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German Pages 192 [191] Year 2014
WIE ÜBERLEBE ICH ALS KÜNSTLER
INA ROSS lehrt Kulturmanagement und Marketing an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin.
WIE ÜBERLEBE ICH ALS KÜNSTLER
In diesem Buch werden die männlichen als allgemeine Formen verwendet und repräsentieren die weiblichen Formen.
BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 TRANSCRIPT VERLAG, BIELEFELD
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Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] 4
Inhalt
I.
STARTVORTEIL KREATIVITÄT ......................................
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II.
WIE MACHE ICH MICH BEKANNT? .............................
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II.1
Von der Kunst, einzigartig zu sein .............................
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II.2
Wie ihr in die Zeitung kommt ..................................... 20
II.3
Freunde, Followers, Fans – ......................................... 43 Werbung in der Netzgemeinde
II. 4
Guerilla-Marketing: Straßenkampf ............................ 70 um Aufmerksamkeit
III.
WIE FINANZIERE ICH MICH? .....................................
III.1
Wo das Geld herkommt ................................................ 94
III.2
Mäzene, Sponsoren – und der Staat ............................. 97
III.3
Crowdfunding: Die Menge macht die Masse ............... 136
IV.
WIE ORGANISIERE ICH MICH?..................................... 168
IV.1
»Last minute panic«: ................................................... 170 Die Calvin-und-Hobbes-Regel
IV.2
Wie plane ich ein Projekt? ............................................ 173
IV.3
Die Planungswüste lebt! .............................................. 184
92
ZUM SCHLUSS: WAS MARKETING (NICHT) K ANN ............................. 186 DANK / NACHWEISE .................................................. 188 5
I. Startvorteil Kreativität 6
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Ort der Handlung: Mein Dozentenzimmer in der Schauspielschule »Ernst Busch« in Berlin. Es ist Sprechstunde und ausnahmsweise sind ein paar ehemalige Studenten gekommen. Gleich nach ihren Abschlussprüfungen haben sie eine kleine freie Theatergruppe gegründet. Endlich, nach Jahren des Trainings in einem geschützten und von wachsamen Lehrern kontrollierten Raum, soll ihr Künstlerleben in freier Wildbahn beginnen. Sie alle sind bereits selbstbewusste Darsteller im Fach Puppenspielkunst und waren schon in einigen Rollen auf der Bühne zu sehen. Sie haben jetzt einen Termin, um mit der neuen Dozentin für Kulturmanagement zu besprechen, wie sie ihr Debütstück promoten können – und was überhaupt zu tun ist, wenn man eine Künstlergruppe ins Leben ruft und damit Erfolg haben will. Und da breitet sich im Raum Verlegenheit aus. Begabte und engagierte Jungkünstler, die nicht nur etwas können, sondern auch auf der Bühne alles andere als schüchtern sind, die ohne Probleme einen Cyber-Bären, den Titanen Prometheus oder als Mann eine Krankenschwester mimen – sie werden ängstlich und hilflos, wenn es um die Vermarktung ihrer Kunst geht. Das haben sie nicht gelernt, das ist ihnen fremd und unheimlich. Dieses Spiel beherrschen sie nicht und sie haben auch wenig Lust darauf. »Du musst uns dazu triezen«, erklärt eine Studentin schließlich. Genau das funktioniert aber nicht. Triezen, sich mühsam überwinden, sich zwingen – damit haltet ihr den Versuch, Marketing und Management anzuwenden, zwei Wochen lang durch (mit einem Personal Trainer vielleicht drei). Aber um längerfristig – euer ganzes berufliches Leben hindurch – am Markterfolg eurer Kunst zu arbeiten, dürft ihr nicht bloß widerwillig einer Notwendigkeit gehorchen. Ihr müsst den Sinn der Sache verstehen und Spaß daran entwickeln. Das werden wir zusammen angehen und schaffen und dazu will ich euch mit diesem Buch verhelfen. Marketing ist das Werkzeug, um die Freude, die man an seiner eigenen Arbeit hat, mit anderen zu teilen. Mit viel Quälerei, Disziplin und den richtigen Informationen kann man vielleicht eine Steuererklärung korrekt abfassen. Beim Marketing geht es darum, Begeisterung zu wecken, Fans und Unterstützer zu gewinnen; dazu muss man auch die eigenen Emotionen und die eigene Persönlichkeit »hineinwerfen«. Es braucht nicht nur Glaubwürdigkeit auf der 8
I. S TAR T VOR TEIL KRE ATIVITÄT
Bühne, auf der Leinwand oder beim Auftritt, sondern auch eine authentische Art, darüber zu sprechen. Etwas verkaufen – das klingt immer gefährlich nach Entfremdung, vielleicht sogar nach Verrat; aber wunderbarerweise ist nichts so überzeugend wie das Echte. Und wenn man es richtig anstellt, kommt beim Marketing mitnichten das Genormte und Stromlinienförmige heraus. Im Gegenteil: Es wird zum Mittel, mit dem ihr eure künstlerische Individualität überlebensfähig macht, behauptet und durchsetzt. Ich selbst habe fast mein ganzes berufliches Leben mit Marketing verbracht und ich hätte das bestimmt nicht getan, wenn es nicht wirklich interessant und spannend wäre. Ihr werdet in diesem Buch trotzdem auch eine Menge nüchterner, sachlicher Tipps dazu bekommen, wie man effektiv vorgeht, welche Techniken nützlich sind – oder was eher Unsinn ist. Aber wie gut die Techniken auch immer sind und wie sicher man sie auch beherrscht, Motivation und Freude bleiben wesentliche Bestandteile des Erfolgs.
Eins solltet ihr euch vorab klar machen: Ihr habt als Künstler einen riesigen Vorteil auf diesem euch scheinbar komplett unvertrauten 9
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Terrain. Ihr seid es nämlich von Haus aus gewohnt, kreativ zu sein. Gerade diese Qualität wird von vielen Agenturen händeringend gesucht. Marketing hat strategische und handwerkliche Seiten, aber richtig gut wird es nur durch die Originalität, das Außergewöhnliche, die Fähigkeit, außerhalb von Schubladenkategorien zu denken. Und genau dafür seid ihr als Künstler Spezialisten. In vielen Fachbüchern werden ausgefeilte Marketingstrategien oder Kommunikationskampagnen empfohlen – langfristige, detailliert geplante, systematisch aufgebaute Maßnahmenkataloge. Das ist sicher etwas Tolles und für Profis empfehlenswert. Aber, glaubt mir: In meiner ganzen Karriere habe ich keinen einzigen Künstler getroffen, der gleich am Anfang eine Marketingstrategie hatte. Wer sich als Kreativer damit unter Druck setzt, wird bald aufgeben und lieber nichts machen. Also vergesst die Marketingstrategien. Aber nicht das Marketing.
Für einen Künstler sind heute gute Zeiten, um Marketing selbst erfolgreich in die Hand zu nehmen. In der Gesellschaft ändert sich gerade viel und zwar so, dass ihr davon stark profitieren könnt: Das Expertentum, das Monopol von Meinungsmachern, die Exklusivität von Mäzenen und Förderern, überhaupt das übermäßig Formalisierte – das alles bricht auf: zugunsten pluralistischer, barrierefreier Zugänge, zugunsten von Vielfalt. Das birgt ungeheure Chancen für Kreative. Durch die heutigen direkten Kommunikationskanäle der Social Media ist es leichter als früher, ein Thema zu setzen und sich bekannt zu machen. Man muss nicht mehr warten, bis ein Journalist einen entdeckt hat und es angebracht findet, seine Leser darüber zu informieren. Man kann das heute selbst. Es gibt nicht mehr den Weg, es gibt euren Weg. Zum Beispiel dieses Buch. Mal ehrlich: Wer denkt schon, dass man so krakelige Illustrationen wie meine drucken und einem Publikum vorsetzen kann? Das Augenbrauenhochziehen in der Marketingbranche, in der PowerPoint-Welt, kann ich mir schon vorstellen: wie unperfekt! Wo war denn da der Grafikdesigner? Aber ich glaube, es funktioniert – und macht Mut, die eigenen Vorstellungen umzusetzen, ohne sich von falscher Hochglanzprofessionalität einschüchtern zu lassen. 10
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Trotzdem werden wir in diesem Buch die klassischen Kommunikationskanäle wie zum Beispiel Pressearbeit oder Sponsoring nicht vergessen. Wir werden über Sprödes reden: über Presseverteiler, Projektanträge und dazugehörige Recherchewege. Aber wir werden uns auch viel Raum für das Neue nehmen: für Crowdfunding, Social Media und Guerilla-Marketing. Mut zum Unperfekten, Mut zum Machen, Mut zur eigenen Sache und zum eigenen Weg sind die wichtigsten Mottos dieses Buches. Ich habe dem Buch den Untertitel »Eine Werkzeugkiste« gegeben. Denn das hier ist nicht die Bibel und ich will euch auf nichts einschwören. Ich zeige nicht den einen »Weg zum Erfolg«, sondern beschreibe verschiedene Pfade und Möglichkeiten, wie ihr vorgehen und wie ihr gemäß eurer persönlichen Stärken agieren könnt. Das Buch ist tatsächlich eine Art Werkzeugkiste, aus der ihr euch etwas herausnehmen, in die ihr aber auch jederzeit etwas hineinlegen könnt: eure eigenen Erfahrungen, die ihr nach und nach sammeln werdet. So wird jeder am Ende seine individuelle Werkzeugkiste besitzen. Denn so verschieden ihr als Künstler seid, so verschieden werdet ihr auch in der Vermarktung eurer Kunst sein.
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ICH BIN EIN KÜNSTLER DAS BEDEUTET NICHT, DASS ICH UMSONST Rechnungen muss ich bezahlen wie Sie auch ARBEITE Meine
VIELEN DANK FÜR IHR VERSTÄNDNIS
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II. WIE MACHE ICH MICH BEKANNT?
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
II.1 Von der Kunst, einzigartig zu sein
Es ist noch nicht lange her, da war das Format der »Home-Story« oder, seriöser, das Künstlerporträt nur den großen Stars vorbehalten. Künstler, die mit ihrem Werk die Öffentlichkeit erobert hatten, deren Œuvre in den großen Institutionen präsentiert wurde und Allgemeingut war, rückten schließlich auch als Personen ins allgemeine Interesse. Jetzt erst wurde danach gefragt, was ein Maler oder Schriftsteller über Politik dachte oder welches sein Lieblingscafé war. Heute startet das Bekanntmachen eurer künstlerischen Arbeit und das Interesse für euch als Macher gleichzeitig. Schon zu Beginn eurer Karriere wird es Thema sein, wie ihr als Künstler lebt, welche Orte euch gefallen und inspirieren, welche Meinungen ihr habt und wie ihr selbst eure Kunst interpretiert. Ihr sollt deswegen nicht eitel und selbstgefällig werden oder wie eine Website auf zwei Beinen umherlaufen, jederzeit über eure eigenen Projekte plappernd. Aber die Peinlichkeit, die ihr beim Gedanken an Selbstdarstellung vielleicht empfindet, müsst ihr in der Tat überwinden. Um überhaupt mit Marketing und Management anfangen zu können, müsst ihr lernen, die eigene Kunst gewissermaßen von außen zu betrachten, über sie zu reden und auszudrücken, was da eigentlich entsteht. Das ist die erste Übung, bevor es mit dem Werben, Geldeinsammeln oder Planen losgeht: zu formulieren, was das Besondere an eurer Kunst ist. Denn wenn ihr es selbst nicht seht und euch klarmachen könnt: Wie wollt ihr andere dafür interessieren und gewinnen? 16
II.1 VON DER KUNS T, EINZIGAR TIG ZU SEIN
Wir lernen in diesem Buch viele Anlässe konkret kennen, bei denen ihr über euch selbst reden und schreiben müsst. In Pressemitteilungen (die wir in diesem Kapitel behandeln werden), bei Sponsoringanträgen, in Interviews, wenn ihr euch einer Jury vorstellt, wenn es Atelier- oder Probenbesuche gibt – jedes Mal wird von euch erwartet, eure Kunst zu charakterisieren, ihr Wesen und ihre Eigenart zu beschreiben. Trainiert das Reden über eure Sachen, konzentriert euch dabei vor allem auf das Eigentümliche und Unverwechselbare. In der Marketingsprache wird das als »Alleinstellungsmerkmal« bezeichnet. Bei den Darstellenden Künsten kann es eine bestimmte Aufführungspraxis sein, aus anderen Kunst- oder Lebensbereichen inspirierte Dramaturgien, Themen, die vor euch noch keiner auf die Bühne gebracht hat, oder auch ungewöhnliche Aufführungsorte. In der Bildenden Kunst ist es vielleicht ein Material, das nur ihr verwendet, oder es sind besondere Techniken, Formate, Ausstellungsideen. Vergleicht euch mit Kollegen und versucht, die Unterschiede zu benennen. Hilfreich kann sein, dass ihr die eigene Kunst geschichtlich einordnet, dass ihr sie mit künstlerischen Strömungen und Schulen der Vergangenheit in Beziehung setzt – oder mit prominenten Künstlern der Gegenwart. Das klingt ein bisschen bombastisch, aber es geht dabei überhaupt nicht um Hybris, nicht um durchgeknallte Selbstanpreisungen, mit denen man sich als den neuen Picasso oder den neuen Piscator ausruft. Es geht im Gegenteil um eine Art Service für euer Publikum und für mögliche Förderer: Ihr selbst seid noch unbekannt, aber durch den Hinweis auf Bekanntes (oder auch in Abgrenzung davon) gebt ihr den anderen einen Orientierungspunkt, eine Möglichkeit, euch einzuschätzen. Ein vernünftiger, realistischer Bezug auf die Geschichte eurer Disziplin schafft Vertrauen, dass ihr ernst zu nehmen seid, dass eure Arbeit durchdacht ist und dass ihr seriöse Qualitätsmaßstäbe anerkennt. Dieses Herausarbeiten besonderer Merkmale und das Sich-ins-Verhältnis-Setzen zur Tradition nennt man »künstlerische Positionierung«. Darauf solltet ihr einige Mühe verwenden – auf das Durchdenken eurer Position und auf ihre Formulierung. Haltet das Ergebnis schriftlich fest. Feilt ruhig ein bisschen an den Sätzen, es lohnt sich; ihr werdet sie in Zukunft oft verwenden, und mehr als einmal werden sie über euren Erfolg entscheiden. Die Aussagen müssen mündlich wie 17
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schriftlich funktionieren. Aber sie sind nicht in Stein gehauen und nicht für alle Ewigkeit gültig. Von Zeit zu Zeit solltet ihr prüfen, ob eure künstlerische Positionierung dem aktuellen Stand eurer Arbeit noch entspricht. Denn ihr entwickelt euch weiter (hoffentlich!) und damit muss sich auch die Art, wie ihr euch darstellt, weiterentwickeln. Und dann, schwieriger noch, die eigentliche Werbung! Viele Künstler schrecken davor zurück. Ein Kollege von mir hatte mit seinen Puppenspiel-Studenten ein Stück erarbeitet – ein wirklich interessantes, originelles, auch etwas gewagtes Projekt, das vom Einsatz einer militärischen Drohne handelte. Am Wochenende sollte es im Studiotheater unserer Hochschule öffentlich aufgeführt werden. Der Dozent hatte einige Zeit in den Vereinigten Staaten gearbeitet, wo die Vermarktung ein ganz natürlicher Teil des Selbstverständnisses von Künstlern ist. So war es für ihn auch klar, dass seine Studenten nun kurz vor der Aufführung für ihr Stück Werbung machen sollten. Er schickte die Spieler los, um die Drohne auf der Straße und in der Hochschulkantine fliegen zu lassen und so auf die Vorstellung aufmerksam zu machen. Aber den Studenten war es unangenehm, wie sie es ausdrückten, »Leute zu belästigen«. Sie erklärten: »Wir wollen niemanden stören.« Schließlich, fast vorwurfsvoll: »In welcher Rolle sollen wir denn da auftreten?« Das ist ein gutes Stichwort. Die Rolle, in der ein Darstellender Künstler auftritt, gibt ihm Sicherheit; es ist eigentlich nicht er selbst, der sich da vor dem Publikum zeigt, sondern die Figur, die er repräsentiert. Diese Sicherheit droht bei der Selbstvermarktung in die Brüche zu gehen. Der Rollenschutz scheint weg zu sein, wenn es darum geht, die eigene Person und Arbeit bekannt zu machen und für sie zu werben. Aber vielleicht hilft es, sich die Eigenvermarktung auch wieder nach Art einer Rolle vorzustellen. Es geht ja in Wahrheit nicht um Exhibitionismus, nicht um euch als Privatleute, sondern um eine ganz gezielte und sehr kontrollierte Präsentation eurer Individualität. Ihr müsst nicht euer Innerstes nach außen kehren, ihr erfüllt einfach einen notwendigen Teil eures Berufs als Künstler – und setzt dabei selbst nach Möglichkeit künstlerische Mittel ein. Als ich vor 18
II.1 VON DER KUNS T, EINZIGAR TIG ZU SEIN
dreizehn Jahren für meine Diplomarbeit Interviews mit Bildenden Künstlern führte, stellte ich fest, dass sie meist genau diesen Ansatz bei der Schaffung und Bewirtschaftung ihrer öffentlichen Person hatten. Sie nahmen das alles nicht komplett ernst und waren durchaus bereit, ihrem Publikum ein einprägsames Künstler-Image anzubieten. Halb spielerisch, halb pragmatisch – das finde ich die beste Einstellung zum Thema Selbstvermarktung. In diesem Sinne wollen wir uns jetzt genauer ansehen, wie ihr euch bekannt machen könnt.
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II.2 Wie ihr in die Zeitung kommt
Sich selbst ins Gespräch und ins Bewusstsein der Leute bringen – da denkt man zunächst natürlich an die Medien und an den Zugang zu ihnen. Wie komme ich überhaupt an Journalisten ran? Wie kann ich diesen Vertretern der Öffentlichkeit meine Arbeit nahebringen? Das sind Fragen, die jeden Künstler von Beginn seiner Karriere an beschäftigen. Ich selbst habe es noch brav im Studium gelernt und in meinen ersten Jobs angewendet: das richtige Schreiben einer Pressemitteilung. Vor allem für jene Künstler und Kreativen, die mit der Regionalpresse arbeiten, ist dies immer noch der beste Weg, Journalisten zu kontaktieren, ihnen etwas anzubieten. Besonders die Lokalzeitungen haben in den letzten Jahren massiv Personal abgebaut, so dass sie oft aus Zeitgründen ganze Passagen aus Pressemitteilungen ins Blatt übernehmen. Es bleibt also wichtig zu wissen, wie man solche Texte schreibt. Man kann es lernen und ich werde euch erklären, wie es geht. Wenn ihr irgendwo seht, dass das Verfassen von Pressemitteilungen als bezahlte Dienstleistung angeboten wird (manchmal ziemlich teuer): Dieses Geld könnt ihr euch sparen, das schafft ihr selbst. Allerdings: Inzwischen bin ich mit einem Journalisten verheiratet und habe damit zwangsläufig eine Menge Vertreter dieser Spezies in meinem Bekanntenkreis. Und ich war schon ein bisschen schockiert, als ich bei einem Abendessen mit Redakteuren zum Thema Pressemitteilungen hörte, wie übellaunig viele der Anwesenden auf das Stichwort reagierten. Wenn »Pressemitteilung« in der Betreffzeile erscheint, so die Meinung am Tisch, kann man leider oft gleich auf »löschen« drücken, weil die Texte nichts taugen. Nun waren an 20
II.2 WIE IHR IN DIE ZEITUNG KOMMT
diesem Abend vor allem Journalisten von überregionalen Zeitungen dabei, die sich überwiegend über andere Quellen informieren und viel mit schon etablierter Prominenz zu tun haben. Auf dieser Gipfelhöhe ist es vielleicht nicht so schlimm, wenn die Verständigung über Pressemitteilungen nicht funktioniert. Doch wie kann man als noch nicht durchgesetzter Künstler oder Veranstalter, als Unbekannter, sich Journalisten bekannt machen? Man kann sie ja nicht immer gleich heiraten. Der Feuilletonchef einer großen Wochenzeitung hat bei einem Redaktionsgespräch mit meinen Studenten auf diese Frage kurz und bündig geantwortet: »Schreiben Sie mir einen Brief!« Aber womöglich gibt es ja noch andere Rezepte. Hat nicht das Internet die Recherche total verändert? Will man lieber nüchtern oder phantasievoll kontaktiert werden? Ich habe mich bei einigen Medienleuten nach solchen Fragen erkundigt. Bevor ihr an eure eigene Pressearbeit geht, sollt ihr einen Eindruck davon bekommen, wie Journalisten ihren Beruf verstehen, woher sie ihre Informationen nehmen und wie sie aus der Kulturwelt angesprochen werden möchten – aus eurer Welt, über die sie berichten sollen. Jens Bisky · SÜDDEUTSCHE ZEITUNG · FEUILLETON
Jens Bisky hat beim DDR-Jugendrundfunksender DT64 begonnen, schrieb später für die Berliner Zeitung und ist heute leitender Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Sein journalistisches Themenspektrum ist breit, es umfasst neben Sachbüchern das kulturelle Leben und die gesellschaftliche Entwicklung Berlins. Bisky ist ein guter Kenner der jungen Berliner Architektur- und Kunstszene. Als Buchautor hat er über seine Jugend in der DDR geschrieben (»Geboren am 13. August – Der Sozialismus und ich«, 2004) wie auch über historische Themen (»Kleist. Eine Biographie«, 2007; »Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit. Ein Lesebuch«, 2011). I.R. Spielt das Internet für Sie bei der Themenfindung eine Rolle? Wenn ja, welche? J.B. Selbstverständlich spielt das Internet als weiteres Fenster aus
dem Raumschiff Redaktion eine Rolle, vor allem bei der Recherche, Überprüfung, aber ein wenig auch bei der Themenfindung. 21
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Die Online-Gesamtfeuilletons (perlentaucher, aldaily) bieten einen Überblick, was andere für wichtig oder interessant halten, Blogs (Herrndorf, Mercedes Bunz, Jan Seghers, Niggemeier etc.) taugen dazu, Stimmungen kennenzulernen. Ziemlich gut informiert »Nachtkritik«. Keine Rolle für die Themenfindung spielen die Webseiten der Kultureinrichtungen, Verlage etc. Für die Themenfindung funktioniert das Internet wie ein weiterer Stichwortgeber neben den altbewährten. I.R. Wie erreicht Sie das Neue, noch nicht Etablierte? J.B. Die Nachfrage nach Neuem ist im Feuilleton stets größer als das Angebot an wirklich Überraschendem, Neuem. Die wichtigste Informationsquelle sind Tipps von Freunden, Bekannten, PR-Leuten. I.R. Welches sind die Filter, die Vorauswahlen, die zwischen den Künstlern und Ihnen liegen? J.B. Der Filter bin ich, könnte man wahrscheinlich über die meisten Feuilletonredakteure sagen: die eigenen Erwartungen, Ansichten, Vorurteile, die Vorannahme, was überhaupt von öffentlichem Interesse sein könnte, entscheiden. Davor jedoch liegt der »Filter« der Institutionen: Verlage, Theater, Museen, Galerien etc.
Diese wählen aus, diese machen Künstler. Das Feuilleton handelt, wenn es gut ist, weniger von Künstlern als von deren Werken, es ist entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis kein Agent oder Helfer der Künste. I.R. Lesen Sie Pressemitteilungen? J.B. Ja, aber unter hundert höchstens zwei vollständig. Die meisten enthalten zu viele »Dramaturgenfloskeln« oder Werbesprüchchen und sind definitiv zu lang, zu wenig auf die rasche Information zugeschnitten. I.R. Wie reagieren Sie auf Anrufe, die auf Veranstaltungen hinweisen möchten? 22
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J.B. Täglich erhalte ich etwa 30 ernst zu nehmende Hinweise auf diese Veranstaltung oder jenes Buch. Wollte ich mit jedem der Veranstalter telefonieren, wäre der Tag ergebnislos vorbei. Nervend sind die Anrufer, bei denen man sofort merkt, dass sie nicht wissen, was ein überregionales Feuilleton ist und auch in die SZ noch nie hineingeschaut haben. Sehr hilfreich sind die Anrufer, die wissen, was sie wollen und warum von mir oder einem Kollegen. Gerhard Stadelmaier · FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG · FEUILLETON
Gerhard Stadelmaier, Theaterkritiker der FAZ, hatte ich die gleichen Fragen wie Jens Bisky gestellt. Er gehört zu den Profiliertesten seiner Zunft und ist ein Vertreter einer Journalistengeneration, die heute vor allem die Feuilletons der überregionalewn Zeitungen bestimmt. Stadelmaier versteht sich wahrscheinlich kaum weniger als Künstler als die Theaterleute, über die er schreibt: ein Formulierungsartist im öffentlichen Wettstreit mit Bühnenartisten. Er war übrigens der einzige meiner Interviewpartner, der sich nur locker an meinen Fragen orientiert und einfach seinen eigenen Text geschrieben hat – und es war auch gleich ein Text, bei dem ich laut lachen musste.
Also, O-Ton Stadelmaier: Abgesehen davon, dass mir das Internet wurscht ist und ich es nur tabellarisch nutze (Wer spielt im Burgtheater wann welche Rolle, und um wie viel Uhr fängt’s an?) und ich das, was ich im Theater bespreche oder besprechen lasse, nach rein inhaltlichen Gesichtspunkten aussuche, die mich subjektiv als Kritiker und Mitarbeiter steuernder Redakteur reizen und natürlich meine Vorlieben spiegeln (Objektivität wäre nichts als Verlogenheit), und abgesehen auch davon, dass das Neue meist das Alte ist und das Alte mir neuer vorkommt als alles, was sich als »nicht etabliert« deklariert (oft nichts weiter als eine Entschuldigungsmaske für Dilettanten, die um die Dekonstruktion als Gnadensakrament bitten, weil sie es bis zur Konstruktion nicht schaffen) – habe ich es gerne, wenn ich von Kulturveranstaltern jedweder Art (bei mir naturgemäß theatralischer Art) ganz klare, nüchterne und vor allem rechtzeitige Informatio24
II.2 WIE IHR IN DIE ZEITUNG KOMMT
nen bekomme, damit man planen kann: Wer? Was? Wann? Wo? Und bitte: keinerlei PR-Schnickschnack! Kein grafischer Overkill oder Over-Schmock! Es soll ganz einfach lesbar sein, mir nicht irgendeine Hochglanz-»Identity« vorgaukeln oder vorlügen. Das schreckt mich eher ab und begünstigt den Flug in den Papierkorb. Mir genügt ein einfaches, gut formuliertes Din-A4-Blatt, auf dem sich der Manager auch nicht wichtiger ausnehmen darf als das Ereignis, für das er wirbt. Und wenn es etwas Neues zu spielen oder aufzuführen gilt, dann will ich bitte (zu meinem persönlichen Gebrauch) zur gründlichen Vorbereitung den Text des Stücks, bitte ohne Tamtam und Trara (»Können wir nicht rausgeben«, »Ist bis zur Premiere streng geheim« und dergleichen Unsinn kann ich nicht mehr hören, denn ich veröffentliche natürlich bis zur Premiere nichts). Der Postweg ist mir der liebste mit Briefen und Nachrichten, höflich und freundlich formuliert, auf denen auch mein Name richtig geschrieben wird und die mir nicht auf den immer mehr einreißenden Duzfuß latschen (auf »Hallo Gerhard« reagiere ich nicht, wie ich überhaupt »Hallo« zu allen Teufeln wünsche). Und wenn man mir telefonisch kommt, dann sollte man wenigstens auch schon mal von mir was gehört oder gelesen haben, also sich ein wenig informiert haben (»Buchstabieren Sie doch mal Ihren Namen« ist wenig hilfreich) und das Gespräch, wenn ich höchstkulturell schwäbisch korrekt mit »Grüß Gott« zuBITTE NICHT rückgrüße, nicht kulturmanagerschnoddrig AUF DEN ins blasphemisch Witzige abzubiegen versuDUZFUSS chen (»Ich grüße ihn, wenn ich ihn treffe«, LATSCHEN! worauf ich immer »Werden Sie sich noch wundern!« sage und den Hörer auflege). Barbara Burckhardt · THEATER HEUTE
Süddeutsche und FAZ sind überregional und richten sich an ein kulturell interessiertes, meist bildungsbürgerliches, aber nicht spezialisiertes Publikum. Bei einem Fachmagazin wie Theater Heute ist das publizistische Profil anders, und die Art, wie die Mitarbeiter sich informieren, teilweise auch. Wenn man Barbara Burckhardt, Redakteurin der Zeitschrift, danach fragt, wie sie auf Neues stößt, spielt die Binnenöffentlichkeit des Theaterbetriebs eine entscheidende Rolle: 25
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I.R. Wie erreicht Sie das noch nicht Etablierte? B.B. Übers Hörensagen, den Zufall, das Glück. Durch Jurytätigkeiten, die uns an Orte schicken, die wir fürs reine Schreiben nicht zwingend ausgesucht hätten. Wir begreifen uns nicht als Mentoren von Künstlern, sondern von deren Arbeit. Wir müssen Distanz halten. Und freuen uns natürlich, wenn wir über das Neue stolpern – wozu uns nur der Zufall verhilft. Den allerdings ermöglichen institutionalisiert in gewisser Weise die Jurytätigkeiten, die reine Schnüffelreisen finanzieren: Theatertreffen, Mülheimer Stücke, Impulse etc. Das ist in der Theaterszene möglicherweise besonders ausgeprägt. I.R. Welches sind die Filter, die Vorauswahlen, die zwischen den Künstlern und Ihnen liegen? B.B. Die Theater und die Festivals, die Wettbewerbe und Hochschulveranstaltungen, wie zum Beispiel das »Studio Junge Regie« der Körber Stiftung, wo ich jedes Jahr aus erster Hand den Regienachwuchs erlebe, noch bevor er seine erste Chance an den Häusern erhält.
Auch wie viel direkte Ansprache man als Redakteur erträgt, hängt von der Größe und dichten Bewirtschaftung des professionellen Feldes ab, um das man sich zu kümmern hat. Noch einmal aus meinem Gespräch mit Barbara Burckhardt: I.R. Wie reagieren Sie auf Anrufe, die sie auf Veranstaltungen hinweisen möchten? B.B. Unwirsch. Bei 160 Stadttheatern und ungleich mehr freien Gruppen können wir das zeitlich einfach nicht leisten. Ich bitte um E-Mail-Kontakt. Claudia Wahjudi · STADTMAGAZIN ZITTY · KULTUR
Kulturjournalisten, die mit starkem regionalen Bezug arbeiten, können sich auch stärker unmittelbar lokal inspirieren lassen. Claudia Wahjudi ist Kunstredakteurin beim Berliner Stadtmagazin Zitty und 26
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schreibt für Der Tagesspiegel und die Zeitschrift Kunstforum International. Ihre Themen sind zeitgenössische Kunst, Produktionsbedingungen von Kunst in Berlin sowie das Verhältnis zwischen Kultur, Stadt und Arbeit. Auch ihr habe ich die Frage gestellt, wie das noch nicht Etablierte sie erreicht – und ihr werdet gleich merken, wie hier neben der objektiven Daten-Anlieferung das Persönliche und Konkrete eine besondere Rolle spielt. Frau Wahjudi, wie kommt das Neue zu Ihnen? C.W. Zunächst einmal via Mail. Doch Mails gibt es viel zu viele, darunter sind viel zu viele Doubletten. Wenn sich unter 100 Mails drei finden, die etwas Neues mit Substanz annoncieren, ist das eine gute Quote. Andersherum bedeutet das: In der Flut der nichtssagenden Mails übersehe ich womöglich die eine, die mich interessieren könnte. Daher bevorzuge ich es, dem Neuen so zu begegnen: zufällig vor Ort, indem mich Künstler, Kollegen oder Freunde und Bekannte darauf aufmerksam machen, auf den Zetteln und Karten, die auf der Fensterbank von Projekträumen ausliegen, wenn es sein muss, im Internet. Lieber aber in einem Brief, der in einem Papierumschlag im Postkasten liegt. Und gern auf Reisen. Die aber sind viel zu selten möglich. I.R. Welches sind die Filter, die Vorauswahlen, die zwischen den Künstlern und Ihnen liegen? C.W. Die meisten Filter sind keine Filter, sondern Personen: Kuratoren, Direktoren, Juroren, Galeristen, Journalisten, Feuilletonleiter, Verleger, Künstler. Filter sind Newsletter, Zeitungen, Fachzeitschriften, Onlinedienste etc. Und ein Filter ist meine eigene Wahrnehmung, die geprägt ist von Erfahrungen, Ort, Zeit, Umständen und Charakter. I.R. Lesen Sie Pressemitteilungen? C.W. Ja, aber eigentlich müsste es heißen: Ich übersetze sie. Viele Pressemitteilungen vernebeln mehr als sie erhellen. I.R. Wie reagieren Sie auf Anrufe, die sie auf Veranstaltungen hinweisen möchten? 27
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C.W. Unterschiedlich. Jeder Tag ist anders, jeder Anrufer, jede Anruferin spricht anders, und ich bin auch nicht jeden Tag gleich. Als störend empfinde ich Anruferinnen (und die meisten Anrufer sind Anruferinnen, da in den PR-Agenturen vor allem Frauen arbeiten), die ihrer Mail zum zweiten oder dritten Mal hinterhertelefonieren. Als störend empfinde ich Anrufer und Anruferinnen, die sich keine Gedanken darüber machen, dass in einer Redaktion Zeit knapp sein könnte, und die (Stichwort soziale Kompetenz) nur auf Sendung gepolt sind und nicht auch auf Empfang. Hilfreich sind Anrufe, die konkret auf einen Sachverhalt hinweisen oder Hintergrundinformationen anbieten.
WAS JOURNALISTEN WIRKLICH WOLLEN Bei aller Unterschiedlichkeit der Medien wird eines klar: Journalisten leiden unter dem selbstverliebten, wortqualmenden Gelaber, das der Kulturbetrieb hervorbringt. Der Versuch, dem Gegenstand durch hochgestochene Rhetorik künstliche Bedeutung zu verleihen, geht nach hinten los. Dagegen sind Journalisten dankbar für Knappheit, Präzision und sachliche Darstellung. Deshalb kann ich euch nur im Umgang mit jeder Art von Presse raten: Plustert euch nicht auf. Ihr macht gute Sachen, es ist richtig und wichtig, dass ihr damit an die Öffentlichkeit geht, aber ihr sollt sie nicht großmäulig anpreisen. Was dann nämlich droht, heißt in der Sprache des Marketings »Produkt-Enttäuschung«. Und darauf reagieren Experten noch viel verärgerter als die Endverbraucher (das Publikum). Denn sie fühlen sich als Fachleute nicht ernst genommen und in ihrer professionellen Ehre gekränkt. Seid, wer ihr seid, und redet, wie es zu euch passt; das ist okay. Und jetzt schauen wir uns im Detail an, wie man es macht. WIE ERSTELLE ICH EINE PRESSEMITTEILUNG?
Die Pressemitteilung müsst ihr euch wie ein Treffen zweier erwachsener Leute mit unterschiedlichen Berufen in einem nüchternen Büro 28
II.2 WIE IHR IN DIE ZEITUNG KOMMT
vorstellen. Der eine redet, der andere hört zu. Das Treffen findet nicht auf einem Marktplatz und auch nicht auf der Bühne statt; es besteht also kein Grund zum Schreien, Gestikulieren oder Posieren. Euer Zuhörer hat notorisch wenig Zeit. Es steht daher zu erwarten, dass er euch mitten im Reden unterbricht. Für euch als Redner heißt das: Ihr beginnt mit dem Wichtigsten, damit ihr sicher sein könnt, dass diese Informationen in jedem Fall euer Gegenüber erreichen. Wichtig ist, dass ihr euch bewusst macht: Ihr schreibt die Pressemitteilung für den Redakteur und nicht direkt für seine Leser. Bedient euch keiner scheinjournalistischen oder marketingmäßigen Fremdsprache und entwickelt keinen literarischen Ehrgeiz. Die Journalisten interessieren sich für Fakten, Fakten, Fakten – die spätere Aufbereitung für ihre Leser kriegen sie schon selbst hin, dazu brauchen sie von euch keine schreiberische Vorarbeit. In diesem Buch sage ich oft: Seid kreativ, lasst euch was einfallen, nutzt eure Originalität. Aber bei einer Pressemitteilung ist das Gegenteil richtig. Kreativität kann hier eher schaden. Bleibt bei kurzen, einfachen Sätzen. Andererseits ist das eine gute Nachricht, denn auch wenn ihr nicht so begabte Schreiber seid: eine Pressemitteilung bekommt ihr auf alle Fälle hin. BITTE RECHT UNORIGINELL!
Eine Besonderheit solltet ihr beachten, wenn ihr Regionalzeitungen kontaktiert. Ich habe Heinrich Löbbers, den Feuilletonchef der Sächsischen Zeitung, danach gefragt, welche Chancen Kunst in einem regionalen Medium hat. Seine Antwort: »In einer Regionalzeitung hat es Kunst per se sicherlich schwieriger als viele andere Themen. Deshalb spielt natürlich auch immer eine Rolle, ob wir das Gefühl haben, dass unsere Leser etwas mit der Geschichte anfangen können, dass es etwas mit deren Leben zu tun hat.« Bevor ihr also eine Regionalzeitung ansprecht, denkt darüber nach, welche Bezüge eure Arbeit, einzelne Akteure oder der Aufführungsbzw. Ausstellungsort zur Region haben. Ihr dürft natürlich nichts erfinden – aber wenn es einen Regionalbezug gibt, muss er in die Pressemitteilung, und zwar prominent. 29
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Ansonsten sollte man sich mit Extra-Überlegungen und –Rücksichten nicht verrückt machen, im Sinne von: Schicke ich meine Pressemitteilung lieber am Dienstag, da der Redakteur am Montag nach dem Wochenende vielleicht überlastet ist? Schickt eure Pressemitteilung rechtzeitig, damit der Redakteur planen kann. Ungefähr zwei Wochen vor dem Ereignis ist ein guter Zeitpunkt, dann kann man mit einer E-Mail eine Woche später noch einmal daran erinnern. Das gilt bei Print. Bei den Online-Publikationen und zum Beispiel auch bei den Serviceredaktionen von Radiosendern (das sind die mit den Veranstaltungshinweisen) ist alles aktueller. Die braucht ihr erst ein paar Tage vor dem Event zu kontaktieren. Nur bei monatlichen Stadtmagazinen mit Veranstaltungsübersichten solltet ihr euch vorher über den Einsendeschluss informieren. Nun schauen wir uns Schritt für Schritt an, was in eine Pressemitteilung gehört. Obendrüber schreibt ihr – wie bei einem Brief auch – den Absender; wenn ihr ein Logo habt, wäre hier ebenfalls der Platz dafür. Darunter setzt ihr Ort, Datum und den einfachen Hinweis »Pressemitteilung«. Ihr könnt auch »Pressemitteilung« zwischen Überschrift und ersten Abschnitt setzen. DIE ÜBERSCHRIFT
Auch hier könnt ihr ganz simpel vorgehen und einfach schreiben, worum es geht. Etwa: Rudolf Ortner – Bauhaus-Schüler, Architekt und Maler Ausstellung im Meisterhaus Schlemmer Wenn es sich jedoch anbietet, könnt ihr Aspekte herausheben, die neugierig machen und vielleicht den potentiellen Nachrichtenwert betonen. Nehmen wir das schon erwähnte Drohnen-Stück, das mein Kollege mit seinen Studenten erarbeitet hatte. Der Titel des Projekts war: »Das System ist äußerst zuverlässig. Eine Simulation nach Konzepten von J. Baudrillard«. In der Handlung ging es um die Auswahl 30
II.2 WIE IHR IN DIE ZEITUNG KOMMT
einer Zielperson und um ihre (mit der Drohne ausgeführte) Liquidierung. Da das Puppenspiel bei den meisten als niedliche Kinderkunst abgespeichert ist, fragt man sich irritiert: Was machen die Puppenspieler mit dieser brandaktuellen und höchst umstrittenen Militärtechnik? Deshalb habe ich unserer Pressesprecherin vorgeschlagen, mit der Überschrift »Drohne im Puppenspiel« zu arbeiten und dann den Titel des Szenenstudiums als Unterzeile zu verwenden. Also: Gibt es so einen Anknüpfungspunkt, dann verwendet ihn ruhig für die Überschrift. Ansonsten ist Nüchternheit jederzeit besser als verkrampft witziges »headlining«. DER ERSTE ABSCHNITT
Wenn ihr eine Pressemitteilung über ein DER ANFANG konkretes Event, eine Aufführung, eine BESTIMMT Ausstellungseröffnung o.Ä. verfassen wollt, DAS GANZE dann beantwortet ihr am besten – im ersten Abschnitt – die klassischen W-Fragen: »Wer? was? wann? wo?« oder »Wer? wann? wo? was?« oder »Was? wer? wann? wo?« Die Reihenfolge ist nicht entscheidend, ihr braucht euch auch nicht sklavisch an diese Fragen zu halten, es ist nur wichtig, dass ihr euch klarmacht: Manchmal wird nur der erste Absatz gelesen. Deshalb müssen alle wichtigen Informationen da rein. Das kann zum Beispiel so aussehen: »Die Stiftung Müllermeier (WER?) veranstaltet am 5. und 7. September (WANN?) für alle Musikinteressierten in der Akademie der Künste (WO?) einen Workshop zu »Moses und Aron« von Arnold Schönberg (WAS?).« 31
WER?
WANN?
WO?
WAS?
