Wettbewerbspolitik und Kartellrecht: Eine interdisziplinäre Einführung [9., überarb. Aufl.] 9783486715224

Die überarbeitete 9. Auflage berücksichtigt insbesondere die neuere Entwicklung in Brüssel und setzt sich mit dem more e

336 90 3MB

German Pages 438 [439] Year 2012

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Wettbewerbspolitik und Kartellrecht: Eine interdisziplinäre Einführung [9., überarb. Aufl.]
 9783486715224

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Wettbewerbspolitik und Kartellrecht Eine interdisziplinäre Einführung von

Prof. em. Dr. Ingo Schmidt Freie Universität Berlin

9., überarbeitete Auflage

Oldenbourg Verlag München

Kontaktadresse des Autors Prof. em. Dr. Ingo Schmidt, Helmstedter Str. 12, D-10717 Berlin, Telefon: 0049/30/85733140, Fax: 0049/30/85733141 Weitere Bücher des Verfassers Auswirkungen der Rentenreform auf die Stabilität des Geldwertes, Berlin 1961 US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, Berlin 1973 The suitability of concentration measures for EEC competition policy. Studies collection: Competition – Approximation of Legislation series No. 35, Brussels, Luxembourg 1983 (co-author Walter Piesch) Die Chicago School of Antitrust Analysis: Wettbewerbstheoretische und -politische Analyse eines Credos, Baden-Baden 1986 (Mitautor Jan B. Rittaler) A Critical Evaluation of the Chicago School of Antitrust Analysis, Studies in Industrial Organisation Bd. 9, ed. by de Jong and Shepherd, Dordrecht et al. 1989, 2nd printing 1994 (co-author Jan B. Rittaler) Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich: Die Erfassung wettbewerbsbeschränkender Strategien in Deutschland, England, Frankreich, den USA und der EG, Heidelberg 1996 (Mitautor Steffen Binder) Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle: Eine Einführung, 2. A., München 2006 (Mitautor André Schmidt)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Dr. Stefan Giesen Herstellung: Constanze Müller Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Grafik & Druck GmbH, München Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-71216-2 eISBN 978-3-486-71522-4

Aristoteles (384–322 v. Chr.) zur Bedeutung des Privateigentums für ein funktionierendes Wirtschaftssystem: „Es muß nämlich der Besitz in gewisser Weise zum Gemeingut gemacht werden, in der Hauptsache aber Privateigenthum bleiben. Denn gerade die getheilte Verwaltung wird solche gegenseitige Unzufriedenheit nicht aufkommen lassen, und es wird bei ihr Alles besser gedeihen, indem ein Jeder mit Sorgfalt für seinen eigenen Vortheil arbeitet …“ Zitiert nach Aristoteles’ Politik, hrsg. von Susemihl, Franz, Leipzig 1879, S. 169.

Friedrich der Große im Januar 1786 zur X-Ineffizienz im Monopol: „Wenn das Eisen und Stahl im Lande gemacht wird, ist das eine sehr gute Sachen; aber ein Monopolium wolte Ich nicht gerne haben, denn das hat immer einen üblen Erfolg. Der Monopolist wendet keinen rechten Fleiß und Betriebsamkeit an auf die Sache, weil er Niemanden neben sich hat, der ihm nacheifert. Daraus kommt denn, daß er seine Arbeit negligiret, und schlechte Waaren macht; Hat er aber einen neben sich, so obligiret ihm das, mehr Fleiß anzuwenden und bessere Arbeit zu machen …“ Zitiert nach Matschoss, Conrad, Friedrich der Große als Beförderer des Gewerbfleißes, Berlin 1912, S. 32.

Sir John Hicks 1935 zur Muße im Monopol: “The best of all monopoly profits is a quiet life.” Annual Survey of Economic Theory: The Theory of Monopoly, in: Econometrica 3 (1935), S. 1 ff., 8.

Aus dem Vorwort zur 5. Auflage Während 1993 bei Tuttle-Mori Agency, Inc. in Tokio eine Lizenzausgabe des Lehrbuches erschienen ist, kann nach drei Jahren die 5. überarbeitete und erweiterte Auflage vorgelegt werden, wobei die Gliederung in vier Teile beibehalten worden ist: 1. Wettbewerbstheorie als System von Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge wettbewerblicher Prozesse (incl. der Entwicklung von wettbewerbspolitischen Leitbildern bzw. Konzeptionen); 2. Wettbewerbspolitik als Ziel-Mittel-Analyse der Sicherung wettbewerblicher Prozesse durch staatliches Handeln gegenüber wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien; 3. Kartellrecht als institutionalisierte Wettbewerbspolitik und 4. kommentierte Fallentscheidungen zur exemplarischen Verdeutlichung der wettbewerbstheoretischen, wettbewerbspolitischen und wettbewerbsrechtlichen Problematik.

Vorwort zur 9. Auflage Dreißig Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage kann die überarbeitete und aktualisierte 9. Auflage vorgelegt werden, die neben einer Vielzahl kleiner Änderungen und Verbesserungen folgende wesentliche Ergänzungen gegenüber der 8. Auflage bringt, die insbesondere durch die Wende in der europäischen Wettbewerbspolitik ausgelöst worden sind: 1. Im 2. Kapitel, in welchem die Einordnung der Wettbewerbs- und Ausnahmesysteme in Ziel-Mittelsysteme behandelt wird, sind die verschiedenen Regulierungsansätze (costplus, yardstick und price-cap approach) besser herausgearbeitet worden. 2. Im 3. Kapitel, in welchem Aufbau und Inhalt des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs dargestellt werden, ist der Abschnitt über die Konkretisierung des Bedarfsmarktkonzeptes mit Hilfe der Verwendung quantitativer Tests ökonometrischer oder statistischer Art überarbeitet und ergänzt worden. Neu eingefügt worden sind quantitative Tests zur räumlichen Marktabgrenzung. 3. Im 4. Kapitel, in dem die Frage adäquater Tests behandelt wird, sind die Ausführungen zur Frage Marktmacht und Verbraucherversorgung überarbeitet worden. 4. Im 5. Kapitel, in welchem mögliche Konflikte zwischen Wettbewerb und anderen Zielsetzungen behandelt werden, ist ein Abschnitt über Kriterien für Erfolge und Misserfolge von Fusionen eingefügt worden. Die empirischen Erhebungen zeigen übereinstimmend, dass das Management sehr häufig die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung über- und die organisatorischen Probleme unterschätzt.

VIII 5.

Vorwort

Im 6. Kapitel, in welchem ein Überblick über die wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien und ihre Wirkungen gegeben wird, ist die spieltheoretische Erklärung der Stabilität von Kartellen (sog. Gefangenendilemma) eingefügt worden. Im Rahmen der Darstellung der Konzentrationsstrategie ist ein Abschnitt über Simulationsverfahren, mit denen die wettbewerbliche Situation auf einem Markt vor und nach einer Fusion verglichen werden soll, aufgenommen worden. Die Frage der wettbewerbspolitischen Adäquanz der Eingreifkriterien bei der Fusionskontrolle (Dominanztest versus SLC- bzw. SIEC-Test) ist vertieft worden. 6. Im 8. Kapitel über das deutsche Kartellrecht sind die 7. Kartellnovelle sowie die Änderung des UWG eingearbeitet worden. Ein Abschnitt über das Vergaberecht ist neu eingefügt worden. 7. Das 9. bis 12. Kapitel, in welchem die britische, französische, österreichische und Schweizer Wettbewerbspolitik behandelt worden waren, sind angesichts der überragenden Bedeutung des europäischen Wettbewerbsrechts entfallen. Die eingesparten Seiten kommen einer ausführlicheren Darstellung des GWB sowie des europäischen und US-amerikanischen Kartellrechts zu Gute. 8. Im (neuen) 9. Kapitel über die europäische Wettbewerbspolitik ist ein Abschnitt über das ökonomische und juristische Pro und Contra des „more economic approach“ eingefügt worden. Dieser Ansatz geht von einem statischen Effizienzbegriff aus, obwohl in einer dynamischen Wirtschaft Produkt- und Prozessinnovationen im Vordergrund stehen, die nur durch die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbsdruckes gesichert werden können. Posner, einer der Hauptvertreter der Chicago School, übt zudem Selbstkritik an dem Effizienzkriterium als „a matter of pure speculation flavored by hope“ (Antitrust Law, 2. Auflage, 2001, S. 133), was zu mangelnder Justitiabilität führe. In der Novelle zur europäischen FusionskontrollVO vom 1. Mai 2004 war u.a. das Dominanzkriterium durch den Significant Impediment to Effective Competition-(SIEC)Test ersetzt worden; die Unterschiede und Kriterien für die beiden zur Konkretisierung des SIEC-Tests verwendeten Ansätze: d.s. unilaterale und (faktisch) koordinierte Effekte, sind stärker herausgearbeitet worden. 9. Im 12. Kapitel mit Fallbeispielen zur Behinderungsstrategie sind der als Klassiker geltende Kopplungsfall Meto Handpreisauszeichner aufgenommen worden, ferner aus dem europäischen Kartellrecht die Fälle Microsoft und British Airways. 10. Im 13. Kapitel mit Fallbeispielen zur Konzentrationsstrategie sind bei der Darstellung der Erfassung des Ausbeutungsmissbrauches nach Art. 102 AEUV der Landmark Case Chiquita Bananen aufgenommen worden, ferner die europäischen Fusionsfälle Airtours/ First Choice und Air Lingus/Ryan Air. Der einführende Charakter des Lehrbuches ist im Hinblick auf den Umfang und einen für Studenten vertretbaren Preis beibehalten worden; zur Vertiefung sei auf die industrieökonomischen Lehrbücher von Motta (2004) sowie Bishop und Walker (2010) verwiesen, ferner auf das Handbook of Industrial Organization (Bd. 1 und 2 in 1989 bzw. Bd. 3 in 2007); zur juristischen Literatur seien Bunte, Emmerich und Rittner/Kulka (alle in 2008) sowie Wiedemann (2009) genannt. Das vorliegende Lehrbuch ist für das Hauptstudium konzipiert worden und setzt Grundkenntnisse der Preistheorie und der Wirtschaftspolitik voraus. Literatur und Rechtsprechung sind bis Herbst 2011 bei der Überarbeitung berücksichtigt worden.

Vorwort

IX

Der Verfasser dankt Herrn Dr. Kurt Stockmann, Vizepräsident des Bundeskartellamtes a.D., für kritische Durchsicht des neu eingefügten Abschnittes über das Vergaberecht im 8. Kapitel, sowie Herrn Dr. Herbert Sauter, Direktor beim Bundeskartellamt a.D., für Durchsicht des 9. Kapitels über die europäische Wettbewerbspolitik. Für kritische Anregungen und Vorschläge ist der Verfasser dankbar. Die 9. Auflage erscheint im Oldenbourg Verlag. Berlin, im Herbst 2011

Inhaltsverzeichnis Aus dem Vorwort zur 5. Auflage

VII

Vorwort zur 9. Auflage

VII

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Verzeichnis häufig verwendeter Abkürzungen

XXI XXIII

Teil 1: Der wettbewerbstheoretische Ansatz Begriff und Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

1

1. Kapitel: Die historische Entwicklung des wettbewerbspolitischen Leitbildes

3

I.

Die Begriffe Wettbewerb und wettbewerbspolitisches Leitbild ................................. 3

II. Der dynamische Wettbewerb der Klassik ................................................................... 4 1. Zum Begriff des dynamischen Wettbewerbs der Klassik ....................................... 4 2. Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkungen bei Adam Smith ........................... 4 3. Die Aufgaben des Staates bei Adam Smith ............................................................ 6 4. Die Werturteile im Wettbewerbskonzept der Klassik............................................. 6 5. Die weitere Entwicklung des Wettbewerbskonzepts der Klassik ........................... 7 III. Das neoklassische Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz und die Realisierung des sozial-ökonomischen Optimums ........................................ 7 1. Vollständige Konkurrenz und Wohlfahrtsoptimum ................................................ 7 2. Kritik an der vollständigen Konkurrenz als Leitbild .............................................. 9 IV. Workable competition als second best ...................................................................... 12 V. Effective competition als neues Leitbild .................................................................. 13 VI. Leitbilder der Wettbewerbspolitik ............................................................................ 14 1. Das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität im weiten Oligopol (Harvard School).................................................................................................. 14 a) Darstellung des Konzeptes .............................................................................. 14 b) Wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen ............................................ 16 c) Kritik an dem Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität im weiten Oligopol ........................................................................................................... 17 2. Der freie Wettbewerb der sog. Neuklassik (Austrian School).............................. 18 a) Darstellung des Konzeptes .............................................................................. 18 b) Wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen ............................................ 20 c) Kritik an dem Konzept der Neuklassik............................................................ 21

XII

Inhaltsverzeichnis 3. Das Konzept der sog. Chicago School of Antitrust Analysis ................................23 a) Darstellung des Konzeptes ...............................................................................23 b) Wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen.............................................26 aa) Eingriffe in die Marktstruktur (Konzentration) .........................................26 bb) Eingriffe in das Marktverhalten .................................................................27 c) Kritik an dem Konzept der Chicago School .....................................................28 4. Die Post-Chicago School ......................................................................................29 Übungsfragen zum 1. Kapitel ..........................................................................................31 Weiterführende Literaturhinweise zum 1. Kapitel ...........................................................32

2. Kapitel: Die Einordnung der Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche in Ziel-Mittel-Systeme I.

35

Der Zielkatalog..........................................................................................................35 1. Notwendigkeit eines wettbewerbspolitischen Zielkatalogs ..................................35 2. Die Berücksichtigung meta-ökonomischer Ziele ..................................................37 a) Gewährleistung der Handlungsfreiheit .............................................................37 b) Adäquanz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung .................................38 3. Der wettbewerbspolitische Zielkatalog.................................................................39

II. Wettbewerb als Ziel oder als Mittel mit Eigenwert? .................................................40 1. Die Konsistenz von Ziel-Mittel-Systemen............................................................40 2. Die Konsistenz der Mittel mit der politischen Grundordnung ..............................41 III. Zielkonflikte zwischen den Wettbewerbsfunktionen (Dilemmathesen)? ..................42 IV. Die Realisierung des Zielkatalogs in Ausnahme- und sektorspezifischen Bereichen ..................................................................................................................44 1. Normative Theorie der Regulierung .....................................................................44 a) Mögliche Ursachen für unerwünschte Wettbewerbsergebnisse (natürliche Ausnahmebereiche) ........................................................................44 b) Politisch gesetzte Ziele, die durch Wettbewerb nicht erreicht werden (politische Ausnahmebereiche) ........................................................................51 2. Positive Theorie der Regulierung .........................................................................51 a) Die Nachfrage nach Regulierung .....................................................................52 b) Das Angebot an Regulierung............................................................................54 3. Vergleich von normativer und positiver Theorie der Regulierung ........................54 4. Möglichkeiten und Methoden der Kontrolle von Ausnahme- und sektorspezifischen Bereichen ................................................................................55 a) Regulierung ......................................................................................................55 b) Verstaatlichung .................................................................................................57 Übungsfragen zum 2. Kapitel ..........................................................................................58 Weiterführende Literaturhinweise zum 2. Kapitel ...........................................................59

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel: Aufbau und Inhalt des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs I.

XIII 61

Möglichkeiten und Probleme einer Bestimmung des für den Wettbewerbsprozess relevanten Marktes ................................................................................................... 61 1. Das Industrie-Konzept von Alfred Marshall ........................................................ 61 2. Das Substitutions-Konzept und seine Ausprägungen........................................... 62 3. Das Konzept der Interproduktkonkurrenz ............................................................ 67 4. Das Nachfrage- und Angebotssubstitutions-Konzept .......................................... 67 5. Probleme der räumlichen und zeitlichen Marktabgrenzung................................. 68 6. Adäquanz des traditionellen Marktkonzepts im Hinblick auf die Erfassung wirtschaftlicher Macht von Konglomeraten? ....................................................... 69 7. Adäquanz des traditionellen Marktkonzepts im Hinblick auf die Erfassung des Nachfragerwettbewerbs? ............................................................................... 70

II. Der formale Aufbau des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs .......................... 71 III. Inhalt und Funktionsweise des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs ................ 77 1. Charakterisierung des Wettbewerbsprozesses ...................................................... 77 2. Tatsächlicher Wettbewerb durch Einsatz verschiedener Aktionsparameter ......... 78 a) Preiswettbewerb .............................................................................................. 79 b) Qualitätswettbewerb ........................................................................................ 80 c) Servicewettbewerb .......................................................................................... 82 d) Werbungswettbewerb ...................................................................................... 82 3. Substitutionswettbewerb ...................................................................................... 85 4. Potentieller Wettbewerb ....................................................................................... 85 5. Die Wirksamkeit der verschiedenen Formen des Wettbewerbs ........................... 90 Übungsfragen zum 3. Kapitel.......................................................................................... 91 Weiterführende Literaturhinweise zum 3. Kapitel .......................................................... 93 Teil 2: Probleme einer Umsetzung des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs in die Wettbewerbspolitik

95

4. Kapitel: Das Problem wettbewerbspolitisch und wettbewerbsrechtlich adäquater Tests

97

I.

Der performance-Test als selbständiger Wettbewerbstest im Regelfall .................... 97

II. Der Struktur- und Verhaltenstest (Marktprozessdefinition) im Regelfall ................. 98 III. Der performance-Test als hilfsweiser Wettbewerbstest ............................................ 99 IV. Der performance-Test als selbständiger Wettbewerbstest im Falle sog. Ausnahme- bzw. sektorspezifischer Bereiche ................................................. 100 V. Die Erfassung wirtschaftlicher Macht mit Hilfe der Handlungs- und Entschließungsfreiheit ............................................................................................ 100 Übungsfragen zum 4. Kapitel........................................................................................ 103 Weiterführende Literaturhinweise zum 4. Kapitel ........................................................ 103

XIV

Inhaltsverzeichnis

5. Kapitel: Konflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und anderen Zielsetzungen? I.

105

Zielkonflikt zwischen Individual- und Institutionsschutz? .....................................105

II. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer Realisierung von Kostenersparnissen? ...........................................................107 1. Darstellung von economies of scale ...................................................................109 a) Economies of scale und ihre Bedeutung für die Marktstruktur ......................109 b) Ursachen von economies of scale .................................................................. 110 c) Realisierung von economies of scale bei langfristiger Betrachtung ............... 111 d) Learning-by-doing economies ........................................................................ 113 2. Messung und Bedeutung von economies of scale .............................................. 114 a) Der cost estimation-approach ......................................................................... 114 b) Der survivor-approach.................................................................................... 117 c) Der profitability-approach .............................................................................. 118 d) Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer Realisierung von economies of scale? ............................................ 119 e) Economies of scale versus „X-Inefficiencies” ...............................................120 f) Wohlfahrtsverluste durch Monopolisierung versus Wohlfahrtsgewinne durch Kostensenkung (Williamsons „trade-off“-Analyse) .............................123 3. Transaction-cost economies ................................................................................125 4. Economies of scope ............................................................................................128 5. Die empirische Relevanz von Kostenersparnissen .............................................129 6. Kriterien für Erfolge und Misserfolge von Fusionen ..........................................132 III. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und dem technischen Fortschritt? ...................................................................................134 1. Wirkungen der Betriebs- bzw. Unternehmensgröße auf den technischen Fortschritt (Neo-Schumpeter-Hypothese I) ........................................................134 a) Argumente pro und contra Neo-Schumpeter-Hypothese I .............................134 b) Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Neo-Schumpeter- Hypothese I .......................................................................135 c) Wirkungen des technischen Fortschritts auf die Betriebs- bzw. Unternehmensgröße .......................................................................................136 2. Wirkungen der Unternehmenskonzentration bzw. der Marktstruktur auf den technischen Fortschritt (Neo-Schumpeter-Hypothese II).......................137 a) Argumente pro und contra Neo-Schumpeter-Hypothese II ............................137 b) Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Neo-Schumpeter-Hypothese II .......................................................................138 c) Wirkungen des technischen Fortschritts auf Unternehmenskonzentration bzw. Marktstruktur .........................................................................................139 IV. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit? .............................................................140 V. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und sonstigen Zielsetzungen? ........................................................................................142 VI. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die behaupteten Zielkonflikte .......................143

Inhaltsverzeichnis

XV

Übungsfragen zum 5. Kapitel........................................................................................ 144 Weiterführende Literaturhinweise zum 5. Kapitel ........................................................ 146 6. Kapitel: Überblick über die wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien und ihre Wirkungen I.

149

Zum Verhältnis von Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit ......................................... 149

II. Begriff, Arten und Ursachen der Wettbewerbsbeschränkungen ............................. 150 III. Verhandlungsstrategien und ihre wettbewerblichen Wirkungen............................. 152 1. Einleitung ........................................................................................................... 152 2. Die wichtigsten Formen der Verhandlungsstrategie und ihre wettbewerblichen Wirkungen ............................................................................ 152 a) Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen durch Kartelle und aufeinander abgestimmtes Verhalten ............................................................. 153 b) Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen durch Preisbindung und Preisempfehlung ............................................................................................ 158 IV. Behinderungsstrategien und ihre wettbewerblichen Wirkungen ............................ 160 1. Einleitung ........................................................................................................... 160 2. Die wichtigsten Formen der Behinderungsstrategie und ihre wettbewerblichen Wirkungen ............................................................................ 161 a) Boykott und Lieferverweigerung .................................................................. 161 b) Preisdifferenzierung und Preisdiskriminierung ............................................. 165 c) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen ............................................ 167 V. Konzentrationsstrategien und ihre wettbewerblichen Wirkungen .......................... 169 1. Einleitung ........................................................................................................... 169 a) Begriff der Konzentration.............................................................................. 169 b) Ursachen der Konzentration .......................................................................... 170 c) Messung der Konzentration ........................................................................... 170 d) Die wettbewerbspolitische Bedeutung des morphologischen Faktors........... 172 2. Die wichtigsten Formen der Konzentrationsstrategie und ihre wettbewerblichen Wirkungen ............................................................................ 174 a) Externes Unternehmenswachstum................................................................. 174 b) Internes Unternehmenswachstum .................................................................. 186 Übungsfragen zum 6. Kapitel........................................................................................ 191 Weiterführende Literaturhinweise zum 6. Kapitel ........................................................ 193

XVI

Inhaltsverzeichnis

Teil 3: Wettbewerbsrechtliche Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

197

7. Kapitel: Möglichkeiten der staatlichen Wettbewerbspolitik zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

199

I.

laissez-faire approach ..............................................................................................199

II. structure approach ...................................................................................................200 III. regulation approach .................................................................................................201 IV. ownership approach ................................................................................................201 V. Kombination von structure und regulation approach ..............................................202 VI. Die verschiedenen wettbewerbspolitischen Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien ..............................................................203 1. per se-rule ...........................................................................................................204 a) ex ante-Kontrolle ............................................................................................204 b) ex post-Kontrolle ............................................................................................205 2. rule of reason ......................................................................................................205 a) ex ante-Kontrolle ............................................................................................205 b) ex post-Kontrolle ............................................................................................205 3. Ädaquate Kopplung von Normen, Verfahren und Institutionen (institutional economics) ....................................................................................206 Übungsfragen zum 7. Kapitel ........................................................................................207 Weiterführende Literaturhinweise zum 7. Kapitel .........................................................208 8. Kapitel: Überblick über das deutsche Wettbewerbsrecht I.

209

Entstehungsgeschichte und Ziele des GWB ............................................................209 1. Die Entwicklung des Kartellrechts bis 1957 .......................................................209 2. Die Ziele des GWB von 1958 .............................................................................210 3. Die Novellen zum GWB .....................................................................................212

II. Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften des GWB ............................214 1. Erfassung der Verhandlungsstrategie i.S. von § 1 GWB ....................................214 a) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen ................................214 b) Kooperation ....................................................................................................215 2. Erfassung der Behinderungsstrategie..................................................................215 a) Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen i.S. von § 19 GWB .........................................................................................215 b) Boykott und Lieferverweigerung ...................................................................217 c) (Preis-)Diskriminierung .................................................................................218 d) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen .............................................219 3. Erfassung der Konzentrationsstrategie ...............................................................219 a) Marktergebniskontrolle marktbeherrschender Unternehmen .........................219 b) Fusionskontrolle .............................................................................................221 4. Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche ...............................222

Inhaltsverzeichnis

XVII

III. Die Zuständigkeiten des Bundeskartellamtes, der Landeskartellbehörden und des Bundesministers für Wirtschaft bei der Anwendung des GWB ....................... 224 IV. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften im GWB ................................................... 224 1. Bußgeldverfahren............................................................................................... 224 2. Verwaltungsverfahren ........................................................................................ 224 3. Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen ............................................ 225 V. Kartellvergaberecht ................................................................................................ 226 1. Entstehungsgeschichte und Ziele ....................................................................... 226 2. Überblick über die materiell-rechtlichen Bestimmungen im GWB ................... 226 3. Subjektiver und objektiver Anwendungsbereich................................................ 227 4. Zuständigkeiten und verfahrensrechtliche Regelungen ..................................... 227 a) Verwaltungsverfahren .................................................................................... 227 b) Private Schadensersatzklagen ........................................................................ 228 VI. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ................................................. 229 1. Entstehungsgeschichte und Ziele ....................................................................... 229 2. Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften ....................................... 230 3. Zuständigkeiten und verfahrensrechtliche Regelungen ..................................... 230 a) Strafverfahren ................................................................................................ 230 b) Verwaltungsverfahren .................................................................................... 230 c) Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen ........................................ 231 Übungsfragen zum 8. Kapitel........................................................................................ 231 Weiterführende Literaturhinweise zum 8. Kapitel ........................................................ 232 9. Kapitel: Überblick über das europäische Wettbewerbsrecht I.

239

Entstehungsgeschichte und Ziele............................................................................ 239

II. Der more economic approach ................................................................................. 241 III. Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften des EG-Vertrages............... 244 1. Erfassung der Verhandlungsstrategie i.S. von Art. 101 AEUV .......................... 244 a) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen ............................... 244 b) Kooperation ................................................................................................... 245 2. Erfassung der Behinderungsstrategie ................................................................. 250 a) Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen i.S. von Art. 102 AEUV ................................................................................. 250 b) Boykott und Lieferverweigerung .................................................................. 251 c) (Preis-)Diskriminierung ................................................................................. 252 d) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen ............................................ 252 e) Missbrauchsaufsicht: Schutz des Wettbewerbs oder Schutz von (kleineren) Wettbewerbern ............................................................................ 253 3. Erfassung der Konzentrationsstrategie ............................................................... 255 a) Marktergebniskontrolle marktbeherrschender Unternehmen ........................ 255 b) Fusionskontrolle ............................................................................................ 256 4. Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche .............................. 265 IV. Die Zuständigkeit für die Durchsetzung der europäischen Wettbewerbspolitik ..... 266

XVIII

Inhaltsverzeichnis

V. Die verfahrensrechtlichen Regelungen ...................................................................267 1. Bußgeldverfahren ...............................................................................................267 2. Verwaltungsverfahren .........................................................................................267 a) Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen ...................................267 b) Einstweilige Maßnahmen ...............................................................................267 c) Verpflichtungszusagen ...................................................................................267 d) Feststellung der Nichtanwendbarkeit .............................................................268 3. Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen .............................................268 Übungsfragen zum 9. Kapitel ........................................................................................268 Weiterführende Literaturhinweise zum 9. Kapitel .........................................................269 10. Kapitel: Überblick über das US-amerikanische Antitrustrecht I.

275

Entstehungsgeschichte und Ziele ............................................................................275

II. Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften des Antitrustrechts..............279 1. Erfassung der Verhandlungsstrategie ..................................................................279 a) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen ................................279 b) Kooperation ....................................................................................................280 2. Erfassung der Behinderungsstrategie..................................................................280 a) Das Monopolisierungsverbot des sec. 2 Sherman Act ...................................280 b) Boykott und Lieferverweigerung ...................................................................281 c) Preisdiskriminierung ......................................................................................282 d) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen .............................................283 3. Erfassung der Konzentrationsstrategie ...............................................................284 a) Marktergebniskontrolle ..................................................................................284 b) Fusionskontrolle .............................................................................................284 4. Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche ...............................286 III. Die Zuständigkeiten der Antitrust Division und der Federal Trade Commission ....287 IV. Die verfahrensrechtlichen Regelungen ...................................................................288 1. Strafverfahren (Criminal Cases) .........................................................................288 2. Verwaltungsverfahren .........................................................................................288 a) Civil Suits .......................................................................................................288 b) Administrative Proceedings ...........................................................................289 3. Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen (Private Antitrust Suits).......289 Übungsfragen zum 10. Kapitel ......................................................................................290 Weiterführende Literaturhinweise zum 10. Kapitel .......................................................291

Inhaltsverzeichnis

XIX

Teil 4: Die Erfassung von wettbewerbsbeschränkenden Strategien, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen

293

11. Kapitel: Die wettbewerbspolitische Erfassung der Verhandlungsstrategie, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen

295

I.

Einleitung ............................................................................................................... 295

II. Die ökonomische und rechtliche Relevanz des Kartellverbots............................... 295 1. Der Vertragsbegriff in § 1 GWB ........................................................................ 296 2. Der Unternehmensbegriff im GWB ................................................................... 301 3. Das Verhältnis von Wettbewerbsbeschränkung zu Vertrag und Beschluss in § 1 GWB a. F. vor 1999 ................................................................................. 303 III. Das Verbot vertikaler Absprachen in § 14 GWB a. F. ............................................ 309 IV. Zur wettbewerbspolitisch adäquaten Erfassung der Verhandlungsstrategie ........... 309 Übungsfragen zum 11. Kapitel ...................................................................................... 310 Weiterführende Literaturhinweise zum 11. Kapitel....................................................... 311 12. Kapitel: Die wettbewerbspolitische Erfassung der Behinderungsstrategie, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen I.

313

Einleitung ............................................................................................................... 313

II. Der Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen........................ 313 III. Boykott und Lieferverweigerung ........................................................................... 323 1. Veranlassung zur Liefer- oder Bezugssperre ...................................................... 323 2. Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung ...................................... 324 3. Liefer- und Bezugsverweigerung zur Beschränkung der Vertriebswege ........... 326 IV. Preisdiskriminierung .............................................................................................. 330 1. Der Schutz des Wettbewerbs auf der Verkäuferebene ........................................ 331 2. Der Schutz des Wettbewerbs auf der Käuferebene ............................................ 335 a) Veranlassung durch die Verkäufer (Anbietermacht) ...................................... 335 b) Veranlassung durch die Käufer (Nachfragermacht)....................................... 338 V. Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen ..................................................... 340 VI. Zur wettbewerbspolitisch adäquaten Erfassung der Behinderungsstrategie ........... 347 1. Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen ................. 347 2. Boykott und Lieferverweigerung ....................................................................... 348 3. Preisdiskriminierung .......................................................................................... 349 4. Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen ................................................. 350 Übungsfragen zum 12. Kapitel...................................................................................... 351 Weiterführende Literaturhinweise zum 12. Kapitel ...................................................... 352

XX

Inhaltsverzeichnis

13. Kapitel: Die wettbewerbspolitische Erfassung der Konzentrationsstrategie, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen I.

353

Einleitung ................................................................................................................353

II. Der Ausbeutungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen ..........................354 III. Erfassung des externen Unternehmenswachstums ..................................................363 1. Horizontale Zusammenschlüsse .........................................................................364 2. Vertikale Zusammenschlüsse ..............................................................................376 3. Konglomerate Zusammenschlüsse .....................................................................382 IV. Zur wettbewerbspolitisch adäquaten Erfassung der Konzentrationsstrategie .........384 1. Erfassung des Ausbeutungsmissbrauchs .............................................................385 2. Erfassung des externen Unternehmenswachstums .............................................386 Übungsfragen zum 13. Kapitel ......................................................................................390 Weiterführende Literaturhinweise zum 13. Kapitel .......................................................390 Anlage 1: Überblick über die wichtigsten materiell-rechtlichen Vorschriften des amerikanischen und europäischen Kartellrechts

393

Anlage 2: Anschriften der Kartellbehörden

399

Register der zitierten Fälle

401

Autorenregister

405

Sachregister

411

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3:

Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6:

Preisbildung im natürlichen Monopol ............................................................. 45 Systematisierung von Informationsproblemen ................................................ 50 Anreize zu politischer Einflussnahme ............................................................. 53 Ansätze zur Bestimmung des relevanten Marktes ........................................... 71 Formaler Aufbau des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs ...................... 76 economies of scale bei unterschiedlichen Produktionsfunktionen ................ 109 Ursachen von economies of scale .................................................................. 112 economies of scale bei langfristiger Betrachtung .......................................... 113 Lernkosteneffekte bei kumuliertem Output im Zeitablauf ............................ 113 Verlauf einer typischen Industrie-Kostenkurve ............................................. 119 Tatsächliche und minimale DTKs (= X-inefficiency) ................................... 121 economies of scale versus X-inefficiency ..................................................... 122 Williamsons „trade-off“-Modell .................................................................... 124 Überblick über wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien............................. 151 Schema der Konzentrationsursachen ............................................................. 170 Konzentrationskurve ..................................................................................... 172 Übersicht über die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen i.S. des § 19 GWB .................................................................. 217 Übersicht über das Fusionskontrollverfahren gem. §§ 35–43 GWB ............. 220 Übersicht über das EG-Fusionskontrollverfahren ......................................... 259 Überblick über die Wettbewerbskonzepte der Chicago, der Harvard und der Austrian School ......................................................................................... 30 Mögliche Gruppierung der Wettbewerbsfunktionen bzw. Zielkomplexe ........ 40 Übersicht über typische Zusammenhänge zwischen Marktphase und Unternehmertypus, Marktform und Marktzutrittsschranken, Aktionsparametern, Gewinnraten und wettbewerbspolitischen Maßnahmen .... 79 Synopsis der privaten und staatlichen Marktzutritts- bzw. Marktaustrittsschranken .................................................................................. 87 The Number of MOS Plants Compatible with Domestic Consumption in the Six Nations, circa 1967........................................................................ 115 Ausmaß von Betriebsgrößenvorteilen und Anbieterkonzentration in 18 Branchen................................................................................................... 116

XXII Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13:

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Investitionsspezifität, Transaktionshäufigkeit und Koordinationsstruktur .... 127 Synopsis der Größen-Kostenvorteile und -nachteile bei externem bzw. internem Unternehmenswachstum ................................................................. 133 Gefangenendilemma ..................................................................................... 155 Formen der Konglomerate ............................................................................ 182 Synopsis von Zusammenschlussformen und -motiven sowie Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Kosten ..................................... 184 Überblick über wettbewerbspolitische Kontrollansätze ................................ 206 Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche ......................... 223

Verzeichnis häufig verwendeter Abkürzungen AB ABl

= The Antitrust Bulletin = Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften bzw. ab 2003 (Nizza) der Europäischen Union AER = The American Economic Review BB = Der Betriebs-Berater BTDr = Bundestagsdrucksache CCH = Commerce Clearing House DB = Der Betrieb ECLR = European Competition Law Review EJ = Economic Journal GRUR = Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht HdSW = Handwörterbuch der Sozialwissenschaften HdWW = Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften JbNSt = Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik JbSozW = Jahrbuch für Sozialwissenschaften JEL = Journal of Economic Literature JIE = Journal of Industrial Economics JLE = Journal of Law and Economics JPolE = The Journal of Political Economy MA = Der Markenartikel MK = Monopolkommission NJW = Neue Juristische Wochenschrift RevESt = The Review of Economics and Statistics RIW = Recht der Internationalen Wirtschaft WiSt = Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wisu = das wirtschaftsstudium WRP = Wettbewerb in Recht und Praxis WuW = Wirtschaft und Wettbewerb ZfB = Zeitschrift für Betriebswirtschaft ZfGSt = Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft ZHR = Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZWeR = Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

Teil 1: Der wettbewerbstheoretische Ansatz Begriff und Konzept eines wirksamen Wettbewerbs In Teil 1 wird einleitend ein historischer Abriss der Entwicklung des Wettbewerbsbegriffs gegeben (Kap. 1). Nach diesem historischen Exkurs sollen vier in der Leitbilddiskussion kontroverse Problemkreise erörtert werden. Dazu gehören die Fragen nach den Aufgaben des Wettbewerbs (Zielkatalog), dem Charakter des Wettbewerbs als Instrument oder letztes Ziel, der Möglichkeit von Zielkonflikten zwischen den Wettbewerbsfunktionen (sog. Dilemmathesen) sowie der Abgrenzung von Wettbewerbs- und Ausnahmebereichen (Kap. 2). Abschließend sollen Inhalt und Aufbau des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs aufgezeigt werden (Kap. 3).

1. Kapitel:

I.

Die historische Entwicklung des wettbewerbspolitischen Leitbildes1

Die Begriffe Wettbewerb und wettbewerbspolitisches Leitbild

Der Begriff Wettbewerb (synonym Konkurrenz) wird in den Wirtschaftswissenschaften häufig verwendet, ohne dass er klar definiert wird. Der Versuch einer positiven Definition begegnet einerseits der Schwierigkeit, dass Wettbewerb ein sehr vielschichtiges Phänomen ist, das sich angesichts seiner Bedeutungsvielfalt nur unter Inkaufnahme eines hohen Abstraktionsgrades in allgemein gültiger Form erfassen lässt. Andererseits setzt rationale Wettbewerbspolitik eine klare und widerspruchsfreie Vorstellung von dem voraus, was Wettbewerb ist. Die Wettbewerbsdefinition sollte zudem die Feststellung eines „Mehr“ oder „Weniger“ an Wettbewerb erlauben, d.h., Wettbewerb sollte zumindest qualitativ (im Idealfall quantitativ) gemessen werden können. Wir wollen Wettbewerb – im Sinne einer vorläufigen und im Einzelfall ergänzungsbedürftigen Arbeitshypothese – als das Streben von zwei oder mehr Personen bzw. Gruppen nach einem Ziel verstehen, wobei der höhere Zielerreichungsgrad des einen i.d.R. einen geringeren Zielerreichungsgrad des(r) anderen bedingt (z.B. sportlicher, kultureller oder wirtschaftlicher Wettkampf).2 Überträgt man diese sehr allgemein gefasste Wettbewerbsvorstellung auf das Wirtschaftsleben, so ist Wettbewerb begrifflich durch folgende Merkmale charakterisiert: • •

Existenz von Märkten mit mindestens zwei Anbietern oder Nachfragern,

1

Die hier skizzierte Entwicklung darf allerdings nicht so verstanden werden, als ob die einzelnen Entwicklungsstufen strikt aufeinander folgten, vielmehr haben sich die einzelnen Stufen teilweise überschnitten. Vgl. dazu Herdzina, Klaus, Zur historischen Entwicklung der Wettbewerbstheorie, in: Wettbewerbstheorie, hrsg. von Herdzina, Klaus, Köln 1975, S. 15 ff. Von einer ähnlichen, häufig zitierten Wettbewerbsvorstellung sind bereits Borchardt, K., und W. Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkungen, Marktbeherrschung, Stuttgart 1957, S. 15, ausgegangen: „Wirtschaftlicher Wettbewerb ist das selbständige Streben sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager (Mitbewerber) nach Geschäftsverbindung mit Dritten (Kunden) durch in Aussicht stellen möglichst günstiger Geschäftsbedingungen.“ Statisch betrachtet stellt sich Wettbewerb in dieser Sicht als Nullsummenspiel dar: eine Person kann ihren Zielerreichungsgrad nur erhöhen, wenn sich gleichzeitig der Zielerreichungsgrad mindestens einer anderen Person verringert. In dynamischer Sicht kann der Wettbewerb jedoch auch zu einem Positivsummenspiel werden, wenn er zu Wachstum führt.

2

4

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder



die sich antagonistisch (Gegenteil: synagonistisch bzw. kooperativ) verhalten, d.h., durch Einsatz eines oder mehrerer Aktionsparameter ihren Zielerreichungsgrad zu Lasten anderer Wirtschaftssubjekte verbessern wollen.3 Der so skizzierte Wettbewerb muss inhaltlich ausgefüllt werden. Dazu sind in der Literatur wettbewerbspolitische Leitbilder bzw. Konzeptionen entwickelt worden, worunter ein geschlossener und in sich widerspruchsfreier Zusammenhang von wettbewerbspolitischen Zielen sowie zielkonformen Instrumenten und Trägern der Wettbewerbspolitik zu verstehen ist.

II.

Der dynamische Wettbewerb der Klassik

1.

Zum Begriff des dynamischen Wettbewerbs der Klassik

Adam Smith und die klassische Schule der Nationalökonomie benutzen das Wettbewerbssystem vorwiegend zum „Angriff gegen die feudal-merkantilistischen Fesseln der Wirtschaftsfreiheit“ (Wilhelm Röpke). Die Bevormundung des einzelnen Bürgers durch die Wirtschaftspolitik des Merkantilismus wird abgelehnt und stattdessen die Gewährleistung der Handlungsfreiheit von Unternehmen und Haushalten gefordert. Dieser Protest gegen altüberkommene Anschauungen, Normen und Institutionen wird heute als wirtschaftlicher Liberalismus bezeichnet. Liberalismus ist kein einheitlich verwendeter Begriff; der Liberalismus französischer und angelsächsischer Prägung unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Deutung des Begriffs der Freiheit. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Freiheitsansätzen, der implizit auch eine Rolle in der wettbewerbstheoretischen Diskussion spielt, kann darin gesehen werden, dass der rationalistische Liberalismus französischer Prägung (Voltaire, Rousseau u.a.) auf die natürliche Gleichheit der Individuen abstellt, die in einem rationalen Staat zusammengefasst sind, während der Liberalismus angelsächsischer Prägung (Smith u.a.) die individuelle Freiheit gegenüber dem Staat vertritt. Die britische Vorstellung von Liberalismus kann daher mit dem Begriff der spontanen Ordnung, die französische mit dem des konstruktivistischen Rationalismus verbunden werden.4

2.

Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkungen bei Adam Smith

Das klassische „System der wirtschaftlichen Freiheit“ lässt sich charakterisieren als die Freiheit zum Wettbewerb unter Konkurrenten, d.h. Freiheit für vorstoßende und nachahmende Wettbewerbshandlungen, sowie Wahlfreiheit der Konsumenten, unter den von der Marktgegenseite gebotenen Alternativen zu wählen. Der Wettbewerb, wie ihn die Klassiker verstanden haben, ist ein dynamischer Prozess aus Aktion und Reaktion, der jedem Marktteilnehmer einen begrenzten Freiheitsbereich gibt. Das Ausnutzen der Wettbewerbsfreiheit unter Verfolgung des Eigeninteresses führt über den Marktmechanismus dazu, dass jedes Wirtschaftssubjekt das erhält, was ihm nach seiner Leistung für den Markt zusteht. Durch das freie Spiel der Kräfte entsteht wie durch eine „invisible hand“ eine allgemeine Harmonie 3 4

Damit ist eine Komplementarität von Anreiz- und Ordnungsfunktion gegeben, die im sog. sozialistischen Wettbewerb fehlt. Vgl. Hayek, F. A. von, Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung, in: ORDO 17 (1967), S. 11 ff., insbes. S. 11–14.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

5

der Interessen, die durch den Eingriff des Staates nur gestört werden kann. Das klassische Wettbewerbskonzept lässt sich daher als Koordinationsprozess ohne staatliche Lenkung verstehen, d.h. als ein System nicht-autoritärer sozialer Kontrolle mit finanziellen Sanktionen (Hans Albert). Smith hat den Begriff der Konkurrenz i.S. einer Wettkampfrivalität gebraucht, die von mehreren implizit oder explizit genannten Wettbewerbsbedingungen abhängt:5 • • • •

Unabhängiges Handeln der Wirtschaftssubjekte, d.h. keine Absprachen (Kartelle); ausreichend große Zahl potentieller und tatsächlicher Wettbewerber, um außergewöhnliche Gewinne zu eliminieren; ausreichendes Wissen über die Marktverhältnisse (Marktinformation) sowie ausreichende Zeit für notwendige Anpassungsvorgänge bei der Faktorallokation.

Die von Smith untersuchten Wettbewerbsbeschränkungen beziehen sich vorrangig auf die merkantilistische Wirtschaftspolitik. Hierbei stehen Marktzutrittsschranken, die durch das Zunftwesen begründet und durch Gesetze abgesichert sind, im Vordergrund. Zu nennen sind die Regelung der Lehrzeit, die Begrenzung der Zahl der Auszubildenden in einem Gewerbe sowie die Bestimmungen für den Marktzutritt und den Marktaustritt in Handwerksberufen. Smith untersucht jedoch auch Preisabsprachen, die nicht durch staatliche Maßnahmen abgesichert sind, was ein berühmtes Zitat belegt:6 “People of the same trade seldom meet together, even for merriment and diversion, but the conversation ends in a conspiracy against the public, or in some contrivance to raise prices.” Das Einräumen einer dauerhaften Monopolstellung wird von Smith als unzulässiger Eingriff in die natürliche Freiheit der Individuen, verbunden mit einem beträchtlichen Wohlfahrtsverlust gesehen. Ein Monopol behindere das Wachstum der Wirtschaft und verschaffe dem Monopolisten eine größere Profitrate. In diesem Zusammenhang weist Smith bereits darauf hin, dass das Monopol insbesondere eine gute Geschäftsführung verhindere, womit er gedanklich die Argumentation der X-Ineffizienz vorwegnimmt.7 Zeitlich begrenzte Monopolstellungen hält Smith als Äquivalent für verdienstvolle Pionierarbeit bei Handelsbeziehungen mit fremden Staaten für gerechtfertigt:8 “When a company of merchants undertake, at their own risk and expense, to establish a new trade with some remote and barbarous nation, it may not be unreasonable to incorporate them into a joint stock company, and to grant them, in case of their success, a monopoly of the trade for a certain number of years. It is the easiest and most natural way in which the state can recompense them for hazarding a dangerous and expensive experiment, of which the public is afterwards to reap the benefit. A temporary monopoly of this kind may be vindicated upon the same principles upon which a like monopoly of a new machine is granted to its inventor, and that of a new book to its author.”

5 6 7 8

Vgl. Stigler, G.J., Die vollständige Konkurrenz im historischen Rückblick, in: Wettbewerbstheorie, hrsg. von Herdzina, op. cit., S. 30 ff., 31 f. Smith, Adam, An Inquiry Into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Chicago u.a. 1952, S. 55. Vgl. Smith, op. cit., S. 63. Smith, op. cit., S. 329 (Hervorhebung durch Verfasser).

6

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Nach einer vereinbarten Frist seien jedoch die staatlichen Aufsichtsorgane verpflichtet, die rechtlichen Rahmenbedingungen auf dem von dem Monopol beherrschten Markt so zu ändern, dass ein freier Wettbewerb möglich werde.

3.

Die Aufgaben des Staates bei Adam Smith

Nach Smith hat der Staat drei Aufgaben:9 •

Die Pflicht, das Gemeinwesen gegen Gewalt und Invasion anderer Staaten zu schützen (Verteidigungspolitik); • die Pflicht, jedes Mitglied der Gesellschaft – soweit wie möglich – vor Ungerechtigkeiten oder Unterdrückung durch andere Mitglieder der Gesellschaft zu schützen und daher eine funktionsfähige Rechtsordnung zu etablieren, sowie • die Pflicht, eine bestimmte Infrastruktur bereitzustellen, die privat mangels Gewinnmöglichkeiten nicht bereitgestellt werden würde. Im Rahmen einer solchen Rechtsordnung sei jedermann frei, seine eigenen Interessen zu verfolgen und sein Kapital im Wettbewerb einzusetzen.10 Obwohl Smith die Gefahren von Preisabsprachen sieht, fordert er kein Kartellverbot:11 “It is impossible indeed to prevent such meetings, by any law which either could be executed, or would be consistent with liberty and justice. But though the law cannot hinder people of the same trade from sometimes assembling together, it ought to do nothing to facilitate such assemblies, much less to render them necessary.”

4.

Die Werturteile im Wettbewerbskonzept der Klassik

Das klassische Wettbewerbsprinzip geht von mehreren Wertungen aus, so dass der Wettbewerb nur insoweit als Leitbild der Wirtschaftspolitik fungieren kann, als diese Werturteile akzeptiert werden: •





9 10 11

Bei Konsumentensouveränität sind nur diejenigen Ziele anzustreben, die dem tatsächlichen Bedarf der einzelnen Wirtschaftssubjekte entsprechen. Mit dem Ziel der maximalen Bedürfnisbefriedigung sind z.B. eine aus Gründen des nationalen Prestiges betriebene Weltraumforschung oder ein maximales wirtschaftliches Wachstum auf Kosten der lebenden Generation nicht zu vereinbaren, wenn diese Zielsetzungen von den Mitgliedern der betreffenden Nation nicht erstrebt werden. Die Bedarfsbefriedigung soll mit Hilfe eines dezentralen Lenkungsmechanismus erreicht werden, d.h., die Steuerung soll durch die Summe der einzelnen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte über den Markt erfolgen (und nicht über andere wirtschaftspolitische Koordinationsmechanismen). Der marktwirtschaftliche Wettbewerbsprozess bringt eine Verteilung des Sozialproduktes nach dem Leistungsprinzip (funktionelle Einkommensverteilung gemäß der Grenzproduktivitätstheorie) hervor. Die Bewertung der Leistung erfolgt also über den Markt;

Vgl. Smith, op. cit., S. 300. Vgl. Smith, op. cit., S. 300. Smith, op. cit., S. 55.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

7

sie kann allerdings durch Umverteilungsmaßnahmen des Staates korrigiert werden, die sich von anderen Vorstellungen als der Leistungsgerechtigkeit leiten lassen (z.B. Bedarfsgerechtigkeit).

5.

Die weitere Entwicklung des Wettbewerbskonzepts der Klassik

Da die Klassiker es unterließen, die Bedingungen, unter denen der Wettbewerb die gewünschte Harmonie der Interessen herbeiführen kann, im Einzelnen aufzuzeigen, wurde in der Folgezeit versucht herauszuarbeiten, wann der Wettbewerb totale Übereinstimmung von Einzel- und Gesamtinteressen hervorbringt. Das Ergebnis war das Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz. Die Bewegung auf einen Gleichgewichtszustand hin, die Smith betonte, wurde zu einem Modell der vollständigen Konkurrenz umgedeutet, das die Bedingungen zum Einhalten dieses gegebenen Zustandes in den Vordergrund stellte. Die ursprüngliche dynamische Analyse wurde von der statischen Betrachtungsweise abgelöst. Die wohlfahrtstheoretischen Folgerungen, die an das klassische Konzept des freien Wettbewerbs geknüpft wurden, führten zur Erarbeitung der Voraussetzungen des stationären Gleichgewichtsmodells der vollständigen Konkurrenz und damit zu einer weitgehenden Preisgabe der ursprünglichen wirtschaftsphilosophischen Basis. „Die Idee des wirtschaftlichen Wohlstandes wurde von der Idee der Freiheit abgetrennt und auf diese Weise gewissermaßen verselbständigt. Das war die Geburtsstunde der reinen Ökonomie“ (Erich Hoppmann).

III. Das neoklassische Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz und die Realisierung des sozial-ökonomischen Optimums 1.

Vollständige Konkurrenz und Wohlfahrtsoptimum12

Das stationäre Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz (synonym vollständiger oder vollkommener Wettbewerb), welches die behauptete Harmonie von Einzel- und Gesamtinteressen gewährleistet, fußt auf zwei Gruppen von Annahmen: dem stationären Zustand der Wirtschaft und den Merkmalen der vollständigen Konkurrenz. Die Voraussetzungen dieses Modells sollen im Folgenden skizziert werden, da bei der Darstellung des Konzeptes eines wirksamen Wettbewerbs auf die dabei aufzulösenden Bedingungen Bezug genommen wird. Stationärer Zustand der Wirtschaft (1) Gegebene Technik und damit gegebene Produktions- und Kostenfunktion, so dass von der dynamischen Effizienz i.S. von Produkt- und Prozessinnovationen abstrahiert wird. (2) Gegebene Bevölkerung und Ausstattung mit Produktionsfaktoren. (3) Gegebene Güterpalette und Bedürfnisstruktur. 12

Zur Frage von vollständiger Konkurrenz und Wohlfahrtsoptimum vgl. Fees, Eberhard, Mikroökonomie: Eine spieltheoretisch- und anwendungsorientierte Einführung, 3. Aufl., Marburg 2004, Kap. 14.

8

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Merkmale der vollständigen Konkurrenz (1) Marktstruktur i.w.S. • • • • • • • •

Unternehmer und Verbraucher verhalten sich rational i.S. der Gewinn- und Nutzenmaximierung; der Preisbildungsprozess wird auch durch traditionelle Verhaltensweisen nicht gehemmt. Es bestehen keine sachlichen, persönlichen, räumlichen oder zeitlichen Präferenzen der Anbieter oder Nachfrager; die Güter sind daher homogen. Es bestehen keine Friktionen auf dem Markt, d.h. völlige Transparenz des Marktes, völlige Voraussicht der Marktteilnehmer, volle Teilbarkeit und Beweglichkeit der Produktionsfaktoren und produzierten Güter. Es fehlen rechtliche oder tatsächliche Zutrittsbeschränkungen für Anbieter und Nachfrager. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Verhaltensänderung von Anbietern und Nachfragern auf Änderung der Marktdaten ist unendlich groß. Es erfolgen keine Eingriffe in den freien Preisbildungsprozess durch den Staat (z.B. Preiskontrollen) oder die Wirtschaftssubjekte (z.B. Kartelle). Externe Ersparnisse oder Verluste (Pigou) sind ausgeklammert bzw. werden marktwirtschaftlich abgegolten; von Transaktionskosten (z.B. bei der Aushandlung oder Durchsetzung von Verträgen) oder Skaleneffekten wird abstrahiert. Die Zahl der Anbieter und Nachfrager ist sehr groß; es besteht ein atomistischer Markt.

(2) Marktverhalten Anbieter und Nachfrager können aufgrund ihres geringen Marktanteils durch ihr Verhalten den Preis nicht beeinflussen; sie verhalten sich daher als Mengenanpasser (Preis = Datum, Menge = Aktionsparameter). (3) Marktergebnis Im Modell des totalen Konkurrenzgleichgewichts determiniert die Marktstruktur in obigem Sinne das Marktverhalten und zugleich das Marktergebnis: •

Die Haushalte erreichen ihr Nutzenmaximum, da die Grenzrate der Substitution absolut dem umgekehrten Preisverhältnis der Güter (p1, p2, …) gleich wird; die Verteilung der Güter (q1, q2, …) zwischen den Haushalten (A, B, …) ist Pareto-optimal, da die Grenzraten der Substitution für alle Haushalte gleich werden (Tauschoptimum): dq2A dq B p = 2B = 1 A dq1 dq1 p2



Die Unternehmen produzieren mit minimalen Kosten, da die Grenzrate der Faktorsubstitution absolut dem umgekehrten Faktorpreisverhältnis (l1, l2, …) gleich wird; die Produktionsfaktoren werden daher entsprechend ihrer Grenzproduktivität entlohnt. Da die Haushalte Anbieter der Faktoren sind, ergibt sich daraus eine leistungsgerechte Einkommensverteilung.13 Außerdem ist die Faktorallokation (v1, v2, …) zwischen den Unternehmen (A, B, …) Pareto-optimal, da die Grenzraten der Faktorsubstitution für alle Unternehmen gleich werden (Produktionsoptimum):

13

Eine marktleistungsgerechte Einkommensverteilung wird nach vorherrschendem Werturteil zumindest als bestmögliche Ausgangsbasis für staatliche Umverteilungsmaßnahmen angesehen.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

9

dv2A dv B l = 2B = 1 A dv1 dv1 l2



Das Marktgleichgewicht im Sinne einer Angebotssteuerung gemäß den Käuferpräferenzen wird erreicht, wenn die Grenzrate der Transformation der angebotenen Güter (qU) gleich wird der Grenzrate der Substitution der nachgefragten Güter (qH) und diese absolut gleich dem umgekehrten Preisverhältnis der Güter ist (optimum optimorum): U

dq 2

U dq1

H

=

dq 2

H dq1

=

p1 p2

Wenn die Voraussetzungen der vollständigen Konkurrenz auf allen Güter- und Faktormärkten vorliegen, ergibt sich ein allgemeines Gleichgewicht, das durch eine marktleistungsgerechte Einkommensverteilung (d.h. Vermeidung von Monopolgewinnen), optimale Faktorallokation und Angebotssteuerung gemäß den Käuferpräferenzen charakterisiert ist. Die effiziente Faktorallokation impliziert einen pareto-optimalen Zustand, in welchem kein Individuum besser gestellt werden kann, ohne dass gleichzeitig zumindest ein anderes Individuum schlechter gestellt wird. Diese Gleichsetzung von vollständiger Konkurrenz und allokativer Effizienz war ursächlich dafür, dass die vollständige Konkurrenz lange Zeit als Leitbild der Wettbewerbspolitik angesehen wurde; dieser Leitbildcharakter ist jedoch insbesondere nach dem 2. Weltkrieg unter dem Einfluss der Schumpeterschen Thesen zunehmend angezweifelt worden. Die vollständige Konkurrenz wird daher nur noch in Teilbereichen (z.B. in der Wohlfahrtsökonomik) als Referenzsituation benutzt; auch die Vertreter der mathematisch orientierten VWL arbeiten nach wie vor mit diesem aus ökonomischer Sicht eigentlich überholten Modell.

2.

Kritik an der vollständigen Konkurrenz als Leitbild

Selbst wenn vollkommener Wettbewerb in allen Bereichen herstellbar (oder im Konkurrenzsozialismus simulierbar) wäre, kann das Pareto-Optimum aus einer Reihe von Gründen nicht als Leitbild der Wettbewerbspolitik dienen; die wichtigsten Gründe dafür sind: (1) Zielkonflikte zwischen atomistischer Konkurrenz und economies of scale. (2) Zielkonflikte zwischen Vollständigkeit der Konkurrenz i.S. der Homogenitätsbedingung und Notwendigkeit einer gewissen Produktdifferenzierung im Interesse der Befriedigung differenzierter Verbraucherwünsche. (3) Mangelnde Anreizwirkung, da bei vollständigem Wettbewerb der Preis (Datum) und die Qualität (Homogenitätsbedingung) als Aktionsparameter ausscheiden. Im Modell des vollkommenen Wettbewerbs sind Marktverhalten und Marktergebnis eindeutig determiniert, so dass keine Wettbewerbsfreiheit mehr herrscht, was John Maurice Clark zu folgender Feststellung veranlasste:14 “This would reduce economic freedom to a paradox, since the meaning of freedom resides in a margin of discretion in choosing one’s course of action.” 14

Clark, J.M., Competition: Static Models and Dynamic Aspects, in: AER 45 (1955), S. 450 ff., 456.

10

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

(4) Die vollständige Konkurrenz geht von einer gegebenen Zahl von Betrieben und Produkten sowie gegebenen Produktionsverfahren und Arten von Produktionsfaktoren aus, so dass Fragen der dynamischen Effizienz ausgeklammert werden.15 Es handelt sich bei der vollständigen Konkurrenz um ein statisches, atemporales Modell, bei dem nur die allokative und produktive Effizienz gewährleistet sind. Das Modell der vollständigen Konkurrenz vermag daher angesichts seines restriktiven Charakters keine Erklärung der evolutorischen Entwicklung der Wirtschaft zu geben. Wilhelm Röpke hat das Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz und seine Bedeutung für die Wettbewerbspolitik wie folgt kritisiert:16 „Die modernen Bemühungen, den Begriff einer möglichst reinen oder vollkommenen Konkurrenz zu entwickeln, haben nicht nur dazu geführt, ihn in einem theoretischen Perfektionismus von Bedingungen abhängig zu machen, von denen von vornherein feststeht, dass sie in der wirtschaftlichen Wirklichkeit kaum anzutreffen sind. Noch ernster ist vielmehr der Umstand, dass im Modell des vollkommenen Wettbewerbs das Wesen des Wettbewerbs als eines dynamischen Prozesses geradezu eliminiert wird, und gerade dieser ist es, auf den sich die Argumente zugunsten des Wettbewerbs und des Konkurrenzsystems stützen.“ Nachdem die Neoklassik im Interesse der Herausarbeitung der exakten Voraussetzungen eines sozial-ökonomischen Optimums den freien Wettbewerb der Klassik in das ProkrustesBett einer Vielzahl von irrealen Voraussetzungen gepresst hatte, bemühte man sich bereits in den 20er und 30er Jahren, ihn aus diesen Zwängen zu befreien. Der Beginn der „preistheoretischen Revolution“ wird in dem Aufsatz von Piero Sraffa „Die Ertragsgesetze unter Wettbewerbsbedingungen“ aus dem Jahre 1926 gesehen, in welchem er die Nichtkompatibilität von vollständiger Konkurrenz und steigenden Skalenerträgen aufzeigte. Wenn die Produktionsfunktionen durch steigende Skalenerträge (und damit sinkende Durchschnittskosten) gekennzeichnet sind, dann sind zur Wohlfahrtsmaximierung Großunternehmen erforderlich. Diese sind jedoch nicht in dem Maße dem Wettbewerb ausgesetzt wie kleine Unternehmen, so dass die Gefahr besteht, dass an sich mögliche Kostenvorteile nicht realisiert oder nicht an die folgende Wirtschaftsstufe weitergegeben werden (Dilemmathese). Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt Sraffas an der bisherigen Theorie war die Aufspaltung des Gesamtmarktes („general market“) in eine Reihe von Teilmärkten („particular markets“); diese entstehen durch Kundenpräferenzen, die aus einer Vielzahl von Gründen resultieren können. Ist ein Unternehmen auf einem derartigen Teilmarkt tätig, so ist es auf diesem Monopolist. Das Modell der vollkommenen Konkurrenz ist für eine Erklärung dieser Erscheinung ungeeignet, woraus Sraffa folgenden Schluss zieht:17 “It is necessary, therefore, to abandon the path of free competition and to turn in the opposite direction, namely, towards monopoly.”

15 16 17

Vgl. Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle, Frankfurt am Main 2006, S. 12–19. Röpke, Wilhelm, Art. Wettbewerb (II), in: HdSW 12. Bd., Stuttgart u.a. 1965, S. 29 ff., 33. Sraffa, P., Die Ertragsgesetze unter Wettbewerbsbedingungen, in: Wettbewerb und Monopol, hrsg. von Barnikel, Hans-Heinrich, Darmstadt 1968, S. 14 ff.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

11

Joan Robinson und Edward H. Chamberlin bauen auf Sraffas Thesen auf und stellen unabhängig voneinander, jedoch zur gleichen Zeit (1933) ihre Theorie des „imperfect competition“ bzw. des „monopolistic competition“ auf.18 Nach Robinson stehen einerseits alle Konsumgüter in totaler Konkurrenz um die Kaufkraft der Konsumenten und bilden insofern eine Substitutionskette. Diese ist durch sog. Substitutionslücken unterbrochen, wenn die Substitutionsmöglichkeiten innerhalb einer Gruppe von Gütern größer sind als zwischen Gütern dieser Gruppe und anderen (Vorläufer des Konzeptes eines relevanten Marktes). Jeder individuelle Produzent hat infolge von Marktunvollkommenheiten (Präferenzen) das Monopol über seine eigene Ausbringungsmenge („world of monopolies“). Erst wenn eine große Anzahl von Anbietern auf einem vollkommenen (präferenzlosen) Markt verkauft, existiert die Situation, die als „perfect competition“ bezeichnet wird. Da diese Situation aber wegen einer Fülle von Marktunvollkommenheiten nicht erreicht wird, ist „imperfect competition“ der Regelfall. Ausgangspunkt der Theorie Chamberlins ist der mit Robinsons „perfect competition“ identische „pure competition“. Von „monopolistic competition“ spricht er, wenn die Güter heterogen sind, also Präferenzen existieren. Der auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Terminus „monopolistic competition“ ist so zu interpretieren, dass trotz monopolistischer Tendenzen noch Wettbewerb bestehen kann. Bei heterogenen Gütern besitzt jeder Anbieter seinen eigenen Teilmarkt, auf dem er sein Gleichgewicht durch Variation des Preises, des Produktes oder der Werbung beeinflussen kann (also Berücksichtigung des Nicht-Preiswettbewerbs). Das individuelle Firmengleichgewicht ergibt sich auch hier wieder im Cournot’schen Punkt. “To say each producer in an industry has a monopoly of his own variety of product is not to say that the industry is monopolized. On the contrary, there may be a very intense competition within the industry, not the sort described by the theories of pure competition to be sure, but different by virtue of the fact that each producer has a monopoly of his own variety of product.”19 Chamberlin führt zudem die Unterscheidung von großen und kleinen Gruppen (und damit das Oligopolproblem) in die moderne Preistheorie ein. Im Falle einer großen Gruppe (Polypol) unterstellt er, dass Änderungen von Preis, Produkt und Werbung eines Anbieters keine spürbaren Auswirkungen auf die Konkurrenten haben, so dass der einzelne Wettbewerber nicht zu Gegenmaßnahmen veranlasst wird. Hier kommt Chamberlin – ähnlich wie Robinson – zu einer Tangentenlösung, bei welcher im Cournotpunkt der Preis gleich den totalen Stückkosten ist. Im Falle der kleinen Gruppe (Oligopol) können zwei Monopolelemente zusammenkommen: die geringere Zahl der Anbieter und die Differenzierung des Produktes. Das Konzept des unvollkommenen oder monopolistischen Wettbewerbs wurde häufig als eine dritte Kategorie zwischen den beiden Grenzfällen der vollständigen Konkurrenz und des Monopols betrachtet. Abweichungen von den Modellbedingungen wurden als Unvollkommenheitsfaktoren (market imperfections) oder Monopolelemente (monopolistic elements) angesehen. Es begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die vollständige Konkurrenz niemals realisiert werden könne. Gleichwohl blieb diese Leitbild der Wirtschaftspolitik, das 18 19

Vgl. Chamberlin, Edward H., The Theory of Monopolistic Competition, 8. Aufl., Cambridge, Mass. 1969 (1. Aufl. 1933), und Robinson, Joan, The Economics of Imperfect Competition, London 1933. Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition, op. cit., S. 205 f.

12

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

tendenziell anzustreben sei.20 Dabei war es Ziel der Wettbewerbspolitik, Anzahl und Ausmaß der Marktunvollkommenheiten zu minimieren. Je geringer die Unvollkommenheitsfaktoren, desto mehr glaubte man, sich dem Ideal zu nähern. Diese Ansicht wurde von Chamberlin als eine Fehlinterpretation seines Konzepts des monopolistischen Wettbewerbs kritisiert. Chamberlin erkannte, dass die monopolistischen Elemente notwendige Voraussetzungen sind, um bei dem Vorliegen von verschiedenartigen Bedürfnissen der Wirtschaftssubjekte die Wohlfahrt in der Gesellschaft zu steigern. Es bedürfe daher eines neuen Wettbewerbsideals, welches sowohl Konkurrenz- als auch Monopolelemente enthalte.21 “… Pure competition may no longer be regarded as in any sense an ‘ideal’ for purposes of welfare economics”.22 Die Bedeutung des von Chamberlin entwickelten theoretischen Ansatzes wird unterstrichen durch den Hinweis von Joe S. Bain, dass die Vertreter der Industrial Organisation School (und des darauf aufbauenden Konzepts des workable oder effective competition) „find their primary theoretical origin in Chamberlin’s Theory of Monopolistic Competition“.23

IV. Workable competition als second best Auch in der weiteren Entwicklung zu einem Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs, die durch den 1940 erschienenen bahnbrechenden Aufsatz von John Maurice Clark „Toward A Concept of Workable Competition“ gekennzeichnet ist, blieb die vollständige Konkurrenz noch anzustrebendes Leitbild. Clark selbst hat in seinem 1961 erschienenen Werk „Competition as a Dynamic Process“ seinen Ansatz rückblickend als einen Versuch charakterisiert, einen Ausweg aus den negativen Schlussfolgerungen der Theorie des unvollkommenen Wettbewerbs zu finden. Er hielt 1940 workable competition für einen zwar tolerierbaren, jedoch inferioren Ersatz für den reinen und vollständigen Wettbewerb als wettbewerbspolitisches Leitbild. Jedoch bahnte sich mit seiner „Gegengiftthese“ (remedial imperfections) bereits der entscheidende Wandel in der wettbewerbspolitischen Beurteilung von Marktunvollkommenheiten an. Wenn auf einem Markt mehrere Unvollkommenheiten (im Sinne von Abweichungen von den Modellbedingungen) vorlägen, so könne unter bestimmten Konstellationen das Hinzutreten eines weiteren Unvollkommenheitsfaktors den Wettbewerb funktionsfähiger machen. Das folge aus der Überlegung, dass die Merkmale der vollständigen Konkurrenz einen geschlossenen Satz von Bedingungen darstellen, also logisch komplementär sind. Demnach könnten andere Bedingungen auch ihren Vollkommenheitscharakter verlieren, wenn nur eine Bedingung nicht mehr vollkommen ist. In der Theorie des Zweitbesten 20

21 22 23

Vgl. z.B. Eucken, Walter, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl., Berlin u.a. 1965, S. 96, für den vollständige Konkurrenz dann vorliegt, wenn der einzelne Anbieter damit rechnet, dass er den Preis nicht beeinflussen kann. Das impliziert u.a. eine sehr große Zahl von Anbietern oder Nachfragern weitgehend homogener Produkte auf einem transparenten Markt ohne Zutrittsschranken und Absprachen, die sich rational verhalten; diese Annahmen entsprechen weitgehend der Marktstruktur bei vollständiger Konkurrenz. Vgl. Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition, op. cit., S. 191 ff., sowie ders., Product Heterogeneity and Public Policy, in: AER PP 40 (1950), S. 85 ff. Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition, op. cit., S. 214. Bain, Joe S., The Theory of Monopolistic Competition after Thirty Years: The Impact on Industrial Organization, in: AER 54 (1964), S. 28 ff., 29.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

13

wird daher die Auffassung vertreten, dass bei Vorliegen sog. Marktunvollkommenheiten das Hinzutreten weiterer Unvollkommenheiten eine bessere Annäherung an das Wohlfahrtsmaximum darstellen kann als die Verminderung der existierenden Unvollkommenheiten. Ein anschauliches Beispiel für die Richtigkeit der Theorie des Zweitbesten liefern die sogenannten Preismeldestellen (open price systems) auf oligopolistischen Märkten mit homogenen Gütern in den USA, England und Deutschland: die Einführung eines zusätzlichen Vollkommenheitsfaktors, das ist die Markttransparenz, vermindert die Wettbewerbsintensität, da vorstoßende Wettbewerbshandlungen wegen der zu erwartenden Reaktionen der Mitbewerber (Sanktionsmechanismus) wirtschaftlich sinnlos werden. So kann der Preiswettbewerb auf oligopolistischen Märkten wirksamer sein, wenn die Güter nicht ganz homogen und/oder die Markttransparenz nicht vollkommen ist, da infolge der Produktheterogenität und der Ungewissheit über das Verhalten der Konkurrenten die Neigung zum friedlichen Parallelverhalten abnimmt. Rückblickend können wir feststellen, dass Clarks Ansatz aus dem Jahre 1940 mit seiner positiven Bewertung gewisser Marktunvollkommenheiten der entscheidende Markstein für die Entwicklung einer dynamischen Wettbewerbstheorie in den folgenden Jahrzehnten gewesen ist.

V.

Effective competition als neues Leitbild

Die weitere Entwicklung des Konzepts eines workable competition zu einer neuen umfassenden dynamischen Wettbewerbstheorie ist dann stark durch die Schumpeterschen Thesen zur „Konkurrenz der neuen Ware, der neuen Technik, der neuen Versorgungsquelle, des neuen Organisationstyps“ sowie durch die Forschungsrichtung der Industrial Organization in den USA beeinflusst worden. Die Industrial Organization School (Mason, Bain, Scherer et al.) lässt sich als eine theoriegeleitete empirische „Forschung im Bereich der Prozesse, Strukturen und Organisationen von Industrien im weitesten Sinn – den Dienstleistungssektor mit eingeschlossen – beschreiben. Durch die verstärkte Theoriebildung“ (der Neuen Industrieökonomie – NIO) „wurde die empirische Ausrichtung der traditionellen IO ergänzt…“24 Unter dem Eindruck der Schumpeterschen Thesen begründete John Maurice Clark 1961 in seinem Werk „Competition as a Dynamic Process“ sein Abgehen von der Theorie des Zweitbesten, die workable competition 1940 noch für ihn war, damit, dass Unvollkommenheitsfaktoren für den technischen Fortschritt unabdingbar seien. Insofern versuchte er die Schumpetersche Theorie der Innovation in die allgemeine Wettbewerbstheorie zu integrieren. Während bis dahin die vollständige Konkurrenz als zwar wünschenswert, aber nicht realisierbar angesehen wurde, wird sie jetzt nicht länger als anzustrebendes Ziel betrachtet, da im Hinblick auf den wirtschaftlichen Fortschritt Marktunvollkommenheiten grundsätzlich für unabdingbar angesehen werden (z.B. Patente). An die Stelle der statischen tritt die dynamische Effizienz, charakterisiert durch Produkt- und Prozessinnovationen.25

24 25

Bühler, Stefan, und Franz Jaeger, Einführung in die Industrieökönömik, Berlin, Heidelberg und New York 2002, S. 1 und 7. Vgl. Audretsch, David B., William J. Baumol und Andrew E. Burke, Competition policy in dynamic markets, in: International Journal of Industrial Organization 19 (2001), S. 613 ff.

14

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Rückblickend kritisiert Clark das Streben der herkömmlichen Theorie nach möglichst hoher Präzision, was zu der Beschränkung auf wenige Variablen und den unrealistischen Voraussetzungen des Gleichgewichtsmodells der vollständigen Konkurrenz geführt habe. Nicht zuletzt habe auch der Wunsch nach graphischer Darstellung im zweidimensionalen Koordinatensystem dazu beigetragen, dass die Gleichgewichtstheorie ungeeignet sei, die Wirklichkeit zu erklären. Die Theorie des wirksamen Wettbewerbs sieht den Wettbewerb als dynamischen Prozess, der durch eine Folge nie abgeschlossener Vorstoß- und Verfolgungsphasen (Clark: „moves and responses“) charakterisiert ist. Pioniergewinne aufgrund temporärer Vorzugsstellungen sind sowohl Folge als auch Voraussetzung für diese neue Wettbewerbsform; sie sollen nicht sofort wieder abgebaut werden, sondern allmählich verschwinden. Die Geschwindigkeit, mit der Vorsprungsgewinne jeglicher Art aufgezehrt werden, wird als Ansatzpunkt für die Bestimmung der Intensität des Wettbewerbs benutzt. Marktunvollkommenheiten (market imperfections oder monopolistic elements) in Form von Produktheterogenität, Intransparenz, mangelnder Voraussicht, time lags in der Anpassungsgeschwindigkeit etc. sind sowohl Folge initiativer als auch Voraussetzung für imitative Wettbewerbshandlungen. Zentrales Problem der Theorie des effective competition ist es, die wettbewerbspolitisch wünschenswerten von den unerwünschten Marktunvollkommenheiten zu unterscheiden, um damit zu Konstellationen von Unvollkommenheitsfaktoren zu kommen, die als notwendige und/oder hinreichende Bedingung für die Wirksamkeit des Wettbewerbs anzusehen wären. In der Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse26 wurde zwar einhellig Wettbewerb unter Berufung auf Joseph Schumpeter, John Maurice Clark und Helmut Arndt nicht im Sinne eines stationären Gleichgewichtszustandes, sondern eines dynamischen Prozesses verstanden, der durch eine Folge von Ungleichgewichten aufgrund von Vorstoß- und Verfolgungsphasen charakterisiert ist, die in der Realität häufig zu einem Prozess des gegenseitigen Überflügelns zusammenwachsen; jedoch wurden Marktunvollkommenheiten von beiden Autoren aufgrund ihres abweichenden methodischen Ansatzes völlig verschieden beurteilt, was zur Entwicklung unterschiedlicher wettbewerbspolitischer Leitbilder geführt hat, auf die im Folgenden Abschnitt eingegangen werden soll.

VI. Leitbilder der Wettbewerbspolitik 1.

Das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität im weiten Oligopol (Harvard School)

a) Darstellung des Konzeptes In Deutschland fand das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs (Clark, Mason, Bain, Scherer u.a.) vor allem durch den Ansatz von Erhard Kantzenbach starke Beachtung. Kantzenbach verzichtete bei seinem Versuch, ein wettbewerbspolitisch praktikables Konzept des

26

Vgl. die Fundstellen der Diskussionsbeiträge zu dieser Kontroverse bei Hoppmann, Erich, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs: Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderung, in: JbNSt 181 (1967), S. 251 ff.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

15

funktionsfähigen Wettbewerbs27 zu entwickeln, auf eine vorgegebene Definition des Wettbewerbs und ging stattdessen wie John Maurice Clark von den Aufgaben des Wettbewerbs aus, die dieser zu erfüllen habe:28 •

Auf den Märkten der Produktionsfaktoren steuert der Wettbewerb die funktionelle Einkommensverteilung nach der Marktleistung, wodurch eine Ausbeutung aufgrund von Marktmacht verhindert wird (leistungsgerechte Einkommensverteilung).29 • Der Wettbewerb steuert die Zusammensetzung des laufenden Angebots an Waren und Dienstleistungen gemäß den Käuferpräferenzen (Konsumentensouveränität), wodurch sich bei gegebener Einkommensverteilung und gegebenem Produktionsvolumen eine optimale Befriedigung der individuellen Bedürfnisse ergibt. • Der Wettbewerb lenkt die Produktionsfaktoren in ihre produktivsten Einsatzmöglichkeiten (optimale Faktorallokation). Dadurch werden bei gegebenem Stand der Produktionstechnik die Gesamtkosten gegebener Produktionsvolumina gesenkt bzw. der Output bei gegebenen Faktoreinsatzmengen gesteigert. • Der Wettbewerb ermöglicht die laufende flexible Anpassung von Produkten und Produktionskapazität an außerwirtschaftliche Daten, insbesondere an die sich ständig ändernde Nachfragestruktur und Produktionstechnik (Anpassungsflexibilität). Dadurch wird das Ausmaß von Fehlinvestitionen verringert; die durch Strukturwandlungen hervorgerufenen volkswirtschaftlichen Kosten werden gesenkt. • Der Wettbewerb beschleunigt Entstehung, Einsatz und Verbreitung des technischen Fortschritts in Gestalt neuer Produkte und Produktionsmethoden (technischer Fortschritt durch Produkt- und Prozessinnovation); der durch Wettbewerb bewirkte Innovationsprozess ist durch die Phasen Invention, Innovation und Diffusion gekennzeichnet. Die ersten drei Wettbewerbsfunktionen bezeichnet Kantzenbach als statische Funktionen, da sie vorwiegend in den Bereich der statischen Gleichgewichtsanalyse gehören; die beiden letzten Wettbewerbsfunktionen treten dagegen nur in einer evolutorischen Wirtschaft in Erscheinung und werden daher als dynamische Funktionen bezeichnet. Während die drei statischen Funktionen gut durchschaubar, aber in einer evolutorischen Wirtschaft weniger relevant sind, sind die beiden dynamischen Funktionen stärker relevant, aber weniger durchschaubar. Funktionsfähig ist danach ein Wettbewerb, der die fünf – qua Werturteil – vorgegebenen ökonomischen Zielfunktionen bestmöglich erfüllt. Kantzenbach geht in seinem Ansatz davon aus, dass die Wettbewerbsintensität – definiert als die Geschwindigkeit, mit der Vorsprungsgewinne jeglicher Art von der Konkurrenz wieder „weggefressen“ werden – nur durch zwei Marktstrukturelemente: die Zahl der Anbieter sowie den Grad der Marktunvollkommenheit (Produktheterogenität, Marktintransparenz) bestimmt wird. Dabei ist die Wettbewerbsintensität zunächst umso größer, je geringer die Zahl der Anbieter und je höher der Grad der Marktvollkommenheit sind. Kantzenbach unterscheidet in einem zweiten Schritt allerdings zwischen der potentiellen Wettbewerbsintensität i.S. der oligopolistischen bzw. parametrischen Interdependenz und der effektiven Wettbe27

28 29

Vgl. den guten Überblick über das Konzept eines funktionsfähigen Wettbewerbs bei Kantzenbach, Erhard, und Hermann H. Kallfaß Das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs – workable competition, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Cox u.a., München 1981, S. 103 ff. Vgl. Kantzenbach, Erhard, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 16–19. Eine derart leistungsgerechte Primärverteilung macht allerdings eine staatliche Umverteilungspolitik nicht überflüssig, stellt jedoch für diese die bestmögliche Ausgangsposition dar.

16

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

werbsintensität. Die potentielle Wettbewerbsintensität erreicht ihren Maximalwert im homogenen Dyopol bei vollkommener Markttransparenz. Potentielle und effektive Wettbewerbsintensität fallen jedoch im engen Oligopol auseinander, da mit steigender parametrischer Interdependenz die Neigung und Fähigkeit der Wirtschaftssubjekte zu Wettbewerbsbeschränkungen (d.s. Absprachen oder gruppensolidarisches Parallelverhalten) zunehmen. Vorstoßende Wettbewerbshandlungen sind wegen der zu erwartenden Vergeltungsaktionen der Mitbewerber nicht mehr möglich (vgl. Benzinmarkt), so dass die effektive Wettbewerbsintensität sinkt und im homogenen Dyopol sehr gering wird. Aufgrund seiner Überlegungen zur potentiellen und effektiven Wettbewerbsintensität gelangte Kantzenbach zu folgenden Schlussfolgerungen über den Kausalzusammenhang zwischen Marktstruktur und Wettbewerbsintensität: •





Die Wettbewerbsintensität sei optimal im Sinne einer bestmöglichen Realisierung der vorgegebenen konkurrierenden Zielfunktionen im Bereich weiter Oligopole mit mäßiger Produktheterogenität und begrenzter Transparenz, da in dieser Marktform Gewinnchancen, Existenzrisiken und Finanzierungsmöglichkeiten besonders günstig kombiniert seien.30 Potentielle und effektive Wettbewerbsintensität fielen weitgehend zusammen, so dass in dieser Marktform Raum für aktive Wettbewerbshandlungen i.S. eines Strebens um Marktanteile sei. Dagegen sei das enge Oligopol durch eine überoptimale Interdependenz gekennzeichnet, die entweder zu funktionslosen Machtkämpfen („oligopolistic war“) oder zu einer faktischen Beschränkung des Wettbewerbs durch spontan-solidarisches Parallelverhalten führe. Das Polypol sei dagegen durch eine unteroptimale Interdependenz charakterisiert, die mangels ausreichender Selbstfinanzierungsmöglichkeiten, geringer absoluter Unternehmensgröße und traditioneller Verhaltensweisen nicht die im Hinblick auf strukturelle Anpassung und technischen Fortschritt notwendigen Investitionen erlaube; im Polypol herrsche daher ruinöser Wettbewerb.

b) Wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen Kantzenbach leitet aus diesen Überlegungen folgende wettbewerbspolitische Folgerungen ab, wobei Art und Ausmaß der Marktunvollkommenheiten als Ansatz dienen: • • •

30

Transformation von polypolistisch strukturierten Märkten in weite Oligopole mit Hilfe von Kooperationsabsprachen und Fusionen. Verhinderung der Transformation weiter Oligopole in enge Oligopole mit Hilfe einer Fusionskontrolle. Transformation enger Oligopole in weite Oligopole mit Hilfe einer Entflechtungsregelung; als second best-Lösung wird eine Verhaltenskontrolle bei unveränderter Marktform angesehen.

Villard, H.H., Competition, Oligopoly, and Research, in: JPolE 66 (1958), S. 491: “The basic point is that progress is likely to be rapid (1) when firms are large enough or few enough to afford and benefit from research and (2) when they are under competitive pressure to innovate – utilize the results of research.”

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

17

c) Kritik an dem Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität im weiten Oligopol An dem Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität ist unter verschiedenen Gesichtspunkten Kritik geübt worden:31 •

Es handelt sich um einen statischen Marktstrukturansatz, der den Wettbewerbsprozess als Funktion der Marktform begreift, obwohl Wettbewerbsprozesse ihrerseits bei dynamischer Betrachtung marktstrukturändernd wirken. • Da die Unterscheidung zwischen engem und weitem Oligopol sowie Polypol nicht nur von der Zahl der Anbieter, sondern unter anderem auch vom Grad der Markttransparenz und Produkthomogenität abhängt, können die Unternehmen ihre Zuordnung zum optimalen, über- oder unteroptimalen Bereich selbst beeinflussen. • Der Leitbildcharakter des sog. weiten Oligopols wird im Hinblick auf eine optimale Erfüllung der Wettbewerbsfunktionen bezweifelt, zumal der Marktstrukturansatz von Kantzenbach wichtige conditioning factors wie die Höhe der Marktschranken, den Unternehmenstypus oder die Marktphase nicht berücksichtigt. Bei Einbeziehung dieser Marktstrukturfaktoren kann sich das Leitbild mehr in Richtung Polypol oder enges Oligopol verschieben. Die Diskussion dieses Konzeptes hat ergeben, dass eine optimale Erfüllung der Wettbewerbsfunktionen in unterschiedlichen Marktformen möglich ist, die teilweise stärker im Bereich polypolistischer, teilweise stärker im Bereich oligopolistischer Marktstrukturen zu suchen sind.32 Eine generelle Aussage über eine bestimmte optimale Marktform scheint nach dem jetzigen Stand der theoretischen und empirischen Forschung nicht möglich – höchstens im Sinne einer Typizität. Weitgehende Einigkeit hat dagegen die Diskussion im Hinblick auf die Abgrenzung von weitem und engem Oligopol erbracht, da im Regelfall der Wettbewerb im engen Oligopol wegen der sehr starken Interdependenz faktisch oder rechtlich beschränkt ist. Der skizzierte Kantzenbachsche Ansatz ist rein ökonomisch-instrumental. Ursprünglich hatte Kantzenbach es abgelehnt, in seine Wohlfahrtsfunktion als Ausdruck eines Bündels von fünf ökonomischen Zielfunktionen auch das Ziel der Wettbewerbsfreiheit einzubeziehen, da es sich dabei um eine wirtschaftspolitische Grundentscheidung zugunsten des Wettbewerbs als eines gesamtwirtschaftlichen Kontrollmechanismus handele und mögliche außerökonomische Ziele sich einer wirtschaftswissenschaftlichen Bewertung entziehen (Karl Schiller). Kantzenbachs Ausklammerung des Zieles der wirtschaftlichen Freiheit war einer der Hauptpunkte in der anschließenden Kontroverse mit Erich Hoppmann.

31

32

Vgl. zusammenfassend Müller, Udo, Art. Wettbewerbspolitik, in: Handwörterbuch der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., Wiesbaden 1980, Spalte 1524 ff., 1529 f., und Bartling, Hartwig, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, München 1980, S. 36–40. Vgl. zur Frage innovationsoptimaler Marktstrukturen den guten Überblick von Kamien, Morton I., und Nancy L. Schwartz, Market Structure and Innovation, Cambridge u.a. 1982.

18

2.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Der freie Wettbewerb der sog. Neuklassik (Austrian School)33

a) Darstellung des Konzeptes Hoppmann knüpft mit seinem als neuklassisch bezeichneten Wettbewerbskonzept an den freien Wettbewerb der Klassik an. Die Wettbewerbsfreiheit umfasst in seiner Interpretation sowohl die Freiheit der Konkurrenten zu Vorstoß und Imitation (sog. Parallelprozess) als auch die Auswahlfreiheit der Partner auf der Marktgegenseite (sog. Austauschprofessor), wobei die Wettbewerbsfreiheit unter zwei Aspekten gesehen wird: • •

Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch Dritte (Entschließungsfreiheit) und Freiheit als Abwesenheit von Beschränkungen des Tauschverkehrs durch Marktteilnehmer (Handlungsfreiheit). Das Vorhandensein von Wettbewerbsfreiheit wird als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für Wettbewerb angesehen. Hinzukommen muss ein entsprechend starker spirit of competition der Marktteilnehmer, so dass der Markt aufgrund ökonomischer Anreize und Sanktionen eine leistungsfähige Koordination der Pläne und Handlungen der Wirtschaftssubjekte herbeiführt. Die Wettbewerbsfreiheit ist dann für alle Marktteilnehmer ökonomisch vorteilhaft. Hoppmann bezeichnet diesen Ansatz als system- oder sozialtheoretisch34, wobei unter einem System eine Gesamtheit von Elementen zu verstehen ist, zwischen denen Beziehungen bestehen. Er erfasst dementsprechend den Markt als ein System, dessen Elemente die Individuen und die Unternehmen sind, welche aufgrund allgemeiner Verhaltensregeln spontan interagieren. Das System wird als komplex, sich selbst regulierend (kybernetisch), umweltoffen und evolutorisch charakterisiert. Damit werden die Beziehungen zwischen den Elementen als komplexe Phänomene erfasst, die sich nicht auf einfache ökonomische Gesetze reduzieren lassen. Daraus folgt, dass keine Einzelvoraussagen, sondern nur allgemeine Mustervoraussagen35 über die ökonomische Vorteilhaftigkeit von Wettbewerb möglich sind, da sich angesichts der hohen Komplexität des Marktes aus den Bedingungskonstellationen nur Aussagen über typische Prozesse und Ergebnisse oder über Tendenzen ableiten lassen. Hoppmann lehnt mit dieser Begründung alle Ansätze ab, die bestimmte Beziehungen zwischen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis postulieren, also sowohl das neoklassische Modell der vollständigen Konkurrenz als auch das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs. Sofern es sich bei den Hypothesen über die Zusammenhänge zwischen Struktur-Verhalten-Ergebnis um stochastische Hypothesen handelt, besteht allerdings kein prinzipieller Unterschied zu den sog. Mustervoraussagen. 33

34 35

Vgl. den guten Überblick über den systemtheoretischen Ansatz bei Clapham, Ronald, Das wettbewerbspolitische Konzept der Wettbewerbsfreiheit, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Cox, Helmut et al., München 1981, S. 129 ff. Vgl. Hoppmann, Erich, und Ernst-Joachim Mestmäcker, Normenzwecke und Systemfunktionen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Tübingen 1974, S. 7. Vgl. Graf, H. G., Muster-Voraussagen und Erklärungen des Prinzips bei F.A. von Hayek, Tübingen 1978. Allgemeine Muster-Voraussagen (pattern predictions) sind nur im Hinblick auf die Effizienz eines kompetitiven Gesamtsystems möglich; dagegen sind Einzelvoraussagen von Marktergebnissen unmöglich. Die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit durch adäquate Spielregeln sichert die ökonomische Vorteilhaftigkeit des komplexen Gesamtsystems i .S. einer Mustervoraussage. Derartige Mustervoraussagen beziehen sich also nur auf die Eigenschaften eines Systems als solches, nicht jedoch auf deren konkrete Ausprägung.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

19

Im Gegensatz zu Kantzenbach lehnt Hoppmann es auch ab, von vorgegebenen gesamtwirtschaftlichen Zielfunktionen i.S. einer überindividuellen ökonomischen Vorteilhaftigkeit auszugehen; er unterscheidet vielmehr zwei große voneinander unabhängige Zielkomplexe:36 •

Die Wettbewerbsfreiheit als Ziel in sich selbst, die sowohl die Freiheit der Anbieter zur Innovation und zur Imitation (Parallelprozess) als auch die Wahlfreiheit der anderen Marktseite (Austauschprozess) beinhaltet. Die Wettbewerbsordnung ist dabei das ökonomische Äquivalent einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. • Die ökonomische Vorteilhaftigkeit, bei welcher der Wettbewerb um seiner für alle nützlichen Wirkungen willen (z.B. niedrige Kosten, gute Qualitäten, technischer Fortschritt etc.) als ein Instrument gewünscht wird. Während Hoppmann ursprünglich unter Berufung auf klassische Ansätze die Ansicht vertreten hat, dass es zwischen den beiden Zielkomplexen Wettbewerbsfreiheit und gute Marktergebnisse keine Zielkonflikte gibt, hat er diese sog. Harmoniethese später modifiziert, indem er zwischen individuellen und überindividuellen ökonomischen Vorteilen unterscheidet. Danach erzielt jeder Marktteilnehmer einen individuellen ökonomischen Vorteil, wenn man sich auf der Marktgegenseite mittels besserer und billigerer Leistungen um seine Gunst bewirbt. Zwischen Wettbewerbsfreiheit und individuellen ökonomischen Vorteilen kann es daher keinen Konflikt geben:37 „Wettbewerbsfreiheit und ökonomische Vorteilhaftigkeit sind zwei Aspekte desselben wettbewerblichen Prozesses, sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb kann es keine Alternative, keinen Konflikt und kein Problem der Vorrangigkeit zwischen beiden Zielen geben. … Die wirtschaftspolitische Zielsetzung, wettbewerbliche Marktprozesse zu realisieren, umfasst beides zugleich, Wettbewerbsfreiheit und ökonomische Vorteilhaftigkeit, in dem Sinne, dass sie reziproke individuelle Vorteile liefern. Das Problem der Zielkompatibilität taucht nicht auf. Denn es handelt sich um zwei Aspekte einer Wertgesamtheit und nicht um verschiedene Ziele.“ Diese Thesen von Hoppmann zur Identität von Wettbewerbsfreiheit und individuellen ökonomischen Vorteilen sind maßgeblich durch sein Verständnis des Wettbewerbs als einer spontanen Ordnung im Sinne Friedrich A. v. Hayeks bestimmt. Danach wird Wettbewerb ausschließlich als Such- und Entdeckungsverfahren verstanden, dessen „Ergebnisse unvoraussagbar und im ganzen verschieden von jenen sind, die irgendjemand hätte bewusst anstreben können …“.38 Der systemtheoretische Ansatz von Hoppmann steht insofern in der Tradition der österreichischen Schule, die hauptsächlich auf Ökonomen wie v. Mises, v. Hayek und in den USA auf Kirzner zurückgeht. Aus diesem Verständnis des Wettbewerbs als eines historisch-offenen Prozesses folgt die Ablehnung kategorischer, d.h. inhaltlich ex ante festgelegter Zielfunktionen i.S. von Kantzenbach. Hoppmann lehnt eine derartige teleokratische Gesellschaftsordnung ab, bei welcher sich das individuelle Handeln überindividuellen, zentral gesetzten Zwecken zu unter-

36

37 38

Vgl. Hoppmann, Erich, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: Grundlagen der Wettbewerbspolitik, hrsg. von Schneider, Hans K., Schriften des Vereins für Socialpolitik NF Bd. 48, Berlin 1968, S. 9 ff., 14 ff. Hoppmann, Erich, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, op. cit., S. 21 (Hervorhebung durch Verf.). Hayek, Friedrich August von, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, wieder abgedruckt in: Freiburger Studien: Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1969, S. 249 ff., 250.

20

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

werfen hat. Er begreift den Wettbewerb vielmehr als eine nomokratische Ordnung, die lediglich durch inhaltlich zweckfreie und damit dezentrale Spielregeln zu sichern sei, womit er eine dem Wettbewerbsprozess adäquate Handlungstheorie schaffen will. Die (inhaltlichen) Ziele des Wettbewerbs bleiben dabei bewusst offen, so dass sich ex definitione kein Dilemma zwischen Wettbewerbsfreiheit und individueller ökonomischer Vorteilhaftigkeit ergeben kann. Hoppmann selbst modifiziert jedoch den Ansatz von v. Hayek, indem er nach den Ursachen der Freiheitsbeschränkung fragt, d.h., ob es sich um künstliche oder natürliche Wettbewerbshemmnisse handelt: •

Künstliche Wettbewerbshemmnisse beruhten auf unternehmerischen oder staatlichen Praktiken und könnten durch staatliche Gegenmaßnahmen (Wettbewerbspolitik bzw. Unterlassung der staatlichen wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen) beeinflusst, d.h., verhindert oder rückgängig gemacht werden. Im Falle künstlicher Wettbewerbshemmnisse handele es sich um politische Ausnahmebereiche. • Natürliche Wettbewerbshemmnisse unterlägen fortlaufenden Änderungen im Marktprozess; sie seien temporärer Natur und dürften nicht zementiert werden. Erst wenn die natürlichen Einschränkungen der Wettbewerbsfreiheit gravierend und wettbewerbspolitisch nicht mehr zu beseitigen seien (z.B. bei weitreichenden „economies oft scale“, „barriers to exit“ in Landwirtschaft und Binnenschifffahrt oder Leitungsmonopolen) entstehe das Problem einer korrektiven Missbrauchsaufsicht (regulation approach). In diesen Bereichen sei der Wettbewerb nicht möglich, weshalb auch kein Dilemma zwischen den beiden Zielkomplexen Wettbewerbsfreiheit und gute ökonomische Marktergebnisse auftreten könne (sog. natürliche Ausnahmebereiche).39 Abgesehen von den sog. Ausnahmebereichen im Falle natürlicher Wettbewerbshemmnisse, erzielt also jeder Marktteilnehmer einen individuellen ökonomischen Vorteil, wenn Wettbewerbsfreiheit herrscht, so dass grundsätzlich kein Zielkonflikt zwischen den beiden Zielkomplexen Wettbewerbsfreiheit und gute Marktergebnisse besteht. Dagegen gilt die sog. Dilemmathese nach Hoppmann im Falle überindividueller ökonomischer Vorteile, wenn Wettbewerb als Instrument zur Verwirklichung „überpersönlicher ökonomischer Zwecke“ aufgefasst wird (Konstruktivismus). Hoppmann lehnt eine derartige teleokratische Sichtweise entschieden ab, da dabei unterstellt werde, dass die Wirtschaft und die in ihr tätigen Wirtschaftssubjekte „Bestandteil eines zu konstruierenden und manipulierenden Instrumentes seien und der Zweck das Mittel heilige“40. b) Wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen Hoppmann leitet aus diesen Überlegungen folgende wettbewerbspolitische Folgerungen ab, wobei auf die Art der Wettbewerbshemmnisse abgestellt wird: 39

40

Vgl. Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, op. cit., S. 11 Fn. 3 und S. 22 unter Hinweis auf Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 189 ff., die bei Vorliegen von natürlichen Monopolen oder economies of scale den Wettbewerb als self-destructive bezeichnen (welche Aussage nicht identisch ist mit der Hoppmannschen These, dass ein Wettbewerb nicht möglich sei!). Später unterscheidet Hoppmann, Erich, Zur ökonomischen Begründung von Ausnahmebereichen, in: JbNSt 187 (1972/73), S. 161 ff., 166, nur noch zwischen politischen Ausnahmebereichen (als dem Ergebnis einer politischen Entscheidung) und Wettbewerbsbereichen. Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, op. cit., S. 23.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

21



Künstliche Wettbewerbsbeschränkungen durch Marktteilnehmer oder den Staat sind mittels adäquater Regeln zu verhindern. Adäquate Wettbewerbsregeln sind daher die per se-rule (z.B. für Fusionen oder Behinderungsstrategien) oder quasi per se-Regeln (z.B. im Falle von Ausschließlichkeitsbindungen, die Dritten einen wesentlichen Marktanteil verschließen). Die rule of reason wird abgelehnt, da sie den Kartellbehörden einen diskretionären Ermessensspielraum einräumen würde.41 • Da Wettbewerb als offener historischer Prozess (v. Hayek: Wettbewerb als Entdeckungsverfahren) sich nur negativ durch das Fehlen von unangemessenen (undue, unreasonable) Wettbewerbsbeschränkungen erfassen lässt, darf den Unternehmen ein bestimmtes Verhalten nicht positiv vorgeschrieben werden. Hoppmann verwendet also eine negativ-indirekte Definition des Wettbewerbsprozesses, wobei er kategorische performance-Normen i.S. überindividueller ökonomischer Ziele als Fiktion ablehnt. Wettbewerb liegt danach vor, wenn die Wettbewerbsfreiheit nicht unangemessen beschränkt ist. Wie oben bereits ausgeführt, sieht Hoppmann die Wettbewerbsfreiheit unter zwei Aspekten: • •

Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere (Entschließungsfreiheit) und Freiheit als Abwesenheit von Beschränkungen des Tauschverkehrs durch Marktteilnehmer (Handlungsfreiheit).

c) Kritik an dem Konzept der Neuklassik Das sog. neuklassische Konzept begegnet wissenschaftstheoretischen, wettbewerbstheoretischen und -politischen sowie sozialen Bedenken:42 (a) Die (ursprüngliche) Zulassung sog. natürlicher Ausnahmebereiche, in denen Wettbewerb „nicht möglich“ ist, immunisiert das Konzept gegen die Möglichkeit einer Widerlegung der neuklassischen Harmoniethese, wonach kein Widerspruch zwischen Wettbewerbsfreiheit und individuellen ökonomischen Vorteilen besteht; denn die Konstituierung von Ausnahmebereichen erfolgt gerade im Hinblick auf erwartete schlechte Marktergebnisse bei Wettbewerb. Wettbewerb ist in den sog. Ausnahmebereichen jedoch sehr wohl möglich, aber im Hinblick auf die sich dabei ergebenden mehr oder weniger schlechten Marktergebnisse (i.S. individueller ökonomischer Vorteile) nicht wünschenswert. Auch in dem neuklassischen Ansatz erfolgt also die Unterscheidung zwischen Wettbewerbsbereichen und Ausnahmebereichen mit Hilfe von prognostizierten Wettbewerbsergebnissen. (b) Die Identität der beiden Zielkomplexe Wettbewerbsfreiheit und gute Marktergebnisse ist solange nicht bewiesen, wie die sozialen und psychologischen Bedingungen für das Vorliegen bzw. die Bildung eines spirit of competition (Wettbewerbsgesinnung) theoretisch und empirisch nicht ausreichend erforscht sind. Denn wir kennen neben initiativdynamischen auch konservative Unternehmertypen (Ernst Heuss), denen es gerade an spirit of competition mangelt. Dem spirit of competition steht die propensity to monopolize (Zimmermann) gegenüber.

41 42

Vgl. Schmidt, Ingo, Per se Rule oder Rule of Reason, in: WiSt 10 (1981), S. 282–284. Vgl. zusammenfassend Müller, Udo, Art. Wettbewerbspolitik, op. cit., Spalte 1524 ff., 1532 f.; ferner Tolksdorf, Michael, Hoppmanns neoklassische Wettbewerbstheorie als Grundlage der Wettbewerbspolitik, in: JbNSt 183 (1969/70), S. 61 ff.; Bartling, op. cit., S. 49–57, und Möschel, Wernhard, Zur wettbewerbstheoretischen Begründbarkeit von Ausnahmebereichen, in: ORDO 32 (1981), S. 85 ff.

22

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Die Identität der beiden Zielkomplexe ließe sich allerdings dann bejahen, wenn man durch unbeschränkten Wettbewerb zustande gekommene Marktergebnisse ipso iure als gut bezeichnet, wobei dann nicht auf das konkrete Marktergebnis, sondern auf die Art und Weise des Zustandekommens abgestellt wird. Die Verwendung von Mustervoraussagen spricht für eine Identität in diesem Sinne. (c) Mit dem (Vor-)Verständnis des Wettbewerbs als Such- und Entdeckungsverfahren werden die Weichen für die Wettbewerbspolitik gestellt: – Ein Vergleich zwischen einem durch Wettbewerbsfreiheit erreichten und einem durch Wettbewerbspolitik bewusst angestrebten Marktergebnis wird ausgeschlossen, womit die Bekämpfung des sog. Ausbeutungsmissbrauchs (Preismissbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen) unmöglich gemacht werden soll. Dabei wird jedoch verkannt, dass sich auf nicht-kompetitiven Märkten, zu denen es typischerweise in der Ausreifungs- und Stagnationsphase kommt, der Wettbewerb vom Such- und Entdeckungsverfahren zum bloßen Anpassungsmechanismus und Entdeckungsfeld für Wettbewerbsbeschränkungen gewandelt hat. Diesem degenerierten Markt will der Gesetzgeber einen simulierten Wettbewerbsmarkt gegenüberstellen, der durch Vergleichsmärkte konkretisiert wird (s.u. 6. Kap. V 2 b). – Das totale Vertrauen auf den Marktmechanismus, d.h. die a priori positive Bewertung von Marktergebnissen, die sich bei Wettbewerbsfreiheit und spirit of competition ergeben, ist zumindest nicht unproblematisch (vgl. die Theorie des Marktversagens im 2. Kap. IV). – Das Vorverständnis des Wettbewerbs als bloßes Such- und Entdeckungsverfahren erlaubt nur eine allgemeine Mustervoraussage über die Erzielung guter Marktergebnisse (systemtheoretischer Ansatz), dagegen nicht eine konkrete Voraussage im Hinblick auf die Realisierung eines vorgegebenen ökonomischen Zielkatalogs (instrumental-funktionalistischer Ansatz). (d) Die Forderung der liberalen Rechtsstaatslehre nach Aufstellung allgemeiner Regeln bedingt hinsichtlich der erhofften Gleichbehandlung aller Wirtschaftssubjekte deren annähernde soziologische Gleichheit. Da diese nicht vorhanden ist, bergen im Wirtschaftsleben allgemeine Regeln die Gefahr in sich, dass Privilegien und Diskriminierungsmöglichkeiten der mit Übermacht ausgestatteten Wirtschaftssubjekte sanktioniert werden. Der Versuch, eine dem Wettbewerbsprozess adäquate Handlungstheorie nur mittels per se-Regeln aufzustellen, erscheint daher wettbewerbspolitisch nicht sachgerecht: – Es gibt nur wenige eindeutig negativ zu beurteilende Verhaltensweisen (insbesd. Kopplungsbindungen und Treuerabatte); in der Regel muss vielmehr der Gesamtkontext bei der wettbewerbspolitischen Beurteilung berücksichtigt werden. Der bei Anwendung der rule of reason gegebene Beurteilungsspielraum muss daher in Kauf genommen werden. – Per se-Verbote sind dann nicht problemrelevant, wenn die Ursachen der Wettbewerbsbeschränkung in verfestigten nicht-kompetitiven Marktstrukturen liegen. In einem solchen Fall sind allein Eingriffe in die Marktstruktur (Entflechtung) adäquat. – Jede Setzung bzw. Veränderung von per se-Regeln hat Auswirkungen auf die nomokratische Wettbewerbsordnung, die aber von den Politikern aufgrund der Komplexität dieser Ordnung nicht überschaut werden können. Somit setzen sich auch die Systemtheoretiker dem Verdacht der Anmaßung von Wissen aus.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

23

Eine (nur auf per se-Regeln basierende) allgemeine Handlungstheorie43 vernachlässigt die Freiheitsdimension zwischen privaten Wirtschaftssubjekten und bedeutet einen Rückfall in den sog. Manchester-Liberalismus. Der Ordo-Liberalismus hat dagegen die Freiheitsproblematik immer zweidimensional gesehen: einmal im Verhältnis Staat/Privater, zum anderen im Verhältnis der Privaten untereinander. (e) Der sog. systemtheoretische Ansatz leistet – im Gegensatz zur (traditionellen) Industrial Organization School – keinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Preistheorie zu einer empirisch gehaltvollen Theorie. Die Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse hat eine ganze Reihe von unverändert aktuellen Fragen hinsichtlich der Einordnung des Wettbewerbs in ein Ziel-Mittel-System und der Abgrenzung von Wettbewerbs- und Ausnahmebereichen aufgeworfen, auf die im folgenden 2. Kap. näher eingegangen werden soll, um abschließend Aufbau und Inhalt des theoretischen Konzeptes eines wirksamen Wettbewerbs zu skizzieren (Kapitel 3). Zuvor soll jedoch noch auf das in den USA seit Beginn der achtziger Jahre eine große Rolle spielende Konzept der Chicago School eingegangen werden, wenngleich es sich dabei nicht um eine konkrete Ausprägung des Konzepts eines wirksamen und funktionsfähigen Wettbewerbs handelt, sondern um einen Rückgriff auf Neoklassik und Alt-Liberalismus.

3.

Das Konzept der sog. Chicago School of Antitrust Analysis44

a) Darstellung des Konzeptes Die Chicago School, die in der Vergangenheit nur mit dem Monetarismus (Milton Friedman u.a.) identifiziert worden war, hat in den siebziger Jahren auch ein Credo zu Fragen der Antitrustpolitik entwickelt. Die wettbewerbspolitische Variante der Chicago School wird durch eine Gruppe von Ökonomen und Juristen repräsentiert, zu denen u.a. Bork, Demsetz, Director, Posner und Stigler gehören; diese Gruppe hatte unter Präsident Reagan einen erheblichen Einfluss auf die jüngere US-amerikanische Antitrustpolitik erlangt. Das wettbewerbspolitische Konzept dieser Schule war in den 80er Jahren zur Maxime der US-Antitrustpolitik geworden.45 Ausdruck dieser „Wende“ in der Antitrustpolitik waren die Merger Guidelines von 1982/84 und die Vertical Restraints Guidelines von 1985.46 43

44

45

46

Zugunsten des neuklassischen Konzepts könnte jedoch angeführt werden, dass eine pragmatische (Wettbewerbs-)politik, die sich stärker an der Durchsetzbarkeit orientiert bzw. Wettbewerb als wirtschaftspolitisches Instrument begreift, im politischen Bereich leichter überspielbar ist. Mit anderen Worten: ein an der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfreiheit als Ziel an sich orientiertes Konzept ist im politischen Entscheidungsprozess leichter gegen den Druck der Lobby zu verteidigen und durchzusetzen (Parallele zu den sog. Regelmechanismen in der Konjunkturpolitik). Vgl. den Überblick bei Schmidt, Ingo, und Jan B. Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis: Ökonomische Analyse des Wettbewerbsrechts, in: WiSt 15 (1986), S. 283 ff., und Mueller, Dennis C., Das Antitrustrecht der Vereinigten Staaten am Scheideweg, in: WuW 36 (1986), S. 533 ff. Im folgenden soll schwerpunktmäßig auf die Ausführungen von Posner und Bork Bezug genommen werden, die in den 80er Jahren häufig als Sprecher resp. orthodoxe Vertreter dieser wettbewerbspolitischen Schule aufgetreten sind. Vgl. hierzu Posner, Richard A., The Chicago School of Antitrust Analysis, in: University of Pennsylvania Law Review 127 (1979), S. 925 ff., mit weiterführenden Literaturhinweisen, und Bork, Robert H., The Antitrust Paradox: A Policy at War with Itself, New York 1978. Vgl. DIHT (Hrsg.), Neue US-Fusionskontrolle: Verwaltungsgrundsätze der Kartellbehörden, DIHTSchriftenreihe 207, Bonn 1983, und FIW (Hrsg.), US-Fusionsrichtlinien 1984, FIW-Dokumentation Heft 6,

24

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Das polit-ökonomische Vorverständnis der Chicago School lässt sich wie folgt charakterisieren: •

Verständnis des Marktgeschehens als eines freien Spiels der Kräfte ohne staatliche Eingriffe, in welchem die Gesündesten und Besten überleben (George J. Stigler: „survival of the fittest“ – sog. Sozial-Darwinismus). • Zurückdrängen des Einflusses des Staates, der nur – sehr eng umgrenzte – ordnungspolitische Rahmenbedingungen setzen soll; die wirtschaftspolitische Abstinenz des Staates soll quasi automatisch zu einem Pareto-optimalen Zustand führen. • Übertragung ökonomischen Denkens auf alle Lebensbereiche (z.B. „economics of marriage“, „economics of crime“). • Liberal-konservatives Selbstverständnis der Vertreter der Chicago School, welches von ihren Gegnern als unternehmerfreundlich und gewerkschaftsfeindlich kritisiert wird. Nach Auffassung der Vertreter der Chicago School besteht das alleinige Ziel der Antitrustpolitik in einer Maximierung der Konsumentenwohlfahrt; insbesondere Robert H. Bork47 behauptet, dass die Väter des amerikanischen Antitrustrechts einzig und allein dieses Ziel verfolgt hätten.48 Die Aufgabe der Wettbewerbspolitik müsse daher in der Aufrechterhaltung von Marktmechanismen bestehen, die ein Maximum an Konsumentenwohlfahrt i.S. einer optimalen Allokation der volkswirtschaftlichen Ressourcen gewährleisten. Für die Antitrustbehörden sollten daher nur zwei Effizienzkriterien für die Beurteilung von Wettbewerbspraktiken ausschlaggebend sein:49 •

Die allokative Effizienz (i.S. einer volkswirtschaftlich optimalen Allokation der Ressourcen, d.h. Anbieten der Wettbewerbsmenge zum Wettbewerbspreis gemäß K′ = p im Gegensatz zum Cournot-Fall) und • die produktive Effizienz (i.S. einer effizienten Ressourcenverwendung in den einzelnen Unternehmen z.B. durch Ausnutzen von economies of scale oder transaction-cost efficiencies).50 Die Vertreter der Chicago School wollen damit eine Abwägung zwischen wettbewerbsbeschränkenden Marktmachteffekten (allokative Ineffizienz) und positiven Effizienzvorteilen (produktive Effizienz) vornehmen. Dazu wollen sie die neoklassische Preistheorie heranziehen, wobei vollständige Konkurrenz und Monopol als Referenzsituationen dienen. Das von den Vertretern der Harvard School (Mason, Bain, Scherer, Shepherd u.a.) vertretene Konzept eines funktionsfähigen Wettbewerbs, welches auf dem Marktstruktur-, Marktverhaltens-

47 48

49 50

Köln u.a. 1985. Vgl. dazu Schmidt, Ingo, und Wolfgang Ries, Der Hirschman-Herfindahl-Index (HHI) als wettbewerbspolitisches Instrument in den neuen US-Fusionsrichtlinien 1982, in: WuW 33 (1983), S. 525 ff. Vgl. auch die vom US Department of Justice am 23. Januar 1985 veröffentlichten Vertical Restraints Guidelines, abgedruckt in: CCH Trade Regulation Reports Nr. 687 (1985), Part II; dazu Schmidt, Ingo, und Ulrich Kirschner, Darstellung und wettbewerbspolitische Würdigung der U.S. Vertical Restraints Guidelines, in: WuW 35 (1985), S. 781 ff. Vgl. Bork, op. cit., S. 81 ff., 89. Vgl. dagegen jedoch Thorelli, Hans B., The Federal Antitrust Policy: Origination of an American Tradition, Baltimore 1955, S. 72–85 und 108–162, der darauf hinweist, dass die Hauptschutzzwecke des Sherman Act in der Kontrolle wirtschaftlicher Macht und einer durch free competition erzielten optimalen Verbraucherversorgung, ausgedrückt in Preisen und Mengen, zu sehen sind. Nach der st. Rspr. des Federal Supreme Court liegen den amerikanischen Antitrustgesetzen daher sowohl gesellschaftspolitische als auch ökonomische Zielsetzungen (Schutzzwecke) zugrunde. Vgl. Bork, op. cit., S. 91. Vgl. die Darstellung dieser Konzepte im 5. Kapitel.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

25

und Marktergebnisparadigma beruht und mit stochastischen Hypothesen arbeitet, ja sogar das Konzept des monopolistic competition von Chamberlin werden abgelehnt: „(T)hey lack the analytical clarity of perfect competition“ (Stigler). Zudem vertrauen die Vertreter der Chicago School auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. In ihrer theoretischen Analyse gehen die Vertreter der Chicago School von einem Idealmarkt als analytischem Referenzgebilde aus, der durch folgende Annahmen gekennzeichnet ist: • • • •



• •

51 52

Rationalprinzip i.S. der reinen Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung der Verbraucher bzw. Unternehmen. Weitgehend vollkommene Märkte i.S. von Homogenität und vollkommener Markttransparenz. Eine so große Zahl von Unternehmen, dass kein Unternehmen das Marktverhalten anderer Unternehmen berücksichtigt (d.h. keine Reaktionsverbundenheit – Polypol). Fehlen von Marktzutrittsschranken, deren Existenz nur im Falle staatlich gesetzter (künstlicher) Marktzutrittsschranken anerkannt wird. Dagegen werden von den Vertretern der Chicago School Werbung, Produktdifferenzierung, Mindestkapitalausstattung sowie vertikale Integration nicht als Marktzutrittsschranken, sondern als Ausdruck wettbewerblicher Verhaltensweisen bzw. ökonomischer Effizienz aufgefasst51, die wohlfahrtsökonomisch erwünscht sind. So wird z.B. die psychische Produktdifferenzierung durch Werbung nicht als Marktzutrittsschranke angesehen, da jeder werben könne, so dass der Zutritt zu einem gewinnversprechenden Markt dadurch nicht behindert wird (wenn dieser idealtypisch funktioniert!). Die Konsumenten als rationale Wesen würden Werbung nur dann honorieren, wenn diese informiere und die Suchkosten reduziere. Damit wird einseitig auf Suchgüter abgestellt. Von Erfahrungsgütern, die im Wirtschaftsprozess nach Zahl und Bedeutung überwiegen, wird abstrahiert.52 Gerade bei diesen Gütern überwiegt jedoch die suggestive Komponente in der Werbung. Der Marktmechanismus wird als ein System von wirtschaftlichen Anreizen und Zwängen charakterisiert, welches dafür sorgt, dass die Koordinations-, Informations- und Allokationsfunktionen des Wettbewerbs realisiert werden. Dabei wird unterstellt, dass der Markt im Hinblick auf Zutritte und Austritte offen ist, so dass die Gewinn- bzw. Verlustaussichten einen Anreiz bzw. Druck für eine ausreichend hohe Zahl von Unternehmen darstellen, auf dem Markt zu agieren und dadurch die Realisierung der vorgegebenen Zielfunktionen zu gewährleisten. Marktmacht kann insofern nur temporär auftreten; langfristig wird sie – aufgrund der getroffenen Annahmen – eliminiert. Von der dynamischen Effizienz i.S. von Produkt- und Prozessinnovationen wird abstrahiert. Im Falle von Marktversagen (z.B. durch externe Effekte, zunehmende Skalenerträge im gesamten Nachfragebereich oder atypisch verlaufende Angebots- und Nachfragekurven) vertraut die Chicago School auf marktähnliche Mechanismen (z.B. Auktionen).

Vgl. z.B. Posner, supra, S. 929 f. Bei Suchgütern können die Eigenschaften eines Gutes vom Konsumenten vor dem Kauf, bei Erfahrungsgütern erst nach dem Kauf wahrgenommen und beurteilt werden.

26

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

b) Wettbewerbspolitische Handlungsempfehlungen Ziel der Wettbewerbspolitik ist nach Auffassung der Chicago School die Maximierung der Konsumentenwohlfahrt (performance approach). Von einem Leitbild im Sinne der bisher dargestellten Konzeptionen (vgl. oben Kantzenbach und Hoppmann) wird abgesehen. Da die Chicago School auf die langfristige Wirksamkeit des Marktmechanismus (Zeithorizont und Fehlen von Marktzutrittsschranken) vertraut, nimmt sie grundsätzlich eine skeptische Haltung im Hinblick auf staatliche Aktivitäten im Bereich des Wettbewerbs ein. aa) Eingriffe in die Marktstruktur (Konzentration) Wettbewerbspolitische Eingriffe in die Marktstruktur werden im Allgemeinen abgelehnt. Begründet wird dies damit, dass die Organisation einer Industrie, die für einen längeren Zeitraum keinen gesetzlichen Zulassungsbeschränkungen unterlegen hat, die zugrundeliegende Kostensituation widerspiegelt („survival of the fittest“). Die Industrie weist demzufolge eine Struktur auf, die sich im Zeitablauf ausschließlich durch unterschiedliche Effizienz der Unternehmen ergeben hat. Hohe und eventuell auch asymmetrische Konzentration ist also das Ergebnis überlegener Unternehmeraktivitäten. Während die Harvard School sich für eine strikte Fusionskontrolle sowie Restrukturierung (Entflechtung) von langfristig konzentrierten Industrien ausspricht, vertraut die Chicago School auf den Marktmechanismus. Wenn eine Konzentration langfristig besteht, so impliziere das, dass entweder auf dem Markt infolge von economies of scale nur wenige Unternehmen tätig sein können und daher die Konsumentenwohlfahrt durch Hinzutritt von newcomers nicht erhöht werden würde oder dass die Unternehmen in der Lage seien, suprakompetitive Gewinne durch Kostenreduktion oder Produktverbesserungen zu erzielen, die die Mitbewerber und newcomers nicht nachahmen können. Die langfristige Existenz von hochkonzentrierten Märkten wird insofern durch Effizienzgesichtspunkte gerechtfertigt.53 Dabei ist nach Auffassung von Bork wichtig, ob ein Unternehmen seine effiziente Unternehmensgröße durch internes oder horizontales externes Wachstum erlangt hat.54 Internes Unternehmenswachstum Die Entflechtung intern gewachsener Unternehmen wird abgelehnt, da internes Wachstum lediglich als Ausdruck überlegener produktiver Effizienz gesehen wird. Die Unternehmen können durch internes Wachstum jeden Marktanteil erreichen, solange dies nicht auf wettbewerbswidrige Weise geschieht. Durch Entflechtung einer solchen durch internes Wachstum entstandenen effizienten Industriestruktur würden die Quelle der Produktivität zerstört und die Konsumentenwohlfahrt negativ beeinträchtigt werden. Externes Unternehmenswachstum Fusionen als Ausdruck externen Unternehmenswachstums werden im Allgemeinen nicht als wettbewerbsgefährdend angesehen, da sie nach Auffassung der Vertreter der Chicago School in erster Linie der Ausschöpfung von economies of scale, der Vermögenskonzentration in den Händen überlegener Unternehmen sowie der Bestrafung eines ineffizienten oder schlech-

53 54

Vgl. Posner, supra, S. 944 ff. Vgl. Bork, op. cit., S. 164.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

27

ten Managements dienen. Externe Konzentration ist insofern grundsätzlich Ausdruck von produktiver Effizienz. Dabei wird übersehen, dass Konzentration auch diseconomies of scale bzw. sog. X-inefficiencies i.S. von Harvey Leibenstein55 auslösen kann; die Bürokratie ist eine auch in der Großindustrie weit verbreitete Erscheinung. Zudem erfolgen Fusionen nicht nur aus Effizienzgründen, sondern auch zwecks Erlangung von Marktbeherrschung bzw. aufgrund von Managementmotiven (sog. empire building policy). Die Chicago School sieht allerdings die Gefahr kollusiven Verhaltens mit zunehmender Konzentration, womit die amerikanischen Antitrustbehörden bei der Beurteilung horizontaler Fusionen derzeit häufig argumentieren. Auch die EK in Brüssel argumentiert ähnlich. bb) Eingriffe in das Marktverhalten Ausgehend von der Vorstellung, dass sich Wettbewerb darin äußert, dass Konkurrenten versuchen, sich durch effizienteres Produzieren und Anbieten von Gütern und Dienstleistungen gegenseitig zu überflügeln, verfolgen die Vertreter der Chicago School einen Verhaltensansatz. Es erscheint deshalb nicht verwunderlich, dass sie wettbewerbsbeeinträchtigendem Verhalten kritischer gegenüberstehen als strukturbedingter Konzentration. So sehen z.B. Stigler und Harold Demsetz den wettbewerbspolitisch wesentlichen Problemkreis weniger in der Konzentration als in der Kollusion. Absprachen Die Vertreter der Chicago School beurteilen Absprachen bzw. aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen und das spontan-solidarische Parallelverhalten in engen Oligopolen unterschiedlich; darüber hinaus wird streng zwischen horizontalen und vertikalen Absprachen unterschieden. Um nicht die amerikanische Antitrustpolitik in toto zurückzuweisen, sprechen sich die Vertreter der Chicago School – teilweise aus taktischen Gründen56 – für ein Verbot von horizontalen Preisabsprachen aus, da mit zunehmender Konzentration, d.h. abnehmender Zahl der Wettbewerber, die Neigung der Unternehmen zu Absprachen zunehme. Sieht man einmal von Stigler ab, der auch das spontan-solidarische Parallelverhalten auf Märkten mit hoher Interdependenz (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 GWB) als Problem ansieht, so verneinen die Vertreter der Chicago School eine (faktische) Beschränkung des Wettbewerbs in engen Oligopolen. Die Chicago School leugnet zwar nicht, dass die Konzentration ein wesentlicher Faktor zur Erleichterung von Absprachen ist. Jedoch führe der Preismechanismus nach Auffassung der Chicago School entweder dazu, dass durch newcomers die Konzentration vermindert wird oder dass die Unternehmen gezwungen werden, die Preise zu senken, um newcomers vom Markt fernzuhalten. Diese Argumentation setzt idealtypisch funktionierende Märkte ohne Marktzutrittsschranken voraus. Vertikale Absprachen werden von den Vertretern der Chicago School als unbedenklich angesehen, da aus ihnen keine direkten Marktanteilszuwächse resultieren, die den Beteiligten die Möglichkeit geben, nur noch die Monopolmenge anzubieten und den Preis über das 55 56

Vgl. die Darstellung dieses Konzeptes im 5. Kapitel. Posner, supra, S. 932: “Partly, perhaps, for tactical reasons (not to seem to reject antitrust policy in its entirety), the members of the Chicago School would sometimes denounce price fixing.”

28

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

Wettbewerbsniveau hinaus anzuheben. Solche Absprachen dienen also lediglich der Steigerung der Konsumentenwohlfahrt. Von Marktschließungs- oder Marktverdrängungseffekten solcher Absprachen wird weitgehend abstrahiert. Behinderung dritter Unternehmen Die Chicago School geht grundsätzlich davon aus, dass Unternehmen nicht durch einseitige – d.s. nicht mit Wettbewerbern abgesprochene – Verhaltensweisen Monopolmacht erlangen oder behaupten können „unless of course, they are irrationally willing to trade profits for position“.57 So dienen einseitige Verhaltensweisen wie Ausschließlichkeitsbindungen (exclusionary practices), Kopplungsbindungen (tying arrangements), gezielte Kampfpreisunterbietungen (predatory pricing) und die Preisbindung der zweiten Hand (resale price maintenance) lediglich der Erhöhung der produktiven Effizienz des „handelnden“ Unternehmens und damit der Erhöhung der Konsumentenwohlfahrt als ganzes. Die mit diesen Verhaltensweisen einhergehende mögliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Kontroll- und Steuerungsmechanismus wird von der Chicago School stark unterbewertet; im Vordergrund der Betrachtung steht allein die Effizienz des einzelnen Unternehmens. c) Kritik an dem Konzept der Chicago School Die wettbewerbspolitische Position der Chicago School ist einer Reihe von gravierenden Einwendungen ausgesetzt: •

Verwendung der neoklassischen Preistheorie mit den Bedingungen eines vollkommenen Marktes, auf dem es keine Restriktionen – welcher Art auch immer – gibt. • Ablehnung einer Oligopoltheorie, da von nicht-staatlichen Marktzutrittsschranken abstrahiert wird, was impliziert, dass Oligopolisten sich aufgrund des potentiellen Wettbewerbsdruckes wie unter vollständigem Wettbewerb verhalten müssen (sog. contestability – s. 3. Kap. III 4). • Einschränkung des Zielkataloges auf die Wohlfahrtsmaximierung, die nur bei einer Verknappung der Menge und überhöhten Preisen (Cournot Fall) gefährdet ist. Von dem gesellschaftspolitischen Ziel der Machtkontrolle durch wirksamen Wettbewerb sowie einer leistungsgerechten Einkommensverteilung wird abstrahiert. • Verwendung eines nicht klar definierten Effizienzkriteriums, das jedoch ständig zur Rechtfertigung einer Vielzahl von Wettbewerbsbeschränkungen herangezogen wird (so Scherer). • Willkürliche Auswahl von empirischen Studien nach dem Gesichtspunkt, welche Studien die eigene Position stützen; die weit überwiegende Mehrzahl der Studien, die zu gegenteiligen Ergebnissen kommen, wird vernachlässigt (Vorwurf des selektiven Empirismus). Der wettbewerbstheoretische Denkansatz der Chicago School ist Ausdruck einer vorwiegend einzelwirtschaftlichen Betrachtungsweise, bei der es primär um die Steigerung der Effizienz des einzelnen Unternehmens geht. Allerdings ist die Erkenntnis, dass in komparativ-statischer Sicht durch Wettbewerbsbeschränkungen einzelwirtschaftliche Vorteile erzielt werden können, nicht neu. Diesen einzelwirtschaftlichen Vorteilen können jedoch bei dynamischer Zeitablaufsbetrachtung erhebliche gesamtwirtschaftliche Nachteile gegenüberstehen. Das Pro57

Posner, supra, S. 928.

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

29

blem, wie Eigennutz einzelner Wirtschaftssubjekte und Gesamtnutzen der Volkswirtschaft auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können, wird von der Chicago School nur unzureichend durch den Hinweis auf das Fehlen von privaten Marktschranken beantwortet. Da Marktschranken im traditionellen Sinne (Bain) nur als Ausdruck von Effizienz begriffen und damit „wegdefiniert“ werden, ist aus der Sicht der Chicago School immer eine ausreichende Zahl potentieller Konkurrenten vorhanden, deren Druck einzelwirtschaftliche Vorteile auch zu gesamtwirtschaftlichen Vorteilen macht. Im Vordergrund der wettbewerbstheoretischen Analyse der Chicago School steht daher nicht die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als Kontroll- und Steuerungsmechanismus im Zeitablauf, sondern die einmalige Steigerung der Effizienz des einzelnen Unternehmens mit Hilfe verschiedener wettbewerbsbeschränkender Strategien. Das Effizienzkriterium ist insofern primär einzelwirtschaftlicher, komparativ-statischer Natur. Dynamische Effizienz i.S. von Produkt- und Prozessinnovationen lässt sich jedoch nur durch die Aufrechterhaltung und Sicherung wirksamen (tatsächlichen und/oder potentiellen) Wettbewerbs sichern – eine Einsicht, der sich mittlerweile auch Posner als einer der Hauptvertreter dieser Schule nicht mehr verschließt, wenn er in 2001 sagt:58 “Efficiency is the ultimate goal of antitrust, but competition a mediate goal that will often be close enough to the ultimate goal to allow the judge to look no further.” Abschließend lässt sich anmerken, dass das in sich geschlossene und vermeintlich umfassende theoretische Gebäude der Chicago School auf bestimmten Modellannahmen beruht, wie z.B. der Nicht-Existenz von Marktschranken (contestability von Märkten), der Abstraktion von der dynamischen Effizienz und einer extrem langfristigen Betrachtungsweise (Zeithorizont!).

4.

Die Post-Chicago School

Während die Chicago School die amerikanische Antitrustpolitik in den 80er Jahren dominiert hat (Reagan Ära), ist die amerikanische Wettbewerbspolitik in den 90er Jahren maßgeblich durch die spieltheoretisch orientierte Neue Industrieökonomie [vgl. zur NIÖ 3. Kap. II (6)] sowie die Berücksichtigung empirischer Forschungsergebnisse der traditionellen Industrial Organization School bestimmt worden, d.h., Schutzweck von Antitrust sind sowohl die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs als auch eine gute performance (Effizienz). Im Gegensatz zur Chicago School sucht die Post-Chicago School auf der Basis ausdifferenzierter ökonomischer Modelle nach denjenigen Bedingungen, die zu allokativen und produktiven Ineffizienzen sowie einer Reduktion der Investitionsneigung führen. Das bedeutet, dass je nach Einzelfall die Post-Chicago School vertikale Absprachen, Ausschließlichkeitsbindungen sowie Kampfpreisstrategien wesentlich kritischer beurteilt als die Chicago School.

58

Posner, Richard A., Antitrust Law, 2. Aufl., Chicago, Ill. 2001, S. 29. Dieser Meinungswandel geht offenbar auf seine Erfahrungen als Richter an einem Federal Court of Appeal zurück.

30 Tab. 1:

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder Überblick über die Wettbewerbskonzepte der Chicago, der Harvard und der Austrian School Chicago School Konsumentenwohlfahrt i.S. von für den Verbraucher günstigen PreisMengen-Beziehungen (statische Effizienz als ökonomisches Ziel)

Harvard School ökonomische Ziele (Wettbewerbsfunktionen) z.B.: – Verteilungsgerechtigkeit, – Konsumentensouveränität, – opt. Faktorallokation, – Anpassungsflexibilität und – technischer Fortschritt (dynamische Effizienz).

keine Berücksichtigung der dynamischen Effizienz sowie metaökonomischer Ziele

metaökonomische Ziele: – Dezentralisierung wirtschaftlicher Macht

Forschungsmethode

neoklassische Analyse im Interesse der „analytical clarity“ und der Rechtssicherheit der Unternehmen

empirische Untersuchungen und juristische Fallstudien zur Weiterentwicklung einer empirisch gehaltvollen Preis- und Wettbewerbstheorie

Muster-Voraussagen über Eigenschaften und ökonomische Vorteilhaftigkeit des Wettbewerbssystems; keine Einzelaussagen über konkrete Ausprägungen des Systems

Betrachtungshorizont

langfristig

kurz- und mittelfristig

langfristig

Wettbewerbsansatz

Verhaltensansatz (nicht Konzentration, sondern Kollusion ist das Problem)

Marktstruktur-, Marktverhalten-, Wettbewerb als nomokraMarktergebnis-Paradigma tische Ordnung, bei welcher die inhaltlichen Ziele des Wettbewerbs bewusst offen bleiben (Ablehnung des teleokratischen Ansatzes)

Messkonzept

1. allokative Effizienz i .S. einer optimalen Allokation der Ressourcen 2. produktive Effizienz i.S. einer effizienten Ressourcenverwendung in den einzelnen Unternehmen (z.B. Ausnutzen von economies of scale oder transactioncost economies)

Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis, die einem normativ vorgegebenen Zielkatalog entsprechen (kategorischer Ansatz)

Ablehnung wohlfahrtsökonomischer Effizienzkonzepte und ökonometrischer Modelle für die Analyse wettbewerblicher Prozesse; dagegen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit (Marktmachttest)

Wettbewerbspolitik

Vertrauen auf den Marktmechanismus (survival of the fittest), nur ausnahmsweise Struktureingriffe, da Markt sich selbst reguliert; Entflechtung nur in Ausnahmebereichen (z.B. AT&T). Per se-Verbot nur bei horizontalen Absprachen; vertikale Absprachen unterliegen einer per se-legality, es sei denn, dass wesentliche negative horizontale Effekte auftreten (rule of reason).

staatliche Wettbewerbspolitik gegenüber Konzentration (Fusionskontrolle und Entflechtung) sowie Verfolgung von Verhandlungs- und Behinderungsstrategien; teils per serule, teils rule of reason

Aufstellung allgemeiner Verhaltensregeln (per seRegeln), die das Wettbewerbssystem sichern.

Ausnahmebereiche

Entregulierung staatlich beaufsichtigter Industriezweige und sehr weitgehende Beseitigung von Ausnahmebereichen (z.B. im Gesundheitswesen)

Kritik an der zu weitgehenden Freistellung der Ausnahmebereiche vom Wettbewerb

ursprünglich Akzeptanz natürlicher Wettbewerbshemmnisse (z.B. aufgrund gravierender economies of scale); Beseitigung von politischen Ausnahmebereichen als künstliche Wettbewerbshemmnisse

Ziele

Austrian School Wettbewerbsfreiheit als letztes Ziel und damit individuelle ökonomische Vorteilhaftigkeit (Non-Dilemmabzw. Harmonie-These)

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

31

Übungsfragen zum 1. Kapitel 1. Was verstehen Sie unter „Wettbewerb“? Welche Schwierigkeiten bereitet der Versuch einer Definition des Wettbewerbs? 2. Durch welche Merkmale ist der wirtschaftliche Wettbewerb charakterisiert? 3. Charakterisieren Sie die Auffassung von Wettbewerb in der klassischen Schule der Nationalökonomie. 4. Nennen Sie die Wettbewerbsbedingungen, die implizit oder explizit im Begriff des Wettbewerbs, wie er von den Klassikern verstanden wurde, enthalten sind. 5. Welche Werturteile liegen dem Wettbewerbsbegriff der Klassik zugrunde? 6. Schildern Sie die Gründe, die zur Entwicklung des stationären Gleichgewichtsmodells der vollständigen Konkurrenz geführt haben. 7. Auf welchen Gruppen von Annahmen fußt das stationäre Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz? 8. Kennzeichnen Sie den stationären Zustand der Wirtschaft, von dem im Modell der vollständigen Konkurrenz ausgegangen wird. 9. Von welcher Marktstruktur im weiteren Sinne wird im Modell der vollständigen Konkurrenz ausgegangen? 10. Wodurch sind homogene Güter gekennzeichnet? 11. Wie verhalten sich die Anbieter und Nachfrager auf einem Markt, auf dem vollständige Konkurrenz herrscht? 12. Beschreiben Sie das Marktergebnis im Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz. 13. Was versteht man unter dem Pareto-Optimum? 14. Welche Kritik kann an der vollständigen Konkurrenz als Leitbild der Wettbewerbspolitik geübt werden? 15. Welches Wettbewerbskonzept entstand aus der Kritik am Modell der vollständigen Konkurrenz? 16. Inwiefern kann die Entwicklung zu einem Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs als ein Versuch charakterisiert werden, einen Ausweg aus den Schlussfolgerungen der Theorie des monopolistischen und des unvollkommenen Wettbewerbs zu finden? 17. Was versteht man unter der „Gegengiftthese“? 18. Beschreiben Sie die Theorie des Zweitbesten. 19. Schildern Sie die weitere Entwicklung des Konzepts eines „workable competition“ zu den Ansätzen einer umfassenden dynamischen Wettbewerbstheorie. 20. Beschreiben Sie, wie „Wettbewerb“ in der Theorie des wirksamen Wettbewerbs gesehen wird. 21. Was sind Marktunvollkommenheiten, und welche Stellung haben sie in der dynamischen Theorie eines wirksamen Wettbewerbs? 22. Zeigen Sie Kantzenbachs Versuch auf, ein wettbewerbspolitisch praktikables Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs zu entwickeln. 23. Welche Kritik ist an Kantzenbachs Konzept eines funktionsfähigen Wettbewerbs geübt worden? 24. Skizzieren Sie die Zielkomplexe, von denen Hoppmann bei seiner Darstellung des Wettbewerbs ausgeht. 25. Was versteht man unter der sog. Harmoniethese von Hoppmann?

32

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

26. Nehmen Sie Stellung zu der Aussage, dass Wettbewerbsfreiheit und ökonomische Vorteilhaftigkeit zwei Aspekte desselben wettbewerblichen Prozesses sind. 27. Inwiefern beruht Hoppmanns Harmoniethese auf dem Verständnis des Wettbewerbs als spontaner Ordnung i.S. von v. Hayek? 28. Was versteht Hoppmann unter Ausnahmebereichen? 29. Weshalb ist nach Hoppmann kein Dilemma zwischen den von ihm dargestellten Zielkomplexen möglich? 30. Welche Kritik ist am sog. neuklassischen Konzept des Wettbewerbs (Hoppmann) geübt worden? 31. Schildern Sie die wettbewerbspolitischen Hauptthesen und Handlungsempfehlungen der Chicago School. 32. Welche Kritik lässt sich an der wettbewerbspolitischen Position der Chicago School und ihren Hauptthesen üben? 33. Vergleichen Sie das Vorverständnis der Chicago School mit dem von Kantzenbach und Hoppmann in bezug auf die Rolle des Staates und den Wettbewerb als Instrument oder letztes Ziel. 34. Was sind die Unterschiede zwischen der komparativ-statischen Effizienz der Chicago School und der dynamischen Effizienz der Harvard School? 35. Worin unterscheiden sich die Chicago und die Post-Chicago-School?

Weiterführende Literaturhinweise zum 1. Kapitel Audretsch, David, Divergent Views in Antitrust Economics, in: The Antitrust Bulletin Bd. 33 (1988), S. 135 ff. ders., William J. Baumol und Andrew E. Burke, Competition policy in dynamic markets, in: International Journal of Industrial Organization 19 (2001), S. 613 ff. Bain, Joe S., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968. Barnikel, Hans-Heinrich (Hrsg.), Wettbewerb und Monopol, Darmstadt 1968. Bartling, Hartwig, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, München 1980, S. 9–57. Brandt, Karl, Das neoklassische Marktmodell und die Wettbewerbstheorie, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Bd. 199 (1984), S. 97–116. Clark, John Maurice, Toward a Concept of Workable Competition, in: American Economic Review Bd. 30 (1940), S. 241–256, wieder abgedruckt in: Wettbewerbstheorie, hrsg. von Herdzina, Klaus, Köln 1975, S. 143–160. ders., Competition as a Dynamic Process, Washington, D.C. 1961. Eickhof, Norbert, und Kathrin Isele, Do Economists Matter? Eine politökonomische Analyse des Einflusses wettbewerbspolitischer Leitbilder auf die europäische Fusionskontrolle, in: Entscheidungsorientierte Volkswirtschaftslehre: Festschrift für Gustav Dieckmann, hrsg. von Göcke, Matthias, und Stefan Kooths, Frankfurt a.M. 2005, S. 365 ff. Eickhof, Norbert, Die Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse aus heutiger Sicht, in: Evolution und freiheitlicher Wettbewerb: Erich Hoppmann und die aktuelle Diskussion, hrsg. von Vanberg, Viktor J., Tübingen 2009, S. 35 ff. guter Überblick).

1. Kapitel: Entwicklung der wettbewerbspolitischen Leitbilder

33

Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e.V. Köln (Hrsg.), Das Konzept der „Workable Competition“ in der angelsächsischen Literatur: Einleitung und Bearbeitung von Jürgen Poeche, Köln u.a. 1970. Hayek, Friedrich A. von, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, wieder abgedruckt in: Freiburger Studien: Gesammelte Aufsätze von F. A. von Hayek, Tübingen 1969, S. 249– 265. Herdzina, Klaus, Zur historischen Entwicklung der Wettbewerbstheorie, in: Wettbewerbstheorie, hrsg. von Herdzina, Klaus, Köln 1975, S. 15–28. Hoppmann, Erich, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: Grundlagen der Wettbewerbspolitik, hrsg. v. Schneider, Hans K., Berlin 1968, S. 9–49. ders., Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs: Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderung, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Bd. 181 (1967/68), S. 251–264. Kantzenbach, Erhard, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen 1967. Kirchner, Christian, Ökonomische Analyse des Rechts und Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (antitrust law and economics): Die amerikanische Diskussion und Folgerungen für das deutsche Recht, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Bd. 144 (1980), S. 563–588. Motta, Massimo, Competition Policy: Theory and Practice, Cambridge 2004, Kap. 1. Piotrowski, Roman, Cartels and Trusts: Their Origin and Historical Development From the Economic and Legal Aspects, London 1933 (Reprint Philadelphia, Pa. 1978). Posner, Richard A., The Chicago School of Antitrust Analysis, in: The University of Pennsylvania Law Review Bd. 127 (1979), S. 925–948. Rittaler, Jan B., Industrial Concentration and the Chicago School of Antitrust Analysis: A Critical Evaluation on the Basis of Effective Competition, Hohenheimer Volkswirtschaftliche Schriften Band 11, Frankfurt a.M. u.a. 1989. Scherer, Frederic M., The Posnerian Harvest: Separating Wheat from Chaff, in: The Yale Law Journal Bd. 86 (1977), S. 974–1001. ders. und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, Kap. 2. Schmidt, Ingo, und Jan B. Rittaler, A Critical Evaluation of the Chicago School of Antitrust Analysis, Studies in Industrial Organization vol. 9, hrsg. von de Jong, H. W., und W. G. Shepherd, Dordrecht u.a. 1989. Shepherd, William G., The Economics of Industrial Organization, 4. Aufl., Englewood Cliffs, N.J. 1997. Singleton, Ross C., Industrial Organization and Antitrust: A Survey of Alternative Perspectives, Columbus, Ohio 1986. Steinbrück, Klaus, Vom unvollkommenen Markt zur heterogenen Konkurrenz, 2. Aufl., Mainz 1954.

2. Kapitel:

Die Einordnung der Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche in Ziel-Mittel-Systeme

Die im letzten Abschnitt des 1. Kapitels dargestellte Leitbilddiskussion hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen über: • • •

die Zielkomplexe der Wettbewerbspolitik, den Charakter des Wettbewerbs als Instrument oder letztes Ziel, die Möglichkeit von Zielkonflikten zwischen den Wettbewerbsfunktionen (sog. Dilemmathesen) und • die Abgrenzung von Wettbewerbs- und Ausnahmebereichen. Diese Fragen sind – angesichts unterschiedlicher methodischer Grundpositionen – unverändert aktuell und sollen im Folgenden unter dem Aspekt der Einordnung von wettbewerblich und nicht-wettbewerblich organisierten Wirtschaftsbereichen in Ziel-Mittel-Systeme behandelt werden. 59

I.

Der Zielkatalog

1.

Notwendigkeit eines wettbewerbspolitischen Zielkatalogs

Eine rationale Wettbewerbskonzeption lässt sich nur im Hinblick auf bestimmte Ziele entwickeln, wie sie in der Verfassung, den Gesetzen oder Regierungsprogrammen zum Ausdruck kommen. Dabei kann von drei gesellschaftlichen Grundwerten: Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit, als Oberzielen ausgegangen werden, die durch bestimmte Wettbewerbsfunktionen konkretisiert werden. Die Wettbewerbsfunktionen sind im Rahmen eines Ziel-MittelSystems sowohl Unter-, Hilfs- oder Zwischenziele als auch Instrumente in Bezug auf die genannten Oberziele. Je nach Autor wird dabei der Ziel- (Erich Hoppmann u.a.) oder der Mittelcharakter (Erhard Kantzenbach) stärker betont. Die Aufstellung eines wettbewerbspolitischen Zielkatalogs erscheint schon deshalb notwendig, um alle Wertungen über als wirtschaftspolitisch relevant empfundene Tatbestände explizit machen und zusammenfassend ordnen zu können (Vermeidung erschlichener Werturteile). Ein solcher Zielkatalog sollte zudem im Einklang mit den im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) zugrunde liegenden Zielvorstellungen stehen. In der wettbewerbstheoretischen Literatur besteht im Hinblick auf die ökonomischen Ziele Einigkeit. In Anlehnung an Kantzenbach wird von fünf vorgegebenen ökonomischen Zielfunktionen ausgegangen:

59

Vgl. Bartling, Hartwig, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, München 1980, Einleitung: Wettbewerbsschutz und Wettbewerbsförderung im Zielsystem der heutigen Wirtschaftspolitik, S. 1–8.

36

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

(1) Leistungsgerechte Einkommensverteilung, (2) Konsumentensouveränität, (3) optimale Faktorallokation, (4) Anpassungsflexibilität und (5) technischer Fortschritt. Die Funktionen (2), (3) und (4) lassen sich zu einer Steuerungs- oder Ordnungsfunktion zusammenfassen und der Verteilungs- sowie Antriebs- bzw. Leistungsfunktion gegenüberstellen (Jöhr/Röpke). Herbert Giersch60 geht – abweichend von den meisten anderen Autoren – von den Funktionen des Wettbewerbs im Hinblick auf gesellschafts-, konjunktur- und strukturpolitische Zielsetzungen aus; er unterscheidet: •

die gesellschaftspolitische Funktion, bei der Wettbewerb ein System der Kontrolle wirtschaftlicher Macht darstelle, das die Ziele der Freiheit und der Leistungsgerechtigkeit gleichermaßen fördere; • die konjunkturpolitische Funktion, bei der der Wettbewerb die Aufgabe habe, den Konflikt zu mildern, der bei freier Preis- und Lohnbildung61 zwischen Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität bestehe, sowie • die strukturpolitische Funktion, bei der der Wettbewerb ein Lenkungsinstrument sei, das die Unternehmer durch Gewinnanreize und durch Androhung von Verlusten dazu veranlasse, die Möglichkeiten des kostensenkenden und güterschöpfenden technischen Fortschritts zu nutzen und die Produktion an die wachstumsbedingten Wandlungen der Erzeugungsbedingungen und der Nachfragestruktur anzupassen. Bei der von Giersch vorgenommenen Systematisierung lässt sich nur die gesellschaftspolitische Funktion in etwa mit der Einkommensverteilungsfunktion vergleichen, während sowohl der konjunkturpolitischen als auch der strukturpolitischen Funktion jeweils die vier übrigen Wettbewerbsfunktionen – unter konjunktur- bzw. strukturpolitischem Aspekt – zuzuordnen sind. Weitgehende Einigkeit dürfte auch darüber bestehen, dass hinsichtlich der im Stabilitätsgesetz vom 8. Juni 1967 verankerten gesamtwirtschaftlichen Ziele: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie stetiges und angemessenes Wachstum, die Wettbewerbspolitik durch eine Prozesssteuerung makroökonomischer Größen (Geld- und Währungs- sowie Finanzpolitik) ergänzt werden muss, da der Marktmechanismus zwar als eine notwendige, jedoch nicht als eine hinreichende Bedingung für die Realisierung dieser gesamtwirtschaftlichen Ziele anzusehen ist. Insbesondere müssen die für die Investitions-, Konsum- und Sparentscheidungen der Wirtschaftssubjekte wesentlichen subjektiven Erwartungen durch geld-, währungs- und finanzpolitische Mittel beeinflusst werden. Die Prozesssteuerung ist jedoch nicht nur eine Ergänzung des marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung für seine Funktionsfähigkeit 60

61

Vgl. Giersch, Herbert, Aufgaben der Strukturpolitik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 9 (1964), S. 61 ff; s.a. Ferguson, C.E., A Macroeconomic Theory of Workable Competition, Durham, N.C. 1964. Unter freier Lohn- und Preisbildung versteht Giersch das Fehlen von staatlichen Preiskontrollen und Eingriffen in die Tarifautonomie. Zu dem von Giersch angesprochenen Zusammenhang von Wettbewerb und Inflation („administered prices“) vgl. Scherer, Frederic M., Industrial market structure and economic performance, 2.Aufl., Chicago 1980, Kap. 13: „Market structure, administered prices, and macroeconomic stability“.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

37

überhaupt. Stärkere Konjunkturschwankungen sollen ohne Störungen des Wettbewerbsmechanismus ausgeglichen und ad hoc-Maßnahmen vermieden werden. Da auch dem Wettbewerb konjunktur- und strukturpolitische Aufgaben zukommen, lässt sich sagen, dass mikroökonomische Ordnungspolitik und makroökonomische Prozesspolitik sich wechselseitig bedingen (Karl Schiller: Versöhnung des Freiburger Imperativs mit der keynesianischen Botschaft), wobei über die Art des prozesspolitischen Instrumentariums unterschiedliche Meinungen bestehen (Monetaristen). Eine enge Verknüpfung besteht ebenfalls zwischen der Wettbewerbs- und Verbraucherpolitik. Die Verbraucherpolitik sichert insofern eine wichtige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, als sie die Konsumenten dazu befähigt, die Produzenten mittels ihrer Instrumente Abwanderung und Widerspruch zu einem effizienten Verhalten zu zwingen.62 Die Realisierung der Wettbewerbsfunktion Konsumentensouveränität i.S. einer wohlfahrtsmaximalen Anpassung der gesamtwirtschaftlichen Produktion an den gesellschaftlichen Bedarf erfordert rationale Konsumentenentscheidungen. Der Leitbildcharakter der Konsumentensouveränität wird allerdings nicht schon deshalb in Frage zu stellen sein, weil die Verbraucher nicht in der Lage sind, nutzenmaximierende Entscheidungen treffen zu können; ein Ideal verliert nicht dann seine Gültigkeit, wenn es nur annäherungsweise realisiert werden kann.

2.

Die Berücksichtigung meta-ökonomischer Ziele

In der wettbewerbstheoretischen Literatur ist zum Teil strittig, ob der Zielkatalog auch die Wettbewerbsfreiheit umfassen soll. Bei der Diskussion des Zielkomplexes Wettbewerbsfreiheit können zwei Aspekte unterschieden werden: • •

Eine relativ große Handlungsfreiheit der einzelnen Wirtschaftssubjekte (Unternehmer und Verbraucher) und eine relativ breite Streuung wirtschaftlicher Macht, worin das wirtschaftliche Äquivalent zu einer parlamentarischen Demokratie gesehen wird.

a) Gewährleistung der Handlungsfreiheit Auf die Sicherung der Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte wird sowohl von Ökonomen als auch insbesondere von Wirtschaftsjuristen hingewiesen. Von Juristen wird der Schutz der Handlungsfreiheit auf die Freiheitsgarantie und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 GG) zurückgeführt. So hat z.B. Kurt Biedenkopf bereits vor Inkrafttreten des deutschen Kartellgesetzes dessen letzten Zweck nicht in einem wirtschaftlichen Kalkül gesehen, sondern in der „Verwirklichung einer der Bindung durch Gleichheit unterworfenen Freiheit“. Diese Rechtsposition war in der Vergangenheit insbesondere im amerikanischen Antitrustrecht stark zum Ausdruck gekommen. Im Hinblick auf den Schutz der Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte als einem Ziel der Wettbewerbspolitik muss zwischen den zwei Grundtypen einer formalen (Handlungs-) und einer materialen (Entschließungs-) Freiheit unterschieden werden. So stellt z.B. Giersch63 die 62 63

Vgl. Hirschman, Albert O., Abwanderung und Widerspruch: Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmen, Organisationen und Staaten, Tübingen 1974. Giersch, Herbert, Allgemeine Wirtschaftspolitik: Erster Band – Grundlagen, Wiesbaden 1961, S. 73 f.

38

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

formale Freiheit, „die identisch ist mit der Gleichheit vor dem Gesetz und dem Schutz vor staatlicher Willkür“, der materialen Freiheit gegenüber, die er wie folgt definiert: „Materiale Freiheit ist das Vermögen, im Rahmen der formalen Freiheit und der durch die Sitte gezogenen Grenzen selbst gesteckte Ziele zu verwirklichen. Wir können für unsere Zwecke alternativ auch den Begriff der ökonomischen Macht verwenden. Der Ohnmächtige ist unfrei trotz aller formalen Freiheiten, die ihm gegeben sein mögen; nur wer Macht hat, kann die Chance nutzen, die die formale Freiheit gewährt.“ Diese Unterscheidung von formaler Handlungs- und materialer Entschließungsfreiheit ist für eine adäquate Erfassung wirtschaftlicher Macht von großer Bedeutung, da eine solche Differenzierung in vielen Fällen überhaupt erst eine wettbewerbspolitische Beurteilung von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs oder der Unternehmenskonzentration ermöglicht. Ihr entspricht wettbewerbsrechtlich der Schutz der Handlungsfreiheit vor vertraglichen Beschränkungen (z.B. durch die vertikale Preisbindung der zweiten Hand für Verlagserzeugnisse) oder der Schutz der Entschließungsfreiheit vor Diskriminierungen (z.B. durch Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung).64 Der Grundgedanke der Kooperation, kleineren und mittleren Unternehmen durch Ausgliederung und Konzentration von Unternehmensfunktionen einen Ausgleich für die durch ihre geringe wirtschaftliche und finanzielle Potenz bewirkte Wettbewerbsverfälschung zu gewährleisten, kann ebenfalls als ein Beispiel für die Überwindung von Konfliktsituationen zwischen formaler Handlungsfreiheit und materialer Entschließungsfreiheit verstanden werden. b) Adäquanz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung Im Hinblick auf die Adäquanz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung wird eine relativ breite Streuung wirtschaftlicher Macht postuliert. Die Konzentration wirtschaftlicher Macht wird als nicht vereinbar mit einer funktionsfähigen parlamentarischen Demokratie angesehen. Die Veränderung wettbewerbspolitischer Rahmenbedingungen durch den Druck einzelner Unternehmen oder Industrien auf Bundesregierung und Bundestag (vgl. die Auto-, Energie- oder Pharmalobby) widerspricht ordnungspolitischen Prinzipien. Insofern wird die Bekämpfung wirtschaftlicher Macht durch wettbewerbspolitische Maßnahmen zu einem letzten Ziel (Joe S. Bain spricht in diesem Zusammenhang von dem Jeffersonian ideal). Scherer/Ross betonen den Aspekt der Machtkontrolle durch Wettbewerb im Hinblick auf den sozialen Konsens über unser marktwirtschaftliches System:65

64

65

Der Schutz der materialen Entschließungsfreiheit ist allerdings teilweise auf die „Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere“ reduziert worden. Am deutlichsten wird diese Position bei Schmidtchen, der es nicht als Ziel einer freiheitsorientierten Wettbewerbspolitik ansieht, für materielle Gerechtigkeit i.S. einer bestimmten Verteilung des Lebensstandards oder der Vermögensverteilung zu sorgen. Dabei unterstellt er, dass durch allgemeine abstrakte Verhaltensregeln für alle Marktteilnehmer eine spontane wettbewerbliche Handelnsordnung gesichert werden könne, die dem einzelnen die besten Aussichten zur Verfolgung seiner persönlichen Ziele gebe. Vgl. dazu Schmidtchen, Dieter, Property rights, Freiheitsschutz und die Logik staatlicher Preisinterventionen: Kritische Analyse der theoretischen Grundlagen einer freiheitsgefährdenden Wettbewerbspolitik, in: Die Mißbrauchsaufsicht vor dem Hintergrund der Entwicklungen der neueren Wettbewerbstheorie, hrsg. von Röper, Burkhardt, Berlin 1982, S. 11 ff., insb. S. 18. Scherer, F. M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Boston u.a. 1990, S. 18 f.; vgl. auch Bain, Joe S., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968, S. 37.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

39

“We begin with the political arguments … because when all is said and done, they, and not the economist’s abstruse models, have tipped the balance of social consensus toward competition. One of the most important arguments is that the atomistic structure of buyers and sellers required for competition decentralizes and disperses power. … Limiting the power of both government bodies and private individuals to make decisions that shape people’s lives and fortunes was a fundamental goal of the men who wrote the U. S. Constitution, which in turn has served as a model for many other nations.” Corwin D. Edwards hat daher im Wettbewerb das ökonomische Äquivalent zur politischen Demokratie gesehen.66 Allerdings lässt sich in einer pluralistischen Demokratie das Auftreten von Machtgruppen der verschiedensten Art beobachten, die häufig gerade aus Kollektiven wirtschaftlich Machtloser oder Benachteiligter bestehen; die Streuung wirtschaftlicher Macht würde also nur eine Quelle wirtschaftlicher Macht verändern. Nach unserem Demokratieverständnis ist jedoch der Zusammenschluss wirtschaftlich Schwacher (z.B. Gewerkschaften, Bauernverband) und der damit einhergehende politische Einfluss auf Regierung und Parlament noch eher vertretbar als die bloße Ausnutzung wirtschaftlicher Macht einzelner Großunternehmen oder von Verbänden, die nur sehr wenige Wählerstimmen repräsentieren. Insofern erscheint es notwendig, den Komplex Wettbewerbsfreiheit in den Zielkatalog ausdrücklich aufzunehmen, auch wenn sich damit nur ein Teil der Macht erfassen lässt.

3.

Der wettbewerbspolitische Zielkatalog

Angesichts der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Wettbewerbs, die Franz Böhm wie folgt charakterisiert hat:67 „Der Wettbewerb ist das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte. Man braucht es nur zu beschwören, alle weitere Arbeit leistet es von allein“, soll der Schutz der formalen Handlungs- und materialen Entschließungsfreiheit bzw. der Kontrolle wirtschaftlicher Macht ausdrücklich in den Zielkatalog des Wettbewerbs einbezogen werden. Dies erscheint auch im Hinblick auf die Behandlung möglicher Zielkonflikte zwischen den ökonomischen Funktionen sowie der gesellschaftlichen Funktion geboten. Der hier verwendete Zielkatalog ist daher Ausdruck von sechs Zielfunktionen, die die drei vorgegebenen gesellschaftlichen Grundwerte: Freiheit, Wohlfahrt und Gerechtigkeit, konkretisieren. In der in Tab. 2 wiedergegebenen Synopsis sollen verschiedene in der Literatur vertretene Zielkomplexe dargestellt werden. Wie in Teil 3 bei der Darstellung des deutschen Kartellrechts zu zeigen sein wird, entspricht dieser Zielkatalog auch den Zielsetzungen des deutschen Kartellrechts; der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zielkatalog ist insofern dem deutschen Kartellrecht adäquat.

66 67

Vgl. Edwards, Corwin D., Big Business and the Policy of Competition, Cleveland 1956, S. 4. Böhm, F., Demokratie und ökonomische Macht, in: Institut für ausländisches und internationales Wirtschaftsrecht (Hrsg.), Kartelle und Monopole im modernen Recht Band 1, Karlsruhe 1961, S. 22.

40

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

Tab. 2:

Mögliche Gruppierung der Wettbewerbsfunktionen bzw. Zielkomplexe

(1) Gewährleistung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (Kontrolle wirtschaftlicher Macht) (2) Einkommensverteilung (3) Angebotszusammensetzung (4) Optimale Faktorallokation (5) Anpassungsflexibilität (6) Technischer Fortschritt

Kantzenbach ab 1971: Gewähr von Entfaltungsmöglichkeiten individueller Freiheit

Jöhr/Röpke

gesellschaftspolitische Funktionen



Giersch gesellschaftspolitische Funktion i.S. der Kontrolle wirtschaftlicher Macht und der Leistungsgerechtigkeit

Hoppmann Zielkomplex Wettbewerbsfreiheit (i.S. des Fehlens unangemessener Macht)

Verteilungsfunktion statische Funktionen Steuerungs- oder konjunktur- und Ordnungsfunkstrukturpolitition sche Funktionen

Zielkomplex individuelle ökonomische Vorteilhaftigkeit

dynamische Funktionen Antriebs- bzw. Leitungsfunktion

II.

Wettbewerb als Ziel oder als Mittel mit Eigenwert?

1.

Die Konsistenz von Ziel-Mittel-Systemen

Ausgangspunkt für die Untersuchung der Frage, ob der Wettbewerb Instrument oder letztes Ziel ist, soll die These der Theorie der Wirtschaftspolitik sein, dass Ziele und Mittel ein zusammenhängendes System bilden und dass eine Abwägung, welches Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke geeignet ist, nicht ohne Berücksichtigung der Nebenwirkungen auf konkurrierende und komplementäre Ziele möglich ist. Im Hinblick auf konkurrierende und komplementäre Ziele kommt den Mitteln daher ein gewisser Eigenwert zu. Ziele und Mittel können also nicht getrennt betrachtet werden, sondern Ziel-Mittel-Systeme müssen auf ihre Konsistenz hin geprüft werden. Wendet man diese These der Theorie der Wirtschaftspolitik auf die wettbewerbstheoretische Kontroverse an, so zeigt sich, dass sich der Streit, ob der Wettbewerb Ziel oder Mittel ist, auflöst, wenn man der Frage der Konsistenz der Zielsetzungen nachgeht. Wenn man Wettbewerb im Hinblick auf gute Marktergebnisse als wirtschaftspolitisches Instrument und hinsichtlich bestimmter Eigenschaften (in ihm manifestiert sich Wettbewerbsfreiheit) als Ziel an sich sieht und dabei einräumt, dass auch Wettbewerb als Ziel sich auf übergeordnete oder umfassendere Werte zurückführen lässt68, so kann auch der Zielkomplex Wettbewerbsfreiheit Hilfsziel sein.

68

Vgl. Hoppmann, Erich, Workable Competition als wettbewerbspolitisches Konzept, in: Theoretische und institutionelle Grundlagen der Wirtschaft – Theodor Wessels zum 65. Geburtstag, hrsg. von Besters, Hans, Berlin 1967, S. 145 ff., 149 f.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

41

Damit besteht kaum ein großer Unterschied zu der Auffassung, dass Wettbewerb sowohl hinsichtlich der Marktergebnisse als auch der Wettbewerbsfreiheit nicht als letztes Ziel, sondern als Instrument in Bezug auf die übergeordneten gesellschaftspolitischen Werte wirtschaftlicher Wohlstand und persönliche Freiheit anzusehen ist.69 Im Hinblick auf die Konsistenz von Ziel-Mittel-Systemen ergibt sich jedoch eine Beschränkung der möglichen Mittel zur Wohlfahrtssteigerung, da deren Vereinbarkeit mit den klassischen Freiheitsrechten gewährleistet sein muss:70 “Given this main goal of economic policy” (i. e. a good overall performance, Anm. des Verfassers),” we must note that there is an essential restriction on the means by which it should be pursued. This restriction is that, so far as regulations affecting business firms are involved, it should be sought in the main through devices that foster and maintain impersonal market process as the main direct regulators of enterprise activity. The policy, in other words, should with a minimum of exceptions preserve a workable degree and form of competition that is sufficient to induce good performance by various firms and industries, rather than imposing direct governmental regulations on the performance of business.” In der europäischen Wettbewerbspolitik wird seit der Lissabon-Konferenz die Frage, ob der Wettbewerb i.S. des EG-Vertrages Instrument oder letztes Ziel ist, kontrovers diskutiert.

2.

Die Konsistenz der Mittel mit der politischen Grundordnung

Da ein wissenschaftlich exakter Beweis für die wirtschaftliche Überlegenheit der einen oder anderen Wirtschaftsordnung nicht zu erbringen ist, folgt die Entscheidung zugunsten des Wettbewerbs als Mittel zur Erreichung bestimmter vorgegebener Zielfunktionen aus der notwendigen Konsistenz mit einer freiheitlichen Verfassung. Abschließend sei daher zu dem Streit, ob Wettbewerb Instrument oder Ziel in sich selbst ist, so viel gesagt, dass u.E. der Wettbewerb sowohl im Hinblick auf seine gesellschaftspolitischen als auch seine ökonomischen Funktionen Mittelcharakter hat, wobei diese Mittel jedoch keineswegs wertmäßig indifferent sind (Hoppmann: „Wettbewerb wird als nützliches Instrument und wegen seiner besonderen Eigenschaften zugleich gewünscht“). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in allen wirtschaftspolitischen Diskussionen in den Ostblockstaaten nach 1945 diese Konsistenzfrage mit umgekehrtem Vorzeichen gestellt worden ist. Die im Interesse einer größeren Effizienz gewünschte Einführung von Wettbewerbselementen in eine sozialistische Wirtschaftsordnung machte eine größere Handlungsfreiheit der Wirtschaftsmanager notwendig, gefährdete jedoch die politische Führungsrolle

69 70

Vgl. Kantzenbach, Erhard, Das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität: Eine Erwiderung auf den gleichnamigen Besprechungsaufsatz von Erich Hoppmann, in: JbNSt 181 (1967/68), S. 193 ff., 197. Bain, op. cit., S. 498; so auch Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 14 und 48 f. (zitiert als Kaysen/Turner). Vgl. dazu auch den abweichenden Ansatz von Schiller, Karl, Art. Wirtschaftspolitik, in: HdSW 12. Bd., Stuttgart u.a. 1965, S. 210 ff., 214 f., der von einer wirtschaftspolitischen Grundentscheidung für den Primat des Wettbewerbs im mikroökonomischen Bereich spricht. Hoppmann geht dagegen weiter und lehnt die Trennung in wirtschaftspolitische Grundentscheidung als einem außerökonomischen Datum und rein ökonomische Zielsetzungen ab, da dabei die Wettbewerbsfreiheit als selbständiger Zielkomplex und Ziel in sich selbst negiert werde.

42

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

der kommunistischen Partei und war insofern mit der politischen Grundordnung nicht vereinbar.71 Dieser Meinungsstreit ist unverändert aktuell. Wenn man die gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs ausdrücklich in den Zielkatalog einbezieht, stellt sich allerdings das Konsistenzproblem im Hinblick auf den Zielkomplex der Handlungsfreiheit bzw. Kontrolle wirtschaftlicher Macht noch schärfer und klarer als bei dem Zielkomplex wirtschaftlicher Wohlstand.

III. Zielkonflikte zwischen den Wettbewerbsfunktionen (Dilemmathesen)? In Anlehnung an Giersch72 sind 5 verschiedenartige Beziehungen zwischen Zielen möglich, die in logische und empirische Zielbeziehungen unterteilt werden können. Bei den logischen Zielbeziehungen ist zwischen Identität und Widersprüchlichkeit, bei den empirischen zwischen Neutralität, Konkurrenz und Komplementarität zu unterscheiden. In der wettbewerbstheoretischen Diskussion stehen mögliche empirische Zielkonflikte im Vordergrund. Sieht man einmal von den Vertretern des systemtheoretischen Ansatzes ab, bei denen Konflikte zwischen den Zielkomplexen Wettbewerbsfreiheit und individuelle ökonomische Vorteilhaftigkeit qua Werturteil nicht möglich sind (neuklassische Harmoniethese), so muss von der Möglichkeit von Zielkonflikten ausgegangen werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Zielkonflikten innerhalb der ökonomischen Funktionen (Dilemmathese I)73 und zwischen den ökonomischen Funktionen einerseits und der gesellschaftspolitischen Funktion der Machtkontrolle andererseits (Dilemmathese II). Giersch hat diese beiden Dilemmathesen wie folgt kommentiert:74 „Zielkonflikte zeigen sich allein schon, wenn wir an die wirtschaftliche Freiheit denken. Um möglichst vielen die unternehmerische Dispositionsfreiheit zu verschaffen und zu erhalten, muss man die Dispositionsfreiheit derer einengen, die Monopolmacht besitzen und ausnutzen oder durch unlautere Wettbewerbshandlungen, durch Zusammenschluss oder durch Koalitionsbildung zu erlangen trachten (Konflikt zwischen Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit, Anm. des Verf.) … Wir wollen jedoch außerdem 71

72 73 74

Sik, Ota, Fakten der tschechoslowakischen Wirtschaft, Wien u.a. 1969, S. 111, vergleicht die Zusammenhänge von wirtschaftlichem und politischem Bereich als „kommunizierende Gefäße“: „Wenn wir im Wirtschaftsbereich grundsätzliche Veränderungen durchsetzen, dann könnten wir ein System von Garantien schaffen, die unweigerlich auch das Leben im politischen Bereich beeinflussen werden. Im gegebenen Moment wollen wir den ganzen bisherigen dirigistischen Apparat zerschlagen, der so erfolglos unser Wirtschaftsleben regelte. Wir wollen es tun: nicht nur deshalb, weil die neuen Gedanken auch neue Leute und neue Institutionen ins Leben tragen sollen. Wenn es tatsächlich gelingt, den bürokratischen Koloss zu zerschlagen, die wirtschaftlichen Ministerien aufs äußerste Minimum zu beschränken, dann wird das traditionelle Kommandieren aufhören, welches alle Versuche um eine Belebung des Marktes behinderte. Und wenn der zentrale Plan ständig durch seinen Widersacher, den Markt, korrigiert wird, dann können wir uns auch im politischen Bereich eine dauerhafte Einwirkung der öffentlichen Meinung auf die Politik der Zentrale nicht wegdenken. Und so kann der Bereich der Wirtschaft selbst zu einem der wirksamsten Garanten des Demokratisierungsprozesses in der Tschechoslowakei werden.“ Vgl. Giersch, op. cit., S. 51 f. Vgl. dazu ausführlich Kantzenbach, Erhard, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 49–53. Giersch, Aufgaben der Strukturpolitik, supra, S. 75 f.; vgl. Kaysen/Turner, op. cit., S. 18, die auf den teilweise konkurrierenden, teilweise komplementären Charakter ihrer vier Hauptziele hinweisen.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

43

einen Wettbewerb, der den wirtschaftlichen Wohlstand fördert. Selbst wenn wir dieses Ziel isoliert betrachten, stehen wir vor dem bekannten Dilemma, dass die atomistische Konkurrenz zwar einigen Marginalbedingungen des sozialökonomischen Optimums entspricht, dass aber beim heutigen Stand der Technik optimale Betriebsgrößen in vielen Bereichen eine oligopolistische Marktstruktur bedingen und dass temporäre Monopolelemente dem technischen Fortschritt und der wirtschaftlichen Entwicklung durchaus förderlich sein können … Weiterhin ist zu befürchten, dass es Fälle und ganze Bereiche gibt, in denen die wohlstandspolitischen Erfordernisse mit den gesellschaftspolitischen (maximale Freiheit und Gerechtigkeit) kollidieren. Wer der Freiheit größeres Gewicht gibt, wird wahrscheinlich zu einer strengeren Wettbewerbskonzeption neigen als jemand, der mehr das Wohlstands- und Fortschrittsziel im Auge hat.“ Darüber hinaus muss die Möglichkeit von Konflikten zwischen wirksamem Wettbewerb und sonstigen Zielen (z.B. bei Ministerfusionen i.S. des § 42 Abs. 1 GWB) bei der Umsetzung des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs in die Wettbewerbspolitik und bei der Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien berücksichtigt werden (Dilemmathese III). Jedoch ist keine a priori-Entscheidung darüber möglich, in welchem Umfang die drei charakterisierten Zielkonflikte auftreten; hier liegt ein weites Feld für die empirische Forschung. Zielkonflikte zwischen Wettbewerbsfreiheit und guten Marktergebnissen können nur – wie überall in der Wirtschaftspolitik – durch eine Abwägung der Entscheidungsträger gelöst werden; dies bedingt einen mehr oder minder großen diskretionären Spielraum. Die Forderung der Systemtheoretiker nach Beseitigung dieses Spielraums durch per se-Regeln ist zwar einerseits im Hinblick auf größere Rechtssicherheit und Justiziabilität wünschenswert, andererseits im Hinblick auf soziologische Ungleichheiten und die Schwierigkeit, per se schädliche Tatbestände festzulegen, problematisch (vgl. o. 1. Kap. Abschnitt VI). Mangels besserer Alternativen verbleibt als – wenn auch nicht voll befriedigende – Lösung, die Konkretisierung des Beurteilungsspielraumes bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Kartellrecht der Entwicklung der Rechtsprechung zu überlassen. Wettbewerbstheorie und -politik können hierbei allerdings wertvolle Entscheidungshilfe liefern, insbesondere dann, wenn nach US-amerikanischem Vorbild das Schwergewicht stärker auf die empirische Forschung gelegt wird. In dem bisher dargestellten Ziel-Mittel-System ist davon ausgegangen worden, dass grundsätzlich der Wettbewerb dazu geeignet ist, den vorgegebenen Zielkatalog zu realisieren. Die im folgenden Abschnitt dargestellte Theorie des Marktversagens versucht zu begründen, in welchen Fällen der Wettbewerb ungeeignet ist, den Zielkatalog zu verwirklichen, wodurch sich eine Begründung für sog. Ausnahmebereiche ergibt.

