Westemigranten: Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR [1 ed.] 9783412500467, 9783412500443


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Westemigranten: Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR [1 ed.]
 9783412500467, 9783412500443

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zeithistorische studien

Mario Kessler

Westemigranten

Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR

60

Zeithistorische Studien Herausgegeben vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Band 60

Mario Keßler

Westemigranten Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Mario Keßler ist Projektleiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung, apl. Professor an der Universität Potsdam und Gastprofessor an der Yeshiva University in New York. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek    : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie    ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Bertolt Brecht und Hanns Eisler „Ein Lied wird geboren“. Aquatinta-Radierung von Herbert Sandberg (© akg-images / ddrbildarchiv.de) Einbandgestaltung    : Michael Haderer, Wien Lektorat und Satz  : Waltraud Peters, Potsdam Druck und Bindung    : Hubert & Co., Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50046-7

Inhalt

Stefan Heym: Ich aber ging über die Grenze … .............................................................. 7 Vorwort................................................................................................................................... 9 I.

Die USA und die Flüchtlinge ................................................................................. 17

„Roosevelts Amerika“ und die deutschen Flüchtlinge ........................................ 17 Amerikanische Hilfsorganisationen und die Öffentlichkeit ............................. 23 Freunde und Gegner: Antifaschisten und Amerikas radikale Rechte .....................29 II.

Zwischen Integration und Marginalisierung. Deutsche Kommunisten in den USA ..................................................................... 37

Die ersten Schritte der Exilanten............................................................................. 38 Chancen und Probleme der Erwerbsarbeit ........................................................... 80 III. Politik und Zeitgeschichte: Netzwerke und Publizistik der deutschen Kommunisten .......................113

Unlösbare Widersprüche: Die Kommunistische Partei der USA..................113 Stefan Heym und das „Deutsche Volksecho“ (1937–1939) ...........................121 „Reden an den Feind“: Stefan Heym als amerikanischer Soldat.....................137 Was soll aus Deutschland werden? Kommunisten im Council for a Democratic Germany....................................144 Zwischen Tagespolitik und Geschichtspolitik: „The German American“...169 Das Ende des Council for a Democratic Germany............................................176 Lehren aus der Geschichte? „The Lesson of Germany“ (1945) ......................183 IV. Ein Netzwerk an Verschwörern? Deutsche Kommunisten im Visier des FBI .....................................................191

Gerhart Eisler und die anderen: J. Edgar Hoovers FBI und die deutschen Kommunisten ............................................................................................................191 „Poeta laureatus“ der Kommunisten. Das FBI und Bertolt Brecht................205 Welche Regierungsform ist die bessere? Hanns Eisler unter Beobachtung..218 V. Rückkehr und Neubeginn, Hoffnungen und Rückschläge .......................223

Zwischen New York und Berlin: Die manchmal lange Rückkehr .................224 Neubeginn in Ostdeutschland: Chancen und Probleme .................................234 Rückreise mit Hindernissen: Brecht und die Eisler-Brüder ............................250 Sozialistische Academia: Die „Westemigranten-Universität“ Leipzig ..........272

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Inhalt

VI. „Säuberungen“ ohne letzte Konsequenz. Der SED-Apparat und die Rückkehr aus Amerika........................................297

Die SED als „Partei neuen Typus“ ........................................................................298 „Westemigranten“ im Visier der Parteikontrolleure.........................................301 Die „Affäre Field“ und die USA-Rückkehrer .....................................................305 Ein „Feind der Arbeiterklasse“: Jacob Walcher..................................................316 Erneut Glück gehabt: Gerhart Eisler ....................................................................326 VII. Zwischen Teilhabe und Flucht. Die „Amerikaner“ in der DDR ................343

Verordnete Amerikabilder? Die USA-Rückkehrer in der frühen DDR.......344 Jazz, Rock ’n’ Roll und die „fortschrittliche deutsche Kultur“........................356 Albert Norden: Ein USA-Rückkehrer im Politbüro.........................................365 Wissenschaftliche „Spätheimkehrer“: Die Rapoports, Albert Wollenberger und die Katzensteins ................................................................................................369 „Spätheimkehrer“ auf Umwegen: Die Weiskopfs und Hans Székely............377 Erneute Flucht wider Willen: Alfred Kantorowicz, Ernst Bloch, Karola Bloch ................................................380 „Offen gesagt“ – Stefan Heyms Publizistik .........................................................395 Ein Fenster nach Amerika? Hilde Eisler und „Das Magazin“ .........................415 VIII. Amerika, die DDR und die Erinnerung ............................................................425

Die Entdeckung der USA in der DDR?...............................................................425 Der Rückzug einer Generation ..............................................................................431 Amerikabilder eigener Art. Frühe autobiographische Schriften.....................449 Die späten Zeugnisse ................................................................................................458 Anhang

Deutsche kommunistische Exilanten in den USA 1934–1945: Biographien .....479 Quellen- und Literaturverzeichnis.................................................................................526 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................573

Stefan Heym: Ich aber ging über die Grenze ...

Ich aber ging über die Grenze. Über die Berge, da noch der Schnee lag, auf den die Sonne brannte durch die dünne Luft. Und der Schnee drang ein in meine Schuhe. Nichts nahm ich mit mir als meinen Hass. Den pflege ich nun. Täglich begieße ich ihn mit kleinen Zeitungsnotizen von kleinen Morden, nebensächlichen Misshandlungen und harmlosen Quälereien. So bin ich nun einmal. Und ich vergesse nicht. Und ich komme wieder über die Berge, ob Schnee liegt, oder das Grün des Frühlings die Höhen bedeckt, oder das Gelb des Sommers, oder das dunkle Grau des Herbstes, der den Winter erwartet. Dann steh ich im Lande, das sich befreien will, mit einer Stirn, die zu Eis geworden in den Jahren, da ich wartete. Dann sind meine Augen hart, meine Stirn zerfurcht, aber mein Wort ist noch da, die Kraft meiner Sprache und meine Hand, die des Revolvers eiserne Mündung zu führen versteht. Über die Straßen [entgegen] geh ich der Heimatstadt, über die Felder, die mir verloren gingen, auf und ab, auf und ab.

Vorwort

My fuel supply is finished There ain’t nothing left to burn I need someone to help me But I don’t know which way to turn I know I don’t have much of a choice I’ll go out of my mind Or into the night There’s people all around me But I feel so alone I guess they’d like to help me But I have to do it on my own I know I don’t have much of a choice I’ll go out of my mind Or into the night (B. B. King: Into the Night)

Eine erste Idee zu diesem Buch hatte ich vor vielen Jahren, als ich im SED-Archiv auf einen Bericht Albert Schreiners stieß, den dieser nach seiner Rückkehr aus den USA an den Parteivorstand verfasst hatte. Darin hatte Schreiner, wirkungsmächtiger Publizist und Militärexperte der KPD, geschrieben, nach einer ersten Zusammenkunft im November 1941 in New York habe sich die KPD-Gruppe erst im Frühjahr 1944 wieder getroffen. Obwohl mir natürlich bekannt war, dass ausländische Kommunisten bei ihrer Einreise in die USA ihre KP-Mitgliedschaft verschweigen mussten, wollten sie ins Land gelassen werden, erschien es mir äußerst unwahrscheinlich, dass die KPD in den USA in der Zwischenzeit keine Aktivitäten entfaltet hätte. Als ich dann die Biographie Ruth Fischers schrieb, musste ich auch die Behauptungen der früheren KPD-Politikerin prüfen, in denen sie ein verschwörerisches Netzwerk deutscher Kommunisten schilderte, das auf Geheiß Moskaus die öffentliche Ordnung Amerikas zu unterminieren helfe. Die verdienstvollen Standardwerke zum deutschen Exil in den USA, angefangen mit Joachim Radkaus Pionierstudie bis hin zu Jean-Michel Palmiers Gesamtschau, boten hierzu nur wenige Informationen, und sogar der Band Exil in den USA, der an der Akademie der Wissenschaften der DDR erarbeitet wurde, half nur begrenzt weiter. Ich entschloss mich, um ein detailreiches Bild zu gewinnen, sowohl den Spuren deutscher kommunistischer Exilanten in den USA nachzugehen, als auch den Exilerfahrungen, die ihr Leben im Osten Deutschlands nach 1945 mitbestimmten. Damit suchte ich das Thema auf die Wahrnehmung der

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Vorwort

0SA in der DDR auszuweiten, um auch Aspekten der politischen Kultur im Kalten Krieg nachzuspüren; Aspekten, die für das Verständnis dieser Epoche heute von Nutzen sein mögen. Ich grenzte also den Personenkreis auf jene ein, die in die Sowjetische Besatzungszone und spätere DDR zurückkehrten. Was sie alle zusammenband, waren weniger innere Konsistenzen in Lebens- und Schaffensentwürfen, als vielmehr die Tatsache eines gemeinsamen Exillandes und die, manchmal von Widersprüchen begleitete Entscheidung der Rückkehr nach Ostdeutschland. Nur wenige blieben in den USA, kein Kommunist kehrte in den Westen Deutschlands zurück. Erwin Piscator, der nach Westdeutschland zurückkehrte, hatte in den USA nicht mehr zum Kreis prokommunistischer Intellektueller gehört. Ein anderer Rückkehrer, der Schauspieler Curt Bois, nahm 1950 zunächst seinen Wohnsitz in der DDR, zog aber 1954 nach Westberlin. Er blieb auch weiterhin der DDR und ihrem Theater verbunden, war aber zu keinem Zeitpunkt seines Lebens Mitglied der KPD oder in ihrem Umfeld aktiv, so dass auch er hier unberücksichtigt bleibt.1 Mich interessierten jedoch nicht nur die eingetragenen KPD-Mitglieder, sondern auch die „Kommunisten ohne Parteibuch.“2 So waren Bertolt Brecht, Hanns Eisler, Ernst Bloch und Stefan Heym keine Parteimitglieder, doch sind kommunistische Publizistik oder die Ansätze kommunistischer Politik ohne sie kaum denkbar – vom künstlerischen Schaffen in einem als „kommunistisch“ bezeichneten oder verschrienen Sinn ganz zu schweigen. Steckt man den Kreis derart ab,

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Doch selbst der politisch nicht hervorgetretene Bois verlor im Kalten Krieg in Hollywood fast jede Arbeitsmöglichkeit, weshalb er nach Deutschland zurückging. Dort setzten sich – in Ost wie West – jedoch seine Probleme noch geraume Zeit fort, was allein einen bezeichnenden Blick auf den Umgang mit Remigranten in beiden deutschen Staaten wirft. Auch Bois’ Freund und Kollege Fritz Kortner (der gleichfalls kein Kommunist war) wollte nach Ostberlin, doch untersagten ihm das die US-Behörden. Kortner war amerikanischer Staatsbürger und an diese Weisung gebunden. – Nicht berücksichtigt wurden solche KPDExilanten, die in England für den amerikanischen Geheimdienst Office of Strategic Services arbeiteten und folgerichtig aus englischem Exil zurückkehrten. Unter ihnen ist Jürgen Kuczynski der weitaus Bekannteste. Im Englischen wird umgangssprachlich zwischen „Communist“ (meist mit großem C) und „communistic“ unterschieden. Der erstgenannte Begriff bezeichnet Mitglieder kommunistischer Parteien, der zweite bezieht sich (oft mit negativem Unterton) auf ihre ausgesprochenen Sympathisanten.

Vorwort

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handelt es sich um rund vier Dutzend Personen, mit denen das vorliegende Buch befasst ist (ihre Kurzbiographien befinden sich im Anhang). Die zentrale Fragestellung des Buches geht von politik- und ideengeschichtlichen Ansätzen aus. Auf der politischen Ebene geht es primär um die Frage, welche Entwürfe für ein Nachkriegsdeutschland das deutsche kommunistische Exil entwickelte und welche Hoffnungen sich in der DDR erfüllten oder nicht erfüllten. Auf ideengeschichtlicher Ebene interessiert, daran anknüpfend, besonders die Bindung der sehr unterschiedlichen Akteure an die kommunistische Partei – und zwar sowohl in den USA als auch in der DDR. In den USA war die Bindung eine freiwillig eingegangene Verpflichtung. Das änderte sich in der DDR, wo die Remigranten, besonders wenn sie SED-Mitglieder waren, Regeln unterworfen wurden, die sie nur zum kleinen Teil bestimmten, zum größeren Teil aber auch dann akzeptieren mussten, wenn dies den Erfahrungen ihres bisherigen Lebens widersprach. Hinzu tritt eine intellektuell-kulturgeschichtliche Analyseebene. Hier wird vor allem bei Schriftstellern, Journalisten und Künstlern nach dem „kulturellen Gepäck“ gefragt, das die Rückkehrer aus den USA mitbrachten. In welchem Maß prägte es die Arbeit der Remigranten? Wer bezog sich wann auf seine AmerikaErfahrungen, wer tat dies nicht? Dabei soll schließlich auch dem Spannungsverhältnis nachgespürt werden, unter dem die Remigranten in der DDR wirkten: Sie waren „Exoten“ unter Menschen, die die USA nicht kannten. Gemeinsam mit anderen Rückkehrern, zumeist aus England, lebten viele von ihnen in einem familiären und kulturellen kleinen Teilmilieu. Sie wurden als „Westemigranten“ weiterhin (wenngleich unter anderem Vorzeichen als in den USA) beargwöhnt, doch wurden sie in Ostdeutschland nun auch benötigt: Die SED-Führung konnte auf die Erfahrungen der USAKenner nicht verzichten.3 Deren Handlungsspielräume bemaßen sich dabei stets an den Vorgaben der „Partei neuen Typus“, in deren Ideologie die USA als imperialistische Hauptmacht – und lange als nichts sonst – fungierte. Diesen Vorgaben dienten einige Remigranten willig, andere taten dies zögernd oder nicht, manche entzogen sich geschickt und arbeiteten als „reine“ Wissenschaftler. Nur wenige zeigten sich nach erster Anpassung dann als widerborstige Rebellen. Die Frage 3

Von einem ganz ähnlichen Ansatz ausgehend, zeigt dies in sehr anregender Weise ein Aufsatz anhand der Remigranten an der Journalistischen Fakultät der Leipziger Universität. Vgl. Daniel Siemens, Elusive Security in the GDR: Remigrants from the West at the Faculty of Journalism in Leipzig, 1945–61, in Central Europe 11, 2013, Nr. 1, S. 24–45.

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Vorwort

nach biographischen Kontinuitäten und biographischen Brüchen bildet somit gleichfalls eine „Leitfrage“ dieses Buches. Kaum eine der hier behandelten Persönlichkeiten hatte die USA als Exilland in Erwägung gezogen, doch der Vormarsch der deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten ließ keine andere Option zu, wenngleich fast alle ursprünglich nach Mexiko weiterwandern wollten. Doch entzog der oft unfreiwillige Aufenthalt in den USA die deutschen Kommunisten dem Zugriff des Hitler-Regimes: der apostrophierte „Klassenfeind“ wurde zum Retter. Daraus erwuchsen Widersprüche und manchmal Einsichten, die die Wahrnehmung der USA durch die Emigranten wie auch ihre spätere Erinnerung prägten. Bei der Konzentration auf diese Punkte mussten andere Fragen zurücktreten. Ich konnte das wissenschaftliche, literarische und künstlerische Schaffen der behandelten Personen nur dann in die Darstellung einbeziehen, wenn es für mein Anliegen von Bedeutung war, somit einen USA-Bezug aufwies. Auch die Rezeption amerikanischer Kultur in der DDR konnte nur soweit in das Buch Eingang finden, wie sie auf das Wirken der Remigranten zurückging. Ohnehin gibt es überaus kundige Experten beispielsweise zum Werk von Bertolt Brecht oder Ernst Bloch, mit denen in Konkurrenz zu treten vermessen wäre, obgleich ich mich – unter den soeben erläuterten Fragestellungen – natürlich ihrem Werk nähern musste. Gänzlich anmaßend wäre zudem ein Urteil über die Arbeit von Naturwissenschaftlern und Medizinern. Hier habe ich mich, wo nötig, auf die knappste Wiedergabe gesicherter Fakten beschränkt.4 Ebenso verfuhr ich bei den Komponisten Hanns Eisler und Paul Dessau. Natürlich ist es bei einem kollektivbiographischen Ansatz unmöglich, so intensiv die Quellen und Dokumente zu einzelnen Personen zu studieren, wie dies bei Einzelbiographien möglich und notwendig ist.5 Die Erwartungen von Spezialisten zu einzelnen Themen und Per4

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Ein herausragendes Beispiel der Analyse medizinisch-naturwissenschaftlicher und politischer Aktivitäten in ihren Wechselbeziehungen bietet Thomas M. Ruprecht, Felix Boenheim: Arzt, Politiker, Historiker. Eine Biographie, Hildesheim etc. 1992. Entsprechend der angelsächsischen Sichtweise wird hier, anders als in älteren deutschen Arbeiten, nicht strikt zwischen einem prosopographischen und einem kollektivbiographischen Ansatz unterschieden. Der letztgenannte Ansatz bindet stärker Methoden und Ergebnisse der historischen Netzwerkforschung ein, worum auch dieses Buch bemüht ist. Vgl. für eine vertiefende Beschäftigung mit dieser Problematik Morten Reitmayer/Christian Marx, Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft, in: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.), Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden 2010, S. 869– 880.

Vorwort

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sonen können also nicht immer ganz erfüllt werden, doch hoffe ich, dennoch manchen Hinweis gegeben und manche Querverbindung zu anderen Akteuren aufgezeigt zu haben. Der Schwerpunkt des Wirkens der Remigranten in der DDR liegt naturgemäß in den ersten beiden Jahrzehnten des Staates, denen ich mich vor allem forschend zuwandte. Im Schlusskapitel greife ich über diesen Zeitrahmen hinaus und suche hier auch den Lebensbilanzen der Rückkehrer den gebührenden Platz einzuräumen. Dabei musste Einiges der vielgenannten menschlichen Seiten unberücksichtigt bleiben. Gerade die Probleme, die vor den Exilanten bei der Selbstbehauptung auf einem fremden Arbeitsmarkt und im Gebrauch einer anfangs noch fremden Sprache standen, verdienten – trotz ihrer Schilderung in diesem Buch – eine wohl noch genauere Untersuchung. Dennoch hoffe ich, dass die Leserschaft einen Eindruck von den Lebensverhältnissen der Menschen im Exil gewinnt, und auch davon, welche Hoffnungen sie hegten, als sich das Exil dem Ende zuneigte. Die Exilerfahrungen der Rückkehrer haben sich in allgemeinen Studien zur SED-Politik kaum niedergeschlagen. Die „Westemigranten“ und in Sonderheit die USA-Rückkehrer wurden in ihrem gesellschaftlichen Wirken als eher bloß reagierende Personen in einem von sowjetischen und SED-Richtlinien bestimmten Umfeld, weniger als eigenständig Handelnde, gesehen. Ausnahmen bilden vor allem Forschungen über Stefan Heym. Es geht also generell um das Wirken in der kapitalistischen Gesellschaft der USA, doch auch um individuelle wie gruppenspezifische Erfahrungen in der DDR, einer dem Anspruch nach sozialistischkommunistischen Gesellschaft. Somit möchte dieses Buch durch die Untersuchung einer bisher vernachlässigten Gruppe auch einen Beitrag zur Diskussion über internationale Dimensionen kommunistischer Politik und Herrschaft leisten. Am skandinavischen Beispiel hat Michael F. Scholz als bisher einziger Historiker mit einem kollektiv-biographischen Ansatz die Rückkehr kommunistischer Exilanten in die SBZ/DDR untersucht, doch seien auch die Arbeiten Wolfgang Kießlings hervorgehoben.6 6

Michael F. Scholz, Skandinavische Erfahrungen erwünscht? Nachexil und Remigration. Die ehemaligen KPD-Emigranten in Skandinavien und ihr weiteres Schicksal in der SBZ/DDR, Stuttgart 2000; Wolfgang Kießling, Partner im Narrenparadies. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994 (dieses Buch fasst Kießlings Forschungsergebnisse zum Thema zusammen).

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Vorwort

Dieses Buch stützt sich weitgehend auf Archivmaterial aus den USA und Deutschland. Von besonderem Nutzen war in den USA die Einsicht in wichtige Akten der Alexander Stephan Collection of FBI Files on German Intellectuals in US Exile an der Thompson Library der Ohio State University. Nicht weniger ergiebig war Gerhart Eislers FBI-Akte, die sich vollständig in den Robert F. Wagner Labor Archives der Tamiment Library an der New York University befindet. Neben weiteren Archivquellen, so aus Harvard und Stanford, zog ich im Internet einzusehende Akten des FBI und in geringerem Maße auch anderer Geheimdienste heran. In Deutschland war das SED-Archiv in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin die wichtigste Quellenbasis. Gleichfalls ergiebig waren die Akten des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – sowohl die des MfSZentralarchivs in Berlin wie die der Außenstelle Leipzig.7 Auch Bestände der Universitätsarchive in Berlin und Leipzig (diese auch im Internet), des Archivs der Akademie der Künste in Berlin, des Deutschen Exilarchivs in Frankfurt a. M. sowie des Archivs des Neuen Deutschland mit seiner Zeitungsausschnittsammlung erwiesen sich als überaus nützlich. In der New York Public Library sowie der Bobst Library der New York University ist fast das gesamte gedruckte Material, das deutsche Kommunisten in den USA hinterließen, gelagert. In beiden Bibliotheken half Eleanor Yadin einmal mehr bei dessen Erschließung. Doch natürlich richtet sich der Dank an alle Helferinnen und Helfer der im bibliographischen Anhang aufgelisteten Archive sowie vor allem folgender weiterer Bibliotheken: Deutsche Nationalbibliothek (Frankfurt a. M. und Leipzig), Deutsche Staatsbibliothek/Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Yeshiva University Libraries (New York), Frick Collection Library (New York), Bibliothek des Zentrums für Zeithistorische Forschung (Potsdam). Meine Kolleginnen und Kollegen am ZZF waren erneut mit Hilfe und Kritik am Vorhaben beteiligt; was an Unebenheiten und Fehlern im Buch steckenblieb, ist aber allein meinem Konto anzulasten. Eine finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft trug zum Gelingen des Projektes bei. Dr. 7

Es sei jedoch angemerkt, dass in der hier vorrangig behandelten Frühphase der DDR die Überwachung der Bürger durch das MfS in ihrer Intensität noch keineswegs mit der in späteren Phasen vergleichbar ist, so dass das eingesehene Material deutlich weniger Informationen aufweist, als dies für eine detaillierte Untersuchung der 1970er oder 1980er Jahre der Fall wäre.

Vorwort

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Irene Runge danke ich sehr für die Bereitstellung privaten Materials über ihren Vater Georg Friedrich Alexan. Meinem Freund Dr. med. Holger Hegewald danke ich für die kritische Durchsicht der Passagen über die Biochemiker und Mediziner. Prof. Dr. Martin Sabrow unterzog sich der Mühe einer Durchsicht des Manuskriptes in einem früheren Stadium; ihm danke ich sehr für seine konstruktive Kritik. Ihm und Prof. Dr. Frank Bösch danke ich weiterhin für die Aufnahme des Buches in die Reihe Zeithistorische Studien, vielen anderen Kollegen für Hilfe verschiedenster Art, auf die ich im Text und in den Fußnoten hingewiesen habe. Waltraud Peters zeichnete einmal mehr für die Lektorierung eines meiner Bücher verantwortlich. Das im Vorsatz des Buches abgedruckte Gedicht „Ich aber ging über die Grenze ...“ von Stefan Heym ist dem Band Wege und Umwege. Einmischung seiner Werkausgabe entnommen, die zuerst 1990 im C. BertelsmannVerlag München erschien. Verwendung findet hier die 1998 im Goldmann-Verlag publizierte Taschenbuchausgabe (S. 29). Die zu Beginn eines jeden Kapitels zitierten Liedtexte werden mit Albumtitel und Erscheinungsjahr am Ende der Bibliographie aufgelistet. Die Lieder und ihre Interpreten sollen gewissermaßen einen Kontrapunkt setzen zu der in der DDR lange, wenngleich nicht bis zuletzt vorherrschenden Ablehnung der amerikanischen (und generell der angelsächsischen) Populärkultur. Dieses Buch beruht auch auf Materialien, die teilweise schon in meine Bücher über Ruth Fischer und Albert Schreiner eingingen. Wo auf deren Ergebnisse zurückgegriffen wurde, ist es stets vermerkt. Im November 2016 begann ich mit der Niederschrift der Endfassung und schloss das Manuskript im Juli 2018 ab. Mario Keßler

I. Die USA und die Flüchtlinge

Good morning, America How are you? Say don’t you know me? I’m your native son I’m the train they call The City of New Orleans And I’ll be gone five hundred miles when the day is done (Arlo Guthrie: The City of New Orleans)

Der geschichtliche Einstieg in das hier behandelte Thema wird im Allgemeinen unter den Begriff „Roosevelts Amerika“ gefasst. Franklin Delano Roosevelt wurde Ende 1932 mit seinem Konzept für mehr soziale Gerechtigkeit, dem „New Deal“ (Neue Umverteilung), zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Der von ihm angesichts der Weltwirtschaftskrise verkündete New Deal setzte auf kurzfristige staatliche Maßnahmen zur Linderung der Not (relief programs) sowie auf längerfristige Schritte zur Ankurbelung der Wirtschaft (recovery programs). Zu den erstgenannten Maßnahmen gehörten die – in beispiellos kurzer Zeit durchgesetzten – Verordnungen zum Wiederaufbau der Wirtschaft. Durch den Bau neuer Straßen, Brücken, Flughäfen, Parks und öffentlichen Gebäuden wurden in rascher Folge Arbeitsplätze geschaffen. Noch 1933 verabschiedete der Kongress den Agricultural Adjustment Act (AAA) zur wirtschaftlichen Unterstützung und Einkommenssteigerung der Farmer.

„Roosevelts Amerika“ und die deutschen Flüchtlinge In den Jahren 1935 bis 1938, die als „Second New Deal“ bezeichnet werden, schuf die Works Progress Administration (WPA) weitere Arbeitsplätze durch den Bau öffentlicher Gebäude, Straßen und zunehmend auch Flughäfen. Das Federal Theater Project, das Federal Art Project und das Federal Writers Project sorgten für das Auskommen von Schauspielern, Künstlern und Schriftstellern. Zum wichtigsten Gesetz wurde der Social Security Act, der 1935 erstmals ein Versicherungssystem schuf, das auf Abgaben von Arbeitnehmern und -gebern für Rentner, Arbeitslose und Behinderte basierte. Zudem wurden der Wertpapierhandel und damit das Bankensystem und die Finanzmärkte reguliert. Mit den allmählich sichtbar werdenden Erfolgen dieser Politik sicherte Roosevelt 1936 seine Wieder-

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I. Die USA und die Flüchtlinge

wahl.1 Mit dieser für die USA völlig neuen staatlichen Interventionspolitik stabilisierte die Regierung Roosevelt die Marktwirtschaft und die kapitalistische Wirtschaftsordnung durch administrative, aber demokratisch fundierte Maßnahmen. Am 14. April 1938 sagte Roosevelt in einem „Kamingespräch“, die Demokratie sei „bei verschiedenen großen Völkern verschwunden, nicht deshalb, weil diese Völker die Demokratie ablehnen, sondern weil sie der Arbeitslosigkeit und Unsicherheit müde geworden sind, weil sie nicht mehr zusehen wollten, wie ihre Kinder hungerten, während sie selber hilflos dasaßen und mit ansehen mussten, wie ihre Regierungen verwirrt und schwach waren.“ Er betonte, die Amerikaner wüssten, dass ihre demokratischen Einrichtungen bewahrt werden müssten. „Aber um sie zu bewahren, müssen wir den Nachweis führen, dass die demokratische Regierungsform in ihrer praktischen Arbeit der Aufgabe, die Sicherheit des Volkes zu schützen, gewachsen ist.“2 Nur die Bewahrung dieser Institutionen ermöglichte es überhaupt den Hitlerflüchtlingen, in diesem Land Asyl und in vielen Fällen eine neue Heimat zu finden. Eine offizielle Studie bezifferte 1947 die Zahl der Personen, die zwischen 1933 und 1944 in die USA eingewandert waren, auf nahezu 300 000. Von ihnen kamen etwas über die Hälfte, rund 150 000, aus Deutschland und Österreich.3 Die Auswertung der Fragebögen von rund 11 000 Immigranten wies nach, dass rund zwei Drittel von ihnen aufgrund rassistischer oder religiöser Verfolgung ins Land gekommen waren. Nur rund fünf Prozent gaben ausschließlich politische Gründe 1

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Die Literatur zum New Deal füllt ganze Bibliotheken, und selbst die wichtigsten Arbeiten können hier nicht genannt werden. Für eine erste Einführung sei verwiesen auf das ältere Standardwerk von William E. Leuchtenburg, Franklin D. Roosevelt and the New Deal, New York 1963, und auf die neue Zusammenfassung von Jason Scott Smith, A Concise History of the New Deal, Cambridge [UK]/New York 2014. Vgl. in deutscher Sprache Rüdiger Horn/Peter Schäfer, Geschichte der USA 1914–1945, Berlin [DDR] 1986, S. 180– 233; Erich Angermann, Die Vereinigten Staaten von Amerika seit 1917, 7. Aufl., München 1995, S. 123–194; Karl Drechsler, Von Franklin D. Roosevelt zu Donald J. Trump. Präsidenten, Demokraten und Republikaner, Liberale und Konservative der USA, Berlin 2018, S. 21–34. Vgl. auch den Forschungsüberblick bei Willi Paul Adams, Die USA im 20. Jahrhundert, 3. Aufl., München 2012, S. 61–68, 173–180. Franklin D. Roosevelt, Fireside Chat, 14. April 1938. The American Presidential Library Online [by Gerhard Peters and John T. Woolley], http://www.presidency.ucsb.edu/ ws/?pid=15628. Deutsch im Wikipedia-Artikel „New Deal“. Eine aktuelle Studie schätzt die Anzahl der Österreicher unter ihnen auf ca. 30 000. Vgl. Simon Loidl, Eine spürbare Kraft. Österreichische Kommunistinnen und Kommunisten im US-amerikanischen Exil (1938–1945), Wien 2015, S. 59.

I. Die USA und die Flüchtlinge

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für die Verfolgung an. Die Mehrzahl dieser Einwanderer kam aus dem Mittelstand und suchte sich in den USA eine neue Existenz aufzubauen – ohne eine dauerhafte Rückkehr zu erwägen.4 Dabei war die offizielle Politik der USA seit 1924 um eine strikte Begrenzung der Einwanderungszahlen bemüht. In diesem Jahr verabschiedeten beide Häuser des Parlaments, der Kongress und das Repräsentantenhaus, mit großer Mehrheit ein Gesetz, das die Zahl der Einwanderer pro Land auf höchstens zwei Prozent der jeweiligen, aus diesem Land stammenden und in den USA ansässigen Bevölkerung begrenzte.5 Diese Regelung sollte die Immigration aus Süd- und Osteuropa einschränken und aus dem asiatischen Raum gänzlich stoppen, während für Einwanderer aus Lateinamerika, das als „unrestricted area“ galt, noch keine Quoten beschlossen wurden. Um in die USA längerfristig einzureisen, wurde ein Affidavit benötigt, ein Nachweis, dass amerikanische Verwandte oder Bekannte für den Unterhalt der einzureisenden Personen aufkommen würden. Für die Einwanderung, aber auch für jeden längeren zeitlich begrenzten Aufenthalt waren darüber hinaus an Unterlagen beizubringen der Pass, eine Geburtsurkunde, die Heirats- bzw. Scheidungsunterlagen, ein polizeiliches Führungszeugnis, eine Entlassungsurkunde der Armee (soweit verfügbar) sowie eine Vermögensbescheinigung. Rechtlich einklagbar war die Einreise in keinem Fall.6 Bei der Nichtvorlage eines oder mehrerer dieser Dokumente lag die Entscheidung beim amerikanischen Konsul im jeweiligen Ausreiseland, ob gegebenenfalls ein Jahresvisum (visitors visa) bewilligt wurde, dessen Verlängerung oder gar Umwandlung in eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung mit großen Problemen verbunden war – und welcher Flüchtling war bei seiner oft überstürzten Flucht aus dem faschistischen Teil Europas imstande, sich all diese Papiere zu beschaffen? Denn auch ab 1933 blieben diese Regelungen in Kraft, obgleich Präsident Roose-

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Vgl. Maurice R. Davie, Refugees in America. Report of the Committee for the Study of Recent Immigration from Europe, New York 1947, S. 416 ff. Vgl. für die folgenden Angaben vor allem Aristide R. Zolberg, A Nation by Design. Immigration Policy in the Fashioning of America, Cambridge (Massachusetts) 2006, bes. S. 99 ff. Aus Deutschland konnten bis 1938 pro Jahr 25 000 Personen einreisen. Die Länge der Bewilligungsprozedur in vielen Fällen ließ den amerikanischen Kongressabgeordneten Emanuel Celler das bittere Fazit ziehen: „Es dauert Monate um Monate, bis das Visum bewilligt wird, und dann betrifft es gewöhnlich eine Leiche.“ Zit. n. Arthur D. Morse, Why Six Million Died. A Chronicle of American Apathy, New York 1968, S. 93.

