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German Pages XVI, 215 [222] Year 2020
Johannes Bohnen
Corporate Political Responsibility (CPR) Wie Unternehmen die Demokratie und damit sich selbst stärken
Corporate Political Responsibility (CPR)
Johannes Bohnen
Corporate Political Responsibility (CPR) Wie Unternehmen die Demokratie und damit sich selbst stärken
Johannes Bohnen BOHNEN PUBLIC AFFAIRS GmbH Berlin, Deutschland
ISBN 978-3-662-61537-9 ISBN 978-3-662-61538-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: © [M] MasterSergeant/Adobe Stock Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Meinem viel zu früh verstorbenen Vater gewidmet
Vorwort
In den über 25 Jahren meiner beruflichen und ehrenamtlichen Arbeit an den Schnittstellen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Bürgergesellschaft ist mir immer wieder aufgefallen, wie wenig sich diese Bereiche der Gesellschaft verstehen. Sie unterscheiden sich in Sprache, Denk- und Handlungslogik. Wie groß beispielsweise das Misstrauen von Unternehmern gegenüber der Politik ist, führten mir zahlreiche Unternehmertagungen und persönliche Gespräche vor Augen. Es ist erschreckend zu sehen, wie unpolitisch die meisten Unternehmenslenker agieren. Gleichzeitig ist eine abnehmende Wirtschaftskompetenz von Politikern zu beklagen, obwohl ihnen die Aufgabe zukommt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu setzen. Die Entfremdung zwischen Politik und Wirtschaft, aber auch großen Teilen der Bevölkerung, ist weit vorangeschritten. Gegenseitig werden Vorurteile kultiviert. Aber Berührungsängste und Sprachlosigkeit kann sich Europas größte Volkswirtschaft nicht leisten, denn angesichts wachsender innerer und äußerer Bedrohungen benötigen wir weiterhin stabile gesellschaftliche Grundlagen für erfolgreiches Wirtschaften. DAX-Konzerne und größere mittelständische Unternehmen arbeiten seit Jahren fast flächendeckend mit dem CSR-Konzept, um gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Der Ansatz ist auch international fest etabliert – aber er springt zu kurz. Der Vorteil des hier vorgestellten Konzeptes der „Corporate Political Responsibility“ (CPR) liegt demgegenüber im Fokus auf die bedeutendste Vorbedingung wirtschaftlichen Handelns – der politischen und institutionellen Verfasstheit der Gesellschaft. Corporate Political Responsibility bietet einen Ansatz zur umfassenden Positionierung von Unternehmen im öffentlichen Raum und ist damit ein innovativer Beitrag für den nachhaltigen Geschäftserfolg. Unternehmen müssen sich stärker mit den Chancen an den Schnittstellen von Politik und Wirtschaft beschäftigen und ihren Investitionsbegriff um eine politische Komponente erweitern. Denn der Geschäftserfolg ist von gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen abhängig, die Unternehmer bislang zu wenig befördern. In diesem Buch argumentiere ich, dass Politik ein Business Case ist. Aber um diesen zu erkennen, eine entsprechende Haltung einzunehmen und ins Handeln zu kommen, fehlen bislang überzeugende konzeptionelle Ansätze und Methoden. Dieses Buch versucht, diese Lücke ein Stück weit zu schließen. VII
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Corporate Political Responsibility beschreibt, wie Unternehmen mit konkreten Handlungsansätzen eine politische Haltung im öffentlichen Raum entwickeln können. Unser Gemeinwesen braucht die Politisierung aller gesellschaftlichen Akteure – ob in Wissenschaft, Kultur, Medien oder organisierter Bürgergesellschaft. Dabei geht es weniger um parteipolitische Positionierungen als grundsätzlich um Beiträge zur Stabilisierung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats. Dies folgt aus der Einsicht, dass gesellschaftliche Institutionen nicht politikfrei funktionieren, sondern ihre Freiheitsgrade stets von politischen Bedingungen abhängig sind. Defizite im politischen System schlagen auf alle Teilbereiche der Gesellschaft durch. Wenn wir also einen breiten Begriff des Politischen entwickeln und nicht alles an Staat und Parteien delegieren, können wir unsere Demokratie revitalisieren. Dafür braucht es eine Neuvermessung des öffentlichen Raumes. Das Buch möchte daher alle relevanten gesellschaftlichen Akteure ermutigen, sich kraftvoll in diesem zu engagieren. Es lohnt sich! Adressaten des Buches sind in erster Linie Unternehmen. Ihnen stehen vielfältige Ressourcen zur Verfügung, um die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen ihres Geschäftes zu stärken, derer sie sich noch nicht hinreichend bewusst sind. Um diese Potenziale zu heben, habe ich den CPR-Begriff 2013 eingeführt und Anfang 2014 erstmals systematisch in einer Veröffentlichung entwickelt (Bohnen 2014, S. 55–58). Es folgten zahlreiche weitere Aufsätze und Artikel zum Thema.1 In den Reaktionen von Wirtschaftsvertretern zeigte sich steigendes Interesse. Von Beginn an gab es eine grundsätzliche Zustimmung zu meinen Thesen. Die Richtung stimmte. Jedoch nahmen viele Kommentatoren Anstoß an dem Wort „political“. Er sorgte für Irritationen, weil er zumeist parteipolitisch interpretiert wurde. Gleichzeitig gab es mit dem Begriff des Politischen an sich ein Problem, weil Politik oft als Spiegelfechterei wahrgenommen wird, die der „richtigen Lösung“ in die Quere kommt. Das spornte mich an, die Bedeutung politischen Unternehmensengagements umfassender zu begründen. Schließlich hatte mich die politikvergessene Art vieler deutscher Unternehmer schon länger befremdet. Umso erfreuter war ich, als ich meinen Ansatz bei zwei großen CSR-Konferenzen vor der eingeschworenen CSR- Community präsentieren durfte und dieser sehr positiv aufgenommen wurde.2 Am Beginn des Buches steht eine Herleitung des CPR-Konzeptes, die dann in einen umfassenden Praxisteil mündet. Es ist mein Anliegen, Unternehmen zu befähigen, Schritt für Schritt den Prozess des „Political Branding“ zu durchlaufen, um die CPR-Haltung für sich zu operationalisieren. Zahlreiche Schaubilder, Beispiele aus der Unternehmenswirklichkeit und Reflexionen über persönliche Erfahrungen unterfüttern dieses Vorgehen. Da-
Siehe Bohnen 2014, 2015a, b, c, 2016, 2017, 2018, 2019; Bohnen und Hennies 2018. In Köln am 15.11.2018 (Int. Conference on Sustainability & Responsibility, „The New Intersection of Business and Politics – Corporate Political Responsibility“) und in Osnabrück am 15.11.2019 beim Dritten Deutschen CSR-Kommunikationskongress („Mischt euch ein! Politische Positionierung als Teil der CSR-Kommunikation“).
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Vorwort
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rüber hinaus werden neue Methoden und Begrifflichkeiten (siehe Glossar) eingeführt, um das Thema zu systematisieren. Mein Beitrag gilt der öffentlichen Debatte in Deutschland, allerdings vor dem Hintergrund der europäischen bzw. internationalen Auseinandersetzung. Ihr verdanke ich manche Anregung. Das Grundprinzip von CPR sollte in allen westlichen Industrieländern mit historisch gewachsener demokratischer Kultur funktionieren. Die Zielgruppe dieses Buches sind in erster Linie Entscheider der Wirtschaft (mit ihren CSR-, Strategie- und Kommunikationsabteilungen) und Vertreter aus Politik und Verwaltung, aber auch Akteure aus Wissenschaft, Kultur, Medien, Rechtswesen, NGOs, Stiftungen und Kommunikations- und Public-Affairs-Beratungen. Letztlich wende ich mich an alle, die sich für die politische Weiterentwicklung unserer Gesellschaft und des öffentlichen Raumes interessieren. Last but not least bin ich zahlreichen Personen zu großem Dank verpflichtet, die mich in den letzten Jahren bei der Entwicklung des Themas begleitet haben – durch kritisches Diskutieren und Kommentieren ganzer Textpassagen und zahlreicher Schaubilder. Genannt seien hier: Florian von Gierke, Georg Schmidtgen, Felix Hofmann, Helena Ballreich, Sebastian Gallander, Knut Bergmann, Michael Wedell, Michael Alberg-Seberich, Erica Benner, Jörg Schulte-Altedorneburg, Arndt Kwiatkowski, Stefan Wegner, Barbara Strohschein, Achim Boehme, Michael Schütte, Christoph Weiss, Tobias Wolny, Raban Fuhrmann, Heike Steinmeier, Bernd Rohlfes, Rüdiger Sura, Stephane Oertel, Bettina Vestring, Jörg Mayer, Torsten Schumacher und Stefan Lafaire. Mein größter Dank allerdings gilt meinem unermüdlichen Sparringspartner Lutz-Peter Hennies, der mich sehr umsichtig beim Schreibprozess begleitet hat. Auch sei die deutsche BP erwähnt, die als erste Firma eine Veranstaltung eigens zu dem Zweck organisierte, mir ein Forum zur Präsentation meines CPR-Konzeptes vor Unternehmensvertretern zu bieten. Ebenso danke ich dem Aspen -Institut, bei dem ich 2018 in Hamburg einen Vortrag halten durfte, der in eine sehr lebhafte Diskussion mündete.
Literatur Bohnen J (2014) Corporate Political Responsibility (CPR) – Warum Unternehmen sich offen politisch positionieren müssen. ZBP 1–2:56–59 Bohnen J (2015a) Haltung zeigen! Sächsische Zeitung, 01.04.2015, S 6 Bohnen J (2015b) Der Staat, das sind wir alle. Enorm Magazin 03:62–64 Bohnen J (2015c) Werdet Politisch! Cicero 2:88–90 Bohnen J (2016) Unternehmer als Bürger. Handelsblatt Bohnen J (2017) Corporate Political Responsibility. Unternehmen sollten ihre politische Marke entwickeln. CSR Magazin 02:6–7 Bohnen J (2018) Warum Unternehmen politische Verantwortung tragen. Debatte LibMod. https://libmod.de/johannes-bohnen-warum-unternehmen-politische-verantwortung-tragen/. Zugegriffen am 27.02.2020
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Vorwort
Bohnen J (2019) Corporate Political Responsibility (CPR). Warum nachhaltiges Wirtschaften politisch sein muss. forum Nachhaltig Wirtschaften 01:74–77 Bohnen J, Hennies LP (2018) Why brands should foster political sustainability. Journal of Public Affairs. https://doi.org/10.1002/pa.1706. Zugegriffen am 27.02.2020
Berlin, Deutschland
Johannes Bohnen
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1 Einleitung: Worum geht es?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 10 Teil I Die Neuvermessung des öffentlichen Raumes 2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1 Warum der öffentliche Raum für CPR so relevant ist���������������������������������� 14 2.2 Der öffentliche Raum und seine Akteure������������������������������������������������������ 16 2.2.1 Der Staat: Die Steuerungsfähigkeit nimmt ab���������������������������������� 18 2.2.2 Die Gesellschaft: Die Erwartungshaltung der Bürger bzw. Konsumenten nimmt zu�������������������������������������������������������������������� 26 2.2.3 Die Wirtschaft: Unternehmen mangelt es an politischem Selbstverständnis������������������������������������������������������������������������������ 27 2.3 Berührungsängste: Wie ticken Unternehmer, wie Politiker?������������������������ 29 2.4 Lobbying in der Defensive���������������������������������������������������������������������������� 36 2.5 Der Ordnungsrahmen: Grundlagen der demokratischen Verfasstheit���������� 39 2.6 Der mentale Rahmen: Staatstragendes Ethos und gelebte politische Werte�������������������������������������������������������������������������������������������� 43 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 48 3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1 Steuerungsfähigkeit wiedergewinnen: das Governance-Konzept���������������� 51 3.2 Demokratische Wehrhaftigkeit durch persönliche und politische Bildung ���������������������������������������������������������������������������������������� 55 3.3 Debatte als Herzstück der Demokratie begreifen ���������������������������������������� 60 3.4 Wie Führung gelingt – ohne Eliten geht es nicht������������������������������������������ 66 3.5 Gesellschaftliche Akteure und ihre politische Rolle������������������������������������ 73 3.6 Aus Fehlern lernen: Der Fall Pegida in Sachsen������������������������������������������ 83 3.7 Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefordert!�������������������������������������������� 85 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 86
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Teil II Haltung zeigen: Corporate Political Responsibility (CPR) 4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen. . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.1 Unternehmen als Problem und Versprechen staatlicher Steuerungsfähigkeit�������������������������������������������������������������������������������������� 97 4.2 Den Politikbegriff breit denken – Politik ist mehr als Parteipolitik!������������ 98 4.3 Den Investitionsbegriff breit denken – politisch investieren! ���������������������� 100 4.4 Legitimität: Den Primat des Politischen achten!������������������������������������������ 101 4.5 Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte�������������������������������������������������� 102 4.5.1 Corporate Social Responsibility (CSR) – die bisherige Leitplanke�������������������������������������������������������������������������� 103 4.5.2 Weitere etablierte Konzepte�������������������������������������������������������������� 105 4.5.3 Jüngere Konzepte: Die politische Verantwortung wird wichtiger ���������������������������������������������������������������������������������� 108 4.6 CPR – Der nächste Zug rollt������������������������������������������������������������������������ 112 4.6.1 Verortung von CPR im Kontext der anderen Konzepte�������������������� 113 4.6.2 Von der Haltung zum Political Branding������������������������������������������ 116 4.7 Vorteil durch Haltung, oder: CPR als Business Case����������������������������������� 116 4.7.1 Differenzierung und Zweck der Marke�������������������������������������������� 117 4.7.2 Ordnungsverantwortung als Bedingung für Geschäftserfolg����������� 118 4.7.3 Haltung und praktische Klugheit������������������������������������������������������ 120 4.7.4 Der strategische Mehrwert���������������������������������������������������������������� 121 4.7.5 Was CPR für die Public-Affairs-Branche bedeutet�������������������������� 122 4.7.6 Die Vorteile von CPR auf den Punkt gebracht���������������������������������� 124 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 125 Teil III Haltung umsetzen – Political Branding 5 Politische Markenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.1 Was ist eine Marke? Und was ist ihre politische Dimension?���������������������� 133 5.2 Bestandsaufnahme: Die „losen Enden“ identifizieren���������������������������������� 135 5.3 Den Markenkern entwickeln: Die Stärkenfilter-Methode���������������������������� 136 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 139 6 Politische Markenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.1 Führung durch CEO Activism���������������������������������������������������������������������� 143 6.2 Interne Verankerung durch Mainstreaming�������������������������������������������������� 149 6.3 Unternehmen als gesellschaftliche Lern- und Gravitationszentren�������������� 150 6.4 Sustainable Development Goals (SDGs)������������������������������������������������������ 151 6.5 Der ehrbare Kaufmann���������������������������������������������������������������������������������� 152 6.6 Die CPR-Handlungsfelder���������������������������������������������������������������������������� 152 6.6.1 Responsible Lobbying���������������������������������������������������������������������� 154 6.6.2 Positionierung über Themen und Dialoge���������������������������������������� 159
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6.6.3 Projekte der politischen Partizipation ���������������������������������������������� 163 6.6.4 Bereitstellung von Kollektivgütern �������������������������������������������������� 175 6.7 Die Planung von CPR-Maßnahmen�������������������������������������������������������������� 182 6.7.1 Themen identifizieren und setzen ���������������������������������������������������� 182 6.7.2 Politische Kommunikation entwickeln �������������������������������������������� 190 6.7.3 Die Unternehmensorganisation strukturieren ���������������������������������� 192 6.7.4 Evaluation und Quantifizierung sicherstellen ���������������������������������� 194 6.8 Political Branding in der Gesamtschau�������������������������������������������������������� 198 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 199 7 Resümee: Die neue Haltung leben!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7.1 Die 10 wichtigsten CPR-Thesen������������������������������������������������������������������ 209 7.2 CPR – Einwände und Erwiderungen������������������������������������������������������������ 210 Glossar: Neue Begriffe im Kontext von CPR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
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Abb. 2.1 Der öffentliche Raum.������������������������������������������������������������������������������������ 17 Abb. 2.2 Die politische Steuerungslücke. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 24 Abb. 4.1 CPR Gesamtschau: Bedarf, Strategie, Umsetzung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved) �������������������������������������������������������������� 97 Abb. 4.2 CPR-Essentials und ihre Umsetzung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)������������������������������������������������������������������������������������ 113 Abb. 4.3 Klassisches Verständnis gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)���������������������������������������� 114 Abb. 4.4 CPR als politische Ergänzung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)������������������������������������������������������������������������������������ 115 Abb. 4.5 CPR als Dachbegriff für gesellschaftspolitische Unternehmensverantwortung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)������������������������������������������������������������������������������������ 115 Abb. 5.1 Political-Branding-Prozessphasen (Kurzfassung). (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved) ������������������������������������������������������������ 134 Abb. 5.2 Political Branding: Der Weg zur politischen Marke. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved) ������������������������������������������������������������ 136 Abb. 5.3 Stärkenfilter. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)������������������ 137 Abb. 6.1 Politikfelder & Querschnittsthemen entlang der Wertschöpfungskette. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)���������������������������������������� 188 Abb. 6.2 Aufschlüsselung der Politikfelder entlang der Wertschöpfungskette. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)���������������������������������������� 189 Abb. 6.3 Wertschöpfungskette IT-Firma. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)������������������������������������������������������������������������������������ 190
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Abb. 6.4 Querschnittsthemen (beispielhaft). (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)������������������������������������������������������������������������������������ 191 Abb. 6.5 Verankerung CPR – Ausschnitt Organigramm. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved) ������������������������������������������������������������ 193 Abb. 6.6 Political Branding Prozessphasen. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved).������������������������������������������������������������������������������������ 198
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Einleitung: Worum geht es?
Zusammenfassung
Damit Unternehmen erfolgreich wirtschaften können, müssen die gesellschaftspolitischen Grundlagen stimmen. Daher lautet die zentrale These des Buches: Politische Verantwortung zu übernehmen, ist für Unternehmen ein Business Case. Der sozial- ökologische Ansatz der Corporate Social Responsibility (CSR) bildet diesen Zusammenhang nur unzureichend ab. Statt CSR benötigen Unternehmen CPR – Corporate Political Responsibility. Mit der Einführung dieses Konzeptes leistet das Buch einen systematischen Beitrag, wie sich Firmen mit einer gesellschaftspolitischen Haltung im öffentlichen Raum positionieren können. So stärken sie die Demokratie und sich selbst. Als politische Marken gewinnen sie an Profil gegenüber Wettbewerbern und erfüllen steigende gesellschaftliche Erwartungen. Angesichts demokratischer Herausforderungen, auch vor der Folie von Globalisierung und Digitalisierung, ist CPR Teil einer Neuvermessung des öffentlichen Raumes, an der alle gesellschaftlichen Akteure mitwirken sollten.
Dieses Buch formuliert die These, dass Unternehmen ihr Geschäft absichern und sich sogar neue Chancen erschließen, wenn sie politische Verantwortung übernehmen. Es ist ein konzeptioneller und methodischer Beitrag zur politischen Nachhaltigkeit von Unternehmen. Die Schnittstellen zu Politik und Gesellschaft sollten neu gedacht werden. Aber auch die Wissenschaften, die Kultur, die Medien und die organisierte Bürgergesellschaft sind aufgefordert, konstruktive Beiträge zu leisten. Die Grundannahme lautet: Politik, Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt funktionieren nicht ohne ambitionierte und innovative Beiträge aller gesellschaftlichen Akteure. Für die Unternehmen bedeutet
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_1
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1 Einleitung: Worum geht es?
dies, über Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze hinaus zu denken und eine gesellschaftspolitische Haltung zu entwickeln. Indem sie ihre politische Marke herausarbeiten, können sie ihren gesellschaftlichen Zweck präziser definieren und sich im Wettbewerb differenzieren. Noch überschätzen viele die Leistungsfähigkeit der politischen Institutionen. Deren in Deutschland noch existierende Stabilität ist jedoch kein Selbstläufer, sondern bedarf des konstruktiven Engagements. Die Wirtschaft wird sonst nicht nachhaltig agieren können. Im Laufe der Geschichte wurden immer wieder Zeitenwenden ausgerufen – Transformation als Dauerzustand. Auch heute können wir nur erahnen, wie sich Globalisierung, Digitalisierung, Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion, Flüchtlingswellen und viele weitere Trends auf unser Leben auswirken werden. Das Gefühl scheint allgegenwärtig, dass sich unser Leben und dessen Rahmenbedingungen rasant verändern und alte Gewissheiten schwinden. Viele Menschen empfinden dies als bedrohlich. Die Politik steht unter großem Druck, Antworten zu finden. Wie die Wahlergebnisse in den westlichen Demokratien zeigen, trauen die Bürger den etablierten Parteien und dem Staat jedoch immer weniger zu, dies zu leisten. Digitalisierung und Globalisierung vergrößern die Reibung zwischen demokratischer Politik und Wirtschaft. Demokratische Politik ist auf Interessenausgleich bedacht und zumeist national verfasst. Wirtschaft ist straffer in der Entscheidungsfindung und international entgrenzt. Effektive Regulierung wird schwieriger, das Verhältnis beider Sphären gerät zunehmend zum Katz-und-Maus-Spiel. Die Konsequenzen haben langfristig auch Unternehmen zu tragen, denn auf funktionierende Staatlichkeit sind sie zwingend angewiesen. Unternehmen haben noch nicht ausreichend verinnerlicht, dass sie ein großes Interesse an der Abfederung von gesellschaftspolitischen Fliehkräften haben, die sie als maßgebliche Akteure der Globalisierung mitverursachen. Daher gilt es, den „Mismatch“ zwischen nationaler Politik und transnationaler Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Corporate Political Responsibility kann hier einen Beitrag leisten, indem Unternehmen dem Staat Ressourcen zur Verfügung stellen, die ihn effektiver und handlungsschneller machen. Das politische System steht also durch die vom transnationalen Wirtschaftssystem ausgehenden Technologieschübe unter Druck. Unternehmen sind jedoch langfristig von funktionierenden staatlichen Strukturen abhängig. Und sie sind näher an Staat und Politik, als sie bislang zugeben. Denn Unternehmen sind bereits politische Akteure. Sie sind Arbeitgeber. Sie sind Steuerzahler. Sie transformieren unsere Gesellschaften mit ihren Produkten und Dienstleistungen. Sie spenden an Parteien, unterhalten politische Kontakte und begleiten Gesetzgebungsprozesse. Kurz: Sie betreiben Lobbying. Es wäre daher nur konsequent, wenn sie ihre fachlichen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen stärker und transparenter in den öffentlichen Raum einspeisten – nach dem Motto: Der Staat, das sind wir alle! Ohne handlungsfähigen Staat kein gutes Wirtschaften! Es geht um einen Blick, der das Gemeinsame betont und Win-win für alle Beteiligten schafft. Gesellschaftspolitische Verantwortungsübernahme ist für Unternehmen nicht länger bloß „nice
1 Einleitung: Worum geht es?
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to have“. Es ist dringend notwendig – und wenn es konzeptionell durchdacht und überzeugend umgesetzt wird, sogar ein Business Case. Bei der Neuvermessung des öffentlichen Raumes wird insbesondere ein neues Verständnis des Zusammenspiels von Politik und Ökonomie benötigt, um die Herausforderungen zu meistern. Bislang gab es im Bewusstsein der Akteure eine fast vollständige Trennung der beiden Systeme. Diese entsprach allerdings nie der Realität. Unternehmen beeinflussen auf verschiedenen Ebenen als politische Akteure die Politik und den Gesetzgebungsprozess. Damit Unternehmen erfolgreich arbeiten können, müssen die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen stimmen. Bereits eine oberflächliche „Bedrohungsanalyse“ zeigt, dass Unternehmen nicht länger von dieser verlässlichen Grundlage ausgehen können. Eine Allensbach-Umfrage diagnostizierte im November 2019 einen erdrutschartigen Verfall des Zutrauens der Deutschen nicht nur in die Leistung der Regierung, sondern in die politische Stabilität des Staates insgesamt. Hinsichtlich der letzteren fiel die Einschätzung gegenüber der vorigen Legislaturperiode von 81 auf 57 Prozent. Diese Entwicklung greife allmählich das gesamte System an, so die Autorin Renate Köcher. Der Anteil derjenigen, die im politischen System eine besondere Stärke des Landes sehen, sank demnach von 62 auf 51 Prozent (Köcher 2019). Auch über Deutschland hinaus erleben freiheitliche Demokratien derzeit eine innere Krise, die durch äußere Faktoren verstärkt wird: Populismus, Rassismus, Demokratiemüdigkeit, Brexit, autoritäre Tendenzen in Ungarn und Polen, das Schwächeln der EU, der amerikanische Isolationismus und Fake News treffen auf Sicherheitsrisiken durch die russischen Bemühungen zur Spaltung Europas und ungelöste Konflikte wie auf der Krim, in Syrien oder Nordafrika, die wiederum Flüchtlingswellen verursachen. Auch die Kämpfe um Rohstoffe werden sich perspektivisch eher verschärfen. In ihrer Gesamtheit, insbesondere in ihrer Gleichzeitigkeit, gefährden diese politischen Unruheherde die Stabilität der Wirtschaft. Denn Wirtschaft braucht Verlässlichkeit, insbesondere Planungssicherheit durch Rechtssicherheit. Rechtsstaatlichkeit wiederum ist mit Demokratie verfugt – beide sind wechselseitig aufeinander angewiesen. Demokratische Freiheiten müssen, um Wirksamkeit zu beanspruchen, rechtlich verankert sein. Das Rechtssystem ist seinerseits für seine Funktionalität darauf angewiesen, zumindest implizit von Mehrheiten getragen zu werden. Ist diese Verfugung gegeben, bleibt der demokratische Rechtsstaat autoritären Systemen überlegen. Denn diese sind letztlich willkürlich in ihren Entscheidungsfindungen. Daher ist ihre propagierte Verlässlichkeit nicht unbedingt gegeben – vor allem nicht in langfristiger Perspektive. Mit dem CPR-Konzept ist daher auch die Frage verbunden, wie die Zukunft des Kapitalismus und, im deutschen Rahmen, der Sozialen Marktwirtschaft aussieht. Zurzeit gibt es neue und unorthodoxe Diskussionen darüber, wie ein Ordnungsrahmen aussehen könnte, der technologischen Fortschritt und Gewinnstreben mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und „Wohlstandsgerechtigkeit“ verbindet. So haben Überlegungen von politischer Wirtschaftssteuerung Konjunktur, z. B. in Form einer deutschen oder europäischen
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1 Einleitung: Worum geht es?
Industriepolitik – manche Ökonomen sprechen von der „schleichenden Verbreitung des Neo-Dirigismus“ (Fuest 2020). Wie können nationale und europäische Champions geschmiedet werden, die international mit amerikanischen und chinesischen Firmen konkurrieren können? Insbesondere mit China, aber auch starken Mächten wie Russland und der Türkei, geht es letztlich nicht nur um einen wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Kampf der Systeme. Die Frage steht im Raum, wie aktiv sich Unternehmen gegen zunehmend autoritäre und nationalistische Tendenzen behaupten müssen. Alternativen zur liberalen Demokratie finden hörbaren Zuspruch. Das gefährdet nicht nur unsere freiheitliche Lebensart, sondern auch unser Wohlstandsmodell. Umso dringlicher sind in diesen Zeiten unternehmerische Gestaltungsbeiträge zur Bewältigung gesellschaftspolitischer Herausforderungen. Im aufgeklärten Eigeninteresse sollten Unternehmen vor-ökonomische, aber ökonomisch unverzichtbare Gemeingüter fördern. Dazu zählen etwa hochwertige Bildung, eine intakte Infrastruktur oder – wie die weltweite Corona-Pandemie drastisch verdeutlicht – leistungsfähige Gesundheitssysteme. Auch an Unternehmen richtet sich der Auftrag, staatliche Handlungsfähigkeit zu stärken und insbesondere unsere offenen Gesellschaften zu reformieren, um sie attraktiv gegenüber ihrem Gegenentwurf – nämlich Abschottung und Autoritarismus – zu halten. Damit ist klar: Unternehmen sind nicht nur als „soziale“ oder „ökologische“, sondern auch als „politische“ Akteure im umfassenderen Sinne gefordert. Denn das Soziale ist nur eine Facette des Politischen. Diese Verschiebung sollte sich begrifflich und programmatisch niederschlagen. Die These lautet daher: Corporate Social Responsibility (CSR) greift zu kurz – Unternehmen müssen Corporate Political Responsibility (CPR) ausüben. Und was sagen die Unternehmen selbst zu Konzepten der politischen Verantwortungsübernahme? Sie sind noch viel zu zurückhaltend. Die meisten Manager meiden die Öffentlichkeit aus Sorge um ihre Geschäfte. Aber es gibt erste Ausnahmen. So hat Siemens-Chef Kaeser erkannt, dass politische Abstinenz problematisch ist. Seine Bedrohungsanalyse lautet: „Die geopolitischen Risiken sind höher als die wirtschaftlichen Risiken, da bin ich mir ganz sicher“. Wenn etwas wirklich schade, dann seien das „nationalistische Tendenzen in unserem Land. Die ramponieren unseren Ruf in der Welt“ (FAS 2017). Im Unternehmen erntet Kaeser großen Zuspruch für seine politischen Einmischungen. Etwa 90 Prozent befürworten laut einer internen Umfrage seine (politischen) Äußerungen (Fromm 2019). Noch vor Joe Kaeser und Siemens fiel BP unter der Ägide des visionären CEO Lord Browne als Unternehmen auf, das die Bedeutung politischer Verantwortung offen artikulierte. So sagte Ulrich Winkler, der damalige Leiter externe Kommunikation der Deutschen BP, bereits im Jahre 2008: „Und warum machen wir CSR, richtiger CR? Weil wir glauben, dass diese unser Geschäft stabilisiert. Wir stellen uns der Verantwortung wie ein Bürger, wie ein politisches Subjekt – und zwar als Komponente des Kerngeschäftes. Politisch klug zu sein, stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Unser gesellschaftspolitischer Parameter heißt: ‚mutual benefit’, die Erfüllung von Aufgaben in beiderseitigem Nutzen“ (Winkler 2008, S. 62). Politische Teilhabe heißt für Unternehmen, den Kampf um Deutungshoheit im öffentlichen Raum anzunehmen. Der wird immer wichtiger, weil die Erwartungshal-
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tung der Konsumenten und Bürger in Zeiten der Transparenz und umfassenden Verfügbarkeit von Informationen steigt. So schrieb Larry Fink, der Gründer und Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock – gewissermaßen der Inbegriff des Shareholder-Value-Kapitalismus –, in seinem Jahresbrief 2019 an seine Kollegen in der Welt: „Purpose is not the sole pursuit of profits but the animating force for achieving them. Profits are in no way inconsistent with purpose – in fact, profits and purpose are inextricably linked“. Und weiter: „Companies that fulfill their purpose and responsibilities to stakeholders reap rewards over the long-term. Companies that ignore them stumble and fail. This dynamic is becoming increasingly apparent as the public holds companies to more exacting standards. And it will continue to accelerate as millennials – who today represent 35 percent of the workforce – express new expectations of the companies they work for, buy from, and invest in“ (Fink 2019).
Das Edelman Trust Barometer 2019 bestätigt, dass Unternehmenslenkern bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Insgesamt 76 Prozent der Befragten waren der Auffassung: „CEOs should take the lead on change rather than waiting for government to impose it“ (Edelman 2019). Die Aussage zeigt eindrucksvoll, von wem positive gesellschaftliche Beiträge erwartet werden. Im Jahr 2020 untermauerte die Studie die gewachsene Verantwortung von Unternehmen sogar in explizit politischen Begriffen: „Business has leapt into the void left by populist and partisan government“, kommentierte CEO Richard Edelman. „It can no longer be business as usual, with an exclusive focus on shareholder returns. With 73 percent of employees saying they want the opportunity to change society, and nearly two-thirds of consumers identifying themselves as belief-driven buyers, CEOs understand that their mandate has changed“. Unter dem Strich werde Unternehmen von allen Institutionen am meisten Vertrauen entgegengebracht, was ihnen eine führende Rolle in globalen Governance-Fragen zuweise (Edelman 2020). Viele Firmen sind bereits in sozialer und ökologischer Hinsicht aktiv. Dabei beziehen sie sich beispielsweise auf die 2015 verabschiedeten und bis 2030 angelegten 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs). Diese globale Entwicklungsagenda setzt explizit auf Beiträge aus der Wirtschaft zur Realisierung von Nachhaltigkeitsansprüchen. Trotz ihres klassischen sozial-ökologischen Schwerpunktes bieten die SDGs einen interessanten Aufhänger für genuin politisches Engagement, nämlich in Gestalt von Ziel 16: „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“, das sich der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, der Bekämpfung von Korruption und anderen wirtschaftlich relevanten öffentlichen Gütern widmet (United Nations Development Programme o. J.). Wenn das Politische von Unternehmen künftig breiter gedacht wird, dann kann sich der Staat auf seine Kernkompetenzen konzentrieren, also den Ordnungsrahmen stärken und seine zentralen hoheitlichen und infrastrukturellen Aufgaben wahrnehmen; zumal, wenn sich auch andere Akteure konstruktiv und kreativ einbringen. Diese staatliche Entlastung
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durch CPR ist eine Verheißung, eröffnet der Ansatz doch die Chance zur Rückgewinnung staatlicher Leistungs- und Steuerungsfähigkeit. Der Staat kann dann seine Ressourcen beispielsweise auf die chronisch überbelastete Justiz, die unterfinanzierte Bundeswehr und Polizei, die für Innovation unabdingbaren Forschungseinrichtungen, die soziale Absicherung sowie die Infrastruktur des Landes konzentrieren. Um bloßen Altruismus geht es nicht – CPR lohnt sich. Dieses Buch führt aus, wie Unternehmen mit politischem Denken und Handeln Geld verdienen können. Denn Unternehmen profitieren, wenn sie eine politische Haltung einnehmen und in ihrer Unternehmensstrategie verankern. In der Langfristperspektive ist der Nutzen politischer Standortinvestitionen besonders augenfällig. Die Stabilisierung demokratisch-rechtsstaatlicher Institutionen schafft einen verlässlichen Raum für das Wirtschaften. Da dies allen Unternehmen zugutekommt – auch denen, die nicht politisch investieren – entsteht allerdings ein Trittbrettfahrer-Problem. Warum CPR betreiben, wenn man auch ohne eigenes Engagement an dessen Erträgen teilhaben kann? Einen Ausweg bietet die Neuauslegung des Konzeptes vom Political Branding. Klassischerweise beschreibt es das Streben von Politikern oder Parteien, sich eine wiedererkennbare und differenzierende Markenidentität zuzulegen. Es wird also ein wirtschaftliches Konzept auf die Politik übertragen. Dieses Buch widmet sich der gegenläufigen Frage: Wie kann die Wirtschaft politischer denken und handeln? Corporate Political Responsibility gibt Antworten darauf, wie Unternehmen ihren Bezug zum öffentlichen Raum systematisch herausarbeiten und pflegen können – im Handeln wie in der Kommunikation. Political Branding bietet Unternehmen damit bisher kaum erkannte Chancen, ein Alleinstellungsmerkmal zu kultivieren und die eigene Sichtbarkeit und Reputation zu erhöhen. Kurz: Politische Haltung fungiert als Vehikel für Kundenbindung. Gelingt es einem Unternehmen durch CPR, sich als politische Marke in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern, zahlen sich seine gesellschaftspolitischen Investitionen auch konkret für das Unternehmen aus. Der Nutzen von CPR verteilt sich dann nicht bloß auf alle Marktakteure, er wird zurechenbar auf die jeweilige spezifische Marke. Wenn aber die politischen Verhältnisse so entscheidend sind, warum tut die Wirtschaft dann nicht mehr zu ihrer Unterstützung? Das Buch zeigt, woher der blinde Fleck in der Erkenntnis und Umsetzung gesellschaftspolitischer Verantwortung kommt und wie Abhilfe geschaffen werden kann. Die zentrale Frage lautet: Wie können Unternehmen gezielt und langfristig ihren Geschäftserfolg absichern? Es handelt sich hier eindeutig um ein Führungsthema. Corporate Political Responsibility ist eine Leitplanke für die strategische Unternehmensentwicklung. Zum notwendigen Bewusstseinswandel gehört, den Begriff der Investition breiter zu denken, über die in Forschung und Entwicklung, Personal oder Maschinen gelenkten Gelder hinaus. Die Pegida-Demonstrationen in Dresden haben deutlich gemacht, was passiert, wenn die Wirtschaft den gesellschaftspolitischen Nährboden ihres Erfolges außer Acht lässt. Anstatt sich klar für Toleranz und Weltoffenheit zu positionieren, überließ man den Populisten das Feld – mit nachhaltigem Reputationsschaden auch im Ausland. Das
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Buch beschreibt, wie Unternehmen über ihren Schatten springen und sich dem Begriff des Politischen offen, ehrlich und strategisch nähern können – zum eigenen und zum gesellschaftlichen Vorteil. Denn Politik ist mehr als Partei-Politik. Sowohl Unternehmen als auch Individuen können im Sinne einer politischen Emanzipation ein staatsbürgerliches Selbstverständnis entwickeln. Der Rechtsprofessor Christoph Möllers mahnt: „Die Klage über ‚die Politik‘ und ‚den Staat‘ verrät die eigene obrigkeitsstaatliche Gesinnung. Wir sollten Politiker beständig kritisieren, aber trotzdem anerkennen, dass ihre Politik auch unser Werk ist“ (Möllers 2012, S. 116). Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten geht deshalb über den Wahlakt hinaus. Zwar wird Politik von einer überschaubaren Gruppe von Entscheidungsträgern gemacht; sie sollte im Idealfall aber bewusst und aktiv von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen werden – ob durch Diskussionen im Freundeskreis, durch bürgerschaftliches Engagement oder unterstützend in Parteien. Über seine Fähigkeit, sich zu vernetzen und konkrete gesellschaftliche Innovationsprojekte voranzutreiben, kann der politisch aktive Bürger noch kraftvoller als bisher konstruktiven Einfluss nehmen. Bürgerschaftliche Projekte existieren bereits, werden zunehmend politischer und sollten von Unternehmen noch intensiver unterstützt werden. Alle gesellschaftlichen Akteure müssen sich bewähren, um ihren Anliegen und Interessen Gehör zu verschaffen – ob der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder Amnesty International. Dazu müssen sie ihre Berührungsängste überwinden und politische Sprachcodes erlernen. Das ist die Voraussetzung für offene Debatten über unsere beste Zukunft. Die Stabilität von Demokratien besteht genau in dieser Dynamik, darin, dass sie durch die offerierten Freiheitsgrade eine Pluralität von Standpunkten sichtbar machen und Veränderungen ermöglichen. Nur eine lebendige demokratische Debattenkultur hält unsere Gesellschaft langfristig stabil und innovativ. Davon profitieren Unternehmen. Deswegen sollten sie ihre politische Diskursfähigkeit verbessern. Für Unternehmen ist ein politisches Selbstverständnis überfällig. Es wäre ein Fortschritt, wenn Unternehmer in ihrer geschäftlichen Tätigkeit immer auch die Gesellschaft mitdächten. In Brüssel und Berlin schießen die Verbände und Repräsentanzen wie Pilze aus dem Boden. Geschicktes Bespielen des öffentlichen Raumes ist zunehmend geschäftsrelevant. Was wäre, wenn Unternehmen den Kreis ihres politischen Handelns weiter zögen – in Richtung demokratischer Grundlagenarbeit? Dafür wäre es hilfreich, wenn Unternehmen sich als Bürger oder Teil der Bürgerschaft verstünden – allerdings mit einer im Vergleich zum Einzelbürger deutlich größeren Reichweite. Letztlich ist eine Unternehmung nichts anderes als ein interessengeleiteter Zusammenschluss von Bürgern. Diese bleiben Bürger, auch wenn das Unternehmen eine Wirtschaftsleistung erbringt. Sie müssten daher für sich, aber auch im „Kollektiv“, Interesse an dem sie umgebenden Gemeinwesen und dessen Florieren haben. Es braucht einen handlungsfähigen Staat. Wie wichtig dieser ist, hat uns das Corona- Virus drastisch vor Augen geführt. In Krisenzeiten wie einer Pandemie sind Bürger und Unternehmen existenziell darauf angewiesen, dass durch politische Entscheidungen und behördliche Anordnungen die Bereitstellung wesentlicher öffentlicher Güter (z. B. Gesundheit
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und Handel) aufrechterhalten wird. Gerne nehmen Firmen (auch finanzielle) Unterstützung in Anspruch, um die schwierige Lage zu überstehen. Im Ausnahmezustand wird fast instinktiv klar, warum Unternehmen im eigenen Interesse zur Stärkung der staatlichen Leistungsfähigkeit beitragen sollten. Da liegt die Frage nahe, warum Unternehmen nicht auch in normalen Zeiten oder in der langfristigen Perspektive am Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen arbeiten. Erst in der Krise zeigt sich, wie so oft, das notwendige Neue in seiner konkreten Gestalt. Das Corona-Virus könnte zum Beschleuniger eines weiter zu kultivierenden Bewusstseins werden, dass es ohne gesellschaftspolitische Grundlagenstärkung nicht mehr geht. Die Wahrnehmung der Verwundbarkeit der modernen Gesellschaft hat die Lernkurve steil nach oben schnellen lassen. Auf einmal wird deutlicher, dass alle gesellschaftlichen Akteure von Voraussetzungen leben, die sie selbst nicht garantieren können. Aus der Einsicht in die wechselseitige systemische Abhängigkeit kann die Perspektive erwachsen, dauerhaft zusammenzuarbeiten, um das individuelle und das Gemeinwohl zu schützen. Das neue gesellschaftliche Wir-Gefühl und die Ahnung, dass wir unsere Art zu leben und zu arbeiten kritisch hinterfragen müssen, wird die Bedeutung des CPR-Ansatzes stärken. Bisher fehlen Unternehmen das Selbstverständnis und die Haltung, aber auch die konkreten Instrumente und Handlungsfelder für gesellschaftspolitisches Engagement. Wer hier vorangeht, kann zum Vorbild für die Entwicklung einer aufgeklärten Gesellschaft werden, die die politischen Hintergründe ihres Daseins anerkennt. Corporate Political Responsibility zu betreiben, heißt also, die demokratische Resilienz zu stärken. Wir spüren, dass Unternehmen vor der großen Aufgabe stehen, sich gegenüber Politik und Gesellschaft neu zu verorten. Bislang gibt es noch keinen hinreichenden Zugang zu dem Thema der politischen Verantwortung von Unternehmen, der einen konzeptionellen Rahmen mit praktischen Wegen der Umsetzung verbindet. Wie also können Unternehmen die notwendige Haltung entwickeln? Und mit welchen Tools? Hier herrscht noch Ratlosigkeit. Corporate Political Responsibility und der Ansatz des Political Branding versuchen, diese Lücke ein Stück weit zu schließen. Das Buch gliedert sich in drei Teile und insgesamt sieben Kapitel. Teil I thematisiert im Sinne einer Bestandsaufnahme den öffentlichen Raum mit seinen wichtigsten Akteuren und dem permanenten Kampf um Deutungshoheit, insbesondere die belastete Beziehung von Wirtschaft und Politik. Hinzu kommen die Auswirkungen von Globalisierung und Digitalisierung auf die Steuerungsfähigkeit des Staates und die zunehmende, auch gesellschaftspolitische, Erwartungshaltung aufgeklärter Konsumenten. In Kap. 3 steht im Mittelpunkt, wie Unternehmen auf die skizzierten Herausforderungen reagieren können. In Teil II wird das CPR-Konzept vorgestellt. Hier geht es um die These, dass es im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen liegt, mit einer neuen gesellschaftspolitischen Haltung und entsprechenden Beiträgen die Leistungsfähigkeit des Staates zu erhöhen und selbst davon zu profitieren. Teil III widmet sich dann der praktischen Umsetzung von CPR, dem „Political Branding“. Es werden konkrete Handlungsfelder skizziert und Fallbeispiele aufgeführt, die anschaulich zeigen, was politische Markenführung bedeutet.
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Das CPR-Konzept bietet Unternehmen demnach einen konzeptuellen Rahmen für eine strategische politische Haltung, deren Umsetzung mithilfe des Political Branding gelingt. Das übergeordnete Ziel besteht darin, die Strahlkraft der Gesamtmarke zu stärken. Wenn wir neue Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit suchen – hier ist zumindest eine: CPR und Political Branding helfen, systematisch und konkret über die Zukunft gesellschaftlicher und politischer Verantwortung von Unternehmen zu reflektieren und praktische Maßnahmen einzuleiten. Es zeigt einen klaren Weg auf, wie ein Unternehmen seine politische Markendimension entwickeln kann, um damit den öffentlichen Raum und sich selbst zu stärken. Schließlich gilt es zu verstehen, wie CPR im Kontext anderer gesellschaftlicher Verantwortungskonzepte zu verorten ist. Dabei bieten sich zwei Lesarten an: CPR kann einerseits im Sinne politischer Nachhaltigkeit als Dachbegriff für Unternehmensverantwortung insgesamt gesehen werden. Dann umfasst es politische „Essentials“ wie die Stärkung der demokratischen Debatte und Ordnung sowie die klassischen CSR-Themen Ökologie und Soziales. Andererseits kann CPR unter dem Dachbegriff der Nachhaltigkeit firmieren und dessen sozial-ökologische Interpretation politisch ergänzen. Im Rahmen des CPR-Konzepts führt dieses Buch eine Reihe von neuen Begrifflichkeiten an der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft ein – Political Branding, politische Investition, politische Marke, politische Markenentwicklung, politische Markenführung, politisches Leitbild, CEO-Planungsstab und Public Change Management. Das Ineinandergreifen von Wirtschaft und Politik zeigt sich insbesondere an der mit CPR verbundenen Öffnung der Begriffe der Investition, der Marke und des Politischen. Ihre Neuauslegung macht klar: Die im wirtschaftlichen Handeln verborgenen gesellschaftspolitischen Bedingungen müssen sichtbar gemacht werden. Es ist zwar richtig, dass Grenzziehungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären in modernen, differenzierten Gesellschaften wichtig sind. Sie dienen der Arbeitsteilung und schützen die Teilbereiche vor möglichen wechselseitigen Übergriffen. Keinesfalls soll mit CPR dem Kapern des Staates durch unternehmerische Gewinninteressen Vorschub geleistet werden. Vielmehr geht es darum, Grenzen nicht künstlich zu betonen, um bequeme politische Zurückhaltung von Unternehmen zu rechtfertigen. Digitalplattformen haben die politische Bühne als „Change Maker“ längst betreten und werden sie auch nicht so schnell wieder verlassen. Anstatt die öffentliche Rolle von Unternehmen kleinzuhalten, gilt es, sie produktiv zu gestalten. Der Staat würde von einem größeren und gut ausbalancierten politischen Aktionsradius von Unternehmen profitieren, solange er gleichzeitig als „Chef“ die Steuerung des Gemeinwesens behalten und so den Primat des Politischen unterfüttern kann. Man könnte dies Selbstertüchtigung durch Konzentration aufs Wesentliche nennen. So kann staatliche Handlungsfähigkeit wiedergewonnen werden. Legitimität können die politischen Beiträge von Unternehmen dann beanspruchen, wenn ihnen der Balanceakt gelingt, den Staat zwar mit eigenen Ressourcen zu stützen, ihn dabei aber nicht zu gängeln. Die Anforderung an Unternehmen lautet daher: Entsolidarisiert Euch nicht, sondern übernehmt im eigenen Interesse als Bürger gesellschaftspolitische Verantwortung. Aber respektiert die demokratische Rückbindung an die Gesellschaft und damit den Staat als Regelsetzer.
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Wenn CPR Unternehmen auffordert, den öffentlichen Raum zu stärken, entbindet es sie damit keineswegs von der Kardinalpflicht zur Steuerzahlung. Corporate Political Responsibility kann Steuerzahlungen niemals ersetzen, sondern nur ergänzen. Sonst würden Unternehmen den Staat schwächen und so am eigenen Ast sägen. Politische Dysfunktionalität führt langfristig auch zum Kollaps vermeintlich politikfreier gesellschaftlicher Institutionen und zerstört damit den Nährboden für erfolgreiches Wirtschaften. Beiträge zur staatlichen Infrastruktur folgen also dem unternehmerischen Kalkül: CPR ist ein Business Case. In diesem Sinne lautet die zentrale Botschaft an die wichtigste Zielgruppe dieses Buches, die Verantwortlichen in der Wirtschaft: Werdet politisch – es lohnt sich!
Literatur Edelman (2019) 2019 Edelman Trust Barometer. https://www.edelman.com/sites/g/files/aatuss191/ files/2019-01/2019_Edelman_Trust_Barometer_Global_Report.pdf. Zugegriffen am. 05.02.2020 Edelman (2020) 2020 Edelman Trust Barometer. https://www.edelman.de/research/edelman-trust-barometer-2020. Zugegriffen am 09.03.2020 FAS (2017) Jamaika wäre eine echte Chance. Interview mit Joe Kaeser. 31.12.2017 Fink L (2019) Purpose & Profit. CEO-Letter. https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/2019-larry-fink-ceo-letter. Zugegriffen am 05.02.2020 Fromm T (2019) Der Teufel hat jetzt auch E-Mail. Morddrohungen an Siemens-Chef Kaeser. Süddeutsche Zeitung.de, 14.07.2019. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/siemens-kaeser-morddrohungen-twitter-1.4523737. Zugegriffen am 05.02.2020 Fuest C (2020) Die schleichende Verbreitung des Neo-Dirigismus. ifo-Standpunkt, 214. https:// www.ifo.de/Standpunkt/ifo-Standpunkt-214-Die-schleichende-verbreitung-des-neodirigismus-in-der-politischen-debatte. Zugegriffen am 10.03.2020 Köcher R (2019) Wie die große Koalition das Vertrauen in die Stabilität zerstörte. FAZ, 19.11.2019. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-die-grosse-koalition-das-vertrauen-in-die-stabilitaet-zerstoerte-16493444.html. Zugegriffen am 02.03.2020 Möllers C (2012) Demokratie – Zumutungen und Versprechen. In: Nanz P (Hrsg) Politik bei Wagenbach, Bd 1. Klaus Wagenbach, Regensburg United Nations Development Programme (o. J.) Sustainable development goals. https://www.undp. org/content/undp/en/home/sustainable-development-goals.html. Zugegriffen am 05.02.2020 Winkler U (2008) CSR als Lobby-Strategy? In: Netzwerk Recherche e.V. (Hrsg) In der Lobby brennt noch Licht. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S 60–62
Teil I Die Neuvermessung des öffentlichen Raumes
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Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
Zusammenfassung
Der öffentliche Raum ist der Ort des gesellschaftlichen Selbstgespräches. Verschiedene Subsysteme wie Politik, Wirtschaft, Kultur oder die organisierte Bürgergesellschaft ringen untereinander und wechselseitig um Deutungshoheit und versuchen, die öffentliche Agenda zu bestimmen. Die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens hängt davon ab, ob es den Akteuren gelingt, Verständnis für die spezifischen Sprach- und Handlungslogiken der jeweils anderen zu entwickeln und gemeinsame Lösungen zu finden. Nötig ist eine wohlverstandene Politisierung der gesellschaftlichen Teilbereiche, insbesondere angesichts der sinkenden staatlichen Steuerungsfähigkeit. Wo die Entgrenzungsphänomene Globalisierung und Digitalisierung die begrenzte politische Gestaltungsmacht von Staaten unter Druck setzen und Bürger bzw. Konsumenten zugleich immer höhere Anforderungen stellen, sind alle gesellschaftlichen Akteure gefragt, ihre politischen Ressourcen für das Gemeinwohl einzubringen.
Vor welchem gesellschaftlichen und politischen Hintergrund führen Unternehmen heute ihre Geschäfte? Verstehen sie die Abhängigkeit von diesen Voraussetzungen? Verstehen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_2
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
sie die umfassende Relevanz von politischer Verantwortung? Die kurze Antwort lautet: nein! Denn sonst hätten sie sich schon anders aufgestellt.
2.1
Warum der öffentliche Raum für CPR so relevant ist
Um zu verstehen, warum das CPR-Konzept bzw. politische Verantwortungsübernahme notwendig ist, gilt es, den öffentlichen Raum näher in den Blick zu nehmen. Die Grundannahme dieses Kapitels lautet, dass es Zeit für eine Neuvermessung und Neugestaltung des öffentlichen Raumes ist. Viele externe und interne Parameter haben sich grundlegend verschoben; sie zeigen an, dass der Staat in seiner Gestaltungsfähigkeit unter Druck gerät. Um dem entgegenzuwirken, müssen die einzelnen gesellschaftlichen Systeme ihre Scheuklappen ablegen. Sie alle sind abhängig von staatlichem Gelingen, das nicht länger vorausgesetzt werden kann. Das vermeintlich Gegebene ist ein immerfort Gemachtes; das heißt, um einen vitalen öffentlichen Raum zu erhalten, braucht es vor allem bürgerliches Ethos und demokratische Wehrhaftigkeit. Das äußert sich auch im politischen und wirtschaftlichen Ordnungsrahmen sowie in der politischen Kultur des Landes. Herzstück jeder Demokratie sollte vor allem eine lebendige Debatte sein, die immer wieder neu eingeübt werden muss. Insbesondere die über viele Jahre gewachsene Verständnis- und Sprachlosigkeit zwischen politischen und wirtschaftlichen Eliten verhindert die Nutzung von großen Erneuerungspotenzialen. All die hier skizzierten Entwicklungen haben unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf unternehmerischen Erfolg. Für eine Neuvermessung des öffentlichen Raumes sollten sich Unternehmen deshalb professioneller aufstellen und sich intensiv mit dessen Wirkmechanismen beschäftigen. Unternehmen leben vom Staat und seinen Gütern wie Rechtssicherheit, solider Infrastruktur und Bildung. Ähnliches gilt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den sozialen Frieden. Andersherum ist der Staat, um handlungsfähig zu sein, vom wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen abhängig. Dieses Verhältnis lässt sich als wechselseitige Systemrelevanz beschreiben: Unternehmen sind relevant für den Staat und der Staat ist relevant für die Unternehmen. In diesem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit bewegt sich CPR. Es empfiehlt sich für Unternehmen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, sich intern entsprechend aufzustellen und sich gegenüber der Gesellschaft zu positionieren. Richtig verstanden ist CPR Ausdruck eines Wirtschaftens, das sich seiner Hintergründe und Voraussetzungen gewahr wird und sie kultiviert. Im Idealfall kann CPR Teil einer umfassenden Demokratisierungswelle sein, die unseren Gesellschaften neue Vitalität verleiht. Man stelle sich vor: Eine große Mehrheit der Bürger und gesellschaftlichen Akteure fühlten sich wirklich für das Ganze, für den öffentlichen Raum – letztlich ihr Land und die Zukunft Europas in der Welt – verantwortlich! Sie würden politischen Mehrwert nicht länger nur einfordern, sondern selbst liefern. Und sie würden für die bessere Wirksamkeit des Staates bewusst eine politische Haltung einüben, die sie zum Handeln animiert.
2.1 Warum der öffentliche Raum für CPR so relevant ist
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In der Tat sollten sich auch Bürger systematisch darüber Gedanken machen, wie sie ihre Fähigkeiten und vielfältigen Ressourcen für eine Wiederbelebung des öffentlichen Raumes gezielt einbringen. In diesem Sinne könnten auch sie ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten für das Gemeinwohl identifizieren und entwickeln – ganz ähnlich einer politischen Marke bei Unternehmen. Diese könnten sie in entsprechenden Handlungsfeldern zur Geltung bringen. Welche konstruktiven Kräfte würde dies freisetzen; wieviel mehr Vitalität gäbe es für das Gemeinwesen! Der Bürger als Politik erzeuger im Sinne einer „lernenden Demokratie“.1 Es wäre eine Umkehrung der bisherigen Logik, die nur eine Richtung kennt: die Bringschuld des Staates gegenüber den gesellschaftlichen Akteuren. In Zukunft könnte das Verharren in einer Anspruchshaltung gegenüber Staat und Politik durchaus kritisch und vielleicht sogar als unsozial und das Gemeinwohl schädigend angesehen werden. „public intellectuals“, von denen es in Deutschland nicht viele gibt, könnten hier wertvolle Impulse im öffentlichen Diskurs setzen. Ist der CPR-Ansatz nur eine schöne Utopie oder nicht doch eine realistisch-visionäre Vorstellung von Zukunft – mit pragmatisch-praktikablen Lösungsansätzen für die massiven Herausforderungen, vor denen wir stehen? Corporate Political Responsibility mit seinen praktischen Schritten zeigt einen Weg auf, wie Beiträge initiiert werden können. Die beiden Leitfragenkomplexe dieses Kapitels versuchen, einer Antwort zumindest schlaglichtartig näher zu kommen: Erstens, wie funktioniert der öffentliche Raum? Wer sind die wichtigsten Akteure und wie positionieren sie sich im „Kampf“ um Deutungshoheit? Welche externen und internen Kräfte wirken auf die staatliche Handlungsfähigkeit ein? Wie steuerungsfähig ist der Staat noch? Wie ist die Erwartungshaltung der Bürger und Konsumenten gegenüber der Wirtschaft? Welche politische Kultur, welcher wirtschaftliche Ordnungsrahmen und welches Institutionengefüge bildet den Zusammenhang für die Aktivitäten im öffentlichen Raum – also wie ticken Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in den Grundzügen? Vor dem Hintergrund dieser Bestandsaufnahme stellt sich zweitens die Frage, in welcher Weise dieser öffentliche Raum künftig weiterentwickelt werden kann. Welche Themen und Hebel, die von Unternehmen mitgestaltet werden können, sind besonders wichtig? Können Unternehmen und andere gesellschaftliche Akteure durch Governance-Leistungen die diagnostizierte staatliche Steuerungslücke zumindest in Teilen schließen? Wie können Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt werden? Welche politischen Ansätze für ein besseres Gelingen des Gemeinwesens bzw. des öffentlichen Raumes gibt es? Und wie kann individuelle Bildung als Erwerb des unerlässlichen staatsbürgerlichen Rüstzeugs besser gelingen?
Der Begriff der „lernenden Demokratie“ wurde von Raban Daniel Fuhrmann 2016 geprägt. In Anlehnung an die bewährte Praxis lernender Organisationen ist damit die kontinuierliche Verbesserung der Art und Weise des Zusammenwirkens von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zur nachhaltigen Optimierung der Co-Produktion von Gemeinwohl intendiert. Insbesondere Ansätze und Methoden der agilen Demokratie- und öffentlichen Personalentwicklung kommen dabei zum Tragen. Mehr unter Akademie Lernende Demokratie: http://www.lernende-demokratie.de/de/publikationen.
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2.2
2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
Der öffentliche Raum und seine Akteure
Was ist überhaupt unter dem öffentlichen Raum zu verstehen? Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die historische und politische Bedeutung folgendermaßen: „Das klassische Bild für den öffentlichen Raum ist die griechische Agora. Die Agora war Markt- und Versammlungsplatz der griechischen Polis und Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. In der weitläufigen räumlichen Anlage mit Verwaltungsgebäuden, Gerichtshof, Bibliothek und rituellen Plätzen wurden Geschäfte ausgehandelt, debattiert und Politik gemacht“ (Wildner und Berger 2018). Unter den modernen Bedingungen der repräsentativen Demokratie ist die „Nahdistanz“ des griechischen Vorbildes sicher deutlich modifiziert worden. Dennoch ist der Autor diesem Ideal verbunden, weil es die direkte Verantwortung aller relevanten Akteure für das Gelingen von Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Der öffentliche Raum steht im Grundsatz dem privaten Raum gegenüber. Aber es gibt auch halböffentliche Räume, Überlappungen verschiedener Art, die immer wieder neu bestimmt werden müssen. Der öffentliche Raum samt diesen Schnittstellen fungiert als Ort des gesellschaftlichen Selbstgespräches. Es werden Debatten ausgetragen, die gesellschaftliche Trends spiegeln und diese weiterentwickeln. Gleichzeitig sorgen zahlreiche demokratische Institutionen (Regierung, Parlament, Gerichte, Polizei etc.) für einen Rahmen, an dem sich alle Akteure inklusive der Bürger orientieren können. Aber gerade in Demokratien funktioniert es auch andersherum: Institutionen reagieren auf gesellschaftliche Akteure, Entwicklungen und Trends – sie sind responsiv und ermöglichen damit Raum für politische Veränderungen. Protagonisten des politischen Liberalismus haben immer wieder die Bedeutung von Institutionen für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung hervorgehoben. Dieser öffentliche Raum mit seinen demokratischen Institutionen befindet sich nicht nur in der westlichen Welt durch die Kräfte der Globalisierung und Digitalisierung in einem tief greifenden Wandel. Man denke nur daran, dass in der Plattformökonomie ein privater amerikanischer Konzern – Facebook – den weltweit größten und öffentlichen Kommunikationsraum zur Verfügung stellt. Wer sind die Akteure im öffentlichen Raum? Die Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens hängt entscheidend von der Qualität des Zusammenspiels der Akteure im öffentlichen Raum ab (vgl. Abb. 2.1). Sie alle versuchen, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen und die anderen Akteure zu beeinflussen. Die Ressource Aufmerksamkeit ist in der pluralen Gesellschaft ein knappes Gut. Daher gibt es um sie einen regelrechten Kampf um Deutungshoheit zu bestimmten Themen, je nach dem spezifischen Interesse. Dafür werden Kommunikationstechniken wie „Agenda Setting“, „Campaigning“ oder „Storytelling“ zum Einsatz gebracht und professionelle Agenturen und Beratungen beauftragt. Ziel ist die zeitlich abgestimmte Verankerung von Themen und Interessen im öffentlichen Raum. Nichts anderes ist im Kern unter Lobbying zu verstehen.
2.2 Der öffentliche Raum und seine Akteure
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Gesellschaft Politik / Verwaltung
Wirtschaft
Wissenschaft / Bildungsträger
Medien Öffentlicher Raum
Organisierte Bürgergesellschaft
NGOs / Stiftungen Kultur / Sport / Religion
Abb. 2.1 Der öffentliche Raum.
Die großen Akteure sind Repräsentanten gesellschaftlicher Teilbereiche bzw. Subsysteme: Wirtschaft, Wissenschaft, Politik (und Verwaltung), Medien, Kultur (inklusive Religion, Kunst, Sport), organisierte Bürgergesellschaft sowie NGOs und Stiftungen. Jeder Bürger bewegt sich in diesen und weiteren Zusammenhängen, z. B. in sozialen Milieus von Arbeitnehmern, Selbstständigen oder Angestellten, Arbeitslosen, Jungen oder Alten; und auch in freiwilligen Zusammenschlüssen wie Sport- und Kulturvereinen, Umweltgruppen, Freiwilligenagenturen und Bürgerinitiativen, Kirchengemeinden, Salons und Hauskreisen. Da die gesellschaftlichen Teilbereiche ihre eigene Sprach- und Handlungslogik haben und zur Selbstreferenzialität neigen, müssen sie sich zur erfolgreichen Einflussnahme auf die öffentliche Debatte immer wieder um Sprechfähigkeit und auch Konsensfindung bemühen. Corporate Political Responsibility kann nur Teil einer wohlverstandenen „Politisierung“ – eines politischen Ethos oder eines politischen Bewusstseins – aller gesellschaftlichen Teilbereiche sein. Diese Subsysteme sind dazu aufgerufen, ihre Anschluss-
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
und Sprechfähigkeit zu verbessern. Hierin liegt im Kern die notwendige Neuorientierung des öffentlichen Raumes. Es geht darum, den Vorbehalten, Verkrustungen und auch ressentimentgeladenen Abschottungen in Subsystemen und kleinteiligen Echokammern eine holistische, offene Weltsicht gegenüber zu stellen. In Anbetracht der ungeheuer raschen Innovationszyklen der neuen Plattformökonomie, z. B. den global agierenden Internetgiganten, hinken politische Entscheidungen der wirtschaftlichen Entwicklung oft hinterher; es ist schwer, auf Augenhöhe zu kommen. Politik und Verwaltung, mehr noch der organisierten Bürgergesellschaft, fehlt es oft an finanziellen und qualifizierten personellen Ressourcen. Auch die materielle Ausstattung ist in der Regel nicht mit der in der Wirtschaft zu vergleichen. In jedem Falle fällt es der Politik schwer, aus sich heraus Innovationen zu entwickeln. Es regiert sozusagen der Reparaturbetrieb; es wird verwaltet statt gestaltet. Die Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse werden nur zögerlich modernisiert, das unternehmerische Denken ist unterentwickelt. Sinnvoll wäre, daran zu arbeiten, dass sich diese wichtigen Teilbereiche besser synchronisieren, ihre Sprechfähigkeit verbessern, technologisch auf Augenhöhe kommen und so gemeinsam auf Lösungen hinwirken. Durch das Erstarken neuer Akteure aus der Bürgergesellschaft wie mächtigen Stiftungen oder innovativen NGOs (siehe die Organisation Apolitical oder das Innovation in Politics Institute), beginnt sich der öffentliche Raum, oft noch unbemerkt, deutlich zu verändern. Vor allem ist diesen Akteuren daran gelegen, konstruktive Beiträge zu leisten, damit der öffentliche Raum funktionieren kann. Sie verstehen sich oft als eine Art Vermittler oder Schmiermittel. Schließlich sei angemerkt, dass der öffentliche Raum des Nationalstaates durch die Entwicklung der Europäischen Union eine Erweiterung erfahren hat. Allerdings hat sich eine europäische Öffentlichkeit allenfalls in Teilen herausgebildet (Winkler 2017). Dennoch sollte die Stärkung des öffentlichen Raumes auch unbedingt in ihrer europäischen Dimension erfasst und anvisiert werden. Nationale Gesprächsforen sind denen auf gesamteuropäischer Ebene weit voraus. Gerade Unternehmen sind als multinationale Akteure mit Standorten in vielen Ländern Europas und als Profiteure des Binnenmarktes bestens geeignet, mehr europäische Öffentlichkeit herzustellen. Unternehmen könnten daher im Sinne einer CPR-Haltung gesamteuropäische Diskurse initiieren und forcieren.