44

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

IV. Die Realisierung des Zielkatalogs in Ausnahme- und 75 sektorspezifischen Bereichen In der im 1. Kapitel, Abschnitt VI, dargestellten Leitbilddiskussion hat auch die Unterscheidung zwischen natürlichen und politischen Ausnahmebereichen76 eine Rolle gespielt, in denen Wettbewerb als Kontroll- und Steuerungsmechanismus aus ökonomischen oder politischen Gründen durch andere Mechanismen ersetzt (oder zumindest ergänzt) wird. In diesen sog. Ausnahmebereichen soll der vorgegebene Zielkatalog durch andere Instrumente als Wettbewerb realisiert werden. In der Literatur finden sich zwei Ansätze, die sich aus unterschiedlicher Sicht mit wettbewerblichen Ausnahmebereichen befassen: •



1.

Unter dem Begriff normative Theorie der Regulierung sollen hier alle Ansätze zusammengefasst werden, die zu begründen versuchen, weshalb in bestimmten Bereichen Wettbewerb unmöglich oder unerwünscht ist und welche Lenkungsmechanismen dort besser geeignet sind. Die positive Theorie der Regulierung dagegen untersucht (ex post) die politökonomischen Ursachen der Schaffung von Ausnahmebereichen und die Folgen der dort institutionalisierten Lenkungsmechanismen.

Normative Theorie der Regulierung

Wenn die Erfüllung der vorgegebenen Wettbewerbsfunktionen als wirtschaftspolitisches Ziel akzeptiert wird, so muss mit der Empfehlung, bestimmte Branchen nicht dem Wettbewerb auszusetzen, zugleich begründet werden, weshalb einige oder alle dieser Zielfunktionen durch den Wettbewerb nicht oder nur teilweise realisiert werden. Dabei wird unterschieden zwischen ökonomischen Ursachen für unerwünschte Wettbewerbsergebnisse (sog. natürliche Ausnahmebereiche) und sonstigen Zielen, die durch Wettbewerb nicht erreicht werden (sog. politische Ausnahmebereiche). a)

Mögliche Ursachen für unerwünschte Wettbewerbsergebnisse (natürliche Ausnahmebereiche) Als Hauptfälle des Marktversagens werden in der Literatur natürliche Monopole, das Vorliegen externer Effekte, ruinöse Konkurrenz und Informationsasymmetrie genannt.77 •

Als natürliches Monopol wird eine Situation bezeichnet, in der die firmeninternen Kostendegressionen (economies of scale) in Relation zur gegebenen Marktgröße so

75

Vgl. den guten Überblick bei Bartling, Hartwig, Wettbewerbliche Ausnahmebereiche: Rechtfertigung und Identifizierung, in: Wirtschaftspolitik in weltoffener Wirtschaft, hrsg. von Feldsieper, Manfred, und Richard Groß, Berlin 1983, S. 325 ff., und Eickhof, Norbert, Theorien des Markt- und Wettbewerbsversagens, in: Wirtschaftsdienst 66 (1986), S. 468 ff. Vgl. die Zusammenfassung dieser Diskussion mit weiteren Literaturangaben bei Möschel, Wernhard, Zur wettbewerbstheoretischen Begründbarkeit von Ausnahmebereichen, in: ORDO 32 (1981), S. 85 ff. Darüber hinaus wird in der einschlägigen Literatur eine Vielzahl von weiteren Formen des Marktversagens angeführt, so z.B.: Sondergewinne, ungenügende Information, ungleiche Verhandlungsmacht, Rationalisierung, Vermeidung von Transaktionskosten, Paternalismus, Risikoverschiebung, Förderung sozialer Ziele, Schutz bestehender Regulierung. Vgl. Fritsch, M., T. Wein und H.-J. Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik: Grundlagen staatlichen Handelns, 7. Auflage, München 2007.

76 77

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

45

wichtig sind, dass im Wettbewerb auf Dauer nur ein Unternehmen überleben würde.78 Abnehmende langfristige Durchschnittskosten können insofern eine Monopolstellung implizieren, als ein einziges Unternehmen das Gut kostengünstiger herstellen kann als jede andere Anbieterzahl (strikte Subadditivität der Kosten des Monopolisten): C(q) < C(q1) + C(q2) + … C(qn) Zusätzliche Bedingung für ein Monopolverhalten sind irreversible und damit versunkene Kosten (vgl. dazu 3. Kap. III.4.). Beispiele dafür sind Versorgungsnetze wie z.B. Energie, Wasser, Verkehr, da offensichtlich die Verlegung von mehr als einer Leitung je Versorgungsgut teurer als eine einzige Leitung ist. Dieses Argument setzt allerdings voraus, dass auch bei Zulassung von Wettbewerb keine Produkt- oder Prozessinnovationen mehr zu erwarten sind, so dass die Mehrkosten von Parallelinvestitionen nicht durch Kostensenkungen infolge von Innovationen ausgeglichen werden.79 p D

pc

.C . DTK = p

p

k

K' DTK

R' q

c

q

k

q

Abb. 1: Preisbildung im natürlichen Monopol

Falls ein natürliches Monopol nach der vom Modell der vollständigen Konkurrenz bekannten Optimalitätsbedingung Preis = Grenzkosten produziert und die langfristigen Durchschnittskosten infolge hoher Anfangsinvestitionen bei jeder Ausbringungsmenge über den Grenzkosten liegen, so entsteht bei einer Preisbildung gemäß p = K′ ein Defizit (vgl. Abb. 1).80 Der Monopolist wird daher bei Gewinnmaximierung versuchen, die angebotene Produktionsmenge unter dem gesamtwirtschaftlichen Optimum zu halten (qc für R′′ = K′ anstelle von qk für p = K′), so dass Wohlfahrtsverluste entstehen. Wird daher ein natürliches Monopol von der Regierung sanktioniert, so hat sie dafür Sorge zu tragen, dass der dem Monopol inhärenten Tendenz, eine geringere Menge zu einem höhe78 79

80

Vgl. Müller, Jürgen, und Ingo Vogelsang, Staatliche Regulierung, Baden-Baden 1979, S. 36 ff. Zu der Überlegung, dass die höheren Kosten doppelt verlegter Leitungen durch den Wettbewerbsdruck eines Dyopols mehr als kompensiert werden können, vgl. Hamilton, Neil W., und Peter R. Hamilton, Duopoly in the Distribution of Electricity: A Policy Failure, in: AB 28 (1983), S. 281 ff. Der Einwand übersieht allerdings die Gefahr der faktischen Wettbewerbsbeschränkung durch conscious parallelism, die nur durch eine weit größere Zahl von Anbietern gebannt werden könnte. In der genannten Untersuchung von 38 Städten mit je zwei Versorgungsunternehmen konnten die Autoren daher nur in einer Stadt nennenswerten Wettbewerb feststellen. Für die graphische Darstellung ist zwischen kurzfristigen Grenzkosten (die Grenzkosten einer einmal erstellten Anlage bis zum Erreichen der Kapazitätsgrenze) und langfristigen Grenzkosten (zusätzliche Kapital- und Betriebskosten pro Periode, die entstehen, wenn eine Anlage zur Herstellung einer zusätzlichen Einheit erweitert werden muss) zu unterscheiden. Bei langfristiger Betrachtung können die Grenzkosten ab einer bestimmten Ausbringungsmenge wieder ansteigen. Vgl. dazu Müller/Vogelsang, op. cit., S. 39 ff.

46

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche ren Preis als bei Wettbewerb anzubieten bzw. Innovationen zu unterlassen, durch geeignete Kontroll- und Anreizmechanismen entgegengewirkt wird.81 Da bei einer wohlfahrtsoptimalen Preisbildung gemäß p = K′ Verluste entstehen können, werden folgende Methoden zur Defizitbeseitigung diskutiert: staatliche Subventionen, im Falle von Mehrproduktunternehmen Preisdifferenzierung durch unterschiedliche Aufschläge auf die Grenzkosten je nach Preiselastizität der Nachfrage (Ramsey-Preise mit Quersubventionierung), zweiteilige Tarife (Grund-plus verbrauchsabhängige Gebühr), Setzen von Durchschnittskostenpreisen (DTK = p) oder interne Subventionierung.82 Im Falle der internen Subventionierung kommt der Frage der Marktzutrittsbeschränkung eine besondere Bedeutung zu. Eine solche interne Subventionierung ist beispielsweise von der Bundespost praktiziert worden, indem der defizitäre Brief- und Paketdienst von den Gewinnen im Telefon- und Telexverkehr getragen worden ist. Sog. „Rosinenpicker“ werden im Allgemeinen versuchen, gegen das Mehrproduktunternehmen mit einer Einproduktstrategie anzutreten, die es ihnen erlaubt, einen Teil des Produktbündels zu geringeren Preisen anzubieten. Aus dem „cream skimming“-Argument folgt, dass eine gewollte Politik der internen Subventionierung eine Marktzutrittsregulierung voraussetzt. Eine andere Lösungsmöglichkeit wird von Vertretern der Chicago School vorgeschlagen.83 Wenn – wie im Falle des natürlichen Monopols – kein Wettbewerb im Markt möglich ist, soll er durch den Wettbewerb um den Markt ersetzt werden, indem derjenige Anbieter im Rahmen einer vom Staat ausgerichteten Auktion das Recht erwirbt, den gesamten Markt zu bedienen, der aufgrund der günstigsten Kostenfunktion die niedrigsten Preise garantieren kann.



Externe Effekte sind Wirkungen der Aktivität eines Wirtschaftssubjektes auf wenigstens ein anderes, für die das andere, wenn sie vorteilhaft (positiv) sind, nichts bezahlen muss oder, wenn sie nachteilig (negativ) sind, nicht entschädigt wird. Die Preise setzen insofern falsche Signale für die Allokation knapper Ressourcen, als nicht alle Kosten, die in Zusammenhang mit der Markttransaktion verursacht werden, berücksichtigt und von den Wirtschaftssubjekten in ihre Entscheidungen einbezogen (internalisiert) werden. Für den Staat wird daraus die Aufgabe abgeleitet, in die Ressourcenalloaktion einzugreifen und insbesondere die Verursacher negativer externer Effekte beispielsweise über Steuern indirekt mit den Kosten der von ihnen verursachten externen Effekte zu belasten. Für Vertreter des property rights-Ansatzes84 existieren externe Effekte allerdings nur deshalb, weil die Eigentumsrechte an Ressourcen, die im Rahmen von Markttransaktionen übertragen werden, in diesen Fällen nicht vollständig garantiert sind. Wirtschaftssubjekte, die von der Aktivität eines anderen Wirtschaftssubjektes positiv beeinflusst werden, können von der kostenlosen Realisierung des positiven externen Effekts nicht ausgeschlossen werden, wenn das Wirtschaftssubjekt, das den positiven externen Effekt

81

Vgl. Bonbright, James C., Principles of Public Utility Rates, New York 1961, S. 10, der von „substitute for competition“ spricht. Vgl. Blankart, Charles B., Ökonomie der öffentlichen Unternehmen: Eine institutionelle Analyse der Staatswirtschaft, München 1980, S. 40 ff. Vgl. Demsetz, Harold, Why regulate Utilities?, in: JLE 11 (1968), S. 55–66. Vgl. die Beiträge in Furubotn, Erik G., und Svetozar Pejovich (Hrsg.), The Economics of Property Rights, Cambridge, Mass. 1974.

82 83 84

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

47

verursacht, kein exklusives Recht hat, für den positiven externen Effekt entschädigt zu werden. Wirtschaftssubjekte, die von der Aktivität eines anderen Wirtschaftssubjekts negativ beeinflusst werden, können das Wirtschaftssubjekt, das den negativen Effekt verursacht, nicht daran hindern, den negativen externen Effekt zu verursachen, wenn sie kein exklusives Recht haben, nicht geschädigt zu werden. Wenn die Eigentumsrechte an den Ressourcen, die im Rahmen von Markttransaktionen übertragen werden, dagegen vollständig garantiert sind, ist es aus Sicht des property rights-Ansatzes sogar unerheblich, wer die Eigentumsrechte besitzt, da es unabhängig von der Anfangsverteilung der Eigentumsrechte im beiderseitigen Interesse der Tauschpartner ist, eine Pareto-optimale Verteilung der Eigentumsrechte herbeizuführen, von der ausgehend also kein Tauschpartner besser gestellt werden kann, ohne einen anderen schlechter zu stellen. Wenn z.B. im Fall eines negativen externen Effekts der potentiell Geschädigte das Recht hat, nicht geschädigt zu werden, kann der potentielle Schädiger den Betroffenen durch Kompensationszahlungen dazu veranlassen, das Pareto-optimale Ausmaß des negativen externen Effektes zu dulden. Wenn dagegen der den negativen Effekt Verursachende das Recht hat, den potentiell Betroffenen zu schädigen, kann der potentiell Betroffene den Schädiger durch Kompensationszahlungen dazu veranlassen, den negativen externen Effekt auf das Pareto-optimale Maß zu reduzieren. Ungeachtet dieser überzeugenden Argumentation wird die Anwendbarkeit des property rights-Ansatzes in der Realität auf drei Ebenen entscheidend eingeschränkt. Zunächst kann die technische Beschaffenheit der Güter oder Aktivitäten eine Abgrenzung und Festlegung von Eigentumsrechten unmöglich machen (z.B. die Festlegung von Eigentumsrechten an Luft). Wenn die Festlegung von Eigentumsrechten technisch möglich ist, können nicht-ökonomische Erwägungen die Gesellschaft dazu veranlassen, auf die Festlegung von Eigentumsrechten an bestimmten Gütern oder Aktivitäten zu verzichten (z.B. räumt die Rechtsordnung einer Unternehmung kein Eigentumsrecht an der Fachqualifikation ein, die ein Arbeitnehmer in dieser Unternehmung erwirbt und nach seinem freiwilligen Ausscheiden in eine andere Unternehmung einbringt). Wenn die Festlegung von Eigentumsrechten schließlich technisch möglich und politisch durchsetzbar ist, können die Kosten, die von den Tauschpartnern aufgewendet werden müssten, um eine Paretooptimale Verteilung der Eigentumsrechte zu erreichen, so hoch sein, dass auch kein privates Interesse an der Festlegung von Eigentumsrechten existiert (z.B. bei der privaten Bereitstellung von Straßen). Als Extremfall externer Effekte lassen sich öffentliche Güter betrachten, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann und für die deshalb ein einzelner nicht bereit ist, einen Preis zu bezahlen (z.B. die Institution des Rechts oder die Landesverteidigung).85 Wenn der Ausschluss einzelner vom Konsum technisch möglich ist, hängt es von den Kosten der Durchsetzung des Ausschlussprinzips ab, ob diese Güter öffentlich oder privat angeboten werden (Autobahnen in Italien oder Frankreich mit Gebühr, in anderen Ländern unentgeltlich).86

85 86

Vgl. Pigou, Arthur C., The Economics of Welfare, 4. Aufl., London 1962, S. 172 ff. Vgl. Musgrave, Richard A., Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, 1. Band, 4. Aufl., Tübingen 1987, S. 63 f.

48

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche Im Fall der Nichtausschließbarkeit des Konsums stellt sich ein Problem positiver externer Effekte in Form des Trittbrettfahrens (free rider). Wenn die Zahl der Wirtschaftssubjekte groß ist und das Ausmaß der Bereitstellung eines Gutes von der Zahlungsbereitschaft eines einzelnen Wirtschaftssubjekts unabhängig ist, kann es das einzelne Wirtschaftssubjekt für geboten halten, das Gut zu konsumieren, ohne einen seinem Nutzen entsprechenden Beitrag zu den Kosten der Bereitstellung zu leisten. Verhalten sich viele Personen auf diese Weise, werden einige Güter nicht durch den Markt bereitgestellt.87 Von Vertretern des property rights-Ansatzes wird in diesem Zusammenhang allerdings argumentiert, dass der Preismechanismus im Fall öffentlicher Güter nur dann kein effizientes Marktangebot herbeiführt, wenn diejenigen Konsumenten, die keinen angemessenen Beitrag zur Ermöglichung der Bereitstellung des öffentlichen Gutes leisten wollen, nicht vom Konsum des Gutes ausgeschlossen werden. Da der Ausschluss derjenigen Nachfrager vom Konsum des öffentlichen Gutes, die keinen angemessenen Beitrag zur Ermöglichung der Bereitstellung des öffentlichen Gutes leisten wollen, mit der Durchsetzung vollständig garantierter Eigentumsrechte identisch ist, treffen auf die Anwendbarkeit des property rights-Ansatzes zur Lösung des Problems der Bereitstellung öffentlicher Güter dieselben Vorbehalte zu, wie sie im Zusammenhang mit dem Problem externer Effekte formuliert wurden.



Bei der ruinösen Konkurrenz wird ein regulierender Eingriff als notwendig angesehen, weil es zu viel Wettbewerb gibt. Die Ursache dafür ist in einem dauerhaft verzögerten Allokationsprozess aufgrund von Überkapazitäten in einer Branche in Verbindung mit hohen Marktaustrittsschranken zu sehen. Dies ist beispielsweise bei teuren Produktionsanlagen, die bei der Stilllegung des Betriebes nicht verkauft werden können (Stahlproduktion), oder bei geringer Mobilität der Unternehmer (Landwirte, Binnenschiffer) gegeben. Bei ruinösem Wettbewerb überleben nicht notwendig die leistungsfähigsten Unternehmen (Möglichkeiten der Mischkalkulation).88



Informationsasymmetrie kennzeichnet Situationen, in denen Transaktionspartner nur unvollständige Informationen besitzen. Generell sind Informationsprobleme durch Prinzipal Agent-Beziehungen gekennzeichnet. Marktliche Austauschprozesse lassen sich als Transaktionen auffassen, in denen eine oder mehrere Personen (Prinzipal) eine andere Person (Agent) dazu verpflichten, in ihrem Namen bestimmte Dienste durchzuführen. Bei Nutzenmaximierung ergibt sich bei abweichenden Interessen von Prinzipal und Agent die Möglichkeit, dass der Agent entgegen dem gemeinsamen Transaktionsziel seinen privaten Nutzen maximiert, worauf bereits Adam Smith hingewiesen hat:89

87

Vgl. zu einer empirischen Überprüfung der Trittbrettfahrer-Hypothese Pommerehne, Werner W., und Friedrich Schneider, Wie steht’s mit dem Trittbrettfahren?: Eine experimentelle Untersuchung, in: ZfGSt 136 (1980), S. 286–308, 286 ff. So ist z.B. die Konzentration im Handel u.a. darauf zurückzuführen, dass Konsumenten vorzugsweise bei Discountern einkaufen, gleichzeitig jedoch den damit verbundenen starken Rückgang der Einkaufsmöglichkeiten in kleineren Einzelhandelsgeschäften beklagen. Vgl. Bartling, op.cit., S. 333 f., und Tolksdorf, Michael, Ruinöser Wettbewerb: Ein Beitrag zur Phänomenologie und wettbewerbspolitischen Behandlung einer marktlichen Fehlentwicklung, Berlin 1971. Smith, Adam, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Ausgabe E. Cannan, New York 1994, S. 800.

88 89

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

49

“The directors of such companies, however, being the managers rather of other people’s money than of their own, it cannot be expected, that they should watch over it with the same anxious vigilance with which the partners in a private copartner frequently watch over their own.” Eine systematische Erklärung, inwieweit Informationsasymmetrien vorliegen, lässt sich anhand dieser Beziehung jedoch schlecht herleiten. Asymmetrische Informationsverteilung liegt vor, wenn ein Transaktionspartner gegenüber dem anderen einen Informationsvorsprung über entscheidungsrelevante Faktoren der Transaktion hat. Der besser informierte Transaktionspartner kann diesen Informationsvorsprung zu Lasten des schlechter informierten Partners ausnutzen. Vor Abschluss der Transaktion besteht für eine Transaktionsseite damit Qualitätsunsicherheit, während die Transaktionsgegenseite im Besitz dieser Information ist oder zumindest einen höheren Informationsstand hat; dies wird adverse selection oder Negativauslese genannt. Akerlof zeigte die extremen Auswirkungen uninformierter Nachfrager am Gebrauchtwagenmarkt auf.90 Sind Nachfrager vor Vertragsschluss nicht in der Lage, die genaue Qualität der angebotenen Güter zu erfassen, sondern nur die durchschnittliche Qualität aller angebotenen Güter, so sind sie nur bereit, einen Preis gemäß dieser Durchschnittsqualität zu bezahlen. Die Qualität, die ein Nachfrager beim Kauf tatsächlich erhält, kann sowohl besser als auch schlechter sein als die Durchschnittsqualität. Für die Anbieter hat die Preissetzung gemäß der durchschnittlichen Qualität zu Folge, dass Anbieter unterdurchschnittlicher Qualität tendenziell Gewinne erwirtschaften, während Anbieter überdurchschnittlicher Qualität mit Verlusten rechnen müssen. Anbieter überdurchschnittlicher Qualität werden damit vermehrt aus dem Markt ausscheiden. Dies führt zur Abnahme der Durchschnittsqualität, wofür die Nachfrager einen entsprechend geringeren Marktpreis bieten. Der gesunkene Marktpreis wird Anbieter überdurchschnittlicher Qualität zum Marktaustritt bewegen. Es entsteht ein Teufelskreis aus Preissenkung und Qualitätsverschlechterung, der zum Zusammenbruch des Marktes führt. Zwar besteht ein beidseitiges Interesse an Vertragsabschlüssen über gute Qualität; die uninformierte Marktseite kann diese Transaktionspartner jedoch nicht identifizieren, so dass die gewünschten Transaktionen nicht durchgeführt werden können. Marktliche Mechanismen zur Behebung dieser Problematik sind signalling als ein Verhalten der informierten Marktseite, an dem die uninformierte Marktseite die Qualität des potentiellen Marktpartners erkennen kann, und screening als Maßnahme der uninformierten Marktseite, um die verschiedenen Qualitäten der informierten Marktseite zu unterscheiden (z.B. können Arbeitgeber potentiellen Arbeitnehmern Arbeitsverträge mit unterschiedlicher Entlohnungsgestaltung anbieten, um aus der Entscheidung des Arbeitnehmers auf dessen Produktivität zu schließen). Reichen marktliche Mechanismen zur Problemlösung nicht aus, werden regulierende Eingriffe nötig. Je nach dem Grad der Unsicherheit kommen Informationspflicht, Qualitätsstandard oder Zulassungsbeschränkungen in Frage. Mit moral hazard werden Situationen beschrieben, in denen die informierte Seite nach Transaktionsabschluss effizienzwirksame Handlungen vornehmen kann, die nicht vom Transaktionspartner erfasst oder kontrolliert werden können. Der informierte Transak90

Vgl. Akerlof, G., The Market for “Lemons”: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics 84 (1970), S.488 ff.

50

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche tionspartner kann seinen einzelwirtschaftlichen Nutzen zu Lasten des gemeinsamen Vertragsziels maximieren. Beispiele sind Versicherungsnehmer, die nach Abschluss einer Versicherung nicht mehr die gleiche Sorgfalt zur Verhinderung des Schadensfalls ausüben wie vor dem Abschluss, oder Manager, die ihre Arbeitskraft nicht auf die langfristigen Unternehmensziele ausrichten, sondern auf die Stärkung ihrer eigenen Machtposition. Das Grundproblem liegt in mangelnden Kontrollmöglichkeiten, inwieweit der Transaktionspartner seinen Verpflichtungen nachgekommen ist. Moral hazard verhindert eine direkte Erfolgskontrolle. Als marktliche Lösungsmöglichkeiten kann monitoring erfolgen, das den Versuch der uninformierten Seite bezeichnet, die Informationslücke durch Kontrollen zu schließen. Stellt die informierte Transaktionsseite ein Pfand, das bei Verletzung des Transaktionsziels an den uninformierten Partner fällt, liegt bonding vor (z.B. in Form von Vertragsstrafen). Bei moral hazard sind Maßnahmen des allgemeinen Wirtschaftsrechts geeignet, die Möglichkeit zur Kontrolle und Durchsetzung von Verträgen zu erhöhen. 91 Bei zeitlicher Informationsasymmetrie fehlt den Transaktionspartnern gleichermaßen das Wissen über alle möglichen zukünftigen Ereignisse, die die potentielle Transaktion beeinflussen können. Vor Transaktionsabschluss wird dieser Sachverhalt durch das Konzept der eingeschränkten Rationalität (bounded rationality) erfasst. Menschen sind nur eingeschränkt rational insofern, als sie nicht alle Eventualitäten vorhersehen können. Jeder ist sich dieses Sachverhaltes bewusst und weiß, dass nach Transaktionsabschluss Ereignisse eintreten können, die es der einen oder anderen Transaktionsseite erlauben, ihren einzelwirtschaftlichen Nutzen auf Kosten des gemeinsamen Vertragsziels zu maximieren, was als opportunistisches Verhalten (hold up) bezeichnet wird. Zeitliche Informationsasymmetrie ist kein Marktversagen, sondern eine normale Begleiterscheinung des täglichen Lebens und kann nicht behoben werden. Es können somit keine Regulierungseingriffe aufgrund Marktversagens begründet werden. Die Auswirkungen eingeschränkter Rationalität gleichen denen aus adverse selection und die Auswirkungen aus opportunistischem Verhalten denen aus moral hazard. Zeitliche Informationsasymmetrie behindert somit die korrekte Erfassung asymmetrischer Informationsverteilung erheblich. Abb. 2 gibt einen Überblick über die Systematisierung von Informationsproblemen.

ex ante ex post Abb. 2:

91

asymmetrische Informationsverteilung adverse selection moral hazard

zeitliche Informationsasymmetrie eingeschränkte Rationalität opportunistisches Verhalten (hold up)

Systematisierung von Informationsproblemen

Vgl. Milgrom, P., und J. Roberts, Economics, Organization and Management, London 1992, Kap. 5 und 6.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

51

b)

Politisch gesetzte Ziele, die durch Wettbewerb nicht erreicht werden (politische Ausnahmebereiche) Die oben vorgenommene Analyse bezog sich auf Bereiche, in denen die Erfüllung einer oder mehrerer Wettbewerbsfunktionen ohne staatliches Eingreifen gefährdet ist. Darüber hinaus werden als Gründe für staatliche Eingriffe (meta-ökonomische) Ziele angeführt, die auch mit Wettbewerb nicht erreicht werden können:92 •





2.

Verteilungsgerechtigkeit im Sinne einer bedarfsgerechten Verteilung des Sozialproduktes kann der marktleistungsgerechten Einkommensverteilung widersprechen. Neben den klassischen Instrumenten einer Umverteilungspolitik (Steuern und Subventionen) werden häufig auch staatlich administrierte Preise, also auch diejenigen in den Ausnahmebereichen, für diese Ziele eingesetzt (redistributive Preise).93 Mit dem Argument, eine politisch gewollte Infrastruktur bestimmter Qualität zu gewährleisten, lassen sich staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen in fast jedem Bereich begründen, und zwar im Sinne von Betriebssicherheit (DIN, TÜV, Arzneimittel), Vorsorge für einen Krisenfall (Kohle- und Stahlproduktion, Energie-, Wasser- und Verkehrsversorgung, Landwirtschaft) oder Schaffung von Grundlagen für eine erfolgreiche Entwicklung der Wirtschaft (Industriepolitik). Bei Nichtrationalität wird unterstellt, dass die individuellen Präferenzen der Konsumenten verzerrt sind und die daraus entstehende Nachfrage korrekturbedürftig ist, da sie nicht auf den „wahren“ Präferenzen beruht. Die Festlegung, welche Präferenzen „wahr“ und welche „verzerrt“ sind, erfolgt nach subjektiver Wahrnehmung der Politiker und ist kein objektives Entscheidungskalkül. Im Fall meritorischer Güter wird davon ausgegangen, dass die Konsumenten ihren Nutzen unterschätzen und die Nachfrage gesellschaftlich zu gering ausfällt (z.B. Schulpflicht, Kultur). Ein Fall negativen Nutzens (demeritorische Güter) wäre das Verbot einiger Rauschgifte.94

Positive Theorie der Regulierung

Die positive Theorie der Regulierung hat einen anderen Ausgangspunkt, um das Zustandekommen staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsprozess zu erklären: Hier sind nicht die ökonomischen oder meta-ökonomischen Gegebenheiten in den betroffenen Wirtschaftsbereichen regulierungsbegründend, sondern die ökonomischen Gegebenheiten im Hinblick auf die Akteure, die in irgendeiner Form mit einer Regulierung befasst sind. Einzelsubjekte und organisierte Interessengruppen kann man dabei als Nachfrager nach Regulierungsleistungen und die Regulierenden, d.h. die Politiker und Bürokraten als Anbieter von Regulierungen bezeichnen.95

92 93 94 95

Vgl. Schmidt, Ingo, Zum Nachweis des Missbrauchs einer rechtlichen oder faktischen Wettbewerbsbeschränkung II, in: WuW 17 (1967), S. 777 ff., 781. Vgl. Müller/Vogelsang, op. cit., S. 74 ff. Vgl. Bartling, op. cit., S. 329. Dies ist insofern ein Sonderfall bei der Begründung von Ausnahmebereichen, als hier die Erfüllung einer Wettbewerbsfunktion (Konsumentensouveränität) als unerwünscht gilt. Vgl. Stigler, George J., The theory of economic regulation, in: Bell Journal of Economics and Management Science 2 (1971), S. 3 ff., 12, dessen Aufsatz den Beginn der politökonomischen Analyse markiert.

52

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

a) Die Nachfrage nach Regulierung Als Nachfrager nach Regulierungen kommen zunächst einzelne betroffene Wirtschaftssubjekte in Betracht. Allerdings stehen einzelne Wirtschaftssubjekte bei der Nachfrage nach Regulierung(en) vor mehreren Problemen:96 •

Die Interessen verschiedener Wirtschaftssubjekte sind oft einander entgegen gerichtet, so dass am „Regulierungsmarkt“ verschiedene Formen der Regulierung eingefordert werden. • Ein einzelnes Wirtschaftssubjekt verfügt i.d.R. nicht über genügend politischen Einfluss, um sich mit seinen Wünschen bei den Regulierenden Gehör zu verschaffen. • Selbst wenn ein einzelnes Wirtschaftssubjekt seine Regulierungswünsche bei den zuständigen Stellen artikulieren kann, stellt sich die Frage, ob das Wirtschaftssubjekt den Anbietern von Regulierung einen Preis (nicht notwendigerweise in monetärer Form) bieten kann, der ein Angebot rentabel macht. Daraus folgt, dass einzelne Wirtschaftssubjekte i.d.R. keinen Einfluss auf das Zustandekommen von Regulierungen haben, da ihre individuelle Nachfrage zu gering ausfällt. Eine Möglichkeit, die Einflussnahme auf politische Aktionen, sprich: Regulierungen, zu erhöhen, besteht in der Bildung einer Interessengruppe. In Interessengruppen wird die individuelle Nachfrage nach Regulierung zusammengefasst. Ob sich eine Interessengruppe bildet bzw. bilden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab:97 •







96 97

Große Gruppen sind tendenziell schwerer zu organisieren als kleine Gruppen. Bei letzteren fallen die Transaktionskosten der Gruppenbildung (gegenseitige Information, Abstimmung etc.) i.d.R. geringer aus als bei ersteren. Als Beispiel für eine schwer organisierbare Interessengruppe kann die Gruppe der Konsumenten gelten. Homogene Interessen lassen sich i.d.R. leichter organisieren als heterogene Interessen, weil in homogenen Gruppen tendenziell schneller und damit kostengünstiger Konsens erreicht werden kann als in heterogenen Gruppen. Als Beispiel für relativ homogene Gruppen können die verschiedenen Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland gelten, während der DGB als heterogene Gruppe bezeichnet werden muss. Die Gruppenbildung wird erleichtert, wenn neben dem Kollektivgut ein oder mehrere private Güter angeboten werden, von deren Konsum Nichtmitglieder ausgeschlossen sind. Man spricht dabei von selektiven Anreizen, die wirtschaftlicher und sozialer Natur sein können. So bietet beispielsweise der ADAC neben dem Kollektivgut der Interessenvertretung auch private Güter wie Versicherungen und Auslandsschutzbriefe an, die nur von Mitgliedern – verbilligt – erworben werden können. Soziale Anreize zu einer Gruppenmitgliedschaft sind dann gegeben, wenn die Gruppenmitgliedschaft als elitär gilt. Eine Interessengruppe kann auch durch staatlichen Zwang organisiert und aufrecht erhalten werden. Ein Motiv hierfür kann die Senkung der Transaktionskosten im politischen Willensbildungsprozess sein. Als Beispiele für Interessengruppen mit Beitrittszwang können die Industrie- und Handelskammern gelten.

Vgl. Downs, Anthony, An economic theory of democracy, Cambridge University Press 1957, S. 23 ff., und Olson, Mancur, The rise and decline of nations, New Haven/London 1982. Vgl. Olson, Mancur, Die Logik des kollektiven Handelns, Tübingen 1968, insbesd. Kapitel 2 und 3.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

53

Wenn sich eine Interessengruppe gebildet hat bzw. wenn sie gebildet wurde, hat sie verschiedene Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Zustandekommen von Regulierungen:98 • •

• •

Interessengruppen können die Regulierenden und die von der Regulierung Betroffenen durch Information bzw. Desinformation beeinflussen. Interessengruppen können ihre Organisiertheit, d.h. ihre Marktmacht, zulasten vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen missbrauchen. Da die Betroffenen wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Regel der Regierung anlasten, können die Interessengruppen so Druck auf die Regierung, d.h. auf die Regulierenden, ausüben. Interessengruppen können bestimmte politische Parteien (finanziell) unterstützen, von denen eine Zielidentität mit den Gruppeninteressen erwartet werden kann. Interessengruppen können sich selbst zur Wahl stellen, um direkten Einfluss auf Regulierungsaktivitäten zu erhalten.

p G C

preg

S A

E

p* F B

D qreg

Abb. 3:

q* R

q

Anreize zu politischer Einflussnahme

Ob und welche Regulierungen durch Interessengruppen zustande kommen, hängt von deren Effizienz bei der politischen Einflussnahme und der Zielsetzung der Interessengruppe ab und kann somit nicht a priori bestimmt werden. Eine weitere Problematik in diesem Zusammenhang sind die Aufwendungen, die zur Erreichung einer Regulierung notwendig sind. Das sei an einem einfachen Beispiel verdeutlicht.99 In einer Konkurrenzsituation, wie sie in Abb. 3 beschrieben wird, kommt eine Marktlösung (p*;q*) zustande, die eine Konsumentenrente von p*AG und eine Produzentenrente von p*AB impliziert. Schließen sich die Produzenten nun zusammen, um eine Ausnahme von einem Kartellverbot zu erreichen, so ist nach erfolgreicher Einflussnahme ein Marktergebnis (preg;qreg) möglich, das eine verringerte Konsumentenrente von pregCG und eine vergrößerte Produzentenrente von pregCFB impliziert. Die Produzenten hätten also einen Nettogewinn von p*ECpreg – EAF zu erwarten. Dieser ist jedoch nur unter Vernachlässigung der Transaktionskosten erreichbar. Berücksichtigt man, dass politische Einflussnahme Geld kostet, so werden die Produzenten bereit sein, maximal den möglichen Zugewinn an Produzentenrente für eine Regulierung aufzuwenden, so dass die Regulierung durch die Kosten der Einflussnahme für die Produzenten zum Nullsummenspiel würde, während gesamtwirtschaftlich ein Wohlfahrtsverlust von CAF aufträte. 98

99

Vgl. Frey, Bruno S., und Gebhard Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., München 1994, Kapitel 5–7, 13 und 15. In Anlehnung an: Tollison, Robert D., Rent-seeking: a survey, in: Kyklos 35 (1982), S. 575 ff.

54

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

b) Das Angebot an Regulierung Als Anbieter von Regulierung kommen Politiker und Bürokraten in Betracht. In direkten Demokratien kann bei Vorliegen bestimmter einschränkender Annahmen gezeigt werden, dass sich die Politiker mit ihren Aktionen, d.h. auch mit Regulierungen, an den Wünschen des Medianwählers orientieren, um ihren eigenen Nutzen zu maximieren.100 In repräsentativen Demokratien wie der Bundesrepublik Deutschland spielt die direkte Wähler-PolitikerBeziehung eine vernachlässigbare Rolle. Hier kommt der oben beschriebene Einfluss von Interessengruppen zum Tragen, so dass das politische Ergebnis auch als „Interessengruppengleichgewicht“ bezeichnet werden kann. Bürokraten kommen deshalb als Anbieter von Regulierung in Betracht, weil sie als Exekutive bei der Umsetzung von Beschlüssen der Legislative über diskretionäre Handlungsspielräume verfügen. Diese nutzt der Bürokrat, um seinen individuellen Nutzen zu maximieren.101 Als gängige Determinanten der Nutzenfunktion des Bürokraten können Macht, Prestige, angenehme Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Gehalt festgehalten werden. Die Nachfrager von Regulierung können diese Determinanten direkt und indirekt beeinflussen. Zu den direkten Einflussmöglichkeiten sind direkte Zahlungen, d.h. Bestechungsgelder, zu rechnen, während die indirekten Einflussmöglichkeiten in der Tatsache begründet liegen, dass durch Regulierung den Bürokraten Arbeitsplatzsicherheit, Macht und Prestige verliehen wird: Regulierungen müssen durchgeführt und kontrolliert werden, wozu Personal, d.h. dem Bürokraten Untergebene, gegebenenfalls sogar völlig neue bürokratische Institutionen notwendig sind. Folglich haben Bürokraten nicht nur die Möglichkeit, sondern meist auch Interesse an Regulierungen.

3.

Vergleich von normativer und positiver Theorie der Regulierung

Bei einer Gegenüberstellung der normativen und der positiven Theorie der Regulierung fallen mehrere Punkte auf: •





100 101

Die Trennlinie zwischen normativer und positiver Theorie der Regulierung ist nicht eindeutig. Die sog. politischen Ausnahmebereiche, die i.d.R. von der normativen Theorie der Regulierung erfasst werden und bei denen man sich auf paternalistische Grundprinzipien beruft, werden erst von der positiven Theorie der Regulierung vollständig erklärt: Hier werden Zielfunktionen als gegeben angenommen, und es wird versucht zu erklären, wie und weshalb dann Regulierungen zustande kommen. Beschränkt man die normative Theorie der Regulierung auf ökonomische Begründungen für staatliche Interventionen, so kann festgehalten werden, dass sie in der Lage ist zu klären, wann und welche Regulierungen angebracht sind. Das bedeutet, die normative Theorie der Regulierung stellt auf die ökonomische Notwendigkeit von Regulierungen ab. Die positive Theorie der Regulierung geht hingegen der Frage nach, weshalb auch in Wirtschaftsbereichen, in denen nach der normativen Theorie der Regulierung kein ReguVgl. Downs, Anthony, op. cit., S. 23 ff., und Rowely, Charles K., The relevance of the median voter theorem, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 140 (1984), S. 104 ff. Vgl. Rowley, Charles K., und Robert Elgin, Government and its bureaucracy: a bilateral bergaining versus a principal-agent approach, in: Rowley, Charles K., Robert D. Tollison, und Gordon Tullock (Hrsg.), The political economy of rent-seeking, Boston 1988, S. 267 ff.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

55

lierungsbedarf (mehr) besteht, (immer noch) Regulierungen anzutreffen sind. Sie liefert Erklärungen für das Zustandekommen von Regulierungen, die nicht normativ begründbar sind und Ansätze zur Erfassung der zeitlichen Persistenz von Regulierungen über den zeitlichen Regulierungsbedarf hinaus. Folglich kann weder die normative noch die positive Theorie der Regulierung allein als Erklärungsinstrument für Regulierungen genügen. Beide Ansätze sind notwendig, um eine vollständige Erfassung des Warum, des Wie und des Wie lange von Regulierungen zu ermöglichen. Die normative und die positive Theorie der Regulierung ergänzen und überschneiden sich und können daher nicht als einzelne, sich gegenüberstehende Erklärungsansätze aufgefasst werden: Nur eine ökonomische Gesamtschau liefert befriedigende Erklärungsansätze.

4.

Möglichkeiten und Methoden der Kontrolle von Ausnahme- und sektorspezifischen Bereichen102

Um in den vom Wettbewerb als Kontroll- und Steuerungsmechanismus ausgenommenen Wirtschaftsbereichen die Zielfunktionen des Wettbewerbs dennoch zu realisieren, werden üblicherweise die dort tätigen privaten Unternehmen entweder staatlich kontrolliert (Regulierung) oder verstaatlicht (öffentliche Unternehmen). Die allgemeinen Vor- und Nachteile dieser beiden Methoden werden im 7. Kapitel (Abschnitt III und IV: regulation und ownership approach) erörtert. Die materiell-rechtlichen Bestimmungen für die Bundesrepublik Deutschland, die EG und die USA werden im 8. bis 10. Kapitel (jeweils in den Abschnitten II. 4: Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche) dargestellt. Deshalb soll hier nur auf einige methodische Fragen eingegangen werden. a) Regulierung Die Kontrolle privater Unternehmen lässt sich im Wesentlichen als eine Kombination von Eingriffen in Preis und Rendite, Qualität und Konditionen, Vertragsfreiheit und Marktzutritt charakterisieren, durch welche die Handlungsfreiheit der betroffenen Unternehmen eingeschränkt wird. Im Wesentlichen können drei Regulierungsansätze unterschieden werden: • • •

Die cost-plus- oder mark-up-regulation, das Vergleichsmarktkonzept (yardstick regulation) und die price-cap-regulation, die mit ökonomischen Anreizen arbeitet (incentive regulation) und insofern die dynamische Effizienz einbezieht. (1) Da eine direkte Preisregulierung103 gemäß der Bedingung K′ = p bzw. DTK = p große Probleme im Hinblick auf die administrative Operationalität aufwirft, wurde in den USA im Interesse einer Komplexreduktion meistens die Methode der Renditeregulierung (rate of return-regulation) verwendet. Dabei wird der zulässige Gesamterlös R als Summe aus den Betriebskosten (0 = operating costs) und dem Bruttovermögen (V = gross value) abzüglich

102 103

Vgl. Knieps, Günter, Wettbewerbsökonomie: Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik, 2. Aufl., Heidelberg 2005, insbsd. 5. Kapitel. Vgl. Eucken, Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., Tübingen 1975, S. 297.

56

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

den Wertberichtigungen (D = accrued depreciation), multipliziert mit der zulässigen Kapitalverzinsung r, ermittelt:104

R = 0 + (V − D)⋅ r In den USA spielte diese Renditeregulierung bei den Versorgungsunternehmen eine bedeutende Rolle. In der BRD war und ist z.B. die Strompreisaufsicht nach § 12 BTOElt eine cost-plus- bzw. mark-up-Regulierung. Gem. § 21 II EnWG werden die Entgelte für den Netzzugang auf der Grundlage der Kosten ermittelt. Problematisch bei dieser Methode der Regulierung ist der Anreiz, mit nicht betriebsnotwendigen und damit überhöhten Kosten zu produzieren, indem die Unternehmen z.B. andere Inputs (v.a. Arbeit) durch zusätzliches Kapital substituieren. Eine solche Kapitalerhöhung erhöht die Basis, auf der die „rate-of-return“ berechnet wird. Diese Überkapitalisierung wird auch als „Averch-Johnson-Effekt“ bezeichnet.105 (2) Das in § 21 II EnWG für die Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang außerdem vorgesehene Vergleichsmarktkonzept (yardstick competition) geht von den Kosten eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers aus, wobei sich die „im Wettbewerb“ nicht einstellenden Kosten nicht berücksichtigt werden. Dieses Konzept setzt allerdings die Existenz vergleichbarer Märkte mit Wettbewerb voraus; eventuelle Unterschiede werfen Quantifizierungsprobleme auf. (3) Als Alternative zu dieser Renditenregulierung wurden Anfang der achtziger Jahre die „price bzw. revenue cap-Regulierung“106 als eine Art Preis- bzw. Erlösobergrenzenregulierung eingeführt, wobei das regulierte Unternehmen unterhalb der Obergrenze beliebigen Preissetzungsspielraum hat. Die international übliche Standardformel für das price cap-Verfahren lautet wie folgt: RCt = CRt–1 (1 + RPI) – Xges – Xind ± Q RCt = Revenue Cap in der Periode t RCt–1 = Revenue Cap in der Periode t–1 RPI = Retail Price Index zur Erfassung der Inflationsentwicklung Xges = allgemeine Produktivitätsentwicklung Xind = unternehmensindividuelle Effizienzsteigerung Q = Versorgungsqualität Die Preisobergrenze orientiert sich nicht an der Kostenentwicklung, sondern an dem Konsumentenpreisindex RPI abzüglich der allgemeinen Produktivitätsentwicklung Xges und der individuellen vom Regulator festgesetzten Effizienzsteigerung Xind. So würde bei einer Inflationsrate von 4 % und einer Produktivitätssteigerung von 2 % die zulässige Preisobergrenze um (4 % – 2 % =) 2 % steigen. Da in die Produktivitätsrate nicht nur die unternehmensindi104 105 106

Vgl. Phillips, Charles F., The Economics of Regulation, 2. Aufl., Homewood, Ill. 1969, S. 129. Vgl. Müller/Vogelsang, op. cit., S. 47 ff., und Knieps, op. cit., S. 107 ff. Dieses Konzept wurde zum ersten Mal von Littlechild in einem Gutachten anlässlich der Privatisierung der British Telecom verwendet. Vgl. Littlechild, Stephen C., Regulation of British Telecommunication’s Profitability – Report to the Secretary of State, London 1983. Vgl. zur sog. Anreizregulierung Monopolkommission, Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, Sondergutachten 49, Baden-Baden 2008, S. 217 ff.

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

57

viduelle, sondern auch die allgemeine Produktivitätsentwicklung eingeht, sind die Anreize zur effizienten Leistungserstellung stärker als bei der kostenorientierten Regulierung ausgeprägt. Denn die Kostenersparnisse verbleiben zumindest teilweise beim regulierten Unternehmen, so dass die regulierungsbedingten Anreizverzerrungen der Inputregulierung (zu hoher Kapitaleinsatz bzw. Kostenverschwendung) entfallen. Da diese Kostensenkungen nach mehreren Regulierungsperioden in eine neue Preisobergrenze eingepreist werden, profitieren auch die Abnehmer davon. Damit wird versucht, einen Wettbewerb regulatorisch zu simulieren. Diese international übliche Standardformel ist seit dem 1.1.2009 durch die AnreizregulierungsVO zu einer branchenspezifischen Regulierungsformel für die Energiewirtschaft erweitert worden, da § 21a V EnWG – abweichend von 21 II EnWG – auch die Möglichkeit einer Anreizregulierung (incentive regulation) qua RVO107 vorsieht, welche die Unternehmen motivieren soll, durch Rationalisierung zusätzliche Gewinne zu erzielen, indem sie die Effizienzziele der Regulierungsbehörde übererfüllen (dynamische Effizienz). Insofern gehen von der Regulierung positive ökonomische Anreize im Hinblick auf die allokative, produktive und dynamische Effizienz aus. Nachteilig könnte sich bei einer Anreizregulierung allerdings auswirken, dass der Druck auf die Preise zu einer Qualitätsreduzierung führt; dem soll in der Energiewirtschaft durch Qualitätsvorgaben ( ± Q) begegnet werden. (4) Die Kontrolle von Qualität und Konditionen ist eine notwendige Folge der Preisregulierung, da die preisregulierten Unternehmen durch Veränderung von Qualität oder Konditionen ihre Kosten und damit ihre Gewinnsituation verbessern können. Im Hinblick auf die i.d.R. fehlenden Alternativen für die Abnehmer unterliegen regulierte Unternehmen einem Kontrahierungszwang, d.h., sie müssen mit jedem Interessenten einen Vertrag abschließen und dabei gleichartige Fälle gleich behandeln (Diskriminierungsverbot). (5) Der Kontrahierungszwang regulierter Unternehmen kann wiederum eine Marktzutrittsregulierung notwendig machen, wenn z.B. ein reguliertes Unternehmen Marktsegmente mit Verlust bedienen muss und dadurch andere Marktsegmente nur zu überhöhten Preisen beliefern kann (interne Subventionierung). In diesem Fall besteht die Gefahr, dass andere Unternehmen versuchen werden, die zu überhöhten Preisen belieferten Marktsegmente zu niedrigeren Preisen zu beliefern (sog. Rosinenpicker – cream skimming). Die Marktzutrittsregulierung ist insofern notwendige Folge des Kontrahierungszwanges, der wiederum eine notwendige Folge der Qualitäts- und Konditionenregulierung ist, die sich ihrerseits aus der Preisregulierung ergibt (Kettenreaktion der Regulierung). Häufig wird die Marktzutrittsregulierung mit der Gefahr ruinösen Wettbewerbs und einer Beeinträchtigung von Sicherheitsbelangen begründet. b) Verstaatlichung Angesichts der großen Probleme, welche die Regulierung privater Unternehmen aufwirft, liegt die Schlussfolgerung nahe, diese Unternehmen in das Eigentum der öffentlichen Hand zu überführen und damit die Entscheidungen gleich von denen fällen zu lassen, die sie sonst zu überwachen hätten. So wird in der Bundesrepublik Deutschland z.B. ein großer Teil der öffentlichen Energie- und Wasserversorgung von öffentlichen Unternehmen angeboten, die

107

Vgl. VO zum Erlass und zur Änderung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Energieregulierung vom 29.10.2007. Anlage 1 zu § 7 der VO enthält die spezifische Formel zur Festsetzung der Erlösobergrenze.

58

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

meist im Besitz von Gemeinden sind (kommunale Eigenbetriebe i.S. der Eigenbetriebsverordnung von 1923 und kommunale Eigengesellschaften). In idealtypischer Sicht sind mit einer Verstaatlichung alle Probleme gelöst, wenn man annimmt, dass die Vertreter der öffentlichen Hand ausschließlich im öffentlichen Interesse handeln und anstelle des Gewinnmaximierungs- ein Wohlfahrtsmaximierungsziel verfolgen. Die bisherigen Beobachtungen – nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland – zeigen jedoch, dass das Management von öffentlichen Unternehmen sich i.d.R. dem Interesse des von ihm geleiteten Unternehmens und nicht irgendwelchen Wohlfahrtszielsetzungen verpflichtet fühlt. Die bloße Änderung der Eigentumsverhältnisse (öffentliches anstelle von privatem Eigentum) ist nach allen Erfahrungen nicht dazu geeignet, die Regulierungsprobleme in den sog. Ausnahmebereichen zu beheben. Vieles spricht vielmehr dafür, dass die Verbraucherversorgung bei öffentlichen Monopolen schlechter als bei öffentlich kontrollierten privaten Monopolen ist, da der politische Kontrollmechanismus bei staatlichen Unternehmen stark eingeschränkt ist (personelle Identität von Managern sowie von Gewerkschafts-, Partei- und Regierungsfunktionären).

Übungsfragen zum 2. Kapitel 1. Welche Funktionen hat der Wettbewerb nach Kantzenbach (1966 bzw. ab 1971)? 2. Von welchen Funktionen des Wettbewerbs geht Giersch aus? 3. Welche beiden Aspekte des Zielkomplexes Wettbewerb werden von Hoppmann unterschieden? 4. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen der Wettbewerbspolitik einerseits und der Prozess- bzw. Verbraucherpolitik andererseits? 5. Erläutern Sie die Position von Giersch zur Notwendigkeit der Berücksichtigung von Zielkonflikten. 6. Fassen Sie in einem Schema mögliche Gruppierungen der Wettbewerbsfunktionen und des Zielkomplexes Wettbewerb zusammen. 7. Was verstehen Sie unter Freiheit der Wirtschaftssubjekte, und welche beiden Grundtypen können unterschieden werden? Worin liegt die Bedeutung dieser Unterscheidung für die Wettbewerbspolitik? 8. Begründen Sie die Aufnahme des Komplexes der Handlungs- und Entschließungsfreiheit in den Zielkatalog des Wettbewerbs. 9. Skizzieren Sie die Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse zu der Frage, ob der Wettbewerb Ziel oder Mittel ist. 10. Durch welche These aus der Theorie der Wirtschaftspolitik kann diese Kontroverse aufgelöst werden? 11. Was verstehen Sie unter Adäquanz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung? 12. Erläutern Sie, warum sich mikroökonomische Ordnungspolitik und makroökonomische Prozesspolitik wechselseitig bedingen und ergänzen. 13. Warum ist ein exakter wissenschaftlicher Beweis für die wirtschaftliche Überlegenheit einer Wirtschaftsordnung nicht zu erbringen?

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

59

14. Wodurch unterscheiden sich normative und positive Theorien der Regulierung? Handelt es sich um voneinander unabhängige Erklärungsansätze? 15. Mit welchen ökonomischen Argumenten lassen sich sog. Ausnahmebereiche rechtfertigen? 16. Definieren Sie den „Markt“, der in der positiven Theorie der Regulierung betrachtet wird. Was determiniert die Marktstellung bzw. die Machtposition der Marktteilnehmer? 17. Nennen Sie politische Ziele, die auch mit funktionsfähigem Wettbewerb nicht erreichbar sind. 18. Erörtern Sie Möglichkeiten und Methoden der Kontrolle von Ausnahmebereichen.

Weiterführende Literaturhinweise zum 2. Kapitel Akerlof, George, The Market for “Lemons”: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics 84 (1970), S. 488 ff. Bain, Joe S., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968, S. 35–39. Bickenbach, Frank, Lars Kumkar und Rüdiger Soltwedel, Wettbewerbspolitik und Regulierung – Die Sichtweise der Neuen Institutionenökonomie, in: Neue Entwicklungen der Wirtschaftswissenschaft, hrsg. von Klaus F. Zimmermann, Heidelberg 2002, S. 217 ff. Borrmann, Jörg, und Jörg Finsinger, Markt und Regulierung, München 1999. Bühler, Stefan, und Franz Jaeger, Einführung in die Industrieökonomik, Berlin u.a. 2002, 2. Kapitel. Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (vormals Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post), Tätigkeitsbericht (fortlfd.) Church, Jeffrey, und Roger Ware, Industrial Organization: A Strategic Approach, Boston u.a. 2000, Part VI: Issues in Regulatory Economics. Demsetz, Harold, Information and Efficiency: Another Viewpoint, in: Journal of Law and Economics 12 (1969), S. 1 ff. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, Stuttgart 1991. Finsinger, Jörg, Wettbewerb und Regulierung, Reihe Law and Economics Bd. 16, München 1991. Frey, Bruno, Ökonomie ist Sozialwissenschaft: Die Anwendung der Ökonomie auf neue Gebiete, München 1990. Fritsch, M., T. Wein und H.-J. Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik: Grundlagen staatlichen Handelns, 7. Aufl., München 2007. Haucap, Justus, und André Uhde, Regulierung und Wettbewerbsrecht in liberalisierten Netzindustrien aus institutionenökonomischer Perspektive, in: ORDO Bd. 59, S. 237 ff. Hoppmann, Erich, Noch einmal zur ökonomischen Begründung von Ausnahmebereichen: Eine Bemerkung über konkurrierende Ansätze der Wettbewerbspolitik, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Bd. 188 (1974), S. 256 ff.

60

2. Kapitel: Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche

Jensen, Michael, und William Meckling: Theory of the firm: Agency costs and ownership structure, in: Journal of Financial Economics 3 (1976), S. 305 ff. Kahn, Alfred E., The Economics of Regulation: Principles and Institutions, Cambridge, Mass. und London 1988. Kantzenbach, Erhard, Das Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität: Eine Erwiderung auf den gleichnamigen Besprechungsaufsatz von Erich Hoppmann, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Bd. 181 (1967/68), S. 193 ff. Kerber und Schwalbe, in: Münchner Kommentar: Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), hrsg. von Hirsch, Montag und Säcker, Band 1: Europäisches Wettbewerbsrecht, München 2007, Tz. 1466–1487 mit einem guten Überblick und weiterführenden Literaturhinweisen. Knieps, Günter, Wettbewerbsökonomie: Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik, 3. Aufl., Heidelberg 2008, 2. und 5. Kap. Kruse, Jörn, Ökonomie der Monopolregulierung, Göttingen 1985. Kumkar, Lars, Wettbewerbsorientierte Reformen der Stromwirtschaft: eine institutionenökonomische Analyse, Kieler Studien Bd. 305, Tübingen 2000. Meyer, Dirk, Asymmetrische Information, Institutional Choice und die Funktion von Wertorientierungen, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 41 (1990), S. 104 ff. Milgrom, Paul, und John Roberts, Economics, Organization and Management, London 1992, Kapitel 5 und 6. Möschel, Wernhard, Zur wettbewerbstheoretischen Begründbarkeit von Ausnahmebereichen, in: ORDO Bd. XXXII (1981), S. 85 ff. Myrdal, Gunnar, Das Zweck-Mittel-Denken in der Nationalökonomie, in: Zeitschrift für Nationalökonomie Bd. 4 (1933), S. 304 ff. OECD, The OECD Report on Regulatory Reform: Synthesis, Paris 1997. Sharkey, William W., The theory of natural monopoly, Cambridge 1982. Ströbele, Margit, Die Deregulierungswirkungen der europäischen Integration: Eine ordnungspolitische Analyse der deutschen Sondermärkte und ihre Implikationen für die europäische Integrationspolitik, Hohenheimer Volkswirtschaftliche Schriften, Frankfurt a.M. u.a. 1999.

3. Kapitel:

Aufbau und Inhalt des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs

In den vorangegangenen Kapiteln ist die historische Entwicklung des wettbewerbspolitischen Leitbildes sowie die Einordnung der Wettbewerbs- und Ausnahmebereiche in Ziel-MittelSysteme behandelt worden. Abschließend soll in diesem Kapitel auf den formalen Aufbau und Inhalt des theoretischen Konzeptes eines wirksamen Wettbewerbs eingegangen werden; dabei sollen einleitend Fragen und Probleme der Abgrenzung des relevanten Marktes behandelt werden.

I.

Möglichkeiten und Probleme einer Bestimmung des für den Wettbewerbsprozess relevanten Marktes

Der für den Wettbewerbsprozess relevante Markt ist in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abzugrenzen.108 Probleme ergeben sich in erster Linie bei der sachlichen Abgrenzung. Dabei geht es darum, eine Gruppe von Anbietern bzw. Nachfragern so abzugrenzen, dass von den nicht zur Gruppe gehörenden Anbietern bzw. Nachfragern keine oder nur zu vernachlässigende Einflüsse auf das wettbewerbliche Verhalten innerhalb der Gruppe ausgehen. Methodisch können mehrere Ansätze zur Abgrenzung einer derartigen Tauschgruppe unterschieden werden.

1.

Das Industrie-Konzept von Alfred Marshall

Marshall wird allgemein als Hauptvertreter des sog. Industriekonzeptes angesehen, das auf einen physikalisch-technischen Gutsbegriff abstellt, wie er heute nur noch in Statistiken aus Praktikabilitätserwägungen verwandt wird (z.B. die Statistik über die Produktion in der Chemie- oder Stahlindustrie, die in Wirklichkeit eine Vielzahl verschiedener sachlich relevanter Märkte umfasst). Allerdings ist es bei Marshall nicht ganz eindeutig, ob er seine „industry“ nur physikalisch-technisch abgrenzen oder auch den Gesichtspunkt der Substituierbarkeit berücksichtigen will.109 Da für den Wettbewerbsprozess nicht die technisch-physikalische, sondern die wirtschaftliche Homogenität bzw. die Kategorie der Substituierbarkeit relevant ist, kann dieses Konzept aus der weiteren Betrachtung ausgeschieden werden. 108 109

Vgl. Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/83: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Kap. VII: „Die sachliche Abgrenzung des relevanten Marktes“. Vgl. Marshall, Alfred, Principles of Economics, 8. Aufl., London 1956, S. 84 f. Fn. 2.

62

2.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Das Substitutions-Konzept und seine Ausprägungen

Im Rahmen dieses Konzeptes sind methodisch verschiedene Ansätze zu unterscheiden, um die Grenzen einer Tauschgruppe zu bestimmen: (1) Die Theorie der Substitutionslücke (Joan Robinson)110 geht von der Überlegung aus, dass alle Konsumgüter in „totaler Konkurrenz“ um die Kaufkraft der Konsumenten stehen. Alle Konsumgüter bilden demnach eine Kette von Substituten, die jedoch durch sog. Substitutionslücken unterbrochen wird. So kann man z.B. alle Brotsorten, die zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs an Brot dienen, zum Begriff des Bedarfsgutes zusammenfassen, das auf einem Bedarfsmarkt (Helmut Arndt) gehandelt wird. Zwischen diesem Bedarfsgut Brot und anderen Konsumgütern, z.B. Kartoffeln, Reis oder Nudeln, bestehen mehr oder minder starke Substitutionslücken, die zu eigenen relevanten Märkten führen und nur in Krisenzeiten aufhören zu bestehen. Eine Gruppe von Anbietern bzw. Nachfragern wird demnach von den nicht zur Gruppe gehörenden Anbietern bzw. Nachfragern durch das Auftreten von Substitutionslücken abgegrenzt. Anders ausgedrückt: Die Substitutionsmöglichkeiten müssen innerhalb der Gruppe wesentlich stärker sein als zwischen der Gruppe und anderen Anbietern bzw. Nachfragern. Die Substitutionslücke braucht nicht unbedingt auf ausgeprägten sachlichen Präferenzen zu beruhen (vgl. unser Brotbeispiel), sondern kann auch auf stark ausgeprägte persönliche (z.B. Kunden-Lieferantenbeziehung), räumliche (z.B. Autobahntankstellen) oder zeitliche Präferenzen (Messen oder Bahnhofskioske) zurückgehen.111 (2) Die Theorie der Marktbeziehungen (Heinrich von Stackelberg)112 geht von vollkommenen Elementarmärkten aus, die durch das Fehlen von sachlichen, persönlichen, räumlichen und zeitlichen Präferenzen (= Homogenitätsbedingung) gekennzeichnet sind. Der Elementarmarkt wird als größter vollkommener Teilmarkt eines unvollkommenen Gesamtmarktes angesehen. Aufgrund der Substitutionsbeziehungen, die zwischen vollkommenen Teilmärkten bestehen, entsteht ein unvollkommener Gesamtmarkt. Die Existenz einer Substitutionslücke im Sinne von Robinson bedeutet, dass die Beziehungen zwischen vollkommenen Elementarmärkten so geringfügig sind, dass sie vernachlässigt werden können. Wir können also mit beiden Methoden die Grenzen eines relevanten Marktes abstecken. (3) Das Bedarfsmarktkonzept von Helmut Arndt und Lawrence Abbott stellt auf Güter ab, die dazu geeignet sind, einen bestimmten gesellschaftlichen Bedarf zu decken.113 Ähnlich definiert Joe S. Bain114 den relevanten Markt aufgrund der Substituierbarkeit, wobei “(t)he close substitutability of the outputs of different sellers in the same industry generally results from the fact that they are all varieties of the same sort of good or service – of cigarettes, of farm tractors, of cement, of laundering – with similarity in form or function and fulfilling the same sort of specific want or need of buyers.” 110 111 112 113 114

Vgl. Robinson, Joan, The Economics of Imperfect Competition, 2. Aufl., London, New York 1969, S. 4 . Vgl. dazu den Abschnitt „5. Probleme der räumlichen und zeitlichen Marktabgrenzung“. Vgl. Stackelberg, Heinrich von, Marktform und Gleichgewicht, Wien, Berlin 1934, S. 29 ff. Vgl. Arndt, Helmut, Anpassung und Gleichgewicht am Markt, in: JbNSt 170 (1958), S. 217 ff., 224, und Abbott, Lawrence, Qualität und Wettbewerb, München 1958, S. 96. Bain, Joe S., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968, S. 6 und 224 (Hervorhebung durch Verf.).

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

63

Dieses Konzept spielt sowohl im deutschen bzw. europäischen Kartellrecht (Test der Gleichartigkeit von Gütern oder Leistungen) als auch im amerikanischen Antitrustrecht (Test der „reasonable interchangeability“ bzw. der „peculiar characteristics and uses“) eine große Rolle. Dabei wird versucht, die substitutiven Angebots- und Nachfragebeziehungen durch Bezugnahme auf den Verwendungszweck der Abnehmer zu erfassen. So heißt es in der Handpreisauszeichner-Entscheidung115, dass zu einem sachlich relevanten Markt „sämtliche Erzeugnisse (gehören), die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet und als gegeneinander austauschbar ansieht“. Die Konkretisierung des Bedarfsmarktkonzeptes erfolgt in einem ersten Schritt durch Befragung von Mitbewerbern, Zulieferanten oder Abnehmern sowie Verbänden. In kritischen Fällen kann man im Falle von Gebrauchs- oder Verbrauchsgütern im Hinblick auf eventuelle Präferenzen repräsentative, auf der Stichprobentheorie basierende Verbraucherbefragungen heranziehen, wie dies in Warenzeichenprozessen seit langem üblich ist. Allerdings sind für die Beurteilung des Ausmaßes der Nachfragesubstitution die Reaktionen des marginalen und nicht die des „verständigen“ bzw. durchschnittlichen Konsumenten maßgeblich, was sich allerdings nur im Rahmen einer aufwendigen Marktanalyse feststellen ließe.116 In einem zweiten Schritt können verschiedene quantitative Tests ökonometrischer und statistischer Art für Zwecke der Marktabgrenzung herangezogen werden, wenn und soweit objektive Daten (z.B. Scannerdaten im Einzelhandel) aus der Vergangenheit verfügbar sind.117 So nimmt Bain118 im Anschluss an seine Definition des Bedarfsmarktkonzeptes die sachliche Marktabgrenzung auf der Nachfragerseite wie folgt vor: “In technical terms, the degree of substitutability of any two different outputs, whether in the same industry or different ones, should be measurable by the cross-elasticity of demand between the outputs. This cross-elasticity measures the responsiveness of the sale volume of one output to a small change in the price of the other.” Die teilweise Verwendung der Kreuzpreiselastizität in der amerikanischen und europäischen Antitrust-Rechtsprechung gibt die methodische Fragestellung bei der Faktenanalyse im Hinblick darauf wieder, ob bestimmte Güter in so engen Substitutionsbeziehungen stehen, dass sie sich in Konkurrenz befinden (vgl. den Chiquita Fall).119 115

116 117

118 119

Vgl. Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 995 ff., 996. Die Europäische Kommission hat sich dieser Definition praktisch angeschlossen: Bekanntmachung zur Definition des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht, in: ABl EG 1997 C Nr. 372, S. 5 ff., und in: WuW 48 (1998), S. 261 ff. (Ziffer 7). Vgl. dazu Bishop, Simon, und Mike Walker, Economics of E.C. Competition Law: concepts, application and measurement, 5. Aufl., London u.a. 2010, S. 119. Vgl. Europäische Kommission, Bekanntmachung zur Definition …, supra, Zi. 39 u.a. Vgl. dazu Bishop und Walker, op. cit., Part III: Measurement; Schmidt, Ingo, und André Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle, 2. Aufl., München 2006, S. 16 ff.; Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlußkontrolle, Frankfurt am Main 2006, Zweiter Teil, Abschnitt C mit Beispielen aus der Rechtsprechung, sowie Zimmer, Daniel, Vorzüge und Leistungsgrenzen quantitativ-ökonomischer Analysen in Fusionskontrollverfahren: das Beispiel Oracle/PeopleSoft, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold zum 65. Geburtstag, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S. 677 ff., mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. Bain, op. cit., S. 224. Vgl. Chiquita, in: WuW/E EV 651 ff. und WuW/E EWG/MUV 425 ff.

64

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Andere quantitative Tests für Zwecke der Markabgrenzung sind z.B. die Berechnung von Preistrends, Preiskorrelations- oder Regressionsanalysen und die diversion ratio. So kann eine Untersuchung der Preisentwicklung im Zeitablauf (Preistrends) die Existenz getrennter Märkte für zwei Produkte a und b indizieren, wenn eine Preisinsensitivität dieser beiden Güter besteht; jedoch weisen Preisreihendaten häufig einen allgemeinen Trend auf (s.u.). Eine Preiskorrelationsanalyse für zwei mögliche Substitute a und b stellt ein Maß für die Stärke des positiven oder negativen Zusammenhangs (Korrelation) zwischen den Preisen der beiden Produkte dar; der Koeffizient kann Werte zwischen + 1 und –1 annehmen. Eine hohe Korrelation indiziert einen gemeinsamen relevanten Markt für a und b, eine niedrige getrennte Märkte. So hat z.B. die Europäische Kommission im Falle Nestlé/Perrier120 zur Abgrenzung des relevanten Marktes die Preiskorrelationsanalyse herangezogen. Allerdings impliziert eine ausgeprägte Korrelation für sich allein noch keine Substitutionsbeziehung, da ökonomische Preisreihendaten häufig einen allgemeinen Trend aufweisen (z.B. aufgrund von Preisänderungen bei gemeinsamen Inputs für a und b sowie saisonalen, konjunkturellen oder inflatorischen Entwicklungen) und dadurch automatisch korrelieren (sog. Scheinkorrelation),121 so dass das Vorliegen einer Preiskorrelation häufig mit Vorsicht zu interpretieren ist. Andererseits indiziert ein niedriger Koeffizient, dass es sich um getrennte Märkte handelt; das Preiskorrelationsverfahren besitzt insofern weniger Beweis- als vielmehr Widerlegungskraft. Mit Hilfe der Regressionsanalyse kann die Beziehung zwischen einer abhängigen und einer oder mehrerer unabhängigen Variabeln (einfache oder multiple Regression) untersucht werden, z.B., ob und in welchem Ausmaß der Absatz des Produktes a abhängt von dem Preis für a, den Preisen anderer Produkte, den Werbeausgaben und der Zahl der Verkaufsstellen für a. Mit Hilfe der diversion ratio lässt sich der Prozentsatz der Kunden bestimmen, der bei einer Fusion von A mit B im Falle einer Preiserhöhung des A seine Nachfrage von A zu B und nicht zu den verbleibenden Konkurrenten C, D oder E verlagert. Weitere quantitative Tests sind z.B. die Technik des Benchmarking bei der Preiskorrelationsanalyse, die der Korrelationsanalyse verwandte Stationaritätsanalyse oder die Schockanalyse.122 Die Anwendung der skizzierten ökonometrischen und statistischen Methoden setzt allerdings die Existenz zuverlässiger Marktdaten voraus, woran es jedoch bei empirischen Marktanalysen häufig mangelt. Zudem sind die Verfahren sehr zeitaufwendig, was ihre Anwendung bei der Fusionskontrolle – wegen der relativ kurzen gesetzlichen Fristen – erschwert.123 (4) Die US-amerikanischen Antitrustbehörden haben in ihren Merger Guidelines als analytischen Rahmen einen sog. hypothetischen Monopoltest vorgeschlagen, um die Reaktion der Abnehmer auf eine hypothetische Preiserhöhung von 5–10 % („small but significant nontransitory increase in price“ – sog. SSNIP-Test) für ein bestimmtes Produkt und damit den 120 121

122 123

Vgl. Nestle/Perrier, in: WuW/E EV 1903 ff. Eine solche Scheinkorrelation lag im Falle Gencor/Lonrho (in: ABl EG 1997 Nr. L 11, S. 30 ff., Zi. 52) zwischen Platin und anderen Edelmetallen vor. Mit Hilfe einer sog. Kointegrationsanalyse wurde die Frage einer langfristigen Beziehung zwischen den Zeitreihendaten überprüft (und im konkreten Fall verneint). Vgl. Schwalbe und Zimmer, op. cit., S. 87 ff. Vgl. dazu Ewald, Christian, Paradigmenwechsel bei der Abgrenzung relevanter Märkte?, in: ZWeR 2 (2004), S. 512 ff., der umfassende empirisch-quantitative Testverfahren zur Marktabgrenzung ablehnt (S. 542).

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

65

Grad der Substituierbarkeit zwischen diesem Produkt und anderen Produkten zu messen. Damit lassen sich sowohl die sachlichen als auch die räumlichen Grenzen eines relevanten Marktes bestimmen, der dann aus der kleinsten Zahl von Unternehmen besteht, die im Falle eines hypothetischen Monopols oder Kartells erfolgreich und unbeeinflusst von Unternehmen außerhalb den Marktpreis erhöhen können.124 Kann der hypothetische Monopolist dagegen seinen Preis aufgrund von Ausweichreaktionen der Konsumenten nicht erhöhen, muss der relevante Markt um diese Produkte oder Gebiete erweitert werden. Die wettbewerbspolitische Aussagekraft des SSNIP-Tests ist insofern größer als die des Bedarfsmarktkonzepts. Er ersetzt praktisch den Marktmachttest; die formale Unterscheidung von Marktabgrenzung und Feststellung von Marktmacht entfällt. Eine derartige Vorgehensweise wird in Brüssel im Hinblick auf Art. 102 AEUV diskutiert. Allerdings ist dieser methodische Ansatz im Falle bereits bestehender Marktbeherrschung nicht adäquat, da der Ausgangspreis bereits monopolistisch überhöht ist und die Abnehmer bei einer zusätzlichen Preiserhöhung auf andere Produkte ausweichen würden,125 womit die Gefahr einer zu weiten Marktabgrenzung besteht (sog. Cellophan-Trugschluss). Im Falle der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen oder der Verstärkung einer beherrschenden Stellung durch eine Fusion ist dieser Ansatz daher nicht adäquat. Zudem ist (i.G. zum Bedarfsmarktkonzept) der hypothetische Charakter der Fragestellung problematisch (vgl. die schlechten Erfahrungen mit hypothetischen Fragestellungen bei Wahlen). Außerdem wird bei dem Test von den Reaktionen tatsächlicher und potentieller Anbieter sowie anderen Wettbewerbsformen abstrahiert, was Qualitäts- und Servicetransparenz voraussetzt. (5) Mit Hilfe des Konzepts der externen Interdependenz werden Unternehmen, die durch gegenseitige Abhängigkeit beim Verkauf verbunden sind, einem „Markt“ zugeordnet. Robert Triffin126 verwendet dafür einen Koeffizienten, der zwar formal der Kreuzpreiselastizität des Angebots entspricht, jedoch die relative Veränderung der angebotenen Menge bei irgendeinem beliebigen Anbieter i und der sie bewirkenden relativen Veränderung des geforderten Preises eines bestimmten vorgegebenen Anbieters j ausdrückt: τ i, j =

124

125

126

dqi dp j dqi p j : = ⋅ für alle i ≠ j qi p j dp j qi

Vgl. U. S. Department of Justice and the Federal Trade Commission, Horizontal Merger Guidelines 1992, in: BNA, Antitrust & Trade Regulation Report vol. 62 (1992), No. 1559, Zi. 1.0: “Market definition focuses solely on demand substitution factors … Supply substitution factors are considered elsewhere in the Guidelines … A market is defined as a product or group of products and a geographic area in which it is produced or sold such that a hypothetical profit-maximizing firm, not subject to price regulation, that was the only present and future producer or seller of those products in that area likely would impose at least a ‘small but significant and nontransitory’ increase in price, assuming the terms of sale of all other products are held constant. A relevant market is a group of products and a geographic area that is no bigger than necessary to satisfy this test. The ‘small but significant and non-transitory’ increase in price is employed solely as a methodological tool for the analysis of mergers: it is not a tolerance level for price increases.” Im Anschluss daran Europäische Kommission, Bekanntmachung der Kommission zur Definition des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht, abgedruckt in: WuW 48 (1998), Zi. 15 ff. Vgl. Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Auflage, Dallas u.a. 1990, S. 75 f., zur sog. cellophane fallacy, und die Kritik an diesem Test von Crocioni, Pietro, The Hypothetical Monopolist Test: What It Can and Cannot Tell You, in: ECLR 23 (2002), S. 354 ff., und Whish, Richard, Competition Law, 5. Aufl., London, Edinburgh 2003, S. 30 ff. Vgl. Triffin, Robert, Monopolistic Competition and General Equilibrium Theory, Cambridge, Mass. 1940.

66

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Demnach sind alle Unternehmen i Wettbewerber des Unternehmens j, für welche die relative Veränderung der angebotenen Menge signifikant von null verschieden ist. (6) Das Konzept der Wirtschaftspläne geht davon aus, dass alle Unternehmen, die in ihrem Wirtschaftsplan die Entscheidungen anderer Unternehmen berücksichtigen, einem Markt zugehörig sind. Nach Erich Schneider, der eine Synthese der entsprechenden Ansätze von Walter Eucken, Ragnar Frisch und Fritz Machlup versucht hat, liegt eine Konkurrenzbeziehung (und damit in unserem Sinne ein relevanter Markt) vor, wenn ein Anbieter in seinem Wirtschaftsplan damit rechnet oder weiß, dass sein Absatz nicht nur von den eigenen Aktionsparametern und dem Verhalten der Käufer, sondern auch von den Aktionsparametern anderer Anbieter abhängt.127 Neuerdings favorisiert Säcker das Wirtschaftsplankonzept bei der Marktabgrenzung, da sich damit in aller Regel seriös entscheiden lasse, ob und in welchem Umfang unternehmerische Verhaltensspielräume nicht nur durch den aktuellen, sondern auch durch den potentiellen Wettbewerbsdruck reduziert werden.128 Die Anwendung dieses Konzeptes setzt allerdings voraus, dass sich der wirkliche Wirtschaftsplan zweifelsfrei ermitteln lässt. (7) Bei einem Vergleich der Substitutionskonzepte zeigt sich, dass allen Konzepten als gemeinsame Wurzel die Substitutionsbeziehung der von Unternehmen erzeugten Güter zugrunde liegt, wobei die Abgrenzung teils aus der Sicht der Nachfrager, teils aus der Sicht der Anbieter vorgenommen wird. Die Theorie der Substitutionslücke und der Marktbeziehungen sowie das Bedarfsmarktkonzept und der hypothetische Monopoltest stellen auf das Fehlen von Substitutionsbeziehungen (Existenz von Substitutionslücken) aus der subjektiven Sicht der Abnehmer ab, um unvollkommene Gesamtmärkte, d.s. relevante Märkte in unserem Sinne, abzugrenzen; diese 3 Ansätze lassen sich insofern auf einen gemeinsamen Nenner bringen, als Produkte, welche die gleichen Bedürfnisse aus der Sicht der Abnehmer befriedigen, den sachlich relevanten Markt bilden. Das Wirtschaftsplankonzept ist dagegen Ausdruck der „subjektiven Abschätzung einer gegebenen Marktverflechtung“ durch die Anbieter und kann als „subjektive Interpretation der entsprechenden Triffinschen Begriffe aufgefasst werden“.129 In allen methodischen Ansätzen geht es daher um das Aufstellen von Kriterien für die Abgrenzung des für den Wettbewerbsprozess relevanten Marktes. Die verschiedenen Ansätze müssen daher bei richtiger Anwendung – trotz unterschiedlicher methodischer Ansatzpunkte – grundsätzlich zu gleichen Ergebnissen führen. Welches Konzept man in einem konkreten Fall anwendet, ist daher lediglich eine Frage der Praktikabilität. Dabei kann es zweckmäßig sein, mehrere Kriterien kumulativ anzuwenden, um den Fehlerbereich bei der sachlichen Abgrenzung des relevanten Marktes zu minimieren. Jedoch ist von vornherein klar, dass angesichts der geringeren Exaktheit der Sozialwissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften ein Unschärfebereich und damit ein Beurteilungsspielraum für die zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte verbleiben. Ungenauigkeiten und eventuelle Fehler bei der sachlichen Marktabgrenzung im Rahmen der Marktstrukturtests können jedoch im Rahmen des anschließenden Wettbewerbstests durch Rückschluss 127 128 129

Vgl. Schneider, Erich, Einführung in die Wirtschaftstheorie II. Teil, 13. Aufl., Tübingen 1972, S. 68. Vgl. Säcker, Franz Jürgen, Abschied vom Bedarfsmarktkonzept, in: ZWeR 2. JG. (2004), S. 1 ff. Willeke, Rainer J., Art. Marktformen, in: HdSW 7. Band, Stuttgart u.a. 1961, S. 144.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

67

von bestimmten Verhaltensweisen oder dem Marktergebnis (Preishöhe) auf den relevanten Markt korrigiert werden, da diese Tests – wie zu zeigen sein wird – in einer zirkularen kausalen Verknüpfung stehen.130

3.

Das Konzept der Interproduktkonkurrenz

In diesem Konzept sind die Güter nur in dem numerischen Sinne substitutiv, dass Ausgaben für ein Produkt a – bezogen auf die gesamte verfügbare Einkommens- bzw. Ausgabensumme – weniger übrig lassen für Ausgaben für andere Produkte b, c, d etc. Dieser totalanalytische Ansatz ist für wettbewerbspolitische Zwecke aus verschiedenen Gründen ungeeignet:



Zwischen den verschiedenen Tauschgruppen bestehen mehr oder minder deutliche Substitutionslücken (Robinson), so dass der Gesamtmarkt in eine Serie von Teilmärkten (Piero Sraffa: particular markets) zerfällt. • Substitutionsbeziehungen zwischen den verschiedenen Tauschgruppen sind nur sehr langfristig feststellbar (Zeitfaktor). Die auf den verschiedenen Märkten gehandelten Güter weisen daher i.d.R. keine genügend hohen Kreuzelastizitäten der Nachfrage auf, um von wettbewerblicher Bedeutung zu sein.131 Im Hinblick auf wettbewerbspolitische und wettbewerbsrechtliche Fragestellungen erscheint daher nur der partialanalytische Ansatz adäquat.

4.

Das Nachfrage- und Angebotssubstitutions-Konzept

Eine Reihe von Autoren will das auf der Nachfrage-Substitution aufbauende Marktkonzept um die Angebots-Substitution aufgrund von Produktionsflexibilität und potentiellem Wettbewerb erweitern. So haben Kaysen/Turner den relevanten Markt wie folgt definiert:132 “(C)ompetition is defined to include both competition among alternative actual or potential sources of supply. The market is then defined in terms of the buyers’ substitution of one product for another and in terms of producers’ substitution of one product for another. In order to define a market we attempt to obtain information on crosselasticities of both demand and supply. Such information is rarely available directly, but must be approximated by evidence on consumer behavior (is poultry considered a substitution for meat?) and on the degree of specialisation of equipment (can cotton looms easily be shifted to rayon weaving?).” 130

131

132

Bei der Berechnung der Marktanteile mit Hilfe von Umsatzgrößen (Preis und Menge) hat ein Unternehmen mit höheren Preisen einen größeren Marktanteil als ein Unternehmen mit gleicher Absatzmenge aber niedrigeren Preisen (z.B. ein Markenartikelhersteller im Vergleich zu einem no name-Produzenten). In die Abgrenzung des relevanten Marktes als Teil des Marktstrukturtestes fließen insofern performanceElemente (Preishöhe!) ein. Clark, John Maurice, Competition As A Dynamic Process, Washington, D.C. 1961, S. 101: “The third category embraces products that serve independent wants, and are substitutes only in the mathematic sense that spending more for one leaves less to spend on others. This category need not concern us here, since with possible rare exceptions it does not develop interproduct cross-elasticities of demand high enough to have competitive significance”. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 295. Zum Kriterium der Angebots- und Produktionsflexibilität vgl. die Fälle Kfz-Kupplung (GKN/ Sachs), in: WuW/E BGH 1501 ff., 1502, und Continental Can, in: WuW/E EWG/MUV 296 ff., 301.

68

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Demgegenüber muss klargestellt werden, dass der Zweck der Abgrenzung des relevanten Marktes darin besteht, die für den Marktstrukturtest nötigen relevanten Marktanteile und deren Verteilung zu liefern. Unmittelbare Rückschlüsse aus den so ermittelten Marktanteilen auf die Wettbewerbsintensität bzw. Marktmacht sind i.d.R. nicht möglich, da es dazu der Ermittlung und Würdigung weiterer Marktstrukturmerkmale bedarf. Daher soll in Übereinstimmung mit der wohl überwiegenden Meinung die Frage der Marktschranken und des potentiellen Wettbewerbs im Rahmen des Marktstrukturtests analysiert werden (so auch § 19 Abs. 2 lit. 2 GWB und Art. 2 I lit. b FKVO).

5.

Probleme der räumlichen und zeitlichen Marktabgrenzung

Neben der sachlichen Abgrenzung des für den Wettbewerbsprozess relevanten Marktes spielen auch die räumliche und zeitliche Dimension eine Rolle, wenngleich sie nicht die Bedeutung der sachlichen Marktabgrenzung erlangt haben und in der Regel nicht derartige Schwierigkeiten aufwerfen. Die räumliche Marktabgrenzung133 ist insbesondere bei transportintensiven Gütern oder im Dienstleistungsgewerbe aufgrund von räumlichen Präferenzen von Bedeutung; ihre Berücksichtigung führt häufig zu sog. Kettenoligopolen, d.h., jeder Anbieter steht unter Berücksichtigung der räumlichen Präferenzen mit anderen Anbietern in Konkurrenz. Diese Situation finden wir z.B. im gesamten Einzelhandel (jeder Bäcker konkurriert nur mit seinen „benachbarten“ Mitbewerbern; damit hat jeder Bäcker jeweils andere Mitbewerber). Die räumliche Marktabgrenzung kann mit Hilfe verschiedener Methoden erfolgen. So kann man mittels Schockanalysen feststellen, wie die Preise für ein Produkt a in zwei Ländern variieren, wenn eines der Länder einer plötzlichen Veränderung des Angebots oder der Nachfrage (z.B. durch eine erhebliche Erhöhung der Verbrauchssteuer oder des Wechselkurses bzw. eines Streiks) ausgesetzt war. Wenn sich der Relativpreis für das fragliche Produkt a nach einiger Zeit wieder dem alten Niveau annähert, so indiziert das, dass beide Märkte den räumlich relevanten Markt bilden et vice versa. Eine weitere Methode ist der Test der uniformen Preisentwicklung.134 Dieser Test basiert auf der Annahme, dass sich die Preise für substituierbare Güter innerhalb eines räumlichen Marktes zwar aufgrund der unterschiedlichen Transportkosten und entsprechender Zufallseinflussgrößen unterscheiden, aber langfristig im Zeitablauf einheitlich bewegen und im Zeittrend feste Abstände zueinander aufweisen müssen. Allerdings werden bei der Anwendung dieses Verfahrens dynamische Aspekte (z.B. nachhaltige Änderungen der Präferenzstruktur) weitgehend ausgeblendet. Ein weiteres Verfahren zur Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes stellt der Test auf parallele Preisentwicklung dar. Im Mittelpunkt steht das Kriterium gleichartiger Preisbewegungen. Es wird vor allem auf die zentrale Rolle der wettbewerblichen Interdependenz zwischen allen Teilgebieten eines Marktes als Folge von Arbitragegeschäften abgestellt.135

133 134 135

Vgl. Schmidt und Schmidt, op. cit., S. 22 f., sowie Schwalbe und Zimmer, op. cit., S. 95 f. Vgl. Horowitz, I., Market Definition in Antitrust Analysis: A Regression-Based Approach, in: Southern Economic Journal 48 (1981), S. 1 ff. Vgl. Stigler, G. J., und R. A. Sherwin, The Extent of the Market, in: Journal of Law and Economics 28 (1985), S. 557.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

69

D.h., es wird die Preisentwicklung an den jeweils verschiedenen Handelsplätzen miteinander verglichen. Dabei werden all diejenigen Orte dem gleichen räumlich relevanten Markt zugeordnet, auf denen sich die Preise nahezu parallel entwickeln. Allerdings finden die Ergebnisse dieses Verfahrens dort ihre Grenze, wo die Transport- und Transaktionskosten sehr hohe Volatilitäten aufweisen oder sich die Angebots- und Nachfrageelastizitäten sehr stark unterscheiden.136 Die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes anhand von Arbitrageprozessen kann auch auf der Basis des shipment-test erfolgen.137 Ausgangspunkt der Betrachtung sind die Handelsströme, die auf der Angebots- und Nachfrageseite zwischen den Handelsorten eines räumlich relevanten Marktes infolge der Arbitrageprozesse entstehen. Bei einem betrachteten Gut gehören dann zwei Gebiete einem gemeinsamen räumlichen Markt an, wenn die für die Preisbildung relevanten Gütermengen gehandelt werden. Fehlen dagegen solche Handelsströme, so ist auf die Existenz unterschiedlicher räumlicher Märkte zu schließen. Die zeitliche Marktabgrenzung besagt, dass Anbieter und Nachfrager einem relevanten Markt angehören, wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Leistungsaustausch bereit sind. Die Ursachen für zeitliche Marktgrenzen können gesetzlicher (z.B. Ladenschlussgesetz), natürlicher (z.B. Saisonprodukte) oder technisch-wirtschaftlicher Art (z.B. Einführung neuer Produkte) sein. In der amerikanischen Rechtsprechung wird hinsichtlich der sachlichen, räumlichen und zeitlichen Marktabgrenzung zu Recht darauf abgestellt, wo sich der „restraint of trade“ auf den Wettbewerb auswirkt. Das lässt sich einprägsam in dem Leitsatz zusammenfassen: Relevant is the market where competition takes place (Rückschluss vom Vorliegen von Wettbewerb auf die Marktgrenzen – sog. Wettbewerbstest).

6.

Adäquanz des traditionellen Marktkonzepts im Hinblick auf die Erfassung wirtschaftlicher Macht von Konglomeraten?

Die neuere Diskussion über die Erfassung wirtschaftlicher Macht von hochdiversifizierten Unternehmen hat gezeigt, dass das traditionelle Marktmachtkonzept im Hinblick auf die Erfassung wirtschaftlicher Macht konglomerater Unternehmen, die wesentlich auf deren absoluter Größe und dem Umfang ihrer Ressourcen beruht, nicht adäquat ist. Von dieser Erkenntnis ausgehend, hat John C. Narver138 ein Konzept des Angebotsraumes (supply space theory) entwickelt. Darin wird das Unternehmen als ein „Pool produktiver Ressourcen“ (Edith Penrose) begriffen, der für die Herstellung sehr unterschiedlicher Güter verwendet werden kann; danach umfasst der Angebotsraum eines Unternehmens alle Märkte, auf denen es tatsächlich tätig ist und in die es aufgrund der Verwendungsalternativen seiner technischen, finanziellen, absatzpolitischen und unternehmerischen Ressourcen eintreten könnte. 136 137

138

Vgl. insbesondere Froeb, L. M., und G. J. Werden, Correlation, Causality, and all the Jazz: The Inherent Shortcoming of Proce Tests for Antitrust Market Delineation, Washington, D. C. 1991, S. 23 ff. Vgl. Elzinga, K. G., und T. F. Hogarty, The Problem of Geographic Market Delineation in Antimerger Suits, in: Antitrust Bulletin 18 (1973), S. 45 ff., und dies., The Problem of Geographic Market Delineation Revisited: The Case of Coal, in: Antitrust Bulletin 23 (1978), S. 1 ff. Vgl. Narver, John C., Supply Space and Horizontality in Firms and Mergers, in: St. John’s Law Review 44 (1970), S. 316 ff.; ähnliche Ansätze sind von Veltrup und Böhnke (Konzept der konglomeraten Interdependenz) entwickelt worden.

70

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Der Versuch, das Konzept einer ressourcenorientierten Erfassung wirtschaftlicher Macht für wettbewerbspolitische Zwecke nutzbar zu machen, ist allerdings noch nicht gelungen. Daher bietet sich als Ausweg an, die Macht konglomerater Unternehmen mit Hilfe absoluter Kriterien zu erfassen.

7.

Adäquanz des traditionellen Marktkonzepts im Hinblick auf die Erfassung des Nachfragerwettbewerbs?

Bei der Erfassung des Nachfragerwettbewerbs, worunter z.B. das Anbieten von Preisen im Beschaffungswettbewerb der Nachfrager um ein bestimmtes Gut verstanden wird, ist strittig, ob der relevante Beschaffungsmarkt analog zum Absatzmarkt (sog. Spiegelbildtheorie) oder nach anderen Kriterien abzugrenzen ist.139 Nach der sog. Spiegelbildtheorie ist der Beschaffungsmarkt – analog zum Bedarfsmarkt – aus der Sicht der Anbieter abzugrenzen und umfasst alle funktionell austauschbaren Erzeugnisse, die nach Auffassung der Anbieter dazu geeignet sind, die Absatzbedürfnisse des Herstellers zu befriedigen; dabei wird die funktionelle Austauschbarkeit der Erzeugnisse maßgeblich von den Angebotsumstellungsmöglichkeiten der Hersteller (sog. Angebotsumstellungskonzept) und der Möglichkeit der Austauschbarkeit gleichartiger Nachfrager (sog. Produktkonzept) bestimmt. Das Bundeskartellamt hatte – abweichend von der Monopolkommission – den relevanten Beschaffungsmarkt im Handel in sachlicher Hinsicht erheblich weiter abgrenzen und das handelsübliche Sortiment der Nachfrager zugrunde legen wollen. Das Kammergericht hat allerdings im Fusionsfall Coop/Wandmaker140 entschieden, dass die Abgrenzung des relevanten Beschaffungsmarktes nach Maßgabe identischer oder verwandter Produkte bzw. Produktgruppen zu erfolgen habe. Dies ergebe sich aus einer spiegelbildlichen Anwendung der Grundsätze, die für den Anbietermarkt im Rahmen des sog. Bedarfsmarktkonzepts entwickelt worden seien. Wettbewerbspolitisch ist allerdings die Frage der adäquaten Erfassung des Beschaffungsmarktes zur Zeit noch nicht ausdiskutiert.141 Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Nachfragemacht werden einige Besonderheiten hervorgehoben:142



Die Sortimentsflexibilität im Handel ist größer als die Flexibilität in Produktion und Vertrieb. Ein Verbrauchsverzicht des Handels – durch Nichtordern von Gütern – ist daher leichter als ein Produktionsverzicht.

139

Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 7: Missbräuche der Nachfragemacht und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Baden-Baden 1977, Tz. 44 ff., und dies., 5. Hauptgutachten 1982/1983, op. cit., Tz. 667–696. Vgl. Coop-Wandmaker, in: WuW/E OLG 3917 ff., 3927 (rechtskräftig). Vgl. zur wettbewerbspolitischen Diskussion Kirschner, Ulrich, Die Erfassung der Nachfragemacht von Handelsunternehmen, Frankfurt am Main u.a. 1988, 2. Kap: „Die Abgrenzung des relevanten Beschaffungsmarktes im Handel“. Vgl. Arndt, Helmut, Leistungswettbewerb als Voraussetzung der Marktwirtschaft, in: MA 43 (1981), S. 334 ff., der zwischen (vertikaler) Partnermacht aufgrund eines bilateralen Beherrschungs-Abhängigkeitsverhältnisses und (horizontaler) Marktmacht aufgrund von Marktbeherrschung unterscheiden will. Bei diesem Ansatz kommt es auf das Verhältnis zwischen den Partnern und nicht (primär) auf die Wettbewerbsverhältnisse an.

140 141

142

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Industriekonzept

Interproduktkonkurrenz

Substitutionskonzepte

71

Nachfrage- und Angebots-Substitutions-Konzept

Theorie der Substitutionslücke

Theorie der Marktbeziehungen

Bedarfshypothetitischer marktkonzept Monopoltest

(Robinson)

(von Stackelberg)

(Arndt/Abbott)

Abb. 4:



II.

Supply spaceKonzept (Narver)

Konzept der externen Interdependenz (Schneider)

Konzept der Wirtschaftspläne

Ansätze zur Bestimmung des relevanten Marktes

Viele Konsumgütermärkte befinden sich offenbar in der Stagnations- oder Rückbildungsphase, so dass ein ausgeprägter Käufermarkt besteht. Die Nachfrager sind angesichts von Überkapazitäten weitgehend der Notwendigkeit enthoben, sich durch das Anbieten von höheren Preisen bei der Beschaffung Wettbewerb zu machen. Der strukturelle Anpassungsprozess mit dem Abbau von Überkapazitäten wird allerdings durch die Notwendigkeit gehemmt, angesichts der Abhängigkeit von Großkunden jederzeit Reservekapazitäten vorzuhalten.

Der formale Aufbau des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs

Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs wird in seinem formalen Aufbau durch Merkmale der Marktstruktur (market structure), des Marktverhaltens (market conduct or behavior) und des Marktergebnisses (market result or performance) beschrieben. Eine solche Gruppierung entspricht auch der Richtung des Kausalprozesses: structure and conduct sind die Ursachen, das Marktergebnis ist die Wirkung; allerdings besteht im dynamischen Prozess eine zirkulare Verknüpfung der drei Merkmale. (1) Unter market structure sollen in Anlehnung an John Maurice Clark alle Einflussgrößen (sog. „conditioning factors”) verstanden werden, „that seem to exercise a strategic influence on the nature of competition and pricing within the market“.143 Kaysen/Turner und Bain144 wollen darüber hinaus noch auf die relative Konstanz dieser Faktoren abstellen: “Market structure we use to mean those conditions external to the firm which are relatively permanent or which change only slowly, and which affect, if they do not determine, the way the firm operates.”

143 144

Bain, op. cit., S. 7; vgl. auch S. 9. Kaysen/Turner, op. cit., S. 59; vgl. auch Bain, op. cit., S. 295.

72

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Die Marktstruktur umfasst insbesondere folgende Merkmale:145

• • • • • • •

Zahl der Anbieter und Nachfrager sowie ihre Marktanteile, die im Rahmen der relevanten Marktabgrenzung ermittelt werden; Grad der Produkthomogenität und Markttransparenz sowie Anpassungsgeschwindigkeit; Höhe der Marktschranken; Produktions- und Absatzflexibilität; konjunkturelle Lage und Grad der Kapazitätsauslastung; Marktphase und Unternehmertypus;146 interne Unternehmensstruktur (Unternehmensleitung durch Eigentümer oder Manager);;147 diversifizierte oder Einproduktunternehmen sowie personelle148 und finanzielle Verflechtungen.

• • (2) Unter market conduct sind dagegen alle Verhaltensweisen zu verstehen, „that enterprises follow in adapting or adjusting to the markets in which they sell (or buy)“.149 Nach Kaysen/ Turner150 umfasst das Marktverhalten diejenigen Aspekte, die Ausdruck von unternehmerischen Entscheidungen und die damit – im Gegensatz zur Marktstruktur – kurzfristig veränderbar sind. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine grobe Unterscheidung; die Grenzen zwischen Marktstruktur und Marktverhalten sind oft nicht einfach zu ziehen. Beim Marktverhalten wird insbesondere untersucht, wie häufig und zu welchen Zeitpunkten die verschiedenen Aktionsparameter: Preise, Rabatte und Konditionen, Menge, Qualität, Service und Werbung, beim Kampf um Marktanteile im Zeitablauf eingesetzt worden sind (initiative und imitatorische Wettbewerbshandlungen). Dabei ist auch festzustellen, ob die einzelnen Aktionsparameter zu verschiedenen Zeitpunkten oder kollektiv aufgrund von Gruppendisziplin oder Preis- bzw. Marktführerschaft nahezu zum gleichen Zeitpunkt einge145

146 147

148 149 150

Vgl. Bain, op. cit., S. 7 und 9, der im Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Märkten die Anzahl der Marktstrukturdimensionen auf vier beschränken will, während Kaysen/Turner, op. cit., S. 71, fünf Hauptstrukturelemente unterscheiden. Vgl. andererseits Bain, op. cit., S. 300: “Using ‘structure’ in the broadest possible sense, every technological, institutional, geographical, legal, and psychological characteristics of the selling firms of an industry, its buyers and the framework within which both operate might be considered as dimensions of the market structure. And, in a sense, the complete ‘structure’ of each industry, thus construed in its myriad dimensions, should in a sense fully ‘explain’ conduct and performance in that industry.” Vgl. Heuss, Ernst, Allgemeine Markttheorie, Tübingen, Zürich 1965. Die Trennung von Eigentum und Management, die in nahezu allen Großunternehmen zu finden ist, bleibt nicht ohne Einfluss auf Zielsetzung und Verhalten der Unternehmen, wie die Theorie der Organisation der Unternehmen gezeigt hat. So vermutet man bei Managern ein ausgeprägtes Sicherheitsstreben, das mit dem Bemühen einhergeht, die eigene Marktposition durch wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, insbes. durch Unternehmenszusammenschlüsse, zu stärken sowie offensive Wettbewerbshandlungen gegenüber starken Konkurrenten zu vermeiden. Die Neigung von Managern zu Fusionen kann darüber hinaus mit ihrem Interesse an Einkommen, Macht und Prestige, die eng mit einer Unternehmensexpansion verbunden sind (sog. empire building), erklärt werden. Vgl. dazu Zohlnhöfer, Werner, und Horst Greiffenberg, Neuere Entwicklungen in der Wettbewerbstheorie: Die Berücksichtigung organisationsstruktureller Aspekte, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Cox, Helmut, et al., München 1981, S. 79 ff., denen es um die Erweiterung des Marktstrukturansatzes durch die Erforschung organisationsinterner Strukturen geht. Vgl. das Verbot von interlocking directorates in sec. 8 Clayton Act and die Erfassung von personellen Verflechtungen als Zusammenschlusstatbestand i.S. des § 37 Abs. 1 lit. 2 GWB (Kontrollerwerb). Bain, op. cit., S. 9. Vgl. Kaysen/Turner, op. cit., S. 59 f.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

73

setzt worden sind (spirit of competition oder Neigung zu Wettbewerbsbeschränkungen). Ferner ist zu untersuchen, ob sich im Zeitablauf als Folge des Einsatzes der Aktionsparameter Verschiebungen der Marktanteile ergeben und sich die Alternativen für die Abnehmer verändert haben. (3) Market performance bezeichnet die Marktergebnisse des unternehmerischen Verhaltens. Die Marktergebnisse können dabei im Hinblick auf verschiedene Dimensionen betrachtet und analysiert werden, z.B. die Höhe der Preise und Gewinne, die Qualitäten, den Output, die Produktions- und Verkaufskosten, den technischen Fortschritt, die räumliche und zeitliche Verfügbarkeit von Gütern etc. (4) Ein umfassender instruktiver Überblick über die von 18 amerikanischen Autoren vorgeschlagenen 26 structure-, conduct- und performance-Normen findet sich bei Sosnick.151 Dieser Überblick zeigt, dass die Zuordnung der einzelnen Merkmale nicht zwingend ist und bei den einzelnen Autoren variiert. Die skizzierte Einteilung in structure-, conduct- und performance-Normen entspricht zwar der Richtung des Kausalverlaufs, ist jedoch nichts Statisches; denn im dynamischen Wettbewerbsprozess beeinflusst z.B. die performance von heute auch structure und conduct von morgen:152 “Whereas price theory and empirical evidence support the contention that there is some sort of causal relationship in which structure determines performance, the same tools may be utilized to demonstrate possible causation in the reverse direction. Conduct and performance do alter market structure. Tactics such as predatory pricing and frequent product style changes may drive competing firms out of the market and alter market structure. The direction of causation is therefore often two-way.” Für die Frage, an welche Normen die Wettbewerbspolitik anknüpfen soll, ist der stochastische Zusammenhang von structure, conduct und performance von großer Bedeutung. Geht man z.B. mit Bain von nur vier Hauptstrukturelementen aus (Angebots- bzw. Nachfragekonzentration, Zutrittsschranken sowie Grade der Produktdifferenzierung), die jedoch ihrerseits wieder in drei Ausprägungen auftreten (niedrig, mäßig und hoch), so ergeben sich bereits 81 mögliche Kombinationen von Marktstrukturmerkmalen.153 In Wirklichkeit ist die Zahl der relevanten conditioning factors und damit die Zahl der möglichen Kombinationen oft noch erheblich größer, was die Schwierigkeiten einer Prognose über die Zusammenhänge von Marktstruktur und Marktergebnis erhellt, so dass angesichts der hohen Komplexität des Marktes nur Mustervoraussagen i.S. einer Typizität oder Tendenz über Marktprozesse und Marktergebnisse möglich sind. Eine möglichst genaue Kenntnis der Zusammenhänge von Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis ist jedoch für die Wettbewerbspolitik von größter Bedeutung, da eine unmittelbare staatliche Beeinflussung der performance in einer Marktwirtschaft allgemein nicht als ein geeignetes Mittel angesehen wird, worauf im 4. Kap. bei der Umsetzung des theoretischen Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs in die Wettbewerbspolitik noch einzugehen sein wird. 151

152 153

Vgl. Sosnick, Stephan H., Eine Kritik der Konzeptionen vom funktionsfähigen Wettbewerb, in: Das Konzept der „Workable Competition“ in der angelsächsischen Literatur, FIW-Dokumentation Heft 1, Köln u.a. 1970, S. 153–195. Koch, James V., Industrial Organization and Prices, 2. Aufl., London u.a. 1981, S. 92. Die mathematische Formel der möglichen Kombinationen bei n Hauptstrukturelementen und jeweils k Ausprägungen lautet: kn = 34 = 81.

74

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Die traditionelle Industrial Organization School hat versucht, mit Hilfe empirischer Untersuchungen die Zusammenhänge von Marktstruktur und Marktergebnis zu klären. Die Untersuchungen – von der Pionierstudie Bains (1951) bis zu Leonard Weiss (1974), die sämtlich mit industriestatistischen Daten arbeiteten – ergaben einen positiven Zusammenhang zwischen Konzentration und Gewinn:154 “Almost all of the 32 concentration-profits studies except Stigler’s have yielded significant positive relationships for years of prosperity or recession, though they have depended on a wide variety of data and methods.” Diese Ergebnisse wurden als eine Bestätigung der concentration-collusion-Hypothese gewertet. Spätere Untersuchungen zeigten jedoch, dass die positive Beziehung zwischen Gewinn und Konzentration im Zeitablauf instabil ist und tendenziell an statistischer Aussagekraft verliert. Erklärt wird diese intertemporale Veränderung unter anderem durch die Existenz eines oder mehrerer kritischer Konzentrationsgrade. Anfang der 80er Jahre wurde die concentration-collusion-Hypothese jedoch modifiziert. Zunächst fand Weiss155 in einer Untersuchung verschiedener Industrien keinen Hinweis auf einheitliche Konzentrationsschwellen. Weitere Arbeiten verwendeten neue Datenbanken (PIMS und FTC Line of Business Program), die dem relevanten Marktkonzept wesentlich näher kommen. Auf der Grundlage dieser Daten konnten folgende Zusammenhänge ermittelt werden:156

• •



154

155 156

Nicht der (industriestatistische) Konzentrationsgrad, sondern der auf den relevanten Markt bezogene individuelle Anteil ist entscheidend für den Gewinn; z.T. sind (industriestatistischer) Konzentrationsgrad und Gewinn sogar negativ korreliert. Wenngleich der individuelle Marktanteil die wichtigste Einflussgröße für das Marktergebnis ist, so wirken darüber hinaus u.a. die Investitionsintensität, die industrielle Wachstumsrate, die Position im Produktlebenszyklus und die Werbeaufwendungen/Umsatz-Relation (als Bestimmungsgröße des Heterogenitätsgrades) auf das Marktergebnis ein. Es gibt daher keinen einheitlichen Konzentrationsgrad für alle Märkte. Bei den Legalvermutungen des § 19 III GWB handelt es sich daher um normative Pauschalisierungen des Gesetzgebers. Allerdings wird die implizite und explizite Kollusion (d.h. conscious parallelism und Kartellabsprachen) durch zunehmende Konzentration erleichtert, so dass eine hohe Konzentration – angesichts anderer Einflussgrößen – zwar nicht eine ausreichende, jedoch eine notwendige Bedingung für die Gefährdung des Wettbewerbs ist.

Weiss, Leonard, Quantitative Studies of Industrial Organization, in: Frontiers of Quantitative Economics, hrsg. von Intriligator, Michael D., Amsterdam, Oxford 1971, S. 371. Vgl. auch Böbel, Ingo, Wettbewerb und Industriestruktur: Industrial Organization-Forschung im Überblick, Berlin u.a. 1984, der auf den Seiten 150 ff. eine ausgezeichnete tabellarische Übersicht über die vorliegenden empirischen Studien zum Zusammenhang zwischen Konzentration und Gewinn gibt. Vgl. Weiss, Leonard W., R. Geithman und H. Marvel, Concentration, Price, and Critical Concentration Ratios, in: RevESt 63 (1981), S. 346–53. Vgl. Buzzell, Robert D., und Bradley T. Gale, The PIMS Principles: Linking Strategies to Performance, New York 1987, und Ravenscraft, David J., Structure-Profit Relationships at the Line of Business and Industry Level, in: RevESt 65 (1983), S. 22–31.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

75



Dabei übt die Kombination von individuellem Marktanteil und Produktheterogenität offenbar den entscheidenden Einfluss auf die performance aus.157 Diese positive Korrelation von Marktanteil und performance ist zwischen den Vertretern der Harvard School und der Chicago School unstrittig; strittig dagegen ist, ob Marktmacht oder Effizienz von Großunternehmen ursächlich für die höheren Gewinne sind.158 William G. Shepherd macht in einem instruktiven tabellarischen Überblick über die bei den empirischen Untersuchungen verwendeten Methoden und Ergebnissen deutlich, dass economies of scale nur begrenzt auftreten, so dass Marktanteile über 20 % im Allgemeinen einen „Überschuss“Marktanteil beinhalten. Darüber hinaus zeigen die empirischen Untersuchungen, dass die Kostengradiente im Allgemeinen so niedrig ist, dass Kostennachteile von Unternehmen mit suboptimaler Betriebsgröße kompensiert oder sogar überkompensiert werden können.159 Soweit mögliche economies of scale noch nicht ausgeschöpft sind (was allerdings in den meisten U.S.-amerikanischen Industriezweigen aufgrund empirischer Untersuchungen der Fall ist!)160, können die höheren Gewinne durch eine Kombination von Marktmacht und Effizienzsteigerung erklärt werden; nach Ausschöpfung von economies of scale sind sie letztlich nur Ausdruck von Marktmacht.161 (5) Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis werden ihrerseits durch die vorhandenen wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst, wie z.B. die Organisation des Arbeitsmarktes (Gewerkschaften, Mitbestimmung, Sozialversicherung), die vorherrschende Unternehmensrechtsform (Kapital- oder Personengesellschaft) oder das geltende Steuer-, Gewerbe- und Umweltrecht. (6) Die Neue Industrieökonomie (NIÖ) weicht von der traditionell-empirischen und strukturorientierten Industrieökonomie insofern ab, als ihr Schwerpunkt auf der Analyse des Verhaltens der Unternehmen liegt162. Das wichtigste Instrument der NIÖ ist die Spieltheorie, die sich als Instrument zur Beschreibung und Analyse rationalen Verhaltens von Wirtschaftssubjekten charakterisieren lässt (d.h. zur Analyse des Verhaltens in einem mengensetzenden Oligopol oder der Bedingungen für die Stabilität eines Kartells sowie zur Prognose der Auswirkungen einer Fusion wie im Falle Airtours/First Choice). Während z.B. eine implizite Kollusion oligopolistischer Unternehmen bei einer einmaligen Interaktion nicht zustande kommen würde, da jedes Unternehmen einen Anreiz zum Abweichen hätte, kann bei wiederholter Interaktion eine solche Kollusion stabil sein. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Gewinn aus andauernder Kollusion größer ist als die einmalige höhere Auszahlung bei einem Abweichen von der Vereinbarung plus die diskontierte Summe der niedrigeren 157 158 159

160 161 162

Vgl. Mueller, Dennis C., Das Antitrustrecht der Vereinigten Staaten am Scheideweg, in: WuW 36 (1986), S. 533 ff., 543. Vgl. die Diskussion der sog. New Learning-Hypothesis bei Rittaler, Jan B., Industrial Concentration and the Chicago School of Antitrust Analysis, Frankfurt am Main u.a. 1989, S. 210–231. Vgl. Shepherd, William G., The Economics of Industrial Organization, 4. Aufl., Englewood Cliffs, N.J. 1997, S.180–185, und Rittaler, op.cit., S. 241–250. So auch im Hinblick auf die BRD Monopolkommission, 6. Hautgutachten 1984/85: Gesamtwirtschaftliche Chancen und Risiken wachsender Unternehmensgrößen, BadenBaden 1986, Tz. 750. Vgl. Shepherd, op.cit., S. 182 f. So auch Rittaler, op.cit., S. 236. Vgl. Tirole, Jean, Industrieökonomik, 2. Aufl., München, Wien 1999; Bühler, Stefan, und Franz Jaeger, Einführung in die Industrieökonomik, Berlin, Heidelberg und New York 2002, sowie Schulz, Norbert, Wettbewerbspolitik: Eine Einführung aus industrieökonomischer Perspektive, Tübingen 2003.

76

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Gewinne ohne Kollusion.163 Die spieltheoretische Formalisierung einer solchen Entscheidungssituation hat den Vorteil, dass kollusionshemmende und -fördernde Faktoren in der Wirkungskette deutlicher als in der traditionellen Industrieökonomie aufgezeigt werden.

Wirtschaftliche, soziale und rechtliche Rahmenbedingungen

Marktstruktur (market structure), z.B.:

Marktverhalten (market conduct bzw. behavior), z.B.:

− Zahl der Anbieter und

− Art und Häufigkeit des



− − − − − − −

Nachfrager bzw. deren Marktanteile Grad der Produkthomogenität und Markttransparenz sowie Anpassungsgeschwindigkeit Höhe der Marktschranken Produktions- und Absatzflexibilität konjunkturelle Lage und Kapazitätsauslastung Marktphase und Unternehmertypus interne Unternehmensstruktur Diversifikationsgrad personelle und finanzielle Verflechtungen

Abb. 5:

Marktergebnis (market result bzw. performance), z.B.:

− Preishöhe Einsatzes der − Gewinnniveau Aktionsparameter: − Qualität - Preis − Output - Rabatte − Verhältnis von - Konditionen Produktions- zu - Menge Verkaufskosten - Qualität → → (Innovationsaktivitäten) ← − technischer Fortschritt ← (Produkt- bzw. - Service Prozessinnovation) - Werbung − Neigung zu Wettbewerbs− Güterverfügbarkeit beschränkung bzw. Wett(räumlich, zeitlich) bewerbsgesinnung (spirit of competition)

Formaler Aufbau des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs

Auch wenn mit der Spieltheorie ein formaler theoretischer Rahmen für die Analyse von Verhaltensweisen geschaffen wird, so führt eine solche Untersuchung nicht zu Erkenntnissen über das bisherige tatsächliche Verhalten von Unternehmen; dies bleibt Aufgabe des (ex post) conduct-Tests. Zudem kommt die Spieltheorie nicht ohne die Untersuchung von Marktstrukturfaktoren aus, wenn ein Modell einer spezifischen Industrie untersucht werden soll: Marktanteile, Marktschranken, Art der Produkte, Irreversibilitäten, langfristige Bindungen (commitments), Asymmetrien und Unsicherheiten haben einen Einfluss auf das Verhalten der Unternehmen und sind daher mittels einer Strukturanalyse zu ermitteln. Allerdings können die Markstrukturen, wie z.B. im Fall endogener versunkener Kosten oder langfristiger Verträge, selbst wieder das Ergebnis des strategischen Verhaltens von Unternehmen sein. Die Spieltheorie ist daher eine entscheidungs- und verhaltensorientierte Ergänzung des herkömmlichen Marktstruktur- und Marktverhaltenstests. 163

Vgl. Wiese, Harald, Entscheidungs- und Spieltheorie, Berlin, Heidelberg 2002, insbesd. S. 391 ff.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

77

Fudenberg und Tirole charakterisieren die Rolle der Spieltheorie in der NIÖ wie folgt:164 “The reason ‘game theory’ has been embraced by a majority of researchers in the field is that it imposes some discipline on theoretical thinking. It forces economists to clearly specify the strategic variables, their timing, and the information structure faced by firms.”

III. Inhalt und Funktionsweise des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs 1.

Charakterisierung des Wettbewerbsprozesses

Wettbewerb wird nicht im Sinne des statischen Gleichgewichtsmodells der vollständigen Konkurrenz, sondern als dynamischer Prozess verstanden, der durch eine Folge von Vorstoßund Verfolgungsphasen gekennzeichnet ist, wobei Marktunvollkommenheiten Ergebnis initiativer Wettbewerbshandlungen und zugleich wieder Voraussetzung für imitatorische Wettbewerbshandlungen sind. Ein derart charakterisierter dynamischer Wettbewerbsprozess ist als anonymer Kontroll- und Steuerungsmechanismus mit finanziellen Sanktionen zu verstehen, bei welchem Vorsprungsgewinne jeglicher Art dann aufgezehrt werden, wenn keine unangemessene (undue, unreasonable) Marktmacht besteht. Die Intensität des Wettbewerbs ist dabei umso stärker, je schneller die Vorsprungsgewinne aufgezehrt werden. Maßgeblich für das Verständnis des Wettbewerbs als eines dynamischen Prozesses ist der durch den Wettbewerb ausgeübte, von den Beteiligten unkontrollierbare Druck auf Preise und Kosten und damit auf die Gewinne, der durch das Gewinn- und Erfolgsstreben der Wirtschaftssubjekte ausgelöst wird.165 Dieser Wettbewerbsdruck führt zu einer tendenziellen Realisierung des vorgegebenen Zielkatalogs, indem er die Wirtschaftssubjekte zu einem ökonomisch rationalen Verhalten zwingt, welches auf die Verwirklichung der kostengünstigsten Kombination der Produktionsfaktoren (optimale Faktorallokation), auf die flexible Anpassung von Produkten und Produktionskapazität an außerwirtschaftliche Daten (Anpassungsflexibilität) sowie auf die Entwicklung neuer Produkte und/oder Produktions- und Absatzmethoden (technischer Fortschritt) zielt. Die dabei im Wettbewerbsprozess aufgrund temporärer Vorzugsstellungen entstehenden Pioniergewinne sollen im Interesse einer Stimulierung des technischen Fortschritts nicht sofort abgebaut werden, sondern nur allmählich verschwinden; d.h., der technische Fortschritt als Produkt- oder Prozessinnovation setzt ein

164

165

Fudenberg, Drew, und Jean Tirole, Understanding Rent Dissipation: on the Use of Game Theory in Industrial Organization, in: AER Papers and Proceedings 77 (1987), S. 176; vgl. die Kontroverse über die Verwendbarkeit der Spieltheorie in der Wettbewerbspolitik zwischen Fisher, Franklin M., Games Economists play: a noncooperative way, und Carl Shapiro, The theory of business strategy, in: RAND Journal of Economics 20 (1989), S. 113 ff. und 125 ff. Vgl. auch Schmidt, Ingo, und Alexander Burger, Die Bedeutung und Beurteilung der Konzentration in der traditionellen und Neuen Industrieökonomie, in: WiSt 26 (1997), S. 625 ff. Auf die Bedeutung eines solchen anonymen unkontrollierbaren Druckes weisen z.B. hin: Clark, John Maurice, op. cit., S. 11 u.a.; Kaysen/Turner, op. cit., S. 14 und 48, und Zohlnhöfer, Werner, Wettbewerbspolitik im Oligopol: Erfahrungen der amerikanischen Antitrustpolitik, Basel, Tübingen 1968, S. 7 f.

78

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

gewisses time-lag voraus, um die Innovation wirtschaftlich lohnend zu machen.166 An die Stelle der statischen tritt die dynamische Effizienz. Damit ergibt sich zugleich eine marktleistungsgerechte Entlohnung der Produktionsfaktoren (leistungsgerechte Einkommensverteilung). Parallel zu der Realisierung des Zielkataloges führt der Wettbewerbsdruck zu Alternativen für die Marktgegenseite.

2.

Tatsächlicher Wettbewerb durch Einsatz verschiedener Aktionsparameter

Einem Unternehmen stehen verschiedene Aktionsparameter zur Verfügung, um Nachfrage nach seinen Produkten zu schaffen oder zu sichern. Dabei sind Art und Umfang des Einsatzes der Aktionsparameter167 u.a. abhängig vom Produkt, der Marktphase und dem Unternehmertypus sowie der Marktform und den Marktschranken; diese bestimmen daher weitgehend das wettbewerbliche Verhalten der Unternehmen und damit den vom Einsatz der Aktionsparameter ausgehenden Wettbewerbsdruck. Einen Überblick über typische Zusammenhänge gibt das in Anlehnung an Ernst Heuss entwickelte Schema (s.u.).168 Da Wettbewerb als Prozess zu verstehen ist, können die jeweilige Kombination der Aktionsparameter nach Art und Umfang des Einsatzes, die von ihrem Einsatz abhängige Wettbewerbsintensität und das Ergebnis des Wettbewerbsprozesses im Zeitablauf nicht konstant sein. Als wichtigste Wettbewerbsparameter werden üblicherweise Preis, Qualität, Service und Werbung angesehen. Die Trennung in einzelne Aktionsparameter des Wettbewerbs erfolgt, um eine gedankliche Isolierung der Wirkung einzelner Aktionsparameter auf den Wettbewerbsprozess vornehmen zu können. Für die Unternehmen und den Wettbewerb ist dagegen der Erfolg des Gesamteinsatzes und der Kombination der Aktionsparameter im Hinblick auf das Unternehmensergebnis bzw. das Ergebnis des Wettbewerbs von Bedeutung.

166

167

168

Wenn man in diesem Zusammenhang an die Diskussion um den Patentschutz denkt, so geht es nicht um das Ob, sondern die Dauer der Schutzfrist. Mit der Möglichkeit der Erteilung von Zwangslizenzen wird die Leistung des einzelnen prämiert, ohne dass der imitatorische Prozess behindert wird. Die Kriterien für die Erteilung von Zwangslizenzen dürften grundsätzlich die gleichen wie bei der essential facilities-doctrine sein. Vgl. Oberender, Peter, und Andreas Väth, Von der Industrieökonomie zur Marktökonomie, in: Marktökonomie: Marktstruktur und Wettbewerb in ausgewählten Branchen der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Oberender, Peter, München 1989, S. 1 ff., 21, die von einer zirkularen Interdependenz beim Einsatz der Aktionsparameter sprechen. Vgl. Heuss, Ernst, op. cit.; Kaufer, Erich, Industrieökonomik: Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie, München 1980, S. 147–284, der den Marktprozess in den einzelnen Marktphasen untersucht hat, und Schmidt, Ingo, und Jan B. Rittaler, Marktphasen und Wettbewerb, in: WiSt 16 (1987), S. 597–602.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs Tab. 3:

79

Übersicht über typische Zusammenhänge zwischen Marktphase und Unternehmertypus, Marktform und Marktzutrittsschranken, Aktionsparametern, Gewinnraten und wettbewerbspolitischen Maßnahmen

Marktphase und Unternehmertypus

Marktform und Marktzutrittsschranken

Experimentierphase und (dynamischer) Pionierunternehmer

Monopol eines Innovators mit hohen Marktzutrittsschranken (Patente, know-how) Expansionsphase weites Oligopol oder und (spontan) imitie- Polypol mit relativ render Unternehmer niedrigen Marktzutrittsschranken Ausreifungsphase und (unter Druck) reagierender Unternehmer

Oligopol mit hohen Marktzutrittsschranken

Stagnations- bzw. Rückbildungsphase und immobiler Unternehmer

enges Oligopol oder Monopol mit hohen Marktzutrittsschranken

Aktionsparameter

Gewinnraten

wettbewerbspolitische Maßnahmen

Produkt und informative Werbung, Errichten von Marktschranken und limit pricing, Service Preis, Produktqualität und informative Werbung, Service

steigende Gewinnrate

Offenhaltung der Märkte

steigende Gewinnrate: Höhepunkt der Gewinnrate

Offenhaltung der Märkte, Fusionskontrolle

Preis, (negative) Produktqualität (Obsoleszenz), Service und Werbung Service, Werbung und (negative) Produktqualität (Obsoleszenz)

abnehmende Gewinnrate

Kontrolle der Konzentrations- und Behinderungsstrategie

abnehmende Gewinnrate, evtl. Verluste

Kontrolle der Konzentrations-, Behinderungs- und Verhandlungsstrategie

a) Preiswettbewerb Der Preiswettbewerb gewährleistet im Gegensatz zu anderen Formen des Wettbewerbs in weitem Maße die Ausrichtung aller wirtschaftlichen Tätigkeit nach dem ökonomischen Prinzip. Ein wirksamer Preiswettbewerb kann in der Regel als notwendige Voraussetzung zur Erreichung des Zielkatalogs des Wettbewerbs angesehen werden. In der Realität besitzt der Preiswettbewerb häufig nicht die Bedeutung, die ihm in der Wettbewerbstheorie beigemessen wird. Das sei anhand der Betrachtung einzelner Marktformen näher erläutert. Dabei muss beachtet werden, dass der Einsatz des Aktionsparameters Preis außer von Produkt, Marktphase, Marktform und Marktzutrittsschranken u.a. auch von der Zielsetzung und der Verhaltensweise der Unternehmung abhängig ist169, so dass die aufgezeigten Zusammenhänge keinen stringenten Charakter haben. Das Ergebnis des Preiswettbewerbs auf vollkommenen Märkten mit atomistischer Angebotsstruktur (homogenen Polypolen) ist aus der Preistheorie bekannt. Auf unvollkommenen Märkten mit atomistischer Angebotsstruktur (heterogenes Polypol) folgen die Preise den durch den Wettbewerb erzwungenen Kostensenkungen; der preispolitische Spielraum der Wirtschaftssubjekte ist im Vergleich zum heterogenen Oligopol relativ gering. Auf unvollkommenen oligopolistischen Märkten (heterogenen Oligopolen) hängt der Preiswettbewerb im Wesentlichen von dem Grad der Interdependenz und damit dem preispolitischen Spielraum der Anbieter ab. Auf wachsenden Märkten (Expansionsphase), auf denen die Interdependenz der Unternehmen nur begrenzt ist, so dass ein großer Verhaltensspielraum besteht, kann ein wirksamer Preiswettbewerb unter Oligopolisten erwartet werden 169

Vgl. die Abhängigkeit der Zielsetzung und Verhaltensweise der Unternehmung von ihrer internen Struktur (eigentümer- oder managementgeleitete Unternehmen).

80

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

(vgl. Taschenrechner oder Mikroprozessoren). Beim Übergang von der Expansions- zur Stagnationsphase, d.h. in der Ausreifungsphase, ist Preiswettbewerb angesichts unausgelasteter Kapazitäten am wahrscheinlichsten. Auf Märkten in der Stagnationsphase ist dagegen der Verhaltensspielraum der Oligopolisten i.d.R. gering; denn bei hoher Interdependenz werden die Unternehmen aus Angst vor Reaktionen der Konkurrenten die Preise nicht senken. Die Gruppendisziplin äußert sich in einer kollektiven Preispolitik und einer gegenseitigen Respektierung von Marktanteilen. Auf vollkommenen oligopolistischen Märkten (homogenen Oligopolen) ist aufgrund der sehr starken Interdependenz kaum preispolitischer Spielraum vorhanden. Der Versuch aktiven Preiswettbewerbs droht zu einer Kampfstrategie zu entarten („oligopolistic war“). In der Regel wird es auf derartigen Märkten zu einem gruppensolidarischen Verhalten im Hinblick auf den Preis kommen; das Wettbewerbsstreben verlagert sich auf den Nicht-Preiswettbewerb [siehe unten b) bis d)]. Dieses Verhalten wird mit fortschreitender Marktphase immer wahrscheinlicher. Der Preiswettbewerb kann daher die ihm zustehende ökonomische Bedeutung erst dann wiedergewinnen, wenn die Existenz enger Oligopole, die durch eine sehr hohe parametrische Interdependenz gekennzeichnet sind, rückgängig gemacht (Dekonzentration) und das Entstehen neuer enger Oligopole verhindert wird (Fusionskontrolle). b) Qualitätswettbewerb Der Einsatz des Aktionsparameters Qualität kann ceteris paribus unter zwei Aspekten gesehen werden: Zum einen erfasst er die Entwicklung neuer Erzeugnisse, zum anderen die Veränderung (Verbesserung oder Verschlechterung)170 bereits vorhandener Erzeugnisse. Dabei wird der Begriff der Qualität sehr weit gefasst; er bezieht alle qualitativen Elemente des Produkts wie Größe, Aufmachung, Gestalt usw. mit ein.171

170

171

Eine Verschlechterung der Qualität als negativer Form des Qualitätswettbewerbs besteht c. p. darin, Dauer oder Zahl der Nutzungen, die ein Produkt stiftet, zu vermindern, um auf diese Weise vorzeitig Ersatzkäufe zu veranlassen (sog. geplante Obsoleszenz). Folge einer derartigen Produktstrategie ist die (vorzeitige) Zerstörung des Nutzens, den ein Produkt beim Käufer stiftet. Dabei ist zwischen dem Grundnutzen (funktionalmaterieller Aspekt) und dem Zusatznutzen (geistig-psychischer Aspekt) zu unterscheiden. Es werden drei Formen der Obsoleszenzstrategie unterschieden: – qualitative Obsoleszenz, – psychische Obsoleszenz und – funktionell-technische Obsoleszenz. Ursächlich für diese verschiedenen Formen der geplanten Obsoleszenz ist der Mangel an wirksamem Wettbewerb bzw. die Existenz von Marktmacht, die den Anbietern die Durchführung einer solchen Produktstrategie erlaubt. Derartige Strategien sind insbesondere auf stagnierenden Märkten zu erwarten. Zum Obsoleszenzproblem vgl. Schmidt, Ingo, Obsoleszenz und Missbrauch wirtschaftlicher Macht, in: WuW 21 (1971), S. 868 ff.; ders., Geplanter Verschleiß, in: Handbuch des Verbraucherrechts, hrsg. von Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher und Deutscher Gewerkschaftsbund, Neuwied und Darmstadt 1976 ff. (Loseblattsammlung), und Glombowski, Jörg, Ansätze zu einer Theorie der geplanten Obsoleszenz, Berlin 1976, mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. grundlegend zum Qualitätswettbewerb Abbott, op.cit., S. 147 ff., der zwischen vertikaler, horizontaler und innovatorischer Variabilität der Qualität unterscheidet: 1. Die vertikale Variabilität ist dadurch charakterisiert, dass die meisten Käufer ein Gut im Vergleich zu einem anderen als überlegen ansehen, wobei die höhere Qualität mit größeren Kosten verbunden ist. Daher ist eine vertikale Qualitätsverbesserung, die nicht von einer Preisänderung begleitet wird, gleichbedeutend damit, dass der Käufer für sein Geld mehr erhält.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

81

Wettbewerb wird als Prozess von Vorstoß und Verfolgung verstanden. Dabei ist ein Vorstoß unter Einsatz des wettbewerblichen Aktionsparameters Qualität umso wahrscheinlicher, je größer die preispolitische Interdependenz der Marktteilnehmer ist. Auf polypolistischen Märkten, die durch das Fehlen einer derartigen Interdependenz charakterisiert sind, ist daher der Qualitätswettbewerb im Vergleich zu oligopolistisch strukturierten Märkten relativ unbedeutend; zudem erschweren die vergleichsweise niedrigen Polypolpreise den Einsatz nichtpreislicher, aber kostenintensiver Aktionsparameter. Dagegen ist die Produktvariation als absatzpolitisches Mittel auf Oligopolmärkten weit verbreitet, weil die oligopolistische Interdependenz aus der Sicht der Unternehmen den Einsatz solcher Aktionsparameter erfordert, die keine unmittelbar spürbare Reaktion der Konkurrenten zur Folge haben. Angesichts des größeren time-lags in der Anpassung gehen Gewinne, die auf einem Qualitätsvorsprung beruhen, nicht so schnell verloren wie bei Preisnachlässen, so dass die Unternehmen den Qualitätswettbewerb präferieren. Die Wirkungen des Qualitätswettbewerbs auf den Preiswettbewerb sind ambivalent: Qualitätswettbewerb kann die Interdependenz der Unternehmen (durch Heterogenisierung) verringern und damit Preiswettbewerb wieder möglich machen, aber auch dazu dienen, den Preiswettbewerb zu vermeiden und durch Qualitätswettbewerb zu substituieren – was der Regelfall sein dürfte. Ein Qualitätswettbewerb, der wirksam im Hinblick auf die Realisierung des vorgegebenen Zielkatalogs sein soll, setzt allerdings Qualitätstransparenz und Rechenbarkeit bei den Abnehmern voraus, was bei Verbrauchs- und Gebrauchsgütern häufig nicht der Fall ist (vgl. die Rolle der Stiftung Warentest in Berlin). Bei Vorliegen von Qualitätstransparenz kann insbesondere der innovatorische Qualitätswettbewerb – ähnlich wie der Preiswettbewerb – zur Verdrängung von Konkurrenten führen bzw. im Falle imitatorischen Qualitätswettbewerbs Vorsprungsgewinne aufzehren. Die Qualitätskonkurrenz kann auch bewirken, dass die Produkte homogener und damit beliebig austauschbar werden. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, setzen die Unternehmen akquisitorische Mittel zur Produktgestaltung ein. Dazu gehört insbesondere die Werbung [siehe unten d)].

2. Bei horizontaler Variabilität sind Qualitätsunterschiede, die auf den persönlichen Präferenzen der Konsumenten beruhen, i.d.R. nicht messbar; Kostenunterschiede sind – falls vorhanden – zufälliger Natur. 3. Bei der innovatorischen Variabilität wird eine Änderung der Qualität von den meisten Käufern als Verbesserung angesehen, die i. d .R. keine Kostenerhöhungen verursacht. In der Realität überschneiden sich diese drei Formen der Qualität häufig (sog. Mischformen). Nach Abbott sollten eine Reihe von Vorbedingungen für das Vorliegen von Qualitätswettbewerb erfüllt sein (S. 152 ff.): 1. Es müssen verschiedene Alternativen zur Wahl stehen. 2. Die Alternativen müssen geändert werden können (Produktvariation). 3. Die Produzenten müssen frei sein, neue von einem Standard abweichende Qualitäten auf den Markt zu bringen (Gefahren der Normung oder Regulierung). 4. Die Produzenten müssen frei darin sein, die Qualität der Konkurrenzerzeugnisse nachzuahmen (Gefahr von Patenten, die alle Wege für Neuerungen erfolgreich blockieren). 5. Die Entscheidungen der Konkurrenten über die Qualität müssen – analog zum Preis – unabhängig voneinander getroffen werden (d.h. keine Qualitätsabsprachen z.B. über die Verkürzung der Brenndauer von Glühbirnen). 6. Die Käufer müssen Qualitätsunterschiede kennen (Vorliegen von Qualitätstransparenz) und anwenden (rationales Verhalten).

82

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

c) Servicewettbewerb Unter Service versteht man Dienstleistungen eines Herstellers oder Händlers, die er seinem Abnehmer entweder im Zusammenhang mit dem Kauf eines Produktes oder davon unabhängig als eigenes Gut anbietet. Service (z.B. Verkaufsberatung, Garantieleistungen) kann im Zusammenhang mit dem Kauf eines Produktes gesehen werden („bundle theory“). Insoweit steht der Service in engem Zusammenhang mit der Produktqualität und wirft im Hinblick auf die Steuerung des Wettbewerbsprozesses die gleichen Probleme wie der Qualitätswettbewerb auf (Transparenz, Rechenbarkeit und Verzögerungen bei der Anpassung). Davon unterschieden werden muss der Service, der unabhängig von dem Kauf eines Produktes vom Verkäufer oder von selbständigen Serviceunternehmen angeboten wird (z.B. technischer Kundendienst). Insoweit ist Service unabhängig von der Produktqualität. Service bekommt dann den Charakter eines selbständigen Gutes, für welches mit Preis, Qualität und Werbung Wettbewerb betrieben werden kann. Das für diese Wettbewerbsformen Ausgeführte gilt entsprechend. Servicewettbewerb steht in engem Zusammenhang mit der Art der Güter. Er spielt nur eine Rolle bei technisch komplizierten Investitions- und Gebrauchsgütern sowie bestimmten Dienstleistungen (z.B. Banken und Versicherungen) und ist insofern – abgesehen von seiner Intensität – unabhängig von Marktform und Marktphase. In der Ausreifungs- und Stagnationsphase gewinnt der Servicewettbewerb allerdings relativ an Bedeutung, da er nicht nur den Preis-, sondern auch den Qualitätswettbewerb weitgehend substituiert. Neben vorwiegend suggestiven Formen der Werbung ist Servicewettbewerb in späteren Marktphasen angesichts einer weitgehenden technischen Homogenisierung der Produkte deshalb oft der wichtigste Aktionsparameter. Ein gut ausgebautes Servicenetz (z.B. im Bereich der Automobilindustrie) kann allerdings eine erhebliche Marktzutrittsschranke für potentielle Konkurrenten darstellen (s.u. 4.). d) Werbungswettbewerb172 Im Zusammenhang mit dem Werbungswettbewerb werden in der Literatur vor allem drei Fragen diskutiert: (1) Welche Ziele werden mit dem Einsatz des Aktionsparameters Werbung verfolgt, bzw. welche Formen der Werbung kann man unterscheiden? (2) Welche Faktoren bestimmen die Form der Werbung? (3) Welche Auswirkungen hat die Werbung auf die Unternehmenskonzentration in einem Markt? Ad (1): Werbung ist in der Marktwirtschaft primär als ein absatzpolitisches Instrument der Unternehmen anzusehen. Die Information der Nachfrager ist folglich nicht als Aufgabe, sondern nur als mögliche Folge der Werbung zu betrachten. Es wird daher zwischen der informativen und der suggestiven Form der Werbung unterschieden.173 Erstere gibt Auskunft über Produkteigenschaften bzw. Preise und erhöht dadurch die Markttransparenz hinsichtlich neuer und schon am Markt etablierter Produkte. Letztere nimmt Einfluss auf die 172 173

Vgl. Bagwell, Kyle, The Economic Analysis of Advertising, in: Handbook of Industrial Organization Bd. 3, hrsg. von Armstrong, Mark, und Robert H. Porter, Amsterdam u.a. 2007, Kap. 28. Zur Erfüllung der Wettbewerbsfunktionen durch informative und suggestive Werbung vgl. Jacob, KlausDieter, Werbung und Wettbewerb: Eine theoretische Analyse, in: Schmollers Jahrbuch 86 (1966), S. 385 ff.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

83

Präferenzstrukturen der Nachfrager und versucht hierdurch eine zusätzliche, nicht auf den objektiven Eigenschaften des Gutes basierende (mentale) Produktdifferenzierung zu erreichen. Der suggestiven Werbung wird daher häufig der Vorwurf gemacht, dass es sich hierbei um die Vergeudung volkswirtschaftlich knapper Ressourcen handelt. Eine eindeutige Zuordnung der in der Realität auftretenden Werbungsformen in die oben genannten zwei Kategorien ist allerdings nur in wenigen Fällen möglich, weil meistens sowohl suggestive als auch informative Komponenten auftreten.174 Ad (2): Welche dieser Komponenten beim Einsatz des Aktionsparameters Werbung dominiert, hängt primär von der Güterart und der Marktphase ab. Seit P. Nelson unterscheidet man zwischen Erfahrungs- und Suchgütern.175 Erfahrungsgüter sind vom einzelnen Konsumenten häufig gekaufte und relativ billige Produkte. Aus der Sicht des Nachfragers ist es kostengünstiger, sich über die Eigenschaften des Gutes durch den Kauf Klarheit zu verschaffen als vor dem Kauf Informationen über das Produkt einzuholen. Bei den Erfahrungsgütern sind die Kosten des „Experiments“ niedriger als die Informationsbeschaffungskosten. Suchgüter hingegen werden selten gekauft und sind relativ teuer. Für den Konsumenten lohnt es sich daher, vor der Kaufentscheidung Informationen über das betreffende Gut einzuholen. Die Informationskosten sind bei Suchgütern niedriger als die Kosten des „Experiments“.176 Diese Einteilung von Nelson wurde von R. Darby und E. Karni um die Vertrauensgüter erweitert, deren Qualitätseigenschaften sich auch nach dem Kauf nicht eindeutig feststellen lassen (z.B. Nebenwirkungen von Medikamenten).177 Diese Überlegungen erklären die unterschiedlichen Formen der Werbung. Für den Anbieter eines Erfahrungsgutes ist es wichtig, dass die Konsumenten, die mit seinem Produkt zufrieden waren, sein Produkt auch bei einer neuerlichen Kaufentscheidung wiedererkennen. Dieser Anbieter wird daher bemüht sein, eine Markentreue bezüglich seines Gutes aufzubauen, und wird daher verstärkt suggestive Komponenten in seine Werbung einbauen. Bei Suchgütern wenden sich die Konsumenten primär an den Handel, um die für sie relevanten Informationen zu erhalten. Die anbietenden Unternehmen werden daher einen großen Teil ihrer Werbebemühungen auf den Handel ausrichten. Diese Werbebemühungen werden aus naheliegenden Gründen kaum suggestiven Charakter haben. Zusätzlich kann sich die Werbung auch direkt an potentielle Konsumenten wenden. Diese Werbung wird ebenfalls eher informativen Charakter haben, da die Konsumenten der Werbung nur Aufmerksamkeit schenken werden, wenn sie zu Informationskosteneinsparungen führt.178 Neben der Güterart beeinflusst auch die Marktphase den Charakter der Werbung. In der Experimentier- und Expansionsphase sind die anbietenden Unternehmen bemüht, den Bekanntheitsgrad des Produktes zu erhöhen und auf Substitutionsmöglichkeiten gegenüber etablierten Produkten aufmerksam zu machen. Dabei spielen informative Komponenten der Werbung eine größere Rolle als suggestive. Anders verhält es sich während der Ausreifungsund Stagnationsphase, in der oligopolistische Unternehmen versuchen, durch suggestive 174 175 176 177 178

Vgl. Shepherd, op. cit., S. 111; a.M. Mähling, F.W., Werbung, Wettbewerb und Verbraucherpolitik, München 1983, S. 173 ff. Vgl. Nelson, P., Information and Consumer Behaviour, in: JPolE 78 (1970), S. 311 ff. Vgl. Kaufer, op. cit., S. 202 f. und 552. Vgl. Darby, R., und E. Karni, Free Competition and the Optimal Amount of Fraud, in: JLE 16 (1973), S. 67 ff. Vgl. Porter, M.E., Consumer Behavior, Retailer Power and Market Performance in Consumer Goods Industries, in: RevESt 56 (1974), S. 419 ff., und Kaufer, op. cit., S. 203 f.

84

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Werbung eine künstliche Produktdifferenzierung herbeizuführen, um dadurch ihren Marktanteil zu behaupten oder auf Kosten der Konkurrenten zu vergrößern. Ad (3): Im Zusammenhang mit der Frage, welchen Einfluss die Werbung auf die Unternehmenskonzentration in einem Markt hat, stehen sich in der Literatur unterschiedliche Meinungen gegenüber. Zurückgehend auf Nicholas Kaldor und Joe S. Bain179 wird die These vertreten, dass sowohl durch künstliche Produktdifferenzierung mittels suggestiver Werbung als auch durch economies of scale bei der Produktion und dem Einsatz von Werbemitteln Marktzutrittsschranken entstehen, welche die Konzentration in einem Markt fördern. Dagegen wird eingewandt, dass die – letztlich immer informative – Werbung die Preiselastizität der Nachfrage nicht senkt – wie von Bain behauptet –, sondern eher erhöht, da sie auf bisher unbekannte Produkte aufmerksam macht.180 Kaldor hat darüber hinaus noch auf eine mögliche Kausalrichtung, die von der Konzentration zur Werbungsintensität verläuft, aufmerksam gemacht. Eine mit der Konzentration zunehmende oligopolistische Interdependenz führt dazu, dass die Unternehmen Aktionsparameter wählen, bei deren Einsatz nicht sofort mit einer die Wirkung des Aktionsparameters nivellierenden Reaktion der Konkurrenten zu rechnen ist. Neben Innovationen bietet sich dazu der Einsatz der Werbung an.181 Douglas F. Greer182 hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch ein simultaner Erklärungsansatz denkbar ist, in welchem sich Werbeintensität und Konzentrationsgrade gegenseitig bestimmen, ohne dass eine Priorität der Kausalität zu erkennen ist. Werbung kann danach Polypole in weite Oligopole transformieren. In engen Oligopolen kehrt sich der Kausalzusammenhang dagegen um: aus der preispolitischen Interdependenz ergibt sich ein Ausweichen auf den Werbungswettbewerb, der insofern eine Funktion des Konzentrationsgrades ist. Empirische Untersuchungen zeigen allerdings, dass auch bei Werbungswettbewerb im Laufe der Zeit Lernprozesse zwischen Konkurrenten ablaufen, die zu einer partiellen Stilllegung dieses Wettbewerbsparameters führen können.183

179

180

181

182 183

Vgl. Kaldor, Nicholas, The Economic Aspects of Advertising, in: Review of Economic Studies 18 (1950), S. 1 ff., und Bain, Joe S., Barriers to New Competition, Cambridge, Mass. 1956. Vgl. auch Comanor, W.S., und T.A. Wilson, Advertising and Market Power, Cambridge, Mass. 1974, sowie Moritz, Carl-Heinz, Marktpolitische Probleme der Konsumgüterwerbung, Berlin 1977, S. 9–98. Vgl. Stigler, George J., Price and Non-Price Competition, in: JPolE 76 (1968), S. 149 ff.; Nelson, P., Advertising as Information, in: JPolE 81 (1974) S. 729 ff.; Telser, L.G., Advertising and Competition, in: JPolE 72 (1964), S. 537 ff., und ders., Towards a Theory of the Economics of Advertising, in: Issues in Advertising: The Economics of Persuasion, hrsg. von Tuerck, D.G., Washington, D.C. 1978, S. 71 ff. Für einen Überblick zu den empirischen Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Werbung und Konzentration vgl. Albion, M.S., und P.W. Farris, The Advertising Controversy: Evidence on the Economic Effects of Advertising, Boston, Mass. 1981, S. 62 ff. Vgl. Greer, Douglas F., Advertising and Market Concentration, in: Southern Economic Journal 38 (1971), S.10 ff. Vgl. Miller, R.A., Advertising and Competition: Some Neglected Aspects, in: AB 17 (1972), S. 467 ff., 470 f., und Schulenburg, J.-M. Graf v. d., und J. Wagner, Unobservable Industry Characteristics and the InnovationConcentration-Advertising-Maze: Evidence from an Econometric Study Using Panel Data for Manufacturing Industries in the FRG, 1979–1986, in: Small Business Economics 4 (1992), S. 315 ff.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

3.

85

Substitutionswettbewerb

Wir haben bisher untersucht, mit welchen Mitteln die Unternehmen den Absatz ihrer Produkte zu fördern versuchen. Bei der Setzung ihrer Aktionsparameter müssen sie auch beachten, ob und in welchem Umfang die Konsumenten auf Substitute ausweichen können: Sie müssen also sowohl den für sie relevanten Markt als auch die angrenzenden Märkte kennen. Der Substitutionswettbewerb setzt den Unternehmen beim Einsatz ihrer Aktionsparameter Grenzen; so kann z.B. das Ausnutzen der vorhandenen Preissetzungsspielräume durch marktmächtige Unternehmen auf dem relevanten Markt dreierlei zur Folge haben:



Die Konsumenten werden langfristig versuchen, auf billigere Substitute auszuweichen. Die Preissetzung des marktmächtigen Unternehmens führt dazu, dass der relevante Markt zugunsten benachbarter Märkte schrumpft. • Anbieter von Substituten, die bisher nicht zum relevanten Markt zu rechnen waren, können durch Preis- oder Produktvariationen versuchen, ebenfalls auf diesem für sie interessanten Markt aufzutreten; der relevante Markt weitet sich aus. • Die hohen Preise auf dem relevanten Markt sind ein Anreiz, Substitute zu entdecken und zu entwickeln. Die damit auf den Markt tretenden Unternehmen erhöhen den Wettbewerbsgrad dieses Marktes und engen den Preissetzungsspielraum der etablierten Unternehmen ein. Diese Überlegungen zeigen, dass der Wettbewerb durch substitutive Güter langfristig wirksamer ist als kurzfristig. Das schließt allerdings nicht aus, dass einige Unternehmen die langfristigen Wirkungen des Substitutionswettbewerbs nicht beachten und ihre Preissetzungsspielräume voll ausnutzen. Diese Möglichkeit wird in dem Maße geringer, wie es mit Hilfe des technischen Fortschritts gelingt, Substitute für immer mehr Güter zu finden. Mit der Zunahme des technischen Fortschritts nimmt daher die Bedeutung des Substitutionswettbewerbs zu; gleichzeitig nehmen die Möglichkeiten zur Ausnutzung der Preissetzungsspielräume ab.

4.

Potentieller Wettbewerb184

Das wettbewerbliche Verhalten der Unternehmen wird auch durch einen möglichen Markteintritt potentieller Konkurrenten, d.s. Unternehmen, die außerhalb der relevanten Märkte stehen, beeinflusst. Der Markteintritt kann erfolgen durch:

• •

räumliche Erweiterung (market extension), produktmäßige Erweiterung (product extension) durch etablierte Unternehmen in Form externer bzw. interner Diversifikation in einen anderen Markt oder Neugründung eines Unternehmens.

• Von Neugründungen dürfte dabei der geringste Wettbewerbsdruck auf etablierte Unternehmen ausgehen. Der Markteintritt potentieller Konkurrenten hängt von deren Gewinnerwartungen nach erfolgtem Marktzutritt ab, die insbesondere von der Höhe der Marktzutrittsschranken bestimmt werden.185 184

Vgl. den Überblicksartikel von Schmidt, Ingo, und Heinz Engelke, Marktzutrittsschranken und potentieller Wettbewerb, in: WiSt 18 (1989), S. 399 ff.

86

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Marktzutrittsschranken sind



aus der Sicht der etablierten Unternehmen all die Faktoren, die es diesen Unternehmen erlauben, sich dem Wettbewerbsdruck von Newcomers zu entziehen186, und • aus der Sicht der potentiellen Konkurrenten Kosten, die deren Gewinnerwartungen im Hinblick auf einen möglichen Marktzutritt schmälern.187 Marktzutrittsschranken (MZS – barriers to entry) können als eine extern vorgegebene Größe oder als verhaltensbedingte Komponente gesehen werden; dementsprechend unterscheidet man strukturelle und strategische MZS. Außerdem können Marktaustrittsschranken (barriers to exit – MAS) den Marktzutritt beschränken. Darüber hinaus muss unterschieden werden, ob die strukturellen oder strategischen Marktschranken privat oder vom Staat veranlasst worden sind. (1) Bei den privaten MZS kann zwischen strukturellen und strategischen Schranken unterschieden werden: (a) Bain unterscheidet drei strukturelle MZS:188 Produktdifferenzierungsvorteile (product differentiation advantages of established over potential entrant firms), • Betriebsgrößenvorteile (economies of large scale production) und • absolute Kostenvorteile (absolute cost advantages of established over potential entrant firms). Newcomer können Produktdifferenzierungsvorteilen in Form ausgeprägter Kundenpräferenzen nur durch niedrigere Preise oder durch umfangreiche Verkaufsanstrengungen begegnen. Wenn der Marktanteil, den ein neuer Anbieter auf dem Markt erreichen muss, um economies of large scale production zu realisieren, so groß ist, dass er die Aufnahmefähigkeit des Marktes übersteigt, wird ein Preisverfall des betreffenden Gutes die Folge sein. Ein Spezialfall sind learning-by-doing economies, wodurch etablierte Großunternehmen einen Produktionskosten- und damit Wettbewerbsvorteil vor Newcomers haben können. Die Gewinnerwartungen der potentiellen Konkurrenten können auch durch absolute Kostenvorteile der etablierten Unternehmen geschmälert werden. Ursachen dafür können die alleinige Verfügungsmacht über Rohstoffe, Arbeitskräfte und technisches Wissen sowie günstige Kreditbeschaffungsmöglichkeiten sein. Schließlich können einzelne Marktphasen strukturelle Marktzutrittsschranken darstellen. Die Aufnahmefähigkeit des Marktes ist in der Experimentier- und Expansionsphase höher als in der Ausreifungs- und Stagnationsphase.

• •

185 186

187 188

Vgl. Machlup, Fritz, Wettbewerb im Verkauf – Modellanalyse des Anbieterverhaltens, Göttingen 1966, S. 206. Vgl. Bain, Joe S., Barriers to New Competition, op. cit., S. 3, der in seiner Definition nur einen solchen Faktor nennt, nämlich die Fähigkeit etablierter Unternehmen, ihre Preise dauerhaft über das Wettbewerbsniveau zu setzen, ohne dadurch Newcomers anzulocken. Zu einer ähnlichen Definition vgl. Stigler, George J., The Organization of Industry, Homewood, Ill. 1968, S. 67. Vgl. Bain, Joe S., Barriers to New Competition, op. cit., und Bain, Joe S., Industrial Organization, op. cit., S. 255 ff.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

87

(b) Strategische MZS können nach der Art der eingesetzten Aktionsparameter unterschieden werden:189



Unternehmen, die eine Limitpreisstrategie betreiben, setzen den Preis so niedrig, dass es sich für den Newcomer nicht lohnt, in den Markt einzutreten (langfristige Gewinnmaximierung). • Mit Hilfe einer Überkapazitätsstrategie können etablierte Unternehmen zusätzliche Nachfrage schneller und möglicherweise kostengünstiger befriedigen als Newcomer, die dadurch vom Marktzutritt abgehalten werden. • Durch eine Produktdifferenzierungsstrategie kann potentiellen Konkurrenten der Marktzutritt dadurch erschwert werden, dass die etablierten Unternehmen möglichst viele Produktvarianten anbieten und damit die Marktchancen für neue Produktvarianten einschränken. • Durch vertikale Bindungen kann potentiellen Konkurrenten der Zugang zu Zulieferoder Absatzmärkten erschwert werden. (2) Potentielle Konkurrenten können schließlich durch Marktaustrittsschranken (MAS) vom Marktzutritt abgehalten werden: Tab. 4:

Synopsis der privaten und staatlichen Marktzutritts- bzw. Marktaustrittsschranken

Marktzutrittsschranken – strukturelle

– strategische

Marktaustrittsschranken – strukturelle

– strategische

Private Marktschranken

Staatliche Marktschranken

Betriebsgrößenvorteile, learning-by-doing-economies, absolute Kostenvorteile oder Produktdifferenzierungsvorteile

Industriepolitik, z.B.: – Handels- und Gesellschaftsrecht, – Patent- und Lizenzsystem oder – Fusionskontrolle (z.B. Verbot des Marktzutrittes für ein marktbeherrschendes Unternehmen) spezielle Industriepolitiken, z.B.: – Subventionen für einzelne Unternehmen, – Regulierung des Marktzutritts (im Verkehr) oder – Verbot unerwünschter Fusionen im Einzelfall (z.B. zwecks Abwehr ausländischer Unternehmen)

z.B. limit pricing, Überkapazitätsstrategie, Produktdifferenzierungsstrategie, Gesamtumsatzrabatte oder vertikale Bindungen

z.B. sunk costs im Falle dauerhafter und hochspezialisierter Anlagenwerte oder von Vertragsstrafen bei Produktionseinstellung Verbleiben am Markt z.B. aus Gründen der Imagepflege, der Vermarktungsmöglichkeiten oder des Zugangs zu Finanzmärkten

z.B. Vorschriften über Sozialpläne für die Beschäftigten eines Unternehmens im Falle der Insolvenz z.B. moral suasion im Falle einer drohenden Insolvenz und daraus resultierender Entlassung von Arbeitnehmern

(a) Strukturelle MAS bestehen dann für ein nach Gewinnmaximierung strebendes Unternehmen, wenn sich die für einen speziellen Markt benötigten Kapitalgüter im Produktionsprozess nicht amortisieren und wenn der Liquidationserlös bzw. der Alternativertrag der 189

Vgl. zum folgenden v.a. Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, S. 356 ff.

88

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Kapitalgüter bei Marktaustritt zu einem Wert führen würde, der geringer ist als die beim Marktzutritt zugrunde gelegten Opportunitätskosten der in dieser bestimmten Verwendung gebundenen Ressourcen (sunk costs)190. Sunk costs wirken insofern als MZS, als sie Kosten darstellen, die zwar ein Newcomer beim Markteintritt zu beachten hat, nicht aber das etablierte Unternehmen, welches diese Ausgaben bereits in der Vergangenheit unwiederbringlich getätigt hat. Richard E. Caves und Michael E. Porter haben gezeigt, dass die strukturellen MZS i.S. von Bain versunkene Kosten voraussetzen. Um absolute Kosten-, Betriebsgrößen- und Produktdifferenzierungsvorteile realisieren zu können, ist es notwendig, sehr spezifische Investitionen vorzunehmen, deren nicht amortisierter Teil bei Marktaustritt als versunken angesehen wird.191 (b) Strategische MAS können für ein etabliertes Unternehmen aber auch darin bestehen, dass es z.B. aus Gründen der Imagepflege, der Vermarktungsmöglichkeiten oder des Zugangs zu den Finanzmärkten dem Verbleib im Markt eine höhere strategische Bedeutung zumisst als der Profitrate, die es in diesem Markt erzielt. Die Kenntnis dieser Austrittsbarrieren kann potentielle Konkurrenten trotz niedriger struktureller und strategischer MZS vom Markt fernhalten. (3) Neben den Markteintritts- bzw. Marktaustrittsschranken, die direkt aus den Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte resultieren, gibt es auch Marktschranken, die ihre Ursache in den vom Staat gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens bzw. in konkreten Maßnahmen staatlicher Wirtschaftspolitik haben. (a) Staatliche Marktschranken struktureller Art sind z.B. im Hinblick auf den Marktzutritt die Gestaltung des Patent- und Lizenzsystems, im Hinblick auf den Marktaustritt Vorschriften über Sozialpläne für die Beschäftigten eines Unternehmens im Konkursfall. (b) Staatliche Marktschranken strategischer Art sind z.B. die Regulierung des Marktzutritts im Verkehrsgewerbe oder eine moral suasion-Politik im Falle drohender Entlassungen von Arbeitnehmern. Die Synopsis in Tab. 4 soll die verschiedenen Formen der privaten und staatlichen Marktzutritts- bzw. Marktaustrittsschranken verdeutlichen. (4) Marktschranken können negative oder positive Wirkungen auf den Wettbewerb haben:





190 191 192

Mit zunehmender Höhe der Marktzutritts- bzw. Marktaustrittschranken steigt die Möglichkeit der etablierten Unternehmen, sich dem Wettbewerbsdruck zu entziehen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Wettbewerbsfunktionen nur suboptimal erfüllt werden. Aus der Sicht des dynamischen Wettbewerbs können Marktzutrittsschranken jedoch auch wettbewerbsfördernd sein. Patente können einerseits den Marktzutritt potentieller Konkurrenten verhindern, sind jedoch andererseits Voraussetzung dafür, dass Innovationen überhaupt durchgeführt werden. Wären Erfindungen sofort allen zugänglich, ginge der Anreiz zur Innovation verloren.192 Vgl. Baumol, William J., John C. Panzar und Robert D. Willig, Contestable Markets and The Theory of Industry Structure, New York u.a. 1982, S. 280 ff. Vgl. Caves, Richard E., und Michael E. Porter, Barriers to Exit, in: Essays on Industrial Organization in Honor of Joe S. Bain, hrsg. von Masson, Robert T., and P. David Qualls, Cambridge, Mass. 1976, S. 39 ff. Vgl. Weizsäcker, C. C. v., Barriers to Entry: A Theoretical Treatment, Berlin u.a. 1980, Kap. 1, 2, 5 und 6, der neben Patenten auch bestimmte Produktdifferenzierungsvorteile (goodwill) als wettbewerbsfördernd bezeich-

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

89

Es muss daher eine Abwägung zwischen den nachteiligen Auswirkungen auf die potentielle Konkurrenz und den (möglichen) positiven Auswirkungen auf den Innovationswettbewerb vorgenommen werden (was die Rechtsanwendung allerdings nicht erleichtert). (5) Die Bedeutung des potentiellen Wettbewerbs wird in dem von Baumol, Panzar und Willig193 entwickelten Konzept der contestable markets hervorgehoben. Danach zwingt die potentielle Konkurrenz die etablierten Unternehmen zu einem Marktverhalten, das unabhängig von der Marktstruktur Pareto-optimale Marktergebnisse erwarten lässt. Dies setzt allerdings voraus, dass Marktzutritt und Marktaustritt frei und damit kostenlos sind und dass die Nachfrager auf einen Markteintritt schneller reagieren als die etablierten Unternehmen mit Abwehrstrategien. Diese Annahmen ermöglichen es potentiellen Konkurrenten, die über profitable Preisunterbietungsmöglichkeiten verfügen, jederzeit auf den Markt zu drängen und kurzfristig hohe Gewinne zu erzielen, um dann nach erfolgter Reaktion der etablierten Unternehmen den Markt wieder kostenlos zu verlassen (hit-and-run-Strategie). Die contestability von Märkten hängt allerdings entscheidend von dem Fehlen von Marktzutritts- und Marktaustrittsschranken ab. An dieser Stelle taucht die alte Streitfrage auf, was als Marktzutrittsschranke zu sehen ist. Baumol u.a. beantworten diese Frage i.S. von George J. Stigler, wonach als solche nur Kosten gelten können, die zwar vom Newcomer, aber nicht mehr von den etablierten Unternehmen zu tragen sind. Insofern hängt die allokative Effizienz auf Märkten von der Höhe der sunk costs ab, die allerdings wettbewerbspolitisch beeinflussbar sind (z.B. Abtrennung von Teilbereichen wie Flughäfen oder Schienenkörper, um die sunk costs der Anbieter zu reduzieren). Ein weiterer strittiger Punkt sind die Verhaltensannahmen. Es erscheint nicht plausibel, warum die Nachfrager sofort, die etablierten Unternehmen aber erst mit einer Zeitverzögerung reagieren. Letztlich wird auch bezweifelt, ob das Konzept der contestable markets als ein statisches Gleichgewichtsmodell wirklich ein geeigneter Maßstab für die Beurteilung von evolutorischen Wettbewerbsprozessen ist. Für vielversprechender hält man den Ansatz, wenn es darum geht, im Einzelfall die Regulierungswürdigkeit von Ausnahmebereichen, z.B. natürlichen Monopolen, zu beurteilen. Shepherd hält das Modell allerdings auch in dieser Hinsicht für ungeeignet; er charakterisiert es als bloßes „Gedankenexperiment“.194 Dasgupta/Stiglitz kennzeichnen den wohlfahrtsökonomischen Beitrag der Theorie der contestable markets wie folgt:195 “The hope that a theory of potential competition would at least enable the extension of welfare economics to modern industrial economies, while it may have been well funded, was not well founded.”

193

194 195

net. Bewerten Konsumenten die Produktqualität anhand von Erfahrungen, so könne dies für die Produzenten einen erhöhten Anreiz zu Produktinnovationen darstellen und insoweit den Innovationswettbewerb fördern. Vgl. Baumol, William J., John C. Panzar und Robert D. Willig, op. cit., insbes. Kapitel 1, 2, 10 und 16. Zu einem kurzen Überblick und zur Kritik des Konzepts vgl. Fehl, Ulrich, Das Konzept der Contestable Markets und der Marktprozess, in: Industrieökonomik: Theorie und Empirie, hrsg. von Bombach, Gottfried, u.a., Tübingen 1985, S. 29–49. Vgl. Shepherd, William G., ‘Contestability’ vs. Competition, in: AER 72 (1984), S. 572 ff., 585. Dasgupta, P., und J. E. Stiglitz, Potential Competition, Actual Competition, and Economic Welfare, in: European Economic Review 32 (1988), S. 569 ff, 570. Das Wortspiel „well funded“, aber „not well founded“ bezieht sich auf die Finanzierung des Forschungsvorhabens durch AT&T, das damit einer Entflechtungsklage nach sec. 2 Sherman Act vorbeugen wollte.

90

5.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Die Wirksamkeit der verschiedenen Formen des Wettbewerbs

Wenn der Wettbewerb die erwünschten Funktionen erfüllen soll, muss der Wettbewerbsdruck wirksam sein, d.h., einen Druck auf Kosten und Preise ausüben und damit Vorsprungsgewinne aufzehren; gleichzeitig führt der Wettbewerbsdruck zu Alternativen für die Marktgegenseite. Je offener und weniger konzentriert die Märkte sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sämtliche den Unternehmen zur Verfügung stehende Aktionsparameter eingesetzt werden und dass von den potentiellen Konkurrenten ein starker Wettbewerbsdruck ausgeht.196 Für die Marktversorgung kommt dem Einsatz des Aktionsparameters Preis eine hervorragende Bedeutung zu, zumal die anderen Aktionsparameter nicht losgelöst von der Preisdimension betrachtet werden können. Mit dem Fehlen des Preiswettbewerbs entfällt ein wichtiges Argument zugunsten einer wettbewerblichen Organisation der Wirtschaft. Mit zunehmender Konzentration wird jedoch der Preis durch andere Aktionsparameter ersetzt. Aus wettbewerbstheoretischer Sicht ist im Hinblick auf die Realisierung des wettbewerbspolitischen Zielkataloges der Ersatz des Aktionsparameters Preis durch die Aktionsparameter Qualität oder Service nur bedingt möglich, da:



Qualität und Service im Gegensatz zum Preis viel schwieriger zu beurteilen sind und entsprechende Sachkenntnis des Abnehmers voraussetzen (Transparenz), • Qualität und Service i.d.R. nur ordinal vergleichbar sind, der Preis dagegen kardinal messbar ist (Preis als Bewertungssystem) und • bei Qualitäts- und Servicevariationen das time-lag in der Anpassung erheblich größer ist als bei Preisänderungen. Qualitäts- und Servicewettbewerb sind deshalb i.d.R. nur ein wenig wirksamer (inferiorer) Ersatz für den Preiswettbewerb und werden gern benutzt, um Preiswettbewerb zu vermeiden. Eine andere Beurteilung gilt allerdings für den Fall von Produktinnovationen (i.G. zu Produktvariationen). Ein Ersatz des Preiswettbewerbs durch den Aktionsparameter Werbung ist generell nicht möglich, da die informative Komponente der Werbung nur begleitenden Charakter im Hinblick auf den Preis-, Qualitäts- und Servicewettbewerb hat, die suggestive Komponente dagegen volkswirtschaftlich per se unerwünscht ist, da sie in Widerspruch zu dem Grundsatz der Konsumentensouveränität steht. Dem Substitutionswettbewerb kommt in der Regel nur langfristig Bedeutung zu. Der von potentiellen Wettbewerbern ausgehende Wettbewerbsdruck wird durch eine Reihe von Faktoren gemindert:197

• • • 196 197

selbst bei freiem Marktzutritt treten i.d.R. unvermeidliche Marktaustrittskosten auf; der Zeitbedarf des Marktzutritts ist relativ groß (so hatte das OPEC-Kartell seine Macht erst nach mehr als 10 Jahren – nicht zuletzt aufgrund des Marktzutritts von Newcomers in Gestalt der Anbieter von Nordseeöl – verloren) und Zutrittsschranken können durch marktstrategisches Verhalten errichtet bzw. erhöht werden.

Vgl. Bain, Industrial Organization, op. cit., S. 464–468. Vgl. Wettbewerbspolitisches Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Wirtschaft vom 6.12.1986, in: WuW 37 (1987), S. 287 ff., und die dort geübte Kritik an den unrealistischen Voraussetzungen des Konzepts der contestable markets.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

91

Mit Werner Zohlnhöfer kann von einer Art Hierarchie der Wirksamkeit der verschiedenen Wettbewerbsformen ausgegangen werden:198 „Der stärkste, zuverlässig wirksame Preisdruck geht von der Existenz unabhängiger Anbieter von im Wesentlichen gleichen Gütern aus, der schwächste in der Regel von der Furcht vor potentiellen Konkurrenten. Während Substitutions- und potentielle Konkurrenz in konkreten Einzelfällen die unternehmerische Preispolitik sehr erheblich beschränken mögen, bleiben sie in anderen praktisch unwirksam. Sie können deshalb keinesfalls generell und ohne weiteres als vollgültiger Ersatz für das Fehlen von Anbietern im Wesentlichen gleicher Produkte angesehen werden. Weil mit ihrer preispolitischen Wirksamkeit nicht a priori gerechnet werden kann, auf sie also gleichsam kein Verlass ist, kommt ihnen als Determinanten des einen funktionsfähigen Wettbewerb kennzeichnenden Preisdruckes (nicht primäre, sondern) nur sekundäre Bedeutung zu.“

Übungsfragen zum 3. Kapitel 1. In welcher Hinsicht ist der für den Wettbewerbsprozess relevante Markt abzugrenzen? 2. Worum geht es bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes? 3. Wer wird als Hauptvertreter des physikalisch-technischen Industriekonzepts angesehen? Erläutern Sie dieses Konzept. 4. Welche fünf methodisch unterschiedlichen Ansätze sind im Rahmen des SubstitutionsKonzeptes zu unterscheiden? 5. Erläutern Sie die Theorie der Substitutionslücke von Robinson. Beruhen die Substitutionslücken ausschließlich auf ausgeprägten sachlichen Präferenzen? 6. Wie kann mit Hilfe der Theorie der Marktbeziehungen (von Stackelberg) der sachlich relevante Markt abgegrenzt werden? 7. Auf welche Güter zielt das Bedarfsmarktkonzept von Arndt/Abbott ab? Welche Rolle spielt es im Kartellrecht ? 8. Welche quantitativen Tests ökonometrischer und statistischer Art können zur Implementierung des Bedarfsmarktkonzeptes herangezogen werden? 9. Lassen sich die verschiedenen methodischen Ansätze zur Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes miteinander vereinbaren? 10. Wie kann der bei einer Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes verbleibende Unschärfebereich vermindert werden? 11. Was besagt das Nachfrage- und Angebotssubstitutions-Konzept (hypothetischer Monopoltest) zur Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes? Worin unterscheidet es sich vom Bedarfsmarktkonzept? 12. Ist das traditionelle Marktmachtkonzept zur Erfassung wirtschaftlicher Macht konglomerater Unternehmen geeignet? 13. Worum geht es bei der räumlichen und zeitlichen Marktabgrenzung? Welche methodischen Ansätze werden für die räumliche Marktabgrenzung benutzt?

198

Zohlnhöfer, op. cit., S. 15.

92

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

14. Durch welche Merkmale ist der formale Aufbau des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs beschrieben? 15. Was wird unter „market structure“ verstanden? 16. Welche Verhaltensweisen sind unter „market conduct“ zusammengefasst? 17. Auf welche Dimensionen bezieht sich die „market performance“? 18. Entspricht die Einteilung in structure-, conduct- und performance-Normen dem Kausalverlauf? Welches sind die Beziehungen zwischen structure, conduct und performance im Zeitablauf? 19. Was kann über den Zusammenhang von Marktstruktur und Marktergebnis gesagt werden? 20. Welche Bedeutung hat die Spieltheorie für die Wettbewerbsanalyse? 21. Charakterisieren Sie den Wettbewerb als dynamischen Prozess. 22. Nennen Sie die wichtigsten Wettbewerbsparameter. 23. Welche Aufgaben hat der Preiswettbewerb im Rahmen des Zielkataloges des Wettbewerbs? 24. Wovon hängt der Preiswettbewerb auf unvollkommenen oligopolistischen Märkten im Wesentlichen ab? 25. Schildern Sie den Einsatz des Aktionsparameters Preis auf unvollkommenen oligopolistischen Märkten in verschiedenen Marktphasen. 26. Was verstehen Sie unter Qualitätswettbewerb? 27. Was versteht man unter Obsoleszenz? Welche Formen der Obsoleszenzpolitik kennen Sie? Wie ist eine solche Absatzpolitik gesamtwirtschaftlich zu bewerten? 28. In welchen Marktformen ist der Einsatz des Aktionsparameters Qualität von großer Bedeutung? 29. Begründen Sie die Bedeutung der Stiftung Warentest im Hinblick auf die Wirksamkeit des Qualitätswettbewerbs. Kann die Erhöhung der Qualitätstransparenz auch wettbewerbsbeschränkende Effekte haben? 30. Schildern Sie Formen und Bedeutung des Servicewettbewerbs. 31. Was verstehen Sie unter Werbungswettbewerb? 32. Erläutern Sie den Zusammenhang von Marktphasen und Formen des Werbungswettbewerbs. 33. Welche Kritik kann an der suggestiven Werbung aus volkswirtschaftlicher Sicht geübt werden? 34. Was verstehen Sie unter Substitutionswettbewerb? 35. Nehmen Sie Stellung zur Wirksamkeit des Substitutionswettbewerbs. 36. Erläutern Sie den Begriff der potentiellen Konkurrenz. 37. Welches sind die Voraussetzungen für das Auftreten von newcomers? 38. Erläutern Sie die Ursachen von Marktzutrittsschranken. 39. Wovon ist die Wirksamkeit des Wettbewerbsdruckes potentieller Konkurrenz abhängig? 40. Skizzieren Sie das Konzept und den wettbewerbspolitischen Erklärungswert der contestable markets. 41. Nehmen Sie Stellung zur Wirksamkeit der verschiedenen Formen des Wettbewerbs.