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velt 1934 die amerikanischen Konsuln instruiert hatte, die Einreisemöglichkeiten im Rahmen der geltenden Bestimmungen möglichst großzügig zu handhaben.7 Die Quoten wurden selbst nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938, die in den USA wie überall in der zivilisierten Welt einhellig Abscheu hervorgerufen hatte, nicht geändert.8 Immerhin aber konnte Roosevelt durchsetzen, dass Flüchtlinge mit einer zeitlich bewilligten Aufenthaltserlaubnis nicht abgeschoben wurden, sondern im Lande bleiben durften, wobei die Aufenthaltserlaubnis bis auf Weiteres um je sechs Monate verlängert wurde.9 Dennoch sah im Jahre 1939 die nach dem „Anschluss“ nunmehr Deutschland und Österreich gemeinsam erfassende Quote die Einwanderung von nur 27 230 Personen vor. Diese Quote wurde auch zu einhundert Prozent ausgelastet, d. h. genauso vielen Personen wurde die offizielle Einwanderung gestattet. Hinzu kamen sogenannte Nonquota immigrants, Ehepartner und Kinder von Einwanderern oder Hochschulprofessoren, die einen Arbeitsvertrag mit einer USHochschule nachweisen konnten, ab 1940 auch eine geringe Zahl sogenannter Emergency immigrants, für deren Special Emergency Visas das Quotensystem außer Kraft gesetzt wurde.10 Dazu bedurfte es freilich energischer Interventionen der Öffentlichkeit. Noch am 7. Juni 1938 wurde eine Delegation des Jewish People’s Committee for United Action against Fascism and Anti-Semitism von Roosevelts Privatsekretär Marvin McIntyre in höflichen Worten abgespeist, ihr Memorandum, das eine Aufhebung des Quotensystems für jüdische Flüchtlinge forderte, aber nicht an den Präsidenten weitergeleitet wurde.11 Vielmehr schrieb McIntyre an Staatssekretär Sumner 7 Vgl. Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluss auf die amerikanische Europapolitik 1933–1945, Düsseldorf 1971, S. 82. 8 Zur Ablehnung des Riesenpogroms durch breiteste Teile der US-Öffentlichkeit vgl. Deborah E. Lipstadt, Beyond Belief. The American Press and the Coming of the Holocaust, 1933–1945, New York 1986. 9 Morse, Six Million, S. 244 f. 10 David Silberklang, The Allies and the Holocaust, in: Robert Rozett/Shmuel Spector (Hg.), Encyclopaedia of the Holocaust, New York 2013, S. 76. Vgl. auch Hans-Albert Walter, Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis, Stuttgart 1984, S. 391 ff. sowie S. 469 ff. 11 Das Komitee war 1936 in New York unter der Präsidentschaft von Rabbiner Moses Miller und dem Nationalen Sekretär Bernard Harkavi gegründet worden, zunächst auch, um neben den Verfolgten in Hitlerdeutschland auch den Opfern der antisemitischen Gesetzgebung in Polen Hilfe zu erteilen. Vgl. die Broschüre: Jews in Action. Five Years of the Jewish People’s Committee, New York 1941, S. 4. Es stand zeitweilig der Kommunistischen Partei der USA nahe.

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Welles, er „persönlich halte eine Antwort nicht für erforderlich; allerdings könnte eine mehr oder weniger höfliche, aber stereotype Erklärung verhindern, dass man später eine präzise Antwort verlangt.“12 Das verbreitete Desinteresse am Schicksal verfolgter Juden – und nichtjüdischer Nazigegner – hatte sich im Sommer 1938 im Scheitern der Flüchtlingskonferenz von Evian am Genfer See gezeigt. Auf Initiative Roosevelts hatten Vertreter von 32 Staaten versucht, ein gemeinsames Rettungsprogramm zu verabschieden; ein Vorschlag, den die Historikerin Carole Fink angesichts der riesigen Probleme als „dürftig“ bezeichnete.13 Doch die Aufnahmebereitschaft der meisten Länder hielt sich in engen Grenzen. Die Sowjetunion schlug das Autonome Jüdische Gebiet Birobidshan am Amur als Aufnahmeort vor, doch angesichts der soeben beendeten Moskauer Schauprozesse, deren letzter im März 1938 Nikolai Bucharin und seinen Gesinnungsgenossen das Leben gekostet hatte, nahmen nur einige Hundert Juden, ausnahmslos Kommunisten, das Angebot an – und wanderten alsbald wieder in die westlichen Landesteile der UdSSR ab.14 Ein anderes diktatorisches Regime, die Dominikanische Republik, nahm sechshundert Juden auf, nicht zuletzt, um das „weiße“ Element im Lande zu stärken.15 Der amerikanische Delegationsleiter Myron Taylor, der frühere Vorstandsvorsitzende der U. S. Steel Corporation regte an, der Völkerbund solle eine Kommission mit konkreten Hilfsmaßnahmen betrauen.16 Doch der Korrespondent der New York Times in Evian fühlte sich eher in einer Pokerrunde statt in einer ernsthaften politischen Beratung.17 Evan zeigte schlicht den „Unwillen der westlichen

12 Zit. n. Morse, Six Million, S. 217. 13 Carole Fink, Defending the Rights of Others. The Great Powers, the Jews and International Minority Protection 1878–1938, Cambridge [UK] 2006, S. 349. 14 Vgl. Antje Kuchenbecker, Zionismus ohne Zion. Birobidzhan: Idee und Geschichte eines jüdischen Staates in Sowjet-Fernost, Berlin 2000, S. 171, 179. 15 Vgl. Marion A. Kaplan, Dominican Heaven. The Jewish Refugee Settlement in Sosua, 1941–1945, New York 2008. 16 Vgl. Morse, Six Million, S. 220. Ein solches Inter-Governmental Committee on Refugees wurde tatsächlich gebildet, blieb aber vor 1939 ohne Einfluss auf die Politik. Es wurde aber zunächst nicht aufgelöst und konnte nach dem Zweiten Weltkrieg noch bis 1947 einige Schritte zur Hilfe für Displaced Persons einleiten. 1947 endete seine Arbeit. 17 Clarence K. Streit, in: The New York Times, 6. Juli 1938, S. 1, nach Jeffrey Gurock, America, American Jews and the Holocaust, New York 2013, S. 230.

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Länder“, den Juden wirklich zu helfen, schrieb Michael Marrus.18 Die Juden hofften nach der „Kristallnacht“ verzweifelt, die britische Mandatsmacht würde eine größere Zahl von ihnen nach Palästina einwandern lassen. Anfang 1939 zeigte sich, dass diese Hoffnungen auf Sand gebaut waren.19 Niemand wollte jüdische Flüchtlinge haben. Anfang 1939 ergriffen der demokratische Senator für New York Robert F. Wagner und Edith Rogers, eine republikanische Abgeordnete des Repräsentantenhauses, eine erneute Initiative. Sie sah vor, 20 000 jüdische Kinder unter vierzehn Jahren in die USA zu bringen. Das Vorhaben fand zwar breite Unterstützung durch jüdische und kirchliche Organisationen sowie in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, wurde jedoch von „patriotischen“ Kräften derart heftig bekämpft, dass weder die beiden Häuser des Kongresses noch Präsident Roosevelt, dem an einer Wiederwahl gelegen war, es wagten, entsprechende Maßnahmen einzuleiten.20 Aus Furcht, dem Antisemitismus Nahrung zu geben, fielen auch die Proteste amerikanisch-jüdischer Organisationen gegen diese chauvinistische Ablehnungswelle nur verhalten aus.21 Deutsch-jüdische Flüchtlinge sahen darin nicht selten einen erheblichen Mangel an Solidarität von Seiten ihrer in den USA etablierten Glaubensbrüder, was zu scharfen innerjüdischen Spannungen führte.22

18 Michael Marrus, The Unwanted. European Refugees in the Twentieth Century, Oxford 1985, S. 172. Vgl. zum Gesamtkomplex auch Eva Schweitzer, Amerika und der Holocaust. Die verschwiegene Geschichte, München 2004. 19 Vgl. Walter Laqueur, A History of Zionism, New York 1976, S. 524 f. 20 Vgl. Richard Breitman/Alan D. Lichtman, FDR and the Jews, Cambridge (Massachusetts) 2013, S. 115. 21 Vgl. Morse, Six Million, S. 262 ff.; Richard Breitman/Alan M. Kraut, American Refugee Policy and European Jewry, 1933–1945, Cambridge (Massachusetts) 1987, S. 73 ff. 22 Diese Spannungen wurden in jüngerer Zeit zum Gegenstand historischer Studien. Vgl. zum Forschungsstand Gerhard Falk, The German Jews in America. A Minority within a Minority, Lanham (Maryland) 2014, bes. S. 63 ff. Für David Wyman (Paper Walls. America and the Refugee Crisis 1938–1941, Baton Rouge 1968, S. 210 f.) mahnte der Antisemitismus in den USA, „der die Atmosphäre jener Periode deutlich prägte“, die alteingesessenen amerikanischen Juden zur Vorsicht.

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Amerikanische Hilfsorganisationen und die Öffentlichkeit Im Juli 1940 regte Präsident Roosevelt endlich die Gründung des Emergency Rescue Committee an.23 Anlass dafür war der militärische Zusammenbruch Frankreichs. Im aufgezwungenen Waffenstillstand vom 22. Juni wurde Frankreich zur Auslieferung aller Personen an die deutschen Besatzungsbehörden auf deren Verlangen verpflichtet. Am Vorabend der Kapitulation hatte der scheidende Ministerpräsident Paul Reynaud Roosevelt bedrängt, die USA sollten in den Krieg eintreten, ansonsten würde Frankreich, „gleich einem ertrinkenden Menschen“ untergehen. Roosevelt drückte dem französischen Volk seine Sympathie aus, stellte aber klar, dies bedeute keinesfalls, „wir übernähmen irgendwelche militärischen Verpflichtungen.“24 Die USA hielten bis 1944 diplomatische Beziehungen zum profaschistischen Regime in Vichy aufrecht. Andererseits wurde nun endlich das Schicksal der Flüchtlinge zur Regierungssache erklärt. Die offizielle Leitung des Emergency Rescue Comittee oblag Frank Kingdon, dem Präsidenten der University of Newark. William Green, Präsident der American Federation of Labor (AFL), des Gewerkschaftsbundes, zeichnete verantwortlich für die Einreise von sozialdemokratischen und Gewerkschaftsaktivisten.25 Eine der treibenden Kräfte und Koordinatoren war der aus Österreich stammende, früher der KPD-Opposition (KPO) und der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) angehörende Karl Borromäus Frank, der damals unter dem Namen Paul Hagen auftrat.26 Zwar durften offiziell nur US-Bürger Mitglieder des Komitees werden, doch hatten europäische ehrenamtliche „honorary advisors“ ein Mitspracherecht bei der Organisierung der Einwanderung, unter ihnen Sigrid Undset für die skandinavischen Länder, Maurice Maeterlinck für Belgien, Jules

23 Nicht zu verwechseln mit dem im Juli 1943 gebildeten Emergency Committe to Save the Jewish People of Europe. Vgl. zu diesem David S. Wyman, The Abandonment of the Jews. America and the Holocaust 1941–1945, New York 1998, S. 143–156. 24 Beide Erklärungen sind abgedruckt in: Peace and War. United States Foreign Policy 1931– 1941, Washington 1943, S. 552. 25 Vgl. Radkau, Emigration, S. 84. 26 Vgl. Reinhard Müller [Graz], Karl B. Frank alias Paul Hagen (1883–1969), in: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Newsletter 12 (November 1995), S. 11–19. Vgl. auch Terence Renaud, The German Resistance in New York: Karl B. Frank and the New Beginning Group, 1935–1945, B.A. Thesis, Boston University 2007 (im Internet unter http://terencerenaud.com/german_resistance.htm).

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Roumains für Frankreich, Thomas Mann und Hermann Kesten für Deutschland und Österreich.27 Im Auftrag des Komitees ging der Journalist Farian Fry, der zuvor unter anderem für die New York Times aus Europa berichtet hatte, im August 1940 nach Marseille, der wichtigsten Hafenstadt in den von deutschen Truppen unbesetzten Teil Frankreichs, der direkt unter Kontrolle des Vichy-Regimes stand. Er führte finanzielle Mittel sowie Listen der am meisten gefährdeten Personen, denen er die Einreise in die USA ermöglichen sollte, mit sich. Fry und seinen Mitarbeitern, darunter dem Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Albert Hirschman sowie dem aus Deutschland stammenden Ehepaar Lisa und Hans Fittko, gelang es, von der Vichy-Polizei beobachtet und vom Franco-Regime toleriert, rund 2 200 Menschen direkt von Marseille oder durch Spanien nach Lissabon zu bringen. Zu den von Fry und seinen Helfern geretteten Personen gehörten – neben einer Reihe von Personen, die in dieser Studie eine Rolle spielen – auch Hannah Arendt und ihr Mann Heinrich Blücher, Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel, aber auch Ruth Fischer, um nur einige der bekanntesten zu nennen.28 Obgleich sofort 567 Anträge deutscher und österreichischer Antifaschisten aus Frankreich eingingen, wurden zunächst nur vierzig Visa ausgegeben, und zwar an solche Personen, die „die Demokratie verteidigt hatten“. Dies schloss KPDMitglieder, auch wenn sie im Spanischen Bürgerkrieg die Demokratie tatsächlich verteidigt hatten, aus, so sie ihre Mitgliedschaft nicht verheimlichten.29 Vor allem aber suchte der als Antisemit bekannte Unterstaatssekretär Breckinridge Long die Zahl niedrig zu halten, offiziell mit der Begründung, es könnten sich unter ihnen eine höhere Zahl von Antragstellern ansonsten allzu viele Gestapo-Agenten einschmuggeln. Eleanor Roosevelt, Albert Einstein und Thomas Mann waren nur die drei prominentesten Fürsprecher der Verfolgten, doch erwies sich die US27 Vgl. Eike Middell u. a., Exil in den USA. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933–1945, Bd. 3, Leipzig 1979, S. 59. 28 Frys großartige Anstrengungen sind inzwischen in der Forschungsliteratur gut dokumentiert. Vgl. Andy Marino, A Quiet American. The Secret War of Varian Fry, New York 1999; Sheila Isenberg, A Hero of Our Own. The Story of Varian Fry, Lincoln (Nebraska) 2005; Anne Klein, Flüchtlingspolitik und Flüchtlingshilfe 1940–1942. Varian Fry und die Komitees zur Rettung politisch Verfolgter in New York und Marseille, Berlin 2007. Vgl. auch die beiden dokumentarischen Erinnerungsbücher von Lisa Fittko: Solidarität unerwünscht. Meine Flucht durch Europa 1933–1940, Frankfurt a. M. 1994, und Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41, München 2004. 29 Vgl. Jean-Michael Palmier, Weimar in Exile. The Antifascist Emigration in Europe and America. Aus dem Französischen übersetzt von David Fernbach, London/New York 2006, S. 466.

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Bürokratie mit ihrer Mischung aus beamtlicher Langsamkeit, Gleichgültigkeit und dem eingeborenen Misstrauen zumal gegen linke Hitlerflüchtlinge oft als stärker.30 Nach dem Überfall auf Pearl Harbor und der deutschen Kriegserklärung an die USA änderte sich im Dezember 1941 das politische Klima zugunsten der Flüchtlinge. Die Sympathie für sie wuchs weiter mit dem seit Ende 1942 zunehmendem Wissen über das Ausmaß der systematischen Vernichtung der Juden. Dennoch dauerte es bis zum Januar 1944, bevor beim Innenministerium mit dem War Refugee Board eine eigene Behörde zur Hilfe für Hitlerflüchtlinge geschaffen wurde. An dessen Arbeit waren Beamte des Finanz-, des Innen- sowie des Kriegsministeriums beteiligt. Der War Refugee Board wurde von John W. Pehle, Unterstaatssekretär im Finanzministerium, und später von Brigadegeneral William O’Dwyer geleitet. Der Board besaß Büros in der Türkei, Schweiz, Schweden, Portugal, Großbritannien, Italien und Nordafrika. Neben einer staatlichen Grundfinanzierung von einer Million Dollar wurde seine Arbeit durch private Spendenaufkommen finanziert.31 In einem so stark privatwirtschaftlich organisierten Land wie den Vereinigten Staaten oblag auch die Flüchtlingshilfe zum großen Teil privat initiierten und durch Privathand finanzierten Organisationen. Das in der DDR erschienene Standardwerk zum Thema hielt nicht ohne bemerkenswerte Sympathie für den Amerikaner der Mittelklasse hierzu fest: „Bei der bekannten Mentalität des Amerikaners, zu verschiedenen Anlässen ein ,Committee‘ zu gründen, gab es in den Hilfsorganisationen die organisierte Gelegenheit, Geldbeträge für die Emigranten spenden zu können – hier wurden zum Teil erhebliche Summen aufgebracht, die vielen Emigranten halfen. Gleich wichtig ist der Einsatz der Organisationen für die Beschaffung von Visa, Überfahrten und Arbeitsstellen. [...] Viele dieser Organisationen arbeiteten kurz- und mittelzeitig, andere über längere Zeiträume – überall jedoch leistete ein Heer größtenteils ungenannter Helfer echte humanitäre Unterstützung.“32 Die wichtigste jüdische Hilfsorganisation war der German Jewish Club, der durch seine Wochenzeitung Aufbau in allen Ländern, in die deutsch-jüdische Flüchtlinge gelangten, wirksam wurde. Aufbau wurde 1934 in New York als monatliches Mitteilungsblatt gegründet, stellte dann aber seine Erscheinungsweise 30 Vgl. zu Long Breitman/Kraut, American Refugee Policy, Kap. 6: Breckinridge Long and the Jewish Refugees, S. 126–144. Zur allgemeinen Situation vgl. Morse, Six Millions, bes. S. 337 ff. 31 Vgl. Wyman, Abandonment, S. 203 ff.; Breitman/Lichtman, FDR and the Jews, S. 234– 237. 32 Middell u. a., Exil in den USA, S. 57.

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um und erschien wöchentlich. Die Zeitung, für die neben vielen anderen auch Thomas Mann, Albert Einstein und Stefan Zweig schrieben, erreichte zeitweilig eine Auflage von fast einhunderttausend Exemplaren.33 Seit September 1944 publizierte das Blatt zwei Jahre lang die Namen der bekannt gewordenen HolocaustOpfer ebenso wie Namen und, wo möglich, Adressen von Überlebenden. Die American Guild for German Cultural Freedom wurde an der Jahreswende 1935/36 gegründet und bestand bis 1941. Sie hatte ihren Sitz ebenfalls in New York. Ihr Gründer Rudolf Prinz zu Loewenstein hatte schon im Londoner Exil Initiativen ergriffen, die die materielle Existenz vertriebener Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler sicherstellen sollten. Dies gelang in mehr als 160 Fällen auch: zu den prominenten Persönlichkeiten, die zumindest zeitweilig materielle Zuwendungen erhielten, gehörten Bertolt Brecht, Hanns Eisler, John Heartfield, Lion Feuchtwanger, Robert Musil und Anna Seghers. Präsident der literarischen Sektion wurde Thomas Mann, der wissenschaftlichen Sektion stand der noch in Wien lebende Sigmund Freud vor. Die Guild operierte nicht nur innerhalb der USA, wenngleich dort die meisten der Spenden eingeworben wurden.34 Zu nennen ist auch die 1935 gegründete League of American Writers mit einer speziellen Organisation für vertriebene Autoren, dem Exiled Writers Committee. Dieses organisierte umfangreiche Spendenkampagnen zugunsten der Exilanten, nicht zuletzt auch vertriebener Anhänger des republikanischen Spaniens. Der League gehörten zu ihrer Hochzeit während der Volksfront-Periode zahlreiche prominente Literaten an, unter ihnen Sherwood Anderson, Pearl S. Buck, Erskine Caldwell, John Dos Passos, Ernest Hemingway und John Steinbeck. Auch deutsche Emigranten wie Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf oder Thomas Mann waren zeitweilig nominell Mitglieder. Die League, die sich zunächst als überparteilich deklarierte, folgte jedoch immer unkritischer der KPPolitik, was immer auch hieß: des Stalin-Regimes. Dies aber führte zu Austritten und brachte die League und das Exiled Writers Committee schließlich um ihr Prestige und ihre Wirksamkeit. Die Unterstützung der Moskauer Prozesse durch die Laegue wurde von manchen Mitgliedern noch hingenommen. Der Defätismus, mit dem nach dem deutsch-sowjetischen Pakt von 1939 die Anstrengungen zur Unterstützung des Kampfes der Alliierten gegen Hitler kommentiert wurden, aber führte zum faktischen Ende. Die erneute Wendung in Richtung hin zur Befürwortung des Krieges nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni

33 Vgl. Falk, German Jews, S. 69. 34 Vgl. den Bericht des leitenden Mitarbeiters Volkmar von Zühlsdorff, Deutsche Akademie im Exil. Der vergessene Widerstand, Berlin 1999.

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1941 wirkte nunmehr unglaubwürdig und konnte das sang- und klanglose Ende der League 1942 nicht mehr verhindern.35 Bereits 1933 wurde auf Initiative von Wissenschaftlern und Wissenschaftsförderern in New York das Emergency Commitee in Aid of Displaced German Scholars gegründet, das nach der Eingliederung Österreichs in das deutsche Reich 1938 das Wort „German“ im Namen durch „Foreign“ ersetzte. Der in Deutschland ausgebildete Physiker Livingston Farrand, Präsident der Cornell University, wurde Vorsitzender, die faktische Leitung übernahm Stephen Duggan, der Direktor des gewerkschaftsnahen Institute for International Education. Das bis Kriegsende tätige Emergency Committee konnte Stipendien an nicht weniger als 335 Wissenschaftler vermitteln. Mit diesen Geldmitteln wurden für sie Arbeitsplätze an Universitäten und Colleges im ganzen Land eingerichtet, die für die Mehrzahl von ihnen schließlich zur dauerhaften wissenschaftlichen Heimstatt wurden.36 Eine zeitgenössische Studie gibt die Anzahl der von 1933 bis 1944 in die USA emigrierten Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller mit 1 900 an. Hinzu kamen 1 018 Musiker.37 Der Platz der New Yorker New School for Social Research als wichtigstem Auffangbecken deutscher und später auch österreichischer und französischer Wissenschaftler ist in der Forschung ebenso untersucht und gewürdigt worden wie z. B. die Rolle der Columbia University als Heimstatt des aus Frankfurt exilierten Institutes für Sozialforschung, das nun als Institute of Social Research seine Forschungen vorantreiben konnte.38 35 Vgl. den Zeitzeugenbericht von Franklin Folsom, Days of Anger, Days of Hope. A Memoir of the League of American Writers, 1937–1942, Niwot (Colorado) 1994; dort auf S. 265 ff. eine Liste der teils sehr prominenten Mitglieder. Vgl. auch Harvey Klehr, The Heyday of American Communism. The Depression Decade, New York 1984, S. 353 ff. 36 Zur Geschichte dieser Organisation vgl. Stephen Duggan/Betty Drury, The Rescue of Science and Learning. The Story of the Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, New York 1948. 37 Davie, Refugees in America, S. 41. 38 Vgl. zum Platz deutscher Wissenschaftler in der New School Claus-Dieter Krohn, Wissenschaft im Exil. Deutsche Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler in den USA und die New School for Social Research, Frankfurt a. M./New York 1987; zum Frankfurter Institut im Exil vgl. die beiden Standardwerke von Martin Jay, Dialektische Phantasie. Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts für Sozialforschung 1923–1950. Übersetzt von Hanne Herkommer und Bodo von Greiff, Frankfurt a. M. 1985, und von Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung, München 1987. Vgl. auch die von den „Frankfurtern“ verfassten Berichte für das Office of Strategic Services in: Raffaele Laudani (Hg.), Secret Reports on Nazi Germany. The Frankfurt School Contributions to the War Efforts, Princeton 2013. Vgl. auch die ältere Dokumentation von Alfons Soellner (Hg.), Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland.

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Die Möglichkeiten und Probleme der Integration von Wissenschaftlern seien am Beispiel der Historiker kurz beleuchtet: Eine gründliche Studie listet 98 Historiker (darunter nur zwei Frauen) auf, die, nach abgeschlossenem Studium oder inmitten ihrer wissenschaftlichen Laufbahn stehend, durch den Nazismus vertrieben wurden. Von ihnen kam rund ein Drittel, wenngleich oft nach langen Jahren der Ungewissheit, schließlich dauerhaft an einer Universität oder einer Forschungseinrichtung unter, ein weiteres Drittel erreichte eine Anstellung an einem der kleineren Liberal Arts Colleges und wiederum ein Drittel blieb am Rande des Berufes, etwa im Bibliotheksdienst, oder musste den Beruf wechseln. Stärker als in jedem anderen Land ergab sich in den USA ein institutionell abgesicherter Austausch von Ideen mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft des Aufnahmelandes. Dabei gerieten die Historiker auf einen Arbeitsmarkt, der sich ihnen nur zögerlich öffnete. Die schwere Wirtschaftskrise, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen, das seit dem Ersten Weltkrieg spürbare Ressentiment gegen Deutsche und antisemitische Vorbehalte, aber auch solche gegen als links angesehene Exilanten trafen bisweilen zusammen.39 Die politischen Überzeugungen der Exilhistoriker wichen natürlich sehr voneinander ab. „Bürgerliche“ Historiker ließen im Exil den Gedanken an eine wertfreie Wissenschaft fallen, weil sie sich mit dem nazistischen Ungeist im Bereich ihrer Wissenschaft auseinandersetzen mussten. Auch Althistoriker und Mediävisten bezogen unter dem Zwang der Ereignisse zeitgeschichtlich relevante Fragestellungen in ihre Arbeit ein, ohne dabei ihre bisherigen Forschungsthemen aufzugeben. Der Aufstieg der Diktatoren und das Zurückweichen der westlichen Staaten vor ihnen, wie es sich im Spanienkrieg und im Münchner Abkommen zeigte, konnte an den Exilhistorikern nicht vorübergehen: So wandte sich Hans Rosenberg unter dem Eindruck der aktuellen Wirtschaftskrise und ihrer Folgen einer ihrer Vorläufer zu, der Wirtschaftskrise von 1857/58, sein Namensvetter Arthur Rosenberg suchte Faschismus, Demokratie und Sozialismus über Epochengrenzen hinweg zu analysieren und der Politologe Ossip Flechtheim wurde ein Wegbereiter der zeithistorischen Kommunismusfor-

Analysen politischer Emigranten im amerikanischen Geheimdienst, Bd. 1: 1943–1945, Frankfurt a. M. 1982. 39 Vgl. Gabriela A. Eakin-Thimme, Geschichte im Exil. Deutschsprachige Historiker nach 1933, München 2005, sowie die gute Zusammenfassung bei Claus-Dieter Krohn, Vertriebene intellektuelle Eliten aus dem nationalsozialistischen Deutschland, in: Günther Schulz (Hg.), Vertriebene Eliten. Vertreibung und Verfolgung von Führungsschichten im 20. Jahrhundert, München 2001, S. 61–82.

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schung.40 Helene Wieruszewski und Hans Baron suchten die mittelalterliche Universitätsidee und den italienischen Bürgerhumanismus der Renaissance als Ausgangspunkte eines kritisch-rationalen Denkens zu begreifen, das sie den faschistischen Geschichtskonstruktionen entgegenstellten. Sogar Hans Rothfels, vor 1933 dem völkischen Denken zugetan, schrieb die erste Studie über die deutsche Opposition gegen Hitler. Der zunächst ähnlich gesonnene Gerhard Masur wurde zum Biographen Simon Bolivars, des Befreiers von Südamerika. Manche der älteren Historiker blieben habituell dem Typus des deutschen Professors noch verhaftet, doch die meisten der deutschen Gelehrten wurden amerikanische Hochschullehrer, die eine große Zahl von Studenten in allen Aspekten der europäischen Geschichte ausbildeten. Als Bürger verschiedener Welten untersuchten sie in vergleichender Sicht die Geschichte mehrerer Länder, wobei Deutschland oft, aber nicht immer im Zentrum der Analysen stand. Fast alle von ihnen gingen den gescheiterten demokratischen Alternativen zum obrigkeitsstaatlichen Handeln in der deutschen Geschichte nach, und dies sollte sich, ungeachtet aller sonstigen Differenzen, als das gemeinsame Band zwischen kommunistischen und nichtkommunistischen Gelehrten im Exil erweisen.41

Freunde und Gegner: Antifaschisten und Amerikas radikale Rechte „Es war nicht so, dass es an den Emigranten gelegen hätte, den Antifaschismus nach Amerika zu bringen, und dass erst sie die Amerikaner auf die NS-deutschen Zustände hätten aufmerksam machen müssen“, schrieb Joachim Radkau in seiner bahnbrechenden Arbeit über die deutsche Emigration in den USA nach 1933.42 Auch Amerikaner, die nicht ständig die außenpolitischen Teile der Tagespresse lasen, wurden auf die Flüchtlinge und die Gründe für deren Flucht gestoßen – jedenfalls wenn sie zum großen Heer der Kinogänger gehörten und nach mehr als nur billiger Zerstreuung verlangten. Die Entwicklung des Tonfilmes ermöglichte

40 Vgl. hierzu vom Verfasser dieses Buches: Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen (1889–1943), Köln/Weimar/Wien 2003, und Ossip K. Flechtheim. Politischer Wissenschaftler und Zukunftsdenker (1909–1998), Köln/Weimar/Wien 2007. 41 Hierzu mehr in zwei Sammelbänden: Mario Keßler (Hg.), Deutsche Historiker im Exil (1933–1945). Ausgewählte Studien, Berlin 2005, und Axel Fair-Schulz/Mario Kessler (Hg.), German Scholars in Exile. New Studies in Intellectual History, Lanham (Maryland) 2011. 42 Radkau, Emigration, S. 60.

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es, tagespolitische Themen auf der Leinwand in vorher unbekanntem Ausmaß zu verbreiten. Vom Beitrag deutschsprachiger Flüchtlinge zu den antifaschistischen Filmen Hollywoods wird in diesem Buch noch die Rede sein. Hier genügt der Hinweis auf eine Reihe von Filmen über den Spanischen Bürgerkrieg, die ein zahlenmäßig starkes Publikum für die Sache des republikanischen Spaniens und damit für das Anliegen der Antifaschisten sensibilisierte. Sie sollten ein Gegengewicht zur Franco-freundlichen Kampagne durch die amerikanische Rechte bilden. Diese schmähte alsbald die amerikanischen Freiwilligen der Abraham-Lincoln-Brigade als illegale Kombattanten und „verfrühte Antifaschisten“, was auch zu deren strafrechtlicher Verfolgung in den USA beitrug.43 Dagegen wandten sich eine Reihe auch filmkünstlerisch beachtlicher Streifen wie The Last Train from Madrid (1937, Regie: James Hogan, mit Dorothy Lamour und Lew Ayres), Blockade (1938, Regie: William Dieterle, mit Madeleine Carroll und Henry Fonda), Arise My Love (1940, Regie: Mitchell Leisen, mit Claudette Colbert und Ray Milland) oder die Dokumentationen Spain in Flames (1937) von Helen van Dongen und The Spanish Earth (1937) von Joris Ivens nach dem Drehbuch von Ernest Hemingway und John Dos Passos. Bereits 1934 hatte Regisseur Michael Mindlin mit Hitler’s Reign of Terror einen halbdokumentarischen Film gedreht, der auch Teile aus Originalinterviews mit Hitler enthielt.44 In ähnlicher Weise verarbeitete 1936 der halbdokumentarische Film I was a Captive in Nazi Germany das Schicksal einer nur knapp der Gewalt des Regimes entkommenen Gefangenen.45 In Anatole Litvaks Film Confessions of a Nazi Spy spielten 1939 die Hitlerflüchtlinge Edward Robinson und Francis Lederer die Hauptrollen, und weitere Emigranten wie Lya Lys, George Sanders, Paul Lukas und Hans Heinrich von Twardowski trugen zum Erfolg des Streifens bei. Er behandelte das GestapoSpitzelnetz in den USA und seine Anlaufstelle in Gestalt des faschistischen Deutsch-Amerikanischen Bundes, der auch aufs Engste mit der NSDAP zusam43 Vgl. Bernard Knox, Premature Anti-Fascist, in: Antioch Review, 57 (1999), Nr. 2, S. 133– 149. 44 Der lange verschollene Film wurde erst 2013 in einer Kopie in Belgien wiederentdeckt. Vgl. Emily Greenhouse, First American Anti-Nazi-Film, Rediscovered, in: The New Yorker, 21. Mai 2013. Vgl. zur Entstehungsgeschichte Thomas P. Doherty, Hollywood and Hitler, 1933-1939, New York 2013, S. 65. Dohertys Arbeit sind auch weitere, hier genannte Informationen entnommen. 45 Vgl. die auch im Internet abrufbare Besprechung von Frank S. Nugent in der New York Times vom 17. September 1936. Regisseur des Streifens war Alfred Mannon.