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II.2 WIE IHR IN DIE ZEITUNG KOMMT
Oder: »Vom 26. Mai bis 14. Oktober 2012 (WANN?) präsentiert der me Collectors Room Berlin (WER?/WO? Location und Veranstalter in einem) die Sammlung von Selim Varol (WAS?).« Oder: »Mit einem Festakt in der Oper Halle (WO?) beginnt das Jubiläumsfest der Kulturstiftung des Bundes (WAS?) am 22. Juni 2012 (WANN?). Die Festrede hält Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.« Beim letzten Beispiel ist das »Wer?« von vorneherein klar und muss nicht noch einmal eigens erwähnt werden. Neben dem Festakt ist das Erscheinen der Bundeskanzlerin ebenfalls eine wichtige Nachricht und kommt deshalb gleich im zweiten Satz vor. Manche Pressemitteilungen beginnen mit einer Art Betreffzeile, die diese W-Fragen knapp auf einen Blick zusammenfasst. Zum Beispiel: Ausstellungseröffnung: Donnerstag, 6. September 2013, um 19 Uhr, in den Projekträumen der Stiftung xxx, Goetheplatz 3, Weimar Danach beginnt der eigentliche Text, der dann diese Basisinformationen nicht mehr zu enthalten braucht. Welche Form man vorzieht, ist im Grunde eine Geschmacksfrage. Ich persönlich finde es eleganter, die notwendigen Informationen im ersten Satz des Textes zu liefern. Aber wenn ein solcher Anfang für euch schreiberisch eine Herausforderung darstellt, dann setzt die W-Fragen einfach oben drüber. Da es gut möglich ist, dass ein Journalist nicht mehr als den ersten Abschnitt eures Textes liest: übermittelt nur eine Nachricht pro Pressemitteilung. Wenn ihr zwei Ausstellungen oder Aufführungen in zwei unterschiedlichen Städten ankündigen wollt, dann sind das zwei Pressemitteilungen. Es sei denn, eure Ausstellung/Aufführung wandert nach der Premiere noch in andere Städte. 33
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
DER ZWEITE ABSCHNITT
Hier fügt ihr noch weiterführende Erklärungen und Details an. DER SCHLUSS
Ihr habt jetzt die aktuellen Fakten in eurer Pressemitteilung untergebracht; nun fügt ihr noch einen Abschnitt über euch, eure Künstlergruppe oder eure Institution hinzu. Diesen Passus legt ihr euch einmal sorgfältig zurecht; danach kommt er als ständiger, fester Textblock in alle eure Pressemitteilungen. Hier kann ein Journalist komprimiert die wesentlichen Informationen über den Absender der Pressemitteilung erhalten. Neben den entscheidenden Fakten, zum Beispiel wie viele Mitglieder eure Künstlergruppe hat oder wann sie von wem gegründet wurde, wäre hier auch der richtige Ort für zwei oder drei Sätze über eure künstlerische Position. (Wie man sich eine künstlerische Position erarbeitet, haben wir im ersten Kapitel behandelt.) EURE KÜNSTLERISCHE VISITENKARTE
Auch hier gilt: Es gibt keine generellen, formalen Regeln. Ich habe zwei Beispiele herausgesucht, die euch die Bandbreite der sprachlichen Möglichkeiten vorstellen und zeigen, wie unterschiedlich man damit umgehen kann: »machina eX ist eine Gruppe junger Theater-, Computerspiel- und MedienmacherInnen, die Technologie & Kultur zusammenbringen. Mithilfe von Mikrokontrollern, Lust an spannenden Geschichten, einem Haufen Theatererfahrung, den Computerprogrammen Max/ MSP, Arduino, Ableton Live und Processing und einer Menge Kabel und Stiften bauen wir theatrale Rauminstallationen, die alle Komponenten eines Computerspiels mit denen eines Theaterabends zusammenbringen.« Das Zielpublikum von machina eX ist so jung wie die Protagonisten selbst und kommt überwiegend aus der Computerspiel-Welt. Es wäre seltsam, wenn diese Leute plötzlich in einer streng förmlichen Sprache daherkämen. Deshalb ist es kein Problem, Ausdrücke wie »einen Haufen Theatererfahrung« zu benutzen. 34
II.2 WIE IHR IN DIE ZEITUNG KOMMT
Anders beim Ensemble Modern: »Die Gründung des basisdemokratisch organisierten Ensemble Modern (EM) war eine Initiative von Studenten der Jungen Deutschen Philharmonie im Jahr 1980 mit dem Ziel, Neue Musik zu fördern und angemessen aufzuführen. Seit 1985 ist das EM in Frankfurt a.M. beheimatet. Es zählt zu den weltweit führenden Ensembles für Neue Musik. Seit 1987 ist das EM eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit den Musikern als Gesellschaftern. Zurzeit vereint das EM 19 Solisten verschiedener Nationalitäten: Argentinien, Bulgarien, Deutschland, Großbritannien, Indien, Japan, Polen und die Schweiz bilden den kulturellen Hintergrund dieser Formation.« Ensemble Modern beschränkt sich auf die Fakten – und zwar in einer für das Publikum angemessenen, das heißt: betont sachlichen, kühl-korrekten Sprache. Künstlerische Positionen werden in dem Abschnitt nicht eigens beschrieben. Ihr seht, es gibt nicht den einen richtigen Weg. In jedem Fall aber vermeidet überschwängliche Werbebotschaften und bleibt sachlich und in eurer Sprache. Das ist es schon im Wesentlichen. Schreibt jetzt noch unter euren Text den Ansprechpartner mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse. Auch wenn ihr mehrere Leute in eurer Gruppe seid, wird üblicherweise nur die Person vermerkt, die die Funktion des »Pressesprechers« hat.
BILDER UND PRESSEMITTEILUNG Ihr solltet zu eurer Pressemitteilung ein oder AUF DAS LADEN zwei Bilder mitschicken. Bei den Interviews, KOMMT ES AN die ich mit Journalisten gemacht habe, war der Wunsch nach guten Bildern ein Standardhinweis – und auf die Frage, was man lieber vermeiden sollte, hieß es stets: Fotos, die zu lange laden. Bilder sollten unbearbeitet im JPEG-Format (mindestens 500 KB und maximal 2 MB) als Anhang verschickt werden. Soll ein Foto gedruckt werden, muss es eine Auflösung von 300 dpi (dots per inch) und eine Bildgröße von ca. 2.000 Pixel Breite oder mehr besitzen. Wird es nur im Internet verwendet, 35
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reichen 72 dpi und eine Bildgröße von ca. 1.000 Pixel Breite aus. Die Einbindung von Bildern in Word-Dateien wird von vielen Redaktionen nicht gewünscht. Vergesst nicht, wenn ihr Fotos mitschickt, ihnen eine Legende zu geben: Was und wer ist auf dem Foto zu sehen? Besonders wichtig: Ihr besitzt hoffentlich die Rechte? Neben den Zeitungsredaktionen und Onlinemagazinen gibt es Online-Presseportale, die eure Pressemitteilungen teils kostenlos ins Netz stellen. Die wichtigsten sind: News4Press, Offenes Presseportal, Online-Artikel, openPR, PR-Gateway. Dazu muss ich sagen: Ich kenne keinen Journalisten, der sich direkt aus den Presseportalen mit Informationen bedient. Auch meine Nachfrage bei artpress, einer in der Bildenden Kunst einschlägigen Presseagentur, sowie bei Theaterkollegen haben fast identische Antworten ergeben: »Bedienen wir nicht. Zu undifferenziert für unsere Zielgruppe.« Zwar stehen eure Mitteilungen dann im Netz und kommen in die Suchmaschinen, aber tatsächlich ist die Chance, dass ein Journalist über den Umweg der Schlagwortrecherche darauf aufmerksam wird, zu gering für die Mühe. Anders steht es mit den Nachrichtenagenturen: Sie werden von Journalisten in der Tat genutzt. Nachrichtenagenturen sind wichtige Informationsquellen für eine Redaktion; sie halten sie über die wichtigen Themen auf dem Laufenden, und manchmal übernehmen die Redaktionen auch direkt die Texte der Agenturen. Marktführerin ist die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die ein Netz von Regionalbüros hat. Die dpa hat eine Kulturredaktion, was für andere bekannte Agenturen – wie zum Beispiel Reuters – nicht gilt. Nachrichtenagenturen sind kostenpflichtig für die Zeitungen, die ihre Nachrichten abrufen, aber nicht für euch. Die Mailadressen der Regionalbüros sind im Internet zu finden. Nachrichtenagenturen sind allerdings nur für größere Events relevant; nicht so sehr für eure erste Ausstellung oder ein kleineres Kulturprojekt. Trotz Agenturen und Portalen führt für euch kein Weg an einem eigenen Presseverteiler vorbei. Ihr könnt es auf die schnelle und teurere Art machen und einfach einen Presseverteiler kaufen. Zu den Klassikern hier gehört Stamm, www.stamm.de. Über den Stamm-Verlag sind zwei Produkte erhältlich. Einmal eine CD, die 36
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nach Titeln der Publikationen, also zum IM REICH Beispiel Spiegel, Die Zeit usw. geordnet ist. VON Diese CD kostet um die 200 Euro. Dann gibt es das »Stamm-Impressum«, das ist eine ZIMPEL, Datenbank, in der man sich seinen eigenen STAMM Presseverteiler nach Sparten und PostleitUND KROLL zahlen selbst zusammenstellen kann. Bei dieser Datenbank muss man eine Einmalgebühr für die Lizenz (über 500 Euro) zahlen und dann jährlich die Nutzungsgebühr (um 1.000 Euro). Eine andere PR- und Presse-Datenbank ist Zimpel, www. zimpel.de. Der Service ist vergleichbar mit dem des Stamm-Verlags. Auch dort fallen die Lizenzgebühr (um 1.000 Euro) und eine jährliche Nutzungsgebühr (um 200 Euro) an. Daneben gibt es die KrollPressebücher, www.kroll-verlag.de. Sie sind viel preiswerter als Stamm und Zimpel. Für euch interessant ist hier die Sparte Kunst, Architektur und Design. Aber ihr solltet auf das Erscheinungsjahr der Bücher achten! Manchmal sind gerade die kleinen Sparten wie Kunst nicht sehr aktuell. Ich finde es sinnvoller, sich einen persönlichen, genau für die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen Verteiler aufzubauen. Das dauert länger, ist aber am Ende zielgenauer. Wie ihr das macht? Erstens: Zeitung lesen. Zweitens: Die Namen der Journalisten herausschreiben, die zu eurem Thema publizieren. Drittens: die Redaktion anrufen und sich nach der Mailadresse erkundigen. Ich weiß, es ist manchmal mühsam oder unangenehm zu telefonieren. Aber die etablierten Zeitungen haben Empfangsmitarbeiter, die unter anderem genau für solche Angelegenheiten da sind. Bei den Online-Publikationen ist es einfacher: Die E-Mail-Adressen stehen in Facebook
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
oder auf der Website. Es hat jedoch keinen Sinn, eure Pressemitteilungen an die allgemeine Redaktionsadresse zu schicken. Niemand wird sie dort an den zuständigen Redakteur weiterleiten. Und noch ein Tipp: Manchmal bieten die teuren Presse-Datenbanken (zum Beispiel Zimpel) kostenlose Testversionen an. Die sind zeitlich begrenzt (zum Beispiel 40 Tage) und stark gegenüber der kostenpflichtigen Vollversion reduziert – das heißt, es wird jeweils nur eine kleine Auswahl der relevanten Redakteure angezeigt. Aber für eine allererste Recherche kann es hilfreich sein.
NEWSLETTER Um nicht nur durch die Vermittlung von Journalisten, sondern direkt zu kommunizieren, helfen sogenannte E-Mail-Newsletter: von euch selbst verfasste Briefe an euer potentielles Publikum. Das klassische massenhafte Briefeverschicken ist kaum mehr sinnvoll. Erstens ist es auch bei Rabatten für Großsendungen immer noch in der Gesamtsumme teuer. Und zweitens: Überlegt selbst, wie ihr auf einen Briefkasten reagiert, der mit solcherlei Reihenbriefen voll ist. Ich bekomme diese Art Zuschriften eigentlich nur noch von Parteien im Wahlkampf oder von Hilfsorganisationen, die Spenden möchten. Der einzige Fall, in dem ich klassisches Mailing gut finde, ist die Weihnachtskarte. Euren Kunden oder anderen Leuten, die euch wichtig sind, auf diese Weise Grüße zukommen zu lassen, ihnen für die Zusammenarbeit oder für ihre Unterstützung zu danken, das ist eine schöne Sache. Aber das sollte dann auch möglichst persönlich geschehen, mit handschriftlicher Anrede oder ein paar Zeilen, die individuell dem Adressaten gelten. Ansonsten seid ihr mit der elektronischen Form des Briefs, mit dem Newsletter, gut bedient. Ich würde einen Newsletter nicht zu oft (kann nerven), aber in regelmäßigen Abständen schicken. Also vielleicht alle drei Monate. Ihr solltet eine einheitliche Vorlage verwenden, damit die Wiedererkennbarkeit gegeben ist. Programme zum Verschicken von Newslettern bieten oft eine Auswahl von gestalterischen Vorlagen an. Ein 38
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Newsletter kann im Gegensatz zur Pressemitteilung mehr als nur ein Ereignis behandeln. Er kündigt an, kann aber auch – meist am Ende – über den Erfolg vergangener Ereignisse berichten. Der Ton, in dem ihr euren Newsletter verfasst, hängt von euren Adressaten ab. Wenn sie meist in eurem Alter sind, kann es etwas informeller zugehen. Befinden sich in eurem Verteiler jedoch Sponsoren und Kulturinstitutionen, würde ich es seriöser halten. Als Dateiformat empfehle ich euch HTML oder Text. Bei PDF ist ein weiteres Öffnen vom Empfänger nötig. Der Zugang zum Inhalt sollte jedoch für den Empfänger so einfach wie möglich sein. Zum Verschicken: Es gibt eine Reihe von Webservices oder Programmen, die das Verschicken und Verwalten eurer Newsletter übernehmen – als Beispiele seien hier genannt »Direct Mail« (funktioniert nur auf Mac) oder »MailChimp«. Ich möchte bei kommerziellen Anbietern keine Empfehlungen geben. Deshalb nur soviel: Informiert euch, in welchem Umfang (nach Zahl der Abonnenten und Zahl der versendeten E-Mails) die Anbieter für euch kostenlos sind und welchen zusätzlichen Service sie bieten. Zum Beispiel: Helfen sie euch bei der Gestaltung des Newsletters? Wie viele Informationen über die Abonnenten sind zu bekommen? Wichtig ist auch, dass es eine Funktion gibt, über die sich eure Empfänger wieder austragen können. Ihr wollt ja keine verärgerten Zwangskunden, sondern ein euch gewogenes Publikum bekommen. Daneben gibt es für Künstler und Kulturinstitutionen auch das Modell eines auf sie zugeschnittenen »Gesamtpakets« oder – wie ich es nennen würde – einer »Werkzeugkiste«, die verschiedene Serviceleistungen auf einmal kostenlos anbietet, unter anderem auch das Newsletterverschicken. Zu nennen ist hier u.a. der Kulturserver (www.kulturserver.de). Ich will diese Stiftung mit ein paar Sätzen ausführlicher vorstellen, weil ich sie gerade für Berufsanfänger nützlich finde. Die Stiftung kulturserver.de gibt es seit 1995. Ihr Service basiert auf einer Kulturdatenbank, mit der Künstler, kulturelle Einrichtungen, Städte und Kommunen die eigenen Kulturinformationen im Netz verwalten und sie über verschiedene Kanäle (zum Beispiel Newsletter, Terminkalender, eigene Website) verbreiten können. 39
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Die Grundidee ist »Hilfe zur Selbsthilfe«. Dafür werden euch eine Vielzahl von Möglichkeiten und Werkzeugen angeboten. Zum Beispiel könnt ihr mithilfe eines Homepage-Baukastens die eigene Homepage erstellen. Voraussetzung ist, dass ihr euch ein Profil mit künstlerischer Biografie, Bild oder Video erstellt habt. Über den Kulturserver könnt ihr auch eure Newsletter verschicken. Darüber hinaus bietet der Kulturserver länderspezifische Services mit regionalen Projekten (zum Beispiel www.kulturregion-swf.de) bzw. Länderportale (zum Beispiel www.Kulturserver-nrw.de). Der Kulturserver betreibt auch die Datenbank »CultureBase«, in der Veranstaltungsdaten zentral vorgehalten und automatisiert an diverse Medien verteilt werden. Ein Blick auf die Liste der Partner (http:// ggmbh.kulturserver.de/de_DE/partners) zeigt euch, an wen die Informationen geschickt werden. Daneben gibt es den Kulturkurier (www.kulturkurier.de) der als Terminverteiler funktioniert. Der Kulturkurier sorgt dafür, dass eure Informationen auf über 1.500 Internetseiten, Veranstaltungskalendern und Verzeichnissen erscheinen. Damit entfällt für euch das mühsame Eintragen in eine Vielzahl von Seiten. Ihr gebt eure Termine nur einmal ein. Kulturkurier schickt die Ankündigungen dann automatisch in die Seiten seiner Medienpartner. Ein Blick auf die Medienpartner auf der Website zeigt euch die Streuung. Deutschsprachige Regionen im Ausland, wie Österreich, die Schweiz und Südtirol, werden mitbedient. Dieser Service ist jedoch kostenpflichtig.
JOURNALISTEN ALS KULTUR-TÜV Früher wurde die Diskussion über Kunst von wenigen Großkritikern und ihren sorgfältig pointierten, fast literarischen Texten beherrscht. Oft sind diese Kritiker selbst Figuren des öffentlichen Lebens, manchmal prominenter als die Künstler selbst. Jeder kennt zum Beispiel Marcel Reich-Ranicki, den ehemaligen Literaturkritiker der FAZ; die meisten Autoren, über die er geschrieben hat, können von einem solchen Ruhm nur träumen. Das Gegenüber dieser prominenten Kulturjournalisten sind dementsprechend die etablierten Kulturinstitutionen, viel weniger die DIE GROSSKRITIKER WERDEN KLEINER
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Offszene. Denn nur eingespielte Strukturen können die Professionalität, Langlebigkeit und Perfektion bieten, die den Maßstäben dieser Kritik genügt und an denen sie sich abarbeitet. Im Internet ist inzwischen eine neue, pluralistischere Öffentlichkeit entstanden, die wir im nächsten Abschnitt noch ausführlich behandeln werden. Aber auch die Printmedien selbst werden weniger von einzelnen Schreibstars dominiert als früher. Redaktionen, Leserschaft, die ganze Art der Mediennutzung – alles ist weniger hierarchisch und autoritätsfixiert als früher. Innerhalb der Zeitungen führt das zu einer größeren Pluralität. Für euch Künstler bedeutet das: Ihr seid weniger abhängig vom Urteil einer kleinen Feuilletonelite, aber ihr müsst euch jetzt auch um mehr als bloß eine Handvoll Ansprechpartner kümmern. Die Kritikerlandschaft ist einerseits unübersichtlicher, andererseits besser zugänglich geworden. Vielleicht fragen sich einige von euch: Warum soll ich mich heute, bei der fortschreitenden Aufsplittung der Meinungsmonopole, bei all den neuen Kommunikationskanälen, den Sozialen Netzwerken, die mir einen direkten Zugang zum Endverbraucher ermöglichen, überhaupt noch um die Kritik, den Kritiker bemühen? Wozu ist die Vermittlung, die Zwischeninstanz nötig? Warum soll man gerade auf diese Zwischeninstanz soviel Mühe verwenden, herausfinden, wie sie angesprochen werden möchte, was sie interessiert, in welchem Ton die Mitteilungen verfasst werden sollen? Die Antwort lautet: Es geht um eine Art Stempel. Besonders durch die Großkritiker, aber auch durch andere etablierte Journalisten, durch die Fachmagazine der Branche wird ein Gütesiegel verliehen. Selbst beim Verriss. Die bloße Tatsache, dass Autoren wie Gerhard Stadelmaier, Barbara Burckhardt oder Jens Bisky eine Arbeit wahrgenommen haben, hebt sie aus der Anonymität heraus. Durch eure eigenen Newsletter, Web- und Facebookseiten könnt ihr auf euch aufmerksam machen, aber ihr könnt euch nicht selbst »Qualitätsbescheinigungen« ausstellen und beweisen, dass man euch ernst nehmen muss; dass ihr gewissermaßen zu den Erwachsenen gehört, in einer professionellen Liga spielt. Dazu braucht ihr die Bestätigung durch Stimmen von außen, die eigene Autorität besitzen. 41
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Hinzu kommt etwas, was man gerade als junger Künstler leicht unterschätzt: Eine fachlich gut gemachte Kritik setzt durch Einordnung und Vergleich eure Arbeit in einen Kontext – und schafft dadurch einen Mehrwert an Bedeutung und Interesse. Es waren Kritiker, die im Westberlin der 80er Jahre für die Maler vom Moritzplatz in Kreuzberg (Rainer Fetting, Salomé, Helmut Middendorf, Bernd Zimmer) das Etikett »Neue Wilde« schufen und sie damit in den kunsthistorisch prominenten Kontext der BrückeMaler setzten. Als Künstler kann man Interpretationsangebote für die eigene Arbeit machen; das ist die »künstlerische Positionierung«, von der wir zu Beginn des Kapitels gesprochen haben. Aber letztlich beglaubigen kann solche Zuordnungen nur die Fachöffentlichkeit. Was euch das bringt? Der hergestellte Kontext vermittelt für die Wahrnehmung eurer Arbeit Stabilität. Ihr erscheint dann nicht nur als vorüberhuschendes Phänomen, sondern steht in einer Tradition; ihr setzt sie fort, brecht mit ihr oder setzt euch bewusst davon ab. Und das Urteil des Kritikers steht dafür, dass dieser Traditionsbezug nicht irgendeine Phantasie von euch ist, kein Hirngespinst, sondern tatsächlich vorhanden und erkennbar. IN GUTER GESELLSCHAFT
Es ist der Traum eines jeden Künstlers, sein Publikum direkt zu erreichen, die Botschaften zu steuern und die Deutungshoheit über seine Kunst zu behalten. Ihr findet in diesem Buch genügend Werkzeuge, die euch dabei helfen, euren Erfolg selbst in die Hand zu nehmen. Qualitätsstempel, Gütesiegel, Kontexte sind trotzdem unentbehrlich – gerade weil die Kommunikation auf allen Kanälen rasant zunimmt.
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II.3 FREUNDE, F OLLOWERS, FANS – WERBUNG IN DER NE TZGEMEINDE
II.3 Freunde, Followers, Fans – Werbung in der Netzgemeinde Trotz aller Wichtigkeit der Journalisten: Die Machtverhältnisse in der Öffentlichkeit verändern sich in der Tat gerade dramatisch. Inzwischen gilt: »Monopol war gestern«. Neben den hauptberuflichen Experten gibt es heute eine Vielzahl von Akteuren, vor allem in den Social Media, die oft eine wichtigere Rolle für bestimmte Zielgruppen spielen als Zeitungen und Magazine. Gerade im Kunst- und Kulturbereich. Meinungsmacher im Netz unterscheiden sich von den etablierten Kritikern und Experten darin, dass ihr Wirken temporärer ist (meist dauert es nur, bis sie in einer Institution einen Job gefunden haben), sie beanspruchen weniger Objektivität im Urteil (Sympathie spielt eine entscheidende Rolle), sind oft jung, haben keine Kontrollinstanz, die ihre Meinungen und Positionen gegencheckt (wie zum Beispiel eine Redaktion). Dafür sind sie leichter anzusprechen (meistens direkt über Facebook), begeisterungsfähiger und aufgeschlossener fürs Neue. Denn das Neue, Originelle, Coole ist gerade ihr Geschäft. Sie funktionieren wie Scouts. Im Vergleich zu den professionellen Großkritikern sind sie Amateure. Andererseits: Gerade deshalb schenkt man ihren Wertungen oft größeres Vertrauen als denen eines Journalisten. Denn sie gelten als »FreundEmpfehlungen« und haben damit besondere Glaubwürdigkeit. Viele dieser Scouts haben über 1.500 Facebook-Freunde und mindestens einen täglichen Eintrag (post) über aktuelle Ereignisse, den man abonnieren kann (auch wenn man nicht zu ihren Facebook-Freunden gehört). Es lohnt sich also, in Facebook bewusst nach solchen Leuten zu suchen. Zu schauen, wer bei bestimmten interessanten 43
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Veranstaltungen im Netz (Events) eingeladen wird, wer rege auf den Event-Seiten schreibt (postet). Anders als Journalisten verstehen sich diese Scouts nicht als Beobachter, die von außen auf die Szene schauen, sondern sie sehen sich als Teil der Szene. Sie sind selbst Künstler, Halbkünstler, Kreative; sie wollen daher auch nicht durch Pressemitteilungen oder sonst wie formalisiert angesprochen werden. Der Kontakt ist immer direkt, immer persönlich und wie unter Kollegen. Nehmen wir für die Spezies »Scout« ein Beispiel aus dem Berliner Kunstsektor: Kay Strasser. Die Ereignisse, die er in einem Zeitraum von 14 Tagen auf seiner Facebook-Seite aufgenommen hat, umfassen das Spirit-Holi-Festival, die Probe einer Tanzperformance (»Depending me«), eine öffentliche Lesung in einem Neuköllner Wohnzimmer (»Kitchen sink session«), das neue »Urban-Electric-Cargobike«, eine Theaterperformance in einem Stummfilmkino, die »Berlin Fashion Week« und das Konzert einer Band (»The Echo Vamper«). Bei allem war Strasser mit seiner Kamera dabei und postet die Fotos. Bei Erscheinen dieses Buchs hatte er 2.400 Facebook-Freunde. Ich treffe Kay in den Prinzessinnengärten in Berlin. Die Prinzessinnengärten sind ein »Urbanes Gartenprojekt«, das dem einst heruntergekommenen Moritzplatz im Stadtteil Kreuzberg neuen Charme und eine neue Klientel beschert hat. So schaut man heute von den Prinzessinnengärten auf schicke Designgeschäfte und den kürzlich hergezogenen Aufbau-Verlag. Das »betahaus«, die neue Zentrale für Kreative und Arbeitsort von Kay, ist gleich nebenan. In der Selbstdarstellung des betahauses heißt es: »Werte werden nicht mehr in klassischen Büros geschaffen. Wertschöpfung findet statt an unterschiedlichen Orten, zu unterschied44
II.3 FREUNDE, F OLLOWERS, FANS – WERBUNG IN DER NE TZGEMEINDE
lichen Zeiten, in wechselnden Teamkonstellationen und ohne Festanstellung.« Genau diese neue Wertschöpfung findet um mich herum fleißig statt, neben Gemüsebeeten und Sonnenblumen, bei Rote-Beete-Vollkornpizza, über aufgeklappte Macs hinweg. Kay ist spät dran, er hat das Gespräch mit mir in einen ereignisreichen Tag gequetscht und will danach noch zur Eröffnung einer neuen Kunsthalle in meiner Straße, von der ich peinlicherweise noch nichts gehört habe (in meiner eigenen Straße!). Eigentlich habe ich für das Gespräch eine Stunde, maximal anderthalb, eingeplant. Am Ende werden es dreieinhalb und Kay verpasst die Kunsthalleneröffnung. Übrigens hat er mir dabei mindestens genauso viele Fragen gestellt wie ich ihm. Wir haben eine neue journalistische Form ausprobiert, das wechselseitige Interview. Ein Ausdruck seiner unermüdlichen, fast gegenständlich sichtbaren Neugierde. So sieht er auch aus: kein Büromensch, eher ein robuster Abenteurer mit schwarz gefasster Brille, der für ein gutes Foto auf ein Baugerüst klettern würde. Es ist nicht schwer, mit ihm persönlich in Kontakt zu treten; auf seiner Facebook-Seite steht neben der E-Mail-Adresse auch seine Mobilnummer. Undenkbar bei etablierten Journalisten. Kay Strasser FOTOGRAF, DOKUMENTARIST, ZUKUNFTS- UND KREATIVER BILDUNGSFORSCHER.
I.R. Wie erreichen dich die Informationen zu den Veranstaltungen,
Events und Themen? K.S. Am Anfang habe ich noch selbst recherchiert und auch Blogs gelesen. Das Letztere habe ich dann aber schnell wieder gelassen, weil es einfach zu zeitaufwendig ist. Und auch, weil ich merkte, dass über die Dinge, die mich wirklich interessieren, oft nicht geschrieben wurde. Also sind das berühmte Hörensagen, persönliche Einladungen, interne Netzwerke, Mailings wichtiger geworden. Nach einer gewissen Zeit kennt man sich und dann kommen sowieso automatisch die Einladungen. Gerade die Offszene oder die bis zur Illegalität reichende performative Kunst habe ich ganz gut im Blick. Das Instrument, das ich jedoch nach wie vor am meisten nutze ist Facebook. 45
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
I.R. Was sind Signale, auf die du mit besonderer Aufmerksamkeit reagierst, wenn du kontaktiert wirst? Oder im Gegenteil mit besonderer Langeweile? K.S. Was mich überhaupt nicht interessiert, sind Stereotypen, Dinge, die mit Ideologien zu tun haben, und Veranstaltungen, zu denen viele Leute kommen. Also zum Beispiel Blockbusterfilme oder andere gehypte Events. Mich interessiert, etwas Neues zu entdecken. Für mich ist nicht wichtig, wie professionell sich etwas darstellt, sondern wie offen es ist. Damit meine ich: Eine Entwicklung, ein Potential muss zu sehen sein. Je näher Leute an konservativen Strukturen sind, desto weniger interessieren sie mich. Das Experiment, das Nichtabgesicherte macht mich neugierig. Übrigens ist dabei Scheitern für mich genauso interessant wie ein großartiges Ergebnis.
Wenn ich das Gefühl habe, da benutzt jemand Kunst als Selbsttherapie oder da will einer nur Geld verdienen, bin ich weg. »Ich will die Welt verändern« ist zwar nicht ganz so schlimm, reicht mir aber auch. Dagegen sind »Ich habe Lust am Spielen, ich probiere was aus« Signale, bei denen ich aufmerksam werde. Besonders mag ich auch, wenn ein Geheimnis dabei ist. Also etwas, was sich nicht gleich erschließt, was man herausfinden muss. Oder wenn es dabei Aspekte gibt, von denen ich keine Ahnung habe. Ich mag das Gefühl, ich kann was lernen. Dabei ist mir egal, ob es sich um eine Veranstaltung oder ein Projekt handelt. Ich arbeite aber nicht mit K.-o.-Kriterien. Es geht nicht darum, wen schließe ich aus, sondern für was interessiere ich mich. Aber, du merkst, alles läuft bei mir intuitiv, ich könnte den Bewertungsmaßstab nicht wirklich offenlegen. I.R. Welches sind die Informationen, die bei einem Erstkontakt geliefert werden sollten, damit du dir ein Urteil bilden kannst? K.S. Erstmal ist wichtig, von wem ich eingeladen werde. Also die Personen hinter den Einladungen. Wenn ich sie nicht kenne, recherchiere ich über Facebook. Mich interessieren nur Inhalte und kein Renommee. Referenzen sind wichtig, aber nicht das Entscheidende. Wenn ich eine Projektbeschreibung bekomme, frage ich einfach: 46
II.3 FREUNDE, F OLLOWERS, FANS – WERBUNG IN DER NE TZGEMEINDE
Berührt mich das? Die Idee muss glaubhaft sein. Ich mag, wenn Leute mir schreiben, wovon sie träumen, wenn sie eine Atmosphäre schaffen – und nicht, dass sie schon bis ins Letzte wissen, wie alles aussehen wird. Ich schau mir auch gern ein Probevideo an um zu sehen, wie da gearbeitet wird, am liebsten aber treffe ich mich mit den Leuten. Schon nach wenigen Fragen weiß ich dann, wen ich da vor mir habe und wie spannend eine Sache ist. Oft entscheide ich erst eine Stunde vorher, wohin ich gehe. Damit ist manchmal auch einfach der Ort wichtig. Kay Strasser, der Scout, würde sich nicht als Journalist bezeichnen. Aber das Internet verändert auch den Journalismus und die Art, wie journalistisch über Kunst und Künstler geschrieben wird. Kritik im Netz ist stärker interaktiv und stärker personenbezogen als Kritik in der Zeitung; der Kritiker ist gewissermaßen näher dran am Künstler, steht mit ihm manchmal sogar im Austausch und erhebt weniger Anspruch auf kühle, fachliche Objektivität. Ich will euch exemplarisch zwei Onlinemagazine vorstellen: Berlin Art Link und das Magazin #Horst und Edeltraut, das sowohl in einer Print- als auch in einer Onlineausgabe erscheint. Meinen Studenten sage ich im Seminar zu PR und Presse: Ihr solltet die wichtigsten Publizisten eurer eigenen Generation kennen, denn ihr teilt mit ihnen Erfahrungen und Kontexte, ohne dass Erklärungen oder »Übersetzungen« nötig wären, und im Idealfall geht ihr mit ihnen eine Partnerschaft fürs Leben ein. Reich-Ranicki ist mit Günter Grass oder Martin Walser, Eduard Beaucamp – der ehemalige Kunstkritiker der FAZ – und mit den DDR-Künstlern wie Tübke und Heisig alt geworden. Darüber hinaus wollen viele Publizisten die Künstler ihrer eigenen Generation fördern. Die unter 40-Jährigen nun schreiben größtenteils in Onlinemagazinen, in Blogs und in den Social Media. Schon deshalb ist es sinnvoll, sich mit dieser Spielart von Journalismus vertraut zu machen. Es gibt eine Vielzahl von Onlinemagazinen; manche arbeiten wie digitale Geschwister von Printausgaben, mit Spezialisierungen auf eine Sparte und einer Redaktion, die man so oder so ähnlich auch in einem Fachmagazin finden könnte. Etwa www.nachtkritik.de, laut Selbstbeschreibung »das erste unabhängige und überregionale Theaterfeuilleton im Internet«. Für den Musikbereich ist unter anderem 47
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www.laut.de oder (spezialisierter) www.jazzthing.de zu nennen; dagegen werden mehrere Kunstsparten zum Beispiel bei www.perlentaucher.de behandelt. Spannend für junge Künstler finde ich besonders die Onlinemagazine, die ein VOM KRITIKER ZUM DJ übergreifendes Themenspektrum haben. Ihre Macher muss man sich wie DJs vorstellen, die einen bestimmten Sound ihres Magazins aus unterschiedlichen Bestandteilen mixen, zu dem Kunst, Mode, Design, Locations und manchmal ein gut gestylter Bio-Softdrink gleichrangig gehören. Durch die Themenvielfalt werden – anders als bei den Fachpublikationen – die Leser spartenübergreifend angesprochen. Das ist für Künstler eine tolle Chance ein breites kulturinteressiertes Publikum zu erreichen. Und gerade nichtetablierte, noch unentdeckte Künstler sind in diesen Publikationen willkommen, die sich damit bewusst von ihren (in der Regel stärker konsensabhängigen) Konkurrenten aus dem Printbereich abgrenzen können. Auf meine Frage, was sie thematisch besonders interessiert, antwortet zum Beispiel Berlin Art Link
B.A.L. Wir selbst bieten eine Mischung aus Unbekanntem und Etabliertem. In unserem Veranstaltungskalender findet man eine breite Mischung an Events. Unser Herz ist jedoch bei den nicht so bekannten Künstlern. Auch, weil es gerade für Leute von außerhalb interessant ist, über nicht etablierte Künstler zu lesen. Diese Informationen sind durch einschlägige Magazine wie zum Beispiel Monopol nicht oder nur schwer zu bekommen.
Ein Aspekt allerdings ist mir bei der Beschäftigung mit LifestyleOnlinemagazinen aufgefallen, den ich für Künstler problematisch finde. Gelegentlich ist der redaktionelle Teil das Nebengeschäft des Onlinemagazins und der Aufbau der Marke der Hauptzweck. Ziel ist es dann, die mit der Marke verbundene Scout- und Coolness-Kompetenz an möglichst große Firmen zu verkaufen. Zum Beispiel für Städtefeatures für Fluggesellschaften oder Modelabels. Hier geht es nicht darum, dass Publizisten eurer Generation euren künstle48
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rischen Werdegang begleiten und fördern. Sondern ihr werdet benutzt – ganz ähnLASST lich, wie in bestimmten Stadtvierteln die EUCH Anwesenheit von Künstlern die AttraktiviNICHT tät des Quartiers steigert, wovon aber nur AUSNUTZEN! die Immobilienmakler etwas haben, nicht die Künstler selbst. Wenn euch das stört, dann schaut euch im Vorfeld die Macher an: Welchen Hintergrund haben sie, und wie echt ist daher wahrscheinlich ihr Interesse an der Kunst? #Horst und Edeltraut ist aus einem Seminar im Fachbereich Mode und Designmanagement an der Universität entstanden. Der Name kommt von den Großeltern einer Kommilitonin. Der Großvater Horst kam in den ersten Ausgaben auch schon mal im Editorial vor. Die ursprüngliche Idee war, ein klassisches Printmagazin zu machen, doch schon nach der ersten Ausgabe kamen begleitend erst ein Blog und dann eine Onlineausgabe dazu. Aus der Seminargruppe sind zwei Macherinnen – Cosima Bucarelli und Johanna Moers – hervorgegangen; mit ihnen habe ich mich getroffen. #Horst und Edeltraut hat schon einige Preise gewonnen, zum Beispiel bei den New Yorker Galaxy Awards Digital, bei den European Design Awards, den red dot award 2012, den Communications Award Spot und erst kürzlich den ECON Award. Berlin Art Link ist als persönlicher Blog von Monica Salazar gestartet und wurde mit dem Hinzukommen von Anna Russ (als zweite Direktorin) und anderen Autoren zum Magazin. Berlin Art Link kuratiert selbst Ausstellungen und organisiert für Firmen sogenannte kreative Tage, bei denen die Mitarbeiter das kreative Berlin kennenlernen. #Horst und Edeltraut
Die Macherinnen beider Magazine sind unter 30. Besonders interessant fand ich eine Aussage von #Horst und Edeltraut gleich zu Beginn unseres Gesprächs. 49
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Auf meine übliche Frage nach ihren Informationsquellen antworteten sie: H.U.E. Die Informationen kommen aus unserem Netzwerk und Freundeskreis und aus der eigenen Recherche, dabei spielen Facebook und andere Online-Blogs eine große Rolle; Newsletter oder Einladungen von jungen Galerien sind ebenfalls eine Quelle.
Ähnlich bei Berlin Art Link: B.A.L. Ganz am Anfang haben wir uns bei den Veranstaltungen immer in die Newsletterlisten eingeschrieben. Aber mittlerweile bekommen wir persönliche Einladungen von Künstlern und Galerien. Da vieles an temporären Orten stattfindet, die Veranstaltungen nicht mal eine eigene Website haben, aber es eigentlich immer eine Event-Site bei Facebook gibt, spielt Facebook eine wichtige Rolle. Aus all diesen Quellen suchen wir ca. 15-20 Veranstaltungen in der Woche heraus, die wir unseren Lesern empfehlen. Sind wir auf einen Künstler aufmerksam geworden, dann gehen wir auf seine eigene Website, um uns ein genaueres Bild zu machen. Oder, wenn es ein Bildender Künstler ist, auf seinen Pinterest Account. Wir verstehen unser Onlinemagazin als ein Tor, um Leute kennenzulernen. Der Austausch ist uns wichtig, wir sind nicht nur Beobachter von außen, wir sind auch – durch unsere eigenen Ausstellungsreihen – selbst Akteure, wir wollen mittendrin sein.
Anders als bei den klassischen Printmedien ist sowohl bei Berlin Art Link als auch bei #Horst und Edeltraut vor allem Facebook ein normales Recherchemedium. Nicht nur weil die Macher zur »Generation Facebook« gehören, sondern auch deshalb, weil ihr Zugang zur Kunst viel stärker über die Persönlichkeit des Künstlers führt. Und auch, weil »professioneller Abstand« keine so selbstverständliche, zentrale Kategorie wie bei traditionellen Journalisten ist. Natürlich interessiert auch in den Zeitungsfeuilletons ein Regisseur, Schauspieler, Musiker oder Künstler als Figur – aber doch erst in zweiter Linie, nach seiner künstlerischen Arbeit und Position. (Es sei denn, die Künstler – wie zum Beispiel Jonathan Meese – geben diese Verschmelzung von vorneherein selbst vor.) Auch eine Aussage wie »wir wollen mittendrin sein« käme einem Feuilletonredakteur nicht über 50
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die Lippen; er möchte sachlich, aus der Distanz beobachten und urteilen und fühlt sich keineswegs als Teil des Kunstvorgangs. Bei den Online-Lifestyle-Magazinen geht beides zusammen. Für euch heißt das: Wenn ihr mit diesen Medien arbeitet, müsst ihr als Person viel stärker hinter eurer Kunst hervortreten. Da die Onlinemagazine oft auch keine Kapazitäten zur ausführlichen eigenen Recherche und dem darauf gestützten eigenen Artikel haben, bekommt das Interview mit dem Künstler größere Bedeutung – also die journalistische Form, in der ihr selbst über eure Kunst oder euer künstlerisches Projekt berichtet. Sehr interessant – gerade für junge Künstler – finde ich, was #Horst und Edeltraut jetzt sagen: H.U.E. Wir fordern aber auch selbst auf unserer Facebook-Seite die Leute auf, uns etwas Interessantes vorzuschlagen. Wir verstehen uns als Plattform für den Austausch. Wir machen Universitätsrundgänge und Abschlusspräsentationen der Hochschulen mit. Wir begleiten die Karriere von Künstlern, behalten sie im Auge und präsentieren später auch ihre weiteren Ausstellungen.
Das heißt, der Zugang zu den Machern ist viel leichter und direkter als in den Printmedien. Eigentlich ist er nicht nur leichter, er funktioniert anders – eben interaktiv. Das sehe ich – neben der Aktualität – als den großen Vorteil der Onlinemagazine. I.R. Was sind Signale, auf die ihr mit besonderer Aufmerksamkeit oder im Gegenteil mit besonderer Langeweile reagiert, wenn ihr kontaktiert werdet? H.U.E. Das vorgestellte Projekt muss zu allererst zu unserem aktuellen Leitthema passen. Ansonsten ist die Auswahl persönlich und folgt keinen bestimmten Kriterien. Es ist wie eine Entdeckungsreise, bei der wir alle Freiheit haben; gegebenenfalls lassen wir uns neue Rubriken einfallen. Uns interessieren vor allem die Personen, die hinter der Kunst oder hinter dem Projekt stehen: Was ist ihr Hintergrund, was inspiriert sie? Dabei beschäftigen uns vor allem die 51
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Künstler und Kreativen unserer Generation bzw. Altersgruppe. Die wollen wir featuren und begleiten. Berlin Art Link brachte bei dieser Frage noch einen anderen Aspekt auf, der mir bemerkenswert vorkam und der auch im Gespräch mit Kay Strasser schon kurz aufgetaucht war: B.A.L. Ungewöhnliche Formen und ungewöhnliche Orte interessieren uns besonders, weil wir gerne neue Orte – auch für unsere Leser – entdecken. Also alles, was wir so noch nicht gesehen haben, was neue Fragen stellt, was unterschiedliche Aspekte in sich hat ist für uns interessant.