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

93

Weiterführende Literaturhinweise zum 3. Kapitel Abbott, Lawrence, Qualität und Wettbewerb: Ein Beitrag zur Wirtschaftstheorie, München, Berlin 1958, S. 111–160 und 241–255. Armstrong, Mark, und Robert Porter (Hrsg.), Handbook of Industrial Organization, Band 3, Amsterdam u.a. 2007. Audretsch, David B., Industrieökonomik, in: Springers Handbuch der Volkswirtschaftslehre 1, hrsg. von Hagen, Jürgen von, Axel Börsch-Supan und Paul J. J. Welfens, Berlin u.a. 1996, S. 177 ff. ders., William J. Baumol und Andrew E. Burke, Competition policy in dynamic markets, in: International Journal of Industrial Organization 19 (2001), S. 613 ff. Bagwell, Kyle, The Economic Analysis of Advertising, in: Handbook of Industrial Organization Bd. 3, hrsg. von Armstrong, Mark, und Robert H. Porter, Amsterdam u.a., Kap. 28. Bain, Joe S., Barriers to New Competition, Cambridge, Mass. 1956. ders., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968, S. 223–301. Baumol, William J., John C. Panzar und Robert D. Willig, Contestable Markets and The Theory of Industry Structure, New York u.a. 1982. Bishop, Simon, und Mike Walker, Economics of E. C. Competition Law: Concepts, Application and Measurement, 5. Aufl., London, Dublin und Hong Kong 2010. Bühler, Stefan, und Franz Jaeger, Einführung in die Industrieökonomik, Berlin u.a. 2002. Concepts and Effects of Barriers to Entry, in: The Journal of Reprints for Antitrust Law and Economics Bd. XIV (1983). Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, hrsg. von Fleischer, Holger, und Daniel Zimmer, in: Beihefte der ZHR, Frankfurt am Main 2008. Europäische Kommission, Bekanntmachung der Kommission zur Definition des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht, in: ABl EG C Nr.372, S. 5 ff., abgedruckt in: WuW 48(1998), S. 261 ff. Fehl, Ulrich, Das Konzept der Contestable Markets und der Marktprozeß, in: Industrieökonomik: Theorie und Empirie, hrsg. von Bombach, Gottfried, u.a., Tübingen 1985, S. 29–49. Herdzina, Klaus, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, Walter Eucken Institut: Vorträge und Aufsätze 116, Tübingen 1988. Jacob, Klaus-Dieter, Werbung und Wettbewerb: Eine theoretische Analyse, in: Schmollers Jahrbuch 86. Jg. (1966), S. 385–421. Kantzenbach, Erhard, und Jörn Kruse, Kollektive Marktbeherrschung, Wirtschaftspolitische Studien 75, Göttingen 1989. ders., Elke Kottmann und Reinald Krüger, Kollektive Marktbeherrschung: Neue Industrieökonomik und Erfahrungen aus der Europäischen Fusionskontrolle, Baden-Baden 1996. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959. Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/1983: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Kap. VII: Die sachliche Abgrenzung des relevanten Marktes.

94

3. Kapitel: Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs

Martin, Stephen, Advanced Industrial Economics, 2. Aufl., Malden, Mass. und Oxford 2002. Motta, Massimo, Competition Policy: Theory and Practice, Cambridge 2004, Kap. 2 und 3. Nachfragemacht: Die Ausübung von Marktmacht durch marktstarke Nachfrager, Bericht des Wettbewerbsausschusses der OECD, Köln u.a. 1983. Neumann, Manfred, Wettbewerbspolitik: Geschichte, Theorie und Praxis, Wiesbaden 2000. Oberender, Peter (Hrsg.), Marktökonomie: Marktstruktur und Wettbewerb in ausgewählten Branchen der Bundesrepublik Deutschland, München 1989. Relevant Markets in Antitrust, in: The Journal of Reprints for Antitrust Law and Economics Bd. XV (1984). Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, Kap. 2, 10 und 16. Schmalensee, R., und R. Willig (Hrsg.), Handbook of Industrial Organization, Bd. 1 und 2, Amsterdam 1989, (Bd. 3, Amsterdam 2007, s.o. Armstrong und Porter). Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht: Eine vergleichende Untersuchung und kritische Analyse der Rechtsprechung gegenüber Tatbeständen des externen und internen Unternehmenswachstums sowie des Behinderungswettbewerbs, Berlin 1973, S. 47–60. Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der deutschen und europäischen Zusammenschlußkontrolle, Frankfurt am Main 2006, 2. Teil, Abschnitt C: Feststellung von Marktmacht und Marktbeherrschung. Schulz, Norbert, Wettbewerbspolitik: Eine Einführung aus industrieökonomischer Perspektive, Tübingen 2003. Shepherd, William G., The Economics of Industrial Organization, 4. Aufl., Englewood Cliffs, N. J. 1997. Tirole, Jean, Industrieökonomik, 2. Aufl., München, Wien 1999.

Teil 2: Probleme einer Umsetzung des Konzepts eines wirksamen Wettbewerbs in die Wettbewerbspolitik In Teil 2 sollen die Probleme bei der Umsetzung des in Teil 1 entwickelten Konzeptes eines wirksamen Wettbewerbs in die Wettbewerbspolitik behandelt werden. Folgt man der in der Theorie der Wirtschaftspolitik entwickelten Einteilung in Ordnungs-, Prozess- und Strukturpolitik, so ist die Wettbewerbspolitik als wesentlicher Teil der Ordnungspolitik anzusehen, mit welcher die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das Marktverhalten (Marktverfassung) gesetzt werden. Zunächst soll auf die Frage eingegangen werden, mit Hilfe welcher Tests der Wettbewerb adäquat erfasst werden kann (Zieladäquanz der Instrumente).

4. Kapitel:

Das Problem wettbewerbspolitisch und wettbewerbsrechtlich adäquater Tests

Im Hinblick auf die wettbewerbspolitische und -rechtliche Adäquanz der drei Wettbewerbstests ist zu prüfen, welche dieser drei Tests dazu geeignet sind, den Wettbewerb als anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus zu erfassen. Dabei können grundsätzlich drei reine Definitionstypen (nur structure oder conduct oder performance) und vier gemischte Definitionstypen (structure plus conduct, structure plus performance, conduct plus performance oder structure plus conduct plus performance) unterschieden werden. In der wettbewerbspolitischen Literatur stehen unter dem Gesichtspunkt der Adäquanz folgende Definitionstypen im Vordergrund der Diskussion: (1) gemischte Definitionstypen:

• • • •

Marktprozessansatz (so z.B. Kassen/Turner, die den Wettbewerbsprozess mit Hilfe einer Kombination von Strukturen und Conductus erfassen wollen), Marktstrukturansatz (so z.B. Bain, der als Strukturalist den Zusammenhang von Strukturen und Performance betont) und Marktverhaltensansatz (so z.B. Scherer, der als Behaviorist den Zusammenhang von Conductus und Performance unterstreicht); More economic approach (so GD IV, die Wettbewerb mit Hilfe aller drei Tests erfassen will).

(2) reiner Definitionstyp: Marktergebnis (nur performance-Test im Falle sog. Ausnahmebereiche bzw. des rein wohlfahrtsökonomischen Ansatzes der sog. Chicago School). Ausgehend von diesen Definitionstypen soll im Folgenden auf die Frage der adäquaten Tests eingegangen werden.

I.

Der performance-Test als selbständiger Wettbewerbstest im Regelfall

Als selbständiger Wettbewerbstest dürfte der performance-Test aus zwei Gründen ausscheiden:



Grundsätzlich ist eine Untersuchung der verschiedenen Dimensionen des Marktergebnisses für die Feststellung des Fehlens oder Vorliegens von wirksamem Wettbewerb nicht geeignet, da es meistens schwierig ist, objektive Kriterien für eine exakte Feststellung zu finden, ob ein Marktergebnis wettbewerbsgerecht ist oder nicht (mangelnde

98

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

Operationalität). Nach Ansicht von Kaysen/Turner199 sind drei Faktoren für die mangelnde Eignung des performance-Tests ursächlich: Das Fehlen von vergleichbaren Unternehmen oder Märkten unter ähnlichen Bedingungen, der Mangel an informierten, objektiven Experten und das Fehlen einer ausreichenden theoretischen Basis; d.h., dem performance-Test sind nach dem jetzigen Stand der Erkenntnis so erhebliche Beweisschwierigkeiten immanent, dass er als selbständiger Wettbewerbstest für Zwecke der Rechtsprechung i.d.R. ausscheiden muss (mangelnde Justitiabilität). • Abgesehen von der mangelnden Operationalität spricht gegen den performance-Test als selbständigen Wettbewerbstest die mangelnde Konsistenz von Maßnahmen, die direkt die Marktergebnisse beeinflussen, mit unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, da sie Ausdruck einer nicht systemkonformen dirigistischen Politik wären. Bain200 spricht sich daher für eine Beschränkung des wettbewerbspolitischen Instrumentariums auf Tests aus, “that foster and maintain impersonal market processes as the main direct regulators of enterprise activity … Departing from the axiom, it may be argued substantively that impersonal regulation by the market is preferable to extensive bureaucratic regulation by men, and more consistent with our democratic political system”. Der more economic approach, den die EK bei der Beurteilung von Einzelfällen zugrunde legen will, droht daher wegen mangelnder Justitiabilität die europäische Wettbewerbspolitik lahmzulegen (vgl. dazu 9. Kap. II).201

II.

Der Struktur- und Verhaltenstest (Marktprozessdefinition) im Regelfall

Der marktwirtschaftliche Koordinierungsprozess lässt sich daher adäquat nur mit Hilfe einer Marktprozessdefinition (Struktur- und Verhaltensmerkmale) erfassen. Grundsätzlich soll

199

200 201

Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 53 f.: “What will be lacking is any basis for deciding whether the firm's performance was good or bad in light of its opportunities. The record may reveal that output has grown ten times in the period under study; it will not reveal whether or not output could have grown fifteen times if price policy had been different or if more vigorous efforts had been made in product development, in foreign marketing, or in cost reduction. The record may show that expenditures of money and of the time of trained men on research and development were large and continuous, and that the decrease of inputs per unit of outputs as well as the flow of new and improved products were great; it will not in general show whether returns per dollars or per professional manhour were high or low, or would have been higher or lower had the situation or conduct of the firm been different than it in fact was.” Bain, Joe S., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968, S. 498 f. Vgl. dazu die eingehende Kritik von Schmidt, Ingo, More economic approach: Ein wettbewerbspolitischer Fortschritt?, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S. 409 ff.; ders., The Suitability of the More Economic Approach for Competition Policy: Dynamic v. Static Efficiency, in: ECLR 28 (2007), S. 408 ff., und ders., More Economic Approach: Der performance-Test als „invitation to nonenforcement“, in: Quo vadis Wirtschaftspolitik – Ausgewählte Aspekte der aktuellen Diskussion: Festschrift für Norbert Eickhof, hrsg. von Grusevaja, Hösel, Wonke und Dunn, Schriften zur politischen Ökonomik, Frankfurt am Main u.a. 2008, S. 65 ff. Vgl. auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Effizienzbegriff in „law and economics“ bei Markovits, Richard S., Truth or Economics: On the Definition, Prediction, and and Relevance of Economic Efficiency, New Haven und london 2008.

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

99

daher davon ausgegangen werden, dass der Wettbewerb (w) als abhängige Variable eine Funktion von Struktur- (s) und Verhaltensmerkmalen (v) als unabhängigen Variablen ist: w = f (s, v) Dabei muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass die Verwendung einer Kombination von Struktur- und Verhaltensnormen für die Erfassung des Wettbewerbsprozesses i.S. einer pattern prediction nur als eine Aussage von hohem Wahrscheinlichkeitsgrad aufgefasst werden kann, da der Wettbewerb u.U. auch einmal zu einer Verschlechterung der Leistung führen kann.202 Aus den oben genannten Gründen setzen daher Kaysen/Turner – im Hinblick auf die wettbewerbspolitische und wettbewerbsrechtliche Adäquanz – workable competition mit dem Fehlen von unvernünftiger Marktmacht (unreasonable market power) gleich, die sie mit Hilfe von Struktur- und Verhaltensmerkmalen203 definieren, wobei je nach dem Schutzzweck der einzelnen Rechtsnorm das Schwergewicht einmal stärker auf Strukturmerkmalen (z.B. bei der Fusionskontrolle), das andere Mal stärker auf Verhaltensmerkmalen (z.B. beim Behinderungsmissbrauch) liegt.

III. Der performance-Test als hilfsweiser Wettbewerbstest Die Verwendung einer Marktprozessdefinition schließt allerdings nicht aus, dass der performance-Test hilfsweise zur Beseitigung von Zweifeln bei der Marktabgrenzung und/oder der Feststellung der Wettbewerbsintensität mit Hilfe von Struktur- und Verhaltensmerkmalen herangezogen wird, wie das das Bundeskartellamt z.B. in den Missbrauchsverfahren gegen die Pharmazeutische Industrie getan hat, um Zweifel hinsichtlich der Marktabgrenzung und des Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 19 GWB zu beheben.204 Ein derartiger Rückschluss ist nicht nur Ausdruck und Konsequenz der zirkularen Verknüpfung von Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis, sondern ermöglicht es auch den Kartellbehörden und Gerichten, Ungenauigkeiten oder Fehler bei der Marktabgrenzung oder dem Wettbewerbstest zu korrigieren. Ein solcher Rückgriff ist allerdings nicht zwingend; denn hohe Preise können z.B. durch Pionierleistungen oder Nachfrageüberhang gerechtfertigt sein. Auch im Falle niedriger Preise ist ein solcher Rückschluss von der performance auf die Wettbewerbsintensität logisch nicht zwingend, da eine gute performance zwar Ausdruck von Wettbewerb sein kann, aber nicht sein muss, sondern auch auf dem Wohlverhalten des Managements beruhen kann. U.E. ist das Vertrauen auf das Wohlverhalten des Managements allerdings kein Ersatz für eine Wettbewerbspolitik; gute Marktergebnisse müssen vielmehr durch den anonymen Wettbewerbs202

203

204

Kaysen/Turner, op. cit., S. 194: “An industry may be competitive in both a structural and some behavioral senses and yet fail to achieve one or more of the expected competitive results.” Marktversagen sowie ruinöse Konkurrenz (im Polypol) sind Beispiele für schlechte Marktergebnisse trotz Wettbewerbsfreiheit. Kaysen/Turner, op. cit., S. 75: “A firm possesses market power when it can behave persistently in a manner different from the behavior that a competitive market would enforce on a firm facing otherwise similar cost and demand conditions. When the ‘can’ in this definition is emphasized, we see that the concept of market power is basically a structural concept.” Vgl. Schmidt, Ingo, Die Zusammenhänge von relevantem Markt, Marktbeherrschung und Marktergebnis am Beispiel der Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes bei Arzneimitteln, in: JbNSt 190 (1976), S. 67 ff.

100

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

druck erzwungen werden und dürfen nicht auf einem jederzeit veränderlichen Wohlverhalten beruhen. Einer guten oder schlechten performance kommt insofern nur Indizcharakter für das Vorliegen von Wettbewerb oder Marktbeherrschung zu.

IV. Der performance-Test als selbständiger Wettbewerbstest im Falle sog. Ausnahme- bzw. sektorspezifischer Bereiche Die grundsätzliche Ablehnung der Verwendung von performance-Dimensionen mangels ausreichender Operationalität und Systemkonformität beinhaltet allerdings nicht, dass nicht in Ermangelung anderer Möglichkeiten z.B. bei internem Unternehmenswachstum oder bei praktisch, technisch oder politisch nicht durchführbarer Entflechtung (die sog. „natürlichen“ oder „politischen“ Ausnahmebereiche im Sinne Hoppmanns) auf das Marktergebnis als selbständigen Wettbewerbstest für die Missbrauchsaufsicht (regulation approach) zurückgegriffen werden muss. Die wettbewerbspolitische Alternative bestünde sonst darin, die voroder nachgelagerten Wirtschaftsstufen schutzlos der Marktmacht preiszugeben und auf das Wohlverhalten der marktmächtigen Unternehmen zu vertrauen.

V.

Die Erfassung wirtschaftlicher Macht mit Hilfe der Handlungs- und Entschließungsfreiheit

Unter Macht kann nach Max Weber205 jede Chance verstanden werden, „innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Diese sehr allgemeine Definition von Macht ist von Helmut Arndt im Hinblick auf wirtschaftliche Macht weiterentwickelt worden. Nach Arndt206 ist wirtschaftliche Macht Ausdruck wirtschaftlicher Überlegenheit: „Wer über wirtschaftliche Macht verfügt, ist in der Lage, die Handlungsfähigkeit anderer Wirtschafter auszunutzen und gegebenenfalls sogar die Willensentscheidungen anderer Wirtschafter im eigenen Interesse zu beeinflussen. Im Grenzfall entscheidet der Mächtige für den Schwachen.“ Dementsprechend hat die Europäische Kommission im Hinblick auf die Marktversorgung der Verbraucher als Marktmacht die Fähigkeit eines oder mehrerer Unternehmen bezeichnet, „Gewinn bringend ihre Preise zu erhöhen, den Absatz, die Auswahl oder Qualität der Waren oder Dienstleistungen zu verringern, die Innovation einzuschränken oder die Wettbewerbsparameter auf andere Weise zu beeinflussen.“207

205 206 207

Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Grundriß der Sozialökonomik, bearbeitet von G. Albrecht et al., Zweite vermehrte Auflage, 1. Halbband, Tübingen 1925, S. 28. Arndt, Helmut, Macht und Wettbewerb, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Cox, Helmut, et al., München 1981, S. 49 ff., 51. EK, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, in: ABl EG 2004 C 31, S. 5 ff., lit. 8, unter Berufung auf Department of Justice and Federal Trade Commission, Horizontal Merger Guidelines, in: Antitrust & Trade Regulation Report No. 1559 (1992), lit. 01 und Fn. 6.

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

101

Dabei lässt sich der Preissetzungsspielraum, den ein Unternehmen hat, mit Hilfe des LernerIndex erfassen, der die Abweichung des Preises eines Gutes von den Grenzkosten für die Herstellung dieses Gutes misst. In der Wettbewerbstheorie werden heute als Unterfälle horizontaler Marktmacht zwei Machtkonzepte vertreten:208



das traditionelle – von Cournot analysierte – Einzelmachtkonzept (Monopole und Teilmonopole) eines Unternehmens (sog. individuelle Marktbeherrschung i.S. des § 19 Abs. 2 lit. 1 GWB bzw. Art. 82 I EGV) sowie • das sog. Gruppenmachtkonzept, das von der Zielsetzung der gemeinsamen Gewinnmaximierung (joint profit maximization) von Unternehmensgruppen aufgrund eines quasi-agreements (Gruppendisziplin bzw. Preisführerschaft) i.S. des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB bzw. Art. 81 I EGV ausgeht.209 Die zunehmende Konzentration des Angebots fördert tendenziell die Entwicklung der für eine kollektive Marktkontrolle entscheidenden Interessensymmetrie und das Gruppenbewusstsein; es kommt zu einer sog. implizit (tacit) collusion. In der europäischen Wettbewerbspolitik spricht man von kollektiver Marktbeherrschung, die sich spieltheoretisch aus der hohen Reaktionsverbundenheit (insbes. infolge Konzentration, Homogenität und Transparenz) erklären lässt, welche vorstoßende individuelle Wettbewerbshandlungen wegen der zu erwartenden Sanktionen der Mitbewerber erschwert bzw. wirtschaftlich unmöglich macht. Das Gruppenmachtkonzept spielt allerdings in der Rechtsprechung bisher eine vergleichsweise geringe Rolle, da eine effiziente – sei es implizit-stillschweigende oder (verbotene) explizite – Koordinierung der Preise zur Beschränkung der Menge eine sehr geringe Zahl von Anbietern mit hoher Interdependenz voraussetzt. Wie im 3. Kapitel unter II bereits ausgeführt, ist aufgrund neuerer industrieökonomischer Forschungen das Machtproblem eher in der Kombination von hohem Marktanteil und starker Produktheterogenität infolge von Werbung (Markenartikel mit ausgeprägter Kundentreue) in den Händen dominierender Einzelunternehmen zu sehen.210 Die EK verwendet daher – nicht zuletzt aufgrund der Niederlage im Falle Airtours/First Choice (1999/2002) vor dem EuG – neuerdings den sog. SIEC(Significant Impediment to Effective Competition-) Test, um nicht koordinierte (einseitige) Effekte zu erfassen (vgl. 13. Kap. II 3).211 Der Erfolg bleibt abzuwarten. Von dieser (horizontalen) Marktmacht zu unterscheiden ist die sog. (vertikale) Partnermacht i.S. von Helmut Arndt212, bei welcher es nicht auf die Stellung auf dem relevanten Markt, sondern auf die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Marktpartnern (d.S. 208

209 210 211 212

Vgl. Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlußkontrolle, Frankfurt am Main 2006, Dritter Teil, wo individuelle und kollektive Marktbeherrschung sowie nicht koordinierte Effekte bei unterschiedlichen Wettbewerbsformen und ihre Erfassung behandelt werden. Vgl. den guten Überblick über die Entwicklung dieses Konzeptes bei Richter, Rudolf, Das Konkurrenzproblem im Oligopol, Berlin 1954, S. 39–58. Vgl. Schmalensee, Richard, Inter-industry Studies of Structure and Performance, in: Handbook of Industrial Organization Bd. 2, hrsg. von Schmalensee, R., und R. Willig, Amsterdam 1989, S. 951 ff., 998. Vgl. Airtours/First Choice, in. ABl EG 2001 L Nr. 143, S. 74 ff., und WuW/E EU-R 559 ff. Vgl. Arndt, op. cit., S. 56 ff. und 70 ff., sowie Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, S. 517 ff., die die verschiedensten Formen der Nachfragemacht (insbesondere das Monopson und Oligopson) und die dabei auftretenden vertikalen Preisbeziehungen analysieren.

102

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

Anbieter und Nachfrager) ankommt; je nachdem, wer dominiert, liegt Anbieter- oder Nachfragermacht vor. Der dominierende Marktpartner zwingt dem anderen Partner seinen Willen auf, was bis zur Ausbeutung des Marktpartners gehen kann. Das Konzept der (vertikalen) Partnermacht kann als Ausdruck des sog. Individualschutzes verstanden werden (vgl. dazu 5. Kap. Abschnitt I). Abweichend vom (horizontalen) Konzept der Marktbeherrschung, ist Partnermacht auch bei relativ geringem Marktanteil denkbar; entscheidend ist, ob die Entschließungsfreiheit eines der beiden Marktpartner im Hinblick auf das Vorliegen ausreichender und zumutbarer Alternativen (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 GWB) nachhaltig eingeschränkt ist oder nicht. Zum Beispiel spielen bei der Nachfragemacht des Handels die Entwicklungsphase des Marktes und damit das Vorliegen eines Käufermarktes (Angebot > Nachfrage) sowie die geringere Produktionsflexibilität der Industrie im Vergleich zur größeren Sortimentsflexibilität des Handels eine weit größere Rolle als der relative Marktanteil. Ein Verbrauchsverzicht des Handels – durch Nichtordern von Gütern – ist leichter zu leisten als ein Produktionsverzicht. Jedoch kann Partnermacht nur bei einer Beeinträchtigung des (horizontalen) Wettbewerbs vorliegen, die im Ergebnis zu einer Einschränkung von Alternativen und damit zu einer vertikalen Abhängigkeit führen kann. Das Konzept der vertikalen Partnermacht ist insofern kein eigenständiger Erklärungsansatz für Macht, sondern nur eine andere (vertikale) Betrachtungsweise desselben Phänomens. Angesichts der Schwierigkeiten bei der Erfassung horizontaler Wettbewerbsbeeinträchtigungen (Mosaiktheorie!) weist das Konzept der vertikalen Partnermacht eine größere Justitiabilität auf, was für eine ergänzende Verwendung dieses Konzeptes spricht. Ausdruck dieser Erkenntnis ist das Alternativenkonzept in § 20 II 1 GWB. Wirtschaftliche Macht als Gegenpol zu wirksamem Wettbewerb lässt sich aus zwei Überlegungen heraus adäquat nur negativ als Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungsund Entschließungsfreiheit definieren:213





213

Ausmaß und relative Verteilung der Freiheitsbereiche ändern sich durch Ablauf der Marktprozesse ständig, so dass Macht nur indirekt definiert werden kann, indem man präzisiert, wann die Wettbewerbsfreiheit ungebührlich beschränkt ist bzw. unvernünftige Macht vorliegt. Die Wettbewerbstheorie ist insofern eine Theorie der Wettbewerbsbeschränkungen, d.h. der Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- und Entschließungsfreiheit. Unangemessene Macht liegt daher dann vor, wenn die Handlungsfreiheit eines Wirtschaftssubjektes im Verhältnis zu den Freiheitsbereichen der anderen Marktteilnehmer ungebührlich groß ist. Eine negative Definition von unangemessener Macht (vgl. z.B. sec. 7 Clayton Act) ist im konkreten Fall zudem leichter anzuwenden (Gesichtspunkt der Operationalität bzw. Justitiabilität), wenn auf dem fraglichen Markt ein Vergleich zwischen dem Zustand ohne und mit künstlicher Wettbewerbsbeschränkung („before and after theory“) erfolgt. Ein Urteil, ob die Beschränkung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit reasonable im Hinblick auf Macht ist, lässt sich leichter abgeben, als wenn festgestellt werden soll, ob auf einem bestimmten Markt eine marktbeherrschende Stellung (§ 19 GWB bzw. Art. 82 EGV) erreicht wird; denn es fehlt dann i.d.R. an einem objektiven Bezugskrite-

Die Konkretisierung von Macht bzw. Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit erfolgt mit Hilfe von Strukturund Verhaltensmerkmalen.

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

103

rium, so dass ein hypothetischer Intensitätstest vorgenommen werden muss, was erhebliche Probleme und Beweisschwierigkeiten aufwirft. Bei der Frage, was angemessene oder unangemessene Macht ist, handelt es sich – wie auch in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik – um eine Ermessensentscheidung. Anders als z.B. bei der Geld- und Finanzpolitik sind diese Ermessensentscheidungen jedoch einer richterlichen Kontrolle unterworfen, was an die Justitiabilität der Kriterien entsprechend hohe Anforderungen stellt.

Übungsfragen zum 4. Kapitel 1. 2. 3. 4.

Warum ist der performance-Test als selbständiger Wettbewerbstest nicht geeignet? Begründen Sie, warum der marktwirtschaftliche Koordinierungsprozess adäquat nur mit Hilfe einer Marktprozessdefinition erfasst werden kann. Was verstehen Sie unter Macht? Schildern Sie die beiden Erklärungsansätze horizontaler Marktmacht sowie das Konzept der sog. vertikalen Partnermacht von Helmut Arndt. Warum lässt sich unangemessene Marktmacht leichter und adäquater negativ definieren?

Weiterführende Literaturhinweise zum 4. Kapitel Arndt, Helmut, Macht und Wettbewerb, in: Handbuch des Wettbewerbs: Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, hrsg. von Cox, Helmut, et al., München 1981, S. 49–79. Hoppmann, Erich, Workable Competition als wettbewerbspolitisches Konzept, in: Theoretische und institutionelle Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Theodor Wessels zum 65. Geburtstag, hrsg. von Hans Besters, Berlin 1967, S. 145–197. Inderst, Roman, und Christian Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik Bd. 9 (2008), S. 465 ff. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 58–82. Schmidt, Ingo, More economic approach: Ein wettbewerbspolitischer Fortschritt?, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S. 409 ff. ders., The Suitability of the More Economic Approach for Competition Policy: Dynamic v. Static Efficiency, in: ECLR 28 (2007), S. 408 ff. ders., More Economic Approach: Der performance-Test als „invitation to nonenforcement“, in: Quo vadis Wirtschaftspolitik – Ausgewählte Aspekte der aktuellen Diskussion: Festschrift für Norbert Eickhof, hrsg. von Grusevaja, Hösel, Wonke und Dunn, Schriften zur politischen Ökonomik, Frankfurt am Main u.a. 2008, S. 65 ff.

104

4. Kapitel: Das Problem adäquater Tests

Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlußkontrolle, Frankfurt am Main 2006.

5. Kapitel:

Konflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und anderen Zielsetzungen?

Bei der Umsetzung des theoretischen Konzeptes eines wirksamen Wettbewerbs ergibt sich das Problem, dass zwischen dem Ziel der Sicherung des Wettbewerbs sowie anderen Zielen Konflikte auftreten können. Derartige Zielkonflikte können einmal zwischen den verschiedenen Schutzobjekten der Wettbewerbspolitik: Individual- oder Institutionsschutz, zum anderen zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und der Realisierung von Kostenersparnissen, dem technischen Fortschritt, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sowie sonstigen Zielsetzungen bestehen.

I.

Zielkonflikt zwischen Individual- und Institutionsschutz?

(1) In der deutschen Wettbewerbspolitik ist teilweise kontrovers, ob Wettbewerb im Sinne der Sicherung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Marktbeteiligten (= Individualschutz) oder im Sinne der Aufrechterhaltung des anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus (= Institutionsschutz) zu verstehen ist.214 In der deutschen Diskussion werden drei Auffassungen hinsichtlich des Schutzobjektes des GWB vertreten:



Würdinger hat noch während der Vorarbeiten zum GWB die Ansicht geäußert, dass dieses Gesetz allein wirtschaftspolitische Zielsetzungen zum Gegenstand habe. Der Wettbewerb wird dabei lediglich als Instrument zur Wohlstandsmaximierung im Sinne einer Realisierung der vorgegebenen fünf ökonomischen Wettbewerbsfunktionen (Institutionsschutz) verstanden – im Gegensatz zum amerikanischen Antitrustrecht, das der Idee der individuellen Freiheit als einem ethischen Postulat entsprungen ist:215 „Das amerikanische Recht wird beherrscht von dem Wert der Person, das deutsche Recht von gesamtwirtschaftlicher ratio; jenes beruht auf einer absoluten Idee, dieses auf einer in ihrer Richtigkeit von verschiedenen und wechselnden Voraussetzungen bedingten ökonomischen Erkenntnis. Im amerikanischen Recht ist die Begründung der Notwendigkeit des Wettbewerbs verankert in dem sittlichen Freiheitsprinzip, das deutsche Recht schützt den Wettbewerb aus Gründen des materiellen Erfolges; es ist nichts anderes als in Form des Gesetzes vollzogene, auf Erhaltung der Marktwirtschaft gerichtete Wirtschaftspolitik.“

214

So konkurrieren beim Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB Individual- und Institutionsschutz als Schutzobjekte miteinander. Würdinger, H., Freiheit der persönlichen Entfaltung: Kartell- und Wettbewerbsrecht, Karlsruhe 1953, S. 9.

215

106

5. Kapitel: Zielkonflikte

Den Individualschutz, verstanden als wirtschaftliche Freiheit des einzelnen, will Würdinger nur als faktische Konsequenz, als Reflex des Wettbewerbs im Sinne des Institutionsschutzes verstanden wissen.216



Franz Jürgen Säcker hat unter Berufung auf Biedenkopf, Böhm, Fikentscher, Günther, Hoppmann, Kronstein, Lukes, Merz und Mestmäcker als ausschließlichen Schutzgegenstand des GWB den sogenannten Individualschutz im wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinne postuliert:217 „Primäre Zielsetzung der grundsätzlichen Kartellverbote der §§ 1 GWB, Art. 85 Abs. 1 EWGV ist die Sicherung der Individualfreiheit der einzelnen Marktteilnehmer durch rechtliche Bindung privater Macht, insbesondere durch Verhinderung von Einigung und Monopolisierungspraktiken zu Lasten unbeteiligter Dritter. Sicherung der Freiheit vor Vermachtung, nicht Wohlstandsmaximierung ist die oberste Zielsetzung der Kartellverbote. Bessere ‘market performances’ sind kein legitimer Rechtfertigungsgrund für die Aufhebung dezentralisierter Entscheidungsprozesse durch Wettbewerbsbeschränkungen, da die Sicherung des Wettbewerbs eben der Freiheit als einem höherrangigen Wert gilt.“



Die z. Zt. herrschende Meinung geht davon aus, dass das GWB den Wettbewerb sowohl als wirtschaftspolitisches Instrument als auch im Interesse der Handlungsfreiheit der Marktbeteiligten als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit von Art. 2 GG schützt:218 „Das GWB soll den Wettbewerb als notwendiges Element einer durch Angebot und Nachfrage über den Preis gesteuerten Marktwirtschaft schützen; zugleich dient es aber dem Schutz der Handlungsfreiheit des einzelnen als Vollzug der Freiheitsgarantie des Art. 2 GG sowie als Korrelat zu Vertragsfreiheit und Privatautonomie und sichert die Gleichheit der wirtschaftlichen und politischen Freiheitsrechte für alle Rechtsgenossen.“ (2) Nach Erich Hoppmann und Ernst-Joachim Mestmäcker219 kann allerdings kein Konflikt zwischen den beiden Schutzobjekten auftreten, da Wettbewerb als Entdeckungsverfahren verstanden wird. Es handele sich lediglich um zwei Aspekte des gleichen Schutzzweckes; bei einer Verletzung der individuellen Freiheit brauche daher keine – instrumentalem Denken verhaftete – Abwägung zwischen Individual- und Institutionsschutz vorgenommen zu werden.

216

217

218

219

So hat der BGH im Falle Hitlisten Platten, in: WuW/E BGH 2977 ff., eine Verletzung des Individualschutzes nur bei gleichzeitiger Verletzung des Institutionsschutzes angenommen, womit kleine und mittlere Unternehmen den Behinderungspraktiken von Großunternehmen weitgehend schutzlos ausgesetzt wären. Säcker, Franz Jürgen, Die Genossenschaften im System des deutschen und europäischen Kartellrechts, in: Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen – Zeitschrift für Strukturlehre der Einzelwirtschaften und für Einzelwirtschaftspolitik 9 (1971), S. 193 ff., 202–204. Koenigs, Folkmar, Wechselwirkungen zwischen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Recht des unlauteren Wettbewerbs, in: NJW 14 (1961), S. 1041 ff., 1041. Vgl. auch Gamm, Otto-Friedrich v., Das Verbot einer unbilligen Behinderung und einer sachlich nicht gerechtfertigten Diskriminierung: Ein Beitrag zum Spannungsverhältnis von GWB und UWG, in: NJW 33 (1980), S. 2489 ff., 2489: „Schutzzweck des GWB ist danach neben dem im öffentlichen Interesse liegenden Institutionsschutz auch der Individualschutz.“ Mestmäcker, Ernst-Joachim, Das Verhältnis des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen zum Privatrecht, in: DB 21 (1968), S. 787 ff. und 835 ff., insbes. S. 790.

5. Kapitel: Zielkonflikte

107

Dagegen wird von anderen Autoren auf mögliche Zielkonflikte hingewiesen und die insbesondere von Hoppmann und Mestmäcker vertretene Harmoniethese, dass es sich um zwei Aspekte des gleichen Schutzzweckes handele, als wirklichkeitsfremd zurückgewiesen:220 „Zielkonflikte auf normativer Ebene können nicht ausgeschlossen werden, weil in der Realität verschiedene Freiheitsgrade und Wettbewerbsintensitäten bestehen, die nicht gleichmäßig mit guten ökonomischen Ergebnissen korreliert sein müssen. Weder Hoppmann noch Mestmäcker geben ausreichende operationale Definitionen der von ihnen verwandten Begriffe Wettbewerbsfreiheit und gute ökonomische Marktergebnisse. Sie halten solche Definitionen für verzichtbar, weil tatsächliche Marktergebnisse nichts darüber aussagten, inwieweit sie auf die Freiheit des Wettbewerbs zurückzuführen seien. Damit aber erweist sich der Satz ,Freiheit des Wettbewerbs‘ und ,gute ökonomische Marktergebnisse‘ seien ,zwei Aspekte einer Gesamtheit‘, als verbale Konfliktharmonisierung, die insoweit dem klassischen Harmoniedenken der liberalen Wettbewerbsphilosophie verhaftet bleibt.“ (3) Zielkonflikte treten unter anderem bei der wettbewerbspolitischen Beurteilung von Preisdifferenzierungen auf, die einerseits den Wettbewerb auf oligopolistischen Märkten erheblich beleben, andererseits jedoch zur Beeinträchtigung der Chancengleichheit anderer Unternehmen führen können.221 Diese Konflikte gehen maßgeblich darauf zurück, dass das Vorliegen von wirksamem Wettbewerb erst bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV verneint wird, Wettbewerbsbeschränkungen jedoch auch vor dieser sehr spät liegenden Schwelle auftreten können, so dass der sog. Individualschutz auch verletzt werden kann, ohne dass der Institutionsschutz verletzt wird.

II.

Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer Realisierung von Kostenersparnissen?

Von einer Reihe von Autoren222, wie Joseph A. Schumpeter und danach insbesondere Galbraith, Kaplan, Lilienthal, Salin und Villard, ist die These aufgestellt worden, dass der Kon220

221

222

Säcker, Franz Jürgen, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, Düsseldorf 1971, S. 19. Vgl. auch Schlecht, Otto, Wettbewerb als ständige Aufgabe, Tübingen 1975, S. 13 ff., der ebenfalls von einer verbalen Konfliktharmonie spricht. Edwards, Corwin D., The Price Discrimination Law: A Review of Experience, Washington, D.C. 1959, S. 580 und 643: “The policy of the law should be to reconcile so far as possible two objectives: freedom for businessmen to price their goods flexibly in response to the varying pressures of the market, and curbs on exercise of that freedom in ways that thwart the objectives of the statute as to competition and competitive opportunity … Under either formulation, what must be sought is a balance that reconciles the liberty of the enterprise with the continuance of liberty in the relationships among their enterprises and among consumers … The problem of public policy will be to evaluate the effects in the primary and secondary lines in order to make sure that the accomplishments in the secondary line are not obtained at too great a cost of adverse effects in the primary line.” Vgl. Schumpeter, Joseph A., Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1942; Galbraith, John Kenneth, American Capitalism – The Concept of Countervailing Power, Boston 1952; Kaplan, A. D. H., Big Enterprise in a Competitive System, Washington, D.C. 1954; Lilienthal, David E., Big Business – A New Era, New York 1952; Salin, Edgar, Soziologische Aspekte der Konzentration, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, hrsg. von Neumark, F., Berlin 1961, S. 16–44; Villard, Henry H., Competition, Oligopoly, and Research, in: JPolE 64 (1958), S. 483 ff.

108

5. Kapitel: Zielkonflikte

zentrationsprozess im Interesse der Erzielung von economies of scale und des technischen Fortschritts notwendig und wünschenswert sei. Wenn also die Produktionsbedingungen durch das Phänomen steigender Skalenerträge (economies of scale) gekennzeichnet wären, würde das Ziel der Wohlstandssteigerung die Errichtung von kostengünstig arbeitenden Großunternehmen erfordern. Der generelle Einwand, dass der technische Fortschritt einen Zwang zur Konzentration ausübe und daher eine Fusionskontrolle überflüssig, wenn nicht schädlich sei, stützt sich auf zwei Hauptargumente:



Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer Realisierung der optimalen Betriebs- und Unternehmensgröße bei gegebenem technischen Wissen (traditionelle defense-These) und • Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer für den technischen Fortschritt erforderlichen Betriebs- und Unternehmensgröße (new defenseThese). Wenn das Gesetz der Massenproduktion, der Trend zu immer größeren Unternehmenseinheiten aufgrund der technischen Entwicklung und die Notwendigkeit von Großunternehmen für Forschung und Entwicklung generell zuträfen, so wäre der Konzentrationsprozess technisch determiniert und unter den Zielen einer billigen Versorgung mit Gütern und einer hohen Wachstumsrate zu fördern. Abgesehen von gesellschaftspolitischen Überlegungen wäre eine Fusionskontrolle dann ein Anachronismus. Dieses als „Dilemma-These“ bekannte Phänomen lässt sich auf eine Frage reduzieren: Sind Großunternehmen für eine gesamtwirtschaftliche Wohlstandssteigerung erforderlich, und ergeben sich damit Zielkonflikte der oben geschilderten Art? Insbesondere die Hearings des Subcommittee on Antitrust and Monopoly des amerikanischen Senats über „Economic Concentration“223 haben eine Fülle von empirischem Material zu diesen Fragenkomplexen gebracht, die zumindest gewisse Aussagen über Art und Ausmaß der behaupteten Zielkonflikte ermöglichen. Diese empirische Basis ist in den siebziger Jahren durch einige Untersuchungen verbreitert worden.224 Dabei lag das Schwergewicht auf der Analyse der beiden sog. Neo-Schumpeter-Hypothesen.225 Der behauptete Zielkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und economies of scale unterstellt – bei kurzfristig gegebener Produktionstechnik – eine generell positive Korrelation zwischen Betriebs- und Unternehmensgröße einerseits sowie der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens andererseits, die hauptsächlich an: 223

224

225

Vgl. Economic Concentration: Hearings before the Subcommittee on Antitrust and Monopoly of the Committee on the Judiciary, United States Senate, US Government Printing Office, Washington, D.C. 1964–1969, im Folgenden als Hearings Part 1–8 a zitiert. Eine gute Auswertung der Hearings findet sich bei Petry, Horst, Technischer Fortschritt, Integration, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmensgröße, in: JbNSt 183 (1969), S. 271 ff. Vgl. Tabbert, Jörg, Unternehmensgröße, Marktstruktur und technischer Fortschritt, Göttingen 1974; Müller, Udo, Wettbewerb, Unternehmenskonzentration und Innovation, Göttingen 1975; vgl. ferner die lfd. Veröffentlichungen in: The Journal of Industrial Economics und The Review of Economics and Statistics. Vgl. auch den guten Überblick von Kamien, Morton I., und Nancy L. Schwartz, Market Structure and Innovation, Cambridge 1982. Vgl. Müller, Udo, op. cit., S. 63–116, der insbesd. folgende Beziehungen untersucht: – Neo-Schumpeter-Hypothese I: Absolute Unternehmensgröße und F. & E.-Aktivität sind positiv korreliert. – Neo-Schumpeter-Hypothese II: Relative Unternehmenskonzentration und F. & E.-Aktivität sind positiv korreliert.

5. Kapitel: Zielkonflikte

109

• den Kosten (sog. cost estimation-approach), • der Fähigkeit eines Unternehmens zum Überleben (sog. survivor-approach) oder • dem Gewinn (sog. profitability-approach) gemessen werden kann.226 Während es bei der in der Vergangenheit im Vordergrund stehenden Frage der Realisierung von economies of scale i.w.S. um eine evtl. Rechtfertigung der horizontalen Integration geht, wird mit Hilfe der transaction-cost economies227 bzw. economies of scope versucht, die vertikale bzw. konglomerate Konzentration durch Kostenersparnisse zu rechtfertigen.

1.

Darstellung von economies of scale

a) Economies of scale und ihre Bedeutung für die Marktstruktur228 Im Folgenden soll von einer gegebenen Produktionskapazität ausgegangen werden. Liegen economies of scale vor, bedeutet dies, dass die durchschnittlichen totalen Kosten (DTK) bei einer Vergrößerung der Ausbringungsmenge bis zur sog. mindestoptimalen Betriebsgröße sinken. In Abb.6 sind dies die mit MOS (minimum optimal scale) auf der Abszisse gekennzeichneten Punkte. Das Ausmaß und die Kostenrelevanz von economies of scale können sehr unterschiedlich sein und hängen von den spezifischen Produktionsverhältnissen in einer Industrie ab. In Abb. 6 sind vier verschiedene Fälle eingezeichnet.

DTK p

A

B

B

C p = DTK

min

C

A

MOS

Abb. 6:

Marktnachfragekurve

D

A bzw. B

A

MOS

C

A u. D

MOS

D

q

economies of scale bei unterschiedlichen Produktionsfunktionen

Während bei einer ertragsgesetzlichen Produktionsfunktion die DTK-Kurve einen Uförmigen Verlauf annimmt (Kurven B und C), ist sie bei einer Leontiefschen Produktionsfunktion und Existenz von Fixkosten L-förmig (Kurven A und D).

226

227 228

Einen guten Überblick über die Konzepte zur Ermittlung von Kostenersparnissen gibt Kaufer, Erich, Industrieökonomik: Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie, München 1980, S. 58–85. Vgl. auch Monopolkommission, 6. Hauptgutachten 1984/85: Gesamtwirtschaftliche Chancen und Risiken wachsender Unternehmensgrößen, Baden-Baden 1986, Tz. 600–604. Vgl. dazu – aufbauend auf Coase (1937) – Williamson, O. E., Transaction-Cost Economics: The Governance of Contractual Relations, in: JLE 22 (1979), S. 233–261. Vgl. die Darstellung bei Shepherd, William G., The Economics of Industrial Organization, 4. Aufl., Englewood Cliffs, N.J. 1997, S. 166 ff., 171.

110

5. Kapitel: Zielkonflikte

Der Kostennachteil eines Unternehmens, das weniger als die relevante MOS-Outputmenge anbietet, kann an der Kostengradiente (Kostenanstieg bei suboptimaler Ausbringung) der entsprechenden DTK-Kurve abgelesen werden. Ein Unternehmen, das links von MOSB produziert, hat schwerwiegendere Kostennachteile zu akzeptieren, als wenn es im Falle der Kostenfunktion C links von MOSC produziert (flachere Kostengradiente). Abb. 6 gibt auch Aufschlüsse über die theoretisch mögliche Anbieterzahl im Verhältnis zum Marktvolumen (relative mindestoptimale Betriebsgröße). Bei Gültigkeit der DTK-Kurve B können sich relativ viele Unternehmen mit einer Produktionsmenge von MOSB etablieren, bis die von ihnen produzierte Menge am Markt nur noch bei einem Preis in Höhe von DTKmin abgesetzt werden kann. Es ist daher tendenziell eine polypolistische Anbieterstruktur zu erwarten. Anders verhält es sich bei der DTK-Kurve C. Hier genügen bereits wenige Anbieter, um mit einer Ausbringungsmenge von MOSC das Nachfragevolumen bei P = DTKmin zu befriedigen; die Folge ist ein Oligopol. Bei der DTK-Kurve D könnte sogar nur ein Anbieter effizient bei MOSD produzieren, so dass man von einem natürlichen Monopol spricht. Keine Aussage über die zu erwartende Anbieterzahl erlaubt hingegen die DTK-Kurve A; denn es können entweder viele Anbieter mit einem Output in Höhe von MOSA auftreten, oder ein bzw. wenige Unternehmen befriedigen die Marktnachfrage. Die Ursache liegt in dem L-förmigen Verlauf der DTK-Kurve A, der deutlich macht, dass die relevanten Produktionsverhältnisse eine große Bandbreite an Outputmengen zulassen, ohne dass Kostennachteile auftreten. b) Ursachen von economies of scale Die Ursachen von economies of scale sind vielfältig (vgl. Abb. 7)229. Einzelne Komponenten dieser Ursachen können additiv, substitutiv oder komplementär zueinander sein. Unterschieden werden soll zunächst zwischen realen scale economies als volkswirtschaftlichen Ersparnissen und pekuniären scale economies als einer veränderten Verteilung aufgrund von Marktmacht. Die realen scale economies können einmal angebotsseitig in den verschiedenen Funktionsbereichen eines Unternehmens: Produktion, Absatz, Management, Transport und Lagerhaltung auftreten, zum anderen nachfrageseitig im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten. In der Produktion sind Skaleneffekte u.a. bei Spezialisierung und Fachkenntnis zu verzeichnen. Die Spezialisierungsvorteile werden in jüngster Zeit dahingehend interpretiert, dass zunehmende Arbeitsteilung zwar einerseits Fachkenntnisse produziere, die Kosteneinsparungen ermögliche, andererseits aber ein trade-off zur Motivation der Industriearbeiter infolge monotoner und damit demotivierender Arbeitsabläufe bestehe. Organisationstheoretisch und praktisch wird dem damit begegnet, dass die Produktionsebene die Arbeitsteilung selbst gestaltet und zunehmend mehr Gruppenarbeit in der Fertigung eingeführt wird (z.B. Automobilindustrie). Die Ersparnisse auf der Absatzseite treten insbesondere beim Modellwechsel in dynamischer Sicht auf. Die Produktzyklen sind dabei nicht nur Vorgabe für die Produktion, sondern auch für die Werbung, deren Kosten mit zunehmender Lebenszeit des Produktes abnehmen. Im Management werden einerseits durch die Einführung moderner Informationstechniken Kostenvorteile realisiert. Andererseits bedingt die Umstellung zu flexiblerer Gruppenferti229

In Anlehnung an Koutsoyiannes, A., Modern Microeconomics, 2. Aufl., London, Basingstoke 1981 (Reprint), S. 127 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

111

gung auch im Management die Einführung sog. Lean-Konzepte, welche eine Verlagerung der Kompetenzen mit sich bringen und durch sog. Profit-Center die Gewinnerzielung und Kosteneinsparung in den Verantwortungsbereich der Funktionsgruppe legen. Der Transport von Produkten ist in zweierlei Hinsicht ursächlich für scale economies. Zum einen ist die Entfernung vom Produktions- zum Vermarktungsort relevant. Zum anderen ist der relative Anteil der Transportkosten an dem Gesamtwert (Gesamtkosten) des Produktes Ansatzpunkt für Kostenersparnisse. Mit zunehmender Betriebsgröße kann es lohnend sein, eine eigene Transportflotte zu halten, deren Auslastung, Fahrplan und -strecke über moderne logistische Systeme optimiert werden. Die Transportkostenkurve wird (abgesehen vom Fall sprungfixer Kosten) fallen und bei transportkostenintensiven Produkten in Abhängigkeit von der Entfernung dann wieder ansteigen. Die mindestoptimale Betriebsgröße kann dadurch verändert werden. Die Gefahr von X-ineffizienzen kann allerdings auch zu einem outsourcing der Transportleistungen führen (Desintegration). Im Falle von Versorgungsnetzen (z.B. Gas, Wasser, Licht, Telekommunikation, Kreditkarten, Geldautomaten oder Verkehrswirtschaft) nimmt der Wert eines Netzes mit der Anzahl seiner Nutzer zu; d.h., je mehr Haushalte oder Unternehmen in einem räumlich relevanten Markt an das Netzwerk angeschlossen sind (Versorgungsdichte), desto größer ist der Wert für den einzelnen Marktteilnehmer. Dieser benutzerabhängige Größenvorteil wird als positiver Netzeffekt oder Dichtevorteil (economies of density) bezeichnet. Im Gegensatz zu den angebotsseitigen möglichen internen Kostenersparnissen in den traditionellen Funktionsbereichen eines Unternehmens (s.o.) können durch steigende Versorgungsdichte in einem geographisch abgegrenzten Markt im Falle von Netzwerken die benutzerabhängigen Ersparnisse grundsätzlich unbeschränkt zunehmen.230 Abbildung 7 gibt einen Überblick über die Ursachen von economies of scale. c) Realisierung von economies of scale bei langfristiger Betrachtung Bei der Darstellung von economies of scale ist bisher von einer kurzfristigen Betrachtung ausgegangen worden, d.h., der Zusammenhang zwischen den Ausbringungsmengen q und den durchschnittlichen totalen Kosten DTK ist bei gegebener Produktionskapazität, jedoch unterschiedlicher Kapazitätsauslastung dargestellt worden. Von dieser kurzfristigen Sicht zu unterscheiden ist eine langfristige Betrachtungsweise der durchschnittlichen totalen Kosten, wie sie auch den unten vorgestellten empirischen Studien zugrundeliegt. Die langfristige DTK-Kurve (LDTK) zeigt als Umhüllende mehrerer kurzfristiger DTKKurven (DTK1, DTK2) bei variabler Technik den Zusammenhang zwischen Output-Menge und Durchschnittskosten für unterschiedliche Betriebs- bzw. Unternehmensgrößen. In einer solchen langfristigen Betrachtung sind alle Kosten variabel; eine Kapazitätsgrenze existiert nicht. Den typischen Verlauf einer langfristigen DTK-Kurve zeigt Abb. 8 (s.u.).

230

Vgl. Kruse, Jörn, Ökonomie der Monopolregulierung, Wirtschaftspolitische Studien Nr. 70, Göttingen 1985, S. 33 f., und Knieps, Günter, Wettbewerbsökonomie: Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik, 2. Auflage, Heidelberg 2005, S. 22. Vgl. im Hinblick auf die Besonderheiten der New Economy, die durch ein System von – durch Kompatibilitätsstandards miteinander verknüpfte – Komplementärprodukten und/oder -leistungen charakterisiert ist, auch Röller, Lars-Hendrik, und Christian Wey, Internationale Wettbewerbspolitik in der neuen Weltwirtschaft, in: Die Soziale Marktwirtschaft in der neuen Weltwirtschaft, hrsg. von Röller und Wey, WZB-Jahrbuch 2001, S. 169 ff., 186 f.

112

5. Kapitel: Zielkonflikte economies of scale

pekuniäre economies of scale aufgrund von Marktmacht

reale economies of scale

Produktion

Absatz/Werbung

Management (z.T. Produktion, z.T. Marketing)

Arbeit: - Spezialisierungund Fachkenntnis - Automatisierung (Bandstraßen) - Lernkosteneffekte

Größenvorteile der Absatzförderung

Dezentralisierung des Entscheidungsprozesses; Spezialisierung der Managementfunktionen

technische Kostenersparnisse: - Spezialisierung, Unteilbarkeiten - Einrichtungs- und Umrüstungskosten von Mehrzweckmaschinen - fixe Kosten der Aufnahme neuer Produktion/ Produkte - konstruktionstechnische Beziehungen aufgrund der sog. 2/3-Regel - geringere prozentuale Reservekapazität (Maschine/ Reparaturarbeiten)

Ausschließlichkeitsbindungen

Größenkostenersparnisse bei verzögertem Modellwechsel (Fixkostendegression)

Zeiteinsparende Managementtechniken (z.B. elektronische Datenkontrollsysteme)

Transport und Lagerhaltung

Zentralisierte Lagerhaltung

Zusammengefaßter Transport (Logistiksystem)

geringere Preise wegen kostenminimaler Bestellmenge von Vorprodukten (Bestellmengenoptimierung) geringere Finanzierungskosten geringere Werbungskosten geringere Transportkosten geringere Löhne/ Gehälter wegen Nachfragemacht oder wegen des Prestiges von Großunternehmen

stochastische Kostenersparnisse bei der Vorratshaltung für: - Rohmaterial - Fertigprodukte - Ersatzteile Abb. 7:

Ursachen von economies of scale

Bis zu MOS1 werden mit zunehmendem Output q Kostenvorteile realisiert, die auch bei einer Erhöhung der Betriebsgröße bis zu MOS2 erhalten bleiben; darüber hinaus führen „managerial diseconomies of scale“ (sog. X-Ineffizienzen i.S. von Leibenstein – s.u. Abschnitt 2e) zu einem Kostenanstieg.231 Bei langfristiger Betrachtung stellt sich die Stückkostenkurve LDTK daher als eine Kombination von L-förmigem (bis MOS2) und U-förmigem Kostenverlauf (ab MOS2) dar. Die Kontroverse Gutenberg/Mellerowicz aus den 50er Jahren über den typischen Kostenverlauf hat insofern einen gewissen Abschluss gefunden. 231

Vgl. Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Boston u.a. 1990, S. 106 f.

5. Kapitel: Zielkonflikte

113

DTK LDTK DTK 1

DTK 2

MOS1 Abb. 8:

LDTK

q

MOS 2

economies of scale bei langfristiger Betrachtung

d) Learning-by-doing economies232 Economies of scale besitzen auch eine dynamische Dimension; denn die Stückkosten eines Unternehmens hängen nicht nur von der aktuellen Produktionsmenge, sondern auch von der in der Vergangenheit produzierten Menge ab. Je höher der Output eines Unternehmens in der Vergangenheit war, desto niedriger sind ceteris paribus die Stückkosten des Unternehmens, da das Unternehmen im Zeitablauf aufgrund seiner Erfahrungen lernt, den Produktionsprozess effizienter zu gestalten. Dieser als learning-by-doing bezeichnete Prozess kann zu Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens gegenüber Newcomern führen. Das Phänomen ist seit langem in Unternehmen und Haushalten bekannt, wurde aber zuerst beobachtet und als ökonomisches Konzept formuliert bei der Massenproduktion von Flugzeugen während des 2. Weltkrieges. DTK

DTK DTK DTK 0 Abb. 9:

q1

q2

q3

q4

kumulierter Output

Lernkosteneffekte bei kumuliertem Output im Zeitablauf

Abb. 9 verdeutlicht alternative Lernkostenkurven (DTK1, DTK2 bzw. DTK3) bei kumuliertem Output im Zeitablauf. Wenn learning-by-doing economies eine große Rolle spielen (so im Fall DTK3), könnte dadurch eine Monopolisierungstendenz ausgelöst werden, die jedoch durch verschiedene Faktoren gemildert wird: 232

Vgl. Scherer und Ross, op.cit., S. 98 und 372 f.; Shepherd, op.cit., S. 175 ff.; erstmals bei Arrow, Kenneth J., The Economics of Learning by Doing, in: Review of Economic Studies 29 (1962), S. 155–173.

114

5. Kapitel: Zielkonflikte



Das Potential für Kostenersparnisse durch learning-by-doing sinkt im Zeitablauf, da die ständige Wiederholung der Produktionsabläufe immer weniger neue Erfahrungen mit sich bringt. • Im Zeitablauf werden sich die Produktionserfahrungen eines Unternehmens durch den Wechsel von Mitarbeitern, das Auslaufen von Patenten und das Publik werden von Produktionstechniken nicht geheim halten lassen (spill over-Effekt), so dass die Kostennachteile der Konkurrenten geringer sein werden als im Falle vollkommen unternehmensspezifischer Lernkurven. • Im Falle eines raschen Technologiewechsels gehen die Vorteile der Lernkurve verloren; ein newcomer kann sehr rasch eine neue überlegene Lernkurve realisieren. Falls Lernkosten-Ersparnisse wesentlich sind, wird die Konzentrationstendenz auf den entsprechenden Produktmärkten verstärkt.

2.

Messung und Bedeutung von economies of scale

a) Der cost estimation-approach Beim Kostenkonzept wird die Leistungsfähigkeit der Betriebe oder Unternehmen daran gemessen, mit welchen Kosten eine bestimmte gegebene Gütermenge produziert wird. Da ein direkter Stückkostenvergleich für ein bestimmtes Produkt in einer Industrie mit unterschiedlich großen Betrieben oder Unternehmen wegen der Weigerung der Industrie, derartige Angaben zu machen, auch in den USA nicht möglich war, musste den in den Hearings zugrunde liegenden Untersuchungen auf eine indirekte Methode zur Feststellung von plant oder firm (= multiplant) economies of scale zurückgegriffen werden, indem Fachleute aus den zu untersuchenden Branchen befragt wurden. Das Ergebnis der in den Hearings vorgetragenen Untersuchungen besagt, dass die optimale Betriebsgröße bzw. optimale Mindestgröße („minimum optimal scale“) in den einzelnen Branchen stark differiert. Firm oder multiplant economies of scale konnten dagegen relativ selten festgestellt werden. In den USA waren aufgrund dieser Untersuchungen sowohl die Betriebs- als auch die Unternehmensgrößen meistens höher, als es die Existenz von „plant or firm economies of scale“ gerechtfertigt hätte. Über die in den Hearings angeführten Expertenaussagen hinaus sind insbesondere folgende Untersuchungen von Interesse. (1) Anfang der fünfziger Jahre wurde in einer Studie von Bain233 von Managern der Beginn des optimalen Betriebsbereiches in 20 Industrien (Branchen) geschätzt. Dabei ergab sich, dass die optimale Betriebsgröße für ein Unternehmen bei 0,25 % bis 30 % der Gesamtkapazität der Branche liegt. Für die Mehrheit der Branchen konnte jedoch festgestellt werden, dass eine voraussichtlich kompetitive Marktstruktur nicht mit einem Verzicht auf nennenswerte Größenvorteile in Produktion und Distribution verbunden ist. (2) Eine Untersuchung von Scherer sollte für zwölf Branchen ermitteln, wie hoch die jeweils maximal erforderliche Zahl der Betriebe ist, um die 1967 in 6 Nationen verbrauchten Produkte dieser Branchen effizient zu produzieren. Als Ergebnis konnte festgehalten werden,

233

Vgl. Bain, Joe S., Economies of Scale, Concentration and the Condition of Entry in Twenty Manufacturing Industries, in: AER 44 (1954), S. 15 ff., 38 f.

5. Kapitel: Zielkonflikte

115

dass in der Regel die Anzahl der entsprechenden Betriebe mit mindest-optimaler Größe mit einer voraussichtlich kompetitiven Marktstruktur vereinbar war (vgl. Tab.5).234 Tab. 5:

The Number of MOS Plants Compatible with Domestic Consumption in the Six Nations, circa 1967

Industry Brewing Cigarettes Fabrics Paints Petroleum refining Shoes Glass bottles Cement Steel Bearings Refrigerators Storage batteries

U.S. 29.0 15.2 451.7 69.8 51.6

Canada 2.9 1.3 17.4 6.3 6.0

Nation U.K. 10.9 3.3 57.0 9.8 8.6

Sweden 0,7 0,3 10,4 2,0 2,5

France 4.5 1.6 56.9 6.6 7.7

Germany 16.1 2.8 52.1 8.4 9.9

532.0 65.5 59.0 38.9 72.0 7.1 53.5

59.2 7.2 6.6 2.6 5.9 0.7 4.6

164.5 11.1 16.5 6.5 22.8 1.2 7.7

23,0 1,7 3,5 1,5 3,3 0,5 1,4

128.2 6.6 21.7 5.5 17.0 1.7 12.8

196.9 7.9 28.8 10.1 n.a. 2.8 10.5

(3) Die Monopolkommission hat in ihrem 6. Hauptgutachten235 Ursachen, Ausmaß und Bedeutung von Betriebsgrößenvorteilen mittels sog. Ingenieurschätzungen in 18 Branchen untersucht. Danach können Betriebsgrößenersparnisse auf folgende Ursachen zurückgeführt werden:

• Spezialisierungsvorteile aus Arbeitsteilung, • konstruktionstechnische Beziehungen (sog. Zwei-Drittel-Regel)236, • Ersparnisse aus zentralisierter Reservehaltung, • unterschiedliche Kapazitätsgrößen bei aufeinanderfolgenden Fertigungsstufen (Prinzip des • kleinsten gemeinsamen Vielfachen) und • Losgrößenersparnisse. Das Ausmaß von Betriebsgrößenvorteilen ergibt sich aus Tabelle 6, wonach die Mehrzahl der untersuchten Branchen eine – relativ zum inländischen Produktionsvolumen – hohe mindestoptimale Betriebsgröße (MOTB) aufweist. Die reine Inlandsproduktion hätte in diesen Branchen von einer relativ geringen Zahl von MOTB-Betrieben bestritten werden können. Im überwiegenden Teil der untersuchten Branchen – ausgenommen PKW, Mineralölverarbeitung und Zement – ist die Anbieterkonzentration geringer als zur Ausnutzung der technischen Betriebsgrößenvorteile erforderlich wäre, was mit der Notwendigkeit einer weiteren Konzentration gleichbedeutend wäre. 234

235 236

Vgl. Scherer, Frederic M., The Determinants of Industrial Plant Sizes in Six Nations, in: RevESt 55 (1973), S. 135 ff., 141, und ders. et al., The Economics of Multi-Plant Operation: An International Comparisons Study, Cambridge, Mass. und London 1975, S. 94. Vgl. auch Weiss, Leonard W., Optimal Plant Size and the Extent of Sub-Optimal Capacity, in: Masson, Robert T., und P.D. Qualls (Hrsg.), Essays on Industrial Organization in Honor of Joe S. Bain, Cambridge, Mass. 1976, S. 126–34. Vgl. Monopolkommission, 6. Hauptgutachten, op. cit., Tz. 589 ff. Die ingenieurwissenschaftliche Zwei-Drittel-Regel bedeutet, dass sich die Kapazität durch eine Vergrößerung des Umfanges erhöhen lässt, wobei eine Kapazitätserhöhung um ca. 1 i.d.R. mit einem Anstieg der Materialkosten in Höhe von nur ca. zwei Drittel verbunden ist.

70 14

mittel gering mittel mittel mittel hoch hoch hoch mittel gering gering hoch

0,5 Mio t/Jahr 0,55 Mio. t/Jahr 0,35 Mio. t/Jahr 9,6-12 Mio. t/Jahr 0,7-0,8 Mio. t/Jahr 1,3 Mio. t/Jahr 2,8 Mio. hl/Jahr 70 Mrd. Stück/Jahr . 150-180 Tsd. Exemplare/Tag

31 2 5 3 44 . .

16 28 12

93 6 15 9 >100 . .

48 87 36

>100 42

100 >100 33-51

47,9-62,5 . 47,6 11,5 62,0 . .

46,0 89,0 45,8

99,0 43,6-61,7

38,2 . 69,7

1 Der Herstellstückkostennachteil wird als gering, mittel bzw. hoch bezeichnet, wenn er unter 5%, zwischen 5 und 10% bzw. über 10% beträgt.

keine Angabe = .

33-56 62-77 11-17

gering . mittel

1,3-2,2 Mio. Stück/Jahr 0,8-1,0 Mio. Stück/Jahr 0,4-0,5 Mio. Anschlußeinheiten/Jahr 500 Tsd. Stück/Jahr 10 Mio. t/Jahr

42 >100 >100 >100 >100 >100 75

Anteil von drei MOTB-Anbietern 1984 (%)

. . . . . . .

. . .

100 .

. . .

tatsächliche Konzentration: Anteil der drei größten Anbieter am Produktions- an der Prowert der Güterduktionsmenklasse ge der Pro1984 (%) duktgruppe 1984 (%) 64,2 64,8 91,3-97,6 97,9 69,9 . . 100 . 100 69,5 . 60,5 .

Tab. 6:

14 100 >100 >100 >100 56 25

ho c h hoch hoch mittel . hoch mittel

500 Tsd. Einheiten/Jahr 200 Tsd. Einheiten/Jahr 100-120 Tsd. Einheiten/Jahr 20 Tsd. Einheiten/Jahr 200 Tsd. Einheiten/Jahr 1,5 Mio. Einheiten/Jahr 9 Mio. Stück/Jahr

Pkw Lk w Ackerschlepper Mähdrescher Motorräder Kühl- und Gefrierschränke Reifen Unterhaltungselektronik - Farbfernsehgeräte - Videorecorder Digitale Telefonvermittlungseinrichtungen Elektronische Schreibmaschinen Mineralölprodukte Chemische Grundstoffe - Äthylen - Ammioniak - Schwefelsäure Stahl - integriertes Hüttenwerk - Ministahlwerk Zement Bier Zigaretten Tiefdruckerzeugnisse Regionale Abonnementtageszeitungen

Herstellstückkostennachteil bei einem Drittel der MOTB1

mindestoptimale technische Betriebsgröße (MOTB) (Produktionsmenge/Jahr)

Produktgruppe

technisch bedingte Konzentration Anteil eines MOTB-Anbieters 1984 (%)

116 5. Kapitel: Zielkonflikte

Ausmaß von Betriebsgrößenvorteilen und Anbieterkonzentration in 18 Branchen

5. Kapitel: Zielkonflikte

117

Die Bedeutung von Betriebsgrößenersparnissen wird allerdings durch folgende Faktoren relativiert:

• • • • •

Die Herstell-Stückkostennachteile liegen bei fast zwei Drittel der untersuchten Branchen unter 10 %. Die Transportkostenbelastung, insbesondere bei Bier und Zement, begrenzt die Betriebsgröße auf die im regionalen Absatzmarkt absetzbare Produktionsmenge. Um auf Nachfrageschwankungen flexibel reagieren zu können, sind Betriebsgrößen notwendig, die unterhalb der MOTB liegen können. Geringere MOTBs sind durch Ausgliederung von Fertigungsstufen sowie durch Fremdbezug möglich. Wenn in den betreffenden Branchen ein hoher Exportanteil zu verzeichnen ist, so können z.B. bei einem Exportanteil von 50 % (und fehlendem Import) unter Ausnutzung der MOTB doppelt so viele Unternehmen tätig sein.

b) Der survivor-approach Beim survivor-approach wird die Leistungsfähigkeit von Betrieben (indirekt) daran gemessen, wie sich die relativen Anteile von Gruppen von Betrieben in einem bestimmten Industriezweig im Zeitablauf entwickelt haben. Es werden dazu verschiedene Betriebe einer Branche in Größenklassen unterteilt, wobei als Bezugsgröße die Beschäftigungszahl oder die Produktionskapazität dienen. Entscheidend ist dann die Entwicklung der Anteile der einzelnen Größenklassen am Output der bestimmten Branche über einen bestimmten Zeitablauf: diejenige Größenklasse, die ihren Anteil im Laufe der Zeit am stärksten erhöhen konnte, war überlegen und wird auch in Zukunft bei gleichbleibendem Trend überlegen bleiben und sich als vorteilhaft erweisen. Stigler charakterisiert diese Vorgehensweise wie folgt:237 “(C)lassify the firms in an industry by size, and calculate the share of industry output coming from each class over time. If the share of a given class falls, it is relatively inefficient, and in general is more inefficient the more rapidly the share falls.” Shepherd238 untersuchte auf diese Art und Weise 117 Branchen und kam zu dem Ergebnis, dass in 78 Branchen der Anteil der Großbetriebe zurückging. Die in den Hearings vorgelegten Ergebnisse ließen keine generelle Überlegenheit der Großbetriebe erkennen. Weiss239 zeigt in einer empirischen Untersuchung, dass der survivor-approach wertvoll sein kann, um marktstrukturelle Anpassungsprozesse zu untersuchen. Hat sich durch technischen Fortschritt die MOS geändert, bietet der survivor-approach die Möglichkeit zu analysieren, inwieweit sich noch Unternehmen mit suboptimalen Betriebsgrößen im Wettbewerb behaupten können. Auf ähnliche Weise können auch die Einflüsse anderer Strukturfaktoren wie beispielsweise die Marktgröße – auf die wettbewerbliche Überlebensfähigkeit bestimmter Unternehmenstypen getestet werden. Darüber hinaus kann der survivor-approach bei schlechter Datenlage ein gutes Instrument sein, Unternehmenscharakteristika wettbewerblich erfolgreicher Unternehmen zu schätzen. Kritisch bleibt anzumerken, dass beim survivorapproach über das Konzept hinaus andere Größen wie Staatseingriffe, konjunkturelle Ein237 238 239

Stigler, George J., The Organization of Industry, Homewood, Ill. 1968, S. 73. Vgl. Shepherd, in: Hearings Part 2, S. 641 ff. Vgl. Weiss, Leonard W., The Survival Technique and the Extent of Sub-optimal Capacity, in: JPolE 72 (1964), S. 246–61.

118

5. Kapitel: Zielkonflikte

flüsse und außenwirtschaftliche Faktoren mitberücksichtigt werden, die die Ergebnisse beeinflussen. c) Der profitability-approach240 Misst man die Leistungsfähigkeit nicht an den Kosten, sondern an den Gewinnen, müssten die größten Unternehmen der gleichen Branche relativ höhere Gewinne erzielen als die kleineren. Beim profitability-approach wird die Leistungsfähigkeit von Unternehmen mit Hilfe der erzielten Netto-Gewinnrate ermittelt. Die Federal Trade Commission prüfte diese Hypothese für den Zeitraum 1959 bis 1963 und untersuchte 290 Unternehmen in 30 Branchen.241 Es ergab sich folgendes Bild: In sieben Branchen gab es Beziehungen zwischen Gewinn und Unternehmensgröße, in sieben weiteren waren diese Beziehungen schwach, in 16 Branchen gab es keinerlei Beziehungen. Ordnet man alle Unternehmen ohne Rücksicht auf die Branche nach der Größe, besteht überhaupt keine Korrelation zwischen ihrer Größe und dem erwirtschafteten Gewinn. Die Europäische Kommission242 kam 1975 in einer Untersuchung der Beziehungen zwischen Unternehmensgröße und Rentabilität bei 292 Unternehmen zu dem Ergebnis, dass von den 50 rentabelsten Unternehmen 6 zu den 50 umsatzgrößten, 8 zu den 50 umsatzkleinsten und die restlichen 36 (= 50 – 6 – 8) Unternehmen zu solchen mittlerer Umsatzgrößen gehörten. Eine spezielle Studie, die sich mit weltweit tätigen Nahrungsmittelkonzernen beschäftigte, ergab, dass zu den 10 rentabelsten Unternehmen nur 2 gehörten, die sich unter den ersten 10 nach der Umsatzrangfolge finden. Kritisch kann gegen beide Untersuchungen eingewendet werden, dass diese Methode die performance nicht in die zwei ihr zugrundeliegenden Ursachenkomponenten, d.s. Leistungsfähigkeit bzw. Effizienz einerseits und Marktmachtrendite andererseits, trennen kann. Es stellt sich daher weiterhin die Frage, ob Gewinne vornehmlich auf Leistungsfähigkeit (so Chicago School) oder auf Marktmacht zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang sind Erkenntnisse neuerer empirischer Studien, die auf verbesserten bzw. disaggregierten Daten (Kwoka, Ravenscraft, Porter) beruhen, von Bedeutung: der Marktanteil führt in Verbindung mit Produktdifferenzierung physischer und psychischer Art zu suprakompetitiven Gewinnen. Dies kann als Ausübung von Macht aufgrund eines dominierenden Unternehmens bzw. eines Duopols interpretiert werden. Demzufolge ist der aus überproportionalem Größenwachstum resultierende Konzentrationsprozess als ein komplexes Zusammenspiel zwischen kostensenkenden und preiserhöhenden Effekten zu verstehen. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass Gewinne sowohl auf Leistungsfähigkeit als auch auf Marktmacht zurückgeführt werden können.243

240 241 242 243

Vgl. zu den Beziehungen zwischen Marktstruktur und Gewinn Kaufer, op. cit., S. 536–578. Vgl. Hearings Part 4, S. 1552. Vgl. Europäische Kommission, 6. Bericht über die Wettbewerbspolitik, Brüssel, Luxemburg 1977, S. 188 ff. Vgl. zur weiterführenden Literatur vor allem Rittaler, Jan B., Industrial Concentration in the View of the Chicago School of Antitrust Analysis: A Critical Evaluation on the Basis of Effective Competition, Frankfurt a.M. u.a. 1988, S. 189–250.

5. Kapitel: Zielkonflikte

119

d)

Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer Realisierung von economies of scale? Wenngleich alle drei Erhebungsmethoden mit Unsicherheitsmomenten behaftet sind, so stimmen die Ergebnisse bei allen drei Methoden insofern überein, als der oft behauptete generelle Zielkonflikt zwischen der Realisierung von economies of scale und der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs nicht besteht, wohl aber in bestimmten Produktionsbereichen gegeben sein kann.244 Bei William G. Shepherd245 findet sich ein guter tabellarischer Überblick über die mit Hilfe der drei Untersuchungsmethoden gewonnenen Ergebnisse von der Pionierstudie Bains in 1956 bis zu Leonard Weiss in 1978. Shepherd kommt hinsichtlich des Verlaufs der Kostenfunktion zu folgendem Ergebnis (vgl. Abb. 10):246 “The typical ‘industry’ cost curve for the firm… is dish-shaped, with MES at 5 percent of the market or less. The constant-cost range may be wide, though presumably average cost rises eventually because of (1) bureaucracy, from absolute size; and/or (2) X-inefficiency, caused by the firm’s market power. The constant costs may also mask a significant amount of pecuniary gains. If one filters out the pecuniary economies, the typical cost curve may slope upward instead of being flat.” DTK

DTK

MOS = MES

Abb. 10:

q

Verlauf einer typischen Industrie-Kostenkurve

Im Hinblick auf die sog. multi-plant economies of scale kommen Scherer/Ross zu ähnlich kritischen Schlussfolgerungen:247

244

245 246

247

Vgl. Petry, supra, S. 271 ff. Weiss/Kelton kommen in einer ausführlichen Untersuchung über die Zusammenhänge zwischen Konzentration, Preisen und Kosten zu folgendem Schluss: “We find strong evidence that rising concentration does tend to lead to long-term price rises. … We find some evidence, for consumer goods and capital goods, that rising concentration is also associated with falling unit costs over time.” Weiss, Leonard W., und Christina Kelton, Change in Concentration, Change in Cost, Change in Demand, and Change in Price, in: Weiss, Leonard W. (Hrsg.), Concentration and Price, Cambridge, Mass. 1990, S. 41–66. Vgl. Shepherd, The Economics of Industrial Organization, op.cit., S. 180–185., sowie Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, S. 97–141. Shepherd, The Economics of Industrial Organization, 3. Aufl., Englewood Cliffs, N.J., 1990, S. 234 f. (unter Hinweis auf S. 221); Scherer und Ross, op.cit., S. 114 f., weisen zudem darauf hin, dass „long-run cost curves in most industries are much less steep at suboptimal plant scales than one is led to believe by the typical textbook illustration“. Scherer und Ross, op.cit., S. 123.

120

5. Kapitel: Zielkonflikte

“However, there is also evidence that decision-making is slower in large enterprises and that transmitting incentives through a complex multiplant organizational structure is more difficult. Interviews with 125 manufacturing firms in six nations suggested that on balance, the managerial and central staff economies associated with multiplant operation were slight, and that in many instances, organizational size beyond some modest multiplant threshold was disadvantageous.” e) Economies of scale versus „X-Inefficiencies”248 Die Möglichkeit von Zielkonflikten zwischen der Realisierung von economies of scale und der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs wird zudem durch das Auftreten der Xinefficiency gemildert. Harvey Leibenstein, der das Phänomen der X-inefficiency als erster untersucht hat, bezeichnet damit die nicht-allokative Ineffizienz, deren Ausmaß im Wesentlichen von der Art des Managements, den Bedingungen, unter denen es arbeitet, und den gebotenen Anreizen, d.h. von vorwiegend motivationalen Aspekten, determiniert wird.249 Grundlage für die Erklärung X-ineffizienter Verhaltensweisen bildet der Tatbestand, dass weder einzelne Individuen noch Unternehmen so effizient arbeiten und sich in so effizienter Weise mit Informationen versehen, wie sie es könnten.250 Leibenstein stellt somit der traditionellen Hypothese des zweckrationalen Verhaltens die Hypothese des bedingt „rationalen“ Verhaltens gegenüber.251 Die motivationalen Einflussfaktoren, welche X-ineffiziente Verhaltensweisen begünstigen bzw. verhindern, lassen sich nach organisationsinternen Einflussfaktoren (wie die Unternehmenskultur, die Anzahl der Hierarchieebenen, das Ausmaß der Bürokratisierung, die eigentumsrechtlichen Regelungen, die Gestaltung anreizorientierter Entgeltsysteme sowie die Größe der Unternehmung) und externen Einflussfaktoren unterscheiden. Zu den wesentlichen externen Einflussfaktoren zur Beeinflussung der Motivation des Managements und der Mitarbeiter gehören die Marktstellung des Unternehmens und insbesondere die damit verbundene Wettbewerbsintensität. Unternehmen, die sich einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt sehen, werden ihre gesamten Anstrengungen darauf ausrichten, ihre Kosten gering zu halten, um über Kostenersparnisse Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Hier zeigt sich die Kostenkontrollfunktion des Wettbewerbs. Andererseits führt Marktmacht, d.h. geringe Wettbewerbsintensität, zu einem Verlust an Motivation und Kostendisziplin und damit zu einem erhöhten Durchschnittskostenniveau aller Anbieter innerhalb eines Sektors.252 Im Rahmen einer Kostenbetrachtung lässt sich die X-inefficiency als Differenz zwischen den tatsächlichen und den mindestens anfallenden (Produktions-)Kosten auffassen, wobei die Auswirkungen auf die DTKs in Abhängigkeit von der Ursache einer bestimmten X-inefficiency unterschiedlich sind (vgl. Abb.11): 248

249 250 251 252

Vgl. Leibenstein, Harvey, Allocative Efficiency vs. “X-Efficiency”, in: AER 56(1966), S. 392 ff. Vgl. den Überblick von Schmidt, Ingo, und André Schmidt, X-Ineffizienz, Lean Production und Wettbewerbsfähigkeit, in: WiSt 25 (1996), S. 65 ff. Vgl. Leibenstein, supra, S. 401. Vgl. Leibenstein, H., Aspects of the X-Efficiency Theory of the Firm, in: Bell Journal of Economics 6 (1975), S. 582. Vgl. Leibenstein, H., Beyond the Economic Man, Cambridge, Mass. und London 1976, S. 71 ff. Vgl. Leibenstein, H., Allocative Efficiency vs. “X-Efficiency”, supra, S. 409 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

121

DTK

DTK

DTK 2

DTK 2 DTK

1

q

Abb. 11:

MOS

DTK1 q

Tatsächliche und minimale DTKs (= X-inefficiency) DTK1 = mindestens anfallende DTK; DTK2 = tatsächlich anfallende DTK



So verschiebt sich bei Nachlässigkeit infolge sinkenden Wettbewerbsdruckes oder von Interessengegensätzen zwischen Managern und Kapitaleignern die DTK-Kurve unabhängig vom Output nach oben; • durch Bürokratisierung infolge absoluter Unternehmensgröße steigt die DTK-Kurve bei L-förmigem Verlauf erst ab einem bestimmten, kritischen Output wieder an. Die Diskussion um die sog. lean production verdeutlicht die herausragende Bedeutung der Kostenkontrollfunktion des Wettbewerbs und die empirische Relevanz der X-Ineffizienz, bei deren Überprüfung sich drei Ansätze herausgebildet haben:253 (1) Inwieweit werden durch horizontale Konzentration realisierte economies of scale durch X-inefficiencies kompensiert? (2) Welche Zusammenhänge bestehen zwischen X-Effizienz und den eigentumsrechtlichen Regelungen eines Unternehmens? (3) Welchen Einfluss hat die Marktstruktur (und damit die Wettbewerbsintensität) auf das Ausmaß der X-inefficiency? ad 1: Um die Wirkungen einer Fusion auf die totalen Durchschnittskosten darzustellen, bedarf es einer getrennten Betrachtung des „economies of scale“-Effektes und des „Xinefficiency“-Effektes. Dies soll anhand der Abb. 12 veranschaulicht werden, in welcher drei Fälle unterschieden werden können:

• der „economies of scale“-Effekt ist größer als der „X-inefficiency“-Effekt (C′′′), • die beiden Effekte sind gleich groß und kompensieren sich (C′′) oder • der „economies of scale“-Effekt ist kleiner als der „X-inefficiency“-Effekt (C′). Leibenstein hält die möglichen Gewinne aus einer Erhöhung der X-efficiency (z.B. durch eine Erhöhung des Wettbewerbsdrucks infolge von newcomers) für in der Regel wesentlich größer als die Gewinne, die sich aus einer Ausnutzung von economies of scale i.S. einer optimalen Faktorallokation ergeben.254 Walter J. Primeaux hat diese These in verschiedenen empirischen Untersuchungen für die Elektrizitätswirtschaft in den USA getestet.255 Es zeigte 253

254 255

Einen Überblick über die gesamte empirische Literatur zur X-Effizienz gibt Frantz, Roger S., X-Efficiency: Theory, Evidence and Applications, 2. Aufl., Boston u.a. 1997, S. 107 ff. Vgl. zur lean production den guten Überblick bei Haupt, Reinhard, Lean Production: Von der kranken zur schlanken Produktion, Jenaer Vorträge Bd. 1, Baden-Baden 1994. Leibenstein, supra, S. 413: “… the amount to be gained by increasing allocative efficiency is trivial while the amount to be gained by increasing X-efficiency is frequently significant.” Vgl. Primeaux, Walter J., Direct Electric Utility Competition: The Natural Monopoly Myth, New York 1986.

122

5. Kapitel: Zielkonflikte

DTK

DTK'2 A

DTK1 = DTK'' DTK'''2

C'

DTK'2

C''

DTK''2

C'''

DTK'''2

B

X-inefficiency (nicht-allokative Ineffizienz)

DTK1

economies of scale (nicht-allokative Effizienz) 0

Abb. 12:

q1

q2

q

economies of scale versus X-inefficiency q1, DTK1 = Ausbringungsmenge und totale Durchschnittskosten vor der Fusion q2, DTK2′, ′′, ′′′ = Ausbringungsmenge und alternative totale Durchschnittskosten nach der Fusion A→B = Realisierung von economies of scale durch die Größenvorteile der Fusion B → C′, ′′, ′′′ = X-inefficiency durch mangelnden Wettbewerbsdruck oder fehlende Motivation

sich, dass in wettbewerblich strukturierten Märkten im Durchschnitt die Stückkosten um 11 % unter denen eines monopolistischen Elektrizitätsanbieters liegen. Diese Kostendifferenz wurde von Primeaux damit erklärt, dass die Kostenvorteile durch economies of scale bei monopolistischen Anbietern durch steigende X-Ineffizienzen überkompensiert werden. Erst bei einer Kapazität von mehr als 200 Mio. Kilowattstunden im Jahr waren keine Differenzen zwischen wettbewerblichen und monopolistischen Anbietern mehr festzustellen. Die economies of scale sind dann so groß, dass sie durch auftretende X-Ineffizienzen nicht mehr vollkommen nivelliert werden. ad 2: Im Zusammenhang mit den eigentumsrechtlichen Regelungen wird argumentiert, dass von Eigentümern geführte Unternehmen effizienter arbeiten als von Managern geleitete Unternehmen.256 Die empirischen Studien zu dieser These zeigen durchgehend, dass die Rendite von eigentümergeleiteten Unternehmen ceteris paribus über denen von managementgeleiteten liegt. Diese Ergebnisse werden als Bestätigung dafür gewertet, dass es nicht nur durch monopolistische Marktstrukturen zu Faktorfehlallokationen kommt, sondern dass auch motivationale Aspekte eine bedeutende Rolle spielen.257 ad 3: Lecraw untersuchte 400 Unternehmen aus 12 Industrien darauf, ob sie sich auf der durch Managementbefragung ermittelten Produktionsfunktion befinden oder nicht. Es zeigte sich, dass bei gegebenem Input nicht der der Produktionsfunktion entsprechende Output erreicht wird. Die Differenz zwischen potentiellem und tatsächlichem Output wurde als Indiz für X-Ineffizienzen interpretiert. Dieser Abstand zur Produktionsgrenze war bei Lecraw negativ mit der Wettbewerbsintensität – gemessen durch die Anzahl der Anbieter – korreliert.258 256 257 258

Vgl. De Alessi, Louis, Property Rights, Transaction Costs, and X-Efficiency: An Essay in Economic Theory, in: AER 73 (1983), S. 64–81. Vgl. Frantz, op.cit., S. 137 ff. Vgl. Lecraw, D., Empirical Tests for X-Inefficiencies, in: Kyklos 30 (1977), S. 116 ff.; ders., Choice of Technology in Low-Wage Countries: A Non-Neoclassical Approach, in: Quarterly Journal of Economics 93 (1979), S. 631 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

123

Weiss und Pascoe untersuchten die Varianzen und Standardabweichungen der Umsatz- und Anlagerenditen bei alternativen Konzentrationsraten. Die Schwankungen der Profitraten waren umso intensiver, je stärker die Industriekonzentration war. Die Autoren interpretierten dieses Ergebnis dahingehend, dass nachlassender Wettbewerbsdruck eine größere Bandbreite an Arbeitsintensitäten zulässt, die sich in stärkeren Varianzen der Renditen niederschlägt.259 Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die X-Ineffizienzen 20 % und mehr betragen können.260 Die drei Erklärungsansätze werden durch die in Abb. 12 dargestellten Verschiebungen der DTK-Kurve verdeutlicht. Das Phänomen der X-Ineffizienz tritt allerdings nicht nur bei horizontaler Konzentration auf, sondern auch bei vertikaler oder konglomerater Konzentration. In diesen Fällen spricht man jedoch überwiegend von steigenden Organisationskosten bzw. diseconomies of scope. f)

Wohlfahrtsverluste durch Monopolisierung versus Wohlfahrtsgewinne durch Kostensenkung (Williamsons „trade-off“-Analyse) Die möglichen Auswirkungen horizontaler Zusammenschlüsse können mittels eines partiellen Gleichgewichtsmodells dargestellt werden, das ursprünglich von Harberger in die Diskussion eingeführt worden ist und die Wohlfahrtsunterschiede zwischen Monopol und Wettbewerb aufzeigt. Dieses Modell basiert auf dem Konzept der Marshall’schen Konsumentenrente und wurde von Oliver Williamson durch Berücksichtigung steigender Skalenerträge weiterentwickelt.261 Unternehmenszusammenschlüsse werden einerseits als kostensenkend und damit effizienzerhöhend (produktive Effizienz) angesehen; andererseits können sie jedoch zu Marktmacht führen und die beteiligten Unternehmen in die Lage versetzen, den Preis heraufzusetzen und die Menge einzuschränken (allokative Ineffizienz). Das weiterentwickelte Modell dient in der Hauptsache dazu, den Zielkonflikt zwischen Wohlfahrtsverlusten durch Monopolisierung und Wohlfahrtsgewinnen aufgrund von Kostensenkungen darzustellen. Eine solche Abwägung findet sich z.B. in lit. 29 der Erwägungsgründe zur FKVO. Williamson hat dieses Abwägungskalkül am Beispiel fusionierender Dyopolisten verdeutlicht, wobei die wettbewerbliche Marktsituation vor dem Zusammenschluss dem Monopol nach dem Zusammenschluss gegenübergestellt wird (before and after approach). Dies wird üblicherweise anhand folgender Zeichnung verdeutlicht: Die graphische Darstellung zeigt, dass aufgrund der Monopolisierung nach der Fusion (C mit pm und qm) Wohlfahrtsverluste in Höhe des Dreiecks A1 entstehen (sog. dead weight loss), wenn vor der Fusion polypolistisches Verhalten (K′c = pc) vorlag (sog. allokative Ineffizienz). Der Gegeneffekt wird durch eine Parallelverschiebung der langfristigen Grenzkostenkurve (K′c → K′m) dargestellt, die durch die langfristige DTK-Kurve approximiert wird (K′ = DTK). Dadurch entsteht ein Wohlfahrtsgewinn in Höhe des Rechteckes A2 (sog.

259 260 261

Vgl. Frantz, op.cit., S. 171 ff. Vgl. Röller, Lars-Hendrick, Johann Stennek und Frank Verhoven, Efficiency Gains from Mergers, in: European Economy: Reports and Studies No. 5 (2001), S. 31 ff., 68. Vgl. Williamson, Oliver, Economies as an Antitrust Defense: The Welfare Tradeoffs, in: AER 58 (1968), S. 18–42.

124

5. Kapitel: Zielkonflikte

produktive Effizienz). Trotz monopolistischer Preisbildung kann daher insgesamt ein Wohlfahrtsgewinn entstehen, wenn A2 > A1.

K', p

p

C

A 1 : dead-weight loss

m

A3

B

pc

produktive Effizienz

A2 : cost savings

K'c = p K'

m

allokative Ineffizienz

R' 0

Abb. 13:

q

m m

q

n

q C

Williamsons „trade-off“-Modell

Nach Auffassung von Williamson sollten die Wettbewerbsbehörden diese Effekte bei der Beurteilung horizontaler Fusionen im Einzelfall gegeneinander abwägen („trade-off“); alternativ denkbar sei eine Erhöhung der Eingriffsschwelle für die Erfassung von Fusionen. Das dargestellte „trade-off“-Modell weist jedoch eine Reihe von Mängeln auf: (1) Die Auswirkungen einer Fusion im Hinblick auf die Kosten sind keineswegs eindeutig. Möglich sind folgende Entwicklungen:262



konstante Kosten, wenn z.B. die mindestoptimale Betriebsgröße bereits realisiert ist oder das aufgekaufte Unternehmen bei unveränderter Produktionsfunktion fortgeführt wird; • sinkende Kosten infolge von economies of scale bei unveränderter Produktionsfunktion oder Beseitigung von X-Ineffizienzen durch Realisierung einer günstigeren Kostenfunktion; • steigende Kosten infolge von diseconomies of scale bei unveränderter Produktionsfunktion oder Auftreten von X-Ineffizienzen infolge einer ungünstigeren Kostenfunktion (z.B. erhöhte Organisationskosten infolge mangelnder Motivation der Mitarbeiter und nicht ausreichenden Wettbewerbsdrucks). (2) Bei evtl. auftretenden Nettowohlfahrtsgewinnen (Rechteck A2 > Dreieck A1) wird von Verteilungsproblemen abstrahiert, d.h., der Gesamtwohlfahrtsgewinn (total welfare), der sich aus Produzenten- und Konsumentenrente (A2 und A3) zusammensetzt, kommt nur den Anbietern zugute. Es bedarf einer normativen Entscheidung des Gesetzgebers, ob der Gesamtwohlfahrtsgewinn oder die Konsumentenwohlfahrt maßgeblich sind (vgl. Art. 81 III EGV und die Leitlinien zur FKVO). (3) Das Modell ist nur komparativ-statischer Natur und lässt außer Acht, dass in dynamischer Sicht der Wettbewerbsdruck auch zu Produkt- und Prozessinnovationen (Einführung neuer kostensenkender Produktionstechniken) führt. Dagegen induziert der abnehmende Wettbe262

Dies gilt unter der Annahme konstanter Faktoreinsatzkosten.

5. Kapitel: Zielkonflikte

125

werbsdruck X-Ineffizienzen, d.h. steigende Kosten. Die wettbewerbspolitisch erwünschte dynamische Effizienz kann daher nur durch die Aufrechterhaltung und Sicherung wirksamen Wettbewerbs gewährleistet werden.263 (4) Zudem werden Preiserhöhungen qua Marktmacht sehr rasch, Kostensenkungen dagegen nur langsam realisiert. (5) Dem Konzept mangelt es an Operationalität, da sich bei dem Vergleich zwischen Wohlfahrtsverlusten aufgrund von Marktmacht und den realisierten Kostenersparnissen ein Abwägungsproblem ergibt, dessen Lösung die Kenntnis einer Fülle nicht bekannter Daten voraussetzt. (6) Die positiven Wohlfahrtseffekte können auch durch internes Wachstum erreicht werden, zumal angesichts der Unvollkommenheiten des Marktes für corporate control im Falle des internen Wachstums die Wahrscheinlichkeit für eine effizientere Ressourcenallokation spricht.

3.

Transaction-cost economies

Neben den Kostenmotiven, die zur horizontalen Integration beitragen, spielen auch solche Kostenüberlegungen eine Rolle, die einen Anreiz zur vertikalen Integration bilden. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Institution Unternehmung als Produktionsstätte Faktormärkte vor- und Absatzmärkte nachgelagert sind, wobei drei Arten der Koordination unterschieden werden können: (1) Koordination, die über den Markt abläuft, (2) Koordination innerhalb eines Unternehmens und (3) Koordination durch Kooperation. Alle drei Arten der Koordination von Faktoren bzw. Gütern sind für die Unternehmen mit Kosten verbunden. Diese Kosten können im weitesten Sinne als Transaktionskosten begriffen werden (i.G. zu den Produktionskosten der neoklassischen Analyse). Im engeren Sinne sind Transaktionskosten nur solche Kosten, die bei Transaktionen über den Markt entstehen.264 Transaktionskosten lassen sich nach der Phase einer Transaktion einteilen in solche, die vor dem Vertragsabschluss bzw. dem Vollzug der Transaktion entstehen, und solche, die nach dem Vertragsabschluss bzw. bei dem Vollzug der Transaktion entstehen. Erstere sind ex anteTransaktionskosten, worunter Suchkosten, Informationskosten, Anbahnungs- und Aushand263 264

Vgl. Audretsch, David B., William J. Baumol und Andrew E. Burke, Competition policy in dynamic markets, in: International Journal of Industrial Organization 19 (2001), S. 613 ff. Vgl. Coase, R., The nature of the firm, in: Economica 4 (1937), S. 386 ff., und Bössmann, Eva, Volkswirtschaftliche Probleme der Transaktionskosten, in: ZfgSt 138 (1982), S. 664 ff., mit weiteren Literaturhinweisen. Bössmann wählt den Ausdruck Koordinationskosten als Oberbegriff, der in Transaktionskosten, die auf dem Markt anfallen, und Organisationskosten, die innerhalb eines Unternehmens entstehen, zerfällt. Da die Kooperation von Unternehmen als ein Spezialfall langfristiger Transaktionen zwischen Unternehmen angesehen werden kann, werden Kooperationskosten von ihr unter die Transaktionskosten subsumiert. Vgl. auch den Überblick über die verschiedenen Ausprägungen des Transaktionskostenansatzes bei Schumann, Jochen, Ulrich Meyer und Wolfgang Ströbele, Grundzüge der mikroökonomischen Theorie, 8. Aufl., Berlin u.a. 2007, Kap. VI Abschnitt E über „Neue Institutionenökonomik“. Vgl. zur Erzielung von Kostenersparnissen bei vertikaler Integration auch Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/1983: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Tz. 720–724.

126

5. Kapitel: Zielkonflikte

lungskosten, aber auch Kosten der Installierung eines effizienten Beherrschungs- und Überwachungssystems zu verstehen sind. Letztere sind ex post-Transaktionskosten, worunter Kontroll- und Anpassungskosten sowie die Kosten der Benutzung des installierten Beherrschungs- und Überwachungssystems zu subsumieren sind. Da diese Kosten durch Markttransaktionen entstehen und in die Preise eingehen, sind sie von Coase in seinem grundlegenden Artikel von 1937 ursprünglich als „cost(s) of using the price mechanism“265 bezeichnet worden. Ist nun eine „hierarchische“ Koordination innerhalb einer Unternehmung (transaktions-)kostengünstiger durchzuführen als über den Markt, wird das eine Verlagerung ökonomischer Aktivitäten in das Unternehmen zur Folge haben. Die Einsparmöglichkeit von (Transaktions-)Kosten wird zu einem wesentlichen Motiv für die vertikale Integration, die damit organisationstheoretisch und nicht produktionstechnisch oder marktstrategisch erklärt wird. Der Integrationsprozess führt jedoch wegen der zunehmenden unternehmensinternen Organisationskosten nicht zu einer völligen Vermachtung der Märkte. Zunehmende Organisationskosten entstehen in einem wachsenden Unternehmen z.B. infolge von Drückebergerei, zunehmender Fehlallokation von Faktoren innerhalb der Unternehmung und kostenverursachenden Kompetenzstreitigkeiten.266 Schließlich werden sich mit der Zahl der übernommenen Markttransaktionen die Organisationskosten überproportional erhöhen.267 Coase spricht hierbei von „decreasing returns to the entrepreneur function“.268 Die Grenzen einer Verlagerung von Transaktionen und damit der vertikalen Integration können durch ein Optimierungskalkül abgesteckt werden. Nach Coase gilt,269 “that a firm will tend to expand until the costs of organising an extra transaction within the firm become equal to the costs of carrying out the same transaction by means of an exchange on the open market or the costs of organising in another firm”. Ein solches Optimierungskalkül setzt allerdings voraus, dass die vertikale Integration nur zwecks Effizienzsteigerung erfolgt – und nicht, um z.B. tatsächlichen oder potentiellen Konkurrenten den Zugang zu vor- oder nachgelagerten Märkten zu erschweren (sog. foreclosure policy). Angesichts der Tatsache, dass die vertikale Integration aufgrund verschiedener Motive erfolgt (z.B. Marktmacht, Effizienzsteigerung, Steuervermeidung oder Ausstieg aus der Mitbestimmung), kann sie nicht generell durch den Hinweis auf Transaktionskostenersparnisse gerechtfertigt werden; vielmehr muss im Zweifel eine Abwägung zwischen Effizienzvorteilen und Wettbewerbsnachteilen vorgenommen werden. Zudem muss die praktische Nutzbarkeit des Transaktionskostenansatzes als Instrument zur Prognose von Effizienzdifferentialen verschiedener Koordinationsmechanismen kritisch gesehen werden. Transaktionskosten und Organisationskosten können ex ante kaum quantifiziert 265 266

267

268 269

Coase, The nature of the firm, supra, S. 390. Die Höhe der Organisationskosten hängt über diese Bestimmungsfaktoren hinaus von der Regelung der property rights ab. So wird z.B. das Ausmaß an Drückebergerei in von Eigentümern geleiteten Unternehmen von dem von Managern geführten Unternehmen verschieden sein. In steigenden Organisationskosten ist eine Parallele zur X-Ineffizienz von Leibenstein zu sehen. Ähnlich argumentiert Ouchi, William G., Markets, Bureaucracies, and Clans, in: Administrative Science Quarterly 25 (1980), S. 129 ff., 129 f.: “Under certain conditions, markets are more efficient because they can mediate without paying the costs of managers, accountants, or personnel departments. Under other conditions, however, a market mechanism becomes so cumbersome that it is less efficient than a bureaucracy.” Coase, The nature of the firm, supra, S. 394. Coase, The nature of the firm, supra, S. 395.

5. Kapitel: Zielkonflikte

127

werden; sie werden vielmehr dazu benutzt, um die vertikale Integration ex post und generell zu rechtfertigen, womit der Ansatz jedoch zumindest in die Nähe einer Tautologie gerät: Das jeweilige Maß an vertikaler Integration hat sich – so wie es existiert – entwickelt, weil es sich unter den Umständen um die effizienteste Form ökonomischer Organisation handelt. Wenngleich also eine absolute Messung der Transaktionskosten kaum möglich ist, so ermöglicht der Transaktionskostenansatz dennoch eine komparative Gegenüberstellung alternativer institutioneller Arrangements.270 Dabei wird zunehmend versucht, Faktoren zu isolieren, die organisationsspezifische Bedeutung bei der Auswahl des Koordinationsmechanismus haben und damit eine Entscheidungshilfe für die Wahl des effizienteren Mechanismus geben. Williamson unterscheidet drei wesentliche Dimensionen von Transaktionen:271

• den Grad der Spezifität der transaktionsbedingten Investition, • die Unsicherheit der Transaktion und • die Häufigkeit einer bestimmten Transaktion. Aus der Kombination verschiedener Ausprägungen dieser Dimensionen von Transaktionen ergibt sich für ihn – einen gewissen Grad an Unsicherheit unterstellt – eine Überlegenheit der marktlichen Koordinationsform im Falle regelmäßiger oder auch nur gelegentlicher unspezifischer transaktionsbedingter Investitionen. Dagegen sieht er die vertikale Integration als überlegene Koordinationsform bei regelmäßig wiederkehrenden, vollkommen spezifischen transaktionsbedingten Investitionen an. Das nachstehende Schema von Williamson verdeutlicht diese Zusammenhänge:272 Tab. 7:

Investitionsspezifität, Transaktionshäufigkeit und Koordinationsstruktur

unspezifisch Transaktionshäufigkeit

gelegentlich

regelmäßig

marktliche Koordination

Investitionsspezifität gemischt spezifisch spezifisch Koordination zwischen den Vertragsbeteiligten unter Hinzuziehen einer Schiedsstellezur Konfliktlösung (trilaterale Koordination) vertikale Integration bilaterale Koordi(unternehmensinterne nation Koordination)

Im Rahmen der Frage, warum ein Unternehmen seine ökonomischen Aktivitäten in einem Fall über den Markt abwickelt und warum es diese in einem anderen Fall innerhalb eines Unternehmens koordiniert, ist auf die Unterscheidung von Transaktions- und Produktionskosten hinzuweisen. Produktionskosten lassen sich auf die jeweils gegebene (Produktions-) Technologie zurückführen und fallen daher in ökonomischen Systemen beliebiger Art in gleicher Höhe an, während Transaktionskosten von der speziellen Form der Organisation ökonomischer Aktivitäten innerhalb einer bestimmten Volkswirtschaft abhängen.273

270 271

272 273

Vgl. Williamson, Transaction-Cost Economics:…, supra, S. 233 ff., 234. Vgl. Crandall, Robert, Vertical Integration and the Market for Repair Parts in the United States Automobile Industry, in: JIE 26 (1967/68), S. 212 ff.; vor allem aber Williamson, Oliver E., Economic Organisation: Firms, Markets and Policy Control, Brighton, Sussex 1986, S. 112 ff. Vgl. Williamson, Transaction-Cost Economics:…, supra, S. 253. Vgl. Bössmann, Eva, supra, S. 665.

128

5. Kapitel: Zielkonflikte

In den Transaktionskostenansätzen wird keine bestimmte Marktform bevorzugt. Es werden Organisationsergebnisse nach ihrer einzelwirtschaftlichen Effizienz beurteilt. Mit der Betonung von Transaktionskostenersparnissen – etwa im Rahmen vertikaler Integration – soll jedoch nicht jeder Zusammenschluss als effizienzfördernd qualifiziert werden. Sie stellen vielmehr neben anderen ein mögliches Motiv für Unternehmenszusammenschlüsse dar.274 Mit den Transaktionskosten tritt damit ein zweiter Kostenfaktor neben die Produktionskosten, so dass beide in Form einer trade off-Betrachtung für die Wahl der institutionellen Organisationsform gegeneinander abzuwägen sind.275 Die schlechten Erfahrungen von Automobilunternehmen mit hoher Eigenfertigung dokumentieren dieses Phänomen. So hat z.B. Mercedes-Benz 1990 angekündigt, seinen – im internationalen Vergleich sehr hohen – Eigenfertigungsanteil zu reduzieren, um damit überhöhte Kosten abzubauen. Das Verdienst der Vertreter der Transaktionskostenansätze ist darin zu sehen, dass sie erstens die Existenz verschiedener Koordinationsformen Markt und Unternehmung als alternative institutionelle Arrangements aufgezeigt und dass sie zweitens die mit den Koordinationsformen verbundenen Kosten in die Diskussion eingebracht haben. Der Versuch, das Entstehen, das Wachsen und die Reorganisation von Unternehmungen über einen Wirtschaftlichkeitsvergleich der Institutionen mit Hilfe von Transaktionskosten zu erklären, leidet jedoch an einer mangelnden empirischen Operationalisierung oder gar Quantifizierung des Transaktionskostenbegriffs.276 Neben economies of scale bei horizontalen und transaction cost economies bei vertikalen Fusionen spielen bei konglomeraten Fusionen, d.s. negativ definiert alle weder horizontalen noch vertikalen Zusammenschlüsse277, sog. economies of scope (Verbundvorteile) eine Rolle.

4.

Economies of scope

Diversifizierte Unternehmen, die auf verschiedenen Märkten tätig sind (z.B. Oetker oder ITT), können in bestimmten Funktionsbereichen synergetische Effekte im Sinne von Kosteneinsparungen erzielen, die sich daraus ergeben, dass z.B. die Kosten (K) für zwei verschiedene Produkte a und b durch ein diversifiziertes Unternehmen günstiger sind als durch zwei Einprodukt-Unternehmen:278 K(a,b) < K1(a) + K2(b)

274

275 276 277 278

Dies schreibt auch Williamson selbst explizit. Vgl. Williamson, Oliver E., Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus: Unternehmen, Märkte, Kooperationen, aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen 1990, S. 2. Vgl. Williamson, Oliver E., Transaction Cost Economics, in: Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, hrsg. von Schmalensee, Richard, und Robert D. Willig, Amsterdam u.a. 1989, S. 135 ff., 150 ff. So auch Picot, Arnold, Transaktionskostenansatz in der Organisationstheorie: Stand der Diskussion und Aussagewert, in: Die Betriebswirtschaft 42 (1982), S. 267 ff., S. 270. Von Markt- und Produkterweiterungszusammenschlüssen als Grenzfällen horizontaler Fusionen wird dabei abstrahiert. Vgl. Bühner, Rolf, und Hans-Joachim Spindler, Synergieerwartungen bei Unternehmenszusammenschlüssen, in: DB 39 (1986), S. 601– 606, sowie Teece, David J., Economies of Scope and the Scope of the Enterprise, in: Journal of Economic Behavior and Organization 1 (1980), S. 223 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

129

Synergetische Effekte sind im Falle der verbundenen Produktion von zwei oder mehr Gütern insbesondere beim Einsatz von finanziellen, technologischen oder unternehmerischen Ressourcen möglich:279



Finanzierungsvorteile infolge des geringeren Konkursrisikos von Konglomeraten und damit niedrigere Fremdkapitalzinsen sowie erweiterter Kreditrahmen. • Werbevorteile durch Verwendung eines Markennamens für verschiedene Produkte a und b (z.B. „Porsche“ für Autos und Brillen oder „Davidoff“ für Zigarren und Herrenkosmetik). • Kostenersparnisse bei F&E im Falle sog. Abfallerfindungen; Ersparnis von Such- und Informationskosten bei den Verwendungsmöglichkeiten von Erfindungen (shared input). • Kostenersparnisse beim Einsatz des dispositiven Faktors durch gemeinsame Stabsabteilungen sowie bessere Ausnutzung der Führungsqualitäten des Managements für verschiedene Produkte (public input). Diesen Möglichkeiten der Erzielung von Kostenersparnissen steht allerdings die Gefahr von diseconomies of scope280 infolge der Bürokratie von Großunternehmen und der damit verbundenen mangelnden Motivation gegenüber (Problem der X-Inefficiency, bei allen Arten von Fusionen).

5.

Die empirische Relevanz von Kostenersparnissen

Das Vorliegen evtl. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und Kostenersparnissen ist letztlich eine empirische Frage, auf welche verschiedene Studien eine Antwort zu geben versuchen.281 David J. Ravenscraft und Frederic M. Scherer untersuchten den Erfolg von annähernd 6.000 Akquisitionen, die von 471 großen US-amerikanischen Unternehmen des produzierenden Gewerbes zwischen 1950 und 1976 durchgeführt wurden. Gefragt wurde nach der Entwicklung der Profitabilität, gemessen als Verhältnis von Periodeneinkommen zu Vermögen am Ende der Periode, bei den akquirierten Unternehmenseinheiten, wobei die beiden Autoren u.a. auf Daten der FTC Line of Business der Jahre 1974–77 zurückgriffen. In einem ersten Analyseschritt führten Ravenscraft und Scherer den Nachweis, dass die Profitabilität der akquirierten Unternehmen vor der Fusion im Durchschnitt erheblich über derjenigen aller Industrieunternehmen lag. Unternehmen, die die Absicht haben, eine Fusion zu tätigen, suchen demnach nach erfolgversprechenden Akquisitionsobjekten. Nach erfolgter Fusion war dann im Durchschnitt ein kräftiger Gewinnrückgang festzustellen, wobei die Profitabilität bei einem großen Teil der akquirierten Unternehmenseinheiten sogar hinter die von – nach Größe und Industrieorientierung – vergleichbaren Unternehmen ohne Fusionserfahrung zurückfiel. Dabei muss allerdings angemerkt werden, dass bei diesen Fusionen der Gewinnrückgang zu mindestens teilweise durch eine Neubewertung des akquirierten Vermögens in der Bilanz des übernehmenden Unternehmens verursacht wurde. 279 280 281

Vgl. Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/83: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Tz. 732. Der Terminus diseconomies of scope steht synonym für asynergetische Effekte. Vgl. Ravenscraft, David J., und Frederic M. Scherer, Mergers, Sell-Offs, & Economic Efficiency, Washington, D.C. 1987; Bühner, Rolf, Erfolg von Unternehmenszusammenschlüssen in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1990, und ders., Bestimmungsfaktoren und Wirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen, in: WiSt 18 (1989), S. 158 ff.

130

5. Kapitel: Zielkonflikte

Einer Schätzung von Ravenscraft und Scherer zufolge mussten mindestens ein Drittel aller im Untersuchungszeitraum akquirierten Unternehmenseinheiten sogar Verluste hinnehmen, was letztlich wieder zu ihrem Verkauf führte. Begründet werden diese Ergebnisse mit den mangelnden Kenntnissen und Erfahrungen der Führung des übernehmenden Unternehmens mit den neuen Geschäftsfeldern. Diese Aussage wird gestützt durch das Ergebnis der Studie, die nach dem Einfluss der Fusionsrichtung auf die Profitabilität fragte. Danach sind horizontale Fusionen und vor allem Markterweiterungszusammenschlüsse erheblich profitabler als Marktdiversifikationszusammenschlüsse. Bei den ersteren ist es den Managern des übernehmenden Unternehmens eher möglich, Erfahrungen aus den traditionellen Geschäftsfeldern auf die neuen zu übertragen. Bei konglomeraten Fusionen war dementsprechend auch die Wahrscheinlichkeit eines späteren Verkaufs am größten. Aufgrund der geringen Anzahl von vertikalen Fusionen ließ sich über diese keine statistisch gesicherte Aussage machen. In einer weiteren Studie untersuchte Rolf Bühner den Erfolg von 90 bis 110 Zusammenschlüssen, die von bundesdeutschen Unternehmen im Zeitraum von 1973 bis 1985 vorgenommen worden waren. Der Fusionserfolg wurde dabei anhand der Reaktion des Aktienmarktes, genauer an der Entwicklung der kumulierten abnormalen Renditen (d.s. Gewinne bzw. Verluste, die im Zusammenhang mit der Fusion entstehen und um die allgemeine Unternehmens- und Gesamtmarktentwicklung bereinigt sind), sowie anhand der Entwicklung der Eigen- und Gesamtkapitalrentabilität gemessen. Die Kapitalmarktanalyse ergab für die Gesamtstichprobe von 90 Fusionen, dass die kumulierten anormalen Renditen fast während des gesamten Untersuchungszeitraumes (2 Jahre vor und nach der Fusion) stetig fielen. Fusionen scheinen also überwiegend vorgenommen zu werden, um einer negativen Renditeentwicklung entgegenzuwirken; dabei zeigt sich aber, dass sich die Erwartungen, die in die Fusionen gesetzt wurden, selten erfüllten. Der Verlust der Aktionäre betrug am Ende des Untersuchungszeitraumes 9,38 %. Die Erfolgsanalyse wurde in einem weiteren Schritt für jede Fusionsrichtung gesondert durchgeführt. Die Kapitalmarktreaktion für horizontale Fusionen, also bei Übernahme eines direkten Konkurrenten zwecks Ausbaues der Marktposition auf reifen Märkten, entsprach in etwa der der Gesamtanalyse. Der Kapitalmarkt reagierte also eher negativ auf das Festhalten an Märkten ohne größere Wachstumschancen. Im Gegensatz dazu erfuhren Produkterweiterungszusammenschlüsse die beste Bewertung durch den Kapitalmarkt (Verluste: 1,97 %), während reine Konglomerate mit Abstand am schlechtesten abschnitten; die kumulierten abnormalen Renditen fielen über den gesamten Untersuchungszeitraum stark ab, insbesondere im Jahr nach der Fusion (Verluste: 37,31 %). Dieses Ergebnis und auch die Interpretation desselben stimmen mit den Erkenntnissen der Studie von Ravenscraft und Scherer weitgehend überein. Bei vertikalen Fusionen lagen die Verluste ebenfalls unter dem Durchschnitt aller Fusionen (Verluste: 3,6 %), was wahrscheinlich auf die Realisierung von Integrationsvorteilen zurückzuführen ist. Die Analyse der Entwicklung der Rentabilität nach erfolgter Fusion bestätigte weitgehend die Ergebnisse der Kapitalmarktanalyse. Mit Hilfe weiterer Detailanalysen gelang es Bühner, einige Faktoren zu bestimmen, welche die Wahrscheinlichkeit eines Fusionserfolges erhöhen:



Umfassende Bewertung des Akquisitionsobjektes im Hinblick auf die Festlegung eines angemessenen Kaufpreises.

5. Kapitel: Zielkonflikte

131



Organisatorische Anbindung des neuen Unternehmensteils, die diesem eine weitgehende Selbständigkeit lässt. • Solide finanzielle Basis beim übernehmenden Unternehmen. • Akquisitionserfahrung bei der Suche nach geeigneten Akquisitionsobjekten, deren Bewertung, Integration und Führung. Die Europäische Kommission282 ist bei einer Auswertung von Studien aus den 80er Jahren zu dem Ergebnis gekommen, dass sich keine einheitliche Erklärung für Fusionen finden lasse. Weder liefere das Streben nach Effizienz noch nach Monopolmacht eine eindeutige Erklärung der Fusionsmotive. Die empirischen Untersuchungen deuteten darauf hin, dass die Erfolgsaussichten von Fusionen begrenzt und die Umstrukturierungskosten (d.s. Schwierigkeiten, die Operation „zu verdauen“, und Nachteile der Großorganisation) häufig höher seien als die Vorteile, welche sich die Unternehmen davon versprechen. So weist die Kommission u.a. auf eine Untersuchung von Stephen C. Coley und Sigurd E. Reinton283, zwei Unternehmensberatern, hin. Gegenstand der Untersuchung waren amerikanische und britische Unternehmen, die auf der Liste der 250 größten Unternehmen von Fortune bzw. unter den 150 ersten der Top-500 der Financial Times aufgeführt waren und im Laufe der Zeit fusioniert hatten, um sich neue Märkte zu erschließen. Diese Untersuchung zeigt, dass von 116 untersuchten Beteiligungen nur in 23 % der Fälle die entsprechenden Kapitalkosten bzw. die in das Beteiligungsprogramm investierten Mittel wieder erwirtschaftet worden sind. Den 23 % erfolgreichen standen 61 % nicht erfolgreiche Fusionen gegenüber, während in 16 % der Fälle keine Aussage über Erfolg oder Misserfolg möglich war. Dabei zeigte sich, dass die Erfolgsaussichten einer Fusion mit zunehmender Größe und Diversifikation abnahmen. Dagegen war im Falle horizontaler Fusionen und dem Erwerb kleinerer Unternehmen der Erfolgsprozentsatz mit 45 % deutlich höher. Als Gründe für die Misserfolge nennen die Autoren überhöhte Preise beim Erwerb eines Unternehmens, Überschätzung der Möglichkeiten zu Synergieeffekten sowie ein unzulängliches Management nach dem Erwerb. Die empirische Untersuchung von Jörn Kleinert und Henning Klodt (WWA), welche mittels drei verschiedener Methoden (Entwicklung der Marktanteile und der Aktienkurse sowie der Jahresüberschüsse nach erfolgter Fusion) die von der Europäischen Kommission von 1991 bis 1996 überprüften Megafusionen im Hinblick auf negative Marktmachteffekte und einzelwirtschaftliche Effizienzgewinne analysiert haben, kommt zu dem Ergebnis, dass weder die Marktmachteffekte noch die Effizienzgewinne hoch waren, wobei für diesen trade-off allerdings die Größe der fusionierenden Unternehmen von entscheidender Bedeutung war:284 „Standen die Chancen einer erfolgreichen Übernahme bei einer Fusion mit einem kleineren oder mittleren Partner (< 30 v.H. der eigenen Größe) noch 50 : 50, sanken sie bei einem größeren Partner auf 25 v. H. Drei Viertel dieser Fusionen scheiterten in den 90-er Jahren!“ Die Autoren kommen daher in ihrer Studie zu dem Schluss, dass Megafusionen die größten Marktmachteffekte und die zweifelhaftesten Effizienzgewinne aufweisen. 282

283 284

Vgl. Jacquemin, Alexis, Pierre Buigues und Fabienne Hzkovitz, Horizontale Konzentration, Fusionen und Wettbewerbspolitik der Europäischen Gemeinschaft, in: Europäische Wirtschaft Nr. 40 (1989), hrsg. von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, S. 22. Vgl. Coley, Stephen C., und Sigurd E. Reinton, The Hunt for Value, in: The McKinsey Quarterly 1988, S. 29 ff. Vgl. Kleinert, Jörn, und Henning Klodt, Megafusionen: Trends, Ursachen und Implikationen, Kieler Studien 302, Tübingen 2000, S. 72 f. und 96 f. sowie 68.

132

5. Kapitel: Zielkonflikte

Die neueste Untersuchung von Gugler, Mueller u.a.285 analysiert die Wirkungen von knapp 15.000 Fusionen in den USA, England, Kontinentaleuropa, Japan, Australien, Neuseeland und Kanada sowie der restlichen Welt in den achtziger und neunziger Jahren im Hinblick auf Gewinne und Umsatz, unterschieden nach Marktmacht und Effizienz als Hauptursachen. Dabei wird zwischen horizontalen, vertikalen und konglomeraten sowie nationalen und transnationalen Zusammenschlüssen unterschieden. In weitgehender Übereinstimmung mit den empirischen Untersuchungen in den letzten 20 Jahren kommen die Verfasser zu dem Ergebnis, dass 56,7 % aller Fusionen zwar zu signifikant höheren (ca. 8%) Gewinnen, aber etwa der gleiche Anteil nach Ablauf von 5 Jahren zu geringeren Umsätzen führen. Wenn man davon ausgehe, dass eine Steigerung von Marktmacht oder eine Verminderung der Effizienz wohlfahrtsmindernd sind, dann war in den letzten 15 Jahren weltweit die Mehrzahl der Fusionen mit 55,8 % wohlfahrtsmindernd. Interessanter Weise konnten die Autoren keine gravierenden Unterschiede zwischen nationalen und transnationalen Fusionen sowie zwischen den verschiedenen Ländern feststellen. Die merger-Verhaltensweisen des Managements sind offensichtlich international sehr ähnlich. Die angeführten empirischen Untersuchungen zeigen übereinstimmend, dass Fusionen kein schneller und einfacher Weg sind, um den Unternehmenserfolg zu erhöhen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges (z.B. Daimler-Benz/AEG, Dornier, Fokker und Adtranz, BMW/ Rover sowie Daimler/Chrysler) ist vielmehr sehr hoch; damit sind theoretisch mögliche Zielkonflikte zwischen Wettbewerb und Kostenersparnissen nur von begrenzter empirischer Relevanz.

6.

Kriterien für Erfolge und Misserfolge von Fusionen

Die vorliegenden empirischen Studien erlauben ein vorläufiges Resümee der Ursachen für die Misserfolge von Fusionen. (a) Die Vorbereitung der Transaktion und ihre Durchführung sind häufig unzureichend:





285

Zu einer sorgfältigen Vorbereitung einer solchen Transaktion gehören eine due Diligence (i.S. einer sorgfältigen Untersuchung, Prüfung und Bewertung des potentiellen Übernahmekandidaten), die Identifikation von Synergiepotentialen, die Errechnung eines realistischen Kaufpreises sowie die Erarbeitung eines soliden Finanzierungskonzeptes. Jedoch leidet die Vorbereitung der Integration unter unvollständigen Informationen über das zu erwerbende Unternehmen (vgl. Daimler/Benz über die fehlende, zukünftige oder neue Modellpalette von Chrysler), da es für das zu übernehmende Unternehmen aufgrund möglicher Kaufpreisabschläge vor einer Fusion nicht ratsam ist, alle Informationen preiszugeben. Dazu kommt oft eine verfehlte Akquisitionsstrategie (falsche Branche, falsches Unternehmen, falsche Marke, falscher regionaler Markt). Das Integrationsmanagement ist angesichts unterschiedlicher Unternehmenskulturen, divergierender Zielvorstellungen, mangelnder Einbindung der Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten sowie dem Verlust von Leistungsträgern oft mangelhaft. Das Management

Vgl. Gugler, Klaus, Dennis C. Mueller, B. Burcin Yurtoglu und Christine Zulehner, The Effects of Mergers: An International Comparison, in: International Journal of Industrial Organization 21 (2003), S. 625 ff. Vgl. auch den Überblick von Mueller, Dennis C., Merger Policy in the United States: A Reconsideration, in: Review of Industrial Organization 12 (1997), S. 655 ff., und Röller, Stennek und Verboven, supra, S. 58 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

133

überschätzt einerseits mögliche Synergieeffekte und unterschätzt andererseits die Schwierigkeiten ihrer Realisierung (Manager-Hybris). Der Druck des Kapitalmarkts verleitet das Management zu Schnellschüssen in Gestalt des Arbeitsplatzabbaus anstatt zum konsequenten Aufspüren von Synergieeffekten, die sich häufig nur langfristig realisieren lassen. (b) Die seit Mitte der 90-er Jahre zu beobachtende – nur durch den Börsencrash von 2000 unterbrochene – Fusionswelle muss daher angesichts einer Erfolgsquote von nur ca. 25–30 % bei Großfusionen nicht als wirtschaftlicher Zwang zur Globalisierung, sondern primär als Ausdruck von Interessen des Managements und das Management beratender Unternehmen gesehen werden; es gilt offenbar, um jeden Preis zu den umsatzstärksten Unternehmen einer Branche zu gehören (empire building-policy). Die Schaffung von großen Wirtschaftsimperien dient dabei weder den Interessen des Unternehmens, noch denen der Aktionäre und Mitarbeiter. Das Management maximiert dabei seinen eigenen Nutzen, ohne von dem offensichtlich überforderten Aufsichtsrat daran gehindert zu werden. Während in der Vergangenheit Fusionen häufig der Risikostreuung durch Diversifikation dienen sollten, stehen heute – aufgrund der schlechten Erfahrungen mit konglomeraten Zusammenschlüssen – die Stärkung der Kernkompetenz und damit horizontale Zusammenschlüsse im Vordergrund. Abschließend soll in Tabelle 8 ein vergleichender Überblick über Größen-Kostenvorteile und -nachteile bei externem bzw. internem Unternehmenswachstum gegeben werden. Tab. 8:

Synopsis der Größen-Kostenvorteile und -nachteile bei externem bzw. internem Unternehmenswachstum Größen-Kostenvorteile

Größen-Kostennachteile

bei horizontaler Konzentration

economies of scale bei gege286 bener Produktionsfunktion

diseconomies of scale bei gegebener Produktionsfunktion

bei vertikaler Konzentration bei konglomerater Konzentration

transaction-cost economies

steigende Organisationskosten X-Inefficiency

economies of scope bei gegebener Produktions287 funktion

diseconomies of scope bei gegebener Produktionsfunktion

K(a,b) < K(a) + K(b)

K(a,b) > K(a) +K(b)

286 287

Stückkostendegressionen können im Zeitablauf auch durch Lernkosteneffekte auftreten (sog. dynamische Skaleneffekte); dabei werden neue günstigere Produktionsfunktionen realisiert. In anderen Funktionsbereichen eines Unternehmens als der Produktion im engeren Sinn können u.U. auch economies of scale auftreten.

134

5. Kapitel: Zielkonflikte

III. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen 288 Wettbewerbs und dem technischen Fortschritt? Der technische Fortschritt ist als eine der Hauptkomponenten des wirtschaftlichen Wachstums von entscheidender Bedeutung für die Wohlfahrt einer Gesellschaft; er zählt daher zu Recht zu den Zielfunktionen im Konzept eines wirksamen Wettbewerbs.289 Während bisher die Realisierung der optimalen Betriebs- und Unternehmensgröße bei gegebener Technik im Hinblick auf mögliche Zielkonflikte untersucht worden ist, soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, wie sich die Beziehungen zwischen der absoluten Unternehmensgröße und dem technischen Fortschritt (sog. Neo-Schumpeter-Hypothese I) sowie der relativen Unternehmenskonzentration bzw. Marktstruktur und dem technischen Fortschritt (sog. Neo-Schumpeter-Hypothese II) darstellen.

1.

Wirkungen der Betriebs- bzw. Unternehmensgröße auf den technischen Fortschritt (Neo-Schumpeter-Hypothese I)290

Diese These unterstellt einen positiven Zusammenhang zwischen der absoluten Unternehmensgröße und der innovatorischen Tätigkeit eines Unternehmens, wobei sich die Diskussion um die Neo-Schumpeter-Hypothese I (NSH I) auf die Frage konzentriert, ob Großunternehmen mehr und/oder effektiver F&E betreiben als kleinere und mittelgroße Unternehmen. Träfe dies zu, so würde die Innovationsintensität einer Unternehmung überproportional mit ihrer Größe zunehmen. a) Argumente pro und contra Neo-Schumpeter-Hypothese I Diese These stützt sich auf verschiedene Argumente. So wird häufig auf die möglichen Kostenersparnisse eines Großlabors verwiesen. Hinzu treten die Möglichkeiten für Großunternehmen, sich ein risikominimales Portefeuille an Forschungsprojekten zusammenzustellen und/oder mit Hilfe überlegener absatzwirtschaftlicher Ressourcen die Durchsetzung einer Innovation am Markt zu beschleunigen und so den Gegenwartswert der erwarteten Erträge einer Innovation zu steigern. Darüber hinaus wird in der Diskussion immer wieder auf die hohen Kosten verschiedener Branchen im F&E-Bereich verwiesen, die oft auch die Finanzierungsmöglichkeiten von Großunternehmen übersteigen. Gegen diese Argumente wird eingewandt, dass die Überorganisation in Großunternehmen gerade im technologischen Bereich wegen der für wissenschaftliche Angestellte demotivierenden Wirkung schneller zu „diseconomies“ führt als z.B. im Produktionsbereich, so dass die kritische Größe von Forschungsgruppen bzw. -labors relativ früh erreicht wird. Hinzu kommt, dass durch lange Entscheidungswege viele Personen in den Entscheidungsprozess 288 289

290

Vgl. Schmidt, Ingo, und Stefan Elßer, Innovationsoptimale Unternehmensgrößen und Marktstrukturen: Die Neo-Schumpeter-Hypothesen, in: WiSt 19 (1990), S. 556 ff. Vgl. Solow, Robert M., Technical Change and the Aggregate Production Function, in: RevESt 39 (1957), S. 320, und Griliches, Zvi, Productivity, R&D, and Basic Research at the Firm Level in the 1970’s, in: AER 76 (1986), S.146 f. und 151. Zu den Zielfunktionen im Konzept eines wirksamen Wettbewerbs vgl. 2. Kap. Abschnitt I. Vgl. Müller, Udo, op. cit., S. 63 f., sowie Kamien und Schwartz, op. cit., S. 22 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

135

über die Weiterverfolgung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Entdeckung einbezogen werden und somit die Chance für die Realisierung riskanter Projekte sinkt.291 Dies bewirkt nach Scherer/Ross292 “…a bias against really imaginative innovations in the laboratories of large firms. Inability to get ideas approved by higher management drives creative individuals out of large corporate R&D organizations to go it alone with their own ventures.” Eine Klärung der Frage, welche dieser konträren Hypothesen in der Realität dominiert, muss empirischen Untersuchungen vorbehalten bleiben. b) Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Neo-Schumpeter- Hypothese I293 Eine Darstellung der umfangreichen empirischen Literatur sowie der messtechnischen Probleme würde den Rahmen eines Lehrbuchs sprengen. Es sollen daher nur kurz wichtige Tendenzen aufgezeigt werden, die als empirisch weitgehend gesichert betrachtet werden können. Im Folgenden wird eine Begrenzung auf die Beziehung Unternehmensgröße/innovatorischer Output vorgenommen; denn sie kann als Resultante der Beziehungen Unternehmensgröße/innovativer Input (Intensität der innovatorischen Tätigkeit) und Unternehmensgröße /effiziente Allokation technologischer Ressourcen (Effizienz der innovatorischen Tätigkeit) betrachtet werden. Die empirischen Untersuchungen zu dieser Beziehung ergeben eine überproportional steigende Intensität des innovatorischen Outputs (gemessen an der Zahl der Patente) bis zu einer bestimmten Unternehmensgröße, die von Branche zu Branche stark schwankt (mindestoptimale Unternehmensgröße); darüber hinaus bleibt die Intensität konstant bzw. fällt wieder ab.294 Allerdings erscheint es dabei notwendig, entsprechend den Stufen des technischen Fortschritts zu differenzieren. So zeigen empirische Untersuchungen, dass bis zur Patentreife (Invention) nach wie vor kleinere und mittlere Unternehmen sowie unabhängige Erfinder eine sehr bedeutende Rolle spielen. Folgende Beispiele belegen dies: Klimaanlagen, Bakelit, Kugelschreiber, Cellophan, Verchromung, Baumwollpflückmaschinen, Zyklotron, Elektronenmikroskop, Härtung flüssiger Fette, Hubschrauber, Insulin, Strahltriebwerke, Kodachrome, Magnettonaufnahme, Penicillin, Polaroidkamera, Servolenkung, Schnellgefrierverfahren, Funk, Sicherheitsrasierapparat, Armbanduhr, Titan, Reißverschluss.

291

292 293

294

Vgl. Scherer und Ross, op. cit., S. 651 ff. Für eine institutionenökonomische Darstellung dieses Problems vgl. Elßer, Stefan, Innovationswettbewerb: Determinanten und Unternehmensverhalten, Frankfurt a.M. u.a. 1993, S. 231 ff. Scherer und Ross, op. cit., S. 652 f. Zu den empirischen Untersuchungen der NSH I liefern verschiedene Arbeiten einen guten Überblick. Vgl. Müller, Udo, op. cit., S. 64 ff.; Kamien und Schwartz, op. cit., S. 75 ff.; Baldwin, William L., und John T. Scott, Market Structure and Technological Change, Chur u.a. 1987, S. 75 ff., sowie Cohen, Wesley M., und Richard C. Levin, Empirical Studies of Innovation and Market Structure, in: Schmalensee, Richard, und Robert D. Willig (Hrsg.), Handbook of Industrial Organization Bd. 2, Amsterdam 1989, S. 1067 ff. Vgl. hierzu ausführlich Kamien und Schwartz, op. cit., S. 82 ff., und zu den theoretischen Grundlagen des Patentwesens Dahmann, Gerd, und Werner Zohlnhöfer, Erfindungen, Patentwesen und Angebotskonzentration: Theoretische Grundlegung und empirische Illustration. Ein Beitrag zur Konzentrationsforschung, in: Wettbewerb und Fortschritt: Festschrift zum 65. Geburtstag von Burkhardt Röper, hrsg. von Hamm, Walter, und Reimer Schmidt, Baden-Baden 1980, S. 135 ff.

136

5. Kapitel: Zielkonflikte

Erst bei der Weiterentwicklung bis zur Marktreife (Innovation) oder bei der nicht zielgerichteten Grundlagenforschung entstehen in verschiedenen Branchen finanzielle Belastungen, die auch große Unternehmen für den technischen Fortschritt wichtig erscheinen lassen.295 Empirische Untersuchungen ergaben zudem, dass eine isolierte Betrachtung der absoluten Unternehmensgröße zu eng ist. Bezieht man die einer Branche zugrundeliegende Technologie, die Möglichkeiten zur Sicherung von Innovationsrenten und die Nachfragebedingungen (z.B. Größe und Wachstum des Absatzmarktes) als Strukturkriterien mit in die Analyse ein, so verliert die Unternehmensgröße dramatisch an Erklärungskraft für die Innovationsaktivitäten eines Unternehmens. Vielmehr erscheint es so, dass diese Strukturkriterien sowohl die Innovationsintensität als auch die Unternehmensgröße determinieren. Dabei führen diese Kriterien häufig zu einer Koexistenz von großen und kleinen Unternehmen, zwischen denen es zu einer Art Arbeitsteilung bei Innovationen kommt. Während Großunternehmen eher in der Grundlagenforschung und bei der Durchsetzung einer Innovation am Markt Vorteile aufweisen, sind kleinere und mittlere Unternehmen flexibler bei der anwenderorientierten Weiterentwicklung von Erfindungen:296 “Contrary to the allegiations of Galbraith, Schumpeter, and others, there is little evidence that industrial giants are needed in all or even most industries to insure rapid technological change and rapid utilization of new techniques. … Of course, this does not mean that industries composed only of small firms would necessarily be optimal for the promotion and diffusion of new techniques. On the contrary, there seem to be considerable advantages in a diversity of firm sizes, no single firm size being optimal in this respect.” c)

Wirkungen des technischen Fortschritts auf die Betriebs- bzw. Unternehmensgröße Im Hinblick auf den möglichen Zielkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und dem technischen Fortschritt beschäftigt sich die empirische Literatur vornehmlich mit der Frage, welche Rolle die Unternehmensgröße als Determinante für das Innovationsverhalten von Unternehmen spielt. Dabei wird immer von einem eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und technischem Fortschritt ausgegangen. Die oben genannten empirischen Untersuchungen sind hierfür jedoch kein Beleg, da durch Regressionsanalysen festgestellte Korrelationen zwischen ökonomischen Größen noch nichts über die kausale Verknüpfung aussagen. Für die Wettbewerbspolitik ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob nicht der rentable Einsatz neuester Prozessinnovationen immer größere Unternehmens- bzw. Betriebseinheiten erfordert. Diese These lässt sich durch eine Reihe von Beispielen sowohl belegen als auch widerlegen. (1) Beispiele dafür sind Dampfmaschinen, Lokomotiven und teure Einzweckmaschinen, d.h., die optimalen Betriebsgrößen mussten am Anfang des Zeitalters der technischen Revolution wachsen, um die Kostenvorteile nutzbar zu machen. Aktuelle Beispiele wären der Bau von Flugzeugfabriken, Weltraumkapseln und Atomreaktoren.

295 296

Vgl. Jewkes, J., D. Sawers und R. Stillerman, The Sources of Invention, 2. Auflage, Edinburgh 1969, S. 65 ff., 231 ff., sowie Scherer und Ross, op. cit., S. 415 ff. Mansfield, E., The Economics of Technical Change, New York 1968, S. 217.

5. Kapitel: Zielkonflikte

137

(2) Beispiele dagegen sind der Einsatz von Computern auch in kleineren und mittleren Unternehmen, die Einführung des Sauerstoffblas-/LD-Verfahrens und neuerdings des Elektrolichtbogenverfahrens in der Stahlindustrie, die Erschließung der Kunststoffchemie, die Entwicklung des Spannbetons sowie von Glasfiberkarosserien in der Automobilindustrie, Elektronik, Mikroelektronik und Halbleiterbranche.297 Eine ausführliche Literaturstudie von Blair kommt zu dem Ergebnis, dass vom späten 18. Jahrhundert bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts technischer Fortschritt größere Betriebseinheiten erforderte, sich aber in den letzten fünfzig Jahren eine solche Aussage nicht generell halten lässt.298 Die These, dass technischer Fortschritt Großbetriebe und damit verstärkte Konzentration zur Folge hat, ist durch die tatsächliche Entwicklung nicht belegt; vielmehr kann die optimale Betriebs- bzw. Unternehmensgröße sowohl nach oben als auch nach unten verschoben werden.

2.

Wirkungen der Unternehmenskonzentration bzw. der Marktstruktur auf den technischen Fortschritt (Neo-Schumpeter-Hypothese II)299

Diese These setzt sich mit der für den technischen Fortschritt günstigsten relativen Unternehmenskonzentration bzw. Marktstruktur auseinander. Die Hypothese behauptet eine hohe Korrelation zwischen Marktmacht, die sich in hohen Konzentrationsgraden bzw. entsprechenden Marktstrukturen manifestiere, und den F&E-Aktivitäten der betrachteten Unternehmen. a) Argumente pro und contra Neo-Schumpeter-Hypothese II Nach dieser Hypothese fördert Marktmacht die Innovationsneigung, da es mit ihrer Hilfe möglich sei, eine Innovation vor zu schneller Imitation zu schützen und somit positive externe Effekte für die Konkurrenten des innovativen Unternehmens zu internalisieren. Dagegen lohnten sich bei vollständiger Konkurrenz innovatorische Aktivitäten eines Unternehmens nicht, da innovatorische Marktvorsprünge wegen der unmittelbaren Imitierbarkeit sofort verloren gingen.300 Die vor der Innovation realisierten monopolistischen Gewinne bilden eine finanzielle Reserve für eine zumindest partielle Selbstfinanzierung einer Innovation. Diese partielle Selbstfinanzierung einer Innovation ist im Hinblick auf die Geheimhaltung der Invention und auf das sog. „moral hazard“-Problem wichtig. Unter letzterem versteht man die besondere Risiko297

298 299

300

Vgl. bei den US Congress-Hearings die Expertenaussagen von: Finke, W.W. (Honeywell), in: Hearings Part 4, S. 1571 und 1574 ff.; Carter, B.L.(NCR), in: Hearings Part 4, S. 1601 f.; Opel, J.R.(IBM), in: Hearings Part 4, S. 1651 ff.; Orr, L.D.(Prof.), in: Hearings Part 6, S. 2791 ff.; Morrison, R.S.(Molded Fiber Glass), in: Hearings Part 6, S. 2848 f.; Haller, W.(Prof.), in: Hearings Part 6, S. 2692 f.; Sherwood, W.L. (Sherwood Co Ltd.), in: Hearings Part 6, S. 2657 ff., insbesondere S. 2671, sowie dazu Stone, P., in: Hearings Part 6, S. 3096 ff. Vgl. Blair, John M., Economic Concentration: Structure, Behavior and Public Policy, New York 1972, S. 87 ff. Vgl. Müller, Udo, op. cit., S. 101, und Schumpeter, Joseph A., Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 4. Aufl., München 1975, S. 143 ff. In jüngerer Zeit versuchte man die NSH II in das neoklassische Modellgebäude mit Hilfe von spiel- und entscheidungstheoretischen Modellen zu integrieren. Vgl. hierzu Kamien und Schwartz, op. cit., S. 105 ff., und für eine kritische Würdigung Witt, Ulrich, Individualistische Grundlagen der evolutorischen Ökonomik, Tübingen 1987, S. 56 ff. Vgl. Weizsäcker, Carl Christian v., Rechte und Verhältnisse in der modernen Wirtschaftslehre, in: Kyklos 34 (1981), S. 352.

138

5. Kapitel: Zielkonflikte

situation, der andere Kapitalgeber bei der Finanzierung einer Innovation ausgesetzt sind; denn neben dem Risiko, das mit jeder Innovation verbunden ist, tragen sie auch das Risiko, dass der Innovator die ihm anvertraute Aufgabe nicht zuverlässig erfüllt. Erst das Wissen um die finanzielle Bindung des Innovators reduziert ceteris paribus dieses Risiko, da nun Unzuverlässigkeiten des Innovators ihn selbst finanziell sanktionieren.301 Diesen Argumenten kann entgegengehalten werden, dass es gerade der Wettbewerbsdruck insbesondere in Form des Preiswettbewerbs ist, der den technischen Fortschritt voranbringt; denn er beschneidet suprakompetitive Gewinne und „droht“ gewissermaßen mit einer Kapitalverzinsung entsprechend der Grenzproduktivität. Außerdem müssen Unternehmen befürchten, dass ihnen ein aktueller oder potentieller Konkurrent durch eine kostensenkende Innovation, die tendenziell preissenkend wirkt, zuvorkommen könnte. Aus diesen Gründen werden Unternehmen zu innovatorischer Tätigkeit gezwungen. Preiswettbewerb und Innovationswettbewerb sind insofern gleichgewichtig, als sie sich gegenseitig bedingen. “The basic point is that progress is likely to be rapid (1) when firms are large enough or few enough to afford and benefit from research and (2) when they are under competitive pressure to innovate – utilize the results of research.”302 Der Widerspruch der oben genannten Argumente lässt sich partiell dadurch auflösen, dass man zwischen Produkt- und Prozessinnovation unterscheidet; denn Marktstrukturen, die Preiswettbewerb weitgehend ausschließen, führen eher zu Produktinnovationen, während Märkte mit intensivem Preiswettbewerb für Prozessinnovationen förderlich sind. Da jedoch die Produktinnovation eines Unternehmens, sofern es sich nicht um ein Konsumgut handelt, für ein anderes häufig eine Prozessinnovation (z.B. eine verbesserte Maschine) darstellt, kann auch gesagt werden, dass für die Phasen der Invention und Innovation Marktmacht förderlich ist, während für die Diffusion Preiswettbewerb in den Absatzmärkten notwendig erscheint.303 Man kann daher mit Scherer schließen:304 “What is needed for rapid technical progress is the proper blend of competition and monopoly.” b) Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Neo-Schumpeter-Hypothese II305 Die meisten Untersuchungen befassen sich mit dem Zusammenhang zwischen Konzentrationsrate (CR4, CR8) als unabhängiger Variable und dem Innovationsverhalten der Unternehmen in den betrachteten Industrien als abhängige Variable. Auch hier wird zwischen Untersuchungen unterschieden, die Input- oder Outputmaße (F&E-Ausgaben bzw. Angestellte oder Patente) für die innovatorische Aktivität verwenden. Alle Untersuchungen kommen im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass monopolistische Marktmacht nur bis zu einem gewissen Grad ( Schwellenwert ) für den technischen Fort301 302 303 304 305

Vgl. Kamien und Schwartz, op. cit., S. 28 f. Villard, supra, S. 483 ff., 491. Vgl. Schumacher, Harald, Diversifikation, Wettbewerb und Strukturflexibilität, Göttingen 1976, S. 132 ff. Scherer, Frederic M., Innovation and Growth: Schumpeterian Perspectives, Cambridge, Mass. 1984, S. 127. Vgl. auch Motta, Massimo, Competition Policy: Theory and Practice, Cambridge 2004, S. 57. Zu den empirischen Untersuchungen der NSH II liefern verschiedene Arbeiten einen guten Überblick. Vgl. Müller, Udo, op. cit., S. 103 ff.; Kamien und Schwartz, op.cit., S. 84 ff.; Baldwin und Scott, op. cit., S. 89 ff., und Cohen und Levin, supra, S. 1074 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

139

schritt förderlich ist. Daneben sind auch die bereits im Zusammenhang mit der NSH I genannten Strukturkriterien für die Erklärung der Innovationsintensität in einem Markt wichtig. So kommen Richard C. Levin, Wesley M. Cohen und D. C. Mowery zu folgendem Schluss:306 “In the spirit of creative destruction we hope that our findings will at last move the empirical literature beyond the oversimplified propositions that industrial concentration promotes innovative effort and innovative output. To explain interindustry variation in R&D incentives and the productivity of innovative effort, we must look to underlying differences in technological opportunities and appropriability conditions.” Die empirischen Untersuchungen zur NSH II geben daher ebenfalls keine Hinweise für einen generellen Zielkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und der Zielsetzung einer hohen technischen Fortschrittsrate. Dies gilt allerdings nur für die These, dass Marktmacht eine entscheidende Voraussetzung für Innovationen ist. Der Hinweis von Schumpeter, dass temporäre Marktmacht als Anreiz für Innovationen notwendig sei und somit das Ziel der allokativen Effizienz nicht immer erfüllt sein könne, gilt weiter. Weder das Polypol noch das Monopol können daher dauerhaft als wünschenswerte Marktformen angesehen werden. c)

Wirkungen des technischen Fortschritts auf Unternehmenskonzentration bzw. Marktstruktur Diese These besagt vice versa, dass die Unternehmenskonzentration auf den technischen Fortschritt zurückzuführen ist. Zu dieser These lassen sich gegensätzliche Plausibilitätsüberlegungen anstellen: (1) Der technische Fortschritt bringt neue Produkte und Verfahren hervor, die zu einer Verschärfung der Substitutionskonkurrenz beitragen. (2) Der technische Fortschritt fördert die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen im Sinne einer größeren Produktionsflexibilität. Die Möglichkeit eines raschen Wechsels der Produktion lässt neue Konkurrenzbeziehungen entstehen. (3) Der technische Fortschritt im Bereich des Verkehrs und der Nachrichtentechnik bewirkt die Auflösung regionaler Märkte – mitsamt ihren Oligopolen und Monopolen – und deren Aufgehen in nationalen und internationalen Märkten bei wieder erstarkendem Wettbewerb. Neben diesen wettbewerbsfördernden Wirkungen lassen sich auch Erwägungen über konzentrationsfördernde Effekte anstellen: (1) Der technische Fortschritt vermag im Zeitablauf die optimale Unternehmens- bzw. Betriebsgröße soweit hinauszuschieben, dass die Ausbringung weniger Unternehmen oder nur eines Unternehmens ausreicht, um einen Markt optimal zu versorgen (natürliches Oligopol oder Monopol). (2) Der technische Fortschritt schafft Aggregate, deren Einsatz hohe Investitionssummen verlangt, so dass nur wenige finanzkräftige Unternehmen in der Lage sind, sich die Errungenschaften der fortschreitenden Technik zunutze zu machen.

306

Levin, R.C., W.M. Cohen und D.C. Mowery, R&D Appropriability, Opportunity, and Market Structure: New Evidence on some Schumpeterian Hypotheses, in: AER Papers and Proceedings 79 (1985), S. 24.

140

5. Kapitel: Zielkonflikte

Jedoch darf der technische Fortschritt als Konzentrationsursache nicht überbewertet werden. Andere Determinanten unternehmensexterner Art (z.B. Einflüsse der Wirtschafts-, Finanz- und Rechtspolitik) können u.U. in noch stärkerem Maße zur Unternehmenskonzentration beitragen.

IV. Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit?307 Bei sog. Ministerfusionen besteht nach § 42 Abs. 1 S. 2 GWB die Möglichkeit, eine wettbewerbsbeschränkende Fusion im Einzelfall zu genehmigen, wenn hierdurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen gesteigert wird. Im Zusammenhang mit dieser These ist zu überprüfen, inwieweit die Einflussgrößen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unternehmensgrößenabhängig sind. Der Begriff der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist dabei unternehmensbezogen zu interpretieren. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ergibt sich demnach aus der Aggregation der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen des betreffenden Landes.308 (1) Als von der Unternehmensgröße abhängige Einflussgrößen sind die Strategievariablen eines Unternehmens im Wettbewerb zu betrachten. Unternehmen sind dann international wettbewerbsfähig, wenn sie ihre Produkte auf ausländischen Märkten zu Preisen absetzen können, die die entstandenen Kosten decken und zudem noch eine angemessene Rendite bringen (Preis-Wettbewerbsfähigkeit). Da auch nicht-preisliche Aktionsparameter – wie Produktqualität, Zeitpunkt und Zuverlässigkeit der Lieferung sowie Finanzierungsbedingungen – für den Absatzerfolg bestimmend sind, muss der Begriff der Preis-Wettbewerbsfähigkeit um den der Nicht-Preis-Wettbewerbsfähigkeit erweitert werden. Entsprechend unterscheidet Porter309 idealtypisch zwischen zwei Strategien, mit denen ein Unternehmen im dynamischen Wettbewerbsprozess Vorteile erringen kann. Ein Unternehmen kann entweder versuchen, bekannte Produkte durch Ausnützen von Massenproduktionsvorteilen effizienter zu produzieren oder durch neue Produkte sowie durch die Differenzierung schon am Markt eingeführter Güter die heterogenen Nachfragerpräferenzen besser zu befriedigen und auf diesem Wege höhere Preise durchzusetzen. Hierbei ist es nach Porter vor allem die letzte Strategie, die einem Unternehmen langfristige Wettbewerbsvorteile sichert. Kostenvorteile in der Produktion werden häufig erst durch den Export realisiert und sind zudem von der Konkurrenz schnell aufzuholen.

307

308

309

Vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrats 1976/77, in: BTDr 7/5902, Tz. 155 ff.; 1978/79, in: BTDr 8/2313, Tz. 161 ff.; 1981/82, in: BTDr 9/1061, Tz. 442 ff., und 1988/89, in: BTDr 11/3478, Tz. 147 ff. Vgl. auch Monopolkommission, 9. Hauptgutachten: Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik, Baden-Baden 1992, Kap. VII: „Wettbewerb und strategische Handelspolitik“. Zum Begriff und zur Messung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit vgl. Orlowski, Dieter, Die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Messung einer wirtschaftspolitischen Zielgröße, Göttingen 1982, S. 11. Hierin ist eine Abkehr von den traditionellen Erklärungsansätzen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Ricardo und Heckscher/Ohlin zu sehen, wonach die Ausrichtung der Produktion an der relativen Faktorausstattung und die daraus resultierende Integration einer Volkswirtschaft in das System der internationalen Arbeitsteilung entscheidend sind. Vgl. Porter, M.E., The Competitive Advantage of Nations, London 1990, S. 37 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

141

Bereits in den vorhergehenden Abschnitten wurde die Frage untersucht, welche Auswirkungen die Unternehmensgröße auf die Produktions- und Transaktionskosten sowie den technischen Fortschritt hat. Es wurde deutlich, dass Großunternehmen weder generell effizienter produzieren noch innovativer sind. Es ist nicht ersichtlich, warum sich aus internationaler Perspektive an dieser Schlussfolgerung etwas ändern sollte. (2) Zu den Einflussgrößen, die unabhängig von der Unternehmensgröße sind, gehören u.a. alle Maßnahmen, mit denen die Wirtschaftspolitik auf die Attraktivität eines Industriestandortes Einfluss nimmt, wenn diese Entscheidungen sich direkt auf die Kosten- und Erlösseite eines international tätigen Unternehmens auswirken. Folgende Politikmaßnahmen sind dabei von besonderer Relevanz:



die Geld- und Währungspolitik sowie ihre Orientierung an dem Ziel der Preisniveaustabilität; die Wettbewerbs- und Außenhandelspolitik; die Sozial-, Tarif-, Umweltschutz-, Energie-, Bildungs-, Industrie- und Steuerpolitik sowie der Ausbau und Zustand der Verkehrs- und Kommunikationswege.

• • • Hiervon werden zunächst alle Unternehmen – unternehmensgrößenunabhängig – gleichermaßen betroffen. Die Möglichkeiten, negative Folgen zu kompensieren, können jedoch sehr wohl größenabhängig sein (z.B. die Möglichkeit, in eigener Währung zu fakturieren, um Wechselkursrisiken auszugleichen, oder die Möglichkeit, Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben, bestimmte außenhandelspolitische Maßnahmen zu ergreifen). Weitere von der Unternehmensgröße unabhängige Faktoren, die außerhalb des Einflussbereichs der nationalen Wirtschaftspolitik liegen, beeinflussen ebenfalls die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Besondere Bedeutung kommt dabei Veränderungen der Nachfragestruktur zu, die auf sich wandelnde Präferenzen der Nachfrager zurückzuführen sind. Diese können z.B. durch regional unterschiedliche Bevölkerungsentwicklungen oder durch internationale Kaufkraftübertragungen, wie sie beispielsweise infolge der Erdölkrisen in den 70er Jahren auftraten, ausgelöst werden. (3) Diese Überlegungen werden auch durch die empirische Studie von Michael Porter310 bestätigt, der in einem internationalen Vergleich vier Determinanten internationaler Wettbewerbsvorteile herausgearbeitet hat: • • •

Die örtlichen Standortbedingungen wie Infrastruktur, Lohnniveau, Ausbildungs- und Technologiestandard sowie Charaktereigenschaften der Mitarbeiter (Fleiß, Präzision, Intuition). Die Nachfragebedingungen auf dem Heimatmarkt, d.h. die Preis- und Qualitätsansprüche der heimischen Kunden als Antriebsmotor, um im Ausland notwendige Wettbewerbsvorsprünge zu erzielen. Die Intensität des heimischen Wettbewerbs, der die Innovationskraft der Unternehmen ständig anregt und Anstrengungen im internationalen Wettbewerb fördert: “Firms that do not have to compete at home, rarely succeed abroad.”



Die Existenz von international wettbewerbsfähigen Zulieferindustrien und artverwandten Industriezweigen, aus denen wichtige Kuppelressourcen wie Mitarbeiter, Patente und Materialien abgeschöpft werden können.

310

Vgl. Porter, op. cit., S.71.

142

5. Kapitel: Zielkonflikte

Porter weist zu Recht darauf hin, dass internationale Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens i.d.R. aus mehreren der aufgeführten Determinanten resultieren. Seine empirischen Studien belegen, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit neben der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens – gemessen an der Produktivität – von Einflussfaktoren abhängt, die primär mit seiner relativen oder absoluten Größe nichts zu tun haben. Zudem haben die empirischen Untersuchungen im Zusammenhang mit den Neo-Schumpeter-Hypothesen gezeigt, dass die Innovationsaktivitäten eines Unternehmens ebenfalls nicht von seiner absoluten oder relativen Größe determiniert werden; seine Fähigkeit, produktivitätssteigernde Innovationen durchzuführen, hängt vielmehr maßgeblich von den technologischen Bedingungen und der Nachfragestruktur der jeweiligen Industrie ab. Diese Einschätzung eventueller Zielkonflikte hat bisher auch den Ausgang von Ministerfusionen geprägt. Unternehmenszusammenschlüsse, bei denen Wettbewerbsbeschränkungen im Geltungsbereich des GWB mit Verbesserungen im internationalen Wettbewerb gerechtfertigt wurden, wurden weder generell genehmigt noch untersagt. Im Falle VAW/Kaiser, BayWa/ WLZ und Kali + Salz/PCS wurde ein Zielkonflikt im obigen Sinne verneint,311 dagegen in den Fällen Veba/Gelsenberg, Thyssen/Hüller, IHB/Wibau , Daimler/MBB und E.ON/Ruhrgas bejaht.312

V.

Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und sonstigen Zielsetzungen?

Über die bisher untersuchten Zielkonflikte hinaus sind weitere Konflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und sonstigen Zielsetzungen denkbar, die insbesondere bei Ministerkartellen im Sinne von § 8 GWB a. F. („wenn ausnahmsweise die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls notwendig ist“) und bei Ministerfusionen im Sinne von § 42 Abs. 1 GWB („wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist“) auftreten. Insbesondere handelt es sich um Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und gesundheits-, energie- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten:

• •

311 312

313

Eine Abwägung mit gesundheitspolitischen Aspekten ist im Falle der Zigaretten- und Pharmawerbung sowie des langfristigen Erhalts des Universitätsklinikums Greifswald vorgenommen worden;313 eine Abwägung mit energiepolitischen Aspekten ist bei dem Versuch, das Vordringen des Erdöls zu Lasten der Kohle einzuschränken (Kohle-Öl-Kartell), einen nationalen ErdölVgl. VAW/Kaiser, in: WuW/E BWM 149 ff., 151; BayWa/WLZ, in: WuW/E BWM 213 ff. und Kali + Salz/ PCS, in: BWM 225 ff., 227 f. Vgl. VEBA/Gelsenberg II, in: WuW/E BWM 147 f.; Thyssen/Hüller, in: WuW/E BWM 159 ff., 163; IHB/Wibau, in: WuW/E BWM 177 ff., 179 f.; Daimler/MBB, in WuW/E BWM 191 ff., und E.ON/Ruhrgas, in: WuW/E DE-V 573 ff. und 643 ff. Die von Mitbewerbern vor dem OLG Düsseldorf erhobene (aussichtsreiche) Klage gegen die erteilte Erlaubnis ist durch eine außergerichtliche Einigung beigelegt worden. Vgl. Fernsehwerbung für Zigaretten, in: WuW/E BWM 143 ff; Werbebeschränkungen in der pharmazeutischen Industrie, in: WuW/E BWM 153 f., 175 f. und 183 f., und Universitätsklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast, in: WuW/E DE-V 1691 ff.

5. Kapitel: Zielkonflikte

143

konzern mit eigenen Rohstoffquellen aufzubauen (VEBA/Gelsenberg) und die Erdgasversorgung langfristig zu sichern (VEBA/BP und E.ON/Ruhrgas), erfolgt;314 • eine Abwägung mit arbeitsmarktpolitischen Aspekten ist im Fall einiger Ministerfusionen vorgenommen worden.315 Sie muss wirtschaftspolitisch als am fragwürdigsten angesehen werden, da die Erfahrung gezeigt hat, dass Fusionen ein untaugliches Instrument sind, um Arbeitsplätze zu sichern.316 Etwaige Zielkonflikte zwischen Wettbewerb und Arbeitsmarkt werden durch zunehmende Konzentration verschärft, da in Fällen drohenden Konkurses erhebliche arbeitsmarktpolitische Probleme bei der Unterbringung einer großen Zahl von Arbeitslosen auftreten, was die wettbewerbspolitische Entschließungsfreiheit des BMWi (bei der Erteilung einer Fusionserlaubnis bzw. Vergabe von Krediten oder Übernahme von Bürgschaften) sehr stark einschränkt.

VI. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die behaupteten Zielkonflikte Aufgrund des vorliegenden empirischen Materials können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:



• •

314

315

316

Die generelle Aussage, dass aufgrund niedriger Stückkosten Großunternehmen leistungsfähiger als mittlere und kleinere Unternehmen seien, kann nicht bestätigt werden, vielmehr können auch letztere – je nach Branche – schon die für die Behauptung im Wettbewerb notwendige Mindestgröße haben. Ebenso trifft die generelle Behauptung, der technische Fortschritt erzwinge Großunternehmen, weil er die kostengünstigste Betriebsgröße immer weiter hinausschiebe, nicht zu. Hinsichtlich der Forschungs- und Entwicklungsaktivität kann gesagt werden, dass sowohl die absolute als auch die relative Unternehmensgröße mit der Innovationsaktivität korreliert. Strittig ist jedoch, ob diese Korrelation positiv oder negativ ist, und welche Kausalrichtung vorliegt. Hinzu kommt, dass bei Berücksichtigung weiterer Strukturfaktoren die Bedeutung des morphologischen Faktors an Bedeutung verliert. Vgl. Kohle-Öl-Kartell, in: WuW/E BWM 117 ff.; vgl. VEBA/Gelsenberg II, in: WuW/E BWM 147 ff.; VEBA/BP, in: WuW/E BWM 165 ff., und E.ON/Ruhrgas, in: WuW/E DE-V 573.ff. und 643 ff. Im Falle VEBA/BP ist die energiepolitische Rechtfertigung der Ministerfusion von den Unternehmen selbst im Frühjahr 1980 ad absurdum geführt worden: BP kürzte die Erdöllieferungen, und VEBA erklärte, diese Lieferungen nicht zu benötigen! Vgl. Babcock/Artos, in: WuW/E BWM 155 ff.; Thyssen/Hüller, in: WuW/E BWM 159 ff.; VEBA/BP, in: WuW/E BWM 165 ff.; IHB/Wibau, in: WuW/E BWM 177 ff., 180 f.; MAN/Sulzer, in: WuW/E BWM 207 ff., 212, und Kali + Salz/PCS., in: WuW/E BWM 225 ff., 228 ff. Vgl. dazu Jordan, Reinhard, Fusionskontrolle: Umstrittene Sanierer, in: Wirtschaftswoche Nr. 42/1979, S. 70 ff., der aus der Sicht des DGB das Arbeitsplatzargument in den Sanierungsfällen Kaiser-Aluminium und Babcock-Artos als eine Vorspiegelung gesamtwirtschaftlicher Vorteile charakterisiert hat. „In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist dabei das Argument der Beschäftigungssicherung besonders geeignet, da es auf die Arbeitnehmer einschüchternd wirkt und die Zustimmung der Mitbestimmungsträger erzwingt“ (S. 74). Vgl. auch Gröner, Helmut, und Helmut Köhler, Wettbewerbsprobleme der Sanierungsfusion, in: ORDO 31 (1980), S. 87–126. Vgl. jedoch Nagel, Bernhard, Der Schutz von Arbeitsplätzen im Kartell- und Wettbewerbsrecht, in: Arbeitsmarkt – ökonomische, soziale und rechtliche Grundlagen, hrsg. von Michael Kittner, Heidelberg 1982, S. 187 ff., der über die §§ 8 (a. F.) und 42 Abs. 1 GWB hinaus die generelle Berücksichtigung von Arbeitsplatzinteressen im Wettbewerbs- und Kartellrecht postuliert.

144

5. Kapitel: Zielkonflikte



Auch der Einwand, dass vor allem Großunternehmen die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes gewährleisten, kann keine generelle Gültigkeit beanspruchen, da die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes von vielen Faktoren abhängt, wobei die Unternehmensgröße nur einer dieser Faktoren ist. • Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und sonstigen Zielsetzungen (z.B. Gesundheits- oder Energiepolitik) sind im Ausnahmefall denkbar. Zielkonflikte im Hinblick auf die Arbeitsplatzsicherung bestehen offensichtlich nicht, da nicht „am Markt vorbei“ fusioniert werden kann (Fusion als ungeeignetes Instrument zur Arbeitsplatzsicherung). Generell kann gesagt werden, dass Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs als anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus sowie dem technischen Fortschritt, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und sonstigen Zielsetzungen zwar im Einzelfall möglich, aber insbesondere angesichts der fortgeschrittenen Konzentration wenig wahrscheinlich sind. Zudem muss bei jeder Abwägung bedacht werden, dass mit einer Beschränkung des Wettbewerbs der Kontroll- und Steuerungsmechanismus ausfällt, der die Weitergabe von Größenvorteilen an die Abnehmer erzwingt.

Übungsfragen zum 5. Kapitel 1.

Nennen Sie Konflikte, die zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und anderen Zielsetzungen bestehen können. 2. Schildern Sie die drei Auffassungen, die in der deutschen Diskussion hinsichtlich des Schutzobjektes des GWB vertreten werden. 3. Welche Zielkonflikte treten auf, wenn Wettbewerb sowohl als wirtschaftspolitisches als auch als gesellschaftspolitisches Instrument verstanden wird? 4. Erläutern Sie, warum ein Zielkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und einer Realisierung der optimalen Betriebs- und Unternehmensgröße bestehen kann. 5. Auf welche Hauptargumente stützt sich die Auffassung, dass der technische Fortschritt einen Zwang zur Konzentration ausübt und eine Fusionskontrolle daher überflüssig ist? 6. Woran kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens gemessen werden? 7. Leiten Sie aus einer „ertragsgesetzlichen“ Produktionsfunktion die Kurve der Grenzkosten K′, der durchschnittlichen totalen Kosten DTK und der durchschnittlich variablen Kosten DVK graphisch ab. 8. Zeigen Sie anhand der Abb. 5, bis zu welcher Menge economies of scale auftreten. 9. Leiten Sie aus einer Leontiefschen Produktionsfunktion die Kurve der Grenzkosten K′ und der durchschnittlichen totalen Kosten DTK graphisch ab. 10. Erläutern Sie die wettbewerbspolitische Bedeutung des von Bain als MOS bezeichneten Punktes. 11. Was sind Lernkostenersparnisse?

5. Kapitel: Zielkonflikte

145

12. Was besagt der cost estimation-approach? Welches Ergebnis hatten verschiedene Untersuchungen der optimalen Betriebsgröße bzw. der optimalen Mindestgröße („minimum optimal scale“)? 13. Was besagt der survivor-approach? Welches sind die Haupteinwände gegen diesen Ansatz? 14. Was besagt der profitability-approach? Welches Ergebnis hatten die Untersuchungen der FTC und der Europäischen Kommission? 15. Was zeigt ein Vergleich der mit verschiedenen Methoden gewonnenen Ergebnisse im Hinblick auf den behaupteten Zielkonflikt zwischen der Realisierung von economies of scale und der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs? 16. Weshalb kann durch das Auftreten von X-Ineffizienzen die Möglichkeit des Auftretens von Zielkonflikten zwischen der Realisierung von economies of scale und der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs gemildert werden? 17. Stellen Sie Williamsons „trade-off“ Modell dar. Welche Mängel sind mit diesem Modell verbunden? 18. Welche Arten der Koordination können unterschieden werden? Was versteht man in diesem Zusammenhang unter Transaktionskosten? Beschreiben Sie, warum Transaktionskostenersparnisse nicht generell vertikale Integration rechtfertigen. 19. Auch bei der Zusammenarbeit diversifizierter Unternehmen, die auf verschiedenen Märkten tätig sind, sind Synergieeffekte denkbar. In welchen Bereichen können derartige economies of scope auftreten und worin ist die Grenze dieser Kostenersparnisse zu sehen? 20. Welche Thesen werden bei der Annahme eines Zielkonfliktes zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und dem technischen Fortschritt aufgestellt? 21. Konnte die These, dass der technische Fortschritt Großbetriebe erfordere, bestätigt werden? Nennen Sie Beispiele. 22. Wie können Innovationsmöglichkeit und Innovationswille weitgehend gewährleistet werden? 23. Welche Überlegungen lassen sich hinsichtlich der These anstellen, dass die Unternehmenskonzentration auf den technischen Fortschritt zurückzuführen ist? 24. Was ergaben die Untersuchungen der These, dass von der Entwicklung der Unternehmenskonzentration Wirkungen auf die F & E-Aktivität ausgehen? 25. Was besagt der behauptete Zielkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit? 26. Führen Sie Einflussgrößen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit an, die unabhängig bzw. abhängig von der Unternehmensgröße sind. 27. Nennen Sie weitere mögliche Konflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und sonstigen Zielsetzungen. 28. Welche generellen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die behaupteten Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und anderen Zielsetzungen können aufgrund des vorliegenden empirischen Materials gezogen werden?

146

5. Kapitel: Zielkonflikte

Weiterführende Literaturhinweise zum 5. Kapitel Audretsch, David B., und Hideki Yamawaki (Hrsg.), Structure, Conduct and Performance: Leonard W. Weiss, New York u.a. 1991. Bain, Joe S., Economies of Scale, Concentration, and the Condition of Entry in Twenty Manufacturing Industries, in: The American Economic Review Bd. 44 (1954), S. 15 ff. Baldwin, William L., und John T. Scott, Market Structure and Technological Change, Chur u.a. 1987. Berg, Hartmut (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft: Ursachen – Formen – Konsequenzen, Schriften des Vereins für Socialpolitk NF Band 263, Berlin 1999. Blair, John M., Economic Concentration: Structure, Behavior and Public Policy, New York 1972, Teil 2. BMWi, Erfahrungsbericht über Ministererlaubnis-Verfahren bei Firmen-Fusionen, in: Wirtschaft und Wettbewerb 36 (1986), S. 788–790. Böbel, Ingo, Wettbewerb und Industriestruktur: Industrial Organization – Forschung im Überblick, Berlin u.a. 1984, Teil C. Boroch, Wilfried, Internationale Wettbewerbsfähigkeit, Innovationswettbewerb und Wirtschaftspolitik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 40 (1995), S. 315 ff. Bubik, Michael, Erfolgskriterien für Zusammenschlüsse: eine theoretische und empirische Analyse, Frankfurt am Main u.a. 2005. Cohen, Wesley M., und Richard C. Levin, Empirical Studies of Innovation and Market Structure, in: Handbook of Industrial Organization Bd. 2, hrsg. von Schmalensee, Richard, und Robert D. Willig, Amsterdam 1989, S. 1060 ff. Elßer, Stefan, Innovationswettbewerb: Determinanten und Unternehmensverhalten, Hohenheimer Volkswirtschaftliche Schriften Band 17, Frankfurt a.M. u.a. 1993. Frantz, Roger S., X-Efficiency: Theory, Evidence and Applications, 2. Aufl., Boston u.a. 1997. Gugler, Klaus, Dennis C. Mueller, B. Burcin Yurtoglu und Christine Zulehner, The Effects of Mergers: An International Comparison, in: International Journal of Industrial Organization 21 (2003), S. 625 ff. Jacquemin, Alexis, Pierre Buigues und Fabienne Hzkovitz, Horizontale Konzentration, Fusionen und Wettbewerbspolitik in der europäischen Gemeinschaft, in: Europäische Wirtschaft Nr. 40 (1989), Kap. 2 und 3. Kamien, Morton I., und Nancy L. Schwartz, Market Structure and Innovation, Cambridge 1982. Kantzenbach, Erhard, Internationaler Wettbewerb und nationale Zusammenschlußkontrolle, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaften Bd. 35 (1984), S. 443 ff. ders., Wettbewerbspolitik in der globalisierten Weltwirtschaft, in: Globalisierung, hrsg. von Theurl, Theresia, und Christian Smekal, Tübingen 2001, S. 231 ff. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 82–89.

5. Kapitel: Zielkonflikte

147

Kleinert, Jörn, und Henning Klodt, Megafusionen: Trends, Ursachen und Implikationen, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (ifw), Tübingen 2000. Knieps, Günter, Wettbewerbsökonomie: Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik, 2. Aufl., Heidelberg 2005, 11. Kap. Leibenstein, Harvey, Allocative Efficiency vs. „X-Efficiency“, abgedruckt in deutscher Übersetzung bei: Dürr, E. (Hrsg.), Wachstumstheorie, Darmstadt 1978, S. 331 ff. Lenel, Hans-Otto, Zu den Megafusionen in den letzten Jahren, in: ORDO Band 51 (2000), S. 1 ff. Meckl, Reinhard, und Christoph Rosenberg, Neue Ansätze zur Erklärung internationaler Wettbewerbsfähigkeit: Versuch einer Synthese zwischen volks- und betriebswirtschaftlicher Sichtweise, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Jg. 115 (1995), S. 211 ff. Monopolkommission, 8. Hauptgutachten 1988/1989: Wettbewerbspolitik vor neuen Herausforderungen, Baden-Baden 1990, Kap. VII: Kooperation in Forschung und Entwicklung. Oberender, Peter, Megafusionen: Motive, Erfahrungen und wettbewerbspolitische Probleme, Schriften des Vereins für Socialpolitik N.F. Bd. 288, Berlin 2002. Petry, Horst, Technischer Fortschritt, Integration, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmensgrößen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Bd. 183 (1969), S. 271 ff. Porter, Michael E., The Competitive Advantage of Nations, London, Basingstoke 1990. Pratten, Cliff, A survey of the economies of scale, in: Research on the “Cost of NonEurope”, hrsg. von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bd. 2, Brüssel 1988. Röller, Lars-Hendrick, John Stennek und Frank Verboven, Efficiency Gains from Mergers, in: European Economy: Reports and Studies No. 5 (2001), S. 31 ff. Säcker, Franz-Jürgen, Zielkonflikte und Koordinationsprobleme im deutschen und europäischen Kartellrecht, Düsseldorf 1971. Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, S. 97–141 und 613 ff. ders., Schumpeter and Plausible Capitalism, in: Journal of Economic Literature 30 (1992), S. 1416 ff. Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, Berlin 1973, S. 67–79. Siegfried, John J., und Edwin H. Wheeler, Cost Efficiency and Monopoly Power: A Survey, in: Quarterly Review of Economics and Business 21 (1981), S. 25–46. Williamson, Oliver E., Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications – A Study in the Economics of Internal Organization, New York u.a. 1975. ders., Transaction Cost Economics, in: Handbook of Industrial Organization Bd. 1, hrsg. von Schmalensee, Richard, und Robert D. Willig, Amsterdam 1989, S. 136–182.