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menarbeitete.46 Confessions of a Nazi Spy zeigte in massenwirksamer Aufbereitung ein realistisches Bild vom Zusammenwirken deutscher und amerikanischer Nazis und kann auch als Vorläufer späterer Welterfolge wie The Great Dictator und Casablanca gelten, mit denen die Erinnerung an das antifaschistische Hollywood verbunden bleibt. Unter den Prominenten, die den Flüchtlingen zur Seite standen, seien Dorothy Thompson und Sinclair Lewis, die von 1928 bis 1942 miteinander verheiratet waren, hervorgehoben. Als Journalistin für verschiedene amerikanischer Blätter arbeitend, hatte Dorothy Thompson in Berlin Hitlers Weg zur Macht miterlebt und den künftigen Diktator 1932 ausführlich interviewt. 1934 wurde sie nach einem Hitler-kritischen Buch als erste Auslandskorrespondentin aus Deutschland ausgewiesen. In ihrer Kolumne On the Record, die sie für die New York Herald Tribune ab 1936 schrieb, sowie im Rundfunk warnte sie, die Hitler anfangs nicht ganz Ernst genommen hatte, unablässig vor dem Faschismus, den sie zwischen 1939 und 1941 oft auch mit dem Stalinismus gleichsetzte. Dorothy Thompson, ursprünglich keine Roosevelt-Anhängerin, war seit etwa 1940 mit Eleanor Roosevelt befreundet und konnte über sie auch den Präsidenten erreichen. Sie verwandte ihren Einfluss dafür, die Einbürgerung zahlreicher deutscher Emigranten zu erleichtern. Zu ihrem Freundeskreis gehörten Carl Zuckmayer, Thomas Mann und Fritz Kortner. Hanns Eisler war einer der Flüchtlinge, denen Dorothy Thompson bei der Beschaffung des Affidavits helfen konnte.47 Sinclair Lewis, Literaturnobelpreisträger des Jahres 1930, war einerseits ein prominenter Unterstützer des America First Committee, das die Teilnahme der USA am Zweiten Weltkrieg zu verhindern suchte. Dem 1940 gegründeten AFC, wie es meist abgekürzt genannt wurde, gehörten so unterschiedliche Personen wie der Sozialist Norman Thomas, der pronazistische Flugpionier Charles Lindbergh und der „Autokönig“ Henry Ford an. Noch im Februar 1941 startete das AFC eine Kampagne, um die Verabschiedung des Leih- und Pachtgesetzes durch den Kongress zu verhindern, mit dem Deutschlands Kriegsgegner kriegswichtiges Material geliefert bekommen sollten (und es schließlich auch erhielten). Erst der Kriegseintritt der USA führte im Dezember 1941 zur Auflösung des Komitees.48

46 In der Bundesrepublik wurde der Film unter dem Titel Ich war ein Spion der Nazis erst 1977 gezeigt, in der DDR (soweit bekannt) überhaupt nicht. 47 Zu ihrem antifaschistischen Engagement vgl. die hervorragende Biographie von Peter Kurth, American Cassandra. The Life of Dorothy Thompson, Boston 1990, bes. S. 359 ff. 48 Zum AFC vgl. Bill Kauffman, America First! Its History, Culture and Politics, New York 1995.

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Andererseits hatte Lewis bereits 1935 mit It Can’t Happen Here einen Roman vorgelegt, dessen Hauptfigur Buzz Windrip nach seiner Wahl zum Präsidenten der USA ein faschistisches Regime errichtet. Mit dieser Warnung griff Lewis in die direkte politische Auseinandersetzung um Faschismus und Antifaschismus in Amerika ein, denn die Gestalt des Buzz Windrip war dem früheren Gouverneur von Louisiana und nachmaligem US-Senator Huey Long nachempfunden, der 1935 aus nichtpolitischen Motiven ermordet wurde. Long verband ausgesprochen linke Forderungen nach höheren Sozialleistungen und einer Umverteilung des Wohlstandes zugunsten der Armen mit Methoden der Ämterpatronage, Erpressung politischer Gegner und rassistischer Agitation gegen Schwarze. Er war damit der Prototyp eines sogenannten „Dixiecrat“, d. h. eines führenden Mitgliedes der Demokratischen Partei, die in den Südstaaten einen extremen Rassismus verfocht. Der Rassismus und die Auseinandersetzung mit ihm sollte das Amerika-Bild fast aller Exilanten mitprägen. Rassismus und Populismus erreichten seit den Jahren des New Deal in den USA ein neues Ausmaß. Huey Longs Auftreten war für die weitab von Louisiana lebenden ersten Hitlerflüchtlinge, unter ihnen Albert Einstein, James Franck, John von Neumann und Billy Wilder, noch keine Frage, der sie besondere Aufmerksamkeit zuwandten.49 Auf weit mehr Besorgnis stieß das Auftreten von Gerald L. K. Smith, einem katholischen Geistlichen, der als selbsternannter Nachfolger Longs 1936 in Louisiana die Union Party gründete. Die Rivalität zwischen Smith und William Lemke, dem Kandidaten der Partei für die anstehenden USPräsidentschaftswahlen, verurteilte die Union Party jedoch zur politischen Wirkungslosigkeit. Dabei verbanden Smith und besonders Charles Coughlin, ein anderer katholischer Priester und de-facto der Parteiideologe, ihre Feindschaft gegenüber den Immigranten mit einem sich immer mehr steigernden Antisemitismus. Damit hatten sie Erfolg, denn ihr Antisemitismus stieß in Teilen nicht nur der katholischen Bevölkerung auf gewisse Akzeptanz. Sie konnten mit ihrer Mischung aus Populismus und Antisemitismus sogar ehemalige Linke wie Jacob S. Coxey, der einst einen der ersten Armenmärsche nach Washington organisiert hatte, gewinnen.50 49 Allerdings empfand die sozialdemokratische New Yorker Neue Volkszeitung, die damals noch kein reines Emigrantenblatt war, vorsichtige Erleichterung über Longs Ende, wenn sie auch den Mord nicht billigte. Vgl. Radkau, Emigration, S. 62 f. 50 Vgl. zu Smith und Coughlin Glen Jeansonne, Gerald L. K. Smith: Minister of Hate, New Haven 1988, und Sidney H. Kessler, Fascism under the Cross: The Case of Father Coughlin, in: Wiener Library Bulletin, Nr. 51/52 (1980), S. 8–12. Zu Coughlins speziellem Angriffsziel wurde Roosevelts Finanzminister Henry Morgenthau, Jr. als angeblicher

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Doch auch profaschistische Demagogen protestantischer Spielart wie William Dudkey Pelley, der 1936 die gleichfalls kurzlebige Christian Party gründete, oder Gerald Winrod, der Führer der Defenders of Christian Faith, stießen in das Horn des Judenhasses und der Flüchtlingshetze. Vor allem aber betrieb der Ku Klux Klan neben der gewalttätigen Pogromhetze gegen Schwarze auch eine rabiate antisemitische und antikatholische Kampagne.51 Gemeinsam war ihnen allen die verschwörungtheoretische Denkfigur vom Juden als Urheber wie als Profiteur der Wirtschaftskrise und des Neal Deal als Verrat christlicher Tugenden.52 Die Neue Volkszeitung, 1932 als Nachfolgeblatt der New Yorker Volkszeitung gegründet und alsbald Sprachrohr des deutschen sozialdemokratischen Exils, nahm 1935 in einem längeren Artikel zu Coughlin Stellung, ohne ihn aber als größtmögliche Gefahr zu sehen. Zwar würde er die Masse seiner Leser und Hörer „unweigerlich zum Faschismus“ führen, sei aber selbst kein Faschist, sondern eher ein Populist und dazu ein verworrener Phantast. Das Silber sei für ihn Symbol der Liebe, das „jüdische Gold“ hingegen Symbol des Hasses.53 Dennoch berichteten

Drahtzieher internationaler Bankgeschäfte zum Schaden der USA. Vgl. Leuchtenburg, Franklin D. Roosevelt and the New Deal, S. 102. 51 Inwieweit der Ku Klux Klan eine typisch amerikanische Form des Faschismus war oder ist, wird in der Literatur noch immer kontrovers diskutiert. Gegenüber der Mehrheitsmeinung, die ihn als faschistisch bezeichnet, betont Stanley G. Payne (A History of Fascism, 1919– 1945, Madison, Wisconsin 1995, S. 350 f.), der Klan sei eher rechtspopulistisch als faschistisch gewesen, doch sei eine noch radikalere Abspaltung, die Black Legion, als faschistisch zu begreifen. Peter H. Amann (Vigilant Fascism. The Black Legion as an American Hybrid, in: Comparative Studies on Society and History 25, 1983, Nr. 3, S. 490–524) analysiert die hybride, sich aus faschistischen und vor-faschistischen Elementen zusammengesetzte KlanIdeologie wie auch die Ideologie der Black Legion. 52 Social Justice, das von Coughlin herausgegebene antijüdische Hetzblatt, hatte zeitweilig eine Abonnentenzahl von 350 000, und seine Rundfunkpredigten erreichten über 45 Stationen eine weit größere Zahl von Hörern, womöglich rund 3,5 Millionen. Einer 1938 veranstalteten Umfrage zufolge sahen sechzig Prozent der Amerikaner die Juden vor allem als „geizig“, „unehrlich“ und „rücksichtslos“ an. Vgl. Breitman/Kraut, American Refugee Policy, S. 87, und Frederic Cople Jaher, The Jews and the Nation. Revolution, State Formation, Emancipation and the Liberal Paradigm in America and France, Princeton 2002, S. 230. Eine Übersicht der faschistischen Bewegungen in den USA bietet Morris Schonbach, Native American Fascism during the 1930s and 1940s, New York 1987. Wichtig ist ebenfalls noch immer die instruktive Zusammenfassung von Peter H. Amann, Les fascistes américains des années trentes. Aperçus et réflexions, in: Revue d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale, Nr. 126 (Avril 1982), S. 47–75. Vgl. auch den Wikipedia-Artikel „History of antisemitism in the United States“. 53 Neue Volkszeitung, 11. Mai 1935, S. 1, zit. n. Radkau, Emigration, S. 63.

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das Blatt und andere linksgerichtete Organe über Coughlins Aktivitäten auch weiterhin, da sie ihn zwar nicht als Person oder gar als politischen Denker, wohl aber als Initiator des ultrarechten Flügels der America First-Bewegung Ernst nahmen. Die von Coughlin geführte Christian Front begriff sich nicht als Partei, sondern als Sammlungsbewegung aller „wahren“ Amerikaner, die folglich nur Roosevelts Gegner seien könnten: „Die Politik des Präsidenten ist unamerikanisch“, so Coughlin im Hearst-Blatt American. Der Sozialdemokrat Norman Thomas stehe für eine „immerhin akzeptable Sorte des amerikanischen Sozialismus, während Roosevelt für den russischen Kommunismus übelster Sorte steht.“54 In der Beurteilung von William Randolph Hearst herrschte unter den Emigranten Uneinigkeit. Der Presse-Tycoon konnte schon aufgrund seines gewaltigen Einflusses auf die öffentliche Meinung in keinem Fall ignoriert werden. „From coast to coast“, vom New York Morning Journal bis zum San Francisco Examiner, erreichten seine Massenblätter Millionen von Menschen. Hearst war zunächst ein Bewunderer Mussolinis wie Hitlers. So reiste er 1934 nach Deutschland, wo ihn Hitler empfing. Vom anfänglichen Roosevelt-Anhänger hatte sich Hearst in dessen erbitterten Gegner verwandelt und den New Deal mit der gewaltsam durchgesetzten Planwirtschaft in der Sowjetunion gleichgesetzt.55 Antikommunismus und Antisozialismus verbanden sich in der Hearst-Presse mit tendenziösen Meldungen, in denen Neueinwanderer für alle möglichen Straftaten verantwortlich gemacht wurden. Die Anti-Immigrations-Kampagne erreichte im Fall von Bruno Richard Hauptmann, des angeblichen Mörders von Charles Lindbergs Baby, einen Höhepunkt. Obwohl die Beweislage gegen den aus dem sächsischen Kamenz stammenden Hauptmann sehr dürftig war, wurde er im April 1936 hingerichtet.56 Der Journalist Ferdinand Lundberg, einer der kenntnisreichsten und schärfsten Kritiker Hearsts, schrieb: „Seite an Seite mit ihren beständigen Falschmeldungen über die ‚Rote Gefahr‘ haben auch bestimmte Regionalblätter 54 Charles Coughlin in: American, 31. August 1935, zit. n. Ferdinand Lundberg, Imperial Hearst. A Social Biography, with a Preface by Charles A. Beard, New York 1936, S. 375. 55 Roosevelts Programm zur progressiven Besteuerung höherer Einkommen war, laut Hearst, „a bastard product of Communism and demagogic democracy, a mongrel creation which might accurately called demo-communism, evolved by a composite personality which might be labeled Stalin Delano Roosevelt.“ Zit. n. Si Sheppard, The Partisan Press. A History of Media Bias in the United States, Jefferson (North Carolina) 2008, S. 231. 56 Dabei verfolgte Hearst durchaus eine Doppelstrategie: Während seine Blätter einerseits Hauptmann vor dessen Verurteilung in schlechtestem Licht zeigten, berichteten sie andererseits ausführlich und oft auch mit positivem Unterton über Aktivitäten deutscher und amerikanischer Nazis zugunsten des früheren deutschen Staatsbürgers und Frontkämpfers Hauptmanns. Vgl. Lundberg, Imperial Hearst, S. 352.

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von Hearst [...] eine Kampagne gegen italienische und deutsche Antifaschisten gestartet, die in keinem Sinn radikal sind. Die Hearst-Blätter haben erreicht, dass viele dieser durch und durch demokratisch und human gesinnten Personen von der US-Regierung festgenommen wurden, um in Länder deportiert zu werden, wo sie Kerker oder ein Exekutionskommando erwartet.“57 Hearsts Hitler-freundliche Haltung fand jedoch mit der Reichspogromnacht 1938 ihr Ende, und die deutschen Exilanten, die bis dahin Gründe gehabt hatten, die Hearst-Presse zu fürchten, sprachen und schrieben, soweit sie keine Kommunisten waren, nun bisweilen freundlich über den Pressezaren. Die Kommunisten sahen in Hearst jedoch weiterhin den Gegner, so wie er in ihnen.58 Als ihren Hauptfeind sahen die Emigranten aller politischen Richtungen jedoch mit Recht den 1936 entstandenen Deutsch-Amerikanischen Bund an.59 Dieser war keineswegs die erste reine Nazi-Organisation in den USA: Bereits 1924 gründeten in den USA lebende Nationalsozialisten eine Free Society of Teutonia, die sich später in Nationalistic Society of Teutonia umbenannte und sich zuletzt Friends of the Hitler Movement nannte. Sie hatte nie mehr als fünfhundert Mitglieder und wurde Anfang 1933 aufgelöst. An ihre Stelle trat im gleichen Jahr eine Organisation unter dem Namen Friends of New Germany, die sich 1936 in Deutsch-Amerikanischer Bund umbenannte und ihr Hauptquartier zunächst in 178 East 85th Street in Manhattan, später dann in Brooklyn aufschlug. Ihre Zeitung Deutscher Weckruf und Beobachter mit Ausgaben in New York, Philadelphia, Chicago und Los Angeles propagierte die Naziideologie in Reinkultur. Ihr „Führer“, der aus München stammende und 1927 über Mexiko in die USA eingewanderte Chemiker Fritz Kuhn, arbeitete zunächst in Detroit in den Werken des als Antisemiten hervorgetretenen Henry Ford. Seit 1934 waren Kuhn und seine Frau amerikanische Staatsbürger. Der Bund erlebte im Gefolge der Festigung des Hitlerregimes einen Aufschwung. Er konnte bis zu 25 000 zahlende Mitglieder gewinnen. Von ihnen waren 8 000 in einer uniformierten Sturmabteilung, der SA, zusammengefasst – ganz

57 Ebd., S. 374. Zitat auch bei Radkau, Emigration, S. 65. 58 Vgl. ebd., S. 66 f. Die Haltung der deutschen Kommunisten widerspiegelte noch Jahrzehnte später eine Publikation des England-Emigranten Georg Honigmann, Chef weist an oder der Fall des William Randolph Hearst, Berlin [DDR] 1972. Das Buch erschien bis 1984 in sieben Auflagen. 59 Vgl. zum Folgenden Sander Diamond, The Nazi Movement in the United States, 1924– 1941, Ithaca 1974, und Joe Allen, It Can’t Happen Here? Confronting the Fascist Threat in the U. S. in the Late 1930’s, in: International Socialist Review, Nr. 85 (2012), S. 26–35, und Nr. 87 (2013), S. 19–28.

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wie im deutschen „Vorbild“. Eine der Hitlerjugend nachgebildete Organisation sorgte, nicht zuletzt in Sommerlagern, für die Gehirnwäsche der Heranwachsenden. Die SA suchte Versammlungen und Demonstrationen jüdischer und gewerkschaftlicher Organisation zu sprengen und wurde sogar gegenüber jüdischen Weltkriegsveteranen gewalttätig. In seiner Propaganda bezeichnete der Bund Präsident Roosevelt, dessen Name entstellt wurde, als jüdisch versippt und als Anhängsel seines Finanzministers Morgenthau. Eine Reihe ihrer Hetzveranstaltungen führten die Nazis gemeinsam mit Coughlins Christian Front durch. Ihre Aktivitäten bewogen jüd ische Organisationen zur Forderung, die US-Bundesregierung möge Schritte zum Verbot der Nazipartei einleiten. Diese Forderungen, denen sich die Emigranten aus Deutschland, Österreich und Italien in ihrer Gesamtheit anschlossen, wurden lauter, als der Bund am 20. Februar 1939 im Madison Square Garden eine Kundgebung abhielt – demagogisch aus Anlass des Geburtstages von George Washington – und die Riesenhalle tatsächlich bis zum letzten Platz füllen konnte. Die Regierung wurde nun aktiv und beauftragte das im Jahre 1934 beim Repräsentantenhaus gebildete Komitee für unamerikanische Aktivitäten (House UnAmerican Activities Committee oder HUAC) mit der genauen Überwachung der Nazis. Doch erst mit dem Kriegseintritt der USA wurde Ende 1941 der DeutschAmerikanische Bund verboten. Das nach seinem Vorsitzenden, dem demokratischen Mitglied des Repräsentantenhauses Martin Dies, Jr. benannte Dies-Komitee sollte jedoch nicht nur die extreme Rechte, sondern auch kommunistische Umtriebe (oder was dafür gehalten wurde) überwachen. Der Lauf der Geschichte brachte es mit sich, dass zu den Überwachten auch ein junger, aus Deutschland geflüchteter Schriftsteller gehörte, der mit Nazis in U.S.A. die wohl wichtigste zeitgenössische Studie über und gegen Fritz Kuhn und seine Gefolgschaft geschrieben hatte: Stefan Heym.

II. Zwischen Integration und Marginalisierung: Deutsche Kommunisten in den USA

Took a boat over Lake Geneva It was raining all night long We were lucky and we saw no enemy And came from Switzerland, poor refugees Far from the guns of war We said goodbye to it all (Chris de Burgh: Say Goodbye to It All)

Die USA waren eines der letzten Länder, in denen deutsche Kommunisten Zuflucht suchten. Hitlers Herrschaft sei nicht von Dauer; es gelte, im Exil so rasch wie möglich die Rückkehr in ein von seiner Herrschaft befreites Deutschland vorzubereiten, war lange die allgemeine Überzeugung. Doch die Kommunisten hielten, ebenso wie die Sozialdemokraten, noch nach 1933 an Strategien fest, die sich schon in der Weimarer Republik als untauglich erwiesen hatten: die Kommunisten an ihrem weltrevolutionären Konzept, die Sozialdemokraten an ihrem Glauben an die Legalität, an die sich auch die Gegner halten würden. Die KPD hatte die Weimarer Republik als Ausbeuterstaat – und als nichts sonst – wahrgenommen; die demokratischen Institutionen erschienen es nicht wert, dass man irgendetwas zu ihrer Verteidigung unternahm. Die Probleme verschärften sich am Beginn der 1930er Jahre. Nunmehr wurden die Sozialdemokraten, die sich in den bürgerlichen Staat eingepasst hatten, zu Sozialfaschisten erklärt. Diese wiederum sahen in den Kommunisten nichts als rotlackierte Nazis – die Feinde der Republik von links seien kaum besser als die von rechts. Erst in Hitlers Konzentrationslagern wurde es Kommunisten wie Sozialdemokraten bitter bewusst, wer die wirklichen Faschisten, die wirklichen Nazis waren. Das Jahr 1935 wurde zum Jahr einer strategischen Neuorientierung für die Kommunistische Internationale und die KPD: Der VII. Komintern-Kongress beschloss im Sommer diesen Jahres, alle Differenzen um die Herstellung einer breiten antifaschistischen Volksfront zurückzustellen. In der Volksfront sollten Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Antifaschisten zusammenwirken. Hitlers Sturz und die Herstellung demokratischer Verhältnisse in Deutschland galten nun als Ziel. Vom Sozialismus war keine Rede mehr. Besonders in Paris gab es Ansätze einer Zusammenarbeit, in die auch kleine linke Gruppen jenseits von KPD und SPD einbezogen wurden. Die Moskauer Schauprozesse 1936 bis 1938 führten jedoch zum Ende der Kooperation. Das deutsch-sowjetische Zusammengehen vom August 1939, nicht nur von Anti-

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kommunisten als Hitler-Stalin-Pakt bezeichnet, schien die Spaltung zu zementieren. Der Vormarsch der Wehrmacht im Frühjahr 1940 schuf eine neue Lage. Waren durch die deutsche Annexionspolitik bis 1939 Österreich und die Tschechoslowakei als Zufluchtsorte ausgefallen, so trafen der Fall von Paris am 14. Juni 1940 und die anschließende Kapitulation Frankreichs das deutsche Exil in der Substanz: Von den fast eine halbe Million zählenden Hitlerflüchtlingen lebten rund 350 000 in Frankreich. Sie gerieten sofort in Gefahr. Unter dramatischen Umständen gelangte ein Teil der Flüchtenden in die USA. Eine verschwindend kleine Zahl, rund vier Dutzend, gehörte der KPD an oder war ihrem Umfeld zuzurechnen. Doch hinterließen einige aus dieser Gruppe, deren Mitglieder im Folgenden – in der Reihenfolge ihres erstmaligen Eintreffens in die USA – vorgestellt werden, ihre Spuren im Exilland.

Die ersten Schritte der Exilanten Der Personenkreis, von dem hier die Rede ist, hätte disparater kaum sein können: Das einzige, alle verbindende Merkmal war ihre Einwanderung in die USA, doch konnten die Herkunft und berufliche Sozialisation, die Motive für die Immigration und die Erwartungen, die sich an das Aufnahmeland knüpften, unterschiedlicher kaum sein. Auch die Bindung an die KPD bzw. in einigen Fällen an die KP der USA war keineswegs bei allen von vornherein gegeben. Hier führten, nachdem die Flüchtlinge in den USA Fuß gefasst hatten, die Netzwerke des kommunistischen oder kommunismusnahen deutschen Exils zu Verbindungen und Querverbindungen, über die ausführlich berichtet wird. Es gab jedoch eine kleine Anzahl deutscher oder deutschsprachiger Kommunisten, die bereits vor 1933/34 in die USA gekommen waren und in späteren Jahren mit den Protagonisten dieses Buches in zum Teil enger Verbindung standen. Auf sie sei zunächst hingewiesen: Die früheste Kenntnis der USA hatte unter allen künftigen deutschen Kommunisten wohl der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf (1888–1953), der 1913/14 als Schiffsarzt auf der Nordamerika-Linie des Norddeutschen Lloyds arbeitete und dabei die Ostküste der USA und noch mehr Kanadas kennenlernte. 1935 besuchte er erneut New York, diesmal als Teilnehmer des von der American Writers League organisierten Schriftstellerkongresses, der die Weichen in Richtung einer literarischen Volksfront-Bewegung stellte. Er blieb jedoch nicht dauerhaft in den USA.1 1

Vgl. Lew Hohmann, Friedrich Wolf. Bilder einer deutschen Biographie, Berlin [DDR] 1988, bes. S. 55 ff.

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Im Ersten Weltkrieg hatte sich ein später bekannter deutscher Kommunist in Nordamerika aufgehalten: Arthur Ewert (1890–1959). Während er zumeist im kanadischen Winnipeg lebte, arbeitete seine Lebensgefährtin Elisa Saborowski (1886–1939) in den USA. Beide waren in der Sozialistischen Partei Nordamerikas tätig. 1919 wurden sie, nachdem sie am gescheiterten Versuch der Gründung einer kommunistischen Partei beteiligt waren, aus Kanada ausgewiesen und kehrten nach Deutschland zurück. Als ein sogenannter Versöhnler, der die Bekämpfung der SPD als „Sozialfaschisten“ ablehnte, verlor Ewert 1929 seinen Sitz im Polbüro. Sein weiteres, zuletzt tragisches Leben führte ihn nicht wieder in die USA, sondern nach China und Brasilien, wo er nach Folterungen durch die Geheimpolizei des Vargas-Regimes dauerhaft seinen Verstand verlor. Seine Gefährtin wurde nach ihrer Auslieferung an Deutschland 1939 im KZ Ravensbrück ermordet.2 Seit 1917, dem Jahr des Kriegseintritts der USA und der Russischen Revolutionen, galt bei der Einwanderungsgesetzgebung ein Paragraph, wonach Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie die Regierung stürzen wollen, die Einreise verweigert wird. Zunächst auf mutmaßliche Spione des Kriegsgegners Deutschland angewandt, galt der Passus alsbald auch für Kommunisten, ohne dass es hierzu einer speziellen Gesetzgebung bedurfte. Fortan musste alle einreisenden Kommunisten ihre Parteimitgliedschaft verschweigen. Diese Bestimmung wurde 1940, um hier dem Gang der Erzählung vorzugreifen, durch den Alien Registration Act oder Smith Act ergänzt, der zunächst die Registrierung von eingereisten Ausländern festlegte.3 Der Alien Registration Act wurde jedoch zum Druckmittel,

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Vgl. zu beiden Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-EislerBiographie, Berlin 2007; ders., Arthur Ewert. Revolutionär auf drei Kontinenten, Berlin 2015. Vgl. zu Eisler auch die Angaben in seiner Kaderakte in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Archiv der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland (hier und in allen folgenden Kapiteln zit. als: SAPMO-BArch), Abteilung Kaderfragen, DY 30/IV 2/11/v. 749. – Grundsätzlich ist für alle hier behandelten Personen noch immer von unschätzbarem Wert das Biographische Handbuch zur deutschsprachigen Emigration. Vgl. Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.), Biographisches Handbuch zur deutschsprachigen Emigration, 3 Bde., München 1980. Nicht weniger informativ ist Hermann Weber/Andreas Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004. 2008 erschien ein Ergänzungsband, 2010 eine zweite Auflage. Für weitere biographische Angaben vgl. auch den Anhang dieser Arbeit und als erste Orientierung die Wikipedia-Artikel zu den einzelnen Personen. Howard W. Smith, der Initiator des Gesetzes, war ein Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei aus Virginia und Befürworter der gegen Schwarze gerichteten Rassentrennung. Vgl. zum Alien Registration Act auch Hans-Albert Walter, Deutsche Exillitera-

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um Ausländer an (auch gesetzeskonformer) politischer Betätigung zu hindern oder sie auszuweisen, so sie sich einer (absichtlich weit gefassten) „subversiven Tätigkeit“ schuldig machten. Spätere Bestimmungen verboten die Erteilung von Visa an Personen, die ein Sicherheitsrisiko für die USA bedeuteten und beschränkten auch drastisch die Ausreisemöglichkeiten solcher Personen.4 Auch der Schriftsteller und Journalist Leo Katz (1892–1954) besaß eine frühe Kenntnis der USA. Nach schwieriger Jugend hatte er Geschichte und Philosophie in Wien studiert und war 1919 einer der Mitbegründer der KP Österreichs. Da er in Wien kein Auskommen fand, wanderte er 1920 in die USA aus, wo eine Schwester von ihm lebte. In New York schlug er sich als Verkäufer durch, schrieb jedoch auch für die linke jiddische Presse. 1926 ging er als Europa-Korrespondent der Morgen Frayhayt, der jiddischen KP-Zeitung der USA, nach Paris und 1927 wieder nach Wien, schließlich nach Berlin, wo er der KPD beitrat und für ihre wichtigste Tageszeitung, Die Rote Fahne, schrieb. 1933 floh er mit seiner Frau Bronia geb. Rein (1902–1989) und dem Sohn Friedrich (1927–2010) nach Paris. Die nächsten Jahre arbeitete er wieder als Journalist, aber schmuggelte auch Waffen für die republikanische Armee nach Spanien. 1938 wurde er deshalb aus Frankreich ausgewiesen und ging mit seiner Familie zum zweiten Mal nach New York und von dort 1940 nach Mexiko.5 Die in Budapest aufgewachsene, aber in deutscher Sprache schreibende Journalistin Maria Leitner (1892–1942) war eine der wenigen Kommunistinnen, die mit dem Leben in den USA vertraut waren. Sie lebte dort ab 1922 mehrere Jahre. Frucht ihrer Erfahrungen, die sie in allen nur denkbaren Berufen sammelte, war neben dem Roman Hotel Amerika (1925) die Reportagensammlung Eine Frau reist durch die Welt, die erstmals 1932 erschien und auch heute noch nicht vergessen ist.6 Maria Leitner, die ab 1933 illegal in Deutschland lebte und 1934 über Prag nach Paris emigrierte, gelang jedoch der erneute und diesmal lebenswichtige Sprung in die USA nicht: 1942 starb sie in Marseille.7

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tur 1933–1950, Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis, Stuttgart 1984, S. 450 f. Vgl. ebd., S. 460 f. Diese beiden, 1940 und 1941 verabschiedeten Gesetze wurden nach ihren Initiatoren auch „Russell Bill“ und „Bloom-Van Nuys Bill“ genannt. Vgl. das Nachwort seines Sohnes Friedrich zu Leo Katz, Totenjäger, Aachen 2005. Der Roman erschien erstmals 1944 in Mexiko. Friedrich Katz wurde später ein weltweit angesehener Lateinamerika-Historiker. Ihre Texte erfuhren jüngst eine Neuausgabe. Vgl. Maria Leitner, Amerikanische Abenteuer. Originaltexte von 1925 bis 1935. Episoden, Reportagen und der Urwald-Roman „Wehr dich, Akato!“, hg. von Helga und Wilfried Schwarz, Berlin 2017. Vgl. zu ihr Helga W. Schwarz, Maria Leitner: eine Verschollene des Exils?, in: ClausDieter Krohn/Thomas Koebner/Wulf Köpke (Hg.), Exilforschung. Ein internationales

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Willi Busch (1898–1967), der 1918 dem Spartakusbund angehört hatte, war bereits 1923 in die USA ausgewandert. Dort trat er der KP bei. Im Januar 1937 kämpfte er in der Lincoln Brigade im Spanienkrieg. Im Februar 1938 an der Jarama-Front verwundet, wurde er nach längerem Krankenhaus-Aufenthalt nach Frankreich evakuiert. Er kehrte 1939 nach Amerika zurück, verließ aber nach behördlichen Befragungen und Inhaftierungen die USA 1954, um in die Bundesrepublik und von dort in die DDR zu gehen.8 Ebenfalls 1923 wanderte Ludwig Arnold (1905–1962), von Beruf Schmied, in die USA ein und arbeitete an verschiedenen Orten, zumeist in San Francisco. In Deutschland hatte er dem Kommunistischen Jugendverband angehört und schloss sich auch in den USA der Communist Youth League sowie der amerikanischen KP an. 1930 ging er nach Moskau und arbeitete dort als Schlosser und Elektriker. Er wurde sowjetischer Staatsbürger und studierte von 1933 bis 1936 an der Kommunistischen Universität der Minderheiten des Westens. 1944/45 war er Lehrer an einer Antifa-Schule für deutsche Kriegsgefangene und kehrte dann nach Ostdeutschland zurück. Nach verschiedenen Parteifunktionen leitete er kommissarisch das Institut für Marxismus-Leninismus in Berlin und war an der Herausgabe der Marx-Engels-Werkausgabe beteiligt.9 Seine aus Los Angeles stammende Frau Grace, geb. Snyder (1911–1988), lernte er in der Sowjetunion kennen. Sie ging mit ihm nach Berlin, wo sie an der SED-Parteihochschule unterrichtete.10 Noch kein parteigebundener Kommunist war Jürgen Kuczynski (1904–1997), als er von 1926 bis 1929 zuerst an der Brookings School in der US-Hauptstadt Washington, danach für die American Federation of Labor (AFL) arbeitete. In den USA lernte er seine Frau Marguerite geb. Steinfeld (1904–1998) kennen, und noch vor der gemeinsamen Rückkehr nach Deutschland schrieben sie für die AFL

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Jahrbuch, Bd. 5: Fluchtpunkte des Exils und andere Themen, München 1987, S. 123– 134. Vgl. Buschs Kaderakte im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. 3, Merseburg, P 522: Kaderakten von SED-Funktionären des Bezirkes Halle (Auswahl), Nr. 167, Bl. 1 u. 4 (Lebenslauf vom 3. Juli 1958 u. Protokoll vom 13. August 1958). Vgl. auch Werner Abel/Enrico Hilbert, „Sie werden nicht durchkommen“. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution, Bd. 1, Lich 2015, S. 98, sowie Frank Hirschinger, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“. Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918–1953, Göttingen 2005, S. 371. Busch war nicht verheiratet. Vgl. die Angaben in: Helmut Müller-Enbergs u. a. (Hg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, 5. Aufl., Bd. 1, Berlin 2010 (im Internet); Manfred Wulf, Erinnern an die Arnolds, in: Rotfuchs, Nr. 142 (November 2009), S. 15. Sie publizierte eine (umstrittene) Arbeit: Zur Geschichte der Kommunistischen Partei der USA, die 1976 in der DDR nur als parteiinterner Sonderdruck, hingegen im von der DDR finanzierten Verlag Marxistische Blätter in Frankfurt a. M. als Buch erschien.