2.2.1 Der Staat: Die Steuerungsfähigkeit nimmt ab Warum drängt das Thema der politischen Verantwortung und Nachhaltigkeit von Unternehmen? Warum ist der öffentliche Raum in seiner Leistungsfähigkeit ausgerechnet jetzt besonders herausgefordert? Kurz gesagt, weil sich die gesellschaftspolitische Geschäftsgrundlage durch nationale und internationale Entwicklungen fundamental verändert hat. Es ist daher zu fragen, in welchem Umfeld sich Unternehmen künftig als Marke beweisen müssen. Durch die Globalisierung und Digitalisierung fallen immer mehr räumliche Grenzen (physisch und virtuell), wohingegen staatliche Steuerung in Teilen von diesen Grenzen
2.2 Der öffentliche Raum und seine Akteure
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abhängig ist. Dort, wo der öffentliche Raum ausfasert, ist er politisch immer weniger beherrschbar. Die staatliche Steuerungsfähigkeit nimmt ab. Und die Bevölkerung spürt dies. Nach einer Befragung des Meinungsforschungsinstitutes Forsa im Sommer 2019 halten fast zwei Drittel der Deutschen den Staat für überfordert. Lediglich 34 Prozent sind demnach der Ansicht, dass die öffentliche Hand in der Lage ist, ihre vielfältigen Aufgaben zu erfüllen. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes sprach von „besorgniserregenden Anzeichen für einen generellen Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Staates in Deutschland“ (Deutscher Beamtenbund 2019). Laut einer Studie der Friedrich- Ebert-Stiftung aus dem Jahre 2019 ist die Mehrheit der Deutschen, nämlich 53 Prozent, unzufrieden damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert – ein Tiefstand. Die Unzufriedenheit drückt sich auch darin aus, dass viele Menschen den politischen Institutionen – Parteien, Bundestag und Bundesregierung –, aber auch den Medien kaum noch vertrauen. Viele Menschen sind vor allem enttäuscht davon, was die Politik konkret umsetzt (Lauter 2019). Auch der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, macht unmissverständlich klar: „Die Unzuverlässigkeit und Ineffizienz des Staates hat in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem massiven Vertrauensverlust in staatliche Institutionen geführt“ (Fratzscher 2020). Die liberale Demokratie steht aber auch durch externe sicherheitspolitische Bedrohungen unter Druck: Kriege und Krisen auf der Krim, der östlichen Ukraine, in Syrien oder in Nordafrika, wegen derer Millionen von Menschen Zuflucht suchen. Hinzu kommen Nationalismen und Spaltungstendenzen in der EU, die auch in Deutschland durch Pegida und das Erstarken der AfD ihren Widerhall gefunden haben. In seiner Diagnose einer „antiliberalen Gegenbewegung“ macht Ralf Fücks (2019) zwei „Brandbeschleuniger“ aus: „die Finanzkrise von 2008 und die große Flüchtlingsbewegung von 2015. Die Finanzkrise verschärfte noch eine zweite Ursache für den Vertrauensverlust in die liberale Demokratie: die wachsende soziale Ungleichheit und die Polarisierung zwischen Modernisierungsgewinnern und -verlierern in den westlichen Gesellschaften“. Es ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung in gut einer Dekade sehr stabile wirtschaftliche Rahmendaten und sprudelnde Steuereinnahmen zu verzeichnen hatte, dabei aber nicht in der Lage war, den Bürgern ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Dieses Phänomen lässt sich auch in anderen westlichen Industrieländern beobachten; es zeigt den Parteien und demokratischen Institutionen die Grenzen von Stabilität und Steuerungsfähigkeit auf. Dem politischen Establishment sollte dieser Befund zu denken geben. Und natürlich auch den Bürgern im Hinblick auf ihre doch nicht ganz so berechtigten Enttäuschungen. Wie sieht die Stimmung in der Bevölkerung dann erst in einer ernsthaften wirtschaftlichen Krise aus? Während die Grundwerte der Demokratie in westlichen Demokratien durch autoritäre Bewegungen infrage gestellt werden, gewinnt international das Denken und Handeln in Einflusssphären an Bedeutung. Regime wie China und Russland erweitern gezielt und oft aggressiv ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Handlungsräume. In einem „Kampf der Systeme“ präsentieren sie sich als ein effizientes Gegenmodell zu den liberalen
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Demokratien. In dieser Situation müssen sich nicht nur die Staaten der westlichen Welt, sondern auch die westlich geprägten Unternehmen fragen, welche Maßnahmen sie zu ihrem Schutz ergreifen sollten. Dabei fällt den Unternehmen die Abgrenzung und Positionierung umso schwerer, je stärker ihre Verflechtung mit autoritären Regimen und deren Unternehmen ist, z. B. durch Unternehmensbeteiligungen oder die Bedeutung der Absatzmärkte. Zurück zu Globalisierung und Digitalisierung: Es stellt sich die Frage, wie politische Systeme, die von Grenzen geprägt sind, Kräften standhalten können, die Grenzen auflösen? Aufgrund dieses Missverhältnisses hat sich eine Steuerungslücke geöffnet. Unternehmerische Verantwortung muss an dieser Steuerungslücke ansetzen, sie ausfüllen helfen sowie die Integrität und Vitalität des öffentlichen Raumes bewahren. Das ist keine soziale, sondern eine politische Aufgabe! Die Stärkung der politischen Grundlagen des wirtschaftlichen Wohlstands ist nicht nur wichtig, sondern auch dringend. Der liberal-demokratische Boden, auf dem Unternehmen gedeihen, gerät zunehmend ins Schwanken. Zwar können regulatorische Mängel Unternehmen auf kurze Sicht in ihrem Profitstreben begünstigen; langfristig aber sind strukturschwache Staaten und ihre Regierungen nicht in ihrem Interesse. Viele Probleme der Welt, von der Einkommensungleichheit über Pandemien bis zum Klimawandel, sind so komplex geworden, dass für Lösungsansätze das Know-how und die globale Reichweite des Privatsektors erforderlich sind. Daher sollten Unternehmen Beiträge leisten, die Steuerungslücke zu schließen, indem sie ihre finanziellen, technologischen, inhaltlichen und kommunikativen Ressourcen einbringen. Staatliche Steuerungsfähigkeit leidet auch unter den immer größer werdenden Erwartungen an den Staat hinsichtlich der Erfüllung von Governance-Leistungen. Viele Bürger meinen, der Staat sei für die Daseinsvorsorge in all ihren Lebenslagen zuständig. Polemisch ausgedrückt: Der Staat gerät zum „fürsorglichen Volksbeglücker“ (Bohrer und Scheel 2010, S. 64). Zu tun hat dieser gewachsene Anspruch ironischerweise mit dem Erfolg von etablierten Demokratien, der die Gewöhnung an immer umfangreichere Leistungen fördert, wobei der Raum für mögliche Verbesserungen schrumpft. Ein weiterer Grund für gestiegene Erwartungen sind die zahlreichen Informations- und Partizipationsmöglichkeiten des Internets. Hier kann Einblick in die Lebenswelten anderer genommen und Meinungsmacht erzeugt werden. Kritik an staatlichen Schwachstellen und Rufe nach besserer Governance stoßen hier auf große Resonanz. Die staatliche Steuerungsfähigkeit ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der sich seit 2010 verdichtenden Krise des Liberalismus und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Spaltungstendenzen herausgefordert. Für den Soziologen Andreas Reckwitz zeigt sich die Krise in einer „internationale[n] populistische[n] Revolte“, die er als „eine vielschichtige Bewegung gegen die liberal geprägten Funktionseliten und deren ökonomische wie kulturelle Hegemonie im Namen eines imaginierten ‚Volkes‘“ beschreibt (2019, S. 239). Um diese Krise einzuordnen, greife das gängige politische Links-rechts-Schema zu kurz. Vielmehr sieht Reckwitz darunterliegende abstraktere Paradigmen am Werk, die
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sich in längeren historischen Phasen abwechseln und unterschiedliche Antworten darauf liefern, wie Politik die gesellschaftliche Ordnung zu gestalten sucht. Die Nachkriegszeit habe laut Reckwitz im Zeichen eines aktiv regulierenden und steuernden Staates gestanden – man denke an den amerikanischen New Deal und die Einrichtung von Wohlfahrtssystemen. In den achtziger Jahren habe sich dann ein öffnender Liberalismus durchgesetzt, der auf ökonomische und kulturelle Dynamisierung zielte. Beispiele seien die Reagan-Ära und die rot-grüne Regierungsphase in Deutschland. Dieses bis heute vorherrschende Paradigma breche nun auf, wie der grassierende Populismus zeige. Was aber könnte folgen? Reckwitz setzt auf einen „regulativen, einbettenden Liberalismus“ (2019, S. 243), also auf ein Arrangement, das die negativen Folgen freiheitlicher Gesellschaftsdynamik durch Regulierung und Ordnungsbildung abfedert, ohne wesentliche Freiheitsimpulse preiszugeben (2019, S. 239–243; Kursivierung im Original). Ebenfalls aus soziologischer Perspektive analysiert Cornelia Koppetsch den derzeitigen Rechtspopulismus (2019, S. 24–25, Hervorhebungen unten durch den Autor). Und zwar beschreibt sie ihn als „emotionalen Reflex auf einen Epochenbruch“ (den Fall des Eisernen Vorhangs), der sich in den „drei Dimensionen der Re-Nationalisierung, Re- Souveränisierung und Re-Vergemeinschaftung“ auspräge. Re-Nationalisierung strebe der Globalisierung entgegen, die sich etwa in supranationalen Regierungsformen, Freihandelsabkommen, Zuwanderung und gesellschaftlicher Pluralisierung offenbare. Angesichts dessen wollten Rechtsparteien „das Nationale auf die Bühne des Politischen zurückbringen“, beispielsweise durch Zölle, Migrationsbeschränkungen oder die „Wiederherstellung eines symbolischen Zentrums“ des Volkes oder der Mittelschicht. Re-Souveränisierung beschreibt die von Rechtsparteien betriebene symbolische Entschädigung und erneute Ermächtigung ehemals Privilegierter, die ihre Vorrechte durch die Globalisierung als bedroht erachteten. Die Adressaten entstammten dabei nicht einer eindeutigen Klassenlage, sondern bildeten „ein vertikales Bündnis unterschiedlicher zurückfallender Gruppen“. Neben der Deklassierungserfahrung sei kulturelle Entfremdung eine entscheidende Bedingung für die politische Mobilisierbarkeit durch Rechtsparteien. Die entsprechenden Bürger sähen ihre Werte „durch den Aufstieg des Kulturkosmopolitismus an den Rand gedrängt“. Re-Vergemeinschaftung schließlich befriedige den „Wunsch nach kollektiver Zugehörigkeit“. Sie bringe das exklusiv gedachte ‚Volk‘ gegen das „Regime individualistischer Markt- und Selbstverwirklichungskulturen“ in Stellung. Damit reagierten Rechtsparteien auf „Verunsicherungen der Globalisierung“ und „Sehnsucht nach Geborgenheit“. Gemeinschaft besitze also eine kompensatorische Funktion. Auch wenn sie individuelle Freiheitsspielräume verringere, biete sie doch die „Gewissheit auf Anerkennung“. Soweit Cornelia Koppetsch. Auch für Barbara Strohschein ist die Kategorie der Anerkennung zentral. Zunächst hebt sie die Bedeutung von Entwertungen und dadurch ausgelösten Kränkungen als Ursache für Konflikte hervor. Dementgegen setzt sie auf „die Bemühungen vieler Men-
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schen, für Anerkennung und Glück auch in einem politischen Sinn tätig zu werden“, sodass „langfristig durchaus Fortschritte erzielt werden“ können (Strohschein 2015, S. 13). Angesichts der sicherheitspolitischen Großwetterlage, wachsenden gesellschaftlichen Spaltungstendenzen, wahrgenommenen individuellen Kränkungen und gestiegenen Erwartungshaltungen – alle getrieben und grundiert von dem „Geschwisterpaar“ aus Globalisierung und Digitalisierung – sind Staat und Politik zunehmend überfordert. Gleichzeitig neigen Politiker zu vollmundigen Versprechungen, alle möglichen Probleme lösen zu können, um wieder gewählt zu werden – oft ohne seriöse Finanzierungsgrundlage. Dabei ist der Staat immer weniger in der Lage, alle gesetzlichen Regelungen, für die er die Letztverantwortung trägt, angemessen durchzusetzen. Gleiches gilt von zeitlich angemessenen Justizverfahren über die innere und äußere Sicherheit bis hin zur Umsetzung von Großprojekten wie Flughäfen. Die Schere zwischen wirtschaftlicher Innovation und politisch-administrativer Gestaltung geht immer weiter auseinander. Diese fundamentale Asymmetrie lässt sich auch zeitlich formulieren: Die Politik von heute adressiert häufig den Bedarf von gestern, weil die Wirtschaft bereits weiter ist. Dafür gibt es, getrieben durch Globalisierung und Digitalisierung, vor allem drei Gründe: Erstens operieren Unternehmen mit einer vielfach höheren Geschwindigkeit als Politik in demokratischen Staaten. Sie sind vertikal-hierarchisch verfasst und orientieren sich am schnellen Zyklus der Quartalszahlen, um dem enormen Innovations- und Wettbewerbsdruck standzuhalten. Demokratische Entscheidungsprozesse hingegen sind horizontal angelegt, zielen auf Interessensausgleich und orientieren sich an mehrjährigen Legislaturperioden. Regulatorische Eingriffe von heute adressieren häufig nur die Gesetzeslücken von gestern, weil die Wirtschaft bereits weiter ist. Zweitens sind multinationale Unternehmen mit ihren enormen Finanzmitteln und Technologien wahre Wirtschaftsmächte, die manchen Staat an Einfluss überbieten. Drittens schließlich, und dies hängt mit ihrer wirtschaftlichen Potenz und entsprechenden Gehaltszahlungen zusammen, verfügen Unternehmen über fachliche Expertise, die derjenigen staatlicher Beamter oft voraus ist. Expertise steht in einer Wechselwirkung mit Kreativität: Diese wird in der Wirtschaft in der Regel stärker gefördert als in der Politik und vor allem der Verwaltung. Behörden belohnen mutiges, unkonventionelles Denken und Handeln nicht. Der öffentliche Sektor schreckt Talente häufig von vornherein ab oder setzt wenig Anreize zu ihrer Entfaltung. Somit ist die Politik ohne das Know-how der privaten Akteure nur unzureichend in der Lage, drängende gesellschafts- und sicherheitspolitische Herausforderungen wie Klimawandel oder Cyber Crime zu analysieren und tatkräftig zu lösen. All diese Herausforderungen ignorieren nationale Grenzen und verursachen deswegen Unklarheiten über Zuständigkeiten und Schwierigkeiten in der Kooperation (Kobrin 2009, S. 350). Peer Steinbrück, der die Problemdiagnose einer riskanten Asymmetrie zwischen Politik und Wirtschaft teilt, macht angesichts der digitalen Transformation klar: Der Primat der Politik ist in Gefahr. Seine Gewährleistung hänge davon ab, so Steinbrück, ob „die Politik es schafft, sich zu internationalisieren, so wie es die Internetriesen und der
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Finanzkapitalismus längst gemacht haben“. Steinbrück weiter: „Wir kriegen diesen entgrenzten hochdynamischen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts nicht mehr in den Griff im Rahmen des nationalen Radius von Politik. Exakt daran ist die Politik bisher gescheitert“ (Heuser und Hildebrandt 2016). Um die Internationalisierung der Politik weiter voranzutreiben, werden multinationale Organisationen wie die EU künftig noch wichtiger. Eine vermehrte internationale Kooperation von Staaten macht diese auch intern handlungsfähiger. Für das zentrale Thema der freiheitlichen Demokratie ist es notwendig, eine kritische Masse an Nationalstaaten zu organisieren, die gleichgerichtet vorgehen. Allein hierfür und das Thema der Digitalisierung wäre die Gründung der EU sinnvoll gewesen. Wie sonst könnte man den Internetgiganten auch einmal ein Stoppschild zeigen, das durch intelligente Regulierung ermöglicht wird? Mit Blick auf die EU wird zudem deutlich, wie wichtig politische Rahmenbedingungen für Unternehmen sind – und wie sie diesen Rahmen selbst beeinflussen können. Der akademische Diskurs in den internationalen Beziehungen liefert hier theoretische Ansatzpunkte. So sieht der von dem deutsch-amerikanischen Politologen Ernst B. Haas (1958) entworfene Neofunktionalismus Innovationen als treibende Kraft hinter europäischen Integrationsbemühungen, nicht etwa die Regierungen der Mitgliedstaaten. Vielmehr seien die entscheidenden Akteure außerhalb der Regierungen zu finden, insbesondere auch in Gesellschaft und Wirtschaft. Gerade Unternehmen – und die sie vertretenden Unternehmerverbände – haben ein vitales Interesse an einer supranationalen Struktur wie der EU, die einen Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung und einheitlichen Standards auf den Weg brachte. Haas’ Theorie besagt weiter, dass sich die Entwicklung supranationaler Gebilde nicht an einem anfänglichen Bauplan orientiert, sondern sich das institutionelle Gefüge aus der Lösung der jeweils vorliegenden Sachprobleme ergeben habe. Dabei geht die Zusammenarbeit in einem Bereich auf andere Bereiche über („spill over“). Die Integration vertieft und verbreitert sich durch das Fortschreiten erfolgreicher funktioneller Kooperationen. Es gilt also das Prinzip „form follows function“. Die wissenschaftliche Debatte wendet sich zunehmend gegen die herkömmliche Rollenteilung von Wirtschaft und Politik. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, sieht eine bedrohliche Asynchronität von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialem Ausgleich. Da deren Verbindung das konstituierende Prinzip der sozialen Marktwirtschaft darstelle, handele es sich hier um eine kritische Entwicklung. Hüther schreibt: „Digitalisierung ist durch globale Vernetzung ein gewaltiges Beschleunigungsprogramm. Soziale Marktwirtschaft benötigt Zeit“. Zur Lösung solcher Reibungen visiert Hüther den breit gefassten „öffentlichen Raum“ an. Dessen Gefährdung durch „selbstbezügliche Gemeinschaften in den sozialen Netzwerken und durch bewusst einseitige und verzerrte Informationen“ sei ernst. Das Problem mangelnder staatlicher Steuerungsfähigkeit liegt für Hüther vor allem auch im Zerfall der Öffentlichkeit in Teilgemeinschaften begründet. Er mahnt, am Ende eines solchen Prozesses seien die „Grenzen der Gemeinschaft“ erreicht. Damit verlöre der „öffentliche Raum des kritischen, aber respektvollen Gesprächs … die Kraft, Konflikte auszuhandeln und der Sache angemessene Lösungen zu finden. Insofern erweitert die digitale
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Transformation nicht nur unsere Informations-, Entscheidungs- und Handlungsspielräume, sondern ebenso unsere Verantwortung für den öffentlichen Raum“ (Hüther 2016, S. 18). Auch Unternehmen als gewichtige gesellschaftspolitische Akteure haben Teil an dieser gewachsenen Verantwortung. Ganz in diesem Sinne betont auch Claus Dierksmeier (2010, S. 9–23), Professor für Wirtschafts- und Globalisierungsethik, dass Unternehmen heutzutage nicht blindlings ihren Interessen folgen und gesellschaftliche Verantwortung auf Regierungen abwälzen können. Denn diese allein seien immer weniger in der Lage, die Bedingungen gesellschaftlicher und unternehmerischer Prosperität zu gewährleisten. Regierungen würden schwächer, multinationale Konzerne stärker – das macht neue, nachhaltigere Geschäftsmodelle notwendig. Andernfalls verstärkt sich die Entwicklung, dass Politik vielfach lediglich nachvollzieht, was die von den nationalstaatlichen Regierungen unabhängigen Akteure – allen voran Unternehmen und ihre neuen Technologien – an Pragmatismus diktieren. Wirtschaft kann also durchaus wünschenswerte politische Entwicklungen initiieren, setzt Politik aber auch unter enormen Druck, Innovationssprünge gesellschaftspolitisch einzuhegen und verantwortungsvoll zu gestalten. Durch CPR können Unternehmen dem Staat helfen, die dafür nötigen Ressourcen zu erweitern – im eigenen Interesse. Die Stärkung des öffentlichen Raumes obliegt allen gesellschaftlichen Akteuren; sie ist nicht alleinige Aufgabe der Politik. Gesellschaftspolitische Haltung ist gefragt, weil die Problemlösungsfähigkeit des Staates nicht im selben Tempo wächst wie die ohnehin schon komplexen Herausforderungen (Bosshart 2014). Oder wie es Ralf Fücks (2016, S. 5) zum Ausdruck bringt: „Zwischen der Dynamik globaler Märkte und der Steuerungsfähigkeit internationaler Politik klafft eine riskante Lücke“. Und man könnte hinzufügen: Internationale Politik ist vor allem nationalstaatlich organisiert – trotz EU, Handelsabkommen und NGOs. Die Steuerungslücke kann vor allem dann geschlossen werden, wenn die gesellschaftlichen Akteure politisch agieren und öffentliche Dienstleistungen übernehmen oder ergänzen. In jedem Fall muss im Sinne einer freiheitlichen Demokratie verhindert werden, dass es zu einem „tipping point“ kommt, mit dem die Politik die Hoheit
Tipping Point Primat des Politischen
Wirtschaftlicher Innovationsdruck
© Johannes Bohnen
Abb. 2.2 Die politische Steuerungslücke. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
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über die öffentliche Governance an die Wirtschaftskräfte verliert. Selbstverständlich gilt es zu vermeiden, Politik durch blinde Privatisierung „auszuverkaufen“ (vgl. Abb. 2.2). Wir befinden uns in einer kritischen Phase für die Selbstbehauptung der Politik und damit der Selbstbestimmung des Bürgers. Gesetzgebung bzw. Regulierung muss beim Staat verbleiben. Die Macht der Internetkonzerne braucht Grenzen. Gleichzeitig sollte das Zwillingspaar aus Globalisierung und Digitalisierung nicht aufgehalten werden. Klug wäre, es produktiv einzubinden – also Unternehmen mehr Governance-Leistungen zu überantworten und gleichzeitig mehr Transparenz und Regelbefolgung durchzusetzen. Die politische Steuerungslücke Aber führt eine „Politisierung“ der Unternehmen nicht zu einem Rückzug des Staates, der sich bequem seiner Aufgaben entledigt? Dieses mögliche Problem ist ernst zu nehmen. Denn CPR soll keine Ausrede für den Staat sein, seine Anstrengungen zu reduzieren oder bloßer Privatisierung das Wort reden. Die verstärkte gesellschaftspolitische Verantwortungsübernahme durch Unternehmen als Bürger mit größerer Reichweite sollte die Steuerungs- und Regulierungsfunktion des Staates ergänzen, nicht ersetzen. Also: Aufgabe der Politik ist es, die Unternehmen einzubinden, aber klaren Regeln zu unterwerfen. Das ist sinnvoll, weil ein überforderter und sich im Kleinteiligen verzettelnder Staat seinen Governance-Pflichten nicht adäquat nachkommen kann. Daher sollte er – wie ein guter Chef – Aufgaben partiell an Unternehmen delegieren. Aus der Konzentration auf seine Kernkompetenz der Rahmensetzung erwächst dem Staat eine neue Handlungsfähigkeit. Dadurch steigt auch der Respekt der Bürger, was die wachsende Politik- und Demokratieverdrossenheit reduzieren kann. Die Kernkompetenz des Staates ist also vor allem funktional zu verstehen. Er setzt und vollzieht Regeln und kontrolliert deren Einhaltung. Selbst in der Regulierungsfunktion finden sich zwar Überlappungen zwischen privat und Staat, wie das Beispiel des Lobbying und der Beeinflussung von Gesetzesentwürfen zeigt. Grundsätzlich aber verbleibt die Regulierung beim Staat – hier äußert sich sein Primat. Inhaltlich – also entlang der Ressorts – lässt sich diese Aufgabe hingegen kaum definieren, denn allgemein scheint kein Politikbereich von der Mitwirkung privater Akteure ausgeschlossen. Ambivalent wird es bei der inneren Sicherheit, wo dem Staat mit dem Gewaltmonopol eine herausragende Verantwortung zukommt, aber sich auch Unternehmen engagieren, beispielsweise gegen Cyber-Kriminalität. In anderen Bereichen ist eine private Erfüllung von Governance- Leistungen durchaus vorstellbar. Nur müssen die privaten Akteure ihre Aufgabe mindestens so gut erfüllen, wie der Staat dies könnte – unter Berücksichtigung weiterer Parameter wie Kosten und Legitimität.
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2.2.2 D ie Gesellschaft: Die Erwartungshaltung der Bürger bzw. Konsumenten nimmt zu Es wird immer deutlicher, dass die eingeübten Rituale, in denen Politiker den Bürgern vor allem vor Wahlen versprechen, alle möglichen Probleme lösen zu können, an ihre Grenzen stoßen. Politische Entscheidungsträger spielen in der Systemlogik eben ihre Rolle, die von der kurzen oder langen Leine abhängig ist, die ihnen die Bürger zugestehen. Man könnte auch sagen: Die Mehrheit der Bürger ist demokratisch erwachsener geworden; sie hinterfragt die ritualisierten Mechanismen und blickt zunehmend illusionslos auf Politik und Verwaltung. Laut Edelman Trust Barometer (2019) trauen heute 75 Prozent ihrem Arbeitgeber zu, „das Richtige zu tun“, aber nur 48 Prozent der Regierung. Die Bürger verbinden also eine Erwartungshaltung mit der Wirtschaft – als einem „trusted partner for change“.2 Die politische Frustration äußert sich einerseits in Protesten gegenüber der Politik und dem Abstrafen etablierter Parteien, andererseits aber auch positiv in Form von mehr bürgerschaftlichem Engagement bzw. Eigenverantwortung. Von einer zunehmend politisch orientierten Öffentlichkeit, also kritischen Bürgern und Verbrauchern, wird unternehmenspolitische Verantwortung gefordert; zumindest in den westlichen Demokratien. Das Internet hat den Menschen Zugang zu einer Vielzahl von Informationen verschafft. Dies macht es einfacher denn je, das Verhalten einer Marke zu hinterfragen und zu kommentieren. In diesem Sinne bietet das Internet für Bürger und Kunden eine Chance zur Emanzipation. Ein umsichtiges Reputationsmanagement zielt daher auf eine offene, transparente und konsistente politische Kommunikation mit Interessengruppen und der breiten Öffentlichkeit. Wenn das gestrige Motto in der politischen Kommunikation „Aufmerksamkeit schafft Werte“ war, lautet das heutige Motto „Werte schaffen Aufmerksamkeit“ (Kemming 2017). Aus wirtschaftlicher Sicht zahlt sich eine kohärente gesellschaftspolitische Haltung aus. Bei gleicher Produktqualität zwischen zwei Unternehmen könnte sie das entscheidende Verkaufsargument sein. Der Wunsch nach Sinnhaftigkeit schlägt sich in der jüngsten Konjunktur des „Purpose“-Konzeptes nieder. So setzt sich die weltweite Bewegung der „Certified B Corps“ zum Ziel, Profit und Purpose im Gleichgewicht zu halten – durch vorbildliches Sozial- und Umweltverhalten, öffentliche Transparenz und rechtliche Verantwortlichkeit. B Corps verschreiben sich einem Kulturwandel hin zu einer inklusiveren und nachhaltigeren Wirtschaftsweise. Auch Larry Fink (2019), Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, hat die Relevanz – oder auch schlicht das ökonomische Potenzial – des Trends zum Sinn erkannt. Seinen jährlichen offenen Brief an Unternehmensführer stellte er 2019 unter Siehe Edelman Trust Barometer 2019: Executive Summary. Das Barometer erhebt Daten zum Vertrauen in unterschiedliche Institutionen (Unternehmen, Regierungen, Medien, NGOs). Es geht um die Wahrnehmung der Leistungsfähigkeit gesellschaftlicher Institutionen. Die Wahrnehmung ist ganz wesentlich durch die Ansprüche an Institutionen geprägt. Bürger müssten diese Ansprüche für sich überprüfen und plausibilisieren. Das wird dadurch unterstrichen, dass der Zukunftspessimismus in der entwickelten Welt besonders ausgeprägt ist – in den objektiv leistungsfähigsten Staaten. Es scheint also vor allem Angst vor Statusverlust zu geben. 2
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das Motto „Profit & Purpose“. Unternehmen müssen also auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. Und da sich in westlichen Gesellschaften eine erhöhte Sensibilität für ethisches, nachhaltiges, soziopolitisch verträgliches Handeln herauskristallisiert, ist auch CPR von kritischer Bedeutung für das Geschäft. Vorausblickend ist bezeichnend, wie junge Erwachsene, die sogenannten Millennials, die gesellschaftspolitische Rolle von Unternehmen auffassen. Ihre Anforderungen legen nahe, dass es mit bloßem Geldverdienen nicht getan ist. Junge Leute beurteilen das Handeln von Unternehmen durchaus kritisch. Laut der Deloitte Millenial Survey 2019 (S. 11) sind lediglich 55 Prozent der Befragten der Meinung, Unternehmen hätten einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft. Die Millennials gewännen zunehmend den Eindruck, Unternehmen verfolgten hauptsächlich ihre eigene Agenda, ohne weitere gesellschaftliche Belange zu beachten (76 Prozent). Zudem klafft eine Lücke, die Unternehmen mit Blick auf diese perspektivisch wichtige demografische Gruppe potenzieller Kunden und Mitarbeiter schließen sollten: Während 32 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Unternehmen die Gesellschaft verbessern sollten, meinen nur 16 Prozent, Unternehmen würde dies tatsächlich gelingen. Insgesamt haben die Millennials also durchaus ein konstruktives Verhältnis zu Unternehmen – sie äußern zwar Kritik, sehen aber deren gesellschaftspolitische Potenziale und erwarten daher noch mehr Engagement. Dieser Trend findet sich bereits in den Ergebnissen aus dem Jahre 2014 wieder. Schon damals meinte eine Mehrheit der jungen Menschen ganz im Sinne von CPR, dass Unternehmen ihre Ressourcen zur Stärkung von Bildung, wirtschaftlicher Stabilität, Netz- und Informationssicherheit, Gesundheit, Beschäftigung und Klima einsetzen könnten. Doch nur im Falle der Bildung (Aus- und Weiterbildung) sei dies wirklich der Fall (Deloitte 2014). Unternehmen sollten also ihre politische Marke entwickeln – nicht bloß aus good will, sondern aus der Erkenntnis gestiegener Ansprüche der Konsumenten an gesellschaftliche Verantwortungsübernahme.
2.2.3 D ie Wirtschaft: Unternehmen mangelt es an politischem Selbstverständnis Die staatliche Leistungsfähigkeit nimmt ab und die gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber der Wirtschaft nimmt zu. Wie sollten Unternehmen mit dieser Herausforderung umgehen? Unternehmen sind bereits politische Akteure Damit sich Unternehmen zunehmend als politische Akteure verstehen können, hilft es zu betonen, dass sie bereits tief mit Politik und Öffentlichkeit verwoben sind. Sie agieren nicht im luftleeren Raum: Als Arbeitnehmer, Steuerzahler und Innovatoren beeinflussen sie die Strukturen der Gemeinschaften, in denen sie tätig sind. Durch die wachsende Zahl von Wirtschaftsverbänden, eigenen Repräsentanzen und direkten politischen Kontakten
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üben sie politischen Einfluss aus. Zwar ist nachvollziehbar, dass es vielen Unternehmern und Managern schwerfällt, sich selbst als politische Akteure zu definieren. Die Politik wirkt oft chaotisch, langsam und ineffizient. Der Impuls, sich davon fernzuhalten, erscheint logisch. Er ist trotzdem falsch. Erstens, weil diese Attribute für eine demokratische Politik der Interessenaushandlung und Kompromissbildung gewissermaßen konstitutiv sind. Zweitens ist es angesichts der Wechselwirkungen von Wirtschaft und Politik keine verantwortliche unternehmerische Haltung, die eigene politische Rolle zurückzuweisen. Besser wäre, sie aktiv zu gestalten. Wirtschaft und Politik zusammen denken Wirtschaft und Politik werden sehr stark getrennt voneinander betrachtet. Das ist eine vertane Chance. Wirtschaftliche Aktivität findet nicht in einem politischen und institutionellen Vakuum statt. Der Raum, in dem Unternehmen operieren können, wird vom Staat gestaltet. Je nach politischem und rechtlichem System ist dieser Raum groß oder klein, sicher oder gefährdet, durch Regeln definiert oder durch willkürliche Entscheidungen geprägt. Da die Wirtschaft die Politik nicht loswird, hat sie zwei Möglichkeiten. Die erste ist, die Augen vor der Realität zu verschließen und sich ins vermeintlich Unpolitische zu verflüchtigen. Ein prominentes Beispiel ist hier Franz Haniel. Das Oberhaupt der Industriellenfamilie erklärte bei einer Veranstaltung der Wertekommission, dass er grundsätzlich keine Interviews gebe und es ihm am liebsten sei, wenn seine Unternehmen überhaupt nicht in den Medien auftauchten (Schäfer 2019). Dies ist eine sehr kurzsichtige Haltung, denn letztlich schlägt die Realität zurück – ungünstige politische Rahmenbedingungen schaden dem wirtschaftlichen Erfolg. Die zweite besteht darin, eine aktive politische Rolle zu übernehmen und an der Erhaltung eines vitalen öffentlichen Raumes mitzuwirken. Das bedeutet vor allem, den liberalen demokratischen Staat zu stützen, der Freiheiten garantiert und bewahrt. Es ist die Art von Staat, in der fast alle Bürger leben und Unternehmen arbeiten wollen. Aus der Anerkennung der Interdependenz von Wirtschaft und Politik entsteht für Unternehmen der Auftrag, nach Win-win-Lösungen zu streben. Ein übergreifender Einsatz für grundlegende politische Güter setzt voraus, dass die Berührungsängste und Sprachlosigkeit zwischen „Politik“ und „Wirtschaft“ überwunden werden (Walter und Marg 2015). Politisches Selbstverständnis entwickeln Welche Konsequenzen und Chancen ergeben sich aus diesem Befund für die Unternehmen und ihr Selbstverständnis? Es wäre naiv, die politische Macht von Unternehmen zu verkennen oder zu glauben, sie lasse sich einfach zurückdrängen. Solchen Reflexen sollte widerstanden werden; sie würden der gesellschaftlichen Innovationsfähigkeit schaden. Vielmehr gilt es, gemeinsame Wege zu suchen, um CPR-Beiträge wie die Stärkung öffentlicher Güter angemessen einzubringen. In diesem permanenten Aushandlungsprozess können sich Unternehmen als wertvolle Stütze des Staates erweisen. Der Staat wiederum, der in Teilen klug an die Privatwirtschaft zu delegieren vermag, schafft sich Freiräume für wichtige ordnungspolitische Richtungsentscheidungen.
2.3 Berührungsängste: Wie ticken Unternehmer, wie Politiker?
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Unternehmen, die sich dem Politischen verschreiben, betreiben Governance. Der Begriff bezeichnet den Zweiklang aus der Aufstellung und Umsetzung von Regeln sowie der Bereitstellung öffentlicher Güter. Governance ist ein multilateraler Prozess, in den Regierungen, internationale Organisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen und Unternehmen gleichermaßen Wissen und Ressourcen einbringen, und zwar freiwillig (Scherer und Palazzo 2011). Unternehmen können sich damit als Stabilisatoren des Gemeinwesens verstehen. Dass die Besorgung öffentlicher Angelegenheiten nicht nur durch staatliche, sondern auch durch private Akteure erfolgt, zeigt: Die strikte Trennung zwischen „der Politik“, „der Wirtschaft“ und „der Gesellschaft“ hinsichtlich der Gestaltung des öffentlichen Raumes entspricht nicht der Wirklichkeit. Das auf Expertise und Ressourcenfülle basierende Engagement der Wirtschaft ist für die Politik unverzichtbar. Das derzeit wichtigste Argument für ein politisches Selbstverständnis von Unternehmen geht jedoch über spezifische Governance-Lösungen hinaus. Das Überleben der liberalen Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Unternehmen sind also gut beraten, ihre öffentliche Haltung der politischen Neutralität zu überdenken. Mit anderen Worten: Unternehmen sollten unparteiisch im Besonderen, aber parteiisch im Grundsätzlichen sein – dann, wenn es um unsere freiheitliche Lebensform als solche geht. Ohne ein gezieltes gesellschaftliches Engagement auf Basis eines politischen Selbstverständnisses riskieren Unternehmen die notwendige Rückkopplung mit den Bürgern bzw. Kunden. Darüber hinaus, in Bezug auf die externen politischen Voraussetzungen des Geschäftserfolges, wäre gerade für die vielen exportabhängigen deutschen Unternehmen der Einsatz für regelgestützten Multilateralismus ein logischer Ansatz. Dies geschieht bereits über die etablierten Wirtschaftsverbände, sollte aber von den Mitgliedsunternehmen konstruktiv begleitet werden. Unternehmen operieren als Teil und zum Wohle der Gesellschaft; sie sind kein Selbstzweck. Die Legitimität der Wirtschaft wird schärfer infrage gestellt, wenn Unternehmenserfolge nicht belastbar im Einklang mit den Interessen der breiteren Gesellschaft stehen. Dafür muss aber die Wirtschaft noch stärker auf Gesellschaft und Politik zugehen und den Dialog suchen. Das Motto sollte also lauten: Mischt Euch ein! Werdet politisch – im eigenen Interesse!
2.3
Berührungsängste: Wie ticken Unternehmer, wie Politiker?
Wie steht es um die Voraussetzungen unserer Unternehmen, das CPR-Konzept anzunehmen? Wie passt es zu ihrem bisherigen Selbstverständnis? Das politische Agieren vieler Unternehmen lässt sich grob mit Abwehrhaltung, Berührungsängsten und öffentlicher Abstinenz beschreiben. Viele Unternehmen würden verständlicherweise am liebsten freie Hand haben. Sie befürworten in der Regel Deregulierung. Den meisten Unternehmern und Managern fällt es schwer, sich selbst als politische Akteure zu definieren, weil ihnen die Politik chaotisch, langsam und ineffizient er-
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scheint. Der Impuls, sich davon fernzuhalten, erscheint logisch. Er ist trotzdem falsch. Erstens, weil diese Attribute für demokratische Politik gewissermaßen konstitutiv sind. Demokratien legen formale Verfahren fest, um einen Kompromiss zwischen einer Vielzahl von Standpunkten zu erreichen. Verzögerungen und Streit gehören daher zum Betriebsablauf. Schnelle und unbürokratische Entscheidungen hingegen sind bezeichnend für Diktaturen. Auch dort, wo sie ihre Interessen gegenüber der Politik systematisch zu Gehör bringen, wollen viele Unternehmensvertreter nicht offen in Erscheinung treten. Wenn es um öffentliche Stellungnahmen zu politischen Entwicklungen geht, heißt es aus Unternehmerkreisen oft „Dafür sind die Parteien zuständig!“. Der kritische Beobachter könnte etwas holzschnittartig fragen: Haben wir es mit einem unausgesprochenen, indirekten Deal zu tun? Dessen Basis wäre dann: Unternehmen sind nicht politisch aktiv, dafür hält sich der Staat weitgehend aus der Wirtschaft raus. Angesichts der Wechselwirkungen von Wirtschaft und Politik ist es jedoch keine verantwortliche unternehmerische Haltung, sich abseits der öffentlichen Arena zu bewegen. Es ist besser, transparent zu agieren. Weite Teile der Bevölkerung haben ohnehin schon den Eindruck, Unternehmen mischten sich zu viel in die Politik ein, sie seien zu mächtig. Ganz im Sinne der weitverbreiteten Kritik am „Neoliberalismus“ gelte es daher, die Wirtschaftslobbyisten in ihrem Einfluss zurückzudrängen. Über solche Forderungen lässt sich trefflich streiten, aber aus dieser Perspektive geht zumindest klar hervor: Unternehmen sind politische Akteure! Als Arbeitgeber, Steuerzahler und Innovatoren beeinflussen sie die Strukturen der Gemeinschaften, deren Mitglieder sie sind. Die Zahl ihrer Verbände, Repräsentanzen und direkten politischen Kontakte wächst stetig. Sie spenden an Parteien und machen politisches Lobbying. Jedes relevante Gesetz wird auch inhaltlich begleitet. Dies ist nicht verwerflich und in einer pluralistischen Gesellschaft grundsätzlich sinnvoll. Dann muss aber auch ein klares Bekenntnis zur eigenen Rolle im öffentlichen Raum erfolgen. Unternehmen sollten ihren Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess und die politischen Rahmenbedingungen anerkennen. Idealerweise stünde dahinter die Einsicht: Ja, wir profitieren von stabilen politischen und rechtlichen Verhältnissen. Im Kern geht es also nicht um die Frage, ob Unternehmen sich politisch einmischen sollten, sondern wie sie dies tun. Ein Problem ist sicher, dass sich noch zu wenige vorstellen können, wie dieses Engagement konkret und konstruktiv aussehen könnte. Das CPR-Konzept versucht hier Abhilfe zu schaffen. Gründe für politische Abstinenz Doch zunächst: Was sind die wichtigsten Gründe für die politische Abstinenz von Unternehmen? Warum schrecken Unternehmen bislang vor mehr politischer Verantwortung zurück? Ihre Zurückhaltung fügt sich ein in das allgemein vorherrschende eher unpolitische Vertrauen der Deutschen in das Funktionieren der Institutionen. Man denke nur an die hohe Reputation der Wissenschaft, des Verfassungsgerichtes, der Zentralbanken oder die Bürokratie. Dieses Institutionen-Vertrauen geht einher mit einer Skepsis gegenüber genuin politischen Vorgängen wie Streit und Debatte über öffentliche Belange. Das Be-
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dürfnis nach Harmonie begünstigt das „Zuschütten“ gesellschaftlicher Zielkonflikte mit öffentlichen Geldern. Politik lässt sich aber – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – nicht in Recht, fachlicher Expertise oder Moral auflösen. In Deutschland herrscht die nachvollziehbare Einstellung vor, dass es für die Wirtschaft zunächst keine Mandatierung für politische Aufgaben gibt. Viele Unternehmen betrachten ihr reguläres unternehmerisches Handeln bereits als einen ausreichenden gesellschaftlichen Beitrag. So gehen „zahlreiche Unternehmer davon aus, Leistungen zu vollbringen, die politischem Engagement gleichgestellt sind: Man zahlt Steuern, sichert Beschäftigung, ermöglicht eine komfortable Vereinbarung von Berufs- und Familienleben und achtet auf soziale Gerechtigkeit“. Ihr Profitstreben – der Kern vieler Kritik am Kapitalismus – sehen sie demnach als „Voraussetzung für die Übernahme sozialer Verantwortung“ (Walter und Marg 2015, S. 110–111). Eine offensichtliche Sorge der Unternehmensführer in Bezug auf die Politik liegt darin, dass sie sich auf unbekanntem Gelände exponieren müssen, sich angreifbar machen und evtl. Kunden verschrecken. Die meisten Unternehmer denken noch immer, das offene Agieren auf der politischen Bühne berge vor allem Risiken für ihr Geschäft. Unternehmen seien in erster Linie ihren Mitarbeitern, Investoren und Anteilseignern – und nicht der ungleich abstrakteren Gesellschaft – verpflichtet. Und dazu gehört, die Risiken so gering wie möglich zu halten. Auch schreckt die vermeintlich mangelnde Entscheidungsfähigkeit der Politik mit ihren endlosen Gremiensitzungen ab. Und viele Unternehmer sind nicht gewillt, die mediale Beobachtung, der man als Politiker ausgesetzt ist, zu erdulden (Walter und Marg 2015, S. 102–106). Auch abseits eines Parteiengagements sind politische Wortmeldungen und Positionierungen für die Mehrheit der Unternehmer wenig attraktiv. Es sollte nicht unterschätzt werden, wie unsicher sich Unternehmer im direkten Schlagabtausch mit politischen Profis fühlen, die dialektisch und ideologisch geschult sind und alle Tricks der Gesprächsführung beherrschen. Ein Unternehmer ist in der Regel gewohnt, offen und geradeaus zu argumentieren und übersieht daher leicht rhetorische Fallen. Also begibt er sich ungern auf politisches Glatteis, um zu vermeiden, öffentlich vorgeführt zu werden. Man denke nur an politische Talkshows. In unserer „Mediendemokratie“, die schrille Töne und verkürzte Botschaften begünstigt, wollen Unternehmer nicht nur sich, sondern auch ihre Familien vor einem öffentlichen „Shitstorm“ schützen. In all dem zeigt sich auch ein kulturelles Problem. Die Sprache und Handlungslogik von Unternehmern und Politikern unterscheidet sich stark. Man versteht einander buchstäblich nicht. Dadurch verfestigen sich Vorurteile. Unternehmer fühlen sich von der Politik oft nicht verstanden – und vice versa. Joe Kaeser bringt einen Grund für das mangelnde Verständnis auf den Punkt: „Als Politiker kann ich beschließen, Geld umzuverteilen, ohne mich zu kümmern, wer bezahlt oder ob das Versprechen eingehalten wird. Im Zweifel sind die anderen schuld. Das können Unternehmen nicht. Wen soll ich auch beschimpfen? Die Kunden, die Wettbewerber, die Mitarbeiter?“ (Meck 2017). Es liegt es in der Systemlogik, dass Ökonomie und Politik grundverschieden ticken. Und da ist es hilfreich, wenn beide Seiten das grundsätzlich andersartige gesell-
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schaftliche Rollenverhältnis des Gegenübers nüchtern zur Kenntnis nehmen. Das schützt vor Missverständnissen und unnötigen Frontstellungen. Das Rollenverständnis eines deutschen Politikers ist es, politische Rahmenbedingungen für sein Land zu entwickeln und damit dem Gemeinwohl bzw. den Wählern zu dienen. Ein Unternehmer hingegen arbeitet im engeren Sinne für Erträge, um damit sich selbst, die Mitarbeiter und eventuell die Shareholder zu finanzieren. Nur wer diese unterschiedlichen Rollen akzeptiert, wird sich weder vom politischen noch vom wirtschaftlichen System enttäuscht abwenden. Es gibt immer wieder Zielkonflikte, bei denen Politiker gegen die Interessen der Ökonomie und der Verbraucher handeln, weil Themen wie Identität, Nationalgefühl, weltanschauliche Grundhaltung oder wahltaktische Überlegungen so stark sind, dass auch volkswirtschaftlicher Schaden in Kauf genommen wird. Der Handelskrieg zwischen den USA und China, der Brexit oder auch die kostspielige deutsche Energiewende können hierbei als Beispiele dienen (Meier 2019). Im vorliegenden Buch geht es darum, das bisherige rigide Rollenverständnis zu hinterfragen – im gemeinsamen Interesse. Dies wird indirekt bereits praktiziert. Unternehmen achten beispielsweise beim Lobbying darauf, die Gemeinwohlorientierung ihrer Interessen gegenüber Politik und Gesellschaft besonders zu betonen. Denn im Lobbying sind reine Partikularinteressen auf Dauer nicht erfolgreich. Die Politik ist letztlich dem Gemeinwohl verpflichtet, was durch „checks and balances“ und die Involvierung zahlreicher Akteure gewährleistet wird – von der wissenschaftlichen Anhörung über die mediale Begleitung bis hin zum Ausgleich innerhalb der Regierungskoalition. Politisches Handeln zielt darauf ab, Mehrheiten zu organisieren; wirtschaftliches Handeln formiert sich um den Imperativ der Gewinnerzielung. Wirtschaft und Politik ticken fundamental anders. Umso notwendiger sind Formate, in denen sich Vertreter von Politik und Wirtschaft begegnen und einen Perspektivwechsel vornehmen. Neben der Öffentlichkeitsscheu, der Aversion gegenüber politischen Prozessen und dem Unverständnis für die politische Systemlogik sind Ressourcenknappheit und Zeitmangel für fast vier Fünftel der nichtengagierten Unternehmen der wichtigste Grund ihrer Zurückhaltung in puncto Verantwortungsübernahme (Hüther 2018). Dieses Argument sollten Unternehmen jedoch hinterfragen, wenn sie gleichzeitig politische (z. B. geopolitische) Risiken als besonders gefährlich für ihren Geschäftserfolg erachten. Es ist Zeit für eine neue Prioritätensetzung. Und an dieser Stelle haben wir noch nicht darüber gesprochen, welche Geschäftspotenziale in politischer Nachhaltigkeit liegen. Was sind die Folgen der Abstinenz? Es gibt also tatsächlich ein ganzes Bündel von Gründen, die aus der Sicht von Unternehmern gegen eine politische Tätigkeit sprechen. Aber durch Abstinenz beraubt sich die Wirtschaft der Chance, öffentliche Debatten und damit insbesondere die langfristigen Voraussetzungen ihres Erfolges zu beeinflussen. Im Ergebnis zeigen die CEOs der deutschen Wirtschaft ihr Gesicht viel zu selten, wenn es um Politik geht. Sie schicken ihre hauptamtlichen Verbandsvertreter vor, also Funktio-
2.3 Berührungsängste: Wie ticken Unternehmer, wie Politiker?
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näre, die nur in den seltensten Fällen einmal selbst unternehmerisch gewirkt haben. In politischen Talkshows sieht man daher eher Verbandsprofis als echte Unternehmer. Es ist bezeichnend, dass die Moderatorin Anne Will auf die Frage „Gibt es Gäste, die Sie gerne in Ihrer Sendung hätten, die aber immer absagen?“, antwortete: „Topmanager führender Unternehmen kommen nie, egal wie oft sie angefragt werden. Das ist echt schade. Denn wer einen Konzern mit 150.000 Mitarbeitern führt, der sollte aus meiner Sicht auch in der Lage sein, seinen Standpunkt öffentlich klar zu vertreten, ohne den Börsenkurs zu gefährden – das kommt regelmäßig als Gegenargument! Ich finde es schon bemerkenswert, dass solche Führungskräfte alle, alle, alle absagen. Und zwar nicht nur bei uns, sondern durch die Bank weg bei allen Sendungen“ (Erk 2018). Im Grundsatz gilt: Solange die Geschäfte laufen, hält man sich rar. Doch wer nicht bereit ist, den öffentlichen Kampf um Deutungshoheit anzunehmen und langfristige „Grundlagenarbeit“ zu betreiben, darf sich über die Konsequenzen nicht wundern. Ein Beispiel ist die weitgehende Sprachlosigkeit angesichts des immer wieder vorgetragenen Vorwurfs der zunehmenden sozialen Schieflage in Deutschland – ein Vorwurf, der sich in den Zahlen zur Einkommensverteilung allerdings nicht wiederfindet (Feld 2017).3 Gewisse Einkommensunterschiede seien dabei durchaus wichtig für Leistungsanreize und Produktivitätsfortschritte, so Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Werden sie jedoch zu groß, verlieren talentierte, aber arme Menschen den Anschluss, weil sie sich keine Bildung leisten und zum Wohle der Gesellschaft entfalten könnten. Krämer ist sich der Wechselwirkung von Wirtschaft und gesellschaftspolitischer Lage bewusst: „[B]ei extremer Einkommensungleichheit [kommt es] zu politischen Spannungen, vielleicht sogar zu politischen Umstürzen, was Gift für die wirtschaftliche Entwicklung ist“ (Lorz 2017). Solche Zusammenhänge öffentlich zu artikulieren, ist für Unternehmen bei der Beeinflussung des öffentlichen Meinungsklimas essenziell. Ein anderes Beispiel ist das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP, für das Unternehmen nicht entschieden genug warben. In diesem bisher umfassendsten Regelwerk in den transatlantischen Handelsbeziehungen stellte die deutsche Wirtschaft ihre mangelnde Kampagnenfähigkeit unter Beweis. Die Unternehmen und ihre Verbände versäumten, das Freihandelsabkommen auch in seiner politischen Dimension als liberale Regel- und Standardsetzung zu bewerben, die unseren demokratischen Prinzipien folgt. Damit hätte ein Kontrast zu den Regelungsbemühungen autoritärer Regime markiert werden können. Durch die verkürzte Bewerbung von TTIP in ökonomischen Kategorien wurde eine Chance verspielt, dem Publikum zu vermitteln, dass es auch um die Sache der Demokratie im Wettbewerb der Gesellschaftsmodelle geht. Offensichtlich wurde der CPR-Ansatz nicht ausreichend und professionell herausgearbeitet und konnte dementsprechend auch nicht erfolgreich kommuniziert werden. Siehe dazu auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, das für die Einkommensverteilung in Deutschland in den Jahren 2008-2015 einen nahezu stabilen Gini-Koeffizienten von ca. 0,3 angibt. Die alternative S80/S20-Rate (das Verhältnis zwischen dem Gesamteinkommen des oberen Fünftels und dem des unteren Fünftels) gibt ein ähnliches Bild (Destatis 2020).
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
Das TTIP erzählt damit die Geschichte der Unfähigkeit mancher Politiker, aber eben auch der Wirtschaft, im Kampf um öffentliche Deutungshoheit gegen gut organisierte, aktivistische NGOs durchzudringen. Während letztere mobilisierten, erschienen erstere gar nicht erst zum Duell. Hier gilt es für Wirtschaftsführer, sich künftig professioneller aufzustellen. Schlagkräftige Argumente gibt es zur Genüge, denn kaum ein Land profitiert so sehr von der Globalisierung und dem Freihandel wie der Exportweltmeister Deutschland. Dies hätte vermittelt werden müssen, um der partiellen Skepsis der Deutschen gegenüber der Marktwirtschaft (besser: dem „Kapitalismus“) etwas entgegenzusetzen. Es ist irritierend, dass sich außer Dieter Zetsche von Daimler kaum Führungskräfte öffentlich zu TTIP bekannten. Zu viele CEOs hielten sich zurück – unter anderem, weil sie Proteste vor ihren Firmenzentralen fürchteten. Sie glaubten, das Ringen um Meinungsführerschaft an Funktionäre und Lobbyisten delegieren zu können, und begingen damit einen schwerwiegenden Fehler (Theil 2016). Um sich zukünftig nicht mehr von NGOs am Nasenring durch die Manege führen zu lassen, sollten Unternehmen den Kampf um öffentliche Deutungshoheit offensiv annehmen. Es reicht nicht, erst ganz zum Schluss, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, millionenschwere Kampagnen in Auftrag zu geben. Corporate Political Responsibility setzt auf die Absicherung des langfristigen Geschäftes durch frühzeitige gesellschaftspolitische Interventionen. Gesellschaftliche Grundlagen erodieren – die Wirtschaftselite beginnt umzudenken Politische Abstinenz bedeutet, dass Unternehmen wertvolle Gestaltungsressourcen brachliegen lassen. Woran sieht man das? Sie investieren vielfältig aus vordergründig wirtschaftlichen Gesichtspunkten, aber eben nicht in die gesellschaftlichen Grundlagen ihres Wirtschaftens. Und das liegt offensichtlich daran, dass sie Politik und die damit verbundenen Chancen nicht richtig verstehen. Warum wird nicht ausreichend in die umfassenden Voraussetzungen eines starken Standortes investiert, obwohl dessen Vorzüge evident sind? Schließlich wird die Langfristperspektive ja auch bei anderen Investitionen eingenommen. Die Bereitstellung von öffentlichen Gütern wird jedoch als selbstverständlich angesehen. Aber sie ist es nicht – vor allem nicht in Zeiten mangelnder staatlicher Steuerungsfähigkeit und abnehmender Leistungsfähigkeit von Verwaltungen. Stabile demokratische Institutionen, Rechts- und damit Planungssicherheit für Investitionen oder Daten- und Verkehrsinfrastrukturen sind essenzielle Errungenschaften, von denen Unternehmen massiv profitieren. „Politische Investitionen“ unternehmerischer Ressourcen – technisches und organisatorisches Know-how, Kapital etc. – würden helfen, derartige staatliche Leistungen auszubauen und damit auch Unternehmen zukunftssicher zu machen. Es hat schließlich einen Grund, dass sich Unternehmen in Deutschland wohler fühlen als in Russland. Wie unternehmerische Maßnahmen hier aussehen könnten, wird in Teil III beschrieben. Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde (1991, S. 112) prägte sein bekanntes Diktum im Jahre 1991 mit folgendem Satz: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“. Böckenförde weist darauf
2.3 Berührungsängste: Wie ticken Unternehmer, wie Politiker?
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hin, dass ein liberaler Staat sein Fortbestehen nicht mit illiberalen Mitteln sichern kann, ohne sich damit selbst zu unterminieren. Daher ist er auf ein vorgelagertes Ethos angewiesen, in Deutschland und Europa gespeist z. B. aus Christentum, Humanismus und Aufklärung – kurz: eine aktive, selbstbestimmte Bevölkerung mit demokratischen Werten. Eine solche Paradoxie hieße umgemünzt auf die Wirtschaft: Die Wirtschaft lebt von gesellschaftlichen und demokratischen Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Das Böckenförde-Diktum hilft also zu verstehen, dass die Wirtschaft von Voraussetzungen lebt, die (bislang) außerhalb ihrer selbst liegen, nämlich auch im Politischen. Das CPR-Konzept weist darauf hin, dass die Wirtschaft diese politischen Voraussetzungen zwar nicht garantieren, aber sehr wirksam unterstützen kann. Damit sich die Stabilität von Staat und Gesellschaft deutlich erhöht, müssen Unternehmen lernen, sich als Corporate Citizens zu begreifen. Damit entsprächen sie nicht zuletzt auch der Erwartungshaltung der Gesellschaft, d. h. ihrer Kunden. Und tatsächlich gibt es Anzeichen solcher Erkenntnis in der Wirtschaft, Selbst- und Fremdbild beginnen sich gewissermaßen anzunähern. So beschreibt Christoph Schäfer in der FAZ (2020) die zunehmende negative Stimmung gegenüber dem Kapitalismus in Deutschland, die konträr zum materiellen Wohlstand 2020 stehe. Laut dem aktuellen „Edelmann Trust Barometer“ (2020) sind 55 Prozent der Deutschen der Meinung, dass der Kapitalismus mehr schadet als nutzt. Insgesamt 47 Prozent der Deutschen bezeichnen in einer aktuellen Umfrage des Allensbach Instituts (2020) die Marktwirtschaft in Deutschland als nicht wirklich sozial. „Hinter der Kapitalismuskritik steckt sehr stark das Gefühl: Da bereichern sich einige stark“, so die Allensbach-Chefin Renate Köcher. „Das gesellschaftliche Diskussionsklima und die objektive persönliche Lage entwickeln sich in Deutschland auseinander … An der Oberfläche gibt es eine Alles-ist-Mist-Rhetorik“. Die Wirtschaft scheint dieser Befund mittlerweile zu alarmieren. Das Manifest des Weltwirtschaftsgipfels in Davos 2020 plädiert für einen „Stakeholder-Kapitalismus.“ Nicht nur das Wohl der Anteilseigner, sondern das der ganzen Gesellschaft zählt (Schäfer 2020). Was dies konkret bedeuten soll, ist unklar, zumal ja kaum eine umfassende Kapitalismusreform beabsichtigt ist. Wichtig ist jedoch: Die gesellschaftspolitische Debatte von Unternehmen nimmt Fahrt auf! In dieselbe Kerbe schlägt der auf dem WEF veröffentlichte Global CEO Survey der Beratungsgesellschaft PwC, laut dem Entscheider am positiven Einfluss der Globalisierung zweifeln. Probleme bereiten die Spreizung zwischen arm und reich, mangelnde Fairness im globalen Steuerwettbewerb, die Bekämpfung des Klimawandels sowie die Ressourcenknappheit. Deutsche Manager sind vor allem besorgt über geopolitische Unsicherheiten, Überregulierung, Protektionismus und die Zukunft der Eurozone. Der Vorstandsvorsitzende von PwC Deutschland, Norbert Winkeljohann, mahnt entsprechend, man solle sich „vorbehaltlos und in enger Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft für freie Märkte und offenen Austausch einsetzen“ (Knop 2017). Die Sorge um die gesellschaftspolitische Stabilität als Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften ist so bedeutsam, weil sie die grundsätzliche Frage nach der Akzeptanz
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
unseres westlichen liberalen Systems berührt. Auch das Weltwirtschaftsforum in Davos thematisierte 2016 und 2017 ebenjenes essenzielle Vertrauen in Eliten – oder vielmehr dessen Erosion. Laut dem Edelmann Trust Barometer 2020 hat sich zwar das Vertrauen in Institutionen (Regierung, Wirtschaft, Medien etc.) stabilisiert. Dennoch blicken die Deutschen pessimistisch in die Zukunft. So schätzen sie keine Institution als zugleich kompetent und ethisch glaubwürdig ein. Allein in Bezug auf die Wirtschaft gibt es einen Positivtrend: Sie schneidet mit rund 58 Prozent als vertrauenswürdigste ab. Für die Wirtschaft ist dies ein Ansporn, sich Gedanken zu machen um den gesellschaftlichen Konsens, auf dessen Basis sie Geschäfte macht. Insgesamt 73 Prozent der Beschäftigten geben an, dass sie die Möglichkeit haben wollen, die Gesellschaft zu verändern. Nach Edelman haben auch CEOs verstanden, dass sich ihr Mandat geändert hat. Ein weiterer Aspekt ist, dass Bürger sich durch die Fragmentierung des öffentlichen Raumes bzw. der Medien zunehmend in ihren eigenen Echokammern bewegen, in denen weltanschauliche Grundeinstellungen eher bestärkt werden. Jedoch benötigt ein Land, das innovativ und zukunftsfähig sein will, eine offene Diskussionskultur. Unternehmen sind neben den Schulen die Einrichtungen, in denen Menschen noch im großen Stil erreicht werden können. Es ist also keine Frage: Unternehmen müssen ihre politische und gesellschaftliche Verankerung stärken. Zusammengefasst: Politische Abstinenz schadet den wirtschaftlichen Interessen. Es ist eine verpasste Chance, die eigenen Sichtweisen zu artikulieren. Es wird zu wenig erklärt. Oder um es mit Karl-Heinz Büschemann (2019, S. 79; Hervorhebung durch den Autor) zu sagen: „Auch grundlegende Politik bräuchte Lobbyismus, wenn es um Prinzipien von Demokratie, freiem Handel und offener Gesellschaft geht. Da aber melden sich die Chefs ab“. Es liegt noch ein Stück Weg vor uns, bis Unternehmen den Mut haben, sich offen als politische Akteure zu verstehen, ihre Interessen transparent zu artikulieren und konstruktive Beiträge für politische Nachhaltigkeit zu leisten. Aber es ist Bewegung in das Thema gekommen. Die Möglichkeit mit entsprechendem Know-how eine politische Marke entwickeln zu können, wird ihnen bei der Umsetzung helfen.
2.4
Lobbying in der Defensive
Eine wichtige Facette im öffentlichen Kampf um Deutungshoheit sind die professionellen Bemühungen aller gesellschaftlichen Akteure um Einfluss. In unserer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft ist es selbstverständlich, dass Partikularinteressen in den politischen Prozess eingespeist werden. Dies ist ein wichtiger Teil politischer Willensbildung, dem nicht nur die Parteien, sondern alle gesellschaftlichen Anspruchsgruppen verpflichtet sind. Die Frage ist nur, wie das geschieht. Hier kommen die Lobbyisten ins Spiel.
2.4 Lobbying in der Defensive
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Gute und böse Lobbyisten Lobbyisten sind Interessenvertreter und -vermittler. Es gibt „gute“ und „böse“ Lobbyisten, gerechtfertigte und illegitime oder gar illegale Einflussnahme. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Bösen oft die Konzerne und die Guten die NGOs wie Greenpeace, Amnesty International oder Food Watch. Aber das Argument, dass NGOs nur freiwillig gespendete Gelder für einen höheren Zweck einsetzten, greift zu kurz. Die NGOs beschreiben ihre Partikularinteressen gerne als gemeinwohlfördernd. Nicht nur die aktivistische Mobilisierung von Campact gegen das transatlantische Handelsabkommen TTIP aber zeigt: Auch NGOs betreiben Lobbying. Wie sie durch klare Eigeninteressen gefärbte Perspektiven auf politische Streitfragen liefern, zeigt Ursula Weidenfeld in einem kritischen Beitrag zu diesen „Neben-Demokratien“ (Weidenfeld 2017, S. 185–214). Der Unterschied zu Unternehmen ist nur, dass Menschen auf vermeintliche gesellschaftliche Interessenvertretung häufig positiver reagieren als auf die Anliegen konkreter Wirtschaftsakteure und ihr Profitstreben. Sicher haben Unternehmen mehr Geld und können sich damit eine aufwendigere Interessenvertretung leisten als weniger finanzstarke Interessengruppen. Aber es wäre weit übertrieben, zu behaupten, Unternehmen „kauften“ sich Gesetze und untergrüben demokratische Entscheidungsprozesse. Sie haben das Recht, ihren Standpunkt zu äußern, solange dieser nicht unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung widerspricht. Die Expertise der Unternehmen ist für die Gesetzgebung sogar ausgesprochen wichtig, denn Lobbyisten stellen Entscheidungsträgern fachliche Informationen zur Verfügung, die einen kompetenten Umgang mit Sachfragen fördern. Natürlich stehen diese Informationen nicht neutral für sich selbst, sondern entspringen den unternehmerischen Interessen. Daher sollten sie kein Umsetzungskatalog für souverän handelnde Politiker sein. Aber Regulierung zu forcieren, ohne die Argumente der zu Regulierenden zumindest angehört zu haben, wäre sowohl demokratisch fragwürdig als auch inhaltlich unklug. Lobbyismus als ideologischer Kampfbegriff – Lobbyisten verdienen ein besseres Image Die Lobbyisten stehen mit ihrem negativen Image nicht alleine da. Es ist vielen Berufsgruppen zu eigen, deren Tätigkeit sich zum Teil hinter verschlossenen Türen abspielt. Der Vorwurf lautet dann schnell, dass Macht- und Geldinteressen im Dunkeln verfolgt werden. Und die Schwierigkeit, sich im komplexen Geflecht der Politik auszukennen, macht das Ganze nicht leichter. Dieses Informationsdefizit in der Bevölkerung ist der Nährboden für Vorurteile. Häufig basieren sie auch auf überzogenen Transparenzanforderungen an den politischen Prozess im Allgemeinen. Wo geschützte Räume für freien Gedankenaustausch und das Ausloten von Positionen schrumpfen, wächst nicht die Demokratie, sondern die kommunikative Beliebigkeit. Wer den nichtöffentlichen Austausch per se unter Verdacht stellt, verkennt die zentrale demokratische Bedeutung des Wirkens etwa von Bundestagsausschüssen oder auch der Ministerialbürokratie. Wird das Einspeisen partikularer Positionen in den politischen Prozess zunächst einmal als legitim erachtet, verdienen auch Lobbyisten ein besseres Berufsimage. Dabei hilft Aufklärung, was politische Interessenvertretung in unserer Demokratie eigentlich ist. Schauen
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
wir nur als Beispiel die USA an: In Washington D.C. genossen Lobbyisten lange Zeit ein höheres Ansehen für ihre Rolle in der Gesellschaft als bei uns. Allerdings gibt es in den USA auch wesentlich striktere Transparenz-Richtlinien und Lobby-Watchdogs, wie z. B. die Webseite OpenSecrets.org. Dort kann man in einer umfassenden Datenbank genau einsehen, wer wen für welchen Zweck und für wie viel Geld beauftragt hat. Es gibt sogar Rankings darüber, welche Unternehmen am meisten für Lobbying ausgeben und welche Lobbyfirmen am meisten verdienen. Eine solche Datenbank wurde 2019 auch für Brüssel erstellt (Benrath 2019). Was ist legitim, legal und moralisch vertretbar? Was legal ist und was nicht, bestimmt natürlich einzig und allein der Gesetzgeber. Jenseits der Grenze liegt die Bestechung – etwa Luxusreisen für Abgeordnete im Austausch für Gefälligkeiten in der Gesetzgebung. Doch diese Zeiten scheinen Gott sei Dank vorbei zu sein. Was legitim und moralisch vertretbar ist, ist jedoch ungleich schwerer zu bestimmen. Nach Industriezweigen kann es sich kaum richten. Auch Rüstungs- und Tabakkonzerne haben das Recht, wie jeder andere, ihren Ansichten in der Politik Gehör zu verschaffen. Ob man als Lobbyist für die Zigarettenindustrie arbeiten und mit vollem Einsatz deren Interessen vertreten möchte, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Was zählt, ist eher die Qualität des Arguments: Wie gut kann ich begründen, dass mein Anliegen legitim ist und umgesetzt werden sollte? Dabei kommt schließlich auch die Kategorie des Gemeinwohls zum Tragen, was rein praktisch für bestimmte Firmen größere Rechtfertigungsschwierigkeiten bedeutet als für andere. Theoretische Vorentscheidungen zugunsten gewisser Branchen sind indes zweifelhaft. Illegitim und unmoralisch wäre zum Beispiel, wenn Lobbyisten Unwahrheiten oder wissenschaftlich unlautere Studien anführten, um damit ihr Argument künstlich zu stärken und Entscheidungsträger zu manipulieren. Das wäre bewusste Täuschung. Die Branche hat das Problem erkannt und gibt sich durch die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung e.V. (de‚ge’pol) und den Deutschen Rat für Public Relations eigene Spielregeln; sie versucht sich somit selbst zu regulieren. Medien als Korrektiv des Lobbyismus In Brüssel sind die Lobbygruppen extrem gut organisiert, während die Medien im Vergleich schwächeln. In Berlin hingegen bewegt sich der Einfluss der Lobby insgesamt noch in einem gesunden Rahmen. Aufmerksame Bürger und Medien sind hier ein starkes Korrektiv. Dass die Gesellschaft durchaus ein Sensorium für eine allzu große Nähe der Politik zur Lobby hat, zeigt sich daran, dass entsprechend wahrgenommene Parteien bei Wahlen Schiffbruch erleiden. Beispielsweise trug der Glaubwürdigkeitsverlust der FDP im Zuge der „Mövenpick-Affäre“ zum Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in der B undestagswahl 2013 bei. Die Partei hat daraus gelernt – von politischen Geschenken an die Gastronomie ist nicht mehr die Rede. Die Medien spielen beim Thema Lobbying eine wichtige Funktion in der demokratischen Ordnung. Im Sinne von „checks and balances“ halten sie in gewisser Weise Politiker
2.5 Der Ordnungsrahmen: Grundlagen der demokratischen Verfasstheit
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in Schach. Sie sorgen mit ihrer Informationszufuhr und Analyse an die Bevölkerung für den Machtverbleib beim Souverän. Medien haben keine offiziell ordnende Funktion wie Regierungen, Parlamente und Gerichte. Aber sie vermitteln die Ordnung, wie sie zustande kommt, sich entwickelt und was in ihr geschieht. Dadurch schaffen die Medien nicht die Ordnung, aber sie stabilisieren sie durch ihre vielfältige Berichterstattung, wozu auch die Vermittlung von Orientierungswissen gehört. Lobbyisten hingegen vertreten Sichtweisen nur auf bestimmte, klar abgegrenzte Themen. Sie untermauern diese mit Argumenten und versuchen, damit Entscheidungsträger zu überzeugen. Dabei müssen sie den Primat des Politischen respektieren. Digitalisierung, Globalisierung, der rasante technische Fortschritt, grenzüberschreitende Governance – all das sind neue Herausforderungen, denen der Staat in der heutigen Zeit gegenübersteht und bei denen er auf Input aus der Wirtschaft und den Medien angewiesen ist. Ohne die Bereitstellung von fundiertem Fachwissen aus erster Hand, oft transportiert über Lobbyisten und Journalisten, könnte der Staat gar nicht die für alle Bürger besten Entscheidungen treffen. Der Bürger, also der Souverän, ist dabei auf die Unbestechlichkeit unserer Politiker und Beamten angewiesen; und auf ihre Fähigkeit, die Informationen, die ihnen tagtäglich angetragen werden, so zu filtern und auszuwerten, dass es dem Gemeinwohl nützt. Der Vorgang ist dem Redaktionsprozess einer Zeitung vergleichbar. PR-Agenturen können noch so viele mundgerechte Erklärungen und druckfertige Artikel verfassen; es ist immer eine Frage der redaktionellen Unabhängigkeit, darüber zu entscheiden, inwieweit sie Eingang in die Tageszeitungen finden. Die professionelle Arbeitsweise der Medien zeigt also, wie ein gutes Korrektiv gegenüber Lobbyaktivitäten funktionieren kann.
2.5
er Ordnungsrahmen: Grundlagen der D demokratischen Verfasstheit
Dieses Buch arbeitet mit der Prämisse, dass die zivilisatorischen Errungenschaften des Westens schützenswert sind. Außenpolitisch bildet die Europäische Union, inklusive der Währungsunion, einen wichtigen Stützpfeiler, gerade für den deutschen Außenhandel. Die Sicherheit Deutschlands wiederum wird bis heute durch die Mitgliedschaft in der NATO und den (auch nuklearen) Sicherheitsschirm der Amerikaner ermöglicht. Dieser Schutz bezieht sich auch auf die Offenhaltung der für die deutsche Exportwirtschaft kritischen internationalen Handelsrouten. Darüber hinaus bieten insbesondere die UN, WTO und OECD einen internationalen Rahmen für unsere politischen und wirtschaftlichen Interessen. Ein exportabhängiges Land wie die Bundesrepublik, ein absoluter Gewinner der Globalisierung, ist auf das Funktionieren des Multilateralismus und seiner Institutionen angewiesen. Es hat sich allerdings gezeigt, dass das „normative Projekt des Westens“ (Winkler 2017) nicht nur durch autoritäre Regime, sondern auch durch Staaten des Westens selbst unter Druck gerät, wenn die demokratischen Spielregeln nicht mehr richtig geschätzt und sogar untergraben werden. Funktionierende gesellschaftliche Institutionen brauchen
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
deshalb möglichst viele gesellschaftliche Stabilisatoren – aufgeklärte Bürger und wachsame Repräsentanten aller gesellschaftlicher Teilbereiche, natürlich auch und vor allem der Wirtschaft. Gegen die autoritäre Versuchung hilft ein möglichst tiefes Verständnis der Grundlagen von Frieden, Freiheit und Wohlstand. Sie umfassen vor allem die Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der sozialen Marktwirtschaft. In Deutschland manifestieren sich diese Prinzipien im Grundgesetz, das sich hervorragend bewährt hat. Um es mit etwas Pathos auszudrücken: Den Verfassungsmüttern und -vätern in ihrer Weitsicht sind die nachfolgenden Generationen zu großem Dank verpflichtet. In Artikel 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Dieses Postulat ist selbstverständlich auch Richtschnur für die Repräsentanten der Wirtschaft. Der Schutz individueller Grundrechte findet in unserer demokratischen Verfassung zudem Ausdruck in den Prinzipien der Staatsorganisation. Darunter fallen die dezentralen Strukturen des Bundesstaates bzw. des Föderalismus, die ein komplexes System der „checks and balances“ aufspannen. Auch sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk erwähnt, der mit seinem Demokratieund Bildungsauftrag eine wichtige Rolle erfüllt, indem er durch die Bereitstellung und Einordnung von Informationen Bürger in die Lage versetzt, sich ein Bild von der Wirklichkeit zu machen und diese zu beurteilen. Damit unterstützt er die demokratische Verfasstheit des Staates. Die Soziale Marktwirtschaft bildet in Deutschland den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen. Ziel und Zweck dieser Ordnung ist es, auf Basis des Wettbewerbsprinzips die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden. Dem Bürger wird die größtmögliche Freiheit zu seiner Entfaltung ermöglicht; sie wird nur dort eingeschränkt, wo die Freiheit des anderen beginnt. Dabei ist der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ zentral. Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen, ist also kein Selbstzweck. In dieser normativen Lesart sollten Unternehmen das Leben verbessern. Ökonomie ist demnach auch immer dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet, den es nach der reinen Systemlogik der Wirtschaft nicht geben kann. Deutschland hat eine eigene Variante der Ordnungspolitik, den sogenannten Ordoliberalismus, entwickelt. Dieser wurde nach dem Krieg in der „Freiburger Schule“ federführend von Walter Eucken entwickelt und prägte führende deutsche Wirtschaftspolitiker wie Ludwig Erhardt und Otto Graf Lambsdorff.4 Insbesondere Alfred Müller-Armack war, aufbauend auf dem Konzept des Ordoliberalismus, der Architekt hinter der wirtschaftspolitischen Leitidee der Sozialen Marktwirtschaft. Es ist auffällig, dass dieser sehr erfolgreiche Ansatz in der heutigen öffentlichen Debatte praktisch keine Rolle mehr spielt. Dabei bildet der Ordoliberalismus immer noch eine starke Grundlage, auf der die Eucken brachte das Leitbild des Ordoliberalismus auf die Formel: Staatliche Planung der Formen – ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses – nein. Ziel des Ordoliberalismus ist es, Sozialgedanken und Leistungsprinzip, Ordnungsauftrag und Dezentralismus miteinander auszusöhnen (Wikipedia 2019).
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2.5 Der Ordnungsrahmen: Grundlagen der demokratischen Verfasstheit
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Plattformökonomie und andere neue und disruptive Entwicklungen diskutiert werden können. Um wirtschaftliche Innovationen zu ermöglichen, gibt es in Deutschland neben den Unternehmen ein ganzes System von eigens zu diesem Zweck geschaffenen wissenschaftlichen Einrichtungen. Dazu gehören z. B. die Fraunhofer Institute, die Wissenschaft und Industrie verbinden. Hinzu kommt die starke und typisch deutsche Berufsausbildung in Firmen und Schulen. Um es mit der Ökonomin Mariana Mazzucato zu sagen: „Es ist unmöglich den Erfolg von Firmen wie Siemens zu verstehen, ohne dieses System zu betrachten“ (Nienhaus 2019). Der hier in aller Kürze beschriebene traditionelle Ordnungsrahmen unserer Demokratie kommt unter Druck. So stellen Forderungen nach der Verstaatlichung von Unternehmen oder Wohnungen marktwirtschaftliche Grundprinzipien infrage. Aber sie sind nur eine Folge viel größerer Entwicklungen, die durch die Digitalisierung getrieben werden. Wirtschaftliche Disruption wird vor allem durch die großen international operierenden Technologiekonzerne ausgelöst. Durch den Innovationsdruck steigt der Anpassungsdruck auf die Bürger und auf unser demokratisches Gemeinwesen mit seinen Institutionen. Politische Entscheidungsträger müssen aufpassen, dass sie nicht nur nachvollziehen, was internationale Konzerne vorgeben. Gleichzeitig sollten sie für einen Rahmen sorgen, der Innovationen möglichst zur Entfaltung kommen lässt. Es ergibt sich hier ein entscheidendes Paradox, dessen Spannung sich nicht einfach auflösen lässt: Einerseits sind viele große Unternehmen, die Digitalkonzerne zumal, die Treiber von Globalisierung und Technologieschüben und tragen daher zur abnehmenden Steuerungsfähigkeit des Staates bei – sie gefährden den Primat der Politik. Andererseits: Unternehmen sind als substanzieller Teil der Lösung bei der Rückgewinnung von Steuerungsfähigkeit und Governance-Fähigkeiten gefordert. Und das im eigenen Interesse, denn auch Unternehmen wollen ihre Geschäfte weiter in einem freiheitlich- demokratischen Rahmen betreiben. Eine echte Alternative hierzu ist nicht ersichtlich. Die beschriebene Spannung muss daher nicht nur ausgehalten, sondern auch ausgehandelt und gemanagt werden: mit konkreten Beiträgen zur Stabilisierung des demokratischen Rahmens des Geschäftserfolges. Es wird eine der großen intellektuellen und kommunikativen Herausforderungen der nächsten Jahre, bei Unternehmensvertretern den Sinn für dieses Eigeninteresse an politikstabilisierenden Maßnahmen zu schärfen. Das CPR-Konzept versteht sich als konkrete Hilfe, dieses Ziel zu erreichen. Druck gibt es aber ebenso in umgekehrter Richtung. Auch für willkürliche oder autoritäre Entscheidungen gilt: Politische Werte haben die Kraft, ökonomische Werte zu beeinflussen. Denken wir nur an Aktienkurse. Die Twitter-Botschaften des US-Präsidenten Trump, in denen er wütend gegen einzelne Unternehmen austeilt, lassen deren Börsenwert sinken. Dabei spielt auch eine Rolle, wie abhängig eine Firma von der Regierung ist: Dies gilt in besonderem Maße z. B. für die Rüstungskonzerne Lockheed Martin und den Luftfahrtkonzern Boeing, die auf Regierungsaufträge angewiesen sind. Unternehmen mit einem Business-to-consumer-Geschäftsmodell (B2C) haben es vergleichsweise leichter: Sie
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2 Verstehen: Wie der öffentliche Raum funktioniert
verkaufen direkt an die Konsumenten; der politischen Willkür sind damit Grenzen gesetzt (Kuls 2017). In jedem Falle aber gilt, dass nachhaltig positive Kursentwicklungen nur in einem stabilen politisch-rechtlichen Umfeld möglich sind. Andersherum gewendet: Die Zerstörung der politischen Kultur bedroht auch die Unternehmen. Dies zeigt sich am Beispiel der USA: „Kann sein, dass Trumps Regierung mit Investitionen und Deregulierung ein Konjunkturfeuer entzündet“, so der ZEIT-Journalist Uwe Jean Heuser (2017). „Aber gleichzeitig untergräbt sie mit ihrer Rhetorik und ihren Erlassen die Demokratie und schadet damit auf lange Sicht auch der Wirtschaft“. Und in Bezug auf den Umbau der Türkei in ein autoritäres Präsidialsystem – von einigen Investoren als unkritisch für den Geschäftserfolg gewertet – mahnt Christian Geinitz (2017), „dass erst offene Gesellschaften jene Unternehmen großgemacht haben, die jetzt bereit sind, darauf zu verzichten“. Beide Eckpfeiler unseres Gesellschaftsmodells sind deshalb herausgefordert: Die Ordnung der Wirtschaft sowie die Ordnung von Staat und Politik. Corporate Political Responsibility könnte ein Beitrag sein, das Vertrauen in beide miteinander verschränkten Ordnungen zu stärken, eben weil sie den Bürger und die gesellschaftlichen Teilbereiche in die Mitverantwortung nimmt, nachhaltigen Mehrwert verspricht und „ownership“ am Ganzen ermöglicht. Beide Ordnungsmodelle werden im Bewusstsein der Menschen durch CPR tiefer verankert. Dies ist deshalb so wichtig, weil für viele Menschen die liberale Gesellschaftsordnung ein „kaltes Projekt“ ist und an Zustimmung verliert, wenn deren Leistungsfähigkeit nachlässt. Wenn Ordnungsprinzipien wieder in den Vordergrund rücken, fällt die sachliche Auseinandersetzung mit rasant wachsenden Anspruchsgruppen leichter. Man denke nur an Forderungen nach stärkerer staatlicher Regulierung, z. B. beim Wohnen. Im Lichte des beschriebenen Veränderungsdrucks auf unseren staatlichen Ordnungsrahmen sollte ein umfassender Begriff des Politischen die Wechselwirkungen mit der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen reflektieren. Er sollte zum Ausdruck bringen, dass das Politische sich nicht nur im Meinungsstreit verschiedener Parteien erschöpft. Vielmehr geht es ganz grundsätzlich um die Gestaltung des Gemeinwesens und die Stärkung staatlicher Institutionen unter der Bedingung hinreichender gesellschaftlicher Akzeptanz. Dazu gehört zwingend eine Kultur der Öffentlichkeit, die Informationsaustausch und Diskussion gewährleistet. Um dieses umfassende Verständnis des Begriffes deutlich zu machen, könnte von „gesellschaftspolitischen Grundlagen“ gesprochen werden, in die Unternehmen im eigenen Interesse investieren sollten. Corporate Political Responsibility als Haltung, wie in Teil II beschrieben, unterstützt die Funktionsfähigkeit des demokratischen Ordnungsrahmens. Ohne „Leadership“ – gerade auch aus der Wirtschaft – wird dies in stürmischen Zeiten nur sehr schwer gelingen. Und es sollte noch etwas Weiteres hinzukommen: konkrete Beiträge von Unternehmen in bestimmten Handlungsfeldern, wie sie in Teil III beschrieben werden.
2.6 Der mentale Rahmen: Staatstragendes Ethos und gelebte politische Werte
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er mentale Rahmen: Staatstragendes Ethos und gelebte D politische Werte
Das Funktionieren des öffentlichen Raumes ist in einer Demokratie auf das konstruktive Mitwirken der Bürger angewiesen. Eine auf den Staat und seine Leistungen fixierte Haltung zeugt dagegen von einer obrigkeitlichen Gesinnung. Das ist eine Gefahr für die Demokratie, weil sie existenziell davon abhängt, dass die Bürger sie als ihre eigene Veranstaltung begreifen. Das bedeutet, bürgerliche Tugenden zu kultivieren und politisch aktiv zu werden. In anderen Worten: Die Bürgergesellschaft ist auf ein demokratisches Ethos angewiesen. Die gegenwärtige Krise der Demokratie und ihrer etablierten Parteien kann auch als eine Krise der an sie gestellten Erwartungen verstanden werden. Staatstragende Institutionen leiden an Überforderung. Bürgerethos muss dann heißen, den politischen Prozess in seiner Leistungsfähigkeit, aber besonders auch in seinen Grenzen zu verstehen – und dann bestmöglich zu stützen. Ein etwas illusionsloserer und gelassenerer Blick auf die Politik kann helfen, jene „große Gereiztheit“ in der heutigen Debatte zu überwinden, die der Soziologe Heinz Bude (2016, S. 14) oder die Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun (2020, S. 9) diagnostizieren. Voraussetzung dafür ist dann auch, dass Politiker nicht mehr den Eindruck vermitteln, alle Probleme des Landes lösen zu können. Ein Eingeständnis der eigenen Begrenztheit wäre eine vertrauensbildende Maßnahme; es würde die Bürger und die anderen organisierten gesellschaftlichen Akteure in die Pflicht nehmen und dem Vertrauensverlust der gesellschaftlichen Institutionen entgegenwirken. Das Böckenförde-Diktum Das Fortbestehen unserer demokratischen Gesellschaftsordnung ist nicht alleinige Aufgabe gewählter Abgeordneter, sondern abhängig von einer demokratischen Haltung der Gesellschaft insgesamt. Eine Verengung des Politischen auf Parteipolitik verkennt, welch breiten Bedeutungshorizont der Begriff aufspannt. Der hier beschriebene Gedanke stammt von dem bereits erwähnten Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde. Daraus ergibt sich prägnant, warum öffentliche Akteure wie Kirchen, NGOs und auch Unternehmen gesellschaftspolitische Verantwortung tragen, warum ihre demokratische Gesinnung so wichtig ist. In einem Interview hat Böckenförde sein berühmtes Diktum wie folgt dargestellt: „Der Staat ist darauf angewiesen, dass die Bürger gewisse Grundeinstellungen, ein staatstragendes Ethos haben, sonst hat er es schwer, eine am Gemeinwohl orientierte Politik zu verwirklichen. Wenn alle seine Ziele nur mit Zwang durchgesetzt werden müssten, wäre der Staat bald kein freiheitlicher Staat mehr“ (Rath 2009). Ethos und Werte Werte sind wichtig in der Politik – auch für die Wirtschaft. In diesem Sinne betont John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, „dass die Erfolgsaussichten des Westens nicht so schlecht aussehen. Auch Gegnern der Demokratie wird immer deutli-
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cher, dass wahre Verbundenheit und Vernetzung nur in einer Atmosphäre der Offenheit und Ehrlichkeit funktionieren können“. Denn: „Um was geht es in Zukunft? Um Wertschöpfung und Werte. Wertschöpfung überlagert als neue Maßeinheit den Gewinn als Maß für Erfolg oder Misserfolg. Das digitale Konzept eines ‚Mehrwerts‘ wird nicht allein durch Geldgewinn definiert. Russland feiert seine traditionellen Ambitionen, versagt aber dabei, Wertschöpfung zu generieren. Es kann drohen, aber nicht führen, und seine Aufholjagd ist im Gegensatz zu China von vornherein zum Scheitern verurteilt. Werte sind der Brennstoff der neuen Welt. Der Wettbewerb um die weltweite Kontrolle wird hart sein, aber westliche Werte sind wahrscheinlich das geeignetste Treibmittel für die digitale Zukunft. Warum? Weil Offenheit, Toleranz und Gerechtigkeit die besten Voraussetzungen für Innovation und für ein gesellschaftliches Gleichgewicht sind“ (2016; Hervorhebung durch den Autor). Der Zweiklang aus Werten und Wertschöpfung macht deutlich, dass letztere nicht ohne erstere zu haben ist. Werte werden insbesondere in der unübersichtlichen digitalen Welt immer wichtiger. Anders ausgedrückt: in unserer komplexer werdenden, sich ausdifferenzierenden Wissensgesellschaft. Jedes Urteil ist wertegebunden. Wie soll Wichtiges von Unwichtigem unterschieden werden, wenn nicht durch Urteilsfähigkeit? CPR- Projekte sollten an diesen Zusammenhang anknüpfen, indem sie die offene Gesellschaft und ihre Werte als Voraussetzung für unternehmerischen Gewinn stärken. Ein politisches Leitbild bzw. ein politisches Branding kann helfen, zielsicher die Bedeutung politischer Entwicklungen auf die Geschäftstätigkeit einzuschätzen und sich mit einer klaren Haltung zu positionieren. Demoralisierung und Gereiztheit Auch der Philosoph Peter Sloterdijk betont die Freiwilligkeit und Selbstverantwortung der Bürger und macht eine fatale Entwicklung aus: In unserem System nämlich sei der Gebende eigentlich der Schuldige. Dies ist für ihn „ein psychopolitischer Fehler, an dem die moderne Demokratie scheitern könnte. Die Etatisten aller Couleur nehmen das nicht ernst genug. Sie glauben, die Systeme laufen immer von selber. Unsere ganze Welt ist auf einem psychopolitischen Grundfehler aufgebaut, weil sie die Freiwilligkeitsdimension in all diesen Transaktionen zwischen Staat und Bürger nicht hoch genug schätzt“ (Steingart und Riecke 2011). Laut Sloterdijk ist der Worst Case für unsere Gesellschaft „die vollkommene allgemeine Demoralisierung“, auf die wir zusteuern: „Die kollektive Demoralisierung ist schlimmer als eine vorübergehende Rezession jemals sein kann. Rezessionen haben wenigstens eine begleitende Tugend, nämlich dass sie den Sinn für Maßverhältnisse wieder einüben. Nicht maßhalten im Sinne von Den-Gürtel-enger- Schnallen, sondern Maß nehmen im Sinne von Das-Gefühl-für-die-Proportionen-nicht-Verlieren. Seit Jahrzehnten leben wir in einer gespenstischen Atmosphäre, in der ständig verrückt machende Doppelbotschaften auf die Menschen einprasseln. Sie sollen zugleich sparen und verschwenden, sie sollen zugleich riskieren und solide wirtschaften, sie sollen hoch spekulieren und mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Auf die Dauer führt das zu einer absoluten Zermürbung. Derselbe demoralisierende Effekt geht auch von der Tatsache aus, dass die leis-
2.6 Der mentale Rahmen: Staatstragendes Ethos und gelebte politische Werte
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tungslosen Einkommen rasend schnell wachsen. Das vergiftet die jungen Leute, weil sie anfangen, sich in Scheinkarrieren hineinzuträumen. Das Ganze hat einen hässlichen psychologischen Namen: Der Traum von der Überbelohnung. Viele stehen am Morgen auf und wollen schon die Höchstprämie haben. Der innere Millionär ist in allen geweckt. Er ist nur noch nicht kongruent mit der real existierenden Person“ (Steingart und Riecke 2011).