6. Kapitel:

Überblick über die wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien und ihre Wirkungen

Der von dem Erfolgs- und Gewinnstreben der Wirtschaftssubjekte ausgehende anonyme Wettbewerbsdruck, der zu einer tendenziellen Realisierung des vorgegebenen Zielkataloges führt, ist durch Versuche der Wirtschaftssubjekte gefährdet, sich dem Wettbewerbsrisiko durch wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien zu entziehen. Bereits Aristoteles hat im 4. Jh. vor Christi zwei Fälle von Monopolisierungspraktiken aufgezeigt:317 „Als man“ (Thales von Milet) „wegen seiner Armut verhöhnte und behauptete, die Philosophie sei unnütz, da habe er, da er mit Hilfe der Astronomie eine ergiebige Olivenernte voraussah, mit dem wenigen Geld, das er besaß, sämtliche Ölpressen in Milet und Chios für einen geringen Betrag gepachtet, da ihn niemand überbot; als dann … plötzlich und gleichzeitig viele Ölpressen verlangt wurden, da verpachtete er sie so teuer, wie ihm beliebte, und gewann viel Geld und zeigte so, dass es für den Philosophen leicht ist, reich zu werden, wenn er nur wolle, dass er aber darauf keinen Wert lege.“ In einem anderen Fall „kaufte in Sizilien einer aus dem Geld, das bei ihm hinterlegt war, das ganze Eisen aus den Eisenwerken auf, und als dann die Käufer von den Handelsplätzen zu ihm kamen, verkaufte er allein, doch ohne den Preis besonders aufzuschlagen; dennoch gewann er auf fünfzig Talente hundert. Als dies Dionysios erfuhr, ließ er ihn zwar sein Geld mitnehmen, verbot ihm aber in Syrakus zu bleiben, da er Erwerbsquellen entdeckt habe, die ihm selbst abträglich seien.“ Aristoteles spricht im Hinblick auf diese beiden Fälle eines Ausbeutungsmissbrauches von der Schaffung eines Monopols durch einen Kunstgriff. Monopolmissbräuche sind daher bereits im Altertum nachweisbar, so dass der Schluss gezogen werden kann, dass ein Wirtschaftssystem, in welchem den Wirtschaftssubjekten die Entscheidung über die Wettbewerbspraktiken überlassen bleibt, zur Selbstzerstörung tendiert. Daher muss die Dispositionsfreiheit der Unternehmen durch den Staat eingegrenzt und gegen Missbrauch gesichert werden.

I.

Zum Verhältnis von Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit

Das Prinzip der Vertragsfreiheit, auf das sich Unternehmen und ihre Verbände gegenüber Einengungen ihrer Handlungsfreiheit durch Maßnahmen der staatlichen Wettbewerbspolitik zu berufen pflegen, wird insoweit oft verkannt, als ihm immanent die Prämisse einer macht317

Aristoteles, Werke Band 4: Politik und Staat der Athener, Artemis Verlag, Zürich 1955, S. 76 f.

150

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

freien Wirtschaft zugrunde liegt, in der formale Handlungs- und materiale Entschließungsfreiheit zusammenfallen (vgl. 2. Kap. I 2). Nur dann, wenn alle Wirtschaftssubjekte annähernd gleich stark bzw. gleich schwach sind, lässt sich u.E. das Prinzip unbegrenzter Vertragsfreiheit vertreten. Andernfalls wird es zu einem Deckmantel, der lediglich dazu dient, die Begünstigung marktstarker Wirtschafts- bzw. Rechtssubjekte zu rechtfertigen.318 Walter Eucken319 hat diesen Überlegungen schon relativ früh wie folgt Ausdruck verliehen: „Vertragsfreiheit sollte aber auch im Wirtschaftsprozess nur da gewährt werden, wo vollständige Konkurrenz vorhanden ist. … Vertragsfreiheit im Falle des Angebotsoder Nachfragemonopols führt zu diktierten Verträgen und nicht zu der angestrebten Lenkung des wirtschaftlichen Gesamtprozesses. Es fehlt der Kontrollmechanismus der vollständigen Konkurrenz. Deshalb ist hier eine andere Kontrolle geboten: nämlich die staatliche Monopolkontrolle, der Kontrahierungszwang und die Festlegung der Preise und allgemeinen Geschäftsbedingungen durch ein Monopolamt.“ Als Leitsatz soll daher im Hinblick auf das Verhältnis von Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit die These aufgestellt werden, dass sich die Vertragsfreiheit als Teil der unternehmerischen Freiheit umgekehrt proportional zur Marktmacht verhält; d.h., je mehr Marktmacht, desto mehr muss die Vertragsfreiheit eingeschränkt werden et vice versa. Bei der Einschränkung der Vertragsfreiheit müssen allerdings Fehler 1. oder 2. Ordnung vermieden bzw. minimiert werden (s.u. V. 2.a.)

II.

Begriff, Arten und Ursachen der Wettbewerbsbeschränkungen

Wettbewerb als anonymer Kontroll- und Steuerungsmechanismus ist nicht „selfmaintaining“, sondern kann rechtlich oder faktisch (aufgrund nicht-kompetitiver Marktstrukturen) beschränkt werden. Unter Wettbewerbsbeschränkung ist begrifflich eine rechtliche oder faktische Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf den Einsatz eines oder mehrerer Aktionsparameter (das sind Preise, Rabatte und Konditionen, Menge, Qualität, Service und Werbung) zu verstehen. Je nach den Auswirkungen auf die Wirtschaftsstufe können wir drei Arten von Wettbewerbsbeschränkungen unterscheiden:



Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Unternehmen der gleichen Wirtschaftsstufe, die auf demselben relevanten Markt tatsächlich oder potentiell tätig sind.

318

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 7.2.1990 im Falle des Wettbewerbsverbots für einen Handelsvertreter (in: WuW/E VG 378 ff.) auf die Unentbehrlichkeit von verfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit hingewiesen, da Privatautonomie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruhe, also voraussetze, dass auch die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben seien. Habe jedoch einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen könne, bewirke dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehle, sei mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Interessenausgleich zu gewährleisten. Damit hat das Bundesverfassungsgericht erstmals auf die Bedeutung des Auseinanderklaffens von formaler Handlungs- und materialer Entschließungsfreiheit für die dann zu ziehenden verfassungsrechtlichen Grenzen der Vertragsfreiheit hingewiesen. Eucken, Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern, Tübingen 1952, S. 279. Ähnlich Raiser, Ludwig, Vertragsfreiheit heute, in: Juristenzeitung 13 (1958), S. 1 ff., 3.

319

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

151



Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Unternehmen auf aufeinanderfolgenden Wirtschaftsstufen, die in einem Käufer-Verkäufer-Verhältnis stehen. • Diagonale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Unternehmen, die weder auf dem gleichen relevanten Markt tätig sind, noch in einem Käufer-Verkäufer-Verhältnis stehen; derartige Wettbewerbsbeschränkungen können insbesondere bei Konglomeraten auftreten. Nach den Ursachen können folgende Wettbewerbsbeschränkungen bzw. Tatbestandsgruppen unterschieden werden:







Verhandlungsstrategie = rechtliche Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter aufgrund Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmten Verhaltens durch rechtlich selbständig bleibende Unternehmen. Behinderungsstrategie = rechtliche oder faktische Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter aufgrund einer Behinderung von Mitbewerbern durch Verträge (z.B. Kopplungs- oder Ausschließlichkeitsbindungen) oder faktisches Marktverhalten (z.B. Diskriminierung, Lieferverweigerung oder Boykott). Konzentrationsstrategie = faktische Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter aufgrund einer Verminderung der Zahl der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger durch externes oder überproportionales internes Unternehmenswachstum.320 aufeinander abgestimmtes Verhalten horizontal

Verhandlungsstrategie vertikal

Kartelle vertikale Preisbindung vertikale Preisempfehlung Lizenzverträge Boykott und Lieferverweigerung

rechtlich Behinderungsstrategie

faktisch

Preisdifferenzierung und Preisdiskriminierung Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen

Konzentrationsstrategie

extern intern

horizontal vertikal konglomerat (diagonal):- Markterweiterung - Marktverkettung - Marktdiversifikation

Abb. 14:

320

Überblick über wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Die Verminderung der Zahl der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger stellt auf die materiale Entschließungsfreiheit ab, über die z.B. der Teilmonopolist, dagegen nicht die Mitläufer verfügen.

152

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

III. Verhandlungsstrategien und ihre wettbewerblichen Wirkungen321 1.

Einleitung

Unter Verhandlungsstrategie i.w.S. sollen alle Formen der Zusammenarbeit rechtlich selbständig bleibender Unternehmen verstanden werden, die die wettbewerbsrelevante Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter einschränken und auf Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beruhen. Die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse von Tatbeständen der Verhandlungsstrategie ergibt sich daraus, dass durch Beschränkung der einzelnen Aktionsparameter die performance beeinträchtigt wird. Im Gegensatz zur Konzentrationsstrategie, bei welcher die performance nur mittelbar durch das Entstehen einer nicht-kompetitiven Marktstruktur beeinträchtigt wird (z.B. monopolistisch überhöhte Preise), wird bei der Verhandlungsstrategie die performance unmittelbar und direkt (z.B. durch ein Preiskartell) beeinflusst. Zudem kann der Wettbewerbsdruck, dem die Wirtschaftssubjekte ausgesetzt sind und der zu einer tendenziellen Realisierung des vorgegebenen Zielkatalogs führt, durch die verschiedenen Formen der Verhandlungsstrategie und damit eine Verminderung der Zahl der Wirtschaftssubjekte als wettbewerbliche Entscheidungsträger (bis hin zum Kollektivmonopol) beeinträchtigt werden. Die Analyse der Tatbestände der Verhandlungsstrategie findet somit ihre Berechtigung darin, dass durch Absprachen i.w.S. die performance direkt bzw. durch eine Verminderung der Zahl der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger indirekt mehr oder minder stark beeinträchtigt werden kann.

2.

Die wichtigsten Formen der Verhandlungsstrategie und ihre wettbewerblichen Wirkungen

Die Möglichkeiten, den Wettbewerb durch Verhandlungsstrategien im weitesten Sinne zu beschränken, sind zahlreich. Im Folgenden kann daher nur auf die wichtigsten Formen der Verhandlungsstrategien und deren wettbewerbliche Wirkungen eingegangen werden; das sind:

• Kartelle inklusive des aufeinander abgestimmten Verhaltens sowie • die vertikale Preisbindung und vertikale Preisempfehlung. Da Ausschließlichkeits- und Kopplungsverträge von ihrer Motivation her primär auf die Behinderung von Mitbewerbern gerichtet sind, sollen sie im Rahmen der Behinderungsstrategie behandelt werden.

321

Vgl. dazu Cox, Helmut, Kartelle: Strukturanalyse, Wettbewerbswirkungen und wettbewerbspolitische Behandlung, in: Cox, Helmut, Uwe Jens und Kurt Markert (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs, München 1981, S. 225 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

153

a)

Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen durch Kartelle und aufeinander abgestimmtes Verhalten322 (1) Kartelle sind durch drei Merkmale charakterisiert:



Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter • durch Vereinbarung oder Beschluss zwischen miteinander (tatsächlich oder potentiell) in Wettbewerb stehenden Unternehmen, • die jedoch rechtlich selbständig bleiben (vgl. § 1 GWB bzw. Art. 101 I AEUV). Kartelle können unterschieden werden aufgrund der Art der von der Absprache erfassten Aktionsparameter, nach dem Grad der Wettbewerbsbeschränkung oder nach Zweck bzw. Anlass der Kartellbildung. (a) Nach der Art der erfassten Aktionsparameter können die Kartelle wie folgt eingeteilt werden:



Preiskartelle dienen der Festlegung der Produktpreise und können u.a. auftreten als Festpreiskartelle, Mindestpreiskartelle (z.B. die Einfuhr- und Vorratsstellen in der Landwirtschaft), Höchstpreiskartelle (z.B. die Mietenbindung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften), Kalkulationskartelle als indirekte Preiskartelle, Rabattkartelle, Submissionskartelle bei öffentlichen Ausschreibungen oder Frachtbasissysteme im Hinblick auf die Berechnung der Transportkosten (wobei die Fracht ungeachtet der tatsächlichen Transportkosten von einer hypothetischen Frachtbasis aus berechnet wird). • Konditionenkartelle dienen der einheitlichen Anwendung von allgemeinen Geschäfts-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen. • Mengenkartelle dienen der Regelung der Produktionsmenge und treten als Quotenkartelle für Produktions- bzw. Absatzmengen, Gebietskartelle für die Zuteilung von Absatzgebieten, Kundenschutzabsprachen zur Sicherung einmal begründeter LieferantenKunden-Beziehungen oder Kapazitätskartelle zur Festlegung der Produktionskapazitäten durch Investitions- bzw. Stillegungsvorschriften auf. • Produktionskartelle dienen der Regelung der Produktart und des angewandten Produktionsverfahrens; sie können als Normen- oder Typenkartelle, Spezialisierungs- oder Rationalisierungskartelle auftreten. Die beispielhaft angeführten Kartelltypen sind zwar grundsätzlich nach § 1 GWB bzw. Art. 101 I AEUV verboten, können jedoch unter die sog. Legalausnahme des § 2 GWB bzw. Art. 101 III AEUV fallen, wenn die dort genannten Freistellungsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. Kap. 8 und 9). (b) Nach dem Grad der Kartellierung, d.h. nach dem Grad der Wettbewerbsbeschränkung, können die Kartelle eingeteilt werden in solche niedere Ordnung (z.B. Normen- oder

322

Vgl. Enke, Harald, Kartelltheorie: Begriff, Standort und Entwicklung, Tübingen 1972; Kerber, Wolfgang, Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik: Band 2, 8. Aufl., München 2003, S. 299 ff., 326–331, und Cox, Helmut, Kartelle – Strukturanalyse: Wettbewerbswirkungen und wettbewerbspolitische Behandlung, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Helmut Cox et al., München 1981, S. 225 ff.

154

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Typenkartelle und Konditionenkartelle) und solche höherer Ordnung (z.B. Preis- oder Quotenabsprachen).323 Ausdruck des unterschiedlichen Grades der Beschränkung des Wettbewerbs waren bis zur 7. GWB-Novelle die differierenden Legalisierungsverfahren für Kartelle niederer Ordnung (Anmelde- und Widerspruchsverfahren innerhalb von 3 Monaten) und Kartelle höherer Ordnung (in der Regel zeitlich unbefristetes Erlaubnisverfahren), die der Europäisierung der Wettbewerbspolitik durch die VO Nr. 1/2003 zum Opfer gefallen sind (vgl. 9. Kap.). (c) Eine dritte mögliche Einteilung der Kartelltypen kann auf Zweck oder Anlass der Kartellbildung abstellen. Dementsprechend können wir z.B. zwischen Kooperationsabsprachen i.S. des § 3 GWB oder Exportkartellen (gemäß § 130 II GWB) unterscheiden. (2) Die Möglichkeit und die Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit in Kartellen wird durch eine Reihe von Determinanten begünstigt, die die Interdependenz zwischen den Unternehmen erhöhen. Wir können im Wesentlichen folgende Determinanten der Kartellierbarkeit unterscheiden:



Marktstrukturfaktoren: dazu gehören eine geringe Zahl von Unternehmen, ein hoher Grad der Markttransparenz und der Homogenität der Produkte, ein fortgeschrittener Ausreifungsgrad des Produktes und der angewendeten Produktionsverfahren (Marktphase), da durch Lernprozesse die Interdependenz erhöht und damit die Kollusion erleichtert wird, sowie hohe rechtliche und faktische Marktzutrittsschranken, die das Kartell gegen newcomers absichern. • Symmetriebedingung: Gleichförmigkeit der Produktionsbedingungen im Hinblick auf Durchschnittskosten, Verhältnis von fixen zu variablen Kosten sowie der finanziellen und technologischen Ressourcen. • Hohe Angebotselastizität: infolge niedriger Kapazitätsauslastung wird die Neigung des einzelnen Unternehmens verstärkt, seinen eigenen Marktanteil zu Lasten der Mitbewerber zu erhöhen. Für die Branche als Ganzes ergibt sich daher bei nicht ausgelasteten Kapazitäten ein Anreiz zur Kartellierung (Kleinwächter: „Kartelle sind Kinder der Not“). • Niedrige Preiselastizität der Gesamtnachfrage: Neigung zu Absprachen, da ein Kartellpreis angesichts der Unelastizität der Nachfrage einen höheren Gewinn als ein Wettbewerbspreis verspricht. • Niedrige Einkommenselastizität der Gesamtnachfrage: Begünstigung der Absicherung bestehender Gewinne durch Absprachen, da Nachfrage und damit Umsatz nur relativ wenig steigen und ein Kampf um Marktanteile insofern besonders riskant ist. (3) Die Stabilität von Kartellen wird über die o.g. Determinanten der Kartellierbarkeit hinaus durch Mechanismen begünstigt, die den Zusammenhalt des Kartells nach innen und außen gewährleisten. Dabei ist zwischen Maßnahmen des inneren und des äußeren Kartellzwanges zu unterscheiden:



Der innere Kartellzwang umfasst alle Maßnahmen zwischen Mitgliedern eines von dem Verbot qua lege ausgenommenen Kartells, um die Einhaltung der Verträge bzw. Beschlüsse zu gewährleisten (z.B. gerichtliche Durchsetzung der vertraglichen Bindung mit Hilfe von Konventionalstrafen, ökonomische und gesellschaftliche Sanktionen gegen-

323

Diese Einteilung schließt nicht aus, dass im Einzelfall auch Kartelle niederer Ordnung wettbewerbspolitisch bedenklich sind.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien





155

über Kartellmitgliedern und im weitesten Sinne alle Maßnahmen, die den Kartellmitgliedern das Gefühl vermitteln sollen, in einem Boot zu sitzen). Der äußere Kartellzwang wird gegenüber Nicht-Kartellmitgliedern (sog. Außenseitern) z.B. durch exklusive Bezugs- oder Absatzquellen für Kartellmitglieder, die Gewährung von Treuerabatten für Lieferanten und Abnehmer sowie das Nicht-Mitzählen von Außenseiterbezügen im Rabattkartell (Sogwirkung) durchgesetzt. Dazu können gezielte Abwehrmaßnahmen gegen Außenseiter durch Schaffung von Kampffonds für Zwecke der regionalen Preisdifferenzierung und sonstige preispolitische Maßnahmen treten. Dieser sog. äußere Organisationszwang, der Außenseiter zum Beitritt zu einem an sich legalisierungsfähigen Kartell veranlassen soll, kann allerdings gegen das in § 21 Abs. 3 Ziff. 1 GWB enthaltene Verbot des Ausübens von Zwang zu an und für sich legalen Wettbewerbsbeschränkungen verstoßen. Spieltheoretisch [vgl. 3. Kap. II (6)] hängt die Stabilität eines Kartells von den wechselseitigen Kontrollmöglichkeiten ab, d.h., ob im Falle wiederholter Spiele bei Verstößen gegen die Kartelldisziplin glaubhaft mit Sanktionen der Mitbewerber in zukünftigen Perioden (z.B. durch massive Preissenkungen) zu rechnen ist, was sich mit Hilfe des Gefangenendilemmas darstellen lässt. Dabei sind A und B die beiden Spieler (Unternehmen), die strategisch einen hohen Monopolpreis pm oder einen niedrigen Wettbewerbspreis pw verlangen können, was zu bestimmten Auszahlungsmengen (Gewinnen) führt: Tab. 9: Gefangenendilemma

Unternehmen A

pm pw

Unternehmen B pm pw 90/90 60/120 120/60 70/70

Wenn sich beide Unternehmen A und B wettbewerblich verhalten, würde jedes der Unternehmen nur einen Gewinn von 70 erzielen; falls sich dagegen beide Unternehmen monopolistisch verhalten und den Preis absprechen, würden beide Unternehmen einen höheren Gewinn von 90 realisieren. Falls sich A und B asymmetrisch verhalten, d.h., A fordert den hohen Monopolpreis pm, dann würde sich ein Großteil der Kunden B zuwenden, so dass A nur einen Gewinn von 60, B dagegen von 120 machen würde. Das gilt vice versa, falls B einen Monopolpreis verlangt, so dass sich ein Großteil der Kunden A zuwenden würde (Gewinn von A 120, B nur 60). Beim Fordern des Monopolpreises pm würde sich der Gewinn für beide Unternehmen A und B von 70 auf 60 verschlechtern. Die Strategiekombination pw / pw ist daher das einzige Nashgleichgewicht, bei dem keines der beiden Unternehmen A und B einen wirtschaftlichen Anreiz hat, von dem niedrigen Wettbewerbspreis pw abzuweichen, wenn das andere Unternehmen den gleichen Preis fordert. Bei einem wiederholten Spiel wird die Stabilität des Kartells größer, da mit Vergeltungsaktionen des anderen Unternehmens zu rechnen ist. (4) Die wettbewerbspolitische Beurteilung der Kartelle soll im Hinblick auf die Auswirkungen auf den vorgegebenen Zielkatalog erfolgen:



Die Erreichung des Ziels einer optimalen Faktorallokation, d.h., die Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre produktivsten Einsatzmöglichkeiten gemäß den Faktorpreis-

156

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

relationen, wird beeinträchtigt, wenn das Kartell zu einer Kosten- oder Preisüberhöhung führt. Beeinflussen Kartelle aufgrund von Ineffizienzen (Kostenüberhöhung) und/oder durch kollektiv-monopolistisches Preisverhalten die Faktorpreisrelationen, so sind diese nicht länger Ausdruck der relativen Knappheitsverhältnisse; die Lenkung der Ressourcen ist insofern suboptimal. Dies führt zu einer Fehlallokation, da die submarginalen Unternehmen Faktoren binden, die anderweitig effizienter eingesetzt werden könnten. • Eine suboptimale Faktorallokation verletzt zugleich das Ziel der leistungsgerechten Einkommensverteilung insofern, als Wertgrenzprodukt und Entlohnung der Produktionsfaktoren nicht mehr übereinstimmen, wobei die Differenz zwischen den beiden Größen mit dem Monopolgrad als Maß für den Preissetzungsspielraum des Kartells zunimmt. • Die Wirkung von Kartellen auf den technischen Fortschritt ist ambivalent. Einerseits laufen Kartellabsprachen letztlich darauf hinaus, höhere Gewinne zu erzielen, womit höhere Ausgaben für F & E möglich werden; jedoch muss zwischen der finanziellen Innovationsmöglichkeit und der Innovationsneigung unterschieden werden; letztere ist im Kartell häufig gering. Die angeführten Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Kartells lassen darauf schließen, dass Kartelle erst in der Ausreifungs- bzw. Stagnationsphase eines Marktes auftreten und somit durch einen Unternehmertypus gekennzeichnet sind, der weniger versucht, sich durch Innovation prozessuale Monopole zu schaffen bzw. die von Mitanbietern wegzukonkurrieren, als vielmehr mit einem Minimum an eigenen Anstrengungen kurzfristig seine ökonomische Existenz zu sichern. • Die Flexibilität der Anpassung der Produktpalette und der Produktionskapazität an veränderte Rahmendaten wird daher durch Kartelle gemindert. Die Zusammenarbeit von Unternehmen kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen auch eine neutrale oder positive Auswirkung auf den Wettbewerb haben:



Normen- oder Typenabsprachen sowie Rationalisierungskartelle können u.U. einen positiven Beitrag zur Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen leisten und daher unter die Legalausnahme des § 2 GWB bzw. Art. 101 III AEUV fallen. • Die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit kleiner und mittlerer Unternehmen kann als typisches Beispiel einer Legalausnahme des § 2 GWB angesehen werden, wenn der Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Die dementsprechend in § 3 GWB von dem Kartellverbot beispielhaft ausgenommene Kooperation lässt sich wettbewerbstheoretisch damit rechtfertigen, dass die materiale Entschließungsfreiheit kleinerer und mittlerer Unternehmen gegenüber Großunternehmen gefördert wird, so dass z.B. aus bloßen Mitläufern im Teilmonopol oder Teiloligopol wettbewerbsfähige Unternehmen werden und damit die Marktstruktur letztlich kompetitiver wird (Erhöhung der Zahl der selbständigen Entscheidungsträger und damit Auflockerung der Marktstruktur)324. Dabei darf nicht verkannt werden, dass die – unter bestimmten Voraussetzungen – sinnvolle Kooperation manchmal zu wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen missbraucht wird. So schließen im Interesse der Stärkung oder Absicherung ihrer Wettbewerbsposition multinationale Unternehmen sog. strategische Allianzen, welche die Suche nach unterschiedlichen 324

Vgl. Benisch, Werner, Kooperationserleichterungen und Wettbewerb, in: Handbuch des Wettbewerbs, op. cit., S. 399 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

157

Problemlösungen im Wettbewerb und damit letztendlich den Produktwettbewerb beschränken. Es handelt sich dabei um internationale Kartellabsprachen, die nur als Kooperation i.S. eines Nachteilsausgleichs kleinerer und mittlerer Unternehmen die Freistellungsvoraussetzungen des § 2 GWB bzw. Art. 101 III AEUV erfüllen. Daneben kann auf europäischer Ebene die VO Nr. 2659/2000 über Kooperationsvereinbarungen auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung unter bestimmten Voraussetzungen Anwendung finden (vgl. 9. Kap. II.1.b: Kooperation).325 Die bisherige Auffassung des Bundeskartellamtes, dass die bloße F&E-Kooperation nicht unter das Kartellverbot des § 1 GWB falle, da es sich nur um Beschränkungen im wettbewerblichen Vorfeld handele326, erscheint im wettbewerbspolitischen Ansatz verfehlt. Der Brüsseler Ansatz: Anwendung des Art. 101 I AEUV, jedoch Freistellung nach VO Nr. 2659/2000 unter bestimmten Voraussetzungen, erscheint grundsätzlich adäquater, da er eine Abwägung des Pro und Contra im Einzelfall erlaubt.327 (5) Der Vertragsbegriff im GWB setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen im Sinne von § 145 BGB voraus. Im Falle Teerfarben war der Versuch des Bundeskartellamtes gescheitert, wettbewerbsbeschränkende Praktiken unter den Vertragsbegriff zu subsumieren. Der BGH hatte den Standpunkt eingenommen, dass ein im Europäischen Recht verbotenes aufeinander abgestimmtes Verhalten (vgl. Art. 101 AEUV) nicht unter den Vertragsbegriff subsumiert werden könne. In der 2. Novelle zum GWB war daher im Hinblick auf die Beweiserleichterung § 25 Abs. 1 GWB a. F. eingeführt worden, der ein aufeinander abgestimmtes Verhalten von Unternehmen verbot. Seit der Sechsten Kartellnovelle verbietet § 1 GWB nicht nur Vereinbarungen und Beschlüsse, sondern auch das aufeinander abgestimmte Verhalten.328 Darunter sind alle Formen der Koordinierung zwischen Unternehmen im Hinblick auf den Einsatz eines oder mehrerer Aktionsparameter am Markt zu verstehen, „die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen sind, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt“.329 Der Europäische Gerichtshof stellt in st. Rspr. darauf ab, ob die Unternehmen durch vorherige Koordinierung i.w.S. die Ungewissheit und das Risiko im Wettbewerb über das zukünftige Verhalten der Konkurrenten beseitigen und dadurch Marktfaktoren ausschalten, die einem einheitlichen Parallelverhalten entgegenstehen. Die wettbewerbspolitische Beurteilung aufeinander abgestimmten Verhaltens deckt sich grundsätzlich mit der Beurteilung von Kartellen. 325

326 327

328 329

Vgl. Klaue, Siegfried, Strategische Allianzen zwischen Wettbewerbern: Einige Bemerkungen zu einem modernen wirtschaftlichen Problem, in: BB 46 (1991), S. 1573 ff., und Kartte, Wolfgang, Wettbewerbspolitische und wettbewerbsrechtliche Probleme strategischer Allianzen – Meilen- und Stolpersteine bei Kooperationen, hrsg. von Bronder, Christoph, und Rudolf Pritzel, Wiesbaden 1992, S. 401 ff. Vgl. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 1989/90, in: BTDr 12/847, S. 30 ff. Vgl. zum betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Pro und Contra strategischer Allianzen Monopolkommission, 8. HGA 1988/89: Wettbewerbspolitik vor neuen Herausforderungen, Baden-Baden 1990, Tz. 189–205 und Kap. VII. Der Art. 101 AEUV entlehnte Begriff der Vereinbarung dürfte weitergehen als der zivilrechtliche Vertragsbegriff im deutschen BGB. Teerfarben, in: WuW/E EWG/MUV 269 ff., 272. Vgl. zur Problematik aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen Ulmer, Peter, und Gerhard Wiedemann, Das Verbot abgestimmter Verhaltensweisen, in: Handbuch des Wettbewerbs, op. cit., S. 271 ff.

158

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

b)

Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen durch Preisbindung und Preisempfehlung330 Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen sind durch drei Merkmale charakterisiert:



Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter • durch sog. Austauschverträge, in denen zumindest einer der Vertragspartner in der Freiheit der Gestaltung des Inhalts von mit Dritten zu schließenden Verträgen beschränkt wird, • zwischen rechtlich selbständig bleibenden Unternehmen auf aufeinanderfolgenden Wirtschaftsstufen, die in einem Käufer-Verkäufer-Verhältnis stehen. Derartige vertikale Wettbewerbsbeschränkungen können insbesondere als Preisbindung der zweiten Hand oder vertikale Preisempfehlungen für Markenwaren auftreten (auf Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen soll im Rahmen der Behinderungsstrategie eingegangen werden). Grundsätzlich unterliegen seit der 7. GWB-Novelle auch alle vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen dem Absprachenverbot des § 1 GWB (Harmonisierung mit Art. 101 I AEUV); sofern die Freistellungsvoraussetzungen des § 2 GWB bzw. Art. 101 III AEUV erfüllt sind, sind sie allerdings qua lege von diesem Verbot freigestellt.331 (1) Bei der Preisbindung der zweiten Hand handelt es sich um vertikale Absprachen zwischen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen, durch die die Wiederverkäufer (das sind Einzel- und/oder Großhandel) von den Herstellern zur Einhaltung bestimmter Wiederverkaufspreise verpflichtet werden. Bis Ende 1973 war in Deutschland die Preisbindung der zweiten Hand auch für Markenartikel zulässig; jetzt ist sie nur noch für Verlagserzeugnisse möglich (vgl. § 30 GWB). Die Preisbindung der zweiten Hand für Markenartikel war im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Vor- bzw. Nachteile wettbewerbspolitisch äußerst umstritten.332 Die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Preisbindung der zweiten Hand wurden in folgenden Punkten gesehen:



Die Erhöhung der Markttransparenz senke die Informationskosten der Nachfrager: sie sei Voraussetzung für die Indikator- und Lenkungsfunktion des Preises. • Die mittelfristige Konstanz der Preise erleichtere die Verbrauchsplanung der Konsumenten und die Investitionsplanung der Produzenten. • Die durch die Preisbindung der zweiten Hand ermöglichte Preisüberhöhung könne gerechtfertigt sein durch andere Leistungsaspekte (z.B. Umfang des Sortiments in Fachgeschäften, Kundenberatung und Kundendienst – kulturpolitische Rechtfertigung bei Verlagserzeugnissen). Die gesamtwirtschaftlichen Nachteile der Preisbindung der zweiten Hand wurden dagegen in folgenden Punkten gesehen:



Auf der Handelsstufe werde der Preiswettbewerb ausgeschaltet bzw. verlagere sich auf Formen des Nicht-Preiswettbewerbs (Werbung, Service). Die überhöhten Gewinne bei

330

Vgl. Reich, Norbert, Preisempfehlungen und Preisbindungsverbot, in: Handbuch des Wettbewerbs, op. cit., S. 367 ff. In den USA hat in 2007 der Federal Supreme Court in einer 5 : 4-Entscheidung im Falle Leegin die vPb der rule of reason unterworfen (vgl. dazu 10. Kap. II 1 b). Vgl. die Argumente pro und contra vPb im Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr IV/617, 3. Kap. S. 21–55.

331 332

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

159

preisgebundenen Gütern könnten zu ruinöser Konkurrenz bei nicht-preisgebundenen Gütern eingesetzt werden, wie dies bei Großbetriebsformen des Handels vor 1973 festgestellt werden konnte. • Auf der Produktionsstufe verstärke die erhöhte Markttransparenz die Neigung zu horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen, was z.B. zu der Kombination der vertikalen Preisbindung der zweiten Hand mit horizontalen Absprachen im Hinblick auf Rabatte und Konditionen geführt habe. (2) Nach dem Auslaufen der Preisbindung der zweiten Hand für Markenartikel Ende 1973 hat die Möglichkeit der unverbindlichen Preisempfehlung für Markenartikel erheblich an Bedeutung gewonnen. Derartige vertikale Wettbewerbsbeschränkungen fallen seit der 7. GWB-Novelle ebenfalls unter das Absprachenverbot des § 1 GWB mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Legalausnahme des § 2 GWB, wenn die Freistellungsvoraussetzungen erfüllt sind. Vertikale Preisempfehlungen i.S. des § 23 GWB a. F. sind zudem nach Art. 4 lit. a der Vertikal-GVO zulässig. Der Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages hatte seinerzeit die weitgehende Freistellung der vertikalen Preisempfehlung für Markenartikel von dem Verbot für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen wettbewerbspolitisch wie folgt gerechtfertigt:333 „Unverbindliche Preisempfehlungen haben nicht die gleichen wettbewerbspolitischen Nachteile wie die Preisbindung. Sie schließen den Wettbewerb auf der Handelsstufe nicht aus und ermöglichen es dem Hersteller, seinen Abnehmern in geeigneten Fällen Kalkulationshilfe zu geben und gegenüber dem Verbraucher mit einer Preisvorstellung zu werben. Die vor allem vom Einzelhandel geäußerten Bedenken gegen die Beibehaltung der empfohlenen Richtpreise wurden demgegenüber nicht als durchschlagend angesehen. Es trifft zwar zu, dass die Preisempfehlung in einigen Branchen zu Mondpreisempfehlungen missbraucht wird. Nimmt der Händler den Preis auf eine normale Gewinnspanne zurück, so wird dem Verbraucher ein günstiger Preis nur vorgetäuscht. Bei fehlender Konkurrenz (z.B. auf dem Lande) kann der Händler unter Umständen sogar den vollen Mondpreis fordern. Bei entsprechend scharfer Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes erscheinen Unverbindliche Preisempfehlungen des Herstellers aber geeignet, eine verbraucherfreundliche Kalkulation im Handel zu fördern. Empfohlene Richtpreise sind praktisch Höchstpreise. Nach Wegfall der Markenwarenpreisbindung sind empfohlene Richtpreise die einzige Möglichkeit für die Markenartikelindustrie, Preisvorstellungen zu veröffentlichen, und für den Verbraucher, den vom Handel ausgezeichneten Preis zu beurteilen. Würden auch die empfohlenen Richtpreise verboten werden, so wäre den Konsumenten ein echter Preisvergleich nur unter großen Schwierigkeiten, häufig sogar überhaupt nicht möglich. Die Gefahr einer Benachteiligung der weniger mobilen Verbrauchergruppen wäre ohne solche Preisvergleiche größer.“ Im Jahre 1977 hatte die Bundesregierung einen Bericht über die Erfahrungen mit den Vorschriften über die unverbindliche Preisempfehlung334 vorgelegt. Sie kam darin zu dem Er333 334

Vgl. Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB – Drucksache 7/76 – in: BTDr 7/765, S. 11. Vgl. Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit Vorschriften über die Unverbindliche Preisempfehlung, in: BTDr 8/703.

160

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

gebnis, dass keine hinreichend sichere Grundlage dafür bestehe, eine grundsätzliche Änderung des geltenden Rechts vorzuschlagen; vielmehr will sie lediglich die rechtlichen Grundlagen für eine wirksame Aufsicht über die vertikale Preisempfehlung für Markenartikel verbessern.335 Demgegenüber hatte sich der Verbraucherbeirat beim Bundesminister für Wirtschaft sehr kritisch geäußert. Er hatte die Abschaffung sowohl der Verbraucher- als auch der Händlerpreisempfehlung einschließlich der Brutto-Preissysteme gefordert und dies wettbewerbspolitisch wie folgt begründet:336





• •

Die Verbraucherpreisempfehlung trage zur Markttransparenz nichts bei, was über die Wirkung der ohnehin obligatorischen Preisauszeichnung hinausginge. Die Preisempfehlung könne vielmehr die Markttransparenz dadurch mindern, dass sie dem Anbieter Gelegenheit gebe, mit der Unterschreitung des empfohlenen Preises zu werben. Die Händlerpreisempfehlung könne den Preiswettbewerb der Anbieter dadurch einschränken, dass sie den Abnehmern die gleichartige Preiskalkulation erleichtere, die Abnehmer an einer aktiven Preispolitik hindere und zugleich die wettbewerbswidrige Selektion von Abnehmern mit gleichartiger Preispolitik fördere sowie sich an den Abnehmern mit der ungünstigsten Kostenstruktur orientiere. Die Auszeichnung mit Endverbraucherpreisen durch den Hersteller sei eine vorweggenommene Kalkulation, die jedoch eine fundamentale Aufgabe des Handels sei, der nach individuellen Kosten und Marktlage zu kalkulieren habe. Die bisherigen Erfahrungen mit der Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes würden die Auffassung bestätigen, dass die unverbindliche Preisempfehlung einer wirksamen Missbrauchskontrolle entzogen sei.

IV. Behinderungsstrategien und ihre wettbewerblichen Wirkungen337 1.

Einleitung

Unter Behinderungsstrategie i.w.S. sind alle Verhaltensweisen von Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen zu verstehen, die dazu geeignet sind, tatsächliche oder potentielle Mitbewerber (horizontal) sowie Lieferanten oder Abnehmer (vertikal) in ihrer formalen Handlungs- und/oder materialen Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter rechtlich oder faktisch zu beschränken (Individualschutz) und/oder die Wirksamkeit des Wettbewerbsmechanismus (Institutionsschutz) zu beeinträchtigen.

335

336 337

Im Rahmen der vierten GWB-Novelle im Jahre 1980 ist der Missbrauchstatbestand konkretisiert worden; von der im Regierungsentwurf vorgesehenen Wiedereinführung der Anmeldepflicht für Preisempfehlungen hat der Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes abgesehen. Vgl. das Votum des Verbraucherbeirates beim Bundesminister für Wirtschaft, in: BTDr 8/703, S. 35. Vgl. dazu Kurz, Rudi, und Lothar Rall, Behinderungsmissbrauch Probleme einer ordnungskonformen Konkretisierung, Tübingen 1983, sowie Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, Berlin 1973, S. 87–95, 230 ff., 283 ff. und 311 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

161

Die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs ergibt sich aus den Versuchen der Wirtschaftssubjekte, den Wettbewerbsdruck, dem sie ausgesetzt sind und der zu einer tendenziellen Realisierung des vorgegebenen Zielkataloges führt, durch die verschiedenen Formen der Behinderungsstrategie zu mindern, indem überragende Stellungen aufgebaut bzw. abgesichert und zementiert werden (Monopolisierung von Märkten i.w.S.). Dabei wirft die Abgrenzung von Behinderungspraktiken und erwünschtem Wettbewerbsverhalten dynamischer Unternehmer erhebliche Schwierigkeiten auf, die oftmals einer wettbewerbspolitischen Gratwanderung nahekommen (z.B. bei der Abgrenzung erwünschter und unerwünschter Preisdifferenzierungen).

2.

Die wichtigsten Formen der Behinderungsstrategie und ihre wettbewerblichen Wirkungen

Die Möglichkeiten, den Wettbewerb durch Behinderungsstrategien im weitesten Sinne zu beschränken, sind zahlreich. Daher kann nur auf die Haupttypen des Behinderungswettbewerbs und ihre wettbewerblichen Wirkungen eingegangen werden; das sind:

• • •

Boykott und Lieferverweigerung, Preisdifferenzierung und Preisdiskriminierung sowie Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen.

a) Boykott und Lieferverweigerung338 Die wettbewerbspolitische Bedeutung von Boykott und Lieferverweigerung kommt darin zum Ausdruck, dass die materiale Entschließungsfreiheit dritter Unternehmen auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen durch die Anwendung wirtschaftlichen Zwanges beschränkt werden kann. Boykott und Lieferverweigerung können insbesondere bei marktstarken Unternehmen zum absatzpolitischen Instrument werden, um Abnehmer oder Zulieferanten zu einer bestimmten Preis- oder Vertriebspolitik als den beiden Hauptmotiven einer Liefersperre zu veranlassen. Die Liefersperre mit dem Ziel der Preisbeeinflussung kann dabei zu einer Beeinträchtigung des Preiswettbewerbs führen, während beim Aufbau geschlossener Vertriebssysteme mit Hilfe von Liefersperren Zutrittsschranken für kostengünstigere Vertriebssysteme errichtet werden. In beiden Fällen können zum faktischen Druck auch noch rechtliche Wettbewerbsbeschränkungen in Form von Alleinvertriebs- oder Kopplungsabreden hinzutreten. (1) Ein Boykott setzt begrifflich eine Dreiecksbeziehung dergestalt voraus, dass ein Unternehmen (Verrufer A) einen Lieferanten oder Abnehmer (Adressat oder Ausführer B) zu einer Liefer- oder Bezugssperre gegen bestimmte Unternehmen (Verrufener C) veranlasst. Die Anstiftung oder Veranlassung zur Liefersperre, womit traditionell eingestellte Unternehmen das Aufkommen kosten- und preisgünstiger neuer Vertriebsformen zu verhindern suchen, ist

338

Vgl. allgemein zu diesem Einzeltatbestand: Belke, Rolf, Die Geschäftsverweigerung im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen: Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Recht, Tübingen 1966, und ders., Kundenbeschränkung und Verkaufsverweigerung im Antitrustrecht der Vereinigten Staaten, Stuttgart 1967; OECD, Refusal to sell: Report of the Committee of Experts on Restrictive Business Practices, Paris 1969; Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, op. cit., S. 88–90 und 230–282.

162

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

wettbewerbspolitisch von eminenter Bedeutung, wie der OECD Report „Refusal to sell“ dokumentiert:339 “Cases are becoming increasingly frequent of traditional dealers and specialized shops threatening to discontinue the distribution of the supplier’s product if he delivers to discounters, chainstores, department stores or other non-traditional retailers. With this policy the traditional dealers tend to hinder the appearance or development of new forms of distribution which are frequently more efficient from the productivity point of view than the more conservative forms. The former operate largely on the basis of lower labour costs and prices achieved through self-service and other rationalization methods. In fact, it has been observed that in some Member countries the most significant examples of refusal to sell have arisen when there has been a conflict between competing forms of distribution of varying degrees of efficiency.” Dieser Fall des secondary boycott wird von § 21 Abs. 1 GWB bzw. als gemischt horizontalvertikale Absprache von Art. 101 I AEUV erfasst. (2) Die wettbewerbspolitische Bedeutung der Lieferverweigerung mit dem Ziel der Preisbeeinflussung ist in der Gefährdung des Händlerpreiswettbewerbs auf den nachgelagerten Stufen zu sehen; sie wird in dem OECD Report „Refusal to sell“ aufgrund internationaler Erfahrungen wie folgt charakterisiert:340 “Experience has shown that refusal to sell is the most persuasive means employed by supplier to enforce prescribed resale prices if the buyer has not observed the prescribed prices. It is pointed out … that a supplier may circumvent the legal prohibition of resale price maintenance (in those countries where it is prohibited) by withholding supplies from a distributor who is reselling his goods at a lower price than he thinks reasonable. He may also refuse to have business relations with a particular distributor because he has reason to believe that this distributor will resell his goods at reduced prices. Where prescribed resale prices are prohibited, a supplier may issue recommended resale price …However, the supplier who issues a recommendation cannot count upon it being followed. Therefore, in order to ensure that it is carried out he will exert pressure on those distributors who are not inclined to follow the recommendation.” Die Lieferverweigerung mit dem Ziel der vertikalen Preisbeeinflussung kann gegen das in § 21 Abs. 2 GWB enthaltene Verbot verstoßen, durch die Anwendung von wirtschaftlichem, gesellschaftlichem oder sonstigem Druck andere Unternehmen zu einem Verhalten zu veranlassen, das nach dem GWB nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf (z.B. das Verbot der vertikalen Preisbindung nach § 1 GWB). Neben dem Motiv der Preisbeeinflussung spielt bei der individuellen Lieferverweigerung das Ziel der Beschränkung der Vertriebswege eine große Rolle, bei der im Folgenden zwischen Sperren zur Sicherung des Allein- oder Selektivvertriebs und solchen zur Erzwingung eines ausschließlichkeits- oder kopplungsähnlichen Verhaltens unterschieden werden muss. Während die Anbieter von Konsumgütern des täglichen Bedarfs mit relativ niedrigen Preisen in der Regel danach streben, ihre Produkte über so viele Händler wie möglich zu verkaufen, 339 340

OECD Report, op. cit., S. 22 Zi. 28. OECD Report, op. cit., S. 21 Zi. 25 f.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

163

verfolgen die Anbieter von langlebigen Gebrauchsgütern mit höheren Preisen in der Regel eine davon abweichende selektive Vertriebspolitik, die der OECD Report „Refusal to sell“ wie folgt charakterisiert:341 “Suppliers … very often find it desirable to introduce a systematic marketing policy designed to limit the channels of distribution. With such a selective sales system suppliers believe they can compete most effectively with their competitors by offering the goods to their chosen dealers at constant quality, prices and terms of sale, whilst ensuring that the end consumer enjoys an advisory service and other sales services. With such selective distribution the supplier thinks he can achieve maximum sales.” Derartige Lieferverweigerungen zur Sicherung des Allein- und Selektivvertriebes unterliegen dem speziellen Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 und 2 GWB, welches marktbeherrschenden, marktstarken und preisbindenden Unternehmen sowie Kartellen (als mutmaßlichen Trägern wirtschaftlicher Macht) die unbillige Behinderung und sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung von anderen Unternehmen verbietet. Daneben greift für marktbeherrschende Unternehmen parallel zu der Spezialvorschrift des § 20 Abs. 1 und 2 GWB die Generalklausel des § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV ein, sofern sich eine individuelle Liefersperre als missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung darstellt. Wenn ein Unternehmen die Aufnahme oder die Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen davon abhängig macht, dass der Abnehmer keine Konkurrenzerzeugnisse vertreibt (Ausschließlichkeitsklausel) bzw. mehrere Produkte des Anbieters gleichzeitig vertreibt (Kopplungsklausel), so gerät eine solche Verkaufspolitik mit dem wettbewerbspolitischen Prinzip in Konflikt, den Zugang zu den Absatzwegen für newcomers freizuhalten. Ein derartiger Zwang zum Kopplungs- oder Ausschließlichkeitsverhalten kann allerdings gegen das Druckverbot des § 21 Abs. 2 GWB verstoßen, da seit der 7. GWB-Novelle auch vertikale Absprachen unter den Schutzbereich und damit das Verbot des § 1 GWB fallen. Zudem kann ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV vorliegen. (3) Bei der wettbewerbspolitischen Diskussion wird jeweils eine Reihe von Gründen gegen oder für die Lieferverweigerung geltend gemacht. Als wettbewerbspolitische Gründe gegen den Aufbau geschlossener Vertriebssysteme durch Lieferverweigerung werden vorgebracht:

• • • •

341

Widerspruch zu dem Grundsatz der Offenhaltung der Märkte (keine künstlichen Zutrittssperren zum Markt), was insbesondere im Hinblick auf das Aufkommen kostengünstiger Vertriebsformen (z.B. Discounter) von großer Bedeutung ist. Geschlossene Vertriebssysteme als Ersatz für vertikale Integration, deren wettbewerbspolitische Auswirkungen mit denen vertikaler Fusionen vergleichbar sind. Einfluss auf die Preispolitik der Abnehmer und Beschränkung des Preiswettbewerbs auf der Groß- oder Einzelhandelsebene. Ausdehnung der Marktmacht auf Drittmärkte durch den faktischen Zwang zum Kopplungsverhalten.

OECD Report, op. cit., S. 17 Zi. 15.

164

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Alle diese Argumente laufen darauf hinaus, in der Lieferverweigerung ein marktstrategisches Instrument des betreffenden Unternehmens zu sehen, um seinen Einfluss auf dem Markt auszudehnen. Als wettbewerbspolitische Gründe für den Aufbau geschlossener Vertriebssysteme durch Lieferverweigerung werden vorgebracht:



Rationalisierung des Vertriebsapparates durch Verkleinerung der Zahl der belieferten Händler. Die Senkung der Distributionskosten käme – entsprechenden Wettbewerbsdruck vorausgesetzt – auch den anderen Marktteilnehmern (Handel und Verbraucher) zugute. • Notwendigkeit der Serviceleistungen für technisch kostspielige Geräte und damit gewisse berufliche Mindestqualifikationen. • Leichtere Gewinnung von Händlern – insbesondere im Außenhandel –, die bereit sind, den Produzenten bei Markterschließung, Service und Werbung intensiv zu unterstützen; damit Minderung des Risikos bei der Erschließung neuer Märkte. • Entsprechende Geschäftsausstattung bei Luxus- oder Prestigegütern. • Mangelnde Zahlungs- oder Kreditfähigkeit des Abnehmers. • Gerichtlich anerkannte Handelsbräuche oder Geschäftsgewohnheiten der Verkäufer (z.B. Verkauf nur von Mindestmengen) oder potentiellen Käufer (Kettengeschäfte oder Fachhandel, Groß- und Einzelhandel). (4) Bei der wettbewerbspolitischen Würdigung von Boykott und Liefersperre geht es darum, die berechtigten Belange unternehmerischer Absatzpolitik mit dem Grundsatz der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs als eines Kontroll- und Steuerungsmechanismus in Einklang zu bringen. Dabei kommt es aus ökonomischer Sicht entscheidend darauf an, ob die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt wird oder nicht. Das Kriterium für die wettbewerbspolitische Beurteilung von Liefersperren lässt sich abstrakt dahingehend formulieren, dass das Recht auf Lieferverweigerung als Teil der unternehmerischen Freiheit sich umgekehrt proportional zur Marktmacht verhalten sollte: Je mehr Marktmacht, umso weniger unternehmerische Freiheit et vice versa. Denn in einer machtfreien Wirtschaft könnte ein Käufer im Falle der Lieferverweigerung ohne weiteres von einem anderen Anbieter beziehen; in einer solchen Wirtschaft würde es daher entweder überhaupt nicht zur Lieferverweigerung kommen (Mengenanpasser), oder wenn es dazu käme, wären die Auswirkungen für die Abnehmer wegen der ausreichend großen Zahl von Alternativen nicht spürbar. Aus ökonomischer Sicht indiziert daher die Lieferverweigerung den Besitz von Marktmacht. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der OECD Report:342 “It follows that refusal to sell or threatening to do so is frequently evidence of an abuse of market power by suppliers or of a move by resellers to restrict competition at the distribution level. The extent of the distortion of competition caused by refusal to sell therefore depends mainly on two factors – the market structure at the manufacturing level and the existing possibilities of substituting a similar product for the one refused.”

342

OECD Report, op. cit., S. 12 Zi. 5.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

165

b) Preisdifferenzierung und Preisdiskriminierung343 (1) Bei der wettbewerbspolitischen Beurteilung der Preis- und Rabattdifferenzierung auf unvollkommenen Märkten muss davon ausgegangen werden, dass der ökonomische Begriff der Preisdifferenzierung nicht mit dem juristischen Begriff der Preisdiskriminierung identisch ist. Der ökonomische Begriff der Preisdifferenzierung umfasst sowohl die unterschiedliche Behandlung gleicher Tatbestände (= Preisdiskriminierung im engeren juristischen Sinne) als auch die Gleichbehandlung unterschiedlicher Tatbestände, die im Allgemeinen nicht als Diskriminierung im Sinne des deutschen Kartellrechts angesehen wird.344 Der ökonomische Begriff der Preisdifferenzierung wird wettbewerbspolitisch neutral verwandt, d.h., die Preisdifferenzierung kann positive, neutrale oder negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Die Aufgabe besteht darin, zwischen jenen Preisdifferenzierungen zu unterscheiden, die den Wettbewerb beeinträchtigen können, und denjenigen, die Ausdruck wirksamen Wettbewerbs und eine notwendige Begleiterscheinung einer Wettbewerbswirtschaft sind. Dabei ist davon auszugehen, dass die Gefahr, dass eine Preisdifferenzierung zur Behinderungsstrategie wird (manipulierte Preisdifferenzierung), mit zunehmender Marktmacht wächst. Preisdifferenzierungen können sich grundsätzlich auf drei Stufen im Wettbewerb auswirken:

• •

Auf dem Markt des differenzierenden Unternehmens (first line competition), auf dem Markt des bevorzugten bzw. benachteiligten Unternehmens (second line competition) und • auf sogenannten Drittmärkten (third or fourth line competition). Bei der Beurteilung der Auswirkungen auf den Wettbewerb der verschiedenen Wirtschaftsstufen kommen zwei Kriterien in Betracht:



Der Schutz der Konkurrenten des diskriminierenden (first line) oder des bevorzugten (second line) Unternehmens (= Individualschutz i.S. gleicher Marktchancen hinsichtlich der wettbewerblichen Handlungs- und Entschließungsfreiheit, der von der Rechtsprechung durch eine Interessenabwägung konkretisiert wird) und • der Schutz des Wettbewerbs als eines anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus auf allen Märkten (= Institutionsschutz). Diese Unterscheidung entspricht weitgehend der Fragestellung des sec. 2 Robinson-Patman Act: injury to competitors or injury to competition.345

343

344

345

Vgl. dazu Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, op. cit., S. 90–92 und 283–310; Edwards, Corwin D., The Price Discrimination Law: A Review of Experience, Washington, D.C. 1959, sowie Niels, Gunnar, und Adriaan ten Kate, Predatory Pricing Standards: Is there a Growing International Standard, in: AB XLV (2000), S. 787 ff. Dementsprechend fallen z.B. einheitliche Frankostationspreissysteme, die die Abnehmer nicht mit den effektiven, sondern mit durchschnittlichen Frachten belasten, nicht unter das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB, das keine unterschiedlichen Preise bei unterschiedlichen Kosten verlangt. Unter Umständen kann jedoch in der Gleichbehandlung ungleicher Tatbestände eine unbillige Behinderung i.S. des § 20 Abs. 1 GWB gesehen werden. Edwards, The Price Discrimination Law, op. cit., S. 638 f.: “Two sharply different objectives have been incorporated in the present law, without recognition of their difference. One is to prevent discriminations injurious to market competition in the secondary line. This is the counterpart of the objective of the law in the primary line. It is incorporated in what has been called, in previous pages, the broad concept of injury. The second objective is to assure equality of opportunity for all competing enterprises that buy goods from the same seller. It has been expressed in the concept of injury previously described as the narrow concept. Although inequalities

166

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

(2) Die Frage der Zielkonflikte hängt – wie bereits festgestellt – von dem zugrunde liegenden Wettbewerbskonzept und dem Zeithorizont ab. Zielkonflikte können einmal zwischen dem Institutionsschutz und der Benachteiligung einzelner Unternehmen auf dem Markt des differenzierenden Unternehmens (first line competition) auftreten. So sind auf homogenen Oligopolmärkten (versteckte) Preisdifferenzierungen ein wesentliches Wettbewerbselement i.S. des Institutionsschutzes. Ein intensiver Wettbewerb mit versteckten Preisdifferenzierungen kann – wie auch empirische Beobachtungen zeigen – den Wettbewerb auf oligopolistischen Märkten erheblich beleben, andererseits jedoch zur Beeinträchtigung der Chancengleichheit von schwächeren Mitbewerbern führen, wenn z.B. eine regionale Preisdifferenzierung durch ein marktstarkes Unternehmen (Anbietermacht) erfolgt. Langfristig kann allerdings auch der Institutionsschutz durch zunehmende Verfestigung des Teiloligopols infolge fortschreitender Konzentration gefährdet sein. Darüber hinaus können Preisdifferenzierungen in Konflikt zu dem Ziel geraten, den Wettbewerb als Individual- und Institutionsschutz auf den nachfolgenden Wirtschaftsstufen (second line competition) zu erhalten. Wenn z.B. marktstarke Abnehmer sich durch nicht kostenorientierte Mengenrabatte und dergleichen gegenüber kleineren Mitbewerbern im Nachfragewettbewerb nicht leistungsbedingte Vorsprünge verschaffen (Nachfragermacht), so gefährden sie dadurch die Chancengleichheit im Wettbewerb (Individualschutz), fördern u.U. jedoch kurz- oder mittelfristig die Wirksamkeit des Wettbewerbs als Steuerungsmechanismus (Institutionsschutz); erst langfristig kann u.U. auch der Institutionsschutz infolge zunehmender Konzentration gefährdet sein. Die Entwicklung im Einzelhandel exemplifiziert diese Überlegungen.346 Wenn man den Wettbewerb nicht nur auf der Stufe des diskriminierenden, sondern auch des diskriminierten Unternehmens in die Untersuchung einbezieht, kann sich sogar ein dreifacher Zielkonflikt ergeben: Einmal zwischen der Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit einzelner Unternehmen durch Preisdifferenzierung und der Gefahr einer Erstarrung des Preiswettbewerbs auf dem Markt des differenzierenden Unternehmens (first line), zum anderen zwischen der Chancengleichheit und der Wirksamkeit des Wettbewerbs auf den folgenden Märkten (second, third or fourth line). Zusätzlich können dabei Zielkonflikte zwischen „first and second line competition“ auftreten, d.h., Preisdifferenzen haben auf den verschiedenen Wirtschaftsstufen unterschiedliche positive oder negative Auswirkungen. Sofern derartige Zielkonflikte auftreten, müssen die Auswirkungen auf den verschiedenen Wirtschaftsstufen gegeneinander abgewogen werden:347 “The problem of public policy will be to evaluate the effects in the primary and secondary lines in order to make sure that the accomplishments in the secondary line are not obtained at too great a cost of adverse effects in the primary line.” Soll also sowohl die Wirksamkeit des Wettbewerbs auf allen Märkten gesichert als auch dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Wettbewerb Rechnung getragen werden, so kann es angesichts der möglichen Zielkonflikte bei der Lösung nur darum gehen, die Dilemmas in der Rechtsprechung soweit wie möglich zu reduzieren. Eine solche Minderung der mögli-

346 347

of opportunity may be of a kind and scope that have anticompetitive effects, there may also be inequalities that have no necessary relation to the maintenance of competition” (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 14: Die Konzentration im Lebensmittelhandel, Baden-Baden 1985. Edwards, op. cit., S. 643.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

167

chen Zielkonflikte zwischen Individual- und Institutionsschutz ist dann gewährleistet, wenn das Diskriminierungsverbot von vornherein auf marktmächtige Unternehmen begrenzt wird. (3) Aufgrund der negativen wettbewerbspolitischen Erfahrungen mit sec. 2 Robinson-Patman Act und dem obsoleten Artikel 60 MUV unterliegen daher dem Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 und 2 GWB bzw. Art. 102 AEUV nur solche Unternehmen, die als mutmaßliche Träger wirtschaftlicher Macht gelten. Die Vorschrift verbietet daher marktbeherrschenden, marktstarken und preisbindenden Unternehmen sowie Kartellen, andere Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, unbillig zu behindern (i.d.R. first line competition) oder sachlich nicht gerechtfertigt unterschiedlich zu behandeln (second line competition). Das um den Abhängigkeitstatbestand und den Fall überlegener Marktmacht erweiterte Diskriminierungsverbot des § 20 GWB hat dabei den doppelten Schutzzweck der Sicherung des Wettbewerbs als Individualschutz i.S. einer Gleichheit der Marktchancen gleichartiger Unternehmen gegenüber den Normadressaten dieser Vorschrift und als Institutionsschutz i.S. der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus unserer Marktwirtschaft. Bei den beiden Alternativen dieser Vorschrift: unbillige Behinderung von Mitbewerbern (i.d.R. first line) bzw. sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung (second line) kommt es daher – unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes – entscheidend auf die Abwägung der beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen des diskriminierenden und diskriminierten Unternehmens an. c) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen348 Als letzte Form der Behinderungsstrategie sollen die Ausschließlichkeits- und Kopplungsverträge behandelt werden, die im Gegensatz zur Lieferverweigerung und Preisdiskriminierung als Ausdruck faktischen Marktverhaltens in der Regel auf vertraglicher Grundlage beruhen. Dabei differiert die wettbewerbspolitische Beurteilung von Ausschließlichkeits- und Kopplungsverträgen, da erstere durchaus positive volkswirtschaftliche Wirkungen haben können, während letztere überwiegend negativ beurteilt werden. Folgende Vertragsformen und -typen können unterschieden werden: (1) Ausschließlichkeitsbindungen im Sinne der Verpflichtung eines Vertragsbeteiligten, keine anderen Waren von Dritten zu beziehen (Alleinbezugsbindung des Händlers) oder an Dritte abzugeben (Alleinabsatzbindung des Lieferanten). Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung von Ausschließlichkeitsbindungen ist darin zu sehen, dass durch die Absatzbindung des Lieferanten oder die Bezugsbindung des Abnehmers andere Abnehmer als Nachfrager bzw. Lieferanten als Anbieter mit Konkurrenzprodukten vom Markt ferngehalten werden, so dass der Zutritt dieser Unternehmen unbillig beschränkt und/oder der Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt werden kann.

348

Vgl. dazu Schmidt, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, op. cit., S. 92–95 und 311–342; Schmidt, Ingo, und Ulrich Kirschner, Der Marktschließungseffekt, in: Wist 17 (1988), S. 23–25, sowie Monopolkommission, 9. Hauptgutachten: Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik, BadenBaden 1992, Kap. VIII: „Zur wettbewerbspolitischen Problematik von Kopplungsgeschäften“.

168

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Kriterien zur Feststellung der wesentlichen Wettbewerbsbeeinträchtigung sind insbesondere:

• •

die Marktstellung des bindenden Unternehmens, die Verbreitung der Ausschließlichkeitsbindungen auf dem relevanten Markt und der dadurch dritten Unternehmen verschlossene Marktanteil (sog. Marktschließungseffekt) sowie • die Dauer der Verträge und der Grad der Ausschließlichkeit. (2) Alleinvertriebsbindungen im Sinne einer Verpflichtung des Lieferanten, innerhalb eines bestimmten Gebietes nur bevorrechtigte Händler zu beliefern (exclusive dealership). Dieser Alleinvertriebsbindung des Lieferanten entspricht begrifflich das Alleinvertriebsrecht des Händlers, das allerdings hinsichtlich der gelieferten Waren (bei entsprechender Gestaltung des Vertriebssystems) beschränkt sein kann durch:



vertragliche Kundenbeschränkungsklauseln, die den Abnehmer verpflichten, die Vertragswaren nur an bestimmte Kunden oder Kundenkreise zu liefern bzw. bestimmte Kunden nicht zu beliefern (z.B. Discounter), und/oder • Gebietsbindungen (räumliche Vertriebsbindungen) eines Lieferanten im Sinne einer Verpflichtung des Händlers, die Vertragswaren nicht außerhalb seines Vertragsgebietes zu verkaufen. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung von Alleinvertriebsbindungen besteht darin, dass konkurrierende Händler von dem Vertrieb der Vertragserzeugnisse ausgeschlossen werden, was durch Kundenbeschränkungs- und Gebietsschutzklauseln abgesichert werden kann, so dass der Zutritt dritter Unternehmen unbillig beschränkt und/oder der Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt werden kann. Die Kriterien zur Feststellung der wesentlichen Wettbewerbsbeeinträchtigung sind grundsätzlich die gleichen wie bei Ausschließlichkeitsbindungen. (3) Verwendungsbeschränkungen im Sinne einer Beschränkung in der Freiheit der Verwendung gelieferter Waren oder Leistungen (z.B. Miete anstatt Verkauf von Maschinen), um die Abnehmer durch Bezugs- und Benutzungspflichten fest an sich zu binden. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung von Verwendungsbeschränkungen besteht in der Abhängigkeit der Abnehmer von dem Lieferanten und in einer Beschränkung des Marktzutritts. (4) Kopplungsverträge im Sinne einer Verpflichtung, bestimmte andere (sachlich oder handelsüblich nicht zugehörige) Waren oder Leistungen b abzunehmen, wodurch für die Hersteller und Händler, die mit den gekoppelten Waren b in Wettbewerb stehen, der Marktzutritt beschränkt und/oder der Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt werden kann. Dabei wird zwischen tie-in und bundling unterschieden. Während beim tie-in der Käufer hinsichtlich der bezogenen Menge des sekundären Produktes b frei bleibt, werden beim bundling beide Produkte a und b nur in einem festen Verhältnis verkauft. Derartige Verträge werden – anders als Alleinvertriebsbindungen oder Ausschließlichkeitsbindungen, die unter bestimmten Voraussetzungen wettbewerbs-unschädlich oder sogar wettbewerbsfördernd sein können – wesentlich kritischer beurteilt. Nur in Ausnahmefällen, wie z.B. bei technisch komplementären Gütern, dürfte eine Kopplung auch im Interesse der Konsumenten liegen. In erster Linie dienen sie jedoch dem Zweck, die Vorrangstellung des eine Kopplung verlangenden Unternehmens auf dem Markt a auf den Markt des zu koppelnden Produktes b auszudehnen bzw. zu übertragen (Hebelwirkung). Auf diese Art und Weise wird das gekoppelte Produkt b mehr oder weniger der Notwendigkeit enthoben, sich gegen-

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

169

über Konkurrenzprodukten durchzusetzen. Derartige Vereinbarungen sind daher dazu geeignet, die Wirksamkeit des Wettbewerbs zu beeinträchtigen; denn sie stehen im Widerspruch zu dem jeder Wettbewerbsordnung immanenten Leistungsprinzip und bewirken eine Zutrittsbeschränkung zum Markt des gekoppelten Produktes. Wettbewerbspolitische Kriterien zur Beurteilung von Kopplungsverträgen sind:

• •

Das Ausmaß der Marktmacht des koppelnden Unternehmens und/oder der Umfang des Handelsvolumens des gekoppelten Produktes b, der im Hinblick auf das Ausmaß der Behinderung dritter Unternehmen beim Marktzutritt von Bedeutung ist. (5) Wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder sonstiger Druck zur Erzwingung eines Ausschließlichkeits- oder Kopplungsverhaltens, wodurch die gleichen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen wie bei Ausschließlichkeits- oder Kopplungsverträgen eintreten können. Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen unterfallen seit der 7. GWB-Novelle grundsätzlich dem Absprachenverbot des § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV, es sei denn, dass die Freistellungsvoraussetzungen der Legalausnahme des § 2 GWB bzw. Art. 101 III AEUV gegeben sind (vgl. 8. und 11. Kap.). Darüber hinaus greift die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen nach § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV ein, mit welcher auch die Ausübung von Druck zur Erzwingung eines Ausschließlichkeits- oder Kopplungsverhaltens erfasst und unterbunden werden kann.

V.

Konzentrationsstrategien und ihre wettbewerblichen Wirkungen349

1.

Einleitung

a) Begriff der Konzentration (1) Von Konzentration im Sinne des Konzentrationsstandes350 pflegt man im Hinblick auf unser Untersuchungsziel zu sprechen, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt fast der gesamte Umsatz auf wenige Unternehmen (absolute Konzentration) oder ungleichmäßig auf die einzelnen Unternehmen (relative Konzentration bzw. Disparität) verteilt ist. (2) Konzentration im Sinne des Konzentrationsprozesses liegt im Hinblick auf unser Untersuchungsziel vor, wenn sich im Zeitablauf die Zahl der selbständigen Wirtschaftseinheiten als wettbewerbspolitische Entscheidungsträger vermindert, was einmal durch externes Wachstum in Form von Zusammenschlüssen i.w.S. mit anderen bisher selbständigen Unternehmen, zum anderen durch (überproportionales) internes Wachstum der Unternehmen infolge des Ausbaus der Produktionsstätten erfolgen kann.351 Das 20. Jahrhundert war durch fünf große Fusionswellen gekennzeichnet, zu Beginn des Jahrhunderts sowie in den 20er, 60er, 80er und 90er Jahren. 349 350 351

Vgl. dazu Schmidt, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, op. cit., S. 80–87 und 115–183 mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. Pohmer, D., und F. X. Bea, Konzentration, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. v. Grochla, E., und W. Wittmann, Stuttgart 1975, Sp. 2221. Darüber hinaus kann sich die Konzentration auch durch das freiwillige oder unfreiwillige Ausscheiden von Unternehmen aus dem Markt erhöhen.

170

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

b) Ursachen der Konzentration352 Die Ursachen der Konzentration sind vielfältig. Die Monopolkommission hat im Vierten Hauptgutachten versucht, die Konzentrationsursachen schematisch darzustellen (vgl. Abb. 15).353 Als Konzentrationsursachen der ersten Stufe bezeichnet die Monopolkommission wirtschaftliche und sonstige Gegebenheiten, welche die Konzentration vorteilhaft, notwendig oder möglich machen. Diese originären Ursachen der Konzentration sind insofern von entscheidender Bedeutung, weil bei ihnen möglichst alle Maßnahmen zur Konzentrationsbekämpfung ansetzen sollten. Die Konzentrationsursachen äußern sich in Konzentrationsveränderungen, die sich auf die Komponenten: internes Wachstum, Marktaustritt, Marktzutritt und Fusion, zurückführen lassen. Die Monopolkommission bezeichnet diese Komponenten als Konzentrationsursachen der zweiten Stufe, da sie sichtbarer Ausdruck der originären Konzentrationsursachen sind. Den einzelnen Komponenten können keine spezifischen originären Ursachen zugeordnet werden, d.h., jede Ursache kann sich in jeder der genannten Komponenten äußern. 1. Stufe

staatliche Rahmenbedingungen

unvollständiger Kapitalmarkt

Größenvorteile

wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen

Patente

Forschung und Entwicklung

Werbung

⏐ ⏐ ⏐ ⏐ ⏐ ⏐ ⏐⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯ ↓ ↓ ↓ ↓ 2. Stufe

internes Wachstum

Marktaustritt

Marktzutritt

Fusion

⏐⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯ ⏐ ⏐ ⏐ ↓ Konzentrationsentwicklung Abb. 15:

Schema der Konzentrationsursachen Konzentrationsursachen der 1. Stufe ohne Anspruch auf Vollständigkeit

c) Messung der Konzentration Der Wettbewerbsprozess wird mit Hilfe einer Kombination von Struktur- und Verhaltensnormen erfasst. Dabei kommt im Rahmen des Strukturansatzes dem morphologischen Faktor eine besondere Bedeutung zu. Dieser Aspekt der Marktstruktur wird mit Hilfe der statistischen Konzentrationsmessung quantifiziert. Bei dem Versuch, adäquate Konzentrationsmaße zu finden, sind – ausgehend von einem bestimmten wettbewerbspolitischen Vorverständnis – die Anzahl der Unternehmen und ihre Marktanteile (absolute Konzentration) sowie deren gleichmäßige oder ungleichmäßige Verteilung (relative Konzentration bzw. Disparität) zu berücksichtigen. Im Oligopolfall ist die 352

353

Vgl. Kantzenbach, Erhard, Konzentration als Problem der Konkurrenzwirtschaft, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, hrsg. v. Arndt, H., 2. Aufl., 1. Bd., Berlin 1971, S. 168, und Monopolkommission, 4. Hauptgutachten 1980/81: Fortschritte bei der Konzentrationserfassung, Baden-Baden 1982, Kap. VI: Ursachen der Konzentration. Vgl. Monopolkommission, 4. Hauptgutachten, op. cit., S. 196.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

171

Auswirkung einer zunehmenden Disparität auf die Wettbewerbsintensität ambivalent: Im Falle weniger großer Anbieter mindert die zunehmende Disparität ceteris paribus die Interessensymmetrie (tendenziell asymmetrisches Oligopol) und erhöht damit die Wettbewerbsintensität; diese Aussage gilt allerdings nur solange, wie kein Übergang von der Oligopolgruppe zum dominierenden Einzelunternehmen erfolgt. Im Hinblick auf die Erfassung eines dominierenden Einzelunternehmens (Einzelmachtkonzept) bzw. einer dominierenden Unternehmensgruppe (Gruppenmachtkonzept) ergibt sich darüber hinaus die Notwendigkeit, den Kern bzw. die Kerngruppe von den relativ unbedeutenden kleinen Unternehmen (Mitläufern) mit Hilfe von Dominanzmaßen abzugrenzen. Ausgehend von diesen wettbewerbspolitischen Überlegungen bieten sich folgende Konzentrationsmaße an, die in der deutschen, europäischen und US-amerikanischen Wettbewerbspolitik zunehmend Verwendung finden:354



Bei der Erfassung der Gesamtkonzentration eines Marktes ist den größten Unternehmen ein besonders hohes Gewicht zuzumessen. Im Gegensatz dazu sollen die Marktanteile der kleinen Unternehmen wegen deren weitgehender Einflusslosigkeit nur in unbedeutendem Umfang in das gewünschte Konzentrationsmaß eingehen. Diese Eigenschaft erfüllt der Hirschman-Herfindahl-Index aufgrund der Quadrierung der individuellen Marktanteile: n

HHI = ∑ pi2 , wobei pi (für i = 1…n) für alle Unternehmen mit i=1

n

∑p

i

= 1 bzw. 100%

i=1

die relativen Marktanteile darstellt.355 • Zur Kennzeichnung der Konzentration dient der Marktanteil des größten Unternehmens CR1 (Einzelmachtkonzept) bzw. der Kerngruppe CRk (Gruppenmachtkonzept bzw. kollektive Marktbeherrschung). Unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit der Daten, der Operationalität und der Vergleichbarkeit werden meistens die Konzentrationsraten CR4 und CR8 (USA und EG) bzw. CR3 und CR5 (BR Deutschland – § 19 III GWB) angegeben. Die Konzentrationsraten können mit Hilfe der sog. Konzentrationskurve graphisch veranschaulicht werden (vgl. Abb. 16). Die Kurve K1 zeigt, welchen Anteil am Umsatz z.B. die 3 oder 4 größten Unternehmen haben bzw. umgekehrt, auf wie viele der größten Unternehmungen 50 %, 75 % oder 90 % des Gesamtumsatzes entfallen. Bei gleicher Verteilung (Symmetrieannahme) der Merkmalsbeträge auf alle Merkmalsträger hat die Konzentrationskurve die Form einer Geraden (K2 bzw. K3) deren Steigung von der Zahl der Unternehmen bestimmt wird.

354

355

Vgl. Piesch, Walter, und Ingo Schmidt, Die Verwendbarkeit von Konzentrationsmaßen in der Europäischen Wettbewerbspolitik, Brüssel, Luxemburg 1983, im Hinblick auf weitere Konzentrations- und Dominanzmaße. Vgl. auch Schmidt, Ingo, und Wolfgang Ries, Der Hirschman-Herfindahl-Index (HHI) als wettbewerbspolitisches Instrument in den neuen Fusionsrichtlinien 1982, in: WuW 33 (1983), S. 525 ff. , und Nußkern, Wolfgang, Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung von statistischen Konzentrationsmaßen in der Fusionskontrolle, Frankfurt a.M. u.a. 1999. Die Fusion von 2 Unternehmen a und b mit 20 % bzw. 15 % Marktanteil würde den HHI um Delta 600 (20 × 15 × 2 = 600) erhöhen. Dies folgt daraus, dass vor der Fusion die Marktanteile der beiden Unternehmen durch ihre Quadrate einzeln zum HHI beigetragen haben: a² + b². Nach erfolgter Fusion ist ihr Beitrag zum HHI das Quadrat der Summe ihrer Marktanteile: (a + b)² = a² + 2ab + b², so dass die Erhöhung des HHI immer durch 2ab dargestellt wird.

172

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Kumulierter Anteil am Gesamtumsatz [ in %]

100 90

K

K1

80

K3

2

70 60 50 40 30 20 10 1

Abb. 16:

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Zahl der Unternehmen

Konzentrationskurve

Als kritischer Konzentrationsgrad eines Marktes sind Werte für den Herfindahl-Index von 10 %356 sowie für CR1 = 35 %, CR4 = 50 % und CR8 = 70 % anzusehen, bei deren Überschreiten die Gefahr besteht, dass das Verhalten nicht mehr kompetitiv ist und die Marktergebnisse nicht länger wettbewerbsgerecht sind (Gefährdungstatbestand wie im Polizeioder Lebensmittelrecht). Die genannten kritischen Werte werden mit der Marktphase variieren, d.h., sie werden in der Experimentier- und Expansionsphase höhere Werte, in der Ausreifungs- und Stagnationsphase niedrigere annehmen. Zudem haben die anderen Marktstrukturfaktoren Einfluss auf den kritischen Konzentrationsgrad. Dem wird durch die elastische Legalvermutung i.S. des § 19 III GWB (anstelle einer starren Legaldefinition) Rechnung getragen. Die EK sieht in der Regel HHI-Werte unter 1.000 als wettbewerbspolitisch unbedenklich an; das gilt auch, wenn der HHI nach der Fusion zwischen 1.000 und 2.000 liegt und Delta HHI < 250 ist oder wenn der HHI zwar > 2.000, jedoch Delta HHI < 150 ist.357 Die amerikanischen Antitrustbehörden sind in ihren Merger Guidelines von 1992 von sehr ähnlichen HHIWerten ausgegangen. d) Die wettbewerbspolitische Bedeutung des morphologischen Faktors358 Die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse der Tatbestände des externen und internen Unternehmenswachstums ergibt sich daraus, dass der Wettbewerbsdruck, dem die Wirtschaftseinheiten ausgesetzt sind und der zu einer tendenziellen Realisierung des vorgegebenen Zielkataloges führt, durch eine zunehmende Konzentration beeinträchtigt werden kann. 356

357 358

Dies entspricht einer Oligopolsituation mit zehn gleichgroßen Anbietern. Bei mehr als 10 oder 12 Anbietern homogener Güter nehmen die oligopolistische Interdependenz und die Möglichkeit zu koordiniertem Gruppenverhalten allgemein stark ab. Vgl. Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, S. 277. Vgl. Europäische Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, in: ABl EG 2004 Nr. C 31, S. 3 ff. Vgl. zur Frage des kritischen bzw. notwendigen Konzentrationsgrades Schmidbauer, Herbert, Allokation, technischer Fortschritt und Wettbewerbspolitik, Tübingen 1974, S. 154 ff. und 212 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

173

Wir haben wirksamen Wettbewerb mittels einer Kombination von Struktur- und Verhaltensnormen definiert; einer der maßgeblichen conditioning factors im Rahmen des Marktstrukturtests ist die Zahl der selbständigen Wirtschaftssubjekte. Wenngleich wirksamer Wettbewerb sich bei sehr unterschiedlichen conditioning factors und damit auch stark differierenden Zahlen von selbständigen Wirtschaftssubjekten einstellen kann, so charakterisiert dennoch Clark359 die günstigste Bedingungskonstellation, unter der wirksamer Wettbewerb mit großer Wahrscheinlichkeit herrschen wird, als “a substantial number of firms small enough, relative to the whole market in which they compete, to have strong competitive incentives (though there is no need for atomistic smallness) and economically strong enough to make their competitive pressure count”. Shepherd360 charakterisiert die Bedeutung des Marktanteils im Rahmen des Marktstrukturtests sogar als „probably the central element in market structure“. Ähnlich argumentieren Kaysen/Turner361, wobei sie auch auf den Einwand eingehen, dass selbstverständlich die Wettbewerbsintensität nicht nur eine Funktion der Zahl der Anbieter (Marktmorphologie), sondern auch vieler anderer Variablen ist; diese müssen jedoch – zumal in der Regel wettbewerbspolitisch nicht beeinflussbar – als konstant unterstellt werden (ceteris paribus-Klausel). Zudem hat die neuere industrieökonomische Forschung gezeigt, dass die Kombination von individuellem Marktanteil und Produktheterogenität den entscheidenden Einfluss auf die performance ausübt (vgl. 3. Kapitel II). Eine hohe Konzentration ist zwar nicht eine sufficient, jedoch eine necessary condition für die Gefährdung des Wettbewerbs durch unilaterale Effekte bzw. implicit or explicit collusion. Strategien der Konzentration im Sinne eines externen oder überproportionalen internen Unternehmenswachstums können somit die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigen. Das adäquate Instrument zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht ist nach Walter Eucken eine Fusionskontrolle:362 „Nicht in erster Linie gegen die Missbräuche vorhandener Machtkörper sollte sich die Wirtschaftspolitik wenden, sondern gegen die Entstehung der Machtkörper überhaupt. Sonst besitzt sie keine Chance, mit dem Problem fertig zu werden.“

359 360 361

362

Clark, John Maurice, Competition As A Dynamic Process, Washington, D.C. 1961, S. 481. Shepherd, William G., The Treatment of Market Power: Antitrust Regulation and Public Enterprise, New York und London 1975, S. 61. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 115: “To be sure, factors other than the size and character of the rival firms are important in determining the way an oligopolistic market functions – the nature of the product, the technological maturity, the rate of growth of demand, the cyclical stability of demand, are all important. But within the framework defined by a given set of value of these variables, the larger the number of rival sellers and the smaller the relative size of the largest few, the more likely will it be that no firm and no group exercises much market power.” Eucken, op. cit., S. 172.

174

2.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Die wichtigsten Formen der Konzentrationsstrategie und ihre wettbewerblichen Wirkungen363

a) Externes Unternehmenswachstum Hinsichtlich des externen Unternehmenswachstums sind drei Hauptformen zu unterscheiden:

• horizontale Zusammenschlüsse, • vertikale Zusammenschlüsse und • diagonale (konglomerate) Zusammenschlüsse. Im Hinblick auf die Formulierung wettbewerbspolitisch adäquater Eingreifkriterien müssen Fehler 1. und 2. Ordnung vermieden werden, d.h. , •

volkswirtschaftlich sinnvolle Fusionen (z.B. im Hinblick auf eine Effizienzsteigerung) sollten von der Wettbewerbsbehörde nicht untersagt werden (sog. Fehler 1. Ordnung), während • volkswirtschaftlich schädliche Fusionen (insbes. im Hinblick auf den Schutz des Wettbewerbs als Kontroll- und Steuerungsmechanismus) von der Wettbewerbsbehörde nicht genehmigt werden sollten (sog. Fehler 2. Ordnung). Zwischen beiden Fehlertypen besteht ein trade-off, da eine strikte Fusionskontrolle die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Fehlern des Typ 1 erhöht, jedoch gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Fehlern des Typs 2 reduziert (et vice versa). Damit erhebt sich die Frage des adäquaten Eingreifkriteriums. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass mit dem traditionellen Marktbeherrschungstest sog. einseitige (unilaterale bzw. nicht-kollusive) wettbewerbsbeschränkende Effekte eines Zusammenschlusses nicht erfasst werden können. Diese Auswirkungen bestehen sowohl in einer Verringerung des Angebots und einer Erhöhung der Preise (d.i. eine Verschlechterung der Marktversorgung) als auch in einer Behinderung dritter Unternehmen. Ausdruck der wettbewerbspolitischen Einsicht in die Existenz nicht-kollusiver Effekte unterhalb der Schwelle der Marktbeherrschung sind nach geltendem Recht die Missbrauchsaufsicht über Unternehmen mit „überlegener Markmacht“ i.S. des § 20 Abs. 4 GWB und der Abhängigkeitstatbestand in § 20 Abs. 2 GWB (sog. relative Marktmacht). In der EG fehlen vergleichbare Regelungen, so dass nur Art. 102 AEUV Anwendung. Im Interesse einer rechtzeitigen Erfassung wettbewerbsbeschränkender fusionsbedingter Effekte wird daher das Pro und Contra des anglo-amerikanischen SLC- (substantially lessening of competition-) Tests und des europäischen SIEC- (Significant Impediment to Effective Competition-) Tests diskutiert364, um eine korrektive Missbrauchsaufsicht weitgehend überflüssig zu machen.

363

364

Vgl. den Überblick von Schmidt, Ingo, und Martina Röhrich, Zielkonflikte zwischen dem Erhalt kompetitiver Marktstrukturen und der Realisierung von Effizienzsteigerungen durch externes Unternehmenswachstum?, in: WiSt 21 (1992), S. 179 ff. Vgl. die Diskussion in den Zeitschriften ECLR und WuW Anfang dieses Jahrzehnts sowie Schmidt, Ingo, Zur wettbewerbspolitischen Diskussion über das adäquate Eingreifkriterium zur Erfassung wettbewerbsbeschränkender Fusionen, in: Wirtschaftspolitik in offenen Demokratien: Festschrift für Uwe Jens, hrsg. von Neumann, Lothar F., und Hajo Romahn, Marburg 2005, S. 129 ff., und Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle, Frankfurt am Main 2006, Dritter Teil, wo individuelle und kollektive Marktbeherrschung sowie nicht koordinierte Effekte bei unterschiedlichen Wettbewerbsformen und ihre Erfassung behandelt werden.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

175

Der SLC-Test stellt darauf ab, ob durch eine Fusion der Wettbewerbsdruck wesentlich vermindert wird, was im Wege eines before and after-Vergleichs festzustellen ist. Dabei ist Schutzobjekt der kompetitive Status quo ante Fusion. Während der SLC-Test den Grad der Wettbewerbsverminderung zu messen versucht, versucht der Marktbeherrschungstest zu messen, wie viel Wettbewerb noch übrig bleibt (sog. hypothetischer Intensitätstest i.S. von Hoppmann). Im Interesse der Justitiabilität könnte der SLC-Test durch das Alternativen-Konzept i.S. des § 20 Abs. 2 S. 1 GWB („ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen“) bzw. Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO („Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer“) ergänzt werden. Eine wesentliche Verminderung ausreichender und zumutbarer Alternativen lässt sich durch Befragen der Zulieferanten bzw. Abnehmer (Verbraucher) leichter feststellen und ist damit operationaler als der stark verhaltensorientierte Dominanztest, der zu viel Interpretationsspielraum lässt und damit zu Lasten des Wettbewerbsschutzes geht. Mit dem neuen Eingreifkriterium der erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs in Art. 2 FKVO sollen über die marktbeherrschende Stellung hinaus sog. einseitige wettbewerbsschädliche Auswirkungen eines Zusammenschlusses erfasst werden, die sich aus einem nicht-kollusivem Verhalten von Unternehmen bei fehlender Marktbeherrschung ergeben [sog. SIEC (Significant Impediment to Effective Competition) Test]. Es wird einige Jahre dauern, bis der EuGH in seiner Rechtsprechung Klarheit über die Interpretation dieses neuen unbestimmten Rechtsbegriffes geschaffen hat, insbesondere darüber, ob die wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Effizienz von Amts wegen berücksichtigt werden müssen. Bereits jetzt ist klar, dass eine Abkoppelung von Art. 102 AEUV erfolgt ist. (1) Unter horizontalen Zusammenschlüssen sollen solche Unternehmenszusammenschlüsse verstanden werden, die zwischen vormals selbständigen Wirtschaftssubjekten, die auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt tätig sind, stattfinden. Derartige Zusammenschlüsse können der Realisierung von realen (im Gegensatz zu pekuniären) economies of scale in den verschiedenen Funktionsbereichen eines Unternehmens (das sind Beschaffung, F&E, Produktion und Absatz), marktstrategischen Zielsetzungen (Marktbeherrschung oder Errichtung von Marktzutrittsschranken) oder der Förderung von bloßen Managementinteressen (z.B. Politik des sogenannten „empire building“) dienen. Der möglichen Realisierung von economies of scale steht allerdings die Gefahr von diseconomies of scale bei Überschreiten der optimalen Betriebs- und Unternehmensgröße und von XIneffizienzen gegenüber. Die Überlegungen zur Marktmorphologie, die oben als ein wesentlicher conditioning factor skizziert wurde, weisen auf die marktstrategischen Implikationen von horizontalen Zusammenschlüssen im Hinblick auf die Entwicklung individueller Marktbeherrschung bzw. überragender Marktstellungen oder eines den Preiswettbewerb faktisch beschränkenden oder gar ausschließenden Gruppenbewusstseins im Oligopol hin, da die zunehmende Konzentration des Angebots tendenziell die Entwicklung der für eine kollektive Marktkontrolle entscheidenden Interessensymmetrie und das Gruppenbewusstsein fördert. In der europäischen Wettbewerbspolitik spricht man daher von kollektiver Marktbeherrschung. Im engen Oligopol, das durch eine sehr hohe parametrische Interdependenz gekennzeichnet ist, kann daher eine Tendenz zur Maximierung des gemeinsamen Gewinns aufgrund von Absprachen i.w.S. (= rechtliche Wettbewerbsbeschränkung) oder von Gruppendisziplin bzw.

176

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Preisführerschaft (= faktische Wettbewerbsbeschränkung) beobachtet werden, die im Grenzfall dem Verhalten im Monopol nahekommt (Kollektivmonopol). Man spricht in diesem Zusammenhang von „joint profit maximization“365, die sich spieltheoretisch aus der hohen Reaktionsverbundenheit (inbesd. infolge Konzentration, Homogenität und Transparenz) erklären lässt, welche vorstoßende individuelle Wettbewerbshandlungen wegen der zu erwartenden Sanktionen der Mitbewerber erschwert bzw. wirtschaftlich unmöglich macht. Die wettbewerbstheoretische Argumentationskette geht daher dahin, dass eine zunehmende horizontale Konzentration die (faktische oder rechtliche) Verhaltenskoordinierung der Unternehmen erleichtert, wodurch der Preiswettbewerb beschränkt wird. Die Beschränkung des Preiswettbewerbs kann folgende Auswirkungen haben:

• •

überhöhte Preise und Gewinne; überhöhte Kosten infolge von X-inefficiency, so dass trotz überhöhter Preise die PreisKosten-Spanne prima facie nicht überhöht erscheint; • Verlagerung des Wettbewerbs vom Preis- auf den Nicht-Preiswettbewerb, verbunden mit langsamerer Innovationsrate und reduzierter Produktvielfalt sowie bestimmter Formen des Qualitätswettbewerbs (z.B. extreme Produktdifferenzierung) oder der Suggestivwerbung, die nicht zur Erhöhung der Konsumentenwohlfahrt beitragen. Umgekehrt gilt, je lockerer die Oligopolstruktur und je größer die Zahl der Unternehmen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Interessenasymmetrie zwischen den verschiedenen Unternehmen im Hinblick auf die einzelnen Aktionsparameter.366 Eine solche Interessenasymmetrie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Unternehmen in einer Oligopolgruppe eine individuelle Marktstrategie für vorteilhafter halten als eine kooperative, kollektive Verhaltensweise mit tendenziell gemeinsamer Gewinnmaximierung. Daher ist eine Erhöhung der Zahl der Anbieter bzw. eine Verringerung des Konzentrationsgrades der sicherste und langfristig dauerhafteste Weg einer Reduzierung von Marktmacht. Vice versa ist ein Zusammenschluss als Mittel zur Marktstabilisierung allgemein umso bedeutender, je größer der kontrollierte Marktanteil ist. Bei der Beurteilung von Fusionen kann neben dem herkömmlichen strukturellen Ansatz (Marktabgrenzung und Veränderung der Marktanteile angesichts der sonstigen Einflussgrö365

366

Zur Zielsetzung der gemeinsamen Gewinnmaximierung bei kollektiver Preispolitik vgl. insbesondere Fellner, William, Competition Among the Few, New York 1949. Nach diesem Konzept versuchen Oligopolisten den Gewinn gemeinsam zu maximieren, indem sie einen (gemeinsamen) „Monopolpreis“ festsetzen und gemeinsam die „Monopolmenge“ verkaufen. Der gemeinsame Gewinn, der auf die einzelnen Oligopolisten aufzuteilen ist (Verteilungsproblem), ist größer als die Summe der Einzelgewinne bei individueller Gewinnmaximierung. Das reine Prinzip gemeinsamer Gewinnmaximierung schränkt Fellner allerdings durch Berücksichtigung langfristiger Zielsetzungen und des Strebens nach Sicherheit ein – Faktoren, die nach Ansicht von Fellner die radikale Ausnutzung der Oligopolsituation durch die Anbieter verhindern. Kaysen/Turner, op. cit., S. 115: “… the looser the oligopoly structure, the less market power any individual firm or the group as a whole exercises. …The larger the number, the greater is the likely diversity among firms: in costs, in the part of the market which they serve, in the range of products offered, in the kind and volume of expenditures devoted to innovation, in the expectations of executives concerning future changes in cost and demand.” Bain, Joe S., Industrial Organization, 2. Aufl., New York u.a. 1968, S. 120 f.: “The higher the degree of seller concentration, the greater should be the tendency toward cooperative action to establish a joint profitmaximizing industry price and output. And the smaller should be the incentive for individual sellers to pursue independent competitive policies that are designed to enhance their market shares and profits at the expense of their rivals.” Vgl. Hewitt, Gary, Oligopoly, in: OECD Journal of Competition Law and Policy 3 (2001), S. 137 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

177

ßen) auch im Rahmen eines Simulationsmodelles367 versucht werden, die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf Preise und Mengen sowie die Wohlfahrt zu erfassen. Dazu sind erforderlich:



empirische Daten über die Nachfrage und ein geeignetes formales Modell des Nachfragerverhaltens sowie • ein geeignetes Oligopolmodell (Mengenwettbewerb i.S. von Cournot oder Preiswettbewerb i.S. von Bertrand, die in der Realität allerdings häufig ineinander übergehen). Problematisch ist, dass bei der modellhaften Abbildung eines Marktes nicht alle Aspekte erfasst werden können, „so dass die Gefahr besteht, wichtige Faktoren bei der Modellierung außer Acht zu lassen. Hierzu gehören vor allem dynamische Aspekte, wie die Repositionierung von Produkten durch Konkurrenten, Investitionen oder Marktzutritte.“368 Die Verfügbarkeit geeigneter Daten und die Übereinstimmung des verwendeten Nachfragesystems mit dem tatsächlichen Konsumentenverhalten sind existentiell bei der Anwendung und Interpretation eines solchen Simulationsmodells.369 Simulationsmodelle sollten zudem robust sein, d.h., sie sollten bei kleinen Änderungen der Daten oder der Annahmen keine grundlegend anderen Resultate ergeben. Während es sich bei den ökonometrisch-statistischen Verfahren zur sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung (s.o. 3. Kap. I) im Prinzip um sinnvolle Ergänzungen des Bedarfsmarktkonzeptes bzw. des hypothetischen Monopoltestes handelt, sind dagegen Simulationsmodelle mit vielen möglichen, sich u.U. kumulierenden Fehlerquellen behaftet, so dass eine Interpretation mit Vorsicht vorgenommen werden muss. Simulationsmodelle erlauben allenfalls eine grobe Abschätzung der Wirkungen einer Fusion und können insofern als Ergänzung der strukturellen Methode sinnvoll sein. Die vermeintliche Exaktheit des Modells und damit eine überzeugende Beweiskraft sind allerdings nicht gegeben. Budzinski spricht daher von der „Scheinpräzision von Simulationsergebnissen“.370 Simulationsmodellen kommt zudem nur im Hinblick auf die statische Effizienz eine gewisse Indizwirkung zu. Denn Simulationsmodelle sind Ausdruck einer komparativen Statik und daher nicht geeignet, dynamische Prozesse, die durch Produkt- und Prozessinnovationen gekennzeichnet sind, zu erfassen. Dynamische Effizienz lässt sich vielmehr langfristig nur durch die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbsdruckes sichern, was allein durch die Anwendung der strukturellen Methode gesichert werden kann.

367

368 369

370

Vgl. Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze im der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle, Frankfurt a.M. 2006, S. 211 ff., und Zimmer, Daniel, Vorzüge und Leistungsgrenzen quantitativ-ökonomischer Analysen in Fusionskontrollverfahren: das Beispiel Oracle/PeopleSoft, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold zum 65. Geburtstag, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S. 677 ff., 683 ff., mit weiteren Nachweisen zu Literatur und Rechtsprechung. Schwalbe und Zimmer, op. cit., S. 214. Vgl. Lademann, Rainer P., Zur Wettbewerbsökonomie von Kartellen – Ökonomische Anmerkungen zum wirtschaftlichen Vorteil nach der siebten Kartellnovelle, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 2004, hrsg. von FIW, Schriftenreihe Heft 206, Köln u.a. 2006, S. 35 ff., 64, der die Datenverfügbarkeit nur in Ausnahmefällen als erfüllbar ansieht. S. E. begrenzen die restriktiven Annahmen von Marktsimulationsmodellen die Brauchbarkeit der Ergebnisse bzw. schließen sie sogar aus. Vgl. Budzinski, Oliver, Wettbewerbsfreiheit und more economic approach, in: Quo vadis Wirtschaftspolitik? Ausgewählte Aspekte der aktuellen Diskussion: Festschrift für Norbert Eickhof, hrsg. von Grusevaja, Martina, Christoph Wonke, Ulrike Hösel und Malcom H. Dunn, Frankfurt am Main et al. 2008, S.15 ff., 24.

178

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Die EK hat allerdings in einigen nach der strukturellen Methode entschiedenen Fusionsfällen das Simulationsverfahren ergänzend herangezogen. Eine Entscheidung des EuGH über die Verwendbarkeit des Simulationsverfahrens bei der Fusionskontrolle steht allerdings noch aus.371 (2) Unter vertikalen Zusammenschlüssen sind Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftssubjekte zu verstehen, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind und in einer Käufer-Verkäufer-Beziehung stehen. Derartige Zusammenschlüsse können der Realisierung von transaction-cost economies oder marktstrategischen Zielsetzungen (Sicherung von Bezugs- oder Absatzwegen bzw. Behinderung von Konkurrenten durch Marktschließung bzw. Errichten von Marktzutrittsschranken) dienen.372 Der möglichen Ersparnis von Transaktionskosten steht allerdings die Gefahr zusätzlicher Organisationskosten bei vertikaler Unternehmensintegration gegenüber. Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen können insbesondere hinsichtlich der Behinderung von tatsächlichen oder potentiellen Mitbewerbern auftreten:373



Besitzt ein Unternehmen auf einer Wirtschaftsstufe eine starke Marktposition, so kann es diese Marktstellung auf vor- oder nachgelagerte Märkte durch Behinderung oder Verdrängung nicht-integrierter Konkurrenten ausdehnen (Hebelwirkung). So kann z.B. ein Unternehmen, das eine marktstarke Position auf dem Rohstoffmarkt hat, auch den Markt für das Endprodukt weitgehend kontrollieren, da die mit ihm konkurrierenden Anbieter von Endprodukten, die vertikal nicht integriert sind, hinsichtlich der Rohstoffversorgung weitgehend von ihm abhängig sind und keine unabhängige Preispolitik betreiben können. Vice versa können auf dem Rohstoffmarkt konkurrierende Anbieter, die vertikal nicht integriert sind, dadurch behindert werden, dass ein vertikal integriertes Unternehmen ihnen den Zutritt bei der Belieferung nachgelagerter Märkte versperrt oder zumindest erheblich erschwert. • Grundsätzlich wird durch vertikal integrierte Unternehmen der Marktzutritt für newcomers erschwert, da für potentielle Konkurrenten die Nachteile gegenüber einem vertikal integrierten Unternehmen infolge des erhöhten Kapitalbedarfs und technischen Know-hows eine abschreckende Wirkung haben. Die marktstabilisierende Wirkung einer vertikalen Konzentration ist daher als umso wirksamer anzusehen, je stärker die Marktposition des integrierten Unternehmens auf zumindest einer Wirtschaftsstufe und/oder je verbreiteter eine derartige Integration überhaupt ist. (3) Diagonale oder konglomerate Zusammenschlüsse können negativ definiert werden als Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftseinheiten, die weder auf dem gleichen relevanten Markt tätig sind (horizontal) noch in einem Käufer-Verkäufer-Verhältnis (vertikal) stehen. Derartige Zusammenschlüsse erfolgen in der Regel zwecks Risikostreuung oder aus 371 372

373

Vgl. die Nachweise zur Rechtsprechung bei Zimmer, op. cit., S. 683 ff. Vgl. auch Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/1983: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Tz. 725–730, die insbesondere folgende marktstrategischen Implikationen der vertikalen Integration sieht: – Verdrängung von Konkurrenten (Marktschließungseffekt), – Erhöhung von Marktzutrittsschranken, – Verbesserung der Möglichkeiten zur Preisdifferenzierung und – Vermeidung von Oligopolkämpfen durch Stabilisierung der Vertriebs-/Versorgungssituation bzw. Erhöhung der Marktransparenz. Vgl. Schmidt und Kirschner, Der Marktschließungseffekt, supra, S. 23–25.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

179

marktstrategischen Gründen (leading firm acquisition – z.B. WMF/Rheinmetall – und/oder Errichtung konglomeratspezifischer Marktzutrittsschranken durch reciprocal dealing oder predatory pricing). Möglichkeiten zur Erzielung von realen Verbundvorteilen (sog. economies of scope) durch die Produktion verschiedener Güter a und b dürften typischerweise nur in den Bereichen F&E sowie Organisation und Management bestehen. Ihnen steht allerdings die Gefahr von diseconomies of scope wegen zunehmender Probleme bei der Koordinierung von Produktion und Absatz auf unterschiedlichen Märkten gegenüber. Die wettbewerbspolitischen Gefahren derartiger Zusammenschlüsse werden darin gesehen, dass diversifizierte Konzerne grundsätzlich eine strategische Überlegenheit besitzen, die von der traditionellen Monopol- und Oligopoltheorie nicht oder nur unzureichend erfasst wird:374









374

Wettbewerbsvorteile diversifizierter Großunternehmen gegenüber kleineren Mitbewerbern aufgrund von Kostenersparnissen bei der Nachfrage nach Kredit-, Versicherungs-, Werbungs- und u.U. auch Transportleistungen sowie aufgrund überlegener Finanzkraft, die sich in größeren Möglichkeiten bei der Führung von Prozessen, der Einflussnahme auf die Politik (Finanzierung von Wahlkampagnen und Aufbau einer gut funktionierenden Lobby) und der public relations-Arbeit äußern. Dabei muss bei den auch bei Konglomeraten möglichen economies of scale zwischen realen und pekuniären Kostenersparnissen unterschieden werden; letztere sind Ausdruck von Nachfragemacht und einer Einkommensumverteilung zugunsten des Konglomerats. Wettbewerbsnachteile für kleinere Mitbewerber durch Kopplungsgeschäfte oder reziproke Transaktionen oder Möglichkeiten der Konglomerate zur Mischkalkulation, zur Überwälzung von Marktrisiken und Kosten auf andere Unternehmen und zur Durchsetzung von für sie selbst besonders günstigen Geschäftsbedingungen. Damit wird der Grundsatz der Leistungsfähigkeit als Ausleseprinzip einer Marktwirtschaft verletzt. Wenn sich Konglomerate mit ihren verschiedenen Geschäftsbereichen auf mehreren Märkten gegenüberstehen (sog. multi-market contacts), so besteht wenig Anreiz für ein diversifiziertes Unternehmen, wettbewerblich aktiv zu werden, da jede Aktion des Konglomerats auf einem bestimmten Markt von den Konkurrenten auf einem anderen Markt, wo das agierende Unternehmen eine relativ schwache Position innehat, beantwortet werden kann. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Konglomerate auf gemeinsamen Märkten eine gewisse Zurückhaltung beim Einsatz ihrer Aktionsparameter üben (mutual forbearance als Ausdruck konglomerater Interdependenz) oder gar kooperieren werden. Gesellschaftspolitisch per se unerwünschte Ballung von Verfügungsmacht in den Händen Weniger, die die Kontrolle der Unternehmen durch den Markt durch eine Zusammenarbeit zwischen Verbänden und Staat zu ersetzen droht.

Vgl. Edwards, Corwin D., Conglomerate Bigness as a Source of Power, in: Business Concentration and Price Policy, hrsg. von National Bureau of Economic Research, Princeton 1955, S. 331 ff., mit einer Anmerkung von George W. Stocking, S. 352 ff. Ähnlich auch Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/83, op. cit., Kap. VIII: Wettbewerbspolitische Beurteilung diversifizierender Zusammenschlüsse. Vgl. auch Commission of the European Communities (Hrsg.), European Conglomerate Firms: A Report, bearbeitet von Cubbin, John S., und Paul A. Geroski, Luxembourg 1990, die allerdings in der Bildung von großen Konglomeraten weder wesentliche soziale Vorteile noch wettbewerbspolitische Nachteile sehen, da aufgrund der divisionalen Unternehmensorganisation das wettbewerbsbeschränkende Potential häufig nicht strategisch genutzt werde.

180

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Generell lässt sich sagen, dass die wettbewerbspolitischen Gefahren diagonaler Zusammenschlüsse in der wirtschaftlich-finanziell marktstrategischen Überlegenheit des aufnehmenden Unternehmens gegenüber tatsächlichen oder potentiellen Konkurrenten auf dem Markt des erworbenen Unternehmens gesehen werden, die die Chancengleichheit und die Leistungsfähigkeit am Markt als Auslesekriterium verletzt. Daneben bestehen gesellschaftspolitische Bedenken hinsichtlich der Konzentration von Verfügungsmacht. Diese Ressourcentheorie (diversifizierte Großunternehmen als Pool produktiver Ressourcen i.S. von Edith Penrose) hatte mit der Vierten GWB-Novelle Eingang in das geltende deutsche Recht gefunden. In § 23a Abs. 1 Nr. 2 GWB a. F. vor 1999 wurde für die Zusammenschlusskontrolle das Entstehen oder die Verstärkung einer überragenden Marktstellung vermutet, wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen insgesamt mindestens 12 Milliarden DM Umsatz haben.375 Diese Legalvermutung ist der Sechsten Kartellnovelle mangels Anwendung durch die Kartellbehörden zum Opfer gefallen. Bei dem Versuch einer positiven Definition von konglomeraten Zusammenschlüssen können drei Untergruppen unterschieden werden:





375

Markterweiterungs-Zusammenschlüsse, bei denen die fusionierenden Unternehmen entweder gleichartige Produkte für räumlich getrennte Märkte (market extension merger) oder unterschiedliche Produkte, die jedoch eine gewisse Produktions- oder Absatzflexibilität aufweisen, für räumlich einheitliche oder zumindest sich überschneidende Märkte (product extension merger) herstellen. In beiden Fällen, in denen an die Stelle internen Unternehmenswachstums die horizontale Konzentration tritt, wird die Zahl der potentiellen Konkurrenten vermindert. Die Konkurrenten des aufzunehmenden Unternehmens können angesichts der marktstrategischen Bedeutung des aufnehmenden Unternehmens entmutigt und potentielle Konkurrenten vom Marktzutritt abgeschreckt werden. Marktverkettungs-Zusammenschlüsse (reciprocal dealings), bei denen eines der beteiligten, vormals selbständigen Unternehmen entweder Kunde eines Kunden oder Lieferant eines Lieferanten eines anderen beteiligten Unternehmens ist. Dabei wird die starke Position auf einem Markt mit Hilfe reziproker Transaktionen als Hebel in den Dienst der Ausbreitung dieser Position auf dritte Märkte gestellt, wodurch andere Unternehmen vom Geschäft ausgeschlossen und behindert werden. Wenn C ein Fertigprodukt von B kauft und das Unternehmen A erwirbt, das seinerseits an B liefert, so kann C bei entsprechender Nachfragemacht sich weigern, weiterhin von B zu kaufen, wenn B nicht ausschließlich oder vorzugsweise seine Waren von A bezieht, so dass A gegenüber seinen Konkurrenten einen nicht leistungsbedingten Wettbewerbsvorsprung erzielt. Dies würde vice versa für den Fall gelten, dass C den marktstarken Kunden E seines Kunden D erwirbt. Das folgende Schema verdeutlicht die Zusammenhänge:

Vgl. Albach, Horst, Finanzkraft und Marktbeherrschung, Tübingen 1981; Dirrheimer, Manfred J., Ressourcenstärke und Abschreckungswirkung in der Fusionskontrolle, Köln u.a. 1988, und Bühner, Rolf, Die fusionskontrollrechtliche Bedeutung der Finanzkraft, in: WuW 39 (1989), S. 277 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

181

Lieferant A / Lieferant B / Abnehmer/Lieferant C (Nachfragemacht gegenüber B) \ Kunde D \ Kunde E (Nachfragemacht gegenüber D)



Marktdiversifikations-Zusammenschlüsse (pure conglomerates) liegen vor, wenn weder ein Markterweiterungs- noch ein Marktverkettungszusammenschluss vorliegt, z.B. der Zusammenschluss eines Puddingpulverherstellers mit Brauereien oder Reedereien (Oetker). Bei diesen reinen Konglomeraten, die unter Umständen auf keinem Markt eine starke Position haben, wird die Frage der wirtschaftlichen und finanziellen Überlegenheit des Gesamtkonzerns gegenüber kleineren (Einprodukt-)Unternehmen auf einzelnen Märkten (Möglichkeiten der Mischkalkulation und damit des Verdrängungswettbewerbs) zum wettbewerbspolitischen Problem; der Marktanteil allein sagt nichts über die dahinter stehende Macht aus.376 Zugleich erhebt sich die Frage des volkswirtschaftlichen Konzentrationsgrades und der gesellschaftspolitisch unerwünschten Ballung von Verfügungsmacht: ein auf dezentralen Entscheidungen beruhendes wirtschaftliches System wird in ein vorwiegend zentral gelenktes Wirtschaftssystem (Galbraith: The New Industrial State) transformiert. Losgelöst vom „Markt“machtkonzept dürften absolute Größen (z.B. Umsatzzahlen) als wettbewerbspolitisch adäquat anzusehen sein, um die von den Ressourcen großer Konglomerate ausgehenden Gefahren für den Wettbewerb zu erfassen.377 Tabelle 10 verdeutlicht die Formen konglomerater Zusammenschlüsse und ihre Abgrenzung.

376

Auch die Monopolkommission, 5. Hauptgutachten, op. cit., Tz. 786, misst dem Kriterium Finanzkraft zentrale Bedeutung bei der Beurteilung (rein konglomerater) Zusammenschlüsse bei. Möschel, Wernhard, Finanzkraft und konglomerater Zusammenschluß, in: Die Aktiengesellschaft 29 (1984), S. 257 ff., weist in diesem Zusammenhang auf die US-amerikanische „entrenchment doctrine“ hin, wonach eine marktbeherrschende Stellung des erworbenen Unternehmens bereits dadurch entstehen oder verstärkt werden kann, dass die überlegene Finanzkraft des Erwerbers (sog. deep pocket) aktuelle Konkurrenten des erworbenen Unternehmens von initiativem Wettbewerbsverhalten und potentielle Konkurrenten von einem Marktzutritt abschreckt (sog. Abschreckungstheorie). Die wirtschaftlichen Nachteile absoluter Größe werden in dem von der OECD herausgegebenen Bericht Mergers and Competition Policy, Paris 1974, Zi. 175, wie folgt charakterisiert: “However, absolute size by itself may have 2 types of economic disadvantage: it may result in an overall decline in performance if the firm exceeds the size at which it can be efficiently operated with given techniques of production and management and it may also give the firm the power to indulge in certain types of market behaviour, which may have damaging consequences for competition. Size may bring increased overall financial power of a kind which permits cross-subsidization in the markets in which the firm operates, reciprocal dealings with other large and conglomerate firms, retrenchment of the dominant position of the acquired firm and it may also permit the firm to alter market structures by the relatively easy acquisition of potential competitors.”

377

182

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Tab. 10:

Formen der Konglomerate

Formen der Konglomerate ⏐ Markterweiterungszusammenschlüsse

⏐ Marktverkettungszusammenschlüsse ⏐

market extension mergers ⏐ gleichartige Produkte fürräumlich getrennte Märkte

product extension mergers ⏐ unterschiedliche Produkte (mit gewisser Produktionsund Absatzflexibilität) für räumlich einheitliche bzw. sich überschnei- dende Märkte

Grenzfälle der horizontalen Integration ⏐ Potentielle Konkurrenten werden absorbiert.

⏐ Marktdiversifikations zusammenschlüsse ⏐

reciprocal dealings

pure conglomerates

Eines der beteiligten vormals selbständigen Unternehmen war Kunde eines Kunden oder Lieferant eines Lieferanten eines anderen beteiligten Unternehmens.

⏐ Es handelt sich nicht um die ersten beiden Arten, so dass der „Rest“ als pure conglomerate bezeichnet wird.

Grenzfall der vertikalen Integration ⏐ Es entstehen künstliche Wettbewerbsvorteile, die in keinem Verhältnis zur Marktleistung des jeweiligen Unternehmens stehen.

(4) Eine Sonderform des externen Unternehmenswachstums stellen sog. Gemeinschaftsunternehmen dar, worunter gemeinsame Tochtergesellschaften von zwei oder mehr Muttergesellschaften zu verstehen sind, die durch Gründung einer neuen Produktionseinheit, die Ausgliederung vorhandener Produktionskapazitäten oder den gemeinsamen Erwerb eines schon bestehenden dritten Unternehmens entstehen (z.B. Siemens/Bosch Haushaltsgeräte).378 Es lassen sich folgende Arten von Gemeinschaftsunternehmen unterscheiden:

• •

378

Hinsichtlich ihres Aufgabengebietes können Einkaufs- bzw. Verkaufs-, Produktions- und F&E-Gemeinschaftsunternehmen unterschieden werden. Nach den funktionalen Beziehungen zwischen Gemeinschaftsunternehmen und Muttergesellschaften lassen sich horizontale Gemeinschaftsunternehmen, die auf demselben relevanten Markt wie die Muttergesellschaften tätig sind, vertikale Gemeinschaftsunternehmen, die auf vor- oder nachgelagerten Märkten operieren, und diagonale Gemeinschaftsunternehmen, die auf anderen Märkten als die Muttergesellschaften tätig sind, unterscheiden.

Vgl. OECD, Competition Policy and Joint Ventures, Paris 1986; Kurz, Rudi, und Lothar Rall, Zur wettbewerbspolitischen Beurteilung von Gemeinschaftsunternehmen in der Europäischen Gemeinschaft, in: WuW 36 (1986), S. 765 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

183



Die Auswirkungen von Gemeinschaftsunternehmen auf den Wettbewerb sind mit denen horizontaler, vertikaler und konglomerater Zusammenschlüsse zu vergleichen. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. • Schließlich lassen sich konzentrative und kooperative Gemeinschaftsunternehmen sowie Mischformen beider unterscheiden. Für die kartellrechtliche Beurteilung ist die Unterscheidung von konzentrativen und kooperativen Gemeinschaftsunternehmen von besonderer Bedeutung. Das Bundeskartellamt379 sieht Gemeinschaftsunternehmen als rein konzentrativ an, wenn

• •

sie funktionsfähige Unternehmen darstellen, sie nicht überwiegend für die Muttergesellschaften auf vor- und nachgelagerten Märkten tätig sind sowie • die Muttergesellschaften selbst auf dem sachlich relevanten Markt des Gemeinschaftsunternehmens nicht mehr tätig sind. Steht dagegen die Koordinierung bestimmter Tätigkeiten oder des Marktverhaltens der Muttergesellschaften im Vordergrund, wird von kooperativen Gemeinschaftsunternehmen gesprochen. Die Frage der Anwendbarkeit des Kartellverbots und der Fusionskontrolle auf konzentrative und kooperative Gemeinschaftsunternehmen sowie auf Mischformen beider (sog. Doppelkontrolle) ist noch nicht abschließend geklärt.380 (5) Durch feindliche Unternehmensübernahmen erfolgt auf dem sogenannten Markt für Unternehmenskontrolle ein Kontrollwechsel in einem Unternehmen gegen den Willen des amtierenden Managements. Ähnlich wie traditionelle Zusammenschlüsse nach Verhandlungen der betroffenen Unternehmensleitungen erfolgen sie aufgrund der verschiedensten Zielsetzungen [z.B. Synergien und Diversifikation, aber auch Marktmacht, empire building oder Selbstüberschätzung (Hybris)des Managements]; sie dienen daher nicht nur – wie die Vertreter eines effizienten Marktes für Unternehmenskontrolle behaupten – der Disziplinierung eines ineffizienten Managements, um die Ressourcenallokation zu verbessern. Eine kritischere Haltung gegenüber der Fusionskontrolle erscheint daher im Lichte der Erkenntnisse über den Markt für Unternehmenskontrolle nicht gerechtfertigt. Feindliche Übernahmen können dekonzentrative Effekte zur Folge haben, wenn nach der Übernahme Beteiligungsverkäufe vorgenommen werden, wodurch über die Auflösung verfestigter Unternehmensstrukturen die Marktkonzentration sinken kann. Daneben sind jedoch auch konzentrative Wirkungen denkbar, was im Einzelfall im Rahmen der Fusionskontrolle zu prüfen ist.381 Die Bundesregierung hat vor dem Hintergrund der Übernahmeschlacht Vodafone/Mannesmann zum 1. 1. 2002 ein Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz erlassen, das Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen i.S. eines fair play schaffen soll. Danach darf der Vorstand eines Unternehmens mit Genehmigung des AR gem. § 33 bestimmte Abwehrmaßnahmen treffen (z.B. die Suche nach einem sog. weißen Ritter). Andere Abwehrmaßnahmen 379 380

381

Vgl. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 1978, in: BTDr 8/2980, S. 23 ff. Nach Ansicht des BGH sind dafür die maßgeblichen Umstände des Einzelfalles entscheidend; vgl. Mischwerke, in: WuW/E BGH 2169 ff., und neuerdings KG im Falle Ostfleisch, in: WuW/E DE-R 439 ff. Vgl. dazu auch die VO (EWG) Nr. 4064/89. Vgl. Röhrich, Martina, Hostile Tender Offers aus wettbewerbspolitischer Sicht: Eine theoretische und empirische Integration der Erkenntnisse über den Markt für Unternehmenskontrolle in die Wettbewerbspolitik, in: WuW 42 (1992), S. 718 ff.

184

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

bedürfen einer Drei-Viertel-Mehrheit der Aktionäre; sog. Vorratsbeschlüsse der HV sind zulässig, gelten jedoch für höchstens 18 Monate. Die im Dezember 2003 von der EK erlassene Übernahmerichtlinie erlaubt im Rahmen eines sog. Optionsmodells den nationalen Mitgliedsstaaten, an ihren Verteidigungsmaßnahmen gegen feindliche Übernahmeversuche festzuhalten.382 So kann der Bundesminister für Wirtschaft mit Zustimmung der Bundesregierung einem ausländischen Investor eine Beteiligung von mehr als 25% untersagen, wenn durch die Fusion die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet werden würde (Rechtsgrundlage: Außenwirtschaftsgesetz und -VO). Tabelle. 11 gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Zusammenschlussformen und -motive sowie die Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Kosten. Tab. 11:

Synopsis von Zusammenschlussformen und -motiven sowie Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Kosten

Zusammenschlussform

horizontal

vertikal

konglomerat

Begriff

Unternehmen sind auf dem Unternehmen sind auf vorgleichen relevanten Markt bzw. nachgelagerten tätig. Produktionsstufen tätig und stehen in einer KäuferVerkäufer-Beziehung zueinander.

negativ definiert als Zusammenschluss, der weder horizontaler noch vertikaler Natur ist

Zusammenschlussmotive

economies of scale

economies of scope Risikostreuung durch Diversifikation

transaction-cost- economies

Eliminierung eines ineffizienten Unternehmensmanagements marktstrategische Zielsetzungen empire building Auswirkungen auf den Wettbewerb

Erlangung einer individuellen oder kollektiven marktbeherrschenden Stellung bzw. erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs und damit Verschlechterung der Verbraucherversorgung

Behinderung von nichtintegrierten Konkurrenten durch Monopolisierung der Bezugs- oder Absatzwege und damit Errichtung von Marktzutrittsschranken

Auswirkungen auf die Kosten

economies of scale vs. diseconomies of scale

transaction-cost economies economies of scope vs. steigende Organisavs. diseconomies of scope tionskosten

Überwälzung von Marktrisiken und Kosten Kopplungsgeschäfte; steigende Finanzkraft; Mischkalkulation; Konzentration von Verfügungsmacht

X - I n e f f i c i e n c i e s

(6) In der zweiten Hälfte der 90-er Jahre war eine transnationale Fusionswelle zu beobachten, die als Ausdruck der Globalisierung gesehen wurde, d.h., es sollte im Ausland nicht nur verkauft, sondern auch produziert werden; dabei handelte es sich überwiegend um horizontale Zusammenschlüsse.383

382 383

Vgl. Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, in: ABl EG Nr. L 142, S. 12 ff. Vgl. zur Problematik der Megafusionen Kleinert, Jörn, und Henning Klodt, Megafusionen: Trends, Ursachen und Implikationen, Kieler Studien 302, Tübingen 2000; Monopolkommission, 13. Hauptgutachten: Wettbewerbspolitik in Netzstrukturen, Baden-Baden 2000, Kap. VII: Megafusionen, sowie Kantzenbach, Erhard,

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

185

Die Motive für diese Fusionen waren vielfältig, wobei zwischen der Sicht der Unternehmen und des Managements zu unterscheiden ist:



Die Vor- und Nachteile für die fusionierenden Unternehmen bestehen in möglichen Effizienzsteigerungen i.w.S. und wettbewerbsbeschränkenden Effekten einerseits sowie einer Erhöhung der Integrations-, Informations- und Kontrollkosten andererseits (vgl. die Fälle Daimler/Chrysler und Thyssen/Krupp). • Die Bedeutung für das Management des übernehmenden Unternehmens liegt in einem schnelleren (da externem) Wachstum, was nicht nur positive Auswirkungen auf das Einkommen, sondern auch auf das Ansehen (Sozialprestige) und die gesellschaftspolitischen Einflussmöglichkeiten des Managements hat (sog. empire building policy). Das Management des übernommenen Unternehmens verliert seine Unabhängigkeit und wird sich daher gegen eine Übernahme zu wehren versuchen, es sei denn, es erhält eine entsprechende Kompensation (vgl. die freundliche Übernahme Daimler/Chrysler und die ursprünglich feindliche Übernahme Vodafone/Mannesmann; in beiden Fällen sind erhebliche Kompensationszahlungen geflossen). Die Ursachen für die seinerzeit zu beobachtende Fusionswelle waren insbesondere zu sehen:



in einer weitgehenden Liberalisierung und Deregulierung von Güter- und Kapitalmärkten, die häufig eine Neuordnung der Industriestrukturen in Richtung weltweite Oligopolisierung zur Folge hatten, womit allerdings die wohlfahrtsökonomischen Vorteile aufgrund des nachlassenden Wettbewerbsdrucks wieder verloren zu gehen drohen; • in einer Änderung der Finanzierungsmöglichkeiten von Fusionen durch Aktientausch anstelle von Barzahlung (vgl. die Fälle Daimler/Chrysler und Vodafone/Mannesmann) sowie • in finanziellen Anreizen zu Fusionen für das Management. • Dagegen dürfte die Realisierung von economies of scale oder scope nur eine geringe – wenn überhaupt – Rolle gespielt haben; vorrangig war die Erschließung neuer Märkte.384 Die Wirkungen dieser Fusionen waren insbes. in folgendem zu sehen:







384

Horizontale Fusionen, die derzeit vorherrschen, führen häufig zu einem Beschäftigungsabbau. In Zeiten der Unterbeschäftigung finden die entlassenen Arbeitnehmer nur schwer eine neue Stelle, so dass die private Gewinnsteigerung der fusionierenden Unternehmen von steigenden öffentlichen Soziallasten begleitet wird. Während die Aktionäre des aufgekauften Unternehmens häufig von Kurssteigerungen profitieren, müssen die Aktionäre des aufkaufenden Unternehmens Kursverluste hinnehmen. Insgesamt gesehen wird die Profitabilität der fusionierenden Unternehmen häufig aufgrund interner Ineffizienzen vermindert (vgl. BMW/Rover und Daimler/Chrysler sowie 5. Kap. II. 5. zur empirischen Relevanz von Kostenersparnissen). Die fortschreitende Globalisierung steht in Widerspruch zu dem Ziel einer leistungsgerechten Einkommensverteilung; vielmehr profitiert von der zunehmenden Monopolisierung, die nach geltendem Recht nicht erfasst wird, nur eine kleine Schicht davon.

Wettbewerbspolitik in der globalisierten Weltwirtschaft, in: Globalisierung, hrsg. von Theresia Theurl und Christian Smekal, Tübingen 2001, S. 231 ff. So zutreffend Kleinert und Klodt, op. cit., S. 73; a.M. Monopolkommission, 13. HGA, op. cit., welche damit die Globalisierung zu rechtfertigen und einen Handlungsbedarf zu verneinen versucht.

186

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

(7) Es mangelt bis heute an einem weltweiten Ordnungsrahmen, um den Globalisierungsprozess sozialpolitisch verträglicher (und zugleich betriebswirtschaftlich sinnvoller) zu machen. James Tobin hat bereits 1978 im Hinblick auf die die internationale Währungsordnung gefährdenden Devisenspekulationen empfohlen, etwas „Sand ins Getriebe zu streuen“. Abgesehen von der supranationalen Fusionskontrolle der EU, existiert im Hinblick auf transnationale Fusionen (Globalisierung) bisher kein Kontrollmechanismus für grenzüberschreitende Fusionen. Derzeit werden zwei Lösungsmöglichkeiten diskutiert:385 (a) Bilaterale internationale Abkommen, wie sie z.T. bereits praktiziert werden (z.B. BRD/USA von 1976, Australien/Neuseeland von 1990 oder EU/USA von 1991), oder (b) als langfristiges Ziel eine Weltkartellbehörde im Rahmen der WTO. Als eine Art Vorstufe soll das 2001 gegründete International Competition Network (ICN) mit über 80 Mitgliedsländern durch Erfahrungsaustausch und Erarbeitung von „best practices“ zu einer Angleichung der Wettbewerbskonzeptionen führen und jungen Wettbewerbsregimen Hilfestellung geben.386 (8) Zusammenschlüsse im Sinne des § 37 GWB unterliegen einer Fusionskontrolle nach den §§ 35 (Aufgreifkriterien) und 36 (Eingreifkriterien) GWB, wenn zu erwarten ist, dass durch einen derartigen Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung i.S. des § 19 GWB entsteht oder verstärkt wird. Grundsätzlich werden dabei sowohl horizontale als auch vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse erfasst (vgl. 8. Kap.). Zusammenschlüsse i.S. des Art. 3 FKVO, welche eine gemeinschaftsweite Bedeutung i.S. von Art. 1 II FKVO haben, unterliegen der Europäischen Fusionskontrollverordnung. Sie können gem. Art. 2 III FKVO untersagt werden, wenn durch den Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb erheblich behindert werden würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung (vgl. 11. Kap.). b) Internes Unternehmenswachstum Die Zahl der selbständigen Entscheidungsträger im Wettbewerb kann nicht nur durch externes Unternehmenswachstum, sondern auch durch überproportionales internes Unternehmenswachstum vermindert werden. (1) US-amerikanische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass ursächlich für das Entstehen von Marktmacht in erster Linie externes Unternehmenswachstum und Behinderungspraktiken sind, so dass bei einer wirksamen Kontrolle dieser beiden Tatbestandsgruppen nur noch eine geringe Zahl von Unternehmen übrig bleibt, deren wirtschaftliche Macht allein durch internes Unternehmenswachstum entstanden ist. Markham387 hat dazu unter Berufung auf zwei empirische Studien von Weston und Stigler ausgeführt: “One of the few extensive quantitative studies in this area shows that about eighty large corporations owe from one-third to one-quarter of their size to past mergers and 385

386 387

Vgl. Basedow, Jürgen, Weltkartellrecht: Ausgangslage und Ziele, Methoden und Grenzen der internationalen Vereinheitlichung des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, Tübingen 1998; Böge, Ulf, Die Herausforderungen einer internationalen Wettbewerbspolitik in Zeiten globalisierter Märkte, und Möschel, Wernhard, Wettbewerb der Wettbewerbsordnungen, in: WuW 55 (2005), S. 590 ff. und 599 ff. Siehe Näheres unter: www.internationalcompetitionnetwork.org. Markham, Jesse W., The New Antitrust Policy and the Individual Business Firm, in: Law and Contemporary Problems 30 (1965), S. 607 ff., 609.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

187

acquisitions; one distinguished and highly reputable economist in reviewing the study offered persuasive reasons for concluding that the fraction is significantly higher and that ‘merger has been the basic method by which individual firms have acquired high shares in major industries in the United States’.” In dem Bericht des US-Justizministers über konglomerate Zusammenschlüsse388 aus dem Jahr 1979 wurde sogar unter Berufung auf neuere Untersuchungen geschätzt, dass bis zu 73 % der Konzentrationssteigerung beim Vermögensbesitz der 200 größten verarbeitenden Unternehmen in den 50er und 60er Jahren unmittelbar auf Fusionen zurückzuführen ist. Die Monopolkommission389 ist im 4. Hauptgutachten ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass das externe Wachstum durch Fusionen offensichtlich den stärksten Einfluss auf die Konzentration in Deutschland ausübt, während der Beitrag des internen Wachstums zur Konzentration einen relativ geringen durchschnittlichen Wert aufweist. Die Gefahren eines überproportionalen internen Wachstums für die Konzentration sind daher vergleichsweise gering, da dem internen Wachstum zwar nicht in der absoluten Höhe, aber in der Geschwindigkeit so enge Grenzen gesetzt sind, dass davon kaum eine ernste Gefahr für den Wettbewerb ausgehen dürfte. (2) Das deutsche Kartellgesetz kannte in § 19 GWB bisher nur eine Missbrauchsaufsicht über – u.a. durch überproportionales internes Wachstum entstandene – marktbeherrschende Unternehmen, wonach derartigen Unternehmen ein Behinderungs- oder Ausbeutungsmissbrauch untersagt werden kann. Das amerikanische Antitrustrecht sah bereits seit 1890 in sec. 2 Sherman Act die Möglichkeit der Entflechtung bei nachgewiesenem „monopolizing“ mittels Behinderungspraktiken vor. Neuerdings sieht Art. 7 der neuen VO Nr. 1/2003 ausdrücklich auch Maßnahmen struktureller Art (d.h. Entflechtungen) vor. Das deutsche Recht trifft anders als das europäische Recht in § 32 II GWB keine ausdrückliche Regelung über strukturelle Maßnahmen; wenngleich die offene Formulierung in § 32 GWB Eingriffe in die Unternehmenssubstanz grundsätzlich nicht ausschließt.390 Die Forderung nach genereller Entflechtung intern gewachsener Unternehmen würde allerdings einen Zielkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung einer kompetitiven Marktstruktur einerseits und dem Antrieb zu rationalem, dynamischen Unternehmerverhalten andererseits

388

389 390

Vgl. Conglomerate Mergers, Small Business and the Scope of Existing Anti-Merger Statutes, Report of the Attorney General pursuant to sec. 10 (c) of the Small Business Act as Amended, 1979, übersetzt in: WuW 30 (1980), S. 171 ff. Vgl. Monopolkommission, 4. Hauptgutachten, op. cit., Tz. 730 f. Vgl. den Vorschlag der Monopolkommission, 3. Hauptgutachten 1978/79: Fusionskontrolle bleibt vorrangig, Baden-Baden 1980, Tz. 662–804, zur Einführung einer Entflechtung, der eine Sektorenuntersuchung des Bundeskartellamtes vorausgehen soll, um die Angemessenheit und Eignung von Entflechtungsmaßnahmen festzustellen (Tz. 769–774). Entflechtungsmaßnahmen sollen beim kumulativen Vorliegen der folgenden Voraussetzungen ergriffen werden (Tz. 745): – Marktbeherrschende Stellung, – missbräuchliches Verhalten, – Strukturbedingtheit des Missbrauchs und – keine überwiegenden Nachteile für das Gemeinwohl. Zur Diskussion über die Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen zur Wiederherstellung kompetitiver Marktstrukturen vgl. auch Möschel, Wernhard, Entflechtungen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen: Eine vergleichende rechtspolitische Studie, Tübingen 1979, und Scholz, Rupert, Entflechtung und Verfassung, Baden-Baden 1981.

188

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

aufwerfen, welches langfristig zu einer Beschränkung des Wettbewerbs durch überproportionales internes Unternehmenswachstum führen kann. U.E. würde eine Missbrauchsaufsicht mit Beseitigungsfolge, d.h. Entflechtung, als Sanktion bei Missbrauch (z.B. Behinderung von newcomers) marktbeherrschende Unternehmen zu einem Wohlverhalten im Hinblick auf ihre gesamte Geschäftspolitik veranlassen und den Umfang möglicher Missbräuche reduzieren (prophylaktische Wirkung). Der Vorteil einer derartigen Verhaltenskontrolle i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 82 EGV gegenüber einem strikten Strukturansatz (grundsätzliche Entflechtung aller nicht-kompetitiven Strukturen) bestünde darin, dass die aufgezeigten Zielkonflikte zumindest vermindert werden würden. Daher sollte in den Fällen, in welchen die marktbeherrschende Stellung durch externes Wachstum entstanden ist – sei es vor Einführung der Fusionskontrolle im Jahre 1973 bzw. 1989 oder durch Fehlentscheidungen der Behörden oder Gerichte – der Strukturansatz Anwendung finden. (3) Die Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV, die durch überproportionales internes Wachstum oder fehlerhafte Nicht-Untersagung externen Wachstums (Fusionen) entstanden sind, erfolgt durch eine Missbrauchsaufsicht, um die Ausbeutung vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen (vertikal) zu verhindern. Gegenstand einer Missbrauchsverfügung ist die ex post-Korrektur nicht-kompetitiver Marktergebnisse mit Hilfe eines hypothetischen Als-ob-Maßstabs, der allerdings nur indirekt mittels verschiedener Ansätze konkretisiert werden kann, da die Simulation eines Als-ObPreises methodisch nicht möglich ist.391 Dabei ist grundsätzlich zwischen der abstrakten Methode (diverse Vergleichsmarktkonzepte) und der konkreten Methode (Gewinnspannenkonzept) zu unterscheiden.392 (a) Beim räumlichen Vergleichsmarktkonzept393 werden die Preise oder Marktergebnisse eines marktbeherrschenden Unternehmens für gleiche Güter und Leistungen auf zwei räum391

392

393

Vgl. Müller, Armin, Kriterien für die Kontrolle von Preisen, Kosten und Gewinnen im Rahmen der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen nach § 22 GWB, Diss. Augsburg 1980, S. 240–314, der geeignete Kriterien für den Nachweis des Missbrauchs u.a. durch die Heranziehung der Erfahrungen mit den Bestimmungen des Preisrechts (z.B. Als-ob-Vergleichsmiete oder Als-ob-Preise bei öffentlichen Aufträgen), Wirtschaftsstrafrechts (angemessene Preise), allgemeinen Strafrechts (Wucher) oder des § 138 BGB gewinnen will. Beispiele für die Anwendung der Vergleichsmarktkonzepte nach Art. 102 S. 2 lit. a AEUV finden sich bei Bunte, Hermann-Josef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, S. 173 f. Das räumliche Vergleichsmarktkonzept ist in der BRD z.B. in folgenden Fällen zur Anwendung gekommen: – Zeitgleiche Summenmessung (1964), in: WuW/E BGH 655 ff. – Rechtselbische Zementpreise (1965), in: WuW/E BGH 667 ff.; dabei handelte es sich um den Fall einer sachlich nicht gerechtfertigten regionalen Preisdifferenzierung durch ein marktbeherrschendes Syndikat links und rechts der Elbe. – Stromtarife (1972), in: WuW/E BGH 1221 ff.; in diesem Fall ging es – ähnlich wie im Fall Zeitgleiche Summenmessung – um missbräuchlich überhöhte Preise eines Stromversorgungsunternehmens, wobei die Frage kostenstruktureller Unterschiede eine besondere Rolle spielte. Vgl. zum Fall Stromtarif auch Markert, Kurt, Kostenkontrolle bei Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, in: BB 29 (1974), S. 580 ff. – Streckenmonopol Autobahntankstellen (1979), in: WuW/E OLG 2135 ff. Das Streckenmonopol der Deutschen Fina wurde zwar bejaht, jedoch der Missbrauchsvorwurf (sog. 2-Pfennig-Abstand-Regel) bezweifelt. – Lufthansatarife (1997), in: WuW/E BKartA 2875 ff., DE-R 124 ff. und 375 ff. Der Tarif auf der Strecke Berlin/Ffm. ist im Vergleich zu Berlin/München als missbräuchlich überhöht angesehen worden. Auch ein marktbeherrschendes Unternehmen habe nach Auffassung des Bundeskartellamtes keinen Anspruch auf kostendeckende Preise, sondern nur auf Wettbewerbspreise. A. M. KG und BGH.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

189

lich getrennten Märkten miteinander verglichen, wobei der Vergleichsmarkt durch wirksamen Wettbewerb oder zumindest ein maius an Wettbewerb gekennzeichnet sein muss. Es handelt sich also um räumlich getrennte inländische oder ausländische Märkte (räumliche Preisdifferenzierung). Das Problem bei diesem Ansatz besteht darin, dass die die Marktergebnisse beeinflussenden Faktoren (z.B. Kosten, Bedarfsstruktur, konjunkturelle Lage, Produktionstechnik) – abgesehen von der unterschiedlichen Wettbewerbsintensität – vergleichbar sein müssen (Ausgleich durch Zu- und Abschläge). Wenn Unterschiede zwischen diesen die Marktergebnisse bestimmenden Faktoren auf den zu vergleichenden Märkten vorliegen, dann müssen diese – meistens nur schwer zu quantifizierenden – Unterschiede zugunsten der der Missbrauchsaufsicht unterworfenen Unternehmen zu werten sein, um rechtlich vernachlässigt werden zu können. (b) Beim zeitlichen Vergleichsmarktkonzept394 werden die Preise oder Marktergebnisse ein und desselben Marktes in zwei Perioden mit unterschiedlicher Wettbewerbsintensität verglichen, wobei sich das gleiche Problem wie bei dem räumlichen Vergleichsmarktkonzept ergibt, dass in den beiden Zeitperioden – abgesehen von der unterschiedlichen Wettbewerbsintensität – die die Marktergebnisse beeinflussenden Faktoren vergleichbar sein müssen, was in der Regel voraussetzt, dass die beiden zu vergleichenden Perioden nicht zu weit auseinander liegen (zeitliche Preisdifferenzierung i.w.S.).395 (c) Beim sachlichen Vergleichsmarktkonzept396 werden die Preise oder Marktergebnisse eines marktbeherrschenden Unternehmens



für gleiche Güter oder Leistungen auf zwei Märkten, die aus den verschiedensten Gründen sachlich getrennt sind und unterschiedliche Wettbewerbsintensitäten aufweisen, miteinander verglichen (sachliche Preisdifferenzierung z.B. zwischen Krankenhausapotheken und privaten Apotheken beim Kauf von Arzneimitteln) oder

394

Das zeitliche Vergleichsmarktkonzept (before and after theory) ist in der BRD z.B. in folgenden Fällen zur Anwendung gekommen: – Erstes Benzinpreisverfahren (1967), in: Tätigkeitsbericht BKartA 1967, in: BTDr V/2841, S. 12 f. und 41 f. In diesem Fall ging es um den Vorwurf eines Preismissbrauches gegen die vier vertikal integrierten Ölgesellschaften, die nach der Suezkrise 1967 wegen der gestiegenen Transportkosten ihre Tankstellenpreise sukzessive um fünf Pfennige erhöht und diese Preise später auch dann nicht gesenkt hatten, als sich spätestens im Oktober 1967 die Versorgungslage des deutschen Marktes wieder normalisiert und die Auswirkungen der Krise auf die Kosten gemindert hatten. – Zweites Benzinpreisverfahren (1974), in: WuW/E OLG 1467 ff. Vgl. Albach, Horst, Als-Ob-Konzept und zeitlicher Vergleichsmarkt, Tübingen 1976. Das sachliche Vergleichsmarktkonzept hat in der BRD z.B. in folgenden Fällen Anwendung gefunden: – Vitamin B 12 (1976), in: WuW/E BGH 1435 ff.; vgl. dazu Tätigkeitsbericht BKartA 1974, supra, S. 10 ff. und 62 ff., und Tätigkeitsbericht BKartA 1976, in: BTDr 8/704, S. 24 ff. und 62 ff. In diesem Fall ging es um missbräuchlich überhöhte Preise im Vergleich zu den Preisen anderer Anbieter gleichartiger Güter im Bereich der öffentlichen Apotheken sowie zu den Preisen, die die Firma Merck von Krankenhaus-Vollapotheken bzw. von Schweizer Abnehmern verlangte. Die Missbrauchsverfügung des BKartA wurde vom BGH mangels Marktbeherrschung aufgehoben. – Valium (1976/1980), in: WuW/E BGH 1445 ff. und 1678 ff. – Favorit, in: Wus/E BGH 2103 ff., wo die Missbräuchlichkeit der Geschäftsbedingungen eines FernwärmeVersorgungsunternehmens aufgrund einer Gesamtbetrachtung von Preisen und Geschäftsbedingungen im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes verneint worden ist. – Glockenheide, in: WuW/E BGH 2309 ff., wo die Feststellung des Preismissbrauches eines Fernwärmeunternehmens aufgrund des Vergleichs mit den Preisen nur eines anderen Monopolunternehmens zwar für zulässig, jedoch im konkreten Fall nicht für ausreichend angesehen wurde.

395 396

190

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien



mit den Preisen oder Marktergebnissen von anderen Unternehmen verglichen, die gleichartige Güter oder Leistungen unter den Bedingungen wirksamen Wettbewerbs oder zumindest eines maius an Wettbewerbsintensität gegenüber dem Markt ohne wirksamen Wettbewerb anbieten bzw. nachfragen. Auch bei diesem Ansatz stellt sich das Problem der Vergleichbarkeit der die Marktergebnisse beeinflussenden Faktoren. (d) Bei Fehlen eines räumlichen, zeitlichen oder sachlichen Vergleichsmarktes könnte ein Gewinnspannenkonzept Verwendung finden, wie es der Europäische Gerichtshof in der Chiquita-Entscheidung und das Kammergericht im Euglucon-Fall verwendet haben.397 Dabei könnten die Gewinne des marktbeherrschenden Unternehmens für sein Erzeugnis mit den Gewinnen anderer Unternehmen verglichen werden, die diese für vergleichbare Produkte unter den Bedingungen wirksamen Wettbewerbs erzielen. Der Versuch, wettbewerbsgerechte Gewinnspannen wenigstens annähernd durch einen Vergleich mit den Gewinnspannen ähnlicher Industriezweige zu ermitteln, ist jedoch problematisch, da die Gefahr besteht, dass Kostenüberhöhungstendenzen auf Märkten ohne wirksamen Wettbewerb berücksichtigt und abgegolten werden. So kann ein Missbrauch auch dann vorliegen, wenn bei gleichen Gewinnspannen infolge eines geringeren Rationalisierungsgrades des marktbeherrschenden Unternehmens dessen Preise über den Vergleichspreisen liegen.398 Anstelle eines Gewinnspannenvergleichs könnte auch daran gedacht werden, die Rentabilität des investierten Kapitals zu vergleichen. (e) Welche der hier kurz dargestellten Methoden im Einzelnen verwendet wird, um eine Alsob-performance zu konkretisieren, hängt von den Bedingungen und vorhandenen Daten im Einzelfall ab. Grundsätzlich muss jede Methode als zulässig angesehen werden, die Rückschlüsse auf das Ergebnis bei wirksamem Wettbewerb erlaubt. Die Meinungsverschiedenheiten in der Literatur über Zulässigkeit und Notwendigkeit einer performance-Kontrolle haben ihren Ursprung in unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen und Zweifeln hinsichtlich der Effizienz einer derartigen Missbrauchsaufsicht399, wenngleich die Monopolaufsicht bereits in den regulierenden Prinzipien von Eucken enthalten ist. Die häufig vertretene These, dass Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren i.S. von v. Hayek zum Aufspüren von Produkt- und Prozessinnovationen sei, dessen Ergebnisse nicht vorhersehbar seien, ist in diesem Zusammenhang verfehlt, da auf nicht-kompetitiven Märkten i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV der Wettbewerb als Such- und Entde397 398

399

Vgl. Chiquita Bananen, in: WuW/E EWG/MUV 425 ff., und Euglucon, in: WuW/E OLG 2892 ff. Man könnte allerdings daran denken, den Kostenüberhöhungsfaktor zu ermitteln, indem man die Einstandspreise für die Produktionsmittel (Löhne, Rohstoffe, Kapitalkosten etc.) auf beiden Märkten mit den Selbstkosten auf beiden Märkten vergleicht; ergeben sich – bei sonst gleichen Bedingungen – erhebliche Abweichungen der Selbstkosten auf beiden Märkten, so sind diese auf einen geringeren Rationalisierungsgrad infolge fehlenden Wettbewerbs als Anspornprinzip zurückzuführen. Der so ermittelte Kostenüberhöhungsfaktor hätte dann bei der Ermittlung des Wettbewerbspreises außer Ansatz zu bleiben. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof z.B. bei der Missbrauchsaufsicht über ein Zementsyndikat davon gesprochen, dass nur betriebsnotwendige Kosten, wie sie auch bei wirksamem Wettbewerb entstehen und abgegolten werden würden, anerkannt werden können. Vgl. Hoppmann, Erich, Preiskontrolle und Als-ob-Konzept, Tübingen 1974, und Schmidtchen, Dieter, Ausbeutung aufgrund einer Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand? Kritische Analyse der theoretischen Grundlagen einer freiheitsgefährdenden Wettbewerbspolitik, in: ORDO 30 (1980), S. 273 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

191

ckungsverfahren zum bloßen Aufspüren von (meistens nicht nachweisbaren) Machtmissbräuchen und illegalen Absprachen degeneriert ist. Darüber hinaus führt eine Preissenkungsverfügung auch nicht zur Verfestigung der bestehenden Marktmacht durch Fernhalten von newcomers, weil sich derartige Märkte typischerweise in der Ausreifungs- bzw. Rückbildungsphase befinden (s.o. 3. Kap.), die durch hohe faktische Marktzutrittsschranken infolge der stagnierenden Nachfrage charakterisiert sind. Ungeachtet unterschiedlicher ordnungspolitischer Positionen bestehen allerdings – angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Missbrauchsaufsicht in Deutschland und der EG – erhebliche Zweifel an der praktischen Anwendbarkeit und Effizienz einer Preismissbrauchsaufsicht.400

Übungsfragen zum 6. Kapitel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

400

Wodurch ist die vom anonymen Wettbewerbsdruck ausgehende tendenzielle Realisierung des vorgegebenen Zielkataloges gefährdet? Welches Verhältnis besteht zwischen Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit? Was verstehen Sie unter einer Wettbewerbsbeschränkung? Welche Arten von Wettbewerbsbeschränkungen können unterschieden werden? Nach welchen Ursachen können wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien bzw. Tatbestandsgruppen unterschieden werden? Woraus ergibt sich die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse von Tatbeständen der Verhandlungsstrategie? Welches sind die wichtigsten Formen der Verhandlungsstrategie? Durch welche Merkmale sind Kartelle charakterisiert? Unterscheiden Sie Kartelle nach der Art der Absprachen, dem Grad der Wettbewerbsbeschränkung und dem Zweck oder Anlass der Kartellbildung. Welches sind die Determinanten der Kartellierbarkeit? Durch welche Maßnahmen wird darüber hinaus der Zusammenhalt des Kartells nach innen und außen begünstigt? Beurteilen Sie die wettbewerbspolitischen Auswirkungen von Kartellen. Was sind strategische Allianzen? Wie wird im deutschen Recht aufeinander abgestimmtes Verhalten der Unternehmen behandelt, und wie ist es wettbewerbspolitisch zu beurteilen? Durch welche Merkmale sind vertikale Wettbewerbsbeschränkungen charakterisiert? Was versteht man unter Preisbindung der zweiten Hand? Nennen Sie gesamtwirtschaftliche Vor- und Nachteile der Preisbindung der zweiten Hand. Definieren Sie die Behinderungsstrategie im weiteren Sinne. Woraus ergibt sich die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs? Zählen Sie die wichtigsten Formen der Behinderungsstrategie auf.

Vgl. Kuhn, Tilman, Preishöhenmißbrauch (exzessive Pairing) im deutschen und europäischen Kartellrecht, in: Wus 56 (2006), S. 578 ff.

192

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

19. Worin kommt die wettbewerbspolitische Bedeutung von Boykott und Lieferverweigerung zum Ausdruck? 20. Was ist unter Boykott zu verstehen, und wie wird der Boykott im GWB behandelt? 21. Worin ist die wettbewerbspolitische Bedeutung der Lieferverweigerung mit dem Ziel der Preisbeeinflussung zu sehen? 22. Nennen Sie ein weiteres Motiv der individuellen Lieferverweigerung neben dem der Preisbeeinflussung, und beurteilen Sie diese Behinderungsstrategie aus wettbewerbspolitischer Sicht. 23. Was versteht man unter einem Zwang zum Kopplungs- und Ausschließlichkeitsverhalten, und wie kann er rechtlich erfasst werden? 24. Welche wettbewerbspolitischen Gründe werden für bzw. gegen den Aufbau geschlossener Vertriebssysteme durch Lieferverweigerung vorgebracht? 25. Was ist unter Preisdifferenzierung und Preisdiskriminierung zu verstehen? 26. Welche Auswirkungen können Preisdifferenzierungen auf den Wettbewerb haben? 27. Nach welchen Kriterien können die Auswirkungen von Preisdifferenzierungen auf den Wettbewerb beurteilt werden? 28. Inwiefern können durch Preisdifferenzierungen wettbewerbspolitische Zielkonflikte entstehen? 29. Welche Unternehmen unterliegen dem Diskriminierungsverbot des § 20 GWB? Welchen Schutzzweck hat das Diskriminierungsverbot? 30. Was verstehen Sie unter Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen als Formen der Behinderungsstrategie? 31. Welche wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen haben Alleinvertriebs- und Ausschließlichkeitsbindungen, und mit Hilfe welcher Kriterien können sie festgestellt werden? 32. Welche wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen haben Kopplungsverträge, und nach welchen Kriterien können sie festgestellt werden? 33. Wie werden Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen wettbewerbsrechtlich behandelt? 34. Definieren Sie den Begriff der wirtschaftlichen Konzentration. 35. Wie wird die Konzentration üblicherweise gemessen? 36. Woraus ergibt sich die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung der Analyse der Tatbestände des externen und internen Unternehmenswachstums? 37. Welches sind die wichtigsten Formen der Konzentrationsstrategie und ihre Motive? 38. Was sind Fehler 1. und 2. Ordnung bei der Wahl des Eingreifkriteriums? 39. Was versteht man unter horizontalen Unternehmenszusammenschlüssen? 40. Welche Bedeutung haben marktmorphologische Überlegungen für das wettbewerbliche Verhalten der Oligopolisten? 41. Definieren Sie den Dominanz-, SLC- und SIEC-Test im Hinblick auf ihre Eignung als Eingreifkriterium bei der Fusionskontrolle. 42. Was verstehen Sie unter vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen? 43. Welche wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen können von vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen ausgehen? 44. Geben Sie eine negative Definition diagonaler oder konglomerater Unternehmenszusammenschlüsse.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

193

45. Unter welchen Aspekten können die wettbewerbspolitischen Gefahren diagonaler oder konglomerater Unternehmenszusammenschlüsse gesehen werden? 46. Welche Untergruppen können bei dem Versuch einer positiven Definition von konglomeraten Unternehmenszusammenschlüssen unterschieden werden? 47. Beurteilen Sie market extension mergers, reciprocal dealings und pure conglomerates aus wettbewerbspolitischer Sicht. 48. Was verstehen Sie unter Gemeinschaftsunternehmen? Geben Sie eine wettbewerbspolitische Beurteilung. 49. Was sind die Hauptursachen für transnationale Fusionen (sog. Globalisierung)? 50. Wie werden Unternehmenszusammenschlüsse wettbewerbsrechtlich behandelt? 51. Diskutieren Sie die Anwendungsmöglichkeiten des Simulationsverfahrens bei der Fusionskontrolle. 52. Wie wird das interne Unternehmenswachstum in den USA und wie in der Bundesrepublik wettbewerbsrechtlich behandelt? 53. Erläutern Sie die Möglichkeiten der Kartellbehörde, den Ausbeutungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen zu erfassen. Gehen Sie dabei insbesondere auf die Vergleichsmarktkonzeption und die Problematik dieser Konzepte ein. 54. Erläutern Sie, wie beim Fehlen von Vergleichsmärkten eine performance-Kontrolle durchgeführt werden könnte.

Weiterführende Literaturhinweise zum 6. Kapitel 1.

Monographien und Aufsätze

Arndt, Helmut (Hrsg.), Die Konzentration in der Wirtschaft, 2 Bände, 2. Aufl., Berlin 1971. Barnikel, Hans-Heinrich (Hrsg.), Theorie und Praxis der Kartelle, Darmstadt 1972. ders. (Hrsg.), Probleme der wirtschaftlichen Konzentration, Darmstadt 1975. Berg, Hartmut, und Jens Müller, Auf der Suche nach den Wettbewerbsvorteilen konglomerater Diversifizierung: Zur Transformation der Daimler-Benz AG vom Automobilproduzenten zum „integrierten Technologiekonzern“, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 40 (1995), S. 367 ff. Blair, John M., Economic Concentration: Structure, Behavior and Public Policy, New York 1972, Teil 1. Blair, Roger D., und Robert F. Lanzilotti, The Conglomerate Corporation: An Antitrust Law and Economic Symposium, Cambridge, Mass. 1981. Böbel, Ingo, Wettbewerb und Industriestruktur: Industrial Organization-Forschung im Überblick, Berlin u.a. 1984, Teil B. Bühner, Rolf, Erfolg von Unternehmenszusammenschlüssen in der BRD, Stuttgart 1990. ders., Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse deutscher Unternehmen, Stuttgart 1991. Conglomerate Mergers and the Antitrust Laws, in: The Journal of Reprints for Antitrust Law and Economics Bd. XIII (1982). Cox, Helmut, et al. (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs, München 1981.

194

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

Edwards, Corwin D., The Price Discrimination Law: A Review of Experience, Washington, D.C. 1959. Erb, Thoralf, u.a., Konsequenzen der Globalisierung für die Wettbewerbspolitik, Frankfurt am Main u.a. 2000. Franz, Wolfgang, Hans Jürgen Ramser und Manfred Stadler (Hrsg.), Fusionen, Tübingen 2002. Inderst, Roman, und Schwalbe, Ulrich, Effekte verschiedener Rabattformen – Überlegungen zu einem ökonomisch fundierten Ansatz, in: ZWeR 7. Jg. (2009), S. 65 ff. Kantzenbach, Erhard, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 101–127 und 148 ff. Kantzenbach, Erhard, Elke Kottmann und Reinald Krüger, Kollektive Marktbeherrschung: Neue Industrieökonomik und Erfahrungen aus der Europäischen Fusionskontrolle, Veröffentlichungen des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung Band 28, Baden-Baden 1996. Kaufer, Erich, Industrieökonomik: Eine Einführung in die Wettbewerbstheorie, München 1980, S. 31–143 und 523–611. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, Kap. 4 und 5. Kleinert, Jörn, und Henning Klodt, Megafusionen: Trends, Ursachen und Implikationen, Kieler Studien 302, Tübingen 2000. Knieps, Günter, Wettbewerbsökonomie: Regulierungstheorie, Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik, 2. Aufl., Heidelberg 2005, Kap. 6–10. Kurz, Rudi, und Lothar Rall, Behinderungsmissbrauch: Probleme einer ordnungskonformen Konkretisierung, Tübingen 1983. Lademann, Rainer P., Erfahrungswissenschaftliche Ansatzpunkte bei der Markabgrenzung in Kartellverfahren, Schwerpunkte des Kartellrechts 1999 – Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis Deutschland und EG, FIW-Schriftenreihe Heft 181, Köln u.a. 2000, S. 67 ff. Linder, Birgit, Kollektive Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle: eine Untersuchung zum US-amerikanischen, deutschen und europäischen Recht, Baden-Baden 2005. Motta, Massimo, Competition Policy: Theory and Practice, Cambridge 2004, Kap. 4 bis 7. Mueller, Dennis C. (Hrsg.), The Determinants and Effects of Mergers: An International Comparison, Cambridge, Mass. und Königstein/Ts. 1980. Nagy, Anke, Die Entwicklung einer internationalen Wettbewerbsordnung: Möglichkeiten und Grenzen aus organisationstheoretischer und politökonomischer Sicht, Europäische Hochschulschriften, Frankfurt a.M. u.a. 2002. Ravenscraft, David J., und Frederic M. Scherer, Mergers, Sell-Offs and Economic Efficiency, Washington, D.C. 1987. Röhrich, Martina, Feindliche Übernahmeangebote: Eine wettbewerbspolitische Beurteilung anhand von Fallstudien aus den USA, Baden-Baden 1992. Röller, Lars-Hendrik, und Christian Wey, Internationale Wettbewerbspolitik in der neuen Weltwirtschaft, in: Die Soziale Marktwirtschaft in der neuen Weltwirtschaft, hrsg. von Röller und Wey, WZB-Jahrbuch 2001, S. 169 ff.

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

195

Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3. Aufl., Dallas u.a. 1990, Kap. 4, 5, 7, 8 und 14. Schmidt, Ingo, und Jürgen Wuttke, Leistungswettbewerb und unbillige Behinderung i.S. des § 26 Abs. 4 GWB, in: Betriebs-Berater 53. Jg. (1998), S. 753 ff. Schmidt, Ingo, Zur wettbewerbspolitischen Diskussion über das adäquate Eingreifskriterium zur Erfassung wettbewerbsbeschränkender Fusionen, in: Wirtschaftspolitik in offenen Demokratien: Festschrift für Uwe Jens, hrsg. von Neumann, Lothar F., und Hajo Romahn, Marburg 2005, S. 129 ff. Schwalbe, Ulrich, Preisgestaltung in vertikalen Strukturen – Preisbindung und Preisempfehlung aus ökonomischer Sicht, in: Wirtschaft und Wettbewerb 61 (2011), S. 1197 ff. Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle, Frankfurt am Main 2006. Wagemann, Markus, Die Fortentwicklung des Vergleichsmarktkonzeptes in der Preismissbrauchsaufsicht, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S. 593 ff. Weiss, Susanne, Das Konzept der Gewinnbegrenzung für die Preishöhenkontrolle über marktbeherrschende Unternehmen, München 1994. Zinser, Alexander, Unternehmensübernahmen in Europa und den USA, in: Recht der internationalen Wirtschaft 45. Jg. (1999), S. 844 ff.

2.

Amtliche Publikationen

Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in BTDr: IV/617. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.). Horizontale Konzentration, Fusionen und Wettbewerbspolitik in der Europäischen Gemeinschaft, in: Europäische Wirtschaft Nr. 40 (1989). Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/1983: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Kap. VIII: „Wettbewerbspolitische Beurteilung diversifizierender Zusammenschlüsse“. dies., 13. Hauptgutachten: Wettbewerbspolitik in Netzstrukturen, Baden-Baden 2000, Kap. VII: Megafusionen. dies., Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Entflechtung, SG 58, Baden-Baden 2010. OECD, Refusal to sell: Report of the Committee of Experts on Restrictive Business Practices, Paris 1969.1972. dies., Buying Power: The Exercise of Market Power by Dominant Buyers. Report of the Committee of Experts on Restrictive Business Practices, Paris 1981. dies., Merger Policies and Recent Trends in Mergers, Paris 1984. dies., Competition Policy and the Professions, Paris 1985.

196

6. Kapitel: Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien

dies., Competition Policy and Joint Ventures, Paris 1986; deutsch in: FIW (Hrsg.), Wettbewerbspolitik und Gemeinschaftsunternehmen, Köln u.a. 1988. dies, Oligopoly, in: OECD Journal of Competition Law and Policy 3 (2001), S.137 ff. (mit einer background note von Gary Hewitt). dies., Portfolio effects in conglomerate mergers, Paris 2002.

Teil 3: Wettbewerbsrechtliche Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien In Teil 3 soll einleitend ein Überblick über die möglichen Ansätze staatlicher Wettbewerbspolitik zur Erfassung der drei wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien gegeben werden. Danach sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wettbewerbspolitik in Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft sowie den USA vergleichend dargestellt werden.401

401

Vgl. Hausmann, Friedrich Ludwig, Staatliche Kartellrechtsdurchsetzung im internationalen Vergleich, FIWSchriftenreihe Heft 174, Köln u.a. 1998, sowie die Darstellungen der wichtigsten nationalen Kartellrechte (England, Frankreich, Japan, Österreich, Schweiz und USA) in Band 1 des Frankfurter Kommentars, Köln fortlaufend. Auf die Darstellung des englischen und französischen sowie des österreichischen und Schweizer Kartellrechts soll ab der 9. Auflage zugunsten einer ausführlicheren Darstellung des deutschen, europäischen und USamerikanischen Kartellrechts verzichtet werden, zumal das nationale Kartellrecht immer stärker vom europäischen Recht überlagert wird.

7. Kapitel:

Möglichkeiten der staatlichen Wettbewerbspolitik zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

Wettbewerb als anonymer Kontroll- und Steuerungsmechanismus kann durch Tatbestände der Verhaltenskoordinierung, des Behinderungswettbewerbs sowie des externen oder überproportionalen internen Unternehmenswachstums beeinträchtigt oder gar ausgeschaltet werden. Dem Staat stehen verschiedene Möglichkeiten offen, wie er diesen wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien begegnen kann:402

• • • •

I.

Verzicht auf eine staatliche Wettbewerbspolitik und Vertrauen auf das Wohlverhalten von Unternehmen mit Marktmacht bzw. die Selbstheilungskräfte des Marktes (laissezfaire approach), Wiederherstellung und Erhaltung kompetitiver Marktstrukturen durch Fusionskontrolle und Entflechtung bzw. das Verbot von Behinderungs- und Koordinierungspraktiken (structure approach), Inkaufnahme von Marktmacht und Sicherung des öffentlichen Interesses durch eine Missbrauchsaufsicht hinsichtlich des Marktverhaltens und der Marktergebnisse (regulation approach) und Vergesellschaftung von Unternehmen mit Marktmacht (ownership approach).

laissez-faire approach

Die erste Möglichkeit eines laissez-faire approach wird mit zwei Argumenten begründet:





402 403

Vertrauen auf das Wohlverhalten von Unternehmen mit Marktmacht, was jedoch keinen Ersatz für eine rationale Wettbewerbspolitik darstellt. Gute Marktergebnisse müssen vielmehr durch den anonymen, d.h. von den Wirtschaftssubjekten nicht beeinflussbaren, Wettbewerbsdruck erzwungen werden. Sie dürfen nicht auf einem jederzeit veränderlichen Wohlverhalten beruhen. Das generelle Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes (vgl. den Ansatz der Chicago School) ist ebenfalls kein Ersatz für eine rationale Wettbewerbspolitik, da diese Kräfte nur sehr langfristig und mit Sicherheit nicht in allen Bereichen wirksam sind; in der Zwischenzeit bestünde kein Schutz vor Marktmacht.403

Vgl. dazu Shepherd, William G., Public Policies Toward Business, 8. Aufl., Homewood, Ill. 1991, S. 7 f. Vgl. den Überblick über die Chicago School bei Posner, Richard A., The Chicago School of Antitrust Analysis, in: University of Pennsylvania Law Review 127 (1979), S. 925 ff.; vgl. dagegen die empirische Analyse von Shepherd, William G., The Treatment of Market Power: Antitrust Regulation and Public Enterprise, New York, London 1975, S. 113 ff., der im Hinblick auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu sehr differenzierten Ergebnissen gelangt.

200

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

Dem laissez-faire approach entspricht gesetzestechnisch entweder das Fehlen jeglicher Regelung überhaupt (totales laissez-faire) oder die Behandlung von Kartellen als nicht einklagbaren Naturalobligationen i.S. des § 762 BGB. So haben in Deutschland die Vertreter der sog. alt-liberalen Richtung ein Kartellverbot als übermäßigen staatlichen Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen abgelehnt und statt dessen gefordert, Kartellverträgen lediglich den Rechtsschutz zu verweigern, soweit sie Dritte schädigen. Dabei wird jedoch verkannt, dass auf oligopolistischen Märkten häufig die faktische Interdependenz und gemeinsame Interessen jede einklagbare Verpflichtung ersetzen, so dass die bloße Verweigerung der Rechtsverbindlichkeit, d.h. der Einklagbarkeit, wettbewerbspolitisch wirkungslos bleibt.

II.

structure approach

Bei der zweiten Möglichkeit des structure approach geht es um die Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen durch Fusionskontrolle und Entflechtung bzw. das Verbot bestimmter Behinderungs- oder Koordinierungspraktiken, die eine ex post-Missbrauchsaufsicht zur Korrektur von Marktverhalten und Marktergebnis überflüssig macht. Im Rahmen des Marktstrukturansatzes spielt auch das Konzept der countervailing power404 eine gewisse Rolle. Gegenmacht soll die unerwünschten Wirkungen von Marktmacht weitgehend neutralisieren und damit ähnliche gesamtwirtschaftliche Funktionen wie der Wettbewerb erfüllen. Das dürfte jedoch nur im Hinblick auf die Einkommensverteilungsfunktion zutreffen, da z.B. eine monopolistische Ausbeutung durch Gegenmacht verhindert werden kann (bilaterales Monopol bei der Lohnbildung). Daher ist der Kritik von Kantzenbach an dem Gegenmachtkonzept als generellem Ordnungsprinzip zuzustimmen:405 Das Prinzip der Gegenmacht „würde weder einen optimalen Einsatz der vorhandenen Produktionsfaktoren noch ihre wachstumsgerechte Weiterentwicklung garantieren. Die Zulassung oder sogar Förderung von Gegenmarktmacht, insbesondere in der Form von Kartellen, könnte weder die Kontrolle und Beschränkung ursprünglicher Marktmacht noch die Auslese- und Konzentrationsförderung übersetzter Wirtschaftszweige generell überflüssig machen.“ Das Konzept der Gegenmacht ist auch auf horizontale Machtungleichgewichte ausgedehnt worden. Dabei geht es darum, in asymmetrischen Marktformen (Teilmonopol und -oligopol) durch horizontale Gegenmachtbildung (Kooperation) die Chancengleichheit und zugleich die Wettbewerbsintensität (Erweiterung des Oligopolkerns) zu erhöhen. Wenngleich der Grundgedanke unter bestimmten Voraussetzungen zu bejahen ist, besteht die Gefahr von Machtspiralen.406

404 405 406

Vgl. Galbraith, John Kenneth, American Capitalism – The Concept of Countervailing Power, London 1957, S. 108 ff. Kantzenbach, Erhard, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 148 ff., 152. Vgl. Andreae, Clemens-August, Das Prinzip der gegengewichtigen Marktmacht als Ansatzpunkt für die Wettbewerbspolitik, in: Grundlagen der Wettbewerbspolitik, hrsg. von Schneider, Hans K., Berlin 1968, S. 71 ff.

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

201

III. regulation approach Bei der dritten Möglichkeit der staatlichen Missbrauchsaufsicht über Wettbewerbsbeschränkungen jeglicher Art (regulation approach) wird die Herausbildung von Marktmacht – sei es durch Koordinierungs- oder Behinderungspraktiken bzw. externes oder überproportionales internes Unternehmenswachstum – in Kauf genommen; Marktverhalten und Marktergebnis werden ex post durch den Staat korrigiert (vgl. § 19 GWB). Gegen den regulation approach sprechen jedoch zwei Gesichtspunkte:





Die Erfahrungen mit jeglicher Form der Missbrauchsaufsicht – sei es vor der 7. GWB Novelle über legalisierte horizontale oder vertikale Absprachen (§§ 12 und 16 GWB a. F.) oder über marktbeherrschende Unternehmen (§ 19 GWB) – haben gezeigt, dass eine Quantifizierung der Wettbewerbsintensität und des Missbrauchs sehr großen Schwierigkeiten begegnet (mangelnde Operationalität); zudem hinkt jede ex post-Missbrauchsaufsicht der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher. Diese Schwächen scheinen – wie auch ausländische Erfahrungen bestätigen – der Missbrauchsaufsicht systemimmanent zu sein, wenngleich eine Verbesserung der Effizienz der Missbrauchsaufsicht durch die Einführung von Realdefinitionen für Wettbewerbsbeschränkung und Missbrauch sowie die Möglichkeit der sofortigen Vollziehbarkeit der Missbrauchsverfügungen (vgl. § 65 GWB) möglich erscheint. Dennoch wird der regulation approach in seiner wettbewerbspolitischen Bedeutung immer gegenüber dem structure approach zurücktreten: “Regulation, at best, is a pallid substitute for competition” (Wilcox). Aufgabe der Wettbewerbspolitik muss es daher in erster Linie sein, kompetitive Marktstrukturen durch entsprechende Maßnahmen zu erhalten bzw. notfalls auch durch Entflechtungsmaßnahmen (Missbrauchsaufsicht mit Beseitigungsfolge) wiederherzustellen, die eine korrektive Missbrauchsaufsicht überflüssig machen. Abgesehen von der mangelnden Operationalität einer solchen ex post-Missbrauchsaufsicht sind korrektive Maßnahmen, die Unternehmen zu einem im Widerspruch zum Rationalprinzip stehenden Wohlverhalten zwingen, Ausdruck einer dirigistischen Politik. In diesen Fällen tritt an die Stelle der invisible hand des Wettbewerbs als anonymem Kontroll- und Steuerungsmechanismus die visible hand der Staatsaufsicht. Auch aus diesem Grunde sollte die Missbrauchsaufsicht auf die Fälle und Bereiche beschränkt werden, in denen ein anderer Ansatz nicht möglich ist.

IV. ownership approach Die vierte Möglichkeit einer Politik gegenüber wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien ist eine Verstaatlichung (ownership approach). Diese ist im Hinblick auf das normativ vorgegebene Ziel einer angemessenen Verbraucherversorgung und Kontrolle wirtschaftlicher Macht der Möglichkeit der staatlichen Missbrauchsaufsicht insofern unterlegen, als dabei die Gefahr droht, dass sich eine Identität bzw. Solidarität von Staats-, Partei- und Gewerkschaftsfunktionären sowie Managern in Gemeineigentum überführter Unternehmen ergeben würde (Problem der Filzokratie – Neue Heimat, Coop). Die Position der Verbraucher würde vermutlich noch schlechter sein als bei einer staatlichen Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, die nach wie vor von privaten Unternehmern oder Managern geleitet

202

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

werden; denn bei dieser Lösung wird eine Interessenidentität bzw. -solidarität der Funktionäre vermieden.407 Die Staatsaufsicht der Kartellbehörden oder ähnlicher Organe fungiert hier im Interesse marktschwächerer Konkurrenten, Zulieferer oder Abnehmer und Verbraucher als eine Art countervailing power – eine Lösung, die u.E. einem marktwirtschaftlichen System sowohl im Hinblick auf die ökonomische Effizienz als auch im Hinblick auf das gesellschaftspolitische Ziel einer Kontrolle wirtschaftlicher Macht (Parallelogramm der Kräfte) grundsätzlich adäquater ist als eine Überführung in Gemeineigentum. Diese Lösung wird in den USA z.B. im Hinblick auf natürliche Monopole und natürliche enge Oligopole praktiziert (Versorgungswirtschaft, Verkehr etc.), die als private Unternehmen einer umfassenden Staatsaufsicht durch die Regulatory Commissions unterliegen. Zulieferanten, Abnehmer und Verbraucher können sich jederzeit beschwerdeführend an diese Kommission wenden, während in Deutschland nur die Möglichkeit einer Klage vor den Verwaltungsgerichten besteht, die mit großem zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden ist. Trotz der gravierenden Bedenken gegen den ownership approach hat Anfang der 80er Jahre die französische Regierung unter Präsident Mitterand umfangreiche Verstaatlichungen von Banken und Versicherungen vorgenommen.

V.

Kombination von structure und regulation approach

Nach Ausschaltung der ersten (laissez-faire approach) und vierten Möglichkeit (ownership approach) gegenüber wettbewerbsbeschränkenden Strategien verbleiben als wichtigste wettbewerbspolitische Ansätze der structure und der regulation approach. Wenngleich in der wettbewerbstheoretischen Literatur überwiegend die Notwendigkeit einer konsequenten, auf die Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen gerichteten Politik bejaht wird, so bleibt andererseits doch die Notwendigkeit und Bedeutung einer Verhaltensund Marktergebniskontrolle für diejenigen – nach Möglichkeit zu minimierenden – Ausnahmefälle bestehen, in denen strukturelle Maßnahmen nicht greifen. Man wird sich wohl in einer modernen Industriegesellschaft damit abfinden müssen, dass ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Macht als eine Realität im Wirtschaftsleben akzeptiert werden muss, woraus sich die Notwendigkeit einer Missbrauchskontrolle sowohl im Hinblick auf bad conduct als auch bad performance ergibt. Die Ursachen dafür können verschiedener Natur sein, z.B. Betriebs- und Unternehmenskostenersparnisse, die praktischtechnische Unmöglichkeit der Entflechtung, die Gefahr von disincentives bei Entflechtung von durch internes Unternehmenswachstum gewonnener Marktmacht und last, but not least, dass andere conditioning factors im Einzelfall einen größeren Einfluss auf die Wettbewerbs407

Das Problem einer Interessenidentität hat sich auch bei der betrieblichen Mitbestimmung gezeigt, bei der die Arbeitnehmer i.d.R. dazu neigen, sich mit den Interessen des mitbestimmten Unternehmens so lange zu identifizieren, wie die Arbeitnehmer des betreffenden Unternehmens davon profitieren (vgl. Preiserhöhungen oder Ministerfusionen i.S. des § 42 GWB). Das gleiche würde für eine direkte Investitionskontrolle zur Beeinflussung der privaten Produktions- bzw. Angebotsstruktur mittels sog. Branchenausschüsse oder Wirtschafts- und Sozialräte gelten, in denen sich – wie bei der Mitbestimmung – eine Interessensolidarität zwischen Industriegewerkschaft und Management zu Lasten der übrigen Volkswirtschaft ergeben würde. Die Mitbestimmung wäre also überfordert, wenn man von ihr erwarten würde, dass sie zur Realisierung gesamtwirtschaftlicher Ziele beiträgt.

