann an, die günstigsten Gerichte anzurufen, also forum shopping (Veltins 2015) zu betreiben bzw. mit Gegenklagen zu reagieren; diese werden gerne als Torpedoklagen bezeichnet und sind geeignet, Verfahren beträchtlich in die Länge zu ziehen. Dies wird im elften Kapitel angesprochen. Moralisch bedenkliche Angriffsstrategien sind so zu planen, dass man sich nicht eines Tages selbst ähnlichen Attacken ausgesetzt sieht und dann legitim kaum um Hilfe nachsuchen kann. Die Deutsche Bank, die im Umfeld der Finanzkrise mit illegalen Spekulationsgeschäften beträchtliche Summen verdient hatte und deshalb hohe Bußgelder, Strafen bzw. Zahlungen für Vergleiche entrichten musste, geriet selbst unter Druck, weil große Fonds ihre Geschäftsmodelle im Herbst 2016 als nicht nachhaltig einschätzten, weshalb die Frage nach Staatshilfe ventiliert wurde. Inzwischen zählt sie nicht einmal mehr zu den bedeutenden europäischen Geldhäusern. Dies führte beim damaligen Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel zu der Äußerung (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2016c): „Ich wusste nicht, ob ich lachen oder wütend sein soll, dass die Bank, die das Spekulantentum zum Geschäftsmodell gemacht hat, sich jetzt zum Opfer von Spekulanten erklärt.“
9.4.3 Dominanz in Geschwindigkeit und Informationsnetzen Analysen belegen, dass langfristig planende Unternehmen, die ihre Strategien entsprechend abstimmen, weit erfolgreicher sind als die, die scheinbar nach dem kurzfristigen Erfolg schielen. Allerdings ist nicht klar, was die Ursache und was die Wirkung ist: Hat das langfristig operierende Unternehmen mehr Erfolg oder erzwingt der fehlende Erfolg kurzfristige Reaktionen? Einer Analyse von Michael Bazigos, Aaaron Desmet und Chris Gagnon (2015) in ihrem Beitrag Why Agility Pays zufolge stellt eine steile Expansionsrate der Unternehmen bei gleichzeitig hoher Stabilität ein wesentliches Charakteristikum eines erfolgreichen Unternehmens dar, die sie als agil bezeichnen. Unternehmen, die schnell wachsen, haben üblicherweise große Probleme, die inneren und die nach außen wirkenden Strukturen ihres Hauses stabil zu halten, weil die Entwicklung ihnen kaum Zeit zu einer organisatorischen Anpassung lässt. Umgekehrt lähmen gerade stabile Organisationen die Unternehmensentwicklung. In Abb. 9.11 wird die Intensität der Entwicklungsdynamik dem Grad der institutionellen Stabilität gegenüberstellt. Damit ergeben sich vier Felder, in die sie die Unternehmen ihrer Stichprobe einordnen. Dabei befindet sich die Mehrheit der Unternehmen im Mittelfeld, was der Eichung des Index, der abgebildet wird, geschuldet ist. Rund 14 % der Unternehmen befanden sich in einer Sackgasse, weil sie eine unzureichende Stabilität bei geringer
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Instuonelle Stabilität
hoch
„Start-Ups“ (8%)
hoch
Agile Unternehmen (12%)
1 2 3 4
niedrig
Entwicklungsdynamik
niedrig
Unternehmen Bürokrasche in der Sackgasse Unternehmen (14%) (8%)
Abb. 9.11 Das Dynamik-Stabilitätsprofil von Unternehmen. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Bazigos, Desmet, Gagnon 2015 [Darstellung aus „Why agility pays“, July 2016, McKinsey & Company, www.mckinsey.com. Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission])
ntwicklung aufwiesen. Die sogenannten Start-Ups hingegen waren mit 8 % zwar wenig E robust, aber stark in der Expansion. Weitere 8 % wurden bei geringer Entwicklungsgeschwindigkeit von der Bürokratie ausgebremst. Rund 12 % konnten in der Gruppe der agilen Unternehmen verortet werden, also solcher Unternehmen, die den scheinbaren Konflikt aus Expansionsgeschwindigkeit und Stabilität für sich gelöst hatten. In dieser Gruppe war eine Reihe von Führungscharakteristika typisch, nämlich Verantwortung und Zurechnung, offene Lernprozesse, ein klares Bekenntnis zur Unternehmenskultur und damit auch Motivation und schließlich auch die Akzeptanz von Ideen von außen, ebenso wie von denen eines internen Wettbewerbs. Die agilen Unternehmen sind geeignete Träger der Attacke im Wirtschaftskrieg. Als ihr Opfer erscheinen Unternehmen in der Sackgasse als wenig geeignet, weil – definitionsgemäß – auch das Kapital nach dem Sieg kaum verwertet werden kann. Ob im Sinne der schöpferischen Zerstörung von Joseph Schumpeter eine Verwertung möglich ist, muss dann angezweifelt werden, wenn im Personal Routinen tief verankert sind, die jede Übernahme und Integration erfolglos erscheinen lassen. Interessant sind die Start-Ups, weil sie durch ihre neuen Ideen über ein hohes Potential verfügen, allerdings aufgrund ihrer fehlenden internen Stabilität hier einen Ergänzungsbedarf haben und durch kluge Umstrukturierung bzw. Integration in die eigene Firma eine starke Verbesserung erfahren können. Auch sind sie meist zu schwach, um sich effizient zu verteidigen. Gleichermaßen ist es für Unternehmen mit Potential, die aber überreguliert
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sind, möglich aufzuschließen, wobei hier aber vermutlich ein erheblich größerer Kulturwandel erforderlich ist. Eine weitere Dimension der Überlegenheit von Geschwindigkeit betrifft die Nutzung hochentwickelter algorithmenbasierter Verfahren zur Aufklärung, das Auswerten von Handlungsmustern und schließlich das Ableiten optimaler, also im Sinne der Spieltheorie glaubhafter Antworten. Gelingt es, strukturelle Regelmäßigkeiten in Modellen zu erfassen, lässt sich in Sekundenschnelle auf die Aktivitäten eines Dritten reagieren. Derartige Systeme, die im Wertpapier- oder Devisenhandel genutzt werden, sind beim Militär im Rahmen der strategischen Abwehr bereits im Einsatz. Da die Gegenseite aber ebenfalls über derartige Einrichtungen verfügt, kann sie auch in Sekundenschnelle zu Maßnahmen greifen, die automatisiert ausgelöst werden. Damit können sich die Systeme gegenseitig hochschaukeln. Das geschieht heute beispielsweise im sogenannten Hochfrequenzhandel auf Wertpapiermärkten, die damit einen erhöhten Grad an Instabilität aufweisen und Unternehmen, gelegentlich sogar Länder, in den Ruin reißen können. Das ist insbesondere dann möglich, wenn Programmierfehler auftreten. Im Oktober 2012 vernichtete der Fehler eines Händlers binnen Sekunden rund 60 Mrd. US$ an Börsenwert. In Schweden brach Ende November 2012 der Goldhandel zusammen und der Goldpreis fiel um 30 US$ aufgrund eines gigantischen Fehlauftrags, der die Wirtschaftsleistung des Lands um mehr als das 130-fache überstieg. Der sogenannte Freak Trade, also ein Scheinhandel, der nur Signale setzen will, kann zur Systemgefahr werden. Damit gerät der Hochfrequenzhandel ins Visier der Wirtschaftspolitik, weil er einmal durch fehlerhaftes Agieren der Wertpapierhäuser, die heute den Handel dominieren, die Kurse zu hysterischen Verwerfungen führen kann, die als Schwarzer Schwan wirken, zum anderen, weil er auch gezielten Manipulationen offensteht. Die Deutsche Bundesbank (2016, S. 37) kommt in einer detaillierten Analyse zu einem janusköpfigen Urteil: „ … HFT-Marktteilnehmer [leisten] in einem ruhigen Marktumfeld einen bedeutenden Beitrag zur Liquidität. Für hoch volatile Marktphasen zeigen die Untersuchungen jedoch, dass HFT-Market-Maker sowohl im Bund- als auch im DAX-Future ihre Liquiditätsbereitstellung temporär reduzieren.“ Zu Deutsch: Die Wirkung ist in ruhigen Zeiten positiv, aber wehe, es zieht Sturm auf! 250.000 Handelsvorgänge pro Sekunde zählen auf Hochleistungsrechnern heute zur Normalität, auf denen in den USA bereits die Mehrheit der Aufträge abgewickelt werden, was auch verständlich wird, wenn dem die Langsamkeit normaler Abwicklungen entgegengestellt wird. Für den Erfolg eines Handels wird damit dessen physische Nähe zum Server, der die Geschäfte abwickelt, erfolgsrelevant. Für die Nähe zur Handelsplattform und entsprechende Leitungen werden Unsummen bezahlt, weil sie über (ökonomisches) Sein oder Nichtsein bestimmen. Inwieweit ein Regulieren hilfreich ist, beispielsweise in Form eines Aussetzens des Handels, wenn Preisschwankungen zu groß werden, oder Scheinorders überwiegen, bleibt abzuwarten. Denn hier müssen alle Institutionen länderübergreifend kooperieren. Der Raum für Manipulationen ist immens, deshalb gibt es in vielen Ländern entsprechende Ermittlungen der Anwaltschaften bzw. der Regulierungsbehörden. Die Hochgeschwindigkeitsproblematik der Turboalgorithmen findet ihre Entsprechung in der
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Gefahr, die von allen automatisierten Frühwarnsystemen ausgeht, auch und insbesondere von den militärischen, die zu einer Gefahr aus sich selbst heraus werden können. Aber auch das Gegenteil, das passive Investment in sogenannte Indexfonds, die mit Aktienpaketen bzw. Derivaten Indizes wie den DAX oder den Dow-Jones-Index nachbilden und deshalb sehr preisgünstig operieren können, stellt eine Gefahr für Märkte dar. Durch es gehen zentrale Marktimpulse, besonders außerhalb der im Index enthaltenen Firmen, verloren, wie in der Studie der Investmentfirma Bernstein mit dem provokativen Titel Der Weg in die Leibeigenschaft: Warum passives Investment schlimmer als der Marxismus ist zu diesem Thema ausgeführt wird (Zschäpitz 2016d). Der scheinbare Frieden am Markt kann dann, wenn Aktienpakete mehrheitlich in dieser Form verwaltet werden, die Wirtschaft durch massive Fehlallokation in den Abgrund treiben. Die Möglichkeit, elektronische Plattformen kostengünstig aufzubauen, sowie die Existenz einer Vielzahl von Papieren, die nicht an der Börse, sondern over the counter (OTC) gehandelt werden, fragmentieren das Geschäftsgeschehen, erschweren die Preisfindung und werden damit für Kleinanleger ebenso wie für Firmen zur Bedrohung. Es entstehen durch die Multilateralen Handelsplattformen (MTF) möglicherweise Dark Pools, die den Großanlegern entgegenkommen, die immer größere Stückzahlen für immer kleinere Kursdifferenzen als bisher verschieben, aber möglicherweise nicht hinreichend zügig auf Handelspartner treffen. Ihr Ziel ist es, durch diese Großtransaktionen das Marktgeschehen nicht in Unruhe zu versetzen. Zugleich aber geht der Anteil klassischer Privatanleger ebenso zurück wie der Wert pro Transaktion. Die Transparenz des Marktgeschehens sinkt, weshalb für eine gesamtgesellschaftliche Krisenbegrenzung staatlicherseits ein Zwang gefordert wird, regulierte oder zumindest transparente Plattformen zu nutzen. Betrachtet man die Zahl der Transaktionen, so waren im Jahr 2013 26 % der Transaktionen mit 14 % der Aktienzahl und 21 % des Handelsvolumens dem Hochfrequenzhandel zuzuordnen. Bei den MTF liegen die Zahlen höher nämlich bei 38 % für den Anteil der Transaktionen, 39 % der Aktienzahl und 37 % des Handelsvolumens (Börsen-Zeitung 2014c). Weiterhin wurden im Jahr 2013 nur 36,6 % der Aktien an regulierten Börsen, aber 59,9 % an Dark Pools und 3,5 % an sonstigen Plätzen gehandelt. Für nicht im DAX gelistete Werte liegen die Zahlen bei 33,9 %, 42,4 % und 13,7 % (Stocker und Trentmann 2014). Vor dem Hintergrund der anonymen Märkte sind die sogenannten Quants entstanden, also die Modelltheoretiker und -implementierer, die die mathematischen Strukturen schaffen, die die modernen Märkte und damit die Welt regieren. Sie können die Regeln aus den politischen und wirtschaftlichen Ordnungssystemen und damit das, was in der Staatsvertragslehre als Demokratie und als Fairness gemeint war, ad absurdum führen. Und tatsächlich stellen sich diese Modelle, die in ihrer Interaktion dann zu ungekannten Ergebnissen führen, als Quelle für Schwarze Schwäne, als unerklärbare Ereignisse dar. Ob die technologische Innovation des Hochfrequenzhandels tatsächlich einen ökonomischen Mehrwert schafft, wird kontrovers diskutiert, da in der Bewertung die Vorteile, die Vollkommenheit der Märkte zu erhöhen, mit den durch Hysterie und Aufschaukeln erzeugten Schäden konkurrieren.
9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen
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9.4.4 Operatives und taktische Umsetzung Ein wesentliches Kriterium eines Unternehmens, im Wirtschaftskrieg zu bestehen, ist seine Robustheit. Diese lässt sich in der Unternehmensanalyse und dem Risikomanagement entlang des unternehmenstypischen Ratingverfahrens erfassen, dessen wesentliche Elemente in der Abb. 9.12 dargestellt sind. Vier Felder beschreiben die wesentlichen Gesichtspunkte zur Beurteilung der übergeordneten und übergreifenden Aufstellung. Damit ist es ein zwingender Gesichtspunkt bei der Lagebeurteilung und -feststellung in Bezug auf das eigene Unternehmen und die anderen Unternehmen, die herausgefordert werden sollen. Diese Ratings sind nicht nur als Momentaufnahme für strategische Entscheidungen wichtig, sie sind vor allem im Zeitvergleich zu analysieren, weil sie mit der Branchen- bzw. der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung variieren. Sie eignen sich weiterhin für einen allgemeinen Kräftevergleich der Rivalen. Allerdings ist, wie anhand des Gottesbeweisspiels dargestellt wurde, die Glaubhaftigkeit der Ratings und insbesondere die Vergleichbarkeit von Ratings verschiedener Agenturen eingeschränkt. Die vier Teilratings beinhalten die obersten Ebenen der Unternehmensanalyse und des Findens eines economic value. Eine Reihe dieser Elemente ist nur Gegenstand der internen strategischen Aufstellung und der Unternehmensbewertung aus der Sicht der Kapitalgeber. Andere beinhalten hingegen aus externer Sicht grundlegende Aspekte der Wertigkeit, stehen also im Kern der strategischen Überlegungen. Von besonderer Bedeutung sind dabei – ebenso wie im staatlichen Bereich – die verborgenen Schulden, Managementkompetenz / Führungsinstrumente • Eigentümerstruktur /-stabilität • Unternehmensnachfolge • Managementphilosophie/ kompetenz • IT-Umfeld • Controllinginstrumente • Kompetenz zur Vermarktung von Produkdeen • Humankapital, Mitarbeiterkompetenz, Fluktuaon
Geschäschancen und -gefahren
Wirtschaliche Rahmenbedingungen • • • • •
Webewerbssituaon Länderrisiken Marktpotenale und -restrikonen Struktur der Beschaffungsmärkte regulatorisches Umfeld, industriepolischer Rahmen
Rang
• • • • •
Kundenmanagement Produktmanagement Produkonsstandard Absicherung von Haungsrisiken Innovaonsmanagement - Alleinstellungsmerkmale • dezidierte Marktkenntnis • Lieferantenmanagement, Beschaffungsseite
Abb. 9.12 Elemente eines Ratings. (Quelle: eigene Darstellung)
Finanzielle Verhältnisse • Plausibilität der Unternehmensplanung • Planungsgenauigkeit • Finanzierungs-/ Bankenbudget • Liquiditätsplanung • Risikomanagement (KonTraG) • Idenfikaon notwendiger Kennzahlen
702
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
beispielsweise aus Pensionsverpflichtungen – oder aus den häufig überhöhten Preisen, die bei Übernahmen gezahlt worden sind und daher meist nicht werthaltig sind, wenn es nicht gelingt, massive Synergien zu heben. Die Tab. 9.2 zeigt die wesentlichen Fragen auf, die im Rahmen eines solchen Audits zu beantworten sind. Aus der Mission des Unternehmens und seiner obengenannten Aufstellung resultieren Fähigkeiten oder Defizite, die in einem Wirtschaftskrieg von entscheidender Bedeutung sind. Denn im Sinne einer Umsetzung – nach entsprechender Analyse der eigenen und der gegnerischen Lage (letztere in Bezug auf die eigenen Absichten) – müssen die vorhandenen Fähigkeiten die geplanten bzw. erforderlichen Operationen ermöglichen. Diese Fähigkeiten besitzen eine erhöhte Relevanz aus Sicht des Stresstests, der beispielsweise bei Banken durchgeführt wird, um ihre Stabilität bei möglichen Marktturbulenzen auszuweisen. Gerade hier spielen zum Wiederherstellen der Vertrauenswürdigkeit diese Gesichtspunkte eine wichtige Rolle, wie Denise Bauer und Gunnar Schuster (2016) in dem von ihnen herausgegeben Buch Nachhaltigkeit im Bankensektor detailliert aufzeigen.
9.4.5 Erfolgsmaßstäbe des Wirtschaftskriegs Der Erfolg eines gewonnenen Wirtschaftskriegs lässt sich an der Vernichtung des Vermögenswerts des gegnerischen Unternehmens sehen. Am Aktienmarkt finden sich derartige Indikationen mit hoher Transparenz. Die Abb. 9.13 zeigt für eine Reihe deutscher Unternehmen dieses Verbrennen von Geld. Dabei wird deutlich, dass die Energieversorger und die Solartechnologie besonders betroffen sind. Dennoch sind die Ursachen sehr heterogen, sodass klare Muster nicht in jedem Fall branchenübergreifend möglich sind: So sind im Finanzsektor die Folgen der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 noch nicht verwunden – ebenso wie die Strafzahlungen aus Fehlverhalten und die oft gescheiterte Umstellung des Geschäftsmodells. Viele Unternehmen gerieten als Folge der konjunkturellen Abschwächung und der Zunahme der Wettbewerbsintensität aus Fernost, unter Druck. Die Energiewende als wesentlicher Politikwechsel vernichtete das tradierte Geschäftsmodell der Versorger, und ob der Staat Schadensersatzpflichten wegen des Eingriffs in Eigentumsrechte hat, wird an ordentlichen und an Schiedsgerichten verhandelt, ist aber bis heute nicht abschließend geklärt. Einige der Unternehmen gingen im Jahr 2018, wie Gerry Weber, in Insolvenz; andere haben ihren Abwärtstrend fortgesetzt wie die Deutsche Bank, die vom Frühjahr 2018 bis zum Frühjahr 2019 über 50 % ihres Werts eingebüßt hat, weil keine langfristig tragfähige Strategie sichtbar ist und auch als Folge ihrer undurchsichtigen Rechtsrisiken (Die Welt 2019a). Seit dem Frühjahr 2019 versucht der Aufsichtsratsvorsitzende Paul Achleitner die desaströse Bilanz seiner siebenjährigen Amtszeit durch eine Fusion mit der Commerzbank aufzuhübschen. Neu hinzugekommen sind, auch als Folgen der schwierigen Rahmenbedingungen infolge des chinesisch-amerikanischen Handelskriegs, BASF und Bayer mit Kursverlusten von fast 30 % – bei Beyer auch eine Folge des offen-
Technologie
Welche Personalkosten entstehen und wie hoch sind die Grenzkosten, bei langen und anspruchsvollen Operationen?
Welche Erträge können durch das Personal eingefahren werden? Wie stark sinken Grenzerträge? Welche Beziehung besteht zu Dauer und Qualität der Operationen?
Welches sind die wesentlichen Beschränkungen des Personaleinsatzes? Was sind die zugehörigen Opportunitätskosten?
Erträge und Grenzerträge
Opportunitätskosten
(Fortsetzung)
Welche Veränderungen bringen ergänzende Informationen für den zukünftigen Wandel der Opportunitäten? Wie ist neue bzw. ergänzende Transparenz insbesondere mit Blick auf Dominanzerwartungen zu bewerten? Welche wesentlichen Beschränkungen zwingt der Raum den Unternehmen auf? Was sind die zugehörigen Opportunitätskosten?
Welches sind die wesentlichen Beschränkungen der verwendeten Technologien? Was sind die zugehörigen Opportunitätskosten?
Welchen Einfluss haben Informationssysteme auf die Ertragslage – auch solche der Feindaufklärung? Welche Erträge ergeben sich künftig insbesondere aus spillovers?
Welche Vorteile ergeben sich aus der Raumstruktur, beispielsweise in Bezug auf Skalen-, Verbundund Netzwerkökonomien?
Welche spezifischen Erträge können durch Technologien eingefahren werden? Was ist das Potenzial von Mehrfachnutzungen? Wie stark nehmen die Grenzerträge ab?
Welchen Einfluss haben Informationssysteme auf die Kostenlage – vor allem als Folge von Feindaufklärung?
Welche kritischen Informationen ändern die verfügbaren Alternativen und Substitute?
Welche Abwägungen sind bei Standorten, Personal und Technologie sowie den Märkten im Vergleich von heute zu morgen zu treffen?
Welche Bedeutung hat der Raum für die personale und technologische Aufstellung? Wie ist die Nachfrage im Raum verteilt? Welche Kosten entstehen zeitabhängig, z.B. im Falle einer Verteuerung durch Agglomerationseffekte?
Info
Zeit
Raum
Welche Kosten entWelche Kapital- und Technologiekosten ent- stehen durch die Raumüberwindung? stehen und wie hoch sind sie bei langen und anspruchsvollen Operationen?
Welche Substitutionsbeziehung besteht zwischen Personal und Technologie? Was ist bezogen auf den Auftrag das optimale Austauschverhältnis? Ergeben sich durch Einsparungen neben Substitutions- auch Einkommenseffekte?
Kosten und Grenzkosten
Alternativen und Substitute
Personal
Tab. 9.2 Fragekatalog zur Lagefeststellung
9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen 703
Gibt es Irreversibilitäten beim Personal, beispielsweise hochspezifische Qualifikationen, und wirken diese positiv als Signale oder negativ durch vers. Kosten?
Personal Welche Bedeutung hat zusätzliche Information für die Irreversibilität?
Könnten positive Externalitäten internalisiert werden, beispielsweise durch das Unternehmen oder durch staatliche Ordnungspolitik? Könnten positive Externalitäten internalisiert werden, beispielsweise durch staatliche Ordnungspolitik?
Besteht ein Risiko der Überwindung der irreversibilitätsinduzierten Markteintrittsbarrieren durch Innovation?
Ist mit produktivitätssteigernden Agglomerationseffekten zu rechnen, die die Wettbewerbslage langfristig verbessern? Ist mit produktivitätsreduzierenden negativen Agglomerationseffekten zu rechnen, die die Wettbewerbslage untergraben?
Welche Irreversibilitäten gibt es auf räumlicher Ebene (einschließlich politischer Ebene im Sinne von Investitionsfreiheiten)?
Welche regionalen Clusterstrukturen existieren – insbesondere in Bezug auf general purpose technologies?
Gibt es Irreversibilitäten bei den Anlagen, beispielsweise hochspezifische Systeme, und wirken diese positiv als Signale oder negativ durch versunkene Kosten? Ergeben sich Technologieeffekte oder andere positive Wirkungen? Lassen sich diese internalisieren?
(Fortsetzung)
Info
Zeit
Raum
Technologie
Negative Externalitäten Sind – vor allem langfristig – negative Welche negativen Externalitäten zu erwarten, beispielsweise durch Externalitäten – auch eine ineffiziente Spezialisierung? politisch – sind bereits heute zu berücksichtigen?
Positive Externalitäten Ergeben sich Humankapitaleffekte oder andere positive Wirkungen? Lassen sich diese internalisieren?
Irreversibilitäten
Tab. 9.2 (Fortsetzung)
704 9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Gibt es personale Eigenschaften, insbesondere Loyalitäten, die wichtig sind zu erkennen?
Verborgene Eigenschaften
Quelle: eigene Darstellung
Ist mit verborgenem Handeln der Untergebenen zu rechnen – und wie ist dem zu begegnen?
Personal
Verborgenes Handeln
Tab. 9.2 (Fortsetzung) Raum Welche Deckung geben der Raum und konkrete Standorte in Bezug auf das Einsehen von Handeln? Existieren verborgene Eigenschaften, insbesondere politische Beschränkungen und unbekannte Umweltbelastungen?
Technologie Führen neue Technologien zu verbesserter Transparenz?
Existieren unbekannte Technologien, die nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren können?
Können Informationssysteme verborgenes Handeln aufklären?
Welche zeitlichen Möglichkeiten bestehen, um das Verborgene vor der Aufdeckung abzusichern, und wie abhängig ist dies von den speziellen Handlungen bzw. den speziellen Eigenschaften?
Können Informationssysteme verborgene Eigenschaften aufklären?
Info
Zeit
9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen 705
706
9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Abb. 9.13 Deutschlands größte Kapitalvernichter, 2012 bis 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Die Welt (2017a) und DSW)
sichtlichen Fehlgriffs bei der Fusion mit Monsanto. Dagegen mutet die Wertvernichtung infolge der Abgasaffaire bei VW oder bei Siemens als Folge der bei der Europäischen Kommission auf Widerstand getroffenen Fusion mit dem französischen Mitbewerber Alstom von rund 15 % fast verhalten an (Die Welt 2018b).
9.4.6 Die Einsatzgrundsätze im Einzelnen Die wichtigsten, aus dem Militärischen und hier auf den Wirtschaftskrieg ausgerichteten Einsatzgrundsätze, die auch von Sun Zi und Carl von Clausewitz benannt wurden, lauten wie folgt:8 1. Zielorientierung: „Ohne Ziel stimmt jede Richtung“, und dann helfen weder Kompass noch Verstärkung der Anstrengung. Daher ist der Wille der übergeordneten
8Vgl.
hierzu auch HDv 100/100 der Bundeswehr, Reglement 51.020 der Schweizer Armee und die von Phillipp Zumbühl (o. D.) für die zivile Anwendung verfassten Gefechtsgrundsätze.
9.4 Einsatzgrundsätze für Unternehmen
707
Führung entscheidend und muss kommuniziert werden. Stellvertreterregelungen sind entscheidend bei Ausfall oder Überlastung des bzw. der Verantwortlichen. 2. Einfachheit: Hohe Komplexität steigert den Führungs- und Kommunikationsaufwand, behindert die Rückkopplung von Erfolg oder Misserfolg, produziert im ökonomischen Sinne Transaktionskosten. Einfachheit und Klarheit erhöhen die Erfolgschancen – möglicherweise aber auch die Vorhersehbarkeit des eigenen Handelns durch den Rivalen. Daher ist Überraschung, gerade in Verbindung mit Einfachheit, wichtig. 3. Verantwortung und Einheitlichkeit: Die Einheit von Führung und Verantwortung sind zentrale Grundlagen jedes Erfolgs. Nur durch einheitliches Handeln kann das Ziel erreicht werden, weshalb ein entsprechendes Informationssystem verfügbar sein muss, die notwendige Koordination zu leisten. Nur durch Verantwortlichkeit kann die Abgrenzung von Führungsbereichen klar und wirksam werden. 4. Schwerpunktbildung: Die Konzentration der Kräfte – also die (integrierte Verbindung) der richtigen Mittel bzw. Kräfte am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist entscheidend für den Erfolg; das Gegenteil ist Zersplitterung – und der Rivale wird versuchen, diese durch Bindung der Kräfte an Stellen zu konterkarieren, die es ihm ermöglichen, die örtliche Überlegenheit zu verhindern. 5. Wirtschaftlichkeit: Im Einsatz muss man mit den Kräften haushalten. Sie müssen über die erwartete Gesamtzeit der Auseinandersetzung ausreichen, zugleich müssen aber auch Reserven für den Notfall verfügbar sein. In entscheidenden Phasen dürfen wiederum keine Kräfte brachliegen wobei – durch das intelligente Nutzen verbundener Kräfte – Effizienz und Sparsamkeit erzielt wird. 6. Sicherheit und Druck: Leichtsinn ist der unüberlegte Bruder des Wagenmuts. Angst ist ein guter Ratgeber, wenn er zur Vorsicht und zum Abwägen – nicht zur Panik – führt. Im Rahmen der Möglichkeiten ist für Sicherheit zu sorgen, weil sie auch die individuelle Anstrengung erleichtert. Der Gegner hingegen ist systematisch unter Druck zu setzen, damit er möglichst aus Verzweiflung unüberlegt wird.9 7. Flexibilität: Ändern sich die Bedingungen, ist der eigene Handlungsweg zu überdenken. Das geschieht unter der Bedingung, dass das Handeln in das Konzept der übergeordneten Führung passt und der neue Weg mit den Rahmenbedingungen des Handelns anderer aus dem eigenen Unternehmen kompatibel ist. Auftragstaktik ist daher der probate Führungsansatz. 8. Freiheit: Gerade im Angriff ist Eigeninitiative gefragt, deshalb ist zwingend, die Freiheit in Bezug zu obiger Flexibilität, aber auch hinsichtlich des sich nicht Einzwängen-Lassens zu bewahren. Letzteres bedingt Überblick und damit eine gute
9Eine
besondere Form der Panik ist die Vorwärtspanik, wenn Truppen unter massivem Druck, vor allem im Rahmen eines Stellungskriegs, ihren Schutz verlassen, weil sie die psychische Belastung nicht mehr ertragen können. Der Versuch der psychischen Befreiung führt direkt in die physische Vernichtung.
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Aufklärung, um vorausschauend planen und handeln, ggf. korrigieren zu können, das flexible Vorhalten von Reserven sowie das Gewährleisten der Informationsüberlegenheit. 9. Überraschung: Der Rivale ist dann am schwächsten, wenn er überrascht wird, weil ihm damit die Initiative genommen wird, er möglicherweise sogar verwirrt ist und Zeit zur Neuaufstellung benötigt. 10. List: In der Auseinandersetzung ist nicht immer der in den Mitteln und Kräften Überlegene auch der Siegreiche, wenn es gelingt, diesen Vorteil durch List zu neutralisieren. Allerdings kann List, will sie nicht einfach enttarnt werden, die Komplexität übermäßig erhöhen, daher ist sie sorgsam einzusetzen. Tatsächlich weisen diese Punkte weit über das Kriegerische hinaus. Sie können Grundlage einer soft power sein, die im Konkurrenzsystem überhöhte Aggressivität vermeidet.
9.5 Vernichtungsfeldzüge zwischen Unternehmen an Beispielen Die folgenden drei Beispiele zeigen deutlich, wie Unternehmen im Wirtschaftskrieg agieren, um ihre Produkte oder Konzepte am Markt durchzusetzen. Das erste Beispiel betrifft den Versuch, die Reputation eines konkurrierenden Automobilanbieters, nämlich Audi, auf dem amerikanischen Markt zu zerstören. Das zweite Beispiel befasst sich mit der Vernichtung des ersten Herstellers von FCKW-freien Kühlschränken von Foron – einer zunächst erfolgreichen ostdeutschen Nach-Wende-Firma, wodurch der Ozon-Killer Fluorchlorkohlenwasserstoff weit länger als erforderlich in die Umwelt geriet und zugleich eine massive Kapitalvernichtung in Sachsen stattfand. Das dritte Beispiel behandelt eine eher klassische Form des Wirtschaftskriegs, nämlich den Preiskrieg beim Zusammenbruch von Kartellen. Dabei wird deutlich, wie schwierig es ist, den entsprechenden Nachweis eines funktionierenden Kartells zu führen – tatsächlich können Kartelle zwar juristisch existieren, aber ökonomisch nicht wirksam werden, weil sich die Märkte nicht hinreichend abschotten lassen.
9.5.1 Skandalisierung von Produkten: Das Phänomen der spontanen Beschleunigung Die Firma Audi, die in den 70er Jahren erfolgreich aus einem DKW-Zweitakter den Audi 80 entwickelt hatte und dabei auf Konzepte der Daimler Benz AG zurückgriff, die diese nicht weiter verwenden wollte, exportierte Mitte der achtziger Jahre die neuen Baureihen Audi 80 und Audi 100 (als Audi 4000 und Audi 5000) mit Automatikgetriebe in die USA. Nach einiger Zeit häuften sich dort bizarre Unfälle, bei denen sich vorgeblich die Autos,
9.5 Vernichtungsfeldzüge zwischen Unternehmen an Beispielen
709
ohne dass die Insassen etwas dazu getan haben wollten, in Bewegung gesetzt hatten und in Kreuzungen fuhren, teilweise mit tödlichem Ausgang. Oft passierte das Müttern, die mit ihren Kindern auf den Rücksitzen unterwegs waren. Das Fahrzeug geriet als ungesteuerte Rakete in Verruf, und sein Absatz brach fast völlig zusammen. Tatsächlich entpuppte sich das als Attacke aus der Publizistik, vermutlich gesteuert von nationalen Automobilinteressen, also als Desinformationskampagne. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Amerika den amerikanischen Autos. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Das Unternehmen Audi, das seinen Markteintritt in den USA besonders den extra für diesen Markt zugeschnittenen Modellen Audi 4000 und Audi 5000, sowie den dazugehörigen Quattro-Modellen verdankte. Nach den Unfällen amüsierte sich der Vorstand von VW, Ferdinand Piëch, und unterstellte den Amerikanern, nicht richtig Autofahren zu können. Die Fahrzeuge dieser Typen galten von da an als sehr unsichere Autos, obwohl sie bezogen auf ihre Verkehrsleistung eine der niedrigsten Unfall- und Todesraten auswiesen. • Der US-Sender CBS, der das Problem der unintended acceleration als Konstruktionsfehler darstellte, obwohl es inzwischen als Bedienungsfehler identifiziert worden war, weil unbedarfte Kunden Pedale verwechselten oder die Gangschaltung verschoben. Der Bericht von CBS aus dem Jahr 1986 gilt bis heute als manipuliert, um den Konkurrenten auf dem amerikanischen Markt zu schädigen. Kriegsmittel: • Bewusstes Streuen fehlerhafter Nachrichten. Kriegsziel: • Zerstören der Reputation der Produkte eines ausländischen Mitbewerbers. Kriegsfolgen: • Eliminieren von Audi als relevanten Anbieter auf dem amerikanischen Markt für eine längere Zeit. Derartige Skandalisierungen arbeiten oft nach einem festen Schema, beginnend mit einer vorsätzlichen Manipulation, die bei Redaktionen oft mit Geld oder anderen Zuwendungen honoriert wird. Im Einzelfall können sie auch mit Betrug oder mit Abhängigkeiten verbunden sein.
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Meist ist das Unternehmen nicht in der Lage, von Anfang an die Bedrohlichkeit dieses Vorgangs zu erkennen, sodass es zu fehlerhaften Reaktionen kommt. Damit geht die Rechnung der Manipulatoren auf, d. h. der negative Eindruck verstärkt sich und das wesentliche Ziel einer Skandalisierung wird erreicht: Sie macht sich vom ursprünglichen, tatsächlichen Vorgang weitgehend unabhängig. Besonders pikant wird es dann, wenn sich das Unternehmen durch eine Imagekampagne gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen muss. Denn dann ist es genötigt, genau die Medien, die es vorher skandalisiert haben, durch Werbeanzeigen zu finanzieren. Damit schließt sich auch ein Interessenskreis, worauf insbesondere Udo Ulfkotte (2001) hingewiesen hat. In jedem Fall existierte kein kooperatives Dach, das es erlaubt hätte, den Konflikt rechtzeitig zu entschärfen. Aus einem völlig anderen Blickwinkel heraus vertritt Ingo Pies (2012) eine kooperative Theorie der Skandalisierung, wenn er zunächst betont, dass Skandale nicht mit einem Sittenverfall gleichzusetzen sind, vielmehr mit gesellschaftlichen Lernprozessen verbunden sind und damit eine erzieherische Aufgabe erfüllen. Die moderne Kommunikationswelt ermöglicht es, Skandale auf allen Ebenen zu finden und es ist die Aufgabe der Medien, diese produktiv zu nutzen. Denn einerseits wird dabei Misstrauen kommuniziert, andererseits können dadurch verletzte Normen institutionell gestärkt und Vertrauen aufgebaut werden. Problematisch ist es allenfalls, Grenzen zu setzen, die es erlauben, Persönlichkeitsrechte weiter zu gewährleisten, zumal auch die Reaktionen im politischen Raum, insbesondere auf internationaler Ebene, zu extrem unerwünschten Folgen führen können, wie die Geschichte zeigt. Gerade das Skandalisieren von Politikern findet hier sehr schnell Grenzen und es können sich sogar, wie im siebten Kapitel am Beispiel des Elchtests gezeigt wurde, Skandalisierungskaskaden bilden. Wie sich später herausstellte, war eine der möglichen Ursachen für die Unfälle die Tatsache, dass sich die Fahrerinnen über die Mittelkonsole hinweg zu ihren Kindern nach hinten gebeugt und dabei den Automatikhebel in den Vorwärts- oder Rückwärtsgang gelegt hatten. Da das Auto mit einer für amerikanische Verhältnisse sanften Anfahrtechnik ausgerüstet war, merkten die Fahrerinnen nicht, dass es sich bewegte und entweder an eine Wand fuhr oder möglicherweise mit schweren Unfallfolgen in eine Kreuzung. Der Audi 5000 war zwar in höchstem Maße einsatzfähig, aber auf diese spezifische Verhaltenskonfiguration nicht zugeschnitten, es war in dieser Form für den amerikanischen Markt nicht einsatzbereit. Derartige Effekte finden sich häufig beim Erobern fremder Märkte, weil manche ihrer Besonderheiten nicht vorab bekannt sind. Berühmt wurde auch das Beispiel der russischen Mähdrescher, die eine sehr weite Übersetzung hatten, weil sie meist auf großen, ebenen Flächen des eigenen Lands eingesetzt wurden, um die wenig intensiv bewirtschafteten Flächen zügig abmähen zu können. Ihr Export in die sozialistisch inspirierten Entwicklungsländer Südamerikas entwickelte sich zur Katastrophe, weil die Geräte die dort üblichen Hügel nicht erklimmen konnten – so musste man Traktoren davor spannen und sich dem Hohn der kapitalistischen Propaganda aussetzen.
9.5 Vernichtungsfeldzüge zwischen Unternehmen an Beispielen
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9.5.2 Produktmobbing: Explodieren ostdeutsche Kühlschränke der Firma Foron? Die Entdeckung des Ozonlochs über der Antarktis und seine Verbindung mit den Fluorkohlenwasserstoffen führten zu einem massiven Druck, die Kältemittel in Klimaanlagen und Kühlschränken (also Aggregaten, die einen Clausius-Rankine-Kreisprozess nutzen) und auch die entsprechenden Treib- und Schäumstoffe für Isolierstoffe durch nichtklimaschädliche Gase zu ersetzen. Die beste Möglichkeit für ein Unternehmen mit fehlender Innovationsleistung ist es dann, durch die Verbindung von Marktmacht und Desinformation den besseren Konkurrenten, der hier eine Lösung gefunden hatte, aus dem Markt zu werfen. Das Anfang der neunziger Jahre um sein Überleben kämpfende Kühlschrankwerk Foron, entstanden aus zwei volkseigenen Betrieben der DDR, nämlich der dkk-Scharfenstein als größtem Kühlschrankkombinat des Ostblocks und dem am gleichen Standort existierenden Waschgerätewerk Schwarzenberg, hatte einen Ersatzstoff für den Kältekreislauf ebenso wie für das Schäummittel gefunden. Denn ab 1995 war vorgesehen, dass in Deutschland nur noch FCKW-freie Kühlschränke produziert werden durften. Der Kühlschrank von Foron war zum Jahreswechsel 1992/1993 das einzige Produkt seiner Art, das diese Anforderungen erfüllen konnte. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Gewährleisten des Überlebens der eigenen Produkte und Unternehmen bei technologischer Unterlegenheit. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die Firma Foron als Pionier des ersten in industrieller Serie gefertigten Kühlschranks. • Die westdeutschen Hersteller weißer Ware, insbesondere die Firmen Bosch-Siemens und Bauknecht. Die Entwicklung traf diese Unternehmen vergleichsweise unvorbereitet. • Die Treuhand, die mit der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft beauftragt war; Kriegsmittel: • Zerstören der Reputation des Konkurrenten. Kriegsziel: • Verhindern des Aufbaus von Marktdominanz beim Mitbewerber angesichts eigener technologischer Rückständigkeit.
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
Kriegsfolge: • Zerstörung eines Standorts, eines Unternehmens und Verlangsamen der Technologieadaptation mit der Folge vermeidbarer Umweltschäden. Der Begriff Butan, für die meisten ein Gas, mit dem man Campinggeräte betreibt, die dabei gelegentlich in die Luft fliegen, ermöglichte es, eine Hetzkampagne gegen den angeblich explosionsgefährdeten Kühlschrank von Foron anzuzetteln. Denn damit wurde die negative Assoziation erzielt – man musste den Namen Foron nicht mehr erwähnen, die Explosion lag bereits in der Luft. Mitbewerber schickten dem Handel Warnbriefe, das Treibgasgemisch sei brennbar, insofern sei keine Zulassung zu erwarten und mit einer Handelseinführung nicht zu rechnen. Durch die Unterstützung von Greenpeace gelang es Foron dennoch, den deutschen Versandhandel mit den Geräten zu beliefern, die höchst erfolgreich bei den Kunden waren, bis sich die anderen Hersteller ebenfalls umgestellt hatten. Es gelang aber nicht, die erforderlichen Pioniergewinne einzusammeln, die es dem Werk ermöglicht hätten, eigenständig zu existieren. Es ging erst an einen holländischen Unternehmer, später an andere internationale Unternehmen und wurde vor einigen Jahren endgültig geschlossen. Man weiß nicht, ob die Unternehmung ohne dieses industrielle Mobbing eine andere Entwicklung genommen hätte. Vermutlich hätte Foron Pioniergewinne einfahren können, die seinen Unternehmenswert gesteigert und damit die Selbständigkeit ermöglicht hätten. Die FCKW-Alternative Isobutan, die dort erstmalig zum Einsatz kam, entwickelte sich schließlich weltweit zum wichtigsten Ersatzstoff für die gefährlichen Klimakiller.
9.5.3 Kartelle und Preiskriege: Wie wirksam war das ostdeutsche Zementkartell? Mit der Auflösung der DDR und dem Übergang des Volkseigentums an die Treuhand wurde die ostdeutsche Zementindustrie an vier große Unternehmen, nämlich Dyckerhoff, Lafarge, Readymix und Schwenk, und eine größere Zahl kleiner Unternehmen, insbesondere die Thomas-Gruppe und die Wülfrather Zementgruppe, verkauft. Das französische Unternehmen Lafarge trat damit erstmalig in nennenswertem Umfang im deutschen Markt als Zementhersteller auf, wenn man die Beteiligung in Wössingen vernachlässigt. Alle vier Unternehmen bezahlten Preise, die nach Berechnungen der Treuhand aus der Größe der regionalen Märkte, die den Kombinatsbetrieben vordem zugeordneten waren, abgeleitet wurden, da die Anlagen selbst verschlissen und damit ohne Wert waren. Dieser Marktabgrenzung lag das seit 1991 existierende Quotenkartell zugrunde, mit dessen Hilfe verhindert werden sollte, dass die zunächst vereinigungsbedingt zusammenbrechende Nachfrage zu einem Preiskrieg ausartet. Abb. 9.14 zeigt die Preisentwicklung im relevanten Zeitraum.
9.5 Vernichtungsfeldzüge zwischen Unternehmen an Beispielen
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Abb. 9.14 Entwicklung der Preise für Portland-Zement. (Quelle: eigene Darstellung mit Daten von Statistisches Bundesamt 2007)
Nach dem anschließenden Wiedervereinigungsboom ging die Baunachfrage in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre erneut deutlich zurück. Hinzu kam, dass mit der Wiedervereinigungseuphorie deutliche Überkapazitäten aufgebaut worden waren; dies betraf vor allem die nachgelagerten Märkte, also Transportbeton oder Betonwaren, beispielsweise für den Fertigteilbau oder für Rohrsysteme. Dafür waren die Sonderabschreibungsmöglichkeiten und die Subventionspolitik im Rahmen des Wiederaufbaus Ost mitverantwortlich. Infolge des zunehmenden Preisdrucks akzeptierten die Unternehmen die Marktabgrenzung, die sich an den historischen Marktgebieten orientierte und der Treuhandprivatisierung zugrunde lagen. Im Jahr 1998 übernahm Readymix die Zementaktivitäten der Wülfrather Gruppe und verkaufte hieraus im Westen das Werk Sötenich und im Osten das Werk Coswig (bei Wittenberg) an Lafarge, das letzteres dann schloss. Das entsprach einer Rationalisierungsvereinbarung, und an den Kosten dieser Restrukturierung beteiligten sich die Nutznießer im Rahmen eines sogenannten Geldkarussells. Im Werk Rüdersdorf wurde eine komplett neue Ofenlinie eingebaut, deren erhebliche Kapazität später in Bezug auf die durch die vereinbarte Quote vereinbarte Menge infolge des Bauabschwungs nicht mehr ausgelastet werden konnte, sodass zur besseren Nutzung des Werks Lügenmengen jenseits der Quotenaufteilung in den Markt eingeliefert wurden; dies betraf insbesondere den Osten. Damit entstand ein klassisches Hirschjagddilemma: lieber die eigene Menge richtig verkauft, als die Hoffnung auf erträgliche Preise infolge der Kartellvereinbarung. Für die übrigen Marktteilnehmer kam die Wirkung einer Verkleinerung des Markts gleich,
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9 Das Unternehmen im Wirtschaftskrieg
dessen wahre Größe aber zunächst noch niemand exakt kannte. Dieser Sachverhalt wurde nach dem Wülfrath-Deal offenbar. Die Betrogenen verlangten hierfür einen Ausgleich. Weiterhin änderte Readymix seine Lieferstrategie und stellte seine Transportbetonwerke komplett auf Eigenbelieferung um, sodass den Wettbewerbern Absatz verlorenging. Diese reagierten mit Gegenmaßnahmen, und die Preisabwärtsspirale nahm ihren Lauf. Schließlich erfolgte eine strategische Aufkauf- und Marktbereinigungspolitik sowie eine Politik der Preisnachlässe dort, wo kritische Verhandlungspositionen, gerade bezüglich von Importen, existierten (Harrington, Hüschelrath, Laitenberger 2018). Zweck des Wirtschaftskriegs: • Vermeiden ruinöser Konkurrenz und Herstellen einer angemessenen Profitabilität. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die vier großen Zementunternehmen, die nach der Wende über den Kauf von einzelnen Werken des ostdeutschen Zementkombinats ebendort in den Markt eintraten, also Readymix (Rüdersdorf), Lafarge (Karsdorf) Dyckerhoff (Deuna) und Schwenk (Bernburg); nur Lafarge besaß im Osten keine Werke und im Westen nur eine kleinere Beteiligung. In Bezug auf den gesamtdeutschen Markt sind im Norden Alsen und im Süden HeidelbergZement zu erwähnen. Readymix wurde darüber hinaus wegen seiner erheblichen Transportbetonaktivitäten als Zwitter angesehen. • Das Bundeskartellamt, Hüter der Wettbewerbsordnung in Deutschland, das in der Vergangenheit schon mehrfach Kartellermittlungen in der Zementindustrie durchgeführt hatte. • Eine Vielzahl mittelständischer Werke, die als unruhige Wettbewerber die Absprachen teilweise brachen, teilweise nutzten. Kriegsmittel: • Preissenkung und Mengenausweitung; durch das Nutzen von Kostendegressionseffekten besteht die Möglichkeit, die mit der Marktvergrößerung verbundenen erhöhten Transportkosten abzufangen. • Im konkreten Fall eines Teilnehmers: Zunächst Nutzen vorhandener Marktintransparenz zu einer Absatzoffensive zum Ausweiten der Marktanteile, anschließend strategische Verwendung der Kronzeugenregelung zum Minimieren der Buße und schließlich Verkauf des Unternehmens ins Ausland. • Aufkauf konkurrierender Unternehmen im Ausland, vor allem in Osteuropa und gemeinsame Marktbereinigung in Ostdeutschland durch Aufkauf und Stilllegung kleinerer Werke; der Ausgleich erfolgte über Verrechnungen mittels Verschiebung von Marktanteilen. • Beteiligung von Großhändlern an Kartellerlösen dort, wo ansonsten das Einbrechen in den Markt durch Importe drohte.
9.5 Vernichtungsfeldzüge zwischen Unternehmen an Beispielen
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Kriegsziel: • Preisverbesserung des Unternehmenswerts, u. a. im Kontext eines geplanten Unternehmensverkaufs. • Vernichten der Konkurrenten, ggf. Schwächen durch erhöhte Strafzahlungen. Kriegsfolgen: • Verengung des Markts durch Übernahmen und Fusionen (Cemex-Readymix; Dyckeroff(Holcim)-Lafarge); Stabilisierung der Preise auf dem früheren – vergleichsweise niedrigen – Niveau. Erste Vorermittlungen des Bundeskartellamts wegen des Verdachts einer Kartellabsprache in Gesamtdeutschland, also auch im ostdeutschen Markt, begannen Anfang des Jahres 2000. Readymix nahm daraufhin die Kronzeugenregelung in Anspruch und eröffnete zugleich indirekt eine Preisoffensive, indem es verstärkt Zement in die Gebiete der Mitbewerber einlieferte. Die betroffenen Unternehmen begrenzten daraufhin die Belieferung der Fertigbetonwerke von Readymix in Süddeutschland, denn dort verfügte Readymix über keine eigene Zementproduktion. Insofern musste Readymix seinen Zement aus dem Werk in Rüdersdorf bei Berlin nach Süddeutschland transportieren, was jede Rentabilität vernichtete; der Transportradius für Zement endet normalerweise für Silofrachten mit dem Lkw bei etwa 150 km: Weitere Entfernungen sind nur bei guter Logistik, ggf. durch Bahn- oder Schifftransporte oder bei massiven Kostendegressionseffekten in den Werken zu rechtfertigen. Die Strategie von Readymix führte dazu, dass die lokalen Zementanbieter das Unternehmen als Transportbetonkunden verloren und nun die Mengen woanders unterzubringen versuchten. Damit trafen sie die Kunden der anderen Hersteller, die dann ebenfalls reagierten. Durch dieses Eindringen bzw. Zurückschlagen in Drittmärkten und bei Drittprodukten verbreitete sich der Zementkrieg sehr schnell über ganz Deutschland, weshalb praktisch alle Regionen nach Maßgabe der Nachfrage betroffen waren. Faktisch ließen die Mitbewerber Readymix im Osten auflaufen, um im Süden in Gestalt eines Multimarktwettbewerbs zurückzuschlagen, weil dort der Gegner seine offene Flanke zeigte (militärisch: Hammer-Amboss-Prinzip). Der Zementpreis verfiel von rund 60 bis 70 € ab Werk je Tonne von Januar 2002 bis Juli 2003 auf rund 30 € je Tonne im Herbst 2001. Durch die Kronzeugenregelung versuchte Readymix, das Kartellverfahren ohne Bußgeld zu überstehen. Auch die anderen Unternehmen zeigten sich, nachdem schriftliche Dokumente über Quotenabsprachen bei einer Durchsuchung von 30 Zementherstellern durch die Kriminalpolizei gefunden wurden, ab Mitte 2002 kooperativ, um die Buße zu verringern. Auf der Grundlage eines seitens des Kartellamts festgestellten Schadens von rund 10 € je Tonne errechnete sich ein Bußgeld von 660 Mio. €. Im Endeffekt wurde für Ostdeutschland gezeigt, dass zwar ein Kartell vorlag, aber nicht bzw. nicht so stark wirtschaftlich wirksam geworden ist, wie die Berechnungen des
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undeskartellamts unterstellt hatten (Blum 2007a, 2009). Die Bußgelder wurden somit B vom Oberlandesgericht Düsseldorf nach einer erneuten Begutachtung auf 380 Mio. € reduziert. Für Deutschland insgesamt reduzierten sich die Bußen auf die Hälfte. Dies beinhaltet auch die Kronzeugenrabatte. Mit dieser Aktion hatte Readymix ein wichtiges Ziel erreicht: Sein Marktanteil wuchs im Rahmen des Preiskriegs, die Konkurrenten mussten erhöhte Strafen zahlen und das gesamte Unternehmen (einschließlich der englischen Mutter) wurde an die Cemex (mexikanischer Anbieter) verkauft (Blum, Steinat, Veltins 2008). Der Preiskrieg ging schließlich durch die Kartellverfolgung und allgemeine Auszehrungserscheinungen im Herbst 2003 zu Ende, kannte jedoch keine abschließenden Gewinner oder Verlierer und hatte grob geschätzt 4 Mrd. Euro verbrannt. Von da an stabilisierte sich der Preis wieder, wie es im spieltheoretischen tit for tat erwartet wird (Rasmussen 1989). Eine derartige Entwicklung wird beispielsweise auch für den amerikanischen Luftverkehrspreiskampf im Jahr 1998 dokumentiert (Garicano und Gertner 2001; Blum, Müller, Weiske 2006, S. 167). Insgesamt hatte sich das Kartell nicht gelohnt. Auch die Schadenersatzforderungen zivilrechtlicher Art wurden inzwischen durch das Landgericht Düsseldorf (2013) abgewiesen. Im Nachlauf übernahm die mexikanische Cemex die Aktivitäten der Readymix-Gruppe und Holcim, die Mutter von Dyckerhoff, fusionierte mit Lafarge. Unternehmen können versuchen, sich den öffentlichen Bußgeldzahlungen und den zivilrechtlichen Verfolgungen zu entziehen, indem sie frühzeitig ihre Rechtsform ändern bzw. Vermögen übertragen. Der Fall des Wurstkartells und der Firma Tönnies gilt hierfür als Musterbeispiel (Bünder und Grossarth 2015).
9.6 Fazit und Handlungsempfehlungen Sind die strategischen Entscheidungen getroffen und wurden die operativen Abstimmungen durchgeführt, so stellt sich die Frage, wie sich das einzelne Unternehmen in Hinblick auf den Einsatz der taktischen Instrumente aufstellen soll. Deren Verzahnung wird entscheidend für den Erfolg, vor allem dann, wenn es gilt, einen Schwachpunkt des Gegners konzentriert unter Druck zu setzen. Der Verbindung zwischen informationstechnischen und realwirtschaftlichen Maßnahmen auf der Ebene der Preis-, der Produktund der Logistikpolitik kommt eine entscheidende Rolle zu. Die für den Wirtschaftskrieg erforderliche hohe Intensität lässt sich nur durch derartige Bündelungen der einzelnen Mittel erzielen. Auch die zeitliche Abstimmung ist von Bedeutung, wie gerade bereits das Produktmobbings bei Foron zeigte. Denn hier fehlte den Angreifern für eine begrenzte Zeit ein konkurrenzfähiges Produkt, weshalb sie zunächst den guten Ruf der Ware des Gegners zerstörten, um Zeit zu gewinnen, eigene Geräte auf den Markt zu bringen. Derartige Auseinandersetzungen müssen nicht allein zwischen Unternehmen stattfinden, es reicht auch, wenn man die Medien zu einer entsprechenden Schlacht motivieren kann und sie als „fünfte Kolonne“ seinen eigenen Zielen nutzbar macht, wie das Beispiel Audi deutlich zeigt. Dazu gehört aber auch eine überrumpelte, also in Bezug
9.6 Fazit und Handlungsempfehlungen
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auf den Ernst der Lage unvorbereitete und nicht koordinierte Krisenkommunikation. Eine counter intelligence wird gegenwärtig unter den Bedingungen des Informationskriegs immer dringlicher und muss daher auch von den Unternehmen gepflegt werden. Das Beispiel des Zementkriegs in Deutschland macht deutlich, dass in einem Bereich vergleichsweise homogener Produkte und einer sehr starren Nachfrage, weil der Preis weitgehend mit dem Markt atmet, die Kartellbildung eine bevorzugte Variante ist, um bei niedrigen Absatzmengen den Verfall der Preise unter die Grenzkosten zu stoppen. Das führt zu einem Ausbeuten der Kunden, wobei nicht klar ist, inwieweit das Kartell tatsächlich wirksam werden kann, weil Absatz nicht zu erzwingen ist, solange freie Lieferanten verbleiben – was in einem räumlichen Markt oft der Fall ist. Damit können wenige „unruhige Anbieter“, vor allem Mittelständler, das Kartell unterlaufen und unwirksam werden lassen. Die eigentlich angestrebte Ausbeutung der Kunden läuft damit ins Leere und mit dem Ende des Kartells werden kriegerische Auseinandersetzungen, nämlich Preis- und Konditionenkriege, wahrscheinlich. Da dabei gerne Teilmärkte, räumliche und/oder sachliche Teilmärkte ins Ziel rücken, bei denen der jeweils andere eine offene Flanke besitzt, breitet sich der Konflikt rasant aus und metastasiert. Führungskräfte sollten aus diesem Wissen heraus folgendes beherzigen: 1. Ordne die strategischen, operativen und taktischen Ebenen des Handelns sorgfältig und weise im Team die damit verbundenen Kompetenzen klar zu! Eine ebenengerechte Governance ist wichtig für den Erfolg, um intern die Transparenz des Führungsprozesses zu gewährleisten und um das Führungs- und Informationssystem effizient einsetzen zu können. Dies gilt für Angriff ebenso wie Verteidigung – Foron war hier nicht abwehrbereit 2. Ebenengerechtes Handeln bedeutet auch, in jedem Kompetenzfeld auf das Wissen der übergeordneten Führung Bezug zu nehmen und die Handlungsergebnisse der nachgelagerten bewerten zu können. Nur so kann ein geschlossener Führungszyklus entstehen und wird das organisationale Lernen gewährleistet. Gerade bei einem Angriff durch Skandalisierung und Produktmobbing gilt, dass übergeordnete Koordination wichtig ist – einfaches Zurückschießen hilft selten. 3. Kommunizier die wesentliche zu erbringende Leistung klar und deutlich! Das gilt insbesondere auf der operativen Ebene, weil das Zusammenführen der einzelnen taktischen Instrumente im Raum-Zeit-Kontinuum zwingend für das Bündeln von Maßnahmen, das Erzielen von Wirkung und damit den Erfolg ist. 4. Bedenk, dass die Koordination im Raum-Zeit-Instrumenten-Kontinuum eine herausragende Führungsaufgabe darstellt; leicht werden zentrale Aspekte vergessen, beispielsweise das rechtzeitige Nachführen von Reserven bei hochmobilen Auseinandersetzungen im Markt, vor allem im Multimarktwettbewerb. Richte daher das Führungs- und Informationssystem besonders hierauf aus! Dies ist der amerikanischen Autoindustrie bei der Skandalisierung von Audi gut gelungen, weil sie auch den Informations- und Kognitionsaspekt über die Medien einbezogen hat.
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5. Schätz die Signalwirkung des eigenen Handelns hoch ein – beim Gegner ebenso wie im eigenen Team! Begleite also das eigene Handeln durch eine geeignete Aufklärung (business intelligence) sowie Innen- und Außenkommunikation Berücksichtige insbesondere die fatalen Folgen von Skandalisierungen – eigener Produkte, aber auch eigenen Handelns. 6. Rechne mit Rückschlägen, auch mit einer Niederlage Reduzier das Risiko durch Auffangpositionen, beispielsweise eine starke Position in einer Lieferkette, die das eigene Überleben für Dritte zwingend macht! 7. Sicher für den Notfall die Handlungsfähigkeit des Unternehmens, stelle einen Notfallkoffer zusammen: Alle wesentlichen Urkunden (Passwörter, PINs, Gesellschaftsverträge, Patente, Arbeitsverträge, usw.) müssen an einem sicheren Ort, aber mit Zugriffmöglichkeit hinterlegt sein. Lege klare Führungsverantwortlichkeiten fest. Das beinhaltet eine Matrix mit Vertretungsregeln und zugehörigen Kompetenzen. Hinterlege Vollmachten. Dokumentiere die wichtigsten Geschäftspartnerschaften und die Bedingungen ihrer Beiziehungen. 8. Werde wenn möglich ein systemisches Großunternehmen – das ist eine Überlebensgarantie! Es erlaubt, eigene Erträge zu privatisieren und die Kosten des Scheiterns auf Dritte, den Steuerzahler, abzuwälzen.
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Der Staat im Wirtschaftskrieg
„Remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia?‟ „Was sind also Königreiche anderes als große Räuberbanden, wenn es in ihnen keine Gerechtigkeit gibt?‟ (Aurelius Augustinus von Hippo)
Die Staatstheoretiker haben die Entwicklung der modernen Gesellschaften, insbesondere in Bezug auf einen akzeptablen Gesellschafts- und Ordnungsrahmen beeinflusst, indem sie auf der Grundlage von Wertegerüsten praktische Vorschläge zur Begründung und Nutzung staatlicher Macht gegeben haben. Die im fünften Kapitel vorgestellten Theorien unterschieden die kooperativen Konzeptionen, welche die Fähigkeit von Gesellschaften zum Ausgleich betonen, von den agonalen Ansätzen, welche die Konfliktbewältigung oder gar den Konflikt als wesentliche systemische Triebfeder in den Vordergrund stellten. Der agonal handelnde Staat, oft von einem machiavellistischen Oberhaupt kontrolliert, wird neben dem Durchsetzen der kognitiven Dominanz alle übrigen hybriden Elemente nutzen, und vor allem das staatliche Machtmonopol rücksichtlos nutzen. Durch die ökonomischen Erfolge Chinas stellt sich immer wieder die Frage, um die liberalen Marktwirtschaften der sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischer Ausprägung tatsächlich überlegen sind, zumal die Finanzkrise, wie das zwölfte Kapitel deutlich zeigt, viele bisherigen Gewissheiten zerstört hat, und Präsident Donald Trump als Demolition Man die Institutionen des globalen Multilateralismus aushöhlt. Schnell reifen dann Gedanken, Staatskonzerne zu formen oder unliebsame Konzerne zu verbieten, wie die im Frühjahr 2019 seitens der deutschen und der französischen Regierung ventiliert wurde. Tatsächlich entstehen damit Kriegserklärungen gegen die eigene Ordnung, eigene Partner und der Konkurrent weiß, dass er nun als Rivale eingeschätzt wird. Dieses Kapitel zeigt, welche Bedeutung staatlicher Führungsanspruch und Dominanzerwartungen besitzen, wie die direkt, vor allem aber auch indirekt im Sinne institutioneller Rahmensetzungen wirkenden Instrumente einzusetzen sind. Dabei © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_10
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werden neben den klassischen staatlichen Souveränitätsrechten, beispielsweise auf den Gebieten der Währung oder des Außenhandels, auch andere Instrumente wie eine wirtschaftskriegerische Steuerpolitik oder das Unterstützen des Terrorismus betrachtet. Daran schließen sich Überlegungen zu den Einsatzgrundsätzen von staatlich ausgelösten Wirtschaftskriegen an. Drei Beispiele zu schweren ökonomischen Auseinandersetzungen im Europa der letzten 100 Jahre, nämlich der Antagonismus England – Deutschland, der in Versailles nur eine Unterbrechung fand, die wirtschaftlichen Probleme Mitteleuropas danach und der Währungskrieg als Folge der Weltfinanzkrise beschließen die Ausführungen.
10.1 Die Durchsetzung des staatlichen Führungsanspruchs Karl-Ferdinand von Willisen (1919, S. 16–41) benennt bereits wesentliche staatliche Mittel des Wirtschaftskriegs: die Absperrung, also das Verhindern der Zufuhr von Waren; Handelsverbote und damit verbunden die Importsubstitution; schwarze, graue und weiße Listen für Verbote, Genehmigungen nach Freigabe durch Behörden und reine Positivlisten; Erschwerung des Schiffsverkehrs; Aufhebung von Patentrecht, Markenschutz und Lizenzerteilung; Unterbindung des Zahlungsverkehrs sowie Druck auf die feindliche Währung; Liquidation und Sequestrieren des feindlichen Eigentums; Verbot von Rechtsgeschäften und Aufhebung des Rechts; Vernichtung und Wertminderung der Produktionsfaktoren und die Einbindung neutraler Staaten in den Wirtschaftskrieg. Diese teils direkten, teils indirekten Mittel werden in diesem Kapitel in geordneter Form betrachtet. Harald Pöcher (2005, S. 75) nennt fiskalische, monetäre, handelspolitische Instrumente sowie Methoden der Spionage, der biologischen Kriegsführung, und zielorientiertes Informationsmanagement. Auf staatlicher Ebene fällt es schwerer als auf der der Unternehmen, die Nachhaltigkeit der Schäden zu bemessen. Denn oft ist ein wirtschaftlicher Aufstieg – und als dessen Voraussetzung der moralische Aufstieg – nur durch vorherige totale Niederlage möglich und stellt dann häufig die Basis des späteren Aufstiegs dar: Dieser Aspekt war bereits weiter vorne im Kontext des Aufstiegs Preußens, Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und Chinas durch Deng Xiaoping thematisiert worden. Die direkten Kosten können meist einfach bemessen werden, bei den gegenzurechnenden Erträgen fällt dies schwerer.1
1So weist das Handelsblatt (2013) in seinem Beitrag Stahlgewitter die Kriegskosten für den Zweiten Weltkrieg seitens der USA mit 4000 Mrd. US$ aus und nennt diesen richtigerweise „moralisch ohne Alternative“. Aber wäre der ökonomische Aufschwung Europas ohne den Zusammenbruch der totalitären Systeme Europas denkbar? Und hätten die USA ohne eine freundlich gesonnene Gegenküste so prosperiert?
10.1 Die Durchsetzung des staatlichen Führungsanspruchs
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Der Globalisierungskonsens ist unter Druck geraten, seitdem die Fähigkeit der Staaten, den durch die globale Konkurrenz Benachteiligten einen angemessenen Ausgleich zukommen zu lassen, mit der Standortkonkurrenz erodierte. Dies gilt nicht nur für klassisch kapitalistische Staaten wie die USA, sondern auch für eine Soziale Marktwirtschaft wie Deutschland, weshalb die Ungleichheitsüberlegungen stärker in die Vermessung der Wohlfahrtsgewinne des Handels einfließen sollten (Jung und Kohler 2017). Tatsächlich ergeben sich Spannungszonen in der globalen Tektonik (Blum 2017), bei denen einige Länder riskieren, in ökonomische Subduktionszonen gedrückt zu werden. Eine der Ursachen dafür ist der Rückgang der echten Wettbewerbsintensität zugunsten von Unternehmenskonzentrationen – und damit wirtschaftskriegerischer Rivalität – das Fehlen neuen Unternehmertums, welches die Verkrustungen aufzubrechen fähig ist, die Vorstellung einer Beschleunigung der Märkte vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verlangsamung der meisten Entscheidungsprozesse und das Postulat einer Unumkehrbarkeit der Globalisierung (Economist 2016f). Zudem spielt in einer Welt, in der Teile des wettbewerblichen Angebots aus gesteuerten Marktwirtschaften wie China mit einem großen Anteil von Staatsunternehmen kommen, der Schutz der Unternehmen durch den Nationalstaat eine wichtige Rolle – bereits das führt zur Deglobalisierung. Wie der Economist (2017b) berichtet, zerfällt die bisherige Dreiteilung der Welt in Investoren, Länder mit Firmensitzen und Zielländer der Investitionen, meist mit oder nahe bei Märkten. Gerade Letztere, vor allem China, versuchen aber, mit aller Macht ihren Anteil am Wertschöpfungskuchen zu vergrößern, was bereits zu Anfang anhand der Wertschöpfungsaufteilung über globale Lieferketten verdeutlicht wird. Dieser Abschnitt widmet sich dem Führungsanspruch des Staats und zeigt an Beispielen, wie dieser auch in demokratischen Systemen durchgesetzt wird. Das Agonale ist der Demokratie offensichtlich nicht fremd, wenn es der Machterhaltung dient. Dies bereitet die späteren Abschnitte zu den Führungsgrundsätzen des Staats und seinen Kampfmitteln vor.
10.1.1 Die Rivalität von Eliten Niccolò Machiavelli ragte deshalb unter den Staatstheoretikern hervor, weil er postulierte, die einzige Verpflichtung eines Staatsführers bestehe gegenüber dem eigenen Volk, nicht in einer Rücksichtnahme gegenüber Dritten. Wenn er dennoch an die Herrschaft des Rechts glaubte, dann auch deshalb, weil es als Herrschaftsmittel genutzt werden kann.2 Das ordnet sich in die Vorstellungen von Vilfredo Pareto ein,
2„Ihr
müßt euch nämlich darüber im klaren sein, daß es zweierlei Arten der Auseinandersetzung gibt: die mit Hilfe des Rechts und die mit Gewalt. Die erstere entspricht dem Menschen, die letztere den Tieren.“ (Machiavelli 1978, S. 71).
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10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
der in seinem Hauptwerk Grundriß der allgemeinen Soziologie (1916) feststellte, die Geschichte sei ein Kampf der Eliten, der nur zwei Zustände kenne, nämlich den Kampf und das Verharren. Tatsächlich kann ein geregeltes Leben von Individuen und Institutionen ohne einen Ordnungsrahmen, wie bereits eingangs verdeutlicht wurde, nicht funktionieren, weil Konfliktfälle, also Rivalitäten, alltäglicher Ausdruck des Evolutionsprinzips sind und einer ordnenden Einbettung bedürfen. Diese Ordnung wird allerdings nicht von allen akzeptiert. In Teilen gelingt es, durch Anreize Kooperation sinnvoll zu machen. In anderen Fällen muss sie stabilisiert und müssen die Gegner in Schach gehalten werden. Nicht umsonst zeichnet sich auch der liberale Verfassungsstaat durch sein Gewaltmonopol aus. Ein jedes Staatswesen steht vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen Bewahren und Verändern zu finden. Konflikte zwischen Staaten entwickeln sich mit der Fähigkeit, diese mit friedfertigen Mitteln einzudämmen, und dazu gehört nicht nur das Verhindern von Krieg, sondern auch von schweren wirtschaftlichen Auseinandersetzungen. Ziel ist es, staatlichen Wohlstand und staatliche Macht zu mehren, und am besten gelingt das in der Regel mit kooperativen Ansätzen, die das Prinzip des Wettbewerbs gesellschaftlich nutzbar machen. Die späteren Beispiele zeigen, dass das nicht immer gelingt, und bereits am Anfang war auf die starke Verbindung zwischen kriegerischem Handeln und wirtschaftlichen Strategien in der Zeit Napoleons Bezug genommen worden. Gerade ein institutionell schwacher Staat lädt zu unkontrollierter Rivalität ein. Stichworte sind die failing states, failed states und rogue states (Schurkenstaaten). Das sind Ebenen nicht eingefangener Rivalität und häufig auch der Korruption. Ein starker Staat hingegen beansprucht seine weltweite Geltung; hier wird dann der Versuch, Dominanz mit ökonomischen Mitteln durchzusetzen, deutlich. Oft reichen Mittel der Konkurrenz, oft aber wird auch zu Mitteln des Wirtschaftskriegs gegriffen, beispielsweise in Form des Handels- oder des Währungskriegs. Für viele Staaten steht das Erzeugen von nationaler Wettbewerbsüberlegenheit im Zentrum der nationalen Aufbaustrategien und damit auch der möglichen Waffensysteme. Paul Krugman veröffentlichte im Jahr 1994 einen Beitrag in Foreign Affairs: Competitiveness: A Dangerous Obsession. In diesem führte er aus, dass die Vorstellung über eine nationale Wettbewerbsfähigkeit analog zur Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens und damit auch das Verfolgen einer nationalen Wettbewerbsstrategie in die Irre führen kann. Damit stellt er sich gegen viele Institutionen, die regelmäßig Berichte zur Wettbewerbsfähigkeit der Länder erstellen und zu Indizes verdichten – beispielsweise das International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne oder das World Economic Forum, dessen Global Competitiveness Report in Abb. 10.1 wiedergegeben ist – aber auch Forscher wie Michael Porter (1998), der dieses Konzept im Kontext der Bedeutung von Clustern und den daraus entstehenden Externalitäten dezidiert vertritt. Denn anders als bei Unternehmen, deren Wettbewerbsfähigkeit dadurch
10.1 Die Durchsetzung des staatlichen Führungsanspruchs
Land (Landesteil)
Rang 2014
Rang 2017
Land (Landesteil)
Schweiz
1
1
Finnland
USA
3
2
Singapur
2
Niederlande
727 Rang 2014
Rang 2017
4
10
Frankreich
23
22
3
China
28
27
8
4
Spanien
35
34
Deutschland
4
5
Italien
49
43
Hongkong
7
6
Türkei
45
53
Schweden
10
7
Indien
71
40
Vereinigtes Königreich
4
8
Brasilien
57
80
10
9
Griechenland
81
88
Japan
Abb. 10.1 Wettbewerbsfähigkeit der Länder, 2014 bis 2017. (Quelle: eigene Darstellung nach Daten von World Economic Forum 2015, S. xv, 2017, S. ix)
bestimmt sei, Produkte mit Gewinn auf den Markt zu bringen, und deren Erfolg oft das Versagen eines Konkurrenten, das unmittelbar zur Insolvenz führen kann, gegenüberstehe, haben Staaten durch die Souveränität ihres Gelds dieses Problem nicht. Grundsätzlich sei der Handel in der Vorstellung der Ökonomen eine win–win-Situation, führe also zu Pareto-Verbesserungen, er sei keinesfalls ein Nullsummenspiel, in welchem der Vorteil des einen genau dem Nachteil des anderen entspreche. Weiterhin lässt sich nicht eindeutig zeigen, dass der Erfolg auf den Weltmärkten eindeutig mit dem nationalen Wohlstand verknüpft sei – es gebe zu viele Gegenbeispiele dafür und vor allem auch anderslautende theoretische Evidenz. Trotzdem erscheine im Sinne der Politischen Ökonomik die wirtschaftspolitische Diskussion zur nationalen Wettbewerbsfähigkeit attraktiv – aber sie führe möglicherweise zu verhängnisvollen Politikmaßnahmen. Sie verführe Staaten dazu, Politiken zu ergreifen, die ihrem Wachstum abträglich sind und ihre internationale Wirtschaftsentwicklung eher begrenzen.3
3Die
Deutsche Bundesbank (2013) veröffentlichte beispielsweise eine Analyse der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Sie kommt zu dem Schluss, dass im Jahr 2013 die Wettbewerbslage leicht günstiger als im Durchschnitt der Jahre ist – was die Anklagen wegen eines schädlichen Exportüberschusses zu Lasten anderer Länder relativieren würde.
728
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Der Beitrag von Paul Krugman erschien vor dem Hintergrund des Delors-Papiers zur Vertiefung der Integration Europas, welches die Europäische Union zu einer gemeinsamen Wettbewerbsstrategie aufrief. Im Ausschuss zur Prüfung der Wirtschaftsund Währungsunion wurde Ende der achtziger Jahre der Plan zur Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion erarbeitet, der in drei Phasen ablaufen sollte. Zunächst sollten ab dem Jahr 1990 alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt werden, ab Januar 1994 sollte die Konsolidierung der nationalen Haushalte vorgenommen werden, um damit die Grundlagen für eine stabile Gemeinschaftswährung zu schaffen, und schließlich sah er über die endgültige Festlegung der Umrechnungskurse und die anschließende Einführung des Euros im Jahr 1999 die Voraussetzungen für die Ausgabe des Euros als Bargeld ab dem Jahr 2002 vor – was auch geschah. In diesem Zusammenhang verkündete Jacques Delors anlässlich des Kopenhagen-Gipfels im Jahr 1993, dass die inzwischen aufgebauten wirtschaftlichen und monetären Spannungen der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und Japan geschuldet seien, weshalb das gemeinsame Währungsprojekt auch eine gemeinsame, begleitende Industriepolitik erfordere. Jede strategische Wirtschaftspolitik, so auch die gezielte Industrialisierung, birgt hohe Gefahren, mit den negativ Betroffenen einen Wirtschaftskrieg führen zu müssen. Bereits einige Jahre vorher fragte Paul Krugman (1987) in einem weiteren Beitrag Is Free Trade Passé? Denn die Nationen griffen im Zeitablauf immer häufiger zur strategischen Außenhandelspolitik. Er erkannte, dass Handel als Wohlstandsfaktor in der Tradition von Adam Smith (1776) und das Paradigma des Freihandels von David Ricardo (1817) zwar in bestimmten Fällen nicht gelten, aber aus politökonomischen Gründen immer noch die bessere Annäherung an die Realität darstellten als der Versuch, jede staatliche Intervention über Unvollkommenheiten von Märkten zu rechtfertigen und damit Wirtschaftskriege auszulösen. Die Erträge von Interventionismus stünden, so schreibt er (S. 143), in keinem Verhältnis zu den damit eingegangenen Risiken einer Eskalation bis zu einem Handelskrieg. Kevin A. Hassett, R. Glenn Hubbard und Matthew H. Jensen (2011) setzten daher diese Problematik in den Kontext eines Wettbewerbsmodells in der Tradition von Charles Tiebout (1956), der zeigt, dass das „Abstimmen mit den Füßen“ durch die Bürger bei der Wahl der richtigen Gemeinde Wettbewerbsdruck aufbaut und es daher auf die Mischung der jeweiligen Angebotsfaktoren ankomme, die dann durch Individuen mit entsprechenden Präferenzstrukturen gefunden würden. Dabei sei das Abwägen zwischen Steuern und öffentlichen Gütern das wesentliche Entscheidungskriterium. Auch auf globaler Ebene, in einer „flachen Welt“ in den Worten von Thomas Friedman (2004), würde dieses Abwägen zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor, der Welt also das Flache zu nehmen und Unebenheiten aufzubauen, die im Standortwettbewerb oder bei der Akquise von Kunden differenzierend wirken. Die unmittelbare Folgerung daraus lautet, dass Steuerhinterziehung weit wichtiger zu bekämpfen ist als gestaltender Steuerwettbewerb – denn bei diesen lassen sich öffentliche Güter dagegensetzen.
10.1 Die Durchsetzung des staatlichen Führungsanspruchs
729
10.1.2 Staatliche Macht, staatliche Moral und Hegemonialansprüche Wirtschaftskrieg unter staatlicher Beteiligung findet im einfachsten Fall mit dem Staat als zentralem Handlungsträger statt, der seine Macht nach außen vergrößern will. Typisch hierfür ist das gewaltsame Öffnen von Märkten im 19. Jahrhundert, was die USA in Japan oder England in China erzwang. Aggressive Handelspolitik – ein Handelskrieg – eskalierte dann oft zu einem militärischen Konflikt. Das sieht man am Ersten Opiumkrieg (1839–1842) und noch mehr am Zweiten Opiumkrieg (1856–1860). China wurde, um es zum Handel mit Europa zu zwingen, Opfer eines Zerstörungs- und Vernichtungskriegs. Ian Morris (2010, S. 14–17, 497–499) beschreibt dies eindringlich in seinem Buch Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte China infolge des Exports begehrter Waren wie Tee und Seide einen stabilen Handelsüberschuss gegenüber dem Westen, vor allem gegenüber England, der auch durch Silberverkäufe nicht auszugleichen war. Aber die Engländer erkannten, dass der Wille des Kaisers Dao Guong von dem seines Volkes abwich – denn dieses hatte das Bedürfnis nach Opium, was nun massiv und mit exponentiellen Zuwachsraten aus Bengalen importiert wurde. Kaiser Dao Guong erklärte dem Opiumhandel den Krieg. Ein von England entsandter Flottenverband erzwang eine kriegerische Lösung zu Englands Gunsten. Nicht etwa der Freihandel war das Ziel, sondern vielmehr die Kontrolle von Handels- und Wertschöpfungsketten sowie das Durchzusetzen eines ausbeuterisches Kolonialmodells. Das Land wurde zum seinerzeit größten Drogenhändler der Welt. Eindrücklich beschreibt Kai Vogelsang (2018, S. 446–460), wie Chinas kaiserliche Gesandter Lin Zexu (1785–1850) in Guangzhou die Opiumnetzwerke aushob und an die englische Königin in Sinne des konfuzianischen ebenso wie christlichen Reziprozitätsgebots appellierte, diese Art des Handel zu unterbinden, der in England selbst unter harter Strafe stand – vergeblich. China traf diese Entwicklung in einer Zeit gesellschaftlicher und militärischer Schwäche und konnte sich nicht angemessen wehren: Während die westliche Welt, von der Industriellen Revolution getrieben, rasant wuchs, verzehrte sich die QING-Dynastie im Gegensatz dazu durch die Politik der Selbstisolation und zog das Land mit sich. Der Versuch der Kaiserinwitwe Cixi, China einen eigenen Weg in die Moderne zu ebnen und die Dialektik zwischen innerer und äußerer Modernisierung in ein erträgliches Gleichgewicht zu bringen, scheiterte durch den starken ausländischen Druck, der sich im Boxeraufstand entlud und zur vollständigen Unterwerfung Chinas führte (Chang 2014). Wer heute China und seine Abwehr ausländischen Einflusses verstehen will, muss sich dessen Geschichte im 19. Jahrhundert vergegenwärtigen. Auch im Innern des Staats ist das Durchsetzen von staatlicher Macht unter Missachtung rechtlicher und moralischer Standards ein Thema. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen, bei denen es um das Vertuschen von Straftaten, die offensichtlich in hohen Kreisen begangen wurden, geht. Dabei zeigt sich, dass ein Rechtsstaat ein probates Mittel darin sieht, den Gegner – hier: den Whistleblower und Bürger, der betrügerisches
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10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Handeln meldet, bzw. den treuen Staatsbeamten, der seine Aufklärungspflicht erfüllt – für geistig unzurechnungsfähig zu erklären. Es handelt sich um den Fall Mollath4 und um den Umgang der hessischen Landesregierung mit Steuerfahndern, die sie aus dem Verkehr zog. Der Vorteil liegt auf der Hand: Alle Sachaussagen des Gegners werden damit unglaubwürdig, es bestehen keine üblichen Haftprüfungstermine mehr und möglicherweise wird das Opfer in der Anstalt wirklich irre. Erfolgt tatsächlich eine Einweisung mithilfe Dritter, nämlich von befangenen Gutachtern, dann wird das schmutzige Handwerk, ganz im Sinne des chinesischen Strategen Sun Zi, von Dritten erledigt. Dabei liegt das Wirtschaftskriegerische darin, dass die staatliche Duldung kriminellen Handelns dauerhafte wettbewerbliche Schädigungen hervorruft – Kriminalität ist dann die Mikroebene der Makroebene Wirtschaftskrieg. Auf internationaler Ebene sind seit dem Jahr 2015 drei Entwicklungen zu beobachten, die als Vorboten der inzwischen sichtbaren Wirtschaftskriege anzusehen waren. 1. Chinas Aufstieg zur weltweit größten Handelsnation: Die USA, bisher die weltweit wichtigste Ordnungsmacht, sehen sich in ihrer Hegemonie herausgefordert. Hier werden Erinnerungen an den alten Antagonismus zwischen Deutschland und England seit Ende des 19. Jahrhunderts wach. Nicht umsonst fragte sich Henry Kissinger (2011) in seinem Buch On China, ob die Welt den Fehler, den sie um die Jahrhundertwende mit Deutschland gemacht hatte, heute mit China wiederholen würde – das Land nämlich nicht als gleichberechtigte Großmacht zu akzeptieren. Viele Ähnlichkeiten sind frappierend: Über 30 % des Welthandels werden heute über das Südchinesische Meer abgewickelt, das aber – ebenso wie damals die deutsche Nordsee – militärisch relativ einfach abzusperren ist. Ob dieses Meer ein Teil der chinesischen Territorialgewässer oder Wirtschaftszonen ist, kann aufs trefflichste diskutiert werden. Die Argumentation der USA, China missachte die UN-Seerechtskonventionen gegenüber den USA, läuft ins Leere, hat doch der Kongress das zugrunde liegende Abkommen bis heute nicht ratifiziert. In historischer Analogie wird das auch als Thukydides-Falle bezeichnet. Dieser griechische Historiker analysierte den fast dreißigjährigen peloponnesischen Krieg (431–404 v.Chr.) zwischen der etablierten Macht Sparta und dem aufstrebenden Athen, in dem schließlich Athen siegte. Auch hier bestanden fundamentale Meinungsunterschiede in der Art, wie ein Staat organisiert ist, ganz analog zu Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg in Bezug auf die angelsächsische Welt oder heute China gegen die USA. 2. Herausforderung Russlands als Weltmacht: Durch die zunehmende Expansion der westlichen Bündnissysteme in den früheren sowjetischen Herrschaftsraum fühlt sich das Land geostrategisch provoziert. Das sieht man besonders deutlich am Kampf um die politische Vorherrschaft in der Ukraine; Russland will sie integrieren, weil
4Vgl.
hierzu u. a. Heribert Prantl (2013) sowie Matthias Köpf (2019).
10.1 Die Durchsetzung des staatlichen Führungsanspruchs
731
noch heute die aus Sowjetzeiten engen Wirtschaftsverflechtungen zu ihr bestehen – und historisch wurde Russland aus Kiew heraus gegründet. Zudem teilen beide Länder immer noch wichtige Infrastrukturen, beispielsweise im Energiebereich. Mit zunehmender Annäherung der Ukraine an die EU und an die NATO gerät das aus russischer Sicht in Gefahr. Die amerikanische Interessenspolitik in Georgien empfand das Land als strategische Warnung vor einer ökonomischen und politischen Umklammerung. Die USA wollen Russland zu einer „Regionalmacht“ (Barack Obama) herabsetzen und sehen sich gehalten, das möglichst zügig zu tun, weil die Stabilisierung Russlands und seine militärische Aufrüstung – auch vor dem Hintergrund der Georgien- und später der Ukraine-Krim-Krise – zunimmt. Die mit China gemeinsam aufgebauten neuen internationalen Kooperationsstrukturen, insbesondere im Umfeld der BRICS-Staaten, stellen die traditionelle und als normal empfundene Vorrangstellung des Westens in den ökonomisch relevanten Gremien der Welt, wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds, infrage. Das über den Ukraine- und Krimkonflikt hinausreichende Krisenumfeld eröffnet Russland die Chance, sich als wichtigen Machtfaktor ins Zentrum des globalen Entscheidungssystems zurück zu katapultieren, will man die Konflikte – siehe Syrien – begrenzen. Das wiederum erleichtert die wirtschaftliche Durchsetzung seiner regionalen Ansprüche. 3. Der Wettlauf des Irans und Saudi-Arabiens um die regionale Vorherrschaft: Die beiden sunnitisch und schiitisch geprägten, ultrakonservativ-religiösen Länder kämpfen seit Ende der laizistischen Diktaturen im Mittleren und Nahen Osten, insbesondere im Irak, in Syrien und Libyen, um die Vorherrschaft in dieser Region. Der Zerfall der Letztgenannten war im Westen triumphal als Durchsetzung der Demokratie gefeiert worden, tatsächlich aber eine von ihm begünstigte oder sogar betriebene Auflösung der staatlichen Strukturen. Der Iran und Saudi-Arabien führen Stellvertreterkriege im Jemen, in Libyen, im Irak und in Syrien – in den letzten drei Ländern rückte die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) der Welt ins Bewusstsein. Die Rahmenbedingungen des Handelns wurden bereits im sechsten Kapitel im Kontext des Ölpreiskriegs erörtert. Saudi-Arabien verfolgt auf der Basis der Mission „die islamische Welt ist die strategische Fortsetzung Saudi-Arabiens“ (König Fahd) eine Dreifachstrategie: durch den Ölpreiskrieg den Iran und die amerikanische Fracking-Industrie zu schwächen – und damit auch den russischen Verbündeten des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad; Investitionen im Iran zu verhindern und durch das Auslösen massiver Flüchtlingsströme das freiheitliche System der Welt unter Druck zu setzen und wirtschaftlich zu schwächen.5 Migration wird so zu einer hybriden Waffe.
5Die
Weigerung Saudi-Arabiens, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen – trotz des Vorhandenseins riesiger Zeltstädte, die nur punktuell für die Hadsch genutzt werden – gepaart mit der Ankündigung, in Deutschland angesichts der dort anlandenden Glaubensbrüder 200 Moscheen errichten zu wollen, rundet dieses eher fragwürdige Bild ab.
732
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
10.2 Dominanzerwartungen des Staats im Wirtschaftskrieg Entschließt sich ein Staat, einen Wirtschaftskrieg auszulösen, dann sollte er die hierdurch vermuteten Rückwirkungen rechtzeitig in sein Kalkül einbeziehen. Ebenso wie ein militärischer Krieg zu Belastungen führt, kann eine heftige ökonomische Auseinandersetzung schnell unangenehme Folgen für das eigene Land haben. So hat das von der EU und den Vereinigten Staaten ausgelöste Sanktionssystem gegen Russland infolge der Krim-Ukraine-Krise nicht nur dem östlichen Rivalen geschadet. Zunehmend werden die negativen Folgen im eigenen Land sichtbar – von umfangreichen Lieferausfällen bis hin zu Unternehmenszusammenbrüchen. Zu den wichtigsten Fähigkeiten, die einen im Wirtschaftskrieg robusten Staat ausmachen, zählen daher stabile sonstige Kooperationssysteme außerhalb der Gruppe der Konfliktgegner, stabile Finanzen, um ausgelöste strukturelle Probleme, also die Gegenschläge, aushalten zu können, und schließlich auch ein Informationssystem, das in der Lage ist, die politische Informationsüberlegenheit in der öffentlichen Meinung zu sichern. Gerade die bereits anfangs beschriebene Auseinandersetzung zwischen den USA und China seit dem Frühjahr 2018 zeigen dies, denn das Wirkungsgeflecht reicht bis in den Nahostkonflikt und die Krim-Ukraine-Krise hinein.
10.2.1 Institutionelle Stabilität und Dynamik Der Konflikt um die Ukraine und die Krim ist deshalb ein geeigneter Ansatzpunkt der Analyse, weil er sich in eine weit größere Auseinandersetzung einordnet, deren geographische Verflechtung als statische Größen die Abb. 10.2 verdeutlicht; diese komplexe Struktur stellt auch den Hintergrund des bereits verhandelten Ölpreiskriegs dar. Für die mögliche Dynamik sind weitere Ebenen des Konflikts zu benennen: Sie betreffen zunächst die politische Philosophie; Stichworte sind nationale Traumata, grundlegende Staatsdoktrinen und geschichtlich-kulturelle Verbindungen, die allesamt bereits im dritten Kapitel aufgeworfen wurden. Weitere Ebenen sind militärischer und wirtschaftlicher Natur. Das ist eingebettet in eine globale Krisenstruktur, die über den Ölpreiskrieg Saudi-Arabiens, den Konflikt um Syrien, den strategischen Auftritt des Iran bis hin zur nuklearen Bewaffnung Nordkoreas reicht. Wie bereits weiter im zweiten Kapitel berichtet wurde, stellte General Walerij Gerassimow (2013) die Blaupause für den Ukraine-Krim-Konflikt bereit. Inzwischen entwickelt sich die Auseinandersetzung von der militärischen Seite weg zu einer zunehmend wirtschaftskriegerischen Aktivität. Deutlich wird dies am Bau einer Brücke über die Meerenge zwischen dem Schwarzen Meer und dem Asowschen Meer, der sogenannten Straße von Kertsch, und die zunehmende, völkerrechtswidrige Nationalisierung der Gewässer. Dies lässt den ukrainischen Hafen Marianopolis buchstäblich austrocknen und birgt erhebliche Gefahren für das im Hinterland gelegene Industriegebiet, dessen Teile, die Donbass-Region, von Aufständischen besetzt sind.
10.2 Dominanzerwartungen des Staats im Wirtschaftskrieg
USA
Syrien
733
Ölpreiskrieg
SaudiArabien
Finanzindustrie
Ost-EU
Bedrohungsangst
Eindämmen
EU
CH
Gegens.
Boyko
D
UKR
RUS
Presse
Abb. 10.2 Beziehungen zwischen den Parteien im Ukraine-Wirtschaftskrieg. (Quelle: eigene Darstellung)
Analog zu den Abb. 9.2 und 9.3, die den Wirtschaftskrieg der Unternehmen zeigten, lassen sich die Zusammenhänge für den Konflikt zwischen Ländern zeigen – oder gemischte Auseinandersetzungen, vor allem im Blick auf die hybride Kriegsführung. Da der Erhalt eines Lands bedeutender ist als der eines Unternehmens, werden die Staaten für den schlimmsten Fall planen – wie im obigen Ölpreiskrieg-Beispiel: Wie lange kann dieser durchgehalten werden? Analog zum Eigenkapital ist der Devisen- und Goldschatz eine wesentliche Referenzgröße, und das Land kann ausrechnen, wie hoch dieser sein muss, um einen Wirtschaftskrieg auf jeden Fall durchstehen zu können. Die entsprechenden und hier analog zum Wirtschaftskrieg der Unternehmen ausgewiesenen Werte aus der Risikoanalyse sind wieder der value at risk bzw. das risk adjusted capital. Wenngleich es zahlreiche Beispiele dafür gibt, dass instabile Staaten Konflikte vom Zaun brechen, um die Nation hinter ihrer Führung zu einen, zeigt die Realität, dass einem derartigen Vorgehen meist kein dauerhafter Erfolg beschieden war. Ägypten scheiterte mit dem Angriff auf Israel unter Präsident Nasser ebenso wie das argentinische Militärregime, das den Falkland-Malvinas-Krieg vom Zaune brach. Feindbilder sind hilfreich zur Stabilisierung des Systems – die Spannungen zwischen China und Japan, Russland und dem Westen oder China und den USA sind Beispiele dafür – aber die jeweiligen Parteien benötigen einander auch regelmäßig, um größere Konflikte zu lösen. Wenn aber das Vertrauen gebrochen ist, fällt das schwer. Dem Konzept des memetischen Dreiecks folgend ist für eine institutionelle Stabilität maßgebend, dass die formale Struktur des Staats mit dem Transaktionskostensystem kompatibel ist. Was kompliziert klingt, ist tatsächlich ganz einfach: Ein zentralistischer
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10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Staat wird nicht überleben, wenn seine Technologien und die sich ändernden Wertestrukturen zunehmend dezentrale Strukturen begünstigen, wie eingangs bereits beschrieben: Technologien und Meme müssen kompatibel sein. Hierin liegt einer der wesentlichen Gründe für den Niedergang der Zentralverwaltungswirtschaften (Blum und Dudley 1999, 2000). Denn der institutionelle Wettbewerb findet nach der modernen Transaktionskostentheorie und dem evolutorischen Institutionalismus immer über verschiedene Entwürfe von Strukturen statt. Wer sich nicht wandelt, leidet irgendwann unter Fehlanpassungen, die sich plötzlich lösen können – der Fall der Mauer ist eines unter vielen Beispielen. Instabilität entsteht auch durch eine Wirtschaftsdynamik, die Gesellschaften in Bezug auf Vermögen, Einkommen oder Teilhabe spaltet – Stichwort Globalisierungsverlierer – oder in denen inkompatible scheinideologische Positionen in der Wirtschaftspolitik aufbrechen – Stichwort Europäische Union. Elitäre und identitäre Positionen werden dann gleichermaßen für allgemeinverbindlich erklärt, bis die Bevölkerung an der Wahlurne revoltiert, eine große Instabilität erzeugt und den autoritär geführten Ländern Rechtfertigung und Wettbewerbsvorteile gibt. Dann erhalten Deglobalisierungsversprechen neue Nahrung, was möglicherweise Handels- und Währungskriege auslöst, durchaus von hybrider Struktur, die auch eine starke politische Agenda beinhaltet, was beispielsweise anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg im Sommer 2017 sichtbar wurde. Dann helfen auch Fakten nicht, nämlich der Nachweis, dass in Deutschland pro Einwohner und Jahr über eintausend Euro an Gewinnen aus der internationalen Arbeitsteilung einfährt – wie alle anderen europäischen Staaten in ähnlicher Größenordnung auch (Eckert 2018), weil die Verteilungsfrage nicht beantwortet ist. Zunehmende politische Transaktionskosten bedeuten, dass Staaten im Sinne der Standort- und der Währungstheorie ökonomisch überdehnt sind und sich zurücknehmen müssen, womit auch die Bedeutung des ohnehin nur begrenzt wirksamen internationalen Ordnungsrahmens, beispielsweise der Welthandelsorganisation WTO, weiter unter Druck gerät. Gerhard Wegner (2017) zeigt in Die Gefahr einer politisierten Wirtschaft mit aller Deutlichkeit, wie Monopolisierung und Abschottung zur Erosion der Demokratie in der Weimarer Republik beigetragen haben. Er sieht heute durchaus eine ähnliche Bedrohung.
10.2.2 Finanzielle Nachhaltigkeit Betrachtet man den Verlauf der europäischen Finanzkrise, so zeigt sich, dass die Länder, die über solide Finanzverhältnisse verfügten, der wirtschaftlichen Attacke des Finanzsektors und später den Auswirkungen der finanzpolitischen Nichtreformierbarkeit mancher Nachbarländer am besten widerstanden haben. Das gilt insbesondere für die nordischen Länder sowie für Deutschland und Österreich. Solide Finanzen sind also die Voraussetzung dafür, in einem Krisenfall das schlechte Heute gegen ein gutes Morgen zu tauschen, vereinfacht: auf der Basis staatlicher Reputation Kredite aufzunehmen, um die
10.2 Dominanzerwartungen des Staats im Wirtschaftskrieg
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Wirtschaft zu stabilisieren und damit eine positive Zukunftserwartung zu schaffen, die dann auch wirklich eintritt. Die moderne Finanzwissenschaft führt aus, dass die Bürger in der Regel die Kosten ihres Wunsches nach staatlichen Leistungen, also nach öffentlichen Gütern, erheblich unterschätzen und daher mittels des Wahlmechanismus ein höheres Niveau nachfragen und auch durchsetzen als der Budgetrahmen des Lands hergibt. Damit entsteht ein Zwang zur Verschuldung, und wenn diese über der Wachstumsrate der allgemeinen Wirtschaftsleistung liegt, beginnt ein Weg in den Schuldenstaat. Zudem wird das von rent-seeking getrieben, weil sich in entwickelten Staaten zunehmend partikuläre Gruppen des sogenannten Gemeinwohls bedienen, um sich auf Kosten der Steuerzahler aushalten zu lassen. Treiber dieses Prozesses ist die Vielzahl von Lobbygruppen, sei es aus der Industrie, den Gewerkschaften aber auch NGOs (non-governmental organizations). Bedeutsam wird die finanzielle Stabilität genau dann, wenn der Staat aus übergeordneten Gründen selber einen Wirtschaftskrieg entfacht, um Sanktionssysteme durchzusetzen, die durch ihre Rückwirkungen die eigene Wirtschaft massiv schädigen. Die Signaltheorie sagt zwar aus, dass das bessere Risiko billiger signalisiert, dass also eine Sanktion umso glaubhafter ist, je mehr sie dem Gegner schadet und im eigenen Land wenig Kosten verursacht. Genau dies ist aber a-priori selten klar – die Retaliationseffekte bzw. die gesamtgesellschaftlichen Reaktionen können den Schädiger schnell zum Geschädigten werden lassen, wie später gezeigt wird.
10.2.3 Kommunikative Verlässlichkeit Unter den Bedingungen der wachsenden Unmöglichkeit, Informationen zu verifizieren, ist der Bürger auf eine authentische Berichterstattung der Medien angewiesen. Hierin liegt die Bedeutung der Medien als Vierte Gewalt, als Kontrollinstanz der klassischen drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative. Kommunikative Verlässlichkeit ist ein wichtiger Stabilitätsanker. Wagt ein demokratischer Staat einen Wirtschaftskrieg, beispielsweise aus übergeordneten Gründen im Rahmen eines Sanktionssystems gegen völkerrechtswidrig handelnde Staaten, dann wird er das innenpolitisch nur durchhalten können, wenn die eigene Bevölkerung die Notwendigkeit der Maßnahmen dauerhaft einsieht. In autoritären Staaten erleichtern kontrollierte Medien, den staatlichen Führungsanspruch durchzusetzen. Nicht umsonst stand die Kontrolle von Presse und Rundfunk – später kam das Fernsehen, heute das Internet, hinzu – im Vordergrund. Ulrich Blum und Leonard Dudley (1991) zeigen in A Spatial Model of the State am Beispiel Deutschlands von 1871 bis 1989 die hohe Relevanz der Printmedien und des Radios für die Durchsetzung des staatlichen Willens. Aber auch in liberalen und demokratischen Staaten kann der Führungsanspruch ohne die Unterstützung der Medien kaum stabil gehalten werden.
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Zunächst versuchen auch demokratisch gewählte Regierungen durch Druck auf die Medien ihren Einfluss zu stabilisieren. Zeitungen sind, seit durch das fehlende Anzeigengeschäft ihre finanzielle Unabhängigkeit immer stärker unter Druck gerät, auch anfällig für Manipulationen. An vielen Stellen schlägt bei Redakteuren eine „Schere im Kopf“ zu; denn sie berichten nicht über für politische Entscheidungsträger unliebsame Dinge, wenn dadurch ihr Zugang zu bestimmten, für die eigene Existenz wichtigen politischen Quellen, dauerhaft verstopft wird. Das ist der Tod des investigativen Journalismus. Selektive Berichterstattung gerät dann schnell in die Nähe der „Lügenpresse“, das ist ein Kampfbegriff aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Oft werden auch Qualitätsmedien Opfer medialer Tricksereien aus Staat und Wirtschaft, was das Reputationskapital ihrer Berichterstattung erodieren lässt und für die Demokratie tödlich ist. Klaus Max Smolka (2015) schreibt im Kommentar Die Trickser der Wirtschaft zum Thema: „Warum viele Menschen politisch verdrossen sind, ist oft erörtert worden. Wesentliche Gründe: Rechtsbruch, Täuschung, Lüge. Jean-Claude Juncker sagte in seiner Zeit als Chef der Eurogruppe: ‚Wenn es ernst wird, muss man lügen.‘“ Smolka ergänzt, dass das Dementieren von sich später als korrekt herausstellenden Nachrichten, das oft juristisch erzwungen, aber später nie juristisch aufgearbeitet wird, ein wesentlicher Grund für die abnehmende Glaubwürdigkeit der Medien ist. In der Essenz hat sich eine Zeitung vergaloppiert und der sauber recherchierende Redakteur steht im Regen. Umgekehrtes existiert ebenso: Gerade demokratische Staaten sind zwingend auf gute Berichterstattung angewiesen, soll nicht der Bürger in außerstaatlichen Konflikten Opfer gezielter Gegenpropaganda werden. Auch hierfür ist der Ukraine-Krim-Konflikt lehrreich: Die Berichterstattung war oft derart fehlerhaft und wurde gelegentlich bewusst manipuliert, sodass die damit entstandene Unglaubwürdigkeit der russischen Einflussnahme Tür und Tor geöffnet hat. Guter Journalismus, der die Vierte Gewalt stabilisiert und Reputationskapital in der Öffentlichkeit schafft, konzentriert sich auf Sachverhaltsaufklärung und verzichtet auf persönliche Färbungen – die in den dazugehörigen Kommentaren erscheinen können. Die Distanz zu den Mächtigen sollte groß, die zu den Lesern gering sein – heute ist es meist umgekehrt. Embedded journalism, also die Arbeit unter der Protektion Dritter, oft einer kämpfenden Armee, blackmailed journalism, also der Verzicht auf Berichterstattung, weil einflussreiche Institutionen sonst den Ausschluss aus wichtigen Zirkeln androhen, coercive journalism, also ein zwangausübendes Instrumentalisieren der Presse, um Personen oder Institutionen zu schädigen – möglicherweise aus dem Markt zu werfen – und ideological journalism, also eine a-priori Voreingenommenheit, müssen tabu bleiben. Das gilt umso mehr, als Wahrheit, wie Theodor Adorno (1963) in seinem Essay Meinung Wahn Gesellschaft ausführt, ohne das Moment subjektiver Erfahrung nicht möglich sei, zumal der common sense, der stets die eigene Vernünftigkeit betont, „gleichzeitig hämisch der Vernunft abschwört“ (heute wird das beispielsweise versinnbildlicht durch political correctness oder Alternativlosigkeit) und oft als ein Herrschaftsinstrument darstellt. Die freiheitliche Gesellschaft bedarf der Meinungsfreiheit. Schnell aber degenerieren Meinungen zu Glaubensbekenntnissen und schließlich zu
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
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ahnsystemen mit Anspruch auf Durchsetzung und Entfaltung kognitiver Macht. W Typische Ergebnisse sind dann Obsessionen wie die am Anfang des Buchs vorgetragenen Allmachtsphantasien von Konzernlenkern oder Staatsführern, die, wenn sie aufeinanderprallen, schwere Konflikte auslösen. Unbeirrte Anstrengung zur Kritik wird dann zur Überlebensfrage der offenen Gesellschaft: „Wahrheit hat keinen Ort als den Willen, der Lüge von Meinung zu widerstehen.“
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats Anders als Unternehmen können Staaten nicht nur direkt auf Rivalen einwirken, beispielsweise durch Lieferbeschränkungen oder Importverbote; sie können hierzu auch indirekte Maßnahmen ergreifen, auch über das Rechtssystem; gelegentlich ist das ein Zusammenspiel; wenn England im Merchandise Marks Act 1887 die Verpflichtung zum Ausweis von Herkunftsbezeichnungen erzwingt, analog die EU bei Waren, die aus Israel eingeführt werden, um indirekte Importe aus Palästinensergebieten identifizieren zu können, dann wird damit eine Auslandsdiskriminierung ermöglicht, die es erspart, Zollschranken zu erlassen. Derartige nichttarifäre Handelshemmnisse werden im Folgeabschnitt behandelt. Hier werden zunächst die klassischen und expliziten, meist durch Parlamentsbeschluss oder Erlass der Regierung autorisierten und auf konkrete Rivalen zielenden Maßnahmen vorgestellt. Durch staatliche Machtausübung werden die ökonomischen Waffensysteme unmittelbar wirksam, zu denen ein direkter Handlungs- und Entscheidungszugang besteht. Das betrifft beispielsweise die Handels-, die Steuer- oder die Fiskalpolitik. Eine indirekte Wirksamkeit ergibt sich dann, wenn ein Umweg über rechtliche Regeln, also Gesetze, erforderlich ist, wie insbesondere in der Geldpolitik, wenn das Gesetz über die Zentralbank geändert werden muss, will man diese kapern.
10.3.1 Grundlagen einer strategischen nationalen Wirtschaftspolitik Richard Reichel (2002) hat eine Ökonomische Theorie der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften verfasst und die wesentlichen Ansatzpunkte staatlicher Politik herausgearbeitet, die unterhalb der Ebene des wettbewerbsfähigen Ordnungsrahmens liegen. Ziel staatlichen Handelns (Reichel 2002, S. 484) sei aus seiner Sicht ein im Vergleich zu Handelspartnern langfristig steigendes Pro-Kopf-Einkommen. Als Indikator eignen sich die terms of trade, die mindestens eine Konstanz, wenn nicht sogar eine stete Erhöhung zeigen müssen, um die Verbesserung des realen Austauschverhältnisses zu signalisieren. Diese Zielgröße sei auch gut zu operationalisieren. Neben den langfristig wirkenden, realwirtschaftlichen Maßnahmen, die ein Staat ergreifen könne, die bereits Friedrich List (1841) umfänglich beschrieben hat und die als Standort- und
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10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Innovationsstrategien bezeichnet werden können, verweist er auf monetäre Effekte, die Einfluss auf den realen Wechselkurs nehmen und gerade in den vergangenen Jahren in der Finanzkrise oft zu beobachten waren. Hierzu zählt er • das Kaldor-Paradoxon, demzufolge eine Erhöhung des realen Außenwerts die Exportanteile steigen statt schrumpfen lässt (Kaldor 1978); das bedeutet, dass ein polarisierender Effekt („die Reichen werden reicher, die Armen ärmer“) durch eine entsprechende Güterstruktur im Export erzwungen werden kann – was viele Jahre für Deutschland typisch war. • das Kaufkraftparitätentheorem, demzufolge handelbare Güter infolge ihres global einheitlichen Preises (bei Nichtberücksichtigung etwaiger Transportkosten und indirekter Steuern bzw. Subventionen) einen Wechselkurs erzwingen, der den Kaufkraftparitäten entspricht (vergleiche das Konzept der Wechselkurse von Arnold Harberger 1950). Dann kann die Beeinflussung des lokalen Preisniveaus Wechselkurswirkungen ausüben. Wichtige reale Übertragungsmechanismen ergeben sich über die weltweite Arbeitsteilung, wie sie bereits im zweiten Kapitel anhand der Lieferverflechtung aufwärts und abwärts der Wertschöpfungskette erörtert wurden (Escaith und Inomata 2013). Die Autoren verweisen darauf, dass sich die intelligenten und damit wertschöpfenden technologischen Tätigkeiten vor allem auf die westlichen Länder konzentrieren. Weiterhin verweist Satoshi Inomata (2017) in seinem Beitrag Analytical Frameworks for Global Value Chains: an Overview darauf, dass eine derartige Analyse von globalen Wertschöpfungsketten – besser Wertschöpfungsnetzen – in den Kontext der Neuen Außenhandelstheorie einzuordnen ist, die auf technologischer Seite Produktheterogenitäten und versunkene Kosten einbezieht, auf der institutionellen Seite Marktunvollkommenheiten und strategisches Handeln. Zugleich ergibt sich die Verbindung Staat-Unternehmen daraus, dass die Aufteilung der Wertschöpfung einmal über Unternehmensgrenzen und zum anderen über nationale Grenzen organisiert werden kann, also das Bündeln-Entbündeln der Produktion und der Grad der vertikalen Integration interagieren. Damit gehen wirtschaftliche Machtverschiebungen einher – das strategische Element in der Wertschöpfungskette. Die damit verbundenen internationalen Übertragungsstrukturen, in denen auch die Rechtfertigung für wirtschaftskriegerische Auseinandersetzungen liegen kann, weil durch sie angesichts der Dominanzerwartungen Wohlstandsverluste drohen, sollen kurz dargestellt werden: 1. Auf der monetären Seite existieren zwischen den Ländern drei wesentliche Übertragungsmechanismen, nämlich der Wechselkursmechanismus, der Zinsmechanismus und schließlich das Preisniveau. Bei letzterem sind besonders die lokalen Preise relevant, weil sich die Preise international handelbarer Güter zwischen einzelnen Ländern nur durch Steuern, Zölle und Transportkosten, wie in der darüber liegenden Darstellung hergeleitet wurde, unterscheiden können. Ein Land wird durch hohe
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lokale Preise, beispielsweise in der Schweiz für Leistungen der Gastronomie, als teuer empfunden; tatsächlich ist es aber egal, ob das wie hier an den hohen internen Preisen oder, was ebenfalls möglich ist, an einem ungünstigen Wechselkurs liegt. Der Wechselkurs ist die zweite wichtige Austauschgröße und als dritte treten die Zinsen hinzu. Sie werden von der Zentralbank nominal festgelegt, das Realzinsniveau eines Lands ergibt sich aus seiner Produktivität, wie Knut Wicksell (1898, 1922) in seiner Zinstheorie bereits früh erkannt hatte. Das Preisniveau ist weitgehend eine Folge der Tarif- und der Fiskalpolitik, wird aber auch, wie oben ausgeführt, über Wechselkurse beeinflusst. Denn werden diese staatlicherseits auf ein zu niedriges Niveau gezwungen, dann verteuern sich die Einfuhren und Inflation wird importiert. Damit einher geht ein Kapitalimport, der gleichermaßen inflationär wirken kann. Die Zinsfestsetzung liegt wiederum in der Hand der Zentralbank, die diese an bestimmten Kriterien ausrichtet, in den USA beispielsweise an der Wirtschaftsleistung, meist über die Arbeitslosenstatistik gemessen, während in Europa die Zentralbank wie die Deutsche Bundesbank nur der Währungsstabilität verpflichtet ist bzw. sein sollte. Wenn nach Knut Wicksell die Produktivität der Wirtschaft langfristig das Realzinsniveau bestimmt und das tatsächliche Zinsniveau unter diesen natürlichen Zins sinkt, dann löst das Investitionen aus, die das Kapital verknappen und damit teurer machen, sodass langfristig ein Gleichgewicht zustande kommt. Ähnliches gilt für ein erhöhtes Zinsniveau. Wenn hingegen die Zentralbank dauerhaft die Zinsen senkt und damit aus dem Gleichgewicht der Produktivität und der risikoadäquaten Entlohnung entfernt, können erhebliche Umverteilungen stattfinden, weil risikoreiche Länder zu billig an Geld kommen können und dieses in zu wenig produktive Investitionen lenken. Jedes Ansteigen des Zinses würde dann Chaos in Form von Insolvenzen auslösen. 2. Das Gleichgewicht im Außenwirtschaftssektor wird über ein Bilanzsystem erfasst. Die Zahlungsbilanz als systematische Darstellung der wirtschaftlichen Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern ist grundsätzlich im Gleichgewicht. Überwiegen die Einzahlungen die Auszahlungen, so führt der entstehende Überschuss zu Devisenoder anderweitigen Vermögenszuflüssen, wie beispielsweise an der Volksrepublik China zu sehen ist. Defizite, wie bei Griechenland, führen zu einem Abfluss von Devisen, möglicherweise von Goldreserven oder zu einer Verschuldung der Zentralbank, was im sogenannten Target-Mechanismus der Europäischen Zentralbank deutlich wird. Die Zahlungsbilanz wiederum untergliedert sich in die Leistungsbilanz, die den Gütertausch abbildet und die sich wieder in zwei wichtige Unterbilanzen untergliedert, nämlich die Handelsbilanz und die Dienstleistungsbilanz. Dieser Erfassung der realen Größen stehen die monetären Positionen gegenüber: nämlich die Übertragungsbilanz und die Kapitalbilanz. Die erste enthält Transaktionen ohne wirtschaftliche Gegenleistungen, die zweite bildet beispielsweise ausländische Direktinvestition (langfristige Kapitalbilanz) oder Wertpapierkäufe (kurzfristige Kapitalbilanz) ab.