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eine Reihe von Studien über Arbeitsbedingungen und Lohnentwicklung in der amerikanischen Industriearbeiterschaft. 1930 wurde er Mitglied der KPD. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er in England für den amerikanischen OSS. Kuczynskis amerikanische, mehr aber noch seine englische Erfahrung – er lebte von 1936 bis 1945 im britischen Exil – prägte auch sein wissenschaftliches und publizistisches Werk in der DDR.11 Im Zweiten Weltkrieg sollte er sowohl für das Office of Strategic Services als auch für den sowjetischen Militärgeheimdienst arbeiten.12 Vom November 1928 bis April 1929 hatte der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch (1885–1948) das Land bereist und anschließend den Reportage-Band Paradies Amerika veröffentlicht. Obgleich der Titel ironisch zu verstehen war und Kisch den amerikanischen Hochkapitalismus äußerst kritisch sah, zeigte er die Vielgestaltigkeit des Lebens zwischen New York und Hollywood ohne ideologische Scheuklappen. Von der kulturellen Überheblichkeit, die so vielen Äußerungen von Europäern über die amerikanische „Massengesellschaft“ innewohnten, war das Buch völlig frei. Upton Sinclair und Charles Chaplin, denen er damals erstmals begegnete und mit denen er Freundschaft schloss, waren für ihn Beispiele eines besseren, sozial engagierten Amerikas. Die Präsidentschaftswahl 1928, deren Augenzeuge er wurde, aber war für ihn wenig mehr als ein Boxkampf: ob der Republikaner Herbert Hoover oder der Demokrat Al Smith Präsident werde, sei etwa so entscheidend wie die Frage, ob Jack Dempsey oder Gene Tunney Weltmeister im Schwergewicht sei. Doch zeigte sich Kisch fasziniert vom NachrichtenLaufband auf dem New Yorker Times Square, das die Wahlergebnisse sofort verbreitete – eine in Europa noch unbekannte Technik. Paradies Amerika prägte das Bild über die USA nicht nur unter Linken für eine Reihe von Jahren.13 Nach der

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Vgl. Jürgen Kuczynski, Memoiren. Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler, Berlin [DDR]/Weimar 1973, S. 113–184. Kuczynski reiste zudem 1938 im Auftrag der KPD in die USA, vorwiegend um Spendengelder zur Unterstützung der Interbrigaden im Spanienkrieg einzuwerben. In Princeton traf er auch mit Albert Einstein zusammen, den er bereits aus Berlin recht gut kannte. Vgl. Jürgen Kuczynski, Freunde und gute Bekannte. Gespräche mit Thomas Grimm, Berlin 1997, S. 36–38. Vgl. Axel Fair-Schulz, Jürgen Kuczynski in England: Zwischen Antifaschismus, Parteitreue und Wissenschaft, in: Mario Keßler (Hg.), Deutsche Historiker im Exil (1933– 1945). Ausgewählte Studien, Berlin 2005, S. 145–168; ders., Jürgen Kuczynski: A German-Jewish Marxist Scholar in Exile, in: Ders./Mario Kessler (Hg.), German Scholars in Exile. New Studies in Intellectual History, Lanham (Maryland) 2011, S. 1371–58. Der 1930 erschienenen deutschen Erstausgabe folgten innerhalb eines Jahres Übersetzungen ins Finnische, Polnische, Russische, Schwedische, Serbo-Kroatische, Spanische und Tschechische. Vgl. das Nachwort von Dieter Schlenstedt zu Egon Erwin Kisch, Paradies Amerika, Berlin 1994, S. 306.

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Veröffentlichung dieses Buches dauerte es fast ein Jahrzehnt, bis Kisch Ende 1939 wieder nordamerikanischen Boden betrat. Eine gute Kenntnis der USA hatte sich auch Paul Merker (1894–1969) erworben. Seit 1928 war er Leiter der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) gewesen und durch seinen Radikalismus auch außerhalb der KPD bekannt geworden. Zeitweilig war er Wortführer der ultralinken Strömung in der KPD, der selbst noch die Politik des „Sozialfaschismus“ nicht entschieden genug war, weshalb er im April 1930 aus dem Polbüro, dem höchsten Leitungsgremium der Partei, zunächst ausscheiden musste. Unter dem Namen „Max Fischer“ war er von März 1931 bis Februar 1934 für die Rote Gewerkschafts-Internationale, die RGI, in den USA tätig, zuletzt als Stellvertretender Leiter der angloamerikanischen Abteilung. Danach gehörte er der illegalen KPD-Reichsleitung in Berlin an, bevor er im französischen Exil einer der wirkungsmächtigsten kommunistischen Politiker wurde, der seine ultralinken Positionen überwand. 1942 gelang ihm nach erneuter gefahrvoller Illegalität die Flucht nach Mexiko.14 Ebenfalls im Parteiauftrag ging Gerhart Eisler (1897–1968) in die USA. Auch er hatte 1929 als „Versöhnler“ seinen Platz in der Leitung der KPD räumen müssen. Bis 1931 wurde er zur „Bewährung“ als Komintern-Emissär in China eingesetzt und arbeitete danach vorwiegend in Moskau. Zwischen 1933 und 1936 war er unter dem Namen Edwards (illegal arbeitender) Vertreter der Komintern bei der KP der USA. Auch er vertrat dort die „Sozialfaschismus“-Konzeption, gehörte aber 1935 zu denen, die auf dem VII. Weltkongress der Komintern das unheilvolle Dogma zu Grabe trugen und fortan die Politik der Volksfront propagierten. Unter ganz anderen, turbulenten Umständen – ihm waren in Frankreich die Schiffstickets gestohlen worden, doch erhielt er diese ersetzt – erreichte er am 13. Juni 1941 erneut New York. Diesmal kam er als Flüchtling aus Frankreich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Brunhilde (Hilde) Rotstein (1912–2000), die er in den USA heiratete.15 Damit sind wir bei den Personen, die ab 1934 in die USA emigrierten und den Gegenstand dieses Buches ausmachen. Nicht alle von ihnen, um dies zu wiederholen, verstanden sich oder waren bei der Einreise in die USA Kommunisten, wie die folgenden Angaben zeigen: 14

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Eine Biographie Merkers fehlt noch. Vgl. am bisher ausführlichsten zu ihm Wolfgang Kießling, Partner im „Narrenparadies“. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Zentrale Parteikontroll-Kommission [ZPKK], [Bestand] Gerhart Eisler, Bl. 11: Befragung des Genossen Gerhart Eisler, 27. März 1953. Vgl. für die Umstände der Ankunft auch das Interview mit Hilde Eisler in: Manfred Engelhardt (Hg.), Deutsche Lebensläufe. Gespräche, Berlin 1991, S. 42 f.

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Elisabeth Hauptmann (1897–1973), kongeniale Mitarbeiterin und frühere Geliebte Bertolt Brechts, emigrierte Anfang 1934 nach kurzer Haft in Deutschland in die USA. Wie alle anderen KPD-Mitglieder verschwieg sie bei der Einwanderung ihre Parteizugehörigkeit. Da ihre Mutter Amerikanerin gewesen war und sie eine Schwester in St. Louis hatte, erlangte sie ohne größere Schwierigkeiten ein Affidavit. Die in Deutschland als Lehrerin ausgebildete Elisabeth Hauptmann sprach zudem sehr gut Englisch. Nachdem sie zeitweilig als Krankenbetreuerin tätig war, konnte sie ihren Beruf als Lehrerin ausüben. 1940 zog sie von St. Louis nach New York, wo sie als Übersetzerin sowie wiederum als Mitarbeiterin Brechts arbeitete.16 1934 kam auch das Ethnologen-Ehepaar Julius (1895–1950) und Eva Lips (1906–1988) in die USA. Als aktiver Sozialdemokrat hatte Julius Lips 1933 seine Professur an der Universität Köln sowie die Leitung des dortigen Museums für Völkerkunde verloren. In den USA erhielt er Lehraufträge an der Columbia University in New York und der Howard University in Washington, D.C., worüber im Folgenden mehr gesagt wird. Eva Lips hatte ihre Dissertation in Deutschland nicht fertigstellen können. Die aus einer Leipziger Verleger-Familie stammende Eva Lips hatte im Elternhaus und im Lyzeum eine sehr gute Bildung erworben. Sie beherrschte schon früh Englisch und Französisch fließend. Mit diesem Guthaben ausgestattet, publizierte sie 1938 ihr erstes Buch auf Englisch. Es erschien mit dem Titel What Hitler Did To Us bei Michel Joseph Ltd. in London und als The Savage Symphony. A Personal Record of the Third Reich im Verlag Random House in New York. Eva Lips beschrieb darin freimütig wie sie, obgleich mit einem Sozialdemokaten verheiratet, sich bis 1933 kaum um Politik gekümmert habe. Hitler sei zwar ein sehr unangenehmer Patron, aber eben ein Kanzler wie viele, der kommen und gehen würde. Als die neuen Machthaber von ihrem Mann forderten, er solle seine Forschung ihren rassistischen Kriterien anpassen, spürte sie jedoch plötzlich, dass es für ihren Mann und sie selbst keine Zukunft in Deutschland mehr gab. Das Buch entbehrte nicht grotesker Szenen: So wussten die Kölner Polizeibeamten bei einer Haussuchung nichts mit den Büchern in der Bibliothek anzufangen; der Name Hölderlin war ihnen unbekannt, doch zeigten sie sich beruhigt, als Eva Lips ihnen versicherte, der Dichter sei lange vor 1933 verstorben und also kein Feind der neuen Ordnung. Trotzki war ihnen irgendwie verdächtig, doch da 16

Vgl. Paula Hansson, Elisabeth Hauptmann. Brecht’s Silent Collaborator, Frankfurt a. M. 1995, S. 147; Sabine Kebir, Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht, Berlin 1997, S. 182 f. Sabine Kebir wertete erstmals Elisabeth Hauptmanns hinterlassene Tonband-Interviews aus, die mit ihr in der DDR geführt wurden.

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neben dessen Büchern Hitlers Mein Kampf stand, war er vielleicht doch nicht so gefährlich? Was für eine Sprache ist das denn?, wollte ein Beamter wissen, als er André Maurois’ Le cercle de la famille in der Hand hielt. Ein Buch über die Wolga durchblätternd, fragte ein anderer, ob der Fluss in der Sowjetunion liege. Aber nein, entgegnete Eva Lips, die Wolga fließe doch durch Italien. Schließlich beschlagnahmten die Polizisten 739 Bücher, die sie – Ordnung muss sein – Titel um Titel auflisteten.17 Der Rezensent Hubertus Prinz von Loewenstein hob den exemplarischen Charakter des Buches hervor. The Savage Symphony lese sich „wie das Szenario eines Films, der von Verbrechen, Verschwörung, menschlicher Schwäche und Stärke handelt. Beinahe dreitausend deutsche Gelehrte und Künstler teilten das Schicksal von Professor Lips. Das Buch seiner Frau, obgleich als persönlicher Bericht geschrieben, zeigt die Erfahrungen von allen. Es zeigt auf schreckliche Weise, wie schmal der Grat ist, der die Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts von der vorgeschichtlichen Barbarei trennt.“18 Mit nur gelegentlich bezahlten Forschungsaufträgen sowie mit finanzieller Unterstützung von Dorothy Thompson eignete sich Eva Lips umfangreiche, auch sprachliche Kenntnisse über verschiedene Volksgruppen der nordamerikanischen Ureinwohner an.19 In den USA näherten sich Eva und Julius Lips zunächst vorsichtig der kommunistischen Partei an. Gleichfalls 1934 emigrierte die Ärztin Margarete Bechhöfer (1907–1996) in die USA. Sie hatte als Schülerin dem Kommunistischen Jugendverband und dann dem Kommunistischen Studentenverband angehört. Nach einem Studium an mehreren Hochschulorten in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei wurde sie 1932 bei Paul Diepgen am Institut für Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften der Berliner Universität mit einer Arbeit über Die Entwicklung des Medizinalwesens in Württemberg 1806–1870 promoviert, durfte jedoch 1933 ihr praktisches Jahr schon nicht mehr ableisten. In New York arbeitete sie am Metropolitan Hospital und am Elton Hospital, einer Privatklinik, danach als Leiterin von Sexualberatungsstellen. 1938 heiratete sie den aus Berlin emigrierten Felix Boenheim.20

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Vgl. Eva Lips, Savage Symphony. A Personal Record of the Third Reich, New York 1938, S. 135. Prince Hubertus Loewenstein, Odyssey of Exile, in: The Saturday Review, 7. Mai 1938, S. 7 (auch im Internet abrufbar unter http://www.unz.org/Pub/LipsEva-1938). Dorothy Thompson schrieb auch das Vorwort zu The Savage Symphony. Vgl. für ihre Vita Thomas M. Ruprecht, Felix Boenheim: Arzt, Politiker, Historiker. Eine Biographie, Hildesheim etc. 1992, S. 412 f. und passim.

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Der Soziologe und Sinologe Karl August Wittfogel (1896–1988) kam ebenfalls 1934 in die Vereinigten Staaten und sollte dauerhaft bleiben. Bis dahin hatte er die politische Arbeit für die KPD mit einer wissenschaftlichen Laufbahn zu verbinden gesucht. 1923 hatte er zum Kreis derer gehört, die im thüringischen Geraberg eine „marxistische Arbeitswoche“ ins Leben riefen, aus der heraus ein Jahr später in Frankfurt am Main das Institut für Sozialforschung entstand. Zu den frühen wissenschaftsgeschichtlichen Leistungen des Instituts ist auch Wittfogels Buch über Wirtschaft und Gesellschaft Chinas von 1931 zu zählen, dem seine Frankfurter Dissertation zugrunde lag. Darin und in einer Reihe weiterer Publikationen suchte Wittfogel nach einer Erklärung für die lange Konstanz von Herrschaftsformen in China als Gegensatz zum politischen und institutionellen Wandel in Europa. Seine Theorie der hydraulischen Gesellschaft besagte im Kern, dass seit Jahrtausenden die Regulierung der Wasservorkommen im Zentrum der chinesischen Wirtschaftsorganisation gestanden habe. Noch bis zum 18. Jahrhundert sei China im Bau von Bewässerungssystemen dem Westen überlegen gewesen, da es zentralstaatlich organisiert gewesen sei, über einen gewaltigen bürokratischen Beamtenapparat verfügte und große Menschenmassen als Arbeitskräfte zwangsverpflichtete. Wittfogel sollte später diese Erklärung auf das durch die Tatareneinfälle „asiatisierte“ Russland anwenden. Auch die Sowjetunion sei durch diese despotische Gesellschaftsstruktur geprägt, was Lenin gewusst, aber vor der Öffentlichkeit verschwiegen habe. Eine radikale Wende in Wittfogels politischen Ansichten war jedoch zum Zeitpunkt seiner Einreise in die USA nicht zu erwarten gewesen. Trotz mancher Bedenken gegenüber der sowjetischen Politik hatte er auch in der New Yorker Niederlassung des nunmehrigen Institute of Social Research die KPD-Linie verteidigt – bis der deutsch-sowjetische Pakt ihn in einen glühenden Antikommunisten verwandelte.21 Wittfogel war als einer der ersten KZ-Häftlinge, dem der Weg in die Freiheit gelang, auch in den USA bekannt geworden.22 Bis zu seinem Austritt 1939 gehörte er dann der KP der USA, und nicht der KPD, an. Dies entsprach den KominternRichtlinien, wonach sich ein Kommunist in dem Land, in dem er lebte, bei der

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Vgl. zu ihm G. L. Ulmen, The Science of Society. Toward an Understanding of the Life and Work of Karl August Wittfogel, Den Haag 1978. Unter dem Pseudonym Klaus Hinrichs hatte Wittfogel 1934 im Malik-Verlag den Bericht Staatliches Konzentrationslager 7. Eine „Erziehungsanstalt“ im Dritten Reich veröffentlicht. Eine Neuausgabe besorgte Joachim Radkau 1991 in Bremen.

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dortigen Partei zu registrieren hatte – eine Bestimmung, die ab 1935 im Kontext der Volksfrontpolitik dann stillschweigend fallengelassen wurde.23 Im Komintern-Auftrag kam auch Johannes (Hans) Schroeter (1896–1963) in die USA. Schroeter, von Beruf Schlosser und Elektromonteur, war 1920 von der USPD zur KPD gekommen. 1926 wurde er zunächst Organisations- und kurz danach Politleiter des mitgliederstarken KPD-Bezirkes Halle-Merseburg. 1927 wurde er Mitglied der ZK und von 1928 bis 1932 saß er für die KPD im Reichstag. Als einer der sogenannten „Versöhnler“, der den radikalen Kurs gegen die SPD nicht mittragen wollte, verlor er 1929 seine Parteifunktionen. Nach dem Ausscheiden aus dem Reichstag arbeitete er für die Fraktion der KPD und war Redakteur der Wochenzeitung Proletarische Sozialpolitik. Zusammen mit seiner Frau, der Ärztin Henrietta (Reni) Begum, ging er 1933 im Parteiauftrag nach Paris. 1935 wurde Schroeter von der Komintern mit falschen Papieren auf den Namen Otto Lehmann in die USA entsandt. Er sollte dort politische Arbeit unter Deutschamerikanern leisten. Während seine Frau unter ihrem richtigen Namen in New York als Ärztin arbeitete, bestritt „Otto Lehmann“, auch „Hans“ genannt, offiziell als Immobilienmakler seinen Lebensunterhalt. Für das Deutsche Volksecho, von dem noch die Rede sein wird, schrieb er ab 1937 anonym oder unter dem Pseudonym Alfred Langer Beiträge. Er sorgte auch für eine relative finanzielle Sicherstellung der beiden Mitarbeiter Stefan Heym und Martin Hall. Der Historiker Wolfgang Kießling sah in Schroeter mit Recht die organisatorische Schlüsselfigur der kleinen Gruppe deutscher kommunistischer oder prokommunistischer Einwanderer in den USA. Bereits Ende 1939 reiste Schroeter erstmals nach Mexiko, wo er sich mit seiner Frau 1940 dauerhaft niederließ. Er betrieb ein gut gehendes Juweliergeschäft mit angeschlossener Silberwarenproduktion. Obwohl er nie mit der Partei brach, zog er sich aus den Exilaktivitäten in Mexiko allmählich zurück. Bemühungen um eine Rückkehr in die Sowjetische Besatzungszone blieben erfolglos; die Partei traute ihm nicht, und dies um so weniger, als sein wichtigster Fürsprecher Paul Merker war, der 1950 in „Ungnade“ fiel. Schroeter blieb bis zu seinem Tod in Mexiko.24 23

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Er selbst bezeugte die Mitgliedschaft in der KP der USA in einem Gespräch mit dem Journalisten Mathias Greffrath. Vgl. dessen Gespräch mit Wittfogel, abgedruckt in: Mathias Greffrath (Hg.), Die Zerstörung einer Zukunft. Gespräche mit emigrierten Sozialwissenschaftlern, Reinbek 1979, hier S. 326. In den Archivbeständen der KP der USA, die sich heute in den Robert F. Wagner Archives der Tamiment Library an der New York University befinden, ist kein Material über Schroeter erhalten. Weber/Herbst, Deutsche Kommunisten, nennen ihn in der 1. Auflage nicht, doch findet sich in der 2. erweiterten Auflage von 2008 ein Eintrag, der auch im

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1935 betrat auch Hanns Eisler (1898–1962) erstmals amerikanischen Boden. Hitlers Machtantritt hatte den in Berlin lebenden Komponisten in seiner Heimatstadt Wien überrascht. Als österreichischer Staatsbürger schien er vorerst sicher, auch wenn ihm Deutschland nun versperrt war. Die austrofaschistische Diktatur zwang ihn dennoch 1934 ins Exil, zunächst nach Paris. Im Februar 1935 kam er zu einer Konzert- und Vortragsreise in die USA. Von Oktober 1935 bis Anfang 1936 lehrte er als Gastprofessor für Kompositionslehre an der New School for Social Research in New York. Danach war er unter anderem in Spanien tätig, um die Volksfront-Regierung kulturpolitisch im Kampf gegen Franco und seine ausländischen faschistischen Helfer zu unterstützen. Im Februar 1938 kehrte Eisler, nun zusammen mit seiner Frau Louise, genannt Lou (1906–1998), nach New York zurück und nahm seine Lehrtätigkeit an der New School wieder auf. Die folgenden beiden Jahre waren jedoch durch den Kampf um die Aufenthaltsgenehmigung in den USA überschattet.25 Bertolt Brecht (1898–1956) war einer der prominentesten Hitlerflüchtlinge, und auch er kam 1935 erstmals in die USA, ohne dass er noch je daran dachte, dorthin überzusiedeln. Welche Vorstellungen von Amerika der Arbeit an Werken wie Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny oder Die Heilige Johanna der Schlachthöfe zugrunde lagen, haben Helfried Seliger und Patty Lee Parmalee vor vielen Jahren herausgearbeitet.26 Erst im Jahre 1928 lernte Brecht mit dem Dramatiker und Journalisten Ferdinand Reyher den ersten Amerikaner seines Lebens persönlich kennen.27 Brecht ging es in Mahagonny, so Jan Knopf, „nicht um vordergründige Abbildung herrschender Zustände, sondern um die Funktion kapitalistischer Produktion und gesellschaftlicher Ordnung. Amerika war in vieler Hinsicht für die deutsche Entwicklung Vorbild geworden, nachdem sich die USA nach dem Krieg in

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Internet nachlesbar ist (http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-derddr). Die genauesten Informationen lieferte jedoch Wolfgang Kießling, Partner im „Narrenparadies“, S. 251–262, der sich auf ein Interview stützte, dass er 1981 mit Henrietta Begum in Mexiko führte. Da Schroeter nicht in die SBZ/DDR zurückging, ist er im biographischen Anhang des vorliegenden Buches nicht aufgeführt. Vgl. aus der Vielzahl an Studien Fritz Henneberg, Hanns Eisler mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1987, S. 52–58. Helfried W. Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts, Bonn 1974; Patty Lee Parmalee, Brecht’s America, Miami/Columbus (Ohio) 1981. Während Seligers Arbeit Brechts Exil und die Nachkriegsjahre mit einschließen, behandelt Patty Lee Parmalee nur Brechts Arbeiten mit Amerika-Bezug in der Weimarer Republik. Vgl. Parmalee, Brecht’s America, S. 223.

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Europa engagierten und ihr ‚System‘ zunehmend exportierten.“28 Im Zentrum stand die ästhetische Gestaltung skrupelloser kapitalistischer Geschäftemacherei, die des Profits wegen über Leichen geht. In Mahagonny gilt nur ein Verbot, dessen Zuwiderhandeln aber mit dem Tode bestraft wird: kein Geld zu haben. Die im Chaos versinkende Stadt ist Brechts moralisches Urteil über den Kapitalismus und zugleich eine Warnung: Falls die Menschheit die Profitjagd bis zum Ende betreibe, werde sie zugrunde gehen wie Sodom und Gomorrha. Um dies zu verhindern, brauche es allerdings mehr als nur zehn Gerechte. Für Mahagonny las Brecht eine Reihe amerikanischer Romane und Geschichtswerke, so Die Getreidebörse (The Pit) von Frank Norris und Gustavus Myers Geschichte der großen amerikanischen Vermögen.29 Andere literarische Werke, die die Gesellschaft der USA behandelten, so Upton Sinclairs Der Dschungel (The Jungle) hatte Brecht schon um 1920 gelesen.30 Brechts Stück Die heilige Johanna der Schlachthöfe, die der Berliner Rundfunk am 11. April 1932 in einer gekürzten Fassung erstmals ausstrahlte, war, so Helfried Seliger, „ein Sammelbecken der früheren, unveröffentlichten Arbeiten und Entwürfe, die mit Amerika in Beziehung zu bringen sind.“ Hier sei Brecht, nach den Fragmenten gebliebenen Arbeiten Dan Drew und Joe Fleischhacker, das „längst geplante Drama über die zeitgenössischen wirtschaftlichen Umtriebe“ gelungen.31 Die verschiedenen Handlungsebenen liefen auf die Botschaft hinaus, dass „die Ausbeutung sowohl innerhalb als auch außerhalb der Fabriken zum Problem wird, an dem die Arbeiter körperlich und seelisch zugrunde gehen. Moralische und sittliche Werte müssen in einer solchen Umwelt zu einem Luxus werden, den man sich nicht leisten kann.“32 Wie genau Brecht den Fordismus, das Produktionsprinzip des industriellen Kapitalismus, begriff, zeigt auch das bereits 1929 geschriebene Gedicht 700 Intellektuelle beten einen Öltank an, in dem es heißt: Eilet herbei, alle Die ihr abgesägt den Ast, auf dem ihr sitzet, Werktätige! 28 29 30

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Jan Knopf, Bertolt Brecht. „Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas, Frankfurt a. M. 1985, S. 22. Vgl. ebd., S. 9, sowie Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts, S. 186. Vgl. Parmalee, Brecht’s America, S. 16. The Jungle trug in der ersten deutschen Übersetzung von Herminia zur Mühlen 1923 noch den Titel Der Sumpf. Ab 1974 war das Buch mit dem Titel Der Dschungel erhältlich. Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts, S. 183. Die Uraufführung fand jedoch erst 1959 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg statt. Ebd., S. 188.

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Gott ist wiedergekommen In Gestalt eines Öltanks. […] Lösche aus unser Ich! Mach uns kollektiv! Denn nicht wie wir wollen Sondern wie du willst.33 Eine vor dem Exil noch vorhandene Faszination besonders für die Großstadt New York mischte sich schon damals bei Brecht mit der schneidenden Kritik am Kapitalismus mit seinen zerstörerischen Auswirkungen für die Verlierer des Konkurrenzkampfes.34 Mit diesem Zwiespalt erreichte Brecht am 7. Oktober 1935 von seinem Exilland Dänemark aus New York. Die Theatre Union, ein Arbeitertheater, wollte Die Mutter inszenieren, die der Dramatiker Paul Peters gerade ins Englische übersetzt hatte. Die divergierenden Vorstellungen Brechts und der TheaterMannschaft ließen jedoch die Aufführung zum eklatanten Misserfolg werden. „Die Inszenierung blieb ohne Wirkung auf die weitere Entwicklung des progressiven Theaters in den USA“, schrieb Brechts DDR-Biograph Werner Mittenzwei.35 Ein anderer Biograph, Stephen Parker, sah sie sogar als ein „Debakel“ an.36 Brecht blieb noch bis Anfang Februar 1936 in New York.37 Er traf dort seinen alten Freund Karl Korsch wie auch Sidney Hook, den er bereits aus Berlin kannte. 33 34

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Es ist enthalten in: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 8: Gedichte 1, Frankfurt a. M. 1967, S. 316 f. Dies betont der Verfasser eines Standardwerkes zum Thema Brecht und Amerika, das sich auf die Jahre ab 1941 konzentriert. Vgl. James K. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika. Übersetzt von Traute M. Marschall, Frankfurt a. M. 1984, S. 21 ff. Werner Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln Bd. 1, 3. Aufl., Berlin 1988, S. 549. Vgl. auch Anne Fletcher, The Theatre Union’s 1935 Production of Brecht’s The Mother: Renegade on Broadway, in: J. Chris Westgate (Hg.), Brecht, Broadway, and United States Theatre, Angerton Gardens, Newcastle 2007, S. 2– 21 Stephen Parker, Bertolt Brecht. A Literary Life, London 2014, S. 348. In New York ließ Brecht sich im deutschen Konsulat seinen Pass erneuern. Obwohl er im Juni 1935 vom Nazi-Regime auf die Ausbürgerungsliste gesetzt worden war, „drückte ein Beamter aus unbekannten Gründen beide Augen zu. Statt den Pass zu konfiszieren, stellte er ihm einen neuen Pass aus, der bis zum 27. Januar 1941 gültig war. Mit dem unbezahlbaren Dokument ging er an Bord der Majestic, um nach Europa zurückzukehren.“ John Fuegi, Brecht und Co. Autorisierte Übersetzung von Sebastian Wohlfeil, Hamburg 1997, S. 482. Brecht selbst schrieb in einer oft zitierten Stelle in den Flüchtlingsgesprächen vom Pass als „dem edelsten Teil von einem Menschen“. Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 14, Frankfurt a. M. 1967, S. 1383.

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Hook berichtete, dass Brecht ihm gegenüber die Verhaftungen von Stalins Gegnern in der UdSSR verteidigte. Je unschuldiger die Angeklagten seien, „desto mehr verdienen sie, erschossen zu werden.“ Eine Erklärung für diese zynische Bemerkung blieb er Hook schuldig.38 Nach der Tschechoslowakei, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Dänemark, Schweden und Finnland wurden die Vereinigten Staaten 1941 das letzte Land seines Exils. Im Mai dieses Jahres erhielt er ein Einreisevisum in die USA und fuhr durch die Sowjetunion bis nach Wladiwostok, von dort mit dem Schiff nach Santa Monica, wo er am 21. Juli eintraf. Seine Frau Helene Weigel (1900–1971), sein Sohn Stefan Brecht (1924–2009), die Tochter Barbara (1930–2015) sowie Ruth Berlau (1906–1974) begleiteten ihn. Von ihnen war allein Ruth Berlau Mitglied einer kommunistischen Partei, der KP Dänemarks.39 Ein Polyglott, Weltbürger und auch Lebemann war der aus Böhmen stammende, aber lange Zeit in Berlin wohnende Otto Katz (1895–1952), der gleichfalls 1935 zum ersten Mal in die USA kam. Er war eine Existenz unter vielen Namen; so benutzte er nacheinander unter anderem als Pseudonyme Rudolf Breda, Franz Spielhagen und André Simone, als Letzteren kannten ihn die meisten seiner Weggefährten des Exils. In der Weimarer Republik war er als Journalist, Kunstkritiker, Geschäftsführer von Erwin Piscators Theater und Leiter verschiedener Medienprojekte Willi Münzenbergs weit über die KPD, der er seit 1922 angehörte, bekannt geworden. 1929 schrieb er mit Neun Männer im Eis: Dokumente einer Polartragödie einen Bestseller, wenngleich das Buch, das die gescheiterte Polarexpedition Umberto Nobiles schilderte, nicht frei von Elementen der Kolportage war. Im französischen Exil gab Katz 1934 das Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror heraus, dem er im gleichen Jahr ein Braunbuch 2: Dimitroff contra Göring – Enthüllungen über die wahren Brandstifter folgen ließ. Katz’ Behauptung, die Nazis hätten den Reichstag angesteckt, wurde von der späteren Forschung – ungeachtet aller Indizien – in dieser Absolutheit nicht bestätigt, doch

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Sidney Hook, Out of Step. An Unquiet Life in the 20th Century, New York 1987, S. 493. Sie erreichte über den dänischen Konsul in Finnland, dass sie ein US-Einreisevisum bekam. Zuvor wurde ihre nur noch auf dem Papier bestehende Ehe mit dem Kopenhagener Mediziner Robert Lund geschieden. Margarete Steffin, die ursprünglich ebenfalls mitkommen sollte, erkrankte an Tuberkulose und verstarb am 4. Juni 1941 in Moskau. Vgl. Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 1, S. 736–738; Sabine Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine. Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006, S. 146.