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

203

intensität ausüben als der morphologische Faktor (in welchen Fällen der structure approach naturgemäß versagen muss). Diese Auffassung wird auch in dem OECD Report „Market Power and the Law“ geteilt, der aus den gleichen Erwägungen heraus eine Kombination von structure und regulation approach befürwortet hat:408 “A purely structural approach is not sufficient to cope with all aspects of market power. As has been shown in this study, the laws against mergers and monopolization cannot prevent all forms of market power, especially not market power resulting from normal business growth, and there may be positions of market power, with their origin, in most cases, in a period before mergers were controlled effectively, and where structural measures, such as dissolution or divestiture, are for various reasons not feasible. It seems therefore that even where there are rigorously enforced provisions against anti-competitive mergers and against monopolization, there is still a case for a system of conduct control along the lines described in this study.”

VI. Die verschiedenen wettbewerbspolitischen Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien Die Verhandlungs-, Behinderungs- und Konzentrationsstrategien können – je nach dem Grad der Gefährdung des Wettbewerbs und dem wettbewerbspolitischen Vorverständnis – auf verschiedene Art und Weise kontrolliert werden. Dabei lassen sich im Rahmen eines kombinierten structure/regulation approach verschiedene mögliche Kontrollansätze in Form von Dichotomien darstellen:

• per se-rule versus rule of reason, • ex ante- versus ex post-Kontrolle und • Beweislast bei den Kartellbehörden versus Beweislast bei den Unternehmen. Diese Prinzipien lassen sich begrenzt miteinander kombinieren und führen bei der rechtlichen Erfassung wettbewerbsbeschränkender Strategien zu unterschiedlichen Ausgestaltungen. Dabei soll zunächst die per se-rule bzw. die rule of reason als primäres Beurteilungskriterium dienen.409 Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil aus systemtheoretischer Sicht das Ziel jeglicher Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen darin bestehen muss, allgemeine Verhaltensverbote auszusprechen, die sich nur in Form von per se-Regeln konkretisieren lassen; bei der Wahl eines funktional-instrumentalistischen Ansatzes wird dagegen die Entscheidung, ob ein per se- oder ein rule of reason-Ansatz gewählt wird, davon abhängig gemacht werden, welche Ergebnisse typischerweise zu erwarten sind (vgl. 1. Kap. VI.).

408 409

OECD, Market Power and the Law: A Study of the Restrictive Business Practice Laws of OECD Member Countries and of the EEC and ECSC dealing with Market Power, Paris 1970, S. 196 Ziff. 490. Vgl. Baum, Thomas, Per se Rule versus Rule of Reason und Kartellamtsautonomie: Eine Hypothese auf der Basis der Public Choice-Theorie, in: WuW 32 (1982), S. 912 ff.

204

1.

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

per se-rule

Die Vorteile einer per se-rule sind aus institutionen-ökonomischer Sicht in mehreren Punkten zu sehen:



Die verwendeten Kriterien sind operationaler bzw. justitiabler und damit transparenter, so dass die Erwartungen stabiler und die Rechtssicherheit der Unternehmen erhöht werden. • Verminderung des rent seeking-Problems, d.h., im Falle einer case by case-Analyse und damit diskretionärer Entscheidungsgewalt sind die Kartellbehörden dem Einfluss von Interessengruppen stärker ausgesetzt (public choice-Perspektive). • Der geringere Informationsbedarf spart Transaktionskosten und ist insofern ökonomisierbar. Die Nachteile einer derartigen per se-rule bestehen in einer gewissen Starrheit und einem Schematismus, der im Einzelfall eine wettbewerbspolitisch vielleicht wünschenswerte Abweichung nicht zulässt.410 Da sich Beeinträchtigungen der dynamischen Wettbewerbsfunktionen, die z.B. in der Unterlassung möglicher technischer Fortschritte und Anpassungsmaßnahmen, ja sogar in der Weiterexistenz unproduktiver Unternehmen bestehen können, nur schwer als Missbrauchstatbestände nachweisen lassen, ist nach überwiegender Meinung das Verbotsprinzip mit Genehmigungsvorbehalt als wettbewerbspolitischer Ansatz dem Missbrauchsprinzip vorzuziehen.411 Beim Verbotsprinzip kann zwischen einer ex ante- und einer ex post-Kontrolle unterschieden werden, wobei die Beweislast bei den Kartellbehörden oder den Unternehmen liegen kann. a) ex ante-Kontrolle Eine ex ante-Kontrolle ist dann zweckmäßig, wenn unternehmerische Strategien sowohl wettbewerbsbeschränkenden als auch -fördernden Charakter haben können und im Regelfall die Wettbewerbsinkonformität überwiegt, wobei das Legalisierungsverfahren je nach dem Grad der voraussichtlichen Wettbewerbsinkonformität unterschiedlich geregelt sein kann:

• • • •

410 411

Wirksamkeit nach Anmeldung und Nicht-Widerspruch innerhalb einer Frist von 3 Monaten (z.B. für Normen- und Typen-, Konditionen-, Spezialisierungs- oder Mittelstandskartelle i.S. der §§ 2 bis 4 Abs. 1 GWB a. F.). Wirksamkeit erst nach Erteilung einer zeitlich befristeten Erlaubnis (z.B. für Rationalisierungs-, Strukturkrisen-, Sonstige oder Ministerkartelle i.S. der §§ 5 bis 8 GWB a. F.) oder Anerkennung von Wettbewerbsregeln i.S. des 24 GWB durch Verfügung der Kartellbehörde gem. § 26 I S. 2 GWB n. F. § 21 EnWG sieht z.B. eine ex ante-Regelung der Netzzugangsentgelte mit materieller Beweislast bei den Unternehmen im Falle eines Vergleichsverfahrens vor.

Vgl. Schmidt, Ingo, Per se-Rule oder Rule of Reason, in: WiSt 10 (1981), S. 282 ff. Vgl. Kantzenbach, op.cit., S. 135 und 147.

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

205

b) ex post-Kontrolle Eine ex post-Kontrolle ist dann zweckmäßig, wenn unternehmerische Strategien sowohl wettbewerbsbeschränkenden als auch -fördernden Charakter haben können und die Wettbewerbskonformität im Regelfall überwiegt. So kann die Kartellbehörde ex post gegen einen Verstoß gegen die – nach Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle – ihres Erachtens nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme der Legalausnahme des § 2 GWB bzw. Art. 101 III AEUV (mit Beweislast für das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen bei den Unternehmen) vorgehen.

2.

rule of reason

Wenn unternehmerische Strategien sowohl wettbewerbsbeschränkenden als auch -fördernden Charakter haben können und die Wettbewerbskonformität im Regelfall überwiegt, kann alternativ zur per se-rule mit Ausnahmen auch die rule of reason Anwendung finden, die in jedem Einzelfall eine Abwägung von Vor- und Nachteilen erlaubt und dabei der Kartellbehörde zwangsläufig einen Ermessensspielraum einräumt. Die dabei entstehenden höheren Transaktionskosten müssen in Kauf genommen werden. Bei der Anwendung der rule of reason, die i.d.R. eine ex post-Kontrolle ist, spielt die Verteilung der Beweislast im Hinblick auf die Justitiabilität eine entscheidende Rolle. a) ex ante-Kontrolle Als ex ante-Kontrolle mit materieller Beweislast bei der Kartellbehörde ist die Fusionskontrolle i.S. des § 36 Abs. 1 GWB ausgestaltet. Denkbar ist auch eine ex ante-Kontrolle mit Beweislast bei den Unternehmen im Falle der Anwendung der qualifizierten Oligopolvermutung des § 19 Abs. 3 S. 2 GWB auf Fusionen oder der Abwägungsklausel des § 36 Abs. 1 GWB. b) ex post-Kontrolle Als ex post-Kontrolle mit materieller Beweislast bei der Kartellbehörde sind z.B. die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen nach den §§ 19/20 GWB ausgestaltet. Die Beweislast der Kartellbehörden kann hierbei durch die Einführung von Legalvermutungen für das Vorliegen von Marktbeherrschung oder sog. Regelbeispiele für einen Missbrauch erleichtert werden (§ 19 Abs. 3 und 4 GWB). Als ex post-Kontrolle mit umgekehrter Beweislast (bei den Unternehmen) hat der deutsche Gesetzgeber Teile der Missbrauchsaufsicht ausgestaltet; so legt die Oligopolvermutung des § 19 Abs. 3 S. 2 GWB den Unternehmen die Beweislast dafür auf, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder dass die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat. Das englische Kartellrecht war bis zur Anpassung an das Europäische Kartellrecht durch den Competition Act von 2000 als Missbrauchsaufsicht mit umgekehrter Beweislast charakterisiert und stellte insofern eine interessante Variante zwischen Verbots- und Missbrauchsprinzip dar. Dabei bestand die gesetzliche Vermutung, dass jede Wettbewerbsbeschränkung gegen das öffentliche Interesse (public interest) verstößt, solange die beteiligten Unternehmen nicht nachgewiesen haben, dass bestimmte im Gesetz umrissene Voraussetzungen (sog.

206

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

gateways) vorliegen, und diese Absprachen reasonable im Hinblick auf die Abwägung von Vor- und Nachteilen der Wettbewerbsbeschränkung sind. Tabelle 12 soll die möglichen wettbewerbspolitischen Kontrollansätze verdeutlichen. Tab. 12:

per serule

rule of reason

3.

Überblick über wettbewerbspolitische Kontrollansätze ex ante-Kontrolle mit materieller Beweislast bei Kartellbehörde Unternehmen Anerkennung von Wettbewerbsregeln – durch Verfügung der Kartellbehörde gem. § 26 I GWB z.B. bei der Fusionsz.B. bei der Fusionskontrolle ( 36 Abs. 1 kontrolle die OligopolGWB) vermutung in § 19 Abs. 3 S. 2 GWB oder die Abwägungsklausel in § 36 Abs. 1 GWB

ex post-Kontrolle mit materieller Beweislast bei Kartellbehörde Unternehmen z.B. im Falle des Ver- für das Vorliegen der stoßes gegen das Kar- Freistellungsvoraussetzungen der Legalausnahtellverbot i.S. des § 1 me i.S. des § 2 GWB bzw. GWB bzw. Art. 81 I Art. 101 III AEUV EGV z.B. bei der Missbrauchsaufsicht i.S. der §§ 19/20 GWB bzw. Art. 82 EGV

z.B. im Missbrauchsverfahren bei der Oligopolvermutung (§ 19 Abs. 3 S. 2 GWB)

Ädaquate Kopplung von Normen, Verfahren und Institutionen (institutional economics)412

Nachdem die verschiedenen wettbewerbspolitischen Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien dargestellt worden sind, bleibt zu fragen, warum unterschiedliche institutionelle Regelungen nebeneinander existieren bzw. warum verschiedene Länder im Rahmen ihrer Wettbewerbspolitik für gleiche Tatbestände unterschiedliche Verfahren vorsehen. Dazu sind eine Analyse der ökonomischen Wirkungen gegebener Institutionen sowie eine Analyse der Auswahl bestimmter Institutionen nötig. Ziel ist und bleibt dabei, Fehler 1. und 2. Ordnung (d.h. eine zu strikte oder zu schwache wettbewerbliche Kontrolle) zu vermeiden, um der Einzelfallgerechtigkeit möglichst nahe zu kommen (vgl. 6. Kap V. 2.a.). Die Analyse der ökonomischen Wirkungen gegebener Institutionen zeigt, dass bestimmte Institutionen aufgrund unterschiedlicher Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen bzw. dass unterschiedliche Institutionen zu ähnlichen Ergebnissen führen. So steht z.B. die ex post-Missbrauchsaufsicht mit umgekehrter Beweislast im Rahmen einer rule of reason, wie sie im englischen Kartellrecht über Jahrzehnte angewendet worden ist, den Ergebnissen eines per se-Verbots mit Ausnahmen, wie sie das deutsche Kartellrecht kennt, im Prinzip kaum nach. Bei der Ausgestaltung des Verfahrens sind daher auch die Rechtssicherheit für die beteiligten Unternehmen sowie die Operationalität bzw. Justitiabilität des Verfahrens zu beachten; denn die Wahl des Verfahrens bedingt – zumindest teilweise – die Wahl der institutionellen Gestaltung:

• •

Bei der Anwendung von per se-Regeln ist das juristische Verfahren vorzuziehen. Bei der Anwendung der rule of reason, bei welcher ökonomische Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden sollen, sind entweder Sachverständigenorgane in

412

Vgl. Schmidt, supra, S. 282 ff., sowie Richter, R., und E. Furubotn, Neue Institutionenökonomie: Eine Einführung und kritische Würdigung, 4. Aufl., Tübingen 2010.

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

207

einem nicht-juristischen Verfahren vorzusehen, was in Deutschland jedoch durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht möglich ist, oder die Durchsetzung der rule of reason muss – unter Berücksichtigung polit-ökonomischer Abhängigkeiten – einem autonomen Kartellamt übertragen werden (vgl. den Status der Mitglieder des Bundesrechnungshofes).413 • Soweit dagegen Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs und sonstigen Zielen auftreten, ist an eine Einbeziehung der politisch verantwortlichen Instanzen zu denken (vgl. z.B. die Ministerfusionen i.S. von § 42 GWB). Eine Analyse der Auswahl bestimmter Institutionen zeigt, dass mit der Wahl einer bestimmten Institution auch eine Entscheidung darüber gefällt wird, welche Ziele im Rahmen der Wettbewerbspolitik verfolgt werden; denn wenn die staatliche Wettbewerbspolitik versucht, ein Ziel mit Hilfe einer dazu offensichtlich ungeeigneten institutionellen Regelung zu erreichen, so ist zu vermuten, dass nicht die staatliche Wettbewerbspolitik, sondern Interessengruppen mit anderen Zielen im politischen Entscheidungsprozess eine für sie vorteilhafte Institution durchsetzen. Vor diesem Hintergrund sind Entstehungsgeschichte und Ziele sowie die Kopplung von Normen, Verfahren und Institutionen der deutschen, europäischen und US-amerikanischen Wettbewerbspolitik zu sehen, auf die in den folgenden drei Kapiteln eingegangen werden soll.

Übungsfragen zum 7. Kapitel 1.

Welche wettbewerbspolitischen Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien lassen sich unterscheiden? 2. Kann eine Politik des laissez-faire als Ersatz für eine rationale Wettbewerbspolitik angesehen werden? 3. Worum geht es beim structure approach? 4. Stellen Sie das Konzept der countervailing power dar. 5. Was besagt der regulation approach? 6. Was haben die Erfahrungen mit jeglicher Form der Missbrauchsaufsicht bisher gezeigt? Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile von per se-rule und rule of reason. 7. Ist die Missbrauchsaufsicht Ausdruck einer dirigistischen Politik? 8. Was besagt der ownership approach als Ansatz einer Politik gegenüber wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien? Beurteilen Sie diesen Ansatz aus wettbewerbspolitischer Sicht. 9. Wie werden in den USA natürliche Monopole und natürliche enge Oligopole wettbewerbspolitisch behandelt? 10. Ziehen Sie ein wettbewerbspolitisches Fazit aus der Gegenüberstellung der wettbewerbsrechtlichen Ansätze zur Erfassung wettbewerbsbeschränkender Strategien. 11. Worum geht es bei den institutional economics?

413

Vgl. Baum, supra, S. 918.

208

7. Kapitel: Erfassung wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien

Weiterführende Literaturhinweise zum 7. Kapitel Bartling, Hartwig, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, München 1980, Teil B., S. 59 ff. Berg, Hartmut, Deregulierung und Privatisierung: Gewolltes – Erreichtes – Versäumtes, Berlin 2002. Bickenbach, Frank, Lars Kumkar und Rüdiger Soltwedel, Wettbewerbspolitik und Regulierung – Die Sichtweise der Neuen Institutionenökonomie, in: Neue Entwicklungen der Wirtschaftswissenschaft, hrsg. von Klaus F. Zimmermann, Heidelberg 2002, S. 217 ff. Duijm, Bernhard, Die Unabhängigkeit von Kartellbehörden, in: Ordo Band 50 (1999), S. 323 ff. Galbraith, John Kenneth, American Capitalism – The Concept of Countervailing Power, London 1957. Hensche, D., Die Bedeutung von Mitbestimmung und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz für die Willensbildung im Unternehmen, in: Die Bedeutung gesellschaftlicher Veränderungen für die Willensbildung in Unternehmen, hrsg. von Albach, H, und D. Sadowski, Berlin 1976, S. 441 ff. Kantzenbach, Erhard, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 148–153. Möschel, Wernhard, Die Unabhängigkeit des Bundeskartellamtes, in: Ordo Band 48 (1997), S. 241 ff. ders., Ex ante-Kontrolle versus ex post-Kontrolle im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, in: Ordo Band 52 (2001), S. 63 ff. OECD., The Relationship between Competition and Regulatory Authorities, in OECD Journal of Competition Law and Policy 1 (1999), S. 9 und 169 ff. Schmidt, Ingo, Jurisdictional Problems of Merger Control in Germany, Great Britain, U.S.A., and the European Union, in: Competition, Efficiency and Welfare: Essays in Honour of Manfred Neumann, ed. by Mueller, Dennis C., Alfred Haid und Jürgen Weigand, Dordrecht 1999, S. 187 ff.

8. Kapitel:

Überblick über das deutsche Wettbewerbsrecht

I.

Entstehungsgeschichte und Ziele des GWB414

1.

Die Entwicklung des Kartellrechts bis 1957415

Mit zunehmender Industrialisierung trat in den 70er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts das Problem der Kartellbildung auf. Die Frage, ob diese Entwicklung im Einklang mit der Gewerbefreiheit steht oder nicht, wurde vom Reichsgericht im Jahr 1897 im Falle des Sächsischen Holzstoff-Fabrikanten-Verbandes dahingehend entschieden, dass die Kartellbildung im Rahmen der Vertragsfreiheit allgemein zulässig sei und auch § 1 der Gewerbeordnung von 1869 dem nicht entgegenstehe, weil sich das Recht auf Gewerbefreiheit nur gegen den Staat, nicht jedoch auch gegen wirtschaftliche Machtbildung richte und Kartelle zudem nicht schlechthin volkswirtschaftlich schädlich und mit den Interessen der Allgemeinheit unvereinbar seien.416 Diese Entscheidung machte den Weg für eine weitgehende Durchkartellierung der deutschen Wirtschaft frei; Deutschland wurde das klassische Land der Kartelle. Eine vom Reichsamt des Inneren in den Jahren 1903–1905 vorgenommene Kartellenquête stellte 385 kartellähnliche Gebilde mit 12.000 Mitgliedern fest. Tschierschky schätzte im Jahre 1911 die Zahl der deutschen Kartelle auf 550–600, Metzner im Jahre 1923 auf rund 1.500 Kartelle. Zu gesetzlichen Maßnahmen kam es jedoch nicht, da man auf die Selbstheilungskräfte des Marktes (Auslandskonkurrenz und Außenseiter) vertraute. Während des 1. Weltkrieges wurden die Kartelle – ähnlich wie später im 2. Weltkrieg – zur hoheitlichen Lenkung und Bewirtschaftung eingesetzt. Erst im Jahr 1923 kam es zur Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen, um die schwersten Missstände zu bekämpfen und die Währungsreform vorzubereiten. Die Wirksamkeit der sog. Kartellverordnung von 1923 kann nicht als besonders hoch veranschlagt werden; so wurde die Zahl der Kartelle gegen Ende der Weimarer Zeit auf 3–4.000 geschätzt. Ein halbes Jahr nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde am 15. Juli 1933 das Zwangskartellgesetz erlassen, um ein Instrument zur Lenkung der Wirtschaft zu gewinnen. Danach konnte der Reichswirtschaftsminister zu Zwecken der Marktregelung Unternehmen zu Kartellen oder Syndikaten zusammenschließen, wenn der Zusammen414

415

416

Vgl. Kartte, Wolfgang, und Rainer Holtschneider, Konzeptionelle Ansätze und Anwendungsprinzipien im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – Zur Geschichte des GWB, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Helmut Cox et al., München 1981, S. 193 ff. Vgl. Rittner, Fritz, und Michael Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht: Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts für Studium und Praxis, 7., völlig neubearbeitete Auflage, Heidelberg 2008, § 5, mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. zu dieser Entscheidung die Kritik von Böhm, Franz, Das Reichsgericht und die Kartelle, in: ORDO 1 (1948), S. 197 ff.

210

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

schluss unter Würdigung der Belange der Unternehmen sowie der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls geboten erschien. Die weitere Entwicklung im Dritten Reich ist durch folgende Eingriffe in den Wirtschaftsablauf gekennzeichnet:



Verordnung über Preisbindungen für Markenwaren und andere Gebrauchsgüter, um einer Verteuerung der Bedarfsdeckung entgegenzuwirken; • Verordnung über Preisbindungen und Preisempfehlungen bei Markenwaren, wonach der inzwischen eingesetzte Preiskommissar Preisbindungen der Zweiten Hand aufheben konnte; • Kriegswirtschaftsverordnung, • Marktaufsichtsverordnung und • Kartellbereinigungserlass, mit welchem Kartelle als störende Elemente in einer voll durchgeplanten Wirtschaft beseitigt wurden. Nach Teil III Art. 12 des Potsdamer Abkommens sollte die deutsche Wirtschaft in kürzester Zeit dezentralisiert werden, um die übermäßige Konzentration der deutschen Wirtschaftskraft aufgrund von Kartellen, Syndikaten, Trusts und anderen Monopolstellungen zu vernichten. Im Jahre 1947 erließen daher die amerikanische, englische und französische Militärregierung Dekartellierungsgesetze bzw. -verordnungen, die zwei Hauptziele verfolgten:



Beseitigung der deutschen Wirtschaftsmacht und Rüstungskapazität (politische Zielsetzung) sowie • Durchsetzung des Prinzips der Wettbewerbsfreiheit in Deutschland (wirtschaftspolitische Zielsetzung in starker Anlehnung an die amerikanische Antitrustpolitik). Wenngleich die alliierten Dekartellierungsbehörden verhältnismäßig selten tätig geworden sind, wurden damit doch die Weichen für die Grundkonzeption des GWB gestellt. Das vom Reichsgericht 1897 sanktionierte Kartelldenken wurde durch das Wettbewerbsdenken abgelöst. 1955 wurde die Zuständigkeit für die Anwendung der alliierten Dekartellierungsgesetze auf den Bundesminister für Wirtschaft übertragen.

2.

Die Ziele des GWB von 1958

Das am 1. Januar 1958 in Kraft getretene Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das die alliierten Dekartellierungsbestimmungen von 1947 ablöste, ist zum einen durch die ordnungspolitischen Vorstellungen des Neoliberalismus (Eucken sowie Böhm, Erhard, Miksch, Müller-Armack, Röpke, Rüstow), zum anderen durch das US-amerikanische Vorbild beeinflusst worden.417 Die doppelte Zielsetzung hinsichtlich der Realisierung der oben vorgegebenen gesellschaftspolitischen und ökonomischen Wettbewerbsfunktionen kommt in der Regierungsbegründung deutlich zum Ausdruck:418 417

418

Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik, in: Anlage zu BTDr. 3644 – 2. Wahlperiode –, S. 10: „Ein Blick auf die Rechtsentwicklung in den Vereinigten Staaten ist notwendig, da die dort herrschende Auffassung und die gesammelten Erfahrungen die dem Gesetzgebungswerk zugrunde liegenden Vorstellungen nicht unwesentlich beeinflusst haben. Während der ersten Legislaturperiode wurde deutschen Sachverständigen und Parlamentariern die Gelegenheit gegeben, durch eine Studienreise nach USA das dortige Antitrustrecht und die Praxis der Behörden und Gerichte kennenzulernen.“ Regierungsbegründung zum GWB, in: BTDr. 1158 – 2. Wahlperiode –, Anlage 1, S. 21 f. (Hervorhebung durch Verfasser).

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

211

„Das Gesetz geht von der durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung erhärteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, dass die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist und dass der Staat nur insoweit in den Marktablauf lenkend eingreifen soll, wie dies zur Aufrechterhaltung des Marktmechanismus oder zur Überwachung derjenigen Märkte erforderlich ist, auf denen die Marktform des vollständigen Wettbewerbs nicht erreichbar ist… Eine derart geordnete Wirtschaftsverfassung bildet das wirtschaftspolitische Gegenstück zur politischen Demokratie. Während deren Inhalt als das politische Mitbestimmungsrecht jedes Staatsbürgers anzusehen ist, stellt die Wettbewerbsordnung die wirtschaftlichen Grundrechte der Freiheit der Arbeit und der Verbrauchswahl sicher.“ An anderer Stelle419 wird als wirtschaftspolitisches Ziel sogar die Erhaltung einer Vielzahl selbständiger Unternehmerexistenzen genannt, eine Zielsetzung, wie sie im US-amerikanischen Antitrustrecht unter anderem auch bei der Novellierung des Diskriminierungsverbots durch den Robinson-Patman Act von 1936 und der Fusionskontrolle durch den CellerKefauver Act von 1950 eine Rolle gespielt hat. Neben dieser gesellschaftspolitischen Motivation (Gewährleistung der wirtschaftlichen Handlungs- und Entschließungsfreiheit im wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinn als ökonomisches Pendant zur parlamentarisch-demokratischen Grundordnung) treten die ökonomischen Ziele einer leistungsgerechten Einkommensverteilung, der Konsumentensouveränität und des wirtschaftlichen Wohlstandes (optimale Faktorallokation, Anpassungsflexibilität und technischer Fortschritt) stark hervor.420 Vergleicht man die Zielsetzungen im amerikanischen und deutschen Wettbewerbsrecht, so wird man feststellen, dass in beiden Rechtsordnungen sowohl ökonomische als auch metaökonomische Ziele eine Rolle spielen, jedoch die Schwergewichte anders verteilt sind: In den USA wurden bis in die siebziger Jahre die Antitrustgesetze viel stärker als bei uns als Gesellschaftspolitik verstanden, die ökonomischen Motive traten dahinter häufig zurück; in Deutschland liegen die Schwergewichte genau umgekehrt. Diese Zweigleisigkeit der Zielsetzungen ist Anlass zu der bis heute nicht abgeschlossenen Kontroverse über Zielkonflikte zwischen Individual- oder Institutionsschutz. Welcher Wettbewerbsbegriff dem GWB zugrunde liegt, ist nicht eindeutig zu klären, da in der Regierungsbegründung an vielen Stellen von der vollständigen Konkurrenz als Leitbild die Rede ist (Preis = Datum, Menge = Aktionsparameter), andererseits in Regierungsbegründung und Ausschussbericht der Wettbewerb im Sinne eines dynamischen Verhaltens verstanden wird: „Wie sich aus den Ausführungen des Teiles A der Begründung ergibt, ist als Wettbewerb das Streben zu betrachten, durch eigene Leistung, die nach Qualität oder Preis besser ist als die Leistung anderer Unternehmen, den Verbraucher zum Abschluss eines Vertrages zu veranlassen.“421 Der Wirtschaftspolitische Ausschuss „ist davon ausgegangen, dass unter wirtschaftlichem Wettbewerb jede Art wirtschaftlicher Handlung zu verstehen ist, die darauf ge419 420 421

Vgl. Regierungsbegründung zum GWB, supra, S. 22. Vgl. Regierungsbegründung zum GWB, supra, S. 21 ff. Regierungsbegründung zum GWB, supra, S. 31.

212

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

richtet ist, sich im Wirtschaftskampf auf Kosten eines Wettbewerbers einen Vorteil zu verschaffen.“422

3.

Die Novellen zum GWB

Seit Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen im Jahre 1958 ist das Gesetz sechsmal novelliert worden, um das ursprüngliche Ungleichgewicht im Gesetz zwischen dem relativ strikten Verbot horizontaler und vertikaler vertraglicher Wettbewerbsbeschränkungen einerseits und der bloßen Missbrauchsaufsicht über faktische Marktmacht andererseits durch Schaffung einer Fusionskontrolle zu beseitigen sowie eine Harmonisierung mit dem EU Recht vorzunehmen.423 Die Siebente Novelle zum GWB, die am 1. Juli 2005 in Kraft getreten ist, sieht – in Angleichung an die neue Konzeption des europäischen Wettbewerbsrechtes (vgl. 11. Kap.) – folgende Eckpunkte vor: (1) Das bislang bestehende kasuistisch ausgestaltete Anmelde- und Genehmigungssystem für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen i.S. des § 1 GWB wird in ein System der generalklauselhaften Legalausnahme überführt, wie sie die bereits zum 1. Mai 2004 in Kraft getretene VO Nr. 1/2003 vorsieht. Danach gelten wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen automatisch als freigestellt, wenn sie die Voraussetzungen des § 2 GWB – entspricht Art. 81 III EGV – erfüllen. Dies sollen die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen allerdings im Wege der sog. Selbstveranlagung feststellen, was Probleme hinsichtlich der Rechtssicherheit im Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten und zivilrechtliche Wirksamkeit aufwirft. Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Kartellverbot trägt die Kartellbehörde, die Beweislast für das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen obliegt den Unternehmen. Die Bundesregierung sieht in diesem Systemwechsel den Vorteil der größeren wirtschaftlichen Flexibilität und einer Internalisierung der Kosten für die präventive Rechtskontrolle wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen. Dem stehe als Nachteil die geringere Rechtssicherheit für die Unternehmen und die Probleme einer wettbewerbspolitisch unzureichenden ex post-Missbrauchsaufsicht gegenüber.424 (2) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen werden wie in Art. 81 I EGV gleich behandelt, d.h., vertikale Wettbewerbsbeschränkungen werden in das allgemeine Verbot des § 1 GWB einbezogen. Die Ausnahme von dem vertikalen Preisbindungsverbot für Zeitungen und Zeitschriften (§ 30 GWB) wird allerdings beibehalten. Dementsprechend sind die §§ 14 bis 18 GWB a. F. aufgehoben worden. (3) An die Stelle der speziellen Freistellungstatbestände im geltenden Recht (§§ 2 bis 6 und 8 GWB a. F.) tritt eine dem Art. 81 III EGV entsprechende Generalklausel (§ 2 I GWB). Bei 422 423 424

Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik, supra, S. 15. Vgl. den Überblick über die sechs GWB-Novellen von 1965 bis 1998 in der 7. Auflage dieses Lehrbuches (8. Kap.). Zur ordnungspolitischen Diskussion über das Pro und Contra dieses Systemwechsels vgl. die diversen Gutachten der Monopolkommission: Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? SGA 28, Baden-Baden 1999; Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle, SGA 41, Baden-Baden 2004, und Die Pressefusionskontrolle in der Siebten GWB-Novelle, SGA 42, Baden-Baden 2004. Vgl. auch Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zur Reform der europäischen Kartellpolitik, in: WuW 50 (2000), S. 1096 ff.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

213

der Anwendung dieser Generalklausel gelten die VOs des Rates und der EK (§ 2 II 1 GWB)425; dies gilt auch für rein nationale Fälle mit nur lokalen oder regionalen Wettbewerbsbeschränkungen, die nicht zwischenstaatlich relevant sind (§ 2 II 2 GWB), um eine Zweiteilung des deutschen Wettbewerbsrechts in europäische Regelungen für Fälle mit Zwischenstaatlichkeitsbezug und abweichende nationale Regelungen für Fälle ohne Zwischenstaatlichkeitsbezug zu vermeiden (dynamische Verweisung). Der Freistellungstatbestand für Mittelstandskartelle i.S. des § 4 I GWB a. F. wird gemäß § 3 GWB – als beispielhafte Konkretisierung der Legalausnahme des § 2 GWB – ausnahmsweise aufrechterhalten. Das BKartA hat am 13.3.2007 ein Merkblatt für KMUs herausgegeben, um ihnen bei der Einschätzung von kartellrechtlichen Kooperationen mehr Rechtssicherheit zu geben. Ebenfalls am 13.3.2007 hat das BKartA seine Bagatellbekanntmachung von 1980 aktualisiert. Danach wird das Bundeskartellamt – im Einklang mit der Bagatellbekanntmachung der EK vom 22.12.2001 – Kooperationsabreden, die den zwischenstaatlichen Handel nicht berühren, regelmäßig nicht aufgreifen, wenn horizontale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern ohne sog. Kernbeschränkungen (insbs. Preis- oder Quotenabsprachen) weniger als 10 % und Vertikalvereinbarungen von Unternehmen unterschiedlicher Marktstufen 15 % Marktanteil umfassen. Diese Schwellenwerte sind nicht auf KMUs beschränkt. (4) Die Vorschriften über die Missbrauchsaufsicht über marktstarke und marktbeherrschende Unternehmen werden beibehalten, da der unbedingte Vorrang des europäischen Wettbewerbsrechts nicht für die Missbrauchsaufsicht bei einseitigem wettbewerbsbeschränkendem Verhalten gilt. Zudem erfülle die Missbrauchsaufsicht über marktstarke Unternehmen i.S. des § 20 GWB wichtige wettbewerbs- und mittelstandspolitische Funktionen. In § 19 Abs. 2 S. 3 GWB wird klargestellt, dass der räumlich relevante Markt weiter sein kann als der Geltungsbereich dieses Gesetzes. Die Vorschriften über das Empfehlungsverbot in § 22 GWB a. F. und die Zulässigkeit von unverbindlichen Preisempfehlungen für Markenwaren in § 23 GWB a. F. sind mangels spezieller europäischer Vorschriften aufgehoben worden; Empfehlungen sind daher in Zukunft allein am Maßstab des Art. 101 Abs. I bzw. III AEUV zu messen. (5) Um unnötige Blockaden von Freigabeentscheidungen des Bundeskartellamtes oder Erlaubnissen des BMWi zu verhindern, soll in Verfahren über die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz auf die Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers als maßgeblichem Kriterium abgestellt werden (§ 65 III 4 GWB), um Investitionshemmnisse mit nachteiligen Folgen für den Standort Deutschland zu vermeiden. (6) Zum Ausgleich der durch das System der Legalausnahme tendenziell verminderten behördlichen Kontrolldichte gegenüber wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen sind die zivilrechtlichen Sanktionen bei Verstößen ausgeweitet und verstärkt worden, um einen wirksamen Ausgleich für die Geschädigten sicherzustellen und zugleich den abschreckenden Effekt zu verstärken:

425

Das sind insbesondere die GVO Nr. 330/2010 für Vertikalvereinbarungen, die GVO Nr. 461/2010 für vertikale Vereinbarungen im Kfz-Sektor, die GVO Nr. 772/04 für Technologietransfervereinbarungen, die GVO Nr. 1218/2010 für Spezialisierungsvereinbarungen, die GVO Nr. 1217/2010 für F & E-Vereinbarungen sowie die GVO Nr. 267/2010 für den Versicherungssektor. Darüber hinaus die verschiedenen Leitlinien der EK.

214

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht



Nach § 33 I GWB können Mitbewerber oder sonstige Marktbeteiligte (Abnehmer und Lieferanten) bei Kartellverstößen Ansprüche auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung geltend machen. • Nach § 33 III GWB können sie Schadensersatz verlangen. Die Ermittlung des hypothetischen Marktpreises soll dadurch erleichtert werden, dass bei der Schadensermittlung die Beweiserleichterung des § 287 ZPO Anwendung findet. • § 34 GWB soll die Möglichkeiten der Kartellbehörde zur Vorteilsabschöpfung erleichtern. • Der neue § 34 a GWB sieht subsidiär einen Anspruch der Verbände auf Vorteilsabschöpfung für den Fall der Massen- und Streuschäden bei einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern vor. (7) Die Verfahrensregelungen im GWB sind an die neuen Regelungen der VO Nr. 1/2003 angepasst worden; die bisherigen §§ 9 bis 13 GWB a. F. sind aufgehoben worden (s.u. IV). Die Eckpunkte zur 8. GWB-Novelle sehen eine weitere Anpassung an die europäischen Rahmenbedingungen vor, insbesondere die Untersagung von Fusionen bei einer „erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs“ (sog. SIEC- anstelle des Dominanztests), die Möglichkeit der Entflechtung bei missbräuchlicher Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung und die Abschöpfung der durch Kartellabsprachen erlangten finanziellen Vorteile durch neue Klagemöglichkeiten der Verbraucherverbände. Das nationale Kartellrecht weicht im Wesentlichen nur noch bei der Unterbindung oder Ahndung einseitiger Verhaltensweisen und der Ministerfusion vom europäischen Recht ab.

II.

Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften des GWB

Bei der Darstellung der wettbewerbsbeschränkenden Strategien soll der im 6. Kap. vorgenommenen Unterscheidung in Verhandlungs-, Behinderungs- und Konzentrationsstrategie gefolgt werden. Dabei geht es in diesem Abschnitt nur um die Darstellung des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums; eine wettbewerbspolitische Würdigung erfolgt in Teil 4.

1.

Erfassung der Verhandlungsstrategie i.S. von § 1 GWB

a) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist charakterisiert durch ein grundsätzliches Verbot von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Die neue Fassung des § 1 GWB erfasst nunmehr auch vertikale Beschränkungen, so dass § 1 GWB den gleichen Regelungsgehalt hat wie Art. 101 I AEUV. Dieses umfassende Verbotsprinzip soll durch die Art. 101 II AEUV entsprechende Legalausnahme des § 2 I GWB eingeschränkt werden, womit eine Art rule of reason für effizienzsteigernde Absprachen eingeführt wird, die an die Stelle der bisher kasuistisch ausgestalteten Freistellungstatbestände der §§ 2 bis 6 und 8 sowie 14 bis 18 GWB a. F. tritt; ihre Konkretisierung wird Aufgabe der Rechtsprechung in der Zukunft sein. Danach setzt die Nicht-

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

215

anwendung des Verbots des § 1 GWB voraus, dass die vier Voraussetzungen des § 2 I GWB erfüllt sind:



Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts • unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn, ohne dass den beteiligten Unternehmen • Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind oder • Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Diese Legalausnahme hat zwar den Vorteil der größeren wirtschaftlichen Flexibilität, jedoch den Nachteil der mangelnden Rechtssicherheit für die Unternehmen und der eingeschränkten kartellbehördlichen Kontrollmöglichkeit über im Einzelfall legalisierte Wettbewerbsbeschränkungen. Abweichend vom Prinzip der grundsätzlichen Übernahme des europäischen Rechts werden in § 3 GWB ausnahmsweise der Freistellungstatbestand für Mittelstandskartelle i.S. des § 4 I GWB a. F. und für Wettbewerbsregeln i.S. der §§ 24 ff. GWB beibehalten. Die Preisbindung der zweiten Hand für Bücher ist zudem durch das Buchpreisbindungsgesetz vom 1.10.2002 geregelt. b) Kooperation Im Interesse der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen und des Ausgleichs gewisser Nachteile sind eine Reihe von Ausnahmen in das Gesetz eingeführt worden, die als Kooperation i.w.S. bezeichnet werden können. Dazu rechnen insbes. zwei Formen von Wettbewerbsbeschränkungen als beispielhafte Konkretisierung der Legalausnahme: (1) Rationalisierungsvereinbarungen kleinerer und mittlerer Unternehmen (Kooperationsabsprachen im Sinne des § 3 GWB), wenn dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt und die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen verbessert wird, sowie (2) Wettbewerbsregeln i.S. der §§ 24 ff. GWB, die dem Zweck dienen, einem den Grundsätzen des lauteren oder der Wirksamkeit eines leistungsgerechten Wettbewerbs zuwiderlaufenden Verhalten im Wettbewerb entgegenzuwirken. Die Bundesregierung geht bei der Schaffung der verschiedenen Formen der Kooperation davon aus, dass die strukturellen Wettbewerbsnachteile kleinerer und mittlerer Unternehmen kompensiert werden sollen und der Wettbewerb gegenüber größeren Mitbewerbern u.U. sogar verstärkt werden kann.

2. a)

Erfassung der Behinderungsstrategie

Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen i.S. von § 19 GWB Die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen im Sinne von § 19 GWB erfasst nicht nur den sog. Ausbeutungsmissbrauch gegenüber vor- und nachgelagerten

216

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

Wirtschaftsstufen (vertikal), sondern auch den sog. Behinderungsmissbrauch gegenüber anderen Unternehmen (i.d.R. horizontal). Marktbeherrschung im Sinne des § 19 Abs. 2 GWB liegt dann vor, wenn ein Unternehmen ohne Wettbewerber ist (Monopolfall) oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist (Teilmonopol) bzw. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat, die mit Hilfe von Marktstrukturmerkmalen konkretisiert worden ist (marktstarkes Unternehmen). Unternehmensgruppen werden als marktbeherrschend im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB angesehen, soweit innerhalb der Gruppe kein wesentlicher Wettbewerb besteht (enges Oligopol) und die Oligopolgruppe gegenüber anderen Unternehmen eine überragende Marktstellung hat (enges Teiloligopol). Im Gegensatz zu Art. 102 AEUV verwendet das GWB einen doppelten Marktbeherrschungsbegriff: einmal den verhaltensorientierten, zum anderen den strukturorientierten Begriff der (asymmetrischen) überragenden Marktstellung. Um den unbestimmten Rechtsbegriff „Marktbeherrschung“ im Sinne des § 19 justitiabel zu machen, sind im Rahmen der Zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973 eine Reihe von Legalvermutungen eingeführt worden (§ 19 Abs. 3 GWB). Danach ist ein einzelnes Unternehmen marktbeherrschend, wenn es mindestens ein Drittel des relevanten Marktes kontrolliert. Eine Unternehmensgruppe gilt als marktbeherrschend, wenn drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50 % oder mehr haben oder wenn fünf oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben. Im Rahmen der Sechsten GWB-Novelle im Jahre 1998 ist die einfache Oligopolvermutung i.S. des § 22 Abs. 3 GWB a.F. mit Beweislastumkehr nur im Falle eines sog. non liquet durch die echte Oligopolvermutung des § 23 a Abs. 2 GWB a. F. ersetzt worden, die nunmehr sowohl für die Missbrauchsaufsicht als auch die Fusionskontrolle gilt. Danach gilt nunmehr eine Gesamtheit von Unternehmen als marktbeherrschend, wenn CR3 ≥ 50 % oder CR5 ≥ 66⅔ %, es sei denn, die Unternehmen weisen nach (Beweislastumkehr), dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat. Bei den Legalvermutungen des § 19 II GWB handelt es sich um typisierte konkrete Gefährdungstatbestände,426 die ihre theoretische Rechtfertigung vor allem in den sog. einseitigen (nicht koordinierten) Effekten finden [vgl. 6. Kap. V 2 a) und 13. Kap. II 3 b)]. Einigkeit besteht heute in der nationalökonomischen Literatur weniger im Hinblick auf einen bestimmten kritischen Konzentrationsgrad als vielmehr dahin, dass Konzentration eine notwendige, wenngleich – im Hinblick auf andere Einflussgrößen – nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen von faktischen und rechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen ist, wobei die Gefährdung des Wettbewerbs mit zunehmender Konzentration steigt. Im Hinblick auf andere Einflussgrößen ist der kritische Konzentrationsgrad als widerlegliche Legalvermutung und nicht als Legaldefinition formuliert worden. Die gesetzliche Festlegung eines bestimmten kritischen Konzentrationsgrades ist eine normative Entscheidung des Gesetzge-

426

Vgl. zum Rechtscharakter der Legalvermutung Klöckner-Becorit, in: WuW/E BGH 1749 ff., 1753 f., wo der BGH im Einklang mit der h. M. festgestellt hat, dass die (einfache) Legalvermutung ihre bindende Wirkung erst dann entfalten könne, „wenn das Gericht nach der ihm obliegenden freien Würdigung des gesamten Verfahrensergebnisses eine marktbeherrschende Stellung des Unternehmens weder auszuschließen noch zu bejahen vermag“ (non liquet).

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

217

bers, die maßgeblich von dem ordnungspolitischen Vorverständnis bestimmt wird (kritisch gegenüber der Konzentration – niedriger Konzentrationsgrad et vice versa). Mangels einer Legaldefinition für den unbestimmten Rechtsbegriff Missbrauch war die Erfassung des Behinderungsmissbrauchs weitgehend unwirksam geblieben. Die Vierte Kartellnovelle hat daher im Jahre 1980 eine beispielhafte Konkretisierung für den Behinderungsmissbrauch eingeführt; die Sechste Kartellnovelle im Jahre 1998 hat die Regelbeispiele für den Behinderungsmissbrauch um die sog. essential facilities doctrine ergänzt.427 relevanter Markt (für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen) ↓ marktbeherrschende Stellung (d.i. das Fehlen von wesentlichem Wettbewerb im Innen- und Außenverhältnis oder das Vorliegen einer überragenden Marktstellung), welche durch Legalvermutungen mit Hilfe von Konzentrationsraten konkretisiert wird: CR1 ≥ 33⅓ % CR2 ≥ 50 % CR3 ≥ 66⅔ % ↓ Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung Behinderungsmissbrauch, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen: die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt; sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren (sog. essential facilities doctrine).

Abb. 17:

Ausbeutungsmissbrauch, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen: Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden (Als-ob-Konzept); hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen (sog. sachliches Vergleichsmarktkonzept); ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist (sog. räumliches Vergleichsmarktkonzept).

Übersicht über die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen i.S. des § 19 GWB

b) Boykott und Lieferverweigerung Der sog. Gruppenboykott fällt unter das grundsätzliche Verbot des § 1 GWB; die Aufforderung zur Liefer- oder Bezugssperre ist nach § 21 Abs. 1 GWB dann verboten, wenn sie in der Absicht geschieht, „bestimmte Unternehmen unbillig zu beeinträchtigen“. Die individuelle Lieferverweigerung unterliegt im Falle marktbeherrschender Unternehmen der Missbrauchsaufsicht des § 19 GWB und dem Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB. Unabhängig von der Frage der Marktbeherrschung verbietet § 21 Abs. 2 GWB einem Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen durch Androhen wirtschaftlicher Nachteile oder Verspre427

Einrichtungen werden z.B. im Fall des geographisch oder technisch unmöglichen Marktzutrittes sowie der volkswirtschaftlichen Unzweckmäßigkeit (Verlegen von Parallelleitungen) als wesentlich angesehen. Die essential facilities-Doktrin ist vom Bundeskartellamt 1999 in den Fällen BEWAG und Fährhafen Puttgarden erstmals angewendet worden (vgl. WuW/E DE-V 149 ff. u. 253 ff. sowie DE-R 472 ff., 569 ff. u. 977 ff).

218

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

chen wirtschaftlicher Vorteile, dritte Unternehmen zu einem Verhalten zu veranlassen, das nach dem Kartellgesetz oder nach einer aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Verfügung nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf (z.B. Umgehung des in § 1 GWB enthaltenen Preisbindungsverbotes durch die Androhung von Boykott im Falle der Unterschreitung eines bestimmten Preisniveaus).428 Schutzobjekt des § 21 Abs. 2 GWB ist die Entschließungsfreiheit der Abnehmer und die Aufrechterhaltung des Preiswettbewerbs auf den Handelsstufen. Die selektive bzw. exklusive Vertriebspolitik bestimmter Normadressaten, die prima facie als Träger wirtschaftlicher Macht angesehen werden, unterliegt dem Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB, das die unbillige Behinderung oder sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung anderer Unternehmen in einem Geschäftsverkehr verbietet, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Doppeltes Schutzobjekt dieser Vorschrift ist die Sicherung der Wirksamkeit des Wettbewerbs als eines anonymen Kontrollund Steuerungsmechanismus (Institutionsschutz) und die Gewährleistung der wettbewerblichen Handlungsfreiheit durch Sicherung gleicher Marktchancen (Individualschutz). c) (Preis-)Diskriminierung § 20 Abs. 1 GWB verbietet marktbeherrschenden Unternehmen, Kartellen und preisbindenden Unternehmen, andere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern oder gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich zu behandeln. Während die erste Alternative primär dem Schutz von Mitbewerbern dient (first line competition), dient die zweite Alternative dem Schutz von Unternehmen auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen (second line competition); dabei ist das Vertikalverhältnis zwischen vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen durch den Abhängigkeitstatbestand des § 20 Abs. 2 S. 1 und die 1980 eingefügte Legalvermutung des § 20 Abs. 2 S. 2 GWB konkretisiert worden. Das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB erfasst daher alle Differenzierungen im Hinblick auf Leistungsbeziehungen, das sind insbesondere Preise und Rabatte (Preisdiskriminierung) sowie die Auswahl von Abnehmern und Lieferanten (Liefer- und Bezugsverweigerung – s.o. b.). Darüber hinaus verbietet § 20 Abs. 2 GWB die Behinderung oder Diskriminierung durch marktstarke Unternehmen im Interesse eines verstärkten Individualschutzes mittelständischer Unternehmen gegenüber Großunternehmen; dabei wird nicht auf das Vorliegen von Marktbeherrschung i.S. des § 19 GWB, sondern auf das bilaterale Abhängigkeitsverhältnis abgestellt (sog. relative Marktmacht). Der 1980 neu eingefügte § 20 Abs. 3 GWB verbietet marktbeherrschenden Unternehmen, andere Unternehmen dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihnen ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorzugsbedingungen zu gewähren; damit sollen Diskriminierungen, die auf Missbrauch von Nachfragemacht beruhen, besser erfasst werden (sog. passive Diskriminierung). Der 2007 neu eingefügte § 20 Abs. 3 S. 2 GWB stellt klar, dass der durch das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB geschützte Kreis künftig nicht mehr auf kleine 428

§ 21 Abs. 3 GWB verbietet darüber hinaus allen Unternehmen die Anwendung von Zwang, um andere Unternehmen zur Teilnahme an bestimmten legalen Wettbewerbsbeschränkungen zu veranlassen (das sind der Zwang zum Kartellbeitritt, zu einem Zusammenschluss oder zu einem gleichförmigen Verhalten).

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

219

und mittlere Unternehmen beschränkt ist, sondern in Zukunft sämtliche Unternehmen unabhängig von ihrer Größe vor Forderungen von Vorzugskonditionen schützt, wenn sie von dem fordernden Unternehmen abhängig sind. Der 1989 neu eingefügte § 20 Abs. 4 GWB verbietet die unbillige Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht; 2007 sind für die unbillige Behinderung kleiner und mittlerer Wettbewerber Regelbeispiele mit Beweislastumkehr eingefügt worden (§ 20 Abs. 4 S. 2 bis 4 GWB). Insbesondere sollen durch das grundsätzliche – bis zum 31.12.2012 – befristete Verbot, Lebensmittel unter Einstandspreis zu verkaufen, der ruinöse Preiswettbewerb im Einzelhandel begrenzt sowie kleine und mittlere Lebensmittelhändler vor unbilligen Verdrängungspraktiken marktstarker Handelskonzerne wirksamer geschützt werden. Sachlich gerechtfertigte Verkäufe unter Einstandspreis sollen im Einzelfall möglich bleiben. § 20 Abs. 5 GWB enthält eine Beweiserleichterung für den Kläger.429 d) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen Kopplungs- und Ausschließlichkeitsbindungen unterliegen – sieht man von der Möglichkeit der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des § 19 GWB ab – dem Verbot des § 1 GWB, sofern nicht die Voraussetzungen der Legalausnahme des § 2 I GWB erfüllt sind.

3.

Erfassung der Konzentrationsstrategie

a) Marktergebniskontrolle marktbeherrschender Unternehmen Das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat ursprünglich Marktmacht nicht per se als schlecht betrachtet, sondern nur den Missbrauch dieser Marktmacht.430 Entsprechend dieser Philosophie enthielt das Gesetz bis zur Einführung der Fusionskontrolle im Jahre 1973 nur eine Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen im Sinne des § 19 GWB, d.h., die Behinderung von Mitbewerbern sowie die Ausbeutung vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen können qua Missbrauchsverfügung von den Kartellbehörden untersagt werden. Ähnlich wie beim Behinderungsmissbrauch ist es bisher nicht gelungen, den Ausbeutungsmissbrauch adäquat zu erfassen. Die Vierte GWB-Novelle hat daher den unbestimmten Rechtsbegriff „Missbrauch“ durch Regelbeispiele konkretisiert und das Vergleichsmarktkonzept auf der Grundlage des Als-ob-Konzepts im Gesetz festgeschrieben. Angesichts der nach wie vor großen Beweisschwierigkeiten (insbes. im Hinblick auf die Zurechnung der Fixkosten) werden die Vorschriften über den Ausbeutungsmissbrauch derzeit nur noch wenig angewendet. Der Gesetzgeber hat daher in 2007 die Eingriffmöglichkeiten gegenüber marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen verbessert. Mit § 29 GWB soll die Bekämpfung 429 430

Zur Novellierung der §§ 20 Abs. 3 und 4 GWB vgl. Monopolkommission, Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung des GWB, Sondergutachten 47, Baden-Baden 2007. Der Regierungsentwurf von 1955 hatte dagegen in den §§ 18 ff. GWB konsequenterweise eine präventive Fusionskontrolle als Pendant zum Kartellverbot vorgesehen, die jedoch – unter Hinweis auf economies of scale und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft – der Lobby im Wirtschaftsausschuss zum Opfer fiel und erst 1973 im Rahmen der Zweiten GWB-Novelle politisch durchgesetzt werden konnte.

220

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

I.

Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen i. S. des § 37 GWB vor Vollzug (ex ante) gem. § 39 GWB, wenn die Aufgreifkriterien des § 35 GWB vorliegen. II. Fusionskontrollverfahren Prüfung eines angemeldeten Zusammenschlusses innerhalb eines Monats, ob eingehende Prüfung in einem Hauptprüfverfahren erforderlich (§ 40 Abs. 1 GWB)

Hauptprüfverfahren innerhalb von 4 Monaten (§ 40 Abs. 2 GWB)

Untersagung

Freigabe durch Nicht-Untersagung in Monatsfrist (rechtmäßiger Zusammenschluss)

Freigabe durch NichtUntersagung (rechtmäßiger Zusammenschluss)

Beschwerde an OLG (gegen Beschluss des BKartA) Antrag auf Ministererlaubnis an BMWi gem. bzw. Rechtsbeschwerde an BGH § 42 Abs. 1 GWB, der innerhalb von vier Mona ten ents c he ide n s oll:

erfolgreich (rechtmäßiger Zusammenschluss)

nicht erfolgreich

evtl. Antrag auf Ministererlaubnis an BMWi gem. § 42 Abs. 1 GWB

NichtErlaubnis

evtl. Beschwerde an OLG bzw. Rechtsbeschwerde an BGH

erfolgreich (rechtmäßiger Zusammenschluss)

Abb. 18:

Erlaubnis

Erlaubnis mit Bedingungen und Auflagen

Zusammenschluss ist rechtmäßig

Erfüllung der Bedingungen und Auflagen evtl. Beschwerde an OLG bzw. Rechtsbeschwerde an BGH gegen die Bedingungen und Auflagen

nicht erfolgreich

Übersicht über das Fusionskontrollverfahren gem. §§ 35–43 GWB

missbräuchlich überhöhter Energiepreise mittels einer auf den Energiesektor zugeschnittenen Ausprägung der Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB erleichtert werden. Dem dient eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast in § 29 S. 1 Nr. 1 GWB im kartellbehördlichen Verfahren, wenn die Entgelte oder Geschäftsbedingungen ungünstiger sind als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen auf vergleichbaren Märkten.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

221

Anders als die Marktergebniskontrolle haben sich die nach US-amerikanischem Vorbild in § 56 III GWB vorgesehenen „öffentlichen mündlichen Verhandlungen“ (Hearings) als ein relativ wirksames Instrument erwiesen. b) Fusionskontrolle Im Rahmen der Zweiten GWB-Novelle ist im Jahre 1973 die Kontrolle von großen Zusammenschlüssen eingeführt worden, Damit hat sich die dem Gesetz zugrunde liegende Philosophie gewandelt: Das Entstehen von Marktmacht mittels Großfusionen wird nunmehr als per se gefährlich betrachtet. Die Untersagung eines Zusammenschlusses ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:



Es muss sich um einen Zusammenschluss im Sinne des § 37 GWB handeln, der die Umsatzkriterien des § 35 Abs. 1 GWB erfüllt und nicht unter die Toleranzklauseln des § 35 Abs. 2 GWB fällt (sog. Aufgreifkriterien), • welcher eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 1 oder 2 GWB schafft oder verstärkt (sog. Eingreifkriterium), • es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach, „dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen“ (§ 36 Abs. 1 GWB – Abwägungsklausel mit Beweislastumkehr). Wenn das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss untersagt hat, kann der Bundesminister für Wirtschaft dennoch den Zusammenschluss gemäß § 42 GWB erlauben, wenn „die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenssschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist“ (sog. Ministerfusion). Gem. § 44 GWB ist eine Monopolkommission errichtet worden, welche die Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland und die Anwendung der entsprechenden Vorschriften regelmäßig begutachten soll. Seit Einführung der Fusionskontrolle sind bis Ende 2010 insgesamt 179 (überwiegend horizontale) Zusammenschlüsse oder Zusammenschluss vorhaben untersagt worden. 121 Untersagungen sind inzwischen rechtskräftig geworden. In vier Fällen sind derzeit Beschwerdeoder Rechtsbeschwerdeverfahren anhängig. In weiteren 54 Fällen ist die Untersagung des Bundeskartellamtes endgültig aufgehoben oder für erledigt erklärt worden. Für acht Zusammenschlüsse hat der Bundesminister für Wirtschaft eine Ministererlaubnis erteilt.431 Zwölf weitere Anträge auf Ministererlaubnis sind zurückgezogen bzw. abgelehnt worden.432 Von unverändert großer Bedeutung ist das informelle Verfahren. Die Zahl der Fälle, in denen auf Grund einer Vorprüfung durch das Bundeskartellamt Zusammenschluss vorhaben aufge-

431

432

Erteilung der Erlaubnis in acht Fällen: VEBA/Gelsenberg II, in: WuW/E BWM 147 f.; Babcock/Artos, in: WuW/E BWM 155 ff.; Thyssen/Hüller, in: WuW/E BWM 159 ff.; BP/Veba, in: WuW/E BWM 165 ff.; IHB/Wibau, in: WuW/E BWM 177 ff.; Daimler/MBB, in WuW/E BWM 191 ff.; E.ON/Ruhrgas, in: WuW/E DE-V 573 ff. und 643 ff. sowie Greifswald/Wolgast, in: WuW/E DE-V 1691 ff. Rücknahme in sieben Fällen: GKN/Sachs; Rheinmetall/WMF; Burda/Springer; Klöckner/Seitz Enzinger; MAN + DB /ENASA, Holtzbrinck/Berliner Verlag und LBK/Mariahilf. Ablehnung in sechs Fällen: Kaiser/Preussag; VEW + BGE/Ruhrkohle-Sidechar; MAN/Sulzer; BayWa/WLZ; PCS/Kali + Salz und Rhönklinikum /Kreiskrankenhäuser Bad Neustadt, Mellrichstadt.

222

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

geben, modifiziert oder vollzogene Zusammenschlüsse aufgelöst worden sind, stieg bis Ende 2010 auf 518 (sog. Vorfeldwirkung).

4.

Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche433

Ein wesentliches Bestreben der Sechsten und Siebenten Kartellnovelle war eine Überprüfung der Ausnahmeregelungen in einer Reihe von Wirtschaftsbereichen, die in der Vergangenheit teilweise oder gänzlich von der Anwendung des GWB freigestellt waren, mit dem Ziel der Aufhebung oder Einschränkung. Die Ausnahmebereiche in den §§ 99 ff. GWB a. F. vor 1999 wurden daher erheblich zurückgeführt, womit auch eine Annäherung an das europäische Recht vollzogen wurde. Die nach Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle noch verbleibenden Sonderregeln für bestimmte Wirtschaftsbereiche in den §§ 28 und 30 GWB enthalten – im Hinblick auf die Besonderheiten einzelner Wirtschaftsbereiche – mehr oder minder weitgehende Freistellungen von der Anwendung des GWB:

• § 28 GWB für die Landwirtschaft (gem. Art. 36 EGV) und • § 30 GWB für die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften. Der Wegfall bestehender Sonderregeln für bestimmte Wirtschaftsbereiche bedeutet allerdings nicht die automatische Unzulässigkeit bestimmter Vereinbarungen. Vielmehr ist an Hand der allgemeinen Wettbewerbsregeln zu beurteilen, ob die Voraussetzungen der in § 2 GWB übernommenen Legalausnahme des Art. 81 III EGV erfüllt sind. Zudem muss im Hinblick auf die weitgehende Abschaffung von Sonderregeln für bestimmte Wirtschaftsbereiche im GWB wettbewerbspolitisch kritisch gesehen werden, dass diese weitgehend in Fachgesetze überführt worden sind, so dass sich wettbewerbspolitisch oft wenig geändert hat.434 Einen Überblick über die Art der Freistellungen, die Fachaufsichtsbehörden, die Marktzutrittsregulierung, die spezielle Missbrauchsaufsicht und die Regulierungsbegründungen in den Wirtschaftsbereichen, in denen das GWB nach Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle nur eingeschränkt Anwendung finden wird (sog. Ausnahmebereiche), gibt Tab. 13.

433 434

Vgl. Emmerich, op. cit., §§ 37–39. Vgl. Bunte, Hermann-Josef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, der in § 13 die Sektoralisierung des Kartellrechts darstellt.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht Tab. 13:

Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche

Bereich

Verkehr im öffentl. Interesse liegender Personenverkehr (Bahn, Bus und Taxen) Land- und Forstwirtschaft Erzeugerbetriebe und -vereinigungen (inkl. Pflanzenund Tierzuchtbetriebe)

Post und Telecom

Versorgungsunternehmen (Strom und Gas)

(Wasser)

223

GWB/ Fachgesetz

Fachaufsichtsbehörde

Marktzutritts- Spezielle regulierung Missbrauchsaufsicht

Regulierungsbegründung

§ 8 PersBefG § 1 GWB u. § 12 Allgem. Eisen-bahnG

von Ländern bestimmte Behörden nach § 11 PersBefG

Bedarfsprüfung nach § 13 PersBefG

Missbrauchsaufsicht nach GWB

Versorgungssicherheit

§ 28 I GWB

Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) sowie Länderbehörden im Hinblick auf Gesundheitsschutz

Missbrauchsaufsicht nach GWB

Witterungsabhängigkeit der Produktion, inverses Angebotsverhalten

Missbrauchsaufsicht nach GWB

Witterungsabhängigkeit der Produktion, inverses Angebotsverhalten

Vereinbarungen über Sortierung, Kennzeichnung u. Verpackg. landwirtschaftl. Erzeugnisse Postgesetz und Telekommunikationsgesetz

Freigestellt von

§ 1 GWB, sofern die Vereinbarungen und Beschlüsse keine Preisbindung beinhalten und den Wb. nicht ausschließen



§ 1 GWB

GWB insgesamt, soweit nach § 2 III PG und TKG ausdrücklich abschließende Regelungen getroffen sind EnWG §§ 19/20 GWB im Hinblick auf Bestimmung der Netzzugangsentgelte (gem. § 111 III EnWG); im Übrigen Zuständigkeit BKartA (vgl. inbes. § 29 GWB) Wassergesetze, § 1 GWB gem. GemO § 131 VI GWB i.V. mit §§ 103, 103a GWB a. F. vor 1999 (nicht §§ 19/20 GWB)

Bundesnetzagentur

§ 51 Postgesetz Missbrauchsfür Briefmono- aufsicht nach pol Postgesetz und TKG

Versorgungssicherheit und Schaffung von Wettbewerb durch Liberalisierung

Landesregulierungs- und Energieaufsichtsbehörden sowie Bundesnetzagentur

keine Bedarfsprüfung

Missbrauchsaufsicht über Betreiber von Energieversorgungsnetzen nach § 30 EnWG (lex specialis zu §§ 19 f. GWB)

Marktöffnung durch diskriminierungsfreien u. transparenten Netzzugang. Vorgabe: EU Beschleunigungs-RL von 2003

Missbrauchsaufsicht nach GWB

Versorgungssicherheit und Gesundheit

(§ 54 III EnWG)

224

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

III. Die Zuständigkeiten des Bundeskartellamtes, der Landeskartellbehörden und des Bundesministers für Wirtschaft bei der Anwendung des GWB Abgesehen von der Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie für Fusionen im Sinne von § 42 GWB (sog. Ministerfusionen) sowie gem. § 48 GWB der Landeskartellbehörden für rein regionale Wettbewerbsbeschränkungen435 ist für die Durchsetzung des Kartellgesetzes in Deutschland allein das Bundeskartellamt in Bonn zuständig (§ 48 Abs. 2 GWB), das ähnlich wie die Federal Trade Commission in Washington in erster Instanz entscheidet. Das Bundeskartellamt hat ca. 150 Mitarbeiter des höheren Dienstes, etwa je zur Hälfte Juristen und Ökonomen. Zuständig für die Überprüfung der Entscheidungen des Bundeskartellamtes ist im Beschwerdeverfahren das Oberlandesgericht Düsseldorf und im Rechtsbeschwerdeverfahren der Bundesgerichtshof. Eine Dichotomie wie in den USA zwischen der Antitrust Division des Department of Justice und der Federal Trade Commission gibt es in Deutschland nicht. Allerdings unterliegen die Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche neuerdings teilweise der Aufsicht der Bundesnetzagentur, teilweise der Aufsicht der Kartell- oder sonstigen Behörden.

IV. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften im GWB Zur Durchsetzung des Kartellgesetzes bestehen verschiedene verfahrensrechtliche Möglichkeiten.

1.

Bußgeldverfahren

Das Bußgeldverfahren sieht in § 81 GWB Geldbußen bis zu maximal 1 Mio. EUR vor. Über diesen Betrag hinaus Geldbußen gegen ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahres erzielten Gesamtumsatzes. Anders als der Sherman Act oder der Britische Enterprise Act kennt das GWB kein Strafverfahren mit Geld- und/oder Freiheitsstrafe, sondern lediglich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren mit Geldbußen436. Ordnungswidrigkeiten stellen kein kriminelles Unrecht dar.

2.

Verwaltungsverfahren

Infolge des Überganges zum Prinzip der Legalausnahme in § 2 GWB ist die alte Administrativfreistellung gem. den §§ 9 bis 14 GWB a. F. entfallen. Nach Inkrafttreten des neuen Rechts können folgende Formen des Verwaltungsverfahrens unterschieden werden:

435

436

Die Zuständigkeitsregelung zwischen Bundeskartellamt und Landeskartellbehörden entspricht etwa der im amerikanischen Recht üblichen Unterscheidung von interstate- und intrastate-Beschränkungen des Wettbewerbs; die Bundesbehörden in den USA sind ebenfalls nur für interstate-Beschränkungen des Wettbewerbs zuständig. Jedoch ergänzt § 82 GWB das strafrechtliche Verfahren nach § 298 StGB bei Submissionsabsprachen.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht



• • •

• •



3.

225

Im Rahmen von Untersagungsverfahren i.S. des § 32 GWB kann die Kartellbehörde Entscheidungen über die Abstellung und nachträgliche Feststellung von Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des GWB und die Art. 81 und 82 EGV treffen. Das schließt auch die Möglichkeit ein, ein bestimmtes Verhalten (positive Tenorierung) oder – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – strukturelle Maßnahmen (Entflechtung) anzuordnen. Sie kann ferner Fusionen i.S. des § 36 I GWB oder missbräuchliche Verhaltensweisen i.S. der §§ 19/20 GWB verbieten. Im Rahmen eines solchen Missbrauchsverfahrens kann die Kartellbehörde Verträge für unwirksam erklären oder den Beteiligten aufgeben, die Verträge zu ändern oder einen beanstandeten Missbrauch abzustellen. Gem. § 32 a GWB kann die Kartellbehörde in dringenden Fällen von Amts wegen einstweilige Maßnahmen zur Durchsetzung des Kartell- und Missbrauchsverbotes anordnen. Gem. § 32 b GWB kann die Kartellbehörde im Rahmen eines Untersagungsverfahrens i.S. von § 32 GWB Verpflichtungszusagen, die geeignet sind, wettbewerbsrechtliche Bedenken auszuräumen, für die Unternehmen für bindend erklären. Da die mittelständische Wirtschaft ein erhebliches Bedürfnis nach Rechtssicherheit hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von Kooperationen hat und es in einem System der Legalausnahme keine konstitutiven Freistellungsentscheidungen mehr geben kann, kann die Kartellbehörde gem. § 32 c GWB entscheiden, dass für sie kein Anlass zum Tätigwerden besteht. Eine solche Entscheidung hat zwar nur deklaratorischen Charakter, beinhaltet jedoch eine Selbstbindung der Kartellbehörde. Gem. § 32 e GWB kann das Bundeskartellamt bestimmte Wirtschaftszweige oder bestimmte Arten von Vereinbarungen untersuchen (Enquête-Recht). Die Kartellbehörde kann auch einstweilige Anordnungen im Sinne des § 60 GWB zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes treffen oder die sofortige Vollziehung einer Verfügung anordnen, wenn dies im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist (§ 65 GWB). Das in § 42 GWB vorgesehene Erlaubnisverfahren bei Ministerfusionen bleibt dagegen unverändert. Der Minister „soll“ über den Antrag innerhalb von vier Monaten entscheiden.

Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen

Im Zivilverfahren kann gemäß § 33 GWB bei Verletzung einer Vorschrift des GWB bzw. der Art. 81 oder 82 EGV oder einer rechtskräftigen Verfügung auf Beseitigung bzw. bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung und bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens geklagt werden. Die rechtswidrig erlangten Vorteile können durch die Kartellbehörden (§ 34 GWB) oder Verbände (§ 34a GWB) abgeschöpft werden. Für die Klage sind die Zivilgerichte zuständig, d.h. die Landgerichte (§ 87 GWB); die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof sind Berufungs- bzw. Revisionsinstanz (§§ 91 und 94 GWB). Das Bundeskartellamt wird gem. § 90 GWB über jeden in Deutschland geführten Rechtsstreit informiert und hat so die Möglichkeit, als amicus curiae Einfluss auf das Verfahren zu nehmen.

226

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

V.

Kartellvergaberecht437

1.

Entstehungsgeschichte und Ziele

Wie das Kartellrecht dient das allgemein so genannte Kartellvergaberecht als Vierter Teil des GWB nicht nur den spezifischen Zielen einer möglichst sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel und dem Bieterschutz, sondern auch dem Schutz des Wettbewerbs als Institution, wie sich aus seiner Vorgeschichte, seinen europarechtlichen Vorgaben und den Gesetzesmaterialien ergibt. Der vergaberechtliche Rechtsschutz, der den Bewerbern um öffentliche Aufträge einen klagbaren Anspruch einräumt, korrigierend in ein laufendes Vergabeverfahren einzugreifen (sog. Primärrechtsschutz), war in Deutschland lange Zeit unterentwickelt, da öffentliche Aufträge nach privatrechtlichen Grundsätzen vergeben wurden. Zwar wandten die öffentlichen Auftraggeber dabei regelmäßig die sog. Verdingungsordnungen (VOB/A, VOL A) an, doch war hiermit kein klagbarer Rechtsanspruch auf deren Einhaltung verbunden. Die entscheidenden Anstöße zur Änderung dieser Lage kamen von der EG, die schon früh das Ziel der Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte durch den Erlass von Marktöffnungs- und Rechtsmittelrichtlinien verfolgte. In der Verrechtlichung der Vergabe öffentlicher Aufträge sah sie ein Instrument zur Erreichung dieses Ziels, weil eine Marktöffnung am effektivsten durch eine dem Bewerber eingeräumte Möglichkeit zu erreichen sei, das nicht selten willkürliche und auch protektionistische Verhalten der Vergabestellen juristisch kontrollieren zu lassen.

2.

Überblick über die materiell-rechtlichen Bestimmungen im GWB

In § 97 GWB sind die allgemeinen Grundsätze des Vergabeverfahrens geregelt. Nach § 97 I GWB beschaffen öffentliche Auftraggeber Waren, Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren. Aus der vom Gesetzgeber mit Nachdruck betonten Bedeutung des Wettbewerbs folgt, dass die einzelnen Normen des Kartellvergaberechts auf allen drei Stufen der sog. vergaberechtlichen Kaskade (Gesetz – VergabeVO – VerdingungsVOs) wettbewerbsfreundlich auszulegen sind. Der in § 97 II GWB normierte Gleichheitsgrundsatz, nach dem die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren grundsätzlich gleich zu behandeln sind, gehört zu den elementaren Prinzipien des Gemeinschaftsrechts und des deutschen Vergaberechts. Nach § 97 III GWB sind mittelständische Interessen vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen. Gemäß § 97 IV sollen Aufträge an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben werden; andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Gemäß § 97 V GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Nach den EG-Vergaberichtlinien kann sich dieses aus dem günstigsten Preis, aber auch aus weitere Einzelaspekte mitberücksichtigenden Krite-

437

Vgl. Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Kommentar, Band 2, 4. neu bearbeitete Auflage, München 2008, und Stockmann, Kurt, Das Bundeskartellamt im 51. Jahr, in: ZWeR 6 (2008), S. 137 ff.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

227

rien der Wirtschaftlichkeit ergeben. § 97 VI GWB ermächtigt die Bundesregierung, durch RVO mit Zustimmung des Bundesrates nähere Bestimmungen über das bei der Vergabe einzuhaltende Verfahren zu treffen. Diese Bestimmung ist die Grundlage für die VergabeVO, die auf die Verdingungsordnungen verweist und deren Regelungen für die öffentlichen Auftraggeber verbindlich macht. Gemäß § 97 VII GWB haben die Unternehmen nunmehr einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Zu den Bestimmungen über das Vergabeverfahren gehören nach der Rechtsprechung des BGHs auch die Vorschriften der Verdingungsordnungen, die schon seit ihrer Einbettung in das öffentliche Haushaltsrecht unmittelbar geltendes, den öffentlichen Auftraggeber bindendes Recht geworden sind.

3.

Subjektiver und objektiver Anwendungsbereich

§ 98 GWB bestimmt den Kreis der dem Kartellvergaberecht unterworfenen Auftraggeber (subjektiver Anwendungsbereich). Grundsätzlich gilt ein funktionaler i.G. zum institutionellen Auftraggeberbegriff. Nach § 98 Nr. 1 GWB gehören zum Kreis der Auftraggeber zunächst die „klassischen“ Auftraggeber, d.s. die Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, und die Verbände dieser Adressaten (§ 98 Nr. 3 GWB). Nach § 98 Nr. 2 GWB gehören zum Adressatenkreis unter bestimmten Voraussetzungen auch andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. § 99 GWB definiert, entsprechend den europarechtlichen Vorgaben, den Begriff der öffentlichen Aufträge als entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen. § 100 GWB regelt den objektiven Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts. Nach dieser Bestimmung gilt dieses nur für Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch RVO nach § 127 GWB festgelegt sind (Schwellenwerte). Die Bestimmung beruht auf der Überlegung der Europäischen Union, dass ein gemeinschaftsweiter Wettbewerb nicht bei allen Vergabeverfahren angestrebt werden sollte, sonder nur dann, wenn die Aufträge ein bestimmtes Volumen übersteigen. Die wichtigsten Schwellenwerte betrugen am 1. Januar 2008: bei Bauaufträgen 5.150.000 Euro, bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Versorgungsbereich 412.000 Euro und bei sonstigen Liefer- und Dienstleistungen 206.000 Euro. Diese Schwellenwerte entsprechen funktionell den Aufgreifkriterien in der Fusionskontrolle (§ 35 GWB).

4.

Zuständigkeiten und verfahrensrechtliche Regelungen

a) Verwaltungsverfahren Die §§ 102 GWB regeln die institutionelle Seite des Kartellvergaberechts. Danach unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge – unbeschadet der Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden und Vergabeprüfstellen i.S. von § 103 GWB – der Nachprüfung durch die Vergabekammern als den primären Kontrollinstanzen für Vergabeverfahren (§ 104 GWB). § 105

228

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

GWB sichert die Unabhängigkeit der Vergabekammern, die ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung ausüben. Die Vergabekammern entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, von denen einer ein ehrenamtlicher Beisitzer ist. Nach § 106 GWB richtet der Bund die erforderliche Anzahl von Vergabekammern beim Bundeskartellamt ein. Zurzeit gibt es dort drei Vergabekammern. Die Einrichtung und Organisation der Vergabekammern der Länder bestimmen die nach Landesrecht zuständigen Stellen. Die §§ 116 ff. GWB regeln die gegen die Entscheidungen der Vergabekammern zulässige sofortige Beschwerde, über die ausschließlich das für den Sitz der Vergabekammer zuständige OLG entscheidet (im Falle des BKartA das OLG Düsseldorf). Bei den Oberlandesgerichten wird ein Vergabesenat gebildet. Hält das Gericht die Beschwerde für begründet, so hebt es die Entscheidung der Vergabekammer auf (§ 123 GWB).Will ein OLG von einer Entscheidung eines anderen OLGs oder des BGHs abweichen, so hat es zur Sicherung einer bundeseinheitlichen Rechtsprechung den Fall dem BGH vorzulegen, der dann anstelle des OLGs entscheidet. b) Private Schadensersatzklagen Nach § 125 GWB haben der Antragsteller oder der Beschwerdeführer, dessen Antrag oder Beschwerde sich als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, dem Gegner und den Beteiligten den Schaden zu ersetzen, der ihnen durch den Missbrauch des Antrags- oder Beschwerderechts entstanden ist. Ein Missbrauch ist es insbesondere, die Aussetzung oder die weitere Aussetzung des Vergabeverfahrens durch vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgetragene falsche Angaben zu erwirken, die Überprüfung mit dem Ziel zu beantragen, das Vergabeverfahren zu behindern oder Konkurrenten zu schädigen, oder einen Antrag in der Absicht zu stellen, ihn später gegen Geld oder andere Vorteile zurückzunehmen. Bei dieser Regelung dürften sich erhebliche Nachweisschwierigkeiten auf der subjektiven Seite ergeben. Zuständig für solche Ansprüche sind die Zivilgerichte. § 126 GWB regelt den Nachweis bei Schadensersatzansprüchen. Wird Schadensersatz für die Kosten der Vorbereitung eines Angebots oder die Teilnahme an einem Auftragsvergabeverfahren – das sog. „negative Interesse“ – verlangt, so braucht das Schadensersatz fordernde Unternehmen nach dieser Bestimmung lediglich nachzuweisen, dass eine seinen Schutz bezweckende Vergabevorschrift verletzt worden ist und dass es ohne diesen Rechtsverstoß bei der Wertung der Angebote eine „echte Chance“ gehabt hätte, den Zuschlag zu erhalten. Hätte der übergangene Bewerber den Auftrag ohne den Rechtsverstoß erhalten müssen und ist ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden, so steht ihm ein Anspruch auf Ersatz seines Schadens, einschließlich seines entgangenen Gewinns, also auf das sog. „positive Interesse“, zu. Auch für diese Ansprüche sind die Zivilgerichte zuständig.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

229

VI. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)438 1.

Entstehungsgeschichte und Ziele

Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) datiert vom 27.5.1896. Die entscheidende Novellierung erfolgte durch Gesetz vom 7.6.1909, wobei die beiden Generalklauseln der §§ 1 und 3 UWG eingefügt wurden, die ein generelles Verbot sittenwidriger und irreführender Wettbewerbshandlungen aussprechen. Am 8. Juli 2004 wurde das UWG liberalisiert und an europapolitische Gesichtspunkte angepasst; der Verbraucherschutz wurde stärker betont. Die letzte Novelle vom 22. Dezember 2008 diente der Umsetzung der RL Nr. 2005/29 der EG über unlautere Geschäftspraktiken, womit der Anwendungsbereich des UWG erweitert und die Anforderungen an die Unternehmen verschärft wurden. Geschichtlich stand beim UWG zunächst der Konkurrentenschutz im Vordergrund. Seit etwa 1930 hat sich jedoch der Gedanke durchgesetzt, dass das UWG auch eine soziale Funktion hat und somit auch die Allgemeinheit vor „Auswüchsen im Wettbewerb“ bewahren soll (Institutionsschutzgedanke). Auch der Schutz der Letztverbraucher wurde inzwischen anerkannt, was insbesondere durch die Einführung der Klagebefugnis der Verbraucherverbände durch die Novelle von 1965 zum Ausdruck gekommen ist, die allerdings nach der AGB-Novelle von 2000 nur noch aktiv legitimiert sind, wenn sie eine besondere Registrierung nachweisen können. Das UWG umfasst nach § 1 UWG n. F. drei sich teils ergänzende, teils überschneidende Schutzzwecke (Schutzzweck-Trias):

• •

Den Schutz der Mitbewerber (Individualschutz) und den Schutz der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb und • den Schutz des Interesses der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb (Institutionsschutz). Im Hinblick auf eine wünschenswerte einheitliche Zielsetzung von GWB und UWG müssen der Schutz der Interessen der Mitbewerber (horizontal), der Schutz der sonstigen Marktbeteiligten (vertikal) und der der Allgemeinheit (Institutionsschutz) von beiden Gesetzen erfasst werden. Für einen solchen einheitlichen Schutzzweck spricht die sachliche Verzahnung von GWB und UWG: sowohl GWB-widriges als auch unlauteres Verhalten können zu schwerwiegenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen führen. Diese gemeinsame Zielsetzung ließe sich dadurch erreichen, dass Wertungsgrundsätze des UWG in das GWB et vice versa übertragen werden. Hierbei ist insbesondere an den Schutz des Leistungswettbewerbs zu denken, der Schutzobjekt von Wettbewerbsregeln i.S. der §§ 24 ff. GWB und Gegenstand der Rechtsprechung zum Behinderungsmissbrauch i.S. der §§ 19 und 20 GWB ist. Die Einführung eines Verwaltungsverfahrens á la FTC in den USA bzw. zumindest ein Beteiligungsrecht des BKartA an UWG-Prozessen in Analogie zu § 90 II GWB würde diesen Prozess beschleunigen.

438

Zum Wettbewerbsrecht i.e.S. gehören GWB und UWG. Zum Wettbewerbsrecht i.w.S. gehören neben dem UWG eine Vielzahl von Gesetzen wie Preisangaben-VO, Ladenschlussgesetz, Gewerbeordnung etc., auf die hier nicht eingegangen werden kann. Die Zugaben-VO und das Rabattgesetz sind im Juli 2001 aufgehoben worden.

230

2.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften

Zentrale Vorschrift ist die große Generalklausel des § 3 UWG, die in Abs. 1 unlautere geschäftliche Handlungen, die geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, für unzulässig erklärt. Gem. § 3 III UWG sind die im Anhang des UWG aufgeführten dreißig geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern per se unzulässig. Diese Generalklausel wird in den §§ 4 UWG („Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen“), 5 und 5a UWG („irreführende geschäftliche Handlungen“ und „Irreführung durch Unterlassen“), 6 UWG („vergleichende Werbung“), und 7 UWG („unzumutbare Belästigungen“, z.B. durch Telefon- oder e-mail-Werbung) beispielhaft konkretisiert; dabei sind die Tatbestände des § 7 II UWG als per se-Verbote konzipiert. Die Reglementierung der Sonderveranstaltungen (Schluss-, Jubiläums- und Räumungsverkäufe ist ersatzlos aufgehoben worden; sie unterliegen nur noch dem Verbot irreführender geschäftlicher Handlungen i.S. des § 5 UWG. Hierin wird z.T. die Gefahr gesehen, dass die Konzentration im Handel weiter zunimmt und sich damit die Nahversorgung der Bevölkerung verschlechtert. Gesonderte – weitgehend unveränderte – Regelungen finden sich in den §§ 17, 18 und 19 UWG für den Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen sowie die unbefugte Vorlagenverwertung. Die im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG genannten Verbote sind als per se-Verbote konzipiert, wobei die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe – ungeachtet der in den beiden letzten Novellen von 2004 und 2008 eingeführten Beispiele – der wertenden Entscheidung des Richters bedarf. Das UWG ist daher – ähnlich wie das anglo-amerikanische case law (vgl. Kap. 12) – einer Fortbildung durch Richterrecht im Rahmen sich ändernder wettbewerbspolitischer Wertungen ausgesetzt.

3.

Zuständigkeiten und verfahrensrechtliche Regelungen

a) Strafverfahren Das UWG gewährt privatrechtlichen und strafrechtlichen Schutz. Dabei tritt der strafrechtliche Schutz hinter den privatrechtlichen zurück. Offizialdelikt ist nur § 16 UWG (strafbare Werbung und Schneeballsystem); in den Fällen der §§ 17, 18 und 19 UWG kann die Strafverfolgungsbehörde bei besonderem öffentlichen Interesse von Amts wegen einschreiten. In allen anderen Fällen wird die Tat nur auf Antrag verfolgt; antragsberechtigt sind der Verletzte bzw. die in den §§ 8 Abs. 3 und 9 UWG Genannten. Hervorzuheben ist, dass gem. § 20 I UWG die unerlaubte Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern auch mit einer von der Bundesnetzagentur zu verhängenden Geldbuße sanktioniert werden kann. b) Verwaltungsverfahren Das UWG kennt de lege lata kein Verwaltungsverfahren, sondern vertraut auf die Tätigkeit von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen bzw. sog. qualifizierter Einrichtungen i.S. von § 8 Abs. 3 UWG zur Durchsetzung des Gesetzes. Dabei zeigt sich, dass ein „Markt“ für die Verfolgung unlauterer Wettbewerbshandlungen besteht, der von den Betroffenen oder den Mitbewerbern nicht wahrgenommen

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

231

wird, weil entweder das persönliche Interesse daran fehlt oder aber Vergeltungsmaßnahmen befürchtet werden. Die UWG-Novelle von 1994 hatte allerdings den Unterlassungsanspruch der Wirtschaftsverbände in § 13 Abs. 2 Zi. 2 UWG a. F. davon abhängig gemacht, dass ihnen eine erhebliche Zahl von Mitbewerbern i.S. der Zi. 1 angehören und dass der Wettbewerb „wesentlich beeinträchtigt“ wird. Damit sollte die Klagebefugnis nur „abstrakt“ betroffener Mitbewerber eingeschränkt und der Institutionsschutzgedanke gestärkt werden. Es erscheint allerdings fraglich, ob die Ansprüche der Mitbewerber, rechtsfähigen Verbände und sog. qualifizierten Einrichtungen auf Beseitigung und Unterlassung gem. § 8 UWG für die Durchsetzung des UWG ausreichen oder ob nicht ein Vollzugsdefizit verbleibt, welches durch die Einführung eines Verwaltungsverfahrens zu schließen wäre. Dabei wäre an eine Sec. 5 (a) FTC Act entsprechende Regelung zu denken, wonach die FTC unlautere oder irreführende Wettbewerbspraktiken durch Unterlassungsverfügung untersagen kann. Eine solche – zweckmäßigerweise beim Bundeskartellamt zu schaffende – verfahrensrechtliche Zuständigkeit würde nicht nur das Vollzugsdefizit verkleinern, sondern auch der Vereinheitlichung der Zielsetzungen von UWG und GWB dienen. Auch das britische Kartellrecht sieht eine solche Zuständigkeit des Office of Fair Trading vor. Die Bundesregierung hat in 2000 bei der Umsetzung der EU-Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen die Rechtsverfolgung durch eine Behörde leider abgelehnt. c) Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen Der privatrechtliche Schutz erstreckt sich vor allem auf Abwehr- und Schadensersatzansprüche. Bei Verstößen gegen die Generalklausel des § 3 UWG bzw. 7 UWG kann gem. § 8 UWG auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung (sog. vorbeugender Unterlassungsanspruch) sowie gem. § 9 UWG auf Schadensersatz geklagt werden. Darüber hinaus gibt bei Verstößen gegen die §§ 3 und 7 II UWG sowie Schädigung einer Vielzahl von Abnehmern § 10 UWG einen Gewinnabschöpfungsanspruch, der von Verbänden i.S. von § 8 Abs. 3 Nr. 2 – 4 UWG (dazu gehören auch Verbraucherverbände, IHKs und Handwerkskammern) geltend gemacht werden kann. Die Justitiabilität dieses Anspruches, der im Interesse einer Verbesserung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts eine Annäherung an die US-amerikanischen class actions bringt, wird allerdings bezweifelt. Die Pflicht, den abgeschöpften Gewinn nach Abzug an den Bundeshaushalt abzuführen (§ 10 Abs. 4 UWG), dürfte zudem den Anreiz für die Geltendmachung eines solchen Anspruches entscheidend mindern.

Übungsfragen zum 8. Kapitel 1. 2. 3.

Erörtern Sie die Zielsetzung des GWB hinsichtlich der Realisierung der Wettbewerbsfunktionen. Welcher Wettbewerbsbegriff liegt dem GWB zugrunde? Nehmen Sie Stellung zu der Aussage, dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch ein grundsätzliches Verbot horizontaler Verträge und Beschlüsse charakterisiert ist.

232 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht Können horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen als Ausnahme von dem Verbot des § 1 GWB in Zukunft noch legalisiert werden? Wie sind die §§ 2 und 3 GWB nach der 7. GWB-Novelle im Hinblick auf die Rechtssicherheit zu beurteilen? Welche Auswirkungen hat die Anmeldung von Wettbewerbsregeln auf die Rechtssicherheit? Wie wird der Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen im Sinne von § 19 GWB erfasst? Welche Probleme treten hierbei auf? Erläutern Sie Begriff und wettbewerbspolitische Erfassung von Boykott und Lieferverweigerung. Welchem Zweck dient das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB? Was versteht man unter Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen, und wann können diese von den Kartellbehörden für unwirksam erklärt werden? Wie wird die Konzentrationsstrategie gemäß § 35 ff. GWB erfasst? Welche Wirtschaftsbereiche sind teilweise oder gänzlich von der Anwendung des GWB ausgenommen? Wie sind die Zuständigkeiten geregelt? Geben Sie die wettbewerbsrechtlichen Zuständigkeiten des Bundeskartellamtes, der Landeskartellbehörden und des Bundesministers für Wirtschaft wieder. Schildern Sie die Ziele und Instrumente des Kartellvergaberechts. Was ist Schutzobjekt des UWG? Diskutieren Sie die Notwendigkeit, im Hinblick auf die bessere Durchsetzung des UWG die Möglichkeit eines Verwaltungsverfahrens beim Bundeskartellamt vorzusehen.

Weiterführende Literaturhinweise zum 8. Kapitel 1.

Kommentare zum GWB und UWG

Bechtold, Rainer, Kartellgesetz: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – Kommentar, 6. Aufl., München 2010. Bunte, Hermann-Josef, bearbeitet von Christian Bahr, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1: Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl., München 2010. Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Kommentar, Band 2, 4. neu bearbeitete Auflage, München 2008. Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Band IV und V, Köln seit 1993 fortlfd. Hootz, Christian (Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht: Gemeinschaftskommentar, 5. Aufl., Köln u.a. 1999 ff. Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Kommentar, Band 2, 4. neubearbeitete Aufl., München 2007. Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 29. Aufl., München 2011. Loewenheim/Meessen/Riesenkampf, Kartellrecht: Europäisches und Deutsches Recht – Kommentar, 2. Aufl., München 2009.

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

233

Münchener Kommentar: Europäisches und deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), hrsg. von Hirsch, Günter, Frank Montag und Franz Jürgen Säcker, München 2008/2011, Band 2: Deutsches Kartellrecht; Band 3: Vergabe- und Beihilferecht. Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht (UWG), hrsg. von Heermann, Peter W., und Günter Hirsch, Band 1 und 2, München 2006. Schulte, Josef L. (Hrsg.), Handbuch Fusionskontrolle, München 2005.

2.

Lehrbücher und Aufsätze

Becker, Carsten, und Silke Hossenfelder, Einführung in das neue Kartellrecht, München 2006. Boesche, Katharina Vera, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2011. Bunte, Hermann-Josef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, Teil 3. Duijm, Bernhard, Die Unabhängigkeit von Kartellbehörden, in: Ordo Bd. 50 (1999), S. 323 ff. ders., Wettbewerbssicherung nach Privatisierung und Deregulierung: Aufgabe allgemeiner Wettbewerbs- oder sektoraler Regulierungsbehörden, in: Deregulierung und Privatisierung: Gewolltes – Erreichtes – Versäumtes, hrsg. von Berg, Hartmut, Schriften des Vereins für Socialpolitik NF Band 287, Berlin 2002, S. 9 ff. Emmerich, Volker, Kartellrecht: Ein Studienbuch, 11. Aufl., München 2008. ders., Unlauterer Wettbewerb: Ein Studienbuch, 7. Aufl., München 2004. Greiffenberg, Horst, Die Gemeinwohlabwägung im Ministererlaubnisverfahren der Fusionskontrolle – Der Beitrag der Monopolkommission, in: Wirtschafts- und Privatrecht im Spannungsfeld von Privatautonomie, Wettbewerb und Regulierung – Festschrift für Ulrich Immenga zum 70. Geburtstag, hrsg. von Fuchs, Andreas, Hans-Peter Schwintowski und Daniel Zimmer, München 2004. Jäckering, Werner, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des GWB, Berlin 1977. Klumpp, Ulrich, Die „Efficiency Defense“ in der Fusionskontrolle: Eine rechtsvergleichende Untersuchung über die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen bei der Zusammenschlusskontrolle nach deutschem, europäischem und US-amerikanischem Recht, Reihe Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 204, Baden-Baden 2006. Köhler, Helmut, Die UWG-Novelle 2008, in: WRP 2009, S. 109 ff. Kollewe, Wolfgang, Zur ökonomischen Theorie der Verbände: Die Entwicklung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Frankfurt/M. 1979. Mestmäcker, Ernst Joachim, 50 Jahre GWB: Die Erfolgsgeschichte eines unvollkommenen Gesetzes, in: Wirtschaft und Wettbewerb JG. 58 (2008), S. 6 ff. Möschel, Wernhard, Die Unabhängigkeit des Bundeskartellamtes, in: ORDO Bd. 48 (1997), S. 241 ff. Ortwein, Edmund, Das Bundeskartellamt: Eine Politische Ökonomie deutscher Wettbewerbspolitik, Baden-Baden 1998.

234

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

Ritter, Jan-Stephan, Regierungsentwurf zum Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels: Die Änderungen durch den Deutschen Bundestag, in: Wirtschaft und Wettbewerb 58 (2008), S. 142 ff. Rittner, Fritz, und Michael Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht: Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts für Studium und Praxis, 7., völlig neubearbeitete Aufl., Heidelberg 2008. Robert, Rüdiger, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik: Das Beispiel der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Berlin 1976. Säcker, Franz Jürgen (Hrsg.), Fallbuch Kartellrecht – Wettbewerbsrecht – Markenrecht, Heidelberg 2001. ders., und Maik Wolf, Kartellrecht in Fällen, München 2010. Schmidt, Ingo, Hauptprobleme der 7. Kartellnovelle: Die Wende in der Wettbewerbspolitik, in: Wirtschaftsdienst 85. Jg. (2005), S. 536 ff. Schwintowski, Hans-Peter, Wettbewerbsrecht (GWB/UWG), 4. Aufl., München 2006. Sosnitza, Olaf, Fälle zum Wettbewerbs- und Kartellrecht, 5. Aufl., München 2007. Stockmann, Kurt, Das Bundeskartellamt im 51. Jahr, in: ZWeR Jg. 6 (2008), S. 137 ff. Taube, Monika, Das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot für „relativ marktstarke“ Unternehmen: wettbewerbs- oder individualschützende Funktion des § 20 Abs. 2 GWB, Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Bd. 36, Berlin 2006. Wiedemann, Gerhard (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., München 2009.

3.

Informationen des Bundeskartellamtes

Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2009/2010 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung, in: BTDr. 17/6640, mit Angabe der Fundstelle der früheren Tätigkeitsberichte seit 1958, die seit 1979 nur noch zweijährlich erscheinen. Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr. 124/2003 zur Anwendung des § 20 Abs. 4 S. 2 GWB (Angebot unter Einstandspreisen). Bundeskartellamt, Merkblatt zur deutschen Fusionskontrolle, Bonn 2005. Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr. 38/2006 über die Festsetzung von Geldbußen nach § 81 Abs. 4 S. 2 GWB gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen vom 15. September 2006 (Bußgeldleitlinien). Bundeskartellamt, Merkblatt über Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, Bonn 2007. Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr. 18/2007 über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung (Bagatellbekanntmachung), in: WuW 57 (2007), S. 369 f. Bundeskartellamt, Informationen und Beschlüsse im Internet unter: http://www.bundeskartellamt.de

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

4.

235

Gutachten der Monopolkommission

Monopolkommission, 18. Hauptgutachten 2008/2010: Mehr Wettbewerb, weniger Ausnahmen, Baden-Baden 2010, mit Angabe der früheren Hauptgutachten. Sondergutachten (SG): – Anwendung und Möglichkeiten der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle, SG 1, Baden-Baden 1975. – Wettbewerbliche und strukturelle Aspekte einer Zusammenfassung von Unternehmen im Energiebereich (Veba-Gelsenberg), SG 2, Baden-Baden 1975. – Zusammenschlussvorhaben der Kaiser Aluminium & Chemical Corporation, der Preussag AG und der Vereinigte Industrieunternehmungen AG, SG 3, Baden-Baden 1975. – Zusammenschluss der Deutschen Babcock AG mit der Artos Gruppe, SG 4, Baden-Baden 1977 (Sammelband 4 bis 6). – Zur Entwicklung der Fusionskontrolle, SG 5, Baden-Baden 1977 (Sammelband 4 bis 6). – Zusammenschluss der Thyssen Industrie AG mit der Hüller Hille GmbH, SG 6, BadenBaden 1977 (Sammelband 4 bis 6). – Mißbräuche der Nachfragemacht und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, SG 7, Baden-Baden 1977. – Zusammenschlußvorhaben der Deutschen BP AG und der VEBA AG, SG 8, BadenBaden 1979. – Die Rolle der Deutschen Bundespost im Fernmeldewesen, SG 9, Baden-Baden 1981. – Wettbewerbsprobleme bei der Einführung von privatem Hörfunk und Fernsehen, SG 11, Baden-Baden 1981. – Zusammenschluss der IHB Holding AG mit der WIBAU AG und Zusammenschlußvorhaben der Burda Verwaltungs KG mit der Axel Springer GmbH/Axel Springer Gesellschaft für Publizistik GmbH & Co., SG 10 und 12, Baden-Baden 1982. – Zur Neuordnung der Stahlindustrie, SG 13, Baden-Baden 1983. – Die Konzentration im Lebensmittelhandel, SG 14, Baden-Baden 1985. – Zusammenschluss der Klöckner Werke AG mit der Seitz Enzinger Noll Maschinenbau AG. Zusammenschluss der Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen AG mit der Société Nouvelle Sidéchar S.A. (Ruhrkohle AG), SG 15 und 16, Baden-Baden 1986. – Konzeption einer Europäischen Fusionskontrolle, SG 17, Baden-Baden 1989. – Zusammenschlußvorhaben der Daimler-Benz AG mit der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH, SG 18, Baden-Baden 1989. – Zusammenschlußvorhaben der MAN Aktiengesellschaft und der Gebrüder Sulzer Aktiengesellschaft, SG 19, Baden-Baden 1990. – Zur Neuordnung der Telekommunikation, SG 20, Baden-Baden 1991. – Die Missbrauchsaufsicht über Gas- und Fernwärmeunternehmen: Wettbewerb zwischen Systemen im Wärmemarkt, SG 21, Baden-Baden 1991. – Zusammenschlußvorhaben der BayWa AG und der WLZ Raiffeisen AG, SG 22, BadenBaden 1992.

236

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

– Marktstruktur und Wettbewerb im Handel, SG 23, Baden-Baden 1994. – Die Telekommunikation im Wettbewerb, SG 24, Baden-Baden 1996. − Zusammenschlußvorhaben der Potash Corporation of Saskatchewan Inc. und der Kali und Salz Beteiligungs Aktiengesellschaft, SG 25, Baden-Baden 1997.

− Ordnungspolitische Leitlinien für ein funktionsfähiges Finanzsystem, SG 26, BadenBaden 1998. − Systemwettbewerb, Sondergutachten 27, Baden-Baden 1998. − Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? Zum Weißbuch der Kommission vom 28. April 1999, SG 28, Baden-Baden 1999. − Wettbewerb auf Telekommunikations- und Postmärkten?, Sondergutachten 29, BadenBaden 2000. − Wettbewerb als Leitbild für die Hochschulpolitik, SG 30, Baden-Baden 2000. − Reform der Handwerksordnung, SG 31, Baden-Baden 2002. − Folgeprobleme der europäischen Kartellverfahrensreform, SG 32, Baden-Baden 2002. − Wettbewerbsentwicklung bei Telekommunikation und Post 2001: Unsicherheit und Stillstand, SG 33, Baden-Baden 2002. − Zusammenschlussvorhaben der E.ON AG mit der Gelsenberg AG und der E.ON AG mit der Bergemann Gmbh, SG 34 und ergänzendes SG 35, Baden-Baden 2002. − Zusammenschlussvorhaben der Georg von Holtzbrinck GmbH & Co. KG mit der Berliner Verlag GmbH & Co. KG, SG 36, Baden-Baden 2003. − Wettbewerbsfragen der Kreislauf- und Abfallwirtschaft, SG 37, Baden-Baden 2003. − Zusammenschlussvorhaben der Georg von Holzbrinck GmbH & Co. KG mit der Berliner Verlag GmbH & Co. KG, Ergänzendes SG 38, Baden-Baden 2003. − Telekommunikation und Post 2003:Wettbewerbsintensivierung in der Telekommunikation – Zementierung des Postmonopols, SG 39, Baden-Baden 2004. − Zur Reform des Telekommunikationsgesetzes, SG 40, Baden-Baden 2004. − Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle und Die Pressefusionskontrolle in der Siebten GWB-Novelle, SG 41 und 42, Baden-Baden 2004. − Wettbewerbsentwicklung bei der Telekommunikation 2005: Dynamik unter neuen Rahmenbedingungen, SG 43, Baden-Baden 2006. − Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2005: Beharren auf alten Privilegien, SG 44, Baden-Baden 2006. − Zusammenschlussvorhaben der Rhön-Klinikum AG mit dem Landkreis Rhön-Grabfeld, SG 45, Baden-Baden 2006. − Die Privatisierung der Deutschen BahnAG und Wettbewerbs- und Regulierungsversuche im Eisenbahnverkehr, SG 46 und 48, Baden-Baden 2007. − Preiskontrollen in Energiewirtschaftt und Handel? Zur Novellierung des GWB, SG 47, Baden-Baden 2007. − Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, SG 49, BadenBaden 2008. − Wettbewerbsentwicklung bei der Telekommunikation 2007: Wendepunkt der Regulierung, SG 50, Baden-Baden 2008. − Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2007: Monopolkampf mit allen Mitteln, SG 51, Baden-Baden 2008. − Zusammenschlussvorhaben der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH mit der Krankenhaus Mariahilf gGmbH und Zusammenschlussvorhaben des Universitätsklinikums

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

− − − − − − −

5.

237

Greifswald mit der Kreiskrankenhaus Wolgast gGmbH, SG 52 und 53, Baden-Baden 2008. Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, SG 54, Baden-Baden 2009. Bahn 2009: Wettbewerb erfordert Weichenstellung, SG 55, Baden-Baden 2010. Telekommunikation 2009: Klaren Wettbewerbskurs halten, SG 56, Baden-Baden 2010. Post 2009: Auf Wettbewerbskurs gehen, SG 57, Baden-Baden 2010. Gestaltungsoptionen und Leistungsgrenzen einer kartellrechtlichen Entflechtung, SG 58, Baden-Baden 2010. Energie 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, SG 59, Baden-Baden 2011. Bahn 2011: Wettbewerbspolitik unter Zugzwang, SG 60, Baden-Baden 2011.

Gesetzentwürfe und Begründungen

Eckpunkte einer 8. GWB-Novelle, in: Wirtschaft und Wettbewerb 61 (2011), S. 853 ff. Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr. II/1158 u. II/3644. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr. IV/2564 und IV/3533. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr. VI/2520 und 7/765. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr. 7/2954 und 7/4768. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr 8/2136 und 8/3690. Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr 11/4610 und 11/5949. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr 13/9720 und 13/10 633. Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BRDr 15/3640, 15/5049 und 15/5735. Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BRDr (im Erscheinen).

6.

Weitere amtliche Publikationen

Bericht der Bundesregierung über die Ausnahmebereiche des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), in: BTDr. 7/3206. Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit der Fusionskontrolle bei Presseunternehmen, in: BTDr. 8/2265. BMWi, Erfahrungsbericht über Ministererlaubnis-Verfahren bei Firmen-Fusionen, in: Wirtschaft und Wettbewerb Jg. 36 (1986), S. 788 ff., und Jg. 42 (1992), S. 925 ff.

238

8. Kapitel: Das deutsche Wettbewerbsrecht

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium als Anlage zu: Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr. IV/617, S. 88 ff. Wettbewerbspolitisches Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Wirtschaft vom 6.12.1986, in: Wirtschaft und Wettbewerb Jg. 37 (1987), S. 287 ff. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft: Anpassung des deutschen Kartellgesetzes an das europäische Recht?, abgedruckt in: Wirtschaft und Wettbewerb 46 (1996), S. 812 ff.

7.

Weitere Informationen und Fundstellen

Entscheidungssammlung zum Kartellrecht in der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb (WuW/E), aufgeteilt in: WuW/E BKartA Entscheidungen des Bundeskartellamtes WuW/E LKartB Entscheidungen der Landeskartellbehörden WuW/E BWM Entscheidungen des Bundesministers für Wirtschaft WuW/E AG/LG Entscheidungen der Amts- und Landgerichte WuW/E OLG Entscheidungen der Oberlandesgerichte WuW/E BGH Entscheidungen des Bundesgerichtshofs WuW/E VG Entscheidungen verschiedener Gerichte Seit dem 1. Januar 1998 ist die WuW/Entscheidungssammlung neu gegliedert und auf fünf bzw. sechs Rubriken reduziert worden: WuW/E DE-R Deutschland – Rechtsprechung WuW/E DE-V Deutschland – Verwaltung WuW/E EU-R Europäische Union – Rechtsprechung WuW/E EU-V Europäische Union – Verwaltung WuW/E Verg Vergabeüberwachung – deutsche und europäische Rechtsprechung und Verwaltung WuW/E KRInt – internationales Kartellrecht Entscheidungen und Pressemeldungen des BGH im Internet unter: www.bundesgerichtshof.de Entscheidungen und Pressemeldungen des OLG Düsseldorf unter: www.olg-duesseldorf.nrw.de/suchen/index.htm Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (ZWR), Band 1 (2000) ff.

9. Kapitel:

Überblick über das europäische Wettbewerbsrecht

Die deutsche Wettbewerbsordnung wird zunehmend durch das europäische Recht bestimmt; neben das deutsche Wettbewerbsrecht sind durch die Art. 60, 65 und 66 EGKS-Vertrag vom 18.4. 1951 sowie die Art. 85 und 86 EWG-Vertrag (EGV) vom 25.3. 1957 und die Europäische FusionskontrollVO vom 21.12.1989 Regelungen auf europäischer Ebene getreten, die das deutsche Recht überlagern.439

I.

Entstehungsgeschichte und Ziele

Aus dem sog. Schuman-Plan und der Idee einer europäischen Föderation entwickelte sich der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion-Vertrag), den die Länder Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande 1951 unterzeichneten und der 1952 in Kraft trat. Hauptziel des Vertrages war es, einen „Gemeinsamen Markt“ für diese Produkte zu schaffen, indem diskriminierende oder beschränkende Praktiken beseitigt werden sollten. Der EGKSVertrag ist nach 50 Jahren am 23. Juli 2002 ausgelaufen, so dass nunmehr auch die Sektoren Kohle und Stahl voll den Vorschriften des EG-Vertrages unterliegen. Erst sechs Jahre später, am 25.3.1957, wurden durch die Römischen Verträge die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) gegründet. Der Euratom-Vertrag betrifft lediglich die Förderung der Kernenergiewirtschaft, während der EWG-Vertrag mit seinen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften vor allem das Ziel verfolgt, einen Gemeinsamen Markt für alle Waren und Leistungen zu errichten und die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten schrittweise einander anzunähern (vgl. Art. 2 ff. AEUV). Die Wettbewerbsregeln der Artikel 101–106 AEUV sollen den zwischenstaatlichen Handel vor Beschränkungen und Behinderungen mittels eines Kartell- und Machtmissbrauchsverbotes schützen. Durch Beseitigung der Handelsschranken und Öffnung der nationalen Märkte sollen die Mitgliedstaaten indirekt zum Wettbewerb gezwungen werden; d.h., im Ergebnis führt die Rechtsprechung zu einem durch Wettbewerb gesteuerten Wirtschaftssystem, ohne dass der EuGH sich expressis verbis zu einer solchen Wirtschaftsordnung bekannt hat. Allerdings ist gem. dem Maastrichter Abkommen vom 7.2.1992 das in Art. 3 lit. g EGV verankerte System unverfälschten Wettbewerbs durch eine neue lit. l modifiziert worden, welche „die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft“ und damit 439

Vgl. Schmidt, Ingo, und André Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle: Eine Einführung, 2. Aufl., München 2006, und Koenig, Christian, und Kristina Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, Tübingen 2010.

240

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

industriepolitische Zielsetzungen verfolgt. Damit ist die Gefahr einer gemischten Wirtschaftsordnung à la française nicht auszuschließen. Der Vertrag von Amsterdam vom 30.9.1998 und der Lissabon Vertrag vom 1.12.2009 beinhalten eine Umparagraphierung des EG Vertrages dergestalt, dass aus den Art. 85 und 86 die Art. 81 und 82 EGV bzw. 101 und 102 AEUV wurden; eine materiell-rechtliche Änderung war damit jedoch nicht verbunden. Nachdem 1965 weitere Organe der drei Gemeinschaften zusammengefasst worden waren, sprach man von den Europäischen Gemeinschaften (EG). Die Bedeutung der EG verstärkte sich 1972 durch den Beitritt Dänemarks, Großbritanniens und Irlands; 1981 erfolgte der Beitritt Griechenlands, 1986 traten Portugal und Spanien der EG bei. Zum 1. Januar 1995 sind Finnland, Schweden und Österreich beigetreten, am 1. Mai 2004 zehn weitere Staaten: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Zuletzt am 1. Januar 2007 Bulgarien und Rumänien. Damit ist aus der Sechser- eine Siebenundzwanzigergemeinschaft geworden. Die Artikel 101 und 102 AEUV schützen den Wettbewerb vor Beschränkungen, wenn der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt wird. Diese sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel dient dazu, den sachlichen Anwendungsbereich des Europäischen Wettbewerbsrechts von dem des nationalen Wettbewerbsrechts abzugrenzen. Der EuGH stellt in st. Rspr. darauf ab, ob die Maßnahme unmittelbar oder auch nur mittelbar, tatsächlich oder auch nur potentiell geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten in einer Weise spürbar440 zu beeinträchtigen, die für die Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes nachteilig ist, indem Handelsschranken errichtet oder verfestigt und die gewollte gegenseitige Durchdringung der Märkte erschwert werden. Mit zunehmender Integration sind Auswirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen auf den zwischenstaatlichen Handel immer wahrscheinlicher. Ging man früher davon aus, dass das nationale und europäische Wettbewerbsrecht gleichberechtigt zur Anwendung kommen sollten (Zweischrankentheorie), so sind mittlerweile gem. Art. 3 II VO Nr. 1/03 die nationalen Kartellbehörden zur Anwendung des europäischen Rechts in allen Fällen verpflichtet, in denen der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt wird. Das gilt auch dann, wenn zwar der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt wird, der Wettbewerb jedoch nicht spürbar beschränkt wird. Damit ist der Vorrang des europäischen vor dem nationalen Recht deutlich ausgedehnt worden. Im Hinblick auf die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen i.S. des Art. 102 AEUV bleiben weitergehende nationale Vorschriften (z.B. die §§ 19/20 GWB) anwendbar. Im April 1999 hat die Europäische Kommission (EK) ein Weißbuch zur Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts441 veröffentlicht und die Notwendigkeit einer Reform mit der Flut von Anmeldungen wettbewerbsbeschränkender Absprachen i.S. des Art. 101 I AEUV begründet, die durch die ausschließliche Zuständigkeit der EK und die steigende Zahl der EU-Mitglieder (von ursprünglich sechs auf mittlerweile 27) hervorgerufen worden sei.442

440

441 442

Die Spürbarkeit ist zu verneinen, wenn der aggregierte Marktanteil 5 bzw. 10 % und der Umsatz 40 Mio. EUR nicht überschreiten. Vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrages, in: ABl 2004 Nr. C 101, S. 81 ff. Vgl. Europäische Kommission, Weißbuch zur Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts, in: ABl 1999 C Nr. 132, S. 1 ff. Vgl. dazu die Kritik von Emmerich, Volker, in: WuW 51 (2001), S. 3.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

241

Am 16. Dezember 2002 hat die EK daher eine NachfolgeVO Nr. 1/03 zur alten VO Nr. 17/62 erlassen, die durch folgende Schwerpunkte charakterisiert ist:







II.

Abschaffung der Anmeldepflicht für wettbewerbsbeschränkende Absprachen i.S. des Art. 101 AEUV und damit des obligatorischen Verwaltungsverfahrens zur Erlangung einer Freistellung; d.h., die ex ante-Kontrolle wird gem. Art. 1 II VO Nr. 1/03 durch eine Legalausnahme für Freistellungen i.S. des Art. 101 III EGV und damit eine ex postKontrolle ersetzt (Problem der Rechtssicherheit bei Selbsteinschätzung der Unternehmen, dem durch Leitlinien begegnet werden soll – s. u . II. 1. b: Kooperation). Allerdings kann die EK im Interesse einer Konkretisierung der Legalausnahme gem. Art. 29 I VO Nr. 1/03 GruppenfreistellungsVOs (GVOs) erlassen, welche die Rechtssicherheit der Unternehmen graduell erhöhen; jedoch bleibt es bei der Selbsteinschätzung der Unternehmen und den damit verbundenen Problemen im Hinblick auf zivilrechtliche Wirksamkeit und Schutz vor Bußgeldverfahren. Abschaffung des Monopols der EK für Freistellungen nach Art. 101 III AEUV und Dezentralisierung gemäß dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 VO Nr. 1/03), ohne dass eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten vorgesehen ist (Problem der Kohärenz der Entscheidungen der nationalen Kartellbehörden und Gerichte). Dem soll durch eine Zusammenarbeit der EK und der nationalen Kartellbehörden im Rahmen des European Competition Network begegnet werden.443

Der more economic approach

Die neue Wettbewerbspolitik ist durch GVOs über Spezialisierung, F & E und Technologie-Vereinbarungen sowie insbesondere sog. Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale und vertikale Zusammenarbeit konkretisiert worden (s.u. III 1 b: Kooperation). Im Rahmen dieser neuen Wettbewerbspolitik sollen wirtschaftswissenschaftliche Theorien und Methoden eine größere Rolle spielen.444 Der sog. more economic approach begegnet allerdings sowohl ökonomisch-theoretischen als auch juristischen Bedenken im Hinblick auf Einzelfallgerechtigkeit, Zweckmäßigkeit (Operationalität der Kriterien bzw. Justitiabilität) und Rechtssicherheit für die Unternehmen:445 443 444

445

Vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, in: ABl 2004 Nr. C 101, S. 43 ff. Möschel, Wernhard, Europäische Fusionskontrolle, in: ZHR 172 (2008), S. 716 ff., 721, kritisiert zu Recht die Anwendung ökonomischer Theorien, die „sämtlich auf dem Paradigma der vollständigen Konkurrenz“ beruhen. Er sieht den Grund für die Verwendung dieses seit 50 Jahren überholten Leitbildes darin, „dass man andernfalls in der Ökonomie nicht mehr rechnen könnte, jedenfalls nicht exakt“. Die verwendeten Modelle würden die Wirklichkeit nicht hinreichend exakt widerspiegeln, da sie von den dynamischen Aspekten, den Reaktionen von Mitbewerbern und Abnehmern sowie Marktzutritten abstrahieren. So auch Monopolkommission, Hauptgutachten 2002/2003: Wettbewerbspolitik im Schatten „Nationaler Champions“, Baden-Baden 2005, Zi. 91*. Vgl. die Kritik am more economic approach von Böge, Ulf, Der „more economic approach“ und die deutsche Wettbewerbspolitik, in: WuW 54 (2004), S. 726 ff., und in: Monopolkommission, Zukunftsperspektiven der Wettbewerbspolitik – Colloquium anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Monopolkommission am 5. November 2004 in der Humboldt Universität zu Berlin, Baden-Baden 2005, S. 92. Vgl. auch Ewald, Christian, Paradigmenwechsel bei der Abgrenzung relevanter Märkte?, in: ZWeR 2 (2004), S. 512 ff., der einen more economic approach i.S. von „umfassenden empirisch-quantitativen Testverfahren“ bei der Marktabgrenzung ablehnt; Christiansen, Arndt, Die „Ökonomisierung“ der EG-Fusionskontrolle: Mehr

242

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

(1) Die von der EK beabsichtigte generelle Berücksichtigung von möglichen Steigerungen der Effizienz oder gar der Produktion von Innovationen [sog. Innovation Market- Analysis(IMA-) Test] bei Fusionen verlagert den Schutzzweck der Wettbewerbspolitik von der Aufrechterhaltung und Sicherung wirksamen Wettbewerbs im Zeitablauf, der langfristig automatisch Effizienzsteigerungen sicherstellt, zu einer kurzfristigen (einmaligen) Effizienzsteigerung durch Fusionen. Die im Hinblick auf den Schutzzweck allein adäquate dynamische Analyse wird dabei durch eine überholte komparativ-statische Betrachtung ersetzt (dynamische vs. statische Effizienz). In dynamischer Sicht werden mögliche Prozessinnovationen mangels Wettbewerbsdruckes nicht nur nicht realisiert, sondern es besteht darüber hinaus die Gefahr von X-Ineffizienzen i.S. von Leibenstein. Zudem können Produktinnovationen mangels Wettbewerbsdruckes unterbleiben. Daher kann dynamische Effizienz i d.R. nur durch die Aufrechterhaltung und Sicherung wirksamen Wettbewerbs bewirkt werden. (2) Im Rahmen des more economic approach soll in jedem Einzelfall eine umfassende ökonomische Analyse unter Einbeziehung möglichst aller Einflussgrößen erfolgen. Die bei einer Analyse der einzelnen Strukturfaktoren verbleibenden Unsicherheiten werden dabei kumuliert, so dass ein wirksamer Wettbewerbsschutz gefährdet ist (Motto der Gerichte: in dubio pro libertate des Marktbeherrschers). (3) Wie auch in vielen anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik (z.B. der Steuer- oder Sozialpolitik) besteht ein Zielkonflikt zwischen der an sich wünschenswerten Einzelfallgerechtigkeit und der Operationalität der Kriterien im Hinblick auf einen wirksamen Wettbewerbsschutz. Dabei muss im Interesse einer wirksamen Durchsetzung des Gesetzes die Verletzung der Einzelfallgerechtigkeit durch Nicht-Berücksichtigung aller Faktoren und Einzelumstände in Kauf genommen werden. Ein derartiger – unvermeidbarer – Zielkonflikt zwischen Einzelfallgerechtigkeit i.S. einer alle Faktoren umfassenden Analyse und Justitiabilität i.S. eines wirksamen Wettbewerbsschutzes bedarf allerdings der Optimierung; denn eine umfassende ökonomische Analyse würde zwar Fehler 1. Ordnung (d.i. das Verbot volkswirtschaftlich wünschenswerter Fusionen) vermeiden, jedoch zu Fehlern 2. Ordnung (d.i. die Nicht-Untersagung wettbewerbsschädlicher Fusionen) und damit einer Gefährdung des Wettbewerbs als erklärtem SchutzKosten als Nutzen?, in WuW 55 (2005), S. 285 ff., und Der „More Economic Approach“ in der EUFusionskontrolle: Entwicklung, konzeptionelle Grundlagen und kritische Analyse, Frankfurt am Main u.a. 2010; Behrens, Peter, Ökonomische Effizienz im Kontext des Wettbewerbsrechts der EG, in: Europäisches Wettbewerbsrecht nach der Reform, hrsg. von Behrens, Braun und Nowak, Baden-Baden 2006, S. 13 ff.; Immenga, Ulrich, Ökonomie und Recht in der europäischen Wettbewerbspolitik, in: ZWeR 4 (2006), S. 346 ff.; Schmidt, Ingo, More economic approach: Ein wettbewerbspolitischer Fortschritt?, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold zum 65. Geburtstag, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S.409 ff.; ders., The Suitability of the More Economic Approach for Competition Policy: Dynamic v. Static Efficiency, in: European Competition Law Review 2007, S. 408 ff. ; ders., More economic Approach: Der performance-Test als “invitation to nonenforcemant”, in: Quo vadis Wirtschaftspolitik? Festschrift für Norbert Eickhof, hrsg. von Grusevaja, Marina, Christoph Wonke, Ulrike Hösel und Malcolm H. Dunn, Frankfurt am Main et al. 2008, S. 65 ff., sowie Zäch, Roger, und Adrian Künzler, Traditionelle europäische Wettbewerbspolitik versus „more economic approach“, in: Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2007/2008, S. 285 ff. Pro more economic approach dagegen u.a. Röller, Lars-Hendrick, in: Monopolkommission, op. cit., S. 37 ff., und Schmidtchen, Dieter, Der „more economic approach“ in der Wettbewerbspolitik, in: WuW 56 (2006), S. 6 ff. Als Sammelband mit verschiedenen – unterschiedliche Positionen vertretenden – Beiträgen, The More Economic Approach to European Competition Law, hrsg. von Schmidtchen, Dieter, Max Albert und Stefan Voigt, Tübingen 2007.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

243

zweck führen, da eine Untersagung bei geringer werdender Justitiabilität unwahrscheinlich wird. (4) Zudem wird angesichts der zunehmenden Unsicherheiten bei der Entscheidungsfindung die Rechtssicherheit für die Unternehmen im Hinblick auf die zivilrechtliche Wirksamkeit und Bußgeldtatbestände beeinträchtigt. (5) Die Monopolkommission befürchtet zudem über die praktischen Probleme der Rechtsanwendung hinaus, dass „die offene und teilweise missverständliche Formulierung des SIEC-Tests zum Einfallstor für industriepolitisch motivierte Erwägungen“ wird. (6) Die EK will bei der Kontrolle horizontaler bzw. nicht-horizontaler Fusionen446 in jedem Einzelfall von Amts wegen die Verbesserung der Effizienz überprüfen. In der Ende 2008 veröffentlichten Anleitung der EK zur Erfassung der häufigsten Behinderungsmissbräuche i.S. des Art. 102 AEUV will diese – in Anlehnung an die horizontalen und vertikalen Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV – ebenfalls eine stärkere ökonomische Ausrichtung vornehmen, wobei analog zu Art. 101 III AEUV eine Abwägung zwischen der wettbewerblichen Verdrängungswirkung und den realisierten Effizienzvorteilen vorgenommen werden soll. Die Effizienzvorteile sollen auch den Verbrauchern zugute kommen, was wirksamen Wettbewerbsdruck voraussetzt, an dem es allerdings bei Marktbeherrschung fehlt (!).447 Im Falle der Art. 101 und 102 AEUV liegt die Beweislast für die Effizienzeinrede – anders als bei der Fusionskontrolle – allerdings bei den beteiligten Unternehmen. Der EuGH hat im Falle British Airways448 auch bei der Missbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV eine Effizienzeinrede zugelassen: Danach „ist zu ermitteln, ob die für den Wettbewerb nachteilige Verdrängungswirkung einer solchen Regelung durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden kann, die auch dem Verbraucher zu Gute kommen.“ (7) Das vorgesehene Verfahren lässt sich als zweistufig charakterisieren, d.h., zuerst wird das Vorliegen einer Wettbewerbsbeeinträchtigung i.S. der Art. 101 oder 102 AEUV bzw. 2 FKVO geprüft, danach die Frage einer Verbesserung der Effizienz (vgl. die entsprechend aufgebaute deutsche Fusionskontrolle in den §§ 36 und – ausnahmsweise – 42 GWB). Die EK geht dabei davon aus, dass die Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen nicht eo ipso zu einer guten performance führt. 446

447

448

Vgl. Europäische Kommission, Leitlinien für die Beurteilung horizontaler (bzw. nicht-horizontaler) Fusionen, in: ABl 2004 C Nr. 31, S. 5 ff., Zi. 76 ff., und ABl 2008 C Nr. 265, S. 6 ff., Zi. 21, sowie dazu die Kritik von Schwalbe, Ulrich, Die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen in der Fusionskontrolle – Ökonomische Aspekte, in: Effizienz und Wettbewerb, Schriften des Vereins für Socialpolitik NF Bd. 306 (2005), hrsg. von Peter Oberender, S. 63 ff., 83 f. und 87, und Schmidt, Ingo, Fusionskontrolle – Effizienz durch Wettbewerb oder Konzentration, in: WuW 54 (2004), S. 359. Vgl. European Commission, Guidance on the Commission’s Enforcement Priorities in Applying Article 82 EC Treaty to Abusive Exclusionary Conduct by Dominant Undertakings, in: ABl 2009 C Nr. 45, S. 7 ff., und Leitlinien über horizontale und vertikale Zusammenarbeit, in: ABl 2001 C Nr. 3, S. 2 ff. und 2000 C Nr. 291, S. 1 ff. Dazu Albers, M., Kommentar: „More economic approach“ bei der Anwendung von Art. 82 EGV, in: WuW 56 (2006), S. 3; Wirtz, Markus M., und Silke Möller, Das Diskussionspapier der Kommission zur Anwendung von Art. 82 EG auf Behinderungsmissbräuche, in: WuW 56 (2006), S. 226 ff.; Dreher, Meinrad, und Michael Adam, The more economic approach to Art. 82 EC an Theo legal Profess, in: ZWeR 4 (2006), S. 259 ff.; Schmidt, André, und Stefan Voigt, Der „more economic approach“ in der Missbrauchsaufsicht – Eine kritische Anmerkung zu den Vorschlägen der Generaldirektion Wettbewerb, in: WuW 56 (2006), S. 1.097 ff., und Schwalbe, Ulrich, Der „more economic approach“ in der Mißbrauchsaufsicht, in: Schwerpunkte des Kartellrechts, FIW Schriftenreihe H. 216, Köln/München 2008, S. 67 ff., der sich für „ökonomisch fundierte per seRegeln“ ausspricht. British Airways, in: Slg. 2007-I, S. 2331 ff., Zi. 87, und in: WuW/E EU-R, S. 1259 ff.

244

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

(8) Grundsätzlich macht der more economic approach daher nur Sinn bei der Konzipierung der Wettbewerbspolitik, nicht dagegen im Einzelfall. Den angestrebten Vorteilen aufgrund einer ökonomisch fundierteren Entscheidung stehen zusätzliche Kosten aufgrund der größeren Rechtsunsicherheit, der höheren Verfahrenskosten sowie der Gefahr von Wohlfahrtsverlusten infolge der leichteren Durchsetzung von Partikularinteressen im Rahmen einer rule of reason (Lobby-Problem) gegenüber.449 Performance-Normen sind für die Wettbewerbspolitik ungeeignet, wie die jahrzehntelangen Erfahrungen mit der ex postMissbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und die ex ante-Kontrolle im Rahmen der Regulierung dokumentieren.

III. Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften des EG-Vertrages 1.

Erfassung der Verhandlungsstrategie i.S. von Art. 101 AEUV

a) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen Gemäß Art. 101 AEUV sind horizontale und vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine (spürbare)Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Diese sec. 1 Sherman Act vergleichbare Generalklausel ist durch zahlreiche Beispiele in Art. 101 Abs. 1 lit. a-e AEUV konkretisiert worden; so sind insbesondere die mittelbare oder unmittelbare Festsetzung von An- oder Verkaufspreisen oder sonstiger Geschäftsbedingungen, die Einschränkung von Erzeugung, Absatz, technischer Entwicklung oder Investitionen, Gebietsabsprachen, kollektive Diskriminierungen und Kopplungsverträge verboten. Das generelle Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist mittlerweile durch eine Fülle von Entscheidungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofes konkretisiert worden, die sich in drei Fallgruppen systematisieren lassen:450



Verboten sind horizontale Absprachen, insbesondere alle privaten nationalen Marktordnungen bzw. Marktregelungen, die mittels der verschiedensten rechtlichen Instrumente den eindeutigen Zweck verfolgen, die Trennung in nationale Märkte aufrechtzuerhalten und damit die Schaffung eines größeren Gemeinsamen Marktes zu verhindern.451 Darunter fallen auch internationale identifizierende Marktinformationsverfahren (open price systems), die als eine Verfälschung des Wettbewerbs durch Ausschaltung der für den Wettbewerb typischen Risiken (Geheimwettbewerb) zugunsten einer faktischen Kooperation452 angesehen werden (hard core restrictions).

449

So auch Schmidt und Voigt, op. cit., S. 46 f. Vgl. dazu Emmerich, Volker, Kartellrecht, 11. Aufl., München 2008, §§ 5–6. Vgl. Pioneer HiFi-Geräte, in: WuW/E EWG/MUV 617 ff., wo es um die abgestimmte Verhinderung von Paralleleinfuhren ging, sowie Pronuptia, in: WuW/E EWG/MUV 693 ff., wo die Aufteilung von Märkten durch Vertriebsfranchising als Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV angesehen wurde. Im Fall Landwirtschaftliche Zugmaschinen, in: WuW/E EU-R 75 ff., 78, hat der EuGH die Beeinträchtigung des Wettbewerbs i.S. des Art. 81 EGV darin gesehen, „dass das Informationsaustauschsystem die Ungewissheit über das Marktgeschehen verringere oder beseitige“.

450 451

452

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

245



Verboten sind ferner vertikale Absprachen, insbesondere die Festlegung von Verkaufspreisen oder Handelsspannen, Ausschließlichkeitsbindungen oder Export- bzw. Reimportverbote in Geschäftsbedingungen, Lieferverträgen oder Wettbewerbsregeln, die den Zweck verfolgen, die ausländischen Abnehmer oder die Exporteure selbst vor Parallelimporten und damit vor Wettbewerb zu schützen, da damit die von den Europäischen Verträgen gewollte Durchdringung der nationalen Märkte verhindert wird.453 • Die Ausübung gewerblicher Schutzrechte (Patente, Know-how, Warenzeichen) und Urheberrechte sind insoweit verboten, als der zwischenstaatliche Handel durch Wettbewerbsbeschränkungen spürbar beeinträchtigt wird. Der EuGH hat dabei zwischen dem bloßen Bestand gewerblicher Schutzrechte und ihrer Benutzung zu wettbewerbsbeschränkenden Zwecken unterschieden.454 Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen über gewerbliche Schutzrechte unterliegen daher grundsätzlich dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, sind jedoch im Einzelfall freistellbar, wenn sie nicht dem Schutzzweck der Wettbewerbsregeln zuwiderlaufen: die einzelnen Märkte im Interesse der Integration zu einem Gemeinsamen Markt offenzuhalten. Die genannten Fallgruppen verdeutlichen die überragende Bedeutung der sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel, wonach es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes lediglich darauf ankommt, ob eine Maßnahme unmittelbar oder mittelbar dazu geeignet ist, die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes durch Errichtung von Handelsschranken und damit die vom Vertrag gewollte gegenseitige Durchdringung der nationalen Märkte zu behindern. b) Kooperation455 Das relativ umfassende Verbotsprinzip des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist in Art. 101 Abs. 3 AEUV eingeschränkt worden. Die Europäische Kommission (EK) kann danach das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf bestimmte Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen für nicht anwendbar erklären, und zwar ausnahmsweise von Amts wegen nicht nur gem. Art. 10 VO Nr. 1/03 im Einzelfall, sondern auch gem. Art. 29 der VO Nr. 1/03 auf der Grundlage weiter geltender Ermächtigungs-VOs des Rates als sog. Gruppenfreistellung (GVO), die als typisierte Legalausnahme i.S. des Art. 101 III AEUV zu verstehen ist. Jede Nichtanwendung des Verbots des Art. 101 I AEUV setzt voraus, dass die vier Bedingungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV kumulativ erfüllt sind: (1) Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts (2) unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn, ohne dass den beteiligten Unternehmen (3) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind oder (4) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

453 454

455

Vgl. Miller International Schallplatten GmbH, in: WuW/E EWG/MUV 421 ff. Vgl. dazu die Fälle Grundig/Consten, in: WuW/E EWG/MUV 125 ff.; Sirena, in: WuW/E EWG/MUV 257 ff.; Deutsche Grammophon/Metro, in: WuW/E EWG/MUV 263 ff.; Hoffmann-La Roche/Centrafarm, in: WuW/E EWG/MUV 442 ff., und Maissaatgut, in: WuW/E EWG/MUV 551 ff. (st. Rspr.). Vgl. Emmerich, op. cit., §§ 5 II und 8.

246

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Im Interesse der Rechtssicherheit der Unternehmen und einer Reduktion des Subsumtionsrisikos hat die EK im Rahmen sog. Gruppenfreistellungs-Verordnungen die Kriterien des Art. 101 III AEUV konkretisiert und Typen von horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen – von denen sie glaubt, dass sie diese Freistellungsvoraussetzungen regelmäßig erfüllen – von der Anwendung des Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt:456





456

457

Die VO Nr. 330/2010 (zuvor Nr.2790/99) stellt vertikale Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vom Verbot des Art. 101 III AEUV frei und ersetzt die alten GruppenfreistellungsVOs über den Alleinvertrieb (VO Nr. 1983/83), den Alleinbezug (VO Nr. 1984/83) und das Franchising (VO Nr. 4087/88) durch eine einheitliche Regelung, die sektor- und branchenübergreifend gem. Art. 2 I VertikalVO für alle Waren und Dienstleistungen – mit Ausnahme des selektiven Vertriebs in der KfzBranche – gilt (sog. Schirmfreistellung).457 Die EK geht davon aus, dass vertikale Vereinbarungen die wirtschaftliche Effizienz innerhalb einer Produktions- oder Vertriebskette durch Verringerung der Transaktions- und Distributionskosten erhöhen, wenn die an der Absprache beteiligten Unternehmen dem Wettbewerb Dritter mit austauschbaren bzw. substituierbaren Gütern oder Dienstleistungen ausgesetzt sind. Dies wird im Allgemeinen vermutet, solange eine Marktanteilsschwelle von 30 % sowohl bei Anbietern als auch bei Nachfragern nicht überschritten wird (die allerdings von den an der Absprache beteiligten Unternehmen selbst bestimmt werden muss!). Gem. Art. 4 der VO gilt diese Vermutung allerdings nicht für die Festsetzung von Weiterverkaufspreisen oder bestimmte Arten des Gebietsschutzes (schwarze Klauseln), es sei denn, die an der Absprache beteiligten Unternehmen weisen nach, dass die Effizienzvorteile die negativen Effekte überwiegen. Die EK kann gem. Art. 6 der VO den Vorteil der Anwendung dieser VO entziehen, wenn der Wettbewerb durch die kumulativen Wirkungen nebeneinander bestehender vertikaler Netze konkurrierender Lieferanten oder Käufer in erheblichem Maße beschränkt wird. Der analytische Rahmen der Leitlinien für vertikale Kooperation in Gestalt von Liefer- und Bezugsvereinbarungen gibt die Bewertungsgrundlagen der EK bei der Beurteilung von Einzelfällen wieder. So werden nach einer Erörterung der Kriterien für die Berechnung des kritischen Marktanteils von 30 % und der positiven und negativen Wirkungen vertikaler Beschränkungen im letzten Abschnitt der Leitlinien typische Vertikalbeschränkungen (wie Alleinvertrieb, Kundenbeschränkung, selektiver Vertrieb, Franchising oder Kopplungsbindungen) behandelt. Die VO Nr. 461/2010 (zuvor VO Nr. 123/85, 1475/95 bzw. 1.400/2002) stellt Vertriebssysteme in der Kraftfahrzeugbranche vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV frei. Die neue – von der Automobilindustrie heftig bekämpfte – VO soll den Wettbewerb intensivieren und damit die europäischen Verbraucher an den Rationalisierungseffekten durch Im Interesse eines systematischen Überblicks über alle freigestellten Vertragstypen werden auch die vertikalen GruppenfreistellungsVOs dargestellt, obwohl diese Vertragstypen sonst im Rahmen der Behinderungsstrategie behandelt werden. Vgl. Fuchs, Andreas, Die Gruppenfreistellungsverordnung als Instrument der europäischen Wettbewerbspolitik im System der Legalausnahme, in: ZWeR 3 (2005), S. 1 ff. Vgl. die VO Nr. 330/2010 vom 20. April 2010 über die Anwendbarkeit von Art. 101 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, in: ABl 2010 L Nr. 102, S. 1 ff.; dazu die Leitlinien, in: ABl 2010 Nr. C 130, S.1 ff.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

247

konkrete Vorteile beim Kauf sowie bei der Reparatur und Wartung von KFZs stärker beteiligen.458 Sie ist durch folgende Punkte charakterisiert: (1) Die Hersteller können zwischen der Ausschließlichkeit (= exklusives Verkaufsgebiet, jedoch keine Beschränkung für den Weiterverkauf an andere Wiederverkäufer) und der Selektivität wählen (= Verbot des Verkaufs an unabhängige Wiederverkäufer, jedoch wird dem Händler kein besonderes Gebiet zugewiesen). (2) Die Händler können verschiedene Marken unter einem Dach anbieten. (3) Vertrieb und Service werden getrennt, d.h., der Zwang zu Vertrieb und Service in einer Hand entfällt. (4) Der Zwang der Hersteller, nur teure sog. Originalersatzteile zu verwenden, entfällt, d.h., die Händler können Ersatzteile auch direkt von den Zulieferern beziehen. Mit Wirkung zum 1.6.2013 gilt für den Neuwagenvertrieb nur noch die generelle VertikalGVO Nr. 330/2010; eine Sonderegelung erschien nicht mehr notwendig. Die Vertikal-GVO und die VO über Vertriebssysteme in der Kfz-Branche werden durch derzeit drei horizontale GVOs ergänzt:





458

459 460

Die VO Nr. 1218/2010 über Spezialisierungsvereinbarungen459 soll zugleich den Wettbewerb wirksam zu schützen und den Unternehmen angemessene Rechtssicherheit bieten. Dabei geht die EK davon aus, dass die Spezialisierung in der Produktion im Allgemeinen zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung beiträgt, da die Unternehmen durch Konzentration bei der Herstellung rationeller arbeiten und preisgünstiger anbieten können. Bei wirksamem Wettbewerb sei zu erwarten, dass die Verbraucher gemäß Art. 101 III AEUV am entstehenden Gewinn angemessen beteiligt werden (Zi. 3 und 10 der Erwägungsgründe zur VO). Gem. Art. 3 VO gilt daher die Freistellung von dem Verbot des Art. 101 I AEUV nur unter der Voraussetzung, dass die Summe der Marktanteile der beteiligten Unternehmen 20 % nicht überschreitet. Gem. Zi. 13 der Erwägungsgründe zur VO kann die Freistellung insbes. dann entzogen werden, wenn die Vereinbarung nicht mit Art. 101 III AEUV kompatibel ist [d.h., keine spürbaren Rationalisierungserfolge zeitigt, die Verbraucher daran nicht angemessen beteiligt werden oder die fraglichen Produkte nicht in wirksamem Wettbewerb stehen (was angesichts der Kollusionsgefahr eines engen Oligopols mit nur 5 Anbietern á 20 % Marktanteil nicht unwahrscheinlich ist!)]. Die neue VO kennt keine Liste sog. weißer (nicht wettbewerbsbeschränkender) Klauseln. Dagegen fallen gem. Art. 4 I VO hard core restrictions nicht unter die Freistellung (d.s. die Festsetzung von Preisen für dritte Abnehmer, die Beschränkung der Erzeugung oder des Absatzes und die Aufteilung von Märkten oder Abnehmern). Die VO Nr. 1217/2010 über F & E-Vereinbarungen460 geht davon aus, dass die Zusammenarbeit in F & E und/oder die gemeinsame Verwertung der entsprechenden Ergebnisse im Hinblick auf Produkte oder Verfahren i d.R. die Verbreitung von Know-how Vgl. Verordnung der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, in: ABl 2010 Nr. L 129, S. 52 ff. Vgl. die VO der Kommission vom 14.12.2010 über Spezialisierungsvereinbarungen, in: ABl 2010 L Nr. 335, S. 43 ff. Vgl. die VO der Kommission vom 14.12.2010 über Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen, in: ABl 2010 L Nr. 335, S. 36 ff.

248

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

verbessert und doppelte F & E-Arbeiten vermeiden hilft (Zi. 10 der Erwägungsgründe zur VO). Gem. Art. 4 I VO gilt die Freistellung von nicht-konkurrierenden Unternehmen für die Dauer der F & E-arbeiten; bei anschließender gemeinsamer Verwertung gilt die Freistellung für sieben Jahre seit dem ersten Tag des In-Verkehr-Bringens der Vertragsprodukte. Im Falle konkurrierender Unternehmen gilt die Freistellung gem. Art. 4 II VO für sieben Jahre nur, wenn die Marktanteile der beteiligten Unternehmen 25 % nicht überschreiten. Gem. Zi. 13 der Erwägungsgründe zur VO kann die Freistellung im Einzelfall entzogen werden, wenn sie Wirkungen zeitigt, die mit den Voraussetzungen des Art. 101 III AEUV nicht vereinbar sind. Auch diese neue VO kennt keine Liste sog. weißer (nicht wettbewerbsbeschränkender) Klauseln. Dagegen fallen gem. Art. 5 VO hard core restrictions (z.B. Festsetzung von Preisen für dritte Abnehmer, Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes oder die Aufteilung von Märkten oder Abnehmerkreisen) nicht unter die Freistellung. • Die VO Nr. 772/2004 über Technologietransfer-Vereinbarungen hat die VO Nr. 240/96 ersetzt.461 Durch die Freistellung von Gruppen von Vereinbarungen von dem Kartellverbot soll für wirksamen Wettbewerb gesorgt und zugleich den Unternehmen angemessener Rechtsschutz geboten werden, solange die Marktmacht der Beteiligten ein bestimmtes Maß nicht überschreitet und die Vereinbarungen bestimmte Beschränkungen oder Bestimmungen nicht enthalten (vgl. Zi. 4 der Erwägungsgründe). Art. 3 VO nennt für Technologietransfer-Vereinbarungen Marktanteilsschwellen von 20 % für konkurrierende und von 30 % für nicht-konkurrierende Unternehmen. Die Art. 4 und 5 VO nennen als nicht freigestellte Kernbeschränkungen z.B. Vereinbarungen über Preise, Output und die Aufteilung von Märkten oder Kunden. Gem. Art. 6 VO kann die EK den mit dieser VO verbundenen Rechtsvorteil im Einzelfall entziehen, wenn z.B. durch die kumulative Wirkung paralleler Netze der Zugang fremder Technologien zum Markt beschränkt wird. Die Europäische Kommission verwendet danach neuerdings vorwiegend folgende Kriterien für Gruppenfreistellungen:

• •

relativer Marktanteil, Liste sog. schwarzer (d.h. wettbewerbsbeschränkender) Klauseln, wie Absprachen über Preise, Output oder Aufteilung von Märkten und Abnehmern, und zeitliche Begrenzung der in Anspruch genommenen Wettbewerbsbeschränkung.

• Darüber hinaus sind in der Vergangenheit absolute Umsatzgrößen verwendet worden, um kleine und mittlere Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die drei derzeit geltenden Gruppenfreistellungen für horizontale Vereinbarungen in Gestalt von Spezialisierungsvereinbarungen, Kooperationsvereinbarungen im F & E-Bereich und Technologietransfer-Vereinbarungen werden seit dem 1. Januar 2001 durch sog. Leitlinien zur horizontalen Kooperation ergänzt, die zugleich den allgemeinen wettbewerbspolitischen Ansatz bei der Beurteilung der horizontalen Kooperation beschreiben. Sie behandeln allerdings nur diejenigen Formen der Kooperation, die möglicherweise zu Effizienzgewinnen 461

Vgl. die VO der Kommission vom 27.4.2004 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des EG-Vertrages auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, in: ABl 2004 L Nr. 123, S. 11 ff.; dazu Leitlinien, in: ABl 2004 C Nr. 101, S. 2 ff.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

249

führen, das sind Vereinbarungen über F & E, Produktion (inkl. Spezialisierung), Einkauf, Vermarktung und Normung sowie Informationsaustausch (Leitlinien Zi. 5).462 Nach dem analytischen Schema der Leitlinien für horizontale Kooperation sollen die an einer Absprache beteiligten Unternehmen im Wege der „Selbstveranlagung“ feststellen, ob ihre Absprache i.S. des Art. 101 I AEUV die Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 III AEUV erfüllt, womit sich für die Unternehmen die Frage der Rechtssicherheit im Hinblick auf Marktabgrenzung und Grad der Wettbewerbsbeschränkung stellt: Weder die zivilrechtliche (Un)Wirksamkeit der Vereinbarung noch ein drohendes Bußgeld sind – abgesehen von offensichtlichen hard core restrictions – absehbar. Zu den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Durchsetzung der Leitlinien s.u. IV. In der sog. Bagatellbekanntmachung vom 22.12.2001463 , die auch nach dem Erlass der Leitlinien für horizontale Zusammenarbeit bestehen bleibt, hat die EK versucht, das Merkmal der spürbaren Wettbewerbsbeschränkung zu quantifizieren. Danach verneint die EK die erforderliche Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung für Kartelle, wenn:



der von den an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen insgesamt gehaltene Marktanteil 10 % nicht überschreitet (Vereinbarung zwischen Wettbewerbern) oder • der von jedem der beteiligten Unternehmen gehaltene Marktanteil auf keinem der von der Vereinbarung betroffenen relevanten Märkte 15 % überschreitet (Vereinbarung zwischen Nicht-Wettbewerbern). Wird jedoch in einem relevanten Markt der Wettbewerb durch den kumulativen Marktabschottungseffekt nebeneinander bestehender Netze von Vereinbarungen beschränkt, so werden die Marktanteilsschwellen in beiden Fällen auf 5 % herabgesetzt. Die Bagatellbekanntmachung gilt nicht für sog. Kernbeschränkungen, wozu die Festsetzung von Wiederverkaufspreisen, die Beschränkung der Produktion oder des Absatzes sowie die Aufteilung von Märkten oder Kunden rechnen. Das ursprünglich strikte Verbotsprinzip des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist von der EK zwar mittels der GVOs, der Leitlinien für horizontale Kooperation und zuletzt der neuen VO Nr. 1/03 weitgehend in ein Missbrauchsprinzip umfunktioniert worden; jedoch geht die Europäische Kommission im Falle einer spürbaren Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels konsequent gegen alle klassischen Wettbewerbsbeschränkungen (Preis-, Quoten- und Gebietsabsprachen) vor, wobei allerdings zunehmend nicht-wettbewerbliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, um das Wettbewerbsprinzip mit anderen Grundsätzen und Zielen des EG-Vertrages in Einklang zu bringen. Im Hinblick auf die per se-rule für hard core restrictions und die rule of reason für Rationalisierungsabsprachen i.S. des Art. 101 III AEUV ist eine Annäherung an das USamerikanische Antitrustrecht festzustellen, was insbesondere in Deutschland im Hinblick auf

462

463

Vgl. die Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, in: ABl 2011 Nr. C 11, S. 1 ff., welche die sog. Kooperationsbekanntmachung vom 29. 7. 1968 ersetzt haben. Allerdings weist die EK im Weißbuch, op. cit., in Zi. 88 darauf hin, dass Freistellungen nicht mehr konstitutiver, sondern nur noch feststellender Art seien; ihre Rechtswirkung gleiche den früheren Negativattesten. Vgl. Bagatellbekanntmachung, in: ABl 1986 C Nr. 231, S. 2 ff., geändert in: ABl 1994 Nr. C 368, S. 20, ABl 1997 Nr. C 372, S.13, und zuletzt in: ABl 2001 Nr. C 368, S.13 ff. Abgedruckt in: WuW 52 (2002), S. 146 ff.

250

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

die Rechtssicherheit und die Kohärenz bei der Anwendung des EU-Rechts durch in Zukunft 27 nationale Kartellbehörden sehr kritisch gesehen wird.464

2.

Erfassung der Behinderungsstrategie465

a)

Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen i.S. von Art. 102 AEUV Art. 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Schutzobjekt ist sowohl der Institutionsschutz als auch der Schutz der Marktteilnehmer (Individualschutz). Anders als in § 19 GWB bestehen keine Legalvermutungen für das Vorliegen von Marktbeherrschung, die der Kommission den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung erleichtern würden. Nach der Rechtsprechung des EuGH466 gilt ein Unternehmen auf einem Bedarfsmarkt als marktbeherrschend, wenn es die Fähigkeit zur Entwicklung unabhängiger Marktstrategien besitzt, d.h., wenn es über einen vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum verfügt; das ist der Fall, wenn ein Unternehmen ohne große Rücksichtnahme auf Wettbewerber (horizontal) bzw. Lieferanten oder Abnehmer (vertikal) handeln kann (Marktverhaltenstest). Dabei ist es nicht erforderlich, dass das Unternehmen im Bereich der gesamten EG eine beherrschende Stellung besitzt; vielmehr reicht es aus, wenn eine solche in einem wesentlichen Teil vorliegt. Als wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes werden einzelne Mitgliedsländer oder ein wesentlicher Teil derselben (z.B. Süddeutschland) angesehen (Problem der räumlichen Marktabgrenzung). Der unbestimmte Rechtsbegriff der individuellen Marktbeherrschung ist von der Rechtsprechung durch eine Reihe von Strukturmerkmalen konkretisiert worden (Marktstrukturtest):

• Relativer Marktanteil (von 40% oder mehr) sowie großer Abstand zu den Konkurrenten, • vertragliche und sonstige Beziehungen zu aktuellen oder potentiellen Konkurrenten, • Beteiligungen und personelle Verflechtungen, • Verbindungen zu Abnehmern oder Lieferanten, • Finanzkraft eines Konzerns und technologische Vorsprünge vor Konkurrenten, • Besitz von Schutzrechten und berühmten Warenzeichen, • Fehlen potentieller Konkurrenten sowie • Abhängigkeit der Abnehmer. Art. 102 AEUV erfasst darüber hinaus auch die kollektive Marktbeherrschung durch Oligopolgruppen, wobei die Rechtsprechung auf sog. ökonomische und strukturelle links (wie Konzentration, Produkthomogenität, Transparenz sowie Kostensymmetrie) abstellt, die den Unternehmen aufgrund der hohen Interdependenz ein bewusstes Parallelverhalten und eine 464 465 466

Vgl. Monopolkommission, Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? Sondergutachten 28, BadenBaden 1999. Vgl. Emmerich, Volker, op. cit., §§ 9 bis 11. Vgl. Chiquita-Bananen, in: WuW/E EWG/MUV 425 ff.; La Roche-Vitamine, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff., und Eurofix-Bauco/Hilti, in WuW/E EV 1326 ff. Vgl. auch Magill, in: EuGH Slg. 1995 I, S. 743 ff., und Bronner, in: EuGH Slg. 1998/11, S. 7791 ff., im Hinblick auf die essential facilities doctrine. Zur essential facilities doctrine vgl. Emmerich, op. cit., S. 158 ff.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

251

Politik der gemeinsamen Gewinnmaximierung zu Lasten der Marktgegenseite ermöglichen;467 es bestehen keine wirtschaftlichen Anreize für individuelle vorstoßende Wettbewerbshandlungen, vielmehr ist aus der Sicht der Unternehmen ein bewusstes (den Wettbewerb faktisch beschränkendes) Parallelverhalten (conscious parallelism) betriebswirtschaftlich rationaler. Denn vorstoßende Wettbewerbshandlungen würden Vergeltungsmaßnahmen der Konkurrenten und einen Preisverfall zu Lasten aller Unternehmen am Markt zur Folge haben (Sanktionsmechanismus). Im Rahmen der dabei vorzunehmenden Prognose kann die Spieltheorie von Nutzen sein (s.o. 3. Kap. II).468 Um die Anwendung des Missbrauchsverbotes praktikabler zu machen, enthält Art. 102 AEUV vier Regelbeispiele, welche die generelle Missbrauchsklausel konkretisieren. Insbesondere sind die Diskriminierung von Handelspartnern (lit. c) sowie die sachlich nicht gerechtfertigte Kopplung verschiedener Leistungen (lit. d) verboten. Ähnlich wie im deutschen Recht ist der Nachweis eines Verschuldens oder einer Sittenwidrigkeit beim Missbrauch nicht notwendig; vielmehr ist allein entscheidend, ob das Verhalten objektiv im Widerspruch zu den Zielen des Gemeinsamen Marktes steht (objektiver Missbrauchsbegriff). Grundsätzlich sind daher alle Maßnahmen beherrschender Unternehmen missbräuchlich, die auf eine Abschottung schon beherrschter oder die Eroberung weiterer Märkte durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken abzielen.469 Dabei obliegt dem Marktbeherrscher eine besondere Verantwortung. So hat der EuGH in der Grundsatzentscheidung ECS/AKZO klargestellt, dass marktbeherrschende Unternehmen nicht Preise, die unter den durchschnittlichen variablen Kosten bzw. unter den durchschnittlichen totalen Kosten liegen, festsetzen dürfen (vgl. die sog. Areeda/Turner-Regel), wenn diese Preise Teil eines Planes zur Ausschaltung eines Wettbewerbers sind.470 b) Boykott und Lieferverweigerung471 Der sog. Gruppenboykott fällt unter das grundsätzliche Kartellverbot des Art. 101 AEUV; die Veranlassung zur Liefer- oder Bezugssperre (vgl. § 21 Abs. 1 GWB) könnte als eine gemischt horizontal-vertikale Absprache i.S. des Art. 101 AEUV angesehen werden (sog. secondary boycott).472 Die bloße individuelle Lieferverweigerung unterliegt im Falle der Marktbeherrschung dem Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV. So ist z.B. die starke Einschränkung der Benzinlieferungen von BP an die Einkaufszentrale ABG der AVIA-Mitglieder in den Niederlanden auf dem Höhepunkt der Erdölkrise 1973/74 als ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung angesehen worden, da die Lieferverweigerung im Vergleich zur Verringerung der Liefe-

467 468 469 470

471 472

Vgl. Monti, Giorgio, The Scope of Collective Dominance under Articles 82 EC, in: Common Market Law Review 38 (2001), S. 131 ff. Vgl. den richtungweisenden Fall Airtours/First Choice, in: WuW/E EU-R 559 ff. Vgl. Emmerich, op. cit., § 10. Vgl. ECS/AKZO, in: Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1991, S. 3359 ff., sowie Niels, Gunnar, und Adriaan ten Kate, Predatory Pricing Standards: Is there a Growing International Consensus, in: AB XLV (2000), S. 787 ff., und Emmerich, op. cit., S. 166 ff. Vgl. Emmerich, op. cit., S. 156 ff. Vgl. Belgische Tapetenhersteller, in: WuW/E EWG/MUV 379 ff.

252

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

rung an andere vergleichbare Abnehmer diskriminierenden Charakter trug und den Fortbestand der AVIA-Mitglieder als unabhängige Verteiler gefährdete.473 Im Fall AEG-Telefunken474 ist der EuGH davon ausgegangen, dass selektive Vertriebssysteme einen mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbaren Wettbewerbsfaktor darstellen, wenn die mit selektiven Vertriebssystemen einhergehenden Beschränkungen tatsächlich auf eine Verbesserung des Wettbewerbs (z.B. Erhaltung des Fachhandels zur Erbringung von Dienstleistungen für hochwertige und technisch komplizierte Geräte) abzielen. Dagegen seien selektive Vertriebssysteme unzulässig, die dazu dienen:

• • •

ein hohes Preisniveau aufrechtzuerhalten, bestimmte moderne Vertriebsformen auszuschließen oder qualifizierten Händlern den Marktzutritt zu verweigern.

c) (Preis-)Diskriminierung475 Ähnlich wie in § 20 Abs. 1 GWB ist im Europäischen Wettbewerbsrecht eine Diskriminierung nur den Inhabern wirtschaftlicher Macht verboten. Art. 101 lit. c AEUV verbietet marktbeherrschenden Unternehmen die „Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden“476; einem gleichlautenden Diskriminierungsverbot unterliegen auch Unternehmen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. d AEUV. Anders als bei Art. 102 AEUV besteht allerdings im Falle der kollektiven Diskriminierung durch nicht marktbeherrschende Unternehmen eine Freistellungsmöglichkeit gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV. Losgelöst von dem Kriterium der Marktmacht enthalten die Art. 10 und 18 AEUV ein allgemeines Diskriminierungsverbot. d) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen477 Sowohl marktbeherrschenden Unternehmen im Sinne des Art. 102 AEUV als auch anderen Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV ist die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung verboten, „dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen“ (Kopplungsverträge).478

473 474 475 476

477 478

Der EuGH hat dagegen in seiner Entscheidung ABG/BP, in: WuW/E EWG/MUV 445 ff., den Missbrauch verneint, wenn ein Gelegenheitskunde weniger zuvorkommend als ein Stammkunde behandelt wird. Vgl. AEG-Telefunken, in: WuW/E EWG/MUV 600 ff. Vgl. Emmerich, op. cit., S. 161 ff. Vgl. im Hinblick auf unterschiedliche Preise und Rabatte: – Europäische Zuckerindustrie, in: WuW/E EWG/MUV 347 ff., 370 f.; – Chiquita-Bananen, in: WuW/E EWG/MUV 425 ff., 436 und – La Roche-Vitamine, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff. Vgl. Emmerich, op. cit., S. 154 f. und 164 ff. Vgl. den Fall La Roche-Vitamine, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff., 457 f., in welchem ein Treuerabattsystem dazu diente, eine beherrschende Stellung auch auf andere Märkte auszudehnen (faktische Kopplung mit Hilfe von Rabattincentives), und Gema, in: WuW/E EV 331 ff., in welchem die Ausdehnung der Vergütungspflicht von geschützten auf nicht geschützte Werke als missbräuchliche Kopplung angesehen wurde.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

253

Wie im Falle der Diskriminierung gilt das Kopplungsverbot also gleichermaßen für marktbeherrschende und andere Unternehmen, jedoch können Kopplungsverträge im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. e gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt werden. Ausschließlichkeitsbindungen werden sowohl von dem Kartellverbot des Art. 101 lit. c („Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen“) als auch von dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 Abs. 2 lit. b AEUV („Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher“) erfasst. Die VO Nr. 2790/99 hat u.a. die alten GruppenfreistellungsVOs über den Alleinvertrieb (VO Nr. 1983/83) und den Alleinbezug (VO Nr. 1984/83) durch eine einheitliche Regelung ersetzt, wobei die EK davon ausgeht, dass vertikale Vereinbarungen durch Verringerung der Transaktions- und Distributionskosten die wirtschaftliche Effizienz erhöhen (s. o . unter Kooperation). Die Rechtsprechung479 hat Ausschließlichkeitsbindungen von marktbeherrschenden Unternehmen durchweg als einen Missbrauch i.S. des Art. 102 AEUV angesehen, da derartige Bindungen in der Hand marktbeherrschender Unternehmen ein Instrument zur Ausdehnung ihrer Macht auf vor- oder nachgelagerte Märkte sind. e)

Missbrauchsaufsicht: Schutz des Wettbewerbs oder Schutz von (kleineren) Wettbewerbern Gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung in Art. 102 AEUV wird immer wieder angeführt, dass dieses nicht den Wettbewerb schützen würde, sondern vielmehr die Wettbewerber. Im Ergebnis würde eine restriktive Missbrauchsaufsicht gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen die Freiheit dieser Unternehmen als weniger schützenswert ansehen und den Freiheitsschutz der kleineren Wettbewerber überbetonen. Damit drohe die Gefahr, dass die Wettbewerbspolitik die Freiheit der marktbeherrschenden Unternehmen in unannehmbarer Weise beschränken würde.480 Im Kern kreist diese Diskussion um die Frage nach den Zielen der Wettbewerbspolitik. Grundsätzlich dient die Wettbewerbspolitik der Erfüllung zweier Schutzbereiche: Zum einen soll der Wettbewerb als Institution geschützt werden (Institutionsschutz) und zum anderen sollen durch wirksamen Wettbewerb die individuellen Handlungs- und Entschließungsfreiheiten garantiert werden (Individualschutz).481 Institutionsschutz und Individualschutz stehen dabei in einem komplementären Verhältnis. Der Wettbewerb übernimmt dabei die Rolle derjenigen Institution, in welcher die individuellen Freiheitsrechte zur Geltung kommen.482 Gleichzeitig kann es jedoch ohne ausreichend garantierte Marktfreiheiten keinen Wettbewerb geben.

479

Vgl. Europäische Zuckerindustrie, in: WuW/E EWG/MUV 347 ff., 368 f., und La Roche-Vitamine, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff., 457; vgl. auch die Gema- Entscheidung, in: WuW/E EV 331 ff., mit welcher eine Öffnung der Märkte für musikalische Urheberrechte durchgesetzt wurde. 480 Vgl. Hellwig, Martin, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? Zur normativen Grundlegung der Wettbewerbspolitik, in: Engel, Ch., und W. Möschel (Hrsg.), Recht und spontane Ordnung: Festschrift für Ernst Joachim Mestmäcker zum achtzigsten Geburtstag, Baden- Baden 2006, S. 240, 246, 266. 481 Vgl. zum Verhältnis zwischen Institutionsschutz und Individualschutz insbesondere Mestmäcker, ErnstJoachim, Das Verhältnis des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen zum Privatrecht, in: Der Betrieb 21 (1968), S. 787 ff., und Kap. 5 I dieses Lehrbuches. 482 Vgl. Di Fabio, Udo, Wettbewerbsprinzip und Verfassung, in: Zeitschrift für Wettbewerbsrecht 5 (2007), S. 266 ff.

254

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Die Kritik an der Missbrauchsaufsicht entzündet sich nun vor allem daran, dass im Rahmen eines per se-Verbotes, welches bestimmte Handlungen für marktbeherrschende Unternehmen verbietet, die Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Wettbewerber stärker geschützt werden würden als die der marktbeherrschenden Unternehmen. Dies führe zu einer widersprüchlichen Anwendung des Individualschutzes, da hier eine unangemessene Abwägung der Freiheiten vorgenommen werden würde. In diesem Zusammenhang wird von der „Antinomie der Wettbewerbspolitik“483 gesprochen, die dazu führen würde, dass der Freiheitsschutz zu einer Leerformel verkomme.484 Gegen diesen Vorwurf ist jedoch einzuwenden, dass die Wettbewerbsordnung und das aus ihr hervorgehende Wettbewerbsrecht den Nährboden darstellen, aus dem die Freiheit erwachsen soll. Wer die Freiheit wünscht, muss auch die Unfreiheit durch das Verhalten marktbeherrschender Unternehmen fürchten. Daher ist das Recht nicht nur Voraussetzung der Freiheit, sondern stellt vor allem auch eine notwendige wirkungsvolle Schranke für die Freiheit dar. Ein Gesellschaftssystem, das sich auf wirtschaftliche Handlungsfreiheiten wie Investitions- und Marktfreiheiten stützt, muss definieren, unter welchen Vorrausetzungen diese Freiheiten zum Tragen kommen. Ansonsten würden diese Freiheiten nur dem Recht des Stärkeren zum Durchbruch verhelfen. Genau dies wäre jedoch mit dem Schutzzweck des Wettbewerbsrechts unvereinbar. In der Hauptsache geht es hier um das Grundprinzip des verfassungsmäßigen Schutzes der Freiheit. Dem entspricht die Regelung in Art. 2 GG, wonach das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dadurch eingeschränkt wird, dass nicht die Rechte anderer verletzt werden. Die Freiheit selbst kann sich immer nur innerhalb eines bestimmten Regelwerks entfalten, ansonsten verkäme der Freiheitsbegriff zur bloßen Beliebigkeit. Daher bedarf es zu ihrer Verwirklichung bestimmter Regeln.485 Handelt ein marktbeherrschendes Unternehmen bestimmte Konditionen am Markt aus, so dienen diese oftmals nur der Durchsetzung der eigenen Freiheit. Stellt sich nun hier das Wettbewerbsrecht in Form der Missbrauchsaufsicht schützend vor die Schwächeren, so dient dies eben primär der Entfaltung der Wettbewerbsfreiheit und nicht deren Beschränkung. Hierbei ist zwischen legitimem Wettbewerbsverhalten und illegitimem Verdrängungswettbewerb sowie Ausbeutungsverhaltensweisen zu unterscheiden. Kopplungs- und Ausschließlichkeitsbindungen sowie Preisdiskriminierungen dienen einem marktbeherrschenden Unternehmen in der Hauptsache zur Marktschließung und können somit als Regelbeispiele für einen Behinderungsmissbrauch auch einem per se-Verbot unterzogen werden. Vor diesem Hintergrund ist daher der Vorwurf, eine restriktive Missbrauchsaufsicht würde primär dem Schutz der Wettbewerber dienen, zu relativieren. Im Gegensatz zum europäischen Wettbewerbsrecht wird im deutschen Wettbewerbsrecht im Rahmen der Missbrauchsaufsicht stärker zwischen Institutionen- und Individualschutz differenziert. So stellt das Diskriminierungsverbot nach § 20 Abs. 2 GWB stärker auf den Individualschutzgedanken ab. Hier wird unterhalb des Eingriffskriteriums der Marktbeherrschung Unternehmen mit relativer Marktmacht ein Diskriminierungsverbot auferlegt. Solche 483 484

485

Vgl. Hellwig, supra, S. 241. Vgl. Schmidtchen, Dieter, Wettbewerbsfreiheit oder Effizienz? – Zur Zweisamkeit von Recht und Ökonomie im Bereich der Wettbewerbspolitik, in: ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 59 (2008), S. 160 ff. Vgl. Schmidt, André (2008), Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte: Die Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Effizienz, in: ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft- und Gesellschaft 59 (2008), S. 28.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

255

Unternehmen, die gegenüber ihren kleinen und mittleren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager eine überlegene Marktmacht innehaben, so dass diese von ihnen abhängig sind, unterliegen dem gleichen Diskriminierungsverbot wie ein marktbeherrschendes Unternehmen. Hier wird deutlich, dass in diesem Fall der Gesetzgeber dem Schutz der individuellen Freiheiten der kleinen und mittleren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einen besonderen Stellenwert einräumt. Dies findet sich auch im Verbot der unbilligen Behinderung nach § 20 Abs. 4 GWB, wodurch Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht der Verkauf unter Einstandspreis (insbesondere im Lebensmittelsektor) verboten wird. Auch hier tritt die individuelle Freiheit des marktstarken Unternehmens hinter dem Individualschutz der kleinen und mittleren Unternehmen zurück. Die Rechtfertigung hierfür findet sich wiederum in dem Gedanken, dass die Sicherung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit einzelner Marktteilnehmer stets durch das Verhalten marktbeherrschender bzw. marktstarker Unternehmen gefährdet werden kann. Um dieser Gefahr zu entgehen, räumt der Gesetzgeber der Freiheit der schwächeren Marktteilnehmer zur Aufrechterhaltung von Chancengerechtigkeit einen höheren Stellenwert ein als der Freiheit der marktstärkeren Akteure. Damit geht jedoch nicht ein unbegrenzter Schutz der (kleineren) Wettbewerber einher, denn die marktbeherrschenden bzw. marktstarken Unternehmen werden nicht darin beschränkt, die legitimen Handlungen des Leistungswettbewerbs auszuüben, sondern nur in all jenen Handlungen, die die Chancengerechtigkeit durch Ausübung des Behinderungswettbewerbs beeinträchtigen. Der vom EuGH entschiedene Fall British Airways486 exemplifiziert diese Problematik (vgl. die Darstellung des Falles im 12. Kap. I). Der Zielkonflikt zwischen Individual- und Institutionsschutz folgt vor allem daraus, dass wirksamer Wettbewerb als Institutionsschutz erst bei Erreichen einer individuellen oder kollektiven marktbeherrschenden Stellung i.S. des Art. 102 AEUV als verletzt gilt. Im Gegensatz zu dieser Annahme des Gesetzgebers existiert Marktmacht und damit eine Gefährdung des Wettbewerbs als Institution nicht erst ab der Marktbeherrschungsschwelle, sondern schon bei relativer oder überlegener Marktmacht i.S. des § 20 II und IV GWB. Das neue (abgesenkte) Eingreifkriterium in Art. 2 III FKVO gilt jedoch nicht für das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV, so dass der Zielkonflikt bei der europäischen Missbrauchsaufsicht bestehen bleibt. Bei einer – ökonomisch sinnvollen – Absenkung der Eingreifschwelle in Art. 102 AEUV würde sich die Frage nach dem Schutzobjekt der Missbrauchsaufsicht erübrigen; Individual- und Institutionsschutz wären dann zwei Seiten einer Medaille.

3.

Erfassung der Konzentrationsstrategie

a) Marktergebniskontrolle marktbeherrschender Unternehmen487 Das Verbot des Art. 102 AEUV erfasst nicht nur den Behinderungsmissbrauch, sondern auch den Ausbeutungsmissbrauch marktbeherrschender Stellungen gegenüber vor- bzw. nachgelagerten Wirtschaftsstufen. So verbietet Art. 102 Abs. 2 AEUV

486

487

Vgl. British Airways, in: ABl EG 2000 L Nr. 30, S. 1 ff. und WuW/E EU-V 391 ff.; Slg. 2003-II, S. 5917 ff. und WuW/E EU-R 777 ff.; Slg. 2007-I, S. 2331 ff. und WuW/E EU-R 1259 ff.; Vgl. Hoffmann-La Roche, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff., 457 f., und Michelin. Vgl. Emmerich, op. cit., § 10 II.

256

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht



die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen (lit. a) sowie • die Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher (lit. b). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein Preis missbräuchlich überhöht, wenn ein übertriebenes Missverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis besteht (Gewinnspannenkonzept) und bei dem der erzwungene Preis absolut oder im Vergleich zu Konkurrenzprodukten (Vergleichsmarktkonzept) unangemessen ist.488 Der Fall Chiquita Bananen exemplifiziert die Problematik der Bestimmung wettbewerbsgerechter Als-Ob-Preise.489 Art. 102 S. 2 lit. b AEUV verbietet zudem die Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher. So ging es im Falle Renault um die Einstellung der Produktion von Ersatzteilen für ältere Modelle, obwohl nach wie vor eine Nachfrage danach bestand.490 Geschäftsbedingungen werden dann als missbräuchlich angesehen, wenn sie die Freiheit der Vertragspartner unbillig beeinträchtigen; die Unbilligkeit muss dabei durch Abwägung der Interessen aller Beteiligten und der Wirkungen auf die Interessen Dritter festgestellt werden.491 b) Fusionskontrolle Der EWG-Vertrag hatte ursprünglich keine Zusammenschlusskontrolle vorgesehen. Der Europäische Gerichtshof hatte jedoch in der Entscheidung Continental Can erklärt, dass auch ein Zusammenschluss als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV angesehen werden könne.492 Das ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn eine bereits vorhandene marktbeherrschende Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV durch einen Zusammenschluss dergestalt verstärkt wird, dass der Restwettbewerb, der trotz der anfänglich beherrschenden Stellung tatsächlich oder potentiell fortbestanden hat, für die betreffenden Waren in einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes praktisch ausgeschaltet wird. Da auf der Grundlage des Art. 102 AEUV eine Fusionskontrolle nur in Ausnahmefällen Platz griff, hatte die Kommission bereits 1973 einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates erarbeitet, der jedoch vom Europäischen Ministerrat erst am 21.12.1989 verabschiedet wurde und nach der Novelle vom 20. Januar 2004 folgendes vorsieht:493



Die Fusionskontrolle gilt für alle Zusammenschlüsse i.S. von Art. 3 VO mit gemeinschaftsweiter Bedeutung, die nach Art. 1 Abs. 2 VO dann gegeben ist, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen mehr als

488

Vgl. zum Vergleichsmarktkonzept die Darstellung im 6. Kap. Abschnitt V 2 b) dieses Buches. Vgl. Chiquita Bananen, in WuW/E EV 651 ff. und EWG/MUV 425 ff. Vgl. Renault, in: Slg. 1988, S. 6067 ff., 6073. Vgl. SABAM II, in: WuW/E EWG/MUV 311 ff. Vgl. Continental Can, in: WuW/E EWG/MUV 296 ff.; zuletzt der Altfall Gillettes/Wilkinson Sword, in: ABl L Nr. 116 vom 12.5.1993, S. 21 ff. Vgl. Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, in: ABl 1989 L Nr. 395 und 1990 L Nr. 257 (korr. Fassung); Änderung zum 1.3.1998, in: ABl 1997 Nr. L 180 , S. 1 ff. Vgl. die neue VO Nr.139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, in: ABl 2004 L Nr. 24, S. 1 ff. Dazu Leitlinien für die Beurteilung horizontaler bzw. nicht-horizontaler Fusionen, in: ABl 2004 C Nr. 31, S. 5 ff. , bzw. 2008 C Nr. 265, S. 6 ff.