Es ist oft nicht nur die Kunst, um die es geht, sondern eher ein Paket: aus künstlerischer Arbeit, Künstlerpersönlichkeit und Atmosphäre, generiert durch den Ort oder die besondere Form. Bei der Frage nach den Informationen, die ihr in einem ersten Kontakt übermitteln solltet, antworteten die Magazine: H.U.E. Zunächst kommt es immer gut, wenn man als Künstler schon eine Onlinepräsenz hat. Aber es reicht auch eine einfach aufgebaute Seite, bei der die Arbeiten im Vordergrund stehen. Wichtig ist hierbei, dass die Bilder nicht so lange laden. Beim Aufbau der Seite denkt man oft nicht an diese praktischen Dinge. Wenn man, wie wir, viele Websites anschaut, wartet man nicht bis sich erst große Bilder geladen haben. Diese technischen Details entscheiden dann, ob man sich die Arbeiten ansieht oder nicht. Ansonsten sind für den ersten Kontakt am besten kurze knackige Mails mit Link zur Website. Aber eigentlich verstehen wir uns als Scouts, die keinen formalen Kriterien folgen. Hauptsache, die Arbeit ist spannend. B.A.L. Persönliches Anschreiben ist uns wichtig. Hilfreich ist es, wenn schon in der Betreffzeile steht, worum es geht. Wenn man nach zehn Zeilen noch immer nicht weiß, handelt es sich um eine Ausstellung, einen neuen Kunstort oder eine Performance, dann ist das ärgerlich. Manche Künstler versuchen sogar, diese Information extra zu verstecken, damit man gezwungen werden soll, die Mail auch bis zu Ende zu lesen. Also, da können wir nur sagen, falsche Taktik. Manche schicken uns fünf- bis achtseitige Pressetexte. Das 52
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liest keiner! Ein No-Go sind auch mitgeschickte Links, die zur allgemeinen Website führen und nicht direkt zum Projekt. Also »Wer«, »Was«, »Wo« und vielleicht noch ein paar Sätze, was das Besondere des Projektes oder der Arbeit ist. Ergänzt durch neugierig machende Bilder und vielleicht noch einen Verweis auf die sonstige Arbeit, und: warum gerade wir. Mehr braucht es nicht.
SELBST IM NETZ Was könnt ihr nun selbst im Netz für eure Bekanntheit und für euren Erfolg tun? Aus den Gesprächen mit den Machern der Onlinemagazine haben wir erfahren, dass die Recherche über einen Künstler oft auf Facebook beginnt. Die Diskussionen um Datenschutz, Bildrechte, Schutz der Privatsphäre usw., die sich um die Sozialen Netzwerke ranken, würden ein eigenes Buch füllen. Ich lasse sie hier weg. Nicht etwa, weil ich sie für unwichtig halte oder einzelne Praktiken der Sozialen Netzwerke nicht bedenklich finden würde. Aber dieses Buch handelt von kreativer Selbstvermarktung. Damit ist der Schwerpunkt darauf gelegt, was sich für euch als Künstler mit euren Ressourcen zu Werbezwecken besonders gut oder eben nicht gut eignet. Ob ihr ein Werbewerkzeug aus moralischen, gesellschaftlichen oder politischen Gründen lieber im Werkzeugkasten lasst, bleibt eure Entscheidung. Aber dass die Social Media zu einem Vermarktungsinstrument ersten Ranges geworden sind, ist unbestreitbar. Wenn ihr sie nutzen wollt – wie stellt ihr das am besten an? STAND- UND SPIELBEINE
Das Prinzip der Social Media ist eine globale »Mund-zu-Mund«-Kommunikation und -Empfehlung. Da viel vom wachsenden Einfluss der Social Media die Rede ist, sogar von ihren revolutionären Effekten bei der Erschütterung von autoritären Regimen, verliert man manchmal aus den Augen, welches ihre konkreten Potentiale für die Werbung sind. Für eure Werbearbeit würde ich eine Einteilung in Stand- und Spielbeine empfehlen. Standbeine sind für mich eure Website und ein gut gepflegter Verteiler, der idealerweise in MUND ZU MUND
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Kategorien – wie zum Beispiel »Presse«, darunter »regional« und »überregional« – unterteilt ist. Das sind die unentbehrlichen Werkzeuge. Die Website enthält eure dauerhaften InforEURE ONLINE mationen. Sie kann verrückt gestaltet sein VISITENKARTE und dem Charakter eurer Kunst entsprechen. Aber seid euch bewusst: Sie ist gewissermaßen die permanente Visitenkarte, die ihr bei Sponsoren, Kultureinrichtungen, Auftraggebern abgebt. In eine Website solltet ihr gestalterisch investieren. Obwohl dies ein Do-it-yourself-Buch ist, würde ich hier ausnahmsweise zum Einschalten von Profis raten. Denn selbst wenn Facebook oder Twitter vielleicht eines Tages ihre Bedeutung verlieren sollten – wie es mit MySpace bereits passiert ist –, die Website bleibt euer Aushängeschild im Netz. Sie hat auch einen spezifischen Vorzug gegenüber einem Blog oder einer Facebook-Seite: Durch den chronologischen Aufbau der Social-Media-Seiten »rutschen« dort Informationen mit der Zeit immer tiefer hinab und aus der Aufmerksamkeitszone weg. Damit eignen sich diese Medien für aktuelle Hinweise, aber nicht für die dauerhafte, grundsätzliche Selbstdarstellung. Zwar bietet zum Beispiel Facebook auch eine Rubrik »Info«, aber da kann man nur einen knappen, ungestalteten Text einfügen. Was nun die Spielbeine angeht: Social MeAUS ICH dia sind vielleicht nicht unentbehrlich, aber WIRD VIELE sie haben klare Vorteile und in einem bestimmten Alterssegment eures Publikums sind sie Leitmedium. Sie sind kostenlos. Sie arbeiten mit dem Verlinkungsprinzip und dem Schneeballeffekt (zum Beispiel bei Twitter durch den »Retweet«[weitersagen]-Button, bei Facebook durch den »Share«[teilen]-Button). Damit ist in den Sozialen Netzwerken eigentlich jeder ein Multiplikator, hinter dem ein eigenes Netzwerk steht. Die Verbreitungsmöglichkeiten der eigenen Botschaft multiplizieren sich schnell. In puncto Quantität sind Netzwerke vorne. Gut ist auch, dass die Kommunikation niedrigschwellig ist. Ein Eintrag auf Facebook oder Twitter ist schnell gemacht, ein »Event erstellen« auch. Einen Beitrag für die Website zu schreiben, dauert 55
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länger, eine Pressemitteilung in der Regel ebenfalls. In den Social Media ist die Kommunikation zwischen euch und eurem Publikum schnell und unkompliziert in beide Richtungen möglich: Ihr erhaltet ungefiltert Kritik oder Lob und könnt direkt darauf antworten und in einen Austausch mit euren »Kritikern« treten. Wenn ihr einen Markt über Deutschland hinaus anpeilt, ist es über Social Media leicht, international zu kommunizieren. Und während ihr bei einer Pressemitteilung oder in einem Interview das fertige Resultat eurer Arbeit präsentiert, könnt ihr in den Social Media bereits in Bild und Wort über den Entstehungsprozess eurer Kunst berichten. Damit seid ihr imstande, die Leute frühzeitig einzubinden, sie Teil eures Projektes und neugierig auf das spätere Ergebnis werden zu lassen. Die Sprache, die in den Social Media geschrieben wird, ist persönlich, dem Mündlichen verwandt und braucht keine stilistischen Anstrengungen. Jeder kann die Sozialen Netzwerke bedienen, auch wenn er sonst kein brillanter Autor ist (bei den Blogs ist das etwas anders). WIE DER SCHNABEL GEWACHSEN IST
Die sehr direkte und persönliche Ansprache, mit der die Social Media arbeiten, ist nicht immer unproblematisch. Es wird von euch gefordert, dass ihr als Künstler hinter euren Werken hervortretet. Nicht nur im Wort, sondern auch im Bild. Social Media sind wie eine permanente Homestory, unfreundlich gesagt: Sie befriedigen die voyeuristischen Bedürfnisse eures Publikums. Man muss lernen, damit umzugehen und es bestmöglich für seine Kunst und ihre Vermarktung zu nutzen. Zum Beispiel erfahre ich auf den Facebook-Seiten des Comedians Michael Hatzius (bekannt durch seine Großpuppe, die Echse), wie seine Garderobe bei Gastspielen, manchmal sogar wie das Buffet aussieht, es werden Kuriositäten von seinen Reisen erzählt, ich lerne die jeweiligen Techniker an den Gastspielorten kennen usw. Hatzius’ Fans können durch Facebook mit ihm quasi unterwegs sein und wissen eigentlich immer, was er gerade macht. Nun lässt sich die Frage, wie viel Privates man in den Sozialen Netzwerken preisgibt, unterschiedlich handhaben – aber ganz frei vom persönlichen Offenbarungszwang kann sich kein Nutzer machen. 56
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Hinzu kommt, dass Soziale Netzwerke ZeitGEFAHR: fresser sind und es oft schwerfällt, konzenUNTERGEHEN IM triert und fokussiert mit ihnen zu arbeiten. GEQUATSCHE Wenn man den Newsletter rausgeschickt, den Beitrag für die Website verfasst hat, ist die Arbeit erstmal getan. Soziale Netzwerke dagegen senden, empfangen, kommentieren rund um die Uhr. Durch sie fließt ein unendlicher Informationsstrom, Nützliches mit Banalem oder Idiotischem gemischt – es ist, als ob ARTE und SUPER RTL gemeinsam Programm machen würden. Da braucht ihr viel eigene Disziplin, um im uferlosen Gequatsche nicht euer Ziel aus dem Blick zu verlieren: in diesem entgrenzten Medium tatsächlich möglichst punktgenau für euch zu werben. In Sachen Quantität (viele Empfänger, »ICH NEHME TEIL« schnell erreicht) sind die Social Media agut, WIRKLICH? vor allem durch ihre problemlose Verlinkungsfähigkeit. In Sachen Qualität muss man skeptischer sein – also bei der Frage, ob die Informationen tatsächlich aufgenommen werden und ob in der »wirklichen Welt« etwas daraus folgt. Denn das Leseverhalten hat sich der Datenflut angepasst. Man überfliegt – und wenn man für einen Moment innehält, dann eher der Bilder wegen. Ob dem Anklicken des Buttons »ich nehme teil« das reale Erscheinen auf einer Veranstaltung folgt, ist schwer einzuschätzen. Deshalb können Social Media etwa einen Verteiler nicht ersetzen. Aber sie sind wichtig, um euch als Künstler eine Onlinepräsenz zu schaffen. Schauen wir uns einige Formate genauer an. Ich beginne mit dem Blog:
BLOG Vor allem in den USA, aber nicht nur dort, sind Blogger längst eine ebenso wichtige Meinungsmacht geworden wie die Journalisten der führenden Tageszeitungen: Wie man berühmte und einflussreiche Kommentatoren kennt, kennt man auch Blogger. Die Schwedin Elin Kling zum Beispiel ist eine der erfolgreichsten Mode-Bloggerinnen, die nun für Guess eine Kollektion entwirft. 57
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Ein Blog ist eine Art »Tagebuch« im Netz, verfasst meist von einer einzelnen Person. Manchmal schreiben auch Presseabteilungen das Tagebuch einer Institution. Im Gegensatz zum Onlinemagazin, bei dem es eine Redaktion oder zumindest mehrere Autoren gibt, ist der Blog meistens auf eine Person, eine Künstlergruppe oder Band oder eben auf eine Einrichtung zugeschnitten. Die Nachrichten werden chronologisch verfasst, das heißt, die aktuellste ist ganz oben. Ihr könnt einen Blog in eure Website integrieren. Dann gibt es neben dem aktuellen Blogteil statische Seiten mit den permanenten Informationen. WIE ERSTELLE ICH EINEN BLOG?
Blogs basieren, technisch gesehen, auf einfach zu bedienenden Content-Management-Systemen. Am häufigsten werden verwendet: WordPress oder tumblr. Ein einfaches Design (»template« oder »theme«) könnt ihr oft kostenlos verwenden. Wenn ihr es aufwendiger wollt, gibt es kostenpflichtige »Premium-Angebote«. WANN NUTZE ICH ALS KÜNSTLER EINEN BLOG?
Die Vorteile eines eigenen Blogs liegen auf der Hand: Man kann authentisch und zu jeder Zeit über seine Arbeit schreiben und mit den Lesern darüber in Dialog treten. Die Blogbeiträge lassen sich über RSS automatisch verbreiten. Interessierte Leser können den RSSFeed abonnieren und werden über neue Nachrichten auf dem Blog informiert. Aber: Um einen missgelaunten Satz des Internetkritikers Andrew Keen aus der Einleitung seines 2007 erschienenen Buches »The Cult of the Amateur« zu zitieren: »Blogging has become such a mania that a new blog is being created every second of every minute of every hour of every day.« In dieser Massenhaftigkeit des Phänomens liegt ein ernstes Problem. Man muss schon Spannendes zu bieten haben, um sich davon abzuheben. Ein Blog, der ständig nur über euch und eure Arbeit berichtet, ist langweilig. Selbst bei Blogs von Kultureinrichtungen, die mehr Aktivitäten als ein einzelner Künstler entfalten, besteht diese Gefahr. Ein Blog muss gut geschrieben sein, einen eigenen Ton haben. Denn die Textbeiträge 58
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sind hier meist länger als zwei oder drei Sätze. Wenn ihr nur Fotos zeigen wollt, seid ihr bei flickr oder Pinterest besser aufgehoben. Blogs sind nur dann sinnvoll, wenn ihr ein Thema besetzt und somit eine Art Servicefunktion für eure Leser bietet – oder wenn ihr bereits Figuren des öffentlichen Lebens seid, an denen ein quasi naturwüchsiges, automatisches Interesse besteht. Zum Beispiel finde ich den Blog des ZeitRedakteurs Jörg Lau über das Thema »Nahost« gelungen. Darin sammelt und kommentiert er wichtige oder anregende Artikel zu dieser Region und ihren Problemen. Ein empfehlenswerter Kunstblog, fokussiert auf den Süden Deutschlands, ist www.gallerytalk.net der Münchnerin Benita Böhm. Interessant finde ich auch den Berliner Kunstblog Castor & Pollux von Matthias Planitzer, der 2012 den dritten Platz als Weblog des Jahres belegte. Ein Beispiel für einen literarischen Krimiblog bietet der Schriftsteller Jan Seghers alias Matthias Altenburg. Der Bandblog der Rock-Cowboys »The Boss Hoss« funktioniert durch den mittels Fernsehen generierten Celebrity-Aspekt, die Dichte ihrer Auftritte – und die Tatsache, dass sie ihn von Profis schreiben lassen. Anders als bei einer Website müsst ihr für einen Blog die Aufmerksamkeit eurer Leser immer wieder aufs Neue erringen. Man sollte 59
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
sich überlegen, ob man dazu die Zeitreserven hat. Blogarbeit heißt nicht nur, Beiträge auf den eigenen Seiten zu verfassen. Um Leser für den eigenen Blog zu interessieren, müsst ihr auch verwandten Blogs folgen und deren Beiträge kompetent kommentieren. Ein Blog darf nicht narzisstisch sein, er soll nicht nur der Selbstpromotion dienen, sondern muss einen lebendigen, diskussionsfreudigen Charakter haben. NICHTS FÜR NABELSCHAUER
Also: Wann nutzt ihr als Künstler einen Blog? Wenn ihr ausreichend Zeit habt, gut schreiben könnt und übergreifende Themen debattieren wollt.
TWITTER Ein bekanntes Twitter-Phänomen ist der Schauspieler Ashton Kutcher. Auch als er noch nicht durch besonders große Rollen von sich reden machte, haben er und seine damalige Frau Demi Moore das Twittern als Form der Kommunikation mit ihren Fans in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß etabliert. Inzwischen lesen mehr als 13 Millionen Leute regelmäßig seine Kurzbotschaften. Damit hat er auch Produzenten gegenüber eine echte Medienmacht aufgebaut – sie wissen, wenn sie ihn für einen Film besetzen, kommt allein diese Nachricht schon bei 13 Millionen Leuten an.
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Twitter funktioniert wie ein Miniblog. Man erstellt sich ein Profil und kann dann Kurznachrichten versenden, die auf den TwitterSeiten oder übers Handy abzurufen sind. Um eine neue Nachricht (Tweet) zu schreiben, hat man 140 Zeichen Platz. In Tweets können Links eingebettet sein, die zu Artikeln oder Bildern führen. Da 140 Zeichen sehr wenig sind, hat sich in Twitter eine eigene Kürzel-Sprache und ein Markierungssystem etabliert. Im Internet findet ihr Verzeichnisse, die euch die wichtigsten Begriffe übersetzen und deren Funktionen erklären (zum Beispiel »Kleines TwitterLexikon«). Ein Beispiel für so eine spezielle Funktion ist der Hashtag. Ein Hashtag ist ein Schlagwort, das durch das Vorschalten des Rautezeichens (#) gekennzeichnet wird. Beispiel: #wondergirls. Hashtags werden direkt in den Tweet eingefügt. Unter diesem Stichwort, das wie ein Suchbegriff genutzt werden kann, lassen sich die Tweets leichter im Informationsstrom finden. FOLGEN ODER VERFOLGT WERDEN
Ihr könnt selbst anderen »folgen«, in der Twitter-Sprache heißt das: »Follower« sein. Das geht ganz einfach durch einen Klick auf den Button »Following«. Twitter schlägt euch auch immer wieder unter »Who to follow« (»Wem folgen«) Personen oder Institutionen vor. Anders als bei Facebook müsst ihr als Follower nicht von dem, dessen Feeds ihr sehen möchtet, eigens bestätigt werden. Ebenfalls anders als bei Facebook ist die Verlinkung nicht gegenseitig: Obwohl ihr jemanden mit »Following« angeklickt habt, ist er damit nicht automatisch euer Follower. Ihr bekommt also seine Tweets, aber er nicht deswegen auch eure. Im Unterschied zu Facebook, wo ihr aktiv anfragen könnt, ob euch jemand als Freund akzeptiert und wo ihr mit dem »Akzeptieren« gegenseitig eure Nachrichten empfangt, ist es bei Twitter schwieriger, sich selbst eine Gemeinde aufzubauen. Derjenige, bei dem ihr »Following« angeklickt habt, bekommt eine E-Mail. Daraufhin kann (!) er euer Profil ansehen und sich ebenfalls entschließen, euch zu folgen. Aber zwingend ist das nicht.
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
WIE NUTZE ICH ALS KÜNSTLER TWITTER?
Twitter ist ein Nachrichtenmedium. Kurz eine Nachricht absetzen, die informiert oder appelliert, das ist das Hauptgeschäft dieses Mediums. Es geht hier weniger um das Atmosphärische als bei anderen Sozialen Netzwerken. Die Nachrichten haben eine geschätzte Überlebensdauer von drei Stunden, dann sind sie zu weit nach unten gerutscht. Ihr könnt Twitter einsetzen, wenn ihr zum Beispiel auf eine Veranstaltung hinweisen wollt oder einen Preis gewonnen habt, wenn ihr für Restkarten an Kurzentschlossene appellieren oder gegen irgendwelche kulturpolitischen Kürzungen protestieren wollt. Die Nachricht erreicht eure Followers und kann von ihnen einfach durch die Funktion »Retweet« ihrerseits an ihre Followers weitergegeben werden. So könnt ihr schnell viele Empfänger erreichen, wenn ihr einen hinreichend großen Followerkreis habt, der euch bei der Verbreitung hilft. NACH DREI STUNDEN STIRBT DIE NACHRICHT
Wenn ihr aus Zeitgründen jedoch nur ein Soziales Netzwerk »füttern« könnt, nehmt eher Facebook.
FACEBOOK Facebook ist mit Abstand das größte Soziale Netzwerk. Vor einigen Jahren habe ich auf einer Tagung eine Landkarte gesehen, in denen die verschiedenen Netzwerke, MySpace, StayFriends, LinkedIn, Wer-kennt-wen.de, Facebook usw. wie Staaten eingezeichnet waren. Staaten auf Expansionskurs. (Landkarte)Die Prognose des Referenten damals war: Facebook wird sie alle fressen. Heute hat Facebook ca. 850 Millionen, Twitter ca. 200 Millionen Nutzer. (Auch wenn die Zahlenangaben manchmal schwanken, sind die Größenverhältnisse klar.) »Community 2011« heißt eine vom ZDF in Auftrag gegebene Studie, die u.a. Folgendes zum Verhältnis Facebook und Twitter herausfand: Für mehr als drei Viertel der deutschen Nutzer ist Facebook die wichtigste privat genutzte Community. Twitter dagegen nur für zwei Prozent. Aber viele sehen Twitter als »Lückenfüller« für unterwegs, man liest die kurzen Nachrichten schnell zwischendurch. 62
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LinkedIn dagegen ist eine nüchtern gehaltene Plattform, auf die ihr eure berufliche Vita stellen könnt. Sie eignet sich zur Pflege bestehender oder zum Knüpfen neuer Geschäftskontakte. Sie ist im Vergleich zu Facebook, StayFriends oder Twitter der Bruder im Nadelstreifenanzug. FREUND ODER FAN?
Facebook ist nicht mehr bloß ein Medium für junge Leute; immer mehr etablierte Kulturbetriebe, aber auch ältere private Nutzer sind darin aktiv. Damit findet ihr hier ein breitgestreutes potentielles Publikum. Die Einträge werden chronologisch in eurer Timeline gelistet. Ein hübscher Nebeneffekt davon ist, dass ihr über die TimelineEinstellung eine Chronik für euer Projekt schaffen könnt. Ich werde in einem späteren Kapitel einen Film über die älteste Jazzband der Welt als Beispiel für innovative Projektfinanzierung vorstellen. Die Facebook-Seite zu diesem Film (https://www.facebook.com/AsTimeGoesByInShanghai) beginnt 1922 mit der Gründung der Band und zeigt alle Meilensteine ihrer Entwicklung – und dazu die wichtigsten Etappen der chinesischen Kulturgeschichte bis heute. 63
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Beachtet den Unterschied zwischen eurer persönlichen FacebookSeite, über die ihr Freunde sammelt, und einer Fanseite, die eine »Gefällt mir«-Funktion hat. Die persönliche Seite ist auf 5.000 Freunde beschränkt und nimmt danach keine weiteren Freunde mehr auf. Das gilt für die Fanseite nicht. Durch die Teilung lassen sich eure persönlichen Angelegenheiten klar von eurer professionellen Seite trennen. Eine Fanseite ist immer öffentlich (sie wird also auch bei der Google-Suche gefunden) und darüber, wer eure Seite mit »Gefällt mir« anklickt, habt ihr keine Kontrolle. Die Verwaltung einer Fanseite funktioniert einfach. Sie braucht einen oder mehrere Administratoren (es können beliebig viele benannt werden); die Profile der Administratoren sind für die Nutzer nicht erkennbar. Der Administrator bekommt mehr Informationen als die Besucher. Wenn zum Beispiel mehr als 30 Personen eure Seite gefällt, wird ihm eine Statistik angezeigt, die u.a. Auskunft über die Reichweite gibt. WIE NUTZE ICH ALS KÜNSTLER FACEBOOK?
Bei Facebook habt ihr mehr Platz als bei Twitter. Ihr müsst euch das Schreiben vorstellen, als wäret ihr Gastgeber einer immerwährenden Party. Der Grundsound bei Facebook ist positiv. Es gibt nur »Like« und kein »Dislike«. Das ist symptomatisch für dieses Medium. Manchmal hat das auch absurde Folgen: Als ich auf meiner persönlichen Facebook-Seite zum Beispiel die Nachricht postete, dass der berühmte Architekt Oscar Niemeyer gestorben war, haben meine Freunde das geliked, also »ich mag das« angeklickt – um ihre Trauer zu signalisieren.
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Auch wenn die Fanseite euer professionelles Dasein präsentiert, müsst ihr sie dennoch persönlich und unterhaltend gestalten. Die Facebook-Sprache lehnt sich ans Mündliche an und ihr könnt eure Nutzer direkt anreden, Fragen stellen und um ihre Meinung bitten. Facebook hat (im Gegensatz zur Website, die eure Arbeit und eure Projekte darstellt) immer einen Spaß- und Unterhaltungsfaktor. Selbst Pannen werden unter diesen positiven Vorzeichen erzählt. Man will dabei nicht nur von euren Projekten lesen, sondern wie in einem »Starzoom« am Persönlichen teilhaben. Neben dieser Funktion des Geschichtenerzählens könnt ihr Facebook zum Beispiel auch zum Aufbau eures E-Mail-Verteilers (mit dem Button »Join Mailinglist«) oder sogar für kleinere Verkäufe (mit dem Button »Shop«) nutzen.
UND EURE VIDEOS? Wenn ihr nicht nur Texte und Informationen, sondern auch Mitschnitte von Auftritten oder eigene Filme verbreiten wollt, dann müsst ihr den Weg über die Media-Sharing-Plattformen nehmen. Es gibt unendlich viele, die wichtigsten sind: www.vimeo.com; www. youtube.com; www.myvideo.de; www.sevenload.com oder www. dailymotion.com; www.clipfish.de. Ich möchte euch zwei näher vorstellen: YouTube, der schlichten Größe wegen, und Vimeo, wegen der Nähe zur Kunst. YOUTUBE
YouTube verzeichnet 800 Millionen einzelne EINE GLOBALE Nutzer pro Monat (laut Spiegel ONLINE vom LAGERHALLE 21.05.2012) und ist damit die erfolgreichste Videoplattform weltweit. Dadurch sind Vorteil und Nachteil gleichermaßen schon benannt: Es gibt sehr viele Nutzer, aber sie sind unspezifisch. Auf YouTube tummeln sich Schüler, Musik- und Filmfans, Hausfrauen – aber auch Tierfreunde, die niedliche Kätzchenvideos suchen. Es gilt das gleiche Prinzip wie bei den anderen vorgestellten Social Media: Die Nutzer können die Videos bei Gefallen weiterleiten und damit zur Verbreitung beitragen. 65
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Um eure Videos bekannt zu machen, solltet ihr euch aber nicht nur auf die Besucher von YouTube verlassen. Dazu findet man die Filme unbekannter Leute in dem ganzen Gewusel zu schlecht. Das »Rauschen« auf YouTube ist gewissermaßen zu laut, als dass man einzelne Stimmen heraushören könnte. Auch die Vorschlagslisten, die YouTube am Rande des Bildschirms zusammenstellt (wie zum Beispiel »meistgesehene Videos«), sind nicht besonders hilfreich. Deshalb benutzt ihr YouTube besser wie eine Lagerplattform, auf der ihr eure Videos ablegt, während ihr sie über eure Website oder über eure Facebook-Seite bekannt macht. Bei der Anbindung an eure sozialen Netze unterstützt euch YouTube: Mit einem Klick lässt sich euer Konto zu Facebook und Twitter verdrahten. Zur Eröffnung eines YouTube-Kanals geht ihr auf die Startseite von YouTube, klickt »Konto erstellen« an und füllt das Formular aus. Im Internet erhält man bei Google auf die Frage: »Wie eröffne ich einen YouTube-Kanal« entsprechende Videos, die euch Schritt für Schritt am Bildschirm begleiten. VIMEO
Vimeo ist das Arte unter den Plattformen. Keine aufdringliche Werbung, wenig Trash, KÄTZCHEN keine spontanen Handy-Homevideos, keine VERBOTEN! verwackelten ersten Gehversuche des Nachwuchses, keine Skateboarder, die gegen Mülltonnen knallen – und keine Katzen. Vimeo könnt ihr euch wie einen Gegenentwurf zu YouTube vorstellen. Das New Yorker Unternehmen – selbst von einer Gruppe Filmemacher gegründet – setzt auf Filmleute, Kreative und Künstler, die ihre eigenen Clips im Netz präsentieren wollen. Daher die hohe Qualität der Videos und die qualifizierten Kommentare der Besucher. Vimeo ist durch seinen schlichten Auftritt – schöne Typografie, große Schriften, elegante Buttons und dezente Farben – schnell zum Liebling von Designern und Künstlern geworden. ZUTRITT FÜR
Vimeo bietet euch eine kostenlose Basisversion. Wenn ihr mehr Speicherplatz und ausführliche Statistiken möchtet, zahlt ihr in der »Vimeo Plus«-Version einen (allerdings geringen) Monatsbeitrag. Für Firmen und ihre kommerziellen Inhalte wird es bei 66
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»Vimeo PRO« schon teurer. Ein großer Vorteil von Vimeo ist, dass es die Videos seiner »WENIGER Nutzer frei von Bannern, Buttons und WerIST MEHR – DAS BAUHAUS bung hält. Andere Plattformen schalten zur UNTER DEN Finanzierung ihrer kostenlosen Dienste vor PLATTFORMEN« dem eigentlichen Video bis zu 30 Sekunden lang Werbung. YouTube blendet darüber hinaus Werbebanner in die Clips ein. Bei dem bewusst elitären Konzept ist es klar, dass die Besucherzahlen weit hinter YouTube zurückbleiben. Elf Millionen registrierte Nutzer zählt Vimeo, rund 70 Millionen Besucher kommen im Monat auf die Site. Vimeo ist eine Plattform für Mitglieder. Hier folgt man der Arbeit der anderen (wird ihr »Follower«) und kommentiert sie. Aber immer mit der Aufforderung von Vimeo: »Be cool and play nice«. Darüber hinaus gibt es Community-Foren, in denen zu bestimmten Inhalten diskutiert wird, etwa das »Screening Room Forum«, in dem Projekte vorgestellt werden, an denen ihr selbst teilnehmen könnt. Vimeo hilft Anfängern bei ihren ersten Schritten zum Videodrehen mit der »Vimeo Video School«. Eine Idee auf Vimeo finde ich ganz besonders charmant: das »Tip Jar«, die Trinkgelddose. Dieses Tool (nur für »Vimeo Plus«-Mitglieder) erlaubt euren Fans, ihre Wertschätzung für das gesehene Video mit kleinen Beträgen auszudrücken. Mit dem »Tip this video«-Button unter dem Video. Es geht da nicht um Förderung, sondern eher um Anerkennung. Im Gegensatz zu YouTube bietet Vimeo kaum Tools auf dem Portal, um hochgeladene Filme zu schneiden oder weiter zu bearbeiten. Vimeo ist allerdings auch insofern das Arte unter den Plattformen, als es leider zu wenig gesehen wird. Wenn ihr nicht ausgerechnet Videokünstler seid, denen es vor allem auf ein Publikum von Kennern ankommt, stellt ihr eure Filme deshalb auf Plattformen, damit sie von möglichst vielen Leuten gesehen werden. Und da ist der Radius bei YouTube durch die schiere Masse oft zehnmal größer. 67
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
WIE ES WIRKLICH IST, NUR EIN BISSCHEN SCHÖNER
Viele von euch sind sowieso bei Facebook. Ihr nutzt das Medium, um Freunden etwas über den letzten Urlaub mitzuteilen, oder darüber, was sich in der Familie tut. Was verändert sich, wenn ihr Social Media plötzlich auch beruflich, zur Vermarktung eurer Arbeit (und euer selbst) nutzt? Müsst ihr euch einer größeren Disziplin unterwerfen? In der Tat: Jetzt geht es mehr um Wirkung, nicht in erster Linie um Selbstausdruck. Ihr könnt nicht einfach alles, was euch auf der Seele liegt, hinauskrähen. Insofern braucht ihr stärkere Selbstkontrolle. Was ihr im Internet anlegt und unter die Leute bringt, ist kein Tagebuch eurer künstlerischen Erfahrungen, es ist eine durchaus inszenierte Scheinexistenz. Um auf das Beispiel der Pannen zurückzukommen, die in der Facebookwelt immer in ein versöhnliches, amüsantes Licht getaucht werden: Wenn sich der Panne kein positiver Spin mehr geben lässt, wenn sie ein echtes Scheitern darstellt, ein wirkliches Desaster: dann hat sie in eurer Selbstdarstellung im Netz nichts mehr zu suchen. Die Postings müssen authentisch wirken, dürfen aber nicht unkontrolliert sein.
Immer entscheidender für eine Künstlerkarriere wird die Fähigkeit, über sich und die eigene Arbeit Geschichten zu erzählen. Eine große Geschichte, die Leben und Werk in einem weiten Bogen zusammenspannt – aber auch viele kleine Geschichten, die ein Publikum unterhalten, ansprechen oder Vertrautheit schaffen. Dafür müsst ihr eure Erlebnisse nicht fälschen, aber ein bisschen bearbeiten, sie gewissermaßen anekdotenfähig machen.
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II.4 Guerilla-Marketing: Straßenkampf um Aufmerksamkeit Guerilla kennen wir aus den Nachrichten. Das sind die aus dem Nichts auftauchenden und spurlos wieder verschwindenden Kämpfer, die mit gezielten Nadelstichen einem übermächtigen Feind zusetzen. Keine uniformierten Profis des Krieges, sondern hochmotivierte Amateure – und gerade deshalb umso gefährlicher. Die Werbeindustrie führt jeden Tag mit viel Geld einen Kampf um unsere Aufmerksamkeit. Und solltet ihr nicht zu den ganz wenigen supererfolgreichen Großkünstlern gehören, werdet ihr niemals über ein Werbebudget verfügen wie Nike oder Mercedes Benz. Gleichzeitig haben wir alle längst gelernt, wie wir uns im Stadtraum gegenüber den übergroßen Plakaten, den Hochglanzästhetiken, dem perfekten Strahlen, den einzigartigen Angeboten und sensationellen Versprechen abschotten können. Gerade deswegen fällt in diesem Meer des Perfekten und Künstlichen nichts so sehr auf wie das Selbstgemachte, Unperfekte, Liebevolle. Ihr müsst nicht besser (lauter, teurer, größer), sondern anders sein. Gesucht wird die kleine authentische Geste, die anders daherkommt und damit den mit allen WerbeabwehrWassern gewaschenen modernen Menschen aufmerken lässt. Das nennt man Guerilla-Marketing. 70
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Guerilla-Marketing kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Bevor wir uns Werkzeuge zur Umsetzung von Guerilla-Marketing-Aktionen näher ansehen und lernen, wie man sie herstellt, will ich an vier Beispielen zeigen, was hier überhaupt möglich ist. Ihr werdet sehen: Das bringt euch auf eigene Ideen. Beginnen möchte ich mit einer Aktion der Stiftung Museum Kunstpalast (SMKP) in Düsseldorf. Anlässlich von Ausstellungen zu den Künstlern Per Kirkeby und Caspar Wolf wurden nach dem Wahlsonntag der Bundestagswahl rund 1.000 Wahlplakate aller Parteien mit neuen Plakaten überklebt. Statt: »Wir haben die Kraft. Angela Merkel CDU« war nun darauf zu lesen: »Für mehr Landschaften. Caspar Wolf. Jetzt MKP wählen!« Oder: »Für mehr Farbschichten. Per Kirkeby. Jetzt MKP wählen!« Die Aktion nutzte die von den Parteien bezahlten Werbeflächen und die für die Wahl zusätzlich aufgestellten Werbeträger. Sie spielte bewusst mit den Methoden und der Ästhetik des Parteienwahlkampfs. Barbara Wiench, die Marketingleiterin des SMKP und Mitinitiatorin dieser Aktion, erzählt, wie diese Idee überhaupt zustande kam: Barbara Wiench, STIFTUNG MUSEUM KUNSTPALAST
B.W. Wir hatten nur ein geringes Budget für die Caspar-Wolf-Ausstellung und noch dazu die Schwierigkeit, dass der Maler Casper Wolf weitgehend unbekannt war und daher verstärkte Werbung brauchte. Da kam unsere Agentur auf die Idee, dass die Stadt anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl voll von zusätzlichen Werbeträgern ist und dass wir sie guerillaartig nutzen könnten. Diese Idee passte auch inhaltlich sehr gut, denn wir hatten mit Per Kirkeby und Casper Wolf zwei monografische, das heißt Einzelkünstler-Ausstellungen, die beide mit dem Sujet Landschaft arbeiteten, aber aus unterschiedlichen Perspektiven. Also zwei künstlerische Positionen für dasselbe Feld – vergleichbar mit den unterschiedlichen Visionen der politischen Kandidaten fürs Land.
Und dann sagt sie schon gleich am Anfang unseres Gespräches etwas für Guerilla-Marketing sehr Wichtiges: B.W. Dieser inhaltliche Bezug, neben der kreativen Frechheit, hat 71
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letztlich den Erfolg der Aktion ausgemacht. Denn erst die inhaltliche Verbindung schafft die Verankerung des zu bewerbenden Gegenstands im Gedächtnis der Leute. Es ist die Kreativität und auch die Chuzpe, die bei Guerilla-Marketing einen Vorteil im Kampf um das rare Gut Aufmerksamkeit schafft – doch es ist vor allem die Verbindung zum Inhalt, die den nächsten gedanklichen Schritt vorbereitet, von der witzigen Aktion hin zu der Überzeugung: »Das muss eine interessante Ausstellung sein.« Aber weiter in unserem Gespräch: I.R. War es das erste Mal, dass Sie mit Guerilla-Marketing gearbeitet haben? B.W. In dieser Größenordnung schon. 2008 hatten wir anlässlich der Ausstellung »Diana und Actaeon. Der verbotene Blick auf die Nacktheit« kleinere Guerilla-Aktionen realisiert: zum Beispiel Spionaufkleber auf WC-Türen der Düsseldorfer Cafés. Im Grunde war das aber unsere erste größere Aktion.
Meine nächste Frage bezieht sich auf das Verhältnis von GuerillaMarketing und klassischer Werbung. Vielleicht fragen sich einige von euch: Warum soll ich mich jetzt auch noch mit einer neuen Werbeform beschäftigen, wenn ich es doch kaum schaffe, »normale« Werbung zu machen. Sollte ich mir nicht lieber mehr Mühe mit dem Traditionellen geben? I.R. Also, Frau Wiench, warum sind Sie nicht bei der herkömmlichen Werbung geblieben und haben einfach noch schönere oder größere Plakate für Caspar Wolf und Per Kirkeby drucken lassen oder Anzeigen geschaltet? B.W. Zum einen sind klassische Marketingmaßnahmen, wie zum Beispiel Plakatierung, sehr teuer und für eine Kultureinrichtung oft nicht realisierbar. Und zum anderen muss man auch sagen, dass das Publikum von uns kreativere Werbung erwartet als von einem klassischen Unternehmen. Das ist in der Natur der Sache begründet: Kunst 72
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an sich ist kreativ, grenzenlos und unberechenbar. Um dem gerecht zu werden, muss die Werbung für Kunst und Kultur über klassische Maßnahmen hinausgehen und kreativere Ansätze verfolgen. Die folgende Einschätzung von Frau Wiench zur Rechtslage deckt sich mit meinen Erfahrungen und auch mit den Erfahrungen eines Guerilla-Marketing-Profis, den wir im Laufe des Kapitels noch hören werden. B.W. Wir haben als Kulturschaffende viel mehr Freiheiten als ein Unternehmen. Die Behörden sind häufiger bereit, für uns ein Auge zuzudrücken. Einfach weil uns grundsätzlich Sympathie entgegengebracht wird und weil wir nicht kommerziell agieren.
Meine nächste Frage bezieht sich darauf, ob mit dieser Aktion ein anderes Publikum erreicht werden sollte, und ob das gelungen ist. B.W. Vorgestellt haben wir uns das auf jeden Fall. Wie alle Kulturinstitutionen sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass unsere Besucher alt sind – mehr als die Hälfte sind über 60 Jahre alt. Wir sind uns also dessen bewusst, dass wir ein jüngeres Publikum gewinnen müssen. Für die Plakataktion damals hatten wir noch keine Erhebung gemacht, aber bei einer späteren Guerilla-Marketing-Aktion schon. Und da war es tatsächlich der Fall, dass wir den Anteil 73
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der unter 30-Jährigen für die Ausstellung um 60 Prozent steigern konnten. Diese Gruppe erreicht man besser mit gezielten GuerillaMaßnahmen und durch Social Media als zum Beispiel mit klassischer Anzeigenschaltung. I.R. Welches Echo bekamen Sie von Parteien, Medien, Stadtöffentlichkeit, Kunstszene? B.W. Um acht Uhr am Montagmorgen hatte ich schon die ersten Anrufe auf meinem Anrufbeantworter. Jede Partei hat sich gemeldet und alle – bis auf eine einzige – waren zwar verdattert, fanden es aber am Ende witzig und reagierten positiv. Die Medien berichteten ebenfalls anerkennend. Auch viele Museumskollegen meldeten sich und fragten nach.
Nach dem Erfolg dieser Aktion ist die SMKP auf den Geschmack gekommen. Noch einmal Barbara Wiench: B.W. Wir haben gemerkt, dass es ein guter Kanal für uns ist, um mit geringem finanziellen Aufwand große Aufmerksamkeit zu erzielen. Deshalb haben wir unsere erste Bestände-Ausstellung nach einer Phase von Baumaßnahmen wieder mit Guerilla beworben. Wir lösten (»befreiten«) Figuren aus den Bildern und platzierten sie als lebensgroße Aufsteller unter dem Motto »Kunst befreit!« in der Stadt. »Kunst befreit!« war hier im doppelten Sinne gemeint: Unsere Bilder waren endlich wieder frei zugänglich für unsere Besucher, aber eben auch: Kunst befreit Sinne und Gedanken. Da es eine echte Guerilla-Kampagne war, mussten wir die Aufsteller jeden Tag an anderen Stellen in der Stadt platzieren. Unsere Ausstellung »Le Grand Geste« haben wir mit Graffiti im Stadtraum beworben.