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zeigten die Braunbücher, dass dem Brand kein kommunistisches Komplott zugrunde lag.40 Seit 1935 zwischen Hollywood, Paris und den Fronten des Spanienkrieges hinund herpendelnd, warb Katz jedes Mal überaus erfolgreich Gelder für die kommunistische Sache ein. Noch 1934 enthüllte er im Weißbuch über die Erschießungen des 30. Juni 1934 einige Hintergründe der sogenannten „Nacht der langen Messer“, in denen Hitler sich brutal des „nationalrevolutionären“ Flügels der SA um Ernst Röhm entledigte. In Paris war er ein Jahr darauf maßgeblich an der Dokumentation Das braune Netz. Wie Hitlers Agenten im Ausland arbeiten und den Krieg vorbereiten beteiligt.41 1936 veröffentlichte er als Franz Spielhagen eine Dokumentation, Spione und Verschwörer in Spanien. Nach offiziellen nationalsozialistischen Dokumenten, in Hollywood initiierte er im gleichen Jahr die Gründung der Anti-Nazi League for the Defense of American Democracy mit der Schriftstellerin Dorothy Parker als offizieller Vorsitzenden. Oscar Hammerstein, Fritz Lang und Donald Odgen Stewart gehörten zu den prominenten Mitarbeitern der League, die diskret aus Moskau finanziert wurde. Im Jahr darauf half Katz Joris Ivens bei der Finanzierung und Fertigstellung seines Dokumentarfilms Die Spanische Erde; der Bericht über den Bürgerkrieg wurde gleichzeitig in verschiedenen Sprachen gedreht, wobei in der englischen Version Orson Welles und Ernest Hemingway, in der französischen Version Jean Renoir den Text sprachen. Bei aller kulturellen Offenheit blieb Katz politisch voll auf der Parteilinie: Als Willi Münzenberg 1938 aus der KPD ausgeschlossen wurde, brach Katz jeden Kontakt zu seinem bis dahin engen Freund ab.42 Am 20. April 1939 kam er zusammen mit seiner Frau Ilse erneut nach New York; ihre tschechoslowakischen Pässe erleichterten ihnen die Einreise. Im Hafen von New York wurde das Paar von der Journalistin und Historikern Barbara Wertheim (später Tuchman) empfangen.43 40

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Vgl. zu seiner Biographie Jonathan Miles, The Nine Lives of Otto Katz. The Remarkable Story of a Communist Super-Spy, London u. a. 2011. Neueste Forschungen weisen Vermutungen einer Alleintäterschaft Marinus van der Lubbes’ im Reichstagsbrand als unwahrscheinlich zurück. Vgl. Benjamin Carter Hett, Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens. Übersetzt von Karin Hielscher, Reinbek 2016. Auch Dieter Schiller betont Katz’ entscheidende Rolle an diesem Buch, vermutet jedoch, dass der Journalist und frühere Weltbühne-Mitarbeiter Arthur Seehof der Hauptautor war. Vgl. Dieter Schiller, Der Traum von Hitlers Sturz. Studien zur deutschen Exilliteratur 1933–1945, Frankfurt a. M. 2010, S. 20. Vgl. Babette Gross, Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Mit einem Vorwort von Arthur Koestler, München 1967, S. 322 f. Vgl. Miles, The Nine Lives of Otto Katz, S. 301 f.

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Dem Mediziner Felix Boenheim (1890–1960) war die Entscheidung für den Sozialismus sozusagen in die Wiege gelegt worden: In seinem Geburtsjahr 1890 war sein Onkel Hugo Haase in Königsberg als Rechtsanwalt zugelassen worden – der erste Sozialdemokrat, der dies erreichte. Der spätere Vorsitzende der SPD und der USPD beeinflusste seinen Neffen von frühester Jugend an. Politisch trat Felix Boenheim erstmals als Sympathisant der USPD und als Mitglied des Arbeiterund Soldatenrates der Republik Bayern im November 1918 hervor. In der Weimarer Republik beteiligte er sich an mehreren, zumeist von Willi Münzenberg ins Leben gerufenen antifaschistischen und Friedensinitiativen. Sein Weg ins Exil führte ihn über England und Palästina nach Frankreich und bereits am 18. Dezember 1935 in die USA, wo er als praktischer Arzt in verschiedenen Krankenhäusern sowie in eigener Praxis in New York tätig war.44 Die Sozialpädagogin Hilde Schottländer (später Schottlaender), geb. Stern (1900–1961) entstammte einer Breslauer Familie des jüdischen Bildungsbürgertums. Ihr Vater, der Philosoph William Stern, ihre Mutter, die Psychologin Clara Stern und ihr Bruder, der Schriftsteller Günther Stern (später Günther Anders), der eine Zeitlang mit Hannah Arendt verheiratet gewesen war, hatten Deutschland bereits 1933 in Richtung Niederlande, Frankreich und später USA verlassen müssen. Hilde Schottländer selbst wurde aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit 1935 verhaftet und verbrachte fast zwei Jahre in einem Lübecker Gefängnis. Durch verwandtschaftliche Beziehungen erlangte sie noch 1937 für sich und ihre beiden Kinder aus der früheren Ehe mit dem Altphilologen Rudolf Schottländer ein Affidavit. Über die Niederlande, wo sie ihre Kinder wieder sah, wanderte sie noch 1937 mit ihnen in die USA ein. Dort arbeitete sie 1937 bis 1939 am Deutschen Volksecho. In New York sollte sie 1942 ihren späteren Ehepartner Hans Marchwitza kennenlernen.45 Deutlich jünger als die soeben Genannten war Stefan Heym (1913–2001). Als Sohn einer jüdischen Chemnitzer Kaufmannsfamilie unter dem Namen Helmut Flieg geboren, besuchte er die Volksschule und das Gymnasium in seiner Heimatstadt. Wegen eines satirischen Antikriegsgedichtes musste er 1931 das Chemnitzer Gymnasium verlassen, doch konnte er ein Jahr später in Berlin das Abitur absolvieren. Sein Studium der Zeitungswissenschaft, Philosophie und Geschichte aber musste er nach Hitlers Machtantritt abbrechen.46 44 45 46

Vgl. zu seiner Biographie Ruprecht, Felix Boenheim. Vgl. den Artikel von Wilfried Weinke über sie in der Hamburgischen Biographie, Bd. 2, Hamburg 2003, S. 272. Das Gedicht „Exportgeschäft“ erschien am 7. September 1931 in der Volksstimme, dem Chemnitzer SPD-Blatt, und ist wieder abgedruckt in: Stefan Heym, Wege und Umwege. Einmischung. Streitbare Schriften aus fünf Jahrzehnten, hg. von Peter Mallwitz, München

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Nach dem Reichstagsbrand fahndeten die Nationalsozialisten in Berlin und Chemnitz nach Helmut Flieg. Anfang März 1933 wurde sein Vater Daniel Flieg vorübergehend in Geiselhaft genommen. Der 19-jährige Helmut Flieg floh nach Prag, wo er rasch Zugang zur kommunistischen Emigration fand und sogar vom Schreiben für die deutschsprachige Prager Presse leben konnte. Seitdem schrieb er unter Pseudonym, bald nur noch als Stefan Heym. Zum Jahresende 1934 konnte ihn sein Vater noch in Prag besuchen; er beging im folgenden Jahr Selbstmord. In Prag wurde Stefan Heym Vater einer Tochter, von deren kurzem Leben er wegen seiner Weiterreise nach Amerika erst Jahrzehnte später erfuhr: Das siebenjährige Mädchen wurde 1942 von seinen Nazimördern nach Auschwitz ins Gas geschickt.47 Als Stipendiat einer jüdischen Hilfsorganisation konnte der 22-jährige Heym 1935 in die USA einwandern und an der University of Chicago sein Studium mit einer Master’s Thesis über Heinrich Heines Atta Troll abschließen. Es folgten harte Jahre, unter anderem als Clerk in einem Großkaufhaus und als Herausgeber des Deutschen Volksechos, einer New Yorker antifaschistischen Zeitung, die den Kommunisten nahestand und über die im folgenden Kapitel mehr gesagt wird. Heyms Bruder Werner Flieg und zuletzt seine Mutter Else gelangten 1940 und 1941 ebenfalls in die USA.48 Im Oktober 1937 traf, aus London kommend, der Wirtschaftswissenschaftler Henryk Grossmann (1881–1950) in New York ein. Er hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg als Statistiker und Demograph einen Namen gemacht und in Warschau eine Professur übernommen, von der er 1925 aus politischen Gründen suspendiert wurde. In Deutschland wurde er Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und blieb dies auch im Exil. Politisch hatte er vor dem Ersten Weltkrieg der Sozialdemokratischen Partei Polens in Österreich angehört und war 1905 Mitbegründer und erster Exekutivsekretär der Jüdischen Sozialdemokratischen Partei in Galizien geworden. Auch er näherte sich in den USA den Kommunisten an.49

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1998, S. 23 f. Vgl. zu Heyms Kindheits- und Jugendjahren seine Autobiographie: Nachruf, München 1988, hier und im Folgenden zit. n. der Ausgabe Berlin 1990, S. 5–64. Vgl. weiterhin Peter Hutchinson, Stefan Heym. The Perpetual Dissident, Cambridge/New York 1992, S. 19 ff. Heym (Nachruf, S. 650) beschrieb dies in knappster Form in seiner Autobiographie. Vgl. neben Heyms Autobiographie Reinhard Konrad Zachau, Stefan Heym in Amerika. Eine Untersuchung zu Stefan Heyms Entwicklung im amerikanischen Exil 1935–1952, Ph.D. Thesis, University of Pittsburgh 1978 (mit Schwerpunkt auf dem literarischen Schaffen). Vgl. zu ihm Rick Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, Urbana (Illinois) 2007.

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Der Journalist und Schriftsteller Georg Friedrich Alexan (1901–1995), der mit seiner Frau Maria geb. Krotz 1937 in die USA kam, hatte bereits im Pariser Exil verlegerische Erfahrung gesammelt, die ihm in New York sehr zugute kommen sollte. In den Editions metéore hatte er zwei eigene Bücher verlegt, die Erzählsammlung Mit uns die Sintflut. Fibel der Zeit und den Roman Im Schützengraben der Heimat, Bücher, die den Militarismus anprangerten und das Grauen des Ersten Weltkrieges schilderten. Ein weiteres Manuskript, das aus der Sicht eines Jugendlichen vom Alltag an der „Heimatfront“ im Ersten Weltkrieg erzählt, blieb ungedruckt. Es erschien unter dem Titel Die Welt der kleinen Leute. Erinnerungen an eine Jugend im Ersten Weltkrieg erst im Jahre 2008.50 Der Biochemiker Samuel Mitja Rapoport (1912–2004) kam gleichfalls 1937 in die USA. Im Ersten Weltkrieg war seine Familie mit ihm vor den vorrückenden russischen Truppen aus der Westukraine nach Wien geflohen, wo er Chemie und Medizin studierte und der KP Österreichs beitrat. Sein Lehrer Otto von Fürth vermittelte ihm ein Stipendium am Cincinnati Children’s Hospital. Seine Frau Mária Szécsi (1914–1984), die ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften in Wien hatte aufgeben müssen, folgte ihm nach Cincinnati. Dort aber zerbrach die Ehe; Rapoport lebte seit 1946 mit der in Hamburg aufgewachsenen und 1938 in die USA emigrierten Kinderärztin und Forscherin Ingeborg Syllm (1912–2017) zusammen, die er noch 1946 heiratete. In Cincinnati gelang Rapoport eine kriegswichtige medizinische Entdeckung: Durch seine experimentellen Forschungen konnte die Haltbarkeit von Blutkonserven wesentlich verlängert werden, womit ein wichtiger Fortschritt für die Versorgung von verwundeten Soldaten erreicht wurde.51 Ein Biochemiker, allerdings mit kardiologischer Spezialisierung, war auch der 1937 in die USA gekommene Albert Wollenberger (1912–2000). Als Jude, der schon vor 1933 der KPD nahestand, hatte er sofort nach dem Machtantritt der Nazis Deutschland verlassen müssen. Die Schweiz, Dänemark und Frankreich waren seine Exilländer, bevor er nach einiger Zeit der Ungewissheit an der Harvard University sein in Berlin begonnenes Studium beenden konnte. 1945 sollte er 50

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2008 wurde auch Im Schützengraben der Heimat neu verlegt. Die einleitenden Bemerkungen von Alexans Tochter Irene Runge geben auch die wichtigsten Lebensdaten des Schriftstellers wieder. Vgl. zu ihm auch die Angaben in der ZPKK-Akte SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/147, Bl. 6. Vgl. zu Rapoports Exiljahren Hans Mikosch/Gerhard Oberkofler, Über die zweimalige Emigration von Samuel Mitja Rapoport aus Wien (1937 und 1952), in: Mitteilungen der Alfred-Klahr-Gesellschaft 15, 2008, Nr. 3, S. 14–22. Vgl. auch Ingeborg Rapoport, Meine ersten drei Leben. Erinnerungen, Berlin 1997, 2. Aufl. ebd. 2003, hierzu S. 95 ff. (Fortan wird die 2. Auflage zitiert).

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beim späteren Nobelpreisträger Fritz Lippmann, auch er ein Flüchtling aus Deutschland, promovieren.52 Dauerhaft in den USA blieb der ebenfalls 1937 eingewanderte Hermann Jacobs (1901–1975). Als Anhänger Ruth Fischers war er 1924 von ihr als Vorsitzender des Kommunistischen Jugendverbandes eingesetzt worden. Nach der Entmachtung Ruth Fischers im Spätsommer 1925 aber wurde er zum unbedingten Anhänger Ernst Thälmanns, der nun die KPD führte. Ende 1933 musste Jacobs emigrieren, zunächst in die Schweiz, dann nach Frankreich und England. 1937 entsandte ihn zunächst die KPD in die USA, wo er Gelder für die Partei sammeln sollte. Nach seiner Einbürgerung nahm er den Namen Martin Hall an und trat der KP der USA bei.53 Eine wichtige Rolle im künstlerischen Exil spielte der Schriftsteller und Drehbuchautor Hans Székely (1901–1958), dessen ursprünglicher Vorname János lautete. Er hatte bereits 1919 die Erfahrung der Flucht machen müssen: Als Anhänger der besiegten Ungarischen Räterepublik musste der Achtzehnjährige im Frühjahr 1919 Budapest verlassen. In Berlin schrieb er zahlreiche Drehbücher für Filme mit Lil Dagover, Marlene Dietrich, Brigitte Helm, Willy Fritsch und Emil Jannings. 1934 brachte ihn Ernst Lubitsch nach Hollywood. Ein Theaterstück aus Székelys Feder lieferte die Vorlage für Samuel Hoffensteins Drehbuch zur Filmkomödie Desire, in der Marlene Dietrich, Gary Cooper und Akim Tamiroff mitwirkten und die, trotz der zahlreichen verfemten Namen, unter dem Titel Sehnsucht 1936 auch in Berlin gezeigt wurde.54 Nach einer Zeit in Paris kam Székely 1938 nach Hollywood zurück und wurde dort zu einem gefragten Drehbuchautor – es schien, als werde er nicht mehr nach Europa zurückkehren.55 Ende 1938 und Anfang 1939 erreichten zwei Frauen die USA, deren Leben unterschiedlicher bis dahin kaum hätte verlaufen können: Die 1919 geborene Margrit Adler zählte zu den jüngsten, die 1871 geborene Käte Duncker zu den ältesten Immigrantinnen. 52 53 54

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Vgl. Ernst-Georg Krause, Nachruf auf Prof. Dr. Albert Wollenberger, in: Zeitschrift für Kardiologie 89, 2000, Nr. 4, S. 1153 f. Vgl. zu ihm den Eintrag in: Weber/Andreas Herbst, Deutsche Kommunisten, S. 336 f. Dies hing mit der vorsichtigen kulturellen Öffnung Deutschlands im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele zusammen, die im Juli und Anfang August 1936 in Berlin stattfanden. Desire wurde dann unter der Regie von Frank Borzage, nicht, wie ursprünglich vorgesehen, von Lubitsch gedreht. Die Schlussszenen wurden gegenüber dem Originalmanuskript des Drehbuchs (und gegenüber Székelys Intention) stark verändert. Vgl. Malene Shepperd Skaerved, Marlene Dietrich, London 2003, S. 92–95. Die genauesten biographischen Angaben zu Székely finden sich vorerst im niederländischen Internet-Portal Labdarugo unter dem Stichwort: Székely, János. Vgl. http://www.labdarugo.be/Szekely%20Janos.html.

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Margrit Adler (1919–2013) musste als achtzehnjährige Oberschülerin aus Frankfurt a. M. fliehen. Sie wurde nach der Reichspogromnacht nicht nur rassistisch verfolgt, sondern war auch als wohl jüngstes Mitglied des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) politisch gefährdet. Dieser konnte noch bis 1938 die Widerstandsarbeit in Deutschland aufrechterhalten, bevor eine Verhaftungswelle ihr ein Ende setzte.56 In New York, wohin sie noch Ende 1938 gelangte, wurde Margrit Adler Marxistin und Kommunistin, auch unter dem Einfluss von John Pittman, einem schwarzen Journalisten, der der kommunistischen Partei angehörte und den sie heiratete. Sie war, neben Hermann Jacobs/Martin Hall, eine der wenigen kommunistischen Flüchtlinge aus Deutschland, die in Amerika blieben und dauerhaft der KP der USA angehörten.57 Die Lehrerin und kommunistische Politikerin Käte Duncker (1871–1953) verließ 1935 Berlin und zog nach Friedrichroda in den Thüringer Wald, wo sie aufgewachsen war. Dort unterhielt sie eine Pension, die auch zum Treffpunkt von Antifaschisten wurde. Im Januar 1939 gelang ihr die Einreise in die USA, wo bereits ihr ältester Sohn, der Psychologe Karl Duncker (1903–1940), arbeitete. Sie lebte in Swarthmore (Pennsylvania) und gab, da sie fließend Englisch sprach, Stunden als Nachhilfelehrerin für Deutsch, bekam zudem eine Zuwendung durch die Quäker.58 Im November 1933 war es ihr bereits gelungen, die zu dieser Zeit noch vorhandenen Lücken im Beamtenapparat des Hitlerregimes zu nutzen und die Entlassung ihres Ehemannes, des Historikers und Volksbildners Hermann Duncker (1874–1960), aus dem Zuchthaus Brandenburg zu bewirken. Ihm blieb schließlich nur der Weg ins Exil. Er ging 1936 zunächst nach Dänemark zu einem alten Freund, dem Schriftsteller Martin Andersen-Nexö, von dort Anfang 1937 nach 56

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Vgl. zur Widerstandsarbeit des ISK Sabine Lemke-Müller, Ethik des Widerstands. Der Kampf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) gegen den Nationalsozialismus. Quellen und Texte zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung 1933–1945, Bonn 1986. Vgl. zu ihr den Nachruf von Tim Wheeler, Margrit Pittman, 1919–2013, in: People’s World vom 11. März 2013, http://peoplesworld.org/margrit-pittman-1919-201/. Vgl. auch den Dokumentarfilm Zwischen den Welten. Das Leben der Margrit Pittman. Dokumentarfilm der Arte Nova GmbH, Hannover, Regie: Hans-Joachim Ulbrich, 2005. Die wichtigste Quelle zum Leben von Käte und Hermann Duncker ist jetzt der hervorragend edierte und mit umfangreichen biographischen Angaben versehene Briefwechsel zwischen beiden: Heinz Deutschland (Hg.), Käte und Hermann Duncker. Ein Tagebuch in Briefen (1894–1953). Inklusive USB Card mit dem vollständigen Briefwechsel, Berlin 2016 (im Folgenden zitiert als: Duncker-Briefwechsel). Vgl. als ältere Arbeit zu Käte Duncker: Ruth Kirsch, Käte Duncker. Aus ihrem Leben, Berlin [DDR] 1982, hierzu S. 170 ff.

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England, ein Jahr später nach Paris. Dort hielt er sich finanziell mühsam mit Kursen an der Deutschen Volkshochschule über Wasser. Im Sommer 1940 musste auch er vor dem Zugriff der Nazis nach Südfrankreich fliehen. Von Marseille aus versuchte er, in die USA zu gelangen.59 Ende Oktober 1940 konnte Käte Duncker endlich die Einreise für ihren Mann in die USA erwirken. Doch musste sie noch fast fünf Monate ausharren, ehe es ihr gelang, für ihn eine Schiffskarte zu bekommen. Anfang Mai 1941 bestieg Hermann Duncker in Marseille das Schiff. Doch war dies immer noch nicht die Überfahrt in Sicherheit. In Casablanca wurde er in ein Internierungslager gebracht. Erst am 24. September 1941 traf er in New York ein.60 Die Okkupation der Tschechoslowakei durch Hitlers Armee im März 1939 zwang seitdem eine Reihe deutscher und tschechoslowakischer Antifaschisten, in den USA Zuflucht zu suchen. Zu ihnen gehörten das Ehepaar Ernst (1885–1977) und Karola Bloch (1905–1994) mit dem in Prag geborenen Sohn Jan Robert (1937–2010). Die Familie gelangte im April 1939 in die USA. Die Blochs hatten Deutschland 1933 über die Schweiz in Richtung Wien verlassen, mussten aber ein Jahr später wiederum flüchten und gingen über Paris nach Prag. Die gelernte Architektin Karola Bloch, die sechs Sprachen beherrschte, sollte im Exil das Überleben der Familie organisieren und ihrem Mann die Arbeit an seinem philosophischen Werk ermöglichen. Im Unterschied zu ihm hatte sie bereits in der Weimarer Republik der KPD angehört.61 Der Publizist und Verleger Wieland Herzfelde (1896–1988) hatte mit dem Malik-Verlag 1917 eines der publizistischen „Leuchttürme“ geschaffen. Als Mitbegründer der KPD hielt er sich dennoch von den orthodoxesten Verirrungen in der Kulturpolitik der Partei fern. Der Malik-Verlag, den er begründet hatte und dessen Bücher nicht zuletzt von den ausdrucksstarken Fotomontagen seines Bruders John Heartfield (1891–1968) geprägt waren, wurde 1933 zerschlagen. Es gelang jedoch Herzfelde, ihn im Prager Exil neu zu etablieren (aus juristischen Gründen wurde London als Verlagsort angegeben). Ein Teil der bekannten Autoren wie Johannes R. Becher, Ernst Bloch, Oskar Maria Graf und Anna Seghers blieben beim Verlag. 1938 musste die Malik-Mannschaft aus Prag nach London fliehen. 59

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Vgl. außer den soeben zitierten Quellen auch Heinz Deutschland, Hermann Duncker (1874–1960), in: Heinz Heitzer u. a. (Hg.), Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft. Biographien, Berlin [DDR] 1989, hierzu S. 38 f. Vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 179 f. Vgl. Karola Bloch, Aus meinem Leben, Pfullingen 1981, zu ihren Jahren in den USA vgl. dort S. 130 ff. Vgl. auch die Angaben in ihrer ZPKK-Akte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/118.

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Die Einreise in die USA gelang Herzfelde und seiner Familie, seiner Frau Gertrud und dem Sohn Georg, jedoch letztlich nur dank der Tatsache, dass er in der Schweiz geboren war und nicht unter das deutsch-österreichische Kontingent fiel. Die Erlangung der Schiffskarten, mit denen die Familie am 19. Mai 1939 die Reise nach New York antrat, verdankte sie Hermann Field, einem amerikanischen Architekten, der sich in England für die Einreise verfolgter Antifaschisten in die USA engagierte. Dieser Kontakt sollte Herzfelde und anderen eineinhalb Jahrzehnte später noch zum Nachteil gereichen. Am 31. Mai 1939 erreichte die Familie New York.62 Zu den Prager Flüchtlingen gehörte das Schriftsteller-Ehepaar Franz Carl Weiskopf (1900–1955) und seine Frau Margarete geb. Bernheim (1905–1966), die unter dem literarischen Pseudonym Alex Wedding mit ihrem in mehrere Sprachen übersetzten Jugendbuch Das Eismeer ruft bekannt geworden war.63 Eine englische Übersetzung gab es jedoch nicht, und so sollte auch für sie der Start in die USA fast vom „Punkte Null“ an beginnen. Beide Weiskopfs hatten der tschechoslowakischen KP und während ihrer Berliner Jahre der KPD angehört. Die Flucht nach Amerika glückte ihnen im Juni 1939 durch Unterstützung der League of American Writers. Interessanterweise wurden sie bei ihrer Ankunft weder auf ihre politische Vergangenheit überprüft, noch auf ihre KPMitgliedschaft.64 Beide blieben in New York für die League tätig.65 Der Zweite Weltkrieg erschwerte den Hitlerflüchtlingen die Einreise in die USA. Dennoch sorgten die immer komplizierter werdenden Umstände in Europa für einen neuen „Flüchtlingsschub“, wobei eine Reihe von KPD-Mitgliedern oder der Partei Nahestehenden den Weg durch die Kontrolle in Ellis Island fand – unter größtmöglicher Verschwiegenheit ihrer Bindung an den Kommunismus. Am 23. Dezember 1939 kamen Egon Erwin und Gisela Kisch in New York an. Sie hatten ein Einreisevisum für Chile, doch bekam der kommunistische Autor zunächst kein Durchreisevisum für die USA ausgestellt. Erst nach Intervention von Freunden und einer Bürgschaft von 500 Dollar konnten die Kischs an Land 62

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Vgl. zu den Umständen Doris Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918–1960), Göttingen 2012, S. 337 f. Vgl. zu Herzfelde auch die Angaben in seiner Kaderakte in: SAPMOBArch, DY 30 IV/ 2/11/v. 4504, sowie die Schilderung der Umstände der Ankunft in der Autobiographie seines Sohnes: George Wynand-Herzfelde, Glück gehabt. Erinnerungen 1925–1949, München 2003, S. 160 ff. Vgl. Zlata Fuss Philips, German Children and Youth Literature in Exile 1933–1950. Biographies and Bibliographies, München 2001, S. 256–258. So Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart/Weimar 1995, S. 344. Vgl. zu beiden Franziska Arndt, F. C. Weiskopf, Leipzig 1965.

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gehen. Sie erfuhren nie, wer die Bürgschaft hinterlegt hatte, ob sein Verleger Alfred Knopf, die GAWA oder die American Writers Association. Kisch plante, ein autobiographisch gefärbtes Buch mit dem Titel Crawling in the Inky River (Schwimmend im Tintenstrom) zu schreiben, das er aber nicht fertigstellte. Ende 1940 verließ das Ehepaar Kisch New York in Richtung Mexiko.66 Im Herbst 1940 erreichten Elchunon („Heniek“) Rubin (1901–1941) und seine Frau Irene, geb. Quittner (1902–1963) mit ihren beiden Kindern New York. Heniek Rubin stammte aus Polen, hatte aber lange in Leipzig gelebt und dort als Kürschner gearbeitet. Seine Frau war von Beruf Pelznäherin. 1938 hatten sie Leipzig buchstäblich bei Nacht und Nebel verlassen müssen. Über die Tschechoslowakei, Paris und Panama, wo die Familie zwei Jahre lebte, kam sie in die USA. Irene Rubin verstand sich als Kommunistin, obgleich sie kein formelles KPD-Mitglied war. Für alle Familienmitglieder war die Flucht eine Katastrophe, mit der sie nicht fertig wurden. „Heute ist für mich eine ganze Welt gestorben“, sagte Irenes Sohn Harribald (Harry) Salata (er entstammte ihrer ersten Ehe), nachdem er in Panama als Handlungsreisender harsche Zurückweisung erfuhr. Heniek Rubin, der in New York keine Arbeit fand, verkraftete die Umstellung am Schlechtesten: Im Juli 1941 beging er Selbstmord. Irenes Versuch, nach dem Krieg in der DDR dauerhaft Fuß zu fassen, scheiterte. Die DDR wies sie zurück, und so zogen Irene und Renate zunächst nach Frankfurt/Main. Nach New York zurückgekehrt, wurde Irene Rubin 1963 in der U-Bahn Opfer eines tödlichen Überfalls. Die Tochter Renate Bridenthal sollte später eine bekannte marxistische Historikerin in den USA werden.67 Der Komponist Paul Dessau (1894–1979) hatte im Berlin der Weimarer Republik an siebzehn Tonfilmen als Komponist mitgearbeitet, darunter an Arnold Fancks Erfolgsfilmen Stürme über dem Montblanc (1930) und Der weiße Rausch (1930), in denen Leni Riefenstahl jeweils die weibliche Hauptrolle übernahm. Dessau verstand sich damals zwar als links, war aber kein Parteigänger der KPD. Dies änderte sich allmählich im Exil, in das der jüdische Künstler bereits 1933 gezwungen wurde. In Frankreich setzte er seine kompositorische Arbeit unter anderem für Filme der Mitexilanten Max Ophüls und Robert Siodmak fort. Im Spätsommer 1939 emigrierte Dessau durch Unterstützung eines dort lebenden

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Vgl. Klaus Haupt/Harald Wessel, Kisch war hier. Reportagen über den „Rasenden Reporter“, 2. Aufl., Berlin [DDR] 1985, S. 196–200. Diese Angaben entstammen einem Interview, das der Verfasser am 11. Dezember 2014 mit Prof. Renate Bridenthal in New York führte. Vgl. auch Renate Bridenthal, Out of Germany, in: Andreas W. Daum u. a. (Hg.), The Second Generation: Émigrés from Nazi Germany as Historians, New York/Oxford 2016, S. 130–140.

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Cousins in die USA, wo sich der Neuanfang für den bisher Erfolgreichen jedoch unerwartet schwierig gestaltete.68 Ende 1939 gelangten Hertha (1893–1990) und Jacob Walcher (1887–1970) in die USA. Jacob Walcher, von Beruf Dreher, war ein Kommunist der ersten Stunde. Zur Jahreswende 1918–1919 hatte er zusammen mit Wilhelm Pieck den Vorsitz auf der Gründungsversammlung der KPD inne. Als einer der Wortführer der sogenannten Rechten, die den Kurs des Sozialfaschismus strikt ablehnten, wurde er Ende 1929 aus der Partei ausgeschlossen. Er gehörte zu den Gründern der KPD-Opposition, der KPO, die sich vergeblich um eine „Reform des Kommunismus an Haupt und Gliedern“ und um eine politische Zusammenarbeit der verfeindeten großen Arbeiterparteien bemühte. 1932 wechselte er zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), da er dort größere Chancen sah, durch eine Dritte Kraft dem Gedanken der Einheitsfront gegen Hitler in der Arbeiterbewegung Geltung zu verschaffen. Der Zusammenbruch der Arbeiterbewegung trieb ihn 1933 ins Exil nach Frankreich. Dort war er zeitweilig Vorsitzender der SAP, die er auf einen gegenüber der Sowjetunion freundlichen Kurs verpflichten wollte, was zur Spaltung der Partei führte. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges interniert, konnte er mit seiner jüdischen Frau noch 1939 nach New York ausreisen. Das Unitarian Service Committee unter Noel Field, Hermann Fields Bruder, war bei der Visumerteilung behilflich gewesen. Dieser Kontakt, der zuerst ein großes Glück war, sollte den Walchers später große Probleme bereiten.69 Maximilian Scheer (1896–1978) hieß ursprünglich Walter Schlieper, schrieb jedoch unter seinem Pseudonym in der Weimarer Republik als Journalist für den Berliner Börsen-Courier und andere liberale Blätter. Schon im März 1933 emigrierte er nach Paris, wo er für die Presseagentur Inpress sowie für französische Blätter und deutsche Exilblätter arbeitete. Scheer wurde in die Auseinandersetzung um das Pariser Tageblatt hineingezogen, dessen Redaktion sich nach lancierten Gerüchten angeblicher Nazispionage 1936 spaltete, was zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und schließlich zur Gegengründung der Pariser Tageszeitung führte.70 Er war Mitautor der 1936 erschienenen Dokumentation Das deutsche 68 69

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Vgl. zu Dessaus Weg in die USA Eike Middell u. a., Exil in den USA. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933–1945, Bd. 3, Leipzig 1979, S. 336 ff. Die Angaben erfolgen nach Walchers Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1142. Vgl. zu ihm Ernst Stock/Karl Walcher, Jacob Walcher (1887–1970). Gewerkschafter und Revolutionäre zwischen Berlin, Paris und New York, Berlin 1998, zur Einreise in die USA vgl. S. 136 f. Vgl. Ursula Langkau-Alex, Deutsche Emigrationspresse (auch eine Geschichte des „Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront“ in Paris), in: Wulf Koep-

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Volk klagt an, einer der zahlreichen Publikationen, die den Terror des Naziregimes sichtbar machten (und die im Jahre 2012 eine Neuauflage erfuhr). Im Juli 1940 gelang Scheer die Flucht über Marseille und Lissabon nach New York. Dort wurde er, der gerade aus einem französischen Internierungslager bei Nantes entlassen worden war, fast von Panik ergriffen, als er auf Ellis Island festgehalten werden sollte, bis seine Personalien überprüft worden seien. Er beruhigte sich erst, als ihn ein Einwanderungsbeamter auf Französisch befragte; eine Sprache, in der Scheer sich noch weit sicherer bewegte als vorerst im Englischen.71 Der parteilose Scheer näherte sich zwar in den USA der KPD an, trat ihr jedoch, trotz der Bemühungen seines Freundes Albert Schreiner, nicht bei. Der Journalist Walther Victor (1885–1971) schloss sich nach dem Ersten Weltkrieg der SPD an. Er arbeitete für sie kommunalpolitisch sowie als Herausgeber verschiedener Zeitungen in Halle, Hamburg und Zwickau. Der Jude und linke Sozialdemokrat, der die Nationalsozialisten publizistisch angriff, musste nach der „Machtergreifung“ sofort untertauchen. Nach zweijähriger Illegalität, während der er unter verschiedenen Namen zumeist in Berlin lebte und sich zuletzt auf der Insel Reichenau im Bodensee versteckt hielt, wurde er 1935 verhaftet. Nach der Entlassung ging er in die Schweiz, wohin ihm seine Frau, die Kinderbuchautorin Maria Gleit (ursprünglich Hertha Gleitsmann, 1909–1981), und seine Mutter folgen konnten. 1937 wurde der Sohn Vito geboren.72 Ein Jahr später wurde Victor aus der Schweiz ausgewiesen und gelangte mit seiner Familie über Luxemburg und Frankreich 1940 in die USA. Dort geriet auch er in das Umfeld der KPD.73

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ke/Michael Winkler (Hg.), Exilliteratur 1933–1945, Darmstadt 1988, S. 189. Vgl. auch Walter F. Peterson, Das Dilemma linksliberaler deutscher Journalisten im Exil: Der Fall des „Pariser Tageblatts“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (im Folgenden: VfZ) 32, 1984, Nr. 2, S. 269–288. Scheer selbst schildert die Angelegenheit aus seiner Sicht in: So war es in Paris, Berlin [DDR] 1972, S. 138 ff. Vgl. Maximilan Scheer, Paris – New York, Berlin [DDR] 1966, S. 108–111, sowie Scheers Akte im Deutschen Exilarchiv 1933–1945, Frankfurt a. M. (Bestand: American Guild for German Cultural Freedom). Vgl. den biographischen Anhang in: Walther Victor, Kehre wieder über die Berge, New York 1945, Neuausgabe Berlin [DDR] 1982, S. 333. Ein zweiter, ungedruckter Teil der memoiren-ähnlichen Aufzeichnungen (Und wo hast Du Dich solange herumgetrieben?) befindet sich im Walther-Victor-Archiv in der Akademie der Künste in Berlin. – Für eine Kritik der autobiographischen Schriften Scheers, Victors und Marchwitzas vgl. das 8. Kapitel dieser Arbeit. Victor schildert seine Flucht vor den deutschen Truppen aus Paris in einem Brief an den Oprecht-Verlag vom 13. Juli 1940, abgedruckt in: Egon Schwarz/Matthias Wegner (Hg.), Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil, Hamburg 1964, S. 88–92.