489 490 491 492 493

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

257

5 Mrd. ECU und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 250 Mio. ECU beträgt (Aufgreifkriterien)494, es sei denn, die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen erzielen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedsstaat (implizite Vermutung für die Nicht-Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels). • Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb erheblich behindert werden würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer individuellen oder kollektiven beherrschenden Stellung, sind von der Europäischen Kommission für unvereinbar mit dem Markt zu erklären [sog. SIEC-(Significant Impediment to Effective Competition-) Test als Eingreifkriterium i.S. des Art. 2 Abs. 3 VO ]. Der Hinweis auf die „Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung“ ist als beispielhafte Konkretisierung einer erheblichen Wettbewerbsbehinderung und als Grenzfall zu sehen. Gemäß Zi. 25 der Erwägungsgründe sollen mit dem neuen Eingreifkriterium sog. einseitige wettbewerbsschädigende Auswirkungen einer Fusion erfasst werden, die sich aus nichtkoordiniertem Verhalten von Unternehmen bei fehlender Marktbeherrschung ergeben. Damit sollen gem. Zi. 25 der Leitlinien auch oligopolistische Marktstrukturen erfasst werden. Dabei soll untersucht werden, ob nach der Untersuchung Preiserhöhungen wahrscheinlich sind. Die Operationalität bzw. Justitiabilität dieses performance-Kriteriums bleibt abzuwarten.495





494 495

496

Zwar soll durch den SIEC-Test die Eingreifschwelle abgesenkt werden, jedoch sehen lit. 29 der Erwägungsgründe sowie die Leitlinien der EK zur Beurteilung horizontaler bzw. nicht-horizontaler Fusionen die generelle Berücksichtigung von Effizienzvorteilen vor, die zwar den Verbrauchern zugute kommen sowie fusionsspezifisch und überprüfbar sein sollen, was jedoch die Beweisschwierigkeiten der EK erhöht und die ganze Fusionskontrolle gefährden könnte, wenn der EuG z.B. bemängelt, dass die EK nicht nachgewiesen habe, dass keine Effizienzvorteile vorliegen.496 Bei der Prüfung des Zusammenschlusses hat die EK gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b VO – ähnlich wie in § 19 Abs. 2 lit. 2 GWB – die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, die rechtlichen oder tatsächlichen Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen (Produktlebenszyklus, Marktphase) sowie die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher zu berücksichtigen. Dazu geht Ziff. 32 der Erwägungsgründe von der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt aus, wenn der

Mehrfache Versuche der Europäischen Kommission, die Aufgreifkriterien zu ändern und damit ihre Zuständigkeit zu erweitern, sind am Widerstand der Mitgliedsstaaten gescheitert. Dazu Motta, Massimo, E.C. Merger Policy and the Airtours Case, in: ECLR 21 (2000), S. 199 ff., der die Anwendung des Einzel- und Gruppenmachtkonzepts (=kollektive Marktbeherrschung) durch den Europäischen Gerichtshof analysiert, und Schwalbe, Ulrich, Nicht-koordinierte Effekte horizontaler Zusammenschlüsse – wirtschaftstheoretische Grundlagen und Prognose durch Simulationsmodelle, in: Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, Festschrift für Rainer Bechtold, München 2006, S. 465 ff. Das neue Eingreifkriterium lehnt sich an Art. 430-6 S. 1 Code de Commerce an, wenn ein Konzentrationsvorgang „est de nature á porter atteinte á la concurrence, notamment par création ou renforcement d’une position dominante…“. Vgl. Leitlinien für die Beurteilung horizontaler bzw. nicht-horizontaler Fusionen, supra, lit. 76 ff., bzw. supra, lit. 52 ff., und Schwalbe, Die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen in der Fusionskontrolle …, supra, zur Problematik der Berücksichtigung von Effizienzgewinnen.

258

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

kombinierte Marktanteil 25 % nicht überschreitet. Diese Strukturmerkmale sollen wirksamen Wettbewerb konkretisieren. • Bei der Prüfung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt hat die Kommission jedoch gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b VO auch die „Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert“, zu berücksichtigen. Diese kontroverse Klausel, die eine Abwägung zwischen der Aufrechterhaltung und Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs, wie er in Art. 1 Abs. 1 lit. b VO mit Hilfe verschiedener Marktstrukturmerkmale konkretisiert worden ist, und dem technischen Fortschritt als einem performance-Element erlaubt, ist in enger Anlehnung an den Wortlaut des Art. 101 Abs. 3 AEUV formuliert worden (sog. französische Klausel). Je nach Interpretation des Eingreifkriteriums durch die Kommission kann wirksamer Wettbewerb i.S. der Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen, welche quasi automatisch zu wirtschaftlichem und technischem Fortschritt führen, oder i.S. einer Industriepolitik verstanden werden, die durch direkte staatliche Maßnahmen den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt fördern soll.497 • Die EK ist insofern bei einem differenzierten Struktur-Verhaltens-Ergebnis-Ansatz geblieben. • Zusammenschlüsse i.S. von Art. 1 VO sind gem. Art. 4 VO vor Vollzug bei der Kommission anzumelden und dürfen gem. Art. 7 Abs. 1 VO weder vor ihrer Anmeldung noch vor ihrer Vereinbarkeitserklärung vollzogen werden (strikte ex ante-Kontrolle). • Gem. Art. 21 Abs. 2 VO besitzt die EK die ausschließliche Zuständigkeit für die europäische Fusionskontrolle, es sei denn, dass die EK gem. Art. 9 VO im Falle rein regionaler Wettbewerbsbeschränkungen den Fall an die nationale Kartellbehörde überweist (sog. deutsche Klausel)498, oder die Mitgliedsstaaten gem. Art. 21 Abs. 4 VO geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen (z.B. öffentliche Sicherheit, Medienvielfalt oder Aufsichtsregeln) treffen (sog. englische Klausel). Insbesondere das sehr weit gefasste Eingreifkriterium und die damit verbundene Gefahr, dass die Fusionskontrolle zu Zwecken der Struktur- und Industriepolitik missbraucht wird, waren bis zum Schluss äußerst kontrovers. In den bisher vorliegenden Entscheidungen der EK wird allerdings die in der FKVO vorgesehene Abwägung nur selten expressis verbis vorgenommen; jedoch ist offensichtlich das Vorverständnis der EK durch diese Abwägungsklausel geprägt. Die Abb. 19 verdeutlicht den Ablauf des EG- Fusionskontrollverfahrens. Bis Ende 2010 sind 4.548 Fusionsvorhaben gem. Artikel 4 VO bei der Europäischen Kommission angemeldet worden, von denen 3.950 Fälle innerhalb der Monatsfrist für kompatibel mit dem Gemeinsamen Markt gem. Artikel 6 Abs. 1 lit. b VO erklärt worden und 52 gem. Artikel 6 Abs. 1 lit. a VO nicht unter diese VO gefallen sind. In 195 Fällen hat die EK ein Verfahren gem. Artikel 6 Abs. 1 lit. c VO wegen ernsthafter Zweifel an der Kompatibilität mit dem Gemeinsamen Markt eingeleitet. Während die EK in 47 Fällen den Zusammenschluss ohne Auflagen freigegeben hat, sind in 93 weiteren Fällen die Zusammenschlüsse nur unter Auflagen, Bedingungen und Beschränkungen für vereinbar mit dem Gemeinsamen mit 497 498

Diese Abwägung hat in einigen Fällen eine Rolle gespielt. Vgl. Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, EGWettbewerbsrecht: Kommentar, München 1997 ff., FKVO Art. 2 Rn. 172 ff. Bis Ende 2010 sind gem. Art. 9 Abs. 3 VO 79 Fälle auf Antrag an die nationalen Kartellbehörden überwiesen worden.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

259

Vorgespräche

Anmeldung gem. Art. 4 (1) FKVO

Phase 1

1 Monat

Entscheidung nach Art. 6 FKVO

Nicht im Anwendungsbereich

Ernsthafte Bedenken

Feststellung gem. Art. 6 (1) a)

Einleitung des Verfahrens gem. Art. 6 (1) c)

Phase 2

Keine ernsthaften Bedenken

Genehmigung gem. Art. 6 (1) b)

4 Monate

Entscheidung nach Art. 8 FKVO

Genehmigung gem. Art. 8 (2) S. 1

Abb. 19:

Genehmigung mit Bedingungen und Auflagen gem. Art. 8 (2) S. 2

Untersagung gem. Art. 8 (3)

Übersicht über das EG-Fusionskontrollverfahren

dem Gemeinsamen Markt gem. Artikel 8 Abs. 2 VO erklärt worden.499 Über diese 93 Fusionsfälle hinaus, die nur unter Auflagen, Bedingungen und Beschränkungen genehmigt worden sind, hat die EK bis Ende 2010 zwanzig Fusionen untersagt.500 In den Jahren 2005 499

500

Eine statistische Übersicht über die Entwicklung der Fusionen in Europa findet sich im Internet unter: http://ec.europa.eu./competition/mergers/statistics.pdf. Die Entscheidungen können im Internet unter: http://ec.europa.eu./competition/mergers/cases/index abgerufen werden. Unter dem link „Entscheidungen“ können alle Zusammenschlüsse „by date“, „by case number“, „by company name“ oder „by decision type“, unter „Official Journal“ die Fundstellen aller Fusionen aus dem letzten Jahr abgerufen werden. Vgl. Aerospatiale-Alenia/de Havilland, in: ABl 1991 Nr. L 334, S. 42 ff.; Media Service GmbH (MSG), in: ABl 1994 Nr. L 364, S. 1 ff.; dazu Löffler, in: Wirtschaft und Wettbewerb 44 (1994), S. 1017 ff.; Nordic Satel-

260

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

bis 2010 ist allerdings nur eine einzige Fusion untersagt worden (in 2007 Ryanair/Air Lingus). Offensichtlich ist die EK eher bereit, den Unternehmen umfangreiche Verpflichtungen aufzuerlegen als ein Verbot auszusprechen. Eine Kontrolle durch das EuG wird damit vermieden. Die erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs bei horizontalen Fusionen Nach der alten FKVO ging die EK – ähnlich wie bei Art. 102 AEUV – von der Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Marktbeherrschung aus [s.o. II 2 a)], wobei einseitige, d.h. nicht-kollusive wettbewerbsbeschränkende Effekte nicht erfasst wurden.501 Solche einseitigen Effekte treten dann auf, wenn die durch eine Fusion der Unternehmen A und B bewirkte Minderung der Wettbewerbsdruckes es dem neuen Unternehmen A + B erlaubt, einseitig die Preise zu erhöhen, ohne Reaktionen der Mitbewerber C D, E … befürchten zu müssen, da der Marktanteil, den A bei einer Preiserhöhung an B verlieren würde, zumindest teilweise dem neuen Unternehmen A + B zuwächst. Allerdings bleibt die Möglichkeit bestehen, dass die von der Preiserhöhung betroffenen Kunden teilweise auf die Unternehmen C, D, E … ausweichen; insofern unterliegt das fusionierende Unternehmen A + B weiterhin einem gewissen Wettbewerbsdruck, der davon abhängt, in welchem Umfang die Kunden des A im Falle einer Preiserhöhung des A ihre Nachfrage nach B und nicht zu C, D, E … verlagern.502 Die Stärke der unilateralen Effekte hängt im Falle homogener Güter maßgeblich von der Höhe der Marktanteile der fusionierenden Unternehmen ab, im Falle heterogener Güter dagegen von der Stärke des Wettbewerbs zwischen den fusionierenden Unternehmen (closeness of competitors), d.h. von der Wahrscheinlichkeit, dass Kunden von A im Falle einer Preis-

501

502

lite Distribution, in: ABl 1996 Nr. L 53, S. 20 ff.; Holland Media Groep SA, in: ABl 1996 Nr. L 134, S. 32 ff., sowie in: ABl 1996 Nr. L 294, S. 14 ff.; Gencor/Lonrho, in: ABl 1997 Nr. L 11; S. 30 ff.; Kesko/Tuko, in; ABl 1997 Nr. L 110, S. 53 ff.; Saint-Gobain/Wacker-Chemie/NOM, in: ABl 1997 Nr. L 247, S. 1 ff.; Blokker/Toys “R” us, in: ABl 1998 Nr. L 316, S. 1 ff.; Bertelsmann/Kirch/Premiere, in: ABl 1999 Nr. L 53, S. 1 ff.; Deutsche Telekom/Betaresearch, in: ABl 1999 Nr. L 53, S. 31 ff.; Airtours/First Choice, in: ABl 2000 Nr. L 93, S. 1 ff., WuW/E EU-V 437 ff. und WuW/E EU-R 559 ff.; Volvo/Scania, in ABl 2001 L 143, S. 74 ff.; MCI Worldcom/Sprint, in: ABl 2003 Nr. L 300, S. 1 ff., aufgehoben vom EuG am 28.9.04; SCA/Metsä Tissue, in: ABl 2002 Nr. L 57, S. 1 ff., und in: WuW/E EU-V 593 ff.; General Electric/Honeywell, in: ABl 2004 Nr. L 48, 1 ff., und in: WuW/E EU-V 631 ff. und EU-R 977 ff.; Schneider/Legrand, in: WuW/E EU-R 627 ff.; CVC/Lenzing, in: ABl 2004 Nr. L 82, 20 ff., und in: WuW/E EU-V 699 ff.; Tetra Laval/Sidel, in: ABl 2004 Nr. L 43, 13 ff., WuW/E EU-V 711 ff., EU-R 585 ff. und 875 ff. (endg. Aufhebung des Fusionsverbotes); Energias de Portugal, in: ABl 2005 Nr. L. 302, 69 ff. und Slg. 2005-II, S. 3745 ff. (Best. durch EuG), und zuletzt Ryanair/Air Lingus (case M 4439 vom 27.6.2007), Resümee in: Abl 2008 C Nr. 47, S. 5 ff., und in: WuW/E EU-V 1233 ff. Am 26. Januar 2011 hat die EK den Zusammenschluss von Aegean Airlines und Olympia Air untersagt (21. Fusion: M 5830), wird abgedruckt werden in: ABl L 2011. Vgl. die Diskussion dieses Problems aus ökonomischer und juristischer Sicht in: European Competition Law Review 1999 ff., und bei Schwalbe, Ulrich, und Daniel Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie: Moderne ökonomische Ansätze in der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle, Frankfurt am Main 2006, Dritter Teil, wo individuelle und kollektive Marktbeherrschung sowie nicht koordinierte Effekte bei unterschiedlichen Wettbewerbsformen und ihre Erfassung behandelt werden. Vgl. die gute Darstellung nicht-koordinierter Effekte bei Ivaldi, Jenny, Rey, Seabright und Tirole, The Economics of Unilateral Effects, in: http:/idei.fr/doc/wp/2003/economics-unilaterals.pdf. Vgl. auch Alfter, Mette, Untersagungskriterien in der Fusionskontrolle: SLC-Test versus Marktbeherrschende Stellung – Eine Frage der Semantik?, in: WuW 53 (2003), S. 20 ff., 21–23, und Vickers, John, Competition Economics and Policy, in: European Competition Law Review 24 (2003), S. 95 ff., 99.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

261

erhöhung zu B und nicht zu C, D, E abwandern (quantitative Erfassung mit Hilfe der sog. diversion ratio).503 Die am 1. Mai 2004 in Kraft getretene neue FKVO Nr. 139/2004 sieht in Art. 2 Abs. 3 VO daher als neues Eingreifkriterium die erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs, insbesondere durch Schaffung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung vor. Gemäß lit. 22 der Leitlinien zur Beurteilung horizontaler Zusammenschlüsse werden dabei zwei Fälle einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs unterschieden.504 (1) Unilaterale Effekte (lit. 24 ff.) durch Beseitigung wichtigen Wettbewerbsdruckes für ein oder mehrere Unternehmen, so dass aufgrund der erhöhten Marktmacht zumindest eines der Unternehmen höhere Preise durchsetzen kann. Dabei entscheidet das Vorliegen einer Reihe von Faktoren darüber, ob spürbare einseitige Effekte zu erwarten sind. Zu diesen Bewertungsfaktoren gehören:



Marktanteile und Konzentrationsgrad als erste Anhaltspunkte für die wettbewerbliche Bedeutung und hinzugewonnene Marktmacht, wobei insbesondere der HirschmannHerfindahl-Index (HHI) Verwendung findet; • Nähe der fusionierenden Unternehmen im Hinblick auf den Grad der Substituierbarkeit der Güter; • begrenzte Möglichkeiten der Kunden, zu einem anderen Anbieter überzuwechseln (mangelnde Alternativen); • Unwahrscheinlichkeit einer Erhöhung des Angebots durch die Wettbewerber bei Preiserhöhungen; • Fähigkeit des fusionierten Unternehmens, kleinere und potentielle Mitbewerber am Wachstum zu hindern, und • Beseitigung einer wichtigen Wettbewerbskraft im Innovationswettbewerb durch den Zusammenschluss. Der Grenzfall der individuellen Marktbeherrschung setzt nach Auffassung der EK das Vorliegen folgender Marktstrukturfaktoren voraus:





503

504

Die Marktstellung der fusionierten Unternehmen im Hinblick auf den Marktanteil (Konzentrationsgrad und -trend), wobei die Rechtsprechung – anders als bei Art. 102 AEUV – bislang keinen kritischen Konzentrationsgrad herausgearbeitet hat. Im Hinblick auf die Wettbewerbsvorteile der fusionierten Unternehmen werden ferner die Finanzstärke, das technologische Know-how, die Kapazitäten, die Produktpalette, das Vertriebsnetz sowie langfristige Liefervereinbarungen mit Kunden berücksichtigt. Die Marktstärke der verbleibenden Wettbewerber im Hinblick auf Marktanteil, Finanzstärke, Technologie- und Produktionskapazitäten und Vertriebssysteme sowie den Die Fusion der beiden Babynahrungsmittelhersteller Heinz und Beech-Nut in den USA exemplifiziert diese Problematik. Beide Unternehmen mit zusammen ca. 33 % Marktanteil standen in Wettbewerb um Platz zwei in den Supermarktregalen, d. h ., sie waren die closest competitors um Platz zwei (Gerber mit ca. 65 % Marktanteil auf Platz 1). Die FTC hatte die Fusion des zweit- und drittgrößten Unternehmens untersagt, da durch sie der Wettbewerb um Platz 2 eliminiert worden wäre. Der Fall wäre weder mit dem Konzept der individuellen Marktbeherrschung (Gerber hatte allein ca. 65 % Marktanteil) noch der kollektiven Marktbeherrschung zu erfassen gewesen. Der District Court hatte die Fusion wegen der zu erwartenden Effizienzvorteile genehmigt, der Court of Appeal in 2001 untersagt. Vgl. EK, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, supra, S. 5 ff.

262

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Abstand zwischen dem fusionierten Unternehmen und dem nächstgrößten Wettbewerber. Auch die Zahl der verbleibenden Wettbewerber und damit der Versorgungsalternativen wird berücksichtigt. • Die Struktur der Nachfrageseite im Hinblick auf die Stärke der Verhandlungsposition der Nachfrager, die schon bei relativ geringen Marktanteilen der Nachfrager gegeben sein kann (ca. 5–15 %). – Die Höhe der Marktschranken und die Stärke des potentiellen Wettbewerbs. Potentieller Wettbewerb wird dann berücksichtigt, wenn klare Beweise für die Wahrscheinlichkeit raschen und wesentlichen Marktzutritts durch Kapazitätserweiterung etablierter oder den Zutritt völlig neuer Wettbewerber vorliegen.505 (2) (Faktisch) koordinierte Effekte (lit. 39 ff.) sind durch die Existenz spezifischer Marktstrukturfaktoren bedingt und erlauben den Unternehmen aufgrund einer tacit or implicit collusion (synonym: spontaneous coordination) eine dauerhafte kollektive Strategie, die Produkte zu überhöhten Preisen abzusetzen. Im Hinblick auf das Vorliegen einer kollektiven Marktbeherrschung einer Gruppe von Unternehmen gehen EK sowie EuG davon aus, dass die Existenz spezifischer Marktstrukturfaktoren i.w.S. eine tacit or implicit collusion begünstigt; dazu rechnen:506

• •

Konzentrationsgrad, Produkthomogenität und Transparenz; Symmetrie im Hinblick auf Marktanteile, industrielle und finanzielle Kapazität, Kosten sowie ökonomische Verbindungen zwischen den Unternehmen („links“); • geringe Preiselastizität der Nachfrage, ausgereifte Produkte (mit wenig Raum für Innovationen) und ein stagnierender oder gar schrumpfender Markt sowie • hohe Marktschranken incl. sunk costs, spezielle Kunden-Lieferanten-Beziehungen, Nachfragemacht, das Aufeinandertreffen von Unternehmen auf mehreren Märkten (multi-market contacts mit einer mutual forbearance-policy) und ein soziales Umfeld, das die Kooperation und Kommunikation fördert. Bei Vorliegen dieser Faktoren besteht zwischen den Unternehmen eine hohe Interdependenz (Reaktionsverbundenheit), so dass die Wahrscheinlichkeit einer kollektiven Verhaltenskoordinierung groß ist, da keine wirtschaftlichen Anreize für individuelle vorstoßende Wettbewerbshandlungen bestehen, vielmehr aus der Sicht der Unternehmen ein bewusstes Parallelverhalten (conscious parallelism) betriebswirtschaftlich rationaler ist. Ein solches den Wettbewerb faktisch beschränkendes Verhalten erfordert allerdings einen Überwachungsund Abschreckungsmechanismus sowie keine Gefährdung der erwarteten Ergebnisse durch die Reaktion von Außenstehenden (z.B. potentiellen Konkurrenten oder Kunden). Denn vorstoßende Wettbewerbshandlungen würden Vergeltungsmaßnahmen der Konkurrenten und einen Preisverfall zu Lasten aller Unternehmen am Markt zur Folge haben (Sanktionsmechanimus). Im Rahmen der dabei vorzunehmenden Prognose kann die Spieltheorie von Nutzen sein.507.

505 506 507

Vgl. zur Verneinung potentiellen Wettbewerbs unter dem Gesichtspunkt der Qualität und Lieferzuverlässigkeit den Fall Saint-Gobain/Wacker-Chemie/NOM, in ABl 1997 Nr. L 247, S. 1 ff. Vgl. auch Europäische Kommission, XXIX. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1999, Luxemburg 2000, S. 70 f., im Anschluss an die Fälle Kali + Salz, Gencor/Lonrho und Airtours/First Choice. Vgl. den richtungweisenden Fall Airtours/First Choice, in: WuW/E EU-R 559 ff.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

263

Nach Ermittlung der vorhersehbaren wettbewerblichen Wirkungen einer Fusion untersucht die EK relevante Ausgleichsfaktoren (lit. 12 und 64 ff.) wie z.B. die Nachfragemacht, die Höhe der Marktschranken508 und eventuelle Effizienzvorteile.509 Soweit in den Fusionsentscheidungen die jeweiligen nationalen Märkte als räumlich relevant angesehen worden sind, ist dies u.a. mit hohen Marktzutrittsschranken infolge ausgeprägter Verbraucherpräferenzen und hohen Transportkosten sowie langfristig bestehenden hohen Preisunterschieden zwischen den nationalen Märkten begründet worden. Die Frage der räumlichen Marktabgrenzung einerseits und – im Falle einer engen räumlichen Marktabgrenzung – des Vorliegens potentiellen Wettbewerbs andererseits müssen für das Eingreifen der Fusionskontrolle als die i d.R. entscheidenden Faktoren angesehen werden. Gem. Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO hat die EK bei der Prüfung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt diese Strukturmerkmale des wirksamen Wettbewerbs mit dem performance-Kriterium „Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“ abzuwägen. Im Fall Nordic Satellite Distribution hat die EK erstmals eine solche Abwägung vorgenommen. Die EK will in außergewöhnlichen Fällen auch prüfen, ob die Voraussetzungen einer Sanierungsfusion erfüllt sind. So ist die failing firm-defense als Rechtfertigung (eines an sich unzulässigen Zusammenschlusses) von der EK im Fall BASF unter drei Voraussetzungen anerkannt worden:510

• • •

Das erworbene Unternehmen müsste ohne die Übernahme durch ein anderes Unternehmen kurzfristig aus dem Markt ausscheiden. Es dürfe keine weniger wettbewerbsschädliche Erwerbsalternative geben. Die zu übernehmenden Vermögenswerte würden ohne die Übernahme durch ein anderes Unternehmen unausweichlich den Markt verlassen, was zu Kapazitätsengpässen geführt hätte, die kurzfristig nicht von den Wettbewerbern aufgefangen werden könnten.

Die erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs bei nicht-horizontalen Fusionen In den Leitlinien für die Beurteilung nicht-horizontaler, d.s. vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse, wird – wie bei den horizontalen Leitlinien – im Rahmen des more economic approach wiederum eine Abwägung zwischen anti- und pro-kompetitiven Effekten vorgenommen (lit. 21).511 Anti-kompetitive Effekte sieht die EK in einer Verstärkung der Marktmacht eines oder mehrerer Unternehmen im Hinblick auf die Fähigkeit, die Preise zu erhöhen, den Output, die Auswahl oder Qualität der Güter und Dienstleistungen zu reduzieren, die Innovation zu vermindern oder Wettbewerbsparameter auf andere Art und Weise zu beeinflussen (lit. 10). 508 509

510 511

Vgl. zur Verneinung potentiellen Wettbewerbs unter dem Gesichtspunkt der Qualität und Lieferzuverlässigkeit den Fall Saint-Gobain/Wacker-Chemie/NOM, in ABl 1997 Nr. L 247, S. 1 ff. Vgl. die Kritik zur Berücksichtigung von Effizienzgewinnen bei Schwalbe, Die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen…, supra, und Schmidt, Ingo, Fusionskontrolle – Effizienz durch Wettbewerb oder Konzentration?, supra. Vgl. BASF/Eurodiol/Pantochim, in: ABl 2002 Nr. L 132, S. 45 ff., im Anschluss an den Fall Kali + Salz (s.o.). Vgl. Europäische Kommission, Leitlinien zur Bewertung nicht-horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Zusammenschlüssen, supra, lit. 21. Vgl. dazu Körber, Torsten, Die Leitlinien der Kommission zur Bewertung nicht-horizontaler Zusammenschlüsse, in: WuW 58 (2008), S. 522 ff.

264

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Mögliche pro-kompetitive Effekte sieht die EK in Effizienzgewinnen (aufgrund von economies of scale oder scope), die von den Unternehmen identifiziert und substantiiert werden müssen, was allerdings nicht gleichbedeutend mit einer Beweislastumkehr ist (lit. 13 und 52 ff.). Analog zu den horizontalen Leitlinien müssen diese Effizienzgewinne kumulativ an die Verbraucher weitergegeben, fusionspezifisch und verifizierbar sein (lit. 53).512 Bei den möglichen anti-kompetitiven Effekten wird wiederum zwischen nicht koordinierten (einseitigen) und (faktisch) koordinierten Effekten unterschieden. Nicht-koordinierte Effekte treten als Marktschließungseffekte auf vor- oder nachgelagerten Märkten auf (sog. input oder customer foreclosure – vgl. lit. 17, 31 ff. und 58 ff.). Koordinierte Effekte treten auf, wenn die Fusion dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit eines koordinierten Verhaltens und von Preiserhöhungen oder anderweitigem Schaden für wirksamen Wettbewerb erheblich zunimmt (lit. 19 und 79 ff.). Bei der Beurteilung der anti-kompetitiven Effekte geht die EK von einem Marktanteil von 30 % bzw. einem HHI von 2.000 als kritischem Indikator für Marktmacht aus, der über den Schwellenwerten für horizontale Zusammenschlüsse liegt (lit. 25).513 Die Verwendung von Konzentrationskoeffizienten, über deren Höhe man sich streiten kann, ist Ausdruck der Erkenntnis, dass Konzentration eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung für rechtliche oder faktische Wettbewerbsbeschränkungen ist (lit. 27). Bei konglomeraten Fusionen stehen Zusammenschlüsse von Unternehmen auf eng verbundenen Märkten (z.B. Fusionen von Anbietern komplementärer Produkte) im Mittelpunkt der Analyse (vgl. lit. 5 und 91 ff.), die zwar in der Mehrzahl der Fälle nicht zu Wettbewerbsproblemen führen, jedoch in gewissen Fällen. Dabei wird wiederum zwischen einseitigen (nicht-koordinierten) und (faktisch) koordinierten Effekten unterschieden. Hauptproblem ist eine Marktschließung durch Kopplung, Bündelung oder andere Ausschlusspraktiken. Die institutionelle Regelung des Fusionskontrollverfahrens Die europäische Fusionskontrolle krankt institutionell daran, dass die Entscheidung nicht von sachverständigen Beamten bzw. Richtern getroffen wird, sondern von den Kommissaren, die aus der Politik kommen und die ökonomische und rechtliche Problematik eines Falles nicht kennen (können). Dem könnte durch folgende Maßnahmen begegnet werden:





512 513

Veröffentlichung der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses, in welcher vorsorglich auf eventuelle Zielkonflikte zwischen der Aufrechterhaltung wirksamem Wettbewerbs und eventuellen Kostenersparnissen i.w.S., dem technischen Fortschritt und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eingegangen werden sollte (Transparenz), und zugleich Errichtung einer EG-Monopolkommission nach britischem, deutschem und französischem Vorbild, deren Votum vor der Entscheidung der EK zu veröffentlichen wäre (Transparenz).

Vgl. dazu die Kritik von Schwalbe zur Berücksichtigung von Effizienzgewinnen in der Fusionskontrolle, op. cit., S. 63 ff. Vgl. Ruppelt, Hans-Jürgen, Kommentar: Nicht-horizontale Zusammenschlüsse besser als horizontale?, in: Wu W 57 (2007), S. 219.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

265

Optimal wäre ein unabhängiges Europäisches Kartellamt, war allerdings eine Änderung des EG-Vertrages notwendig machen würde. Walter Eucken hat die Notwendigkeit einer unabhängigen Kartellbehörde wie folgt begründet:514 „Die Monopolaufsicht sollte also einem staatlichen Monopolaufsichtsamt übertragen werden. Um es den stets gefährlichen (wenn auch in der Wettbewerbsordnung geschwächten) Einflüssen der Interessenten zu entziehen, sollte es ein unabhängiges Amt sein, das nur dem Gesetz unterworfen ist. Es darf also nicht etwa eine Abteilung des Wirtschaftsministeriums werden, die weit stärker dem Druck der Interessenten ausgeliefert ist.“

4.

Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche515

Als Bereichsausnahme (vgl. die §§ 28 und 30 GWB) ist gemäß Art. 42 AEUV nur die Landwirtschaft von der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV freigestellt (VO Nr. 26/62).516 Im Gegensatz zum deutschen Recht unterliegen daher alle übrigen Wirtschaftsbereiche grundsätzlich den Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages. Für eine Reihe von Wirtschaftszweigen sind allerdings sektorspezifische Sonderregeln erlassen worden:

• •



514 515 516 517 518 519 520 521 522

Für den Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffahrtsverkehr durch die VO Nr. 1017/68, kodifiziert durch VO Nr.169/2009;517 für den Seeverkehr ist durch die VO Nr. 1419/2006518 das neue verfahrensrechtliche Regime der VO Nr. 1/2003 auf den Bereich der Schiffahrtskonferenzen ausgedehnt worden. Die EK hat in der VO Nr. 246/2009 die Anwendbarkeit von Art. 101 III AEUV auf bestimmte Kategorien von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen von Schifffahrtskonsortien erklärt; in der VO Nr. 906/2009 ist die Freistellung von Konsortialvereinbarungen geregelt.519 für den Luftverkehr520 durch die VOs Nr. 3975/87 bzw. 3976/87 und 411/2004, die klarstellen, dass die Wettbewerbsregeln sowohl auf den Luftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaates als auch zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten Anwendung finden. Durch die VO Nr. 1459/2006 sind die Freistellung der IATA-Passagiertarifkonferenzen sowie für Zeitnischen (sog. Slots) und Flugzeitplanung für Routen innerhalb der EU aufgehoben worden.521 Die VO Nr. 487/2009 regelt die Anwendbarkeit von Art. 101 III AEUV auf bestimmte Kategorien von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr.522

Eucken, Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., Tübingen 1975, S. 294. Vgl. dazu im Einzelnen mit weiteren Nachweisen Schmidt, Ingo, und André Schmidt, op. cit., S. 139–143. Vgl. ABl 1962, S. 993 ff. Vgl. VO Nr. 1017/68, in: ABl 1968 Nr. L 175, S. 1 ff., und VO Nr. 169/2009, in: ABl 2009 L Nr. 61, S. 1 ff. Vgl. ABl 2006 Nr. L 269, S. 1 ff. Vgl. VO Nr. 246/2009, in: ABl 2009 L Nr. 79, S. 1 ff., und VO Nr. 906/2009, in: ABl 2009 L Nr. 256, S. 31 ff. Vgl. ABl 1987 Nr. L 374, S. 1 ff., und 2004 Nr. L 68, S. 1 ff. Vgl. VO Nr. 1459/2006, in: ABl 2006 L Nr. 272, S. 3 ff. Vgl. VO Nr. 487/2009, in: ABl 2009 L Nr. 148, S. 1 ff.

266

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht



Für den Versicherungssektor durch die VO Nr. 267/2010, wonach bestimmte Gruppen von zwischen Versicherungsunternehmen geschlossenen Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen vom Kartellverbot des Art. 101 I AEUV freigestellt werden können.523 Alle übrigen Wirtschaftsbereiche unterliegen den Art. 101 und 102 AEUV, so dass – im Falle einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels – die teilweise Freistellung der sektorspezifischen Bereiche nach nationalem Recht langfristig immer stärker an Bedeutung verlieren dürfte.

IV. Die Zuständigkeit für die Durchsetzung der europäischen Wettbewerbspolitik Zuständig für die Durchsetzung des Europäischen Wettbewerbsrechts war bis zum 30. April 2004 gem. Art. 9 der VO Nr. 17/62 grundsätzlich die Europäische Kommission in Brüssel. Die Generaldirektion Wettbewerb hat etwa 750 Mitarbeiter, davon ca. 300 Akademiker. Gegen die Entscheidungen der EK kann Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben werden (Art. 263 und 264 AEUV), der auch in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen kann (Art. 279 EGV); dem EuGH ist seit 1989 ein Europäisches Gericht erster Instanz (EuG) vorgeschaltet. Die erste Instanz hat die Entscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, während die zweite Instanz auf die Entscheidung von Rechtsfragen beschränkt ist. Mit dem Inkrafttreten der VO Nr. 1/03 zum 1. Mai 2004 ist ein Übergang vom Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt zum Legalausnahmeprinzip für alle Wettbewerbsbeschränkungen, welche die Voraussetzungen des Art. 101 III AEUV erfüllen, erfolgt (vgl. Art. 1 II VO Nr. 1/03). Ist dies der Fall, dann gilt das Verbot des Art. 101 I AEUV nicht. Die ex anteKontrolle ist damit weitgehend durch eine ex post-Kontrolle ersetzt worden, wodurch die Durchsetzung der wettbewerbspolitischen Ziele des EG-Vertrages erschwert wird (Transparenzverlust über wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei den Kartellbehörden). Diesem Problem will man durch eine Regelung der Beweislast dergestalt begegnen, dass die Beweislast für einen Verstoß gegen die Art. 101 I und 102 AEUV bei den Wettbewerbsbehörden, die Beweislast für das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 III AEUV dagegen bei den Unternehmen liegt. Gleichzeitig ist das Freistellungsmonopol der EK und damit die Möglichkeit für die Unternehmen entfallen, durch Anmeldung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen Rechtssicherheit im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vereinbarung und Schutz vor Bußgeld zu erlangen. Allerdings kann die EK auch in Zukunft in Einzelfällen rechtlich unverbindliche Auskünfte erteilen (sog. guidance letters).524 Neben der EK (Art. 4 der VO Nr. 1/03) sind

523 524

Vgl. VO Nr. 267/2010 vom 30.3.10, in: ABl 2010 Nr. L 83, S. 1 f Vgl. Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Art. 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen entstehen (Beratungsschreiben), in: ABl 2004 Nr. C 101, S. 78 ff.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

267

gem. Art. 5 und 6 VO Nr. 1/03 ab dem 1. Mai 2004 die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zuständig.525

V.

Die verfahrensrechtlichen Regelungen526

1.

Bußgeldverfahren

Im Bußgeldverfahren können gemäß Art. 23 der VO Nr. 1/03 Geldbußen bis zu 1 % des letzten Jahresumsatzes zur Durchsetzung der in den Art. 101 und 102 AEUV enthaltenen Verbote festgesetzt werden Anders als im deutschen und amerikanischen Recht ist allerdings eine Verhängung von Geldbußen nur gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, nicht jedoch gegen natürliche Personen möglich.

2.

Verwaltungsverfahren

Das Verwaltungsverfahren der Europäischen Kommission kennt nur noch folgende Formen:527 a) Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen Gemäß Art. 7 VO kann die Kommission Entscheidungen über die Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV treffen. Dazu kann sie nicht nur verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen, sondern auch Maßnahmen struktureller Art (d.s. Entflechtungen) vorschreiben. b) Einstweilige Maßnahmen Gem. Art. 8 VO kann die Kommission in dringenden Fällen von Amts wegen einstweilige Maßnahmen anordnen. c) Verpflichtungszusagen Bieten Unternehmen im Rahmen eines Untersagungsverfahrens i.S. von Art. 7 VO Verpflichtungszusagen an, die geeignet sind, wettbewerbsrechtliche Bedenken auszuräumen, so kann die Kommission diese Verpflichtungszusagen gem. Art. 9 VO für bindend für die Unternehmen erklären. Die Nichteinhaltung dieser Zusagen kann gem. Art. 23 f. VO mit Bußgeldern und Zwangsgeldern geahndet werden.

525

526

527

Vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Wettbewerbsbehörden, in: ABl 2004 Nr. C 101, S. 43 ff. Vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedsländer bei der Anwendung der Art. 81 und 82 des Vertrages, in: ABl 2004 Nr. C 101, S. 54 ff. Vgl. Hossenfelder, Silke, und Martin Lutz, Die neue Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EGVertrag, in: WuW 53 (2003); S. 118 ff., und Koenigs, Folkmar, Die VO Nr. 1/2003: Wende im EG-Kartellrecht, in: DB 56 (2003), S. 755 ff. Demgegenüber kannte die VO Nr. 17/62 das Negativattest, das Anmelde- und Freistellungsverfahren, das objektive Verfahren, das Anmelde- und Widerspruchsverfahren sowie den comfort letter.

268

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

d) Feststellung der Nichtanwendbarkeit Im Interesse einer Klärung der Rechtslage und einer einheitlichen Rechtsanwendung kann die Kommission gem. Art. 10 VO im Einzelfall ausnahmsweise von Amts wegen durch Entscheidung feststellen, dass die Voraussetzungen des Ar. 101 I AEUV nicht vorliegen oder die Voraussetzungen des Art. 101 III AEUV erfüllt sind. Dabei handelt es sich um die einzige vorgesehene Positiventscheidung.

3.

Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen

Da die Art. 101 und 102 AEUV Schutzgesetz im Sinne der §§ 823 Abs. 2 BGB bzw. 33 GWB sind, kann als zivilrechtliche Sanktion auch eine Klage auf Schadensersatz oder Unterlassung vor den ordentlichen deutschen Gerichten in Betracht kommen, da diese gem. Art. 6 VO Nr. 1/2003 für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zuständig sind. Dabei ist die Zusammenarbeit der EK mit den Gerichten der Einzelstaaten in Art. 15 f. VO Nr. 1/2003 geregelt. Am 2. April 2008 hat die EK ein Weißbuch über „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ angenommen, das Verbandsklagen und class actions bei Verstößen gegen die Verbote der Art. 101 und 102 AEUV vorsieht.528 Der more economic approach (s.o. Abschnitt I) wird allerdings die Durchsetzung privater Schadensersatz- oder Unterlassungsklagen sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen, wie Dreher und Adam zu Recht herausgearbeitet haben:529 “Private parties will face considerable expenditure in terms of time, effort and money when enforcing antitrust law following a more economic approach. Further, economic science provides many options in the assessment of abusive practices making it difficult to predict the outcome of the individual case. Therefore, an effects-based approach will deter private parties form playing a larger role in the private enforcement of European antitrust rules.”

Übungsfragen zum 9. Kapitel 1. 2. 3. 4.

528 529

Schildern Sie Entstehungsgeschichte und Ziele des Europäischen Wettbewerbsrechts. Wodurch ist der more economic approach charakterisiert? Welche ökonomische und juristische Kritik wird daran geübt? Wie ist der sachliche Anwendungsbereich des Europäischen Wettbewerbsrechts abgegrenzt, und in welchem Verhältnis stehen nationales und europäisches Wettbewerbsrecht? Wie werden horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen gem. Art. 101 AEUV behandelt?

Vgl. Europäische Kommission, Weißbuch zu Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts im Internet unter: http://ec.europa.eu/comm/competition/index_de.htm. Dreher und Adam, supra, S. 277.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

18. 19.

269

Erörtern Sie die Konkretisierung des generellen Verbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV durch Entscheidungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofes, die sich in drei Fallgruppen systematisieren lassen. Unter welchen Voraussetzungen sind Wettbewerbsbeschränkungen von dem Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nach Art. 101 Abs. 3 AEUV ausgenommen? Welche Vertragstypen werden generell von der Anwendung des relativ strikten Verbotsprinzips des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen (Gruppenfreistellungen)? Welcher Unterschied besteht zwischen Art. 102 AEUV und § 19 GWB bei der Definition der marktbeherrschenden Stellung? Erörtern Sie Möglichkeiten und Probleme bei der Erfassung des Behinderungsmissbrauchs marktbeherrschender Unternehmen im Sinne des Art. 102 AEUV. Wie werden Boykott und Lieferverweigerung im EGV erfasst? Was besagt das Diskriminierungsverbot im EGV, und welche Ausnahme davon ist möglich? Wie werden Kopplungs- und Ausschließlichkeitsverträge im EGV erfasst? Erläutern Sie, ob Schutzobjekt der Missbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV der Individual- oder der Institutionsschutz ist. Zeigen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Art. 102 AEUV und § 19 GWB bei der Marktergebniskontrolle marktbeherrschender Unternehmen auf. Skizzieren Sie die Aufgreif- und Eingreifkriterien der 1990 in Kraft getretenen EGFusionskontrolle. Welche Rolle spielt die Spieltheorie bei der Anwendung der Fusionskontrolle? Welche Änderungen der FKVO sind 2004 erfolgt? Welche Rolle spielen neuerdings Effizienzüberlegungen bei der Fusionskontrolle? Inwieweit unterscheidet sich das Marktbeherrschungskriterium von dem neuen Kriterium der erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs? Welche institutionellen Probleme stellen sich bei der EG-Fusionskontrolle? Erörtern Sie die verfahrensrechtlichen Regelungen im europäischen Wettbewerbsrecht nach der neuen VO Nr. 1/03.

Weiterführende Literaturhinweise zum 9. Kapitel 1.

Kommentare

Bechthold, Bosch, Brinker und Hirsbrunner, EG-Kartellrecht: Kommentar, 2. Aufl., München 2009. Bronnet, de, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht – VO 1/2003, Neuwied 2005. Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Band II und III, Köln fortlfd. Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht: Kommentar Band 1 (Teil 1 und 2), 4. Aufl., München 2007.

270

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Langen und Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 2: Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl., München 2006. Band 2 enthält ein systematisches Verzeichnis der Texte zum EG Recht (VOs, Bekanntmachungen, Leitlinien etc.). Liebscher, Christoph, Eckhard Flohr und Alexander Petsche (Hrsg.), Handbuch der EGGruppenfreistellungs-verordnungen, München 2003. Loewenheim/Meessen/Riesenkampf, Kartellrecht: Europäisches und Deutsches Recht – Kommentar, 2. Aufl., München 2009. Münchner Kommentar: Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), hrsg. von Hirsch, Günter, Frank Montag und Franz Jürgen Säcker, München 2007/2011, Bd. 1: Europäisches Wettbewerbsrecht; Band 3: Vergabe- und Beihilferecht. Schulte, Josef L. (Hrsg.), Handbuch Fusionskontrolle, München 2005.

2.

Lehrbücher und Aufsätze

Aigner, Andreas, Kollektive Marktbeherrschung im EG-Vertrag: Zugleich eine Untersuchung der Behandlung von Oligopolfällen durch die Kommission und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Schriftenreihe zum gesamten Europarecht Band 7, Wien 2001. Bellamy, Christopher, und Graham D. Child, European Community law of competition, 5. Aufl., London 2001. Böge, Ulf, Reform der Europäischen Fusionskontrolle, in: WuW 54 (2004), S. 138 ff. ders., Der ,more economic approach‘ und die deutsche Wettbewerbspolitik, in: WuW 54 (2004), S. 726 ff. Bloch, Robert E., Hans-Georg Kamann, Jay S. Brown und Jens Peter Schmidt, A Comparative Analysis of Art. 82 of the EC Treaty and Sec. 2 of the Sherman Act, in: Zeitschrift für Wettbewerbsrecht 3 (2005), S. 325 ff. Bunte, Hermann-Josef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, Teil 2. Christiansen, Arndt, Der „More Economic Approach“ in der EU-Fusionskontrolle: Entwicklung, konzeptionelle Grundlagen und kritische Analyse, Frankfurt am Main u.a. 2010 Diaz, Francisco Enrique González, The Reform of European Merger Control: Quid Novi Sub Sole, in: World Competition 27 (2004), S. 177 ff. Eickhof, Norbert, und Kathrin Isele, Do Economists matter? Eine politökonomische Analyse des Einflusses wettbewerbspolitischer Leitbilder auf die europäische Fusionskontrolle, in: Entscheidungsorientierte Volkswirtschaftslehre: Festschrift für Gustav Dieckheuer, hrsg. von Göcke, Mathias, und Stefan Kooths, Frankfurt a.M. u.a. 2005, S. 365 ff. Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, hrsg. von Fleischer, Holger, und Daniel Zimmer, in: Beihefte der ZHR, Frankfurt am Main 2008. Emmerich, Volker, Kartellrecht: Ein Studienbuch, 11. Aufl., München 2008, 2. Teil. Ewald, Christian, Ökonomie im Kartellrecht: Vom more economic approach zu sachgerechten Standards forensischer Ökonomie, in: Zeitschrift für Wettbewerbsrecht 9. Jg. (2011), S. 15 ff.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

271

Goyder, D.G., EEC Competition Law, 4. Aufl., Oxford 2003. Hahn, Andreas, Oligopolistische Marktbeherrschung in der Europäischen Fusionskontrolle, Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 156, Berlin 2003. Hermann, Maximilian, Die Neufassung des materiellen Untersagungskriteriums in Art. 2 Abs. 2 und 3 EG-FKVO, Reihe Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 222, BadenBaden 2008. Immenga, Frank A., und Martin Stopper, Die europäischen und US-amerikanischen Leitlinien zur horizontalen Kooperation, in: RIW 47 (2001), S. 241 ff. Inderst, Roman, und Schwalbe, Ulrich, Effekte verschiedener Rabattformen – Überlegungen zu einem ökonomisch fundierten Ansatz, in: ZWeR 7. Jg. (2009), S. 65 ff. Kaufhold, Tim, Das Eingreifkriterium in der Europäischen Fusionskontrolle: der SIEC-Test in Abgrenzung zum Marktbeherrschungs- und SLC-Test, Baden-Baden 2007. Kerber, Wolfgang, Die europäische Fusionskontrollpraxis und die Wettbewerbskonzeption der EG, Bayreuth 1994. Klumpp, Ulrich, Die „Efficiency Defense“ in der Fusionskontrolle: Eine rechtsvergleichende Untersuchung über die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen bei der Zusammenschlusskontrolle nach deutschem, europäischem und US-amerikanischem Recht, BadenBaden 2006. Koenig, Christian, und Kristina Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht: Kartell- und Missbrauchsverbot, Fusionskontrolle, Beihilfen- und Vergaberecht, Tübingen 2010, Körber, Torsten, Die Leitlinien der Kommission zur Bewertung nicht-horizontaler Zusammenschlüsse, in: Wirtschaft und Wettbewerb 58 (2008), S. 522 ff. Künzler, Adrian, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit: Zur Frage nach den Aufgaben des Rechts gegen private Wettbewerbsbeschränkungen, Tübingen 2008 (zu den konzeptionellen Grundlagen des „more economic Apporach“). Linder, Birgit, Kollektive Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle: eine Untersuchung zum US-amerikanischen, deutschen und europäischen Recht, Baden-Baden 2005. Mestmäcker, Ernst-Joachim, und Heike Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., München 2004. Miert, Karel van, Markt, Macht, Wettbewerb: meine Erfahrungen als Kommissar in Brüssel, Stuttgart, München 2000. Möschel, Wernhard, Ex ante-Kontrolle versus ex post-Kontrolle im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, in. Ordo Band 52 (2001), S. 63 ff. Monti, Giorgio, The Scope of Collective Dominance under Articles 82 EC, in: Common Market Law Review 38 (2001), S. 131 ff. Neven, Damien, Robin Nuttall und Paul Seabright, Merger in Daylight: The Economics and Politics of European Merger Control, London 1993. Oberender, Peter (Hrsg.), Die Europäische Fusionskontrolle, Schriften des Vereins für Socialpolitik NF Band 270, Berlin 2000. Pellmann, Moritz, Significant Impediment to Effective Competition: Marktbeherrschung und erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs (SIEC-Test) in der Europäischen Fusionskontrolle, Baden-Baden 2006.

272

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Rittner, Fritz, und Michael Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 7. völlig neu bearbeitete Auflage, Heidelberg 2008. Säcker, Franz Jürgen, und Maik Wolf, Deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht: case by case, Frankfurt a.M. 2008. Schmidt, André, Europäische Wettbewerbspolitik, in: Kompendium Europäische Wirtschaftspolitik, hrsg. von Ohr, Renate, und Theresia Theurl, München 2001, S. 363 ff. Schmidt, Ingo, The Suitability of the European Merger Control System: An Analysis of Five Years of Application, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Bd. 215 (1996), S. 287 ff. ders., Zur wettbewerbspolitischen Diskussion über das adäquate Eingreifkriterium zur Erfassung wettbewerbsbeschränkender Fusionen, in: Wirtschaftspolitik in offenen Demokratien: Festschrift für Uwe Jens, hrsg. von Neumann, Lothar F., und Hajo Romahn, Marburg 2005, S. 129 ff. ders., More economic approach: Ein wettbewerbspolitischer Fortschritt?, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuing und Kurt Stockmann, München 2006, S. 409 ff. ders. und André Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle: Eine Einführung, 2. Aufl., München 2006. ders., More Economic Approach: Der performance-Test als „invitation to nonenforcement“, in: Quo vadis Wirtschaftspolitik – Ausgewählte Aspekte der aktuellen Diskussion: Festschrift für Norbert Eickhof, hrsg. von Grusevaja, Hösel, Wonke und Dunn, Schriften zur politischen Ökonomik, Frankfurt am Main u.a. 2008, S. 65 ff. ders., More Economic Approach: Ökonomisches Modell oder Verbesserung der Rechtspraxis, Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, hrsg. von Joost, Oetker und Paschke, München 2011, S. 936 ff. Schwalbe, Ulrich, Die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen in der Fusionskontrolle – Ökonomische Aspekte, in: Effizienz und Wettbewerb, Schriften des Vereins für Socialpolitik NF Bd. 306 (2005), hrsg. von Peter Oberender, S. 63 ff. ders., Nicht-koordinierte Effekte horizontaler Zusammenschlüsse – wirtschaftstheoretische Grundlagen und Prognose durch Simulationsmodelle, in: Recht und Wettbewerb: Festschrift für Rainer Bechtold, hrsg. von Brinker, Ingo, Dieter H. Scheuring und Kurt Stockmann, , München 2006, S. 465 ff. Seehafer, Astrid, Die Verwendung ökonomischer Modelle in der Fusionskontrollverordnung aus juristischer Perspektive, in: 59 Wirtschaft und Wettbewerb 2009, S. 728 ff. Seliger, Bernhard, Ein unabhängiges Kartellamt für Europa – ordnungs- und wettbewerbspolitische Aspekte, in: Wirtschaft und Wettbewerb 47(1997), S. 874 ff. Wiedemann, Gerhard, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., München 2009. Wolf, Maik, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle: Die wettbewerbsrechtliche Integrationsfähigkeit einer „efficiency defense“ am Beispiel horizontaler Zusammenschlüsse – Zugleich ein Beitrag zur kritischen Präzisierung eines „more ecnomic approach“, Baden-Baden 2009. Zäch, Roger, Grundzüge des Europäischen Wirtschaftsrechts, 2. Aufl., Zürich u.a. 2005.

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

273

Zimmer, Daniel, Der rechtliche Rahmen für die Implementierung ökonomischer Ansätze, in: Wirtschaft und Wettbewerb 57 (2007), S. 1198 ff.

3.

Amtliche Publikationen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1. Bericht über die Wettbewerbspolitik, Brüssel, Luxemburg 1972; diesem Bericht aus dem Jahre 1972 ist in jedem Jahr ein weiterer Wettbewerbsbericht gefolgt. dies., Bekanntmachung der Kommission zur Definition des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft, in: ABl EG 1997 Nr. C 372, S. 5 ff., abgedruckt in: WuW Jg. 48 (1998), S. 261 ff. dies., Weißbuch zur Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts, in: ABl EG 1999 Nr. C 132, S. 1 ff. dies., VO Nr. 330/2010 über die Anwendbarkeit von Art. 101 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, in: ABl EG 2010 L Nr. 102, S. 1 ff. dies., Bekanntmachung von Leitlinien für vertikale Beschränkungen, in: ABl EG 2010 C Nr. 130, S. 1 ff. dies., Bekanntmachung von Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, in: ABl 2011 C Nr. 11, S. 1 ff. dies., Bekanntmachung über Vereinbarungen vor geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art. 81 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), in: ABl EG 2001 C Nr. 368, S. 13 ff. dies., VO Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, in: ABl EG 2003 L Nr.1, S. 1 ff. dies., VO Nr. 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, in: ABl EG 2004 L Nr. 024. dies., Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Zusammenschlüssen, in: ABl EG 2004 C Nr. 31, S. 5 ff. dies., Bekanntmachung über die Zusammenarbeit im Netzwerk der Wettbewerbsbehörden, in: ABl EG 2004 Nr. C 101, S. 43 ff. dies., Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedsländer bei der Anwendung der Art. 81 und 82 des Vertrags, in: ABl EG 2004 C Nr. 101, S. 54 ff. dies., Bekanntmachung von Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrags, in: ABl EG 2004 C Nr. 101, S. 81 ff. dies., Bekanntmachung von Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag, in: ABl EG 2004 C Nr. 101, S. 97 ff. dies., Leitlinien zur Bewertung nicht-horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Zusammenschlüssen, in: ABl 2008 C Nr. 265, S. 6 ff. dies., Competition Policy Newsletter (3 x pro Jar)

274

9. Kapitel: Das europäische Wettbewerbsrecht

Monopolkommission, Konzeption einer europäischen Fusionskontrolle, Sondergutachten 17, Baden-Baden 1989. dies., 9. Hauptgutachten 1990/91: Wettbewerbspolitik oder Industriepolitik, Baden-Baden 1992, Tz. 595–626 (Kap IV, 4: Europäische Fusionskontrolle). dies., Sondergutachten 28: Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? Zum Weißbuch der Kommission vom 28. April 1999, Baden-Baden 1999. dies., Sondergutachten 32: Folgeprobleme der europäischen Kartellverfahrensreform, BadenBaden 2001. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Gutachten zur Reform der europäischen Kartellpolitik, abgedruckt in: Wirtschaft und Wettbewerb 50 (2000), S. 1096 ff.

4.

Fundstellen

Entscheidungen der EK im Internet unter: http://ec.europa.eu/comm/competition/index_de.htm. Entscheidungen der europäischen Gerichte in Wettbewerbssachen im Internet unter: http://ec.europa.eu/comm/competition/court/index.html oder http://curia.europa.eu/de/index.htm (homepage des EuGH und des EuG) Entscheidungssammlung zum Kartellrecht der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb (WuW/E), unterteilt in: – WuW/E EWG/MUV = Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes – WuW/E EV = Entscheidungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Seit Januar 1998 wird die Entscheidungssammlung wie folgt zitiert: – WuW/E EU-R = Entscheidungen des EuGH und des EuG – WuW/E EU-V = Entscheidungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Slg. = Sammlung der Rechtsprechung des EuGH (Teil I) und des EuG (Teil II): http://ec.europa.eu/comm/competition/index_de.htm.

10. Kapitel: Überblick über das US-amerikanische Antitrustrecht530 I.

Entstehungsgeschichte und Ziele

Die Vereinigten Staaten verfügen mit dem Sherman Act aus dem Jahre 1890 über das erste Wettbewerbsgesetz eines modernen Industriestaates. Bei seiner Verabschiedung stand die gesellschaftspolitische Motivation der demokratischen Kontrolle wirtschaftlicher Macht im Vordergrund. Man erblickte in unkontrollierten privaten Machtpositionen eine Gefährdung der durch die Verfassung garantierten individuellen Freiheitsrechte.531 Die Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1865) waren durch einen sehr raschen Wandel der Industriestruktur gekennzeichnet, der durch einen Ausbau des Eisenbahnnetzes und die damit mögliche Verschmelzung der lokalen und regionalen Märkte zu nationalen Märkten gefördert wurde. In dieser Periode entstanden sehr große Trusts532, die wesentliche Teile von Handel und Industrie in den USA unter ihre Kontrolle brachten. Dieser starke Konzentrationsprozess hatte in den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einer allgemeinen Protestbewegung gegen die Trusts als Symbol der unkontrollierten wirtschaftlichen Macht und schließlich zum Erlass des Sherman Act geführt. Der Sherman Act sollte die Wettbewerbsfreiheit gegen Beschränkungen schützen, weshalb – anknüpfend an die Terminologie und die Tradition des angloamerikanischen Common Law – horizontale und vertikale „restraints of trade“ (incl. aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen) in sec. 1 Sherman Act verboten wurden. Sec. 2 Sherman Act enthält zusätzlich ein Monopolisierungsverbot. Danach kann gegen Marktmacht dann vorgegangen werden, wenn sie mit der Absicht der Monopolisierung missbraucht bzw. ein solcher Missbrauch versucht wird. Wirtschaftspolitisch lag dem Gesetz die Philosophie des free competition zugrunde, wenngleich man sich über die wettbewerbstheoretischen Grundlagen wenig Gedanken machte.533 Man ging davon aus, dass durch den Schutz der Wettbewerbsfreiheit vor exzessiver wirtschaftlicher Macht zugleich die wirtschaftlichen Kräfte freigesetzt und stimuliert würden. Im Laufe der Zeit ergab sich eine Akzentverschiebung von der einseitigen Betonung gesellschaftspolitischer Motive (Freiheitsschutz durch Machtkontrolle) hin zum Schutz der Wirk530 531 532

533

Vgl. den guten Überblick bei Blechmann, Michael D, und Jennifer B. Patterson, U.S. Antitrustrecht, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Band VI, Köln 2008. Vgl. dazu umfassend Thorelli, Hans B., The Federal Antitrust Policy: Origination of an American Tradition, Baltimore 1955, S. 72–85 und 108–162. Bei der Organisationsform der Trusts übertrugen die Aktionäre ihre Anteile an den Board of Trustees; als Gegenleistung erhielten sie Trustzertifikate, die ihnen einen bestimmten Anteil am ausgeschütteten Gewinn zusicherten. Das Board of Trustees hatte so aufgrund der übertragenen Aktien eine vollkommene Kontrolle über alle angeschlossenen Unternehmen. Vgl. Thorelli, op. cit., S. 226.

276

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

samkeit des Wettbewerbs, so dass der Sherman Act in seiner höchstrichterlichen Interpretation heute sowohl die gesellschaftlichen als auch die ökonomischen Funktionen des Wettbewerbs umfasst.534 1914 wurde der Sherman Act durch den Clayton Act und den Federal Trade Commission (FTC) Act ergänzt. Das Ziel des Clayton Act besteht gemäß seiner Präambel darin, bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen zu verbieten, die nicht vom Sherman Act erfasst werden, und dadurch die Monopolisierung bereits in ihrem Anfangsstadium zu unterbinden. Diese sog. „incipiency doctrine“, die eine mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung des Wettbewerbs genügen lässt, ist im Hinblick auf ein rechtzeitiges Eingreifen von überragender Bedeutung. Sie hat dazu geführt, dass die Vorschriften des Clayton Act im Hinblick auf die Erfassung von Absprachen zur Monopolisierung oder Oligopolisierung weit wirksamer sind als beispielsweise sec. 2 Sherman Act. Der Clayton Act hat mehrere bedeutende Änderungen erfahren. 1936 wurde durch den Robinson-Patman Act das Diskriminierungsverbot des sec. 2 Clayton Act verschärft und 1950 durch den Celler-Kefauver Antimerger Act das Fusionsverbot des sec. 7 erweitert, um alle Zusammenschlussarten und -formen zu erfassen. Der Hart-Scott-Rodino Improvements Act fügte 1976 einen neuen sec. 7 A in den Clayton Act ein, der für Großfusionen eine Anmeldepflicht vorsieht.535 Die beteiligten Unternehmen haben in diesen Fällen den Zusammenschluss bei der Federal Trade Commission (FTC) und der Antitrust Division des Department of Justice anzumelden und unterliegen nach vollständiger Anmeldung einem 30tägigen Vollzugsverbot.536 Die Schwellenwerte für die Anmeldung von Fusionen sind 2007 geändert worden. Der FTC Act von 1914 enthält in sec. 5 (a) nur eine umfassende Generalklausel, welche „unfair methods of competition“ und „unfair or deceptive acts or practices“, die den Geschäftsverkehr beeinflussen, für ungesetzlich erklärt. Die Vorschrift dient einerseits dem Schutz des wirksamen Wettbewerbs (Antitrust), andererseits aber auch dem Schutz der Unternehmen vor unlauteren Wettbewerbspraktiken (UWG), wobei die FTC bei der Konkretisierung des Unlauterkeitsbegriffes im Sinne von sec. 5 FTC Act ein sehr weites Ermessen hat. Aufgrund des Wheeler-Lea Amendment von 1938 wurde durch Einfügung der Worte „unfair or deceptive acts or practices“ der Kommission die Möglichkeit gegeben, auch Verbraucher vor unlauteren oder irreführenden Wettbewerbspraktiken (Verbraucherschutz)537 zu schützen, ohne negative wettbewerbliche Effekte darlegen zu müssen. Bis Anfang der 80er Jahre galt die US-amerikanische Wettbewerbspolitik als eine der strengsten der Welt. Unter dem Einfluss der Chicago School zeichnete sich jedoch mit dem Amtsantritt von Präsident Reagan 1981 eine deutliche Neuorientierung in der Antitrustpoli-

534 535 536 537

Vgl. z. B. Northern Pacific Railway Co. v. US, in: 1958 Trade Cases § 68, 961 auf S. 73, 864. Zu den Einzelheiten der Anmeldepflicht vgl. DIHT (Hrsg.), Fusionskontrolle in USA, Bonn 1978, S. 14 ff. In 2001 sind die Schwellenwerte heraufgesetzt worden. Vgl. FTC Guides: Premerger Notification Procedures, in: CCH Trade Regulation Reports No. 145 vom 12. Februar 1991 (Part II). Vgl. Miller, John A., Federal Trade Commission Activities Related to Consumer Information, in: Zeitschrift für Verbraucherpolitik 1 (1977), S. 62 ff.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

277

tik ab.538 Im Vordergrund standen nun nicht mehr die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als Kontroll- und Steuerungsmechanismus, sondern einzelwirtschaftliche Effizienzüberlegungen. Dieser ausgeprägte Schwenk in der Antitrustpolitik ist dadurch erklärlich, dass die Antitrust Division des Department of Justice eine weisungsgebundene Behörde ist. Die Wettbewerbspolitik konzentrierte sich hauptsächlich auf die Verfolgung von Preisabsprachen und Absprachen zur Aufteilung von Märkten als per se-Verstoß sowie auf die Deregulierung sog. Ausnahmebereiche (z.B. Luftverkehr). Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen539 und Unternehmenszusammmenschlüsse540 wurden aufgrund möglicher Effizienzgewinne weit weniger kritisch beurteilt. Die Folgen dieser neuen Politik waren 1981/82 die Einstellung der zum Teil seit 10 Jahren anhängigen Entflechtungsverfahren gegen verschiedene amerikanische Industrien541 sowie eine steigende Konzentration in einigen Branchen, insbes. in der Mineralölindustrie. Insgesamt war die amerikanische Antitrustpolitik in den 80er Jahren durch eine starke Abschwächung in der Durchsetzung des Antitrustrechts gekennzeichnet, jedenfalls soweit es die Einleitung von Straf- oder Verwaltungsverfahren durch die beiden Wettbewerbsbehörden, aber auch Privatklagen (private antitrust suits) betraf.542 Die Entwicklung der Antitrustpolitik unter Präsident Bush sen. war durch ein vorsichtiges Einschwenken auf eine mittlere Linie charakterisiert. Insbesondere bei der Fusionskontrolle, die in den 80er Jahren fast zum Erliegen gekommen war, wurde nicht mehr auf die bloße Möglichkeit, sondern auf die konkrete Wahrscheinlichkeit des Auftretens potentieller Konkurrenten in den nächsten beiden Jahren abgestellt. Die Einrede einer wesentlichen Effizienzsteigerung musste von den fusionierenden Unternehmen überzeugend nachgewiesen werden. Schwierigkeiten bei der Durchsetzung dieser neuen Antitrustlinie bereitete allerdings die Haltung der Bundesgerichte, die in den 80-er Jahren gut zur Hälfte mit konservati538

539

540

541

542

Vgl. Mueller, Dennis C., Das Antitrustrecht der Vereinigten Staaten am Scheideweg, in: WuW 36 (1986), S. 533 ff., und Scherer, Frederic M., und David Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 3.Aufl., Dallas u.a. 1990, S. 186–192. Vgl. FIW (Hrsg.), Neue Entwicklungen des Antitrustrechts zu vertikalen Beschränkungen, Köln u.a. 1984; U.S. Department of Justice, Vertical Restraints Guidelines, in: CCH Trade Regulation Reporter Bd. 4, § 13,105, und FIW (Hrsg.), Vertikale Verträge – US-Guidelines 1985 und EG-Kartellrecht, Köln u.a. 1986. Vgl. auch Schmidt, Ingo, und Ulrich Kirschner, Darstellung und wettbewerbspolitische Würdigung der U.S. Vertical Restraints Guidelines, in: WuW 35 (1985), S. 781 ff. Vgl. DIHT (Hrsg.), Neue US-Fusionskontrolle: Verwaltungsgrundsätze der Kartellbehörden, Bonn 1983, wo die 82er Fusionsrichtlinien mit einer einleitenden Kommentierung von Heinrich Hölzler abgedruckt sind. Vgl. auch Schmidt, Ingo, und Wolfgang Ries, Der Hirschman-Herfindahl-Index (HHI) als wettbewerbspolitisches Instrument in den neuen US-Fusionsrichtlinien 1982, in: WuW 33 (1983), S. 525 ff. 1984 sind die Fusionsrichtlinien nochmals überarbeitet und in einer Reihe von Punkten entschärft worden (z.B. generelle Einführung der efficiency-defense und ausdrückliche Berücksichtigung des Auslandswettbewerbs). Vgl. FIW (Hrsg.), US-Fusionsrichtlinien 1984, Köln u. a. 1985. Vgl. FTC v. Exxon Corp., in: CCH Trade Regulation Reporter Transfer Binder: FTC Complaints and Orders 1979–83 § 21,866, und FTC v. Kellogg Co. et al., in: op. cit., § 21, 899. In beiden Fällen hatte es sich um Monopolisierungsklagen nach sec. 5 FTC Act gehandelt. Vgl. US v. IBM Corp., in: CCH Trade Regulation Reporter Transfer Binder: Antitrust Cases Summaries 1980–1988, § 45,070 Case 2039, und US. v. AT & T, in: CCH Trade Regulation Reporter Transfer Binder: Antitrust Cases Summaries 1980–1988, § 45,070 Case 2416. Vgl. den guten Überblick bei Buxbaum, Richard M., Enforcement of United States Antitrust Laws during the Reagan Administration: Review and Prospects, in: WuW 39 (1989), S. 566 ff. Vgl. auch General Accounting Office (GAO) Report, Antitrust Division and President Reagan: Changes in Enforcement Policies, Activities, in: CCH, Trade Regulation Reports No. 137 vom 18. Dezember 1990 (Part II). Der Bericht gibt einen guten Überblick über die Entwicklung der Antitrustpolitik unter Präsident Reagan in den 80er Jahren.

278

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

ven Richtern besetzt worden waren und rein effizienzorientiert à la Chicago School Recht sprechen.543 Der mehrheitlich republikanische Senat blockierte die Ernennung liberaler Bundesrichter, die von der Chicago School abweichende Rechtspositionen vertraten. Für die Clinton-Regierung war Antitrust anfangs kein politischer Schwerpunkt. Allerdings wurden in der zweiten Wahlperiode internationale Kartellabsprachen mit Nachdruck verfolgt. Zudem ist eine Entflechtungsklage der Antitrust Division gegen Microsoft wegen Monopolisierung gem. sec. 2 Sherman Act ( insbes. Vorwurf der massiven Behinderung kleiner Mitbewerber durch Kopplung von Betriebssystem „Window“ und Internetzugangssystem Explorer, um Netscape vom Browsermarkt zu verdrängen) vor den Bundesgerichten erhoben worden. Die neue Regierung unter Bush jun. hat mit Microsoft einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen544, der im November 2002 vom Federal District Court und im Juni 2004 vom Federal Court of Appeal in Washington, D. C. als im öffentlichen Interesse liegend gebilligt worden ist. Danach soll Microsoft den Computerherstellern mehr Rechte bei der Einbindung der einzelnen Komponenten in das Betriebssystem einräumen.545 Die Entwicklung unter Obama bleibt abzuwarten, wenngleich die Überarbeitung der Merger Guidelines in 2010 eine striktere Fusionskontrolle indiziert, Die 90er Jahre waren insbesondere durch die Herausforderung einer Globalisierung der Märkte gekennzeichnet, was die Kooperation mit ausländischen Regierungen und internationalen Organisationen wie OECD, UNCTAD oder EU erforderte. Seit 1991 verfolgt die amerikanische Regierung den sog. positive comity approach, nach welchem US-Wirtschaftsinteressen auch auf ausländischen Märkten wirksam gegen wettbewerbswidrige Praktiken geschützt werden sollen. Zu diesem Zweck hat der amerikanische Kongress 1994 den International Antitrust Enforcement Assistance Act verabschiedet, der die US-Behörden ermächtigt, gegenseitige Abmachungen mit anderen Regierungen einzugehen. Die erste derartige Abmachung kam 1997 mit Australien zustande.

543 544

545

Vgl. Kovacic, William E., The Influence of Economics on Antitrust Law, in: XXX Economic Inquiry (1992), S. 294 ff., 302. Die Beendigung des Entflechtungsverfahrens durch einen außergerichtlichen Vergleich war zu erwarten, da das Unternehmen den republikanischen Parteitag vor den Wahlen finanziert hatte, was in den USA offensichtlich nicht als politisch anstößig empfunden wird. Das Verfahren der EK gegen Microsoft nach Art. 102 EGV hat im April 2004 wegen Missbrauchs von Marktmacht zu Lasten von Konkurrenten zur Verhängung einer Geldbuße von 497 Mio. EUR und von Auflagen als Abhilfemaßnahme geführt (vgl. Microsoft, in: WuW/E EV 931 ff.). Der EuG hat am 17.9.2007 die Entscheidung der EK über den Missbrauch von Marktmacht in allen wichtigen Punkten bestätigt (Slg. 2007, II-3601 ff. und WuW/E EU-R 1307 ff. ). Vgl. zu dem Pro und Contra des Microsoft case die gute ökonomische Analyse in: Antitrust Bulletin 46 (2001); vgl. auch Fleischer, Holger, und Niels Doege, Der Fall United States v. Microsoft: Zwischenbilanz eines kartellrechtllichen Jahrhundertverfahrens, in: WuW 50 (2000), S. 705 ff., sowie Apon, Jochem, Cases Against Microsoft: Similar Cases, Different Remedies, in: ECLR 28 (2007), S. 327 ff.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

II.

Überblick über die materiell-rechtlichen Vorschriften des Antitrustrechts

1.

Erfassung der Verhandlungsstrategie546

279

a) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen Sec. 1 Sherman Act enthält ein grundsätzliches Verbot horizontaler und vertikaler restraints of trade. Darüber hinaus können derartige Wettbewerbsbeschränkungen mit dem allgemeinen Auffangtatbestand des sec. 5 FTC Act (unfair methods of competition) erfasst werden. Der Federal Supreme Court hat jedoch im Jahre 1911 in den berühmten Standard Oil- und American Tobacco-Entscheidungen die rule of reason547 zur allgemeinen Auslegungsregel des Sherman Act erklärt, so dass heute nur noch solche Absprachen als verboten angesehen werden, welche die wirtschaftliche Handlungsfreiheit unangemessen (unreasonably bzw. unduely) beeinträchtigen. Mit dem Ziel, die Rechtssicherheit der Unternehmen zu erhöhen und den Beurteilungsspielraum von Antitrustbehörden und Gerichten einzuengen, wurde jedoch eine Reihe von Verhaltensweisen von den Gerichten „by reason of their nature (qualitativer Gesichtspunkt, Anm. d. Verf.) or their necessary effect“ (quantitativer Gesichtspunkt, Anm. d. Verf.) als unreasonable per se angesehen (per se-rule), „so that they can quickly and positively be adjudged violations of the Sherman Act. In such cases, inquiry under the Rule of Reason is over …“.548 Hierzu zählen neben Absprachen über Preise, Produktionsbeschränkungen und Aufteilung von Märkten vor allem auch Kollektivboykotte, abgestimmte Lieferverweigerungen und unter bestimmten Voraussetzungen auch Kopplungsbindungen.549 Seit den 80er Jahren geht die Entwicklung dahin, dass der Federal Supreme Court unter dem Einfluss der an der betriebswirtschaftlichen Effizienz orientierten Chicago School of Antitrust Analysis in stärkerem Umfange zur rule of reason zurückkehrt, so z. B. bei der Beurteilung von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, Kopplungsbindungen und leistungsfördernden Absprachen zwischen Mitbewerbern.550 Die Zuflucht zu per se-rules sei beschränkt auf restraints „that would always or almost always tend to restrict competition and decrease output. To

546 547 548 549 550

Vgl. Zohlnhöfer, Werner, Wettbewerbspolitik im Oligopol: Erfahrungen der amerikanischen Antitrustpolitik, Basel, Tübingen 1968, S. 169 ff. Vgl. Sangmeister, Bernd, Die rule of reason und das per se-Konzept, Köln u.a. 1975, und Schmidt, Ingo, Per se Rule oder Rule of Reason, in: WiSt 10 (1981), S. 282 ff. Report of the Attorney General’s National Committee to Study the Antitrust Laws, Washington, D. C. 1955, S. 11 (im Folgenden als Antitrustreport zitiert). Vgl. den Überblick über die per se-rule in der Rechtsprechung des Federal Supreme Court im Falle Northern Pacific Railway Co. v. U.S., in: 1958 Trade Cases § 68,961 auf S. 73, 864. Vgl. die Fälle Continental T. V., Inc. v. GTE Sylvania Inc., in: 1977-1 Trade Cases § 61,488 auf S. 71,902, wo ein „demonstrable effect“ auf den Wettbewerb als zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung der per serule verlangt wird; Jefferson Parish Hospital District No. 2, et al. v. Edwin G. Hyde, in: 1984-1 Trade Cases § 65,908; National Collegiate Athletic Assn. (NCAA) v. Board of Regents of the University of Oklahoma, in: 1984-2 Trade Cases § 66,139 (unter Bezug auf den CBS-Fall von 1979); Northwest Wholesale Stationers v. Pacific Stationary & Printing Co., in: 1985-1 Trade Cases § 66,640 auf S. 66,174, wo der Federal Supreme Court ausgeführt hat, dass Einkaufsvereinigungen von kleinen Händlern offensichtlich dazu bestimmt seien, die wirtschaftliche Effizienz zu steigern und Märkte mehr statt weniger kompetitiv zu machen.

280

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

justify a per se prohibition a restraint must have ‘manifestly anticompetitive effects’ and ‘lack any redeeming virtue’.“551 b) Kooperation Auch das US-amerikanische Antitrustrecht kennt eine Reihe von Ausnahmen vom Kartellverbot. So können gemäß dem Webb-Pomerene Act von 1918 bzw. dem Export Trading Company Act von 1982 Exportkartelle unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert werden.552 Dies gilt im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft entsprechend für Gemeinschaftsvorhaben von Unternehmen im Bereich von Forschung und Entwicklung sowie Produktion (National Cooperative Research and Production Act von 1993), die nur noch der rule of reason unterliegen. Die vom Department of Justice und der FTC herausgegebenen Antitrust Enforcement Guidelines for International Operations von 1995 sollen die US-Unternehmen zusätzlich über die Anwendung der Antitrust Gesetze im internationalen Geschäftsverkehr durch die Antitrust Division beraten.553 Schließlich sieht der Small Business Act von 1958 in sec. 9 (d) vor, dass der Kooperation von kleinen und mittleren Unternehmen Antitrust-Immunität erteilt werden kann. Obwohl das Gesetz 1958 in Kraft getreten ist, hat es 25 Jahre gedauert, bis im Jahre 1983 erstmals eine solche Antitrust-Immunität vom Justizministerium erteilt worden ist, da das Department of Justice vorab seine restriktive Einstellung kundgetan hatte. Im April 2000 wurden die Antitrust Guidelines for Collaboration Among Competitors veröffentlicht.

2.

Erfassung der Behinderungsstrategie

Die verschiedenen Behinderungsstrategien werden – außer von dem allgemeinen Auffangtatbestand des sec. 5 FTC Act – von einer Reihe von Spezialvorschriften erfasst. a) Das Monopolisierungsverbot des sec. 2 Sherman Act554 Das Verbot der Monopolisierung bzw. des Versuchs der Monopolisierung i.S. von sec. 2 Sherman Act umfasst nach der Rechtsprechung neben dem Tatbestandselement Monopol-

551

552 553 554

So zuletzt in 2007 Leegin Creative Leather Products, Inc., v. PSKS, Inc., in: 551 U.S. 877 ff., und WuW/E KRTint 185 ff., 186, wo die vertikale Preisbindung in einer 5 : 4 Entscheidung der rule of reason unterworfen worden ist. Damit ist die Dr. Miles-Doktrin von 1911 (in: 220 U. S. 373 ff.) obsolet geworden. Vgl. dazu die Kritik von Schwaderer, Melanie, Eine Frage der Abwägung: Form- oder wirkungsbasierter Ansatz?, in: WuW 58 (2008), S. 653 ff. Vgl. dazu die im Januar 1985 veröffentlichten Export Trading Company Immunity Guidelines, in: CCH Trade Regulation Reporter Bd. 4, § 13, 300. Vgl. BNA, Antitrust & Trade Regulation Report No 1707 (1995), Special Supplement. Vgl. Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, Berlin 1973, S. 116–119, 161–163 und 186 ff., sowie Markert, Kurt, Die Anwendung des US-amerikanischen Monopolisierungsverbots auf Verweigerungen des Zugangs zu „wesentlichen Einrichtungen“, in: Festschrift für ErnstJoachim Mestmäcker: zum 70 Geburtstag, hrsg. von Immenga, Ulrich, Wernhard Möschel und Dieter Reuter, Baden-Baden 1996, S. 661 ff.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

281

macht ein subjektives Element, die Monopolisierungsabsicht.555 Unter Monopolmacht wird dabei die Fähigkeit verstanden, die Preise auf einem Markt zu kontrollieren und den Wettbewerb auf diesem auszuschließen, wobei auf den Marktanteil (> 70 %) und die Marktschranken abgestellt wird. Jedoch kann gegen die Verstärkung oder das Entstehen von Monopolmacht durch internes Unternehmenswachstum nur dann vorgegangen werden, wenn dem Unternehmen eine Monopolisierungsabsicht nachgewiesen wird, d .h., wenn objektiv restriktive Behinderungspraktiken plus eine subjektive Zielrichtung der Marktmonopolisierung vorliegen („mere size is no offense“). Die neueste Rechtsprechung hat allerdings die Anforderungen an das subjektive Tatbestandselement (intent, purpose, willfullness oder deliberateness) insofern gemindert, als dem Einsatz restriktiver Praktiken hinsichtlich der subjektiven Zielrichtung eine Indizwirkung zukommt. Entscheidend ist, ob es sich nach den Umständen des Einzelfalles um eine unvermeidbare Marktentwicklung („thrust upon defense“) oder um eine systematische Strategie zur Monopolisierung eines Marktes handelt. Im Zivilverfahren gemäß sec. 4 Sherman Act kann in Monopolisierungsfällen des sec. 2 Sherman Act auch die Entflechtung von Unternehmen gerichtlich angeordnet werden. Diese Möglichkeit ist jedoch relativ selten genutzt worden. 556 b) Boykott und Lieferverweigerung557 Grundsätzlich ist jedes Unternehmen durch die Antitrustgesetze nicht gehindert, seine Kunden frei zu wählen (Colgate Doktrin).558 Dies gilt nicht, wenn die Geschäftsverweigerung Inhalt einer horizontalen Absprache i.S. von sec. 1 Sherman Act (per se-Verbot des group boycott bzw. concerted refusal to deal)559 oder Inhalt einer gemischt horizontal-vertikalen Absprache zur Absicherung des Vertriebssystems und damit in der Regel zur Aufrechterhaltung eines bestimmten Preisniveaus (per se-Verbot der Anstiftung zur Lieferverweigerung – sog. secondary boycott)560 ist.

555

556

557 558 559

560

Vgl. US v. Grinnell Corp., in: 1966 Trade Cases § 71,789; Telex Corp. v. IBM Corp., in: 1975-1 Trade Cases § 60,127; US v. Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp., in: 1985-2 Trade Cases § 66,653, sowie Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, in: 1992-1 Trade Cases § 69,839. Vgl. Posner, Richard A., A Statistical Study of Antitrust Enforcement, in: JLE 13 (1970), S. 365 ff., 406, der für die Zeit von 1890 bis 1969 nur 32 Entflechtungsfälle anführt. Die letzte wettbewerbspolitisch bedeutende Entflechtung fand 1982 im Falle AT&T statt (vgl. US v. AT&T Co., in: 1982-2 Trade Cases § 64,979). Vgl. dazu eingehend Wieland, Bernhard, Die Entflechtung des amerikanischen Fernmeldemonopols, Berlin, Heidelberg 1985. Im oben unter I. dargestellten Microsoft Fall ist die ursprünglich angestrebte Entflechtung durch einen außergerichtlichen Vergleich beigelegt worden. Vgl. dazu Belke, Rolf, Kundenbeschränkung und Verkaufsverweigerung im Antitrustrecht der Vereinigten Staaten, Stuttgart 1967, und Schmidt, op. cit., S. 230 ff. US v. Colgate & Co. 250 US 300 ff., 307 (1919). Die Anwendung der per se-rule auf eine abgestimmte Lieferverweigerung ist neuerdings im Falle North-west Wholesale Stationers v. Pacific Stationary & Printing Co., in: 1985-1 Trade Cases § 66,640 auf S. 66,174, auf den Besitz von Marktmacht beschränkt worden; andernfalls finde die rule of reason Anwendung (Parallele zur Beurteilung von Kopplungsbindungen im Falle Jefferson Parish Hospital). Im Falle Monsanto Co. v. Spray-Rite Service Corporation, in: 1984-1 Trade Cases § 65,906, hatte der Federal Supreme Court noch die Dr. Miles-Doktrin von 1911 bestätigt, wonach eine vertikale Preisabsprache zwischen Hersteller und Vertriebshändlern (concerted action) – im Gegensatz zu einer unabhängigen Aktion (independent action) des Herstellers im Rahmen der sog. Colgate Doktrin – einen per se-Verstoß gegen sec. 1 Sherman Act darstellt. Das Gericht unterschied dabei zwischen „price restrictions“, die per se illegal seien, und „nonprice restrictions“, die der rule of reason unterlägen (Sylvania Case von 1977).

282

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

1988 hat allerdings der Federal Supreme Court das individuelle Recht auf Lieferverweigerung im Falle der ständigen Preisunterbietung durch einen Händler, dessen Discountpreise die anderen empfehlungswilligen Händler verärgerten, als sog. „vertical nonprice restraint“ bejaht. Bei Fehlen einer zusätzlichen vertikalen Absprache über die Höhe der Preise liege daher kein per se-Verstoß gegen das Preisbindungsverbot vor.561 Die Geschäftsverweigerung darf auch nicht Teil einer Monopolisierungsstrategie i.S. von sec. 2 Sherman Act sein. c) Preisdiskriminierung562 Sec. 2 Clayton Act in der Fassung des Robinson-Patman Act von 1936 erfasst Preisdifferenzierungen auch dann, wenn sie wahrscheinlich bewirken, dass der Wettbewerb mit irgendeiner Person, die die Vorteile der Diskriminierung entweder gewährt (Anbieter) oder bewusst empfängt (Nachfrager), oder mit deren Kunden verletzt, zerstört oder verhindert wird. Der Schutzzweck wurde so um den Individualschutz, d.h. den Schutz der Wettbewerbsfreiheit und Chancengleichheit, erweitert (injury-Konzept).563 Nach sec. 2 Clayton Act n.F. sind daher Preisdifferenzierungen für Güter gleicher Art („commodities of like grade and quality“) nur dann zulässig, wenn sie den Unterschieden in den Herstellungs-, Verkaufs- oder Lieferungskosten entsprechen. Die Marktstärke des Diskriminierenden ist unbeachtlich. Außer Kostendifferenzen rechtfertigt auch ein gutgläubiger Eintritt in Konkurrenzpreise eine Preisdifferenzierung (cost justification- und meeting competition-defense). Die Beweislast für das Vorliegen der gesetzlichen Exkulpationsmöglichkeiten liegt bei den Unternehmen. Die früher extensive Anwendung des sec. 2 Clayton Act durch die FTC, die vor allem Individualschutzaspekte zu Lasten des Institutionsschutzes in den Mittelpunkt rückte, ist zunehmend kritisiert worden.564 Die neuere Entwicklung zeigt daher eine stärkere Berücksichtigung des Institutionsschutzes. So hat der Federal Supreme Court im Falle Brooke vs. Brown565 zwei Voraussetzungen für die gezielte Kampfpreisunterbietung i.S. von sec. 2 Sherman Act bzw. sec. 2(a) RobinsonPatman Act herausgearbeitet. Danach muss der Kläger beweisen, dass:

561

562 563

564 565

Vgl. Business Electronics Corp. v. Sharp Electronics Corp., in: 1988-1 Trade Cases § 67, 982. Diese Entscheidung steht allerdings in Widerspruch zu dem Fall US v. Parke Davis & Co., in: 1960 Trade Cases § 69, 611, wo Drohungen eines Herstellers gegen einen widerspenstigen Discounter vom Federal Supreme Court als verbotene Absprache i.S. von sec. 1 Sherman Act gewertet worden waren. Vgl. dazu Edwards, Corwin D., The Price Discrimination Law: A Review of Experience, Washington, D.C. 1959; Schmidt, op. cit., S. 283–310, und Zohlnhöfer, op. cit., S. 74–94. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959, S. 181, weisen auf die konkurrierenden Zielsetzungen des Robinson-Patman Act wie folgt hin: “One is the suppression of discrimination as an anticompetitive practice; the other, the protection of small individual firms from price disadvantages in their transactions in the market. As we have noted, these two purposes, in practice, have no necessary correlation”. Vgl. Edwards, op. cit., S. 630. Vgl. Brooke Groupe Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., in: CCH Trade Cases 1993-1 § 70, 277. Vgl. dazu den Aufsatz von Fleischer, Holger, Gezielte Kampfpreisunterbietung im Recht der Vereinigten Staaten: Der Supreme Court zwischen Chicago School und Post-Chicago Economics, in: WuW 45 (1995), S. 796 ff.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

283

1. 2.

sein Konkurrent Leistungen zu nicht kostendeckenden Preisen angeboten hat und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Niedrigpreisanbieter seine anfänglichen Verluste in späteren Perioden durch monopolistisch überhöhte Preise wieder kompensieren kann. Damit ist eine vorsichtige Hinwendung zu dem von Areeda/Turner vorgeschlagenen Prüfungsstandard erfolgt.566 d) Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen567 Nach sec. 3 Clayton Act sind vertragliche Alleinbezugs- und Kopplungsbindungen verboten, wenn der Vertrag zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder zur Schaffung eines Monopols zu führen droht. Die Beurteilung der Wesentlichkeit hängt dabei vornehmlich von folgenden Kriterien ab:

• •

der Marktstellung der Unternehmen und der Verbreitung der Bindungen auf dem relevanten Markt (sog. quantitative substantiality rule) sowie • dem dadurch dritten Unternehmen verschlossenen Marktanteil (sog. actual foreclosure test), wobei Ausschließlichkeitsbindungen der rule of reason unterliegen, während für Kopplungsverträge die Rechtsprechung zu einem per se-Verbot tendiert, wenn die Marktmacht über das koppelnde Produkt a dazu benutzt wird, den Käufer zum Kauf des gekoppelten Produktes b zu zwingen, welches der Käufer ohne Kopplung nicht oder nur zu anderen Bedingungen kaufen würde, so dass ein nicht zu vernachlässigender Anteil des zwischenstaatlichen Handels auf dem Markt des gekoppelten Produktes b behindert werden würde.568 Schutzobjekt dieser Vorschrift ist sowohl der Wettbewerb als Institution als auch der Schutz Dritter (Individualschutz).

566

567 568

Vgl. Areeda, Phillip, und Donald F. Turner, Predatory Pricing and Related Practices under Sec. 2 of the Sherman Act, in: Harvard Law Review 88 (1975), S. 697 ff., sowie Niels, Gunnar, und Adriaan ten Kate, Predatory Pricing Standards: Is there a Growing International Consensus, in AB XLV (2000), S. 787 ff. Vgl. Antitrustreport, op. cit., S. 27 ff. und 137 ff.; Schmidt, op. cit. S. 311–342, und Zohlnhöfer, op. cit., S. 94–104. Vgl. Jefferson Parish Hospital District No. 2, et al. v. Edwin G. Hyde, in: 1984-1 Trade Cases § 65,908, und Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc., in: 1992-1 Trade Cases § 69,839. Vgl. auch den Antitrustreport, op. cit., S. 107, der zu Recht darauf hinweist, dass eine erfolgreich praktizierte Kopplung das Vorliegen von Marktmacht indiziert. Abweichend davon die Antitrust Division in ihren 1985 herausgegebenen Vertical Restraints Guidelines, in: CCH Trade Regulation Reporter Bd. 4, § 13,105, wo von einer per se-legality bis zu 30 % Marktanteil ausgegangen wird. Bei mehr als 30 % Marktanteil soll nur noch die rule of reason Anwendung finden.

284

3.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

Erfassung der Konzentrationsstrategie569

a) Marktergebniskontrolle Anders als das deutsche oder das europäische Kartellrecht kennt das US-amerikanische Antitrustrecht keine performance-Kontrolle; diese ist lediglich auf den Bereich der regulated industries beschränkt (siehe unter 4.). b) Fusionskontrolle Sec. 7 Clayton Act verbietet Fusionen, die wahrscheinlich zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder zur Schaffung eines Monopols führen, so dass eine Wettbewerbsbeeinträchtigung im Anfangsstadium (incipiency) unterbunden werden kann.570 Dabei wird zunehmend einem ökonomischen Ansatz gefolgt; von dem ursprünglichen gesellschafts-politischen Ziel der Machtkontrolle durch wirksamen Wettbewerb wird Abstand genommen. Im Hinblick auf horizontale Zusammenschlüsse hat der Federal Supreme Court – beginnend mit dem Philadelphia National Bank Case571 – einen Test der prima facie-Illegalität (test of presumptive illegality) entwickelt, der auf Marktanteilen, dem Konzentrationsgrad der vier oder acht größten Unternehmen und dem Konzentrationstrend basiert. Für die 60er und frühen 70er Jahre ist festzustellen, dass die Rechtsprechung zu sec. 7 Clayton Act einem per se-Verbot horizontaler Zusammenschlüsse für die 200 größten Unternehmen nahekam. Im General Dynamics Case572 hat der Federal Supreme Court allerdings mehrheitlich eine gewisse Wende vollzogen, indem er sich von dem bis dahin verwendeten „test of presumptive illegality“ abwandte und verlangte, dass für den Nachweis der wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs noch weitere Umstände berücksichtigt werden müssten (widerlegbare „presumption of illegality“). Dieser Fall hat eine Entwicklung eingeleitet, die durch eine relativ umfangreiche ökonomische Analyse im Einzelfall charakterisiert ist, womit allerdings ein erheblicher Arbeitsaufwand für Antitrustbehörden und Gerichte verbunden ist; zugleich wird die Rechtssicherheit für die Unternehmen beeinträchtigt.573 Bei vertikalen Zusammenschlüssen werden insbes. die relevanten Marktanteile auf den beiden Wirtschaftsstufen im Hinblick auf das Ausmaß der Behinderung von Mitbewerbern 569

570 571 572

573

Vgl. Schmidt, op. cit., S. 125 ff.; Zohlnhöfer, op. cit., S. 114 ff., und Monopolkommission, 5. Hauptgutachten 1982/83: Ökonomische Kriterien für die Rechtsanwendung, Baden-Baden 1984, Tz. 701–705, wo ein Überblick über die Konzentrationsentwicklung in den USA von 1948–1979 gegeben wird. Vgl. auch Toepke, Utz P., 100 Jahre Antitrustrecht in den USA – dargestellt am Beispiel der Fusionskontrolle, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte des Kartellrechts 1989/90, Köln u.a. 1991, S. 1–27. Vgl. aus jüngster Zeit den Fall FTC v. Staples, Inc., in: 1997-2 Trade Cases § 71,867, der die neueste Entwicklung in Fragen der Marktabgrenzung und der Kompetenzen der FTC im Hinblick auf preliminary injunctions widerspiegelt. Dies wird aus den Worten „may be substantially to lessen competition“ in sec. 7 Clayton Act abgeleitet. Vgl. US v. Philadelphia National Bank, in: 1963 Trade Cases § 70,812. Vgl. US v. General Dynamics Corp., in: 1974-1 Trade Cases § 74,967. Im Anschluss daran die Fälle U.S. v. Marine Bancorporation (418 U.S. 602 ff., 631 in 1974) und U.S. v. Citizens & Southern National Bank (422 U.S. 86 ff., 120 ff. in 1975). Ein Beispiel für die umfangreiche ökonomische Analyse ist der Versuch, Fusionen mit Hilfe der sog. Innovation Market Analysis (IMA) zu beurteilen, Vgl. dazu die Kritik von Orth, Mark E., Die Innovationsmarktanalyse im US-Fusionsrecht, in: WuW 50 (2000), S. 473 ff.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

285

durch Verminderung der Alternativen bei Bezugsquellen oder Absatzmöglichkeiten (foreclosure test)574 sowie die Gefahr eines Preisdrucks auf vertikal nicht integrierte Unternehmen (Preis-Kostenschere infolge hoher Rohstoff- und niedriger Endverkaufspreise)575 von der Rechtsprechung berücksichtigt. Ein weiteres Kriterium ist die Gefahr, dass eine vertikale Fusion weitere vertikale Fusionen in einer Art Kettenreaktion nach sich zieht, da Anbieter und Nachfrager wechselseitig versuchen werden, sich Absatzkanäle und Rohstoffquellen zu sichern, wenn sie sehen, dass die vertikale Integration unter ihren Mitbewerbern die verfügbaren Absatzkanäle und Rohstoffquellen verstopft. Im Hinblick auf die Erfassung konglomerater Zusammenschlüsse576 besteht derzeit nur Klarheit bei der Erfassung von Markterweiterungs- und Marktverkettungszusammenschlüssen, während die Erfassung von Marktdiversifikationszusammenschlüssen (pure conglomerates) nach wie vor einer Klärung durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung harrt.577 Danach werden Markterweiterungszusammenschlüsse (geographic oder product extension mergers) um so eher als illegal im Sinne von sec. 7 Clayton Act angesehen, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass die marktstrategische Überlegenheit des neuen diversifizierten Konzerns zu einer Beeinträchtigung der an wirtschaftlich-finanziellem Potential (deep pocket theory) unterlegenen – tatsächlichen oder potentiellen – Wettbewerber führen wird.578 Marktverkettungszusammenschlüsse wurden als illegal im Sinne von sec. 7 Clayton Act angesehen, wenn eine erhebliche Gefahr wechselseitiger Lieferbeziehungen besteht und damit künstliche Wettbewerbsvorteile für das bevorzugte Unternehmen eintreten.579 Eine besondere Bedeutung für die Konkretisierung der Eingreifkriterien im Falle horizontaler, vertikaler und konglomerater Zusammenschlüsse haben die von der Antitrust Division 1968 herausgegebenen und 1982/84 bzw. 1992/97 sowie 2010 aktualisierten Merger Guidelines.580 Sie konkretisieren die Umstände, unter denen die Behörden normalerweise ein574 575 576

577 578 579 580

Vgl. Brown Shoe Co. v. US, in: 1962 Trade Cases § 70,366, und Kennecott Copper Corp. v. US, in: 1965 Trade Cases § 71,458. Vgl. US v. Aluminum Co. of America, in: 1964 Trade Cases § 71, 243. Vgl. Markert, Kurt, Beurteilungsgesichtspunkte diagonaler Zusammenschlüsse anhand amerikanischer Fälle, in: Wettbewerb im Wandel: Eberhard Günther zum 65. Geburtstag, hrsg. von Helmut Gutzler u.a., BadenBaden 1976, S. 407 ff., und Möschel, Wernhard, Konglomerate Zusammenschlüsse im Antitrustrecht der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 44 (1980), S. 203 ff. Vgl. Möschel, supra, S. 203 ff. Vgl. FTC v. Procter and Gamble Co., in: 1967 Trade Cases § 72,061, und General Foods Corp. v. FTC, in: 1967 Trade Cases § 72, 269. Vgl. FTC v. Consolidated Foods Corp., in: 1965 Trade Cases § 71,432. Vgl. Merger Guidelines v. 30.5.1968, abgedruckt in Original und Übersetzung bei Günther, Eberhard, Probleme der Fusionskontrolle, Berlin u.a. 1970, S. 151 ff., und DIHT (Hrsg.), Neue US-Fusionskontrolle, op. cit. Vgl. auch Schmidt, Ingo, und Wolfgang Ries, supra; FIW (Hrsg.), US-Fusionsrichtlinien 1984, op. cit.; BNA, Department of Justice and FTC: Horizontal Merger Guidelines, in: Antitrust & Trade Regulation Report: Special Supplement No. 1559 (1992); Dreher, Meinrad, Die US-amerikanischen Horizontal Merger Guidelines 1992 – Kartellrecht jenseits von Reaganomics?, in: RIW 1995, S. 376 ff., und BNA, Revision to the Horizontal Merger Guidelines issued by the U.S. Department of Justice and the Federal Trade Commission, in: Antitrust & Trade Regulation Report No. 1806 (1997), p. 359. Vgl. auch die Kritik an der zunehmenden „Ökonomisierung“ der Merger Guidelines seit 1968 im Hinblick auf mangelnde Rechtssicherheit und Vernachlässigung des morphologischen Faktors zugunsten peripherer, zweitrangiger Einflussgrößen (wie Marktschranken und potentieller Wettbewerb) durch Shepherd, George B., Helen

286

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

schreiten, und führen mögliche anerkennungswürdige Rechtfertigungsgründe an (wie z.B. die failing firm- oder efficiency-defense). Die wiederholte Fortschreibung der Guidelines ist Ausdruck einer Akzentverschiebung von den gesellschaftspolitischen zu den ökonomischen Funktionen in der amerikanischen Wettbewerbspolitik. Neben der Spezialvorschrift der sec. 7/7 A Clayton Act können Konzentrationsvorgänge auch über den Auffangtatbestand des sec. 5 FTC Act erfasst werden. Das amerikanische Antitrustrecht erlaubt grundsätzlich eine Entflechtung illegaler Unternehmenszusammenschlüsse.581 Gem. sec. 11 (b) Satz 5 Clayton Act kann die FTC anordnen, dass der Erwerber die erworbenen Geschäftsanteile oder Vermögensgegenstände wieder veräußern muss. Bei der Durchsetzung der Entflechtung bestehen allerdings große Probleme, da sich oft keine Käufer für den zu veräußernden Teil finden bzw. das erworbene Unternehmen inzwischen fast untrennbar mit dem Erwerber verbunden ist.582

4.

Erfassung der Ausnahme- und sektorspezifischen Bereiche583

In den USA sind ebenso wie in anderen Ländern bestimmte Industriezweige, in denen nach Auffassung des Gesetzgebers ein wirksamer Wettbewerb nicht möglich und/oder unter wohlfahrtstheoretischen Gesichtspunkten nicht wünschenswert ist (sog. natürliche Monopole bzw. Oligopole), von der Anwendung der Antitrustgesetze mehr oder minder ausgenommen (sog. exempted areas). Wettbewerb als anonymer Kontroll- und Steuerungsmechanismus ist auf diesen Märkten durch eine indirekte Staatsaufsicht substituiert worden, um eine Ausnutzung der privaten Monopolmacht im öffentlichen Interesse zu verhindern.584 Die indirekte Staatsaufsicht wurde unabhängigen Kommissionen übertragen, die im Falle der öffentlichen Versorgungswirtschaft („public utilities“) in der Regel auf einzelstaatlichem Recht, im Falle interregionaler Leistungen auf Bundesrecht beruhen (State oder Federal Commissions). Diese Regulatory Commissions haben die Möglichkeit, für die Wirtschaftsbereiche, für die sie zuständig sind, Sondervorschriften und Regeln zu erlassen, die Gesetzeskraft haben; sie stehen somit außerhalb der Exekutive und können als eine Art vierte Gewalt im Staat bezeichnet werden, wenngleich sie einer richterlichen Kontrolle unterliegen. Die Kommissionen werden entweder aufgrund von Beschwerden von (potentiellen) Konkurrenten, Lieferanten und Abnehmern oder von Amts wegen tätig. Zur Durchsetzung der Gesetze stehen den Kommissionen verwaltungsrechtliche (Verfügungen) sowie strafrechtliche

581

582

583

584

S. Shepherd und William G. Shepherd, Sharper focus: market shares in the Merger Guidelines, in: AB 45 (2000), S. 835 ff. Vgl. US v. Du Pont de Nemours & Co., in: 1957 Trade Cases § 68,723, in welchem sec. 7 Clayton Act auf einen rund 30 Jahre zurückliegenden Aktienerwerb angewendet wurde. Diese Entscheidung hat über viele Konzerne Ungewissheit wegen der Legalität lange zurückliegender Fusionen gebracht („sleeping giant“). Vgl. zu den Problemen der Entflechtung O’Connor, Kevon J., The Divestiture Remedy in Sherman Act § 2 Cases, in: Harvard Journal in Legislation 13 (1975/76), S. 687 ff., und Schmidt, Ingo, Different Approaches and Problems In Dealing with the Control of Market Power: A Comparison of German, European, and U.S. Policy towards Market Dominating Enterprises, in: AB 28 (1983), S. 417 ff., 435 ff. Vgl. Kahn, Alfred E., The Economics of Regulation: Principles and Institutions, Cambridge, Mass. und London 1988, sowie Shepherd, William, Public Policies Toward Business, 8. Aufl., Homewood, Ill. 1991, Teil III: Utility De-Regulation and Regulation. Vgl. Gray, Horace M., The Passing of the Public Utility Concept, wieder abgedruckt in: Readings in the Social Control of Industry, hrsg. von der American Economic Association, Freeport, N.Y. 1973, S. 280 ff., 282.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

287

Mittel (Geldbußen) zur Verfügung. Die meisten Beschwerden betreffen die Qualität und Nichterhältlichkeit der angebotenen Leistungen sowie die technische Sicherheit und in geringerem Umfange die Effizienz der Unternehmen. Die Regulatory Commissions haben die in sie gesetzten Erwartungen oft nicht erfüllt. Sie handeln häufig nicht – wie dies die normative Theorie der Regulierung unterstellt – im öffentlichen Interesse, sondern dienen überwiegend speziellen Interessen bestimmter, am Regulierungsprozess beteiligter Gruppen.585 Diese Kritik beruht auf Erklärungsansätzen der Neuen Politischen Ökonomie (Public Choice).586 Die Fehlentwicklungen der regulation policy haben seit Mitte der 70er Jahre zunehmend zu einer deregulation policy geführt, die unter dem Einfluss der sog. Chicago School darauf abzielt, staatliche Interventionen in den freien Wettbewerbsprozess zu eliminieren.587 Hervorzuheben sind die Deregulierung im Luftverkehrs- und Bankenbereich sowie im Schienenund Straßengüterverkehr. Mit der Deregulierung geht ein Abbau der Kompetenzen der Regulatory Commissions einher, während gleichzeitig die Missbrauchsaufsicht nach Sec. 2 Sherman Act und 5(a) FTC Act an Bedeutung gewinnt.

III. Die Zuständigkeiten der Antitrust Division und der Federal Trade Commission588 Die Durchsetzung der Antitrustgesetze ist in den USA zwei Behörden übertragen: der Antitrust Division des Department of Justice mit 820 Mitarbeitern (davon 370 Juristen und 55 Ökonomen) und der Federal Trade Commission als einer Independent Commission mit mehr als 1.000 Mitarbeitern, davon über 500 Juristen und 70 Ökonomen. Beide Behörden haben ihren Sitz in Washington, D. C. Die Antitrust Division lässt sich von ihrer Funktion her als eine Art Antitrust-Staatsanwaltschaft charakterisieren, die jedoch auch wichtige Funktionen im Verwaltungs- und Zivilverfahren wahrnimmt. Die Federal Trade Commission besitzt die ausschließliche Zuständigkeit für sec. 5 FTC Act, die Antitrust Division die ausschließliche Zuständigkeit für die Durchsetzung der Vorschriften des Sherman Act gem. sec. 4. Für die Durchsetzung der Vorschriften der sec. 2, 3, 7 und 8 Clayton Act sind sowohl die Antitrust Division (sec. 15) als auch die FTC (sec. 11) zuständig. Insoweit besteht eine konkurrierende Zuständigkeit; jedoch erfolgt eine gewisse Abstimmung zwischen beiden Behörden hinsichtlich der zu verfolgenden Wettbewerbsbeschränkungen, um Doppelprüfungen zu vermeiden. Die FTC ist über das Antitrustrecht hinaus auch für Unlauterkeits- und Verbraucherschutzrecht zuständig.

585

586 587 588

Vgl. Posner, Richard A., Theories of Economic Regulation, in: The Bell Journal of Economics and Management Science 5 (1974), S. 335 ff., der die „public interest“-Theorien einer kritischen Betrachtung unterzieht und diesen die „capture theories“ gegenüberstellt. Einen umfassenden Überblick über polit-ökonomische Regulierungstheorien gibt Mitnick, Barry M., The Political Economy of Regulation, New York 1980, Kap. III. Vgl. dazu den Überblick von Crandall, Robert, Deregulation: The US Experience, in: ZfGSt 139 (1983), S. 419 ff.; Mitnick, op. cit., Kap. IX, und Shepherd, op. cit., Kap. XVII. Vgl. Sullivan, Lawrence Anthony, Handbook of the Law of Antitrust, St. Paul, Minn. 1977, §§ 240 und 241.

288

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

Mit dem International Antitrust Enforcement Assistance Act von 1994 ist die Rechtsgrundlage für Kooperations- und Informationsaustausch der beiden Wettbewerbsbehörden mit den ausländischen Kartellbehörden geschaffen worden.589

IV. Die verfahrensrechtlichen Regelungen590 Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sind drei Hauptformen des Verfahrens zu unterscheiden:

1.

Strafverfahren (Criminal Cases)

Im Strafverfahren können Geldstrafen bis zu 1 Mio. $ bei Einzelpersonen bzw. 100 Millionen $ bei Unternehmen und/oder Haftstrafen bis zu 10 Jahren zur Durchsetzung des Verbots von „restraints of trade“ und „monopolization“ (sec. 1 und 2 Sherman Act) verhängt werden. Die ursprünglichen Geld- und Haftstrafen von 5.000 $ bzw. einem Jahr wurden somit im Laufe der Jahre der wirtschaftlichen Entwicklung angepasst; zugleich wurden Verstöße gegen den Sherman Act kriminalisiert. Im Falle von Preisabsprachen werden zunehmend Haftstrafen gegen Führungskräfte verhängt. Zuständig ist allein die Antitrust Division, die vor dem zuständigen Distriktgericht Anklage erheben muss (Berufungsinstanz: Court of Appeals, Revisionsinstanz: Federal Supreme Court).

2.

Verwaltungsverfahren

Das US-amerikanische Recht kennt im Gegensatz zum deutschen Recht keine Unterscheidung zwischen Zivilverfahren und Verwaltungsverfahren. Bei funktionaler Betrachtung entsprechen die von den Antitrustbehörden eingeleiteten Zivilverfahren jedoch unseren Verwaltungsverfahren. a) Civil Suits Auf Antrag der Antitrust Division können gemäß sec. 4 Sherman Act und sec. 15 Clayton Act Verfahren vor dem zuständigen Distriktgericht eingeleitet werden, um Verletzungen der beiden Antitrustgesetze mittels gerichtlicher Verfügungen (sog. „injunctions“) zu verhindern. Die Gerichte können dabei auch einstweilige Anordnungen treffen („temporary restraining order or prohibition“). Die den Gerichten im Rahmen eines Zivilverfahrens zustehenden Regelungsbefugnisse (insbesondere die sog. „equity powers“, d.i. die Befugnis, im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit ein der Billigkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen) sind wettbewerbspolitisch von großer Bedeutung, da sie die Möglichkeit eröffnen, alle wettbewerbspolitisch sachdienlichen

589 590

Vgl. BNA, Antitrust & Trade Regulation Report No. 1688 (1994), S. 568 f. Vgl. Sullivan, op. cit., §§ 242–253.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

289

Maßnahmen zu treffen. Derartige Zivilverfahren können vom Department of Justice auch parallel zu einem Strafverfahren eingeleitet werden. Die streitenden Parteien können auch einen alle bindenden Vergleich („consent decree“) schließen. Ein solcher vom Gericht akzeptierter Vergleich hat grundsätzlich die gleichen Wirkungen wie ein Urteil aufgrund eines ausgetragenen Rechtsstreits. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch im Hinblick auf die Verwendung als prima facie-Beweis i.S. von sec. 5 (a) Clayton Act in einem privaten Schadensersatzprozess: der Vergleich verschafft keinen solchen Beweis. Man schätzt, dass 80 % der von der Antitrust Division eingeleiteten Verfahren durch Vergleich beigelegt werden, was die große Bedeutung dieses Instruments belegt. b) Administrative Proceedings Die Federal Trade Commission kann gemäß sec. 5 FTC Act und sec. 11 Clayton Act Verwaltungsverfahren einleiten, wenn ihres Erachtens sec. 5 FTC Act oder sec. 2, 3, 7 oder 8 Clayton Act verletzt sind. Im Gegensatz zur Antitrust Division, die Anklage vor den Distriktgerichten erheben muss, entscheidet die Federal Trade Commission – ähnlich wie das Bundeskartellamt – in erster Instanz selbst. Ihre Entscheidungen ergehen in Form von Unterlassungsverfügungen (sog. „cease and desist orders“), die von einem administrative law judge erlassen werden; dagegen besteht die Möglichkeit der Berufung an die fünfköpfige Commission. Gegen deren Entscheidung sind Beschwerde an den zuständigen Court of Appeals und Rechtsbeschwerde an den Federal Supreme Court möglich. Auch im Verwaltungsverfahren der FTC ist ein Vergleich der streitenden Parteien („consent order“) möglich, ohne dass es zu einem Verfahren und einer Beweiserhebung kommt. Im Hinblick auf die Nicht-Verwendbarkeit eines solchen „Vergleichs“ als prima facie-Beweis im privaten Schadensersatzprozess gilt das in Abschnitt a) über „Civil Suits“ Gesagte.

3.

Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen (Private Antitrust Suits)591

Neben das Straf- und Verwaltungsverfahren treten als drittes Verfahren Privatklagen, die in drei Formen auftreten können:





591

Sec. 4/4a Clayton Act geben Privatpersonen bzw. der Regierung das Recht, in einem zivilen Schadensersatzprozess dreifachen Schadensersatz („treble damage suits“) zu fordern, wenn sie durch eine Verletzung von Antitrustgesetzen in ihren Rechten geschädigt sind. Gemäß sec. 16 Clayton Act können Privatpersonen eine gerichtliche Unterlassungsverfügung („suits for injunctive relief“) zur Vermeidung eines drohenden Verlustes oder Schadens infolge einer Verletzung der Antitrustgesetze bei jedem zuständigen Gericht beantragen. Auch einstweilige Anordnungen („preliminary injunctions“) sind möglich.

Vgl. Mailänder, K. Peter, Privatrechtliche Folgen unerlaubter Kartellpraxis, Karlsruhe 1964, und Linder, Ludwig, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht: Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und amerikanischen Recht, Baden-Baden 1980.

290

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht



Eine große Bedeutung besitzen die sog. class actions, bei denen ein Repräsentant stellvertretend für den ganzen Personenkreis, der von dem gleichen oder sehr ähnlichen Sachverhalt betroffen ist, klagt. Sowohl im Falle der Schadensersatz- als auch der Unterlassungsklagen können gemäß sec. 5 (a) Clayton Act rechtskräftige Urteile und Verfügungen der Gerichte und der FTC als prima facie-Beweis Verwendung finden, was die Beweislast der Kläger erheblich erleichtert. Bei durchschnittlich 95 % der bei Gericht anhängigen Antitrustklagen handelt es sich um Privatklagen. Die Antitrust Division kann zudem in Privatklagen als amicus curiae auftreten und Stellungnahmen gegenüber dem Gericht abgeben (vgl. § 90 II GWB).

Übungsfragen zum 10. Kapitel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Erläutern Sie den Anlass zur Verabschiedung des Sherman Act und die zugrundeliegende wirtschaftspolitische Philosophie. Was beinhaltet der Sherman Act? In welcher Weise ergänzt der Clayton Act den Sherman Act, und welche bedeutenden Änderungen hat der Clayton Act erfahren? Was beinhaltet der Federal Trade Commission Act, und auf welche Bereiche ist der Schutzzweck dieser Vorschrift erstreckt worden? Was versteht man unter der rule of reason und der per se-rule? Auf welche Tatbestände ist die per se-rule von den Gerichten angewendet worden? Was besagt das Monopolisierungsverbot des sec. 2 Sherman Act? Welche Einschränkungen hat der Grundsatz der Vertragsfreiheit in Bezug auf Boykott und Lieferverweigerung im Laufe der Zeit erfahren? Was verstehen Sie unter Preisdiskriminierung, und wie wird diese im US-amerikanischen Antitrustrecht behandelt? Welche Kriterien wurden im amerikanischen Antitrustrecht zur Erfassung horizontaler und vertikaler Zusammenschlüsse entwickelt? Welcher wesentliche Unterschied besteht zwischen dem deutschen bzw. europäischen Kartellrecht und dem US-amerikanischen Antitrustrecht in Bezug auf eine Marktergebniskontrolle? Womit wird die Anerkennung wettbewerblicher Ausnahmebereiche gerechtfertigt? Von wem und wie wird die Aufsicht über die Ausnahmebereiche in den USA ausgeübt, und welche Probleme entstehen bei dieser Aufsicht? Welche Kompetenzen haben Antitrust Division und FTC bei der Durchsetzung der Antitrustgesetze? Erläutern Sie die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung der Antitrustgesetze.

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

291

Weiterführende Literaturhinweise zum 10. Kapitel 1.

Monographien und Aufsätze

Areeda, Phillip E., und Herbert Hovenkamp, Antitrust Law: An Analysis of Antitrust Principles and Their Application, Part 1, 2 und 3 mit einem supplement 2008, New York, N.Y. 2008. Blechmann, Michael D., und Jennifer B. Patterson, U.S. Antitrustrecht, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Band VI, Köln 2008 (mit einem guten Überblick über Gesetze, Guidelines und Rechtsprechung) . Blumenwitz, Dieter, Einführung in das Anglo-Amerikanische Recht, 6. Aufl., München 1998. Bork, Robert H., The Antitrust Paradox: A Policy at War with Itself, New York 1978. Conglomerate Mergers and the Antitrust Laws, in: The Journal of Reprints of Antitrust Law and Economics Bd. XIII No. 1 (1982). Edwards, Corwin D., The Price Discrimination Law: A Review of Experience, Washington, D. C. 1959. Frênes, Michael de, Das US-amerikanische Kartellstrafrecht, Köln 1984. Galle, René, Ein Rechtsvergleich zwischen dem europäischen Wettbewerbsrecht unter dem Einfluss des ‚More economic approach‘ und dem US-amerikanischen Kartellrecht, 2010. Holmes, William C., Antitrust Law Handbook , St. Paul, Minn. bzw. Eagan, MN (seit 1985 alljährlich). Kahn, Alfred E., The Economics of Regulation: Principles and Institutions, Cambridge, Mass. und London 1988. Kaysen, Carl, und Donald F. Turner, Antitrust Policy: An Economic and Legal Analysis, Cambridge, Mass. 1959. Klumpp, Ulrich, Die „Efficiency Defense“ in der Fusionskontrolle: Eine rechtsvergleichende Untersuchung über die Berücksichtigung von Effizienzgewinnen bei der Zusammenschlusskontrolle nach deutschem, europäischem und US-amerikanischem Recht, Reihe Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 204, Baden-Baden 2006. Linder, Birgit, Kollektive Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle: eine Untersuchung zum US-amerikanischen, deutschen und europäischen Recht, Baden-Baden 2005 (2. und 3. Kap.). Möschel, Wernhard, US versus EU Antitrust Law, in: Zeitschrift für Wettbewerbsrecht 5 (2007), S.261 ff. Mueller, Dennis C., Das Antitrustrecht der Vereinigten Staaten am Scheideweg, in: Wirtschaft und Wettbewerb Jg. 36 (1986), S. 533–555. ders., Lessons from the United States’s Antitrust History, in: International Journal of Industrial Organization 14 (1996), S. 415 ff. Neale, A. D., und D. G. Goyder, The Antitrust Laws of the United States of America: A Study of Competition Enforced by Law, 3. Aufl., Cambridge u.a. 1980. Petrasincu, Alex, Die amerikanischen horizontalen Merger Guidelines, in: Wirtschaft und Wettbewerb 60 (2010), S. 999 ff.

292

10. Kapitel: Das US-amerikanische Wettbewerbsrecht

Rittaler, Jan B., Industrial Concentration and the Chicago School of Antitrust Analysis: A Critical Evaluation on the Basis of Effective Competition, Frankfurt am Main u. a. 1989. Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht: Eine vergleichende Untersuchung und kritische Analyse der Rechtsprechung gegenüber Tatbeständen des externen und internen Unternehmenswachstums sowie des Behinderungswettbewerbs, Berlin 1973. ders., Different Approaches and Problems In Dealing With Control of Market Power: A Comparison of German, European, and U.S. Policy towards Market Dominating Enterprises, in: The Antitrust Bulletin Bd. XXVIII (1983), S. 417–460. Shepherd, George W., Joanna M. Shepherd und William G. Shepherd, Antitrust and market dominance, in: Antitrust Bulletin Bd. XLVI (2001), S. 835 ff. Sullivan, Lawrence A., und Warren S. Grimes, The Law of Antitrust: An Integrated Handbook, St. Paul, Minn. 2000. Thorelli, Hans B., The Federal Antitrust Policy: Origination of an American Tradition, Baltimore 1955.

2.

Amtliche Publikationen und Sammlungen

American Bar Association, Antitrust Developments 1955–1968: A Supplement of the Report of the Attorney General’s National Committee to Study the Antitrust Laws March 31, 1955, o. O. 1968. dies., Antitrust Section, Antitrust Law Developments, (sixth), Chicago, Ill. 2007. dies., Section of Antitrust Law, Antitrust Fundamentals: Annual Antitrust Spring Meeting (erscheint jährlich mit einem guten Überblick über die Entwicklung der Rspr.). Antitrust Division, Informationen im Internet, in: http://www.usdoj.gov/atr/ Antitrust Division /Federal Trade Commission, Antitrust Guidelines for Collaboration among Competitors, Washington, D.C. 2000. Bureau of National Affairs (BNA), Antitrust & Trade Regulation Report (lfd. Berichte zu aktuellen Antitrustfragen) Commerce Clearing House (CCH), Trade Regulation Reporter (Loseblattsammlung zu allen US-Antitrustfragen) CCH Trade Cases (fortlaufende Sammlung der US-Gerichtsentscheidungen zum Antitrustrecht). Federal Trade Commission, Informationen im Internet, in: http://www.ftc.gov/ftc/antitrust.htm Report of the Attorney General’s National Committee to Study the Antitrust Laws, Washington, D. C. 1955. US Department of Justice, Competition and Monopoly: Single-Firm Conduct under Section 2 of the Sherman Act (2008), in: http://www.usdoj.gov/atr/public/reports/236681.htm. Dazu Statement of Commissioners Harbour, Leibowitz and Rosch on the Issuance of the Section 2 Report by the Department of Justice.

Teil 4: Die Erfassung von wettbewerbsbeschränkenden Strategien, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen In Teil 4 soll – aufbauend auf der im 6. Kapitel entwickelten Systematik wettbewerbsbeeinträchtigender Strategien – eine wettbewerbspolitische Untersuchung und Würdigung dieser Strategien vorgenommen werden. Dabei geht es darum, die wettbewerbsbeeinträchtigenden Strategien anhand von exemplarischen Fällen in ihrer ökonomischen und rechtlichen Relevanz zu verdeutlichen und zu prüfen, ob das im 8. bzw. 9. Kapitel skizzierte wettbewerbsrechtliche Instrumentarium geeignet ist, die Wirksamkeit des Wettbewerbs i.S. des zuvor im 3. Kapitel herausgearbeiteten Leitbildes eines wirksamen Wettbewerbs durch eine wettbewerbspolitisch adäquate Erfassung der Verhandlungs-, Behinderungs- und Konzentrationsstrategie zu sichern. Da alle Fälle noch nach den alten Vorschriften entschieden worden sind, beziehen sich die in Teil 4 angeführten GWB Paragraphen und EGV Artikel – abweichend von den ersten drei Teilen des Lehrbuches – auf das bis zum Inkrafttreten der 7. GWBNovelle bzw. des Amsterdamer Vertrages geltende Recht (GWB a. F. oder GWB a. F. vor 1999 bzw. Art. 85/86 anstatt 81/82 EGV). Im laufenden Text werden i.d.R. die alte und die neue Vorschrift genannt, um Missverständnisse zu vermeiden.

11. Kapitel: Die wettbewerbspolitische Erfassung der Verhandlungsstrategie, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen I.

Einleitung

Wie im 6. Kapitel ausgeführt, werden unter Verhandlungsstrategie i.w.S. alle Formen der Zusammenarbeit rechtlich selbständig bleibender Unternehmen verstanden, welche die wettbewerbsrelevante Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter einschränken und auf Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmtem Verhalten beruhen. Die Erfassung der Verhandlungsstrategie soll exemplifiziert werden anhand von Entscheidungen zum generellen Kartellverbot des § 1 GWB, wobei insbesondere auf den Unternehmensbegriff, die Abgrenzung von Vertrag und aufeinander abgestimmtem Verhalten sowie auf die Frage, ob die Wettbewerbsbeschränkung Gegenstand, Zweck oder Folge eines Vertrages ist (Torsosyndikate und Preismeldestellen), eingegangen werden soll.592

II.

Die ökonomische und rechtliche Relevanz des Kartellverbots

Kartelle i.S. des § 1 GWB. sind durch folgende Tatbestandsmerkmale charakterisiert:

• •

592

593

Vereinbarungen zwischen miteinander in Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen,593 zwischen rechtlich selbständig bleibenden Unternehmen i.S. natürlicher oder juristischer Personen, die selbständig am Wirtschaftsgeschehen teilnehmen; dazu rechnen auch die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand (mit Ausnahme der gesetzlichen Krankenversicherungen gem. § 69 Sozialgesetzbuch V) und die freien Berufe, soweit nicht

Zur rechtlichen und ökonomischen Analyse der Ausnahmen vom Kartellverbot vgl. Emmerich, Volker, Kartellrecht: Ein Studienbuch, 11. Auflage, München 2008, 3. Teil, §§ 20 bis 26; Bunte, Hermann-Josef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, §§ 3 f. und 8, und Rittner, Fritz, und Michael Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht: Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts für Studium und Praxis, 7., völlig neubearbeitete Auflage, Heidelberg 2008, § 7. Vgl. auch das aus dem Jahre 1962 stammende Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium, als Anlage zu: Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr IV/617, S. 88 ff. Der Begriff Vereinbarung in § 1 GWB n. F. dürfte weitergehen als der zivilrechtliche Vertragsbegriff im BGB, wie er dem § 1 GWB a. F. vor 1999 zugrunde lag.

296



1.

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie „staatliches oder aufgrund staatlicher Ermächtigung gesetztes Berufsrecht der Vertragsfreiheit Grenzen setzt“594; die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Die bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung muss – im Einklang mit der ständigen Praxis zu § 1 GWB bzw. Art. 101 I EGV – spürbar sein, woran es z. B. bei horizontalen bzw. vertikalen Vereinbarungen mit weniger als 10 bzw. 15 % Marktanteil mangelt.595

Der Vertragsbegriff in § 1 GWB

Ein Verstoß gegen das Kartellverbot setzt u.a. das Vorliegen eines Vertrages (einer Vereinbarung) oder Beschlusses im Sinne gegenseitiger, einander entsprechender Willenserklärungen voraus. Die ökonomische und rechtliche Problematik des traditionellen bürgerlichrechtlichen Vertragsbegriffes ist im Falle Teerfarben deutlich geworden, wo die Verhaltenskoordinierung der europäischen Teerfarbenhersteller im Hinblick auf eine Preiserhöhung von Bundesgerichtshof und Europäischem Gerichtshof rechtlich unterschiedlich gewürdigt worden ist. Zum besseren Verständnis des Falles sollen zuvor die verschiedenen Koordinierungsformen unternehmerischen Verhaltens skizziert werden:596

• •

Der bindende und einklagbare schuldrechtliche Vertrag i.S. der §§ 145 ff. BGB; der Vertrag, bei welchem die Klagbarkeit durch die Parteien ausnahmsweise ausgeschlossen ist (vgl. die sog. Naturalobligation i.S. des § 762 BGB); • das gentlemen’s agreement, bei dem keine rechtliche, wohl aber eine gesellschaftliche, moralische oder wirtschaftliche Bindung eingegangen wird; und • das aufeinander abgestimmte Verhalten, worunter alle Formen der Verhaltenskoordinierung unterhalb der Vertragsschwelle zu verstehen sind, bei denen an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs eine praktische Zusammenarbeit tritt (vgl. § 1 GWB). Demgegenüber stellt das bloße Parallelverhalten im engen Oligopol als Ausdruck einer starken Interdependenz und Interessensymmetrie (conscious parallelism) keine explizite Verhaltenskoordinierung, sondern lediglich eine faktische Wettbewerbsbeschränkung (sog. Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand i.S. des § 19 GWB) dar.597 Der im Folgenden dargestellte Teerfarbenfall ist ein Paradebeispiel für die Schwierigkeit der Abgrenzung von Vertrag, aufeinander abgestimmtem Verhalten und bloßem gleichförmigen Verhalten. Rechtliche Wettbewerbsbeschränkungen i.S. des § 1 GWB bzw. Art. 101 EGV und faktische Wettbewerbsbeschränkungen i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV lassen sich daher systematisch wie folgt darstellen:

594 595

596 597

Architektenkammer, in: WuW/E BGH 1474 ff., 1477. Vgl. Emmerich, op. cit., S. 285 ff., und die Bekanntmachung BKartA Nr. 18/2007 über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung, in: WuW 57 (2007), S. 369 f. Vgl. zur Spürbarkeit auch die Rspr. des BGH zu § 1 GWB a. F.: Spar, in: WuW/E BGH 486 ff.; Flußspat, in: WuW/E BGH 605 ff.; Bockhorner Klinker, in: WuW/E BGH 726 ff.; Fertigbeton I, in: WuW BGH 1458 ff., und Fertigbeton II, in: WuW/E BGH 1732 ff. Vgl. Sandrock, Otto, Grundbegriffe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, München 1968, S. 247 ff. Zur Unterscheidung von Wettbewerbsbeschränkung durch Maßnahme oder Zustand vgl. Borchardt, Knut, und Wolfgang Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, Stuttgart 1957, S. 30 ff. und 44 ff.

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

297

Wettbewerbsbeschränkung durch

explicit collusion

implicit (tacit) collusion598

(durch Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmtes Verhalten i.S. des § 1 GWB bzw. Art. 101 EGV)

(durch spontane Verhaltenskoordinierung, conscious parallelism oder Gruppendisziplin, die zu einer kollektiven Preispolitik mit gemeinsamer Gewinnmaximierung der Oligopolgruppe i.S. des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB bzw. des Art. 102 AEUV führen)

Fall Teerfarben (1970/1972)599 Die bedeutendsten europäischen Farbstoffhersteller hatten sich in den 60er Jahren in unregelmäßigen zeitlichen Abständen und mit wechselnder Beteiligung zu einem allgemeinen Austausch von Erfahrungen und Informationen getroffen. Unter anderem fand eine solche Besprechung am 18. August 1967 in Basel statt. Die daran beteiligten Unternehmen kontrollierten 80 % des deutschen Marktes für Teerfarbstoffe. Im Übrigen lag der BGH-Entscheidung folgender Sachverhalt zugrunde: Da die Farbstoffhersteller „nicht sämtliche Farbstoffprodukte selbst herstellen, ihren Abnehmern jedoch ein möglichst vollständiges Sortiment anbieten wollen, beliefern sie sich auch gegenseitig. Teilgenommen haben an der Tagung in Basel außerdem Vertreter von französischen, englischen und schweizerischen Firmen. Nachdem zunächst verschiedene Punkte allgemeinen Interesses erörtert worden waren, erklärte der Vertreter der schweizerischen Firma G(eigy), seine Gesellschaft werde die Preise für Teerfarben zum 16. Oktober 1967 um 8 % erhöhen.“600 Anschließend äußerten die Vertreter anderer Firmen, dass ihnen „die Erlös- und Kostenentwicklung im Farbstoffgeschäft schon seit langem Sorge bereite und dass ständig Überlegungen wegen einer Erhöhung der Verkaufspreise angestellt würden. … In den folgenden Wochen erhöhten die betroffenen Unternehmen durch zeitlich nacheinander liegende Beschlüsse und Ankündigungen ihre Preise für Teerfarbstoffe gleichförmig zum 16. Oktober 1967 um 8 %. Auf Grund dieses Sachverhalts hat das BKartA gegen die Betroffenen gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB“ (a. F. vor 1999) „Geldbußen verhängt, weil sie sich vorsätzlich über die Unwirksamkeit einer nach § 1 GWB unwirksamen Preisabrede hinweggesetzt hätten. Hiergegen haben sämtliche Betroffenen gerichtliche Entscheidungen beantragt. Sie bestreiten, dass sie Preiserhöhungen untereinander oder mit der Firma G(eigy) oder mit anderen Konkurrenzfirmen vereinbart hätten. Wegen der gänzlich unbefriedigenden Erlössituation auf dem Farbstoffmarkt habe jedes der betroffenen Unternehmen die Preiserhöhungen in freier, sachlicher und ausschließlich eigennütziger unterneh598 599 600

Anstelle von implicit oder tacit collusion spricht man auch von einem quasi-agreement (Chamberlin). Vgl. Teerfarben, in: WuW/E BGH 1147 ff. und EWG/MUV 269 ff. Teerfarben, in: WuW/E BGH 1147.

298

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

merischer Entscheidung durchgeführt, nachdem die Nachrichten von den Anhebungen auf den verschiedenen Weltmärkten die Möglichkeit dazu geboten hätten. Dass diese Preiserhöhungen gleichförmig am 16. Oktober 1967 um 8 % erfolgt seien, beruhe auf dem bekannten oligopolistischen Marktzwang. Es wäre für jedes der betroffenen Unternehmen geschäftspolitisch sinnlos gewesen, keine Preiserhöhungen durchzuführen oder nach Ausmaß oder Zeitpunkt hinter den vorangegangenen Ankündigungen zurückzubleiben, weil dies – auf die Dauer gesehen – nicht zur Verbesserung der Marktposition und zur Erhöhung des Absatzes geführt hätte. Bei dieser Marktlage habe die Firma G(eigy) zwar möglicherweise mit der späteren Reaktion“ der Mitbewerber „gerechnet. Sie habe aber nicht versucht, eine Willensübereinstimmung der Beteiligten herbeizuführen. Das Kammergericht hat den Bußgeldbescheid des BKartA als unbegründet aufgehoben“,601 wobei es sich bei der wirtschaftlichen Beurteilung des Sachverhalts vom BKartA hauptsächlich im Folgenden unterscheidet:602 „Das BKartA meint, bei dem fehlenden oligopolistischen Marktzwang auf dem Teerfarbenmarkt sei es undenkbar, dass im vorliegenden Falle die Preise von allen Beteiligten zum gleichen Zeitpunkt und um den gleichen Prozentsatz trotz unterschiedlicher Kostenlage ohne eine entsprechende Vereinbarung aller betroffenen Unternehmen heraufgesetzt wurden. Aus dem Verhalten ergebe sich daher zwingend das Vorliegen einer stillschweigenden Preisabsprache. Demgegenüber nimmt das Kammergericht an, dass trotz des lebhaften individuellen Preiswettbewerbs bei einer Ankündigung allgemeiner Preiserhöhungen, die sofort für jeden Wettbewerber und jeden Abnehmer offen zutage tritt, doch zwischen den Farbstoffherstellern eine gewisse Abhängigkeit bestehe, die zu einem rein faktischen Parallelverhalten führen könne.“ Der Bundesgerichtshof hat den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes aufgehoben und seine Entscheidung u.a. wie folgt begründet:603 „Zum Wesen eines Vertrages i.S. des § 1 GWB – wie jeden Vertrages – gehört unbestrittenermaßen, dass durch gegenseitige, einander entsprechende Willenserklärungen der Beteiligten eine Einigung zustande kommt. Lässt sich eine durch Angebot und Annahme herbeigeführte Willensübereinstimmung der Partner nicht feststellen, so kann nicht angenommen werden, dass zwischen ihnen ein Vertrag zustande gekommen sei. Dabei sind die allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches über das Zustandekommen eines Vertrages (§§ 145 ff. BGB) uneingeschränkt anwendbar. … Einer erweiterten Auslegung des Vertragsbegriffes“ (Vertrag sui generis) „in der Richtung, dass unter Verzicht auf das Merkmal der Einigung auch andere Formen bewusst gleichförmigen Verhaltens erfasst und damit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB“ (a. F. vor 1999) „unter Buße gestellt werden, stehen Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 1 GWB, die Gesetzessystematik des GWB und nicht zuletzt das auf Art. 103 Abs. 2 GG (,nulla poena sine lege‘) fußende strafrechtliche Analogie-Verbot entgegen, das auch für Ordnungswidrigkeiten gilt. … In diesem Tatbestandsmerkmal 601 602 603

Teerfarben, in: WuW/E BGH 1147 f. (Hervorhebung durch Verf.). Teerfarben, in: WuW/E BGH 1154 (Hervorhebung durch Verf.). Teerfarben, in: WuW/E BGH 1153 (Hervorhebung durch Verf.).

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

299

unterscheidet sich § 1 Abs. 1 GWB von Art. 85 Abs. 1 EWGV, der außer Vereinbarungen zwischen Unternehmen u.a. auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verbietet. … Der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit darf auch bei einem noch so dringenden rechtspolitischen Bedürfnis nicht im Wege der Gesetzes- oder Rechtsanalogie erweitert werden.“ Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof im Jahre 1972 die europäischen Teerfarbenhersteller wegen drei allgemeiner und einheitlicher Erhöhungen der Farbstoffpreise in den Jahren 1964 bis 1967 zu hohen Geldbußen verurteilt. Die Frage, ob die Preiserhöhungen i.S. des Art. 85 Abs. 1 (neu: 81 Abs. 1) EGV aufeinander abgestimmt waren oder nicht, hat der Europäische Gerichtshof unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Farbstoffmarktes wie folgt gewürdigt:604 „Diese Unternehmen haben sehr unterschiedliche Produktions- und damit auch Kostenstrukturen. Dadurch wird es für den einzelnen Hersteller schwierig, sich Kenntnis von den Kosten der Konkurrenten zu verschaffen. Die Gesamtzahl der Farbstoffe ist sehr hoch, denn jedes einzelne Unternehmen stellt mehr als tausend Artikel her. Der durchschnittliche Grad der Austauschbarkeit dieser Erzeugnisse wird bei Standardfarbstoffen als relativ gut angesehen, während er für die Spezialfarbstoffe sehr niedrig oder sogar gleich Null sein kann. Bei den Spezialerzeugnissen tendiert der Markt in gewissen Fällen zur Oligopolbildung. Wegen der verhältnismäßig geringen Auswirkung des Farbstoffpreises auf den Preis des Enderzeugnisses des Abnehmers ist die Beweglichkeit der Nachfrage bei Farbstoffen im gesamten Markt beschränkt, was kurzfristig zu Preiserhöhungen anregt. Andererseits steigt die Gesamtnachfrage nach Farbstoffen beständig, was den Herstellern eher einen Anreiz zu einer Politik gibt, die sie an diesem Wachstum teilhaben lässt … Für den Farbstoffmarkt in der Gemeinschaft ist kennzeichnend, dass es fünf isolierte nationale Märkte mit unterschiedlichem Preisniveau gibt, ohne dass sich dies durch Unterschiede bei den Kosten und Belastungen erklären lässt, welche die Hersteller in den einzelnen Ländern zu tragen haben. Die Errichtung des gemeinsamen Marktes war auf diese Lage anscheinend ohne Einfluss, denn die Unterschiede im Preisniveau der einzelnen Staaten haben sich kaum verringert. Es steht im Gegenteil fest, dass jeder der nationalen Märkte oligopolistische Merkmale aufweist und dass sich auf der Mehrzahl dieser Märkte das Preisniveau unter dem Einfluss eines Preisführers bildet, der in einigen Fällen der bedeutendste inländische Hersteller ist, in anderen jedoch seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland hat und über eine Tochtergesellschaft tätig wird. Diese Abschottung der Märkte ist nach Meinung der Sachverständigen auf die Notwendigkeit zurückzuführen, den Verbrauchern an Ort und Stelle einen anwendungstechnischen Kundendienst zur Verfügung zu stellen und sofortige Belieferung, im Allgemeinen in begrenzten Mengen, zu gewährleisten, wobei die Hersteller – von Ausnahmen abgesehen –, an ihre in den einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften liefern und durch ein Netz von Vertretungen und Auslieferungslagern sicherstellen, dass den besonderen Wünschen der Abnehmer hinsichtlich des Kundendienstes und der Belieferung Rechnung getragen wird. …

604

Teerfarben, in: WuW/E EWG/MUV 273 (Hervorhebung durch Verf.).

300

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

Vor diesem die Funktionsweise des Farbstoffmarktes kennzeichnenden Hintergrund sind die streitigen Vorgänge zu würdigen.“ Der EuGH ging davon aus, dass die drei aufeinanderfolgenden Preiserhöhungen eine fortschreitende Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Unternehmen verraten:605 „Nachdem man im Jahre 1964, in dem Ankündigung und Inkraftsetzung der Erhöhungen zusammenfielen, aber hinsichtlich des betroffenen Warensortiments geringfügige Abweichungen bestanden, Erfahrungen gesammelt hatte, lassen die Erhöhungen von 1965 und 1967 insofern ein anderes Vorgehen erkennen, als die Unternehmen, von denen die Initiative ausging (BASF und Geigy), ihre Erhöhungsabsicht jeweils einige Zeit vor der Verwirklichung ankündigten und damit den Unternehmen Gelegenheit gaben, ihre wechselseitigen Reaktionen auf den einzelnen Märkten zu beobachten und sich diesen Reaktionen anzupassen. Durch diese Vorankündigungen beseitigten die einzelnen Unternehmen untereinander jede Ungewissheit über ihr zukünftiges Verhalten und damit zum großen Teil auch das normale Risiko, das mit jeder autonomen Änderung des Verhaltens auf einem oder mehreren Märkten verbunden ist. Dies galt umso mehr, als diese Ankündigungen, die zur Festsetzung globaler und einheitlicher Preiserhöhungen für die Farbstoffmärkte führten, diese Märkte hinsichtlich der Steigerungssätze transparent machten. Somit haben die betroffenen Unternehmen durch ihre Handlungsweise vorübergehend bei den Preisen einige Wettbewerbsbedingungen des Marktes ausgeschaltet, die einem einheitlichen Parallelverhalten entgegenstanden.“ Angesichts der Zahl der beteiligten Hersteller und der Abschottung des Gemeinsamen Marktes in fünf nationale Märkte mit unterschiedlichem Preisniveau und verschiedener Struktur kann der europäische Farbstoffmarkt nicht als ein enges Oligopol angesehen werden, auf dem eine spontane und auf allen nationalen Märkten einheitliche Preiserhöhung wahrscheinlich ist:606 „Selbst wenn eine allgemeine und dennoch spontane Preiserhöhung auf jedem einzelnen der nationalen Märkte allenfalls noch vorstellbar gewesen wäre, hätte man doch erwarten müssen, dass diese Erhöhungen je nach den besonderen Gegebenheiten der einzelnen nationalen Märkte verschieden groß gewesen wären. Nach alledem mag ein paralleles Preisverhalten für die betroffenen Unternehmen zwar ein lohnendes und ohne Risiken erreichbares Ziel gewesen sein; es lässt sich jedoch schwerlich annehmen, dass ein solches Parallelverhalten hinsichtlich des Zeitpunktes, der betroffenen nationalen Märkte und des betroffenen Warensortiments ohne vorherige Abstimmung zustande kommen konnte.“ Diese unterschiedliche rechtliche Würdigung der Verhaltenskoordinierung der europäischen Teerfarbenhersteller in den 60er Jahren war für den deutschen Gesetzgeber im Jahre 1973 Anlass, das vertragliche Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen durch ein Verbot des aufeinander abgestimmten Verhaltens zu ergänzen (§ 25 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999). Seit der 6. GWB-Novelle verbietet § 1 GWB – analog zu Art. 101 Abs. 1 EGV – nicht nur wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Beschlüsse, sondern auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. 605 606

Teerfarben, in: WuW/E EWG/MUV 274 f. (Hervorhebung durch Verf.). Teerfarben, in: WuW/E EWG/MUV 275 (Hervorhebung durch Verf.).

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

2.

301

Der Unternehmensbegriff im GWB

Ein Verstoß gegen die Verbote des GWB (z.B. § 1 GWB) oder die Anwendung von Missbrauchsnormen (z.B. § 19 GWB) setzt in der Regel voraus, dass es sich um Unternehmen handelt; d.h., je nach der Fassung des Unternehmensbegriffes wird der Anwendungsbereich des GWB eingeengt oder ausgeweitet. Nach der Regierungsbegründung zum GWB607 genügt dafür „eine Tätigkeit in der Erzeugung oder im geschäftlichen Verkehr. Das Gesetz bezweckt, vertragliche Beschränkungen des Wettbewerbs bei der Erzeugung und bei dem geschäftlichen Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen zu unterbinden; folglich ist die Absicht der Gewinnerzielung nicht erforderlich. Auch Unternehmen, die ohne Gewinnstreben arbeiten, können durch kartellmäßige Bindungen den Wettbewerb behindern.“ § 98 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 „stellt demgemäß auch gemeinnützige Unternehmen unter die Regelung des Gesetzes. Auch die Rechtsform des Unternehmens (natürliche oder juristische Person) ist unerheblich, ebenso – wie sich aus“ § 98 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 „ergibt – die Eigentumsfrage (öffentliche Hand, Gemeineigentum oder Gemeinwirtschaft).“ Die Funktion des Unternehmensbegriffes besteht im Wesentlichen in der Abgrenzung zum privaten Verbrauch. Strittig waren die Subsumierung der freien Berufe sowie der öffentlichen Hand unter den Unternehmensbegriff. Während § 130 Abs. 1 GWB bestimmt, dass das Kartellgesetz auch Anwendung auf Unternehmen findet, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, war die Frage der Anwendung des GWB auf die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand umstritten608, was im Falle Gummistrümpfe vom BGH im Sinne eines eingefassten funktionalen Unternehmensbegriffes entschieden worden war. Dabei genügte für den Unternehmensbegriff die Tätigkeit auf einer Marktseite. Fall Gummistrümpfe (1961)609 In diesem Fall ging es um die Diskriminierung eines Händlers durch Nichtzulassung bei der Belieferung der Versicherten mit Gummistrümpfen durch eine Allgemeine Ortskrankenkasse, wobei strittig war, ob die AOK als Unternehmen im Sinne des GWB bei ihrer Nachfrage anzusehen war oder nicht. Der Sachverhalt war wie folgt: Zwischen dem Landesverband der Ortskrankenkassen in Hessen, dem auch die beklagte AOK Frankfurt angehörte, sowie dem Landesverband Hessen e.V. für das Bandagisten-, Orthopädie- und Chirurgie-Mechanikerhandwerk und dem Einzelhandelsverband Frankfurt und Umgebung e.V., Fachzweig Sanitätsbedarf, bestand seit 1951 ein Gesamtvertrag über die Belieferung der Kassenmitglieder und ihrer anspruchsberechtigten Familienangehörigen mit Heilmitteln, insbesondere mit Bandagen und ähnlichen Erzeugnissen. Nach § 4 dieses Vertrages war die Belieferung der Versicherten von einer Zulassung des Lieferanten durch die örtliche AOK abhängig. Dabei wurden nur Lieferanten zugelassen, die bestimmte fachliche

607 608

609

Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr 1158-2. Wahlperiode, S. 31. Vgl. zum funktionalen Unternehmensbegriff Schmidt, Ingo, Die öffentliche Hand als Unternehmen im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BB 18 (1963), S. 1404 ff., unter Hinweis auf Gandenberger, Welter, Forsthoff u.a. Vgl. Gummistrümpfe, in: WuW/E BGH 442 ff., 449 f.

302

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

Voraussetzungen erfüllten; darüber hinaus entschied die örtliche AOK gem. § 17 des Vertrages nach Prüfung der Bedürfnisfrage. Die Klägerin hatte 1959 bei der beklagten AOK Frankfurt beantragt, ihre Frankfurter Filiale für den Artikel Gummistrümpfe in die Liste der zur Belieferung von Mitgliedern der AOK zugelassenen Firmen aufzunehmen. Die AOK lehnte jedoch den Antrag der Klägerin auf Zulassung ab, „da durch die zugelassenen Betriebe die Versorgung der Versicherten … ausreichend sichergestellt sei“; die fachliche Voraussetzung des Klägers wurde nicht angezweifelt. Die Klägerin sah in diesem Verhalten der AOK eine verbotene Diskriminierung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen i.S. des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 und verlangte ihre Zulassung zur Belieferung von Mitgliedern der beklagten AOK mit Gummistrümpfen. Im Hinblick darauf, ob in dem vorliegenden Fall ein Kontrahierungszwang aus § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 zur Anwendung kommen sollte oder nicht, machte der BGH grundsätzliche Ausführungen zur Frage des Unternehmensbegriffes i.S. des GWB:610 „Die Sozialversicherungsträger, insbesondere die Krankenkassen, sind … unbeschadet ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe und Struktur als Unternehmen im Sinne des GWB zu betrachten und daher im privatrechtlichen Verkehr regelmäßig denjenigen Vorschriften dieses Gesetzes unterworfen, deren sachlicher Geltungsbereich, wie der des § 26 Abs. 2, die Unternehmenseigenschaft voraussetzt. Wie der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der Amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt hat (BGHZ 31, 105 – Gasglühkörper), lässt der Begriff des Unternehmens sich nicht einheitlich festlegen. Die Unternehmenseigenschaft muss vielmehr im Einzelfalle ermittelt werden. Dabei ist von dem Zweck des Gesetzes auszugehen, die Freiheit des Wettbewerbs sicherzustellen, und der zu beurteilende wirtschaftliche Vorgang in seiner Gesamtheit zu würdigen. Nach der Amtlichen Begründung (Abschn. C 3 c zu § 1 GWB) genügt jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr. Bestimmte Formen der rechtlichen oder wirtschaftlichen Organisation sind dafür nicht zu fordern. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob die Tätigkeit von Privatpersonen oder von der öffentlichen Hand ausgeübt wird (§ 98 Abs. 1 GWB)“ a. F. vor 1999… „(Ferner) ist es unerheblich, dass die Sozialversicherungsträger die Heilmittel, auf deren Lieferung die von ihnen abgeschlossenen Verträge sich beziehen, nicht gegen Gewinn weiterveräußern, sondern für ihre Rechnung an die Versicherten abgeben lassen. Es wäre lebensfremd, die Sozialversicherungsträger aus diesem Grunde den Endverbrauchern gleichzustellen. … Der hier sich aufdrängende Vergleich ist vielmehr der mit der Tätigkeit privater Versicherungsunternehmen. Diese Unternehmen gewähren ebenso wie die Bekl. gegen Beiträge, die unabhängig von den tatsächlichen erbrachten Leistungen gezahlt und zu deren Ausgleich verwendet werden, Schutz vor den versicherten Risiken. Es wird aber mit Recht nirgends in Zweifel gezogen, dass sie im Sinne des GWB Unternehmen sind … Die Stellung im geschäftlichen Verkehr, welche die Sozialversicherungsträger durch Vertragsabschlüsse mit den Lieferanten von medizinischen Hilfsmitteln erlangen, ist in rechtlicher und wirtschaftlicher Beziehung derjenigen gleichartig, die für private Versicherungsunternehmen mit einem vergleichbaren Kreis von Versicherten durch etwaige Vertragsabschlüsse entsprechenden Inhalts begründet werden würde. Dies zeigt sich namentlich dann, wenn die Ver610

Gummistrümpfe, in: WuW/E BGH 449 f. (Hervorhebung durch Verf.).

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

303

einbarungen, wie dies für die §§ 4, 17 Abs. 1 des … Rahmenvertrages vom 7.6.51 gilt, durch die Möglichkeit des Ausschlusses von Anbietern wettbewerbsbeschränkende Wirkungen auf den Einzelhandel mit den darunter fallenden Heilmitteln zur Folge haben. Unter den Gesichtspunkten, unter denen das GWB solchen Wirkungen entgegentritt, besteht also zwischen den Trägern der Sozialversicherung und den privaten Versicherungsunternehmen beim Abschluss von Verträgen der vorliegenden Art kein Unterschied. Bei der gebotenen Berücksichtigung des Gesetzeszwecks, der für die Beurteilung den Ausschlag gibt, wäre es hiernach nicht vertretbar, die Sozialversicherungsträger im Rahmen dieser nicht hoheitlichen Betätigung gleichwohl nicht als Unternehmen zu betrachten und sie daher insoweit von der Anwendung des GWB auszunehmen, obwohl sie in einer dem Unternehmenstypus der Versicherung entsprechenden Form am geschäftlichen Verkehr teilnehmen.“ Im Sinne eines derart eingefassten funktionalen Unternehmensbegriffes des GWB sind von der Rechtsprechung konsequenterweise alle Sozialversicherungsträger einschließlich der Ersatzkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Nachfrage nach Heil- und Hilfsmitteln, die Kirchen, die öffentliche Hand bei Beschaffungskäufen sowie die Technischen Überwachungsvereine (TÜVs) als unter das GWB fallend angesehen worden. Durch das Gesundheitsreformgesetz von 2000 sind gem. § 69 Sozialgesetzbuch V allerdings die Rechtsbeziehungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und ihren Leistungserbringern dem öffentlichen Recht unterworfen, so dass der Fall AOK Gummistrümpfe obsolet geworden ist und heute anders entschieden werden würde.611 Zudem stellt der EuGH neuerdings darauf ab, dass jede wirtschaftliche Tätigkeit durch Einkauf (Nachfrage) und Verkauf (Angebot) gekennzeichnet sei, so dass Einrichtungen des Gesundheitswesens keine Unternehmen sind, da sie ihre Leistungen an die Pflichtversicherten unentgeltlich erbringen.612

3.

Das Verhältnis von Wettbewerbsbeschränkung zu Vertrag und Beschluss in § 1 GWB a. F. vor 1999

Im Hinblick auf die Auslegung des Kartellverbotes war bis zur 6. GWB-Novelle in 1998 strittig, in welchem Verhältnis die Wettbewerbsbeschränkung (z.B. eine Preisabsprache) zu dem Vertrag oder Beschluss stehen muss. Dabei waren drei Theorien entwickelt worden, die jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen führten:



Bis zu Beginn der 70er Jahre herrschte die sog. Gegenstandstheorie, wonach die Wettbewerbsbeschränkung unmittelbar Gegenstand bzw. Inhalt eines Vertrages oder Beschlusses sein muss. Die wettbewerbspolitische Kritik an dieser Theorie, die mit ihrer einseitigen Betonung vertraglicher Pflichten Umgehungen des Kartellverbotes Tür und Tür öffnete, hat dann in Anlehnung an Art. 101 I AEUV zur Entwicklung der sog. Zwecktheorie (Fikentscher) bzw. der sog. Folgetheorie geführt.

611

Vgl. Blutdruckmessungen, in: WRP 52 (2006), S. 747 ff. Vgl. Fenin, in: EuGH Slg. 2003-II, S. 357 ff. und WuW/E EU-R 688 ff. sowie Slg. 2006-I, S. 6295 ff. und WuW/E EU-R 1213 f., und AOK-Bundesverband, in: EuGH Slg. 2004-I, S. 2493 ff. und WuW/E EU-R 801 ff. Vgl. auch Hoffmann, Jens, Die gesetzlichen Krankenkassen im Anwendungsbereich des deutschen Kartellrechts, in: WuW 61 (2011), S. 472 ff.

612

304

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie



Die Zwecktheorie stellte darauf ab, ob mit einem Vertrag oder Beschluss der gemeinsame Zweck der Wettbewerbsbeschränkung verfolgt wird. Der BGH folgte im Ergebnis offensichtlich dieser Theorie, ohne sich allerdings explizit festzulegen. • Die Folgetheorie berücksichtigte dagegen auch die Auswirkungen des Vertrages auf Dritte, zumindest soweit sie bei Vertragsabschluss objektiv vorauszusehen waren. Die praktische Bedeutung dieser drei Theorien wird anhand der im Folgenden zu behandelnden Beispiele aus dem Bereich der Torsosyndikate, d.s. Einkaufs- bzw. Verkaufsgemeinschaften ohne Bezugs- oder Lieferpflicht, und identifizierenden Preismeldestellen deutlich.613 Fall Zementverkauf Niedersachsen (ZVN-1975)614 Im Rahmen der sog. Gegenstandstheorie verstießen Einkaufs- und Verkaufsgemeinschaften nur dann gegen das Kartellverbot i.S. des § 1 GWB a. F. vor 1999, wenn die Unternehmen sich rechtlich verpflichteten, nur über die Gemeinschaft zu beziehen (Bezugszwang) oder zu liefern (Absatzzwang). Fehlte eine derartige rechtliche Verpflichtung, so war das Kartellverbot auch dann nicht anwendbar, wenn tatsächlich nahezu ausschließlich über die Gemeinschaft bezogen oder abgesetzt und damit der Wettbewerb mehr oder minder ausgeschlossen wurde (sog. Torsosyndikat). Der Unterschied zu einem Einkaufs- oder Verkaufssyndikat mit rechtlicher Bindung war nur rein formaler Natur.615 Geht man dagegen von der Zweck- oder Folgetheorie aus, so sind Torsosyndikate genauso wie sonstige Syndikate zu behandeln. Der ZVN-Fall exemplifiziert diese Problematik: Die deutsche Zementindustrie ist seit vielen Jahrzehnten syndiziert, d.h., die Produktion ist ausschließlich über das Syndikat als gemeinsame Vertriebsorganisation abgesetzt worden. Dementsprechend haben 1945 die niedersächsischen Zementhersteller eine Zementverkaufsstelle Niedersachsen GmbH (ZVN) gegründet, deren Zweck „der Verkauf von Zement und zementähnlichen Bindemitteln sowie Zementklinker im eigenen oder fremden Namen“ ist. 1963 wurde der zwischen den Gesellschaftern der ZVN bestehende Liefergemeinschaftsvertrag neu gefasst, in welchem sie sich zum Vertrieb über die ZVN als gemeinsame Verkaufsstelle verpflichteten. Nachdem 1968 der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für ein Rationalisierungskartell i.S. des § 5 Abs. 2 und 3 GWB a. F. vor 1999 rechtskräftig abgelehnt worden war616, schloss die ZVN mit ihren Gesellschaftern nunmehr unter Ausschluss einer Andienungspflicht Vertriebsverträge und Liefervereinbarungen ab, womit den Anforderungen der sog. Gegenstandstheorie (keine Andienungspflicht) Rechnung getragen war. Im Rahmen dieses Torsosyndikates verkaufte die ZVN die Vertragswaren zu vereinbarten Einkaufspreisen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und räumte jedem Lieferwerk Meistbegünstigung ein. Die Einkaufspreise der ZVN (Ab-Werk-Preise) waren allen Betroffenen gegenüber gleich hoch. In Abwendung der von ihm 15 Jahre lang vertretenen sog. Gegenstandstheorie hat das Bundeskartellamt die Vertriebskooperation als Verstoß gegen § 1 GWB a. F. vor 1999 untersagt 613

614 615 616

Vgl. Pickel, Walter, Aktuelles und Grundsätzliches zur Wirksamkeit des Kartellverbotes, in: DB 23 (1968), S. 295 ff., der auf die eminente praktische Bedeutung dieser drei verschiedenen Theorien hingewiesen hat. Durch die 6. GWB-Novelle hat dieser Theorienstreit an Bedeutung verloren. Vgl. ZVN II, in: WuW/E BGH 1367 ff. Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 7: Mißbräuche der Nachfragemacht und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Baden-Baden 1977, Tz. 177 ff. Vgl. ZVN I, in: WuW/E BGH 967 ff.

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

305

(§ 37 a Abs. 1 GWB a. F. vor 1999). Das Kammergericht hatte in der Vertriebskooperation ein „kombiniertes System von Horizontal- und Vertikalabsprachen“ gesehen, durch welche einheitliche Ab-Werk-Preise an die Stelle des Wettbewerbs i.S. des Strebens um Verkaufsabschlüsse mit Baustoffhändlern getreten seien. Der Bundesgerichtshof hat bei der rechtlichen Prüfung ebenfalls auf den wirtschaftlichen Zusammenhang der Horizontal- und Vertikalabsprachen abgestellt, da dieser bei einer Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 1 GWB a. F. vor 1999 nicht außer Acht gelassen werden könne:617 „Ob Vertikalverträge aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenhangs gerade in ihrer Verbindung mit einem Horizontalvertrag einen kartellrechtlichen Tatbestand erfüllen, kann nicht unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Funktion in eben diesem Zusammenhang allein nach dem Willen der Beteiligten bestimmt werden. Das Beschwerdegericht hat daher übereinstimmend mit dem BKartA die durch die Verkaufsgesellschaft in Verbindung mit den vorliegenden Vertriebs- und Lieferverträgen ins Werk gesetzte Vertriebskooperation zutreffend als ,System von Horizontal- und Vertikalabsprachen‘ einer zusammenfassenden Prüfung unterzogen. Im vorliegenden Fall ist die Verbindung insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass die Vertriebsgesellschaft jedem ihrer Gesellschafter bei einem angetragenen Vertriebsvertrag oder einem einzelnen Kaufangebot Meistbegünstigung gewähren muss, im Ergebnis also von jedem Gesellschafter, der überhaupt über die Vertriebsgesellschaft absetzt, die Waren zum gleichen Preis abnehmen muss.“ Der BGH bestätigte die Rechtsauffassung des Bundeskartellamtes und des Kammergerichts, wonach die Vertriebskooperation geeignet sei, die Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs i.S. von § 1 GWB a. F. vor 1999 zu beeinflussen; denn der Verkauf zu gleichen Preisen ergebe sich notwendig aus dem Zusammenwirken der in dem Gesellschaftsvertrag und den einzelnen Vertriebsverträgen vereinbarten Pflichten. Zur Kernfrage des Verfahrens, ob das Tatbestandsmerkmal in § 1 GWB a. F. vor 1999 „durch Beschränkung des Wettbewerbs“ erfordere, dass der Vertrag die Verpflichtung zu einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten enthalte, führte der BGH grundsätzlich aus:618 „§ 1 GWB erfasst als zentrale Vorschrift über Kartellverträge und Kartellbeschlüsse nach der Anlage des Gesetzes solche Wettbewerbsbeschränkungen, die rechtsgeschäftlichem Handeln zuzurechnen sind und nicht kraft Zustands bestehen. Unter diesem Blickpunkt können rechtsgeschäftliche Vereinbarungen (Einigung) über Wettbewerbsbeschränkungen als Zweck eines Vertrages auch dann erheblich sein, wenn sich die Vertragsteilnehmer nicht auch zur Durchführung eines solchen mit dem Vertrag gemeinsam angestrebten (weiteren) Zwecks verpflichten. Die Einigung über einen nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckten Erfolg braucht nicht aus Rechtsgründen notwendig, wie die Rechtsbeschwerde meint, Gegenstand einer vertraglichen Bindung zu sein.“ Im Hinblick auf den konkreten Fall stellte der BGH619 fest, dass die Gründung und Aufrechterhaltung der ZVN nicht nur rein faktisch zu einem Zustand mit bestimmten Wettbewerbsbeschränkungen führe, sondern 617 618 619

ZVN II, in: WuW/E BGH 1369 f. ZVN II, in: WuW/E BGH 1371 f. (Hervorhebung durch Verf.). ZVN II, in: WuW/E BGH 1372 f. (Hervorhebung durch Verf.).

306

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

„dass die Betroffenen jedenfalls auch zu diesem Zweck die Vertriebsgesellschaft aufrechterhalten, indem sie im Hinblick auf die mit Sicherheit zu erwartende rationale Handlungsweise eines jeden Gesellschafters mit einem hinreichenden Absatz über die gemeinsame Vertriebsgesellschaft rechneten. … Bezweckten die Vertragsschließenden, wie hier tatrichterlich festgestellt ist, mit den gemeinsamen Einrichtungen den preiskonformen Absatz eines für die Eignung zur Marktbeeinflussung hinreichenden Teils ihrer Produkte, so ist es unerheblich, dass die Andienung nicht, wie bei der Syndikatgesellschaft, in die Vertragsverpflichtung einbezogen worden ist, eine solche Verpflichtung vielmehr durch die gemeinsame Erwartung auf das von den gemeinsamen Zielvorstellungen her gesehen kaufmännisch vernünftige Verhalten eines jeden Vertragsbeteiligten ersetzt wird. In diesem Fall ist die Eignung der Verträge zur Marktbeeinflussung durch Wettbewerbsbeschränkung nicht behoben. Angesichts des gemeinsamen mit den Verträgen verfolgten Zwecks kann schließlich auch kein Beteiligter in Zweifel gewesen sein, dass die Eignung der Verträge zur Marktbeeinflussung auf der Wettbewerbsbeschränkung beruht, die mit dem gemeinsamen Absatz nach Art der eingegangenen Verträge verbunden ist.“ Fall Tubenhersteller (1972)620 Ein weiterer Fall der mittelbaren Wettbewerbsbeschränkung sind die identifizierenden Preismeldestellen, open price systems, bei denen Gegenstand bzw. Inhalt des Vertrages die Erhöhung der Markttransparenz über abgeschlossene Geschäftsvorfälle durch Meldung an eine zentrale Informationsstelle und Rückmeldung – automatisch oder auf Anfrage – an alle Mitbewerber ist. Zweck bzw. Wirkung eines solchen open price system besteht darin, auf Märkten mit homogenen Massengütern den Grad der Interdependenz zwischen den Unternehmen derart zu steigern, dass eine Situation wie im engen Oligopol entsteht, in welchem wegen sehr hoher Interdependenz und Interessensymmetrie ein individueller Wettbewerb nicht mehr wahrscheinlich und wirtschaftlich vernünftig ist. Der entscheidende Unterschied zu der Situation des engen Oligopols als einer faktischen Wettbewerbsbeschränkung i.S. des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB besteht allerdings darin, dass diese Situation künstlich mit Hilfe eines Vertrages, der die Markttransparenz und damit den Grad der Interdependenz steigert, herbeigeführt wird.621 Der im Jahre 1972 vom Kammergericht entschiedene Fall Tubenhersteller exemplifiziert die ökonomische und rechtliche Problematik: Die wichtigsten Hersteller von Aluminium-Tuben haben 1955 einen Marktinformationsvertrag geschlossen, um zu verhindern, dass Abnehmer die Wettbewerber gegeneinander ausspielen, indem sie unter Hinweis auf angebliche Unterangebote ständig neue Preiszugeständnisse zu erwirken suchen. Der Vertrag bestimmte, dass alle Vertragsangebote innerhalb von 4 Tagen einer zentralen Meldestelle mit allen Einzelheiten angezeigt und von dieser den anderen Vertragsbeteiligten auf Anfrage bekannt gegeben werden. Im Jahr 1965 trat die zwei 620

621

Vgl. Tubenhersteller, in: WuW/E OLG 1253 ff.; übereinstimmend auch der BGH im Falle Aluminium-Halbzeug, in: WuW/E BGH 1337 ff. Vgl. aus neuerer Zeit den Fall Baumarkt-Statistik, in: WuW/E BGH 2313 ff., wo der BGH die Wettbewerbsbeschränkung in der Beseitigung der Ungewissheit um den Kreis der Wettbewerber gesehen hat. Vgl. dazu Schmidt, Ingo, Markttransparenz als Voraussetzung für Wettbewerbsbeschränkungen, in: WuW 13 (1963), S. 97 ff., und die sich daran anschließende wettbewerbspolitische und wettbewerbsrechtliche Diskussion in den Zeitschriften Wirtschaft und Wettbewerb, Der Betrieb, Der Betriebs-Berater sowie Wettbewerb in Recht und Praxis.

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

307

Jahre zuvor gegründete Tubenfabrik X dem Marktinformationsvertrag bei. X versuchte durch erhebliche Preiszugeständnisse in den Markt einzudringen. Als die Mitbewerber hiervon aufgrund des Meldeverfahrens Kenntnis erhielten, kam es 1967/68 zur Reaktion mehrerer Mitbewerber gegenüber X. Der „Störenfried“ wurde von Unteraufträgen und der weiteren Teilnahme an dem Marktinformationsverfahren ausgeschlossen. An dem Marktinformationsverfahren nahmen 17 Unternehmen teil, die etwa 70 % des Marktes für Aluminiumtuben kontrollierten; sie versuchten, das Marktinformationsverfahren damit zu rechtfertigen, dass lediglich die Markttransparenz gefördert werde, die für jeden Leistungsvergleich und damit für wirksamen Wettbewerb erforderlich sei. Bessere Markttransparenz würde den Preiswettbewerb nicht dämpfen, sondern ihn verschärfen. Im Übrigen liege kein Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 GWB vor, weil die Vertragsteilnehmer weder ausdrücklich noch stillschweigend irgendwelche Verpflichtungen hinsichtlich der Preispolitik übernommen hätten (Gegenstandstheorie). Zudem bestünden Überkapazitäten, die die marktstarken Abnehmer dazu benutzen würden, um die Anbieter gegenseitig auszuspielen. Ein Marktinformationsvertrag erhalte insofern mittelständische Wirtschaftszweige. Demgegenüber hat das Kammergericht in dem identifizierenden Marktinformationsvertrag eine Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungsfreiheit erblickt:622 „Ohne eine derartige Vereinbarung kann jeder Wettbewerber jedem Abnehmer individuelle Preis- und Rabattangebote machen, ohne diese Bedingungen zu veröffentlichen oder einzelnen Konkurrenten oder einer Treuhandstelle bekanntzugeben. Der Kartellsenat weiß aufgrund verschiedener Beschwerdeverfahren, dass viele Hersteller ihre individuelle Preis- und Rabattgestaltung als Geschäftsgeheimnis betrachten, das der Konkurrenz nicht zugänglich gemacht werden darf. Verständlicher Grund für dieses Verhalten ist die Tatsache, dass sie die Preismodalitäten als wesentliches Wettbewerbsmittel einsetzen und dass sie verhindern wollen, dass Konkurrenten auf ihre Kosten Absatzvorteile erringen, indem sie schnellstens in die Preisgestaltung eintreten oder sie noch überbieten. Das Wettbewerbsmittel des günstigen Preises ist aus der verbreiteten Sicht vieler Unternehmer besonders erfolgsversprechend, wenn es der Konkurrenz, also den Herstellern vergleichbarer Güter, nicht sofort und allgemein bekannt werden kann, sondern sich erst allmählich, insbesondere durch Verlautbarungen der Abnehmer, herumspricht. Die mit günstigen Preisen angestrebte Absatzausweitung kann um so eher erreicht werden, je länger sie verborgen bleibt. Die Teilnehmer eines Marktinformationsvertrages verzichten vertraglich auf diesen sogenannten Geheimwettbewerb, der eine übliche Form vorstoßenden Wettbewerbs ist …“ Damit weist das Kammergericht darauf hin, dass time lags in der Anpassung Voraussetzung für wirksame, vorstoßende Wettbewerbshandlungen sind; diese These der Wettbewerbstheorie wird durch den Mechanismus der Preismeldestellen exemplifiziert, bei denen das time lag verkürzt und damit die Möglichkeiten zu vorstoßendem Wettbewerb aufgrund des durch Vertrag geschaffenen Sanktionsmechanismus erschwert werden. Ähnlich wie die Europäische Kommission623 hat das Kammergericht die Unsicherheit über das Verhalten der Konkurrenten als ein wesentliches Wettbewerbselement betont; es er622 623

Tubenhersteller, in: WuW/E OLG 1256 (Hervorhebung durch Verf.). Vgl. z.B. Bleiweiß, in: WuW/E EV 792 ff., wo von Minderung oder Ausschluss der Risiken gesprochen wird, die sich aus der Unkenntnis über die Mengen- und Marktpolitik der Mitbewerber ergeben. Vgl. aus jüngerer Zeit Landwirtschaftliche Zugmaschinen, in: WuW/E EU-R 75 ff.

308

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

blickte eine Beschränkung des vorstoßenden Wettbewerbs darin, dass durch das Transparentmachen vertraulicher Geschäftsdaten Verhältnisse wie in einem engen Oligopol i.S. des § 22 Abs. 2 (neu: 19 Abs. 2 S.2) GWB geschaffen werden, wo bei Homogenität der Güter und Transparenz der Marktdaten vorstoßende Wettbewerbshandlungen aufgrund des Sanktionsmechanismus wirtschaftlich nicht erfolgversprechend sind und daher unterbleiben:624 „Ein Hersteller, der mit einer derartigen Entwicklung rechnet, hat naturgemäß weniger Neigung zu solchen Vorstößen, weil sie im Falle des Nachziehens der Konkurrenz keinen fühlbaren Wettbewerbsvorsprung auslösen, sondern ihn lediglich zwingen würden, künftig wiederum gewinnschmälernde Zugeständnisse zu machen. Unter diesen Umständen lässt er es lieber sein und versucht, andere Wettbewerbsmittel, wie gute Qualität, schnelle Lieferung u.ä. einzusetzen. Diese typische Verhaltensweise ist auf oligopolistischen Märkten, wo den wenigen Anbietern die Preise der Mitbewerber für marktgleichwertige Güter allgemein bekannt sind, zutreffend erkannt worden und nicht mehr umstritten. … Der Markt für Aluminiumtuben ist mit seinen 29 Anbietern seiner Struktur nach (noch) nicht oligopolistisch. Der vorliegende Marktinformationsvertrag, durch den Angebote (und Vertragsabschlüsse) mit sämtlichen Einzelheiten binnen vier Tagen gemeldet und auf konkrete Anfrage anderen Vertragsteilnehmern bekannt gegeben werden, schafft aber durch Vereinbarung hinsichtlich des vorstoßenden Preiswettbewerbs ähnliche Verhältnisse (vgl. hierzu Hoppmann, WuW 66, 119). Jeder Vertragsteilnehmer weiß, dass seine Preisangebote usw. jedem anderen Vertragspartner schnellstens in vollem Umfang bekannt gegeben werden können und dass die anderen bei interessanten Aufträgen nachziehen werden. Nach Ziff. 2 und 3 des Vertrages gilt dies selbst für individuelle Nachlässe durch Rabatte oder Sonderkonditionen, die im Oligopol durchaus erfolgversprechend eingesetzt werden können. Da er unter diesen Umständen durch Preissenkungen keine Gewinnchancen von einer gewissen Nachhaltigkeit erwarten kann, sondern möglicherweise eine allgemeine Verschlechterung der Angebotssituation mit allgemeinen Gewinnreduzierungen, die auch ihn betreffen würden, auslöst, setzt er dieses Wettbewerbsmittel mit Sicherheit auch dann nicht ohne weiteres in vollem Umfang ein, wenn seine Kostensituation dies gestatten würde.“ Daher sah das Kammergericht den Marktinformationsvertrag der AluminiumtubenHersteller als eine mittelbare Beschränkung des Wettbewerbs und damit einen Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 GWB a. F. vor 1999 an. Die Preismeldestellen, die in ähnlicher Form zuerst in den USA und England aufgetreten waren, sind ein gutes Beispiel für die im 1. Kapitel dargestellte Gegengiftthese, wonach die Einführung eines zusätzlichen Vollkommenheitsfaktors, das ist die Markttransparenz, die Wettbewerbsintensität in homogenen Oligopolen vermindert.625 Spieltheoretisch lässt sich die wettbewerbspolitische Problematik damit erklären, dass durch die vertraglich geförderte Markttransparenz ein glaubwürdiger Abschreckungsmechanismus geschaffen wird, der vorstoßende individuelle Wettbewerbshandlungen erschwert oder unmöglich macht.