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Aus der Identität von wirtschaftlicher Angebotsleistung, wirtschaftlicher Nachfrage und deren Finanzierung folgt, dass ein Leistungsbilanzüberschuss grundsätzlich zu Kapitalexporten führt, also zu einer Ersparnis im Ausland, während ein Leistungsbilanzdefizit dazu führt, dass das Ausland im eigenen Land investiert. Es gilt also
Ersparnis − Nettoinvestitionen = Export − Import Aus diesem Grund ist auch nicht klar, was positiv und was negativ zu bewerten ist. Denn ein Leistungsbilanzüberschuss (Export – Import > 0) deutet auf eine international wettbewerbsfähige Wirtschaft hin, führt aber zu einer Auszehrung der Investitionen, benachteiligt also die inländische Kapitalvermehrung, weil Ersparnisse ins Ausland abfließen. Umgekehrt deutet Kapitalimport auf einen attraktiven Investitionsstandort hin, ist aber mit einem Leistungsbilanzdefizit verbunden. Es kommt auf die konkreten Bedingungen der unterschiedlichen Regime an. So ist der Exporterfolg Deutschlands eigentlich etwas Positives, weil es hierdurch als alternde Gesellschaft Ersparnisse in dynamischen ausländischen Märkten bilden kann. Wenn diese Vermögenspreise bzw. -werte aber infolge der Finanzkrise zusammenschmelzen, dann hat man wertvolle Autos gegen Ramschpapiere wie beispielsweise amerikanische subprimes getauscht – und die mit dem Exportüberschuss einhergehende Unterinvestition zuhause kann dann nicht durch künftige Erträge aus dem Ausland aufgefangen werden. Die österreichische wirtschaftswissenschaftliche Schule sieht demzufolge Exportüberschüsse dann kritisch, wenn durch fehlende Investitionen der Kapitalstock altert und damit der Niedergang der Zukunft programmiert wird. Die Abb. 10.3 enthält Angaben der globalen Beiträge zu den Leistungsbilanzungleichgewichten. 3. Die monetäre Seite der Außenwirtschaftspolitik wird durch die Geldpolitik der Zentralbank beeinflusst, die über ihre diversen Instrumente die Geldmengenversorgung
1.000.000 800.000
Saldo (Milliarden US$)
600.000 400.000 200.000 0 -200.000
1997
-400.000 -600.000 -800.000
2015
2010
2000
2005
2020
2023
-1.000.000
Euroraum
China
Japan
USA
Prognose
Abb. 10.3 Kumulierte Leistungsbilanzungleichgewichte, 1997 bis 2023. (Quelle: eigene Darstellung aus International Monetary Fund 2018)
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
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der Wirtschaft und damit auch die Preisstabilität steuert. Das Zinsniveau spielt für Investitionen eine wesentliche Rolle, weil sich mit niedrigen Zinsen leichter Renditen erwirtschaften lassen als mit hohen Zinsen. Ergänzend sind die Zinserwartungen zu berücksichtigen, weil künftig steigende Zinsen bei Investitionen zu Vorholeffekten führen, künftig sinkende Zinsen hingegen Attentismus erzeugen. Es war daher die Tradition der Deutschen Bundesbank, Zinserhöhungen langsam vorzunehmen und damit die Investitionstätigkeit anzuregen, Zinssenkungen hingegen zügig durchzuziehen, um in der Wirtschaft ein abwartendes Verhalten zu unterbinden. Denn dies würde die Nachfrage in Erwartung künftig besserer Investitionsbedingungen senken, damit möglicherweise auch auf die Güternachfrage durchschlagen und gefährliche deflationäre Tendenzen erzeugen können. Genau diese Gefahr besteht in vielen Ländern, die sich, wie später beschrieben wird, durch dauerhaft niedrige Zinsen zombifiziert haben. Die Kunden spekulieren auf weiterhin sinkende Preise, weshalb die Nachfrage nicht anspringt und die Preise weiter fallen, was den Attentismus noch verstärkt. Oft versucht die Zentralbank, mit einer extrem lockeren Geldpolitik Inflationserwartungen zu erzeugen, um diese Tendenz zu brechen. Diese Therapie hatte allerdings bisher meist wenig Erfolg, wie die Politik der EZB oder die Abenomics in Japan ab dem Jahr 2013 belegen. Irgendwann überragen die kurzfristig positiven Effekte die langfristig negativ erwarteten Effekte und das Instrument wird wirkungslos. Die durch eine dauerhafte Niedrigzinspolitik erzwungene Zombifizierung der Wirtschaft wird später noch einmal aufgegriffen. Die Außenwirtschaftstheorie geht im Idealfall davon aus, dass sich bei Wechselkursänderungen Nachfragen und Angebote flexibel (elastisch) entwickeln, sodass als Folge einer Abwertung der Verkauf ins Ausland zunimmt, sich die Importe verteuern und damit ein vorhandenes Leistungsbilanzdefizit ausgeglichen werden kann. Das ist aber in der Realität aus diversen Gründen nicht immer gegeben. Zwei Gründe sind besonders zu benennen, nämlich: 1. Das politökonomische Problem: Unter den Bedingungen flexibler Wechselkurse werten die Währungen starker Länder permanent auf. Das erzwingt Preis- und Lohnstabilität, wird aber belohnt durch eine sich langsam, aber stetig entwickelnde Zunahme der Kaufkraft. Aufgrund dieser Aufwertung müsste das damit begünstigte abwertende Land eigentlich größere Chancen am Markt haben. Tatsächlich ist das aber oft nicht der Fall, weil Preisspielräume genutzt werden, die Preise im Exportland also erhöht werden, um Gewinne mitzunehmen. Das führt dann in der Heimat zu Lohnerhöhungen, die auf die Inflation durchschlagen und den durch die Abwertung erzielten Wettbewerbsvorsprung aufzehren. Historisch war in Europa immer Deutschland das aufwertende Land, das abwertende oft Frankreich. Diese Polarisierung wurde erst im Vorfeld der Währungsunion gebrochen, als François Mitterand (1916–1996) zur Politik des starken Franken (franc fort, was sich originellerweise auf Französisch wie Francfort, also Frankfurt, wo die Deutsche Bundesbank und heute
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auch die Europäische Zentralbank sitzt, ausspricht) aufrief. Unter dem Dach der gemeinsamen Währung hat durch die unterschiedlichen nationalen Wirtschafts- und Fiskalpolitiken dieser Prozess wieder begonnen und wirkt sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Staatsverschuldung aus, was wiederum das Währungssystem massiv unter Druck setzt. 2. Der sogenannte J-Kurven-Effekt: Er ergibt sich aus einer Problematik, die in einer Grafik eingezeichnet, eine J-Kurve erzeugt (Blum 2004, S. 425): Wenn ein Land seine Währung abwertet, über keine exportfähigen Unternehmen verfügt und außerdem nicht in der Lage ist, durch Eigenproduktion die verteuerten Importe zu ersetzen, dann wird die Ausfuhr nicht wachsen, aber in der Heimatwährung werden die Preise für Importe steigen. Zwangsläufig verschlechtert sich trotz Abwertung die Leistungsbilanz, und erst nach einer eine längere Zeit beanspruchenden Reorientierung der Wirtschaft verbessert sie sich schließlich. Der damit erforderliche Kapitalimport führt zu steigenden privaten und öffentlichen Schulden, meist über das politisch und wirtschaftlich Akzeptierte hinaus, und es droht Staatsinsolvenz. Diese Erfahrung machen derzeit die Peripherieländer der Europäischen Union. Sogar große Länder wie die USA können in einen derartigen Strudel geraten. Ein gutes Beispiel dafür ist das Durchbrechen einer Inflationsrate von jährlich etwa 15 % und der Inflationserwartungen Anfang der achtziger Jahre durch den damaligen Präsidenten des Federal Reserve Systems, Paul Volcker. Durch eine starke Erhöhung der Zinsen und die Verknappung des Gelds wurde die Inflation drastisch reduziert, aber folgerichtig wertete der US-Dollar als attraktive Anlagewährung massiv auf. Das führte dazu, dass die amerikanische Industrie ihre Vorprodukte nicht mehr im Inland, sondern im preisgünstigeren Ausland kaufte. Damit wurde ein Großteil der inländischen Zulieferindustrie aus dem Markt gedrängt. Als die Politik nach dem Erreichen der Preisstabilität wieder geändert wurde und der US-Dollar wieder abwertete, war keine Importsubstitution mehr möglich und die Autoindustrie musste einen zweiten strategischen Schlag hinnehmen, der ihre Zukunftsfähigkeit für lange Zeit stark behinderte. Für die später diskutierte Zollpolitik bedeutet dies: Länder mit starker Wettbewerbsposition sind durch Schutzzölle wenig bedroht. Hier ordnet sich ein, was im vierten Kapitel als makroökonomisches Trilemma bezeichnet wurde – angereichert und erschwert durch Inflexibilitäten in den Übertragungsmechanismen, wie anhand der J-Kurve dargestellt wurde. Freier Kapitalverkehr als Ergebnis der Globalisierung, dem sich keiner ohne Nachteile entziehen kann, monetäre Autonomie, die dem Selbstverständnis der Nationalbanken – oder der EZB – entspricht und die fiskalische Demokratie als Fähigkeit, autonom den Staatshaushalt zu planen, gehen verloren. Wie Marcus Fleming (1962) und Robert Mundell (1963) für eine offene Volkswirtschaft zeigen, lassen sich allenfalls zwei der Größen autonom bestimmen, d. h. entweder ist die Volkswirtschaft nicht offen oder das Parlament in der Fiskalplanung nicht autonom oder die Nationalbank nicht unabhängig.
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
743
10.3.2 Handel und strategische Investitionen Durch strategische Investitionen lassen sich Standortqualitäten nachhaltig verbessern, wenn die zugrunde liegenden Qualitäten, vor allem in Bezug auf die Fähigkeiten der Arbeitskräfte, vorhanden sind. Die sukzessive Dominanz des Weltmarkts kann es dann sogar Hochlohnländern ermöglichen, durch Kostendegressions-, Verbund- und Lernkurveneffekte Konkurrenten aus Niedriglohnländern fernzuhalten bzw. zu minimieren – die Uhrenindustrie der Schweiz ist ein bekanntes Beispiel dafür, auch wenn sie mit der Digitalisierung ins Straucheln geriet, weil hier eine offene Flanke bestand, die auch Japan in einer strategischen Investitionsoffensive nutzte. Große Kapitalmärkte sind die Voraussetzung für den Aufbau risikobehafteter, kapitalintensiver Unternehmen – obwohl die USA wesentlich arbeitsintensiver produzieren als Deutschland, gibt es dort auch die kapitalintensivsten Unternehmen der Welt. Der Tausch nach komparativen Kostenvorteilen wird mit der wirtschaftlichen Entwicklung verstärkt abgelöst durch einen Handel auf der Basis von Produkt- und Geschmacksdifferenzierungen – die Dominanz im Design oder im mit dem Produkt verbundenen Lebensgefühl kann damit eine starke Wettbewerbsmacht erzeugen.6 Diese komparativen Kostenvorteile können über Ketten verlaufen, dürfen also nicht nur für Paare von Ländern verstanden werden. Das Defizit eines Lands bei einem anderen kann durchaus durch dritte Länder wieder ausgeglichen werden. In einem monopolistischen Wettbewerb besitzen die Unternehmen große Macht durch ein akquisitorisches Potential; was bedeutet, dass Kunden nicht abwandern wollen bzw. es erst tun, wenn die Qualität nicht mehr stimmt oder die Preise unerträglich werden. Hier kann die Fähigkeit, Geschmackstrends zu setzen und Technologieführerschaft aufzubauen, in eine industrielle Führerschaft münden. Apple ist ein gutes Beispiel hierfür. Schließlich führt der task trade dazu, dass die günstigen Standorte als Funktion von externen Vorteilen und Transaktionskosten gewählt werden, was insbesondere das offshoring begünstigt hat (Grossman und Rossi-Hansberg 2008). Tatsächlich nehmen die hierfür geeigneten kommerziellen Dienstleistungen einen zunehmenden Anteil am Handel ein, und insbesondere die USA erzielen mit derartigen Aktivitäten massive Überschüsse. Im Jahr 2017 lagen diese bei rund 250 Mrd. US$ und damit fast ebenso hoch wie das entsprechende Defizit Chinas. Das Vereinigte Königreich erzielt durch die Stärke seines Finanzsektors ebenfalls einen erheblichen Überschuss von rund 125 Mrd. US$, während die meisten übrigen Länder der Welt weitgehend ausgeglichene Bilanzen zeigen (Atkins, Gilroy, Seiler 2019). Es ist dem deutschen Ökonomen Friedrich List (1841) zu verdanken, in seinem Werk diese Zusammenhänge bereits in den Überlegungen zum Aufbau einer führenden Nationalökonomie thematisiert zu haben. Zu den für ausländische Konkurrenten und
6Gemessen
wird das durch den Indikator Revealed Comparative Advantage (RCA), der den Exportanteil eines Produkts relativ zum Weltmarkt zum Gesamtexport des Lands relativ zum globalen Handelsvolumen ins Verhältnis setzt.
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die beidseitigen Beziehungen wichtigsten Aspekten zählen eine erfolgreiche Kopierund Plagiatspolitik (Lernen vom Besten, Importieren neuester Technologien) und die Zollpolitik. Dabei war ihm klar, dass Abschirmung langfristig die Schwächung einer Volkswirtschaft zur Folge hat, weil diese nicht mehr daran interessiert ist, wettbewerblich aufzutreten. Insofern war ihm das Konstrukt der reinen Schutzzölle suspekt, für ihn durften sie nur in einer Übergangszeit wirken, bis sich die Wirtschaft angepasst hat. Diese Forderung, den Schutzzaun nur vorläufig zu errichten und die Tarife kalkuliert abzuschmelzen, hat den Erziehungszöllen auch den Namen List-Zölle gegeben. Auch durch strategische Investitionen, die eine Abschottung vermeidbar machen, lassen sich Handelsvorteile erzielen, weil durch deren vier wesentliche Gründe, nämlich Verteilungskonflikte, Anpassungslasten in der Wirtschaftsstruktur, Sicherheitsinteressen und – oft synonym – Einflusszonen für dominante Länder ebenso abgesichert werden können. Die asiatischen Tigerstaaten haben hiervon gelernt, und die Seidenstraßeninitiative Chinas ist vorrangig eine Investitionsinitiative, strategische Handelsvorteile zu begründen, zu stabilisieren und damit eigene, unbestrittene Einflusszonen als große Landmacht aufzubauen. In einem Special Report: The Gated Globe führt der Economist (2013b) aus, in welchem Umfang die Weltfinanzkrise die Globalisierung zurückgedreht hat.7 Inzwischen spricht er von „Slowbalisation“, weil zum einen gerade der Hochtechnologiehandel auf die Bedrohungen des Handels besonders empfindlich reagiert und auch eine starke Regionalisierung zu beobachten ist (Economist 2019d), was bereits im Beispiel des zweiten Kapitels im Kontext der Kontrolle von Wertschöpfungsketten thematisiert wurde. Neben den krisenhaften Entwicklungen hat auch der politökonomische Prozess bewusst Schranken gegen eine weitere Internationalisierung aufgebaut. So lagen die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse im Jahr 2007 beim Fünffachen der beiden folgenden Krisenjahre, und die globalen Direktinvestitionen halbierten sich gegenüber den Spitzenjahren von 2000 und 2007. Ein Beitrag von Katy George, Sree Ramaswamy und Lou Rasey (2014)8 über Next Shoring ergänzt das: Obwohl die industrielle Produktion in den Schwellenländern steigt, wird die Nähe zu Kunden und Technologien den klassischen Ansatz der Arbeitskostenarbitrage, die das offshoring begünstigt hat, in speziellen wissens- und kundenorientierten Produktionen dominieren, und das gilt besonders dann, wenn die damit verbundenen Operationen leicht zu digitalisieren sind. Angesprochen
7Der
Globalisierungsindex der DZ-Bank, gemessen durch die Auslandsinvestitionen von 16 ausgewählten Ländern bezogen auf die Wirtschaftsleistung, zeigt ein erstes Maximum im Jahr 2000, verfiel dann in der Dotcom-Krise, wies eine noch weit höhere Spitze im Jahr 2007 auf, ging dann stark infolge der Weltfinanzkrise zurück, wuchs erneut bis zum Jahr 2011 und flattert seitdem mit Abwärtstrend (Stocker 2016). 8Exzerpiert aus „Next-shoring: A CEO’s guide‟, January 2014, McKinsey Quarterly, www. mckinsey.com. Copyright © 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission.
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
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werden damit auch die Folgen neuer Technologien, insbesondere das sogenannte additive manufacturing (3D-Drucken), das den Handel virtueller Produkte begünstigt, die oft von der amtlichen Außenwirtschaftsstatistik nicht erfasst werden.
10.3.3 Währungsdominanz, Krieg des Gelds und strategisches Nutzen der Deglobalisierung Eine moderne Form der strategischen Aggression eines Staats liegt im sogenannten Währungsdumping, also in der Manipulation des eigenen Währungskurses zulasten anderer Länder und Wirtschaftsräume, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Ziel ist es, langfristige Leistungsbilanzüberschüsse zu erzielen. Diese Form des Wirtschaftskriegs gab es im 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht, weil durch die Golddeckung der Währung weniger Möglichkeiten zur Änderung der Kurse durch staatliche Politik bestanden. Üblicherweise richtet sich der Währungskurs eines Lands nach verschiedenen Determinanten, einmal im statischen Sinne nach der relativen Kaufkraft, also dem Verhältnis aus der Kaufkraft des einen Lands zu der des anderen Lands, nach dem relativen Zinsniveau, den relativen Preisen für nicht handelbare Güter9 und der Exportorientierung, also der Attraktivität des Standorts für Kapitalinvestitionen. Im dynamischen Kontext treten die Erwartungen über entsprechende Veränderungen der genannten Größen hinzu. Im letztgenannten Fall ist damit die langfristige Wirtschaftsdynamik verantwortlich für die Entwicklung der Währung. Sobald die Währungskurse in einer Währungsunion oder im System fester Wechselkurse fixiert sind, scheiden die normalen Puffer der Währungsanpassung aus. Dann müssen diese entweder über die Veränderung der Preise lokaler Güter oder durch entsprechende Veränderungen in den Staatshaushalten erfolgen. Einen Währungskurs kann man langfristig niedrig halten, indem man ihn spaltet und gewisse Aktivitäten über Koordinationsstellen laufen lässt, die feste politisch vorgesehene Wechselkurse verlangen und den Rest der Transaktionen freigeben. Das war die übliche Methode der Staatshandelsländer, die fiktive Kurse setzten (beispielsweise die Fiktion einer Währungsparität 1:1 zwischen der D-Mark und der Mark der DDR, die dann über Zusätze im Richtungskoeffizienten für die interne Wirtschaftsrechnung korrigiert wurden)10. Alternativ lassen sich Interventionen am Devisenmarkt nutzen, um den Währungskurs in eine bestimmte Richtung zu stabilisieren. Von den
9Bekannt
ist die jedes Jahr vom Economist ermittelte Kaufkraft auf Basis eines Hamburgers, der recht gut die Kaufkraftverhältnisse abschätzt, weil für seine Herstellung sehr viele Inputs einfließen, die überwiegend aus lokaler Produktion sind. 10Der Wert wuchs von einem Faktor von 2 Anfang der siebziger Jahre auf über 4 kurz vor der Wende (Schalck-Golodkowski und König 1988; Blum 2013a).
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großen Handelsnationen hält heute vor allem China seinen Währungskurs künstlich niedrig mit der Folge eines aufgeblähten Exportsektors, erhöhter Importpreise, damit steten Inflationsgefahren und hohen Ersparnissen, die nach Anlagen suchen und damit Investitionsblasen erzeugen, wie im Wohnungsbau zu sehen ist. Das Land wird hierdurch gleichermaßen hinsichtlich seiner Güterexporte und seines Kapitalexports übermäßig abhängig. Eine derartige merkantilistische Politik geht auf den französischen Finanzminister Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) zurück. Ziel des Merkantilismus war die Förderung des staatlichen Wohlstands in Form eines möglichst großen Gold- und Silberbudgets des absolutistischen Herrschers. Als Mittel dazu bediente er sich der Förderung des Handels, insbesondere des Außenhandels bei Behinderung des Imports, z. B. durch Zölle; man sprach vom guerre d’argent. Hierzu wurden die in großgewerblichen Formen (Verlagen, Manufakturen, Fabriken) organisierte Industrie gefördert und große Handelskompanien gegründet, die mit Privilegien für den Übersee- (Kolonien-) Handel ausgestattet wurden, um billig Rohstoffe zu beschaffen. Ziel der Goldhortungspolitik war es, das Land von ausländischen Importen unabhängig zu machen. Somit bestand stets die Forderung, dass Geld nicht gehortet werden dürfe, sondern um seiner Produktivität willen im Umlauf zu halten sei. In den frühen Jahren der USA wurden die Defizite und Überschüsse der einzelnen Bundesstaaten durch Goldtransporte mithilfe eskortierter Kutschen ausgeglichen. Diese wurden gelegentlich von Banditen überfallen und gaben damit dem Western als Filmgenre seine Prägung. Tatsächlich ist das nichts anderes als eine vormoderne Form des internationalen Bilanzausgleichs – dem sich die Eurozone verweigert, denn sie hatte dafür keinen Mechanismus vorgesehen, sodass heute die Guthaben und Schulden in den Target-Salden zementiert sind, wie Hans-Werner Sinn (2012) in seinem Buch Die Target-Falle beschreibt. In den USA wurden später diese Salden einfach in den Golddepots zulasten des Defizit- und zugunsten des Überschussstaats umgeschichtet. Wenn der Goldvorrat aufgebraucht war, dann war der Bundesstaat pleite, was öfter passierte und auch heute noch möglich ist. Heute ist der US-Dollar die überragende Weltwährung, wie dies Abb. 10.4 zeigt. Das verschafft dem Land viele Vorteile, insbesondere bei Unternehmensbewertung und -rating, denn beide erfolgen aus Sicht der USA, was den Risikoausweis der eigenen Unternehmen reduziert. Weiterhin können die USA als Reservewährung andere Länder an den Kosten der eigenen Wirtschaftspolitik in Gestalt von Geldentwertungen nach Maßgabe der Größe von deren Devisenschatz beteiligen. Als sicherer Hafen (safe heaven) für Kapital, u. a. lange Zeit aus China, steht der US-Dollar gerade in globalen Krisenzeiten unter Aufwertungsdruck – und trägt damit indirekt zu den Leistungsbilanzdefiziten der USA bei, die Donald Trump seit 2018 im Visier hat. Barry Eichengreen (2011) sieht in Exorbitant Privilege allenfalls China als Herausforderer, weil Europas Wirtschaftsdynamik infolge der Altersstruktur seiner Bevölkerung nachhaltig unter Druck geraten wird. Welche Rolle die elektronischen Währungen spielen werden, ist noch offen. Die USA prüfen seit dem Jahr 1988 halbjährig, ob Währungsmanipulationen
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
747
70% 60% 50%
Anteile
40% 30% 20% 10% 0% Dollar
Euro
Yen
Pfund Sterling
Yuan (RMB)
Devisenreserven
Devisienhandel
Internaonaler Zahlungsverkehr
BIP (Mrd US$ 2016)
Sonsge
Abb. 10.4 Führungsposition des US-Dollar, 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018g und International Monetary Fund)
zu ihren Lasten erfolgen (Blackwill und Harris 2016, S. 182). Auch die Geschichte lehrt, dass derartige Privilegien oft den Kern ihrer Zerstörung in sich tragen infolge der Überdehnung des Machtbereichs. In der Tat befindet sich heute ein Großteil des amerikanischen Gelds, die sogenannte world Dollar base, im Ausland. Gerade die Konfrontation mit befreundeten Nationen dürfte neue Allianzen schmieden helfen, die den Niedergang befördern. Aktuell allerdings erlaubt es die Währungsdominanz den USA, über das Währungssystem Kosten auf Dritte abzuwälzen. Im Konfliktfall könnte man das als eine geschickte Form des Furagierens bezeichnen.
10.3.4 Handelshemmnisse und Sanktionen Ebenso wie militärische Bündnisse wirken Handelsabkommen bzw. -bündnisse und Währungszonen für die teilnehmenden Länder immer auch nach innen und nach außen. So wird das bestehende internationale Postabkommen oft genutzt, niedrige Tarife in einem Land zu nutzen, um billig in Zielländer zu versenden; das hat auch Folgen für die Arbeitsteilung, weshalb die USA im Jahr 2018 eine Kündigung ausgesprochen haben, um Chinas Vorteile im Online-Handel zu beseitigen. Das geplante Handelsabkommen TPP (Trans Pacific Partnership) wurde explizit ohne China gegründet, vermutlich als Abwehr gegen seine Staatsunternehmen (Blackwill und Harris 2006, S. 183), aber auch seine technologischen Erfolge, die ohne westliche Hilfe nicht möglich gewesen wären. Der Westen wurde auch gelockt durch die Marktchancen, und deren Nutzung ist heute für die Unternehmen, beispielsweise aus der Fahrzeugindustrie, eine Basis
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stabiler Einnahmen. Im Jahr 2017 wurde das TTP-Abkommen von Präsident Donald Trump als nicht abschlussfähig erklärt, u. a. wegen der erheblichen Begünstigungen für Japans Landwirtschaft. Die USA befinden sich in einer Zwickmühle, weil die Bündnispartner vor Ort – neben Japan, Südkorea und den Philippinen auch der ehemalige Kriegsgegner Vietnam – Bündnistreue und Schutz erwarten, dem zu folgen aber jede Verhandlung mit China unmöglich macht. China wiederum versucht, durch Initiativen wie das Projekt Seidenstraße (one belt and one road, OBOR) und die Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB) seine Glacis wirtschaftlich zu integrieren. Einen ersten Vorgeschmack dieses Konflikts erhält man in Myanmar, wo China auf der Insel Mayday einen Tiefseehafen mit einer Rohölpipeline ins eigene Land baut. Wenn China also aus geostrategischen Gründen beginnt, intensiv in sein Umfeld zu investieren, dann wird dieses Geld für die Finanzierung der amerikanischen Staatsschulden fehlen – deshalb haben sich die USA vehement gegen die AIIB ausgesprochen und totales Unverständnis gezeigt, als europäische Länder, vornehmlich England, diesem Projekt beigetreten sind. Die Diskussion um die Freihandelsabkommen und die damit verbundenen Schiedsgerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) haben das der Öffentlichkeit klargemacht. Möglicherweise gehen dadurch Souveränitätsrechte verloren, die für die eigene zivilisatorische Prägung essentiell sind – vgl. die Dominanz amerikanischer Internetunternehmen, die den europäischen Kultursektor unter Druck setzen würde, wie das Facebook-Urteil des Europäischen Gerichtshofs des Jahres 2015 zeigt: Es unterstreicht, dass die USA laut europäischem Datenschutz kein Safe Harbour sind – die Durchsetzung eines derartigen Urteils hätte unter den Bedingungen von TTIP Schadensersatzansprüche wegen Behinderung eines Geschäftsmodells ausgelöst. Der Bürger ist inzwischen gegenüber den nicht eingehaltenen Heilsversprechen des Freihandels skeptisch geworden, der in der Realität oft nicht frei ist und Schwächere, vor allem Entwicklungsländer, ausbeutet. Die Zusicherungen, mittels der Europäischen Vereinigung ihre Bewohner vor den Unwägbarkeiten der Globalisierung zu schützen, wurden tatsächlich nicht eingehalten – es waren die Nationalstaaten, die Europa retten mussten, nicht umgekehrt. In einem hoheitlich geführten Wirtschaftskrieg wird meist der Begriff der Sanktionen betont, die sich in Embargos, Blockaden oder in der Entrechtung, beispielsweise im Verstaatlichen von Markenrechten oder Patenten, äußert. Im Vorfeld können aber bereits die Export- und dabei insbesondere die Zollpolitik greifen. Wie der lateinische Begriff (sanctus bzw. sancire) unterstellt, soll durch die Sanktion etwas durch Strafandrohung geheilt, also ein Missstand behoben werden; damit sollten Sanktionen ihrer etymologischen Prägung folgend eigentlich keinen Wirtschaftskrieg auslösen; das Gegenteil ist aber meist der Fall. Sanktionen sind künstliche Handelshemmnisse und ordnen sich aus ökonomischer Sicht in die Zollpolitik bzw. die Transaktionskostentheorie, weil durch sie im Handel Marktunvollkommenheiten erzwungen werden, und in die Politik der intellektuellen Eigentumsrechte ein. Die Abb. 10.5 gibt die wesentlichen Ziele der UNSanktionen in der Vergangenheit wieder.
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
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Abb. 10.5 Häufigste Ziele von UN-Sanktionen, 1991 bis 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Süddeutsche Zeitung 2016c)
Zölle sind Abgaben auf Güter, die beim grenzüberschreitenden Verkehr von einer staatlichen oder überstaatlichen Behörde erhoben werden. Sie werden nach dem Erhebungsereignis in Einfuhr-, Ausfuhr- und Transitzölle unterschieden. Sie können Bezug nehmen auf Mengen, auf Währungseinheiten pro Mengeneinheit und auf Werte allgemein, also auf Anteile am Warenwert. Neben den Zöllen als tarifäre Handelsbeschränkungen existieren auch nichttarifäre Handelsbeschränkungen, beispielsweise Import- und Exportkontingente (oft als freiwillige Selbstbeschränkungen kaschiert), um den Importkontingenten des Handelspartners zu entgehen. Diese erfreuen sich erheblicher Beliebtheit, und eine Vielzahl von internationalen Übersichten belegt, dass diese in den letzten Jahren zugenommen haben. Handelsverzerrende Maßnahmen sind also nicht allein ein Kind des durch Donald Trump ausgelösten Konflikts. Der Human Freedom Index (Vásquez und Porčnik 2018) weist für Deutschland neben der allgemeinen ökonomischen Freiheit auch die Freiheit im internationalen Handel aus. Interessant ist nun, ob der Rang der allgemeinen ökonomischen Freiheit durch die Außenhandelspolitik nach oben, dargestellt durch ein + hinter dem Rangwert, oder ein „-“, wenn es nach unten gezogen wird. Die Werte lauten wie folgt: Deutschland (20+), Vereinigtes Königreich (9+), Frankreich (57+), die USA (6-), China (108+). Tatsächlich haben viele Länder gerade über Globalisierungsanstrengungen die Offenheit ihrer Märkte verbessert, bei den USA ist das Gegenteil – allerdings ausgehend von einem hohen Niveau – zu verzeichnen. Durch die Erhebung von Zöllen verändern sich die Preise und Handelsmengen. Die Folge ist, dass sich die Anpassungsmechanismen der Volkswirtschaft verändern können; möglicherweise werden dann grundlegende Schocks in der Wirtschaft schlechter als bisher im Sinne negativer realwirtschaftliche Reaktionen verarbeitet. Sie verändern insbesondere die terms of trade, also die Menge bzw. den Realwert an ausländischen Gütern, der für eine (Wert-) Einheit inländisches Gut getauscht werden kann, wie bereits weiter oben ausgeführt wurde. Das ist auch das eigentliche Ziel. Der Erfolg hängt aber
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von den bereits genannten Angebots- und Nachfrageelastizitäten für das jeweilige Gut ab. Besteht ein dringlicher Bedarf seitens des den Schutzzoll erhebenden Lands infolge fehlender Ausweich- oder Eigenproduktionsmöglichkeiten, dann bleibt das Herstellerland weitgehend unbetroffen und der inländische Käufer trägt den Zoll. Daraus folgt, dass – wenn überhaupt – Zölle wohlüberlegt und mit chirurgischer Präzision zu setzen sind. Offensichtlich verbessern Aufwertungen der eigenen Währung, wie sie Deutschland über Jahrzehnte erlebt, diese terms of trade und machten insbesondere Urlaubsreisen und Importe für Deutschland günstig, erhöhten also sichtbar den Wohlstand. Aber sie mussten, um wettbewerbsfähig zu bleiben, durch Rationalisierungsinvestitionen erkämpft werden. Entwicklungsländern und Schwellenländern wird häufig von entwickelten Staaten, insbesondere ihrer Gewerkschaften, der Vorwurf gemacht, durch niedrigere Löhne die einheimischen Industrien in den Industrieländern zu verdrängen. In der Tat hat die mit dem Fall der Mauer ab 1990 einsetzende Globalisierungswelle die internationale Arbeitsteilung dramatisch verändert. Die entwickelten, frühindustrialisierten Länder erheben dann gerne Importzölle, um ihre Industrien zu schützen. Das erzeugt aber häufig nicht nur Wohlstandsverluste, es hat auch Folgen für die Einkommensverteilung. Wenn sich Waren verteuern, dann entzieht das Kaufkraft und schmälert Einkommen. Das hilft zwar der Beschäftigung vor Ort, beschädigt in der Regel aber diejenige Personengruppe bzw. soziale Klasse, die man eigentlich schützen will, weil preiswerte Importe nun nicht mehr verfügbar sind. So führen die regelmäßig durch die USA erhobenen Zölle auf Importstahl zu einem Schutz der ineffizienten Industrie, aber dadurch verteuern sich beispielsweise auch Autos. Der Schutz Weniger wird zulasten Vieler erkauft. Schließlich erzeugen Zölle Unterschiede zwischen den Inlands- und den Auslandspreisen, die über die Transportkosten hinausgehen, sodass es lohnend wird, diese zu unterlaufen, was wiederum eine Kriminalisierung der Wirtschaft zur Folge haben kann. Das sieht man am Zigarettenmarkt, dessen hohes inländisches Steuerniveau durch Schutzzölle abgeschottet wird – was aber zu Schmuggel an den Grenzen führt. Ein Totalverbot wie die Alkoholprohibition in den USA hat ganze Landschaften kriminalisiert. Durch freiwillige Exportbeschränkungen versuchen Staaten, die infolge einer schlechten Verhandlungsposition in die Enge getrieben wurden, Zöllen zuvorzukommen und einen Handelskrieg zu verhindern. Damit ergibt sich in der Wirkung eine Importquote, die aber üblicherweise vom Herkunftsland kontrolliert wird. Die ökonomischen Kosten sind für beide Seiten hoch, weil dem Herkunftsland Einnahmen wegbrechen und dem Zielland erhöhte Kosten entstehen. Üblicherweise besteht das Ziel darin, eine eigene Industrie zu schützen, um ihr Zeit zu geben, wettbewerbsfähig zu werden. Aber nur in wenigen Fällen gelingt das auch nachhaltig. Zölle und Export- bzw. Einfuhrbeschränkungen weisen erhebliche Unterschiede in ihrer ökonomischen Wirkung aus. Erstere führen zu Einnahmen – als Exportzölle beim Ursprungsland, als Importzölle beim Zielland – und die Preis-Mengenwirkungen
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hängen von den jeweiligen Angebots- und Nachfrageelastizitäten ab. Im Extremfall wird der Maximalbetrag abgeschöpft, ohne dass die die Menge zurückgeht, weil das entsprechende Gut nicht ersetzt werden kann. Bei den einzelnen Produkten der betroffenen Kategorie besteht keine Möglichkeit der Differenzierung; sie sind betroffen nach Maßnahme des Angebots und der der Nachfragepräferenzen. Ganz anders bei Beschränkungen – hier besteht eine Möglichkeit der Selektion. So wäre es aus Sicht der USA sinnvoll, bei Einfuhrbeschränkungen möglichst große europäische Autos zu treffen; bei Zöllen wären deutsche Hersteller durch die hohe Zahlungsbereitschaft der USKunden weniger betroffen. Aus Sicht Deutschlands wäre es sinnvoll, möglichst große Pkw zu exportieren, weil diese den höchsten Wertschöpfungsbeitrag erwirtschaften. Auch die Wirkungen von Zöllen auf Gewinne und Produktivitäten sind erheblich. Einer Studie von Bettina Peters, Mark J. Roberts und Van Anh Vuong (2018) über Firm R&D Investment and Export Market Exposure folgend führen Exportzölle von 10 % für die deutsche Wirtschaft zu Produktivitätseinbußen zwischen 0,5 % und 1,7 % sowie zu Gewinnminderungen von 17 % bis 36 %. Dies zeigt, dass die langfristigen Effekte im Sinne von Rückwirkungen auf die Investitionsfähigkeit der Unternehmen erheblich sind, weil diese mit Preissenkungen Volumenausfälle teilweise abfangen. Exportbeschränkungen werden oft direkt durch Embargos, Boykotte oder Entrechtung ausgeübt, um anderen Ländern den eigenen politischen Willen aufzuzwingen. Boykotte stellen die härtere Form des Embargos dar und sollen, ganz im Sinne der Schifffahrt, eine vollständige Isolierung erzwingen. Damit einher geht auch ein möglicher Schaden durch fehlende Versorgung mit Lebensmitteln oder Medikamenten, weshalb Aufweichungen (Schotten 2007, S. 108–112), wie das Beispiel Iran zeigt, möglich sind, um die Zivilgesellschaft zu schonen. Mit dem Handelsverbot wird das Territorialitätsprinzip durchgesetzt, weil es auch eigene Wirtschaftssubjekte im feindlichen Gebiet betrifft. Bei der Entrechtung von Patenten oder Marken, möglicherweise sogar der Verstaatlichung von Staats- aber auch von Privatvermögen, steht das feindliche bzw. angegriffene Land vor dem Problem, die entsprechenden Verfügungen nicht mehr treffen zu können. So führte die Verstaatlichung von Bayer in den USA dazu, dass das deutsche Unternehmen dort nicht mehr unter eigenem Namen liefern konnte. Die Markenwelt von Zeiss wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Ost und West aufgeteilt und konnte erst nach der Wiedervereinigung wieder zusammengeführt werden. Ziel ist es, dem anderen Land ein Signal zu vermitteln, seine Verhaltensweisen zu verändern; im Zentrum des Handelns steht also der Beugecharakter (Combaceau 1986). Die Glaubhaftigkeit hängt an der informationstheoretisch notwendigen Anforderung, das Signal billiger leisten zu können, als es dem Widersacher mit seinem Gegensignal möglich ist, beispielsweise als Gegensanktion in Form einer glaubhaften Drohung. Aufbauend auf diesem Beugeansatz haben David Cortright und George Lopez (2000) in einer Evaluierung der Sanktionsdekade im Ausgang des 20. Jahrhunderts ein Verhandlungsmodell entwickelt, dessen Ziel darin besteht, Anreize zur künftigen
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Kooperation zu geben, gerade für das Offenhalten des politischen Kanals, auf den Carl von Clausewitz (1832) so viel Wert gelegt hatte.11 Ökonomisch betrachtet, sind Sanktionen ein extrem zweischneidiges Schwert, weil Handel eigentlich ein Vermittler von Frieden ist – und er braucht nicht einmal zwischen sich wohlgesonnenen Ländern stattfinden. Peter van Bergeijk (1989) zeigt in seinem Beitrag Success and Failure of Economic Sanctions, dass – ganz nach den Realisten der Handelserwartungstheorie – Sanktionen umso erfolgreicher sind, je intensiver die Handelsbeziehungen vorher waren. Weiterhin wirken die Instabilität des Regimes und die Kürze der Sanktionen positiv auf das Ergebnis – langanhaltende Sanktionen verlieren durch Anpassungsmaßnahmen ihre Wirkung. Vorabdrohungen sind wenig wirkungsvoll. Clifton Morgan und Valery Schwebach (1997) zeigen in einem räumlichen Modell in Fools Suffer Gladly: The Use of Economic Sanctions in International Crises, dass häufige Anwendung das Instrument stumpf macht und die Kosten für den Sanktionsgeber bezogen auf die Zielerreichung meist überhöht sind. Die Folgen sind für die einzelnen boykottierenden Länder oft sehr unterschiedlich, weshalb es schwerfällt, eine einheitliche Linie zu finden und noch schwerer ist es, diese langfristig aufrechtzuerhalten. Schließlich ist im Zielland meist die normale Bevölkerung vom Boykott stärker betroffen als die Eliten – der Arzneimittelmangel im Iran ist ein Beispiel in die eine Richtung, die Verfügbarkeit praktisch aller Luxusartikel für die nordkoreanischen Eliten durch globales Tarnen, Tricksen und Täuschen eins in die andere. Zudem kann ein Boykott helfen, die Umgestaltung der Wirtschaft voranzutreiben (Blum 2014a). Robin Thomas (1999, S. 14) nennt drei übergreifende Lektionen, die aus den Folgen von historischen Sanktionen im speziellen und eines Wirtschaftskriegs im Allgemeinen zu lernen sind: 1. Das Ziel des Boykotts ist vollständig abzuschotten (completely seal the target). Je länger die Auseinandersetzung andauert, desto größer werden die Möglichkeiten der Diversifikation und die Verluste durch Umgehung (leakage). Je unpopulärer ein Embargo im boykottierenden Land ist, desto mehr wachsen Korruption und Wirtschaftskriminalität. Im Zielland begünstigt der Boykott, wie später gezeigt wird, ohnehin illegales Handeln. Beispiele dafür sind Substitutionsrohstoffe, wie der industrielle Kautschuk, den Deutschland als Antwort auf den Boykott der Alliierten entwickelte und der schließlich den südostasiatischen Kolonien die Wirtschaftsbasis entzog, oder die mafiöse Infrastruktur, die die USA in Sizilien hinterlassen haben, weil sie im Zweiten Weltkrieg diese Verbrecherorganisation als logistische Basis im Kampf gegen Deutschland gestärkt hatten.
11Tatsächlich
hat das Ende des Kalten Kriegs dieses Instrument aufgewertet, weil der Anreiz des einen Bündnissystems, die Sanktionen des anderen Bündnissystems zu unterlaufen, entfallen ist. Inwieweit das in einer multipolaren Welt Bestand haben wird, bleibt offen.
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2. Die mit den Sanktionen entstehende wirtschaftskriegerische Infrastruktur überlebt meistens die zugrunde liegende Auseinandersetzung und erzeugt große Probleme beim Aufbau neuer tragfähiger ökonomischer oder politischer Strukturen. Deutschland und Japan sind Ausnahmen. In fast allen militärisch und wirtschaftlich niedergerungenen Ländern gelang es jedoch nicht, nachhaltige Zivilstrukturen aufzubauen – aktuelle Beispiele dafür sind Afghanistan oder Somalia. 3. Stets müssen die langfristigen Folgen bedacht werden, vor allem solche, die die Handelsumlenkung und die wirtschaftliche Basis der in den Wirtschaftskrieg einbezogenen Länder betreffen. Englands wirtschaftliche und politische Hinwendung zu einem Kolonialreich war auch eine Folge der Boykottpolitik Napoleons.Wenn inzwischen Russland und China zusammenrücken und das Reich der Mitte Russland Finanzunterstützung anbietet und bei Lieferungen, die der Westen an Russland zurückhält, einspringt – oft aus Fabriken, die mit westlichem Know-how gebaut wurden –, dann verändert das die Handelsströme auf Dauer. Wie auch bei einem militärischen Konflikt spielen Interessenslagen und prominente Füroder Gegensprecher eine wesentliche Rolle, das Sanktionsgeschehen zu beeinflussen. Dabei sind auch, wie James Barber (1979) zum Thema Economic Sanctions as a Policy Instrument zeigt, die verschiedenen Zielebenen zu unterscheiden: von den offiziellen Primärzielen zu eher innerstaatlichen, im Sinne der politischen Ökonomik und des Lobbyismus begründeten Sekundärzielen bis hin zu eher auf die Governance orientierten Tertiärzielen, welche besonders die internationalen Ordnungsfunktionen, beispielsweise die Legitimität und die langfristige Glaubhaftigkeit im Auge haben. Allerdings verfehlen Sanktionen oft ihren ursprünglichen Zweck, weshalb das entsprechende strategische Spiel sorgsam zu planen ist (Lacy und Niou 2004) und auch der Evaluation bedarf (Pape 1997; Baldwin und Pape 1998). Zu den offensichtlich wirksamen Sanktionen zählen die gegen den Iran wegen dessen Atomprogramms gerichteten, wie Julian Hinz (2017) in The Cost of Sanctions: Estimating Lost Trade with Gravity: Direktinvestitionen unterblieben, der Handel brach um rund 15 % ein – allerdings auch um den Preis, dass China dort an Einfluss gewann. Der Ausstieg der USA aus dem Programm und das Wiederaufnehmen der Sanktionen erzeugt ein verheerendes Signal, ungeachtet der durchaus stichhaltigen Begründungen, vor allem in Bezug auf das Raketenprogramm und die destabilisierenden Wirkungen Teherans im Nahen Osten – denn gerade letzteres gilt auch für Saudi-Arabien, Irans wichtigsten regionalen Rivalen, aber Verbündeter der USA. Denn es droht extraterritoriale Sanktionen an die Länder und Unternehmen, die weiter Geschäfte mit dem Iran betreiben, weshalb sich Länder Gegensanktionen überlegen gegen die Unternehmen, die den US-Sanktionen folgen. Insbesondere die Notenbanken sind aufgrund ihrer Unabhängigkeit nicht bereit, den amerikanischen Vorgaben zu folgen. Schließlich drohen die USA Belgien mit Sanktionen bzw. den Swift-Managern mit Strafverfolgung, sollte das dort ansässige internationale Zahlungssystem Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) den Iran bis Ende 2019 nicht vom Überweisungssystem
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ausschließen. Folglich sollen neue Institutionen aufgebaut werden, die die Abhängigkeit der Welt vom US-Finanzsystem verringern. An diesen werden Russland und China beteiligt sein, was für die westliche Allianz nichts Gutes verspricht. Russland wiederum ist selbst wegen der Annexion der Krim und der Intervention in der Ukraine Objekt von Sanktionen, an deren Eskalationsspirale aufgrund der Giftgasanschläge mit russischem Kampfgas im Jahr 2018 weitergedreht wurde. Unternehmensführer sind damit kaum noch in der Lage, vor dem Hintergrund dieser komplexen Lage rechtskonform – nach welchem Recht? – zu handeln. Effektivität und Effizienz von Sanktionen hängen in hohem Maße von der Fähigkeit ab, glaubhafte Koalitionen zusammenstellen zu können, die mit ihren Signalen auf den Gegner wirken, was der unter dem Thema Allmende abgehandelten, spieltheoretischen Problemstellung entspricht. Die beteiligten Sanktionsgeber müssen also, wie Joachim Zweynert (2014) in seinem Leitartikel Was bringen Sanktionen? Polit-ökonomische Anmerkungen betont, nationalstaatliche Egoismen überwinden, was, wenn es gelingt, ein glaubhaftes Signal politischer Kommunikation darstellt, deren Wirkung weniger an kurzfristigen Zielen – beispielsweise jemanden zur Aufgabe eroberter Territorien zu zwingen – als vielmehr an den langfristigen Effekten einer Entwicklung zu völkerrechtskonformem Verhalten zu messen ist. Finanzielle Sanktionen können so mittelfristig umgangen werden (Besedes, Goldbach, Nitsch 2016). Tatsächlich konnte das Ölembargo gegen den Iran ab dem Frühjahr 2019 weitgehend durchgesetzt werden, was aber das Risiko des Verladens von Ölfrachten auf hoher See – bekannt im Kontext des Boykotts gegen Nordkorea, erhöht mit dem Risiko fataler Umweltunfälle. Auch das extraterritoriale Durchsetzen von amerikanischem Recht, nämlich das Abhängen iranischer Banken vom deutschen Telefonnetz, wirkt wegen möglicher Sanktionen gegen den Netzbetreiber Telekom, der in den USA eine Tochter unterhält, die sanktioniert werden könnte. Der Vorgang wurde zwar von Gerichten für unwirksam erklärt, aber tatsächlich ändert nichts, was die Durchsetzungsmacht der USA zeigt. Auch im Falle Nordkoreas wirkt der Boykott: die Wirtschaft, ohnehin auf niedrigem Niveau, schrumpft. Gerade bei einer Eskalation ist nicht klar, welche Partei tatsächlich billiger signalisieren kann. Das hängt stark von den Zeitpräferenzen ab – autokratische Systeme haben oft einen erhöhten Durchhaltewillen im Sinne eines rally-round-the-flag Effekts, wie Olaf Poeschke (2003) betont, dessen Struktur in Abb. 10.6 weiterentwickelt wird. Der Übergang von victima zu sacrificium, also vom (normalen) Opfer zum Märtyrer, kann ein massives Senken der Signalkosten bewirken. Manfred Kulessa und Dorothea Starck (1997) schreiben unter dem Thema Frieden durch Sanktionen: Empfehlungen für die deutsche UN-Politik, dass die Klarheit der Sanktionsziele, der Grad der ökonomischen Abhängigkeit (Verflechtung) und die Geschwindigkeit der Durchsetzung bedeutsam sind, wobei demokratische Staaten leichter zu beeinflussen sind als autoritäre oder totalitäre. Dort bereitet die Zielgenauigkeit Probleme, trifft man doch häufiger die Bevölkerung als die handelnden Eliten. Zudem ist zu prüfen, ob nicht Ausweichreaktionen – beispielsweise Schwarzhandel – das
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Schwächung der Opposion
Versorgungs engpässe
Humanitäre Kosten Vikmisierung Interne Repression Sakrifizierung
Abschöpfen von Sankonsrenten
Isolieren des Landes
Umfassende Wirtschassankonen
Usurpieren von Eigentum durch Eliten
rally round the flag Abb. 10.6 Wirkungsstrukturen im Sanktionsmodell. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Poeschke 2003)
Entstehen mafiöser Strukturen fördert, derer man sich später nicht mehr entledigen kann. Auch das wird in der Abb. 10.6 berücksichtigt. Schließlich ist dadurch die Schwächung der Opposition wahrscheinlich, weil sie – insbesondere im Falle von Nichtregierungsorganisationen – von Informationen und Finanzmitteln abgeschnitten werden kann. Konkretisiert man diese Aspekte intensiv am Beispiel der Ukraine-Krise, so kommt Emma Ashford (2016) zu dem Schluss, dass in all diesen Aspekten die Sanktionen gegen Russland als Retaliation gegen die Besetzung der Krim und die Anheizung der Unruhen im Donbass-Gebiet ihr Ziel nicht erreicht haben. Die Kosten für die deutsche Volkswirtschaft für die drei Jahre von 2014 bis 2016 sind erheblich, denn es sind nicht nur die verlorenen Aufträge und Lieferungen an das Land in Rechnung zu stellen, sondern auch die damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Effekte, die über die Verflechtungsanalysen berechnet werden können. So müssen die direkten Folgen von rund 7 Mrd. € um indirekte Effekte von rund 14 Mrd. € ergänzt werden, was einen Verlust von fast 100.000 Arbeitsplätzen ergibt (Günther, Kristalova, Ludwig 2016). Tatsächlich konnte sich die Wirtschaft Russlands bereits Ende 2017 wieder fangen und sieht sich auf einem Wachstumspfad. Kontinuierlich stockt es seine Goldvorräte auf und baut seine US-Dollardevisen ab, seitdem die USA den russischen Bankensektor ins Sanktionsvisier genommen haben, was Ministerpräsident Dmitri Medwedew als „Wirtschaftskriegserklärung“ bezeichnete (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018f). Die Sanktionen wirken vor allem auf der Krim, weil der Westen Investitionen seiner Unternehmen dort unter Strafe gestellt hat – was letztlich vor allem die lokale Bevölkerung schädigt.
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Ähnliche solidarisierende Anpassungen sind auch in China zu beobachten. Wie Hendrik Ankenbrand (2019) in „Wir stehen alle zusammen“ schreibt, geht eine breite Welle der Zuversicht, letztlich die ökonomische-technologische Herausforderung bewältigen zu können und dabei auch Opfer zu akzeptieren – ja anzubieten, beispielsweise in Gestalt von Preissenkungen von Zulieferern von Huawei – durchs Land. Wird dies erfolgswirksam, könnten sich auch hier die amerikanischen Sanktionen als langfristig kontraproduktiv beweisen. Interessant werden Sanktionen, wenn sie extraterritorial unbeteiligte Dritte treffen. So versuchen die USA seit dem Jahr 2017, eigenes verflüssigtes Erdgas in den europäischen Markt zu drücken und haben faktisch die zweite Ostseepipeline North-Stream-II zwischen Deutschland und Russland im Rahmen der Ukraine-Krim-Sanktionen gegen Russland mit Sanktionen belegt, die auch deutsche Unternehmen, die als Zulieferer oder Partner auftreten, treffen können. Diese können dann mit Strafen belegt bzw. vom amerikanischen Markt ausgeschlossen werden. Winand von Petersdorff (2017) bezeichnet das als Sanktionsimperialismus; es entsteht nicht nur ein Zerwürfnis zwischen den USA und Deutschland, sondern auch mit den östlichen EU-Mitgliedern, die an diese Versorgungslinie nicht direkt angeschlossen sind, sind Spannungen unvermeidbar, haben sie doch massiv in den USA zugunsten dieser Sanktionen interveniert. Die Anwendung gegen ein Land wie China, um dessen Unternehmen aus dem Ausland heraus zu kontrollieren, bezeichnete der Economist (2017c) als Nuklearoption. Tatsächlich wird in erheblichem Maße seitens der USA die Korruptionsabwehr als Mittel benutzt, amerikanische Interessen durchzusetzen. Dies trifft US-Inländer ebenso wie Ausländer. Allein der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) hat dem Economist (2019a) folgend rund 6 Mrd. US$ in die Staatskasse gespült. Dabei ist der Wert in der Abb. 10.7 nur der Teil einer Gesamtsumme, nämlich der, welcher sich auf Korruptionstatbestände bezieht; insgesamt wurde beispielsweise die französische Société Générale mit einer Apple Microso Cisco Oracle Alphabet (Google) Johnson & Johnson Qualcomm Amgen Coca-Cola Gilead Sciences 0
50
100
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250
Milliarden US$ Abb. 10.7 US-Sanktionen unter dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA). (Quelle: eigene Darstellung aus Stanford Law School (2019) – Farben nach Ländergruppen)
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Buße von 1,34 Mrd. US$ wegen Geschäften mit dem Iran, Sudan und Kuba belegt (Börsen-Zeitung 2018g). Zugleich sieht man, dass auch amerikanische Unternehmen in ihren extraterritorialen Aktivitäten an derartigen Vergehen beteiligt sind. Wie aber die Ausführungen des vierten Kapitels belegen, sind die USA in diesem Bereich grundsätzlich aktiver als andere Länder, unterstützt von oft brutal zugunsten der Staatsautorität handelnden Staatsanwälten, wie gerade der Fall Alstom des Jahres 2013 zeigt, bei dem ein französischer Manager wegen angeblicher Korruption in der USA festgesetzt wurde, um die Übernahme des Unternehmens durch General Electric absichern zu können – gegen die gemeinsam bietenden Unternehmen Siemens und Mitsubishi (Economist 2019b). Die Streuwirkungen derartiger sekundärer Sanktionen auf Verbündete können sie zu einer stumpfen Waffe werden lassen; wirksamer ist die Verweigerung des Marktzugangs. Dies hat beispielsweise dazu geführt, dass praktisch alle deutschen Unternehmen „freiwillig“ auf Geschäfte mit dem Iran verzichtet haben, nachdem die USA im Jahre 2018 den Atomvertrag von 2015 (JCPOA), der eine Nuklearbewaffnung des Irans verhindert sollte und im Gegenzug die Sanktionen lockerte, gekündigt hatten und auch nichtamerikanische Unternehmen mit Sanktionen bedrohte. Wirksam sind US-Boykotte auf Finanztransaktionen aufgrund der Dominanz des US-Dollar. Da dieser die wichtigste Weltreservewährung ist und ein Großteil der Transkationen in dieser Währung abgewickelt wird, sind die Vereinigten Staaten in besonderer Weise befähigt, hier Boykotte durchzusetzen, also Länder von den Finanztransaktionen abzuschneiden. Die mit einer Boykottumgehung verbundenen Strafzahlungen sind immens und treffen gelegentlich auch Unschuldige, weil sich Banken zunehmend aus Ländern mit ungenügender Finanzaufsicht oder aus Unternehmen, die in kritische Geschäfte verwickelt sind, zurückziehen und damit alle anderen Unternehmen bzw. ganze Länder in Geiselhaft nehmen oder durch überteuerte Finanztransaktionskosten deren Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Die Politik des billigen Gelds hat den Weltmarkt für Unternehmenstransaktionen enorm beflügelt. Chinesische Unternehmen und Vermögensfonds, deren Eigentümerstruktur oft unklar ist, versuchen seit vielen Jahren, ihre hohen Überschüsse aus dem Außenhandel anzulegen. Allerdings besteht hier eine Asymmetrie zulasten der Ausländer, die meist nur Minderheitenbeteiligungen in China erwerben können. Insgesamt lagen die Investitionen des Auslands in China lange Zeit weit unter denen Chinas im Ausland; eine Trendwende gab es im Jahr 2015, diese zerbröckelt aber schon wieder. Inzwischen wird zunehmend der Abfluss von Wissen befürchtet, obwohl es bis heute keinen Beleg dafür gibt. Die USA sind in dieser Angelegenheit bereits offensiv, einen Handelskrieg riskierend; auch Deutschland und die USA sind vorsichtiger geworden, wie das Verbot des Verkaufs des Hochtechnologieunternehmens Aixtron im Herbst 2016 belegt. Problematisch ist das deshalb, weil nicht nur die Aktionäre einen hohen Wertverlust ihrer Portfolios hinnehmen mussten. Auch als Investor muss man sich fragen, ob eine Investition in Hochtechnologieunternehmen sinnvoll ist, wenn der Staat aufgrund von Sicherheitsbedenken den Aktienkurs bestimmt. Inzwischen ist auch China v orsichtig
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geworden, weil es erhebliche Abflüsse von Kapital, das aus illegalen Geschäften stammt, befürchtet, weshalb zu diesem Zweck auch von den Hintermännern schlechte Investitionen getätigt werden. Gänzlich ausgesperrt werden viele Unternehmen aus strategischen Industrien dort vom chinesischen Markt, wo langfristige Wachstums- und Sicherheitsinteressen tangiert werden. Dies gilt besonders für US- Internetkonzerne.
10.3.5 Wirtschaftspolitik als Teile staatlicher Machtentfaltung Im militärischen Bereich unterscheidet man die vier Operationsarten: Angriff, Verteidigung, Stabilisieren und Verzögern. In der Wirtschaftspolitik gibt es eine direkte Analogie dazu, nämlich die Gestaltungspolitik, die Erhaltungspolitik, die Stabilisierungspolitik und die Anpassungspolitik (Blum 2004, S. 494–497). So kann eine bestimmte Gestaltungspolitik das Anpassen wichtiger Sektoren an neue weltwirtschaftliche Bedingungen erleichtern und Innovationen freisetzen, also den Angriff im Wirtschaftskrieg unterstützen. Die Stabilisierung spielte in den Transformationsländern eine bedeutende Rolle, um einen völligen Zusammenbruch der nationalen Wirtschaften im ehemaligen sozialistischen Wirtschaftsgebiet zu verhindern. Die wichtigste Anforderung an eine gute Wirtschaftspolitik besteht darin, den Ordnungsrahmen der Wirtschaft so zu gestalten, dass eine Regulierung gar nicht erst erforderlich wird. Im Sinne der modernen Ökonomik ist Wirtschaftspolitik dann erforderlich, wenn die Summe des individuell Rationalen nicht kollektiv vernünftig ist: Derartige Rationalitätsfallen existieren bei öffentlichen Gütern oder bei Umweltgütern, bei denen der Zugang angesichts von Kontrollproblemen nicht reglementiert ist, spieltheoretisch werden sie im Gefangenendilemma abgebildet. Wenn sich einzelne Unternehmen nicht an Umweltstandards halten, dann können sie erhöhte Gewinne erzielen. Tun das alle, dann bricht die Umwelt zusammen. Die klassische Rechtfertigung von Wirtschaftspolitik liegt daher meist im Vorhandensein von Markt- und Wettbewerbsunvollkommenheiten. Wenn keine Märkte existieren, weil beispielsweise öffentliche Güter vorliegen oder die externen Effekte so groß sind, dass Private es sich nicht erlauben können, den Markt einzurichten, weil die Transaktionskosten höher als alle künftigen Erträge sind, dann wird der Staat zum Handeln gezwungen. Das eröffnet unmittelbar Wege zum rent-seeking, weil die öffentliche Hand häufig Private mit der Gestaltung dieses eigentlich nicht vorhandenen Markts betraut. Damit können Begünstigungen entstehen. Das kann dazu führen, dass der Markt nur durch öffentliche Rahmensetzungen und Subventionen existiert, was beispielsweise für die Solarenergie galt. Wenn die politische Unterstützung abnimmt oder die Konkurrenzlage die Subventionen aus dem Ruder laufen lässt, können schnell Probleme auftreten. Wenn Märkte existieren, dann können sie entweder wettbewerblich oder nichtwettbewerblich sein. Nichtwettbewerbliche Märkte sind genau wie das Fehlen eines Marktes eigentlich die Folge von erhöhten Transaktionskosten und erheblichen externen Effekten.
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Hier wird wirtschaftspolitisches Handeln erforderlich. Wettbewerbliche Märkte hingegen benötigen außer der Rahmensetzung und, nach den regulierenden Prinzipien von Walter Eucken, Überwachungsinstanzen, die dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden, keine Intervention. Oft aber ist der Staat bzw. der Wähler mit den Allokationsergebnissen unzufrieden, beispielsweise aus sozialpolitischen Gründen, mit der Folge, dass interveniert wird. Dieser Eingriff führt dann häufig zu weiteren Interventionen, weil er vorgeblich unzureichende Wirkungen oder sogar unerwünschte Nebeneffekte auslöst, sodass zum Schluss der Wettbewerb zusammenbricht und staatliche Organisation unverzichtbar wird – es sei denn, man würde den radikalen Schnitt der Regulierung wagen. Das Chaos im Management der deutschen Energiewende belegt das. Typisch für die Begründung von Renten sind Vetternwirtschaft und Nepotismus, auf deren Eigenschaften später noch einmal eingegangen wird, weil durch sie in Phasen des wirtschaftlichen Übergangs verlässliche Vertrauensstrukturen begründet werden können, die ansonsten fehlen. Das gilt vor allem in Demokratien, wo ein Zuviel an Meritokratie, sichtbar im Unmut der Begabten, infolge überall behindernder (gläserner) Decken keine Karriere machen zu können, an der Wahlurne zu einer politischen Vergeltung führt. Derartige Systeme werden gerne als crony capitalism (Economist 2016b) beschrieben – die Extremform ist der khaki capitalism, in dem die Armee die Wirtschaft zum eigenen Vorteil kontrolliert. Diese Form ist besonders geeignet, Wirtschaftskrieg zu führen und charakteristisch für viele Entwicklungs- und Schwellenländer. Hier ist auch der Aufstieg des sogenannten Populismus zu nennen. Ohne demokratisches Ventil kann es zum Umsturz kommen, wobei wirtschaftliche Gesichtspunkte besonders relevant sind. Die Französische, die Amerikanische oder die Iranische Revolution wurden vom wirtschaftlich erfolgreichen Mittelstand getrieben, der seine Partizipationsansprüche durchsetzen wollte – dass es mit Ausnahme der USA meist schlimmer kam, hat Alexis de Tocqueville (1856) beschrieben. Zygmunt Bauman (1925–2017) schreibt in Liquid Modernity (2000), die Gesellschaft sei haltlos geworden, simplistische Rezepte würden angewendet, um den oder das Fremde abzuwehren, das scheinbar den gesellschaftlichen Konsens und die zu seiner Stabilität notwendigen Gewissheiten untergrabe. Wenn kein Wettbewerb im Markt möglich ist, kann möglicherweise ein Wettbewerb um den Markt organisiert werden. So kann mangels geeigneter Frequenzen kein polypolistisches Angebot im Bereich der drahtlosen Kommunikation gemacht werden. Es ist aber eine Versteigerung des Frequenzspektrums an eine vorgegebene Anzahl von Anbietern möglich, die vorher einen „Schönheitswettbewerb“ durchlaufen müssen, um zu zeigen, dass sie in der Lage sind, die notwendigen Investitionen zu tätigen und Servicequalitäten abzusichern. Die einzelnen Anbieter werden dann bei der Versteigerung den Preis bieten, der aus ihrer Sicht dem oligopolistischen Ertrag aus der Bereitstellung und dem Verkauf der Dienste entspricht. Dadurch gelingt es der öffentlichen Hand, die durch Marktmacht eigentlich auftretenden Renten wieder in die öffentlichen Kassen zu überführen, was von Richard Posner (1975) als Rentendissipation bezeichnet wird. Da mit zunehmender Enge des Markts Absprachen leichter werden und mögliche Renten höher ausfallen, ist das System ausgesprochen
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korruptionsanfällig. Außerdem besteht das Risiko eines Fluchs des Siegers (Thaler 1992, S. 50 ff.), weil zu hohe Preise für die Lizenz geboten werden, die später am Markt nicht einzutreiben sind. Im Vorfeld drohen daher auch Preiskriege im Bieterverfahren. Am einfachsten ist es, bei derartigen Regulierungen die Regulierungsbehörde durch Korruption oder Lobbyismus für die eigenen Ziele „umzufunktionieren“, was von George Stigler (1971) als regulatory capture bezeichnet wird. Das ist im Bankensektor im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise passiert, wo stets glaubhaft mit einem systemischen Kollaps gedroht wurde, um öffentliche Gelder zu vereinnahmen und anschließend mit den gleichen Geschäftsmodellen weiterzumachen, die die Weltwirtschaft an den Rand des Absturzes geführt haben. Historisch standen Schwerindustrien oft beim Versuch, Renten zu erzielen, im Zentrum der Beeinflussung von Regulierungsbehörden. Lange war die Kohleindustrie in Deutschland und Europa einer der größten Subventionsempfänger. Heute sind es die erneuerbaren Energien. In jedem Fall gilt, dass eine Vielzahl von Methoden geeignet ist, die Wirtschaftspolitik des Staats für eigene Zwecke zu vereinnahmen, wobei selten ein Gesamtziel sichtbar wird, meist werden sehr partikularistische Interessen durchgesetzt. Eine optimale Regulierung im Sinne der ökonomischen Effizienz folgt portfoliotheoretischen Erwägungen. Der Zusammenhang zwischen Risiko, gemessen durch die Standardabweichung, und Ertrag, gemessen durch den Mittelwert, wird auf einer konkaven Rendite-Risikofunktion abgebildet. Eine zusätzliche Rendite ist regelmäßig nur mit einer überproportionalen Zunahme des Risikos möglich. Eine effiziente Regulierung ist dann daran zu erkennen, dass sie den Marktwert der Unternehmen unverändert lässt. Die zusätzlichen Renditeeinschränkungen werden durch den Risikorückgang aufgewogen.
10.3.6 Spionage, Sabotage, Zersetzung und Korruption Industriespionage spielt eine wichtige Rolle, sie war in der Zeit des Kalten Kriegs eine der gefährlichsten Aktivitäten für die Unternehmen und wurde häufig vom Staat erfolgswirksam unterstützt. Aber auch zwischen den westlichen Partnern wurde sie gerne eingesetzt. So wird kolportiert, dass in Überschallmaschinen der Air France häufig Mikrophone in die Kopfstützen eingebaut wurden, um von Reisenden in die USA oder zurück interessante Informationen über Wirtschaftsverhandlungen abzugreifen. Die Schweiz versuchte, nachdem Steuer-CDs aus ihren Banken der deutschen Steuerverwaltung angedient worden waren, die Ermittlungsbeamten auszuspionieren. Dabei bedient man sich bei der Spionage, Sabotage und Zersetzung nicht nur menschlicher Ressourcen, sondern vermehrt auch Cyberwaffen. Das berühmteste Ereignis aus der digitalen Welt ist vermutlich die Attacke auf die iranischen Atomzentrifugen durch das Stuxnet-Virus. Ein wichtiger Teil der direkt wirkenden Waffensysteme ist die organisierte Kriminalität in Verbund mit der Schattenwirtschaft, und hier auch mit Korruption, auf die später
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eingegangen wird. Dabei entsteht nicht nur das Problem, dass wirtschaftliche Aktivitäten außerhalb des staatlichen Ordnungs- und Rechtsrahmen stattfinden; denn gerne werden die Erlöse hieraus in die reguläre Wirtschaft investiert, um sie zu waschen und damit zu legalisieren, auch den dort unter Kapitalmarktbedingungen finanzierten Unternehmen wird ein dauerhafter, oft zerstörender Wettbewerbsnachteil beschert. Edgar Feige (1990) unterscheidet vier Formen der Schattenwirtschaft: 1. Die illegale Wirtschaft, die sich unter Verletzung rechtlicher Standards konstituiert hat bzw. Rechtsnormen bewusst verletzt. Hierzu zählen Drogenhandel, Menschenhandel, und Schwarzgeldaktivitäten. Ursache dafür sind schwache Rechtsinstitutionen. Der Schaden liegt neben dem Verlust an Einkommen und Steuern auch in der Delegitimierung des öffentlichen Gemeinwesens. 2. Die nicht gemeldete Wirtschaft, die sich dem offiziellen Fiskalsystem entzieht; das betrifft insbesondere die Steuervermeidung, -verkürzung und -hinterziehung. Das Problem liegt folglich in einer Governance des Fiskalsystems. Der Schaden liegt in nicht abgeführten Steuern. 3. Die nicht erfasste Wirtschaft, die sich dem Berichtswesen dadurch entzieht, dass sie institutionelle Regeln, beispielsweise Gewerbeanmeldungen, umgeht. Das Grundproblem sind hier fehlende Überprüfungen. Der Schaden besteht in verlorenem Einkommen in der Nationaleinkommensrechnung. 4. Die informelle Wirtschaft, die sich aus Sozialstrukturen wie Nachbarschaftshilfe usw. ergibt. Aufmerksamkeit verdienen diese Bereiche der Wirtschaft deshalb, weil möglicherweise eine moralische Erosion von der informellen über die nicht erfasste und die nicht gemeldete zur illegalen Wirtschaft stattfinden kann. Allerdings variieren die Größe der Schattenwirtschaft und damit der zu veranschlagende Schaden in Abhängigkeit von den Messkonzepten beträchtlich (Schneider 2015a). In seinem Beitrag Die Bedeutung von Schattenwirtschaft und Korruption führt Friedrich Schneider (2015b) aus, dass die deutsche Schattenwirtschaft im Jahr 2014 bei knapp 350 Mrd. €, etwa 12 % der Wirtschaftsleistung, lag – mit leicht abnehmender Tendenz seit Anfang des Jahrtausends – und der Schaden durch Korruption, die fast kontinuierlich mit 4 % pro Jahr wächst, rund 155 Mrd. € ausmacht. Das wird später vertieft. Abb. 10.8 zeigt, dass ein erhebliches Gefälle zwischen den (historisch weitgehend durch den Protestantismus geprägten) west- und nordeuropäischen Ländern, den (historisch weitgehend durch den Katholizismus geprägten) mediterranen Südländern sowie den mittelosteuropäischen Ländern besteht – vor allem dann, wenn sie historisch unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs standen. In ihrem Beitrag Religion and Economic Growth: Was Weber Right? zeigen Ulrich Blum und Leonard Dudley (2001), dass das religiös gebundene Vertrauen in Verbindung mit den durch den Buchdruck entwickelten neuen Informationstechnologien die Vertragsfähigkeit erleichterte und protestantische Regionen begünstigte.
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Abb. 10.8 Größe der Schattenwirtschaft in Europa und den USA, 2017. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Die Welt (2017b) und IW Köln)
Korruption als Ausnutzung eines Machtvorteils zum persönlichen Vorteil (Johnston 1998), also keine markt- und wettbewerbskonforme Allokation, ist eins der schillerndsten Mittel des Wirtschaftskriegs und kann ohne staatliche Beteiligung nicht verwirklicht werden. Jens Ivo Engels (2014, S. 13–15) verweist in seinem Buch Die Geschichte der Korruption: Von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert auf die rasiermesserscharfe Härte des Begriffs. Dieser erlaube, weil moralisch aufgeladen, kein Kontinuum, ganz anders als andere Delikte; wegen dieser Wertbehaftung sei er damit auch kein analytischer Begriff, sondern eher ein Mythos, bei dem strikt zwischen den konkreten korruptionsverdächtigen Praktiken und der gesellschaftlichen Beurteilung derselben zu trennen sei. Tatsächlich überschneiden sich diese mit dem, was Tim Burns (1961) als „Mikropolitik“ bezeichnet, also mit Verhaltensweisen bei informellen Absprachen der Konfliktauslösung und -bewältigung. So verschwimmt zum einen die Dichotomie zwischen privatem und öffentlichem Raum, die für die Ausgangsdefinition der Korruption maßgeblich ist zum anderen kann die Gegenseitigkeit oder Vertrauensstiftung sogar bedeutsam für die Herausbildung stabiler Institutionen sein (Engels 2014, S. 44–54). Korruption und Schattenwirtschaft gehen in schwachen Staaten Verbindungen ein, die mancherorts völlig neue wirtschaftliche Entwicklungen ermöglichen – beispielsweise
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
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Handel und technologische Entwicklungen auslösen, die auf dem illegalen Recycling von Altgeräten und ihren Bauteilen, z. B. aus der Elektronikindustrie, aufbauen. Genannt werden hier gerne Nigeria und Paraguay. Weiterhin überschneidet sich Korruption auch mit dem rent-seeking. Wenn von der Mafia als Firma gesprochen wird, dann ist das grundlegend falsch. Denn eigentlich ist sie ein Staat (im Staat), denn sie füllt fehlende, vom Staat eigentlich zu gewährleistende Eigentumsrechte aus. Mafiöse Organisationen bieten Schutz an, wird dieser nicht angenommen, dann drohen oft Nachteile, möglicherweise auch materielle Zerstörung und sogar Tod. So wird vermutet, dass in chinesischen Restaurants an der Größe der Aquarien der Bedarf an Schutz abzulesen sei – und die Mietzahlungen können sogar steuermindernd abgesetzt werden. Aber es gibt in der Mikropolitik auch die andere Seite: die der Systemstabilisierung (North, Wallis, Weingast 2009; Pies 2008a), die historisch unter den Bedingungen hoher Informationsasymmetrien Patronage und Nepotismus hervorgebracht hat, weil Verlässlichkeit mehr zählte als Kompetenz – was erst in der Neuzeit durch die Professionalisierung von Verwaltung und Bürokratie überwunden werden konnte. Offensichtlich ist es bedeutsam, wie Individuen und Gesellschaften mit der Normenkonkurrenz umgehen (Engels 2014, S. 69–71), also mit den unterschiedlichen Rollen, die im Alltag zu repräsentieren sind. Und es stellt sich die Frage, was geschieht, wenn sich hieraus Überschneidungen ergeben? Hillard von Thissen (2009) identifiziert in der Neuzeit drei wesentliche Normenkomplexe, die hier Dilemmata erzeugen können: Sozialnormen (Staat), Glaubensnormen (Religion) und Amtsnormen (im Staatsbereich: gemeinwohlfordernde, wenn nicht sogar -nötigende Normen). Korruption ist die Folge schwacher Institutionen (Johnston 1998), also des Fehlens eines starken Staats und starker Institutionen – und das ist nicht gleichbedeutend mit einem interventionistischen Staat! Auch die Formen, die Korruption annimmt, sind durchaus von der Durchsetzungskraft des Staats abhängig. Sie kann in einem Prinzipal-Agent-Modell dargestellt werden, weil ein (weniger informierter, risikoneutraler) Prinzipal versucht, mithilfe seines (risikoscheuen) Agenten, den er besticht, seine Interessen durchzusetzen. Dabei besteht eine aktive Bestechung des Gebers oder Anbieters und eine passive Bestechung (Vorteilsnahme) des Nachfragers. Wenn die Legitimation und Rechtfertigung des Staats größer ist als die Korruptionsverfolgung durch den Staat, kann sich leicht ein hohes Maß an staatstragender Korruption in öffentlichen Institutionen entfalten; besonders in autoritären Schwellenländern ist sie gut zu beobachten (Economist 2014b). Eine Untersuchung der OECD (Maass 2015) zeigt, dass die meisten Zahler und Empfänger aus wohlhabenden Ländern kommen und nicht, wie immer vermutet, aus den armen Regionen. Eigentlich sollte nämlich die Korruption sinken, wenn legale Leistungseinkommen steigen, weil darin das Risikokalkül zum Tragen kommt – man könnte seinen Arbeitsplatz verlieren, und das ist umso teurer, je mehr man verdient. Tatsächlich vergleichen sich Menschen mit anderen Einkommensbeziehern, sodass sie unter der Vorstellung, zu wenig im Vergleich zu Dritten zu bekommen, korruptionsanfällig werden.
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Man unterscheidet zwischen der situativen, also spontanen, Korruption und der strukturellen, nämlich geplanten. Letztere macht den wesentlich größeren Anteil aus und ist auch schwieriger aufzuklären. Die Abb. 10.9 gibt die Verteilung der Korruption auf Wirtschaftssektoren wieder. Korruption stellt sich spieltheoretisch als Dilemma dar. Wenn alle korrupt sind und nur einer ist ehrlich, so wird er davon Nachteile haben. Aus diesem Gefangenendilemma folgt Korruption als dominante Strategie. Das löst auch anstelle eines Leistungswettbewerbs einen Korruptionswettbewerb aus – nach dem Motto: Wer besticht besser? Das ändert sich nur, wenn ein unendlicher Zeithorizont besteht und damit Rückwärtsinduktion nicht hilft. Deutlich sichtbar wird das an einem einfachen Fall von Korruption, dem Nepotismus: Darauf verweist der Spruch: „Man hat keine Beziehung, man ist eine Beziehung!“ Jemanden Schlechten zu empfehlen, kann das Ende des eigenen Rufs bedeuten – und so erzeugt Nachhaltigkeit auch Ehrlichkeit. Ingo Pies (2003, S. 1) zeigt, dass Korruption im Spannungsfeld zwischen Legitimität und Illegitimität einerseits sowie Legalität und Illegalität andererseits grundsätzlich im Bereich der Illegalität angesiedelt ist, manchmal aber einen legitimen Anstrich besitzt. „Darf man – und wenn ja: unter welchen Bedingungen darf man – Zuflucht zur korruptiven Praxis nehmen?“ Darf man es für den eigenen Vorteil oder für das Überleben des Unternehmens bzw. der Beschäftigten? Gerade hier zeigt sich ein wichtiges Spannungsfeld zwischen ethischer Grundlage und moralischer Urteilsfähigkeit auf. Weiterhin wird deutlich, dass Grenzverschiebungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf Legalität und Legitimität erhebliche Veränderungen auslösen können. Bis zur Wiedervereinigung war es legitim, an die Rückgabe des in den verlorenen deutschen Gebieten konfiszierten Eigentums zu glauben, und es war auch eine Grundlage des Verfassungsrechts. Nach
Abb. 10.9 Branchenverteilung der Korruption. (Quelle: eigene Darstellung aus Maass (2015) und OECD School – Farben nach Branchen)
10.3 Die direkt wirkenden ökonomischen Waffensysteme des Staats
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der Wende wurden erst die Enteignungen akzeptiert, dann wurde an der Legitimität der Forderung gezweifelt. Heute halten viele Vertriebene den Vorgang für Staatshehlerei und korruptes Verhalten, einen faktischen Wirtschaftskrieg gegen die Betroffenen mit deutlich sichtbaren negativen Wachstumseinbußen. Auch an der fiskalischen Effizienz ist zu zweifeln, denn Unternehmen ohne Unternehmer sind nicht lebensfähig – in den Neuen Ländern fehlt noch zwanzig Jahre nach der Wende ein nennenswerter international aktiver Mittelstand – und der Verkauf von Land- und Forstbesitz in großem Umfang hat zwar Einnahmen für die Staatskasse gebracht. Er hat aber auch die entsprechenden Märkte im Westen unter Druck gesetzt mit der Folge von Wertberichtigungen, Insolvenzen und beträchtlichen Abschreibungen zulasten staatlicher Steuereinnahmen. Ernst & Young hat in den Jahren 2012 und 2013 in 59 Ländern bei 2719 Unternehmen eine Erhebung zum Thema Korruption durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass die klassischen Vertragsmanipulationen zwischen den Ländern je nach Deliktart sehr unterschiedlich variieren. So wird das Vor- und Rückdatieren von Verträgen weltweit sehr ähnlich gehandhabt; rund 20 % der Unternehmen geben derartige Verfehlungen an. Das Fordern karitativer Spenden zur Erleichterung von Vertragsabschlüssen ist in Schwellenländern weitverbreitet ebenso wie die Zahlung von Schmiergeld als Extremvariante. Die Abb. 10.10 gibt die Dichte der Betrugsfälle in einzelnen Ländern wieder. In wenigen ergänzenden, noch nicht genannten Fällen kann Korruption positiv wirken – beispielsweise in autoritären oder totalitären Systemen, wenn bestechliche Polizisten politisch Verfolgte schonen oder außer Landes flüchten lassen. Zudem kann Korruption – ähnlich wie rent-seeking – Systeme nachhaltig verändern, was aktuell in
Abb. 10.10 Betrugsfälle in Unternehmen, 2012 bis 2013. (Quelle: eigene Darstellung aus Die Welt (2014a) und Ernst & Young – Farben nach Ländergruppen)
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der Volksrepublik China zu beobachten ist, weshalb die Politik des Staatspräsidenten Xi Jinping als logische und systemstabilisierende Politik gesehen werden muss: systemische Unzulänglichkeiten treten zutage, die nicht allein fehlenden Märkten zugerechnet werden können, wie gerade südliche Demokratien Europas oder Amerikas zeigen, womit das gesamte System unter Reformdruck gerät. Schließlich dürfen die Schattenseiten der institutionalisierten Korruptionsbekämpfung nicht unterschlagen werden. Wie Stefan Kühl (2017) im Transparenzparadox schreibt, verlieren Organisationen nach erfolgreicher Skandalbekämpfung oft ihre Schlagkraft infolge flexibilitätseinschränkender Governanceregeln und einer personellen Erneuerung, die der Regelorientierung des Handelns Priorität einräumt. Unternehmen werden zwar nach außen transparenter, das Wissen über Regelverstöße wird aber nun in internen Zirkeln bewertet, was einer neuen Korruption – nicht mehr zum Vorteil des Unternehmens, sondern sehr zur persönlichen Bereicherung – Vorschub gibt.
10.3.7 Klimamanipulationen und Wetterkriege Die für manche Länder nachteiligen Veränderungen des Weltklimas könnten es nahelegen, durch Manipulationen des Wettergeschehens wirtschaftliche Vorteile umzuverteilen, im schlimmsten Fall dadurch einen Wirtschaftskrieg zu entfachen. Wird beispielsweise die Nordmeerpassage möglich, entwerten sich Wirtschaftsrouten und Passagen, die bisher nachhaltig profitierten, beispielsweise der Suez- oder der Panamakanal, aber auch die Straße von Malakka. Klassisch ist dafür das Impfen von Wolken mit Silberjodid, was diese an geeigneter Stelle abregnen lässt. Damit kann man eine Ernte gleichermaßen retten und vernichten oder einen militärischen Vormarsch verzögern. Langfristig werden wirksame globale Manipulationen interessant, die die Temperaturen senken können, beispielsweise durch Sonnensegel, das Impfen der oberen Atmosphärenschichten mit Schwefelpartikeln oder den Eintrag von Eisen in die Weltmeere, um die Speicherfähigkeit an Kohlendioxid zu erhöhen. Das erzeugt eine Umverteilung von globalen Risiken, damit neue Rivalitäten und (wirtschafts-) kriegerische Gefahren.
10.4 Das Rechtssystem als indirekt wirksame staatliche Waffe Eine Rechtsordnung ist meist ein träges institutionelles Arrangement, und das zu Recht, soll sie doch den Bürgern eines Staats einen verlässlichen Handlungsrahmen geben. Dies gilt besonders in Demokratien, in denen die Verlässlichkeit des Rechtssystems und der Rechtsanwendung einen außergewöhnlich hohen Stellenwert einnimmt, weil nur so die Bürger und Unternehmen langfristige Planungssicherheit erhalten. Diese Verlässlichkeit kann daher am einfachsten dort genutzt und überfallartig gebrochen werden, wo es die eigenen Bürger nicht betrifft bzw. erst mit extremer
10.4 Das Rechtssystem als indirekt wirksame staatliche Waffe
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erzögerung zum Tragen kommt, nämlich in den Außenbeziehungen. Ein solcher holdV up, wie er spieltheoretisch genannt wird, ist zwar meist nur einmal erfolgreich, weil danach alle von Unzuverlässigkeit oder Grenzüberschreitung ausgehen müssen, kann aber in einem kurzfristig denkenden politischen System angesagt und vielleicht auch sinnvoll sein. So besitzt das Rechtsgut, das den Zugriff des Staats auf Kleinsparervermögen ausschließt, einen hohen Wert. Der Bruch dieses Guts im Zusammenhang mit der Zypernkrise hat die Kassen der Staaten und Institutionen wie Europäische Union oder Internationaler Währungsfonds, die Hilfsgelder bereitstellten, geschont, aber sein Preis ist hoch: Spargelder gelten nun als nicht mehr sicher. Staatlich organisiertes illegitimes bzw. sogar illegales Handeln als Mittel des Wirtschaftskriegs steht im Zentrum der Nutzung des Rechtssystems. Gute Governance steht damit im Zentrum der Vermeidung von Wirtschaftskriegen – und der Weg dorthin läuft über das Denken in ordnungsökonomischen Bezügen, was von Ingo Pies (2009) als Ordonomik eingeführt worden ist.
10.4.1 Nutzung der Rechtsordnung im Wirtschaftskrieg Die Rechtsordnung umfasst neben der grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Verfassung eines Staats auch die Beziehungen zum Ausland. Aus der Sicht von Konkurrenz und Wirtschaftskrieg besitzt dabei der Ordnungsrahmen eine zentrale Bedeutung, weil die Effizienz im Systemwettbewerb ursächlich für Wohlstand und Wohlfahrt ist, die wiederum in der Qualität der Allokation von Produktionsfaktoren und Gütern sowie des staatlichen Handelns begründet liegt. Insbesondere zählen hierzu Handelsabkommen oder anderweitige internationale Übereinkünfte, über die bereit an vielen Stellen berichtet wurde. Eine wichtige Bedeutung kommt der Freiheit des Kapitalverkehrs und Investitionsschutzabkommen zu – und damit den entsprechenden Gerichtsbarkeiten. Hier bahnen sich seit dem Jahr 2018 erhebliche Konflikte des Westens mit China an, weil dem Land vorgeworfen wird, den Marktzugang abzuschotten und seine eigenen Staatsunternehmen oft indirekt zu bevorzugen. Ähnliches kennt aber auch der Westen, der aus vorgeblichen Sicherheitsgründen chinesische Unternehmen, vor allem solche aus dem Telekommunikationsbereich, auszusperren versucht, beispielsweise das Unternehmen Huawei als Netzwerkausrüster. Dies wird im zwölften Kapitel aufgegriffen. Typische Elemente sind das Völkerrecht, das Zivilrecht, einschließlich der Schiedsgerichtsverfahren, und das Kartellrecht. Zunehmende Bedeutung erhält das Antikorruptionsrecht. Diese werden anschließend betrachtet. Anderen Rechtsbereichen wie dem Währungs- oder dem Steuerrecht sind eigene Unterabschnitte gewidmet. Interessant im Kontext der anfangs betrachteten Ukraine-Krim-Krise ist die Reinterpretation der rechtlichen Bedingungen eines Zugangs zum Asowschen Meer, nachdem beide Seiten des Zugangs an der Meerenge von Kertsch nunmehr in russischer Hand sind, die nun von Russland als nationaler Schifffahrtsweg angesehen wird. Dadurch gelingt es zunehmend, die ukrainischen Häfen von Mariupol und Berdjansk
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a uszutrocknen mit Folgen für das gesamte Hinterland, das bereits über die Intervention im Donbass-Gebiet bedroht ist. Folgte im Sinne der hybriden Kriegsführung der Wirtschaftskonflikt anfangs dem Militär, so dreht sich dies jetzt. Die wirtschaftliche Vernichtung ist prioritär, das Militär sichert ab. Bei Schiedsgerichtsverfahren liegen die institutionellen Zuständigkeiten meist fest. So wird im Nachlauf der Krimkrise seit dem Jahr 2018 am Haager Gerichtshof (Permanent Court of Arbitration) verhandelt, ob Russland wegen Enteignungen entschädigungspflichtig ist – und Russland bestreitet die Zuständigkeit des Gerichts, dessen Entstehung pikanterweise auf Zar Nikolaus II. (1868–1918) zurückgeht (Hassel 2018). Bei sonstigen Verfahren ist es möglich, die Klage an einem für die eigenen Ziele optimalen Standort zu erheben. Derartiges forum shopping (Veltins 2015) greift beispielsweise bei Patentstreitigkeiten um sich. In Kartellverfahren wird neben dem Unternehmenssitz oder dem wettbewerbsrechtlich zuständigen Gericht auch der deliktische Gerichtsstand, also der Ort des schädigenden Ereignisses bemüht. Schließlich kann auch die beklagte Partei einen für sie günstigen Gerichtsort, meist an einem dritten Standort, wählen und mit einer Gegenklage reagieren, um die Rechtmäßigkeit der Klage zu hinterfragen. Derartige anti-suit injunctions wirken dann als Verzögerung. Als Torpedoklagen bezeichnet man dabei Verfahren vor unzuständigen Gerichten in Ländern mit langer Verfahrensdauer. Dabei wird der Zahlungsanspruch eines Unternehmens torpediert. Vor dem Einreichen der Klage durch die anspruchsberechtigte Partei wird Gegenklage erhoben, mit dem Ziel, eine zeitliche Blockadewirkung zu entfalten. Reicht nun die Anspruchsseite ihre Klage ein, so wird diese ausgesetzt bis die Erstklage entschieden ist. Das Kartellrecht, welches das Entstehen wirtschaftlich übermächtiger und damit auch systemischer Unternehmen verhindern soll, wird geschwächt, wenn bestimmte Sektoren, beispielsweise die Finanzindustrie, ausgespart werden (Stichwort: overbanking), was das freiheitliche politische System unter Druck setzt (Blum 2012). Ein scheinbarer Bruch der Rechtsordnung liegt auch dort vor, wo der Staat Wirtschaftsstrafverfahren durch Vergleiche beendet, was ebenfalls bei Verfahren im Finanzsektor, insbesondere auch bei Vergehen gegen die Governance, fast die Regel ist. Dieses Institut der Prozesseinstellung ist zwar weltweit üblich und durch das Strafrecht bzw. die entsprechenden Verfahrensrechte abgesichert, damit wird allerdings die Sachverhaltsaufklärung, an der die Öffentlichkeit interessiert ist, wie im Falle der Finanzkrise, wo der Bürger mit seinem Geld haftet, unmöglich. Auch die verspätete Kartellgesetzgebung bzw. Kartellanwendung gegenüber digitalen Sündern ermöglicht Machtballungen und begünstigt wirtschaftskriegerisches Verhalten, was später erneut aufgegriffen wird. Offene Märkte, auch für Unternehmensübernahmen, sind ein hohes Gut, müssen aber symmetrisch ausgestaltet werden. Gerade in den USA und China gibt es wichtige Vorbehaltsklauseln, um langfristig gefährliche Abhängigkeiten ebenso wie das Absaugen von Technologien zu vermeiden; Deutschland kannte das bis zum Jahr 2016 nicht, beginnt aber zunehmend, seine Kultur offener Übernahmemärkte angesichts der Unmöglichkeit der eigenen Unternehmen, in China vollumfängliche Käufe zu tätigen, zu hinterfragen.
10.4 Das Rechtssystem als indirekt wirksame staatliche Waffe
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So können die Kosten der Rivalen auch durch eine geschickte Kartell- oder Steuerpolitik in die Höhe getrieben werden, wenn ein Land, wie beispielsweise die USA, eine extraterritoriale Auslegung seiner Gesetze durchsetzt. Die Steuerforderungen der Europäischen Union gegen die amerikanischen Internetgiganten für das Jahr 2016 in Milliardenhöhe – sie alle haben Steuerquoten in Europa im unteren Prozentbereich, oft sogar unter 1 % – wurden prompt auf diese Weise beantwortet; das Vorgehen der USA gegen die Autokonzerne Deutschlands kann angesichts der sonst geringen Strafen für die eigene Industrie als Retourkutsche angesehen werden. So verschonte man noch kurz vorher General Motors, das defekte Zündschlösser in seine Autos eingebaut hatte, die während der Fahrt blockierten und zu schweren Unfällen geführt haben. Über 100 Menschen sind dabei zu Tode gekommen, eigentlich sollte eine Schadenssumme in Milliardenhöhe eingetrieben werden, von der aber Abstand genommen wurde. Die Vergleichszahlung belief sich auf rund 900 Mio. US$. Dieses extraterritoriale Handeln findet auch in anderen Bereichen statt: Wie Stefan Buchen und Rainer Hermann (2016) in Die Falle schnappt zu berichten, wurde ein Finanzfachmann, zuständig für Exporte in den Iran, von den USA der Terrorfinanzierung beschuldigt, obwohl solche Geschäfte in Deutschland legal sind. Der Beschuldigte steht auf einer Schwarzen Liste, die Vorwürfe sind geheim, sodass sie nicht rechtlich geprüft werden können, Kreditkarten wurden gesperrt, in den USA droht ihm ein Verfahren, weshalb er nicht nur dort nicht mehr einreisen kann, sondern auch in die Länder, mit denen die USA ein Auslieferungsabkommen haben. Auch die Commerzbank musste einen ihrer Mitarbeiter wegen seiner Kontakte zum Iran auf Druck der amerikanischen Bankenaufsicht entlassen. Die Klage auf Wiedereinstellung war zwar erfolgreich, aber zwecklos, weil offensichtlich amerikanisches Bankenrecht deutsches Arbeitsrecht bricht (Buchen und Wieduwilt 2017).
10.4.2 Die Währungsordnung „Die Militärpolitik wird zur Fortsetzung der Geldpolitik mit anderen Mitteln“, so lautet die provokante These von Pippa Malmgren in ihrem Buch Signals: The Breakdown of the Social Contract and the Rise of Geopolitics (2015), in dem sie auf die stabilitätsbedrohenden Folgen der westlichen Geldpolitik hinweist und postuliert, dass die Zeit der Friedensdividende vorbei sei. Damit rückt sie die Folgen der Geldpolitik und auch der Währungskriege ins Zentrum des Interesses. Denn tatsächlich dienten die Ziele der Zentralbank und die damit verbundenen Instrumente zuerst der Währungsstabilität und nachrangig der Unterstützung nationaler Wirtschaftsinteressen. Dafür waren sie meist mit einem hohen Grad an Autonomie ausgestattet. Diese beruht auf einer Reihe von Eigenschaften (Hasse 1989): Zunächst ist die funktionale Unabhängigkeit zu nennen, also ihre Fähigkeit, eigenverantwortlich und ohne Außeneinwirkung wirtschafts- und währungspolitische Prioritäten im Rahmen des Zentralbankgesetzes festlegen zu können und dabei auch über wirksame Instrumente zu
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verfügen, die zugehörigen Entscheidungen selbst oder in Zusammenarbeit mit anderen festzulegen und zu implementieren. Daran schließt sich die personelle Unabhängigkeit an. Hier sind die Modalitäten von Be- und Abberufungen der Zentralbankmitglieder und die Rolle staatlicher Vertreter in den Aufsichtsgremien interessant. Schließlich spielt die finanzielle Unabhängigkeit eine bedeutende Rolle. Sie betrifft die Rechtsform, die Festlegung der Gewinnverwendung und die Frage, ob sich der Staat bei der Notenbank verschulden darf, im einfachsten Fall durch Kassenkredite, im schweren Fall über den direkten Kauf von Staatsanleihen. Im internationalen Raum dominieren die USA die internationalen Transaktionen. Ein erheblicher Teil der amerikanischen Geldmenge liegt daher auch nicht in den USA, sondern beispielsweise als Devisenreserven von Zentralbanken im Ausland. Das gibt den USA die Macht, über den Ausschluss von Drittländern von den Finanz- und Geldmärkten massiven Druck aufzubauen, wie dies im Falle Russlands im Nachgang der Krimkrise ab dem Jahr 2014 und im erneuten Iranboykott nach dem einseitigen Aufkündigen des Nuklearabkommens durch die USA ab dem Jahr 2018 sichtbar wurde. Dazu setzen die USA auch Organisationen unter Druck, an denen sie nur beteiligt sind, beispielsweise SWIFT, worüber bereits berichtet wurde. Allerdings sinkt der Anteil des US-Dollar an den globalen Transaktionen und damit auch die entsprechenden Devisenreserven, und eine Ursache hierfür ist sicher das Nutzen des US-Dollar als Waffe, dem sich nicht nur China, sondern auch die EU massiv entgegenstellen. Während die Deutsche Bundesbank weitgehend unangefochten ihre währungspolitische Autonomie bewahrte, auch weil sie durch die Bedeutung der Institution und die Würde der Ämter, gerade der des Präsidenten, immer in der Lage war, scheinbar parteiische Berufungen in ihre Führungsphilosophie zu integrieren und politische Beeinflussung abzuwehren, scheint dies der Europäischen Zentralbank heute weniger zu gelingen.12 Insbesondere sind im Maastricht-Vertrag vom 01.02.1992 (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, kurz EG-Vertrag, EGV 1995), der am 01.11.1993 in Kraft trat und die Römischen Verträge ergänzt, die Kriterien, die für die Teilnahme an der Währungsunion im Vorjahr der Einführung erfüllt sein müssen, festgelegt, nämlich das • Inflationskriterium: nicht mehr als 1,5 % über dem Niveau der drei besten Mitgliedstaaten; • Zinskriterium: nicht mehr als 2 % über dem Niveau der drei besten Mitgliedstaaten;
12Zu
erwähnen ist hier der Rücktritt des Bundesbankpräsidenten Otto Pöhl im Jahr 1991, vorgeblich aus persönlichen Gründen, tatsächlich wohl wegen seiner Opposition zu den Modalitäten der Festlegung des Währungskurses mit der DDR bei der Wiedervereinigung. Bundesbankpräsident Prof. Dr. Axel Weber trat im Jahr 2011 zurück, weil er sich nicht für ein politisches Pokerspiel bei der Findung eines Nachfolgers für den EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet durch Bundeskanzlerin Angela Merkel missbrauchen lassen wollte.
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• Wechselkurskriterium: Einhaltung der Bandbreiten ohne Spannung im Europäischen Währungssystem; • Finanzpolitisches Kriterium: Nicht mehr als 3 % öffentliches Defizit bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen und kein (kumulierter) Schuldenstand höher als 60 % des Bruttoinlandsprodukts zu Markpreisen. Diese Kriterien kodifizieren das, was in der Theorie der optimalen Währungsräume von Robert Mundell (1963) ausgeführt wird: Diese sollten auf Schocks symmetrisch reagieren – und die obigen Kriterien sollten die einzelnen Länder dazu erziehen. Allerdings wurden diese im Falle Griechenlands im Jahr 2001 durch Goldman Sachs mittels Derivaten manipuliert: Seine ehemaligen Mitarbeiter sind heute personell bis an der Spitze der EZB vertreten, auch Mario Draghi arbeitete dort, was die Problematik der personellen Unabhängigkeit und Integrität verdeutlicht. Nach Einführung des Euro wurden die Kriterien mehrfach verletzt, schon sehr früh durch Deutschland im Jahr 2005, seit der Finanzkrise von einer hohen Zahl der Teilnehmerländer. Das findet in den Defizitverfahren seinen Niederschlag. Pikant im Falle Griechenlands ist allerdings, dass dessen spezielle Notlage im März 2015 auf die Fälligkeit dieser manipulativen Derivative zurückzuführen ist, die die Griechische Nationalbank hält, der die EZB wiederum weitere Hilfen außerhalb der Liquiditätsassistenz verweigert (China Daily 2015). Der Maastricht-Vertrag enthält schließlich in Artikel 103 die sogenannte no-bail-out-Klausel,13 der zufolge kein Land einem anderen zum fiskalischen Beistand verpflichtet ist, weil der Euro nicht als Haftungs-, sondern als Stabilitätsgemeinschaft konzipiert wurde. Aufgrund von Klagen gegen den Beitritt wurde vom Bundesverfassungsgericht diese Nichtbeistandsklausel im Jahr 1993 im sogenannten „Maastricht-Urteil“ zur Beitragsbedingung gemacht, und es schrieb: „Diese Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes. Sollte die Währungsunion die bei Eintritt in die dritte Stufe vorhandene Stabilität nicht kontinuierlich im Sinne des vereinbarten Stabilisierungsauftrags fortentwickeln können, so würde sie die vertragliche Konzeption verlassen.“ (BVerfG, 1993, Ziffer 148). In der komplexen Welt einer Währungsunion, die extrem unterschiedliche Volkswirtschaften, wirtschaftspolitische Traditionen und politische Governancestrukturen überwölbt, befindet sich Geldpolitik im Teufelskreis, wie Markus Brunnermeier und Gerald Braunberger (2013) schreiben. Denn die drei Ziele, nämlich Finanzstabilität, Geldwertstabilität und Schuldentragfähigkeit, sind durch das teilweise unabgestimmte Handeln der Akteure, nämlich der Finanzmarktaufsicht, der Zentralbank und der Fiskalpolitik der Regierungen, kaum konsistent zu verwirklichen. Stabilitätsorientierte Maßnahmen
13Im Jahr 2009 umformuliert zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 125.
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bergen Deflationsgefahren führen zu finanzieller Repression, damit Nachfrageausfällen und neuen Deflationsimpulsen bis hin zu Bankzusammenbrüchen und Staatsinsolvenzen. Unterlässt die Geldpolitik ihre Stabilisierungsfunktion, verbessert dies zwar die Schuldentragfähigkeit, aber mit der Gefahr der Blasenbildung und unproduktiver Investitionen, womit sich Gefahren in der Realwirtschaft aufbauen, die auf die Finanzwirtschaft schnell durchschlagen können, wie der Verlauf der Weltfinanzkrise zeigte. Die Geschichte zeigt, dass vor allem Zentralbanken durch Währungskriege beschädigt werden, weil sie in demokratisch verfassten Ländern als Stabilitätsfaktor eine Ankerposition besitzen. Gerade Währungskriege sind vor allem Zentralbankkriege. Dabei spielen, wie Werner Plumpe (2017c) in Krieg und Krise zeigt, die Rahmenbedingungen als Auslöser und Verstärker eine bedeutende Rolle – hier die amerikanische Hochzollpolitik in der Zwischenkriegszeit, die es nicht ermöglichte, an die USA Güter zu liefern, um Schulden zu bezahlen und damit Devisen und Geldumlauf aufblähte. Ähnliches galt lange Zeit für China; inzwischen aber steigt die Absorptionskapazität der Wirtschaft und die Überschüsse nehmen stark ab, was die USA, welche auf billige Kredite durch die doppelten Defizite – des Gesamtstaats und der Haushalte – angewiesen sind, unter Druck setzen könnte. Turbulenzen gab es auch im Nachgang des Siegs Deutschlands über Frankreich 1871. Johannes Wiegand (2019) wirft dem deutschen Reich vor, durch die Einführung des Goldstandards im Jahr 1873 im Nachlauf der Einigung eine destabilisierende Rolle vor allem zulasten von Frankreich vor. Denn damit endete der Gold-SilberBimetallismus, Gold gewann, Silber verlor an Wert und stürzte die entsprechend ausgestatteten Länder wie Frankreich in die Krise. Tatsächlich bedeutet dies seitens des Deutschen Reichs einen Anschluss an die englische Währungsordnung, damit das Erzeugen der Weltmarktfähigkeit und eine Stabilisierung der Reichsmark. Allerdings führte es vor allem silberfinanzierte Währungen in eine wirtschaftliche Depression. Fehlende Koordination war im Effekt gleichbedeutend mit einer wirtschaftskriegerischen Aktivität. Zur Erleichterung der Krisenlasten infolge der großen Weltwirtschaftskrise ab dem Jahr 1929 trieb der Gouverneur der Bank von England, Montagu Norman (1871– 1950), der gerade erst 1925 in England den Goldstandard eingeführt und damit eine Anpassungskrise ausgelöst hatte, ab dem Jahr 1931 den Kurs des britischen Pfund nach unten, indem er die Golddeckung aufhob und die Märkte mit Liquidität flutete. Dies entfachte einen Abwertungswettlauf, der in Abb. 10.11 dargestellt ist und im Falle Frankreichs bis 1939 anhielt. Tatsächlich verbessern derartige Abwertungswettläufe die Wettbewerbsfähigkeit allenfalls kurzfristig; langfristig wird die Wettbewerbsbasis erodieren, weil die inländischen Unternehmen nicht hinreichend dem internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind. In seinem Beitrag Die totale Erinnerung verweist Daniel Eckert (2017) auf die Parallelen der Attacken Donald Trumps gegen den Euro zu der damaligen Lage; sie mündete in einen Währungskrieg, „in dem es keine Gewinner gab“ und in eine Eskalation von Schutzzöllen und sonstigen Handelsbarrieren, die den Welthandel um zwei Drittel einbrechen ließen. Derartige Abwertungswettläufe gehen gelegentlich auch mit Stagflationsphasen einher, also der unüblichen Situation von gleichzeitiger Inflation und Stagnation der
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Abb. 10.11 Währungskrieg, 1931 bis 1939. (Quelle: eigene Darstellung und Recherchen, Bohlin 2010)
irtschaft. Hintergrund sind die infolge der Abwertung stetig steigenden Importpreise. W Versucht die Zentralbank, die damit verbundenen Inflationserwartungen zu brechen und erhöht die Zinsen, dann riskiert sie ein Abwürgen der Wachstumsimpulse, die sie eigentlich durch den Abwertungswettlauf auf Basis niedriger Zinsen stimulieren wollte.
10.4.3 Steuerpolitik und Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schwarzgeld Steuerpolitik und Steuerhinterziehung sowie Geldwäsche und Schwarzgeld sind Teile einer häufig von den Staaten durch schlechte Institutionen erzeugten, oft auch tolerierten, Wirtschaftskriminalität, die gelegentlich einen Wirtschaftskrieg auslösen. Dabei spielen nicht nur schwache Verfassungsorgane, deren Durchgriff nicht glaubhaft ist, eine Rolle. Steve Forbes und Elizabeth Ames (2014) verweisen auf die öffentliche und private Moral zerstörenden Folgen eines Staatsgeldsozialismus, in welchem eine Bürokratenkaste die freien Marktkräfte ablöst und den Geldwert nach politischem Belieben manipuliert.14 Oft werden Steuern – besonders von den Leistungsfähigen – als Zumutung angesehenen, Hinterziehungen als Kavaliersdelikt abgetan, ganz analog zur Schwarzarbeit und zur
14Der
amerikanische Titel lautet Money: How the Destruction of the Dollar Threatens the Global Economy – and What We Can Do About It und wurde in Anlehnung an den Titel des Buchs von Graeber (2011) in Deutschland unter dem Namen Geld, die nächsten 5000 Jahre in den Handel gebracht.