Für Unternehmen lässt sich daraus folgende geschäftsrelevante Frage ableiten: Wie hoch ist das Demoralisierungspotenzial der Mitarbeiter, Kunden und Bürger, wenn keine schlüssige Antwort auf die Vereinbarkeit von hohen Renditezielen und gesellschaftlicher Verantwortung gefunden werden kann? Oder wenn westliche Werte, wie die Suche nach Wahrheit und vertrauenswürdigen Informationen, aus machtpolitischen Erwägungen zynisch manipuliert und relativiert werden? Dieses destruktive Potenzial, das die eigenen wirtschaftlichen Grundlagen gefährdet, sollte ernst genommen werden. Hier geht es um mehr als soziale und ökologische Verantwortung. Es geht um die mentalen Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in einer wehrhaften Demokratie. Corporate Political Responsibility kann hier konstruktive Beiträge leisten. Ein Ansatz ist bereits, das Problem klar zu benennen; konkrete Gegenstrategien könnten folgen. Wer demoralisiert und resignativ wird, hält sich selbst und andere für wehrlos. Das kann nur schwer ein guter, motivierter Mitarbeiter sein. Was passiert, wenn zu dieser Diagnose noch die Gereiztheit durch die Digitalisierung hinzukommt – quasi als Brandbeschleuniger? Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen verweist auf die mittlerweile weit verbreiteten „Verführungs- und Manipulationsfantasien“ – von „übermächtigen Frames, raffiniertem Mikrotargeting und den allgegenwärtigen Algorithmen“. Dies sei „ein Symptom, und zwar für die Arroganz, den Antiliberalismus und den Aufklärungspessimismus ihrer Vertreter, die das potenziell mündige Subjekt und das eigenständige Individuum in ihren Großthesen vorschnell verabschieden“. Er beschreibt in seinem Buch Die große Gereiztheit, wie wir uns im digitalen Dorf unerträglich nahekommen. Es gibt demnach zwar Filterblasen, aber letztlich können Menschen sich nicht ausweichen, es kommt unweigerlich zum „Filtercrash“. Vernetzung verstört, denn „sie verhindert die Flucht in die informationelle und die emotionale Isolation“. Die fortwährende Konfrontation, „der Distanzverlust im Verbund mit konstanter ‚Feindberührung‘ polarisiert und erzeugt große Gereiztheit“ – das sei anstrengend (Huber 2019). Damit es nicht zu einer „apokalyptischen Eskalationsrhetorik“ und einer weiteren „Überhitzung des Kommunikationsklimas“ kommt, empfiehlt Pörksen Aufklärungsoptimismus im Hinblick auf eine „medienmündige Gesellschaft“. Um mit dem Informationsreichtum und der Medienmacht richtig umzugehen, könnten wir uns in Richtung einer „redaktionellen Gesellschaft“ entwickeln und uns an den Maximen des guten Journalismus orientieren. Deren Ethik heißt für die Allgemeinheit ganz konkret: „Analysiere deine Quellen! Prüfe erst, publiziere später! Höre immer auch die andere Seite! Mache ein Ereignis nicht größer als es ist, orientiere Dich an Relevanz und Proportionalität!“. Pörksen hält für das Kernproblem, dass wir heute zwar medienmächtig, aber nicht medienmündig sind. Seine Hoffnung ist, dass in der zukünftigen redaktionellen Gesellschaft diese Maxi-
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men ein Element der Allgemeinbildung darstellen und schon in der Schule erlernt werden (Huber 2019). Man könnte einwenden, dass diese medienwissenschaftlichen Diagnosen zu eingenommen vom eigenen Gegenstand sind und das eigentliche Problem eher im gesellschaftlich- politischen Bereich (Populismus, Nationalismus etc.) angesiedelt ist. Aber hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Es ist in jedem Falle bemerkenswert, dass seit der verstärkten Kampagnenfähigkeit von Randgruppen, ermöglicht durch das Internet, die gesellschaftliche Stimmung deutlich unversöhnlicher geworden ist, obwohl z. B. die wirtschaftliche Situation kaum einen Anlass dafür bietet. Um Orientierung bei ethischen Fragen bemüht sich Thomas Hutzschenreuter, der eine dreistufige Entscheidungskaskade für Unternehmen auf Basis vorab definierter Werte entwickelt hat, die auch eine angemessene CPR-Haltung inspirieren kann. Erste Stufe: Falls Handlungsmöglichkeiten des Unternehmens gegen selbst gesetzte (politische) Werte verstoßen, wird zugunsten der Werte entschieden. Hier besteht gewissermaßen eine rote Linie. Auf der zweiten Stufe stehen gesamtgesellschaftliche Interessen gegen die Handlungsmöglichkeiten, aber nicht gegen die selbst gesetzten Unternehmenswerte. Außerdem mangelt es auf gesellschaftlicher Ebene an Lösungen. Hier wird zugunsten des Unternehmensinteresses entschieden. Schließlich sind gesamtgesellschaftliche Interessen, Handlungsmöglichkeiten und eigene (politische) Werte auf der dritten Stufe gleichgerichtet. Hier besteht offensichtlich kein Wertekonflikt (Hutzschenreuter 2019). Die Pflicht zum Optimismus und konstruktiven Handeln Haltung und Werte sind keine Selbstverständlichkeit und müssen stets neu eingeübt werden. Dazu gehört auch eine optimistische Grundeinstellung, gerade der Eliten, die begründete Zuversicht verbreiten sollten, damit sich Demoralisierung und Gereiztheit nicht verfestigen. Der Soziologe Heinz Bude beschreibt einen Teil des Problems: „Wer heute das Publikum davon überzeugen will, dass alle Wahrheiten relativ sind und auf nichts mehr Verlass ist, rennt offene Türen ein“. So diagnostiziert er, ähnlich wie Sloterdijk, ein kollektives Unbehagen am Kapitalismus, wobei die „heimatlosen Antikapitalisten“ ein wenig gereizter als die anderen, die „Systemfatalisten“, seien (Bude 2016, S. 11, 14). Permanente Gereiztheit oder Indifferenz gegenüber der Gesellschaft und der Welt kann sich ein ambitioniertes Land jedoch nicht leisten. Denn so leistungsstark ist unser Staat nicht. Es gilt deshalb, dem Negativismus, Fatalismus und Zynismus entgegenzutreten, denn sie bilden keine Alternative für die menschliche Existenz und der Suche nach Wahrheit. Antonio Gramsci prägte dazu das Bonmot: „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ (Gramsci 1991). Keine Frage, manche Zukunftsaussichten stimmen sorgenvoll. Und auch wenn in der Moderne die großen Ideale ambivalent geworden sind: Gesellschaftliche Eliten haben die Pflicht zum Optimismus. Demokratie lebt von der Prämisse der Gestaltbarkeit der Welt. Es ließe sich trefflich philosophieren, welche persönlichen Quellen der Stabilisierung und der Sinnstiftung in diesen gereizten Zeiten hilfreich wären. Welche Voraussetzungen braucht die freiheitliche Demokratie? Menschen
2.6 Der mentale Rahmen: Staatstragendes Ethos und gelebte politische Werte
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in vielen Regionen der Welt würden von ihrem Glauben und ihrem Patriotismus berichten und einer kraftvollen Bildung in diesem Sinne das Wort reden. Aber auch diese Kategorien sind ambivalent und haben in der Variante von Intoleranz und Nationalismus eine destruktive Seite. In Deutschland sind die Quellen der Sinnstiftung nicht offensichtlich. Traditionelle gesellschaftliche Bezugsrahmen wie Nation und Kirche haben gerade in Deutschland wesentlich an Kraft verloren. Bei uns ist die Nation seit 1945 eine schwierige Kategorie, wenngleich die offene gesellschaftliche Diskussion über die Lehren aus der Geschichte und die richtigen Werte Teil der deutschen Identität und Orientierung geworden sind. Hinzu kommt: Kaum ein Land hat mehr Kirchenaustritte als die Bundesrepublik; der Glaube spielt in der öffentlichen Diskussion nur noch eine untergeordnete Rolle. Sinnstiftend können auch Fortschrittsglaube und Optimismus sein; für Gesellschaften und insbesondere den unternehmerischen Erfolg sind sie sehr wichtig. Aber in Deutschland sind beide nicht besonders ausgeprägt. Paradoxerweise werden sie hier durch die sprichwörtliche „German Angst“ ausgeglichen. Diese wurde unlängst als wesentliche Antriebskraft für unsere Wirtschaftskraft ausgemacht (Biess 2019). Auch wird Angst immer wieder als Triebfeder für persönlichen Erfolg identifiziert (Shafy 2010). Für ein Gemeinwesen, seine Entscheidungsträger und das notwendige Bürgerethos kann Angst allerdings keine belastbare Kategorie sein. Trotz solcher Schwächen ist offensichtlich, dass die Deutschen – auch im internationalen Vergleich – eine starke Demokratie aufgebaut haben, die auch von entsprechenden Einstellungen und Werten getragen wird. Doch ist dieser Zustand eben keine Selbstverständlichkeit. Wie würde die bundesrepublikanische Gesellschaft einen tiefen Wirtschaftsabschwung mit damit einhergehenden Wohlstandsverlusten verkraften? Es gilt also, wachsam zu bleiben und alle konstruktiven Kräfte zu stärken. Unternehmen mit ihrem quasi eingebauten Fortschrittsoptimismus sind hier für die Gesellschaft ein notwendiger, Mut machender Akteur. Unternehmen sollten sich fragen, was sie in Zeiten brüchiger politischer Rahmenbedingungen stabilisierend beisteuern können. Beiträge für die politische Bildung und Persönlichkeitsentwicklung sind naheliegend. Zwischenfazit Der öffentliche Raum mit seinen Institutionen und Debatten ist in einem fundamentalen Wandel begriffen. Der gesellschaftliche Konsens in wesentlichen Fragen wird oberflächlicher und brüchiger. Dies gilt z. B. für die Soziale Marktwirtschaft (siehe Eigentumsfrage), die polarisierte Debattenkultur oder die Außen- und Sicherheitspolitik (siehe die Kontroversen über Auslandseinsätze) in Zeiten verschärfter externer Bedrohungen – ausgehend von Ländern, die zugleich wichtige Wirtschaftspartner sind, beispielsweise Saudi-Arabien, Russland, China und in Teilen auch die Türkei. Gleichzeitig stößt die staatliche Leistungsfähigkeit durch Globalisierung und Digitalisierung an ihre Grenzen, weil nationale politische Steuerung durch diese Entgrenzungsphänomene erschwert wird. Angesichts dieser Lage braucht es die notwendige Neuvermessung und Neugestaltung des öffentlichen Raumes durch produktive Beiträge von Unternehmen. Einerseits sollten sich Unternehmen,
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die politische Verantwortung übernehmen wollen, mit der jeweiligen politischen Kultur ihrer Standorte beschäftigen. Andererseits gilt es, die internationalen Bezugsebenen zu verstehen: die EU plus Großbritannien, die besondere Beziehung zu den USA sowie der NATO. Unternehmen und Verbände, wie alle anderen Teile der Gesellschaft, müssen sich fragen, ob sie den gegenwärtigen Trends tatenlos zusehen oder sich im eigenen Interesse stärker engagieren wollen. Wichtig ist, sich nicht im politischen Tagesgeschäft zu verzetteln, aber doch eine realistische Einschätzung und einen Kompass in Grundsatzfragen zu entwickeln. Das erfordert Analysefähigkeiten, die sich Unternehmen ab einer bestimmten Größe leisten sollten. Am Ende müssen konkrete Handlungen stehen.
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Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
Zusammenfassung
Den öffentlichen Raum neu zu beleben, bedeutet, die Besorgung öffentlicher Güter nicht allein dem Staat zu überlassen. Diese Verbreiterung der Verantwortung für kollektive Interessen firmiert als Governance. Der Staat kann Handlungsfähigkeit gewinnen und sich auf seine Kernaufgaben fokussieren, wenn private Akteure wie Unternehmen ihre fachlichen, prozessualen und kommunikativen Ressourcen für öffentliche Anliegen einsetzen. Ohnehin sind Unternehmen bereits politische Akteure: als Arbeitgeber, Steuerzahler oder Interessenvertreter. Diese Rolle gilt es anzunehmen. Denn Politik gehört in die Mitte der Gesellschaft: nicht nur in die Betriebe, sondern auch die Medien, Kultur, Wissenschaft oder Kirche. Dabei gilt es, den Primat des Politischen zu wahren. Die Legitimität des demokratischen Prozesses darf nicht unterlaufen werden. Grundlagen für eine vitale Öffentlichkeit sind politische Bildung, das Einüben einer Debattenkultur und verantwortungsbewusste Führungseliten.
In diesem Kapitel werden zahlreiche mögliche Hebel für die Neugestaltung des öffentlichen Raumes vorgestellt. Was muss getan werden, damit politische Verantwortung auf eine breite Basis gestellt wird?
3.1
teuerungsfähigkeit wiedergewinnen: das S Governance-Konzept
Worum geht es bei der Neuvermessung des öffentlichen Raumes? Es geht darum aufzuzeigen, was alle gesellschaftlichen Akteure tun können, um zu funktionierender Staatlichkeit beizutragen – der Kernvoraussetzung ihrer eigenen Entwicklungsmöglichkeiten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_3
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
Diese Aufgabe ist zu groß, um sie allein den klassischen politischen Akteuren zu überlassen. Für die Rückgewinnung staatlicher Steuerungsfähigkeit braucht es daher nicht bloß „Government“ – also die Regierung – sondern „Governance“. Denn dieser Begriff lässt Raum für politisches Handeln von Akteuren außerhalb der regulären politischen Institutionen. Was ist mit Governance gemeint? Ganz allgemein beschreibt es die Erbringung von Leistungen in einem Gemeinwesen. Corporate Political Responsibility ist also eng mit Governance verknüpft, und zwar im Hinblick auf deren zwei zentrale Ausprägungen: zum einen die Formulierung und Durchsetzung von verbindlichen Regeln in einem Gemeinwesen („Spielregeln“) und zum anderen die Produktion und Verteilung von kollektiven Gütern (Schubert und Klein 2018). Governance umfasst somit sowohl den Gesetzgebungsprozess bis hin zur Implementierung als auch die Verwaltung und öffentliche Daseinsvorsorge. Entscheidende Bereiche sind äußere und innere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Eigentumsund Vertragssicherheit, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur. Konkret ließen sich z. B. Straßen und Kindergärten nennen. Die Erbringung von Governance-Leistungen basiert immer auf Soll-Zuständen, die sich an Leitbildern, Werten und Nutzen für das Gemeinwesen orientieren – z. B. Gerechtigkeit, sozialer Friede oder wirtschaftlicher Wohlstand. Die Besorgung öffentlicher Leistungen muss nicht zwangsläufig durch den Staat erfolgen. „Öffentlich“ bezieht sich lediglich darauf, dass die Leistung dazu dient, verbindliche Regeln mit kollektivem Nutzen zu etablieren und/oder Kollektivgüter bereitzustellen. Die Erbringer von Governance-Leistungen können auch private Individuen, Gruppen, Verbände und Organisationen sein – und sind es vielmals auch. Zum Beispiel ist Bill Gates mit seiner Bill & Melinda Gates Foundation einer der wichtigsten globalen Akteure im Gesundheitssektor. Die NGO Save the Children verbessert das Leben von Kindern, indem sie deren Rechte, Bildung und Gesundheit stärkt. Insbesondere aber sind es die Unternehmen, die den Staat mit Governance-Leistungen unterstützen können – durch CPR. Sie besetzten damit ein Vakuum und ergänzten die öffentliche Regelungs- und Dienstleistung. Mit ihren finanziellen, kommunikativen und wissensbasierten Ressourcen sind Unternehmen wichtige gesellschaftliche „Stabilitätsproduzenten“. Natürlich gilt bei all dem der Primat des Politischen. Der Grund für diesen Primat liegt in der demokratischen Legitimation der Politik im Unterschied zur funktionalen Legitimation der Privatwirtschaft. Die Politik erhält in Wahlen ein explizites Mandat der Bürger. Die Wirtschaft zieht ihre Existenzberechtigung vor allem aus dem Verkauf von Produkten und Dienstleistungen. Das grenzt Politik klar ab und verschafft ihr eine besondere Stellung. Ziel von CPR kann deswegen nicht die Vereinnahmung des Politischen durch die Wirtschaft sein. Vorbehalte sind also durchaus angebracht angesichts des hier geforderten verstärkten gesellschaftspolitischen Engagements von Unternehmen. Aber Argumente, die die Sphären von Wirtschaft und Politik vollständig auseinanderhalten wollen, verkennen erstens, dass Überlappungen unumgänglich und zweitens zumindest partiell auch wünschenswert sind.
3.1 Steuerungsfähigkeit wiedergewinnen: das Governance-Konzept
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Wo liegen die Überlappungen zwischen Politik und Wirtschaft? Politik steuert Wirtschaftsverhalten über Regelsetzungen und Anreize, die Wirtschaft wiederum vertritt ihre Interessen gegenüber der Politik – ohnehin ist sie als Arbeitgeber, Steuerzahler und Produzent von Waren und Dienstleistungen nolens volens politischer Akteur. Die Frage ist dann nicht länger, wie Unternehmen aus der Politik herausgehalten werden können, sondern wie ihr zwangsläufiger Einfluss verantwortungsvoll gestaltet werden kann. Warum ist politisches Engagement der Wirtschaft wünschenswert? Neben dem Gebot der Legitimation steht dasjenige der Effizienz und Effektivität von staatlichen Governance-Leistungen. Wie argumentiert, steht die Politik im 21. Jahrhundert unter massivem Druck, aktiv den Kurs zu bestimmen und sich nicht nur durch multiple Krisenphänomene treiben zu lassen. Das Wagnis besteht also darin, Steuerungsfähigkeit durch partielle Delegation von Aufgaben an die Wirtschaft zurückzugewinnen. Diese kann ihre fachliche Expertise, ihr prozessuales Wissen sowie ihr finanzielles Kapital einbringen, um den Staat – und damit sich selbst – zu stützen. Wo aber verläuft dann die Grenze zwischen privat und Staat? Nur der Staat ist berechtigt, Zwangsmaßnahmen anzuordnen und zu vollstrecken. Idealerweise übernimmt er, gesteuert von der Politik, die Rolle eines Schiedsrichters und Normensetzers, der den Gesamtüberblick wahrt, Kompetenzen verteilt, Kontrollfunktionen ausübt und ultimative Entscheidungen trifft. Dies sind Kriterien der Abgrenzung; es ist keine erschöpfende Definition, deren Versuch stets Gefahr läuft, den Begriff des Politischen zu eng oder zu weit zu fassen. In jedem Fall hat demokratische Legitimation Vorrang, auch vor als gut empfundenen Governance-Leistungen. Die vielschichtige Beziehung zwischen privat und Staat muss dahingehend austariert werden, dass Gemeingüter in hoher Qualität bereitgestellt werden und gleichzeitig gesellschaftliche Legitimation gewahrt bleibt. Diese beiden Gebote können miteinander in Konflikt stehen, sich aber durchaus auch gegenseitig befördern. Denn langfristig gilt: keine adäquaten Governance-Leistungen ohne Rückhalt der Bürger; und kein Rückhalt der Bürger ohne adäquate Governance-Leistungen. Vor diesem Hintergrund könnte dann von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine unternehmerische Intervention im gesellschaftspolitischen Bereich im Sinne von CPR zu begrüßen oder als inakzeptable Überschreitung von Kompetenz und Rollenfunktion zurückzuweisen ist. Die Frage stellt sich nicht nur bezogen auf Unternehmen im engeren Sinne, sondern auch mit Blick auf die großen Philanthropen unserer Zeit, die ihre gesellschaftspolitischen Aktivitäten aus ihrem unternehmerischen Vermögen finanzieren. Strikt betrachtet handelt es sich hierbei nicht um CPR, denn als gesellschaftspolitischer Akteur tritt nicht ein Unternehmen, sondern die Stiftung oder NGO des Philanthropen auf. Die Personalisierung des Engagements macht jedoch überaus konkret, welchen Einwänden CPR zu begegnen hat. Wieviel Einfluss darf ein Individuum bzw. ein Unternehmen auf die Politik haben, obwohl es außerhalb ihrer klassischen Institutionen steht? Und welche Rolle spielt, wie der Reichtum zustande kam, der nun der Finanzierung politischer Zwecke dient? Ein Beispiel ist der ungarisch-amerikanische Hedgefonds-Betreiber George Soros mit seiner Open Society Foundation. Sein Geld erwarb er mit gewaltigen, kontrovers
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
eurteilten Spekulationen. Aber auch die Arbeit seiner politischen Stiftung ist nicht unb umstritten. Die Förderung offener Gesellschaften – besonders in ehemals kommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas – scheint aus freiheitlich-demokratischer Perspektive sinnvoll und löblich. Dennoch kursiert die Kritik, dies sei eine ungeheure Machtanmaßung einer Einzelperson. Denn für Interessenausgleich und die Gestaltung des Gemeinwesens seien gewählte Politiker zuständig. Ähnliche Abwägungen gelten für den bereits genannten Bill Gates oder für Mark Zuckerberg mit seinem Plan, nahezu sein gesamtes Vermögen zu spenden und damit zig Milliarden Dollar in selbst gewählte Projekte zu lenken. Immer geht es um die Balance, einerseits das Engagement aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu honorieren, andererseits aber den Primat der Politik zu wahren. Die oben genannten Kriterien der Abgrenzung von privat und Staat könnten ein Ansatzpunkt sein, dabei nicht den Kompass zu verlieren. Im Zuge der Digitalisierung ist das Internet zu einem besonders relevanten Bereich für unternehmerische Governance-Beiträge avanciert. Das Internet bzw. der Cyberspace1 sind in den letzten Jahrzehnten zur Lebenswelt und zum Lebensraum für Milliarden von Menschen weltweit geworden (Singer und Friedman 2014 S. 13). Ein Großteil der gesellschaftlichen Kommunikation findet dort statt, Millionen von Dienstleistungen werden durch das Internet bereitgestellt und riesige Volumina des weltweiten Handels abgewickelt. Dies ermöglicht enorme Wohlstands- und Nutzengewinne. Nicht zuletzt haben die neuen Medien zur Bildung von schlagkräftigen Demokratiebewegungen, beispielsweise im Arabischen Frühling, beigetragen. Doch die Möglichkeiten des Internets haben auch für kriminelle Zielsetzungen neue und effektive Wege eröffnet. Internetkriminalität nimmt einen immer größeren Anteil in den Verbrechensstatistiken ein (Bundeskriminalamt 2011). Internationalität, Dezentralität und Anonymität des Internets machen eine effektive Governance durch den Staat schwierig. Das öffentliche Gut „Cybersecurity“, also die Gewährleistung der Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Daten eines legitimen und legalen Nutzers – die Grundlage des Vertrauens in den Wirtschafts- und Lebensraum Cyberspace –, ist durch staatliche Behörden allein nicht zu erreichen; private Unternehmen müssen ihren Anteil leisten. Das gilt für nahezu jede Komponente staatlicher Informationsarchitekturen (Singer und Friedman 2014, S. 34, 196). Privaten Akteuren, vor allem Internet-Unternehmen, kommt dabei eine große Verantwortung zu, wenn es um die Sicherung und Aufrechterhaltung des Cyberspace geht. Dazu Singer und Friedman (2014, S. 216): „Cyberspace may be a realm of public concern, but many, if not most, of the decisions to secure it are and will continue to be made by private actors“. Dieser unternehmerischen Verantwortung gilt es gerecht zu werden – allein schon aus dem Interesse heraus, mit dem Cyberspace den eigenen „Marktplatz“ zu sichern und das Vertrauen in ihn aufrechtzuerhalten. Allerdings sind einige Tech-Firmen schon selbst zu staatsähnlichen Gebilden mutiert. Polemisch gesagt, brauchen sie den Staat teilweise gar „Cyberspace is the realm of computer networks (and the users behind them) in which information is stored, shared and communicated online“ (Singer und Friedman 2014 S. 13).
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3.2 Demokratische Wehrhaftigkeit durch persönliche und politische Bildung
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nicht mehr, sondern bieten eigene Kollektivgüter an – z. B. Gesundheit, Bildung und Mobilität; sogar eigene Zahlungssysteme werden denkbar, wie das Libra-Projekt von Facebook zeigt. Dennoch gilt selbstverständlich, dass hoheitliche Aufgaben nur vom Staat ausgeübt werden können. Corporate Political Responsibility auf Basis des Governance-Konzeptes ist auch ein Aufruf, die „typisch deutsche“ Staatsgläubigkeit zu überwinden. Genauer: den Glauben, dass nur klassische Akteure aus Politik und Verwaltung den Staat tragen. Dies ist im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung nicht mehr realistisch. Die Chance einer Ertüchtigung des Staates liegt heute darin, den Begriff des Politischen in die Mitte der Gesellschaft zu rücken – und damit auch in den Betrieb. Hier kann Orientierung geschaffen werden, insbesondere da Volksparteien die Fähigkeit verlieren, den vorpolitischen Raum zu besetzen, um Themen früh aufzugreifen und Interessen zusammenzuführen. Wenn die Gesellschaft modernitätsgetrieben enormen Fliehkräften ausgesetzt ist, müssen alle Teilbereiche daran mitwirken, neue Bindungen herzustellen, um den Staat zu stabilisieren. Das Rekurrieren auf das Governance-Konzept wird den öffentlichen Raum neu beleben, weil es das Bewusstsein für die Gestaltungsmöglichkeiten aller gesellschaftlichen Akteure stärkt. Eine solche „Politisierung der Mitte“ verspricht, einer demokratieschädigenden Kraftlosigkeit, Indifferenz und Passivität entgegenzutreten. Politisierung verlangt nicht permanente Einmischung in jedweden Meinungsstreit, sondern ein Verständnis der langen Linien einer klugen öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie schult die Fähigkeit, Dinge in ihren Proportionen zu erkennen und widersteht der Versuchung, in Moralismus und Gefühligkeit abzugleiten. Sie verlangt die Kultivierung eines Bewusstseins von den Grundlagen der eigenen Freiheit, des Friedens und des Wohlstandes – ein Gebot nicht unbedingt des Altruismus, sondern des strategischen Kalküls. Der Einsatz für diese Grundlagen verlangt Wehrhaftigkeit.
3.2
emokratische Wehrhaftigkeit durch persönliche und D politische Bildung
Bildung ist eine Grundvoraussetzung für die wirksame Teilnahme im öffentlichen Raum und seiner Neugestaltung. Es wird Zeit, die Grundlagen für Demokratie, Freiheit und nachhaltiges Wirtschaften durch eine entschiedenere persönliche und politische Bildung zu stärken. Damit sollte bereits früh, in den formativen Jugendjahren, begonnen werden. Wichtig dabei sind selbstverständlich funktionierende Familien, in denen sich staatsbürgerliche Haltungen entwickeln können. Institutionell betrachtet sind jedoch vor allem die Schulen gefordert, später dann auch andere Bildungsträger – es ist nie zu spät. Seit vielen Jahren führen endlose Bildungsdebatten zu wenig konkreten Ergebnissen, was sich auch an den Investitionen ablesen lässt. Deutschland lag 2018 mit 4,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Bildung unter dem OECD-Schnitt von 5 Prozent, vor allem mit vergleichsweise niedrigen Investitionen in der frühkindlichen Bildung (Schmoll
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
2019). Immerhin sind seit 2017 die Bildungsausgaben in Deutschland deutlich erhöht worden, allerdings nicht gemessen am Wirtschaftswachstum (Spiegel Online 2018; Statista 2018).2 Doch wird dieses Geld auch richtig eingesetzt? Folgen die eingesetzten Mittel einem sinnvollen strategischen Ansatz? Steht der Mensch bzw. Schüler wirklich im Mittelpunkt, also die Würde und Autonomie des lernenden Menschen? Was muss Bildung angesichts der Unsicherheiten des digitalen Wandels leisten, damit junge Menschen zu freien, selbstbestimmten und urteilsfähigen Personen heranwachsen können? Und wo liegen möglicherweise die Gefahren einer Verzweckung von Bildung? Nur durch die Beantwortung dieser Fragen werden auch die persönlichen Voraussetzungen geschaffen, konstruktive gesellschaftliche Debatten führen und den Primat des Politischen gegen die negativen Folgen des wirtschaftlichen Innovationsdrucks wahren zu können. Das wäre wahre Nachhaltigkeit in der Bildung. Auch im digitalen Wandel bleibt daher klassische Bildung als Anleitung zur freien Ausformung von Identität unersetzlich. Persönlichkeitsbildung heißt, Selbstbewusstsein zu entwickeln, sich also im Wortsinn seiner selbst bewusst zu werden, eigene Potenziale kennenzulernen, zu reflektieren und zu entfalten. Es geht eben nicht um „digitale Persönlichkeitsbildung“, sondern im Kern um die nach wie vor analogen Bildungskompetenzen, die es zum Verständnis der digitalen Technologien benötigt. So wachsen idealerweise informierte und verantwortungsbewusste junge Menschen heran, die sich um Wissen bemühen und die es treibt, Gesellschaft zu gestalten. Neben analytischen Fähigkeiten, stehen dabei die normativen – also wertegebundenen – Urteile. Denn Werte fungieren als Basis unserer Weltbetrachtung, sie orientieren unser Denken und Handeln; sie geben uns Halt. Mit anderen Worten: Sie ermöglichen das Einüben einer Haltung als normative Grundierung unseres Urteilens und Handelns. Dies ist essenziell für unser gesellschaftliches Miteinander, sie zu kultivieren daher eine zentrale Aufgabe von Institutionen, die den Anspruch erheben, als Träger von Bildung zu gelten. Dazu gehören ganz sicher Schulen, aber auch Kultureinrichtungen und Unternehmen. Digitale Bildung sollte nicht verkürzend mit einem kompetenten Umgang mit technischen Anwendungen verwechselt werden. Vielmehr geht es – ähnlich wie bei der klassischen Bildung – zunächst darum, wirtschaftliche, gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Verhältnisse zu erkennen. In einem zweiten Schritt geht es bei digitaler Bildung im Sinne der Ausformung von Urteilsvermögen vor allem um Technikfolgenabschätzung bzw. die Verantwortbarkeit von Fortschritt. Dies betrifft insbesondere die künstliche Intelligenz, also die Automatisierung intelligenten Verhaltens. Dabei stellen sich für das künftige Verhältnis zwischen Mensch und Maschine zahlreiche Fragen: Wie kann der notwendige Wertekompass in dieser neuen Zeit aussehen? Wie bewahren wir unsere Würde als Mensch? Was macht uns einzigartig? Und wie wehren wir uns gegen schädliche wirtschaftliche und technologische Entwicklungen bei gleichzeitiger Nutzung digitaler Humanisierungspotenziale? 3,9 Prozent oder 5 Milliarden Euro mehr als in 2016 (Spiegel Online 2018), Höhe der gesamten öffentlichen Bildungsausgaben im Deutschland von 1995–2018 (Statista 2018).
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3.2 Demokratische Wehrhaftigkeit durch persönliche und politische Bildung
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Das ganzheitliche Verständnis von Bildung ist in Zeiten von selbstlernenden Maschinen umso wichtiger. Denn die Halbwertszeit reinen Anwendungswissens wird angesichts der beschleunigten Innovationssprünge immer geringer. Ein funktionalistischer Ansatz, der nur auf die unmittelbare Verwertbarkeit und Zweckhaftigkeit des Gelernten abstellt, springt daher deutlich zu kurz – und ist gefährlich für unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung. Er wird dem, was Menschsein bedeuten kann, nicht gerecht. Wir brauchen selbstverständlich weiterhin fachliche Ausbildung, aber auch ein Mehr an Bildung, die Orientierung bietet und politische Teilhabe ermöglicht. Politische Partizipation sollte beispielsweise der Verengung der Debatten in Blasen eine ganzheitliche Sicht und eine offene Weltanschauung gegenüberstellen. Eine Gesellschaft mit abgeschotteten Identitätsgruppen kann nicht weltoffen und zukunftsfähig sein. Es gilt, den fairen Umgang mit Andersdenkenden zu pflegen und eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, die dem anderen in erster Linie Wohlwollen entgegenbringt. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung für ein gemeinsames und konstruktives Handeln im öffentlichen Raum. Damit der Kampf verschiedener Anspruchsgruppen um Deutungshoheit nicht immer unversöhnlicher wird, sollte eine neue Form der Verständigung und des Interessenausgleichs eingeübt werden. Moderner Unterricht lehrt junge Menschen das kritische Denken und befähigt sie damit zu souveränen, mündigen Bürgern. Die Anleitung zur freien Ausformung von Identität erweist sich als bemerkenswert aktuell – gerade im Digitalzeitalter. Nur mit einer entsprechenden Haltung, vor allem dem Vertrauen der Schüler in sich selbst, können die komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen richtig eingeordnet werden. Drei Ziele der Persönlichkeitsbildung (und mittelbar der politischen Bildung) sind zentral, damit demokratische Gesinnung und Wehrhaftigkeit gelingt: Erstens eine neue Diskursfähigkeit, die nicht nur die eigenen rhetorischen Fähigkeiten, sondern auch die Fähigkeit des Zuhörens in den Blick nimmt. Wer sich empathisch um ein echtes Verständnis des Gegenübers bemüht, wird neue, gemeinsame Lösungsansätze finden. Die Herausforderung lautet: Den Mitmenschen wirklich wahrnehmen! Dies kann eingeübt werden. Der oft praktizierte Ansatz, mit seinen Argumenten unbedingt „gewinnen“ zu wollen, egal wie gut die Argumente des anderen sind, ist zu wenig konstruktiv; die Ergebnisse dieser eindimensionalen Diskursform haben sich, kultiviert an britischen Universitäten, bei dem Thema Brexit im britischen Parlament beobachten lassen. Diese Form des argumentativen Schlagabtausches hat sich abgenutzt. Stattdessen sollte der souveräne Umgang mit Konflikt und Konsens im Vordergrund stehen, um als Bürger später gesellschaftspolitische Beiträge leisten zu können. Zweitens gilt es, das assoziative Denken zu fördern, um steigende Komplexität zu durchdringen. Dies setzt inhaltliche Kompetenz und Kreativität voraus, denn nur so können Zusammenhänge erkannt und Chancen unorthodox ergriffen werden. Drittens, und damit eng zusammenhängend, wird es darauf ankommen, die Dinge in den Proportionen zu erkennen. Dies erfordert die Schulung des Urteilsvermögens – die entscheidende Fähigkeit inmitten technologischer und gesellschaftlicher Umwälzungen. Im Kern geht es darum, das im Menschen angelegte Unterscheidungsvermögen zu wecken und auszuprägen,
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um Wesentliches von Unwesentlichem trennen zu können. So lässt man sich nicht ins Bockshorn jagen, sondern lebt souverän und entsprechend seiner eigenen Haltung. Daraus ergibt sich der nächste Schritt: der Drang, ins Handeln zu kommen – auch für andere und die Gemeinschaft. Die notwendige Haltung der demokratischen Wehrhaftigkeit kann anhand konkreter Praktiken im Unterricht eingeübt werden, von der konstruktiven Diskussion bis hin zur intensiven persönlichen Betreuung von Schülern in Form von Lerncoachings. Eine überzeugende Methode ist der sogenannte Klassenrat, eine Demokratieübung im Kleinen, der bei kontroversen Diskussionen Werte wie Fairness, Gesichtswahrung und Verzeihen in den Vordergrund stellt. Durch Einigung auf gemeinschaftliche Interessen erlernen Schüler einen verantwortungsvollen Gebrauch von Macht. Im Idealfall sind eigene Sprache und eigenes Handeln dabei stimmig. Eine weitere Methode ist die Diskussion der Lernerwartungen von Schülern. Der Austausch über individuelle Wünsche und Potenziale stärkt den Mut, den eigenen Lebensweg konsequent zu beschreiten. Mit solchen Praktiken wird ein wichtiges Bildungsideal gestärkt, nämlich Reflexion als Ressource der Lebenskunst zu entdecken – der Kunst, sein Leben zu führen und nicht bloß geschehen zu lassen. Denn richtig verstanden ist Bildung die Befähigung zur Lebenskunst. Im digitalen Zeitalter, so der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, muss es als Kontrapunkt zur Reizüberflutung um die Einübung genau jener Lebenskunst gehen. Lebenstauglichkeit und Medienmündigkeit hängen zusammen: Man muss entscheiden können, was man wann an sich heranlässt. Neben dem Eintauchen in Informationswelten sollte der zeitweise Rückzug daraus stehen, um Kreativität und Konzentration Raum zu geben. Auch sollten sich insbesondere Kinder und Jugendliche eine reflektierte Art des öffentlichen Sprechens aneignen. Bei diesem Erlernen von Basisfähigkeiten handelt es sich laut Pörksen (2017, S. 9) um einen gigantischen Bildungsauftrag. Für dieses Großprojekt sollte die klassische Beschäftigung mit mehr oder minder kanonisierten Bildungsinhalten breiten Raum einnehmen, um einen in der Gesellschaft gemeinsamen Fundus an Wissen und Werten zu kultivieren. Auch wenn die liberale Demokratie gerade unterschiedlichen Wertvorstellungen Raum geben will, ist die Besinnung auf unser Fundament wichtig, um die Gegenwart in ihrer vielschichtigen Genese bzw. ihren historischen Brüchen zu verstehen und sich in ihr zurecht zu finden. Als eine Folge unserer schwierigen Geschichte haben wir an Selbstbewusstsein verloren, prägend zu wirken, also bestimmte Themen mutiger auf die Bildungsagenda zu setzen. Wir brauchen mehr „Studium generale“, in dem auch die nationalen demokratischen Gründungsmythen unseres Landes in einer europäischen Perspektive und ein grundlegendes Geschichtsverständnis ihren Platz haben; z. B. die römisch-christliche Kultur mit dem entsprechenden Rechtsverständnis. So wird Fundamentales und damit buchstäblich Zeitloses vermittelt, ohne das ein wirkliches Verständnis der Gegenwart nicht möglich ist. Besonders das Wachhalten der historischen Schuld ist Teil unserer Identität als aufgeklärte, kritikfähige Bürger. Aber auch die Wertschätzung für viele positive Facetten unseres kulturellen Erbes ist für die nationale Identität des Landes wichtig.
3.2 Demokratische Wehrhaftigkeit durch persönliche und politische Bildung
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In einer Gegenwart, die oft als unübersichtlich, flüchtig und kaum gestaltbar empfunden wird, bietet dies notwendige Orientierung. Länder wie Frankreich und andere etablierte Demokratien gehen sehr viel ungezwungener mit ihrer kulturellen und nationalen Identität um. Historisch sensibilisiert, steht bei uns schnell der Verdacht der Indoktrination im Raum. Aber können wir wirklich darauf verzichten, junge Menschen ohne ein Mindestmaß an kultureller Identität und demokratischer Gesinnung in die Erwachsenenwelt zu entlassen oder wäre dies nicht ein konstruktiver Beitrag, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern? Ein konkreter Beitrag in diesem Sinne wäre z. B. die Stärkung des Geschichts- und Politikunterrichtes, der junge Menschen über grundlegende politische Prozesse, Strukturen und Systeme aufklärt (Rauh 2017). Die zweite Einrichtung neben den Schulen, in der sich Menschen regelmäßig begegnen und lernen können, sind Unternehmen. Etwa 90 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung kommt fast täglich mit Kollegen und damit der Kultur einer Unternehmung in Berührung. Was für eine Chance für unsere Gesellschaft! Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen demokratischer Politik nicht nur als bloße „Neutren“ gegenüberstehen, sondern aufrecht für sie eintreten und zu ihrer Erhaltung beitragen. Mit anderen Worten: Unternehmen sollten mit politischer Bildung und konkretem Engagement die Lücke in ihrem Verhältnis zur Politik schließen und sich als Bürger – als Corporate Citizens – engagieren. Es gilt, das Gemeinwesen zu stärken, dessen Funktionieren letztlich in ihrem ureigenen Interesse liegt. Im Rahmen der dualen Ausbildung tragen viele Unternehmen bereits ohne viel Aufhebens und öffentliche Wahrnehmung zur Persönlichkeitsbildung bei. Neben den Ausbildungsinhalten vermitteln die Ausbilder im Betrieb vielfach erstmals Haltungen und ‚Tugenden‘, ohne die gemeinsame Ziele, wie der Ausbildungsabschluss oder der Unternehmenserfolg, nicht oder kaum erreichbar sind. Außerdem sind starke Persönlichkeiten mit einem überzeugenden weltanschaulichen Kompass auch für Unternehmen interessant. Selbstbewusste Mitarbeiter, die verantwortlich handeln und in der Lage sind, über den eigenen Tellerrand zu schauen, kann es nicht genug geben. Organisationen, Initiativen und Maßnahmen, die sich der Charakterbildung und demokratischen Gesinnung widmen, sind deshalb für Unternehmen besonders förderungswürdig. Es wäre ganz im Sinne von CPR, wenn Unternehmen z. B. Projekte der Medienkompetenz sowie der Diskurs- und Urteilsfähigkeit initiierten oder unterstützten, damit sich Bürger im öffentlichen Raum mit dem notwendigen Orientierungswissen souverän bewegen können. Auch in den Unternehmen selbst sind Coachings und Weiterbildungen sowohl für Führungskräfte als auch für die weitere Belegschaft denkbar. Hier dürfte schon bald ein neues Geschäftsfeld für Anbieter von Persönlichkeitsbildung und politischer Bildung entstehen. Auch die universitäre Betriebswirtschaftslehre könnte entsprechende Module im Curriculum verankern. Zu konstatieren ist, dass hier ein großer Bedarf besteht, der von der Politik nicht hinreichend aufgegriffen wird. Dagegen fördert die bisher vorherrschende Ökonomisierung der Bildung eben gerade nicht die Persönlichkeiten, die später Staat und Wirtschaft voranbringen.
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
Politische Bildung (und Persönlichkeitsbildung) sollte deshalb auch – und zwar altersübergreifend – in Foren der organisierten Bürgergesellschaft stattfinden. Dies könnte als produktiver Nebeneffekt politischen Talenten Raum zur Entfaltung bieten, bevor sie später politische Verantwortung, z. B. in Parteien und Parlamenten, übernehmen. Unternehmen sollten diese bodenständigen, nichtlinearen Parteikarrieren unbedingt unterstützen. Kurzgefasst: Nachhaltige gesellschaftspolitische Beiträge zur Bewahrung der demokratischen Gesinnung und Wehrhaftigkeit gelingen Unternehmen vor allem durch die Stärkung von Persönlichkeitsbildung und politischer Bildung!
3.3
Debatte als Herzstück der Demokratie begreifen
Die demokratische Debatte ist ein steter Prozess der Selbstvergewisserung über unsere Werte und Überzeugungen. Sie ist das Herzstück der Demokratie, da sie diese lebendig hält. Nur eine aktive Debattenkultur sichert die Innovations- und Zukunftsfähigkeit von Demokratien. Der Philosoph und Harvard-Professor Michael Sandel, der mit seiner Vorlesung über Gerechtigkeit im Netz ein weltweites Millionenpublikum erreicht, betont, dass im Gespräch der Bürger, indem man sich aufeinander einlässt, das Gemeinwesen entsteht: „Das Gemeinwesen ist mehr als die Einzelinteressen, die sich zueinander addieren und einander gleichgültig sind. Indem man sich für die Haltung der anderen öffnet, entsteht die Möglichkeit, sich selbst zu ändern“. Dieses Gespräch sei durch Maschinen nicht zu ersetzen. Er mahnt daher Räume an, in denen Bürger ungestört miteinander sprechen und denken können. Das Denken brauche Zeit, wie die Politik (von Thadden 2018). Sandel weiter: „Die größte Aufgabe, vor der die Demokratien stehen, ist es, Arenen, Gelegenheiten, Formen für den Streit und die wechselseitige Aufmerksamkeit zu schaffen, die Menschen aus ihren Blasen herauszuholen und einander begegnen zu lassen. Schreierei sollte nicht belohnt werden. Gespräche vertragen auch kein Profitinteresse. Die Kontroverse ist anstrengend. Sie ist Arbeit. Aber vielleicht ist sie die einzige Anstrengung, auf die es wirklich ankommt. Jede Institution einer Demokratie ist aufgerufen, sich ihr zu stellen, Parlamente, Zeitungen, Universitäten, Schulen, Nachbarschaften“. Im Sinne von CPR ließe sich hinzufügen: Demokratische Gespräche sind auch wichtig, wenn man Profitinteressen verfolgt. Denn sie bilden die Grundlage für die notwendige gesellschaftliche Verständigung auf Wettbewerb und Gewinnstreben. Für den großen liberalen Denker Ralf Dahrendorf sind gesellschaftliche Konflikte die „Garanten der Erneuerung und Motoren des Fortschritts“. Ansonsten würde die Gesellschaft in Dogmatismus und Autoritarismus verhärten. Das notwendige Austragen gesellschaftlicher Konflikte müsse durch Institutionen kanalisiert werden, die Regeln für die Auseinandersetzung vorgeben. Der Rechtsstaat ist dabei die wichtigste Institution, da er die Freiheit seiner Bürger schützt. Aber auch der Rechtsstaat lebt von politischen Voraussetzungen, sprich Mehrheiten, die ihn tragen. Hinzu kommt der Nationalstaat als „das Gehäuse des Rechts“. Diese Interpretation war stets die Mehrheitsmeinung unter Deutschlands politischen Eliten, wurde aber von Intellektuellen immer wieder infrage ge-
3.3 Debatte als Herzstück der Demokratie begreifen
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stellt, da diese auf die historischen Irrwege des Nationalstaates fixiert waren. Aus der wahrgenommenen nationalstaatlichen Fehlkonstruktion erwuchs eine „übernationale Sehnsucht“. Während Dahrendorf und die allermeisten Vertreter der etablierten Politik die Europäische Union immer als notwendige Ergänzung zum Nationalstaat ansahen, war für viele Protagonisten der deutschen Linken die EU eine Möglichkeit zur Überwindung des Nationalstaates – eine ziemlich romantische Vorstellung, wenn man sich die klare Haltung stolzer Nationalstaaten wie Frankreich und England ansieht (Volger 2019). Dieser Grundkonflikt prägt bis heute den öffentlichen Raum in besonderer Weise. Das Fremdeln mit der Nation und dem Nationalstaat ist ein wichtiger Subtext der politischen Kultur in Deutschland. In jedem Fall gilt es das Ideal der „free speech“ hochzuhalten. Sie ist das beste Mittel gegen eine „Political Correctness“, die zwar für einen Grundkonsens eine Funktion hat, aber schnell in eine Richtung abdriften kann, die eine prägnante politische Auseinandersetzung verhindert. Dabei ist unerheblich, ob die Vergiftung des öffentlichen Diskurses durch die Sprache der Political Correctness vom linken oder rechten Rand kommt. Die Gefahr für die Freiheit bleibt gleich. Zurzeit kommt die Vergiftung des Diskurses jedoch durch enthemmte, hasserfüllte Sprache vom rechten Rand. So sprach Kanzlerin Merkel in Zusammenhang mit dem Anschlag in Hanau unmissverständlich klar: „Rassismus und Hass sind ein Gift“ (tagesschau 2020). Der Schriftsteller und emeritierte Staatsrechtsprofessor Bernhard Schlink (2019) hat sehr eindrücklich beschrieben, dass der Meinungskorridor, also das, was öffentlich gesagt werden darf, in den letzten Jahren kleiner geworden ist. Er beklagt eine „Engführung des Mainstreams“ und eine „Politik, die keine Alternativen kennt und daher auch keine Kritik und keine Kontroverse“. Und dann kommt er zum Kern, warum der Umgang mit abweichenden Positionen oft so unsouverän sei: „Die Scheu, von Meinungen infiziert, mit Meinungen identifiziert zu werden, obwohl sich die Distanz zu ihnen von selbst versteht, lässt eine eigentümliche Angst um die Bewahrung der eigenen Identität erkennen“. Sollte das demokratische Selbstverständnis und vielleicht auch die nationale Identität weniger stabil und weniger selbstverständlich sein, als sich das 75 Jahre nach Kriegsende vermuten ließe? Eine lebendige Debattenkultur, die Menschen ernst nimmt und nicht ins gesellschaftliche Abseits stellt, kann ein Mittel sein, den Zulauf zu populistischen Bewegungen deutlich zu reduzieren. Der Politologe Ivan Krastev erklärt die Spaltung Europas durch Nationalismus, Populismus und Wut am Beispiel Deutschlands. Er führt aus, dass die antipopulistische Rhetorik den perfekten Feind konstruiert, um den Status quo zu legitimieren. Und zwar „in einem Moment, da der Status quo sich verändert und auch verändern sollte“. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: „Je mehr man diesen Leuten unterstellt, sie seien Faschisten, desto mehr werden sie es auch“. Sie hätten keine gemeinsame Ideologie. „Sagt man ihnen aber immer wieder, wer sie sind, dann erschafft man damit eine Identität, die sie annehmen werden. Sie wissen nicht wer sie sind und werden zu dem, was die anderen schon immer von ihnen dachten. Und das würde wirklich alles verändern“ (Schmidt 2018, S. 115; Hervorhebung durch den Autor). Zwar hat diese Deutung das Problem, Bürger potenziell aus der politischen Selbstverantwortung zu entlassen
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
und sie zu Produkten von Fremdzuschreibungen zu machen. Dennoch entbehrt es nicht einer gewissen Tragik, dass eine liberale Elite die Gründe von Kränkungen und politischem Protest nicht hinreichend ernstgenommen hat; in ähnlicher Weise war man vom Wahlsieg Trumps überrascht und hatte statt Analysen zunächst nur Fassungslosigkeit zu bieten. Ganz in diesem Sinne hat Franziska Schreiber in ihrem Buch Inside AfD – Der Bericht einer Aussteigerin darauf hingewiesen, wie dem Populismus zu begegnen ist – nämlich durch Zuhören, höfliches Widersprechen und einen respektvollen Ton. Und das am besten aktiv, auch im Internet. Auf einer Veranstaltung sagte sie: „Wir befinden uns im Info-Krieg. Es ist nicht klug, sich aus diesem Krieg heraus zu halten“. Für Schreiber ist Politik in Deutschland „ein geteilter Bereich. Hier die bislang dominierende Welt mit Abendnachrichten und politischen Talkshows; dort die Filterblasen und ausgeklügelten Strategien der extremen Rechten“ (Ingendaay 2019). „Demokratie ist eine besonders anspruchsvolle Versuchsanordnung“, betont der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert. „Sie lebt von einem kunstvollen Verhältnis von Konflikt und Konsens; sie steht und fällt mit dieser Balance“. Und weiter: „Die Konfliktfähigkeit einer Gesellschaft setzt jedoch einen Mindestkonsens voraus, wie unterschiedliche Standpunkte zusammenzubringen sind. Nur wenn ein Konsens darüber besteht, wie Konflikte auszutragen sind, kann sich eine Gesellschaft diese Konflikte leisten. Sonst gefährdet sie ihren Zusammenhalt“ (Lammert 2019). Denn Staatsbürger vertreten individuell und durch ihre Teilnahme in gesellschaftlichen Subsystemen eine Vielheit von Ansichten und Interessen (Graf von Kielmansegg 2018). Ein Grundkonsens über die Vielheit und die Notwendigkeit von Kompromissfindung ist daher zentral für den Zusammenhalt. Doch wird dieser durch Werte- und Identitätskonflikte bedroht, die zu gesellschaftlichen Spaltungen in Gruppen und Echokammern führen. Die eigenen Werte und Identitäten werden leicht absolut gesetzt. Und die Kommunikationsfähigkeit geht verloren. In gewisser Weise sind Gruppenidentitäten zunehmend ein Götterersatz. Dieser ideologische Ansatz, psychologisch gestützt durch archaisches Stammesdenken, bedroht die Diskursfähigkeit und gefährdet damit Demokratie und Freiheit. Früher gab es beispielsweise einen christlich geprägten Kanon von Wissen, auf den sich Bürger wie selbstverständlich beziehen konnten. Das Nennen von Bibelstellen löste gemeinsame Assoziationen und Gewissheiten aus. Eine zentrale Frage lautet daher, was heute an dessen Stelle treten kann. Eindeutige, für alle Bürger verbindliche Quellen des Zusammenhalts und der Identität sind nicht leicht zu finden. Selbst das Grundgesetz legt gerade keine Identitäten fest, sondern gibt der Pluralität Raum. Etwaige Probleme und Wertkonflikte durch Pluralisierung sind daher politisch zu lösen. Das macht die permanente, inkludierende Kommunikation mit der entsprechenden Sprechfähigkeit so wichtig. Warum sollten Unternehmen hier keine innovativen und konstruktiven Beiträge leisten können? Entscheidend für den Erfolg der politischen Partizipationsprojekte von Unternehmen sollte sein, besonderes Augenmerk auf die Relevanz und Qualität von Debatten zu legen. Wie wird verhindert, dass die Maßnahmen nicht lediglich das allgemeine Rauschen im Meinungswettbewerb verstärken und zu bloßem Palaver verkommen? Um wirksam zu
3.3 Debatte als Herzstück der Demokratie begreifen
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sein, sollten Veranstaltungen gezielt entwickelt werden und einen klaren Zweck verfolgen – passend zu den unternehmerischen Ressourcen. Dabei bieten sich Grundsatzdebatten an. Gerade wenn es um die Teilnahme an öffentlichen Debatten geht, empfiehlt sich folgendes Prinzip: Unparteiisch im Besonderen, aber parteiisch im Grundsätzlichen – also wenn es um unsere freiheitliche Lebensform und die Demokratie als solche geht. Dies hilft auch, Unternehmen nicht mit Anforderungen zu überfrachten. Es geht also um regelmäßiges – und somit glaubhaftes – Engagement. Den Kampf um Deutungshoheit annehmen Was immer schon massiv unterschätzt wurde, sprunghaft verstärkt durch die sozialen bzw. digitalen Medien, ist die Notwendigkeit für alle gesellschaftlichen Akteure, den Kampf um Deutungshoheit anzunehmen und andere überzeugen zu können. Das offensive und konstruktive Einmischen der bürgerlichen Mitte, die die Spitzenpositionen in Wissenschaft, Kultur und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen einnimmt, ist in der Auseinandersetzung mit illiberalen Kräften zentral. Eigentlich hat sie nichts zu fürchten, weil sie noch immer die deutliche Mehrheit der Gesellschaft ausmacht. Aber sie muss sich der Mühe unterziehen, sich selbst zu hinterfragen und in unbequeme, anstrengende und teils auch unappetitliche Auseinandersetzungen zu begeben. Die sogenannten Influencer zeigen, dass die Gatekeeping-Funktion der etablierten Medien gebrochen ist und ganz neue Formen der Meinungsbildung eine Rolle spielen, die gerade von der jüngeren Generation sehr stark genutzt werden. Das sogenannte „Rezo- Video“ im Juni 2019 zeigte, dass die etablierte Politik zunehmend überfordert reagiert, weil sie die offene Debatte (in Zeiten der großen Koalition) teilweise verlernt hat, aber eben auch, weil sie den Umgang mit neuen Kommunikationsmöglichkeiten noch nicht souverän beherrscht. Was die etablierte bürgerliche Mitte noch einüben muss, ist Selbstkritik und Kontextbewusstsein. Populismus hat immer auch einen berechtigten Kern. So ist es nicht kontextbewusst, für die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen zu sein, aber geografisch und sozial in Welten zu leben, die mit denen Flüchtlinge keinerlei Berührungspunkte haben. Der politische Moralismus kommt sozusagen gratis. Wir kennen es von unserem eigenen Diskursverhalten: In vorauseilendem Gehorsam erklären wir – bevor wir zum Punkt kommen – wortreich unsere saubere ethische und politische Position. Diese Art von Diskurs ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Sie funktioniert selbst im eigenen Freundeskreis, wo man bei einem verbalen oder inhaltlichen Ausrutscher eigentlich annehmen könnte, einigermaßen wohlwollend behandelt zu werden. Doch diese Atmosphäre der offenen Streitkultur ist gefährdet: bloß keine kantigen Positionen beziehen, die dem Mainstream widersprechen könnten. Die von Elisabeth Noelle-Neumann bereits in den 1970er-Jahren in ihrer Theorie der öffentlichen Meinung diagnostizierte Schweigespirale funktioniert; die Isolationsfurcht hat die Oberhand. Weshalb bedeutet „rechts“ heute gleich „rechtsradikal“? Es gibt „Rock gegen rechts“, aber „Rock gegen links“ natürlich nicht. Links ist irgendwie menschlich und gut, rechts schlecht. Und nach heutigen Maßstäben ist da auch etwas dran; die Äquidistanz ist nicht
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mehr gegeben. Sogar der besonnene Chefredakteur der ZEIT fragt in einem Leitartikel auf Seite 1: „Was also hilft gegen rechts?“ (Di Lorenzo 2019). Die träge bürgerliche Mitte hat durch ihre unpolitische Haltung und ihr Desinteresse eine Verschiebung des politischen Koordinatensystems in Kauf genommen – eine Entwicklung, die auch demokratietheoretisch bedenklich ist. So hat sie das Spektrum der demokratischen Rechten vernachlässigt und heimatlos gemacht. Die CDU definiert sich dezidiert als „Volkspartei der Mitte“. Sie hätte sich auch als Mitte-rechts positionieren können. Das entstandene Vakuum wird spätestens seit der Flüchtlingskrise von der AfD gefüllt. Die jedoch macht in ihren Reihen zunehmend rechtsradikale Positionen hoffähig. Die klare demokratische Abgrenzung funktioniert nicht mehr. Erstmals seit vielen Jahren finden damit politisch radikale Positionen im Parlament Gehör, weil der Kampf um Deutungshoheit in dieser demokratiestrategischen Frage nicht angenommen wurde. Die politische Kultur stärken Wenn Unternehmen politische Beiträge leisten wollen, müssen sie die politische Kultur unseres Landes zumindest in ihren Grundzügen verstehen – denn die hat es in sich! Dies hat vor allem mit den mentalen Folgen unserer jüngeren Geschichte zu tun. Eine Darstellung der politischen Kultur in Deutschland sprengt den Rahmen dieses Buches. Daher an dieser Stelle eine Polemik, die die Grundproblematik verdeutlichen soll: Der Mainstream will sich vor allem moralisch überlegen fühlen, tut aber aus Angst um seinen Wohlstand sowie aus Ignoranz oder politischer Unlust wenig gegen das Abnehmen der demokratischen Wehrhaftigkeit. Er zeichnet sich durch ein kaum diskutiertes „Glaubensbekenntnis“ aus, dessen harter Kern lautet: Das Militär und die NATO müssen zwar irgendwie sein, sind aber eigentlich böse, die USA auch (ihnen ist alles zuzutrauen!) und der Kapitalismus sowieso! Erstaunlich nur, dass dies genau die Grundfeste unseres Erfolges nach 1945 sind, die hier zur Disposition gestellt werden. Und natürlich sind wir für die Aggressivität Russlands selbst verantwortlich, weil wir Putin mit der NATO- und EU-Erweiterung in die Enge getrieben haben. Nicht nur deshalb sind die USA genauso schlimm wie Russland – es gibt eine Äquidistanz. Dass Russland versucht, den Westen auf vielen Ebenen zu spalten, kann achselzuckend zur Kenntnis genommen werden; genauso wie die Besetzung der Krim und der Ostukraine sowie Bombardements in Syrien. Hunderttausende Bürger gehen völlig emotionalisiert gegen TTIP auf die Straße, obwohl der Freihandel die Wohlstandsgarantie der Exportnation ist. Warum haben sich diese Demonstranten nicht gegen das Assad-Regime gestellt, als er sein eigenes Volk mit Krieg überzog? Wo waren ihre Emotion und Unterstützung für die demokratischen Demonstranten in Hongkong gegen die Unterdrückung Chinas? Seltene Erden für Handys ja, aber die Handels- und Rohstoffrouten militärisch sichern müssen natürlich andere, am besten die Amerikaner, die trotzdem stets kritisiert werden dürfen. Unsere eigene Verantwortung für internationale Stabilität wird von Politikern regelmäßig und bisweilen rhetorisch fulminant auf öffentlichen Veranstaltungen wie der Münchner Sicherheitskonferenz vorgetragen, doch folgt daraus meist sehr wenig. Gleichzeitig sprechen deutsche Außenminister lieber von einer „Kultur der Zurückhaltung“
3.3 Debatte als Herzstück der Demokratie begreifen
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(Monath 2019; ZEIT Online 2013). Der kommissarische SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich warf noch im Herbst 2019 der Verteidigungsministerin eine „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ vor, als diese eine Schutz-Zone in Syrien ins Gespräch brachte (Heute Journal 2019). Wenn die Bundesregierung, wie in diesem Fall, außenpolitisch klare Kante zeigt, wird darüber nicht ausreichend diskutiert und schon gar nicht dafür geworben. Als Angela Merkel 2008 vor der Knesset betonte, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sei, war vielen nicht klar, welche Verantwortung Deutschland damit auf sich nahm. Wäre die deutsche Bevölkerung tatsächlich bereit, für die israelische Sicherheit das Leben deutscher Soldaten einzusetzen? Unsere internationalen Partner sind über diese Ambivalenzen immer wieder verstört, doch bei unseren selbstreferenziellen nationalen Debatten spielt die Wahrnehmung von außen kaum eine Rolle. Christoph von Marshall (2018) hat zu diesem Thema ein Buch verfasst, das den bezeichnenden Titel trägt: Wir verstehen die Welt nicht mehr: Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden. So haben wir noch keine produktive Diskursform für bestimmte Themen und Widersprüchlichkeiten gefunden. Doch dies hat Folgen für die Handlungsfähigkeit und außenpolitische Verlässlichkeit der Bundesregierung. Denn diese bemisst sich vor allem durch die Rückendeckung bzw. Einstellung der Bevölkerung. Im Kern sind wir immer noch ein zutiefst verunsichertes Volk, das sich selbst nicht traut. Historische Traumata zu verarbeiten, fällt natürlich zusätzlich schwer, wenn sowohl ostdeutsche als auch westdeutsche Mentalitäten und Einstellungen über Jahrzehnte sehr unterschiedlich geprägt wurden, nun aber gemeinsame nationale Antworten gefunden werden müssen. So ist auch „Geopolitik“ ein Fremdwort, obwohl wir als Exportweltmeister und Gewinner der Globalisierung auf die großen außenpolitischen Herausforderungen als Deutsche und Europäer Antworten finden müssen. Dabei geht es nicht nur um Handels- und klassische Sicherheitspolitik. Wie verhalten wir uns beispielsweise, wenn amerikanische und chinesische IT-Konzerne durch das Setzen internationaler Standards im Begriff sind, die Weltmärkte unter sich aufzuteilen? Das könnte unangenehme Abhängigkeiten für unseren Kontinent zur Folge haben. Eine aufgeklärte Debatte in Deutschland zu diesem Thema kam sehr spät und nur sehr schwach. Immerhin gibt es erste Wissenschaftler, die sich für eine „wehrhafte Außenwirtschaftspolitik“ aussprechen (Hellmann und Wolff 2018). Ansonsten scheint der Sinn für die Grundlagen der eigenen Freiheit und des Wohlstandes nach vielen Jahren des Friedens und des wirtschaftlichen Erfolges eher zu schwinden. Denn wo ist beispielsweise das eindeutige Bekenntnis zu Bundeswehrsoldaten oder Polizisten, also denjenigen, die für uns den Kopf hinhalten, wenn es hart auf hart kommt? Sie riskieren ihr Leben für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt, aber Politiker aller Parteien, insbesondere im linksliberalen Spektrum, versäumen, ihnen die notwendige Rückendeckung zu geben, weil sie das bei den Wählern für ein Verliererthema halten, das ideologisch irgendwie nicht opportun ist. Selbst konservative und liberale Entscheidungsträger der Gesellschaft meinen, mit derartigen Bekenntnissen nicht punkten zu können, weil diese vom Mainstream nicht gedeckt sind. Abstrakte Zustimmung ja, aber
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ohne jede Leidenschaft und Bekennermut im Konkreten. Eine solche „Haltung“ ist moralisch fragwürdig. Die Bundesrepublik ist eine noch starke und funktionierende Demokratie, aber dies ist keine Selbstverständlichkeit. In Deutschland werden Berufspolitiker zunehmend von radikalen Minderheiten bedroht und diffamiert. Aber auch die immer wieder zu beobachtende öffentliche Geringschätzung und fehlende Solidarität mit politischen Repräsentanten ist einer etablierten Demokratie unwürdig; sie spricht Bände über die Selbstachtung und demokratische Wehrhaftigkeit der Gesellschaft. Denn letztlich kommen die Politiker aus der Mitte der Bevölkerung, was eine harsche Kritik zu einer Selbstanklage werden lässt, wenn man sich nicht selbst für die öffentlichen Belange zur Verfügung stellt. Wer will sich die Arbeit für das Gemeinwesen noch antun, wenn es auch noch an echter gesellschaftlicher Wertschätzung aus der Mitte der Gesellschaft fehlt und sich die Unterstützung nach Lippenbekenntnis anfühlt? Während Kritik an staatlichen Repräsentanten ein Kennzeichen etablierter Demokratien ist, muss gleichzeitig darauf geachtet werden, dass diese auf keinen Fall verächtlich gemacht werden. Unternehmen können durch politische Bildung und offene Debatten Reflexionsräume unterstützen und damit die die Voraussetzungen für eine wehrhafte Demokratie stärken. Es ist noch viel „Pflege“ im öffentlichen Raum bzw. für die politische Kultur notwendig.
3.4
Wie Führung gelingt – ohne Eliten geht es nicht
Eliten aus allen Teilbereichen der Gesellschaft prägen den öffentlichen Raum. Der Begriff wird für die Leistungsträger der Gesellschaft in Deutschland allerdings selten genutzt, scheint er doch abgehoben und historisch belastet. Aber das ist nicht schlimm, entscheidend ist ohnehin, wie die Eliten sich verhalten. Und wenn Eliten sich selbst als solche bezeichnen, ist dies eher affektiert; sie sollten durch das Vorbild wirken, das sie für andere sind. Angesichts der großen Herausforderungen leiden unsere Eliten, wie alle Eliten auf der Welt, an Überforderung. In Deutschland kritisieren Beobachter sogar, dass die Eliten nur noch mit sich selbst beschäftigt seien (Meyer 2019). Das mag überzogen klingen. Aber in der Tat, wo sind die kreativen Ideen, Konzepte und Aktivitäten im europäischen und internationalen Rahmen? Und wo sind diejenigen, die diese überzeugt und überzeugend im öffentlichen Raum propagieren und umsetzen? Statt Gestaltungskraft zu zeigen, wird sehr viel verwaltet und auf die lange Bank geschoben. Aber Demokratie braucht Führung. Und diese Führung kann nicht nur von Politikern kommen. Wollen unsere Eliten noch führen? Es stellt sich die Frage nach dem Befund: Wollen unsere Eliten noch führen? Sind sie der Aufgabe gewachsen? Zeigen sie sich kraftvoll in der Öffentlichkeit, wenn es um gesellschaftspolitische Belange geht? Elitenversagen ist ein hartes Wort, aber von einem Elitenproblem lässt sich schon sprechen. Dies ist nicht weiter verwunderlich. In Deutschland werden Eliten misstrauisch beäugt. Es gibt keinen kraftvollen Konsens darüber, dass es
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ohne sie nicht geht. Das Postulat der Gleichheit ist übermächtig. Auch mangelt es an der Wertschätzung der Bevölkerung für diejenigen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und verantwortlich für andere zu handeln. Selbst innerhalb der Eliten gibt es einen derartigen Widerwillen gegen das Elitenthema, dass an vielen Stellen eine rationale Diskussion über die daraus erwachsende Verantwortung kaum möglich ist; sie scheinen durchsetzt vom Misstrauen gegen die eigenen guten Absichten und die Absichten Deutschlands. Damit offenbaren sie, wie sehr sie nicht zuletzt die jüngere deutsche Geschichte mental noch gefangen hält. Weitgehend entkoppelt und kaum aktivierungsfähig hingegen scheint mittlerweile der funktionale Mittelbau der Republik, also Amtsträger und Aktivisten in Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Medien, Universitäten und auch der Industrie. Vorherrschend ist eine seltsame Müdigkeit. Vielleicht haben Wiedervereinigung, Finanz- und Flüchtlingskrise im Verbund mit einer allgemeinen Wohlstandshaltung die Kräfte erschöpft. Die durch das Internet ausgelösten gesellschaftlichen Fliehkräfte und der abnehmende gesellschaftliche Zusammenhalt tun ein Übriges. Die kollektive Ehrgeizlosigkeit zeigt sich symbolisch im fatalistischen Achselzucken, wenn bei Großprojekten Zeitpläne nicht eingehalten werden oder die Kosten explodieren. Die Selbstvergessenheit der deutschen Eliten zeigt sich in ihrer Fassungs- und Konzeptlosigkeit angesichts der Unzufriedenheit über die politische Lage in weiten Teilen der Bevölkerung. Auch dass wieder über die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland debattiert wird, fällt ihnen schwer zu verstehen. Gab es nicht über zehn Jahre sprudelnde Steuereinnahmen, Wirtschaftswachstum, expansive Sozialpolitik und geringe Arbeitslosigkeit? Da muss doch eine Menge richtig gemacht worden sein! Aber wie ein kluger Beobachter analysiert: „Die Wut, das Ressentiment sind kulturell begründet, nicht ökonomisch“ (Schmidt 2018, S. 115). In der Folge muss die Elite als Reaktion auf ihre offenbar mangelnde Problemlösungskompetenz den „Schmerzensschrei“ (McCormick 2017) aushalten, als der sich der vielbeschriebene Populismus zu Wort gemeldet hat (Sommer 2019, S. 10). Heinrich August Winkler übt denn auch Elitenkritik: „Populisten und Nationalisten sind Nutznießer von Versäumnissen und Fehlern der Verteidiger der liberalen Demokratie“ (Winkler 2019). Man kann das Dilemma heutiger politischer Eliten auch mit den Begriffen Vertrauensverlust und Abgehobenheit beschreiben. Und es stimmt ja, nicht nur Abgehängte befinden sich in den eigenen Echokammern. Ein Problem, das sich für die Eliten nur durch große persönliche Anstrengung und Kommunikation abfedern lässt, ist die Tatsache, dass sie in einem Umfeld leben, das mit der durchschnittlichen Bevölkerung nur begrenzt zu tun hat. Sie wohnen in sozial homogenen Vierteln. Und auch Herkunft, Bildung, Vermögen und Freundeskreise schränken ihre Wahrnehmung von der kollektiven Realität ein. Es ist daher nicht überraschend, dass es eine „gesunkene Responsivität des politischen Systems gegenüber den Wünschen und Interessen der bildungsschwächeren und stärker heimatverbundenen Gesellschaftsschichten“ gibt (Zürn 2018). Den politischen Eliten fällt es auch immer schwerer, mit dem Anspruchsdenken der Bürger zurechtzukommen. Ironischerweise haben sie diese Ansprüche selbst genährt – durch
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ihre jahrzehntelange Wohlfahrtspolitik und die von ihnen propagierte Allzuständigkeit für Problemlösungen. Der Eigeninitiative und dem Wettbewerbsgedanken haben sie damit Schaden zugefügt. Irgendwann muss aber Verantwortung zurückgegeben werden. Dies fällt ihnen naturgemäß schwer. Daher müssen die Bürger, Unternehmen und andere gesellschaftliche Akteure für sie diese Aufgabe übernehmen und die politische Systemlogik durchbrechen. Dafür müssen sie sich selbst politisch in die Pflicht nehmen. Das CPR-Konzept bietet hierfür konkrete Hilfe. Das Fremdeln zwischen den Eliten und den Bürgern ist bedenklich genug. Die Eliten fremdeln allerdings auch untereinander: „Insgesamt hat sich eine weitgehende Entkopplung der politischen und der wirtschaftlichen Eliten vollzogen – sogar bis hin zur Sprache. Einfach gesagt, wachsen die wirtschaftlichen Eliten international und im Wettbewerb auf, die politischen aber innerhalb einer Partei kaminartig“ (Leciejewski 2015). Diese Einschätzung eines selbstständigen Unternehmensberaters hat einen wahren Kern. Der SAP-Gründer Hasso Plattner artikuliert seine Frustration mit unserer politischen Kultur folgendermaßen: „Deutsche Politik ist extrem langsam, umständlich und auf allen Seiten stark ideologisch geprägt. Damit behindert man sich selbst, weil man nicht frei denken kann“ (Bernau 2019). Aber auch die Wirtschaftselite, die sich jährlich in Davos und anderen Foren trifft, hätte in ihrem Denken innovativer und schneller sein können. Sehr lange hat man nur auf Gewinne, Shareholder Value und Wachstum gesetzt. Gleichzeitig war ihr klar, dass Globalisierung und Digitalisierung auch Verlierer hervorbringen. Doch erst als diese sich selbst ermächtigten und eine Stimme bekamen, durch populistische Parteien, aktivistische Gruppierungen und NGOs, haben sich die Mächtigen bewegt. Good leadership geht anders. Danach galt es für sie, sehr schnell gesellschaftliche und politische Verantwortung zu organisieren, um Gefahren vom eigenen Geschäftsmodell fernzuhalten. Der amerikanische Business Roundtable mit seinen gut 200 Mitgliedern hat sich im August 2018 sehr deutlich zu seiner gesellschaftspolitischen Verpflichtung bekannt. Die Teilnehmer sprechen nun von „responsible capitalism“, von „major change in corporate attitudes“ und formulieren eine neue „definition of the purpose of a company“ – weg von der „doctrine of shareholder value“ (MacLellan 2019). Wir befinden uns mitten in einem Transformationsprozess zum Stakeholder- Kapitalismus, in dem sich die gesellschaftlichen Akteure ihrer systemstabilisierenden Funktion bewusst werden – im eigenen Interesse. Wir brauchen demokratische Führung und echte Eliten, die nicht nur funktional handeln, sondern auch über den Tellerrand schauen. Welche Fähigkeiten sollte die zukünftige Elite besitzen? Und was ist zu tun? Analog zu den Anforderungen an eine gelungene Persönlichkeitsentwicklung und eine politische Bildung, sollten Eliten mehr als Funktionseliten sein, die ihre Aufgaben lediglich in einem sehr eng gesteckten Rahmen ihres Anforderungsprofils erfüllen. Das Problem hat allerdings auch System. Denn in den Unternehmen wird eine politische Haltung
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bislang weder von Kontrollgremien wie den Aufsichtsräten noch von den Shareholdern goutiert. Mathias Schüz (2018, S. 30) analysiert, dass die traditionellen Ausbildungssysteme von Responsible Leadership sich primär auf die intellektuell-kognitive Intelligenz beschränkt hätten, die emotionale kaum und die intuitiv-spirituelle überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Diese Fähigkeiten könnten jedoch alle trainiert und eingeübt werden. Für den „responsible political leader“ der Zukunft könnte dieser Ansatz bedeuten, persönliche Eigenschaften zu kultivieren, die dann im öffentlichen Raum zum Tragen kommen. Denn die Stärkung von Strukturen ist ohne die komplementierende Stärkung von Individuen nicht denkbar. In diesem Sinne argumentieren auch die Wissenschaftler Christine Landfried und Robert Post (2017, S. 11). Zu den kulturellen Voraussetzungen der Demokratie gehöre auch das Engagement der Bürger und Eliten für eine gemeinsame Zukunft. Die Debatte darüber müsse mit Empathie für unterschiedliche politische Ideen und Interessen geführt werden: „Diesen emotionalen Aspekt demokratischer Politik haben die politischen, journalistischen und wissenschaftlichen Eliten unterschätzt. Und so blieb der allmähliche Verlust des Einfühlungsvermögens zwischen Eliten und Teilen der Bevölkerung unbeachtet und konnte von Populisten ausgenutzt werden. Selbst deren Wahlsiege scheinen nichts daran zu ändern, dass die Eliten sich weiter abkapseln“. Mehr denn je gelte der Anspruch, den Jürgen Habermas (1962) einst in seiner Analyse des Strukturwandels der Öffentlichkeit formulierte, wonach wir uns nur dann in einer Kontinuität mit dem Rechtsstaat befinden, solange wir das „Gebot einer politisch funktionierenden Öffentlichkeit ernst nehmen“. Dass bedeute, auch die emotionale Dimension der Öffentlichkeit ernst zu nehmen, also den Gesprächspartnern in ihrer Andersartigkeit mit Verständnis zu begegnen. Auch der Dahrendorf-Fellow Jan Zielonka betont, dass die liberalen Demokratien sich nur reparieren lassen, wenn die Eliten ihre Fehler anerkennen, korrigieren und wieder Gemeinsamkeiten mit der breiten Bevölkerung herstellen (Buchsteiner 2018). Empathische Eliten hätten früher erkannt, dass die Globalisierung nicht nur ein Problem der Umverteilungsgerechtigkeit ist, bei dem die Gewinner die Verlierer lediglich angemessen entschädigen müssen (Sandel 2018). Es geht eben auch um soziale Anerkennung, (diffuse) Abstiegsängste, Identität und Würde. Politiker mit populistischem Instinkt wie Donald Trump erkennen dies schnell und nutzen politische Handlungsdefizite für ihre Zwecke aus. Ein hohes Ideal für verantwortliche Führung von Eliten beschrieb einst Ortega y Gasset, der 1955 verstorbene spanische Philosoph und Elitensoziologe. Er sprach von „hervorragenden Menschen“, deren Leben ihnen selbst schal erscheine, wenn sie sich nicht im Dienst für etwas Höheres verbrauchten. Diese Menschen sähen im Dienen keine Last. Sie versuchten anspruchsvoll gegen sich selbst zu sein, Verpflichtungen einzugehen, statt nur nach Rechten zu schielen. Der individuelle Mensch versuche durch unaufhörliches Training (der Askese), in sich eine Spannung aufrechtzuerhalten, um schöpferisch zu wirken (Röser 2019, S. 120).