624 625

Tubenhersteller, in: WuW/E OLG 1260 f. (Hervorhebung durch Verf.). Vgl. den instruktiven Beitrag von Eddy, Arthur Jerome, The New Competition, 4. Aufl., Chicago 1915, auszugsweise abgedruckt in: Theorie und Praxis der Kartelle, hrsg. von Barnikel, Hans-Heinrich, Darmstadt 1972, S. 281 ff.

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

309

Mit den Fällen ZVN II, Tubenhersteller und Aluminium-Halbzeug ist die enge Gegenstandstheorie mit ihrer Überbetonung vertraglicher Pflichten ad acta gelegt worden.626 Vielmehr kommt es nach der neueren BGH-Rechtsprechung nicht darauf an, ob die Wettbewerbsbeschränkung Gegenstand bzw. Inhalt des Vertrages ist, sondern ob ein übereinstimmender Wille („Einigung“) feststellbar ist, mit Hilfe des Vertrages eine Wettbewerbsbeschränkung herbeizuführen („Zweck“). Ob eine derartige mittelbare Wettbewerbsbeschränkung, bei welcher die Entschließungsfreiheit mittelbar beschränkt wird, bezweckt ist, hängt davon ab, ob sich bei rationalem Verhalten der Vertragspartner aus der konkreten Vertragsgestaltung in Verbindung mit der jeweiligen Marktstruktur i.w.S. eine Wettbewerbsbeschränkung „notwendig“ ergibt.627

III. Das Verbot vertikaler Absprachen in § 14 GWB a. F. Das Verbot horizontaler Absprachen in § 1 GWB a. F. wurde bis zur 7. GWB-Novelle im Hinblick auf vertikale Absprachen durch das Verbot sog. Inhaltsbindungen des § 14 GWB a. F. ergänzt, wonach Verträge zwischen Unternehmen nichtig waren, soweit sie einen Vertragsbeteiligten in der Freiheit der Gestaltung von Preisen oder Geschäftsbedingungen bei Verträgen mit Dritten beschränkten. Abgesehen von diesem Verbot der Preisbindung der zweiten Hand unterlagen vertikale Absprachen bis zur 7. GWB-Novelle nur einer Missbrauchaufsicht. Seit der 7. GWB-Novelle unterfallen – im Einklang mit Art. 101 I EGV – alle vertikale Absprachen dem Verbot des § 1 GWB; sie sind allerdings bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – wiederum in Einklang mit Art. 101 III EGV – gem. § 2 GWB von dem Verbot freigestellt. Damit erfolgt nunmehr eine Gleichbehandlung von horizontalen und vertikalen Absprachen.

IV. Zur wettbewerbspolitisch adäquaten Erfassung der Verhandlungsstrategie Grundsätzlich muss das Kartellverbot des § 1 GWB bzw. Art.81 I EGV als ein geeignetes wettbewerbsrechtliches Instrument angesehen werden, die Wirksamkeit des Wettbewerbs zu sichern. Dazu haben die Entwicklung eines funktionalen Unternehmensbegriffes durch die Rechtsprechung sowie die im Rahmen der 6. Kartellnovelle erfolgte Harmonisierung mit Art. 101 Abs. 1 EGV beigetragen; danach sind die Zweck- bzw. Folgetheorie nunmehr durch den objektiven Gesetzeswortlaut abgedeckt. § 69 Sozialgesetzbuch V von 2000 unterwirft neuerdings die Rechtsbeziehungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und ihren Leistungserbringern dem öffentlichen Recht, so dass die Beschaffungstätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr den Vorschriften des GWB und UWG unterliegt. Diese Privilegierung der Kassen ist ordnungspolitisch unverständlich.

626 627

Vgl. Möschel, Wernhard, Abschied von der Gegenstandstheorie in § 1 GWB, in: NJW 28 (1975), S. 94 ff. Der Streit Zweck- oder Folgetheorie ist durch die Neufassung des § 1 GWB im Rahmen der 6. GWB-Novelle obsolet geworden.

310

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie

Der alte Ausnahmekatalog vom Kartellverbot (§§ 2–8 GWB a. F.) hat durch die mit der 7. GWB-Novelle erfolgte Übernahme der Legalausnahme des Art. 101 III EGV in den § 2 GWB eine gewisse Bereinigung erfahren, deren wettbewerbspolitische Konsequenzen allerdings derzeit noch nicht abzusehen sind. Die Bundesregierung hat in ihrer Begründung zur 7. GWB-Novelle die Auffassung vertreten, dass mit der neuen Generalklausel des § 2 GWB in aller Regel keine sachliche Änderung gegenüber der früheren Rechtslage verbunden sei, „da sich die Freistellungsvoraussetzungen in Art. 101 Abs. 3 EGV im Ergebnis weitgehend mit den speziellen Regelungen in den bisherigen §§ 2 bis 8 GWB a. F. decken.“628 Allerdings geht die h. M. in Deutschland dahin, dass der bis zur 7. GWB-Novelle geltende spezielle Ausnahmekatalog der §§ 2 bis 8 GWB a. F. die wettbewerbspolitisch bessere Lösung war, da je nach dem Grad der Wettbewerbsgefährdung unterschiedliche Legalisierungsverfahren zur Anwendung kamen (Anmelde- und Widerspruchsverfahren mit 3 Monatsfrist oder zeitlich nicht begrenztes Erlaubnisverfahren). Diese Regelung ist der europäischen Integration zum Opfer gefallen. Die ausdrückliche Freistellung von Exportkartellen gem. § 6 GWB a. F. vor 1999 ist zwar aufgehoben worden, gleichzeitig ist jedoch § 98 Abs. 2 Satz 2 a. F. vor 1999 gestrichen worden, so dass nunmehr reine Exportkartelle ohne Inlandswirkung zulässig sind. Die Monopolkommission hat in einer derartigen Freistellung vom Kartellverbot zu Recht einen Wertungswiderspruch gesehen, wenn die BRD einerseits ihre Inlandsmärkte möglichst umfassend vor Wettbewerbsbeschränkungen schützen wolle, andererseits deutschen Unternehmen wettbewerbsbeschränkende Praktiken erlaube, wenn diese sich lediglich im Ausland auswirkten.629

Übungsfragen zum 11. Kapitel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

628 629

Was verstehen Sie unter Verhandlungsstrategie? Durch welche Tatbestandsmerkmale sind Kartelle im Sinne des § 1 GWB bzw. Art. 101 I EGV charakterisiert? Skizzieren Sie die verschiedenen Koordinierungsformen unternehmerischen Verhaltens, und erörtern Sie, inwieweit diese Koordinierungsformen einen Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen. Vergleichen Sie die unter 3. genannten Verhaltensweisen mit dem bloßen Parallelverhalten im engen Oligopol. Erläutern Sie, inwiefern der Teerfarben-Fall ein gutes Beispiel für die Schwierigkeit der Abgrenzung von Vertrag, aufeinander abgestimmtem Verhalten und bloßem gleichförmigem Verhalten ist. Welche Konsequenz hat der deutsche Gesetzgeber aus dem Teerfarbenfall gezogen? Skizzieren Sie den Unternehmensbegriff in GWB und EGV sowie die neueste Rspr. dazu.

Regierungsbegründung zur 7. GWB-Novelle, in: BTDr. 15/3650, S. 23 lit. cc. Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten 1996/97: Marktöffnung umfassend verwirklichen, Baden-Baden 1998, Tz. 93 f.

11. Kapitel: Fälle zur Verhandlungsstrategie 8. 9. 10. 11. 12. 13.

311

Skizzieren Sie die drei Theorien über das Verhältnis von Wettbewerbsbeschränkung zu Vertrag oder Beschluss. Welche Bedeutung besitzt dieser Theorienstreit nach Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle? Zeigen Sie am Beispiel des Falles Zementverkauf Niedersachsen, welche praktische Bedeutung die Gegenstands-, Zweck- und Folgetheorie haben bzw. hatten. Was verstehen Sie unter einem open price system, und welche Wirkung haben diese identifizierenden Preismeldestellen? Zeigen Sie am Beispiel des Falles Tubenhersteller die ökonomische und rechtliche Problematik von identifizierenden Preismeldestellen auf. Inwiefern sind Preismeldestellen ein gutes Beispiel der „Gegengiftthese“? Nehmen Sie Stellung zum gegenwärtigen Stand der Erfassung der Verhandlungsstrategie.

Weiterführende Literaturhinweise zum 11. Kapitel Barnikel, Hans-Heinrich (Hrsg.), Theorie und Praxis der Kartelle, Darmstadt 1972. Bundeskartellamt (Hrsg.), Kartellrechtliche Behandlung von Preismeldestellen, in: WuW 27 (1977), S. 248 f. Cox, Helmut, Kartelle: Strukturanalyse, Wettbewerbswirkungen und wettbewerbspolitische Behandlung, in: Handbuch des Wettbewerbs: Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, hrsg. von Cox, Helmut u.a., München 1981, S. 225–271. Emmerich, Volker, Fälle zum Wettbewerbsrecht, 4. neu bearb. Auflage, München 2000, S. 37–86. Enke, Harald, Kartelltheorie: Begriff, Standort und Entwicklung, Tübingen 1972. Günther, Eberhard, Zehn Jahre Bundeskartellamt: Rückblick und Ausblick, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt. Beiträge zu Fragen und Entwicklungen auf dem Gebiet des Kartellrechts, Köln u.a. 1968, S. 11 ff. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium, als Anlage zu: Bericht über Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, in: BTDr IV/617, S. 88 ff. Monopolkommission, Die Konzentration im Lebensmittelhandel, Sondergutachten 14, Baden-Baden 1985, Tz. 79–88. Säcker, Franz Jürgen, Fallbuch: Kartellrecht – Wettbewerbsrecht – Markenrecht, Heidelberg 2001. ders. und Maik Wolf, Deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht: case by case, Frankfurt a.M. 2008. Schmidt, Ingo, Hauptprobleme der 7. Kartellnovelle: Die Wende in der Wettbewerbspolitik, in: Wirtschaftsdienst 85 Jg. (2005), S. 536 ff.

12. Kapitel: Die wettbewerbspolitische Erfassung der Behinderungsstrategie, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen I.

Einleitung

Wie im 6. Kapitel ausgeführt, werden unter Behinderungsstrategien im weitesten Sinne alle Verhaltensweisen von Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen verstanden, die objektiv dazu geeignet sind, tatsächliche oder potentielle Mitbewerber (horizontal) sowie Lieferanten oder Abnehmer (vertikal) in ihrer formalen Handlungs- und/oder materialen Entschließungsfreiheit beim Einsatz eines oder mehrerer Aktionsparameter rechtlich oder faktisch zu beschränken (Individualschutz) und/oder die Wirksamkeit des Wettbewerbsmechanismus (Institutionsschutz) zu beeinträchtigen. Die Erfassung der Behinderungsstrategie soll wiederum anhand von Entscheidungen exemplifiziert werden, wobei insbesondere auf die Behinderung von Konkurrenten durch marktbeherrschende Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen, Boykott und Lieferverweigerung, Preisdiskriminierung sowie Ausschließlichkeits- und Kopplungsverträge eingegangen werden soll.630

II.

Der Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen631

Der Schutzzweck des § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV geht dahin, die fehlende Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen durch den Wettbewerb als anonymem Kontroll- und Steuerungsmechanismus durch eine korrektive Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden zu ersetzen, d.h., schwächere Marktteilnehmer (das sind Mitbewerber bzw. Lieferanten oder Abnehmer) vor Marktmacht zu schützen. Die Kartellbehörden haben gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen das Recht, ein missbräuchliches Verhalten zu untersagen und Verträge für unwirksam zu erklären, soweit diese Unternehmen ihre marktbeherrschende 630

631

Vgl. zur Analyse dieser Tatbestandsgruppe Emmerich, Volker, Kartellrecht, 11. Aufl., München 2008, § 27; Bunte, Hermann-Josef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, §§ 5 und 9; Rittner, Fritz, und Michael Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht: Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts für Studium und Praxis, 7., völlig neubearbeitete Auflage, Heidelberg 2008, § 10 f., sowie Kurz, Rudi, und Lothar Rall, Behinderungsmißbrauch: Probleme einer ordnungskonformen Konkretisierung, Tübingen 1983, S. 98 ff., mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. auch das jeweilige Kapitel zur Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen in den. Hauptgutachten der Monopolkommission (vgl. Weiterführende Literaturhinweise zum 8. Kapitel). Vgl. Markert, Kurt, Die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Helmut Cox et al., München 1981, S. 297 ff.

314

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

Stellung auf dem Markt für diese oder andere Waren oder gewerbliche Leistungen (relevanter Markt) missbräuchlich ausnutzen. Die EK kann darüber hinaus gem. Art. 7 I 1 VO Nr. 1/2003 nicht nur Maßnahmen verhaltensorientierter, sondern auch struktureller Art (Entflechtung) ergreifen. Der anonyme Marktmechanismus soll gesichert und gegen restriktive Praktiken jeglicher Art geschützt werden, die eine individuelle oder kollektive marktbeherrschende Stellung begründen, zementieren bzw. verstärken. Marktbeherrschung i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV unterscheiden sich in zwei Punkten (vgl. 8. Kap. II 2 a):



Das GWB verwendet einen doppelten Marktbeherrschungsbegriff: einmal (analog zu Art. 102 EGV) den verhaltensorientierten, zum anderen jedoch den strukturorientierten Begriff der (asymmetrischen) überragenden Marktstellung. • Im Interesse einer verbesserten Justitiabilität sind in § 19 III GWB eine Rehe von Legalvermutungen eingeführt worden, die als typisierter konkreter Gefährdungstatbestand zu verstehen sind, d.h., je höher der Konzentrationsgrad, desto größer die Gefährdung des Wettbewerbs. Art. 102 EGV kennt weder den Begriff der überragenden Marktstellung noch der Legalvermutung. In beiden Vorschriften ist der Missbrauchsbegriff beispielhaft konkretisiert worden (vgl. § 19 IV GWB und Art. 102 S. 2 EGV). Zuletzt ist durch die Sechste GWB-Novelle die essential facilities doctrine als neues Regelbeispiel für einen Missbrauch eingefügt worden. (§ 19 Abs. 4 lit. 4 GWB). Anders als Art. 102 EGV wird § 19 GWB durch § 20 GWB ergänzt, in welchem der Normadressatenkreis auf Unternehmen mit relativer Marktmacht aufgrund nicht ausreichender und zumutbarer Alternativen (§ 20 II GWB) und überlegener Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (§ 20 IV GWB) ausgeweitet worden ist. Die Tatsache, dass in den über 50 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bzw. des EG-Vertrages im Jahre 1958 nur sehr wenige förmliche Entscheidungen632 im Hinblick auf die Behinderung von Konkurrenten ergangen sind, bestätigt die außerordentlich großen Schwierigkeiten der Konkretisierung der beiden unbestimmten Rechtsbegriffe: Marktbeherrschung und Missbrauch. Aus den 60er Jahren sind es in Deutschland insbes. die Entscheidungen Meto-Handpreisauszeichner und Sportartikelmesse633, aus den 70er Jahren die Fälle Deutscher Fußballbund634, Springer/Tagesspiegel635, Rama-Mäd-

632 633

634

Eine Reihe von Verwaltungsverfahren ist allerdings ohne Entscheidung der Kartellbehörden abgeschlossen worden, weil die Betroffenen den Missbrauch abstellten. Vgl. Meto-Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 995 ff., und Sportartikelmesse II, in: WuW/E BGH 1027 ff. Im letzteren Fall ging es um den Vorwurf der missbräuchlichen Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung der einzigen Messe für Wintersportartikel dadurch, dass nur diejenigen Hersteller zugelassen wurden, die ausschließlich über den Fachhandel vertrieben und keine Direktgeschäfte mit Endverbrauchern abschlossen. Darüber hinaus hat das Bundeskartellamt im Jahre 1967 ein Missbrauchsverfahren gegen die vier vertikal integrierten internationalen Mineralölkonzerne ESSO, SHELL, BP und DEA/Texaco wegen einer Behinderung der freien Tankstellen durch eine verhältnismäßig geringe Belieferung eingeleitet. Dieses Verfahren wurde ohne Missbrauchsverfügung eingestellt, da die Mineralölgesellschaften eine Diskriminierung bei der Versorgung aller ihrer Kunden vermieden (vgl. Tätigkeitsbericht Bharat 1967, in: BTDr V/2841, S. 41 f.). Vgl. auch den ähnlich gelagerten Fall Agip aus dem Jahre 1974, in: WuW/E BKartA 1494 ff., OLG 1497 ff. und 1499 ff. Vgl. Deutscher Fußballbund, in: WuW/E OLG 1429 ff. In diesem Fall ging es um die Ausrüstung der von dem Deutschen Fußballbund aufgestellten Mannschaften ausschließlich mit adidas-Fußballstiefeln, wodurch der kleinere Mitbewerber Puma behindert bzw. diskriminiert wurde.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

315

chen636, Sonntag Aktuell637 und Effem-Tierfertignahrung638, aus den 80er Jahren die Fälle Metro Eintrittsvergütung639 und Inter Mailand-Spiel640 sowie aus den 90er Jahren der Fall Sportübertragungen/Global641, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. In Europa sind es insbesondere aus den 70er Jahren die Fälle642 United Brand und HoffmannLa Roche, aus den 80er Jahren der Fall Michelin, aus den 90er Jahren die Fälle Tetra Pak, ECS/Akzo, Magill und Bronner sowie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert die Fälle Microsoft (2007) und British Airways (2007), welche die Rechtsprechung geprägt haben. Das Problem der Behinderung von Mitbewerbern soll anhand der Fälle Effem-Tierfertignahrung (1980) und British Airways (2007) sowie der Fälle Lufthansa/Germania (2002) und Microsoft (2007) exemplifiziert werden. Fall Effem-Tierfertignahrung (1980)643 Im Falle Effem, einer Tochtergesellschaft des US-Konzern Mars, Inc., ging es um die Beurteilung des Rabattsystems eines Herstellers von Tierfertignahrung, der seinen Abnehmern einen gestaffelten Jahresumsatzbonus gewährte. Dabei bildete nicht die jeweilige Höhe der Einzelaufträge, sondern der innerhalb eines Jahres erzielte Gesamtumsatz die Grundlage für die Bonusvergütung. Fraglich war, ob das Rabattsystem eine Diskriminierung i.S. des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 und zugleich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 22 GWB a. F. vor 1990 darstellte. Das Bundeskartellamt war von einer marktbeherrschenden Stellung von Effem auf den Märkten für Hunde- und Katzenfertigfutter im Sinne des § 22 Abs. 1 GWB ausgegangen und hatte einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot i.S. des § 26 Abs. 2 GWB bejaht, da von der progressiven Bonusstaffel eine Sogwirkung zum verstärkten Bezug von EffemProdukten ausging. 635

636 637

638 639 640 641 642

643

Vgl. Springer/Tagesspiegel, in: WuW/E OLG 1767 ff. In diesem Fall hob das Kammergericht eine einstweilige Anordnung der Landeskartellbehörde Berlin auf, mit welcher der Axel Springer-Verlags AG verboten worden war, bei (freiwilliger) Kombination von Anzeigen in der (marktbeherrschenden) Berliner Morgenpost und in dem neu eingeführten Berliner Lokalteil der WELT die Anzeigen in der WELT spürbar zu verbilligen. Wenngleich das KG in einer derartigen Kopplung von Leistungen zu einem verbilligten Gesamtpreis eine leistungsfremde Maßnahme erblickte, verneinte es den Missbrauch, da eine schwere Beeinträchtigung der Marktstruktur nicht drohe. Vgl. Rama-Mädchen, in: WuW/E OLG 1983 ff. Vgl. Sonntag Aktuell, in: WuW/E OLG 2148 ff. In diesem Fall hob das KG eine einstweilige Anordnung des BKartA auf, mit welcher dem Gemeinschaftsunternehmen Stuttgarter Presseunion untersagt werden sollte, die Zeitung Sonntag Aktuell ohne zusätzliches Entgelt und nur gekoppelt an die Abonnenten ihrer Wochenzeitungen zu vertreiben. Das KG bezeichnete dieses Verhalten als wettbewerbskonform, zumal es der Abwehr von Substitutionswettbewerb in Gestalt der Herausgabe einer Bild-Lokalausgabe für den Stuttgarter Raum und der Zustellung von Welt am Sonntag frei Haus durch den Springer Konzern diente. Vgl. Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E BKartA 1817 ff. und OLG 2403 ff. Vgl. Metro Eintrittsvergütung, in: WuW/E BKartA 2092 ff. (vgl. dazu die Darstellung in Abschnitt IV 2 b über durch Nachfragemacht veranlasste Preisdiskriminierung). Vgl. Inter Mailand-Spiel, in: WuW/E BGH 2406 ff. Vgl. Sportübertragungen/Globalvertrag, in: WuW/E BKartA 2273 ff., OLG 4267 ff. und BGH 2627 ff. Vgl. United Brand, in: Slg.1978, S. 207 ff.; Hoffmann-La Roche, in: Slg. 1979, S. 461 ff.; Michelin, in: Slg. 1983, S. 3461 ff.; Tetra Pak, in: Slg. 1990 -II, S. 309 ff.; ECS/AKZO, in: 1991-I, S. 3359 ff.; Magill, in: 1995I, S. 743 ff.; Bronner, in: 1998-I, S. 7791 ff.; British Airways, in: WuW/E EU-R 1259 ff. und Microsoft, in: WuW/E EU-V 931 ff. Vgl. Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E BKartA 1817 ff. und OLG 2403 ff.

316

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

Das Kammergericht ging im Einklang mit dem Bundeskartellamt von den relevanten Märkten für Katzen- und Hundefertigfutter als maßgeblichen Bedarfsmärkten aus, auf denen die Beschwerdeführerin Effem GmbH eine überragende Marktstellung i.S. des § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB habe. Der überragende Verhaltensspielraum bei der Festsetzung von Preisen und Konditionen ergebe sich vor allem aus dem hohen Marktanteil von ca. 70 %, aber auch aus dem großen Werbeetat und der Markengeltung, die angesichts der Markentreue der Verbrauchsdisponenten von Tierfutter besonders ins Gewicht falle. Das Kammergericht sah den Missbrauch dieser überragenden, d.h. vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten, Machtstellung in der Absicherung einer wirtschaftlichen Bezugsbindung durch ein Jahresbonussystem. Dadurch würden die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer aktueller oder potentieller Konkurrenten in einer für den Wettbewerb relevanten Weise beeinträchtigt, ohne dass dies bei einer an den Zielen des GWB orientierten Interessenabwägung sachlich gerechtfertigt erscheine.644 In Fortführung seiner Rechtsprechung zum Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauch stellte das Kammergericht folgende Abgrenzungskriterien auf:



der Ausbeutungsmissbrauch erfasse nur solche Verhaltensweisen, die bei wirksamem Wettbewerb nicht möglich wären (Als-ob-Prinzip); • dagegen erfasse der Behinderungsmissbrauch auch ein wettbewerbskonformes, leistungsfremdes Marktverhalten, um so einer weiteren Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen entgegenzuwirken. Damit würden dem Marktbeherrscher vom GWB zusätzliche Rücksichtnahmepflichten auferlegt. Das von der Beschwerdeführerin Effem praktizierte Jahresbonussystem sei nicht Ausdruck von Leistungswettbewerb, sondern gehöre dem Bereich leistungsfremder Praktiken an:645 „§ 22 Abs. 4 Satz 2 GWB verpflichtet ein marktbeherrschendes Unternehmen, auf leistungsfremde, den vorstehenden Grundsätzen zuwiderlaufende wettbewerbs- und marktinkonforme Wettbewerbsmaßnahmen zu verzichten, die die Wettbewerbschancen seiner Konkurrenten beeinträchtigen. Zu einer wirtschaftlichen Bezugsbindung führende Treuerabatte oder an lange Bezugsperioden anknüpfende Umsatzrabatte sind mit den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs unvereinbar. Normative Anhaltspunkte für diese Bewertung ergeben sich bereits aus der Vorschrift des § 28 Abs. 2 GWB“ (a. F. vor 1999) „die zur Konkretisierung des Bereichs leistungsfremder Praktiken herangezogen werden kann. Wettbewerbsparameter, die Unternehmen unter sich nach Maßgabe von § 28 Abs. 2 GWB ausschalten dürfen, weil es sich um nicht leistungsgerechten Wettbewerb handelt, darf auch das Bundeskartellamt nach § 22 GWB marktbeherrschenden Unternehmen gegenüber verbieten, weil bei einer Interessenabwägung diese Formen des Wettbewerbs weniger schützenswürdig erscheinen als der echte Leistungswettbewerb im oben definierten Sinne.“ Im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes646 ging das Kammergericht davon aus, dass 644 645 646

Vgl. Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E OLG 2405. Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E 2407 f. Vgl. Europäische Zuckerindustrie, in: WuW/E EWG/MUV 347 ff., 371, und La Roche-Vitamine, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff., 457, wo der EuGH die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 EGV angenommen hat, wenn ein Unternehmen die Abnehmer nicht durch eine förmliche

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

317

„Treuerabatte, deren Gewährung voraussetzt, dass ein Kunde – unabhängig von dem größeren oder geringerem Umfang seiner Käufe – seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon ausschließlich bei dem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung deckt, … nicht auf einer wirtschaftlichen Leistung (beruhen), sondern (darauf abzielen), dem Abnehmer die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen zu erschweren und anderen Herstellern den Zugang zum Markt zu verwehren. … Im Unterschied zum auftragsbezogenen Mengenrabatt, der ausschließlich an den Umfang der abgenommenen Menge anknüpft, dient der Treuerabatt dazu, die Abnehmer auf dem Wege über die Gewährung eines finanziellen Vorteils vom Bezug bei konkurrierenden Anbietern abzuhalten und so eine wirtschaftliche Bezugsbindung herbeizuführen. Solche Praktiken eines Unternehmens in beherrschender Stellung dienen zur Verstärkung bzw. Absicherung dieser Stellung durch einen nicht auf Leistung gegründeten Wettbewerb.“647 Abschließend ging das Kammergericht noch auf die Frage ein, ob ein Verbot des Jahresumsatzrabattsystems gemäß § 22 GWB im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG stehe.648 Nach Auffassung des Kammergerichts obliegen einem marktbeherrschenden Unternehmen i.S. des § 22 GWB nicht nur gegenüber der Marktgegenseite, sondern auch gegenüber Mitbewerbern Rücksichtnahmepflichten, die über die allgemeinen Verhaltensnormen der Rechtsordnung hinausgehen und den übrigen Unternehmen im Rahmen eines auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit basierenden Systems nicht auferlegt werden. Darin liege aber keine willkürliche Schlechterstellung i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung ist – durch Rücknahme der Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof – rechtskräftig geworden.649 Einen ähnlich gelagerten Fall missbräuchlicher Gewährung von Treuerabatten hat der EuGH in 2007 entschieden. Fall British Airways (2007)650 Virgin Atlantic Airways Limited, das die planmäßige Fluggastbeförderung zwischen London und den USA, Hongkong, Athen und Tokio betreibt, hatte am 9.7.1993 bei der EK Beschwerde gegen bestimmte Geschäftspraktiken der British Airways (BA) eingereicht, die als Zuwiderhandlungen gegen die Verbot der Art. 101 und 82 EGV dargestellt wurden. Dabei handelte es sich um drei Praktiken:

• •

647 648 649 650

Das Anbieten von Rabatten oder anderen Prämien für Kunden und Reisevermittler unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung, dass sie den gesamten oder größten Teil ihres Flugbedarfs durch BA decken (Treuerabatte). Das Angebot von rückwirkend zahlbaren Rabatten in Abhängigkeit davon, dass Kunden und Reisevermittler einen hohen Teil ihrer Aufträge über BA abwickeln (Zielrabatte). Verpflichtung bindet, sondern kraft Vereinbarung mit den Abnehmern oder einseitig Treuerabatte gewährt, also Nachlässe, deren Gewährung voraussetzt, dass der Kunde – unabhängig von dem größeren oder geringeren Umfang seiner Käufe – seinen Gesamtbedarf oder einen wesentlichen Teil hiervon ausschließlich bei dem Unternehmen in beherrschender Stellung deckt. Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E OLG 2408 (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E OLG 2411. Vgl. zur KG-Entscheidung die Anmerkung von Markert, Kurt, in: BB 36 (1981), S. 1113 ff. Vgl. British Airways, in: ABl EG 2000 L Nr. 30, S. 1 ff. und WuW/E EU-V 391 ff.; Slg. 2003-II, S. 5917 ff. und WuW/E EU-R 777 ff.; Slg. 2007-I, S. 2331 ff. und WuW/E EU-R 1259 ff.

318

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie



Das Angebot von Kurzstreckenflügen u. ä. zu symbolischen oder ohne Kosten unter der Bedingung, dass die Abnehmer Flugscheine für Langstreckenflüge erwerben (Prämien). Virgin sah in diesen Rabattstrukturen eine Art Liefervertrag mit Aussschließlichkeitsbindung, der unter Art. 101 I EGV falle. Darüber hinaus sah Virgin in den Rabattpraktiken den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des Art. 102 AEUV, die zum Ausschluss eines überaus gewinnbringenden und wirtschaftlich wichtigen Verkehrssektors vom Wettbewerb und zum Nachteil kleinerer Mitbewerber wären. Die EK ging davon aus, dass Rabattsysteme, die im Grunde rechtmäßig sind und einen normalen Bestandteil des Geschäftslebens bilden, im Falle der Marktbeherrschung missbräuchlich sein können. Unter Berufung auf die Fälle Hoffmann-La Roche und Michelin651 ging sie von dem allgemeinen Grundsatz aus, dass ein Anbieter in beherrschender Stellung zwar Rabatte gewähren dürfe, die mit Effizienzsteigerungen verbunden seien (z. B. Mengenrabatte bei Großaufträgen), jedoch keine Rabatte oder Prämien zur Förderung von Treue, mit denen ein Bezug von einem Wettbewerber des Marktbeherrschers vermieden werden soll. Im vorliegenden Fall stünden die Provisionsregelungen eindeutig im Zusammenhang mit Treue und nicht mit Effizienz. Die marktbeherrschende Stellung von BA wurde darin gesehen, dass die mit BA konkurrierenden Fluggesellschaften zwar über alternative Absatzmöglichkeiten zu den Reisevermittlern verfügen (Telefon oder Internet), auf die Reisevermittler jedoch 85 % der verkauften Flugleistungen entfallen. Insofern habe das missbräuchliche Verhalten von BA schwerwiegende Auswirkungen auf die in Großbritannien konkurrierenden Fluggesellschaften. Die Ausschließungswirkung der beanstandeten Provisionsregelungen beeinträchtige alle tatsächlichen und potentiellen Mitbewerber von BA und schade vor allem dem Wettbewerb im Allgemeinen und damit dem Verbraucher. Die EK hatte daher in 1993 entschieden, dass BA gegen Art. 102 AEUV verstoßen habe, indem es bei den britischen Reisevermittlern Provisionssysteme und andere Anreize angewandt habe, deren Ziel und Auswirkung durch die Vergütung der Treue und die unterschiedliche Behandlung von Reisevermittlern darin bestehe, dass Wettbewerber von BA aus dem britischen Luftverkehrsmarkt ausgeschlossen werden. Gegen die Entscheidung der EK wurde von den Parteien insbesondere vorgebracht, dass das Bonisystem zu einer Effizienzsteigerung im Vertrieb führen würde. Im Kern geht es hier um das Problem von Prinzipal-Agenten-Beziehungen bei asymmetrischen Informationen Da ein Unternehmen die Anstrengungen seines Agenten nur unvollständig beobachten kann, werden als Anreize entsprechende Boni bzw. Rabatte gewährt. Insofern kann von der Gewährung von Boni bzw. Rabatten eine effizienzsteigernde Wirkung durch Verbesserung der Anreizproblematik in Prinzipal-Agenten-Beziehungen ausgegangen werden. Die entscheidende Frage lautete nun, inwieweit marktbeherrschende Unternehmen in der Freiheit der Gestaltung ihres Vertriebssystems zur Realisierung von Effizienzgewinnen durch das Wettbewerbsrecht beschränkt werden können. Das EuG hat in 1993 die Entscheidung der Kommission bestätigt. BA habe auf dem Markt für den Vertrieb von Flugscheinen im UK (sachlich und räumlich relevanter Markt) eine beherrschende Stellung inne. Das ergebe sich aus der Anzahl der angebotenen Plätze und 651

Vgl. Hoffmann-La Roche, in: WuW/E EWG/MUV 447 ff., 457 f., und Michelin, in: WuW/E EWG/MUV 642 ff., 649.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

319

Flüge, der Menge der von den Reisevermittlern verkauften Flugscheine und der Anzahl der Passagierkilometer. Den Missbrauch sah das Gericht in der Ergebniszuschlagsregelung von BA, welche nicht nur zu unterschiedlichen Bedingungen bei gleichen Leistungen führe, sondern auch die Freiheit der britischen Reisevermittler und damit den Marktzutritt beschränke. In 2007 hat der EuGH das von BA eingelegte Rechtsmittel als teils unzulässig und teils unbegründet zurückgewiesen. So komme es bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung weniger auf die Verhaltensweisen an, die den Verbrauchern Schaden zufügen können, sondern vielmehr darauf, ob der „Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs“ Schaden zugefügt wird. Dabei muss nicht der Nachweis einer „quantifizierbaren Verschlechterung“ der Stellung einzelner Wettbewerber erbracht werden. Diese Verschlechterung der Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs reicht für sich allein vollkommen aus, um von einer unangemessenen Beschränkung der Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer auszugehen. Fall Lufthansa/Germania (2002)652 Germania hatte am 12. November 2001 Linienflüge zwischen Berlin-Tegel und Frankfurt/Main aufgenommen. Die Tickets für den einfachen, voll flexiblen und umbuchbaren Flug hatte das Unternehmen zu einem Preis von 99 EUR angeboten. Die Konditionen entsprachen im Wesentlichen den für Geschäftsreisen geeigneten Economy-Tarifen der Lufthansa, die hierauf mit der Einführung eines ebenfalls im Wesentlichen flexiblen EconomyTarifes von insgesamt 200 EUR für zwei getrennt zu buchende Hin- und Rückflüge, also im Durchschnitt 100 EUR für die einfache Strecke (einschließlich Gebühren) reagierte. Dies stellte im Vergleich zu den bisher ausschließlich angebotenen voll flexiblen EconomyTarifen eine Preissenkung von bisher 485 auf 200 EUR (jeweils einschließlich Gebühren) bzw. um fast 60 % dar. Seit dem 1. Januar 2002 hat die DLH den Flugpreis durch einen neu eingeführten Tarif auf 105,11 (Berlin-Frankfurt) bzw. 105,31 EUR (Frankfurt-Berlin) angehoben. Lufthansa hatte mit diesem Flugpreis den Germania-Preis von 99 EUR faktisch unterboten, da mit dem LH-Flug einige Vergünstigungen verbunden waren, insbes. der Bordservice, die höhere Flugfrequenz und die mit jedem Flug gewährten Bonusmeilen (Monetarisierung qualitativer Faktoren). Hinzu kamen weitere Vorteile der DLH wie der Zugang zu Reisebüros und die maßgebliche Beteiligung am Reservierungssystem Amadeus, die Einbindung der DLH in das Netz der Star Alliance sowie die Reputation bei langjährigen Geschäftskunden. Das Bundeskartellamt ging bei konservativer Berechnung von einem Preisvorteil von 35 EUR für den Einzelflug aus. Die DLH unterschritt mit diesem Tarif ihre eigenen durchschnittlichen Kosten pro Passagier deutlich. Diese Preisstrategie ließ sich nach Auffassung des Bundeskartellamtes rational nur mit dem Ziel nachvollziehen, Germania wieder von dieser Route zu verdrängen, um danach die entstandenen Verluste durch Rückkehr zu den alten Preisen auszugleichen. Dafür sprachen Fälle aus jüngster Zeit auf den Strecken München-London/Stansted und MünchenFrankfurt. In beiden Fällen hatte die Lufthansa ihre Flugpreise wieder deutlich erhöht, nachdem die Wettbewerber Go-Fly bzw. Deutsche BA diese Routen wieder aufgegeben hatten. Das Bundeskartellamt sah in dieser Tarifpolitik eine unbillige Behinderung des Wettbewerbers Germania durch die auf dem relevanten Markt Ffm.-Berlin i.S. des § 19 GWB marktbe652

Vgl. Lufthansa/Germania, in: WuW/E DE-R 867 ff.

320

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

herrschende DLH und untersagte daher der Lufthansa, auf der Strecke Frankfurt/MainBerlin-Tegel einen Flugpreis (einschließlich Gebühren) für die einfache Strecke zu verlangen, der nicht mindestens 35 EUR über dem Flugpreis der Germania lag. Dieses Preisabstandsgebot in Höhe von 35 EUR war sowohl der Höhe nach als auch zeitlich begrenzt. Die Begrenzung war nach Ansicht des BKartA insoweit gerechtfertigt, als sich Germania nach über zwei Jahren einen hinreichenden Bekanntheitsgrad verschafft, Kundenbindungen aufgebaut und Verfahrensabläufe soweit optimiert haben dürfte, so dass ein Schutz vor Verdrängungswettbewerb im Umfang der jetzigen Verfügung nicht mehr erforderlich sein dürfte. Das Bundeskartellamt wies zudem auf die Notwendigkeit des langfristigen Schutzes wettbewerblicher Strukturen hin, so dass im Falle von bereits eingetretener Marktbeherrschung die Chancen für ein Wiederaufleben des Wettbewerbs erhalten werden und Marktzutritte möglich sein müssen. Lufthansa legte gegen die angeordnete sofortige Vollziehbarkeit Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein, die jedoch weitgehend zurückgewiesen wurde. Das OLG sah in seiner vorläufigen Entscheidung keine ernsthaften Zweifel an der sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung sowie an der marktbeherrschenden Stellung von Lufthansa, welche durch ihre Tarifpolitik die Wettbewerbsmöglichkeiten von Germania in erheblicher Weise und ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtige. Lediglich die Höhe des Preisabstandes wurde im Hinblick auf die Schätzung des Wertes der miles & more-Gutschriften auf 30,50 EUR reduziert. Das Gericht stellte klar, dass die Verfügung – entgegen der Ansicht von Lufthansa – keine aktive Marktsteuerung durch das Bundeskartellamt darstelle. Vielmehr schütze die Kartellbehörde den newcomer Germania vor der sachlich nicht gerechtfertigten Behinderung durch den Marktbeherrscher Lufthansa. Dieser Schutz sei eine originäre Aufgabe der Missbrauchsaufsicht. Die grundsätzlich bestehende Preisbildungsfreiheit finde für Marktbeherrscher ihre Grenze dort, wo eine Verdrängung von Wettbewerbern bezweckt und bewirkt werde. Fall Rossmann (2009)653 Im vorliegenden Fall wurde der Drogeriemarktkette Rossmann vom Bundeskartellamt vorgeworfen, im Jahr 2005 in 267 Fällen 55 Drogerieartikel unter Einstandspreis angeboten zu haben. Das Bundeskartellamt sah darin einen Verstoß gegen § 20 Abs. 4 GWB, wonach Unternehmen ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen dürfen, um kleine und mittlere Unternehmen unbillig zu behindern. Im Kern ging es in diesem Verfahren um die Frage, ob Werbekostenzuschüsse, die eine Handelskette zur Absatzförderung von Markenartikelherstellern erhält, allgemeine Rabatte darstellen, die auf alle Produkte eines Herstellers zu verteilen sind, oder ob diese nur für einzelne Produkte angerechnet werden können. Nach Ansicht des Bundeskartellamtes stellen solche Werbekostenzuschüsse allgemeine Rabatte dar und sind demnach auf das gesamte Sortiment zu beziehen. Von dieser Auffassung abweichend, rechnete die Drogeriemarktkette Rossmann die Werbekostenzuschüsse den einzelnen Produkten zu, wodurch sie sich dem Verdacht aussetzte, diese Produkte unter Einstandspreis anzubieten. Das Bundeskartellamt sah hierdurch den Tatbestand des Behinde653

Vgl. Rossmann, in: TB BKartA für die Jahre 2005/2006, in: BTDr 16/5710, S. 140 f., und in: BB 2009, S. 2489. Der BGH hat Ende 2010 die Rechtsbeschwerde des BKartA gegen die Entscheidung des OLG Düsseldorf verworfen.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

321

rungsmissbrauchs erfüllt, wodurch insbesondere kleinere familiengeführte Drogeriefachgeschäfte behindert werden würden. Auf dieser Basis beantragte das Bundeskartellamt im Jahr 2008 ein Bußgeld von 5,5 Millionen Euro gegen das Unternehmen und von 300.000 Euro gegenüber dem Inhaber. Im November 2009 hat jedoch der 2. Kartellsenat des OLG Düsseldorf im Hauptverfahren die Drogeriehandelskette Rossmann und ihren Inhaber vom Verdacht, gegen § 20 Abs. 4 GWB verstoßen zu haben, freigesprochen. Im Verfahren und insbesondere im Rahmen der Beweisaufnahme wurde deutlich, dass alle Markenartikelhersteller Mitte der neunziger Jahre gegenüber allen Fachhandelsketten die seit den siebziger Jahren gängige Praxis der Gewährung von Werbekostenzuschüssen dahingehend umstellten, dass diese Werbekostenzuschüsse nicht mehr in Bezug auf eine bestimmte Werbeaktion ausgezahlt, sondern prozentual vom jährlichen Gesamtumsatz der Drogeriemarktunternehmen berechnet werden. Aus Vereinfachungsgründen wurde diese Umstellung von allen Beteiligten – Markenartikelherstellern wie auch Fachhandelsketten – begrüßt. Solche Werbekostenzuschüsse wurden von allen führenden Markenartikelherstellern wie Henkel, Loreal, Beiersdorf, GlaxoSmithKline und Unilever gewährt. Im Verfahren konnten jedoch die Markenartikelhersteller glaubhaft machen, dass die pauschale Gewährung des Werbekostenzuschusses nicht einer produktorientierten Verwendung entgegenstehen würde, im Gegenteil, dies sei sogar erwünscht. Die Werbekostenzuschüsse blieben im Interesse der Absatzförderung eine produktorientierte Bezuschussung der Rechnungs-(Einstands-)Preise bei den im Rahmen von Werbeaktionen beworbenen Artikeln, nur waren sie nicht mehr an den (gegebenenfalls nachzuweisenden) Kosten einzelner Werbemaßnahmen ausgerichtet. Vor allem sei mit der Umstellung keine Änderung dahin verbunden, dass die Werbekostenzuschüsse bei der Preiskalkulation von da an nur noch auf das Gesamtwarensortiment umgelegt werden durften. Das Gericht wertete dieses Aussagen dahingehend, dass die seit den siebziger Jahren von Drogeriewarenherstellern gewährten Werbekostenzuschüsse mindestens kraft stillschweigender Billigung der Hersteller dazu verwendet werden durften, deren Rechnungspreise bei den im Rahmen von Werbeaktionen beworbenen Produkten abzusenken. Dies stand jedem Drogeriefachmarkt frei. Da die Drogeriehandelskette Rossmann im vorliegenden Fall in Einklang mit einer langjährigen Übung bei der Verrechnung der Werbekostenzuschüsse auf einzelne Waren bzw. Warengruppen gehandelt hat, wurden die so ermittelten Einstandspreise nicht unterschritten. Die Werbekostenzuschüsse hatten darüber hinaus ihren rechtlichen Grund in den mit den Drogeriewarenherstellern abgeschlossenen Warenbezugsverträgen. Sie waren in den Augen der Hersteller und der Nebenbetroffenen ein Mittel der Absatzförderung. Werbekostenzuschüsse sollten so wie Mengenrabatte im Wettbewerb preiswirksam einsetzbar sein und die Rechnungspreise (Einstandspreise) der bei den Herstellern bezogenen Drogeriewaren mindern. Fall Microsoft (2007) Die EK hat im Fall Microsoft654 das Vorliegen einer missbräuchlichen Kopplungsbindung bejaht und ein Bußgeld in Höhe von 497 Mio. Euro verhängt. Die Kommission sah es als erwiesen an, dass Microsoft seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für PCBetriebssysteme dazu missbraucht habe, um die Wettbewerbschancen konkurrierender Soft654

Vgl. Microsoft, in: Slg. 2007, II-3601 ff. und WuW/E EU-V 931 ff.

322

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

ware-Anbieter auf verbundenen Märkten einzuschränken. Die von Microsoft längere Zeit praktizierte Kopplung des Microsoft Media Players mit dem Betriebssystem Windows wurde als eine missbräuchliche Kopplungsbindung angesehen. In einem ähnlichen Verfahren vor den US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden war Microsoft bereits 1999 die Kopplung des Internet Browsers Explorer an das damalige Betriebssystem Windows 95 untersagt worden.655 In Anlehnung an die Argumentation der USamerikanischen Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf die Kopplung mit dem Internet Browser Explorer sah die Kommission eine missbräuchliche Kopplung auch im Fall des Media Player für gegeben an. Mittels der Kopplung des Media Players mit dem Betriebssystem Windows benutzte Microsoft das Betriebssystem selbst als Distributionskanal, um sich auf dem relevanten Markt für Software zum Herunterladen von Musiktiteln einen Vorsprung gegenüber den anderen Wettbewerbern (vor allem Sun Microsystems) zu sichern. Die Kopplungsbindung wirkt primär als Marktzutrittsschranke, insbesondere vor dem Hintergrund, dass für die erfolgreiche Verbreitung von Software entsprechende positive Netzwerkexternalitäten auftreten, bei denen der Nutzen, den ein Anwender aus dem betreffenden Gut zieht, 656 mit der Gesamtzahl der Anwender steigt. D.h., je schneller eine Software einen kritischen Verbreitungsgrad erreicht, ab dem die positiven Netzwerkexternalitäten zum Tragen kommen, desto eher kann der Markteintritt von potentiellen Konkurrenten wirkungsvoll verhindert werden. Die Strategie, den Media Player an das Betriebssystem Windows zu koppeln, dient daher vor allem Microsoft dazu, schnell diesen kritischen Verbreitungsgrad zu erreichen. Damit werden jedoch alle anderen Wettbewerber – auch wenn diese durchaus effizienter sind – vom Markteintritt abgeschreckt oder – wenn der Markteintritt bereits erfolgt ist – entsprechend behindert. Die Einwendungen seitens Microsoft, dass es sich hierbei um eine Produktinnovation handele und dass eine Kopplung technisch bedingt notwendig sei, ließ die EK nicht gelten. Vielmehr handele es sich bei Betriebssystemen und Anwendungssoftware (hier den Media Player) um sachlich vollkommen getrennte Produkte, so dass der Tatbestand einer sachfremden Kopplung gem. Art. 102 lit. d EGV als erfüllt angesehen wurde. Darüber hinaus wurde Microsoft in diesem Verfahren auch dazu gezwungen, seine Schnittstellen offen zu legen, die zur Herstellung einer hinreichenden Kompatibilität mit dem Windows Betriebssystem erforderlich sind. Mittels der Geheimhaltung der Schnittstelleninformationen gelang es Microsoft in zunehmendem Maße, seine dominante Stellung bei ClientBetriebssystemen auf den Markt für PC-Server Betriebssysteme zu übertragen und potentielle Konkurrenten vom Markteintritt fernzuhalten. Dieser Entscheidung der Kommission kommt insofern eine Präzedenzwirkung zu, als hier erstmalig versucht wird, durch gezielte Markteingriffe – Offenlegung von Schnittstellen – die strukturellen Voraussetzungen für einen ergebnisoffenen Wettbewerbsprozess zu schaffen.657 Allerdings ist die Entscheidung der Kommission umstritten; so ließe sich argumentieren, dass es sich hierbei um einen Eingriff in die geistigen Eigentumsrechte eines Innovators 655

656 657

Vgl. Fisher, F. M., und D. L. Rubinfeld, United States vs. Microsoft: An Economic Analysis, in: AEIBrookings Joint Center for Regulatory Studies (Hrsg.), Did Microsoft Harm Consumers? Two Opposing Views, Washington, D. C. 2000, S. 23 ff. Vgl. Katz, M. L., und C. Shapiro, Network Externalities, Competition and Compatability, in: American Economic Review 75 (1985), S. 424. Vgl. Fichert, F., und A. Sohns, Wettbewerbsschutz auf dem Markt für Server-Betriebssysteme, in: Wirtschaft und Wettbewerb 54 (2004), S. 917, sowie Apon, Jochem, Cases against Microsoft: Similar Cases, Different Remedies, in: ECLR 28 (2007), S. 327 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

323

handelt und dadurch die Anreize zur Innovation verringert würden.658 Microsoft hat gegen die Entscheidung der EK Beschwerde eingelegt. In seinem Urteil vom 17. September 2007 hat der EuG den Beschluss der EK in allen wichtigen Punkten bestätigt.659

III. Boykott und Lieferverweigerung660 Wie im 6. Kap. ausgeführt, können auch bei marktstarken Unternehmen Boykott und Lieferverweigerung zum absatzpolitischen Instrument werden, um Abnehmer oder Zulieferanten zu einer bestimmten Preis- oder Vertriebspolitik als den beiden Hauptmotiven einer Liefersperre zu veranlassen.661 Die Frage der Zulässigkeit derartiger Boykotte oder Lieferverweigerungen richtet sich im deutschen Kartellrecht nach einer Reihe von Bestimmungen, die den Grundsatz der Vertragsfreiheit einschränken. Dabei geht es um die schwierige Grenzziehung zwischen dem legitimen Interesse auch von marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmen an der Gestaltung ihrer Absatzwege und dem Interesse Dritter (Individualschutz) bzw. dem öffentlichen Interesse (Institutionsschutz) am freien Marktzugang. Im europäischen Kartellrecht fällt der sog. Gruppenboykott unter das grundsätzliche Kartellverbot des Art. 101 I EGV; die Veranlassung zur Liefer- oder Bezugssperre (vgl. § 21 Abs. 1 GWB) könnte als eine gemischt horizontal-vertikale Absprache i.S. des Art. 101 EGV angesehen werden (sog. secondary boycott).662 Die bloße individuelle Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung oder Beschränkung der Vertriebswege unterliegt nur im Falle der Marktbeherrschung dem Missbrauchsverbot des Art. 102 EGV (s.o. II).

1.

Veranlassung zur Liefer- oder Bezugssperre

Da der nach § 1 GWB zu beurteilende kollektive Gruppenboykott keine besonderen Probleme aufwirft, soll im Folgenden nur auf die Aufforderung zum Boykott i.S. des § 21 Abs. 1 GWB eingegangen werden. Die Aufforderung zum Boykott i.S. des § 21 Abs. 1 GWB geht von einer Dreiecksbeziehung dergestalt aus, dass ein Boykott dann vorliegt, wenn derjenige, der die Sperre durchführt, auf Veranlassung eines Dritten handelt. Beteiligt sind also in der Regel drei Personen: derjenige, 658

Vgl. Kirchner, Ch., Informationsrecht: ein institutionenökonomischer Zugang, in: Informatik – Wirtschaft – Recht. Regulierung in der Wissensgesellschaft, Festschrift für Wolfgang Kilian zum 65. Geburtstag, hrsg. von Jürgen Taeger und Andreas Wiebe, Baden-Baden 2004, S. 103 ff. 659 Vgl. Microsoft/Kommission, in: WuW/E EU-R 1307 ff. Wegen Nichteinhaltung ihrer Entscheidung vom März 2004 hat die EK am 27. Februar 2008 ein Zwangsgeld von 899 Mio. Euro gegen Microsoft verhängt. Vgl. die ausführliche Darstellung des „Kartellrechtsfall Microsoft“ unter dem Link der EK „Im Blickpunkt“. 660 Vgl. Belke, Rolf, Die Geschäftsverweigerung im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen: Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Recht, Tübingen 1966, und Emmerich, op. cit., § 28, mit weiterführenden Literaturhinweisen. 661 Vgl. OECD, Refusal to sell: Report of the Committee of Experts on Restrictive Business Practices, Paris 1969, S. 17 ff., wo hinsichtlich der Motivation der Sperren drei Fallgruppen unterschieden werden: – Sperren zur Beschränkung der Vertriebswege, – Sperren zur vertikalen Preisbeeinflussung und – Anstiftung zur Sperre durch Händler (secondary boycott), eine Fallgruppe, die gerade im Hinblick auf neue Vertriebsformen (Discounter etc.) große Bedeutung besitzt. 662 Vgl. Belgische Tapetenhersteller, in: WuW/E EWG/MUV 379 ff.

324

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

der ein drittes Unternehmen zur Sperre veranlasst (Verrufer A), derjenige, an den sich die Aufforderung zur Sperre richtet und der sie durchführt (Adressat oder Ausführer B), und derjenige, der von der Sperre betroffen ist (Verrufener C). Die Veranlassung zur Sperre durch das vertikale Zusammenwirken von A und B verleiht dem Boykott insofern ein kollektives Moment: Verrufer A C als Verrufener Ausführer B

Wenngleich die Aufforderung zum Boykott ein beliebtes Mittel ist, um wettbewerbsaktive Unternehmen zu sperren, d.h., nicht mehr an sie zu liefern bzw. von ihnen zu beziehen, ist der § 26 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 in der Vergangenheit weitgehend wirkungslos geblieben; er ist daher im Rahmen der Zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973 und der Vierten GWBNovelle im Jahre 1980 verschärft worden:



Im Jahre 1973 ist die bloße Aufforderung zum Boykott, unabhängig davon, ob der Adressat dieser Aufforderung Folge geleistet hat oder nicht, verboten worden. • Im Jahre 1980 ist das Erfordernis eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen dem Verrufer A und dem Boykottierten C entfallen. Dagegen setzt die Aufforderung zum Boykott i.S. des § 21 Abs. 1 GWB nach wie vor voraus, dass der Verrufer in der Absicht gehandelt hat, den Boykottierten unbillig zu beeinträchtigen, wofür es auf eine Interessenabwägung des Auffordernden einerseits und des Boykottierten andererseits unter Berücksichtigung der auf den Schutz der Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB ankommt. Der Fall markt intern von 1985 exemplifiziert die wettbewerbspolitische Problematik dieser Vorschrift.663 Neben der – kollektive Züge aufweisenden – Aufforderung zum Boykott i.S. des § 21 Abs. 1 GWB spielen individuelle Liefersperren im Wirtschaftsleben eine große Rolle. Die Vertragsfreiheit von Unternehmen wird im Hinblick auf die Verhängung von individuellen Liefersperren durch verschiedene Vorschriften eingeengt, welche die Lieferverweigerung zum Zwecke der vertikalen Preisbeeinflussung (§ 21 Abs. 2 GWB) oder der Beschränkung der Vertriebswege (§ 20 Abs. 1 GWB) verbieten; darüber hinaus findet die Generalklausel des § 19 GWB Anwendung. Im europäischen Kartellrecht könnte die Lieferverweigerung als eine gemischt horizontal-vertikale Absprache i.S. des Art. 101 EGV angesehen werden

2.

Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung

Die individuelle Liefersperre zur Preisbeeinflussung verstößt gegen das Verbot des § 21 Abs. 2 GWB, wonach die Anordnung oder Anwendung von wirtschaftlichem, gesellschaftlichem oder sonstigem Druck verboten ist, um andere Unternehmen zu einem Verhalten zu veranlassen, das nach dem GWB nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf. Der Schutzzweck dieser Vorschrift geht dahin, der Umgehung kartellrechtlicher Verbote durch Druck- und Lockmittel vorzubeugen; denn die tatsächliche Entschließungsfreiheit der Unternehmen und damit der Grad der Wettbewerbsintensität können 663

Vgl. markt intern/Sanitär-Installation, in: WuW/E OLG 3229 ff. und BGH 2137 ff. (s. dazu 2. Aufl. dieses Lehrbuchs S. 235–237).

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

325

durch derartige Druckmaßnahmen im Ergebnis genauso beeinträchtigt werden wie durch horizontale oder vertikale Vereinbarungen i.S. des § 1 GWB bzw. Art. 101 EGV.664 Die wettbewerbspolitische Bedeutung des Verbotes der Lieferverweigerung mit dem Ziel der Preisbeeinflussung besteht daher in der Aufrechterhaltung und Sicherung der Entschließungsfreiheit der Abnehmer und des Händlerpreiswettbewerbs auf den nachgelagerten Wirtschaftsstufen. Der Fall Uhren-Krämer/Seiko soll die wettbewerbspolitische Problematik exemplifizieren.665 Fall Uhren-Krämer/Seiko (1982)666 Die Klägerin betrieb ein Fachgeschäft für Uhren und Schmuckwaren in Berlin, dessen Umsatz zur Hälfte auf Uhren entfiel (u.a. die Marken Citizen und Junghans). Die Beklagte war mit ihren Uhren bei etwa einem Viertel des Uhrenfachhandels vertreten; in Berlin vereinigte der von ihr belieferte Teil des Fachhandels mehr als drei Viertel des gesamten Branchenumsatzes an Uhren auf sich. Die Beklagte hat einen schriftlichen Auftrag von Uhren-Krämer mit der Begründung abgelehnt, dass sie z. Zt. an einer Geschäftsverbindung nicht interessiert sei. Demgegenüber hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Belieferung nur deshalb abgelehnt worden sei, weil sie die unverbindlichen Preisempfehlungen nicht einhalte; sie würde dann beliefert werden, wenn sie sich diese Empfehlung als Verkaufspreise zu Eigen mache. Die Lieferverweigerung von Seiko beruhe im Wesentlichen auf dem Verhalten eines Mitbewerbers der Klägerin, der wegen der zu erwartenden Unterbietung der Preisempfehlungen durch Uhren-Krämer Seiko Konsequenzen bei einer weiteren Belieferung von Uhren-Krämer angedroht habe. Daraufhin habe die Beklagte mit Rücksicht auf diesen guten Kunden die Zusage direkter Geschäfte mit Uhren-Krämer nicht eingehalten. Darüber hinaus habe Seiko die mittelbare Belieferung über ein drittes Unternehmen dadurch unterbunden, dass Seiko diesem im Falle der Weiterlieferung eine sofortige Liefersperre angedroht habe. Das Kammergericht hat der Klage auf Feststellung einer Lieferverpflichtung stattgegeben. Der Anspruch ergebe sich aus den §§ 25 Abs. 2/35 GWB a. F. vor 1999. Nach der Überzeugung des Kammergerichts hat Seiko die Belieferung von Uhren-Krämer deshalb abgelehnt, weil Seiko von der – zutreffenden – Annahme ausgegangen sei, dass ihre unverbindlichen Preisempfehlungen von der Klägerin nicht eingehalten werden würden; andererseits habe sie eine Belieferung in Aussicht gestellt, wenn die Klägerin diese Empfehlungen einhalten würde. Darüber hinaus habe die Beklagte auch Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern,

664

665

666

Während das Druckverbot des § 21 Abs. 2 GWB die Umgehung (unzulässiger) horizontaler oder vertikaler vertraglicher Bindungen z.B. i.S. des § 1 GWB durch Beeinflussung der Entschließungsfreiheit Dritter erfasst, verbietet § 21 Abs. 3 GWB, andere Unternehmen zu einer Beteiligung an bestimmten zulässigen Formen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens zu zwingen. So war z.B. der Zwang zum Beitritt zu einem nach § 8 GWB a. F. legalisierten Ministerkartell verboten (sog. Organisationszwang); vgl. dazu den Fall Rote Liste, in: WuW/E OLG 2210 ff. und BGH 1740 ff. Vgl. auch den Fall Laboruntersuchungen, in: WuW/E OLG 1687 ff., in welchem zwei gewerbliche Laboratorien durch die Androhung des Boykotts ihrer Produkte dazu veranlasst werden sollten, die Tätigkeit einer Tochtergesellschaft auf einem bestimmten Markt einzustellen und dort keine Werbung mehr zu betreiben. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde ohne nähere Begründung zurückgewiesen. Vgl. auch Architektenkammer, in: WuW/E BGH 1474 ff., in welchem es um den Versuch einer öfftl.-rechtl. organisierten Kammer ging, staatlich festgesetzte Gebührenhöchstsätze in wettbewerbsbeschränkender Weise als Mindestsätze durchzusetzen. Vgl. Schadensersatz wegen Pression zur Einhaltung von Preisempfehlungen, in: WuW/E OLG 2822 ff.

326

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

dass ihre Ware auf andere Weise an die Klägerin gelangt. Das Kammergericht hat dieses Verhalten wie folgt gewertet:667 „Die Beklagte hat hiernach der Klägerin einen Nachteil zugefügt und gleichzeitig einen Vorteil versprochen, wenn sie eine Belieferung abgelehnt, aber in Aussicht gestellt hat, wenn die Klägerin die unverbindlichen Preisempfehlungen für die Uhren der Beklagten einhalte. Sie hat sie damit veranlassen wollen, die Preise beim Wiederverkauf nicht frei zu bestimmen, sondern die von der Beklagten empfohlenen Preise zu fordern.“ Zwar sei eine endgültige Liefersperre nach der Rechtsprechung des BGH zulässig; das gelte jedoch nur, wenn der gesperrte Einzelhändler nicht gleichzeitig zu künftigem Wohlverhalten i.S. des Herstellers veranlasst werden solle. Das Kammergericht sah in diesen Maßnahmen einen Verstoß gegen das Verbot des § 15 GWB a. F. vor 1999, die Freiheit der Gestaltung von Preisen zu beschränken. Die Verletzung des § 25 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 als Schutzgesetz führe daher zu einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten, wozu auch der Anspruch auf künftige Belieferung gehöre.

3.

Liefer- und Bezugsverweigerung zur Beschränkung der Vertriebswege

Neben dem Motiv der Preisbeeinflussung spielt bei der individuellen Lieferverweigerung das Ziel der Beschränkung der Vertriebswege eine dominierende Rolle. Während die Anbieter von Konsumgütern des täglichen Bedarfs mit relativ niedrigen Preisen in der Regel danach streben, ihre Produkte über so viele Händler wie möglich zu verkaufen, verfolgen die Anbieter von langlebigen Gebrauchsgütern mit höheren Preisen in der Regel eine davon abweichende selektive Vertriebspolitik668, die eine Reihe von wettbewerbspolitischen Problemen bei der Abwägung der gesamtwirtschaftlichen Vor- und Nachteile einer solchen Absatzstrategie aufwirft.669 Die Lieferverweigerung zur Sicherung des Allein- oder Selektivvertriebs unterliegt dem Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB, welches marktbeherrschenden und preisbindenden Unternehmen sowie (legalisierten) Kartellen die unbillige Behinderung und sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung von anderen Unternehmen verbietet. Durch die Zweite GWB-Novelle im Jahre 1973 ist der Kreis der Normadressaten um solche Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen erweitert worden, von denen „Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen“ (§ 20 II GWB). Damit sollte eine Schutzlücke geschlossen werden, die sich aus bestimmten Formen der Abhängigkeit ergibt:

667 668

669

Schadensersatz wegen Pression zur Einhaltung von Preisempfehlungen, in: WuW/E OLG 2823. OECD, Refusal to sell, op. cit., S. 17 par. 15: “Suppliers of the latter goods very often find it desirable to introduce a systematic marketing policy designed to limit the channels of distribution. With such a selective sales system suppliers believe they can compete most effectively with their competitors by offering the goods to their chosen dealers at constant quality, prices and terms of sale, whilst ensuring that the end consumer enjoys an advisory service and other sales services. With such selective distribution the supplier thinks he can achieve maximum sales.” Vgl. dazu das 6. Kap. über die wettbewerbspolitischen Wirkungen von Behinderungsstrategien im weiteren Sinne.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

327



Die sog. sortimentsbedingte Abhängigkeit, d.h. das Angewiesensein vieler Groß- und Einzelhändler auf bekannte Markenartikel. • Die sog. nachfragebedingte Abhängigkeit, d.h. die Abhängigkeit zahlreicher kleinerer und mittlerer Lieferanten von großen Abnehmern (Problem der Nachfragemacht). • Die sog. mangelbedingte Abhängigkeit, d.h. die Abhängigkeit einstufiger Hersteller von ihren mehrstufigen, vertikal integrierten Konkurrenten mit Zugang zu den Rohstoffquellen (z.B. Mineralölhersteller). • Die sog. unternehmensbedingte Abhängigkeit, d.h. der Fall, dass sich ein Unternehmen aufgrund langjähriger Geschäftsbeziehungen derart auf ein anderes Unternehmen eingestellt hat, dass ihm eine Umstellung in Produktion oder Vertrieb nur unter sehr großen Schwierigkeiten möglich ist. Der Schutzzweck dieser Vorschrift geht jedoch unverändert dahin, bei Trägern wirtschaftlicher Macht den Missbrauch dieser Macht – durch Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit anderer Unternehmen – zu verhüten. Parallel zu dem speziellen Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB. greift für marktbeherrschende Unternehmen die Generalklausel des § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV ein, sofern sich eine individuelle Liefersperre als Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung darstellt. Die wettbewerbspolitische Problematik einer individuellen Liefersperre marktbeherrschender Unternehmen bzw. von Unternehmensgruppen ist anhand der Fälle Sportartikelmesse und Benzinpreise deutlich geworden.670 Die im Rahmen der Zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973 erfolgte Einführung des Abhängigkeitstatbestandes in § 26 Abs. 2 S. 2 (neu: 20 Abs. 2) GWB hat zunehmend dazu geführt, dass die Rechtsprechung auch im Falle marktstarker Unternehmen dazu neigt, einen Kontrahierungszwang auszusprechen. Die Weichen für die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung zum Diskriminierungsverbot sind bereits mit den Fällen Jägermeister von 1967, Rossignol von 1975 und Allkauf/Nordmende von 1979 gestellt worden.671 Exemplarisch für die neuere Entwicklung sind die Fälle adidas von 1981 und Bezugsverweigerung Arzneimittel von 1995, die im Folgenden skizziert werden sollen. Fall adidas (1981)672 Im Fall SB-Kauf/adidas hatte ein Unternehmen, welches unter der Bezeichnung „Divi“ eine Reihe von SB-Warenhäusern betrieb, die Firma Adidas um die Belieferung mit adidas Sportschuhen gebeten. Die Klägerin hatte sich erboten, für Sportartikel besondere Abteilungen mit geschultem Verkaufspersonal einzurichten. adidas lehnte jedoch die Belieferung ab. Die Klägerin machte einen Lieferanspruch gem. § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 geltend und beantragte, adidas zur Lieferung von Sportschuhen zu verurteilen. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das OLG Düsseldorf hatte ihr stattgegeben. Der Bundesgerichtshof sah den Antrag der Klägerin auf die begehrte Belieferung als nicht hinreichend konkretisiert an und hob insoweit die Entscheidung des OLG auf. Dagegen hielt 670 671 672

Vgl. Sportartikelmesse II, in: WuW/E BGH 1027 ff., und Erstes Benzinpreisverfahren, in: Tätigkeitsbericht BKartA für das Jahr 1976, in: BTDr V/2841, S. 41. Vgl. Jägermeister, in: WuW/E BGH 886 ff.; Rossignol, in: WuW/E BGH 1391 ff. und Allkauf/Nordmende, in: WuW/E BGH 1567 ff. Vgl. adidas, in: WuW/E BGH 1885 ff.

328

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

er den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag der Klägerin für zulässig, dass diese ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Lieferungsanspruches habe. Der BHG sah adidas als marktstarkes Unternehmen i.S. von § 26 Abs. 2 Satz 2 GWB an, obwohl das Unternehmen nur Marktanteile für Fußballschuhe mit 20 %, für Trainings-, Laufund Tennisschuhe mit ca. 13 % und für Sportschuhe mit etwa 17 % angab. Der BHG schloss sich der Auffassung des OLG an, dass adidas eine besonders starke Werbung für seine Produkte betreibe und daher seine Sportschuhe einen solchen Bekanntheitsgrad erlangt haben, dass sie für die Wettbewerbsfähigkeit einer Sportabteilung unverzichtbar sind. Im Hinblick auf die Billigkeit bzw. sachliche Rechtfertigung der Lieferverweigerung durch adidas nahm der BGH wiederum eine Interessenabwägung vor. Dabei fiel ins Gewicht, dass adidas sowohl Neckermann als auch den Kaufhof und Karstadt mit bestimmten Schuhen (niedriger Preislagen) beliefert hatte. Adidas konnte in der Vergangenheit kein klares Vertriebssystem mit schriftlichen Reversbindungen aufweisen. Daher könne adidas kein berechtigtes Interesse an einem Schutz des geltend gemachten Vertriebskonzeptes zugebilligt werden. Das Vorbringen von adidas, dass die Belieferung von SB-Verbrauchermärkten zu einem Abwandern des Sportfachhandels und damit einer Existenzgefährdung von adidas führen werde, erkannte der BGH zwar grundsätzlich als ein schutzwürdiges Interesse an. Jedoch habe adidas nicht ausreichend dargetan, dass tatsächlich erhebliche Umsatzeinbußen zu erwarten sind. Der BGH änderte daher das Urteil des Landgerichts dahingehend ab, dass er die Verpflichtung von adidas feststellte, die Klägerin mit Sportschuhen in handelsüblichen Mengen zu ihren – bei gleicher Mengenabnahme üblichen – Preisen und Konditionen zu beliefern. Der Fall adidas verdeutlicht die vorsichtige Position des Gerichts, welche der ehemalige Präsident Pfeiffer in einem Vortrag wie folgt umrissen hat:673 „Das in die Vertragsfreiheit eingreifende Mittel des Kontrahierungszwanges erscheint nur bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Wettbewerbs durch missbräuchliches Verhalten marktbeherrschender oder relativ marktstarker Unternehmen gerechtfertigt.“ Der BGH hat daher eine Belieferungspflicht nur in Fällen sog. „sortimentsbedingter Abhängigkeit“ ausgesprochen.674 In der jüngsten BGH-Entscheidung zur Bezugsverweigerung

673 674

Pfeiffer, Gerd, Das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot aus richterlicher Sicht, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1981/82, FIW-Schriftenreihe Heft 103, Köln u.a. 1983, S. 73 ff., 75. Vgl. zur Analyse der bisherigen Rechtsprechung Pfeiffer, op. cit., S. 79–88, wo Pfeiffer als seinerzeitiger Vorsitzender des Kartellsenats immer wieder die Notwendigkeit einer Einzelfallentscheidung betont hat. So hat der BGH im Fall Revell Plastics, in: WuW/E BGH 1620 ff., die Belieferungspflicht eines Spielwarenherstellers gegenüber einem SB-Verbrauchermarkt verneint, da letzterer kein Vollsortiment i.S. einer Fachabteilung anstrebte, sondern nur sog. Renner führte. Im Fall Technics, in: WuW/E BGH 2125 ff., hat der BGH die Abhängigkeit der Klägerin ebenfalls verneint, da es sich weder um eine berühmte, unverzichtbare Marke handelte, noch – mangels Liefersperre der anderen Hersteller – eine Abhängigkeit von der Spitzengruppe der HiFi-Gerätehersteller bestand. Im Falle Krankentransport, in: WuW/E BGH 2399 ff., hat der BGH bei der Interessenabwägung auf Unterschiede im Kontrahierungszwang für marktstarke Anbieter und Nachfrager hingewiesen. Vgl. auch zu den Möglichkeiten und Grenzen der sachlichen Rechtfertigung einer Lieferverweigerung den Fall Swarowski KG, in: WuW/E BGH 2335 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

329

marktstarker Nachfrager hat der BGH erstmals auch den Gesichtspunkt des Institutionsschutzes berücksichtigt. Fall Bezugsverweigerung Arzneimittel (1995)675 Im Fall der Bezugsverweigerung Arzneimittel machten sich Re- und Parallelimporteure das Preisgefälle zwischen einzelnen EG-Staaten zunutze und boten die wiedereingeführten Präparate 10 bis 15% günstiger an. Allerdings bestand für den Pharmagroßhandel keinerlei Anreiz, diese Produkte auch zu führen, da – infolge der staatlich vorgegebenen Handelsspanne in Form eines prozentualen Aufschlages auf den Preis (sog. Rote Liste) – der Vertrieb teurer inländischer Arzneimittel gewinnbringender war als der Vertrieb preisgünstiger Importe. So hatten sich die drei Pharmagroßhändler Andreas-Noris Zahn AG, Gehe AG und Sanacorp e.G. geweigert, reimportierte Medikamente in ihr Sortiment aufzunehmen. Das Bundeskartellamt hatte die drei Pharma-Großhändler als marktbeherrschend angesehen, da sie unter den insgesamt 20 Grossisten einen Marktanteil von 40 bis 50% kontrollierten. Da ca. 90% aller Medikamente in der BRD über Grossisten abgegeben werden, sind nach Auffassung des Bundeskartellamtes die belieferten Apotheken durch den Großhandel auf Originalpräparate ausgerichtet worden, so dass der Marktanteil der importierten Arzneimittel erst bei ca. 1% und damit erheblich niedriger als in anderen europäischen Ländern liegt. Nach Auffassung des Bundeskartellamtes bedient sich der Pharmagroßhandel einer Behinderungsstrategie, die sich aufgrund der Marktstärke der drei Pharmagroßhändler als Marktzutrittssperre für Re- und Parallelimporteure auswirkt. Das auf Gewinnmaximierung gerichtete Interesse des Großhandels müsse deshalb in diesem Fall – unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 – hinter dem Interesse an der Öffnung des Großhandels und damit des Pharmamarktes insgesamt für Importe zurückstehen. Eine solche Marktöffnung für Importe würde preisdämpfend auf die Originalpräparate wirken und damit zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beitragen. Das Kammergericht hatte diesen Beschluss aufgehoben und im Rahmen der nach § 26 Abs. 2 vorzunehmenden Interessenabwägung die Interessen der Großhändler an der Pflege langjähriger Geschäftsbeziehungen zu Originalanbietern, an der Vermeidung von Ertragseinbußen und an Risiken durch Sortimentsausweitung und Festlegung auf einen Importeur höher gewichtet als das Interesse des Importeurs am Zugang zum Großhandel. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des KG aufgehoben und die Verfügung des BKartA bestätigt. Im Hinblick auf die Kontrahierungspflicht der drei marktstarken Pharmagroßhändler dürfen nach Ansicht des BGH nur solche Individualinteressen berücksichtigt werden, die von der Rechtsordnung anerkannt sind, insbesondere dürften sie nicht gegen die Zielsetzung des GWB: Gewährleistung von Leistungswettbewerb und freier Marktzugang, verstoßen. Eine Kontrahierungspflicht zu großhandelsüblichen Bedingungen lasse den Pharmagroßhändlern genügend Gestaltungsmöglichkeiten. Die Zielsetzung der Gewinnmaximierung eines Unternehmens, die grundsätzlich auch marktstarken Nachfragern zustehe, finde dort ihre Grenzen, wo sie der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB zuwiderlaufe, insbesondere sich gegen die Offenheit des Marktzuganges richte. Da 675

Vgl. Bezugsverweigerung Arzneimittel, in: WuW/E BKartA 2543 ff.; OLG 5241 ff. und BGH 2990 ff.; das BVerfG hat im vorliegenden Fall den Kontrahierungszwang für zulässig erachtet (WuW/E DE-R 557 ff.).

330

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

90 % des gesamten Arzneimittelbedarfs über den Großhandel abgewickelt werden, stelle eine Sperrung dieser Marktstufe für den vom Großhandel abhängigen Parallelimporteur EurimFarben Arzneimittel GmbH eine schwerwiegende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigung dar. Bei der Interessenabwägung müsse der Grundgedanke des § 129 SGB V, wonach Importarzneimittel für den Verbraucher zugängig sein sollen, mitberücksichtigt werden. Damit hat der BGH Maßstäbe des Kontrahierungszwanges für Nachfrager gesetzt und den ständig apostrophierten Leitsatz: „Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung“, angewendet.

IV. Preisdiskriminierung676 Während die Diskriminierung durch Boykott und Lieferverweigerung im vorangegangenen Abschnitt behandelt worden ist, soll in diesem Abschnitt im Rahmen der Tatbestandsgruppe des Behinderungswettbewerbs auf die Frage der wettbewerbspolitischen Beurteilung der Preisdifferenzierung auf unvollkommenen Märkten und die Rechtsprechung zum Verbot der Preisdiskriminierung i.S. des § 20 Abs. 1 GWB eingegangen werden. Wie im 6. Kapitel ausgeführt, sind Preisdifferenzierungen einer Wettbewerbswirtschaft wesensimmanent und werden erst dann zu einer Gefahr, wenn sie von marktmächtigen Unternehmen angewendet werden. Dementsprechend gilt das Preisdiskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB nur für marktbeherrschende und preisbindende Unternehmen sowie Kartelle als mutmaßlichen Inhabern wirtschaftlicher Macht. Das Verbot des § 20 I GWB ist in § 20 II und IV GWB auf marktstarke Unternehmen ausgeweitet worden, da auch unterhalb der Schwelle der individuellen oder kollektiven Marktbeherrschung (relative) Marktmacht vorhanden sei kann. Demgegenüber verbietet Art. 102 S. 2 lit. c nur marktbeherrschenden Unternehmen die „Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden“. Die sog. relative Marktmacht wird im EG-Vertrag de lege lata nicht erfasst; der Normadressatenkreis ist insofern enger. Das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB bzw. Art. 102 EGV hat dabei den doppelten Schutzzweck der Sicherung des Wettbewerbs als Individualschutz im Sinne einer Gleichheit der Marktchancen gleichartiger Unternehmen gegenüber den Normadressaten dieser Vorschrift und als Institutionsschutz im Sinne der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als anonymen Kontroll- und Steuerungsmechanismus unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Dieser doppelte wettbewerbspolitische Schutzzweck ergibt sich nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung aus den Tatbestandsmerkmalen „unbillige Behinderung“ bzw. „sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung“, wonach es – unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes – entscheidend auf die Abwägung der beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen des diskriminierenden und des diskriminierten Unternehmens ankommt. Bei der folgenden Untersuchung der Auswirkungen von Preisdifferenzierungen auf den Wettbewerb und deren rechtlicher Beurteilung soll zwischen dem Wettbewerb unter Verkäu-

676

Vgl. Belke, op. cit., S. 292 ff., und Emmerich, op. cit., § 29, mit weiterführenden Literaturhinweisen.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

331

fern (first line competition) und dem Wettbewerb unter Käufern (second line competition) unterschieden werden.

1.

Der Schutz des Wettbewerbs auf der Verkäuferebene

Im Hinblick auf den Schutz des Wettbewerbs auf der Verkäuferebene verbietet § 20 Abs. 1 GWB marktbeherrschenden und preisbindenden Unternehmen sowie Kartellen als mutmaßlichen Trägern wirtschaftlicher Macht die unbillige Behinderung anderer Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Unter Behinderung von Konkurrenten ist dabei eine Einflussnahme auf die wirtschaftliche Entschließungsfreiheit und u.U. die Freiheit der Preisgestaltung zu verstehen. Anders als in den USA mit dem generellen Preisdiskriminierungsverbot nach sec. 2 Clayton Act ist jedoch die Zahl der Fälle, in denen die Kartellbehörden mit einer Behinderung von Konkurrenten durch Preisdifferenzierung befasst waren, verschwindend gering, was auch an der Begrenzung des Normadressatenkreises liegen dürfte. Zudem hat das Bundeskartellamt schon frühzeitig die Position eingenommen, dass die Erreichung eines Wettbewerbsvorsprunges durch billigere Preise ein grundsätzlich erwünschtes Marktverhalten ist, das rechtlich nicht als Behinderung i.S. des § 20 Abs. 1 GWB zu werten ist; nur bei Vorliegen besonderer Umstände werde eine Preisdifferenzierung zu einer unbilligen Behinderung. Im Falle von Gesamtumsatz-Rabatten, die ein marktstarkes Unternehmen (bzw. eine Unternehmensgruppe oder ein Kartell) auf alle bei ihm getätigten Bezüge gewährt, besteht in der Regel ein starker Anreiz für die Abnehmer, ihre Bezüge auf diesen Hersteller zu konzentrieren, um in den Genuss höherer Rabatte zu kommen. Für Mitbewerber und newcomers ergibt sich daraus eine nachhaltige Sogwirkung, die sie in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit und insbesondere der Freiheit der Preisgestaltung beeinträchtigt, da sie ihren Abnehmern höhere Rabatte gewähren müssen, um den Nachteil, den ihre Abnehmer durch den Verzicht auf die Auftragskonzentration bei dem marktstarken Unternehmen erleiden, auszugleichen. In den Fällen Rama-Mädchen und Effem Tierfertignahrung677 hat das Bundeskartellamt dementsprechend den Sogeffekt eines individuellen Gesamtumsatzrabattverfahrens durch ein marktbeherrschendes Unternehmen auch als eine unbillige Behinderung von Mitbewerbern i.S. des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 angesehen. Die sehr geringe Zahl der Entscheidungen dokumentiert, dass das Bundeskartellamt – anders als etwa die Federal Trade Commission in Washington – hinsichtlich des Schutzes des Wettbewerbs auf der Verkäuferebene (first line competition) von Anfang an vorrangig auf den Schutz des Wettbewerbs als Kontroll- und Steuerungsmechanismus (Institutionsschutz) abgestellt hat. Angesichts der fortschreitenden Konzentration im Handel war im Interesse der Sicherung eines leistungsgerechten Wettbewerbs im Rahmen der Vierten Kartellnovelle § 37 a Abs. 3 GWB a. F. vor 1990 eingefügt worden, der kleine und mittlere Unternehmen vor unbilligen

677

Vgl. Rama-Mädchen, in: WuW/E OLG 1983 ff., und Effem-Tierfertignahrung, in: WuW/E BKartA 1817 ff. und OLG 2403 ff.

332

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

Behinderungen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht schützen sollte678; damit ist das Konzept des relativen horizontalen Machtgefälles in das GWB eingeführt worden. In den Fällen Kaufmarkt679 und Coop Bremen680 haben die Kartellbehörden vergeblich versucht, diese Vorschrift anzuwenden. Die Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe in § 37 a Abs. 3 GWB a. F. sowie das Vorverständnis der Gerichte haben eine wirksame Durchsetzung dieser Rechtsvorschrift verhindert. Die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft sind daher zur „Selbsthilfe“ geschritten und haben – unter Anleitung des damaligen Präsidenten des BKartA – ihre „Gemeinsame Erklärung zur Sicherung des Leistungswettbewerbs“681 aus dem Jahre 1975 Mitte 1984 fortgeschrieben. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Fünften GWB-Novelle den bloßen Untersagungstatbestand des § 37 a Abs. 3 GWB a. F. in einen Verbotstatbestand umgewandelt. Der § 26 Abs. 4 GWB a. F. vor 1999 sollte kleine und mittlere Unternehmen durch Vereinfachung der gesetzlichen Voraussetzungen wirksamer gegen die unbillige Behinderung durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht schützen; dem sollte auch die Erleichterung der Beweislast des Klägers in § 26 Abs. 5 GWB a. F. vor 1999 dienen. Damit verlagerte sich die Beweiswürdigung auf die Frage der Unbilligkeit der Behinderung. Fall Hitlisten-Platten (1995)682 Der BGH hat allerdings in einem Verfahren der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs gegen das Großhandelsunternehmen AMS entschieden, dass gelegentliche UnterEinstandspreis-Verkäufe und die entsprechende Werbung dafür keine unbillige Behinderung i.S. des § 26 Abs. 4 GWB a. F. vor 1999 darstellen. Zur Beurteilung der Unbilligkeit der Behinderung will der BGH in alter Tradition eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB vornehmen. Einerseits sieht der BGH den Schutzzweck des § 26 Abs. 4 GWB a. F. zu Recht darin, dass die Voraussetzungen für wirksamen Wettbewerb nicht durch unbillige Behinderung durch

678

679

680

681

682

Vgl. zum erweiterten (horizontalen) Behinderungsverbot Emmerich, op. cit., § 29, S. 413 ff. Im Rahmen der 5. GWB-Novelle ist § 37a III GWB aufgehoben und durch § 26 IV GWB ersetzt worden (jetzt § 20 IV S. 1 GWB). Vgl. Kaufmarkt, in: WuW/E LKartB 223 ff., OLG 2942 ff. und BGH 2073 ff. In diesem Fall hatte die Landeskartellbehörde Bayern dem Kaufmarkt untersagt, kleine und mittlere Unternehmen dadurch unbillig zu behindern, dass er Waren aus den Warengruppen: alkoholfreie Getränke, Bier, Speisefette, Nährmittel, Kaffee/Kakao, Schokolade, Spirituosen/Sekt und Waschmittel, unter oder zum jeweils geltenden Einkaufspreis zuzüglich Umsatzsteuer anbietet oder verkauft. Im Einklang mit dem OLG München hat der BGH 1984 die Untersagungsverfügung wegen mangelnder Bestimmtheit aufgehoben. Insbesondere mangele es an einer hinreichenden Bestimmbarkeit des Einkaufspreises sowie einer genauen Beschreibung der unbilligen Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Im Falle Coop Bremen, in: WuW/E BKartA 2029 ff., ging es um die Beurteilung der Preispolitik der Coop AG, die nach Auffassung des Bundeskartellamtes durch Untereinkaufspreis-Verkäufe kleine und mittlere Wettbewerber in der Region Bremen i.S. des § 37a Abs. 3 GWB a. F. unbillig behinderte. Vgl. die Darstellung des Falles in der 5. Auflage des Lehrbuches auf S. 286 f. Vgl. Gemeinsame Erklärung von Organisationen der gewerblichen Wirtschaft zur Sicherung des Leistungswettbewerbs, abgedruckt in: WuW 34 (1984), S. 712 ff. Kritisch zu einer derartigen Wettbewerbspolitik Mestmäcker, Ernst-Joachim, Der verwaltete Wettbewerb: Eine vergleichende Untersuchung zum Schutz von Freiheit und Lauterkeit des Wettbewerbsrechts, Tübingen 1984. Zustimmend Baudenbacher, Carl, Wettbewerbspolitik durch „soft law“ – Drei Jahre Berliner Gelöbnis, in: WuW 36 (1986), S. 941 ff. Vgl. Hitlisten-Platten, in: WuW/E BGH 2977 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

333

Unternehmen mit überlegener Marktmacht „gefährdet“ werden (entweder durch Verdrängungsabsicht oder durch nachhaltige Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für wirksamen Wettbewerb). Andererseits sind nach dem – offensichtlich unveränderten – Vorverständnis des BGH Verkäufe unter den Einstandspreisen und die Werbung dafür nur dann als unbillige Behinderung zu werten683, „wenn diese als Maßnahmen des Verdrängungswettbewerbs anzusehen sind oder eine Ausnutzung überlegener Marktmacht vorliegt, die geeignet ist, durch Behinderung kleiner oder mittlerer Wettbewerber die strukturellen Voraussetzungen für wirksamen Wettbewerb – einschließlich eines Wettbewerbs durch kleine oder mittlere Unternehmen – nachhaltig zu beeinträchtigen. Die Gefahr solcher Marktwirkungen kann aber nicht schon dann angenommen werden, wenn Angebote unter dem Einstandspreis nicht nur gelegentlich, sondern systematisch im Wettbewerb eingesetzt werden. … Dies gilt schon deshalb, weil mit der Feststellung eines systematischen Vorgehens noch nichts über den Umfang und die Marktbedeutung der Maßnahmen ausgesagt ist. Erforderlich ist vielmehr, dass die Werbung mit Angeboten unter dem Einstandspreis derart durch besondere Umstände – wie insbesondere eine besondere Häufigkeit oder Intensität – gekennzeichnet ist, dass gerade durch sie die dargelegte Gefahr für den Wettbewerb begründet wird.“ Danach lag eine unbillige Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch UnterEinstandspreis-Verkäufe marktstarker Unternehmen i.S. des § 26 Abs. 4 GWB a. F. vor 1999 nur dann vor, wenn durch eine solche Preispolitik der Institutionsschutz nachhaltig beeinträchtigt worden war. Wenn und solange eine solche Beeinträchtigung des Institutionsschutzes noch nicht vorlag, griff der Individualschutz nicht ein, d.h., der Individualschutz wurde nur als eine Funktion des Institutionsschutzes angesehen.684 Der Gesetzgeber hat im Rahmen der 6. GWB-Novelle von 1998 diese Rechtsprechung dadurch korrigiert, dass in § 20 IV 2 GWB eine Legaldefinition der unbilligen Behinderung eingefügt worden ist. Die Frage der Erfassung unbilliger Unter-Einstandspreis-Verkäufe durch Unternehmen mit relativer Marktmacht hat daher sowohl bei der 6. Kartellnovelle 1998 als auch bei der 7. Kartellnovelle 2005 im Hinblick auf die fortschreitende Konzentration im Handel und die damit einhergehende weitere Verschlechterung der Nahversorgung sowie den Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen vor Marktmacht eine Rolle gespielt. Deshalb verbietet § 20 Abs. 4 S.1 GWB die unbillige Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht (s. die Regelbeispiele mit Beweislastumkehr für die Unbilligkeit der Behinderung in § 20 IV S. 2 GWB). Das Bundeskartellamt hatte 1999 auf der Grundlage dieser neuen Vorschrift gegen die Metro AG und Rewe-Zentral AG Untersagungsverfahren wegen des Verkaufes unter Einstandspreisen eingeleitet, die beide insbesondere aus folgenden Gründen eingestellt worden sind:685

683 684

685

Hitlisten-Platten, in: WuW/E BGH 2982. Vgl. dazu die Kritik von Schmidt, Ingo, und Jürgen Wuttke, Leistungswettbewerb und unbillige Behinderung i.S. des § 26 Abs. 4 GWB: Das Regelbeispiel zu Unter-Einstandspreis-Verkäufen in der 6. Kartellnovelle, in: BB 53. Jg. (1998), S. 753 ff. Vgl. zu den Schwierigkeiten der Erfassung von Untereinstandspreisverkäufen Fichert, Frank, und Margarete Keßler, Untereinstandspreisverkäufe im Lebensmitteleinzelhandel: Unzulänglichkeiten der Verbotsregelung im GWB und Alternativen aus wettbewerbspolitischer Sicht, in: WuW 52 (2002), S. 1173 ff.

334



• •

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie Schwierigkeiten bei der Ermittlung des konkreten Einstandspreises, wobei pauschale Zahlungen (wie z.B. Werbekostenzuschüsse, Verkaufsförderungsprämien, Aktionskostenbeiträge oder Jubiläumsboni) nur entsprechend dem jeweiligen Umsatzanteil eines Produktes am Gesamtumsatz angerechnet wurden (weshalb z. B. Art. 442-2 des französischen Code de Commerce eine Legaldefinition des Einstandspreises vorsieht), zahlreiche Wettbewerber hatten z.T. zeitlich und regional begrenzt noch niedrigere Preise verlangt (Problematik der sog. meeting competition-defense) und Unterschreitung des Einstandspreises nur geringfügig, so dass der davon ausgehende Behinderungseffekt relativ gering war.

Fall Wal-Mart (2002)686 Das Bundeskartellamt hatte Anfang September 2000 den Unternehmen Wal-Mart, Aldi Nord und Lidl gem. § 20 Abs. 4 S. 2 GWB untersagt, bestimmte Produkte aus dem Bereich der Grundnahrungsmittel (u.a. Milch, Butter, Zucker, Mehl, Reis und Pflanzenfett) unter ihren jeweiligen Einstandspreisen zu verkaufen. Das BKartA sah in dem nicht nur gelegentlichen Verkauf unter Einstandspreisen durch Unternehmen mit überlegener Marktmacht eine unbillige Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen, die sachlich nicht gerechtfertigt war. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes verfügten die drei genannten Unternehmen aufgrund ihrer Größe, Marktanteil und Ressourcen gegenüber den selbständigen Lebensmittelhändlern als kleine und mittlere Wettbewerber über überlegene Marktmacht. Sie hatten seit Ende Juni zwischen fünf und zehn Artikel unter Einstandspreis verkauft, so dass die beanstandete Preispolitik nach mehr als zwei Monaten nicht nur gelegentlich erfolgte. Diese Preispolitik war auch nicht sachlich gerechtfertigt, da es sich weder um leicht verderbliche Ware, noch um den Eintritt in Konkurrenzpreise handelte (meeting competition-defense). Maßgeblich für die Bestimmung der Einstandspreise waren die von den Lieferanten bestätigten Hersteller-Abgabepreise unter Berücksichtigung aller den fraglichen Artikeln zurechenbaren Preisnachlässe, Vergütungen und sonstigen preisrelevanten Konditionen. Wal-Mart war mit einer Preissenkung Mitte Juni vorangegangen und hatte dabei zulässigerweise nicht nur die Verkaufspreise der Wettbewerber, sondern unzulässiger Weise auch seine Einstandspreise unterschritten. Aldi Nord hatte auf den Preisvorstoß von Wal-Mart reagiert, war dabei aber nicht nur in die Wettbewerbspreise (von Wal-Mart) eingestiegen, sondern hatte sie unterboten. Hinzu kam, dass Aldi Nord seine Preise auch in Regionen unter den Einstandspreis gesenkt hatte, in denen Wal-Mart nicht tätig war und ein entsprechender Wettbewerbspreis nicht bestand. Die Preisreaktion von Aldi Nord war daher sowohl der Höhe nach als auch im Hinblick auf die räumliche Geltung nicht gerechtfertigt. Lidl war seinerseits nur in die Preise von Aldi Nord eingestiegen, allerdings nicht nur im Tätigkeitsgebiet von Aldi Nord, sondern auch im Süden Deutschlands, wo Aldi Nord nicht tätig ist; auch insoweit kommt eine sachliche Rechtfertigung nicht in Frage. Dagegen hatte das BKartA die Verfahren gegen Aldi Süd, Tengelmann/Plus und Norma eingestellt, da die Untereinstandspreispolitik dieser Unternehmen im Hinblick auf Höhe und räumlichen Geltungsbereich sachlich gerechtfertigt war. Das Bundeskartellamt begründete sein Vorgehen verbraucherpolitisch damit, dass der materielle Nutzen von Untereinstandspreisen für den Verbraucher nicht nur vorübergehend, son686

Vgl. Wal-Mart, in: WuW/E DE-V 316 ff., DE-R 781 ff. und 1.042 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

335

dern auch nur marginal sei, während die Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch eine unbillige Behinderung von mittelständischen Unternehmen dauerhaft sei. Während das OLG Düsseldorf aufgrund einer Beschwerde von Wal-Mart Ende 2001 das Verbot aufgehoben hatte, ist das Verbot vom BGH im November 2002 im Ergebnis bestätigt worden. Der BGH ist dabei im Hinblick auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des neu eingefügten § 20 Abs. 4 S. 2 GWB von einer Legalvermutung dergestalt ausgegangen, dass ein marktmächtiges Unternehmen, das nicht nur gelegentlich Waren unter Einstands-preis anbietet, seine kleinen und mittleren Wettbewerber unbillig behindert; diese Vermutung könne das Unternehmen dadurch ausräumen, dass es daran mitwirkt Tatsachen festzustellen, nach welchen der Verkauf unter Einstandspreisen ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt ist. Weitergehende (ungeschriebene) Voraussetzungen dergestalt, dass die Wettbewerbsverhältnisse spürbar beeinträchtigt werden müssen, sind nach Ansicht des BGH nicht erforderlich. Der BGH hat daher im Einklang mit diesen Leitsätzen das Verbot für den Komplex „Zucker“ bestätigt, für Pflanzenmargarine und Pflanzenfett als sachlich gerechtfertigt aufgehoben. Damit ist im Hinblick auf die Zulässigkeit von Unter-Einstandspreisen marktstarker Unternehmen eine Klarstellung und wichtige Signalwirkung erfolgt.

2.

Der Schutz des Wettbewerbs auf der Käuferebene

Bei der Beschränkung des Wettbewerbs mittels Preisdifferenzierung auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen ist zwischen der Veranlassung durch die Verkäufer (Anbietermacht) und der Veranlassung durch die Käufer (Nachfragermacht) zu unterscheiden. a) Veranlassung durch die Verkäufer (Anbietermacht) Eine Beschränkung des Wettbewerbs mittels Preisdifferenzierung auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen ist marktbeherrschenden und preisbindenden Unternehmen sowie Kartellen (den sog. Normadressaten) als sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung gleichartiger Unternehmen nach § 20 Abs. 1 GWB verboten. Im europäischen Kartellrecht verbietet Art. 102 EGV nur marktbeherrschenden Unternehmen eine solche Politik. Schutzobjekt des Diskriminierungsverbotes i.e.S. sind also vor- oder nachgelagerte Wirtschaftsstufen, deren Marktchancen nicht durch diskriminierende Maßnahmen ihrer Marktpartner beeinträchtigt werden dürfen. Im Gegensatz zu dem Tatbestand der unbilligen Behinderung von Mitbewerbern durch Preisdifferenzierung liegen im Hinblick auf den Schutz des Wettbewerbs auf vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen eine ganze Reihe von Entscheidungen oder Stellungnahmen der Kartellbehörden vor. Dabei stand bis in die jüngste Vergangenheit beim Schutz des Käuferwettbewerbs (second line competition) im Gegensatz zum first line competition der Individualschutz im Vordergrund; der Institutionsschutz wurde lediglich verbal bejaht, praktisch bei der Abwägung jedoch nicht berücksichtigt. So haben die Gerichte bis in die jüngste Vergangenheit alle vernünftigen kaufmännischen oder betriebswirtschaftlichen Erwägungen des Herstellers als sachliche Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung angesehen; d.h., die notwendige Interessenabwägung zwischen dem diskriminierenden und dem diskriminierten Unternehmen ging in aller Regel zugunsten des diskriminierenden Unternehmens aus, das folglich

336

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

in der Gestaltung seiner Absatzorganisation praktisch keinen Beschränkungen unterlag.687 Der in dem abstrakten Leitsatz von den Gerichten beschworene Gesichtspunkt der Sicherung der Freiheit des Wettbewerbs im Interesse der Offenhaltung der Märkte und der Verhinderung der Zementierung der Vertriebswege hat in der Rechtsprechung praktisch keine Rolle gespielt. Erst mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Fall Asbach hat sich ein gewisser Wandel in der Interessenabwägung und in der Berücksichtigung des Institutionsschutzgedankens abgezeichnet. Fall Asbach (1976)688 Im Fall Asbach ging es um die rechtliche Beurteilung einer Rabattdifferenzierung für Bedienungsfachgroßhändler und andere Großhändler. Die Firma Asbach hatte im Jahre 1973 5.064 Großhändler mit Asbach Uralt beliefert, darunter 233 Selbstbedienungsgroßhändler. Sie gewährte allgemein einen Rabatt von 5 % und ein Skonto von 3 %. Ein Kreis von 1.527 sog. Bedienungsfachgroßhändlern, die ausschließlich gastronomische Betriebe beliefern und betreuen sollen, erhielt darüber hinaus einen zusätzlichen Rabatt von 5 %. Um in den Genuss dieses zusätzlichen Rabattes zu kommen, musste der betreffende Großhändler mit der Firma Asbach einen sog. Asbach-Bedienungsgroßhändler-Vertrag abschließen. Da der Beschwerdeführer die Unterzeichnung eines derartigen Vertrages abgelehnt hatte, verweigerte die Firma Asbach den Zusatzrabatt von 5 %. Das Bundeskartellamt sah in dieser Verweigerung eine sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung zwischen Asbach-Bedienungsfachgroßhändlern und ca. 1.800 Fachgroßhändlern bei der Gewährung von Provisionen. Das Kammergericht hatte die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes aufgehoben und die sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung darin gesehen, dass der durch die Zusatzprovision begünstigte Großhandel im Vergleich zum übrigen Großhandel besondere Leistungen erbringe. Der Bundesgerichtshof verwarf jedoch diese herkömmliche Interessenabwägung als unzureichend und leitete damit eine neue Rechtsprechung ein. Der BGH sah die beherrschende Stellung von Asbach Uralt darin, dass Asbach Uralt auf dem Markt für gehobene Weinbrände einen Marktanteil von etwa 37 % erlangt habe, eine Ware von hohem Bekanntheitsgrad und besonderem Image darstelle und daher von etwa 75 % der gastronomischen Betriebe geführt werde. Angesichts einer derartigen Marktgeltung sei ein Spirituosengroßhändler darauf angewiesen, diese Marke in seinem Sortiment zu führen; das Ausweichen auf andere Alternativen sei für ihn nicht zumutbar. Zu der vom Kammergericht vorgenommenen traditionellen Interessenabwägung führte der BGH kritisch aus: „Das Beschwerdegericht hat bei der notwendigen Abwägung der beiderseitigen Interessen … einseitig auf die Belange der Rechtsbeschwerdegegnerin abgestellt und außerdem die auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung des Gesetzes nicht berücksichtigt. Im Rahmen des § 26 Abs. 2 GWB“ (a. F. vor 1999) „ist zwar das Interesse der Markenartikelhersteller, ihre Absatzorganisation durch Sicherstellung eines erhöhten Kundendienstes und einer individuellen Werbung optimal zu gestalten 687 688

Vgl. die grundlegende Kritik von Pickel, Walter, Diskriminierung durch preisbindende Unternehmen: Üblicherweise zugänglicher Geschäftsverkehr und Interessenabwägung, in: BB 20 (1965), S. 651 ff. Vgl. Asbach, in: WuW/E BGH 1429 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

337

und entsprechende Maßnahmen zur Förderung des Absatzes auf wichtigen Teilmärkten (hier der Gastronomie) zu ergreifen, als schutzwürdig anzuerkennen. Es kommt aber auch, was das Beschwerdegericht bisher nicht hinreichend gewürdigt hat, auf eine Bewertung der Interessen der Großhändler an, die als Wettbewerber der begünstigten Großhändler betroffen werden. Bei der gebotenen Abwägung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die vom Zusatzrabatt Ausgeschlossenen nicht nur finanzielle Nachteile erleiden, sondern auch im Wettbewerb jedenfalls insoweit erheblich behindert sind, als der Absatz an die Gastronomie in Frage steht. Das Beschwerdegericht hat es auch unterlassen, die für die Interessenabwägung erforderlichen Feststellungen zu der Frage zu treffen, worin die entscheidenden Bedingungen des Asbach-Fachgroßhändler-Vertrages liegen, die zu der unterschiedlichen Behandlung führen, und wie sich diese Bedingungen auf dem Markte auswirken. Es hätte hierbei insbesondere erörtern müssen, welche Bedeutung für den Wettbewerb auf der Großhandelsstufe die Höhe des Sonderrabattes und die Tatsache hat, dass die Rechtsbeschwerdegegnerin den Sonderrabatt nur solchen Großhändlern gewährt, die ausschließlich Gastronomiebetriebe beliefern; insoweit erhebt sich mit Rücksicht auf die der Zielsetzung des Gesetzes widersprechenden Wirkungen weiter die Frage, ob sie das erstrebte Ziel nicht durch eine andere, den Wettbewerb weniger beeinträchtigende Ausgestaltung der Vertragsbedingungen hätte erreichen können.“689 Zu der Frage der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Rabattgewährung, die in der Vergangenheit relativ großzügig gehandhabt worden war, nahm der BGH wie folgt Stellung:690 „Für die Entscheidung der Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe eine unterschiedliche Rabattgewährung sachlich nicht mehr gerechtfertigt ist, gibt es zwar keinen absoluten Bewertungsmaßstab. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Entscheidung hierüber allein in das Ermessen des Unternehmens gestellt werden kann, das den Rabatt gewährt. Es bedarf vielmehr auch insoweit einer eigenständigen Beurteilung durch den Richter anhand des Maßstabes, der sich aus § 26 Abs. 2 GWB ergibt. Der zur Entscheidung berufene Richter wird hierbei allerdings zu berücksichtigen haben, dass die Grenzwerte nicht genau festliegen und insoweit ein (Ermessens-) spielraum in Betracht kommt.“ Der BGH sah in dem Verhalten der Firma Asbach eine unbillige Behinderung bzw. eine sachlich nicht gerechtfertigte Behandlung i.S. des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999. Mit dieser Entscheidung wurde erstmals eine Korrektur der in der Vergangenheit sehr einseitig erfolgten Interessenabwägung vorgenommen worden. Es bleibt abzuwarten, ob damit eine grundsätzliche Änderung in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und des BGH bei der vom Verkäufer veranlassten Preisdiskriminierung eintreten wird.

689 690

Asbach, in: WuW/E BGH 1432. Asbach, in: WuW/E BGH 1435.

338

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

b) Veranlassung durch die Käufer (Nachfragermacht)691 Die auf Veranlassung des Nachfragers vorgenommene Preisdifferenzierung des Anbieters (sog. Nachfragemacht) ist wettbewerbspolitisch außerordentlich umstritten, da es sich grundsätzlich um Preisnachlässe i.w.S. handelt, die normalerweise Ausdruck von wirksamem Preiswettbewerb sind und erst bei Hinzutreten besonderer Umstände als unbillige Behinderung von Mitbewerbern angesehen werden können. Vor der Vierten GWB-Novelle konnte die von einem Nachfrager im Sinne des Normadressatenkreises des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 veranlasste Preisdifferenzierung eines Anbieters, der seinerseits nicht unter den Normadressatenkreis dieser Vorschrift fällt, lediglich als eine mittelbare Behinderung der Konkurrenten des Nachfragers angesehen werden und unterlag damit dem Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F. vor 1999. Da diese Regelung mit erheblichen Nachweisschwierigkeiten verbunden war, hatte die Vierte GWB-Novelle in § 26 Abs. 2 Satz 3 GWB eine neue Legalvermutung hinsichtlich eines vertikalen Abhängigkeitsverhältnisses und in einem neuen Absatz 3 ein Verbot der Veranlassung der Diskriminierung eingeführt:





691

692 693

§ 26 Abs. 2 Satz 3 (neu: § 20 Abs. 2 S. 2) GWB enthält in der Fassung der Fünften Novelle eine für das Verwaltungs- wie für das Zivilverfahren geltende Legalvermutung, wonach ein Anbieter von einem Nachfrager abhängig ist, „wenn dieser Nachfrager bei ihm zusätzlich zu den verkehrsüblichen Preisnachlässen oder sonstigen Leistungsentgelten regelmäßig besondere Vergünstigungen erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden“. Die Monopolkommission692 hatte sich gegen diesen Vorschlag gewandt, da § 26 Abs. 2 Satz 3 GWB a. F. vor 1999 auch Diskriminierungen erfassen würde, die mit keiner Beschränkung des Wettbewerbs verbunden sind. Die Implikationen eines (in jedem Fall abzulehnenden) allgemeinen Diskriminierungsverbotes würden durch den Fortfall des Wettbewerbsbezuges verstärkt werden. Im Grundsatz muss der Auffassung der Monopolkommission gefolgt werden, dass keinerlei Gründe ersichtlich sind, Nachfragemacht anders zu beurteilen als Anbietermacht. Sofern ein Machtgefälle und damit eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Anbieter von Nachfragern behauptet wird693, kann dem bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe bereits nach bisher geltendem Recht Rechnung getragen werden. Es handelt sich offenbar mehr um ein Problem der Rechtsprechung, die nicht in der Lage ist, unterschiedliche ökonomische Sachverhalte unter unbestimmte Rechtsbegriffe zu subsumieren.

Vgl. Arndt, Helmut, Macht und Wettbewerb, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. von Cox u.a., München 1981, S. 49 ff., und Emmerich, op. cit., § 29, S.407 ff., , mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. auch Monopolkommission, Sondergutachten 7: Mißbräuche der Nachfragemacht und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Baden-Baden 1977, Tz. 211– 235. Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 7, op. cit., Tz. 26. Vgl. Hansen, Knud, Probleme der Nachfragemacht aus der Sicht des Bundeskartellamtes, in: Die Betriebswirtschaft 39 (1979), S. 551 ff., der unter anderem auf die geringere Produktionsflexibilität der Anbieter im Vergleich zu der höheren Sortimentsflexibilität der Nachfrager und einen tendenziellen Angebotsübergang hinweist; zudem ist ein Verbrauchsverzicht des Handels – durch Nichtordern von Gütern – leichter zu leisten als ein Produktionsverzicht. Vgl. auch Lenel, Otto, Zum Zweiten Gutachten der Monopolkommission über den Lebensmittelhandel, in: WuW 44 (1994), S. 247 ff., der sich kritisch mit der von der MK in den Sondergutachten 7 und 14 vertretenen Gegenposition auseinandersetzt, und Schmidt, Ingo, Handelskonzentration, Nachfragemacht und 6. GWBNovelle, in: WuW 47 (1997), S. 101 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

339



§ 26 Abs. 3 GWB i. d. F. der 5. Novelle (neu: § 20 Abs. 3 GWB) verbietet die Veranlassung einer Diskriminierung durch marktstarke Nachfrager. Die Monopolkommission694 hatte diesen Novellierungsvorschlag für überflüssig erklärt, da „eine von einem marktstarken Nachfrager veranlasste Diskriminierung durch einen Anbieter, der seinerseits § 26 Abs. 2 nicht unterfällt, … als mittelbare Diskriminierung der Konkurrenten sowohl des Nachfragers als auch des Anbieters verboten sein“ kann. Die 9. Beschlussabteilung des BKartA hatte eine Reihe von Verfahren im Falle von durch marktstarke Nachfrager veranlassten Preisdiskriminierungen eingeleitet, die sich sowohl gegen Nachfragemacht in Handel oder Industrie als auch gegen Nachfragemacht der öffentlichen Hand richteten (Bundespost und Bundesbahn bzw. offenkundige Verstöße gegen die VOL oder die VOB).695 Eine förmliche Entscheidung ist bisher jedoch nur in den Fällen Metro Eintrittsvergütung696 (allerdings gestützt auf die Generalklausel des § 19 GWB) und neuerdings Metro Konditionenanpassung ergangen. Fall Metro Einkaufs GmbH: Konditionenanpassung (2002)697 Der Metro-Konzern hatte zum 1. Januar 1998 die Allkaufgruppe übernommen und den Zusammenschluss – nach Freigabe durch das BKartA im Juni 1998 – alsbald vollzogen. Im Rahmen des Konzerns besorgte die betroffene Metro Einkaufs GmbH den Einkauf für alle Konzerngesellschaften. Im Zuge der Übernahme stellte diese fest, dass teilweise dieselben Lieferanten sowohl den Metro-Konzern als auch die Gesellschaften der Allkaufgruppe beliefert hatten, wobei in den jeweils für ein Jahr getroffenen Rahmenvereinbarungen dem einen oder anderen Handelsunternehmen günstigere Konditionen eingeräumt worden waren. Metro forderte daraufhin die Lieferanten auf, einen Konditionenabgleich vorzunehmen und sich mit einer rückwirkenden Konditionenanpassung zum 1. Januar 1998 – und zwar unter Zugrundelegung der jeweils günstigsten (Metro- oder Allkauf-) Konditionen – einverstanden zu erklären. U. a. waren zwanzig Unternehmen aus dem Lebensmittelbereich (einschließlich Körperpflege-, Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln) auf diese Forderung eingegangen und hatten die verlangten Zahlungen geleistet. Das Bundeskartellamt hatte der Metro – gestützt auf § 20 Abs. 2 und 3 GWB – untersagt, die bezeichneten 20 Unternehmen zur Konditionenanpassung und zu entsprechenden Ausgleichszahlungen zu veranlassen. Es sah in den geforderten Konditionen Vorzugsbedingungen i.S. von § 20 Abs. 3 S. 1 GWB, die nur aufgrund der Marktstellung des Nachfragers durchsetzbar waren. Den Abhängigkeitstatbestand des § 20 Abs. 2 GWB sah das Amt regelmäßig als gegeben, wenn der Anteil des Lebensmittelhändlers (Metro) an dem Gesamtabsatz des Lieferanten mindestens 7,5 % beträgt. Eine hohe Präsenz der 20 Unternehmen bei allen Hauptabnehmern des Lebensmittelhandels spreche nicht gegen das Bestehen einer Abhängigkeit. Allenfalls bei extremer Marktgeltung der fraglichen Produkte und hohen Zusatzkosten des Händlers im Falle von Drittbezügen sei die Abhängigkeit zweifelhaft. Das Kammergericht hob auf Beschwerde von Metro die Verfügung auf, da s. E. die tatbestandsmäßigen 694 695

696 697

Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 7, op. cit., Tz. 24. Vgl. die Hinweise in den Tätigkeitsberichten des BKartA für die Jahre 1979/80, in: BTDr. 9/565, S. 36–40, die Jahre 1981/82, in: BTDr. 10/243, S. 30 ff., und die Jahre 1983/84, in: BTDr. 10/3550, S. 24–28, sowie Schultes, Werner, Erfahrungen bei der Mißbrauchsaufsicht über Nachfragemacht, in: WuW 32 (1982), S. 731 ff. Vgl. Metro Eintrittsvergütung, in: WuW/E BKartA 2092 ff. Vgl. Metro Konditionenanpassung, in: WuW/E DE-V 94 ff., DE-R 699 ff. und 984 ff.

340

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 GWB (insbes. Vorzugsbedingungen und Abhängigkeit) nicht vorlagen. Der Bundesgerichtshof hat auf Rechtsbeschwerde des BKartA den Beschluss des KG teilweise – soweit es um den in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalt der Allkauf-Übernahme geht – bestätigt; im Übrigen hat der BGH den Beschluss des KG aufgehoben und die Sache zur weiteren Klärung des Sachverhalts an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Er teilt zwar die Auffassung des KG, dass auch im Lebensmittelhandel nicht ohne weiteres angenommen werden könne, dass Lieferanten mit einem Jahresumsatz von 500 Mio. DM noch zu den kleinen und mittleren Unternehmen i.S. von § 20 Abs. 2 und 3 GWB gehören und dass ein Umsatzanteil von mindestens 7,5 % in jedem Fall zu einer Abhängigkeit von dem nachfragestarken Händler i.S. des § 20 Abs. 2 GWB führe. Im Gegensatz zum KG hält der BGH es jedoch – wenn die Verbotsnorm nicht völlig wirkungslos bleiben soll – für sachgerecht, dass das Bundeskartellamt nach Untersuchung der Marktverhältnisse bestimmte Schwellenwerte für die jeweiligen Märkte feststellt, die die – von dem betroffenen nachfragestarken Unternehmen zu widerlegende – Vermutung begründen, dass ein in den Schutzbereich der Norm fallendes kleines oder mittleres und abhängiges Unternehmen betroffen ist. Ebenso begründet das erfolgreiche Verlangen des nachfragestarken Händlers nach einer rückwirkenden Anpassung der Lieferkonditionen – für die es zivilrechtlich keine Grundlage gibt – die widerlegbare Vermutung, dass die rückwirkende Konditionenanpassung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Der BGH sah jedenfalls die für die Zeit ab dem 1.1.1998 verlangte Konditionenanpassung als unbillig an, da die Übernahme der Allkauf-Gruppe erst im Juni fusionsrechtlich freigegeben worden war und die Metro mit ihrem Verlangen in eine Vertragssituation eingreife. Das Interesse der Lieferanten am Fortbestand der in den Jahresvereinbarungen festgelegten Lieferkonditionen überwiege das Interesse der Metro an der Realisierung möglichst günstiger Einkaufskonditionen. Im Übrigen sei das Verhalten der Metro darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob eine – gegen § 14 GWB verstoßende – Meistbegünstigung vereinbart worden wäre. Das Bundeskartellamt hat den Fall für erledigt erklärt, da die Grundsatzfragen geklärt waren und kein Missbrauch mehr bestand.

V.

Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen698

Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen unterlagen bis zur 7. GWB-Novelle nur einer Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden. Neben der Generalklausel des § 19 GWB mit der Möglichkeit, die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zu untersagen, fand die Spezialvorschrift des § 18 GWB a. F. vor 1999 Anwendung. Nach § 18 GWB a. F. konnten die Kartellbehörden Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen für unwirksam erklären, wenn dadurch:

698

Vgl. Emmerich, op. cit., § 27, S. 365 f., mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. auch Monopolkommission, Sondergutachten 7, op. cit., Tz. 132–173, wo die Probleme der Zulieferindustrie am Beispiel der Kraftfahrzeugindustrie behandelt werden.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

341



eine für den Wettbewerb auf dem Markt erhebliche Zahl von Unternehmen gleichartig gebunden und in ihrer Wettbewerbsfreiheit unbillig eingeschränkt ist oder • für andere Unternehmen der Marktzutritt unbillig beschränkt oder • durch das Ausmaß solcher Beschränkungen der Wettbewerb auf dem Markt für diese oder andere Waren oder gewerbliche Leistungen wesentlich beeinträchtigt wird. Schutzobjekt der Missbrauchsaufsicht über derartige Verträge war demnach sowohl die Handlungsfreiheit tatsächlicher oder potentieller Anbieter als auch der Schutz des Wettbewerbsmechanismus vor wesentlichen Beeinträchtigungen. Nach der 6. GWB-Novelle von 1998 war in § 16 GWB a. F. nur noch der Wettbewerb als Institution geschützt; der Individualschutz einzelner Unternehmen griff nur dann, wenn auch der Institutionsschutz verletzt wurde. Mit dem Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle von 2005 werden horizontale und vertikale Verträge gleichermaßen von dem Verbot des § 1 GWB (wie bisher schon in Art. 101 I EGV) erfasst, können allerdings bei Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen unter die Legalausnahme des § 2 GWB (bzw. Art. 101 III AEUV) fallen. Darüber hinaus unterliegen derartige Bindungen der Missbrauchsaufsicht nach § 19 IV GWB bzw. Art. 102 S. 2 lit. b und d AEUV. Wie im 6. Kapitel ausgeführt, können vier Typen von Bindungen unterschieden werden: Verwendungsbeschränkungen, Ausschließlichkeitsbindungen, Alleinvertriebsbindungen und Kopplungsverträge. Der wichtigste Fall betrifft die sog. Ausschließlichkeitsbindungen i.S. einer Verpflichtung, keine anderen Waren oder Leistungen von Dritten zu beziehen (Alleinbezugsbindung des Händlers) oder an Dritte abzugeben (Alleinabsatzbindung des Lieferanten). Derartige Ausschließlichkeitsbindungen sind insbesondere auf den Märkten für Bier, Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile sowie Mineralölprodukte verbreitet, wenngleich nur sehr wenige Missbrauchsverfahren der Kartellbehörden durchgeführt worden sind. Die Fälle VW-Identteile und TUI/NUR Selektive Exklusivität exemplifizieren die wettbewerbs-politische Problematik derartiger Bindungen. Fall VW-Identteile (1981)699 In diesem Fall hatte Volkswagen seine Vertragshändler und Vertragswerkstätten mittels vertraglicher Bindungen veranlasst, zu Reparaturzwecken für VW-PKWs im Wesentlichen nur VW-Originalersatzteile zu verwenden. Strittig war in dem vorliegenden Fall, ob durch eine derartige Ausschließlichkeitsbindung i.S. des § 18 GWB a. F. vor 1999 die von VW abhängigen Vertragshändler und -werkstätten sowie die mit VW auf dem Großhandelsmarkt für VWErsatzteile konkurrierenden Teilehersteller und Teilegroßhändler i.S. von § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 unbillig behindert wurden. Das Bundeskartellamt hatte VW als marktbeherrschend auf dem Markt für die Lieferung von VW-Ersatzteilen an PKW-Einzelhändler und PKW-Reparaturunternehmen (Großhandelsmarkt) i.S. des § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB a. F. vor 1999 angesehen. Als relevanter Markt wurde der Markt für diejenigen Ersatzteile angenommen, die für Reparaturen von VWFahrzeugen geeignet sind, da andere Teile aus der Sicht der nachfragenden PKW-Händler und -reparaturunternehmen nicht austauschbar sind. Die überragende Marktstellung von VW auf dem relevanten Markt ergab sich nach Ansicht des Bundeskartellamtes aus dem überragenden Marktanteil und der starken Zersplitterung des übrigen Angebots; darüber 699

Vgl. VW-Identteile, in: WuW/E BKartA 1781 ff., OLG 2247 ff. und BGH 1829 ff.

342

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

hinaus war die Marktstellung von VW durch seine überragende Finanzkraft und das starke Markenimage geprägt. Die Marktbeherrschung ergab sich nach Ansicht des Bundeskartellamtes auch daraus, dass die Nachfrager für VW-Ersatzteile über keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten auf andere Anbieter von Ersatzteilen i.S. des § 26 Abs. 2 Satz 2 GWB a. F. vor 1999 verfügten. Das Amt wertete die vertragliche Bindung, nur VW-Originalersatzteile zu verwenden, als eine unbillige Behinderung anderer Unternehmen. Behindert würden einmal die Hersteller von VW-Ersatzteilen sowie die Teilegroßhändler, weil ihnen die Absatzmöglichkeiten an VW-Betriebe nahezu völlig versperrt würden. Auch die VW-Vertragshändler und -werkstätten würden dadurch behindert, dass ihnen die direkte Bezugsmöglichkeit vom Hersteller oder Teilegroßhandel versperrt werde. Die Unbilligkeit der Behinderung sah das Bundeskartellamt darin, dass bei einer Abwägung der Interessen von VW und der VW-Betriebe an der Aufrechterhaltung dieser Bindung und dem Interesse der behinderten Teilehersteller und -großhändler sowie einzelner VW-Betriebe an deren Aufhebung und dem öffentlichen Interesse an einem möglichst frei zugänglichen Ersatzteilmarkt das wettbewerbliche Interesse jedenfalls insoweit überwiegt, als es sich um sog. Identteile handelt, die nicht für Garantieund Kulanzarbeiten der VW-Betriebe verwendet werden. Zumindest insoweit sei die Bindung zur Durchsetzung der berechtigten Interessen von VW unzulässig. Das Kammergericht hat die Entscheidung des Bundeskartellamtes grundsätzlich bestätigt. Die Volkswagen AG wurde als ein marktstarkes Unternehmen i.S. von § 26 Abs. 2 Satz 2 GWB angesehen, da die VW-Betriebe als Nachfrager der für sie unverzichtbaren VW- und Audi-Originalersatzteile von VW abhängig sind; insoweit bestünden keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten. Das Gericht sah in der Bezugs- und Verwendungsbeschränkung für die Identteile eine unbillige Behinderung der Ersatzteilhersteller, Ersatzteilgroßhändler und der VW-Betriebe i.S. von § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999. Dem Vorwurf der unbilligen Behinderung stehe auch nicht entgegen, dass die Mehrzahl der VWBetriebe die Bezugsbindung nicht als behindernd, sondern als vorteilhaft ansehe. Das Merkmal der Behinderung sei nicht subjektiv danach auszufüllen, was der Betroffene selbst als ein günstiges Wettbewerbsverhalten ansehe; vielmehr sei es objektiv aus der Sicht der Freiheit des Wettbewerbs zu beurteilen, ob die Wettbewerbsmöglichkeiten beschränkt würden. Der Bundesgerichtshof hat dagegen die Unbilligkeit der Behinderung der Teilegroßhändler und der Hersteller von VW-Ersatzteilen sowie der VAG-Betriebe bei der freien Wahl ihrer Absatz- bzw. Bezugsquellen durch die letzteren auferlegte Bezugs- und Verwendungsbindung verneint. Zwar sei Volkswagen ein sog. marktstarkes Unternehmen i.S. des § 26 Abs. 2 Satz 2 GWB, welches andere Unternehmen durch Bezugs- und Verwendungsbindungen behindere; jedoch komme es für das Merkmal der Unbilligkeit i.S. von § 26 Abs. 2 GWB auf eine Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzungen des GWB an. Im vorliegenden Fall ist der BGH von einem engen Zusammenhang zwischen dem Neuwagengeschäft einerseits sowie dem Kundendienst und Ersatzteilgeschäft andererseits ausgegangen. Dieser enge Zusammenhang rechtfertige detaillierte Absatzstrategien, womit die Wirtschaft auch der auf Produkte gleichbleibender Qualität gerichteten Erwartung des Verbrauchers entspreche. Insofern habe Volkswagen ein schutzwürdiges Interesse daran, eine Minderung des Rufes seiner Fahrzeuge durch den Einbau minderwertiger Ersatzteile zu verhindern. Abweichend vom Kammergericht ist der BGH daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Interessen von Volkswagen gegenüber den Belangen der behinderten anderen

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

343

Marktteilnehmer ein solches Gewicht besitzen, dass die Bezugsbindung solange nicht unbillig i.S. des § 26 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 ist, wie sie dem Prinzip des freien und lauteren Wettbewerbs entspricht, mit der Güte und Preiswürdigkeit der angebotenen Leistung zu werben, und das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfreiheit nicht verletzt wird. Fall TUI/NUR Selektive Exklusivität (1997)700 Auf den Touristikmärkten spielen Ausschließlichkeitsbindungen eine große Rolle, welche die Marktchancen kleinerer Wettbewerber – insbesondere wenn sie von den führenden Anbietern praktiziert werden – beeinträchtigen. Darüber hinaus werden die Markttransparenz und die Möglichkeit der Kunden zu Preis- und Leistungsvergleichen eingeschränkt Die beiden Marktführer unter den deutschen Anbietern von Pauschalreisen, TUI und NUR, kaufen wie alle anderen Veranstalter Hotelbettenkontingente in den Ferienzielgebieten (z.B. auf den Balearen und Kanaren). In den Verträgen mit den Hoteliers wird teilweise eine Exklusivität für den deutschen Markt vereinbart, so dass nur der jeweilige Veranstalter das betreffende Hotel in Deutschland anbieten kann. Durch solche Klauseln wurden zwei als besonders preisgünstig bekannte Wettbewerber ausgeschlossen, um den Urlaubern den Preisvergleich vor Ort zu erschweren und damit die Wettbewerbsmöglichkeit von kleineren Mitbewerbern zu beschränken. Das Verfahren ist auf Veranlassung von ALLTOURS Flugreisen GmbH in Kleve eingeleitet worden, die seit der Wintersaison 1993/94 viele von ihr bisher belegte Häuser auf den Balearen und Kanaren nicht mehr unter Vertrag nehmen konnte, da TUI und NUR durch Ausschließlichkeitsvereinbarungen vor allem preisgünstige Wettbewerber aus den von ihnen belegten Häusern fernhielten, um diese Häuser dem direkten Preiswettbewerb bei der Vermarktung in Deutschland zu entziehen. Nach Ansicht des Bundeskartellamtes haben TUI und NUR mittels ihrer Nachfragemacht die Abschlussfreiheit der betroffenen Hotelunternehmen unangemessen eingeschränkt und zugleich die betroffenen deutschen Wettbewerber beim Einkauf von Hotelbetten behindert. Nachdem die Versuche des Bundeskartellamtes, die von TUI und NUR praktizierten Ausschließlichkeitsbindungen mit Hilfe des § 18 GWB a. F. vor 1999 in den Griff zu bekommen, ohne Erfolg geblieben waren, hat das Bundeskartellamt den führenden deutschen Reiseveranstaltern TUI und NUR nach § 37 a Abs. 1 GWB a. F. vor 1990 i. V. mit § 47 Abs. 2 GWB und Art. 85 Abs. 1 EGV u.a. die Praktizierung von Ausschließlichkeitsbindungen untersagt, mit denen diese beiden Reiseveranstalter sich von bestimmten Hotels auf den Balearen und Kanaren vertraglich Exklusivität einräumen ließen. Da die untersagten Vereinbarungen geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel in der Europäischen Union zu beeinträchtigen und eine Einschränkung und Verfälschung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt bezwecken und bewirken, waren die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 85 EGV gegeben, der nicht nur horizontale, sondern auch vertikale Absprachen erfasst. Der Beschluss ist vom Kammergericht und vom Bundesgerichtshof bestätigt worden. Der BGH hat die Möglichkeit einer dezentralen Anwendung des europäischen Kartellrechts durch die nationale Kartellbehörde bejaht. In der Sache ist der BGH davon ausgegan700

Vgl. Selektive Exklusivität, in: WuW/E BKartA 2761 ff., OLG 5580 ff. und DE-R 89. ff.

344

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

gen, dass die beanstandete Vereinbarung einer selektiven Exklusivität zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs i.S. von Art. 85 Abs. 1 EGV auf dem deutschen Pauschalreisemarkt führt. Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Freistellungsantrag hat der BGH abgelehnt, weil die fraglichen Klauseln wegen der negativen Auswirkungen auf den Preiswettbewerb ohnehin nicht freistellungsfähig seien. Die Frage der Kopplung von sachlich oder handelsüblich nicht zugehörigen Waren hat in den Fällen Meto-Handpreisauszeichner, Kfz-Pflegemittel und Kombinationstarif eine Rolle gespielt.701 Auf die Fälle Meto Handpreisauszeichner und Kombinationstarif soll im Folgenden eingegangen werden. Fall Meto-Handpreisauszeichner (1969)702 In dem klassischen Meto Fall ging es um die Frage, ob ein Hersteller von Handpreisauszeichnern seine Maschinen nur unter der Bedingung verkaufen durfte, dass der Käufer sich verpflichtete, seinen gesamten Etikettenbedarf für fünf Jahre ausschließlich bei der Firma Meto zu beziehen (Kopplungsbindung). Die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung war eng mit der Frage der Marktabgrenzung verknüpft. Das Kammergericht ging in seinem rechtskräftig gewordenen Beschluss von einer Abgrenzung des relevanten Marktes aufgrund des Verwendungszweckes (Bedarfsmarktkonzept) aus, wonach „sämtliche Erzeugnisse, die sich nach ihrer Eigenschaft, ihrem wirtschaftliche Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet in berechtigter Weise abwägend miteinander vergleicht und als gegeneinander austauschbar ansieht, markt703 gleichwertig (sind).“ Im Hinblick auf das Kriterium der funktionellen Austauschbarkeit lehnte es das Gericht aufgrund zahlreicher Zeugenvernehmungen ab, elektrisch betriebene Standgeräte wegen des weit höheren Preises als gleichwertig anzusehen, da kein verständiger Durchschnittsinteressent diese Geräte als Vergleichsprodukte in Betracht zieht, wenn er kleine und mittlere Mengen von verschiedenen Waren mit Etiketten mit wechselnden Angaben versehen will und für diesen Bedarf leichte, transportable Auszeichnungsgeräte für nur 150 bis 400 DM auf dem Markt sind. Das Kammergericht erkannte daher als marktgleichwertig nur Geräte in der den Meto-Handpreisauszeichnern vergleichbaren Preislage bis zu 400 DM an. Andere Preisauszeichnungsmethoden wurden als unzureichende Substitute abgelehnt. Das Kammergericht bejahte die marktbeherrschende Stellung der Firma Metro aus zwei Gründen: • Meto kontrollierte 1967 93 % des Marktes für Handpreisauszeichner, bei Einbeziehung des Absatzes von Etikettendruck- und Etikettenspendegeräten in der vergleichbaren Preislage von 150 bis 400 DM rund 89 % des Marktes.

701 702 703

Vgl. Meto-Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 995 ff.; Kfz-Pflegemittel, in: WuW/E BKartA 1199 ff., und Kombinationstarif, in: WuW/E OLG 2126 ff. und BGH 1970 ff. Vgl. Meto-Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 995 ff. Meto-Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 995 f.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

345



Ferner schloss das Gericht aus der Art und Weise restriktiver Praktiken zur Abwehr der Etikettenkonkurrenz auf das Fehlen von wesentlichem Wettbewerb und daher das Vorliegen von Marktbeherrschung:704 „Alle diese Maßnahmen, insbesondere die Drohung, den Benutzern von Fremdetiketten keinen neuen Preisauszeichner zu liefern und die völlige – auch entgeltliche – Verweigerung des Reparaturdienstes zeigen, dass die Beschwerdeführerin nicht die üblichen Rücksichten zu nehmen braucht, die ein wesentlichem Wettbewerb ausgesetzter Hersteller seinen Abnehmern gegenüber aufbringen muss, wenn er sich am Markt behaupten will.“ Der Missbrauch wurde darin gesehen, dass die Firma Meto ihre Handpreisauszeichner unter der Bedingung verkaufte, dass die Käufer einer fünfjährigen Ausschließlichkeitsbindung zustimmten, ihre Etiketten nur von der Firma Meto zu beziehen (Kopplungsbindung). Nach Ansicht des Bundeskartellamtes wurden durch diese Kopplungsbindung ihre Abnehmer auf dem beherrschten Markt für Handpreisauszeichner und ihre Mitbewerber auf dem Drittmarkt für Etiketten in ihrer Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Wenn auf dem Markt für Handpreisauszeichnergeräte wesentlicher Wettbewerb bestehen würde, wären die Abnehmer nicht bereit, sich zum fünfjährigen Bezug der 30 bis 40 % überteuerten Etiketten der Firma Meto zu verpflichten (Als-Ob-Gedanke). Durch die Ausschließlichkeitsvereinbarung werde außerdem dritten Unternehmen der Zugang zum Etikettenmarkt versperrt. Die Verwendung der Meto-Etiketten sei auch nicht unabdingbare Voraussetzung für das technisch einwandfreie Funktionieren der „Jedermann-Preisauszeichner“, da jetzt gleichwertige Etiketten am Markt seien. Die Preisdifferenz von 30 bis 40 % zwischen den Meto-Etiketten und denen von Außenseitern stehe in einem krassen Missverhältnis zu dem geleisteten Kundendienst, zumal nur solche Mängel kostenlos beseitigt würden, die bei sachgemäßem Gebrauch der Geräte eintreten, während sonstige Reparaturleistungen bezahlt werden müssten. Die Maßstäbe für die Frage des Missbrauchs will das Kammergericht aus den Ordnungsprinzipien einer Wettbewerbswirtschaft ableiten. Danach soll wirtschaftliche Macht dort beseitigt werden, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs und die ihm innewohnenden Tendenzen zur Leistungssteigerung beeinträchtigt und die bestmögliche Versorgung der Verbraucher in Frage stellt. Dazu gehöre es in erster Linie, für andere Unternehmen den Marktzugang offen zu halten. Das Kammergericht sah im konkreten Fall den Missbrauch in zwei Punkten:



Missbrauch auf dem Gerätemarkt durch die fünfjährige Ausschließlichkeitsverpflichtung der Abnehmer, ihre Etiketten nur von Meto zu einem um 30 bis 40 % überhöhten Preis zu beziehen. Der verständige Durchschnittsverbraucher gehe derartige langfristige Bezugsbindungen im Allgemeinen nur ungern ein, insbesondere wenn billigere Konkurrenzprodukte am Markt seien. „Er nimmt diese ungewöhnliche, von der Beschwerdeführerin mit außerordentlichem Nachdruck durchgesetzte Bezugsbindung im vorliegendem Fall nur auf sich, weil er ihre als besonders handlich, zweckmäßig, das Konkurrenzangebot überragend angesehenen Geräte andernfalls nicht kaufen kann und weil die Be-

704

Meto-Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 998.

346

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

schwerdeführerin etwa erforderliche Reparaturen selbst gegen Bezahlung nicht durchführt, wenn der Benutzer andere Etiketten verwendet hat.“705 Auf diese Art und Weise habe sich die Firma Meto erhebliche, langfristig steigende Einnahmen aus dem Absatz von Haftetiketten gesichert, obwohl sie geringere Leistungen anbietet als die Konkurrenz, da ihre Etiketten teurer sind. • Missbrauch auf dem Drittmarkt für Haftetiketten, da durch die Kopplungsbindung andere Hersteller von Haftetiketten von einem Teil des Etikettenmarktes völlig ausgeschlossen werden. In Anlehnung an die Grundsätze des § 18 GWB a. F. vor 1999 vertrat das KG die Auffassung, dass eine Beeinträchtigung Dritter durch das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens gegeben ist, wenn sie wesentlich ist. Als wesentlich wird bereits eine spürbare Beeinflussung der Wettbewerbslage durch das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens angesehen. Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Märkte offen gehalten werden müssen und Kopplungsverträge eine typische Form von Machtmissbrauch zur Zementierung einer marktbeherrschenden Stellung darstellen, dürfen an die Wesentlichkeit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Im konkreten Fall war für die spürbare Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit Dritter von Bedeutung, dass der Etikettenumsatz wertmäßig höher war als der Geräteumsatz. Rechtfertigungsgründe für diese Kopplungsbindung und die dadurch ausgelösten Wettbewerbsbeschränkungen wurden vom KG verneint. Das Gericht kam nach ausführlicher Würdigung der geltend gemachten Rechtfertigungsgründe (kostenloser Wartungs- und Reparaturdienst sowie Qualität der sonstigen auf dem Markt befindlichen Haftetiketten) zu dem Ergebnis, dass laufende Wartungsarbeiten durch die Vertreter der Beschwerdeführerin, ein kostenloser Reparaturdienst nach Ablauf der Garantiezeit von sechs Monaten und die ausschließliche Benutzung von Jedermann-Etiketten zur Erhaltung einer durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Gebrauchsfähigkeit der Jedermann-Preisauszeichner nicht erforderlich seien. Allerdings ist die Missbräuchlichkeit einer Kopplung bei Vorliegen zwingender technischer, gesundheitlicher oder sonstiger Gründe zu verneinen.706 Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall Kombinationstarif. Fall Kombinationstarif (1982)707 In diesem Fall ging es um die Beurteilung eines kombinierten Anzeigentarifs der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten, die in ihrem Hauptverbreitungsgebiet, der Region Stuttgart, eine marktbeherrschende Stellung i.S. des § 22 GWB a. F. vor 1999 besitzen (räumliche Marktabgrenzung). Abweichend von der st. Rspr., die dazu tendiert, die Kopplung marktbeherrschender Unternehmen als per se missbräuchlich anzusehen, hat der BGH in diesem Fall in den Missbrauchstatbestand des § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB einen sachlichen Rechtfertigungsgrund (Rationalisierung und Sanierung) hineininterpretiert.708 Die Monopolkommission709 spricht in 705 706 707 708

Meto-Handpreisauszeichner, in: WuW/E OLG 999. Vgl. Bunte, op. cit., S. 424 f. WuW/E EU-R 1259 ff. Vgl. Kombinationstarif, in: WuW/E OLG 2126 ff. und BGH 1965 ff. (s. dazu im Einzelnen 2. Aufl. dieses Lehrbuchs S. 257–259). Vgl. dazu die kritische Anmerkung von Markert, Kurt, in: WuW/E BGH 1970 ff., insbesondere 1971.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

347

ihrer Kritik an dieser Entscheidung von einem Zwangssanierungsbeitrag, da auch Rationalisierungseffekte keinen Zwang rechtfertigen; sie sieht derartige Zwangskombinationstarife generell als missbräuchlich an.

VI. Zur wettbewerbspolitisch adäquaten Erfassung der Behinderungsstrategie Bei der Darstellung der Erfassung der Behinderungsstrategie ist von vier Tatbestandsgruppen ausgegangen worden:



Dem Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen i.e.S. (Behinderung von Konkurrenten), dem Boykott und der Lieferverweigerung, der Preisdiskriminierung sowie dem Ausschließlichkeits- und Kopplungsverhalten.

• • • In dieser Reihenfolge soll eine kurze Bewertung des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums zur Erfassung der Behinderungsstrategie vorgenommen werden.

1.

Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen

Die Darstellung der wichtigsten Fälle zeigt, dass sich – abgesehen von dem nicht durch eine formelle Verfügung abgeschlossenen Missbrauchsverfahren gegen die vier internationalen vertikal integrierten Mineralölkonzerne wegen diskriminierenden Lieferverhaltens – alle Missbrauchsverfügungen nur gegen Einzelunternehmen gerichtet haben. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass es bisher noch nicht gelungen ist, marktbeherrschende Unternehmensgruppen i.S. des § 19 II GWB unter das Gesetz zu subsumieren. Abgesehen von den Schwierigkeiten des Nachweises einer marktbeherrschenden Stellung wirft der Nachweis eines Missbrauches große Probleme auf, da es keine hinreichend exakten Kriterien für die Abgrenzung eines wettbewerbskonformen von einem wettbewerbsinkonformen Verhalten gibt. Der Versuch einer solchen Abgrenzung gleicht einer Gratwanderung. Entsprechend gering ist die Zahl der Missbrauchsverfahren in der BRD, auch wenn man eine gewisse fleet-in-beding-Wirkung in Rechnung stellt.710 Anders als Art. 102 EGV wird § 19 GWB durch § 20 GWB ergänzt, in welchem der Normadressatenkreis auf Unternehmen mit relativer Marktmacht aufgrund nicht ausreichender und zumutbarer Alternativen (§ 20 II GWB) und überlegener Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (§ 20 IV GWB) ausgeweitet worden ist. Im europäischen Kartellrecht fehlt eine entsprechende Regelung.

709 710

Vgl. Monopolkommission, 5. HGA 1982/83, op. cit., Tz. 413 f. Vgl. Monopolkommission, 12. HGA 1996/97, op.cit., Tz. 303–306.

348

2.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

Boykott und Lieferverweigerung

Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist im GWB im Hinblick auf die Zulässigkeit von Boykotten und Lieferverweigerungen durch eine Reihe von Bestimmungen eingeschränkt. (1) Die Aufforderung zur Liefer- oder Bezugssperre nach § 21 Abs. 1 GWB ist nur dann verboten, wenn sie in der Absicht vorgenommen wird, bestimmte Unternehmen unbillig zu beeinträchtigen. Dabei weist insbesondere der Nachweis der rechtswidrigen Absicht, einem inneren Tatbestandsmerkmal, erhebliche Beweiswürdigungsprobleme für die Tatsachenfeststellung auf, da die Feststellung der einfachen Kausalität zwischen der Zufügung eines Nachteils und dem Verhalten des Benachteiligten dafür nicht ausreicht, sondern eine subjektive Zielsetzung hinzutreten muss. (2) Individuelle Liefersperren marktbeherrschender Unternehmen zur vertikalen Preisbeeinflussung oder zur Beschränkung der Vertriebswege werden von der Generalklausel des § 19 GWB. erfasst, wenn sie sich als missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht darstellen. Die Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Rechtsvorschrift liegen nach Einführung von Legalvermutungen für das Marktbeherrschungskriterium heute im Wesentlichen bei der restriktiven Auslegung der Missbrauchsklausel und der dabei vorzunehmenden Interessenabwägung durch das BKartA und die Gerichte, wobei nach wie vor die Handlungsfreiheit und die wirtschaftlichen Interessen des marktbeherrschenden Unternehmens überbetont werden. (3) Die individuelle Liefersperre zur Preisbeeinflussung verstößt gegen das generelle Druckverbot des § 21 Abs. 2 GWB, wodurch die Entschließungsfreiheit auf den nachgelagerten Wirtschaftsstufen aufrechterhalten und gesichert werden soll. In der Verhängung einer Liefersperre ist die intensivste und schwerwiegendste Form des wirtschaftlichen Druckes zu sehen. Ähnlich wie bei der Erfassung der Anstiftung zum Boykott in § 21 Abs. 1 GWB wirft der notwendige Nachweis der rechtswidrigen Absicht, einem sog. inneren Tatbestandsmerkmal, allerdings erhebliche Beweiswürdigungsprobleme für die Tatsachenfeststellung auf, was diese Vorschrift ebenfalls nicht besonders wirksam sein lässt. Zudem zeigt sich, dass die Unternehmen das generelle Druckverbot des § 21 Abs. 2 GWB im Falle einer dem Produzenten nicht genehmen Preispolitik dadurch zu umgehen versuchen, dass sie das fragliche Unternehmen (endgültig) nicht mehr beliefern, so dass sie dann nur noch dem eingeschränkten Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB unterliegen. (4) Die Liefer- bzw. Bezugsverweigerung zur Beschränkung der Vertriebswege ist nur marktbeherrschenden und preisbindenden Unternehmen sowie legalisierten Kartellen verboten, soweit dadurch andere Unternehmen unbillig behindert oder sachlich nicht gerechtfertigt unterschiedlich behandelt werden. Damit soll bei Trägern wirtschaftlicher Macht ein Missbrauch dieser Macht durch Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit anderer Unternehmen verhindert werden. Bei der Frage der unbilligen Behinderung bzw. sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung kommt es nach ständiger Rechtsprechung – unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB – entscheidend auf eine Abwägung der beiderseitigen, sich im Einzelfall gegenüberstehenden wirtschaftlichen Individualinteressen des diskriminierten und des diskriminierenden Unternehmens an. Dabei ist bis in die jüngste Vergangenheit der Gesichtspunkt des Institutionsschutzes und damit einer besseren oder billigeren Verbraucherversorgung bei der Interessenabwägung praktisch nicht zum Tragen gekommen. Vielmehr ist die Vertragsfreiheit der Normadressaten

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

349

im Rahmen der Interessenabwägung überbetont und damit der Institutionsschutzgedanke vernachlässigt worden. Erst mit der Erweiterung des Kreises der Normadressaten durch den Abhängigkeitstatbestand des § 20 Abs. 2 GWB sowie der neuesten Rechtsprechung in den Fällen Allkauf-Nordmende, adidas und Arzneimittel711 bahnt sich eine Entwicklung an, die in stärkerem Maße die Interessen der diskriminierten Unternehmen an einer Belieferung im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt.712 (5) Im europäischen Kartellrecht fällt der sog. Gruppenboykott unter das grundsätzliche Kartellverbot des Art. 101 I EGV; die Veranlassung zur Liefer- oder Bezugssperre (vgl. § 21 Abs. 1 GWB) könnte als eine gemischt horizontal-vertikale Absprache i.S. des Art. 101 EGV angesehen werden (sog. secondary boycott).713 Die bloße individuelle Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung oder Beschränkung der Vertriebswege unterliegt nur im Falle der Marktbeherrschung dem Missbrauchsverbot des Art. 102 EGV.

3.

Preisdiskriminierung

Die Preisdifferenzierung kann in den Händen von Trägern wirtschaftlicher Macht dazu dienen, den Wettbewerb durch unbillige Behinderung oder sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung anderer Unternehmen zu beschränken. Anders als Art. 102 EGV wird § 19 GWB durch § 20 GWB ergänzt, in welchem der Normadressatenkreis auf Unternehmen mit relativer Marktmacht aufgrund nicht ausreichender und zumutbarer Alternativen (§ 20 II GWB) und überlegener Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (§ 20 IV GWB) ausgeweitet worden ist. Die dabei im Rahmen des Diskriminierungsverbotes vorzunehmende Abwägung zwischen den Interessen des behindernden und des behinderten Unternehmens unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB hat i. d. R. nicht zu wettbewerbspolitisch befriedigenden Ergebnissen geführt. (1) Vielmehr wird von den Gerichten – im Gegensatz zum Bundeskartellamt – beim Schutz des Verkäuferwettbewerbs (first line competition) die Vertragsfreiheit der Normadressaten im Rahmen der Interessenabwägung überbetont und damit der Institutionsschutzgedanke weitgehend nicht berücksichtigt.714 Zwar sind auch marktbeherrschende Unternehmen i.S. des Normadressatenkreises des § 20 Abs. 1 GWB innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen in der Gestaltung ihrer Absatzpolitik frei, jedoch müssen im Rahmen der Interessenabwägung auch die legitimen Interessen der durch das Diskriminierungsverbot geschütz711 712

713 714

Vgl. Allkauf/Nordmende, in: WuW/E BGH 1567 ff., adidas, in: WuW/E BGH 1885 ff. und Arzneimittel, in: WuW/E BGH 2990 ff. Vgl. die Grundsätze des BKartA zur Anwendung des erweiterten Diskriminierungsverbotes im Tätigkeitsbericht 1976, in: BTDr 8/704, S. 30 f., wo im Hinblick auf eine Lieferpflicht darauf abgestellt wird, ob der Händler die Waren in seinem Sortiment führen müsse, um auf dem betreffenden Markt wettbewerbsfähig zu sein. Deshalb komme es darauf an, ob die Vollständigkeit einer oder mehrerer führender Marken im Sortiment auf Grund der typischen Verbrauchererwartungen auf dem betreffenden Markt Voraussetzung für die Wettbewerbstätigkeit des Händlers ist. Vgl. Belgische Tapetenhersteller, in: WuW/E EWG/MUV 379 ff. Die Rechtsprechung des KG in den Fällen Springer/Tagesspiegel, Rama-Mädchen und Sonntag Aktuell ist dafür exemplarisch. Lediglich der vom Bundeskartellamt entschiedene und vom Kammergericht Ende 1980 grundsätzlich bestätigte Fall Effem-Tierfertignahrung kann als ein Schritt in die richtige Richtung gedeutet werden.

350

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

ten Unternehmen einbezogen werden; dabei muss sich ein Unternehmen um so größere Einschränkungen seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, je mächtiger es ist. (2) Dagegen steht beim Schutz des Käuferwettbewerbs (second line competition) im Gegensatz zum first line competition der Individualschutz im Vordergrund, wobei in der Vergangenheit eine herstellerfreundliche Interessenabwägung insoweit vorgenommen wurde, als fast jede vernünftige kaufmännische oder betriebswirtschaftliche Erwägung des Produzenten als ein sachlicher Rechtfertigungsgrund angesehen wurde; damit war jedes Unternehmen im Regelfall in der Gestaltung seiner Absatzpolitik völlig frei. (3) Es ist bisher noch nicht gelungen, durch marktmächtige Nachfrager erzwungene Diskriminierungen unter das Gesetz zu subsumieren und die Besonderheiten des Nachfragewettbewerbs (tendenzieller Nachfrageüberhang und damit Einschränkung des Wettbewerbs der Nachfrager sowie eine geringere Flexibilität der Anbieter im Hinblick auf Produktionsumstellungen als des Handels im Hinblick auf Änderungen des Sortiments) zu berücksichtigen. Daher ist mit der Einführung der Abhängigkeitsvermutung in § 20 Abs. 2 Satz 2 GWB und des Verbotes zur Aufforderung oder Veranlassung von Preisdiskriminierungen in § 20 Abs. 3 GWB ein Schritt in die richtige Richtung erfolgt (vgl. den Fall Metro Konditionenanpassung715).

4.

Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen

Die wettbewerbspolitischen Kriterien, die für die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Ausschließlichkeits- und Kopplungsverträgen verwendet werden, sind weitgehend die gleichen:

• •

Die Marktstellung des bindenden Unternehmens, die Verbreitung derartiger Bindungen auf dem relevanten Markt, die im Hinblick auf das Ausmaß der Behinderung dritter Unternehmen beim Marktzutritt von Bedeutung ist (sog. Marktschließungseffekt), sowie die Dauer der Verträge und der Grad der Ausschließlichkeit bzw. Kopplung.

• Wenngleich insbesondere Ausschließlichkeitsbindungen auf den Märkten für Bier, Kraftfahrzeuge und Mineralölprodukte sehr weit verbreitet sind und dazu dienen, vor- und nachgelagerte Märkte nach den wirtschaftlichen Interessen des bindenden Unternehmens zu organisieren, indem tatsächlichen oder potentiellen Konkurrenten der Zugang zum Markt versperrt wird und dadurch Absatzmärkte gesichert und Risiken auf die Vertragspartner überwälzt werden, muss die Zahl der auf die §§ 18 bzw. 16 GWB a. F. bzw. § 19 GWB gestützten Missbrauchsverfahren als vergleichsweise minimal bezeichnet werden. D.h., die Kontrolle von Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen ist nahezu wirkungslos geblieben. Die im Hinblick auf die Unbilligkeit der Beschränkung notwendige Interessenabwägung zwischen dem bindenden und dem gebundenen Unternehmen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB funktioniert offensichtlich nicht, da die Rechtsprechung dazu neigt, die wirtschaftlichen Interessen des bindenden Unternehmens in den Vordergrund zu stellen und nur in Extremfällen zu intervenieren.

715

Vgl. Metro Konditionenanpassung, in: WuW/E DE-V 94 ff., DE-R 699 ff. und 984 ff.

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

351

Es bleibt abzuwarten, wie sich die mit der 7. GWB-Novelle erfolgte Subsumtion vertikaler Verträge unter das erweiterte Verbot des § 1 GWB und die Möglichkeit der Legalausnahme i.S. des § 2 GWB wettbewerbspolitisch auswirken werden.

Übungsfragen zum 12. Kapitel 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Welchen Schutzzweck haben § 19 GWB und Art. 102 EGV, und welche Maßnahmen können die Kartellbehörden gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen bei Verletzung des Schutzzweckes verhängen? Was ist unter Marktbeherrschung i.S. des § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV zu verstehen? Wie ist der unbestimmte Rechtsbegriff Missbrauch in § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV konkretisiert worden? Erläutern Sie die wettbewerbspolitische Problematik der Sogwirkung einer progressiven Bonusstaffel im Fall Effem-Tierfertignahrung. Warum wird die Vertragsfreiheit der Unternehmen im Hinblick auf kollektive und individuelle Boykotte oder Lieferverweigerungen im deutschen Kartellrecht eingeschränkt? Erörtern Sie die wettbewerbspolitische Problematik der individuellen Lieferverweigerung zur Beschränkung der Vertriebswege und deren Erfassung im GWB. Diskutieren Sie am Beispiel adidas, in welchen Fällen ein Kontrahierungszwang wettbewerbspolitisch notwendig erscheint. Inwiefern kann eine Preisdifferenzierung wettbewerbspolitische Probleme aufwerfen, wenn man davon ausgeht, dass Preisdifferenzierungen einer Wettbewerbswirtschaft wesensimmanent sind? Warum ist das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB – abweichend von sec. 2 Clayton Act – auf Träger wirtschaftlicher Macht beschränkt? Welche Auswirkungen hat eine Preisdifferenzierung auf den Wettbewerb unter Verkäufern (first line competition), und wie sind diese Auswirkungen rechtlich zu erfassen bzw. zu beurteilen? Welche Auswirkungen hat eine Preisdifferenzierung auf den Wettbewerb unter den Käufern (second line competition)? Wägen Sie die Interessen des diskriminierenden und des diskriminierten Unternehmens im Falle Asbach ab, und gehen Sie dabei auch auf die unterschiedlichen Positionen der an dem Verfahren beteiligten Gerichte ein. Diskutieren Sie die unterschiedlichen Positionen, die gegenüber einer auf Veranlassung des Nachfragers erfolgten Preisdifferenzierung vertreten werden. Ist es gerechtfertigt, Nachfragemacht anders zu beurteilen als Anbietermacht? Unter welchen Voraussetzungen können Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen von den Kartellbehörden für unwirksam erklärt werden? Welche Rechtsvorschriften kommen dabei zur Anwendung? Exemplifizieren Sie am Beispiel des Falles VW-Identteile die wettbewerbspolitische Problematik sog. Ausschließlichkeitsbindungen. Nehmen Sie eine kurze Bewertung des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums zur Erfassung der vier Tatbestandsgruppen der Behinderungsstrategie vor, das sind:

352

12. Kapitel: Fälle zur Behinderungsstrategie

– Der Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen gegenüber Konkurrenten, – der Boykott und die Lieferverweigerung, – die Preisdiskriminierung sowie – das Ausschließlichkeits- und Kopplungsverhalten. 17. Was hat sich bei allen vier Tatbestandsgruppen als der entscheidende Punkt im Verhältnis von behinderndem und behinderten Unternehmen herausgeschält?

Weiterführende Literaturhinweise zum 12. Kapitel Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr.147/2000: Verkauf unter Einstandspreis, in: WuW 50 (2000), S. 1221 ff. Emmerich, Volker, Fälle zum Wettbewerbsrecht, 4. neu bearb. Aufl., München 2000, S. 87– 116. FIW (Hrsg.), Wettbewerbsbeschränkung in der Nachfrage, Köln u.a. 1985. Kirschner, Ulrich, Die Erfassung der Nachfragemacht von Handelsunternehmen: Eine Analyse der ökonomischen Beurteilungskriterien und der wettbewerbsrechtlichen Instrumente im Bereich der Verhaltenskontrolle, Hohenheimer Volkswirtschaftliche Schriften Bd. 8, Frankfurt/M. u.a. 1988. Kurz, Rudi, und Lothar Rall, Behinderungsmissbrauch: Probleme einer ordnungskonformen Konkretisierung, Tübingen 1983, S. 98 ff. Markert, Kurt, Kartellrechtsanwendung im Kraftstoffbereich: Zwischen Verbraucher- und Mittelstandsschutz, Sonderdruck zum 75-jährigen Gründungsjubiläum der UNITI, Hamburg 2002. Monopolkommission, Sondergutachten 1: Anwendung und Möglichkeiten der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle, Baden-Baden 1975. dies., Sondergutachten 7: Mißbräuche der Nachfragemacht und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Baden-Baden 1977, Tz. 132–173 und 211–235. Säcker, Franz Jürgen, Fallbuch: Kartellrecht – Wettbewerbsrecht – Markenrecht, München 2001. ders. und Maik Wolf, Deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht: case by case, Frankfurt a. M. 2008. Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht: Eine vergleichende Untersuchung und kritische Analyse der Rechtsprechung gegenüber Tatbeständen des externen und internen Unternehmenswachstums sowie des Behinderungswettbewerbs, Berlin 1973, S. 87–94 und 184–342. ders., Handelskonzentration, Nachfragemacht und 6. GWB-Novelle, in: Wirtschaft und Wettbewerb 47. Jg. (1997), S. 101 ff. ders., Hauptprobleme der 7. Kartellnovelle: Die wettbewerbspolitische Wende, in: Wirtschaftsdienst 85 Jg. (2005), S. 536 ff.

13. Kapitel: Die wettbewerbspolitische Erfassung der Konzentrationsstrategie, exemplifiziert an Fall-Entscheidungen I.

Einleitung

Wie in Teil 2 ausgeführt, wird unter Konzentrationsstrategie die faktische Beschränkung der wettbewerbsrelevanten Handlungs- oder Entschließungsfreiheit in Bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter aufgrund einer Verminderung der Zahl der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger durch externes oder überproportionales internes Unternehmenswachstum verstanden. Im Hinblick auf die Erfassung und Kontrolle derartiger „Wettbewerbsbeschränkungen durch Zustand“ sind grundsätzlich zwei verschiedene wettbewerbspolitische und -rechtliche Ansätze möglich:



Inkaufnahme der Herausbildung nicht-kompetitiver Marktstrukturen durch externes oder überproportionales internes Unternehmenswachstum und eine bloße ex post-Missbrauchsaufsicht, die die Marktergebnisse nach einem Als-ob-Maßstab korrigieren soll (regulation approach) oder • Aufrechterhaltung einer kompetitiven Marktstruktur durch Fusionskontrolle (bzw. Entflechtung), die eine korrektive Missbrauchsaufsicht überflüssig macht (structure approach). Bis zur Zweiten GWB-Novelle enthielt das GWB nur eine Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen i.S. des § 22 GWB a. F. vor 1999, wonach die Behinderung von Mitbewerbern (sog. Behinderungsmissbrauch – s. 6 Kap.) sowie die Ausbeutung vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen (sog. Ausbeutungsmissbrauch) qua Missbrauchsverfügung von den Kartellbehörden untersagt werden konnte.716 Diese Philosophie hat sich erst im Jahre 1973 mit der Zweiten GWB-Novelle geändert, als eine Kontrolle von großen Zusammenschlüssen eingeführt wurde, die das Entstehen oder die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 22 (neu: 19) GWB erwarten lassen. Damit wird nunmehr das Entstehen von Marktmacht mittels Großfusion zumindest als gefährlich für den Wettbewerb betrachtet. Eine europäische Fusionskontrolle ist erst 1989 eingeführt worden.

716

Bei der Unterscheidung zwischen Behinderungs- und Ausbeutungsmissbrauch darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass: – beide Formen häufig zusammen auftreten (sog. Strukturmissbrauch, z.B. im Falle einer regionalen Preisdifferenzierung oder Kopplungs- und Ausschließlichkeitsbindungen, die zu überhöhten Preisen für die Abnehmer führen) bzw. – ein Ausbeutungsmissbrauch häufig auf einem früheren Behinderungsmissbrauch beruht, der zu einer Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand geführt hat; Ausbeutungsmissbrauch kann allerdings auch die Folge einer unkontrollierten Konzentrationsstrategie sein.

354

II.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Der Ausbeutungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen

Nach § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV kann die Kartellbehörde marktbeherrschenden Unternehmen ein missbräuchliches Verhalten untersagen, um die sog. Ausbeutung vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen (vertikal) zu verhindern.717 Die wettbewerbspolitische Problematik der Erfassung des sog. Ausbeutungsmissbrauchs im Rahmen der Missbrauchsaufsicht soll anhand der Verfahren gegen die Mineralölwirtschaft (1974), United Brands/Chiquita Bananen (1978) und die pharmazeutische Industrie (1980) sowie neuerdings die Lufthansa (1999) exemplifiziert werden. Fall Zweites Benzinpreisverfahren (1974)718 Ähnlich wie während der Suezkrise im Jahre 1967 hatten sich in der Zeit von Oktober 1973 bis Frühjahr 1974 Versorgungsengpässe gezeigt, die sowohl zu starken Preissteigerungen als auch zu Verknappungserscheinungen führten, was die Einführung eines mehrmaligen Sonntagsfahrverbotes zur Folge hatte. Das Ausmaß dieser Krise wurde nicht nur der Politik der Ölförderländer, sondern auch der monopolistischen Preispolitik der internationalen Mineralölkonzerne angelastet. So hatten die führenden Mineralölunternehmen in der Bundesrepublik in der Zeit von Oktober 1973 bis Frühjahr 1974 ihre Tankstellenpreise für Vergaserkraftstoffe um 13 Pfennige und gleichzeitig die Verbraucherpreise für leichtes Heizöl um etwa 14 Pfennige je Liter heraufgesetzt, was mit entsprechend gestiegenen Beschaffungskosten für Rohöl und Mineralölfertigprodukte von ausländischen Schwesterfirmen begründet wurde. Gleichzeitig wurde jedoch bekannt, dass die Muttergesellschaften insbesondere im 4. Quartal 1973 sehr hohe Gewinne (bis zu 300 % mehr als im Vorjahr!) hatten, die insbesondere auf dem europäischen Markt angefallen waren.719 Ferner wurde durch die Veröffentlichung einer internationalen 717

718

719

Vgl. Emmerich, Volker, Kartellrecht: Ein Studienbuch, 11. Aufl., München 2008, S. 368 ff.; Bunte, HermannJosef, Kartellrecht mit neuem Vergaberecht: Lehrbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl., München 2008, §§ 6 und 10, sowie Rittner, Fritz, und Michael Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht: Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts für Studium und Praxis, 7., völlig neubearbeitete Auflage, Heidelberg 2008, § 13. Vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten 1: Anwendung und Möglichkeiten der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle, Baden-Baden 1975, Tz. 35–38, sowie das jeweilige Kapitel zur Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen in den HGAs der Monopolkommission (vgl. Weiterführende Literaturhinweise zum 8. Kapitel). Vgl. Zweites Benzinpreisverfahren, in: WuW/E OLG 1467 ff.; vgl. dazu Tätigkeitsbericht BKartA 1974, supra, S. 10 ff. und 42 ff., sowie Kirberger, Wolfgang, und Peter Oberender, Die Benzinpreiserhöhung im Frühjahr 1974 (I) und (II), in: WiSt 8 (1979), S. 137 ff. und 191 ff. Vgl. zu den Wettbewerbsproblemen der Mineralölwirtschaft auch Barnikel, Hans-Heinrich, Probleme der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht in der Mineralölwirtschaft in der BRD, in: Wettbewerbsprobleme der Mineralölwirtschaft im Schatten des OPEC-Kartells, hrsg. von Burkhardt Röper, Berlin 1979, S. 108 ff., und Gröner, Helmut, Ölkrise und Marktmacht, in: ORDO 26 (1975), S. 171 ff. Die gleiche Entwicklung findet sich auch während der 3. Erdölkrise im Jahr 1979/80, als die ebenfalls sehr starken Preissteigerungen für Benzin und Heizöl wiederum mit den angeblich stark gestiegenen Kosten begründet wurden, gleichzeitig jedoch aus der Wirtschaftspresse Berichte über eine sprunghafte Gewinnerhöhung der ausländischen Muttergesellschaften bekannt wurden. Angesichts der schlechten Erfahrungen während der 2. Erdölkrise im Jahre 1973/74 hat das Bundeskartellamt bei dieser 3. Versorgungskrise auf die Einleitung eines formellen Missbrauchsverfahrens nach § 22 GWB verzichtet, da die Rechtskraft einer Missbrauchsverfügung erst so spät eintreten würde, dass die sich ständig än-

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

355

Fachzeitschrift bekannt, dass die Kosten für eine stark nachgefragte Rohölsorte um höchstens DM 120,– je t gestiegen waren, während die Mineralölunternehmen ihre Tankstellenpreise für Vergaserkraftstoffe im Ausmaß von DM 160,– je t erhöht hatten. Angesichts dieser widersprüchlichen Informationen über die Kosten- und Gewinnentwicklung sowie der Preispolitik der multinationalen Unternehmen leitete das Bundeskartellamt gegen die sechs großen damals in der Bundesrepublik tätigen Mineralölunternehmen: Texaco, BP, Shell und Esso sowie Gelsenberg und VEBA (ARAL), ein Verfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch Fordern zu hoher Preise i.S. des § 22 GWB a. F. vor 1999 ein. Im Rahmen dieses Missbrauchsverfahrens setzte das Bundeskartellamt für Ende März/Anfang April 1974 eine öffentliche Anhörung an, um das Preisgeschehen auf den Mineralölmärkten transparenter zu machen. In diesem Hearing wandten sich die betroffenen Unternehmen sowohl gegen den Vorwurf der Marktbeherrschung, die das Bundeskartellamt zumindest während der Knappheitsperiode als gegeben angenommen hatte, als auch gegen den Missbrauchsverdacht. Sie versuchten dem mit detaillierten Kostenrechnungen zu begegnen, wonach die Preiserhöhungen nicht einmal ausreichten, die nach der letzten Rohölverteuerung eingetretenen Kostensteigerungen abzudecken. Die Unternehmen hielten es angesichts der nur in geringen Grenzen beeinflussbaren Kuppelproduktion auch für gerechtfertigt, Mindererlöse bei unter besonderem Wettbewerbsdruck stehenden Produkten durch höhere Preise bei anderen Erzeugnissen auszugleichen (Mischkalkulation als Rechtfertigung für überhöhte Preise). Die Mineralölunternehmen wandten sich auch gegen die als sog. Sockeltheorie bezeichnete Methode des BKartA, die durch einen Kosten-Erlös-Vergleich zwischen Krisensituation und normalen Wettbewerbslagen festgestellten Zusatzgewinne als Missbrauch zu werten, weil dadurch Verluste der Vorjahre festgeschrieben werden würden. Das Bundeskartellamt stand angesichts der Kuppelproduktion vor dem Problem einer verursachungsgerechten Zurechnung der Kosten auf die einzelnen Erzeugnisse, wobei es den von den Unternehmen in der Vergangenheit zugrunde gelegten Kostenverteilungsschlüssel akzeptierte. Das Hearing brachte keine Aufklärung in der Kernfrage, wie sich die Rohölbeschaffungskosten der Muttergesellschaften tatsächlich entwickelten, zumal es keine echten Marktpreise für Rohöl gibt – sieht man einmal von dem Spotmarkt Rotterdam ab. Insofern konnte der Verdacht des Bundeskartellamtes, dass die konzerninternen Verrechnungspreise als ein Instrument zur Gewinnverlagerung zwischen Muttergesellschaft und ausländischen Tochtergesellschaften dienen (wofür die enormen Gewinnsteigerungen der Muttergesellschaften sprachen), nicht belegt werden. In der Zwischenzeit trat jedoch eine Veränderung der Marktverhältnisse ein: rasch sinkende Notierungen in Rotterdam führten zu beträchtlichen Ermäßigungen der inländischen Tankstellenpreise. Das Bundeskartellamt stellte daher das Missbrauchsverfahren ein. Einige Tage nach Abschluss der Hearings wiesen die Mineralölgesellschaften auf die Notwendigkeit weiterer Benzinpreiserhöhungen hin, da der Absatz von leichtem Heizöl stagniere und die Heizölpreise erheblich zurückgegangen seien. Die daher notwendige Einschränkung der Raffineriekapazität mache den Import von teurem Benzin notwendig. Am 10. April erhöhten die BP und – ihr sofort folgend – die Texaco ihre Benzinpreise in sog. Verbrauchsschwerpunkten um 1 Pfennig pro Liter. Esso und Shell folgten dieser Preiserhöhung am dernden Daten und die spezifischen Verhältnisse auf den Mineralölmärkten den zugrundeliegenden Sachverhalt entfallen ließen, so dass eine solche Verfügung zwangsläufig aufgehoben worden wäre.

356

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

16. April 1974. Das Bundeskartellamt kündigte BP und Texaco sowie Esso und Shell an, die am 10. April 1974 vorgenommenen Benzinpreiserhöhungen durch einstweilige Anordnung für missbräuchlich zu erklären. Daraufhin nahm die deutsche Shell AG den Benzinpreis vorläufig für die Dauer von 4 Wochen um 1 Pfennig zurück; Esso wollte die erst bei 5 % der Tankstellen wirksam gewordenen Preiserhöhungen auf diesem Stand einfrieren. Da BP und Texaco an ihrer Preispolitik festhielten, erging gegen die beiden Gesellschaften die angekündigte einstweilige Anordnung, worin die Unternehmen aufgefordert wurden, ihre Tankstellenpreise für Benzin auf den Stand vor dem 9. April zurückzunehmen. Wenige Tage später fanden nochmals öffentliche mündliche Verhandlungen statt, um die Entscheidung in der Hauptsache vorzubereiten. Da Texaco der einstweiligen Anordnung weitgehend nachkam, wurde das Missbrauchsverfahren gegen dieses Unternehmen eingestellt. BP wurde dagegen durch Missbrauchsverfügung die Erhöhung der Preise für Vergaserkraftstoffe untersagt; diese Verfügung wurde für sofort vollziehbar erklärt. Das Bundeskartellamt sah in seiner Missbrauchsverfügung BP gemeinsam mit den 4 anderen führenden Mineralölkonzernen (Texaco, Esso, Shell und ARAL) als marktbeherrschende Oligopolgruppe i.S. des § 22 Abs. 2 GWB an, die gegenüber anderen (kleineren) Anbietern eine überragende Marktstellung mit knapp 75 % Marktanteil besitze. Damit seien die Voraussetzungen der Oligopolvermutung i.S. des § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 b GWB erfüllt. Darüber hinaus wurde das tatsächliche Fehlen von wesentlichem Wettbewerb vom Bundeskartellamt mit folgenden Punkten begründet:

• • •

die durchweg gleichförmige Preispolitik in den vergangenen Monaten, die überproportionale Preiserhöhung bei Vergaserkraftstoffen Anfang des Jahres und die weitgehende Abhängigkeit der meisten Mineralölhandelsunternehmen von den 5 führenden Unternehmen. Der Missbrauchsvorwurf wurde vom Bundeskartellamt wie folgt begründet:



Die Gewinnausweise vergleichbarer internationaler Mineralölgesellschaften hätten für das 1. Quartal 1974 keine ungedeckten Kostenüberhänge erkennen lassen, • zusätzliche Kostensteigerungen seien bei den Lieferfirmen von BP bis dahin nicht eingetreten, und • die isolierte Preiserhöhung bei Benzin sei – entgegen dem Preistrend bei den übrigen Mineralölprodukten – nur aufgrund der marktbeherrschenden Stellung erfolgt, wodurch die Mischkalkulation als Rechtfertigungsgrund zurückgewiesen wurde. Das Bundeskartellamt begründete die Notwendigkeit einer sofortigen Vollziehung der Missbrauchsverfügung mit Verbraucherschutzinteressen gegenüber missbräuchlich überhöhten Preisen. Das Kammergericht stellte demgegenüber in seinem Beschluss vom 14.5.1974 die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wieder her, da weder das tatsächliche Fehlen von wesentlichem Wettbewerb noch der Nachweis eines missbräuchlich überhöhten Preises hinreichend begründet seien. Andererseits bestätigte das Kammergericht die Auffassung des Bundeskartellamtes, dass angesichts der veröffentlichten Zahlen über die erheblichen Gewinnsteigerungen der Muttergesellschaft ein gewisser Missbrauchsverdacht bestehen bleibe.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

357

Am 7.8.1974 hat das Bundeskartellamt alle Verfahren gegen die Mineralölindustrie eingestellt, weil zu jener Zeit die Marktentwicklung wiederum weitgehend vom Wettbewerb bestimmt wurde. Fall United Brands/Chiquita Bananen (1978)720 Im Falle Chiquita ging es um den Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für Bananen, der sich in räumlicher Hinsicht aufgrund der in diesen Ländern existierenden homogenen Wettbewerbsbedingungen auf Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Irland, Luxemburg und die Niederlande erstreckte, durch die United Brands Comp. (UBC). Der EuGH stellte fest, dass UBC aufgrund ihrer stark vertikal integrierten Unternehmensstruktur, der Individualität ihrer Marke Chiquita sowie ihres im Vergleich zur Konkurrenz großen Marktanteils über eine wirtschaftliche Macht verfüge, die dem Unternehmen ein hohes Maß an Unabhängigkeit in seinem Verhalten gegenüber den Konkurrenten, Abnehmern und Verbrauchern auf dem relevanten Markt einräume. 721 Der Missbrauch wurde sowohl in diversen Behinderungspraktiken als auch in der Forderung unangemessener Preise und damit in einer Ausbeutung der Marktgegenseite gesehen. Aus der Feststellung, dass die von UBC gegenüber ihren Abnehmern angewandten Preisen manchmal um mehr als 100 % die Preise für die irischen Abnehmer überschritten, zog die EK den Schluss, dass diese Preise zu einem sehr hohen und im Vergleich zum wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung übertriebenen Gewinn führten. Nach Ansicht der EK sei dieser Schluss um so begründeter, als zwischen Bananen der Marke Chiquita und markenlosen Bananen trotz ähnlicher Qualitäten Preisunterschiede von 30 bis 40 Prozent bestünden und die Wettbewerber der UBC, die markenlose Bananen anbieten, rentable Unternehmen seien. Die EK hielt daher eine Herabsetzung des Preisniveaus für Bananen von UBC auf dem relevanten Markt (ohne Irland) um wenigstens 15 % für angebracht. Wenngleich der EuGH im vorliegenden Fall die Missbrauchsverfügung der EK im Hinblick auf überhöhte Preise wegen mangelnder Darlegung des Sachverhalts und der Wertungen aufgehoben hat, so hat er dennoch grundsätzliche Ausführungen zur Feststellung eines Missbrauches im Hinblick auf das Fordern überhöhter Preise gemacht. Nach Ansicht des EuGH ist bei der Frage des Ausbeutungsmissbrauches zu prüfen, ob der Inhaber einer marktbeherrschenden Stellung die sich daraus ergebenden Möglichkeiten benutzt habe, um Vorteile zu erhalten, die er bei einem hinreichend wirksamen Wettbewerb nicht erhalten hätte (Als-Ob-Preis). Eine solche Unverhältnismäßigkeit könnte u.a. objektiv durch einen Vergleich des Verkaufspreises des fraglichen Produktes mit den Gestehungskosten festgestellt werden (Kosten-Gewinnkonzept). Die Feststellung einer solchen Gewinnspanne habe die Kommission jedoch nicht vorgenommen, wobei zu ermitteln gewesen wäre, ob ein übertriebenes Missverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis bestanden hat. Bejahenden Falles wäre zu prüfen gewesen, ob der erzwungene Preis absolut oder im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten (insofern Vergleichsmarktkonzept) unangemessen gewesen war. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Wirtschaftswissenschaften verschiedene Methoden zur Bestimmung von Vergleichspreisen entwickelt haben, wenngleich dabei gelegentlich große 720 721

Vgl. Chiquita Bananen, in WuW/E EV 651 ff. und EWG/MUV 425 ff. Lieferverweigerung eines Vertriebshändlers, der Konkurrenzbananen der Marke Dole vertrieb, und Preisdiskriminierung durch ungleiche Preise für gleichwertige Leistungen.