Die »Revolutionäre Aktion« des Museums Kunstpalast, wie auf YouTube der Film über die fiktiven Wahlplakate unterschrieben ist, war ein Erfolg für die Initiatoren. Das Timing war perfekt: Die Bundestagswahl war gerade vorbei, aber die Werbeinfrastruktur, auf die man sich »draufsetzen« konnte, immer noch vorhanden. Darüber hinaus waren die Passanten über Wochen hinweg an Form und Art der Wahlbotschaften gewöhnt, so dass die Irritation wie gewünscht funktionierte. Die Aktion war sofort Stadtgespräch, in 74
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den Lokalzeitungen wurde berichtet, und wenn Kritik kam, dann nur mit Augenzwinkern. Ich selbst bin auf das Guerilla-Marketing zuerst 1999 durch eine Aktion der damals ganz neuen Agentur Töchter + Söhne aufmerksam geworden. Anlässlich eines Kongresses der Werbeindustrie am Zoologischen Garten in Berlin wollte sich die Agentur (damals alles noch Studenten) das erste Mal ihrer Branche präsentieren. Da sie keinen Werbeetat hatten, behalfen sie sich mit Guerilla-Marketing. Sie klebten auf die Zoo-Hinweisschilder im Straßen- und Bahnverkehr jeweils Punkte über und unter die zwei O’s von »Zoo« und machten sie damit zu Ö’s wie bei »Töchter und Söhne«. Die Leute, deren Aufmerksamkeit gewonnen werden sollte – also die Teilnehmer des Kongresses – wurden neugierig. Doch auch die Presse berichtete über die geheimnisvollen Buchstaben, die plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht waren. Aber Vorsicht, auch das Ordnungsamt wurde aufmerksam! Denn es war eine illegale Aktion. Ich arbeitete damals für einen Rundfunksender und kam durch diese Sache auf die Idee, die Agentur für eine Werbeaktion, die sich vor allem an junge Hörer richten sollte, zu engagieren. Die nächste Idee, die ich gelungen finde, ist in New York ausprobiert worden. Eine neue Staffel der Fernsehserie »The Sopranos«, eine Mafia-Geschichte mit naturgemäß vielen Leichen, wurde so beworben: Aus den Kofferräumen einiger New Yorker Taxis hingen menschengroße Stoffbeine und -arme heraus, als hätte der Fahrer vor seinem Dienstantritt noch schnell eine Leiche zur späteren Entsorgung ins Heck gestopft. Daneben der Aufkleber: »Wenn Sie mehr sehen wollen: Sopranos – die neue Staffel auf…« Fahrgäste, Passanten, Autofahrer amüsierten sich. Nach so vielen Leichen, die wir in unserem Zuschauerleben schon in Kofferräumen haben verschwinden sehen, sind wir sofort orientiert und wissen, worum es geht. Die Aktion kostete die Produktionsfirma einen Bruchteil des Geldes, das sie für Fernsehspots, Plakate, Radiotrailer usw. ausgab. Der Effekt konnte sich multipliziert (mithilfe der Medien, auch von Social Media) jedoch sehen lassen. 75
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Ein interessantes Beispiel für GuerillaMarketing in Social Media entwickelte im FONTANE Januar 2012 die Werbeagentur Jung von AUF Matt, anlässlich der bevorstehenden Premiere von »Effi Briest« im Maxim Gorki FACEBOOK Theater Berlin. Unter dem Titel »Effi 2.0« wurde eine Woche vor der Premiere im Theater das Stück in Facebook gespielt. Fontanes Charaktere agieren als Facebook-Personen, Stimmungen werden durch »Like« ausgedrückt und Handlungen werden grafisch oder durch Einspielen von YouTube-Videos (zum Beispiel keimendes Gras in Kantor Jahnkes Vorgarten) visualisiert. Die Facebook-Person Theo von Tain (Theodor Fontane) fungiert als Erzähler. Der Heiratsantrag des Barons von Innstetten ist ein Multiple-Choice-Angebot von »Ja« und »Ö…. hm ja«. Über das Hochzeitskleid von Effi wird abgestimmt, und Mutter Briest beendet den Auswahlprozess mit dem Kommentar »Es ist entschieden«. Mein Lieblingsmoment ist das Pistolenduell von Crampas und Innstetten. Auf Facebook wird daraus: ws
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si »Unsere Idee war es«, so Mathias Stiller, Geschäftsführer Jung von Matt/Spree, »mit einer ungewöhnlichen Promotion für die EffiBriest-Premiere am Gorki Theater eine neue, junge Zielgruppe zu erreichen und ins Theater zu bringen. Wir wollten mit einer vollkommen innovativen Nutzung von Facebook überraschen, gut unterhalten und die Onlinezuschauer neugierig auf die Bühnenpremiere am Gorki Theater selbst machen.« (Interview auf der Website des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen vom 9.01.2012) Zur Premiere im Gorki Theater kamen 430 Zuschauer, bei Facebook (www.facebook.com/groups/MGTOB) waren 1.280 User dabei. Gleich danach begann die Diskussion, ob das wirklich Marketing gewesen sei oder eine neue Form von Theater. Auf jeden Fall hat diese Aktion eine große Aufmerksamkeit in der Presse, aber auch in den verschiedenen Internetforen für diesen scheinbar schon übernutzten Literaturklassiker hervorgebracht. Mein letztes Beispiel kommt noch einmal aus Berlin. Das Stadtmagazin Zitty hat seine Titelstory »Berlin, deine Feindbilder« mit einer Sprühkampagne begleitet. Die einzelnen typischen Feindbil76
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der des Stadtbewohners, zum Beispiel die »Übermutti?« (im Bezirk Prenzlauer Berg auf jedem Spielplatz zu finden), der »Aggro-Biker?« (aggressiver Radfahrer), die »Kiez-Taliban?« (aus dem Südwesten Deutschlands kommender Spießer) wurden überall in der Stadt auf Bürgersteige und Radwege gesprüht. Die Leute sollten darüber abstimmen, welcher »Feind« ihnen am meisten auf die Nerven geht. Auf dem Sprühbild war »Zitty« und eine Webadresse zur Abstimmung angegeben. Ich bin auf das Motiv des »Aggro-Bikers« auf meinem Radweg zur Arbeit aufmerksam geworden. Da ich den Begriff noch nie gehört hatte, folgte ich dem Link im Netz und stieß auf den witzigen Aufmacher des Stadtmagazins. Was könnt ihr nun als Künstler aus diesen professionellen Aktionen, die oft mit großem Aufwand betrieben wurden, lernen? Zum einen: Die hier vorgestellten erfolgreichen Aktionen arbeiteten mit Witz, Provokation und Spielfreude oder spielten mit bestimmten Klischees (Beispiel Sopranos) ihres Sujets. Oder: Sie forderten die Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen der Leute heraus. Ein Theaterstück, denkt man, findet nur im Theater statt (Effi 2.0.) oder ein Wahlplakat wirbt für eine Partei (MKP). Aber alle leiteten die Idee zu ihrer Werbung vom Inhalt ihres Kunst- oder Journalismusprojektes ab und schufen so einen engen inhaltlichen Bezug, der sich dem Publikum mitteilte. Schließlich haben sich die Aktionen ihre Umgebung gut zu nutze gemacht: die Wahlkampfsituation im Stadtraum (MKP), Radwege (Aggro-Biker?), Spielplätze (Übermutti?) usw. Das alles sind Muster, die sich auch in einen STRICK DIR DEINE kleineren Maßstab und in einfache Mittel WERBUNG übersetzen lassen. Also, wenn ihr zum Beispiel den »Besuch der alten Dame« (Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt) bewerben wollt und gut in Handarbeiten seid, könnt ihr mit »Guerilla Knitting« (Guerilla-Stricken) arbeiten – eine gerade sehr populäre Guerilla-Form, bei der Gegenstände (Pfähle, Baumteile) des öffentlichen Raums entweder umstrickt und umhäkelt oder mit Mützen und Hauben verziert werden. Das lebt vom 77
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Überraschungseffekt: Stricken ist etwas, das in den privaten Raum gehört, zu Ohrensessel und Behaglichkeit, ins heimische Wohnzimmer. Wenn diese Technik plötzlich im öffentlichen Raum auftaucht, ist man verblüfft. Aber vergesst nicht, einen Verweis auf eine Website oder direkt zum Aufführungsort des Stückes zu hinterlassen. Oder, wenn ihr zum Beispiel »Das kalte Händchen« inszeniert: Warum nicht mit Kunstschnee arbeiten? Sogenannte »Cut-outs« (auf Papier oder Holz gezeichnete Figuren und Formen, die ausgeschnitten und aufgeklebt werden, zum Beispiel Sprechblasen oder Pfeile) arbeiten wie das »Guerilla Knitting« ebenfalls mit einer visuellen Provokation. Denn eigentlich sind sie im Comic, in Graphic Novels oder in der Pop Art zu Hause; wenn man sie plötzlich losgelöst von ihren Bildern – jenseits ihres eigentlichen Mediums – im öffentlichen Raum antrifft, ist man irritiert. Sie sind ein gutes Mittel, ironischen und humorvollen Botschaften einen auffälligen Rahmen zu geben. Besonders bekannt durch seine Cut-outs – in Form eines nach oben zeigenden Holzpfeiles – ist ein Amerikaner mit dem Künstlernamen »Above« geworden. In mehr als 90 Städten in 50 Ländern hat er seine Pfeile hinterlassen. Beobachtet aufmerksam eure Umgebung, überlegt euch, welche Gegenstände des öffentlichen Raums (welche Stadtmöbel gewissermaßen) sich für eure Ideen und Inhalte eignen. Zum Beispiel hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Gullygitter mit Papierhänden beklebt, so dass es aussieht, als sei ein Gefangener darunter. Und dann daneben ihren Schriftzug gesprüht. Einfach und einprägsam. Dies ist ein Do-it-yourself-Buch. Ich versuche also immer, die Techniken künstlerischer Selbstvermarktung nicht bloß darzustellen, sondern sie euch in den Grundzügen wirklich beizubringen. Bei einem Standardthema wie der Pressearbeit ist das nicht so schwer: Eine Pressemitteilung für eine Ausstellung, ein Theaterstück, eine Rockband oder einen neuen Geschirrspüler funktioniert im Grunde immer gleich; es gibt ein festes Muster, das in allen Fällen passt. Das sind Dinge, die ihr einfach lernen und dann anwenden könnt. 79
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Beim Guerilla-Marketing ist es etwas komplizierter. Da die Aktionen hier stark von den Inhalten der Projekte selbst abhängen, gibt es keine allgemeingültige Technik oder Herangehensweise. Ihr dürft, könnt und müsst euch etwas einfallen lassen – nachdem ihr euch überlegt habt, welches Publikum ihr erreichen wollt, wo ihr es findet und welcher Aspekt des Projektes sich dazu eignet, es anzusprechen. Und nachdem ihr euch den öffentlichen Raum, seine Gegebenheiten und seine »Möblierung« angeschaut habt. Immer mit der Frage: Wo kann ich mit meiner Guerilla-Attacke die Aufmerksamkeit der Leute packen? Trotzdem existiert auch hier so etwas wie Handwerkszeug. Nur muss man es ein bisschen wörtlicher nehmen: Guerilla-Marketing ist nämlich keine Schreibtischdisziplin, es findet nicht am Laptop statt, sondern hat wirklich mit Handarbeit zu tun, mit Basteln, Ausprobieren und Freiluftaktionen. Ihr braucht nicht bloß Ideen, ihr müsst raus auf die Straße, um sie sichtbar und greifbar werden zu lassen. Daher geht es im Do-it-yourself-Teil dieses Kapitels exemplarisch um etwas extrem Schlichtes und Konkretes: das Schablonesprühen. An der Hochschule beginne ich den praktischen Teil meines Seminars zum GuerillaMarketing immer mit dieser Technik. Meine Studenten, die – wahrscheinlich genau wie ihr – noch nie vorher gesprüht haben, entwickeln nach kurzer Zeit eigene Motive und einen eigenen Stil. Denn das Gute an dieser Technik ist: Sie lässt sich einfach umsetzen und sie ist – je nach Talent und Zeit – ausbaufähig und variierbar. Genauso wichtig: Sie macht in der Umsetzung Spaß, ein wenig Nervenkitzel ist auch dabei. Ich persönlich finde es gut, dass man sofort das Resultat sieht und – wenn ihr nicht nachts arbeitet – sogar manchmal schon die Reaktion der Leute darauf. ERFOLG AUS DER SPRÜHDOSE
STENCIL(SCHABLONEN)-ART: DIE KUNST DES WERBESPRÜHENS Das Sprühen ist ein weltweites Phänomen, in vielen Kulturen verbreitet, unterschiedlich motiviert. In der Westbank in den palästinensischen Gebieten habe ich Häuser von zurückgekehrten Pilgern 80
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gesehen, die über und über mit Schablonenbildern der Kaaba, des schwarzen heiligen Steins der Muslime in Mekka, besprüht waren. (Bilder aus Jerusalem) Die Bilder sind Schmuck, religiöses und politisches Statement zugleich. Im Guerilla-Marketing hat sich das Schablonesprühen aus der Guerilla-Art und Streetart (zum Beispiel Blek le Rat, Frank Shepard Fairey oder Keith Haring), dem Seriellen (zum Beispiel Andy Warhol) und der politischen Propaganda entwickelt. Da sind die Elemente schon anzutreffen, die auch fürs Werbesprühen typisch sind: Bild, Text und die einfache Reproduzierbarkeit. WAS KÖNNT IHR MIT DER SCHABLONE ANFANGEN?
Diese Frage beantwortet ein hauptberuflicher Sprayer: der Geschäftsführer Steffen Ahlers von den berlinguerillas. Bei unserer ersten Begegnung – auch wenn es ein totales Klischee ist – hatte ich mir Steffen Ahlers als Sprayer mit Großraum-Jeans und schiefer Basecap vorgestellt. Stattdessen treffe ich einen agilen Geschäftsmann mit Jackett, der sich seiner Geschäftsidee und ihres Potentials fürs Marketing klar bewusst ist. Im Gespräch mit ihm geht es dann auch um Zielgruppe und Strategie, Sichtbarkeit und Kampagnen. Immer wieder bin ich erstaunt, wie gewitzt er ist und wie er sich darauf spezialisiert zu haben scheint, die geltenden Gesetze bis in ihre Grenzbereiche auszunutzen. Im Englischen gibt es den Begriff »streetwise« und der trifft für Steffen recht genau zu. Einige Zeit später – bei unserer gemeinsamen Sprühaktion – treffe ich ihn dann wieder, diesmal mit Gummilatzhose und Bauarbeiter-Neonjacke, seiner eigentlichen Arbeitskleidung. Und auch da ist er ein wirklicher Profi, der routiniert in kürzester Zeit einen Bürgersteig umgestaltet. Steffen Ahlers, BERLINGUERILLAS
I.R. Wie bist du überhaupt darauf gekommen, mit dem Sprühen zu werben? S.A. In Deutschland sind einfach die Werbeflächen sehr begrenzt und die wenigen, die es gibt, sind an Großkonzerne vermietet. So hat die Firma Ströer in allen westdeutschen Städten das Monopol 81
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und die Rechte für die Außenwerbung. In Berlin besitzt die Wall AG die meisten Flächen. Der Markt ist also aufgeteilt und damit sind auch die Preise festgelegt. Und die sind bereits für mittelständische Unternehmen unerschwinglich. Da brauchst du als Künstler gar nicht anzutreten. Dagegen hast du durch das Sprühen auf einmal viele neue Flächen, die praktisch überall vorhanden sind. I.R. Was sind aus deiner Sicht die Vorteile des Schablonesprühens gegenüber anderen Werbeformen? S.A. Beim Sprühen stimmt einfach das Preis-Leistungs-Verhältnis, weil du kaum Materialkosten hast. Denn entgegen den verbreiteten Klischees kann Guerilla-Marketing auch teuer sein. Das Sprühen rechnet sich selbst dann noch, wenn man die Strafe für eine Ordnungswidrigkeit einkalkuliert. Das Sprühen hat immer etwas Lebendiges. Eine feste Plakatfläche haben die Leute spätestens nach einer Woche in ihrem Bewusstsein ausgeblendet. Die meisten gesprühten Motive sehen immer noch hand- und selbstgemacht und nicht strategisch geplant aus. Als wäre ein Künstler mit seiner Pappschablone am Werk gewesen, das fällt auf und ist sympathisch. I.R. Was zeichnet einen guten Text für eine Schablone aus? Welche Grundinformationen dürfen nicht fehlen, was sind sprachliche Elemente, die Aufmerksamkeit schaffen? S.A. Klingt vielleicht seltsam, aber Rechtschreibfehler schaffen Aufmerksamkeit. Das liegt an unserer deutschen Mentalität, man möchte sofort korrigieren und beschäftigt sich damit. Neue Wörter für bekannte Phänomene auch. Zitty (das Berliner Stadtmagazin) hat zum Beispiel mit seinem Begriff »Aggro-Biker?« für Kampfradler so etwas geschafft. Provozierende Wörter sind ebenfalls gut. I.R. Wie wichtig findest du ein bildliches Element? S.A. Manchmal wichtiger als den Text. Irgendein Markenzeichen, das man als Künstler hat. Irgendwas, was auffällt. Bei dem gesprühten Image des Kabarettisten Atze war es zum Beispiel die Strubbelmähne. 83
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Die Schablonenbilder können einmal als schlichte Wegweiser funktionieren. Ihr habt einen neuen Spielort oder Kunstraum, eine Premiere, Ausstellung, Installation? Dann sprüht von den Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel, Parkplätzen, Fahrradständern bis zur Eingangstür (die Schablone kann dann idealerweise eine Pfeilform haben). Durch seine Nähe zu Graffiti und Guerilla-Art hat das Sprühen zu Werbezwecken immer auch etwas von Lebendigkeit, Subversion, Neuem. Den Leuten wird damit suggeriert: An diesem Ort passiert was. Ihr könnt dadurch euch und eure Kunst mit geringem Budget im öffentlichen Raum sichtbar machen. SPRÜH DICH SICHTBAR
Als wir zum 40-jährigen Jubiläum unseres Studiengangs »Puppenspielkunst« an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin ein großes Fest mit vielen Puppen- und Theateraufführungen veranstalteten, haben wir gesprüht. Denn niemand hätte unser graues, ansonsten eher geschlossenes Hochschulgebäude als einen öffentlichen Ort mit Aktionen erkannt. Von der U- und S-Bahnstation sprühten wir deshalb in Wegweiserform bis vor unsere Tür. Für geladene Gäste, die vorher noch nicht bei uns gewesen waren, ein guter Service – aber auch alle anderen Passanten sahen: da passiert was, da schauen wir mal rein. Das Schablonesprühen bringt durch seine Verwandtschaft mit Streetart gleich eine Lebendigkeit mit sich, die sich auf den Ort überträgt. Aber auch, wenn ihr eine neue Website, eine Facebook-Seite habt, die ihr gern promoten wollt, oder ihr eine neue Künstlergruppe AKTIONEN seid, deren Name hinaus in die Welt soll – KOMBINIEREN immer ist das Sprühen eine gute Methode. Nur eins muss man beachten: Bei den Wegbeschreibungen ist die Arbeit nach dem Sprühen zwar getan. Aber wenn ihr eine Aktion, euren Künstlernamen oder ein Event damit bewerbt, solltet ihr mindestens noch eine Facebook-Seite mit dem gleichen Titel geschaltet haben. Damit der Passant, der den Titel nachschauen will, rausfinden kann, was es damit auf sich hat.
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DIE VORBEREITUNGEN – DAS AUSKUNDSCHAFTEN
Ihr müsst euch keine allzu großen Sorgen wegen der Behörden machen. Man stellt sich vielleicht vor, dass ein Guerilla-Sprüher nur nachts arbeitet, ständig in Angst vor der Polizei, immer bereit zur Flucht. Aber das ist Unsinn, wenn ihr ein paar Basisregeln beachtet. (Übrigens hat es trotzdem Sinn, nachts oder frühmorgens zu arbeiten, denn damit habt ihr leere Bürgersteige und eure Farbe hat Zeit zum Trocknen.) Zwar stellt das Sprühen und Malen auf nicht genehmigten öffentlichen Flächen in den meisten Kommunen eine Ordnungswidrigkeit dar. Aber die Ordnungsämter sind einerseits überlastet, so dass sie in der Regel nichts machen. Vor allem aber: Kinder und Künstler genießen meist »Narrenfreiheit«. Besonders in Berlin und in anderen größeren Städten (Ausnahme: München!) gilt diese Regel; in kleinen Gemeinden kann es weniger tolerant zugehen. Wichtig allerdings, Basisregeln eins und zwei: Hände weg von Verkehrsschildern und Privateigentum! Eingänge zu U- oder S-Bahnen und Bahnhöfe solltet ihr auch lieber meiden. Die Flächen dort werden von der Bahn an private Werbefirmen vermietet. Basisregel drei: keine permanente Farbe. Die Nachsicht der Behörden hat einerseits mit der Nähe zur Kunst und andererseits mit dem vorübergehenden Charakter der Aktionen zu tun. Die Sprühbilder erfüllen ihren Zweck auch, wenn sie temporär sind und mit der Zeit verblassen. Es ist sogar spannend, wenn ein Bild plötzlich auftaucht und eine Woche später langsam verschwindet. Vergeht die Farbe nicht von allein, ist es eine Sachbeschädigung und damit eine Straftat. DRINNEN AM KÜCHENTISCH.
Was wollt ihr sagen? Die Idee Ihr braucht nicht selbst Bildender Künstler zu sein und nicht einmal zeichnerische Talente zu haben, um eine Schablone anzufertigen. Konzentriert euch zunächst darauf, was ihr sagen wollt. Also: 86
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Welche Informationen wollt ihr an die Leute bringen? Dabei müsst ihr beachten, dass ein Passant euer Motiv nur wenige Sekunden lang sieht. Kürze und Klarheit sind absolut entscheidend. Mehr als drei bis vier Wörter und ein Image, ein Logo oder einen Link sollte deshalb euer Text nicht haben. Die Links selbst müssen auch kurz sein. Ein langer Link lässt sich schlecht sprühen. Dann entscheidet, wie ihr eure Aussage bringen wollt: mit Text, einem Image oder mit einer Kombination aus beidem. Ein Bild ist schon etwas für Fortgeschrittene. Wenn ihr eine Schablone zum ersten Mal anfertigt, dann beginnt mit Buchstaben. Da ihr auf engem Raum eure Botschaft unterbringen müsst, ist es notwendig, sich auf das Wichtigste zu konzentrieren. Die 29 Buchstaben, die wir für die Werbung zu unserem 40-jährigen Puppenspiel-Jubiläum verwendet haben, waren für meinen Geschmack schon an der Obergrenze. Auch gut ist, wenn eure Botschaft direkt den Leser anspricht. Zum Beispiel mit einer Frage. Die Idee der bereits erwähnten Zitty-Aktion, »Aggro-Biker?« auf Radwege oder »Übermutti?« vor Spielplätzen und Ökoläden zu sprühen, finde ich gelungen. Auch wenn es bei dem knappen Platz doppelt schwer fällt, ist Humor die Eintrittskarte zur Aufmerksamkeit. Was braucht ihr an Materialien? Die Schablone wird in der Regel aus Pappe, FORTGESCHRITTENE Kunststoff, laminiertem Papier oder manchNEHMEN HOLZ mal auch aus Metall oder Holz gefertigt. Eine empfehlenswerte Größe für eine Schablone ist 40x70cm. Eine Pappschablone kann für ca. 15 »Einsätze« verwendet werden. Wenn ihr sie zwischendurch trocknen lasst, schafft ihr auch 20 damit. Die festeren Schablonenmaterialien sind besser geeignet, wenn ihr euer Motiv öfters wiederholt. Kunststoff, Metall oder Holz müssen mit Maschinen zugeschnitten werden, das könnt ihr nicht mehr zu Hause am Küchentisch machen. Falls ihr aber eine größere Aktion plant, dann würde ich euch tatsächlich Holz als Schablonenmaterial empfehlen. Unbehandelte Holzplatten bekommt man im Baumarkt. Manche Firmen lasern euch kostengünstig euren Text. 87
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Zum Anfertigen der Schablone braucht ihr Pappe, eine Schneidunterlage (sonst ruiniert ihr euren Küchentisch), einen Bleistift, ein Cuttermesser (gibt es in jedem Baumarkt) und Sprühkreide. Bei eurer Sprühkreide solltet ihr nicht die billigste Dose nehmen. Die verlieren schnell den Druck und ihr habt bald keinen feinen Sprühnebel mehr, sondern Kleckerpaste. Wie fertige ich eine Schablone an? Zunächst entscheidet ihr euch für die Wörter, für ihre Anordnung auf der Schablone und ihre Schreibung (Groß- oder Kleinbuchstaben). Wenn ihr Groß- und Kleinschreibung kombiniert, erreicht ihr zusätzliche Aufmerksamkeit für das großgeschriebene Wort. Alles, was in Farbe erscheinen soll – Buchstaben, Umrandungen, Pfeile – müsst ihr ausschneiden und der Rest bleibt als negativer Raum übrig. Beachtet, dass ihr bei den »O«, »D«, »B« usw. die Linien nicht ganz durchzieht, damit das innere Oval mit der Schablone verbunden bleibt und nicht herausfällt. Die Stärke der Buchstabenlinien sollte etwa einen Zentimeter betragen; dann werden die Buchsta-
LÜCKEN LASSEN!
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ben gut lesbar. Legt eure Pappe auf die Schneidunterlage und beginnt, die Buchstaben darauf vorzuzeichnen. Dann beginnt, an den vorgezeichneten Linien entlang die Flächen mit dem Cutter auszuschneiden. Habt ihr das geschafft, macht einen Testdruck auf euren Hinterhof. Wenn ihr sprüht, achtet darauf, dass die Schablone flach auf dem Untergrund aufliegt. Damit vermeidet ihr das sogenannte »Untersprühen«. WAS BRAUCHE ICH DRAUSSEN?
Zum Sprühen draußen braucht ihr alte Kleidung. Zu empfehlen sind die orangefarbenen Signalwesten der Bauarbeiter, die man in Berufsbekleidungsgeschäften bekommt. Damit seht ihr offiziell aus, und keiner wird euch stören. Handschuhe und eine Mappe oder Plastiktüte, die sich auch zum Aufbewahren eurer nassen Schablonen eignet, solltet ihr ebenfalls dabei haben. Wenn ihr zu zweit seid, lohnt sich noch ein Windschutz – eine Pappe oder etwas Ähnliches. Dann kann einer damit den Wind abschirmen, damit euer Sprühstrahl auch sauber senkrecht auf die Schablone fällt. Arbeitet ihr tagsüber, dann verhaltet euch, als wäre es das Selbstverständ-
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lichste der Welt, als würdet ihr nur eure Arbeit machen, als würde euch jemand dafür bezahlen. Und wenn euch jemand anspricht – in 90 Prozent der Fälle: ein Rentner – dann seid höflich und sagt, ihr macht nur eure Arbeit. (Da hilft Arbeitskleidung ungemein.) Die Aufregung, die euch sicher vor allem beim ersten Draußensprühen erfasst, ist durchaus Teil des Spaßes. Nur mit einem müsst ihr euch abfinden: Wenn es regnet, fällt die Aktion tatsächlich ins Wasser. Es muss trocken sein, sonst verläuft die Farbe und ihr bekommt Blasen an den Rändern.
WER HAT’S ERFUNDEN? DIE KÜNSTLER! Jetzt denkt aber bloß nicht: »Ok, nun wissen wir, wie Guerilla-Marketing funktioniert, nun gehen wir sprühen und kleben.« Es geht nicht um Aktionismus, nicht darum, »einfach was zu machen«. Erfolgreiche Guerilla-Marketing-Aktionen entwickeln sich aus dem Inhalt eures künstlerischen Projektes und wollen überlegt sein. In der Einleitung zu diesem Buch habe ich geschrieben, dass ihr als Künstler – eures MARKETINGEXPERTEN kreativen Potentials wegen – gewissermaßen schon geheime, unbewusste Marketingexperten seid. Beim Guerilla-Marketing gilt das doppelt. Künstler haben dafür nicht nur ein besonderes Potential. Sondern Künstler (nicht Werber) haben es in seinen Grundprinzipien tatsächlich erfunden. Aktionskünstler, Sprayer, Performer, Kommunikations-Guerilla-Künstler, kurz: Leute wie ihr sind die Urheber und die Ideengeber gewesen. Und nicht nur »gewesen« – bis heute arbeiten Künstler mit diesen Techniken und entwickeln immer wieder neue Spielarten und Zugänge. DOPPELTE
Ob ihr nun aus der Bildenden Kunst, aus Performance, Tanz, Musik oder vom Theater kommt: Beim Guerilla-Marketing habt ihr Heimvorteil. Damit muss noch ein anderer Vorzug zusammenhängen, den ich bei der Arbeit mit Guerilla-Techniken beobachte: Sie machen sowohl in der Planung als auch in der Ausführung Spaß. Sich das eigene Projekt noch einmal aus diesem spielerisch-werbenden Blickwinkel anzusehen, ist keine lästige Pflicht, sondern wird gewisser90
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maßen selbst zu einem lohnenden, motivierenden Teil des Projekts. Ich muss meine Studenten im Seminar manchmal überreden (sogar fast zwingen), Pressemitteilungen, Kostenpläne oder Anträge zu schreiben. Aber sich Aktionen auszudenken – das tun die meisten gern und mit interessanten Einfällen. Die Herausforderung ist für sie eher, den konkreten Werbezweck im Kopf zu behalten und nicht in reine Parallel-Kunst-Aktionen abzudriften. Es gibt beim Guerilla-Marketing so viele Formen, wie es Projekte und Initiatoren gibt. Sprühen ist eine besonders geeignete Technik, wenn ihr Einzelkämpfer, Solisten seid. Für eine Künstlergruppe erweitern sich die Möglichkeiten, und was man als Kultureinrichtung machen kann, hat uns der Fall SMKP gezeigt. Ein Beispiel, wie eine Künstlergruppe in einem spezifischen Publikumssegment auf sich aufmerksam gemacht hat, ist die Performance eines Chores am Flughafen. Um Touristen für ihre Konzerte zu gewinnen, mischten sich einzelne Chormitglieder unter die Leute, die am Flughafen einer amerikanischen Stadt auf ihre ankommenden Freunde und Bekannten warteten. Sobald die Fluggäste aus den Gates kamen, begann ein Sänger »Willkommen« und einen kurzen Werbetext zu singen. Immer mehr stimmten ein. Was mit einem Solo begonnen hatte, endete in einem vielstimmigen Chorkonzert – ein kleiner Vorgeschmack auf die Konzerte, also genau zum »Produkt« passend. Zugleich war die Aktion exakt auf die angepeilte Zielgruppe fokussiert, denn es ging darum, die eigene Stammhörerschaft um Besucher der Stadt zu erweitern. Bei alledem dürft ihr allerdings eins nicht vergessen: Guerilla-Marketing ist eine Kür-Disziplin. Erst wenn Verteiler aufgebaut, Pressemitteilungen geschrieben, Web- und Facebookseiten eingerichtet sind, könnt ihr über Guerilla nachdenken. Guerilla-Marketing allein reicht nicht; es schafft keine Grundlage, die muss schon gelegt sein. Es funktioniert nur, wenn es mit den etwas weniger prickelnden Aufgaben und Techniken, die ich euch im Themenkomplex »Wie mache ich mich bekannt« vorgestellt habe, gekoppelt wird. Also: Vernachlässigt nie, nie, nie zugunsten von Guerilla-Marketing eure Verteiler oder Pressemitteilungen! Aber wenn ihr das bereits erledigt habt, dann lasst eurer Phantasie freien Lauf und setzt sie ungeniert ein, um für euch und eure Kunst zu werben. 91
III. WIE FINANZIERE ICH MICH?
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
III.1 Wo das Geld herkommt …
Als Künstler habt ihr zwei Quellen der Finanzierung für euch und eure Projekte. Einmal gibt es die Erlöse oder Honorare, die ihr durch den Verkauf eurer Werke und Leistungen erzielt, durch die Verwertung eurer künstlerischen Arbeiten und Fertigkeiten. Um damit und auf dem entsprechenden Markt, dem Publikums- oder Käufermarkt, erfolgreich zu sein, investiert ihr in Werbung und Pressearbeit. Ihr macht euch bekannt und kümmert euch um das Publikum, damit aus Leuten, die euch kennen, Leute werden, die euch mögen – oder gar Fans. Wie wir im vorigen Themenblock »Wie mache ich mich bekannt?« besprochen haben, arbeitet ihr daran mit Newslettern und Mailings, mit regelmäßigen Posts auf euren SocialMedia- oder Webseiten. Eine gute Nachricht für euch ist nun: Als Künstler unterscheidet ihr euch von anderen Produzenten oder Handeltreibenden darin, dass ihr noch eine zweite Finanzierungsmöglichkeit habt. Nämlich die Förderung eurer Person und eurer Kunst durch Stipendien, Preise, Sponsorengelder und Spenden von Privaten wie durch die öffentliche Hand. Es gibt also für euch neben dem Publikumsmarkt eine Art Geldgeber- und Fördermarkt. Das ist eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle und eine große Chance für eure berufliche Existenz als Künstler. Aber es bedeutet auch, dass ihr euch mit diesem zweiten Markt und seinen Gesetzen vertraut machen, dass ihr euch dort präsentieren lernen müsst. Denn das »normale« zahlende Publikum auf der einen Seite und die Geldgeber und Förderer auf der anderen stellen manchmal unterschiedliche Anforderungen an die künstlerischen Projekte, die sie auf ihre je verschiedene Weise 94
III.1 WO DAS GELD HERKOMMT …
(mit-)finanzieren. Das sollte man berücksichtigen – und man kann es auch. Ich stelle euch auf den nächsten Seiten einige Fördermöglichkeiten vor. Es ist nur eine exemplarische Auswahl aus einer sehr großen Vielfalt; aber wenn ihr wisst, wie ihr euch angemessen an den Geldgeber X wendet, könnt ihr das auch auf den Geldgeber Y übertragen. Wie schwierig das Thema »Künstler und Geld« ist, darauf stoßen wir in diesem Buch immer wieder. Aber wahrscheinlich ist es an keinem Punkt so heikel und widersprüchlich wie da, wo es um Sponsoren, Mäzene und generell um private Förderer geht. Man möchte ran an ihr Geld – und misstraut ihnen gleichzeitig zutiefst (viel mehr als dem Staat, der in der Kulturförderung in Wahrheit viel mächtiger ist). Meine Studenten haben, wenn sie in meinem Seminar sitzen, in der Regel noch keinen Sponsor leibhaftig gesehen. Aber eins ist ihnen schon ganz klar: Sponsoren legen den Künstler ans Gängelband, seine Freiheit geht verloren, der Sponsor mischt sich überall ein. Wenn ich die Studenten frage, woher sie das eigentlich wissen, kommt die Antwort: »Das liest man überall.« Und das stimmt auch. Man liest in der Presse oft hämische Kommentare, wenn sich ein Sponsor aus einem Projekt zurückzieht oder wenn ein SponsorenVertreter eine überlange oder ungeschickte Rede über das Engagement seiner Firma gehalten hat. Dagegen werdet ihr kaum etwas darüber lesen, wie viele Karrieren junger Künstler von Firmen- oder Privatstiftungen begleitet werden. Ich habe einige Jahre für eine Architektur- und Kunststiftung mit Sponsoren und anderen Finanziers gearbeitet, mit Privaten wie mit der öffentlichen Hand. Wenn sie sich einmal zur Förderung entschlossen hatten, haben die Geldgeber während der Umsetzung nie versucht, irgendwelchen Einfluss zu nehmen. Ein einziges Mal hat mich eine Firmenstiftung, mit der ich zuvor bereits erfolgreich zusammengearbeitet hatte, nach Einreichung meines Antrages angerufen und erklärt: »Ihr vorgeschlagenes Thema wird nicht durch unsere Jury gehen. Damit können wir inhaltlich nichts anfangen.« Und da es um viel Geld ging, haben wir das Thema geändert. Misstrauen hin oder her: Auf jeden Fall ist es wichtig, nicht ganz von Zuwendungen abhängig zu sein, sondern selbst wirklich Geld 95
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
zu verdienen. Und insgesamt die Finanzierung der eigenen Kunst auf eine breite Basis zu stellen. Denkt an den ersten Wahlkampf von Barack Obama: Die Großspender waren wichtig, aber Obamas eigentliches Markenzeichen (und für seinen Erfolg mindestens so entscheidend) waren die Fünf- oder Zehn-Dollar-Zuwendungen zahlloser normaler Amerikaner. Ähnliche Möglichkeiten gibt es mit neuen Finanzierungsarten wie dem Crowdfunding, mit dem wir uns ausführlich beschäftigen werden, jetzt auch für eure Projekte. Damit entwickelt sich auch im Fördermarkt so etwas wie eine Publikumsorientierung, ein Stück Demokratie: Der Künstler ist nicht mehr auf wenige großzügige sugar daddies fixiert, er kann auch bei den vielen Kleinen auf seine Kosten kommen. Natürlich ist es etwas mühsam, bei privaten oder öffentlichen Geldgebern um Unterstützung zu werben. Vielleicht ist es euch am Anfang sogar peinlich; man will schließlich nicht betteln. Aber es ist überhaupt keine Schande – die glanzvollsten Ausstellungsprojekte und die tollsten Opernproduktionen in Deutschland sind auf Zuwendungen angewiesen und könnten nie stattfinden, wenn sie allein vom Ticketverkauf getragen werden müssten. Womöglich macht ihr sogar die Erfahrung, dass ihr von eurem erstmal ungeliebten Kampf um Förderung am Ende nicht bloß finanziell profitiert. Das ganze anstrengende Sich-selbst-Darstellen und Anträgeschreiben hilft euch nämlich auch, größere Klarheit über die eigene Arbeit zu gewinnen, sie genauer zu durchdringen und euch anzueignen – es hilft euch letztlich, besser zu werden. Denn nur was man einem anderen erklären und nahebringen kann, beherrscht man wirklich selbst.
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III.2 MÄ ZENE, SPONSOREN – UND DER S TA AT
III.2 Mäzene, Sponsoren – und der Staat
Auf den folgenden Seiten reden wir über DEM PAPIERKORB Finanziers und Förderer für Kunst. Über ENTGEHEN die öffentliche Hand genauso wie über den unternehmerischen und privaten Sektor. Wir gehen also dahin, wo es Geld für Kunst und Künstler gibt. (Euro-Männchen) Oft treffen dabei zwei Welten aufeinander: Die Sphäre der Krawattenträger, Um-neun-Uhr-Beginner, Ein-festesEinkommen-Bezieher, Kunst-Interessant-Finder kommt in Kontakt mit euch, den jungen, noch nicht etablierten Künstlern. Wenn ihr den Umgang mit diesen Akteuren nicht gewöhnt seid, wenn ihr euch noch nie Gedanken über ihre Motive und Interessen gemacht habt, dann können schon bei der ersten Berührung dumme Fehler passieren. Wenn es schlecht läuft, gerät eure ganze künstlerische Arbeit bei diesen eigentlich wohlwollenden Leuten in die falsche Schublade: in den Papierkorb oder ins Fach »unprofessionell«. Welchen Ton sollt ihr also anschlagen? Wie viel Selbstvertrauen ist gut, wie viel Zurückhaltung angebracht? Da ihr am Anfang eurer Karriere wahrscheinlich noch nicht so viele Sponsoren und Mäzene oder Geldgeber der öffentlichen Hand persönlich getroffen habt, werden wir einige exemplarisch zu Wort kommen lassen. Ich habe sie nach ihrer Motivation, in Kunst zu investieren, gefragt. Nach ihren Erwartungen an die Künstler. Aber auch nach ganz praktischen Dingen – zum Beispiel wie sie angesprochen werden wollen. Die Bandbreite der Interviewpartner ist weit gefasst. Klassische Großunternehmen sind ebenso dabei wie Stiftungen, private Kunstmäzene und öffentliche Kulturfonds. Es geht darum, euch das Milieu nahezubringen 97
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– und vor allem: euch die Scheu zu nehmen, schon im Vorfeld mit potentiellen Geldgebern persönlich in Kontakt zu treten. Denn es ist wichtig für euch, den Partner zu finden, der zu euch passt. Ihr werdet in allen Interviews lesen, wie aufgeschlossen und positiv diese Partner euch als Künstlern gegenüberstehen und wie stark (über das rein professionelle Verhältnis hinaus) das Interesse an euch und eurer Kunst oft ist. Viele der Interviewten haben darauf hingewiesen, dass sie den einmal geförderten Künstlern auch weiter beratend zur Seite stehen, oft lange über den eigentlichen Förderzeitraum hinaus. Und sie machen deutlich, wie wenig sie sich gestört fühlen, wenn ihr Kontakt zu ihnen sucht – es sei denn, ihr macht es unprofessionell in Serienmails oder anderen Massenversendungen. Beginnen wir mit einer Unternehmensstiftung: Heike Catherina Mertens, SCHERING STIFTUNG
Dazu erst einmal eine persönliche Erfahrung. Für einen Workshop zum Thema »Crowdfunding in der Darstellenden Kunst« fehlte mir die Finanzierung. Zwar wusste ich, das passt eigentlich nicht ins Förderprofil der Schering Stiftung, trotzdem nahm ich Kontakt auf – das heißt, ich rief dort einfach an. Heike Catherina Mertens, Vorstand Kultur der Stiftung, fand den Ansatz interessant, versuchte ihn ihrem Auswahlgremium nahezubringen und als das – wegen einer Budgetreduzierung infolge ungünstiger Zinsentwicklung – nicht gelang, diskutierten wir gemeinsam über andere Möglichkeiten der Finanzierung. Auch wenn ich also nicht direkt Geld von der Stiftung bekam, verdanke ich ihr doch indirekt, dass ich die Mittel auftreiben konnte. Der Workshop fand statt. Die Schering Stiftung wurde 2002 durch die Schering AG gegründet; sie hat, nachdem Schering inzwischen im Unternehmen Bayer HealthCare Pharmaceuticals aufgegangen ist, ihren ursprünglichen Namen behalten. Stiftungsziel ist die Förderung von Wissenschaft und Kultur. Im Bereich Kultur liegt der Fokus EINE MILLION auf zeitgenössischer Bildender und DarstelPRO JAHR lender Kunst einschließlich Tanz und Musik. Das Stiftungsvermögen beträgt 30 Millionen 98
III.2 MÄ ZENE, SPONSOREN – UND DER S TA AT
Euro, daraus ergibt sich ein jährliches Förderbudget von einer Millionen Euro. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet die Förderung von Projekten in Grenzbereichen, insbesondere an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. Dieser Schnittstelle widmet sich die Stiftung auch in ihrem Projektraum, in dem Ausstellungen junger, experimenteller Künstler gezeigt sowie Vorträge und Workshops veranstaltet werden. In diesen Räumen im Zentrum Berlins, Unter den Linden, treffe ich mich mit Frau Mertens. Bei der Schering Stiftung erfolgt die Bewerbung direkt, das heißt ihr braucht keinen »Paten«, der euch vorschlägt. Frau Mertens, wie gewinnt man Sie als Partner? Was macht den Antrag eines Künstlers für Sie attraktiv? H.C.M. Besonders achte ich auf eine subjektive Formulierung der Thematik im Antrag und, ganz entscheidend, auf ein eigenständiges künstlerisches Profil. Beginnt ein Antrag mit Begriffen wie »Nachhaltigkeit«, »Innovation«, »Klimawandel« oder »20 Jahre Mauerfall« – also Themen, die gerade in der Luft liegen – finde ich das bedenklich. Das eingereichte Projekt sollte aus der künstlerischen Arbeit abgeleitet und entwickelt worden sein. Da können gerne auch Brüche sichtbar werden. Wenn ich merke, dass das Projekt zu sehr auf das Förderprofil der Schering Stiftung zugeschnitten ist, finde ich das ebenfalls unattraktiv. Wir sind an künstlerischen Positionen interessiert und nicht an Antragsrhetorik. I.R. Was sollte ein Antragsteller bei Ihnen unbedingt vermeiden? H.C.M. Uninformiert zu sein. Also zum Beispiel wenn wir als Unternehmenssponsoring angefragt werden, obwohl auf unserer Website klar zu erkennen ist, dass wir eine unabhängige Stiftung sind. Oder: Wenn eine Anfrage mit »Sehr geehrte Damen und Herren« beginnt und unter »info@« eingereicht wird, obwohl die direkten Ansprechpartner mit Mailadresse auf der Website zu finden sind. Oder wenn ein Antrag per Mail gesendet wird, obwohl wir ausdrücklich um postalische Einreichung bitten.