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Keine Frage, eine solche Persönlichkeit würde ihrem Dienst am Gemeinwesen nachgehen, ohne auf höheres gesellschaftliches Ansehen oder ihr Bankkonto zu schielen. Dies klingt in den heutigen Zeiten sehr nach persönlicher Überforderung. Aber sollten nicht gerade deshalb Personen, die diesem Idealtypus nahekommen, eine besondere öffentliche Wertschätzung und Vorbildfunktion genießen? Der US-amerikanische Wirtschaftsjournalist David Brooks (2017) bringt die Ehre, sich für das Gemeinwesen einzusetzen, auf den Punkt: „The magnanimous man believes that politics practiced well is the noblest of all professions. No other arena requires as much wisdom, tenacity, foresight and empathy. No other field places such stress on conversation and persuasion. The English word ‘idiot’ comes from the ancient Greek word for the person who is uninterested in politics but capable only of running his or her own private affairs.“
Genauso exotisch mutet in Deutschland der von einem Wirtschaftsberater formulierte Anspruch gegenüber der Wirtschaftselite an: „Die Mitarbeit in einer politischen Partei ist für eine Führungskraft eine patriotische Aufgabe“ (Leciejewski 2015). Etwas mehr freiheitlich-demokratische Emphase, wie sie auch von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Amtszeit vorgelebt wurde, würde unserer Gesellschaft guttun und einen Kontrapunkt zum allgemein nüchtern-bürokratischen Ton setzen. Auch können ein Schuss moderner Patriotismus und Leidenschaft für unsere Freiheit und die res publica nicht schaden (Dorn 2018). Bundespräsident Steinmeier mahnt: „Wenn bei einer großen Demonstration für eine offene Gesellschaft die Farben Schwarz-Rot- Gold nicht gezeigt werden sollen, dann offenbart sich, wie groß die Defizite in Sachen Demokratiegeschichte heute sind. Schwarz-Rot-Gold ist doch nicht das Aushängeschild eines engstirnigen Nationalismus, sondern das Wahrzeichen von Freiheit und Demokratie“ (Steinmeier 2019). Dem ist nichts hinzuzufügen. Daher passt an dieser Stelle der berühmte Ausspruch von Perikles (o. J.): „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“. Der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, sagte noch knapper: „Das Wichtigste ist der Mut“ (Poppinga 1994). Auch oder gerade heute ist demokratischer Bekennermut und die fast altmodisch anmutende Tugend der Tapferkeit gefordert. Eliten, die für eine offene und demokratische Gesellschaft eintreten, stehen vor einer Herkulesaufgabe. Sie müssen Kritik am Status quo üben, um die Verhältnisse zu verbessern. Gleichzeitig darf ihre Kritik das gesellschaftliche System nicht destabilisieren. Stabilität ist ein dynamischer Prozess, der professionelle Führung erfordert. Eliten werden sich auch auf das Terrain von Extremisten begeben müssen, soweit deren politische Positionen einen Wahrheitskern enthalten. Hier berechtigte Forderungen wieder in den Mainstream zu überführen, ohne sich mit radikalen Kräften gemein zu machen, erfordert anspruchsvolle Abgrenzungsarbeit und den souveränen Umgang mit politischen Mechanismen.
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Welcher Unternehmensführer traut sich diesen Balanceakt zu? Siemens-Chef Joe Kaeser ist sicher ein Beispiel, auch wenn er sich in seinen öffentlichen Positionierungen einige blaue Flecken geholt hat. Unternehmensvertreter sollten nicht nur deshalb mehr Respekt vor den schwierigen Aufgaben von Politikern haben. Sich im öffentlichen Raum „unfallfrei“ zu bewegen, ist eine Kunst, vor allem wenn man eine direkte Sprache pflegt. Führungspersonen in der Wirtschaft sollten sich deshalb politisch weiterbilden und beraten lassen, z. B. mithilfe von internen Analyseeinheiten, die man in größeren Firmen auch als politische Planungsstäbe oder Thinktanks bezeichnen könnte. Eine Haltung der politischen Verantwortung von Unternehmen zeigt sich ganz konkret, wenn es darum geht, sich im übergeordneten Interesse solidarisch zu verhalten und auf kurzfristige Gewinne zu verzichten – letztlich im eigenen langfristigen unternehmerischen Interesse. Ein Beispiel: Wie die EU als erweiterter öffentlicher Raum gestärkt werden kann, ohne sich einer fragwürdigen Regierung anzudienen, skizziert Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute. Negativfolie ist für ihn das Engagement von Audi, Bosch und Mercedes in Ungarn. Entscheidend ist hier die eminent wichtige europäische Dimension. Benner wirft den drei Weltkonzernen vor, sie nutzten die fähigen Arbeitskräfte, schwachen Gewerkschaften und günstige logistische Anbindung des Standortes und ließen sich dafür zu Komplizen des populistischen und EU-kritischen Premiers Orbán machen. Wie im Supermarkt suche man sich die Freiheiten des europäischen Binnenmarktes aus, verzichte aber auf das dahinterliegende Wertegerüst, dem sich alle EU- Mitgliedstaaten verpflichtet haben: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. Ohne öffentlichen Druck in Deutschland gebe es keinen Grund für die Unternehmen, so Benner, ihre kühle Kosten-Nutzen-Rechnung zu ändern, nach der sie im Interesse des Profits auf politische Distanzierung verzichteten. Er schlägt vor, dass internationale Unternehmen durch Zahlungen in einen gemeinsamen Fonds zur Stärkung von unabhängigen Medien und bürgerlichem Engagement beitragen könnten. Allianzbildung sei also ein probates Mittel für westliche Firmen, autoritären Regimen entgegenzutreten und demokratische Entwicklungen zu forcieren, ohne zur leichten Zielscheibe zu werden. Das gelte insbesondere für Industriezweige, die ob ihrer technologischen Qualität nicht leicht zu ersetzen sind – im Falle Deutschlands z. B. der Autoindustrie (Kolb 2018). Es gilt also, kreative Lösungen zu finden und mit mutigem Leadership umzusetzen. Eine konsequente CPR-Haltung würde dabei helfen. Politik ist das Lösen gesellschaftlicher Aufgaben. Eliten müssen ihre Lösungskompetenz nachweisen. Dies ist die wirkungsvollste Maßnahme gegen Politikverdrossenheit und die Erosion des etablierten Parteienspektrums. Im Kern muss die staatstragende bürgerliche Mitte Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart geben. Dies klingt banal, ist aber der entscheidende Ansatz. Dafür braucht es Leadership und programmatische Kreativität. Haben die Bürger das Gefühl, dass die etablierte Politik nicht liefert, sind andere Angebote – ob in Bewegungs- oder Parteiform – verständlicherweise auf dem Vormarsch.
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Solchem Protest sollten bürgerliche Mitten und Eliten nicht mit technokratischen Vorstellungen und Selbstüberschätzung antworten. Notwendig bleiben politische Argumente und Kompromisse. Christoph Möllers bringt es wie folgt auf den Punkt: „Viel vom Ressentiment gegen die Demokratie entstammt der Kränkung darüber, dass wir weder allein auf der Welt noch wichtiger als die anderen sind. Wir wollen unseren Willen bekommen, doch in der Demokratie bekommen wir ihn eher selten als öfter. Wir sind uns selbst näher als den anderen, aber die Demokratie reduziert uns – nicht überall, aber doch für den wichtigen Bereich der Politik – zu Gleichen, gleich mit Dummen und gleich mit Armen. Es ist leicht zu sehen, warum Demokratie gerade bei Gruppen, die sich selbst für Eliten halten, nicht immer beliebt ist. Aber die demokratische Zumutung der Demut mag ihnen nicht nur im politischen Leben weiterhelfen“ (Möllers, S. 117).
Um Lösungen zu liefern, müssen Eliten sich auch für die Voraussetzungen eines von Vernunft geleiteten öffentlichen Diskurses einsetzen. Gute Führung erklärt den rasanten Wandel und entwickelt zuversichtlich stimmende Zielvorstellungen und Narrative. Angesichts der großen Komplexitäten der Moderne ist das nicht einfach; Ambivalenzkompetenz ist eine wichtige Fähigkeit. Moralische Führung könnte heißen, (politisch) Farbe zu bekennen, eine Position zu markieren und im Streit darum sich gegenseitig etwas abzuringen, aber kompromissfähig zu bleiben. Zusammengefasst: Eine verantwortliche Elite hat ihren Teil dazu beizutragen, dass das Vertrauen in die Autorität von Politik und staatlichen Institutionen aufrechterhalten und gestärkt wird. Hier sollte sich ein neuer Geist des Sich-verantwortlich-fühlens ausbreiten. Eliten können Zivilcourage und Nonkonformismus durch ihr persönliches Beispiel vorleben. Und sie können begründeten Optimismus verbreiten, also Mut machen. Das Bedürfnis der Bürger nach ökonomischer Sicherheit ist das eine, aber die „psychologische Sicherheit“ sollte nicht unterschätzt werden. Die notwendige Resilienz kann eben auch durch gutes Erklären und Ermutigung gestärkt werden. Dieser Mühe müssen sich Eliten unter dem Druck der neuen Herausforderungen stärker unterziehen; das öffentliche Wirken wird künftig wichtiger. Jede konstruktive Stimme wird bei sich weiter ausdifferenzierenden Gesellschaften benötigt, um Zusammenhalt zu sichern. Dafür sind Kenntnisse in Politik, Geschichte, Soziologie und Kommunikation zentral. Die Beiträge können durch neue Konzepte und Methoden wie CPR orchestriert werden. Aber am Ende müssen Eliten auch führen wollen. Das erfordert vor allem Autorität, Mut und Konsequenz – Eigenschaften, die in der Politik zu selten anzutreffen sind; sicher auch, weil unsere politische und mediale Kultur die Mutigen oft abstraft. Aber für eine funktionierende Demokratie sind sie unverzichtbar. Umso wichtiger ist, dass die Wirtschaftselite ihren Beitrag leistet. Das CPR-Konzept ist im Kontext einer notwendigen Bewegung zu sehen, ohne die wir Gesellschaften nicht zusammenhalten, individuelle Freiheiten und wirtschaftlichen Wohlstand nicht mehr garantieren können. Die Wertschätzung für öffentliche und gemeinwohlorientierte Führungsstärke ist dabei zentral. Ohne sie lässt sich gesellschaftliche Spannkraft nicht aufbauen.
3.5 Gesellschaftliche Akteure und ihre politische Rolle
3.5
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Gesellschaftliche Akteure und ihre politische Rolle
Die Ausübung von CPR bedeutet Beteiligung im Kampf um Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs. Um daran adäquat teilnehmen zu können, gilt es, die eigenen politischen Analysefähigkeiten zu schärfen, Zukunftsthemen zu erkennen und sinnvolle politische Projekte zu entwickeln, die zum eigenen Unternehmen passen. Gesellschaftspolitische Strömungen und Meinungen können nicht durch singuläre Interventionen geprägt werden. Vielmehr bedarf es wiederkehrender Kommunikationsmaßnahmen, um eigene Themen langfristig auf der Agenda zu halten und in einen Bezug zu gesellschaftlichen Erwartungen zu bringen. In einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft ist die Sprechfähigkeit zwischen den verschiedenen Teilbereichen, eine Kommunikation, die nach verbindenden Universalien sucht, immens wichtig. Die bloße Unterhaltung mit sich selbst auf Basis der eigenen Funktionslogik muss durchbrochen werden. Diese Logik trifft auch auf Unternehmen zu. Wenn sie sich erfolgreich im öffentlichen Raum positionieren und dazu ihre politische Sprechfähigkeit verbessern wollen, müssen sie ihre Selbstreferenzialität überwinden und „politische“ Sprachcodes erlernen. Politik gehört in die Mitte der Gesellschaft. Die Berührungsängste und die selbst verschuldete Sprachlosigkeit zwischen „Politik“ und „Wirtschaft“ müssen überwunden werden. Wenn Unternehmen ihre ohnehin bestehende öffentliche Rolle aktiv wahrnehmen, ihre umfangreichen Ressourcen politisch kanalisieren und damit in die Voraussetzungen ihres Wirtschaftens investieren, kann dies ein Beitrag zur Linderung von Politikverdrossenheit sein. Dazu braucht es „Pioniere des Wandels“ in den Firmen, die innerhalb der Organisation Innovationen anschieben und zu Breitenwirksamkeit verhelfen, bis sich schließlich eine neue gesellschaftliche Praxis etabliert. Gelingt dies, untermauern Unternehmen ihre Existenzberechtigung und füllen den Gesellschaftsvertrag mit Leben (WBGU 2011). Im Kampf um die Deutung gesellschaftspolitischer Entwicklungen mitzumischen, ist angesichts von Protektionismus und Populismus unternehmensstrategisch geboten. Das heißt: Wirtschaftsführer müssen politisch sprechfähig sein, Erklärungen liefern können. Oder wie ein Wirtschaftsjournalist kommentierte: „Im Privatissimum tun dies viele Vorstände bereits in aller Deutlichkeit. Öffentlich aber ducken sie sich häufig weg; das kann auf Dauer nicht gut gehen. Es geht nicht darum, mit Schaum vor dem Mund an die Mikrofone zu treten. Aber jeder kann für die eigenen Wertvorstellungen auch coram publico einstehen“. Denn: „Klare Worte dienen nicht nur dem Gemeinwohl, sondern sind auch im Eigeninteresse der Unternehmen“ (Flämig 2017, S. 1). Die Wirtschaft braucht mehr demokratischen Bekennermut – das wäre bereits ein großes Verdienst im Sinne von CPR. Die politische Verantwortung der Wirtschaft ist Teil eines neuen politischen Rollenverständnisses der gesellschaftlichen Akteure insgesamt. Ziel sollte sein, einen wirklich lebendigen gesellschaftlichen Organismus zu entwickeln. Bürger und Unternehmen müssen durch eigene Anstrengungen und im eigenen Interesse auf die Höhe der Zeit kommen. Gefragt ist eine bewusste und informierte Einmischung in öffentliche Belange. Auch könnten dadurch Talente für die professionelle Politik rekrutiert werden – vielversprechendes Personal zur Vitalisierung der Parteien.
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
Fachliche Expertise, Prozess-Know-how, aber auch besondere Exponiertheit und Reputation bieten die unterschiedlichsten Anknüpfungspunkte für gesellschaftspolitische Gestaltung. Solche Möglichkeiten zu identifizieren, zu nutzen und zu erweitern, setzen ein staatsbürgerliches Ethos und ein Verständnis der eigenen Verbundenheit mit dem Gemeinwesen voraus. Genau dies zu kultivieren, ist mit einer wohlverstandenen Politisierung gemeint. Unternehmen können dabei vorangehen. Es geht nicht darum, jeden Winkel gesellschaftlichen Lebens im Hinblick auf angemessene Politisierung zu durchleuchten. Eine umfassende politische Inanspruchnahme wäre totalitär und würde die spezifischen Zwecke der gesellschaftlichen Teilbereiche unterlaufen. Stattdessen geht es darum, politisches Bewusstsein unter Akteuren zu schaffen, die nicht primär dem Politischen zugerechnet werden – und sich diese Rolle auch nicht unbedingt selbst zurechnen. Das Buch formuliert Anregungen für sie, zu fragen, inwiefern sie von gesellschaftspolitischen Basisstrukturen wie Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit oder Toleranz profitieren und wie sie diese stärken können – freiwillig und im eigenen Interesse. Ein Schlüssel ist also, dass möglichst viele Menschen Gesellschaft verantwortlich mitgestalten. Bundespräsidenten wie Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier haben daher auch die implizite Rolle eines obersten „Staatslehrers“ für politische Bildung angenommen, indem sie die Themen Freiheit und Demokratie mit einer gewissen Emphase in den unterschiedlichsten Facetten beleuchteten. Im Idealfall funktioniert eine freiheitlich- liberale Gesellschaft wie ein gutes Orchester. Die Vielfalt und Individualität werden auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet. Die Politik dirigiert und orchestriert die Leitidee, die in einem Diskurs der Akteure (Musiker) mit den geeigneten Instrumenten harmonisch umgesetzt wird. Diesem ist allerdings ein hartes, lebhaftes Ringen um die beste Umsetzung vorausgegangen. Dabei wird das Ich – bei aller gewünschten Individualität – dem Wir untergeordnet. Viel ist bereits damit gewonnen, das Politische nicht instinktiv von sich zu weisen, sondern in Bezug auf die eigenen Tätigkeiten zu verstehen. Analog zu CPR sind also z. B. auch Wissenschaftler, Sportler oder Künstler aufgefordert, ihrer Rolle als Bürger gewahr zu werden und ein entsprechendes Selbstverständnis zu entwickeln. Die organisierte Bürgergesellschaft Politische Stabilität ist ein dynamischer Prozess. Analog dem Fahrradfahren gilt, dass sich bewegen muss, wer nicht fallen will. Das heißt unsere wertvollen politischen Güter wie Rechtssicherheit, freier Meinungsaustausch und demokratische Teilhabe bedürfen der ständigen Pflege, damit sie den Anforderungen der Zeit entsprechen. Unsere Demokratie lebt von einem bürgerschaftlichen Ethos, von politischem Engagement, das dieses freiheitliche Gesellschaftsmodell erneuert und weiterdenkt. Was hätte der Staat beispielsweise in der Flüchtlingskrise – einem genuin politischen Thema – ohne die Leistungen der Bürgergesellschaft getan? Unter CPR-Gesichtspunkten ist es nur konsequent, dass auch Unternehmen bürgerschaftlich aktiv werden sollten – als Corporate Citizens.
3.5 Gesellschaftliche Akteure und ihre politische Rolle
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Der Schweizer Publizist Frank A. Meyer (2017) bringt es auf den Punkt: „Das Bürgertum muss die Räume zurückerobern, die es geschaffen hat“. Wobei der Begriff der Bürgergesellschaft nach vorne schauend passender ist; denn er ist inkludierend. Jeder kann Teil einer aktiven Bürgergesellschaft werden, die sich für andere einsetzt. Insofern ist die Bürgergesellschaft das schlagende Herz der Gesellschaft. Wer unser demokratisches System für bewahrenswert hält, muss sich für seinen Fortbestand einsetzen. Denn wenn politische Institutionen ins Schlingern geraten, leiden auch andere gesellschaftliche Bereiche – ob Medien, Gerichte oder Unternehmen. Politikferne ist daher eine gefährliche Illusion. Die Forderungen „der Bürger“ oder „der Bürgergesellschaft“ an die Politik wie an alle anderen gesellschaftlichen Teilbereiche sind berechtigt, aber unzureichend. Sie sind – gerade in diesen Zeiten – zu kurz gesprungen, wenn sie nicht über die Karriereoptimierung im eigenen Umfeld hinausgehen. Die bisherige Richtung muss sich ändern: vom reinen Fordern hin zum Handeln, gemeinsam mit anderen. Und dann kann durch kombinatorische Intelligenz Neues entstehen, meist an den Grenzen verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche und Disziplinen – dort, wo nicht nur ganz unterschiedliche Ideen und Konzepte, sondern auch Institutionen-Vertreter und normale Bürger zusammenkommen. Dafür werden vielfältige und kreative Dialogformen benötigt. Das bürgerschaftliche Vermögen im doppelten Sinne – die ideellen und inhaltlichen Fähigkeiten einerseits und materiellen Ressourcen andererseits – sollten zusammengeführt und genutzt werden. Was aufgeklärte, selbstbewusste Bürger vermögen und wie sie es vermögen, sollte zum eigentlichen Repertoire und Schatz der Gesellschaft werden. Die Wissenschaft Ein Paradebeispiel für die Abhängigkeit der Wissenschaft vom politischen Klima ist die Geschichte der Central European University (CEU). Im Jahre 1991 von Intellektuellen wie Václav Havel mit Unterstützung des amerikanischen Investors und Philanthropen ungarischer Herkunft, George Soros, gegründet, sollte die CEU nach dem Kalten Krieg die offene Gesellschaft fördern. Ein Vierteljahrhundert lang bildete sie Master-Studenten und Doktoranten in den Geistes- und Sozialwissenschaften, in Jura, den Umweltwissenschaften, Wirtschaft und Mathematik aus. Doch von 2016 an musste die angesehene Universität um ihre Existenz in Budapest kämpfen, unter breiter Mitwirkung der ungarischen Zivilgesellschaft. Obwohl die CEU die Anforderungen des neuen Hochschulgesetzes erfüllte, verweigerte ihr Ministerpräsident Viktor Orbán den Fortbestand. Die CEU beschloss daraufhin, bis 2025 ihren Betrieb vollständig von Budapest nach Wien zu verlegen. Im Jahr 2019 begann in Wien-Favoriten der Studienbetrieb (Rath 2020). Der Fall verdeutlicht, dass die europäische Forschungslandschaft zur Aufrechterhaltung ihrer akademischen Freiheit darauf angewiesen ist, dass demokratische, rechtsstaatliche Standards in der EU nicht korrumpiert werden. Da die Wissenschaft die Politik nicht loswird, sollte sie in ihrem Sinne und mit ihren Mitteln auf die Politik einwirken – d. h. für Aufklärung streiten, gegenüber kalter Machtausübung auf Begründungen insistieren, den Austausch von Ideen und Argumenten bewerben.
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In funktionierenden Demokratien muss die geistige Freiheit an Universitäten bisweilen gegen linke Aktivisten verteidigt werden, die den Korridor zulässiger Meinungen zu verengen suchen. Doch lässt die Mehrheit – teils aus Apathie, teils aus Feigheit – die kompromisslosen Minderheiten häufig gewähren. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat das Phänomen bereits in den Blick genommen und eine Resolution unter dem Titel „Zur Verteidigung der freien Debattenkultur an Universitäten“ verfasst. Der Befund: „Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen sinkt“. An einer Hochschule müsse man jedoch akzeptieren, „mit Vorstellungen konfrontiert zu werden, die den eigenen zuwiderlaufen“. Mit der Resolution wendet sich der 32.000 Mitglieder starke DHV auch an die Hochschulleitungen, die manchmal nicht die Courage aufbringen, sich schützend vor diejenigen zu stellen, die ihre wissenschaftlichen Thesen kundtun wollen (Kissler et al. 2019). Grundsätzlich müsste das Ziel sein, die schweigsame Mitte dahingehend zu politisieren, dass sie konstruktiv für freies Debattieren eintritt – zumal an einem Ort, der genau dafür geschaffen ist. Dennoch findet sich selbstredend politisches Engagement in der Wissenschaft. Beispielsweise wartet die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit neuen politischen Ideen zum Zusammenhalt der EU auf. Ihr Ziel ist eine europäische Bildungs-, Forschungs- und Innovationsgemeinschaft. Ausgehend vom Gedanken der eminenten Bindekraft von Bildung und Kultur wirkt die HRK somit den Fliehkräften in der krisengeschüttelten Union entgegen. Hochschulbildung wird im Rahmen der anvisierten Gemeinschaft breit gedacht: Neben der Vermittlung von Fachwissen zur Berufsbefähigung von Absolventinnen und Absolventen kommt es vor allem an auf Persönlichkeitsbildung, kritisches Denkvermögen, Bürgersinn und Toleranz gegenüber Andersdenkenden (Hochschulrektorenkonferenz 2017). Und die gesamte Allianz der Wissenschaftsorganisationen bekennt in einer Stellungnahme vom 19. Februar 2015 unmissverständlich: „Wissenschaft braucht ein weltoffenes Klima“. Unsere alternde Gesellschaft sei auf Zuwanderung angewiesen, zudem lebe speziell die Wissenschaft von Internationalität und dem kreativen Beitrag von Menschen anderer Kulturen, Religionen und Nationalitäten. Mehr als 300.000 Studierende stammten inzwischen aus dem Ausland – ein Ausdruck der internationalen Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Deutschland. Dieses Renommee kann jedoch nur langfristig bestehen, wenn Forscherinnen und Forscher samt ihren Familien sich hier willkommen und unterstützt fühlten. Es gelte daher, „alle Kräfte zu bündeln, damit Deutschland ein offener, toleranter und internationaler Wissenschaftsstandort bleibt“ (Allianz der Wissenschaftsorganisationen o. J.). Wissenschaftspolitische Akteure wie auch Wissenschaftler selbst gestalten also bereits den öffentlichen Raum mit. Beispielsweise fordern sie unter dem Stichwort evidenzbasierte Politikentscheidungen Respekt für rationale, wissenschaftliche Erkenntnisse und treten damit verbreiterter Skepsis gegenüber klassischen Formen der Expertise entgegen. Gleichzeitig gilt es, technokratischen Fantasien, Politik ließe sich in Wahrheitssätzen auflösen, Vorschub zu leisten. Wissenschaftler müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sich aus Fakten allein keine Handlungsimperative ergeben, weil sie im Hinblick auf ihren Ursprung, ihre Auswahl und Interpretation vieldeutig bleiben.
3.5 Gesellschaftliche Akteure und ihre politische Rolle
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Demokratische Politik, die immer auf Offenheit, Meinungsstreit, also auf das Sich- irritieren-lassen angewiesen ist, verträgt sich nicht mit dem absolutistischen Anspruch auf letztgültige Wahrheit. Wissenschaft und Demokratie treffen sich in dem Punkt, dass sie beide „Kulturen des Vorbehalts“ sind, die stets ihre eigene Fehlbarkeit im Blick haben sollten. Genau darin liegen das Versprechen und die Herausforderung der Freiheit (Fischer und Strohschneider 2017, S. 12). Dazu gehört auch, die Grenzen politischer Gestaltungsmöglichkeiten anzuerkennen. Wissenschaftliche Evidenz ist nicht zwingend Trumpf im komplexen Willensbildungsprozess, richtiges Erwartungsmanagement daher unabdingbar. Diese Einsicht kann helfen, verloren gegangenes Vertrauen in politische Institutionen sowie Governance zu stärken (Chiose 2016). In den klassischen Geisteswissenschaften wiederum wird diskutiert, die Figur des öffentlichen Intellektuellen – im angelsächsischen Raum wird von „public intellectual“ gesprochen – zu revitalisieren, welcher sich mit klugen Zeitdiagnosen um Wirkung bemüht. Bekannte Beispiele sind unter anderem der Philosoph Jürgen Habermas, der Soziologe Heinz Bude, der Jurist und Soziologe Udo di Fabio, der Politologe Herfried Münkler sowie die Historiker Heinrich August Winkler und Andreas Rödder. Die Denker sollen sich einmischen, gerne mit produktiven, aufrüttelnden Polemiken, wie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen vorschlägt. Die Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter weist daran anknüpfend den Professoren eine „kommunikative Verantwortung für das Gemeinwohl“ zu. Diese müssten „in einem emphatischen Sinne aufklären und wissenschaftlich argumentieren“ und schließt den Appel an: „Gedankenreichtum erzeugen, wo Stumpfsinn herrscht, für Verständnis werben, wo Unverständnis regiert. Professoren könnten ihrer Sache in Politik und Öffentlichkeit Gehör verschaffen, wenn sie es wie die Intellektuellen machen: unabhängig und kritisch denken und sich aufeinander beziehen. Professorinnen und Professoren, engagiert euch!“ (Richter 2015). Wissenschaft kann gesellschaftspolitische Strukturen stärken und damit die Bedingungen der Möglichkeit ihrer eigenen Existenz sichern. Mit mehr Mut können Wissenschaftler noch aktiver zu Verbündeten im Ringen um eine wirksame Gesellschaftspolitik werden. Provokant zugespitzt lässt sich mit dem Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff (2017, S. 63) fragen: „Wo bleibt die überparteilich-differenzierende Stimme der Politikwissenschaften? Schlüge nicht genau jetzt die Stunde einer versachlichenden Religionswissenschaft? Warum schweigt die Germanistik zur politischen Rhetorik des Populismus? Wer äußert sich hörbar aus Kunst-, Bild- oder Medienwissenschaften zu den ästhetischen Strategien der Macht? Und hat die Philosophie außer ein paar TV-Denkern überhaupt noch etwas zu melden?“ Ganz in diesem Sinne weist der Wissenschafts-Journalist Martin Spiewak (2017, S. 33) darauf hin, dass entgegen den Berichten einer Erosion der Wissenschaft diese in einer komfortablen Lage sei: „Sie genießt mehr Freiheit und Prestige, ihre Deutungsmacht war noch nie so allgegenwärtig“. Die Finanzierung sei aufstrebend, die Zahl wissenschaftlich ausgebildeter Menschen steige kontinuierlich und politische Entscheidungen würden zunehmend auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen. Der Wissenschaft komme, ganz im Gegensatz zu „Partei“, „Eltern“ oder „Chef“, die an Überzeugungskraft
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verlieren, besondere Autorität zu. Mehr als die Hälfte der Deutschen wünsche sich laut einer Emnid-Umfrage einen größeren Einfluss wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Politik. Die große Frage ist, ob Wissenschaftler den Willen entwickeln, die zweifellos großen Handlungsspielräume auch beherzt zu nutzen. Die Medien Keine Frage: Auch die Medien sind ein zentraler Akteur im öffentlichen Raum. Sie umkreisen, vermitteln und kommentieren die Politik, informieren, analysieren und kritisieren. Worin kann abseits ihres journalistischen Kerngeschäftes der gesellschaftspolitische Auftrag der Medien bestehen? Wodurch stärken sie den demokratischen, pluralistischen Staat und damit ihr eigenes Fundament? Zum Beispiel können Medienakteure den investigativen Journalismus fördern. Welche Sprengkraft dies zu erzeugen vermag, hat die Aufdeckung von globaler Steuerhinterziehung und -vermeidung im Kontext der Panama Papers und Paradise Papers gezeigt. Ein weiterer Baustein kann die Förderung des Lokaljournalismus sein. Durch eine Stärkung der medialen Präsenz abseits urbaner Metropolen bestünde die Chance, auch Lebensweisen zu porträtieren, die in den letzten Jahrzehnten an kultureller Prägekraft eingebüßt haben. Die geografische und soziale Vielfalt der Verhältnisse in den Blick zu rücken, wäre ein Schritt in Richtung eines gesteigerten wechselseitigen Verständnisses als Voraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Natürlich darf beim Thema der politischen Verantwortung der Medien die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht fehlen. Er hat „den verfassungsrechtlich vorgegebenen Auftrag, einen Beitrag zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu leisten und so zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beizutragen“. Das Angebot hat dementsprechend „der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Eine Beschränkung oder Reduzierung dieses Programmauftrags oder eine Fokussierung nur auf Bildung und Information ist verfassungsrechtlich unzulässig“. Dennoch sind es primär die Informationsangebote, welche die öffentlich-rechtlichen von den privaten Anbietern abgrenzen und ihren Mehrwert ausmachen (Aufgabe und Funktion ARD o. J.). Angesichts des signifikanten Programmanteiles von „Fußball, Musikanten und Nordseekrimis“, wie es Jürgen Kaube (2017) einmal zuspitzte, wäre eine forcierte Schwerpunktsetzung bei politischer und kultureller Bildung angezeigt. Der Sport Aus der Welt des Sports kommt ebenfalls der Fingerzeig, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sich aktiv dafür einzusetzen. So lebt beispielsweise der Bundesliga-Fußball davon, die besten Spieler- und Trainertalente auch aus dem Ausland für sich zu gewinnen und damit das Niveau attraktiv zu halten. Dass jedoch internationale Transfermärkte und Partien keine Selbstverständlichkeit sind, sondern an politische Voraussetzungen wie Arbeitnehmerfreizügigkeit und Reisefreiheit geknüpft, macht die gegenwärtige Gefahr nationalistischer Abschottung deutlich. Anfang 2017 beispielsweise kritisierte der damalige Trainer von Werder Bremen, der Deutsch-
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Iraner Alexander Nouri, das Dekret des US-Präsidenten Trump, den Bürgern sieben mehrheitlich muslimischer Staaten, darunter Iran, die Einreise in die USA zu verweigern. „Im Sport würde der US-Präsident für sein Verhalten wohl eine rote Karte für unsportliches Verhalten kassieren“, illustrierte Nouri und zeigte sich „besorgt, wie unsere demokratischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gerade mit Füßen getreten werden. Nicht nur in den USA. Kein demokratisch denkender Mensch darf es hinnehmen, dass andere Menschen pauschal verurteilt und abgestraft werden“ (Werder 2017). In gewisser Weise ist ein Sportverein wie eine gesellschaftliche Plattform. Schließlich treffen sich dort regelmäßig Menschen aller Schichten und Altersgruppen und üben soziales und zunehmend auch politisches Verhalten ein. Durch die umfassende Beliebtheit des Fußballs sind Fußballfans ein besonders repräsentatives Spiegelbild der Gesellschaft. Die Führungsriege eines Fußballvereins muss sich mittlerweile in großer Regelmäßigkeit zu politischen Themen positionieren, die quasi in die Stadien hineingespült werden. Wie soll mit Rassismus und Antisemitismus umgegangen werden? Wie mit der AfD? Auch hier positionierte sich Werder Bremen mit seinem Präsidenten Hubertus Hess-Grunewald in besonders klarer Weise. Er machte deutlich, dass die Werte von Werder Bremen nicht mit dem übereinstimmen, wofür die AfD steht (Kamann 2018). Nationalmannschaften bieten eine besondere Projektionsfläche für Identität und Solidarität. Fußball und Politik sind strikt zu trennen, sagen UEFA und FIFA ausdrücklich. Nach dem militärischen Gruß türkischer Spieler in der EM-Qualifikation nach der Militäraktion der Türkei in Syrien leitete der europäische Fußball-Verband ein Verfahren ein. Es war nicht das erste Mal, dass politische Botschaften aus dem Stadion gesendet wurden. Der FC St. Pauli reagierte sehr konsequent und stellte seinen türkischen Spieler Cenk Sahin frei. Der Profi hatte die Militäraktion gutgeheißen und damit für viel Wirbel gesorgt. Auf seinem Instagram-Account schrieb er in türkischer Sprache: „Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch!“ Angehängt war dabei auch der Name der türkischen Militäroperation (Sport1 2019). Aber natürlich bietet der Sport auch die quasi-politische Chance, das eigene Land in aller Welt positiv zu repräsentieren. Es ist kann kaum überschätzt werden, wie sehr das gute Auftreten der deutschen Nationalmannschaft, auch als „Die Mannschaft“ bezeichnet, bei den Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland und 2014 in Brasilien, auch abseits des Platzes, unserem Land „politisches Kapital“ eingebracht hat. Allerdings kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Autoritäre Regime wie früher die DDR oder das heutige Russland ergriffen besondere Anstrengungen bis hin zur Manipulation (Stichwort Doping), um ihre Reputation zu stärken und mussten dann mit den Folgekosten leben. In den USA hat das Knien des Football-Profis Colin Kaepernick während der Nationalhymne eine politische Kontroverse ausgelöst. Kaepernick, selbst Afroamerikaner, verstand seine Aktion als Protest gegen Rassismus, seine Gegner sahen darin eine Verunglimpfung der Nation. Es geht also um den Umgang mit Geschichte und die Deutungshoheit über Patriotismus und nationale Symbole. Auch Präsident Trump mischte sich als harscher Kritiker Kaepernicks in die Auseinandersetzung ein. Der Fall steht dabei durchaus in einer Traditionslinie: „Der politische Protest als Teil des Sports, oder umgekehrt,
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der Sport als Teil der Protestkultur, hat eine lange Geschichte“ (Günther 2017). Man denke an Muhammad Ali, der unter anderem gegen den Vietnamkrieg Stellung bezog. In der Trump-Ära erreicht die Politisierung von Sportlern nun ein neues Hoch (Günther 2017). Die Causa Kaepernick ist darüber hinaus interessant, weil sie im Zuge einer Marketingmaßnahme von Nike aufgegriffen wurde und insofern direkte CPR-Relevanz besitzt. (Der Fall wird in Teil III näher beleuchtet.) Kunst und Kultur Von der Schauspielerin Isabelle Huppert stammt das Zitat: „Kunst ist überhaupt nicht dafür da, um in der allgemeinen Spur zu sein, sondern eben, um den Schritt daneben zu machen, sogar, um zu beunruhigen“. Kunst will Menschen zu einer Reaktion, zum Nachdenken bringen – sie will Fragen stellen, ohne notwendigerweise Antworten zu liefern (Gropp 2017, S. 9). Hupperts Gedanke hat eine politische Qualität. Denn „den Schritt daneben zu machen“, heißt auszuloten, zu experimentieren, inwiefern die Dinge anders sein könnten. Diese Frage wachzuhalten, ist konstitutiv für Demokratien, weil sie Freiheitsgraden nachspürt und Zukunftsentwürfe anzuregen vermag. Demokratie ist ein diskursorientiertes Systemmodell, das sich, um zukunftsfähig zu bleiben, auf Grundlage von Kritik und Auseinandersetzung konstruktiv weiterentwickeln muss. „Aus diesem Grund benötigt Demokratie in schwierigen Zeiten auch kritische und korrektive Stimmen aus der Kultur“, so Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (2018). Kunst werde dann politischer, wenn Freiheitsrechte, auch von Menschen außerhalb des Kunstbetriebes, auf dem Spiel stünden. Herbert Grönemeyer stützt diese These: „Im Moment geht es darum, den Menschen von linksliberal bis wertkonservativ klarzumachen, dass wir das Land zusammenhalten müssen“ (Benninghoff und Georgi 2018). Wie Kultur ganz handfest politisch sein kann, haben beispielsweise die Dresdner Sinfoniker vorgeführt. Sie spielten im Juni 2017 aus Protest gegen Abschottung und Nationalismus ein Konzert an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Der Auftritt in Tijuana stand unter dem Motto „Tear Down This Wall“ und richtete sich, wie der Orchester- Intendant Markus Rindt (2017) betonte, in einem umfassenden Sinne gegen die Mauern in den Köpfen. Denn Musikensembles – zumal diejenigen mit hohem künstlerischem Anspruch – leben von der Internationalität ihrer Mitglieder, also ausreichend durchlässigen politischen Strukturen. Im Showbusiness wiederum reiben sich amerikanische Late-Night-Moderatoren mit aufklärerischem Witz an Präsident Trump und betreiben damit hintergründig Journalismus. Freilich laufen sie dabei Gefahr, in den Grenzen ihrer liberalen Weltbeschreibungen gefangen zu bleiben und letztlich die gesellschaftspolitische Polarisierung zu befördern. Kirchen und Religion Religion ist die Organisationsform des Glaubens. Weil organisierter Glauben sich zur Gesellschaft verhalten muss, ist Religion politisch. In Deutschland wird durch eine politische Entscheidung die Kirchensteuer über die staatlichen Finanzämter eingezogen. Die Kirchen als Organisationen des Glaubens sind gesellschaftlich äußerst aktiv. Die reli-
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giösen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie beispielsweise sind Eckpfeiler der freien Wohlfahrtspflege und damit des Sozialstaates der Bundesrepublik. Mit über 610.000 Mitarbeitern ist die Caritas (o. J.) der größte privatrechtliche Arbeitgeber Deutschlands, die Diakonie steht ihr mit über 460.000 Mitarbeitern nur wenig nach. Diese Zahlen verdeutlichen die enorme sozialpolitische Relevanz kirchlicher Organisationen, die sich beispielsweise in der Altenpflege, Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenbetreuung, Bildung und in Maßnahmen für Arbeitslose zeigt. Wenn Kirchen also de facto politische Akteure sind, lohnt es, ihre Rolle genauer in den Blick zu nehmen. Wie diese aussehen könnte, erläutert der evangelische Theologe Professor Friedrich Wilhelm Graf. Dabei benennt er auch unmissverständlich die Ambivalenzen und Fallstricke des kirchlichen Engagements: „Die Kirchen sind in einer pluralistischen, demokratisch verfassten Gesellschaft nichts anderes als große Verbände. Wie viele andere Verbände können auch sie sich zu politischen Fragen äußern“. Dabei gelte es sich jedoch zu fokussieren: „Weniger ist oft mehr. Alles andere führt nur zu Verschleißerscheinungen“. Graf führt aus: „Die Themen Asyl, Aufnahme von Flüchtlingen und Solidarität mit Marginalisierten sind genuine Themen religiöser Überlieferung, nicht nur der christlichen. Aber auch dabei kommt es darauf an, wie man sich am gesellschaftlichen Diskurs beteiligt. Die Kirchen sollten nicht einfach steile moralische Forderungen erheben, sondern mit für ein gesellschaftliches Klima sorgen, in dem solche Fragen sachlich diskutiert werden können. Und noch besser ist es, wenn die Kirchen für die eigenen Positionen praktisch einstehen, indem sie zum Beispiel Angebote zur Unterbringung von Asylbewerbern machen“. Einen nützlichen praktischen Beitrag sieht Graf zudem in der Stärkung Europas, indem Kirchen „Austauschprozesse in Gang bringen“, namentlich durch „Partnerschaften von Kirchengemeinden, Jugendgruppen und ähnliches“ (Zeitzeichen 2013). Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bringt es auf die Formel: „Wer fromm ist, muss auch politisch sein“. Denn: „Gerade weil der Gott, an den Christenmenschen glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern ihr zuwendet, hat das Evangelium stets politische Bedeutung“. Auch Bedford-Strohm (2017, S. 6) unterstreicht indes, dass Empörung nicht zum Ersatz für „das geduldige Bohren dicker Bretter im politischen Alltagshandeln“ werden dürfe. Ein Blick auf christlich fundierte Bildung scheint hier erhellend: Persönlichkeitsbildung mit dem Ziel, die Vermittlung von Wissen mit der Einübung von Haltungen und Tugenden zu verbinden, der Fokus auf das Individuum in seinem sozialen Kontext, der Einbezug der spirituellen Dimension, also der Bedingtheit menschlicher Existenz angesichts größerer nicht fassbarer Mächte. Hier liegt die entscheidende Vorprägung des Individuums in christlich orientierten Weltregionen, auch im Blick auf eine soziale und politische Verantwortungsbereitschaft. Insgesamt ist die Stimme der Kirche also gefragt, ohne jedoch gesellschaftspolitische Allzuständigkeit und ethische Eindeutigkeit bei heiklen Themen zu suggerieren. Selbstreflexion verbietet den moralischen Überlegenheitsgestus selbstgefälliger Politpredigten; nötig ist vielmehr ein klarer inhaltlicher Schwerpunkt basierend auf religiöser
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Überlieferung, der den Restriktionen politischen Handelns Rechnung trägt. Wird dies übersetzt in effektives Engagement, übernimmt die Kirche eine wichtige und verantwortungsvolle Rolle im öffentlichen Raum. Stiftungen, Philanthropen, NGOs Die gemeinwohlorientierten Unternehmensstiftungen sind wesentliche Akteure – gewissermaßen ein „Schmiermittel“ – an der Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft. Ob Bertelsmann-, Bosch- oder BMW-Stiftung – sie vermitteln wissenschaftliche Erkenntnisse und organisieren Begegnungen im öffentlichen Raum und leiten daraus gesellschaftliche Handlungsempfehlungen ab. Stellvertretend soll hier das Responsible-Leaders-Netzwerk der BMW-Stiftung erwähnt werden. Es versteht sich als vielfältige globale Gemeinschaft, die positiven Wandel vorantreibt. Responsible Leaders sind Führungspersönlichkeiten, die über ihre professionellen und persönlichen Aufgaben hinaus ihr Wissen und Netzwerk für die Gesellschaft einsetzen – sektor-, länder- und kulturübergreifend. Damit nehmen sie Verantwortung in einem größeren Zusammenhang wahr. Die Stiftung fördert zudem Instrumente und Initiativen, um die rund 2500 Netzwerk- Mitglieder zu mobilisieren und ihre Wirkung für das Gemeinwohl zu verstärken (BMW Responsible Leaders Network o. J.). Das Wirken der Unternehmensstiftungen wirft die Frage auf: Handelt es sich dabei um CPR? Es ließe sich argumentieren, das gesellschaftspolitische Engagement brauche oder solle gar nicht aus den Unternehmen selbst kommen, sondern könne auf diese Weise delegiert werden. Klar ist: Stiftungen wirken in die Zivilgesellschaft, nehmen ordnungspolitische Zusammenhänge in den Blick, werden bürgerschaftlich aktiv etc. Aber sie sollen diese Aufgaben, wie die Empfehlungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen explizit festhalten, weitgehend unabhängig vom Stifterunternehmen erfüllen (Bundesverband deutscher Stiftungen 2016). Das gilt personell, finanziell wie auch inhaltlich. Und in dieser Abspaltung der im weitesten Sinne politischen Tätigkeiten vom eigentlichen Unternehmen liegt die Differenz zu genuiner CPR. Denn CPR setzt gerade nicht auf das Outsourcing gesellschaftspolitischer Verantwortungsübernahme, sondern koppelt sie mit dem Unternehmen selbst. Der Kern ist das Erzielen von Win-win-Lösungen zwischen Unternehmen und Staat, basierend auf der Einsicht, dass Unternehmen, indem sie staatliche Infrastrukturen stärken, auch ihre eigenen Geschäftsgrundlagen stärken. Bei CPR geht es also nicht unspezifisch um gesellschaftspolitisches Engagement im Allgemeinen, sondern um dessen strategischen Fokus auf das Unternehmen. Corporate Political Responsibility verdeutlicht, dass Unternehmen selbst politisch denken und handeln müssen, um erfolgreich zu sein. Auch Unternehmen, die Stiftungen gegründet haben, sollten daher CPR betreiben. Stiftungen sind kein Ersatz für CPR, vielmehr ergänzen sich beide Formen des gesellschaftspolitischen Engagements. Ein Sonderfall von Stiftungen sind diejenigen finanzstarker Philanthropen wie Bill Gates, Mark Zuckerberg oder George Soros. Die Personalisierung des Stiftungsengagements wirft hier in besonderer Weise die Frage auf, inwiefern solche NGOs als private
3.6 Aus Fehlern lernen: Der Fall Pegida in Sachsen
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Machtvehikel dienen – oder auch missbraucht werden. Grundsätzlich sind Initiativen für die offene Gesellschaft, bessere Gesundheitsversorgung oder Bildung zu begrüßen. Karitatives Handeln von Superreichen im Gewande einer NGO muss aber unter derselben Prämisse stehen wie CPR: Beurteilungsmaßstab ist der Primat des Politischen. Philanthropen dürfen demokratische Prozesse nicht untergraben.
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Aus Fehlern lernen: Der Fall Pegida in Sachsen
Was passiert, wenn Unternehmen es versäumen, sich konstruktiv in den öffentlichen Raum einzubringen, zeigt der Fall Pegida in Sachsen. Gesellschaftspolitische Verwerfungen führten zu einer massiven Beschädigung des Wirtschaftsstandortes. Ausgelöst durch die Flüchtlingskrise 2015 kam es zu fremdenfeindlichen Protestmärschen der Pegida- Bewegung. Die Bilder der aufgebrachten Mengen und Krawalle um Flüchtlingsunterkünfte gingen nicht nur hierzulande um, sondern wurden in die Welt getragen. Der politische und gesellschaftliche Imageschaden für Ostdeutschland war gewaltig – mit negativen Konsequenzen für dortige Unternehmen. Man könnte auch sagen: Der öffentliche Raum mit seinem Diskursverhalten wurde einem Stresstest unterzogen. Im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016 heißt es: „Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Intoleranz stellen eine große Gefahr für die gesellschaftliche, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar. Ostdeutschland wird nur als weltoffene Region, in der sich alle dort lebenden Menschen zu Hause fühlen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben, gute Entwicklungsperspektiven haben“. Im wirtschaftlichen Wettbewerb um die besten Fachkräfte ist der aggressive Populismus Gift für die ostdeutschen Regionen: Investoren werden skeptisch, Fachpersonal wandert ab oder zieht gar nicht erst hin – es kommt zum „Braindrain“. Eine leistungsfähige Marktwirtschaft kann sich Intoleranz nicht erlauben. Wer keine weltoffene Haltung zeigt und sich Fremden gegenüber nicht anständig verhält, ruiniert den eigenen Standort. Um das zu verhindern, dürfen sich Unternehmen nicht nur auf die Politik verlassen, sondern müssen selbst tätig werden. Mitnichten ist die große Mehrheit der Ostdeutschen fremdenfeindlich – aber diese Mehrheit bezog zunächst nicht deutlich Stellung und musste lernen, sich wirksamer zu organisieren. Die Wirtschaft muss ein integraler Bestandteil einer solchen bürgerschaftlichen Allianz für eine offene Gesellschaft sein. Dazu der Bericht der Bundesregierung (2016): „Zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist nicht nur das Engagement der Bundesregierung, sondern auch das Engagement aller gesellschaftlichen Akteure gefragt. Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Händler, Vereine und Gemeinden haben ein gemeinsames Interesse, Fremdenfeindlichkeit, Extremismus und Gewalt möglichst keinen Raum zu lassen“. Die „Unternehmen und Händler“ stehen mit ihren enormen Ressourcen in besonderer Verantwortung, ihren
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
Beitrag zum Erhalt der Demokratie zu leisten, z. B. durch Community Organizing,3 Aufklärungsarbeit und Dialogformate. Für die Bundesregierung ist gerade der Arbeitsplatz – einer der wesentlichen Begegnungsorte im Leben der Menschen – wichtig, um „Zivilcourage“ einzuüben und „menschen- und demokratiefeindliche Äußerungen zurückzuweisen“. Zivilcourage ist zweifellos nützlich, aber nicht hinreichend. Unternehmen sollten den Kampf gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit nicht nur der aufrechten Gesinnung und dem Einsatz ihrer individuellen Mitarbeiter überantworten. Denn Unternehmen sind als Institutionen von stabilen politischen Verhältnissen abhängig. Deshalb sollten sie auch als Institutionen strategisch in die gesellschaftspolitischen Grundlagen ihres eigenen Standortes investieren. Wer wegschaut anstatt zu handeln, schwächt sein Geschäft. Nicht nur in Sachsen können sich Unternehmen einen politisch „blinden Fleck“ nicht leisten. Wie die Mitgestaltung des öffentlichen Raumes in Sachsen gelingen kann, zeigt der Fall Schneeberg im November 2013: Die örtliche Politik demonstrierte erfolgreich, wie in der Migrations- und Asylfrage auf Fremdenfeindlichkeit, aber auch berechtigte Sorgen von Bürgern, eingegangen werden kann. Infolge eines von einem NPD-Funktionär organisierten Protests gegen eine geplante Asylunterkunft sprach der Bürgermeister zur Bevölkerung, warb um Mitgefühl und Verständnis für Flüchtlinge, bezog aber auch die Vorbehalte der Menschen ein. In einer Reihe von Bürgerversammlungen wurde kontrovers diskutiert und das Klima sukzessive versachlicht. Entscheidend war dabei professionelle Moderation, in diesem Falle übernommen von Frank Richter, dem damaligen Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Der Protest ebbte ab, weil der Konflikt ernst genommen und politisch bearbeitet wurde. So zeigte sich die Problemlösungsfähigkeit der freiheitlichen Ordnung. Ganz nach dem Motto: „Kommunikation kann schiefgehen. Nicht-Kommunikation wird auf alle Fälle schiefgehen“ (2017). In ähnlicher Weise veranstaltete die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag) Seminare zum Thema Weltoffenheit für ihre Auszubildenden. Porsche in Leipzig vergibt jährlich einen Preis für Engagement gegen Rechtsextremismus. Und nach rassistischen Übergriffen auf Flüchtlinge im sächsischen Heidenau wandelte Fisherman’s Friend seinen Werbeslogan ab. Aus „Sind sie zu stark, bist du zu schwach“ wurde „Sind sie zu bunt, bist du zu braun“, verbunden mit dem Twitter-Hashtag „mundaufmachen“. Die Aktion verbreitete sich rasend schnell in den sozialen Medien und erhielt innerhalb weniger Stunden über 50.000 Likes. In Brandenburg setzt sich ArcelorMittal Eisenhüttenstadt bereits seit Ende der 1990er-Jahre gegen rechte Gewalt und für Vielfalt und Toleranz ein. Das Unternehmen ist einer der größten Arbeitgeber des Landes (Feldhaus 2017).
Für eine Einführung zum Thema siehe: DICO – Deutsches Institut für Community Organizing; Leo Penta (2007).
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3.7 Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefordert!
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Alle gesellschaftlichen Akteure sind gefordert!
Das gemeinsame konkrete Einstehen aller gesellschaftlichen Akteure für staatliche Institutionen und eine konstruktive öffentliche Debattenkultur würde einen enormen zivilisatorischen Fortschritt bedeuten. Ein lebendiges, widerstandsfähiges Gemeinwesen lebt davon, dass alle gesellschaftlichen Akteure sich für seine Pflege in die Pflicht nehmen lassen und, wie im Fall von Pegida in Sachsen, aus Fehlern im Umgang mit Andersdenkenden lernen. Staatliche Steuerungsfähigkeit könnte durch das Governance-Konzept wiedergewonnen werden. Hinzu sollten ein neuer Bürgerethos und eine „Politik des Alltags“ kommen, wie Ralf Fücks (2017, S. 72) schreibt. Dies könnte – trotz all seiner „Irrungen und Wirrungen“ – ein wesentliches Erbe von „1968“ sein: „die praktische Verbesserung der Gesellschaft von innen heraus, eine weltbürgerliche Haltung, eine Leidenschaft für politische Öffentlichkeit, ein anhaltendes soziales Engagement, das Insistieren auf Selbstbestimmung und demokratische Partizipation“. Die Botschaft der Neuvermessung des öffentlichen Raumes inklusive der politischen Kultur ist klar: Politische Verantwortungsübernahme und demokratische Wehrhaftigkeit muss wichtiger werden – auf die Haltung kommt es an! Der Gründer des US- Speiseeisherstellers Ben & Jerry’s, Ben Cohen, kommt der idealen CPR-Haltung ziemlich nahe, wenn er sagt: „Viele Unternehmen sind politisch, die meisten aber hinter den Kulissen, wo es niemand sehen kann. Sie machen Lobbyarbeit oder spenden große Summen an Politiker. Ben & Jerry’s ist anders: Wir beziehen öffentlich Stellung, zum Wohle der Allgemeinheit“. Und weiter: „Es ging uns von Anfang an nicht ums Image, wir wollten Flagge zeigen. Aber je stärker wir Position bezogen – für Naturschutz, für soziale Gerechtigkeit oder gegen Rassismus, desto besser verkaufte sich unser Eis. Wenn man der Gesellschaft etwas gibt, bekommt man etwas zurück“4 (Kühn 2019, S. 52). Die gesellschaftliche und politische Geschäftsgrundlage der Unternehmen ist offensichtlich gefährdet. Gleichzeitig können sich neue Chancen der Positionierung bieten, wenn die Zeichen der Zeit richtig gedeutet werden und die wirtschaftlichen Eliten Leadership-Qualitäten zeigen. Was ist für Unternehmen in dieser Situation also konkret zu tun? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass eine Neugestaltung des öffentlichen Raumes ein umwälzender Prozess wäre – ganz im Sinne einer „Lernenden Demokratie“. Prozesse sind dann besonders wirksam, wenn sie konzeptionellen und methodischen Leitplanken folgen. Das CPR-Konzept beginnt mit der Entwicklung einer konsequenten Haltung. Unternehmen sollten sich als kraftvolle, aber demütige Co-Kreatoren von Gesellschaft und Politik begreifen. Dafür muss die Wirtschaft mehr von Politik verstehen – und umgekehrt. Vor allem sollten Unternehmen ihre politische Verantwortung nicht nur an Verbände delegieren, sondern ihre Strahlkraft durch direktes Engagement vergrößern. Die Ein Ben & Jerry’s Eisbecher zeigte amerikanische Ureinwohner mit einem Schild, auf dem „Widerstand“ stand. Die Botschaft war deutlich. Cohen: „Wir wollten ein Zeichen setzen. Trumps Rassismus und sein Hass sind mit den Werten unseres Unternehmens nicht vereinbar“. 4
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3 Gestalten: Den öffentlichen Raum neu beleben
neue Haltung sollte sich deshalb in der Entwicklung und Führung einer politischen Marke durch den Prozess des Political Branding ausdrücken – womit die Themen der nächsten beiden Kapitel benannt sind.
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Teil II Haltung zeigen: Corporate Political Responsibility (CPR)
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Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
Zusammenfassung
Dass Unternehmen eine politische Haltung benötigen, hängt mit ihrer ambivalenten Rolle im Hinblick auf staatliche Steuerungsfähigkeit zusammen. Einerseits stellen Unternehmen mit ihren schnelltaktigen, globalen wirtschaftlichen Aktivitäten eine Herausforderung für politische Gestaltung dar; andererseits liegt in ihrer Ressourcenfülle die Chance zur Rückgewinnung staatlicher Handlungsmacht. Damit Unternehmen ins politische Handeln kommen, sind zwei ideelle Voraussetzungen wichtig. Erstens: Politik ist mehr als Parteipolitik – alle gesellschaftlichen Akteure sind als Bürger für demokratisches Gelingen verantwortlich. Zweitens: Nachhaltig zu investieren, heißt, in die politischen Vorbedingungen des wirtschaftlichen Erfolges zu investieren – die demokratische Ordnung. Um den strategischen Mehrwert der CPR-Haltung vergleichend in den Blick zu nehmen, werden bisherige Ansätze gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung skizziert. Der Vorteil zeigt sich nicht zuletzt im Business Case.
Unternehmen sollten ihre politische Marke systematisch entwickeln – im aufgeklärten Eigeninteresse. Dies ist die zentrale These des Buches. Der politischen Markenentwicklung muss allerdings eine gesellschaftspolitische Haltung zugrunde liegen, damit die politische Marke glaubwürdig gelebt werden kann. Dieses Kapitel entwickelt den dafür notwendigen konzeptionellen Ansatz – Corporate Political Responsibility (CPR). Es zeigt auf, warum politische Nachhaltigkeit und Verantwortung gerade in unserer Zeit geboten sind und verortet sie in Konkurrenz zu anderen Verantwortungskonzepten.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_4
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
Unternehmen tragen zur Governance des Gemeinwesens bei. Das Agieren von Unternehmen im politischen Raum birgt ein großes Potenzial, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den Standort und damit die eigenen Geschäftsbedingungen zu stärken. Corporate Political Responsibility und die damit verbundene Haltung sind nötig, weil unternehmerisches Handeln im 21. Jahrhundert nicht mehr mit den üblichen Begriffen wie „Lobbying“ oder „Corporate Social Responsibility“ zu erfassen ist. Wir benötigen ein präziseres Verständnis der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Corporate Social Responsibility (CSR) ist zu eng gefasst. Die erforderliche Weiterentwicklung lautet CPR. Denn politische Nachhaltigkeit stärkt den Staat und ist ein Business Case für Unternehmen. Im CSR-Konzept fehlt die politische Dimension. Dort wird Nachhaltigkeit in der Regel sozial und ökologisch verstanden. Es geht um die Sicherung der Lebensbedingungen von Gesellschaft und Natur – mit mehr oder weniger Bezug zum Geschäftsmodell eines Unternehmens. Interessanterweise hat die wissenschaftliche Debatte in Deutschland, der Schweiz oder den Vereinigten Staaten begonnen, auch politische Elemente in der unternehmerischen Verantwortung zu erkennen. Begriffe wie Corporate Political Activity, Corporate Political Advocacy oder Political CSR weisen darauf hin (Wettstein und Baur 2015). Diese Ansätze werden in der Praxis jedoch nur sehr zögerlich aufgenommen. Die grundlegende strategische Bedeutung der Politik für die Wirtschaft wird nach wie vor unterschätzt. Der wichtigste nichtwirtschaftliche Geschäftsfaktor ist ein nachhaltiges politisches Umfeld. Unternehmen sollten in diese Grundlage ihres wirtschaftlichen Erfolgs investieren: stabile demokratische Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, eine engagierte Bürgergesellschaft, öffentliche Debatten, Arbeitskräfte mit einem politischen Grundverständnis und eine moderne Infrastruktur. Denn es sind die Vitalität, Freiheit und Sicherheit der liberalen Demokratie, die Unternehmen wachsen lassen. Kurzum: CSR ist nicht ausreichend – was wir brauchen, ist CPR, Corporate Political Responsibility. Der konzeptionelle Ansatz von CPR eröffnet einen neuen Zugang zu einer dringend notwendigen Debatte. Denn mit dem Begriff „political“ positionieren sich Unternehmen in einem umfassenden Sinne im Gemeinwesen. Dieses Verständnis ermöglicht es Unternehmen, in einem Umfeld zu bestehen, das immer mehr gesellschaftspolitische Verantwortungsübernahme von ihnen erwartet; dies gilt insbesondere für die jüngere Generation. Um es auf den Punkt zu bringen: CPR ist eine gelebte Haltung, mit der Unternehmen gesellschaftspolitisch investieren und dadurch ihr eigenes Geschäft stärken. Gesellschaftspolitische Investitionen sind ein Business Case. Die offene, demokratische Gesellschaft ist die beste Grundlage für Innovation, Handel, unternehmerische Wertschöpfung und somit Wohlstand. Ihr Herzstück ist eine lebendige Debattenkultur, die für Fortschritt und Zukunftsfähigkeit unerlässlich ist. Diese Annahmen würden sicher die allermeisten Wirtschaftsvertreter so unterschreiben. Doch warum beziehen sich ihre Anstrengungen und Investitionen nicht direkt auf die Verbesserung der politischen bzw. gesellschaftlichen Grundlagen, wenn diese so wichtig für den Unternehmenserfolg sind? Wahrscheinlich, weil die politischen Rahmenbedingun-
4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
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gen bislang einigermaßen zufriedenstellend von der Politik gesetzt wurden. Ansonsten hat man sich darauf verständigt, ausgesprochen oder unausgesprochen, dass die beiden Sphären von Politik und Wirtschaft sich nicht zu sehr ins Gehege kommen. Dafür gibt es zwar gute Gründe der Arbeits- und Kompetenzteilung, aber es offenbart doch auch ein fragwürdiges Politikverständnis. Denn ein leistungsfähiges Gesellschafts- und Wirtschaftssystem kann sich nicht ausschließlich auf den Staat verlassen, um die Rahmenbedingungen zu erhalten und zu verbessern. Es ist auf die engagierte Mithilfe von Unternehmen angewiesen, die erkennen, dass sie einen wertvollen vor-ökonomischen Beitrag zu ihrem Erfolg leisten können und sollten. Dies gilt umso mehr, als die rasanten nationalen und internationalen Herausforderungen die Steuerungsfähigkeit nationaler Politik an ihre Grenzen führen. Insbesondere die Megatrends Globalisierung und Digitalisierung sind Entgrenzungsphänomene, die von nationaler und regionaler Politik allein nur schwer gestaltet werden können. Vor diesem Hintergrund wird supranationale Zusammenarbeit wie in der EU wichtiger, aber es sollte auch die oft rigide Arbeitsteilung zwischen Politik und Wirtschaft neu durchdacht werden. Unternehmen sollten aus Überzeugung den Rechtsstaat und die Governance- Strukturen stärken. Wenn dies sich auf eine analytisch hergeleitete und zugleich aktiv gelebte Haltung gründet, wird auch der Primat des Politischen bzw. die Handlungsfähigkeit der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung gestärkt. Corporate Political Responsibility sollte konstruktive, dem Wirtschaften bereits innewohnende gesellschaftliche Beiträge (Steuerzahlungen, Bereitstellung von Arbeitsplätzen etc.) ergänzen und vertiefen. Es geht um das Gegenteil von „Greenwashing“, also einer inszenierten Nachhaltigkeit ohne Grundlage. Unternehmern sollte bewusst sein, dass sie von einer kraftvollen und wehrhaften offenen Gesellschaft langfristig am meisten profitieren werden. Unternehmen könnten sich angesichts der Logik von politischer Nachhaltigkeit die fast zynische Frage stellen: Ist Demokratie für unseren Geschäftserfolg wirklich wichtig? Entsteht Wachstum nur unter freiheitlichen Bedingungen oder brauchen wir lediglich Stabilität und Planbarkeit, wie sie auch – oder vermeintlich gerade – in autoritären Regimen anzutreffen sind? Diese rein instrumentelle Logik, die Demokratie zum verhandelbaren Gut macht, würden wohl auch die meisten Manager von sich weisen. In der Regel schreiben wir der Demokratie als gesellschaftlicher Organisationsform nach den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit einen intrinsischen Wert zu. Wer jenseits dessen nach dem „Business Case“ verschiedener Gesellschaftsmodelle fragt, sollte sich jedoch von den Versprechen autoritärer Systeme nicht blenden lassen. Wer ihre Stabilität rühmt, sollte von ihrer Willkür nicht schweigen. Planbarkeit verkehrt sich dann schnell in ihr Gegenteil. Auch mögen Demokratien im mühsamen Interessenausgleich nicht immer den großen Wurf produzieren – doch sind sie aufgrund ihrer Offenheit flexibel und anpassungsfähig im Umgang mit Wandel. Paradox formuliert: Demokratien gewinnen Stabilität aus Dynamik. Das macht sie in besonderem Maße für die Wirtschaft attraktiv. Anders der „übermächtige Staat“, der „zwar Investitionssicherheit garantieren, nicht aber Innovationen erzwin-
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
gen“ kann, wie Isabelle-Christine Panreck (2020) mit Blick auf die Forschung von Daron Acemoglu und James A. Robinson feststellt. „Nährboden für [Innovationen] ist eine freie Gesellschaft, die auch Misserfolge zulässt, denn Kreativität lässt sich kaum befehlen“. In jedem Falle sollten Unternehmer den grundsätzlichen Zusammenhang von Politik und Geschäft erkennen. Denn ein schwacher, in seiner Steuerungsfähigkeit überforderter Staat bietet höchstens selektiv Gelegenheit für Profite. Perspektivisch mündet seine Dysfunktionalität in den Kollaps gesellschaftlicher Institutionen und zerstört damit den Nährboden für erfolgreiches Wirtschaften. Gleiches gilt natürlich auch für den allgegenwärtigen, interventionistischen Staat, dessen planwirtschaftlich-dirigistisches Wirken auf andere Weise, aber ebenso gründlich den Nährboden erfolgreichen Wirtschaftens auflöst. Funktionierende Staatlichkeit in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zu erkennen und deswegen CPR auszuüben, muss natürlich damit einhergehen, nicht anderweitig staatliche Strukturen zu schwächen. Im Kern heißt das: Unternehmen müssen ihren Steuerverpflichtungen nachkommen und sich ganz grundsätzlich gesetzeskonform verhalten. Steuerhinterziehung oder -vermeidung würde die öffentliche Rolle eines Unternehmens korrumpieren – CPR wäre dann bloßes „Greenwashing“. Unbestritten liegt in der Zahlung von Steuern für Unternehmen einer der größten Hebel zur Stärkung des Staates hinsichtlich der Bereitstellung von öffentlichen Gütern. Aber wer sich darauf beschränkt, überlässt die Gestaltung des Gemeinwesens einem zunehmend überforderten Staat und entspricht nicht der gewachsenen Erwartungshaltung der eigenen Kunden. Ein zukunftsorientiertes Unternehmen handelt in dem Verantwortungsbewusstsein eines Bürgers (Corporate Citizen) – zum eigenen langfristigen Vorteil. Für glaubwürdige politische Nachhaltigkeit sind daher zwei Aspekte besonders relevant: Erstens der Einsatz für die freiheitliche Gesellschaftsordnung; zweitens der (weiter unten diskutierte) Tugendbegriff, der eng mit der Vorstellung von CPR als Haltung zusammenhängt. Die hier aufgeführten grundsätzlichen Überlegungen zum CPR-Konzept müssen weiter ausgeführt und hergeleitet werden. Zunächst ist wichtig zu verinnerlichen, dass (wie in Teil I dargestellt) im Dreieck von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unterschiedliche Rollenverständnisse bestehen. Ein Bemühen um die wechselseitige Sprechfähigkeit und um das Verständnis von Handlungslogiken wäre ein Fortschritt für das notwendige Zusammenspiel in einem sich rasant ändernden öffentlichen Raum. Abb. 4.1 bringt die CPR-Logik im Kontext der gesellschaftlichen Akteure auf den Punkt:
4.1 Unternehmen als Problem und Versprechen staatlicher Steuerungsfähigkeit
GESELLSCHAFT
WIRTSCHAFT
• Emanzipation von Bürgern bzw. Konsumenten, insbesondere durch die Partizipationsmöglichkeiten des Internet • Erhöhte Ansprüche an Verantwortung, Nachhaltigkeit, Ethik
FORDERUNGEN
STAAT
• Unternehmen sind de facto politische Akteure, z.B. als Steuerzahler & Innovatoren sowie durch eigene Lobby und Einflussnahme in Verbänden • Sie setzen ihre Ressourcen jedoch kaum für den Erhalt der politischen Bedingungenihres Geschäftesein
• Die Gleichzeitigkeit von Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel überfordert nationale Politik & Regulierung • Diese Großtrends werden verstärkt durch politische Bedrohungen wie Nationalismus, Populismus, Krieg, Flucht & Migration
RESSOURCENEINSATZ
GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN
Druck
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Stärkung
CORPORATE POLITICAL RESPONSIBILITY (CPR) • Unternehmen müssen eine gesellschaftspolitische Haltung entwickeln und ihre Ressourcen einsetzen, um Governance-Lücken zu schließen • Damit investieren sie in die gesellschaftspolitischen Grundlagen ihres Wirtschaftens • Marken haben daher mehr denn je eine politische Dimension, die entwickelt werden muss
POLITICAL BRANDING 1
Politische MARKENBILDUNG Konzentration auf Unternehmensstärken
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Politische MARKENFÜHRUNG Maßnahmen in CPR-Handlungsfeldern
© Johannes Bohnen
Abb. 4.1 CPR Gesamtschau: Bedarf, Strategie, Umsetzung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
4.1
nternehmen als Problem und Versprechen U staatlicher Steuerungsfähigkeit
Corporate Political Responsibility ist keine akademische Nabelschau, sondern beschäftigt sich mit betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten: Für Unternehmen eröffnet sich ein enormes Gewinn- und Verlustpotenzial. Diejenigen, die den Erwartungshaltungen entsprechen – und ihr verantwortliches Verhalten angemessen kommunizieren – stärken ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung. Unternehmen stehen heute unter erhöhtem Druck, sich als gute Corporate Citizens zu bewähren und mit ihren Themen und Interessen im politischen Raum zu positionieren. Soziale Medien machen die Reaktions- und Sprechfähigkeit von Unternehmen wichtiger.
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
Ihre Partizipationsmöglichkeiten und die damit einhergehenden politischen Emanzipationsprozesse verstärken diese Entwicklung. Um angesichts solcher „Bürgerertüchtigung“ nicht dysfunktional zu werden – sprich: um den Zeitgeist verstehen und mitgestalten zu können – empfiehlt sich eine Anpassung und Weiterentwicklung von Unternehmen in Richtung CPR. Es ist nur konsequent, wenn Unternehmen beginnen, eine „politische Haltung“ einzunehmen. Gesellschaftliches Engagement ist also nicht nur gut und ethisch wünschenswert, sondern auch unternehmerisch geboten. Politische Beiträge der Wirtschaft werfen natürlich ihrerseits Fragen auf. So erfordert die Rolle von Unternehmen als politische Akteure einen schwierigen Balanceakt: Inwieweit können und sollen private Akteure staatliche Versorgungslücken schließen? Wo liegt die Grenze zwischen Staat und privat? Ab welchem Punkt droht ihr Engagement, nötigen Handlungsdruck von Regierungen und Verwaltungen zu nehmen? Mit anderen Worten: Wie lassen sich unternehmerische Ressourcen sinnvoll zur Stärkung staatlicher Governance einbinden, ohne dass es zu „Crowding-out“-Effekten kommt, der Staat sich also durch bequeme Auslagerung von Kompetenzen seiner Kernaufgaben entledigt? Oder noch schlimmer: sich seiner Steuerungsfähigkeit beraubt? Gerade multinationale Unternehmen sind für Nationalstaaten zugleich Problem und Teil der Lösung. Wenn man die Asymmetrie zwischen der Begrenztheit politischer Systeme und der Entgrenztheit von Wirtschaftsunternehmen als nur bedingt politisch zu beeinflussen begreift, das Missverhältnis sich also unmittelbarer Behebung entzieht, lautet die paradoxe Konsequenz: Unternehmen als Treiber der Entgrenzungstrends von Globalisierung und Digitalisierung müssen selbst zur Abfederung von deren Fliehkräften beitragen, und zwar (politisch) nachhaltig. Sie fordern den Staat in seiner Steuerungsfähigkeit heraus, sind aber auch eine Ressource für deren Rückgewinnung. Diese Verantwortung anzunehmen, ist für Konzerne entscheidend. Kurzfristig mögen sie zwar Interesse an Regulierungslücken haben, um Profite zu machen. Langfristig aber – und diese Perspektive ist zentral – bringt unterhöhlte Staatlichkeit auch Unternehmen in Bedrängnis, weil politische und soziale Institutionen zu kollabieren drohen. Es gibt Grenzfälle, die es stets mitzudenken gilt, wenn Unternehmen über die Beeinflussung ihrer Regulierung hinaus ihre Standortqualität verbessern und sich Kompetenzen hinsichtlich der öffentlichen Daseinsvorsorge aneignen. Dennoch liegt enormes Potenzial für die gesamte Gesellschaft darin, dass Unternehmen sich das Bestellen des politischen Feldes bewusst zur Aufgabe machen und die Grundlagen ihres Wirtschaftens mitbestimmen.
4.2
en Politikbegriff breit denken – Politik ist mehr D als Parteipolitik!
Für das CPR-Konzept ist zentral, ein breites Verständnis vom Begriff des Politischen zu entwickeln. Diese offensive Begriffsdeutung mag zwar irritieren und bei Unternehmen zu Abwehrreflexen führen. Denn „politisch“ wird oft mit „parteipolitisch“ gleichgesetzt,
4.2 Den Politikbegriff breit denken – Politik ist mehr als Parteipolitik!
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womit Unternehmer bisweilen ineffiziente Spiegelgefechte assoziieren, die der gebotenen „richtigen Lösung“ im Wege stehen. Damit erklärt sich ein Teil der Abneigung von Unternehmen gegenüber der Politik. Es offenbart aber auch ein technokratisches Politikverständnis, verbunden mit mangelnder Kenntnis demokratischer Prozesse – nicht zuletzt der mit der Aushandlung von Kompromissen einhergehenden relativen Langsamkeit. Unternehmen ziehen schnellere Entscheidungen vor. Darüber hinaus wollen sie in der Regel nicht mit „parteiischen“, also einer programmatischen Linie folgenden Agenden in Verbindung gebracht werden. Als vermeintlich neutrale Akteure glauben sie, auf Märkten vielseitig anschlussfähig zu bleiben. In der politischen Abstinenz von Unternehmen äußert sich auch eine Überschätzung der Stärke der repräsentativen Demokratie – das ist gerade angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage gefährlich. Daher ist es höchste Zeit, den Begriff des Politischen positiv aufzuladen. Es gibt vor allem zwei Schlussfolgerungen bzw. Optionen aus diesem Befund der Anfälligkeit der repräsentativen Demokratie. Bürger, Unternehmen und andere gesellschaftliche Akteure • stärken die repräsentative Demokratie selbst. Sie nehmen Parteien als zentrale Institutionen in den Blick und fördern diese systematisch, indem sie für Parteien spenden, Mitarbeiter zu Parteimitgliedschaften ermuntern, Statements zur Bedeutung von Parteien und Repräsentativität veröffentlichen und zur Teilnahme an Wahlen aufrufen. • entwickeln politisches Engagement, z. B. durch Projekte wie Debattierclubs und die Gründung von privaten Kitas. Denn immer, wenn Individuen und Gruppen zusammenkommen und sich Spielregeln der Zusammenarbeit oder des Zusammenlebens geben, ist dies ein politischer Vorgang; ebenso bedeutet es die Erzeugung von Gemeingütern. Immer geht es um konstruktive Beiträge zur Stärkung der Demokratie und des öffentlichen Raumes. Der Schwerpunkt von CPR liegt bei der zweiten Option, aber beide Optionen ergänzen sich sinnvoll, wenn die Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme durch das politische System durch multisektorale Anstrengungen von Bürgern und Unternehmen konstruktiv begleitet wird. Demokratie ist eine Veranstaltung aller Bürger und damit auch der Unternehmen als „Corporate Citizens“. Bürgerliche Eigenverantwortung ist unverzichtbar für das Gelingen einer gesellschaftlichen Organisationsform, die auf Freiheit abzielt. Politik sollte in unserer interdependenten Welt nicht nur an Politikprofis delegiert werden, sondern in die Mitte der Gesellschaft rücken. Dies ist bei näherer Betrachtung eine Verheißung, weil eine umfassend wahrgenommene politische Verantwortung zur Stabilisierung der Gesellschaft beiträgt. Haltung und Bewusstsein verändern sich: Politische Verantwortung wird täglich konkret gelebt. Die Institutionen und Grundlagen der eigenen weltanschaulichen Überzeugung werden nachhaltig gestärkt. Überforderte Politiker und die durch sie selbst genährten, überzogenen Erwartungshaltungen der Bürger haben zu der viel diskutierten Politikverdrossenheit
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
beigetragen – und wohl auch die Unternehmen, die zu wenig in die gesellschaftlichen Standortqualitäten investieren. Wir brauchen daher eine wohlverstandene Politisierung sowohl der Unternehmen als auch der übrigen Bürgergesellschaft. Politische Aktivität außerhalb der etablierten Politik wird in Zukunft unternehmerisches Tagesgeschäft, ohne dass Unternehmen damit Teil des politischen Systems im engeren Sinne werden. Dafür ist eine umfassendere Vorstellung des Politischen notwendig. In einer Demokratie fungieren gewissermaßen alle als Politiker und sollten daher am Gespräch über die Entwicklung öffentlicher Angelegenheiten teilnehmen. Gerade die Unternehmen mit ihren Ressourcen und Einflussmöglichkeiten sind hier gefragt, bis hin zur Bereitstellung von Kollektivgütern. Die heutigen Herausforderungen – ob Digitalisierung, Infrastrukturverbesserung oder Migration – sind zu umfassend, um von einzelnen Akteuren bewältigt zu werden.