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sogenannten Nachbarschaftshilfe; allerdings gibt es keine Gleichheit im Unrecht. Sicher sollte der Staat mit dem Geld seiner Bürger sorgfältiger umgehen, denn er tut es nicht, was die Schwarzbücher regelmäßig bezeugen. Steuerwettbewerb zählt zu einer von vielen abgelehnten Formen der Rivalität, droht doch vorgeblich durch das Senken der Unternehmenssteuern – denn Kapital ist scheu wie ein Reh, und dies zeigt sich deutlich in der Steuerkonkurrenz – ein Austrocknen der Steuerbasis und damit der Ansprüche des Staats, um seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen. Tatsächlich zeigt aber eine Vielzahl von Untersuchungen, dass die Inzidenz dieser Steuern beim Arbeitnehmer liegt, und erhöhte Unternehmenssteuerlasten verteilungsregressiv wirken, also weniger einkommensstarke Arbeitnehmer verstärkt belasten (Fuest, Hugger, Wildgruber 2018), und schließlich auch Investitionen belasten (Bond und Xing 2015). Das Steuersystem kann ohne juristisch zweifelhafte Manipulation zu einer Waffe werden, wenn man damit Standortpräferenzen verändern will. Es geht nicht nur um Steueroasen, sondern auch um das Schaffen inkompatibler Steuersysteme. So erschien der ursprüngliche Versuch der amerikanischen Regierung unter Donald Trump, eine reine Cashflow-Besteuerung aufzubauen, also nur das den Unternehmen entnommene Geld zu besteuern, durchaus fortschrittlich. In Bezug auf die global dominanten Steuersysteme wäre das aber einer Kriegserklärung gleichgekommen. Der Versuch, Internetunternehmen zu besteuern, wird zunehmend kritisch gesehen, weil es eine Verlagerung der Besteuerungsrechte vom Hersteller- und Sitzland in das Endverbrauchsland vorsieht. Bei klassischen Exportländern wie Deutschland würde die Übertragung dieses Modells auf den Warenhandel massive Steuerausfälle erzeugen. Es ist ein Hase-und-Igel-Spiel zwischen der Finanzverwaltung und einer unheiligen Koalition aus Bürgern und Bankern. So zeigt sich, dass der Versuch, Schwarzgeldkonten in Europa und Nordamerika auszutrocknen, nur dazu geführt hat, dass die Einlagen in sogenannten Steuerparadiesen sprunghaft steigen (Jost, Kunz, Seibel 2015). Allerdings besteht für sie, wie das Beispiel San Marino zeigt, ein erhebliches Risiko. Das Austrocknen dieser Steueroase durch Italien ab 2005 hat dort beinahe zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft geführt, weil kein alternatives Geschäftsmodell existierte. Die frühere Fähigkeit des Staats, seinen Bürgern ein angenehmes Leben ohne Leistungsanforderungen zu bieten, vernichtete weitgehend alle unternehmerischen Antriebe; hier liegt eine glaubhafte Drohung für die Zukunft von Steuerparadiesen vor. Die u. a. durch die Süddeutsche Zeitung (2016a) im Frühsommer 2016 und im Herbst 2017 veröffentlichten Panama-Papiere zeigen, in welchem Ausmaß ein einzelnes Steuerparadies die ökonomische Schattenwelt bedient, von der aber keiner genau weiß, welche Folgen damit verbunden sind, zumal die Aufarbeitung bisher eher eine politische als eine rechtliche ist; eine Fortsetzung findet im Herbst 2016 in den Bahama-Leaks (Süddeutsche Zeitung 2016b) statt. Weitere Enthüllungen sind mit dem Stichwort Paradise-Papers (Süddeutsche Zeitung 2017b) verbunden. In alle sind hohe Politiker verstrickt, was der Akzeptanz der liberalen Demokratie erheblich schadet. Denn die Legalität des Handelns war meist weniger zu bestreiten als die Legitimität, vor allem
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dann, wenn politische Amtsträger aus unerklärbaren Gründen Briefkastenfirmen unterhielten und damit zum Rücktritt gezwungen wurden. Die juristische Aufklärung brachte zwischen 2016 und 2019 den Finanzbehörden der betroffenen Nationalstaaten knapp eine Milliarde US-Dollar zurück; der deutsche Fiskus vereinnahmte davon bisher rund 150 Mio. €, allerdings über die Bundesländer extrem unterschiedlich verteilt (Obermaier und Obermayer 2019) – in Hessen nur 175.000 €, weit weniger als die Beschaffungsund Bearbeitungskosten – weshalb gerade in der Finanzmetropole der Skandal zum Skandälchen schrumpft (Börsen-Zeitung 2019b, d). Auf dem Feld der Steuerhinterziehung ist oft die Interessenslage nicht klar, das sogenannte Ross-und-Reiter-Problem scheint völlig offen, weil die Frage, wer von den Parteien einen Vorteil daraus zieht, sehr häufig im Dunkeln bleibt.15 Im Graubereich liegt die kreative Steuergestaltung der Unternehmen, die es ermöglicht, mittels geschickter Konstruktionen die Steuerlast zu vermindern. Erfolgreich beim Verschieben von Ertragssteuern sind insbesondere international tätige Konzerne. Die Komplexität des Steuersystems ermöglicht es nämlich immer wieder, neue Finten zu finden, das System auszutricksen – eine Folge des übermäßigen Besteuerungsdrangs des Staats als Leviathan und von Gerechtigkeitsvorstellungen, die das System schnell undurchschaubar machen.16 Im Graubereich liegen aber auch die Absichten des Staats, sich gegebenenfalls auf Kosten anderer Staaten zu bereichern – oft auch deshalb, weil nicht klar ist, ob man Standortwettbewerb, also auch Steuerwettbewerb, will oder eine Harmonisierung bevorzugt. Letzteres ist der Ansatz der Europäischen Union, allerdings mit vielen anschließend zu betrachtenden Schlupflöchern. Allerdings ist mit der Amtsübernahme von Donald Trump 2017 der globale Standort- und Steuerwettbewerb kräftig angeheizt worden, weil die USA – bisher Spitzenreiter bei Unternehmenssteuern unter den großen Industrieländern – diese massiv senken wollen und US-Firmen dabei Gelegenheit geben wollen, ihr im Ausland gebunkertes Vermögen in die USA zurückzuholen. Auch die Regierung des Vereinigten Königreichs kündigte an, sich nach vollzogenem BREXIT im Jahr 2019 zu einer Steueroase zu entwickeln. Oft schafft der Staat die Einfallstore, über die er nachher Klage führt, beispielsweise die sogenannten cum-ex-Geschäfte von Finanzinstituten, bei denen Aktien im zeitlichen Umfeld des Dividendentermins zwischen dem früheren Inhaber, einem Leerverkäufer
15Wie
schwer es fällt, klare Interessenslagen zu identifizieren, sieht man an einem ganz einfachen Beispiel aus einem anderen Gebiet – nämlich am horizontalen Finanzausgleich in Deutschland: Versucht ein Geberland, seine Steuern nachdrücklicher einzutreiben, so verringert das die Kaufkraft vor Ort, und das zusätzlich eingenommene Geld wird weitgehend im Rahmen des Ausgleichs auf die ärmeren Länder verteilt. Wenn nun ein Nehmerland seine Steuereinnahmen verstärkt, so gilt Gleiches, weil ihm diese zusätzliche Summe dann im Rahmen des Finanzausgleichs abgezogen wird. Insofern besteht unter den Bedingungen eines Finanzausgleichs überhaupt kein Interesse, eine Steuergerechtigkeit nachdrücklich durchzusetzen. 16Vgl. hierzu die Versuche von Porsche, sein Vermögen steuerfrei ins Ausland zu verlagern; Frankfurter Allgemeine Zeitung (2014c).
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und einem Erwerber verschoben wurden, um durch dieses Karussellgeschäft einen mehrfachen Rückerstattungsanspruch für Kapitalertragssteuern bei den zuständigen Finanzämtern zu stellen, obwohl das Unternehmen nur einmal gezahlt hatte. Dieses Dividendenstripping hat dem Fiskus einen Schaden im zweistelligen Milliardenbereich beschert. Mit Recht kann man der Politik vorwerfen, sich zumindest zum Komplizen der Steuerverkürzung und -gestaltung zu machen, wenn nicht sogar Teil des Steuerbetrugs geworden zu sein, denn das Problem war seit 2002 bekannt. Es bleibt die Frage offen, weshalb Mittel, die bei missbräuchlicher Steuergestaltung durch Privatpersonen gerne seitens der Steuerbehörden zur Anwendung kommen, hier nicht genutzt werden. Zudem ist bei der Auslegung eines Gesetzes – also auch eines Steuergesetzes – dessen Sinn und Zweck zu beachten. Und hier kann das Ergebnis nur lauten, dass eine einmal abgeführte Steuer höchstens einmal vergütet werden kann. Mit der Maple-Bank in Frankfurt ging 2016 nach einem von der BaFin ausgesprochenen Moratorium ein Finanzinstitut in Insolvenz, weil cum-ex toxisch wirkte und die Rückzahlungsforderung der Finanzbehörden nicht zu begleichen waren; der Einlagenfonds wird mit rund 2,6 Mrd. € belastet. Grundsätzlich gilt für diesen Krieg gegen den Steuerzahler, dass die Banken in Haftung treten. Es handelt sich um ein Kollektivversagen von Regulierten und Regulierern, eine sogenannte regulatory capture, bei der insbesondere Fachleute Insiderwissen aus dem Finanzministerium Anlageberatern vermittelten. Dadurch wurde einer der größten Steuerraubzüge der Geschichte möglich. Der Schaden wurde im Jahr 2016 auf rund 12 Mrd. € (Börsen-Zeitung 2016d) beziffert und stieg bis zum Jahr 2018 auf 55 Mrd. € (Die Zeit 2017), weil zunehmend die internationale Dimension des Betrugs offenbar wird. Spannend dabei ist, dass amerikanische Pensionsfonds, die noch zu Zeiten davon profitieren wollten, als das Modell bereits juristisch zweifelhaft war, Finanzbeamte persönlich bedroht haben (Ott 2017) und die Schweiz die deutschen Steuerbeamten, die an der Aufklärung beteiligt waren, im Jahr 2018 als Kriminelle verfolgen ließ (Rohrbeck, Salewski, Schröm 2018). Zeitgleich begannen die Steuerbehörden den Schaden, den ein ähnliches Modell auf Basis von amerikanischen Aktien, deren Dividendensteuern rückvergütet wurden, ohne dass sie der Empfänger jemals besessen hat, zu untersuchen. Hintergrund sind sogenannte ADR (American Depository Receipts). Durch diese Stellvertreter gelingt es, europäische Aktien in US-Dollar zu handeln. Die amerikanischen Banken müssten sie aber eigentlich besitzen – was nicht immer der Fall ist. Auf derartige Phantomaktien erfolgen dann Steuererstattungen der deutschen Finanzämter, ohne dass vorher Steuern auf Dividenden gezahlt wurden (Ott und Willmroth 2018). Auf europäischer Ebene wird unter dem Gesichtspunkt der illegalen Steuerverkürzung die Privilegierung von Apple und Starbucks verfolgt, da den nationalen Regierungen von Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Großbritannien und Belgien eine nicht genehmigte Beihilfe vorgeworfen wird, u. a. wegen sogenannter Patentboxen, die intellektuelles Eigentum steuerlich begünstigen. Multinationale Konzerne sind in der Lage, problemlos ihre Steuer zu verkürzen, was einem Privatmann und einem mittelständischen Unternehmen kaum gelingt. Diese Praktiken sind von der EU inzwischen
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Petrobras (BRA) Mobile Telesystems (RUS) Siemens (DEU) Alstom (FRA) KBR (USA) Société Générale (FRA) Teva Pharmaceucal (ISR) Telia (SWE) Och-Ziff Capital (USA) BAE-Systems (GBR) 0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
1,2
Milliarden US$
Abb. 10.12 Steuerverkürzung von US-Unternehmen, 2012 bis 2013. (Quelle: eigene Darstellung aus WirtschaftsWoche (2016) – Farben nach Sektoren)
als illegal erklärt worden – ob das Folgen für Steuerrückerstattungen hat, wird die Zukunft zeigen – die Steuerforderung an Apple in Höhe von 13 Mrd. € vom Sommer 2016 gibt einen ersten Hinweis auf den Umfang der Wettbewerbsverzerrungen. Die Abb. 10.12 zeigt die Geldbeträge, die US-Unternehmen außerhalb Europas, beispielsweise in Irland, steuerfrei gebunkert haben – teilweise durch vertraglichen Verzicht der nationalen Finanzbehörden auf eine normale Besteuerung; es dominieren die digitale Wirtschaft und Biochemie/Chemie. Im Mai 2018 hat Apple seine Steuerschuld von 13 Mrd. € plus Zinsen in Irland schließlich beglichen. Eine Übersicht der WirtschaftsWoche (2015a) zeigt, dass von diesen Verzerrungen nahegelegene Steueroasen profitieren, allen voran die Schweiz gefolgt von den Kanalinseln (hauptsächlich westeuropäisches Geld), dann die Karibik (besonders Gelder aus Nordamerika) das Vereinigte Königreich (vor allem aus dem Mittleren Osten) und Singapur (vor allem Asien). Ob die Korruption durch Einschränkungen der Zahlungsmöglichkeiten mit Bargeld verringert werden kann, ist ein offener Disput, der immerhin zur Entscheidung der EZB geführt hat, die 500 €-Banknote einzuziehen – was wiederum bei vielen Bürgern die Angst, das Bargeld würde insgesamt abgeschafft und der Staat würde dann zum vollständigen Kontrolleur aller Transaktionen werden, genährt hat. Hinzu treten Überlegungen, bei Bargeldtransaktionen die Banknotennummern zu registrieren (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2019b). Denn Schwarzgeld ist eng an die Verfügbarkeit von Bargeld gebunden, weshalb bei seiner Berechnung auch eine Analyse erfolgt, welche Banknoten zur Versorgung der Wirtschaft notwendig sind, was anhand der durchgeführten Kaufakte erfasst wird, und welche Banknoten tatsächlich im Umlauf sind. So werden in der Euro-Zone die großen Scheine, insbesondere die 200- und 500€-Noten, fast nie im täglichen Geschäft verwendet – für solche Summen dominieren Kreditkarten bzw. Überweisungen – sie sind aber für die bekannten Koffergeschäfte
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ausgesprochen gut geeignet. Deshalb behaupten Kenner, Schwarzgeld könnte weitgehend eliminiert werden, wenn der bargeldlose Verkehr ausgebaut würde. Gegner dieser Auffassung hingegen argumentieren, durch seine Anonymität sei es Ausdruck von Liberalität und Souveränität. Allerdings führt dies, wie die Ausführungen zum Cyberkrieg zeigen, zu einer noch stärkeren Identifizierbarkeit des individuellen Handels, als sie bereits heute vorhanden ist. Die Summen, um die es geht, sind beträchtlich: In Deutschland sind es nach einer Erhebung der Universität Linz und von AT Kearny rund 53 Mrd. € im Produzierenden Gewerbe, 41 Mrd. € in der Bauwirtschaft und 26 Mrd. € in der Immobilienwirtschaft (Süddeutsche Zeitung 2013b). Der Verlust für gemessenen Wohlstand und Staat betrifft aber allein die erste Wirkungsrunde, insbesondere also Lohnzahlungen und Mehrwertsteuerabführung, weil in den weiteren Wirkungsrunden, beispielsweise bei der Erzeugung von Baustoffen, eine Schwarzproduktion sehr viel schwieriger ist. In Zukunft werden die Schwellenländer mit der Forderung auftreten, auch den ihnen zustehenden Teil am internationalen Steuerkuchen zu erhalten. Tatsächlich folgen die Wertschöpfungsanteile in globalen Lieferketten der Marktmacht, also den Elastizitäten – und hier spielen Technologie und Design eine zentrale Rolle, die reine Produktion kann meist leicht an verschiedene Auftragsfertiger ausgelagert werden. Nicht umsonst versucht deshalb China, genau das mit seiner Verknappungspolitik bei Seltenen Erden, für die es derzeit fast ein Monopol besitzt, zu ändern. Daher spielt die Fähigkeit der Schwellenländer, in der Designkompetenz und damit im Aufbau von Marken sowie in der Technologieführerschaft aufzuholen, eine wichtige Rolle für die zu erwartenden Kämpfe um Wertschöpfungsanteile im globalen Liefersystem. Die Bedeutung von Geldwäsche und Schwarzgeld war bereits weiter oben angeschnitten worden. Tatsächlich stellen beide nicht nur ein juristisches, sondern auch ein allokationstheoretisches Problem dar. In seiner Dunkelfeldstudie kommt Kai Bussmann (2015) zu wesentlich höheren Werten als Friedrich Schneider, der diese dann inhaltlich und methodisch in seinem Beitrag Der Umfang der Geldwäsche in Deutschland und weltweit (2016) analysiert und dabei insbesondere die Methoden der Extrapolation der gemessenen auf die über die vermuteten Dunkelziffern ausgewiesene Werte kritisiert. Dabei zeigt er auch, dass Geldwäsche kein Bargeldproblem ist, wie es die Protagonisten der Abschaffung des Bargelds – zumindest der großen Banknoten – darstellen, weil es wesentlich verdecktere Möglichkeiten der Täuschung und der Verschleierung gibt, vor allem auch „sicherere“. Eher erscheint das als Vorwand, um den Durchgriff der Zentralbank auf die Geldsteuerung unter den Bedingungen der Negativzinsen zu verbessern, weil beim Fehlen großer Noten das private Horten von Geld erschwert wird. Das Zurückführen von Schwarzgeld in den Wirtschaftskreislauf stellt ein ordnungsökonomisches Problem ersten Ranges dar, weil die Geldwäsche häufig massive Wettbewerbsverzerrungen in der Wirtschaft bewirkt. Eine klassische Methode ist der Weg über den Kunsthandel, weshalb mit einem zunehmend dichter werdenden internationalen Fahndungsraster immer mehr Kunstwerke, vor allem Gemälde, gekauft werden und in Tresoren verschwinden. Oft ist gar nicht klar, was zum Schwarzgeld zählt und was nicht,
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besonders dann nicht, wenn sogenannte Zebrakonten geöffnet werden, die legales und illegales Geld enthalten. So war es beispielsweise bei der Mafia in New York üblich, Schwarzgeld zu waschen und weiß, also legal, zu machen, indem es in Form von Krediten an kleine Läden und Gastwirtschaften vergeben wurde. Diese erhielten Vorzugszinsen und setzten damit gesunde Unternehmen unter Druck, sie erzeugten also eine Zombifizierung, die üblicherweise auf Fehlentscheidungen der Zentralbank zurückgeht. Inzwischen investiert die italienische Mafia zunehmend in regenerative Energien – mit ähnlichen Folgen (Bayer und Eder 2013). Die Berechnung der Schäden kann wieder über die Verflechtungsanalyse führen, weil mindestens drei Effekte auftreten: • Die oben bereits angesprochene Allokationsverzerrung, die davon abhängt, ab wann der Geldstrom bzw. der mit ihm verbundene Güterstrom wieder einer Normalität im Wirtschaftskreislauf entspricht, also der Sondereffekt des Geldwaschens in bestimmten Sektoren ausgelaufen ist; üblicherweise bedarf es hier mehrerer Wirkungsrunden. • Eine Verminderung der staatlichen Einnahmen, weil mindestens die erste Wirkungsrunde ausgeschaltet wird, in der Steuern verkürzt werden. Damit verliert die Volkswirtschaft staatliche Ausgabenwirkungen. • Dem entgegen treten erhöhte private (kriminelle) Anstoßwirkungen, weil die verkürzten Abgaben an den Staat nun in die entsprechenden „Waschverwendungen“ fließen. Um die Größenordnung des Problems am Beispiel der nationalen Verflechtungsstruktur für einen Anstoßeffekt von 1 € zu beleuchten:17 Bei den Staatsausgaben liegt der entsprechende Wertschöpfungseffekt bei rund 915 €, im Gastgewerbe bei rund 475 €. Der Verlust an nationaler Wertschöpfung für 1 € an Schwarzgeld beträgt unter diesen speziellen Annahmen rund 440 €. Zollfreilager sind beliebte Aufbewahrungsorte für Kunstschätze, die mittels Schwarzgelds erstanden worden sind und nun sicher verwahrt werden müssen – und praktisch eine Bank, umlaufende kriminelle oder wirtschaftskriegerische Aktivitäten unbeobachtet zu finanzieren. Üblicherweise erfolgen die Einzahlungen über Briefkastenfirmen in Steueroasen, um Mittel zum Ersteigern von Kunst an legalen Plätzen verfügbar zu haben – Kunst in Form von Objekten, die von Galleristen und Museen als künftig ertragreich angesehen werden. Die ersteigerten Objekte werden in Zollfreilägern deponiert, und da sie der Öffentlichkeit nicht verfügbar sind, blüht auch hier der Markt für Fälschungen. Auch das ist ein Grund, weshalb der Staat durch eine strafbefreiende Selbstanzeige Möglichkeiten anbietet, Steuerehrlichkeit herzustellen. Derartiges dunkles Kapital hat erhebliche Wirkungen für die Kursentwicklung der Devisen- und Aktienbörsen und verfälscht damit Knappheitsgrade. Aber auch das Vorgehen gegen Geldwäsche führt zu
17Die
Werte stammen aus der regionalisierten Input–Output-Matrix des Verfassers.
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Problemen: Da Banken durch die US-Justiz mit harschen Strafen bedroht werden, verringern sie vorsorglich die Beziehungen zu Partnerinstituten in weniger regulierten und kontrollierbaren Regionen, besonders in Entwicklungsländern, mit der Folge, dass diese vom internationalen Geldkreislauf abgeschnitten werden. Weit problematischer ist die großangelegte internationale Geldwäsche, die aus den Einnahmen aus Pornographie, Drogen, Cyberkriminalität und Waffenhandel entsteht und ebenfalls der Dynamik der weltweiten Arbeitsteilung unterliegt. Waren es früher Steueroasen, oft ehemalige Kolonien, so ermöglicht die internationale Vernetzung auch Ländern, die bisher nicht als Quellen für derartige Illegalität bekannt waren, hier mitzuspielen – das gilt insbesondere für synthetische Drogen und Pornographie. Mit den neuen Methoden, technische Systeme dreidimensional zu drucken, wird die Basis durch Plagiate, die bei Qualitätsteilen erhebliche Risiken bewirken können, breiter. Weil die Einnahmen gewaschen werden müssen, werden Drittländer mit einer laxen Bankenaufsicht wie beispielsweise Russland, Nigeria, Vietnam oder Malaysia zu bevorzugten Orten für den Transfer dieses Gelds, das dann in den Wirtschaftskreislauf zurückdrängt und in ganz analoger Form normalfinanzierte Unternehmen unter Druck setzt. Wie der im Sommer 2013 aufgeflogene Skandal der Internet-Bank Liberty Reserve zeigt, kann dieses Geschäftsmodell sehr schnell einen Umfang von Hunderten von Milliarden Euro erreichen. Einen nationalstaatlich besonderen Aspekt gewinnt Geldwäsche dort, wo es gelingt, Boykotte zu unterlaufen und die damit eingenommenen Gelder über das Finanzsystem in das eigene Land oder in sichere Drittländer zu kanalisieren. Gerade die USA verhängen für das Umgehen des Iran-Boykotts drakonische Strafen, wobei die bevorzugte Anwendung bei ausländischen Kreditinstituten auch ein Wirtschaftskrieg zugunsten der eigenen Industrie sein kann. Das größte Problem liegt allerdings in den Kollateralschäden dieser mit massiver Strafbewehrung durchgesetzten Regelungen bei unbeteiligten, aber schwach regulierten Drittstaaten, die möglicherweise, wie weiter oben bereits argumentiert, aus dem Finanzsystem ausgestoßen werden, weil Bankgeschäfte zu risikoreich werden. Eher harmlos erscheinen dagegen die klassischen Steuersparmodelle, mit denen Großkonzerne versuchen, durch geschicktes Verteilen von Wirtschaftsaktivitäten ihre Gesamtsteuerlast zu minimieren. Dabei spielt regulatory capture, also ein guter Lobbyismus, der die Regulatoren im Unternehmensinteresse handeln lässt, eine erhebliche Rolle. Oft wechselt, vor allem in den USA, Personal zwischen Aufsichtseinrichtungen und Finanzinstituten. Viele leitende Positionen der EZB sind mit ehemaligen Führungskräften von Goldman Sachs besetzt; so war beispielsweise der Notenbankchef Mario Draghi in den Jahren 2004–2005 Vizepräsident ebendort. Hier stellt sich die Frage, wo die Grenzen des Anstands liegen und welche Wettbewerbsoptionen einzelne Länder zur Verbesserung ihrer Standortstruktur tatsächlich besitzen sollten. Es ist höchst ungerecht, wenn Staaten ihre Abgaben stark senken, gleichzeitig aber von den damit geschädigten Staaten erwarten, Wirtschaftsfördermittel bei der EU auszureichen. Insofern erscheint es im Bereich des Steuerrechts als ausgesprochen wichtig, die Bürger mit den Abgaben,
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sowohl der Höhe als auch der Struktur nach, nicht zu überfordern. Außerdem muss sich der Staat fragen, ob er das Geld immer so ausgibt, dass es eine hohe Akzeptanz bei den Bürgern findet. Wenn eine öffentliche Geldverschwendung nicht nur nicht geahndet wird, sondern auch die Politik keine Leitplanken und Bremsen einbaut, wie es beispielsweise beim neuen Flughafen in Berlin zu beobachten ist, dann ist es zwar moralisch nicht zu akzeptieren, aber menschlich ausgesprochen verständlich, wenn der Bürger dem Staat die Steuern verweigert und einen Privatkrieg gegen ihn anzettelt. Steueroasen, Steuerhinterziehung, kreative Steuergestaltungsmodelle und Geldwäsche fordern das Recht des demokratischen Souveräns heraus, wie Manfred Gärtner (2013, S. 372) betont, seine durch den Souverän legitimen Verteilungsvorstellungen durchzusetzen. Vermutlich wird sich die Verstärkung der Quellenbesteuerung als probates Mittel erweisen, das zu erzwingen. Zudem sind bestimmte Firmenkonstruktionen, vor allem Mantelgesellschaften oder reine Lizenzgeberunternehmen im Ausland, extrem anfällig für Steuerhinterziehung ebenso wie Stiftungen. Banken werden bei vielen derartigen Aktivitäten zu Mittätern, wie der Fall der Swiss-Leaks bei der HSBC zeigt. Der moralischen Verwerflichkeit und Bestrafung der Steuerhinterziehung steht aber die moralisch ebenso inakzeptable Steuerverschwendung gegenüber, die, obwohl sie symmetrisch zu sehen ist, aber bei den Verantwortlichen nicht zu Ersatzpflichten führt. Das liegt auf der gleichen Ebene wie das Handelsverbot mit Hehlerware und die offenkundige Staatshehlerei mit Steuer-CDs.
10.4.4 Terrorismus und Staatsterrorismus Staatsterrorismus wird im Kontext der sogenannten Schurkenstaaten (englisch: rogue states) gesehen, die das Ziel haben, die freie westliche Welt mittels Terrorakten zu destabilisieren, weshalb sie auch Gegenstand militärischer Interventionen oder wirtschaftlicher Boykotte sind. Unterschlagen wird gerne, dass die Unternehmen vieler westlicher Länder in terroristischen Gebieten investiert haben. So hat Lafarge-Holcim jahrelang Schutzgelder an die Terrormiliz IS in Syrien gezahlt, um sein Werk weiter betreiben zu können (Ritter 2017). Tatsächlich aber wird diese Verhaltensweise auch von sogenannten zivilisierten Ländern ausgeübt, wie die durch den Fall Snowden ausgelöste Spionagekrise des Sommers 2013 deutlich zeigt. Das von dem NSA-Enthüller Glenn Greenwald (2014) verfasste Buch über den Fall Snowden, No Place to Hide, verdeutlicht die Gefahren der totalen Überwachung für eine Gesellschaft mit dem Staat als Täter und auch als Opfer. Auch der deutschen Justiz ist es nicht möglich, die für sie relevanten Spionagetatbestände zu verfolgen, weil ihr aus Gründen von Vorbehaltsrechten der USA die Hände gebunden sind und hier eine Bündnis- und Verfassungskrise drohen könnte. Ohnehin ist die Bereitschaft zur Transparenz gering: Die Tatsache, dass sich deutsche Sicherheitsdienste weigern, im Fall der Bader-Meinhof-Gruppe zum im Jahr 1977 ermordeten Siegfried Buback und zum Prozess um die NSU-Terrorzelle im Jahr 2014 Auskunft zu geben, wirft ein schlechtes Licht auf den Rechtsstaat. Denn im
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letzten Fall sind Erkenntnisse verdeckter Ermittler bekannt, ebenso wie offenbar wurde, dass wesentliche Beweisunterlagen vom Verfassungsschutz vorsätzlich vernichtet worden sind. Der Koordinator im Kanzleramt für die Geheimdienste und frühere Vize des Verfassungsschutzes Klaus-Dieter Fritsche äußert sich hierzu wie folgt (zitiert nach Aust und Laabs 2014, S. 16): „Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.“ Will man das Handeln von Terroristen verstehen, so muss man in ihre Motivation einsteigen, der die klassischen postheroischen Staaten eigentlich wenig entgegenzusetzen haben und die nicht nur ihre politischen, sondern auch ihre ökonomischen Grundlagen unterminieren können. Der Vorteil von Abwehrmaßnahmen, die durchaus staatsterroristische Züge tragen können, besteht darin, dass sie in bester Form geeignet sind, einen Wirtschaftskrieg zu führen, ohne dass die Öffentlichkeit es überhaupt merkt. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften ergeben sich – über die ökonomischen Folgen des Terrorismus hinaus – viele Ansatzpunkte: So ist die Piraterie am Horn von Afrika auch Folge des Eindringens europäischer Fischfangflotten in diese Gewässer, was der örtlichen Bevölkerung die Erwerbsmöglichkeiten nahm; Ursachen sind also oft (auch) ökonomischer Natur. Gleiches gilt für die Folgen. Oft ist Terrorismus rational gesteuert, weshalb Anreizmechanismen eine wichtige Rolle in der Analyse spielen; aber auch die neuronale Ökonomik bietet hier vieles an Erklärungsansätzen. So waren im Westen viele überrascht, dass Terroristen aus bürgerlichen Milieus stammten. Durch Terrorismus werden nicht nur Güter zerstört, sondern auch welche geschaffen, vor allem öffentliche Heilsgüter. Es existiert eine Interaktion, die sich in Prinzipal-AgentStrukturen und spieltheoretischen Modellen erfassen lässt. Und schließlich ist der Terrorismus auch der statistischen Analyse zugänglich. Die ökonomische Theorie des Terroristen und auch des Märtyrers geht davon aus, dass dieser durch seine Tat ein öffentliches Gut erzeugt, für das er eine transzendente Entlohnung erhält. Zudem hat er die Gewissheit, dass seine Angehörigen von der Gemeinschaft sowohl mit öffentlichen Gütern als auch mit privaten Gütern fürstlich entschädigt werden, wenn er die terroristische Tat erfolgreich durchführt und, was häufig vorkommt, nicht überlebt. Diesem Nutzen stehen Kosten gegenüber, nämlich die des eigenen value of life – doch dieser wird transzendent bzw. im Jenseits entschädigt. Klassische Antiterrorpolitik versucht demzufolge, die Kosten zu erhöhen und den Nutzen zu senken. Typisch für die Kostenseite ist massive Vergeltung, für die Nutzenseite der Versuch, Gesellschaften durch Terrorismus nicht instabil werden zu lassen, sondern die Rückkehr zur Normalität zu forcieren. Alternativ können Aufklärungsmaßnahmen zum Einsatz kommen, um Taten zu verhindern bzw. Täter rechtzeitig festzunehmen oder zu eliminieren; je plausibler derartige Erfolge kommuniziert werden, desto mehr steigen die Kosten und sinkt der Nutzen – allerdings kann sich der Terrorist dann neue Märkte suchen, und die Auseinandersetzung kann eskalieren. Die Problematik einer Abschreckung, die zeitweise wirkt, dann aber ins Gegenteil umschlägt, wird von Bruno Frey und Simon Lüchinger (2002) thematisiert, die aber den polit-ökonomischen
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andlungsdruck als wesentlichen Faktor erkennen, auch eine langfristig kontraH produktive Antiterrorpolitik durchzuführen. Ökonomisch nur schwer zu fassen ist die Motivation, also der unbedingte Erfolgsund damit Aufopferungswille. Das impliziert, dass nicht Menschen, die aufgrund ihrer Einkommenssituation und Herkunft einen geringen value of life haben, zu diesen Taten neigen, sondern eher ideologisch aufgerüstete Kinder aus mittleren und gehobenen Schichten, die an das spezifische öffentliche Gut glauben und hierin eine finale Sinnerfüllung ihres Lebens finden. Sie stellen die Angebotsseite des Systems dar. Auch die Attentäter des 11. Septembers stammten aus bürgerlichen Verhältnissen; so war Osama Bin Laden, Drahtzieher dieser Geschehnisse und Gründer von Al Khaida, Abkömmling einer der reichsten Familien Saudi-Arabiens. Damit sind die Ansätze aus der Ökonomik des Verbrechens, die beispielsweise Gary Becker (1968, 1976) postulierte, nur bedingt für Erklärungen tauglich; sie sind vor allem geeignet, Vermögensdelikte zu beschreiben. In der Tat zeigen Alan Krueger und Jitka Malečková (2003) in einer Abhandlung über Einkommen, Armut und Terrorismus, dass die einfache Erklärung des Terroristen als Folge armer Verhältnisse mit geringem value of life falsch ist. Neuere Studien belegen das Gegenteil: Ein Team um den Psychiater Kamaldeep Bhui (Bhui, Warfa, Jones 2014) zeigt, dass junge, vermögende und gebildete Muslime eine erhöhte Radikalität aufweisen. Die Nachfrageseite bezieht sich zunächst auf die Rekrutierung des Personals und damit die geeignete Ausbildung. Hinzu tritt auch der Bedarf an terroristischen Ereignissen. Bedrohungslagen können im Wahlkampf genutzt werden, in den Herkunftsund Sympathisantenländern der Täter werden öffentliche Güter über das Martyrium geschaffen, nämlich Helden, zu denen man aufblicken kann. Nachrichtendienstliche Mittel könnten ein wirksames Instrument darstellen, den Abwehrkampf zu führen, ohne dass eine Eskalationsgefahr auftritt. Denn gemäß der ökonomischen Theorie besteht zwischen den beiden Parteien, die den gleichen Markt beherrschen wollen, den aber aufgrund der versunkenen Kosten nur einer für eine gewisse Zeit beanspruchen kann, ein Wettbewerb um Dominanz. Für derartige Auseinandersetzungen, also nicht einen Wettbewerb im Markt, sondern um den Markt, bietet die Industrieökonomik ein interessantes Erklärungsmodell. Dieses besagt, dass der Marktsasse bis kurz vor dem Ende der Nutzungszeit seiner Technologie konkurrenzlos bleibt. Der Konkurrent wird dann mit einer großen Investition in den Markt eintreten, um den Markt zu übernehmen, bevor der Marktsasse reinvestiert hat. Da dies dem Marktsassen bekannt ist, wird er versuchen, seine Investitionen vor diesem Zeitpunkt vorzunehmen. Damit entsteht eine zeitliche Verkürzung der Investitionslinien. Übertragen auf das hier Verhandelte folgt daraus, dass der Versuch, beispielsweise mit nachrichtentechnischen Mitteln einen Präventivschlag zu führen, dazu führt, dass die Gegenseite ihre Aktivitäten vorziehen wird, um zu verhindern, dass der nachrichtendienstliche Schlag zur Wirkung kommen kann. Nur wenn es nach dem Modell von Kenneth Judd (1985) eine Möglichkeit der Marktteilung gibt, kann ein tragfähiger Waffenstillstand entstehen. Dies könnte bedeuten, den Gotteskriegern einen Wirkungsraum zu schaffen,
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hoffend, dass damit der Terrorismus nicht ins eigene Land überschwappt. Frankreich hat lange diesen Weg verfolgt. Dadurch wird deutlich, dass im System automatisch eine zeitliche Eskalation angelegt ist, die umso intensiver ausgefochten wird, je höher die versunkenen Kosten sind. Weiterhin wird klar, dass jede Seite versuchen wird, ihre Technologie – also entweder die der Cyberaufklärung, die des gezielten Tötens insbesondere durch Drohnen oder die der sogenannten menschlichen Bomben soweit zu intensivieren und zu perfektionieren, dass diese eine Dominanz erzielen kann, bevor die andere zu einer präventiven Handlung greift. Der Vorteil der nachrichtentechnischen Aufklärung, die im Prinzip zunächst nur reine Sicherheitsbedürfnisse befriedigen soll, liegt darin, dass sie annähernd untrennbar mit einer wirtschaftlichen business intelligence verbunden ist. Damit wird der Kampf gegen das Böse zugleich zu einem Kampf um nationale wirtschaftliche Vorteile der Länder, die sich auf diese Art von Interventionen spezialisiert haben.
10.4.5 Reparationen – die Fortsetzung des militärischen Kriegs mit wirtschaftlichen Mitteln Der Ausgleich für Kriegsschäden, für die der Besiegte haften musste bzw. sollte, wurde historisch oft durch Ausplünderung, durch Versklavung befriedigt und durch Geiselnahme von Eliten stabilisiert, denen der Tod drohte, sollte der Konflikt wiederauferstehen. In der Moderne haben Reparationen als in Vertragswerken geregelter Anspruch eines Siegers gegenüber Besiegten derartige Ansprüche formalisiert. So verlangte der ansonsten mit Napoleon III sehr großzügig umgehende Bismarck von Frankreich im Jahr 1874 Reparationen für personale und materielle Kriegslasten, die sich an den Beträgen orientierten, die Napoleon Bonaparte Preußen im Jahr 1807 auferlegt hatte, nämlich 5 Mrd. Goldfranken, sowie die Rückgabe Elsass-Lothringens an Deutschland. Die Revanche waren 132 Mrd. Goldfranken, die die Kriegsgegner 1919 von Deutschland verlangten ebenso wie die Abtrennung Elsass-Lothringens zugunsten Frankreichs. John Maynard Keynes (1919) hielt diese Beträge in seinen The Economic Consequences of the Peace für volkswirtschaftlich nicht zu leisten und trat deshalb aus der englischen Verhandlungsdelegation zurück. Aus ökonomischer Sicht problematisch an derartigen Reparationen ist vor allem der Kaufkraftentzug im besiegten Land auf der einen Seite, der auch für die begünstigten Länder durch verminderte Exporte wirksam wird, und die inflationstreibende Ausweitung bei den Siegern. Die Folgen sind Belastungen im internationalen Handel, Verlust an Spezialisierung und im Extremfall Abwertungswettläufe. Das Entstehen nationaler Traumata und Verschwörungstheorien zählt zu den wesentlichen, politisch destabilisierenden Faktoren, die, wie von Pål Kolstø (2005) vorgetragen und im vierten Kapitel wiedergegeben, langfristig neue Konflikte gebären können.
10.5 Grundüberlegungen des Einsatzes
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10.5 Grundüberlegungen des Einsatzes Die Breite der gesellschaftlichen Ordnungsentwürfe hat die Form, in der der staatliche Wirtschaftskrieg ausgefochten wird, immer beeinflusst. Ganz anders als der unternehmerische Wirtschaftskrieg, der auf autonom handelnde Unternehmer – möglicherweise Wirtschaftskrieger – angewiesen ist, stellt der Wirtschaftskrieg der Staaten einen Konflikt dar, an dem staatliche Institutionen beteiligt sind und Unternehmen nur in dem Maße hierfür instrumentalisiert werden können, wie sie seitens der jeweiligen Regierung gleichgeschaltet sind. Diese Möglichkeiten unterscheiden sich erheblich, bedenkt man historisch die Bandbreite zwischen dem Zentralismus kommunistisch-sozialistischer Prägung, dem historischen Faschismus oder Nationalsozialismus und den seinerzeitigen Demokratien und die weit vielschichtigeren Mischungen zwischen politisch autoritären und liberalen Systemen sowie ökonomisch autoritären oder liberalen Systemen der Gegenwart. Praktizierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen stehen unter den Begriffen gelenkte Demokratie russischer Prägung, Kapitalismus chinesischer Prägung, angelsächsischer Kapitalismus oder Soziale Marktwirtschaft. Die Einsatzgrundsätze der Staaten müssen daher – über die im neunten Kapitel für Unternehmen vorgetragenen hinaus – die institutionellen Strukturen von Staaten im Auge haben und wegen des Niveaus des Konflikts – oberhalb der Staaten gibt es weniger Kooperationsstrukturen als oberhalb der Unternehmen – die Gefahren des Handelns genau abwägen. Zwei Aspekte erscheinen unter diesen Gesichtspunkten als besonders wichtig: das Ausfüllen der Strategie durch Operationen und die damit erforderlichen Anforderungen an die Taktik.
10.5.1 Wirtschaftsfrieden als Vorstufe des Wirtschaftskriegs im strategischen Kalkül Karl-Ferdinand von Willisen (1919, S. 52–60) benennt auch wirtschaftskriegerische Maßnahmen der Staaten im Frieden, insbesondere Wirtschaftsbündnisse, die sich indirekt gegen andere richten, aber auch Angebotsboykotte, also die Verweigerung von Ausfuhrgenehmigungen, und das Zollsystem. Er erklärt den formellen und materiellen Widerspruch des Wirtschaftskriegs im Frieden damit, dass der eigentliche Wirtschaftskrieg immer Mittel einsetzt, die mit dem politischen Friedenszustand unvereinbar sind. Folgerichtig ist Wirtschaftskrieg im Frieden aus seiner Sicht daher nichts anderes als eine feindselige Handelspolitik. Aus neuerer Sicht kann hinzugefügt werden: Eine unfreundliche Politik der Nutzung internationaler Organisationen, die relevant für die weltwirtschaftlichen Beziehungen sind. So bemängeln viele Entwicklungsländer die stark Europa- und Nordamerikazentrierte Sicht der WTO, der Weltbank und des Weltwährungsfonds, die tatsächlich von den USA als von hohem strategischen Wert angesehen werden (Blackwill und Harris 2016, S. 186). Bei der Formulierung der Strategie und der Ableitung von taktischen und operativen Maßnahmen ist dies zu berücksichtigen.
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10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Im Sinne der Dominanzerwartungstheorie ist die strategische Ausgangslage durch die Einbettung des Nationalstaats oder des Staatenbundes bzw. des Wirtschaftsraums in die globalen Wertschöpfungsletten zu beschrieben. Zentrale Kriterien der Beurteilung der Lage sind der Grad der Verflechtung, die Kritikalität der getauschten Güter und die jeweiligen Angebots- und Nachfrageelastizitäten, also die Folgen von Preisänderungen auf Mengenverschiebungen und umgekehrt, weil dies unmittelbare Wirkungen auf die Anpassungsmöglichkeiten hat. Die folgende Abb. 10.13 zeigt eine Einordnung gemäß der Kriterien Substitutionspotential Umfang der Ertrags- bzw. Kostenrisiken. 1. Im ersten Quadranten ist das Feld, das die Fähigkeit beinhaltet, entweder Produkte in ihrer Funktionalität, beispielsweise eine leitungsgebundene durch eine drahtlose Übertragung zu ersetzen, oder Baugruppen, Werkstoffe oder Rohstoffe in dem Produkt auszutauschen, beispielsweise einen Neodym-Eisen-Bor-Magneten durch einen Kobalt-Samarium-Magneten, sodass das Risiko vor allem in der zeitlichen Frist liegt. 2. Das zweite Feld enthält den schlimmsten Fall einer weitgehenden Substitutionsfalle. Staaten müssen sich fragen, ob unter diesen Bedingungen bestimmte Technologien als Optionen aufrechterhalten werden sollten, um Erpressung durch das Ausland zu vermeiden. Der im elften Kapitel beschriebene Fall Huawei im amerikanischchinesischen Technologiekrieg ist ein gutes Beispiel. 3. Im dritten Feld findet sich das Flexibilitätsparadies – allerdings dürfte der Preis sein, dass eine hohe Bestreitbarkeit vorliegt und damit der Anreiz zu innovieren sinkt.
Poten al der technologischen und ökonomischen Subs tu on
niedrig
hoch
Erpressungshölle
„Zeit ist Geld“
1 2 3 4
niedrig
Ertrags- und Kostenrisiken
hoch
Flexibilitätsparadies
Deglobalisierungsfalle
Abb. 10.13 Resilienzdiagramm von Wertschöpfungsketten. (Quelle: eigene Darstellung)
787
10.5 Grundüberlegungen des Einsatzes
4. Im vierten Feld besitzt das relevante Gebiet weitgehend geschlossene Wertschöpfungsketten – das ist eine der möglichen Folgen einer Deglobalisierung und damit dem Verzicht auf internationale Arbeitsteilung Mit den beiden Pfeilen in der Graphik sind mögliche Strategien dargestellt, um sich aus Abhängigkeiten zu befreien.
10.5.2 Operatives Ausgestalten der Strategie Neben dem Fokus auf ein Land darf nicht verlorengehen, dass der Wirtschaftskrieg tatsächlich auf die Wirtschaft, und mit Schwerpunkt auf Unternehmen, das Finanz- und das Geldsystem zielt. Damit wird es erforderlich, die Einsatzgrundsätze für Unternehmen zu berücksichtigen, denn die Rückwirkungen des staatlichen Wirtschaftskriegs auf die eigene Wirtschaft werden genau fühlbar werden. In diesen Kontext ist auch zu integrieren, wie die Antwort auf die von anderen Nationalstaaten, vermutlich aufgrund des Drucks ihrer eigenen Unternehmen, vorgebrachten Gegenreaktionen einzubeziehen ist. Damit erscheint es sinnvoll, Elemente der Krisenanalyse der Unternehmen, die im neunten Kapitel im Kontext des Ratings vorgestellt wurden, hier gesamtwirtschaftlich zu interpretieren, und dabei auch die Diskussion einzelner Fähigkeiten aus dem sechsten Kapitel einzubeziehen. Die Darstellung in Abb. 10.14 lehnt sich an Scope Ratings (Kameryan und Shen 2018) an und ordnet Länder nach zwei Kriterien des Umgangs mit externen Schocks:
hoch
10
China
9 8
Widerstandsfähigkeit
Japan
USA Brasilien Südkorea Russland
Vereinigtes Konigreich
7
Spanien
Pakistan Türkei
Ägypten
Polen
Niederlande
Indonesien
4
Ukraine
Kanada
Frankreich Deutschland
Chile
Griechenland
5
Schweiz
Belgien Australien
Mexiko
6
Indien Italien
Venezuela Argennien
3
niedrig
Kroaen
Georgien
2 1 0 0
1
hoch
2
3
4
5
6
Krisenanfälligkeit
7
8
9
10
niedrig
Abb. 10.14 Krisenresilienz von Staaten. (Quelle: eigene Darstellung aus Kameryanund Shen 2018)
788
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
• Die Widerstandsfähigkeit wird im Hinblick auf Maßnahmen gegen Währungskrisen, den von Ausländern gehaltenen Anteil der Staatsverschuldung, der Fremdwährungsverschuldung bezogen auf die Staatseinnahmen und den Fremdwährungskrediten von Geschäftsbanken bemessen; faktisch ist sie komplementär zum Grad der Systemik. • Die Krisenanfälligkeit hängt von Leistungsbilanz und Nettoauslandsinvestitionen, den Nettofinanzanlagen, der Streuung des Wechselkurses und der Nettoauslandsvermögensposition ab. Entlang des Medians werden vier Quadranten unterschieden. Im oberen rechten befinden sich die stabilen Länder, im unteren linken die krisenanfälligen. Deutlich wird, dass im Jahr 2018 China stabiler als die USA aufgestellt ist und dass alle im chinesischamerikanischen Handelskrieg direkt oder direkt Betroffenen noch Stabilitätsanker der Weltwirtschaft sind, das Risiko global also erheblich ist, dass diese Robustheit künftig verlorengeht.
10.5.3 Taktische Grundsätze Bei zwischenstaatlichen Wirtschaftskriegen, oft Handelskriegen, ist es grundsätzlich nötig, die Wahl der Waffen hinsichtlich der Glaubhaftigkeit von Drohung und Einsatz sorgsam abzuwägen. Im Sinne des Multimarktwettbewerbs, dort zurückzuschlagen, wo der Feind die größte Verwundbarkeit zeigt, muss der Angreifer hier dem Gegner möglichst wenig Raum lassen, der getroffene Verteidiger wiederum muss die Spürbarkeit seines Handelns nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch abwägen. Das erklärt scheinbare Absurditäten, zum Beispiel, dass auf Stahlzölle mit Zöllen auf Pasta- oder Spirituosen geantwortet wird. So überlegte sich Mexiko im Sommer 2014, den Fleischauszeichnungspflichten der USA durch ein derartiges Karussellverfahren zu begegnen. Nach Friedrich List (1841) steht das Lernen vom Besten und damit auch das Kopieren vom Besten – beides auch ein in der Tradition von Konfuzius stehendes Paradigma – an vorderster Stelle, um die strategischen Erträge durch kluge taktische Aufgabenerfüllung vor Ort zu sichern und dabei keine Unruhe zu schüren. Dabei ist der Einkauf in Familienunternehmen besonderes lohnend, weil hier vertrauensvolle Strukturen herrschen, in die man sich positiv einbringen kann, ohne dass der Übernommene es merkt: Tatsächlich ist eine solche Übernahme mit der Funktion eines Schläfers vergleichbar, der dann aktiviert wird, wenn Bedarf besteht. So sind insbesondere Telekommunikationsausrüster, aber auch Unternehmen, die strategische Aufgaben erfüllen, für Übernahmen besonders interessant, kann man sie doch in einem Krisenfall schnell zum eigenen Nutzen instrumentalisieren.
10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen
789
10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen An drei Beispielen soll wirtschaftliche Kriegsführung auf der Ebene von Staaten verdeutlicht werden. Als erstes steht im 19. Jahrhundert der Versuch Englands, durch die Warenkennzeichnungspflicht die zunehmende Konkurrenz des aufstrebenden Deutschlands zu verringern. Tatsächlich hatte Deutschland bereits vor der Einigung versucht, durch das Kopieren englischer Technologien die wirtschaftliche Lücke zu überwinden. Nach der deutschen Einheit im Jahr 1871 wurden durch eine liberale Unternehmensgesetzgebung, insbesondere durch das neue Aktienrecht, sowie durch die hohen Technologie- und Bildungsaufwendungen des Kaiserreichs ungeheure Kräfte des wirtschaftlichen Aufschwungs entfesselt. Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg stabilisierten die Alliierten mit hoher Energie ihre Kolonialreiche, und auch Japan und die USA stiegen in den Kolonialismus ein, um sich strategisch wichtige Rohstoffe zu sichern. Unter diesen Rahmenbedingungen wurde der Freihandel, besonders bei den Rohstoffen, erheblich eingeschränkt, weshalb Mitteleuropa unter starken Versorgungsdruck geriet. Schließlich stellt die Finanzkrise ein gutes Beispiel dafür dar, wie zunächst durch Zerrüttung der Währungssysteme ein Abwertungswettlauf eingeleitet wird, sich der Finanzsektor der Staaten bemächtigt, um seine Interessen durchzusetzen – nämlich die Kosten der Krise auf die Steuerzahler abzuwälzen – um sich zugleich möglichst viele Freiheiten zu bewahren, weiter Hochrisikogeschäfte zulasten Dritter durchzuführen. Meist sind die Reaktionen der Staatengemeinschaft wenig geeignet, eine sinnvolle Balance zwischen Risiko und Stabilität zu erzwingen.
10.6.1 Made in Germany: Wirtschaftskrieg Deutschland – England im 19. Jahrhundert Die optimale Kombination von Human- und Sachkapital und ihre Kombination zu Organisationskapital, das Lernen vom Besten und insbesondere der Import der neuesten Technologien waren von Friedrich List (1841) als Grundlage jeder erfolgreichen Aufbaustrategie identifiziert worden, und sie bildeten auch das Erfolgsrezept Deutschlands nach der Reichsgründung 1871. Die Basis dafür war bereits durch die preußischen Reformen des Jahres 1813 gelegt worden und wurde durch weitere Reformen in Wissenschaft und Bildung, verbunden mit dem Namen Wilhelm von Humboldt, begünstigt. Zu erwähnen ist die neue Kodifizierung des Rechts, vor allem des Aktienrechts. Finanziert wurde der Aufschwung teilweise aus den Reparationsleistungen Frankreichs, aber auch durch die Mobilisierung der Ressourcen aus dem Einigungsprozess, besonders in den preußischen Territorien, die einen Aufschwung ohnegleichen bescherten. In diese Periode fallen gleichermaßen die großen Unternehmensgründungen sowie die Gründung
790
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
der Wissenschaftseinrichtungen (z. B. Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, heute Max-PlanckGesellschaft), die großen Universitätserweiterungen, insbesondere der Ausbau der technischen Hochschulen, mit deren Hilfe technologische Möglichkeiten systematisch untersucht wurden, um sie in die Wirtschaft einzubringen. Es entstand eine einzigartige Kombination von Wissenschaft und Wirtschaft, um die die Welt Deutschland noch heute beneidet. Die Dynamik des wirtschaftlichen Aufbaus ermöglichte es auch, die soziale Frage zu lösen, womit – ganz anders als in den Nachbarstaaten – die Notwendigkeit entfiel, über externe Unruhen die internen Widersprüche zu übertünchen. Vielmehr bestand die Möglichkeit, im Sinne von Ludwig Gumplowicz, die Kräfte nach außen zu lenken, fand aber hier schon weitgehend besetzte Felder. Verstehen lässt sich die Komplexität der Lage erst, wenn man begreift, dass in Europa tatsächlich sieben (Welt-) Mächte um die Vorherrschaft rangen, nämlich neben England und Deutschland auch Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und Italien. Insbesondere England und Deutschland sahen sich als wechselseitige Bedrohung, was zunächst handelsseitig, später militärisch eskalierte. Otto Jöhlinger führt in Der britische Wirtschaftskrieg und seine Methoden (1918) das Konzept der Wirtschaftskriegsführung genau in dieses 18. Jahrhundert zurück, als auf Basis des Schifffahrtsgesetzes von 1651 Englands Handelspartner gezwungen wurden, Waren auf englischen Schiffen auf die Insel zu transportieren. Dies sollte den Rivalen Holland wirtschaftlich schwächen. Obwohl die Vereinigten Provinzen der Niederlande anfänglich die Seeschlachten gewannen, war es nicht möglich, die britische Vormachtstellung daran zu hindern, sich von ihrer wachsenden industriellen Basis aus zu entwickeln. Später, im Jahr 1877, erließ Großbritannien ein Herkunftslandgesetz, um deutsche Industrieprodukte zu diskriminieren. 1907 wurde ein Patentgesetz erlassen, um Unternehmen zur Verwertung von in England registrierten Patenten zu zwingen. Zweck des Wirtschaftskriegs; • Durchsetzen der politischen Dominanz mittels wirtschaftlicher Dominanz. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • England, die Wiege der Industriellen Revolution, das sich im 19. Jahrhundert mit einem Deutschland konfrontiert sah, das seine Spitzentechnologien auskundschaftete und nachahmte. Um den Unterschied zwischen dem Original und einer Kopie kenntlich zu machen, sollten alle Länder gezwungen werden, die Herkunft ihrer Produkte anzugeben. Die Versuche Napoleons, England zu isolieren, hatten seine kolonialen Interessen verstärkt, sodass es über gesicherte Beschaffungs- und Absatzmärkte verfügte. Um diese zu verteidigen, schuf es sich die größte Kriegsflotte der Welt. Zudem unterhielten die privilegierten Handelsgesellschaften Privatarmeen. Es war um jeden Preis gewillt, seine Hegemonialstellung zu sichern, wobei ihm dabei die guten Erfolge des jahrhundertelangen „Teile und Herrsche“ zugutekamen.
10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen
791
• Deutschland, dessen Industrialisierung sich zwar bereits in den einzelnen Fürstentümern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit großem Erfolg vollzogen hatte.18 Aber erst mit der Gründung des Deutschen Reichs etablierte es sich durch die damit verbundene Großraumwirtschaft, die Friedrich Naumann (1860–1919) damals konzeptionell und in seinem Buch Mitteleuropa (1915) in den Kontext des damaligen ökonomiegetriebenen Imperialismus setzte. Das Land wurde zu einem dominanten Anbieter. Insbesondere die oben erwähnte, gezielt geförderte Verwissenschaftlichung der industriellen und der landwirtschaftlichen Produktion verbunden mit der Fähigkeit, innovationsrelevante Erkenntnisse unmittelbar umzusetzen, trug wesentlich zu diesem Erfolg bei. Dabei lag es eingeklemmt zwischen Frankreich und Russland im Sinne einer inneren Expansion, eine externe Expansion war ebenso schwierig, da die Welt schon weitgehend vergeben war. Durch Vereinbarungen zwischen England und Frankreich bzw. England und Russland war die koloniale Welt aufgeteilt, und Südamerika durch die Monroe-Doktrin seinem Zugriff entzogen. • Die übrigen Länder spielten in diesem Konflikt zunächst eine wirtschaftliche Nebenrolle, wurden aber im Zuge der Eskalation zum Ersten Weltkrieg politisch bedeutsam: Frankreich hatte sich nach dem Konflikt mit England im Wettlauf um Afrika mit der Rolle des Zweiten abgefunden, verlangte aber nach Satisfaktion gegenüber Deutschland wegen der Rückgliederung Elsass-Lothringens nach 1815. Dabei erschien ihm ein Bündnis mit Russland als probates Mittel, Deutschlands Stärke in eine Schwäche – durch die Möglichkeit eines Zweifrontenkriegs – zu drehen. Russland drängte nach Konstantinopel; der Panslawismus ließ ihm kaum Bewegungsfreiheit gegenüber dem Großmachtstreben von Serbien, das im Konflikt mit Österreich-Ungarn den Nationalismus schürte, der zu einem wesentlichen Instabilitätsfaktor der Doppelmonarchie wurde. Das Osmanische Reich verfiel im 19. Jahrhundert zusehends und eröffnete ein Vakuum, in das alle anderen Länder drängten, was bereits die Ursache des Krimkriegs (1853–1856) und des Balkankriegs (1877–1878) war. Italien vom Ehrgeiz besessen, eine wichtige Rolle in Europa zu spielen, paktierte im Dreibund und im Marineabkommen mit Deutschland, um die französische und englische Emanzipation im Mittelmeer zu bremsen, wohlwissend, dass in einem Konfliktfall beide Bündnispartner zur Wahrung ihrer Interessen gegen Österreich-Ungarn und Deutschland sein würden. Kriegsmittel: • Ausspähen von Forschung, Entwicklung und Innovationen im Konkurrenzland. • Behindern der Marktdurchdringung der konkurrierenden Unternehmen.
18Hierzu zählt insbesondere die Gründung der Technischen Hochschulen, die sich alle auf oder südlich der Line Aachen – Berlin – Dresden – Breslau befanden.
792
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Kriegsziel: • Durchsetzen einer wirtschaftlichen Weltgeltung durch industrielle Führerschaft. Kriegsfolgen: • Der offensichtlich unüberbrückbare Gegensatz Deutschland-England entlud sich im Ersten Weltkrieg, konnte aber durch den Sieg der Alliierten nicht beseitigt werden, und dauerte damit faktisch bis 1945. Die Lösung lag, wie Jörn Sack (2014) in seinem Beitrag über Europas Selbstzerfleischung schreibt, im Reduzieren der Zahl der Großmächte, so wie es imperial mit Polen in einem begrenzten Konflikt geschehen war, einem großen (Welt-) Krieg, einer Weltrevolution oder einem neuem Politikstil. Tatsächlich war die Auseinandersetzung ein Krieg, wobei der Nationalismus stärker war als die Weltrevolution, also ein Aufstand, der die Massen gegen ihre herrschenden, kriegstreibenden bzw. den Konflikt nicht verhindernden politische Klassen geführt hätte. Das Schlafwandlertum nach Christopher Clark (2012) dominierte die Aufklärung von Immanuel kant, die von den Eliten verweigert wurde. Halford Mackinder (1904) hatte die Vorlage für eine geostrategisches Bedrohungslage gegeben, der die Welt in ein zentrales Herrschaftsherzland – Russland – mit einem inneren Herrschaftsring (Mittel- und West-Europa, Indien und Ostasien) und einem äußeren Herrschaftskranz (Afrika sowie die Meere mit den Gegenküsten) unterteilte. Für England erschien die Situation bedrohlich, denn aus dem Herzland kam stets der Eroberungsdruck der Steppe, und die Gefahr eines Bündelns deutscher und russischer Potentiale erschien möglich. Aus Russlands Sicht war eine Kombination EnglandDeutschland real, für Deutschland der Versuch des Herzlands und des äußeren Rings, Deutschland zu eliminieren.19 Der wirtschaftliche Aufstieg des Reichs war für seine Nachbarn, besonders auch für England, irritierend. Zunehmend musste das Land, das sich durch seine Insellage als der natürliche Exporteur der Welt verstand, die Konkurrenz auf Drittmärkten hinnehmen. Anfangs waren das von der Qualität her nicht immer gleichwertige Produkte, denn der englische Maschinenbau, und insbesondere auch der Schienenfahrzeugbau, waren weltmarktführend, stand doch hier die Wiege des seinerzeitigen Erfindungsreichtums. Aber die Deutschen holten auf, insbesondere in den Maschinenbauregionen von Sachsen und in der Schwerindustrie im Ruhrgebiet. Aber auch Pharmazie und Chemie leisteten einen wesentlichen Beitrag. Die Grundlagen dieses Antagonismus finden sich in Abb. 10.15, seine Auswirkungen zeigt folgendes Zitat aus The Saturday Review vom 11. September 1897 zum Thema England and Germany:
19Morris
(2013, S. 238–259) führt diese geostrategische Debatte aus heutiger Sicht im Detail.
kaurabereinigte pro-KopfEinkommen in US$ zur Basis 1990
10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen
793
30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000
1850 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000
0
Deutschland
Vereinigtes Königreich
USA
Abb. 10.15 Wachstum Deutschlands, Englands und der USA, 1850–2000. (Quelle: eigene Darstellung nach Daten von Maddison 2008) „Prince Bismarck has long recognized what at length the people of England are beginning to understand – that in Europe there are two great, irreconcilable, opposing forces, two great nations who would make the whole world their province, and who would levy from it the tribute of commerce. England, with her long history of successful aggression, with her marvelous conviction that in pursuing her own interests she is spreading light among nations dwelling in darkness, and Germany, bone of the same bone, blood of the same blood, with a lesser will-force, but, perhaps, with a keener intelligence, compete in every corner of the globe. In the Transvaal, at the Cape, in Central Africa, in India and the East, in the islands of the Southern sea, and in the fair North-West, wherever – and where has it not? – The flag has followed the Bible and trade has followed the flag, there the German bagman is struggling with the English pedlar. Is there a mine, to exploit, a railway to build, a native to convert from breadfruit to tinned meat, from temperance to trade gin, the German and the Englishman are struggling to be first. A million petty disputes build up the greatest cause of war the world has ever seen. If Germany were extinguished tomorrow, the day after tomorrow there is not an Englishman in the world who would not be the richer. Nations have fought for years over a city or a right of succession; must they not fight for two hundred million pounds of commerce? […] Our work over, we need not even be at the pains to alter Bismarck's words to Ferry, and to saw to France and Russia seek some compensation. Take inside Germany whatever you like: you can have it.' […] 'Germania esse delendam.' [Germany must be destroyed]‟.
Um deutlich zu machen, dass englische Produkte auch wirklich englische Produkte sind und nicht gefälschte deutsche Produkte, setzte England im Jahre 1912 durch, dass auf Exportgütern ihre Herkunft angegeben werden musste. Vorgeblich war es ein auf Kooperation ausgerichtetes Zusicherungsspiel, tatsächlich sollte es aber für Deutschland reputationsvernichtend wirken. Es entstand das Made in Germany, das aber nun nicht mehr für Billigware und Imitationen, sondern für hohe Qualität stand. Der Schuss ging nach hinten los, England musste akzeptieren, dass es auf industrieller Ebene den Kampf
794
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Abb. 10.16 Markenwert von Herkunftsangaben 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Süddeutsche Zeitung (2017a) – Farben nach Ländergruppen)
um die Führerschaft verloren hatte. Die Abb. 10.16 zeigt eine aktuelle Einschätzung des Werts der Herkunftsangaben auf der Basis einer globalen Umfrage.20 Tatsächlich prägte diese industrielle Dualität die Auseinandersetzungen zwischen England (was sehr schnell die USA einbezog) und Deutschland auch im gesamten 20. Jahrhundert. Hans Fenske (2013) schreibt in seinem Buch Der Anfang vom Ende des alten Europa über die Verweigerung von Friedensgesprächen der Alliierten, und findet eine Begründung in diesem wirtschaftlichen Dualismus. Der australische Historiker Douglas Newton (2014) sieht deshalb in seinem Buch The Darkest days: The Truth behind Britain’s Rush to War, 1914 England als wesentlichen Treiber des Kriegs, um seine maritime und wirtschaftliche Vormachtstellung rechtzeitig abzusichern.21 Gerry Docherty und Jim MacGregor (2013) zeigen in The Hidden History – The Secret Origins of the First World War das große Unbehagen der politischen Eliten am Aufstieg
20Gefragt
wurde: „Auf vielen Produkten findet sich ein Hinweis, wo das Produkt hergestellt wurde. Wie nehmen Sie Produkte wahr, auf denen steht ‚Made in …‘?“ 21Die deutsche Flotte war, wie Lars Zacharias und Rüdiger Schiel (2013) zeigen, auf eine entscheidende Seeschlacht zwischen Helgoland und der Themse ausgerichtet, ohne die Frage zu vertiefen, was dadurch ausgelöst werden sollte. Denn sie wäre auch im Falle eines deutschen Sieges im Jahr 1914 nicht in der Lage gewesen, den britischen Seeverkehr im Atlantik zu unterbinden.
10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen
795
Deutschlands, das vor allem die von Cecil Rhodes (1853–1902) angestrebte angelsächsische Dominanz der Welt behindern könne. Zu diesem Zweck rüstete ein Netzwerk geheimer Diplomaten um den Außenminister Edward Grey (1862–1933) im Jahr 1914 süd- und nordirische Rebellen mit in Deutschland gekauften Waffen auf, um dann das Reich für den Konflikt verantwortlich zu machen. Bereits vorher hatte man in Belgien und Frankreich im Nachgang zur Marokkokrise 1905/1906 einen Bündnispartner gefunden.22 Die russische Führung verfolgte nach Sicherung eines Bündnisses mit England und Frankreich vor allem eigene, panslawistische Zielsetzungen sowie den Zugang zum indischen Ozean über Persien, wie Sean McMeekin (2011) in seinem Buch Russian Origins oft he First World War argumentiert. In beiden Fällen kann man die Kriegsvorbereitungen als Eliteprojekt bezeichnen. Anders Frankreich: Es suchte Revanche für die Niederlage von Sedan, der Krieg war also auch eine wichtige Herausforderung an die eigene Moral (Schmidt 2016). Deshalb mussten auch die Versuche, rechtzeitig mit den USA eine Verständigung zu erreichen, scheitern. Allerdings konnten sich auch die USA aus wirtschaftlichen Gründen kaum zurücknehmen – eine Niederlage Englands hätte ihren ökonomischen Zusammenbruch ausgelöst, weil die englische Kriegswirtschaft mit amerikanischen Krediten finanziert wurde (Roewer 2016). Damit blieben auch die Friedensinitiativen des Reichs vom Dezember 1916 ohne Resonanz. Die USA profitierten auch dadurch, dass sie deutsches Vermögen weitgehend enteigneten, insbesondere auch Patente und Marken (z. B. Bayer, das erst nach dem Zweiten Weltkrieg von Bayer Deutschland zurückgekauft worden ist). Der Friedensvertrag von Versailles musste als Drohkulisse wahrgenommen werden, was John Maynard Keynes (1919) in seinen The Economic Consequences of the Peace auch ökonomisch verdeutlichte. Die Tatsache des Wettbewerbs der Nationen vertieft der englische Historiker A.J.P. Taylor (1954) in seinem Buch The Struggle for Mastery in Europe 1848–1918, das in seinem in England sehr kontrovers aufgenommenen Anschlusswerk The Origins of the Second World War (1961) die Folgen des seinerzeit nicht im Friedensvertrag gefundenen Ausgleichs aufzeigt – ganz anders als es im Wiener Kongress zugunsten
22Das
steht im krassen Gegensatz zur sogenannten Fischer-These. Fritz Fischer (1961) dominierte lange Jahre mit seiner These von der Hauptschuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs, was inzwischen relativiert wurde. Tatsächlich kann man das als Schlüsseldokument angesehene Septemberprogramm, das man heute als Aktenvermerk des Verwaltungsmitarbeiters Fritz Riezler für den Reichskanzler Bethmann-Hollweg zur Beschreibung der politischen Optionen der Zukunft charakterisieren würde, nur schwer als Beleg heranziehen, weil es ausdrücklich keine militärischen Optionen enthielt, sondern vor allem ökonomische. Im Zentrum stand die Herstellung einer von Deutschland dominierten Wirtschaftsunion – was aber für England besonders bedrohlich erscheinen musste. Der Kriegseintritt wurde 1914 in England durchaus kritisch gesehen, weshalb auch am 3. August 1914 vier Minister des Kabinetts Asquith und ein Minister außerhalb des Kabinetts zurücktraten (Newton 2014, S. 2–5). – Vergleicht man das 1914 Geforderte und das 2014 Realisierte, so erscheinen die heutigen Vorwürfe vieler Nachbarn Deutschlands hinsichtlich der vorgeblichen Dominanz Deutschlands in der EU und der Eurozone in einem anderen, kritischen Licht.
796
10 Der Staat im Wirtschaftskrieg
Frankreichs geschah, das trotz Aggression und totaler Niederlage als künftig friedensfähiger Partner in die Verhandlungen einbezogen wurde. Der englische Kolonialismus war aus Gründen des Ressourcenbedarfs von Anfang an bedrohlich und wirtschaftskriegerisch. Die deutsche Wirtschaftsentwicklung stellte das Britische Empire vor eine ernsthafte Herausforderung, und das insbesondere aus der damaligen Sicht, dass „des einen Wohl des anderen Leid“ ist und durch ökonomische Entwicklung alle im Freihandel begünstigt werden. Die den freien Handel unterbindende – und völkerrechtswidrige – Erklärung Englands vom 2. September 1914, das gesamte Gebiet der Nordsee zu einer Kriegszone zu machen, sollte Deutschland genau an dieser wirtschaftlich empfindlichen Stelle treffen – denn es war für seine Wirtschaft, natürlich auch für die Kriegswirtschaft, von offenen Grenzen abhängig und als weitgehende Landmacht leicht zu verwunden. Insofern wurde die in den Ersten Weltkrieg mündende Herausforderung gerade von britischer Seite mit hohem Propagandaaufwand, wie das obige Zitat belegt, vorbereitet, und betrieben, wobei dem Land beim Beeinflussen der öffentlichen Meinung die Informationsüberlegenheit in den USA zu Hilfe kam: Man hatte mit Kriegsausbruch das deutsche Unterseekabel nach Amerika gekappt. Die wirtschaftliche Unterstützung Englands führte schließlich zum Kriegseintritt der USA, die einen wirtschaftlichen und damit militärischen Zusammenbruch der englisch-französischen Allianz verhindern wollten, durch die Versorgung der Bündnispartner ein Milliardengeschäft (Friedrich 2014) machten, eine massive Industrialisierung im eigenen Land erzeugten und schließlich zum Welthegemon aufstiegen. Groß war der Wille, gerade in den Kreisen um den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson (1856–1924), Deutschland als den zentralen Unruheherd in Europa zu identifizierten, der auch den Anspruch, den amerikanischen Geschichtsprozess ungestört zu verwirklichen, stören könnte. Dieser hegemoniale Anspruch besaß nicht nur, verkörpert in der MonroeDoktrin des Jahres 1823, eine Tradition, er besteht auch heute noch und zeigte sich beim APEC-Gipfel im Herbst 2014 in Beijing und erneut im Herbst 2015 in Manila beim Versuch, eine asiatische Freihandelszone TPP (Trans Pacific Partnership) ohne China zu etablieren, was allerdings scheiterte. Nach zwei verlorenen Kriegen konnte Deutschland England dann erst wieder in den 70er Jahren überholen, was allerdings auch einer sehr unklugen Wirtschaftspolitik auf der Insel geschuldet war und schließlich zur Wahl der Konservativen Margaret Thatcher und anschließend zur Neuaufstellung von New Labor führte. England, der Hegemon der Welt im 19. Jahrhundert, sah bereits damals die Gefahr der deutschen und er amerikanischen Konkurrenz und büßte schließlich seine ökonomische und strategische Bedeutung ein; Robert Kagan (2018, S. 45–49) sieht in The Jungle Grows Back einen der Gründe dafür darin, dass es versuchte eine „offshore-balancer“ zu sein und nicht, wie die USA nach dem Zweiten Weltkrieg, sich „onshore“ zu engagieren. Vereinfacht: Es nutzte seine militärische Macht nicht, um wirtschaftliche Ziele zu erzwingen. Wie William Engdahl (2009, S. 60–90) in Gods of Money ausführt, gab es also die im zweiten Kapitel bereits eingeführten Dominanzerwartungen auch gegenüber den USA; dies bestätigte sich im Zwang, die Kriegsschulden aus dem Ersten Weltkrieg an
10.6 Wirtschaftskrieg zwischen Staaten an Beispielen
797
die USA zurückzuzahlen, was nur möglich war, wenn Deutschland seine Reparationen in der Lage war zu leisten, wodurch ein Geldkarussell über amerikanische Schuldverschreibungen entstand, die New York zum bedeutendsten Finanzplatz der Welt werden ließ. Deutschland büßte durch zwei verlorene Kriege seine globale Bedeutung als Kulturund Wissenschaftsnation ein, was sich insbesondere in der international weitgehenden Bedeutungslosigkeit seiner Sprache manifestiert.
10.6.2 Die bedrohliche Lage Zentraleuropas in den zwanziger und dreißiger Jahren Oberhalb des Wettbewerbs der Unternehmen gilt – eigentlich – grundsätzlich das Postulat der alten Außenhandelstheorie, dass nämlich Arbeitsteilung nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Rahmen wohlstands- und wohlfahrtssteigernd wirkt. So wird mit der Öffnung der Märkte in der Regel weltweit ein Wohlstandsversprechen eingelöst. Aktuell wird das am besten durch die Tatsache dokumentiert, dass die Liberalisierung in Asien dort Millionen von Menschen aus der Armutsfalle befreit hat. Aber es gilt ebenfalls, wie die Neue Außenhandelstheorie verdeutlicht, dass ein Land durch gezielte Eingriffe in die Wettbewerbsfähigkeit, also durch eine strategische nationale Wettbewerbspolitik, Renten zulasten Dritter auf sich ziehen kann. Einen Anspruch auf Wohlstand haben heute nämlich nicht nur die Eliten, sondern auch die allgemeine Bevölkerung – und das gilt auch für viele Diktaturen bzw. Regime der gelenkten Demokratie, weil das Zufriedenhalten der Eliten eine Bedingung dafür ist, dass diese nicht abwandern, was den Aufbau des Lands unmöglich macht. In vielen Dimensionen ist dieser Wirtschaftskrieg eine Fortsetzung des englisch-deutschen Wirtschaftsantagonismus vor dem Zweiten Weltkrieg. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Durchsetzen der politischen Dominanz mittels wirtschaftlicher Dominanz. Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Die Kolonialmächte und die USA, die nach dem Ersten Weltkrieg versuchten, die Ressourcengewinnung und -verteilung weltweit zu dominieren, um ihren Führungsanspruch, auch gegenüber den späteren Achsenmächten, durchzusetzen. Aber auch für andere Länder, insbesondere Mittelosteuropa und teilweise auch die Sowjetunion, wurde dieses Abschotten der Ressourcen auf der Ebene des Welthandels bedrohlich. • Das Deutsche Reich, später das Dritte Reich, das in seiner industriellen Entwicklung erheblich eingeschnürt wurde, weil es keinen unmittelbaren Zugang zu wichtigen Rohstoffen besaß. Gleiches führte beim energiehungrigen Japan dazu, dass es seine kriegerische Expansion nach Asien trug.
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• Ein Völkerbund, der keine wirtschaftliche Kompetenz besaß, zumal auch wichtige Länder nicht Mitglied waren; darüber hinaus gab es keine Ordnungsinstanzen, die auf globaler Ebene ein Diskussionsforum für derartige Handelsverwerfungen ermöglichten. Kriegsmittel: • Kolonialisierung ressourcenträchtiger Regionen. • Absichern der Handelswege durch Flotten- und Stützpunktpolitik. Kriegsziel: • Gewährleistung der Verfügbarkeit der für die wirtschaftliche Entwicklung erforderlichen Ressourcen. • Wirtschaftliches, aber auch militärisches Schwächen der Konkurrenten durch Behinderung des Zugangs zu Ressourcen. Kriegsfolgen: • Gewährleistung der Verfügbarkeit der für die wirtschaftliche Entwicklung erforderlichen Ressourcen. Die Analyse von Hjalmar Schacht (1937, S. 225–227), dem Reichsbankpräsidenten der Weimarer Republik und des Dritten Reichs, lässt aufhorchen. Er wies in seinem Beitrag in Foreign Affairs zum Thema Germany’s Colonial Demands auf die bedrohliche Problematik hin, dass Mitteleuropa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen durch die amerikanisch-französisch-englische Kolonialpolitik von strategischen Rohstoffen abgeschottet würde. Diese existentielle Gefahr nötige diese Länder zu einer eigenen protektionistischen Kolonialpolitik, auch wenn es Konsens sei, Freihandel sei die beste der Welten. Der Text wird gegenwärtig häufig zitiert,23 um auf die Gefahren einer Kolonialisierung der Rohstoffmärkte hinzuweisen, die vor allem China in Afrika in einen Neokolonialismus zwingt. „In the golden age before the World War the problem of colonies and raw materials did not have the importance it has today…. The markets where raw materials were procured were completely free. … All the important countries were on the gold standard, and this provided a sure basis for commercial calculations. All these elementary principles of international trade and intercourse have now disappeared. … The gold standard has been abandoned by nearly every country. Commercial treaties are concluded only for brief periods, and in their place have come quotas and restrictions, to say nothing of constant increases in more effective tariffs. German investments abroad have been taken away without compensation, and the markets
23Vgl.
auch den Beitrag von James McDonald (2011).
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where raw materials are to be procured are largely subject to the same restrictions that prevail in other fields of commerce. In recent years we have seen the results of this policy. World trade has fallen to almost one-third of its previous maximum. Credit machinery has ceased to function. Confidence in international payments has been extinguished. … Much is said nowadays to the effect that Germany is striving for autarchy. People entirely forget that this autarchy has long since been achieved by such countries as France and Great Britain, not to mention Russia and the United States. … As against these great national economic domains stand the countries with large populations but limited territories. Because of their inadequate land resources they are much more dependent than the others upon the international exchange of goods. These two kinds of countries have lately been classified as the „Haves‟and the „Have-nots.‟ … It was recently stated in the House of Lords that of an estimated twenty-five different varieties of essential raw materials, the British Empire was amply supplied in its own territory with no less than eighteen, was supplied to a certain extent in two cases, and was deficient only in five. Germany, on the contrary, as the same speaker in the House of Lords pointed out, was sufficiently supplied by its own production in only four cases, was more or less adequately supplied in two, and was completely without supplies in nineteen. … I should like to make it perfectly clear that autarchy, whether natural or produced artificially, cannot possibly be an ideal. It is opposed to the general principles of civilization. Autarchy means isolation from the rest of the world.“
Angesichts begrenzter Ressourcen und auch Zugängen zu Ressourcen stellte sich die Frage, ob über Organisationen wie den Völkerbund ein Ausgleich möglich gewesen wäre. Tatsächlich erlagen nicht nur Faschismus und Kommunismus einem mörderischen Expansionismus, für den sich ihre beiden Protagonisten Stalin und Hitler auch zeitweise verbündeten. Der Begriff der Großraumwirtschaft, die genau dieses Problem wie eine Hirschjagd für Deutschland lösen sollte, war allerdings schon lange vorher von dem liberalen Vordenker Friedrich Naumann (1915) formuliert worden. Herfried Münkler (2017) verweist in seinem Beitrag Ordnung ohne Hüter darauf, dass die geopolitische Lage des neuen Jahrtausends nicht so sehr der vor dem Ersten Weltkrieg ähnelt; vielmehr sieht er die Konstellation der Zwischenkriegszeit als geeignete Referenz: Kein Hegemon fand sich für den Weltfrieden zuständig, die in den Pariser Vorortverträgen benachteiligten Länder, vor allem die Verlierer, waren nicht bereit, die ihnen weitgehend diktierten Friedensregelungen zu akzeptieren, die Siegermächte selber waren uneins und bzw. oder schwach. Daraus lässt sich viel über die Neuordnung von Räumen nach dem Zerfall eines dominanten strategischen Spielers – damals Deutschland und Österreich-Ungarn, heute der Sowjetunion – und dem Auftreten neuer Hegemone – damals die USA, heute China – lernen.
10.6.3 Währungskrieg oder die Welt in der Rationalitätsfalle Ein Währungskrieg ist die extreme Version eines Abwertungswettlaufs, also ein Versuch, die Wettbewerbssituation eines Lands auf Kosten seiner Handelspartner zu verbessern. Das geschieht dadurch, dass der Verfall des Außenwerts der Währung mittels
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einer laxen Geldpolitik provoziert wird, damit die Exporte zunehmen und die Importe zurückgehen. Allerdings setzt dieser Wirkungsmechanismus voraus, dass Angebot und Nachfrage wirklich flexibel auf entsprechende Kursänderungen reagieren können. Ist das nicht der Fall, dann führt der Währungskrieg zu einer noch stärkeren Eskalation, weil er die Lage des abwertenden Lands nicht verbessert: Wenn nämlich dieses auf bestimmte Güter angewiesen ist, um entweder seine Wirtschaft zu betreiben, weil es diese Produkte nicht ersetzen kann, oder eine reiche oligarchische Schicht die Kaufkraft besitzt, diese trotzdem zu erhöhten Preisen einzukaufen, dann nehmen bei steigenden Inlandspreisen für ausländische Güter die entsprechenden Mengen nicht ab, sondern bleiben gleich, sodass das Leistungsbilanzdefizit weiter steigt und damit eine noch größere Anpassung erforderlich macht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, wie der beschriebene J-Kurven-Effekt ausführt. Allerdings werden sich andere Länder diese Veränderung zulasten ihrer Konkurrenzfähigkeit nicht gefallen lassen und werden ebenfalls versuchen, ihre Währung durch entsprechende geldpolitische Maßnahmen nach unten zu korrigieren; damit ergibt sich eine Lage, die Martin Feldstein (2013) als Fahrstuhl in den Abgrund bezeichnet, weil sich eine eskalierende Abwertungsspirale entwickeln kann. Das System von Bretton-Woods war daher, aus der Erfahrung der Geschichte geboren, mit festen Währungskursen ausgestattet, um das zu verhindern. So gleicht ein Währungskrieg einem Gefangenendilemma: Wer am meisten abwertet, gewinnt, und wer das auf Kosten der anderen schneller tut, ebenfalls. Dadurch tun es alle, bis die Kernschmelze des Währungssystems erreicht ist. Unterstellt wird von den Handelnden dabei, dass es sich in realen Größen um ein Nullsummenspiel oder sogar ein Positivsummenspiel handelt, bei dem der Gewinn des einen durch beschleunigtes Abwerten der Währung allenfalls der Verlust des oder der anderen ist. Tatsächlich handelt es sich aber, wie die historische Erfahrung zeigt, meist sogar um ein Negativsummenspiel, erfüllt also die Bedingung an einen Wirtschaftskrieg, weil die Niedrigzinsen eine Steuerung von Kapital nach Knappheitsgesichtspunkten nicht erlauben. Das gilt insbesondere dann, wenn die politischen Folgen für die Akzeptanz von Demokratie und Marktwirtschaft in die Bewertung eingeschlossen werden. Ausgelöst wurde die Gefahr eines Währungskriegs durch die Krise und die Krisenbewältigungsstrategien im Nachgang der subprime-Krise der Jahre 2007 und 2008. Ihr vorhergegangen war eine Zeit, die als great moderation bezeichnet wird und eine lange Phase ununterbrochenen Wachstums in den entwickelten Staaten der Welt beendete. Durch Paul Volcker als Vorsitzenden der Notenbank wurden in den Jahren 1979 bis 1987 in den USA die hohen Inflationsraten durch eine harte Geldpolitik abgebaut und im Nachgang des Vietnamkriegs Strukturanpassungen der Wirtschaft erzwungen. Alan Greenspan wiederum gelang es in seiner Zeit als Notenbankchef zwischen 1987 und 2006, die gebrochenen Inflationserwartungen auf niedrigem Niveau zu stabilisieren. Seine Niedrigzinspolitik, auch als Reaktion auf die Dotcomkrise von 2001/2002, die diese stetige Wirtschaftsentwicklung nur kurz unterbrach, gilt vielen als Ursache der Weltfinanzkrise. Tatsächlich hat diese aber viele darüber hinausgehende Ursachen, beispielsweise die großzügige Vergabe von Wohnungsbaukrediten oder die Rückführung
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der Bankenregulierung, möglicherweise auch die Herausbildung eines neuen Typus von Banker, auf dessen psychische Dispositionen bereits im dritten Kapitel Bezug genommen wurde. Die Finanzkrise entwickelte sich zu einer Schuldenkrise, weil Banken nationalstaatlich, später in Europa auch überstaatlich, gestützt wurden und weil entsprechende Fiskalprogramme zur Kompensation der Rezession aufgelegt worden waren. Für Europa weist Paul Krugman (2012a, S. 202) darauf hin, dass das Bild sehr vielschichtig ist, weil die Krisenbewältigung politisch hellenisiert wird, tatsächlich aber überschuldete Staaten mit gesunden Banken wie Griechenland ebenso getroffen wurden wie gesunde Staaten mit kranken Banken, beispielsweise Irland. Eigentlich sollte das differenzierte Methoden der Krisenbewältigung auslösen, die aber tatsächlich nicht eingesetzt wurden. Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff (2011) zeigen dabei, dass die private Verschuldung einen wesentlichen Krisenauslöser im Bankensektor darstellt, der dann in die öffentliche Ver- bzw. Überschuldung mündet. Denn bei der Stabilisierung der Realwirtschaft helfen nur wenige Instrumente, vornehmlich die Rekapitalisierung der Banken und gezielte Fiskalprogramme (Laeven und Valencia 2013). Gerade die stabilisierungsorientierte Niedrigzinspolitik löst einen Druck auf die eigene Währung aus, die als „beggar thy neighbor“ in einen Währungskrieg führen kann. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Verbessern der Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten anderer Länder und seitens der USA das Stabilisieren des US-Dollar als Referenzwährung der Welt. Teilnehmer am Währungskrieg: • Die USA, deren Notenbank Anfang der 2010er Jahre auf breiter Front Staatsanleihen kaufte, um mit Zinsen nahe null Prozent die Wirtschaft auf Wachstumskurs zu bringen, und dabei sich langfristig aufbauende Inflationsrisiken in Kauf nahm. Da ein großer Teil ihrer Geldbasis im Ausland liegt, ging historisch eine derartige Inflationspolitik auch immer zulasten anderer Länder – so ließen sich erhebliche Anpassungskosten abwälzen. Ob das auch dieses Mal gelingt, ist offen, weil China das angesichts seines Devisenschatzes nicht akzeptieren wird. Seit dem Frühjahr 2014 scheint die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu sein, die Zinswende wurde Ende 2015 eingeleitet, die Konkurrenz zum chinesischen Yuan, der gegenüber dem amerikanischen Dollar zwischen 2005 und 2015 rund 25 % aufwertete, wird immer deutlicher. Denn die Vorteile, Währungsanker der Welt zu sein, liegen auf der Hand: Leistungsbilanzund Staatsdefizite sind leicht zu finanzieren, es entfallen Teile der Währungsrisiken im internationalen Handel; alles das hängt jedoch von einem hochliquiden Markt ab, den der Renminbi heute noch nicht besitzt und den der Euro wohl niemals haben wird. • Japan, eine Zombie-Ökonomie, die seit zwanzig Jahren versucht, das Land auf Wachstumskurs zu bringen. In der Krise der 90er Jahre im Finanzsektor rettete der
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Staat seine Banken, indem er sie refinanzierte. Damit konkurrierten gesunde Banken mit kranken Banken und wurden dadurch ebenfalls angesteckt, weil es gegen die Staatsbürgschaften und -hilfen kein profitables Wettbewerbsmodell gab. Weiterhin konnten Banken an Unternehmen zu Konditionen Geld verleihen, die normalerweise nicht tragfähig sind, weshalb diese dann wiederum mit gesunden Unternehmen konkurrieren konnten und auch diese unter Druck setzten. Insgesamt hat damit die japanische Wirtschaft gewaltigen Schaden genommen, insbesondere ihre hohe Innovationsfähigkeit, für die sie eigentlich bekannt war, eingebüßt. Faktisch folgt aus dieser fehlgeschlagenen Stabilisierungsoperation die Zombifizierung. • Europa, ein völlig heterogener Währungsraum, der in sich schon starken Zerreißproben ausgesetzt ist und es nicht schafft, den internen realen Abwertungswettlauf über das Tarif-, Sozial- und Steuersystem unter Kontrolle zu bringen, da die einzelnen Mitgliedsländer sehr unterschiedliche Wirtschaftskulturen besitzen. Denn unterschiedliche Traditionen in der Wirtschaftspolitik haben es mit sich gebracht, dass die Lohnstückkosten in einigen Ländern viel stärker gestiegen sind als in anderen, womit besonders die Peripherieländer einem hohen Wirtschafts- und Schuldendruck ausgesetzt werden. • China, bisher der Stabilisator der Weltökonomie. Das Land war lange Zeit mit Wachstumsraten von knapp unter 10 % ein wesentlicher Garant für die globale wirtschaftliche Entwicklung. Seit Mitte 2013 schwächelt die Konjunktur, das Land stellt sich unter dem Stichwort der neuen Normalität auf Wachstumsraten unter 7 % ein. Der Versuch, durch staatliche Programme die Expansion zu forcieren, nährt eine gefährliche Blasenbildung, besonders allem im Aktien- und Immobilienmarkt. Zudem wird es als Finanzier der Weltwirtschaft schwächer, da sein Leistungsbilanzüberschuss stetig zurückgeht und auch seine Sparquote sinkt. Das ist der Tatsache geschuldet, dass zunehmend interne Ansprüche an Wohlstand und Entwicklung, besonders in den westlichen Regionen des Lands, befriedigt werden müssen. Da der chinesische Yuan (Renminbi) zunehmend zur Reservewährung aufsteigt, wird es spannend sein zu beobachten, auf Kosten welcher Währung das geschieht. Tatsächlich hat die Weltwirtschaftskrise die europäischen Währungen geschwächt; die Dominanz des US-Dollars hat sich sogar verstärkt. China versucht nun, alle Handelspartner auf das Nutzen seiner Währung einzuschwören, was beispielsweise im Erdölbereich mit Russland, das rund 50 % des chinesischen Bedarfs deckt, gelungen ist. Allerdings sprechen seit 2015 die Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten, die mit der Umstrukturierung der Wirtschaft verbunden sind, und die ständigen staatlichen Interventionen dagegen, dass die Währung in absehbarer Zeit eine der wirtschaftlichen Bedeutung des Lands angemessene Stellung erzielen wird. Kriegsmittel: • International: eine laxe Geldpolitik. • In der europäischen Währungszone: Über viele Jahre Fiskal-, Lohn- und Preisdisziplin in den Nordstaaten, das Gegenteil in den Peripheriestaaten.
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• Seitens der USA: China möglichst aus internationalen Handelsabkommen fernzuhalten sowie Drohungen, Handelsverträge aufzukündigen und bilaterale Deals abzuschließen. • Seitens Deutschlands: Eine hohe private Ersparnis, eine starke Sparpolitik der Öffentlichen Hand und fehlende Investitionen der Unternehmen, was einen hohen Leistungsbilanzüberschuss auslöst und damit eine der Ursachen der Instabilität der Eurozone ist.24 • Seitens Chinas: Aufbau länderübergreifender Kooperationsstrukturen, beispielsweise der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank. • Devisenzwangsbewirtschaftung und Kapitalverkehrskontrollen, besonders in Schwellenländern. Kriegsziel: • Abwälzen volkswirtschaftlicher Lasten, insbesondere staatlicher und privater Schulden, auf Drittländer. • Seitens Chinas: Langfristiges Einbeziehen des chinesischen Yuan als Reservewährung in den IWF. • Seitens der USA: Verhindern einer Reduzierung der Bedeutung des US-Dollars als Reservewährung oder gar seiner Ablösung. Kriegsfolgen: • Diese sind noch nicht vollständig abzusehen; in jedem Fall bleibt die Weltwirtschaft unter ihren Möglichkeiten und die Macht der Zentralbanken gegenüber dem demokratischen Souverän nimmt in den westlichen Ländern zu. Der Versuch, Währungskurse mittels politischer und monetärer Maßnahmen zu schwächen, hat in Europa nach der Finanzkrise über lange Jahre auch den Reformdruck von den Krisenländern genommen. Auch bisher starken Ländern wie Deutschland erlauben diese Rahmenbedingungen, eine wirtschaftspolitische Richtung einzuschlagen, die das Land langfristig schwächt, wie auch der Sachverständigenrat 2014 in seinem Gutachten Mehr Vertrauen in Marktprozesse ausführte. Tatsächlich gingen große Banken ab Herbst 2014 Kontrakte ein, die auf einen Euro-Crash wetten. Hierunter leiden insbesondere an die Euro-Zone zumindest politisch gebundene Länder wie das EU-Mitglied Polen. Der Verfall der Zinsen bedeutet zunächst für die Länder eine große Erleichterung, weil er ihre Wettbewerbsposition verbessert. Allerdings wird damit auch die Position 24Gerne
wird die Verschuldung eines Lands als Summe aus fiskalischen Schulden, privaten Schulden und Verbindlichkeiten aus künftigen Leistungsversprechen der Sozialkassen definiert. Es müssten aber auch unterlassene Investitionen hinzutreten, denn diese werden irgendwann, bevor Brücken zusammenbrechen oder Schulhäuser kollabieren, fällig.
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des Fremdkapitals, das in Unternehmen grundsätzlich als Aufwand steuerfrei gestellt ist, und in manchen Ländern auch im privaten Bereich die Steuerlast mindert (vor allem bei Immobilien) gegenüber dem Eigenkapital verbessert, was die Finanzstruktur der Volkswirtschaften in Richtung Fremdkapital verschiebt und erhebliche Risiken für Vermögensblasen erzeugt. Zugleich können, ausgehend von Zentralbankzinsen nahe null, Änderungen in der Währungspolitik starke Verwerfungen auslösen. So führte das fahrlässige Gerede des EZB-Direktors Benoît Coeuré vor Hedgefondsmanagern im Mai 2015 nicht nur zu enormen Gewinnen aus dem Insiderhandel, es löste auch starke Marktturbulenzen aus. Viele Politiker und Ökonomen – besonders aus Ländern mit einer Schwachwährungstradition – haben unter den Bedingungen flexibler Währungskurse in einer leichtsinnigen Währungspolitik ein Heilmittel gesehen, ihre internationale Wettbewerbs- und Zahlungsfähigkeit zu erhalten, was aber unter den Bedingungen einer Währungsunion nicht funktioniert. Hier hilft allein ein Absenken des Preisniveaus für lokale Güter, was aber große politische Probleme bereitet und in eine ökonomische Depression führen kann. Denn in Erwartung sinkender Preise werden Kaufentscheidungen zeitlich verschoben und generieren neuen Preisdruck nach unten. Der Versuch, eine solide Finanzpolitik durchzuhalten und die Knappheit des Gelds über angemessene Zinsen zu sichern, wie es der Tradition der Deutschen Bundesbank, aber auch der österreichischen, holländischen oder finnischen Zentralbank entspricht, steht damit unter Druck. Die Kollateralschäden sind nicht zu übersehen: Lebensversicherungen in schwerer Ertragsnot, Vernichten von Geldvermögen, Fehlanreize bei Investitionen. Dass die Anhänger einer Schwachwährungspolitik von dieser nicht ablassen, liegt daran, dass diese ihnen hilft, die Anpassungslasten nicht in ihren Ländern durchsetzen zu müssen. Wenn der Ökonom Paul de Grauwe (2012) schreibt, die Deutsche Bundesbank organisiere eine Guerilla-Kampagne gegen die Europäische Zentralbank, weil nostalgische Seelen versuchten, ihre „Hegemonialposition zu erneuern“, dann zeigt das den Ernst der Auseinandersetzung. Und er wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass Rettungsschirme, die erst eine Ausnahme sein sollten, dann nur auf Zeit gedacht waren, heute auf Dauer installiert sind.25 Damit wird in der Eurozone ein Verteilungs- und Wohlstandskrieg ungeheuren Ausmaßes, spätestens sobald der Entzug der Droge Niedrigzins beginnt, kaum zu vermeiden sein. Die Größenordnung der Geldschwemme erscheint bedrohlich. Die Bilanzsummen der Notenbanken der wichtigsten Schwellenländer und fortgeschrittenen Volkswirtschaften erhöhten sich von je 2 Billionen US$ im Jahr 2000 auf jeweils rund 10 Billionen US$ Ende 2012 und verharren seitdem auf hohem Niveau. Wie sich das Problem der Währungskonkurrenz darstellt, sieht man prototypisch an der Schweiz, bei der die Bilanzsumme um knapp 500 % stieg, weil sie als klassische Fluchtwährung verhindern musste, mit einer Aufwertung die Wettbewerbsfähigkeit vollkommen zu ruinieren. 25Alexander
Friedrich (2018) verweist darauf, dass Rettungsschirme gleichermaßen schützend („umbrella“) und intervenierend („parachute“) gemeint sein können und damit einer breiten Metaphorik Raum geben.
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Die Zinsen werden am Ende steigen müssen, zumal sie irgendwann an die Inflationsraten bzw. Inflationserwartungen anzupassen sind. Seit dem Frühjahr 2018 besteht Druck durch die Zinserhöhungen der US-Amerikanischen Notenbank und der sehr guten Wirtschaftslage ebendort sowie durch steigende Inflationsraten im Euroraum, insbesondere in Deutschland. Ausgehend von einer Schuldenquote von 80 % führten die reichlich sprudelnden Steuerquellen in Deutschland zu einem Rückgang auf rund 60 % Ende 2018, sodass auch Zinserhöhungen aufgefangen werden können; rechnerisch bedeutet ein Anstieg der Zinsen um drei Prozentpunkte eine zusätzliche Belastung von 2,4 % der Haushalte. Die Schwellenländer sind seit Anfang 2018 von dem Zinsanstieg der USA bedroht, der zu massiver Kapitalabwanderung und Kursverlusten der Währungen führt, wenn die Zinsen nicht auch ebendort angehoben werden. Zwar führen Abwertungen zu Verbesserungen der Exportfähigkeit, aber die Investitionsgüter, die in erheblichem Maße aus dem Ausland stammen, verteuern sich neben allen anderen Importen, was wiederum die Inflation anheizt. Im Sommer 2018 stand Argentinien wieder einmal vorm Staatsbankrott und bedarf der Hilfe des Internationalen Währungsfonds IWF. Japan mit einer Schuldenquote von 230 % droht bei einer vierprozentigen Zinserhöhung eine Verdoppelung seines Haushaltsdefizits – da es aber fast ausschließlich im eigenen Land verschuldet ist, sind hier die internen Umverteilungseffekte zu beachten. Viele Länder werden Zinserhöhungen entweder bilanziell oder hinsichtlich der Verteilungseffekte kaum ertragen können, was die Zentralbanken unter massiven politischen Druck setzen wird. Die europäischen Staaten, insbesondere in Nordeuropa, wurden für Länder wie Japan und die USA infolge des Abwertungswettlaufs und der unbegrenzten Verschuldungsdynamik zu einem safe heaven. Zeitweise trieb der Geldmittelzufluss die Währung nach oben und führt damit alle Sanierungsbemühungen in den Schuldenstaaten des Südens Europas ad absurdum. Tatsächlich hat die Europäischen Zentralbank im Rahmen der OMT-Politik zugesagt, die Zinsen bis in das Jahr 2019 hinein – trotz gegenteiliger Fundamentaldaten, nahe null zu halten. China signalisierte bereits Anfang der 2010er Jahre, dass es einen Abwertungswettlauf nicht mitmachen will. Derartige willkürliche Eingriffe in den USA haben, wie Joseph Stiglitz (2010) beobachtet, meist neuer Wirtschaftskrisen mit zerstörerischen Effekten bei den Handelspartnern ausgelöst. Auch wenn Donald Trump China und Europa einen Abwertungswettlauf vorwirft: Weit dramatischer sind die Folgen des Zollkriegs seit Anfang des Jahres 2018 einzuschätzen, über die eingangs berichtet wurde. Europa versucht inzwischen, die eigene Währungsunion zu stabilisieren, will einen eigenen Währungsfonds auflegen und eine europäische Einlagensicherung aufbauen. All dies basiert allerdings auf stark divergenten volkswirtschaftlichen Grunddaten, weshalb der Erfolg des institutionellen Wandels als extrem fraglich erscheint. Zudem ist die Stabilität der Zukunft fraglich: Sorgfältiges Auswerten relevanter Frühindikatoren macht deutlich, dass irgendwann etwas passieren muss, aber das Wann bleibt unbestimmt (Knedlik und Schweinitz 2012; El-Shagi, Knedlik, Schweinitz 2013). So ziehen sich Ausländer zunehmend von den Auktionen der US-Staatsanleihen zurück und der sogenannte TED-Spread (Treasury Bill Eurodollar Difference), der Zinsaufschlag,
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den Banken am amerikanischen Markt zahlen, schlägt massiv nach oben aus (Zschäpitz 2018a). Gegenmaßnahmen sind in Demokratien allerdings schwer rechtzeitig umzusetzen. Wenn aber Indikatoren Signale für Krisen sind, dann können sie auch zur Fehlsteuerung, also zum Abgeben falscher Signale benutzt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Nicht umsonst weist Robert Lucas (1976) darauf hin, dass mit zunehmender Rationalität, insbesondere Transparenz der Wirkungsbeziehungen, die Wirtschaftspolitik ineffizient zu werden droht – das gilt auch für frühzeitige Krisenabwehrpolitiken und öffnet bewusst gesetzten Falschsignalen Tür und Tor. Deshalb sind rechtzeitige Strukturreformen die wichtigste Maßnahme der Krisenprävention.
10.7 Fazit und Handlungsempfehlungen Auch wenn der Freihandel die beste aller Formen des internationalen Wirtschaftsaustausches ist, so wird er nie in reiner Form existieren. Alleine die normalen, kaum zu verhindernden Transaktionskosten, insbesondere die Transportkosten, erzeugen Unterschiede und somit differenzierte Lagequalitäten und Standortvorteile, die über das, was über komparative Standortvorteile erklärt werden kann, hinausgehen können, weil der Staat diese beeinflussen oder sogar schaffen kann, was bereits Friedrich List (1841) ausführte. Denn eine interventionistische, strukturerhaltende staatliche Handelspolitik führt oft dazu, dass ein Land, das diese verfolgt, später besonders darunter leidet. Denn es muss nicht nur die Subventionen ertragen, es muss auch den Entzug an Kaufkraft bei den eigenen Unternehmen oder Konsumenten, die dann als Abnehmer erhöhte Preise zahlen müssen, hinnehmen. Allerdings kann sich das ins Gegenteil verkehren, sobald Marktmacht gezielt aufgebaut werden kann, die dann monopolistisch genutzt wird und Differentialrenten, also Zusatzprofite, ermöglicht. Insofern ergibt sich hier eine klassische Interaktion zwischen Staaten und Unternehmen, allerdings mit den Unternehmen an der Spitze des Handlungsfelds, egal ob es sich um Privatunternehmen, Staatsunternehmen oder in manchen Ländern khaki industries, also Unternehmen unter Armeekontrolle, handelt. Eine solche Strategie muss sorgsam abgewogen werden. Es muss eine Entscheidung getroffen werden, und in jedem Fall ist eine mögliche Auseinandersetzung mit anderen Ländern zu bedenken. Auf der Ebene der operativen Umsetzung fällt es insbesondere parlamentarischen Demokratien schwer, auf Dauer eine nachhaltige Politik durchzuhalten, stehen doch zu viele unterschiedliche Interessen miteinander im Konflikt, wie beispielsweise die misslungene strategische Förderung der Solarindustrie in Deutschland zeigt, deren Wirkung sich inzwischen ins Gegenteil verkehrte und ein Einfallstor für ausländische Konkurrenten geöffnet hat. Damit werden auch die klassischen taktischen Fragen, wo wird angegriffen, wohin werden Vergeltungsschläge geleitet, wo muss ausgeglichen werden, welche Märkte sind im Verbund so wichtig, dass sie zu schützen sind, bedeutsam. Wieder zeigen die Beispiele, dass auch die zeitliche Sichtweise wichtig sein kann: Langanhaltende Geschäftsbeziehungen, die durch eine kontinuierliche Investition
10.7 Fazit und Handlungsempfehlungen
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im Ausland gewachsen sind, sind ein hohes Reputationsgut, das Wohlverhalten sogar dann als sinnvoll erscheinen lässt, wenn dieses ursprünglich gar nicht beabsichtigt war. Schließlich kann sich die Notwendigkeit eines Erhalts von Strukturen auch daraus ableiten lassen, dass man deren Nutzung für spätere Zeiten offenhalten will – vor allem im Sinne der Technologieverfügbarkeit. Man spricht dann auch von Optionsgütern. Das Beispiel der Wirtschaftsauseinandersetzung Englands mit Deutschland im 19. Jahrhundert belegt, wie schwer es fällt, die grundlegende Dynamik eines konkurrierenden Staats von außen zu stören, wenn dieser strategisch gut aufgestellt ist und über den Zugang zu den erforderlichen Ressourcen (damals zu Kohle und Stahl) und über ein leistungsfähiges Innovationspotential verfügt. Der Versuch, Deutschland und Mitteleuropa auszugrenzen, machte einen großen Konflikt wahrscheinlicher, wenn nicht sogar unausweichlich. Nicht ohne Grund warnt Henry Kissinger in seinem Buch On China (2011) davor, heute eine diskriminierende Strategie gegen China zu verfolgen, wie es die späteren Alliierten vor dem Ersten Weltkrieg gegen Deutschland und ÖsterreichUngarn getan hatten. Als die siegreichen Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg versuchten, ihre Kolonialimperien zu stabilisieren, dominierten sie den Welthandel, der damit weniger frei war als vordem – und erzeugten damit negative Dominanzerwartungen mit all ihren (wirtschafts-) kriegerischen Folgen. Die Offenheit von 1913 wurde erst wieder Ende des Jahrtausends, also nach der Wende und dem Schmelzen des Eisernen Vorhangs, erreicht. Die Warnungen von Hjalmar Schacht (1937) sind also ein Menetekel für alle, die den Freihandel verhindern wollen, der von Ökonomen als eine der wichtigsten friedensschaffenden Institutionen angesehen wird; denn man muss nicht befreundet sein, um miteinander Handel zu treiben. Man muss Erwartungen stabilisieren – viele Maßnahmen unter Führung der USA dienten nach dem Zweiten Weltkrieg diesem Zweck, beispielsweise der Marshall-Plan – offener Welthandel – oder die in Bretton Woods vereinbarte Geldordnung – stabile Währungen. Umgekehrt führt aber fehlender Handel dazu, dass Konflikte leichter eskalieren können, weil keinerlei Abhängigkeiten bestehen, die Kosten also geringer sind. Auch hier wird wieder eine Analogie deutlich, wenn China versucht, sich Zugänge zu Ressourcen außerhalb des eigenen Lands zu sichern, weil es sich aus vorgeblich strategischen Sicherheitsgründen nicht an internationalen Rohstoffunternehmen beteiligen darf. Wie schwierig die Koordination einer internationalen Wirtschaftspolitik unter fundamental unterschiedlichen ökonomischen, aber auch kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen ist, sieht man an den weltweiten Währungsauseinandersetzungen seit Beginn der Weltfinanzkrise im Jahr 2008, bei der sich ein Land durch Währungsabwertung – Währungsdumping – Wettbewerbsvorteile zulasten eines anderen verschaffen will. Das Risiko besteht dabei im Zusammenbruch des Handels, wobei die Gefahr sehr hoch ist, dass ohne neue Kooperationslösungen langfristig alle zu Schaden kommen. Das gelingt bereits heute den Finanzkonquistadoren, die jenseits nationaler Grenzen und internationaler Organisationen danach trachten, das Finanzsystem zu beeinflussen, dabei Gewinne zu privatisieren und Verluste zu verstaatlichen. Der ordnungsökonomische Wettbewerbsmechanismus ist hier nicht in der Lage, vernünftige Regeln
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zu implementieren – vernünftig in dem Sinne, dass er auf der einen Seite derartigen Bestrebungen Grenzen setzt und auf der anderen Seite effiziente Finanzmärkte erhält, die für die Geldversorgung der Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind. Im Zentrum des Wirtschaftskriegs der Staaten stehen Währungs- und Handelskriege – im Verbund mit sicherheitspolitischen Fragestellungen ultimativ der Handelsboykott. Im Vorfeld ist das Ausspähen des Gegners, insbesondere seiner Fähigkeiten und damit seines Innovationspotentials, besonders wichtig. Hier gelten folgende Empfehlungen für handelnde Politiker: 1. Sicher dir die Unterstützung der eigenen Verbündeten, der verbundenen Unternehmen und der eigenen Bevölkerung! Das gilt insbesondere dann, wenn diese Aktivitäten ein Teil einer hybriden Kriegsführung sind. Der Wille zur Durchsetzung kommt über den politischen Prozess oft schneller zum Erliegen als die technischen Fähigkeiten und Bereitschaften. Sie können deine eigene Macht erodieren lassen. Genau dies war die fatale Lektion für England, das für beide Siege gegen Deutschland sein Kolonialreich und seine Bedeutung als Ordnungsmacht sukzessive aufgeben musste. 2. Zu jeder entry-Strategie gehört eine exit-Strategie. Für beide ist es erforderlich, im Rahmen der Lagebeurteilung zu beschreiben, welche glaubhaften Drohungen jeder Seite zur Verfügung stehen, worin die Ziele bestehen und wie das Erreichen derselben gemessen wird. Zumindest die wirtschaftliche Konkurrenz England – Deutschland vor 1914 legt nahe, dass es genau daran fehlte, womit der Erste Weltkrieg seinen Lauf nahm. 3. Nutz die Spionage, das (zweit-) älteste Gewerbe der Welt! Sie ist wichtig, denn durch sie gelingt es, glaubhafte Signale zu setzen und darauf aufbauend den Gegner zu täuschen. 4. Staatliche Wirtschaftsspionage ist über den reinen Aufklärungsbedarf immer dann zweckmäßig, wenn damit auch Kenntnisse gewonnen werden, die im eigenen Land umgesetzt werden können, was bekanntlich nicht immer der Fall ist. In Demokratien lässt sich das gut mit der Notwendigkeit geheimdienstlicher Aktivitäten infolge des Antiterrorkampfs begründen. 5. Dieser Antiterrorkampf ist auch dazu geeignet, die wahren Gründe der Spionage in staatspolitisch akzeptabler Form zu verschleiern. Insbesondere ist eine dual use der Aufklärungsergebnisse immer dann zweckmäßig, wenn der Ertrag größer ist als die politischen Kosten. Dazu ist auch eine Abschätzung notwendig, wem aus der eigenen Industrie die Erkenntnisse zugeführt werden sollen, denn das ist angesichts der internationalen Verflechtung der Wirtschaft und damit der hohen Wettbewerbsintensität nicht trivial. 6. Erzeug und stabilisiere Dominanzerwartungen – entweder als Signal, dass einer Auseinandersetzung nicht ausgewichen werden kann oder – besser – dass sie gar nicht erst gesucht wird! Gerade die Vorstellung, Währungskriege seien einfach zu gewinnen, täuscht – sie sind schwieriger zu führen als Wirtschaftskriege im Bereich der nicht-monetären Instrumente.