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Auch Hermann Budzislawski (1901–1978) hatte ab 1929 der SPD angehört, sie jedoch aus Enttäuschung über ihren mangelnden Kampfeswillen noch 1933 verlassen. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler flüchtete am 22. März 1933 nach Zürich, wohin ihm seine Frau Johanna (1901–1979) mit der 1929 geborenen Tochter Beate im Mai folgte.74 Von dort gingen die Budzislawskis 1934 nach Prag. 1935 bürgerte das Naziregime die Familie aus, doch erwarb diese 1938 die Staatsbürgerschaft der Tschechoslowakei – kurz bevor sie erneut fliehen musste. Bereits 1935 wurde Hermann Budzislawski in Prag Vorsitzender des Deutschen Volksfrontkomitees. Das Komitee war vom KPD-Funktionär Wilhelm Koenen initiiert worden, um Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Linke im antifaschistischen Bündnis zusammenzubringen. Zudem war Budzislawski Herausgeber und Chefredakteur der Neuen Weltbühne und brachte, obgleich kein KPD-Mitglied, das bislang unabhängige Linksblatt auf einen insgesamt stalintreuen Kurs.75 Im Mai 1938 musste er mit der Familie nach Frankreich fliehen. Am 21. Juni 1940 wurde er, da die französischen Behörden ihn nach der Okkupation der Tschechoslowakei als Deutschen ansahen, interniert. Er wurde zunächst in das Lager Maisons-Laffitte bei Paris verbracht, von dort in die Normandie (Athis und Damigny-sur-Orne), zuletzt nach Bassens bei Bordeaux. Über Portugal kam er mit einem griechischen Schiff, der SS „Nea Hellas“, am 13. Oktober 1940 in Ellis Island an, nachdem die American Guild for German Cultural Freedom für das Affidavit gesorgt hatte.76 Auf dem Schiff befanden sich auch Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel, Alfred Polgar und Martha Feuchtwanger.77

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Vgl. auch Kristina Schulz, Die Schweiz und die literarischen Flüchtlinge (1933–1945), Berlin 2012, S. 142. Vgl. Akademie der Künste, Berlin, Hermann-Budzislawski-Archiv, Nr. 267: Undatierter Lebenslauf von Johanna Budzislawski [nach 1949 verfasst]. Bemühungen Helmut Gusdorfs, das Blatt in den USA herauszubringen, scheiterten. Vgl. Thoralf Teuber, Ein Stratege im Exil Hermann Budzislawski und „Die neue Weltbühne“, Frankfurt a. M. 2004, S. 227–229. Vgl. weiter Hansjörg Schneider, Exil in der Tschechoslowakei, in: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933–1945, Bd. 5, Leipzig 1980, S. 107. Vgl. zum Gesamtkomplex noch immer Gertrude Albrechtová, Zur Frage der deutschen antifaschistischen Emigrationsliteratur im tschechoslowakischen Exil, in: Historica, Bd. 8, Prag 1963, S. 177–233. Die Angaben erfolgen nach Budzislawskis Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2509, nach einem Lebenslauf im Hermann-Buzislawski-Archiv der Akademie der Künste, Nr. 252, nach Buzsislawskis Akte im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 in Frankfurt a. M. (Bestand: American Guild for German Cultural Freedom) sowie nach seiner

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Ebenfalls 1940 erreichten der Arzt Rudolf Neumann (1899– nach 1960) mit seiner Frau Hilde (1905–1959) und der 1930 geborenen Tochter New York, doch gelang ihnen im folgenden Jahr die erstrebte Weiterreise nach Mexiko. Ihre Eltern Kurt (1877–1943) und Alice Rosenfeld (1878–1948) blieben in den USA und sollten im antifaschistischen Exil, auch in Zusammenarbeit mit vielen Protagonisten dieses Buches, eine Rolle spielen. In erster Ehe war Hilde Neumann mit dem sozialdemokratischen Juristen Otto Kirchheimer verheiratet gewesen, der in den USA ein bekannter Rechtswissenschaftler wurde. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter kehrte sie 1947 nach Ostdeutschland zurück und wurde Präsidentin des Ostberliner Landesgerichtes. Ihre Mutter folgte ihnen, ihr Vater verstarb in New York.78 Der in Breslau geborene und in Berlin aufgewachsene Walter Friedeberger (1898–1967), Sohn eines Kaufmanns, studierte in Berlin und Innsbruck Medizin.79 Nach der Promotion arbeitete er ab 1921 im Verband der Krankenkassen in Berlin, zuletzt als Geschäftsführer der Ambulatorien des Verbandes. Zudem studierte er 1926 bis 1930 Volkswirtschaft und erwarb das Diplom. Politisch war er in der SPD sowie im Verband sozialistischer Ärzte aktiv. Am 22. März 1933 wurde Friedeberger für zwei Monate verhaftet. 1934/35 war er im Lyssia-Werk in Wiesbaden in der angewandten Krebsforschung tätig. 1936 emigrierte er mit seiner Frau Ellinor (1907–1999), einer Schauspielerin, in die Schweiz. In Basel, London und Paris arbeitete er bei der Aristophanes A.G. und Wertheim Brothers. 1939 wurde er in Frankreich in mehreren Lagern (Albi, Villebon, La Braconne) interniert. Nach der Ausreise aus Marseille im Mai 1941 waren er und seine Frau zwei Monate in Casablanca interniert. Im August 1941

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FBI-Akte, die sich in der Alexander Stephan Collection of FBI Files on German Intellectuals in US Exile (Bestand Spec.rare.cms.307) der Thompson Library an der Ohio State University in Columbus (Ohio) befindet. Vgl. zu ihm auch Teuber, Ein Stratege im Exil, bes. S. 167 ff., sowie Axel Fair-Schulz, Loyal Subversion. East Germany and Its Bildungsbürgerlich Marxist Intellectuals, Berlin 2009, bes. S. 275 ff. Die letztgenannte Arbeit ist der von Teuber analytisch überlegen. Vgl. Marja Schuetze Coburn, Feuchtwanger’s Relocation to Southern California: Frustrations & Succsesses, in: Pol O’Dochartaigh/Alexander Stephan (Hg.), Refuge and Realities. Feuchtwanger and the European Émigrés in California. German Monitor, Amsterdam/New York 2005, S. 101. Lion Feuchtwanger, Marthas Ehemann, war am 5. Oktober in die USA eingereist. Vgl. den Nachruf: Hilde Neumann. 13. April 1905–11. September 1959, in: Neue Justiz 13, 1959, Nr. 18, S. 613–614. Bis 1951 trug er offiziell den Namen Fräser-Friedeberger, den er jedoch kaum benutzte.

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erreichten sie New York, wo Walter Friedeberger seine Arbeit in der angewandten Krebsforschung fortsetzte. Seine Frau fand keine Arbeit mehr in ihrem Beruf.80 Der Fall Frankreichs im Juni 1940 brachte neben den Genannten, die sich erst in den USA der KPD annäherten, eine Gruppe von KPD-Mitgliedern in die USA. Bereits im März 1941 erreichten Alfred und Elfirede Kantorowicz New York.81 Alfred Kantorowicz hatte schon in Frankreich mit der American Guild for German Cultural Freedom Kontakt ausgenommen und von ihr ein Förderstipendium erhalten; solche Kontakte waren natürlich sehr hilfreich bei der Einreise und beim ungewissen Neubeginn in den USA.82 Alfred Kantorowicz (1899–1979) wuchs in Berlin im scheinbar assimilierten jüdischen Mittelstand auf. Er meldete sich freiwillig zum Dienst im Ersten Weltkrieg und studierte nach dem Krieg Jura zum Broterwerb und Literaturgeschichte aus Passion in Berlin, Freiburg, München und Erlangen. Die Erlanger juristische Dissertation von 1923 über Die völkerrechtlichen Grundlagen des nationaljüdischen Heims in Palästina zeigt ihn als Sympathisanten des Zionismus; damit nahm er eine unter deutschen Juden damals zumeist abgelehnte Position ein. Die folgenden Jahre arbeitete Kantorowicz, der eine Zeitlang mit Ernst Blochs späterer Frau Karola liiert war, als Journalist für verschiedene liberale Blätter. 1928/29 war er Kulturkorrespondent der Vossischen Zeitung in Paris – als Nachfolger von Kurt Tucholsky und als Vorgänger seines langjährigen Freundes Arthur Koestler. Hitlers Aufstieg bewog den bisher an der „Konservativen Revolution“ Interessierten Ende 1931 zum Eintritt in die KPD. „Den Parteijargon erlernt Kantorowicz schnell, ohne jemals mit dem Marxismus vertraut zu werden.“83 Er hoffte, die Kommunisten würden, anders als die SPD und die schrumpfende bürgerliche Mitte, den Kampf gegen Hitler ohne Kompromisse führen. Bereits am 12. März 1933 musste Kantorowicz nach kurzer Illegalität Deutschland verlassen und ging mit seiner späteren Frau Elfriede nach Paris. 1934 wurde er gemeinsam mit Klaus 80

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Vgl. Bundesarchiv (BArch), Abteilung Berlin, Ministerrat der DDR, Bestand DC 20/7874: Personalakte Walter Friedeberger, verschiedene Lebensläufe, bes. vom 4. Juni 1947, Bl. 1–7, mit Ergänzungen, Bl. 15 f. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 37, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. Vgl. Deutsches Exilarchiv 1933–1945, Frankfurt a. M., Bestand American Guild for German Cultural Freedom, Akte Alfred Kantorowicz, Anerkennung der Stipendienverpflichtungen vom 3. März 1940 (sowie weitere Materialien dieses Aktenbestandes, darunter Berichte über die Lebensbedingungen in Frankreich). Wolf Gruner, Ein Schicksal, das ich mit sehr vielen anderen geteilt habe. Alfred Kantorowicz – sein Leben und seine Zeit von 1899 bis 1935, Kassel 2007, S. 345. Vgl. zu Kantorowicz auch das entsprechende Kapitel in: Mario Keßler, Grenzgänger des Kommunismus. Zwölf Porträts aus dem Jahrhundert der Katastrophen, Berlin 2015, S. 141–159.

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Mann und Erich Weinert bereits auf der dritten Ausbürgerungsliste vom Naziregime seiner deutschen Staatsangehörigkeit beraubt. Zum ersten Jahrestag der Bücherverbrennung gründete Kantorowicz am 10. Mai 1934 in Paris die Deutsche Freiheitsbibliothek, die er zunächst auch leitete, bevor diese Aufgabe Max Schroeder übernahm. Daran anschließend war er Generalsekretär des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS).84 Im Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror legte er die Judenfeindschaft des „Dritten Reiches“ bloß.85 Zudem war er an der Vorbereitung des Ersten Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur im Juli 1935 in Paris beteiligt. Neben einer Broschüre mit dem programmatischen Titel In unserem Lager ist Deutschland schrieb er zahlreiche Artikel für Exilzeitungen. Mit Beginn des Spanienkrieges schloss sich auch Kantorowicz den Internationalen Brigaden an. Er gehörte zu den Gründern und Autoren der Frontzeitschrift der Internationalen Brigaden, Volontaire de la Liberté, die in deutscher und französischer Sprache erschien. 1938 erschien in Madrid sein Buch Tschapaiew: Das Bataillon der 21 Nationen. 1938 gelang Kantorowicz die Rückkehr nach Paris, doch zog er bald nach Südfrankreich. Wie andere deutsche Emigranten wurde er mit seiner Frau am Beginn des Zweiten Weltkrieges zuerst in der Nähe von Toulon, ab dem 20. Mai 1940 in Les Milles interniert.86 Während eines Transportes gelang ihm jedoch die Flucht vor den anrückenden Hitler-Truppen. Von Marseille gelangten er und Elfriede Ende März 1941 nach New York.87 In Paris hatte Alfred Kantorowicz mit Max Schroeder (1900–1958) zusammengearbeitet. Der Sohn eines Rechtsanwalts studierte nach dem Ersten Weltkrieg an verschiedenen deutschen Universitäten Kunstgeschichte und klassische Philologie, beendete das Studium aber nicht. Als freier Journalist arbeitete er unter anderem für den Berliner Börsen-Courier, die Berliner Volkszeitung und Die Weltbühne, trat der KPD bei und stand auf Seiten der „Versöhnler“. Er gehörte zu 84

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Vgl. Kantorowicz, Politik und Literatur im Exil, S. 149 f.; Ursula Langkau-Alex, Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau, Bd. 2, Berlin 2004, S. 110. [Alfred Kantorowicz:] „Juda verrecke!“, in: Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror, Basel 1933, S. 222–269. Vgl. André Fontaine, Le camp d’étrangères des Milles (1939–1943), Aix-en-Provence 1989, S. 48. Seinen Kampf um die nötigen Papiere zur Ausreise und die ständige Angst vor Verhaftung hat Anna Seghers in ihrem Roman Transit verarbeitet. Sie selbst zog zuerst die USA als Exilland in Erwägung, gelangte aber im März 1941 aus Marseille mit Hilfe des mexikanischen Generalkonsuls Gilberto Bosques (1892–1995) nach einem kurzem Zwischenaufenthalt in New York nach Mexiko.

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einem Künstlerkreis um den Berliner Breitenbachplatz, wo er neben Kantorowicz auch Ernst Bloch, Ernst Busch, Axel Eggebrecht, Arthur Koestler und Gustav Regler kennenlernte.88 1933 floh Schroeder nach Paris. Dort war er Chefredakteur der Deutschen Nachrichten (Nouvelles d’Allemagne), einem antifaschistischen Informationsdienst. Seit 1934 leitete er die von Alfred Kantorowicz initiierte Deutsche Freiheitsbibliothek beim Antifaschistischen Archiv, einem Dokumentationszentrum, das zum Netzwerk der von Willi Münzenberg und André Simone aufgebauten Organisationen gehörte.89 Wie durch einen erst vor wenigen Jahren publizierten Brief Wilhelm Florins an die Kaderabteilung der Komintern vom 2. Juli 1939 bekannt wurde, sei Schroeder (unter einem nicht zu eruierenden Pseudonym) bereits in diesem Jahr „als Vertreter der Partei nach Amerika geschickt“ worden.90 Dies widerspricht indes Schroeders eigenen Angaben: In einem undatierten Lebenslauf nach seiner Rückkehr nach Berlin schrieb er, er sei nach der Internierung in Frankreich und dem vergeblichen Versuch der Weitereise nach Mexiko im Mai 1941 in New York gelandet. Womöglich war Schroeder entweder 1939 kurz in den USA gewesen oder der Reiseplan hatte sich, was wahrscheinlicher ist, zerschlagen. Politisch folgenreich sollte indes ab 1941 seine Arbeit für die Zeitschrift The German American werden.91 Am 13. Juni 1941 erreichten mit der SS „Acadia“ – neben Gerhart Eisler und Hilde Rothstein – die schon in der Weimarer Republik aktiven KPD-Politiker Philipp Daub, Adolf Deter, Ernst Krüger und Albert Schreiner mit ihren Ehepartnern am 13. Juni 1941 New York. Auch der Schriftsteller Hans Marchwitza befand sich auf diesem Schiff. Daub, Deter, Krüger und ihre Angehörigen hatten

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Vgl. die aufschlussreiche Schilderung dieses Milieus bei Axel Eggebrecht, Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche, Reinbek 1981, S. 268 ff. Vgl. Schiller, Der Traum von Hitlers Sturz, S. 114. Vgl. ausführlich ders., Tag des verbrannten Buches und Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris. Pankower Vorträge, Heft 62, Berlin 2004, sowie Alfred Kantorowicz: Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus, München 1983. In Florins Brief heißt es: „Max Schröder (über den es auch Angaben gibt bei der KaderAbteilung über seine parteifeindliche Tätigkeit als ,Versöhnler‘) wurde als Vertreter der Partei nach Amerika geschickt.“ Der Brief, in dem Florin eine heftige Kritik an Walter Ulbricht übt, ist abgedruckt als Dokument Nr. 452 in: Bernhard Bayerlein/Gleb Albert/Hermann Weber/Jakov Drabkin (Hg.), Deutschland, Russland, Komintern, Bd. 1, Berlin 2013, S. 1512. Die Angaben erfolgen nach Schroeders Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 439. Von einem USA-Aufenthalt vor dem Zweiten Weltkrieg ist dort keine Rede.

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die Einwanderungspapiere für Mexiko in ihren Händen, doch wurde ihnen die Weiterreise nicht gestattet. Auf dem Weg zum Zwischenhalt in Martinique war ihr Schiff von einem britischen Kriegsschiff gekapert und nach Trinidad, das damals eine britische Kolonie war, gebracht worden. Die deutschen Flüchtlinge erhielten zunächst keine Erlaubnis, Ellis Island zu verlassen.92 Die Weiterreise wurde lediglich den italienischen Mitreisenden sowie Theodor Balk, der mit einem jugoslawischen Pass fuhr, und Bruno Frei, der im Besitz eines tschechoslowakischen Passes war, gestattet. Mit ihnen reisten Anna Seghers und ihre Familie nach Mexiko weiter.93 Philipp Daub (1896–1976), der von November 1932 bis März 1933 dem Reichstag angehört hatte, war den amerikanischen Einwanderungsbehörden als Kommunist bekannt. Seit seinem KPD-Eintritt 1921 hatte er eine Vielzahl von Funktionen übernommen und war bis zu seiner von der Partei angeordneten Emigration 1934 Mitglied der illegalen Landesleitung in Mitteldeutschland und zuletzt Beauftragter des Politbüros im Saargebiet gewesen. Auch in den Niederlanden und Frankreich übernahm er verantwortliche Aufgaben im Apparat, so war er Auslandsleiter der Roten Hilfe. Mit Kriegsbeginn verhaftet, wurde Daub in den Lagern Le Vernet und Les Milles interniert. Die Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft im Frühjahr 1941 trug möglicherweise zum schnellen Erhalt des mexikanischen Visums bei. Doch war eine solche Vita den amerikanischen Behörden Anlass genug, ihn und seine Frau Else geb. Steinfurth zwar ins Land zu lassen, aber die Weiterreise nach Mexiko nicht zu erlauben. Als gelernter Maschinenschlosser konnte Daub jedoch für seinen Lebensunterhalt in New York besser sorgen als viele Intellektuelle, denn Facharbeiter wurden in der Kriegswirtschaft alsbald gebraucht.94 Auch Adolf Deter (1900–1976) war Maschinenschlosser von Beruf. Von 1928 bis 1933 hatte er für die KPD dem preußischen Landtag angehört und war zudem als Bezirksleiter der RGO in Hamburg politisch hervorgetreten. Seine Exilstatio92

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Vgl. „Ein Büro am Broadway“. Gespräch mit Lore Krüger über die Emigration in die USA und die antifaschistische Zeitschrift „The German American“. Interview: Cristina Fischer, in: Junge Welt, 2. Juli 2005, sowie Lore Krüger, Quer durch die Welt. Das Lebensbild einer verfolgten Jüdin, Schkeuditz 2012, S. 137. Diese von Lore Krügers Kindern redaktionell betreute Autobiographie, die das Exil in Spanien und Frankreich ausführlich behandelt, endet in ihren materialen Teilen leider im Wesentlichen mit der Ankunft in den USA, wobei jedoch noch einige aufschlussreiche Bemerkungen zum Council for a Democratic Germany eingefügt werden konnten. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 37, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. Die Angaben erfolgen nach Daubs Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2512. Vgl. zu Daub auch den Eintrag in Weber/Herbst, Deutsche Kommunisten, S. 146 f.

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nen waren zunächst Kopenhagen, danach Antwerpen und Paris. Politisch rückte er in eine Schlüsselfunktion auf, als er 1935 in das Sekretariat der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter kooptiert wurde. Unter Leitung Ernst Wollwebers leistete die Organisation einen wichtigen Beitrag zum internationalen antifaschistischen Widerstand, den Constance Margain in ihrer Dissertation eingehend untersucht hat.95 Im Januar 1939 nahm Deter an der „Berner Konferenz“ der KPD bei Paris teil. Nach Kriegsbeginn folgte auch für ihn die Internierung. Im Mai 1941 verließ er Frankreich in Richtung Mexiko, doch das Schiff wurde von der amerikanischen Küstenpolizei gestoppt. Nach einer kurzen Haftzeit wurden Deter und seine Frau Maria ins Land gelassen. Wie für andere kommunistische Flüchtlinge besserte sich die Lage deutlich für sie, nachdem die USA im Dezember 1941 Kriegsteilnehmer an der Seite der Sowjetunion wurden. Zudem fand auch Adolf Deter in seinem Beruf in New York Arbeit.96 Eine ähnliche Biographie wies Ernst Krüger (1895–1970) auf. Er war Metallschlosser von Beruf. Über die USPD 1920 zur KPD gekommen, vertrat er die Partei seit 1929 im brandenburgischen Provinziallandtag. 1933 wurde er verhaftet in das KZ Brandenburg geworfen und war daran anschließend im Zuchthaus Luckau inhaftiert. 1936 freigelassen, konnte er im gleichen Jahr angesichts einer drohenden erneuten Verhaftung in die Tschechoslowakei emigrieren. Er war an der Organisierung der Interbrigaden beteiligt und kämpfte selbst von Dezember 1936 bis 1938 im Spanienkrieg. Nach Verwundung und Erkrankung ging er nach Frankreich, wo er seine Frau Lore geb. Heinemann (1914–2009) kennenlernte. Im Mai 1941 suchten beide nach Mexiko zu gelangen, doch wurde auch ihr Schiff von der amerikanischen Polizei gestoppt. So blieben auch Ernst und Lore Krüger in den USA.97 Albert Schreiner (1892–1979), von Beruf Maschinenschlosser, hatte bereits ein spektakuläres politisches Leben hinter sich. Seit 1910 Mitglied der SPD und seit 1917 der USPD, war er im November 1918 kurzzeitig Kriegsminister im 95

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Vgl. Constance Margain, L’Internationale des gens de la mer (1930–1937). Activités, parcours militants et résistance au nazisme d’un syndicat communiste de marins et dockers, Dissertation, Université du Havre, Le Havre 2015, mit vielen Hinweisen zu Deter. Die Angaben erfolgen nach Deters Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2921 sowie der Akte über seine Frau Maria, ebd., DY 30/IV 2/11/v. 630. Vgl. zu ihm auch den Eintrag in Weber/Herbst, Deutsche Kommunisten, S. 151 f. Vgl. zu ihm den Eintrag ebd., S. 416 f., sowie Krüger, Quer durch die Welt. Vgl. auch C/O Foundation (Hg.), Lore Krüger. Ein Koffer voller Bilder. Fotografien 1933 bis 1945. Katalog zur Ausstellung vom 23. Januar bis 10. April 2015, Berlin 2015. Die C/O Foundation betreibt eine Ausstellungsserie für Fotoarbeiten im früheren Amerika-Haus in BerlinCharlottenburg.

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Württemberger Arbeiter- und Soldatenrat gewesen. An der Jahreswende 1918/19 gehörte er zu den Mitbegründern der KPD. 1924 war er Mitbegründer und Stellvertretender Leiter des Roten Frontkämpferbundes, der Selbstschutzorganisation der Partei. 1929 gehörte er jedoch zu den sogenannten Parteirechten und wurde aus der KPD ausgeschlossen. Als Mitbegründer der KPO und Mitglied ihrer Reichsleitung wurde er einer ihrer produktivsten Journalisten, der in ihrem Organ Gegen den Strom kenntnisreiche Analysen des internationalen Faschismus verfasste. Schon bevor die Hitler-Partei zur Massenbewegung anwuchs, warnte Schreiner eindrücklich vor ihrem Antisemitismus. Dieser sei nicht Beiwerk, wie manche Linke und Liberale glaubten, sondern Grundlage ihrer Ideologie, und bei einer Machtergreifung der Nazis drohe den Juden sofort tödliche Gefahr.98 Im Oktober 1932 trat Schreiner überraschend aus der KPO aus, doch wenig später wieder ein. Der Parteivorsitzende Heinrich Brandler wollte Schreiners Wiedereintritt verhindern, doch ohne Erfolg.99 1933 musste Schreiner mit seiner Familie nach Frankreich flüchten. 1935 schloss er sich wieder der KPD an. In dieser Zeit schrieb er eine Reihe glänzend recherchierter und viel beachteter militärpolitischer Bücher: Hitler treibt zum Krieg (1934), Hitlers Luftflotte startbereit (1935), beide unter dem Pseudonym Dorothy Woodman, Hitlers motorisierte Stoßarmee (1936), unter dem Pseudonym A. Müller, sowie unter seinem richtigen Namen Vom totalen Krieg zur totalen Niederlage Hitlers (1939). In diesen Arbeiten zeigte Schreiner anhand eines breit angelegten Faktenmaterials, dass der faschistische Staat nichts anderes als „die

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Vgl. Albert Schreiners Artikelserie: Faschistische Parolen und Schlagworte, in: Gegen den Strom, Ausgabe Breslau, Nr. 3,4,5,7,8, 1930. Der Beitrag in Nr. 5 vom 1. Februar 1930 trägt den Titel „Haut den Juden“ und ist wiederabgedruckt in: Mario Keßler, Albert Schreiner. Kommunist mit Lebensbrüchen, Berlin 2014, S. 136–139. Diese erste ausführlichere Biographie Schreiners stützt sich auf seinen Nachlass im SED-Archiv. Vgl. SAPMO-BArch, 4198, Bestand Albert Schreiner. – Laut Mitteilung von Cole Henley, Albert Schreiners englichem Großneffen, der dessen Geburtsurkunde einsah, war Schreiner als Albert Poser geboren, und die Familie nahm erst kurz danach den Namen des Vaters an. Vgl. Theodor Bergmann, „Gegen den Strom“. Die Geschichte der Kommunistischen Partei-Opposition, 2. Aufl., Hamburg 2001, S. 529. Die in der KPO damals und später heiß diskutierte Frage, ob Schreiner im KPD-Auftrag innerhalb der KPO Zersetzungsarbeit geleistet habe (was Theodor Bergmann vermutete und der Autor dieses Buches bezweifelt), kann auch anhand neu erschlossener Quellen nicht restlos geklärt werden. Vgl. die vorbildliche Recherchearbeit von Kurt Baumann, „Das führte zum Bruch“. Der „Fall Albert Schreiner“ und die Auseinandersetzungen um die Volksfront innerhalb der KPDO, Paris 1933–35, Bachelor-Arbeit, Universität Hamburg 2016. Ich danke Kurt Baumann für die freundliche Überlassung eines Exemplars dieser Arbeit.

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politische, wirtschaftliche, ideologische und militärische, kurz die totale Kriegsvorbereitung“ anstrebe.100 Die rücksichtslose Expansionspolitik des Hitler-Regimes werde, schrieb Schreiner unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, die westlichen Staaten und die Sowjetunion zum gemeinsamen Handeln zwingen. Das Nazireich sei gegen eine solche Koalition sehr bald chancenlos. Dann aber würde sich der „durch Terror erzwungene Schein der Einheit des deutschen Volkes und seiner Bedrücker ... als der stärkste Bluff erweisen. Die sozialen Spannungen, heute noch mit Knüppel und Beil niedergehalten, werden sich im Kriege mit elementarer Gewalt entladen.“ Die „Tarnkappe der nationalsozialistischen Propaganda“ werde ihre Wirkung verlieren.101 Spätestens dann, schrieb Schreiner zuversichtlich, würden die Deutschen die Hitler-Diktatur abschütteln und den Nazis den Garaus bereiten. Für den Nationalsozialismus werde es „keinen Schutz vor der Niederlage“ geben. „Das deutsche Volk selber wird Vollstreckerin dieser Niederlage werden, weil sie die Vorbedingung der Freiheit Deutschlands ist.“102 Sogar ein so nüchterner Beobachter des Zeitgeschehens wie Schreiner überschätzte das Widerstandspotenzial unter der deutschen Bevölkerung und unterschätzte die korrumpierende Wirkung, die das Nazi-Regime auf die große Masse der Deutschen auszuüben vermochte. Mit diesen Büchern, die zum Teil ins Englische, Französische und Niederländische übersetzt wurden, leistete Schreiner – unter Nutzung eines konspirativen Informantennetzes, das bis in deutsche Rüstungsbetriebe reichte – einen wichtigen, kaum zu überschätzenden Beitrag zur Enthüllung der Kriegspläne des Hitlerregimes. Zu Schreiners Kontaktpersonen gehörten unter anderem die KPDWiderstandskämpfer Karl Tuttes und Rudolf Feistmann sowie der mit der KPD zusammenarbeitende Hans Ebeling, der von der antinazistischen politischen Rechten kam. Über die Kette Ebeling-Tuttes-Feistmann gelangten geheime Informationen über die nazistische Aufrüstung an Schreiner, der sie für seine Bücher nutzen konnte.103

100 Dorothy Woodman (Pseudonym Schreiner), Hitler treibt zum Krieg, Paris 1934. Hier wird die Reprint-Ausgabe des Akademie-Verlages benutzt: Albert Schreiner, Hitler treibt zum Krieg, Berlin [DDR] 1978, Zitat S. 18. 101 Albert Schreiner, Vom totalen Krieg zur totalen Niederlage Hitlers, Paris 1939, Reprint Berlin [DDR] 1980, S. 258. 102 Ebd., S. 264. 103 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, MfS-Zentralarchiv, Berlin (hier und in allen folgenden Kapiteln zit. als: BStU, ZA), HA IX/11, SV 1/81, Bd. 286 (die Akte enthält u. a. eine Forschungsarbeit, die dort ohne Titelblatt unter der Nummer GVS MfS 014–460/86 abgelegt ist). Vgl. zu Ebeling Otto-

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Weitere Informationen erhielt Schreiner indirekt von Hermann Dünow, der bis 1933 Sekretär der militärpolitischen Abteilung des ZK der KPD gewesen war. Dünow war im Dezember 1933 verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt worden (er blieb bis 1945 im Zuchthaus). Bei seiner Verhaftung fand die Gestapo Ausarbeitungen und Zahlen, die in Schreiners Buch Hitler treibt zum Krieg eingegangen waren.104 Zwischen 1936 und 1939 nahm Schreiner als Interbrigaden-Offizier am Spanienkrieg teil. Der Flucht nach Frankreich Anfang 1939 folgte im Herbst die Internierung in verschiedene Lager. Mit Hilfe Rudolf Feistmanns erhielt auch Schreiner ein mexikanisches Visum. Beim geplanten Zwischenstopp in den USA wurde ihm das Transitvisum verweigert, doch durfte er schließlich an Land. So blieb auch er in New York und fand Arbeit in einem Metallbetrieb. Hans Marchwitza (1890–1965) war einer jener Schriftsteller, die in jungen Jahren zur KPD gestoßen waren und am Ende der Weimarer Republik im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller aktiv wurden. Wie Willi Bredel, Kurt Held, Klaus Neukrantz oder Jan Petersen und – anders als die „bürgerlichen“ Mitglieder Johannes R. Becher, Egon Erwin Kisch oder Berta Lask – entstammte er dem Proletariat. In Oberschlesien und im Ruhrgebiet hatte Marchwitza als Bergmann gearbeitet und sich 1920 an der Niederschlagung des republikfeindlichen Kapp-Putsches sowie an den anschließenden Kämpfen der Roten Ruhrarmee gegen Reichswehr und Freikorps beteiligt. 1930 erschien Marchwitzas erster Roman Sturm auf Essen, der die Ereignisse des Jahres 1920 beschrieb und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Zwei Jahre darauf schilderte Marchwitza im Roman Walzwerk die Streikkämpfe Duisburger Stahlarbeiter in der Weltwirtschaftskrise. Im Zürcher Exil erschien 1934 Die Kumiaks, ein Roman, dessen Handlung wiederum im Bergarbeiter-Milieu der Ruhr spielt. In seinen Werken führte Marchwitza „stereotype Figuren (z. B. geizige Fabrikbesitzer, reaktionäre Offiziere, opportunistische Politiker) vor, um klare moralische Gegensätze herauszuarbeiten und um die Kommunisten als den besseren Menschenschlag darzustellen.“105

Ernst Schüddekopf, Nationalbolschewismus in Deutschland 1918–1933, Frankfurt a. M. 1973, S. 406. 104 Vgl. BStU, ZA, HA IX/11, SV 1/81, Bd. 286 (GVS MfS 014–460/86). Vgl. für weitere Details und Beteiligte dieses Widerstandsnetzes: Mario Keßler, Albert Schreiner, S. 40 ff. Vgl. zu Schreiner auch dessen Angaben in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945, Frankfurt a. M., Nachlass Wilhelm Sternfeld, Mappe Albert Schreiner. 105 Sabine Hake, The Proletarian Dream. Socialism, Culture, and Emotion in Germany, 1863–1933, Berlin 2017, S. 184.