4.3
Den Investitionsbegriff breit denken – politisch investieren!
Investition ist ein zentraler Begriff in der Geschäftswelt. Typischerweise wird er eng betriebswirtschaftlich verstanden. Ein Eckpfeiler der Fortentwicklung unternehmerischer Verantwortung in Richtung CPR ist eine breitere Interpretation der Investition. So kann die Bedeutung von Governance und Kollektivgütern für nachhaltiges Wirtschaften abgebildet werden. In der klassischen BWL bezeichnet eine Investition die „langfristige Bindung finanzieller Mittel in materiellen oder in immateriellen Vermögensgegenständen“ (Gablers Wirtschaftslexikon: Investition). Ausgaben werden in der Erwartung getätigt, künftige Einzahlungsüberschüsse zu erzielen. Zukunftsausrichtung ist also konstitutiv für das Konzept und verdeutlicht dessen enorme Relevanz für die Strategie von Unternehmen. Aufgrund ihrer Unsicherheit birgt die Investition Risiken, bildet aber gleichzeitig die unverzichtbare Grundlage für nachhaltige Ertragskraft. Unternehmen investieren zum Beispiel in Personal, Technologie, Forschung und Entwicklung oder Gebäude. Diese Liste der Voraussetzungen für Geschäftserfolg enthält einen blinden Fleck: Es fehlt der liberal-demokratische Staat mit seinem verlässlichen Justizsystem. In Autokratien regiert die Willkür; Unternehmen favorisieren jedoch einen zuverlässigen Handlungsrahmen. Aber zu wenige erkennen seinen Wert explizit an oder stärken ihn gar mit ihren Ressourcen. Erinnern wir uns an die langfristige Perspektive, die mit dem Begriff der Investition verbunden ist – und die er mit dem Begriff der Nachhaltigkeit teilt. Ohne Investitionen gefährden Unternehmen ihre Langlebigkeit. Diese Einsicht gilt es zu erweitern – mit dem konzeptionellen Ansatz der politischen Investition. Im Kern geht es also um die Frage, was die Basis für eine erfolgreiche unternehmerische Entwicklung darstellt. Entscheidend ist, dass diese Basis eine eminente vor- ökonomische Dimension hat, da das Unternehmenswohl von der Qualität staatlicher Leistungen wie Rechtssicherheit, Infrastruktur und Bildung abhängt. In diesem Sinne sollte die Betriebswirtschaftslehre für gesellschaftspolitische Erwägungen geöffnet werden. Das heißt sie braucht neue Ansätze, ggf. auch Kennzahlen, die Auskunft darüber
4.4 Legitimität: Den Primat des Politischen achten!
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eben, wie Unternehmen ihr Geschäft politisch absichern. Ähnliches gilt für Rating- g Agenturen, die sich nicht nur stärker der politischen Investition, sondern auch der politischen Risikoanalyse öffnen sollten. Kurzum: Neben die klassische muss die gesellschaftspolitische Investition treten. Zwar ist diese, wie jede Investition, nicht ohne Risiko, aber sie ist zwingend notwendig für die Sicherung der Bedingungen unternehmerischer Existenz. Sonst würden Unternehmen sich lediglich auf Voraussetzungen verlassen, die sie selbst nicht befördern. Mit CPR stützen sie jedoch die politisch-rechtliche Infrastruktur und entsprechen den Erwartungen der Konsumenten. Um es in Abwandlung einer berühmten Formel des Philosophen Immanuel Kant zu sagen: Gesellschaftspolitische Investitionen sind die Bedingungen der Möglichkeit des Wirtschaftens. Denn der Staat strukturiert mit seinen Steuerungsleistungen unternehmerisches Handeln (setzt und vollzieht Regeln) und gibt diesem damit eine Form. Ohne Strukturgebung wäre das Wirtschaften unmöglich – das gehört zum Primat des Politischen, den wiederum Unternehmen stärken müssen und können.
4.4
Legitimität: Den Primat des Politischen achten!
Vor dem Hintergrund einer breiten Begriffsdefinition des Politischen und von Investitionen wirft das CPR-Konzept die wichtige Frage auf, inwiefern Unternehmen für politische Aktivitäten Legitimität beanspruchen können. Die kurze Antwort lautet: Unternehmen sollten ihr Bürgerethos stärken und nicht den Primat des Politischen untergraben. Wirtschaftsvertreter werden nicht gewählt und sind der Bevölkerung daher weniger rechenschaftspflichtig als Politiker. Aufgrund der eingeschränkten demokratischen Legitimation von Unternehmen, die sich in verminderter Kontrolle durch die Bevölkerung äußert, muss der öffentlichen Gestaltungskompetenz von Unternehmen eine Grenze gezogen werden. Eine harte Grenze ist das Gewaltmonopol, also die Ausübung legitimer Gewalt bzw. die Vollstreckung von Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Recht. In der Daseinsvorsorge1 hingegen kann das Verhältnis von Staat und privat immer wieder neu austariert werden. Wenn Unternehmen öffentliche Aufgaben übernehmen, muss dies auf eine Weise geschehen, die den Staat nicht in strukturelle oder langfristige Abhängigkeiten führt, die kaum revidiert werden können. Corporate Political Responsibility versetzt Unternehmen in die Lage, in öffentlichen Angelegenheiten die Stimme zu erheben. Dahinter steht das Bestreben, den implizit ohnehin ausgeübten öffentlichen Einfluss von Unternehmen explizit zu machen. Die Daseinsvorsorge „umschreibt die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen − die Grundversorgung. Dazu zählt als Teil der Leistungsverwaltung die Bereitstellung von öffentlichen Einrichtungen für die Allgemeinheit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Müllabfuhr, Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Friedhöfe, Schwimmbäder, Feuerwehr usw. (Infrastruktur). Dabei handelt es sich größtenteils um Betätigungen, die heute von kommunalwirtschaftlichen Betrieben wahrgenommen werden“ (Wikipedia 2020).
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
Schlussfolgerung aus der Verflechtung von Wirtschaft und Politik kann realistischer Weise nicht lauten: „Haltet die Wirtschaft aus der Politik heraus!“, sondern: „Bindet die Wirtschaft sinnvoll in die Politik ein!“ Die Beharrungskräfte, die einem politischen Selbstverständnis von Unternehmen im Wege stehen, sind sicherlich groß. Weitverbreitet ist die Auffassung, Unternehmen mischten sich ohnehin schon zu sehr in die politischen Entscheidungsprozesse ein. Warum sollten sie also eingeladen werden, sich noch mehr Macht anzueignen? In dieser Lesart sollte sich die politische Rolle von Unternehmen auf das Steuerzahlen beschränken – und selbst das geschehe im Falle vieler multinationaler Konzerne nur unzureichend (Bregman 2019). Der Einwand ist berechtigt. Selbstredend darf CPR kein gönnerhafter Ersatz für Steuern sein, der ersten Pflicht für Unternehmen, um staatliche Strukturen zu festigen. Zumal die Verfügung über die Verwendung von Steuern in den demokratisch legitimierten Händen der Politik liegt. Doch können wir uns die Sichtweise, dass sich die gesellschaftspolitische Rolle von Unternehmen im bloßen Zahlen von Steuern erschöpft, noch leisten? Wie bereits analysiert, leben wir in Zeiten von Entgrenzung und zahlreichen inneren und äußeren Bedrohungen. Hinzu kommt die Erwartungshaltung von Bürgern und Verbrauchern. Umfangreiche Unterstützung aus der Wirtschaft könnte ein entscheidender Hebel zur Stabilisierung unserer freiheitlichen Demokratie werden. Denn es könnten wertvolle unternehmerische Ressourcen zur Bewältigung von staatlichen Governance-Aufgaben zum Einsatz kommen: fachliche Expertise, die kraftvolle Stimme der CEOs, engagiertes Personal, Management-Know-how, die Zugkraft einer Marke – und natürlich speziell entwickelte CPR-Maßnahmen als Folge einer politischen Markenentwicklung (siehe Kap. 6). In anderen Worten: Unternehmen haben durch ihre Mittel und internationale Präsenz die Gestaltungskraft, den durch globale Transformationsprozesse in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten Staat selbst auf die Höhe der Globalisierung zu bringen, indem sie ihn schneller und effektiver machen. Wem diese Argumentation zu abstrakt ist, kann die Frage der Legitimität auch pragmatischer in den Blick nehmen: Selbst Unternehmen, die für sich keinerlei gesellschaftspolitische Verantwortung sehen, müssen sich an der Nachfrage orientieren. Sie müssen Antworten auf die Frage suchen, was Konsumenten, Investoren und Medienvertreter von Unternehmen verlangen. Unternehmen brauchen langfristig gesellschaftlichen Rückhalt. Sie müssen also Antworten auf externe Erwartungen finden. Corporate Political Responsibility bedeutet dann auch, den Erwartungshaltungen der Gesellschaft zu entsprechen.
4.5
Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte
Vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen und Herausforderungen – Wirtschafts- und Finanzkrise, Zusammenhalt in der EU und dem transatlantischen Verhältnis, Weiterentwicklung der Demokratie – erfährt die Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen große Aufmerksamkeit. Dabei findet die Auseinandersetzung mit dem
4.5 Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte
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Thema unter einer Vielzahl von Bezeichnungen statt. So stellte der von der Bundesregierung einberufene Rat für Nachhaltige Entwicklung vor einigen Jahren fest: „Begriffe wie ‚Corporate Sustainability‘, ‚Corporate Social Responsibility‘ und ‚Corporate Citizenship‘ werden häufig zur Beschreibung desselben Sachverhalts verwendet“ (Bundesregierung 2014, S. 127). Um eine zielgerichtete Debatte über die Vorzüge des CPR-Konzepts für Unternehmen zu führen, ist es wichtig, Klarheit in das begriffliche Chaos zu bringen.
4.5.1 Corporate Social Responsibility (CSR) – die bisherige Leitplanke Corporate Social Responsibility ist das sowohl von Unternehmen als auch der Wissenschaft am häufigsten verwendete Konzept unternehmerischer Verantwortung. Diese Prominenz rechtfertigt einen knappen Abriss seiner historischen Genese. Laut Europäischer Kommission (2011, S. 7) beschreibt CSR „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“. Die Ursprünge unseres heutigen Verständnisses von CSR finden sich in den fünfziger Jahren. Zu Beginn wurde CSR häufig unter dem Begriff der Social Responsibility diskutiert, was unter anderem darauf zurückführen ist, dass die Dominanz der Konzerne damals noch deutlich geringer war (Carroll 1999, S. 269). Einer der ersten Versuche, CSR von der Theorie in die Praxis zu übertragen, war das 1973 verfasste Davoser Manifest. Auf dem europäischen Managementsymposium verabschiedeten Führungskräfte eine Selbstverpflichtung zur gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmensführung. Sie bekannten sich dazu, Belange von Kunden, Lieferanten, Kapitalgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zu berücksichtigen und auszugleichen (Aßländer und Löhr 2010, S. 13). Archie B. Carroll, der als Gründervater der internationalen CSR-Debatte gilt, verfeinerte 1979 das CSR-Konzept, indem er 4 unternehmerische Verantwortungsebenen identifizierte. Er unterscheidet zwischen der ökonomischen, rechtlichen, ethischen und philanthropischen Handlungsebene des Unternehmens (Matten und Crane 2005, S. 167). Anhand dieses Ansatzes wird gleich zu Beginn deutlich, dass es in der CSR-Debatte um breit gefasste Verantwortung gehen müsse, die nicht auf einen Bereich beschränkt werden dürfe. Andere Autoren identifizieren sogar 5 Ebenen: die ökologische, soziale/gesellschaftliche, ökonomische, die Stakeholder- und die Freiwilligkeits-Ebene (Dahlsrud 2006). Corporate Political Responsibility bedeutet, Gewinne „umweltverträglich, sozial verantwortlich und zugleich ökonomisch erfolgreich“ zu erzielen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales o. J.). Allerdings spiegelt sich auch hier eine übersetzungsbedingte Unschärfe des Konzeptes: Während im Englischen von „social responsibility“, also gesellschaftlicher Verantwortung, die Rede ist, gerät diese im Deutschen zur sozialen Verantwortung, was eine gewisse Verengung auf Karitatives und Schutz vor existenziellen Härten suggeriert. In den achtziger und neunziger Jahren spezifizierte man die bestehenden Definitionen von CSR und entwickelte Indikatoren, um CSR messbar zu machen. So konnte man
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
untersuchen, ob sich CSR-Aktivitäten auch in der finanziellen Performance des Unternehmens niederschlagen (Carroll 1999, S. 286). Die 1997 gegründete Global Reporting Initiative (GRI) definierte – seitdem ständig weiterentwickelte – Vorgaben und Indikatoren zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die weltweit anwendbaren Richtlinien werden in einer Kooperation von hunderten Unternehmen, Investoren, Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfern, Verbänden, Gewerkschaften, NGOs und Wissenschaftlern festgelegt. Ziel ist eine standardisierte und damit vergleichbare Berichterstattung über die ökonomische, ökologische und soziale Leistung gegenüber unterschiedlichsten Anspruchsgruppen (GRI o. J.). Der jüngste Jahresbericht 2016–2017 hebt die Kooperation der GRI mit dem UN Global Compact hervor, um das Nachhaltigkeits-Reporting an den Sustainable Development Goals auszurichten und auf deren Erreichung hinzuwirken (GRI 2017). Ebenfalls in den Neunzigern trieb die EU-Kommission unter Jacques Delors CSR voran. Sie gründete zusammen mit Konzernvertretern das „European Business Network for Social Cohesion“, welches später in CSR Europe umbenannt wurde. Im Jahr 2001 veröffentlichte die Kommission außerdem das Grünbuch CSR. Darin definierte sie CSR als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, [um] auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“ (Europäische Kommission 2011, S. 7). Damit legt CSR Unternehmen nahe, nicht nur gesetzliche Bestimmungen einzuhalten, sondern auch in Humankapital, in Umwelt und in Beziehungen zu anderen Stakeholdern zu investieren. Im Jahr 2011 einigte sich die Europäische Kommission auf eine neue Strategie zur Stärkung und Modernisierung von CSR. Dazu formulierte die Kommission die am Anfang dieses Kapitels erwähnte CSR-Definition und erstellte einen EU-weiten Aktionsplan (Europäische Kommission 2011, S. 7). Im Jahr 2014 verabschiedeten das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten die sogenannte CSR-Richtlinie. Deren Ziel ist es, die Berichterstattung europäischer Unternehmen mit Blick auf soziale und ökologische Aspekte transparenter zu gestalten. Dabei geht es um Informationen zum Umwelt- und Arbeitnehmerschutz, zur Achtung der Menschenrechte und auch zur Korruptionsbekämpfung. Deutschland setzte die Richtlinie 2017 in nationales Recht um (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014). Neben den internationalen Entwicklungen hat CSR auch in Deutschland eine lange Begriffsgeschichte. Die deutsche Diskussion um unternehmerische Verantwortung, geführt von Parteien und Verbänden, war dabei vor allem sozialpolitisch motiviert. Sie handelte insbesondere von den Mitwirkungspflichten der Unternehmen beim Aufbau sowie beim Erhalt der sozialen Marktwirtschaft. Es ging vornehmlich um die sozial gerechte Ausgestaltung der deutschen Wirtschaftsordnung anhand von Aspekten wie Lohngerechtigkeit oder Altersvorsorge. Mittlerweile wird also eine Fülle von Themen mehr oder weniger lose mit CSR assoziiert. Als mittlerweile etablierter Begriff unterliegt er einem natürlichen Bedeutungswandel. Daraus resultiert eine gewisse Unschärfe des Konzeptes. Einige Unternehmen nutzen dies und wenden CSR nach Gutdünken an (Aßländer und Löhr 2010 S. 12–15).
4.5 Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte
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Die deutsche Wirtschaft arbeitet fast flächendeckend mit dem CSR-Konzept. In persönlichen Gesprächen hört man jedoch immer wieder, wie wenig die Unternehmenslenker und ihre Strategieabteilungen sich für das Thema interessieren. Corporate Social Responsibility als Teil der Unternehmensstrategie – in den allermeisten Unternehmen ist dies nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. In der Realität werden in den Jahres- und Nachhaltigkeitsberichten die CSR-Maßnahmen bürokratisch abgearbeitet, ohne dass ein nachhaltiges Bewusstsein in der Belegschaft für das Thema entsteht. Checklisten- Mentalität, große Zeitaufwände und andere Ineffizienzen werden hingenommen, um sich entsprechend der Standards korrekt zu verhalten – schließlich gehört CSR zum guten Ton. Das Thema wird unterschätzt und nicht groß gedacht. Die beiden entscheidenden Unterschiede zwischen CPR gegenüber CSR sind, dass das politische Umfeld essenziell für das Wirtschaften ist und dass auch soziale und ökologische Themen politisch behandelt werden müssen. Mit anderen Worten: CPR verbreitert und vertieft CSR.
4.5.2 Weitere etablierte Konzepte Neben CSR gibt es eine ganze Reihe weiterer Verantwortungskonzepte, deren Stoßrichtung, Mehrwert und historische Genese nicht immer klar sind. Zentral für ihr Verständnis ist der Brundtland-Bericht aus dem Jahre 1987. Er ist der Gründungstext für Nachhaltigkeit. Erstmals wurde das Leitbild einer „nachhaltigen Entwicklung“ skizziert (Gablers Wirtschaftslexikon: Brundtland-Bericht). Im Folgenden daher eine Annäherung, auch um das CPR-Konzept sinnvoll abzugrenzen: Corporate Citizenship (CC): CC bezeichnet das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen. Damit skizziert es in Grundzügen, was im CPR-Begriff zugespitzt wird: Unternehmen sollten sich im eigenen Interesse als „Citizens“, als Teil einer Bürgergesellschaft, verstehen und das Gemeinwesen aktiv mitgestalten. Corporate Citizenship ist ein Begriff, der seit den neunziger Jahren internationale Verbreitung bei Unternehmen gefunden hat (Matten und Crane 2005, S. 167). Laut dem Rat für Nachhaltige Entwicklung ist CC nur „ein Teilaspekt von CSR und beschreibt das Engagement von Unternehmen zur Lösung sozialer Probleme im lokalen Umfeld des Unternehmens und seiner Standorte“ (Bundesregierung 2014, S. 127). Eine umfassendere, nicht im Nahbereich der Gemeinschaft verharrende, sondern auf die Gesellschaft gerichtete Definition von CC wurde 2002 auf dem Weltwirtschaftsforum formuliert: „We consider Corporate Citizenship as the contributions of businesses to society through the combination of core business activities, social investment and philanthropy, and participation in the public policy process“ (World Economic Forum 2002). Dorothea Baur spiegelt diese beiden Stränge, wenn sie eine enge und eine erweiterte Form der CC unterscheidet. Erstere bezeichne „nur die freiwillige Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Aktivitäten“, beispielsweise „karitative Zuwendungen oder die Förderung von Freiwilligenarbeit“. Letztere weise dem Begriff „eine explizit
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
politische Bedeutung“ zu, „nämlich die Idee, dass Unternehmen Bürger sind und als solche grundlegende Bürgerrechte achten und sich, wenn nötig, aktiv für deren Durchsetzung einsetzen sollen, und zwar sowohl in Interaktion mit dem Staat als auch mit der Zivilgesellschaft“ (Maak und Ulrich 2007; Baur 2018, S. 91). Bürgerliches Engagement ist für eine Demokratie konstitutiv. Christoph Möllers (2018) bringt es auf den Punkt: „In einer Republik sind alle Bürgerinnen und Bürger auch Politiker. Und wenn sie es nicht sind, sind sie schlechte Bürger“. Im Sinne von CC ließe sich sein Satz erweitern: Was für Individuen gilt, gilt letztlich auch für Unternehmen. In ihrer Rolle als Bürger müssen sie politisch sein und sich als Demokratie-Verstärker verstehen. Der bürgerschaftliche Kern von CC ist für das CPR-Konzept daher sehr hilfreich. Ein Blick in die deutsche CC-Praxis zeigt jedoch, dass weiterhin Handlungsbedarf besteht. So resümieren goetzpartners (2017, S. 4–5) und Beyond Philanthropy in ihrer Studie zum Zustand von CC in den DAX-Konzernen, dass nur wenige einen strategischen Ansatz vorweisen und ihre Ressourcen optimal einsetzen. Statt sich auf die eigenen Kernkompetenzen zu fokussieren, verlieren sich viele Firmen in thematisch disparaten Tätigkeiten. Keines der 30 Unternehmen hat seine CC-Maßnahmen vollständig in sein Kerngeschäft integriert. Corporate Responsibility (CR): CR ist der am weitesten gefasste Begriff der unternehmerischen Verantwortung. Er steht für alle möglichen Einflüsse, die ein Unternehmen auf seine Umwelt und die Gesellschaft haben kann. Corporate Responsibility umspannt also CSR, CC sowie auch Corporate Governance, das Konzept der guten und transparenten Unternehmensführung (Secka 2015). Der Begriff wird in Deutschland immer mehr genutzt, teils auch synonym mit CSR. Als Dachbegriff ist er eigentlich gut geeignet, da er auf Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne abzielt. Es fehlt jedoch die politische Zuspitzung. Corporate Sustainability (CS): Dieser Nachhaltigkeitsansatz zeigt eine große Nähe zum CSR-Konzept (Praum 2015, S. 41–42). Doch während CSR die ökologische und soziale Dimension direkt anspricht und die Wirtschaftlichkeit als Nebenbedingung berücksichtigt, versteht CS die 3 Säulen gleichberechtigt als Einheit. Ganzheitlichkeit heißt, dass alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens auf eine nachhaltige Wirtschaftsund Lebensweise ausgerichtet werden (Secka 2015). Triple Bottom Line: Aus CS entwickelte sich das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit: sozial, ökologisch und ökonomisch. Diese Trias wurde von John Elkington 1994 als „Triple Bottom Line“ (TBL) in die Debatte eingeführt, um die klassische (single) Bottom Line des Profits wesentlich zu ergänzen. Im Jahr 2019 nahm er sich das Konzept erneut vor, ausgehend von der Feststellung, der angedachte Paradigmenwechsel sei nicht geglückt. Elkington unterstrich, TBL nicht als bloße Rechnungslegungsmethode entworfen zu haben, damit Unternehmen die 3 Dimensionen gegeneinander ausspielen könnten. Vielmehr wolle er einen grundsätzlichen Impuls für vertieftes Nachdenken über den Kapitalismus und dessen Zukunft setzen. Eine Zukunft, die den Mehrwert von Unternehmen ganzheitlich in den Blick nimmt, mit Auswirkungen auf ihr Stakeholder-Engagement und zunehmend auch ihre Strategie. Elkington (2008) spricht vom Ziel des „Systemwandels“.
4.5 Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte
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Creating Shared Value (CSV): CSV ist in Deutschland noch wenig bekannt. Wieder waren hier die Amerikaner besonders innovativ und entwickelten das „next big thing around the corner“. Creating Shared Value wurde von den beiden Harvard-Ökonomen Michael E. Porter und Mark R. Kramer 2006 in einem Artikel der Harvard Business Review eingeführt und 2011 (S. 5–6) erweitert. Die grundlegende Annahme besteht darin, dass sich gesellschaftlicher und unternehmerischer Mehrwert nicht widersprechen, sondern die Wettbewerbsfähigkeit einer Firma und die Standortqualitäten voneinander abhängen. Daher sollten Unternehmen soziale Verantwortung als feste Größe zur Steigerung der Unternehmensleistung anerkennen und in die strategische Planung integrieren. So würden gleichzeitig der Wert des Unternehmens sowie der ökonomische, soziale und ökologische Zustand des Gemeinwesens gesteigert. Der von Mark R. Kramer und Marc W. Pfizer (2016) als Erweiterung des „Shared Value“-Konzepts entwickelte und als „kollektive Wirkung“ („collective impact“) bekannt gewordene Ansatz liefert Denkanstöße für erfolgreiche Kooperationen im gesellschaftlichen Bereich. Sie zeigen innovative Wege auf, um den öffentlichen Raum für alle Stakeholder zu optimieren. Kollektive Wirkung beruht auf der Vorstellung, dass gerade soziale Probleme aufgrund einer komplexen Kombination von Handlungen und Unterlassungen der Akteure aller Sektoren auftreten und daher nur durch die koordinierte Anstrengung all dieser Beteiligten gelöst werden können. Die typischen 5 Erfolgsbedingungen für die cross-sektorale Arbeit sind: eine gemeinsame Agenda, gemeinsame Evaluationssysteme, sich gegenseitig verstärkende Aktivitäten, kontinuierliche Kommunikation und organisatorische Unterstützung im Hintergrund. Damit ist ein Vorläufer des für CPR wichtigen Win-win-Gedankens zwischen Staat und Unternehmen artikuliert. Porter und Kramer machen deutlich, dass langfristiger Unternehmenserfolg mit gesunden gesellschaftlichen Strukturen einhergeht. Zwischen Wirtschaft und Sozialem besteht kein Widerspruch, sie gehören zusammen. Gerade wer an wirtschaftlicher Effizienz interessiert ist, sollte auf gesellschaftliche Faktoren schauen: auf das Wohlbefinden der Kunden, die Verfügbarkeit der für die Produktion notwendigen Ressourcen, die wirtschaftliche Situation des Gemeinwesens. Diese zu stärken, ist kein bloß altruistischer Akt, sondern sollte Kern der Unternehmensaktivitäten sein (Porter und Kramer 2011 S. 7). Moderne Adaptionen von CSV weisen zurecht darauf hin, dass finanzielle Ziele einerseits und soziale oder ökologische Ziele andererseits nicht immer konvergieren. Neben Win-win-Konstellationen („A-Cases“) treten also auch Win-lose- bzw. Lose-win- Konstellationen („B-Cases“) auf – etwa, wenn eine Textilfirma ihre Profite durch schlechte Produktionsbedingungen in Niedriglohnländern steigert, oder wenn – umgekehrt – ein Pharmakonzern patentierte Medikamente gratis an einkommensschwache kranke Menschen vergibt. Lösungen könnten Unternehmen in solchen Fällen auf 2 Arten suchen: durch Rückgriff auf bestehende ethische Normen („norm-taking“), etwa die Menschenrechtsdeklaration des UN Global Compact, oder durch Schaffung neuer, eigener Normen („norm-making“), etwa in Unternehmensallianzen oder Multistakeholderprozessen. Dieser erweiterte, ambiguitätstolerantere Theorierahmen firmiert unter CSV+ (de los Reyes Jr. et al. 2016).
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In entscheidender Differenz zu CPR stellen CSV und dessen Spielarten jedoch nicht auf den genuin politischen Charakter der Bedingungen unternehmerischen Erfolges ab. Dabei sind die von Porter und Kramer als business-kritisch angeführten Güter inhärent politisch: Schulen, Universitäten, Markttransparenz, faire Wettbewerbsrechte und Qualitätsstandards wie sauberes Wasser (Porter und Kramer 2011, S. 12). Diese produktivitätstreibenden Institutionen bei ihrem politischen Namen zu nennen, würde die nötige Orientierung schaffen. Es hieße, Unternehmen zu zeigen, dass sie politisch sprechfähig werden müssen. Dafür sollten sie das politische Spiel beherrschen und ein Verständnis von Governance ausbilden, um öffentliche Daseinsvorsorge als eigene Daseinsvorsorge zu erkennen. Die hier diskutierten klassischen Verantwortungskonzepte zeigen also einen blinden Fleck – die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Politik. In den letzten Jahren hat sich der Blick dahingehend allerdings geweitet.
4.5.3 Jüngere Konzepte: Die politische Verantwortung wird wichtiger Die nötige politische Wendung unternehmerischer Verantwortung reflektiert sich in jüngeren Konzepten wie Corporate Political Activity, Corporate Political Advocacy, Political CSR und Business Diplomacy. Als eine Art Querschnittsthema mit politischer Langzeitimplikation hat seit wenigen Jahren Corporate Digital Responsibility an Zulauf gewonnen. Was macht diese Konzepte aus und wie unterscheiden sie sich von CPR? Corporate Political Activity (CPA): CPA ist in der englischsprachigen Literatur ein Sammelbegriff für das „genuin politische Engagement eines Unternehmens“, korrespondierend mit den in Deutschland gängigen Konzepten Lobbying, Public Affairs oder auch Governmental Relations. In der Bezeichnung als „non-market-strategy“ kommt zum Ausdruck, dass mit CPA „kein unmittelbarer monetärer Nutzen“ verbunden wird. Von Interesse ist es trotzdem für Unternehmen, ihre Positionen gegenüber der Politik deutlich zu machen, um Risiken des Wirtschaftsumfeldes – etwa höhere Steuern, Gesetzesinitiativen oder allgemeinen Strukturwandel – abzufedern. Dass CPA bedeutet, politisch Einfluss zu nehmen, also Lobbying zu betreiben, führt zu einer eher kritischen Bewertung durch Anspruchsgruppen, während CSR üblicherweise als Treiber der Reputation von Unternehmen betrachtet wird. Um die Legitimität ihrer politischen Aktivität sicherzustellen, müssen Unternehmen daher – wie auch von CPR gefordert – „Responsible Lobbying“ ausüben, sprich unterschiedliche Stakeholderinteressen und den gesellschaftlichen Wertekanon berücksichtigen (Molthagen-Schnöring 2018, S. 7–8). Corporate Political Advocacy (CPAd): CPAd richtet sich auf das Werben einer Firma für ein Thema oder bestimmte Werte. Es geht um explizite öffentliche Unterstützung ausgewählter Individuen, Gruppen oder Ideale mit dem Ziel, andere für sein Anliegen zu gewinnen. Mit CPAd ist kein direkter Nutzen für das Unternehmen verbunden, es besteht also keine Verzahnung mit dem Kerngeschäft. Im Zentrum steht eine werteorientierte Unternehmensführung jenseits des Eigeninteresses (Wettstein und Baur 2015, S. 200). Dieses bewusste Absehen von Win-win-Erwägungen kontrastiert mit der B usiness-Case-Logik
4.5 Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte
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von CPR. Diese zielt darauf, politische Integrität nicht als selbstbezügliches Tugendsignal, sondern strategisch-ökonomisch aufzufassen. Political CSR: Die internationale Managementliteratur und Forschung zur Unternehmensverantwortung behandelt das Phänomen gesellschaftspolitisch engagierter Unternehmen bereits seit einigen Jahren in unterschiedlichen Denkschulen bzw. Ansätzen. Einige Vertreter stellen fest, dass Unternehmen Aufgaben übernehmen, die ursprünglich als Pflichten nationaler Regierungen galten (Margolis und Walsh 2003; Matten und Crane 2005; Scherer und Palazzo 2008; 2011). Scherer und Palazzo (2008) betonen, dass Unternehmen heutzutage die Verantwortung besitzen, zu einer funktionierenden Governance des Gemeinwesens beizutragen, weil Staaten aufgrund der Globalisierung immer weniger in der Lage sind, derartige Leistungen zu erfüllen. Die Autoren plädieren daher für ein neues Verständnis der Rolle des Unternehmens: Das Unternehmen ist nicht mehr nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein politischer Akteur. Auf Scherer und Palazzo geht der etwas unglückliche Begriff „Politische CSR“ zurück– eine Hilfskonstruktion, die zwar die politische Dimension unternehmerischer Verantwortung erfasst, aber in der alten Nomenklatur des Sozialen im engeren Sinne verhaftet bleibt. Das mag akademische Anschlussfähigkeit sichern, verpasst aber eine Chance zur qualitativen Weiterentwicklung der theoretischen Verortung des Unternehmens im öffentlichen Raum. Denn der konzeptuelle Ansatz ist vielversprechend. Politische CSR, wie Dorothea Baur (2018, S. 9–11) darstellt, betrachtet Unternehmen als Co-Akteure in der Global Governance, die Regeln mitgestalten und öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit und Sicherheit erzeugen. Baur unterstreicht: „Politisch verstandener CSR liegt demnach ein breites Verständnis von Politik zugrunde“. Auch die zentrale Frage der Legitimität politischer Aktivitäten von wirtschaftlichen Akteuren gerät bei politischer CSR in den Blick. Rechtfertigung könne durch öffentlichen Stakeholder-Diskurs erreicht werden. Erklärten Unternehmen ihr politisches Handeln, könnten sie von Anspruchsgruppen verantwortlich gemacht werden. Das demokratische Legitimationsdefizit, welches Unternehmen als nichtgewählte Akteure kennzeichne, lasse sich so zumindest teilweise wettmachen. Business Diplomacy (BD): BD überträgt die Konzepte der Regierungsdiplomatie auf die Geschäftswelt. Für multinationale Konzerne heißt das, ein strategisches Management geopolitischer Chancen und Risiken zu etablieren, um weltweit die Ertragsbasis zu stabilisieren. Durch den strategischen Nexus zur Geschäftsentwicklung geht BD über CSR und dessen primäre Orientierung an Reputationsgewinnen hinaus. Derartige Expertise kann intern aufgebaut oder extern eingekauft werden. Hintergrund des Konzeptes ist, dass die Wirtschaft zunehmend gesellschaftliche Werte und öffentliche Angelegenheiten prägt und ihr dadurch enorme „soft power“ zukommt. Der Privatsektor kann seinen politischen Einfluss nicht länger herunterspielen, während die Globalisierung den Raum für Business in der internationalen Ordnung ausweitet und an der staatszentrierten Hierarchiestruktur rüttelt. Gerade Manager brauchen also Fähigkeiten, die denen von Diplomaten vergleichbar sind, etwa kulturelles Gespür und politische Voraussicht. Darunter fällt auch die diplomatische Kunst der indirekten Überzeugung – eine Form
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des Sprechens also, die sich ihrem Gegenstand in Kreisbewegungen nähert. Der in der Wirtschaft gebräuchliche „Schuss aus der Hüfte“ im Bemühen um Geschwindigkeit wäre eher deplatziert. Zur Einübung solcher BD-Praktiken können Trainings für Führungskräfte mit Simulationen dienen (Clingendael 2014). Die Schnittmenge von BD und CPR ist unverkennbar. Bisweilen liest sich BD jedoch als eine Anleitung für Unternehmen, möglichst reibungsarm durch kulturelle, gesellschaftliche und politische Gemengelagen in ausländischen Märkten zu navigieren – ohne nennenswerte Haltung im Sinne eines dezidiert demokratischen Ethos. Insofern ließe sich eine gewisse „ideologische Flexibilität“ diagnostizieren. Die Gefahr von opportunistischen Verhaltensmustern besteht vor allem aufgrund des genuin globalen Bezugsrahmens von BD. Das Eintreten für liberal-demokratische Standards ist in vielen Weltregionen problematisch, wenn man zugleich vom Wohlwollen der betreffenden politischen Entscheidungsträger und Kunden abhängig ist. Hier können harte Grenzen für politisches Engagement existieren. Wo genau sie jedoch verlaufen und wie weit sie sich verschieben lassen, kann durchaus getestet werden – am besten in breiten Allianzen mit anderen gleichgesinnten Unternehmen, aber auch der eigenen Regierung und NGOs. Corporate Digital Responsibility (CDR): CDR stellt unter den Verantwortungskonzepten einen Sonderfall dar. Die Digitalisierung liegt quer zu vielen anderen Themen, weil sie alle Wirtschafts- und Lebensbereiche durchzieht. Darin liegt ihr großes politisches Potenzial. Aufgrund des umfassenden Einflusses des digitalen Wandels ist die Digitalverantwortung nicht auf die IT-Branche beschränkt, sondern für alle Firmen mit digitalem Geschäftsmodell relevant. Dennoch ist nicht verwunderlich, dass dieses sehr junge Konzept aus dem Jahre 2016 zunächst in der Digitalisierungsbranche selbst Anwendung findet, z. B. beim Telekommunikationsriesen Telefónica (2018). Corporate Digital Responsibility leitet sich genealogisch von CSR ab. Es wird als eine freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen zum nachhaltigen Wirtschaften im Digitalbereich verstanden. Einen Ausgangspunkt für eine solche Selbstverpflichtung bieten die im gemeinnützigen deutschen Verein „Charta der digitalen Vernetzung“ festgehaltenen unternehmenspolitischen Prinzipien (Der Verein Charta digitale Vernetzung e.V. o. J.). Die Bedeutung der Digitalisierung als Ressource für nachhaltige Entwicklung verbindet CDR mit den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Das Konzept beabsichtigt, die Digitalisierung im Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Ziele zu gestalten und ihre negativen Effekte abzufedern. Angestrebt wird im Sinne von Porter und Kramer ein „Shared Value“ des digitalen Wirtschaftens für Unternehmen und Gesellschaft. Dabei erstreckt sich CDR über die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen hinaus auch auf ethische Überlegungen (Dörr 2020). So steht auf der Webseite von Telefonica folgendes Bekenntnis: „Der Mensch muss stets oberste ethische Instanz bleiben. Denn die Digitalisierung ist für den Menschen da – nicht umgekehrt“. Inzwischen hat das Bundesjustizministerium gemeinsam mit den Unternehmen Deutsche Telekom, Miele, Otto Group, SAP, Telefónica und ZEIT Online einen Prozess zur Entwicklung von CDR-Leitlinien auf den Weg gebracht. Am 2. April 2019 stellte das Justizministerium 8 Prinzipien vor, die künftig als Richtschnur dienen sollen. Im
4.5 Gesellschaftliche Verantwortungskonzepte
111
ontext von CPR sind 2 Prinzipien besonders interessant: „Unternehmen sollten den geK sellschaftlichen Diskurs fördern und Aufklärung betreiben“ (Prinzip 5) und „die digitale Transformation als Mittel sehen, die gesellschaftliche Teilhabe zu erhöhen und in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen“ (Prinzip 2). Mit diesen Prinzipien soll Digitalverantwortung zur unternehmerischen Selbstverständlichkeit werden, die „ehrbaren Kaufleuten“ zudem einen Marktvorteil verschafft (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2019). Corporate Digital Responsibility hat demnach zunächst nur einen indirekten Politikbezug, ist im Hinblick auf die Betrachtung ethischer Prämissen des technologischen Fortschrittes jedoch prädestiniert, sich von einem engen Fokus auf die IT-Branche zu emanzipieren und eine politische Perspektive zu entwickeln. Das Politische im Sinne von CPR ist jedoch deutlich umfassender. Auch der Begriff „Corporate Political Responsibility“ (CPR) selbst findet sich in der Forschungsliteratur (Lyon et al. 2018). Insgesamt figuriert CPR hier jedoch eher im Kontext von Policies (Maßnahmen) als in demjenigen des genuin Politischen. Es geht also gerade nicht primär um die Stärkung gesellschaftspolitischer Gelingensbedingungen des Wirtschaftens wie der liberalen Demokratie. Vielmehr ist CPR lediglich in einem übergreifenden Konzept von ökologischer Nachhaltigkeit eingepasst. Die Autoren sind – durchaus plausibel – der Auffassung, dass die Beeinflussung des politischen Prozesses durch Unternehmen, vor allem in Form von Lobbying, entscheidendere Auswirkungen auf die Umwelt hat als CSR-Maßnahmen. Daher müsste Corporate Political Activity größere Beachtung in der Nachhaltigkeitsbewertung finden und transparent aufgestellt werden. Hier ist die Nähe zu dem in Kap. 6 vorgestellten CPR-Handlungsfeld des Responsible Lobbying augenfällig. Interessanter ist jedoch die Begriffsverschiebung von CPR zu CPA (Corporate Political Activity, siehe oben) als Indiz dafür, dass CPR gerade nicht als robustes neues Konzept mit spezifischem Gehalt etabliert wird. Trotz der Bedeutungsverschiebung von CPR, die letztlich eher auf ökologische als politische Verantwortung zielt, finden sich Diagnosen, die auch dieses Buch stellt. Beispiele sind die gestiegene Erwartungshaltung der Stakeholder, die schwindende Steuerungsfähigkeit des Staates und die Einsicht, dass die unternehmerische Existenz langfristig von außerökonomischen Faktoren abhängt. Fazit: Unter den politisch ausgerichteten Verantwortungskonzepten kommt Political CSR dem Anliegen von CPR am nächsten. Es begreift Unternehmen als politische Akteure, die in sektorübergreifender Zusammenarbeit Governance-Leistungen erbringen und Kollektivgüter erzeugen. Die legitimatorische Basis dafür soll durch breite Stakeholder- Debatten gewährleistet werden. Der letzte Schritt zur politischen Marke aber fehlt: Sie verlangt, aktiv ein politisches Selbstverständnis zu entwickeln und sich im öffentlichen Raum zu positionieren – insbesondere mit Debattenbeiträgen und Partizipationsformaten zu geschäftskritischen politischen Entwicklungen. Corporate Political Responsibility hingegen rückt ausdrücklich die Verteidigung der liberalen Demokratie als Business Case für Unternehmen ins Zentrum. Zudem werden konkrete Handlungsfelder für politische Maßnahmen skizziert. Der Anspruch, das Unternehmen umfassend in seinem
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
ezug zum „Kraftfeld“ des Politischen zu betrachten, schlägt sich schließlich darin nieder, B den bislang dominanten CSR-Begriff zu überwinden.
4.6
CPR – Der nächste Zug rollt
Angesichts der Beschleunigung und Intensität politischer Herausforderungen, aber auch der abnehmenden staatlichen Steuerungsfähigkeit und der zunehmenden gesellschaftlichen Erwartungshaltung brauchen Unternehmen CPR. Noch versäumen sie es, brachliegende Chancen zu ergreifen; es wird zu wenig politisch und damit auch zu wenig strategisch gedacht und gehandelt. Unternehmen unterschätzen ihre Möglichkeiten, den öffentlichen Raum in ihrem Sinne mitzugestalten. Corporate Political Responsibility, mehr noch als CSR, ist Aufgabe der Unternehmensführung. Diese muss dafür sorgen, dass gesellschaftspolitische Verantwortung im Unternehmen breit verankert wird. Dafür sollten Unternehmenslenker an ihren eigenen „politischen“ Führungsfähigkeiten arbeiten und durch Changemanagement-Prozesse die neue Haltung der politischen Nachhaltigkeit auf allen Ebenen stärken. Dabei könnten sie von Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten unterstützt werden, die ihre Aufgaben künftig politischer verstehen. Das CPR-Konzept spitzt unternehmerische Verantwortung in ihrer fundamentalen politischen Dimension zu und strebt nach Win-win-Lösungen für Unternehmen und Gemeinwesen: Politisch denkende und handelnde Unternehmen tragen ihren Teil zur Gestaltung des eigenen Geschäftsumfeldes (z. B. Infrastruktur, Sicherheit, Bildung) bei – nach ihren Bedürfnissen und denen ihrer Kunden, ihrer Beschäftigten und ihres Umfeldes. Corporate Political Responsibility löst die mit CSR verbundenen, zu kurz greifenden Begriffe wie „sozial“ oder „soziale Verantwortung“ ab. Das ist ein wesentlicher Gewinn, denn gerade im deutschsprachigen Raum unterliegt dieses Begriffs-Cluster einer definitorischen Unschärfe. Im Deutschen oszilliert die Bedeutung des Wortes „sozial“ zwischen „nett“, „fair“, „altruistisch“ und dem weniger wertenden „auf die Gesellschaft bezogen“. Um das „bloß Nette“ geht es aber nicht bei einer strategischen Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung, sondern um konsistentes, mit dem Kerngeschäft verzahntes Engagement. Solch semantische Schwankungen gelten zwar weniger für das englische „social“, welches eindeutiger das Gesellschaftliche bezeichnet. Aber auch hier gilt der allgemeine Einwand, dass der Begriff des Sozialen den Kern dessen verfehlt, worum es eigentlich geht: um das Politische. Das Soziale ist lediglich eine Facette des Politischen. Natürlich könnte auch allgemein von Corporate Responsibility (CR) gesprochen werden, doch beraubt man sich dadurch einer analytischen und inhaltlichen Präzisierung, mit deren Hilfe unternehmerische Ressourcen an Orientierung gewinnen und effektiver eingesetzt werden können. Unternehmen sollten nicht sozialer, sondern politischer werden. Corporate Political Responsibility ist somit die politische Fortschreibung von Verantwortungskonzepten wie CSR, CS oder CR. Es eröffnet Chancen politischer und gesellschaftlicher Positionierung. Aber zugleich laufen jene Unternehmen Gefahr,
4.6 CPR – Der nächste Zug rollt
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arktanteile zu verlieren, die diesen Entwicklungsschritt nicht mitgehen – möglicherM weise bis zur geschäftlichen Schieflage. Die Forderung nach dem CPR-Ansatz mag auf den ersten Blick radikal erscheinen. Im Wortsinne ist sie es sogar: CPR geht an die Wurzel, an die gesellschaftlichen Grundlagen unternehmerischen Erfolges. Und das ist notwendig für eine schlagkräftige Institutionalisierung unternehmerischer Verantwortung. Dort, wo CSR umfangreich und strategisch betrieben wird, ist die politische Dimension bereits real und kann konsequent ausgebaut werden. Der nächste Zug, der rollt, heißt CPR.
4.6.1 Verortung von CPR im Kontext der anderen Konzepte Aber wie lässt sich das CPR-Konzept im Kontext der anderen Verantwortungskonzepte verorten? Zunächst sollten wir uns den spezifischen und neuen Beitrag von CPR vergegenwärtigen: Als „CPR-Essentials“ lassen sich alle Beiträge verstehen, die Unternehmen zur demokratischen Debattierkultur, zur Stärkung der demokratischen Ordnung und zur staatlichen Infrastruktur leisten (vgl. Abb. 4.2). Dies geschieht in klassischen Politikressorts und Querschnittsthemen wie etwa Demografie oder Digitalisierung. Zur Umsetzung konkreter CPR-Maßnahmen bieten sich verschiedene Handlungsfelder an, darunter verantwortliches Lobbying, Diskursformate, Partizipationsaktivitäten und die Stärkung von Kollektivgütern. Damit wird das institutionelle Gefüge des freiheitlich-demokratischen
CPR-ESSENTIALS
Umsetzung CPR-Themen Klassische Politikressorts
Bildung
Querschnittsthemen
Gesundheit
Justiz
Verteidigung
Infrastruktur
...
Digitalisierung, Europa, Demografie, Innovation, gesellschaftlicher Zusammenhalt...
✔
Auswahl der Inhalte politischer Verantwortungsübernahme
CPR-
© Johannes Bohnen
✔
Auswahl der Formate politischer Verantwortungsübernahme
Abb. 4.2 CPR-Essentials und ihre Umsetzung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
Abb. 4.3 Klassisches Verständnis gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Rechtsstaates, der Grundlage erfolgreichen Wirtschaftens, gestärkt. Mit anderen Worten: Die Essenz von CPR ist die Stärkung des öffentlichen Raumes und der Demokratie im aufgeklärten unternehmerischen Eigeninteresse. Ganz anschaulich zeigt sich: Bislang wird CR sozial und ökologisch ausgelegt und zumeist synonym mit CSR verwendet. Der Zentralbegriff dieser Verantwortungskonzepte ist Nachhaltigkeit (vgl. Abb. 4.3). Wenn die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen politisch erweitert wird – im Sinne einer Corporate Political Responsibility –, bieten sich zwei Lesarten von CPR an. In der ersten Lesart wird Nachhaltigkeit durch das Politische ergänzt, in der zweiten in einen politischen Gesamtkontext gestellt: (1) Die soziale und ökologische Unternehmensverantwortung im Rahmen von CSR wird um den Einsatz für Kernelemente der liberalen Demokratie ergänzt: politische Debatten, Bildung und Partizipation, Rechtsstaatlichkeit etc. Der Nachhaltigkeitsbegriff wird also politisch-institutionell verbreitert (vgl. Abb. 4.4). (2) Perspektivisch kann CPR zum Dachbegriff für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen überhaupt werden. Dieses neue, umfassende Verantwortungskonzept beinhaltete neben den CPR-Essentials auch die soziale und ökologische Dimension der Nachhaltigkeit (CSR). Auch diese sind Facetten des Politischen, denn soziale und ökologische Ziele können nur in politischen Prozessen der Aushandlung und Kooperation mit anderen Akteuren realisiert werden (vgl. Abb. 4.5).
4.6 CPR – Der nächste Zug rollt
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Abb. 4.4 CPR als politische Ergänzung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Abb. 4.5 CPR als Dachbegriff für gesellschaftspolitische Unternehmensverantwortung. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Es wäre hilfreich, wenn die Betonung der politischen Verantwortung sich auch begrifflich niederschlagen würde. Allerdings muss CPR nicht zwangsläufig auch namentlich umgesetzt werden. Im Sinne eines praktischen Fortschrittes ist entscheidend, dass Unternehmen überhaupt im Sinne von CPR bzw. der Entwicklung einer politischen Marke tätig werden.
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
4.6.2 Von der Haltung zum Political Branding Die hier beschriebene CPR-Haltung und die mögliche Verortung im Kontext der anderen Verantwortungskonzepte sollte in den Unternehmen ausführlich diskutiert werden. Wenn die Unternehmensführung zu der Überzeugung gelangt, dass eine politische Haltung anzustreben ist, stellt sich die pragmatische Frage, wie sie in der Unternehmenskultur verankert werden kann. Dazu dient der Prozess des Political Branding, der die politische Markenbildung und Markenführung umfasst (und in Teil III ausführlich behandelt wird). Eine klare Vision der eigenen öffentlichen Rolle ist unabdingbar, um als glaubwürdiger, kreativer und schlagkräftiger Akteur wahrgenommen zu werden und nachhaltige politische Beiträge leisten zu können. Die gesellschaftspolitische Positionierung anhand eines Leitbildes sollte integraler Bestandteil des Geschäftsmodells und der Unternehmenskultur werden. Das unternehmerische Selbstverständnis als Akteur des öffentlichen Raumes ermöglicht es, betriebswirtschaftliche Ziele und Governance-Leistungen miteinander zu verknüpfen – zum Wohle der Gesellschaft und des eigenen Profits. Ein politisches Leitbild fügt sich also in ein unternehmensstrategisches Gesamtkonzept. Es ist die Grundlage für interne und externe Kommunikationsmaßnahmen wie auch praktische CPR-Anwendungen. Damit wirkt es sowohl intern für die Mitarbeiter als auch extern für die Gesellschaft richtungsweisend. Im politischen Leitbild finden sich die angestrebten Ziele und die dafür relevanten Stärken verdichtet. Insofern ist das Leitbild ein Führungsthema. Es geht darum, wofür ein Unternehmen im öffentlichen Raum steht. Corporate Political Responsibility kann analog zu den politischen Ressorts von Bildung und Kultur bis zur Verteidigung betrieben werden, je nach Expertise und Interesse des jeweiligen Unternehmens. Hinzu kommen sogenannte Querschnittsthemen wie politische Bildung oder die Stärkung der Debattenkultur, in denen sich alle Unternehmen einsetzen können. Abseits dieser inhaltlichen Gliederung bieten sich in funktioneller Hinsicht vier zentrale CPR-Handlungsfelder für jedes Unternehmen an: Responsible Lobbying, Positionierung über Themen und Dialoge, konkrete Projekte der politischen Partizipation und die Bereitstellung bzw. Unterstützung von Kollektivgütern.
4.7
Vorteil durch Haltung, oder: CPR als Business Case
Unternehmer fragen sich zu Recht: Wie ist der Business Case von CPR, warum sollen wir uns intensiv um politische Nachhaltigkeit bemühen? Ein typischer Einwand könnte lauten, konkrete kurz- und mittelfristige Vorteile von CPR seien nicht sichtbar. Im Folgenden wird demgegenüber erklärt, warum sich CPR doch lohnt. Den Verfechtern der Shareholder- Value-Theorie sollte dabei klar werden, dass politische Verantwortungsübernahme auch und nicht zuletzt den langfristigen Börsenwert eines Unternehmens steigern kann. Denn wer durch konsequente Stärkung des öffentlichen Raumes eine hohe Markenreputation erworben hat, baut Kapital auf, das im Falle von Missverhalten einen Aktienkurs-
4.7 Vorteil durch Haltung, oder: CPR als Business Case
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sturz abfedern und die Kehrtwende einleiten hilft. Eine politisch nachhaltige Unternehmenskultur trägt zur ökonomischen Substanzsicherung bei. Gerade Aktionären mit langfristigen Anlagehorizonten muss daran gelegen sein.
4.7.1 Differenzierung und Zweck der Marke CPR-Engagement kann konkret und attraktiv sein, obwohl es auf den ersten Blick abstrakten politischen Gütern wie der liberalen Demokratie gilt. Marken haben die Möglichkeit zur Differenzierung im Wettbewerb, wenn sie ihre gesellschaftspolitische Dimension entwickeln und die politische Marke in den (Teil III) beschriebenen Handlungsfeldern führen. Kunden bevorzugen zunehmend nachhaltige Produkte. Auf gesättigten Märkten wird man sich vor allem durch Nachhaltigkeit differenzieren. Hier ist noch Luft nach oben. Aber es ist abzusehen, dass sich weitere Differenzierung mittel- und langfristig durch politische Nachhaltigkeit einstellen wird. Die Einzigartigkeit der Marke wird durch die politische Marke ergänzt und gestärkt. Jan Dirk Kemming plädiert für ein vertieftes Markenkonzept, das die neue soziopolitische Durchlässigkeit von Unternehmen berücksichtigt. Denn diese stehen in einer engen Austauschbeziehung mit verschiedenen Vertretern des sie umgebenden öffentlichen Raumes und müssen sich mit dort zirkulierenden Themen und Trends befassen. Der Ansatz einer politisch neutralen Unternehmensführung verliert dadurch an Plausibilität. Als Folge dieses gewandelten Anspruches an Marken beobachtet Kemming eine zunehmende „Sinnaufladung des Angebotes, zum Beispiel in der Formulierung und Kommunikation eines Markenzweckes (Brand Purpose)“ samt „Umsetzung der Worte in Taten (Brand Activism)“. Die Aktivitäten können an den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN ausgerichtet werden, was wiederum Differenzierungschancen im Wettbewerb eröffnet, also kommerziellen Erfolg verspricht. Zentral ist dabei Kemmings Hinweis, dass gesellschaftspolitische Haltungen und Handlungen von Unternehmen nicht unwidersprochen bleiben. Doch gelte es, „bewusst Kontroversen zu suchen bzw. zu ertragen und entsprechende Anforderungen und Konsequenzen von Konsumenten zu akzeptieren“ (Kemming 2019, S. 10/16; Hervorhebung durch den Autor). Die Autoren Timo Meynhardt, Peter Gomez und Markus Schweizer (2016) spekulieren, „dass künftiger Führungs- und Geschäftserfolg stärker von den Antworten abhängen wird, welche ein Unternehmen nach innen und nach außen zur Gemeinwohlfrage finden wird“. Denn: „Gewinn ist eine Überlebensbedingung, aber er ist nicht der Existenzgrund für ein Unternehmen“. Einsatz für das Gemeinwohl schlage sich zudem in einem signifikant höheren Mitarbeiterengagement nieder, insbesondere bei den Jüngeren. Auch weisen Meynhardt, Gomez und Schweizer (2016) darauf hin, dass „der Erfolg und Misserfolg unternehmerischen Handelns“ von „schwer kalkulierbaren gesellschaftlichen Prozessen der Meinungsbildung“ abhänge. Umso wichtiger seien „Initiativen aus den Unternehmen selbst“. Wer Gemeinwohlorientierung zeigt, indem er „sinnstiftende gesellschaftliche Werte“ aufgreift und ins Geschäftsmodell integriert, sichere sein Überleben.
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
Wie man sich dem Thema empirisch nähern kann, illustriert der GemeinwohlAtlas, der 2019 zum zweiten Mal in Deutschland herausgegeben wurde. Er erfasst den gesellschaftlichen Nutzen von Unternehmen und anderen Organisationen in den 4 Kategorien Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt, Lebensqualität und Moral. Der Gemeinwohlbeitrag wird quantifiziert und auf dieser Basis ein Ranking der untersuchten Institutionen erstellt. Die vorderen Ränge belegen durchweg Akteure des öffentlichen Sektors, während Unternehmen erst ab Rang 30 zu finden sind (2019a). Von ihnen erwarten die Befragten laut den Ergebnissen von 2019, dass sie „vor allem auf die Moral achten sollten, gefolgt von guter Leistung im Kerngeschäft und dem Beitrag zur Lebensqualität. Der Beitrag von Unternehmen zum Zusammenhalt in Deutschland wird dagegen als weniger wichtig erachtet“. Das Fazit mit Blick auf die Wirtschaft fällt durchaus positiv aus. Es sei bemerkenswert, „wie stabil viele Unternehmen in den Augen der Bevölkerung ihren Gemeinwohlbeitrag leisten. Die Mehrheit erhält hier erneut ein großes Kompliment“ (2019b). Die niedrige Bedeutung der Unternehmen für das politische Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhaltes könnte zum Ausdruck bringen, dass die Bevölkerung in dieser Hinsicht grundsätzlich keinen Bedarf sieht. Wahrscheinlicher ist, dass bisher kein hinreichendes Bewusstsein dafür existiert, über welche gesellschaftspolitischen Ressourcen und damit Gestaltungspotenziale Unternehmen verfügen. Corporate Political Responsibility schärft die Sinne dafür. Unternehmen sollten sich daher noch stärker von der Frage leiten lassen, was sie im Unterschied zu ihrem betriebswirtschaftlichen Ziel für einen gesellschaftlichen Zweck verfolgen. Pointierter: Geld zu verdienen allein ist künftig wohl kaum noch eine hinreichende Begründung für unternehmerische Aktivität. Hinreichend wird sie erst, wenn Unternehmen schlüssig erklären können, wie die Gesellschaft von ihrem Handeln profitiert. Wird der Zweck plausibel dargelegt, wächst auch das dem Unternehmen entgegengebrachte Vertrauen – Reputationskapital, das wiederum in monetäres Kapital umgewandelt werden kann. Das Streben nach Profit in einen Gemeinwohlzusammenhang zu stellen, erhöht auch die Identifikation der Mitarbeiter, gerade der jüngeren Generation, ist also ein Business Case. Das Verständnis des Unternehmens als eines öffentlichen Akteurs schließt insofern an die zurzeit populäre Purpose-Debatte an. Corporate Political Responsibility liefert eine über die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen hinausgehende Antwort auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit unternehmerischen Handelns. Allerdings weniger als „weiches“ Thema innerer Erfüllung – das mag ein schöner Nebeneffekt sein –, sondern als „hartes“ Thema einer politisch-institutionellen Absicherung der wirtschaftlichen Existenz.
4.7.2 Ordnungsverantwortung als Bedingung für Geschäftserfolg Es geht zunehmend ums Ganze – unsere Freiheit. Im globalen Wettbewerb der Systeme steht unser liberales Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell unter Druck – und damit die Geschäftsgrundlage für westliche Unternehmer. Es sei denn, diese sind bereit, sich für Profite einem autoritären Regime zu beugen, das sie am Ende dennoch zu enteignen droht.
4.7 Vorteil durch Haltung, oder: CPR als Business Case
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Auf den Punkt gebracht: Globalisierung und Digitalisierung, politische Bedrohungen wie Populismus im Innern oder Kriege im Äußeren, begrenzte staatliche Steuerungsfähigkeit, die Erwartungshaltung von Bürgern und Konsumenten an die Unternehmen, die eigenen (gesellschaftlich noch nicht genutzten) Ressourcen – all dies liefert Gründe für CPR-Engagement aus Sorge um den Geschäftserfolg. Der Business Case liegt in der Stärkung des gesellschaftlichen und politischen „Nährbodens“ des Wirtschaftens, also letztlich dem demokratischen Rechtsstaat. Mit einer politischen Marke befreien sich Unternehmen aus der gesellschaftlichen Defensive. Durch umfassende Verantwortungsübernahme stärken sie, was Peter Graf von Kielmansegg (2013) den „historisch so erfolgreichen Verbund zwischen demokratisch verfasster Politik und marktwirtschaftlicher Ökonomie“ nannte, zu dem es keine freiheitliche Alternative gibt. Politische Unternehmensmarken, so ließe sich mit Nils Goldschmidt und Karl Homann (2011, S. 23) formulieren, übernehmen „Ordnungsverantwortung“, sie tragen Sorge für die politischen Rahmenbedingungen ihrer Geschäfte. Ein Zielkonflikt mit dem Kerngeschäft besteht dabei nicht – im Gegenteil: „Die Übernahme von Ordnungsverantwortung widerspricht keineswegs der ökonomischen Logik und der Aufgabe von Unternehmen: Beides beschränkt sich durchaus nicht darauf, in einem gegebenen Rahmen kurzfristige Gewinne zu erzielen. Die Aufgabe erstreckt sich auch und mindestens gleichgewichtig darauf, die langfristigen Bedingungen für erfolgreiche Geschäftstätigkeit zu errichten und zu sichern, und eine sehr wichtige Bedingung hierfür ist die soziale Ordnung“. Der Kern des CPR-Konzeptes ist auf Win-win angelegt, den Business Case politischer Verantwortungsübernahme. Die Win-win-These trägt dabei weniger auf der Ebene des einzelnen Unternehmens, sondern auf der Makroebene zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen System: Eine starke Wirtschaft braucht starke Politik. Die Zurechenbarkeit eines bestimmten wirtschaftlichen Ertrages auf konkretes politisches Engagement eines Unternehmens ist häufig unklar. Das macht das Belegen des Business Case so schwierig. Selbst wenn eine direkte Rückkopplung erkennbar wäre, bliebe das „Freerider- Problem“: Einzelne Unternehmen investieren politisch, der Effekt einer gestärkten Demokratie aber kommt allen Unternehmen zugute. Warum also selbst investieren, wenn es Ressourcen kostet und Risiken birgt? Das Auseinanderfallen von individueller Rationalität (Nichteinmischung bei gleichzeitigem Profitieren von der Einmischung anderer) und kollektiver Rationalität (Wenn alle sich einmischen, profitieren alle umso mehr) ist ein Problem. Das gilt vor allem für Kollektivgüter. Ausnahmen sind stark personalisiertes politisches Engagement (CEO Activism 2018) oder Kampagnen (z. B. Nike/Kaepernick) – sie werden direkt mit dem jeweiligen Unternehmen verknüpft und bieten daher Chancen zur Profilierung als politische Marke. Trotzdem werden sich etliche Firmen zunächst nicht politisch aus der Deckung wagen. Daher ist CPR gerade in der Anfangsphase seiner Etablierung auch eine Aufgabe für die zahlreichen Wirtschaftsverbände. Diese haben die Kapazitäten und politischen Fähigkeiten, das Thema gegenüber ihren Mitgliedsunternehmen voranzutreiben; sie sollten die CPR-Perspektive der „long term gains“ einbringen. Denn nur so kann
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
eine kritische Masse entstehen, die offensichtliche Vorteile für alle liefert. Gleichzeitig werden einzelne mutige Unternehmen belohnt werden, wenn sie – ähnlich wie in sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsbelangen geschehen – den „first-mover-advantage“ ausnutzen und sich mit einer klaren politischen Marke positiv von den Wettbewerbern abgrenzen können. Mit politischer Markenführung werden Unternehmen zu Co-Produzenten von Governance, wodurch sie den öffentlichen Raum und letztlich sich selbst stärken. Dabei sollten sie sich allerdings nicht überfordern: Es geht, gerade in der jetzigen Transformationsphase, um das Herantasten, das Einüben in das Vorläufige, Unfertige und Kompromisshafte des politischen Prozesses. Das hat auch mit demokratischer Tugend, Realismus und Bescheidenheit zutun – kurz: mit Haltung.
4.7.3 Haltung und praktische Klugheit Der für CPR zentrale Haltungsbegriff wird in öffentlichen Diskussionen mittlerweile überstrapaziert und wirkt daher beliebig. Angesichts der oben skizzierten Komplexität suggeriert er manchmal eine Festigkeit und Eindeutigkeit, die wenig geeignet ist, mit den Ambivalenzen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft umzugehen. Im Kern geht es um eine strategische Positionierung in der Gesellschaft, die konsequent und berechenbar durchgehalten wird. Hier ist eine Rückbesinnung auf die aristotelische Tugendethik hilfreich. Aristoteles (1998) versteht Tugend als eine Disposition, die sich durch praktische Klugheit (Phronesis) und Urteilsfähigkeit auszeichnet und das Mittlere zwischen zwei Extremen sucht; sie ist „ein Verhalten (eine Haltung) der Entscheidung, begründet in der Mitte in Bezug auf uns, einer Mitte, die durch Vernunft bestimmt wird und danach, wie sie der Verständige bestimmen würde“. Das Gute ist demnach nicht abstrakt im Voraus bestimmt, sondern erweist sich abhängig vom empirischen Kontext im Einzelfall. Tugendhaftes Handeln muss daher eingeübt werden. Das CPR-Konzept greift auf die aristotelische Urteilskraft in praktischen Dingen zurück – darauf, dass Tugend bzw. Haltung durch Handlung gewonnen werden muss, und darauf, dass sie empirisch verankert ist: Wie gesellschaftspolitisches Engagement von Unternehmen genau ausgestaltet werden soll, wie der Staat im eigenen Interesse gestützt werden kann, muss sich im Einzelfall zeigen. Klar ist jedoch: Haltung ist nicht viel wert, wenn sie keine Konsequenz hat, nie weh tut und sich nicht im Handeln widerspiegelt. Gleichzeitig kann von Unternehmen keine Haltung eingefordert werden, die sie als profitorientierte Organisation permanent überfordert. Die Grenzen der politischen Verantwortung von Unternehmen müssen auch nüchtern in den Blick genommen werden. Aristoteles’ Tugendethik kann also eine pragmatische Hilfestellung für die Entwicklung einer CPR-Haltung sein. Denn eine an Tugenden und praktischer Klugheit orientierte Haltung ist flexibler als starre CPR-Kriterienkataloge, die die politische Verantwortung von Unternehmen entweder unterdeterminieren (CPR zu weit fassen) oder überdeterminieren (CPR engführen). Einmischung in den öffentlichen Raum vollzieht
4.7 Vorteil durch Haltung, oder: CPR als Business Case
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sich nicht im Abarbeiten von Checklisten, sondern im abwägenden, die Proportion wahrenden Verhalten zwischen zwei Extremen. Im Aristotelischen Begriff der Tugend verbinden sich Reflexion und Praxis – deswegen passt er zur Unternehmenswelt. Es kommt darauf an, dass die Wirtschaft eine grundsätzliche Disposition entwickelt, politisch zu denken und handeln – und das mit Augenmaß.
4.7.4 Der strategische Mehrwert Aber zahlt sich eine solche gesellschaftspolitische Haltung wirklich aus? Die Sprengkraft des CPR-Ansatzes gegenüber CSR liegt vor allem in seiner strategischen Ausrichtung, der umfassenden Positionierung des Unternehmens im öffentlichen Raum und damit des nachhaltigen Geschäftserfolges. Es ist im aufgeklärten Eigeninteresse von Unternehmen zu erkennen, dass die Politik ihnen umfangreiche Güter (staatlich geschützte Besitztümer, sicherer Rechtsrahmen etc.) gewährt. Unbestreitbar sind Produkte, Dienstleistungen, Arbeitsplätze und Steuerzahlungen notwendige Voraussetzungen für eine Wohlstandsgesellschaft. Aber ist dies auch künftig noch eine ausreichende „Gegenleistung“? Man sollte der Wirtschaft nicht vorwerfen, dass sie in erster Linie Wirtschaft ist – und nicht Politik. Aber eine kurzfristige Verengung auf Geldverdienen und Lobbying birgt Risiken. Unternehmen sollten am gesellschaftlichen Zusammenhalt mitarbeiten und damit den Boden für ihren eigenen wirtschaftlichen Erfolg düngen. Dies wäre eine notwendige Erweiterung ihrer Investitionstätigkeit. Vor allem sollten Unternehmen CPR als Teil der eigenen Arbeit verinnerlichen. Auf dem Spiel steht, ob Staat und Gesellschaft weiterhin so leistungsfähig sein können, wenn Unternehmen sich fast exklusiv auf das Geldverdienen und die Schaffung von Arbeitsplätzen konzentrieren. Umgekehrt geht es darum, ob Unternehmen langfristig erfolgreich sein können, ohne die Erwartungshaltungen der Gesellschaft zu erfüllen; sie würden gewissermaßen ohne „gesellschaftliche Lizenz“ agieren. Zur Erörterung dieser Fragen und zur Entwicklung konkreten Engagements sollten Unternehmen sich stärker mit dem öffentlichen Raum beschäftigen und eigene politische Analysekapazitäten vorhalten. Der Bedarf von CPR wird immer deutlicher, weil drängende gesellschaftspolitische Herausforderungen und politische Megatrends es nicht länger zulassen, dass Wirtschaftsführer unpolitisch bleiben. Der Glaube an die strikte Trennung von Wirtschaft und Politik ist obsolet. Er lässt große Potenziale ungenutzt. In anderen Worten: Der Mangel an politischer Haltung ist der „blinde Fleck“ der Wirtschaft. Das Ipsos Reputation Council, das jedes Jahr die Kommunikationsverantwortlichen weltweit bekannter Unternehmen zusammenbringt und wesentliche Trends und Herausforderungen thematisiert, leistet in seiner Studie von 2017 der CPR-Prämisse Vorschub, den Sinn der Unternehmung gesellschaftspolitisch zu fassen: „In den letzten 10 Jahren haben wir eine Evolution der Unternehmenskommunikation von einer vor allem PR-dominierten Funktion hin zu einer mehr strategischen allumfassenden Managementdisziplin beobachten können ... Dieser Wandel hat zu einer Konvergenz der Unter-
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
nehmensstrategie mit der Unternehmenskommunikation geführt, da Unternehmen ihren übergeordneten Nutzen in einer klaren und überzeugenden Weise zu artikulieren versuchen“ (Ipsos Reputation Council 2017). Die in der Studie identifizierten größten Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation enthalten viel Politisches, darunter eine fragmentierte Medienlandschaft, den Brexit, Globalisierung und politische Risiken sowie Anti-Business-Stimmungen.
4.7.5 Was CPR für die Public-Affairs-Branche bedeutet Die veränderten Rahmenbedingungen für Unternehmen, vom gesellschaftspolitischen Klima bis hin zu Globalisierung und Digitalisierung werfen die Frage auf, wie effizient und strategisch die Arbeit der Interessenvertretungen noch ist. Werden in Public-Affairs- Abteilungen angesichts der zahlreichen Anforderungen des Tagesgeschäfts noch die großen, wirklich wirksamen Hebel für politische Kommunikation identifiziert und entwickelt? Es spricht einiges dafür, dass der strategische Mehrwert von CPR in Kombination mit der politischen Markenbildung auch das bisherige Verständnis der Public-Affairs-Beratung verändert – ob in Unternehmen selbst oder extern. Wenn Unternehmen und andere Akteure des öffentlichen Raumes künftig ihre politische Marke – als Ausgangspunkt für alle Positionierungsbemühungen – systematisch entwickeln, dann wird politische Kommunikation mit einem neuen Ansatz betrieben, der die notwendige Sprechfähigkeit zwischen allen Akteuren des öffentlichen Raumes verbessert. Im Ergebnis kann dies ein konstruktiver Beitrag zur Verhinderung gesellschaftlicher Zersplitterung bzw. dem Verharren in Echokammern sein. Davon wird auch die Wirtschaft profitieren, weil Vertrauen und gesellschaftlicher Zusammenhalt eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Geschäfte sind. Hinzu kommen die Stabilisierungseffekte der demokratischen Institutionen. Vor allem aber bekommt Public Affairs (PA) als Branche ein kraftvolles Instrument an die Hand: Das neue Geschäftsfeld politische Markentwicklung – als unverzichtbarer Ausgangspunkt für innovative Kommunikationsmaßnahmen in neu zu entwickelnden Handlungsfeldern (Politische Markenführung). Es ist daher absehbar, dass die PA- und Governmental-Relations-Branche aus eigenem Interesse das Thema CPR an die Unternehmen heranführt, zumal es zusätzliche Kooperationsformen ermöglicht. Wenn Unternehmen Ordnungsverantwortung wahrnehmen, stärken sie ihre Marke und ihr Geschäft, aber auch ganz unmittelbar die Beziehung zu politischen Entscheidern. Denn sie haben als Co-Produzent von öffentlicher Governance etwas anzubieten, im Ergebnis ein Win-win. Die Auseinandersetzung mit CPR schafft also neue, inhaltsstarke Anknüpfungspunkte gegenüber der Politik, auch für die klassische Lobbyarbeit. Das Motto „Stärkt den Staat, um Euch selbst zu stärken“ wird die Rolle von Public Affairs verändern, da deren Aufgabe mehr denn je darin besteht, die Einbettung von Unternehmen in ihr soziopolitisches Umfeld zu kultivieren. Mit der zunehmenden Politisierung kommerzieller Marken gewinnt die PA an Bedeutung – als Treiber einer subs-
4.7 Vorteil durch Haltung, oder: CPR als Business Case
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tanziellen Markenführung, die das Unternehmen als Teil des politischen Gewebes erachtet. Dabei werden der Zweck und Mehrwert einer Unternehmung für die Gesellschaft zunehmend im Mittelpunkt stehen. Denn Erträge müssen gesellschaftlich zu rechtfertigen sein, wenn die Gesellschaft ein sensibleres politisches Bewusstsein an den Tag legt. Oder, um einen politischen Beobachter zu zitieren: „Die Unternehmen müssen ihren Businessplan der Gesellschaft zur Genehmigung vorlegen“ (Steingart 2013). Die Kraft der Ökologiebewegung deutet die künftige Richtung an. Unternehmen können nicht an den Einstellungen von aufgeklärten und selbstbewussten Konsumenten vorbei ihre Produkte anbieten. Dabei geht es weniger um Moral als um eine nüchterne Analyse der Kundenwünsche. Die sich ankündigende Bewegung der politischen Nachhaltigkeit wird eine Dynamik entwickeln, der sich kaum ein Unternehmen wird entziehen können. Denn umfassende – also politische – Nachhaltigkeit ist nicht nur der Schlüssel zur Handhabung der großen politischen Herausforderungen unserer Zeit, sondern auch zur Transformation unserer Unternehmen. Die systematische Entwicklung von politischen Marken mit entsprechenden CPR- Maßnahmen (in den in Teil III beschriebenen Handlungsfeldern) wird die Geschäftsentwicklung verändern – letztlich, weil sie Ausdruck einer neuen Haltung ist. Public Affairs kann also als Hebel für neue Geschäftsentwicklungen wirken. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wie eine Gesellschaft einmal aussehen wird, in der all ihre Akteure die Verantwortung für das Ganze verinnerlicht haben und entsprechend handeln. Die neue politische Haltung würde ihren praktischen Ausdruck in konkreten Maßnahmen der politischen Markenführung finden. Das würde den öffentlichen Raum mit seinen politischen Debatten verändern. Es könnte sich eine starke Demokratisierungswelle entwickeln, die unsere freiheitliche Gesellschaft stabilisiert. Ähnliches wäre natürlich auch für andere europäische und viele weitere Länder wünschenswert. Gleichzeitig wird es auch künftig das klassische PA-Geschäft geben, das vor allem versucht, den Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen. Hier gab es bislang auch Vorfeldaktivitäten, die den Nährboden für gewünschte politische Entscheidungen durch vertrauensbildende Maßnahmen und Beziehungspflege bereitet haben. Dazu versorgen Unternehmen Abgeordnete und Ministeriumsvertreter mit Informationen über Neuerungen rund um ihre Geschäftstätigkeiten. Dieses Verständnis der Arbeit im politischen System hat seine Daseinsberechtigung besonders in Branchen mit starkem regulatorischem Druck. Auch in Branchen, die von der Gunst der öffentlichen Hand abhängig sind, findet sich diese Art der politischen Unternehmenskommunikation. Durch CPR inspirierte Public Affairs kann vor allem der langfristigen Geschäftsstrategie behilflich sein. Wird eine gesellschaftliche oder politische Strömung frühzeitig erkannt, kann darauf eingewirkt oder das Geschäft angepasst werden. In Summe sind es also „gerade die gesetzlichen, regulatorischen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die ausschlaggebend dafür sind, ob ein neues Produkt, ein neuartiges Geschäftsmodell überhaupt, in welcher Geschwindigkeit und unter welchen Voraussetzungen kommerzialisiert werden kann“, wie Peter Bechstein, Partner und Aufsichtsratsvorsitzender von Concilius, schreibt (Bechstein 2019). Daher ist neben der herkömmlichen finanziellen vermehrt
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
eine „politisch-regulatorische Due Diligence“ nötig. Bechstein verwendet das Konzept mit Blick auf Unternehmensübernahmen; im CPR-Sinne ließe es sich jedoch verallgemeinern. Denn „die Einschätzung zu den politischen und administrativen Chancen und Risiken des jeweiligen Geschäftsmodells und seiner Weiterentwicklung“ (ebd.) ist für Unternehmen grundsätzlich relevant. Hier kommen PA-Experten ins Spiel, die bewerten können, „wie politische, gesetzliche oder administrative Entscheidungen zustande kommen und wie solche Prozesse bestmöglich begleitet werden können“ (ebd.). Ohne die Hebel des CPR-Ansatzes und seiner Operationalisierung, dem Political Branding, fehlen der Public Affairs-Beratung die analytische Schärfe und vor allem die strategische Ausrichtung. Im Geschäftsalltag kann sich das ganz konkret auswirken. Ein Beispiel sind das Auftreten und die politische Arbeit von Tesla. Um die Investoren von seinem Projekt zu überzeugen, musste der Gründer Elon Musk glaubhaft vermitteln, dass sich gesellschaftliche Erwartungen sowie politische und regulatorische Rahmenbedingungen in Richtung sauberer Mobilität bewegen (Spiegel Online 2020). Diesen Trend hat Tesla im spezifischen Bereich der Elektromobilität durch Public-Affairs-Arbeit unterstützt, den Kundenbedarf genährt und so einen Markt geschaffen. Ein weiteres Beispiel ist das Start-up ReCup, das den gesellschaftlichen Drang zu mehr Nachhaltigkeit und Müllvermeidung erkannt hat und eine Antwort in Form eines Pfandsystems für Kaffeebecher gefunden hat (Utopia 2018). Auch arrivierte Unternehmen können sich hinsichtlich aufkommender politischer Entwicklungen innerhalb ihrer Branche profilieren. So versuchen etwa Unternehmen der Systemgastronomie mit Becherinnovationen, thematischen Veranstaltungen zur Herkunft von Rohstoffen oder politischen Gesprächen mit Umwelt- und Entwicklungspolitikern Regulierung zu beeinflussen und den gestiegenen Erwartungen ihrer Kunden zu entsprechen.