Auch nicht ratsam ist es, eine Mail mit einem Link zur eigenen Website zu schicken. Damit verkennt man die Lage, in der sich der För99
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derer befindet. Man hat im Geschäftsalltag keine Zeit, sich durch 35 Seiten zu klicken und 50 Arbeitsbeispiele anzusehen. Wir erwarten, dass der Künstler die Quintessenz seiner künstlerischen Arbeit für uns zusammenfasst. Nur er kann letztlich entscheiden, welches Projekt seine Arbeit am besten repräsentiert. Man kann Kataloge oder DVDs beilegen, aber der Kernantrag muss die vom Künstler herausdestillierte Quintessenz seines Schaffens beinhalten. I.R. Soll man sich überhaupt als Newcomer an so eine renommierte Stiftung wenden, oder ist das nur etwas für bereits etablierte Künstler und Wissenschaftler? Wie viel Experiment darf sein, wie viel Professionalität muss sein? H.C.M. Ich rate dazu, kurz die Stiftung anzurufen und in drei Sätzen das Projekt darzustellen. An der Reaktion merkt man dann schon, ob sich ein Antrag überhaupt lohnt. Klassische Unternehmensstiftungen, die dem Unternehmen auch in den Kommunikationszielen eng verbunden sind, wollen meist einem großen Publikum sichtbar werden. Das schafft man nicht mit einem jungen Künstler, der seine erste Ausstellung in einem kleinen Kunstraum im dritten Hinterhof hat. Deshalb lohnt es sich vorab, die Gremien der Stiftung im Internet anzusehen. Ist der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens oder der Kommunikationschef darin vertreten, wird wahrscheinlich eher mit prestigeträchtigen Künstlern gearbeitet. Die Schering Stiftung als firmenunabhängige Stiftung fördert junge, noch unbekannte Künstler. Demnächst zum Beispiel arbeiten wir mit einer Künstlerin zusammen, die gerade die Hochschule beendet hat. Da unterstützen wir auch ihre Professionalisierung. I.R. Was sind die Gründe dafür, direkt Künstler zu fördern – anstatt etablierten Kunstinstitutionen, mit denen man kooperiert, die Auswahl zu überlassen? H.C.M. Wir haben unterschiedliche Modelle. Beim offenen Antragsverfahren kann man sich direkt bewerben. Ein Fachgremium entscheidet dann über den Antrag. Da holen wir uns die Fachkompetenz ins Haus. Dann haben wir Förderformate, bei denen wir – um die Förderleistung zu vergrößern – mit Kooperationspartnern arbei100
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ten. Wenn wir zum Beispiel im Rahmen unseres Kunstpreises mit den international renommierten »Kunstwerken« in Berlin zusammenarbeiten, dann bekommt der Preisträger neben der finanziellen Unterstützung die Möglichkeit, dort seine Arbeiten zu zeigen. Das ist für ihn interessanter als eine Ausstellung in unserem Projektraum. Neben diesen Formaten gibt es auch institutionelle Förderung, wie zum Beispiel mit dem Kupferstichkabinett in Dresden. I.R. Erwarten Sie von den Künstlern Anerkennung für die Förderung? H.C.M. Eine Stiftung reagiert nicht anders als ein Privatmensch. Wenn man ein Geschenk überreicht hat, möchte man hinterher gewürdigt werden. Eine Logo-Platzierung ist dabei nicht unser Ziel. Da vor allem viele Kulturjournalisten in den vergangenen Jahren ein negatives Klima für private oder unternehmerische Kulturförderung geschaffen haben, freuen wir uns, wenn die Künstler in Interviews oder bei anderen Gelegenheiten die Förderung erwähnen – und vielleicht auch, welche Bedeutung sie innerhalb ihrer künstlerischen Karriere hatte. I.R. Bleiben Sie in Kontakt mit den geförderten Künstlern? H.C.M. Wenn gewünscht, sehr gerne. Wir vermitteln Künstler manchmal weiter oder beauftragen sie für Workshops. In einigen Fällen geben wir auch Empfehlungsschreiben. Wenn uns die Künstler über ihre weitere Arbeit auf dem Laufenden halten, berichten wir darüber gern in unseren Newslettern oder informieren über unsere Verteiler.
Stiftungen sind für euch, wenn ihr Unterstützung für den Lebensunterhalt oder die Präsentation eurer Arbeit sucht, gute Partner. Hier habt ihr in vielen Fällen die Chance, wirklich als Künstler gefördert zu werden und nicht bloß mit einem einzelnen künstlerischen Projekt. So langfristig und persönlich engagiert sich zum Beispiel keine Marketingabteilung eines Unternehmens, die stärker an den konkreten Nutzen ihres Tuns für das Produktmarketing denken muss. Das bestätigt mir auch Birgit 101
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Jammes, die den Bereich »Sponsoring« beim Berliner Energieunternehmen GASAG leitet: »Unser Konzept ist, mit Partnern zu arbeiten. Ich bin keine Kunstvermittlerin, mein Part ist es, die Unternehmensziele im Kopf zu haben.« (Männchen Künstler_Projekt) Von solchen Zwecken und Zwängen ist die Stiftungsarbeit in der Regel frei. Neben den Firmenstiftungen gibt es eine Reihe von öffentlichen Stiftungen, die sich auf diesem Sektor engagieren. Im Laufe des Kapitels werde ich euch einige vorstellen. Einen interessanten Sonderfall stellen die Studienstiftungen dar. Vielleicht kennt ihr sie aus der eigenen Studienzeit, habt im Freundeskreis womöglich Leute, die von ihnen gefördert wurden und damit eine Alternative zum BAföG hatten. In unserem Zusammenhang ist wichtig, dass die Studienstiftungen besondere Programme zur Künstlerförderung unterhalten. Das überrascht vielleicht besonders bei den politischen, parteinahen Stiftungen, wie der Konrad-Adenauer- oder der Friedrich-EbertStiftung. Aber auch nichtpolitische Stiftungen wie die Studienstiftung des deutschen Volkes oder das katholische Cusanuswerk betreiben in ihren Begabtenprogrammen und darüber hinaus – oft finanziert durch private Spendenfonds – Förderung für junge Künstler. Beim Cusanuswerk richtet sich die Künstlerförderung speziell an Studierende von Kunsthochschulen. Ich war selbst Stipendiatin einer dieser Stiftungen und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass vor allem in Sachen persönlicher Betreuung, Netzwerk und auch Weiterbildungsangeboten der Nutzen groß ist. Ich habe exemplarisch Vertreter zweier Stiftungen befragt: der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). BEGABUNG FÖRDERN, KUNST FÖRDERN
Die Konrad-Adenauer-Stiftung vergibt Arbeitsstipendien, die sich an freiberufliche Künstler mit abgeschlossenem Akademiestudium (in der Regel Meisterschüler) oder vergleichbarer Ausbildung richten. Das Interview habe ich mit Dr. Hans-Jörg Clement, dem Leiter der Kulturabteilung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung geführt, der die Förderung nicht nur administrativ betreut, sondern auch an der inhaltlichen Auswahl maßgeblich beteiligt ist. Diese wird nicht nur anhand der eingereichten Bewerbungsunterlagen vorgenommen. Atelierbesuche und Gespräche mit den Künstlern gehören ebenso 102
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dazu. Ich fand sehr interessant, was mir Dr. Hans-Jörg Clement von diesen Begegnungen berichtete: Für die Künstler sei es oft eine »Zumutung«, über ihre Arbeit zu sprechen, da sie sich ja bewusst ein anderes Medium als die Sprache ausgesucht haben. Und: Wichtig sei nicht, über einzelne Werke reden zu können, sondern über die eigene künstlerische Position zu reflektieren, vor der Folie der Kunstgeschichte. STUMME KÜNSTLER
Dr. Hans-Jörg Clement, KONRAD ADENAUER STIFTUNG
I.R. Welche Formen der Künstlerförderung praktizieren Sie? H.-J.C. Wie alle vergleichbaren Stiftungen betreibt auch die KAS Begabtenförderung, in deren Rahmen wir, finanziert durch Steuergelder, Solisten (zum Beispiel in der Musik) unterstützen. Die eigentliche Künstlerförderung wird jedoch, neben dieser regulären Unterstützung, durch unseren Else-Heiliger-Fonds, das jetzt den Namen Trustee Programm EHF 2010 trägt, ermöglicht. Hierbei handelt es sich um privates Spendengeld. Durch diesen Fonds ist es uns möglich, sechs Stipendien im Bereich Bildende Kunst, zwei in der Literatur, eines in der Komposition und ein oder zwei im Spitzentanz zu vergeben. Darstellende Kunst fördern wir nicht mehr, da unsere Kapazitäten nicht ausreichen. I.R. Wie sieht die Förderung konkret aus? H.-J.C. Das Stipendium wird für 12 Monate, in einer Höhe von monatlich 1.000 Euro gezahlt. Ferner erhält der Künstler eine Beteiligung an einer Gruppenausstellung und ein herausragender Künstler dieses Jahrgangs bekommt eine Einzelausstellung. Darüber hinaus gibt es eine Werkstatt am Comer See, der ehemaligen Sommerresidenz Adenauers. Dort finden Weiterbildungen, Workshops und Vorträge statt, mit aktuellen und ehemaligen Stipendiaten und Vertretern aus dem Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung: Kunstkritiker, Galeristen, Kuratoren, Museumsleute. Das ist Teil unserer sehr vielseitigen Netzwerkarbeit, die wir für die Künstler aller geförderten Sparten anbieten: Lesungen, Autorenwerkstätten, in denen sich die Autoren mit unveröffentlichten Texten der Literaturkritik und 103
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der Literaturwissenschaft stellen. Diese Form der Förderung und Begleitung – eigentlich eine Nachbetreuung – unserer Stipendiaten geht über den unmittelbaren Förderzeitraum hinaus. Wir helfen auch später noch bei der Vermittlung von Galerien oder Ausstellungsbeteiligungen. I.R. Gibt es ein besonderes inhaltliches oder formales Profil in den Arbeiten der von Ihnen geförderten Künstler? H.-J.C. Die Arbeiten sollten gesellschaftspolitische Relevanz haben. Es muss nicht um aktuelle Themen gehen – aber um relevante Themen, wie zum Beispiel Wertefragen. Es gibt Arbeiten, die sind handwerklich makellos, haben aber keinen Zeitbezug, es gibt Arbeiten, die reflektieren spannende Themen, finden aber formal zu keinen neuen Lösungen. Entscheidend ist die Frage nach der Qualität und die misst sich für mich an der Beantwortung der Frage: Wer sagt was wann mit welchen formalen Mitteln?
Bei der Studienstiftung des deutschen Volkes, die keiner Partei oder Konfession nahesteht, sondern reine Hochbegabtenförderung betreibt, sieht die Förderung während des Studiums ähnlich aus. Es gibt aber ein besonders interessantes Programm für »fertige«, bereits ausgebildete und im Beruf stehende Künstler. Über die Arbeit der Studienstiftung habe ich mit Dr. Julia Apitzsch und Susanne Stephani gesprochen. Frau Apitzsch ist für den Bereich Bildende Kunst und Design verantwortlich, Frau Stephani betreut die Darstellenden Künste. Dr. Julia Apitzsch, STUDIENSTIFTUNG DES DEUTSCHEN VOLKES
J.A. Als postgraduale Fördermöglichkeit bieten wir für Künstler das Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendium an, für das ich verantwortlich bin. Es wird aus Mitteln der Karl- Schmidt-Rottluff-Förderungsstiftung und der Marianne-Ingenwerth-Stiftung bestritten. Alle zwei Jahre werden bis zu fünf Stipendien an Bildende Künstler vergeben, die ausschließlich oder überwiegend freiberuflich tätig sind. Das Stipendium wird zunächst für ein Jahr vergeben, kann aber um ein weiteres verlängert werden. Neben den deutschen Kunsthochschulen haben auch die ehemaligen Stipendiaten das Recht, Kandidaten 105
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vorzuschlagen, sowie ca. 60 Personen aus der freien Kunstszene und aus Kunstinstitutionen. Zusätzlich zu dem monatlichen Stipendium können die Stipendiaten am gesamten Programm der Künstlerförderung teilnehmen, zum Beispiel an Künstlertagungen, Studienreisen zur Biennale, Sprachkursen, Kurzstipendien im Ausland oder dem Format »Zeigen«, bei dem die eigene Arbeit Kritikern aus dem Kunstbetrieb vorgestellt werden kann. Am Ende der Förderzeit wird eine Gruppenausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle und ein Katalog gefördert. Die Kataloggestaltung ist sehr frei gehalten, das heißt, die Künstler können selbst entscheiden, ob sie zum Beispiel eine Gesamtübersicht oder einen bestimmten Aspekt der Arbeit vorstellen oder eine Art Künstlerbuch realisieren möchten. I.R. Aus Ihrer langjährigen Arbeit mit jungen Künstlern: Was sollten Bewerber lieber vermeiden? J.A. Entscheidend ist, eine eigene Position zu seinen Arbeiten zu entwickeln, gerade auch sprachlich, ohne sich dabei am »Kunstjargon« von Kunstwissenschaftlern zu orientieren, das wirkt meist nicht authentisch. Uns fällt besonders oft bei den Portfoliopräsentationen der Kunststudierenden auf, dass keine Entscheidungen zu einer fokussierten Auswahl an Arbeiten getroffen, sondern eine unentschiedene Übersicht gegeben wird. Dies erschwert ein gezieltes Feedback. Susanne Stephani, STUDIENSTIFTUNG DES DEUTSCHEN VOLKES
S.ST. Zudem besteht oft ein Missverständnis, dass eine eigene Position immer auch schon klar theoretisch, oder philosophisch ausformuliert sein muss. Man kann nur von einer verschrobenen Sprache und pseudotheoretischem Gerede abraten. Die Künstler sollten in klaren Sätzen aus ihren Arbeiten heraus über das Arbeiten und ihre Schwerpunkte sprechen können. Einfache Aussagen müssen hier nicht als aussagelos missverstanden werden, diese Angst ist unbegründet. Dann wird der Dialog spannend. Offene Fragen und klare Materialbeschreibungen sind dabei ebenso entscheidend, wie die Gedanken, die in den Arbeiten stecken.
Die Stiftungslandschaft in Deutschland ist breit gefächert und in den letzten Jahren noch einmal stark gewachsen. Bei vielen eigen106
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tümergeführten Unternehmen und großen privaten Vermögen steht ein GenerationsTU’ GUTES wechsel an. Unternehmer, die ihr Geld in UND den 60er und 70er Jahren gemacht haben, PROFITIERE suchen nach Modellen, mit denen sie der DAVON Gesellschaft, in der sie reich geworden sind, etwas zurückgeben können – oder, etwas prosaischer, mit denen sie ihren Nachkommen beim Erben die Steuerlast erleichtern. So entsteht eine Vielzahl von Stiftungen mit unterschiedlichen Ausrichtungen. Es können Firmenstiftungen sein (zum Beispiel RWE-Stiftung, die mit ihrem Artist-in-ResidenceProgramm für junge Bildende Künstler interessant ist; AllianzKulturstiftung mit spartenübergreifender Projektförderung; IKEA Stiftung mit den Schwerpunkten Architektur, Design und Jugendarbeit), oder Stiftungen, die von privaten Mäzenen gegründet wurden. Hinzu kommen in der Stiftungslandschaft die öffentlichen Stiftungen, wie zum Beispiel die Kulturstiftung des Bundes (umgangssprachlich: Bundeskulturstiftung) oder die Kulturstiftung der Länder. Eine gute Anlaufstelle bei der Suche nach einer geeigneten Stiftung ist der Bundesverband Deutscher Stiftungen. Er hat ein Portal für Stiftungen und Stiftungswesen geschaltet, auf dem mehr als 8.800 Stiftungen mit verschiedenen thematischen Zuschnitten gelistet sind (www.stiftungen.org). Die Förderung, die ihr von einer Stiftung bekommt, ist in der Regel eine Spende, also eine freiwillige Zuwendung ohne Gegenleistung. Das unterscheidet diese Förderung vom Sponsoring, das von Unternehmen betrieben wird und bei dem eine Gegenleistung meist auch vertraglich festgelegt wird. Die fördernde Stiftung darf dagegen ge-
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rade keine Gegenleistung erhalten. Streng genommen ist schon das Platzieren eines Stiftungslogos in diesem Sinne gegenleistungsverdächtig und problematisch. In der Praxis wird das allerdings nicht ganz so pedantisch gehandhabt. Als ich zum Beispiel einmal von der IKEA Stiftung eine größere Spende für ein Projekt bekommen habe, fand ich es selbstverständlich, das IKEA-Stiftungs-Logo mit auf die Website, auf Plakate usw. zu nehmen. Meine Argumentation gegenüber unserer skeptischen Rechtsabteilung ging dahin, dass in Anbetracht der Höhe des zugewandten Betrags die Verwendung des Logos nicht als adäquate Gegenleistung gelten konnte. Das ist später bei allen Prüfungen akzeptiert worden.
KUNSTFÖRDERUNG DURCH UNTERNEHMEN Es gibt vier grundsätzlich verschiedene Motivationen für Unternehmen, in Kultur zu investieren. Erstens kommerzielle Interessen: Sie geben den Anstoß zu produktbezogenem Kultursponsoring. Zweitens kann es um die Attraktivität eines Arbeitgebers für seine Mitarbeiter gehen: Hier wird gewissermaßen kulturell in den Standort investiert, um den Beschäftigten etwas zu bieten. Das dritte mögliche Ziel ist, das Image des Unternehmens zu stärken. Kulturelles Engagement steht dabei in ähnlicher Weise für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung wie die Förderung wohltätiger oder anderer gemeinnütziger Zwecke. Schließlich, viertens, und vor allem bei Familienunternehmen: Manchmal ist das Motiv auch einfach eine Vorliebe des Firmeninhabers. In diesem Fall ist der Übergang zwischen Sponsoring und Mäzenatentum fließend. Hat sich ein Firmeninhaber entschieden, dass er euch unterstützen will, wird er im Regelfall nicht darauf schauen, ob es von eurer Seite genügend Gegenleistungen gibt. Von der Motivation hängt ab, an welcher Stelle im Unternehmen das Kulturengagement angesiedelt ist. Für euch als Künstler ist wichtig, diese Hintergrundinformationen zu recherchieren, bevor ihr Kontakt sucht. So könnt ihr nicht nur euren potentiellen Förderer richtig auswählen, sondern ihn auch mit den richtigen Argumenten ansprechen. Kommt ihr mit dem Unternehmen zusammen, wird ein Sponsoringvertrag abgeschlossen, in dem Art und Umfang der ge108
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genseitigen Leistungen festgehalten werden (hier kann durchaus mehr als nur eine Logoplatzierung gefordert sein). Achtung: Das Geld, das dann fließt, müsst ihr versteuern! Denn für das Unternehmen sind Sponsoringgelder eine Betriebsausgabe, die es steuerlich abrechnet. Von diesen ganzen Spielarten der unterKEINE ANGST VOR nehmerischen Kulturförderung wird das SPONSOREN! kommerziell orientierte Kultursponsoring im Feuilleton oft kritisiert, ist aber in der Praxis gar nicht so häufig. Sponsoring dient dabei als reines Mittel des Marketings, zum Launch oder zur direkten Bewerbung eines Produktes in einer lohnenden Zielgruppe – Kulturkonsumenten gelten als finanzkräftig. So kann das neue Auto oder das neue unterhaltungselektronische Gerät neben einer Anzeigenkampagne auch mit einem meist glamourösen Kulturevent beworben werden. Das Produkt steht im Mittelpunkt; Ziel ist, maximale Aufmerksamkeit und positive Medienberichterstattung durch eine punktgenau gesteuerte Kommunikation zu erreichen. Oft sind die Marketingziele mit Sponsoring schwer zu erreichen: Kulturveranstaltungen, die nicht vom Unternehmen selbst geplant sind, 109
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und Kunst, deren Zuschnitt der Sponsor nicht beeinflussen kann, lassen sich kaum zielgenau für werbliche Interessen einsetzen. Daher verlassen sich viele große Unternehmen in solchen Fällen seltener auf Kultursponsoring, sondern treten gleich selbst direkt als Auftraggeber für Künstler auf. Wie zum Beispiel im Fall des »BMW Art Car«, eines Rennwagens unter einer Eisstruktur, von Olafur Eliasson. Bei dieser Art Kunstauftrag kommt ihr als Anfänger selbst dann nicht in Betracht, wenn eine junge Zielgruppe erreicht werden soll. Ihr müsstet schon ein bekannter Streetartkünstler, Gamedesigner oder Tattookünstler sein, wie etwa Ami James vom Studio »Miami Ink«, der für Motorola das »Motorola Razr i« tätowierte. Bei der Kooperation mit dem Mittelstand eröffnen sich euch hier mehr Chancen: Ein kleineres Unternehmen anzusprechen, bei dem das Kultursponsoring in der Marketingabteilung angesiedelt ist – mit einem Blick auf die Website oder das Organigramm der Firma findet ihr das schnell heraus – kann sinnvoll sein, wenn ihr eine Kunstveranstaltung plant, von der sich das Unternehmen Zugang zu einem bestimmten Netzwerk versprechen könnte. Bevor ihr Kontakt aufnehmt, solltet ihr euch genau ansehen, welche Zielgruppe für diese Firma wichtig ist, und schon bei der Bewerbung sehr klar die Kommunikationsleistung herausstreichen, die für das Unternehmen bei dem Projekt »rausspringt«. Übrigens: Wenn ihr Geld von einer mittelständischen Bank oder Sparkasse einwerben wollt, gilt das ebenso. Auch wenn Banken kein gegenständliches Produkt, wie zum Beispiel ein Auto, anbieten, sind doch die Kommunikationsleistungen, die eine gesponserte 110
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Kulturveranstaltung zu bieten vermag, für sie wichtig. Hier geht es meist darum, Kunden einladen zu können und sich in der Region, in der die Bank ihr Geschäftsfeld hat, sichtbar zu machen. Manche Banken haben für Sponsoringanfragen eigene standardisierte Fragenkataloge entwickelt, die den Antragsteller in diesem Sinne schon im Vorfeld abchecken. Ihr solltet eine Übersicht der Werbemaßnahmen für eure Aufführung oder Ausstellung parat haben und schon, bevor ihr an den Sponsor herantretet, wissen, in welchen Auflagen ihr eure Werbemittel drucken wollt oder welches die jeweilige Reichweite (zum Beispiel wie viele Fans bei Facebook?) ist. Das schauen wir uns am Ende des Kapitels gleich noch mal genauer an, beim Thema Sponsoringantrag. Bei manchen Unternehmen ist das Kulturengagement im Personalwesen angesiedelt. Die Aktivitäten rund um die Kultur dienen der Mitarbeitermotivation und Standortpflege und damit der Attraktivität des Arbeitgebers. Ein Beispiel für einen solchen Sponsoringansatz ist BASF. Die Firma gehört mit ca. 111.000 Mitarbeitern zu den führenden Chemieunternehmen der Welt. Ein »Global Player«, dessen Stammsitz jedoch nicht in New York oder Shanghai, sondern in Ludwigshafen liegt. Was das für das Kulturengagement heißt, dazu hören wir Friederike Reutter, die Leiterin der Kulturabteilung bei BASF. Was verspricht sich das Unternehmen von der Kulturförderung? Friederike Reuter, BASF
F.R. BASF ist im B2B-Sektor (Business-to-Business) tätig, das heißt sie verkauft ihre Produkte nicht an Endverbraucher, sondern an weiterverarbeitende Unternehmen. Für BASF ist deshalb die Kulturförderung kein Mittel, um neue Zielgruppen fürs Geschäft zu erschließen. Die Kulturförderung ist vielmehr einer von vielen Bausteinen, mit denen das Unternehmen einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leistet. Es gibt aber noch andere Motive. Als weltweit führendes Chemieunternehmen sind wir darauf angewiesen, hervorragend ausgebildete Leute aus aller Welt in unsere Region zu bekommen. Weiche Faktoren wie attraktive Freizeit-, Kultur- und Bildungsangebote werden heute von den potentiellen Arbeitskräften höher bewertet als noch vor einigen Jahren. Darüber hinaus trägt unser Kulturengagement auch zur Mitarbeiter111
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bindung und Mitarbeitermotivation bei. Die Mitarbeiter werden im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen auch immer befragt, wie sie das Kulturengagement des Unternehmens beurteilen. Und wir erzielen dort kontinuierlich beste Werte. Auch wenn das Ziel des Kulturengagements die Mitarbeiter sind, ist dennoch die öffentliche Wahrnehmung für das Unternehmen wichtig. Dazu wieder Frau Reutter: F.R. Natürlich machen wir uns auch selbst ein Bild von der Qualität der Projekte, und wir überprüfen die Medienberichterstattung. Die Kriterien für den Erfolg sind unterschiedlich: Ein kleines innovatives Projekt oder ein Educationprojekt kann sicher nicht mit überregionaler Presse aufwarten, ein großes Festival schon. I.R. Nach welchen Kriterien vergeben Sie die Förderung? F.R. BASF ist in drei unterschiedlichen Rollen in der Kunstförderung tätig. Begonnen haben wir vor über 90 Jahren mit eigenen Konzerten. Bis heute sind wir als Veranstalter im Bereich Musik tätig. Hinzugekommen ist die Rolle als Kooperationspartner. Zum Beispiel veranstalten wir mit der Stadt Ludwigshafen Sinfoniekonzerte. Im Tanz sind wir Kooperationspartner des Theaters im Pfalzbau. Seit 2005 sind wir auch als Sponsor tätig. Wir arbeiten jedoch nicht in der Einzelkünstlerförderung, sondern arbeiten mit Institutionen vor Ort zusammen. Im Bereich der Musik sind wir in Jurys vertreten und kooperieren hier zum Beispiel mit der Musikhochschule in Mannheim, die mit finanzieller Förderung der BASF die Orchesterakademie Rhein-Neckar begründet hat. Das ist eine Art Aufbaustudiengang, bei dem Studenten in die Praxis der Orchesterarbeit eingeführt werden. In der Bildenden Kunst fördert BASF Ausstellungen vor allem der klassischen Moderne und Fotografie.
Nach diesem eindrucksvollen Spektrum habe ich Frau Reutter gefragt, ob ein junger, noch nicht etablierter Künstler eine Chance hat, von BASF gefördert zu werden. F.R. Wir fördern auch sehr junge Künstler. Zum Beispiel im Rahmen von Ausstellungen der Kunstvereine oder bei unseren Konzerten. 112
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Allerdings macht eine Direktansprache wenig Sinn. Im Bereich der Musik finden wir die Talente über unsere eigenen Netzwerke. Außerhalb der Musik fördern wir Projekte, so dass sich die jungen Künstler hier an unsere Partner wenden sollten. Wir fördern nachhaltig, und viele unserer Engagements für Festivals dauern mehrere Jahre. Daneben haben wir aber auch einmalige Engagements. Auch die freie Szene profitiert von unserer Förderung: Hier ist zum Beispiel das Festival »Wunder der Prärie« zu nennen, das von zeitraumexit veranstaltet wird. Ziel unserer Projektauswahl ist es, auch den Künstlern der Region eine Chance zu geben. I.R. Wenn ein Künstler sich dennoch direkt an Sie wendet, was sollte er bei der Kontaktaufnahme unbedingt vermeiden? F.R. Ohne vorherige Recherche schriftliche Anträge zu schicken macht wenig Sinn. Es besteht oft ein enormes Unwissen über die Förderbedingungen des Gegenübers; ein Blick auf die Website würde viele Fragen ersparen. Wenn man sich nicht sicher ist, sollte man lieber anrufen und fragen. Es ist ein Irrglaube, wenn man meint, die Chancen steigen, je hartnäckiger man ist. Darüber hinaus mangelt es gerade den jungen Künstlern oft an einer realistischen Selbsteinschätzung. Also: Wo stehe ich? Wo finde ich meine Position? Wie kann ich sie formulieren? Was ist das Besondere an meiner Kunstform, an meiner Interpretation? I.R. Auch wenn es keine unmittelbare individuelle Förderung gibt – wie kann man sich als Künstler ins Spiel bringen? F.R. Um von uns engagiert zu werden, braucht ein Musiker eine Empfehlung, das geht nicht direkt. Das kann ein renommierter Künstlerkollege sein, eine Agentur – oder der Preis bei einem Wettbewerb. Über die vielen Jahre, in denen wir in der Musik tätig sind, haben wir ein breites Netzwerk entwickelt. Bei der Bildenden Kunst und im Bereich der Fotografie vertrauen wir auf unsere Partner. Dort bestimmt ein Kurator, welche Künstler eingeladen werden. I.R. Wenn Sie ein paar Eigenschaften nennen sollten, die für Sie einen Künstler besonders attraktiv machen – welche wären das? 113
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F.R. Eine eigenständige künstlerische Position, in der Musik eine eigene interessante Interpretation. Professionalität und Qualität setzen wir voraus. I.R. Was sind die jeweiligen Gegenleistungen, die Sie erwarten? F.R. Im Sponsoringbereich zunächst mal die klassischen: LogoPlatzierung und Presseaktivitäten. Aber wir sind auch interessiert daran, darüber hinaus die Kooperationen in die Region und in unser Unternehmen hineinzutragen. Damit unsere Mitarbeiter, aber auch unsere Geschäftspartner von unserem Kulturengagement profitieren. Oft erarbeiten wir gemeinsam mit dem Partner originelle Aktionen und zusätzliche Angebote. I.R. Bleiben Sie in Kontakt mit den geförderten Künstlern? F.R. Ja, wir verfolgen den Werdegang der Künstler. Zum Beispiel haben wir nach dem Chopin-Wettbewerb in Warschau einen der Preisträger mit Musikern der Berliner Philharmoniker zusammengebracht. Wir helfen mit Kontakten und laden die Künstler auch immer wieder ein und lassen sie in unseren Musikreihen auftreten. Oder wir geben Empfehlungen.
Die verbreitetste Motivation von Firmen, sich für Kultur zu engagieren, lässt sich mit dem englischen Begriff »good citizenship« umreißen. Es geht um die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung – nicht aus Gutmenschentum, sondern um ein positives Image für das Unternehmen aufzubauen, das es in der öffentlichen Wahrnehmung und für Investoren attraktiv macht. Sozial oder kulturell besonders aktiv zeigen sich daher oft Unternehmen, deren Reputation in Mitleidenschaft gezogen wurde, zum Beispiel durch einen Umweltskandal. Oder ganze Branchen, die durch gesellschaftliche Veränderungen (wie die allgemeine Trendwende gegen das Rauchen) unter Druck geraten sind. Aber nicht nur »angeschlagene« Unternehmen, auch große Firmen mit starken Marken wählen diese Imagestrategie, bei der das Kulturengagement (es heißt dann auch nicht mehr Kultursponsoring) bei der Unternehmensleitung, beim Vorstand oder bei der Kommunikationsabteilung angesiedelt ist. Wenn ihr als Künstler mit einem solchen Unternehmen zusammenarbeiten wollt, 114
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dann müsst ihr euer Projekt auf seine gesellschaftliche Relevanz hin prüfen. Berührt es Themen, die in der Diskussion sind, habt ihr interessante Formate vorzuweisen, die den Geist der Innovation verkörpern? Ein Unternehmen, das sich im Kulturengagement durch seine durchdachte und bewusste Art einen Namen gemacht hat und dafür auch ausgezeichnet wurde (mit dem Kulturmarken-Award) ist BMW. Ich selbst habe über einen längeren Zeitraum BMW als Partner für ein neues Bildungsformat für Künstler und Architekten gewonnen. Da der Betrag für das Unternehmen eher gering war, haben wir uns damals auf die Spendenform geeinigt. Dr. Thomas Girst leitet das Kulturengagement von BMW. Ich wollte von ihm zunächst wissen, was das Besondere am Fördermodell seines Unternehmens ist – denn ich war verblüfft, als ich in den Grundsätzen der BMW Group zum Kulturengagement las, BMW sei kein klassischer Sponsor. Thomas Girst, BMW
T.G. In der Kunst kann man mit 10.000 Euro viel richtig und mit 100.000 Euro viel falsch machen. Unser Leitsatz ist: »Monetäre Disziplin fördert operative Intelligenz«.
Wir sind dafür bekannt, dass wir keine Eventfeuerwerke abfackeln, sondern glaubwürdiger Partner im Kulturbereich sind. Trotzdem: Kulturelles Engagement von Unternehmen geschieht nicht aus altruistischen Gründen; es geht immer um Reputation des Unternehmens oder der Marke und um die Visualität in der Öffentlichkeit. Dabei gilt: Ein subtiler Auftritt zeugt von der Souveränität des Fördernden. Man sollte, bevor man sich an ein Unternehmen wendet, wissen, was man vom Partner möchte. Ein Unternehmen ist nicht dazu da, Wünsche zu erfüllen oder als Cashcow am Tisch zu sitzen. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung der Privatwirtschaft zum Kulturengagement. Der Künstler muss sich im Vorfeld mit dem Förderer auseinandersetzen. 115
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I.R. Gibt es bei Ihnen, wie bei den Unternehmensstiftungen, ein Antragsverfahren, mit dem sich Künstler selbst bewerben können? Oder wird die Förderung nur über Vermittlungsinstanzen, wie zum Beispiel Kultureinrichtungen, vergeben? T.G. Wir bekommen 3.000 Anfragen pro Jahr – aber das sollte den Künstler nicht davon abhalten, die 3.001. zu stellen. Doch natürlich muss der Künstler prüfen, wofür das Unternehmen steht, und nicht irgendeine Massenmail verschicken. Der Künstler sollte wissen, dass große Unternehmen die Etats für das Kalenderjahr im September des vorangehenden Jahres beschließen. Kurzfristige Anfragen werden also wenig Aussicht auf Erfolg haben; es sei denn es handelt sich um kleine Summen um die 1.000 Euro. Wir wählen keine Einzelkünstler aus, sondern unsere Partner aus der Kultur bestimmen die Künstler. Wir sitzen nicht einmal beim BMW Jazz Award in der Jury. Das bedeutet für uns Glaubwürdigkeit. I.R. Soll man sich überhaupt als Newcomer an so ein renommiertes Unternehmen wenden, oder ist das nur etwas für bereits etablierte Künstler? Wie viel Experiment darf sein, wie viel Professionalität muss sein? T.G. BMW liebt Abenteuer, Unkonventionelles und die vielzitierte Innovation. Ich kann jungen Künstlern nur raten, unbeirrt ihren Weg zu verfolgen – und gerade, wenn sie entmutigt werden, weiter zu machen. Unsere Wertschätzung für die Kunst und auch unsere Neugier auf alles Neue gebietet es, dass wir immer reagieren, wenn wir kontaktiert werden, ob das nun telefonisch, postalisch oder per E-Mail ist. I.R. Glauben Sie, dass die Förderung durch eine derart prominente Marke wie BMW als Gütesiegel für eine künstlerische Arbeit wirkt und damit über die materielle Zuwendung hinaus nützlich ist? T.G. BMW ist ein Gütesiegel, ein Qualitätsprädikat. Das muss unser Anspruch sein. Idealweise nicht nur für den Künstler, sondern auch für das Publikum. Wenn also ein noch unentschlossener Besucher liest, das wurde von BMW gefördert, könnte das der noch fehlende Anstoß sein. 116
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Die letzte Variante des Kulturengagements von Unternehmen, die ich euch vorstellen möchte, ist eng an den Firmeninhaber oder Vorstandsvorsitzenden gebunden. Hier kann man am wenigsten allgemeingültige Ratschläge geben; es kommt sehr auf die Person an der Spitze an, auf ihre Impulse und ihren Geschmack. Das alles kann höchst individuell, bisweilen sogar exzentrisch sein und hat oft mit rationalen Beweggründen wenig zu tun. Aber aus dieser Motivation fließt eine Menge Geld in die Kunst, und oft entstehen sehr intensive, lang andauernde Partnerschaften. Ein Beispiel, das ich euch vorstellen möchte, QUADRATISCH, ist das Kulturengagement von Marli HoppePRAKTISCH, Ritter, der Inhaberin der Schokoladenfirma KUNST Ritter Sport. Neben einem eigenen Museum, das ihre Sammlung präsentiert und Einzelausstellungen ausrichtet, verantwortet sie auch das Firmensponsoring. Sie ist Sammlerin, Mäzenin und Sponsorin in einem. Und sie hat ihren Formengeschmack beim Thema Schokolade auch in die Kunst mitgenommen: die Orientierung am Quadrat. In ihrer Sammlung ist eine Vielzahl künstlerischer Konzepte vertreten, die allesamt das Quadrat als Ausgangspunkt haben. Es finden sich Kasimir Malewitsch, die DeStijl-Bewegung, die Zürcher Konkreten, die Minimal Art – aber auch junge Künstler wie zum Beispiel Jessica Centner aus Berlin oder der Schweizer Reto Boller. Marli Hoppe-Ritter, RITTER SPORT
I.R. Sie sind Sammlerin. Verstehen Sie sich und agieren Sie auch als Mäzenin? M.H.-R. In begrenztem Umfange ja. Privat als Mäzenin und als Inhaberin der Firma Ritter Sport als Sponsorin. Die Firma sponsert Künstler bei Ausstellungen, und sie beteiligt sich auch an der Finanzierung von Katalogen. Hierbei jedoch nicht so sehr bei jungen, sondern eher bei arrivierten Künstlern. Da das Finanzamt eine Gegenleistung fordert – ansonsten kann man die Ausgaben nicht geltend machen – wird in den Katalogen entsprechend das Ritter-Sport-Logo gedruckt und auf der Ausstellung Schokolade verteilt. Hier kann man sich als Künstler bewerben, die Auswahl wird von mir getroffen. 117
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Als Mäzenin bin ich in geringem Maße tätig – nur insofern, als wir im Stammhaus von Ritter Sport einer Künstlervereinigung Ateliers zur Verfügung stellen. Und es gibt das Museum Ritter, in dem meine Sammlung gezeigt wird, und in dem Ausstellungen stattfinden. I.R. Wie kann ein junger Künstler Ihre Aufmerksamkeit gewinnen? Hat es Sinn, sich gewissermaßen bei Ihnen zu »bewerben«? M.H.-R. Man kann sich bewerben. Die Gefahr ist jetzt ein bisschen, dass sich nun ganz viele Künstler bewerben könnten, wenn ich mich öffentlich dazu äußere. Wie gesagt, beim Sponsoring von Ritter Sport bevorzugen wir arrivierte Künstler. Aber durchaus spartenübergreifend, also auch aus der Literatur und im Ausnahmefall auch Musiker. Die Bewerbung geht über Ritter Sport, wird aber von mir persönlich bearbeitet.
Die Künstler können auch beim Museum Ritter anfragen und ihre Werke in einer schriftlichen Bewerbung vorstellen. Die Chancen dabei sind jedoch eher gering. Weder ich noch meine Museumskollegen, die Kunsthistoriker sind, können allein aus Fotos so leicht erkennen, ob eine Arbeit gut ist. Die Zeit für Atelierbesuche ist begrenzt. Hilfreich können Ausstellungsnachweise sein. Empfehlungen von etablierten Künstlern für einen jungen Kollegen finde ich zwar persönlich sehr sympathisch – aber sie ändern nichts daran, dass ich mir ein eigenes Bild machen muss. I.R. Kaufen Sie nur bereits fertige Werke auf dem Kunstmarkt – oder regen Sie auch Auftragswerke an? M.H.-R. Ich gebe keine Werke in Auftrag. I.R. Sie haben in einem Interview erklärt, dass Sie einzelne junge Künstler über längere Zeit auf ihrem schöpferischen Weg begleiten. Geht es dabei nur um ideelle Zuwendung, oder fördern sie auch materiell, zum Beispiel durch Stipendien oder Zuschüsse für die Arbeit? M.H.-R. Hier geht es in erster Linie um eine ideelle Zuwendung. Aber ich tätige auch Ankäufe aus den verschiedenen Schaffensphasen eines Künstlers. 118
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I.R. Wie ist bei Ihren Erwerbungen das ungefähre zahlenmäßige Verhältnis zwischen klassischen und lebenden, etablierten und jungen Künstlern? M.H.-R. Zu einem Drittel kaufen wir junge Kunst. Allerdings: Einen Künstler kann man auch mit 50 Jahren noch als jung einstufen, wenn er noch nicht zu lange im Geschäft ist. Ein Beispiel für eine junge Künstlerin, die wir zurzeit mit einer Einzelausstellung fördern, ist Esther Stocker, Jahrgang 1975. Auf sie wurden wir durch Artikel in Kunstzeitschriften aufmerksam, die über Ausstellungen in kleinen Orten berichteten. Und sie arbeitet in unserem künstlerischen Sammelschwerpunkt: der Konkreten Kunst. I.R. Es gibt in Ihrem Museum auch Werkschauen. Hat auch ein junger Künstler die Chance, in Ihrem Museum eine Ausstellung und einen Katalog zu bekommen? Nach welchen Kriterien wählen Sie dabei aus? M.H.-R. Der Künstler sollte ein bisschen bekannt sein, kleinere Ausstellungen bereits gehabt haben und mit Konkreter Kunst arbeiten. Dabei muss nicht jede Arbeit ein Quadrat beinhalten, aber Geometrie und geometrische Formen spielen eine wichtige Rolle. Und es sollte etwas Neues sein. Wir wollen keine Déjà-vu-Erlebnisse. Wir kennen das Spektrum und die Geschichte der geometrischen Abstraktion, wir versuchen neue Positionen zu finden, Arbeiten, die etwas Originelles einbringen. Das ist oft schwierig, denn selbst bei Arbeiten, die sich durch die Farbgebung unterscheiden, sind letztlich die Differenzen eher klein.