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Nachdem die erste Ehe zerbrochen war, trennte sich Marchwitza auch von seiner Lebensgefährtin Sophie Wiedemann und dem gemeinsamen Sohn Hannes, denen er das Exil nicht zumuten wollte.106 Sein Weg führte ihn über die Schweiz und das Saarland, wo er für die dortige KP aktiv war, nach Frankreich und Spanien, wo er als Offizier in den Interbrigaden kämpfte. Nach der Niederlage der Spanischen Republik flüchtete er erneut nach Frankreich. Es folgten die Internierung, zuerst in Drancy bei Paris, und 1941 die unfreiwillige Einwanderung in die USA. In New York schlug sich Marchwitza, dem das Erlernen der englischen Sprache schwerer fiel als seinen Mitemigranten, mit verschiedenen Arbeiten als Ungelernter durch: als Reinigungskraft und als Anstreicher, vor allem aber auf dem Bau.107 Albert Norden (1904–1982), Sohn eines orthodoxen Rabbiners, verließ 1920 das Gymnasium in Elberfeld vorzeitig und wurde zum Tischler ausgebildet, was ihm in New York später sehr zugute kommen sollte. 1921 trat er der KPD bei und schrieb in den folgenden Jahren für die Parteipresse, teilweise unter dem Namen Hans Behrendt. 1928 noch der moderaten „Versöhnler“-Gruppe um Gerhart Eisler nahestehend, bezog er um 1930 teilweise ultralinke Positionen, was nach dem Sturz Heinz Neumanns, des Wortführers dieser Strömung, auch Nordens Parteikarriere zeitweise bremste. 1933 emigrierte er über die Tschechoslowakei nach Frankreich, wo er auch am Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror mitarbeitete. 1939 publizierte er als Hans Behrendt eine Dokumentation, Die wahren Herren Deutschlands, worin er bereits ein Thema anschlug, das ihn in zahlreichen weiteren Büchern und Artikeln beschäftigen sollte: die Rolle der deutschen Großindustrie beim Aufstieg Hitlers. Auch ihn führte der Weg durch französische Internierungslager (Damigny-sur-Orne und Bassens bei Bordeaux), doch konnte Norden flüchten und in Toulouse untertauchen. Er schlug sich durch nach Marseille bis zur rettenden Überfahrt nach New York.108 106 So beschrieb es Werner Ilberg, Hans Marchwitza, Leipzig 1971, S. 31 (Ilberg hatte, politisch und rassistisch verfolgt, in England überlebt). 107 Vgl. Matthias Wolbold, Zwischen Ablehnung, Anpassung und Zerrissenheit. Deutsche Exilautoren in den USA. Eine Typologie am Beispiel von Hans Marchwitza, Hans Sahl und Ludwig Marcuse, Hamburg 1999, S. 72 ff. Wolbolds Annahme, Marchwitza habe sich bewusst geweigert, Englisch zu lernen, erscheint jedoch übertrieben: Auch als Ungelernter konnte man im Arbeitsprozess ohne Englisch in New York nicht bestehen. Vgl. aber für Marchwitzas kulturelle Blockaden das 8. Kapitel dieses Buches. 108 Die Angaben erfolgen nach Nordens Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5427. Vgl. zu ihm auch Norbert Podewin, Albert Norden. Der Rabbinersohn im Politbüro, 2. Aufl., Berlin 2003. In dieser Biographie werden jedoch Nordens Exiljahre nur sehr knapp behandelt.

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Ebenfalls 1941 kamen Alfred (1903–1972) und Lola Zahn, geb. Golodez (1910–1998) in die USA.109 Der aus einer Arbeiterfamilie stammende Alfred Zahn trat 1919 der KPD bei. Zwei Jahre später brach er sein Studium am Lehrerseminar ab, wurde technischer Sekretär der KPD in Hamburg und schrieb für die Hamburger Volkszeitung, für deren Jugendbeilage er verantwortlich zeichnete. Als Teilnehmer des erfolglosen Hamburger Aufstandes vom Oktober 1923 musste Alfred Zahn untertauchen und lebte von 1924 bis 1927 in der Sowjetunion, wo er verantwortliche Positionen in der Internationalen Roten Hilfe (IRH) übernahm. Durch eine Amnestie war ihm die Rückkehr nach Deutschland möglich. Neben journalistischer Tätigkeit war Zahn in Hamburg Geschäftsführer der deutschen Zweigstelle von Zentrosojus, dem Dachverband sowjetischer Konsumgenossenschaften. Er betrieb zudem ein Antiquariat und arbeitete für die Passfälscherstelle der KPD. Im Mai 1933 wurde Zahn verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und Urkundenfälschung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Haftentlassung ging er nach Frankreich, wo er als Journalist und Pressefotograf sowie am Deutschen Freiheitssender 29,8 im Dienste der Spanischen Republik arbeitete. Im September 1939 verhaftet und interniert, gelangte er mit seiner Frau 1941 in die USA.110 Lola Zahn entstammte einer bürgerlichen jüdischen Familie und studierte Jura in Hamburg, Freiburg und Heidelberg. 1933 musste sie das Studium abbrechen und nach Paris flüchten. Für sie wie für alle begann, wie es in einem Nachruf über Lola Zahn heißt, „ein ständiger Kampf ums Überleben“ und der „Kampf um die einfachsten Dinge des täglichen Lebens, Essen, Wohnung, Kleidung.“ Dies alles „immer unter dem Druck der ablaufenden Zeit, der auslaufenden Aufenthaltserlaubnis, der fehlenden oder befristeten Arbeitserlaubnis, der verfallenden Visa.“111 Lola Zahn fand jedoch Freunde, darunter den politisch keineswegs mit ihr übereinstimmenden jungen Soziologen Raymond Aron. Celestin Bouglé ermöglichte ihr, an der Sorbonne mit einer vergleichenden Arbeit über die sowjetische Planwirtschaft und den amerikanischen New Deal zu promovieren. In Frankreich heiratete sie Alfred Zahn. Das Paar bekam zwei Kinder. Im Juni 1940 gelang den

109 Alfred Zahn führte im Exil und noch später den Namen Ralph, unter dem er auch in Dokumenten und der Literatur auftaucht. 110 Die Angaben erfolgen nach Zahns Kaderakte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1239. 111 Robert Katzenstein, Lola Zahn (1910–1998). Ein bewegtes Leben ist zu Ende gegangen, in: Utopie kreativ, Nr. 91/92 (Mai/Juni 1998), S. 168.

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Zahns die Flucht nach Südfrankreich, wo sie in Le Vernet und Les Milles interniert wurden.112 Der künftige Historiker Karl Obermann (1905–1987) entstammte einer Arbeiterfamilie aus Köln. In der Weltwirtschaftskrise musste er den Plan eines Studiums aufgeben und erlernte den Beruf eines Technischen Zeichners. Der bildungshungrige junge Mann nutzte jede Gelegenheit, um als Gasthörer an der Kölner Universität sein Wissen zu erweitern. 1931 schloss er sich der SAP an.113 Im Pariser Exil, in dem er 1936 der KPD beitrat, hielt er sich mit journalistischen Arbeiten über Wasser.114 Bereits am 21. Dezember 1939 hatte sich Obermann aus französischer Internierung an die American Guild for German Cultural Freedom mit der Bitte um ein Stipendium gewandt, das ihm die Einreise in die USA ermöglichen könne. Er erhielt jedoch das Stipendium nicht.115 Vielmehr wurde er in Le Vernet, dann in Les Milles interniert.116 Dank der Bemühungen Leo Löwenthals bekam er aber am 26. November 1940 die Mitteilung, dass er über das Emergency Rescue Committee ein Affidavit bekommen habe.117

112 Die Angaben über das Ehepaar Zahn entstammen Lola Zahns Lebenserinnerungen. Eine Kopie des unvollendeten Manuskriptes überließ Lola Zahn über Wolfgang Herzberg dankenswerter Weise vor vielen Jahren dem Verfasser. Vgl. Wolfgang Herzberg, Lola Zahn gestorben. Der schwere Lebensweg einer Jüdin und Kommunistin. Von Lichtwark zu Saint Simon. In: Neues Deutschland, 26. Februar 1998. Vgl. auch die Kurzangaben in Lola Zahns ZPKK-Akte in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/147, Bl. 116, sowie bei Kristin Kleibert, Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Umbruch. Die Jahre 1948 bis 1951, Berlin 2010, S. 144 f., und Ulla Ruschhaupt, Karrieren von Frauen in Lehre und Forschung an der Humboldt-Universität zu Berlin 1945, in: ZiF-Bulletin, Nr. 23: Zur Geschichte des Frauenstudiums und Wissenschaftlerinnenkarrieren an deutschen Universitäten, Berlin 2001, S. 74 f. 113 Ein undatierter, doch um 1960 abgefasster Bericht der DDR-Staatssicherheit hielt fest, Obermann sei als „Courier“ für die illegale SAP tätig gewesen und „durch Verrat zur Flucht genötigt“ worden. BStU, ZA, HA IX/11, SV 31/84, Bl. 000031. Doch war Obermann, wie noch gezeigt wird, für das MfS kaum von Interesse. 114 Eine Reihe dieser Arbeiten sind gesammelt in: Karl Obermann, Exil Paris. Gegen Kulturund Bildungsabbau im faschistischen Deutschland 1933–1939, Frankfurt a. M. 1984. Im ausführlichen Vorwort schildert der Autor auch seine Lebensumstände im Pariser Exil. 115 Deutsches Exilarchiv 1933–1945, Frankfurt a. M., Bestand American Guild for German Cultural Freedom, Akte Karl Obermann: Markus Wolf, American Guild for German Cultural Freedom, an Karl Obermann, Brief vom 20. Januar 1940. Vgl. auch den Fragebogen ebd. 116 Vgl. Fontaine, Le camp d’étrangères des Milles, S. 233. 117 Deutsches Exilarchiv, Akte Karl Obermann: Willibald Sauerländer an Leo Löwenthal, Brief vom 26. November 1940.

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Über einen unfreiwilligen dreimonatigen Aufenthalt in Casablanca erreichte Obermann im August 1941 New York.118 Er lebte zunächst in Pennsylvania. In Bryn Mawr wurde er zweieinhalb Monate von den Quäkern betreut und fand wieder zu Kräften, bevor er 1942 nach New York ging. Noch im gleichen Jahr nahm er an einem Lehrgang für ausländische Studierende in amerikanischer Geschichte und Literatur am Black Mountain College in North Carolina teil.119 Alfred Katzenstein (1915–2000), Sohn eines Kleiderfabrikanten aus Mönchengladbach, wurde als Jude, zudem als Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, 1933 vom Gymnasium relegiert. Mit Beginn des Nazi-Regimes schloss er sich der Widerstandsgruppe Deutsche Jungfront um Hans Ebeling an.120 Nach kurzer Verhaftung durch die Gestapo floh er nach Frankreich. Dort wurde er 1934 wegen seiner Mitarbeit in Henri Barbusses Antikriegs-Komitee verhaftet und ausgewiesen. Katzenstein ging nach Belgien und von dort nach Amsterdam, wo er eine Klempnerlehre aufnahm. Von Mai 1937 bis Februar 1938 kämpfte Katzenstein in den Interbrigaden im Spanienkrieg. Er schloss sich der KP Spaniens an, und auch für ihn brachte das Jahr 1939 die Internierung. Doch lebten seine Eltern und Geschwister inzwischen in den USA, was ihm 1941 die Einwanderung erleichterte. Mit ihm nach New York ging Ursula Pacyna (1916–1998), die er im Lager Camp de Rieucros kennengelernt hatte und die er in zweiter Ehe heiratete.121 Sie war als Jungkommunistin und Jüdin 1933 vom Besuch des Lyzeums in ihrer Heimatstadt Berlin ausgeschlossen worden und nach Palästina emigriert, wo sie in einer Möbeltischlerei arbeitete. 1937 wurde sie von den britischen Mandatsbehörden als Mitglied der illegalen KP Palästinas nach kurzer Haft des Landes verwiesen und ging nach Frankreich. In New York arbeitete Alfred Katzenstein zunächst als Assistent in einem chemischen Laboratorium. Ende 1942 verpflichtete er sich zur US-Armee und 118 Vgl. Obermann, Exil Paris, S. 42. 119 Vgl. zu Obermanns Biographie Mario Keßler, Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 197–221. 120 In erster Ehe war Alfred Katzenstein mit Helene (Leni) Volke (1908–1991) verheiratet gewesen, die mit ihm nach Frankreich flüchtete. Später heiratete sie den Spanienkämpfer Arthur Dorf, mit dem sie in die DDR zurückkehrte. Vgl. die Angaben auf: https://www.myheritage.com/names/helene_katzenstein, sowie den Hinweis bei Fontaine, Le camp d’étrangères des Milles, S. 111. 121 Vgl. Wilfried Breyvogel, Widerstand im Westen: Die deutsche Jungfront und ihre Kontakte http://www.theohespersstiftung.de/cms/index.php?option=com_content&view=article &id=69&Itemid=61. Katzenstein kannte Ebeling aus der bündischen Jugend, in der vor 1933 aktiv gewesen war.

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erwarb dadurch die Staatsbürgerschaft. Er arbeitete mit den deutschen KPDExilanten zusammen, dachte jedoch an eine Rückkehr nach Deutschland zunächst nicht. Als Soldat wurde er der Spionageabwehr CIC, dem Central Intelligence Corps, zugeteilt.122 Lisa Kirbach (1907–1997) wurde 1933 als Sozialdemokratin aus dem Dresdner Schuldienst entlassen und emigrierte nach Paris. Dort war sie mit Max Braun (SPD), dem KPD-Politiker Heinz Renner und dem unabhängigen Linken Fritz Fränken in der Leitung der Freundeskreise für eine deutsche Volksfront tätig. Im Januar 1940 erfolgte ihre Internierung in Rieucros, später in Alby, Les Milles, wo sie wohl erstmals mit Noel Field zusammentraf, sowie in Bompard bei Marseille. In Bompard leitete sie eine provisorisch eingerichtete Schule für Flüchtlingskinder, denen sie, laut Erinnerung von Zeitzeugen, „auf angenehme und charmante Weise“ auch Nachhilfeunterricht in Französisch erteilte. „Sie brachte den Mädchen das Nähen, Stricken und die Stickerei bei und übte zudem mit ihnen die Aufführung kleiner Theaterstücke ein. Daneben fand sie immer noch Zeit, die Kindergärtnerin zu spielen. Sie achtete auf die Einhaltung der Mittagsruhe bei den Kleinsten und sorgte dafür, dass sie ihren Nachmittagstee bekamen.“123 1941 gelang Lisa Kirbach mit Hilfe von Noel Field und Kurt Rosenfeld die Ausreise nach New York, wo sie am 27. September eintraf.124 Sie fand Arbeit in Fields Unitarian Service Committee, später war sie Krankenpflegerin in einem Krankenhaus, danach Bohrerin und Fräserin in einer Maschinenfabrik.125 Luise Wagner, geb. Hahn (geb. 1906, Todesdatum unbekannt) kam ebenfalls aus der SPD, hatte sich in der Weimarer Republik der linkssozialistischen Parteioppositionsgruppe „Rote Kämpfer“ angeschlossen und war über die Schweiz 1941 in die USA emigriert. Wie Lisa Kirbach hatte sie sich (zu einem nicht genau festzustellenden Zeitpunkt) der kommunistischen Gruppe in New York angenähert.126 Zu nennen wäre noch Louis (ursprünglich Ludwig) Hacke, der in der 122 Vgl. zu Alfred Katzenstein die Angaben in seiner MfS-Akte: BStU, ZA, HA IX/11, AV 4/74, Bd. 11, Bl. 000009–000011, zu seiner Frau Ursula vgl. die Angaben ebd., Bl. 000057–00059 (jeweils undatiert). Vgl. auch Uwe Wolfradt u. a. (Hg.), Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933–1945, Wiesbaden 2015, S. 231. 123 Fontaine, Le camp d’étrangères des Milles, S. 122. 124 Vgl. New York Passenger Lists, 1820–1957, Ancestrylibrary.com. 125 Vgl. Karlheinz Pech, An der Seite der Résistance. Zum Kampf der Bewegung „Freies Deutschland für den Westen“ in Frankreich (1943–1945). Berlin [DDR] 1974, S. 19; Bernd Rainer Barth/Werner Schweizer (Hg.), Der Fall Noel Field. Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa, Bd. 1, Berlin 2006, Dokument 49, S. 430 (Kirbach wird dort irrtümlich als KPD-Mitglied in Frankreich angeführt); SAPMO-BArch, DY 30/IY 2/4/106. 126 Vgl. ebd., DY 30/IV 2/4/147, Bl. 89.

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Weimarer Republik der SPD und dann der SAP angehört hatte und sich im New Yorker Exil den Kommunisten ebenfalls annäherte, ohne aber der Partei beizutreten.127 Eine öffentliche Organisation in Form einer deutschen kommunistischen Gruppe oder Parteizelle war, es sei hier wiederholt, in den USA nicht möglich. Die Neuankömmlinge wurden in Ellis Island vor der Küste New Yorks von den Einwanderungsbehörden nach ihrer Zugehörigkeit zu kommunistischen Organisationen befragt, die sie routinemäßig ableugneten und hofften, dass ihre Auskunft nicht überprüfbar sei. Eine bejahende Antwort hätte die Einreise nur dann und nur ausnahmsweise ermöglicht, wenn der Befragte sich (wie Ruth Fischer) zugleich von jeder früheren kommunistischen Aktivität klar distanzierte.128 War die Zugehörigkeit zur KPD den Behörden bekannt, führte eine falsche Auskunft zur Verweigerung der Einwanderungsgenehmigung. So hatte Rudolf Feistmann (1908–1950) keine Chance, in den USA zu bleiben. Er war als früherer Redakteur der KPD-Zeitung Unsere Zeit in Frankreich den US-Behörden bekannt und musste 1941 sofort die Weiterreise nach Mexiko antreten.129 Doch gaben sich die Stellen in der Zeit des amerikanisch-sowjetischen Bündnisses – anders als früher oder später – oft mit der Negativantwort ohne genauere Nachprüfung zufrieden. Der Jurist Friedrich Karl Kaul (1906–1981) war 1937 nach Lateinamerika emigriert. Er flüchtete von Land zu Land, bis ihn 1942 nikaraguanische Behörden an die USA auslieferten. Im Camp Kennedy in Texas war er zusammen mit deutschen Kriegsgefangenen interniert. Wenngleich er aus dem eigentlichen Rahmen dieses Buches somit herausfällt, verdient er doch Erwähnung, nicht zuletzt deshalb, weil er als renommierter Strafverteidiger und Buchautor in der DDR auch

127 Hacke wollte nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehren, wie ein Brief seines früheren SAP-Genossem Klaus Zweiling, der nun der SED angehörte, verdeutlichte, doch wurde weder aus den Rückkehrplänen etwas, noch trat Hacke in den USA der KP bei. Vgl. ebd., DY 30/IV 2/11/255, Bl. 157: Klaus Zweiling, Chefredakteur der „Einheit“, an Paul Merker, Brief vom 31. Oktober 1946. 128 Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Schriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart/Weimar 1995, zitiert (ebd., S. 297) aus der Befragung Hans Marchwitzas durch den Immigration and Naturalization Service (INS), die amerikanische Einwanderungsstelle: „Were you ever a member of the Communist party? ... In your writings have you advocated the Communist form of government? ... Were you ever in Russia? ... Were you a member of the Loyalist warring?“ Die letztere Frage bezog sich auf die Unterstützung der republikanischen („Loyalist“) Seite im Spanischen Bürgerkrieg. 129 Vgl. zu ihm Kießling, Partner im „Narrenparadies“, S. 263–275.

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über den „Fall“ Watergate, Richard Nixons criminal case und seinen Sturz, in einer Weise schrieb, wie er es ohne Kenntnis der USA kaum getan hätte.130 Dies trifft noch mehr auf Franz Loeser (1924–1990) zu. Der spätere Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität, geboren in Breslau, gelangte 1938 mit einem Kindertransport nach England. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er in der britischen Armee. Ab 1947 arbeitete er in den USA als Hilfskraft an einem Forschungsprojekt für radioaktive Isotope mit und finanzierte so sein Philosophiestudium an der University of Minnesota. Als Kommunist wurde er jedoch 1951 aus den USA ausgewiesen, ging zurück nach England und kam 1957 in die DDR. Loesers zahlreiche Publikationen sollten das USA-Bild im parteioffiziellen Sinn in der DDR mitbestimmen, doch ließ sich der eigenwillige Kopf nicht auf Dauer disziplinieren.131 Jeder dieser Lebensläufe, so sehr sich manche ihrer äußeren Stationen ähnelten, war unverwechselbar.132 Jede Biographie ist nach den 1933 zerstörten Lebens-

130 Vgl. Friedrich Karl Kaul, Watergate. Ein Menetekel für die USA, Berlin [DDR] 1976. Vgl. zu Kaul Annette Rosskopf, Friedrich Karl Kaul. Anwalt im geeinten Deutschland (1906–1981), Berlin 2002. 131 Vgl. zu Loeser dessen Autobiographie: Die Abenteuer eines Emigranten. Erinnerungen, Berlin [DDR] 1980, sowie die „westliche Variante“ nach seiner Flucht aus der DDR im Jahre 1983: Sag nie du gehst den letzten Weg. Ein deutsches Leben, Köln 1986. 132 Außerhalb des hier behandelten Personenkreises stehen zwei weitere deutsche Kommunisten in den USA: der Physiker Klaus Fuchs (1911–1988) und der NKWD-Offizier Joseph Gutsche (1895–1964). Der später als „Atomspion“ für die Sowjetunion bekannt gewordene Fuchs kam nicht als Exilant in die USA, sondern als britischer Staatsbürger. Vgl. Robert Chadwell Williams, Klaus Fuchs, Atom Spy, Cambridge (Massachusetts) 1987, und Ronald Friedmann, Klaus Fuchs. Der Mann, der kein Spion war, Rostock 2005. – In den nichtöffentlichen Erinnerungen von Josef Gutsche, der ab 1942 für die INO, den Auslandsgeheimdienst des NKVD/NKWD, in den USA arbeitete, findet sich der Hinweis, dass ihm Kurt Rosenfeld bei der Verlängerung seines lettischen Passes behilflich war. Er nahm auch Kontakte zu Arthur Rosenberg auf, der inzwischen am Brooklyn College Alte Geschichte lehrte. Doch lehnte Rosenberg eine geheimdienstliche Zusammenarbeit ab. BStU, ZA, HA IX/11, Bd. 286 (GVS MfS 014 – 460/86): Erinnerungen Joseph Gutsche (auch enthalten in: SAPMO-BArch, dort unter der Signatur SgY 30/0328, Bd. 1). Gutsche arbeitete in den USA zusammen mit dem als Funker ausgebildeten Walter Schuh, ging dann in die Sowjetunion zurück und war zusammen mit seinem Sohn Rudolf bei sowjetischen Partisaneneinheiten eingesetzt. Später leitete er im DDR-Ministerium für Staatssicherheit, dem MfS, die Abteilung zur besonderen Verwendung (d. h. Untergrundaktivitäten) in der Bundesrepublik. Vgl. Helmut Müller-Enbergs u. a. (Hg.), Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon, Bonn 2001, S. 295. INO: Innostrannyi otdel (Auslandsabteilung), NKVD/NKWD: Narodnyi kommissariat vnutrennich del (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten).

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entwürfen zu befragen, jeder Exilant und jede Exilantin musste mit unvorhersehbaren Schwierigkeiten fertig werden, bevor die USA erreicht wurden.133

Chancen und Probleme der Erwerbsarbeit Bevor die hier in Rede stehenden Personen überhaupt daran denken konnten, im Rahmen des deutschsprachigen Exils oder in der amerikanischen Öffentlichkeit politisch-publizistisch zu wirken, mussten sie beruflich Fuß fassen. Dies war, bei allen gravierenden individuellen Unterschieden, für alle mit dem Problem verbunden, die englische Sprache zu meistern, um überhaupt den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Einige sprachen Englisch jedoch schon bei der Ankunft fließend: Karola Bloch, Hermann Budzislawski, Käte Duncker, Gerhart und Hanns Eisler, Henryk Grossmann, Elisabeth Hauptmann sowie Eva und Julius Lips. Für manche waren die sprachlichen Anfangsschwierigkeiten beträchtlich. Was über Lion Feuchtwanger berichtet wird, galt für die meisten der Älteren: Hitler, so Feuchtwanger, habe ihm alles nehmen können, nur nicht den deutschen Akzent.134 Nicht nur bei Ernst Bloch oder Bertolt Brecht blieb stets das Herkunftsland unüberhörbar. Jedoch wuchsen die jüngeren Jahrgänge, die ab etwa 1912 Geborenen, ins (amerikanische) Englisch fast problemlos hinein. Der Historiker Walter Laqueur hat die deutschen Flüchtlinge der Geburtsjahrgänge ab 1914 (bis ca. 1928) als „Generation Exodus“ bezeichnet: Sie waren alt genug, um in der deutschen Kultur erste, oft lebensentscheidende Prägungen zu erfahren, doch jung genug, um problemlos Amerikaner zu werden.135 Von ihnen kehrte kaum jemand auf Dauer nach Deutschland zurück, und noch weniger traf dies für die nach 1928 Geborenen zu. Mit Ausnahme von Lore Krüger (Jahrgang 1914) sowie Alfred (Jahrgang 1915) und Ursula (Jahrgang 133 Unberücksichtigt bleiben die österreichischen Kommunisten, die sich im US-Exil nicht der KPD anschlossen, sondern die eigenständige Rolle der österreichischen Exil-KP betonten. Vgl. Simon Loidl, Eine spürbare Kraft. Österreichische Kommunistinnen und Kommunisten im US-amerikanischen Exil (1938–1945), Wien 2015. 134 Dies nach Helmut F. Pfanner, Exile in New York. German and Austrian Writers after 1933, Detroit 1983, S. 95. 135 Walter Laqueur, Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Seebohm, Berlin 2001. Der englische Originaltitel Generation Exodus trifft Laqueurs Intentionen besser als die deutsche Übersetzung. Der aus Breslau stammende Laqueur (1921–2018) gehörte selbst zu der von ihm porträtierten Gruppe. Seine biographischen Erfahrungen flossen in dieses Buch ein.

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1916) Katzenstein gehörte niemand aus dem Kreis der kommunistischen Remigranten zu der von Laqueur so definierten Generation; der 1913 geborene Stefan Heym ist jedoch ein Grenzfall – und ein herausragendes Beispiel für den Akkulturationsprozess eines ursprünglich deutschsprachigen Schriftstellers an die Welt der nordamerikanischen Literatur, bis Heym die USA wieder verlassen musste. Doch auch danach blieb er ein zweisprachiger Autor, der wesentliche seiner Werke zuerst in englischer Sprache schrieb und sie dann zum Teil selbst ins Deutsche übertrug. Vielen Flüchtlingen fiel jedoch die Umstellung auf die englische Sprache schwer. Hans Marchwitza blieb in der Sprache lange und wohl auf Dauer unsicher, wohingegen seine Frau Hilde Englisch sehr bald nicht nur sprach sondern auch flüssig schrieb (wie sich überhaupt die Frauen oft als sprachfleißig zeigten).136 Es ist somit keineswegs nur, wenngleich auch der Verpflichtung gegenüber der KPD geschuldet, dass fast alle der hier Untersuchten ihre Zeit in den USA als nur temporär verstanden, mit dem „Blick auf Deutschland“ sprachen und schrieben und eine rasche Rückkehr anstrebten. Ihr Akzent ließ die älteren Flüchtlinge oft unsicher wirken (obwohl sie damit in einer Einwanderergesellschaft wie den USA keineswegs allein standen). Ihre Kinder, so sie alt genug zur selbständigen Entscheidungsfindung waren wie Bertolt Brechts Sohn oder eine Tochter Albert Schreiners, blieben indes oft in den USA. Der Start in ein neues Leben war für niemanden einfach. Der Markt der USA verlangte jedoch ab Ende 1941 Arbeitskräfte für die schnell expandierende Rüstungsindustrie. So fand der Metallarbeiter Albert Schreiner rasch eine Anstellung im erlernten Beruf. Er arbeitete später auch als Juwelier bzw. Gold- und Silberschmied. Als Industriearbeiter waren auch Philipp Daub, Adolf Deter, Ernst Krüger, Hans Marchwitza, Albert Norden, Jacob Walcher und Alfred Zahn tätig; Norden und Deter als angelernte Mechaniker in einer Fabrik zur Herstellung von Radioapparaten.137 Zeitweilig arbeiteten als Ungelernte auch Maximilian Scheer, Walther Victor und der Werkstudent Karl Obermann in verschiedenen Betrieben, zumeist im Großraum von New York, doch fand Scheer bald eine Anstellung bei der Overseas News Agency, bei der auch Hermann Budzislawski arbeitete. Nicht immer ist die berufliche Tätigkeit ihrer Ehefrauen überliefert, doch darf man annehmen, dass diese zumeist in ungelernten Berufen, oft in der Kinder- oder Altenpflege einen guten Teil zum Lebensunterhalt der Familien beisteuerten. So 136 Marchwitza lebte mit Hilde Schottlaender und ihren Kindern seit 1942 zusammen, die standesamtliche Heirat erfolgte jedoch erst 1945. Vgl. Ilberg, Hans Marchwitza, S. 79. 137 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5427, Bl. 163: Kaderabteilung Albert Norden, Lebenslauf vom 4. März 1951. Nach zwei Jahren arbeitete Norden, laut einem Lebenslauf vom 29. November 1949, dann in Manhatten „am elektrischen Hammer.“ Ebd., Bl. 184.

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arbeitete Herta Norden als Hausgehilfin und später in einer zahntechnischen Werkstatt.138 Nur wenige hatten das Glück, mindestens eine Zeitlang in ihrem Beruf zu arbeiten wie die Architektin Karola Bloch. Ein Auskommen im Beruf erlangten auch die Mediziner, wenngleich erst nach Überwindung einer hohen Hürde: Sie mussten ihre im Ausland absolvierten Examina unter strengen Auflagen wiederholen, da die entsprechenden Zertifikate von den Ärztekammern in den USA seit 1936 in aller Regel nicht anerkannt wurden.139 Doch hatten sie wenigstens den Vorteil, dass das berufliche Vokabular im Englischen wie im Deutschen auf dem Lateinischen basierte, sie also in den USA hier nicht beim Punkte Null starteten. In New York fanden Henrietta Begum, Walter Friedeberger, Margarete Bechhöfer (später Boenheim) und Felix Boenheim Arbeit im Arztberuf.140 Walter Friedeberger konnte im Carnegie Research Laboratory seine Forschungstätigkeit in der angewandten Krebsforschung fortsetzen, die durch jüdische Hilfsorganisationen mitfinanziert wurde.141 Ingeborg Syllm (später Rapoport) ging, nachdem sie am Women’s Medical College in Philadelphia promoviert worden war, nach Ohio, zuerst nach Akron und dann nach Cincinnati. Am dortigen Kinderkrankenhaus, das über eine bedeutende Forschungsabteilung verfügte, lernte sie ihren künftigen Ehemann Samuel Mitja Rapoport kennen. Dieser erwarb nach seiner Wiener Promotion von 1933 ein zweites medizinisches Doktorat und begann seine Forschungen zur Blutkonservierung. Seine Forschungsergebnisse über die Aufrechterhaltung eines ausreichenden ATP-Gehalts für die Überlebensfähigkeit der roten Blutkörper, der Erythrozyten, wurden bahnbrechend für die Verbesserung der Konservierung des Blutes. Dies ermöglichte die längere Haltbarkeit von Blutbank-Reserven zur besseren medizinischen Versorgung verwundeter Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Dafür sollte Rapoport von Präsident Harry Truman mit dem Certificate of Merit, der höchsten Aus138 Vgl. Podewin, Albert Norden, S. 168. 139 Seit dem Mai 1943 kam verschärfend hinzu, dass die American Medical Association ärztliche Zulassungen nur noch an US-Staatsbürger erteilte. Vgl. Pfanner, Exile in New York, S. 78 f., und Eric D. Kohler, Relicensing Central European Refugee Physicians in the United States, 1933–1945, Museum of Tolerance Online, http://motlc.wiesenthal. com/site/pp.asp?c=gvKVLcMVIuG&b=395145. 140 So leitete Margarete Bechhöfer ab 1938 Sexualberatungsstellen in Harlem und der Bronx, nachdem sie zum 31. März 1937 ihre Zulassung von der Ärtzekammer erhalten hatte. Vgl. die Dokumente in: Stiftung Jüdisches Museum, Berlin: Sammlung Familien Boenheim/Bechhöfer, L-2016/1/170-171. Sie und ihr Mann waren am 18. März 1940 USStaatsbürger geworden. Vgl. ebd., L-2016/1/106. 141 Vgl. Bundesarchiv Berlin (BArch), Abteilung Berlin, Bestand DC 20/7874: PA Walter Friedeberger, Lebenslauf vom 4. Juni 1947, Bl. 1–7.