4.7.6 Die Vorteile von CPR auf den Punkt gebracht • Nachhaltige Stärkung des gesellschaftlichen und politischen Nährbodens als Voraussetzung für den eigenen Geschäftserfolg, z. B. durch Beiträge zur größeren Wirksamkeit der staatlichen Steuerungsfähigkeit und öffentlicher Governance • Positionierung als „good corporate citizen“ • Befriedigung der Erwartungshaltung der Kunden an gesellschaftspolitische Verantwortung • Reputationsgewinn gegenüber Kunden und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern bzw. wichtigen Meinungsmultiplikatoren • Stärkung des Mitarbeiterengagements und der Mitarbeiterrekrutierung durch gesellschaftliche Orientierung und Sinnstiftung (bürgerlicher Einsatz für eine funktionierende Demokratie) • Reaktionsfähigkeit im Krisenfall (Nutzung des Reputationspotenzials) • Deutungshoheit über das eigene Handeln (aufgrund gesellschaftspolitischer Analyseund Handlungsfähigkeit)
Literatur
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• Die strategische Ausrichtung der Public-Affairs-Branche wird gestärkt • Letztlich wird die Strahlkraft der Gesamtmarke gestärkt Damit diese CPR-Ziele im Sinne der politischen Nachhaltigkeit und der glaubwürdigen Verankerung von Unternehmen in der Gesellschaft tatsächlich erreicht werden, ist die Operationalisierung der Haltung durch einen Prozess des Political Branding mit konkreten CPR-Maßnahmen entscheidend.
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4 Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen
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Teil III Haltung umsetzen – Political Branding
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Politische Markenbildung
Zusammenfassung
Wie die CPR-Haltung konkret umgesetzt werden kann, zeigt der Prozess des Political Branding. Dazu wird zunächst beschrieben, was grundsätzlich unter einer Marke zu verstehen ist, worin ihre politische Dimension besteht und wie diese losen Enden zu einer kohärenten politischen Marke verknüpft werden können. Zu diesem Zweck bietet sich die Stärkenfilter-Methode an. Dabei werden Unternehmens-Stärken assoziativ gesammelt und nach 4 primären Kriterien bewertet: Sie müssen erstens bei den Realitäten andocken und damit glaubwürdig sein, zweitens Differenzierung im Wettbewerb schaffen, drittens Relevanz für die Zielgruppen besitzen und viertens – im Hinblick auf CPR besonders entscheidend – gesellschaftspolitischen Mehrwert bieten. Die Stärken werden gruppiert und zu einem politischen Leitbild verdichtet, das der Selbstvergewisserung sowie internen und externen Kommunikation dient.
Durch die Ausbildung ihrer Mitarbeiter, Steuerzahlungen sowie eigene Produkte und Dienstleistungen erzeugen Unternehmen gesellschaftlichen Mehrwert. Diese Leistungen sind erheblich, doch werden sie in Zukunft nicht mehr ausreichen. Wir haben bereits festgestellt, dass es zahlreiche gesellschaftliche und politische Standortfaktoren gibt, zu deren Stärkung Unternehmen bislang sehr wenig beitragen. CSR-Maßnahmen müssen politischer werden. Der Druck, die staatliche Steuerungsfähigkeit und die politischen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens zu stärken, wird zunehmen. Also liegt das Freilegen und Weiterentwickeln der gesellschaftspolitischen Markendimension im eigenen unternehmerischen Interesse. Damit dies gelingt und die Haltung der Corporate Political Responsibility konkret eingeübt und gelebt wird, braucht es einen überzeugenden methodischen Ansatz. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_5
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5 Politische Markenbildung
Political Branding ist die Operationalisierung der CPR-Haltung. Alle Unternehmen beschäftigen sich intensiv mit Branding. Es ist eine Selbstverständlichkeit, die eigene Marke zu entwickeln und zu pflegen. Als gesellschaftlicher und politischer Akteur hat ein Unternehmen jedoch auch eine politische Markendimension. Vielen Verantwortlichen in der Wirtschaft ist dies nicht hinreichend bewusst. Um das zu ändern, liegt es nahe, mit dem Begriff des „Political Branding“ zu arbeiten – er umfasst den Prozess der politischen Markenbildung und Markenführung. Beide Begriffe sind in der Geschäftswelt hinlänglich bekannt. Allerdings haben sie bisher einen primär betriebswirtschaftlichen Fokus. Um die gesellschaftspolitische Dimension einer Marke auf den Punkt zu bringen, bietet es sich deshalb an, von „politischer Markenbildung“ und „politischer Markenführung“ zu sprechen. Zunächst sollten wir uns in Erinnerung rufen, wie sehr der Geschäftserfolg von der Stärke und Reputation der Marke abhängt. Christoph Kannengiesser (2019), ehemaliger Hauptgeschäftsführer des Markenverbandes, betont: „Zu den wichtigsten immateriellen Gütern eines Unternehmens gehört die Marke. Ihr Beitrag zur Differenzierung sichert Unternehmen im zunehmend härter werdenden globalen Wettbewerb die Überlebensfähigkeit. Produkte und Dienstleistungen können sich nur über die Markensichtbarkeit und für die Konsumenten greifbar von Wettbewerbern am Markt abheben. Kein Wunder also, dass der Wert einer Marke teilweise bis zu 70 Prozent des Unternehmenswertes ausmacht und sie oft das größte Asset ist“.
Der Management-Professor Ronald J. Burke (2011, S. 3) unterstreicht diese Einschätzung mit Verweis auf eine Studie von Ernst & Young: „Ernst & Young zufolge glauben Investoren, dass zwischen 30 und 50 Prozent eines Unternehmenswertes immateriell ist, hauptsächlich beruhend auf der Unternehmensreputation. Andere haben diesen immateriellen Wert auf 70 Prozent beziffert. Was ist Unternehmensreputation? Die Unternehmensreputation ist eine Funktion der ihr gegenüber bestehenden Wahrnehmungen und Einstellungen von individuellen Mitgliedern einer bestimmten Stakeholder-Gruppe“.
Die „Intangible Asset Market Value Study 2017“ beziffert den Anteil immaterieller Vermögenswerte am Marktwert eines Unternehmens sogar auf über 80 Prozent – ein drastischer Anstieg gegenüber den 7 Prozent im Jahr 1975. Neben technologiegetriebenen Faktoren wie etwa geistigen Eigentumsrechten (Patenten etc.) spielt hier vor allem der „brand value“ eine entscheidende Rolle. Er macht etwa ein Viertel der immateriellen Vermögenswerte aus (Ocean Tomo 2017). Wenn die Reputation der Marke so überragend wichtig ist und gleichzeitig die Bedeutung der politischen Verantwortung für Unternehmen rasant zunimmt, liegt es nahe, die politische Dimension der Marke systematisch zu erarbeiten. Dafür ist eine Vergegenwärtigung notwendig, was eine Marke überhaupt ausmacht.
5.1 Was ist eine Marke? Und was ist ihre politische Dimension?
5.1
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Was ist eine Marke? Und was ist ihre politische Dimension?
Eine Marke beschreibt, was ein „Objekt“ in seinem Kern ausmacht und von der Konkurrenz abgrenzt. „Objekte“ sind klassischerweise Waren und Dienstleistungen. Aber auch Unternehmen und Personen (z. B. Unternehmensgründer, Politiker, Filmstars und Sportler) zählen dazu. Das Hauptziel besteht darin, die eigenen Angebote von denjenigen der Konkurrenz in einer für die Zielgruppen bedeutsamen Weise abzuheben. Differenzierung im Markt schafft Wettbewerbsvorteile. Damit es zur Verbindung einer Marke mit der jeweiligen Zielgruppe kommt, muss sie einen relevanten Nutzen bieten. Dieser ist e ntweder funktional („Was kann ich damit machen?“) oder emotional („Welches Gefühl oder welchen Status bekomme ich?“). Für das „Political Branding“ sind beide Nutzenaspekte relevant. Unternehmen können gesellschaftlichen und politischen Mehrwert erzeugen, wenn sie sowohl ihr Know-how als auch ihre Reputation in die Waagschale werfen. Ähnlich wie bei kommerziellen Marken steht auch bei der politischen Marke nicht die reine Rationalität der Zielgruppen im Mittelpunkt, sondern deren emotionale Reaktion auf das Agieren der Marke. In diesem Zusammenhang schafft der Begriff der Markenpersönlichkeit Klarheit. „Die Markenpersönlichkeit kennzeichnet die Gesamtheit menschlicher Eigenschaften, die mit einer Marke verbunden werden“ (Esch o. J.). Dies mag für eine politische Marke zunächst etwas befremdlich wirken. Aber „für Konsumenten ist die Markenpersönlichkeit in zweierlei Hinsicht interessant: Eine Markenpersönlichkeit kann die eigene Persönlichkeit reflektieren und deshalb eine positive Einstellung zur Marke bewirken oder Idealvorstellungen der Konsumenten hinsichtlich einer wünschenswerten Persönlichkeitsstruktur umfassen und deshalb Präferenzen auslösen“ (Esch o. J.). Da die Einstellung zum Gemeinwohl und zu politischen Themen für viele Menschen persönlich bedeutsam ist, ist sie auch relevant für die Markenpersönlichkeit. Damit verkörpert die politische Markenpersönlichkeit die Assoziationen, die ein Unternehmen mit Bezug auf gesellschaftspolitische Fragestellungen hervorruft. Komplementär zur Marke verhält sich das Image. Es bezeichnet das Stimmungsbild bzw. den Gesamteindruck, den eine Mehrheit von einem konkreten Objekt hat, z. B. Personen, Personengruppen, Organisationen, Unternehmen, Produkten, Standorten, Städten, Regionen oder Länder. Das Stimmungsbild ist eine subjektive Kategorie. Das Image entsteht auf der Gefühlsebene – als Geflecht aus positiven und negativen Assoziationen. Stets wird dabei die eigene Wahrnehmung durch diejenige anderer Personen mitgeprägt. Ein Image entsteht daher aus der Überlagerung der Eindrücke vieler Rezipienten. Ein positives Image fördert Reputation und damit Nachfrage, zahlt sich also wirtschaftlich aus. Das gilt auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Hier liegt für Unternehmen ein bisher unzureichend erschlossenes Potenzial für den Aufbau von Reputation. Dabei ist ein Image nie statisch: Zwar stabilisiert es sich im Laufe der Zeit, kann jedoch kurzfristig schwanken, in Krisen oder bei mangelhafter Markenführung. Dann kommt es zum viel zitierten „Imageschaden“. Diesem kann durch glaubwürdige Gegenmaßnahmen, die von einer klaren Haltung zeugen, entgegengetreten werden. Die Marke ist das Resultat des Zusammenspiels von Markenidentität (Selbstbild) und Markenimage (Fremdbild). Beide Kategorien sind normativ. Die Markenidentität
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5 Politische Markenbildung
als Selbstbild einer Marke bringt zum Ausdruck, wofür eine Marke stehen soll – und nicht bloß, wofür sie aktuell steht. Das Markenimage als Fremdbild einer Marke formt sich aus Konsumentensicht in einem längeren Lernprozess. Um gegenüber den Zielgruppen ein unverwechselbares, positives Markenimage aufzubauen, müssen langfristig Vertrauen und Akzeptanz erworben werden. Im Falle von Unternehmen bedeutet das, die Kunden mit Produkt- bzw. Dienstleistungsqualität und Wiedererkennbarkeit zu überzeugen. Diese einfache Erkenntnis ist auch für den Aufbau einer politischen Marke zu berücksichtigen. Damit eine Marke erfolgreich ist, müssen ihre parallel existierenden Dimensionen koordiniert werden. So gliedert sich die Marke eines börsennotierten Unternehmens in eine Investoren-, Mitarbeiter-, Kunden-, Produkt-, Ethik- und Umwelt-Marke. Dazu kommt nun die gesellschaftspolitische Marke. Diese Markendimensionen sind nicht immer im Einklang. Entlässt ein Unternehmen beispielsweise hunderte Mitarbeiter, um sich von einem unprofitablen Unternehmensteil zu trennen, wird dies einen positiven Effekt auf die Investor-Marke haben, von der Politik und den Mitarbeitern jedoch eher negativ gesehen werden. Die „Mitarbeiter-Marke“ bzw. die „ethische Markendimension“ wird Schaden nehmen. Differenzierend nach Zielgruppen können also je verschiedene Dimensionen der Marke besonders betont werden. Im Versuch, größtmögliche Kohärenz zu erreichen, muss jede Marke immer wieder innere Widersprüche bewältigen. Die Sichtbarmachung einer nur latent vorhandenen, quasi brachliegenden politischen Markendimension hin zu einer aktiv geführten politischen Marke ermöglicht eine effektive Positionierung des Unternehmens in der Gesellschaft und gegenüber der Politik (vgl. Abb. 5.1). Die politische Marke ist Teil eines unternehmensstrategischen Gesamt-
Abb. 5.1 Political-Branding-Prozessphasen (Kurzfassung). (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
5.2 Bestandsaufnahme: Die „losen Enden“ identifizieren
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konzepts, an dem sich nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch Bürger und Konsumenten orientieren können. Die Marke hat demnach eine Innen- und eine Außenorientierung, unterlegt durch interne und externe Kommunikationsmaßnahmen.
5.2
Bestandsaufnahme: Die „losen Enden“ identifizieren
Bevor eine politische Marke entwickelt werden kann, lautet die zentrale Frage: Wie politisch ist das, was ein Unternehmen bereits tut? Welche spezifischen Ressourcen besitzt das Unternehmen und lassen sie sich gesellschaftspolitisch wirkungsvoll nutzen? Mit anderen Worten: Gibt es „lose politische Enden“, einen rudimentären politischen Charakter der Unternehmung, die verknüpft werden können? Konkret: Gibt es • CSR-Maßnahmen mit politischer Dimension? • Ansätze, Lobbying-Bemühungen in einen größeren gesellschaftspolitischen Kontext zu stellen? • Statements zu übergeordneten Firmeninteressen? • Dialog- oder Partizipationsformate mit Bezug zum öffentlichen Raum? • Bestrebungen, an der Bereitstellung von Gemeinschaftsgütern mitzuwirken und staatliche Governance-Strukturen zu stärken? • Mitarbeiter mit gesellschaftspolitischem Sachverstand, die sich für das Thema besonders gut einsetzen lassen? Um sich diesen Fragen zu nähern, ist es hilfreich, ein Selbst- und Fremdbild der Unternehmung zu zeichnen. Die nötigen Informationen können empirisch anhand von relevanten internen und externen Stakeholdern gewonnen werden. Dazu gehören beispielsweise Interviews, Umfragen, Fokusgruppen und Rechercheleistungen. Zur Recherche gehört a) eine allgemeine Ressourcen-Analyse (Produkte, Dienstleistungen, Finanzen, Standorte, Kommunikation, Reputation etc.) und b) die Identifikation von mittelbaren und unmittelbaren politischen Ressourcen. Gerade im Abgleich von Selbst- und Fremdbild liegt die Chance, „Lücken“ zu identifizieren, die auf Handlungsbedarf hinweisen. Eine SWOT-Analyse kann ergänzend dienlich sein, um ein umfassendes Bild vom Zustand der Unternehmensmarke zu erhalten. Darüber hinaus sollte es in der Führungsetage eine Diskussion darüber geben, was mit der CPR-Haltung und der politischen Dimension der Marke gemeint ist. Deren Relevanz für das eigene Unternehmen herauszuarbeiten, fällt ohne externe Moderation und Expertise oft schwer, weswegen die Einbeziehung professioneller Beratung angezeigt sein kann. Das Ziel ist in jedem Fall, breite Einigkeit darüber herzustellen, dass CPR für das Unternehmen sinnvoll ist. Selbstverständlich lohnt sich erst dann die Beschäftigung mit „Political Branding“ (vgl. Abb. 5.2).
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5 Politische Markenbildung
Abb. 5.2 Political Branding: Der Weg zur politischen Marke. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
5.3
Den Markenkern entwickeln: Die Stärkenfilter-Methode
„Ein gutes Leitbild ist wie ein Leuchtturm, an dem wir tagtäglich, in jeder Situation, unseren Kurs des Handelns bestimmen können“ (Baldin 2006). Diese Veranschaulichung gilt auch für die politische Marke bzw. deren textliche Übersetzung in Form eines politischen Leitbildes. Um den Kern einer Marke zu ermitteln, können ihre Stärken gesammelt, gefiltert und gebündelt werden – die Stärkenfilter-Methode (vgl. Abb. 5.3).1 Das daraus entwickelte Leitbild muss verschiedene primäre Filterkriterien erfüllen: 1. „Wahr zu sich selbst“: Dockt das Unternehmen an den Realitäten an und ist damit glaubwürdig?
Die Stärkenfilter-Methode geht auf Johannes Bohnen zurück. BOHNEN Public Affairs (BPA) setzt den Stärkenfilter seit 2005 ein, um Leitbilder für Unternehmungen zu entwickeln und deren Markenkern zu bestimmen.
1
5.3 Den Markenkern entwickeln: Die Stärkenfilter-Methode
137
Abb. 5.3 Stärkenfilter. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
2. „Differenzierend zum Wettbewerb“: Inwiefern hebt sich das Unternehmen von der Konkurrenz ab (Unique Selling Proposition)? 3. „Relevant für die definierte Zielgruppe“: Leistet das Unternehmen einen Mehrwert zur Bedürfnisbefriedigung seiner Kunden? Nach der Logik des CPR-Ansatzes werden diese klassischen Kriterien um ein weiteres ergänzt: 4. „Gesellschaftspolitischer Mehrwert“: Trägt das Unternehmen im eigenen Interesse zu einer intakten gesellschaftspolitischen Verfassung bei? Das vierte Kriterium wird in der Praxis der klassischen Markenentwicklung bislang nicht eingesetzt, verdient angesichts seiner Bedeutung aber verstärkte Aufmerksamkeit. Ein Unternehmen sollte als „good corporate citizen“ seine gesellschaftspolitische Verantwortung wahrnehmen. Gleichzeitig hat es ein wirtschaftliches Interesse an der Stärkung der gesellschaftspolitischen Grundlagen des eigenen Geschäftserfolges. Mit welchen Stärken wird diese doppelte Verantwortung wahrgenommen? Darüber hinaus formulieren sekundäre Kriterien grundsätzliche Ansprüche an eine starke Marke. Gerade der Aspekt der Grundsätzlichkeit erfährt durch den Fokus auf den
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5 Politische Markenbildung
gesellschaftspolitischen Mehrwert in der Markenbildung neue Bedeutung. Denn gesellschaftspolitische Stabilität ist die Bedingung für nachhaltigen Unternehmenserfolg. Unter die Sekundärkriterien fallen folgende Eigenschaften: • Zeitlos: muss auch in zehn Jahren noch gültig sein • Übergreifend: muss alle relevanten Stakeholder einbinden • Zukunftsfähig: muss wichtige Trends berücksichtigen (gesellschaftlich, kulturell, politisch, wirtschaftlich etc.) • Identitätsstiftend: muss nach innen (Mitarbeiter) und außen (Konsumenten, Öffentlichkeit) Orientierung bieten • Souverän: muss selbstbewusst sein, aber nicht arrogant • Emotionalisierend: muss eine aktivierende, wirkungsvolle Tonalität aufweisen Der politische Leitbildprozess ist eine Führungsaufgabe und kann in Form interaktiver Workshops stattfinden. Ausgangspunkt ist zunächst die frei-assoziative Sammlung von Unternehmensstärken, mit besonderem Augenmerk auf das Kriterium 4 (gesellschaftspolitischer Mehrwert). Bei der Markenkernentwicklung ist eine Schwächenanalyse nicht notwendig. Mögliche interne Berührungsängste können so abgemildert werden. Durch den Fokus auf Positives hilft ein politischer Leitbildprozess daher auch zur Selbstvergewisserung und Stärkung des „Teamspirits“. Am Ende des Prozesses stehen verdichtete Stärkencluster, die später auch als Grundlage für ein CPR-Mission-Statement dienen können, das für Firmendarstellungen (Webseite, Flyer etc.) genutzt wird. Zu diesem Zeitpunkt ist der Ist-Zustand der Marke relativ nüchtern ermittelt. Es ist jedoch gut möglich, dass die verdichteten Stärken des Ist-Zustandes nicht hinreichend attraktiv für die Zielgruppe sind. Um die Stärken für das politische Leitbild zu veredeln, bietet sich eine Methode an, die hier „Aspiration“ genannt wird. Diese beschreibt eine (kreative) Brechung, die auf Grundlage des faktisch analysierten Markenkerns (Ist) vorgenommen wird, um einem realistischen, aber ehrgeizigen Ziel (Soll) näher zu kommen. Demnach werden objektiv vorhandene Stärken durch solche „gedehnt“, die erst noch entwickelt werden müssen. Dass die Trennung zwischen Ist- und Soll-Zustand sich in der Praxis nicht immer völlig trennscharf abbilden lässt, ändert nichts an der analytischen und prozeduralen Bedeutung der Unterscheidung. Beispiel: Der Claim der Imagekampagne von Baden-Württemberg – „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ – hat eine klare Basisstärke (Ist-Zustand) sowie eine aspirative Zukunftsstärke (Soll-Zustand). Der erste Teil des Claims, „Wir können alles“, bietet sich als Anker an. Jeder versteht sofort, dass dieses Land extrem erfolgreich ist. Die augenzwinkernde Selbstironie des „Außer Hochdeutsch“ wiederum beschreibt einen Zustand, den man erst noch erreichen möchte. Nämlich nicht nur als erfolgreiches, sondern auch als liebenswertes Land wahrgenommen zu werden, in dem Menschen mit sympathischer Selbstdistanz und Humor leben. Psychosoziale Bedürfnisse der Bürger in Baden- Württemberg wurden hier mit ins Kalkül gezogen.
Literatur
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Das Beispiel zeigt, dass Marken als Persönlichkeiten nicht eindimensional sind, sondern komplex. Widersprüche und Paradoxien machen eine Marke spannend, dynamisch und glaubwürdig. Dies bietet einen Ansatz, Interesse für die Marke zu entwickeln. Durch den methodischen Ansatz der „Tension“ (Spannung) kann eine emotionale Verbindung zu den Zielgruppen entstehen. Hier überlappen sich Aspiration und „Tension“: Meist empfinden Menschen nicht Spannungslosigkeit als wünschenswert, sondern das Streben von einem Ausgangszustand hin zu einem selbstgesetzten Ziel. Auch eine politische Marke kann emotionalisierend, gar idealistisch aufgeladen werden. Polarität (Ist-Soll-Brechung), die rhetorisch im Widerspruch zum Ausdruck kommt, kann eine wirkungsvolle Maßnahme sein. Um aus den Stärkenclustern ein politisches Leitbild zu entwickeln, bedarf es einer Verdichtung und Veredelung. Das Ziel der Verdichtung ist es, den Kern der politischen Marke in maximal zwei, besser einem Satz auf den Punkt zu bringen. Das politische Leitbild ist der textliche Ausdruck der politischen Marke und eine Voraussetzung für ihre Führung. Die Veredelung gelingt durch die angesprochenen Methoden von „Aspiration“ und „Tension“. Das politische Leitbild bzw. der „positionierende Satz“ können als Werbe-Claim verkürzt und übersetzt werden, z. B. für eine gesellschaftspolitische Kampagne eines Unternehmens. Natürlich ist das entwickelte politische Leitbild erst dann überzeugend, wenn es die Führung der Gesamtmarke unterstützt und verbessert.
Literatur Baldin KM (2006) Das Unternehmensleitbild. Mission, Vision und Werte für eine erfolgreiche, nachhaltige Neuausrichtung. https://www.yumpu.com/de/document/read/5159545/das-unternehmensleitbild. Zugegriffen am 12.02.2020 Burke RJ (2011) Corporate reputations: development, maintenance, change and repair. Corporate reputation: managing opportunities and threats. Routledge, London/New York Esch (o. J.) The Brand Consultants: Markenpersönlichkeit. https://www.esch-brand.com/glossar/ markenpersoenlichkeit/. Zugegriffen am 11.02.2020 Kannengiesser C (2019) Gespräch mit dem Autor. 27.02.2019 Ocean Tomo (2017) Intangible asset market value study. https://www.oceantomo.com/intangible-asset-market-value-study/. Zugegriffen am 11.02.2020
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Politische Markenführung
Zusammenfassung
Ist die politische Marke entwickelt, geht es um deren strategische Führung. Dazu werden – unterfüttert mit Beispielen – vier CPR-Handlungsfelder beschrieben, in denen Unternehmen aktiv werden können: Responsible Lobbying, Positionierung über Themen und Dialoge, Projekte der politischen Partizipation und Bereitstellung von Kollektivgütern. Politische Markenführung ist eine zentrale Leadership-Aufgabe. Positionieren sich Unternehmenslenker gesellschaftspolitisch, spricht man von „CEO Activism“. Wirtschaftliche Führungskräfte haben enorme kommunikative Reichweite und geben dem politischen Engagement des Unternehmens ein Gesicht. Darin liegt eine große Chance zur Profilbildung im Wettbewerb, was besonders angesichts der gestiegenen gesellschaftspolitischen Erwartungen von Mitarbeitern und Kunden wichtig ist. Gleichzeitig sollte CPR durch „Mainstreaming“ breit in Unternehmen verankert werden. Als gesellschaftliche Lern- und Gravitationszentren kommen sie an politischen Auseinandersetzungen nicht vorbei. Orientierung bieten die UN-Nachhaltigkeitsziele, vor allem Ziel 16 zu stabilen Institutionen.
Sind die politische Marke und das politische Leitbild entwickelt, geht es im nächsten Schritt des Political Branding um die politische Markenführung. Unter Markenführung wird im Allgemeinen die systematische Weiterentwicklung einer Marke im Zeitverlauf verstanden. Die gelungene Führung einer Marke verhilft zu mehr Orientierung unter den Angeboten, strahlt Vertrauenswürdigkeit aus, löst Begehren aus und fördert Loyalität (Markenverband o. J.). Das erfordert inhaltliche Positionierungen und kommunikative Arbeit mit konkreten Maßnahmen und Formaten. So wird der CPR-Haltung Ausdruck verliehen. Organisatorisch braucht es eine verantwortliche Einheit in unmittelbarer Nähe © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_6
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der Unternehmensführung, z. B. in einer Stabsstelle, die die Marke strategisch weiterentwickelt und ihr Potenzial kontinuierlich entfaltet. Dazu gehört nicht nur in Krisenzeiten die Zusammenarbeit mit der Kommunikationsabteilung. Als politische Marken müssen sich Unternehmen intern und extern so aufstellen, dass sie dauerhaft und markant ihre Relevanz und Reputation sichern. Gefordert ist der stete Aufbau von politischem Kapital und öffentlichem Mehrwert („public value“). Die Glaubhaftigkeit der politischen Marke ist letztlich davon abhängig, ob Kunden und Bürger das Unternehmen als verantwortungsvollen Governance-Akteur wahrnehmen. In der politischen Markenführung gilt es für Unternehmen also, ein positives Grundbild der Marke gegenüber den Stakeholdern zu zeichnen und politische Akteure von den eigenen Anliegen zu überzeugen. Im Optimalfall beugt aktives und bewusstes gesellschaftspolitisches Engagement Problemen vor oder löst sie bereits in der Entstehung. Denn durch die CPR-Haltung ist die Marke näher am Kunden; die gesellschaftliche Einbettung gelingt besser. Die dadurch begünstigte Markenloyalität hilft der „Regeneration“ der Marke im Krisenfall. Kunden mit hoher Markenloyalität verzeihen ihren präferierten Marken Fehltritte und kaufen weiterhin deren Produkte, wenn sie insgesamt von der Qualität der Marke überzeugt sind. Auch politisch müssen Unternehmen solche Qualitätsansprüche an ihre Marke stellen und erfüllen. Dies geht nicht ohne eine überzeugte und überzeugende Leitungsebene. Also: Keine gelungene politische Markenführung ohne eine politisch „musikalische“ Unternehmensführung! Bei der Markenführung ist gleichermaßen der Blick nach innen und außen entscheidend. Die interne Verbindung zwischen einer Marke und den Mitarbeitern des Markenträgers muss stabil sein und permanent gepflegt werden. Dies schafft Orientierung innerhalb der Organisation und ist ohne Leadership nicht denkbar. Gerade gegenüber äußeren Anspruchsgruppen bedarf es einer Haltung. Wenn Markenführung gesellschaftspolitisch verstanden und zugespitzt wird, heißt das: Die Organisation sollte sich, wie in Kap. 2 argumentiert, als Akteur des öffentlichen Raumes begreifen und aktiv ihren Bezug zum Gemeinwesen gestalten. Für Unternehmen bedeutet politische Markenführung, dass sie die gesellschaftlichen Erwartungen und die Bedeutung staatlicher Strukturen als wirtschaftliche Erfolgsbedingungen ernst nehmen. Wenn Mitarbeiter und Kunden, die immer auch Bürger sind, bei einem Unternehmen eine klare gesellschaftspolitische Haltung – also CPR – erkennen, erleichtert dies den Vertrauensaufbau und die Marke kann ihre Identifikationspotenziale heben. Die Autoren Winfried Weber und Peter Paschek (2017) würdigen dahingehend den Management-Vordenker Peter Drucker, der bereits 1995 die gesellschaftspolitischen Grundlagen für gutes Wirtschaften betont habe. Nach dem Ende des Kalten Krieges sah Drucker die westlichen Demokratien vor der Bewährungsprobe, nun nicht mehr einfach besser (als der Kommunismus), sondern gut sein zu müssen. Er sorgte sich um Rechtsstaat und Zivilgesellschaft – Institutionen, von deren Intaktheit eine starke Gesellschaft und auch die Marktwirtschaft abhängen. Sein Credo lautete: Freie Unternehmer brauchen eine menschenrechtsbasierte Demokratie. Wirtschaftsmanager müssten daher ihre ge-
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sellschaftliche Legitimation unter Beweis stellen und Vorbilder in der Stärkung der politischen Kultur des demokratischen Rechtsstaates sein. Angesichts der turbulenten Zeiten forderte Drucker von ihnen, als Anführer und Integratoren in unseren pluralistischen Gesellschaften zu wirken. Verantwortliches Management galt ihm als Alternative zur und Schutz vor Tyrannei. Als Gründungsmitglieder der Peter Drucker Society of Mannheim e. V. treten Weber und Paschek an, das Erbe Druckers hochzuhalten. Sie setzen sich dafür ein, dass sich die Wirtschaftseliten neben der Bewahrung der natürlichen Umwelt zunehmend auch für die Bewahrung der vom Menschen geschaffenen Umwelt kümmern – darunter die politische Kultur der Demokratie, die einen zivilisierten Umgang mit politischen Differenzen erfordere. Dazu benötigten Wirtschaftsmanager vor allem eine umfassende Bildung, die auf Fähigkeiten wie Urteilsvermögen, Selbstbegrenzung und Vorbildlichkeit abzielt. Solche Bildung baue auch der Illusion vor, demokratische Entscheidungsfindungen könnten im Tempo der Wirtschaft vollzogen werden. Druckers Vorbild der unternehmerischen Verantwortung gerecht zu werden, gilt Paschek und Weber zwar als Herkulesaufgabe. Damit das Zusammenleben freier Menschen gelingen könne, müsse sie jedoch bewältigt werden. Es ist offensichtlich: Damit die CPR-Haltung mit Leben gefüllt und umgesetzt wird, braucht es Leadership. Unternehmenslenker können selbst öffentliche Akzente setzen – durch sogenannten „CEO Activism“. Sie haben verschiedene Möglichkeiten, Voraussetzungen für eine politische Markenführung zu schaffen. Ein Ansatz für die organisatorische Gestaltung von gesellschaftspolitischer Verantwortung in Unternehmen ist das sogenannte „Mainstreaming“. Eine breite Verankerung von CPR lässt Unternehmen zu politischen lernenden Organisationen werden. Anerkannte Standards wie die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen oder der „ehrbare Kaufmann“ dienen darüber hinaus als Referenzrahmen für die Umsetzung von CPR. Das schließt geeignete konzeptionelle und argumentative Unterstützung für die Relevanz verantwortlichen politischen Handelns ein. Die nächsten Abschnitte beschreiben diese Ansätze. Sie zeigen auf, wie eine Haltung im Unternehmen Gestalt annehmen und wie sie von Führungskräften in die Organisation getragen werden kann.
6.1
Führung durch CEO Activism
Führung ist in besonderem Maße von CEOs gefordert, als klarer „tone from the top“. Beziehen Vorstandsvorsitzende öffentlich Position zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen, spricht man von „CEO Activism“. Diese öffentliche Positionierung führt bei der Belegschaft zu Rückkoppelungs- bzw. Lerneffekten. Wo bislang oft bewusste Blindheit oder Indifferenz herrschte, sollte moderne Unternehmensführung künftig mit politischem Scharfblick agieren. Sämtliche politische Fragestellungen an ihre Interessenverbände zu delegieren, sollte für Unternehmer der Vergangenheit angehören. Denn durch deren Allzuständigkeit erlahmt die eigene aktive Auseinandersetzung mit wichtigen politischen Entwicklungen. Außerdem wird die Chance
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verpasst, der Öffentlichkeit die Unternehmersicht aus erster Hand und damit authentisch zu vermitteln. Natürlich sind politische Einlassungen von Wirtschaftsführern nicht ohne Risiken. Die Gefahr der Verstärkung gesellschaftspolitischer Risse untermauert die Bedeutung von Tugend im Sinne einer praktisch klugen Abwägung öffentlicher Positionierungen. Ein aufgeladenes gesellschaftliches Klima verlangt Moderationsfähigkeit und eine wohlüberlegte, glaubwürdige Auswahl des politischen Engagements. Und natürlich ist eine professionelle Umsetzung entscheidend, damit es keine Enttäuschungen bei Bürgern und Kunden gibt. Das Ipsos Reputation Council (2018) hat erforscht, wie groß die Sorge von Kommunikatoren ist, durch eine falsche Positionierung Kunden zu verschrecken. Im Jahr 2017 hätten demnach über die Hälfte der befragten Kommunikatoren geglaubt, ihre Konsumenten erwarteten von ihnen eine gesellschaftspolitische Haltung – fest verankert im Zweck, in den Werten und dem Verhalten des Unternehmens. Im Jahr 2018 hingegen äußerten 70 Prozent, klare Positionierung gehe in einer zunehmend polarisierten und konfrontativen Welt womöglich zu weit. Sich auf eine Seite zu schlagen berge das Risiko, wesentliche Kundenanteile zu verschrecken. Selbst diejenigen Kommunikatoren, die gesellschaftspolitischen Einmischungen positiv gegenüberstehen, sagten, dies hänge entscheidend vom jeweiligen Thema ab. Eine amerikaweite Umfrage zu CEO Activism der Stanford University im Jahr 2018 bestätigt die strategischen Chancen politischer Positionierung, aber auch deren polarisierenden Charakter. Insgesamt 65 Prozent der Befragten befürworten, dass die Chefs großer Unternehmen ihren Einfluss geltend machen, um soziale, ökologische oder politische Anliegen zu befördern, die ihnen persönlich wichtig sind. Betreffen die Anliegen direkt die Firma oder Angestellten, erhöht sich der Wert auf 72 Prozent. Ebenso hoch ist der Anteil derjenigen, die eher von einem Unternehmen kaufen, dessen CEO über ein Thema spricht, dem sie zustimmen. Umgekehrt bekunden 62 Prozent, eher nicht zu kaufen, wenn sie die vom CEO vertretene Position ablehnen. Grundsätzlich zeigt sich ein generationeller Unterschied in der Bewertung von CEO Activism. Während sich mehr als die Hälfte der Babyboomer ablehnend gibt, findet sich unter den Millennials breite Unterstützung (71 Prozent) (CEO Activism Survey 2018). Zu einem ähnlichen Befund kommt die Beratungsfirma Deloitte (2018, S. 5–6) in einer Studie: Gerade unter den aufstrebenden, technologieaffinen, sich in sozialen Netzwerken austauschenden Millennials kommt eine gesellschaftspolitische Haltung gut an. Die Unterstützung junger Menschen zeigt, dass politisches Engagement ein attraktives Zukunftsthema für Unternehmen ist. Dass die Einstellung der Millennials bereits wirkmächtig ist, zeigt der Verweis auf die Studie durch Blackrock-CEO Larry Fink. In einem offenen Brief schrieb Fink (2019): „In a recent survey by Deloitte, millennial workers were asked what the primary purpose of businesses should be – 63 percent more of them said ‚improving society‘ than said ‚generating profit‘“. Das Beispiel des Footballspielers Colin Kaepernick (siehe auch Abschn. 3.5, wo es um die Rolle des Sports für die Gesellschaft ging) scheint Fink recht zu geben: Der Sportarti-
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kelhersteller Nike, dessen Kunden zu zwei Dritteln jünger als 35 Jahre sind, nahm Kaepernick 2018 unter Vertrag, 2 Jahre, nachdem er mit seinem Kniefall während der Nationalhymne öffentlich gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert hatte. Nikes Werbekampagne mit dem von der Liga suspendierten Athleten heizte die Gemüter auf. Einige Kunden verbrannten öffentlich ihre Nike-Schuhe, Präsident Trump twitterte, die Werbung sende eine „furchtbare Botschaft“. Trotz solchen Gegenwindes und anfänglich negativer Börsenreaktion stieg der Kurs schließlich an. Nike profitierte von der Aktion, weil die eigene Klientel sich angesprochen fühlte (Kuls 2018). Haltung zu zeigen, kann sich also finanziell auszahlen. Gleichzeitig darf Profitabilität nicht zur notwendigen Bedingung gesellschaftspolitischer Einmischung geraten. Eine solche Haltung verdiente den Namen nicht, weil sie selektiv und opportunistisch wäre. Zur Wahrheit gehört also: Wer einen Standpunkt vertritt, wird bisweilen anecken und gerade in der kurzen Frist nicht immer einen Business Case verzeichnen können. Er wird aber Glaubwürdigkeit gewinnen, die der Marke langfristig Reputation verschafft. Insbesondere personalisiertes politisches Engagement zahlt auf das individuelle Profil einer Marke ein, weil die Aktion dem Unternehmen unmittelbar zugerechnet wird – anders als beim Einsatz für Kollektivgüter. Wenn auch im etwa 2015 entstandenen Diskurs um CEO Activism die öffentlichen Einmischungen von Wirtschaftsführern vom Kerngeschäft entkoppelt werden (Chatterji und Toffel 2018, 2019, S. 78–79), lässt sich darin doch eine große Chance zur Profilierung eines Unternehmens als politisch verantwortliche und damit attraktive Marke entdecken. Firmen mit einem feinen Sensorium für gesellschaftspolitische Themen und anschauliche Kommunikation im öffentlichen Raum verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil. Dass unternehmerischer Mut zum politischen Statement belohnt werden kann, muss sich erst in den Köpfen von Unternehmenslenkern verfestigen. Noch befinden wir uns in einer Phase der Transformation. Die neue Haltung muss von den Handelnden erst eingeübt und von breiteren Bevölkerungsschichten verinnerlicht werden. Die Herausforderung – insbesondere für global operierende Konzerne – wird darin bestehen, ihr politisches Engagement so auszutarieren, dass sie beide Klippen, politischen Opportunismus ebenso wie moralischen Rigorismus, umschiffen. Ein möglicher Ansatz besteht darin, in Dilemma- Fällen das eigene Verhalten offen zu erklären. Siemens-Chef Joe Kaeser erörterte beispielsweise in einem ausführlichen Kommentar, warum er nach dem Mord an dem regierungskritischen saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi seine Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Riad absagte. Dabei wog er nach eigenen Angaben Stakeholder-Interessen, Siemens’ Reputation, die Beziehung zu Kunden in Saudi-Arabien und der arabischen Welt, die Aussicht auf Milliarden-Geschäfte und die Sicherheit tausender Jobs miteinander ab (Kaeser 2018). Obgleich Begründung („Es wäre sinnvoll, teilzunehmen“) und Entscheidung („Ich werde nicht teilnehmen“) auseinanderfielen, sich also der Eindruck einstellte, Kaeser habe dem öffentlichen Druck nachgegeben, stieg hier ein CEO in die politische Arena. Kaesers Schlingerkurs zum Trotz ist die Einübung politischer Sprechfähigkeit grundsätzlich zu begrüßen (Bohnen 2018).
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Diese Sprechfähigkeit wird von René Obermann, ehemaliger CEO der Deutschen Telekom, im Kampf für Europa eingefordert. „Wo auf der Welt soll denn sonst die Einheit von freier Marktwirtschaft, offener Gesellschaft und globaler Zusammenarbeit besser gewährleistet sein? Wo können demokratische, sozial verantwortliche Unternehmer am besten profitabel arbeiten, ohne ihre Werte zu verraten, wenn nicht in Europa?“ Konkret könnten sich Wirtschaftsleute an gesellschaftspolitischen Debatten beteiligen: „Als Unternehmer, Manager und Investoren haben wir erhebliche kommunikative Reichweite ... Plattformen für die proeuropäischen Argumente hat man als Führungskraft viele“. Die Zurückhaltung der Wirtschaftsführer beim Brexit-Votum bleibt Obermann unverständlich. Die Zeit für politische Abstinenz sei für Unternehmen endgültig vorüber: „Vielleicht haben wir den Eindruck erweckt, Politik sei etwas, das nicht in die Unternehmen gehört, das uns nur von der eigentlichen Arbeit abhält. Doch sie ist Teil davon, spätestens jetzt“. Obermann fordert seine Unternehmerkollegen auf, einen „New Deal“ mit der Politik zu vereinbaren und europaweit gezielte Bildungsprojekte zu starten. Darin sieht er „ein Gebot gesellschaftlicher Fairness und zugleich eine große wirtschaftliche Notwendigkeit“. Unter dem Strich betont Obermann: „Wir sind von einem starken Europa existenziell abhängig“. Denn: „Unsere EU-Wirtschaft ist in einen Ordnungsrahmen gebettet, den wir ohne starke EU-Institutionen nicht aufrechterhalten können“ (Obermann 2017). Ganz in diesem Sinne positionierte sich auch die Lufthansa vor der Europawahl 2019. Sie platzierte die Sonderlackierung „SayYesToEurope“ auf dem Rumpf eines Airbus A320. Mit der Initiative setzte sich das Unternehmen für eine hohe Wahlbeteiligung ein. CEO Carsten Spohr begründete die Entscheidung wie folgt: „Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden mit ihrer Wahl im Mai über die Zukunft Europas. Mehr denn je geht es darum, Haltung zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen und die europäische Idee eines geeinten und freien Kontinents zu stärken. Als durch und durch europäisches Unternehmen mit Wurzeln in mehreren Ländern im Herzen Europas verbinden unsere Airlines wie Lufthansa, Swiss, Austrian Airlines, Eurowings, Brussels Airlines, Air Dolomiti die Länder des Kontinents miteinander und Europa mit der Welt. Deshalb liegt uns Europa besonders am Herzen“. In diese Zeit fiel auch der Entschluss, zusätzlich zur Sonderlackierung künftig alle Lufthansa-Flugzeuge neben der deutschen auch mit der europäischen Flagge zu präsentieren (Lufthansa 2019). Auf der anderen Seite des Atlantiks positionierten sich amerikanische CEOs gegen Präsident Trumps nur zögerlich-schwache Verurteilung rechtsextremer Gewalt in Charlottesville im August 2017. Ihnen wird immer deutlicher, dass sie es mit einem volatileren und dynamischeren Stakeholder-Umfeld als zuvor zu tun haben, in dem Haltung von ihnen gefordert wird. Es setzte sich die Einsicht durch, dass es gefährlicher ist, überhaupt nicht Stellung zu beziehen als danebenzuliegen und einmal nicht mit Kunden oder der breiteren Gesellschaft übereinzustimmen. Mit anderen Worten: Die Ära, in der Firmen bloß politische Zaungäste sein konnten, sind vorbei (Maslansky 2017). CEOs nehmen zunehmend gesellschaftliche Verantwortung wahr und kritisieren politische Fehlentwicklungen. Auch wenn sie – wie im Fall Charlottesville – damit den Zorn des Präsidenten auf sich ziehen.
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Die Firmen – darunter Starbucks, JP Morgan, PepsiCo und Merck – veröffentlichten Toleranzaufrufe. Merck-CEO Kenneth Frazier, selbst Afroamerikaner, sagte, er halte es seiner Funktion und persönlicher Gründe wegen für geboten, gegen Intoleranz und Extremismus Stellung zu beziehen: Hass, Bigotterie und weißer Suprematismus liefen dem amerikanischen Ideal von der Gleichheit aller Menschen zuwider (Lindner 2017). Der Starbucks-Gründer Howard Schultz berief ein firmeninternes Debattenforum unter dem Titel „Hate has no home here“ ein, um Raum für die Ängste, Ansichten und Aktionsaufrufe von Mitarbeitern zu geben. Schultz äußerte sich angesichts der Ausschreitungen tief besorgt über das Fehlen von Charakter, Moralität und Humanität. Auf dem Spiel stehe nicht weniger als Moral und Werte der USA (Dahlstrom 2017). Gerade Unternehmen mit engem Kundenkontakt distanzieren sich von Hass, Intoleranz und Rassismus. Denn die digitalaffinen Käufer von heute – die Millennials – können auf enorm wettbewerblichen Märkten mit nur wenigen Klicks ihre Entscheidung ändern, von welcher Firma sie ihre Produkte beziehen. Für ihre Wahl sind die Werte der Firmen immer stärker ausschlaggebend. Und ihr Vertrauen in Unternehmen und ihre Führung scheint recht groß. So glauben immerhin 44 Prozent, dass Wirtschaftsführer, aber nur 19 Prozent, dass politische Entscheidungsträger einen positiven Einfluss auf die Welt haben. Die 2018 Deloitte Millennial Survey resümiert: „Our respondents are imploring business leaders to take the lead in solving the world’s problems“. Auch wenn hier ein tendenziell technokratisches Verständnis von Politik zum Ausdruck kommt, spricht es für eine größere Verantwortungsübernahme von Unternehmen. Auch die sich ändernden Einstellungen sind in diesem Kontext interessant. Arbeitnehmer wollen an ihre Firmen glauben und sind nicht nur an Geld interessiert. So fordern sie die Wirtschaft heraus, nachhaltiger und besser zu werden (Deloitte 2018). Die Ansprüche an Führung sind enorm. Die exponentiellen Entwicklungen der Globalisierung und Digitalisierung gehen zurzeit mit Tendenzen der Renationalisierung und des Vertrauensverlustes von Bürgern gegenüber zunehmend überforderten Eliten einher. Wo eindeutige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nicht mehr zur Weltbeschreibung taugen, müssen Bürger und Eliten Abschied von der Planbarkeit nehmen. Führung verlangt Entscheidungen unter geringer Vorhersehbarkeit und schier endlosen Nebenbedingungen (Karboul 2015). Jene Nebenbedingungen sind in zunehmendem Maße gesellschaftspolitischer Natur. Die gute Botschaft lautet: Diese Rahmenbedingungen können aktiv mitgestaltet werden. CEOs sollten also ihr Potenzial nutzen, die öffentliche Debatte inhaltlich zu bereichern. Das betont politische Agieren von Joe Kaeser hat seit 2018 eine kontroverse Debatte darüber ausgelöst, ob Manager zu politischen Fragen Stellung beziehen dürfen oder gar müssen. Und wenn ja, wie aktiv? Wie ist die entgegengesetzte Forderung zu bewerten, dass sich Unternehmen „politisch neutral“ verhalten sollten? In einem M einungsbeitrag stellte der renommierte Unternehmensberater Reinhard Sprenger, dessen Schwerpunkt das Thema Führung ist, Thesen in dieser Richtung auf (Sprenger 2019).1 Im Sinne Sprengers siehe auch Steltzner: Siemens-Chef Kaeser: Politischer Geisterfahrer, FAZ, 23.10.2018. Position gegen politisch neutrales Verhalten von Managern beziehen z. B. Clemens Brandstätter und Walter Zornek von managerfragen.org.
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Seine erste These lautet: Unternehmen haben keinerlei politisches Mandat; sie sollten im Grundsatz neutral sein. Doch ist die Idee der Neutralität gesellschaftlicher Akteure nicht überzeugend. Auch für Unternehmen gilt, dass sie nur innerhalb einer funktionierenden staatlichen Infrastruktur (Bildung, Gesundheit, Rechtssicherheit, Verkehrswesen, IT/Telekommunikation etc.) erfolgreich operieren können. Etwas polemisch gesagt: Diese staatliche Infrastruktur wie selbstverständlich zu nutzen, ohne sie nachhaltig zu stärken, macht Unternehmen zu Trittbrettfahrern („Freeridern“). Auch ganz praktisch zeigt sich, dass Unternehmen politische Akteure, „Corporate Citizens“ sind, die z. B. den Gesetzgebungsprozess massiv beeinflussen. Ebenso fliegen die CEOs mit der Kanzlerin und anderen Politikern nach China und in andere politisch schwierige Länder, damit ihre Geschäfte befördert und abgesichert werden. Die zweite These besagt, dass CEOs nur von den Eigentümern und dem Aufsichtsrat zur Führung des Unternehmens mandatiert sind. Sprenger (2019) wörtlich: „Der Siemens- Chef ist kein Unternehmer, der sein eigenes Geld riskiert. Er ist Angestellter und verwaltet Geld, das ihm nicht gehört. Insofern ist er abhängig von der Weisung des Aktionariats. Von diesem wurde er für eine politische Meinungsäußerung nicht autorisiert“. Zum einen bezieht sich diese Aussage nur auf Aktiengesellschaften, die lediglich einen kleinen Teil der deutschen Unternehmen darstellen. Zum anderen gehört zur Führung das Agieren im öffentlichen Raum. Wenn die politische Lage komplexer wird, müssen sich Unternehmenslenker um eine neue Rückkopplung mit Politik und Gesellschaft bemühen. These drei weist auf die Gefahr hin, dass Unternehmensführer zu viel moralisieren. Beispielhaft nennt Sprenger Kaesers Kritik an der Festnahme der „Sea-Watch“-Kapitänin Carola Rackete, die in der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer engagiert ist. In der Tat kann Kaesers Einlassung als moralistisch und tendenziell unpolitisch bewertet werden, weil er in der Frage kaum Spielraum für Aushandlung lässt. Das war eine verpasste Chance, da gerade in einer gesellschaftlich aufgeheizten Lage die Wirtschaft eine Stimme des Pragmatismus sein könnte. Aber wie man das komplexe Thema der Flucht beurteilt, ist für CPR nicht primär entscheidend. Entscheidend ist, dass man begründet Stellung zu politischen Entwicklungen nimmt, die letztlich auch das eigene Geschäft betreffen. Zur Orientierung für politische Interventionen ist folgender Grundsatz hilfreich: Unternehmen sollten unparteiisch im Besonderen, aber parteiisch im Grundsätzlichen sein – dann, wenn es um unsere freiheitliche Lebensform als solche geht. Dazu können auch Fragen der Geopolitik und des Handels gehören. Es empfiehlt sich also, bei politischen Äußerungen und Forderungen nicht zu kleinteilig zu werden. Die Haltung droht sich sonst abzuschleifen bzw. zu beliebig zu werden. Im Lernprozess des Einübens einer überzeugenden CPR-Haltung werden selbstverständlich auch Fehler gemacht. Das aber ist weit weniger gefährlich als eine unpolitische Haltung, die unsere Demokratie untergräbt, z. B. wenn Unternehmensführer aus kurzfristigen Geschäftsinteressen bereit sind, sich bei autoritären Führern lieb Kind zu machen, und damit zur Erosion der langfristigen politischen und gesellschaftlichen Grundlagen des eigenen Geschäftserfolges beitragen. Nur eine Integration gesellschaftspolitischer Faktoren in die Geschäftsstrategie kann die Weichen für nachhaltigen Erfolg stellen. Diese komplexe Aufgabe muss Chefsache
6.2 Interne Verankerung durch Mainstreaming
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sein. Dabei geht es auch darum, verschiedenen Anspruchsgruppen Orientierungshilfen in unsicheren Zeiten zu bieten. Dies stärkt die Marke, kann aber nur über ein größeres Engagement von Unternehmenslenkern im öffentlichen Raum gegenüber Kunden und Stakeholdern funktionieren.
6.2
Interne Verankerung durch Mainstreaming
Während CEO Activism in der Regel die innerbetriebliche CPR-Haltung stärkt, bedarf es weitergehender Maßnahmen der internen Verankerung. Ein geläufiger Begriff in Unternehmen ist das Changemanagement. Es beschreibt die „laufende Anpassung von Unternehmensstrategien und -strukturen an veränderte Rahmenbedingungen. Wandel repräsentiert heute in Unternehmen nicht mehr den Sondervorgang, sondern eine häufig auftretende Regelerscheinung“ (Gablers Wirtschaftslexikon). Changemanagement in diesem Sinne ist auch für die interne, kulturelle Verankerung von CPR im Unternehmen notwendig. Zu vermeiden ist vor allem eine dauerhafte Ausgliederung von CPR in eine separate, weitgehend autonome Abteilung. Vielmehr, so Keith Weed, bis April 2019 Chief Marketing und Communications Officer des Konsumgüterherstellers Unilever, sollte gesellschaftliche Verantwortung das Unternehmen auf allen Ebenen durchdringen und eine kollektive Geisteshaltung zum Ausdruck bringen. Weed nennt das „Mainstreaming“. Deswegen löste er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit bei Unilever die CSR-Abteilung auf. Befürchtungen, das sei ein Ausverkauf der Nachhaltigkeitsbestrebungen, waren schnell aus der Welt geräumt. Denn durch Mainstreaming wurde die unternehmerische Verantwortung mit Leben gefüllt. Die Mitarbeiter identifizierten sich mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit (Weed 2016). Als umfassendes Denkmodell leitet CPR die Mitarbeiter zu verantwortungsbewusstem und gleichzeitig profitablem Handeln an. Eine tief gehende Verankerung von CPR meint vor allem, die Mitarbeiter so früh wie möglich einzubinden und in ihnen die Überzeugung wachsen zu lassen, dass sich gesellschaftspolitisches Engagement auch ökonomisch lohnt. Der Erfolg einer Dezentralisierung von CPR wird sich ohne interne Schulungen und klare Zielbeschreibungen nicht einstellen. Die lokal und in der Linie Verantwortlichen müssen in die Lage versetzt werden, das Thema kompetent zu bearbeiten, sonst wird es schlicht verpuffen. Ohne diese Rahmenbedingungen fehlt die Überzeugung nach innen und leidet die Glaubwürdigkeit des Unternehmens nach außen. In einem langfristigen Entwicklungsschritt könnte CPR über die Organisationsentwicklung bzw. das interne Changemanagement hinausweisen. Letztlich geht es um die aktive Mitgestaltung des öffentlichen Raumes, also Public Changemanagement (PCM). Für den Ausgang aus der Selbstbezogenheit müssen üblicherweise wirkmächtige Beharrungskräfte in den Unternehmenseinheiten überwunden werden. Aber findet die beschriebene Verankerung von CPR bei einer kritischen Masse von Unternehmen statt, ist die firmenübergreifende Kooperation in puncto PCM eine realistische Perspektive. Dann könnten gesellschaftliche Reformprozesse tatsächlich nachhaltig entwickelt werden. Die
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6 Politische Markenführung
CPR-Haltung betrifft daher das Selbstverständnis des Unternehmens – auch als politische Organisation. Sie ist eine Kulturfrage – nämlich eine der politischen Kultur im Unternehmen, mit Prägekraft im öffentlichen Raum.
6.3
nternehmen als gesellschaftliche LernU und Gravitationszentren
Die kulturelle Verankerung von CPR im Unternehmen durch Mainstreaming ist auch deshalb von so großer Bedeutung, weil dort enorm viel ungenutztes gesellschaftliches Potenzial schlummert: Das Unternehmen ist einer der letzten Orte, wo Menschen ständig zusammenkommen und miteinander handeln. Es ist ein gesellschaftliches Gravitationszentrum, in dem Identitäten ausgebildet und zukunftsweisende Themen verhandelt werden. Unternehmen verfügen also über besondere Prägekraft hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenwirkens. Früher war ein mittelständischer Unternehmer wie selbstverständlich in einer Partei, einem Verein oder dem Kirchenvorstand aktiv. Dadurch sorgte er in seinem Umfeld für Orientierung und Integrationskraft. Heute gibt es diese gesellschaftliche Rückkopplung seltener. Corporate Political Responsibility könnte also einen Beitrag leisten, die Nähe von Unternehmen zum Gemeinwesen wiederherzustellen und Mitgestaltung anzuregen. Darin liegt eine wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Chance. Und natürlich eine Aufgabe für die Unternehmensführung. Bloßer Shareholder Value ist als Unternehmensziel in westlichen Industriegesellschaften zunehmend verpönt.2 An diese immer stärker werdende Einstellung lässt sich anknüpfen. Insbesondere der Mittelstand blickt ohnehin auf eine Tradition der Verantwortungsübernahme zurück. Häufig verstehen sich Mittelständler als ehrbare Kaufleute, die tief mit ihrem Standort verwurzelt sind. Dieses Ethos tradierter Gemeinwohlverbundenheit gilt es, im Sinne politischer Verantwortung zu modernisieren und zu p rofessionalisieren. Auch mit dem Ziel, an der Deutung politischer Prozesse mitzuwirken. Die Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller argumentiert beispielsweise, gesellschaftliche Fragmentierung und die Auflösung stabilisierender Milieu- und Parteienbindung sowie der Religionszugehörigkeit schafften ein Vakuum, in das kleine und mittelständische Unternehmen vordringen könnten, weil sie klassische Familienwerte wie Zuordnung, Verlässlichkeit und Treue böten (Heuser 2017). Andreas Möller, Leiter der Unternehmenskommunikation und Politik bei Trumpf, zeigt entlang der Linie von Leibinger-Kammüller, warum Trumpf ein Advokat der politischen
Siehe die gesellschaftlichen Ansprüche an Unternehmen jenseits von Gewinn, wie sie etwa im Edelman Trust Barometer oder dem Deloitte Millennial Survey zum Ausdruck kommen. Auch Praktikermeinungen wie der offene Brief von Blackrock-CEO Larry Fink fügen sich in dieses Bild. Eine zentrale Stellung kommt dem Wunsch nach Sinnerfüllung („Purpose“) zu, wie z. B. die Certified B Corporations zeigen, die explizit nach einer Balance von „profit and purpose“ streben.
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6.4 Sustainable Development Goals (SDGs)
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Positionierung von Unternehmen ist. „Nichts“, so Möller, „ist wohl unangebrachter und bisweilen anstrengender als eine Wirtschaft, die keine Empathie für die systemischen Bedingungen der Politik aufbringt, sondern ihre eigene Logik zum Maßstab erhebt und permanent fordert“. Entgegen der irreführenden Trennung beider Sphären führt er aus: „Global agierende Unternehmen haben … heute streng genommen gar nicht mehr die Wahl, politisch zu denken oder nicht – sie sind überall auf der Welt per se wichtige gesellschaftliche Integratoren, bisweilen sogar Labore gesellschaftlicher Themen“. Daher sei anzuerkennen: „Unternehmen repräsentieren heute nicht mehr die Wirtschaft allein, sondern sie sind stärker als in früheren Jahrzehnten Orte von Öffentlichkeit und Gesellschaft“ (Spangenberg 2019). Eine solche Haltung könnte Unternehmen zu einem wesentlichen Träger für politische Bildung machen. In Unternehmen wird bereits in vielerlei Hinsicht Aus- und Weiterbildung betrieben. Warum nicht auch gesellschaftspolitische Weiterbildung, wenn dies für den Geschäftserfolg zunehmend wichtig wird? Über die politische Bildung hinaus können in Unternehmen selbstverständlich auch ganz konkrete bürgerschaftliche und letztlich politische Projekte angestoßen, unterstützt und umgesetzt werden.
6.4
Sustainable Development Goals (SDGs)
Für die Führung von Unternehmen, gerade in ihrer öffentlichen Funktion, bieten die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen einen anerkannten Referenzrahmen. Sie umfassen soziale Ziele wie Geschlechtergleichheit, Hungerbekämpfung und Gesundheitsversorgung und ökologische Ziele wie Klimaschutz, saubere Energie und Fortbestand des Lebens unter Wasser. Soweit passen sie in das gängige ESG-Schema unternehmerischer Verantwortung. Allerdings enthalten die SDGs auch genuin politische Bezüge. Das verdeutlicht besonders Ziel Nummer 16: „Frieden, Gerechtigkeit und stabile Institutionen“. Eine inklusive, effektive und verantwortliche Gestaltung von Institutionen erfordert Anstrengungen für Rechtsstaatlichkeit, Regulierung und Korruptionsbekämpfung, Informationsfreiheit sowie Menschenrechte (United Nations Development Programme o. J.). Ziel 16 der SDGs beschreibt nicht weniger als das Fundament eines demokratischen Rechtsstaates. Es ist exakt der Staat, in dem die meisten Unternehmen zu agieren wünschen. Deswegen dürfen sie Nachhaltigkeit nicht auf deren soziale und ökologische Dimension verkürzen. Das CPR-Konzept kehrt den politischen Gehalt nachhaltigen Handelns nach außen und gibt Orientierung im Ausfüllen dieser Rolle. In einer Studie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der 160 DAX-Unternehmen im Jahre 2018 heißt es: „Fast die Hälfte der analysierten Unternehmen bezieht die SDGs in ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung ein. Hierbei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen DAX-Indizes. Im DAX 30 bezieht sich der Großteil der analysierten Unternehmen auf die SDGs [81 Prozent], wie z. B. Allianz, BMW und RWE. Dagegen berichtet im SDAX nur knapp ein Fünftel der untersuchten Unternehmen, wie z. B. Bilfinger und KWS Saat, über diese“ (Kirchhoff und BDO 2018).
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6 Politische Markenführung
Interessant ist, dass sich Ziel 16 nicht unter den priorisierten Zielen befindet. Es ist in seiner Bedeutung offensichtlich noch nicht erkannt; entsprechend hoch ist der Nachholbedarf.
6.5
Der ehrbare Kaufmann
Einen weiteren Referenzrahmen für die öffentliche Aufstellung von Unternehmen stellt das Leitbild des ehrbaren Kaufmannes dar. Der Deutsche Corporate Governance Kodex verankert dieses in der Präambel des Regelwerks für gute Unternehmensführung. Das Leitbild verdeutlicht, dass sich die Verantwortung von Unternehmen nicht in der bloßen Legalität ihres Handelns erschöpft (Regierungskommission 2020). Wie eine breitere Legitimitätsbasis aussehen könnte, detaillieren die folgenden Prinzipien des ehrbaren Kaufmannes: Der ehrbare Kaufmann • richtet sein Wirtschaften auf Dauer aus. • richtet sein Handeln an Tugenden aus, die langfristiges Vertrauen schaffen. • achtet die Rechte und die Würde seiner Mitarbeiter und behandelt sie fair und menschlich. • verhält sich redlich im Geschäftsverkehr mit Kunden und Lieferanten. • wahrt die Interessen der Eigentümer. • verhält sich fair gegenüber seinen Wettbewerbern. • unterstützt das Gemeinwohl in der Gesellschaft. • bedient berechtigte Interessen der Öffentlichkeit nach Information. • fördert die Weiterentwicklung unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung durch sein gutes Vorbild. • beachtet das Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit (VBKI o. J.). Besonders relevant sind zwei Aspekte dieser Liste: erstens der Einsatz für die freiheitliche Gesellschaftsordnung, deren unmittelbarer CPR-Bezug evident ist; und zweitens der Tugendbegriff, der im Sinne praktischer Klugheit und Urteilskraft eng mit der Vorstellung von CPR als einer Haltung zusammenhängt.
6.6
Die CPR-Handlungsfelder
Wie wir gesehen haben, steht Unternehmensführern eine ganze Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, um die politische Markenführung strukturell und inhaltlich vorzubereiten – intern wie extern. Um den öffentlichen Raum mitzugestalten, kann nun an konkreten Aktivitäten gearbeitet werden, die das politische Leitbild untermauern. Vertreter der Wirtschaft müssen vor allem darüber nachdenken, welche konkreten Beiträge sie mit ihren
6.6 Die CPR-Handlungsfelder
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umfangreichen Ressourcen zur gesellschaftlichen Stabilisierung leisten können – nicht nur in turbulenten Zeiten, sondern dauerhaft. Hier wird ein „CPR-Maßnahmenkatalog“ in vier zentralen Handlungsfeldern vorgestellt, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: 1. Responsible Lobbying Lobbying ist in der allgemeinen Wahrnehmung negativ belegt. Dabei ist es in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft wichtig, dass Unternehmen – wie andere gesellschaftliche Akteure auch – ihre Interessen in den politischen Prozess einbringen. Unter dem Begriff des Responsible Lobbying gilt es, Interessenvertretung unter dem Prinzip der Transparenz zu organisieren: Das heißt, Ziele klar zu benennen, die gleichen Botschaften gegenüber allen Stakeholdern zu kommunizieren und sich an nachhaltigen, gesamtgesellschaftlichen Interessen auszurichten. 2. Positionierung über Themen und Dialoge Unternehmen agieren innerhalb politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen und sollten daher Analysekapazitäten vorhalten, um deren Chancen und Risiken für ihr Handeln bewerten und kommentieren zu können. Diese Kopplung des Unternehmens mit dem politischen System kann durch einen CEO-Planungsstab geleistet werden. Im Sinne eines Thinktanks setzt er an der Schnittstelle zur Geschäftsführung politische Themen auf die Agenda und bereitet Stakeholder-Dialoge vor. Auf diese Weise lässt sich die politische Sprechfähigkeit von Firmen verbessern. Intern werden gesellschaftspolitische Leitlinien formuliert, extern wird eine verlässliche Positionierung im öffentlichen Raum angestrebt. 3. Projekte der politischen Partizipation Kern der politischen Partizipation durch Unternehmen ist es, die politischen Selbstorganisationskräfte der Gesellschaft und damit die eigenen Wirtschaftsgrundlagen zu stärken. Ein überzeugender Ansatz ist das Community Organizing, bei dem Unternehmen mit Kapital und Management-Wissen lokale Dialogplattformen fördern, auf denen gesellschaftliche Gruppen ihre Verbesserungsvorschläge mit Politikern besprechen. Ebenso können Unternehmen demokratische Basisdienste leisten, indem sie in größerem Umfang Bildungsarbeit, bürgerschaftliche Initiativen, Investigativjournalismus oder Wahlaufrufe unterstützen. Schließlich besteht großes Potenzial darin, durch Public Changemanagement auf gemeinsame Wertschöpfung verschiedener Stakeholder im öffentlichen Raum hinzuwirken. 4. Bereitstellung von Kollektivgütern Angesichts der schwindenden Steuerungsfähigkeit des Staates durch Globalisierung und Digitalisierung werden Unternehmen künftig gefordert sein, neue Governance- Modelle zu erproben. Denn langfristig sind öffentliche Güter die Voraussetzung für wirtschaftliche Güter. Zurückhaltung wegen vermeintlich fehlender Profitabilität ist also ein Kurzschluss. Möglich sind Investitionen in Rechtssicherheit, Infrastruktur oder Bildung, beispielsweise in Betriebskindergärten, Bibliotheken, Sportstätten oder bürgerschaftliche Initiativen. Das stärkt die Governance-Strukturen der Gesellschaft und das eigene Unternehmen – Win-win für Staat und Wirtschaft.
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6 Politische Markenführung
Die 4 Handlungsfelder weisen in dieser Reihenfolge eine bestimmte Logik auf. Sie sind gewissermaßen nach der Tiefe ihres Einwirkens auf das Gemeinwesen gestaffelt. Responsible Lobbying knüpft an die von Unternehmen ohnehin betriebenen Lobbying- Aktivitäten an und verlangt deren Ausrichtung an Kriterien der Transparenz und Konsistenz. Themen und Dialoge zielen jenseits bereits bestehender und eng verstandener Geschäftsaktivitäten auf kommunikative Einlassungen zu drängenden gesellschaftspolitischen Fragen ab. Projekte der politischen Partizipation erfordern, dass Unternehmen über das Debattieren hinaus ins politische Handeln kommen, also gezielt bürgerliche Austauschund Willensbildungsprozesse organisieren. Die letzte Stufe markiert schließlich die Bereitstellung von Kollektivgütern, wenn Unternehmen selbst Governance-Aufgaben übernehmen und damit den Staat entlasten. Hier nun eine detaillierte Vorstellung der vier Handlungsfelder mit konkreten Praxisbeispielen:
6.6.1 Responsible Lobbying Verschlossene Türen, dunkle Hinterzimmer, informelle Absprachen und ein Wirken in der rechtlichen Grauzone – so stellen sich viele Bürger die Arbeit von Lobbyisten vor. Doch dieses Bild ist mehr als schief. Informelle und diskrete Treffen in geschützten Räumen sind für den vertraulichen Austausch sinnvoll. Allerdings sollten Firmen ihre politischen Interessen nicht verstecken, sondern offen und schlüssig darlegen. Es geht nicht darum, jeden Gesprächstermin mit Politikern in einem öffentlichen Kalender zu vermerken. Das wäre Ausdruck einer „utopischen Transparenz-Ideologie“, wie der Rechtsprofessor Florian Meinel schreibt. Zwar möge es gute Gründe für die Arbeit von lobbycontrol.de oder abgeordnetenwatch.de geben, doch schürten diese Bewegungen „immer auch ein latentes Ressentiment gegen alles, was am Parlament nach normaler Politik aussieht“. Im Kern, so Meinel provokativ, könne man „keinen transparenten und zugleich professionellen Parlamentarismus wollen. Leider sind diejenigen, die sich besonders grundsätzlich über die Intransparenz des politischen Betriebs beklagen, meist dieselben, die auf allen erdenklichen Feldern besonders viel politischen Handlungsbedarf sehen“ (Meinel 2019, S. 41–42). Das Ziel ist also nicht vollständige Transparenz, sondern Verantwortung. Hier schafft das Konzept des „Responsible Lobbying“ einen Rahmen, der zur Umsetzung einer CPR-Haltung beiträgt. Undemokratische Partikularinteressen? Zunächst bleibt festzuhalten: In einer pluralistischen Gesellschaft ist es selbstverständlich, dass Einzelinteressen in den politischen Prozess eingespeist werden. Die Qualität der Gesetze würde sonst erblichen Schaden nehmen. Gesellschaftliche Herausforderungen sind zu komplex, um ohne die Expertise der zahlreichen gesellschaftlichen Akteure auszukommen. So sind die Parlamentarier natürlich auch auf die Fachkenntnisse der Wirtschaft angewiesen, damit sie ihren demokratischen Pflichten nachkommen können. Woher sollten sie auch sonst wissen, wo bei diesem wichtigen gesellschaftlichen Stakeholder der Schuh drückt? An der Pflege des wechselseitigen Austausches führt daher kein Weg vorbei.
6.6 Die CPR-Handlungsfelder
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Politiker wie der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz betrachten Lobbyisten denn auch als demokratische Gesprächspartner und schätzen ihren Input. In seiner Zeit als Europapolitiker brachte Schulz es auf den Punkt: „Für mich als Entscheider auf der Empfängerseite sind zunächst einmal alle ‚Lobbyisten‘ gleichberechtigte Vertreter spezieller Interessen, mit zumindest von ihrer Warte aus berechtigten Interessen, die ihrer Funktion und ihrem Auftrag entsprechen. Sie gehören zum politischen Geschäft dazu und ohne deren Zutun wäre gesetzgeberisch [sic!] Arbeit nur unvollständig leistbar. Kaum ein noch so gründlicher Gesetzesinitiator könnte für sich in Anspruch nehmen, einen Entwurf auf alle Auswirkungen in die verschiedensten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens geprüft zu haben. Für eine komplette und ausgewogene nachhaltige Gesetzgebung brauchen wir auch die Politikberatung der Lobbyisten“ (Schulz 2007). Diese Erkenntnis, die sicher von der überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten und Beamten geteilt wird, ist im öffentlichen Bewusstsein noch nicht ausreichend angekommen. Stattdessen schlagen Lobbyisten und Politikberatern vielfach Ressentiments entgegen. Immer wieder wird angezweifelt, ob Unternehmen mit ihren externen Lobbyisten, Hauptstadtrepräsentanzen oder Branchenverbänden, also mithilfe professioneller Politik- und Kommunikationsberater, ihre Interessen vertreten dürfen. Gleichzeitig wird die zweifellos wichtige politische Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, Greenpeace oder Food Watch kaum infrage gestellt. Diese arbeiten mit vergleichbaren Methoden, oft sogar noch etwas aggressiver, werden aber wie selbstverständlich positiv gesehen, weil sie vermeintlich dem Gemeinwohl dienen. Ihr Zweck und Nutzen für die Gesellschaft scheinen nicht weiter begründungspflichtig (Weidenfeld 2017, S. 185 ff.). Die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Lobbyisten geht am Kern des Themas vorbei. Die eigentlich relevante Frage ist, wie Lobbying konkret betrieben wird. Die Einhaltung der Gesetze sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Hinzukommen muss die glaubwürdige und wirksame Selbstregulierung der Branche. Genau hier kommt das Konzept des „Responsible Lobbying“ ins Spiel. Wie Firmen mit Integrität punkten Offenzulegen, mit welchem Ziel das eigene Unternehmen Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern führt, beugt gesellschaftlicher Skepsis vor. Eine transparente, wenn auch nicht überzogen offene (siehe Meinel 2019) Kultur der Interessenvertretung kann sich gerade langfristig auszahlen. Denn sofern das Unternehmen nicht gegen öffentliche Interessen handelt, kann es sich bei gesellschaftlichem Engagement und entsprechender Kommunikation der Unterstützung großer Teile der Bürger bzw. Konsumenten sicher sein. Damit entsprechen Unternehmen den lauter werdenden Forderungen nach der Einbettung ihrer spezifischen Interessen und Themen in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Denn dies verdeutlicht ihre Relevanz und ihren Wert für die Politik und die Bevölkerung. Zwar ist die Professionalisierung der Transparenzstandards in Berlin noch ein ganzes Stück von denen in Brüssel und vor allem Washington entfernt. Aber ein deutlicher Trend im hiesigen Lobbygeschäft ist erkennbar. So gibt es konzertierte Bemühungen zur
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6 Politische Markenführung
Einführung eines allgemeinen, branchenübergreifenden Lobbyregisters, z. B. durch den Branchenverband degepol oder einzelne Unternehmen (Degepol 2017). Auch über die Voraussetzungen, unter denen Interessenvertreter Hausausweise zum Bundestag erhalten können, wird debattiert. Denkbar wäre ebenso ein Lobbybeauftragter, der über die Einhaltung von Standards wacht. Integren Lobbyisten ist selbst an klaren Regeln gelegen, da sie sich nicht vorwerfen lassen wollen, etwas Verbotenes zu tun. Das übergeordnete Anliegen lautet, den sogenannten „legislativen Fußabdruck“ nachzuvollziehen und mit Transparenz zu punkten (Sirleschtov 2017). Das politische System der Bundesrepublik wird im Vergleich zu anderen Demokratien wie den Vereinigten Staaten nur begrenzt vom „Big Business“ beeinflusst, auch in der Rekrutierung des Personals. Dennoch wurde am 1. September 2014 Abgeordnetenbestechung auch jenseits von Stimmenkauf und -verkauf unter Strafe gestellt (Lobbypedia 2014). Seit dem 25. Juli 2015 wiederum gilt auf Bundesebene das Karenzzeit-Gesetz für Kanzler, Minister und Parlamentarische Staatssekretäre. Damit kann eine neue Beschäftigung der Regierungsvertreter im Falle von Interessenkonflikten oder anderen Gründen des öffentlichen Interesses für 18 Monate untersagt werden (Lobbypedia 2017). In puncto Integrität können Unternehmen auch individuell tätig werden. Ein Vorreiter ist die METRO AG mit ihrer innovativen Public-Policy-Webseite. Dort veröffentlicht das Unternehmen seine politischen Positionen zu Themen, die für die Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind. Transparent wird dargelegt und begründet, warum die METRO sich z. B. gegen Protektionismus wendet oder für die Bepreisung von Kohlenstoffdioxid plädiert (Metro AG o. J.). Michael Wedell, ehemaliger Leiter Konzernkommunikation und Politik der METRO AG, spricht in diesem Zusammenhang von verantwortungsvoller Interessenvertretung. Der Begriff des Lobbying sei insbesondere in Deutschland schwer beschädigt: „Er steht im Volksmund oftmals für einen undemokratischen Prozess, bei dem machtvolle Organisationen ihren Einfluss ausnutzen, um Partikularinteressen durchzusetzen“ (Metro AG o. J.). Um hier einen Wandel in Gang zu bringen, gelte es, den Begriff und die dahinter liegenden Praktiken positiv zu verändern: „Unter dem Fachbegriff Responsible Lobbying wird seit einiger Zeit diskutiert, wie politische Interessenvertretung transparenter und im Sinne der Gesellschaft gestaltet werden kann, um in einer Demokratie einen legitimen Platz zu finden“. Denn unzweifelhaft sei Lobbying als solches „aus dem modernen Politikbetrieb ... nicht mehr wegzudenken: Zu komplex sind die zu berücksichtigenden Interessen geworden, zu unübersichtlich die Zahl der Anspruchsgruppen und zu massenhaft das technologische Wissen“ (Metro AG o. J.). Wie aber sollte ein ethisch integres Lobbying aussehen? Was wären geeignete Kriterien? „Die Prozesse des Responsible Lobbying sind durch ein hohes Maß an Transparenz gekennzeichnet“, so Wedell. „Die eigenen Ziele sowie deren Durchsetzungsmethoden sind klar erkennbar; gegenüber allen Gesprächspartnern werden die gleichen Botschaften kommuniziert. Die Inhalte des Responsible Lobbying orientieren sich an gesamtgesellschaftlichen Zielen und dienen eben nicht dem Erwerb von Privilegien zu Lasten Dritter. Vielmehr stehen sie mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens im Einklang“. Idealtypisch praktiziert wird Lobbying laut Wedell zu einem wichtigen Baustein für gesellschaftlichen Fortschritt. Denn „in diesem Sinne ist Politikberatung, ist Lobbying, weit
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mehr als nur ein Mittel zur Durchsetzung partikularer ökonomischer, ökologischer oder sozialer Interessen. Es ist ein Mittel, um durch organisierte Interessenvertretung eine zukunftsfähige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung mitzugestalten“ (Metro AG o. J.).