Literatur
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Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
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Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei! (Deutsches Volkslied)
Die moderne digitale Welt hat nicht nur Freiräume und neue Chancen, sondern ihre eigenen, spezifischen Gefahren generiert. Dabei stehen zwei Aspekte im Zentrum der Analyse: zum einen gibt die Cyberwelt den Informationen einen neuen Träger, der massiv die Transaktionskosten des Transports, der Speicherung und der Verarbeitung senkt, weshalb sich institutionelle Arrangements anpassen müssen – vereinfacht gesprochen: kollektive Strukturen werde überwölbt oder sogar ersetzt durch konnektive Strukturen. Zum anderen ist sie aufs engste mit den Potentialen der Künstlichen Intelligenz (KI) verknüpft, also dem Automatisieren intelligenten, möglicherweise sogar kreativen Verhaltens. Individuen lernen durch Akkumulation, digitale Systeme können helfen. Die Fähigkeit des Menschen zur Informationsverarbeitung und Kreativität ist aber singulär, sie ist nicht kopierbar. Anders ist dies bei Künstlicher Intelligenz: Eine programmierte Struktur kann jederzeit auf andere Systeme übertragen werden, die dort weitgehend identisch funktionieren. Dieser Unterschied ist entscheidend für die Potentiale (Walsh 2017) – und im Sinne des hier Verhandelten für den aus den Cyberfähigkeiten abgeleiteten Wirtschaftskrieg. Beide Aspekte sind durchaus verknüpft, wie das Nutzen von Cybersystemen zur Erhöhung der Ausbildungseffizienz durch den Zugriff auf neue Datenwelten zeigt (Bishop 2014), die gleichermaßen auf Marketingstrategien übertragen werden kann, bei der dann das Erfassen von Gefühlen mittels Analyse von Stimme und Mimik hohe Bedeutung zukommt. Auf der Strecke bleibt in der Regel die Zustimmung der Manipulierten ebenso wie die Frage von Verursachung, Verantwortlichkeit und Haftung. All dies erfordert einen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_11
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neuen Ordnungsrahmen. Vor allem die Verfahren der Ausspähung und Unterwanderung, auch des Identitätsdiebstahls, der Verarbeitung und der Speicherung öffnen dem Ausleben von Rivalität neue Möglichkeiten und führen damit zu Unsicherheiten. Sie beeinflussen die Strategiediskussion ebenso wie die nachgelagerten operativen und taktischen Schritte; insbesondere in der Lageanalyse und in den Entscheidungsprozessen schlägt sich dies nieder. Ohne neuen Ordnungsrahmen ist ein – möglicherweise in vielen Bereichen unsichtbarer – Wirtschaftskrieg schwer zu vermeiden. Da Hochtechnologiekonflikte vor allem in Netzindustrien auftreten, die global verteilt sind, und in einem Cyberkrieg die geographische Verortung fehlt, damit auch Führungsvorgänge im Verborgenen bleiben, wenn sie denn überhaupt stattfinden und kein Schwarmverhalten darstellen, liegt dieses Kapitel gleichsam quer zu den Abhandlungen über Führung, das Kriegstheater sowie die unternehmerische und staatliche Kriegsführung. Die Akteure des Cyberkriegs können institutionen- oder sogar personenidentisch mit Akteuren regulärer militärischer Konflikte oder von Wirtschaftskriegen sein und umhüllen damit auch das Dominanzstreben in innovativer Form. Tatsächlich existiert beispielsweise, ganz im Sinne der Dominanzerwartungstheorie, ein massiver und inzwischen wirtschaftskriegerischer Konflikt zwischen den USA und China über die künftige digitale Herrschaft (Economist 2018a). In ihrem Beitrag Democracies Must Learn to Withstand, in Peacetime, a Permanent War in Cyberspace definieren Jean-Louis Gergorin und LéoIsaac-Dognin (2019, S. 18) den Cyberkrieg wie folgt: „Cyberspace encompasses all the globalGlobal hardware and software means of storing, processing and transporting bits and bytes, but also, and most critically, all the information-content of that data. Cyberwarfare is the offensive use of these multiple components with the purpose of exerting influence or control over an adversary. Practically speaking, it can take the form of hacks that seek to compromise the confidentiality or integrity of digital systems for the purpose of espionage or sabotage, but also of assaults on the integrity of the information sphere, such as the mass dissemination of fake, biased or incomplete information through digital media.‟
Das folgende Kapitel analysiert diese ordnungsökonomische Herausforderung, beleuchtet den Wert der Information – insbesondere der unterschiedlichen Verteilung von Informationsständen auf Personen und Institutionen, analysiert die Instrumente des Cyberkriegs und leitet über in die Einsatzgrundsätze. Zwei Beispiele, über Patentkriege und über Ausspähungsstrategien, erleichtern die praktische Zuordnung.
11.1 Die digitale Welt als ordnungsökonomische Herausforderung Im modernen Cyberraum existiert keine Attribution, also keine geographische Verortung, möglicherweise auch nur begrenzt eine sachliche und zeitliche im Sinne der drei relevanten Märkte, die für das Kriegstheater begründend sind. Jeder Angriff ist
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getarnt, jeder Gegenschlag diffus, solange er nicht exakt zugeordnet werden kann. Die Glaubhaftigkeit jeder Verteidigung ist von der Fähigkeit der Attribution abhängig, was dem Angreifer einen unschätzbaren Vorteil verschafft. Wie General a.D. David Petraeus (2017), langjähriger Direktor der CIA, schreibt, bewirkt die Cybertechnologie eine Fragmentierung von Macht; der Cyberspace sei nicht nur ein eigenständiges Kampffeld, es werde auch die Unterscheidung zwischen Angriff und Verteidigung verwischt. Damit ist zu prüfen, wie – und ob überhaupt – ein Ordnungsrahmen die Digitalisierung umhegen kann und inwieweit die mit Hochtechnologien einhergehende, oft durch Algorithmen getriebene Vermachtung der Märkte der liberalen Vorstellung einer Verbindung von Demokratie und Wettbewerbswirtschaft entgegensteht. Damit ist das Menschenbild der Gesellschaft vor dem Hintergrund digitaler Möglichkeiten zu debattieren, insbesondere auch die Frage, in welchem Umfang Maschinen moralfähig sein sollen bzw. die Konstrukteure der digitalen Systeme verantwortlich zeichnen sollen.
11.1.1 Das Verschwimmen des Ordnungsrahmens und Algokap Die Dynamik der modernen Cyberwirtschaft und damit auch der Potentiale des Cyberkriegs lassen sich wettbewerbstheoretisch anhand des progressiv, nämlich quadratisch steigenden Nutzens von Netzwerkstrukturen erklären. Dies wurde im neunten Kapitel im Kontext der Plattformstrategien aufgegriffen. Während historisch Macht immer hierarchisch verortet war, tritt sie nunmehr als Netzwerkstruktur auf, wie dies die Institutionenökonomik unter den Bedingungen eines Verfalls der Transaktionskosten beschreibt (Blum und Dudley 1999) und Niall Ferguson (2017) fulminant in seinem Buch The Square and the Tower – Networks, Hierarchies and the Struggle for Global Power verdeutlicht. Der Nutzen liegt anfänglich bei geringen Teilnehmerzahlen niedrig, die Kosten des Netzes sind infolge der hohen anfänglichen Investitionen, die für die Infrastruktur zu versenken sind und die den Markteintritt beschränken, enorm hoch. Von diesen sind die eher geringen laufenden Kosten abzugrenzen; im Durchschnitt steigen diese eher unterproportional. Damit sinken die Stückkosten auf lange Sicht mit dem Hinzugewinnen neuer Kunden.1 Aus diesen Gründen wurden derartige Netzsysteme historisch oft als natürliche Monopole bewirtschaftet. Für das dominante U nternehmen besteht ein
1Werden
die paarweisen Austauschbeziehungen zwischen einer Anzahl von Akteuren in einer Tabelle dargestellt, die analog einer Distanzübersicht eines Autoatlas’ organisiert ist, so wird jede Austauschmöglichkeit durch eine Zelle dargestellt, beispielsweise der dritten mit der fünften Person in Zellen der dritten Zeile und der fünften Spalte. Geht man von einer Symmetrie aus, so haben damit zwei Personen eine Austauschmöglichkeit. Bei vier Beziehungen ist das Ergebnis bereits sechs und bei fünf zehn. Denn in einer 5 × 5-Tabelle existieren 25 Felder; da man nicht mit sich selbst interagiert, entfällt die Diagonale, was 20 Interaktionsmöglichkeiten übriglässt. Bei besagter Symmetrie ist der Wert zu halbieren. Man sieht, dass diese Reihe überproportional wächst, nämlich bei n Akteuren nach der Formel n·(n−1) , was einem quadratischen Pfad entspricht. 2
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Vorteil der Größe, welches die Oligopolisierung, und schließlich die Monopolisierung beschleunigt. In diesen konzentrierten Netzen können Angreifer mit einfachen Mitteln extreme Schäden verursachen – im einfachsten Fall: eine in Machtnetzwerken wichtige Persönlichkeit zu zerstören, um ein Unternehmen oder einen Staat zu schädigen. Die Abb. 11.1 verweist auf die Macht der Konzentrationsprozesse, die insbesondere dann eine starke Eigendynamik entwickeln, wenn eine essential facility vorliegt, also eine wesentliche Einrichtung, die den Zugang zu Märkten beherrscht, beispielsweise ein elektronischer Marktplatz oder ein Buchungssystem, wodurch Marktmacht (Blum und Veltins 2004) entsteht. Diese haben eine selbstverstärkende Tendenz, wie die Entwicklung der Unternehmensgröße, aber auch ihrer Konzentrationstendenzen, also ihr Hunger auf Fusionen, Dies erklärt auch, weshalb die Unternehmenswerte in der Digitalwirtschaft meist bei einem Mehrfachen des Eigenkapitals liegen, d. h. ein extrem hohes Tobin-Q, also Verhältnis aus Marktwert zu Wiederbeschaffungswert des im Unternehmen Geocies/1999 Webshots/1999 Mapquest/1999 eGroups/2000 Paypal/2002 Blogger/2003 Picasa/2004 Webshots/2004 Live Journal/2005 Flickr/2005 Dodgeball/2005 MySpace/2005 Skype/2005 IGN/2005 upcoming.org/2005 delicio.us/2005 Grouper/2006 YouTube/2006 Last.fm/2007 Stumble Upon/2007 FeedBurner/2007 Jaiku/2007 Bebo/2008 CNET/2008 Zappos/2009 Mint.com/2009 Aardvark/2010 Huffington Post/2011 Gowalla/2011 Skype/2011 OMGPop/2012 Instagram/2012 WhatsApp/2014 0
100
Übernahme von
200
300
Yahoo
Google
400 Facebook
500 anderen
600
700
800
900
Kosten je Nutzer (US$)
Abb. 11.1 Konzentrationsprozesse in der Cyberökonomie, 1999 bis 2014. (Quelle eigene Darstellung aus Der Standard 2014)
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investierten Kapitals aufweisen (Tobin 1969). Zugleich lässt sich der Erfolg von heute nicht unbedingt in die Zukunft fortschreiben, was Abstürze von Unternehmen wie IBM, AOL, Nokia oder Research in Motion (Blackberry) belegen. Daher müssen sich die Internetgiganten stets neu erfinden und stehen vor der einem Zweifrontenkrieg: Sie werden sich der in China durch eine strategische Technologiepolitik und die Abschottung der Märkte groß gewordenen globalen Konkurrenten wie Alibaba, Tencent, Baidu oder Huawei erwehren müssen. Zugleich teilen Sie das Schicksal von Größtunternehmen – die Regulierungsbehörde ist ihr größter Feind, und tatsächlich werden Aufspaltung und Entflechtung zunehmen gefordert – ganz ähnlich wie 100 Jahre zuvor beim Standard-Oil-Imperium der Familie Rockefeller. Tatsächlich stellt sich für die westlichen Demokratien im Rahmen des Systemwettbewerbs die Frage, ob der Anspruch, Demokratie sei eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Wettbewerbswirtschaft, nicht angesichts der Erfolge autoritärer asiatischer Politikmodelle – und der ökonomischen Probleme vieler asiatischer Demokratien – relativiert werden muss. Macht künstliche Intelligenz eine zentrale Planung möglich? Begünstigen Netzwerke die Monopolbildung und sind dabei dennoch in der Lage, dezentrales Wissen einzusammeln und zu synthetisieren? Löst sich die Interdependenz der Systeme, von der liberale Volkswirtschaften ein gutes Jahrhundert lang profitiert haben, auf? Die fehlende räumliche Verortung relativiert nicht allein den Ordnungsanspruch staatlicher Einrichtungen; sie lässt auch überstaatliche Institutionen erodieren, wie die globalen Handelskonflikte am Ende des Jahrzehnts zeigen. Deutlich wird dies an den Problemen, digitale Unternehmen rechtlich zu erfassen, beispielsweise im Hinblick auf eine Besteuerung, auf Schadensersatz im Haftungsbereich oder schließlich in Bezug auf das Wettbewerbsrecht, was gleichermaßen ein Problem staatlichen Zugriffs und übergeordneter Ordnung ist. Genau deshalb ist es interessant zu beobachten, wie China mit wachsendem Erfolg versucht, die nationale Cybersouveränität durchzusetzen – bekannt unter dem Namen Great Chinese Firewall. Russland versucht, es ihm nachzutun, von Peking kräftig unterstützt, aber dem Land fehlen die entsprechenden Spezialisten und Algorithmen; zudem ist es in vielen Bereichen, beispielsweise bei Bezahlsystemen, vom Westen abhängig – ganz anders als China. Inzwischen ziehen westliche Gesellschaften nach – die Terrorismusbedrohung ist ein guter Vorwand hierfür, und bei der Überwachungstechnologie muss infolge fehlender eigener Kompetenz regelmäßig auf chinesische Systeme zurückgegriffen werden.2 Im Sommer 2019 diskutierten die deutschen Innenminister, ob sie neben digitale Sprachassistenten auch auf vernetzte Haushaltsgeräte zugreifen sollen (Jansen 2019).
2Constanze
Kurz (2019a) berichtet in ihrem Beitrag Halten Sie an der Grenze Ihr Smartphone bereit über das System iBorderCtrl, das als leistungsfähige invasive Technologie digitale Personenkontrollen ermöglicht und kaum öffentliche Beachtung findet. Sie zeigt weiterhin (Kurz 2018, 2019b), in welchem Umfang der Staat selbst als „Big Brother“ auftritt und wie stark westliche Technologie autoritäre politische Systeme in ihrem Überwachungsbestreben unterstützt.
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Margret E. Roberts (2018) zeigt im zweiten Kapitel ihres Buchs Censored, das sich mit einer Theorie der Zensur befasst, auf, wie diese effizient organisiert sein muss. Klassisches Element der Durchsetzung sei die Angst, aber viel wirksamer seien Friktion und Überflutung, weshalb sie von poröser Zensur spricht. Denn dies vermeidet Härten ebenso wie starke Gegenreaktionen. Das Zerstören der horizontalen Informationsbeziehungen in der Bevölkerung beeinträchtige auch die vertikalen, welche aber den kontrollierenden Eliten helfe, ein erforderliches Minimum an Informationsrückfluss zu bekommen, um die Stimmung des Volks zu erfassen. Statt Bestrafung seien die Friktion, also Information schwerer erhältlich zu machen – ganz im Sinne einer Steuer – vor allem im Internetzeitalter ebenso wie Überflutung besonders geeignet, zumal der Großteil der Bevölkerung im Sinne der Suchmodelle eine elastische Nachfrage habe und schnell bei erhöhtem Aufwand die Suche abbreche. Derartige Verfahren sind auch durchaus demokratiegeeignet, wie die Praxis zeigt: politisch kritische Berichte enthalten Auslassungen, werden am Ende der Sendungen oder Zeitungen versteckt, gesetzlich garantierte Informationspflichten werden von Regierungen torpediert. Die Alternativen zwischen einem staatlich organisierten Kapitalismus in Fortführung eines Staatsmonopolkapitalismus (Stamokap), der bereits im vierten und fünften Kapitel beschrieben wurde, und einem pseudo-liberalen Algorithmuskapitalismus (Algokap) erscheinen als wenig wünschenswerte Optionsbreite. Die Monopolkommission (2018, S. 66–71) hat, wie im neunten Kapitel bereits aufgegriffen, auf die Gefahren einer Zerstörung des Wettbewerbs durch ein paralleles bzw. sogar abgestimmtes Verhalten von Unternehmen, deren Marktbeobachtung und -aktivität durch künstliche Intelligenz in Echtzeit geleitet wird, deutlich hingewiesen. Im digitalen Kapitalismus werden daher die Kontrollinstrumente der Marktmacht immer bedeutender, die sich durch vorausschauende, intelligente Regulierung, Fusionsverbote, Öffnung der Datenmärkte, gezielten Aufbau von Gegenmacht und im Extremfall Aufspalten von digitalen Technologiekonzernen auszeichnen sollten (Krämer 2019). Das erinnert an den Umgang mit Systemik und Markmacht vor einhundert Jahren im Sherman-Act in Bezug auf Standard Oil in den USA. Wissen ist Macht, und ohne Informationen kann Wissen nicht aufgebaut werden. Der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984), Vordenker der Identitätsphilosophie, wies in seinen Schriften, insbesondere Surveiller et punir: Naissance de la prison (1975) darauf hin, dass alle Diskurse konkrete Vorstellungen prägende Sinnzusammenhänge seien, die interessengeleitet sind und gleichermaßen auf Machtbeziehungen aufbauen und diese erzeugen. Da die Diskurse wiederum sprachlich ablaufen, sind die Bezüge zur Linguistik, insbesondere zu konzeptuellen Metaphern, besonders wichtig. Es entsteht ein Komplex aus Macht und Wissen, der über Sprache – und inzwischen auch digital – erzeugt und abgesichert wird. Später erweitert er diese Gedankengänge, indem er in der Governmentalitätstheorie (1982) als Theorie der Steuerung von Bevölkerungen postuliert, dass der Liberalismus den Bürger vom Staat befreien werde, weshalb sich das Individuum von staatlichen Ämtern fernhalten solle. Letztlich werde Wettbewerb alle Individuen zu Unternehmern machen. Verknüpft man dies mit der digitalen Revolution, so stellt diese den entscheidenden Hebel dar, das Konkurrenzprinzip global durchzusetzen.
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Die Auswertung großer Daten gibt digitalen Unternehmern die Möglichkeit, Verhaltensstrukturen zu modellieren, die wiederum zur Beeinflussung genutzt werden können, vor denen kein Staat schützt: Damit kann scheinbar das Weltbild berechnet werden – in jedem Fall lassen sich Lernprozesse und damit das Nutzen von Wissen beeinflussen. Die digitale Revolution führt dazu, dass Kommunikation nicht mehr paarweise funktioniert, beispielsweise zwischen zwei Personen, die sich mit einem analogen System wie dem Telefon austauschen, sondern dass Netzwerkstrukturen aufgebaut werden können – nicht umsonst spricht man auch von den sozialen Netzwerken. Dies hat beträchtliche Auswirkungen auf soziale Routinen, die damit vernetzt stattfinden können, was erhebliche Wohlfahrtseffekte auslösen kann, wie dies die moderne Ökonomik mit den Netzexternalitäten beschreibt. Die Entwicklung ist aber auch in Bezug auf die Datengewinnung und Datenauswertung von Interesse, weil, wie später berichtet wird, völlig neue Mustererkennungen möglich werden, um Individuen und ihr Verhalten zu überwachen und möglicherweise sogar Schlüsse auf ihr künftiges Verhalten zu ziehen. Trivial und banal mutet dagegen die Möglichkeit an, die Sprachsteuerung von Kommunikationssystemen zu Abhörzwecken zu nutzen. Peter Galison (2014) weist auf die massiven Folgen für die Selbstzensur hin. So werden gewisse Routinen und Äußerungen unterlassen, weil sie im digitalen Auswertungssystem gefährlich werden könnten, beispielsweise, wenn man gewisse Begriffe in eine Suchmaschine einträgt oder bestimmte Güter einkauft.3 Sind schon falsche Text- oder Schriftnachrichten, fake news, nicht einfach als solche zu erkennen, vor allem dann, wenn die Rückmeldung einer quasi-öffentlichen Meinung ebenfalls bereits digital gekapert wurde, so schwindet zunehmend die Fähigkeit zur Authentifizierung durch perfekte Fälschung von Ton- und Bilddokumenten. Besonders zu nennen sind hier automatische Skripte, sogenannte Bots, mit denen sich beispielsweise Nachrichten an bei Facebook ausgespähte Adressen mit meinungsmanipulativen Inhalten automatisiert versenden lassen. Damit lassen sich Wahlen beeinflussen, die Reaktion des gläsernen Bürgers wird zeitnah ausgewertet, um die Beeinflussung zielgerichtet zu perfektionieren, also ein affirmatives Echo zu erzeugen, und das demokratische System wird desavouiert. Parallelwirklichkeiten werden erzeugt, wenn bekannte Schauspieler plötzlich in Pornostreifen mitwirken, in die sie hineinkopiert wurden – man nennt sie deep fakes. Wirklichkeit als Ergebnis von Wahrnehmung – also des Realisierens von Wahrem – wird manipuliert, verliert ihre echten Bezugspunkte und wird vor allem durch stete Wiederholung glaubwürdig und zur Wahrheit. Damit verschwindet das, was für das demokratische Ordnungssystem von zentraler Bedeutung ist: Evidenz, die von allen Bürgern geteilt wird.
3So
wurde in den USA wurde eine Wohnung von Sicherheitskräften gefechtsmäßig eingenommen, weil das FBI nach dem Bombenattentat beim Bostoner Marathonlauf (2013) intensiv nach Personen fahndete, die Druckkochtöpfe gekauft hatten. Der Familienvater hatte verzweifelt versucht, einen solchen in einem regulären Geschäft zu erwerben. Da ihm das nicht gelungen war, suchte er danach im Internet und zog damit die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich.
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Da staatlich-gesellschaftliches und ökonomisches Ansinnen verschmelzen, entsteht das, was Shoshana Zuboff (2015) als Surveillance Capitalism bezeichnet.
11.1.2 Künstliche Intelligenz und Algokratie Eine besondere Rolle kommt hierbei der Künstlichen Intelligenz (KI, bzw. artificial intelligence, AI) zu, weil sie nicht nur umfassend Informationszusammenhänge analysieren und zielgenau anwenden kann – von Wertpapierstrategien über automatisierte Verteidigungssysteme bis hin zur Ansprache von Kleinstgruppen, um Anstöße, sog. nudges, für gewolltes bzw. erwünschtes Verhalten – in wessen Interesse auch immer – zu geben. Die Gefahr besteht vor allem in der Fähigkeit zum tiefen Lernen (deep learning), womit den Schöpfern der Systeme die Herrschaft endgültig entgleitet. Dann stellt sich die Frage nach der Systemethik, die einem Warten auf Philosophen, wie Henry Kissinger (2018) dies nennt, gleichkommt. Auf der Ebene einseitiger Wirkungen besteht beispielsweise die Gefahr, gesellschaftliche Entwicklungen als gefährlich einzuschätzen, bevor sie sich realisiert haben – damit aber auch die Innovationsfähigkeit zu beschränken zugunsten vermuteter möglicher Katastrophen. Tatsächlich gibt es in der Demokratie ein Recht auf Unvernunft, zumal oft zum Zeitpunkt des Handelns offen ist, wer rational und wer irrational handelt. Über Sozialpunkte identifizierte und indizierte Personen werden als potentielle Verbrecher vor der Tat, die möglicherweise nie begangen würde, festgesetzt, soziale Vorurteile bekämen einen algorithmisch legitimierten Anstrich. Werden Menschen aufgrund einer schlechten Prognose als potentiell kriminell eingestuft und dann tatsächlich kriminell? Radikalisierungsprozesse im politischen Raum, bei denen Individuen aufgrund ihrer Einstufung als extremistisch dann tatsächlich in entsprechende Milieus abgleiten, sollten als Warnung dienen. In wechselseitiger Interaktion bergen automatisierte Prozesse die Gefahr eines Sich-Hochschaukelns, also der Eskalation, die, wie das im neunten Kapitel behandelte Phänomen des Hochfrequenzhandels von Wertpapieren verdeutlicht hat, oft nicht rechtzeitig abgebrochen werden kann. Es kann aber durchaus sein, dass die Systeme die wechselseitige Gefahr sehen und ein Kartell bilden, also Wettbewerbsmärkte zerstören. Die Auseinandersetzung mit digitalen Systemen birgt, das Risiko, dass diese nicht dem Menschen nachempfunden werden, sondern vielmehr der Mensch sich an die digitalen Vorgaben anpassen soll. Damit wird er in ein Zwangsgerüst gesteckt, die mit der Menschenwürde und der Autonomie der Aufklärung inkompatibel ist. Es ist angesichts dieser Dualität zweckmäßig, zwei Arten der KI zu unterscheiden (Filipović 2019): Die schwache KI bildet konkrete Funktionalitäten ab, unterstützt beispielsweise Menschen in der Produktion oder spielt gegen ihn – durchaus dabei aus vergangenen Fehlern vor allem rekursiv lernend – Schach. Starke KI verlangt neben dem Selbstlernen auch die Fähigkeit zur Innovation, zum Setzen neuer Ziele, also zur Kreativität. Deshalb wird durchaus kontrovers diskutiert, ob diese überhaupt möglich ist, weil hierzu das, was als Bewusstsein bezeichnet wird und im dritten Kapitel betrachtet worden war,
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e rforderlich scheint. Das menschliche Selbstverständnis im Sinne der bereits weiter oben gestellt Frage nach dem Menschenbild ist gefordert. Jonathon W. Penney (2016) führt in seinem Beitrag Chilling Effects: Online Surveillance and Wikipedia Use aus, wie vorauseilender Gehorsam aus Angst vor Überwachung die Zugriffe auf möglicherweise sicherheitskritische Wikipedia-Artikel verringert hat. Das kann bis zu Veränderungen der Gedankenwelt führen, was er am Beispiel der Traumdeutung von Sigmund Freud (1900) zeigt. Einfache Tatsachen belegen diese menschlichen Routinen. Selbstzensur begrenzt die Kreativität, was dem Bereitstellen von neuem Wissen (Hayek 1945) diametral entgegensteht. Die erhöhte Systemtransparenz wirkt nicht nur wahrheitsschaffend, sondern auch wirklichkeitsverändernd, möglicherweise -reduzierend, weil Individuen, in Sorge vor Ausspähung, ihr Verhalten ändern. Hat ein Individuum Sorge, systematisch beim morgendlichen Gang zur Arbeit beobachtet zu werden, so wird es zeitliche und räumliche Unregelmäßigkeiten erzeugen – aber auch diese weisen ein Muster auf und erzeugen eine Pfadbindung, die dann möglicherweise von anderen Erkundungssystemen abgegriffen wird. Während sich die bisherigen Abhörsysteme auf vorhandene Infrastrukturen stützen mussten, gelingt es durch die digitale Revolution, die vorhandenen Systeme mit neuen Trägersystemen auszustatten. So hat zum Beispiel die Firma Google einen Hersteller von Rauchmeldern aufgekauft oder es wurden Straßenlaternen mit Energiesparlampen ausgerüstet, denen dann noch eine Überwachungskamera und ein Wetterfühler beigegeben werden. Dies kann wohlfahrtserhöhend oder -verringernd sein, je nach Nutzung und nach dem vom Staat vorgegebenen Ordnungsrahmen. Wird freie Information eingeschränkt, um Zensur zu erleichtern und Selbstzensur zu befördern, dann kann dies die Innovationsfähigkeit erheblich schädigen. Trivial muten dagegen allgemein sichtbare Überwachungssysteme an, die den öffentlichen Raum beherrschen. In dieser Welt wird die Trennung privater von öffentlichen (staatlichen) Interessen zunehmend unscharf, zumal die Ordnungsfunktion des Staats schwächer wird und oft über nationale Grenzen hinaus gar nicht durchzusetzen ist bzw. nicht durchgesetzt werden soll, weil dem andere Interessen entgegenstehen, beispielsweise der Zugang zu den Datenbanken privater Unternehmen.4 Auch innerhalb der Privaten bahnen sich Konflikte an, insbesondere Einzel- und Unternehmensinteressen. Ein Extremfall ist die Möglichkeit der Komplettüberwachung des Fahrverhaltens, verbunden mit einem Versicherungsrabatt bei der Fahrzeugversicherung. Zugleich verschwimmen auch Konkurrenz und Wirtschaftskrieg, weil viele der eingesetzten Mittel im Verborgenen wirken, und die Folgen, also das dauerhafte Entwerten ökonomischer Werte, erst mit Verzögerung deutlich werden. So geht Wirtschaftsspionage gleichermaßen auf öffentliche wie private Interessenslagen zurück, die international realisiert werden, der Bezug des
4Symptomatisch
dafür ist die Drohung des britischen Geheimdienstes, die Kooperation mit den deutschen Geheimdiensten einzustellen, wenn über diese Kooperation im Bundestagsausschuss berichtet würde; vgl. Mascolo (2015).
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Rechts weist aber meist nur nationale oder, wie im Falle der EU, gemeinschaftliche Anknüpfungspunkte auf. Das bedeutet, dass extraterritoriales Handeln im Cyberkrieg schnell der Kontrolle, insbesondere auch der Jurisdiktion, entfliehen kann. Man spricht dann auch von der Numerokratie, also einer Herrschaftsform, in der Strukturen nur noch über algorithmisch gesteuert Rangvergaben erfolgen. Der Staat reduziert sich auf ein digitales Planungssystem – die Vision der Planwirtschaft wird ebenso denkbar wie die des totalitären Staats, der dann auch seine konkrete Form von Moral implementiert. Nicht umsonst hielten manche Mitglieder der Piratenpartei die in Deutschland übliche Form der Demokratie für technologisch veraltet. Tatsächlich erscheint nur die Eigentumsgarantie auf eigene Daten als wesentliche Gegenkraft, um eine wertvolle und knappe Währung zu erzeugen und Autonomie zu erhalten, was bedeuten würde, Daten als Teil des Humankapitals einzuordnen. Die digitale Gesellschaft bedarf auch digitaler Grenzen, soll ein Ordnungssystem wirksam werden, das auch externe Bedrohungen, vor allem wichtiger Infrastrukturen wie Verkehr, Energie oder Gesundheit abwehren kann. Im Grenzfall müssen Institutionen, die sich regelwidrig verhalten, ausgeschlossen oder „vertrieben“ werden, wie Steven Hill (2017) im Beitrag So schützen wir unsere digitalen Grenzen schreibt. Dies kann bedeuten, dass Algorithmen und Daten offenzulegen und nationale Ordnungen, insbesondere auch Eigentums- und Sozialordnungen anzuerkennen sind und dies letztlich durch Ordnungsgelder durchzusetzen ist, wie dies teilweise bei den Internetgiganten im Bereich der Wettbewerbsordnung geschieht. Tatsächlich gelingt es Institutionen wie der Europäischen Union gegenwärtig nicht, das extraterritoriale Durchsetzen amerikanischen Rechts in Europa zu verhindern – siehe Russland oder Iran – und bei Betrügereien wie dem Dieselskandal das Eingreifen in nationalstaatliches Recht seitens der USA zu verhindern. Gleichzeitig bleiben gravierende Fehler und damit haarsträubende Sicherheitslücken bei Rechnerprozessoren der eigenen Hersteller Intel oder AMD wie „Spectre“ und „Meltdown“ aber ohne Sanktion. Regelübertretungen müssten dann hart geahndet werden, denn ohne Haftung, die auch durchsetzbar ist, lässt sich Verantwortung schwer einfordern, auch wenn eine Zurechnung eindeutig gegeben ist, wie die Ausspähaktionen der amerikanischen und englischen Geheimdienste zeigen. Zudem ist zu hinterfragen, ob nicht beide im jeweils anderen Land (ebenso wie in Drittländern) Daten erheben, weil es ihnen dort nicht verboten ist, die dann gleichermaßen wie an einer Börse getauscht werden. Damit droht etwas, was auch aus dem Drohnenkrieg bereits bekannt ist: Dieser erscheint zwar als ausgesprochen chirurgisch, mit geringeren Kollateralschäden als der klassische Krieg, aber das Handeln aus dem Verborgenen macht die vermuteten Angreifer verhasst, destabilisiert – noch – vorhandene Ordnungen und lässt – noch – existente Staaten zusammenbrechen. Allerdings erscheint der reine Drohnenkrieg – der Krieg der Automaten – als wenig sinnvoll, wenn nicht Dominanz entweder über Territorien, Ökonomien oder Menschen damit erzielt werden kann. Tatsächlich ist dies auch der Zweck jeglichen Cyberkriegs und Drohnen sind hierfür allenfalls Handlungsobjekte. Völlig offen bleibt
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die Frage, ob es eine e-Person geben kann, die haftungsrechtlich greifbar ist (Scheufen 2019). Hier treten Probleme auf, die beim Unternehmensstrafrecht im neunten Kapitel bereits aufgeworfen wurden. Cyberattacken (Tuitel 2016) sind demzufolge Versuche, Datensysteme zu zerstören, ihnen ihre Schutzfunktionen zu nehmen, die in ihnen enthaltenen Informationen zu stehlen, zu ändern oder unbrauchbar zu machen. Im Gegensatz zum Cyber-Verbrechen, die das datentechnische Analogon zu normalen Straftaten sind, ist der Cyberkrieg durch die übergeordnete, oft ideologische bzw. missionarische Position des Angreifers gegeben, der als Unternehmen empire-building betreibt oder als Staat Dominanz erreichen wird. Im hybriden Krieg verschwimmen diese Grenzen. Krieg gegen Systeme der Künstlichen Intelligenz ist ein Angriff auf Lern- und Wissenssysteme. Künstliche Intelligenz erhöht nachhaltig das Potential einer algorithmischen Gesellschaftssteuerung, weil Big Data zunehmend besser genutzt werden kann. Während die klassische künstliche Intelligenz eigentlich keine war, weil sie nur Verknüpfungen ausgewertet hat, die ihr algorithmisch vorgegeben waren, entwickeln sich diese heute endogen. Derartige fluide Systeme, die auf eine omnipräsente Sensorik zurückgreifen und zugleich Fehler nachsteuern, wirken – von der sich leerenden Tonerpatrone im Drucker über die Bestellung bis zur vorhersagenden Planung der Produktionsprozesse für die Industrie 4.0 und beim Erkennen hochkomplexer systemischer Defekte in Börsenalgorithmen, die ihre Effizienz auf die Planungsziele einer Zentralbank ausgerichtet haben, beispielsweise auf ein Inflationsziel von 2 %. Es entwickelt sich etwas, was inzwischen als Algokratie bezeichnet wird, deren Verantwortung für Folgen des Handelns völlig ungeklärt ist, beispielsweise eines Börsenabsturz durch fehlerhafte Programme.5 Es werden zwar viele Fragestellungen errechenbar und im Nachhinein erklärbar, aber solange Schwarze Schwäne existieren und weil die Korrektheit eines Algorithmus nicht beweisbar ist,6 lässt sich der Lauf der Dinge nicht klar vorhersehen – insbesondere nicht über längere Zeiträume oder komplexe Funktionalitäten. Die über wenige Schritte in die Zukunft reichende Begleitung sowie die probabilistischen Projektionen eröffnen allerdings bereits heute enorme Wirkungsmöglichkeiten. Diese Algokratie erzeugt eine Bedrohungslage in der modernen Gesellschaft, die aus der Welt der biologischen Waffen bzw. Krankheiten bekannt ist. Pandemie ist damit ein Problem, das soziale Systeme gleichermaßen über die Gesundheit (durch biologische Auslösung) wie über Datennetze erfassen kann – und damit analog zu den Mitteln der Kriegsführung
5Die
Problematik der Verantwortung von Algorithmen wird inzwischen im Kontext der Verantwortung für selbstfahrende Fahrzeuge thematisiert – die Gefahr für die Wirtschaft, vor allem durch ein algorithmisches Wettrüsten, scheint kaum auf. 6In speziellen Fällen scheinen Ausnahmen möglich; vgl. Diedrich (2014).
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zählt.7 Sogar Individuen können damit erfolgreich Wirtschaftskriege gegen Unternehmen oder Staaten führen. Der Cyberkrieg vereint folgende Merkmale (Hering und Schubert 2012, S. 165): „Große Bevölkerungsteile werden von gewaltintensiven Schlägen mit schweren Schäden für menschliches Leben, Infrastruktur und Lebensgrundlagen getroffen; dabei werden Computer und digital programmierte Systeme als Waffen eingesetzt, einige Schläge werden über digitale Netze geführt; mindestens ein staatlicher Akteur ist beteiligt, und die Akteure gehen planmäßig organisiert, und sie gehen kontinuierlich vor.“ Wenn der ehemalige amerikanische NSA-Chef Michael Hayden erklärt, „Die chinesischen Hacker-Attacken sind vergleichbar mit dem U-Boot-Krieg der Deutschen im Ersten Weltkrieg“ (Handelsblatt 2014a, S. 54), so zeigt das deutlich, welche Bedeutung die cybergestützte Einflussnahme, insbesondere in der Industriespionage, auf die heutige wirtschaftliche Entwicklung hat. Denn damit können ganze Sektoren hinsichtlich ihres Innovationspotentials abgeschöpft und ihre Erkenntnisse in andere Länder verlagert werden, die damit ihre Position im weltweiten Konkurrenzkampf verbessern können. Besonders solche Angriffe, die keine Spuren hinterlassen und auch als passive Angriffe bezeichnet werden, sind gefährlich, weil im Nachhinein keine Aufklärung im Umfeld der Tat mehr möglich ist, und der Täter alle Spuren verwischen konnte. Sein chinesischer Kollege dürfte ähnlicher Ansicht sein, insbesondere nach dem Bekanntwerden der amerikanischen Attacken auf das Unternehmen Huawei.
11.1.3 Cyberspionage, Cyberkrieg und Gefährdungspotentiale Die Geschichte der Cyberattacken auf Regierungs-, Banken- oder Unternehmensrechner ist ebenso lang wie der Versuch, mit technischen oder personalen Mitteln fremde Systeme auszuspähen. Der Öffentlichkeit wurden derartige Fähigkeiten spätestens bei der Debatte um den Bundestrojaner bekannt. Die erste dokumentierte zentral gesteuerte Cyberattacke gelang vermutlich im Jahr 1982 einer kanadischen Firma in der Sowjetunion. Sie programmierte ihre Steuerungssoftware für eine Kompressorsoftware so, dass sich der Druck in der Verdichterstation der Tscheljabinsk-Pipeline bis zum Bersten erhöht, falls der Käufer die Lizenzgebühren nicht bis zu der gesetzten Frist bezahlt hat (Hering und Schubert 2012, S. 155). Eine neuere Version lautet, die Sowjets hätten versucht, illegal Software für die Kompressorsteuerung zu beschaffen und dies sei den
7Als
neue biologische Geiseln sind insbesondere Staphylococcus aureus, Rotz, Botulinium, Anthrax, Pocken, enzephalitische Viren, Tularämie, Pest, Brucellose, Queenslandfieber, Rizin, Ebola und hämorrhagische Viren zu nennen – und für einige gibt es keine oder nur schwache Gegenmaßnahmen. Bekannt ist, dass Pandemien auch Wirtschaftssysteme lahmlegen können, wie die Geschichte belegt, beispielsweise die Spanische Grippe kurz nach dem Ersten Weltkrieg, die rund 25 Mio. Menschen das Leben kostete, oder die Pest im ausgehenden Mittelalter.
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USA von einem sowjetischen Agenten mitgeteilt worden. Es wurde ein von der CIA manipuliertes Programm übergeben, das die Pipeline zum Explodieren brachte mit dem Ziel, den seitens der USA ungeliebten europäisch-russischen Gaslieferungsvertrag zu hintertreiben. Eine der größten nichtnuklearen Explosionen unterbrach das Netz über Monate (Russel 2018). Damit waren zwei wesentliche Kriterien eines Cyberkriegs gegeben: ein Kampfmittel und ein Schaden. Ein drittes ist zwar hier vorhanden, fehlt aber häufig: ein identifizierter Täter. Meist lässt sich nämlich die Quelle einer solchen kriegerischen Attacke nicht identifizieren – der Nachweis erfordert oft forensische Methoden, über die private Unternehmen in der Regel nicht verfügen. Damit bleibt der Cyberkrieg, wenn man die obengenannte enge Definition zugrunde legt, vor allem eine Domäne des Staats. Das ist auch der Grund, weshalb gerade staatliche Organisationen kein elementares Interesse am Schließen aller Sicherheitslücken in Programmen haben, denn sie benötigen diese als Einlasspforte, um im Netz zu wirken. Ein bekannter Fall ist der des Auricher Unternehmens Enercon, das weltweit das erste Unternehmen war, das getriebelose Gondeln für Windkraftanlagen herzustellen vermochte. Diese bieten eine Vielzahl von Vorteilen, da die Getriebemechanik durchaus anfällig ist und besonders bei Windparks im Offshore-Bereich die Wartung nur an wenigen Tagen des Jahres gesichert möglich ist. Als Enercon in den amerikanischen Markt eintreten wollte, sah der dortige Wettbewerber Kenetech Windpower seine eigenen Patente für getriebelose Antriebe verletzt. Es stellte sich die Frage, wie das Unternehmen an die entsprechende Technologie gekommen war und sie patentieren konnte. In der gerichtlichen Auseinandersetzung erhielt Enercon Einblick in die Unterlagen und musste feststellen, dass seine Blaupausen dem amerikanischen Unternehmen in Kopie vorlagen. Tatsächlich sind die Methoden der Informationsabschöpfung durch die modernen Informationstechnologien weit differenzierter; reichten früher Mikrofone in den Kopfstützen der Flugzeuge aus, um vertrauliche Gespräche der Konkurrenz mithilfe der nationalen Fluggesellschaften abzuschöpfen, so gelingt das heute durch die differenzierte Auswertung der Internetkommunikation. So verlor das Unternehmen Ferrostaal einen Auftrag, weil über den amerikanischen Geheimdienst durch Funküberwachung ein Angebot nach Afrika detailliert abgeschöpft und der amerikanischen Konkurrenz verfügbar gemacht wurde. Dadurch gelang es, ein besseres Angebot abzugeben. Im Konkurrenzkampf um die Belieferung der USA mit Hochgeschwindigkeitszügen wurden angeblich die wesentlichen Parameter der französischen, deutschen und schwedischen Anbieter abgeschöpft, sodass schließlich eine technologisch unerfahrene amerikanische Tochter von General Motors den Auftrag zugesprochen bekam. Bernhard Gerwert, Chef der Airbusverteidigungssparte, führt nicht umsonst aus, „Eine Hacker-Attacke kann gefährlicher sein als ein Angriff von 10.000 oder 20.000 Soldaten“ (Handelsblatt 2014a, S. 53). Der größte Erfolg wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Stuxnet-Virus erzielt: Dieser wurde vom amerikanischen und israelischen Geheimdienst auf der Grundlage einer Siemens-Prozesssteuerung programmiert und vermutlich über einen USB-Stick in die iranischen Atomanlagen eingeschleppt. Er ließ die Zentrifugen von
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Urananreicherungsanlagen auf Resonanzfrequenz fahren, sodass sie sich selbst zerstörten. So wurde weltweit klar, dass es möglich ist, hochkomplexe, spezifische und zum Teil streng geheim gehaltene Strukturen – Strukturen im Sinne von technologischen Systemen – aber auch die Informationssysteme, die diese steuern, zu beeinflussen, wenn der Angreifer eine hinreichende Systemkenntnis besitzt. Für den Iran gab es zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit der Verteidigung, und sein Atomprogramm wurde dadurch erheblich zurückgeworfen. Da schließlich der digitale Krieg die Ziele kennt, die Täter aber selten zu identifizieren sind, bleibt ihre Herkunft im Dunkeln. Stuxnet zeigt weiterhin, dass ein präventiver Schlag – also das Ausnutzen von Sicherheitslücken – besonders wirkungsvoll ist, solange diese noch offen sind. Es verdeutlicht schließlich, dass dieser Angriff aus Sicht der Angreifer eher eine Verteidigung gegen ein als gefährlich eingestuftes Atomprogramm darstellte. Damit verschwimmen die Operationsformen Angriff und Verteidigung mit erheblichen rechtlichen Folgen. Die Möglichkeiten, das Internet als Waffe zu nutzen, haben durch die über die Zeit zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft, der Politik und der persönlichen Verhältnisse zugenommen. Zudem sind sie günstig skalierbar, zumindest in der Durchführung, nicht zwingend in den Folgen, während der klassische Waffeneinsatz hohe Kosten aufwirft, zumal in postheroischen Gesellschaften das entsprechende Personal im Sinne des value of life extrem knapp ist. Tatsächlich findet inzwischen ein Wettrüsten in Bezug auf digitale Sicherheitstechnik statt, wobei zu beobachten ist, dass nationale Institutionen sich Zugänge zu der entsprechenden privatwirtschaftlichen Sicherheitssoftware vorbehalten, das betrifft beispielsweise die zugelassenen Verschlüsselungssysteme oder auch die Kenntnis bewusster Schwachstellen, die dann für Zwecke der internen Aufklärung benutzt werden können. Insofern bleibt als bester digitaler Schutz die Rückkehr ins vordigitale Zeitalter, wie Natalja Kasperskaja in einem Interview der Zeitung Die Welt (2013a) fordert und dabei betont, man müsse die drei Welten – Realität, Internet und Telefon – strikt trennen, um ein Mindestmaß an persönlicher Datensicherheit aufrechterhalten zu können. Die Angriffseuphorie der Strategen angesichts der Verfügbarkeit von Computerviren, -würmern und -trojanern zum Führen eines Cyberkriegs, um nunmehr unblutige Kriege führen zu können, ist inzwischen einer sehr abgewogenen Sicht gewichen. Zum einen wird deutlich, dass diese Form der Kriegsführung alle Grenzen des Bisherigen verschwimmen lässt und eine gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale oder militärische Auseinandersetzung betrifft, weil das Angriffssystem nicht grundsätzlich auf militärische Anwendungen begrenzt ist. Es ist geeignet, ein Land über öffentliche Strukturen und Unternehmen auszuhebeln, ohne das es primärer physischer Zerstörungen bedarf. Noch bedrohlicher ist vielleicht das Spielerische: Genau dieses hat in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs geführt, weil keiner der Beteiligten rechtzeitig begriffen hatte, worauf er sich einließ, weshalb der australische Historiker Christopher Clark (2012) auch von Schlafwandlern spricht. Inzwischen füllen Beispiele Bände: Der Wurm Slammer legte im Januar 2003 das Davis-Besse-Kernkraftwerk in den USA lahm und führte zu derart großen Zerstörungen,
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Abb. 11.2 Ziele von Cyberattacken in Deutschland 2019. (Quelle eigene Darstellung aus KPMG 2019, S. 20)
dass es mehrere Jahre vom Netz musste. Im Jahr 2009 attackierte der Conficker-Wurm die englische und französische Luftwaffe. Im Sommer 2014 wurde die Europäische Zentralbank Opfer eines Hackerangriffs. Es wurden zwar nur 20.000 Kontaktadressen gestohlen, aber die Folgen einer Manipulation der die Geldtransaktionen durchführenden und überwachenden EZB-Rechner wären nicht auszudenken. Eine von KPMG (2019) durchgeführte Unternehmensumfrage, die in in Abb. 11.2 wiedergegeben ist, zeigt die Bevorzugung der Mailsysteme durch Computerkriminelle, weil hier die wesentlichen Kommunikationsdaten abgegriffen werden können. Der Economist (2015b) verweist darauf, dass besonders solche Sektoren im Fokus stehen, die systemisch sind und deren Störung Breitenschäden erwarten lassen, sowie Bereiche, in denen eine Technologiespionage lohnend erscheint. Der Stromausfall Ende 2015 in der Ukraine ging vermutlich auf russische Hacker zurück, die derartige Attacken auch später erfolgreich wiederholt haben. Die Gefahr eines Angriffs auf die internationale Schifffahrt wird inzwischen als sehr hoch angesetzt – beispielsweise die gesteuerte Kollision zweier Tanker im Golf von Hormus und damit das Lahmlegen eines wichtigen Teils der globalen Ölversorgung. Der Versicherer Lloyd’s hat einen Risikoindex für Großstädte, wie in Abb. 11.3 gezeigt, erstellt. Dieser weist die Betroffenheit global bedeutender Großstädte aus, gemessen im jeweiligen Ausfall der Wirtschaftsleistung pro Jahr, und vergleicht diese mit den klassischen Katastrophen Pandemie, Tropensturm, internationalen Konflikten oder einem Börsencrash, die aktuell (noch) den Risikoindex dominieren. Als die im Cyberkrieg kompetentesten Länder gelten aktuell neben den USA, Russland und China auch Nordkorea8 und Israel. Ob die diesen Ländern zugeordneten
8Nordkorea beschafft sich u. a. Finanzmittel, wie Morten Freidel (2018) in Pjöngjangs digitale Raubzüge schreibt.
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Mrd. US$ pro Jahr Abb. 11.3 Städte-Risikoindex bei Cyberattacken. (Quelle eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018e) und Lloyd‘s)
Angriffe tatsächlich dort zu verorten sind, ist nicht abschließend zu beweisen. Auch die Ziele sind nicht immer scharf fokussiert. So war der Angriff durch die Ransomware Wannacry, der im Mai 2017 das Kommunikationssystem der Deutschen Bahn AG lahmlegte, möglicherweise ein Querschläger aus einer Attacke, die nach Afrika gerichtet war und angeblich von Nordkorea ausging. In jedem Fall müssen sich die möglichen Ziele von Angriffen härten. Der Versicherer Lloyd’s hat in diesem Kontext einen Risikoindex für Großstädte erstellt, der in Abb. 11.3 wiedergegeben ist. Angegeben ist der jeweilige Ausfall an Wirtschaftsleistung pro Jahr – und zum Vergleich, die entsprechende Werte für bekannte Großrisiken. Da der Staat aus Gründen seiner eigenen Gefahrenabwehr – insbesondere der Terrorabwehr – in Sicherheitssoftware Lücken einbauen lässt bzw. dies seitens privater Anbieter erzwingt oder durch Begrenzung der Qualität der Verschlüsselung eingreift, spielt er Kriminellen, Terroristen sowie militärischen und Wirtschaftskriegern in die Hände. Derartige Eingriffe können sich auf die zulässigen Schlüsseltechnologien, die größte zu verwendende Primzahl oder den Zwang zum Hinterlegen des Schlüssels beziehen. Zunehmend interessieren sich Unternehmen für das Absichern von Cyberschäden bei Versicherungsunternehmen. Im Jahr 2013 hielten nur rund 10 % der in einer Untersuchung befragten europäischen Unternehmen eine Police; allerdings nimmt die Sensibilität gegenüber Cyberattacken zu. Mehr als die Hälfte der Risikomanager der Unternehmen sind bereits Opfer von Attacken geworden (Börsen-Zeitung 2014b). Wenn das Unternehmen Krauss Maffei über Wochen wegen einer Ransomware auf den Rechnern, also einer Erpressungssoftware, die Daten verschlüsselt und nur bei Zahlung eines
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gewünschten Betrags über Bitcoin wieder entschlüsselt, seine Produktionsanlagen nur teilweise auslasten kann, dann gehen die Schäden schnell in die Millionen (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018i). Die Malware Notpetaya vom Juni 2017 führt zu globalen Kosten von rund 10 Mrd. € und erschien zunächst wie eine Ransomware, es fehlte aber eine Adresse, an die Geld zu überweisen ist. Inzwischen beruft sich ein Versicherer darauf, dass eine staatliche Institution, der russische Geheimdienst, Quelle ist und verweigert auf Basis einer Kriegsklausel Zahlungen. Die im Titel seines Artikels von Benedikt Fuest (2018) formulierte Frage wäre dann zu bejahen: „Wird Hacken offiziell zur Kriegswaffe?“
11.1.4 Die digitale Gesellschaft: Kontrolle und Überwachung In einer Gesellschaft, in der Informationen massenhaft verfügbar sind und sogar freiwillig bzw. bewusst verfügbar gemacht werden, bedeutet Privatsphäre eigene Macht und die Verfügung über diese seitens Dritter fremde Macht.9 Wer seine Privatheit schützen will, ist nicht nur auffällig, er riskiert auch den Konflikt mit den Informationssammlern. Dabei ist das, was als Privatsphäre bezeichnet wird, kulturell sehr unterschiedlich. Weitgehend einheitlich sind hingegen die modernen Bedrohungslagen, die klassisch als Zielkonflikt zwischen Sicherheit und Privatheit dargestellt werden. Allerdings verweist Jaron Lanier (2014) darauf, dass gerade hierauf die kulturelle Vielfalt und damit auch die Evolution aufbauen. Denn die verfügbare Information eines Menschen, abgesaugt und bereits verarbeitet, bevor sie das Individuum bewusst denkt, erlaubt es, Impulse zu setzen, diese zu manipulieren, indem die prognostizierte, aber unerwünschte Entscheidung durch Störinformation abgefangen wird. Zwei große Schritte auf diesem Weg sind staatliche Überwachungssysteme sowie private Assistenzsysteme wie Alexa, Siri oder Contana und sogenannte Wearables, also tragbare Computersysteme mit direktem Interaktionspotential beispielsweise in Gestalt von Brillen, die bereits seit längerer Zeit bei militärischen Spezialkräften im Einsatz sind. Mithilfe der automatisierten Überwachungssysteme baut die chinesische Regierung ein Sozialkreditsystem auf, das westlichen Liberalen als Alptraum erscheinen muss, das die Bevölkerung aber offensichtlich weitgehend gutheißt, weil sie den konfuzianischen Reputationsanspruch verifizierbar macht, was insbesondere in einer Gesellschaft, in der Märkte nicht hinreichend ausgeformt sind, um Vertrauensgüter zu erstellen, erwünscht ist (Siemons 2018). Insbesondere Systeme der Gesichtserkennung als Verfahren, in großen Bevölkerungsmengen eine konkrete Verhaltenszuordnung zu gewährleisten, stehen im Zentrum der Forschung. Durch den social score wird sozial erwünschtes Verhalten belohnt, beispielsweise das pünktliche Zahlen von Steuern, Ordnung im Apartmenthaus, Höflichkeit, oder bestraft, beispielsweise Rowdytum im öffentlichen Raum
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Hillenbrand hat in seinem Roman Drohnenland (2014) diese Situation spannend dargestellt – und sie macht im Sinne von Carl Schmitt deutlich: Souverän ist, wer über Daten entscheidet.
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(Welchering 2018). Regeln ersetzen damit Moral. Dann kann es passieren, dass ein Bahn- oder Flugticket verweigert wird. Durch derartiges Bewerten kann der Staat seine Bevölkerung weitgehend friktionslos in die gewünschte Richtung lenken – es ist die Idee der kleinen Schubser im patriarchalischen Staat – der nudges (Thaler und Sunstein 2009) – mit Rückkopplungsschleife und Erinnerung zu Ende gedacht. Darüber hinaus können über die Auswertung der Mimik, der Augen, oder der Gestik Emotionen erfass werden, was ein unendliches Potential der Verhaltensoptimierung gegenüber den Kunden im Handel eröffnet. In diesem Kontext müssen Datenbrillen – SmartGlasses – in ihrer Problematik thematisiert werden, mit denen der Weg zu einer Steuerung durch manipulierte Inhalte, aber auch augmented reality, also durch das Anreichern der Realität mit zusätzlichen Informationen, Wirklichkeit wird. Der Verlust an Freiheit durch die Nutzung nachhaltiger informationeller Asymmetrie und der durch die damit verbundene Machtkonzentration in der Hand weniger Konzerne oder eines allmächtigen Staats stellt – nicht nur im Netz – eine Bedrohung dar. Denn der seitens der innovativen Gründer beabsichtigte Einsatz derartiger Technologien ist meist ein völlig anderer als der spätere, was Jaron Lanier (2015) als digitalen Maoismus bezeichnet. Das sieht man beispielsweise an Facebook, das nur begrenzt weiß, was seine Algorithmen leisten, und deshalb versucht, im Nachhinein eine moralische Position aufzubauen, wenn es eine präskriptive Datenethik postuliert, was Erny Gillen und Ranga Yogeshwar (2019) als Die Strategie der Konquistadoren präzise einordnen.
11.2 Informationsasymmetrien in der digitalen Welt Das Herstellen von Informationsüberlegenheit zählt zu den wesentlichen Voraussetzungen, den wirtschaftlichen Wettbewerb zu überleben; in diesem Kontext werden Cybersysteme zunächst als Informationsträgere genutzt. Denn anders als im Modell des perfekten Gleichgewichts sind es die Unvollkommenheiten des Markts, die die Interaktion zwischen den Rivalen treiben. Deshalb ist die Kenntnis der Fähigkeiten und der Optionen des anderen entscheidend für das eigene Tun. In den üblichen Wettbewerbsmodellen der Monopol- und der Oligopoltheorie werden diese Abhängigkeiten über Reaktionsfunktionen dargestellt, und die Annahme vollkommener Informationen bedingt eine Begrenzung der Wettbewerbsergebnisse. Der tatsächliche Wettbewerb ist vielschichtiger, weil beispielsweise Vermutungen über Handlungen getroffen werden und Transaktionskosten vorliegen, aus denen sich dann neue, gelegentlich mehrfache, oft auch instabile Gleichgewichte ergeben (Bresnahan 1981). Die Ereignisse des Frühjahrs 2016 sind dafür ein beredtes Beispiel, als die US-Regierung die Firma Apple zwingen wollte, die Entschlüsselung eines während eines Terroranschlags beschlagnahmten Smartphones zu dekodieren, was das Unternehmen unter Hinweis auf den damit verbundenen Verlust des Kundenvertrauens verweigerte. Der zweite Aspekt ist der der Künstlichen Intelligenz, also des algorithmischen Erzeugens von Wissen aus (massenhaft gewonnenen) Daten. Hier ergeben sich
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zusätzliche Dimensionen der Führungsunterstützung im Wirtschaftskrieg, auch wenn die Referenzpunkte des Handelns von der Führungspersönlichkeit gesetzt werden. Genutzt werden derartige Systeme heute vor allem im Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen und in der automatisierten militärischen Abschreckung bzw. Verteidigung. Aber gerade Plattformunternehmen wie Amazon oder Ebay werten bereits heute automatisch Käuferdaten aus, um ebenso automatisch spezifische Angebote zu eröffnen – oder zurückzuhalten. Denn tatsächlich zeigt die Militär- ebenso wie die Wirtschaftsgeschichte, dass der technische Fortschritt stets früher auf der taktischen als auf der strategischen Ebene des Handels ankam. Dies könnte sich in der Zukunft möglicherweise ändern.
11.2.1 Ist mehr Information bessere Information und die Relevanz Künstlicher Intelligenz Unter den Bedingungen eines Wirtschaftskriegs versagt der Markt als Bereitsteller von Informationen, weil er durch diese Aktivitäten seine Vollkommenheit verliert. Die Aussagen, die Friedrich August von Hayek (1945) über Informationseffizienz getroffen hat, sind also nicht gültig. In der Tat reizen Unvollkommenheiten zu widersprüchlichen Signalen, die aber richtig interpretiert werden müssen. Dabei entsteht ein Dilemma, das aus der berühmten Foundation Trilogy von Isaak Asimov (1981) bekannt ist und in das Wissenschaftsgebiet der mathematischen Soziologie bzw. der Psychogeschichte einzuordnen ist: Eine Welt steht vor dem Untergang, es gibt einen Rettungsplan, wenn dieser allerdings der Bevölkerung bekanntgegeben wird, wird er möglicherweise wegen des Manipulationsverdachts verworfen. Wie kann nun ein sozialer Planer der Gesellschaft einen Impuls geben, dass sie sich richtig verhält – und was tut sie, wenn sie Kenntnis davon erlangt, dass ein solcher Impuls gegeben wurde? Tatsächlich muss wie bei jedem Konflikt über das Bilden von Schwerpunkten entschieden werden. So fragen Richard Ettenson, Jack Krogstad und James Shanteau (1987) Is more information better information? und zeigen, dass Konzentration und Beschränkung auf das wesentliche zu besseren Ergebnissen als überlange Suchprozesse führen können. Die Geschwindigkeit der Auseinandersetzungen auf der virtuellen Ebene kann aber durch den Menschen in der Regel nicht mehr beherrscht werden, weshalb das von algorithmischen Systemen übernommen wird, allerdings mit erheblichen Gefahren von Aufschaukelungsprozessen, wie oben bereits berichtet wurde. Schaukeln sich derartige Systeme bei gegenseitiger Interaktion auf und werden hysterisch, desto kritischer wird das, was als Verantwortung und Haftung Kern der marktwirtschaftlichen Ordnung ist. Einen Vorteil hat offensichtlich die Partei, welche über die besseren Systeme verfügt. Genau deshalb ist zwischen den USA und China ein Wettrennen – Wettrüsten – entbrannt. Dabei ist es völlig irrelevant, ob Maschinen das haben, was bei Menschen als Bewusstsein bezeichnet wird. Albert Newen (2018) führt in Der perfekte Psychopath aus, dass ein AI-System eigentlich infolge von Empathielosigkeit einem Menschentyp
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am nächsten kommt, der hier als Wirtschaftskrieger bezeichnet wurde und folglich Ziele besonders rücksichtlos verwirklichen kann. Ein Sonderfall ist dabei die durch lernende Algorithmen mögliche Vermachtung von Märkten, denen eben kein Ethos der Marktwirtschaft gegenübersteht – und wenn es einprogrammiert wird, dann sollte ein guter Algorithmus, weil er lernfähig ist, dies überschreiben. Lernfähigkeit bedeutet auch, einprogrammiertes Ethos durch ein anderes Wertesystem zu ersetzen. Damit entfällt auch die Verantwortung der ursprünglichen Programmierer für ihr Ergebnis – ein Nachweis der Zurechnung dürfte bereits angesichts der Komplexität der Algorithmen schwerfallen. Für die Menschen gilt, dass die Rückwirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Menschen selbst bisher kaum vorherzusagen sind – das ist ein Problem, das auch bei früheren technologischen Schüben zu verzeichnen war. Aber, und das ist die zentrale Frage: Sind die Systeme beherrschbar?
11.2.2 Führung unter den Bedingungen massenhafter Datenverfügbarkeit Der Zugriff auf entscheidungsrelevante Daten zählt zu den herausragenden Bedingungen eines wirkungsmächtigen Führungsprozesses. Dabei sind vor allem solche Daten von Interesse, die Strukturinformationen über andere Daten enthalten. Derartige Metadaten erleichtern den Führungsprozess auf übergeordneter Ebene, weil sie einen hinlänglichen Grad an Abstraktion unterstützen. Es sind daher vor allem diese Daten, die im Kontext der Moderne von prioritärer Bedeutung sind. Für die digitale Fabrik ist das beispielsweise die Datenstruktur, die standardisiert die wesentlichen Eigenschaften von Werkstücken bzw. Halbzeugen, Vorprodukten und Produkten konstituieren. Dieser Materials Data Space als digitaler Zwilling ermöglicht erst eine Produktion unter den Bedingungen von „Industrie 4.0“. Daher ist evident, dass Unternehmen gleichermaßen den Standard für Datenstrukturen der Anlagen und Maschinen ebenso wie der digitalen Zwillinge schreiben und kontrollieren wollen. Um deren Herrschaft ist der Kampf entbrannt. Aktuell vereinnahmen die Hersteller die Daten der verkauften Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe oder Maschinen weitestgehend. Versicherer versuchen mit Macht, Herrschaft über die Verhaltensdaten von Pkw-Nutzern oder über die Gesundheitsdaten zu extrahieren. Lebensgewohnheiten im digitalen Heim werden von den großen digitalen Oligopolisten ebenso über Sprachsysteme abgegriffen wie über das vollautomatisierte digitale Heim. Damit eröffnen sich neue Potentiale der Beeinflussung, der Kontrolle, der Manipulation und schließlich auch des gezielten system-shut-down. Infolgedessen sind neue Sicherheitskonzepte zwingend, weil das Vernetzen, oft global, eine systemische Anfälligkeit bedingt. Aus Sicht des Angreifers wird damit ein integriert-verbundener Angriff durch verschiedene Instrumente besonders reizvoll, die im Einzelfall eine geringere Intensität haben können, damit auch weniger auffallen, aber im Bündel ihre Wirkung entfalten. Führen bedeutet hier, durch klare (hierarchische) Vorgaben v ernetzte
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Strukturen zu verletzen. Unternehmen müssen, wie alle Institutionen generell, für sich die Frage beantworten, was sie alle vernetzen wollen und welche Kontakte bzw. Schnittstellen zur Außenwelt zwingend notwendig sind, um ihr Risiko vor allem auf der Expositionsseite zu senken und beherrschbar zu machen – eine Problematik, vor der auch Individuen in den Sozialen Netzen stehen.
11.2.3 Der Rechtsrahmen des Handelns vor dem Hintergrund des Cyberrisikos Eine der ersten Fragen im Kontext der modernen digitalen Welt stellt sich nach der Verantwortung im Vorfeld des eigentlichen wirtschaftskriegerischen Handelns – der Verantwortung für den Code. Im Sinne des Theaterstücks von Friedrich Dürrenmatt Die Physiker (1961, S. 85) gilt: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Es gibt keine undo-Operation auf den Code. Dieser ist, wie Adrian Lobe (2017) in Der Code ist das Problem ausführt, den Harvard-Juristen Lawrence Lessig anführend, gleichzeitig Gesetz (bzw. Regel) wie Vehikel des Brechens von Gesetzen (bzw. Regeln), weshalb eine Regulierung der Algorithmen als sinnvoll erscheint. Zugleich bedeutet das verwenden ähnlicher Algorithmen im Cyberkrieg, dass ein erhebliches Eskalationspotential vorliegt, wie dies bereits spieltheoretisch ausgeführt wurde und von Carl von Clausewitz bzw. René Girard erwähnt wurde. Damit steigt das Risiko und erhöht sich weiter dadurch, dass die Richtigkeit und Funktionsfähigkeit von Algorithmen nicht bewiesen werden kann. Tatsächlich ist die Bedrohung bereits in der Konstruktionsphase erheblich. Eine falsche Instruktion oder, eine falsche Anweisung, als Virus eingeschmuggelt, oder eine Hintertür für Hacker kann sich über die Komponenten in ein gesamtes Produkt, beispielsweise eine Cyberwaffe, aber auch ein IT-gestütztes System wie ein Pkw, ein Schiff, eine automatisierte Verteidigungsanalyse usw. hineinfressen. Vor dem Hintergrund der im sechsten Kapitel eingeführten Fähigkeiten nimmt die Seefahrt eine bedeutende Rolle ein. Gelingt es hier, die Transportwege im Rahmen der hybriden Kriegsführung zu stören, können die globalen Wertschöpfungsketten schnell außer Takt geraten. Beim autonomen Fahren muss in den Algorithmen eine konkrete Moral implementiert werden, wie bei Unfällen im Sinne einer Schadensminimierung zu selektieren ist: Dabei sind die Werthaltungen gesellschaftlich durchaus verschieden, wie im global durchgeführten Moral Machine Experiment deutlich wird (Awad, Dsouza, Kim, Henrich, Shariff, Bonnefon, Rahwan 2018). Die Analyse zeigt deutliche Unterschiede zwischen dem Westen, dem Osten und dem Süden der Welt beispielsweise in Bezug auf die Abwägung zwischen Individuum oder Kollektiv, Alt oder Jung, passives Zulassen des Unfalls oder aktives Eingreifen. Bekannt sind die im sogenannten Trolley-Experiment aufgezeigten Dilemmata (Foot 1967): Eine Bahn rollt auf eine Gruppe Personen im Gleis zu. Ihr Tod könnte verhindert werden, legte man eine Weiche um; dann aber würde eine einzelne Person, die in einem anderen Gleis steht, geopfert. Im Sinne des Utilitarismus billigen die meisten Menschen
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diesen Eingriff. Würden sie aber – anfänglich gleiche Versuchsanordnung – akzeptieren, dass ein schwerer, dicker Mann von einer Brücke geworfen würde, um den Zug aufzuhalten? Der direkte Eingriff fällt schwer. Sollten dann vorab Regeln demokratisch gesetzt werden? Das kann sinnvoll sein, weil dann gesinnungsethische und verantwortungsethische Sichten in Einklang gebracht werden könnten, wie Thomas Schelling (2006) in seinem Hubschrauberbeispiel zeugt: Auf einer Insel kann nur eine Gruppe von zweien gerettet werden, eine große oder eine kleine. Welche ist zu wählen. Utilitaristisch wäre es die größere – und das wäre dann zu billigen, wenn vorher die Menschen, die jetzt betroffen sind, ohne Ansicht der Lage eine derartige Regel verabschiedet hätten. Derartige Systeme können gehackt und umprogrammiert werden, um die Reputation einzelner Firmen zu zerstören oder eine Gesellschaft zu destabilisieren, die nun vermuten muss, jedes Auto sei eine fehlgesteuerte Waffe. Algorithmen können diskriminieren und – hier kommen sogenannte social bots ins Spiel – massive Verwerfungen in der Zivilgesellschaft erzeugen. Infolge der eingeschränkten Möglichkeiten einer Algorithmusverifikation besteht die einzige Möglichkeit in einem steten Soll-Ist-Vergleich – gegebenenfalls mit bisherigen Modellen. Das benachteiligt Neuentwicklungen und daraus hervorgehenden Sprunginnovationen, führt aber zum Risiko des lock-in. Cyberkrieg findet häufig in einem rechtsfreien Raum statt, weil der Gesichtspunkt der Territorialität, der historisch für den Umgang mit Gewaltanwendungen prägend war, und physische Eigenschaften, wie sie beim Entwenden oder Zerstören eines Guts typisch sind, hier im konkreten Sinne nicht mehr vorliegen.10 Die rechtliche Zuordnung der Verantwortung ist meist problematisch, weil nicht immer zu unterscheiden ist, ob die Auslöser Unternehmen oder Staaten bzw. deren stillschweigende oder bewusste Kooperation oder wohlwollende Duldung sind. Schließlich entsteht auch ein Problem der Betroffenheit und der Sichtbarkeit: Denn viele Betroffene wissen gar nicht, dass sie ausgespäht wurden, ferngesteuert werden oder ihnen eine digitale Zeitbombe eingepflanzt wurde, die zu einem geeigneten Zeitpunkt gezündet wird. Außerdem finden die Vorgänge unter Ausschluss eines erheblichen Teils der Öffentlichkeit statt, und keine Institution in den betroffenen Unternehmen oder Staaten hat ein Interesse daran, derartige Vorgänge zu eskalieren, weil damit auch die Fähigkeiten der eigenen (Gegen-) Aufklärung und die Möglichkeiten der Abwehr offenkundig werden. Das Vermögen, eine nahende interkontinentale Atomrakete mit einem entsprechenden Abfangsystem zu vernichten, war weltweit faktisch nicht geheim zu halten. Die Verteidigungsstrategien im Netz hingegen entziehen sich, ebenso wie die dazugehörigen Manöver, weitgehend der Beobachtung. Der Rechtsrahmen der Cyberwelt lässt sich folglich nur supranational gestalten, weil sich die digitale Welt sehr schnell der nationalen, also territorial definierten
10Nicht umsonst wurde im Jahr 1907 das Strafgesetzbuch geändert, weil darin der Diebstahl von Elektrizität nicht vorgesehen war, da Strom keine fremde bewegliche Sache ist.
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echtsprechung entzieht. Dies gilt beispielsweise für zivilrechtliche Fragen, das R Abschalten fehlerhafter Nachrichten (fake news) durchzusetzen und die Hintermänner in Haftung zu nehmen, wobei gar nicht klar ist, wer die Richtigkeit von Nachtrichten verifizieren soll. Es geht weiter ins Strafrecht und ins Wettbewerbsrecht. Letzteres ist deshalb interessant, da als Gegenstück zur Eskalation die Möglichkeit der (algorithmischen) Kartellbildung besteht, weil sich Parallelverhalten als dominante Strategie durchsetzt. Interessant ist es, das Handeln der Militärbündnisse zu beobachten: Die NATO unterhält in Tallinn eine Einrichtung Cooperative Cyber Defense Center of Excellence und hat vor einiger Zeit einen Leitfaden Tallinn Manual on the International Law Applicable to Cyber Warfare (2013) veröffentlicht, in dem sie versucht, den Rechtsrahmen abzustecken und die Regeln des Kriegseinsatzes sowie die rules of engagement zu klären. Abgehandelt wird also das ius ad bellum und, wenn es zu einem Konflikt gekommen ist, das ius in bello. Diese wurden bereits für die konventionellen Konflikte vorgestellt. Zentral ist dabei, wie Michael Bothe (2013) schreibt, die Symmetrie der Wirkungen: Ausgeübte Gewalt gilt dann als militärische Gewalt, wenn sie gleiche Wirkungen wie ein konventioneller Angriff aufweist. Problematisch ist aber genau das Territorialprinzip, weshalb die Zurechenbarkeit zu einer zentralen völkerrechtlichen Frage wird – und damit auch die entsprechende angemessene Antwort. Selbstverteidigung auf Verdacht ist nicht zulässig, die Geräte müssen als militärisch identifiziert und der Kombattantenstatus des Personals muss sichergestellt sein – aber wie trägt diese Vorstellung von Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit, wenn es um konkretes Abwehrhandeln geht? Gerade Rechner sind mehrfach zu nutzen. Wie weit reicht das Bedienungspersonal – bis zum Programmierer des Virus? Genau hier werden die Grenzen von Rechtsnormen in der Praxis sehr schnell sichtbar. Wie weitgehend lässt sich dies auf zivile Aspekte übertragen? Ist es zulässig, bei drohendem Angriff auf die Elektrizitätsversorgung vorsorglich einen Gegenangriff zu starten? Insbesondere die baltischen Staaten sehen sich durch den Cyberkrieg bedroht. Estland wurde im Jahr 2007 Opfer einer Attacke, die zum Abschalten vieler Behördenrechner führte. Die NATO hat daher das obengenannte Zentrum gegründet und führt dort regelmäßig Manöver im Verbund mit anderen ähnlichen Einrichtungen durch. So wurde für die Übung Closed Shields im Frühjahr 2014 die Cyber-Attacke Russlands auf Georgien während der dortigen Krise im Jahr 2008 als Vorlage genutzt (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2015c).
11.2.4 Digitalisierungszwänge als Treiber des Cyberrisikos Es sind besonders indirekt wirkende Instrumente – nämlich Regulierungen, die das Cyber-Risiko stetig erhöhen, weil Nutzer kontinuierlich auf Plattformen gezwungen werden, um die Effizienz von ökonomischen Transkationen und/oder der Bürokratie zu verbessern. Der Plan des Ersatzes von Bargeld ist ein Aspekt – jede Transaktion wird im Netz verfolgbar – die Gesundheitskarte ein anderer. Gleiches gilt für die Fähigkeiten,
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Autos in Netze einzubinden zur Verbesserung von Verkehrsfluss, Senken von Unfällen oder Abgreifen von technischen Sicherheitsrisiken. Anders sieht es bei allgemeinen Attacken aus. Wie die Süddeutsche Zeitung (2015) berichtet, bedrohen rund 250 Mio. Schadprogramme die PCs in Deutschland und rund 3 Mio. die Smartphones und Tablets. Jeden Monat erfolgen rund 1 Mio. Attacken, und es kommen täglich rund 300.000 neue Schadprogramme dazu. Bei den Herkunftsländern, die auf der Basis der Erkennung durch Antivirensoftware ausgemacht wurden, dominieren die Großmächte USA, China und Russland (Süddeutsche Zeitung 2015 auf Basis von Daten der Kaspersky Lab). Schließlich ist auch das Ziel der Attacken gegen Unternehmen von Interesse: Nach einer Übersicht von Ernst & Young (Birkeland 2015) richten sich 52 % der Attacken gegen Forschung und Entwicklung, gefolgt von Vertrieb (21 %), Fertigung (14 %) sowie Rechnungswesen und Personal (je 11 %). Die Wirkungen auf moderne Infrastrukturen können erheblich sein, weshalb es sich lohnt, die Sensibilität der modernen Wirtschaft und ihrer Infrastrukturen zu beleuchten: So zeigte nicht nur der Tsunami vom März 2011 in Japan, wie stark Regionen von Versorgungsinfrastrukturen abhängig sind. Erinnert sei vielmehr an die Folgen des Eisregens in Quebec im Januar des Jahres 1998, der fast alle Stromleitungen von Montreal zu den Kraftwerken an der James Bay zerstört hatte. Wäre es nicht gelungen, die letzte verbliebene Leitung vom Eis zu befreien, hätte die gesamte Stadt wegen des Zusammenbruchs der Wasserversorgung evakuiert werden müssen mit unabsehbaren wirtschaftlichen Schäden. Cyberwaffen können ähnliche Wirkungen entfalten, beispielsweise Ver- und Entsorgungssysteme zusammenbrechen lassen, und sind in der Totalität der Wirkung konventionellen Waffensystemen oft überlegen, möglicherweise nur mit nuklearen Waffensystemen vergleichbar. Weiterhin birgt dieses Lahmlegen von gesellschaftlich essentiellen Infrastrukturen erhebliche soziale Sprengkräfte. Eine wichtige Grundlage des modernen Wirtschaftens sind die Börsen, die in hohem Maße Opfer von Angriffen sind. Nicht umsonst führen Banken regelrechte Manöver durch, um Schwachstellen zu finden, beispielsweise Waking Shark II in Großbritannien im November 2013 (Börsen-Zeitung 2014a). Dabei wurde ein dreifacher Hexensabbat als Szenario gewählt, also eine Lage, in der Futures und Optionen auf Aktien und Indizes auslaufen und geprüft wird, ob die Kommunikationssysteme funktionieren. Ähnliche Manöver werden an der Wall Street unter dem Namen Quantum Dawn organisiert. Gerade wegen ihrer Sensibilität werden die Finanzinstitutionen zunehmend – über das Abfischen von OnlineKonten hinaus – zum Gegenstand der Angriffe. Clearinghäuser wie SWIFT sind in besonderem Maße systemisch, was bereits im Kontext der Ukraine-Krise und des Wirtschaftskriegs mit Russland beleuchtet wurde. Eine neue Gefahr entsteht durch die Entwicklung dessen, was als Industrie 4.0 bezeichnet wird, also einer internetvernetzten Fertigung, bei der Maschinen sich auch selbst erkennen und konfigurieren können. Einem Digitalisierungsindex von Booz Allen Hamilton zufolge liegt der Finanz- und Versicherungssektor bei über 50 Punkten, die klassische Industrie rund 10 Prozentpunkte tiefer (Börsen-Zeitung 2013a). Damit wird
11.2 Informationsasymmetrien in der digitalen Welt
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die Fertigung nicht nur systemisch und noch stärker vernetzt als bisher, und es entstehen Auswertungsmöglichkeiten zur Prozessoptimierung, für die die Eigentumsrechte der Daten bisher ungeklärt sind: Liegen sie beim Unternehmen, beim Hersteller oder einem Cyber-Unternehmen? Solange sie nicht personalisiert sind, gelten die einschlägigen, den Persönlichkeitsschutz betreffenden nationalen und internationalen Regelungen nicht (Veltins 2017). Es wird auch möglich, Fertigungsanlagen zu kapern bzw. in Produkte Eigenschaften einzubauen, die sich zu gegebener Zeit aktivieren lassen. Aber auch Haushaltsgeräte werden zunehmend an das Internet angeschlossen. Medizinische Systeme sind heute ohnehin mit dem Internet verbunden; hier können – gezielte – Manipulationen tödlich wirken. Werden bei Autos die digitalen Schnittstellen von Hackern erobert, dann können Sie damit gezielte Attacken durchführen – der Pkw als Waffe. Da eine Vielzahl von Systemen ursprünglich nicht für die Netzkommunikation ausgelegt war, liegen sehr ungenügende Sicherheitsstandards vor und sie sind leicht zu hacken bzw. zu kapern. Aber auch Flugzeuge lassen sich durch ihr fly-by-wire-System fernsteuern, womit dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet sind. Die wichtigsten Schritte zum Schutz gegen unbefugtes Handeln und die rechtlichen Möglichkeiten der Abwehr bestehen darin, das geistige Eigentum umfassend zu sichern, was bei mittelständischen Unternehmen, die selten ihre Rechte durch Patente oder Marken schützen, problematisch ist. Implizites und im Unternehmen verborgenes Wissen hängt oft an wichtigen Führungspersonen, deren Loyalität sicherzustellen ist – und im Falle des Fortgangs aus dem Unternehmen ist die Informationsdiffusion mit entsprechenden Konkurrenzklauseln zu verhindern. Mit der Lizenznutzung ist auch die Frage der Haftung zu klären, gleichermaßen für Fehler im Lizenzinhalt wie beim illegalen Abgreifen und damit Nutzen durch Unbefugte. Die Sicherheit der internen und externen Informationskanäle spielt in jedem Fall eine entscheidende Rolle. Strafrechtliche Risiken können dann drohen, wenn mit dem Abfluss von Wissen außenwirtschaftliche oder gar sicherheitspolitische Rechtsverstöße verbunden sind. Da Informationsflüsse in vielen Fällen grenzenlos sein können, Rechtssysteme aber national oder in Staatengruppen verankert sind, ist zudem auf die nationale Rechtshoheit zu achten. So kann ein Geoblocking, das in vielen Fällen extrem aufwendig ist, erforderlich werden. Bereits banale Spam-Attacken oder shit storms können ein Netz nachhaltig lahmlegen. Man kann diese sogar am Markt kaufen; ihr Preis richtet sich nach der Zahl der gekaperten Rechner, also der Größe des Botnetzes, das dazu instrumentalisiert wird. Die internationale Internetgemeinschaft hat, weil der notwendige Konsens dazu fehlt, bis heute kein System etabliert, derartige Quellen haftbar zu machen, obwohl das technisch ohne weiteres möglich wäre, wenn man die Anonymität der Nutzer opfern würde. Diese Botnetze besitzen auch eine hohe Bedeutung beim Erzielen von Informationsdominanz durch Lügenschleudern, die eine erhöhte Aufmerksamkeit genießen, seit vermutet wird, dass diese Einfluss auf Wahlen nehmen können. Durch virtuelle Schläferagenten und automatisierte Profile als social bots, beispielsweise mittels Twitter, gelingt es, den Eindruck einer breiten, gleichgerichteten Meinung zu erzeugen. Dies gilt umso mehr, als
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Regierungen bzw. die Öffentliche Verwaltung ihre Kommunikation im Wesentlichen auf klassischen Medien wie Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen stützt und der Cyberwelt in Gestalt von Twitter, Facebook, Wechat usw. wenig oder nichts entgegenzusetzen hat. Besonders gefährlich ist es, wenn aus echten Nachrichten fake news abgeleitet werden, beispielsweise im Nachgang von Terroranschlägen, um in einer zweiten Welle Gesellschaften zu destabilisieren – ganz wie es die hybride Kriegsführung vorsieht.
11.3 Instrumente des Cyberkriegs In einem regulären Krieg kommt die Gewalt von außen, zumindest dann, wenn er gemäß völkerrechtlichen Normen ausgefochten wird. Das gilt nicht für Bürgerkriege und auch nicht für manche asymmetrischen Konflikte. Dann nämlich spielt Subversion eine erhebliche Rolle, und die Rivalität bricht auch von innen aus. Der besondere Typ des Schläfers in diesen Auseinandersetzungen verweist auf Personen, die erst zu gewissen Zeitpunkten der Rivalität aktiviert werden, um dann die ihnen zugedachten Aufgaben zu erfüllen. Der Cyberkrieg als ein von innen heraus bestrittener Konflikt ist mit einer Infektion durch ein biologisches System vergleichbar, bei dem sich ein Bakterium oder ein Virus der Organe oder Zellen des Wirtskörpers bemächtigt, sie also infiziert, sich ihres genetischen Codes bemächtigen und diesen umprogrammieren. Damit einher geht die Möglichkeit, unter gewissen Bedingungen eine externe Zündung vorzunehmen: So wirken viele Viren als Schläfer, die erst aufbrechen, wenn ergänzende Faktoren hinzukommen, beispielsweise eine massive Schwächung oder eine zusätzliche Infektion oder Krankheit. Dem Wirtskörper auf der biologischen Ebene, der nachhaltig geschädigt oder zerstört wird, entspricht in der Ökonomie die übergeordnete Institution, beispielsweise der Staat bei der Attacke seiner Infrastrukturen. Diese Analogie kann noch auf die ersten chemischen und biologischen Waffen (Senfgas und Milzbrand) weiterentwickelt werden. Ein Wechsel der Windrichtung kann die eigenen Truppen ebenso schädigen wie die Ansteckung eigener Truppen durch die Soldaten des Feindes, die angesichts der Todesgewissheit nichts mehr zu verlieren haben und daher versuchen werden, den Verursacher maximal zu schädigen. Dementsprechend werden in diesem Abschnitt die Waffen des Cyberkriegs beleuchtet und die Möglichkeiten aufgezeigt, diese Risiken abzuwehren. Zu diesen Mitteln zählen inzwischen auch völlig triviale Infrastrukturen, beispielsweise Webcams, Babyphones, Feuermelder, internetfähige Kühlschränke – die auch zu Botnetzen zusammengeschlossen werden können, um maximales Unheil anzurichten. Das Gegenstück zu dieser Totalität der Durchdringung ist der Versuch, in einer offenen Gesellschaft Bereiche abzuschirmen. Damit entsteht eine Dualität aus Waffensystemen – gleichermaßen zu nutzen für Angriff und Verteidigung – und Instrumenten der Abschirmung, um Privatsphären zu sichern oder, gerade auch in totalitären Staaten, eine halböffentliche Kommunikation zu ermöglichen, die aber ebenfalls missbraucht werden können. Im Cypherpunk’s Manifesto des amerikanischen Mathematikers Eric Hughes (1993) wird betont, die Individuen und Gesellschaften haben den Anspruch,
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sich diese Privatsphären selbst zu erkämpfen. Das betrifft das Bewahren des Rechts auf eigene Daten, auf Kommunikation, aber auch Geldverwendung. Die anschließend betrachteten Waffen des Cyberkriegs besitzen wie normale Kriegsmittel die Eigenschaft, dass sie erheblichen Schaden anrichten können, wenn sie in fremde Hände geraten, zumal die Abwehrsysteme der vormaligen Entwickler unterlaufen werden können. Unter der Vielzahl an Beispielen kann ein pikanter Fall genannt werden: Er betrifft die amerikanischen Sicherheitsbehörden, denen ein System „Eternal Blue“ entkommen ist, das seit dem Jahr 2017 zu der global gefragtesten und erfolgreichsten Erpressersoftware zählt (Muth 2019).
11.3.1 Würmer, Viren und manipulierte Chips als direkt wirkende Waffen Computerwürmer und Computerviren stellen die wichtigsten direkt wirkenden Waffen im Cyberkrieg dar.11 Die Unterscheidung folgt dem biologischen Vorbild: Der Wurm nutzt die Ressourcen des Wirtskörpers, hier der Netzsysteme, und vermehrt sich gemäß einem eingebauten Programm oder unkontrolliert. Dabei infiziert er keine fremden Dateien oder Boot-Sektoren mit seinem Code, sondern vollzieht bestimmte in ihm gespeicherte Anordnungen. Der Virus hingegen benötigt ein Wirtsprogramm, um den in ihm gespeicherten Maschinencode ausführen zu können. Die heute meistgenutzte Angriffswaffe ist der Wurm, Viren gelangen nur in ganz speziellen Nischen zur Anwendung. Antivirusprogramme schützen vor Viren, die sogenannten Firewalls vor Würmern. Für Cyberkriminelle oder Cyberkrieger sind erforderliche Mittel, also Waffen, allgemein zugänglich, sie werden teilweise offen am Markt angeboten. Sie reichen von Produkten, die man einmal kauft, um damit die Angriffe durchzuführen bis hin zu Systemen, die innerhalb eines Mietverhältnisses immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden, um die ebenfalls aktualisierten Viren-Scanner und anderen Abwehrsysteme zu überwinden. Heute verdienen Cyberkriminelle mehr als Drogenhändler. Inzwischen existieren schon arbeitsteilige Systeme, weil sich Gruppen bzw. Länder auf bestimmte Sektoren konzentrieren, zum Beispiel auf das Abfischen von Bankdaten, auf das Ausspionieren von Unternehmen oder einfach auf das Lahmlegen von Systemen aus schierem Spaß, um zu prüfen, wie leistungsfähig die eigenen Systeme sind. Abb. 11.4 gibt eine Übersicht über die Waffenhersteller. Die Waffen des Cyberkriegs, nämlich Computerviren und -würmer sowie Routinen, um sich einen unerlaubten Systemzugang zu verschaffen, waren historisch oft das
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Analogie zur Biologie nimmt inzwischen auch den umgekehrten Weg. In den USA und England werden beispielsweise seitens der Firma New England Biolabs Biobaukästen verkauft, die Genmanipulationen erlauben – der elektronische Hacker wird zum Biohacker (vgl. https://www. neb.com/products).
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Web Aacker (do it yourself kit) Katrin (pro Tag) Phoenix
Mpack Nuclear Blackhole License (pro Jahr) Sweet Orange (pro Monat) Whitehole (pro Monat) Icepack (Kauf) Eleonore (v 1.6.2) Styx Sploit Pack Rental (pro Monat)
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500
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1.500
2.000
2.500
3.000
US$
Abb. 11.4 Hersteller von Waffensystemen im Cyberkrieg. (Quelle: eigene Darstellung aus Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014d und Rand Corporation – Schattierung nach Bezahlmodus)
Produkt der spontanen Neugier von Individuen, die einfach prüfen wollen, in welchem Maße sie durch ihren Intellekt in der Lage sind, Einfluss auf Systeme zu nehmen, die zunehmend aus obigen Praktikabilitätsgründen digitalisiert wurden. Sicher wollen auch einige ihren persönlichen Destruktionstrieb im Sinne des psychologischen Konzepts des konstanten abweichenden Verhaltens ausleben. Dann ist das Erzeugen einer solchen Computerwaffe vergleichsweise günstig skalierbar. Aber gleichzeitig gilt auch: Wer eine Cyberwaffe professionell vorhalten will, muss ihre stete Einsatzbereitschaft gewährleisten, sie also wie eine konventionelle Waffe pflegen und damit in voller Kenntnis der Abwehrmöglichkeiten des Gegners sein. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Grenze zwischen Staat und Unternehmen durchlässig wird. Weiterhin haften Staaten nur selten, Unternehmen hingegen im Falle des Nachweises, dass Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Bei der Entscheidung über eine angemessene strategische Aufstellung bestehen für Staaten erhebliche und vor allem komplexe Schwierigkeiten. Zu bewältigen ist das Problem der sozialen Akzeptanz für Forscher, in derartigen Projekten mitzuwirken. In Deutschland dürfte das Mitwirken an der Entwicklung von derartigen Waffensystemen – ob zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken – mit weit geringerer Reputation verbunden sein als beispielsweise in Frankreich oder in den USA. Als Waffen bzw. Methoden der Cyberkriegsführung werden von Mandep Singh Bhatia (2011) in seinem Beitrag World War III: Cyber War genannt, wobei er gleichermaßen Angriffsmethoden nennt und Wirkungen im Ziel, die eher einem Ausspähen entsprechen: • Datendiebstahl, entweder physisch (inzwischen eher selten) oder virtuell, • Attacken in Sozialen Netzen, insbesondere das Platzieren gefährlicher links als Quellen späterer Infektion oder von Desinformation, • E-Mail-Bombardement, um Server zum Zusammenbruch zu treiben,
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• Angriffe auf technische Systeme vornehmlich mit Bluetooth oder WLAN, beispielsweise Autos oder Flugzeuge, aber auch auf medizinische Systeme bis hin zu Herzschrittmachern usw., • Datenbetrug (data diddling) vor allem durch Ändern von Rohdaten kurz vor dem Anwendungszugriff, • Salamiattacken, die kleinste Änderungen aber mit hohen Kumulationseffekten auslösen – beispielsweise Minibeträge oder Rundungssummen von Konten abbuchen, • Logische Bomben, um bestimmte Funktionen, oft vom Eintreten bestimmter Ereignisse abhängend, einzuleiten, • Einbringen von Trojanern, • Diebstahl von Internetnutzungsberechtigungen, also auf Kosten Dritter Datenverkehr durchführen, oft in Kombination mit anderen obengenannten Delikten, wobei meist im Vorfeld ein Angeln der Zugangsberechtigungen (phishing) bzw. ein Ködern (baiting) erfolgt, • Übernahme der Kontrolle von Smart Phones, Web-Kameras, Webseiten und Emailkonten (web jacking), • DoS-Attacken (denial of access) mit der Folge, dass Websysteme ihre Aufgabe nicht erfüllen können, • Maskierung mit der Folge, dass Nachrichtenverkehr an unbefugte Personen, die sich maskiert haben, ausgeliefert wird, • Ausspähen (eavesdropping) vor allem beim Transport von Daten im Netz – die Tätigkeit, die die NSA durchführt und gegen die man sich durch Schlüsseltechniken teilweise wappnen kann, • IP-Manipulationen (IP spoofing) mit dem Ziel, eine externe Adresse als interne zu verschleiern, um unbefugt Daten einzubringen oder abzugreifen. • Künftig wird es möglich sein, durch im Körper implantierte Systeme, die offiziell entwickelt werden, um Leistungen zu steuern und auch Behinderungen auszugleichen, Verhaltensweisen abzugreifen – möglicherweise vor deren Realisierung – und diese zu beeinflussen. Spuren lassen sich gut verwischen – sogar die Spur, dass es einen Angriff überhaupt gab, wenn man die Prozessoren so manipuliert, dass sie zwar etwas Verbotenes tun, der dann über die Systemlogik erfolgte Widerruf aber so verzögert wird, dass er zu spät kommt. Wird der Rechner dann auch noch auf eine falsche Verzweigung gelockt, dann setzt er, nachdem er das merkt, alle Befehle zurück und löscht durch das anschließend korrekte Vorgehen die Spuren (Pöppe 2018). Deshalb ist die Analyse von Angriffen essentiell. Ein exotischer Punkt ist das Erstellen von Honey-Pots, also Scheinzielen, um Angriffe zu analysieren und zurückzuverfolgen. Insbesondere ist sie geeignet, Gegenschläge durchzuführen oder Angriffe gezielt zu ermöglichen (Joos 2018). Eine neue Form des Hackens stellt das Eindringen und Verschlüsseln von Dateien verbunden mit der Aufforderung, Lösegeld mit dem Ziel der Dekodierung zu bezahlen, dar. Derartige Ransomware wie das Programm TeslaCrypt 3 sind deshalb aus Sicht der
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Sicherheitsinstitutionen – insbesondere auch staatlicher Behörden – so problematisch, weil sie auf dem Vertrauen aufbauen, dass mit der Lösegeldzahlung (ransom) tatsächlich die Rückverschlüsselung ausgelöst wird. Damit wird die Neigung, Sicherheitsbehörden einzuweihen, niedrig liegen – und das Geschäft funktioniert vermutlich am besten auf einer Massenbasis analog dem bisherigen Spam-Modell. Von besonderem Gewicht sind hierbei Knoten, die auf die sie umgebenden Knoten einen maximalen Einfluss ausüben, oder – im Falle eines Ausfalls – zu einer maximalen Strukturzerstörung führen. Damit wird die graphentheoretische Analyse zu einem wichtigen Hilfsmittel des Cyberkriegs. Ein von Morone und Makse (2015) entwickelter Algorithmus kann Knoten identifizieren, die in diesem Sinne manipulationskritisch sind und daher als erste attackiert werden müssen. Zielgerichtete Methoden der Spionage und der Zerstörung spielen auch im Cyberumfeld eine sehr große Rolle. Klassische, technisch getriebene Angriffe der Spionage bringen oft schnellen Erfolg, ebenso das gestalterische Nutzen des Umfelds kritischer Personen und Personengruppen (Romeo, Honigfalle, Bestechung usw.), um Zugänge zu Sicherheitsstrukturen, insbesondere auch Passwörter oder Administratorberechtigungen zu erlangen. Das physische Zerstören von wichtigen Netzstrukturen erlaubt es, nicht nur den Feind zu verlangsamen; durch seine Reparatur- und Umgehungsmaßnahmen öffnen sich oft Pforten für Cyberattacken. Allgemein sind folgende Möglichkeiten im Vorfeld des Cyberkriegsangriffs von Bedeutung: • Der nicht destruktive Zugriff auf Sicherheitsanlagen durch lokale Kräfte, um Überwachungs- und Kontrollsysteme, insbesondere Firewalls und Air Gaps (physisch isolierte Rechnernetze) zu überwinden und so für den Cyberangriff vorzubereiten. • Das Zerstören von Infrastrukturen – insbesondere von Tiefseekabeln (oder deren Abzapfen) – große Mächte besitzen die dafür notwendigen tiefseefähigen U-Boote. • Das Stören von Kommunikationssystemen – Störsender oder Sender, mit denen man Signale überlagert, sind auch heute immer noch klassische hochwirksame Technologien. • Das Zerstören von Anlagen – insbesondere das Abschießen von Satelliten mit ballistischen Körpern oder Laserkanonen zählt zu den wichtigen Kampfsystemen. • Das Abgreifen von firmeninternen Authentifizierungen, um sich Vertrauen zu erschleichen und an Legitimationscodes zu gelangen, die es ermöglichen, Firmenmitarbeiter zu bewegen, hohe Summen auf ausländische Konten zu überweisen (der sogenannte fake president trick). Schließlich ist es möglich, manipulierte Chips direkt bei der Produktion elektronischer Systeme zu integrieren, um ohne erstes Eindringen von außen einen Systemzugang zu schaffen. So wird China vorgeworfen einen Feind auf der Platine (Giesen, Masculo und Tanriverdi 2018) über die seitens einer US-Firma in die Volksrepublik ausgelagerte Fertigung von Rechnern einer US-Firma eingebaut zu haben.
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11.3.2 Marktplattformen als Waffen Die Marktplattformen der großen Internetanbieter entwickeln sich zunehmend zu Waffen beim Datenabgreifen und Eindringen in die Privatsphäre (Blum 2014b). Denn die meisten Geschäftsmodelle von Google, Yahoo, Alibaba, Amazon, Facebook, WhatsApp oder WeChat beruhen auf dem Tausch von persönlichen Daten gegen eine weitgehend kostenfreie Infrastrukturnutzung. Damit können Profile erstellt werden, die einer Vielzahl von Nutzungen zugeführt werden – vom Marketing bis zum Erstellen von Persönlichkeitsprofilen mit dem Ziel, Verhaltensweisen zu erklären, zu modellieren und künftig möglicherweise sogar vorherzusagen. Am Ende des Kapitels wird dies am Beispiel von Google Glass vertieft, das eine erste Stufe in Richtung Mensch-Maschine-Systeme, den sogenannten Cyborgs, darstellt. Es stellt sich dann die Frage, ob diese persönlichen Daten eigene intellektuelle Eigentumsrechte (IPRs) sind. Wenn ja, dann finden hier enteignungsähnliche Prozesse statt, sie sind eine Art digitale Ausbeutung. Gerne wird argumentiert, die Kunden gäben diese Informationen freiwillig ab – sie tun es aber meist nur, weil sie nicht wissen, welchen Wert diese Ressource besitzt, und auch hier ähneln sie den indigenen Völkern, die von den Europäern kolonialisiert worden sind – vereinfacht: Das Gold der Azteken, nach dem die Konquistadoren gierten, entspricht den persönlichen Informationen, die die Informationskonzerne abgreifen. All das ähnelt mehr den kolonialistischen Systemen mit ihren unfairen Tauschpraktiken, durch die die Konquistadoren versuchten, schnell reich zu werden, als den marktwirtschaftlichen Wettbewerbssystemen einer entwickelten liberalen Gesellschaft. Vor allem Plattformen sozialer Netzwerke schreiben gerne ihre Algorithmen um, mithilfe derer sie Kunden priorisieren, beispielsweise bei der Werbung. Derartige newsfeed-Systeme sind vor allem für Medien und damit für die Informationsverbreitung zentral, die damit durch Marktmacht gesteuert wird. In Verbindung mit der für die Wettbewerbseffizienz von Marktwirtschaften konstitutiv erforderlichen Informationsfreiheit (Hayek 1945) können damit massive Probleme entstehen, weil die Manipulation des Informationssystems indirekt Wettbewerbsmacht erzeugt, die sich dann auf die auf dem Marktplatz getauschten Güter oder auf die Unternehmen, die diese Daten beziehen, ausweitet – zulasten mittelständischer Unternehmen, die dann faktisch untergepflügt werden. Es entsteht ein verfassungsrechtlich-philosophisches Problem, auf das Wolfgang Kilian (2014) in seinem Beitrag zum Thema Recht auf die eigenen Daten hinweist: Die faktische Enteignung erzeugt kein öffentliches Gut, wie dies für den Datenzugriff des Staats aus vielen verwaltungsrechtlichen Gründen gilt. Vielmehr entstehen Clubgüter oder private Güter für Unternehmen. Der Mensch wird zu einem zu gebrauchenden Mittel und verliert seine autonome Selbstbestimmung; im Sinne von Immanuel Kant ist er Mittel, nicht Zweck. Der Spieltrieb wird befriedigt, zu jeder Frage existiert eine App, aber die Privatsphäre droht, auf der Strecke zu bleiben. Auf vielen Plattformen zahlen die Kunden mit ihren Daten, und deren Wert bleibt weitgehend im Verborgenen. Gelegentlich erfährt der Außenstehende einem Preis bei
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Übernahmen dann, wenn über eine Informationsinfrastruktur hinaus für den Kundenstamm bezahlt wird – beispielsweise bei Unternehmenskäufen. Da wurden je Nutzer Beträge von rund 55 US$ bei WhatsApp, 20 US$ bei Instagram und 200 US$ bei Skype ausgewiesen; Facebook verdient je Nutzer im Quartal rund 30 US$ (Fuest 2019). Inzwischen wird in den USA gefordert, dass derartige Beträge öffentlich ausgewiesen werden. Die dem Kapitel vorangestellte Strophe eines Volkslieds lautet: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, …“ Genau das ist der kritische Punkt der modernen Cyber-Aufklärung und -Rivalität. Sie spricht einen Zustand an, der vor der Ergänzung des menschlichen Denksystems durch peripher-externe oder körperlich integrierte Systeme liegt, wie Onur Güntürkün (2014) in seiner Analyse über das Vergessen ausführt. Denn die Cyber-Welt nimmt direkten Einfluss auf die neuronalen Verknüpfungen, oder, wie Donald Hebb (1949) ergänzt: „Neurons that fire together, wire together.“ Die Folge hiervon ist, dass sich bestimmte Gedankenstrukturen in konkreten Koalitionen, sogenannten assemblies, manifestieren, die wiederum messbar sind. Sobald über Sprache die Verbindung von Inhalt und assembly hergestellt werden kann, besteht zumindest auf dieser Ebene die Möglichkeit des externen Abgreifens von Informationen. Die Qualität der Interpretation hängt allerdings maßgeblich von der Klarheit der Gedanken und der Sprache ab – beides ist oft nicht gegeben, und es existieren auch viele „nichtsprachliche“ Gedanken, die das Handeln massiv beeinflussen.
11.3.3 Metadaten und Cyberintelligenz Der Normalbürger, der aus der Presse erfährt, dass Geheimdienste nur Metadaten erheben, mag sich zurücklehnen und sagen, dass das für ihn persönlich unbedeutend sei, denn wirklich relevant seien doch die Details – und genau das stimmt nicht. Das Erheben von Metadaten ist tatsächlich das wirklich Interessante, denn ein Zuviel an Informationen erzeugt Nebel, verschlägt die Sicht und führt zu Auswertungsproblemen, vor allem dann, wenn wie in der Prospect-Theorie (Kahneman und Tversky 1979) ausgeführt wird, vorbekannte Strukturen und scheinbar bewährte Heuristiken auf die erhobenen Daten angewendet werden und diese damit möglicherweise zu falschen Interpretationen führen können. Insofern war es immer ein strategischer Ansatz, von den übergeordneten Strukturen her zu denken. Aus der Sicht Napoleons vor Waterloo bedeutet dies: Für ihn wären die Metadaten zum Anmarsch von Blücher weit wichtiger als die konkrete Waffenstärke jedes einzelnen Soldaten. Und die englische Börse hätte mit den Metadaten über die Bewegungsmuster der Tauben, die die Briefkette von Nathan Rothschild bildeten, den Crash vermeiden können. Heute ist es beispielsweise die Tracking-Software, die die Nutzungsmuster von Individuen auf ihren Rechnern oder Smartphones erfasst und aus den Beziehungen dann Persönlichkeitsmuster erstellt. Vor allem dann, wenn Nutzer auf Facebook registriert sind, lassen sich formal anonym erhobene Daten individuell zuordnen.
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Wenn in einem normalen Krieg die Beherrschung von geographischen Räumen und im ökonomischen Krieg die Beherrschung von Produkträumen von Bedeutung ist, so ist im Cyberkrieg das Beherrschen eines Zeitfeldes in einem Datenkontinuum von Interesse. Die Idee besteht darin, das Gewesene zu rekonstruieren, analog zur Rekonstruktion des Aufmarsches eines Gegners, mit dem Ziel, künftige Handlungen abschätzen bzw. vorhersagen zu können. Die historische Lagezentrale wird durch den Datenpuffer ersetzt. Je größer dieser ist, desto leistungsfähiger wird das System, und hier kommen die sinkenden Grenzkosten der Datenverarbeitung massiv denen zugute, die die entsprechenden Systeme aufbauen. Der Datenpuffer ist wiederum mit einem Schichtbild der Computer-Tomographie (CTG) zu vergleichen, das durch verschiedene Schnitte der Datenrealität versucht, Rückschlüsse auf Verhaltensweisen zu gewinnen. Vor allem die Notwendigkeit, konsistent zu handeln, um nicht bereits auf der Meta-Ebene auffällig zu werden, begrenzt Freiheit massiv. Auch die klassische Aufklärung bedient sich dieser Bewegungsmuster. Erst im Anschluss wird die Frage gestellt, ob aus diesen Bewegungsmustern etwas Relevantes für die Entscheidungsfindung abzuleiten ist und wie gegebenenfalls in der Informationssammlung nachgefasst werden muss. Auch in der Wettbewerbstheorie spielen derartige Mustererkennungen eine wichtige Rolle. Musterhypothesen sind in einer Vielzahl von wettbewerblichen Auseinandersetzungen entscheidungsleitend, wenn gefragt wird, wie der Gegner auf die eigenen Aktivitäten reagieren könnte. Denn nicht alle Reaktionsmuster sind streng rational, wie dies bereits im Kontext der Spieltheorie im vierten Kapitel gezeigt wurde. Metadaten stellen Informationen über Inhalte und Vorgänge im Netz bereit und sind damit mit den allgemeinen Angaben über Muster auf einem Gefechtsfeld vergleichbar. Sie liegen in einer gegebenen Struktur vor (klassisch territorial: als Koordinaten) nämlich mit Namen, Zeitstempel, Umfang, Koordinaten (IP-Nummern) und Pfaden. Die Verknüpfung ist relevant, analog zur Auswertung eines Gefechtsfelds, das obige Beispiel fortführend: wann treffen die Armeen von Blücher und Wellington (1769–1852) aus Sicht von Napoleon zusammen? Metadaten stellen gleichsam einen Schnappschuss der Realität dar und erlauben es vermittels dieser Momentaufnahme, durch die Wolkendecke des Informationsnebels zu blicken. Aus dieser Aufnahme kann man dann durch Ergänzung mit anderen Daten und durch Rückwärtsinduktion nach Relevanz die Fragen beantworten: Was waren kritische Vorgänge in der Vergangenheit? Was sind dann mit hoher Wahrscheinlichkeit relevante Vorgänge in der Zukunft? Dabei gibt es triviale, sehr nützliche Anwendungen, beispielsweise das Abgreifen von Informationen durch die Abfrage einer Checkliste im Vorfeld eines Verkaufsgesprächs, um dann den Kunden gezielt zu den Produkten führen zu können und damit Transaktionskosten zu senken. Aber bereits das kann kritisch sein – denn bei einer sprachlichen Abfrage durch einen mit Spezialsoftware programmierten Rechner gelingt es, neben den faktischen Informationen allein durch Ausdrucksform, Sprachkomplexität und Stimmlage wertvolle zusätzliche faktische und vor allem emotionale Informationen zu sammeln.