358

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Schwierigkeiten – z.B. bei der Aufteilung der Fixkosten – aufträten. Im vorliegenden Fall hielt der EuGH es für möglich, die Gestehungskosten annähernd zu ermitteln. Die EK habe es allerdings unterlassen, die Kostenstruktur von UBC zu analysieren. Des Weiteren habe sie mehrere Schreiben von UBC außer Acht gelassen, in denen erklärt wurde, dass die in Irland angewendeten Preise Markteinführungspreise gewesen seien und zu Verlusten geführt hätten. Letztlich sei auch der Preisunterschied von ungefähr 7 % zwischen Chiquita-Bananen und denen der bedeutendsten Konkurrenten nicht übertrieben und daher auch nicht unangemessen. Die Berechnungsgrundlage der EK für den Nachweis überhöhter Preise sei insofern anfechtbar. Der Versuch des EuGH, wettbewerbsgerechte Gewinnspannen wenigstens annähernd durch einen Vergleich mit den Gewinnspannen ähnlicher Industriezweige zu ermitteln, ist jedoch – abgesehen von dem Fixkostenproblem – dadurch problematisch, dass Kostenüberhöhungstendenzen auf Märkten ohne wirksamen Wettbewerb berücksichtigt und abgegolten werden können. Ein Missbrauch kann jedoch auch dann vorliegen, wenn bei gleichen Gewinnspannen infolge eines geringeren Rationalisierungsgrades des marktbeherrschenden Unternehmens dessen Preise über den Vergleichspreisen liegen.722 Neuerdings tendiert der EuGH offenbar mehr zu dem Vergleichsmarktkonzept.723 Preismissbrauchsverfahren sind – außer gegen die Mineralölindustrie – auch gegen die pharmazeutische Industrie (Merck und Hoffmann-La Roche) durchgeführt worden. Dabei sind eine Reihe von ökonomisch und rechtlich interessanten Fragen hinsichtlich der Möglichkeit des Rückschlusses von einem Missbrauch auf das Fehlen von wesentlichem Wettbewerb und die relevante Marktabgrenzung aufgeworfen worden. Die Fälle sind insofern ein Paradebeispiel für die zirkulare Verknüpfung zwischen den drei maßgeblichen Tatbestandsmerkmalen des § 19 GWB: der sachlichen Abgrenzung des relevanten Marktes, dem Nachweis des Fehlens von wesentlichem Wettbewerb (= Vorliegen von Marktbeherrschung) und der missbräuchlichen Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung. Darüber hinaus ging es um die Bewertung der verschiedenen Aktionsparameter im Hinblick auf einen wirksamen 722

723

Man könnte allerdings daran denken, den Kostenüberhöhungsfaktor zu ermitteln, indem man die Einstandspreise für die Produktionsmittel (Löhne, Rohstoffe, Kapitalkosten etc.) auf beiden Märkten mit den Selbstkosten auf beiden Märkten vergleicht; ergeben sich – bei sonst gleichen Bedingungen – erhebliche Abweichungen der Selbstkosten auf beiden Märkten, so sind diese auf einen geringeren Rationalisierungsgrad infolge fehlenden Wettbewerbs als Anspornprinzip zurückzuführen. Der so ermittelte Kostenüberhöhungsfaktor hätte dann bei der Ermittlung des Wettbewerbspreises außer Ansatz zu bleiben. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof z.B. bei der Missbrauchsaufsicht über ein Zementsyndikat davon gesprochen, dass nur betriebsnotwendige Kosten, wie sie auch bei wirksamem Wettbewerb entstehen und abgegolten werden würden, anerkannt werden könnten. Vgl. hierzu die Entscheidungen Tournier, in: Slg. 1989-I, S. 2565 ff., 2577 ff., sowie Lucazeau, in: Slg. 1989-I, S. 2823 ff., 2831 ff. In beiden Fällen klagten die Besitzer von Diskotheken gegen SACEM, die französische Gesellschaft für die Wahrnehmung der Urheberrechte, wegen der Forderung von überzogenen Gebühren für die Aufführung musikalischer Werke. SACEM verfügt über ein tatsächliches absolutes Monopol für die Verwertung der Rechte ihrer Mitglieder. Darüber hinaus hat es SACEM über Verträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften den Diskotheken unmöglich gemacht, unmittelbare vertragliche Beziehungen zu einer ausländischen Verwertungsgesellschaft anzuknüpfen. In diesem Zusammenhang stellte der EuGH fest, dass für den Fall, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen Tarife für die von ihm erbrachten Dienstleistungen erzwinge, die nach einem auf einheitlicher Grundlage vorgenommenen Vergleich erheblich höher seien als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewendeten Tarife, diese Differenz als Indiz für einen Missbrauch der beherrschenden Stellung anzusehen sei, es sei denn, dem betroffenen Unternehmen gelinge es nachzuweisen, dass die Differenz aufgrund objektiver Unterschiede zwischen den Verhältnissen in dem in Rede stehenden Mitgliedstaat und denen in allen übrigen Mitgliedstaaten zu rechtfertigen sei.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

359

Wettbewerbsdruck, der das Verhalten der Unternehmen am Markt kontrolliert und damit zu einer Realisierung der vorgegebenen ökonomischen Wettbewerbsfunktionen beiträgt. Die Arzneimittelmärkte sind durch eine Reihe von Besonderheiten charakterisiert:



Es bestehen sehr große Marktunvollkommenheiten infolge der merklich beschränkten Marktübersicht angesichts der Vielzahl der angebotenen Arzneispezialitäten, des Fehlens eines eigenen finanziellen Interesses der Ärzte, der Verschreibungspraxis nach bestimmten Marken, des Auftretens der Krankenkassen als mittelbare Nachfrager für einen großen Teil der Arzneimittel sowie des unbedingten Vorranges eines tatsächlichen oder vermeintlichen therapeutischen Wertes gegenüber finanziellen Erwägungen. Diese market imperfections haben zu einer preisunelastischen Nachfrage geführt, die den preispolitischen Spielraum der Unternehmen erhöht. • Der teilweise starke Nicht-Preiswettbewerb mit den Aktionsparametern Forschung, Qualität und Werbung hat offensichtlich keine Rückwirkungen auf das Verhalten der Arzneimittelproduzenten; er ist nicht in der Lage, die Kontrollfunktion des Preiswettbewerbs im Hinblick auf Kosten und Preise zu ersetzen, so dass den Arzneimittelherstellern bei dem Vertrieb über öffentliche Apotheken langfristig die Aufrechterhaltung von Preisen möglich ist, die erheblich über den Preisen liegen, die sich bei wirksamem Wettbewerb bilden würden. • Ein Vergleich der Preise bestimmter Arzneimittelgruppen (Penicillin, Vitamin C-Tabletten, Antirheumatika etc.) im Bereich der Krankenhausapotheken mit den öffentlichen Apotheken ergibt Preisdifferenzen von ca. 100 bis 300 % je nach Arzneimittelgruppe; diese wurden vom Bundeskartellamt als Indiz für ein missbräuchliches Marktergebnis gewertet, was nur solche Unternehmen erzielen könnten, die keinem wesentlichem Wettbewerb ausgesetzt sind. • Dieses Ausmaß der Preisüberhöhung steht auch in keinem angemessenen Verhältnis zum Forschungsaufwand, der bei großen Arzneimittelfirmen nur ca. 16 % vom Umsatz beträgt, während ca. 35 % des Umsatzes auf Verkaufs- und Werbeförderungsausgaben entfallen; gleichzeitig beträgt die Umsatzrendite ca. 20 % (!). Das Bundeskartellamt ging in den Pharmazeutikaverfahren von der Überlegung aus, dass in den Fällen, in denen nach einer Analyse von relevantem Markt, Marktstruktur und Marktverhalten Zweifel am Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 22 (neu: 19) GWB bestehen bleiben, diese Zweifel durch eine Analyse des Marktergebnisses behoben werden können. Der Fall Valium exemplifiziert diese Überlegungen. Fall Valium (1980)724 Das Bundeskartellamt hatte Hoffmann-La Roche im Jahre 1974 durch Missbrauchsverfügung aufgegeben, seine Herstellerabgabepreise für Valium um 40 % und für Librium um 35 % zu senken. Bei der Abgrenzung des relevanten Marktes war das Bundeskartellamt von dem 724

Vgl. Valium, in: WuW/E BGH 1445 ff. und 1678 ff.; vgl. dazu Tätigkeitsbericht BKartA 1974, supra, S. 10 f. und 62 ff., sowie Tätigkeitsbericht BKartA 1976, supra S. 24 ff. und 62 ff. Vgl. zur Kritik an diesem Verfahren Schmidt, Ingo, Die Zusammenhänge von relevantem Markt, Marktbeherrschung und Marktergebnis am Beispiel der Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes bei Arzneimitteln, in: JbNSt 190 (1976), S. 67 ff., und Oberender, Peter, Die pharmazeutische Industrie in der Bundesrepublik Deutschland: Eine Fallstudie zur Wettbewerbssituation auf der Angebotsseite des Arzneimittelmarktes, in: JbSozW 28 (1977), S. 163 ff.

360

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Markt für Tranquilizer ausgegangen, auf dem Hoffmann-La Roche Marktanteile von 53,3 % beim Absatz über öffentliche Apotheken und von ca. 85 % beim Absatz über Krankenhäuser kontrollierte; damit lag Hoffmann-La Roche erheblich über der Marktbeherrschungsvermutung des § 22 Abs. 3 Nr. 1 GWB a. F. vor 1999 von einem Drittel. Das Bundeskartellamt hatte die Preisgestaltung von La Roche bei Valium und Librium als missbräuchlich angesehen, da die Preise erheblich über den Preisen lagen, die sich bei wesentlichem Wettbewerb gebildet hätten. Diese Aussage wurde durch einen internationalen Preisvergleich mit den EGStaaten belegt. So lagen beispielsweise die deutschen Valium-Preise um rd. 50 % über denen in Frankreich und Italien und betrugen rd. das Dreifache der Preise in Großbritannien vor der Preissenkungsanordnung der Britischen Regierung vom April 1973. Das Kammergericht hatte im Jahre 1976 den Beschluss des Bundeskartellamtes teilweise abgeändert und Hoffmann-La Roche untersagt, für die Präparate Valium und Librium höhere Herstellerabgabepreise als 72 % der seinerzeit geforderten Preise zu verlangen. Der Bundesgerichtshof war in seiner 1. Entscheidung im Jahre 1976 der Auffassung des Kammergerichts gefolgt, dass Hoffmann-La Roche auf dem relevanten Markt für Psychopharmaka, der aufgrund der funktionellen Austauschbarkeit aus der Sicht der Verbrauchsdisponenten abzugrenzen sei, eine überragende Marktstellung im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern i.S. von § 22 Abs. 1 Nr. 2 GWB habe. Der BGH beanstandete jedoch die Ermittlung des mutmaßlichen Wettbewerbspreises (auf der Grundlage des herangezogenen Vergleichsmarktes) in einzelnen Punkten als rechtsfehlerhaft und wies das Verfahren zwecks weiterer Tatsachenfeststellungen an das Kammergericht zurück. Dabei entwickelte der BGH folgendes Kalkulationsschema einer Missbrauchsgrenze.725 Preis eines Patentverletzers auf dem regionalen Vergleichsmarkt (im Ausland) + Zuschlag für gesetzestreue Billiganbieter = Wettbewerbspreis des Billiganbieters auf dem Vergleichsmarkt + Zuschlag für Marktstrukturunterschiede zwischen Vergleichsmarkt und untersuchtem Markt (einschließlich Währungsdifferenzen) + Zuschlag für altrenommiertes Unternehmen + Zuschlag für forschendes Unternehmen = wettbewerbsanaloger Preis auf dem untersuchten Markt + Erheblichkeitszuschlag = Missbrauchsgrenze Das Kammergericht hatte im Jahre 1978 – aufgrund neuer Beweiserhebung und erneuter Verhandlung – Hoffmann-La Roche untersagt, für die Präparate Valium und Librium höhere Herstellerabgabepreise als 76 % der jetzigen Preise zu fordern. Das Kammergericht war in seiner Entscheidung nunmehr von einer gemeinsamen Beherrschung des Marktes für Tranquilizer durch die Firmen Hoffmann-La Roche, Thomae, Gödecke, Mack und Wyeth i.S. des § 22 Abs. 3 Nr. 2 lit. b GWB ausgegangen, da die Unternehmensgruppe mehr als zwei Drittel des Marktes kontrollierte. Nach Ansicht des Kammergerichts schloss das Vorliegen eines beachtlichen Forschungs-, Innovations- und Qualitätswettbewerbs zwischen diesen Unternehmen die Marktbeherrschung nicht aus, da der Preis von allen Oligopolunternehmen nicht als Wettbewerbsmittel 725

Vgl. Albach, Horst, Zur Messung von Marktmacht und ihres Mißbrauchs, in: WuW 28 (1978), S. 537 ff., 545.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

361

eingesetzt wurde, so dass zwar Marktanteilsverschiebungen zwischen den führenden Unternehmen aufgrund des Nicht-Preiswettbewerbs eintreten konnten, der von den Oligopolunternehmen geforderte Produktpreis aber oberhalb des wettbewerbsanalogen Preises verblieb. Interne Marktanteilsverschiebungen innerhalb der Oligopolgruppe – bedingt durch Innovations-, Qualitäts- und Werbungswettbewerb – könnten die Marktgegenseite nicht vor überhöhten Preisen und Konditionen schützen, da jedem Oligopolunternehmen bewusst sei, dass es durch Preissenkungen nur eine Verschlechterung seiner Erlössituation, aber keinen nennenswerten Marktanteilsgewinn erreiche, der die Erlösverschlechterung lohne. Die Unternehmen der Oligopolgruppe hätten – abgesehen von der Legalvermutung – daher insgesamt eine überragende Marktstellung im Verhältnis zu den übrigen Unternehmen und zur Marktgegenseite. Den Missbrauchsvorwurf begründete das Kammergericht durch einen Rückgriff auf die Preise des niederländischen Arzneimittelherstellers Centrafarm, der den Preis als Wettbewerbsmittel auf dem holländischen Markt für Psychopharmaka einsetzte. Dabei ging das Kammergericht von den Durchschnittserlösen der Firma Centrafarm aus, berücksichtigte höhere Kosten für die Kleinpackungen von Hoffmann-La Roche sowie einen Forschungs-, Renner- und strukturellen Zuschlag sowie schließlich den vom BGH erforderten Erheblichkeitszuschlag. Unter Berücksichtigung all dieser Zuschläge hat das Kammergericht die Missbrauchsgrenze für Valium und Librium auf 76 % der zur Zeit geforderten Preise festgelegt. Der Bundesgerichtshof ließ in seiner endgültigen Entscheidung im Jahre 1980 dahingestellt, ob das Kammergericht zu Recht von einer marktbeherrschenden Oligopolgruppe i.S. des § 22 Abs. 2 GWB ausgegangen sei, da die angefochtenen Beschlüsse schon deshalb keinen Bestand hätten, weil eine missbräuchliche Preisgestaltung von Hoffmann-La Roche nicht festgestellt werden konnte. Der BGH wies darauf hin, dass Voraussetzung für die Anwendung des Vergleichsmarktkonzepts sei, dass die Besonderheiten des zum Vergleich dienenden Marktes durch Zu- oder Abschläge ausgeglichen werden könnten. Der ausländische Markt müsse deshalb im Wesentlichen vergleichbar sein. Würden die Preise nur eines einzigen Unternehmens auf dem ausländischen Markt herangezogen, so dürften die notwendigen Zu- oder Abschläge aber nicht ein solches Ausmaß erreichen, dass der ermittelte Wettbewerbspreis sich überwiegend auf die geschätzten Zu- oder Abschläge stütze. Der BGH sah im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen als nicht erfüllt an und begründete das wie folgt:



Auf dem niederländischen Markt gebe es seit 1977 eine Preisverordnung, die Preiserhöhungen nur bei nachgewiesenen Kostensteigerungen gestatte. • Anders als in der Bundesrepublik Deutschland dürfe der Apotheker in Holland die vom Arzt verordnete kleinere Menge einer Großpackung entnehmen, die er zu günstigeren Preisen – je nach Mengenabnahme mit Rabatten – einkaufe. • Die Firma Centrafarm habe mit ihrem Tranquilizerprodukt im Jahre 1977 nur einen Umsatz von rd. DM 170.000 erzielt. Ein solcher Jahresumsatz sei zu geringfügig, um als ausreichende Vergleichsgrundlage zu dienen. Der Bundesgerichtshof hob daher die Missbrauchsverfügung des Bundeskartellamtes mangels einer geeigneten Vergleichsgrundlage auf.

362

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Fall Lufthansatarife Berlin-Frankfurt (1999)726 Das Bundeskartellamt hatte der Lufthansa untersagt, für die Flugstrecke Berlin-Frankfurt Preise zu fordern, die mehr als 10 DM über den Preisen liegen, die die LH selbst auf der Strecke Berlin-München von gleichartigen Abnehmern verlangt. Aufgrund der Tarifstruktur von November 1997 hätte die Lufthansa den Preis in der Business-Klasse um DM 115,– und in der Economy-Klasse um DM 100,– senken müssen. Das Bundeskartellamt war der Ansicht, dass Lufthansa die höheren Preise auf der Strecke Berlin-Frankfurt/Main nur wegen ihrer beherrschenden Stellung durchsetzen könne, während sie auf der Strecke BerlinMünchen in scharfem Preiswettbewerb mit der Deutschen BA stehe. Das Bundeskartellamt ging von einer Preisspaltung auf vergleichbaren Märkten i.S. von § 19 Abs. 4 lit. 2 GWB aus, die den Missbrauchstatbestand des § 19 GWB erfülle. Lufthansa hatte dagegen geltend gemacht, dass nicht einmal die höheren Preise auf der Strecke Berlin-Frankfurt ihre entstehenden Kosten decken, weshalb es an einem Preismissbrauch fehle (höhere Gebühren und Abfertigungsentgelte sowie strukturbedingte längere Bodenstandszeiten in Frankfurt). Darüber hinaus sei die Strecke Berlin-München wegen einer Verlustpreisstrategie der Deutschen BA, deren Defizite von der Muttergesellschaft British Airways getragen werden, nicht vergleichbar. Das Kammergericht hat die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes auf Beschwerde von Lufthansa aufgehoben, da die Verlustsituation der Deutschen Lufthansa auf der Strecke Berlin-Frankfurt den Vorwurf der missbräuchlichen Preisspaltung i.S. von § 19 Abs. 4 lit. 1 GWB ausschließe. Nach Auffassung des Kammergerichts sei Voraussetzung für einen Preismissbrauch, dass der beanstandete Preis über die langfristig voll zugewiesenen einschlägigen Kosten des Unternehmens einschließlich einer angemessenen Kapitalverzinsung hinausgehe. Dies entspreche auch den Grundsätzen der europäischen Luftverkehrspolitik, den Luftfahrtunternehmen ein gewisses Maß an Gewinn zuzugestehen. Damit hat sich das Kammergericht das Gewinnspannenkonzept des EuGH (vgl. oben 6. Kapitel V.2. b) zu Eigen gemacht; allerdings ist es dem EuGH nicht darin gefolgt, dass die Gewinne des Marktbeherrschers mit den Gewinnen anderer Unternehmen verglichen werden sollen, die diese für vergleichbare Produkte unter der Bedingung wirksamen Wettbewerb erzielen. Der Bundesgerichtshof ist davon ausgegangen, dass die Preisspaltung die Vermutung eines Missbrauches begründe, es sei denn, dass die unterschiedliche Preisgestaltung sachlich gerechtfertigt sei, wobei das preisspaltende Unternehmen bei der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung eine gesteigerte Mitwirkungspflicht treffe. Die Vergleichbarkeit der Flugrouten Berlin/Ffm. und Berlin/München wurde bejaht. Andererseits hat der BGH die Auffassung vertreten, dass auch ein Marktbeherrscher nicht dazu gezwungen werden könnte, seine Leistungen zu nicht kostendeckenden Preisen zu erbringen und damit Verluste zu erleiden. Diese These zur Kostendeckung auch des Marktbeherrschers wird allerdings dadurch relativiert, wenn die Verluste nicht allein auf objektiven, jeden Mitbewerber gleichermaßen treffenden Umständen (z.B. Bodenstandszeiten, Lande- oder Abfertigungsgebühren, Kalkulation des Umsteigerverkehrs in Ffm.), sondern auf unternehmensindividuellen Entscheidungen beruhen, d.h., die Kosten müssen berücksichtigungsfähig sein. Da diese Frage vom Kammergericht nicht geklärt worden sei, sondern stattdessen das Ergebnis der in ihrem Gedankengang nicht eindeutigen und obendrein lü-

726

Vgl. Lufthansatarife Berlin-Frankfurt, in: WuW/E BKartA 2875 ff., DE-R 124 ff. und 375 ff.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

363

ckenhaften Berechnungen der Fluggesellschaften sei, hat der BGH die Sache an das Kammergericht zur Aufklärung des Sachverhaltes zurückverwiesen. Der Fall exemplifiziert die Problematik von Wettbewerbspreis versus Kostenpreis plus Gewinnaufschlag. Das Bundeskartellamt hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kostenpreis des Kammergerichts die Ermittlung angemessener Kosten zuzüglich einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals voraussetze und damit konzeptionell fragwürdig sei.727 Kosten könnten für die Missbrauchsaufsicht nur eingeschränkt als Maßstab dienen, da sie von marktbeherrschenden, d.h. nicht dem Kostendruck durch Wettbewerb ausgesetzten Unternehmen in erheblichem Umfang beliebig zugerechnet (Problem der Verteilung der Gemeinkosten) oder gar produziert werden könnten (Problem der X-Ineffizienz). Nach Auffassung des Bundeskartellamtes können maßgeblich nur die Preise sein, die ein marktbeherrschendes Unternehmen bei wirksamem Wettbewerb durchsetzen könne. Sowohl Kammergericht als auch BGH haben offenbar Schwierigkeiten, diesem methodisch richtigen Ansatz zu folgen. Der Fall ist Ende 2002 aufgrund der aktuellen Entwicklung im Luftverkehr für erledigt erklärt worden. Er ist ein Paradebeispiel dafür, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen einen Missbrauch sowohl durch das Fordern zu hoher als auch zu niedriger Preise begehen kann (vgl. den im 14. Kap. dargestellten Fall Lufthansa/Germania).

III. Erfassung des externen Unternehmenswachstums728 Die schlechten Erfahrungen mit dem regulation approach im Hinblick auf die Korrektur der Marktergebnisse nach einem Als-ob-Maßstab unterstreichen die Bedeutung des structure approach, der auf die Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen mittels Fusionskontrolle zielt und damit die Notwendigkeit einer Missbrauchsaufsicht auf unumgängliche Fälle reduzieren soll. Seit der Zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973 (vgl. 8. Kap.) kann das Bundeskartellamt Fusionen nach § 36 Abs. 1 GWB untersagen, wenn:

• •

727 728

729

es sich um einen Zusammenschluss i.S. des § 35 Abs. 1 und 37 GWB handelt und die Toleranzklauseln des § 35 Abs. 2 GWB nicht eingreifen (sog. Aufgreifkriterien), sowie zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung i.S. des § 19 GWB entsteht oder verstärkt wird, es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen ihrerseits nach, „dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen“ (sog. Eingreifkriterien).729

Vgl. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 1997/98, in: BTDr 14/1139, S. 21; so auch Monopolkommission, XII. HGA 1996/97: Marktöffnung umfassend verwirklichen, Baden-Baden 1998, Tz. 317. Vgl. Emmerich, op. cit., §§ 31 bis 36. Vgl. auch das jeweilige Kapitel zur Fusionskontrolle in den HGAs der Monopolkommission (vgl. Weiterführende Literaturhinweise zum 8. Kapitel). Vgl. die Kritik der Monopolkommission an der Anwendung der sog. Abwägungsklausel durch das Bundeskartellamt in zwei Fällen, in: 7. Hauptgutachten 1986/87, Die Wettbewerbsordnung erweitern, Baden-Baden 1988, Tz. 387–401. Die Monopolkommission räumt zwar ein, dass die größere Flexibilität der Unternehmen im Zusammenschluss verfahren auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegen könne, jedoch könne eine derartige Praxis des Bundeskartellamtes dazu führen, dass „diversifizierte Unternehmen zur Vermeidung von Untersagungen in einem

364

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Ein vom Bundeskartellamt nach § 36 Abs. 1 GWB untersagter Zusammenschluss kann nach § 42 Abs. 1 GWB vom Bundesminister für Wirtschaft erlaubt werden, „wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Hierbei ist auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes zu berücksichtigen“ (sog. Ministerfusion). Nach Art. 2 III der FKVO von 2004 kann die EK Zusammenschlüsse untersagen, wenn:



es sich um einen Zusammenschluss i.S. von Art. 3 FKVO handelt, der gemeinschaftsweite Bedeutung i.S. von Art. 1 II oder III FKVO hat (Aufgreifkriterien), sowie • wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert werden würde, insbes. durch Begründung oder Verstärkung einer (individuellen oder kollektiven) beherrschenden Stellung (Eingreifkriterium). Die wettbewerbspolitische Problematik der Erfassung der Konzentrationsstrategie mit Hilfe des structure approach soll an Hand einer Reihe von Fällen exemplifiziert werden, wobei der im 6. Kap. vorgenommenen Unterscheidung in horizontale, vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse gefolgt werden soll.

1.

Horizontale Zusammenschlüsse

Horizontale Zusammenschlüsse sind im 8. Kap. als Zusammenschlüsse definiert worden, die zwischen vormals selbständigen Wirtschaftssubjekten, die auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt tätig sind, stattfinden. Die Fälle Morris/Rothmans (1985) und Airtours/First Choice (2002) verdeutlichen die Probleme der Erfassung marktbeherrschender Oligopole. Der Fall Daimler-Benz/MBB (1989) exemplifiziert die Problematik der sog. Ministerfusion. Der Fall Backofen (1995) verdeutlicht die Probleme der räumlichen Marktabgrenzung. Der zuletzt entschiedene Fall Air Lingus/Ryanair (2007) betrifft eine monopolistische Stellung auf dem Markt für Direktflüge. Fall Morris/Rothmans (1985)730 Das Bundeskartellamt hatte im Jahre 1982 die 50 %ige Beteiligung der Philip Morris Inc. an der Rothmans Tobacco Ltd. untersagt, da auf dem relevanten inländischen Zigarettenmarkt eine Verstärkung des marktbeherrschenden Oligopols zu erwarten war (Verengung von fünf auf vier Unternehmen). Der vorliegende Fall war durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Beteiligungserwerb zwischen ausländischen Unternehmen im Ausland vollzogen worden war, jedoch wettbewerbliche Wirkungen im Inland i.S. des § 98 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F. vor 1999 hatte. Nach Auffassung des Amtes schaffte die Untersagungsverfügung lediglich die Rechtsgrundlage für die Auflösung des Zusammenschlusses, ohne die Rechtswirksamkeit des vollzogenen Anteilserwerbs als solchen zu berühren und ohne damit unmittelbar rechtlich durchsetz-

730

konkreten Fall eine Strategie des Bereithaltens von Unternehmensteilen entwickeln könnten“. Die Monopolkommission sieht zudem in der Ausweitung der Beurteilungsspielräume des Bundeskartellamtes ein marktstruktur-interventionistisches Vorgehen, das keiner gerichtlichen Kontrolle unterliege. Vgl. Morris/Rothmans, in: WuW/E BKartA 1943 ff. und OLG 3051 ff.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

365

bare Pflichten der beteiligten Unternehmen zu begründen. Die Auflösung des Zusammenschlusses sei unter Beachtung des völkerrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots und des Einmischungsverbots auf die Beseitigung der Wettbewerbsbeschränkung im Inland beschränkt, was in dem vorliegenden Fall sowohl rechtlich wie tatsächlich realisierbar sei. Philip Morris Inc. hatte als Konzernobergesellschaft der Philip Morris GmbH in München im September 1981 von der Rembrandt Group Ltd. 50 % des Kapitals und der Stimmrechte der Rothmans Tobacco Holdings Ltd. (RTH) erworben, die ihrerseits die Rothmans International (RI) als Konzernobergesellschaft der Martin Brinkmann AG in Bremen beherrschte. Die Philip Morris GmbH war als 100 %ige Tochtergesellschaft unmittelbar von Philip Morris Inc. abhängig. Zwar fehlte der RTH wegen einer in der Satzung der RI festgelegten Stimmrechtsbeschränkung eine Stimme an der Stimmenmehrheit; jedoch ging das Bundeskartellamt angesichts einer Gesamtstimmenzahl von über 175 Mio. und der breiten Streuung der nicht von RTH gehaltenen Anteile über eine sichere Hauptversammlungsmehrheit von RTH bei RI aus. Eine derartige Mehrheit reichte nach Auffassung des BKartA aus, um einen beherrschenden Einfluss von RTH i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 GWB a. F. vor 1999 und § 17 Abs. 1 Aktiengesetz zu begründen. Danach bildeten die Philip Morris GmbH in München und die Martin Brinkmann AG in Bremen nach dem Zusammenschluss eine wettbewerbliche Einheit, da die Philip Morris Inc. auf beide Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben konnte. Das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 22 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 begründete das Bundeskartellamt wie folgt: Der relevante Zigarettenmarkt in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) wies 1980 ein Umsatzvolumen von ca. 18,7 Milliarden DM (Endverkaufspreise incl. Verbrauchssteuern) auf, das sich auf zwölf Hersteller wie folgt verteilte: Hersteller 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Reemtsma (einschließlich Badische Tabakmanufaktur) B.A.T. Brinkmann PhilipMorris Reynolds Austria Tabakwerke Gebr. Heinemann H. v. Landewyck Nestor Gianaclis Sonntag Türk. Tabak- u. Zigarettenfabrik Tuxedo

Marktanteil

%

30,5 27,3 16,9 14,3 10,0

31,2

1,0

Das Bundeskartellamt sah die fünf führenden Hersteller, die vor dem Zusammenschluss einen Marktanteil von zusammen 99 % auf sich vereinigten, in ihrer Gesamtheit als marktbeherrschend an. Durch den Zusammenschluss würden auf die vier führenden Unternehmen 99 % des Marktanteils fallen. Nach § 23 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB a. F. vor 1999 gilt eine Gesamtheit von Unternehmen als marktbeherrschend, wenn sie aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die auf einem Markt den höchsten Marktanteil und zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen. Diese qualifizierte Oligopolvermutung sieht allerdings die Möglichkeit vor, dass die

366

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Unternehmen ihrerseits nachweisen, dass die Wettbewerbsbedingungen auch nach dem Zusammenschluss zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat (Beweislastumkehr). Diesen Nachweis konnten die beteiligten Unternehmen nicht führen. Nach Auffassung des Bundeskartellamtes konnte die qualifizierte Oligopolvermutung allein durch den Nachweis besonderer struktureller Merkmale widerlegt werden, die trotz des hohen Konzentrationsgrades auf dem Zigarettenmarkt in Zukunft wesentlichen Wettbewerb erwarten ließen. Die beteiligten Unternehmen wendeten dagegen ein, dass der Wettbewerb auf dem Zigarettenmarkt vorrangig durch Markenwettbewerb und Werbung bestimmt werde. Ähnlich wie im Fall Valium hatte das Bundeskartellamt daher Anlass, sich mit den Steuerungsfunktionen des Nicht-Preiswettbewerbs auf dem Zigarettenmarkt auseinanderzusetzen. Die These der Zigarettenindustrie, dass die begrenzte Lebensdauer der Marken zu regelmäßigen Neueinführungen zwinge, ist nach Auffassung des Bundeskartellamtes nicht durch Tatsachen belegbar. So hatten die 1971 führenden fünfzehn Zigarettenmarken einen Marktanteil von 85 %, dieselben Marken hatten 1980 einen Marktanteil von 82 %. Im Zeitraum von neun Jahren seien lediglich zwei Marken (Milde Sorte und Overstolz, die 1971 die Rangplätze elf und vierzehn eingenommen hatten) aus dem Kreis der führenden fünfzehn Marken ausgeschieden. Stattdessen seien die beiden Marken R 6 und Kim in diesen Kreis aufgestiegen, wobei lediglich R 6 eine Neueinführung war. Das Bundeskartellamt kam daher zu dem Ergebnis, dass der bestehende Marken- und Werbungswettbewerb nicht auf der begrenzten Lebensdauer der Marken beruhe, sondern eine Folge des hohen Konzentrationsgrades des Zigarettenmarktes sei. Das Amt ging im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH731 davon aus, dass es für die Feststellung wesentlichen Wettbewerbs auf eine Gesamtbetrachtung der auf dem relevanten Markt herrschenden Wettbewerbsverhältnisse ankomme, wobei letztlich entscheidend sei, dass die wesentlichen Funktionen des Wettbewerbs erfüllt sind, insbesondere der Preisspielraum der Unternehmen beschränkt bleibe:



„Die Werbung in der Zigaretten-Industrie schränkt in mehrfacher Hinsicht die Wettbewerbsbedingungen ein. Die Konzentrations-Enquête von 1964 hat festgestellt, dass die Werbung die wichtigste Ursache für den hohen Konzentrationsgrad der Zigarettenindustrie ist. Der außerordentlich hohe Werbeaufwand führt zu einer erheblichen Erhöhung der Marktzutrittsschranken. Um eine neue Zigarette erfolgversprechend auf den Markt zu bringen, sind außerordentlich hohe Einführungskosten sogar für bereits etablierte Anbieter erforderlich (Philip Morris nach eigenen Angaben für die – bisher wenig erfolgreiche – Merit: 35 Mio. DM; Reemtsma für West: 40–60 Mio. DM). Für neue Anbieter dürften diese Aufwendungen eher höher liegen. Sie sind nahezu prohibitiv. Schließlich führt die durch intensive Werbung hervorgerufene Produktdifferenz und die damit verbundene starke Markenbindung zu einer Senkung der Substitutionsbereitschaft der Nachfrager, was vorhandene Preisspielräume eher absichert statt begrenzt.“732

731 732

Vgl. Tonolli/Braubach, in: WuW/E BGH 1824 ff., und den weiter zurückliegenden Fall Fensterglas VI, in: WuW/E BGH 907 ff. Morris/Rothmans, in: WuW/E BKartA 1948 (Hervorhebung durch Verfasser).

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie



• •





367

Unter Berufung auf die einschlägige volkswirtschaftliche Literatur führt das Bundeskartellamt sodann aus, dass die informative Werbung dazu geeignet sei, durch Herstellung von Markttransparenz den Preis- und Qualitätswettbewerb bei der Erfüllung seiner Funktionen wirksamer zu machen. Dagegen könne die bloße Imagewerbung, die keinen Bezug zu Preis und Qualität hat, keinen wesentlichen Wettbewerb begründen. Insbesondere werde der preispolitische Spielraum der Unternehmen nicht begrenzt, da hohe Werbeaufwendungen das Produkt verteuern oder ein Sinken des Preisniveaus verhindern. Anders als der Preis- und Qualitätswettbewerb komme die Imagewerbung daher dem Käufer nicht zugute. Die Wahrscheinlichkeit für das Aufleben von Wettbewerb sei auf stagnierenden Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad geringer als auf wachsenden Märkten. Die Wahrscheinlichkeit für Wettbewerb werde auf dem Zigarettenmarkt weiter dadurch verringert, dass die führenden Unternehmen vergleichbare Ressourcen und ein vergleichbares Abwehrpotential haben. Die bestehenden erheblichen Marktzutrittsschranken aufgrund des ausgeprägten Markenbewusstseins der Konsumenten und der hohen Kosten einer Einführungswerbung sprächen ebenfalls gegen die Erwartung wesentlichen Wettbewerbs auf dem Zigarettenmarkt. Dies werde dadurch belegt, dass mit Ausnahme von Milde Sorte die führenden zwanzig Zigarettenmarken seit Jahren von den fünf führenden Herstellern stammen. Auf dem Zigarettenmarkt herrsche auch kein wesentlicher Preiswettbewerb, zumal die Zigaretten nach den §§ 5 und 15 Tabaksteuergesetz einer Endverbraucherpreisbindung unterliegen. Traditionell existieren vier Preisklassen, das sind die untere Preisklasse (Vorschaltpreisklasse), die Konsumpreisklasse, die gehobene Konsumpreisklasse und die obere Preisklasse. Das Bundeskartellamt konnte keinen Wechsel der Preisklasse und damit eine relative Verbilligung einer Marke mit dem Ziel, den Absatz zu steigern oder einen Absatzrückgang aufzufangen, bei den maßgebenden Marken feststellen. Preispolitisch lasse sich vielmehr traditionell ein absolutes Parallelverhalten der Zigarettenhersteller feststellen. Auch gegenüber dem Handel finde kein wesentlicher Preiswettbewerb mit Rabatten statt. Vielmehr seien die Fabrikabgabepreise und damit verbundenen Handelsspannen von durchschnittlich 34 % bei allen Herstellern gleich. Individualrabatte würden nur in geringem Umfange bei Sonderaktionen, insbesondere bei Neueinführungen eingeräumt. Dabei handle es sich jedoch um Vergütungen für zusätzliche Absatzleistungen des Handels. Auch das Vorliegen von wesentlichem Qualitätswettbewerb wurde verneint. Zigaretten seien technisch ein weitgehend homogenes und ausgereiftes Produkt, das jedoch aufgrund verschiedener Geschmacksrichtungen und einer intensiven Imagewerbung eine weitreichende Produktheterogenisierung erfahren habe. Auch wenn die differenzierte Befriedigung der Verbraucherwünsche zu den Wettbewerbsfunktionen zähle, so begründe die Markenvielfalt allein noch keinen wesentlichen Qualitätswettbewerb. Außer der Einführung der Filterzigarette Anfang der 50er Jahre sei allenfalls die Einführung von Leichtzigaretten in den 60er Jahren als echte Innovation zu bezeichnen. Die übrigen Produktänderungen beträfen i.d.R. geschmackliche Variationen, die keinen wesentlichen Qualitätswettbewerb darstellten. Der Wettbewerb finde vielmehr losgelöst vom Produkt über die Werbeidee statt.

368

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Aus der gesetzgeberischen Zielsetzung, durch die Einführung der echten Oligopolvermutung i.S. des § 23 a Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 Marktverengungen im Bereich enger Oligopole entgegenzuwirken, ergebe sich jedenfalls, dass ein Zusammenschluss zwischen zwei zu der marktbeherrschenden Unternehmensgruppe zählenden Unternehmen eine Verstärkungswirkung i.S. des § 24 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 habe. Der Zusammenschluss verstärke die Reaktionsverbundenheit im Oligopol und verringere damit die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von wesentlichem Wettbewerb zwischen den führenden Zigarettenanbietern. Durch die Verstärkung des Abwehrpotentials werde zudem der Marktzutritt erschwert. Das Kammergericht hat 1983 die Untersagung zwar grundsätzlich bestätigt, jedoch aus völkerrechtlichen Gründen auf den Zusammenschluss der inländischen Tochtergesellschaften Philip Morris GmbH München und Martin Brinkmann AG Bremen beschränkt. Das Kammergericht ging davon aus, dass sich die marktbeherrschende Stellung des fünf Unternehmen umfassenden Zigarettenoligopols, welches die echte Oligopolvermutung des § 23 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB a. F. vor 1999 erfülle (fünf oder weniger Unternehmen ≥ 66⅔ %), verstärke. Insoweit sei die Untersagung des Zusammenschlusses rechtmäßig; die darüber hinausgehende Untersagung des gesamten Zusammenschlusses verstoße jedoch gegen das völkerrechtlich anerkannte, gem. Art. 25 GG Vorrang vor innerstaatlichem Recht beanspruchende Einmischungsverbot und die Vorschrift des § 98 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F. vor 1999, welcher die Untersagungsmöglichkeit auf die Inlandswirkungen beschränke. Der Bundesgerichtshof hat 1985 das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt, da Philip Morris zwischenzeitlich ein neues Beteiligungsmodell vorgelegt hatte, wonach Philip Morris nur noch 24,9 % der Stimmrechte an Rothmans erwirbt, während die südafrikanische Rembrandt Group Ltd. 44 % der Stimmrechte behalten soll.733 Fall Airtours/First Choice (2002)734 Die Europäische Kommission hatte den Zusammenschluss untersagt, weil auf dem oligopolistisch strukturierten britischen Markt für Kurzstrecken-Pauschalreisen das Entstehen einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung zu erwarten war. Airtours und First Choice waren mit einem kombinierten Marktanteil von 32 % als Reiseveranstalter tätig und vertikal voll integriert (Hotels, Charterfluggesellschaften und Reisebüros). Außer Thomson mit 27 % und Thomas Cook mit 20 % gab es nur noch eine Anzahl kleiner, vertikal nicht integrierter Unternehmen mit geringer Marktbedeutung (sog. fringe), so dass der Markt für Kurzstrecken-Auslandspauschalreisen von vier großen Unternehmen mit zu-

733

734

Vgl. Morris/Rothmans, in: WuW/E BGH 2211 ff. Das BKartA hatte 1985 diese Kapitaltransaktion nicht als Entflechtung des 1982 vollzogenen Zusammenschlusses bewertet und daher untersagt (WuW/E BKartA 2204 ff.). 1987 hat das Bundeskartellamt wegen des nicht führbaren Nachweises gemeinsamer Beherrschung bei Auslandsbelegenheit des Zusammenschlusses diese Untersagungsverfügung aufgehoben (WuW/E BKartA 2295 f.). Vgl. Airtours/First Choice, in: WuW/E EU-R 559 ff.; dazu Schwalbe, Ulrich, Die Airtours/First Choice Entscheidung, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 2002, FIW-Schriftenreihe Heft 196, S. 17 ff. Im Fall Impala (in: WuW/E EU-R 1091 ff.) hat das EuG – unter Bezug auf den Airtours Fall – die Freigabe einer Fusion durch die EK aufgehoben, da die EK nicht ausreichend – im Hinblick auf Konzentration, Homogenität und Transparenz – das Entstehen einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung geprüft habe. Dabei brauche das Vorhandensein eines Abschreckungsmechanismus nicht durch den Nachweis seiner tatsächlichen Nutzung ergänzt zu werden.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

369

sammen ca. 80 % Marktanteil und einem HHI von 1.700 vor der Fusion sowie 2.150 nach der Fusion kontrolliert wurde. Über die hohe Konzentration hinaus war die Marktstruktur charakterisiert durch (Zi. 87) Homogenität der Güter, geringes Wachstum der Nachfrage, ähnliche Kostenstrukturen und wirtschaftliche Verbindungen der großen Anbieter, hohe Transparenz, wesentliche Marktzutrittsschranken und Fehlen von Nachfragemacht der Verbraucher. Als Folge der Fusion (Zi. 169–171) würden die Konzentration sowie die Interdependenz und Transparenz erhöht werden, so dass der Anreiz zur Kapazitätsbeschränkung als wesentlichem Faktor für das Marktergebnis verstärkt worden wäre. Das Risiko von Überkapazitäten (und damit eines Preisverfalls) würde unter den Oligopolisten als Abschreckungsmechanismus fungieren. Zugleich würde die Bedeutung der Mitläufergruppe (sog. fringe) marginalisiert werden. Die EK untersagte daher den Zusammenschluss, da das Entstehen einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung mit einem wettbewerbsbeschränkendem Parallelverhalten zu erwarten gewesen wäre. Das Europäische Gericht (EuG) hat am 12. Juni 2002 nochmals klargestellt, dass auch marktbeherrschende Oligopole von der FKVO erfasst werden. Dabei ging er im Einklang mit dem Gencor/Lonrho Fall davon aus (Zi. 60), dass auf hochkonzentrierten Märkten mit homogenen Gütern und hoher Transparenz die Oligopolisten ihr Marktverhalten aufeinander anpassen müssten, „um insbes. ihren gemeinsamen Gewinn durch eine auf Preiserhöhung abzielende Produktionsbeschränkung zu maximieren“. Jeder Marktbeteiligte wisse, dass jede auf Vergrößerung seines Marktanteils gerichtete Maßnahme gleiche Maßnahmen der anderen auslösen würde, so dass er keinerlei Vorteil aus seinem Vorstoß ziehen könne. Eine solche kollektive marktbeherrschende Stellung setze allerdings dreierlei voraus (Zi. 62):



Der Markt muss hinreichend transparent sein, damit jedes Mitglied des beherrschenden Oligopols mit hinreichender Genauigkeit und Schnelligkeit das Verhalten der anderen in Erfahrung bringen kann. • Es muss ein glaubwürdiger Sanktionsmechanismus als Anreiz bestehen, nicht vom gemeinsamen Vorgehen abzuweichen, d.h., jedes Mitglied des marktbeherrschenden Oligopols weiß, dass vorstoßende Wettbewerbshandlungen seinerseits gleiche Maßnahmen der anderen auslösen, so dass es keinen Vorteil aus seiner Initiative ziehen kann. • Die erwarteten Vorteile aus dem einheitlichen Vorgehen der Oligopolisten dürfen nicht durch Gegenstrategien Dritter, d.h. die voraussichtliche Reaktion der tatsächlichen und potentiellen Konkurrenten sowie der Verbraucher in Frage gestellt werden (im konkreten Fall Analyse von Markteintrittsbarrieren). Das Gericht verneinte sowohl das Vorliegen einer hinreichenden Transparenz als auch eines Abschreckungspotentials und damit das Vorliegen einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung. Die Untersagung der Fusion durch die EK wurde aufgehoben. Durch die Verwendung spieltheoretischer Erklärungsansätze für die Erfassung der kollektiven Marktbeherrschung ist dieser Fall zu einer Grundsatzentscheidung geworden, die allerdings viele Fragen hinsichtlich der Adäquanz dieses Ansatzes aufgeworfen hat, da damit nur der Extremfall des Kollektivmonopols (vergleichbar einem branchenumfassenden Kartell) erfasst wird. Die Nicht-Erfassung sog. einseitiger (d.s. nicht-koordinierte) Effekte war auch Anlass für die Ende 2003 erfolgte Novellierung der FKVO und die Einführung einer „erheb-

370

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

lichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs“ als neuen Eingreifkriteriums anstelle des bislang geltenden Dominanzkriteriums.735 Fall Daimler-Benz/MBB (1989)736 Gegenstand des Verfahrens war der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung von knapp über 50% am Stammkapital der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH durch die Daimler-Benz AG selbst oder über ein mit ihr verbundenes Unternehmen. Im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss vorhaben war vorgesehen, den Daimler-Benz Konzern sowie die Deutsche Airbus GmbH, München, eine 100%ige Tochtergesellschaft der MBB, umzustrukturieren. Der Daimler-Benz AG als geschäftsführender Holding ohne operative Aufgaben wurden als rechtlich selbständige Konzerngesellschaften die neu gegründete Mercedes Benz AG (Personenwagen, Nutzfahrzeuge), die Deutsche Aerospace AG sowie die AEG zugeordnet. Der Geschäftsbereich Luftfahrt-, Raumfahrt- und Wehrtechnik wurde aus der AEG herausgelöst und zusammen mit den Tochterunternehmen MTU und Dornier in die Deutsche Aerospace AG eingegliedert, so dass künftig alle Luftfahrt-, Raumfahrt- und Wehrtechnikaktivitäten des Daimler-Benz Konzerns in einer Konzerngesellschaft integriert sind. Der Unternehmensbereich Transport- und Verkehrsflugzeuge der MBB sollte in die Deutsche Airbus GmbH eingegliedert werden, an der sich wiederum die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt/M. (KfW), im Wege einer Kapitalerhöhung vorübergehend (bis zum 31. 12. 1999) mit 20% beteiligen sollte. Die folgende Übersicht zeigt die geplante Konzernstruktur unter Einbeziehung des Zusammenschlussvorhabens Daimler-Benz/MBB.737 Das Bundeskartellamt hatte den Zusammenschluss zwischen der Daimler-Benz AG und der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH untersagt, da durch den Zusammenschluss



• •

735

736

737

im Bereich der Wehrtechnik auf den Märkten für Wehrelektronik und bei bestimmten militärischen Fluggeräten marktbeherrschende Stellungen entstehen und auf den Märkten für Militärflugzeuge, Hubschrauber, Lenkwaffen sowie Triebwerke marktbeherrschende Stellungen verstärkt werden würden; im Bereich der Luft- und Raumfahrt auf den Märkten für Raumfahrttechnik, für nichtkommerzielle Orbital- und Trägersysteme sowie für wissenschaftliche Satelliten ebenfalls marktbeherrschende Stellungen entstehen würden, und im Bereich der Lastkraftwagen auf den Märkten für leichte (6t bis 16t zulässiges Gesamtgewicht) und schwere (über 16t zulässiges Gesamtgewicht) die überragende Marktstellung von Daimler-Benz weiter verstärkt werden würde.

Vgl. Schmidt, Ingo, Zur wettbewerbspolitischen Diskussion über das adäquate Eingreifskriterium zur Erfassung wettbewerbsbeschränkender Fusionen, in: Wirtschaftspolitik in offenen Demokratien: Festschrift für Uwe Jens, hrsg. von Neumann, Lothar F., und Hajo Romahn, Marburg 2005, S. 129 ff. Vgl. Daimler-MBB, in: WuW/E BKartA 2335 ff. und BWM 191 ff.; dazu Monopolkommission, Sondergutachten 18: Zusammenschlußvorhaben der Daimler-Benz AG mit der Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH, Baden-Baden 1989. Im weiteren Verlauf ist ein vierter Unternehmensbereich Daimler-Benz Interservices (Debis) in Berlin geschaffen worden, in welchem alle Dienstleistungen zusammengefasst worden sind. 1998 hat Daimler-Benz mit Chrysler mittels eines Produkterweiterungs-Zusammenschlusses zur DaimlerChrysler AG fusioniert.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

371

Daimler–Benz AG

100 %

100 %

Mercedes–Benz AG

Deutsche Aerospace AG

80,2 % AEG Aktiengesellschaft

100 %

57,5 %

100 %

Dornier GmbH

MTU Motoren– und Turbinen–Union München GmbH

50,01 % Messerschmitt Bölkow–Blohm GmbH

Telefunken System Technik

80 % Kreditanstalt für Wiederaufbau

20 %

Deutsche Airbus GmbH

37,9 %

Aerospatiale (F)

37,9 %

Airbus

British Aerospatiale

20 %

Industrie

Casa (S)

4,2 %

Für den Bereich der Wehrtechnik begründete das BKartA die Entstehung bzw. Verstärkung marktbeherrschender Stellungen mit den besonderen strukturellen Merkmalen der Rüstungswirtschaft, die dadurch gekennzeichnet sei, dass nach den Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums für jedes Beschaffungsverfahren ein Generalunternehmer (Systemführer) zu beauftragen ist, der die technische und funktionale Integration des Waffensystems zu managen hat und die Garantie für dessen Funktionsfähigkeit und den zeitgerechten Ablauf des Vorhabens übernimmt. Der Systemführer vergibt dann eigenverantwortlich Unterverträge für Komponenten, soweit er diese nicht selbst entwickelt oder fertigt. Da der geplante Zusammenschluss in weiten Bereichen der Wehrtechnik eine Monopolstellung des DaimlerBenz Konzerns als Systemführer zur Folge habe, ermögliche er es dem Daimler-Benz Konzern, den Wettbewerb auf der Ausrüsterebene (vertikale Auswirkungen) erheblich zu beschränken. Die so entstandene Marktmacht des Daimler-Benz Konzerns werde nach Ansicht des BKartA auch durch das Ausweichen der Nachfrage auf ausländische Anbieter nicht in erheblichem Umfang eingeschränkt, da sich der Rüstungsbereich aufgrund seiner besonderen Gegebenheiten geradezu als klassisches Beispiel eines „nationalen“ Marktes zumindest auf der Systemebene darstelle. Der politische Einfluss, den der Daimler-Benz Konzern durch den hohen Anteil am Beschaffungshaushalt und als Systemführer am Gesamtauftragsvolumen der Waffensysteme gewinne, dürfte es dem Bundesverteidigungsministerium noch mehr erschweren, auf ausländische Anbieter auszuweichen. Diese Einschätzung sah das BKartA durch eine

372

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Stellungnahme des britischen Verteidigungsministeriums (MOD) gegenüber der Monopolies and Mergers Commission (MCC) aus dem Jahr 1986 bestätigt:738 “Moreover the MOD suggested that if there was a monopolistic United Kingdom producer of equipment it could more effectively lobby to try to ensure that the MOD did not buy abroad and this would clearly be in the interests of such a producer. The MOD said that it was a feature not only of the United Kingdom but also of the United States and of all the countries in Western Europe that, in defence markets, if procurement authorities tried to move into a competitive international market they found that the domestic companies used their political influence and political pressure to restrict that possibility. … the MOD did not think that it was a realistic course to attempt to restrict the anti-competitive effect of the merger by substituting world-wide competition.” Wie im Bereich der Wehrtechnik komme auch in der Luft- und Raumfahrt der Möglichkeit, eine Systemführerschaft zu übernehmen, eine bedeutende Rolle zu. Auf den Märkten für nicht-kommerzielle Raumfahrttechnik sei Wettbewerb durch ausländische Anbieter auf dem Inlandsmarkt nicht wirksam, da Aufträge in diesem Bereich Mittel zur Umsetzung nationaler wissenschafts-, forschungs-, technologie- und/oder industriepolitischer Vorgaben seien. Die Verstärkung der überragenden Marktstellung des Daimler-Benz Konzerns auf den Märkten für leichte und schwere Lastkraftwagen werde im Zuwachs der umfangreichen, weitgehend staatlich finanzierten Forschungs- und Entwicklungsressourcen von MBB gesehen, die nach übereinstimmender Auffassung der Marktteilnehmer im Nutzkraftfahrzeugbereich einsetzbar seien und den anderen Anbietern nicht vergleichbar zur Verfügung stehen würden. Im Rahmen der von ihm zu beachtenden wettbewerblichen Abwägungsklausel (§ 24 Abs. 1, 2. Halbsatz GWB a. F. vor 1999) hat das BKartA schließlich geprüft, ob durch den Zusammenschluss Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt für zivile Großraumflugzeuge entstehen, die die Nachteile der festgestellten Marktbeherrschungen überwiegen, und festgestellt, dass dies nicht der Fall sei. Der Zusammenschluss reiche als Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Airbus Industrie auf dem Weltflugzeugmarkt nicht aus, um die schwerwiegenden Nachteile der Marktbeherrschungen auch nur auszugleichen. Darüber hinaus hätten die Airbus-Partner unabhängig von dem Zusammenschluss damit begonnen, ihr Unternehmen rationeller zu gestalten; es sei in diesem Zusammenhang also nicht ersichtlich, weshalb der Zusammenschluss dafür eine Voraussetzung sei. Nach Untersagung durch das Bundeskartellamt beantragten die Daimler-Benz AG und die Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH beim Bundesminister für Wirtschaft die Erlaubnis zu einem Zusammenschluss gemäß § 24 Abs. 3 GWB a. F. vor 1999 (sog. Ministerfusion). Der Bundesminister für Wirtschaft holte ein nach § 24 b Abs. 5 Satz 7 GWB a. F. vor 1999 vorgesehenes Gutachten der Monopolkommission ein. Die Monopolkommission empfahl mehrheitlich, die beantragte Erlaubnis nach § 24 Abs. 3 GWB a. F. vor 1999 mit Auflagen zu erteilen. Nach Abwägung der Gemeinwohlvorteile mit den Wettbewerbsbeschränkungen und Gemeinwohlnachteilen konnte die Mehrheit der Monopolkommission (ein Kommissionsmitglied akzeptierte den Zusammenschluss auch ohne Auflagen) eine Genehmigung des Zusammenschlusses in der beantragten Form nicht empfehlen, da als Folge des Zusammenschlusses für die überwiegende Mehrheit militärischer Beschaffungsprojekte auf deutscher Seite künftig nur noch ein Anbieter in Frage kom738

Daimler/MBB in: WuW/E BKartA 2347.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

373

men würde. Daraus resultierten – auch nach Auffassung der Mehrheit der Monopolkommission – problematische gegenseitige politische Abhängigkeiten zwischen Daimler-Benz und dem Bundesministerium für Verteidigung. Bei Zugrundelegung einer Einzelmarktbetrachtung maß die Mehrheit der Monopolkommission den vom BKartA festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen im Bereich der militärischen Luftfahrt (Flugzeuge und Hubschrauber) und der Raumfahrt (nicht-kommerzielle Träger- und Orbitalsysteme, wissenschaftliche Satelliten) allerdings ein eher geringes Gewicht bei. Höher gewichtete die Mehrheit der Monopolkommission dagegen die Wettbewerbsbeschränkungen bei Lenkwaffen und Drohnen, bei den Triebwerken für militärische Flugzeuge und Hubschrauber sowie die vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen auf Ausrüsterebene bei der Wehrelektronik. Im Bereich der Lastkraftwagen maß die Mehrheit der Monopolkommission dem Zuwachs von Forschungs- und Entwicklungsressourcen ein geringes Gewicht bei, da eine Reihe ausländischer Wettbewerber über einen ähnlichen Zugang zum System-Knowhow aus der Luft- und Raumfahrt verfügten. Trotz gravierender Bedenken hielt die Mehrheit der Monopolkommission den Zusammenschluss für genehmigungsfähig, wenn die mit ihm verbundenen Gemeinwohlvorteile erhöht bzw. die Wettbewerbsbeschränkungen hinreichend vermindert würden. Mögliche Auflagen sah die Mehrheit der Kommission in einer früheren Übernahme des 20 %igen KfW-Anteils an der Deutschen Airbus durch Daimler-Benz, in der Veräußerung des Bereichs militärischer Triebwerke oder in einer Ausgliederung wesentlicher Teile des Bereichs Wehrtechnik, wodurch die vom BKartA festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen hinreichend vermindert werden würden. Der Kommissionsvorsitzende Immenga sprach sich in einem Minderheitsvotum gegen eine Genehmigung des Zusammenschlussvorhabens auch mit den genannten Auflagen aus und trat von seinem Amt zurück. Der Bundesminister für Wirtschaft erteilte die Erlaubnis zu dem Zusammenschluss, da die geplante Übernahme nach Meinung des Ministeriums zu erheblichen gesamtwirtschaftlichen Vorteilen führe und gewichtige Interessen der Allgemeinheit verwirkliche. Der Zusammenschluss leiste vor allem einen wichtigen Beitrag dazu, die unternehmerische Führung bei MBB in privatwirtschaftliche Verantwortung zu überführen, das unternehmerische Risiko für den Airbus vom Staat schrittweise auf die Industrie zu übertragen und den Bundeshaushalt längerfristig von Dauersubventionen im Airbus-Bereich zu entlasten. Das Vorhaben erschließe ferner Verbundpotentiale in der Luft- und Raumfahrtindustrie und stärke auf diese Weise die deutschen Unternehmen insbesondere bei ihren Bemühungen, sich im Rahmen internationaler Gemeinschaftsprojekte technologisch anspruchsvolle Arbeitspakete zu sichern. Um sicherzustellen, dass die vom BKartA festgestellten, aus dem Zusammenschluss resultierenden Wettbewerbsbeschränkungen von diesen angeblichen gesamtwirtschaftlichen Vorteilen tatsächlich aufgewogen werden können, waren allerdings auch nach Meinung des Bundeswirtschaftsministers folgende Auflagen nötig:

• •

Übernahme des 20 %igen Anteils der Kreditanstalt für Wiederaufbau an der Deutschen Airbus GmbH durch MBB bereits zum 31. 12. 1996. Veräußerung des ehemaligen AEG-Geschäftsbereichs „Marinetechnik“ sowie der Marine- und Drohnen-Aktivitäten des MBB-Geschäftsbereichs „Marine- und Sondertechnik“ innerhalb von 2 Jahren.

374

• •



13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie Veräußerung der MBB-Beteiligung an der Krauss-Maffei AG, der im Panzerbau führenden deutschen Unternehmung, innerhalb eines Jahres. Aufgabe der Daimler-Benz/MBB-Beteiligungen an sog. Unterstützungsgesellschaften, die Beratungs- und Serviceleistungen für öffentliche Auftraggeber im Verteidigungsbereich erbringen, um die Neutralität der Vergabepraxis bei der Beschaffung von Rüstungsgütern zu verbessern. Aufgabe der Vertretung von Daimler-Benz/MBB in Führungs- oder Aufsichtsorganen anderer Unternehmen, die in nennenswertem Umfang im Rüstungsgeschäft tätig sind.

Fall Backöfen (1995)739 Im Falle Krupp/Daub ging es um die Übernahme eines Herstellers gewerblich genutzter Backöfen durch eine Konzerntochter der Friedrich Krupp AG/Hoesch-Krupp. Im Vordergrund standen dabei die Frage der sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung sowie das Verhältnis zwischen europäischer und nationaler Fusionskontrolle. Nach den tatsächlichen Feststellungen des BKartA und des KG lassen sich gewerbliche Backöfen in drei selbständige sachlich relevante Märkte einteilen: Ladenbacköfen mit einer Backfläche bis zu 4 qm, Backstubenöfen mit einer Backfläche von vier bis 25 bzw. 30 qm und Großbacköfen mit einer Backfläche von mehr als 25 bzw. 30 qm. Nach Auffassung des KG wird der Verwendungszweck maßgeblich durch die Größe der Backfläche bestimmt. Die Hersteller von frischen Backwaren, d.s. Bäckereien und industrielle Backwarenhersteller, richteten ihre Produktion an den von ihren Kunden täglich nachgefragten Mengen aus, die wiederum ausschlaggebend für die zum Einsatz gelangenden Backöfen seien. Werde aufgrund der Nachfrage der Abnehmer ein Großbackofen benötigt, so sei dieser aus der Sicht des Bäckereibetriebes durch einen kleinflächigen Backofen oder eine Vielzahl derartiger Backöfen (z. B. 100 Öfen mit einer Backfläche von 2,5 qm anstelle eines Großbackofens mit einer Backfläche von 250 qm) nicht austauschbar. Der Umstand, dass Großbäckereien neben Großbacköfen in dem zentralen Betrieb zusätzlich auch kleinere Backöfen in ihren Filialen einsetzten, ändere hieran nichts. Der sachlich relevante Markt sei daher im vorliegenden Fall der Markt für Großbacköfen. Im Hinblick auf die räumliche Marktabgrenzung hatte das BKartA unter Berufung auf § 98 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 die Auffassung vertreten, dass der räumlich relevante Markt nicht größer sein könne als das Bundesgebiet. Damit wurde die von Wirtschaftskreisen immer wieder erhobene Forderung, auch bei Anwendung der deutschen Fusionskontrolle zumindest die EU als räumlich relevanten Markt anzunehmen, zurückgewiesen. Der BGH hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen und den Schutzzweck der Fusionskontrolle darin gesehen, die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung im Inland zu verhindern. Abgesehen von Ermittlungsschwierigkeiten im Ausland entspreche eine solche Auslegung der Zielsetzung des GWB. Der BGH hebt dabei hervor, dass die Begrenzung des räumlich relevanten Marktes auf das Inland nicht zur Folge habe, dass Wettbewerbsein739

Vgl. Backöfen, in: Die Aktiengesellschaft 1992, S. 406 ff. (BKartA), WuW/E OLG 5271 ff. und BGH 3026 ff. Vgl. Beninca, Jürgen, Räumliche Marktabgrenzung in der deutschen Fusionskontrolle, in: WuW 55 (2005), S. 43 ff., der die Beschlusspraxis des BGH zur räumlichen Marktabgrenzung in den Fällen Backöfen und neuerdings Staubsaugerbeutelmarkt (in: WuW/E DE-R 1355ff.) analysiert. Im Falle Staubsaugerbeutelmarkt hat der BGH seine Rspr. zur normativen räumlichen Marktabgrenzung zugunsten einer an ökonomischen Kriterien orientierten räumlichen Marktabgrenzung revidiert (vgl. die entspr. Klarstellung in § 19 II S. 3 GWB n. F.).

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

375

flüsse, die vom Ausland auf den inländischen Markt wirken, bei der Beurteilung eines Zusammenschlusses nicht berücksichtigt werden können (d.s. Importe und potentieller Wettbewerb aus dem Ausland). Im Hinblick auf das Verhältnis von nationaler zu europäischer Fusionskontrolle hat der BGH im Einklang mit dem BKartA festgestellt, dass die deutsche Zusammenschlusskontrolle im vorliegenden Fall nicht durch vorrangiges europäisches Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen sei, was sich bereits aus der Abgrenzungsnorm des Art. 1 FKVO (Aufgreifkriterien) ergebe. Zudem sei die nationale Fusionskontrolle gegen eine Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen gerichtet und diene damit dem in Art. 3 g EGV zum Ausdruck gekommenen Ziel, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen zu schützen. BKartA und KG waren vor allem wegen der hohen Marktanteile der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen und dem großen Marktanteilsabstand zu den nachfolgenden Wettbewerbern sowie der Finanzkraft des Konzerns zur Annahme einer überragenden Marktstellung i.S. des § 22 Abs. 1 Zi. 2 GWB a. F. vor 1999 gelangt. Darüber hinaus spielte der durch den Zusammenschluss bewirkte Know-how-Zuwachs bei dem erwerbenden Unternehmen eine Rolle. Die Hoesch/Krupp-Tochter war zwar – ebenso wie das zu erwerbende mittelständische Unternehmen – auf dem Markt für Großbacköfen tätig, verfügte aber nicht über die zukunftsweisende Thermoöltechnik. Durch den Zusammenschluss hätte es Zugang zu diesem Verfahren und damit einen technologischen Ressourcenzuwachs erlangt. Nach Auffassung des BGH könne die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auch dadurch gemindert werden, dass eine von kleineren Wettbewerbern eingesetzte Technik künftig auch dem Marktführer zur Verfügung stehe. Mit dieser Argumentation im Hinblick auf die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung ist die finanzielle Ressourcentheorie aus dem Fall Rheinmetall/WMF740 auch auf technologische Ressourcen ausgedehnt worden. Im Hinblick auf die räumliche Marktabgrenzung hat der Gesetzgeber mit § 19 II § GWB klargestellt, dass der räumlich relevante Markt im Sinne dieses Gesetzes weiter sein kann als der Geltungsbereich dieses Gesetzes. Fall Air Lingus/Ryanair (2007)741 In diesem Fall ging es um die Beurteilung einer Fusion von zwei Billigfluglinien in Irland, bei denen die Zahl der sich überschneidenden Strecken größer als in anderen Fusionsfällen im Luftverkehrsbereich war.742 Ryanair ist eine irische Billigfluglinie, die auf über 400 Strecken in Europa feste Direktverbindungen im Linienflugverkehr anbietet. Mit über 40 Mio. Fluggästen ist Ryanair eine der größten Fluggesellschaften der Welt. Air Lingus bietet hauptsächlich direkte Kurzstreckenflüge von und nach Irland ab Dublin, Shannon und Cork an, wobei mehr als 80 Strecken bedient und in 2006 ca. 8,6 Mio. Fluggäste befördert wurden.

740 741 742

Vgl. Rheinmetall/WMF, in: WuW/E BGH 2150 ff. Vgl. Air Lingus/Ryanair (case M 4439 vom 27.6.2007), in: ABl EG 2008 Nr. C 47, S. 5 ff. (Resumée), und in: WuW/E EU-V 1233 ff. Vgl. Aerospatiale-Alenia/de Havilland, in: ABl EG 1991 Nr. L 334, S. 42 ff., und Airtours/First Choice, in: ABl EG 2000 Nr. L 93, S. 1 ff., sowie in: WuW/E EU-V 437 ff. und WuW/E EU-R 559 ff.;

376

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Air L.ingus und Ryan Air und (AL/R) sind die mit Abstand größten Anbieter von Kurzstreckenflügen von und nach Irland und hätten im Fall einer Fusion ca. 80 % aller innereuropäischen Flüge von und nach Dublin abgewickelt. Der sachlich relevante Markt umfasste Direktlinienflüge zwischen einem Abflugort in Irland und einem Zielort (Herkunft- und Zielansatz). Eine Marktanalyse hatte ergeben, dass beide Unternehmen auf 35 Strecken (= relevanten Märkten) von und nach Irland in direktem Wettbewerb standen. Auf 22 Strecken hätte der geplante Zusammenschluss zu einer Monopolstellung des fusionierten Unternehmens geführt. Auf den restlichen 13 Strecken, auf denen beide Unternehmen engste Konkurrenten waren, wären die Alternativen für die Verbraucher erheblich eingeschränkt worden, da das fusionierte Unternehmen 60 % des Marktes kontrolliert hätte. Die Marktuntersuchung hatte ferner ergeben, dass die meisten Fluggesellschaften einem fusioniertem Unternehmen AL/R keine direkte Konkurrenz entgegensetzen konnten, zumal Ryanair für seine aggressiven Vergeltungsmaßnahmen (in Form selektiver kurzfristiger Preissenkungen und Kapazitätsaufstockungen) im Falle des Marktzutrittes von Mitbewerbern bekannt war. Zudem war die Wahrscheinlichkeit eines Marktzutrittes aufgrund der Überlastung in Spitzenzeiten (Slots) ohnehin sehr gering. Der angestrebte Zusammenschluss hätte daher nach Ansicht der EK den Wettbewerb erheblich beeinträchtigt. Die Effizienzeinrede von R. wurde von der EK zurückgewiesen, da die Behauptungen von R. weder hinreichend nachprüfbar noch fusionsspezifisch waren. Zudem war keineswegs sicher, dass die Einsparungen an die Verbraucher weitergegeben werden würden. Die von Ryanair der EK angebotenen Verpflichtungszusagen gingen nicht weit genug, um mögliche nachteilige Auswirkungen der Fusion für die Verbraucher auszuschließen. Die EK hat daher den Zusammenschluss für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt i.S. von Art. 2 III FKVO erklärt.

2.

Vertikale Zusammenschlüsse

Vertikale Zusammenschlüsse sind im 6. Kap. als Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftssubjekte definiert worden, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind und in einer Käufer-Verkäufer-Beziehung stehen. Anhand der Fälle VEBA/Gelsenberg und Lufthansa f.i.r.s.t. Reisebüros sollen die wettbewerbspolitischen Probleme der Erfassung vertikaler Zusammenschlüsse exemplifiziert werden. Fall VEBA/Gelsenberg (1974)743 Die Bundesregierung hatte in ihrem Energieprogramm von 1973 im Interesse der Sicherung der langfristigen Mineralölversorgung die Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen als notwendig bezeichnet. In Verfolgung dieser Zielsetzung hatte der Bundesminister für Finanzen von der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE) eine Beteiligung von 48,3 % des Nennkapitals der Gelsenberg AG erworben, so dass der Bund unter Berücksichtigung des Zukaufs weiterer Aktien der Gelsenberg AG zu einer Beteiligung von 51,3 % am Gelsenberg-Kapital gekommen wäre. 743

Vgl. VEBA/Gelsenberg, in: WuW/E BKartA 1457 ff. und BWM 147 ff.; Monopolkommission, Sondergutachten 2: Wettbewerbliche und strukturelle Aspekte einer Zusammenfassung von Unternehmen im Energiebereich (VEBA/Gelsenberg), Baden-Baden 1975.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

377

Das Bundeskartellamt hatte die vorgesehene Übertragung der Beteiligung der RWE an der Gelsenberg auf den Bund als einen Zusammenschluss von Unternehmen i.S. des GWB angesehen und unter Berücksichtigung von unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen des Bundes (z.B. an der VEBA und deren Tochtergesellschaften) untersagt, da durch diesen Zusammenschluss auf einer Reihe von Märkten marktbeherrschende Stellungen entstehen oder verstärkt werden würden (Märkte für Elektrizität, Handel mit festen Brennstoffen, Binnenschifffahrt und zwei chemische Produkte). Im Mineralölbereich ergebe sich durch den vorgesehenen Zusammenschluss eine Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt für leichtes Heizöl. Dieser Markt werde von einer Unternehmensgruppe kontrolliert, zu welcher die Unternehmen ESSO, SHELL, BP, der Bund mit VEBA, FRISIA und den Saarbergwerken sowie Texaco mit 51,5 % Marktanteil gehörten. Aus verschiedenen marktstrukturellen Gründen bestehe zwischen diesen Unternehmen weder ein Wettbewerb im Innenverhältnis noch sei die Gruppe im Außenverhältnis wesentlichem Wettbewerb ausgesetzt. Diese marktbeherrschende Stellung i.S. des § 22 Abs. 2 GWB a. F. vor 1999 werde durch eine Erhöhung des Marktanteils der Oligopolgruppe von 51,5 auf 58,4 % verstärkt; zugleich werde durch den Zusammenschluss von VEBA und Gelsenberg die beherrschende Stellung des Bundes verstärkt. Die gleichen Überlegungen würden auch für den Markt für schweres Heizöl gelten, auf welchem das marktbeherrschende Oligopol 64,6 % des Marktes kontrolliere und damit die Legalvermutung i.S. des § 22 Abs. 3 Nr. 2 lit. b GWB a. F. vor 1999 erfülle. Das Bundeskartellamt ließ offen, ob durch den Zusammenschluss eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen eintreten würde oder nicht:744 „Zwar ist nicht auszuschließen, dass sich die Wettbewerbsbedingungen auf inländischen Märkten für Mineralölprodukte durch den beabsichtigten Zusammenschluss verbessern, indem VEBA die Kapazitäten von Gelsenberg zuwachsen und die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungsmärkten verbessert würden. Es ist aber auch möglich, dass der vorgesehene Zusammenschluss zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen auf inländischen Märkten für Mineralölprodukte führen würde, indem sich die Reaktionsverbundenheit innerhalb des bereits jetzt bestehenden engen Oligopols der Anbieter durch die Verbindung von VEBA und Gelsenberg verstärken würde.“ Bei einer Abwägung im Rahmen des § 24 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 müsse außer Betracht bleiben, inwieweit die deutsche Verhandlungsposition bei der Nachfrage auf dem internationalen Rohölmarkt durch den Zusammenschluss verbessert werde, da das Bundeskartellamt nur eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Geltungsbereiches des GWB überprüfen könne. Die Abwägungsklausel des § 24 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 sei insofern enger als die des § 24 Abs. 3 GWB a. F. vor 1999 im Rahmen der Ministererlaubnis. Das Bundeskartellamt ging daher davon aus, dass auf den genannten Märkten das Entstehen oder Verstärken beherrschender Stellungen zu erwarten sei, wobei s. E. gewisse objektive Anhaltspunkte für die betreffenden Auswirkungen genügten.

744

VEBA/Gelsenberg, in: WuW/E BKartA 1465.

378

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Der Bundesminister für Wirtschaft hat den Zusammenschluss gem. § 24 Abs. 3 GWB a. F. vor 1999 genehmigt und diese Ministererlaubnis im Wesentlichen wie folgt begründet:



Durch den Zusammenschluss werde die Energieversorgung gesichert, woran die Allgemeinheit ein überragendes Interesse habe. • Der Bundesregierung fehle ein leistungsfähiges deutsches Mineralölunternehmen, das unter Berücksichtigung seiner finanziellen Möglichkeiten und Kapazitäten befähigt sei, die deutschen Interessen auf dem internationalen Erdölmarkt wirksam zur Geltung zu bringen. Insofern verbessere der Zusammenschluss sowohl die Aussichten für erfolgreiche Verhandlungen mit den erdölfördernden Ländern über gesicherte Bezugsmengen als auch für eine unmittelbare Beteiligung an Großprojekten. • Durch die Erlaubnis zum Zusammenschluss werde auch die marktwirtschaftliche Ordnung nicht gefährdet; denn durch den Zusammenschluss VEBA/Goldenberg entstehe im Mineralölbereich nur ein Unternehmen, das im Weltmaßstab zu den mittleren Unternehmen rechne. Obwohl die Monopolkommission vom Bundesminister für Wirtschaft nicht mit der Erstattung eines Sondervotums beauftragt worden war, hat sie nach eigenem Ermessen ein Gutachten erstellt und darin folgende Positionen vertreten:







745

Eine Konkretisierung der Gemeinwohlklausel sei nur unter Zugrundelegung der von den zuständigen Verfassungsorganen formulierten Politik möglich; insofern sei das im Energieprogramm der Bundesrepublik von 1973 festgelegte Ziel einer langfristigen Mineralölversorgung zu akzeptieren. Die Zusammenschlusserlaubnis des Ministers dürfe sich allerdings nur soweit erstrecken, wie dies zur Erreichung des Gemeinwohl-Ziels erforderlich sei. Dies sei ausschließlich im Mineralölbereich der Fall, wo die Auffassung des BMWi nicht zu widerlegen sei, dass auf dem internationalen Rohölmarkt ein deutsches Unternehmen nur dann die erforderliche Verhandlungsstärke habe, wenn es eine gewisse Mindestgröße und staatliche Kapitalbeteiligung besitze. Das Ziel der Sicherung der Rohölversorgung hätte sich allerdings auch mit einem minus an Marktstrukturverschlechterung erreichen lassen, wenn der Zusammenschluss von vornherein auf die Gelsenberg AG und VEBAChemie AG beschränkt worden wäre. Die Monopolkommission sah eine Gefährdung der marktwirtschaftlichen Ordnung i.S. des § 24 Abs. 3 Satz 2 GWB a. F. vor 1999 dann als gegeben an, „wenn über die Beschränkung des Wettbewerbs auf einzelnen Produktmärkten hinaus auf umfassenden und gesamtwirtschaftlich wichtigen Bedarfsmärkten auch der langfristige Investitions- und Innovationswettbewerb beschränkt wird. Ein gesamtwirtschaftlich besonders wichtiger Bedarfsmarkt ist der Energiemarkt. Um sicherzustellen, dass die Substitutionsprozesse zwischen den in Teilbereichen konkurrierenden Energieträgern Mineralölerzeugnisse und Elektrizität über den Markt erfolgen, empfiehlt die Mehrheit der Kommission, vor allem die PREUSSENELEKTRA AG aus der erweiterten VEBA AG auszugliedern.“745

Monopolkommission, Sondergutachten 2, op. cit., S. 12.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

379

Der Fall VEBA/Gelsenberg wirft eine Reihe von interessanten Fragen auf:

• •



Die Notwendigkeit und Berechtigung der Tätigkeit der öffentlichen Hand in einer Reihe von Wirtschaftsbereichen, die noch dazu zu erheblichen Wettbewerbsbeschränkungen führt. Die Anwendung des GWB auf den Bund als Eigentümer von Unternehmen: im Rahmen dieses Zusammenschlussvorhabens hat gezeigt, dass einige Vertreter der öffentlichen Hand offenbar der Auffassung zuneigen, dass die öffentliche Hand – in Widerspruch zu § 98 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 – nicht den Fusionskontrollvorschriften des GWB unterliegt (!). Der vertikale Aspekt dieses Falles: Die Sicherung der nationalen Energieversorgung durch den Aufbau eines großen Konzerns ist angesichts der Entwicklung in den OPECStaaten nicht zum Tragen gekommen; es war nicht möglich, sich in Libyen oder anderen Ländern den Zutritt zu Mineralölquellen zu sichern, was Voraussetzung für den Aufbau eines unabhängigen international wettbewerbsfähigen Erdölkonzerns gewesen wäre.

Fall Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüro (1982)746 Die Lufthansa Commercial Holding GmbH in Köln (LCH), eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Deutschen Lufthansa AG (LH), hatte mit Wirkung vom 1. Januar 1980 je 50 % der Anteile der f.i.r.s.t. Reisebüro GmbH & Co. KG in Düsseldorf (im Folgenden f.i.r.s.t. KG) und deren persönlich haftender Gesellschafterin, der f.i.r.s.t. Reisebüro GmbH (im Folgenden f.i.r.s.t. GmbH), erworben. Im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss wurde ein Rahmenvertrag zwischen 22 Reisebüro-Unternehmen, die bis zum Zusammenschluss alleinige Gesellschafter der f.i.r.s.t. GmbH und Kommanditisten der f.i.r.s.t. KG waren (sog. f.i.r.s.t.Altgesellschafter) und der Lufthansa geschlossen. Gleichzeitig verpflichteten sich fünf der f.i.r.s.t.-Altgesellschafter, die gleichzeitig auch Gesellschafter der Touristik Union International GmbH KG (TUI) waren, gegenüber der TUI die Interessen der f.i.r.s.t. KG zu vertreten (sog. Stimmbindungsvereinbarung). Außerdem stellten die fünf f.i.r.s.t.-Altgesellschafter der LH die Möglichkeit einer Repräsentanz bei der TUI in Aussicht, in dem diese einen beiden Parteien genehmen Repräsentanten der Lufthansa zur Wahl in den Aufsichtsrat der TUI vorschlagen wollten. Das Bundeskartellamt hatte diesen Zusammenschluss untersagt, da zu erwarten war, dass durch den Zusammenschluss die marktbeherrschende Stellung der Deutschen Lufthansa einschließlich verbundener Unternehmen als Anbieter von Flugleistungen für Pauschaltouristikflüge i.S. von § 24 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 verstärkt werden würde. Als räumlich relevanter Markt wurden alle Touristenflüge angesehen, die im Geltungsbereich des GWB angeboten und nachgefragt werden und von hier ihren Ausgang nehmen. Angesichts der Angebotsflexibilität der Flugunternehmen im Verhältnis zu den diese Flugleistungen nachfragenden Pauschalreiseveranstaltern sei eine Abgrenzung räumlich getrennter Märkte im Bereich des Kurz- und Mittelstreckenverkehrs nicht vorzunehmen. Als sachlich relevanter Markt wurde der Markt für Touristikflugleistungen im Charterverkehr und für Pauschaltouristik-Flugleistungen im Linienverkehr (sog. IT-Flüge) zugrundegelegt. Unmittelbare Nachfrager nach Touristikflugleistungen sowohl im Charterverkehr als auch im Linienverkehr sind Pauschalreiseveranstalter, die diese Flugleistungen mit weiteren 746

Vgl. Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüro, in: WuW/E BKartA 1908 ff. und OLG 2849 ff.

380

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

LH (mit Condor)

LTU

Hapag-Lloyd

100 % TUI und andere als Nachfrager von Flugreisen und Anbieter von Pauschalreisen

LCH

50 %

f.i.r.s.t. GmbH

50 %

f.i.r.s.t. GmbH & Co KG

21 TUI–eigene Reisebüros

andere Reisebüros

22 f.i.r.s.t.–Altgesellschafter

Leistungen (Hotelaufenthalt etc.) kombinieren und als Pauschalreisen an die Endverbraucher absetzen. Die Preisunterschiede zwischen diesen beiden Formen von Touristikflugleistungen hätten sich aus strukturellen Gründen auch soweit verringert, dass beide Flugleistungen aus der Sicht der Veranstalter wettbewerbliche Alternativen darstellten. Dafür spräche auch, dass die Linienfluggesellschaften ihre IT-Flugpreise an die Entwicklung der Charterflugpreise tendenziell anpassten und die originäre Nachfrage nach IT-Reisen vom Preisunterschied zu Charterflugreisen abhinge. Die überragende Marktstellung der Lufthansa bei Pauschaltouristikflugleistungen resultiere aus verschiedenen Faktoren:



• •



Die Umsätze der Lufthansa lagen auf dem relevanten Markt im Jahre 1980 nahezu doppelt so hoch wie die von LTU und überstiegen die der Hapag-Lloyd GmbH um ca. 60 %, wobei es für die Erfassung einer marktbeherrschenden Stellung nicht auf die mengenmäßigen Marktanteile ankomme. Die Marktanteile der ausländischen Fluggesellschaften seien nur gering; hinzu komme, dass von ihnen nur ein begrenzter Wettbewerbseinfluss auf die deutschen Flugunternehmen ausgehe. Die überragende Marktstellung der Lufthansa im Verhältnis zu den inländischen Wettbewerbern ergebe sich neben ihrem Marktanteilsvorsprung insbesondere durch die ressourcenmäßigen und marktstrategischen Vorteile. Die Deutsche Lufthansa verfüge im Verhältnis zu ihren inländischen Wettbewerbern über die mit Abstand größte Finanzkraft; hinzu komme, dass die LH sich mehrheitlich im Besitz des Bundes befinde, womit ihr Bestand wesentlich gesicherter sei als der der inländischen Mitbewerber. Während der Hapag-Lloyd-Konzern auf dem relevanten Markt lediglich mit Charterpauschalflügen tätig sei, betreibe die LH noch das Luftfrachtgeschäft und den Linienpassagierverkehr. Insbesondere der Linienverkehr eröffne der LH Mischkalkulationsmöglichkeiten im Charterbereich, die die Schwankungen im Charterflugbereich leichter

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

381

auffangen und verkraften ließen. Der Rückgang der durch Condor im Charterverkehr im Jahr 1980 beförderten Passagiere sei zumindest teilweise das Ergebnis einer durch Flottenumstellung zugunsten des Linienverkehrs geplanten Angebotsreduktion. Insofern seien die Umsatz- und Marktanteilsveränderungen des LH-Konzerns nicht Ausdruck wesentlichen Wettbewerbs i.S. von § 22 GWB a. F. vor 1999, sondern Ausdruck einer Marktstrategie. • Die LH verfüge ferner aufgrund ihrer weltweiten Linienflugaktivitäten über wesentliche ressourcenmäßige und sonstige Vorteile hinsichtlich der technischen Kapazität, des Know-how sowie des Marktzuganges. Die Fixkostenbelastung des Touristikcharterfluggeschäftes sei bei der LH geringer als bei den inländischen Wettbewerbern. Das Bundeskartellamt stellte ebenfalls fest, dass die bereits vorhandene überragende Marktstellung von LH bei Pauschaltouristikflügen durch einen Zusammenschluss i.S. von § 23 GWB a. F. vor 1999, der zu einer strukturellen Verbindung zwischen dem LH-Konzern und der TUI führe, verstärkt werde:







Der Zusammenschluss führe zu einer Einsicht-, Mitsprache- und Einflussmöglichkeit von LH bei der Touristik Union International, da fünf Altgesellschafter der f.i.r.s.t. KG gleichzeitig TUI-Gesellschafter mit einem Gesellschaftsanteil von über 10 % sind. Der Gesellschaftsanteil an der TUI von über 10 % gewähre den fünf Altgesellschaftern Sperrechte in der Gesellschafterversammlung und räume ihnen u.a. die Möglichkeit ein, ein Mitglied in den neunköpfigen Aufsichtsrat der TUI vorzuschlagen und zu entsenden. Der Aufsichtsrat sei jedoch bei TUI das entscheidende Gremium, das alle wichtigen unternehmens- und marktbezogenen Entscheidungen treffe. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessenlage würden die fünf Altgesellschafter ihre Einflussmöglichkeiten bei der TUI auch in den Dienst der Lufthansa stellen. Das Interesse der Lufthansa an dem Zusammenschluss liege neben einer weiteren Ausdehnung im Reisebürobereich wesentlich in der Gewinnung von Einfluss auf die TUI als potentem Nachfrager nach Pauschalreisen. Diese überragende Marktstellung von Lufthansa werde durch die – faktisch einer Gesellschafterstellung bei der TUI entsprechende – Position aufgrund des Zusammenschlusses verstärkt. Nicht nur die Angebots-, sondern auch die Nachfrageseite des Marktes für Pauschaltouristikflüge seien bereits jetzt hoch konzentriert. TUI sei der mit Abstand größte Veranstalter von Flugpauschalreisen mit dem umfangreichsten Reisebüronetz. Durch die Verflechtung erhalte Lufthansa die Möglichkeit, ihre Interessen als Anbieter von Flugleistungen beim größten Nachfrager nach diesen Leistungen unmittelbar und mit mehr Nachdruck als bisher zu vertreten. Die vertikale Verflechtung eröffne Lufthansa daher die Möglichkeit, bereits auf den Entscheidungsprozess bei der Festlegung der Geschäftspolitik der TUI einzuwirken und andererseits ihre Geschäftspolitik frühzeitiger und gezielter auf die von TUI abzustimmen. Damit würden die Wettbewerbschancen der Hapag-Lloyd Flug GmbH bei Abschlüssen mit der TUI gemindert und die überragende Marktstellung von Lufthansa abgesichert. Darüber hinaus werde die überragende Marktstellung von Lufthansa durch den Zuwachs von Aktivitäten und Einflussmöglichkeiten auf dem nachgelagerten Markt des Reisebürobereichs verstärkt. Die Lufthansa sei auf dem nachgelagerten Markt bereits durch Global-Tourist tätig. Diese vertikale Verflechtung werde durch die je 50 % ige Beteiligung an der f.i.r.s.t. KG und der f.i.r.s.t. GmbH verstärkt, da diese Reisebürogruppe – insbesondere in Nordrhein-Westfalen – auch von der LTU in erheblichem Umfange

382

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Flugleistungen nachgefragt habe (1980 im Werte von ca. 15 Mio. DM). Dadurch würden die Marktchancen der Wettbewerber im Verhältnis zur Lufthansa weiter eingeschränkt. Das Kammergericht hat 1982 die Untersagung des Zusammenschlusses bestätigt, da die Verflechtung zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von Lufthansa auf dem Markt für Touristikflugleistungen führe, ohne dass dadurch überwiegende Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen einträten. In der Begründung folgte das Kammergericht im Wesentlichen dem Bundeskartellamt. Zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist es nicht gekommen, da der vom Bundeskartellamt untersagte Zusammenschluss aufgelöst worden ist. Die Lufthansa Commercial Holding GmbH hat ihre 50 % ige Beteiligung durch Übertragung von Anteilen auf die f.i.r.s.t.-Altgesellschafter auf etwa 21 % reduziert. Der Gesellschaftsvertrag der KG und die Satzung der Komplementär-GmbH sind so geändert worden, dass die LCH bei der f.i.r.s.t. Reisebüro GmbH & Co. keine Stellung mehr innehat, die einen Zusammenschlusstatbestand erfüllt. Das beim Bundesgerichtshof anhängige Rechtsbeschwerdeverfahren ist daher von den Verfahrensbeteiligten für erledigt erklärt worden.747

3.

Konglomerate Zusammenschlüsse

Konglomerate Zusammenschlüsse sind im 6. Kap. negativ definiert worden als Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftseinheiten, die weder auf dem gleichen relevanten Markt tätig sind (horizontal) noch in einem Käufer-Verkäuferverhältnis (vertikal) stehen. Bei dem Versuch einer positiven Definition konnten drei Untergruppen konglomerater Zusammenschlüsse unterschieden werden:



Markterweiterungs-Zusammenschlüsse als Grenzfälle horizontaler Zusammenschlüsse, bei denen die fusionierenden Unternehmen entweder gleichartige Produkte für räumlich getrennte Märkte (market extension merger) oder unterschiedliche Produkte mit einer gewissen Produktions- oder Absatzflexibilität für räumlich einheitliche oder zumindest sich überschneidende Märkte (product extension merger) herstellen. • Marktverkettungs-Zusammenschlüsse (reciprocal dealings) als Grenzfälle vertikaler Zusammenschlüsse, bei denen eines der beteiligten, vormals selbständigen Unternehmen entweder Kunde eines Kunden oder Lieferant eines Lieferanten eines anderen beteiligten Unternehmens ist. • Marktdiversifikations-Zusammenschlüsse (pure conglomerates) als eine Art negativer Restgröße, wenn weder ein Markterweiterungs- noch ein Marktverkettungszusammenschluss vorliegen. Die wettbewerbspolitische Problematik der Erfassung konglomerater Zusammenschlüsse soll anhand des Falles Rheinmetall/WMF exemplifiziert werden.

747

Vgl. Tätigkeitsbericht Bundeskartellamt 1983/84, in: BTDr 10/3550, S. 98.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

383

Fall Rheinmetall/WMF (1985)748 1980 hatte Rheinmetall 75% des Kapitals der Württembergischen Metallwarenfabrik AG (WMF) erworben, um die aus dem Wehrbereich für die Unternehmensgruppe Rheinmetall resultierende Risikobelastung durch Diversifikation zu mindern. WMF war der führende inländische Anbieter von Bestecken und Großkaffeemaschinen, so dass das Bundeskartellamt 1981 den angemeldeten Anteilserwerb untersagt hatte, wobei die sachliche Abgrenzung des relevanten Marktes strittig war. Das Kammergericht hatte 1983 auf der Grundlage des Bedarfsmarktkonzeptes den Markt für Bestecke aus rostfreiem Edelstahl als relevanten Markt angesehen und dabei Bestecke aus Silber bzw. mit Silberauflage sowie namenlose Billigprodukte unterster Qualität jeweils anderen Märkten zugeordnet. Es hatte darauf abgestellt, dass Edelstahlbestecke robuster und einer Dauerbeanspruchung besser gewachsen seien als silbernes bzw. versilbertes Besteck und zudem keiner besonderen Pflege bedürften. Der Bundesgerichtshof wies darauf hin, dass die Nichteinbeziehung der versilberten Bestecke Rheinmetall zum Vorteil gereiche, da sich bei Einbeziehung der versilberten Bestecke höhere Marktanteile für WMF ergeben würden, als sie das Kammergericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe. Er hielt auch die Ausklammerung der namenlosen Billigprodukte unterster Qualität für gerechtfertigt, da diese Billigbestecke gerade nicht den für die sonstigen Edelstahlprodukte typischen Gebrauchszweck erfüllen, nämlich als ein Besteck von guter und robuster Qualität auf lange Dauer verwendet werden zu können. Der BGH hielt daher die Abgrenzung des relevanten Marktes für gerechtfertigt und bejahte auch das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung auf dem derart abgegrenzten relevanten Markt. Die marktbeherrschende Stellung hatte das Kammergericht aufgrund des hohen Marktanteils sowie weiterer Strukturvorteile angenommen. Das KG hatte für die Jahre 1979 bis 1981 Marktanteile von WMF in Höhe von 30,8%, 32,58% und 29,96% errechnet. Darüber hinaus hatte das KG auf den erheblichen Abstand zu den übrigen Wettbewerbern abgestellt, da der nächstgroße Wettbewerber nur ein Viertel, die beiden folgenden nur je ein Neuntel des WMF-Anteils erreichten und der übrige Markt zersplittert war. Nach Auffassung des BGH hat das Kammergericht ohne Rechtsverstoß eine Reihe von für die Marktstellung entscheidenden Wettbewerbselementen berücksichtigt und in seine Wertung einbezogen:



Die überlegene Finanzkraft von WMF im Vergleich zu den nächstgroßen Besteckherstellern als mittelständischen Unternehmen mit geringen finanziellen Ressourcen und vergleichsweise unbedeutenden Umsätzen (Parallele zum Fall Sachs/GKN);

748

Vgl. Rheinmetall/WMF, in: WuW/E BKartA 1867 ff., OLG 3137 ff. und BGH 2150 ff. Der Fall Rheinmetall/WMF schließt sich unmittelbar an den 1978 vom BGH entschiedenen Fall Sachs/GKN an, in: WuW/E BGH 1501 ff., der in der 2. Auflage dieses Lehrbuches auf den Seiten 288 bis 290 dargestellt worden war. Dem Fall Sachs/GKN war der Fall Johnson/Hahn, in: WuW/E BKartA 1561 ff. vorangegangen, in welchem es um die Verstärkung der beherrschenden Stellung auf dem Markt für Tampons ging, da dem deutschen Unternehmen Carl Hahn GmbH, Düsseldorf, durch den Zusammenschluss Ressourcen zugewachsen wären, die seinen Verhaltensspielraum auf den beherrschten Märkten vergrößert bzw. Marktzutrittsschranken erhöht hätten. Die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes wurde vom Kammergericht aus formellen Gründen aufgehoben, da die Untersagungsfrist von 1 Jahr nicht eingehalten worden war (WuW/E OLG 1712 ff.).

384



13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie Die Kette der langjährig eingeführten Einzelhandelsgeschäfte sowie die eigenen Fertigungsstätten in Fernost, die als besondere Beschaffungs- und Absatzmöglichkeiten mit einem beachtlichen Wettbewerbsvorsprung gleichbedeutend seien; Die hohe Marktgeltung des Firmenkürzels WMF und des Markenzeichens Chromagan.

• Aufgrund dieser Strukturmerkmale sei das Kammergericht zu Recht von einem durch Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum ausgegangen, zumal es nach Auffassung des BGH keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass aktuelle oder potentielle Wettbewerber den bei WMF kumuliert vorhandenen Struktur- und Wettbewerbsvorteilen hinreichend begegnen könnten. Das Kammergericht habe daher zu Recht in dem Erwerb von 57% des stimmberechtigten Grundkapitals an WMF durch Rheinmetall die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung von WMF auf dem Besteckmarkt gesehen. Die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 24 Abs. 1 GWB a. F. vor 1999 könne auch in einem Zuwachs an Finanzkraft liegen, der die errungene Marktstellung festige und sichere, weil er die Fähigkeit zur Abwehr nachstoßenden Wettbewerbs steigere und somit die vorhandenen und potentiellen Konkurrenten entmutige und von einer aggressiven Wettbewerbspolitik abschrecke. Das Kammergericht hatte den Zuwachs an Finanzkraft daraus abgeleitet, dass WMF durch den Zusammenschluss in eine Unternehmensgruppe mit fast 3 Mrd. DM Umsatz eingebunden werde, so dass Rheinmetall bei Bedarf jederzeit die zur Durchsetzung oder Behauptung am Markt notwendigen Mittel zur Verfügung stelle. Der BGH sah in dieser Umsatzkumulation einen Abschreckungs- und Entmutigungseffekt bei aktuellen und potentiellen Wettbewerbern, da sich aus der Sicht Außenstehender die finanzielle Stärke eines Unternehmens vorrangig nach seinem Umsatz richte, zumal andere Finanzkriterien der Öffentlichkeit regelmäßig nicht bekannt seien. Die Fälle Sachs/GKN und Rheinmetall/WMF haben allerdings keine grundsätzliche Klärung der Frage der Erfassung konglomerater Zusammenschlüsse gebracht. Nach wie vor bleibt nach dem Gesetz entscheidend, dass auf irgendeinem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung entsteht bzw. verstärkt wird.

IV. Zur wettbewerbspolitisch adäquaten Erfassung der Konzentrationsstrategie Das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen bedient sich zur Erfassung der Konzentrationsstrategie einer Kombination von regulation approach und structure approach; d.h., einerseits wird das Verhalten von Unternehmen, die nicht mehr durch wirksamen Wettbewerb kontrolliert werden, im Einzelfall durch eine ex post-Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden kontrolliert, andererseits wird im Rahmen der Fusionskontrolle versucht, kompetitive Marktstrukturen aufrechtzuerhalten. Anders als im US-amerikanischen Antitrustrecht (vgl. sec. 2 Sherman Act) fehlt im deutschen Recht allerdings die Möglichkeit der echten, d.h. von der Fusionskontrolle unabhängigen Entflechtung zur Wiederherstellung kompetitiver Strukturen bei Missbrauch von Marktmacht. Demgegenüber sieht Art. 7 I 2 VO Nr. 1/2003 der EG nicht nur Maßnahmen verhaltensorientierter, sondern auch struktureller Art vor.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

1.

385

Erfassung des Ausbeutungsmissbrauchs

Die Erfahrungen mit den Missbrauchsverfahren gegen die Mineralölindustrie und die pharmazeutische Industrie zeigen, dass die Tatbestandsmerkmale relevanter Markt und marktbeherrschende Stellung bzw. überragende Marktstellung nach Einführung der Legalvermutungen hinreichend justitiabel sind; lediglich im Hinblick auf die Erfassung marktbeherrschender Oligopolgruppen i.S. des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB verbleiben Zweifel, ob das geltende Recht ausreichend justitiabel ist. Das gilt gleichermaßen für Art. 102 EGV (vgl. den Fall Airtours/ First Choice). Sieht man einmal von der schwer zu quantifizierenden fleet-in-being-Wirkung ab, so war die Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden im Hinblick auf die Erfassung des sog. Ausbeutungsmissbrauchs (d.h. Schutz vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen im Hinblick auf zu niedrige oder zu hohe Preise o.ä.) weitgehend unwirksam, da der unbestimmte Rechtsbegriff „Missbrauch“ nicht operationalisiert werden konnte und damit nicht justitiabel war; die sehr restriktive Rechtsprechung hat mit der Einführung von zahlreichen Zuschlägen wesentlich dazu beigetragen.749 Der Gesetzgeber hat daher im Rahmen der Vierten GWB-Novelle die Erfassung des sog. Ausbeutungsmissbrauches mit Hilfe des Konzeptes eines Als-ob-wirksamen Wettbewerbs im Gesetz verankert, indem der unbestimmte Rechtsbegriff Missbrauch beispielhaft konkretisiert wurde, so dass die Vierte Kartellnovelle eine Reihe von Klarstellungen gebracht hat:



Explizite Verankerung des von der Freiburger Schule entwickelten Als-ob-Prinzips im Gesetz, womit die teilweise geltend gemachten rechtlichen Bedenken und Angriffe gegen jegliche performance-Kontrolle gegenstandslos sein dürften. • Die Konkretisierung des Als-ob-Maßstabes durch das sachliche und räumliche Vergleichsmarktkonzept ist nicht abschließend, sondern nur beispielhaft („insbesondere“). Andererseits stimmt bedenklich, dass der Bericht des Wirtschaftsausschusses750 wiederum sehr stark die vom BGH eingeführten sog. Sicherheitszuschläge bei der Berechnung des Alsob-Preises betont hat, die den Unterschieden zwischen dem wettbewerblichen Vergleichsmarkt und dem für die Missbrauchsaufsicht relevanten Markt Rechnung tragen sollen. Da sich angesichts der Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Beweiswürdigung schon bei der Feststellung des Vergleichspreises implizit erhebliche Zuschläge ergeben, scheint es nicht gerechtfertigt, darauf noch ein zweites Mal weitere (explizite) Sicherheitszuschläge zu erheben. Derartige Formulierungen laufen auf eine Privilegierung marktbeherrschender Unternehmen hinaus, die von der ratio legis des § 19 GWB nicht gedeckt ist, was den BGH

749

750

So hat das KG in dem Verfahren des BKartA gegen Aral, BP, DEA, Esso und Shell (WuW/E OLG 4640 ff.) für den Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 56 GWB a. F. vor 1999 wegen überhöhter Benzinpreise „eine nicht durch ernstliche Zweifel geminderte Gewissheit über den behaupteten Gesetzesverstoß“ und die Erforderlichkeit der Anordnung, „um bereits bis zur Hauptsachenentscheidung drohende irreparable Nachteile oder schwere Schäden im Interesse des Gemeinwohls abzuwenden“ verlangt – Anforderungen, die von den Kartellbehörden praktisch nicht zu erbringen sind. Vgl. auch Kuhn, Tilman, Preishöhenmißbrauch (excessive pricing) im deutschen und europäischen Kartellrecht, in: WuW 56 (2006), S. 578 ff. Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GWB, in: BTDr 8/3690, S. 25.

386

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

jedoch im Falle Lufthansatarife751 nicht daran gehindert hat, einen „deutlichen Abstand“ zwischen dem missbräuchlich überhöhten und dem Vergleichspreis zu fordern. Die Vorschriften über die Kontrolle des Ausbeutungsmissbrauchs werden derzeit nur noch selten angewendet – vorwiegend im Bereich der Versorgungswirtschaft752. Im Interesse einer größeren Justitiabilität könnte § 19 GWB – analog zur Bestimmung der Netzzugangsentgelte in § 21 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 EnWG – durch einen § 19 Abs. 5 GWB ergänzt werden: „Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, durch RVO mit Zustimmung des Bundesrates Methoden zur Bestimmung wettbewerbskonformer Entgelte und Geschäftsbedingungen i.S. von § 19 Abs. 4 lit. 2 GWB zu bestimmen.“ Angesichts der unbestreitbaren Unterschiede zwischen den verschiedenen Märkten könnten für die in Frage kommenden Wirtschaftszweige (z. B. Pharma- oder Energiemarkt) jeweils gesonderte RVOs erlassen werden. Die EK könnte dieses Problem entweder durch Leitlinien oder VOs lösen.

2.

Erfassung des externen Unternehmenswachstums

Die ausführlichste Auseinandersetzung mit der Praxis der Fusionskontrolle findet sich in den Hauptgutachten der Monopolkommission.753 Ihre Kritik hat wesentlich dazu beigetragen, dass das fusionsrechtliche Instrumentarium im Rahmen der Vierten GWB-Novelle in einer Reihe von Punkten verbessert worden ist.754 Im Einklang mit der Monopolkommission ist die Bundesregierung im Rahmen der Vierten GWB-Novelle davon ausgegangen, dass die Fusionskontrolle in dem wichtigen Bereich der horizontalen Zusammenschlüsse aufgrund der Legalvermutungen des § 22 Abs. 3 GWB a. F. vor 1999 hinreichend funktioniert und eine spürbare Verringerung der Konzentrationstendenzen bewirkt habe; dagegen fehlten entsprechende Legalvermutungen für vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse, was zu einer asymmetrischen Behandlung von horizontalen Zusammenschlüssen einerseits und vertikalen sowie konglomeraten Zusammenschlüssen andererseits geführt habe. Aufgrund der zunehmenden Konzentration im Handel und der damit verbundenen Behinderung kleinerer und mittlerer Mitbewerber (horizontal) sowie der Ausbeutung vorgelagerter Wirtschaftsstufen durch Nachfragermacht (vertikal) hat die Bundesregierung im Rahmen der Fünften GWB-Novelle den Begriff der überragenden Marktstellung i.S. des § 19 Abs. 2 S. 1 lit. 2 GWB durch die Einfügung nachfragebezogener Strukturelemente (Umstellungsflexibilität und Alternativen der Marktgegenseite) konkretisiert. Im Rahmen der 6. GWB-Novelle ist eine partielle Harmonisierung mit der Europäischen Fusionskontroll VO erfolgt:

751 752 753 754

Vgl. Lufthansatarife, in: WuW/E DE-R 375 ff., 379 f. Vgl. Monopolkommission, 12 HGA 1996/97: Marktöffnung umfassend verwirklichen, Baden-Baden 1998, Tz. 303. Vgl. die jeweiligen Kapitel über die Fusionskontrolle in den HGAs der Monopolkommission (vgl. Weiterführende Literaturhinweise zum 8. Kapitel ). Vgl. Schmidt, Ingo, Inwieweit verbessert die Vierte Kartellnovelle das wettbewerbspolitische Instrumentarium?, in: List-Forum 10 (1979/80), S. 325 ff.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

387



Übergang zur ex ante-Kontrolle, d.h. alle Zusammenschlüsse i.S. des § 37 GWB sind gem. § 39 GWB vor dem Vollzug beim Bundeskartellamt anzumelden. In 1998, dem letzten Jahr vor dem Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle am 1. Januar 1999, unterlagen infolge des nominellen Umsatzwachstums bereits ca. ¾ aller Zusammenschlüsse der zwingend präventiven Kontrolle. • In Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 3 FKVO ist in § 37 Abs. 1 lit. 2 der „Kontrollerwerb“ als eine flexible Generalklausel eingefügt worden. Die Monopolkommission755 hält allerdings den Zusammenschlussbegriff „Kontrollerwerb“ für den „Massenbetrieb des nationalen Rechts“ für ungeeignet, da das Bundeskartellamt mit den erforderlichen umfangreichen Einzelfallprüfungen überfordert sei. I. E. würden quantitative Kriterien im Hinblick auf die Rechtssicherheit operationaler sein. • Ferner sind im Rahmen der 6. GWB-Novelle zwei seit langem kritisch diskutierte Punkte einer Lösung zugeführt worden: Die Freigabe von Fusionen im Hauptprüfverfahren muss in Zukunft begründet werden; damit wird die Verfahrenstransparenz vergrößert und in ihren Rechten betroffene Dritte können künftig gegen Freigabeentscheidungen Beschwerde einlegen (Drittklagebefugnis gem. § 40 Abs. 2 S. 1 GWB). Gem. § 40 Abs. 3 S. 1 GWB kann das Bundeskartellamt in Zukunft die Freigabe einer Fusion mit Bedingungen und Auflagen verbinden. Damit wird die Zusagenpraxis des Bundeskartellamtes, die sich des Instrumentes der Entflechtungszusage als öffentlich-rechtlicher Vertrag bediente, obsolet.756 • Die speziellen Legalvermutungen für vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse in § 23 a Abs. 1 lit. 1 und 2 GWB a.F. vor 1999 sind gestrichen worden, da sie in der Praxis keine wesentliche Bedeutung erlangt haben. Die echte Oligopolvermutung des § 23 a Abs. 2 GWB a.F. vor 1999 mit Beweislastumkehr ist zwecks besserer Erfassung enger Oligopole in den § 19 Abs. 3 GWB übernommen worden, so dass sie für die Fusionskontrolle unverändert weiter gilt. Die Sechste Kartellnovelle hat im Hinblick auf eine präventive Fusionskontrolle, die Drittklagebefugnis betroffener Unternehmen und die Möglichkeit des Bundeskartellamtes, in Zukunft die Freigabe von Entscheidungen mit Auflagen und Bedingungen zu verbinden, Fortschritte gebracht. Dagegen wird die Überführung der Bagatellmarktklausel i.S. des § 24, Abs. 8 Nr. 3 GWB a. F. vor 1999 in einen reinen Anmeldetatbestand negativ bewertet.757 Die alte Bagatellmarktklausel beschränkte lediglich die Untersagungsbefugnis des Bundeskartellamtes, ohne dass an der Anmeldepflicht der Unternehmen und ihrem Recht zur Prüfung der Bagatellmarktvoraussetzungen gerührt wurde. Der neue § 35 Abs. 2 S. 1 lit. 2 GWB überlässt es dagegen den betroffenen Unternehmen selbst, die räumlich und sachlich relevanten Märkte abzugrenzen und damit über die Betroffenheit eines Marktes zu entscheiden. Da bei der Fusionskontrolle die Frage der engen oder weiten Abgrenzung des relevanten Marktes Hauptstreitpunkt ist, werden mit dieser „Selbstveranlagung“ der Unternehmen Umgehungsmöglichkeiten Tür und Tor geöffnet.

755 756

757

Vgl. Monopolkommission, 12. HGA 1996/97, op.cit., Tz. 96. Vgl. zur Darstellung und kritischen Würdigung der bisherigen Zusagenpraxis durch die Monopolkommission, 7. HGA 1986/87: Die Wettbewerbsordnung erweitern, Baden-Baden 1988, Tz. 402–426, und dies., 12. HGA 1996/97, op.cit., Tz. 274, wo in tabellarischer Form eine kurze Fallbeschreibung, eine Charakterisierung des jeweiligen Zusagentyps und eine Aussage über den Vollzug der Zusage erfolgt. Vgl. Monopolkommission, 12. HGA 1996/97, op.cit., Tz. 95.

388

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Ausblick auf die künftige Fusionskontrolle Bisher sind im Rahmen der verschiedenen Novellen folgende Fragenkomplexe nicht gelöst worden: (1) Dem Druck der Lobby auf die Erteilung sog. Ministerfusionen i.S. des § 42 Abs. 1 GWB ist bisher kein wirksamer Riegel vorgeschoben worden (vgl. zuletzt E.ON und Holtzbrinck). (2) Eine klare Differenzierung der Eingreifkriterien758 im Hinblick auf den Behinderungsund Ausbeutungsmissbrauch bzw. Fusionskontrolle und Entflechtung fehlt. Während der Ausbeutungsmissbrauch in ökonomischer Sicht eine weitgehende Beherrschung und Kontrolle des Marktes voraussetzt, ist der Behinderungsmissbrauch auch schon im Vorfeld der Marktbeherrschung festzustellen.759 Der Behinderungsmissbrauch muss jedoch im Interesse der Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen möglichst frühzeitig verhindert bzw. unterbunden werden (sog. incipiency doctrine im amerikanischen Antitrustrecht). Bei einer generellen Erfassung des Behinderungsmissbrauchs würden sich de lege ferenda drei Eingriffsschwellen ergeben:







758 759

760 761

Im Hinblick auf den Behinderungsmissbrauch keine Begrenzung des Normadressatenkreises (vgl. sec. 5 a FTC Act), da es bei der Behinderung letztlich nur auf den Missbrauch ankommt, womit im Ergebnis der Normadressatenkreis wieder eingeschränkt wird, da sich nur Unternehmen mit Marktmacht missbräuchlich verhalten können. Ähnliche Überlegungen finden sich in dem Professoren-Paper zur Reform des Art. 102 EGV.760 Wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen, insbesondere nicht ausreichende und zumutbare Möglichkeiten für die Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen, als Untersagungskriterium für Fusionen nach § 36 GWB (vgl. sec. 7 Clayton Act), wobei – angesichts der Absenkung des Eingreifkriteriums und damit der größeren Möglichkeit des Auftretens von Zielkonflikten – eine efficiency defense mit Beweislastumkehr vorgesehen werden könnte. Die wettbewerbspolitische Tragweite des 2004 eingeführten SIEC-Tests in Art. 2 III FKVO (=erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs) lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, da es bislang keine Rechtsprechung des EuG und des EuGH gibt. Bei verständiger Interpretation könnte dieser Test der geforderten „wesentlichen Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen“ entsprechen. Marktbeherrschung als Fehlen von wesentlichem Wettbewerb im Sinne von § 19 GWB bzw. Art. 102 EGV als Voraussetzung für die Erfassung von Ausbeutungsmissbrauch bzw. Eingreifskriterium im Falle von Entflechtungen.761 Art. 7 der VO Nr. 1/2003 sieht Vgl. den guten Überblick über die verschiedenen in den US-Reform Bills de lege ferenda vorgeschlagenen Eingreifkriterien bei Bartling, Hartwig, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, München 1980, S. 118 f. Diese Problematik wird exemplifiziert durch die Nicht-Untersagung der Fusion Metro/Allkauf Mitte 1998 durch das Bundeskartellamt. Das fusionierte Unternehmen versuchte, aufgrund der erlangten Marktmacht rückwirkend ungerechtfertigte Vorzugskonditionen von seinen Lieferanten zu erlangen, was vom Bundeskartellamt nach den §§ 20 Abs. 2 und 3 GWB untersagt wurde (vgl. WuW/E DE-V 94 ff., DE-R 699 ff. und 984 ff.). § 20 Abs. 2 und 4 GWB sind Ausdruck dieser Erkenntnis. Vgl. Europäische Kommission, Diskussionspapier über Marktmissbräuche, im Internet unter: http:///europa.eu.int/comm/competition/antitrust/others/article 82 review.html. Vgl. den Vorschlag der Monopolkommission, 3. Hauptgutachten 1978/79: Fusionskontrolle bleibt vorrangig, Baden-Baden 1980, Tz. 662–804, zur Einführung einer Entflechtung.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

389

derartige Maßnahmen explizit vor, während § 32 II GWB bewusst vage nur von „erforderlichen Maßnahmen“ spricht, die „verhältnismäßig“ sein müssen. Im Hinblick auf konglomerate Großfusionen sollte aus ordnungs- und gesellschaftspolitischen Gründen ein per se-Verbot mit der Möglichkeit der economies of scope-defense eingeführt werden, zumal industrieökonomische Untersuchungen weltweit dokumentieren, dass sie überwiegend Ausdruck einer empire building policy des Managements und nicht betriebswirtschaftlicher Überlegungen sind (vgl. 5. Kap. III. 5.).762 Das Konzentrationsprivileg Die unterschiedliche Behandlung von Kartellen und Fusionen, d.h. Verbot von Absprachen bei einer nur spürbaren Marktbeeinflussung und Untersagung von Fusionen erst bei Erreichung der Marktbeherrschung (sog. Konzentrationsprivileg), ist wettbewerbspolitisch nicht gerechtfertigt:



Der Grad der Wettbewerbsbeschränkung ist bei Fusionen nachhaltiger als bei vergleichsweise losen und damit von der Auflösung bedrohten Kartellen und Absprachen. • Aufgrund des Effizienzpotentials ist die Wahrscheinlichkeit von Effizienzgewinnen i.w.S. bei Fusionen zwar größer als bei Kartellen, jedoch sind Effizienzsteigerungen nicht ad infinitum möglich; zudem treten gegengerichtete Effekte in Gestalt von XIneffizienzen, steigenden Organisationskosten bei vertikaler Integration und diseconomies of scope bei Konglomeraten auf. So zeigen empirische Untersuchungen, dass 75 % aller Megafusionen nicht erfolgreich sind (s.o. 5.Kap. II 5), so dass das Konzentrationsprivileg als solches kritisch hinterfragt werden muss. Daher sollte als einheitliches Eingreifkriterium für Fusionen und Absprachen die wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen bzw. der Alternativen für die Marktgegenseite Verwendung finden.763 Nur so kann der einheitlichen ratio legis: Sicherung der Wirksamkeit des Wettbewerbs, Rechnung getragen werden (vgl. Sec. 3 und 7 Clayton Act). Das sog. Alternativen-Konzept hätte im Vergleich zum üblicher Weise verwendeten kombinierten Struktur-Verhaltenstest den Vorteil der größeren Justitiabilität, da die Existenz bzw. Nicht-Existenz von ausreichenden und zumutbaren Alternativen für die Marktgegenseite leichter nachweisbar ist.

762 763

Vgl. Schmidt, Ingo, Ist „Größe an sich“ gefährlich?, in: WuW 36 (1986), S. 193 ff.; im Prinzip ähnlich Monopolkommission, 6. Hauptgutachten, op. cit., Tz. 468–483. Vgl. Schmidt, Ingo, und Annette Fritz, Pro und Contra Konzentrationsprivileg: Die unterschiedlichen Wirkungen von Kartellen und Fusionen auf Wettbewerb und Effizienz, in: Aktuelle Probleme der Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik, Erhard Kantzenbach zum 65. Geburtstag, hrsg. von Kruse, Jörn, und Otto G. Mayer, Baden-Baden 1996, S. 119 ff.

390

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Übungsfragen zum 13. Kapitel 1. 2. 3.

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Welche wettbewerbspolitischen und -rechtlichen Ansätze sind im Hinblick auf die Erfassung und Kontrolle einer „Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand“ (Konzentrationsstrategie) möglich? Skizzieren Sie die wettbewerbspolitische und -rechtliche Entwicklung der Erfassung und Kontrolle von Wettbewerbsbeschränkungen durch Zustand vor und nach der Zweiten GWB-Novelle von 1973. Die Fälle Zweites Benzinpreisverfahren (1974), United Brands (1978) und Valium (1980) haben einige grundsätzliche Probleme bei der Erfassung des Ausbeutungsmissbrauchs marktbeherrschender Unternehmen aufgezeigt. Nehmen Sie dazu Stellung, und zeigen Sie auf, inwiefern das geltende Recht dieser Problematik gerecht wird. Erklären Sie die im Zusammenhang mit der Erfassung des externen Unternehmenswachstums relevanten Begriffe Aufgreifkriterien, Eingreifkriterien und Ministerfusion. Skizzieren Sie die wettbewerbsbeschränkenden Effekte horizontaler Zusammenschlüsse in den Fällen Philipp Morris/Rothmans (1985) und Daimler/MBB (1989). Schildern Sie die wettbewerbsbeschränkenden Effekte vertikaler Zusammenschlüsse anhand der Fälle VEBA/Gelsenberg (1974) und Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüro (1982). Welche drei Untergruppen konglomerater Zusammenschlüsse können unterschieden werden? Welche wettbewerbspolitischen Probleme sind mit konglomeraten Zusammenschlüssen verbunden? Skizzieren Sie die wesentlichen Entscheidungsgründe im Fall Mannesmann/WMF. Worin ist eine Wettbewerbsbeschränkung gesehen worden? Diskutieren Sie, ob nach den Erfahrungen mit den Missbrauchsverfahren gegen die Mineralölindustrie und die pharmazeutische Industrie die Vierte GWB-Novelle eine wettbewerbspolitisch adäquate Erfassung des Ausbeutungsmissbrauchs ermöglicht. Stellen Sie die Verbesserungen der Erfassung des externen Unternehmenswachstums durch die Fünfte und Sechste GWB-Novelle ausführlich dar. Welche Argumente sprechen für eine Absenkung des Eingreifkriteriums in der Fusionskontrolle? Diskutieren Sie die These: „Fusionen sind nichts anderes als legalisierte Kartelle“! Erörtern Sie die Pros und Cons des Konzentrationsprivilegs. Welche Fragenkomplexe sind auch im Rahmen der letzten GWB-Novellen noch nicht gelöst worden?

Weiterführende Literaturhinweise zum 13. Kapitel Emmerich, Volker, Fälle zum Wettbewerbsrecht, 4. neu bearb. Aufl., München 2000, S. 117– 182. Hoppmann, Erich, Marktbeherrschung und Preismissbrauch: Möglichkeiten und Grenzen kartellrechtlicher Preiskontrollen, dargestellt am Beispiel der pharmazeutischen Industrie, Baden-Baden 1983.

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

391

Kuhn, Tilman, Preishöhenmißbrauch (excessive pricing) im deutschen und europäischen Kartellrecht, in: Wirtschaft und Wettbewerb Jg. 56 (2006), S. 578 ff. Liener, Gerhard, Die Akte Reuter, in: manager magazin 1995, S. 30 ff. Markert, Kurt, Die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, in: Handbuch des Wettbewerbs: Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, hrsg. von Helmut Cox, u.a., München 1981, S. 297–329. ders., Kartellrechtsanwendung im Kraftstoffbereich: Zwischen Verbraucher- und Mittelstandsschutz, Sonderdruck zum 75-jährigen Gründungsjubiläum der UNITI, Hamburg 2002. Möschel, Wernhard, Entflechtungen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen: Eine vergleichende rechtspolitische Studie, Tübingen 1979. Monopolkommission, Sondergutachten 1: Anwendung und Möglichkeiten der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle, Baden-Baden 1975, Tz. 35–38. Müller, Armin, Kriterien für die Kontrolle von Preisen, Kosten und Gewinnen im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen nach § 22 GWB, Diss. Augsburg 1980. Oberender, Peter, Pharmazeutische Industrie, in: Oberender, Peter (Hrsg.), Marktstruktur und Wettbewerb in der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 243–310. ders. (Hrsg.), Wettbewerb in der pharmazeutischen Industrie, Berlin 1980. Säcker, Franz Jürgen, Fallbuch: Kartellrecht – Wettbewerbsrecht – Markenrecht, München 2001. ders. und Maik Wolf, Deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht: case by case, Frankfurt a. M. 2008. Säcker, Franz Jürgen, Entwicklungen der europäischen Praxis und Bindungswirkung bei Übernahme des SIEC-Tests in deutsches Recht, in: Wirtschaft und Wettbewerb 60 (2010), S. 370 ff. Schmidt, Ingo, US-amerikanische und deutsche Wettbewerbspolitik gegenüber Marktmacht, Berlin 1973, 3.–5. Kap. ders. und Annette Fritz, Pro und Contra Konzentrationsprivileg: Die unterschiedlichen Wirkungen von Kartellen und Fusionen auf Wettbewerb und Effizienz, in: Aktuelle Probleme der Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik, Erhard Kantzenbach zum 65. Geburtstag, hrsg. von Kruse, Jörn, und Otto G. Mayer, Baden-Baden 1996, S. 119 ff. ders., Handelskonzentration, Nachfragemacht und 6. GWB-Novelle, in: Wirtschaft und Wettbewerb 47 Jg. (1997), S. 101 ff. ders., Hauptprobleme der 7. Kartellnovelle: Die Wende in der Wettbewerbspolitik, in: Wirtschaftsdienst 85. Jg. (2005), S.536 ff. ders., Zur wettbewerbspolitischen Diskussion über das adäquate Eingreifskriterium zur Erfassung wettbewerbsbeschränkender Fusionen, in: Wirtschaftspolitik in offenen Demokratien: Festschrift für Uwe Jens, hrsg. von Neumann, Lothar F., und Hajo Romahn, Marburg 2005, S. 129 ff.

392

13. Kapitel: Fälle zur Konzentrationsstrategie

Schmidtchen, Dieter, Ausbeutung aufgrund einer Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand? Kritische Analyse der theoretischen Grundlagen einer freiheitsgefährdenden Wettbewerbspolitik, in: ORDO Bd. XXX (1980), S. 273 ff. ders., Property rights, Freiheitsschutz und Logik staatlicher Preisinterventionen: Kritische Analyse der theoretischen Grundlagen einer freiheitsgefährdenden Wettbewerbspolitik, in: Mißbrauchsaufsicht vor dem Hintergrund der Entwicklungen der neueren Wettbewerbstheorie, hrsg. von Burkhardt Röper, Berlin 1982, S. 11 ff.

Anlage 1: Überblick über die wichtigsten materiell-rechtlichen Vorschriften des amerikanischen und europäischen Kartellrechts

1. US-amerikanisches Antitrustrecht Sherman Act Sec. 1 (Verbotene Vereinbarungen) Verträge, Verbindungen in der Form des Trusts oder in anderer Form oder Absprachen, die den Handel oder Wirtschaftsverkehr zwischen den einzelnen Bundesstaaten oder mit dem Ausland beschränken, werden für rechtswidrig erklärt. Wer eines solchen Vertragsabschlusses oder der Beteiligung an einer solchen Verbindung oder Absprache überführt wird, die nach den §§ 1 bis 7 dieses Gesetzes für rechtswidrig erklärt ist, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird nach dem Ermessen des Gerichts mit Geldstrafe, die für ein Unternehmen bis zu 100 Mio. $ oder für eine natürliche Person bis zu 1 Mio. $ betragen kann, oder mit Gefängnis bis zu zehn Jahren oder mit beidem bestraft. Sec. 2 (Verbot der Monopolisierung) Wer der Monopolisierung, des Versuchs der Monopolisierung oder der Verbindung oder Absprache mit Dritten zum Zwecke der Monopolisierung irgendeines Teils des Handels oder Wirtschaftsverkehrs zwischen den einzelnen Bundesstaaten oder mit dem Ausland überführt wird, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird nach dem Ermessen des Gerichts mit Geldstrafe, die für ein Unternehmen bis zu 10 Mio. $ oder für eine natürliche Person bis zu 350.000 $ betragen kann, oder mit Gefängnis bis zu 3 Jahren oder mit beidem bestraft. FTC Act Sec. 5 (Verbot unlauteren Wettbewerbs) (a) (1) Unlautere Wettbewerbsmethoden und unlautere oder täuschende Handlungen oder Praktiken, die im Wirtschaftsverkehr angewendet werden oder diesen beeinflussen, werden hiermit für rechtswidrig erklärt.

394

Anlage 1: US-amerikanisches und europäisches Kartellrecht

Clayton Act Sec. 2 (Preisdiskriminierungsverbot) (a) Niemand darf im Wirtschaftsverkehr verschiedene Abnehmer von Waren gleicher Handelsklasse und Qualität unmittelbar oder mittelbar im Preis unterschiedlich behandeln, … sofern die Wirkung einer solchen Diskriminierung darin bestehen kann, dass auf irgendeinem Markt der Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt oder auf die Schaffung einer Monopolstellung hingewirkt wird oder dass der Wettbewerb mit denjenigen, die den Vorteil einer solchen Diskriminierung entweder gewähren oder bewusst empfangen, oder mit deren Kunden beeinträchtigt, beseitigt oder verhindert wird. Dies gilt nicht, sofern dadurch nur unterschiedliche Kosten für die Herstellung, den Vertrieb oder die Lieferung, die sich aus unterschiedlichen Methoden oder Mengen in Verkauf oder Lieferung solcher Güter an die betreffenden Abnehmer ergeben, angemessen berücksichtigt werden … (f) Niemand darf im Wirtschaftsverkehr eine nach dieser Vorschrift verbotene Preisdiskriminierung bewusst veranlassen oder sich zunutze machen. Sec. 3 (Verbot von Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen) Niemand darf im Wirtschaftsverkehr die Vermietung oder den Verkauf oder den Vertrag über den Verkauf von Waren … oder die Preise oder Rabatte hierfür von der Bedingung oder der Vereinbarung abhängig machen, dass der Mieter oder Käufer Waren … von Wettbewerbern des Vermieters oder Verkäufers nicht benutzt oder vertreibt, sofern die Wirkung einer solchen Vermietung, eines Verkaufs oder eines Verkaufsvertrages oder einer solchen Bedingung oder einer Vereinbarung darin bestehen kann, dass auf irgendeinem Markt der Wettbewerb wesentlich vermindert oder auf die Schaffung einer Monopolstellung hingewirkt wird. Sec. 7 (Zusammenschlusskontrolle) Im Wirtschaftsverkehr tätige Personen dürfen weder direkt noch indirekt das Aktienkapital oder andere Kapitalanteile ganz oder teilweise erwerben und Personen, die der Beschlusspraxis der Federal Trade Commission unterliegen, dürfen nicht Vermögenswerte anderer im Wirtschaftsverkehr tätiger Personen ganz oder teilweise erwerben, sofern die Wirkung eines solchen Erwerbs darin bestehen kann, dass auf irgendeinem sachlich und räumlich relevanten Markt der Wettbewerb wesentlich vermindert oder auf die Schaffung einer Monopolstellung hingewirkt wird. Sec. 7 a (Anzeige von Zusammenschlussvorhaben und Wartefrist) Anzeigepflicht (a) Mit Ausnahme der Regelung in Absatz (c) dieser Vorschrift darf keine Person unmittelbar oder mittelbar stimmberechtigte Wertpapiere oder Vermögen einer anderen Person erwerben, ohne dass beide Personen (oder – im Falle eines öffentlichen Übernahmeangebotes – die erwerbende Person) eine Anzeige nach den Bestimmungen in Absatz (d) (1) dieser Vorschrift eingereicht haben und die in Absatz (b) (1) dieser Vorschrift vorgeschriebene Wartefrist abgelaufen ist, wenn: (1) die erwerbende Person oder die Person, deren stimmberechtigte Wertpapiere oder Vermögenswerte erworben werden, selbst im Wirtschaftsverkehr oder auf irgendeinem Gebiet tätig ist, das den Wirtschaftsverkehr beeinflusst; und

Anlage 1: US-amerikanisches und europäisches Kartellrecht

395

(2) die erwerbende Person infolge eines solchen Erwerbs einen Gesamtbetrag von stimmberechtigten Wertpapieren und Vermögenswerten der erworbenen Person halten würde: (A) über 200 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht für jedes Haushaltsjahr, das nach dem 30. September 2004 beginnt, … um die prozentuale Veränderung des Bruttosozialprodukts wiederzugeben…); oder (B) (i) über 50 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht), aber nicht über 200 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht), und (ii) (I) irgendwelche stimmberechtigten Wertpapiere oder Vermögenswerte einer Person, die in der Produktion tätig ist und jährliche Nettoverkäufe oder Gesamtvermögenswerte von 10 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht) oder mehr hat, erworben werden durch irgendeine Person, die Gesamtvermögenswerte oder jährliche Nettoverkäufe von 100 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht) oder mehr hat; (II) irgendwelche stimmberechtigten Wertpapiere oder Vermögenswerte einer Person, die nicht in der Produktion tätig ist und Gesamtvermögenswerte von 10 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht) oder mehr hat, erworben werden durch irgendeine Person, die Gesamtvermögenswerte oder jährliche Nettoverkäufe von 100 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht) oder mehr hat; oder (III) irgendwelche stimmberechtigten Wertpapiere oder Vermögenswerte einer Person mit jährlichen Nettoverkäufen oder Gesamtvermögenswerten von 100 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht) oder mehr erworben werden durch irgendeine Person mit Gesamtvermögenswerten oder jährlichen Nettoverkäufen von 10 Millionen Dollar (wie angepasst und veröffentlicht) oder mehr. Im Falle eines öffentlichen Übernahmeangebots muss die Person, deren stimmberechtigte Wertpapiere von einer gemäß diesem Absatz zur Anzeige verpflichteten Person zu erwerben gesucht werden, gemäß den Bestimmungen nach Absatz (d) dieser Vorschrift eine Anzeige einreichen. Wartefrist (b) (1) Die nach Absatz (a) dieser Vorschrift erforderliche Wartefrist (A) beginnt an dem Tage, an dem der Federal Trade Commission und dem Assistant Attorney General, der die Antitrust Division des Department of Justice leitet (im Folgenden als Assistant Attorney General bezeichnet), (i) die vollständige nach Absatz (a) dieser Vorschrift erforderliche Anzeige, oder, (ii) falls eine solche Anzeige nicht vollständig ist, die Anzeige, soweit sie vervollständigt ist, und eine Erklärung beider Personen (oder – im Falle eines Übernahmeangebotes – der erwerbenden Person) über die Gründe für die Unvollständigkeit zugeht; und (B) endet am 30. Tage (oder – im Falle eines Bar-Übernahmeangebotes – am 15. Tage) nach dem Tage des Zugangs oder an einem späteren Tag, der gemäß den Absätzen (e) (2) oder (g) (2) dieser Vorschrift festgesetzt werden darf. (2) Die Federal Trade Commission und der Assistant Attorney General können in Einzelfällen die in Absatz (1) genannte Wartefrist beenden und einer Person erlauben, einen Erwerb nach dieser Vorschrift zu vollziehen; beide Behörden müssen unverzüglich im Federal Regis-

396

Anlage 1: US-amerikanisches und europäisches Kartellrecht

ter eine Mitteilung des Inhalts veröffentlichen, dass keine der beiden innerhalb dieser Frist eine Maßnahme bezüglich des Erwerbs zu ergreifen beabsichtigt.

2. Europäisches Wettbewerbsrecht Verbot von Absprachen und Machtmissbrauch Art. 101 AEUV (Verbotene Vereinbarungen) (1) (Verbotene Vereinbarungen) Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen; b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen; c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen; d) die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; e) die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. (2) (Nichtigkeit) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig. (3) (Ausnahmen) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf – Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, – Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, – aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Art. 102 AEUV (Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung) Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Anlage 1: US-amerikanisches und europäisches Kartellrecht

397

Dieser Missbrauch kann insbesondere in folgendem bestehen: a) der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen; b) der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher; c) der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; d) der an den Abschluss von Verträgen geknüpften Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. Fusionskontroll VO i.d.F. vom 20.1.2004 Art. 1 (Anwendungsbereich – Aufgreifkriterien) (1) Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 5 und des Artikels 22 gilt diese Verordnung für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung im Sinne dieses Artikels. (2) Ein Zusammenschluss hat gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn folgende Umsätze erzielt werden: a) ein weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als 5 Milliarden EUR und b) ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 250 Millionen EUR; dies gilt nicht, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. (3) Ein Zusammenschluss, der die in Absatz 2 vorgesehenen Schwellen nicht erreicht, hat gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn a) der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen mehr als 2,5 Milliarden EUR beträgt, b) der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in mindestens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Millionen EUR übersteigt, c) in jedem von mindestens drei von Buchstabe b) erfassten Mitgliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 25 Millionen EUR beträgt und d) der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils 100 Millionen EUR übersteigt; dies gilt nicht, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. Art. 2 (Beurteilung von Zusammenschlüssen – Eingreifkriterium) (1) Zusammenschlüsse im Sinne dieser Verordnung sind nach Maßgabe der Ziele dieser Verordnung und der folgenden Bestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen. Bei dieser Prüfung berücksichtigt die Kommission: a) die Notwendigkeit, im Gemeinsamen Markt wirksamen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, insbesondere im Hinblick auf die Struktur aller betroffenen Märkte und

398

Anlage 1: US-amerikanisches und europäisches Kartellrecht

den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb durch innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen; b) die Marktstellung sowie die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebotes und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert. (2) Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben nicht erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, sind für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären. (3) Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, sind für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären.

Anlage 2: Anschriften der Kartellbehörden 1.

Bundesrepublik Deutschland

Bundeskartellamt Kaiser-Friedrich-Str. 16 D-53113 Bonn Tel.: 0228/94 99-0 Fax: 022894 99-400 Internet: http://www.bundeskartellamt.de e-mail: [email protected]

2.

Monopolkommission Heilsbachstr. 16 53 123 Bonn Tel.: 0228/33 88 82-30 Fax: 0228/33 88 82-33 Internet: http://www.monopolkommission.de email: [email protected]

Europäische Kommission

Generaldirektion IV (Wettbewerb) Rue de la Loi 200 B-1049 Bruxelles Tel.: 0032/2/299 - 1111 (Zentrale) Fax: 0032/2/295 - 0128 (Wettbewerb) 0032/2/296 - 4301 (Fusionen) 0032/2/296 - 1242 (Beihilfen) Internet: http://ec.europa.eu /competition/index_en.html e-mail: [email protected]

3.

U.S.A.

Antitrust Division U.S. Department of Justice 10 th & Pennsylvania Avenue, N.W. Washington, D. C. 20 530 U.S.A. Tel.: 001/202/514-2464 (Foreign Commerce Section: Mr. Edward T. Hand) Fax: 001/202/514-4508 Internet: http://www.usdoj.gov/atr/ e-mail: [email protected]

Federal Trade Commission 6 th & Pennsylvania Avenue, N.W. Washington, D. C. 20 580 U.S.A. Tel.: 001/202/326-3051 (Office of International Affairs: Mr. Randolph Tritell) Fax: 001/202/326-3045 oder -2873 Internet: http://www.ftc.gov/bc/index.shtml e-mail: [email protected]

Register der zitierten Fälle A

ABG/BP 252 adidas 327, 349 Aegean Airlines/Olympia Air 260 AEG-Telefunken 252 Aerospatiale-Alenia/de Havilland 259, 375 Agip 314 Air Lingus/Ryanair 375 Airtours/First Choice 101, 251, 260, 262, 368 Allkauf/Nordmende 349 Aluminium-Halbzeug 306 Aluminum Co. of America, US v. 285 AOK-Bundesverband 303 Aral, BP, DEA, Esso und Shell 314, 385 Architektenkammer 296, 325 Asbach 336 Aspen Skiing, US v. 281 AT & T, US v. 277

B

Babcock/Artos 143, 221 Backöfen 374 BASF/Eurodiol/Pantochim 263 Baumarkt-Statistik 306 BayWa/WLZ 142 Belgische Tapetenhersteller 251, 323, 349 Benzinpreisverfahren, Erstes 189, 327 Benzinpreisverfahren, Zweites 189, 354 Berliner BEWAG 217 Bertelsmann/Kirch/Premiere 260 Bezugsverweigerung Arzneimittel 329, 348 Bleiweiß 307 Blokker/Toys “R” us 260 Blutdruckmessungen 303 Bockhorner Klinker 296 British Airways 243, 255, 317 Bronner 250, 315 Brooke Groupe Ltd. v. Brown et al. 282 Brown Shoe Co. v. US 285 Business Electronics Corp. v. Sharp Electronics Corp. 282

C

Chiquita Bananen 63, 190, 250, 252, 256, 357 Citizens & Southern National Bank 284 Colgate & Co, US v. 281 Consolidated Foods Corp., FTC v. 285

Continental Can 67, 256 Continental T. V., Inc. v. GTE Sylvania Inc. 279 Coop Bremen 332 Coop-Wandmaker 70 CVC/Lenzing 260

D

Daimler/MBB 142, 221, 372 Deutsche Grammophon/Metro 245 Deutsche Telekom/Betaresearch 260 Deutscher Fußballbund 314 Du Pont de Nemours & Co, US v. 286

E

E.ON/Ruhrgas 142, 221 Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc. 281, 283 ECS/Akzo 251, 315 Effem-Tierfertignahrung 315, 331 Energias de Portugal 260 Euglucon 190 Eurofix-Bauco/Hilti 250 Europäische Zuckerindustrie 252, 316 Exxon, FTC v. 277

F

Fährhafen Puttgarden 217 Favorit 189 Fenin 303 Fensterglas VI 366 Fernsehwerbung für Zigaretten 142 Fertigbeton (I+II) 296 Flußspat 296

G

Gema 252 Gencor/Lonrho 64, 260 General Dynamics Corp. 284 General Electric/Honeywell 260 General Foods Corp. v. FTC 285 Gillettes/Wilkinson Sword 256 Glockenheide 189 Greifswald/Wolgast Kliniken 221 Grinnell Corp., US v. 281 Grundig/Consten 245 Gummistrümpfe 301

402

Register der zitierten Fälle

H

Handpreisauszeichner 63 Heinz/Beech-Nut 261 Hitlisten-Platten 106, 332 Hoffmann-La Roche 255, 315, 318 Hoffmann-La Roche/Centrafarm 245 Holland Media Groep (HMG) 260

Metro/Allkauf 388 Michelin 315, 318 Microsoft 278, 315, 321 Miller International Schallplatten GmbH 245 Mischwerke 183 Monsanto Co. v. Spray-Rite Service Corp. 281 Morris/Rothmans 364

I

N

IBM, US v. 277 IHB/Wibau 142, 221 Impala 368 Inter Mailand 315

J

Jägermeister 327 Jefferson Parish Hospital District No. 2 v. Hyde 279, 283 Johnson/Hahn 383

K

Kali + Salz/PCS 142 Kaufmarkt 332 Kellogg Co. et al. 277 Kennecott Copper Corp. v. US 285 Kesko/Tuko 260 Kfz-Kupplung (GKN/ Sachs) 67 Kfz-Pflegemittel 344 Klöckner/Becorit 216 Kohle-Öl-Kartell 142 Kombinationstarif 346 Krankentransport 328

L

La Roche-Vitamine 250, 252, 316 Laboruntersuchungen 325 Landwirtschaftliche Zugmaschinen 244, 307 Leegin Creative Leather Products, Inc., v. PSKS, Inc. 158, 280 Lucaceau/Sacem 358 Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüros 379 Lufthansa/Germania 319 Lufthansatarife 188, 362, 386

M

Magill 250, 315 Maissaatgut 245 MAN/Sulzer 143 Marine Bancorporation, Inc. 284 markt intern/Sanitär-Installation 324 MCI Worldcom/Sprint 260 Media Service GmbH (MSG) 259 Meto-Handpreisauszeichner 314, 344 Metro Eintrittsvergütung 315, 339 Metro Konditionenanpassung 339, 350

National Collegiate Athletic Assn. (NCAA) v. Board of Regents 279 Nestlé/Perrier 64 Nordic Satellite Distribution (NSD) 260 Northern Pacific Railway Co. v. US 276, 279 Northwest Wholesale Stationers v. Pacific Stationary & Printing Co. 279

O

Oracle/PeopleSoft 63 Ostfleisch 183

P

Parke Davis & Co, US v. 282 Philadelphia National Bank, US v. 284 Pioneer HiFi 244 Procter and Gamble Co., FTC v. 285 Pronuptia 244

R

Rama-Mädchen 315, 331 Rechtselbische Zementpreise 188 Renault 256 Revell Plastics 328 Rheinmetall/WMF 375, 382 Rossignol 327 Rossmann 320 Rote Liste 325, 329 Ryanair/Air Lingus 260

S

SABAM II 256 Sachs/GKN 383 Saint-Gobain/Wacker-Chemie/NOM 260, 262 SCA/Metsä Tissue 260 Schneider/Legrand 260 Sirena 245 Sonntag Aktuell 315 Spar 296 Sportartikelmesse II 314, 327 Sportübertragungen/Globalvertrag 315 Springer/Tagesspiegel 314 Staples, Inc., v. FTC 284 Staubsaugerbeutelmarkt 374 Streckenmonopol Autobahntankstellen 188 Stromtarife 188 Swarowski KG 328

Register der zitierten Fälle T

Technics 328 Teerfarben (BGH) 297 Teerfarben (EuGH) 157, 299 Telex Corp. v. IBM Corp. 281 Tetra Laval/Sidel 260 Tetra Pak 315 Thyssen/Hüller 142, 221 Tonolli/Braubach 366 Tournier/Sacem 358 Tubenhersteller 306 TUI/NUR 341

U

Uhren-Krämer/Seiko 325 United Brand 315 Universitätsklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast 142

403 V

Valium 189, 359 VAW/Kaiser 142 VEBA/BP 143, 221 VEBA/Gelsenberg II 142, 221, 376 Vitamin B 12 189 Vodafone/Mannesmann 185 Volvo/Scania 260 VW-Identteile 341

W

Wal-Mart 334 Werbebeschränkungen in der pharmazeutischen Industrie 142 Wettbewerbsverbot Handelsvertreter 150

Z

Zeitgleiche Summenmessung 188 ZVN (I+II) 304

Autorenregister A

Abbott 62, 80, 91 Adam 243, 268 Aigner 270 Akerlof 49, 59 Albach 180, 189 Albers 243 Albion 84 Alessi, de 122 Alfter 260 American Bar Association 292 Andreae 200 Apon 322 Areeda 283, 291 Aristoteles 149 Armstrong 93 Arndt 14, 62, 70, 100, 103, 193, 338 Arrow 113 Audretsch 13, 32, 93, 125, 146

B

Bagwell 82, 93 Bain 12, 29, 32, 38, 59, 62, 71, 84, 93, 98, 114, 146, 176 Baldwin 135, 138, 146 Barnikel 32, 193 Bartling 17, 21, 32, 44, 48, 51 Basedow 186 Baudenbacher 332 Baum 203, 207 Baumol 13, 32, 89, 93, 125 Bea 169 Bechtold 232, 272 Becker 233 Behrens 242 Belke 161, 323, 330 Bellamy 270 Beninca 374 Benisch 156 Berg 146, 193 Bickenbach 59 Bishop 63, 93 Blair, John M. 137, 146, 193 Blair, Roger D. 193 Blankart 46 Blechmann 291

Bloch 270 Blumenwitz 291 BNA 285 Böbel 74, 146, 193 Boesche 233 Böge 241, 270 Böhm 39, 210 Böhnke 69 Bonbright 46 Borchardt 3, 296 Bork 23, 26, 291 Bornkamm 232 Boroch 146 Borrmann 59 Bosch 269 Bössmann 125, 127 Brandt 32 Brinker 269 Brown 270 Bubik 146 Budzinski 177 Bühler 13, 59, 93 Bühner 130, 180 Buigues 131, 146 Bunte 188, 222, 232, 233, 270, 295, 346, 354 Burger 77 Burke 13, 32, 93, 125 Buxbaum 277 Buzzell 74

C

Caves 88 Chamberlin 11, 25 Child 270 Christiansen 241, 270 Church 59 Clapham 18 Clark 9, 32, 173 Coase 126 Cohen 135, 139, 146 Coley 131 Comanor 84 Cox 152, 193 Crandall 127, 287 Crocioni 65 Cubbin 179

406 D

Dahmann 135 Darby 83 Dasgupta 89 Demsetz 46, 59 Diaz 270 DIHT 23 Director 23 Dirrheimer 180 Doege 278 Downs 52, 54 Dreher 226, 232, 243, 268, 285 Duijm 233

E

Eddy 308 Edwards 39, 107, 165, 179, 194, 282, 291 Eickhof 32, 44, 270 Elgin 54 Elßer 134, 135, 146 Elzinga 69 Emmerich 222, 233, 240, 244, 250, 255, 270, 295, 296, 311, 323, 330, 332, 338, 340, 352, 363, 390 Engelke 85 Enke 153 Erb 194 Eucken 12, 55, 150, 173 Ewald 64, 241, 270 Ewers 44, 59

F

Fabio, di 253 Farris 84 Fees 7 Fehl 89, 93 Fellner 176 Ferguson 36 Fichert 322, 333 Fikentscher 3, 296 Finsinger 59 Fisher 77, 322 FIW 23, 352 Flohr 270 Frantz 121, 122, 123 Franz, Wolfgang 194 Frênes, de 291 Frey 53, 59 Fritsch 44, 59 Fritz 389, 391 Froeb 69 FTC 74, 289 Fuchs 246 Fudenberg 77 Furubotn 46, 206

Autorenregister G

Galbraith 107, 200 Gale 74 Galle 291 Gamm, v. 106 Geroski 179 Giersch 36, 42 Glombowski 80 Goyder 271, 291 Graf 18 Gray 286 Greer 84 Greiffenberg 233 Griliches 134 Grimes 292 Gröner 143 Gugler 132, 146 Günther 311

H

Hahn 271 Hamilton 45 Hansen 338 Haucap 59 Haupt 121 Hausmann 197 Hayek, v. 4, 19, 21, 33 Hellwig 253 Hensche 208 Herdzina 3, 33, 93 Heuss 72, 78 Hewitt 176 Hirsbrunner 269 Hirschman 37 Hoffmann 303 Hogarty 69 Holmes 291 Holtschneider 209 Hootz 232 Hoppmann 14, 18, 33, 41, 59, 103, 190, 390 Horowitz 68 Hossenfelder 233, 267 Hovenkamp 291 Hzkovitz 131

I

Immenga, A. 271 Immenga, Frank A. 271 Immenga, U. 232, 269 Inderst 103, 194, 271 Isele 32, 270 Ivaldi 260

Autorenregister J

Jäckering 233 Jacob 82, 93 Jacquemin 131, 146 Jaeger 13, 59, 75, 93 Jenny 260 Jensen 60 Jewkes 136 Jordan 143

K

Kahn 60, 286, 291 Kaldor 84 Kallfaß 15 Kamann 270 Kamien 17, 134, 135, 138, 146 Kantzenbach 14, 33, 41, 60, 146, 170, 184, 194, 200, 208 Kaplan 107 Karni 83 Kartte 157, 209 Kate 251, 283 Katz 322 Kaufer 78, 83, 109, 118, 194 Kaufhold 271 Kaysen 20, 41, 67, 71, 77, 93, 98, 103, 146, 173, 176, 194, 282, 291 Kelton 119 Kerber 60, 153, 271 Keßler 333 Kirberger 354 Kirchgässner 53 Kirchner 33, 323 Kirschner 24, 70, 167, 178, 352 Klaue 157 Kleinert 147, 184, 194 Klodt 147, 184, 194 Klumpp 233, 271, 291 Knieps 55, 56, 60, 111, 147, 194 Koch 73 Koenig 239, 271 Koenigs 106, 267 Köhler 143, 232, 233 Kollewe 233 Körber 263, 271 Kottmann 93, 194 Koutsoyiannes 110 Kovacic 278 Krüger 93, 194 Kruse 60, 93, 111 Kuhn 191, 385, 391 Kulka 209, 234, 272, 295, 313, 354 Kumkar 59, 60 Künzler 242, 271 Kurz 160, 182, 194, 313, 352

407 L

Lademann 177, 194 Langen 270 Lanzilotti 193 Lecraw 122 Leibenstein 27, 120, 121, 147 Lenel 147, 338 Levin 135, 139, 146 Liebscher 270 Liener 391 Lilienthal 107 Linder, Birgit 194, 271, 291 Linder, Ludwig 289 Littlechild 56 Loewenheim 232, 270 Lutz 267

M

Machlup 86 Mähling 83 Mailänder 289 Mansfield 136 Markert 280, 285, 313, 317, 346, 352, 391 Markham 186 Markovits 98 Marshall 61 Martin 94 Marvel 74 Mason 14, 24 Meckl 147 Meckling 60 Meessen 232, 270 Mestmäcker 18, 106, 232, 233, 253, 271 Meyer, Dirk 60 Meyer, Ulrich 125 Miert, van 271 Milgrom 50, 60 Miller, John A. 276 Miller, R.A. 84 Mitnick 287 Monti 251, 271 Moritz 84 Möschel 21, 44, 60, 181, 186, 187, 241, 271, 285, 309, 391 Motta 33, 94, 138, 194, 257 Mowery 139 Mueller, Dennis C. 23, 75, 194, 291 Müller, Armin 391 Müller, Jürgen 45, 51, 56 Müller, Udo 17, 21, 108, 134, 135, 137 Musgrave 47 Myrdal 60

N

Nagel 143 Nagy 194

408 Narver 69 Neale 291 Nelson 83 Neumann 94 Neven 271 Niels 251, 283 Nußkern 171 Nuttall 271

O

Oberender 78, 94, 271, 354, 359, 391 O’Connor 286 Olson 52 Orlowski 140 Orth 284 Ortwein 233 Ouchi 126

P

Panzar 89, 93 Patterson 291 Pejovich 46 Pellmann 271 Petrasincu 291 Petry 108, 119, 147 Petsche 270 Pfeiffer 328 Phillips 56 Pickel 304, 336 Picot 128 Piesch 171 Pigou 47 Piotrowski 33 Pohmer 169 Pommerehne 48 Porter, M. 83, 88, 140, 141, 147 Porter, R. 93 Posner 23, 33, 199, 287 Pratten 147 Primeaux 121

R

Raiser 150 Rall 160, 182, 194, 313, 352 Ramser 194 Ravenscraft 129, 194 Reich 158 Reinton 131 Rey 260 Richter 101, 206 Ries 24, 171, 285 Riesenkampf 232, 270 Rittaler 23, 33, 75, 78, 118, 292 Ritter 234 Rittner 209, 234, 272, 295, 313, 354

Autorenregister Robert 234 Roberts 50, 60 Robinson 11, 62 Röhrich 174, 183, 194 Röller 111, 123, 147, 194, 242 Röpke 10 Rosenberg 147 Ross 33, 38, 65, 87, 94, 112, 119, 135, 147, 172, 195 Rowely 54 Rubinfeld 322 Ruppelt 264

S

Säcker 66, 106, 107, 147, 234, 272, 352, 391 Salin 107 Sandrock 296 Sangmeister 279 Sawers 136 Scherer 13, 14, 33, 38, 65, 87, 94, 97, 101, 112, 119, 129, 135, 138, 147, 172, 195 Schiller, Karl 41 Schlecht 107 Schmalensee 94 Schmidbauer 172 Schmidt, André 63, 239, 243, 254, 265, 272 Schmidt, Ingo 21, 23, 33, 51, 63, 68, 77, 78, 85, 94, 98, 99, 103, 134, 147, 160, 165, 167, 171, 174, 178, 195, 204, 208, 234, 239, 242, 243, 263, 265, 272, 279, 280, 283, 285, 292, 301, 306, 333, 338, 359, 370, 386, 389, 391 Schmidt, Jens Peter 270 Schmidtchen 38, 190, 254, 392 Schneider, Erich 66 Schneider, Friedrich 48 Scholz 187 Schreiber 239, 271 Schulenburg 84 Schulte 233, 270 Schultes 339 Schulz 75, 94 Schumacher 138 Schumann 125 Schumpeter 107, 137 Schwaderer 280 Schwalbe 10, 60, 63, 64, 68, 94, 101, 104, 174, 177, 194, 195, 243, 257, 263, 271, 272 Schwartz, Nancy L. 17, 108, 134, 135, 137 Schweitzer 271 Schwintowski 234 Scott 135, 138 Seabright 260, 271 Seehafer 272 Seliger 272 Shapiro 77, 322 Sharkey 60

Autorenregister Shepherd 33, 75, 83, 89, 94, 109, 113, 117, 119, 173, 199, 285, 287, 292 Sherwin 68 Siegfried 147 Sik 42 Singleton 33 Smith 4, 5, 6, 48 Sohns 322 Solow 134 Soltwedel 59 Sosnick 73 Sosnitza 234 Spindler 128 Sraffa 10, 67 Stackelberg, v. 62 Stadler 194 Steinbrück 33 Stennek 123 Stigler 24, 51, 68, 84, 86, 117 Stiglitz 89 Stillerman 136 Stocking 179 Stockmann 226, 232, 234 Stopper 271 Ströbele, Margit 60 Ströbele, Wolfgang 125 Sullivan 287, 292

T

Tabbert 108 Taube 234 Teece 128 Telser 84 Thorelli 24, 292 Tirole 77, 94, 260 Tobin 186 Toepke 284 Tolksdorf 21, 48 Tollison 53 Triffin 65 Turner 20, 41, 42, 67, 71, 72, 77, 93, 97, 98, 99, 103, 146, 173, 176, 194, 283

U

Uhde 59 Ulmer 157

409 V

Väth 78 Veltrup 69 Verhoven 123 Vickers 260 Villard 16, 107, 138 Vogelsang 45, 51, 56 Voigt 243

W

Wagemann 195 Wagner, J. 84 Walker 63, 93 Ware 59 Weber, Max 100 Wein 44, 59 Weiss, Leonard 74, 117, 119 Weiss, Susanne 195 Weizsäcker, v. 88, 137 Werden 69 Wey 103, 111, 194 Wheeler 147 Whish 65 Wiedemann 157, 234, 272 Wieland 281 Wiese 76 Willeke 66 Williamson 109, 123, 127, 128, 147 Willig 88, 89 Wilson 84 Wirtz 243 Witt 137 Wolf 234, 272, 352, 391 Würdinger 105 Wuttke 195, 333

Y

Yurtoglu 132, 146

Z

Zäch 242, 272 Zimmer 10, 63, 64, 68, 93, 101, 104, 174, 177, 178, 195, 260, 270, 273 Zimmermann 21 Zinser 195 Zohlnhöfer 72, 77, 91, 135, 282, 283 Zulehner 132, 146

Sachregister A

Abschreckungstheorie 181 Abwägungsklausel 221 Adäquanz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung 38 adverse selection 49, 50 Alternativen 175 amicus curiae 225 Anbietermacht 102, 166, 335, 338 Anpassungsflexibilität 15, 36 Antitrust Division 287, 292 Antitrust Report 292 Antitrustrecht (USA) 275, 277, 279 aufeinander abgestimmtes Verhalten 275 Ausnahme- und sektorspezifische Bereiche 286 einstweilige Anordnung 288 Entstehungsgeschichte und Ziele 275 Erfassung der Behinderungsstrategie 280 Erfassung der Konzentrationsstrategie 284 Erfassung der Verhandlungsstrategie 279 verfahrensrechtliche Regelungen 288 Areeda/Turner Regel 283 aufeinander abgestimmtes Verhalten allgemein 275 Ausbeutungsmissbrauch (regulation approach) 215, 219, 255, 354 Behinderungsmissbrauch 160 Gewinnspannenkonzept 188 Legalvermutungen für Marktbeherrschung 314 überragende Marktstellung 316 Vergleichsmarktkonzepte (räumlich, sachlich, zeitlich) 188, 189 Ausnahme- und sektorspezifische Bereiche 44 allgemein 55 natürliche 21, 44 politische 51 Averch-Johnson-Effekt 56

B

Bagatellbekanntmachung 213, 249 Bedarfsmarktkonzept 62 Behinderungsstrategie 160 Begriff 151 Erfassung im Antitrust (USA) 280 Erfassung im dtsch. Kartellrecht 215, 313 Erfassung im Europ. Wettbewerbsrecht 250, 313

Formen und wettbewerbliche Wirkungen 161 wettbewerbspolitische Erfassung 313, 347 Betriebsgröße, optimale (minimum optimal scale) 110 bonding 50 bounded rationality 50 Bundeskartellamt 157, 183, 224, 234, 298, 339, 349, 352, 363, 382 Bundesminister für Wirtschaft und Technologie 90 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 212, 238 Bundesnetzagentur 59 bundle theory 82

C

cellophane fallacy 65 Chicago School 23, 29 class action 290 Clayton Act 276 collusion 297 conscious parallelism 296 consent decree (order) 289 contestable markets 89 cost estimation-approach 114 countervailing power 200 cream skimming 46

D

demeritorische Güter 51 Department of Justice 24, 65, 292 Deregulierungskommission 59 Determinanten der Kartellierbarkeit 154 Dilemmathese 42 diseconomies of scope 129 diversion ratio 64 Dominanztest 175 due Diligence 132 dynamische Effizienz 29, 78

E

economies of density 111 economies of scale 109 als Marktzutrittsschranke 84 economies of scope 128 Effizienz, statische (allokative und produktive) versus dynamische 177

412 Einkommensverteilung 15 einseitige Effekte 101 empire building-policy 133 Enquête 225 Entflechtung 214 entrenchment doctrine 181 Entschließungsfreiheit, materiale 38 Erfahrungsgüter 83 essential facilities doctrine 217 Europäische Kommission 64, 93, 100, 118, 172, 240, 245, 248, 262, 263, 266, 268 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 266 Europäisches Gericht Erster Instanz (EuG) 266 European Competition Network (ECN) 241 externe Effekte 46 externe Interdependenz 65

F

F&E-Aktivitäten und Unternehmensgröße 134 failing firm-defense 263 Faktorallokation, optimale 15 Federal Trade Commission (FTC) 100, 287 Fehler 1. und 2. Ordnung 174 Folgetheorie 304 free rider 48 Freiheit, wirtschaftliche 42 FTC Act 276 Fusionskontrolle (D) 221 Fusionskontrolle (EG) 256 Fusionskontrolle (USA) 284 Fusionsmotive 184

G

Gefangenendilemma 155 Gegengiftthese 12 Gegenstandstheorie 303 Gemeinschaftsunternehmen 182, 183 Gemeinwohlklausel 378 Gewinnmaximierung, gemeinsame 176 Gewinnspannenkonzept 190 Globalisierung 184 guidance letters 266

H

Handlungsfreiheit, formale 38 hard core restrictions 244 Harvard School 24, 26, 30 Hearings des Subcommittee on Antitrust and Monopoly 108 Hirschman-Herfindahl-Index 171 hit-and-run-Strategie 89 Hybris 133 hypothetischer Monopoltest 64

Sachregister I

incipiency doctrine 276 Individualschutz 105, 107, 165, 253, 254 individuelle Marktbeherrschung 175 Industrial Organization School 13, 74 Informationsasymmetrie 48, 50 Innovation 13, 15, 137, 138 Innovation Market Analysis (IMA-Test) 284 institutional economics 206 Institutionsschutz 105, 106, 107, 229, 253, 255 International Competition Network (ICN) 186 invisible hand 4

K

Kartelle 153 und aufeinander abgestimmtes Verhalten 157 wettbewerbspolitische Beurteilung 155 Kartellrecht (D) 209 aufeinander abgestimmten Verhalten 214 Ausnahme- und sektorspezifische Bereiche 222 einstweilige Anordnung 225 Entstehungsgeschichte und Ziele 209 Erfassung der Behinderungsstrategie 215 Erfassung der Konzentrationsstrategie 219 Erfassung der Verhandlungsstrategie 214 Novellen 212 verfahrensrechtliche Regelungen 224 Kartellverbot 212, 309 Ausnahmen 215 Kartellzwang 154, 155 Know-how 245, 247 kollektive Marktbeherrschung 101, 175 Konkurrenz, vollständige 9 Konsumentensouveränität 15 Kontroverse Hoppmann/Kantzenbach 14, 17 Konzentration und Werbung 84 Konzentrationsgrad (rate) 74, 172 Konzentrationsprivileg 389 Konzentrationsprozess 169 Konzentrationsstrategie 151, 169 Begriff 169, 353 Erfassung im Antitrustrecht (USA) 284 Erfassung im dtsch. Kartellrecht 353 Erfassung im europ. Wettbewerbsrecht 255, 353 externes Unternehmenswachstum 172, 363 internes Unternehmenswachstum 186 wettbewerbliche Wirkungen 169 wettbewerbspolitische Erfassung 353, 384 Kooperation (allgemein) 16, 156 Kooperation (D) 215 Kooperation (EG) 245 Freistellung im Einzelfall 248 Gruppenfreistellungen 248 Kooperation (USA) 280 koordinierte Effekte 262

Sachregister Koordinierungsformen unternehmerischen Verhaltens 296

L

laissez-faire (approach) 199 lean production 121 learning-by-doing economies 113 Legalvermutungen 216 Leistungswettbewerb 229 Leitbild des Wettbewerbs 4, 14 Leitlinien (EG) für horizontale Fusionen 256 horizontale Kooperation 249 nicht-horizontale Fusionen 263 vertikale Kooperation 246 Lerner-Index 101 Liberalismus 4 limit pricing 87

M

Macht, wirtschaftliche (Marktmacht) 100 Einzelmachtkonzept (individuell) 101 Gruppenmachtkonzept (kollektiv) 101 Kontrolle wirtschaftlicher Macht 39 Marktmacht, relative 314 Markt für Unternehmenskontrolle 183 Marktabgrenzung (relevanter Markt) 63 Elementarmarkt 62 Industriekonzept (Marshall) 61 Interproduktkonkurrenz 67 quantitative Tests 63 räumlich 68 sachlich 61 Spiegelbildtheorie 70 Substitutionskonzepte 62 Vergleich der Substitutionskonzepte 66 zeitlich 69 Marktbeherrschung Begriff 174 Marktergebnis (performance) als Wettbewerbstest 97 Begriff 8, 73 Marktformen 79 Marktphasen 79 Marktprozessdefinition 98 Marktschließungseffekt 168, 350 Marktschranken 86, 87 Marktstruktur (structure) 71 als Wettbewerbstest 99 Begriff und Merkmale 72 Markttransparenz 13, 16 Marktunvollkommenheiten (market imperfections) 11, 14 Marktverhalten (conduct) 72 als Wettbewerbstest 99 Begriff 72

413 Marktversagen 43, 44 Megafusionen 184 meritorische Güter 51 Merkantilismus 4 Miles-Doktrin 280 Ministerfusion 221 Missbrauchsaufsicht Als-ob-Maßstab 188 monitoring 50 Monopole, natürliche 44 Monopolisierungsverbot 280 Monopolkommission 56, 61, 70, 75, 93, 109, 115, 125, 129, 140, 147, 157, 166, 167, 170, 178, 181, 184, 187, 195, 212, 219, 221, 235, 241, 243, 250, 284, 304, 311, 338, 339, 340, 347, 352, 354, 363, 370, 376, 386, 387, 388, 391 moral hazard 49 more economic approach 98, 241 Mustervoraussage 22, 73

N

Nachfragermacht 102, 166, 338 Nashgleichgewicht 155 Neo-Schumpeter-Hypothese I 134 Neo-Schumpeter-Hypothese II 137 Neue Industrieökonomie (NIÖ) 75 Nicht-Preiswettbewerb 80

O

Obsoleszenz 80 OECD 60, 94, 161, 162, 195, 203, 323, 326 öffentliche Güter 47 Oligopolvermutung 216 open price systems 306 Ordnungspolitik 37, 95 Österreichischen Schule 19 ownership approach 201

P

Pareto-Optimum 9 Partnermacht 101 Patente 245 per se-rule 204, 205, 279 positive comity approach 278 Post-Chicago School 29 Preisdifferenzierung 165 Preisführerschaft 176 Preiskorrelationsanalyse 64 Preispolitik, kollektive 176 Preistrends 64 Preiswettbewerb 79 price cap-Regulierung 56 Prinzipal Agent 48 profitability-approach 118 property rights 46, 48

414 public choice 204, 287 public utilities 286

Q

Qualitätswettbewerb 80

R

Ramsey-Preise 46 Regressionsanalyse 64 regulation approach 201 Regulatory Commissions (USA) 286, 287 Regulierung 44, 54 normative Theorie d. R. 44 positive Theorie d. R. 51 Ressourcentheorie 69 Robinson-Patman Act (USA) 276 rule of reason 205, 279

S

Sachverständigenrat 140 screening 49 Servicewettbewerb 82 Sherman Act (USA) 275 SIEC-Test 174, 257 signalling 49 Simulationsmodell 177 SLC-Test 174 Spieltheorie 75, 76 SSNIP-Test 64, 65 Stabilitätsgesetz 36 statische Effizienz 29 strategische Allianzen 156 Subcommittee on Antitrust 108 Subsidiaritätsprinzip 241 Substitutions- und Produktionsflexibilitätskonzept 67 Substitutionskonzepte 66 Substitutionswettbewerb 85 Suchgüter 83 sunk costs 88 supply space theory (Narver) 69 survivor-approach 117 Synergieeffekte 131, 133 Systemtheorie 18, 23

T

technischer Fortschritt 15 Auswirkungen auf Betriebs- und Unternehmensgröße 137 und Kartelle 156 Theorie der Marktbeziehungen (v. Stackelberg) 62 Theorie der Substitutionslücke (Robinson) 62 Theorie der Wirtschaftspläne (Schneider) 66 tie-in 168 Transaction-cost economies 125

Sachregister U

Übernahmegesetz 183 überragende Marktstellung Begriff 216 Unilaterale Effekte 261 unlauterer Wettbewerb (D) 229 Unter-Einstandspreis-Verkäufe 219 Unternehmensbegriff im GWB 301 Unternehmensgröße und F&E-Aktivitäten 134 und internationale Wettbewerbsfähigkeit 140

V

Verbotsprinzip, allgemein 204 im Antitrustrecht 279 im dtsch. Kartellrecht 214 im europ. Wettbewerbsrecht 245 Verbraucherbeirat 160 Verbraucherpolitik 37 Vergaberecht 226, 227 Verhandlungsstrategie Begriff 152 Erfassung im Antitrust 279 Erfassung im dtsch. Kartellrecht 214 Erfassung im europ. Wettbewerbsrecht 244 Formen der Verhandlungsstrategie 152 wettbewerbspolitische Erfassung 295, 309 Verstaatlichung von Unternehmen 57 Vertrag i.S. des GWB (schuldrechtlicher) 157, 296 Vertragsfreiheit Verhältnis zu Wettbewerbsfreiheit 149 Vertrauensgüter 83 Vertriebssysteme, geschlossene Gründe für und gegen geschlossene Vertriebssysteme 163

W

Weltkartellbehörde 186 Werbungswettbewerb 82 Werturteile im Wettbewerbskonzept 6 Wettbewerb als anonymer Kontroll- und Steuerungsmechanismus 77 als Arbeitshypothese (Begriff) 3 als dynamischer Prozess 4, 13 als Entdeckungsverfahren 19 als Instrument oder letztes Ziel 35, 41 Aufgaben des Wettbewerbs (Zielkatalog) 1, 37 freier (free competition) 4, 18 funktionsfähiger 12, 14 historische Entwicklung 3 i.S. des GWB 211 imitatorischer 81 initiativer 77 monopolistischer 11

Sachregister potentieller 85 ruinöser 48 um den Markt 46 unter Käufern (second line competition) 165, 166 unter Verkäufern (first line competition) 166 vollständiger 7 wesentlicher 216 wirksamer (effective competition) 14, 71 Wirksamkeit der verschiedenen Wettbewerbsformen 90 Zielkatalog 35, 39 wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien 149 exemplifiziert an Fall-Entscheidungen 313, 353 Möglichkeiten der Erfassung 197 wettbewerbsbeschränkende Strategien exemplifiziert an Fall-Entscheidungen 293 Wettbewerbsbeschränkung Arten 150 Begriff 150 durch Maßnahme (rechtlich) 296 durch Zustand (faktisch) 296 Folgetheorie 303 Gegenstandstheorie 303 Zwecktheorie 304 Wettbewerbsdruck 77 Wettbewerbsfähigkeit, internationale 144 Wettbewerbsfreiheit 18 Verhältnis zu Vertragsfreiheit 149 Wettbewerbsfunktionen 35 dynamische 40, 77 gesellschaftspolitische 36, 39 konjunkturpolitische 36 ökonomische 17, 39 statische 15, 40 strukturpolitische 36 Zielkonflikte 42, 105 Wettbewerbskonzepte Chicago School 23 funktionsfähiger bzw. wirksamer Wettbewerb 12 Hoppmann 18 Kantzenbach 14 Klassik 4 vollständige Konkurrenz 7 Wettbewerbsparameter 78 Wettbewerbsrecht 239 aufeinander abgestimmtes Verhalten 244

415 Ausnahme- und sektorspezifische Bereiche 265 Entstehungsgeschichte und Ziele 239 Erfassung der Behinderungsstrategie 250 Erfassung der Konzentrationsstrategie 255 Erfassung der Verhandlungsstrategie 244 Legalvermutungen für Marktbeherrschung 314 materiell-rechtliche Bestimmungen 244 verfahrensrechtliche Regelungen 265 Wettbewerbsregeln 215 Wettbewerbstests 97 Arten 97 hypothetischer Intensitätstest 103 market performance als hilfsweiser Wettbewerbstest 99 market performance als selbständiger Wettbewerbstest im Falle sog. Ausnahmebereiche 100 market performance als selbständiger Wettbewerbstest im Regelfall 97 Struktur- und Verhaltenstest (Marktprozess) 98 Williamsons trade-off 123 Wissenschaftlicher Beirat BMWi 90, 212, 274, 295 Wohlverhalten 199 Workable competition als second best 12 WTO 186

X

X-inefficiency 120

Y

yardstick competition 56

Z

Ziele und Mittel 40 Zielkonflikte 107 Zusammenhang von Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis 72 Zusammenschlüsse diagonale (konglomerate) 178, 382 horizontale 174, 364 vertikale 174, 376 Zwangslizenzen 78 Zwecktheorie 304 Zweischrankentheorie 240 Zwischenstaatlichkeitsklausel 245