Weitere Beispiele für Responsible Lobbying
• General Motors: 1997 schloss sich die GM Foundation mit Safe Kids zusammen, um das „Buckle-up“-Programm ins Leben zu rufen. Die Initiative für Kindersicherheit im Straßenverkehr begegnet der „größten vermeidbaren Todes- und Verletzungsursache von Kindern in den Vereinigten Staaten und weltweit“. Gestartet mit Sicherheitschecks von Kindersitzen bei GM-Händlern, beinhaltet das Programm mittlerweile auch Lobbying-Maßnahmen für strengere Sicherheitsgesetze hinsichtlich minderjähriger Verkehrsteilnehmer. Der Erfolg von Buckle up zeigt sich daran, dass sich seit 1997 die Todesrate von Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahre durch Autounfälle halbiert hat; dies kann schon als Politikum bezeichnet werden. Die Unterstützung von GM ermöglicht Safe Kids zudem das Spenden von Kindersitzen an Risikofamilien und das Ausrichten von Informationsveranstaltungen, mit denen über die Jahre Millionen von Menschen erreicht werden konnten (Safe Kids Worldwide 2020). Auch setzt sich GM gemeinsam mit der National Highway Traffic Safety Administration im Rahmen der „Click-it-orTicket“-Kampagne für das Anschnallen ein, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen (General Motors 2014). General Motors wird sicher nicht aufhören, Lobbying für die eigenen Interessen zu betreiben, aber es lobbyiert in diesem Fall eben auch glaubwürdig für die Minimierung der negativen Folgen des Autogebrauches. • Facebook: CEO Mark Zuckerberg forderte Ende März 2019 eine aktivere Rolle von Regierungen zur Regulierung des Internets. Hier handelt es sich um einen Grenzfall von „Responsible Lobbying“. Laut Zuckerberg gehe es darum, die beste Seite des Internets – die Freiheit der Menschen, sich selbst auszudrücken, und der Unternehmer, Neues zu schaffen – zu bewahren und gleichzeitig die Gesellschaft vor Schaden zu schützen. Zwar erkennt der Facebook-Gründer die immense Verantwortung der großen Technologieplattformen an, plädiert aber für klare politische Regeln in den Kernbereichen schädliche Inhalte, Wahlmanipulation, Privatheit und Datentransfer. Mit Blick auf den Datenschutz sei die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein geeigneter regulatorischer Rahmen, den andere Länder übernehmen und weiterentwickeln könnten. Statt Unternehmen mit weitreichenden Entscheidungen alleinzulassen, sollte es möglichst einheitliche gesetzliche Standards geben. Schließlich seien nur Regierungen in der Lage, echte Strafen zu verhängen. Insgesamt brauche es eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was wir als Gesellschaft wollen und wie Regulierung dabei helfen könne. Es sei Zeit für ein Update des Regelwerks für das Internet mit neu definierten Verantwortlichkeiten für Menschen, Firmen und Regierungen (Zuckerberg 2019).
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Das Facebook-Beispiel macht deutlich, dass es im Konkreten nicht immer leicht zu bestimmen ist, ob es sich um eine CPR-Haltung handelt. Zuckerbergs „Haltung“ war sicher sinnvoll, um den politischen Primat und die Rechtssicherheit zu stärken. Gleichzeitig ist der Verdacht naheliegend, dass Facebook sich nach vielen Jahren der politischen Untätigkeit nun vor allem deshalb öffentlich positioniert, weil das eigene Geschäftsmodell unter öffentlichen und juristischen Druck gerät (man denke an den Amoklauf in Christchurch oder die EU-Strafzahlungen). Versucht Zuckerberg, sich durch die Delegation von Verantwortung an Regierungen aus der Affäre zu ziehen? Ebenfalls widersprüchlich ist sein Plädoyer für den Datentransfer: Was nach Freiheit für die Nutzer aussieht, hilft Facebook, diese auf seine Plattform zu bringen und Dienste zu integrieren. Vielleicht ist Zuckerbergs Argument strukturell also demjenigen von Joe Kaeser zu Saudi-Arabien vergleichbar – ambivalent, nicht völlig plausibel, primär von Eigeninteresse getrieben und kritikwürdig, aber letztlich doch wichtig für den Fortgang der Debatte um Unternehmensverantwortung. Im Raum steht demnach, ob Zuckerberg und andere Unternehmer von guten Absichten getrieben sind und ob ihr Handeln letztlich dem Gemeinwohl dient. Dies wirft die Frage auf, wann es sich tatsächlich um eine Haltung und wann bloß um deren Instrumentalisierung handelt. Beim Thema „Responsible Lobbying“ kann es, ähnlich wie beim Thema CPR insgesamt, nicht um inquisitorische Motivationserforschung gehen; man würde sich auf zu dünnes Eis begeben. Es ist davon auszugehen, dass Unternehmen dem Gemeinwesen in der Regel nicht absichtlich schaden. Aber natürlich kann durch eine technologiefixierte, letztlich unpolitische Weltanschauung, Indifferenz oder übertriebenes Gewinnstreben ein erheblicher Schaden für das Gemeinwohl in Kauf genommen werden. Besonders gefährlich scheinen libertäre Fantasien, in denen Technologiefirmen mit dem Gedanken eigener Ökosysteme spielen, die möglichst unabhängig von der politischen Regelsetzung funktionieren; z. B. Inseln mit eigener Jurisprudenz. Oder wenn Disruption, auch in der Politik, zum Selbstzweck erhoben wird und die Bedeutung eines funktionierenden öffentlichen Sektors bzw. staatlicher Institutionen unterschätzt wird. Wer meint, Schumpeters schöpferische Zerstörung auf die Politik übertragen zu können, wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit in einem politischen System wiederfinden, das autoritäre Züge trägt und in dem nur noch wenige die Spielregeln setzen. Ohne einem rein gesinnungsethischen Ansatz das Wort zu reden, ist klar, dass der im CPR-Konzept betonte Begriff der Haltung keine Abspaltung von Handlungsabsichten erlaubt. Corporate Political Responsibility hat einen Business Case – dieser instrumentelle Wert ist wichtig –, aber auch eine intrinsische Facette. Schließlich ist das Ziel einer politischen Marke, Identifikation nach innen und Orientierung nach außen zu bieten, ohne eine „idealistische“ und gemeinwohlorientierte Komponente nicht denkbar. Ein gutes Beispiel ist ein Zitat des früheren Kommunikations- und CSR-Chefs der METRO GROUP, Dr. Michael Inacker: „Politische und gesellschaftliche Verantwortungsübernahme ist ein Imperativ für große, international agierende Unternehmen. Und das ist nicht vordergründig aus philanthropischen Gründen oder weil es ins Marketing- Konzept passt. Nein, es geht hier um das aufgeklärte Eigeninteresse, es geht um die
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ollständige Integration von Nachhaltigkeit, CSR und gesellschaftlichem Horizont in die v operative Geschäftsstrategie“ (Wedell 2010, S. 8–9). Die Zukunft des politischen Betriebs in Berlin sollte vom Responsible Lobbying und die Zukunft wirtschaftlichen Handelns von Leitgedanken wie dem gerade zitierten geprägt sein. Dafür müssen sich die Lobbyisten und ihre Vorgesetzten und Auftraggeber am Gemeinwohl orientieren. So können sich Unternehmen als gesellschaftlich verantwortungsvolle Akteure positionieren. Wenn ethische Standards, Governance und Compliance-Regeln zu glaubwürdigen Grundlagen unternehmerischen Lobbyings werden, fällt dies unter CPR-Maßnahmen. Endlich käme die für eine pluralistische Gesellschaft notwendige Schnittstellen- und Vermittlungsarbeit zwischen Wirtschaft und Politik aus der Schmuddelecke.
6.6.2 Positionierung über Themen und Dialoge Durch die Positionierung über Themen und Dialoge stellen Unternehmen politische Sprechfähigkeit her. Sie agieren in einem öffentlichen Umfeld, das sie verstehen müssen und gestalten können. Die politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind wichtig für das Geschäft. Sie sind lokal und national, aber bei Deutschlands exportabhängigen Unternehmen auch oft global. Ab einer bestimmten Größe sollten Unternehmen daher Analysekapazitäten vorhalten, um die Chancen und Risiken für ihr Wirtschaften einschätzen und kommentieren zu können. Um adäquat am gesellschaftspolitischen Diskurs und Wandel teilzunehmen, gilt es, Unternehmens- und Zukunftsthemen zu identifizieren und handhabbar aufzubereiten. Dazu können „CEO-Planungsstäbe“ eingerichtet werden, die als firmeneigene „politische Thinktanks“ die Unternehmensführungen beraten. Diese Einheit dient dem Unternehmen intern zur Formulierung gesellschaftspolitischer Leitlinien und extern zu einer innovativen und verlässlichen Positionierung im öffentlichen Raum. Intern wie extern würden damit die inhaltlichen Voraussetzungen für gesellschaftspolitische Dialogformate geschaffen, um die externe Kopplung des Unternehmens mit Politik und Gesellschaft zu stärken. Intern können Mitarbeiter weitergebildet und auf die gesellschaftspolitische Reise mitgenommen werden. Strukturierte Gespräche der Mitarbeiter mit eingeladenen Experten (Politikberater, NGOs, Stiftungen, Kultureinrichtungen etc.) wären eine wirksame Maßnahme. Diese besondere Form der Aktivierung kann den Stolz der Mitarbeiter auf das eigene Unternehmen befördern, denn dieses stellt seinen Nutzen für die Gesellschaft unter Beweis. Um weitere Outreach-Formate (wie kleinere Veröffentlichungen, Newsletter oder aktive Medienarbeit) erweitert, ließe sich eine regelmäßige Verbindung zu unterschiedlichen unternehmensrelevanten gesellschaftlichen Akteuren aufbauen. Im Idealfall werden Unternehmensvertreter, insbesondere Geschäftsführer oder CEOs, in bestimmten Themenfeldern von politischen Entscheidungsträgern als Experten um Rat gefragt. Sie werden somit konstruktive Partner der Politik. Während die Politik von der praktischen Fachkenntnis der Unternehmen profitiert, erarbeiten diese sich nachhaltige
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Zugänge in die Politik – also „Win-win“. Damit kann Handlungsfeld 1 (Responsible Lobbying) durch Handlungsfeld 2 (Positionierung über Themen und Dialoge) gestärkt werden; die Handlungsfelder befruchten sich also wechselseitig. Besonders sinnvoll scheint eine Rückkopplung mit der Wissenschaft, die nicht unter parteipolitischem Verdacht steht und in besonderem Maße eine Verantwortung für das hat, was der Politologe Peter Graf Kielmansegg die „Hygiene der politischen Sprache“ nennt. In diesem Sinne können Unternehmen Panels ins Leben rufen und Forscher einladen, ihre Expertise einzubringen. Kielmansegg formuliert eine Leitmaxime für derartige Diskussionen: „Der kommunikative Prozess der repräsentativen Demokratie muss darauf angelegt sein, mit vernünftigen Gründen zu überzeugen. Dazu gehören zuerst der Respekt vor den Fakten und der Respekt vor dem Gegenüber. Es gehört dazu die Bereitschaft, zuzuhören und Argumente zu wägen. Es gehört dazu ein Mindestmaß an Distanz zu den eigenen Positionen im Meinungsstreit. Aus ihr resultiert die Fähigkeit, im Dialog zu lernen“ (Graf von Kielmansegg 2017; Hervorhebung durch den Autor). Ganz im Sinne politischer Bildungsarbeit (siehe auch Handlungsfeld 3) könnte eine solche Diskussionskultur in Unternehmen eingeübt werden. Daher bietet sich auch eine Kooperation mit den Landeszentralen für politische Bildung an. Ähnlich wie bei den eigenen Bemühungen im Bereich des Responsible Lobbying begeben sich Unternehmen mit der Entwicklung von Themen und Dialogen an die Schnittstelle zur Arbeit ihres jeweiligen Branchenverbandes. Ist die Verbandsführung souverän, sieht sie dies nicht als Bedrohung, sondern als Chance, die eigenen Botschaften zu verstärken. Insgesamt können politische Anliegen von Unternehmen in Eigenregie authentischer, weil direkter, kommuniziert werden. Die Wucht der Einflussnahme erhöht sich. Aus Sicht des Unternehmens kann die oft als träge wahrgenommene Arbeit des Verbandes unterstützt und im konstruktiven Sinne „getrieben“ werden. Schließlich kann man sich dort systemlogisch nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner unter den Mitgliedsunternehmen einigen. Die Herausforderung für Unternehmen besteht im Kern darin, politisch sprechfähig zu werden. Die Beschäftigung mit Themen und Dialogen ist daher von großer Bedeutung. Unternehmen dürfen gesellschaftlich nicht dysfunktional werden, sonst verlieren sie den Kontakt zu ihren Kunden. Nehmen wir das Beispiel der großen deutschen Banken. Wie konnte es zu deren Niedergang kommen? Neben den wirtschaftlichen Versäumnissen wie obsoleten Geschäftsmodellen oder unzureichenden Digitalisierungsstrategien stehen die gesellschaftspolitischen: Viele Entscheidungen wichen allzu stark von gesellschaftlichen Strömungen und Werthaltungen ab, ließen das Gespür für Anstand vermissen. Sie haben dazu geführt, dass Organisationen wie die Deutsche Bank mit ihrer Umwelt aneinandergerieten und Vertrauen verspielten. Das ist in einer Branche fatal, die in besonderem Maße von Glaubwürdigkeit und Vertrauen lebt. Interessanterweise haben die Sparkassen (wenn man von den Landesbanken im Sparkassenverbund absieht) sowie die Volks- und Raiffeisenbanken die Finanzkrise deutlich besser überstanden als die Deutsche Bank oder die Commerzbank (Toller 2009). Ihre Vor-Ort-Verankerung, auch mit den jeweiligen lokalen Themen, ist traditionell stärker.
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Dies begünstigt die permanente Kultivierung von Bürger- und damit Kundenbeziehungen. Die Deutsche Bank und die Commerzbank benötigen einen echten Kulturwandel, der die Kopplung zur Gesellschaft wiederherstellt. Nur so können Glaubwürdigkeit und Reputation zurückgewonnen werden. Der Wandel muss glaubhaft nach innen und außen ins Werk gesetzt und entsprechend kommuniziert werden. Im Kern gilt es zu zeigen, dass sich der Zweck einer Bank nicht in kurzfristiger Profitmaximierung erschöpft, sondern auch im Wohlstand ihrer Kunden und der Gesellschaft insgesamt besteht; sonst verlieren Banken ihre Daseinsberechtigung. Den Orientierungsrahmen dafür steckt das Konzept der sozialen Marktwirtschaft ab, bei dem auch immer in gesellschaftlichen Bedingungen und Folgen gedacht wird.
Beispiele für Positionierung über Themen und Dialoge
• Managerfragen.org: Unternehmensvertreter treten auf der Onlineplattform managerfragen.org mit Bürgern in den Dialog und stellen sich deren kritischen Fragen in Bezug auf Unternehmensführung und -verantwortung. Gleichzeitig handelt es sich hier um ein Beispiel für Responsible Lobbying, da es um die transparente und konsistente Darlegung von Interessen geht. • Siemens: Joe Kaeser konterte auf Twitter eine Verbalentgleisung der AfD- Politikerin Alice Weidel in der Integrationsdebatte. Weidel hatte die Bundesregierung in der Generalaussprache des Bundestages mit folgenden Worten kritisiert: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern“. Kaesers Entgegnung: „Lieber ‚Kopftuch- Mädel‘ als ‚Bund Deutscher Mädel‘. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt“ (Steltzner 2018). • NOMOS Glashütte: Nach der Bundestagswahl 2017 zeigte die Uhrenmanufaktur aus dem Erzgebirge mit einem offenen Brief klare Kante gegen das Erstarken der AfD. Im Namen der Belegschaft distanzierten sich die 3 Geschäftsführer Judith Borowski, Uwe Ahrendt und Roland Schwertner „ausdrücklich von jeglichem rassistischen Gedankengut“. Weiter hieß es: „Wir werden helfen, das Terrain für Freiheit und Demokratie zurückzugewinnen“. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten werde das Unternehmen „auch weiterhin für Weltoffenheit, Toleranz und Pluralismus werben“ (Schwertner et al. 2017). Angesichts des Stimmenanteils von 40 Prozent, die die AfD in Glashütte erzielte, brachte NOMOS mithilfe der „Initiative Courage“ politische Schulungen für die Mitarbeiter im Umgang mit Rechtsextremismus auf den Weg. Gleichzeitig redete die Geschäftsführung öffentlich über das Problem – aus Überzeugung und weil sie ausländischen Kunden signalisieren wollte: Bei uns hat Rassismus keine Chance. Borowski berichtet allerdings auch von den Schattenseiten des Engagements. Es habe Shitstorms
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und böse Post gegeben, was viele Kapazitäten gebunden hätte. Dennoch: „Wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen und Rechtsradikalismus die Stirn zu bieten, dann müssen sich die Unternehmer raustrauen“ (Tönnesmann 2019). Ernst & Young und MTU: Die Unternehmensberatung und der Triebwerkshersteller riefen vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen 2018 dazu auf, nicht für populistische Parteien zu stimmen. EY-Chef Hubert Barth schrieb eine E-Mail an alle 10.000 Mitarbeiter in Deutschland. Darin heißt es: „Viele demokratische Errungenschaften, auf die wir zu Recht stolz sind, werden auch bei uns in Deutschland wieder infrage gestellt“. Der Manager rief „alle Kolleginnen und Kollegen auf, von Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, um die demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte in unserem Land zu stärken“. Für Deutschland seien „Rechtsstaatlichkeit und unsere Internationalität“ entscheidende Standortvorteile im weltweiten Wettbewerb“. Das Unternehmen MTU schrieb in einem Brief an die Konzernbelegschaft: „Abschottung auf politischer oder wirtschaftlicher Ebene bringt keinerlei Fortschritt“. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dürften nirgendwo Platz haben (Bidder 2018). Diverse US-Konzerne: 59 Chefs von Großkonzernen wie Apple, JP Morgan Chase und American Airlines haben in einem gemeinsamen Brief die Einwanderungspolitik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump kritisiert. Die Regierung müsse bei ihrer „legitimen Überprüfung“ der Einwanderungsregeln Änderungen vermeiden, die „das Leben Tausender gesetzestreuer und qualifizierter Mitarbeiter durcheinanderbringen und die der Wettbewerbsfähigkeit der Vereinigten Staaten erheblichen Schaden zufügen“, heißt es. Der Arbeitskräftemangel führe schon jetzt dazu, dass die Zahl unbesetzter Stellen auf historische Höchststände steige. Da sei es der falsche Zeitpunkt, den „Zugang zu Talenten“ zu beschränken, schreiben die Führungskräfte (FAZ 2018). Airbus: Der ehemalige CEO Tom Enders mahnte im Januar 2019 in einer Videobotschaft gegenüber der britischen Regierung eine Klarheit schaffende Brexit- Entscheidung an: „Der britische Luftfahrtsektor steht nun am Scheideweg. Der Brexit droht eine jahrhundertalte Entwicklung auf Basis von Bildung, Forschung und Humankapital zunichte zu machen. Sollte es einen No Deal Brexit geben, müssen wir bei Airbus potenziell sehr schmerzhafte Entscheidungen für Großbritannien treffen ... Es ist eine Schande, dass Unternehmen mehr als zwei Jahre nach dem Ergebnis noch immer nicht ordentlich für die Zukunft planen können ... Falls Sie wirklich überzeugt sind, dass der Brexit das Beste für Großbritannien ist, kommen Sie zusammen und legen Sie ein pragmatisches Austrittsabkommen vor, das einen geordneten Brexit ermöglicht“ (FAZ 2019). Enders betreibt CEO Activism über die Positionierung mit einem politischen Thema. Starbucks: Gerade in den USA hat sich Starbucks eine starke politische Marke erarbeitet. Um bürgerschaftliches Engagement und damit den demokratischen
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Prozess zu stärken, unterstützt Starbucks Initiativen zur einfachen Wahlregistrierung mithilfe eines digitalen Tools (Starbucks 2016a). Und recht früh setzte die Kaffeekette ein Zeichen gegen Rassismus und für die Gleichberechtigung von LGBT-Personen. Auch werden Initiativen gefördert, die für eine höhere Wahlbeteiligung kämpfen. Diese Aktionen werden durch das weitverzweigte Filialnetz in den USA gestützt (Starbucks 2020). Darüber hinaus, und das gehört eigentlich in Handlungsfeld 4 (Kollektivgüter), hat der Konzern als eines der ersten börsennotierten amerikanischen Unternehmen seinen Angestellten (inkl. Teilzeitkräften) eine Krankenversicherung bezahlt. Seit einigen Jahren fördert Starbucks seine Mitarbeiter auch beim Erreichen eines Universitätsabschlusses (Starbucks 2016b). Durch dieses umfassende Engagement hat Starbucks in den USA für eine starke gesellschaftspolitische Verankerung gesorgt. Damit schafft es die Voraussetzungen dafür, auch im Krisenfall den eigenen Daseinszweck begründen zu können.
6.6.3 Projekte der politischen Partizipation Bei Projekten der politischen Partizipation geht es im Kern darum, dass Unternehmen die politischen Selbstorganisationskräfte der Gesellschaft unterstützen. Mit staatsbürgerlicher Haltung werden sie zu praktischen Gestaltern des Gemeinwesens, in dem sie operieren und von dessen Funktionieren sie abhängen. Gemeint sind also nicht nur Strategien zur Beeinflussung der Politik, sondern konkrete Initiativen zur Belebung des öffentlichen Raumes. Wenn diese letztlich auch zu mehr politischem Engagement in Parteien führen – umso besser. Bei Projekten der politischen Partizipation wird stets eine Synergie zwischen gesellschaftspolitischem und unternehmerischem Mehrwert angestrebt. Ganz praktisch ist die Unterstützung dabei auf vielerlei Weise denkbar, denn die unternehmerischen Ressourcen sind umfangreich: Finanzen (Sponsoring), Organisationserfahrung (Konzeption von Veranstaltungen, Einladung, Moderation etc.), inhaltliche Expertise, Legal & Management- Know-how oder das Nutzen von Netzwerken und Kontakten. Das Beispiel der Pegida-Märsche in Sachsen hat gezeigt, was passiert, wenn politische Partizipation in der Mitte der Gesellschaft – und dazu gehören Betriebe – nicht gelebt wird. Gesellschaft und Wirtschaft zeigten zunächst Zurückhaltung gegenüber den Märschen und ihren Parolen; ihre Reaktion kam schleppend und nicht gerade kraftvoll (Meisner und Birnbaum 2015). Dieses Bild fiel negativ auf die Wirtschaft zurück (ZEIT Online 2015) Auch die Wissenschaftslandschaft bekam die Folgen schnell zu spüren. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig stellte fest: „Internationale Wissenschaftler und Fachkräfte sind nur noch schwer für Sachsen zu gewinnen“ (Greive 2015). Die TU Dresden wird bei ihren Rekrutierungsbemühungen von ausländischen Studenten noch jahrelang
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unter dem verheerenden Bild leiden, das die Pegida-Demonstrationen mit ihrer Fremdenfeindlichkeit abgaben. Solche Entwicklungen können Unternehmen nicht kalt lassen, da sie auf Talente und qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind – eben auch aus der Region. Wenn Unternehmen hier einen Kontrapunkt setzen und Beteiligungsformate organisieren, ermöglichen sie, dass öffentliche Anliegen möglichst rechtzeitig zur Sprache kommen und Lösungen erarbeitet werden können. Sie können wesentliche Stakeholder zusammenbringen und eine Basis für Interessenerörterung und -ausgleich schaffen. Das hat präventiven Charakter. Es ist spekulativ, aber wenn es bereits in den Jahren vor den Pegida-Demonstrationen eine lebendige, dezentrale demokratische Debatten- und Partizipationskultur gegeben hätte, wäre der Reputationsschaden für den Standort Sachsen wohl geringer ausgefallen. Politische Bildung Ziel politischer Bildung ist es, zur Herausbildung und Weiterentwicklung von aktiver Bürgerschaft und gesellschaftspolitischer Beteiligung beizutragen. Laut Bundeszentrale für politische Bildung liegt ihr die Annahme zugrunde, „dass Demokratinnen und Demokraten nicht einfach geboren werden, Demokratie vielmehr von Generation zu Generation neu erlernt werden muss“ (Bundeszentrale für politische Bildung o. J.).3 Demokratie ist anspruchsvoll, da sie sich in einem öffentlichen Diskurs auf die Handhabung von komplexer Wirklichkeit einlässt. Oder um es mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu sagen: „Politik durchschlägt nicht gordische Knoten, Politik ist harte Auseinandersetzung und das geduldige Bohren ganz dicker Bretter (Hoffmann und Gorris 2019). Aber genau das macht sie so anfällig für ungeduldige Vereinfacher, gerade in Zeiten schnelllebiger und aufgeregter Debatten. Ein Buchtitel von Joachim Fest aus dem Jahr 1994 lautete: Die schwierige Freiheit. Über die offene Flanke der offenen Gesellschaft. Die offene Flanke liegt in der permanenten Gefährdung der Freiheit durch simple, populistische Interventionen. Hier ist die Anstrengung von permanenter Überzeugungsarbeit der demokratisch Handelnden gefordert ist. Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, wie und wo diese wichtige Aufgabe der politischen Bildung in Zukunft noch geleistet werden kann und welche Rolle Unternehmen dabei spielen können.
„Politische Bildung initiiert und organisiert Bildungsprozesse, in denen es darum geht, unser individuelles Verhältnis zum Politischen zu bestimmen ... Politische Bildung ist allerdings nur eine Instanz politischer Sozialisation neben anderen. Sie steht in Konkurrenz zu weiteren Einflussfaktoren oder wirkt mit diesen zusammen. Etwa formen auch Medien, Parteien und das direkte soziale Umfeld die politischen Einstellungen und Entscheidungen jedes Einzelnen. Zahlreiche, weltanschaulich unterschiedlich ausgerichtete Institutionen tragen heute die politische Bildung in Deutschland. Über Jahrzehnte sind Strukturen der Selbstorganisation und Selbstreflexion gewachsen. Eine eigene Fachwissenschaft konnte sich etablieren, die laufend Debatten über Ziele, über die Auswahl von Inhalten und Handlungsfeldern, sowie über die Begründung von Prinzipien und Methoden führt. Im Ganzen eine im Vergleich zu anderen Ländern reichlich komplexe Professionslandschaft“ (Bundeszentrale für politische Bildung o. J.).
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Die Bundeswehr wurde, als es noch die Wehrpflicht gab, oft als „Schule der Nation“ bezeichnet. Hier kamen Menschen mit unterschiedlichen sozialen Herkünften zusammen, um gemeinsam ihre staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen. Mit Staatsbürgerkunde als regelmäßigem Unterrichtsfach spielte die Bundeswehr auch eine wichtige integrative Rolle bei der Wiedervereinigung (Schönbohm 2010). Seit einigen Jahren haben die Bürger ihren sicherheitspolitischen Beitrag für die Gesellschaft über die Politik an eine professionelle Armee delegiert. In dieser neuen, stark geschrumpften Bundeswehr sind Politik und Gesellschaftskunde besonders wichtig, denn die permanente Rückkopplung mit ihrem Auftraggeber, den Staatsbürgern, ist nicht mehr so selbstverständlich wie in einer Wehrpflichtarmee. Wo Institutionen wie die Bundeswehr nicht mehr so viele Menschen erreichen wie früher, werden die Unternehmen umso wichtiger. Sie erreichen die große Mehrheit der erwachsenen Menschen in all ihrer Vielfalt. Dabei müssen sie nicht gleich zur „neuen Schule der Nation“ werden, doch könnten sie Schritte gehen, die die politische Bildung in den Betrieben stärken. Aus gesellschaftspolitischer Perspektive sollte diese Chance nicht ungenutzt bleiben. Und aus unternehmerischer Perspektive auch nicht, wenn wir der Logik der CPR-Haltung folgen. Ähnlich wie beim Community Organizing könnten Projekte politischer Bildungsarbeit initiiert, unterstützt oder auch umgesetzt werden – angeleitet durch Diskussionen mit der Belegschaft über gesellschaftspolitische Belange, die die Geschäftstätigkeit beeinflussen. Lohnende Themen sind beispielsweise Freihandel, Europa, Migration, Klimawandel, Populismus, Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit. Und natürlich die philosophischen und institutionellen Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie. Ein weiteres Beispiel für politische Bildung ist die Unterstützung von Kampagnen für die Demokratie und den Gebrauch des Wahlrechtes. Viele US-Firmen schließen sich beispielsweise breit angelegten Wahlaufrufen an. Politisches Urteilsvermögen bewies konkret der ehemalige Innogy-Chef Peter Terium mit der Gründung der Unternehmensallianz „We4Europe“ Mitte 2017. Die teilnehmenden Firmen wie Deutsche Bank, Telekom oder Lufthansa bekennen sich gemeinsam zu einem offenen, vereinten und starken Europa – als ein Friedens- und Freiheitsprojekt und Grundlage des Wohlstands Hunderter Millionen Menschen. „We4Europe“ will die Vorteile der EU, der wirtschaftlichen und politischen Integration, wieder in den Fokus rücken: der gemeinsame Markt mit freiem Handel von Waren und Dienstleistungen, das Einreißen von Grenzen und Sprachbarrieren, die Begegnung von Menschen. Unsere Lebens- und Arbeitswelt, so die Allianz, sei eine internationale. Deswegen wollen die Unternehmen gesellschaftliche Kräfte unterstützen, die sich konstruktiv für die Einheit Europas einsetzen – und rufen dafür zum Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf (Innogy o. J.a, b). So hat Innogy Europa-Debatten mit Mitarbeitern, insbesondere mit jungen Talenten, geführt – sozusagen eine Form der betrieblichen politischen Weiterbildung. Terium: „Wir haben einen intensiven Dialog gestartet. Im Intranet über Live-Chats diskutieren wir über das Thema und natürlich auch in kleineren Runden ... Wir wollen eben über Europa aufklären, die guten Seiten aufzeigen, ohne den Reformbedarf in einigen Bereichen zu
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verschweigen ... Jeder Manager kann diesen Dialog mit seinen Mitarbeitern aufnehmen, ohne dass Misstrauen da ist. Und die Mitarbeiter haben Familien, haben Nachbarn. So erreicht man schon viele Menschen“. Terium sieht daher eine gewisse Verpflichtung, als Manager Stellung zu beziehen: „Wir sind Teil der Gesellschaft, und wenn man in einer gehobenen Position in der Gesellschaft ist, hat man schon die Verantwortung, sich zu gesellschaftlich relevanten Themen eine Meinung zu bilden und die gegebenenfalls zu äußern“ (Innogy o. J.a, b). Sind die Form und Abläufe einer gesellschaftspolitischen Diskussion in einer Firma erst eingespielt, könnten sogar Dialoge mit Parteivertretern organisiert werden. Denn grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass eine große Unternehmung im Vorfeld von Wahlen ein repräsentatives Panel mit verschiedenen Kandidaten einlädt, damit sich die Belegschaft ein direktes Bild machen kann. Mit einer solchen Aktion wäre keine parteipolitische Präferenz verbunden, aber die indirekte Aufforderung, von demokratischen Rechten aktiv Gebrauch zu machen und Politik wichtig zu nehmen. Etwas niederschwelliger positionierte sich die Deutsche Telekom vor der EU-Wahl im Mai 2019: Die Mitarbeiter wurden in der Firmenzentrale in Bonn schon zu Arbeitsbeginn mit Informationen über die Europawahl begrüßt. Hinter einem Aufsteller mit dem Schriftzug „Wahl-O-Mat“ stand eine Kooperation des Konzerns mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Telekom-Mitarbeiter konnten sich dort über die Schwerpunkte der verschiedenen Parteien für die Europawahl informieren. CEO Timotheus Höttges rief seine Mitarbeiter zudem in einer Rede in der Firmenzentrale eindrücklich zur Stimmabgabe auf. Europa habe eine große Bedeutung für den Konzern, aber auch für ihn persönlich, da er in seiner Jugend mit Interrail-Bahntickets verschiedene Länder in Europa erkundet habe (Kolf 2019). Unternehmen könnten die Bedeutung von Fächern wie Politik bzw. Demokratie- und Gesellschaftskunde betonen, die auf eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft abzielen. Das Ideal sollte eine Art Studium generale sein – und nicht die kurzsichtige ökonomische Instrumentalisierung von Bildung. Wenn dieser Impuls aus den Betrieben selbst käme, wäre dies besonders glaubwürdig. Auch ist wünschenswert, dass Schulbücher die Schnittstelle von Politik und Wirtschaft stärker ins Visier nehmen und damit eine neue Offenheit gegenüber der politischen Verantwortung von Unternehmen zeigen.4 In den Berufsschulen wiederum könnten sich Unternehmen für eine Stärkung des Faches „Politik“ einsetzen. Ähnlich könnte in den betriebswirtschaftlichen Curricula die politische Bildung umfassender berücksichtigt werden. Um dieses Thema in aller Dringlichkeit auf die Tagesordnung zu setzen, sollten sich Unternehmen um politische Zugänge und entsprechende Kommunikationsmaßnahmen bemühen. Bei all den angerissenen Maßnahmen, die Unternehmen durchführen können, wäre die Botschaft an die Mitarbeiter und die Öffentlichkeit eindeutig: Uns ist demokratische Partizipation ein Herzensanliegen! Wir übernehmen gesellschaftspolitische Verantwortung! Auch in den Verlagen stößt das Thema auf Resonanz. So druckte der Verlag Westermann einen Artikel des Autors über das Thema CPR in einem seiner Unterrichtsbücher ab (Bohnen 2017).
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Beispiel: Die Atlantische Initiative e.V. Hier sei es dem Autor gestattet, eine von ihm selbst ins Leben gerufene Initiative vorzustellen, denn bei der Atlantischen Initiative (AI) handelt es sich um ein Projekt der politischen Bildung in der Außenpolitik. Sie wurde 2004 als unabhängiger, überparteilicher und gemeinnütziger Verein gegründet, um einen Beitrag zur Stärkung der außenpolitischen Kultur in Deutschland zu leisten. Den Gründern ist wichtig, die Teilbereiche der Gesellschaft (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien) besser zu vernetzen und untereinander sprechfähig zu machen. Aktuelle mit zukünftigen Entscheidungsträgern zu verbinden und Vertreter der kommenden Generation durch innovative Methoden auch untereinander ins Gespräch zu bringen, ist das wichtigste Anliegen. Die Atlantische Initiative handelt in der Überzeugung, dass die Stärke der amerikanisch-europäischen Partnerschaft von zentraler Bedeutung für eine Verteidigung der gemeinsamen Interessen und Wertvorstellungen des Westens ist. Die transatlantische Agenda ist heute global. Dies schließt einen Prozess der Selbstvergewisserung über unser normatives Erbe ein: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, individuelle Freiheit, Gleichheit und kulturelle Vielfalt sind die Grundlage, um die Probleme des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Es geht also letztlich um die Ordnungsprinzipien der Weltpolitik und die Fähigkeit „des Westens“, seine Perspektive und Interessen mit Nachdruck einbringen zu können. Für starke transatlantische Beziehungen zu werben, kann nur gelingen, wenn ihre Bedeutung von möglichst vielen Bürgern verstanden wird. Dementsprechend lautet das Leitmotiv der Atlantischen Initiative „Außenpolitik für alle“. Um es mit Leben zu füllen, wurden ein Online-Thinktank (atlantic-community.org), ein Newsletter (Global Must Reads), mehrere Veranstaltungsreihen (u. a. Atlantic Happy Hour, Zukunft des Westens), Austauschprogramme (atlantic-expedition.org) und viele weitere Aktionen (z. B. eine Unterstützerkampagne für deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen) entwickelt. In ihrer Arbeit wurde die Initiative immer wieder finanziell und organisatorisch von der Bundesregierung und Stiftungen, aber auch Unternehmen unterstützt. Die Ziele des Vereins passen sehr gut zum Profil internationaler Corporates wie Daimler, Lufthansa, BP oder Deutsche Post. Dabei wurden auch gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt, z. B. mit Daimler zum Thema CSR, als die gesellschaftliche Verantwortung von Firmen noch in den Kinderschuhen steckte. Ziel dieser Aktivitäten war stets, das gesellschaftliche Klima durch außenpolitische Weiterbildung zu beeinflussen. Public Changemanagement (PCM) Weitere Möglichkeiten der politischen Partizipation liegen im Public Changemanagement (PCM). Das Konzept des PCM wird hier neu eingeführt und kann als Weiterentwicklung des innerbetrieblichen Changemanagement aufgefasst werden. Es geht dabei um Modernisierungsprozesse im öffentlichen Raum, die maßgeblich von Unternehmen angestoßen werden können. Diese und weitere öffentlich relevante Akteure sind in einem PCM-Prozess angehalten, ihre Expertise ins Politische einfließen zu lassen. Es geht um das gemeinsame Entwickeln und Umsetzen von Zukunftsvisionen für eine Stadt, eine Region oder ein Land. Politik, Unternehmen, NGOs, organisierte Bürgergruppen und
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andere Akteure ziehen an einem Strang und erneuern mit gemeinschaftlichen Initiativen und Aktionen den öffentlichen Raum. Diese Multistakeholder-Allianzen arbeiten mithilfe vertrauensbildender Maßnahmen (Perspektivwechsel etc.), der Verständigung über Gemeinsamkeiten und Interessen, der Veränderung von organisatorischen Abläufen und der Abarbeitung von Zielvereinbarungen in Form von definierten Teilprojekten. Hier müssen bestehende Methoden angewandt und neue erprobt werden. Beispielsweise „Design Thinking“: Dabei arbeiten multidisziplinäre Teams in „variablen“, also für den Kreativprozess hinreichend flexibel ausgestatteten Räumen zum Lösen von Problemen und zur Entwicklung neuer Ideen zusammen. Der Prozess vollzieht sich in 6 Schritten: Verstehen (Abstecken des Problemraums), Beobachten (Empathie für Nutzer und Betroffene entwickeln), Sichtweise definieren (Zusammentragen und Verdichten von Erkenntnissen), Ideen finden (Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten plus Fokussierung), Prototypen entwickeln (Entwicklung konkreter Lösungen) und Testen (Erprobung des Prototyps an passenden Zielgruppen). Der Anwendersicht kommt dabei besondere Bedeutung zu (Hasso- Plattner-Institut o. J.). Public Changemanagement läuft auf eine gemeinsame Wertschöpfung unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Akteure hinaus. Für Unternehmen ist das Streben nach finanziellem Erfolg, der gleichzeitig gesellschaftliche Vorteile mit sich bringt – im Englischen „shared value“ genannt – aus 2 Gründen unerlässlich geworden: Erstens wird die Legitimität der Wirtschaft schärfer infrage gestellt, wenn Unternehmenserfolge nicht belastbar im Einklang mit den Interessen der breiteren Gesellschaft stehen. Zweitens sind viele Probleme der Welt, von der Einkommensungleichheit bis zum Klimawandel, so komplex geworden, dass für deren Lösung das Know-how und die globale Reichweite des Privatsektors erforderlich sind. Kein Unternehmen arbeitet isoliert; jedes existiert in einem Ökosystem, in dem die gesellschaftlichen Bedingungen seine Märkte beschränken oder die Produktivität seiner Lieferanten und Händler drosseln können. Diese Bedingungen liegen oft außerhalb der Kontrolle eines Unternehmens oder einzelner Akteure. Unternehmen sollten sich also schon im eigenen Interesse an der Bewältigung von Governance-Aufgaben beteiligen und mit Regierungen, NGOs und bisweilen auch Wettbewerbern zusammenarbeiten. Ein einfaches Beispiel ist die Entwicklung und Modernisierung von Innenstädten, die immer auch eine sozialpolitische Dimension haben. Offensichtliche Gewinner der Kooperation sind Akteure aus dem Einzelhandel sowie Tourismus und Kultur. Aber wenn der PCM-Prozess methodisch richtig durchgeführt wird, kann auch die erweiterte Bürgergesellschaft von attraktivem Wohnraum und verbesserter Infrastruktur profitieren. Die komplette Neuentwicklung eines Stadtgebietes, wie etwa der Hamburger Hafen-City, ist ein weiteres regionales Beispiel. Die direkte und umfassende Kooperation von internationalen Großstädten ist eine etwas weiter gespannte Möglichkeit, voneinander zu lernen und Potenziale zu entwickeln. Ein überzeugendes Beispiel ist der für seinen Schokoriegel bekannte amerikanische Nahrungsmittelkonzern Mars. Dieser bezieht einen Großteil seines Kakaos von der Elfenbeinküste. Mars arbeitet – ähnlich wie Starbucks im Kaffeebereich – mit NGOs, lokalen
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Regierungen und direkten Wettbewerbern zusammen, um das Leben von mehr als einer halben Million verarmter Kakaobauern des westafrikanischen Landes zu verbessern. Bessere Anbaupraktiken stärken sowohl die Nachhaltigkeit der Wertschöpfungskette von Mars als auch die Erträge der Bauern. Die multisektorale Kooperation ist umfangreich – von der Finanzierung neuer Straßen bis zur Förderung der Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung in den kakaoanbauenden Gemeinden. Mars sucht also gemeinsam mit Wettbewerbern nach Lösungen, um Bauern außerhalb seiner Wertschöpfungskette zu erreichen (Kania und Kramer 2011). Die Kooperation umfasst mit Infrastrukturausbau, Gesundheit und Bildung. Allerdings gibt es noch deutliche Schnittmengen mit CSR- Maßnahmen, die Kooperationen mit NGOs zur nachhaltigen Gestaltung von Lieferketten beinhalten. Es ist absehbar, dass es in Zukunft noch deutlich politischere Projekte geben wird. Ein anschauliches Beispiel für das Potenzial von PCM-Prozessen ist das aus den USA stammende „Community Organizing“, das der ehemalige US-Präsident Barack Obama jahrelang in Chicago praktiziert hat. Im Idealfall finanzieren und unterstützen U nternehmen mit Management-Know-how lokale Dialogplattformen, auf denen gesellschaftliche Gruppen ihre Verbesserungsvorschläge vor Ort mit Politikern aushandeln. Diese Gemeinwesenarbeit folgt dem klassischen amerikanischen Impuls, sich mit privaten Initiativen für die Belange des Gemeinwesens einzusetzen, sich also mit dem Ruf nach dem Staat zurückzuhalten und Demokratie als eine Veranstaltung zu betrachten, an der alle Bürger mitwirken. Die Bewohner eines Stadtbezirkes werden befähigt, aktiv für ihre eigenen Interessen einzustehen, die sich je nach Kontext allerdings auch gegen Unternehmen richten können. Das darin zum Ausdruck kommende Element der Selbstverantwortung gilt es, auch in Deutschland zu kultivieren, um unsere liberale Gesellschaftsordnung gemeinsam – und gewissermaßen an der Wurzel – zu stärken und den Staat zu entlasten. Community Organizing hilft, auf einem dynamischen „Markt der Ideen“ die besten gesellschaftlichen Zukunftsvisionen zu entwickeln. In Berlin existieren solche Plattformen seit 1999. Sie repräsentieren verschiedene Gruppen eines Stadtteils und werden z. B. finanziell vom Generali Zukunftsfonds, der Körber- und der BMW-Stiftung unterstützt (DICO o. J.). Gerade bei großen Infrastruktur- und Investitionsvorhaben sollten Unternehmen mit Beteiligungsprozessen in die Gesellschaft hineinwirken, um Akzeptanz zu schaffen und gleichzeitig als Scharnier zur institutionellen Politik fungieren. Damit könnten repräsentative und partizipative Verfahren, die oft für kontroverse öffentliche Auseinandersetzung sorgen, ausbalanciert werden. Zu nennen sind in Deutschland die Elbvertiefung rund um den Hamburger Hafen, der Ausbau von Lande- und Startbahnen auf dem Frankfurter Flughafen, der Bahnhofsumbau „Stuttgart 21“ oder der Bau von Windenergie-Stromtrassen quer durch Deutschland. All diese Projekte machen eine komplizierte Kompromissfindung verschiedener Stakeholder notwendig. Die Schwierigkeit des Interessensausgleiches zeigt deutlich, dass in der diskursiven Begleitung der Prozesse eine Kernaufgabe von Unternehmen liegt; sonst drohen wichtige Infrastrukturmodernisierungen auf der Strecke zu bleiben.
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Unternehmer wünschen sich in diesen Fällen schnelle Entscheidungen von handlungsfähigen Politikern und Behörden – Planungssicherheit, also letztlich einen starken Staat. Stark ist dieser aber nur in einem fein abgestimmten Zusammenspiel vieler gesellschaftlicher Akteure. Diese Aushandlungsprozesse sind kompliziert und müssen eingeübt werden. Autoritäre Regime sind darauf weniger angewiesen. In westlichen Demokratien ist der Einfluss unterschiedlicher gesellschaftlicher Anspruchsgruppen jedoch explizit erwünscht. Wer mehr Partizipation will, kann nicht unbedingt mehr Geschwindigkeit erwarten. Es kann daher nur um die Steigerung der Professionalisierung und damit Effizienz von PCM-Prozessen gehen. Um zeitintensive und bürokratische „Auswüchse“ zu vermeiden, z. B. in Planungs- und Beteiligungsverfahren, ist zudem Mut und „good leadership“ in allen Bereichen gefordert. Die CPR-Haltung betrifft daher das Selbstverständnis des Unternehmens – auch als „politische Organisation“. Sie ist eine Kulturfrage – nämlich eine der politischen Kultur im Unternehmen, mit Prägekraft im öffentlichen Raum. Für Unternehmen, Handelskammern und alle anderen Akteure in PCM-Prozessen gilt die Devise, stets die Rückkopplung an die Legitimation und Glaubwürdigkeit der Politik zu suchen, wenn sie tatkräftig Erneuerungsprozesse anschieben. Sie sind aber wichtige Akteure, die Impulse setzen, konzeptionelle Vorschläge machen, Ressourcen einbringen und als Koordinator und Moderator fungieren können. Gemeinsam mit der Politik können dann Projekte und Maßnahmen identifiziert werden, in denen sich besondere gesamtgesellschaftliche Wertschöpfungspotenziale heben lassen. Es handelt sich somit um ein CPR-Handlungsfeld, das der zunehmenden Komplexität gesellschaftlicher und politischer Herausforderungen gerecht zu werden sucht. Die Potenziale dieser Art der politischen Partizipation, den PCM-Prozessen, wird noch massiv unterschätzt – sowohl was die Stabilisierung gesellschaftlichen Zusammenhalts als auch die wirtschaftliche Wertschöpfung betrifft. Im Folgenden werden 3 PCM-Projekte vorgestellt, an denen der Autor federführend beteiligt war. Dabei handelt es sich um ein ehrenamtliches und gemeinnütziges Projekt (das Politikfestival) sowie zwei professionelle Beratungsprojekte. Zum einen der Zukunftsprozess „Wie wollen wir morgen leben?“ für das Bundeskanzleramt im Jahre 2009, und zum anderen die „Perspektive Bremen 2020“ aus dem Jahre 2010 für die dortige Handelskammer. Die Demokratie neu beleben – mit diesem Anspruch initiierte der gemeinnützige Verein Respublica das erste deutsche Politikfestival im Jahr 2013 in Paretz bei Potsdam (Bohnen 2014). In diesem Sinne fanden anlässlich der deutschen Einheit am 3./4. Oktober unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten 77 Veranstaltungen mit ca. 1500 Bürgern und etwa 150 direkt Beteiligten statt. Die Grundidee: Indem Bürger sich Methoden und Instrumente aneignen, die normalerweise nur finanzkräftigen Unternehmen und Organisationen zur Verfügung stehen, bringen sie sich auf Augenhöhe mit der Politik. Das Ziel der dadurch beförderten Professionalisierung von Bürgerengagement ist eine wohlverstandene Politisierung der Gesellschaft. Wenn sichtbar wird, wie „Politik gelingt“ (Claim und gleichzeitig Versprechen des Trägervereins Respublica), wie eine „lernende Demokratie“ gelebt werden kann, zeigen sich darin auch Ressourcen, der viel zitierten Politikverdrossenheit entgegenzutreten. Das Politikfestival stellt also einen
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Impulsort dar, wo die Kommunikation zwischen aktiven Bürgern und politischen Entscheidungsträgern nachhaltig gelingen kann. Es wurde durch skandinavische Vorbilder inspiriert. Auf Gotland, Bornholm und in Pori hat sich die Mischung aus Demokratie feiern und Demokratie entwickeln bewährt. Unterstützt wurde das Politikfestival durch die Helga-Breuninger- und die BMW-Stiftung wie auch die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement. Die deutsche BP, die sich seit vielen Jahren mit politischen Verantwortungskonzepten beschäftigt, unterstützte das Festival als einzige größere Firma finanziell (Politikfestival o. J.). Zwei weitere Beispiele für PCM, bei denen der Autor als Prozessberater und Moderator beteiligt war, beziehen sich auf eine öffentliche bzw. halböffentliche Initiative: Das Bundeskanzleramt rief im Jahre 2009 den sogenannten „Kanzleramtsprozess“ mit der Überschrift „Wie wollen wir morgen leben? Deutschland eine Generation weiter“ ins Leben. Dabei verstand sich das Kanzleramt als Plattform für einen Experten- Dialog. „Government as a platform“ ist ein Ansatz, der vom amerikanischen Professor Tim O’Reilly (2010) geprägt wurde. Dieser ist Teil der „Open-Government“-Bewegung, die unter der Prämisse arbeitet, dass eine Regierung im Kern ein Mechanismus für kollektives Handeln ist. Es geht um die Öffnung von Regierung und Verwaltung gegenüber der Wirtschaft und der Bevölkerung. Die gewonnene Transparenz und intensive Zusammenarbeit können sowohl Innovationen als auch Gemeinwohl stärken. Über mehrere Monate wurden über 50 Fachleute aus allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen zu regelmäßigen Werkstatt-Gesprächen ins Kanzleramt eingeladen. Dabei präsentierten führende Zukunftsforscher erstmals gemeinsame Thesenpapiere. Ziel war es, in einem strukturierten Dialog langfristige gesellschaftliche Trends sowie Selbst- und Leitbilder der deutschen Gesellschaft als Basis für nachhaltige Politikberatung zu identifizieren. Die 3 erkenntnisleitenden Fragestellungen des Prozesses lauteten: 1. Wie werden wir morgen leben? (Input Zukunftsforscher) 2. Wie wollen wir morgen leben? (Input externe Experten) 3. Was müssen wir heute tun, um morgen so zu leben, wie wir wollen? (Handeln – Politikberatung) Die Ergebnisse der Abschlussstudie wurden als Denkanstöße für die politische Führung und als Grundlage für langfristiges Regierungshandeln konzipiert. Sie wurden zunächst dem damaligen Kanzleramtsminister Thomas de Maizière intern vorgetragen und mündeten schließlich in einem Zukunftskongress am 18. Mai 2009 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Hauptrednerin. Der Prozess wurde vom Autor Peter Felixberger (2009) begleitet und für die Öffentlichkeit in Form eines Buches dokumentiert. Dieser Open-Government-Prozess ist in gewissem Sinne die Entsprechung von CPR. Beide, Regierung und Unternehmen, öffnen sich gegenüber dem öffentlichen Raum und seinen Akteuren und suchen nach neuen Lösungsansätzen – also Public Changemanagement.
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Zweites Beispiel: Auf Initiative der Bremer Handelskammer wurden in den Jahren 2009/10 (Perspektive Bremen 2020) und 2015 (Perspektive Bremen-Bremerhaven 2030) jeweils mit wichtigen Akteuren der Stadt eine Bestandsaufnahme und ein Aktionsplan in 5 zentralen Themenfeldern erarbeitet. Im Jahre 2010 gelang es, zahlreiche Arbeitsgruppentreffen zu definierten Themen mit öffentlichen Veranstaltungen zu flankieren. Diese fanden im Wechsel im Rathaus und dem Schüttung, dem Haus der Bremer Wirtschaft, statt. Politiker, Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und anderer Bereiche erarbeiten in Workshops gemeinsam konkrete Vorschläge für Regierungshandeln. Diese Verzahnung war mehr als ein symbolischer Schulterschluss. Ihr lag ein neues, fein abgestimmtes Partizipationsverfahren zugrunde, das Entscheidungswege in der Stadtgesellschaft veränderte und gegenseitiges Vertrauen stärkte (Handelskammer o. J.). Letztes Beispiel: Die Organisation JoinPolitics versucht, die Demokratie zu stärken und die Werte des Grundgesetzes zu schützen, indem sie überparteilich politisch engagierte, umsetzungsstarke junge Menschen bei politischen Kandidaturen, der Gründung neuer Bewegungen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen unterstützt – insbesondere mit einem großzügigen Fonds und professioneller Netzwerkarbeit. Das Programm von JoinPolitics bietet Teams mit großem Potenzial die Chance, ihre Ansätze in einem gesicherten wirtschaftlichen Rahmen zu erproben und umzusetzen, ohne diese inhaltlich zu beeinflussen (JoinPolitics). Unternehmensallianzen und -initiativen Unternehmen haben themenbezogen vielfältige Möglichkeiten, die politischen Rahmenbedingungen abseits der üblichen Verbandsarbeit zu beeinflussen, z. B. durch Ad-hoc-Allianzen. Ein Beispiel: Auf Initiative von Vorwerk haben 50 Familienunternehmen gemeinsam die Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ ins Leben gerufen (Campillo-Lundbeck 2019). Angesichts verschärfter politischer Debatten um Migration setzen die Unternehmer, darunter Kienbaum, Otto und Bahlsen, ein Zeichen für Toleranz. Mit Anzeigen bei führenden deutschen Medien und Plakaten in 15 Großstädten machen sie deutlich, dass es aus gutem Grund „Made in Germany“ und nicht „Made by Germans“ heißt. „Denn täglich geben Mitarbeiter/Innen aus aller Welt bei uns ihr Bestes. Damit das so bleibt, stehen wir auch weiterhin für ein weltoffenes Deutschland“. Timm Mittelsten Scheid, Gesellschafter bei Vorwerk sowie Mitglied der Vorwerk Unternehmerfamilie, geht es um einen konstruktiven Beitrag zur Gestaltung von Migration. Hier sieht er eine Lücke in der Politik und freut sich daher, mit seinem Anliegen bei den Unternehmern „offene Türen einzurennen“. Fabian Kienbaum, Chief Empowerment Officer der gleichnamigen Personalberatung, wiederum betont: „Als Familienunternehmen sind wir uns unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst. Wir bekennen uns durch die Teilnahme an der Initiative zu einer offenen Kultur und möchten ein Zeichen setzen zur Förderung von Toleranz und Weltoffenheit“. Die Kampagne illustriert, dass deutsche Familienunternehmer bereits Tugenden besitzen, die auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlen sollten: ein politisches Selbstverständnis und Gemeinwohlorientierung. En passant wird dabei klar, dass Dialog und Partizipation
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im öffentlichen Raum zugunsten von Diversität letztlich auch dem eigenen Geschäft dienen. Denn laut Thomas Voigt, Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation der Otto Gruppe, ist es „eine Wahrheit …, die wir tagtäglich in unserem Unternehmen erleben: Dass Menschen unterschiedlichster Ethnien friedlich und diskriminierungsfrei zusammenarbeiten und leben können“ (Campillo-Lundbeck 2019). Diese Wahrheit ist ein Standortfaktor, den es zu sichern gilt. Ein weiteres prominentes Beispiel einer Unternehmensallianz für ein gesellschaftspolitisches Thema ist die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), für die der Autor fünf Jahre auf Agenturseite (Scholz & Friends Berlin) gearbeitet hat. Der Unternehmerinitiative, die in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts federführend durch die deutsche Elektroindustrie getragen wurde, geht es darum, dem Ansehensverlust der Sozialen Marktwirtschaft entgegen zu wirken und die ordnungspolitischen Grundlagen des Wohlstandes in den Köpfen der Menschen neu zu verankern – durch sachliche, wenn auch teilweise zugespitzte Aufklärungsarbeit. Kernthemen waren der Abbau der Massenarbeitslosigkeit in den Jahren um 2003, Reformen in der Arbeitsmarkt-, Sozial, Finanz- und Steuerpolitik sowie von Bildung und Föderalismus. Nach einem Auftaktjahr mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen zu ausgewählten Themen, wurde ein parteiübergreifender Botschafterkreis gegründet, der auf vielfältige Weise öffentliche Debatten prägte. Dies gelang mithilfe einer umfangreichen orchestrierten Kampagne, bei der zahlreiche Kommunikationsinstrumente zum Einsatz kamen – von der ganzseitigen Anzeige in Tageszeitungen über verschiedene Veranstaltungsformate wie „Reformer des Jahres“, eines Karikaturenwettbewerbs zum Thema „Was ist sozial?“ bis hin zur Entwicklung von TV-Formaten und Guerilla-PR-Maßnahmen. Die Macher der Kampagne strebten ein Winwin für Unternehmen und Gesellschaft an. Bei all den hier vorgestellten Maßnahmen geht es also um eine anspruchsvolle Reflexion der Wechselwirkungen des gesellschaftspolitischen Wandels mit dem Unternehmenshandeln. Der Fantasie für sinnvolle Projekte sind keine Grenzen gesetzt.
Beispiele für Projekte der politischen Partizipation
• BVB/Daimler/Deutsche Bank/Deutsche Bahn/VW: Die fünf Unternehmen beteiligen sich jeweils mit 1 Mio. Euro am Ausbau der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Für die Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Volkswagen und Daimler seien auch die eigenen Geschäfte im Nationalsozialismus ein Grund für den Einsatz zur Erinnerung an dessen Opfer. Borussia Dortmund erachtet aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen als ausschlaggebend für sein Engagement – der zunehmende Antisemitismus sei inakzeptabel (Mielke 2019). • AirBnB: Wie auch andere Technologiefirmen und Plattformbetreiber engagiert sich AirBnB gegen Rechtsextremismus. Bereits im Vorfeld der Neonazi- Demonstration in Charlottesville, USA im August 2017 sperrte AirBnB die Profile rechtsextremer Nutzer und störte damit deren Logistik bei der Vermittlung
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von Unterbringungen. CEO Brian Chesky sagte: „Gewalt, Rassismus und Hass, wie sie Neonazis und Alt-Right-Bewegung zeigen, sollten keinen Platz in dieser Welt haben“ (Kühl 2017). Lyft: Der Fahrdienstleister ermöglichte US-Bürgern 50 Prozent ermäßigte Anfahrten zum Wahllokal bei den Kongresswahlen am 6. November 2018. Für Kunden aus benachteiligten Gemeinden mit besonders schlechter Verkehrsanbindung war die Anfahrt sogar gratis. Zusätzlich wurden Lyft-Kunden über Wahlregistrierungs-Deadlines informiert und ihren Angestellten ermöglicht, sich im Büro zu registrieren. Bei der Kampagne für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung arbeitete das Unternehmen mit Initiativen wie Vote.org und When We All Vote zusammen (Brett 2018). Microsoft: Speziell für Kinder mit Flucht- und Migrationshintergrund hat der Konzern 2016 seine Schlaumäuse-Sprachlernsoftware weiterentwickelt und damit einen Beitrag für gesellschaftliche Integration und Inklusion geleistet. Die Spieleversion steht in Arabisch, Deutsch, Englisch und Französisch zur Verfügung. Bereits seit 2003 hilft Microsoft mit seiner „Schlaumäuse“- Initiative Kindern, Sprachkompetenzen aufzubauen und den Schuleinstieg zu meistern. Mittlerweile arbeiten mehr als 12.000 Kitas und Schulen mit der Lernsoftware (Meisel 2017). Dieses Beispiel liegt an der Schnittstelle von CSR und CPR. Spotify: Der Musik-Streamingdienst warb für die Europawahl. Innerhalb der App rief er Kunden per Nachricht auf, ihre Stimme abzugeben. Dass Spotify mit 70 Mio. Abonnenten imstande ist, mehr als ein Sechstel der Wahlberechtigten in der EU zu erreichen, verleiht der Politaktion besonderes Gewicht. Unter dem Slogan „Get vocal, Europe!“ stellte Spotify eine Playlist mit je einem Künstler pro EU-Land zusammen. Das Unternehmen begründete seine politische Intervention mit dem kontinuierlichen Sinken der Beteiligung bei den letzten Europawahlen (Heath 2019). Continental: Bei gesellschaftspolitischer Partizipation kann der Personalvorstand eine besondere Bedeutung gewinnen. Es könnte gewissermaßen von erweitertem CEO Activism gesprochen werden. Personalvorstand Ariane Reinhart berichtet, dass Continental jungen Menschen mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt 14-tägige Praktika an Standorten in Ungarn, Rumänien, Belgien, Frankreich und Italien biete. Denn als internationales Technologieunternehmen wisse Continental „nur zu gut“, so Reinhart, „wie wichtig und wertschaffend der Austausch über Ländergrenzen und Kulturen hinweg ist. Es sollte daher für europäische Unternehmen selbstverständlich sein, jungen Menschen ein friedliches und vereintes Europa im Wortsinn nahezubringen“. Dazu hat Continental die Initiative „We l.o.v.e. Europe“ entwickelt – „l.o.v.e.“ steht für „live our values everyday“. Reinhart erkennt, dass Unternehmen schon
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aus eigenem Interesse politische Verantwortung übernehmen und für die Integrität Europas kämpfen sollten: „Das unüberhörbare Getöse in der ‚großen Politik‘ in der EU wie den EU-Mitgliedstaaten hinterlässt Spuren. Vertrauen in die EU und die ‚Idee Europa‘ schwindet – oder entsteht bei jungen Menschen gar nicht erst. Das ist auf Dauer fatal, auch für europäische Unternehmen: Sie profitieren nicht nur von Frieden und Freiheit in Europa, sondern auch von einem verlässlichen Rechtsrahmen als Bestandteil gemeinsamer Wertvorstellungen“. Continental ist an einer Ausdehnung seines Engagements gelegen, weitere deutsche Unternehmen sollen sich unter dem Schirm von ‚Experiencing Europe‘ anschließen. Axel Springer, BASF, Deutz, Schaeffler und Schmitz Cargobull sind bereits dabei (Reinhart 2017, S. 48). Continentals Einsatz ist beste CPR. Er zeigt sogar, wie ein Unternehmen mehrere politische Anliegen verbinden kann – hier den europäischen Zusammenhalt mit politischer Jugendbildung.
6.6.4 Bereitstellung von Kollektivgütern Ein Gemeingut oder Kollektivgut ist ein Gut, das für alle potenziellen Nachfrager frei und kostenlos zugänglich ist, weil dies aus gesellschaftlichen Gründen so gewünscht wird. Während private Güter den individuellen Präferenzen und dem Marktmechanismus folgen, ist die Entscheidung über die Erstellung öffentlicher Güter das Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses (Gablers Wirtschaftslexikon: Öffentliches Gut). Gemeingüter können nicht nur vom Staat, sondern auch von privaten Anbietern bereitgestellt werden. So z. B. von Anbietern im Internet wie Wikipedia (Enzyklopädie) oder Facebook (öffentlicher Kommunikationsraum). Ihr Entstehen könnte als kollektiver Willensbildungsprozess ausgelegt werden, der ohne staatliches Zutun erfolgt. Es gibt für Unternehmen eine Vielzahl von Möglichkeiten, Kollektivgüter bereitzustellen, die sowohl unmittelbar dem Unternehmen nutzen als auch die Governance- Strukturen der Gesellschaft stärken. Im Kern geht es also um Win-win-Lösungen für Wirtschaft und Staat bzw. Gesellschaft. Ein überzeugendes Beispiel eines Kollektivgutes sind Betriebskindergärten. Sie verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und leisten einen Beitrag zur frühkindlichen Bildung. Von einer gestärkten Bildungsinfrastruktur und dem Abbau von Hürden bei der Familien- und Berufsplanung profitieren sowohl das Gemeinwesen als auch die Unternehmen. Die „Initiative Beruf und Familie“ der Hertie Stiftung führt beispielsweise ein Audit durch und zertifiziert Unternehmen – mit der Möglichkeit, mit diesem Siegel zu werben (berufundfamilie service GmbH 2020). Weitere Beispiele von Gemeingütern, an denen sich Unternehmen beteiligen können, sind Sportplätze, Schwimmbäder, Bibliotheken sowie andere Infrastrukturmaßnah-
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men wie Straßenbau oder Renaturalisierungen. Hilfreich ist auch, dass Projekte des Bürgerengagements oder politische Bildungs- und Führungskräftearbeit, eine Brücke zur Bereitstellung von Kollektivgütern im Sinne des Handlungsfeldes 3 bauen können. So vernetzt z. B. die BMW-Stiftung im Bereich „Responsible Leadership“ Führungskräfte weltweit und arbeitet mit diesen an konkreten Projekten wie „nachhaltige Städte“ oder „resiliente Gesellschaften“ (BMW Foundation o. J.). Wenn der Staat diese Leistungen nicht selbst erbringt, muss er auf die private Übernahme der Verantwortung vertrauen können – sonst müsste er staatliche Ressourcen in Reserve halten. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Beispiele von (halb-)öffentlichen Unternehmen und Mischformen, die Kollektivgüter bereitstellen. So ist in Deutschland der Bund noch an mehr als 100 Unternehmen direkt beteiligt. Dazu zählen beispielsweise die Flughäfen BER, München und Köln, die Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie „Exoten“ wie die Bayreuther Festspiele GmbH oder die LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft mbH. Selbst an der für „systemrelevant“ befundenen Commerzbank hält der Bund seit der Unterstützung in der Finanzkrise Anfang 2009 noch gut 15 Prozent (Jahberg et al. 2018). Vor allem aber zeigen die Privatisierungen ehemaliger Staatskonzerne, dass Unternehmen grundsätzlich Verantwortung für wesentliche Governance-Infrastrukturen übernehmen können. Man denke an Post, Telekom oder Bahn. Ein historischer Fall der Bereitstellung von Kollektivgütern durch Unternehmen ist der sogenannte Krupp’sche Wohnungsbau. Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts bahnte sich eine Wohnungsnot in Essen an, bedingt durch die Einwanderung von Arbeitskräften in expandierende Industriezweige wie Bergbau und Stahl. Der Stahlmagnat Alfred Krupp reagierte durch die Errichtung von Arbeiterkolonien, deren erste in den Jahren 1861/62 entstandenen Bauten bis heute als Meisterhäuser firmieren (Wikipedia Meisterhäuser). Krupp entlastete so den Staat in der Bereitstellung von Wohnraum und bediente gleichzeitig seine wirtschaftlichen Wachstumsinteressen. Angesichts des weltweiten Trends der Verstädterung und der sich verschärfenden Wohnungsknappheit in urbanen Ballungszentren ist der Fall durchaus aktuell. In den USA hat der Technologiekonzern Microsoft Anfang 2019 angekündigt, insgesamt 500 Mio. Dollar zur Förderung von erschwinglichem Wohnraum und zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit in der Region seines Hauptsitzes Seattle bereitstellen zu wollen. Der wirtschaftliche Erfolg von Tech-Firmen wie Microsoft, Apple oder Google hat der Westküste der USA immensen Wohlstand beschert, aber auch die Lebenshaltungskosten, darunter Häuserpreise und Mieten, steigen lassen. Mit seiner Initiative, die zu einem Großteil aus Kreditvergaben besteht, folgt Microsoft dem Credo „Ein gesundes Unternehmen muss Teil einer gesunden Gemeinde sein“ (Lindner 2019).5 Im Silicon Valley arbeiten derweil Google und Facebook selbst an der Entwicklung tausender Wohnungen in der Nähe ihrer Zentralen. Die Wohnungen sollen nicht ausschließlich Firmenmitarbeitern vorbehalten sein, ein Teil ist für einkommensschwache Menschen vorgesehen. Versuche, den Kampf gegen Wohnungsnot und Obdachlosigkeit durch Sondersteuern für größere Unter5
Lindner (2019) zitiert in seinem Artikel einen Blogeintrag von Microsoft.
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nehmen zu finanzieren, werden von der Wirtschaft kontrovers diskutiert. Amazon und Starbucks opponierten erfolgreich gegen eine solche Steuer in Seattle. In San Francisco hingegen wurde sie im Rahmen eines Bürgerentscheids verabschiedet – unterstützt durch Salesforce, aber gegen den Willen von Twitter (Lindner 2019). Offensichtlich kann es bei der Bereitstellung von Kollektivgütern zahlreiche Grenzfälle geben. Der amerikanische Pizzalieferant Domino’s z. B. zahlt finanzschwachen Städten Geld für die Straßenreparatur. Das Befüllen von Schlaglöchern inszeniert Domino’s als Werbekampagne. Die Pizzakette verlangt, dass die Straßenarbeiter das Domino’s-Firmenlogo und Werbeslogans in Kalkfarbe neben die gefüllten Löcher sprühten. Kritiker monieren, Kommunalpolitiker würden durch solche Aktionen aus ihrer Verantwortung entlassen (von Petersdorff 2018). Ein weiteres sehr anschauliches Governance-Projekt ist von adidas und wird in Zusammenarbeit mit Parley for the Oceans, einer Organisation zum Schutz der Weltmeere durchgeführt. Gemeinsam arbeite man an Lösungen, Ozeanmüll zu recyceln und die Meeresverschmutzung zu verringern, so der CEO Kasper Rorsted. Allein 2017 hat adidas mehr als 1 Mio. Paar Laufschuhe angeboten, die aus recyceltem Ozean-Plastik gefertigt waren. Im Jahr 2018 steigerte das Unternehmen die Fertigung auf mehr als 5 Mio. Paar Schuhe. Für 2019 waren bereits 11 Mio. anvisiert; das entspricht etwa 2810 Tonnen Plastikmüll, die sonst die Meere belastet hätten. Adidas (2019) will außerdem bis 2024 bei allen Produkten auf Recycling-Polyester umstellen, bis 2030 seinen CO2-Fußabdruck um 30 % reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Das Beispiel der Wiederverwertung von Ozeanplastik läuft auf die Perspektive einer Kreislaufwirtschaft hinaus. Rorsted weiß, dass die gesellschaftspolitischen Erwartungen an Unternehmen hoch sind. Gerade junge Kunden hätten die Haltung, sich gesellschaftlich einbringen und etwas bewirken zu wollen. Jugendliche seien gewöhnt an Komplexität und Ungewissheit und würden in ihrem individuellen Verhalten stark dadurch beeinflusst, was in der Welt insgesamt geschieht (Knop 2017). Beispiele für die Bereitstellung allgemeiner Kollektivgüter
• Vaude Sport GmbH & Co. KG: Der Outdoor-Ausrüster mit Sitz in Tettnang- Obereisenbach (Baden-Württemberg) war Mit-Initiator einer Busverbindung, die den abgelegenen Ort in das öffentliche Verkehrsnetz integrierte. Die 2013 eingeführte „Bähnle-Linie“ hat die Infrastruktur sowohl für VAUDE-Mitarbeiter als auch für die Einwohner der Umgebung verbessert (Vaude 2018). • IKEA: In den USA bietet das Möbelunternehmen seit 2017 allen Mitarbeitern bis zu 4 Monate bezahlte Elternzeit. Dies gilt unabhängig von der Wochenarbeitszeit, aber nur eingeschränkt für Mitarbeiter mit weniger als 1 Jahr Betriebszugehörigkeit. Normalerweise gibt es in den USA keine gesetzlich geregelte Elternzeit. IKEA ist sich sicher, dass Angestellte, die Zeit mit ihrer Familie
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verbringen können, glücklicher sind und deswegen bessere Arbeit leisten (Weber 2016). • Amazon/JPMorgan/Warren Buffet (Berkshire Hathaway): Nachdem Amazon im Verbund mit der Bank JPMorgan und dem Investor Warren Buffet die Gründung einer Krankenkasse für Mitarbeiter (ggf. auch offen für alle US- Bürger) angekündigt hatte (Spiegel Online 2018a), plant der Tech-Konzern nun Kliniken für eigene Mitarbeiter. Am Hauptsitz in Seattle soll medizinische Grundversorgung aufgebaut werden (Spiegel Online 2018b). Mittlerweile firmiert das Konsortium unter dem Namen „Haven“ und verfolgt das Ziel, Mitarbeitern bezahlbare und passgenaue Gesundheitsleistungen zu ermöglichen – auch unterstützt durch Datenanalyse und Technologie (Farr 2019). • Apple: Auch der iPhone-Hersteller hat eigene Krankenhäuser für Mitarbeiter und deren Familien initiiert und will eine Reihe von Gesundheitszentren betreiben. Wie auch im Falle von Amazon geht es um die Senkung der hohen Gesundheitskosten in den USA. Rund 160 Mio. Amerikaner sind über ihre Arbeitgeber versichert; daher besteht ein Anreiz für Unternehmen, Gesundheitsausgaben zu begrenzen. Gleichzeitig könnten die Kliniken zu Testlaboren für Apple-Produkte und Dienstleistungen rund um Gesundheit werden (Lindner 2018); womit es sich auch hier um einen ambivalenten Fall handelt. Die damalige deutsche Justizministerin Katarina Barley grenzte sich gegenüber Amazon klar ab: „Wenn große Konzerne, die bereits viel über individuelles Verhalten wissen, auch noch unsere Gesundheitsdaten bekommen, dann sind wir wirklich bald gläserne Menschen“ und sprach von einem „krassen Beispiel“ für eine „bedenkenswerte Kombination“. Damit bezog sie sich auf die noch nicht abschätzbaren Folgen solchen Engagements (Tagesspiegel 2019).
Beispiele für die Bereitstellung von digitalen Kollektivgütern
• Salesforce: 2017 vergab die Technologiefirma 12,2 Mio. Dollar an öffentliche Schulen in der Bay Area, USA, um den Informatik-Unterricht zu verbessern. Zu diesem Zweck hat die Firma über die vergangenen Jahre insgesamt rund 35 Mio. Dollar in San Francisco und Oakland gespendet. Die Computerkurse kommen nicht zuletzt Mädchen, Flüchtlingen und anderen bisher in der IT-Welt unterrepräsentierten Gruppen zugute und eröffnen ihnen berufliche Perspektiven. In diesem Sinne hilft die Initiative, die nächste Generation von IT-Experten, vielleicht sogar eigenen Salesforce-Mitarbeitern auszubilden (Kelly 2017). • Ein Grenzfall sind Google-Dienste wie die Suchmaschine, Gmail und Google Maps. Handelt es sich hierbei um CPR-relevante Kollektivgüter? Auf der einen
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Seite sind sie kostenlos nutzbar, also kein klassisches Verkaufsprodukt. Sie sind wertvoll für den Kunden, verschaffen Zugang zu Informationen und ermöglichen Austausch. Und dennoch ist eine CPR-Klassifizierung unpassend. Denn bei den genannten Diensten handelt es sich um das Kerngeschäft von Google: Es ist kein Zusatz zu einem „eigentlichen“ Geschäftsmodell, es ist das Geschäftsmodell selbst. Hier löst sich auch das Argument der vermeintlichen Kostenlosigkeit auf. Der Kunde zahlt nämlich sehr wohl: nicht mit Geld, sondern mit seinen Daten. Erst deren Sammlung und Vernetzung macht Google für Werbetreibende so interessant. Es ließe sich einwenden, dass ein Unternehmen, das Konsumenten – und Bürgern – einen riesigen Wissensschatz zur Verfügung stellt, bereits eine eminente gesellschaftspolitische Leistung erbringt. Das stimmt – nur gilt dies auch für Autobauer, die Mobilität ermöglichen, Telekommunikationsfirmen oder Energieversorger, die kritische Daten- oder Elektrizitätsinfrastrukturen gewährleisten, und Banken, die die Grundlage unseres Finanzsystems bilden. All diese Unternehmen schaffen mit ihrer regulären Geschäftstätigkeit Kollektivgüter und sind somit gesellschaftlich relevant. Aber würde CPR sich damit begnügen, wäre das Konzept leer. Es würde nur bezeichnen, was ohnehin der Fall ist: Unternehmerische Produkte und Dienstleistungen bedienen eine gesellschaftliche Nachfrage. Corporate Political Responsibility weist jedoch darauf hin, dass unternehmerisches Wirken erst in einem funktionierenden Staat möglich ist. Unternehmen sollten daher über ihre Geschäftstätigkeit hinaus ihre Ressourcen zur langfristigen Stabilisierung staatlicher Institutionen einsetzen. Ein konkretes Beispiel: Google betreibt CPR, wenn es dem Staat bei der Bekämpfung von Cybercrime oder dem Corona-Virus hilft und damit nachhaltig das eigene Geschäftsumfeld sichert (Elias 2020). Mit Nutzerdaten Geld zu verdienen aber ist keine CPR, es ist schlicht moderner Digitalkapitalismus. • Amazon/Microsoft/Google (Kooperation mit Behörden): Hier lässt sich ein weiterer Grenzfall diskutieren. Amazon verkauft seine Gesichtserkennungssoftware „Rekognition“ an die Polizei. Direkt mit dem Staat zusammenzuarbeiten wird in der öffentlichen Wahrnehmung auch kritisch gesehen, insbesondere die Unterstützung von Militär und Polizei mit Hightech. Mitarbeiter und Aktionäre sehen Widersprüche zu den ethischen Werten der Unternehmen. Unter anderem wollen sie sich nicht am Aufbau eines Überwachungsstaates beteiligen, der Bürger- und Menschenrechte verletzt. Microsoft kooperiert mit der US-Behörde Immigration and Customs Enforcement, die Einwandererfamilien an der Grenze trennte, bei der KI-gestützten Speicherung und Analyse von Daten. Microsoft-Chef Satya Nadella forderte die Beendigung der Praxis, illegal eingewanderte Eltern von ihren Kindern zu trennen. Bei Google wiederum wehrten
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sich Mitarbeiter gegen die Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium. Google hatte dem Pentagon geholfen, Menschen, Fahrzeuge, Waffenlager oder Gebäude auf Drohnenvideos mit KI besser zu erkennen. Der Protest lautete, Google habe im „Business des Krieges“ nichts verloren. Der Vertrag soll nun nicht verlängert werden (Werner 2018). • Microsoft: Der Soft- und Hardwarehersteller sammelt und bereitet für die Regierung Hinweise zu Cybercrime-Aktivitäten auf, die gegen Nationalstaaten gerichtet sind. Die Digital Crimes Unit bekämpft weltweit Cybercrime im Verbund mit Strafvollzugsbehörden, Sicherheitsfirmen, Forschern, NGOs und Kunden. Explizit wird die Notwendigkeit von Public Private Partnerships hochgehalten (Microsoft Digital Crimes Unit o. J.). Damit entsteht eine Entscheidungsgrundlage für politische Reaktionen – im Extremfall sogar für einen militärischen Angriff. Microsoft-Präsident Brad Smith schlug daher 2017 eine „Digital Geneva Convention“ vor, um die Öffentlichkeit im Cyberspace zu schützen. Auf seiner Webseite bündelt Microsoft verschiedene Kommentare aus der Politik und der Politikberatung zu diesem Vorschlag. Microsoft (o. J.) arbeitet mit der US- Regierung auch bei der Aufdeckung und Bekämpfung von „Botnetzen“ zusammen und leistet damit einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur des Internets, also auch des eigenen Marktplatzes. Wieder handelt es sich um einen Grenzfall, der fundamentale Fragen aufwirft: Dürfen Unternehmen (zumindest indirekt) über Krieg und Frieden entscheiden? Wie kann entsprechende Urteilskompetenz bezüglich Cybercrime beim Staat und den Spezialfirmen aufgebaut werden? Sind Public-Private-Partnership-Aktivitäten angesichts von teilweise kritischen Mitarbeitern realistisch? CPR-Aktivitäten sollen den demokratischen Staat stützen. Viele Bürger verweigern sich aber in gewisser Hinsicht dem Staat, weil sie sein Handeln als ihren Werten entgegenlaufend erachten. Wie ist mit solcherlei politischem Engagement umzugehen, wo kein einwandfreier Win-win vorliegt? • Google und Microsoft sind in den USA auch in anderer Hinsicht ein spezieller Fall: Sie scannen die Inhalte der mit ihren Diensten verschickten E-Mails und des verwalteten Cloud-Contents nach kinderpornografischen Inhalten und leiten bei Treffern die Daten der Absender und Besitzer an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Der Spiegel spricht polemisch von „Hilfssheriffs“ (Schindler et al. 2016, S. 126–127). Diese Praxis ist insbesondere in Deutschland umstritten, da sie den Datenschutz kompromittiere. Die unterschiedliche Betrachtung zum Datenschutz spiegelt eine Kulturfrage, nämlich die nach dem grundsätzlichen Verständnis von und Vertrauen in Staat und Unternehmen.