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Die symmetrische wird von der asymmetrischen und die synchrone von der asynchronen Aufklärung abgegrenzt. Eine symmetrische Aufklärung liegt immer dann vor, wenn ein gegebenes Instrumentenbündel der Aufklärung, möglicherweise ein bestimmter Filter, genutzt wird, um Muster aus der Vielzahl vorhandener Daten herauszufiltern. Asymmetrisch wird sie dann, wenn die Anwendung mit verschiedenen Filtern, beispielsweise Priorisierungen, erfolgt. Sie ist synchron, wenn sie zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt überall einen Schnappschuss der Realität aufnimmt. Asynchrone Aufklärungen beziehen mehrere Zeitpunkte in die Investigation ein. Dabei ist die diachrone Aufklärung besonders wichtig. Auch die Geschichtswissenschaft unterscheidet zwischen synchroner und diachroner Betrachtung. Synchron bedeutet hier zu analysieren, was zu einem bestimmten Zeitpunkt an verschiedenen Orten geschah. Diachron ist eine Analyse dann, wenn sie bestimmte gleichartige Phänomene zu unterschiedlichen Zeitpunkten untersucht, beispielsweise vor 4000 Jahren den Bau der Pyramiden in Ägypten und um die vorletzte Jahrtausendwende den Pyramidenbau in Mittelamerika. Gerade diese diachronen Elemente sind für die Mustererkennung bedeutsam, weil hieraus Verknüpfungsstrategien entwickelt und anschließend Vergleichs- und Lernprozesse eingeleitet werden können. Aus diesen lernen die Auswertungssysteme, werden also damit kalibriert. Welche Muster werden in den Pufferspeicher abgelegt, um Metadaten zu analysieren? Welche Rationalitätsannahmen können aufgrund der vorhandenen, erfassten Strukturen dem Entscheidungskalkül zugrunde gelegt werden? Welche Regelkreise sind zu unterstellen? Das massenhafte Informationsabschöpfen bedeutet, dass ein Modell erstellt werden muss, mithilfe dessen Hypothesen auf der Basis von Metadaten überprüft werden. Denn ohne dieses wird die Information nicht zu Wissen und schon gar nicht zu Kompetenz. Damit besteht auch hier das klassische Problem, dass das noch nicht Erdachte auch nicht zielorientiert ausgewertet werden kann. Das willkürliche Durchtesten von Hypothesen hilft auch nicht weiter, wenn dadurch die Verlässlichkeit der Prüfstatistiken, also die Konfidenzintervalle, ad absurdum geführt werden. Das ist an einigen Stellen bereits erfolgreich gelungen; so lassen sich anhand von Kreditkartenumsätzen sehr genaue Profile erstellen, weil hier ein hoher Grad an individueller Einzigartigkeit besteht, wie Yves-Alexandre de Montjoye, Laura Radaelli, Vivek Kumar Singh und Alex Pentland (2015) im Beitrag Unique in the Shopping Mall: On the Reidentifiability of Credit Card Metadata schreiben. Das Vermessen des Kunden mittels purchasing scores ist das kapitalistische Gegenstück zu den chinesischen social scores und wirkt nicht weniger diskriminierend sowie freiheits- und persönlichkeitsbeschränkend. Die moderne Menschheit kommt der Sammelleidenschaft der Geheimdienste, aber auch einzelner Firmen, beispielsweise im Kontext mit Kundenbindungsprogrammen, die über Bezahlkarten und Bonuskarten laufen, durch ihre Lässigkeit und persönlichen Exhibitionismus stark entgegen. Es gibt eben nicht nur Prism und Tempora in den USA und in England, sondern auch Acxiom als privaten Anbieter von Daten, von denen, die in den Firmenrechnern schlummern oder die von Auskunfteien gesammelt werden, ganz zu schweigen. Außerdem haben die großen Internetfirmen und die Geheimdienste
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auch ein implizites gemeinsames Dateninteresse. Damit entwickelt sich in den Gesellschaften eine Durchdringung von big government, big business und big data, sodass in Erinnerung an die politische Debatte von einer Stamokap-Situation gesprochen werden kann oder eben vom Big Brother in Anlehnung an das Buch 1984 von George Orwell (1949). Tatsächlich zählt der meist unwiderrufbare und unwiederbringliche Verlust an Datenhoheit zu den beängstigenden Vorgängen. Regeln, hier weltweit einen klaren Rahmen zu setzen, sind angesichts der staatlichen und der oligopolistischen wirtschaftlichen Interessenlagen kaum zu erwarten. Thomas F. Dapp weist in seiner Studie über Big Data: Die ungezähmte Macht (2014) gerade auf diese kaum lösbare Janusköpfigkeit hin: Treiber des Wohlstands und Zerstörer der Privatheit; Hilfssystem in vielen Anwendungen, aber zugleich Abhängigkeit; das Zunehmen der Chancen für bestimmte, von der konkreten Technologie- und Informationskonvergenz begünstigte Bevölkerungsgruppen, aber auch das Überladen mit Information. Die offizielle Aufgabe der Sicherheitsdienste, Verbrechen und insbesondere Terroristen bekämpfen zu wollen, geht dabei fließend in technische und technologische Aspekte über, denn diese stellen ebenso eine Bedrohung dar, beispielsweise in Angriffswaffen oder auch im Versuch, technologisch sensible Bereiche zu treffen, womit sich automatisch ein Kontinuum zur Wirtschafts- und Industriespionage ergibt. Beide sind deutlich zu unterscheiden: Bei der Wirtschaftsspionage geht es um die Früherkennung grundlegender wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Zusammenhänge, Industriespionage ist in der Regel konkreter und auf bestimmte Technologiefelder ausgerichtet. Insbesondere ist hierbei die Konkurrenzspionage von Bedeutung, weshalb viele ausländische Geheimdienste ihre Unternehmen automatisch mit Informationen beliefern, an die sie durch Zufall oder absichtlich gelangt sind. Wenn der deutsche Geheimdienst BND im Auftrag der amerikanischen NSA Informationen auf der Basis einer Auswahl von rund 25.000 Schlüsselbegriffen, sogenannten Selektoren, aus den Netzen abschöpft, dann wird der Übergang zwischen Privatsphäre, Wirtschaftsinteressen und echter geheimdienstlicher Sicherheitsarbeit fließend. Tatsächlich wird der Terrorismus zunehmend zum Feigenblatt der politischen und wirtschaftlichen Ausspähung. Denn das Wissen um handels- und finanzpolitische Strategien der (befreundeten) Gegenseite, beispielsweise im Umfeld von Handelsabkommen wie TTIP oder der Griechenlandkrise 2015, ist ebenso bedeutsam wie das Abgreifen von Technologien zum eigenen nationalen Wohle. Hier hat sich eine Grauzone des Rechts ergeben, weil heute ein Großteil des digitalen Verkehrs international und auch die nationalen Verbindungen extraterritorial organisiert sind. Damit ist es möglich, außerhalb der nationalen Rechtsstatute Informationen zu sammeln, indem die erforderlichen Netzinfrastrukturen angezapft werden. Ist den Organisationen die inländische Spionage verboten, so ist es problemlos möglich, mit einem auswärtigen Dienst zu kooperieren, der genau das für die eigene Bevölkerung tut – man revanchiert sich, indem man dessen Bevölkerung beobachtet. Damit ergibt sich ein Kooperationsgleichgewicht, bei dem alle Teilnehmer gleichzeitig Partner und Konkurrenten sind. Von den damit verbundenen Anreizen ist es wohl vergeblich zu
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hoffen, staatliches Einwirken könnte diese Entwicklung zurückdrängen. Die einzige Möglichkeit besteht darin, die Reputation der Unternehmen, die hier absichtlich, oft aber ohne eigene Kenntnis kooperieren, zu beschädigen. Das aber würde es erforderlich machen, die entsprechenden Monopol- oder Oligopolstrukturen aufzubrechen, die auch dadurch geschützt sind, dass der Großteil dieser Unternehmen in den USA ansässig ist, die mit dem Informationsschutz laxer umgehen als Europa. Allerdings sind diese dadurch, dass die Daten weitgehend zentral gehalten werden und auch die Zugangsberechtigungen meist nicht so fragmentiert sind, dass im Notfall nur Teile verraten werden können, durchaus gegen Attacken empfindlich. So führt Alex Pentland (2014) unter dem Titel Schützt die NSA vor sich selbst! aus, dass dazu drei Strategien erforderlich seien, nämlich 1) viele kleine Heuhaufen statt einem großen, in dem die Nadel zu suchen ist, 2) geschützte Verbindungen zu etablieren und 3) nie das Experimentieren aufzugeben – weil es endgültige Sicherheitsantworten nicht gibt und der Gegner sich vermutlich auch damit beschäftigt. Tatsächlich besteht heute eine Kampfzone zwischen Nutzern, anonymen Leistungsanbietern und Überwachungsinstitutionen, teils privat, teils staatlich, deren Legitimierung völlig offen ist. Dieser Kampf um die Privatsphäre kann nur durch klare Standards entschieden werden, auf die sich dann der Nutzer einstellen kann. Ian Reay, Patricia Beatty, Dick Scott und James Miller (2009) haben in einer empirischen Studie das Einhalten privater Datenschutzstandards auf den 100.000 meistgenutzten Webseiten analysiert und kommen zu dem Ergebnis, dass diese allesamt nicht die Privatsphäre gewährleisten – unabhängig von der Rechtslage der einzelnen Länder. Sie schreiben (Reay, Beatty, Scott Miller 2009, S. 86): „Our findings indicate that, regardless of the current enforcement mechanisms employed, privacy-protection legislation seems to have made little headway in promoting a more consistent or predictable environment for online consumers.“ Man kann hier von einem Kraken eines algorithmisch gesteuerten Hegemoniestrebens sprechen, der möglicherweise das digitale Pendant zum Wettrüsten des Kalten Kriegs wird. Man kann insbesondere die amerikanischen Abhöraktivitäten auch humorvoll nehmen: Jay Leno führte auf der Tonight Show von NBC aus: „We wanted a President who would listen to all Americans. Now we have one.“12 Da das Netz nichts vergisst, also Verfallsroutinen nicht automatisch greifen, müssen die großen Datensammler gezwungen werden, Inhalte zu löschen bzw. Verweise zu entfernen. Die im Jahr 2013 von Google verlorenen Prozesse gegen Max Mosley oder Bettina Wulf sind hier Legende. Der Europäische Gerichtshof (EuGH 2014) hat daher in seinem Urteil vom 13. Mai 2014 das Recht auf Vergessen festgelegt, was allerdings auch durchaus kontrovers gesehen werden kann, zumal es anderen Gesetzen entgegensteht, in den USA beispielsweise dem Freedom of Information Act. Ohne das Vergessen entsteht aber eine zentralisierte Macht, die dem Demokratieprinzip widerspricht. Interessant ist,
12Zitiert
nach Timothy Chui (2013).
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dass die USA im Jahr 1890 im Sherman-Act das Entflechten von Großkonzernen (hier Standard Oil von Rockefeller) deshalb auf die Agenda setzten, weil sie diesen Gegensatz als elementar ansahen. Das unumschränkte Herrschen über individuelle Identitäten durch eine zentralisierte Informationsmacht wird inzwischen zunehmend als Bedrohung gesehen, weshalb kartellrechtliche Interventionen in den USA politische Unterstützung erfahren.
11.3.4 Digitale Währungen und Machtteilung durch Blockchain Technologie Währungen sind traditionell ein Teil nationalstaatlicher Hoheitsrechte. In der Europäischen Währungsunion wurden diese souveränen Rechte auf die Europäische Zentralbank übertragen. Die jüngste Geschichte zeigt allerdings, dass Staaten oft wenig sorgsam mit Währungen umgehen, um kurzfristigen Interessen zu folgen, beispielsweise dem Gewinnen von Wahlen oder auch von Wirtschaftskriegen. Beispielhaft genannt wurde im zehnten Kapitel der Abwertungswettlauf der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, der mit dem Ziel entfacht wurde, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zulasten anderer Staaten zu verbessern. Heute steht die Währungspolitik der Europäischen Zentralbank seit der globalen Finanzkrise 2008 in der Kritik, die um einige Länder zu retten, das Vertrauen in die Institution des Geldes vernichtete. Seit dem Frühjahr 2018 schwelt ein Währungskrieg zwischen China und den USA bzw. den USA und Russland. Es ist der Österreichischen Schule, also Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek zu verdanken, die Idee der konkurrierenden Privatwährungen (Hayek 1977) in die ordnungspolitische Diskussion eingebracht zu haben. Durch die Konkurrenz von Privatwährungen sollte es gelingen, stabiles Geld zur Verfügung zu stellen und auch die nationalen Währungen zu zwingen, die wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg von Geld durchzusetzen, nämlich angemessene Knappheit zu gewährleisten. Eine wichtige Frage ist dabei auch, ob diese Privatwährungen als Vollgeld oder auch zur Stützung von Sekundäremissionen, also Giralgeld, dienen können und ob sie das klassische Problem, dass neben den Nationalstaaten auch der Bankensektor an der Verschlechterung des Geldes mitwirken kann, verhindern können. Guy Fawkes, der wegen des Versuchs, im Jahre 1605 das englische Parlament und König James I. in die Luft zu sprengen, im Folgejahr zum Tode verurteilt worden ist, steht heute als Sinnbild für die Freiheit des Internets – und damit auch der Blockchain. Ihre wesentliche Charakteristik besteht darin, dass Daten als Kopien auf Rechnern verteilt gespeichert werden, von jedem Teilnehmer mit zulässigem Adressschlüssel ausgelesen werden können, und die dazugehörigen Rechte über digitale Bilanzen zugeordnet werden. Da sich die Kette selbst nicht verändern, sondern nur ergänzen lässt, können Fälschungen und Löschungen annähernd ausgeschlossen werden – sie müssten nämlich überall gleichzeitig vollzogen werden. Nicht schlüssige Transaktionen werden nicht vollzogen, wenn sie beim Abgleich mit anderen Blöcken auffällig werden.
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In einer Blockchain können sowohl Geldguthaben als auch Daten aus der vernetzten Produktionsstruktur von Industrie 4.0-Unternehmen oder Eigentumstitel an Immobilien gespeichert werden. Damit entsteht eine Herrschaftsteilung, die an das Ideal des Wettbewerbs in anarchischen Märkten erinnert. Folglich besitzt die Technologie die Fähigkeit zur Disruption bisheriger Geschäftsmodelle, besonders der klassischen Form der Marktplattformen, die ein hohes monopolitisches Potential besitzen und damit im Bereich der Rivalität – sei es Wettbewerb, sei es Wirtschaftskrieg – eine zunehmende Bedeutung erlangt haben. Digitale Währungen durch private Emittenten sind ein moderner Weg, Konkurrenz zu nationalen Währungsordnungen zu erzeugen. Am bekanntesten ist mit Sicherheit Bitcoin, das, wie auch die anderen Systeme, auf der sogenannten Blockchain-Technologie beruht. Derartige Blockketten sind kontinuierlich erweiterbare Datensätze, die verschlüsselungstechnisch miteinander verknüpft sind und dabei Informationen aus früheren Transaktionen und einen nicht verrückbaren Zeitstempel enthalten. Da sie in verteilter Form gehalten werden, ist es kaum möglich, sie zu manipulieren. Die Erzeugung der Währung erfolgt durch das sogenannte „Schürfen“, bei dem Großrechenzentren entsprechende nummerische Strukturen erzeugen, die einzigartig und nicht manipulierbar sind und infolge ihrer Knappheit eine Werthaltigkeit begründen. Bitcoins werden durch einen Algorithmus erzeugt, der extrem rechenaufwendig ist und der dadurch Knappheit erzeugt,13 sodass das Volumen des zu schürfenden Geldes etwa alle vier Jahre halbiert wird. Nach heutiger Sicht wird das letzte Bitcoin Anfang des nächsten Jahrhunderts entstehen; das Volumen wird dann rund 21 Mio. Stück betragen. Die übliche Regel der Geldmengensteuerung entsprechend der Fischerschen Verkehrsgleichung lautet, dass sich diese unter inflationsfreien Bedingungen an der Entwicklung des realen Produktionspotentials orientieren muss. Das ist hier nicht gegeben. Wenn es nur eine digitale Währung gäbe, würde deren Realwert immer stärker zunehmen, genau das war in jüngster Zeit an den Börsen zu beobachten: Hier verzwanzigfachte sich der Wert innerhalb von fünf Jahren. Der Absturz gilt aber auch als eine planvolle Aktion gezielter Manipulationen. Derzeit valutiert er nur noch bei rund der Hälfte des Spitzenwerts vom Frühjahr 2018. Wegen ihrer autoritätsbegrenzten Wirkung bezüglich der Kontrolle der Währungsordnung, aber auch im Vollzug staatlicher Gesetze, ist der Besitz von Bitcoins bzw. der Handel mit ihnen in einigen Ländern verboten. Einfache Restriktionen betreffen Finanzinstitute, die vom Besitz ausgeschlossen werden, um Geldwäsche zu vermeiden. Interessant ist ihr Handel an der Börse, der sich zunehmend entwickelt und inzwischen in einigen Ländern eingeschränkt bzw. wie in China bereits verboten wurde. Die
13Tatsächlich
kostet das mining der Bitcoins im Jahr 2018 – einer Zeit der Hausse für die Kryptowährung – mehr als Gold. Das gesamte Netzwerk verbraucht doppelt so viel Strom wie Dänemark. Auch die Transaktionen sind teuer: Eine Überweisung kostet so viel wie 400.000 Kreditkartenüberweisungen (Schrader 2018).
11.3 Instrumente des Cyberkriegs
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Regierung hat auch die Ausgabe neuer virtueller Gelder im Rahmen sogenannter ICOs (Initial Coin Offerings) untersagt, um so illegales Geldschöpfen zu verhindern. Einige Länder erwägen, dem Verbot zu folgen, so Südkorea, aber auch Russland. Es stellt sich die zentrale Frage, wer unter den Bedingungen der Krise eine solche Währung stützen sollte bzw. ob man auch im Bereich der regulären Währungen Sicherheitslinien einziehen muss, die dann aber die Staatsferne unterminieren würden. Trotzdem ist es offensichtlich möglich, auch diese Währungen zu manipulieren, wie die jüngsten Interventionen Nordkoreas auf dem Bitcoin-Markt zeigen, die im Sommer 2018 zu einem Absturz der Währung geführt haben. Neil Gandal, JT Hamrick, Tyler Moore und Tali Oberman (2018) schreiben in ihrem Beitrag Price Manipulation in the Bitcoin Ecosystem, dass derartige Eingriffe im Jahr 2013 nachweisbar und auf gezielte Interventionen von Börsen zurückzuführen waren. Diese Identifizierung gilt jedoch als Sonderfall. Infolge der Anonymität durch die Begrenztheit der Bitcoins ist es ohne weiteres möglich, den Kurs durch jeweilige Käufe in die Höhe zu treiben. Genau das stellt eine sehr individuelle Möglichkeit dar, Währungskurse zu manipulieren und damit über den gestreuten Besitz systemische Entwicklungen zu entfalten. Das ist der Grund, weshalb viele Staaten in Asien inzwischen große Vorbehalte haben, dieses System in ihren Volkswirtschaften zu verbreiten. Auch wenn das System an sich manipulationsresistent ist, lässt es sich dennoch an seinen Mensch-Maschine-Schnittstellen für Hackerangriffe nutzen, wie Nordkorea zeigt, das bereits in normalen Währungsräumen erfolgreich digitale Raubzüge unternommen hat. Im Cyberbereich wurde es mit einer hochspezialisierten Einheit, genannt Lazarus, bekannt, die über Betrugsmails versucht, Zugang zu Kryptokonten zu erlangen und infolge hoher Kompetenz und Präzision sehr erfolgreich war. Inwieweit es an Manipulationen von Kryptowährungen beteiligt ist, ist nicht bekannt. Allerdings gelingt es hierdurch erhebliche Mengen an Geld nach Nordkorea zu schleusen, mit dessen Hilfe die teuren Aufrüstungsprogramme bezahlt werden können und international verwertbare Devisen verfügbar werden. Die bekannteste Kryptowährung ist Bitcoin, rund dreimal so groß wie Ethereum; es folgt eine Vielzahl kleiner Anbieter. Jüngstes Kind ist der Petro, den Venezuela im Jahr 2018 als Parallelwährung etabliert hat mit dem Ziel, den Wirtschaftszusammenbruch zu vermeiden, und der mit den Erdölreserven des Lands besichert ist.
11.3.5 Darknet und Kryptographie Der moderne Mensch zeichnet sich seine digitale Lebenskarte selbst, gelegentlich unbeabsichtigt, meist aber wissentlich, oft sogar vorsätzlich. Daher kann fast jeder mit etwas Geschick die Lebensumstände Dritter ausspähen. Besonders gut gelingt das dem Staat durch seine legalen Ermächtigungsspielräume. Er ist es auch, der die Beschränkungen der Informationsfreiheit aus Sicherheitsüberlegungen diktiert – diese ist je nach Regierungsform und Bedrohungslage bzw. – empfinden weiter oder enger gefasst. So ist
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das Internet nur in wenigen Ländern außerhalb der westlichen Welt frei im Sinne einer nicht vorhandenen staatlichen Filterung. Es ist für die moderne (Post-) Demokratie ein Menetekel, dass spurenlose Systeme, die ursprünglich für den Einsatz gegen Bürgerrechtsbewegungen in totalitären Staaten gedacht waren, heute in einer freiheitlichen Welt zum Einsatz kommen. Zugleich wird dieses Darknet auch zur Plattform von Drogenhändlern und anderen Kriminellen. Ihre Namen wie Tor (the onion router), Deep Net oder Onionland weisen darauf hin, was sie zu leisten versuchen: Ein Leben im Netz ohne Spuren, was heute anderswo annähernd unmöglich ist. Damit ist diese digitale terra incognita eine unzensierbare und abhörsichere Welt, faktisch ein Probelauf auf die Debatten, die im Sinne der sozialen Netzwerke für die Zukunft relevant sind, die aber heute das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Die Abschirmung ist Folge einer Datenarchitektur, an der die klassischen Suchalgorithmen scheitern, weil ihnen die Zugänge nicht geöffnet werden, also Internetseiten oder Datenbanken, die in einem Deep Web liegen, tief unter der Oberfläche der normalen Netzsysteme. Die Serverarchitektur ist beispielsweise bei Tor so gebaut, dass nach einer Reihe von Weiterleitungen IP-Adressen von Vorgängerknoten eliminiert werden. Um auf Verkaufsplattformen – ob für Waffen, Drogen oder Pornographie – keine Spuren zu hinterlassen, sind die Bitcoins die Währung des Systems. Es sind dann eher Zufälle, die zu Aufklärungserfolgen wie bei der Drogenhandelsplattform Silk Road führten. Hierin wird das janusköpfige Verhalten demokratischer Staaten deutlich, die einerseits Rebellenbewegungen wie in Syrien unterstützen, indem sie ihnen Zugangssysteme für das Deep Net verschaffen, andererseits aber auch dessen Nutzung durch Terroristen und Kriminelle erleichtern.14 Der Economist (2016d) schätzt, dass der Umsatz mit kriminellen Aktivitäten in Darknet sich seit 2010 bis 2015 auf etwa 150 bis 180 Mrd. US$ verzehnfacht hat. Mehr als die Hälfte der Webseiten auf Tor hat einen illegalen Inhalt (Owen und Savage 2016). Ziel von Bürgern, Unternehmen oder Staaten muss die digitale Resilienz sein, also die Abwehrfähigkeit und Robustheit gegenüber Cyberangriffen. Somit gewinnt die Kryptographie an Interesse, weil damit zumindest das Abhören durch unbefugte Stellen verhindert werden kann. Legendär ist die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma, die auf Verschlüsselungswalzen aufbaute, die hintereinandergeschaltet waren und eine sehr hohe Periodenlänge gewährleistete, was das Dekodieren erschwerte. Im Zweiten Weltkrieg kam sie zum Einsatz und wurde von den Alliierten geknackt, womit nicht nur taktische, sondern auch operative und strategische Vorteile entstanden sind. So konnten grundlegende Entscheidungen der Kriegsführung gefällt werden, die zumindest als kriegsverkürzend einzuschätzen sind.
14Das
Rauschgiftimperium Silk Road, das von 2011 bis 2013 in Betrieb war, kann als professionell inszeniertes Beispiel dafür gelten, wie man die Tiefen des Netzes mit einem konventionellen Bereich des organisierten Verbrechens effizient mischen und in den einzelnen Herstellungsländern dabei wirtschaftskriegerische Umtriebe unterstützen kann.
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Heute verwendet man Verfahren der asymmetrischen Verschlüsselung, beispielsweise das sogenannte modifizierte RSA-Verfahren auf Basis von Primzahlen, benannt nach seinen Erfindern Rivest, Shamir und Adleman. Jeder Buchstabe einer geheimen Nachricht entspricht einer Zahl, die dann mit einer möglichst großen geheimen Zahl verschlüsselt wird. Um diese zu entschlüsseln, sind die Primfaktoren des Produkts berechnen. Je größer die Primzahlen sind, desto schwerer ist es, diese in Faktoren zu zerlegen. Aus diesem Grund verordnen manche Länder für im privaten Bereich zugelassene Verschlüsselungsverfahren Begrenzungen in der Größe der Primzahlen, um den Zugang der nationalen Sicherheitseinrichtungen zu gewährleisten. Mit dem Auftreten von Quantencomputern wird dieser Aufwand aber beträchtlich sinken. Moderne Verfahren basieren auf elliptische Kurven, auf denen eine Addition, aus denen sich sogenannte Einwegfunktionen ableiten lassen, die leicht zu erstellen aber schwer umzukehren sind. Allerdings ist das Verschlüsseln von Texten nur begrenzt hilfreich, wenn die entsprechende Software teilweise von öffentlichen Ämtern bereitgestellt wird oder das Nutzen oder Exportieren verboten ist, womit dann Probleme bei ausländischen Kontakten entstehen. So weist Christoph Pöppe (2014) darauf hin, dass die NSA bei der Erarbeitung von Verschlüsselungstechnologien Teilnehmer am Normungsprozess des National Institute for Standards and Technology in den USA war und dabei sich dabei den Zugriff auf eine als Standard angepriesene, besonders sichere Verschlüsselungssoftware offengehalten haben. Zudem werden die Metadaten nicht verschlüsselt, wenn nicht Systeme wie Tor genutzt werden. Diese Daten werden über längere Zeit gespeichert und bilden tatsächlich das Rückgrat jeder Aufklärung. Eine neue Perspektive bietet die sogenannte Quantum-Kryptographie mit vorgeblich vollständig sicheren Übertragungsmöglichkeiten. Hier wird die von Albert Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ benannte Eigenschaft genutzt: Informationen werden über die Verschränkung von Photonen versandt, wobei beide Teilchen über beliebige Distanzen verbunden bleiben; ändert sich ein Teilchen, ändert sich auch das andere. Jedes Abhören würde unmittelbare Spuren hinterlassen (Folger 2016). Diese Sicherheit gilt aber nur für den Hauptlauf der Daten im Verschlüsselungsstrang, sodass sich nun aller Aufwand auf den vor- und nachgelagerten Datenlauf konzentriert. Genau auf diese Bereiche fokussieren folglich vermehrt die Geheimdienste. Weitere Potentiale für die Verbesserung der Datensicherheit liegen in den sogenannten Assoziativsystemen. Ergänzend versuchen Sicherheitsdienste mit massivem Druck, Zugriff auf Geräteverschlüsselungen zu erhalten, wie der Kryptokrieg zeigte, den die US.Regierung mit Apple im Jahr 2016 ausfocht, das sich weigerte, die Inhalte eines iPhone 5C zu dechiffrieren. Im Sinne der militärischen Flankentechnik bewährt sich auch der sogenannte Seitenkanalangriff: Wie ein Tresorknacker, der das Stethoskop nimmt, um zu hören, wann die Metallstifte des Schließzylinders einrasten, anstelle alle Kombinationen durchzuprobieren, werden hier Energieverbräuche von Prozessoren bis hin zu deren elektronenmikroskopischer Untersuchung der Prozessoren als Mittel der Entschlüsselung herangezogen (Spehr 2018).
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11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
11.4 Einsatzgrundsätze im Cyberkrieg Bereits die Spieltheorie, insbesondere auch die in den Nachrüstungsbeschluss eingeflossenen Erkenntnisse des Nobelpreisträgers Reinhard Selten zum teilspielperfekten Gleichgewicht, das er im Jahr 1965 entwickelte,15 zeigten, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Mächten möglicherweise in ein Patt münden und damit die gegenseitige Abschreckung – aber auch die gegenseitige Abschreckungsfähigkeit – eine der friedenserhaltenden Grundstrukturen bis zum Fall des Eisernen Vorhangs war. Es stellt sich die Frage, ob diese Analogie im Bereich des Cyberkriegs trägt, insbesondere ob sie zur Erfahrungsbildung der gegenwärtig politisch Handelnden beiträgt. Denn das, was derzeit auf der Ebene der Cyberrüstung passiert, erinnert stark an einen Wettlauf, und da es keinerlei Explosionen gibt, erscheint sie als ausgesprochen friedfertig. Tatsächlich ist sie das aber nicht. Wenn heute beispielsweise ein Flughafen durch einen Virus lahmgelegt wird, dann sind tausende Leben gefährdet. Zum Risikoprofil des Cyberkriegs zählt somit insbesondere die in neuen Waffensystemen liegenden Fähigkeiten zur Überraschung durch Innovation, die die Stabilität bzw. ein Gleichgewicht des Schreckens gefährden können, zumal sie noch weniger als Neuerungen bei konventionellen Waffensystemen aufzuklären sind.16 Für die Identifizierung von Art, Umfang und Herkunft der Bedrohung ist eine hoch entwickelte Cyberforensik erforderlich. Sie ist ein wesentliches Element der strategischen Aufstellung im Cyberkrieg. In diesem Abschnitt wird folglich das Risikoprofil des Cyber-Konflikts thematisiert. Wieder schließen die Ausführungen an die Einsatzgrundsätze an, die für Unternehmen bedeutsam sind.
11.4.1 Das Risikoprofil des indirekten Cyber-Wirkens Der wesentliche Vorteil einer Cyberwaffe ist, dass sie – genauso wie eine Drohne – von einer Heimatbasis aus eingesetzt und gelenkt werden kann, dass man auch Synergien in Bezug auf einen hochentwickelten Informationstechnologiesektor nutzen kann und dass ihre Verwendung auch günstig skalierbar ist – es entfällt der für den typischen Angriff erforderliche Munitionsverbrauch. Schaut man sich die Möglichkeiten, entsprechende Systeme zu automatisieren an und gesteht man ihnen eine Lernfähigkeit zu,
15Dies
zeigt deutlich das oben beschriebene Problem der sozialen Akzeptanz – denn Reinhard Selten war stets unglücklich darüber, dass seine Erkenntnisse essentiell dazu beitrugen, die strategische Abwehrlücke der NATO zu identifizieren. 16In diesem Sinne wirken derartige Innovationen destabilisierend, wie dies in den 2010er Jahre bei konventionellen Waffenneuerungen, beispielsweise Drohnen oder hypersonischen Waffensystemen diskutiert wurde.
11.4 Einsatzgrundsätze im Cyberkrieg
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auf Angriffe zu reagieren, dann sind die Gefahren, die bei den Börsenhysterien benannt wurden offensichtlich. Schließlich kann die Distanz des Auslösenden und des Verantwortlichen zum Ort des Geschehens, wie die Psychologie zeigt, das Handlungs- und Einsatzrisiko erheblich erhöhen, eine Feindschaft im Dunkeln von persönlicher Fassbarkeit und von Unartikulierbarkeit radikaler werden lassen. Hier wird insbesondere auf das Stanford Prison Experiment rekurriert, das von Philip Zimbardo (2005, 2007) im Jahre 1971 initiiert wurde (Haney, Banks, Zimbardo 1973).17 Die von Stanley Milgram (1933–1984) begründete Konformismusforschung lieferte hierzu die theoretischen Begründungen. Das grundsätzliche und totale Abgreifen von Informationen aus digitalen Netzen macht eine Unterscheidung zwischen Angriff und Verteidigung obsolet. Denn die gewonnenen Erkenntnisse können, wie bei jeder Aufklärung, für beide Ziele genutzt werden. Dabei geht es insbesondere um den Abgleich der einzelnen Datenträger und Kanäle nach Mustern, um Metadaten aufzubauen. Diese haben das Ziel, Grunddaten über Institutionen und Personen zu erzeugen, also die Struktur des Kommunikationsverhaltens, der Standorte, der Lebensgewohnheiten usw. soweit zu verdichten, dass damit Mustererkennungen möglich sind. Erst dann, wenn hier etwas Auffälliges konstatiert wird, wird zur Analyse der Inhalte übergegangen, insbesondere begibt man sich auf die Suche nach zentralen Schlüsselbegriffen. Da vor allem öffentliche Institutionen und Unternehmen meist über feste IP-Nummern leicht zu identifiziere sind, können Metadatenanalysen wichtige Erkenntnisse über Vorlieben bereitstellen – die anschließende bei Suchanfragen gespiegelt werden, um erst den Informationsstand und dann das Handeln zu beeinflussen. Alternativ lassen sich in sozialen Netzen Informationen gezielt filtern, um die crowd intelligence zu beeinflussen, wie dies Facebook im Sommer 2014 erprobte (Staun 2014) und inzwischen vehement bei der Durchsetzung „politisch korrekter Meinungen“ praktiziert (Boie 2016). In diesem Kontext ist das digitale Netz besonders geeignet, soziale Netzwerke zu infiltrieren und damit zu beeinflussen, um die Öffentlichkeit in eine gewünschte Richtung zu lenken. Thomas Valente (2012) zeigt, wie derartige Netzwerk-Interventionen organisiert werden können. Hierzu sind die Meinungsführer zu aktivieren, die Untergrundgruppen separat zu beeinflussen, das Netzwerk für die Unterstützer, insbesondere auch für Manipulatoren, zu öffnen und störende Mitglieder zu isolieren. Das, was inzwischen in der Terrorbekämpfung im Netz ein übliches Verfahren ist, kann ebenso zur Manipulation der Öffentlichkeit herangezogen werden. Gerade Netzwerke wie Facebook zeigen deutlich, so führen Sinan Aral und Dylan Walker (2012) aus, wie die Beeinflussungsstrukturen wirken, welche Kanäle und Meinungen gewählt werden und wie diese dann gezielt genutzt werden können.
17Nachgestellt
2008.
wurde dies in dem Film Das Experiment von Oliver Hirschbiegel aus dem Jahr
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11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
Unter diesen Bedingungen kann die Abschöpfung der Big Data aus Netzwerken eine scheinbare Allwissenheit erzeugen; die Menschen wissen, analog obengenanntem Google-Zitat, weniger über sich als über das System, wodurch Allwissenheit in eine bedrückende Allmacht überzugehen droht. Das ist nicht nur ein ökonomisches Problem im Sinne der Monopoltheorie, es ist auch ein moralisches und schließlich ein gesellschaftliches Problem, weil die Freiheit der Informationswerke ein konstitutives Merkmal ist, um effizient Wissen zu generieren, wie es Friedrich August von Hayek (1945) betont. Wenn nun der Feind mithört, ist es auch gut, dass der Freund mithört? Unter spieltheoretischen Gleichgewichtsargumenten gibt es Gründe dafür, möglichst keine Informationsasymmetrien zuzulassen, denn diese können strategische Gleichgewichte erheblich beschädigen. Man stelle sich vor, die chinesische Regierung, die ihre Währung bewusst manipuliert, wüsste über bevorstehende Änderungen der Zentralbankpolitik der europäischen Währungshüter mehr als die Amerikaner und könnte somit massive Differentialrenten abschöpfen. Sollen schließlich private Sicherheitsdienste ihrer Erkenntnisse über Angriffe – insbesondere auch auf öffentliche Einrichtungen – bekanntmachen? Diese Frage ist schon schwieriger klar zu beantworten; denn oft liegt eine wesentliche Macht darin, den Feind über den Grad der Erkenntnisse seines Handelns im Unklaren zu belassen.
11.4.2 Strategische, operative und taktische Grundsätze Die grundsätzliche strategische Entscheidung besteht darin, ob ein Krieg begonnen werden soll, militärisch durch Einmarsch in ein anderes Land oder ökonomisch durch Eintritt in den Markt eines fremden Territoriums, was beides schwere Auseinandersetzungen auslösen kann. Diese grundlegende Entscheidung ist kaum klar zu treffen, weil die Angreifer mindestens anfangs, oft auch dauerhaft unbekannt sind. Damit lautet die grundlegende Entscheidung im Sinne des „si vis pacem para bellum“ also „Wenn du den Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“, ob eine Verteidigungskapazität bereitgehalten werden soll, die sich tatsächlich aber kaum von der Angriffskapazität unterscheidet – ganz anders als im militärischen Bereich – und damit unklare Signale sendet.18 Zudem können Angriff und Verteidigung erhebliche Streuungswirkungen entfalten, also Attacken an Stellen auslösen, an denen dies nicht gemeint war – im Extremfall: friendly fire, also eigene Einrichtungen beschädigen. Zunehmend wird den Nationalstaaten, vor allem den hochindustrialisierten, aber nicht zu den Supermächten zählenden (bzw. solchen Ländern, die sich für die Großmächte halten) bewusst, dass hier erhebliche
18Möglicherweise
ähnelt das Cybersignal dem Star-Wars-Signal unter Präsident Ronald Reagan. Denn die angestrebte ultimative Fähigkeit zur Nuklearverteidigung mittels eines undurchlässigen Verteidigungsschirms hätte natürlich auch die Angriffsoptionen verbessert.
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Anstrengungen notwendig sind. Diese Interessen verbinden sich in starkem Maße mit denen der Unternehmen, weil eine Abgrenzung der Nützlichkeiten, wie weiter oben ausgeführt wurde, ausgesprochen schwerfällt. Die wichtigste Frage dabei ist, welche Bedrohungslagen, auf die man sich vorzubereiten hat, wahrscheinlich eintreten könnten, und das findet besonders in der Wahl der Systeme und dann auch der Operationen seinen Ausdruck. Nicht umsonst werden von Unternehmen, vor allem Finanzinstitutionen, regelmäßig Manöver durchgeführt. Bei Banken sind das typischerweise die Attacke durch Viren und Würmer, das konzentrierte Ausspähen von Konten, das Lahmlegen zentraler Informationsressourcen, der Zusammenbruch von Teilmärkten und die Wirkung auf das eigene Haus. Oft gleichen diese Testläufe militärischen Stabsrahmenübungen, bei denen dann vor allem die Führungsfähigkeit unter Krisenbedingungen überprüft wird. Offensichtlich helfen sie aber nicht, wenn der Faktor Mensch ungenügend berücksichtigt wird, wie bei den Angriffen im Frühjahr 2015, die einem globalen Raubzug gleichkamen und vom Sicherheitssoftwareanbieter Kaspersky aufgedeckt worden sind. Es läuft auf eine entscheidende Frage hinaus: Wie können digitale Grenzen gezogen bzw. geschützt werden? Zur strategischen Vorbereitung zählt auch die Entscheidung, welche Informationen im Vorfeld regelmäßig zu sammeln sind, um sie im Konfliktfall als Datenbasis zur Verfügung zu haben. Damit entsteht in liberalen Staaten das Dilemma, dass die Verteidigungsfähigkeit mit Regelungen verbunden ist, die Grundrechte massiv berühren. Dagegen wehren sich wiederum Anbieter von Kommunikationsdiensten, sodass sich eine Aufrüstungsspirale in Bewegung setzt – von dem Sperren von VPN-Netzen19 bis hin zur Verschlüsselung der Chat-Programme. Die Aussage von Carl von Clausewitz für den konventionellen Bereich des Kriegs, „Wirkung vor Deckung“, relativiert sich hier. Gerade der Vorteil des gedeckten Systems ist ein zentraler Vorteil des Cyber-Angriffs, der keinesfalls verlorengehen darf. Insofern fällt die Antwort auf die Frage, ob einem Hacker-Angriff durch ein hack back begegnet werden soll nicht leicht. Denn diese unterstellt eine Identifizierbarkeit und eine Präzision der Gegenmaßnahmen, die oft nicht gesichert ist; auch ist es offen, ob derartiges Handeln unter diesen Bedingungen der Unschärfe rechtlich zulässig ist.
11.4.3 Hacken, Gegenhacken und digitales Wettrüsten Gegnerische Rechner zu hacken ist ein diszipliniertes, langsames und phantasievolles Geschäft, weil es von den Spezialisten verlangt, echte oder virtuelle Hintertüren zu entdecken. Dies können Zugänge über Drittländer oder -firmen, alte Programme, die noch heute genutzt und integriert sind oder Datenbanken, die Schlüssel verwalten, sein. Wenn
19Es handelt sich um sogenannte virtuelle private Netze, die im herkömmlichen Netz gekapselt und verschlüsselt sind, wodurch der unbefugte externe Zugriff erschwert ist.
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11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
der Ausgespähte den Angriff erkennt, kann er sofort Gegenmaßnahmen einleiten, zu denen auch das geduldige Tun des Gegners zählt, um seine Intentionen zu erkennen, möglicherweise seine Identität, und dann gezielt zurückzuschlagen. Ansatzpunkte sind Eigenarten des Computercodes, die oft zwei Stempel der lokalen und der Weltzeit besitzen oder Vergleiche mit anderen Codes. In Rechtsstaaten ist Gegenhacken umstritten, ob das Gegenhacken von Unternehmen oder staatlichen Einrichtungen legal ist, nicht nur wegen des Zweifels über den Verursacher der Attacke, sondern auch wegen möglicher Streuverluste, gleichsam Querschläger, die Unbeteiligte treffen können. Für den digitalen Krieg, insbesondere auch für den Wirtschaftskrieg bzw. hybride Konfliktausprägungen, muss die Frage beantwortet werden, ob ein Aufrüsten der Systeme auf Dauer zweckmäßig ist. Im Bereich der Killerroboter und Drohnen wird dies bereits diskutiert, dort aber auch einfach kontrollierbar, weil sich der verlängerte Wille des Cybersystems an etwas Materiellem, damit zu verortenden und im Sinne von Rüstungskontrolle verifizierbaren äußert. Im Cyberbereich bleiben Waffensysteme versteckt und virtuell. Rüstungskontrolle bietet sich an, ist aber schwer zu implementieren. Problematisch ist Rüstungswettlauf dann, wenn er eingesetzt wird, um eigene Forschungseinrichtungen zu Höchstleistungen anzuspornen oder als Gruppe die eigene Kompetenz öffentlich zu zeigen. Diese in Konzernen beliebte Methode, internen Wettbewerb auch dort zu entfachen, wo der Marktwettbewerb versagt oder aus Geheimnisschutz nicht erwünscht ist, kann erhebliche gesellschaftliche Probleme auslösen. Constanze Kurz (2016b) berichtet in dem Beitrag Wer bietet mehr für die heimlichen Hintertüren, wie die Gruppe The Shadowbrokers, im technologischen Milieu des US-Geheimdiensts verortet, digitale Angriffswerkzeuge der NSA-Equation-Group zum Kauf feilbot. Das Handeln erinnert die Autorin an Kampfsport, aber auf dem Rücken freiheitlicher Gesellschaften. Um das staatliche Wettrüsten zu begrenzen und damit auch die Aktivität nichtstaatlicher Aktivisten besser einordnen zu können, werden überstaatliche Initiativen gefordert, eine Art KSZC – Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Cyberraum – ganz analog zur historischen KSZE-Architektur, welche die Entspannungsperiode nach Jahren des Wettrüstens eingeleitet hat.
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen Die staatlich-private Interaktion der Kriege in modernen Cybermärkten wird überall dort besonders deutlich, wo Unternehmen auf staatliche Ressourcen, beispielsweise das Gewährleisten von Schutzrechten für geistiges Eigentum zurückgreifen können. Typisch sind hier die Auseinandersetzungen auf dem Mobilfunkmarkt, wo gerne zu Patentkriegen gegriffen wird, mit deren Hilfe die Technologieräume vermint werden können. Das hat zur Folge, dass der Vormarsch von Konkurrenten verhindert bzw. verlangsamt werden kann und nur ganz bestimmte Technologienischen verfügbar sind, in denen
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diese expandieren können. Auch durch nationale Wirtschaftsstrategien, beispielsweise das Nutzen des Fusionsrechts oder des Kartellrechts, können als Instrumente genutzt werden, um den Vormarsch der Gegner zu stoppen. So ist das Lizenzgeschäft für das US-Unternehmen Qualcomm eine wesentliche Basis. Die Buße, die Südkorea der Firma im Jahr 2016 wegen Patentzugangsverweigerung zugunsten Dritter und damit Ausübens von Marktmacht verpasste, bedroht dessen Kerngeschäft massiv. Ebenso trifft Google die Kartellstrafe der Europäischen Union aus dem Jahr 2017 erheblich – auch deshalb, weil schon in der Klagephase bestimmte Strategien aus Gründen der eigenen Schadensbegrenzung nicht mehr genutzt werden können. Ein neues System der Informationsgewinnung stellt GoogleGlass dar – ein in die Brille integrierter Minicomputer, der als Peripheral Head-Mounted Display (PHMD) Informationen aus der Umwelt abgreift, mit einem Zentralsystem vernetzt und dem Nutzer einspielt. Auch wenn das System 2015 als vorgeblicher Flop zurückgezogen wurde, wird weiter an ähnliches Systemen der augmented reality gearbeitet. Hier entwickelt sich eine technologische Revolution, die auch zu einer sozialen Revolution führen dürfte. Neben den positiven Effekten sind aber auch die erheblichen Nebeneffekte, die die Sicherheit persönlicher Daten betreffen, zu beachten. Zudem besteht eine Kontrolle aller Räume, die man mit einer totalen Gefechtsfeldaufklärung im privaten und im öffentlichen Bereich vergleichen möchte, was wiederum erhebliche datenschutzrechtliche Probleme auslöst – aber auch unglaubliche Potentiale im Cyberkrieg eröffnet. Beide Beispiele verdeutlichen den Transmissionsmechanismus von Cyberangriffen: Beschädigung des Informations- und Kommunikationssystems – insbesondere wichtig für den Aufbau von Big Data – und das Lern- und Wissenssystem – das Einwirken auf die Künstliche Intelligenz. Durch Verborgenheit, Asymmetrien der Informationsstände und Abwesenheit von klassischen Räumen, auch solchen der staatlich legitimierten Gesetzesdurchsetzung, stellt sich die Vertrauensfrage im Cyberraum neu. Wem kann man trauen? Nach dem Abhören des Smartphones des Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2013: den USA, auch deren Präsidenten Barak Obama? Ist die chinesische Firma Huawei vertrauensfähig – die Frage stellt sich auch vor dem Hintergrund der Mitwirkungspflicht chinesischer Staatsbürger in allen Fragen der nationalen Sicherheit. Welche Bedeutung haben Rechte, wenn es dafür keine gerichtlichen Zuständigkeiten gibt bzw. Länder aus Sorge um rechtliche Verwicklungen ihren rechtsstaatlichen Aufgaben nicht nachkommen – siehe das wenig glaubhafte Durchsetzen europäischer Informationsstandards bei den amerikanischen Internetgiganten? Derartige Fragen werden in den kommenden Abschnitten thematisiert.
11.5.1 Patentkriege als Hochtechnologiekonflikt: Samsung gegen Apple Mittelständische Unternehmen sichern ihre intellektuellen Eigentumsrechte, also Patente und implizites Wissen, in der Regel durch Wertschöpfungstiefe; diese liegt häufig in der
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Nähe von 50 %. Oft produzieren sie die Maschinen, auf denen sie die Maschinen bauen, die sie dann verkaufen, um Kernkompetenzen nicht von außen beziehen zu müssen. So gelingt es ihnen, als hidden champions eine Nische erfolgreich und nachhaltig zu besetzen. Großunternehmen hingegen sind weniger Nischenanbieter als vielmehr Kosten- und Qualitätsführer in breiten Segmenten, die sie kontrollieren, indem sie die entsprechenden intellektuellen Eigentumsrechte durch Patente schützen und ihre Zulieferer durch klare Verträge in ihr Fertigungssystem einbinden. Insofern spielt die Frage, wie das Patentsystem eines Lands aufgestellt ist, eine entscheidende Rolle für seine Wettbewerbsfähigkeit in der globalen Wirtschaft. Tatsächlich haben Patente in den einzelnen Regionen der Welt eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Das betrifft einmal die Patenttiefe – was kann angemeldet werden, um als Innovation zu gelten – und die Patentbreite – wie ausladend muss ein Gebiet durch das Patent abgedeckt sein? Die europäische Tradition setzt gleichermaßen auf Breite und Tiefe, in Japan ist die Breite wesentlich geringer entwickelt, in Amerika können Patente sogar auf Trivialitäten, wie beispielsweise einen Doppelklick am Rechner, vergeben werden. Schließlich wird deutlich, wie Lea Shaver (2012) ausführt, dass Patentrennen in der Regel eher Patentkriege sind, weil weniger der zeitliche Schutz als Renditesicherung für vorausgegangene Forschungs- und Entwicklungsausgaben als vielmehr der Versuch, Märkte zu monopolisieren, bedeutsam ist und genutzt wird. Damit werden Patente auch zu Elementen nationaler Wirtschaftsstrategien, und das wird auch am Krieg zwischen Samsung und Apple deutlich, bei dem es einmal um technologische Spezifikationen geht, aber auch um schlichte Handhabungssysteme und Designkomponenten. Das Verriegeln von Betriebssystemen mittels Patenten und technischer Verfahren wird somit zu einer Strategie, Kunden auf eigene Plattformen zu zwingen. Methoden dabei sind das untrennbare Verbinden des Betriebssystems mit bestimmten Applikationen (Google-Android), das Erschweren des Root-Zugriffs, der Einbau von TPM-Chips (trusted platform module), der einerseits kryptologische Prozesse sicherer macht, andererseits aber auch das Einhalten urheberrechtlicher Bestimmungen überwacht. Zunehmend entsteht damit etwas, was als Geiselnahme der Hardware durch die Software bezeichnet wird, womit wettbewerbsrechtlich relevant ist, weil monopolisierende bzw. marktmachtverstärkende essential facilities entstehen. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Bewahren der Position als industrieller Führer.20
20Industrieller
Führer ist derjenige, der die Länge des Produktlebenszyklus definiert. Oft ist damit auch technologische Führerschaft verbunden, also die Fähigkeit, den Technologiezyklus zu setzen, und die Designführerschaft, also die Fähigkeit, den Trend zu setzen.
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
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Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Das Unternehmen Apple, im Jahr 1976 gegründet und eine Edelmarke in Bezug auf Technologie und Design; viele behaupten, in der Eleganz der Produkte spiegele sich die Kontinuität der Ästhetik der früheren Firma Braun wider, die in den 70er Jahren vor allem bei Radio-, Fernseh- und HiFi-Anlagen führend war. Das Unternehmen ist heute die wertvollste Marke der Welt, weil es durch hohe Kreativität immer wieder in der Lage war, nicht nur völlig neue Märkte zu erschließen, sondern diese auch mit Geräten mit neuen Funktionalitäten auszustatten. Es ist im Wesentlichen eine Ingenieurfirma, ein Großteil der Produkte wird in Fremdfertigung, besonders in China, hergestellt. Durch ein eigenes Vertriebsnetz, die sogenannten Apple-Stores, ist das Unternehmen in der Lage, seinen Absatzmarkt stark zu kontrollieren, und wo das nicht der Fall ist, beispielsweise bei Smartphones, werden präzise Exklusivverträge mit entsprechenden Mobilfunkunternehmen abgeschlossen. Das Betriebssystem ist geschlossen, sodass nur über Apple die entsprechenden Applikationen zu beschaffen sind, wodurch dem Unternehmen zusätzliche Einnahmen zufließen. • Samsung, ein im Jahr 1938 gegründeter koreanischer Mischkonzern; er genießt besonders für seine Elektronikprodukte hohes Ansehen und ist in den Smartphone-Markt mit dem offenen Android-Betriebssystem eingestiegen, wodurch diese Plattform zum Standard der Nicht-Apple-Smartphones wurde. Im Wesentlichen gelang es ihm dadurch auch, Konkurrenten wie Nokia oder RiM zu verdrängen. Er ist ein sogenanntes Chaebol, also ein diversifiziertes koreanisches Familienunternehmen, das heute noch von der Familie des Unternehmensgründers geleitet wird, und zählt zu den größten Unternehmen des Lands. • Google als Inhaber der Rechte am (offenen) Betriebssystem Android; das Unternehmen gilt als Datenkrake und verfügt über Marktstellung, die es ihm erlaubt, eine Vielzahl von Informationen von Nutzern abzusaugen, um den Informationsmarkt zu monopolisieren. • Die Gerichte in Düsseldorf, Mannheim und München als weltweite Kompetenzzentren für Patentstreitigkeiten, an die sich die Beteiligten im Sinne des forum shoppings wenden.21
21Kevin
J. O’Brien (2012) nennt das in der New York Times vom 9. April 2012: „German Courts at Epicenter of Global Patent Battles among Tech Rivals“ und verweist auf die Möglichkeit der deutschen Gerichte, bei Patenverletzungen zügig Verkaufsverbote auszusprechen. Zum Jahreswechsel 2018/2019 erregte vor allem das Verfahren Qualcomm gegen Apple Aufmerksamkeit, das mit einem Verkaufsverbot einiger Apple-Produkte endete (Handel 2018). Später einigten sich die beiden Unternehmen, aber dennoch urteilte die amerikanische Kartellbehörde, dass die Lizenzpraktiken des Unternehmens den Wettbewerb behinderten, weshalb es künftig auch Mitbewerbern zu fairen Preisen Zugang zum Knowhow geben müsse.
866
11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
Kriegsmittel: • Strategisches Patentieren, um Technologien abzublocken. • Patentklagen, um Gegner zu hohen Geldstrafen bzw. Ausgleichszahlungen zu zwingen. • Engagement von Söldnerunternehmen, die über Bestechung gelenkt werden. Kriegsziel: • Monopolisierung des Markts und Vernichten der Konkurrenten. Kriegsfolgen: • Weitgehendes Eliminieren der entsprechenden europäischen Technologie, weil nur in China für den internen Absatz der „patentfreie Raum“ besteht, um Markteintritte zu wagen (vgl. die Firma Xiaomi). Der Fall ist insofern von Bedeutung, als sich hier zwei Giganten der Telekommunikationsbranche gleichermaßen in der Handhabung und in der Technologie bekriegen. Dabei hat Apple mit der Einführung des iPhones eine Disruption im Telekommunikationssektor ausgelöst, die Samsung versuchte, ab dem Jahr 2009 zu erwidern. Im Zentrum stehen zwei unterschiedliche Anbieter- und Nutzervisionen: Beide Unternehmen haben sich eine eigene Ökologie gegeben, also eine Plattform, die als essential facility im Sinne des Wettbewerbssystems wirkt: Nur über sie kann der Zugang zu ganz bestimmten anderen Informationsleistungen erfolgen. Dabei wurde das System von Apple geschlossen, die gesamte Ökologie steht unter dem Rechtevorbehalt des Apple-Konzerns, sodass auch massive Marktmacht gegenüber den Lieferanten der Applikationen, den Apps, ausgeübt werden kann. Bei Samsung ist diese Ökologie innerhalb des von Google vertriebenen und bereitgestellten Android-Systems offen. Damit wird der Wettkampf der beiden Giganten auch ein Wettkampf um geschlossene versus offene Plattformen. Im gegenwärtigen Patentkrieg ist Apple der wesentliche Spieler. In Bezug auf das iPhone sagte der damalige Gründer und Chef Steve Jobs (1955–2011): „Wir werden alles patentieren“. Jede Idee, die bei Apple formuliert wurde, sollte, auch wenn sie nie benutzt würde, möglichst in ein Patent münden, um das Umfeld zu verminen und ein defensives Schild gegen andere aufzubauen. Dabei geht es nicht nur um technologisch relevante Spezifika, sondern auch um Designkomponenten und die Art und Weise, wie intelligente, tragbare Telefone, sogenannte Smartphones, aufgebaut sind. Denn sie sind, wie im neunten Kapitel erläutert wurde, infolge ihres Plattformcharakters der Schlüssel zu einer Vielzahl von Welten und Funktionalitäten. Tatsächlich hat der Drang, direkten Einfluss auf breite Technologiefelder zu gewinnen und diese abzuschotten, zu einem massiven Rüstungswettlauf der Hochtechnologiebranche geführt. Im Jahr 2013 besaß Apple mehr als 4100 Patente, Google hat 2700
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
867
Patente und Microsoft rund 21.000. Und mit der Expansion der Patentportfolios wird der Druck auf mögliche Wettbewerber und vor allem auf Unternehmen, die in diesen Markt eintreten wollen, immer größer. So wurde auch der taiwanesische Hersteller HTC von Apple verklagt, ohne überhaupt vorher Gespräche mit ihm aufzunehmen, um einen Ausgleich zu suchen. Denn es war Teil der Strategie, ein klares Signal an Google zu senden, dass das Schlachtfeld für einen harten Kampf um die sich wechselseitig ausschließenden technologischen Systeme gesucht wird. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen weiterhin die Firmen HTC und Samsung, die beide wichtige Partner von Google sind, zunehmend auch Huawei und vor allem Xiaomi als Niedrigpreisanbieter (underseller) mit fast ausschließlich lokalem Absatz. Denn ihr Erfolg bedeutet, dass eine offene Plattform einen relevanten Teil des Markts beherrschen kann, den Apple gerne als geschlossenes Ökosystem abschotten möchte. Insofern war es auch wichtig, ganz bestimmte Schlüsselpatente zu erhalten, beispielsweise das Patent mit der Nummer 8.086.604 für ein einheitliches Suchsystem, das im Jahr 2004 erstmalig angemeldet wurde, aber eine Ablehnung seitens des amerikanischen Patentbüros erfuhr. Erst nach dem zehnten Versuch wurde es bewilligt und ist heute eins der Schlüsselpatente in der Auseinandersetzung mit den Wettbewerbern. Tatsächlich werden in den USA über 70 % der Anträge schließlich bewilligt, was gegenüber anderen Ländern eine sehr hohe Rate ist. Inzwischen gewinnt aber die Einsicht überhand, dass beispielsweise einfache Wischbewegungen auf dem Bildschirm zum Aktivieren des Systems nichts Proprietäres seien und damit nicht geschützt werden können. So verlor im April 2013 Apple Patentrechte für die Entsperrgeste (slide to unlock). Dieses Urteil wurde dem Europäischen Gerichtshof mit dem Ziel vorgelegt, die gerichtlichen Möglichkeiten des Patentkriegs zu reduzieren, indem die Anforderungen an eine Patenklage erhöht werden, um missbräuchliche Verfahren zu vermeiden. Die Abb. 11.5 zeigt, dass die Auseinandersetzung zwischen Apple und Samsung, die zusammen einen Marktanteil von rund 40 % kontrollieren, eine gewisse Stabilität
Abb. 11.5 Dynamik der Marktanteile im Smartphonemarkt. (Quelle: eigene Darstellung aus Wall Street Journal (2012), Global Times (2016) Börsen-Zeitung (2018b))
868
11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
Hochpreissegment
a ufweist, weil beide Anbieter klare Märkte besetzen. Sieht man die Rivalität als Systemauseinandersetzung auf der Ebene der Smartphones und der Tablets, so dominiert Ende 2013 Android (Google) mit 74,4 %, gefolgt von Apples iOS mit 18,2 %; Windows und Blackberry (RIM) haben einen Marktanteil von 2,9 % bzw. 3 %. Der Rest ist Rauschen (Börsen-Zeitung 2013c). Nokia, das lange Zeit die Betriebssysteme Symbian und später Windows nutzte, ist fast vernichtet und hat im Rahmen eines Neustarts der Marke ebenso wie RIM Android adaptiert, das damit seit Anfang des Jahrzehnts über 80 % des Markts abdeckt (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2014a). Dargestellt wird das Gefechtsfeld im Sinne einer mental map in Abb. 11.6 in einem zweidimensionalen Raum, der das Preissegment über der Spezifität des Betriebssystems (iOS vs. Android) abträgt. In grau sind die Anfang bis Mitte der 2010er Jahre vernichteten und abgestürzten Anbieter abgetragen, die sich inzwischen wieder neu aufstellen. Insbesondere Nokia hat lange Zeit versucht, Apple und Samsung durch sein eigenes Betriebssystem abzuwehren, was durch Patentminen dargestellt ist (Rahmen mit Punkten oben in der Mitte rechts und links der Nokia-Position). Inzwischen kämpfen Apple und Samsung um das Mittel- bis Hochpreissegment und sind bekannt für ihre Patentprozesse. Minenwerfern (dargestellt durch einen aufgestelzten Trichter) im Samsung-Hochland und auf dem Apple-Gipfel haben daher Patentminen vor dem Vormarschraum des Gegners positioniert, um seine technologische Entwicklung zu blockieren, zu verlangsamen oder zu kanalisieren. RIM versucht inzwischen, wieder proprietäre Elemente in sein System einzubauen, vor allem mit dem Ziel, Geschäftskunden mit hohen Sicherheitsanforderungen zurückzugewinnen, was die frühere Stärke der Blackberry-Smartphones ausmachte. Hinzu treten Neuanbieter, insbesondere die
Samsung Hochland
Apple Gipfel
Nokia Tiefland
Niedrigepreissegement
RIM Abgrund
Xiaomi Tsunami
LG Steppe
OPPO Enge
Huawei Vulkan ZTE Klippen
Sony-Ericsson Wüste
HTC Oase
Interoperable Plattform
Nokia Tiefland
RIM Abgrund
Proprietäre Plattform
Abb. 11.6 Kampf im Handy-Markt mit Patentminen. (Quelle: eigene Darstellung)
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
869
chinesischen Aufsteiger Huawei, Xiaomi und Oppo, sowie die durch die amerikanischen Boykottandrohungen im Frühjahr 2018 gebeutelte Marke ZTE, sowie einige alte Marken, die Rückzugsgefechte kämpfen. An diesen Auseinandersetzungen der Technologiegiganten wird eines besonders deutlich: Wird ein Unternehmen vernichtet, können die Folgen für einzelne Regionen oder Staaten fatal sein. Gerade der Zusammenbruch von Nokia hinterließ eine Blutspur der ökonomischen Verwüstung an den Standorten – in Deutschland in Bochum im Jahr 2008, später in Rumänien. Der Umsatz von Nokia in Finnland betrug zu besten Zeiten etwa 20 % des Bruttoinlandsprodukts. Vor dem Hintergrund der Patentauseinandersetzungen steht ein Unternehmen dann vor der Herausforderung, künftig nicht weiterarbeiten zu können, also existentiell gefährdet zu sein, sobald der Hinweis auf eine Patentverletzung eingeht, oder einen Prozess zu wagen. Manche Länder, vor allem Schwellenländer, lehnen derartige harte Patentstrategien, die inzwischen auch in Bereichen wie Genforschung usw. Einzug halten, grundsätzlich ab und akzeptieren sie für ihre eigenen Märkte nicht. Das aber wird für den Westen brandgefährlich, denn seine gegenwärtige Stärke kann langfristig in eine Schwäche umschlagen, wenn immer häufiger Länder den Patentschutz – oder auch den Markenschutz – nicht mehr akzeptieren bzw. vor Ort entsprechend große Heimatmärkte besitzen, die sie für Dritte sperren könnten. Ein Drittel der Menschheit lebt in China und Indien, deren entsprechende Macht stetig aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zunimmt. Der im Frühjahr 2018 nur knapp vermiedene Boykott der USA gegen ZTE bei Chips führt inzwischen dazu, dass bei Huawei massiv in entsprechende Forschung und Produktion investiert wird, also auch Wertschöpfungsketten zurückgedrängt werden. Wie bei vielen Kriegen trägt auch die Zivilbevölkerung – hier die Beschäftigten – die Last der Auseinandersetzungen mit, weil der Konkurrenzkampf Rückwirkungen in Form von Kostendruck und erhöhter Lieferbereitschaft ausübt. Die Arbeitsbedingungen in den chinesischen Produktionsanlagen, die für Apple fertigen, werden teilweise als extrem gesundheitsgefährdend – in einigen Fällen sogar tödlich – eingeschätzt, wie Untersuchungen der New York Times (2012) belegen.
11.5.2 Der US-chinesische Hochtechnologiekonflikt Der Economist (2018f) bezeichnet diesen Konflikt als digitalen Krieg, dessen Vorgeplänkel bereits im Frühjahr 2018 begann, als der amerikanische Präsident Donald Trump der Firma Qualcomm verbot, das chinesische Unternehmen ZTE mit Mikroprozessoren zu beliefern, was dieses an den Rand des Zusammenbruchs brachte. In seiner Januarausgabe schiebt der Economist (2019a) die Frage Red Moon Rising – Will China dominate Science? hinterher und verweist auf die massive technologische Aufrüstung, zugleich aber auch auf das Problem, dass der Fortschritt zunehmend eine offene Kommunikation benötigt – die manche chinesische Konzerne nun außerhalb ihres Landes liefern müssen. Solange nämlich China nur eine verlängerte Werkbank des Westens war, begrenzten sich die Konflikte auf Dumping- und Plagiatsprobleme oder
870
11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
das illegale Nutzen von Patenten. Seitdem China zu einem Hochtechnologieanbieter aufgestiegen ist, bzw. sein Aufstieg auf diesem Gebiet absehbar ist, worauf insbesondere die Strategie „Made in China 2025“ hinweist, ändert sich diese Einschätzung. So hat sich zwischen 2007 und 2017 der Export von Hochtechnologiegütern wie Elektronik und Werkzeugmaschinen von China in die USA verdoppelt und macht heute knapp die Hälfte des Liefervolumens aus; der Zuwachs im übrigen Bereich lag zwischen 20 % und 50 % (Börsen-zeitung 2018h). Unternehmen wie Huawei, Alibaba, Baidu und Tencent sind umfassend in die nationale Wirtschafts- und Technologiestrategie eingebunden. Dabei hat Huawei den Vorteil, als eins der wenigen chinesischen Unternehmen als internationale Marke sichtbar zu sein, weshalb sich der Konflikt ab dem Jahr 2018 genau auf dieses Unternehmen zuspitzt. Konkret: Welche Sicherheitsrisiken bestehen in chinesischer Hard- und Software? Und ebenso: Ist diese Fragestellung nicht auch symmetrisch auf die USA anzuwenden? Claus Döring (2018, S. 6) schreibt hierzu in seinem Beitrag Huawei – der Kampf um die Führung in der Welt „Der Vorwurf, Huaweis Technologie sei das Einfallstor für chinesische Spionage, ist so abwegig oder auch zutreffend wie die Behauptung, Googles Kundendaten würden vom amerikanischen Geheimdienst abgeschöpft. Beides ist möglich, weil es niemals zu beweisen sein wird“. Und er führt fort: „Der Fall Huawei macht deutlich, dass es in der Auseinandersetzung zwischen den USA und China längst nicht mehr um Handelsbilanzen, Marktanteile und Arbeitsplätze in den jeweiligen Ländern geht, sondern um die geopolitische Rivalität.“ Auf Grundlage eines Sicherheitsreports des Kongresses aus dem Jahr 2012 (Rogers und Ruppersberger 2012), haben die USA im Jahr 2018 Huawei, das u. a. einer der bedeutendsten Ausrüster in 5G-Infrastrukturen ist, vom Heimatmarkt verbannt, gleiches taten Australien und Neuseeland, die allesamt als Mitglieder der Five-Eyes-Alliance geheimdienstlich kooperieren; der Druck auf England und Deutschland wächst seit dem Herbst 2018 massiv. Es besteht die Befürchtung, das Netz könnte durch China ausspioniert und in kritischen politischen Situationen manipuliert oder sogar abgeschaltet werden. Rund die Hälfte der Sendemasten in Deutschland stammt von Huawei (Giesen, Mascolo, Tanriverdi 2018). Auf globaler Ebene besteht eine Dominanz weniger Anbieter für die technologische Basis bei 5G, und hier stehen Huawei und ZTE an vorderster Stelle, wie Abb. 11.7 zeigt. ZTE ist ein Staatsunternehmen, das aus dem Rüstungsbereich stammt; Huawei gilt als privat, aber seinem Gründer, Ren Zhengfei, einem ehemaligen Offizier der Volksbefreiungsarmee, werden gute Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas (KPC) nachgesagt. Infolge der Interdependenzen der Lieferverflechtungen stehen nicht nur die chinesischen Unternehmen unter Druck – die gesamte Lieferkette leidet, wie an beträchtlichen Kursverlusten an den Börsen sichtbar wird (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018j). Damit ist eine wesentliche Anforderung an denWirtschaftskrieg – die Vernichtung von Vermögen – erfüllt. Huawei hat darauf mit einer Transparenzoffensive reagiert und Labors u. a. in Deutschland, England und den Niederlanden aufgebaut, die sicherheitstechnische Einblicke in die Technologie erlauben, weil Ausschluss vom Aufbau neuer Netzinfrastrukturen oder Smartphones massive Schäden verursacht und wenigstens der europäische Markt gerettet werden soll.
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
871
Abb. 11.7 Anteile an den 5G-Patentfamilien der globalen Telekommunikationsinfrastrukturanbieter, 2018 (insgesamt 6731). (Quelle: eigene Darstellung aus Börsenzeitung 2019a)
Der inzwischen offen entbrannte Machtkampf wird, ganz analog zum historischen imperialistischen Vorbild, schnell scheinbar Unbeteiligte oder Länder und Unternehmen, die sich nicht der einen oder anderen Partei zuordnen lassen wollen, in Mitleidenschaft ziehen. Das gilt insbesondere für die regional extrem intensiven Lieferverflechtungen mit Taiwan, das die Volksrepublik als integren Teil des eigenen Lands ansieht, aber auch für Südkorea oder Japan sowie für die Regionen, die viele Fabs, also Produktionsstätten, beheimaten, wie Malaysia oder Indonesien. Zweck des Wirtschaftskriegs: • Digitale Dominanz der globalen Wirtschaft Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Huawei – und ähnlich ZTE – als global dominante Anbieter von Telekommunikationsinfrastruktur, bei denen der Einfluss der chinesischen Regierung auf das Abschöpfen von Informationen im Ausland und möglicherweise Betriebsunterbrechungen in strategisch kritischen Situationen nicht ausgeräumt sind. • Die USA, die sich um ihre Sicherheitslage und um ihre Dominanz im globalen Wirtschaftssystem, vor allem auf dem Gebiet der Hochtechnologie, sorgen, und bei denen nach den Erfahrungen des NSA-Affäre sowie den Verhaltensweisen der Internetgiganten wie Google oder Facebook bekannt ist, dass Informationen im Ausland systematisch abgeschöpft werden. Kriegsmittel: • Vermuteter Einbau von unbekannten Steuerungssystemen in der Telekommunikations infrastruktur oder in Smartphones, die von außen angesprochen werden können. • Blockieren des Markteintritts im eigenen Markt, ggf. auch auf Drittmärkten durch extraterritoriale Rechtsdurchsetzung seitens der USA.
872
11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
Kriegsziel: • Seitens der USA: Abwehr chinesischer Technologie, Schutz der eigenen Industrie und dessen Auf- und Ausbau; Im Fokus steht vor allem Cisco als global dominanter Netzwerkausrüster. • Seitens Chinas: Erzielen einer global dominanten Position im Bereich Telekommunikations- und Netzwerkinfrastrukturen, die zentrale Grundlage vor allem für Industrie 4.0 sind. Kriegsfolgen: • Massive Investitionsunsicherheiten in globalen Hochtechnologiemärkten, die einhergehen mit schweren politischen Verwerfungen. Die Analogie zu den imperialen Strategien der Handelsgesellschaften ist insofern interessant, weil die Rivalität nicht nur die Produkte selbst, sondern die gesamten Lieferketten betrifft. Damit droht nicht nur bei den Mikroprozessoren ein Zerfall der globalen Wirtschaft in einen westlichen und einen östlichen Teil, er reicht bis tief in die Lieferketten hinein: Wer liefert die Anlagen und Maschinen? Welche bzw. wessen Technologie wird genutzt? Gibt es bestimmte kritische Rohstoffe, die die Wertschöpfungsketten nachhaltig beeinflussen können? Die Herstellung eines mikroelektronischen Schaltkreises oder Speichermediums vollzieht sich in der Regel in drei Stufen, die nicht unbedingt unter einem unternehmerischen Dach stattfinden müssen – nämlich im Design, also in der Architektur des Systems, in der konkreten Herstellung und im Zusammen- und Einbau in ein Gehäuse mit den nötigen Anschlüssen sowie der Qualitätsprüfung. Das Design ist eine schöpferische Aufgabe ersten Rangs, weil entsprechend der zu erfüllenden Aufgabe, beispielsweise eines Prozessors in einem Rechner, das Layout zu erstellen ist, bei dem die einzelnen Elemente in drei Dimensionen angeordnet und verbunden werden. Da die Geschwindigkeit der Abläufe u. a. von der Länge der Verbindungen abhängt, ist Miniaturisierung einer der maßgeblichen Beschleuniger, was wiederum ein stetiges Vorstoßen an die physikalischen Grenzen bedingt. In diesem Kontext ist das sogenannte Mooresche Gesetz interessant, das besagt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise regelmäßig alle ein bis zwei Jahre verdoppelt. Das stößt aber an bekannte physikalische Grenzen: beispielsweise atomare Grenzen oder das Abführen der Wärme während der Rechenabläufe im Schaltkreis. Hochentwickelte Softwarepakete, die gekoppelt sind mit den möglichen Werkstoff- und Produktionstechnologien, finden hier Anwendung. In der Regel verdient ein neues mikroelektronisches System seine Kosten nur in den ersten Monaten, weil die Innovationszyklen sehr kurz sind und Fähigkeit der Konkurrenten zur Nachahmung oder zu Parallelinnovationen in einem oligopolistischen Markt extrem hoch liegen. Aus diesem Grund wird die risikobehaftete Fertigung oft vom Design abgekoppelt.
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
873
Die wirtschaftliche Effizienz wird wesentlich vom Ausgangsmaterial, dem sogenannten Substrat, beeinflusst. Ziel ist es, möglichst reine und dabei große Siliziumwafer herzustellen, die dann mit den erforderlichen Bauelementen, also Transistoren, Kondensatoren und Widerständen sowie mit den zugehörigen Verbindungen durch phototechnische und elektrochemische Verfahren ausgestattet werden. Hier interagieren Werkstoffforschung und Spezialmaschinen auf höchstem Niveau. Die einzelnen Schaltkreise werden schließlich in die entsprechenden Gehäuse mit Anschlüssen „eingehaust“ und damit versiegelt sowie mit den Anschlüssen versehen, was als Bonden bezeichnet wird. Diese Komplexität legt eine diversifizierte und hochtechnologisierte Zulieferstruktur nahe. Beim Design werden hochkomplexe Softwaresysteme genutzt, die es erlauben, die Anforderungen direkt in entsprechende Architekturen umzusetzen und die parametrisiert sind durch die verfügbaren Fertigungs- und Materialtechnologien. Damit ist eine Forschungsleistung besonders im Bereich Softwareentwicklung und Prozesssteuerung unentbehrlich, die eng mit dem Spezialmaschinenbau und der Materialforschung verbunden sind. Letztere wirkt unmittelbar auf die Herstellung des Substrats ein, in der Regel hochreinen Siliziums, das nur an wenigen Stellen in der Welt, beispielsweise in den Appalachen, gewonnen wird. Bei der Prüfung werden neben den üblichen Testapparaturen auch Verfahren eingesetzt, die bis in den atomaren Bereich hinein in der Lage sind, die Architekturen auszuleuchten, um mögliche Fehler, die auf den Fertigungsprozess zurückgehen könnten, zu identifizieren. Das ist auch ein wichtiger Bereich in der Spionage und Aufklärung, weil hier vielleicht Schaltelemente gefunden werden können, die das Abgreifen von Informationen oder ein Einwirken von außen ermöglichen. Bisher sind diese einzelnen Herstellungsschritte, einschließlich ihrer Zulieferungsstrukturen, im globalen Wertschöpfungskreislauf sehr breit aufgestellt. Eine umfangreiche staatlich geförderte und bisher global weitgehend offene Grundlagenforschung an den Grenzen von Physik und Chemie, inzwischen auch Biologie, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die rapiden Fortschrittsraten. Durch den Hochtechnologiekrieg zwischen den USA und China droht ein Zerfall in zwei Interessenssphären, zumal es besonders die direkt aus der Forschung kommenden Impulse sind, die mit hoher Geschwindigkeit in Fertigungsergebnisse umgesetzt werden, um Wettbewerbsvorteile nutzen zu können. Die Abb. 11.8 verweist – allerdings infolge der sehr hohen Zahl der Unternehmen nur unvollständig – auf die am Herstellungsprozess Beteiligten und strukturiert diese entsprechend ihrer Funktionen.22 Bereits an den Namen der Unternehmen und ihrem Herkunftsland wird sichtbar, weshalb durch Handels- und Technologiekriege erzeugte Störungen der Lieferkette erhebliche Folgen haben. Die Komplexität erhöht sich durch
22Vgl.
bei Abb. 11.9 und 11.10 auch Petzold (2019) und Economist (2018f).
Waferfergung
Bosch (DEU) Infineon (DEU) Intel (USA) Micron (USA) NXP (NLD) Samsung (KOR)
• • • • • TSMC (TWN) Globalfoundries (USA) SMIC (CHN) UMC (TWN) XFAB (DEU)
Wafer-Foundry
Bosch (DEU) Infineon (DEU) Intel (USA) Micron (USA) NXP (NLE) Samsung (KOR)
Bosch (DEU) Infineon (DEU) Intel (USA) Micron (USA) NXP (NLD) Samsung (KOR)
• • • • • ASE (TWN) Amkor (USA, KOR) JCET (CHN) SPIL (TWN) PTI (TWN)
Pack.-Foundry (OSAT)
• • • • • •
Zulieferer für Tools, Anlagen und Werkstoffe
ARM (GBT) AMD (USA) Qualcomm (USA) HiSilicon-Huawei (CHN) Apple (USA)
• • • • • •
Packaging Bosch (DEU) Samsung (KOR) Sony (JPN) Huawei (CHN) Philips (NLE)
Leiterplaenbestücker in Dienstleistung (kmU, z.B. LEESYS (DEU)) Auragsentwickler u. -hersteller Komplee Auragsfergung bis Endprodukt (z.B. Foxconn, (Taiwan))
• • • • •
Bosch (DEU) Connental (DEU) Denso (JPN) Delphi (USA) Valeo (FRA)
Innovave Systemanbieter
• •
•
Electr. Manuf. Service (EMS)
• • • • •
In house-Fergung (OEM)
Baugruppen/Systeme
Abb. 11.8 Fertigungskette der Mikro-Elektronik-Produkte. (Quelle eigene Darstellung)
• • • • •
Fabless
• • • • • •
Integrated Device Manufacturer (IDM)
Halbleiter-Design
Elektronische Bauelemente
Automove • AUDI (DEU) • BMW (DEU) • Daimler (DEU) • GM (USA) • Toyota (JPN) • Volvo (SWE)
OEM-Markt
Computer, z.B. • Dell (USA) • Lenovo (CHN) • HP (USA) Telekomm, z.B. • Nokia (FIN) • Huawei (CHN) Industrie, z.B. • Bosch (DEU) • Siemens (DEU) Consumer, z.B. • Bosch (DEU) • Samsung (KOR) • Sony (JPN) • Huawei (CHN) • Philips (NEL) • Apple (USA)
Elektronikprodukte
Endprodukte
874 11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
875
unterschiedliche Geschäftsmodelle in den Fertigungsbetrieben oder den Unternehmen, vor allem nach Maßgabe der Integration der Fertigungsstufen oder der Konzernorganisation, der wechselseitigen Durchdringung. Es existieren systemisch wichtige Engpässe, die bei einer wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung bedeutsam werden, beispielsweise • erfolgt das Packaging ausschließlich in Asien; • besteht eine weitgehend technologische Dominanz der USA im Ecosystem, insbesondere über das Android-Betriebssystem von Google; • selbst integrierte Großunternehmen wie Huawei haben Achillesfersen, denn das Unternehmen kann zwar Chips entwickeln – produziert werden sie aber von Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TMSC); • Foxconn nimmt eine einzigartige Stellung in der Fertigung von Smartphones ein und wird damit marktdominant; • europäische Anbieter wie Ericsson oder Nokia forschen und produzieren selbst in China, werden also von jeder Eskalation empfindlich getroffen; • auch US-amerikanische Anbieter sind stark von chinesischer Technologie abhängig – entweder deshalb, weil sie dort fertigen oder weil China in selektiven Bereichen selbst zu einem dominanten Anbieter geworden ist. Abb. 11.9 verdeutlicht die technologischen Interdependenzen, die im Vorlauf der Fertigung von wesentlicher Bedeutung sind. Viele Konzerne wie Qualcomm, Apple oder Huawei können über Intellektuelle Eigentumsrechte (Patente, Designschutz usw.) ihre Produktionskette kontrollieren und sie dadurch ohne Gefahr vollständig auslagern – extrem häufig passiert das bei Apple. Während im Elektronikbereich die Innovation weitgehend herstellergetrieben ist, liegt sie im Bereich Automotive weitgehend bei den Systemlieferanten wie (Brose, Bosch, Schäfer/Continental, Denso oder Magna), die dann ihre Produkte auf dem Markt den Auto-OEMs (Original Equipment Manufacturers) anbieten. Inzwischen versuchen diese, analog zu den Elektronikherstellern die Dominanz und Kontrolle über die Innovations- und Fertigungskette zu erringen, sind jedoch noch weit davon entfernt. Wichtig ist in diesem Kontext das Management der kritischen Rohstoffe, weil diese kurzfristig kaum zu ersetzen sind, wie die Seltene-Erden-Krise (vgl. Darstellung im sechsten Kapitel) belegte. Huawei, das Unternehmen, das im Fokus der Auseinandersetzung steht, erwirtschaftete im Jahr 2018 einen Umsatz von rund 100 Mrd. €. Es ist extrem exportorientiert und setzt deshalb inzwischen auf maximale Transparenz. Es unterhält Sicherheitslabore in Deutschland oder Großbritannien, zu denen auch die Sicherheitsdienste Zugang haben. Bisher konnte noch niemand ein Einfallstor nachweisen – aber es bleibt die Gesetzeslage, dass Chinesische Unternehmen und Individuen gegenüber dem eigenen Staat bzw. der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) vollumfänglich auskunftspflichtig sind. Zu prüfen wäre also, inwieweit Infrastrukturen, insbesondere auch digitale Infrastrukturen, nur aus Ländern importiert werden, mit denen verifizierbare
Synopsis (USA) Cadence (USA) Zuken (JPN) Mentor (USA, DEU)
Elektronisches Verhalten Thermisches Verhalten Mulphysics und Quanten Co-Design Halbleiter bis System Sowareentwicklung Künstliche Intelligenz
Beyond Moore-Systeme Quantencompung Neuromorphic Compung Elektronenmikroskopie Lasertechnologie
ASML (Lithographie; NLD) Applied Materials (Anlagentechnik; USA) Aixtron (Anlagentechnik; DEU) KLA-Tencor (Prozesskontrolle; USA)
Shin-Etsu Handotai (Si-Wafer; JPN) Wacker-Chemie (Silizium; DEU) Umicore (Spuer targets; BEL) Air Liquide (Prozessgase; FRA) KMG Chemicals (Spezialchemie; USA) BASF (Spezialchemie; DEU)
ASM Pacific Techn. (Anlagentechn.; USA) Kulicke and Soffa (Bonding; USA) Advantest (Tesng; USA) Hesse und Knips (Bonding; DEU)
• • • • • •
Asia Pacific Palomar (Bonddraht; USA) Dow (Polymerwerkstoffe, USA) Heraeus (metall. Kontaktwerkstoffe; DEU) Indium Corp. (Lötwerkstoffe; USA) Umicore (Spuer targets; BEL) Sumitomo (Verkapselung; JPN)
Werkstoffe (Packaging)
• • • •
Anlagen Packaging
Pack.-Foundry (OSAT)
Packaging
• • • • •
Lithographie (EUV) Komplexe 3D Architekturen auf Chip- und auf Bauelement-Level Werkstoffforschung für Halbleiterkomponenten und Packaging Beschichtungstechnologien, Prozesssteuerung und Automasierung Analyse und Test (Einzeltransistor nm-Level bis 3D-Integraon von Bauelementen)
Angewandte F&E (Halbleitertechnologie und Packaging
• • • • • •
Werkstoffe (Halbleiter)
• • • •
Anlagen Waferfergung
Wafer-Foundry
Integrated Device Manufacturer (IDM)
Waferfergung
Abb. 11.9 Herstellerinfrastruktur für Mikro-Elektronik-Bauelemente. (Quelle eigene Darstellung)
• • • • •
Grundlagen-F&E
• •
• • • •
Modellbildung
• • • •
Design-Tools
Fabless
Halbleiter-Design
Bedrohung durch Substute • Ersatz des Rohstoffs • SmCo durch NdDy in der Magneechnik • Au durch Cu in der Mikroelektronik (AMD) • Ersatz der Funkon • Kupferleitung durch Glasfaserleitung
Systemseige Verfügbarkeit für magnesche Anwendungen (zB. E-Motor): • Seltene Erden für Magnetwerkstoffe • Nd, Dy
„Polische“ Herkun: • Tantal (Coltan)
Preis: • Cu, Ni, Au, Pd, Ag, …
Zukünige Verfügbarkeit für Bauelemente-Technologien: • Sb, Be, Bi, Co, Ga, Ge, Hf, He, In, Mg, Nb, P, Sc, Ta, Va, W
Management krischer Rohstoffe
876 11 Cyberkrieg und Hochtechnologiekonflikte
11.5 Cyberkonflikte an Beispielen
877
no-spy“-Abkommen existieren und in denen die Gerichte bei Rechtskonflikten „ unparteiisch sind – das ist ein Problem in China, aber auch in den USA. Im Mai 2019 belegten die USA Huawei mit einem breiten Bann, den sie versuchen, auch extraterritorial durchzusetzen. Damit gerieten globale Lieferketten unter Druck, die auch in den USA zu Milliardenschäden führen werden, wie die in Tab. 11.1 gezeigte Lieferantenstruktur verdeutlicht. Denn bei rund 100 Mrd. US$ Umsatz bezieht das Unternehmen für rund 70 Mrd. US$ Komponenten, und davon rund 11 Mrd. US$ aus den USA. Der Preis, Chinas Technologieaufstieg zu hemmen, liegt also extrem hoch; aber auch China hat nur unbefriedigende Waffen: Verknappt das Land, wie angedroht, seltene Erden, torpediert es ebenfalls globale Lieferketten, und die Suche nach Substituten und neuen Vorkommen wird verstärkt, was langfristig die eigen Position schwächt – und dies umso mehr, als China heute bereits der global bedeutendste Importeur dieser für die Hochtechnologie so bedeutsamen Rohstoffe ist, weil es eine starke Position in der Weiterverarbeitung aufgebaut hat, die dann verlorengehen könnte. Der Boykott des iPhone von Apple ist wenig hilfreich – die Produktion beschäftigt rund 1,5 Mio. Menschen in China, die Wertschöpfung liegt bei rund 24 Mrd. US$. Die glaubhafteste Gegendrohung Chinas besteht möglicherweise darin, den Zugang zu den Patenten für 5G-Technologie zu blockieren, denn hier ist das Land, insbesondere ZTE und Huawei, die global bedeutendsten Technologieinhaber, wie die Abb. 11.5 belegt. Die
Tab. 11.1 Bedeutende Lieferanten von Huawei.
Endprodukte (Netzwerke, Smartphones, …)
lfd. Nr.
1 Gorilla-Glas / Touchscreen 2 OLED / Touchscreen
3 3 4 5
Fingerdigitalscanner HF Sender-Empfänger Funkmodul Speicher
6 Kamera, Gesichtserkennung
Netze, Mikrotechnologie
7 Akku 8 Montage 9 Betriebssystem 1 Chip Design 2 Mikroelektronik 3 4 5 Quelle: eigene Recherchen
Hersteller
Corning Samsung, LG BOE Goodix HiSilicon-Huawei Qorvo, Skyworks Micron SK-Hynix Hinix Infineon Sony Sunny Opcal Leica Lumentum Desey Foxconn Alphabet / Google ARM Qualcomm Broadcom Panasonic ST Microelectronics
Sitzland
USA Südkorea China China Taiwan USA USA Südkorea China Deutschland Japan China Deutschland USA China Taiwan USA Großbritannien USA USA Japan Niederlande/Schweiz
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Gegendrohung der USA war das Erwägen möglicher Zwangslizensierungen oder sogar einer Enteignung. Der Kampf um Hochtechnologiemärkte geht bis ins Persönliche. Ein Beispiel dafür ist die Festnahme der Finanzchefin des chinesischen Unternehmens Huawei, Meng Wanzhou, Tochter des Firmengründers Ren Zhengfei, aufgrund eines amerikanischen Haftbefehls im Dezember 2018 in Kanada. Der Vorwurf lautet, eine Unternehmung in Honkong, Skycom Tech, geleitet zu haben, die den Iran beliefert hat, obwohl dieser auf der Sanktionsliste der USA steht. Mit dem Haftbefehl und dem Auslieferungsgesuch versuchen die USA, ihre Auffassung von Recht mit großer Rücksichtlosigkeit exterritorial durchzusetzen. Meng Wanzhou drohen 30 Jahre Haft. China hat kurz danach zwei kanadische Staatsbürger wegen Visavergehen und Verstoß gegen das NGO-Gesetz festgesetzt – ein Zusammenhang wird vermutet. In der Folge dieser Auseinandersetzungen wird sich China auf die gleichzeitig kommunistischen wie konfuzianischen Tugenden besinnen: Autarkie, d. h. möglichst viel Wertschöpfung durch Produktion im eigenen Land absichern. Dies war schon im zweiten Kapitel als wesentliche Tendenz herausgearbeitet werden. Das Land wird sich in dieser Strategie bestätigt sehen, zumal es noch Millionen Menschen zu Wohlstand bringen will. Für den Westen ist das keine guter Nachricht – und vermutlich die glaubhafteste Drohung eines 1,4 Mrd. Volkes: Den in den vergangenen Jahrzehnten war China der zentrale Motor auch des westlichen Wachstums. Wie abhängig die Volksrepublik von Mikroelektronikimporten ist, verdeutlich die folgende Abb. 11.10: Das Volumen übertrifft das des Rohöls um das Doppelte! Der US-Anteil liegt zwar nur bei rund 5 % – das unterschlägt aber, dass viele der nicht in den USA gelegenen Produktionsstätten amerikanischen Unternehmen gehören bzw. als Lizenznehmer USPatente nutzen.
Abb. 11.10 Chinas Importe von Erdöl und von elektronischen Bauteilen. (Quelle: eigen Darstellung aus EPS-Data (o. D.) und General Adminstration of Customs P.R. China)
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11.6 Fazit und Handlungsempfehlungen Der Cyberkrieg und Krieg um Umfeld der Hochtechnologien als spezielle Ausformungen des Wirtschaftskriegs beschleunigen das Austragen von Konflikten. Die Gegenspieler sind weit weniger bekannt bzw. zeitnah zu identifizieren als bei regulären Auseinandersetzungen, es ist also mit unbekannten potentiellen Rivalen zu rechnen. Der Versuch, das unbekannte Unbekannte in ersten Schritten wenigstens zu einem bekannten Unbekannten oder einem unbekannten Bekannten im Sinne der Ausführungen im siebten Kapitel zu machen, stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Dabei sind solche menschlichen bzw. gesellschaftlichen Routinen, teilweise bereits durch Technologie vorstrukturiert, die leicht in Algorithmen abgebildet werden können, hilfreich. Sie wirken beschleunigend auf das Herausarbeiten von Mustern, weshalb die Metadaten ein hohes Aufklärungsinteresse besitzen. Tatsächlich zeigt die Geschichte, dass eine erfolgreiche Algokratie als funktionalistische Ausformung der Moderne auf dem einfachen Darstellen von Abläufen als möglichst exakte digitale Zwillinge aufbaut. Bereits die moderne Theorie der Bürokratie, die mit dem Namen von Max Weber (1919a, b) verbunden ist, baut hierauf auf ebenso wie die Gesellschaftstheorie von Niklas Luhmann (1969), die beide im fünften Kapitel angesprochen wurden. Historische Beispiele finden sich im Erfolg moderner gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Steuerungssysteme, bis hin zum social scoring in China und geheimdienstlicher Aufklärung und Überwachung. Auch Konflikte unterliegen damit zunehmend einer Algorithmierung, was die Fähigkeit eines Eindämmens beeinflussen kann, wie Börsencrashs zeigen. Die Auseinandersetzung zwischen Samsung und Apple zeigt sehr deutlich, wohin sich der Wirtschaftskrieg auf globaler Ebene bewegt: Es sind besonders die intellektuellen Eigentumsrechte, also Patente, Marken, Warenzeichen und schlussendlich auch das Design, die abgesichert werden und die zu den Kernkompetenzen eines Unternehmens zählen und damit besonders schützenswert sind. Insofern lohnt es sich, das eigene Forschungsgelände angemessen zu verminen, um Dritten den Zutritt zu verweigern, sie in weniger attraktive Technologiefelder zu verbannen, was beides kurzfristig erfolgreich sein kann, aber langfristig jede internationale Wachstumsentwicklung ausbremst. Das Fehlen physischer Spuren muss nicht bedeuten, dass Aktivitäten spurenlos sind, aber gerne werden sie im Deep Net durchgeführt, das seine Janusköpfigkeit einerseits als Freiheitssicherer, andererseits als Tor für kriminelles und auch wirtschaftskriegerisches Handeln offenbart. In einer Studie e-crime in der deutschen Wirtschaft 2019 verweist KPMG (2019, S. 7–8) auf die sechs wesentlichen Aspekte, die gleichermaßen für den Cyberkrieg relevant sind und hier aufgeführt und ergänzend interpretiert werden: • die Dunkelziffer von Attacken ist hoch, und es besteht eine erhebliche Asymmetrie zwischen der Einschätzung der Bedrohungslage für fremde Unternehmen und das eigene Haus – letzteres wird als weit geringer eingeschätzt. Das lässt Abwehrmaßnahmen ermüden.
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• Menschliche Faktoren zählen im Cyberbereich, insbesondere auch in Bezug auf Mensch-Technologie-Wechselwirkungen, weshalb die Sicherheitskultur als zentrale Führungsaufgabe aufscheint. • Vorbeugende Maßnahmen werden immer wichtiger – greifen aber meist in Breite und Tiefe zu kurz. • Institutionen der Sicherheit gewinnen eine zunehmende Bedeutung, vor allem solche, die spontan Gefahrenlagen simulieren können bzw. Abwehrsysteme implementieren können. Zu nennen sind Security Operation Centers (SOC) und Computer Emergency Response Teams (CERT). • Versicherungen für Schäden nehmen an Relevanz zu – aber mangels wahrgenommener Betroffenheit nicht in genügendem Maße. Hier mag ein Grund auch darin liegen, dass Risikoprofile nicht wirklich klar sind, also die Integration des Risikomanagements mit dem Cybersicherheit ausbaufähig ist. • Gerade bei Ransomware fehlt noch die erforderliche Schutzarchitektur, wenngleich die Betroffenheit hoch ist. Tatsächlich verbessern derartige Vorsorgemaßnahmen auch die Angriffsfähigkeit des Unternehmens. Denn anders als im militärischen Bereich, in dem der Aufbau von Fähigkeiten und das Herstellen von Einsatzbereitschaften, beispielsweise durch eine Mobilmachung, klar als aggressives oder defensives Signal eingeordnet werden können und das Versenken hoher Investitionskosten eines Markteintretenden immer als Bedrohung zu sehen ist, lassen sich Attacke und Verteidigung in der Welt der Datennetze und ihrer Knotenpunkte und Peripherien nicht leicht und eindeutig unterscheiden. Insbesondere sind geheime Manipulationen in technischen Schaltungen der Mikroelektronik ebenso wie Softwaremanipulationen nicht immer leicht zu finden. Das macht das rechtzeitige und angemessene Erwidern auf aggressive Handlungen schwer – die eben möglicherweise gar keine sein müssen, sondern auf Fehlschlüssen von algorithmischen Entscheidungsroutinen beruhen können. Da Erfolg, wie das Beispiel Huawei zeigt, messbar ist, kann es dann den Falschen treffen – aber auch das ist nicht sicher. Eine derartige staatlich-private Interaktion wird überall dort besonders deutlich, wo Unternehmen staatliche bzw. öffentliche Infrastrukturen nutzen. Diese sind aber in Bezug auf ihre Sicherheit nur begrenzt zu kontrollieren (Bailey, Kaplan, Weinberg 2012).23In jedem Fall gilt es, wie im realen Krieg, immer beide Seiten in das eigene Handlungsfeld einzubauen. Daher empfiehlt sich folgendes:
23Exzerpiert
aus „Playing war games to prepare for a cyberattack“, July 2012, McKinsey & Company, www.mckinsey.com. Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission.
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1. Bau mit analytischen und forensischen Methoden die Cyber-Robustheit des Unternehmens auf und betrachte sie forthin als Kernkompetenz im Rahmen des Risikomanagements des Unternehmens! Optimier die Reaktionsfähigkeit des eigenen Unternehmens, um nicht den Eigenschaften des Netzes schutzlos ausgeliefert zu sein! Entscheidend ist es, die Lücken im System zu identifizieren und ergänzende Sicherungsfunktionen bereitzustellen, um Störungen/Angriffe überbrücken zu können. Definier klare Zugriffsrechte! 2. Samme die Daten Dritter, vor allem durch Dienstleitungen, die mit Individualdaten bezahlt werden und die einer big-data-Auswertung zugänglich gemacht werden, um Dominanz zu erzielen! Halt die dabei verwendeten Algorithmen geheim – sie sind die Kernkompetenz des Unternehmens oder Staats im Wirtschaftskrieg! 3. Erstell Verfahrensverzeichnisse für die Bearbeitung einzelner Aufgaben Stabilisier eigene Entscheidungsprozesse, die auch bei einem Interneteinbruch weiterlaufen müssen! Verhinder im eigenen Unternehmen oder in staatlichen Institutionen ein Lahmlegen durch die eigenen Verteidigungsanstrengungen. Priorisiere die Kommunikation mit den vitalen Stake-Holdern des Unternehmens oder des Staats! Um zu verhindern, dass hochkarätige Partner abwandern, kann es erforderlich sein, für diese Parallelsysteme vorzuhalten. Dies gilt insbesondere auch für die staatliche Ebene im Sinne eines „Roten Telefons“ für vitale Partner. 4. Nutz die Datenauswertung, um die Gegner gezielt zu manipulieren, insbesondere die Lernfähigkeit ihrer Systeme zu stören! Das kann durch selektive Rückmeldungen ebenso geschehen wie durch spontan ins Netz gestellte Inhalte. Dies gilt insbesondere für international aufgestellte Unternehmen und Länder – sie sind besonders verwundbar, weil der Wirtschaftskrieg auf den Import- und Exportmärkten ausgetragen wird. Wenn das für Nationalstaaten zur Überforderung wird, dann sind sie digital zu klein und müssen in einen Staatenbund eintreten. 5. Spiel Szenarien durch, um die eigenen Mitarbeiter an Attacken zu gewöhnen und sie in den Reaktionsweisen zu schulen! Etablier dabei auch die erforderlichen Kontakte zu den relevanten staatlichen Sicherheitseinrichtungen! Überprüf, welche Branchenkooperationen sinnvoll sind – oder ob sie gefährlich werden könnten! Evaluier als Staat die Loyalität der Bündnispartner! Gleich Soll und Ist im Rahmen des Risikomanagements und der Verfahrensvorgaben ab, um daraus zu lernen! 6. Bewahr eine gesunde Skepsis! Wie bei normalen Verbrechen kommen Attacken auch aus dem Nahbereich, also von verbundenen Unternehmen, oder vorgeblichen Bündnispartnern. Hier ist der Wert der abfließenden Informationen besonders hoch und die eigene Verwundbarkeit sehr unmittelbar. Damit wird jeder Freund zu einem potentiellen Feind – und wenn man das weiß, muss man gegebenenfalls schnell zum eigenen Vorteil Loyalitäten in machiavellistischer Form aufkündigen. 7. Die freie, digitale Welt ist eine Illusion. Sicher daher persönliche Freiheiten und mache sie netzunabhängig! Das Gerechte und Gute hat neue Grenzen, weil insbesondere Gebrauch und Missbrauch anfangs kaum zu unterscheiden sind. In der
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digitalen Welt sind alle nackt – wo möglich, übe eigene Zurückhaltung und kläre über die möglichen Gegner auf. Nutz dabei den Exhibitionismus des Gegners und hoff nicht auf staatliche Hilfe. Und weil das auch für Partner gilt: Sei misstrauisch! 8. Hinterlass keine Spuren, ob als Angreifer oder als Verteidiger – und leg falsche Fährten bei der Attacke! Streb Informationsüberlegenheit durch den Aufbau eines eigenen Ökosystems an und erzeug über harte und weiche Infrastrukturen einen Cyberfeudalismus! 9. Sicher digitale Kopien, insbesondere den digitalen Zwilling des Führungspersonals! Gute Führung wird zum wichtigsten Erfolgsfaktor der digitalen Welt. Sie kann durch künstliche Intelligenz unterstützt, aber auf lange Sicht nicht von dieser ersetzt werden. 10. Über alldem gilt: Weil der Cyberkrieg ein Krieg um die Vorherrschaft in der Welt ist, muss es vornehmste Ordnungsaufgabe des Staats, eines Staatenbunds oder eines Bündnissystems sein, die Sicherheit der Daten und die technologische Souveränität zu gewährleisten. Technisches Wissen besitzt Optionscharakter – geht es verloren, kann man möglicherweise nie mehr mit den Rivalen aufschließen. Mehr denn je zuvor ist internationale Arbeitsteilung vor dem Hintergrund ihrer Janusköpfigkeit zu sehen, nicht nur Frieden, sondern auch im Sinne der Dominanzerwartungstheorie Konflikte zu begründen. Sei darauf vorbereitet! Seiten 1 bis 54 entsprechen Seiten 611–660.
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Die Zombifizierung oder das Zerstören von Ordnung
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All you zombies show your faces All you people in the street All you sittin in high places It’s all gonna fall on you! (The Hooters 1985)
Zombies sind Untote bzw. Menschen ohne Seele; sie werden im Deutschen auch als Wiedergänger bezeichnet. Offensichtlich gibt es eine Urangst vor dem Auferstehen von Toten, sodass man im Mittelalter Leichenteile verstümmelte, wie Esther Widmann über Das Dorf der Zombies (2017) berichtet. Ihre Wiedergeburt in der Moderne erscheint als Anachronismus, bedenkt man, dass sie begrifflich eine mythische Figur der Sklaven aus dem Haiti des 18. Jahrhunderts sind. Sie haben einen hohen metaphorischen Gehalt und repräsentieren den Krisenkapitalismus, nämlich bankrotte Firmen, die nicht aus dem Markt ausscheiden. Durch Zombifizierung werden gesunde Menschen zu Zombies und ihres freien Willens beraubt. In vielen Filmen wird das in einer Dracula-analogen Weise dargestellt, in der sich Zombies durch das Beißen gesunder Menschen vermehren. Dabei geht es nicht nur darum, das Blut der Opfer auszusaugen, es geht auch um das Gehirn, was wiederum eine etwas elaborierte Vorstellung nahelegt, nämlich die der Zombifizierung als Gehirninfektion. Die ökonomische Zombifizierung wurde erstmals von Edward Kane (1989, 1993) erwähnt, der argumentiert, dass ein Staat, der insolvente Finanzinstitutionen künstlich am Leben hält, damit die gesamte Wirtschaft infiziert und ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt, weil gesunde Unternehmen bankrotte Firmen nicht aus dem Markt drängen können, weil dies meist durch öffentliche Unterstützung, beispielsweise Subventionen oder Niedrigstzinsen, verhindert wird. Damit findet das, was Joseph Schumpeter (1912) als marktbereinigende Konkursgeschäfte
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_12
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bezeichnete, nicht mehr statt. Die Effizienz des Wettbewerbsmechanismus, der aus Innovation und anschließendem Transfer von Marktanteilen von den Erfolglosen zu den Erfolgreichen – der Triage – besteht, wird beschädigt. Ein weiterer Ansteckungspfad besteht infolge der Haftung von gesunden Unternehmen für Zahlungen insolventer Unternehmen, die erstere dann ebenfalls in Konkurs treiben kann (Locke 2015).1 Zunächst aber führt Zombifizierung zu fehlender Marktbereinigung, weshalb ein Indikator auch eine in langer Sicht – und konjunkturbereinigt – stark unterdurchschnittliche Insolvenzquote ist. Dieses Kapitel zeigt, wie ein Wettbewerbssystem durch scheinbar alternativloses wirtschaftspolitisches Handeln aus einer Notlage heraus systematisch zerstört werden kann und wie damit insbesondere das Vertrauen in die Geldordnung verlorengeht – was auch beispielhaft an der Krise der Europäischen Währungsunion in Folge der Weltfinanzkrise verdeutlicht wird. Dies wiederum stößt eine Vielzahl von politischen und gesellschaftlichen Veränderungen an: An der Oberfläche wird Linkspopulismus (im Süden Europas) und Rechtspopulismus (im Norden Europas, aber auch den USA) sichtbar. Im Hintergrund erodiert das Bekenntnis zur Liberalität – ob politisch oder ökonomisch – infolge des nicht eingelösten, in der Finanzkrise final abgetöteten Globalisierungs- und damit verbundenen Wohlstandsversprechens für breite Teile der Bevölkerung. Ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg, als der Frieden kein Frieden war, hat die Bewältigung der Finanzkrise eine Stabilität geschaffen, die keine Stabilität ist; Zombifizierung erscheint als angemessene Metapher der Lage. In einer Welt, in der selbst natürlich begründete Ordnungen durch den Eingriff des Menschen destabilisiert werden, wie die Umweltdebatten vor Auge führen, kann nicht erwartet werden, dass menschengemachte Institutionen die Krise ohne Erschütterung überstehen.
12.1 Die Infektion des Wettbewerbssystems Die moderne Forensik hat erkannt, dass beim Ableben eines Menschen die in ihm hausenden Mikroben, also Kleinstlebewesen wie Bakterien und Pilze, aber auch Würmer usw., biologisch explodieren (Kupferschmidt 2016). Sie kämpfen um ihr Überleben im Wirtskörper. Zombies verhalten sich in einer zombifizierter Wirtschaft – dem Wirtskörper – völlig analog. Ihr Überlebenskampf ist maximal, damit auch ihr Ansteckungspotential, zumal ihre Aktivitäten, ganz im Sinne der Ausführungen zu den drei Wechselwirkungen von Carl von Clausewitz, eine Eskalation begünstigen. Die Deutsche
1Nach
§ 133 der deutschen Insolvenzordnung können Zahlungen an Gläubiger bis zu zehn Jahre rückwirkend angefochten werden, wenn dadurch andere Gläubiger benachteiligt werden. Das gilt besonders dann, wenn Geldeingänge angemahnt wurden – das gilt als Beweis für die Kenntnis möglicherweise erhöhter Risiken.
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Bundesbank (2017) definiert Unternehmen als zombifiziert, wenn diese (Variante A) die Zinsaufwendungen nicht aus den operativen Einnahmen decken können, oder (Variante B), wenn der Cashflow über drei Jahre kontinuierlich negativ ist. Der Anteil zombifizierter Unternehmen beläuft sich dann im Jahr 2015 auf 4,7 % bzw. 2,2 %. International gibt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) den Anteil im Jahr 2015 mit knapp über 10 % an (Ettel und Zschäpitz 2017).