Von welcher Art Förderung auch immer die Rede ist: Es bleibt in jedem Fall schwer, Geld einzuwerben, vor allem für Vorhaben, die nicht so prestigeträchtig und öffentlichkeitswirksam sind. Deshalb hier ein Tipp aus meiner eigenen Praxis auf diesem Gebiet: Manchmal (besonders bei mittelständischen Unternehmen, die oft keine Budgets für Sponsoring haben und bei denen auch die Bereitschaft, in Kunst zu investieren, von Haus aus nicht hoch ist) ist es leichter, Sachmittel oder Dienstleistungen zu bekommen. Das können zum Beispiel Baumaterial für eine Installation oder ein Bühnenbild sein, die Übernahme von Transporten oder ein Elektriker, der für eine 119
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Stunde vorbeikommt. Ich selbst habe einmal für zwei Installationen im öffentlichen Raum FUSSMATTEN FÜR DIE INSTALLATION in Luxemburg diese Art des Sponsorings vor Ort eingeworben. Kein großes Unternehmen hätte sich engagiert, da beide Installationen in werblich unattraktiven Gegenden (nämlich gesellschaftlichen Brennpunkten) aufgestellt wurden. Einmal sollte eine ca. 50 m lange Fußgängerbrücke mit Fußmatten ausgelegt werden, die zweite Arbeit bestand aus Umzugskartons mit Kaminfeuerprojektionen. Für beide Installationen haben mittelständische Unternehmen das Material geliefert und den Transport übernommen. Ich habe jeweils mit den Firmeninhabern persönlich gesprochen, beide hatten mit Kunst eigentlich nichts im Sinn, aber das Stichwort »junge Leute« und die Tatsache, dass es nicht um Geld, sondern um Material ging, gaben den Ausschlag. Denn Material und auch Dienstleistungen lassen sich bis zu einem gewissen Umfang auf die normalen Baustellen oder Projekte umlegen; sie verursachen damit nur geringe Kosten für die Firmen.
WIE ERSTELLE ICH EINEN SPONSORINGANTRAG? Das Wichtigste: Rechtzeitig! Wir haben in den Interviews gehört, dass große Firmen ihre Budgets im Herbst des Jahres für das kommende Jahr festlegen, und dass danach – außer für Kleinbeträge – kein Spielraum mehr besteht. Schaut auf die Website des Unternehmens, ob dort nicht schon Empfehlungen zu finden sind, wie der Sponsoringantrag aussehen soll, oder sogar Formulare. Die meisten Sparkassen zum Beispiel haben die Sponsoringanträge standardisiert und bieten sie so auf den Websites an. 120
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Individuelle Anträge können unterschiedVORTEIL FÜR lich gestaltet sein, haben aber eine gemeinHEIMATKÜNSTLER same Grundstruktur. Macht euch klar, dass die Anträge meist von Mitarbeitern vorsortiert werden, die schnell erfassen wollen, worum es geht. Habt ihr diese Hürde genommen, wird sich jemand ausführlicher mit dem Antrag befassen. Fragt euch, ob es sich bei eurem potentiellen Sponsor um eine Firma mit starkem Regionalbezug handelt – wie zum Beispiel eine Kreissparkasse oder ein örtlicher Energieversorger – oder um ein international operierendes Unternehmen. Daran orientiert sich, wie stark (das heißt vor allem, wie weit vorne im Antrag) der »Heimatbezug« hervorzuheben ist. Folgende Elemente sollte euer Antrag – wenn nichts anderes vom Sponsor gefordert wird – enthalten: Titel des Projekts, Zeitraum der Durchführung, Kurzbeschreibung des Projekts, Darstellung der Werbemaßnahmen, angebotene Gegenleistungen, Finanzierung und Kostenplan, Kurzbeschreibung des Antragstellers, Name und Anschrift des Antragstellers. Schauen wir uns die Bestandteile im Einzelnen an. Dass euer Projekt einen Titel braucht, der ansprechend ist, haben wir schon an vielen Stellen dieses Buches behandelt. Deshalb gleich hierzu: KURZBESCHREIBUNG DES PROJEKTS:
Hier kommt es darauf an, in knappen, klaren, anschaulichen Sätzen euer Vorhaben darzustellen. Im Kopf eures Gegenübers muss ein Bild entstehen. Und da es sich (vor allem bei mittelständischen Unternehmen aus der Region, aber oft auch bei größeren Firmen) nicht um eine Fachjury handelt: vermeidet Expertensprache. Was ist der Inhalt und welches Ziel verfolgt ihr mit dem Projekt? Da es um einen Sponsoringantrag geht, sind Auskünfte über eure Zielgruppe, zum Beispiel zum Alter der erwarteten Besucher, wichtig. Welche Publikumsresonanz erwartet ihr überhaupt – ist mit 500 Besuchern oder eher mit 50 zu rechnen? Und wenn vorhanden, stellt ihr hier den Bezug zur Region her. 121
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Entweder in einem eigenen Absatz oder gesondert im Anschreiben solltet ihr auch darlegen, warum ihr gerade dieses Unternehmen ansprecht. Ich habe diese Begründung bei meinen Projektanträgen gerne ins Anschreiben aufgenommen, aber manchmal möchte der potentielle Sponsor sie im Antrag selbst geliefert bekommen. DARSTELLUNG DER WERBEMASSNAHMEN:
Hier solltet ihr eine Übersicht der geplanten Werbemittel und ihre jeweiligen Reichweiten geben. Also: Plakat, Auflage …; Postkarte, Auflage …; Flyer, Auflage …; Facebook-Auftritt, Fans…; Anzeige in Zeitschrift XY, Auflage …; Einladungen, Verteiler … usw. Damit es auch ansprechend ist, gestalte ich so etwas meistens mit kleinen Bildchen des jeweiligen Werbeträgers, die dann idealerweise schon die Grafik oder die Farben des tatsächlichen Auftritts vorwegnehmen. Oder ihr lasst euch etwas Originelleres einfallen und macht das in Form eines Comics oder einer Zeichnung – da seid ihr als Künstler gefragt. ANGEBOTENE GEGENLEISTUNGEN:
Ein neuerer Trend – vor allem professionelle Sponsoringagenturen bieten das ihren Kunden als Service an – ist es, »Pakete« zu schnüren, das heißt genau festzulegen, welche Gegenleistung der Künstler für welchen Förderungsumfang erbringt. Manche Unternehmen fordern auf ihrer Website auch dazu auf, beim Antrag solche Pakete aufzulisten. Also etwa: Für 5.000 Euro erhält der Partner eine bestimmte Anzahl Freikarten, ein Essen mit den beteiligten Künstlern für seine Kunden. Für 3.000 Euro gibt es entsprechend weniger. Da kommt es auf eure Kreativität an, aber auch darauf, dass ihr erfasst, was für das Unternehmen wichtig sein könnte und dass ihr euren »Wert« realistisch einschätzt. Für ein Modelabel könnte etwa ein exklusives Party-Event in der Galerie oder am Veranstaltungsort attraktiv sein – für eine Großbäckerei wahrscheinlich weniger. Insgesamt würde ich Gegenleistungen eher später (nachdem sich ein Unternehmen schon für euer Projekt interessiert hat) persönlich verhandeln als im Vorfeld schriftlich 122
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fixieren. Es sei denn, es wird vom Unternehmen ausdrücklich so gewünscht. Was in der Praxis allerdings immer öfter vorkommt. FINANZIERUNGS- UND KOSTENPLAN:
Das ist ein wichtiges Element im Antrag. Hierbei müsst ihr »Kosten« und »Finanzierung« unterscheiden. Zuerst erstellt ihr den Kostenplan; er bildet die Grundlage für den Finanzierungsplan. Der Kostenplan ist eine Auflistung aller eurer Ausgaben für das Projekt. Das können Sachkosten für eure künstlerische Arbeit sein, Verwaltungskosten wie zum Beispiel Mieten oder Telefon, aber auch Personalkosten für Mitarbeiter wie etwa einen Techniker oder Aufwendungen für die Dokumentation. Es ist wichtig, hier sorgfältig und genau zu sein, denn euer potentieller Partner will nicht nur in ein innovatives Kunstprojekt investieren – er will auch mit einem vertrauenswürdigen Geschäftspartner arbeiten, der seine Mittel im Griff hat und nach dem Abschluss des Projekts in der Lage ist, sie sachgerecht abzurechnen. Zum Finanzierungsplan wird der Kostenplan, indem auch die Einnahmeseite hinzukommt. Also werden in einem zweiten Teil eure Einnahmen, andere Finanzierungsquellen und Eigenmittel dargestellt. Einnahmen können Eintrittsgelder sein, Katalog- oder Plakatverkäufe, der Verkauf von Kunstwerken. Das sind natürlich im Vorfeld des Projektes Schätzungen; ihr wisst ja nicht wirklich, wie viele Kataloge oder Karten ihr wirklich absetzen werdet. Diese Schätzungen müssen seriös sein, dem Ort und der Art der Veranstaltung angemessen; hier gilt noch strenger als beim Verfassen von Pressemitteilungen: Bitte keine Kreativität und Phantasie! Ebenfalls anzugeben sind weitere Zuwendungen für das Projekt, sei es von Sponsoren oder von der öffentlichen Hand. Dazu gehören auch die Sachzuwendungen, etwa wenn euch ein Sponsor eine Palette Holz zur Verfügung stellt – das sind geldwerte Leistungen und für euch Einnahmen. Es werden neben bereits zugesagten auch beantragte Mittel dargestellt (vergesst nicht, sie mit dem Zusatz »beantragt« zu versehen). Wenn ihr Gelder bei mehreren Sponsoren beantragt, achtet darauf, die Exklusivität des jeweiligen Sponsors in der Branche zu gewährleisten. Also: nur ein BITTE KEINE KREATIVITÄT BEIM GELD!
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Energieversorger, nur ein Mobilfunkanbieter usw. Ebenfalls in den Finanzierungsplan kommen die sogenannten Eigenmittel. Eigenmittel sind Beträge, die ihr privat (wenn ihr ein Einzelkünstler seid) oder aus Mitteln eurer Institution (wenn der Antrag etwa von eurem Verein gestellt wird) ins Projekt zuschießt, wie auch eure Arbeitsleistung, Sachmittel oder Raummieten, wenn der Proberaum euch gehört. Manchmal schränkt der potentielle Geldgeber in seinen Förderbedingungen die Eigenmittel auf tatsächlich fließende Mittel ein, dann kann zum Beispiel eure eigene Arbeitsleistung nicht angegeben werden. Habt ihr alle eure Einnahmen, Finanzierungsquellen und Eigenmittel aufgelistet, stellt ihr sie den im Kostenplan ermittelten Gesamtkosten gegenüber. Wenn ihr noch nie etwas mit einem Kosten- oder Finanzierungsplan zu tun hattet und gar nicht wisst, wie so etwas auszusehen hat, empfehle ich euch, auf der Website der Kulturstiftung des Bundes ein Muster eines Kosten- und Finanzierungsplans herunterzuladen. Da findet ihr eine sehr ausführliche Version, die ihr für eure Zwecke anpassen und vereinfachen könnt. Fühlt ihr euch jetzt überfordert, kann ich euch beruhigen: Nach meiner Erfahrung reichen bei privaten Sponsoren meist ein detaillierter Kostenplan und die Darstellung eurer Eigenmittel aus. Bei öffentlichen Geldgebern ist das anders, da müsst ihr akribisch sowohl die Kosten- als auch die Finanzierungsseite darlegen. Bei der öffentlichen Hand ist öfter eine spezielle Förderungsform anzutreffen, die sogenannte »Fehlbedarfsfinanzierung«. Das bedeutet: Es wird lediglich genau jener Anteil der Kosten zugeschossen, den der Projektträger nicht aus eigenen oder fremden Mitteln decken kann. Wenn ihr also Mittel beantragt bei einem Partner, der nur Fehlbedarfsfinanzierung vornimmt (Förderbedingungen vorher checken!), muss die beantragte Summe + eure Einnahmen + Finanzierungsquellen + Eigenmittel – Gesamtkosten des Projekts 0 ergeben. Der Gegenbegriff zur Fehlbetragsfinanzierung ist die Festbetragsfinanzierung – hier wird nicht eine Deckungslücke gewissermaßen »erstattet«, sondern der Zuwendungsgeber beteiligt sich mit einer separat festgelegten Summe an den Ausgaben für euer Projekt. 124
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KURZBESCHREIBUNG DES ANTRAGSSTELLERS:
In diesem Abschnitt geht es um euch. Ihr müsst kurz eure Arbeit charakterisieren – also die »künstlerische Positionierung« vornehmen, von der wir schon gesprochen haben. In diesen Abschnitt gehören auch Auszeichnungen und Preise, die ihr vielleicht bereits gewonnen habt, und – wenn vorhanden – ein Pressespiegel, also eine Zusammenfassung der Berichterstattung über euch und eure Projekte. Hier solltet ihr auch sagen, ob ihr von dem angesprochenen Sponsor schon einmal zu einem früheren Zeitpunkt gefördert wurdet. NAME UND ANSCHRIFT DES ANTRAGSSTELLERS:
Hier gilt, wie bei der Pressemitteilung: Wenn ihr eine Gruppe seid, immer nur einen Ansprechpartner benennen. Wichtig insgesamt für die Gestaltung des Antrags: Vergesst die Bilder nicht! Bilder zum Thema eures Projekts; Bilder von Vorgängerprojekten, wenn es sich um eine Veranstaltungsreihe handelt; Bilder des geplanten Veranstaltungsortes … Gestaltet den Antrag visuell ansprechend; macht, wenn ihr keine Fotos habt, Zeichnungen, Skizzen des Bühnenaufbaus, der Installation usw. Ihr müsst aus einer Menge von Anträgen hervorstechen und es in die Vorauswahl schaffen, und das gelingt mit Bildern besser.
FÖRDERUNG DURCH STEUERGELDER – DIE ÖFFENTLICHE HAND Bei allem Interesse an privaten und unternehmerischen Förderern, auch bei aller berechtigten Aufmerksamkeit für neue Finanzierungsmodelle wie das Crowdfunding (siehe nächstes Kapitel): Der größte Kunst- und Kulturförderer in Deutschland ist immer noch der Staat. Wie ihr wisst, ist Kultur Ländersache und damit in den Landesregierungen (wie auch in den kommunalen bzw. städtischen Verwaltungen) verankert. In Deutschland übernehmen – trotz steigender Kul125
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turausgaben des Bundes – Länder und Kommunen immer noch mit Abstand den größten Teil der öffentlichen Kulturfinanzierung. Wollt ihr euch dort für eine Projektförderung bewerben, dann spielt meistens der lokale Bezug eine wichtige Rolle. Manchmal reicht einfach die Tatsache, dass ihr als Künstler in dem fraglichen Bundesland lebt, dass ihr mit Institutionen vor Ort kooperiert, das Projekt dort zum ersten Mal gezeigt wird oder dass eure Arbeit eine künstlerische Auseinandersetzung mit lokalen Themen beinhaltet. Die Förderung funktioniert von Land zu Land verschieden und spiegelt oft die Schwerpunkte der jeweiligen Landespolitik. Für euch heißt das: Informiert euch bei den kommunalen Kulturämtern oder – wenn vorhanden – bei den landesweiten Kulturbüros (zum Beispiel NRW Kultursekretariat, Kulturbüro Rheinland Pfalz) über die Förderprogramme. Oft gibt es in den Ländern eigene Kulturstiftungen (zum Beispiel Kunststiftung NRW, Stiftung Rheinland Pfalz für Kultur, Kunststiftung Baden-Württemberg), durch die sowohl Preise als auch Projekt- und Nachwuchsförderungen vergeben werden. Übrigens: Auch die Kirchen sind – gerade regional – interessante und finanzstarke Kulturförderer. Neben der Kulturfinanzierung der Länder bietet auch der Bund Möglichkeiten zur Förderung. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) ist der Geldgeber aller Bundeseinrichtungen zur Kulturförderung, die ich euch vorstelle. Aber er finan126
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ziert auch direkt – zum Beispiel im Bereich Film (u.a. Drehbuchförderung), bei der kulturellen Bildung oder durch Ankäufe für die Kunstsammlung des Bundes. Und, das vergisst man immer: durch eines der wichtigsten Förderinstrumente für Künstler, die Künstlersozialversicherung (KSK). Daneben gibt es institutionelle Förderungen für Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung, die sogenannten Leuchttürme. Und, natürlich, die Hauptstadtförderung. Hier ist für euch der Hauptstadtkulturfonds besonders interessant (www.hauptstadtkulturfonds.berlin.de). Aus ihm werden Einzelprojekte und Veranstaltungen gefördert, die für Berlin bedeutsam sind sowie nationale und internationale Ausstrahlung haben. Die Projekte – alle Sparten werden berücksichtigt – müssen in Berlin realisiert und präsentiert werden. Übrigens erhaltet ihr auf der Website des BKM auch Antragsformulare sowie InforDER GROSSE mationen zu den deutschen KünstlerhäuPREIS: sern im Ausland, wie zum Beispiel der Villa ROM ODER Massimo in Rom oder der Villa Romana in FLORENZ Florenz. Grundprinzip dieses Engagements, das – neben dem Aufenthalt in den Häusern – auch gutdotierte Stipendien umfasst, ist die Spitzenförderung. Da sind jedoch Berufsanfänger nicht wirklich im Rennen. Für eine erfolgreiche Bewerbung solltet ihr Kataloge oder andere Nachweise über Präsentationen eurer Arbeit vorweisen können. Am bekanntesten und mit der größten finanziellen »Feuerkraft« ausgestattet ist sicher die Kulturstiftung des Bundes. Die Kulturstiftung der Länder ist dagegen für euch weniger interessant; sie fördert keine Privatpersonen, sondern nur öffentlich zugängliche Institutionen, wie zum Beispiel Bibliotheken, Archive oder Museen. Wenn ihr am Thema »Kunst am Bau« interessiert seid: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat einen Leitfaden zu diesem Themenkomplex herausgebracht, den ihr euch auf der Website www.bmvbs.de herunterladen könnt. Die Bundeskulturstiftung fördert Projekte von Dritten, aber sie initiiert auch eigene Vorhaben zu bestimmten Schwerpunktthemen (meist in großem Rahmen, mit viel Infrastruktur, was das Thema 127
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für Jahre künstlerisch »abgrasen« kann). Ich selbst habe einmal für eine internationale Kunstausstellung von der Kulturstiftung des Bundes eine maßgebliche Summe eingeworben und fand das Bewerbungsverfahren umfangreich und selbst für mich als Managerin anspruchsvoll, aber durch die Höhe der Summe am Ende lohnend. Die Bundeskulturstiftung fördert in der Regel keine Projekte von Einzelpersonen, sondern nur von Institutionen. Für euch ist eine Bewerbung formal also nur möglich, wenn ihr zum Beispiel in einem Verein organisiert seid. Es werden aber immer wieder zeitlich begrenzte Programme zu bestimmten Themen (wie etwa Kulturaustausch mit Afrika) aufgelegt, die sich dann auch direkt an Künstler richten. Es lohnt sich also, die Website hin und wieder aufzusuchen – vor allem, wenn eure Arbeit einen internationalen Radius hat. Habt ihr eure künstlerische Ausbildung gerade beendet und wollt ins Ausland, bietet der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD, www.daad.de) Unterstützung (zum Beispiel über das Programm »Stipendien zur künstlerischen Weiterbildung für Graduierte«). Kommt ihr aus den Bereichen Bildende Kunst, Kreatives Schreiben oder Musik, so lohnt sich ein Blick auf die Webseite der UNESCO, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen (www. unesco.de). Dort findet ihr Angebote für Stipendien und Aufenthalte in Künstlerresidenzen im Ausland (zum Beispiel das UNESCO-Aschberg-Programm für junge Künstler). Das Institut für Auslandsbeziehungen (www.ifa.de) unterhält ebenfalls eigene Förderprogramme, vor allem im Bereich Ausstellungsförderung. Ansonsten sind in Sachen Internationales die AUF DEN CHEF Goethe-Institute (www.goethe.de) oft erste KOMMT ES AN Ansprechpartner. Sie haben neben ihrer umfangreichen Spracharbeit die Aufgabe, deutsche Kultur an ihrem Standort bekannt zu machen. Die Leiter der einzelnen Institute arbeiten weitgehend autonom in ihrer Programmgestaltung. Ich habe bei fast allen meinen internationalen Projekten mit Goethe-Instituten zusammengearbeitet. Und auch wenn das von offizieller Seite vermutlich nicht bestätigt würde: Welche künstlerischen Schwerpunkte gesetzt werden, hängt meiner Erfahrung nach stark von den persönlichen Vorlieben der Direktoren ab. Goethe-Institute sind, was Kontakte in die Länder und Unterstützung betrifft, gute An128
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laufstellen. Ihr könnt die einzelnen Institute direkt ansprechen; die Kontaktdaten der Leiter, inklusive E-Mail-Adresse, findet ihr auf den Websites der Goethe-Institute. Wendet euch immer – ganz gleich, wie klein euer Projekt ist – direkt an den Chef, denn die Struktur ist recht hierarchisch und ein Programmmitarbeiter, oft eine Ortskraft, kann wenig entscheiden. Auf der Website der Bundeskulturstiftung findet ihr auch die Kulturfonds aufgelistet. Die Bundeskulturstiftung ist nur haushälterisch für sie verantwortlich, inhaltlich arbeiten sie autonom. Ich halte die Fonds für interessante Partner für Künstler. Sie legen viele Programme auf, die sich an Einzelkünstler richten und für die ihr euch direkt bewerben könnt. Die Fonds sind thematisch organisiert: Darstellende Künste, Bildende Kunst, Soziokultur, Deutsche Literatur, Übersetzungen. Zwei Fonds stelle ich euch exemplarisch vor: die Stiftung Kunstfonds zur Förderung der zeitgenössischen Bildenden Kunst (Kunstfonds) und den Fonds Darstellende Künste e.V. Beim Kunstfonds (www.kunstfonds.de) könnt ihr euch als Einzelkünstler projektunabhängig auf ein Arbeitsstipendium bewerben, habt aber auch die Möglichkeit, einen Zuschuss zu den Sach- und Reisekosten für ein konkretes künstlerisches Vorhaben (Installation oder Recherche) zu beantragen. Darüber hinaus unterstützt der Kunstfonds die Realisierung von Ausstellungen. Das können Präsentationen zur zeitgenössischen Bildenden Kunst sein, aber auch – und da wird es für die Berufsanfänger unter euch interessant – Erstausstellungen von Einzelkünstlern. Ihr braucht dazu allerdings einen Partner, das heißt einen Ausstellungsort, der die Finanzhilfe aus dem Sonderprogramm »Erstausstellungen« beim Fonds beantragt. Ihr selbst müsst in Deutschland lebende Bildende Künstler sein. Außerdem vergibt der Kunstfonds zum Beispiel an Verlage, Museen, Kunstvereine, Galerien oder Artotheken Druckkostenzuschüsse für Publikationen künstlerischer Arbeiten. Wenn ihr also einen Katalog veröffentlichen wollt, müsstet ihr euch einen Partner suchen, der die Beantragung der Mittel für euch übernimmt. Die Entscheidung über die Förderung wird beim Kunstfonds von einer Jury aus Künstlern, Kunstvereinsleitern und Galeristen getroffen. Die Namen der Mitglieder könnt ihr auf der Website der Stiftung Kunst129
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
fonds einsehen. In der Projektförderung müssen beim Kunstfonds, wenn die Initiatoren Kunstvermittler (das heißt freie Kuratoren, Institutionen, Kunstvereine) sind, 25 Prozent der Projektkosten aus Drittmitteln kommen. Aber wenn der Initiator ein Künstler ist, wird das Projekt nach erfolgreicher Bewerbung zu 100 Prozent vom Kunstfonds finanziert. Karin Lingl, KUNSTFONDS
Ich habe Karin Lingl, die Geschäftsführerin des Fonds, nach dem Profil ihrer Förderung befragt: K.L. Unsere Förderung stellt den Bildenden Künstler in den Mittelpunkt. Vor allem natürlich durch unsere Einzelförderung. Aber auch in der Projektförderung fördern wir keine theoretischen Gebilde oder kuratorischen Ansätze, sondern Projekte, die von der Produktion her entwickelt wurden. Auch in unseren Gremien sind die Bildenden Künstler in der Mehrheit.
Karin Lingl spricht ausdrücklich diejenigen unter euch als ihre Zielgruppe an, die noch ganz am Anfang stehen, eben noch keine Ausstellung oder Präsentation vorzuweisen haben und es daher oft bei anderen Förderern schwer haben. Der Kunstfonds hat etwas übrig für das »Blubbern am Anfang«, wie Frau Lingl es nennt, eure ersten Schritte im Kunstmarkt: K.L. Wir fördern in einem Bereich, in dem es nicht um kommerziellen Erfolg geht. Nicht Bewährtes und künstlerisch Riskantes ist ausdrücklich erwünscht.
Die öffentliche Förderung kann sich eine gewisse Unabhängigkeit von schnellen Erfolgsnachweisen leisten. Private Stiftungen sind oft nicht im selben Maße imstande, ein aufwendiges Bewerbungsverfahren durchzuführen oder eine Jury zu verpflichten. Vor allem ist es für sie heikel, sich zu stark auf Experimente und erste Versuche einzulassen. Bei allen guten Absichten wollen und müssen private Stiftungen ihren Namen mit Kunst verbinden, die etwas gilt und etwas hermacht. Deshalb setzen sie lieber auf Projekte, die entweder schon von anderen gefördert oder »bepreist« wurden 130
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oder bereits eine gewisse Öffentlichkeit haben. Da ist der Kunstfonds risikobereiter. Das Antragsverfahren beim Fonds ist nicht standardisiert und – sehr selten heute – offline. Das heißt, ihr macht eine klassische Bewerbungsmappe mit Fotos. K.L. Wir schreiben wenig vor; wie viele Bilder man uns schickt, ist Sache des Künstlers selbst. Mir ist nur aufgefallen, dass sich Bildende Künstler in einer Bewerbungssituation aufgefordert fühlen, plötzlich ganz viel zu schreiben. Und das in einer seltsamen Austauschprosa – also Schlagworte, die jeder schreibt, manchmal sogar in der dritten Person über sich selbst. Für uns ist der visuelle Eindruck entscheidend. Wir lesen gerne auch technische Hinweise und in kurzen knappen Sätzen etwas über den künstlerischen Ansatz.
Über den Fonds Darstellende Künste e.V. (www.fonds-daku.de) berichtet sein langjähriger Geschäftsführer Günter Jeschonnek, den ich gern zu Veranstaltungen oder in Seminare an meine Hochschule einlade. Der Fonds fördert eure Projekte nur unter der Voraussetzung, dass ihr über eine gesicherte Drittfinanzierung verfügt. Das heißt, ihr müsst bereits eine Zusage über eine Förderung in eurer Kommune oder in eurem Land haben. Der Fonds will die Kommunen und Länder nicht aus ihrer Verantwortung für ihre Künstler entlassen. Das ist kulturpolitisch richtig, hat aber die Konsequenz, dass ihr in dieser Hinsicht von euren Kommunen und Ländern abhängig seid. Der Fonds kann bis höchstens 50 Prozent der Gesamtkosten (bezogen auf die Kosten bis zur Premiere) oder maximal 15.000 Euro bei einem Einzelprojektantrag fördern. Institutionen und studentische Projekte werden nicht gefördert. Daneben gibt es eine Konzeptionsförderung, die für drei Jahre bis zu 75.000 Euro betragen kann, und den »George Tabori Preis«. Günter Jeschonnek, FONDS DARSTELLENDE KÜNSTE E.V.
I.R. Wie man bei Ihnen einen Antrag stellt, kann jeder auf Ihrer Website nachlesen. Aber wenn wir mal einen Schritt zurücktreten – können Sie sagen, welche Art Projekt für Sie besonders attraktiv ist? Vielleicht auch, was gar nicht für Sie in Frage kommt? 131
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G.J. Besonders interessant sind für uns Projekte, die gesellschaftliche Relevanz haben, die sich also an Themen abarbeiten, die unsere Gesellschaft insgesamt betreffen.
Wir möchten den Vorteil, den die freie Szene gegenüber den etablierten Häusern hat – nämlich viel schneller auf aktuelle Themen zu reagieren und sich so mit Fragen der Zivilgesellschaft auseinanderzusetzen – in unserer Förderung widerspiegeln. Daneben wollen wir mit unserer Förderung freie professionelle Theater- und Tanzschaffende ermutigen, neue interessante ästhetische Wege einzuschlagen, die Stadt- und Staatstheater aufgrund ihrer Verpflichtungen gegenüber ihrem Stammpublikum und der eher literaturlastigen Dramaturgien nicht gehen. Darüber hinaus schaffen besondere Aufführungsorte, die nicht die klassischen Theater- oder Tanzstätten sind, ein anderes Interesse beim Publikum. Wir förderten bereits Projekte zum Beispiel in Restaurants, Markthallen, Bahnhöfen, in Luftschutzbunkern, Wohnungen, Hafengeländen, Finanzämtern… Für uns kommt nicht in Frage, was sich auch über den Mainstream finanzieren lässt. Auch Projekte, die wie bunte Luftballons aussehen, schrill und oberflächlich sind, das heißt bei denen die Zuschauer nur unterhalten werden sollen, aber nicht herausgefordert werden, Fragen zu stellen oder sich mit Konflikten auseinanderzusetzen, haben bei uns in der Regel keine Chancen. Zurückhaltend sind wir auch gegenüber großen Projekten, sogenannten Leuchttürmen, bei denen unsere Fördersummen, also maximal 15.000 Euro, im Gesamtbudget nur eine untergeordnete Rolle spielen. I.R. Ist es sinnvoll, die Gremien des Fonds und Sie neben dem formalen Antragsverfahren auch persönlich anzusprechen? Was wäre die geeignete Form? G.J. Auch wenn wir personell unterbesetzt sind, nehmen wir die Beratung sehr ernst. Ich tue das telefonisch und auch in Beratungsgesprächen in unserem Büro oder vor Ort bei den Künstlern. Meist bitte ich um die Zusendung von Kurzkonzepten, um mich entsprechend vorbereiten zu können. Ich gebe auch Hinweise auf andere Finanzierungsquellen und gelegentlich auch Referenzen für öffentliche Zuwendungsgeber wie zum Beispiel die Kommunen, die Bundeskultur132
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stiftung oder das Auswärtige Amt; aber auch für Unternehmen oder Kulturstiftungen. Wenn ich jedoch merke, dass sich mein Gegenüber nicht mit dem Fonds oder der Förderlandschaft beschäftigt hat, also nicht professionell agiert, dann bin ich meinerseits auch nicht bereit, mich einzusetzen. Unsere ehrenamtlich arbeitenden Kuratoriumsmitglieder können ebenfalls angefragt oder auf das jeweils besondere Projekt der Antragsteller aufmerksam gemacht werden. I.R. Haben auch Anfänger bei Ihnen eine Chance? G.J. Anfänger haben bei uns nur eine Chance, wenn sie ihre Kommunen bereits überzeugt haben – das heißt in der Regel: wenn sie sich dort schon mindestens durch ein Projekt bekannt gemacht haben und deshalb von der Kommune gefördert werden. Man muss hinzufügen: Oft haben die Anträge von Anfängern noch nicht die Kraft und Qualität, dass sie sich gegen die erfahrenen Theater- und Tanzschaffenden behaupten können. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Bei einer Förderquote von ca. maximal 15 Prozent der bei uns eingereichten Projektanträge spielt natürlich auch immer die Konkurrenz zwischen den Antragstellern eine nicht unerhebliche Rolle.
Da bei der öffentlichen Förderung SteuerDER STAAT IST mittel ausgegeben werden, müsst ihr nach PINGELIG erfolgreicher Antragstellung besonders sorgfältig und transparent die Ausgaben für euer Projekt nachweisen, abrechnen und dokumentieren. Nach meiner Erfahrung sind öffentliche Geldgeber in diesem Punkt viel penibler als Sponsoren. Also plant bei eurer Projektvorbereitung dafür genügend Zeit ein. Und vor allem: Hebt alle Quittungen und Belege auf! Ob nun Sponsoren, Mäzene oder die öffentliche Hand: Die Förderer, mit denen wir uns bis jetzt beschäftigt haben, waren Einzelpersonen, Firmen, Rechtspersonen wie Stiftungen oder Institutionen, die vom Steuerzahler beauftragt und ausgestattet sind, Kunst zu unterstützen. Ihr habt außer einem ordentlichen Antrag und einer guten Präsentation keinen Einfluss darauf, ob und in welcher Höhe ihr gefördert werdet. Die Entscheidung darüber liegt bei Fachjurys, Verantwortlichen der Firmen oder Gremien. Nun, in unserem letzten Kapitel zum Thema »Wie finanziere ich mein Projekt«, werden 133
WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
wir uns mit einer Finanzierungsform beschäftigen, bei der ihr den gesamten Prozess der Geldbeschaffung komplett selbst in der Hand habt. Wir reden vom Crowdfunding.
FÖRDERER GESUCHT? ZEHN ANLAUFSTELLEN FÜR EINE ERSTE RECHERCHE 1 Eine gute Übersicht über private und öffentliche Förderer von Kunst und Kultur auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene bietet das Deutsche Informationszentrum Kulturförderung. (www.kulturfoerderung.org/de/dizk_content/Foerderesuche/index.html) Der Onlinekatalog dieser zentralen Anlaufstelle hilft euch durch seine umfangreiche Verschlagwortung, die für eure Projekte und Ideen passende Förderung zu finden.
2 Die Förderdatenbank des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie (www.foerderdatenbank.de) bietet – neben Programmen zur Wirtschaftsförderung – auch Programme des Bundes, der Länder und der EU für Kulturförderung. Lasst euch nicht abschrecken von den vielen Wirtschaftsinhalten, gebt einfach in die Suchmaske »Kultur« und zum Beispiel euer Bundesland ein.
3 Die meisten in der Kulturförderung engagierten Unternehmen haben sich beim Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. organisiert. Auf dessen Website (www.kulturkreis.eu/) gibt es aktuelle Informationen und Ankündigungen zu Ausschreibungen, Veranstaltungen und Preisen.
4 Eine Übersicht der Kulturpreise, geordnet nach Sparten, mit einer detaillierten Suchfunktion (zum Beispiel unterteilt nach Gesamtdotierung) gibt es in der Onlineausgabe des Handbuchs der Kulturpreise (www.kulturpreise.de/web/index.php), das vom Beauf tragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstützt wird. 134
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5 Für Bildende Kunst findet ihr eine gute Übersicht der Fördermöglichkeiten, zum Beispiel Kunstwettbewerbe, Stipendien, Stiftungen unter www.artports.com/kuenstler/wettbewerbe. php. Oder: www.igbk.de, die Infoseite der IGBK (Internationale Gesellschaft der Bildenden Künste). Allerdings hat die IGBK-Seite den Nachteil, dass sie nicht laufend recherchiert wird und daher an einigen Stellen nicht mehr aktuell ist.
6 Die Websites der Berufsverbände sind ebenfalls nützlich, um Informationen über die die Förderung eurer Sparte zu erhalten
7 Auf europäischer Ebene informiert ihr euch unter www.europa-foerdert-kultur.info oder bei der nationalen Kontaktstelle für EU-Förderung – dem sogenannten Cultural Contact Point (CCP): www.ccp-deutschland.de. Das in Bonn im Haus der Kultur ansässige Büro berät euch auch bei euren Projekten.
8 Ein Verzeichnis mit mehr als 2.000 Mitgliedern aus allen Bereichen der Bildenden und Darstellenden Kunst bietet KultNet, www.kultnet.de. Dort lassen sich auf schlecht gestalteten Seiten Künstler, Agenturen, Veranstalter, Ausschreibungen, Fortbildungen und Festivals nach Sparten sortiert finden. Ich empfehle euch den Newsletter zu bestellen, der zwar ebenfalls nicht schön aufbereitet, aber informativ ist.
9 Für Fördermöglichkeiten im Bereich Tanz ist www.tanzfoerderung.de, für Musik ist www.miz.org/institutionen/stiftungen-s3 eine gute Adresse.
10 Das Informationsportal »Touring Artists«, (Projekt des Internationalen Theaterinstituts [ITI] und der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste [IGBK]) bietet für die Sparten Bildende- und Darstellende Kunst neben Informationen zu Steuern, Versicherungen, Zoll, Visa auch eine Übersicht zur Förderung für Künstler sowie Veranstalter aus Deutschland, die temporär im Ausland arbeiten wollen. Die Seite ist als Serviceportal recht textlastig und ihr müsst ein bisschen nach den für euch relevanten Informationen graben. Die Site ist erst seit April 2013 neu geschaltet und verbessert sich sicher noch. 135
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III.3 Crowdfunding: Die Menge macht die Masse Crowdfunding ist in Deutschland ein ziemlich neues Thema. Wie der Name sagt, unDIE MENGE, terstützt hier nicht ein einzelner Mäzen, eine Institution oder Firma das Projekt, sondern DER NEUE eine »Menge« (»crowd«) von Leuten. Fürs SPONSOR Crowdfunding braucht man keine Förderanträge, kein Finanzierungskonzept und kein Eigenkapital. Sondern Originalität, Kreativität, Zeit und eine gute Idee. Das Prinzip ist ganz einfach: Es geht darum, euer Vorhaben im Netz darzustellen und, ebenfalls durch das Netz, viele kleine Beiträge zu seiner Finanzierung einzusammeln. Wie viele der privaten, nichtstaatlichen Finanzierungsmodelle kommt Crowdfunding aus den Vereinigten Staaten. Es ist dort ein erfolgreicher Weg zur Finanzierung von Kunstprojekten, Geschäftsideen, Erfindungen – und manchmal auch einfach nur von persönlichen Träumen. Als Crowdfunding-Pionier gilt die Plattform www. artistShare.com, die im Jahr 2000 von Brian Camelio, einem Musiker und Produzenten, gegründet wurde. Die Geberlaune, die Bereitschaft aus dem eigenen Geldbeutel interessante Ideen zu unterstützen, ist in den angelsächsischen Ländern traditionell größer als in Europa. Wir Europäer sind gewöhnt, dass um Kultur und Soziales sich der Staat kümmert, nicht der Einzelne. Aber das ändert sich gerade – und die Karriere des Crowdfundings ist ein Beweis dafür. Trotzdem ist es immer noch aussichtsreicher und (wegen der höheren Summen) lukrativer, sein Projekt auf den 136
III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
amerikanischen Plattformen (zum Beispiel Kickstarter, artistShare) zu präsentieren. Dazu braucht ihr jedoch einen Freund in den USA, mit amerikanischer Adresse, Bankkonto und ID-Nummer. Da sich viele deutsche Kreative von diesen Hürden nicht abschrecken lassen und mit ihren Projekten trotzdem auf amerikanische Plattformen gehen, werde ich Kickstarter exemplarisch als bekannteste amerikanische Plattform, als Marktführer, vorstellen. Wenn man dort den Suchbegriff »Germany« eingibt, findet man nach Städten geordnet bereits eine Vielzahl von deutschen Projekten. Noch eins vorweg: Crowdfunding ist nicht RAUS AUS DER für jeden die richtige Geldquelle. Wenn ihr SCHÜCHTERNHEIT! eher schüchtern seid, weder gewöhnt noch geneigt, aus euch herauszugehen, dann ist dies nicht die richtige Finanzierung für euch – und ihr solltet euch lieber an den vorigen Abschnitt über Sponsoren und Mäzene halten. Vielleicht findet ihr auch einen etwas offensiveren Typen, der euch hilft. Beim Crowdfunding stellt ihr euch und eure Idee der Öffentlichkeit vor. Das sollte für Künstler zwar kein Problem sein, aber im Internet geht es enthemmter und ruppiger zu als im Theater und bei Konzerten oder Ausstellungen. Wie funktioniert nun Crowdfunding? Ich gebe erst einmal einen ganz groben Überblick über die wichtigsten Elemente, danach werden wir ins Detail gehen. Seht euch diese Zeichnung an:
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Ihr habt also eine Projektidee (das ist die Glühbirne) und bereits ein eigenes Netzwerk: Freunde, Fans, Familie, berufliche Bekanntschaften. Das sind die kleinen Figuren (mit Herz) um die Hauptfigur herum. Ihr habt auch bereits eure Kommunikationskanäle technisch eingerichtet und sozial aufgebaut, ihr habt also zum Beispiel »Likes« auf eurer Facebook-Seite, Followers auf Twitter, einen Projekt-Blog, Website und, besonders wichtig, einen gut gepflegten E-Mail-Verteiler. Dann sucht ihr euch die geeignete CrowdfundingPlattform – das ist das Kernstück der Sache, der Ort im Internet, an dem euer Projekt und seine möglichen Förderer zusammentreffen. Die Plattform stellt euch zugleich die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, die ihr für die jetzt folgenden Arbeitsschritte braucht. Über die Kriterien zur Auswahl der richtigen, zu euch am besten passenden Plattform werden wir noch sprechen. Jetzt erstellt ihr euren Auftritt; man könnte ihn vielleicht am besten als Gebot bezeichnen, so jedenfalls werden wir ihn in diesem Buch nennen. Ihr überlegt und gebt bekannt, wie viel Geld (Zielsumme) ihr für euer Projekt einwerben wollt. Es wird ein Zeitraum festgelegt; manchmal von euch, manchmal gibt es Vorgaben von der Plattform. Euer Projekt selbst kann ein Jahr oder länger laufen, das Gebot gilt meistens nicht länger als drei Monate. Ihr überlegt euch Prämien als Gegenleistung für eure Geldgeber/Unterstützer. Das sind auf der Zeichnung die kleinen Boxen. Diese ordnet ihr, im Wert gestaffelt, den jeweils eingezahlten Beträgen zu. Deshalb sind sie auch unterschiedlich groß gezeichnet. Dann wird der sogenannte Pitch-Film gedreht, eine Art Werbespot für euer Projekt. Danach geht ihr in die Offensive, auf allen erdenklichen Kanälen. Nicht umsonst habe ich einen riesigen Lautsprecher in meine Skizze gemalt. Nutzt Social Media, klassische Kanäle wie die Presse, vielleicht auch Offlineaktionen wie eine Party. Dieser Lautsprecher tönt und wirbt über die ganze Laufzeit des Projektes hinweg. Mit sogenannten »Project-Updates« informiert ihr eure Netzwerke ständig über die neuen Entwicklungen eures Projektes. Der Prozess ist dabei für eure Geldgeber genauso wichtig wie das Produkt. An138
III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
strengend? Ja! Damit werden eure Netzwerke (die Leute mit dem Herzen) in Unterstützer (die Leute mit Herz und Euro) verwandelt. Unterstützer (sie heißen je Plattform anders, etwa Sheperd, Angel, Backer oder Supporter) sind euer Netzwerk plus eine Anzahl von Leuten, die durch den Lautsprecher oder beim »Spaziergengehen« auf der Plattform aufmerksam wurden. Schafft ihr es, eure Zielsumme einzusammeln, wird euch der Betrag nach Auslaufen des Projektgebots und nach Abzug der Plattformund der Geldtransfergebühr überwiesen. Wenn das Projekt überfinanziert wurde (= Zielsumme übertroffen), gehört euch trotzdem der gesamte Betrag. Erreicht ihr euer Finanzierungsziel nicht, geht das bereits eingesammelte Geld an die Geber zurück. »Alles oder Nichts« ist das Grundprinzip auf allen Plattformen, bis auf diese Ausnahmen: Indiegogo und Sponsume. (Dort könnt ihr die gesamte eingeworbene Summe behalten, auch wenn ihr unter der Zielsumme bleibt.) Kleiner Trost: Ihr müsst bei einem erfolglosen Projekt auch nichts bezahlen. Gebühren fallen in der Regel nur bei Erreichen der Zielsumme an. Man riskiert also nichts. Habt ihr es geschafft, schickt ihr eure Prämien an die Unterstützer und setzt euer Projekt um. Entscheidend fürs Crowdfunding ist: Unterstützer wollen tatsächlich gebraucht werden. Solltet ihr ein Projekt haben, dass ihr auf jeden Fall mit oder ohne Crowd realisieren werdet, dann gebt nicht vor, die Idee würde sterben, wenn sich die Unterstützer nicht engagieren. Sondern löst einfach geeignete Teile fürs Crowdfunding heraus. Bei dem am Ende des Kapitels vorgestellten »Peace Old Jazz Band« Filmprojekt zum Beispiel waren es die Musikrechte für Jazzklassiker, für die das Geld eingeworben wurde. Szenen des Filmes hätten ohne Crowdfunding herausgeschnitten werden müssen. Aber der Film selbst wäre gemacht worden, nur eben nicht mit der teuren Musik. Das war Grund genug für die Unterstützer, sich zu engagieren. Nun zu den einzelnen Bausteinen eines Crowdfunding-Gebotes. Was sollte man jeweils beachten?