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Zwischenfazit: Die vorgestellten praktischen Beispiele in den Handlungsfeldern zeigen, dass es bereits zahlreiche Unternehmensaktivitäten gibt, die als CPR-Maßnahmen bezeichnet werden können oder zumindest deutliche Schnittmengen mit dem CPR- Ansatz aufweisen. Eine nähere Betrachtung der wahrgenommenen gesellschaftspolitischen Verantwortung zeigt aber auch, dass wir es oft mit Grenzfällen zu tun haben. Ambivalenzen entstehen hier durch a) Verdrängung („Crowding Out“) der eigentlich primären staatlichen Verantwortungsübernahme, b) das Lösen von Problemen, die Unternehmen selbst erst geschaffen haben, c) eine mögliche Überschreitung von privaten Kompetenzen durch die Einmischung in staatliche Kernbereiche wie Sicherheit, d) die Instrumentalisierung von CPR als Marketingmaßnahme oder e) das Verwässern von CPR durch lediglich indirekte Governance-Beiträge wie im Falle von Stiftungs-Kooperationen. Letzteres Beispiel verdient Vertiefung: Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwiefern Unternehmen bei der Kooperation mit externen Partnern noch selbst CPR betreiben oder ihr politisches Engagement auslagern. Hier könnte man einwenden: Was ist daran so schlimm? Das Ergebnis zählt! Aber ein wichtiger Aspekt des nachhaltigen gesellschaftlichen Engagements im Sinne des CPR-Konzeptes ist, dass politische Verantwortung nicht bloß delegiert wird, z. B. an Verbände, Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen, sondern direkt wahrgenommen wird. Gerade Unternehmenschefs sollten ihre Autorität und Bekanntheit in die Waagschale werfen. Als Gesichter der Unternehmensmarke im Allgemeinen und der politischen Marke im Besonderen tragen sie besondere Verantwortung für die Beziehung zum öffentlichen Raum. In einer solchen Personalisierung von CPR liegt gleichzeitig die Chance einer markanten politischen Profilbildung des Unternehmens. Mischt sich ein CEO in öffentliche Angelegenheiten ein, wird er in der Regel eher wahrgenommen und Resonanz erzeugen als ein weitgehend unbekannter Verbandsvertreter. Wenn ein Unternehmen sich allerdings glaubhaft für die gesellschaftspolitischen Grundlagen des Wirtschaftens einsetzt und dabei Allianzen bildet, kann das durchaus im Sinne von CPR sein, wie wir beim Public Changemanagement bereits gesehen haben. Unternehmen müssen nicht isoliert handeln. Ihre aktive Beteiligung sollte nur klar erkennbar und von Dauer sein. Die angesprochenen Grenzfälle müssen von Unternehmen immer wieder kritisch geprüft werden. Auch die Abgrenzung gegenüber klassischen CSR-Handlungsfeldern fällt nicht immer leicht. Corporate Social Responsibility entwickelt schließlich zunehmend eine politische Dimension, aus guten Gründen, die die Notwendigkeit von CPR belegen. Deshalb wird es künftig darauf ankommen, eine souveräne Handhabung der Grenzbereiche zu entwickeln. Das Kriterium 4 bei der politischen Markenentwicklung ist dabei die wichtigste Richtschnur: Entsteht durch die unternehmerischen Aktivitäten gesellschaftspolitischer – besser: politischer – Mehrwert? Also: Wird die Governance der Gesellschaft gestärkt?
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6 Politische Markenführung
Zwei wichtige Fragen schließen sich an: • Wird der Primat des Politischen gewahrt? • Wird die politische Aktivität unmittelbar durch das Unternehmen verantwortet?
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Die Planung von CPR-Maßnahmen
Die politische Marke kann in einem oder mehreren der vorgestellten Handlungsfelder zunächst geplant und dann mit konkreten CPR-Maßnahmen unterfüttert werden. Zur Planung, also der Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die Umsetzung, gehören 4 zentrale Bereiche: • • • •
Themen identifizieren und setzen Kommunikation entwickeln Organisation strukturieren Evaluation und Quantifizierung sicherstellen
6.7.1 Themen identifizieren und setzen Ausgangspunkt für konkrete CPR-Maßnahmen ist die Beschäftigung von Unternehmen mit 2 übergeordneten Fragen, anhand derer sich passende Themen für die Unternehmung identifizieren lassen: a) Was macht eine Gesellschaft und ihre (politischen) Institutionen stark? Oder negativ gewendet: Welche Entwicklungen könnten die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen erfolgreichen Wirtschaftens untergraben? b) Welche konkreten Beiträge können hier mit der politischen Marke und den spezifischen Unternehmensstärken geleistet werden? • In welchen klassischen Politikfeldern und welchen Querschnittsthemen lohnen sich unternehmerische Beiträge? • In welchen CPR-Handlungsfeldern sollte dies geschehen? In klassischen Politikfeldern (analog zu den Politikressorts, wie z. B. Wirtschaft, Kultur oder Verkehr) sind viele gesellschaftspolitische Beiträge möglich. Hier einige Beispiele mit Ansätzen für ein CPR-Engagement: • Forschung und Entwicklung (Bundesministerium für Bildung und Forschung): In diesem Feld sind große Anstrengungen und Investitionen notwendig, damit Deutschland und Europa in den Schlüsseltechnologien dieses Jahrhunderts nicht abgehängt werden.
6.7 Die Planung von CPR-Maßnahmen
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→ Um zu verhindern, dass die besten Forscher nicht in die USA und China abwandern, sollten Netzwerke und finanzielle Anreize geschaffen werden. Auch kann die Wirtschaft die Politik mit öffentlichkeitswirksamer Arbeit unterstützen, konkrete Maßnahmen zur Stärkung einer innovativen Volkswirtschaft (beispielsweise Digitalisierungsthemen wie künstliche Intelligenz) zu ergreifen – als Voraussetzung für Wohlstand, Sozialpolitik und ökologischen Fortschritt. Es sollten alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, die mentalen Voraussetzungen für die Unterstützung von Forschung und Entwicklung zu stärken. Ein neuer Optimismus wird Innovationen und ein neues Gründerklima befeuern, im Bewusstsein der Verantwortung für die gesellschaftlichen Folgen. Die entsprechende Reflexion sollte sich in kommunikativen Unternehmensbeiträgen (Handlungsfeld zwei: Themen & Dialoge) niederschlagen. • Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik (Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundesministerium der Verteidigung): Die EU ist als friedens- und wohlstandssicherndes Projekt von unschätzbarem Wert für Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Aus unmittelbarer unternehmerischer Sicht ist insbesondere der Binnenmarkt mit dem freien Verkehr von Arbeitskräften, Waren und Dienstleistungen sowie Kapital ein hohes Gut. Die Stärkung der EU wurde von vielen Unternehmen im Europawahlkampf als drängendes Thema erkannt. So äußerten sich die Spitzen der Südwestwirtschaft um Bosch, Trumpf und Porsche vor der Europawahl ungewöhnlich deutlich und erteilten nationalistischen Tendenzen eine Absage. Auch die Industrieverbände Italiens, Frankreichs und Deutschlands warben für die Europawahl. Die umfangreichen Aufrufe und Aktivitäten sind ein ideales „Einfallstor“ für tiefer gehendes CPR-Engagement in den nächsten Jahren. Aber auch die Peripherie Europas sollte dringend mehr Aufmerksamkeit erfahren, wie insbesondere die Themen Flüchtlingsströme und sichere Grenzen zeigen. Hier zu einer stabilen Sicherheitsarchitektur Europas beizutragen – und das meint nicht zuletzt Entwicklungsperspektiven für den afrikanischen Kontinent und die arabische Welt zu schaffen – ist eine große Herausforderung für CPR-Maßnahmen. Wenn die Stabilisierung Afrikas für die Stabilität Europas eine Schicksalsfrage ist und Fluchtprävention durch die Schaffung von sicheren Herkunftsländern keine leere Phrase bleiben soll, müssen konkrete Projekte entwickelt werden. So könnte man z. B. Tunesien für ein Leuchtturmprojekt demokratischer Konsolidierung auswählen. Es hat im Oktober 2011 die freiesten und fairsten Wahlen aller afrikanischen Länder abgehalten und eine überschaubare, für Unterstützungsmaßnahmen handhabbare Landesgröße. Die Voraussetzungen für den Erfolg waren nach den Wahlen gut, aber es hat zu wenig konzertierte internationale Unterstützung gegeben. Unternehmen könnten Entwicklungsbemühungen des tunesischen Staates, aber auch der europäischen Unterstützerländer – im eigenen Interesse – mit dem Einsatz ihrer Ressourcen flankieren. Ein Erfolg Tunesiens könnte auf die nordafrikanische Region ausstrahlen. Und Unternehmen würden sich durch die Stabilisierung von Governance-Strukturen die Voraussetzungen für einen umfangreichen Markteintritt schaffen; in anderen Worten: Win-Win – CPR als Business Case.
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Auch die seit Präsident Trump unsicher gewordene amerikanische Sicherheitsgarantie gegenüber den anderen NATO-Staaten erfordert ein kraftvolles und zügiges Umdenken von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Europa muss jenseits der offiziellen Lippenbekenntnisse auch in der Realität ein starker und verantwortlicher Akteur in der internationalen Politik werden. Andernfalls droht es ein Spielball von stark an engen nationalen Interessen orientierten Mächten wie China, Russland und „Trump- Amerika“ zu werden, die unsere Präferenz für Multilateralismus und die dazugehörigen Regelwerke nur begrenzt teilen. In Deutschland wird jedoch seit dem Ende des Kalten Krieges praktisch nur noch in der Kategorie „Friedensdividende“ gedacht und gehandelt. Als Ergebnis ist die Bundeswehr ausgeblutet und die Bundesregierung kann das für 2024 zugesagte Ziel, die Verteidigungsausgaben auf mindestens 2 % des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen, nicht erfüllen. Gleichzeitig haben die Bedrohungen für den europäischen Kontinent in der letzten Dekade wieder massiv zugenommen – von der Krim über Syrien bis nach Nordafrika. Die NATO und die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten bleiben von überragender Bedeutung für Deutschlands Sicherheit. Das umfasst auch das Freihalten von Handelswegen wie in der Straße von Hormus. Es gilt, die transatlantische Partnerschaft auch in schwierigen Zeiten zu pflegen. Aber Europa muss künftig in der Lage sein, notfalls allein zu agieren und sich zu verteidigen. Hier die notwendigen materiellen, organisatorischen und mentalen Voraussetzungen zu schaffen, wird ein großer Kraftakt, der ohne die Flankierung deutscher Unternehmen und ihrer Verbände kaum gelingen wird. Dies betrifft insbesondere Beiträge für eine notwendige Unterstützung aus der Bevölkerung für eine Stärkung der Bundeswehr und damit unserer Bündnisfähigkeit. Außen- und Sicherheitspolitik ist im Rahmen von CPR eine sehr anspruchsvolle Aufgabe angesichts der vorherrschenden Einstellungen in der Bevölkerung und damit bei den Konsumenten. Aber sie berührt die Voraussetzungen von Marktwirtschaft und Geschäftserfolg: Friedliche und politisch stabile Märkte. Deutschland braucht daher dringend eine ernsthaftere europapolitische und sicherheitspolitische Debatte. Wir sind auf Bürger und zivilgesellschaftliche Akteure angewiesen, die außenpolitische Zusammenhänge erkennen und die Politik konstruktiv begleiten. Für ein exportabhängiges Land und einen Gewinner der Globalisierung wie Deutschland ist das eine existenzielle Frage. Denn ohne Rückhalt aus der Bevölkerung ist der nationale Handlungsspielraum eingeschränkt, die Regierung eher kraftlos und gegenüber anderen Ländern unglaubwürdig. Hier tut sich ein weites Feld für Debatten und politische Weiterbildungsmaßnahmen auf. Sicher verspüren bei diesem Thema Rüstungsfirmen und ihre Zulieferer oder große Konzerne (Lufthansa, DHL, VW etc.) und Handelsketten einen besonderen Bedarf. Aber letztlich müssen alle Unternehmen ein Interesse an einer kraftvollen Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik haben. Auch hier ist Handlungsfeld zwei (Themen und Dialoge) zur Orientierung geeignet, um langfristige und konstruktive Beiträge zu leisten; so können PCM-Prozesse oder Allianzen (siehe das Vorbild der Initiative Neue
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Soziale Marktwirtschaft im Wirtschaftsbereich) aufgesetzt werden. Auf diese Weise wird die Auseinandersetzung mit schwierigen Fragen nicht zum Verliererthema einzelner Unternehmen, die sich aus der Deckung wagen. Bei welchen Querschnittsthemen sind gesellschaftliche Beiträge denkbar? Querschnittsthemen grundieren die klassischen Politikressorts. Branchenunabhängig können sie von jedem Unternehmen vorangebracht werden. Die wichtigsten Beispiele: • • • •
Politische Bildung/Persönlichkeitsbildung Führungsfähigkeiten Lebendige Debattenkultur (als Voraussetzung für gesellschaftliche Innovation) Gesellschaftlicher Zusammenhalt/demokratische Wehrhaftigkeit/Förderung einer politischen Bürgergesellschaft • Investigativer Journalismus • Pflege demokratischer Institutionen/Governance in Bürokratie und Politik
Beispiele mit Ansätzen für ein CPR-Engagement in Querschnittsthemen • Zusammenhalt und Debattenkultur: Sorgen bereitet, dass der öffentliche Raum – verstärkt durch Social Media – zersplittert. Dadurch fragmentiert auch die gesellschaftliche Debatte; die gemeinsame Sprechfähigkeit geht verloren. Durch das Verdrehen von Fakten und die überzogene Relativierung von Wahrheit gedeihen Verschwörungstheorien und Hass, die dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und letztlich der Demokratie schaden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bringt es auf den Punkt: „Was hält eigentlich Gesellschaft noch zusammen, wenn sie keine gemeinsame Öffentlichkeit mehr hat? Die aber ist die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie“ (Steingart 2020). Das ist auch mit Blick auf das soziale Miteinander problematisch: „Sollte es wirklich stimmen, dass Solidarität im Rückgang begriffen ist, stehen damit der gesellschaftliche und ökonomische Fortschritt auf dem Spiel“. So beschließt die Soziologin Cornelia Koppetsch (2019, S. 10) ihre Besprechung des von ihrem Kollegen Heinz Bude verfassten Buches „Solidarität“. Gegen diese Entwicklung haben die demokratischen Institutionen bislang noch kein überzeugendes Rezept gefunden. Auch bei Unternehmen herrscht eine große Verunsicherung darüber, wie in den sozialen Medien agiert werden sollte, gerade in Bezug auf Dialogformate. Der Tagesspiegel stellte im Rahmen der Berliner Digitalkonferenz re:publica fest: „In den Pressestellen von Institutionen, Parteien, Verbänden und Unternehmen grassiert die Shitstorm-Angst“ (Herbold 2018). Werde in einem Tweet der falsche Ton getroffen, sei die Gefahr groß, die Internet-Community gegen sich aufzubringen. Die Verunsicherung resultiere auch aus einer Umbruchsphase, in der sich insbesondere Unternehmen befänden, die sich neu in der Welt von Social Media
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einfinden müssten, so Axel Wallrabenstein. Dennoch fordert er Unternehmen dazu auf, Mut zu haben und die neuen Medien aktiv für die Kommunikation mit relevanten politischen Stakeholdern zu nutzen. Er sieht für Unternehmen vor allem eine Chance: „Die Bereitschaft zuzuhören, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen, ist groß“ (Wallrabenstein 2019). Unternehmen könnten z. B. darüber nachdenken, welche Beiträge sie konkret vor Ort leisten können, um die Kluft zwischen 2 Gruppen zu verringern, die bislang auseinanderdriften. Idealtypisch formuliert: Auf der einen Seite die kosmopolitischen Eliten, die von der Globalisierung in besonderem Maße profitieren und sich zunehmend außerhalb nationalstaatlicher Solidaritätszusammenhänge bewegen. Auf der anderen Seite Menschen, denen nationale und regionale Gemeinschaft wichtig für ihre Identität und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl ist. Hier könnten spannende Formate der Begegnung entwickelt werden, um die Sprechfähigkeit zwischen diesen beiden „Welten“ zu verbessern. • Politische Bildung: Das Querschnittsthema mit der möglicherweise größten Hebelwirkung ist die politische Bildung. Je mehr Bürger diesen Staat bewusst und aus Überzeugung tragen, desto größer ist die Chance, Gefahren wie dem Rechts- oder Linksextremismus wirkungsvoll zu begegnen. Es empfiehlt sich, bei CPR-Maßnahmen an den ohnehin großen Stellenwert betrieblicher Weiterbildung und Mitarbeiterqualifikation anzuknüpfen, wie ihn z. B. Judith-Maria Gillies (2015) in brand eins diagnostiziert. Das Ziel sind intelligente, dynamische Wege der Wissensvermittlung und -teilung, gerade über E-Learning-Plattformen, um schnell und passgenau auf Kundenanforderungen eingehen zu können. Auf den Plattformen könnten neben Informationen zu Business-Themen im engen Sinne auch solche zu geschäftsrelevanten Fragen der Bürgergesellschaft, Außenpolitik etc. gebündelt werden. Bislang finden über die Hälfte aller Weiterbildungsmaßnahmen in den Unternehmen statt. Dazu gehören Kurse in Mitarbeiterführung für neue Teamleiter oder Vorträge über neu strukturierte Arbeitsabläufe genauso wie Schulungen zur Einführung neuer Computerprogramme (Ebitsch 2017). Warum also sollte es nicht auch Schulungen zu folgenden beispielhaften Themen geben? –– Wie funktionieren die EU und das politische System der Bundesrepublik? –– Das Grundgesetz – Basis unserer Demokratie und Voraussetzung unseres wirtschaftlichen Erfolges –– Was bedeuteten die Ordnungsprinzipien Föderalismus und Subsidiarität? –– Konstruktiv debattieren – auch politisch Neben internen Schulungen könnten auch externe Weiterbildungen finanziert werden. In jedem Fall sollten Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, über den Tellerrand zu schauen und sich gesellschaftspolitisches Orientierungswissen anzueignen. • Verbesserung von Governance in Bürokratie und Politik: Ein weiteres Querschnittsthema liegt in der Verbesserung der Strukturen von Bürokratie und Politik und den dort handelnden Personen. Die Bedeutung des Themas wird zunehmend erkannt und in gro-
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ßen Foren wie dem „Creative Bureaucracy Festival 2019“ der Humboldt Universität und des Tagesspiegels diskutiert. Unternehmen könnten hier mit Organisationen und NGOs kooperieren, die sich länderübergreifend für Reformen in Verwaltung und Politik engagieren. Ein Beispiel ist die Unterstützung eines globalen Netzwerkes mit dem etwas unglücklichen Namen „Apolitical“. Die Organisation hilft Regierungen und öffentlichen Verwaltungen, mit schlagkräftigen Partnern gesellschaftspolitische Herausforderungen innovativ und kreativ zu meistern. Die Prämisse ist, dass Regierungen – ob wohlgelitten oder nicht – eine zentrale Rolle spielen, die drängenden Probleme unserer Zeit zu lösen (Urbanisierung, Klimawandel, Flucht, Migration etc.). Da Regierungen weltweit ähnlichen Aufgaben gegenüberstehen, können existierende innovative Konzepte geteilt werden. So wird Mehrarbeit verhindert. Apolitical agiert hier als Bindeglied, damit öffentliche Bedienstete möglichst umfassend von smarten Ideen profitieren können. Getrieben ist dieses Engagement, globales Best Practice Sharing im Bereich Government zu ermöglichen, durch die Überzeugung, dass der öffentliche Dienst ein Dienst an der Gesellschaft ist, der Allgemeingüter produziert und in ein besseres Licht gestellt werden sollte. Die Projekte umfassen z. B. die Förderung von selbstfahrenden Autos, bessere Karrierechancen für Frauen oder HIV-Bekämpfung. Derartige Ziele werden verfolgt, indem innovationsfreundliche Umgebungen (z. B. Wettbewerbe) geschaffen und moderne Wege der Informationsverbreitung (z. B. über sogenannte digitale Influencer) genutzt werden (Apolitical o. J.; Hull 2017; Kalaichandran 2017; Fleming 2017). Eine sinnvolle Ergänzung zu Apolitical ist das Innovation in Politics Institute, das kreative und effektive Ansätze zur Vitalisierung europäischer Politik fördert. Flaggschiffprogramme sind die „Innovation in Politics Awards“ und die geplante „European Capital of Democracy“ (ECoD). Die Awards prämieren jährlich Politiker, die exemplarische Projekte zu demokratischer Innovation verantwortet haben. Mit der ECoD- Initiative wird das bewährte Konzept der europäischen Kulturhauptstädte politisch gewendet – in Form von Veranstaltungen zur Festigung der Demokratie im Verbund mit der Bürgergesellschaft. Unternehmen können Organisationen wie Apolitical und das Innovation in Politics Institute auf unterschiedliche Weisen stärken. Denkbar sind finanzielle Zuwendungen, aber vor allem auch die Bereitstellung von Prozesswissen, das Regierungen zu mehr Effizienz und Effektivität in ihren Leistungen verhilft. Aussichtsreich scheinen hier insbesondere Digitalmodelle, die kostensparend und skalierbar sind. Die SAP SE wäre in Deutschland wahrscheinlich ein idealer Partner, auch dank der von SAP aus den USA nach Deutschland übertragenen Methode des „Design Thinking“, die mittlerweile sogar mit Kabinettsvertretern eingeübt wird. Durch die vertiefte Einbindung von Unternehmen wird deren Fixierung auf „government“ (mit entsprechenden Lobbymaßnahmen) mehr in Richtung „governance“ verschoben, also die gemeinsame Bereitstellung von öffentlichen Gütern durch mehrere Akteure.
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Als „CPR-Essentials“ lassen sich alle konkreten und im engeren Sinne gesellschaftspolitischen Beiträge verstehen, die Unternehmen als Corporate Citizens für die öffentliche Debatte sowie zur Stärkung von demokratischen Institutionen und Gemeingütern leisten. Goldschmidt und Homann (2011, S. 11–12) formulieren dieses Rollenverständnis treffend anhand der Trias aus Handlungsverantwortung, Ordnungsverantwortung und Diskursverantwortung. Während erstere das Wirtschaftskalkül des Unternehmens im engeren Sinne umreißt, markieren die beiden letzteren seine erweiterte Zuständigkeit im öffentlichen Raum. „Handlungsverantwortung meint die Verantwortung von Unternehmen für ihr Kerngeschäft und für die unmittelbaren Folgen ihres Handelns ... Ordnungsverantwortung meint die Verantwortung von Unternehmen für die politische Rahmenordnung beziehungsweise für die soziale Ordnung allgemein ... Diskursverantwortung meint die Verantwortung von Unternehmen für die Diskurse der Gesellschaft, besonders über die Wirtschaft“. Eine grobe Matrix für CPR-Engagement liefern zunächst die klassischen, an den Regierungsressorts orientierten Politikfelder sowie relativ branchenunabhängige Querschnittsthemen, die sich entlang der Wertschöpfungskette darstellen lassen (vgl. Abb. 6.1). Die Politikfelder können auf den verschiedenen Stufen aufgeschlüsselt werden (vgl. Abb. 6.2).
Abb. 6.1 Politikfelder & Querschnittsthemen entlang der Wertschöpfungskette. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
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Abb. 6.2 Aufschlüsselung der Politikfelder entlang der Wertschöpfungskette. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Auf jeder Stufe lassen sich unterschiedliche Akzente im CPR-Engagement setzen, wie ein fiktives Beispiel illustriert. Leitend sind die 2 Fragen nach den gesellschaftspolitischen Herausforderungen einerseits und den Unternehmensstärken andererseits (vgl. Abb. 6.3). Schließlich bieten sich vielfältige Möglichkeiten, in den Querschnittsfeldern tätig zu werden (vgl. Abb. 6.4). Die umfangreichen klassischen Politikfelder (entlang der Ressortverantwortung) und Querschnittsthemen werfen die Frage auf: Ist es vorstellbar, dass es gesellschaftliche Bereiche gibt, in denen Unternehmen keine öffentlichen Beiträge leisten sollen? Eine harte Grenze besteht dort, wo im Sinne des staatlichen Gewaltmonopols legitimer Zwang ausgeübt wird. Gesetzgebung sowie -vollstreckung durch Justiz und Polizei bleibt der Staatsgewalt vorbehalten. Für die äußere Sicherheit ist die Bundeswehr zuständig. Anhand von Politikfeldern allerdings lässt sich kaum eine rote Linie ziehen. So wird die kritische Infrastruktur schon lange auch privat betrieben (siehe Energie oder Telekommunikation), wobei der Staat häufig Anteile und somit eine gewisse Kontrolle behält; gleiches gilt für die Rüstung. Die meisten Medien sind privat, obwohl natürlich flankiert durch die starke Präsenz der öffentlich-rechtlichen Sender. Gesundheit (Krankenhäuser, Versicherungen etc.) ist teilweise privat organisiert; selbst private Gefängnisse gibt es, z. B. in den USA.
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Abb. 6.3 Wertschöpfungskette IT-Firma. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Ob das immer sinnvoll ist oder ob essenzielle Leistungen durch den privaten Sektor nur unzulänglich, zu überzogenen Kosten oder hoch sozial selektiv erbracht werden, ist eine durchaus relevante und offene Frage. Ist dies in konkreten Fällen gegeben, muss der Staat die Governance-Aufgabe in die Hand nehmen. Im Zweifel helfen zur Orientierung das Kriterium 4 der Markenentwicklung (gesellschaftlicher Mehrwert) und die Prämisse der Wahrung des politischen Primats.
6.7.2 Politische Kommunikation entwickeln Der stete Aufbau von politischem Kapital bzw. „public value“ durch kluge politische Handlungen und Kommunikation ist zentral für den Erfolg von CPR. Wichtig ist, dass die Themen in den definierten Handlungsfeldern mit einem kohärenten Narrativ aufgebaut werden. Und mit einer strategisch abgestimmten Semantik. Welche Begriffe und Begriffscluster sind zentral für die öffentliche Positionierung des Unternehmens? Mit welchen kommunikativen Einlassungen und welchem Timing kann das Unternehmen die öffentliche Agenda mitbestimmen? Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, weil Unternehmen mit ihrer Kommunikation verschiedene Zielgruppen – vor allem Mitarbeiter, Kunden, Shareholder und Wettbewerber – mit teils divergierenden Interessen erreichen müssen.
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Abb. 6.4 Querschnittsthemen (beispielhaft). (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Daher kann es zu Zielkonflikten kommen. Eine gute Nachricht für Kunden muss nicht auch eine gute Nachricht für Mitarbeiter sein, etwa wenn eine Preisminderung durch eine Reduktion der Personalkosten zustande kommt. Darüber hinaus führt die intensivierte Beobachtung und Kommentierung von Unternehmensaktivitäten durch Medien – gerade in den sozialen Netzwerken – dazu, dass sich die Berichterstattung immer weniger kontrollieren lässt. Im Verbund mit der inhaltlichen Komplexität gesellschaftspolitischer Fragen, zu denen sich Unternehmen verhalten müssen, ergibt sich eine Lage, die professionelles Kommunikationsmanagement unerlässlich macht, um die Reputation der Marke zu schützen. Der CEO oder (politische) Kommunikationschef kann dann auch schon einmal ähnlich wie ein Regierungssprecher gefordert sein. Sprechfähigkeit, auch in politischen Belangen, ist zentral, damit Unternehmen Vertrauen aufbauen und sich als Experten etablieren können. Hierbei geht es nicht nur um eine kurzfristige Einflussnahme im öffentlichen Raum. Vielmehr kommt es darauf an, sich langfristig aufzustellen, um Krisen entweder von vornherein aus dem Weg zu gehen oder zumindest für sie gewappnet zu sein. Die Ambivalenz der Folgen politischer Kommunikation
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soll nicht unterschlagen werden. Klar ist: Wer sich exponiert, macht sich angreifbar – Sichtbarkeit birgt Risiken. Gerade CPR-Pioniere können kommunikative Fehler machen. Klar ist aber auch: Wer defensiv bleibt, verliert Deutungsmacht. Statt den öffentlichen Diskurs zu prägen, liefert sich das Unternehmen diesem aus. Es ist daher angezeigt, verstärkt die Chancen offensiver Kommunikation in den Blick zu nehmen: Nur so können Unternehmen Mitgestalter ihres gesellschaftlichen und politischen Umfeldes sein. Gelingt dies, kann sich die Unternehmensmarke profilieren. Ein Trick dabei: gesellschaftspolitische Themen in Werbemaßnahmen integrieren, ohne sie bloß zu instrumentalisieren. Die Einbettung von Unternehmenszielen in breitere politische Zusammenhänge besitzt das Potenzial, legitimationsstiftend auf Stakeholder zu wirken. Sollten Einzelunternehmen politischer Kommunikation dennoch skeptisch gegenüberstehen, kann schließlich ein Schulterschluss mit anderen Unternehmen helfen, das Risiko individueller Reputationsschäden zu minimieren und gemeinsam politische Akzente zu setzen (Molthagen- Schnöring 2018). Das erfordert orchestrierte Kommunikationsmaßnahmen. Zusammengefasst ergeben sich für die politische Kommunikation folgende, für der Public-Affairs-Branche vertraute Tätigkeitsfelder: • Agenda-Setting: Rhythmisierung von Maßnahmen (im richtigen Mischungsverhältnis) auf der Zeitachse • Storytelling und strategische Semantik: Wer eingängige Narrative entwickelt und Begriffe besetzt, besetzt Macht; insbesondere Führungskräfte sind als Träger von kontinuierlich gesetzten Kernbotschaften und Erzählungen gefragt • Zielgruppenanalyse, Stakeholder-Mapping und Verteiler-Listen • Kreative Formate wie Fishbowl-Veranstaltungen, YouTube-Videos etc. • Partner/Allianzen, auch ad-hoc-Kooperationen • Medienarbeit • Monitoring: kontinuierliches Beobachten und Analysieren des gesellschaftlichen und politischen Umfelds, z. B. um thematische Aufhänger, sogenannte „hooks“, für die eigene Themenplatzierung zu identifizieren. Als Ergebnis stehen eine Kommunikationsstrategie und ein Fahrplan für CPR- Maßnahmen und ihre Durchführung. Die Fortschritte in den Handlungsfeldern sollten kontinuierlich kommuniziert werden.
6.7.3 Die Unternehmensorganisation strukturieren Im Sinne der angesprochenen internen Verankerung von CPR durch Mainstreaming wird dezentrale Verantwortungsübernahme eingeübt. Diese schließt aber nicht aus, dass Maßnahmen von der „Stabsabteilung“ vorgedacht und dauerhaft auf ihre Qualität hin geprüft werden. Um (politische) Kommunikation aus einem Guss zu gewährleisten, sollte die stra-
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Abb. 6.5 Verankerung CPR – Ausschnitt Organigramm. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
tegische Kommunikation des Unternehmens genau wie die Strategieabteilung eng mit der CPR-Stabsstelle zusammenarbeiten (siehe unten stehendes idealtypisches Organigramm). Grundsätzlich aber sollte die Unternehmensverantwortung in die Horizontale der Organisation gelegt werden. Durch die Verankerung in allen Abteilungen wird deren gesellschaftspolitisches Selbstverständnis umfassend gefördert (vgl. Abb. 6.5). Changemanagement durch Mainstreaming von CPR hat daher praktische Auswirkungen auf interne Zuständigkeiten und Abläufe. Es verschiebt gewissermaßen Organigramme. Die Mitarbeiter in den einzelnen Funktionsbereichen sollten mit ihrer jeweiligen Fachkompetenz die Arbeit der CPR-Stabsstelle unterstützen und CPR noch mehr Durchschlagskraft verleihen. Insgesamt können alle Funktionsbereiche eines Unternehmens ihren spezifischen Bezug zu CPR definieren: Welche gesellschaftspolitischen Chancen und Risiken sehen sie? Welcher Maßnahmenkatalog lässt sich daraus ableiten? Mit Leitfragen wie diesen entsteht ein unternehmensinternes CPR-Netzwerk, das den Wissensaustausch fördert. Denn im Gegensatz zu einer Verortung von CPR im organisatorischen Silo (bzw. Abseits!) sichert die Netzwerkstruktur eine permanente Vergegenwärtigung und breite Umsetzung des Konzeptes. Breite Umsetzung meint nicht zuletzt die gesamte unternehmerische Wertschöpfungskette, vom Einkauf über die Produktion bis zum Verkauf. Eine spannende organisatorisch-strukturelle Frage ist, ob Aufsichts- und Verwaltungsräte eine aktivere Rolle für die Wirksamkeit von CPR spielen sollten. Geht es
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wirklich nur darum, den Vorstand zu bestellen und zu kontrollieren? Auch wenn es kein Direktionsrecht gibt, besteht eine weitere Aufgabe in der Beratung des Vorstandes, vor allem zu folgenden Fragen: Welche Geschäftsstrategie wird verfolgt? Wofür werden Entwicklungsbudgets ausgegeben? Der Aufsichtsrat richtet seinen Blick eben nicht nur auf die zurückliegenden Entwicklungen und Entscheidungen, sondern „auch auf zukünftige Pläne des Vorstandes“ (Karrierebibel o. J.). Hier könnte ein Anknüpfungspunkt für strategische Unternehmensentscheidungen liegen, die zukünftig stärker politisch geprägt sein werden. Es wäre eine Möglichkeit, dass künftig gezielt einige Aufsichtsräte mit politischer Expertise ausgewählt werden. Ihre Aufgabe wäre es dann, das Unternehmen aktiver zu beraten, um auf mögliche Risiken und Chancen hinzuweisen. Dabei ist eine Rückkopplung mit dem „CEO-Planungsstab“ ein kraftvoller Hebel für eine politischere und strategischere Arbeit. Auch die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex widmet sich in ihrer neuen Fassung des Regelwerks neben strikteren Regeln für Managergehälter der Reform der Aufsichtsräte. Weil die Arbeit des Kontrollgremiums ernster genommen werden und dafür genug Zeit zur Verfügung stehen soll, wird empfohlen, die Zahl der Aufsichtsratsmandate zu begrenzen. Zudem konkretisiert der Kodex erstmals, was er unter unabhängigen Aufsichtsräten versteht (Neuscheler 2019). Die daraus folgende Aufwertung der Aufsichtsräte könnte also Raum für politisches Engagement bieten. Analoges gilt für den Beirat bzw. Verwaltungsrat oder Gesellschafterausschuss in mittelständischen Unternehmen: Diese Betriebe können in der Regel nicht, wie die Handelskammer Hamburg (o. J.) schreibt, „wie große Konzerne über personalintensive Stab- oder Geschäftsfelder verfügen. Als Ausgleich kann hier ein Beirat wertvolles Fachwissen zu Unternehmensführung, Finanzierung, Recht und Steuern zuführen. Sie können mit dieser Hilfe dann sachkundiger und schneller entscheiden“. Um den Horizont zu weiten, könnte das Fachwissen im Bereich Politik ergänzend und gezielt hinzugezogen werden.
6.7.4 Evaluation und Quantifizierung sicherstellen Anregungen für eine quantitative Evaluation von gesellschaftspolitischer Verantwortung bzw. CPR liefert das Denken in unternehmerischen Lieferketten. In ökologischer Hinsicht werden die Lieferketten bereits auf ihre Nachhaltigkeit geprüft. Analog sollte auch die politische Nachhaltigkeit durchleuchtet werden. Methodisch könnte ähnlich wie im Umweltatlas Lieferketten (Adelphi o. J.) verfahren werden. Dessen Input-Output-Modell greift auf empirische Daten der internationalen Wertschöpfungsverflechtung zurück – funktional und regional. Also: Welche Vorleistungen bezieht eine Branche von einer anderen und in welchen Ländern ist diese beheimatet? Solche Input-Output-Tabellen werden mit Umweltdaten der jeweiligen Branchen und Länder verknüpft und daraus Umweltbelastungen aus den Lieferketten bestimmt. Eine gesunde Umwelt ist jedoch nur eine Facette von Nachhaltigkeit. Wird die Debatte auf das Politische übertragen, heißt das: Statt mit Umweltdaten werden die Input-Output-
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Tabellen mit politischen Indizes verknüpft. Kategorien wären hier Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, Unabhängigkeit der Justiz, Korruption etc. Hier stößt die Quantifizierbarkeit zwar auf gewisse Grenzen, da politische Güter nicht so leicht auf eine Zahl gebracht werden können wie Treibhausgase oder Wasserverbrauch. Dennoch würden Indizes wie diejenigen von Freedom House oder Economist Intelligence Unit (2017) wichtige Informationen liefern. Möglichkeiten und Grenzen politischen Engagements gilt es allerdings realistisch einzuschätzen. In Ländern ohne gefestigte demokratische Kultur kann nur bedingt auf eine vielstimmige Debatte oder Einmischungen in den öffentlichen Raum hingewirkt werden, ohne das Geschäft zu schädigen. Auch bliebe ein Demokratieexport, der von der Regierung oder der Zivilgesellschaft eines Landes als oktroyiert empfunden würde, legitimatorisch zweifelhaft und wenig aussichtsreich. Der Fokus des Einsatzes für Demokratie sollte sich daher auf diejenigen Regionen richten, in denen sie historisch gewachsen ist oder sich zumindest belastbar anbahnt. Die national-autoritären Entwicklungen im Westen der letzten Jahre zeigen jedenfalls, dass auch hier Liberalität, Offenheit und Toleranz keine Selbstverständlichkeit sind, sondern gepflegt werden müssen. Jenseits solcher CPR-Essentials der demokratischen Konsolidierung besteht stets die Möglichkeit, Governance-Leistungen zu erbringen (höherer Arbeitsschutz, bessere Bezahlung, Infrastrukturausbau etc.). Es sollte also keine grundsätzliche Verengung der politischen Verantwortungsübernahme auf den Heimatmarkt geben. Es ist nicht verwunderlich, dass der Hauptgeschäftsführer des BDI, Joachim Lang, auf die tief gehende Integration der deutschen Industrie in globale Wertschöpfungsketten und die damit verbundene Abhängigkeit und Verwundbarkeit hinweist. Wertschöpfungsketten seien global und komplex, deutsche Unternehmen daher „auf ein sicheres und stabiles Umfeld angewiesen – sowohl national als auch international“ (Lang 2020). Plausibel ist das vor allem, weil die vorgelagerte Wertschöpfungskette einen beträchtlichen Anteil an den Nachhaltigkeitsauswirkungen eines Unternehmens aufweist, wie aus der Beschäftigung mit Umweltthemen bekannt ist. Damit geraten Entwicklungs- und Schwellenländer in den Blick. Auch dort können politische Institutionen gestützt werden – mit den genannten Einschränkungen, was genuine Demokratieförderung betrifft. Staatliche Stabilität indes bleibt die conditio sine qua non wirtschaftlichen Erfolges. Es liegt also im Interesse von Unternehmen, ihr gesellschaftspolitisches Engagement als internationale Aufgabe zu verstehen. Für ein nachhaltiges politisches Lieferketten-Management sollte im Sinne einer Bestandsaufnahme Transparenz über Risiken geschaffen werden. Dadurch lassen sich auch besser konkrete Hebel identifizieren, um diese Risiken zu minimieren. Hilfreich ist dabei z. B. die Arbeit mit Standards und Zertifikaten, internen Trainings, Wissenstransfer bzw. Best Practice Sharing. Standards können in Rahmenverträge oder Kodizes aufgenommen werden, um Klarheit und Verbindlichkeit zu schaffen. Es ist sinnvoll, diese an der Spitze von Unternehmen anzudocken, damit politische Nachhaltigkeitskriterien gezielt in Management-Entscheidungen einfließen – denn auf die Verzahnung mit der Strategie kommt es an.
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Ein weiterer Baustein in der quantitativen Erfassung von CPR ist die Scorecard. Sie ist ein beliebtes Tool in der Wirtschaft, um die Effektivität unternehmerischer Maßnahmen zu beurteilen. Unter anderem findet sie in der Zertifizierung von Nachhaltigkeitsbemühungen Anwendung (siehe z. B. die Webseite von SCS Global Services). Eine gesellschaftspolitische Evaluation könnte in allgemeine Nachhaltigkeitszertifikate integriert werden, aber auch separat erstellt werden – gesetzt, Unternehmen haben sich in den 4 CPR- Handlungsfeldern betätigt. Dennoch sollten die Schwierigkeiten einer robusten CPR-Quantifizierung anhand einer Scorecard nicht übersehen werden. Sie bestehen darin, einzelnen CPR-Maßnahmen angemessene Ratings zu geben. Wie schwer wiegt die Gründung einer betriebseigenen Kita im Vergleich zur Organisation einer Diskussionsveranstaltung zu einem gesellschaftspolitisch relevanten Thema? Wie können CPR-Aktivitäten in ein vernünftiges Verhältnis zur Ressourcen- und Machtfülle eines Unternehmens gesetzt werden? Sind mehr CPR-Maßnahmen besser als wenige, aber unter Umständen gezieltere? Wie ist es zu bewerten, wenn ein Unternehmen sich zwar mit einer CPR-Handlung hervortut, aber gleichzeitig mit zwielichtigen Steuerpraktiken auffällt? Es kann daher verzerrend sein, mit Messungen und Zertifizierungen autoritative Ergebnisse zu suggerieren, wenn die übergeordneten qualitativen Fragen unklar sind. Der Objektivierbarkeit sind Grenzen gesetzt. Ihre Annäherung aber bleibt wichtig. Die Qualität der Ergebnisse der Scorecard hängt also von den darunterliegenden Annahmen ab. Entscheidend ist vor allem, dass die Scorecard sich in der Praxis bewährt, d. h. dass die CPR-Anreizsteuerung funktioniert. Ein theoretisch schlüssiges Konstrukt, welches zu adversen Effekten führt, ist unbedingt zu vermeiden. Bei der Ausarbeitung sollten daher Praktiker hinzugezogen werden. Generell gilt: Ein allzu striktes formales Korsett kann eher hinderlich sein. Eine kluge Bewertung von CPR-Maßnahmen erfordert das Ausbalancieren von qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten. Bei der Evaluation von CPR sollte die genaue Ausgestaltung der Bewertung den Unternehmen überlassen bleiben; Flexibilität im Sinne von Trial & Error ist gefragt. Es macht aber Mut, dass in den Unternehmen viel Know-how über den Umgang mit KPIs besteht. Inspiration für einen pragmatischen Ansatz des CPR-Trackings liefern die „6 Schritte auf dem Weg zu einem tragfähigen CSR-Bericht“ der Beratung Scholz & Friends Reputation (o. J.). Gesellschaftspolitisch adaptiert lassen sie sich wie folgt fassen: 1) Status quo: Wo steht das Unternehmen hinsichtlich seiner CPR-Aktivitäten? Interne Analyse des bisherigen politischen Engagements; externe Analyse der gesellschaftspolitischen Erwartungen verschiedener Anspruchsgruppen; Wesentlichkeitsbestimmung durch Definition priorisierter Themen 2) Steuerung: Wer verantwortet und koordiniert CPR-Aktivitäten? Einrichtung einer CPR-Stabsstelle mit Anschluss an die Geschäftsführung bzw. den Vorstand; Bestimmung von CPR-Verantwortlichen in einzelnen Abteilungen
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3) Leitbild: Welche gemeinsame Idee soll Identität und Orientierung in gesellschaftspolitischer Hinsicht stiften? Durchführung eines Leitbild-Workshops anhand der Stärkenfiltermethode; Entwurf eines politischen Mission-Statements und eines positionierenden Satzes 4) Ziele: Wie sieht der CPR-Fahrplan aus? Definition von konkreten Projekten mit Zielen und Teilzielen sowie Arbeitspaketen auf einer Zeitschiene 5) Kennzahlen: Welche KPIs spiegeln die CPR-Performance wider und wie werden die entsprechenden Daten kontinuierlich erhoben? Konzeption einer CPR-Scorecard, die z. B. funktionale und regionale Daten zur Lieferkette wie Informationen über Zulieferer, Geschäftspartner oder Standorte mit politischen Indizes zu Freiheit, Demokratie oder Korruption verknüpft 6) Berichterstattung: Wie wird Rechenschaft über die CPR-Performance abgelegt? Konsistente Darlegung der CPR-Ziele, Strategie, Maßnahmen und Bewertung in einem Report zur politischen Marke; Verbindung zur kommerziellen Berichterstattung der Gesamtmarke sicherstellen. Ergänzend zum internen CPR-Reporting durch Unternehmen ist die Entwicklung einer externen CPR-Zertifizierung durch Beratungs- oder Prüfungsgesellschaften denkbar. Wirkungsvolle gesellschaftspolitische Investitionen würden durch ein Siegel beglaubigt. Es könnte die notwendigen Anreize setzen, gerade wenn das Thema unter der Federführung großer Wirtschaftsverbände vorangetrieben wird. Das Siegel könnte „Politik- wirksam“ genannt werden. Kriterien wären z. B. die Stärkung von Demokratie und Governance-Strukturen sowie die Verbesserung der Schnittstellenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft – unter Wahrung des politischen Primats. Eine „Task-Force-CPR-Zertifizierung“ könnte sich neben der unabhängigen Jury aus Beratern und Prüfern in Analogie zum Corporate Governance Kodex auch aus Vertretern von deutschen Unternehmerverbänden zusammensetzen. Die Task Force könnte zudem die Öffentlichkeitsarbeit koordinieren und eine interaktive CPR-Plattform u. a. mit folgenden Leistungen aufbauen:6 • • • •
Matchmaking (Unternehmen und Konsument/Bürger) für Handlungsfelder 2 bis 47 Inkubator (online und offline) für CPR-Projekte Finanzierungsmodelle Beratung (online und offline)
Wer Interesse am Aufbau einer solchen Plattform hat, möge sich bitte beim Autor melden. Die Webseiten https://www.csr-news.net/news/expertennetz/ und https://www.csr-news.net/news/ wissen/ bieten eine Anregung aus dem CSR-Bereich, wie ein Netzwerk von Experten eingerichtet und Know-how zu verschiedenen Themen bereitgestellt werden kann (inkl. Newsletter, Event-Informationen etc.).
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Political Branding in der Gesamtschau
Zusammengefasst gilt: Die erste Prämisse auf dem Wege zur Corporate Political Responsibility ist, dass Unternehmen deren Mehrwert verstehen und entsprechend ins Handeln kommen wollen. Sie müssen ein Bewusstsein von der Notwendigkeit entwickeln, mit ihren allgemeinen und spezifischen Ressourcen die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen ihres Geschäftes abzusichern. Das Mandat zur Stabilisierung des für das Geschäft kritischen politischen Diskurses und Handelns (inklusive der Stärkung der institutionellen Strukturen des Gemeinwesens) umfasst in Zeiten der Globalisierung die gesamte unternehmerische Wertschöpfungskette. Ist diese Erkenntnis verinnerlicht, im Kern also der Business Case von CPR, lässt sich von einer politischen Haltung des Unternehmens sprechen. Damit kann die Haltung, also die grundsätzliche Akzeptanz von CPR, nun durch Political Branding operationalisiert werden. Dies verläuft in 2 Schritten, der Markenbildung und der Markenführung, wobei CPR als konzeptioneller Ansatz und Haltung den verschiedenen Prozessphasen ein überwölbendes Dach verleiht (vgl. Abb. 6.6). Die erste Säule des Political Branding, die politische Markenbildung, beginnt mit einer Bestandsaufnahme, die einen Überblick über die politische Dimension der gesamten Un-
Abb. 6.6 Political Branding Prozessphasen. (© Johannes Bohnen 2020. All Rights Reserved)
Literatur
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ternehmensmarke liefert. Dazu werden im Rahmen einer unternehmerischen Ressourcenanalyse die noch nicht miteinander verknüpften politischen Inhalte der Gesamtmarke beschrieben. Der zweite Schritt ist strategisch. Es geht um die Zuspitzung und Verdichtung der losen Elemente und Stärken zu einer expliziten und kohärenten politischen Marke, z. B. mithilfe eines Stärkenfilters mit entsprechenden Kriterien bzw. Prüfstufen. Selbstverständlich muss sich die politische Marke harmonisch in die Gesamtmarke einfügen. Säule zwei beschreibt, wie die neu entwickelte politische Marke geführt wird. Zunächst geht es um die Schaffung von Voraussetzungen und die Planung von CPR-Aktivitäten in ausgewählten Handlungsfeldern. Dies geschieht in 4 Bereichen: in den zu definierenden Themen, der entsprechenden Kommunikation, der Entwicklung organisatorischer Strukturen und der Schaffung von Evaluationstools. Nach dieser strategischen und planerischen Phase erfolgt die konkrete Umsetzung von CPR-Aktivitäten. Hier steht die tägliche politische Markenführung im Vordergrund, inklusive Monitoring des politischen und gesellschaftlichen Umfeldes. Dazu gehören die mittlerweile als zentral erkannten Themen, also im Idealfall eine Mischung aus branchennahen Politikfeldern und relevanten Querschnittsthemen entlang wesentlicher Stationen der Wertschöpfungskette. Hier werden konkrete CPR-Maßnahmen mit entsprechender Kommunikationsarbeit in den CPR-Handlungsfeldern ergriffen. Die Vision mit großem „Impact“ wäre: Jedes deutsche Unternehmen hat mindestens ein CPR-Projekt – und sei es auch noch so klein! Die Maßnahmen – gerade der größeren Unternehmen – werden schließlich durch ein quantitatives politisches Nachhaltigkeitsmanagement geprüft und optimiert.
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Resümee: Die neue Haltung leben!
Zusammenfassung
Resümierend wird der zentrale CPR-Gedanke betont, dass Unternehmen mehr in den gesellschaftspolitischen Nährboden ihres wirtschaftlichen Erfolges investieren sollten. Noch ist das Politische der „blinde Fleck“ der Wirtschaft; nun geht es darum, politische Stabilität als Standortvorteil zu erkennen und zu stärken. Unternehmen, die wirklich nachhaltig agieren wollen, sollten das Politische als Business Case verstehen. Zum Schluss finden sich die 10 wichtigsten CPR-Thesen sowie kritische Einwände und mögliche Erwiderungen.
Langfristiges und konkretes gesellschaftspolitisches Engagement mithilfe einer strategisch entwickelten politischen Marke ermöglicht Unternehmen einen nachhaltigen Vertrauensaufbau gegenüber ihren Anspruchsgruppen. Das CPR-Konzept gibt ihnen mit Political Branding die notwendigen Tools an die Hand, um die neu entwickelte gesellschaftspolitische Haltung zu operationalisieren. Die entwickelte politische Marke und die dazugehörigen konkreten CPR-Maßnahmen sollten konsequent verfolgt und weiterentwickelt werden, damit sie im Laufe der Zeit ein selbstverständlicher Bestandteil des Gesamt-Markenkerns werden. Unternehmen werden zunehmend realisieren: Ihr nachhaltiger Erfolg hängt entscheidend von der Stärke der staatlichen und gesellschaftlichen Infrastruktur ab, in die sie bislang praktisch nicht investieren. Mit anderen Worten: Unternehmen leben von Voraussetzungen, die sie bislang selbst nicht schaffen oder befördern. Hier liegt ein noch unbestelltes Feld, das große Möglichkeiten zur Positionierung der eigenen Marke im
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6_7
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7 Resümee: Die neue Haltung leben!
Wettbewerb bietet. Die Aufgabe für Unternehmen lautet, an ihren politischen Investitionen zu arbeiten – im eigenen Interesse. In anderen Worten: Die neue Haltung muss mit Leben gefüllt werden – mit konkreten Maßnahmen des Political Branding. Allgemein akzeptiert wird die Erkenntnis, dass Rohstoffe und Arbeitskräfte oftmals „ausgebeutet“ werden – natürlich insbesondere in armen, unterentwickelten Regionen der Welt. Daher ist die Verantwortungssteigerung in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales so sinnvoll. Aber nicht nur natürliche Ressourcen und Menschen, sondern auch der gesellschaftliche Nährboden – Standortqualitäten und staatliche Leistungen – werden quasi „ausgebeutet“ bzw. konsumiert, wenn die Wirtschaft sich nicht für ihren langfristigen Erhalt einsetzt. Die Leistungen der staatlichen Daseinsvorsorge sind in den etablierten Industriegesellschaften viel zu lang als selbstverständlich betrachtet worden. Ein mangelnder Respekt vor politischen Institutionen und ganz allgemein der Wichtigkeit einer lebendigen demokratischen politischen Kultur sind in westlichen Ländern mittlerweile augenfällig. Es mangelt immer deutlicher an der Leistungsfähigkeit politischer Institutionen und der politischen Kultur.1 Und warum gehen Unternehmen lieber nach Deutschland als in die Ukraine? Weil es für die Geschäftstätigkeit auf immaterielle Güter wie Planungssicherheit durch Rechtssicherheit ankommt. Das gilt insbesondere in geopolitisch aufgewühlten Zeiten. Die Betriebswirtschaft allerdings scheint einen „blinden Fleck“ zu haben, wenn es darum geht, politische Stabilität als Wettbewerbsvorteil zu erkennen, obwohl z. B. die Börsen sehr sensibel auf Unsicherheiten reagieren. Politisch-gesellschaftliches Denken liegt vielen Unternehmern noch immer fern. Zwar fließen immaterielle Güter in ihre Standortentscheidungen mit ein, doch kommen nur wenige auf die Idee, selbst in die Standortqualitäten zu investieren. Noch zu oft gilt: Politik und Wirtschaft kommen einander nicht ins Gehege. Dabei würde eine vorurteilsfreie Zusammenarbeit neue Potenziale eröffnen. Das gesellschaftliche „Versprechen“ lautet: CPR kann ein wirkungsvoller Beitrag sein, den öffentlichen Raum und unsere Demokratie zu stützen und gleichzeitig unsere Unternehmen erfolgreicher zu machen. Diese verbinden sich auf neue Weise mit ihrem Umfeld und ihren Kunden. Der gesellschaftliche und der unternehmerische Mehrwert verstärken sich gegenseitig. Dabei ist stets der Primat des Politischen zu beachten. Die unternehmerische Erkenntnis lautet: Die Stärkung von Politik und Verwaltung liegt im vitalen Interesse der Wirtschaft – es gibt den Business Case! Wenn Unternehmen also nachhaltig agieren wollen, liegt eine besonders große Hebelwirkung in der Beeinflussung und Stärkung des gesellschaftspolitischen Umfelds und der Daseinsvorsorge. Dies kann im Sinne des „Political Branding“ professionell entwickelt und gepflegt werden. Dieses Buch hat die dafür notwendigen Tools vorgestellt. Ein politisches Nachhaltigkeits-Rating, das bewertet, wie wirksam Unternehmen gesellschaftspolitisch investieren, könnte die notwendigen Anreize setzen – im Sinne eines möglichen Siegels „Politik-wirksam“.
1
Siehe in diesem Sinne auch Udo Di Fabios Werk Schwankender Westen von 2015.
7.1 Die 10 wichtigsten CPR-Thesen
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Schließlich gilt es ein grundsätzliches Verständnis davon zu entwickeln, wie CPR im Kontext anderer gesellschaftlicher Verantwortungskonzepte zu verorten ist. Zwei Alternativen sind denkbar: CPR kann entweder in langfristiger Perspektive als Dachbegriff für Unternehmensverantwortung insgesamt gesehen werden. Dann umfasste es „Essentials“ wie die demokratische Ordnung und Debatte sowie die klassischen CSR-Themen Ökologie und Soziales. Oder CPR wird auf die demokratischen bzw. politischen Essentials begrenzt und stünde dann gleichwertig neben CSR (Ökologie und Soziales). Für die Weiterentwicklung des CPR- und Political-Branding-Konzeptes sind kritische Fragen und Anregungen zentral, gerade aus der Unternehmenspraxis. Nur so können diese Ansätze weiter konkretisiert werden. Unter dem Strich steht die Erkenntnis, dass Unternehmen zum eigenen Vorteil eine gesellschaftspolitische Haltung entwickeln sollten. CPR und Political Branding bieten eine konkrete Antwort auf die Frage, wie dies zu leisten ist. Dieses Buch ist der Versuch, für eine notwendige Debatte einen Stein ins Wasser zu werfen.
7.1
Die 10 wichtigsten CPR-Thesen
1. Es besteht keine strikte Trennung zwischen Wirtschaft und Politik. Unternehmensaktivitäten sind stets gesellschaftspolitisch und institutionell eingebunden. Soziale Unternehmensverantwortung erfasst diesen Zusammenhang nur unzureichend. Daher ist CPR die logische Weiterentwicklung von CSR. 2. Unternehmen sind bereits politische Akteure. Als Steuerzahler, Arbeitgeber, Ausbilder, Innovatoren und Lobbyisten beeinflussen sie den Gesetzgebungsprozess und das Gemeinwesen. 3. Globalisierung und Digitalisierung führen durch Vernetzung und Entgrenzung zu abnehmender staatlicher Steuerungsfähigkeit. Als wesentliche Treiber dieser Entwicklungen fordern gerade Unternehmen politische Gestaltungsmacht heraus, können mit ihren Ressourcen aber Governance-Leistungen zur Stützung von Staatlichkeit beisteuern. 4. Die Erwartungen der Menschen an Unternehmen steigen. Kunden, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit verlangen Haltung, und zwar über den Profit hinaus. 5. Politik ist mehr als Parteipolitik. In der Demokratie können und müssen alle zu einem intakten Gemeinwesen und funktionierenden Kollektivgütern beitragen. 6. Unternehmen sollten nicht nur in Gebäude, Maschinen und Mitarbeiter investieren, sondern auch in die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen ihres langfristigen Erfolges. 7. Unternehmen können mit konkreten Methoden zu politischen Marken werden und sich aus der gesellschaftlichen Defensive befreien. Dazu müssen sie systematisch ihre politischen Ressourcen entwickeln und „Political Branding“ betreiben. 8. Unternehmen können in mindestens 4 Handlungsfeldern aktiv werden: von verantwortlichem Lobbying über gesellschaftspolitische Dialoge und Projekte der politischen Partizipation bis zur Stärkung von Kollektivgütern.
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7 Resümee: Die neue Haltung leben!
9. Die UN-Nachhaltigkeitsziele können CPR den Weg weisen, wenn deren politische Facette erkannt wird. Diese kommt primär in Ziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ zum Ausdruck. 10. Unternehmen finden die Grenzen ihrer CPR-Maßnahmen in den Regeln des demokratischen Prozesses. Der Primat des Politischen muss gewahrt bleiben. Fazit: Durch CPR stärken Unternehmen die Demokratie und damit sich selbst! Politisch sollten sie unparteiisch im Besonderen, aber parteiisch im Grundsätzlichen sein – dann, wenn es um unsere freiheitliche Lebensform als solche geht.
7.2
CPR – Einwände und Erwiderungen
Eine aktiv vorgetragene gesellschaftspolitische Haltung kann Unternehmen „First-mover“Vorteile bringen, wenn dadurch eine Differenzierung zum Wettbewerb entsteht, diverse Stakeholder-Gruppen das Engagement honorieren und die Reputationsgewinne sich im Profit widerspiegeln. Dennoch werden Unternehmen, die sich auf CPR einlassen, zunächst womöglich mit kritischen Fragen konfrontiert. Das folgende Argumentarium soll Unternehmen als Leitfaden dienen, erwartbare Kritikpunkte zu entschärfen: 1. Machen sich Unternehmen durch CPR-geleitetes gesellschaftspolitisches Engagement den Staat zur Beute? Haben sie nicht ohnehin schon zu viel politische Macht? Ist die Nähe zur Politik nicht schon eklatant? Sicher, Unternehmen haben politische Macht. Eine klare Trennung zur Politik ist nicht vorhanden. Aber daraus kann nicht folgen, sie künstlich aus dem Politischen herauszuhalten. Im Gegenteil: Unternehmen sollten die Verantwortung, die ihnen ohnehin zukommt, auch wahrnehmen – indem sie staatliche Strukturen stärken, die den Nährboden ihres Wirtschaftens darstellen. Unternehmen müssen sich ehrlich machen und sich als die politischen Akteure begreifen, die sie bereits sind. Es geht darum, ihre enormen fachlichen, finanziellen und organisatorischen Ressourcen produktiv einzubinden, um gesellschaftspolitische Herausforderungen zu meistern. Indem Unternehmen Governance-Aufgaben übernehmen, entlasten sie den Staat, der sich auf seine Kernfunktionen beschränken kann und Steuerungsfähigkeit zurückgewinnt. Damit wird der politische Primat gestärkt. Klar ist: Wenn Unternehmen im öffentlichen Raum wirken, unterliegen sie auch den demokratischen Spielregeln. Insbesondere das Ausüben von Zwang ist den demokratisch legitimierten Gewalten vorbehalten. 2. Wo verläuft die Grenze zwischen Politik und Wirtschaft? Der Versuch einer erschöpfenden Definition der Grenze zwischen Politik und Wirtschaft ist kaum möglich, da Unternehmen auch hochsensible Bereiche wie innere und äußere Sicherheit, Gesundheit oder Daten- und Energieinfrastrukturen massiv prägen. Der Staat ist also auch in seinem Kern auf privatwirtschaftliches Know-how angewiesen. Als funktionale Abgrenzung bleibt damit vor allem der Vorrang des Staates, Recht
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zu setzen und zwangsbewehrt zu vollziehen. Welche konkreten Aufgaben aber staatlich geleistet werden müssen, kann kaum apriorisch bestimmt werden, sondern nur in der Einzelfallprüfung. Dafür bietet sich folgendes Kriterium an: Bei der Bereitstellung von Gemeingütern müssen sowohl deren Qualität als auch die Legitimität im Prozess ihres Zustandekommens gewährleistet sein. Beide Anforderungen können im Konflikt stehen – langfristig aber laufen sie zusammen. Ohne effiziente Gemeingüter keine gesellschaftliche Legitimation und ohne gesellschaftliche Legitimation keine effizienten Gemeingüter. 3. Warum sollten Unternehmen gerade jetzt den Staat stützen? Corporate Political Responsibility ist eine Antwort auf eine Überforderung des Staates, der durch Populismus, Elitenversagen, Nationalismus und Demokratiemüdigkeit unter Druck geraten ist. Noch sind die klassischen Nationalstaaten die entscheidenden politischen Akteure in der internationalen Politik. Überstaatliche Gebilde wie die UN oder EU sind massiv durch nationalstaatliche Interessen geprägt, weltpolitische Governance- Herausforderungen werden im Rahmen der G20 erörtert. Außen- und geopolitische Konfliktlinien verlaufen vor allem entlang staatlicher Grenzen, weniger entlang von Religionen oder Kulturen. Aber die Geschwindigkeit politischer Prozesse hinkt derjenigen wirtschaftlicher Prozesse deutlich hinterher. Die Unübersichtlichkeit der national entgrenzten Probleme durch Globalisierung und Digitalisierung führt zu staatlichem Steuerungsverlust. Die Ansprüche an staatliches Leistungsvermögen aber steigen, weil die Bürger sich im Digitalzeitalter umfassend informieren können – sie emanzipieren sich. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass Unternehmen immer mehr auf der politischen Bühne spielen. Als Haupttreiber der Globalisierung und Digitalisierung stellen Unternehmen Staaten vor enorme Aufgaben, zu deren Lösung sie ob ihrer Ressourcenfülle paradoxerweise unentbehrlich sind. Corporate Political Responsibility begegnet der gestiegenen Erwartungshaltung an staatliche Leistungen und der de facto vorhandenen politischen Dimension einer Unternehmensmarke, indem es sie zusammendenkt: Wenn Unternehmen ihre politische Marke entwickeln, stärken sie den Staat, erfüllen die Erwartungen der Gesellschaft und investieren damit in die Grundlagen ihres Geschäftes. 4 . Erfüllen Unternehmen nicht durch ihr bloßes Geschäft schon eine ausreichende gesellschaftspolitische Rolle? Sollten Politik und Wirtschaft im Sinne einer Arbeitsteilung nicht jeweils bei ihrer „Kernkompetenz“ bleiben? In einer modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft ist Arbeitsteilung die Regel und ausdrücklich wünschenswert. Sie ist ein Gebot der Komplexität. Gleichzeitig dienen Grenzziehungen zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen wie der Politik und Wirtschaft der demokratischen Legitimation. Eine vollständig durch die Wirtschaft okkupierte Politik wäre „gekauft“, eine durchpolitisierte Wirtschaft ließe keine privaten Freiheitsgrade. Eine strikte kategoriale Trennung zwischen Politik und Wirtschaft gibt es jedoch nicht. Unternehmen sind bereits politische Akteure: als Arbeitgeber, Ausbilder, Steuerzahler, Lobbyisten. Und sie sind in ihrem wirtschaftlichen Handeln von intakten öffentlichen Gütern (Rechtssicherheit, Infrastruktur, Bildung etc.) abhängig. Erkennen Unternehmen die politische Dimension ihrer Existenz, können sie die
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7 Resümee: Die neue Haltung leben!
Schnittmenge mit der Politik produktiv gestalten und dadurch die Voraussetzungen für ihr Geschäft stärken. Sicher erfüllen Unternehmen per se durch ihre Leistungen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe – andernfalls gäbe es sie nicht. Aber sie besitzen umfangreiche Ressourcen, die sie für die Stabilisierung staatlicher Governance einsetzen können: gesellschaftspolitisches Engagement, das Win-win-Lösungen für Staat und Wirtschaft ermöglicht. 5. Ist CPR wirklich nötig? Es gibt doch bereits CSR! Sicher beschäftigen sich Unternehmen mit CSR und legen in entsprechenden Berichten Rechenschaft über ihre Aktivitäten ab. Allerdings zeigt sich, dass CSR häufig unfokussiert betrieben wird: Es ist zu einem Sammelbecken für breit gestreutes, nicht unbedingt dem Kerngeschäft zugeordnetes Engagement geworden. Es fehlt also die strategische Ausrichtung. Darüber hinaus werden mit CSR zumeist soziale und ökologische Probleme behandelt, deren größerer Zusammenhang aber verloren geht: nämlich das Politische. Denn wenn Unternehmen wirklich Staat, Gesellschaft und sich selbst helfen wollen, müssen sie einen Beitrag zu einer vitalen Debattenkultur und intakten Gemeingütern leisten. Dazu gehören öffentliche Gesprächsforen, gute Bildung, eine gesunde Umwelt, eine funktionierende Infrastruktur, ein verlässliches Rechtswesen etc. Dies zu erreichen, ist eine genuin politische Aufgabe. „Soziales“ Engagement umfasst zwar allerlei Wichtiges (polemischer: Nettes), „politisches“ Engagement aber adressiert die Grundbedingungen erfolgreichen Wirtschaftens. 6 . Ist es nicht gefährlich für Unternehmen, sich politisch zu positionieren? Manche Unternehmen betrachten Politik als einen „Sumpf“, ein nur schwer zu durchschauendes Interessengeflecht, in welchem machttaktische Kalküle die effiziente Erledigung von Aufgaben enorm erschweren. Insofern gehen Unternehmen lieber auf Distanz zur Politik. Corporate Political Responsibility verlangt jedoch nicht, dass Unternehmen sich parteipolitisch äußern. Das ist nicht ihre Aufgabe. Hier geht es um einen deutlich breiteren Begriff des Politischen: präferenziell um die Grundlagen der offenen, freiheitlichen Gesellschaft, zumindest aber um eine adäquate Versorgung mit Kollektivgütern. Dies sollten Unternehmen im eigenen Interesse unterstützen. Wer sich langfristig gesellschaftspolitisch engagiert und glaubwürdig seine politischen Interessen artikuliert, verschafft sich wirtschaftliche Vorteile. Nicht zuletzt erfüllen Unternehmen durch eine klare politische Haltung eine gesellschaftliche Erwartung, insbesondere der jüngeren Generationen. Denn Unternehmen als „politische Neutren“ werden immer weniger akzeptiert. Abwehrreflexe gegenüber dem Politischen gilt es also zu überwinden: Sie gehen in der Regel auf ein verkürztes Verständnis des Begriffes zurück. Ihn zu öffnen hieße, das Politische auch als Nährboden für unternehmerische Aktivität anzuerkennen.
Glossar: Neue Begriffe im Kontext von CPR
Corporate Political Responsibility (CPR) gelebte Haltung der politischen Verantwortungsübernahme von Unternehmen im aufgeklärten wirtschaftlichen Eigeninteresse; Weiterentwicklung und strategische Fokussierung von Corporate Social Responsibility (CSR) CPR-Essentials alle Beiträge, die Unternehmen in den → CPR-Handlungsfeldern zur de mokratischen Debattierkultur, zur Stärkung der demokratischen Ordnung und zur staatlichen Infrastruktur leisten, in klassischen Politikressorts oder Querschnittsthemen wie etwa Demografie oder Digitalisierung; die Essenz von → CPR ist die Stärkung des institutionellen Gefüges des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates als Business Case CPR-Handlungsfelder Bereiche für gesellschaftspolitische Maßnahmen von Unterneh men und damit Kern der → politischen Markenführung, darunter → Responsible Lobbying, Themen und Dialoge, Projekte der politischen Partizipation und Bereitstellung von → Kollektiv- bzw. Gemeingütern CPR-Planungsstab Politischer Thinktank als Bestandteil der Stabsstelle Strategie, der den Vorstand bzw. die Geschäftsführung, insbesondere den Unternehmenschef, mit Analysen geschäftsrelevanter Chancen und Risiken des politischen Umfeldes versorgt und Handlungsempfehlungen formuliert CPR-Scorecard Tool zur quantitativen Messung und Evaluation von CPR-Maßnahmen anhand definierter KPIs zum Zweck der Wirkungsbeurteilung und Ermöglichung des Benchmarking Das Politische Über Parteipolitik hinausgehendes Feld der Entscheidungen über die Ordnung öffentlicher Angelegenheiten und des Gemeinwesens unter den Bedingungen von Macht und Interessen Daseinsvorsorge Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als nötig erachteten öffentlichen Dienstleistungen, etwa in der Gesundheit, Sicherheit oder Bildung; diese Grundversorgung umreißt die Kernaufgabe des Staates und kann im Rahmen des → Governance-Konzeptes partiell durch Unternehmen erfolgen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Bohnen, Corporate Political Responsibility (CPR), https://doi.org/10.1007/978-3-662-61538-6
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Glossar: Neue Begriffe im Kontext von CPR
Governance politische Regelsetzung bzw. Steuerungsleistung und Bereitstellung von → Kollektiv- bzw. Gemeingütern in sektorübergreifenden Kooperationen und Allianzen (im Unterschied zum staatszentrierten Konzept des government) Governance- bzw. Steuerungslücke unzureichende Erbringung von → Governance- Leistungen seitens des durch Entgrenzungsphänomene wie Globalisierung und Digitalisierung strukturell herausgeforderten, da nur eingeschränkt transnational operierenden Staates Kollektiv- bzw. Gemeingüter Güter, die durch Nichtausschließbarkeit potenzieller Nutzer und Nichtrivalität im Konsum gekennzeichnet sind, weswegen in der Regel kein Markt für sie existiert, sodass sie von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden müssen Lern- und Gravitationszentrum soziologisches Verständnis des Unternehmens als eines gesellschaftlichen Ortes, an dem Menschen einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit verbringen und dem daher wesentliche Aufgaben der Weiterbildung zukommen, auch im Hinblick auf die Bedeutung politischer Zusammenhänge für die Wirtschaftstätigkeit Mainstreaming dezentrale statt silo-artige Verankerung von CPR im Unternehmen, um eine politische Haltung in der Breite zu kultivieren, zum Instrument des internen Changemanagement zu machen und somit strategisch auszurichten Political Branding Operationalisierung von → Corporate Political Responsibility in einem Prozess, der die → politische Markenbildung (Analyse der → politischen Markendimension und Entwicklung der → politischen Marke) und → politische Markenführung (strategische Planung, Vorbereitung und Umsetzung von Maßnahmen in den → CPR-Handlungsfeldern inkl. Wirkungsmessung anhand einer → CPR-Scorecard) umfasst Politische Investition Verwendung von finanziellen, technologischen, personellen und weiteren Unternehmensressourcen zur Stärkung gesellschaftspolitischer Institutionen in der Absicht, langfristig die Standortqualität zu erhöhen und die Ertragsbasis zu sichern Politische Marke die Unternehmung in ihrer Rolle als politischer Akteur, ihrer Positionierung im öffentlichen Raum und ihrem Bezug zu verschiedenen Stakeholdern in Staat und Gesellschaft Politische Markenbildung systematische Identifizierung und Verdichtung loser politischer Markenelemente der Unternehmung (→ politische Markendimension) zu einer kohärenten → politischen Marke mithilfe der → Stärkenfilter-Methode Politische Markendimension unzusammenhängende Gesamtheit derjenigen Elemente einer Unternehmensmarke, die einen Bezug zum öffentlichen Raum bzw. zum Bereich des → Politischen aufweisen Politische Markenführung fortlaufende Entwicklung und Sicherung der Relevanz der → politischen Marke durch Maßnahmen in den → CPR-Handlungsfeldern Politische Nachhaltigkeit Ziel von CPR-Bemühungen; gesellschaftspolitisch-institutionelle Deutung des üblicherweise sozial und ökologisch verstandenen Sustainability- Konzeptes unternehmerischer Verantwortung
Glossar: Neue Begriffe im Kontext von CPR
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Politischer Nährboden die vor-ökonomischen, d. h. gesellschaftspolitischen und institutionellen Voraussetzungen für ertragreiches Wirtschaften, wie etwa Rechtsstaatlichkeit und damit Planungssicherheit, Meinungspluralismus, Toleranz, Bildung und Infrastruktur Politisches Leitbild Politisches Mission-Statement samt positionierendem Satz, welches die Identität und das Versprechen des Unternehmens als → politische Marke pointiert auf den Begriff bringt, intern wie extern Orientierung schafft und die Grundlage für politische Kommunikationsmaßnahmen bildet Public Changemanagement Erweiterung des betriebswirtschaftlichen Konzeptes des Changemanagement auf den öffentlichen Raum, wonach Unternehmen als integraler Bestandteil intersektoraler Allianzen innovative politische Erneuerungsprozesse anstoßen Responsible Lobbying Konzept verantwortlicher Interessenvertretung, nach dem Unternehmen ihre Positionen transparent und gegenüber allen Anspruchsgruppen konsistent darlegen und bei der Verfolgung partikularer Ziele das Gemeinwohl im Blick behalten Stärkenfilter-Methode Entwicklung des Markenkerns einer Unternehmung durch Sammlung von Stärken, deren Filterung anhand der 4 Kriterien „wahr zu sich selbst“, „differenzierend zum Wettbewerb“, „relevant für alle Zielgruppen“ und „gesellschaftspolitischer Mehrwert“, Bildung von Stärkenclustern und sprachliche Verdichtung in einem → Leitbild