12.1.1 Zerstörung von Wettbewerb in Wirtschaft und Gesellschaft Zombifizierung nimmt direkt auf den weiter vorne beleuchteten institutionellen Rahmen einer Gesellschaft Bezug, der für das Funktionieren einer Wettbewerbswirtschaft sehr wichtig ist. Der Wettbewerb der Ordnungen gewährleistet die langfristige Effizienz des Rahmens, der wiederum Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen selbst effizient handeln können – und müssen, sonst scheiden sie aus dem Markt aus. Diese Konkurrenz findet auf allen Ebenen statt – also nicht nur in der Wirtschaft, ebenso in der Politik und in der Gesellschaft durch Debatte und Diskurs. Allerdings führen versunkene Kosten in die Wirtschaftsstruktur ebenso wie in Regelwerke, insbesondere Gesetze, aber auch in die Lebenswelten der einzelnen Bürger dazu, dass nicht jede notwendige Änderung auch durchgeführt werden kann – die Wechselkosten sind schlicht zu hoch: Daraus ergibt sich eine lock-in-Situation, in der Gesellschaften gefangen sind, und die als ökonomischen Verkrustungen beschrieben werden. Gleiches gilt auch für Unternehmen, die sich nicht ändern können, auch weil vor allem Netzwerkstrukturen Inertia besitzen. Zudem fehlen heutzutage wichtige Leitbilder und auch Leitfiguren und Leitmedien, die den Ordnungsgedanken der Wirtschaft glaubhaft und erlebbar machen. Nichts hat in jüngerer Zeit der freien Wirtschaftsordnung mehr geschadet als ihre zunächst prononciertesten Vertreter im Finanzsektor, die, als es problematisch wurde, den Staat um Hilfe riefen – ganz im Sinne des Stamokap-Gedankens – und die danach, als sei nichts geschehen, ihr für die Stabilität der Ordnung gefährliches Spiel rücksichtslos weitergetrieben haben – von Kulturwandel keine Spur. Neben den real- und finanzwirtschaftlichen Gründen – Eliminieren von Wettbewerb und schöpferischer Zerstörung im Sinne von Joseph Schumpeter – ist eine weitere wichtige Ursache der Zombifizierung die fehlende kritische Diskussion seitens der Vierten Gewalt, der Medien. Es geht nicht nur um die fehlende Bereitschaft der Presse, offene Diskurse und nicht nur Scheindiskurse zu führen. Vielmehr werden die Protagonisten unbequemer Argumente gerne ins radikale Lager gestellt, um damit das Argument zu desavouieren. Beispielhaft sei die Einführung des Eurosystems genannt: Unabhängigen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Wirtschaft hatten vor den absehbaren Konstruktionsfehlern des Eurosystems rechtzeitig gewarnt (Professoren 1998 „Der Euro kommt zu früh“) und wurden seinerzeit von namhaften Politikern in die Ecke von Wirrgeistern gestellt. Der allen ab dem Jahr 2010 deutlich sichtbare Niedergang des
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Währungssystems führte dann zum öffentlichkeitswirksamen Niedermachen und Ausgrenzen.2 Nach dem exit-voice-Paradigma von Albert Hirschman (1970) führt Diskursverweigerung zum Abwandern, möglicherweise sogar zum Aufkündigen der Loyalität. Zombifizierung ergibt sich folgerichtig als fehlgeschlagene Stabilisierungsoperation, die eben nicht entscheidungsvorbereitend ist, wie es in den militärischen Grundätzen gedacht ist, sondern hier im politisch-wirtschaftlichen Feld entscheidungsverzögernd wirkt. Nach einer massiven Attacke – einem exogenen Schock – fehlt nicht nur die Kraft zum Gegenschlag; vielmehr gelingt auch keinerlei interne wirtschaftspolitische Initiative. Damit ist die Zombifizierung eine besondere Form des Wirtschaftskriegs, in dem nicht die Starken, sondern die Schwachen überleben und die noch Starken geschwächt werden. In der Regel werden alle ökonomischen Werte aller Beteiligten nachhaltig zerstört. Der Volksmund sagt: „Der Fisch stinkt vom Kopf.“ Zu analysieren ist daher vor allem, welche Herrschafts- und Entscheidungsstrukturen die Zombifizierung begünstigen und wer im Sinne von Dominanzerwartungen ein Interesse daran hat. Das macht sie zu einem Gegenstand der politischen Ökonomik. Tatsächlich geht der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit oft auf das Nichtbeachten relevanter externer Impulse zurück, die auf institutionelle Strukturen wirken. Damit führt die begrenzte Flexibilität der Wirtschaft, auf neue Trends zu reagieren und die durch sie offenbar werdende Fehlanpassung zu korrigieren, zu einer Krise. Dabei stellt sich die Frage, ob politische Handlungsträger durch fehlende Kenntnis der Sachlage in eine Entwicklung hineinschlittern, die sie dann nicht mehr beherrschen können oder ob sie externen Impulsen wie der Korruption unterliegen, weil sie beispielsweise wirtschaftlich abhängig von ihrem Mandat sind, anderweitige Vergünstigungen genießen oder auch keine Macht abgeben wollen. In Europa trug die Einführung des Euro zunächst zu einer Verschleierung der tatsächlichen Wettbewerbslage der jeweiligen Länder bei. Das Ausbrechen aus dem durch das Vertragswerk festgelegten Regelwerk erschien weitgehend kostenfrei und ohne Risiko möglich. Die politischen und ökonomischen Entscheidungsträger entziehen sich Verantwortung und Haftung; sie verhalten sich damit nicht anders als die Führungspersonen mancher Finanzinstitute, die auf die Krise gewinnbringend spekuliert hatten. Damit kann ein institutionelles System, das anlässlich seiner Einführung nicht mit den erforderlichen checks and balances ausgestattet wurde und dessen Rechtsrahmen bewusst gebrochen wurde aus seinen Fundamenten gerissen werden. Genau das ist in Europa derzeit zu beobachten: erst das Brechen der no-bail-out clause,
2Im
Sommer 2013 erkannte auch der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister der Finanzen, Kai Konrad, dass es die auflaufenden Rettungskosten rechtfertigen, über die Kosten einer Neuausrichtung des Euro-Raums nachzudenken; es wurde dann im Bundestag vorgeschlagen, ihn von seinem Posten abzulösen (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013b).
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dann das verbotene Alimentieren von Staatsschulden durch die Zentralbank, schließlich das Handeln ohne demokratische Legitimierung als wohl massivstem konstitutionellen Verstoß.3
12.1.2 Die Zombifizierung anhand von Beispielen Zombifizierung wird besonders mit der japanischen Wirtschaftskrise in Verbindung gebracht, und hier hat sich der Begriff bei den Banken ausgebreitet: Zombie-Banken sind Geldhäuser, die vor 20 Jahren im Rahmen der Asienkrise eigentlich hätten abgewickelt werden müssen, um die großen Verluste, vor allem im Immobilienbereich, nicht der öffentlichen Hand aufzubürden. Diese sprang aber ein und rettete die moribunden Institute. Anschließend machten die kranken den gesunden Geldhäusern Konkurrenz, verliehen Geld zu billig an Unternehmen, die selber geschwächt waren, sodass sich schließlich eine ganze Wirtschaftsstruktur einen Nicht-Wettbewerb lieferte. Damit gerieten Branchen und Unternehmen unter Druck, deren technologische Fähigkeiten früher ein Ausweis japanischer Innovationskompetenz war, in der Elektronikindustrie waren das beispielsweise Unternehmen wie Sony, Sharp oder Panasonic, aber auch Teile der Autoindustrie, beispielsweise Mitsubishi, Mazda oder Suzuki. Tatsächlich eliminieren Nullzinsen jede effiziente Kapitallenkung. Der Versuch des Staats, mit fiskalpolitischer Stützung, vor allem mit kurzfristigen Konjunkturpaketen, das Wachstumsproblem zu lösen, erzeugt meist nicht die erforderlichen, langfristig wirksamen Impulse, weil die Nachfragestützung selten zu einer angebotsseitigen Innovationsoffensive führt, wenn Stabilisierung in Attentismus ausartet. Seit dem Jahr 2000 stagniert die japanische Wirtschaft; lag das Bruttoinlandsprodukt um die Jahrtausendwende bei 4600 Mrd. US$, so ist es bis 2013 nur auf 5000 Mrd. US$ gestiegen. Gerade diese fiskalische Stützung ist auch eine Ausweichreaktion der Politik auf die materiellen Wünsche der Wähler, die am Weltmarkt allein über die Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr befriedigt werden können. Der Versuch, Reallöhne zu sichern, die infolge des globalen Wettbewerbsdrucks überhöht sind, und eine Wirtschaftsstruktur zu stabilisieren, die fehlangepasst ist, wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Zombifizierung. Die vom japanischen Ökonomen Koichi Hamada ersonnenen Abenomics, nämlich Versuche, die Inflation durch eine extrem lockere Geldpolitik zu erhöhen und zugleich die öffentlichen Ausgaben massiv zu steigern, haben ebenfalls versagt. John Lyons und Miho Inada (2017) schreiben über The Failure of Japan’s Radical Easing, dass die Politik auch am „mindset“ der Japaner scheitert, die trotz niedriger Zinsen weiterhin sparen, weil sie die Deflation, die im Jahr
3Wie
entreferentialisiert der Finanzsektor ist, zeigt sich an den sogenannten Todesbonds, also Finanzpapieren, bei denen die Inhaber auf den Tod dritter Personen wetten. Die britische Finanzaufsicht hat den Vermarkter, Stewart Ford, dafür mit einer Strafe von 105 Mio. € (Handelsblatt 2015, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2015b) belegt.
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2010 knapp 3 % erreichte, bereits verinnerlicht haben – möglicherweise auch aus Angst vor der Zukunft. Vor allem die Initiative der Jugend scheint paralysiert, ihre Lebensansprüche reduziert: man spricht von neets (not in education, employment or training), freeters als nach kurzfristigen Jobs Suchende (Kombination aus free und Arbeiter), parasite singles, die das Elternhaus nicht verlassen und herbivore men, die kein Interesse am anderen Geschlecht haben. Zombifizierung tritt gerne im Kontext von Transformationsprozessen auf. Der im Zuge der Deutschen Einheit durch die Treuhand organisierte Einkommensübergang stellt ein gutes Beispiel für die realwirtschaftliche Zombifizierung dar – im Gegensatz zu der finanzwirtschaftlichen Japans. Mit dem absehbaren Ende der DDR ab Frühjahr 1990 und der Vorbereitung der Änderung der Wirtschaftsverfassung waren grundlegende Entscheidungen über den Übergang von staatlichem in privates Vermögen zu treffen. Mit Beschluss des Ministerrats der DDR wurde am 1. März 1990 die Treuhandanstalt gegründet, die den Auftrag bekam, den Bestand an staatlichem Eigentum aufzunehmen, zu ordnen und privatisierungsfähig zu machen. Das bedeutete gleichermaßen die Übertragung von Grund und Boden aus staatlichem Besitz sowie des gesamten Produktivvermögens, einschließlich Teilen des Vermögens aus dem öffentlichen Bereich, beispielsweise der Wasser- und Abwasserbetriebe. Die sektorale Wirtschaftsstruktur der DDR entsprach seinerzeit ungefähr der der Bundesrepublik in den 70er Jahren. Die Wirtschaft war wenig in die Weltwirtschaft integriert, Lieferungen von Rohstoffen konzentrierten sich auf der Herkunftsseite vor allem auf die UdSSR, ebenso wie diese die Absatzseite neben dem innerdeutschen Handel dominierte. Die gesamte Produktion war in 316 großen Wirtschaftseinheiten, den Kombinaten, konzentriert, von denen etwas über die Hälfte auf Staatsebene, die andere auf Bezirksebene (insbesondere im Versorgungs- und Baubereich) organisiert waren. Das Pendant zur Mangelwirtschaft war ein Nachfrage- und Kaufkraftüberhang. Die wirtschaftliche Lage war 1989 so bedrohlich, dass in dem sogenannten Schürer-Papier (Schürer et al. 1989) drei Strategien zur Rettung des Lands angegeben worden sind, von denen eigentlich nur eine tragfähig erschien: den Wohlstand um ein Drittel zu verringern, die Exporte zu vervielfachen oder das Wirtschaftssystem zu ändern; letzteres wurde vollzogen. Die Aufgabe bestand darin, die Staatswirtschaft möglichst schnell zu privatisieren und konkurrenzfähig zu machen. Beides schließt sich in vielen Fällen aus – vor allem auf der Zeitachse. Die Kombinate wurden in rund 15.000 privatisierungsfähige Einheiten zerteilt, die in der Rechtsform einer GmbH angeboten wurden. Erste Privatisierungen im Frühjahr 1990, noch unter der Regierung Modrow, erfolgten bei den verstaatlichten Familienbetrieben des Jahres 1972, die an die Eigentümer zurückgegeben wurden. Da hier in der Regel noch Anknüpfungspunkte an alte Traditionen vorhanden waren, beispielsweise waren Betriebsleiter oft die Alteigentümer, konnten einige hundert derartiger Betriebe relativ frühzeitig umstrukturiert und mit neuem Kapital versehen werden; sie hatten damit in der Anfangsphase der Wiedervereinigung auch durchaus Erfolg am Markt. Je schlechter das Unternehmen, desto schwieriger ist es, dieses zu verkaufen. Solange aber einer der Ostbetriebe der Treuhand Verkaufsperspektive besaß, wurde er
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mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Das Paradigma der Dominanzerwartungen kommt hier zum Zuge: Das in Staatsbesitz befindliche Unternehmen, das mit zunehmendem Zeitfortschritt weniger Überlebenschancen hat, konkurriert mithilfe des Staatsgelds den erfolgreich privatisierten Rivalen in die Insolvenz – denn das vergrößert die eigene Überlebenschance. Die aus volkseigenen Betrieben herausgelösten, bereits erfolgreich wirtschaftenden, privatisierten Unternehmen standen nicht selten im direkten Wettbewerb; oft bestanden auch Lieferverflechtungen, die gerade den Treuhandunternehmen die Möglichkeit gab, zur Strategie der Kostenerhöhung des Rivalen als Mittel des Wirtschaftskriegs der Unternehmen zu greifen. Tatsächlich hat der Staatseingriff in dieses System verhindert, dass die richtigen Unternehmen in Insolvenz gingen, weil meist in großer Menge Arbeitsplätze in Gefahr waren. Damit aber setzte er die Innovatoren unter Druck, möglicherweise müssten diese sogar aus dem Markt ausscheiden. Das Wissen um diese Problematik war 20 Jahre später auch die wesentliche Begründung für das Versagen der Staatshilfen beim Autohersteller Opel oder bei der Drogeriekette Schlecker. Wenn nämlich der Bestand an Unternehmen zunehmend zombifiziert, also verseucht, ist und sich damit nach Harvey Leibenstein (1966) sukzessiv starke X- und A-Ineffizienzen aufbauen, dann bleibt dem Staat nur die Möglichkeit einer Triage, also der Versuch, im Rahmen eines Rationalisierungs- und Kapazitätsbegrenzungskartells, wie es Europa früher in der Stahlindustrie kannte, die lebensfähigsten Unternehmen herauszuziehen und den anderen Sterbehilfe zu geben, um eine Zombifizierung zu verhindern und Anreize zu geben, die durch Marktaustritt freiwerdenden Ressourcen erfolgreich neu zu kombinieren. Die Anpassungskrise, die die chinesische Wirtschaft ab dem Jahr 2015 erfasst hat, war ebenfalls der Transformation der Wirtschaft in Richtung auf eine globale Ausrichtung geschuldet und wirkt ebenso global wie eine Zombifizierung (Economist 2016a). Denn alte Industrien in staatlichem Besitz werden aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung nicht geschlossen trotz mit der Produktion verbundener starker Umweltverschmutzungen und Überkapazitäten, die in Abb. 12.1 aufgeführt sind und über Dumpingpreise den gesamten Weltmarkt aus dem Gleichgewicht bringen. Damit geht – als fiskalischer
Abb. 12.1 Auslastungsgrade einzelner Branchen in China, 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Die Welt (2016a), Roland Berger 2016, S. 3) und Staatliches Statistisches Amt der VR China)
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bzw. unternehmerischer Indikator – ein Aufbau der Verschuldung bei Staat und Unternehmen einher, die sich regelmäßig als wichtige Krisenauslöser gezeigt haben. In der Stahlindustrie liegt die Arbeitsproduktivität bei weniger als der Hälfte der USA oder Japans, sodass hier erhebliche Rationalisierungsreserven schlummern (Lewis 2016). Trotz teilweise hocheffizienter Anlagen in einzelnen Sektoren wie der Elektronik oder dem Fahrzeugbau wird die Wirtschaft durch ein durchschnittliches Produktivitätsniveau gekennzeichnet, das nur bei rund 15–30 % des OECD-Durchschnitts liegt (Economist 2016c). Diese Kombination aus sektoralen Überkapazitäten und niedrigen Produktivitäten bedeutet für die chinesische Wirtschaft eine hochgradige Krisengefahr und wird als möglicher Ausgangspunkt für eine neue Finanzkrise angesehen. Zombifizierung hat viele Ursachen. Im Kern ist sie die Folge einer falschen Wirtschaftspolitik, oft einer Industriepolitik, die sich – der Theorie Friedrich August von Hayek (1945) folgend – Wissen anmaßt, das tatsächlich nicht vorhanden ist und dabei massiv Mittel der öffentlichen Hand verschwendet. Dadurch werden Produktivität und Wachstum zerstört. Müge Adalet McGowan, Dan Andrews und Valentine Millot (2017) sprechen in einer Analyse für die OECD von den Walking Dead, die Märkte verstopfen, wodurch anderen Anbietern die Marktchancen genommen, möglicherweise sogar echte Barrieren für Innovationen geschaffen werden.
12.2 Bad Governance und Zombifizierung Governance umfasst gleichermaßen Führungs- und Administrationsprozesse sowie -strukturen. Oliver Williamson (2010, S. 456) führt aus: „… governance is the means by which to infuse order, thereby to mitigate conflict and realize mutual gain.“ Schlechte Governance erhöht die Zombifizierungsrisiken erheblich. Eine der wichtigsten Ursachen für schlechtes Regierungshandeln besteht im Unwillen, die langfristigen Folgen des Handels gegenüber den kurzfristigen politischen Opportunitäten abzuwägen bzw. aus den Erfahrungen zu lernen. Peter Dietsch (2018/19) führt in Geldpolitik mit Nebenwirkungen sehr klar aus, wie die Europäische Zentralbank den Geschäftsbanken im Jahr 2012 billiges Geld für die realwirtschaftliche Kredite einräumte, diese mit dem Geld aber Finanzanlagen kauften und die Gewinne aus dem Geschäft vereinnahmten. Der Misserfolg führte dann 2014 zu einer Neuauflage – mit gleichem negativen Ergebnis. Dies ist ein gutes Beispiel für die Unfähigkeit, aus Fehlern zu lernen, wenn man, statt die offene Diskussion zu pflegen, einer politischen Vision unterliegt – hier: Südländer der Europäischen Währungsunion vor zu harten Anpassungsmaßnahmen zu schützen.
12.2.1 Kapitalismus ohne Bankrott ist wie Religion ohne Hölle Die Zombifizierung einer Wirtschaft wird meist durch einen starken externen Schock ausgelöst oder, wenn sie bereits latent schlummerte, sichtbar. Dieser Impuls wird
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meist von fundamentalen Verschiebungen der weltweiten Arbeitsteilung, einer Verschuldungskrise oder Sprunginnovationen von Wettbewerbern verursacht und löst rezessive Effekte aus, die sowohl auf die wirtschaftliche Leistung als auch die Vermögenspreise bzw. -werte durchschlägt. Üblicherweise wird dieser Einbruch zunächst nur als konjunkturelle Schwäche angesehen und infolge dieser Fehleinschätzung mit klassischen Mitteln der Konjunkturpolitik bekämpft, ohne sehen zu wollen, dass es sich um ein Problem der Strukturanpassung der Wirtschaft handelt. Wenn dann die falschen wirtschaftspolitischen Instrumente angewendet werden, kann das die gesamte Wirtschaft dauerhaft schwächen. Ansätze für Zombifizierungen gab es bereits nach der Ölpreiskrise Anfang der 70er Jahre, die mit einer Staatsverschuldung zur Kompensation angeblicher Nachfragelücken bekämpft wurde, ohne dass dies einen größeren Erfolg hatte; die Kollateralschäden lagen in einer dramatischen Ausweitung der Staatsschulden. Verantwortlich für die Zombifizierung einer Wirtschaft sind die wirtschaftspolitisch Handelnden, also nicht nur die Regierung bzw. klassische staatliche Institutionen, sondern auch die Zentralbank, Interessensgruppen und Lobbyisten usw., weil sich der Versagenstatbestand in der Korruption des Ordnungsrahmens bündelt. Dieses Ordnungsversagen wird im Folgenden aufgezeigt, um die Notwendigkeit einer Economic Governance aufzuzeigen, die genau das leistet, was Oliver Williamson (2005) in seiner berühmten Nobelpreisrede The Economics of Governance adressierte: Die Knappheit an guten Regeln überwinden. Wenn Zombifizierung durch Ordnungsversagen entsteht, dann ist immer das dahinterliegende Führungsversagen zu thematisieren, das eine Situation der schlechten Governance auslöst. Entwickelte Marktwirtschaften sind vor allem deshalb erfolgreich, weil sie lange Zeit irreversible Investitionen in Reputationsgüter getätigt haben. Sie haben Kaskaden von Regelbindungen aufgestellt, von der Wirtschaftspolitik bis hinunter zum Handeln der einzelnen Unternehmer, die teilweise Gesetzescharakter besitzen, teilweise aber auch Werte wie Tugend und Anstand im kaufmännischen Verhalten widerspiegeln. Im Sinne des evolutorischen Institutionalismus handelt es sich um bebürdete Strukturen, an deren Anfang Vertrauen steht, und die aufeinander aufbauen. Sie erleichtern hinsichtlich der Transaktionskosten die Geschäfte – und wenn diese Reputationsgüter zerstört werden, dann entsteht nicht nur Sand im Getriebe des Wirtschaftsgeschehens, vielmehr bricht eine gesamte Kaskade zusammen. Vor allem institutionelle Arrangements, die bisher sehr erfolgreich waren, um in kritischen Wirtschaftslagen das System zu stabilisieren, können völlig kontraproduktiv wirken. So zeigen Laura Blattner, Luísa Farinha und Francisca Rebelo (2018) in einem Beitrag When Losses Turn Into Loans: The Cost of Undercapitalized Banks, den Teufelskreis aus einer regulatorisch erzwungener Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen, dem Kündigen von potentiell notleidenden Krediten und der Umwidmung freiwerdender Mittel zugunsten solcher Firmen, deren Schuldenstatus unklar ist, womit wiederum effizienzzerstörende Reallokationen von Produktionsmitteln zwischen Unternehmen ausgelöst werden.
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12.2.2 Triage und Schumpetersche Konkursgeschäfte Unter Normalbedingungen wird eine Zombifizierung durch die Konkursgeschäfte verhindert werden, die Joseph Schumpeter (1912, 1942) nach Durchlaufen des Innovationsprozesses am Ende der Depressionsphase einordnete: Durch die neuen Kombinationen der Innovatoren werden alte Technologien und Produkte unter Druck gesetzt, wodurch die betroffenen Unternehmen schließlich der Insolvenz anheimfallen und aus dem Markt ausscheiden müssen. Besonders in späten Zeiten des Innovationszyklus’, wenn die Produkte immer älter werden und nur noch wenige Innovationen vorhanden sind, droht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wirtschaftliche Stagnation oder sogar Rezession, die auch die Nachfrage verfallen lässt. Erst auf der Basis dieser Restnachfrage ergibt sich eine Stabilisierung durch Konkursgeschäfte, die auch den Anreiz bieten, neue Kombinationen in den Markt zu entlassen, also Innovationen als Angriff auf überkommene Strukturen auszulösen. Gerhard Mensch (1975) behauptet in seinem Buch Das technologische Patt, dass Inventionen zeitlich weitgehend gleichverteilt auftreten, Innovationen aber erst dann sinnvoll umgesetzt werden, wenn die alten Produkte keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mehr aufweisen, also Unternehmer sich in der Talsohle der Depression genötigt sehen, zu handeln oder unterzugehen. Daher weisen Innovationszyklen eine schubhafte Periodizität auf. Damit nähert er sich den Vorstellungen von langfristigen Technologiepfaden und langfristigen Konjunkturzyklen in der Tradition von Nikolai Kondratieff (1926) an. Das Modell lässt sich auch auf den Finanzsektor übertragen, wenn dieser Gelder mangels Anlagenmöglichkeiten hortet, bis sich diese in neue Märkte ergießen, wodurch dort möglicherweise eine finanzwirtschaftlich bewirkte Innovationsbarriere durchbrochen wird. Aber letzteres ist nicht sicher und kann dann, wenn die Ziele der Finanzinvestitionen tatsächlich unproduktiv waren, die Zombifizierung verstärken. Viele Schwellenlandkredite fallen in diese Kategorie. Das weiteres Problem besteht darin, dass Private, um die Kosten der Zombifizierung zu mindern, zu Mitteln greifen, die diese weiter beschleunigen, so wie es das Gefangenendilemma beschreibt. Wissend um die Brüchigkeit des Finanzsektors, versuchen sie, ihre Schulden zu reduzieren, weshalb die Kreditnachfrage sinkt und die Spareinlagen zunehmen, was zu einer sogenannten Bilanzrezession führt, also faktisch zu einer Bilanzverkürzung bei den Privaten, die ihre Verschuldung abbauen und weniger als bisher investieren. Der Staat würde, wenn eine konjunkturelle Rezession vorläge, im Sinne einer nachfrageseitigen Stabilisierung à la Keynes diese Lücke decken. Aber es fehlen ihm die Möglichkeiten: Er ist selbst überschuldet und macht sich damit auf den Märkten noch angreifbarer als er ohnehin schon ist. Die Zinspolitik greift nicht mehr, weil alles Geld bereits in der Liquiditätsfalle versackt ist; nicht umsonst gelingt es den Zentralbanken auch mit niedrigsten Zinsen kaum, den Interbankenmarkt und das Kreditgeschäft zu stabilisieren. Der Wirtschaftskrieg ist bereits auf dieser Ebene definitionsgemäß mit der Zombifizierung verbunden, weil fehlende Konkursgeschäfte ein Negativsummenspiel auslösen. Weiterhin ergeben sich noch Wirkungen über politökonomische Abläufe, die später angeschnitten werden.
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12.2.3 Die Erosion ordnungsökonomischen Vertrauens „Die Ersparnisse sind sicher“ – sagte Kanzlerin Angela Merkel im Oktober 2008 und bekräftigte dies im Sommer 2011. Wirklich? Geht es ihnen wie den Renten? „Die Renten sind sicher“ – diese Behauptung des seinerzeitigen Arbeits- und Sozialministers Norbert Blüm im April 1986 erzeugt heute nur mitleidige Kenntnisnahme. „Die Lebensversicherungen sind sicher“ – aber mit welcher Rendite und auszahlbar in welcher Währung? Ende des Jahres 2012 wollten Versicherungswirtschaft und Regierung den Versicherten die bisher gesetzlich garantierten Bewertungsreserven vorenthalten. Gerade in Deutschland, das nach der nationalen Katastrophe die Verlässlichkeit der ökonomischen Ordnung zur Staatsraison gemacht hatte, wirkt dieses Signal verheerend. Im Sommer 2014 wurde eine Regelung gefunden, die die Erträge der Lebensversicherungen stabilisieren soll, aber die Auszahlung von Dividenden der Unternehmen an die Bedienung verbindlicher Leistungen koppelt. Damit drohen diese Geschäftsmodelle unkalkulierbar zu werden. Nach dem Brechen der Euro-Verträge, also der no-bail-out-Klausel, dem verbotenen Kaufen von Staatsschuldpapieren in unbegrenzter Höhe und nun der Entwertung seiner Ersparnisse wird sich der Bürger daran gewöhnen müssen, für das Versagen einer Elite zur Kasse gebeten zu werden, deren alternativlose Politik er kaum beeinflussen kann. Dazu bedienen sich Regierungen ihrer Parlamente, um Rechtsnormen zu verbiegen. Das Hypo-Alpe-Adria-Gesetz der Republik Österreich vom Sommer 2014 zeigt, wie Haftung vom Staat auf Private abgewälzt wird, weil die Garantie eines Bundeslands ausgehebelt wird. Gerade Deutschland sollte die Zeichen an der Wand sehen: Eines Tages werden die Zinsen steigen; dann ist die Schuldenlast auch für Deutschland nicht mehr mit herkömmlichen Mitteln zu schultern. Unkonventionelle Mittel bieten sich der dann amtierenden Regierung geradezu an, denn der Geist ist aus der Flasche! Angesichts einer Staatsverschuldung in der westlichen Welt, die zu Friedenszeiten noch nie so hoch wie gegenwärtig war, spielt der Internationale Währungsfonds (IMF 2013b) Szenarien durch, wie durch entsprechende Sonderabschöpfungen die Schulden und Krisenkosten abgetragen werden können. Deutschland als traditionelles Sparerland eignet sich besonders gut hierfür (Eckert und Zschäpitz 2013), wenngleich die Deutsche Bundesbank das zunächst als Ansatz zur Sanierung der Peripheriestaaten ansieht, die erhebliche private Vermögen – oft infolge einer unzureichenden Besteuerung zulasten des Staats – aufgetürmt haben. Für Deutschland beträgt allein die direkte Last der Bankenrettung rund 50 Mrd. € – die indirekten Kosten sind nicht so leicht zu taxieren, sie liegen beim Sparer und Lebensversicherten, einen Nutzen davon hat die ver- und oft auch überschuldete Öffentliche Hand. Systemvertrauen zählt zum modernen Verständnis des Staatsvertrags und des wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmens, dessen Kooperationsdach eine zentrale Errungenschaft der Menschheit darstellt. Ohne akzeptierten Kooperationsrahmen werden die Fähigkeit zum Übernehmen individueller Risiken und das sozial akzeptierte Wettbewerbshandeln zerstört, die beide essentiell für den Fortschritt sind. Gerade Europa ist Zeuge der Vernichtung eines glaubwürdigen Währungs- und Wirtschaftssystems;
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das schadet fast allen. Es nutzt Teilen der Finanzindustrie, die auch am Anfang der derzeitigen Kalamitäten standen oder von ihnen profitierten, um in den Worten des Chefs von Goldman Sachs „Gottes Werk zu verrichten“. Er weiß seine Kollegen an wichtigen Schaltstellen der Politik oder der Zentralbanken. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Wenn Joseph Stiglitz fordert, die Europäische Zentralbank müsse amerikanischer werden (Lorz 2014), dann bedeutet das nichts anderes, als den bisherigen, das EZB Vertragswerk konstituierenden Ordnungsanspruch aufzugeben. Tatsächlich erzeugen die Käufe von Staatsanleihen nichts anderes als eine Druckreduktion im politischen und fiskalischen Raum mit der Folge, Problemlösungen weiter zu verschieben und die Ansteckungszeit und das -risiko für Gesunde zu verlängern. Die Medizin wird schädlicher als die Krankheit, die um Vermögensimplosionen und massive Fehlsteuerung von Kapital ergänzt wird. Das Projekt Europa war der Bevölkerung in einer globalen, aber unsicheren Welt als Risikopuffer versprochen worden, was der Nationalstaat vorgeblich nicht mehr leisten konnte. Tatsächlich müssen nun die Nationalstaaten Europa retten. Das Vertrauen in ein Europa als gesellschaftsstabilisierender Rahmen besteht nur unter gewaltigen Vorbehalten. Brüssel oder Berlin sehen weder die Pflicht noch die Schuldigkeit, der Bevölkerung die vorgebliche Alternativlosigkeit ihres Handelns zu erklären – auch unter den Bedingungen des BREXIT-Votums Großbritanniens. Aber ohne Diskurs werden auch keine neuen Wege gefunden – ist dies Absicht? Die Wirklichkeit zeigt, dass finanzielle Instabilität im Finanzsektor, nicht tragfähige Geschäftsmodelle ebendort und hohe Verschuldungspositionen der Staaten eine Gemengelage erzeugt haben, die einem Allmendeproblem ähneln. Während die konkreten Probleme immer die einer Bank oder eines Staats sind, führt die Vergesellschaftung mittels Währungspolitik und Rettungsschirmen dazu, dass Zugriff auf die Konten Dritter genommen werden kann und wird, die ihre Kapazität noch nicht ausgeschöpft haben – zum gegenwärtigen Zinssatz. Denn wenn die Zinsen künftig im Weltmaßstab steigen, dann bekommen auch bisher scheinbar stabile Staaten ein Staatsschuldenproblem. In dieser Situation kommt dem Spruch von Margaret Baroness Thatcher (1925–2013) neue Bedeutung zu: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass einem das Geld anderer Leute irgendwann ausgeht.“ (Welt am Sonntag 2013). Wieder geht es um das Durchsetzen des Dreiklangs von Zurechnung, Verantwortung und Haftung, der als eine der Ursachen einer Zombifizierung auszumachen ist. Herfried Münkler (2015b) nennt die aufkommende Ernüchterung „Wir erleben den Abschied von Europa als großer Milchkuh“, weil inzwischen allein mit Geld die Probleme nicht mehr weggeblendet werden können und fordert eine Debatte der Eliten aus Wirtschaft, Politik und Medien über Optionen, die Europas Überleben sichern könnten. Es zerfällt die zutiefst säkulare Idee, alles sei machbar – und bezahlbar. Das Zerstören von Vertrauen ins System hat Methode: Eine als dringend lösungsbedürftig erkannte Fragestellung wird zu einem Politikfeld entwickelt. Damit steigt der Handlungsbedarf – möglicherweise bis zu einer Notlage, die mit einem letzten, kraftvollen, oft zugleich visionären Schritt abgestellt werden soll. Oft werden dabei mit direktem Vorsatz im Wissen und Wollen aller Tatumstände Regeln und „Gewissheiten“
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gebrochen. Wenn dann der erhoffte Erfolg nicht eintritt, verfällt man in das Agamemnon-Prinzip, anstatt den Irrweg zuzugeben, Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und ein „Kehret um!“ zu praktizieren. Die verspielte Energiewende als deutsches Großprojekt bestätigt dieses Ablaufmuster beispielhaft, ihr Auslöser war eine hysterische politische Reaktion. Sie beerdigt gleich zwei Gewissheiten, nämlich die bezahlbarer Energie für Haushalte und Unternehmen als Bedingung für einen erfolgreichen Industriestandort und die wirtschaftspolitische Kompetenz im Bereich großtechnischer Herausforderungen. Nun wird immer wieder argumentiert, Notlagen wie die gegenwärtige Staatsschulden-, die Euro- oder die Energiewendekrise benötigten besondere Entscheidungen. Vertrauensoder Vertragsbruch, Zugriff auf Ersparnisse, Entwerten von Lebensversicherungen durch erzwungene Niedrigzinsen, kaltes Enteignen von Geldvermögen durch Inflation seien um der hohen Ziele willen zu akzeptierende Sünden. Auch Deflation enteignet, nämlich die Realvermögensbesitzer, was zeigt, wie wichtig die Werthaltigkeit des Geldes ist. Aber dürfen Ziele die Wahl der Mittel rechtfertigen – vor allem dann, wenn die Notlage im Anschluss nicht beseitigt wird, sondern gleich einer Hydra ständig neue Probleme gebiert? Der irgendwann kommende Anstieg der Zinsen wird die öffentlichen Haushalte vor extreme Spannungen stellen, denn die Nullzinsen sind nicht nur eine Droge für Private, sondern auch für den Staat, was die notwendige Konsolidierung annähernd aussichtslos werden lässt. Claus Döring (2016) verweist in seinem Beitrag Wenn die Pferde nicht saufen wollen darauf, dass trotz niedriger Geldzinsen der Risikozinssatz der Unternehmen kaum gesunken ist: Er betrug im Jahr 2007 8,1 % bei einem EZB-Basiszinssatz von 4,4 %, im Jahr 2016 hingegen 7,1 % bei einem historisch niedrigen Zinssatz von 1,8 %. Mit anderen Worten: Wenn niedrige Zinsen die Zukunft trüben, konterkarieren sie sich. Daniel Eckert (2014) schreibt zum Thema Der Euro bringt die Deutschen um den Schlaf, dass die Schuldenkrise bereits tiefe Spuren im kollektiven Bewusstsein hinterlässt, wenn über 60 % der Bevölkerung fürchten, dass diese den deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommen wird und knapp ebenso viele Angst vor Inflation haben. Das setzt auf alte Urängste aus der Nach-Versailles-Zeit auf. Was kann man also tun, da so viel Vertrauenskapital vernichtet, so viel Politikverdrossenheit erzeugt wurde? Oder banal: Wie kommt die einmal ausgedrückte Zahnpasta wieder zurück in die Tube? Jeder weiß, dass das fast unmöglich ist. Ein erster Schritt wäre sicher, Sachverhaltsaufklärung zur obersten Tugend im Vorfeld politischer Entscheidungen zu machen und das Moralisieren aus der Politik zu verbannen, um, wie der Präsident der Mount Pelerin Society, Kenneth Minogue (2013), beschreibt, einer demokratischen Sklavenmentalität vorzubeugen und das Zerstören der konstitutiven Alltagsmoral abzuwenden. Nach dem Werk Moral und Hypermoral: Eine pluralistische Ethik (1969, S. 75) des deutschen Philosophen Arnold Gehlen (1904–1976) muss der Versuch, in einer Kleingruppe gereifte humanistische Moralvorstellungen auf anonyme Bereiche zu übertragen, den er als „Humanitarismus“ als eine „zur ethischen Pflicht gemachten unterschiedslosen Menschenliebe“ bezeichnet, diesen also über das Ethos der Institutionen zu
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stellen, die Zivilgesellschaft untergraben. Denn die Funktion von Institutionen als Träger von gesellschaftlichem Vertrauen jenseits des Personalen würde damit überlastet, und Aggression als Macht des (Gesinnungs-) Stärkeren durchgesetzt. Damit entfielen die nüchterne Sachverhaltsaufklärung und die Problemansprache; politische Beurteilungen und Folgerungen wären nicht begründbar.4 Für ihn gab es vier Quellen der Moral: die Reziprozität im Wirtschaftsleben, das instinktive Schützen von Kleinen, das Ethos der Institutionen, heute würde man das als good governance bezeichnen, und schließlich der Humanismus von Familie und Sippe. Wird letzterer universalisiert, wird er zum Terror für alle drei anderen moralstiftenden Bereiche – genau das leistet Hypermoral. Im Extremfall entwickeln sich Psychosen, also Wahnideen von der Wahrheit im Sinne einer Abwehr gegen die Bedrohung der Identität. Alexander Grau unterstützt diese Sichtweise in seinem Buch Hypermoral – die Lust an der Empörung (2017, S. 42–43, 65): „Es gibt keine ideologiefreie Moralbegründing. Also muss man die Ideologie hinter der Moral verschleiern.“ Und weiter: „Um den Anschein zu erwecken, unideologisch zu sein, muss die Moral selbst zur Ideologie werden. So wird aus der Moral der Moralismus.“ Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer (2017) spricht von Helikoptermoral: Eine Gesellschaft mache sich auf, einfache, moralisierende Antworten zu finden. Schließlich kommt dem Moralismus eine Erlösungsfunktion zu. Genau deshalb fordert Ingo Pies (2010) eine Ethik der Moderne. Man sollte im Kontext der Beurteilung fragen, welchen Wert die Ziele haben. Vielleicht waren einige, wie der „Euro für alle“, zu ambitiös. Man wird neue Institutionen aufbauen müssen, von unten, auf Europa bezogen, mit mehr Legitimierung des Parlaments und einer starken Reduktion von Brüsseler Allmachtansprüchen. Und schließlich führt bei den Folgerungen kein Weg daran vorbei: Es muss über viele Institutionen, auch über eine „Neue EZB“ und über ein neues Finanzsystem, neu nachgedacht werden. Demokratie darf nicht das störende Beiwerk der Krisenpolitik sein, die Zuständigkeit der Legislative ist mit der Krise nicht beendet und schließlich: auch wenn es eine Reihe von Rechtsbrüchen gegeben hat – ist das kein Grund zum Weitermachen. Abb. 12.2 zeigt, wie prekär das Vertrauenskapital der Wirtschaft nach Analysen des IW-Köln (2015) ist. Anfang des vergangenen Jahrhunderts griff John Maynard Keynes (1919, S. 236) diese Bedeutung der Geldordnung für die Stabilität der Gesellschaft auf und rekurrierte auf die Aussagen Lenins, der geeignetste Ansatz, den Kapitalismus zu zerstören, liefe über die Geldordnung: „Lenin was certainly right. There is no subtler, no surer means of overturning the existing basis of society than to debauch the currency. The process engages all the hidden forces of economic law on the side of destruction, and does it in a manner which not one man in a million is able to diagnose.“ Später ergänzte Ludwig von Mises (1932, S. 461–462): „Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik
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Volksmund sagt man: „Gut gemeint ist nicht gut gemacht!“ In den Worten von Julius Caesar: „Quod omnia mala exempla bonis initiis orta sunt!“ – deutsch: „Alle schlimmen Beispiele sind aus guten Anfängen entsprungen!“.
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Abb. 12.2 Vertrauensindex in den Ländern Europas, 2014. (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung (2015a), Institut der deutschen Wirtschaft (2015, S. 30))
Abb. 12.3 Wachstum der Schattenbanken und der Wirtschaft, 2017. (Quelle: eigene Darstellung aus Ettel und Zchäpitz (2018b) und Financial Stability Board)
kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muß. Denn der Schaden, der durch Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist umso größer, je länger es gelungen ist, die Scheinblüte durch Schaffung zusätzlicher Kredite vorzutäuschen.“ Die Crashgefahr wächst seit dem Frühjahr 2016 wieder, weil es zu vielen Banken an Krisenresistenz fehlt, die niedrigen Zinsen zu viel Geld in risikoreiche Anlagen gelockt haben. Die Schattenbanken blühen und ihr Wachstum überschreitet das der
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Realwirtschaft in Ländern wie China oder Großbritannien um ein Mehrfaches (Ettel und Zschäpitz 2018b), aber auch das Kreditwachstum liegt über dem der Realwirtschaft (Börsen-Zeitung 2016g), wobei hier Schwerpunkte in den Schwellenländern liegen, die Mitte 2018 durch den Anstieg des US-Zinsniveaus unter Druck geraten. Die großen Instabilitäten waren zurück, wie die Abb. 12.3 belegt, wobei in Europa insbesondere Großbritannien an seine alten, gefährlichen Geschäftsmodelle anknüpft.
12.3 Die Zukunft zombifizierter Gesellschaften und der Krieg gegen die Demokratie Die Globalisierung leistet, was Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest (1848) vorhergesagt haben: Das Unterwerfen der Gesellschaft unter ein Wettbewerbsprimat. Zwar wurden die Produktivkräfte in ungeahntem Maße stimuliert, und es konnte ein immenser Wohlstand geschaffen werden, allerdings scheint dieser, so der gegenwärtige Eindruck, nicht mehr allen zugute zu kommen, was zu einem (zumindest mentalen) Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Gruppen führt. Dabei scheint die absolute Position, die sich in fast allen Ländern verbessert hat, kein (politischer) Maßstab für Fairness in der Einkommens- und Vermögensverteilung zu sein – man misst sich am Nachbarn, weshalb die Spreizung von Einkommen und Vermögen als Bedrohung wahrgenommen wird. In einigen Fällen entwickelt sich Hoffnungslosigkeit, in der eigenen Lebenszeit keine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen für sich und die Familie mehr zu erfahren. Wenn Reputation die wichtigste Währung einer liberalen Ökonomie ist und der Wert des Gelds im Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft liegt, dann sind zwei Entwicklungen als ausgesprochen kritisch für die Zukunft der Marktwirtschaften anzusehen: Die Erosion des Vertrauens in das Geld und das Zerstören des europäischen gesellschaftlichen Konsenses.
12.3.1 Zerstören des Vertrauens in das Geld Mit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 wurde zunächst von der Finanzindustrie ein Krieg gegen die Demokratie entfacht, weil voluntaristisch handelnde Staaten nicht wagten, ihr ökonomisches Ordnungsprimat durchzusetzen; vielmehr beschädigten sie die Wirtschaftsordnung durch illegitimes, teilweise illegales Verhalten. In diesem Wirtschaftskrieg werden demokratische Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht oder der Maastricht-Vertrag beschädigt, demokratische Entscheidungssysteme wie die Parlamente werden entwertet, und verantwortungsloses Handeln wird über Zahlungen des Steuerbürgers alimentiert. Die Ohnmacht demokratischer Institutionen, mit der Krise umzugehen, folgt der programmatischen Alternativlosigkeit der politisch Handelnden. Märkte werden zu unbeeinflussbaren Entscheidern: Erst haben sie alles finanziert, nun
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sind sie die Ursache für die fast unabänderliche Schuldenknechtschaft einzelner Länder. Durch ihre hohe Staatsverschuldung haben sich die Demokratien abhängig gemacht. Hier setzt die Kritik von David Graeber (2011) an, der postuliert, dass der Mensch ohne Schulden frei wäre. Wolle man ihn versklaven, dann seien Schulden das probate Mittel. Schulden seien ein System jenseits der normalen sozialen Reziprozität und würden hinsichtlich Motivation und Folgen in der normalen Ökonomik unterbelichtet, weil diese sich weitgehend über Tausch definiere. Wegen der von den Schulden ausgehenden moralischen Repression und weil Schulden kein Instrument des vorgeholten Konsums oder der vorgeholten Investition seien, sondern vielmehr des Unterwerfens bzw. Versklavens, gäbe es keine moralische Legitimierung, eine Rückzahlung zu fordern. Und tatsächlich gelingt das in der Krise immer weniger – es herrscht Krieg der Demokratie gegen rechtlich verbriefte Finanzansprüche. Man benötigt diese anarchistische Konzeption der Rückzahlungsverweigerung nicht, um zu sehen, in welchem Umfang heute Kreditgeber von Schuldnern abhängig sind, zumal die formalen Rechtsansprüche oft von demokratischen Prozessen überspannt werden. Jörg Dierken (2017, S. 32–33) verdeutlicht dies in seiner Schrift Gott und Geld – Ähnlichkeit im Widerstreit diesen Sachverhalt aus theologischer Sicht: Jedes Leben sei anderen – den Eltern – geschuldet, und es bestehe damit im Sinne von David Graeber (2011, S. 66) eine „Urschuld“; es ergäbe sich daraus eine Verbindung von „schuldenökonomischer Anthropologie und sakralen Symbolisierungen“. Es werden „Banken mit Tempeln des Geldes verglichen.“ Jörg Dierken folgert: „Graebers Theorie beschreibt konsequent asymmetrische Sozialverhältnisse, einschließlich ihres Inbegriffs in Verhältnissen zu entsprechenden Gottheiten. Das verspricht größere Nähe zur Empirie und steht quer zu den hochgradig normativen Grundbegriffen aufklärerisch-liberaler Konzepte von Tausch und Markt.“ Damit wird ein relevanter Bezug zu den pseudo-sakralen Missionen hergestellt, in denen sich viele Wirtschaftskrieger sehen. Die Weltverschuldung ist von 87 Billionen US$ Ende des Jahres 2000 über 142 Billionen US$ Ende 2007 bis 2014 auf 199 Billionen US$ gestiegen (Financial Times 2014), die sich zu annähernd gleichen Teilen auf private Haushalte, Unternehmen, Staaten und Finanzinstitutionen verteilen. Paul Krugman (2015) sieht das in seinem Beitrag Nobody Understands Debt gelassen, weil die Weltwirtschaft, also die Menschen, sich das Geld nur selbst schulden und das damit verbundene Stabilitätsrisiko – das Reißen der Schuldenkette – immer dem Risiko gegenüberzustellen ist, durch eine Austeritätspolitik die Grundlagen des Wachstums nachhaltig zu beschädigen. Denn ein Verzicht auf Wachstum und schlimmstenfalls ein Schrumpfen der Ökonomie würden die Schuldenlast ebenfalls relativ erhöhen. Die Folgen eines solchen Handelns für die Inhaber von Finanztiteln interessieren auch nicht den intellektuellen Begleiter der Occupy-Bewegung, denn er sieht, wie bei einem Partisanenkampf gegen die Fremdherrschaft, eine den Wirtschaftsinteressen geopferte Welt, die sich das Recht zum ökonomischen Aufstand nimmt, wie William Polk (2007) für den Partisanenkrieg beschreibt und damit Carl Schmitt (1963) folgt. Und analog zu den Auseinandersetzungen klassischer Guerilla-Bewegungen mit Staaten spricht auch
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Occupy dem Finanzsektor und dem ihn unterstützenden Staat die Legitimität ab – was auch umgekehrt gilt. Die großen Sympathien in der Bevölkerung für die Proteste von Occupy erinnern an einen von Mao Zedong (1965) gern angeführten Erfolgsfaktor für einen Aufstand: Wie die Fische im Wasser müsse sich die Guerilla in der Bevölkerung bewegen, und natürlich muss das Wasser in Richtung Umsturz fließen. Scheinbar wurde das, was in der Sozialen Marktwirtschaft als die Interdependenz der Ordnungen bezeichnet wird und eine moralische Qualität aufweist, zerstört. Es lohnt sich, ordnungspolitisch zurückzublicken: Die Finanzindustrie hat sich über ihre Systemik in eine seitens demokratischer Institutionen annähernd unangreifbare Kartellwelt begeben. Systemisch bedeutet hier folgende Situation: Ökonomisch hängt alles mit allem zusammen, sodass politische Eingriffe in bestehende Strukturen unabsehbare Folgen haben. Der Personenkreis als Systemträger droht glaubhaft, neue Regeln zu verhindern, beispielsweise durch Androhung von Kreditklemmen, Finanzierungsproblemen, Abwanderungen von Schlüsselindustrien und schließlich von Arbeitsplätzen. Michael Koetter (2012) spricht im Kontext der Systemik von finanzieller Umweltverschmutzung, weil die Finanzindustrie eine Technologie mit hohen externen Kosten benutze, welche sie auf die Allgemeinheit abwälze. Damit wird das erfüllt, was Colin Crouch (2004, S. 10–22) als Postdemokratie bezeichnet, also eine politische Ordnung, in der der institutionelle Rahmen der Demokratie weiterexistiert, seine Wertestruktur aber ausgehöhlt ist, weshalb die politische Kommunikation niedergeht und in der Öffentlichkeit nur noch das verhandelt bzw. über das abgestimmt wird, was einer engbegrenzten (Wirtschafts-) Elite genehm ist. Konkurrierende und professionalisierte Public-Relations-Teams bestimmen die politische Agenda. Es finden zwar im Rahmen von Wahlen Regierungswechsel statt, allerdings ist die politische Stimme wertlos geworden und hat keine Signalfunktion mehr. Der erste Term im Begriff Postdemokratie bezieht sich dabei nicht allein auf ein „Nach“, sondern vor allem auf ein „über die Demokratie hinaus“ (Crouch 2004, S. 10–31). Die Postdemokratie passt durchaus politisch zur ökonomischen Zombifizierung, weil auch hier das wesentliche Informationssystem, die Signalfunktion der Preise, eliminiert ist. Diese Elite verantwortet auf der Ebene der Zentralbank besagte Umweltverschmutzung, weil das Target-System der Europäischen Zentralbank, gedacht als Verfahren der Zahlungstransfers unter den Ländern, inzwischen zum Risikoübertragungskanal geworden ist, der die Retter der notleidenden Staaten und daher des Euro erpressbar machte.
12.3.2 Zombifizierung trifft Postdemokratie: die Zentrifugalkräfte Europas Postdemokratie und Zombifizierung üben eine wechselseitig verstärkende Wirkung aufeinander aus. Denn Postdemokratie bedeutet ein Handeln aus technokratischen
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berlegungen heraus, die nicht mehr einer demokratischen Abstimmung unterliegen, Ü sondern als alternativlos, weil sachlich vorgegeben, bezeichnet werden. Insofern ist dafür keine Legitimation erforderlich. Damit zerstört sie den liberalen Staat, der politische und ökonomische Aspekte vereint und deshalb auf einer gemeinsamen Wertebasis aufsetzt. In der Sozialen Marktwirtschaft findet sich das in der Werterückbindung des Ökonomischen und zugleich der Verschränkung des politischen mit dem ökonomischen System. Dieses Zerbrechen eines Konsenses bedeutet auch, dass ebenso politische wie auch wirtschaftliche Fliehkräfte auftreten. Die Rettungsroutinen werden zur größten Legitimierung politischer Existenz. Auf der ökonomischen Ebene werden eherne Regeln der stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik, insbesondere auch der Einheit von Führung und Verantwortung, gegebenenfalls auch Haftung, zerstört. Damit ebnet sich das ökonomische Risikoprofil ein – der Staat rettet, um die Krise nicht zu verschärfen und erhält lebensunfähige Strukturen. Zombifizierung ist die Folge davon und impliziert schließlich das Überleben einer nicht mehr innovativen Wirtschaft, die weitgehend durch Nachfrageimpulse hochverschuldeter Staaten mit hohen Schuldenquoten am Laufen gehalten wird, die diese systemische Erkrankung zwar überdecken, aber nicht heilen können. Wenn Peter Gauweiler (2012) von der „Enteignung des demokratischen Souveräns“ spricht, dann betrachtet er die andere Seite dieser zentrifugalen Entwicklung, deren größter Treiber der europäische Zentralismus ist, der sich – ganz im Sinne der politischen Ökonomik und der Theorie der Bürokratie – Machterhaltung und Beherrschung aller Entscheidungsprozesse in Europa zur Devise gemacht hat, ohne dass es dafür eine hinreichende demokratische Legitimierung gibt. Denn die ökonomischen und die politischen Zentrifugalkräfte bündeln sich in einer Stamokap-Welt, die die schlechten Eigenschaften des autoritär-totalitären linken und rechten Projekts verschmelzen lässt, oder in den Worten Peter Gauweilers: „… einen auf Enteignung [des demokratischen Souveräns] zielenden Kollektivismus, der – seit Goldman Sachs neben Marx und Lenin getreten sind – aus zwei Richtungen die europäische Menschheit bedroht.“ Tatsächlich werden heute wesentliche wirtschaftspolitische Entscheidungen in den notleidenden Peripherieländern nicht mehr von den dortigen Parlamenten getroffen, sondern von der Troika aus Vertretern der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union.5 Die Wohltäter werden damit zum Gegenstand massiver Frustration, die diese Politik unterstützenden Länder zum Sündenbock. Da die Gelder vor allem Banken in anderen Ländern retten, die notleidenden Staaten aber selten sanieren, ist das Verfahren nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch fragwürdig, weil es kaum Perspektiven bietet. selten –In der Tat haben sich alle Sanierungsprognosen bisher als zu optimistisch herausgestellt. Möglicherweise ist Portugal als kleines Land ein Beispiel für den Erfolg. Allerdings führt
5Franziska
Thun-Hohenstein (2018) verweist darauf, dass der aus der russischen Sprache und historischen Tradition stammende Begriff klar mit Bestrafungsfunktionen besetzt ist.
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der Anreiz, auch bei Fehlverhalten gerettet zu werden, zu einem die Währung dauerhaft destabilisierenden Verhalten, wie Italien ab dem Jahr 2018 zeigt. Man kann sich fragen, ob Banken möglicherweise an der Zombifizierung Interesse haben, wenn sie unter der Bedingung der Rettungsgewissheit leben, wie dies zumindest für die frühen Zeiten des amerikanischen Finanzkapitalismus in 19 Jahrhundert plausibel erscheint (Engdahl 2009, S. 34–35). Deutschland befindet sich in dieser Situation auf verlorenem Posten, weil es mit seiner politischen und ökonomischen Potenz und seiner geographischen Lage genau wieder vor den Problemen steht, denen es historisch immer wieder ausgesetzt war – und es schlägt ihm eine vehemente Ablehnung seines Ordnungsmodells, insbesondere aus den Krisenländern, mit Härte entgegen. Damit drohen sich längst überkommen geglaubte Entwicklungen, wie Brendan Simms (2013) in dem Essay Cracked Heart of the Old World ausführt, zu wiederholen: Das Land war historisch immer entweder zu schwach oder zu stark – entweder ein Pufferstaat, der die anderen europäischen Mächte trennte, oder ein Hegemonialstaat, dessen Ansprüche dann aber an die Grenzen des international Akzeptierten stießen. Das europäische Friedensprojekt der wirtschaftlichen und später der politischen Integration setzte genau hier an, allerdings sprengen die strukturellen Divergenzen einer verfrüht bzw. mit zu wenig Durchsetzungsmacht der Konvergenzregeln eingeführten Währungsunion inzwischen diesen Rahmen; weder mit weniger Deutschland noch mit mehr Deutschland erscheint das Problem lösbar. Seine jetzige Position als Empire State, also als Land, das ohne formelle Befehlsgewalt hegemonial in Europa auftritt, wird auf die Dauer politisch kontraproduktiv wirken, zumal der Aufstieg aus der Situation als kranker Mann Europas vielen Krisenstaaten einen schwierig zu handhabenden Spiegel vorhält (Gersemann 2013). Die Problematisierung der deutschen Exportüberschüsse seitens der EU und das Einleiten eines formellen Untersuchungsverfahrens im Herbst des Jahres 2013 durch die Europäische Kommission, ob diese Europa schaden oder nicht, machen den Zwiespalt ebenso deutlich wie die Unfähigkeit der Bundesregierung, die deutsche Position zu erklären und die Notwendigkeit zu sehen, vor dem Hintergrund schwächer werdender europäischer Partner, vor allem England und Frankreich, eine gestaltende Rolle zu übernehmen. In eine ähnliche Richtung geht die Argumentation des französischen Historikers und Anthropologen Emmanuel Todd in einem Interview mit Die Zeit (2014), wenn er auf die aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftsgesinnungen und des Euros betriebene Beschleunigung der wirtschaftlichen Polarisierung in Europa zugunsten Deutschlands, das zum Hegemon aufsteigt, verweist und vor der Zerstörung des europäischen Projekts, insbesondere des deutsch-französischen Friedenssystems warnt. An vielen Stellen erscheinen diese Überlegungen wenig konsistent, teilweise sogar wirr. Man macht es sich aber zu leicht, diese Sorgen aus der philosophischen Elite Frankreichs als irrelevant abzutun. Tatsächlich zeigt diese Argumentation, dass in der politischen Betrachtung die Rivalität auf der Grundlage militärischer Macht weitgehend durch eine Rivalität, die durch ökonomische Fähigkeiten abgesichert wird, ersetzt wurde. Das dominante Deutschland – sein neuer Sonderweg? – wird mit seinen
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Vorstellungen von Ordnungsökonomik, seinem regelgebundenen Handeln, aber auch in seiner scheinbar irrationalen Radikalität in Politikfeldern wie der Energiewende im Ausland kaum verstanden.
12.3.3 Zombifizierung als Zerstörer von Nachhaltigkeit Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff (2009, Kap. 14) haben einen Krisenindex aufgebaut, der aus zwei Komponenten besteht: der pro-Kopf-Einkommensreduktion vom Höhepunkt (vor der Krise) zum Tiefpunkt (in der Krise) und den Jahren, die erforderlich sind, das alte Einkommensniveau zurückzugewinnen. Die Werte schwanken um einen Mittelwert von 20 Punkten (Economist 2013c), und das Maximum hat die Weltwirtschaftskrise in den USA, 1929 (38 Punkte), dicht gefolgt von der griechischen Finanzkrise der 2010er Jahre (36 Punkte); Bestwerte weisen die USA und Deutschland (11 und 8 Punkte) aus. Sie zeigen dabei, dass die Erholung nach Finanzkrisen erheblich langwieriger ist als nach klassischen realwirtschaftlichen Konjunktureinbrüchen. Neben den direkten Verschuldungen plagen Europa auch die indirekten Verschuldungen der Sozialsysteme und auch die Unterinvestitionen – diese sind in vielen scheinbar wettbewerbsfähigen und erfolgreichen Ländern ein Nebeneffekt der Leistungsbilanzüberschüsse. Die Abb. 12.4 zeigt diese wertmäßig aufsteigenden Nachhaltigkeitslücken als Summe aus expliziter und impliziter Staatsschuld. Bei einigen Ländern finden sich negative indirekte Verschuldungen; dann sind positive und negative Werte zu saldieren. Kroatien als bestpositioniertes Land hat beispielsweise einen Wert von −136 %.
Abb. 12.4 Nachhaltigkeitslücke in Europa, 2018. (Quelle: eigene Darstellung aus Stiftung Marktwirtschaft (2018))
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Deutschland steht in Relation zum Bruttoinlandsprodukt mit 170 % im Mittelfeld vergleichsweise gut da – Länder wie Spanien weisen Werte von knapp dem Vierfachen aus. Im Vergleich zum Jahr 2012 sind die Lücken aber leicht gesunken – der Wert für EU27 sank von 261 % auf 142 %; ursächlich waren hierfür vor allem die impliziten Staatsschulden. Zu ergänzen sind Risiken aus Eventualverbindlichkeiten, beispielsweise aus private–public-partnership-Verträgen, Haushaltsgarantien oder Bürgschaften, aber auch Risiken der Euro-Rettung, die besonders in den reichen Ländern, den Garanten der Stabilität des Euroraums, sehr hoch sind. Unberücksichtigt bleibt der staatliche Investitionsrückstau, der faktisch ebenfalls ein Kredit zu Lasten künftiger Generationen ist. Die Entschuldung Griechenlands hat aus einem Land an der Spitze der Nachhaltigkeitslücke im Jahr 2012 (475 %) einen Spitzenreiter gemacht (−105 %), teilweise zulasten der Gläubigerländer, teilweise durch Zusammenstreichen der Sozialleistungen. Aus ökonomischer Sicht ist den Schulden – explizit, implizit oder aufgrund sonstiger, hier erwähnter Eventualitäten – das staatliche Vermögen gegenzurechnen. Hier zeigt sich, dass öffentliche Einrichtungen einen relativ ineffizienten Umgang pflegen, weshalb beispielsweise Deutschland nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds sogar auf einen negativen Gesamtsaldo kommt. Damit vergrößert sich das Problem der Nachhaltigkeitslücke (Wacket 2018). Schließlich existierte eine weitgehend unsichtbare Belastung durch Zombie-Firmen, die eigentlich vom Markt verschwinden müssten, durch die Staaten aber immer wieder gerettet werden, was eine ständige Bedrohung der Haushalte darstellt: Das sind nicht nur Finanzinstitute, es sind auch Fluggesellschaften, Bauunternehmen oder marode Industrien. Zugleich ist der kontraktive Effekt des gleichzeitigen Reduzierens öffentlicher und privater Schulden so stark, dass er meist erfolglos bleibt und einen Overkill in der finanziellen Repression erzeugt. Tatsächlich sind die Umverteilungseffekte erheblich. Allein die deutschen Bürger sind von 2010 bis 2017 mit 200 Mrd. € belastet – das berücksichtigt die Ersparnisse bei Krediten (Meyer 2017). Nach Berechnungen von Richard Dobbs, Susan Lund, Tim Koller und Ari Schwayder (2013) haben die Staaten durch die der Krise folgende Niedrigzinsphase rund 1380 Mrd. US$ gespart, die Unternehmen rund 710 Mrd. US$; bezahlt haben das die Banken mit 110 Mrd. US$, die Versicherungen mit 460 Mrd. US$ und die Haushalte mit 630 Mrd. US$. Dabei ist die Aufteilung höchst unterschiedlich, wie die Abb. 12.5 zeigt. In jedem Fall wird deutlich, dass ein Anreiz vorhanden ist, diese zombifizierende Niedrigzinspolitik zugunsten der Staatsentschuldung fortzusetzen, denn die Begünstigung ist klar; bei den Unternehmen ist das weniger deutlich, weil hier Investitionen getätigt werden, die ansonsten unterblieben, die tatsächlich in Bezug auf den Realzins, also die Produktivität der Wirtschaft, nicht nachhaltig sind, weil sie sich unter diesem Wert verzinsen. Die Position der Banken ist uneinheitlich; offensichtlich gelingt es ihnen, nicht ertragreiche Geschäftsmodelle in Europa zu entwickeln. Wirkliche Leidtragende sind Versicherungen und Haushalte – und diese sind doppelt betroffen, weil der am meisten berührte Teil der Assekuranz, die Lebensversicherung, am stärksten unter Druck steht. Tatsächlich warnen inzwischen viele Fachleute vor deren Zusammenbruch,
12.3 Die Zukunft zombifizierter Gesellschaften und der Krieg gegen … 1.000
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900
800
Milliarden US$
600 360
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Unternehmen USA
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Vereinigtes Königreich
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Staaten
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Versicherungen
-360
Haushalte
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Abb. 12.5 Umverteilungseffekte der Niedrigzinsen, 2007 bis 2012. (Quelle: eigene Darstellung aus Dobbs, Lund, Koller, Schwayder (2013) [Darstellung aus „QE and ultra-low interest rates: Distributional effects and risks“, November 2013, McKinsey Global Institute, Copyright (c) 2019 McKinsey & Company. All rights reserved. Reprinted by permission])
aber auch vor der Entwertung der Betriebsrenten und vor notleidenden Bausparkassen. Die Europäische Zentralbank (2017) sieht für die Eurozone insgesamt einen kaum messbaren nachteiligen Umverteilungseffekt, vernachlässigt aber die institutionellen und langfristig wirksamen Anpassungsprobleme, insbesondere für das Sparverhalten oder die langfristigen Altersabsicherungen. Bei den Betriebsrenten entfalten die niedrigen Zinsen eine doppelte Wirkung: Einmal verzinst sich das Kapital schlecht, wenn es bei einer Lebensversicherung angelegt ist. Dann müssen die Unternehmen immer höhere Mittel abführen, um ihre gegebenen Zusagen erfüllen zu können – was ihnen das Geld für Investitionen entzieht. Alternativ kann der Arbeitgeber dazu auch Rückstellungen bilden, ggf. auch im vollen Umfang der Verpflichtungen, wenn die Mittel nicht an Lebensversicherungen oder Pensionskassen abgeführt werden. Steuerrechtlich sind diese mit 6 % zu kalkulieren, handelsrechtlich mit dem Durchschnittszinssatz der vergangenen sieben Jahre. Das bedeutet dann, wenn der erste Zinssatz über dem zweiten liegt, dass erhebliche Mittel nicht steuermindernd anerkannt werden, was das Unternehmen zusätzlich belastet. Die Niedrigzinsphase wird langfristig eine Implosion der Vermögenswerte auslösen. Sobald die Verzinsung wieder auf einen normalen Wert ansteigt, werden die öffentlichen Anleihen, die mit Minirenditen ausgegeben worden sind, im Wert zusammenschmelzen. Viele von ihnen hält die Europäische Zentralbank, weil sie bei der Ausweitung des
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12 Die Zombifizierung oder das Zerstören von Ordnung
Bilanzvolumens Zinsen und Eurokurs senken wollte. Das im Jahr 2014 angesichts negativer Zinsen beginnende Horten von Bargeld wird zunehmend attraktiv, weshalb schon Stimmen laut werden, es gänzlich abzuschaffen und den Unternehmen erhöhte Barreserven zu verbieten. Während die Europäische Zentralbank ab Juni 2019 den 500 €-Schein aus dem Verkehr nahm, führt die Schweiz den 1000 Franken-Schein wieder ein. Die verstärkten Anleihenaufkaufprogramme seitens der EZB führen zunehmend neben der grundlegenden Allokationsproblematik, weil die Knappheit von Kapital ausgehebelt wird, auch zu sektoralen Verwerfungen, weil die Fremdkapitalisierung der Branchen erheblich variiert und dazu auch die zu unterlegende Bonität, schreibt Kai Johannsen (2016) unter dem Titel „Die Aussicht ist beängstigend“. Immerhin ist es gelungen, die Zinserwartungen, die bei Restlaufzeiten von 30 Jahren im Sommer 2014 zwischen 3 % und 3,5 % lagen, auf 0,5 % im Sommer 2016 zu drücken (Börsen-Zeitung 2016b). Insbesondere das OMT-Projekt als glaubhafte Drohung der EZB, den Euroverbund mit allen Mitteln zu stabilisieren, erregte in Deutschland Kritik und wurde aufgrund einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht von diesem dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der Kronberger Kreis hält das ergangene EuGH-Urteil, das die Rechtmäßigkeit eines OMT-Programms bestätigte, deshalb für bedenklich, weil der Erhalt der Euro-Zone mit allen Mitteln nicht zum Kern der Geldpolitik zählt (Feld, Fuest, Haucap, Schweitzer, Wieland, Wigger 2016). In der daran anschließenden OMT-Entscheidung haben die Karlsruher Verfassungsrichter (Bundesverfassungsgericht 2016) das geldpolitische Verwalten eines permanenten Notstands im Juli 2016 für regelkonform erklärt; allerdings impliziert das Urteil, dass alle Anleihenprogramme an Grenzen stoßen, wenn sie vorher angekündigt worden sind, einzelne Titel oder Länder bevorzugen und einen direkten Konnex zu Staatsfinanzierung haben, beispielsweise weil nationale Schuldpapiere dauerhaft gehalten werden. Als letzte substantielle Hürde errichtete es das Demokratiegebot, das fordert, Wirtschaftspolitik müsse demokratisch bestimmt werden. Aber glaubt das Gericht selbst an diese demokratische Bestimmung? Das Anfang 2016 angelaufene Aufkaufprogramm von Unternehmensanleihen greift tief in die Finanzierungsstruktur von Unternehmen ein und wirkt sektoral differenzierend – man fühlt sich an die selektive Kapitallenkung der Volksrepublik China erinnert. Die Ankündigung von Helikoptergeld, also einfach auf die Bevölkerung abgeworfenes Geld zum Durchsetzen des Inflationsziels, beispielsweise in Form von Schecks an die Bevölkerung, zeigt, dass die Europäische Zentralbank inzwischen am Ende ihrer Steuerfähigkeit der Wirtschaft angekommen ist. Erinnert sei an das Zitat von Milton Friedman (1982): „Schlechte Geldpolitik kann eine gesunde Wirtschaft zerstören, aber gute Geldpolitik allein kann eine kranke Wirtschaft nicht heilen.“ Nicht zu unterschätzen ist, dass auch die Demokratie und das politische Parteiensystem dieser Zombifizierung nicht ausweichen können. Einige Parteien Deutschlands sind seit einigen Jahren massiv von inhaltlicher Auszehrung betroffen, wurden teilweise abgewählt, teilweise aber noch als Mitglieder in Regierungen in den laufenden Wahlperioden am Leben gehalten, sodass auch hier die Neigung zu neuen Ideen bei der Problemlösung, also zur politischen Innovation, stirbt.
12.4 Das Draghiat als Prototyp der Zombifizierung
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12.4 Das Draghiat als Prototyp der Zombifizierung Ein Beschleuniger der Finanzkrise ist neben dem bereits weiter oben beleuchteten Regulierungsversagen die Tatsache, dass das Transaktionsvolumen des Finanzsektors weit stärker als die Realwirtschaft – also Wirtschaftsleistung und Handel – wächst, wie die Abb. 12.6 zeigt, wodurch ein Ansatz für neue Geschäftsmodelle entstand. Die Waffen des Systems, sogenannte toxische Finanzinnovationen, waren ABS (asset backed securities, also Papiere, die durch eine große Breite von Sicherheiten – von Kreditkartenschulden bis zu Pkw-Krediten), MBS (mortgage backed securities, also Papiere auf Grundschulden und Hypotheken, die als Subprimes Brandbeschleuniger der Krise wurden, CDO (collateralized loan obligations), also Papiere, die in Tranchen in ABS und MBS investiert wurden und Teil der Verpackungsindustrie waren, welche die Transparenz in den Risikopapiermärkten verhinderte) und CLO (collateralized loan obligations, die sich oft aus fragmentierten Krediten an schlechte Schuldner zusammensetzten). Die im fünften Kapitel zitierte, hier leicht umformulierte Aussage von Carl Schmitt „Souverän ist der, der über den Notstand bestimmt“, zeigt, dass seit der Finanzkrise die wahre europäische Regierung die Europäische Zentralbank (EZB) ist und der demokratisch nicht kontrollierte, weitgehend unbestrittene Herrscher deren Präsident Mario Draghi. Aus der EZB als Retter der Währungsunion angesichts des Unwillens der in Europa politisch Verantwortlichen – und möglicherweise auch der Unfähigkeit durch fehlende fachliche Kompetenz – die erforderlichen Reformen zu ergreifen, um die Finanzkrise ab 2008 einzudämmen, entwickelte sich ein unbestreitbarer Machtfaktor, dem inzwischen auch die Demokratie ausgeliefert ist. Mario Draghi ist der uneingeschränkte Herrscher in einem Club – wie es Markus Zydra (2016) ausdrückte – „gut bezahlter Jasager“ und kommandiert eine „Voodoo-Ökonomie“, wie Dorothea Siems
Abb. 12.6 Globale Dynamik: Wirtschaftsleistung, Handel und Finanztransaktionen, 1995 bis 2015. (Quelle: eigene Darstellung aus Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (o. D.) und International Monetary und (o. D.))
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(2016) schreibt. Einer der starken Ansteckungsauslöser, der die EZB zum superspreader werden lässt, liegt in der asymmetrischen Wirkung von Zinsen nahe Null auf die Aktivund die Passivseite der Bilanzen – der Extremfall findet sich in den eigenkapitalvernichtenden Erhöhungen der Pensionsrückstellungen. Im Draghiat herrscht Wirtschaftskrieg auf vier Ebenen: 1. Der Ebene des Wirtschafts- und insbesondere des Finanzsystems: Wenn dieses Unbeteiligten ein unzumutbares Risiko aufbürdet, insbesondere Lasten abwälzt und faktisch Parlamente angesichts großer Notlagen erpresst, dann werden Grenzen des ethisch akzeptablen überschritten; dann herrscht ein Krieg gegen die Demokratie. 2. Der Ebene der Staatsschulden: Wenn Staatsschulden um der Rettung der Finanzinstitute willen auf Höhen geschnellt sind, die nicht mehr ohne erhebliche Vermögensvernichtung, sei es über Inflation oder Zwangssteuern, abgebaut werden können, dann herrscht ein Wirtschaftskrieg gegen die eigene Bevölkerung, insbesondere gegen die Inhaber von Geldvermögen und Lebensversicherungen. Der Versuch, die Lasten dieser Krise über Konstruktionen wie eine Bankenunion oder Eurobonds zu vergesellschaften, verschärft den Druck auf das Vermögen Dritter. weiter. Die Depression der Geldvermögen – seit Frühjahr 2015 auch der Aktienvermögen – zeigt, dass die EZB tatsächlich einen Wirtschaftskrieg gegen die Bevölkerung führt, deren Vermögen schmilzt – kurzfristig zugunsten der Staaten, die weitestgehend von den Negativzinsen der von ihnen gegebenen Anleihen profitieren. 3. Der Ebene des Bankenrisikos: Die neuen Regeln sollen eigentlich verhindern, dass Steuerzahler noch einmal für Banken haften müssen, weshalb eine Bail-inRegel verabschiedet wurde. Markus C. Kerber (2016) spricht von einer Kopfgeburt namens Bail-in, weil weder die Bewertungsprobleme gelöst sind noch das politische Umfeld diesen Prozess durchsetzbar macht, weil bei Gefahr für die Finanzstabilität völlig von der Beteiligung der Einleger abgesehen werden kann. Denn die italienischen Banken befinden sich seit Beginn des Jahres 2016 in einem Abwärtsstrudel, und ihre Rettung zulasten italienischer Kleinsparer stellt sich als politisch nicht durchsetzbar dar – und ab Juli 2016 scheint der BREXIT, als probate Entschuldigung für negative systemische Effekte. Die Vorstellung, erneut gegen Regeln, möglicherweise sogar geltendes, vom EuGH bestätigtes Recht zu verstoßen, ist aber den Ländern und ihren Bürgern, die bisher das europäische Regelwerk achteten, ebenfalls nicht zu vermitteln. 4. Der Ebene der Vermögenswerte: diese implodieren zwangsweise, sobald die Europäische Zentralbank ihre (verbotene) Staatsfinanzierung einstellt und die Zinsen steigen. Dann nämlich werden festverzinsliche Papiere im Wert zurückgehen, da die Zentralbank die Geschwindigkeit des Zinsanstiegs nur teilweise steuern kann – sie hängt auch von den monetären Rahmen anderer Länder, besonders den USA und China, ab. Infolge des im Jahr 2017 begonnenen Ausstiegs der amerikanischen Zentralbank aus der ultralockeren Geldpolitik und der Zunahme fundamentaler Risiken durch den Wirtschaftskrieg zwischen den USA und vor allem China, aber
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auch dem Iran und Russland, sowie den nicht bewältigten Krisen in Griechenland und Italien steigen die Zinsen nicht nur weltweit; auch die Spreads also Zinsdifferenzen in Europa, die das Draghiat niedrig halten will, nehmen zu. Dies hat massive Folgen für das Rating der Länder. Die Abb. 12.7 zeigt die Veränderung der Schuldenstände und das Rating von Moody’s und verdeutlicht, dass erst extreme Ausbrüche der Schuldenstände massiv auf die Länderbewertung Einfluss nehmen. Einem qualitativ hochwertigen und neutralen Rating kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Rolle der fehlerhaften Bewertung von Immobilienkrediten als Auslöser der Weltfinanzkrise ist wohlbekannt. Das Aufmarschgebiet sieht wie folgt aus: Zweck des Wirtschaftskriegs: • Ersetzen der Politik als gesellschaftlicher Zweck im Sinne von Kant und Clausewitz durch Währung und Geld.
Abb. 12.7 Schuldendynamik 2012 bis 2017 und Rating 2017 ausgewählter Länder. (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Z (2015b), eigene Recherchen und EZB)
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Teilnehmer am Wirtschaftskrieg: • Notenbanken, die eigentlich für eine intakte Geldwirtschaft sorgen sollen. Nach der österreichischen Schule der Nationalökonomik war die lockere Geldpolitik der amerikanischen Zentralbank, der Fed, der Ausgangspunkt der Krise, weil sie den Knappheitszusammenhang zwischen Geld- und Realwirtschaft aushebelte, um Wirtschaftswachstum zu erzeugen, das sich dann aber als Vermögensblase darstellte, die schließlich platzte. Inzwischen wurde diese Geldpolitik zur wichtigsten Munitionskiste der Finanzinvestoren, denn mit jeder Drohung eines systemischen Kollapses öffnen sich die Schleusen der Geldvermehrung, die wieder die zentrale Quelle zur Versorgung der Spekulation mit liquiden Mitteln ist. Es besteht ein grundsätzliches Anreizproblem, das es schon bei John Law gab, wie Daniel Eckert und Holger Zschäpitz (2017) in Wirre Währungshüter schreiben: Zentralbankchefs sollen die Wirtschaft schmieren – das führt tendenziell zu einer zu lockeren Geldpolitik; sie sollen zur Entschuldung des Staats beitragen – damit wird Inflation zum Ziel, beispielsweise die 2 %-Marke in Europa; drittens dienen sie meist Partikularinteressen, beispielsweise den Finanzinstituten, von denen sie sozialisiert wurden – im Zweifelsfall von Goldman Sachs. • Investmentbanker, die besser als moderne Kreuzritter oder Konquistadoren zu verstehen sind und welche die von den Zentralbanken bereitgestellte Munition billigen Geldes dankbar aufgriff, die Welt bis in ihren letzten Winkel dem Primat des Wettbewerbs zu unterwerfen – sharehoder value genannt – und eine implizite Mission des Schreckgespensts, das Friedrich Engels und Karl Marx im Kommunistischen Manifest beschrieben hatten. Ihr Ethos ist nicht örtlich verankert, sondern eher einem Nomadenstamm ähnlich, der seine Weidegründe dort sucht, wo die fettesten Wiesen locken, die man kahlfressen kann. Loyalität ist allein ein Faktor, der den Binnenzusammenhalt stärkt aber keinen Bezug zu Territorialstaaten erkennen lässt. Besonders deutlich wurde dies nach dem ökonomischen GAU der Weltfinanzkrise, als sie sich von den Nationalstaaten retten ließen, um im Anschluss ähnliche toxische Strategien wie vordem einzusetzen. • Finanzinstitute, die gleichzeitig das Handels- und das Einlagengeschäft betreiben. Denn damit erzielen sie nicht nur Verbundeffekte im Verkauf (cross selling), sie können auch die erhöhten Risiken im Handelsgeschäft durch die Sicherheiten des Kundengeschäfts kompensieren. Sie wehren sich deshalb dagegen, ab einer gewissen Größe entsprechend dem Trennbankensystem aufgespalten zu werden. • Ratingagenturen, welche die ökonomische Qualität von Vermögenstiteln bzw. in Portfolios zusammengefasster Aggregate bewerten müssen und dabei auch einer moralischen Versuchung unterliegen, den Auftraggebern für die zu analysierenden Produkte bessere Resultate zu bescheinigen, als dies unter Stressbedingungen gerechtfertigt erscheint.
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• Nationalstaaten, die über viele Jahre Spezialisierungsvorteile aus dem Aufbau großer und weltweit aufgestellter Finanzinstitute gezogen haben und nun vor der Frage stehen, wie sie einen Konsens über das Regulierungssystem herstellen, ohne dass sich die Standortgunst massiv zu ihren Lasten verschiebt. Tatsächlich ist das aber kurzsichtig, denn wer sich von dem Übel befreit, wird in Zukunft von Krisen dieser Art verschont bleiben – aber wie so oft wird der kurzfristige Gewinn der langfristigen Stabilität vorgezogen, solange andere dafür bezahlen. • Schuldenstaaten, die nach dem Gesetz der stetig steigenden Staatsquoten von Adolph Wagner (1893) versuchten, das Wohlwollen ihrer Bevölkerung und Wähler zu erkaufen. Inzwischen scheitern die Regierungen dieser Staaten an der Konsolidierung ihrer Haushalte und sind auf dem Weg in die Schuldenknechtschaft der Banken oder der Europäischen Rettungsfonds. • Finanzminister, die unter dem starken Druck ihrer Länder stehen, künftig keine Gelder mehr für Bankenrettungen zu opfern und als Aufsichtsbehörde der Regulierungseinrichtungen gleichzeitig verhindern müssen, dass die Finanzmärkte erdrosselt werden. • Finanzregulatoren, die die Finanzmarktstabilität überwachen sollen; sie sehen diese Risikodiversifikation als kritisch, zumal von Politik und Wirtschaft die Frage gestellt wird, ob die Transaktionsvolumina der eigenen Handelsgeschäfte der Realwirtschaft tatsächlich Gutes tun. Sie stehen vor dem Problem, dass es nicht möglich ist, Radikalinnovationen, was viele Finanzprodukte sind, im Nachhinein zu kontrollieren, und dass zu viel Regulierung die Märkte erdrosselt. Sie verbreiten weitgehend warme Luft, weil sie nicht an den Kern des Problems, nämlich bei den Finanzinvestoren Verantwortung für ihr eigenes Handeln einzufordern, vorstoßen wollen; insbesondere fehlt die Erkenntnis, Eigenkapital als etwas Gutes anzusehen, denn es vermindert die Möglichkeit, Finanzvolumina auszuhebeln und Spekulationsgewinne zu erzielen. Denn das könnte im Standortwettbewerb zu Nachteilen führen. Insbesondere die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (2014) verfolgt diese Entwicklung mit offener Kritik. Kriegsmittel: • Finanzinnovationen, die unter ungünstigen Bedingungen oder bei (bewusster) Fehlanwendung erheblichen Schaden anrichten können. • Erpressung durch Herstellen bzw. Behaupten einer Systemik, weshalb Rettung zwingend notwendig wird. • Ein eigener ethischer Wertekanon in der Finanzindustrie, der unmoralisches Handeln jenseits der Moralvorstellungen demokratisch verfasster Staaten legitimiert, sodass dies wie eine Waffe wirken kann. • Schulden, die von Staaten, Regierungen und Zentralbanken als einziges Mittel des Abwehrkampfs gesehen werden.
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• Regulierung und Bankenabwicklung, die künftig eine Haftung der Gesellschaft für Missmanagement im Finanzsektor unterbinden soll. Kriegsziel: • Verbessern der Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten anderer Länder und Stabilisieren des US-Dollar als Referenzwährung der Welt seitens der USA. • Durchsetzen eines 2 % Inflationsziels seitens der Europäischen Zentralbank – das nie formell im Sinne eines Rechtsakts gesetzt wurde und daher eine ökonomische Beliebigkeit darstellt, also kein wissenschaftliches Fundament besitzt. • Durchsetzung von Geltung und Macht seitens der Investmentbanker und ihrer Institute sowie darüber hinaus das Generieren eines hohen, weitgehend risikolosen Einkommens durch Erzeugen systemischer Strukturen, die staatliche Rettung erzwingen.6 • Verteidigung, Verzögerung und schließlich Stabilisierung der Finanzinstitute und Volkswirtschaften seitens der Staaten zum Vermeiden des Zusammenbruchs, dabei aber zugleich eine Zombifizierung. Kriegsfolgen: • Zunehmende Zerstörung des ordnungsökonomischen Konsenses in Europa, Fehlleitung von Kapital und Enteignung der wichtigsten Stabilitätsanker der Demokratie: des Mittelstands und der mittelständischen Wirtschaft. Zurechnung, die Verantwortung und damit auch die Haftung für die Schuldenkrise – denn um diesen Dreiklang geht es – bei den Staaten oder bei den Finanzinstitutionen liegen. Durch Schulden lassen sich Menschen, Gruppen oder Institutionen in Abhängigkeit drängen und damit das, was in der Stamokap-Theorie postuliert wurde, vollenden, ohne die Realwirtschaft unter ein einheitliches Kommando stellen zu müssen. So wirkt die Schuldenkrise für notleidende Länder wie ein Besatzungsregime, das sie ausplündert, um die Kosten der Besatzung einzuspielen. Denn tatsächlich fließt ein Großteil der Hilfsgelder, die vorgeblich diesen Ländern zugutekommen sollen, über Umwege direkt an Finanzinstitutionen, die sich verspekuliert haben, und garantieren in Ländern, die leichtfertig investiert haben, Ansprüche von Investoren, beispielsweise auch von Lebensversicherungen. Die Anpassungsmechanismen der Konsolidierung haben einen deflationären Effekt, der wie eine Besatzungsabgabe wirkt, weil aus der Produktions-
6So
liegen nach Berechnungen des Sachverständigenrats beispielsweise die Forderungen von Banken gegenüber Staaten in Belgien zu rund drei Viertel außerhalb des Lands, bei Spanien, Frankreich oder Italien zu rund der Hälfte; sie überschreiten regelmäßig die Großkreditgrenze von 25 % der Eigenmittel (Börsen-Zeitung 2018f).
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leistung immer ein Teil entnommen wird, der vor Ort nicht nachfragewirksam wirkt und damit das Preissystem deflationär unter Druck setzt. Die Instabilität nimmt global, aber auch in Europa, seit Anfang des Jahres 2016 wieder zu. Die Schwellenländer verzeichnen massive Geldabflüsse, Chinas Wirtschaft schwächelt am Ende des Jahrzehnts, Portugal und Spanien weisen erneut erhöhte Haushaltsdefizite aus und sind, ebenso wie Italien und Griechenland, mit demokratischer Legitimierung nicht in der Lage, notwendige Reformpakete zu schnüren. Italien hat es zugleich versäumt, sein verfilztes Bankensystem nach der Krise zu stabilisieren und ist gefangen in einer Abwärtsspirale aus faulen Immobilienkrediten, Notverkäufen, sinkenden Immobilienwerten und damit Wertverlusten bei den Banksicherheiten. Seine Bankenrettungen widersprechen den europäischen Vereinbarungen ebenso, wie seine fehlende fiskalische Disziplin. Immer mehr verdichtet sich bei den Bürgern der Eindruck, dass es dafür keine Lösung gibt, Geld- und Fiskalpolitik inzwischen von Abenteurern gemacht werden und die Wirtschaft ihrer Länder durch ständige Tabubrüche ruiniert wird. Über die monetären Schäden hinaus ist auch der Schaden im Personalbereich zu berücksichtigen. Die Krise hat Hunderttausende in der Finanzindustrie den Arbeitsplatz gekostet, weil dieser Wirtschaftszweig, der als overbanked gilt, auf ein erträgliches Maß schrumpfen musste. Die Größe der einzelnen Institute erscheint heute vielen als ineffizient, im Falle von Krisen aber als gefährlich – mögliche Gefahren und Ertragspotentiale sind aus dem Gleichgewicht. Trotzdem hat dieser eigene human toll das unsägliche, risikoverursachende Gebaren nicht ändern können. Tatsächlich stellt ein übergroßer Bankensektor ein Risiko für Volkswirtschaften dar (European Systemic Risk Board 2014), wenn durch den Regulierungswettbewerb der Staaten Standards verfallen und damit (Zombie-) Kredite an Unternehmen gegeben werden, die eigentlich aus dem Markt ausscheiden müssten und wenn durch überhöhte Löhne faktisch eine sektorale Ausbeutung stattfindet, weshalb die Bezahlung hier durchaus zu reglementieren ist. Sicherere und gesündere, also weniger insolvenzgefährdete und über die Ansteckungseffekte systemdestabilisierende Banken sind möglich. Zwar hätte und hat auch ein Trennbankensystem das Problem nicht verhindert, aber es könnte künftig für mehr Transparenz sorgen. Offensichtlich schwebt, wie Thomas Mayer und Gunther Schnabel (2019) in Wie Draghi Europas Wirtschaft zombifiziert ausführen, dem Zentralbankchef eine optimale Bankenzahl vor, die durch „negative Industriepolitik“ durchgesetzt wird, wobei die vorgesehen Anzahl offenbleibt und Fusionen unter Schwachen keine Starken ergeben. Zwar hätte und hat auch ein Trennbankensystem die Krise nicht verhindert, aber es könnte künftig für mehr Transparenz sorgen, und eine verminderte Bankenzahl scheint leichter zu überwachen. Es wird die berechtigte Frage aufgeworfen, weshalb für Banken eine erhöhte Eigenkapitalquote schädlich sein soll, die die meisten anderen Unternehmen als normal empfinden. Tatsächlich dient das Minimieren des Eigenkapitals der Rentabilitätssteigerung und indirekt auch der Erhöhung von Bonusprämien. Das kann ohne hohe gesellschaftliche Kosten erreicht werden, beispielsweise durch Kreditverknappung oder fehlende Risikotransformationen. Insbesondere gilt
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es auch, eine nicht beherrschbare Regulierungskomplexität zu vermeiden. Die unter dem Begriff TLAC (total loss-absorbancy capacity) bekannte Regulierung, die eine Haftungskaskade vom harten Kernkapital über zusätzliche Kapitalpuffer bis hin zum Nachrangkapital und damit hinreichend umfangreichenden Abwicklungspuffern im Rahmen des Bankentestaments vorsieht, will durch ein sukzessives bail in den Steuerzahler vor den Belastungen maroder Banken schützen. Probleme bereiten dabei aber zeitliche Stillhalteklauseln, also Regularien, die verhindern wollen, dass der Ausfall eines Wertpapiers nicht sofort eine Kettenreaktion bei der Auflösung gleicher Kontrakte auslöst. Da diese nicht durchgehend erzwungen werden können, sind im internationalen Raum Fälle von Haftungskaskaden leicht vorstellbar, in die dann der Steuerzahler einsteigen muss. In der Essenz werfen Anat Admati und Martin Hellwig (2013) den Finanzeliten vor, sich durch scheinbare Läuterung zu tarnen, tatsächlich aber durch Lobbying und den Aufbau von Drohkulissen danach zu trachten, den Regulierungen zu entgehen, die ihnen das rent-seeking auf Kosten der Allgemeinheit unmöglich machen.7 Auch hier ist der erneut gewählte Vergleich mit Konquistadoren hilfreich, die unter dem Mantel der Verbreitung des christlichen Glaubens tatsächlich Seuchen, Terror und Not verbreiteten und wenig Empathie für diejenigen hatten, die die Lasten ihres Expansionsdrangs zu erdulden hatten. Umso mehr ist eine ehrliche Aufklärung erforderlich. Tatsächlich bringt La Peste von Albert Camus das Problem auf den Punkt; dort führt der Arzt Bernard Rieux aus (Camus 1947, S. 54): „Si l'épidémie ne s'arrêtait pas d'elle-même, elle ne serait pas vaincue par les mesures que l'administration avait imaginées.“ Und weiter (Camus 1947, S. 137): „C'est une idée qui peut faire rire, mais la seule façon de lutter contre la peste, c'est l'honnêteté.“ Genau dies entspricht den Erfahrungen der vergangenen Jahre; der Staat ist nicht wirklich in der Lage diese Krankheit, die Finanzepidemie einzudämmen, und es benötigt schlicht der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit, um eine Sachverhaltsaufklärung zu bewerkstelligen, die erst die Voraussetzung für eine Krisenbekämpfung ist. Genau das verweigern die Regierungen – die Pest wird also zum wichtigsten Bestandteil der Zombifizierung. Das verweigert aber auch die Zentralbank, bei deren Politik sich die Frage stellt, ob sie ein Teil der Lösung oder ein Teil des Problems ist – zumal sie offensichtlich partisanenähnliches Auftreten von Peripheriestaaten bzw. nationalen Notenbanken duldet. Deren Aufkäufe auf eigene Rechnung im Rahmen des sogenannten ANFAProgramms (Agreement on Net Financial Assets), die bis Ende 2015 geheim waren,
7Wie
schwer es im Einzelfall aber ist, regulierungskonformes Verhalten festzustellen, zeigt Markus Frühauf (2014b, 2014c). Denn die Deutsche Bank hat in den Libor- und den Euribor-Skandal verwickelten Angestellten gekündigt. Das Arbeitsgericht hat diese Kündigungen mit der Begründung eines Organisationsversagens für nichtig erklärt und verlangt, diese wieder am alten Arbeitsplatz zu beschäftigen – was wiederum die Bafin verboten hat. Daraufhin hat das Frankfurter Arbeitsgericht erst ein Zwangsgeld von 175.000 € und Ende Juli 2014 ein weiteres von 100.000 € verhängt.
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Abb. 12.8 Intensität des Schuldenaufkaufs der EZB nach Ländern. (Quelle: eigene Darstellung aus Börsen-Zeitung (2016c, 2017c) und EZB)
unterminieren die Reputation der EZB weiter. Da wirtschaftlich stabile Länder dieses Programm kaum nutzen, schwache Länder wie Italien aber ausgiebig, entsteht über die gemeinsame Haftung der Europäischen Zentralbank, bei der die Deutsche Bundesbank ein Viertel der Anteile hält, eine Risikoumverteilung, wie Dirk Meyer (2016) in seiner Analyse ANFA – Nationale Geldschöpfung als Sprengsatz für die Währungsunion detailliert nachweist.8 In der Tat wird das Aufkaufvolumen von 490 Mrd. € bis Ende 2015 von nur vier Ländern mit knapp 400 Mrd. € ausgelastet: Italien, Frankreich, Griechenland und Spanien (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2016b). Betrachtet man die Beanspruchung bezogen auf die Einwohnerzahl, dann ergibt sich ein differenzierteres Bild, das in Abb. 12.8 wiedergegeben ist. Es enthält die Aufkäufe der Europäischen Zentralbank im Rahmen des Public Sector Purchase Programs (PSPP) in Kontext der QE-Politik bis einschließlich Juli 2016 und die gesamten ANFA-Aufkäufe des Jahres 2015. Während sich das PSPP an den Anteilen der Länder an den Einlagen bei der EZB orientiert, also nicht verzerrend wirken soll, ist das bei ANFA entschieden der Fall. Wegen der spezifischen griechischen Notlage wird das Land hier nicht mit aufgeführt. Deutlich sieht man, wie stark sich die Zentralbanken von Irland, Malta und Zypern, faktisch auf Kosten anderer Länder, Liquidität beschaffen – Deutschland hat hier sogar Liquidität reduziert.
8Ins
Rollen gebracht hat die „ANFA-Affaire“ Daniel Hoffmann (2015) mit seiner Dissertationsschrift Die EZB in der Krise. Eine Analyse der wesentlichen Sondermaßnahmen von 2007 bis 2012.
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Angesichts der Leitzinssenkung auf 0 % am 10.03.2016 und der Perspektive künftig negativer Zinsen bis Ende des Jahrzehnts, die die Sparer jährlich um zweistellige Milliardenbeträge enteignet, weil auch seit 2018 die Inflation spürbar anzieht, und welche die Lenkungsfunktion der Kapitalmärkte zusammenbrechen lässt, wird das Vertrauen in das Wirtschaftssystem zunehmend zerstört. So sprach der scheidende Chef der Münchner Rückversicherung, Nikolaus von Bomhard, von einem eklatanten Rechtsbruch, von Unverständnis und Entsetzen, von einem Eingriff in Kreditmärkte und griff die Untätigkeit der Politik an (zitiert nach Börsen-Zeitung 2016a): „Aber das Politikversagen ist ausgeprägt. … Die Frage, ob gesinnungsethische Politikansätze wirklich der Weisheit letzter Schluss sind – großes Fragezeichen.“ Immer wieder wird gefordert, den Geschäftsbanken das Instrument der Geldschöpfung – und damit der Schuldenexpansion – aus der Hand zu schlagen. Diese Vollgeld-Initiativen knüpfen an die Vorstellungen von Silvio Gesell (1891) an, welche die große Depression Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre auf eine unkontrollierte Geldexpansion zurückführten und bisher weitgehend als skurril abgetan wurden, tatsächlich aber sogar von Irving Fisher (1936) und Milton Friedman (1960) aufgenommen wurden, nunmehr hoffähig werden und als sogenannter Chicago-Plan Gegenstand der Analysen des Weltwährungsfonds sind (Benes, Kumhof 2012).9 Banken würden in ihre zwei elementaren Funktionen aufgespalten: nämlich das Einlagen- und das Kreditgeschäft, und bei letzterem würde das Systemrisiko als negative Externalität über eine Pigou-Steuer korrigiert (Cochrane 2014). Wenn den Banken ihre wichtigste Waffe, nämlich das schwer zu kontrollierende Instrument der Giralgeldschöpfung, die praktisch der Erlaubnis gleichkommt, ein Ponzi-Schema mit staatlicher Garantiezusage zu betreiben, aus der Hand geschlagen würde, könnte man das als Beitrag zu einer ökonomischen Friedensordnung werten. Damit würde eine Entwicklung, die bei John Law begann, ihren Abschluss finden, insbesondere würde der krisenbehaftete Konnex zwischen Verschuldung und Geldschöpfung oder, allgemeiner, zwischen Geldmenge und Schulden, unterbrochen (Zeddies 2015). Die Schweiz hat im Sommer 2018 einen entsprechenden Vorschlag zur Einführung von Vollgeld in einer Volksabstimmung abgelehnt. Aus ökonomischer Sicht stellt sich die Frage, ob Vollgeld das Problem der Geldschöpfung außerhalb der Zentralbank alleine lösen kann. Denn tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Geldsubstituten, die genutzt werden können, insbesondere auch elektronisches Geld, private Schuldscheine usw., die im Graubereich operieren und schwer zu kontrollieren sind. Insofern erscheint eine verbesserte makroprudentielle Aufsicht erfolgsversprechender (Schlottmann 2017). Soll die Europäische Währungsunion, wie immer wieder gefordert wird, aufgelöst – gegebenenfalls als Sequenz von wohlorganisierten Austritten (Weder 2015) – oder in einen Nord- und einen Süd-Euro aufgespalten werden, wie der Verfasser bereits früh
9Im
deutschsprachigen Raum hat Margrit Kennedy (1990) in ihrem Buch Geld ohne Zinsen und Inflation die Gedanken von Silvio Gesell aufgegriffen und popularisiert.
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v orgeschlagen hatte (Blum 2010). Da die Rettung des Euros inzwischen ebenso viel wie seine Aufspaltung kostet, ist es neben darauffolgenden Streitschriften (Henkel 2010) und Berechnungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013b) auch der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der sich immer wieder skeptisch zur Zukunft des Euro äußert, ebenfalls seine Nord-SüdSpaltung fordert und dabei die Altschulden im Süd-Euro denominieren will, was auf einen faktischen Schuldenschnitt seitens der Nordländer hinausläuft (Zschäpitz 2016c). Damit würden die internen Reibungen, bis hin zu Erpressung und Wirtschaftskrieg, die inzwischen politisch immer weniger zu handhaben sind, entfallen und gegebenenfalls an der Peripherie durch eine EFTA 2.0 ergänzt werden. Tatsächlich zeigt sich, dass die Vorstellung über ein optimales Währungsgebiet (Mundell 1963), dadurch gekennzeichnet ist, dass die Wirtschaftsregionen auf externe Schocks symmetrisch reagieren, für die EU-Zone nicht erfüllt wird. Allerdings konnte sich auch niemand, wie Paul Krugman (2012b) in Revenge of the Optimal Currency Area ausführt, vorstellen, dass die Bankenstabilität eine derart große Rolle spielen würde. Ohne die Bewältigung dieser Probleme und zugleich eine verbesserte wirtschaftliche Konvergenz der EU-Währungszone, auch im Abwägen zwischen dirigistischen und marktorientierten Instrumenten (Alesina und Perotti 2004), werden sich die gegenwärtigen Probleme nicht auflösen. Mitte 2016 wird zunehmend klar, dass die Zombifizierung der Euro-Zone nur ein Zwischenschritt ist, hin zu einem anderen ökonomischen Ordnungsmodell. Denn nachdem Mario Draghi mit der Geldmengenvermehrung mittels Anleihenaufkauf nicht in der Lage war, die Wirtschaft über eine Ankurbelung der Inflationsrate europaweit nachhaltig zu stimulieren, wurden die Käufe auf Unternehmensanleihen ausgedehnt, deren Märkte inzwischen ebenfalls bald ausgetrocknet sind. Dann verbleiben als nächste Option die Aktienmärkte – und irgendwann ist die Europäische Zentralbank der größte Anteilseigner von Staat, Wirtschaft und privaten Haushalten. Mit einer derartig dominanten Vermögenskonzentration stellt sich die Systemfrage einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Folgerichtig verlängert sich die Geldexpansion bis Ende 2018 und wird von dann konstant gehalten. Damit wird der erforderliche Ordnungsökonomische Druck auf Länder wie Italien, Ende 2018 aber auch Frankreich und in jedem Fall Griechenland, gemildert. Der dortige populistische Druck erzwingt letztlich eine Zerstörung der Geldstabilität. Der italienische Weg wird im Sommer 2019 sichtbar: Der Aufbau einer Parallelwährung zum Euro, sogenannte „Mini-Bots“ (Bueno del Tresoro) mit Stückelungen zwischen5 und 100 € als staatliche, geldgleiche Schuldverschreibungen. Nicht alle sehen diese Entwicklung mit so viel Schrecken wie die eher ordnungsökonomisch ausgerichteten Deutschen, Holländer oder Skandinavier. Tatsächlich stehen sich in Eurozone verschiedene Wirtschafts- und Politikkulturen – Werner Sombart (2013a) würde von Wirtschaftsgesinnungen sprechen – gegenüber, die sich beispielsweise durch Einstellung zum Staat, Bedeutung eigener Vorsorge und Ersparnis oder der Rolle der Arbeit niederschlagen und bisher nicht zu vereinheitlichen waren. Ein geordnetes Verfahren der Staatsinsolvenz wäre ein wichtiger Beitrag, ein derartiges Chaos in geordnete Bahnen zu lenken. Zschäpitz (2017) verweist auf die Kosten
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der letzten 20 Jahre angesichts der Ender der 2010er Jahre absehbaren Insolvenz Venezuelas: Russland (1998) 72,7 Mrd. US$, Argentinien (2001) 82,3 Mrd. US$, Griechenland (2012) 261,5 Mrd. US$, Argentinien (2014) 29 Mrd. US$, Ukraine (2015) 13 Mrd. US$, Puerto Rico (2015/2017) 73 Mrd. US$. Wenn Venezuela kippt, dürfte angesichts der inzwischen angespannten Situation und einer Finanzmasse von rund 70 Mrd. US$, die im Risiko steht, die Finanzkraft der internationalen Institutionen nicht reichen. So schlägt Christoph Paulus (2015) eine Art Schiedsverfahren vor, das die Interessen von Schuldnern und Gläubigern austariert und damit das Verfahren dem Markt entreißt und einer rechtlichen Ordnung unterwirft. Wird das seitens des Schuldners abgelehnt, ist das Wirken des Marktmechanismus durchzusetzen. Das aber würde implizieren, auch die Schuldenpapiere einem standardisierten Reglement zu unterwerfen, um Situationen zu vermeiden, in denen Einigungen durch Gläubiger, die bevorzugte Rechtspositionen gerichtlich durchsetzen, ausgehebelt werden, wie es in Argentinien in den Jahren 2014–2015 geschah. Bodo Herzog (2017) bevorzugt eine staatliche Insolvenzordnung in Europa als regelgebundenen Ansatz gegenüber eher voluntaristischen Konzepten von Fiskalunion und Haftungsunion, welche die no-bail-out-Klausel bestätigt und damit keine falschen Anreize setzt. Gerade die Haftungsunion würde die deutschen, englischen und nordeuropäischen Sparer enteignen, da die Südländer geringere Haftungsanteile zurückgestellt haben und höhere Bestände an notleidenden Krediten ausweisen (Seibel 2018): Der Anteil fauler Kredite an den Ausleihungen beträgt beispielsweise in Griechenland rund 47 % und in Portugal rund 34 %. Ziel ist es, 0,8 % der abzusichernden Einlagen in einen Sicherungsfonds zu überführen. Abb. 12.9 zeigt für die zehn Länder mit den höchsten Einlagensicherungsbeträgen, jeweils auf die Zahl der Einwohner bezogen, das rechtlich erforderliche Sicherungsvolumen und die bisher tatsächlich geleisteten Einzahlungen zum Stand 2017.
Abb. 12.9 Schutz der europäischen Spareinlagen, 2017. (Quelle: eigene Recherchen, Seibel (2018), Weltsparen (2017) und European Banking Authority)
12.5 Fazit – das Ende der Gewissheiten
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Am 31. Oktober 2019 endete das Draghiat formell mit Amtseinführung der neuen Präsidentin, Christine Lagarde. Die Europäische Zentralbank verfügt angesichts drohender Rezessionstendenzen im Euroraum kaum noch über wirksame geldpolitische Instrumente – die Munition ist weitgehend verschossen. Das stete Überdehnen des Mandats, die Vorgabe eines nirgendwo vertraglich festgelegten Inflationsziels von zwei Prozent als Quasi-Stabilität zur Begründung einer expansiven Geldpolitik, die tatsächlich fiskalisch wirkte, trifft auf politischen und inzwischen auch wirtschaftlichen Widerstand. Die Kollateralschäden – Zerstörung von Alterssicherungssystemen und Vermögensblasen vor allem bei Immobilen, aber auch anderen Aktiva – unterminieren das ökonomische System. Es wird abzuwarten sein, ob Christine Lagarde eine neuen Kultur – weg von der Fixierung auf ein Kapitalmarktwohlergehen hin zu Stabilität, die vor allem auch Blasenbildung verhindert, von kurzfristiger Taktiererei zugunsten reformunwilliger Staaten zu einer langfristigen Strategie im Sinne der Erwartungsstabilisierung, von einer Politisierung, auch durch das An-Sich-Ziehen immer neuer Bankaufsichtsaufgaben der Zentralbank und damit massiven moral-hazard-Problemen, zu einer neuen Neutralität – leisten will und kann.
12.5 Fazit – das Ende der Gewissheiten Die staatliche Wirtschaftspolitik ist verantwortlich zu verhindern, dass die Grundlagen der Wirtschaftskraft durch kurzfristig orientiertes, opportunistisches Handeln erodieren, was in den letzten Jahren sehr auffällig geworden ist. Sie muss wieder stärker auf die Selbstbindungsfähigkeit von Institutionen setzen, um glaubhaft zu werden und damit nicht nur an der ökonomischen, sondern auch an der sicherheitspolitischen Front die Stabilität aufrechterhalten und starke Signale geben. Die stete Debatte, welche Sicherheitspolitik sich ein Land leisten kann und wo die entsprechenden Sicherheitszonen, insbesondere die wirtschaftlichen, liegen, wirkt an sich schon destabilisierend. Das bedeutet, dass die Wirtschaftspolitik eine große Verantwortung für die Sicherheitslage der Welt hat und diese in den vergangenen Jahren wenig wahrgenommen hat. Die Globalisierung hat in großartiger Form die Dynamik der Weltwirtschaft angeregt, aber auch viele Verlierer erzeugt, weshalb sich, wie Dani Rodrik (2011) ausführt, immer stärker die internen Widersprüche zeigen: Nur zwei der drei institutionellen Arrangements – Nationalstaat, Globalisierung und Demokratie – seien tatsächlich wirklich frei wählbar, und die Vernachlässigten machen inzwischen dort, wo sie können, demokratisch in ihrem nationalen Rahmen gegen die Globalisierung mobil. Die Wirtschaft geht in die Knie, institutionelles Vertrauen, beispielsweise in Staat und Wirtschaft, besonders in die Banken, sinken, ihre ökonomische Wertebasis und Leistungskraft zerrinnen, weil der Staat immer neue Programme zu ihrer Stimulation auflegt, die sie schließlich selbst bezahlen muss. Auch dem Bürger werden Wahlmöglichkeiten abgenommen – teils durch politische Korrektheit, teils als paternalistische Bevor-
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mundung. Auf der anderen Seite verschwinden Gewissheiten, die konstitutiv für einen liberalen Staat sind (Blum 2013b). Denn die Wahrnehmung von Freiheitsrechten bedarf einer ökonomischen Grundlage. Diese gerät zunehmend in Gefahr, weil der postdemokratische Staat und sein Regierungsstil die wirtschaftspolitisch relevanten Institutionen aushöhlen, sie zu wertlosen Hüllen verkommen lässt: Sie repräsentieren diese Werte – beispielsweise die Unabhängigkeit der Notenbank – nicht mehr hinreichend und glaubhaft. Ohne verlässliche Institutionen als herausragende Errungenschaft moderner Staaten werden staatstragende Gewissheiten zu Grabe getragen. Das trifft den Kern der Demokratie. Um die kurzfristigen Folgen der Zombifizierung zu verringern, maßt sich die Notenbank Rechte an, die eigentlich einer demokratischen Legitimation bedürften, insbesondere im Bereich der Fiskalität und der Wirtschaftspolitik, weil sie tief in die Verschuldungskalküle der Staatshaushalte und die Knappheitskalküle der Unternehmen eingreifen. Dies gilt insbesondere, seitdem sie seit dem Jahr 2016 auch Unternehmensanleihen aufkauft. Sie tauscht also gegenwärtige Probleme gegen weit schlimmere in der Zukunft ein. Sie zerstört die Lenkungsfunktion des Zinses ebenso wie das Verantwortungsprinzip der Demokratie. Der Economist (2018b) zeigt die vier wesentlichen Phasen der Zerstörung einer liberalen Demokratie auf: Am Anfang steht eine echte Sorge der Bevölkerung über den Status Quo und dessen Behandlung durch die politischen Eliten – Finanzkrise, Migrationskrise, Globalisierungsängste. Es treten anschließend starke Persönlichkeiten auf, welche die anzuklagenden Sündenböcke benennen. Kommen sie an die Macht, zerstören sie die freie Presse als pseudoliberal und setzen die freie Gerichtsbarkeit unter Druck; dieses ist die Phase der illiberalen Demokratie. Zum Schluss werden die liberalen Institutionen vernichtet, Wahlen werden durch Unterdrücken der Opposition manipuliert, im schlimmsten Fall Parlamente entmannt. Natürlich ist im Leben alles außer dem Tod ungewiss. Trotzdem benötigen Gesellschaften und ihre Bürger Quasi-Gewissheiten, also Orientierungen, an denen sie ihr Leben ausrichten können. Diese zerrinnen derzeit in Folge der fehlenden Orientierung der politischen Eliten. In der Politik nur auf Sicht zu fahren, ist perspektivlos, und ein Kompass allein hilft nicht, wenn nicht klar ist, wo Norden ist. Der von der deutschen Regierung befürwortete staatliche Zugriff auf die Ersparnisse in Zypern zerstörte eine bisherige Gewissheit, nämlich die Sicherheit der Ersparnisse. Ein Wandel von Einlagen in Beteiligungen wäre nicht enteignend gewesen, hätte das Stabilitätsproblem der Banken gelöst und Anreize gegeben, den Finanzsektor Zyperns auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell umzustellen. Die aktuelle Quasi-Lösung aber erzeugt den Ruf: „Rette sich wer kann“. Wenn im Frühjahr 2019 der Internationale Währungsfonds vorschlug, tiefe Minuszinsen durch kontinuierliches Abwerten des Bargelds sowie dessen Umlaufbeschränkung durchzusetzen (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2019a), weil durch die zinsinduzierte Zombifizierung der Wirtschaft den Zentralbanken bei der nächsten Krise sonst tatsächlich kein Stimulierungsinstrument verfügbar ist, dann steht einer der zentralen Anker der modernen Gesellschaft – Geld als Vertrauensgut – kurz vor der finalen Zerstörung. Dann ist der der ordnungsökonomische
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Konsens aufgekündigt und ökonomische Knappheiten werden dauerhaft verzerrt. Systemische Ineffizienzen schaukeln sich gegenseitig auf und verstärken sich. Thomas Mayer (2019) spricht daher von dem Risiko eines multiplen Organversagens der Volkswirtschaft.