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DIE IDEE Gerade für das Crowdfunding muss die Projektidee originell sein – aber vor allem kommunizierbar. Wenn ihr nicht in drei Sätzen sagen könnt, worum es geht: Feilt an eurer Idee! Wichtig ist, dass es sich tatsächlich um eine Projekt–Idee handelt. Das heißt: Die Sache muss einen Anfang und ein Ende haben. Über Crowdfunding könnt ihr keine institutionelle Förderung erreichen, das heißt ihr könnt euch nicht den laufenden Betrieb eures Theaters finanzieren lassen. Aber zum Beispiel die Bestuhlung darin. Wie geschehen beim »Theater verlängertes Wohnzimmer« auf Startnext. Crowdfunding eignet sich ebenfalls nicht für »Ich«-Förderung – weder für Stipendien noch für einen Sprachkurs. Viele der Plattformen schließen das in ihren Regeln von vorneherein ausdrücklich aus.
DAS NETZWERK Crowdfunding kann man übersetzen mit: »Dein Netzwerk und vielleicht noch einige andere unterstützen Dich!« Zwar werden wir uns mit den Plattformen und deren Spezialisierungen und Service noch ausführlich beschäftigen. Aber Kern des Crowdfundings sind und bleiben das eigene Netzwerk und eure Fähigkeit, andere für euch zu gewinnen. Und da ist jede Oma oder Patentante willkommen. Die ersten 40 Prozent der Finanzierung sind die schwierigsten. Unterstützer wollen in aussichtsreiche Projekte investieren, Teil einer Erfolgsgeschichte sein. Ein Projekt, das bei ein bis zwei Prozent der Zielsumme dümpelt, ist nicht sexy. Deshalb sind gerade in der Anfangszeit Familie und enge Freunde entscheidend. Im Laufe des Projektgebotes können sogenannte Plattform- oder Netzspaziergänger dazukommen – und hoffentlich viele neue Leute, die durch eure Werbung von dem Projekt gehört haben. Deshalb beginnt frühzeitig (lange bevor ihr mit einem Projekt an die Plattform herantretet) euer Netzwerk aufzubauen. OMA MUSS MITMACHEN!
Ihr solltet auch ungefähr wissen, über welche Kanäle eure potentiellen Unterstützer am besten zu erreichen sind. Eine Besonderheit gilt dabei für Musiker: Ihr solltet – bevor ihr ein Crowdfunding-Pro140
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
jekt startet – bereits im Netz präsent sein. Es reicht nicht, wenn ihr Fans habt, die zu euren Konzerten kommen.Es ist nicht so selbstverständlich und einfach, die musikalische Offlinewelt in die Onlinewelt zu übertragen. Ein Vertreter einer Musikplattform hat mir das am Beispiel der Heavy-MetalFans erklärt. Metal-Hörer sind die treuesten Fans ihrer Bands, aber sie bewegen sich am wenigsten im Netz. Damit ist es schwer, sie für ein internetbasiertes Format wie Crowdfunding zu mobilisieren. Hier ist also besonders intensive Vorarbeit nötig. Die Musikplattformen checken in der Regel, wie beliebt eure Facebook-Seite und euer YouTube-Account oder wie groß euer E-MailVerteiler ist, bevor sie euer Projekt akzeptieren. Einige Plattformen helfen euch automatisch, wenn ihr ein Projekt bei ihnen startet, beim Aufbau der Verteiler. Auf PlegdeMusic zum Beispiel gibt es eine Minianwendung (»widget«): Wenn die Besucher ihre E-MailAdresse hinterlassen, erhalten sie dafür kostenlos einen Song der Band zum Herunterladen. Ein charmantes Werkzeug, den E-MailVerteiler zu erweitern. Stichwort Social Media: Ist fürs Crowdfunding Facebook wichtiger als Twitter, LinMAIL SCHLÄGT kedIn besser als Facebook? Es gibt kein FACEBOOK allgemeingültiges Ranking zwischen den »Werbekanälen«, das ist je nach Kunstsparte verschieden. Aber eins kann ich sagen: Ein guter E-Mail-Verteiler schlägt in puncto Nachhaltigkeit, Verbindlichkeit (ein Like ist dagegen schnell gesetzt und meint noch nicht viel) und persönlichem Zugang die Sozialen Netzwerke um Längen. Es lohnt sich, darauf Energie zu verwenden.
DAS CROWDFUNDING-GEBOT Die Erfahrung zeigt: Ihr braucht mindestens einen Monat Zeit, um ein Gebot zu durchdenken und vorzubereiten. Also, plant genügend Vorlauf ein, es wird sich später auszahlen. Ein Crowdfunding-Gebot hat folgende Bestandteile: 142
III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
Projekttitel, Kurzbeschreibung, Projektbeschreibung, Laufzeit, Zielsumme, Prämien, Pitch-Film. Schauen wir uns die Bestandteile im Einzelnen an. DER PROJEKTTITEL:
Der Titel sollte aussagekräftig sein und auch für sich allein stehen können, denn er taucht an vielen Stellen der Plattform, aber GESUCHT: WÖRTER, auch andernorts im Netz auf. Man muss AN DENEN sich schon durch den Titel etwas vorstellen MAN HÄNGEN können, auch wenn er ohne die nähere ProBLEIBT jektbeschreibung vorkommt. Ich selbst bin ein Fan von Schlagworten im Titel, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass nicht nur die Suchmaschinen im Netz, sondern selbst Journalisten darauf reagieren. Ihr müsst euch das so vorstellen: Schlagworte sind Wörter mit kleinen Haken dran, an denen die Angeln des WWW oder der Journalisten einklinken und damit über den Schlagworthaken den ganzen Titel oder Text aus der Masse fischen. Ein Beispiel dazu aus meiner eigenen Praxis: Dieses Buch handelt von der Selbstvermarktung von Künstlern. Für den kurzen Werbetext (ca. 600 Zeichen, das sind nicht mehr als sechs Sätze) oder den noch kürzeren sogenannten »Werbebubble« (Ein-Satz-Beschreibung) zur Vorankündigung im Katalog, für Buchhändler und Onlineportale, habe ich immer den Begriff »Do-it-yourself« verwendet. Es passt inhaltlich und hat genau eine solche Hakenwirkung. Das solltet ihr vielleicht für euren Titel, aber spätestens bei der Kurzbeschreibung eures Projektes im Kopf behalten. Vielleicht passt ein Begriff mit solcher Qualität für euer Vorhaben. DIE KURZBESCHREIBUNG:
Die Kurzbeschreibung wird neben dem Titel auf den Projektübersichten angezeigt und ist damit die erste Information, die der potentielle Unterstützer sieht. Sie umfasst im Durchschnitt zwischen 200 – 400 Zeichen. Das sind nicht mehr als zwei lange oder vier kurze Sätze. Wichtig ist, dass darin Wörter wie »Hilfe« oder »Unterstüt143
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zung« vermieden werden. (Das gilt übrigens BLOSS NICHT auch für die längere Projektbeschreibung, BETTELN von der gleich noch die Rede sein wird.) Sie erwecken den Eindruck, dass jemand euch einen Gefallen tun soll – aber beim Crowdfunding geht es darum, dass ihr eine gemeinsame Erfahrung, ein gemeinsames Projekt, seinen Verlauf und Erfolg mit anderen teilt. Ihr seid nicht nur Nehmer, sondern auch Geber! Also konzentriert euch bei der Kurzbeschreibung darauf, zu erklären, worum es in eurem Projekt geht und was daran das Besondere ist. Drei Beispiele für typische Kurzbeschreibungen: »Last train home handelt von Gewalt in U-Bahnen und ihren Folgen für die Beteiligten. Wir nehmen dich mit auf eine spannende Verfolgungsjagd durch die dunkle und verlassene U-Bahn-Welt. Eine anspruchsvoll tragische Thematik und aktuelle Probleme unserer Gesellschaft, kombiniert mit einer spannenden Story, umgesetzt in dynamischer Unterhaltung.« Kurz-Filmprojekt »Last train home« auf startnext. »Die Aktiven des Gängeviertels erzählen über die Geschichte der Initiative und wie bei ihnen der Hase so läuft. Ein Buch, so bunt wie das Viertel.« Buch-Projekt »Kommt in die Gänge« über das Hamburger Gängeviertel auf inkubato. »Simultanhäkelweltrekord – Kiliansplatz Heilbronn. Die Wolle ist da! Mutige Häkler sind da! Wille ist da! Nur Häkelnadeln fehlen noch!« Projekt Weltrekord im Simultanhäkeln auf pling*. DIE PROJEKTBESCHREIBUNG:
Die Projektbeschreibung führt aus und soll plastisch machen, was die KurzbeschreiANGEBER bung nur angerissen hat. Ihr stellt das ProHABEN jekt und euch selbst vor, um damit Lust zu KEINE machen, euch zu unterstützen. Trotzdem FREUNDE würde ich hier nicht zu dick mit Werbesprache auftragen. Es geht in erster Linie um Fakten. Wenn ihr aber das einzige Projekt dieser Art macht, dann 144
III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
schreibt das. Einige Plattformen geben dabei auch Hilfe. Hier einige Fragen, die euch durch die Projektbeschreibung führen können: WAS ist euer Projekt? Hier kommt es auf Prägnanz an. Der Architekt Le Van Bo (ein Experte in Sachen Crowdfunding, mit schon mehreren erfolgreichen Geboten) annonciert sein Möbel-Bau-Buch für Hartz-IV-Budgets so: »Ein Handbuch für Menschen, die Bauhaus-inspirierte Möbel lieben, diese sich aber nicht leisten können.« WER sind die Personen, die Macher hinter dem Projekt? FÜR WEN ist das Projekt gemacht, wer ist euer Publikum? WARUM sollte jemand unter vielen guten Ideen gerade dieses Projekt unterstützen? (Im Marketing nennt man so etwas ein Alleinstellungsmerkmal; hier müsst ihr wieder auf eure künstlerische Positionierung zurückgreifen.) WOHIN genau fließt das Geld bei erfolgreicher Finanzierung? (Seid dabei präzise!)
Schreibt überhaupt wahrheitsgemäß. Auch das gehört zur Welt des Internets und der Social Media: Sobald ihr das Projekt auf der Plattform habt, werden die Leute es beobachten. Wenn etwas nicht stimmt, wird es schnell bemerkt. DIE ZIELSUMME:
Es ist lohnend, bei der Vorbereitung dieses Punktes dein Netzwerk – Fans, Geschäftspartner, Freunde und Familie – genauer zu betrachten. Dadurch lässt sich abschätzen, welches Budget potenziell erreicht werden kann. (Es ist auch nützlich für die Festlegung der Prämien, für die Einschätzung, welche Gegenleistungen zu welchen Beträgen attraktiv für euer Netzwerk sein können.) Da bei Überfinanzierung trotzdem das gesamte Geld euch gehört, aber bei Unterfinanzierung alles verloren geht, ist es besser, etwas vorsichtiger an die Zielsumme heranzugehen. Trotzdem: Angemessen für das Projekt sollte sie schon sein. Zu den wichtigsten Prinzipien beim Crowdfunding gehören Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Der Geber 145
WAS?
WER?
FÜR WEN?
WARUM?
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WOHIN?
III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
glaubt daran und investiert darein, dass ihr das Projekt künstlerisch erfolgreich beenKÜNSTLER det – aber er vertraut auch darauf, dass ihr = geschäftlich wisst, was ihr tut. Er investiert GESCHÄFTSnicht nur in eine Idee oder in ein Projekt, PARTNER sondern auch in euch! Also passt die Zielsumme euren wirklichen Aufwendungen an. Wenn die Gesamtsumme für euer Netzwerk zu hoch ist, dann splittet das Projekt in Teilprojekte auf, damit die einzelne Zielsumme kleiner ausfällt. Tatsächlich muss man sagen: Bis auf einige Ausnahmen (überwiegend bei Filmen) erreicht man mit Crowdfunding in Deutschland zurzeit durchschnittlich zwischen 2.000 und 4.000 Euro. Eher weniger. Anders in den USA, da liegen die Summen viel höher. DIE DAUER DES CROWDFUNDING-GEBOTES:
Die Dauer des Gebotes wird von manchen Plattformen beschränkt. Aber selbst wenn nicht, gilt es eins zu beachten: Ihr müsst in der Lage sein, über den gesamten Zeitraum des Gebotes hinweg die Spannung aufrechtzuerhalten. Das Projekt darf nicht auf der Plattform liegenbleiben, die Unterstützer müssen ständig über neue Entwicklungen auf dem Laufenden und auch bei Laune gehalten werden. Je länger ein Gebot andauert, umso schwieriger wird das. Also rate ich eher zu kürzeren Fristen. Wenn ein Gebot gut vorbereitet ist und die Netzwerke aufgebaut sind, braucht man in der Regel nicht ewig lange. Ich würde Zeiträume von 30, 60, 90 oder höchstens 120 Tagen für Kulturprojekte empfehlen. DIE PRÄMIEN:
Prämien sind bei einem Crowdfunding-GeKLEINE PRÄMIEN bot vor allem für jene Geldgeber wichtig, ERHALTEN DIE die nicht zu eurem engsten Freundes- oder FREUNDSCHAFT. Familienkreis gehören. Sie schaffen einen zusätzlichen Anreiz, in euer Projekt zu investieren. Prämien sind normalerweise kein Geld, auch wenn es Ausnahmen wie Erfolgsbeteiligungen bei manchen Musikplattformen gibt. In der Regel verspricht man Erlebnisse, Erfahrungen, Virtuelles oder Symboli147
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sches. Und manchmal auch Greifbares, wie Produkte (zum Beispiel euer Buch oder eure Erfindung, eure CD oder Film-DVD, vielleicht als Premiumedition für Förderer) oder Merchandisingartikel (besonders beliebt sind T-Shirts). Malte Graubner, SELLABAND
Ich habe den Artist & Product Manager der Musikplattform SellaBand, Malte Graubner, nach den Eigenschaften einer guten Prämie befragt. Seine Antwort: »Das Wichtigste ist, dass die Prämie einzigartig ist und nicht allzu leicht auch auf anderem Wege verkauft werden kann (zum Beispiel: signierte CD, Widmung im Booklet, Wohnzimmerkonzert). Der Preis sollte auch ausgewogen gestaltet sein, sonst bleibt schnell ein fades Gefühl beim Believer zurück, wenn er dasselbe Produkt nach Veröffentlichung zu einem niedrigeren Preis erhalten kann.« Es gibt zwei Arten, wie ihr Prämien anbieten könnt. Einmal durch Steigerung: Für höhere Beträge gibt es höherwertige Prämien. Oder mit dem Matrjoschka–Prinzip, im Sinne der ineinandergestapelten russischen Holzpuppen: Für höhere Beträge gibt es mehr Prämien – nämlich zu der »teuersten« Prämie immer auch alle »preiswerteren« dazu.
Die Prämien müssen etwas mit dem Projekt zu tun haben. Originalität schadet nie, trotzdem solltet ihr etwas anbieten, das auch einen materiellen oder Nutzwert hat. Ein warmes Dankeschön eignet sich allenfalls bei kleinen Beträgen von einen bis fünf Euro. Wenn die Prämie etwas enthält, das man auch kaufen kann, sollte 148
III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
der Bezug zum realen Preis nicht völlig verloren gehen. Eine Premium-DVD eures Films etwa kann so originell sein, wie sie will; sie ist trotzdem keine angemessene Prämie für eine 1.000-EuroZuwendung. Andernfalls fühlt sich der potentielle Geber veralbert. Wie sollte man die Prämien strukturieren? Das kommt auf die angestrebte Zielsumme an. Je höher eure Zielsumme ist, in desto größerem Abstand müssen die Prämien gestaffelt sein. Wer 50.000 Euro einsammeln will, kann nicht jeden Zehn-Euro-Schritt einzeln belohnen. Wie viele »Exemplare« ihr von jeder Prämie anbietet, bleibt euch überlassen. Aber manchmal ist es sinnvoll, die Anzahl zu beschränken – manchmal auch unvermeidlich. Eine Gastrolle im Hörspiel kann man nicht unendlich oft besetzen, die Plätze in der Ehrenloge bei der Premiere sind begrenzt, und der persönliche Tag mit der Band wird mit 100 Leuten anstrengend. Davon abgesehen schafft Verknappung einen zusätzlichen Anreiz, sich die Prämie zu sichern. Wurde die »Stückzahl« einer Prämie von euch festgelegt, können eure Unterstützer auch nur so lange darauf bieten, wie diese verfügbar ist. Zum Schluss: Vermeidet Prämien, die entweder beim Versand Ärger machen oder Frusterlebnisse beim Empfänger auslösen können. Zum Beispiel sind gerahmte Bilder nicht zu empfehlen. Wenn beim Empfänger eine kaputte Glasscheibe ankommt, ist die Enttäuschung groß. Zur Anregung eine Liste mit originellen, durchschnittlichen und blödsinnigen Prämien:
1 originell den Anrufbeantworter eines Unterstützers von einer Person aus einem Hörspiel besprechen lassen, dessen Produktion finanziert werden soll eine Nebenrolle im Stück oder Musikvideo Portrait eines Unterstützers malen (Comiczeichner) sich als Unterstützer ein Kleidungsstück aus dem Schrank des Designers aussuchen können (Mode) 149
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Den originellsten Vorschlag für eine Prämie – für die Rockfans unter uns – hatte der ehemalige »Nine Inch Nail« Schlagzeuger Josh Freese: »Get drunk and cut each other’s hair in the parking lot of the Long Beach courthouse (filmed and posted on YouTube)«. Frei übersetzt: »Betrinkt euch ordentlich und schneidet euch gegenseitig die Haare auf dem Parkplatz des Gerichtsgebäudes von Long Beach. Das wird gefilmt und auf YouTube gestellt.« Toller Preis!
2 durchschnittlich Für kleine Beträge: ein herzlicher Gedanke Postkarte oder Poster persönlicher Dankesanruf Fotos von den Proben Für mittlere Beträge: Unterstützer auf Website oder im Abspann nennen T-Shirt mit Image des Projektes limited editions Eintrittskarten CD, Buch (wenn das Projekt die Produktion eines Buchs oder einer CD war) Für hohe Beträge: Treffen mit den Machern: Einladung zur Probe oder ins Atelier einen Tag mit der Band verbringen Privatkonzert im Wohnzimmer oder im Büro des Unterstützers Eintrittskarten zur Premiere
3 blödsinnig Projektteam steigt auf einen Berg und ruft den Namen des Unterstützers laut ins Tal
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III.3 CROWDFUNDING : DIE MENGE MACHT DIE MASSE
DER PITCH-FILM:
Wenn ihr euch bei der Auswahl der Prämien schon kreativ warmgelaufen habt, dann kommt jetzt beim sogenannten Pitch-Film, dem kurzen Film über eure Projektidee, der wirklich kreative Moment im Crowdfunding. Im Film stellt ihr Inhalt und Charakter eures Projektes vor – aber auch euch selbst, die Macher, die Leute dahinter. Und das in konzentrierter Form, denn ein Pitch-Film sollte nur zwischen zwei und fünf Minuten lang sein. Man findet auch gelungene Ausnahmen, aber wie ihr in den Interviews mit den Plattformmachern am Ende des Kapitels lesen werdet, empfehlen die Experten sogar weniger als zwei Minuten.
Es gibt für einen Pitch-Film keine formalen Kriterien, aber holt nicht einfach einen Trailer aus der Schublade, den ihr sowieso für euer Filmprojekt oder euer Album produziert habt. Ein Trailer kann im Pitch-Film enthalten sein, darf aber nur einen Teil ausmachen. Wichtig ist allerdings, dass der Film etwas vorführt, das eure Projektidee wirklich anschaulich macht. Redet nicht bloß über die Sache, zeigt etwas von ihr. Es muss ein konkretes Bild beim Zuschauer entstehen. Das können erste illustrierte Probeseiten eures Buches sein, eine kleine Szene eures Stückes, ein Modell eurer Installation. Auch wenn vieles individuell und je Projekt verschieden ist, gibt es ein paar Regeln, die sich bewährt haben: 151
CROWDFUNDING
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GELDEINSAMMELN
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GELDEINSAMMELN
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WERBUNG
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Zeigt euch! Tretet im Film selbst auf; zeigt, wer ihr seid; zeigt, mit wie viel Motivation, mit wie viel Herzblut ihr dabei seid. Denn die Unterstützer wollen sehen, in wen sie das Geld investieren. Persönliche Ansprache und Blickkontakt mit der Kamera sind wichtig. Stellt euch jemanden vor, dem ihr von dem Projekt erzählt. Ich habe einige Beispiele gesehen, bei denen schüchtern immer der Kamera ausgewichen wurde. Das machte den Eindruck, als gebe es etwas zu verbergen – und vor allem, als hätten die Macher selbst keine Freude an ihrem Projekt. Zwei oder drei Minuten sind kurz, aber sie reichen aus, um die Atmosphäre des Projekts, den »spirit«, zu vermitteln. Emotion, Authentizität und Humor sind nach vielem Filmegucken für mich Zutaten, die in ein Rezept für einen erfolgreichen Pitch-Film gehören. Ihr könnt schnoddrig, frech, locker, wild, kreativ, bunt sein. Aber seid auf jeden Fall so konkret wie möglich, wenn ihr darüber sprecht, wozu die Finanzierung gebraucht wird. Vergesst nicht, dass ihr für eure UnterstütZWEI MINUTEN, zer auch Geschäftspartner seid; sie wollen IN DENEN DIE für ihr Geld die versprochenen Ergebnisse WELT EUCH sehen und haben ein Recht darauf. Dieses ZUSCHAUT. Video soll das Vertrauen schaffen, dass ihr HÖCHSTENS dem Projekt nicht nur künstlerisch, sondern DREI zugleich wirtschaftlich gewachsen seid. Seid nicht perfekt – seid ihr selbst! Eine Studentin hat mir mal gesagt, sie sei bis jetzt vor Crowdfunding zurückgeschreckt, weil sie als Puppenspielerin keine professionelle Filmemacherin sei und weder eine gute Kamera habe noch einen Film schneiden könne. Deshalb ein für allemal: Ihr braucht euch weder um teures Kameraequipment noch um Film- oder Schneidetechnik zu sorgen. Auch bedarf es keiner ausgefeilten Inszenierung oder cooler Locations. Erfolgreiche Filme sind schon im Wohnzimmer oder im Büro der Macher entstanden, wie zum Beispiel der zum »Internationalen Comedy Film Festival« auf DIE KAMERA startnext. Es kann sogar zum Charme des IST EGAL. Ganzen beitragen, wenn der Film mit einer IHR SEID WICHTIG Webcam aufgenommen wurde. Es geht nicht 153
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um Perfektion, sondern um euch und euer Projekt. Perfektion kann manchmal kontraproduktiv sein, wenn man nämlich als Unterstützer den Eindruck gewinnt: Die brauchen mich gar nicht. Deshalb, selbst wenn ihr schon viele erfolgreiche Projekte gemacht habt und routiniert seid: Vermeidet es, arrogant oder zu cool rüberzukommen. Das ist genauso schlecht, wie hilflos und bittend zu wirken. Manchmal merkt man die Gefahr selbst nicht – also einfach mal einem Freund den Film vorher zeigen. Zeigt was eure Unterstützer bekommen! Lasst in dem kurzen Film noch Platz für die Prämien und stellt sie persönlich vor. Wie wir schon besprochen haben, sind sie vor allem für Leute außerhalb eures engsten Kreises ein wichtiger Anreiz. Aber bitte keine Produktpräsentationen, wie sie auf Verkaufssendern wie QVC- oder HSE24 im Fernsehen laufen; bleibt dem Charakter eures Projektes treu. Selber singen? Musik im Video. Wie bei allen anderen öffentlichen Präsentationen gilt auch hier: Wenn ihr Musik in eurem Pitch-Film verwendet, die nicht euch gehört, braucht ihr eine Erlaubnis bzw. die Rechte. Sonst kann es unangenehm und teuer werden. Keine Angst, auch hier hilft euch die Crowd. SoundCloud (www.soundcloud.com/creativecommons), Vimeo Music Store (http://vimeo.com/ creativecommons), Free Music Archive (http://freemusicarchive. org) und ccMixter (http://ccmixter.org/about) sind sogenannte »collaborative databases« die – wie Crowdfunding auch – auf dem Gemeinschaftsprinzip basieren. Und so funktioniert es: Registrierte Mitglieder laden ihre selbst komponierte Musik auf die Webseite hoch. Wie bei Facebook oder jedem anderen Sozialen Netzwerk können sie selbst entscheiden, ob sie ihre Aufnahmen mit allen oder nur bestimmten Usergruppen teilen. Die Zugelassenen können die Musikstücke im Onlinestreaming anhören und – abhängig von den Einstellungen des Urhebers – her154
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unterladen und für eigene Websites oder für Filme und Präsentationen verwenden. Hierfür können CC Lizenzen eingeräumt werden, (http://de.creativecommons.org) die zum Teil nur private Nutzungen, jedoch im Einzelfall auch kommerzielle Nutzungen (etwa einen Pitch) ermöglichen. Die Sites arbeiten im Detail unterschiedlich, manchmal sind die Musikproduktionen kuratiert, manchmal gibt es kostenpflichtige Premiumangebote, manchmal sind die Musikstücke überwiegend instrumental. Aber im Prinzip funktionieren sie alle ähnlich und sind eine großartige Möglichkeit, sich Musik für euren Pitch-Film kostenfrei zu holen. Da der Pitch-Film das wichtigste Element des Crowdfunding-Gebotes ist, hier noch mal eine Zusammenfassung, was hineingehört: Ihr solltet: sagen wer ihr seid, die Geschichte eures außergewöhnlichen (!) Projekts und die Geschichte dahinter (wie kam es zu der Idee?) erzählen, erklären, wofür das Geld bestimmt ist, die großartigen (!) Prämien vorstellen, Lust auf euer Projekt machen, und euren Unterstützern jetzt schon danken, dass sie in euch investieren. DIE WERBUNG
Ist der Film fertig und sind Prämien, Zielsumme, Dauer des Gebotes festgelegt, kommt die Zeit für die Werbung, für den »großen Lautsprecher«. Auch dafür gibt es nicht den einen Weg, sondern nur ein paar Empfehlungen. Viele unterschätzen den Aufwand, den man hier immerzu, über die ganze Dauer des Gebots, treiben muss. Wenn man mit Künstlern spricht, deren Projekt gescheitert ist, nennen sie als wichtigsten Grund immer: »Wir haben uns zu wenig gekümmert. Wir hätten nie gedacht, dass man so dran bleiben muss.« Ein Crowdfunding-Gebot macht Spaß, aber es ist trotzdem harte Arbeit und stressig. Und es 155
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birgt oft unerwartete – auch emotionale – Aufs und Abs, die man nicht vorhersehen kann. Leute, von denen ihr sicher wart, sie helfen, lassen euch im Regen stehen usw. Also: Wenn ihr gerade mit anderen Projekten beschäftigt seid oder euer Leben sonstwie anstrengend ist, dann verschiebt lieber das Crowdfunding-Gebot, bis wieder Zeit und Aufmerksamkeit dafür da sind. Für den Start der Werbung würde ich empfehlen: Beginnt zunächst einmal mit einer persönlichen Nachricht in Form einer E-Mail (oder eines Anrufs) an Freunde und Familie. Sie sollen zuerst wissen, dass das Projekt angefangen hat und dass sie gebraucht werden. Dass es sich hierbei nicht bloß um eine moralische Unterstützung handelt, muss vielleicht – je nach Natur der Familie und des Freundeskreises – deutlich gesagt werden. Danach können eure Sozialen Netzwerke, Facebook, Twitter, persönliche Blogs, aktiviert werden. Man sollte es nicht übertreiben und die Leute nerven, aber im Laufe der Projektdauer doch immer mal wieder an das Ablaufdatum erinnern. Auch das kann in der Countdownphase witzig gestaltet werden. Zum Beispiel kann man für die letzten sieben Tage Hausnummern fotografieren und immer die Zahl mit den noch verbleibenden Tagen ins Netz stellen. Ein Weg, euch beim Netzwerk in Erinnerung zu bringen, sind sogenannte Project Updates; mehr darüber weiter unten. Aber nehmt euch überhaupt Zeit, die Leute persönlich und individuell zu kontaktieren. Hier kommt wieder der gut gepflegte Verteiler ins Spiel. Es macht immer einen Unterschied, ob ich eine Rundmail erhalte – oder eine E-Mail, in der ich persönlich angesprochen werde. Bei aller Begeisterung für soziale Medien: Vergesst bei eurer Werbung Presse und Offlineaktionen nicht. Kontaktiert eure lokalen Zeitungen und Radiosender und erzählt über euer Projekt. Vor allem lokale MeVON DER dien mögen originelle Projekte mit RegioBERLINER WEISSE LERNEN, nalbezug. Das Projekt »Rettet die Berliner HEISST Weiße«, das sehr erfolgreich auf Inkubato SIEGEN LERNEN lief (Zielsumme 3.000 Euro, eingeworben 21.455 Euro) ist ein gutes Beispiel dafür, wie 156
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Zeitungen ein Projekt weit über die Ziellinie tragen können. Auch Blogs, die zu euren Themen passen, und die im Kapitel zur PR und Presse vorgestellten »Scouts« sind gute Helfer. Offlineaktionen sind Aktivitäten, die nicht im Netz, sondern auf der Straße, an eurem Spielort, in eurem Lieblingscafe, in eurem Wohnzimmer stattfinden. Sie binden eure bereits gewonnenen Unterstützer enger an euch und steigern idealerweise den Bekanntheitsgrad des Projekts. Eine klassische Offlineaktion ist zum Beispiel eine Party. Sind die Aktionen noch dazu spektakulär und finden sie im öffentlichen Raum statt, wird vielleicht sogar die lokale Presse aufmerksam. Das kann zum Beispiel Straßentheater, ein Umzug oder Guerilla-Marketing (siehe das Kapitel dazu) sein. Oder was euch sonst noch einfällt. Falls ihr dazu noch Kraft habt … Die Project Updates Mit Project Updates informiert ihr eure Netzwerke über den Stand eures ProjekEUER tes und fordert sie indirekt auf, euch (weiNETZWERK ter) zu unterstützen. Immer wieder nur den MUSS Link zum Projekt zu bekommen, wird auf MITFIEBERN die Dauer selbst eurem treuesten Fan zu langweilig. Deshalb erzählt am besten auch diese Entwicklungsphase des Projektes als Geschichte. Schafft darin immer wieder Höhepunkte, kreiert Nachrichten. Das hört sich komplizierter an, als es in der Praxis ist. Nachrichten können die einfachsten Sachen sein, wenn sie witzig aufbereitet werden. »Unsere Flyer sind da« verbindet sich gut mit einem Foto vom HermesBoten oder den noch unausgepackten Stapeln in eurem Büro. Oder zeigt Fotos von euren Offlineaktionen und kommentiert sie. Versteht die Updates als eine Art Projektblog. Potentielle Unterstützer sollen Lust bekommen, dem Projektverlauf zu folgen. Wird ein Project Update gepostet, erhalten alle eure Unterstützer automatisch durch die Plattform eine E-Mail mit der Nachricht. Ihr könnt wählen, ob jedes Update öffentlich zu sehen sein soll oder ob ihr es auf eure Unterstützer beschränken wollt. Auch wenn in Social Media Erfolgsnachrichten überwiegen, mag ich es persönlich, hier und da, auf ironische Weise auch von Misserfolgen zu erzählen – solange sie 157
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sich in anekdotenfähigen Grenzen halten. So habe ich kurz vor der Manuskriptabgabe dieses Buchs aus Versehen heißen Tee in meinen Laptop geschüttet. Das Ding war für zwei Tage komplett tot. In dieser akuten Verzweiflungsphase wäre es mir nicht eingefallen, über mein Unglück zu posten. Als aber dann alles vorbei war, mein Computer getrocknet, mein Text noch vorhanden, da habe ich auf meiner Facebook-Seite darüber berichtet: mit einem Strichmännchen, das die Autorin im Koma zeigte. DIE PLATTFORMEN
Eine Übersicht der wichtigsten deutschen Plattformen (plus Kickstarter aus den USA) und ihre Besonderheiten findet ihr am Ende des Kapitels. Die Entscheidung, welche Plattform die richtige für euer Projekt ist, solltet ihr nicht allein von den Gebühren abhängig machen. Ich finde, der Service spielt eine mindestens ebenso große Rolle. Ruft vorher ruhig bei den Plattformen an und fragt danach, bevor ihr euch festlegt. Erkundigt euch, wie die Plattform bei der Erstellung einer Kampagne hilft; ob die Beratung inbegriffen ist oder ein kostenpflichtiger Zusatzservice; welche automatischen Anwendungen es gibt, um zum Beispiel E-Mail-Verteiler aufzubauen oder zu erweitern. Anna Theil, STARTNEXT
Anna Theil, verantwortlich für Kooperationen und Öffentlichkeitsarbeit bei startnext crowdfunding gUG, zählt ein paar Besonderheiten und Extraleistungen ihrer Plattform auf: »Seit dem Start der Plattform entwickeln wir das Crowdfunding-Modell mit vielen innovativen Funktionen weiter, dazu gehören u.a: der CrowdfundingGutschein, um Dankeschöns zu verschenken; die Startphase als Crowdsourcing-Phase für die Projektstarter; der Crowdfonds als »Community-Finanztopf«; Cofunding-Modelle mit Förderinstitutionen, Unternehmen und Stiftungen; sowie Crowdfunding-Wettbewerbe mit Partnern.« Es taucht immer wieder die Frage auf, ob man zum Beispiel sein Buchprojekt lieber auf eine Plattform bringen soll, die bereits andere Buchprojekte anbietet – oder gerade nicht. Eine klassische 158
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Marketingregel lautet: Geh nicht dorthin, wo deine Konkurrenten schon sind. Ein hochpreisiger Weinlieferant sollte seine Anzeige lieber in einem Edelautomagazin schalten als neben zehn anderen Weininseraten in einem Weinführer. Da es bei Crowdfunding aber vor allem auf eure eigenen Netzwerke ankommt, konkurriert ihr nicht um eine unentschiedene Menge, die sich auf der Plattform umschaut und je nach Attraktion des Angebots entscheidet. Sondern jeder bringt sein eigenes Publikum gewissermaßen mit, und die Anbieter nehmen sich gegenseitig nichts weg. Das gilt vor allem für die thematisch gemischten Plattformen im deutschsprachigen Raum. Wieder anders sieht es auf den reinen Musikplattformen aus. Man kommt wegen einer Band auf die Plattform und findet nebenbei noch andere, die im Stil verwandt sind, und die man vielleicht ebenso unterstützen möchte. Auch eher eine Win-Win-Situation, eine Konstellation, bei der alle profitieren. Und wegen der spezialisierten Kompetenz, mit der sie betrieben werden, sind Musikplattformen sowieso die beste Anlaufstelle, wenn man ein Musikprojekt vorstellen will. EIN GESCHÄFT, BEI DEM DIE KONKURRENZ EUCH NEUE KUNDSCHAFT BRINGT
Lasst euch aber nicht davon abhalten, euer Projekt auf eine Plattform zu geben, auch wenn noch nicht so viele Projekte eurer Sparte dort gelaufen sind. Spezialisierung ist im Crowdfunding weitgehend auf die Musikszene beschränkt. Zwar ist bei den Plattformen im Moment viel in Bewegung, aber es wird meiner Prognose nach zumindest in naher Zukunft keine reinen Theater- oder BildendeKunstplattformen geben. Eher schon eine Filmplattform. Für journalistische Projekte ist gerade mit »Crowdfunding Independent Journalism: Media Funders« eine neue Plattform mit Sitz in St. Gallen in der Schweiz im Aufbau.
RECHTLICHES Auch wenn vieles beim Crowdfunding auf Vertrauensbasis beruht, gibt es eine rechtliche Seite. Bezeichnungen für die Geldgeber, wie »Angel« oder »Unterstützer«, auch die schlichte Tatsache, dass es oft Freunde oder Verwandte sind, könnten den Irrtum nahelegen, 159
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es handele sich um eine Spende oder ein Geschenk. Doch beim Crowdfunding wird ein klassischer Kaufvertrag geschlossen. Eine Leistung (in Form einer Prämie) wird erworben. Das heißt, es entsteht ein verbindliches Vertragsverhältnis zwischen demjenigen, der die Prämien anbietet, und dem Käufer der Prämien. Jedenfalls gilt das für die deutschen Plattformen, die der deutschen Rechtsprechung und dem BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) unterworfen sind. Bei amerikanischen Plattformen solltet ihr euch auf der jeweiligen Website über die Bedingungen informieren. Hierzulande haben die Käufer ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Und die Einnahmen aus Crowdfunding sind – anders als bei einer Spende oder einem Geschenk – in der Regel mit 19 Prozent mehrwertsteuerpflichtig. Das gilt auch dann, wenn es keine geldwerte Gegenleistung gibt (wie bei kleinen Beträgen oft der Fall). Es reicht, wenn der Unterstützer auf der Plattform genannt wird. Also: Versteuern nicht vergessen! Der erzielte Betrag gehört bei eurer EinnahmenÜberschussrechnung auf die Einnahmenseite. SCHEITERN UND DOCH GEWINNEN
Noch eine Bemerkung zur Erfolglosigkeit beim Crowdfunding. Ihr riskiert zwar finanziell nichts, wenn ihr ein Projekt auf eine Plattform gebt, aber natürlich könnt ihr scheitern. Klar, es ist deprimierend, wenn euer Projekt nach Ablauf der Frist mit nur ein paar kümmerlichen Euros gelistet ist. Aber auch da kann ich euch Mut machen. Crowdfunding hat nicht nur eine finanzielle Seite. Crowdfunding ist auch ein Instrument, eine Idee bekannt zu machen, eine Fan-Basis aufzubauen oder schlicht zu testen, ob sie trägt. Eure Bemühungen waren also in keinem Fall umsonst. Außerdem nehmt euch bitte trotz der Enttäuschung die Zeit, kurz zu analysieren, woran der Misserfolg gelegen hat. Habt ihr euch nicht genügend gekümmert? Muss vielleicht noch an der Projektidee gefeilt werden? Crowdfunding ist ein guter Testlauf, um die möglichen Reaktionen von Presse und Medien und vor allem eures zukünftigen Publikums abzuchecken. Und vergesst nicht: Nach dem EINE ENTTÄUSCHUNG, DIE SICH LOHNT
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Crowdfunding ist vor dem Crowdfunding. Bleibt in Verbindung mit euren Unterstützern. Am Schluss soll ein Interview stehen, dass ich mit dem Filmemacher Helge Albers über sein Projekt »Peace Old Jazz Band: World’s oldest Band« (Der Film trägt inzwischen den Titel »As time goes by in Shanghai«.) geführt habe. In seinen Antworten werdet ihr viele der Ratschläge wiederfinden, die wir in diesem Kapitel zum Crowdfunding erarbeitet haben – beschrieben an einem konkreten Beispiel. Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Vorgehensweisen kommen zur Sprache, aus persönlicher Sicht. Da dies sein erstes Crowdfunding-Projekt war, mussten Helge und sein Team die gesamte erforderliche Kommunikationsinfrastruktur erst aufbauen – und sie haben es geschafft. Und Helge selbst ist ein schönes Beispiel dafür, dass man auch als eher zurückhaltender und ruhiger Typ beim Crowdfunding Erfolg haben kann, wenn man sich ein bisschen anstrengt und Unterstützung im Team sucht. Helge Albers, MITBEGRÜNDER VON FLYING MOON FILMPRODUKTION GMBH
Projekt: »Peace Old Jazz Band: World’s oldest Band« (Der Film trägt inzwischen den Titel »As time goes by in Shanghai«.) www.kickstarter.com/projects/flyingmoon/peace-old-jazz-band A film about the world’s oldest band and their greatest adventure yet, this project is about the vital power of music. (Ein Film über die älteste Band der Welt und ihr bisher größtes Abenteuer. Ein Projekt über die Kraft der Musik.) Zielsumme waren 25.000 Dollar, erreicht wurden 25.327 Dollar mithilfe von 115 Unterstützern. Mit dem Geld wurden die Musikrechte des Filmes bezahlt. I.R. Du hast dein Filmprojekt »Peace Old Jazz Band« teilweise über Crowdfunding finanzieren lassen. Was ist die Geschichte des Projekts? H.A. Die Idee zum Film hatte Uli Gaulke, der Regisseur. Er hat mir einen Zeitungsartikel geschickt, in dem über die älteste Jazzband 161
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der Welt berichtet wurde – der Altersdurchschnitt der Mitglieder liegt bei 76 Jahren. Die »Peace Old Jazz Band« spielt seit 30 Jahren an jedem Abend in dem 1929 gebauten »Peace Hotel«, dem ersten Luxushotel in Shanghai. Da ich sowieso gerade auf dem Weg nach Shanghai zu einem Festival war, schaute ich mir Band und Location an und machte erste Fotos. Das Hotel war in den 30er Jahren die erste Adresse in Shanghai für jeden, der Rang und Namen hatte. Marlene Dietrich hat dort gewohnt, Charlie Chaplin, der Dichter Georg Bernard Shaw… Der erste Besitzer, Victor Sassoon, ein irakischer Jude mit britischem Pass, hatte sein Vermögen im Opium- und Waffenhandel gemacht. In der kommunistischen Zeit wurde das Hotel heruntergewirtschaftet, aber die »Peace Old Jazz Band« spielte trotzdem weiter, jede Nacht. Der Regisseur und ich sind dann noch einmal gemeinsam nach China gefahren und haben Material für einen ersten Trailer gedreht, der 2011 auf der Berlinale gezeigt wurde. Danach haben wir gründlich überlegt, ob der Stoff Potential für einen Kinofilm hat. Wir beschlossen, den Film entlang der Geschichte der vier alten Bandmitglieder und ihres jungen ehrgeizigen Managers zu erzählen. Im Sommer 2011 begannen wir mit dem Dreh. I.R. Warum habt ihr euch bei der Finanzierung für die amerikanische Plattform Kickstarter entschieden? H.A. Ich habe mir alle Plattformen angeschaut. Mir war jedoch schnell klar, dass keine deutsche in Frage kommt. Für ein internationales Projekt wie unseres sind deren Reichweiten noch zu begrenzt. Dazu kam das Thema unseres Filmes: eine Jazzband. Jazz hat im nordamerikanischen Raum eine viel größere Bedeutung als bei uns. Die Plattformen mit den größten Reichweiten sind Indiegogo und Kickstarter. Das »Alles oder Nichts«-Prinzip von Kickstarter fand ich den Unterstützern gegenüber ehrlicher, auch wenn das Risiko dadurch natürlich für den Projektinitiator größer ist. Aber das macht auch den zusätzlichen Kitzel aus. Und den hatten wir dann auch prompt gegen Ende des Projektes, denn da wurde es richtig eng. Viele Leute haben lange gewartet, und sind erst kurz vor Schluss mit einer Summe reingegangen. Erst als sie glaubten, das könnte was werden und sie werden gebraucht. Das »Gebrauchtwerden« ist generell eine wichtige Sache bei den Unterstützern. Viele 162
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Leute haben zu uns danach gesagt: »Ich habe euer Projekt beobachtet, aber ihr habt mich nicht mehr gebraucht.« I.R. Wie viel Vorbereitungszeit war nötig, bevor du das Projekt auf die Plattform gebracht hast? Hattest du professionelle Hilfe bei der Erstellung Deines Gebots? H.A. Wir haben drei bis vier Monate vor dem Start mit den Vorbereitungen begonnen. Ich war vor der Kampagne weder bei Facebook noch einem anderen Social Network aktiv, und ich bin auch nicht der große Kommunikator. Das merkt man wahrscheinlich auch an meinem Auftritt im Pitch-Film. Andererseits macht das auch das Authentische aus. Das Einrichten und das Aufbauen eines Netzwerkes kosten Zeit, das soll man nicht unterschätzen. Professionelle Hilfe hatten wir nicht. Es gibt Agenturen, die eine Kampagne für dich machen; ich bin da aber eher skeptisch. Meiner Erfahrung nach hängt das Ganze an den Personen oder an der Person, dem Gesicht, dem Individuum, das die Leute direkt anspricht und kontinuierlich mit ihnen kommuniziert. Man macht sich als Person verantwortlich für das Projekt, das kann ich mir bei einer Agentur eher nicht vorstellen. I.R. Über welche Social-Media-Kanäle lief die Kommunikation? Und wie habt ihr die Kommunikation aufgebaut? H.A. Gleich zu Beginn haben wir einen Tumblr-Blog für das Projekt eingerichtet. Das ist eigentlich ganz einfach, macht richtig Spaß, kostet aber Zeit. In der heißen Phase des Projekts haben wir den Blog jeden Tag bestückt. Überhaupt ist wichtig, dass man genügend Bildmaterial für sein Projekt hat. Der Nachteil unseres Projektes, dass die Hauptdrehphase des Films zu dem Zeitpunkt schon vorbei war und wir nichts mehr über den Dreh selbst posten konnten, war hinsichtlich der »Visuals« ein Vorteil. Wir hatten genügend gute Fotos für Blog und Social Networks.
Man hört immer, man soll alle Kanäle bedienen. Ich weiss nicht, ob man das wirklich muss. An Facebook kommt man irgendwie nicht vorbei. Wir haben die Timeline unseres Accounts gut genutzt. Wir sind darauf bis 1929 zurückgegangen und konnten so die Schicksale der Figuren, also der Band, des Hotels und daneben sogar etwas 164
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Chinesische Geschichte erzählen. Um genügend Freunde zu bekommen, haben wir eine Flasche Champagner verlost unter den ersten 100, die unsere Facebook-Seite liken. Wichtig ist, den Spieltrieb zu befriedigen und mit Augenzwinkern daran zu gehen, dafür sind die Social Media gut geeignet. Zum Start unseres Gebotes hatten wir dann 300 Likes. Das ist nicht viel, aber die Qualität der Likes war hoch. Ich kannte alle Leute dahinter persönlich. Man sollte Facebook nicht überbewerten. Es dient eher dazu, ein Grundrauschen der Aufmerksamkeit für das Projekt herzustellen. Wenn du gut vorbereitet bist, hast du mehr Kontrolle über Deine Kommunikation. Du entscheidest, wann du was postest, kannst damit eine Dramaturgie der Postings aufbauen. Wenn du eher spontan und aus dem laufenden Prozess heraus kommunizierst, bist du dagegen authentischer und damit auch glaubwürdiger. Das muss jeder selbst entscheiden. Mit LinkedIn, das ist ein professionelles Netzwerk, habe ich (vor allem was Nachhaltigkeit betrifft) bessere Erfahrungen als mit Facebook gemacht. Wir hatten auch einen Trailer auf YouTube, haben darüber jedoch wenig kommuniziert. Vimeo (eine eher auf Filmemacher orientierte Plattform) haben wir zwar ausprobiert, aber das hat nicht viel gebracht. Twitter haben wir nur automatisch mitbedient; ich fand es zu schwierig, in der kurzen Zeit genügend Followers aufzubauen. Offlineaktionen haben wir nicht gemacht, dazu reichte unsere Energie nicht. Neben all den Social Media war das klassische Mailing am wichtigsten. Mailverteiler sind super Werkzeuge, du hast damit einerseits die direkteste und nachhaltigste Ansprache. Andererseits liefern dir Mail-Programme Informationen über deine Empfänger. Zum Beispiel: Wann werden Mails gelesen? Wir haben vor dem Projektstart viel Zeit darin investiert, die Communities zu erforschen, die wir erreichen wollten: Jazzfans, Luxushotel-Community, die klassischen Dokumentarfilm-Liebhaber. Und danach haben wir spezielle Verteiler aufgebaut. I.R. Wie war eure Kampagne zeitlich strukturiert? H.A. Ich muss zunächst sagen, dass wir die Kampagne nicht nur zum Einwerben des Geldes genutzt haben, sondern auch als Marketing165
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instrument für unseren Film. Wir wollten – wenn wir uns schon die ganze Mühe machen – damit auch unseren Film bekannt machen. Ich glaube, die Koppelung der beiden Ziele macht für viele Projekte Sinn. Dann sind wir ans Prämienausdenken gegangen. Das ist nicht so einfach, weil man einerseits zwar originell und attraktiv sein will, aber andererseits nicht zu viel Geld investieren möchte. Am Ende war die »Special Kickstarter DVD« unseres Films am populärsten. Nachdem Social Media und Blog eingerichtet waren, haben wir uns eine Website mit Glückskeksen, in denen Filmschnipsel waren, programmieren lassen. Das erste Mailing galt der Website: »Bei uns gibt es Glückskekse, schaut mal rein.« Manche haben es gecheckt, manche klickten es einfach weg. Danach haben wir die Medien angesprochen – Foren, Blogs, Festivals, Zeitungen. Die Resonanz der Zeitungen war enttäuschend. Die Nachrichtenagenturen, vor allem Reuters, haben dagegen gut funktioniert. Die erste Welle war ermutigend. Nach drei Minuten hatten wir 40 Dollar. Das hat damit zu tun, dass die neuen Projekte ganz oben auf den Plattformen stehen. Wenn die Projekte weiter runterrutschen, ist es mit diesem Bonus vorbei. Da alles komplettes Neuland war, immerzu Entscheidungen anstehen und man immer das Gefühl hat, man macht alles falsch, war es für mich extrem wichtig, dass ich nicht allein war, sondern mich im Team austauschen konnte. I.R. Was hat dir am Crowdfunding Spaß gemacht? Was hast du als nervig empfunden? H.A. Spaß macht, dass du spürst, du hast es in der Hand, du kannst den Erfolg steuern. Das Kreative des ganzen Prozesses ist toll. Leute sind interessiert daran, sich über das Projekt auszutauschen. Das ist motivierend. Die Schattenseite ist, dass es furchtbar demotivierend sein kann, wenn ein Projekt nicht funktioniert.
Das Nervige sind die Phasen, in denen du nicht vom Fleck kommst. Du postest dir den Wolf, und es passiert nichts. Vieles, was du reinsteckst, wird nicht bemerkt. Das ist eine Erfahrung, die alle machen, die im Netz unterwegs sind. Für mich war das ganze Quatschen auf den Social Media anstrengend. Über das Projekt zu reden, 166
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fand ich ok, aber die Natur von Social Media ist, außerdem auch über andere Dinge zu reden. Dazu musste ich mich echt aufraffen. I.R. Wie viel Zeit und Geld habt ihr in die Kampagne gesteckt? H.A. Was die Zeit angeht: ich kann es nicht genau sagen, aber so 100 Stunden werden zusammen gekommen sein. An hartem Geld haben wir nicht so wahnsinnig viel investiert. Wir haben Anzeigen für 400 Euro bei Facebook geschaltet, die aber nichts gebracht haben. Und dann waren die Kosten für die Programmierung der Website: 300 Euro. Den Trailer und Clips hatten wir schon und das Drehen des Pitch-Films haben wir selbst gemacht. Dabei sind die Idee und die Personen ohnehin wichtiger, als dass der Film supereloquent und professionell daherkommt. I.R. Was würdest du heute anders machen? H.A. Ich würde früher mit dem Posten beginnen, schon während des Drehs, damit die Leute schon am Entstehungsprozess teilhaben. Und dann würde ich den Pitch-Film kürzer halten. Eins kann ich zum Schluss sagen: Du musst, bevor du ins Crowdfunding einsteigst, eine klare Idee haben, an wen du dein Projekt adressierst. Das ist das Allerwichtigste.
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IV.1 »Last minute panic«: Die Calvin-und-HobbesRegel Für alle, die diese beiden fabelhaften Typen nicht kennen: »Calvin und Hobbes« ist ein amerikanischer Comic über einen kleinen Jungen (Calvin) und seinen Plüschtiger (Hobbes). Da gibt es diese Szene: Calvin will mit seinen Autos in der Sandkiste spielen und Hobbes, der ewige Spielverderber, fragt ihn: »Hast du schon eine Idee für dein Projekt, hast du schon begonnen?« (Das Projekt ist natürlich eine Schulaufgabe.) Calvin antwortet entrüstet: »Du kannst Kreativität nicht einfach so anschalten, du musst in der richtigen Stimmung dafür sein.« Hobbes fragt interessiert nach: »Und was für eine Stimmung ist das?« Darauf Calvin: »Last minute panic!« Also der angstflatternde seelische Ausnahmezustand kurz vor der Abgabe, vor der Deadline. Jeder, der schon mal ein Projekt durchgeführt hat, ist mit der »last minute panic« vertraut. Er weiß auch, welche Kräfte dadurch mobilisiert werden – weil sie mobilisiert werden müssen. Denn nur mit dieser Art von schöpferischem Überlebenskampf ist im letzten Augenblick das ganze Vorhaben überhaupt noch zu retten. Allerdings nur deshalb, weil vorher viele Tage, Wochen, sogar Monate lang wenig passiert ist. Ich habe oft von Projektorganisatoren gehört: »Ich brauche den Druck kurz vor der Abgabe, sonst bringe ich mich nicht zum Arbeiten.« Ich halte das für Unsinn. Und übrigens: Mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, ist die Pest. Es bleibt auch bei guter (Selbst-)Organisation immer noch genügend Stress und Unvorhersehbares kurz vor Projektende übrig, um – wenn man das denn unbedingt will – Adrenalin zu produzieren. 170
IV.1 »L AS T MINUTE PANIC« : DIE CALVIN-UND-HOBBES-REGEL
Deshalb wird es auf den folgenden Seiten darum gehen, wie man diesen Last-minute-panic-Zustand vermeidet. Denn im Zustand der Torschlusspanik bringt man nicht nur sich und andere an den Rand des Nervenzusammenbruchs, sondern macht auch unglaublich viele Fehler. Die Kosten des Arbeitens unter extremem Termindruck sind materiell wie persönlich sehr hoch: Ihr müsst das erstbeste Material nehmen, weil ihr zu sorgfältiger Auswahl keine Zeit mehr habt; ihr kommt bei euren Kooperationspartnern unprofessionell rüber; und vor allem: ihr habt keine Gelegenheit, einmal kurz zurückzutreten und eure Arbeit in Ruhe daraufhin anzusehen, ob sie wirklich »sitzt«, ob sie so ist, wir ihr sie haben wollt. Projektmanagement ist das Werkzeug, mit dem ihr den Aufstieg auf den großen Berg in viele kleinere Etappen zerlegt und euch damit den Beginn, aber auch die einzelnen Schritte auf dem Weg erleichtert. Es geht um nichts anderes als Planung, Einteilung und Schwerpunktbildung. Nun werdet ihr vielleicht sagen: Ich habe keine Zeit, alles aufwendig durchzustrukturieren, Pläne zu machen und sie vielleicht auch noch mit den Partnern abzustimmen. Oder: Ich bin allein im Projekt – was soll ich mich da an irgendwelchen Termindiagrammen orientieren, ich weiß doch selbst am besten, wo ich stehe. Ich rede manchmal auch selbst so (mit mir). 171
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Aber etwas Systematik spart im Verlauf der Arbeit viel Zeit. Außerdem produziert die Planung statt der einen großen, furchteinflößenden Deadline viele kleine, die weniger Angst machen, aber motivieren – ihr profitiert vom Adrenalin der »last minute panic«, von ihrer inspirierenden Wirkung, ohne ihre Horroreffekte, die projektmäßige Todesangst. Schließlich verlangen viele Geldgeber, gerade die der öffentlichen Hand, entweder schon beim Antrag oder bald danach eine solche Planung, um die Professionalität des Geförderten zu prüfen und das Projekt auch im Verlauf kontrollieren zu können. Die Mühe, die das macht, kommt euch noch auf eine andere Weise selbst zugute: Ihr müsst euch und eure Arbeit realistisch einschätzen und lernt euch dadurch besser kennen. Der Zeitplan für euer Projekt zum Beispiel ist eine sehr individuelle Sache. Bei gleichzeitigen Übungen zum Thema Zeitplanung mit sechs verschiedenen Projektgruppen ist mir das einmal besonders drastisch aufgefallen. Für die Aufgabe »Konzept schreiben« etwa sah eine Gruppe einen ganzen Monat vor, eine andere nur einen einzigen Tag. Das hieß nicht, dass die einen Pfuscher und die anderen Bummler gewesen wären. Sondern die Gruppen waren in ihren Stärken und Schwächen verschieden, sie hatten sich darüber Gedanken gemacht, und ihre Zeitplanung brachte das zum Ausdruck. Wem das Schreiben leicht fällt, der wird mit einem Antrag schnell fertig sein, aber vielleicht für das Basteln seiner Sprühpappen lange brauchen – während es bei eher praktisch veranlagten Wortmuffeln umgekehrt sein wird. Gut, wenn einem solche Wahrheiten über einen selbst nicht erst im letzten Augenblick aufgehen. Also, raus aus der Sandkiste! Hört auf Hobbes!
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IV.2 WIE PL ANE ICH EIN PRO JEK T?
IV.2 Wie plane ich ein Projekt?
Projekte sind eine konzentrierte Form des Arbeitens über einen bestimmen Zeitraum hinweg; sie haben einen Anfang, ein Ende und eine bestimmte Dauer. Beispiele sind eine Ausstellung, eine Katalogproduktion, eine Aufführung, eine Performance, eine Recherchereise; auch eine Installation, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stehen muss. Ihr plant ein Projekt, indem ihr euch überlegt: Was muss ich tun, wann muss ich es tun, mit wem muss ich es tun, und wie lange dauern die einzelnen Schritte? Bevor ihr daraus eure Aufgaben ableitet, sind ein paar grundsätzliche Überlegungen und Entscheidungen nötig. Etwa: Was braucht ihr an Infrastruktur? Infrastruktur meint: Dinge, auf die ihr im Projektverlauf zurückgreift, die aber nicht unbedingt projektspezifisch sind. Habt ihr eine Facebook-Seite eingerichtet? Ist euer Adressverteiler auf dem neuesten Stand? Habt ihr schon einen Presseverteiler, oder müsst ihr erst einen fürs Projekt erstellen? Aber auch: Welche Freunde, Kollegen oder Institutionen in eurem Umfeld könntet ihr als Multiplikatoren nutzen? Wer könnte bei welcher Aufgabe helfen? Dafür nehmt euch ruhig einen Moment Zeit. Fragen wie diese stehen am Anfang, bevor ihr eure Aufgaben definiert und aufschreibt. Es gibt unterschiedliche Werkzeuge, die euch bei der Planung helfen, von ganz einfachen bis zu ziemlich ausgefeilten. Ist das Projekt vielschichtig, gibt es Partner und Mitarbeiter, sind Fristen einzuhalten, sind viele Arbeitsschritte nötig? Dann solltet ihr ein 173
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anspruchsvolleres Instrumentarium nutzen. Seid nur ihr mit dem Projekt beschäftigt, ist der Arbeitsaufwand überschaubar? Dann reicht ein einfaches Werkzeug.
IMMER SCHÖN DER REIHE NACH: DIE CHECKLISTE Ein elementares Hilfsmittel in der Projektplanung ist die Checkliste. Ihr beginnt, GEPLANT, indem ihr euch den ganzen anstehenden ERLEDIGT, Berg an Arbeit in einzelne Arbeitsschritte DURCHzerlegt. Ihr startet am besten mit einer Art GESTRICHEN Brainstorming. Schreibt einfach alle Aufgaben auf, die euch zum Projekt einfallen. Wenn ihr eine Gruppe seid, macht das gemeinsam. Spielt dafür das Projekt einmal in Gedanken durch, ruhig so kleinteilig wie möglich. Damit habt ihr schon die Grundlage für eine Checkliste. Was das ist, weiß jeder aus dem Alltag. Dort handelt es sich meist bloß um eine Aufstellung aller anstehenden Aufgaben, die untereinandergeschrieben werden. Sind sie erledigt, werden sie durchgestrichen – und fertig. Die Checkliste im Projektmanagement ist etwas professioneller. Sie ordnet die Aufgaben vom Endtermin her rückwärts an und bringt die Arbeitsschritte in eine zeitlich sinnvolle Reihenfolge. Klar also, dass die Organisation der Premierenfeier oder der Vernissage nicht oben auf der Liste steht, sondern eher am Schluss. Auf der Checkliste teilt ihr jeder Aufgabe einen Termin zu, bis zu dem sie erledigt werden muss. Sind mehrere Leute beteiligt, kann noch der Name des Zuständigen vermerkt werden. Mehr Differenzierung allerdings ermöglicht die Checkliste nicht. Ihr könnt aus ihr nicht oder nur schwer oder erkennen, wie lange ein Arbeitsschritt dauert, welche Arbeitsschritte zeitlich parallel laufen oder wie die Aufgaben logisch verknüpft sind. Aufgaben, die eine Woche benötigen, stehen gleichberechtigt über oder unter solchen, die in zwei Stunden erledigt sind. Am besten setzt ihr die Checkliste für Projekte ein, bei denen ein Arbeitsschritt auf den anderen folgt, und die eine einfache, lineare Struktur haben. 174
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WO LAUFEN SIE DENN? DAS BALKENDIAGRAMM Dieses Werkzeug benutze ich am häufigsten. Es ist immer noch einfach und schnell erstellt, zeigt aber schon detaillierter den Ablauf des Projekts. Das Balkendiagramm ist nichts anderes als eine besondere Art Tabelle. In senkrechter Linie werden die Aktivitäten aufgelistet; die Waagerechte ist die Zeitachse. Die könnt ihr je nach der Dauer eures Projekts feiner (in Tage) oder etwas grober (in Wochen oder Monate) einteilen. Die zeitliche Ausdehnung der einzelnen Tätigkeit wird dann in den jeweiligen Zeilen mit einem waagerechten Balken (daher der Name des Diagramms) dargestellt: je länger der Balken, desto länger dauert sie. An dem Balken seht ihr den Anfangs- und den Endtermin der Arbeit, die erledigt werden muss, und ihr seht, welche Arbeiten zeitlich parallel laufen. Bevor ihr sie also ins Balkendiagramm eintragt, müsst ihr euch überlegen, wie viel Zeit sie beanspruchen. Dazu ein Tipp aus langjähriger Projektpraxis: Immer Puffer vorsehen! Sonst hängt ihr mit euren Zeitplänen ständig hinterher und seid schnell frustriert. Ein Balkendiagramm setzt voraus, dass ihr zuvor eure Einzelaktivitäten in größere Arbeitspakete zusammengefasst habt. Denn wie wollt ihr Arbeiten, die vielleicht nur zwei Stunden dauern, im Diagramm darstellen? Ein Arbeitspaket umfasst alle Tätigkeiten, die demselben thematischen Bereich angehören. Ihr schreibt wie bei der Checkliste zuerst alle zu erledigenden Arbeiten auf und bildet dann thematische Gruppen. »Journalisten recherchieren«, »Presseverteiler erstellen«, »Pressemitteilung schreiben«, »Pressemitteilung verschicken« und »Journalisten anrufen« gehören alle zum Arbeitspaket »Pressearbeit«, die Besetzung von Rolle A, Rolle B und Rolle C kommen im Arbeitspaket »Rollenbesetzung« zusammen usw. Die Arbeitspakete müssen so klein sein, dass sie handhabbar bleiben und dass ihr in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen den Haken »erledigt« dahintersetzen könnt. Denn das Balkendiagramm soll neben seiner Funktion für Übersicht, Planung und Steuerung zugleich ein Motivationsinstrument sein: Es muss Erfolgserlebnisse ermöglichen. Sind die Pakete zu groß geARBEITSPAKETE PACKEN
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raten, empfiehlt es sich, sie wieder etwas aufzugliedern. Also etwa »Pressearbeit« in »Pressearbeit vorbereiten« (Journalisten recherchieren, Presseverteiler erstellen) und »Pressearbeit durchführen«. Oder »Rollenbesetzung« in »Hauptrollen besetzen« und »Nebenrollen besetzen«. Überschneiden sich Aktivitäten zeitlich, dann laufen auch die entsprechenden Balken parallel nebeneinander her. So könnt ihr erkennen, wann sich die Arbeit häuft und verdichtet. Das gibt euch die Möglichkeit, im Vorfeld zu steuern und Tätigkeiten zu verlagern, die nicht unbedingt in diesen arbeitsreichen Wochen erledigt werden müssen. Ihr könnt aber auch jederzeit sehen, wo ihr gerade im Projekt steht: einfach vom aktuellen Datum einen roten Faden nach unten ziehen. Wenn ihr mit mehreren Leuten am Projekt arbeitet, dann verwendet mehrere Farben; jeder bekommt eine eigene, in der die Arbeiten dargestellt werden, für die er zuständig ist. Ich habe in meinen Büros immer große Tafeln und Whiteboards gehabt, auf denen ich MAUS die Balkendiagramme zeichnen konnte. Das ODER braucht man nicht unbedingt; eine Exceltabelle reicht auch. Hauptsache, ihr habt euer KREIDE Projekt auf einen Blick vor euch und könnt die Planungen jederzeit anpassen, also Balken verlängern oder verkürzen, Anfangs- oder Endzeiten verändern. Denn das kann ich euch versichern: Auch die vorausschauendste Planung wird im Projektverlauf dutzende Male modifiziert werden müssen. Verschiebt sich die Dauer einzelner Aktivitäten (und damit der Beginn der nachfolgenden), dann heißt es Wischen/Radieren und neu Zeichnen. Ich werde euch noch softwaregestützte Planungswerkzeuge vorstellen, die solche Veränderungen mit einem Mausklick für euch erledigen. Ob ihr lieber am Computer oder auf der Tafel arbeitet, müsst ihr selbst herausfinden und entscheiden. Ich halte das Balkendiagramm auch deshalb für ein besonders geeignetes Werkzeug, weil sich darin die logischen Beziehungen zwischen einzelnen Arbeiten darstellen lassen: Ihr könnt sichtbar machen, welche Aktivität unbedingt abgeschlossen sein muss, ehe ihr eine andere beginnt. So braucht ihr zum Beispiel einen fertigen 177
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Presseverteiler, bevor ihr eine Pressemitteilung verschicken könnt. Das wird im Balkendiagramm einfach mit einem Pfeil am Ende des Balkens »Presseverteiler erstellen« dargestellt, der dann zum Balken »Pressemitteilung verschicken« führt. Damit sind die zeitlichen und sachlichen Abhängigkeiten auf einen Blick erkennbar. Wenn ihr keine aufwendige Softwarelösung einsetzt, eignet sich das Balkendiagramm nur für kleine bis mittlere Projekte. Sobald die Anzahl der Aufgaben zu groß wird, verliert das Bild seine Übersichtlichkeit. Ist das Projekt umfangreicher, müsst ihr die Arbeitspakete größer fassen und mehrere Untervorgänge in einem Paket vereinen. Auf Papier oder Tafel seht ihr jedoch nur die Arbeitspakete. Benutzt ihr allerdings eine Softwarelösung, wird euch eine Funktion angeboten, mit der sich die Arbeitspakte »aufklappen« lassen, so dass ihr seht, welche Teilschritte jedes Paket enthält. (Wie das aussehen kann, zeigt zum Beispiel diese Website für das Open Source Programm OpenProj: http://sourceforge.net/projects/ openproj). Dann könnt ihr dieses Planungsinstrument auch für sehr umfangreiche Projekte einsetzen. Für euch als Künstler jedoch, die ihr ja keine Geschäftsführer von Großprojekten mit ganzen Heerscharen von Mitarbeitern seid, sollte das Balkendiagramm, das ihr auf Papier, Tafel oder in einer Exceltabelle darstellt, in der Regel ausreichen.
FELSEN IM PROJEKT: DIE MEILENSTEINPLANUNG Meilensteine standen früher am Rand von Wegen und Straßen und gaben die Entfernung zur nächsten Stadt an. Sie waren also Orientierungspunkte, mit denen der Reisende abschätzen konnte, wie weit er’s bereits geschafft hatte. So ähnlich muss man sich auch die »Meilensteine« im Projektplan vorstellen: Sie bezeichnen das Ende einer Etappe auf dem Weg zum Projektziel. Die Grundlage dafür bildet wieder das Balkendiagramm. Dorthinein wird ein Meilenstein (in Form einer senkrecht nach unten verlaufenden Linie) gesetzt, wenn ein relativ homogener Aufgabenkom178
IV.2 WIE PL ANE ICH EIN PRO JEK T?
plex bewältigt sein soll. Also zum Beispiel: GUT FÜR Im Mai muss die gesamte Recherche und KONTROLLEURE Konzeptphase abgeschlossen sein, das ist der erste Meilenstein. Im Juli muss die Mittelakquise fertig sein – zweiter Meilenstein. Im September muss die Materialbeschaffung erledigt sein, das ergibt dann den dritten Meilenstein usw. Durch die Gliederung in Etappen ist die Projektplanung für Dritte gut lesbar. Sie brauchen nicht erst alle Arbeitsschritte durchzusehen, sondern erkennen auf einen Blick, welche der Teilziele bereits erreicht sind und welche noch nicht. Deshalb ist die Meilensteinplanung ein gutes Instrument zur Kontrolle. Ein Vorteil ist auch, dass euch das »Abhaken« der Etappen Erfolgsergebnisse zwischendurch bringt, was für die Motivation (vor allem bei längerer Projektdauer) nützlich ist. Andererseits hat die Meilensteinplanung etwas Starres, Reißbrettartiges an sich, das die organische Entwicklung der Arbeit nicht abbildet. Immerhin: Bei ausgedehnteren Vorhaben ist es mir schon einige Male passiert, dass die Förderer eine Meilensteinplanung verlangten, um die Umsetzung über den für sie sonst schwer überschaubaren Zeitraum hinweg im Blick behalten und »überwachen« zu können. Ihr solltet daher auch dieses Werkzeug handhaben können.
TECHNISCHE HILFSMITTEL Es gibt eine Menge computergestützter Hilfsmittel für Projektmanagement und Terminkoordination. Sie haben einige Vorteile gegenüber Tafeln oder Papier: Sie lassen sich leicht per Mausklick mit anderen Partnern teilen, sie sind von überall her einsehbar, Veränderungen in der Planung können schneller dargestellt werden. Für euch ist besonders der Open-Source-Bereich interessant, das heißt die meist kostenlos im Internet herunterladbaren Programme (zum Beispiel dotProject, GanttProject, WP Project Manager als word press plugin). Diese Programme sind manchmal genauso ausgefeilt wie die kostenpflichtigen Varianten und reichen für die Verwaltung von Einzelprojekten, für Termin- und Zeitplanung und einfache Visualisierung aus. Das Netz bietet auch für die reine Aufgabenverwaltung Unterstützung (zum Beispiel taskcoach, wunder179
Meilenstein 1
Zeit in Wochen
Meilenstein 1
Konzeptphase
Meilenstein 2
Projektplanung
Texte aussuchen Figuren festlegen Rechte am Text klären Finanzierungsplan erstellen Zeitplan erstellen
Finanzierung
Meilenstein 3
Anträge Sponsoren Anträge öffentliche Hand Sachspenden einwerben
Projektdurchführung
Meilenstein 4
Ensemble verpflichtet Probe organisieren Ausstattung Bühnenbild Technik organisieren
Öffentlichskeitarbeit
Meilenstein 5
Pressearbeit Programmheft Plakate
Premiere Feier Premiere
Meilenstein 6
Guerilla-Aktion
Dekoration Räume
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KW 23
KW 24
Meilenstein 2 KW 25
KW 26
Meilenstein 3 KW 27
Meilenstein 4 KW 28
KW 29
KW 30
KW 31
KW 32
Meilenstein 5 KW 33
KW 34
Meilenstein 6
KW 33
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KW 34
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list). Die Website www.heise.de hilft euch, einen Überblick über Softwareangebote in Sachen Projektmanagement zu gewinnen. Wenn ihr nicht zu tief in die Welt der Projektmanagementprogramme einsteigen wollt, ist EIN das einfachste computergestützte Werkzeug, KALENDER das ich euch empfehlen würde, wenn ihr im FÜR Team arbeitet, ein gemeinsamer Kalender im ALLE Netz, in den die einzelnen Teammitglieder (durch Farben unterscheidbar gekennzeichnet) ihre Termine für andere sichtbar eintragen können. Das leisten mehrere Anbieter (zum Beispiel Google calendar). Das zweite hilfreiche, unkomplizierte Instrument sind kooperativ nutzbare Onlinespeicher. Dort könnt ihr eure Dokumente oder Präsentationen, an denen ihr zusammen arbeitet, ablegen (zum Beispiel Dropbox, Google drive).
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IV.3 Die Planungswüste lebt!
In meinem Seminar bin ich beim Thema »Zeitplanung« nicht gerade Begeisterung gewöhnt, genauso wenig, wie wenn es um Kostenkalkulationen geht. Alle sind erstmal Calvin und keiner hat Lust, auf Hobbes zu hören. Aber man kann mit dem scheinbar öden Gegenstand erstaunliche Erfahrungen machen. Einmal sollten die Studenten in der Lehrveranstaltung jeweils ein eigenes Vorhaben vorstellen, für das wir dann alle gemeinsam eine Planung erarbeiten würden. Eine Gruppe kam mit einem Open-Air-Sommertheater-Projekt, bei dem mit Autowrackteilen und Baumaschinen auf öffentlichen Plätzen in mehreren Städten eine Rittergeschichte gespielt werden sollte. Eine schöne Idee, die noch in der Konzeptphase war. Wir begannen, die einzelnen Positionen für den Kostenplan und die Arbeitsschritte für den Zeitplan zusammenzutragen. Und nun passierte etwas Hochspannendes, für die Arbeit absolut Notwendiges: Die schlichten Fragen nach den finanziellen Kosten der einzelnen künstlerischen Elemente und nach dem Zeitbedarf für ihre Umsetzung führten dazu, dass die Gruppe das Projekt zum ersten Mal detailliert Schritt für Schritt durchging. Vorher hatte man den Gedanken freien Lauf gelassen und ins Große hinein entworfen, aber auch gesponnen und geträumt. Jetzt hieß es Klarheit schaffen, sich festlegen und entscheiden: Was ist wirklich essentiell für die BRAUCHEN Realisierung der Idee? Was sind Kernstücke WIR des ganzen Projekts, die unbedingt bleiben DEN müssen – was lässt sich dagegen anpassen, BAGGER? reduzieren oder sogar weglassen? Brauchen wir wirklich einen Bagger – oder kann 184
IV.3 DIE PL ANUNGSWÜS TE LEBT! !
die Aussage, auf die es uns ankommt, auch mit einer weniger aufwendigen Geste erreicht werden? Niemand freut sich darüber, dass er mit begrenzten Mitteln und knappen Fristen auskommen muss. Man hätte es gern üppiger, in jeder Hinsicht. Aber die Begrenzungen führen auch zu genauerem Nachdenken, schärferer Selbstkritik und klarerer Schwerpunktsetzung. Zu größerer Disziplin – und damit zu höherer Qualität.
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Zum Schluss: Was Marketing (nicht) kann
Als die Pianistin Valentina Lisitsa die Bühne großer Konzertsäle betrat, war das eine Sensation. Nicht so sehr dank ihres Anschlags oder Spiels, sondern ihrer ungewöhnlichen Karriere wegen. Dass sie hier an prominentem Ort musizieren konnte, verdankte sie keinem Mentor, nicht dem Sieg in einem Wettbewerb und überhaupt keinem Erfolgsmuster des klassischen Konzertbetriebs. Sie verdankte es einer Masse von Fans auf YouTube. Rund 50 Millionen Klicks weltweit verzeichneten im Frühjahr 2013 ihre Videos, auf denen sie Rachmaninow, Chopin, Bach, Schostakowitsch oder Bernstein spielt. Valentina Lisitsa hat nicht etwa bewusst eine neue Strategie der Kulturvermittlung und -vermarktung entworfen. Die alten Karrierewege hatten für sie einfach nicht funktioniert. Trotz Konservatoriumsbesuch und Wettbewerbsteilnahmen blieb der Durchbruch aus; sie dachte zeitweise schon ans Aufhören. Da kam ihr die Idee, einen Videoclip mit ihrem Spiel von Rachmaninow-Etüden ins Netz zu stellen. Wie sie der Süddeutschen Zeitung sagte, war »die Bildqualität […] niedrig, doch wir stellten es ins Internet, weil es nichts kostete« (SZ Nr. 52, 2./3. März 2013, Seite 15). Das war der Beginn ihres Aufstiegs zum YouTube-Star. Der Erfolg blieb nicht aufs Netz beschränkt; das Internet wurde zum Startpunkt, zum Hilfsmittel einer Karriere, die sich in der Live-Musikwelt fortsetzte. 2012 gab Valentina Lisitsa ihr Debüt in der prestigeträchtigen Londoner Royal Albert Hall. Denn die Qualität ihres Spiels, ihre interpretatorische Arbeit, ist hervorragend; sie ist einfach eine gute Pianistin. Auf YouTube, mit einem unkonventionellen Marketingmodell, konnte Lisitsa überhaupt erst in die 186
ZUM SCHLUSS: WAS MARKE TING ( NICHT ) K ANN
Öffentlichkeit gelangen, ein Publikum erreichen. Ihr Erfolg dort machte den klassischen Konzertbetrieb auf sie aufmerksam – doch nur die Stärke ihres Künstlertums hat sie am Ende durchgesetzt. Heute bekommen die Zuhörer ihrer Konzerte Programmhefte mit zwei unterschiedlichen Vortragsfolgen in die Hand. Vor Beginn lässt die Pianistin das Publikum darüber abstimmen, welches Programm sie an diesem Abend spielen soll. Ein kleiner Gruß an ihre Anfänge im Netz und gleichzeitig ein Markenzeichen, mit dem die Zuhörer sie dauerhaft verbinden und im Gedächtnis behalten. Social Media, PR und Marketing sind Instrumente, die Chancen und Möglichkeiten bieten können, wenn sich die klassischen Karrierekanäle für euch nicht eignen – oder weil es sie nicht mehr in ausreichendem Maße gibt. Aber kein Instrument, kein altes und kein neues, ersetzt die künstlerische Qualität oder entlastet euch von der täglichen Arbeit daran. Marketing ist nicht allmächtig; wo nichts Lohnendes angeboten wird, kann es auf Dauer auch keine Nachfrage hervorbringen. Reine Medienphänomene wie die Trash-Stars des Privatfernsehens lassen sich mit den Techniken der Werbeindustrie produzieren – mit einer Weltklassepianistin geht das nicht. Was Marketing für die Künste leisten kann und wozu es gebraucht wird, das ist: neugierig machen, Interesse schaffen, Hindernisse aus dem Weg räumen, die den Blick auf euch und eure Leistung versperren. Marketing schafft keine Kunst und keine Künstler, aber es macht sie sichtbar.
In diesem Sinne:
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WIE ÜBERLEBE ICH AL S KÜNS TLER?
Danke! an Sven Meyenburg, der seit dem Studium alle meine wichtigen Texte Korrektur liest, der stöhnt, flucht und sich trotzdem immer wieder unermüdlich an die Arbeit macht. Und da er diese Zeilen nicht vorab gesehen hat, kann ich leider nicht für die Kommasetzung, garantieren. an Till Sperrle von ITF Grafikdesign, der unendlich viele Arbeitsstunden und Ideen in dieses Buch investiert hat und eigentlich unter der Rubrik »Sponsoren« stehen sollte.
an den transcript Verlag, besonders Christine Jüchter, Jennifer Niediek und Johanna Tönsing für die gute Zusammenarbeit und die Bereitschaft, sich auf das Experiment einzulassen und es tatkräftig zu unterstützen.
an meinen Kollegen Friedrich Kirschner, mit dem ich mir nicht nur ein Büro teile, sondern auch Gedanken, Ideen, blanken Unsinn und vor allem die Vorliebe für unaufgeräumte Schreibtische.
an Gernot Wolfram, Hochschule für Medien und Kommunikation Berlin, der bei der Suche nach dem passenden Verlag die richtigen Tipps hatte.
an die Studenten der Zeitgenössischen Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« (HfS) in Berlin, die mir in Vorlesungen, Seminaren und Sprechstunden viel Stoff für das Buch geliefert haben. Und vor allem die Überzeugung, dass es wichtig ist, ein solches Buch zu schreiben. Und an Jan, ohne den sowieso gar nichts geht.
SOWIE: Lennart Schwencke; RA André J. Lindebaum, Sozietät Gehrholz & Lindebaum; Karin Blenskens und Karsten Wenzlaff, IKOSOM Institut; Melanie Seifart und Christian Rost, Kompetenzzentrum Kultur- & Kreativwirtschaft des Bundes; Rosa Schmitt-Neubauer, Referatsleiterin K 24 Zeitgenössische Kunst beim Beauftragten für Kultur und Medien; Norbert Sievers, Geschäftsführer Kulturpolitische Gesellschaft e.V.; Jochen Menzel, (HfS) und Markus Joss, (HfS).
S. 11-184 Die Idee, Karteikarten als Gestaltungselement zu nutzen, kam von Friederike Kunze. S. 73 Die Plakate der MKP-Guerilla-Aktion gestaltete lange+durach aus Köln. Die Bildrechte liegen bei MKP. S. 163 Der Abdruck der Fotos des Films »As times goes by in Shanghai« wurden – auf Vermittlung der Flying Moon Filmproduktion GmbH – von Rick Liston (Fotograf) ermöglicht.
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Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen (2., unveränderte Auflage 2013) 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3
Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis August 2014, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9
Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung Februar 2014, ca. 450 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2297-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Birgit Mandel Interkulturelles Audience Development Zukunftsstrategien für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen (unter Mitarbeit von Melanie Redlberger) März 2013, 254 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2421-2
Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive Oktober 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1291-2
Gernot Wolfram (Hg.) Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld 2012, 248 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1781-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.) NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung Mai 2013, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2381-9
Claudia Gemmeke, Franziska Nentwig (Hg.) Die Stadt und ihr Gedächtnis Zur Zukunft der Stadtmuseen 2011, 172 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1597-5
Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen
Peter Leimgruber, Hartmut John Museumsshop-Management Einnahmen, Marketing und kulturelle Vermittlung wirkungsvoll steuern. Ein Praxis-Guide 2011, 348 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1296-7
Yvonne Leonard (Hg.) Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps 2012, 272 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-2078-8
Wolfgang Schneider (Hg.) Künstler. Ein Report Porträts und Gespräche zur Kulturpolitik März 2013, 302 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2287-4
Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage)
2012, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9
2012, 384 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6
Susan Kamel, Christine Gerbich (Hg.) Experimentierfeld Museum Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion
Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Theorie und Praxis der dialogischen Besucherführung
Oktober 2013, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2380-2
August 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de