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Epilog
This is the end, beautiful friend This is the end, my only friend, the end Of our elaborate plans, the end Of everything that stands, the end No safety or surprise, the end I’ll never look into your eyes, again Can you picture what will be, so limitless and free Desperately in need, of some, stranger’s hand In a desperate land (Jim Morrison, The Doors 1967)
Drei wesentliche, eingangs formulierte Aufgaben sollte das Buch erfüllen, nämlich • eine paradigmatische: Die Grauzone des Übergangs zwischen Wettbewerb und Wirtschaftskrieg, beide Kinder der Rivalität, sollte ausgeleuchtet werden. Die Ausführungen zeigen, dass der Wert eines guten Ordnungsrahmens und vor allem eines diesen wiederum schützenden Rechtsrahmens, beide gegen opportunistische Politiker und Zentralbanker gerichtet, nicht hoch genug eingeschätzt werden darf. • eine Hinführung auf die dem Wirtschaftskrieg angemessene Führungslehre: Diese nimmt viele Elemente des Militärs, des strategischen Managements, der Industrie- und der Institutionenökonomik auf – benötigt aber auch Hilfe aus anderen Disziplinen, vor allem in der Typisierung des Wirtschaftskriegers als kühl und bedenkenlos handelnden Konquistador. • eine Darstellung und Analyse von Wirtschaftskriegen als tatsächlich präsenter Teil des Auslebens ökonomischer Rivalität: Dominanzerwartungen spielt für Entstehung, Handelsabläufe und vor allem die Verfestigung eine entscheidende Rolle.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_13
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Gerade moderne Verfahren der Spieltheorie bieten Hilfen, das Handeln zu verstehen und rational dort nachvollziehbar zu machen, wo dies möglich ist. Ganz speziell ziehen sich über die vorangegangenen zwölf Kapitel dieses Buchs immer wieder die folgenden Fragen, die nicht immer vollständig beantwortet werden konnten, die hier noch einmal angeschnitten werden und in jedem Fall weiter auf der Agenda stehen: 1. Welche Bedeutung besitzt die Gewalttätigkeit? Haben sich bisher bürgerkriegsähnliche und militärische, also stark körperliche Auseinandersetzungen in den ökonomischen und schließlich in den virtuellen Bereich verschoben? Ist damit Wirtschaftskrieg eine Homologie, besitzt also eine gemeinsame rivale Wurzel zum militärischen Krieg (und anderen Formen der Rivalität) – das würde es nahelegen, die gemeinsame systemisch-theoretische Basis zu suchen. Oder ist Wirtschaftskrieg eine Analogie zum Krieg, und die Methoden weisen Ähnlichkeiten auf? Die Aussagen dieser Arbeit zeigen: Beides gilt: Es gibt massive Triebkräfte für Rivalität, aber auch die Methoden sind verwandt – ein kriegswilliger Unternehmer kann viel aus der militärischen Führungslehre lernen. 2. Was sind Herkunft, Ausgestaltung und für den Wirtschaftsfrieden bzw. -krieg maßgebliche politische Philosophien, welche gesellschaftlichen Ordnungsrahmen haben sich daraus entwickelt, was hat sich aus dem entwickelt, was über 2500 Jahre seit der Politeia des Aristoteles an Staatstheorien formuliert wurde, um die Rivalität in gesellschaftlich beherrschbare Bahnen zu lenken? Wie sind aus deutscher Sicht die Ordnungsökonomen einzuordnen, die das Denken in ordnungsökonomischen Kategorien postulierten? Es wird deutlich, dass ein derartiges Integrationsmodell der Gesellschaft nur eine Möglichkeit darstellt, wie es die Dialektik der marxistischen Geschichtsauffassung zeigt. Denn diese eröffnet einerseits eine Option, Konflikte zu lösen, ohne die Plattform zu zerstören, und lässt andererseits das Konfliktmodell, den alles zerstörenden Klassenkampf, zu. Aber welche Folgen hat dann die Gegenthese einer agonalen Sicht der Welt, die sich aus der Konfliktsoziologie ableitet? Verbildlicht wird das im Turmkampf der Eliten im oberitalienischen San Gimignano, verdeutlicht durch die soziopathische Aussage: „Wenn man sich etwas untertan machen kann, dann tue man das – sonst tut es ein anderer!“ 3. Gibt es für derartige Auseinandersetzungen eine anthropologische oder kulturelle Bedingtheit und welche Rolle spielt dabei die Pfadbindung? Existiert ein kultureller Überbau, der dies zu kanalisieren vermag, etwa Regeln im Sinne eines Weltethos oder Grundnormen, wie sie die Hochreligionen formulieren und im Christentum durch die zehn Gebote (Dekalog) manifestiert werden? Offensichtlich wird das liberale Modell nach dem Ende des Systemgegensatzes zwischen Markt- und Zentralverwaltungswirtschaften nunmehr weltweit durch einen Zusammenprall der Kulturen bedroht, weshalb die Dringlichkeit der Befassung mit diesem Thema – gerade auch aus wirtschaftlicher Sicht – offenbar wird. Es scheint, als schlössen sich Globalisierung, Demokratie und Nationalstaat aus. Darüber hinaus werden die
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zombifizierten Ökonomien der westlichen Welt – ohne Wachstum, ohne Zinsen, ohne Inflation, ohne Perspektive – Zeuge einer digitalen Umwälzung, die nicht an bewährte Pfade anzuknüpfen scheint. 4. Was definiert den Wirtschaftskrieg? Aus paradigmatischer Sicht bedeutet dies, dass ebenso wie es schwerfällt, einen funktionierenden Wettbewerb zu identifizieren, auch ein herrschender Wirtschaftskrieg nicht leicht abzugrenzen ist. Denn „der Vater aller Dinge“ in der Diktion von Heraklit lässt sich nur über Intentionen und Folgen eingrenzen, und letztere hängen von der Fristigkeit der Betrachtung ab. Oft war die Niederlage der Grund, Kräfte neu zu ordnen, das gilt für Staaten ebenso wie für Unternehmen. Und ebenso oft war der (Pyrrhus-) Sieg so verzehrend, dass er den Niedergang einleitete. Die geschichtlichen Beispiele machten deutlich, wie stark vor allem die geistesgeschichtliche Dynamik ungebändigter Rivalität im Sinne gesellschaftlicher Innovationskraft sein kann. Trotzdem sollte man, wie alle Strategen von Sun Zi bis Carl von Clausewitz betonten, immer versuchen, indirekte Wege zu bemühen, erst die List, dann die Flanke. 5. Lässt sich aus militärischen Führungsgrundsätzen lernen? Schon die Industrialisierung zeigt eine Vielfalt der Bezüge, vor allem in den Organisationsgrundlagen, weil das Militär damals als einzige Einrichtung Kenntnis hatte, wie Massen von Arbeitern zu organisieren sind. Heute werden die Bezüge vor allem in einer Metaphorik deutlich, die viele Rivalitäten als Kampf kennzeichnet. Die Wirtschaftskrise hat den sprachlichen Bellizismus massiv verstärkt. Lernen lässt sich mit Sicherheit, wie wichtig eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung sowie Knappheit und Stringenz der Sprache für den Erfolg sind und welche Bedeutung klare Signale besitzen. Darüber hinausgehend ist Führung etwas Universelles, und gerade Dirigenten sind ein Musterbeispiel, müssen sie doch Dritte, nämlich das Orchester, für eigene Ideen motivieren und dabei Instrumente in Raum und Zeit einsetzen und mit dem Informationssystem, der Partitur koordinieren. Dabei müssen die notwendigen Fähigkeiten verfügbar sein, die Einsatzbereitschaften hergestellt werden und der Wille zum Erfolg nachhaltig induziert werden. 6. Welche strategischen, operativen, taktischen und instrumentellen Übereinstimmungen und Korrespondenzen gibt es zwischen dem Austragen militärischer und wirtschaftlicher (eventuell auch politischer) Konflikte? Was können Unternehmen und Staat aus den militärischen Einsatzprinzipien lernen, um bei einem Angriff, aber auch bei der Verteidigung eigener Interessen zu bestehen? Können also allgemeingültige Muster identifiziert werden, deren Kenntnis hilfreich im Umgang mit Rivalität ist, die sich also übertragen lassen? Bisher hat der technische Fortschritt vor allem die taktische Führung verändert, künftig werden Entwicklung zunehmend auf die Strategie durchschlagen, weil die Cyberwelt (wie dies bereits die Atomwaffe auf staatlicher Ebene tat) die Position klassischer Großmächte bzw. Großunternehmen relativiert. Militärisches Wissen hält – auch in der geschichtlichen Entwicklung und ihrer Systematik – viel Wertvolles bereit, insbesondere auch das Denken in vernetzten Systemen im Kontext der Operationsführung.
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7. Wenn es einen Auszehrungskrieg gibt, der schließlich alle Beteiligten am Schlachtfeld erschöpft zurücklässt – worin besteht das Korrespondierende für Staaten und Unternehmen? Können dritte Parteien eine derartige Entwicklung begünstigen, um selbst Dominanz zu erzielen? In welchem Kontext steht dies mit der Zombifizierung der Wirtschaft? Tatsächlich haben die Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Unternehmen inzwischen eine Dimension angenommen, die für offene Gesellschaften bedrohlich wird, weil sie nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Wahlfreiheiten begrenzt. Deutlich wird das daran, dass die demokratischen Prinzipien unter Druck geraten, also die Errungenschaft von one man one vote ökonomisch ad absurdum geführt wird. 8. Welche kooperativen, gleichgewichtigen und Pareto-verbessernden Theorien und Modelle existieren, welche Vorstellungen über dynamische, oft evolutorische Systeme existieren, bei denen das Verletzen kritischer Annahmen in den Wirtschaftskrieg mündet, ohne dass im Sinne des Zweitbesten Eingriffe getätigt werden können oder getätigt werden? Tatsächlich zeigt sich deutlich, dass ein erheblicher Teil der idealisierten ökonomischen Konzepte in diesem Sinne absturzgefährdet ist. Im einfachsten Fall führt fehlende Vollbeschäftigung in der von David Ricardo beschriebenen Idealwelt des Handels direkt in die von Karl Marx aufgezeigte Ausbeutung. Wirtschaftskriege werden begonnen, wenn die Zukunftserwartungen aus gegenwärtigen oder künftigen gegenseitigen Abhängigkeiten negativ werden. Gerade dadurch, dass heute weniger über den positiven Begriff der freien Märkte, weit häufiger aber über die negativ konnotierten Begriffe Kapitalismus und Globalisierung geredet wird, wird die Lage an der „semantischen Front“ nicht leichter. 9. Wie ist der Wirtschaftskrieg aus moralischer Sicht zu bewerten? Deutlich wird, dass der Wettbewerb im Ordnungsrahmen eine der besten aller Welten darstellt – aber davon abhängt, dass dieses Ordnungsmodell auch eine Werterückbindung in der Gesellschaft besitzt. Gerade Führungspersönlichkeiten maßen sich gerne ein Ausbrechen aus dieser Welt an, sind somit Konquistadoren vergleichbar und insbesondere in der Krise infolge pathologischer Persönlichkeitseigenschaften bevorteilt – und vielleicht besitzen sie deshalb ein Interesse daran, derartige frontier-Erlebnisse zu erzeugen, um sich zu bestätigen. Für die demokratisch verfasste Gesellschaft sind sie damit eine Bedrohung. Auch der Wirtschaftskrieg ist in den Worten von Carl von Clausewitz (1832, S. 39) „ein ernsthaftes Mittel zu einem ernsthaften Zweck“, und wenn er durchzufechten ist, dann muss er durchgefochten werden. Gerade deshalb gilt auch die Ergänzung einer „Fortsetzung der Wirtschaft, aber auch des militärischen Kriegs und des politischen Konflikts mit anderen Mitteln“, da in dieser agonalen Welt, die nur wenige Inseln der Kooperation enthält, Kooperationskanäle zwingend offengehalten werden müssen, weil eben auch Politik nicht mit dem Eröffnen des Gefechts schweigen darf. 10. Staaten sind heute, vor allem auf der Cyberebene, wichtige Protagonisten des Wirtschaftskriegs, weshalb ihre Rolle als Ordnungsfaktor brüchig wird. „You can’t sit
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on both sides of the chair“, das erfahren gerade die USA seit einigen Jahren massiv, weil die Regierung die Menschenrechte betont, sie aber gegenüber der eigenen Bevölkerung und insbesondere im Ausland massiv unterläuft. Wichtige Ordnungsfaktoren entschwinden daher, weshalb sich die Frage stellt, ob Nationalstaat, möglicherweise sogar Staatenbund, Demokratie und Globalisierung gleichzeitig möglich sind. Dies zeigt das Erfordernis einer neuen Economic Governance sehr deutlich. Es ist vorrangig die Verfügbarkeit über hochflexibles Kapital im Kontrast zur nur wenig mobilen Arbeit, die die Machtverteilung der Moderne kennzeichnet – und dieser Vorteil wird ausgereizt. Viele, besonders aus der Mittelklasse, sehen sich als Gefangene eines Systems, das sie zu schaffen halfen, für das aber bisher der institutionelle Schutz versagt. Damit ist das Feld weit offen für Wirtschaftskriege. Jürgen Habermas (2014) warnt deshalb mit Recht in einem Interview mit der französischen Wochenzeitung L’Express vor den bedenklichen Kollateralschäden der wirtschaftskriegerischen Weltfinanzkrise ab Ende der 2000er Jahre und dem unzureichenden Krisenmanagement der beauftragten nationalen und europäischen Institutionen: „En Europe, les nationalismes sont de retour.“ Der BREXIT-Beschluss des Jahres 2016 und der Abspaltungsversuch Kataloniens des Jahres 2017 bestätigen ihn. Die Populisten der Neuzeit kämpfen als Antiglobalisten für den Erhalt ihres Status – im Süden eher auf der linken, im Norden eher auf der rechten Seite, was Ursachen in Traditionen und den offenen Flanken der politischen Systeme hat. Ist alles schon dagewesen? La Divina Commedia (1320) von Dante Alighieri (1255– 1321), vor rund 750 Jahren geschrieben, zeigt ein wirtschaftskriegerisches Spiegelbild des frühkapitalistischen Florenz, dessen Protagonisten der Autor in der Hölle inszeniert. Alle Spielarten des Wirtschaftskriegs – ganz im Sinne der hybriden Kriegsführung – werden durchexerziert. An Erfahrungswissen über das, was Wirtschaftskrieg bedeutet, fehlt es also nicht. Wird die „dunkle Seite“ der ökonomischen Lehre zu wenig betrachtet? Tatsächlich sind die formalen Werkzeuge der Analyse vorhanden. Vielleicht ist die theoretische, interdisziplinär ausgerichtete Basis der Ökonomik nicht hinreichend entwickelt. Exakte mathematische Darstellungen ersetzen nicht das Einbeziehen der Quellen der „dunklen Seite“, deren Ausklammern nicht hilft, will man die Realität erklären. Man könnte vermuten, die Wirtschaftswissenschaft stünde in ihrer Naivität noch vor der Kopernikanischen Wende im Sinne des großen preußischen Domherren, Juristen und Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473–1543). Die enormen gesellschaftlichen Reibungsverluste infolge der wirtschaftspolitischen Durchsetzung der ökonomischen Denkweise als allgemeingültige Erklärungsmethode, manche sagen auch Ideologie, delegitimieren wie kein anderes Ereignis der jüngsten Zeit die freiheitliche Wirtschaftsordnung. Kurzgefasst: „Es geht um Verkündung, nicht um Begründung“, wie Ulf Schmidt (2012: 26) in seinem Theaterstück Schuld und Schein schreibt, denn die Ökonomie sei keine (exakte) Naturwissenschaft, sondern eine Sozialwissenschaft. Das
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Unterschlagen dieser Wurzeln und die ebenso inhaltliche wie logische Verengung hat sie, wie die Einschätzungen der Disziplin seit der Finanzkrise zeigen, an den Rand der gesellschaftlichen Relevanz und Akzeptanz gedrängt.
Literatur Clausewitz, C. v., 1832, Vom Kriege, Dümmlers Verlag, Berlin; zitiert nach 1999, Vom Kriege Bände 1–3, Mundus Verlag, Essen. Habermas, J., 2014, En Europe, les nationalismes son de retour, Interview in LExpress, 12. November, 14–16. Schmidt, U., 2012, Schuld und Schein, ein Theaterstück; http://schuldundschein.de/wp-content/ uploads/2012/11/Schuld-und-Schein_Ulf-Schmidt.pdf, Zugriff am 22. 2. 2015.
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Sun Zi: Die Kunst des Kriegs In dreizehn Kapiteln wird bei Sun Zi (ca 500 v.Chr) die Kriegsführung abgehandelt: • Planung: Betrachtet wird die Ausgangsphase, die mit grundsätzlichen strategischen Fragen, also mit dem Eingehen auf den Konflikt, verbunden ist. Sie betrifft die oben genannten fünf Konstanten ebenso wie das Durchführen einer klaren Lagebeschreibung und Lageanalyse. • Über die Kriegsführung: Hier werden die klassischen Führungsfragen, auch die Anreize, sich selbst in Lebensgefahr zu bringen, betrachtet. Vor allem wird die Gefahr der Abnutzung durch anhaltende Kriege verdeutlicht. • Das Schwert in der Scheide: Der beste Sieg ist der, der ohne Waffengewalt errungen wird, und der General ist das Bollwerk des Staats. Dabei wird die Kriegsführung in Abhängigkeit von den Ergebnissen eines Kräftevergleichs betrachtet. Von besonderem Interesse sind die Versagensfälle: Fehlender Gehorsam, inadäquate Führung und fehlende Anpassung an die Umstände. • Taktik: „Man kann wissen, wie man siegt, ohne fähig zu sein, es zu tun.“ Das erläutert den Wesensgehalt, nämlich die eigenen Fähigkeiten, einschließlich der Moral der Soldaten, zu kennen. • Energie: Die Integration von direktem und indirektem Wirken wird zu einer Operation verbundener Waffen, wobei es dem militärischen Führer gelingen muss, die Ordnung in der Unordnung zu sehen, also den Überblick zu behalten.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3_14
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• Schwache und starke Punkte: Hier gilt es, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen und dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen. Gute Feindaufklärung ist hierfür entscheidend. Im Sinne der modernen SWOT-Analyse werden Schwächen zu Stärken und Bedrohungen zu Herausforderungen. • Manöver: Hier steht der Kampf um die Initiative im Vordergrund, weshalb es wichtig ist, die Absichten des Gegners und seine Möglichkeiten zu kennen. • Taktische Varianten: Hier werden neun grundlegende Taktiken erläutert. • Die Armee auf dem Marsch: Logistische Fragen werden hier ebenso angesprochen wie die Gefährdung der Truppe in Marschformation. • Terrain: Hier werden sechs Typen des Terrains benannt, die in Bezug auf Zugänglichkeit, Steilheit, Einsehbarkeit usw. unterschiedliche militärische Verhaltensweisen erfordern. • Die neun Situationen: Es werden auf der Basis von neun Geländetypen alternative Möglichkeiten der Operationsführung angegeben: auseinandersprengendes Gelände; leichtes Gelände; umstrittenes Gelände; offenes Gelände; Gelände mit kreuzenden Straßen; gefährliches Gelände; schwieriges Gelände; eingeengtes Gelände; hoffnungsloses Gelände. • Angriff durch Feuer: Der Feuerangriff kann entweder in das Lager, in die Vorräte, in die Transporte, die Arsenale und Magazine oder schließlich in die kämpfende Truppe hineingetragen werden. • Der Einsatz von Spionen: Ziel ist es, den Waffengang zu verkürzen: Es ist „der Gipfel der Unmenschlichkeit, über die Verfassung des Feindes im unklaren zu bleiben, nur weil man die Ausgabe von hundert Unzen Silber für Belohnungen und Sold scheut.“ Spione können aber auch im eigenen Bereich zur Gegenaufklärung eingesetzt werden.
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Tan Daoji: Die 36 Strategeme Teil 1 Strategeme der Überlegenheit • Den Kaiser täuschen und das Meer überqueren: Heimliche Vorbereitungen lassen sich am besten durch bewusste Öffentlichkeit verbergen • Wei belagern, um Zhao zu retten: Verteilte feindliche Kräfte lassen sich leichter vernichten als konzertierte • Mit dem Messer eines anderen töten: Überlasse dem unsicheren Verbündeten oder dem Feind eines eigenen Feindes die Attacke • Ausgeruht den erschöpften Feind erwarten: Durch eine den Feind auszehrende eigene Verteidigung lassen sich dessen Kräfte erschöpfen • Ein Feuer für einen Raub ausnutzen: Die Krise des Feindes lässt sich nutzen, um ihn an unvorbereiteter Stelle zu schaden • Im Osten lärmen, im Westen angreifen: Durch Falschinformation dem Feind zum Fehldislozieren seiner Kräfte bewegen Strategeme der Konfrontation • Etwas aus einem Nichts erzeugen: Baue eine falsche Front auf, um den Feind zu überraschen • Heimlich nach Chencang marschieren: Baue ein falsche Front auf, um heimlich die Truppen anderweits zu verschieben • Das Feuer am gegenüberliegenden Ufer beobachten: Wenn sich gegnerische Bündnisse zerstreiten, warte ab und beobachte aufmerksam, um zum richtigen Zeitpunkt loszuschlagen • Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen: Bewege Feinde dazu, Dir zu vertrauen, um zum richtigen Zeitpunkt heimlich loszuschlagen
• Den Pflaumenbaum verdorren lassen anstelle des Pfirsichbaums: Wenn Verluste unvermeidbar sind, opfere bewusst zum Vorteil der Verbleibenden • Mit leichter Hand das Schaf wegführen: Nutze jeden Fehler oder Unaufmerksamkeit des Gegners Strategeme des Angriffs • Auf das Gras schlagen, um die Schlange aufzuscheuchen: Wenn sich der Gegner zurückhält und damit nicht einzuschätzen ist, scheuche ihn auf, um seine Reaktion zu testen • Für die Rückkehr der Seele einen Leichnam ausleihen: Nutze nicht das, was alle nutzen; nutze etwas Ungewöhnliches. Insbesondere: Revitalisiere eine Idee oder eine Waffe, die seit langem als nutzlos gilt • Den Tiger vom Berg in die Ebene locken: Dringe bei einem mächtigen Gegner nicht in sein Gebiet ein, sondern verführe ihn, seine sichere Umgebung zu verlassen • Will man etwas fangen, muss man es zunächst loslassen: Setze den Gegner erst unter Druck und lasse ihn dann los, ermüde ihn und fange ihn anschließend • Einen Backstein hinwerfen, um Jade zu erlangen: Präsentiere etwas von scheinbaren Wert, um etwas von sichtbaren Wert zu erlangen • Den Gegner durch Gefangennahme des Anführers unschädlich machen: Konzentriere Dich bei einem übermächtigen Gegner darauf, seinen Anführer zu vernichten oder zu fangen
Quelle: eigene Zusammenstellung, CBL (o.D.)
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Tan Daoji: Die 36 Strategeme Teil 2 Strategeme in verwirrender Lage • Das Brennholz heimlich unter dem Kessel wegnehmen: Besiege den überlegenen Gegner, indem Du ihm die Ressourcen abschneidest • Das Wasser trüben, um die Fische zu ergreifen: Nutze Verwirrung und Orientierungsverlust, um Dein Ziel zu erreichen • Die Zikade wirft ihre goldglänzende Haut ab: Baue eine Fassade auf, die Du dann heimlich verlässt • Die Türe schließen, um den Dieb zu fangen: Umzingle und zerstöre den schwachen Feind • Sich mit dem fernen Feind verbünden, um Nachbarn anzugreifen: Nahe Feinde sind besser zu erobern als ferne – deshalb verbünde Dich mit deren Nachbarn • Einen Weg für einen Angriff gegen Guo ausleihen: Nutze die Ressourcen einer anderen Partei, um gegen einen gemeinsamen Feind zu ziehen. Hast Du ihn niedergerungen, wendest Du Dich gegen die Partei, deren Ressourcen Du nutzt Strategeme des Gewinnens • Die Balken stehlen und gegen morsche Stützen austauschen: Rekrutiere Talente bei Verbündeten, um die eigene Sache voranzutreiben • Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeerbaum zeigen: Kritisiere indirekt, um ohne Konfrontation zum Ziel zu gelangen • Verrücktheit mimen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren: Manchmal ist es besser, sich als verrückt auszugeben als zu prahlen und rücksichtslos zu handeln. Dann kann man aus dem Verborgenen zuschlagen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist
• Auf das Dach locken, um dann die Leiter wegzuziehen: Dem Gegner wird ein Köder vorgehalten, um ihn in eine Lage zu bringen, die ihm vorteilhaft erscheint, um ihm dann den Rückweg abzuschneiden • Dürre Bäume mit künstlichen Blüten schmücken: Blende und verführe den Gegner, um dann überraschend zuzuschlagen • Die Rolle des Gastes in die des Gastgebers umkehren: Trotz der Rolle als Gast positioniere Dich so, dass die Schlüsselentscheidungen bei Dir liegen Strategeme in verzweifelter Lage • Die List der schönen Frau: Baue eine Honigfalle, um an die wesentlichen Informationen zu gelangen • Die List der offenen Stadttore: Entblöße die Verteidigungslinien von Soldaten, um den Feind zu verwirren, sodass dieser an eine Falle glaubt und abzieht • Die List des Säens von Zwietracht: Kompromittiere Wissensträger in der Organisation des Gegners, um sie dann für Dich arbeiten zu lassen • Die List der Selbstverstümmelung: Indem Du kleinere oder nicht tödliche Verletzung zufügst, gewinnst Du das Vertrauen des Gegners. Am besten stilisierst Du Dich als Opfer Deiner eigenen Leute • Die Ketten-Strategie: Überlegene Gegner neutralisierst oder vernichtest Du nicht durch Kraft und Macht, sondern durch koordinierte und verbundene Strategeme • Weglaufen als beste Methode: Kapitulation ist eine volle Niederlage, Waffenstillstand, also Kompromiss ist eine halbe Niederlage, Flucht ist keine Niederlage – sie erlaubt es Dir, die Kräfte neu zu ordnen
Quelle: eigene Zusammenstellung, CBL (o.D.)
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Ch‘i Chi-kuang: Neue Abhandlung über den disziplinierten Dienst In seinem zu einem Klassiker gewordenen Buch schreibt Ch‘i Chi-kuang (1562) über soldatische Zucht und Tugend, die Anforderungen an den Offizier als Führer, Vorbild und Erzieher sowie über Methoden, durch klare Regeln einen Rahmen zu setzen, der die militärische Ausbildung strukturiert und die Kampfführung erleichtert. Ziel ist es, der Willkür und dem Disziplinverlust entgegenzuwirken und die Kalkulierbarkeit bezüglich des Handelns der anderen Soldaten so zu erhöhen, dass Verlässlichkeit und Disziplin eine Synthese eingehen. Die kleinsten Kampfeinheiten sind Gruppen von fünf bzw. elf Personen, für die die Allegorie der Mandarinente verwendet wird, eines ganz besonderen Vogels, der zu einer starken Solidarität und zur engen Verbundenheit mit seiner Gruppe befähigt ist. In neun Kapiteln werden die einzelnen Gesichtspunkte guten soldatischen Handelns behandelt. Das Kapitel • Grundsätzliches über das Zügeln der Fünferschaft befasst sich mit den Grundsätzen bei der Auswahl von Soldaten, ihrer Einteilung an die Waffen, mit dem Disziplinieren der Fünferschaft als kleinste militärische Gruppe, einschließlich der damit verbundenen Ausrüstung. Dabei wird das Führungssystem dermaßen von unten nach oben aufgebaut, dass jeder Vorgesetzte aus den zu rekrutierenden Aspiranten diejenigen aussucht, die er für seine Aufgaben und zu seiner Persönlichkeit passend für geeignet hält. • Für die Kampfausbildung notwendige Befehle in kurzen und klaren Abschnitten thematisiert die Kampfausbildung und die Gefechtshandlung, wobei ein wesentlicher Schwerpunkt auf die Fähigkeit zur Kommunikation gelegt wird, die über Wimpel und Flaggen erfolgen muss, weil sie vom Feind möglichst weder gesehen noch gehört werden darf, weshalb alle Soldaten diese Kodierung vollständig beherrschen müssen. Ein weiterer Aspekt ist die Erziehung der Soldaten dazu, sich im Kampfgeschehen nicht durch das Sammeln von Trophäen oder durch Plünderungen ablenken zu lassen, was schwächende oder sogar tödliche Folgen haben kann. • Die kollektive Bestrafung nach dem Militärstrafrecht in der Gefechtsaktion betont die positiven aber auch die negativen Anreize, für die es ein hartes Regelsystem gibt. Um in einem Kampf Schwächlinge zu identifizieren, wird empfohlen, diesen die Ohren abzuschneiden, sodass sie im Nachgang schneller ordnungsgemäß enthauptet werden können. • Darlegung der wichtigsten Verbote für die Soldaten definiert: Feind ist der, welcher die Zivilbevölkerung tötet; Soldat sein heißt, Feinde zu töten. Das ist die zentrale Ausrichtung, an die sich die Gruppe zu halten hat. Weiterhin befasst sich dieses Kapitel mit individueller und kollektiver Disziplin, insbesondere mit der damit verbundenen Pflicht zur Tapferkeit. Wird diese nicht gezeigt, sind harte Strafen angemessen – gute Leistungen sind zu belobigen, persönliche Not und Unglück werden dabei berücksichtigt.
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• Befehle und Verbote bei der Ausbildung von Truppen legt den Schwerpunkt auf die Dienstaufsicht, weshalb das Disziplinarsystem genau der Hierarchie entsprechend zu organisieren ist. Das bedeutet insbesondere, dass mangelnde Dienstaufsicht hart bestraft wird und nicht diejenigen, die hierdurch möglicherweise nicht die Leistungen erbringen, die sie sonst erbringen würden. • Leistungsvergleich der Soldaten im Waffenhandwerk, Belohnung und Bestrafung zeigt Methoden des Leistungsvergleichs im Rahmen der Ausbildung und gibt für jedes der einzelnen Waffensysteme einen angemessenen Rahmen für die Durchführung und Bewertung vor. • Befehl und Verbot für Verbände auf dem Marsch und im Feldlager trifft klare Regelungen getroffen, weil bei einem Marsch und im Feldlager die Verwundbarkeit der Gruppe besonders hoch ist. Sie betreffen auch die Anforderungen an Hygiene, Kommunikation, Zeitmanagement und Mobilisierung. • Das Exerzieren von Lager, Kampfformationen, Fahnen und Trommeln enthält die wichtigsten taktischen Informationen, um effizient führen und wirken zu können. Wichtige Bestandteile sind der Schutz vor offenen Flanken, das Durchkämmen von Hinterhalten, die Organisation von Vormarsch oder Rückmarsch sowie die jeweilige die Position des Kommandeurs, auch bei einer erforderlichen Umgliederung des Verbandes. • Feldzug: Aufbruch auf dem Marsch, Marschlager betrachtet diverse Umgruppierungen beim Übergang vom Marsch ins Gefecht, weil der Marsch durch seine Rahmenbedingungen eigene Organisationsqualitäten besitzt. Carl von Clausewitz: Vom Kriege Die acht Bücher von Carl von Clausewitz (1832) befassen sich mit folgenden Themen: • Der Natur des Kriegs, also dem Krieg als Element des sozialen Lebens, als existentielles Problem in allen seinen nur denkbaren Erscheinungsformen in Vorstellung und Wirklichkeit, und den sich daraus ableitenden Folgen für das Handeln und für das Verhältnis von Krieg zur Politik: Hier erfolgt auch ein Abwägen zwischen Theorie und abstraktem Plan einerseits und Empirik und Erleben auf dem Schlachtfeld andererseits. Besonders wichtig ist dabei, dass er in dieser Gemengelage dem Krieg etwas Chamäleonhaftes zuschreibt und versucht, das auf die Ursachen zurückzuführen, die teilweise anthropologisch, teilweise staatsbezogen und teilweise dem Zufall zuzuschreiben sind. Der Zweck, dass der Krieg der Politik zu dienen habe, macht ihn zu einem Werkzeug und nicht zu einem willkürlichen Gestaltungselement. • Der Theorie des Kriegs, also der theoretischen Fundierung der Kriegskunst: Im engeren Sinne vollzieht sich hier eine geistes- und dogmengeschichtliche Betrachtung des Kriegs, insbesondere auch zu der Frage, wie die Beziehung zwischen Wissen und
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Macht ausgestaltet ist. Krieg wird somit zu einer Kunstlehre, weshalb an den Feldherrn hohe Anforderungen zu stellen sind, insbesondere solche der Moral. • Mit der Strategie überhaupt, damit auch mit Fragen des Kräftevergleichs, begründet in Technologie, Wirtschaft, Moral, Intelligenz: Hier wird das Wechselspiel aus Fähigkeiten, Bereitschaften und dem Willen diskutiert, wobei besonders die moralischen Kräfte von außerordentlicher Bedeutung dafür sind, die Auseinandersetzungen zu eigenen Gunsten zu wenden. • Mit dem Gefecht als zentrales Element der Schlacht: Hier werden besonders Strategie, Operation und Taktik entwickelt und die Bedeutung der Entscheidung – ob Sieg oder Niederlage – und deren Handlungsfolgen analysiert. • Mit den Streitkräften und dabei insbesondere auch mit deren Fähigkeiten im Kräftevergleich: In diesem Kapitel werden die Gedanken des vorangegangenen weiter elaboriert, insbesondere auf die Abläufe, als Lager, Märsche, Aufstellung, und dies mit Bezug auf die Landschaft.
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Autoren-und Namensindex
A Abdel, 308, 345, 374 Abdel-Samad, 308, 345, 374 Abegglen, 26 Abelardus, 304 Abelshauser, 429 Abraham, 118, 194, 227, 371 Absalom, 126 Acemoglu, 158, 211, 214, 619 Achilles, 65, 537 Achleitner, 702 Ackermann, 585 Admati, 268, 918 Adorno, 223, 736 Adrom, 136 Afflerbach, 48, 316 Agamemnon, 551, 899 Akerlof, 135, 558, 670 Albaek, 675 Albert, 68, 133, 211, 219, 341, 371, 402, 466, 523, 610, 835, 857, 890, 918 Albrecht, 146, 289 Alesina, 156, 387, 921 Alexander I, 58, 181 Alighieri, 935 Allianz, 542 Alonso, 626 Alphaliner, 452 American Psychiatric Association, 139, 150 Ames, 773 Anderson, 143, 217, 389 Anderton, 233 Andrews, 894 Angell, 68 Angenendt, 119 Apel, 288 Apps, 151, 866 Aqueveque, 154 Aquin, 16, 209, 304, 328, 520 Aral, 689, 859 Arendt, 369
Aristoteles, 141, 209, 286, 288, 295, 296, 303, 304, 306, 932 Armstrong, 119 Arndt, 439 Aron, 6, 20 ARTE, 149 Arts, 522 Asch, 152 Ashelm, 397 Ashford, 755 Asimov, 835 Aßländer, 222 Atkinson, 193 Augustinus, 297, 298, 304, 520, 521, 723 Aust, 64, 689, 782 Autorenkollektiv, 252 Averroës, 303 Avolio, 510, 511, 513
B Baberowski, 29, 36, 66 Backhouse, 401 Bacon, 465 Baer, 155 Bahke, 444, 446, 666, 667 Bai, 46, 302 Bailey, 880 Bain, 129, 658 Bajbouj, 149 Balassa, 435 Baldwin, 97, 152, 753 Balzer, 200 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 669, 889, 911, 915 Banks, 859, 895 Bannon, 70 Barass, 74 Barber, 136, 372, 753 Barkai, 380 Barnea, 153
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3
1015
1016 Barnes, 148 Bartel, 628 Bartolomé, 158 Bass, 510, 511 Bassford, 25 Batseba, 125, 126 Bauer, 298, 702, 706 Bauman, 759 Baumann, 570, 618 Baumeister, 117, 142 Baumgart, 347 Baumol, 50, 59, 186, 656 Bayer, 779 Bazigos, 697, 698 Beatty, 852 Beaver, 148 Beck, 116, 541 Becker, 304, 306, 783 Beil, 377 Beirer, 144, 145, 538 Beisheim, 443 Bell, 300 Bender, 63 Benedikt XVI., 342 Benes, 920 Benjamin, 377, 546 Benner, 629 Bennets, 291 Benoist, 383 Bentham, 56, 324 Berentsen, 248 Bergeijk, 752 Berlin, 294 Bermbach, 360 Bernanke, 290 Bernstein, 538, 700 Berthold, 213, 377 Besedes, 754 Bettencourt, 664 Beutelsbacher, 272, 543 Bezos, 64 Bhagwati, 50, 219, 607 Bhatia, 844 Bhui, 783 Bialas, 379 Bibel, 45, 117–119, 123, 125, 126, 133, 200, 299, 310, 381, 520, 593, 657 Bild am Sonntag, 203
Autoren-und Namensindex Bin Laden, 136, 783 Binswanger, 298 Birbaumer, 138 Birkeland, 840 Bishop, 817 Bismarck, 20, 536, 551, 784, 793 BIZ, 889 Blackmore, 140, 183 Blackwill, 10, 747, 785 Blake, 184 Blanchard, 290 Blasberg, 395 Blaug, 294 Bloom, 213 Bloomberg, 34, 653 Blücher, 449, 550, 848, 849 Blum, 20, 52, 55, 80, 84, 85, 88, 95, 129, 143, 181, 188, 191, 194, 204, 206, 210, 211, 235, 247, 248, 256, 257, 294, 307, 429, 435, 444, 446, 458, 467, 471, 473, 474, 495, 530, 541, 546, 548, 551, 568, 608, 611–613, 621, 623, 624, 627, 629, 642, 659, 666, 667, 674, 716, 725, 734, 735, 742, 745, 752, 758, 761, 768, 819, 820, 847, 921, 924 Blum, J., 458 Böckenförde, 329 Bodin, 308 Boehmer, 68 Böhm, 226, 325, 340 Böhm-Bawerk, 325 Böhmer, 630 Bohorquez, 514, 515 Boie, 859 Böll, 141 Bornkessel-Schlesewsky, 525 Boroditsky, 202 Börsen-Zeitung, 79, 214, 261, 450, 452, 453, 497, 604, 666, 681, 688, 691, 693, 700, 757, 775, 776, 832, 840, 867, 868, 901, 902, 910, 913, 916, 919, 920 Bothe, 839 Botzenhard, 254 Bourdieu, 294 BP, 496 Bracken, 260 Brauer, 44 Braun, 45, 568, 865
Autoren-und Namensindex Brecht, 357, 377 Brenner, 27, 53, 145 Breschnew, 610 Bresnahan, 210, 429, 445, 469, 638, 674, 682, 834 Breton, 141 Breuer, 562 Brill, 291 Brinkmann, 54 Brion, 143 Brito, 233 Brodnitz, 21, 30 Brookings, 430 Brukner, 555 Bubrowski, 397 Buchanan, 55, 332 Büchel, 64 Buchen, 769 Buchter, 692 Buckholtz, 162 Bude, 398 Bulbulia, 193 Bünder, 716 Bundesverfassungsgericht, 264, 270, 771, 902, 910 Bureau of Economic Statistics, 77 Burke, 323 Burnham, 185 Burns, 51, 762 Büschmann, 677, 690, 694 Busse, 485, 486, 675 Bussmann, 347, 778 Buttkereit, 42 Buttlar, 163
C Caesar, 10, 46, 296, 552, 900 Cahlíková, 154 Cai, 148 Callwell, 25 Calvin, 155, 159, 306, 307 Campbell, 151 Camus, 371, 382, 918 Canetti, 362, 369, 370 Capgemini, 213, 214 Carlowitz, 433 Carnegie, 119, 155
1017 Carter, 233 Casimir, 31 Caspar, 138 Cato, 43, 62, 295 CBL, 18 Chamberlain, 359, 360, 375, 378 Chang, 564, 729 Charlie Hebdo, 385 Chen, 202, 480 China Daily, 353, 771 Christaller, 606, 622 Christensen, 138, 570 Chruschtschow, 252, 292 Chui, 852 Churchill, 99, 150, 195, 519, 532 Ch’i Chi-kuang, 18, 19 Cicero, 1, 44, 47, 224, 227, 295, 296, 324, 393 Cingl, 154 Cixi, 729 Clark, 72, 135, 218, 792, 830 Clarke, 299 Clausewitz, 1, 3, 6, 10, 14, 17, 18, 20–27, 33, 35, 37, 38, 43, 46, 48, 51, 54, 65, 94, 101, 141, 179, 203, 236, 250, 296, 303, 337, 368, 403, 418, 423, 463, 506, 507, 509, 517, 527, 533, 536, 545, 550, 554, 578, 588, 606, 607, 633, 706, 752, 837, 861, 888, 913, 933, 934 Clausius, 509, 711 Cleckley, 139 Cleeremans, 138 Cline, 217, 419 Clinton, 64 Coase, 336 Coates, 162 Cobden, 68 Cochrane, 920 Coen, 122, 159, 160 Cohen, 260, 537, 665 Colbert, 348, 746 Combaceau, 751 Comte, 62, 350 Connally, 75 Cook, 215 Copeland, 68, 69, 97 Coriando, 141 Cornelis, 641 Corporate Trust, 686
1018 Corsetti, 564 Cortés, 119, 122, 155, 158, 421, 551 Cortright, 751 Côté, 153 Cournot, 469 Creditreform, 515 Creveld, 30, 133, 224, 387 Crocker, 152 Cronqvist, 153 Crouch, 317, 366, 555, 904 Cubitt, 522 Curry, 215 Czaja, 153
D D‘Acunto, 188 Dammler, 689 Daniels, 365 Dapp, 851 Darwin, 29, 54, 349, 355 Dasgupta, 234 David, 118, 125, 126, 498, 590, 657 Davis, 830 Dawkins, 132, 183, 354 de Gaulle, 197 DeLisi, 148 DeLong, 526 Delury, 198 Deneuve, 630 Der Standard, 820 Desmet, 697, 698 Deutsche Bundesbank, 83, 84, 88, 257, 265, 270, 699, 727, 739, 741, 770, 804, 888, 897, 919 Deutscher Bundestag, 14, 75 Diamond, 164, 165, 214, 215, 217, 221 Dibelius, 156, 163 Didier, 61 Die Welt, VIII, 48, 71, 79, 266, 267, 368, 373, 389, 449, 456, 493, 494, 496, 609, 702, 706, 762, 765, 830, 893, 903 Die Zeit, 40, 205, 776, 906 Dierken, 903 Dixit, 468, 534, 559, 675 Dixon, 514 Dobbs, 427, 428, 908, 909 Dobelli, 525 Dohmen, 400 Dombrowski, 317
Autoren-und Namensindex Döring, 870, 899 Dörner, 143, 538, 553, 554, 556, 557 Dosi, 186 Dostojewski, 140 Dowd, 271 Dowideit, 670 Downes, 570, 664 Downs, 626 Draghi, 120, 163, 263, 264, 271, 290, 366, 771, 780, 911, 917, 921 DSW, 706 Dtn, 227 Duchesne, 220 Dudley, 44, 120, 181, 188, 191, 194, 203, 210, 211, 221, 247, 248, 307, 344, 429, 548, 568, 611, 623, 624, 627, 734, 735, 761, 819 Dugin, 11, 68, 96, 181, 291, 385, 386 Dunlop, 422 Durkheim, 372 Dürrenmatt, 9, 543, 837 Dutton, 149, 157 Dyson, 687 Dziobek, 149
E Ebeling, 53 Eberly, 513 Eccles, 154 Eckert, 734, 772, 897, 899, 914 Eco, 196, 345 Economist, 87, 94, 132, 142, 205, 272, 393, 442, 461, 489, 605, 652, 690, 694, 696, 725, 744, 745, 756, 759, 763, 818, 831, 856, 869, 873, 893, 907, 924 Eder, 779 Effron, 142 Ehlert, 241, 242 Ehrenfeld, 396 Eibl-Eibesfeldt, 15, 183 Eichengreen, 746 Eichhorn, 522 Eickhoff, 444, 446, 666, 667 Eike-Pik, 395 El-Shagi, 805 Eliams, 125 Elias, 118, 153, 334, 360, 362, 369, 370 Ellison, 64, 155 Eloot, 483
Autoren-und Namensindex Emden, 40, 49 Encina, 154 Engdahl, 155, 322, 796, 906 Engel, 140 Engelhardt, 228–230 Engels, 27, 50, 51, 120, 141, 323, 331, 351–353, 376, 510, 762, 763, 902, 914 Engerman, 97, 619 Entorf, 146 EPS-Data, 878 Erhard, 1, 54, 75, 132, 253, 338–341, 471, 658 Esau, 118 Escaith, 81, 82, 738 Esfeld, 520 Esser, 583–585 Ettel, 268, 542, 889, 901, 902 Ettenson, 835 Eucken, 54, 220, 331, 333, 339, 340, 656, 759 EuGH, 852, 910, 912 Euripides, 288 Europäische Gerichtshof, 264, 270, 748, 852, 867, 910 Europäisches Patentamt, 86 European Banking Authority, 922 European Systemic Risk Board, 917 Eurostat, 77 Evola, 374, 385
F Fairbrother, 633 Falk, 147, 179, 220 Farrell, 444, 561 Fattouh, 495 Fauconnier, 202 Feder, 379 Feige, 761 Feld, 910 Feldstein, 800 Feltes, 146 Feng, 357 Fenske, 794 Ferguson, 32, 128, 163, 191, 220, 419, 819 Ferrero, 46 Feuerbach, 335, 351 Fichte, 318, 349, 375 Filipović, 824 Financial Stability Board, 901
1019 Financial Times, 903 Fioole, 314 Fischer, 217, 376, 795 Fisher, 376, 920 Fitzcarraldo, 630 Fleming, 195, 742 Flood, 564 Floridi, 508 Flossbach von Storch, 496 Focus, 532, 676 Fogel, 97, 619 Folger, 857 Fontane, 521 Foos, 143 Foot, 837 Forbes, 773 Førland, 253 Forschner, 324 Foschini, 489 Foucault, 694, 822 Fouché, 348 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 302 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 78, 86, 156, 166, 266, 267, 392, 394, 398, 445, 455, 457, 458, 460, 491, 536, 539, 663, 677, 697, 747, 755, 775, 777, 832, 833, 839, 844, 868, 870, 890, 891, 919, 921, 924 Fränkischer Tag, 257 Franklin, 177 Freedman, 65 Freidel, 63, 831 Freud, 12, 15, 29, 53, 133, 134, 344, 355, 369, 558, 825 Frey, 434, 782 Freytag von Loringhoven, 379 Friedman, 192, 193, 290, 331, 332, 484, 609, 728, 910, 920 Fritsche, 782 Fromm, 17, 538 Frühauf, 166, 918 Fry, 148 Fuest, 774, 833, 848, 910 Fugger, 470, 490, 676 Fuhrmeister, 608 Fukuyama, 2, 220, 329, 335, 344, 355, 376, 382, 384, 386 Fuld, 119, 122, 377, 546
1020 G Gabriel, 571, 697 Gagnon, 697, 698 Galison, 823 Gallini, 666 Galt, 227, 371 Galton, 355 Galtung, 255, 380 Gama, 159 Gandhi, 381 Garber, 564 Garicano, 716 Gärtner, 162, 571, 781 Gartzke, 68 Gasset, 361 Gassmann, 400 Gaudry, 143 Gaumer, 297 Gauweiler, 905 Gavin, 459, 642 Gehlen, 388, 899 Geier, 367 Geistlinger, 292 Gellately, 375 Gen, 15, 118, 148, 183, 194, 218 General Administration of Customs P.R. China, 878 Genfer Konvention, 34 Gentili, 308 Gentiloni, 425 George, 744 Georgiu, 264 Gerassimow, 36–38, 63, 732 Gergorin, 38, 818 Gerhardt, 464 Gersemann, 272, 906 Gerste, 52, 550, 605 Gertner, 716 Gesell, 379, 920 Ghaemi, 150 Ghyczy, 25, 509 Gibb, 303 Gibbons, 561 Giles, 63 Girard, 1, 24, 46, 141, 144, 250, 837 Gladwell, 510 Glavinic, 528 Gleißner, 541, 575 Glick, 67
Autoren-und Namensindex Glucksmann, 375 Gneisenau, 539 Gneiting, 545 Göbbels, 364 Gobineau, 359 Goddard, 485 Goés, 213 Goethe, 11, 44, 132, 593 Goettler, 591 Goetzmann, 285 Goffé, 439 Goldbach, 754 Goliath, 126, 498, 590, 657 Gorbatschow, 48, 257 Gordon, 74, 333, 574, 589, 591 Gourley, 514 Gournay, 299 Grabner-Haider, 119 Graeber, 45, 773, 903 Graf, 9, 10, 119, 264 Granitz, 678 Grant, 230 Grauwe, 804 Gray, 193 Greenhut, 615 Greenspan, 372, 388, 800 Greenstein, 588 Greenwald, 781 Greiner, 289, 610 Grillparzer, 368 Grimm, 321 Griskevicius, 152 Groenemeyer, 538 Grossarth, 179, 716 Grossman, 66, 210, 743 Grotius, 308, 310, 619 Grün, 32 Grundgesetz, 363 Guderian, 25, 654 Guiso, 153, 539 Gumiljow, 387 Gumplowicz, 129, 290, 354, 375, 790 Günther, 43, 755 Güntürkün, 848 Guo, 148 Gurun, 537, 665 Güth, 240 Gutiérrez, 39
Autoren-und Namensindex H Haag, 574 Haager Landkriegsordnung, 34 Haase, 355 Habermas, 464, 935 Hackmann, 75 Haggar, 138 Hahn, 571 Haidt, 182 Hajnal, 605 Ham, 150 Hamann, 378 Hamel, 444, 474 Hamilton, 130, 303, 840 Han Fei Zi, 302, 346, 347 Hancock, 199, 200 Handelsblatt, 156, 166, 441, 458, 724, 828, 829, 891 Haney, 859 Hanushek, 211 Harari, 24, 139, 199, 221, 241, 287, 344, 379 Harberger, 738 Harbulot, 4, 62 Hardenberg, 539 Hardin, 42, 135, 232 Hare, 139 Harper, 605 Harrington, 679, 714 Harris, 10, 747, 785 Hartmann, 37, 378, 401 Hasse, 769 Hassel, 428, 768 Hassett, 728 Hastor, 694 Haucap, 664, 910 Hawkins, 368 Hayek, 54, 305, 330, 331, 334, 338, 344, 377, 462, 526, 543, 556, 558, 656, 825, 835, 847, 853, 860, 894 HDv, 61, 420, 448, 527, 579, 706 Heckathorn, 247 Heckell, 306 Hecker, 225 Heekeren, 149 Hegel, 25, 181, 287, 317, 331, 335, 344, 349, 375, 604 Heggarty, 215 Hegmann, 543 Heidegger, 12, 362, 367, 368, 375, 386
1021 Heilbronner, 294 Hein, 120, 166, 398, 400, 401 Heinsohn, 426 Hellmann, 150 Hellwig, 268, 918 Helpman, 210, 429, 445, 611, 638, 658 Henkel, 921 Heraklit, 12, 67, 287, 343, 933 Herdegen, 52 Herder, 201 Hering, 828 Hermann, 215, 361, 769 Hermes, 11, 33, 298, 362 Hernandez, 513 Herzinger, 344 Heuser, 149 Heuss, 359, 575 Heym, 126 Hickok, 152 Highfield, 184 Hilferding, 473 Hirohito, 156 Hirschi, 347 Hirschman, 68, 133, 211, 219, 341, 466, 610, 890 Hirshleifer, 55, 150, 233, 569 Hitler, 24, 43, 73, 119, 137, 150, 287, 330, 359, 360, 375, 377, 378, 380, 387, 799 Ho Chi Minh, 381 Hobbes, 29, 115, 239, 300, 309–311, 346, 393 Höffe, 13, 210, 222 Hoffer, 224, 358 Hoffman, 221, 417 Hoffmann, 422, 919 Hofstadter, 202 Hofstede, 185, 540 Hogrebe, 369 Hohn, 422, 710 Hollmer, 149 Hollquist, 227 Holthaus, 339 Homann, 39, 353 Hommel, 635 Honecker, 253, 255, 257 Honegger, 126 Honneth, 2, 372 Hoppmann, 231 Horkheimer, 223 Hornuff, 116
1022 Hotelling, 396, 490, 626, 642 Houben, 151 Houellebecq, 385 Houston, 151, 355, 359, 360, 378 Hu, 67, 298, 301, 364 Huan, 302 Huang, 483, 691 Hubbard, 728 Huber, 137 Huizinga, 53 Hulverscheidt, 370, 496, 653 Humboldt, 160, 201, 337, 789 Hume, 313, 314 Huntington, 67, 223, 335, 372, 382, 386 Hüppauf, 31 Hus, 305 Hutchinson, 271 Hutzschenreuter, 519
I IC Insights, 450 IEA, 496 Iljin, 291 IMF, 496 Imhoff, 192 Inada, 891 Inkster, 74 Innis, 211 Inomata, 81, 82, 738 Institut der deutschen Wirtschaft, 570, 901 International Monetary Fund, 69, 261, 451, 455, 740, 747, 911 Intriligator, 233 Isaac-Dognin, 818 Ives, 79 IWF, 88, 604, 803, 805, 897 IW-Köln, 900
J Jacques, 74 Jain, 155, 162 Jakob, 118, 470, 676 Jansen, 821 Jasay, 334 Jaspers, 295, 362, 363, 521 Jeanne, 564 Jegorow, 291
Autoren-und Namensindex Jensen, 728 Joab, 125 Joas, 40, 327, 361 Johannes Paul II., 343 Jöhlinger, 790 Johnson, 73, 139, 152, 202, 205, 216, 217, 389, 513, 514, 691, 777 Johnston, 50, 762, 763 Jomini, 26 Jonason, 139 Jost, 79, 774 Judd, 470, 561, 673, 783 Judt, 254, 256 Juncker, 425, 736 Jung, 144, 725, 837 Jünger, 141, 422 Jussen, 617
K Kaden, 452 Kafka, 363 Kagan, 12, 374, 796 Kahneman, 347, 553, 848 Kain, 41, 44, 118, 144 Kaiser, 67, 241, 242, 272 Kakel, 29 Kaldor, 16, 57–60, 334, 738 Kameryan, 787 Kane, 887 Kant, 20, 144, 179, 180, 198, 223, 294, 301, 302, 304, 313, 316, 317, 324, 331, 340, 343, 349, 388, 510, 520, 525, 539, 547, 792, 847, 913 Kantzenbach, 471, 658 Kaplan, 880 Karabelas, 331 Karl VII., 612 Kartheininger, 41 Kashoggi, 64 Kasperskaja, 830 Kaspersky, 840, 861 Käßmann, 532 Keller, 449 Kellerhoff, 378 Kendi, 354 Kennan, 74, 286 Kennedy, 143, 603, 920 Kerber, 264, 271, 912
Autoren-und Namensindex Kerr, 439 Keynes, 39, 197, 320, 329–331, 380, 636, 784, 795, 896, 900 Keysers, 151 Kick, 33, 362 Kielinger, 150 Kierkegaard, 12, 350, 362 Kilian, 847 Kim, 475, 479, 480, 837 Kindleberger, 432, 564 Kissinger, 96, 131, 292, 730, 807, 824 Klein, 228, 290, 678 Klemperer, 315 Kloepfer, 496 Klus, 35 Knedlik, 805 Knight, 542, 543 Knoll, 214, 294 Knop, 188 Knüpfer, 153 Koch, 15, 524, 605 Koehler, 211, 308 Koenen, 353 Koerfer, 253 Köhler, 688, 690 Kohler, 725 Kolenberg, 395 Koller, 204, 205, 207, 908, 909 Kolstø, 196, 382, 784 Kolumbus, 158 Kombinatsdirektoren, 252 Kominers, 537, 665 Komlos, 59, 60 Kondratieff, 896 Konfuzius, 17, 201, 298, 299, 506, 788 Kong Zi, 17, 201, 298–301, 346 Konrad, 233, 253, 432, 890 Kopernikus, 302, 935 Köpf, 730 Koran, 133 KPMG, 831, 879 Krämer, 822 Kraus, 327, 458 Kreps, 234 Kriele, 366 Kristalova, 755 Kröber, 147 Krogstad, 835 Kröhnert, 426
1023 Kroll, 315 Krösus, 4, 593, 603 Krueger, 783 Krugman, 69, 290, 320, 435, 564, 606, 726, 728, 801, 903, 921 Kucklick, 117 Kühl, 29, 518, 766 Kuhn, 117, 186 Kühn, 159, 682 Kulessa, 754 Kulke, 396 Kumhof, 920 Kunnas, 345, 356 Kunz, 774 Kupferschmidt, 888 Kurz, 11, 31, 181, 584, 821, 862 Küster, 215 Kutsche, 446 Kydland, 250 Kyrill I., 291
L La Fontaine, 127 Laabs, 782 Lacy, 753 Laeven, 801 Lagarde, 272, 923 Lage, 360 Lakoff, 202, 204 Lammers, 606 Lan, 215 Landes, 217 Landgericht Düsseldorf, 584, 585, 716 Landgraf, 690 Landmann, 138 Lang, 150 Lange, 328 Langewische, 12 Langhammer, 450 Lanier, 833, 834 Lao Zi, 17, 40, 299, 346, 508, 534 Lätsch, 35 Le Bon, 355, 362, 369, 510 Lee, 135, 138, 202 Lefort, 144 Lehmann-Waffenschmidt, 695 Lehnart, 148, 154 Lehnich, 483
1024 Leibbrand, 188, 194, 247, 248, 548, 623, 659 Leibenstein, 57, 893 Leibniz, 2, 13, 141, 221, 312 Lenin, 192, 375, 376, 387, 900, 905 Leo XIII., 343 Leone, 246 Lerch, 545 Leßmann, 213 Lethen, 364 Leuzinger-Bohlberger, 151 Levely, 154 Levine, 449 Lewis, 136, 894 Lewontin, 354 Leyen, 36 Li, 68, 299, 301 Lilienfeld, 139 Lin Zexu, 729 List, 65, 69, 92, 103, 210, 211, 320, 321, 398, 446, 467, 607, 633, 685, 686, 737, 788, 789, 806 Lloyds, 164, 267 Lloyd‘s, 832 Lobe, 837 Lobo, 664 Locke, 210, 311, 888 Lockwood, 151 Löhr, 402 Lohse, 566, 567 Lombroso, 148 Long, 198, 299, 300, 453 Longerich, 378 Lopez, 694, 751 Lorenz, 130, 184, 393, 604 Lorz, 352, 898 Lösch, 606, 622, 624 Lovallo, 557 Loveluck, 605 Low, 150, 439 Lowe, 228 Lü, 95, 206, 612 Lucas, 16, 63, 64, 250, 290, 806 Lüchinger, 782 Luchner, 151 Luchterhandt, 292, 488 Ludwig XIV., 179, 603 Ludwig XV., 312 Luhmann, 187, 557, 879 Lund, 908, 909
Autoren-und Namensindex Luo, 10, 153 Luther, 125, 191, 306, 308, 352, 509 Lütjen, 464 Lynch, 614 Lyons, 891
M Maass, 763, 764 Maaz, 149 MacArthur, 156 Machiavelli, 123, 181, 287, 347, 376, 725 Macron, 425 Maddison, 209, 618, 793 Makse, 846 Malečková, 783 Malmendier, 153, 157 Malmgren, 769 Malthus, 181, 349, 424 Mandelbrot, 367 Mann, 13, 41, 361 Mao, 119, 381, 417, 904 Mao Zedong, 119, 381, 417, 904 Marean, 128 Marius, 528 Marshall, 605, 613, 637, 807 Martin, 553, 629 Marx, 27, 51, 120, 141, 147, 209, 219, 290, 323, 327, 331, 335, 349–353, 355, 360, 375, 376, 384, 510, 520, 902, 905, 914, 934 Maschek, 297 Mascolo, 825, 870 Mason, 129, 658 Mathieu, 139 Mauborgne, 475, 479, 480 May, 425 Mayer, 917, 925 Mayr, 179 McClelland, 185 McCloskey, 221 McDonald, 798 McGowan, 894 McMeekin, 795 Meadows, 544 Mearsheimer, 69, 293 Medwedew, 755 Mehring, 363 Meinhof, 149, 380, 781
Autoren-und Namensindex Meissner, 79, 556 Mélac, 62 Melitz, 429, 658 Meller, 14, 15, 390 Mendelssohn-Bartholdy, 118 Meng Wanzhou, 878 Meng Zi, 40, 301, 346, 347 Menger, 326 Mensch, 138, 139, 573, 896 Menzel, 354 Menzies, 459 Merkel, 263, 425, 551, 770, 863, 897 Merkur, 11, 298 Merritt, 142 Messier, 157 Messner, 35, 36 Meyer, 908, 919 Meyerson, 233 Michels, 361, 374 Mielke, 254 Milgram, 138, 859 Milgrom, 558, 559, 561 Mill, 297, 318, 323, 324, 429 Miller, 151, 852 Millner, 638 Millot, 894 Minkov, 185, 540 Minogue, 899 Minsky, 141, 366, 564 Minton, 63 Mischkowski, 152 Mises, 305, 327, 330, 331, 338, 853, 900 Mishra, 287, 315, 384 Mitchell, 162 Mo Zi, 300 Moccand, 35 Mohammed, 211 Moinet, 62 Mokyr, 182, 214 Mollgaard, 675 Moltke, 9, 10, 26, 43, 100, 430, 528 Momerency-Laval, 120 Mondfeld, 158 Monin, 142 Monod, 128 Monopolkommission, 674, 691, 822 Montague, 184 Montesquieu, 46, 68, 217, 313, 618 Montgomery, 525
1025 Montjoye, 850 Moody’s, 90 Moore, 143, 589, 855, 875 Morenz, 136, 628 Morgan, 155, 161, 267, 690, 691, 752 Morone, 846 Morozov, 696 Morris, 15, 129, 337, 342, 729, 792 Morrow, 68 Mosca, 361 Moulines, 200 Muchlinski, 208 Mueller, 250 Müller, 294, 341, 471, 474, 674, 716 Müller-Armack, 341 Mundell, 195, 742, 771, 921 Münkler, 34, 195, 293, 360, 507, 617, 799, 898 Murswieck, 264 Musk, 543 Mussolini, 358, 377 Muth, 16, 554, 843 Mykhnenko, 293 Myrdal, 183, 211, 342, 629
N Nagel, 153 Napoleon, 20, 48, 52, 56, 58, 100, 119, 137, 449, 550, 605, 633, 784, 849 Nathan, 125 NATO, 73, 96, 197, 232, 234, 239, 244, 253, 258, 259, 292, 386, 457, 459, 731, 733, 839, 858 Naumann, 321, 636, 670, 791, 799 Navarro, 527 Naylor, 28, 52, 752 Nefiodow, 575 Neitzel, 28 Nelson, 186, 558, 627 Nesse, 116 Neubacher, 157 Neubert, 299 Neumann, 162, 203 Neven, 230 New York Times, 75, 865, 869 Newton, 794, 795 Neyer, 148, 154 Nicolai, 452 Nienhaus, 294
1026 Nietzsche, 12, 27, 57, 117, 136, 141, 190, 201, 224, 287, 325, 345, 356, 357, 360, 362, 375, 386 Nikolaus II., 768 Niou, 753 Niskanen, 558 Nitsch, 754 Nordhaus, 458 North, 177, 211, 218, 337, 390, 442, 488, 490, 492, 611, 756, 763, 793 Nowak, 184 Nozick, 335 Nunes, 570, 664 Nursia, 522 Nutz, 635, 636 Nutzinger, 67 Nye, 62, 64
O O’Brien, 865 Obama, 66, 73, 74, 78, 291, 491, 612, 731, 863 Obschonka, 152 Obstfeld, 564 Ockenfels, 691 Odysseus, 65, 123, 551, 553 OECD, 214, 637, 763, 764, 894 Oermann, 154, 156, 162 Oetinger, 25, 509 Ohashi, 633 Olson, 211, 219 Oneal, 458 Opolka, 131 Oppenheimer, 338 Orwell, 190, 851 Osborne, 434 Osterhammel, 209, 629, 631 Ott, 776 Oughourlian, 144 Overgaard, 675 Owen, 856
P Paetsch, 159 Panzar, 186, 656 Papademos, 290 Pape, 753
Autoren-und Namensindex Pareto, 15, 16, 57, 58, 219, 233, 236, 237, 334, 357, 361, 513, 514, 533, 725, 727, 934 Parkinson, 558 Parncutt, 393 Partyka, 139 Parzinger, 215 Pasteur, 518 Patruschew, 291 Patzelt, 187 Pauen, 148 Paul VI., 343 Paulson, 98 Paulus, 509, 922 Peck, 35 Penney, 825 Pentland, 850, 852 Pérez-García, 522 Perikles, 13, 295 Perotti, 921 Perry, 52, 629, 678 Pesenti, 564 Peters, 751 Petersdorff, 756 Petersen, 29 Petraeus, 819 Petzold, 873 Phelps, 379 Philippon, 39 Philon, 32 Pies, 42, 219, 220, 226, 233, 285, 353, 463, 710, 763, 764, 767, 900 Piketty, 212, 691 Piller, 264 Pincione, 521 Pindyck, 553 Pinel, 139 Pinker, 15, 138, 142, 202, 203 Piper, 97, 379, 692 Pittakos, 47, 505 Pius XI., 343 Pizarro, 119, 122, 155 Platon, 12, 23, 294, 295, 297, 331, 522 Plautus, 115 Pletter, 290 Plickert, 263 Plinius, VII Plöckinger, 378 Plumpe, 610, 635, 772 Pöcher, 21, 724
Autoren-und Namensindex Poeschke, 754, 755 Pöhl, 257, 770 Poivre, 160 Polanyi, 51, 141 Polk, 536, 903 Pompadour, 312 Ponzi, 565, 920 Pöppe, 845, 857 Popper, 288, 331, 334, 545 Pörksen, 200 Porter, 474–477, 680, 726 Posner, 628, 759 Potter, 25 Poudineh, 495 Prahalad, 444, 474 Prantl, 730 Precht, 373 Prescott, 250 Professoren, 889 Prokopczuk, 188 Prometheus, 118, 215, 217 Pünchera, 37 Putin, 73, 290, 291, 492 Pyrrhus, 48
Q Qiao Liang, 36 QING, 729 Quesnay, 209, 312 Quinney, 141 Quisthoudt-Rowohl, 633
R Radaelli, 850 Radecke, 393 Radlbeck-Ossmann, 288 Raffaelli, 475 Ramaswamy, 744 Rand, 181, 371, 388, 393 Rantapuska, 153 Rapp, 546, 547 Rappeport, 74 Rasey, 744 Rasmussen, 716 Ratzinger, 341, 342, 521 Rauer, 286 Ravazzollo, 545 Rawls, 333–335, 365, 388
1027 Reagan, 181, 253, 291, 372, 388, 510, 636, 676, 860 Reay, 852 Rebekka, 118 Reich, 354, 574 Reichel, 737 Reinhard, 41, 43, 285, 363, 505, 858 Reinhart, 262, 307, 387, 565, 801, 907 Remes, 427, 428 Ren Zhengfei, 870, 878 Renaud, 343, 382 Renneberg, 149 Rentsch, 513 Rettenberger, 138, 139 Rezmer, 688 Ricardo, 182, 210, 220, 318, 319, 398, 728, 934 Rice, 544 Richter, 347 Ridley, 131 Riedel, 464 Riedl, 186 Riehl, 215 Ries, 529 Rilling, 212 Ritter, 47, 64, 155, 325, 585, 781 Roark, 371 Roback, 294, 314 Roberts, 558, 559, 561, 751, 822 Robertson, 145, 185 Robinson, 158, 211, 214, 619 Rockefeller, 119, 122, 155, 541, 821, 853 Rodengen, 588 Rodrik, 13, 195, 923 Roepke, 149 Roettger, 148 Roetz, 301, 346, 347 Roewer, 795 Rogoff, 262, 290, 565, 801, 907 Roiser, 151 Roland Berger, 893 Rolin, 294 Romer, 210 Rommel, 156 Roosevelt, 377 Röpke, 340 Rosecrance, 68 Rosenau, 193 Rosh, 606 Ross, 32, 136, 142, 435, 775 Rossi-Hansberg, 66, 210, 743
1028 Rothschild, 449, 848 Roubini, 564 Rousseau, 181, 242, 287, 314, 315, 328, 343, 366 Rubinstein, 234 Rudolph, 222, 473 Rügemer, 653 Ruggles, 570 Ruiz, 590 Rummenhöller, 421 Rumsfeld, 547 Rush, 139, 794 Rushd, 303 Russet, 458 Rüstow, 338, 340 Rutherford, 354, 571 Ruyter, 611 Rystad, 494
S Sachverständigenrat, 262, 563, 803 Sack, 792 Saladin, 303 Salomon, 126 Saloner, 561 Salop, 679 Salter, 185 Samuelson, 435 Sander, 202 Sang, 302 Sapienza, 153, 539 Sapir, 202 Sargent, 16 Sartre, 368, 370, 375 Sarvimäk, 153 Saß, 151 Saul, 126 Savage, 856 Say, 209, 318, 429 Schacht, 436, 636, 798, 807 Schacter, 525 Schäfer, 152, 875 Schalck-Golodkowski, 254, 255, 745 Scharfe, 435 Schaub, 134 Scheffman, 679 Schefold, 302
Autoren-und Namensindex Schefzik, 15 Scheidel, 213 Schell, 198 Schelling, 59, 232, 233, 235, 237, 349, 838 Schellnhuber, 393 Schelsky, 317, 366, 555 Scheufen, 827 Scheve, 188 Schiefenhövel, 131 Schiel, 794 Schiller, 48 Schirrmacher, 687 Schivelbusch, 49, 344, 376, 377 Schleichert, 301, 346, 347 Schlesewsky, 525 Schleussner, 392 Schlieffen, 507 Schmalz, 691 Schmid, 67, 288, 305, 424, 438 Schmidt, 73, 329, 382, 389, 795, 935 Schmitt, 35, 262, 363–367, 388, 833, 903, 911 Schmittberger, 240 Schmoller, 325, 326 Schneider, 29, 30, 68, 424, 564, 761, 778 Schnitzler, 16, 360, 382 Schoar, 153 Schoeck, 54, 146 Scholich, 635 Schönbohm, 539 Schopenhauer, 196, 360, 368 Schorlemmer, 132 Schotten, 751 Schreiber, 35, 166 Schröder, 510 Schubert, 828 Schularick, 214, 566 Schulmeister, 570 Schultheiß, 185 Schulze, 149 Schumpeter, 3, 27, 41, 49, 58, 60, 117, 328–330, 336, 463, 470, 473, 481, 482, 567, 570, 575, 655, 656, 658, 671, 698, 887, 889, 896 Schürer, 256, 892 Schuster, 702 Schwartz, 539 Schwarze, 240, 369, 545, 568, 571, 574, 700, 827
Autoren-und Namensindex
1029
Schwarzkopf, 505 Schwayder, 908, 909 Schwebach, 752 Schweinitz, 805 Schweinsberg, 509 Schweitzer, 910 Scipio Aemilianus, 58 Scorsese, 32 Scott, 852 Seaboyer, 63 Segbers, 195 Seibel, 272, 690, 774, 922 Selten, 858 Sen, 374, 495 Seneca, 546 Senger, 18, 123 Sengupta, 427 Seybert, 150 Shackle, 543 Shaddad, 303 Shambaugh, 563 Shanteau, 835 Shapiro, 466, 666–668, 683 Sharpe, 562 Shaver, 864 Sheehan, 193 Shen, 19, 787 Sherr, 63 Sherry, 32, 154 Sheskin, 213 Shifrinson, 292 Shubik, 206 Sibony, 556 Siedentop, 116 Sieferle, 384 Siegel, 153 Siegert, 158 Siegfried, 537, 628, 657, 781 Siems, 911 Sigg, 554 Silbereisen, 152 Sima, 46 Sima Qian, 46 Sima Yi, 123 Sima Zhao, 124 Simms, 906 Simpson, 152 Singer, 131, 157, 683 Singh, 844, 850
Sinn, 206, 396, 746 SIPRI, 458 Siverson, 68 Skinner, 153, 224 Slater, 203 Slomski, 139 Sloterdijk, 4, 12, 142, 383, 617 Small, 25, 513 Smith, 5, 116, 139, 163, 209, 210, 301, 315, 322, 353, 539, 728 Smolka, 736 Sneed, 200 Snegovaya, 63 Snyder, 137, 379 Soderberg, 148 Sokrates, 143, 288, 295, 296, 298, 331 Solow, 290 Sombart, 43, 159, 161, 358, 360, 463, 470, 921 Sophokles, 288 Souchon, 18, 25 Spagat, 308, 514 Spence, 468, 534, 558, 559, 675 Spencer, 359 Spengler, 146, 224, 360, 374, 382, 385, 603 Spethmann, 264 Spiegel, 15, 125, 431, 607, 676, 906 Spiegel Spezial, 607 Spinoza, 310, 311 Spolaore, 211 Sprenger, 41, 505 St-Jean, 139 Staatliches Statistisches Amt der VR China, 893 Stackelberg, 233, 468, 469, 590 Stadler, 11 Stadtler, 570 Stalin, 119, 137, 375, 376, 380, 387, 799 Stango, 444 Starbatty, 264, 330 Starck, 754 Stark, 264, 330, 361 Starmans, 213 Starr, 302 Statistisches Bundesamt, 426, 431, 457, 459, 641, 713 Staufen, 308 Stauffenberg, 264 Staun, 859 Stein, 344, 388, 539, 657
1030 Steinat, 716 Steinbrück, 459 Steinmann, 402 Steinmetz, 676 Stiebale, 664 Stigler, 760 Stiglitz, 805, 898, 921 Stiller, 606 Stocker, 88, 188, 686, 700, 744 Stockman, 636 Stoiber, 152 Stooq, 489 Störtebeker, 161 Strachan, 24, 430 Strahl, 2, 19, 71, 138 Strauß, 255 Struebig, 401 Strumsky, 664 Stumpf, 43 Stuyvesant, 160 Suárez, 305 Süddeutsche Zeitung, 155, 165, 391, 400, 453, 749, 774, 778, 794, 840 Sun Zi, 6, 10, 17, 18, 21, 48, 65, 87, 123, 706, 730, 933 Sunde, 574 Sunstein, 143, 834 Surowiecki, 362, 505 Süskind, 368 Szigetvari, 260
T Tabares, 68 Taleb, 545 Talhelm, 215 Tan Daoji, 17, 87, 123 Tarde, 571 Tate, 157 Taylor, 67, 164, 165, 197, 214, 250, 268, 566, 706, 795 Tesón, 521 Teufel, 144, 393 Thaler, 143, 675, 760, 834 Thatcher, 181, 372, 388, 510, 796, 898 The Saturday Review, 792 Theoh, 150 Thissen, 763 Thomas, 16, 63 Thorarinsdottir, 545
Autoren-und Namensindex Thukydides, 10, 12, 23, 94, 97, 221, 730 Thünen, 622 Thurow, 28 Tiebout, 610, 728 Tierney, 142 Tietmeyer, 261 Tillich, 521 Tinbergen, 604 Tirole, 69, 548, 683 Titze, 571, 608 Tocqueville, 181, 322, 387, 759 Tollison, 50 Tomasello, 128, 554 Tonacci, 489 Tongfang, 206 Töppel, 378 Tornell, 564 Trajtenberg, 210, 429, 445, 611, 638 Trentmann, 700 Trichet, 263, 770 Troeger, 68 Trout, 529 Trump, VII, 10, 11, 54, 64, 66, 70, 74, 76, 77, 81, 84, 88, 103, 204, 208, 231, 345, 431, 440, 635, 723, 746, 748, 749, 774, 775, 805, 869 Tschaplin, 291 Tuitel, 827 Tullock, 333 Tupolew, 258–260 Turgenjew, 360 Turgot, 209, 312 Turing, 544 Turner, 202 Tuyll, 44 Tversky, 347, 848 Tworek, 64 Tybur, 152 Tyler, 359, 855 Tzanakopoulos, 228
U Ulfkotte, 710 UNCOMTRADE, 438 UNCTAD, 229 Ungethüm, 39 Uria, 125 US Army, 36, 554 US Geological Survey, 438
Autoren-und Namensindex V Valencia, 801 Valente, 689, 859 Valton, 151 Varian, 666–668 Vater, 149 Vauban, 603 Vaughn, 148 Veblen, 147, 358, 628 Velasco, 564 Veltins, 530, 697, 716, 768, 820, 841 Vereinte Nationen, 29 Verkerke, 206 Vernon, 603, 679 Vertova, 637 Vetter, 543 Viciano, 566 Vidal, 439 Viding, 151 Villiers, 39, 418, 509 Viscusi, 679 Vogel, 131 Vogelsang, 729 Vogl, 13, 366 Voigt, 423 Vollmer, 131 Vollrath, 635 Volpert, 254 Voltaire, 13, 210, 313, 315 Vordermayer, 378 Vuong, 751
W Wacziarg, 211 Wagner, 187, 359, 915 Wahl, 117 Walker, 151, 689, 859 Wall Street Journal, 494, 867 Wallace, 16 Wallis, 218, 490, 763 Walsh, 817 Walther, 555 Waltz, 69 Wang, 36, 150, 302 Wang Xiangsui, 36 Ward, 250 Wargnier, 630 Wassermann, 34 Watrin, 286, 294
1031 Watts, 193, 624 Wawruschka, 629 Way, 152 Weber, 12, 28, 67, 188, 217, 222, 306, 307, 325–327, 361, 465, 606, 770, 879 Webster, 139 Weder, 461, 607, 920 Wegener, 627 Wegner, 734 Wehling, 204 Wehrspohn, 80 Weicker, 74 Weidlich, 574 Weinberg, 880 Weingast, 218, 490, 763 Weisiger, 516 Weiske, 188, 194, 247, 248, 471, 474, 548, 623, 674, 716 Weiss, 151 Weißer, 395 Weizman, 664 Welt am Sonntag, 456, 690, 898 Weltbank, 85, 96, 229, 432, 433, 455, 460, 563, 731, 785 Weltsparen, 922 Wergin, 70 Werner, 207, 691 Wexberg, 149 White, 63 Whitehouse, 133, 234 Whitten, 458 Whorf, 202 Wicksell, 739 Widiger, 151 Widmann, 887 Wieduwilt, 769 Wiegand, 772 Wieland, 910 Wigger, 910 Wilde, 142, 327 Wildt, 379 Williams, 458 Williamson, 13, 18, 187, 337, 894, 895 Willig, 186, 656 Willisen, 20, 30, 68, 724, 785 Wilson, 131, 184, 796 Winkler, 40, 344 Winter, 50, 186, 485, 522, 558, 605, 627 WirtschaftsWoche, 207, 225, 263, 489, 777 Wittchen, 151
1032 Wittgenstein, 140, 190, 201, 202, 207, 367 Wittkowski, 257 Woetzel, 427, 428 Wolf, 29, 30, 32, 115, 162, 387, 522 Wolfson, 232 Woodruff, 153 Wootton, 221 World Economic Forum, 542, 726, 727 World Intellectual Property Organization, 81–83 Worpenberg, 400 Wößmann, 211 WTO, 77, 453, 672 Wübbeke, 74, 79, 438 Wuketits, 119 Wulf, 131, 556, 852 Wunschik, 256 Wüpper, 677 Wygotski, 202
X Xenophon, 10, 295, 296, 298 Xi Jinping, 74, 353, 382, 766 Xun Zi, 300, 346
Y Yao, 298 Yeaple, 429, 658 Young, 32, 136, 693, 765, 840
Autoren-und Namensindex Z Zacharias, 794 Zaudig, 151 Zeddies, 920 Zentralbanken, 120, 208, 251, 264, 269, 271, 330, 454, 496, 692, 770, 772, 803, 805, 896, 898, 914, 915, 919, 924 Zentralbank, VIII Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, 664 Zettelmeyer, 564 Zhang, 19, 299 Zhou, 150, 204, 205, 207, 301 Zhuang Zi, 301, 346 Zhuge Kongming, 123, 124 Zick, 619 Ziegler, 155 Zimbardo, 859 Zingales, 153, 539 Zittlau, 138, 140 Zola, 44 Zschäpitz, 34, 87, 268, 396, 542, 700, 806, 889, 897, 902, 914, 921 Zulauf, 165 Zumbühl, 706 Zuo, 153 Zweig, 48, 348, 550, 612 Zweynert, 754 Zwickel, 585, 622 Zwingli, 306, 307 Zydra, 208, 911
Institutionen-, Länder- und Städteindex
11880 Solutions, 706 4SC, 706
A Aardvark, 820 Abu Dhabi Investment Authority, 457 Acxiom, 850 Adidas, 397, 445 AEG, 639 Aerospatiale, 258 Afghanistan, 136, 291, 515, 630, 753 African Rainbow, 437 Afrika, 96, 217, 400, 426, 436, 443, 452, 619, 627, 628, 630, 692, 782, 791, 792, 798, 829, 832 AIIB, 96, 453, 613, 748 Aiko, 641 Air Berlin, 706 Air Liquide, 875 Airbus, 458 Aixtron, 681, 706, 757 Alcoa, 437, 678 Alibaba, 821, 847, 870 Allianz, 419, 445, 690, 691 Alphabet, 656, 663, 777, 877 Alsen, 714 Alstom, 706, 756, 757 Amazon, 64, 445, 663, 680, 683, 835, 847 AMC, 485, 486 AMD, 100, 571, 582, 588–593, 826, 875 American Motors Corporation, 485 Amgen, 777 Amundi, 691 Anasazi-Indianer, 215, 216
Anglo-American, 437 Anglogold Ashanti, 437 Ansteel Group, 435 AOL, 585, 680, 821 APM Maersk, 451 Apple, 40, 83, 137, 445, 534, 656, 663, 665, 680, 691, 743, 776, 777, 834, 857, 863–869, 875, 877, 879 Arab Agricultural Investment and Development, 457 ArcelorMittal, 435 Argentinien, 428, 516, 787, 794, 805, 922 ARM, 589, 875, 877 Asian Infrastructure Investment Bank, 96, 613 Asien, 115, 122, 136, 181, 196, 203, 214, 286, 392, 394, 426, 542, 628, 633, 662, 777, 797, 855, 875 AT Kearny, 778 Atecs Mannesmann AG, 583 ATI, 589 Audi, 100, 445, 677, 708–710, 716, 717, 875 Aurelius, 690, 723 Australien, 213, 393, 426, 428, 459, 461, 545, 644, 787, 794, 870 AXA, 690 Azteken, 155, 193, 216, 217, 421, 847
B BAE Systems, 458 Bagdad, 4, 95, 612, 832 Baidu, 685, 821, 870 Bangladesch, 392, 400, 401 Bank of America, 164, 267 Bank of Japan, 456
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3
1033
1034 Barclays, 164, 165, 267 Barrick Gold, 437 BASF, 663, 691, 702, 875 Bauer, 298, 702, 706 Bauknecht, 711 Bayer, 663, 691, 702, 751, 779, 795 Bebo, 820 Belgien, 322, 460, 753, 762, 776, 787, 795, 875, 901, 908, 913, 916, 919, 922 Berkshire Hathaway, 691 Berlin, 70, 294, 379, 536, 555, 706, 715, 781, 791, 832, 898 Bernstein, 538, 700 BHP Billiton, 436, 437 Bilfinger Berger, 706 Blackberry, 821, 868 Blackhole License, 844 BlackRock, 690 Blackwater, 309 Blogger, 820 BMW, 445, 663, 679, 875 BNP Paribas, 265, 268, 488 BNY Mellon, 690 Boeing, 258, 458, 571, 652 Booz Allen Hamilton, 840 Bosch, 449, 640, 665, 711, 875 Bosch-Siemens, 711 BP, 497 Brasilien, 223, 261, 397, 422, 430, 432, 436, 441, 459, 669, 727, 765, 787 British Aerospace, 258, 583 Broadcom, 450, 877 Brookings, 430 Bulgarien, 460, 762, 908 Burma, 392 Busan, 453
C Canadian Solar, 641 Capgemini, 213, 214 Capital, 211, 690 Cargo-Lifter, 571 CBS, 709 Cemex, 715, 716 Central Bank of the Russian Federation, 457 Cevian, 683, 690 Chalmer, 486 Chevron, 691
Institutionen-, Länder- und Städteindex Chile, 788 China, 3, 4, 13, 15, 19, 30, 45, 52, 69, 70, 74, 76–89, 94, 96–98, 101, 103, 127, 150, 161, 181, 182, 195–199, 206, 214, 215, 220, 223, 229–231, 261, 271, 286, 298, 300, 313, 345, 347, 353, 374, 381, 387, 389, 392, 398, 400, 424, 426–430, 432, 435–438, 440–442, 446, 449, 452, 453, 455, 457, 459–461, 483, 497, 544, 591, 605, 612–614, 618, 625, 627, 633, 638– 640, 642–644, 646, 651, 662, 669, 679, 680, 685, 691–693, 725, 727, 729–733, 739, 740, 746, 747, 749, 753, 756, 757, 765–768, 770–772, 778, 787, 788, 794, 796, 798, 799, 801–803, 805, 807, 818, 821, 831, 835, 840, 846, 853, 854, 865, 866, 869, 870, 873–875, 877–879, 893, 901, 902, 910, 912, 913 China Baowu Group, 435 China Investment Corporation, 457 China Mobile, 86, 691 China Shenhua Energy, 437 China Shipping Container Lines, 452 Chrysler, 126, 127, 485–487 Ch‘i Chi-kuang, 941 Cisco, 777, 872 CitiGroup, 164, 166 CMA CGM Group, 452 CNET, 820 Coal India, 437 Coca-Cola, 445, 777 Commerzbank, 702, 769 Commodore, 571, 656, 667 Conergy, 640 Continental, 663, 875 Cosco Container, 452 Credit Suisse, 164, 267 Crosley, 485
D Daimler, 100, 127, 487, 586, 593, 625, 663, 708, 875 Daimler-Benz, 100, 127, 487, 586, 593, 625 Daimler-Chrysler-AG, 586 Dänemark, 85, 433, 460, 762, 854, 900, 907 De Havilland, 571, 656 delicio.us, 820 Deltocom, 706
Institutionen-, Länder- und Städteindex Deutsche Bank, 120, 162, 164, 165, 267, 691, 697, 702, 706, 918 Deutsche Post, 582 Deutsche Telekom, 663 Deutsches Reich, 256 Deutschland, 1, 4, 43, 50, 52, 69, 70, 72, 75, 84, 85, 94–97, 100, 129, 145, 146, 156, 157, 163, 180–182, 184, 188, 197, 198, 204, 212, 213, 225, 228, 251–253, 256, 263, 267, 268, 270, 306, 308, 319–322, 330, 338, 340, 345, 352, 358, 361, 363, 377, 380, 381, 384, 385, 391, 393, 396, 397, 399, 422, 427–431, 433, 435, 441, 442, 446, 449, 452, 455, 459, 460, 477, 486, 487, 492, 515, 537, 582–584, 591, 605, 612, 616, 633, 636, 637, 640, 641, 656, 661–663, 665, 669, 673, 675, 681, 685, 686, 691–693, 706, 711, 714–717, 724, 725, 727, 730, 731, 733–735, 738, 740, 741, 743, 749–753, 756, 757, 760, 762, 765, 768, 769, 771–775, 778, 784, 787, 789–796, 798, 799, 803, 805–808, 826, 831, 840, 844, 869, 870, 874, 875, 877, 897, 901, 906–908, 910, 913, 919, 922 DF Deutsche Forfait, 706 DHL, 445 Diehl, 458 Dodgeball, 820 Dollar, 70, 77, 79, 83, 85, 87, 88, 120, 165, 214, 265, 266, 268, 291, 436, 441, 452, 453, 456, 457, 460, 487–489, 493, 496, 590, 591, 625, 645, 681, 699, 724, 742, 743, 746, 747, 756, 757, 769, 770, 773, 775, 776, 801, 804, 848, 856, 877, 891, 903, 908, 916, 922 Douban, 685 Douyin / Tiktok, 685 Dubai, 453 Dunlop, 422 Dyckerhoff, 712, 714, 716
E E.ON, 691, 706 école de guerre économique, 4 eGroups, 820 Eleonore, 844 Enercon, 829
1035 Enrom, 579 Ernst & Young, 765, 840 Estland, 460, 762, 839, 907, 919 EU27, 908 Euro, 70, 120, 146, 155, 156, 166, 219, 260, 265, 269, 270, 326, 397, 400, 431, 436, 442, 497, 585, 638, 641, 659, 686, 690, 715, 716, 734, 755, 761, 771, 772, 775–777, 779, 780, 801, 803, 833, 875, 889–891, 897, 899, 904, 908, 910, 918–921 Euromicron, 706 Europa, 3, 12, 13, 19, 39, 52, 72, 74, 76–78, 86, 87, 89, 94, 97–99, 101, 117, 122, 133, 136, 146, 158, 166, 177, 179, 181, 195–198, 211, 214–215, 217, 221, 222, 251, 259, 263, 271–273, 286, 291, 292, 299, 306, 307, 309, 323, 326, 337, 345, 370, 376, 381, 382, 385, 390, 392–394, 396, 397, 403, 417, 421, 426, 429, 432, 442, 452–454, 460, 486, 488, 542, 582, 583, 585, 586, 605, 607, 612, 613, 616, 618, 625, 629, 636, 637, 640, 653, 676, 680, 696, 724, 728, 729, 739, 741, 746, 748, 760, 762, 766, 769, 774, 777, 785, 790, 792, 794, 796, 801–803, 805, 826, 852, 888, 890, 893, 897, 898, 900, 902, 904–908, 911, 913, 914, 916, 917, 922 Europäische Union, 728, 733, 734, 767, 793 Europäische Zentralbank, 120, 251, 262–265, 268–269, 272, 379, 742, 804, 831, 853, 898, 909–912, 921, 923 European Banking Authority, 922 Euroraum, 84, 271, 669, 740, 805, 923 Eurozone, 264, 271, 272, 746, 795, 803, 804, 909, 921 Evergreen Line, 452 Exceet Group, 706 Exxon, 691 EZB, 163, 206, 208, 261–262, 264, 268–271, 365, 741, 742, 770, 771, 777, 780, 804, 831, 898–900, 910–913, 919
F Facebook, 64, 656, 683–685, 748, 823, 834, 842, 847, 848, 859, 871 Facebook Messenger, 685 FeedBurner, 820
1036 Ferrostahl, 829 Fidelity Investment, 690 Financial Stability Board, 901 Finmeccanica, 458 Finnland, 142, 460, 727, 794, 869, 900, 908, 919 Firestone, 485 First Solar, 640 Flickr, 820 Flossbach von Storch, 496 Flowtex, 579 Ford, 126, 485–487, 588, 681, 891 Foron, 677, 708, 711, 712, 716, 717 Foxconn, 398, 449, 875, 877 Franc, 773 Franken, 741, 910 Frankfurt, 638, 741, 776, 832 Frankreich, 4, 26, 44, 71, 84, 85, 120, 179, 181, 184, 192, 196, 197, 203, 212, 213, 261, 263, 267, 271, 313, 315, 323, 324, 334, 345, 348, 377, 428, 430, 433, 455, 457, 459–461, 487, 583, 605, 611, 616, 633, 635, 637, 669, 693, 727, 741, 749, 762, 765, 772, 784, 787, 789–791, 793, 795, 844, 875, 901, 906, 907, 913, 916, 919, 921, 922 Freeport McMoran, 437
G Gana, 216, 217 General Dynamics, 458 General Electric, 86, 230, 445, 691, 757 General Motors, 126, 485–487, 769, 829 Geocities, 820 Gerry Weber, 702, 706 Gigaset, 706 Gilead Sciences, 777 Glencore-Xstrata, 437 GM, 485–487, 875 Goldman Sachs, 120, 155, 156, 163, 263, 264, 267, 539, 653, 690, 771, 780, 905, 914 Goodyear, 421, 422 Google, 445, 533, 656, 683, 687, 691, 825, 847, 852, 860, 863–868, 871, 875, 877 Government of Singapore Investment Portfolio, 457
Institutionen-, Länder- und Städteindex Government Pension Fund - Global, 457 Government Pensions Investments Fund, 457 Gowalla, 820 Greyhound, 485, 486 Griechenland, 5, 31, 45, 163, 247, 262–265, 267, 268, 270, 426, 432, 452, 455, 459, 460, 609, 727, 739, 762, 787, 801, 901, 907, 913, 917, 919, 921, 922 Grohman, 679 Großbritannien, 4, 5, 85, 94, 213, 267, 336, 457, 460, 494, 516, 637, 693, 762, 765, 776, 793, 840, 874, 875, 878, 898, 901, 902, 922 Grouper, 820 Grundig, 48 Guangzhou, 453, 729 Guo, 940
H Halliburton, 458 Hamburg, 452, 453, 734 Hamburg Süd Gruppe, 452 Hanjin, 452 Hanwa-Q-Cells, 641 Hanwha, 638, 640 Hapag-Lloyd, 452 HBIS Group, 435 HeidelbergZement, 714 Holcim, 715, 716 Holiday Check Group, 706 Holzmann, 579 Hong Kong Monetary Authority Investment Portfolio, 457 Hongkong, 164, 432, 433, 453, 727 Hongkong & Shanghai Banking Corporation, 164 HP, 591, 875 HSBC, 164, 267, 691, 781 HTC, 867, 868 Huawei, 86, 382, 418, 592, 641, 656, 681, 756, 767, 786, 821, 828, 863, 867, 869–871, 875, 877, 878, 880 Hudson, 161, 485 Huffington Post, 820 Hutchison Whampoa, 583, 585, 680 Hypo-Alpe-Adria, 897
Institutionen-, Länder- und Städteindex I IBM, 157, 445, 482, 561, 571, 589, 591, 667, 821 Icepack, 844 IEA, 497 IG-Metall, 585, 587 IGN, 820 IISS (International Institute for Strategic Studies), 103 IMF, 497 Indien, 4, 158, 159, 212, 324, 381, 391, 392, 401, 422, 427, 428, 430, 432, 435, 442, 459, 461, 497, 630, 669, 727, 765, 788, 794, 869, 901, 913 Indium Corp., 875 Indonesien, 159, 392, 393, 422, 428, 430, 461, 494, 515, 788, 871 Industriewerke Karlsruhe, 568 Infineon, 449, 450, 686, 875, 878 Instagram, 820, 848 Intel, 86, 100, 450, 533, 571, 582, 588–592, 663, 826, 871, 875 International Institute for Management Development, 726 International Institute for Strategic Studies (IISS), 103 International Monetary Fund, 69, 261, 451, 455, 740, 747, 911 Intershop Communications, 706 Investment Corporation, 456 Irak, 309, 427, 441, 493–495, 515, 731 Iran, 4, 51, 71, 73, 86, 265, 432, 441, 442, 459, 461, 488, 490–495, 497, 630, 731, 732, 751–754, 757, 769, 780, 826, 830, 878, 913 Irland, 460, 604, 762, 776, 801, 901, 908, 913, 919 Islamischer Staat, 731, 733 ISO, 473 Israel, 4, 31, 49, 118, 125, 126, 137, 144, 310, 441, 453, 457, 459–461, 491, 515, 532, 630, 733, 737, 831 Istanbul, 612, 832 Italien, 84, 85, 94, 121, 181, 213, 260, 261, 265, 270–272, 322, 345, 377, 428, 430, 432, 455, 459, 460, 487, 616, 637, 762, 765, 774, 787, 790, 791, 793, 901, 906, 908, 913, 916, 917, 919, 921
1037 J Jaiku, 820 Japan, 48, 52, 70, 75, 83, 85, 86, 94, 142, 156, 181, 196, 197, 199, 214, 267, 269, 373, 381, 392, 393, 422, 428, 430, 432, 435, 438, 452, 455, 459, 461, 487, 497, 574, 614, 616, 627, 629, 630, 633, 637, 641, 643, 644, 646, 654, 663, 669, 693, 727–729, 733, 740, 741, 743, 748, 753, 787, 789, 793, 797, 801, 805, 840, 864, 871, 874, 875, 878, 891, 892, 894, 913 JA Solar, 641 JCET, 875 Jeep, 485 JFE Steel Corporation, 435 Jianlong Group, 435 JinkoSolar, 641 Johnson & Johnson, 691 JPMorgan Chase, 163, 164, 267
K K-Tel, 682 Kaiser, 939 Kaiser-Frazer, 485 Kanada, 74, 85, 88, 94, 213, 394, 428, 430, 441, 494, 616, 669, 787, 793, 878, 901 Karibik, 426, 777 Karthago, 44, 58, 96, 297, 386, 609, 636 Kasachstan, 440, 443, 461 Kaspersky Lab, 840 Katar, 4, 391, 401, 441, 492 Katrin, 844 KBR, 756 Kenetech Windpower, 829 Kiekert, 681 Kik, 400 KMG, 875 Kolumbien, 515 Kommunistische Partei Chinas, 81, 87, 870, 875 Kommunistische Partei Frankreichs, 375 Kontron, 706 Korean Air, 462 KPC, 81, 87, 870, 875 KPMG, 831, 879 Kraus-Maffei-Wegmann, 458 Krim, 63, 71, 73, 197, 239, 292, 353, 731, 732, 736, 754–756, 767
1038 Kroatien, 460, 762, 787, 907 Kuwait, 457, 495, 496, 612 Kuwait Investment Authority, 457
L L-3 Communications, 458 Lafarge, 712–716, 781 Lafarge-Holcim, 781 Last.fm, 820 Lateinamerika, 426, 591 Legal & General, 691 Lehman Brothers, 370, 546 Leica, 877 Lenovo, 867, 869, 875 Lettland, 460, 907, 913, 919 LG, 86, 536, 679, 867, 868, 871, 878 Libyen, 322, 375, 440, 493, 495, 731 Liechtenstein, 645 Line, 685, 791 Litauen, 460, 907, 919 Live Journal, 820 Lloyd’s, 164, 831, 832 Lockheed Martin, 458 London, 70, 131, 159, 164, 611, 832 Long Beach, 453 LONGi, 641 Los Angeles, 453, 832 LuckyGoldstar, 536 Lumentum, 877 Luxemburg, 85, 762, 776, 908, 913, 919
M Malta, 908, 919 Manila, 796, 831 Mannesmann, 100, 579, 582–585, 592, 593 Maple-Bank, 776 Mapquest, 820 Mark, 257, 487, 745 Maxwell, 486 Maya, 215, 216 Mazda, 891 McKinsey, 428, 483, 652, 698, 744, 880, 909 Mediatek, 450 Mediterranean Shipping Company, 451 Mercedes-Benz, 445 Merck, 663, 691 Mercosur, 397
Institutionen-, Länder- und Städteindex Mexiko, 74, 76, 88, 94, 122, 261, 394, 430, 441, 551, 642, 669, 787, 788 Micron, 450, 875, 878 Microsoft, 445, 533, 588, 663, 691, 777, 867 Mini, 445, 921 Mint.com, 820 Mitsubishi, 164, 891 Mitsui O.S.K. Lines, 452 Mittelamerika, 394, 850 Mobile Telesystem, 756 Mologen, 706 Monopolkommission, 674, 691, 822 Monsanto, 691, 706 Moody’s, 913 Morgan Stanley, 267 Motech Industries, 641 Mpack, 844 München, 166, 832, 865 Munich Re, 691 Mybet Holding, 706 MySpace, 820
N Naher Osten, 394 Namibia, 322, 765 Nash Packard, 485 National City Lines, 485 National Institute for Standards and Technology, 857 National Social Security Fund, 456 NATO, 73, 96, 197, 232, 234, 239, 244, 253, 258, 259, 292, 386, 457, 459, 731, 733, 839, 858 Nestlé, 691 Neuseeland, 393, 433, 794, 870 New England Biolabs, 843 New York, 75, 120, 163, 674, 779, 797, 831, 865, 869 Newmont Mining, 437 Niederlande, 20, 84, 122, 392, 430, 455, 460, 611, 630, 693, 727, 762, 787, 794, 874, 875, 878, 900, 907, 912, 919 Nigeria, 427, 428, 441, 494, 497, 763, 765, 780 Ningbo, 453 Nippon Steel Corporation, 435 Nokia, 821, 865, 868, 869, 871, 875 Nordamerika, 70, 179, 214, 426, 774, 777, 785 Nordirland, 515
Institutionen-, Länder- und Städteindex Nordkorea, 73, 86, 229, 461, 732, 754, 831, 855 Norges Bank Investment Management, 457 Northern Trust AM, 691 Northrop Grumman, 458 Norwegen, 85, 441, 456, 460, 494, 794, 922 Novaled, 679 Novartis, 663 Nuclear, 461, 844 Nuveen, 691 Nvidia, 449 NXP, 450, 875
O Och-Ziff Capital, 756 OECD, 214, 637, 763, 764, 894 OMGPop, 820 Opel, 486, 588, 893 OPPO, 867, 869 Oracle, 64, 155, 777 Orange, 583, 584 Osaka, 832 Ostdeutschland, 253, 256, 263, 638, 714, 715 Oster-Inseln, 216 Österreich, 85, 267, 354, 433, 460, 686, 693, 734, 762, 790, 791, 799, 807, 897, 901, 908, 912, 919
P Pakistan, 381, 392, 400, 401, 427, 439, 459, 461, 613, 630, 788 Panasonic, 86, 877, 891 Paypal, 820 PCF, 375 People’s Bank of China, 456 Peru, 122, 515 Petrobras, 756 Petrochina, 691 Philippinen, 322, 392, 453, 748 Philips, 875 Picasa, 820 PimCo, 692 Pinterest, 685 Pitcairn-Inseln, 216, 217 Polen, 255, 291, 292, 430, 460, 492, 690, 762, 787, 792, 803, 901, 908, 922 Porsche, 445, 693, 775
1039 Portugal, 158, 159, 309, 319, 320, 433, 455, 460, 901, 905, 908, 912, 917, 919, 922 Posco, 435 Preußen, 26, 72, 182, 315, 446, 467, 724, 784 Procter & Gamble, 691 ProSiebenSat 1., 691 Prudential Financial, 690 PTI Continental, 875
Q Q-Cells, 638, 640 Qatar Investment Authority, 456 Qingdao, 453 Qorvo, 878 QQ, 685 Qualcomm, 86, 450, 777, 863, 865, 869, 871, 875, 877 Qzone, 685
R Rabo-Bank, 164 Rand Corporation, 844 Raytheon, 458 Readymix, 712–716 Reddit, 685 Reichsmark, 772, 773 Renminbi, 87, 94, 801, 802 Rheinmetall, 458 RIM, 867, 868 Rio Tinto, 436, 437 Robert Bosch, 86 Roche, 663 Rolls-Royce, 458 Royal Bank of Scotland, 164, 267 Royal Dutch Shell, 691 Royal Philips, 86 Rumänien, 460, 762, 869, 908 Russland, 3, 4, 26, 35, 50, 62–65, 68, 71–73, 87, 96, 101, 136, 181, 184, 197, 198, 220, 225, 227, 261, 290–293, 315, 371, 374, 386, 389, 430, 432, 435, 436, 440–442, 452, 455–457, 459, 460, 488, 490–492, 494, 496, 571, 603, 616, 629, 630, 635, 637, 669, 685, 730–733, 753–756, 765, 767, 768, 770, 780, 787, 790–792, 802, 821, 826, 831, 839, 840, 853, 855, 901, 913, 922
1040 RWE, 706 Rystad, 494
S Sachverständigenrat, 563, 803 SAFE Investment Company, 457 Samsung, 40, 86, 445, 450, 536, 656, 663, 679, 863–868, 871, 875, 878, 879 Santander, 267 SAP, 445, 663 Saudi Arabian Monetary Agency, 457 Saudi-Arabien, 4, 64, 71, 73, 432, 441, 456, 459, 488, 491–496, 498, 612, 731–733, 753, 783 Schanghai, 832 Schlecker, 893 Schweden, 354, 457, 460, 586, 637, 693, 699, 727, 762, 793, 875, 900, 907, 922 Schweiz, 13, 26, 214, 267, 341, 430, 433, 455, 458, 460, 637, 645, 690, 693, 727, 739, 743, 760, 762, 776, 777, 787, 793, 804, 875, 878, 901, 910, 920 Schwenk, 585, 712, 714 Scope Ratings, 787 Senegal, 515 Serbien, 184, 198, 460, 791 SFC Energy, 706 SFR, 583 SGL Carbon, 706 Shagang Group, 435 Sharp, 871, 891 Shengzhen, 453 Shin-Etsu-Handotai, 875 Shougang, 435 Siemens, 86, 445, 579, 640, 663, 706, 756, 757, 829 Sierra Leone, 515 Sina Weibo, 685 Singapur, 85, 433, 453, 727, 777 Singulus, 706 SINOPEC, 453 Sipri, 460 SK Hynix, 450 SKW Stahl-Metallurgie, 706 Skycom Tech, 878 Skype, 685, 820, 848 Skyworks, 878 Slowakei, 460, 908, 919
Institutionen-, Länder- und Städteindex Slowenien, 460, 908, 919 SMIC, 875 Snapchat, 685 Snecma, 458 Solar Millennium, 640 Solar Valley, 100, 637 Solarworld, 641, 706 Solon, 640 Somalia, 229, 432, 753 Sony, 875, 878, 891 Sony-Ericson, 869 Sowjetrepublik, 394 Spanien, 45, 47, 158, 161, 211, 267, 270, 308, 430, 433, 460, 551, 625, 628, 727, 762, 765, 787, 794, 901, 908, 912, 916, 917, 919, 922 SPIL, 875 Sprint, 86 ST Microelectronics, 877 Standard Chartered, 266 Standard Oil, 485, 678, 683 State Street Global, 690 Statoil, 437 Sterling, 773 Ströer, 688, 690 Studebaker, 485 Stumble Upon, 820 Styx Sploit Pack Rental, 844 Südafrika, 322, 427, 428, 461, 629 Südamerika, 155, 394, 400, 421, 610, 618, 627, 630, 791 Südkorea, 84, 85, 223, 430, 433, 435, 459, 461, 487, 497, 614, 748, 788, 855, 863, 871, 874, 875, 877, 913 Sumitomo, 875 Sun Zi, 937 Sunny Optical, 877 Suzuki, 891 Sweet Orange, 844 Swiss National Bank, 457 Sygnis Pharma, 706 Syrien, 71, 73, 427, 489, 491, 493, 495, 731–733, 781, 856
T Taipeh, 832 Taiwan, 199, 223, 432, 433, 449, 871, 874, 875, 877
Institutionen-, Länder- und Städteindex Tan Daoji, 939, 940 Telegram, 685 Telekom, 582–584, 754 Teles, 706 Telia, 756 Temasek Holdings, 456 Tencent, 821, 870 Tesla, 679, 682 Teva Pharmaceutical, 756 Texas Instruments, 450 Thailand, 392, 422 Thales, 210, 458 Thomas-Gruppe, 712 Thyssen-Krupp – HDW, 458 Titan, 439, 458 Tokyo, 831 Tom Taylor, 706 Tongwei, 641 Tönnies, 716 Toshiba, 450 Toyota, 86, 445, 875 Treck Resources, 437 Trigema, 535 Trina Solar, 641 Tschechien, 762, 908 Tschechische Republik, 460 TSMC, 450, 875 Tucker, 485 Tupolew, 258–260 Türkei, 65, 341, 427, 428, 430, 432, 455, 459, 495, 630, 669, 727, 762, 787, 901 Twitter, 63, 208, 685, 842
U Uber, 668, 674, 680 UBS, 164, 165, 214, 267, 645, 691 UMC, 875 Umicore, 875 Ungarn, 136, 253, 291, 292, 334, 354, 375, 460, 762, 790, 791, 799, 807, 908 Union Bank of Switzerland, 164, 165, 214 United Technologies, 86, 458 upcoming.org, 820 US Geological Survey, 438 U.S. National Intelligence Council, 443 USA, VII, 3–5, 10, 12, 19, 31, 36, 40, 43, 50, 52, 62, 65, 66, 69, 70, 72–81, 83–88,
1041 94, 96–101, 103, 145, 156, 166, 181, 184, 185, 196, 197, 199, 212–214, 224, 225, 227, 230, 231, 259, 263, 266, 267, 271, 291, 292, 307, 309, 322, 330, 336, 338, 344, 345, 372–374, 377, 389, 391, 393, 394, 396, 397, 418, 419, 422, 427, 428, 430, 431, 433, 435, 437, 440–442, 449, 452–457, 459–461, 467, 481, 484, 485, 487, 488, 490–493, 495, 497, 537, 544, 561, 571, 581, 586, 589, 591, 610, 612, 616, 625, 627, 629, 630, 636, 637, 641–643, 651–654, 665, 666, 669, 676, 680, 685, 690, 693, 699, 708, 709, 724, 725, 727–733, 739, 740, 742, 743, 746–757, 759, 760, 762, 765, 768–770, 775, 780, 781, 785, 787–789, 793, 794, 796, 797, 799–801, 803, 805, 807, 818, 822, 823, 826, 828–831, 835, 840, 843, 844, 848, 850, 852, 853, 857, 863, 867, 869–875, 877, 878, 888, 894, 901, 907, 909, 912, 913, 916, 935
V Vale, 437 Valeo, 875 Vanguard, 690 Venezuela, 436, 441, 490, 493, 494, 497, 788, 855, 922 Vereenigde Oostindische Compagnie, 159, 309, 322 Vereinigte Arabische Emirate, 441, 459, 491, 496 Vereinigtes Königreich, 83, 212, 428, 430, 433, 459, 460, 616, 669, 727, 749, 787, 908, 909, 912 Vereintes Deutschland, 256 Viber, 685 Vietnam, 381, 392, 453, 630, 644, 748, 780 Vivendi, 157, 583, 585 VOC, 159–161, 309, 322 Vodafone, 100, 583–586 Volkswagen, 587, 663 Volvo, 875 VW, 445, 586, 587, 674, 677, 693, 694, 706, 709
1042 W Wacker-Chemie, 875 Waterloo, 48, 181, 449, 550, 605, 848 We are Social, 685 Web Attacker, 844 Webshots, 820 WeChat, 685, 847 Wellington Management, 691 Wells Fargo, 691 Weltbank, 85, 96, 229, 432, 433, 455, 460, 563, 731, 785 Weltsparen, 922 Westdeutschland, 256 WhatsApp, 685, 820, 847, 848 Whitehole, 844 Wilex, 706 Willy‘s, 485 Wordcom, 579 World Trade Organization, 672 WTO, 66, 77–79, 83, 206, 223, 228–230, 400, 436, 453, 537, 604, 612, 633, 639, 641–643, 672, 681, 734, 785 Wülfrather Zementgruppe, 712
Institutionen-, Länder- und Städteindex X XFAB, 875 Xiaomi, 866, 867, 869
Y Yahoo, 656, 847 Yang Ming Marine Transport, 452 Yellow Coach, 485 Yen, 75, 487 YouTube, 820 Yuan, 94, 801–803
Z Zappos, 820 Zhongli Talesun, 641 Zongde Waste Technology, 706 ZTE, 86, 418, 641, 867–871, 877 Zypern, 433, 907, 912, 919, 924
Index wichtiger Schlüsselbegriffe
2° Ziel, 391 3-D-Drucker, 571, 662, 664 45°-Achse, 58
A Abduktion, 523, 546 Abhängigkeit, 45, 68, 69, 84, 127, 163, 294, 348, 356, 435, 453, 472, 493, 513, 530, 635, 636, 642, 643, 690, 754, 761, 851, 916, 937 Abkommen, 96, 228, 229, 309, 487, 730, 748, 875 Abnehmer, 398, 399, 473, 475, 476, 495, 590, 591, 677, 679, 806 Abnutzungskrieg, 561 Abschießen, 207, 846 Abschreckung, 21, 39, 59, 133, 235, 311, 324, 375, 459, 560, 782, 835, 858 Absicht, 18, 20, 30, 52, 102, 305, 421, 456, 518, 531, 536, 577–579, 898 Absprachen, 31, 51, 247, 329, 468, 469, 473, 474, 664, 690, 714, 759, 762 Abstiegsphase, 572, 573 Abwanderung, 80, 133, 341 accommodated entry, 560, 675 Achilles-Prinzip, 537 Achsenzeit, 295 Agamemnon-Prinzip, 551, 899 Agent, 3, 187, 241, 462, 466, 506, 511, 512, 516, 542, 548–550, 553, 577, 763, 782 Aggression, 59, 60, 117, 130, 144, 273, 332, 381, 604, 745, 796, 900
Aggressivität, 14, 41, 103, 120, 139, 141, 146, 147, 151, 152, 156, 187, 208, 252, 254, 352, 354, 388, 534, 627, 658, 708 agil, 697, 698 agonal, 117, 192, 193, 287, 290, 364, 402, 723 Agonie, 12, 126 AI, 824, 835 AIIB, 453, 613, 748 A-Ineffizienzen, 893 Air Gap, 846 Akku, 877 Akteur, 828 Aktion, ballistische, 538, 554 Aktivität, 37, 50, 54, 134, 153, 377, 399, 672, 732, 772, 862 Algokap, 819, 822 Algorithmus, 544, 827, 836, 846, 854 Al Khaida, 783 Allmende, 42, 135, 232, 239, 396, 754 Allokation, 50, 57, 60, 225, 357, 548, 607, 700, 762, 767, 778, 895 Allokationergebnis, 759 Allokationsproblematik, 910 Allokationsverzerrung, 779 Altruismus, 131, 177, 194, 200, 234, 240, 371, 385, 539 reziproker, 55, 130, 184, 191 Aluminium, 80, 439, 893 Ambition, 314, 519, 637 Ambush, 535 American Depository Receipts, 776 Amerikanische Revolution, 313 amoralisch, 26 amour
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Blum, Wirtschaftskrieg, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28364-3
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1044 de soi, 314, 315 propre, 314 Analogie, 30, 163, 192, 310, 446, 627, 674, 730, 758, 807, 842, 843, 858, 872, 932 Analyse, VIII, 4, 13, 17, 26, 29, 39, 81, 88, 95, 97, 99, 116, 138, 139, 146, 178, 181, 187, 202, 211, 213, 215, 221, 225, 232, 234, 235, 239, 253–254, 256, 289, 290, 292, 293, 297, 324, 327, 336, 339, 367, 372, 379, 401, 476, 483, 498, 507, 519, 521, 535, 539, 545–548, 555, 578, 606, 607, 622, 635, 637, 653, 684, 686, 690, 691, 697, 699, 702, 727, 732, 738, 777, 782, 798, 817, 837, 845, 846, 848, 850, 859, 894, 900, 919, 920, 931, 935, 938 Angriff, 13, 21, 24, 27, 38, 39, 130, 144, 203, 205, 207, 273, 311, 403, 458, 462, 475, 481, 497, 529, 530, 532, 534, 536, 568, 572, 582, 585, 586, 592–594, 632, 653, 654, 657, 660, 694, 696, 707, 717, 733, 758, 818, 827, 829, 830, 832, 836, 839, 842, 845, 858–862, 896, 933, 938, 940 Angst, 12, 27, 74, 143, 146, 149, 156, 200, 208, 223, 309, 362, 363, 370, 383, 566, 707, 777, 822, 825, 892, 899 Annexion, 453, 733, 754 Anpassung, 116, 128, 315, 341, 391, 509, 517, 533, 627, 697, 800, 937 Anreiz, 135, 213, 248, 305, 339, 446, 547, 549, 624, 662, 677, 689, 752, 786, 896, 906, 908 Anspruchsgruppe, 652 Anspruchsniveau, 23, 533 Anstand, 247, 296, 522, 895 Anstrengung, 5, 16, 18, 24, 101, 102, 136, 195, 550, 551, 706, 707, 737 Antagonismus, 2, 41, 65, 73, 117, 137, 242, 287, 289, 349, 350, 364, 372, 495, 724, 730, 792 Antemurale, 197 Antezedenzbedingung, 524 Anthropologie, 29, 53, 162, 351, 364, 903 anti access, 537 antiquitas, 197, 199 Antrag, 86, 579, 867 Arabellion, 63, 335, 495 Arbeitsrecht, 580, 581, 769 Arbeitssicherheit, 581
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Arbeitsteilung, 41, 72, 81, 116, 120, 129, 184, 209, 210, 215, 255, 285, 296, 314, 318, 328, 429, 510, 627, 664, 734, 738, 747, 750, 780, 787, 797, 882, 895 Archeomagnetik, 390 area denial, 537 Ärger, 200 Armee, 21, 27, 135, 148, 167, 181, 207, 243, 335, 361, 380, 509, 550, 706, 736, 759, 938 artificial intelligence, 824 Assetblase, 542 Astronomie, 308, 390 Asymmetrie, 22, 25, 34, 68, 757, 834, 879 atomistisch, 194, 200 Aufklärung, 2, 18, 71, 100, 115, 120, 211, 222, 223, 259, 288, 298, 307, 312–315, 317, 331, 373, 387, 403, 422, 423, 425, 448, 476, 481, 521, 539, 547, 556, 594, 618, 631, 699, 707, 718, 775, 776, 784, 792, 824, 828, 830, 838, 848–850, 857, 859, 873, 879, 918 Auftrag, 159, 161, 420, 464, 498, 529, 554, 577, 579, 592, 595, 671, 829, 851, 892 Auftragstaktik, 464, 554, 577, 707 augmented reality, 834, 863 Ausbeutung, 29, 51, 209, 211, 217, 232, 300, 305, 321, 352, 376, 384, 392, 396, 400, 401, 432, 439, 635, 646, 717, 847, 917, 934 Auseinandersetzung, 2, 3, 5, 24, 26–28, 30–32, 34, 35, 39, 43, 48, 53, 54, 62, 63, 65, 68, 71, 94, 96, 97, 100, 126, 136, 137, 154, 164, 167, 196, 227, 233, 247, 249, 273, 289, 308, 328, 337, 348, 351, 358, 359, 365, 395, 403, 419, 420, 423, 444, 448, 454, 471, 488, 490, 497, 498, 508, 516–519, 524, 527, 528, 531, 532, 552, 569, 571, 584, 585, 590, 592–594, 604, 617, 625–627, 633, 634, 657–659, 666, 667, 679, 680, 707, 708, 716, 717, 724–726, 732, 733, 738, 752, 753, 782, 783, 792, 794, 804, 806, 808, 824, 829, 830, 835, 839, 842, 849, 858, 860, 862, 867, 869, 870, 875, 878, 879, 903, 932, 934, 943 Ausgleich, 13, 16, 39, 49, 78, 131, 215, 268, 286, 300, 315, 329, 334, 343, 364, 398, 714, 723, 725, 784, 799, 867
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Auslaufphase, 572 Außenwirtschaftsverstoß, 580 Ausweg, 18, 88, 256, 315, 350, 563 autark, 73, 440 Authentizität, 118, 518, 520, 522, 526 Autokratie, 219, 359 Autonomie, 22, 41, 129, 145, 180, 183, 189, 195, 310, 317, 518, 555, 742, 769, 770, 824, 826
B Backshoring, 88 Bai, 46 bail-out, 241, 242, 247, 270, 771, 890, 897, 922 Balance, 13, 25, 321, 339, 340, 613, 789 Bankaktiva, 566 Bankausleihung, 566 Bankenkrise, 206, 489, 563 Bankenrettung, 164, 563, 897 Bargeld, 728, 777, 839, 910 bargeldlos, 831 Bataillon, 207 Baumringe, 390 Bazooka, 207 Bebürdung, 186, 192, 195, 200 Bedrohung, 13, 29, 37, 39, 70, 73, 96, 98, 137, 145, 152, 154, 213, 215, 255, 291, 325, 359, 401, 457, 476, 482, 489, 495, 496, 506, 544, 591, 612, 668, 700, 734, 744, 790, 826, 834, 837, 851, 853, 858, 880, 900, 902, 908, 934, 938 Beeinflussung, 61, 62, 103, 204, 250, 509, 594, 738, 760, 770, 823, 836 Befehl, 48, 189, 190, 218, 290, 310, 326, 349, 369, 370, 942 Befehlstaktik, 189 benchmarking, 594 Bereitschaft, 3, 10, 19, 38, 96, 99, 118, 141, 145, 152, 208, 224, 361, 387, 417, 418, 420, 421, 466, 467, 481, 497, 546, 553, 575, 624, 627, 651, 682, 686, 781, 889 Bergbau, 764 Bertrand, 469 Besiegter, 207 Bestechung, 321, 763, 846, 866 Betriebsrente, 909 Betriebssystem, 589, 865, 868, 875, 877
1045 Bevölkerung, 2, 15, 36, 45, 46, 70, 76, 78, 87, 88, 120, 122, 131, 179, 196, 198, 214, 215, 217–219, 255, 323, 344, 349, 355, 371, 382, 387, 392, 393, 398, 400, 401, 422, 427, 436, 442, 443, 465, 516, 530, 605, 613, 615, 619, 624, 629, 654, 690, 734, 735, 746, 752, 754, 782, 797, 808, 822, 833, 835, 851, 888, 898, 899, 904, 910, 912, 915, 924, 935 Bewusstsein, VIII, 65, 140, 197, 203, 351, 362, 371, 376, 467, 509, 520, 521, 628, 731, 824, 835, 899 Big Brother, 821, 851 bilateral, 28 Bitcoin, 833, 854, 855 Blase, 573, 574 Blasenbildung, 268, 772, 802, 923 blending, 202, 204 Blockade, 76, 95, 140, 241, 525 Blockchain, 853, 854 blocked entry, 560, 675 blue ocean, 475, 479, 480 Blut, 66, 99, 193, 195, 205, 207, 285, 316, 400, 551, 887 BNP Paribas, 265, 267, 488 Bombe, 205, 207 Bonding, 876 Boni, 164, 166, 652, 671, 689 Börsencrash, 542, 831 Boxeraufstand, 629, 729 Boykott, 2, 33, 51, 52, 54, 86, 94, 210, 653, 733, 752, 754, 869, 877 Bundestrojaner, 828 Bunker, 207, 379 Bürokratie, 335, 465, 528, 698, 763, 839, 879, 905 bürokratisch, 698 Business Cycle, 463
C Caesar-Prinzip, 552 captive pricing, 672 Charisma, 135, 157, 380 cheap talk, 232, 561, 682, 689 Chinesische Revolution, 72 Chip Design, 877 choke-point, 481
1046 CI, 448 Client-PCs, 830 Cloud Services, 831 Club, 22, 45, 191, 544, 911 Clubgut, 194, 231, 447 COCOM, 253, 259 competitive intelligence, 448 Compliance, 506, 558, 579–581 Computertrojaner, 830 Computerviren, 830, 843 Computerwürmer, 830 connectivity, 445 consoles, 449 Containerhäfen, 453 corn laws, 181 corporate culture, 478 identity, 660 social accountability, 154 social responsibility, 154 Cortés-Prinzip, 551 countervailing, 688 Cournot, 324 crony capitalism, 653, 759 cross-domain coercion, 470 CSA (Corporate Social Accountability), 154, 398 CSR (Corporate Social Responsibility), 154, 398 cum-ex, 775 cut-throat competition, 472, 480, 673, 695 Cyber, 5, 353, 686, 688, 827, 839, 841, 844, 848, 858, 861, 881 Cyberkrieg, 31, 100, 448, 686, 778, 817–819, 826–831, 837–839, 842–844, 849, 858, 863, 879, 882
D DAO, 299–301 Daten, 83, 132, 205, 206, 212, 392, 394, 399, 448, 458, 489, 515, 669, 687, 690, 696, 713, 727, 793, 823, 826, 832–834, 836, 840, 841, 843, 845, 847–850, 852–854, 857, 863, 881, 882 Datenschutz, 581, 748 Dawkins, 15 DE, 299 Deduktion, 522, 523, 546
Index wichtiger Schlüsselbegriffe deep learning, 544, 824 Deeskalation, 38, 89, 103 Deglobalisierung, 725, 745, 787 Deglobalisierungsfalle, 786 Dekodierbarkeit, 194 Delisting, 694 Demographie, 385, 390, 419, 424, 428 Demokratie, 13, 23, 27, 41, 43, 65, 67, 80, 115, 156, 180, 181, 194, 195, 220, 223, 251, 290, 296, 322, 328, 329, 334, 335, 339, 359, 361, 373, 377, 378, 382, 386, 393, 700, 725, 731, 734, 736, 742, 774, 785, 797, 800, 819, 821, 824, 826, 856, 900, 902, 904, 910–912, 916, 923, 924, 932, 935 Demolition Man, 723 denial of access, 845 Derivat, 165, 700, 771 Desensibilisierung, 30 Deserteur, 207 deterred entry, 560 Devisenhandel, 699, 747 Devisenverkehr, 747 Dialektik, 2, 11, 14, 25, 39, 41, 52, 137, 145, 146, 181, 218, 223, 286, 287, 289, 304, 307, 335, 344, 351, 365, 366, 402, 465, 520, 729, 932 Dichotomie, 35, 51, 68, 179, 298, 345, 762 Diebstahl, 636, 686, 838, 845 Differenzierung, 134, 180, 182, 350, 476, 477, 559, 646, 651, 751 Differenzierungsstrategie, 477 Dilemma, 42, 103, 131, 135, 163, 178, 182, 229, 231, 233, 236, 239, 244–247, 250, 294, 350, 362, 398, 401, 402, 437, 466, 508, 545, 763, 764, 835, 837, 861 Dimension, 11, 17, 48, 95, 159, 182, 212, 304, 386, 484, 507, 517, 604, 607, 614, 615, 626, 632, 652, 699, 776, 934 Diplomatie, 18, 131 Diskriminierung, 145, 196, 336, 378, 513, 639, 679 Diskurs, 155, 195, 199, 222, 234, 286, 288, 302, 313, 344, 388, 402, 520, 521, 889, 898 Disruption, 67, 94, 519, 544, 854, 866 Dissonanz, kognitive, 53, 223 Dollar, 267 Dominanz, 9, 10, 16, 19, 23, 30, 32, 33, 38, 60–62, 64, 65, 77, 86, 94, 120, 132, 144,
Index wichtiger Schlüsselbegriffe 159–162, 198, 200, 201, 214, 215, 259, 297, 345, 376, 395, 403, 418, 420, 437, 448, 462, 530, 584, 590, 603, 629, 640, 644, 651, 652, 655, 656, 661, 680, 683, 696, 697, 726, 743, 748, 757, 783, 784, 790, 795, 797, 802, 826, 827, 870, 871, 875, 881, 934 kognitive, 64, 66, 200, 206, 723 Dominanzerwartung, 48, 69, 97, 133, 146, 152, 157, 199, 249, 635, 637, 659, 661, 723, 732, 738, 796, 807, 808, 890, 893, 931 Dominanzerwartungstheorie, 59, 67, 313, 516, 611, 786, 818, 882 Dominanzstreben, 15, 28, 818 Dotation, 636 Downstream, 82 Draghiat, 263, 692, 911–913, 923 Dreifaltigkeit, 21, 22, 463 Drohne, 858 Drohung, 87, 134, 167, 232, 342, 397, 472, 481, 482, 562, 677, 751, 788, 825, 878, 914 glaubhafte, 134, 232, 265, 311, 645, 696, 774, 910 Dumping, 537, 633, 641, 672, 869 Dunkle Triade, 139 Duopolgewinn, 559 Durchsetzung, 11, 67, 123, 148, 155, 181, 232, 335, 340, 467, 482, 490, 563, 724, 731, 735, 737, 748, 754, 808, 822, 859, 916, 935 Durchsetzungsmacht, 21, 61, 754, 906 Dynamik, 22, 53, 81, 97, 182, 187, 233, 260, 289, 342, 354, 470, 476, 609, 614, 617, 698, 732, 780, 790, 807, 819, 867, 911, 923, 933
E e-crime, 879 economic value, 651, 688, 701 Edelmetall, 567 EEG, 638–640 Effektivität, 12, 448, 507, 510, 754 Effizienz, 15, 25, 38, 64, 103, 307, 336, 338, 448, 466, 470, 607, 627, 707, 754, 760, 765, 767, 827, 839, 873, 888, 889 Eigeninteresse, 20, 314, 419
1047 Eigenschaft, verborgene, 703 Einführungsphase, 572 Einprägung, 200 Einsatz, 11, 20, 32, 36, 51, 53, 65, 103, 115, 122, 162, 200, 204, 225, 228, 247, 251, 301, 307, 309, 320, 352, 403, 418–420, 446, 472, 498, 508, 531, 590, 614, 654, 671, 672, 680, 687, 688, 699, 707, 712, 716, 782, 788, 833, 834, 856, 938 Einschätzung, 54, 55, 86, 129, 146, 153, 224, 231, 497, 528, 612, 680, 794, 870, 879 Einschuss, 207 Einzelhandel, 476, 764 Eisbohrkerne, 390 Elchtest, 100, 582, 586, 593 Eliminieren, 709, 866, 889 Elite, 84, 224, 357–359, 364, 687, 897, 904, 906 Emanzipation, 44, 120, 222, 287, 336, 791 Embargo, 28, 253, 752 emotional, 23, 63, 140, 145, 157, 204, 340, 464, 466, 472, 512, 546, 849 Emotionen, 43, 521, 834 Empathie, 116, 138–140, 144, 147–149, 151, 157, 192, 300, 343, 367, 513, 595, 918 Empirismus, 222, 313, 520 employer branding, 658, 661, 696 Energie, 75, 118, 162, 442, 443, 483, 529, 567, 789, 826, 899, 937 entry, 167, 578, 656, 808 entry-Strategie, 167, 808 Entschluss, 138, 528, 530, 576, 579, 593 Entwicklungsländer, 136, 393, 394, 435, 616, 710, 748, 785 Entwicklungsphase, 572 Epidemie, 216, 677 Erdöl, 73, 396, 442, 878 Erfolg, 21, 26, 27, 33, 41, 48, 49, 65, 97, 118, 122, 131, 136, 150, 164, 166, 184, 211, 220, 222, 235, 252, 260, 288, 306, 307, 327, 336, 340, 350, 429, 446, 454, 463, 465, 466, 474, 476, 498, 513, 519, 526, 528, 535, 537, 540, 559, 570, 571, 573, 587, 593–595, 634, 635, 651, 667, 676, 686, 689, 692, 697, 699, 702, 707, 716, 717, 727, 733, 741, 749, 791, 805, 821, 829, 846, 853, 867, 879, 880, 892, 895, 899, 905, 933 Erneuerbare Energien Gesetz, 640
1048 Eroberer, 122, 161, 205, 207, 360, 417, 551 Eroberung, 25, 155, 158, 204, 221, 223, 303, 451, 492, 536, 568, 578, 607, 611, 628, 630, 670 Erosion, 64, 66, 231, 261, 465, 734, 761, 897, 902 Erpressung, 62, 259, 635, 677, 687, 696, 786, 915, 921 Erpressungshölle, 786 Ertrag, 127, 210, 218, 232, 300, 352, 357, 536, 639, 759, 760, 808 Ertragskrise, 575 Erwartung, 16, 49, 69, 97, 121, 133, 192, 249, 250, 264, 495, 511, 564, 741, 804 Erwartungsbildung, 544 Erzwingungskrieg, 88 Erzwingungsmaßnahmen, 470, 488 Eskalation, 1, 2, 24, 41, 88, 89, 141, 192, 232, 248, 259, 273, 293, 470, 493, 537, 634, 661, 728, 754, 772, 784, 791, 800, 824, 839, 875, 888 Eskalationspotential, 17, 100, 236, 368, 536, 837 Eskalationsspirale, 24, 660, 754 essential facility, 530, 684, 820, 866 Ethik, 9, 12, 39, 119, 123, 132, 140, 141, 180, 183, 184, 188, 194, 212, 234, 248, 288, 298, 306, 308, 311, 315, 327, 361, 375, 388, 402, 403, 521, 899 Ethnie, 137, 185, 354, 372 Ethnizität, 183, 196, 340, 382, 386 EU-Schuldenkrise, 489 Euribor, 918 European Recovery Program, 613, 637 Eurosystem, 889 Evolution, 11, 116, 128, 130, 132, 179, 184, 193, 294, 317, 390, 668, 833 exit, 167, 466, 656, 808, 890 exit-Strategie, 167, 808 Explanandum, 523 Explanans, 524 Externalität, 194, 705, 920 extraterritorial, 37, 50, 266, 756, 851, 877
F Fähigkeit, 22, 24, 26, 31, 34, 35, 39, 52, 55, 60, 62, 73, 75, 98, 99, 102, 122, 128, 129, 137, 140, 141, 146–149, 151–153, 157,
Index wichtiger Schlüsselbegriffe 158, 164, 178, 185, 202, 218, 221, 224, 247, 248, 259–260, 262, 285, 295, 296, 307, 321, 324, 332, 333, 342, 347, 350, 352, 374, 375, 377, 378, 386, 417–423, 428, 430, 432, 448, 449, 451, 454, 455, 457, 461, 463, 464, 467, 468, 473, 478, 480–485, 487, 488, 497, 498, 507, 509, 511, 512, 517–519, 526–528, 533, 535, 536, 538, 540, 541, 543, 546, 550, 554, 556, 563, 576, 578, 585, 592, 594, 607, 609, 615, 617, 627, 651, 657, 659, 660, 667, 670, 671, 674, 675, 683–686, 688, 695, 696, 702, 723, 725, 726, 732, 742, 743, 754, 769, 774, 778, 786, 787, 791, 808, 817, 819, 823, 824, 828, 834, 837–839, 854, 858, 860, 864, 872, 879, 880, 891, 897, 906, 933, 937, 941, 943 fair play, 31 fake news, 23, 62, 823, 839, 842 president trick, 846 Fall der Mauer, 28, 70, 244, 251, 292, 489, 734, 750 Falle, 59, 83, 87, 94, 97, 150, 189, 237, 254, 330, 370, 394, 418, 432, 436, 455, 466, 469, 473, 486, 491, 513, 527, 533, 551, 557, 568, 577, 582, 592, 593, 614, 622, 631, 651, 655, 664, 665, 667, 672, 677, 696, 730, 746, 754, 755, 768–772, 794, 826, 841, 844, 846, 917, 940 Faschismus, 315, 335, 344, 345, 356, 358, 362, 375–377, 386, 785, 799 Faschoda-Krise, 609, 618 fast prototyping, 667 Feigheit, 22, 23, 310 Feiglingsspiel, 88, 235, 237–240, 248–249, 257, 258, 487, 693 Feind, 22, 25, 43, 58, 72, 130, 205, 207, 253, 255, 256, 291, 302, 303, 324, 364, 365, 448, 517, 532, 591, 594, 788, 821, 846, 860, 881, 938–941 Feldherr, 207, 296, 552, 554 Feldzug, 48, 205, 207, 942 Festlandsockel, 494 Festung, 49, 207, 532 Feuer, 144, 207, 246, 369, 512, 527, 531, 631, 645, 677, 938, 939 Fileserver, 830 Finanzierungsdemokratie, 692
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Finanzindustrie, 5, 41, 136, 155, 162, 163, 191, 251, 266, 267, 343, 565, 658, 733, 768, 898, 902, 904, 915, 917 Finanzinnovation, 569 Finanzkapital, 383 Finanzverkehrskontrolle, 51 Finanzwirtschaft, 436, 570, 772 Fingerdigitalscanner, 877 Firewalls, 843, 846 Firma, 4, 22, 46, 48, 64, 100, 137, 155, 255, 258, 309, 332, 453, 482, 562, 582, 583, 587, 589, 591, 640, 653, 658, 679–682, 684, 691, 696, 698, 700, 708, 711, 716, 763, 775, 825, 828, 834, 838, 843, 846, 850, 863, 865–866, 869, 887, 895, 908 first nation, 197 Flachglas, 893 Flanke, 80, 207, 488, 535, 593, 632, 686, 694, 715, 717, 743, 933 Flexibilitätsparadies, 786 Fluch des Siegers, 675, 690, 760 Flüchtling, 733 Forensik, 888 Forschungsphase, 572 Fortschritt, 12, 14, 118, 122, 182, 221, 350, 364, 390, 424, 427, 490, 496, 521, 568, 609, 632, 647, 667, 676, 677, 835, 869, 897, 933 forum shopping, 697, 768, 865 Fouragieren, 46, 58, 747 Fracking, 73, 442, 456, 488, 489, 491, 493, 496, 731 frame, 208, 312 framing, 204, 297 Französische Revolution, 43, 47, 197, 313, 315, 323, 347, 372, 387, 611 Freak Trade, 699 Freibeuterei, 121 Freihandel, 66, 70, 75, 78, 84, 96, 103, 210, 436, 619, 637, 661, 729, 789, 796, 798, 806, 807 Freiheit, 2, 4, 13, 37, 40, 41, 65, 116, 132, 136, 144, 166, 193, 199, 222, 226, 287, 294–296, 306, 309–312, 314, 316–318, 331, 338, 339, 342, 348, 350, 366, 372, 383, 385, 450, 458, 462, 465, 471, 509, 632, 707, 749, 767, 834, 849, 853, 860 Freiwilligendilemma, 242
1049 Freund, VII, 25, 127, 156, 238, 288, 330, 342, 364, 365, 646, 860, 881 Frieden, 1, 9, 33, 35, 37, 40, 61, 73, 98, 118, 166, 167, 197, 203, 228, 297, 305, 308–310, 315, 317, 345, 358, 360, 364, 381, 468, 552, 635, 636, 700, 752, 754, 769, 785, 860, 882, 888 Friktion, 23, 822 Front, 6, 205, 207, 381, 390, 436, 448, 451, 625, 626, 696, 801, 923, 934, 939 frontier, 27, 130, 185, 196, 221, 353, 359, 377, 696, 934 frühindustrialisiert, 65, 76, 78, 81, 615, 670, 750 Führer, 21, 27, 100, 207, 233, 291, 355, 369, 376, 381, 440, 508, 512, 518, 519, 590, 592, 696, 864, 937, 941 Führer, industrieller, 478, 864 Führerschaft, 71, 75, 638, 743, 792, 794, 864 Führung, 18–20, 27, 34, 81, 98, 138, 139, 143, 148, 154, 160, 192, 245, 323, 326, 355, 358, 376, 417, 418, 422, 448, 462, 464, 466, 492, 505–514, 517, 518, 520, 524, 525, 529, 530, 533–535, 537, 538, 548, 550, 562, 577, 582, 588, 592–594, 612, 614, 646, 652, 706, 707, 717, 733, 795, 807, 818, 836, 870, 882, 905, 933, 937 übergeordnete, 579 Führungsfunktion, 616 Führungsinstrument, 701 Führungsposition, 747 Führungsprobleme, 100, 579 Funkmodul, 877 Furcht, 147, 200, 223, 309, 369, 371, 506, 680
G Gas, 256, 400, 440–442, 452, 490, 712, 764 Geben, 200 Gedächtniskunst, 200 Gefallener, 207 Gefangenendilemma, 88, 235–236, 238–240, 242–243, 246–249, 487, 493, 591, 758, 764, 800, 896 Gefühlsarmut, 158 Gegenmacht, 226, 665, 693, 822 Gegenspieler, 236, 247, 295, 315, 517, 531, 879 Gegenstoß, 207, 531
1050 Gegner, 6, 14, 24, 25, 36–39, 48, 56, 60, 63, 81, 101, 103, 124, 127, 137, 156, 162, 167, 191, 202, 204, 207, 221, 224, 246, 295, 307, 316, 318, 329, 331, 337, 348, 366, 369, 383, 386, 403, 418, 419, 449, 461, 465, 470, 481, 482, 493, 497, 507, 514, 516, 517, 528–533, 537, 551, 588, 592, 594, 631, 632, 657, 671, 684, 707, 715, 718, 726, 729, 735, 754, 778, 788, 808, 849, 852, 863, 866, 881, 882, 938–940 Geheimdienst, 829, 833, 851, 870 Gehorsam, 189, 190, 200, 218, 290, 305, 326, 369, 370, 539, 825, 937 Gehorsamkeit, 194 Geländebeurteilung, 577 Geld, 38, 40, 42, 44–47, 55, 120, 121, 128, 134, 154, 156, 157, 185, 188, 222, 224, 240, 262, 270, 285, 298, 302, 304, 318, 321, 327, 332, 335, 352, 361, 396, 402, 463, 541, 551, 559, 562, 615, 635, 656, 680, 682, 684, 702, 709, 739, 746, 748, 768, 773–775, 777–779, 781, 802, 833, 853, 855, 891, 894, 896, 898, 901–903, 909, 910, 913, 914, 917, 920, 924 Geldmenge, 332, 566, 770, 920 Geldpolitik, 37, 241, 264, 270, 271, 330, 332, 565, 654, 669, 737, 740, 769, 771, 800, 802, 891, 894, 910, 912, 914, 923 Geldwäsche, 265, 580, 773, 778–781, 854 Gemeinschaft, 45, 115, 135, 145, 194, 289, 292, 311, 325, 377, 453, 770, 782 general public license, 665 general purpose technology (GPT), 210, 445, 476, 571, 611, 638 genetik, 183 genetisch, 15, 118, 137, 139, 149, 183, 185, 187, 218 geoökonomisch, 541, 614 geoökonomischen, 4 Geopolitik, 225, 542 Gerechtigkeit, 16, 17, 126, 288, 296, 297, 301, 304, 310, 332, 333, 384, 723 Geschäftschancen, 701 Geschäftsgefahren, 701 Geschichtswissenschaft, 390, 850 Geschoss, 207 Gesellschaft, VIII, 1, 2, 12, 16, 17, 28, 30, 34, 41, 49, 53, 55, 62, 65, 67, 71, 74, 83, 101, 115, 122, 129, 131, 133, 134, 138, 141, 143, 144, 146, 149, 150, 154,
Index wichtiger Schlüsselbegriffe 156, 158, 161, 162, 166, 167, 177, 179, 180, 182, 183, 185, 188, 190–195, 201, 211, 214–216, 218, 220, 222, 223, 232, 239, 251, 263, 273, 287, 289, 295, 300, 301, 312, 315, 317, 318, 326, 327, 329, 331, 336, 337, 339, 341–343, 351–353, 355, 360–362, 365, 367, 368, 371–374, 377, 380, 382–385, 387–390, 392, 403, 417, 424–427, 434, 440, 464, 465, 490, 519–521, 540, 541, 558, 568, 589, 605, 607, 617, 619, 624, 627–629, 642, 723, 734, 736, 740, 759, 763, 781, 782, 790, 819, 821, 826, 827, 830, 833, 835, 838, 842, 847, 851, 862, 889, 900, 902, 916, 924, 932, 934 Gesetz, 21, 55, 70, 150, 167, 180, 182, 227, 287, 302, 310, 311, 314, 316, 318, 319, 323, 325, 331, 346, 347, 349, 350, 361, 363, 374, 393, 451, 476, 520, 522, 524, 527, 529, 531, 589, 594, 618, 638, 652, 696, 737, 769, 837, 852, 854, 872, 878, 889, 897, 915, 938 Gesetze, 34 Gesichtserkennung, 100, 833, 877 Gesundheit, 2, 150, 350, 390, 549, 764, 826, 827 Getreide, 47, 390 Gewalt, VII, 6, 10, 15, 22, 23, 27, 28, 32, 40, 55, 65, 66, 117, 119, 130, 131, 136, 137, 140, 144, 147, 148, 151, 154, 161, 213, 218, 221, 228, 255, 265, 287, 301, 303, 305, 308–312, 324, 352, 357, 363, 380, 384, 400, 466, 594, 607, 628, 635, 677, 725, 735, 736, 839, 842, 889 Gewehr, 130, 205, 207 Gewinn, 48, 115, 118, 127, 166, 235, 244, 257, 300, 319, 320, 339, 468, 469, 538, 545, 560, 580, 659, 660, 727, 800, 915 Glaubwürdigkeit, 226, 253, 736 Gleichgewicht, 42, 47, 78, 134, 232–238, 240, 243, 245, 260, 286, 299, 318, 329, 461, 469, 472, 491, 636, 726, 729, 739, 800, 858, 893, 917, 940 global, 2, 65, 80, 96, 205, 214, 257, 268, 373, 383, 388, 391, 397, 428, 429, 451, 476, 490, 509, 609, 640, 643, 692, 696, 738, 774, 788, 818, 822, 831, 836, 837, 843, 871–873, 877, 893, 917 citizen, 2, 65, 96
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Globalisierung, 13, 14, 27, 40, 70, 76, 83, 133, 136, 195, 271, 272, 322, 342, 373, 383, 386, 397, 402, 428, 450, 609, 610, 622, 658, 677, 725, 742, 744, 748, 902, 923, 932, 934, 935 Globalisierungsdruck, 98 GME, 429, 476, 616 goodwill, 445 Gorilla-Glas, 877 Gott, 11, 13, 14, 41, 45, 116, 118, 125–127, 135, 155, 156, 227, 294, 297–299, 306, 307, 310, 316, 351, 365, 546, 561, 617, 903 Gottesbeweis, 244 Governance, 5, 96, 161, 187, 217, 300, 312, 347, 400, 506, 579, 580, 584, 604, 617, 688, 697, 717, 753, 761, 767, 768, 894, 895, 935 GPL (general purpose licence), 665 GPT (general purpose technology), 210, 445, 571, 611 Graf, 26 grammatikalisch, 190 Granate, 207 Great Chinese Firewall, 821 Grenze, 138, 177, 194, 244, 246, 251–252, 262, 264, 269, 271, 288, 333, 454, 469, 520, 603, 604, 617, 622, 626, 637, 821, 844 Größenwahn, 154, 157 Groupthink, 554 Grundgesetz, 14, 180 Günstigkeiten, 55 Günstigkeitsreihenfolge, 493 Gut öffentliches, 56, 136, 180, 194, 231, 446–447, 645, 782, 847 privates, 56, 190, 194, 447
H Habgier, 140, 314, 321 hack back, 861 Hajnal-Linie, 605 Halbleiterbauelemente, 878 Halbleiter-Design, 875, 876 Haltbarkeit, 194
1051 Handel, VII, 46, 54, 65, 67–69, 72, 76, 82, 84, 160, 204, 209, 210, 216, 228–229, 255, 287, 296, 304, 306, 313, 315, 319, 320, 324, 348, 353, 429, 436, 450, 463, 467, 473, 611, 635, 643, 699, 712, 727–729, 743, 745–749, 752, 753, 762, 773, 784, 796, 801, 807, 834, 854, 865, 892, 911 Handeln, verborgenes, 703 Handelsblockaden, 28 Handelsgesellschaften, 20, 121, 790, 872 Handelskrieg, 10, 11, 35, 69–71, 75, 76, 88, 89, 94, 98, 103, 197, 229, 260, 271, 374, 435, 632–635, 637, 646, 702, 728, 729, 750, 757, 788, 808 Handelspolitik, 37, 80, 229, 729, 785, 806 Handlungsoptionen, 61, 579, 695 hard power, 62, 403, 417, 418, 457, 498 Hass, 4, 22, 23, 362, 378, 383 Herausforderungen, 39, 97, 98, 116, 138, 162, 186, 192, 259, 380, 384, 425, 524, 531, 899, 938 Herrschaft, 28, 47, 54, 71, 72, 99, 159, 190, 196, 200, 263, 297, 298, 301, 302, 308, 326, 346, 347, 358, 366, 367, 375, 377, 379, 496, 628, 692, 725, 761, 818, 824, 836 hidden champion, 84, 658, 687, 864 Hierarchie, 22, 66, 154, 185, 186, 189–191, 300, 301, 336, 505, 506, 527, 539, 628, 942 Hinterhalt, 124, 207, 535 Hirschjagd, 242, 243, 257, 693, 799 hit-and-run, 578, 656 Hochstapelei, 157 Homogenität, 155, 472 Homogenitätskonzept, 620, 621 Honey-Pot, 845 Honigfalle, 846, 940 horizontal, 190, 193, 194, 200, 537, 548 Humanethologie, 130, 132, 183 Humankapital, 71, 72, 247, 321, 388, 398, 400, 423, 479, 487 Hunger, 65, 136, 198, 349, 390, 820 hybrid, 36 Hybris, 126, 143, 321, 586, 657 Hypothese, 130, 166, 201, 202, 288, 344, 463, 514, 522–524, 612, 655, 695, 850
1052 I Ideal, 66, 334, 341, 464, 465, 473, 547, 622, 637, 854 Idee, 2, 5, 29, 46, 67, 69, 70, 118, 137, 148, 201, 210, 239, 254, 285, 298, 305, 315, 316, 339, 340, 342, 349, 366, 368, 372, 374, 387, 464, 465, 467, 513, 522, 535, 555, 569, 571, 573, 637, 639, 834, 849, 853, 866, 898, 939 identitär, 67, 734 Identitäre Bewegung, 383 Identität, 3, 16, 22, 32, 67, 132, 134, 156, 178, 189, 194, 196, 200, 208, 222, 226, 312, 336, 345, 354, 359, 373, 382, 383, 385, 403, 467, 740, 862, 900 memetische, 193, 477 Ideologie, 67, 118, 137, 190, 193, 195, 252, 258, 321, 338, 355, 361, 363, 376, 380, 386, 464, 465, 603, 627, 900, 935 IDM (Integrated Device Manufacturer), 875, 876 illegal, 52, 76, 400, 448, 592, 752, 767, 777, 779, 828, 855, 902 illegitim, 11, 15, 28, 115, 344, 767, 902 Illegitimität, 764 Imitation, 183, 184 Immunität, 31, 149 Imperialismus, VII, 51, 120, 121, 136, 181, 252, 322, 348, 376, 609, 628, 629, 791 Indikator, 33, 128, 434, 670, 737, 743, 888, 894 Individualethik, 190, 194 individuell, 11, 29, 54, 58, 70, 129, 157, 164, 185, 226, 231–232, 234–235, 246, 247, 362, 689, 758, 848 Individuum, 12, 14, 15, 17, 115, 128–130, 132–134, 141, 143, 166, 185, 191, 192, 194, 239, 242, 287, 289, 299, 306, 309, 317, 318, 325, 342, 350, 355, 362, 371, 386, 520, 538, 539, 553, 652, 694, 822, 825, 833, 837 Induktion, 523, 545, 546 Industrie, 5, 72, 74, 75, 79, 80, 84, 88, 100, 155, 225, 253, 257–258, 332, 348, 353, 398, 430, 434, 437, 449, 457, 475, 487, 488, 571, 613, 615, 619, 638, 640, 643, 654, 731, 735, 742, 746, 750, 764, 769, 780, 808, 827, 836, 840, 854, 872, 931 Industriekonzept, 620, 621 Industrielle Revolution, 3, 72, 217, 307, 424, 434, 729, 790
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Industriesteuerungsanlagen, 831 Information, 63, 97, 194, 224, 399, 434, 445, 448, 462, 465, 507, 508, 518, 525, 548, 550, 555, 558, 568, 592, 593, 607, 608, 624, 694, 697, 761, 764, 818, 822, 825, 829, 833, 835, 850–852 Informationsasymmetrie, 506, 549, 550, 557–559 Informationsbarriere, 548, 549 Informationskrieg, 62, 63, 634 Informationspolitik, 37, 403 Informationsüberlegenheit, 25, 64, 200, 306, 395, 423, 448, 531, 532, 594, 631, 634, 685, 708, 732, 796, 834, 882 Innovation, 5, 12, 20, 47, 53, 58–60, 137, 161, 186, 187, 203, 217, 221, 224, 233, 256, 328, 330, 344, 358, 425, 427, 429, 444, 455, 463, 467, 470, 474, 481–483, 507, 529, 534, 535, 538, 540, 545, 547, 555, 560, 567–571, 574, 591, 594, 603, 624, 625, 627, 634, 654, 656, 663, 664, 667, 677, 682–684, 689, 696, 700, 758, 791, 824, 858, 864, 875, 888, 894, 896, 910 institutionelle, 569, 683 Insel der Kooperation, 403 Insolvenz, 20, 86, 156, 257, 432, 438, 439, 452, 470, 487, 562, 575, 638, 640, 641, 644, 695, 702, 727, 776, 893, 896, 922 Instabilität, 72, 198, 217, 219, 256, 352, 383, 699, 734, 752, 803, 898, 917 Institution, 54, 164, 179, 187, 188, 192, 194, 241, 244, 247, 250–251, 272–273, 294, 331, 335, 340, 345, 380, 508, 568, 683, 770, 833, 838, 842, 853 Integrated Device Manufacturer (IDM), 875, 876 Integration, 15, 38, 66, 70, 121, 291, 321, 354, 361, 443, 609, 611, 612, 679, 680, 693, 698, 728, 738, 875, 880, 906, 937 Integrität, 19, 26, 226, 292, 530, 771 Intellectual Property Rights (IPR), 229, 444 Intelligenz, 18, 87, 149, 157, 184, 247, 352, 362, 544, 546, 593, 613, 653, 817, 824, 827, 834–836, 863, 943 Intensität, 37, 88, 471, 528, 529, 697, 716, 836, 919 Intention, 32, 862, 933 intentional, 32, 42, 316 Intentionalität, 128 interdependent, 62, 224, 450, 527
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Interesse, VIII, 9, 35, 42, 43, 51, 66, 73, 81, 99, 130, 182, 218, 219, 234, 246, 247, 259, 266, 268, 291, 384, 390, 398, 399, 439, 446, 479, 497, 560, 608, 610, 614, 620, 629, 663, 667, 672, 677, 775, 823, 824, 829, 836, 838, 840, 849, 856, 890, 892, 906, 934, 937 intern, 15, 396, 464, 676, 717 Internet, 5, 63, 388, 478, 536, 571, 646, 674, 687, 735, 780, 823, 830, 841, 856 intertemporal, 16, 55, 60, 326, 431, 646 Intervention, VII, 11, 33, 225, 228, 324, 491, 610, 633, 728, 754, 759, 768 Intuition, 22, 23, 202, 523, 524, 546 Invasion, 733 Investition, 33, 76, 78, 88, 135, 191, 194, 200, 229, 251, 257, 262, 286, 323, 330, 337, 366, 394, 395, 428, 429, 431, 435, 451, 455, 456, 478, 489–491, 541, 552, 560, 561, 563–565, 571, 588, 591, 623, 644, 646, 652, 675, 676, 681, 686, 690, 692, 725, 731, 739–741, 743, 744, 755, 757, 759, 772, 774, 783, 803, 804, 806, 819, 895, 903, 908, 909 Investitionsschutzabkommen, 229, 230, 767 Investitionsschutzes, 229 IPR (Intellectual Property Rights), 665 Iranische Revolution, 759 Irreversibilität, 186, 215, 232, 234, 265, 340, 446, 541, 550–552, 560, 703 Islamismus, 308, 335 ius ad bellum, 297, 839 ius in bello, 297, 303, 839
J J-Kurven-Effekt, 742, 800
K Kaldor-Paradoxon, 738 Kalkül, 4, 16, 19, 24, 60, 67, 80, 97, 200, 245, 431, 473, 481, 646, 654, 696, 732, 785 Kamera, 877 Kampf, 2, 5, 11, 12, 16, 18, 24, 28, 31, 48, 52, 62, 64, 66, 82, 84, 87, 88, 100, 117, 122, 125, 130, 136, 181, 190, 205, 207, 245, 258, 264, 287, 296, 298, 314, 327, 335, 336, 345, 351, 359, 362, 369, 373, 378,
1053 382, 418, 422, 443, 453, 507, 527, 536, 551, 561, 590, 604, 622, 631, 632, 657, 666, 667, 673, 680, 695, 726, 730, 752, 784, 793, 836, 852, 867, 868, 870, 878, 933, 938, 941 der Geschlechter, 245, 561 Kämpfer, 207 Kampflinie, 207 Kampfunfähigkeit, 207 Kampfzone, 207, 388, 852 Kanone, 55, 207, 612 Kapazität, 453, 491, 671, 675, 713, 898 Kapital, 32, 41, 58, 78, 209, 212, 218, 251, 315, 318, 319, 321, 326, 328, 351, 359, 384, 420, 456, 564, 565, 574, 607, 609, 659, 670, 682, 698, 739, 746, 758, 774, 779, 800, 892, 898, 909, 910, 916, 935 Kapitalismus, 44, 70, 78, 96, 117, 120, 137, 161, 179, 183, 203, 209, 212, 307, 321, 326, 327, 329, 331, 336, 338, 341, 344, 351, 352, 359, 361, 372, 376, 383, 392, 582, 683, 785, 822, 894, 900, 934 Kapitalvernichter, 706 Kapitulation, 205, 207, 517, 536, 634, 696, 940 Karte kognitive, 614 mentale, 614 Kartell, 441, 474, 551, 581, 690, 715–717, 769, 824 Kartellabsprache, 477, 715 Kartellverstöße, 581 Kassa-Handel, 635, 636 Kaufkraft, 318, 741, 745, 750, 775, 800, 806 Kaufkraftparitätentheorem, 738 Kautschuk, 421, 422, 629, 630, 662, 752 Kenntnis, 4, 22, 39, 217, 227, 234, 258, 374, 511, 559, 671, 695, 830, 834, 835, 844, 852, 888, 890, 933 Kernkompetenz, 477, 529, 881 khaki capitalism, 653, 759 KI, 653, 817, 824 Klasse, 31, 187, 290, 361, 374, 386, 586, 587, 750 Klassenkampf, 16, 209, 376, 381, 402, 932 Klima, 15, 67, 81, 214, 216, 392, 393, 401, 550, 605, 618 Klimaarchive, 390 Klimarekonstruktion, 390 KMU, 616
1054 Knappheit, VII, 13, 18, 99, 187, 268, 333, 342, 397, 428, 436, 440, 496, 643, 670, 804, 853, 854, 895, 910, 933 Kognitionsforschung, 140 Kognitionspolitik, 37, 38 kognitiv, 53, 54, 62–67, 103, 137, 138, 143, 150, 190, 200–202, 204, 206, 223, 273, 297, 312, 403, 573, 594, 603, 606, 614, 683, 723, 737 Kollateraleffekte, 525 Kollateralisieren, 44 Kollateralnutzen, 490 Kollateralschaden, 29, 71, 223, 265, 485, 514, 780, 804, 826, 895, 923, 935 Kollektiv, 42, 135, 195, 242, 289, 837 Kollusion, 470, 615, 674, 680 Kolonialismus, VII, 29, 51, 52, 99, 121, 136, 209, 219, 322, 381, 519, 609, 628, 630, 635, 636, 789, 796 Kommando, 207, 251, 448, 916 Kommunikation, 97, 202, 235, 526–528, 571, 618, 630, 631, 662, 682, 694, 754, 759, 764, 823, 842, 861, 869, 881, 904, 941, 942 Kompatibilität, 47, 150 Kompensation, 16, 59, 136, 240, 305, 654, 801, 895 Kompetenz, 6, 23, 115, 143, 149, 258, 272, 419, 440, 449, 478, 526, 538, 578, 657, 671, 763, 798, 821, 850, 855, 862, 899, 911 Komplexität, 15, 16, 36, 39, 99, 200, 330, 463, 506, 518, 525, 526, 541, 553–555, 557, 562, 588, 589, 606, 694, 707, 708, 775, 790, 836, 872, 873 konfirmatorisch, 557 Konfiskation, 37 Konflikt, 1, 11, 25, 26, 36, 37, 51, 52, 55, 61, 65, 68, 73, 96, 117, 122, 131, 136, 150, 162, 195, 219, 228, 247, 248, 273, 286, 289, 290, 292, 295, 303, 304, 309, 325, 326, 337, 343, 345, 369, 372, 382, 386, 421, 443, 461, 466, 481, 497, 516, 517, 524, 530, 548, 577, 581, 592, 632, 634, 635, 698, 710, 717, 723, 729, 732, 733, 736, 753, 784, 785, 791, 792, 795, 806, 807, 818, 831, 833, 835, 839, 842, 869, 937 Konfliktpotential, 26, 97, 230, 436, 442
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Konformität, 243, 539, 556 Konkubinenmodell, 692 Konkurrenz, 2, 17, 39–42, 52, 54, 56, 72, 100, 121, 133, 134, 154, 192, 258, 271, 287, 312, 315, 321, 327, 335, 341, 374, 389, 401, 427, 428, 462, 468, 471, 472, 482, 483, 485, 490, 532, 536, 538, 561, 582, 608–610, 618, 621, 622, 624–626, 630, 635, 638, 645, 646, 651, 656, 660, 662, 664, 670, 671, 682, 684, 685, 694, 696, 714, 725, 726, 767, 789, 792, 796, 801, 808, 825, 829, 853, 854, 889, 891 monopolistische, 477, 478, 622 Konquistador, 931 Konstruktivismus, 520 Kontinentaldrift, 627 Kontrahenten, 17, 59, 103, 383, 497, 633 Kontrolle, 11, 21, 22, 60, 62, 63, 65, 69, 72, 80, 120, 150, 159, 185, 199, 210, 226, 230, 248, 255, 340, 342, 363, 432, 442, 453, 466, 485, 490, 513, 544, 548, 549, 576, 577, 581, 611, 617, 625, 645, 646, 676, 686, 729, 735, 744, 802, 826, 833, 836, 845, 854, 863, 875 reflexive, 63 Konzentration, 33, 214, 231, 308, 312, 325, 337, 346, 352, 380, 463, 476–478, 480, 553, 594, 621, 624, 664, 678, 683, 687, 707, 835 Kooperation, 5, 11, 24, 40, 42, 49, 55, 64, 76, 116, 118, 126, 128, 131, 135, 146, 152, 165, 179, 184, 191, 209, 226, 233, 237–239, 241, 243, 246–248, 273, 286, 289, 290, 294, 305, 333, 394, 403, 457, 513, 570, 581, 591, 614, 615, 624, 625, 637, 644, 646, 678, 680–682, 726, 751, 793, 825, 838, 934 Koordination, VII, 178, 187, 225, 232, 241, 259, 336, 493, 577, 622, 631, 674, 675, 707, 717, 772, 807 Korrespondenztheorie, 520 Korridor, 613 Korruption, 5, 50, 163, 247, 289, 300, 302, 321, 333, 401, 513, 580, 581, 674, 726, 752, 757, 760–766, 777, 890, 895 Kostendegressionseffekt, 477 Kostenführerschaft, 476, 478 Kräftevergleich, 579, 701, 943
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Kreativität, 22, 23, 25, 119, 343, 477, 517, 695, 817, 824, 825, 865 Kreditausfall, 563 Kreislauf, 362 Krieg, VII, 1–6, 9–11, 14, 15, 17–26, 28–31, 33–37, 40–43, 46–48, 51, 52, 54, 55, 57, 59, 61, 66, 68, 95, 97–100, 102, 103, 117, 120, 126, 129, 130, 133, 136, 148, 158–162, 179, 181, 195, 199, 201, 203–205, 209, 221, 227, 228, 235, 253, 257, 258, 286, 289–291, 295–300, 303–305, 307–311, 313, 316, 318, 338, 349, 350, 352, 355, 357–361, 364, 366, 369, 376–378, 383, 384, 387, 396, 397, 402, 403, 420–423, 425, 435, 440, 441, 444, 446, 448, 461, 472, 488, 495, 496, 506, 507, 509, 515, 516, 519, 530, 532, 535, 536, 545, 561, 588, 609, 614, 617, 619, 622, 629, 631, 633, 646, 666, 667, 686, 726, 729, 730, 732, 733, 745, 772, 776, 792, 795, 797, 826–828, 830, 842, 849, 860, 862, 864, 869, 879, 880, 882, 902, 912, 932, 937, 942, 943 erster Art, 95 großer, 33, 95, 937 kleiner, 95 kognitiver, 63 punischer, 58 zweiter Art, 33, 95 Kriegskultur, 3, 19, 31, 242 Kriegstheater, 27, 33, 36, 578, 603, 604, 606, 818 Kriminalität, 29, 140, 163, 372, 617, 689, 730, 760 Krise, VIII, 13, 60, 65, 70, 71, 73, 75, 98, 141, 164, 167, 196–198, 206, 234, 239, 241, 260, 271, 318, 338, 351–353, 362, 372, 383, 387, 390, 419, 430, 432, 445, 454, 455, 463, 487, 490, 506, 523, 526, 562– 565, 567, 574, 575, 609, 614, 617, 645, 654, 731, 732, 744, 755, 767, 772, 789, 800, 801, 806, 839, 840, 855, 875, 888, 890, 900, 902, 905, 907, 908, 911–915, 917, 919, 924, 934, 939 strategische, 574 Krisenkapitalismus, 887 Krisenresilienz, 787 Krisenresistenz, 901
1055 Kritik, VIII, 23, 118, 152, 250, 304, 313, 316, 326, 329, 330, 338, 350, 356, 372, 382, 387, 430, 520, 692, 737, 853, 903, 910, 915 Krone, 158, 160, 161, 773 Kryptographie, 448, 855–857 Kryptokrieg, 857 Kultur, 4, 11, 28, 30, 32, 37, 48, 53, 62, 75, 99, 101, 134, 143, 144, 163, 177, 183, 184, 188, 218, 288, 294, 299, 308, 311, 322, 336, 340, 344, 345, 354, 356, 359, 360, 373, 374, 379, 382, 383, 464, 540, 541, 554, 604, 608, 617, 629, 768, 797, 923, 932 Kulturinnovation, 569 Kundenabschottung, 678 Kunst, 17–19, 23, 26, 46, 48, 53, 102, 119, 123, 140, 201, 204, 308, 311, 316, 359, 365, 367, 379, 417, 517, 527, 533, 779, 937 Künstliche Intelligenz (KI), 544, 821, 822, 827, 882 Kurve, 58, 59, 514, 516, 742
L Lachkurve, 81, 82 Laden, 211 Lage, 16, 18, 20, 22, 38, 45, 46, 65, 71–73, 80, 102, 116, 118, 121, 142, 147, 150, 154, 185, 188, 199, 202, 209, 210, 212, 217, 232, 234, 251, 253, 256, 257, 259, 266, 271, 272, 295, 301, 309, 311, 313, 330, 333, 334, 357, 362, 371, 374, 383, 391, 423, 432, 435, 453, 461, 468, 473, 481, 483, 495, 497, 506, 516, 521, 523, 530, 533, 536, 538, 548, 552, 558, 560, 562, 570, 576–579, 581, 604–606, 614, 615, 620, 640, 653, 658, 673, 688, 702, 710, 717, 732, 742, 754, 759, 770, 772, 776, 786, 790, 794, 797, 799, 800, 807, 821, 838, 840, 844, 865, 873, 888, 892, 906, 917, 918, 921, 934, 940 eigene, 579 Lageanalyse, 16, 654, 818, 937 Lagerung, 764 Lagevortrag, 526, 577, 579 Laisser-Faire, 511 land grabbing, 436, 692 Länderrisiken, 701
1056 Landwirtschaft, 85, 97, 179, 184, 215, 252, 319, 321, 347, 376, 422, 443, 613, 748, 764 Laptops, 590, 687, 831 Latenzzeit, 60, 481–483, 537 Legalität, 12, 29, 115, 530, 764, 774 Legitimität, 12, 29, 66, 166, 208, 297, 317, 326, 329, 333, 403, 425, 505, 530, 557, 753, 764, 774, 904 Leichtigkeit, 194, 361 Leichtsinn, 533, 534, 707 Leidenschaft, 23, 53, 140, 349 Leistungsbilanz, 75, 739, 742, 788, 801 Leistungswettbewerb, 474 level of ambition, 23, 463, 519, 533 playing field, 230, 609 LI, 301 liberal, 56, 467 Liberales Paradoxon, 243, 643 Liberalismus, 181, 311, 335, 338, 341, 344, 345, 363, 383, 386, 822 libertär, 193 Libor, 99, 162, 918 Lieferanten, 403, 473, 475, 476, 478, 594, 677, 679, 717, 866, 877 Lieferantentabschottung, 678 Limit-Preissetzer, 498 limit-pricing, 672 limited acccess, 218, 490 Linguistik, 178, 190, 201, 538, 822 Liquiditätskrise, 575 List, 18, 65, 92, 126, 320, 321, 551, 607, 654, 657, 686, 696, 708, 933, 940 List-Zölle, 743 Lobbyismus, 50, 421, 634, 646, 753, 760, 780 Logik, 14, 22, 24, 41, 102, 145, 202, 286–288, 371, 520, 522, 556, 622, 636 Logistik, 27, 423, 451, 484, 530, 532, 660, 694, 715 long tails, 478 loyal, 505 Loyalität, 133, 136, 184, 190, 191, 301, 342, 466, 509, 510, 841, 881, 890, 914
Index wichtiger Schlüsselbegriffe M Maastricht-Kriterien, 454 Maastricht-Urteil, 771 Maastricht-Vertrag, 262, 770, 771, 902 Macht, 10, 12, 16, 18, 28, 39, 44, 47, 51, 52, 61, 66, 70, 76, 94, 116, 120, 126, 134, 137, 139, 145, 148, 155, 166, 167, 185, 191, 200, 208, 221, 224, 225, 250, 264, 287, 291, 308–310, 313, 323, 327, 328, 334, 338–340, 342, 347, 348, 355–357, 361–363, 365, 369, 370, 373, 376, 379, 380, 402, 417, 419, 420, 446, 458, 463, 465, 485, 488, 498, 538, 540, 605, 610, 611, 628, 634, 676, 683, 687, 688, 694, 723, 725, 726, 729, 730, 737, 743, 770, 796, 803, 808, 819–822, 833, 836, 851, 852, 860, 869, 890, 900, 906, 916, 924, 940, 943 mächtig, 145, 185 Mailserver, 830 Management, 25, 153, 214, 457, 509, 511, 512, 538, 574, 587, 588, 689, 691, 726, 759, 875 by Exception, 511, 512 Managementkompetenz, 701 Manipulation, 46, 62, 63, 139, 157, 164, 201, 239, 380, 513, 520, 709, 745, 774, 831, 836, 847, 855, 859 Manöver, 167, 205, 207, 838–840, 861, 938 Markt, 11, 12, 32, 33, 38, 49, 50, 83, 86, 126, 132, 158, 161, 186, 194, 213, 231–233, 245, 257, 305, 315, 328, 336, 337, 340, 341, 358, 398, 437, 442, 444, 446, 447, 462, 463, 468–470, 472, 475, 478, 479, 481, 482, 485–488, 490, 491, 495, 497, 498, 512, 517, 528, 529, 532, 535–537, 539, 551, 552, 559–561, 572–574, 578, 582, 583, 585, 586, 589–591, 593, 594, 606, 608, 614, 620, 621, 626, 632, 638–641, 652, 654–656, 659, 666–668, 671–673, 675–677, 679, 681–683, 685, 690, 695, 696, 700, 708–717, 727, 736, 741, 742, 756, 758, 759, 779, 783, 801, 806, 829, 835, 841, 843, 855, 860, 865, 867, 868, 870–872, 875, 887, 889, 892, 896, 903, 908, 917, 922, 932
Index wichtiger Schlüsselbegriffe lokaler, 655 regulierter, 655 Marktattraktivität, 479 Marktaustritt, 655, 893 Markteintritt, 75, 134, 271, 468, 471, 476, 478, 481, 497, 531, 535, 559–561, 590, 615, 620, 652, 654, 655, 666, 671, 672, 675, 676, 709, 819 blockierter, 655 Marktinnovation, 569 Marktmacht, 230, 231, 320, 339, 388, 400, 447, 467, 468, 473, 474, 483, 528, 589, 591, 622, 630, 644–646, 656, 662, 665, 671, 678, 679, 683–685, 695, 696, 711, 759, 778, 806, 820, 822, 847, 863, 866 Marktsasse, 552, 558–561, 620, 652, 671, 673, 675, 676, 783 Marktwirtschaft, VIII, 1, 92, 115, 120, 463, 639, 641, 642, 836, 847, 880, 895, 902 autoritäre, 336 freie, 335 gesteuerte, 725 liberale, 2, 3, 385, 723 soziale, 17, 43, 54, 132, 143, 197, 225, 231, 253, 262, 321, 325, 331, 333, 337, 338, 340–342, 465, 725, 785 sozialistische chinesischer Prägung, 98, 353, 723 Marsch, 205, 207, 381, 465, 552, 938, 942 Martyrium, 144, 196–199, 783 Massenvernichtungswaffen, 136, 137, 749 Maßnahme, 79, 136, 298, 357, 632, 654, 751, 806 Meme, 31, 183, 184, 186, 195, 199, 734 Memetik, 132, 183, 300 memetisch, 134, 183, 184, 186–188, 192, 195, 226, 623 Mensch, 184, 896 Menschenbild, 4, 55, 99, 115–117, 293, 301, 312, 341, 382, 417, 617, 819, 825 Menschenrechte, 14, 40, 180, 199, 222, 251, 331, 345, 352, 686, 935 Menschenwürde, 14, 17, 295, 297, 301, 337, 342, 378, 540, 824 Menschheitsgeschichte, 15, 31, 39, 131, 218, 389 mental, 35, 149, 163, 221, 292, 420, 518 map, 614, 646, 868 Merit-Order, 493, 494
1057 Merkur, 11 Metalle, 80, 439, 566, 567 Metapher, 46, 53, 201, 203, 507, 531, 545, 657, 888 Mikroelektronik, 484, 552, 571, 655, 877, 880 Militär, 43, 149, 207, 242, 344, 350, 361, 372, 489, 569, 699, 764, 768, 835, 933 Militärpolitik, 26, 37, 491, 769 Mine, 207, 437, 439, 644 Mineralien, 567 Mini-Bots, 921 Minimalethik, 40, 194 Misserfolg, 211, 463, 513, 519, 537, 557, 570, 707, 894 Mission, 29, 63, 96, 136, 159, 223, 289, 386, 452, 464, 465, 508, 510, 519, 569, 612, 702, 731, 914 mission statement, 465 Mittel, 3, 10, 11, 14, 16, 18, 20, 23, 25, 32, 35, 40, 43, 44, 50, 51, 55, 57, 58, 62–65, 83, 102, 121, 123, 148, 155, 180, 185, 190, 199, 201, 202, 204, 226, 229, 232, 255, 257, 263, 270, 298, 309, 316, 327, 332, 337, 348, 349, 376, 390, 392, 418, 420, 423, 425, 432, 466, 467, 505, 506, 508, 524, 527, 531–533, 538, 592, 614, 619, 646, 652–654, 657, 665, 670, 676, 677, 680, 692, 707, 716, 724, 726, 729, 746, 756, 762, 767, 776, 779, 781, 783, 785, 791, 792, 825, 843, 847, 857, 868, 893–895, 897, 899, 901, 903, 909, 915, 934 Mittelmeerreiche, 216 Mobilmachung, 78, 461, 633, 640, 880 Modell, VIII, 16, 151, 163, 178, 186, 195, 220, 231, 243, 246–248, 288, 328, 332, 353, 366, 387, 468, 469, 486, 534, 542, 546, 548, 553, 558, 559, 562–564, 622, 624, 626, 627, 629, 656, 658, 667, 678, 696, 700, 752, 763, 776, 783, 834, 846, 850, 896, 932, 934 Moderne, 13, 24, 31, 39, 116, 117, 122, 123, 128, 130, 132, 134, 141, 144, 155, 182, 185, 191, 196, 220, 224, 288, 290, 299, 303, 305, 309, 317, 322, 327, 330, 336, 340, 342, 350, 359, 362, 366, 374, 378, 382–384, 386, 425, 434, 444, 478, 488, 509, 547, 607, 629, 689, 729, 784, 836, 857, 879, 887, 900, 935
1058
Index wichtiger Schlüsselbegriffe
Mohismus, 300 Monopol, 160, 324, 422, 447, 468, 469, 559, 560, 642, 676, 678, 778, 834, 852 Monopolgewinn, 559, 560, 678 Monopolisierung, 20, 159, 160, 265, 302, 471, 485, 486, 588, 592, 734, 820, 866 Montage, 877 Moral, 4, 9, 11, 12, 21, 23, 32, 36, 43, 45, 52, 128, 132, 134, 139, 140, 142, 147, 180, 201, 222, 239, 248, 288, 298, 311, 313–315, 324, 344, 346, 348, 356, 362, 365, 379, 387, 389, 399, 401–403, 729, 773, 795, 826, 834, 837, 899, 937, 943 moral hazard, 549 Motivation, 23, 31, 52, 72, 224, 418, 421, 464, 465, 505, 508, 512, 517, 669, 698, 782, 783, 903 multi-domain operations, 470 multi-homing, 684 multilateral, 77 Multilateralismus, 230, 723 Münchhausen-Trilemma, 523 Munition, 6, 207, 272, 914, 923 Muskatkrieg, 122, 629 Muskatnuss, 159, 160 Muster, 134, 183, 465, 507, 571, 575, 695, 702, 825, 849, 850, 933
Neid, 16, 146, 147, 185, 635 Netz dezentralisiertes, 623 verteiltes, 623 zentralisiertes, 623 Netzwerk, 191, 689, 795, 854, 859 Netzwerkgeräte, 831 NGO, 878 Niedrigzins, 804 Nischenmarkt, 655 Niveau, 1, 56, 143, 150, 151, 181, 202, 241, 303, 454, 591, 645, 653, 673, 715, 735, 739, 749, 754, 770, 800, 804, 873 Nomadenethik, 194 non-governmental organization, 735 no-power, 418 Norm, 364–366, 444, 446, 447, 666 Notfall, 707, 718, 852 Nötigung, 37 Nuklearwaffe, 207 Nutzen, 45, 47–49, 56, 141, 204, 220, 221, 225, 231, 301, 323, 324, 357, 394, 449, 477, 478, 480, 490, 535, 537, 568, 584, 589, 624, 629, 644, 646, 657, 683, 687, 707, 714, 745, 770, 782, 788, 802, 817, 819, 823, 841, 846, 857, 863, 870, 897 Nutzenkalkül, 316
N Nachbar, 237, 579 Nachfolge, 156, 298, 701 Nachhaltigkeit, 59, 161, 217, 227, 397, 399, 433, 540, 702, 724, 734, 764, 907 Narzissmus, 139, 150, 522 Nationalist, 193 Nationalstaat, 13, 194, 195, 221, 297, 467, 725, 898, 923, 932, 935 NATO, 197, 232, 234, 239, 244, 253, 258, 259, 292, 386, 457, 459, 731, 733, 839, 858 Natur, 13, 20, 22, 49, 57, 103, 131, 133, 138, 144, 178, 209, 222, 291, 294, 301, 311, 312, 314, 317, 321, 344, 346, 347, 349, 351, 354, 401, 421, 444, 466, 542, 548–550, 577, 695, 732, 782, 942 Naturkatastrophe, 216 Naturtrieb, 22, 23 Naturwissenschaft, 390, 935 Negativsummenspiel, 800, 896
O OBOR, 613, 681, 748 Odysseus-Prinzip, 551 OEM (Original Equipment Manufacturer), 590, 591, 875, 876 Öffentliche Verwaltung, 764, 842 Offizier, 35, 343, 505, 870, 941 offshore, 494, 796 Offshoring, 210 OLED, 877 Ölfeld, 494 Oligopol, 436, 469, 473, 477, 487, 630, 695 Ölkrise, 489 Ölpreiskrieg, 4, 456, 492, 498, 676, 731–733 Ölsand, 494 onshore, 494, 796 open-access, 218, 490 Operation, 26, 123, 204, 207, 526–529, 532, 577, 631, 654, 837, 880, 937, 943 Operationslinie, 98
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Opfer, 15, 24, 41, 45, 47, 63, 65, 103, 124, 126, 134–136, 142, 144, 149, 193, 194, 205, 207, 208, 217, 227, 242, 246, 254, 286, 324, 347, 352, 368, 394, 398, 466, 482, 486, 561, 697, 698, 729, 730, 736, 754, 756, 781, 831, 832, 839, 840, 887, 940 Opferbereitschaft, 31, 134, 548 Opfersubstitution, 135, 194 Opiumkrieg, 30, 74, 161, 729 Opportunitätskosten, 55, 191, 519, 705 Opposition, 145, 289, 377, 755, 770, 924 Orangene Revolution, 293 Ordnung, VII, VIII, 2, 3, 5, 9, 12–14, 26, 42, 51, 52, 54, 58, 73, 78, 88, 94, 96, 99, 117, 119, 131, 137, 155, 166, 180, 182, 184, 187, 192, 194, 209, 218–220, 222, 227, 231, 239, 246, 251, 265, 286, 287, 293, 295, 297, 299–301, 304, 305, 312, 323, 326, 329, 330, 333, 338, 339, 341, 342, 347, 351, 352, 360, 365, 367, 379, 380, 383, 449, 463, 465, 473, 509, 521, 526, 539, 653, 657, 692, 723, 726, 734, 737, 799, 819, 821, 826, 833, 835, 887–889, 895, 897, 904, 922, 931, 937 Ordnungsrahmen, 5, 39, 52, 66, 70, 115, 187, 192, 209, 224, 227, 228, 231, 246–248, 285, 290, 315, 328, 340, 392, 473, 474, 579, 651, 657, 665, 723, 726, 758, 767, 818, 819, 825, 932, 934 Organisation, 12, 28, 29, 41, 70, 96, 116, 118, 134, 135, 138, 166, 178, 187–189, 191–193, 220, 228, 248, 251, 290, 297, 325, 326, 361, 388, 461, 466, 487, 489, 533, 538, 570, 585, 607, 618, 619, 637, 697, 759, 763, 766, 770, 785, 799, 807, 829, 851, 940, 942 Original Equipment Manufacturer (OEM), 590, 693, 875 Outpacing, 478
P Packaging, 875, 876 Panama-Papiere, 774 Pandemie, 827, 831 Papier, 163, 483, 892, 893 Pappe, 893 Paradigma, 1, 5, 58, 71, 133, 222, 398, 728, 788, 890, 893
1059 Pareto-Optimalität, 15, 357 Passion, 26, 464, 465, 508, 512 Patent, 537, 662, 663, 665, 864–867 Patentverwerter, 666 Patronage, 763 Pazifik, 95, 542 Pfeffer, 159, 676 Pfeil, 207 Pfund, 772, 773 Phalanx, 207 Phänomen, 5, 11, 27, 75, 117, 143, 149, 156, 224, 242, 345, 369, 370, 380, 432, 657, 708, 824 Phase, 38, 136, 259, 311, 352, 362, 433, 536, 570, 571, 573, 635, 640, 684, 800, 924 Philosophie, 5, 12, 17–20, 26, 39, 41, 51, 99, 115, 117, 141, 190, 198, 285–289, 292, 295, 296, 298, 299, 303, 304, 309, 313, 317, 328, 346, 349, 357, 359, 368, 370, 375, 376, 385, 513, 546, 694, 732 Physiokrat, 209, 312 physiokratisch, 299, 312 physisch, 148, 189, 194, 607, 844, 846 Plagiat, 446 Plattform, 444, 593, 683–685, 856, 865–867, 932 political correctness, 190, 694, 736 Politik, 1, 12, 18, 20, 22, 23, 25, 35, 41, 43, 46, 53, 54, 66, 81, 98, 119, 145, 148, 149, 197–199, 243, 251, 263, 265, 271, 290, 298, 300, 311, 315, 323, 327, 329, 330, 340, 341, 344, 345, 348, 361, 363, 366, 368, 373, 380, 387, 393, 402, 403, 421, 424, 426, 464, 467, 518, 551, 552, 588, 607, 617, 633, 635, 637, 640, 644, 645, 658, 681, 714, 729, 737, 741, 742, 745, 746, 748, 754, 757, 766, 776, 781, 785, 805, 806, 830, 889, 891, 897–899, 905, 913, 915, 918, 920, 924, 934, 942 Polypol, 33, 325, 468, 469 Posttransformationsländer, 616 Potential, 83, 101, 133, 135, 147, 149, 177, 178, 302, 422, 434, 470, 491, 493, 506, 652, 679, 698, 743, 827, 834, 854 power, 62, 64, 69, 103, 372, 418, 419, 467, 498 Präferenz, 322 predatory pricing, 640, 672 Preisdiskriminierung, 469, 671, 672, 674 Preisdruck, 397, 472, 678, 679, 804
1060 Presse, VII, 143, 379, 682, 733, 735, 736, 848, 889, 924 pretendotyping, 682 Pretotyp, 682 Primzahl, 832 Prinzip, 5, 16, 18, 23, 25, 26, 43, 132, 137, 190, 200, 287, 299, 316–318, 333, 334, 339, 360, 522, 523, 532, 535, 593, 715, 726, 784 Prinzipal, 3, 187, 189–191, 194, 241, 462, 466, 506, 511, 512, 516, 542, 548–550, 553, 577, 763, 782 Produktdifferenzierung, 472 Produktflexibilitätskonzept, 620 Produkthaftung, 580, 581 Produktinnovation, 569 Produktionsflexibilität, 468 Produktivität, 85, 118, 139, 209, 252, 321, 353, 429, 463, 548, 571, 658, 739, 746, 894, 908 Produktlebenszyklus, 75, 360, 440, 475, 478, 571, 572, 603, 654, 664, 864 profiling, 129 Profitabilität, 655, 695, 714 Profitraten, 352, 353, 691 Prognose, 244, 330, 427, 660, 824 Propaganda, 2, 36, 88, 376, 391, 497, 710 Prototyps, 682 Provokation, 96, 237 Psychopath, 141, 148, 149, 151, 835 Pyrrhus, 48 Pyrrhus-Sieg, 48, 586, 593, 933
Q Quantitative Easing (QE), 271 Quants, 700
R RaC, 660 raising rivals costs, 678 Ransomware, 832, 845, 880 Rasse, 138, 290, 345, 354, 359, 374, 378, 386, 403, 604 Rassen, 354 Rassenkampf, 355 Rassismus, 97, 196, 354, 355 Rating, 163, 244, 690, 701, 913
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Rationalismus, 53, 288, 345 Rationalität, 11, 14, 16, 22, 45, 68, 134, 140, 180, 223, 232, 234–236, 240, 250, 288, 302, 309, 317, 341, 344, 371, 463, 516, 517, 521, 541, 806 Rationalitätsfalle, 239 Raub, 160, 305, 636, 939 Raum, 27, 51, 81, 120, 151, 180, 183, 190, 202, 218, 222, 223, 302, 308, 321, 341, 343, 368, 381, 402, 423, 447, 465, 491, 505, 506, 508, 519, 524, 527, 532, 533, 541, 592, 605, 607, 614, 618, 621–623, 625, 626, 631, 632, 637, 645, 646, 653, 656, 669, 695, 699, 710, 717, 762, 770, 788, 804, 824, 825, 833, 838, 866, 868, 898, 918, 920, 933 generischer, 204 räumlich, 448, 476, 528, 603, 606, 610, 621, 622, 626, 631, 695 Realinnovation, 569 Realwirtschaft, 121, 273, 366, 429, 436, 565, 570, 772, 801, 902, 911, 914–916 Recht, VII, 13, 17, 40, 44, 45, 62, 65, 97, 158, 166, 222, 227–229, 233, 266, 286, 295, 297, 305, 306, 309–311, 313, 317, 318, 333, 349, 350, 359, 370, 379, 380, 400, 402, 450, 520, 610, 754, 766, 776, 781, 824, 826, 847, 852, 878, 903, 912, 935 Rechtfertigung, 19, 32, 291, 311, 334, 335, 365, 368, 380, 521, 551, 734, 738, 758, 763 Rechtstradition, 417 red ocean, 475, 480 Reduktionismus, 554 Regelverstoß, 16, 152, 165, 333, 766 Regierung, 22, 23, 73, 78, 86, 97, 102, 127, 179, 182, 257, 271, 318, 329, 330, 333, 372, 380, 431, 451, 485, 488, 495, 612, 645, 692, 723, 737, 774, 775, 785, 833, 834, 854, 857, 860, 871, 892, 895, 897, 911, 924, 935 regulatory capture, 760, 776, 780 Reifephase, 569, 572, 573 Reindustrialisierung, 76, 431 Relevanzmatrix, 534 Religion, 9, 14, 39, 41, 119, 134, 144, 147, 180, 183, 184, 188, 191, 193, 214, 224, 234, 294, 308, 312, 340, 350, 356, 365, 373, 385, 603, 761, 763, 894
Index wichtiger Schlüsselbegriffe REN, 301 Renminbi, 87 rent-seeking, 50, 51, 218, 333, 468, 628, 634, 735, 758, 763, 765, 918 Rentabilitätskrise, 574, 575 Rentendissipation, 628, 759 Repression, 454, 563, 670, 755, 772, 903, 908 Reproduktion, 187, 194, 218 Republikaner, 193 Reputation, 26, 121, 124, 192, 226, 239, 251, 260, 444, 446, 466, 478, 588, 644, 660, 669, 671, 677, 688, 708, 709, 711, 734, 838, 844, 852, 902, 919 Reservewährung, 746, 802, 803 Resilienz, 60, 218, 390, 432, 482, 512, 519, 538, 856 resource curse, 442 responsibility, 154, 398 Ressource, 42, 142, 225, 232, 239–241, 296, 421, 440, 444, 642, 662, 679, 847 Ressourcenfluch, 435 Retaliation, 38, 79, 755 Revolution, 38, 63, 71, 128, 182, 184, 214, 215, 221, 312, 318, 323, 344, 351, 352, 376, 381, 382, 384, 389, 429, 434, 465, 668, 822, 823, 825, 863 Rezeption, 117, 307, 464, 465, 508 Risiko, 13, 24, 43, 53, 66, 67, 69, 141–143, 145, 152, 153, 157, 158, 189, 208, 213, 239, 246, 257, 263, 264, 268, 269, 271–273, 338, 341, 367, 391, 392, 396, 422, 446, 457, 462, 473, 479, 498, 506, 509, 510, 525, 533, 541–543, 545, 546, 548, 550, 552, 558, 559, 561, 562, 565, 574–576, 581, 584, 591, 594, 635, 652, 659, 666, 667, 680, 687, 692, 694, 718, 728, 735, 754, 760, 766, 774, 780, 786, 788, 789, 804, 807, 824, 837–839, 841, 842, 888, 890, 897, 903, 908, 912, 914, 917, 922, 925 Risikomanagement, 568, 575, 580, 701 Risikoperzeptionen, 542 Risikoportfolio, 264 Risikoträger, 194 risk adjusted capital, 659, 733 Ritual, 53, 193 Rivale, 32, 58, 249, 468, 577–579, 669, 707, 708, 723 Rivalität, VII, VIII, 1–3, 6, 9–12, 14–16, 26, 27, 31, 36, 40–42, 47–55, 57, 59, 61, 67, 69,
1061 71, 72, 83, 97, 101, 116–118, 128, 129, 136, 147, 154, 160, 179, 182–187, 192, 200, 205, 206, 209, 227, 231, 239, 246, 248, 260, 272, 289, 299, 337, 369, 374, 387, 417, 425, 448, 467, 471, 476, 488, 489, 507, 550, 578, 592, 604, 605, 607, 609, 614, 615, 620, 625, 626, 628, 637, 645, 652, 668, 688, 725, 726, 766, 774, 818, 842, 848, 854, 868, 870, 872, 906, 931–933 Rivalitätsumfeld, 659, 661 Rohstoffe, 11, 71, 83, 86, 96, 97, 122, 158, 348, 397, 400, 401, 439, 467, 637, 643, 746, 764, 786, 789, 872, 875, 877 kritische, 876 Romeo, 846 RSA, 857 Rückzug, 124, 195, 207, 264, 559, 593, 625 Ruf, 124, 348, 716, 924 rule by law, 346 of engagement, 26, 839 of law, 346
S Sabotage, 36, 233, 254, 255, 760 Sachkapital, 210, 467, 789 Sackgasse, 697, 698 sacrificium, 134, 135, 754 Sakrifizierung, 755 Sättigungsphase, 572, 573 Schädigung, 21, 167, 421 Schaltung, integrierte, 878 Scheitern, 48, 118, 185, 341, 350, 378, 512, 542, 557 Schieferöl, 484, 493 Schlacht, 9, 48, 126, 181, 198, 205, 207, 227, 296, 420, 448, 449, 507, 515, 550, 605, 673, 716, 943 Schlafmützenwettbewerb, 473, 474 Schlafwandlern, 830 Schlafwandlertum, 633, 638, 792 Schließverfahren, 524, 545 Schock, externer, 575 schöpferisch, 3, 342, 356, 473 Schuld, 24, 41, 119, 129, 130, 138, 141, 208, 306, 362, 363, 400, 935
1062 Schulden, 44, 45, 121, 241, 262, 264, 270, 320, 541, 564, 566, 613, 701, 742, 746, 772, 803, 896, 897, 903, 908, 915, 916, 920 Schützengraben, 205, 207, 239 Schutzwall, 655, 656 Schwachwährungstradition, 804 Schwan, schwarzer, 545 Schwarzarbeit, 581, 773 Schwarzgeld, 670, 773, 777–779 Schweiß, 99, 195 Schwellenländer, 65, 71, 78, 212, 223, 393, 395, 401, 429, 434, 436, 462, 616, 643, 669, 759, 778, 804, 805, 869, 917 Schweröl, 494 Schwerpunkt, 19, 35, 214, 381, 452, 535, 579, 612, 692, 787, 941, 942 Schwerpunktbildung, 38, 535, 707 Seelentätigkeit, freie, 22, 23 Seidenstraße, 81, 94, 611–614, 748 Selbstbindung, 143, 226, 550, 551 Selbstsicherheit, 157 Seltene Erden, 96, 100, 437, 604, 642–644, 646 Separatist, 192, 193 shaming, 536, 683 shareholder value, 220, 401, 651, 652, 668 sharp power, 64, 103 shit storm, 516, 536, 683, 841 SHU, 347 Sicherheit, 17, 21, 28, 30, 33, 55, 56, 84, 124, 141, 151, 162, 183, 189, 200, 208, 218, 231, 239, 247, 251, 430, 440, 446–448, 455, 462, 466, 539, 542, 543, 577, 618, 624, 688, 707, 833, 841, 854, 857, 862, 863, 880, 882, 924, 933 Sicherheitsnetz, 193 Siegen, 207 Sieger, 15, 20, 48, 58, 88, 118, 149, 207, 316, 464, 516 Siegfried-Prinzip, 537 Signal, 232, 259, 273, 458, 536, 548, 552, 559, 561, 671, 682, 751, 753, 754, 808, 860, 867, 880, 897 single-homing, 684 Sippe, 22, 118, 135, 900 Sittlichkeit, 12, 300, 301, 347, 360, 506 Skalenvorteil, 194 Skandal, 99, 162, 167, 652, 775, 780, 918 Sklaverei, 40, 58, 96, 97, 287, 401 smartGlasses, 834
Index wichtiger Schlüsselbegriffe smart power, 64 Social accountability, 398 responsibility, 398 social bots, 838, 841 social maneuvering, 62 social score, 833, 850 social scoring, 879 soft power, 62, 103, 403, 417, 418, 461, 498, 708 Soldat, 29, 45, 123, 135, 207, 558, 941 Sozialdemokrat, 193 Soziale Optimum, 239, 240, 242–244, 247–249, 272 Sozialkapital, 32, 210, 211, 609 Soziobiologie, 129–132 Spannung, 12, 440, 644, 771 spätindustrialisiert, 616 Speer, 126, 207 Speerspitze, 207 Speicher, 877 Speichern, 194 Sperre, 207, 584, 635, 663 Spezifität, 38, 193, 337, 457, 473, 483, 533–535, 676, 868 Spiel, 2, 49, 52, 53, 65, 162, 205, 217, 233–235, 239, 241, 242, 246, 250, 327, 398, 419, 517, 753, 774, 838, 889 Spieler, 163, 233–250, 272, 293, 493, 545, 693, 799 Spieltheorie, 3, 99, 229, 231, 232, 234, 443, 493, 550, 688, 693, 694, 696, 699, 849, 858, 932 Spionage, 18, 254, 258, 259, 685, 688, 724, 760, 808, 846, 851, 870, 873 Sprache, 3, 35, 178, 179, 184, 190, 200–203, 205, 207, 208, 210, 300, 352, 364, 367–370, 403, 506, 525, 538, 554, 593, 606, 607, 617, 797, 822, 848, 905, 933 Sprengen, 207 Sprengung, 207 SSNIP-Test, 695 Staatsanleihe, 563 Staatsschuldenkrise, 206, 251, 563, 617 Staatsterrorismus, 781 Stabilisieren, 491, 758, 801, 916 Stabilisierung, 39, 71, 88, 145, 148, 193, 196, 207, 227, 253, 257, 362, 375, 383, 388, 400, 425, 428, 432, 529, 551, 567, 571,
Index wichtiger Schlüsselbegriffe 573, 612, 629, 653, 715, 731, 733, 758, 772, 801, 891, 896, 916 Stabilität, 14, 42, 47, 56, 135, 184, 187, 213, 218–220, 234, 262, 271, 311, 346, 366, 373, 384, 429, 440–442, 454, 455, 468, 470, 565, 585, 591, 608, 609, 626, 637, 695, 697, 698, 702, 732, 733, 735, 759, 771, 789, 805, 858, 867, 888, 889, 900, 908, 915, 923 Stabilitätstradition, 264 Stackelberg, 233, 468, 469, 590 Stahl, 80, 434, 634, 706, 807, 893 stakeholder, 652 Stamokap, 260, 265, 380, 822, 851, 889, 905, 916 Standard, 128, 444, 485, 490, 555, 588, 667, 678, 683, 820–822, 836, 853, 857, 865 Start-Up, 698 Star-Wars, 253, 254, 860 state of nature, 548, 550, 577 stealth, 669 Stellgröße, 200 Sterling, 773 Steuer, 44, 52, 162, 194, 262, 302, 318, 320, 325, 332, 348, 489, 573, 615, 618, 624, 728, 737, 738, 760, 761, 773–776, 779, 781, 822, 833, 920 Steuerkonkurrenz, 336, 774 Steuerverkürzung, 776, 777 Stoß, 207 Strafzahlungen, 50, 250, 265–268, 488, 702, 715, 757 Strategem, 87, 122–124, 126 Strategie, 18, 24–27, 31, 58, 65, 74, 76, 79, 81, 88, 97, 101, 118, 122, 123, 131, 136, 152, 161, 204, 207, 208, 219, 232, 233, 235–237, 239, 240, 242–246, 257, 348, 382, 419, 422, 430, 439, 457, 476–478, 495, 498, 505, 526–528, 532, 576, 590, 591, 593, 607, 628, 646, 651, 667, 668, 679, 681, 682, 686, 696, 697, 702, 715, 726, 764, 785, 787, 806, 807, 834, 839, 851, 852, 863, 864, 867, 870, 872, 878, 892, 893, 914, 923, 933, 940, 943 Streit, 2, 5, 53, 287, 297, 310, 359, 540, 644, 665 Stress, 16, 153, 154, 544
1063 Streuung, 154, 692, 788 Strom, 437, 483, 764, 838, 854 structure-conduct-performance, 129, 477, 658 Substitution, 45, 336, 642 Substitutionskonzept, 620 Subvention, 76, 573, 638, 639, 645, 738, 758, 806, 887 Subventionierung, 100, 560 Subventionsempfänger, 760 Subventionspolitik, 633, 639, 713 Subventionssystem, 642 Sühne, 126, 141, 363 sui generis, 196, 198 Sündenbock, 24, 145, 905 Swing-Preissetzer, 498 swing-pricing, 491, 673 Sykes-Picot-Abkommen, 610 Symbol, 377, 657 Symmetrie, 635, 819, 839 System, 3, 5, 13, 25, 30, 35, 45, 96, 120, 121, 128, 135, 183, 186, 189, 191, 204, 208, 217, 220, 233, 252, 255, 256, 259, 268, 286, 290, 296, 299, 310, 312, 320, 324, 340, 347, 348, 351, 352, 361, 363, 380, 382, 386, 430, 434, 443, 463, 478, 495, 506, 508, 509, 512, 522, 523, 538, 545, 553, 565, 566, 576, 582, 609, 612, 616, 617, 624, 626, 674, 684, 687, 688, 694, 731, 745, 759, 766–768, 775, 784, 800, 821, 823, 835, 837, 841–843, 849, 855, 860, 863, 866, 868, 872, 881, 890, 893, 895, 898, 903–905, 923 Systemik, 455, 562, 682, 788, 822, 904, 915 systemisch, 136, 562, 608, 627, 682, 689, 831, 840, 841, 875, 932 Systemmodell, 390 Systemrationalität, 101, 466 Szenario, 94, 840
T Taktik, 18, 25–27, 123, 204, 205, 207, 466, 526–529, 531, 532, 594, 696, 785, 937, 943 Target, 270, 422, 739, 746, 904 Tariff Man, 204 Tausch, 44, 45, 55, 285, 304, 315, 320, 325, 398, 743, 847, 903
1064 Täuschung, 122, 124, 247, 594, 736, 778 Technologie, 76, 79, 80, 86, 179, 186, 210, 215, 218, 252, 258, 259, 320, 336, 357, 363, 391, 398, 422, 423, 429, 432, 444, 447, 467, 468, 472, 475, 476, 478, 483, 491, 493, 551, 560, 561, 568–571, 576, 582, 583, 587, 589, 607, 608, 611, 612, 615, 620–622, 625–627, 632, 634, 638, 639, 642, 662, 664, 666, 668, 680, 681, 734, 744, 768, 778, 783, 784, 786, 789, 821, 829, 834, 846, 851, 853, 854, 865, 866, 870, 872, 875, 877, 879, 880, 896, 904, 943 verwendungsoffene, 210, 429, 477, 608, 638, 662 Technologieführerschaft, 74, 258, 616, 743, 778 Teilen, 10, 73, 75, 184, 189, 191, 194, 195, 200, 206, 211, 245, 273, 628, 676, 694, 726, 892, 898, 903 Telefonanlagen, 831 Tendenz, 1, 24, 135, 148, 337, 349, 374, 427, 491, 556, 686, 741, 761, 820, 878 Termin-Handel, 636 terms of trade, 737, 749, 750 territorial, 19, 71, 389, 537, 633, 838, 849 Terrorismus, 4, 32, 34, 37, 119, 148, 335, 352, 466, 617, 687, 724, 749, 781–784, 851 globaler, 515 Terrorismusbekämpfung, 859 Terrorismusfinanzierung, 481 Theorem, 522 Theorie, VIII, 2–6, 10, 13, 20, 21, 24, 25, 35, 40, 67, 68, 116, 117, 134, 141, 142, 153, 154, 182, 186, 209, 210, 221, 225, 233, 241, 249, 265, 285, 286, 289, 313, 315, 318, 319, 321, 324, 326, 328, 329, 331, 332, 336, 339, 342, 347, 353, 358, 360, 366, 368, 380, 385, 426, 435, 466, 471, 506, 511, 512, 522, 523, 541, 545, 550, 554, 565, 570, 607, 608, 614, 622, 627, 635, 655, 657, 670, 671, 710, 723, 737, 771, 782, 783, 822, 848, 879, 894, 903, 905, 916, 934, 942 Tiefsee, 494 tipping point, 199, 498, 509, 546, 627 Torpedo, 207 Touchscreen, 877 TPP (Trans Pacific Partnership), 612, 747, 796
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Tradition, 19, 27, 43, 62, 75, 127, 135, 139, 144, 154, 161, 181, 182, 195, 203, 211, 212, 221, 222, 225, 231, 288, 298, 299, 301, 302, 305, 340, 344, 360, 362, 372, 374, 375, 377, 380, 386, 430, 485, 521, 530, 539, 562, 567, 583, 607, 608, 653, 658, 728, 741, 771, 788, 796, 802, 804, 864, 892, 896, 935 Traditionalismus, 196, 360 traditionell, 156, 159, 183, 206, 286, 295, 326, 327, 336, 731, 853, 897 Traditionsbewusst, 505 Traditionsbruch, 308 Traditionslinie, 178, 196, 300, 465 traditionsreich, 584 traditionsstark, 582 Trans Pacific Partnership (TPP), 612, 747, 796 Transaktion, 700, 839 Transaktionskosten, 3, 21, 22, 135, 178–180, 188, 189, 194, 210, 226, 272, 331, 332, 336, 337, 340, 356, 382, 383, 513, 517, 520, 524, 533, 538, 541, 611, 625–627, 632, 645, 707, 734, 743, 758, 806, 817, 819, 834, 849, 895 Transfer, 430, 471, 667, 780, 888 transitorisch, 219 Transport, 194, 258, 397, 488, 612, 622, 645, 714, 845 Trauma, 291, 292, 525 traumatisch, 133, 153, 178 Treiber, 11, 15, 23, 34, 55, 116, 128, 147, 167, 183, 198, 287, 291, 318, 320, 360, 393, 424, 425, 434, 445, 457, 467, 488, 634, 654, 735, 794, 839, 851, 905 Treibhausgase, 395, 397 Treibhausgasemissionen, 393, 394 Treibhausgasproblematik, 442 Treuhand, 257, 711, 712, 892 Triage, 3, 27, 33, 58–60, 487, 888, 893, 896 Tribut, 636 Trilemma, 194, 195, 272, 742 Trojanern, 845 trojanische Pferde, 200 Trolley, 837 Tropensturm, 831 Trümmerfrauen, 634 Truppe, 205, 207, 507, 938 TTIP, 748, 851
Index wichtiger Schlüsselbegriffe U Überlebender, 207 Überlegenheit, 28, 30, 61, 70, 76, 87, 147, 159, 160, 185, 196, 203, 221, 224, 249, 322, 364, 417, 420, 432, 448, 451, 508, 527, 529, 532, 537, 651, 652, 657, 699, 707, 939 Überraschung, 27, 481, 507, 544, 567, 594, 707, 708, 858 Überraschungsinnovation, 482 Überzeugung, 67, 75, 116, 124, 181, 185, 188, 196, 231, 293, 295, 305, 347, 351, 388, 403, 464, 539 Überzeugungskraft, 157, 464, 525 Ultimatumspiel, 240, 420 Ungewissheit, 22, 23, 354, 506, 509, 541–543, 546, 557 Unschärfe, 326, 341, 557, 861 Unsicherheit, 186, 246, 463, 481, 541–543, 546, 553, 558, 562, 581, 594, 635, 644 unterlegen, 203, 246, 541, 545, 622 Unternehmenspolitik, 37, 38, 571 Unternehmenswert, 445, 651, 669, 688, 712 Unterstützung, 37, 51, 66, 76, 136, 200, 263, 306, 355, 423, 441, 468, 492, 532, 536, 712, 735, 758, 769, 796, 808, 853, 887 Unwissen, 547 Upstream, 82 US-Schieferöl, 494 Utilitarismus, 67, 301, 324, 837
V value at risk, 659, 733 of life, 510, 548, 782, 783, 830 VaR, 660 Verantwortung, 9, 14, 23, 128, 129, 132, 154, 245, 288, 298, 314, 316, 329, 340, 343, 355, 387, 393, 400, 487, 505, 507, 509, 511, 512, 518, 531, 540, 595, 652, 689, 698, 707, 826, 827, 835, 837, 838, 890, 898, 905, 915, 916, 923 Verbundvorteil, 194 Verdrängung, 335, 655, 658 Vereinheitlichung, 128, 194, 444, 446, 457 Verfahrensinnovation, 569, 632 Verfolgung, 135, 152, 196, 329, 345, 402, 697 Vergeltung, 759, 782
1065 Vergleichsmarkt, 619, 620 Vergleichsmarktkonzepte, 621 Verhalten, 11, 14, 17, 24, 39, 99, 122, 131, 134, 135, 138–143, 145–149, 151–154, 156, 162, 182, 191, 194, 208, 219, 221, 225, 231, 232, 234, 240, 241, 245–250, 285, 301, 306, 324, 337, 339, 341, 348, 470, 482, 497, 508, 510, 513, 517, 529, 530, 548, 551, 552, 555, 562, 578, 581, 612, 624, 629, 653, 658, 673, 682, 684, 741, 754, 765, 768, 822–825, 833, 856, 895, 902, 906, 918 Verhaltenskodex, 226 Verhaltensmuster, 15 Verhandlung, 748 Verhandlungslösung, 245 Verhandlungsmacht, 476 Verhinderung, 425, 619 Verkehr, 46, 142, 150, 614, 730, 749, 764, 778, 826, 910 Verlust, 22, 48, 58, 59, 73, 74, 116, 166, 198, 223, 234, 240, 255, 267, 431, 445, 537, 545, 584, 634, 644, 646, 659, 755, 761, 778, 779, 784, 800, 834, 851, 890 Vermögen, 22, 47, 121, 153, 154, 212, 214, 265, 338, 352, 449, 456, 496, 564, 690, 716, 734, 775, 795, 838, 870, 892, 897, 902, 908, 912 Vermögenspreisinflation, 692 Vernichten, 137, 207, 348, 362, 366, 370, 421, 486, 530, 593, 715, 804, 866 Verschanzen, 207 Verschmelzen, 204, 262 Verschuldungsdynamik, 669, 805 Verschuldungsgrad, 669 Versenken, 151, 207, 340, 444, 478, 498, 552, 880 Versicherung, 436, 549, 645 Versorgungsengpass, 755 Verstoß, 878, 891 Versuchung, 345, 533, 534, 548 moralische, 914 Verteidigung, 21, 24, 27, 39, 58, 130, 144, 184, 203, 205, 207, 247, 312, 458, 497, 529–531, 533, 535, 537, 587, 593, 594, 624, 627, 632, 692, 694, 717, 758, 819, 830, 835, 842, 859, 860, 880, 916, 933, 939 vertikal, 189, 193, 194, 478, 537, 548, 678
1066 Vertrag, 159, 293, 294, 319, 392, 488, 512, 548, 549, 618, 770, 771 von Tordesillas, 618 Vertrauen, 11, 19, 41, 128, 188, 192, 208, 226, 234, 238, 239, 246, 250, 273, 285, 331, 336, 362, 379, 388, 447, 505, 518, 519, 530, 538, 558, 565, 657, 710, 733, 761, 803, 846, 853, 888, 895, 898, 900, 902, 920, 923, 940 Verwundbarkeit, 440, 533, 534, 608, 635, 788, 881, 942 Verzögern, 758 Verzögerung, 39, 207, 497, 529, 530, 766, 768, 825, 916 Veteran, 205, 207 Vetospiel, 241, 242 victima, 135, 754 Viren, 566, 828, 842, 843, 861 virtuell, 34, 40, 44, 472, 606, 617, 620, 626, 682, 745, 835, 841, 844, 855, 861, 862, 932 Virus, 566, 760, 829, 837, 839, 842, 843, 858 Vision, 12, 315, 345, 366, 384, 464, 465, 508, 519, 569, 826, 894 VOC, 159–161, 309, 322 voice, 466, 583, 890 Volk, 22, 23, 35, 75, 118, 125, 126, 179, 196, 294, 296, 300, 301, 321, 329, 347, 354, 358, 359, 366, 379, 382, 383, 508, 657, 725 Völkerrecht, 14, 26, 29, 40, 251, 309, 317, 364, 397, 767 Vollkommenheit, 700, 835 volonté générale, 314, 343, 366 volontés particulières, 314 Voltaire, 13 Vormachtstellung, 11, 79, 178, 794 Vorschläge, 579, 723
W Wachstumsphase, 572 Waferfertigung, 875, 876 Waffe, 11, 40, 44, 45, 47, 87, 94, 127, 130, 205, 207, 223, 231, 480, 495, 558, 657, 689, 731, 757, 766, 770, 774, 830, 838, 841, 844, 915, 920, 939
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Wahrheit, 150, 166, 196, 200, 286, 342, 345, 371, 518, 520, 521, 523, 634, 736, 823, 900 Wahrnehmung, 43, 146, 312, 313, 368, 510, 554, 689, 823, 924 Währung, 66, 76, 87, 94, 121, 260, 268, 329, 431, 456, 645, 724, 741, 742, 745, 746, 750, 757, 772, 799–802, 805, 807, 826, 853–856, 860, 897, 902, 906, 913, 921 Währungskrieg, 100, 251, 260, 609, 724, 772, 773, 799–801, 853 Währungsmanipulation, 733 Währungsordnung, 178, 769, 772, 854 Währungsraum, 261, 262, 268, 615, 771, 802 Waterloo, 48, 181, 449, 550, 605, 848 Webserver, 831 Weltbildschutz, 547, 554, 555 Weltfinanzkrise, VIII, 13, 33, 44, 71, 99, 260, 330, 338, 440, 452, 455, 692, 724, 744, 772, 800, 807, 888, 913, 914, 935 Weltwirtschaftskrise, 29, 41, 100, 136, 145, 153, 184, 212, 329, 330, 372, 380, 432, 772, 802, 907 Werkzeug, 22, 40, 44, 942 Wertschöpfungskette, 81–83, 160, 400, 424, 429, 434, 679, 681, 738 Wertschöpfungspositionen, 82, 83 Wettbewerb, potentieller, 472, 475, 481 Wettbewerbsintensität, 27, 33, 80, 103, 214, 231, 337, 467, 471, 474, 479, 480, 609, 656, 664, 666, 690, 691, 702, 725, 808 Wettbewerbsrahmen, 17, 192, 273 Wettbewerbsversagen, 165 Wettbewerbsvorteile, 116, 476, 479, 484, 633, 646, 647, 655, 669, 684, 689, 734, 807, 873 Widerspruch, 115, 122, 133, 222, 312, 314, 341, 354, 371, 388, 525, 610, 687, 785 Widerstand, 6, 11, 14, 18, 69, 122, 130, 195, 291, 305, 381, 555, 593, 674, 706, 923 Wiederholungstricks, 200 Wikinger, 217 Willen, 6, 10, 12, 18, 24, 25, 34, 48, 61, 62, 65, 67, 88, 99, 135, 152, 155, 156, 222, 225, 241, 251, 287, 298, 316, 329, 345, 356, 361, 368, 376, 378, 385, 417–421, 456, 458–459, 462–464, 482, 483, 485, 488, 491, 498, 518, 526, 528–530, 534, 540, 578, 582, 585, 593, 609, 627, 642, 651,
Index wichtiger Schlüsselbegriffe 655, 659, 686, 706, 729, 737, 751, 796, 808, 862, 933, 938, 943 winner’s curse, 675 Wirken, 44, 290, 593, 594, 922, 937 Wirkung, 38, 87, 121, 131, 140, 157, 167, 178, 217, 300, 312, 314, 373, 384, 389, 393, 423, 431, 443, 463, 528, 536, 555, 556, 562, 565, 617, 653, 654, 656, 658, 681, 695, 697, 699, 713, 717, 750, 752, 754, 783, 806, 836, 840, 854, 861, 904, 909, 912 Wirtschaftskrieg, VII, VIII, 1–6, 9, 10, 12, 14, 15, 17, 19–21, 23, 26–33, 35, 37–43, 45–52, 54–61, 64, 65, 67, 70, 71, 76, 88, 94, 99, 100, 103, 115, 117, 120, 121, 128–130, 133, 137, 142, 144–146, 159–164, 167, 168, 177, 191, 192, 196, 197, 200–202, 204, 207–210, 223–228, 231, 232, 234, 235, 240, 245, 246, 248, 250–254, 258, 260, 263, 265, 272, 273, 291, 296, 302, 309, 314, 322, 323, 328, 334, 337, 340, 352, 357, 360, 370, 382, 383, 388, 393, 397, 398, 400, 417–419, 421, 422, 424, 428, 430, 440–443, 447, 448, 450, 451, 461, 463, 464, 466, 468, 470, 471, 473, 480, 484–488, 490, 491, 495, 497, 505, 506, 510, 513, 518, 519, 524, 530, 532, 533, 556, 560, 569, 574, 579–583, 586–589, 591, 592, 606, 607, 609, 614, 626, 628, 631, 633, 635, 637–639, 643, 645, 646, 651, 654, 655, 659, 666, 670, 677, 680, 683, 686, 688, 694, 697, 698, 701, 702, 706, 708, 709, 711, 714, 716, 723, 724, 726, 728–730, 732, 733, 735, 745, 748, 752, 753, 758, 759, 762, 765–767, 773, 780, 782, 785, 787, 789, 790, 797, 800, 801, 808, 817, 818, 825, 828, 835, 840, 854, 862, 864, 865, 870, 871, 879, 881, 890, 893, 896, 902, 912–914, 921, 931–935 Wirtschaftskrieger, 26, 35, 41, 103, 116, 117, 120, 135, 155, 157, 158, 162, 167, 187, 273, 289, 327, 350, 358, 377, 403, 473, 676, 785, 836, 903 Wirtschaftspolitik, 5, 69, 223, 230, 250, 271, 302, 312, 321, 325, 328, 330, 339, 465, 556, 564, 616, 654, 699, 728, 734, 737, 746, 758, 760, 796, 802, 806, 807, 894, 895, 905, 910, 923, 924
1067 Wirtschaftsspionage, 580, 808, 825, 851 Wissen, 23, 32, 84, 97, 129, 136, 182, 221, 223, 300, 314, 330, 331, 381, 399, 424, 430, 434, 446, 462, 465, 473, 481, 507, 518, 519, 521, 522, 524, 543, 547, 558, 590, 609, 657, 681, 682, 690, 696, 717, 757, 766, 821, 822, 825, 834, 841, 850, 851, 860, 863, 882, 893, 894, 898, 933, 942 Wissensstand, 547 Wohlfahrt, 42, 321, 324, 357, 666, 767 wohlfeiles Reden, 561, 562, 682 Wohlstand, VIII, 13, 29, 66, 68, 72, 76, 78, 85, 87, 99, 101, 162, 166, 209–211, 224, 255, 321, 332, 340, 350, 358, 384, 435, 510, 642, 726, 727, 750, 767, 778, 797, 802, 878, 892, 902 Workstations, 830 Wortfeld, 207, 480 WTO, 453 Wurm, 830, 843, 861, 888 WU WEI, 299, 312
X XIAO, 301 X-Ineffizienzen, 893
Y YANG, 26, 299 YI, 301 YIN, 26, 299 youth bulge, 426
Z Zahlungssysteme, 831 Zeit ist Geld, 786 Zement, 621, 713–715, 893 Zentralbank, 99, 120, 165, 205, 208, 241, 251, 260, 262–265, 268–272, 332, 365, 366, 379, 432, 466, 565, 573, 737, 739, 740, 742, 769–771, 773, 778, 779, 804, 805, 827, 831, 853, 891, 894, 895, 898, 904, 905, 909–912, 914, 916, 918, 920, 921, 923 Zermürbungskrieg, 561 Zerschlagen, 37, 207, 421, 530 Zersetzung, 760
1068 Zerstören, 26, 32, 46, 178, 182, 207, 419, 446, 536, 692, 709, 711, 822, 838, 846, 887, 898, 899, 902 Zerstörung, 2, 3, 15, 26, 27, 32, 39, 42, 43, 59, 77, 78, 101, 137, 146, 164, 197, 203, 208, 223, 232, 251, 254, 272, 312, 351, 353, 355, 367, 379, 386, 395, 436, 445, 463, 470, 473, 474, 486, 507, 510, 584, 590, 591, 630, 672, 677, 692, 698, 712, 747, 763, 822, 846, 889, 906, 916, 921, 923, 924 schöpferische, 3, 58, 328, 463, 470, 573 ZHI, 301 ZHONG, 301 Zins, 164, 261, 268, 271, 304, 306, 326, 463, 541, 542, 739, 889 Zinserwartungen, 165, 741, 910 Zinsfestsetzung, 165, 739 Zinsverbot, 304, 463 Zivilisation, 11, 67, 118, 177, 196, 215, 289, 314, 355, 360, 373, 375 Zollniveau, 78 Zollpolitik, 81, 432, 467, 742, 744, 748
Index wichtiger Schlüsselbegriffe Zollschranken, 75, 88, 737 Zombie, 801, 891, 908, 917 Zombifizierung, 75, 101, 272, 323, 330, 573, 670, 741, 779, 802, 887–896, 898, 904–907, 910, 911, 916, 918, 921, 924, 934 zu Institutionen, 216 Zufall, 22, 129, 292, 518, 851, 942 Zugang begrenzter, 219 offener, 219 Zugehörigkeit, 185, 200, 226, 354 Zukunftserwartungen, 436, 659, 661, 934 Zusicherungsspiel, 235, 238–240, 248–250, 588, 693, 793 Zustand, 12, 30, 162, 179, 218, 292, 295, 311, 318, 323, 330, 335, 350, 365, 366, 368, 383, 420, 421, 440, 522, 530, 548–550, 577, 848 Zustimmung, 200, 336, 585, 817 Zuwendung, 200, 343 Zweckrationalität, 17