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zeichnung der USA für Zivilpersonen, geehrt werden, was den erzwungenen Weggang des Kommunisten, der wie seine Frau eine dauerhafte Bleibe in den USA gewollt hatte, letztlich nicht verhinderte.142 Albert Wollenberger hatte 1933 sein Medizinstudium in Berlin ohne die Promotion abbrechen müssen. Am 28. Februar dieses Jahres musste der bekannte kommunistische Student fluchtartig Berlin verlassen. Er ging in die Schweiz, später nach Frankreich und Dänemark. Dort fand er Arbeit unter anderem als Lieferwagenfahrer für eine Likörfabrik. 1935/36 schickte ihn die KPD zwischenzeitlich zur illegalen Arbeit zurück nach Berlin. 1937 gelang ihm die (mit der Partei abgesprochene) Emigration in die USA mit Hilfe seiner Tante Helene Dukas, der Sekretärin Albert Einsteins, die für ihn das Affidavit besorgte.143 Drei Jahre später konnte er sein Studium an der Harvard University wieder aufnehmen und 1945 abschließen, wobei die beiden Nobelpreisträger George Wald und Fritz Lippmann seine wichtigsten Lehrer waren. Wollenberger spezialisierte sich auf die Biochemie des Herzens und speziell zunächst auf die Wirkung von Herzglykosiden, einer Gruppe von Medikamenten, für den Energiestoffwechsel des geschädigten Herzens. Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit waren die Forschungen zu Mangeldurchblutungen des Herzens sowie zu Ursachen und Folgen der Herzhypertrophie, der Vergrößerung des Herzens.144 Wissenschaftlich tätig, jedoch auf gänzlich anderen Gebieten, waren auch das Ethnologen-Ehepaar Julius und Eva Lips sowie der Wirtschaftswissenschaftler Henryk Grossmann. Nach dem Verlust seiner Kölner Professur fand Julius Lips 1934 in dem aus Deutschland stammenden, doch seit Jahrzehnten in den USA lebenden und lehrenden Franz Boas, dem wohl berühmtesten Ethnologen seiner Zeit, Unterstützung. Boas konnte Lips zunächst einen befristeten Forschungsauftrag an seiner Alma mater, der Columbia University in New York, aber keine dauerhafte Anstel-

142 Er sei ein „nicht unterdrückbarer revolutionärer Geist“ schrieb Rapoport in einem kurzen Grußwort an einen Kongress in Wien 2003, und deshalb habe er die USA, wo er gern geblieben wäre, wieder verlassen müssen. Samuel M. Rapoport, Die Erfahrungen des Exils, in: Trans. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 15 (November 2003), http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/rapoportl15DE.htm. 143 Vgl. Annette Leo, Seine Universitäten. Die Lehr- und Wanderjahre des Kommunisten und Wissenschaftlers Albert Wollenberger. Mit Fotos von Gerhard Kiesling, in: Neue Berliner Illustrierte (NBI), Nr. 22/1984, S. 27–31. 144 Vgl. Krause, Nachruf auf Prof. Dr. Albert Wollenberger, S. 1153 f.

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lung verschaffen.145 Eine Anstellung an der „schwarzen“ Fisk University in Nashville schlug ebenfalls fehl, doch von 1937 bis 1939 war Lips Leiter des Instituts für Anthropologie an der Washingtoner Howard University – zunächst probeweise. Er fand jedoch keinen „Draht“ zu einigen seiner Kollegen und ging 1939 im Streit.146 Bis 1938 konnte Lips noch Reisen zu Kongressen nach Europa und eine Forschungsreise nach Kanada unternehmen; Gelegenheiten, die sonst kaum einem Exilanten offenstanden. Publikationsmöglichkeiten erhielt er unter anderem durch Boas, Karl Barth und sogar Thomas Mann. Auch an Emil Julius Gumbels Sammelbuch Freie Wissenschaft beteiligte er sich.147. Ab 1940 lehrte Lips an der New School for Social Research in New York. 1942 wurden Eva und Julius Lips Staatsbürger der USA.148 Um die Reise nach New York für sich und seine Frau zu finanzieren, erbat und erhielt Julius Lips 1934 vom Londoner Verlag Dickson einen Vorschuss auf ein Buch, das 1937 unter dem Titel The Savage Hits Back, Or the White Man Through Native Eyes erschien. Das noch in Deutschland begonnene Buch zeigte, wie schwarze bildende Künstler den herrschenden visuellen Stereotypen über „Neger“ in Gemälde und Plastik entgegenzutreten suchten. Das Buch war eine Pionierarbeit: Lips zeigte darin, wie künstlerischen Befreiungsakten soziale Emanzipationsprozesse zugrunde lagen und selbst Teil solcher Emanzipationsprozesse wer145 Vgl. New York Public Library, Manuscript and Archives Division, Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, MssCol 922, Box 21, Folder 219: Lips, Julius E. (im Folgenden: Akte Lips): Franz Boas an St. P. Duggan, Brief vom 26. Februar 1935. 146 Vgl. ebenda den Briefwechsel zwischen Mordechai W. Johnson, Präsident der Howard University, und John Whyte vom Emergency Committee, Akte Lips, Briefe vom 23. und 30. November, 3. und 5. Dezember 1936 sowie 21. März 1938 und weitere Korrespondenzen. Gabrielle Simon Edgecomb, Fram Swastika to Jim Crow. Refugee Scholars at Black Colleges, Malabar (Florida) 1993, S. 110 ff., vermutet den Grund für die Zerwürfnisse in Lips’ komplizierter Persönlichkeit, doch schildern ihn andere Stimmen, so E. R. Murrow in einem Brief an Thomas Jones, dem Präsidenten der Fisk University, vom 20. März 1935 (Akte Lips), als „a very pleasant, likeable sort of fellow.“ 147 Vgl. aus einer Vielzahl von Publikationen Julius Lips, Government, in: Franz Boas (Hg.), General Anthropoloy, Boston 1938, S. 487–534; Karl Barth/Julius Lips (Hg.), The Church and the Political Problem of Our Day, London 1939; Julius Lips, Weißer Mann, wohin?, in: Maß und Wert, hg. von Thomas Mann und Konrad Falke, 6, 1938, Nr. 3, S. 885–914; ders., Öffentliche Meinung und gegenseitige Hilfe bei den Indianern in Labrador, in: Emil Julius Gumbel (Hg.), Freie Wissenschaft. Ein Sammelbuch aus der deutschen Emigration, Strasbourg 1938, S. 125–140. 148 Lips erhielt vom Emergency Committee 1934–1939 und dann noch einmal 1943–44 Stipendien. Vgl. Akte Lips (zu den Lebensumständen und Problemen der akademischen Verankerung).

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den konnten.149 Mit dem Buch Tents in the Wilderness. The Story of a Labrador Indian Boy, das 1942 erschien, zeigte sich Julius Lips, wiederum unterstützt von seiner Frau Eva, auch als befähigter Jugendbuch-Autor.150 Eva Lips, die 1933 ihr Studium hatte abbrechen müssen, wurde noch ohne akademischen Grad zur kongenialen Mitarbeiterin ihres Mannes. Beide unternahmen zusammen die Forschungsreisen nach Kanada und schließlich noch 1947 in den Norden Minnesotas zu den Chippewa und nach South Dakota zu den Sioux. Eva Lips wurde zu einer Spezialistin der Gesellschaften nordamerikanischer Ureinwohner, deren Sprachen sie zum Teil sehr gut zu beherrschen lernte. 1942 erschien ihre autobiographische Schilderung Rebirth in Liberty, fünf Jahre darauf war sie am Hauptwerk ihres Mannes, The Origins of Things, mitbeteiligt, dessen deutsche Ausgabe sie edierte.151 Nach ihrer Rückkehr in die DDR sollte sie eine bedeutende Forscherin eigenen Rechts werden. Henryk Grossmann blieb auch in New York Mitarbeiter des Institute of Social Research, wie sich das ehemalige Frankfurter Institut für Sozialforschung nun nannte. In einer Reihe teils unpubliziert gebliebener Arbeiten verteidigte und präzisierte er die Thesen seines 1929 publizierten Hauptwerkes über Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des Kapitalismus, das den von Marx herausgearbeiteten Gedanken des tendenziellen Falls der Profitrate im Kapitalismus auf eine empirisch sichere Basis anhand aktueller Wirtschaftsentwicklungen zu stellen suchte – und wie schon Fritz Sternberg in der Weimarer Republik kritisierten seine Kollegen, dass Grossmann die kollektiv-psychologische Disposition der Arbeiter unter dem Kapitalismus ausblende und diesen als rein ökonomisches System auffasse. Noch mehr isolierte sich Grossmann im Institut jedoch durch seine immer stärkere Rechtfertigung der Politik der Sowjetunion schon vor dem deutschen Überfall am 22. Juni 1941.152 Noch am Rande der Wissenschaft verblieb ein anderer damals stark prosowjetischer Autor: Ernst Bloch. 149 Das Buch erschien erst 1983 auf Deutsch in Leipzig und ein Jahr darauf in München. Vgl. Julius Lips, Der Weiße im Spiegel der Farbigen, Leipzig 1983, München 1984. 150 Das Buch erschien 1942 in einer US-Ausgabe, der 1944 eine Londoner Ausgabe folgte. Julius Lips nahm die deutsche Übersetzung selbst vor, und so konnte Zelte in der Wildnis. Indianerleben in Labrador in zwei unterschiedlich illustrierten Ausgaben 1946 in Wien und 1947 in Zürich erscheinen. Ausgaben für die Bundesrepublik erschienen 1958 und 1974 in Frankfurt a. M., eine dänische Übersetzung 1960 und erst 1968 in Leipzig die DDR-Ausgabe, der mehrere Nachauflagen folgten. Vgl. weiter auch Fuss Philips, German Children and Youth Literature in Exile, S. 141 f. 151 Julius Lips, Vom Ursprung der Dinge. Eine Kulturgeschichte des Menschen, hg. von Eva Lips, Leipzig 1951. 152 Vgl. Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, S. 161 ff.

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Nach der Ankunft in den USA im März 1939 fand sich Ernst Bloch bald in einer mehrfachen Isolierung: Zunächst konnte er kein Englisch. Es kostete ihn Jahre, bis er mit der Sprache soweit zurechtkam, dass er in Cambridge (Massachusetts) einige Kurse an einer Art Volkshochschule abhalten konnte.153 Als Philosoph fand Bloch mit seinen Arbeiten, von denen keine auf Englisch vorlag, keinen Anschluss an die amerikanischen intellektuellen Diskussionen oder gar Einlass in das dortige Wissenschaftssystem. Seine in der Weimarer Republik erschienenen Bücher Geist der Utopie, Thomas Münzer als Theologe der Revolution und Spuren waren in den USA bestenfalls einer Handvoll Spezialisten bekannt, und die im deutschen Exil geführte Debatte über sein Werk Erbschaft dieser Zeit, so mit dem Philosophen Hans Günther, einem späteren Opfer Stalins in Moskau, hatten keinerlei Echo in den USA ausgelöst.154 Schon in Prag war Bloch in eine politische Isolierung geraten, genauer: Er hatte sich vom nichtstalinistischen Teil des linken Exils entfremdet, also von dem Teil, der nicht nur im historischen Rückblick dem Begriff „Links“ überhaupt einen positiven Sinn gibt. In mehreren Artikeln hatte er in der Weltbühne die Stalinschen Schauprozesse in Moskau verteidigt.155 Dies führte zum Bruch seiner Freundschaft mit Theodor Adorno und in der Folgezeit zum völligen Abbruch der Kontakte des Institute of Social Research zu Bloch. Dass Ernst Bloch in den USA als Tellerwäscher arbeitete, ist eine oft kolportierte Legende, aber er wäre in der Tat an den alltäglichen Dingen eines schwierigen Exils gescheitert, hätte er nicht seine Frau Karola an seiner Seite gehabt. Sie hielt ihm den Rücken frei, damit er in der Abgeschiedenheit der Cambridge Public Library seine Studien über Avicenna und über Hegel, vor allem aber sein Hauptwerk niederschreiben konnte, das zunächst den Titel „Träume vom aufrechten Gang“ tragen, dann aber als Das Prinzip Hoffnung Ernst Blochs Namen dauerhaft in der Philosophiegeschichte verankern sollte. 153 Vgl. zu Blochs amerikanischen Jahren u. a. Arno Münster, Ernst Bloch. Eine politische Biographie, Hamburg 2012, S. 219–256. 154 Vgl. Hans Günther, Der Herren eigener Geist. Die Ideologie des Nationalsozialismus, hg. von Simone Barck und Werner Röhr, Berlin [DDR] 1983. Dies ist die um weitere Arbeiten und Dokumente erweiterte Neuausgabe des 1935 in Moskau unter diesem Titel erschienenen Buchs Günthers. Die Neuausgabe enthält auch eine ausführliche Kritik Günthers an Blochs Buch Erbschaft dieser Zeit, auf deren Inhalt hier nicht eingegangen werden kann. Vgl. ausführlich auch Münster, Ernst Bloch, S. 179–192. 155 Die Aufsätze veröffentliche Bloch 1972 erneut in einem Sammelband als Zeichen seines schweren politischen Irrtums, zu dem er sich unumwunden bekannte. Vgl. Ernst Bloch, Vom Hasard zur Katastrophe. Politische Aufsätze von 1934 bis 1939. Mit einem Nachwort von Oskar Negt, Frankfurt a. M. 1972 (darin auch: Bucharins Schlusswort, S. 351– 359).

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Karola Bloch war bedeutend lebenspraktischer als ihr Mann. Eine bislang verschwiegene Seite ihres uneigennützigen Wesens machte sie erstmals in ihrer Autobiographie 1981 deutlich, als sie zumindest andeutete, in welcher Weise sie 1934 von Zürich aus am illegalen Widerstand gegen das Nazi-Regime mitgewirkt hatte. Im sowjetischen Geheimauftrag war sie damals unter falschem Namen mehrmals zwischen der Schweiz und Deutschland hin- und hergereist, um illegal tätigen KPD-Genossen Nachrichten zu übermitteln und sie gegebenenfalls mit gefälschten Pässen auszustatten, die ihnen die Flucht ermöglichten.156 Die aus einer polnisch-jüdischen Fabrikantenfamilie157 stammende Karola Bloch wusste, wie man zupacken kann: Mit manueller Arbeit sicherte sie den Lebensunterhalt der Familie, bevor sie dies als Sprachlehrerin und schließlich im erlernten Beruf als Architektin tun konnte. Ihr ganzer Stolz war ihr einziges Haus, das sie in der Nähe von New York bauen konnte: ein Wohnhaus für den Germanisten Harry Slochower. Dieser sollte 1952 seine Professur am Brooklyn College in New York wegen ihm unterstellter kommunistischer „subversiver“ Aktivitäten verlieren.158 Wie Ernst Bloch hing auch Hermann Duncker, der bereits hochgradig sehschwach war, ganz von der Unterstützung durch seine Frau ab. Hinter Käte und Hermann Duncker lagen schlimme Erfahrungen nicht nur mit dem Nazismus, der sie im höheren Alter in die Flucht getrieben hatte, sondern auch mit dem Stalinismus. Das Wiedersehen der Dunckers war im September 1941 in New York ein trauriges Wiedersehen: Sie mussten den Verlust ihres ältesten Sohnes Karl betrauern, vom jüngeren Sohn Wolfgang wussten sie, dass er in Stalins Lager festsaß. Ihre Tochter Hedwig lebte – und überlebte – als Kind prominenter KPD-Mitglieder stets in Gefahr schwebend, in Berlin. Karl Duncker (1903–1940), der älteste Sohn der Familie, hatte in Berlin Psychologie studiert und nach seiner Promotion noch bis 1935 am dann von den Nationalsozialisten aufgelösten Psychologischen Institut unter Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Kurt Koffka, den Wegbereitern der Gestaltpsychologie, 156 Vgl. K. Bloch, Aus meinem Leben, S. 101–103. 157 Auch als überzeugte Kommunistin, die Karola Bloch ihr Leben lang blieb, trat sie nicht (wie die offizielle Formulierung lautete) aus dem Judentum aus: Ihren Mann heiratete sie 1934 nicht nur standesamtlich, sondern auch in der Synagoge. Vgl. Arno Münster, Ernst Bloch, S. 72; Hendrik Niether, Leipziger Juden und die DDR. Eine Existenzerfahrung im Kalten Krieg, Göttingen 2015, S. 47. 158 Vgl. Murray M. Horowitz, Brooklyn College. The First Half-Century, New York 1981, S. 113; Glenn Fowler, Harry Slochower, 90, Professor; Lost Job in Communism Inquiry, in: The New York Times, 14. Mai 1991.

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arbeiten können. Die Habilitation wurde ihm jedoch im „Dritten Reich“ verwehrt. Über England gelangte Karl Duncker an das Swarthmore College nach Pennsylvania, wo sein Lehrer Wolfgang Köhler inzwischen arbeitete. Seine Mutter zog nach ihrer Ankunft in den USA in seine Nähe. Karl Duncker litt seit Längerem unter schweren Depressionen, und obgleich seine Mutter wie sein Lehrer ihm stets zur Seite standen, nahm er sich – kurz nach seinem 37. Geburtstag und kurz nach seiner Berufung auf eine Vollprofessur – am 23. Februar 1940 das Leben.159 „Mein liebster Hermann! Es ist alles zu Ende“, schrieb Käte Duncker ihrem Mann am 24. Februar. „Karl hat gestern früh die Farm verlassen und hat sich unterwegs in seinem Wagen erschossen! Wir hätten ihn nicht allein lassen dürfen – aber er wollte mich ja absolut nicht mithaben.160 [...] Man ist lieb zu mir. Aber alles in mir ist tot und leer. Ich habe diesen Jungen zu sehr geliebt – vielleicht war das auch nicht gut für ihn. Und für mich ist alles zu Ende. Wer weiß, ob Wolf noch lebt und ob er, wenn er wirklich freikommt, dann nicht ein gebrochener Mensch ist. Und Hedwig? [...] Lebwohl, Lieber. Ich kann jetzt nur noch bis zur Abwicklung von Karls Angelegenheiten denken. Weiter nicht. Da ist nirgends mehr Zukunft, es sei denn, ich könnte meine Rechnung mit Hitler oder Stalin begleichen – sie haben mir das Lebensziel in den Schmutz getreten – sie haben mir auch die Söhne genommen.“161 Hermann Duncker befürchtete, seine Frau werde Selbstmord begehen. „O Du Herzliebste, O Du Ärmste!“, schrieb er ihr aus Paris, „was hast Du zu leiden. Ich beschwöre Dich, bleib aufrecht, bleib uns erhalten. Du hast meinen Lebensfaden nun fest in Deiner Hand – ich will nicht von Dir gehen, aber Du darfst auch nicht von mir gehen.“162 Karl Dunckers jüngerer Bruder Wolfgang (1909–1942) war bereits als Berliner Gymnasiast in der Weimarer Republik politisch aktiv, so als Redakteur des viel gelesenen Schulkampf, einer der KPD nahestehenden Schülerzeitschrift.163 Im

159 Vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 176. Vgl. zu Karl Duncker, dessen Arbeiten in den USA seit den letzten Jahren wieder zunehmend rezipiert werden, Hans-Jürgen Walther, „Man kann einen Unterschied nicht töten“ – zum 100. Geburtstag von Karl Duncker, in: Gestalt Theory 25, 2003, Nr. 12, S. 7–52; D. Brett King/Michaelle Cox/Michael Wertheimer, Karl Duncker: Productive Problems with Beautiful Solutions, ebd., S. 95–110. 160 Käte Duncker war nach Washington gereist, um in der sowjetischen Botschaft Einfluss auf das Schicksal ihres jüngeren Sohnes Wolfgang nehmen zu können. 161 Duncker-Briefwechsel, S. 512 f.: Käte an Hermann Duncker, 24. Februar 1940. Hervorhebung im Original. 162 Ebd., S. 513: Hermann an Käte Duncker, 4./5. März 1940. 163 Zu den juvenilen Autoren dieser Zeitschrift gehörte eine Reihe später bekannt oder berühmt gewordener Wissenschaftler, darunter die künftigen Historiker Erich Hobsbaum

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September 1935 gelangte er, nachdem er sein Sprachenstudium an der Berliner Universität abbrechen musste, mit seiner Frau Erika nach mehreren Versuchen, im Westen Fuß zu fassen, in die Sowjetunion. Mit Unterstützung Wilhelm Piecks fand er Arbeit als Hilfsregisseur bei der Filmgesellschaft Meshrabpom, die in Willi Münzenbergs internationales Verlags- und Vertriebsnetz eingebunden war. Seine von ihm betriebene Einbürgerung in die Sowjetunion verzögerte sich jedoch ein um das andere Mal bis 1938, und er wurde nicht von der KPD in die KPdSU übernommen. Als ruchbar wurde, dass Erikas Bruder Frank Weiss sich in der Schweiz einer trotzkistischen Gruppe angeschlossen hatte, griff die Sippenhaft: Am 23. März 1938 wurde zwar nicht Erika, doch ihr Mann Wolfgang Duncker verhaftet. Er wurde zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt und nach Workuta im Nordural verbannt. Dort starb er am 20. November 1942 an Entkräftung. Seine Eltern sollten erst viele Jahre später das genaue Todesdatum erfahren.164 Dass das Bangen um Wolfgangs Schicksal dazu beitrug, Karls Leben auf tragische Weise zu verkürzen, darf angenommen werden, doch auch die Eltern wurden von all dem psychisch wie physisch in schwere Mitleidenschaft gezogen. Während der kranke Hermann Duncker noch in Frankreich festsaß, richteten Käte und Karl Duncker in den USA immer wieder verzweifelte Hilferufe an Intellektuelle und Sozialisten. Eine in Massachusetts lebende Freundin schrieb an Käte Duncker: „Ich kenne einige hiesige Professoren, die öfters in Russland sind, und ich will gern versuchen, mich mit diesen Herren in Verbindung zu setzen.“165 Wenige Tage später musste sie traurig festhalten, „dass im Augenblick die Verhältnisse in Russland so sind, dass auch meine Freunde, auf die ich rechnete, keinen Versuch unternehmen können, um nach ihrem Sohn zu forschen.“166 Ein Bekannter riet Käte Duncker, sich an das sowjetische Staatsoberhaupt Michail Kalinin und den Volkskommissar für Inneres, Lawrentii Berija, zu wen-

(Eric J. Hobsbawm), Franz Carsten (Francis L. Carsten) und Wolfgang Ruge sowie die Agrarökonomen Nathan Steinberger und Theodor Bergmann. 164 Vgl. Keßler/Deutschland, Hermann Duncker (darin: Mario Keßler, Hermann Duncker (1874–1960): Ein Beitrag zu seiner Biographie, S. 1–30); Carola Tischler, Familie Duncker. Der Mut der Frauen, in: Wladislaw Hedeler/Inge Münz-Koenen (Hg.), „Ich kam als Gast in euer Land gereist ...“ Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933–1956, Berlin 2013, S. 14–21; dies., Mersus. Der Filmkritiker Wolfgang Duncker, München 2007 (mit zahlreichen seiner Filmkritiken). 165 SAPMO-BArch, Bestand Hermann Duncker, NY 4445/295, Bl. 32: Else BrandströmUlicky an Kate Duncker, Brief vom 14. November 1939. 166 Ebd., Bl. 33: Else Brandström-Ulicky an Kate Duncker, Brief vom 3. Dezember 1939. Beide Briefe befinden sich auch auf der USB Card, Nr. 5085 des Duncker-Briefwechsels.

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den.167 Dem sowjetischen Botschafter in den USA, Konstantin Umanski, schrieb sie, dass die Schwiegertochter Erika ihren Mann besuchen konnte und berichten musste, wie sehr dessen Gesundheit zerrüttet war. Käte Duncker fürchtete, „dass folgender Umstand“ ihren Sohn Wolfgang „belastet hat: ich habe in den Jahren von 1925 bis 35 vielen russischen Genossen, erst in der russischen Handelsvertretung und dann in der russischen Botschaft in Berlin, deutschen Sprachunterricht erteilt. Unter meinen Schülern war auch die Frau des Botschafters Bessonoff, der später in den großen Prozess von 1938 verwickelt war.168 Ich erzählte ihr von dem Wunsch meines Sohnes, in der russischen Filmarbeit mitzuschaffen, und durch ihre Vermittlung erhielt er die erwähnte Arbeit. Auch wohnte er mit seiner Frau anfangs bei Verwandten von Frau Bessonoff. Möglicherweise ist diese Beziehung für ihn verhängnisvoll geworden.“ Käte Duncker bat Umanski, sich dafür einzusetzen, dass zumindest Wolfgangs „Ort der Gefangenschaft möglichst rasch gegen einen anderen, für sein Leben und seine Gesundheit weniger gefährlichen vertauscht werde.“ Sie verwies auf die langjährige revolutionäre Tätigkeit und das Flüchtlingsschicksal der Familie Duncker und versicherte Umanski, sie sei „unendlich dankbar, wenn Sie helfen wollten, meinen Sohn seiner Familie zurückzugeben und so der russischen Filmarbeit eine fähige und ergebene Kraft zu sichern.“169 Doch besaß Umanski nicht die Macht, Wolfgang Duncker zu helfen. Nicht einmal Komintern-Generalsekretär Georgi Dimitrow vermochte dies. Nach mehreren vergeblichen Anfragen Hermann Dunckers an die KPD-Führung in Moskau wandte sich Walter Ulbricht an Dimitrow: „Die Angelegenheit des Sohnes von Duncker wurde auf Veranlassung seiner Frau – die einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Obersten Militärgericht stellte – nachgeprüft und die Freilassung abgelehnt, weil er wegen Spionage zu 10 Jahren verurteilt sei. Wir können dies nicht nach Paris [an Hermann Duncker] mitteilen.“170

167 SAPMO-BArch, NY 4445/295, Bl. 34: Andrew Voynov an Käte Duncker, Brief vom 15. November [1939]. 168 Sergej Alexejewitsch Bessonow war u. a. Botschaftsrat in Deutschland gewesen. Er wurde im Prozess gegen Bucharin und andere am 13. März 1938 zu 15 Jahren Freiheitsentzug und am 8. September 1941 zum Tode durch Erschießen verurteilt und erschossen. 169 Ebd., Bl. 38 f.: Käte Duncker an Konstantin Umanski, Brief vom 21. Februar 1940; auch in: Duncker-Briefwechsel, S. 509. 170 Alexander Vatlin, Kaderpolitik und Säuberungen in der Komintern, in: Hermann Weber/Ulrich Mählert (Hg.), Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936–1953, Paderborn 1998, S. 85, zitiert aus einem im Russländischen Staatsarchiv der sozial-politischen Geschichte (RGASPI) befindlichen Brief Ulbrichts an Dimitrow. Dieser erklärte sich damit einverstanden.

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Zu all dem Schlimmen musste das betagte Ehepaar Duncker noch mehrmals die Strapazen eines Wohnortwechsels auf sich nehmen: Nach Karls Tod zog Käte Duncker von Swarthmore nach North Garden in Virginia. Dort fand sie auf dem Anwesen Drovers Rest beim Ehepaar Murray, deren Sohn ein Student Karl Dunckers gewesen war, Obhut.171 Nach Hermanns Ankunft in den USA fanden beide in einem Quäker-Hotel in Bryn Mawr in der Nähe von Philadelphia eine Bleibe, danach wiederum bei den Quäkern in Swarthmore (Pennsylvania). Von November 1941 bis Februar 1942 wohnten sie bei zwei älteren Quäkerinnen im Westchester County im Staate New York, danach bis Herbst 1943 bei amerikanischen Freunden in Vienna (Virginia), in der Nähe von Washington. Schließlich zogen die Dunckers nach Tuxedo Park, etwa fünfzig Meilen nördlich von New York City. Eine Bewohnerin dieses Ortes stellte auf ihrem Grundstück den Emigranten ein Haus zur Verfügung. Zuletzt mieteten die Dunckers in Kew Gardens auf Long Island eine kleine Wohnung in einem Apartment House. Ein Kreis, zu dem der schwarze Sänger Paul Robeson und ihre alten Freunde Hertha und Jacob Walcher sowie Paul Frölich und seine Partnerin Rosi Wolffstein gehörten, standen ihnen zur Seite.172 Mit ihrem Bangen um Familienmitglieder standen die Dunckers im Exil keineswegs allein. Doch war es in ihrem Fall nicht der „natürliche“ Gegner, der Faschismus, der das Leben ihrer nächsten Verwandten bedrohte, sondern die Sowjetunion, das „Vaterland aller Werktätigen.“ Natürlich ergibt sich spätestens hier die Frage, warum nur wenige deutsche Kommunisten nach dem Machtantritt Hitlers in die Sowjetunion gingen, die noch nicht vom unbegrenzten Stalin-Terror gezeichnet war. Nur diejenigen Kommunisten konnten in die Sowjetunion emigrieren, die vom ZK der KPD die Erlaubnis dazu bekamen. Dies betraf vor allem im Apparat der KPD Tätige. Die Sowjetunion war nicht an einer Masseneinwanderung ausländischer Kommunisten interessiert, da diese, ungeachtet ihrer politischen Überzeugung, den Sowjetbürgern Informationen über den Westen vermitteln konnten, die der offiziellen Propaganda widersprachen. Doch gelangten rund fünftausend deutsche Kommunisten in die UdSSR, zumeist nach Moskau, wo nur die am meisten begünstigten von ihnen im Komintern-Hotel „Lux“ unterkamen, während sich andere in äußerst beengten Wohnverhältnissen einzurichten hatten. Ihnen allen aber wurde, meist nach einer Wartezeit, Arbeit in den verschiedensten Berufen, oft in den erlernten vermittelt. Die Kinder lernten an der Karl-Marx-Oberschule und konnten, so ihre Leistung ausreichte, ein russisches Abitur ablegen. Im Gefolge der

171 Vgl. Duncker-Briefwechsel, S. 513. 172 Vgl. die Angaben ebd., S. 564. Vgl. auch Kirsch, Käte Duncker, S. 179 ff.

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Moskauer Prozesse wurde weit mehr als die Hälfte der deutschen Emigranten verhaftet, mehrere Hundert wurden mit oder ohne Prozess ermordet oder fanden den Tod in den Gefängnissen und Lagern.173 Im Hauptland des Kapitalismus ging es den Hitlerflüchtlingen trotz aller drückenden Probleme deutlich besser, jedenfalls war ihr Leben dort nicht in Gefahr. In New York waren Albert Norden, Karl Obermann und Albert Schreiner nebenberuflich als Journalisten und Publizisten tätig, Max Schroeder, Gerhart Eisler, Alfred Kantorowicz, Maximilian Scheer und Hermann Budzislawski konnten der Journalistik sogar zumindest zeitweilig hauptberuflich nachgehen. Da ihre journalistische Arbeit untrennbar mit ihren politischen Analysen verbunden war, wird diese im folgenden Kapitel besprochen. Eisler, Norden, Obermann und Schreiner bildeten neben dem Chefredakteur Schroeder den Kern der Zeitschrift The German American. Hermann Budzislawski gehörte zum Team, das für Dorothy Thompson und ihre Nachrichtenagentur Overseas News Agency (ONA) in New York politische Analysen erstellte. Er brachte sie mit einem Bekannte aus seiner Prager Zeit, dem gleichfalls nach New York emigrierten Bildhauer Maxim Knopf zusammen, den Dorothy Thompson nach ihrer Scheidung von Sinclair Lewis heiratete.174 Budzislawski wurde ihr bald eine unentbehrliche Hilfe und lebte mit seiner Familie auch zeitweise in Dorothy Thompsons Landhaus Twin Farms in Barnard (Vermont). Gerüchten, wonach Budzislawski Kommunist (und nicht Sozialdemokrat) sei, schenkte sie vorerst keinen Glauben.175 Auch Alfred Kantorowicz fasste in den USA rasch Fuß: Noch 1941 fand er in New York eine Anstellung beim Rundfunksender CBS (Columbia Broacasting System), der damals die führende Rolle in der elektronischen Unterhaltungsindustrie spielte. Seine Aufgabe in der Auslandsredaktion war das Abhören und Auswerten deutscher Rundfunksendungen. Zum zehnten Jahrestag der faschistischen Bücherverbrennung in Berlin und anderen deutschen Universitätsstädten organisierte Kantorowicz in der New York Public Library am 10. Mai 1943 eine Ausstellung der damals verbrannten Bücher.176 173 Vgl. hierzu umfassend Carola Tischler, Flucht in die Verfolgung. Deutsche Emigranten im sowjetischen Exil 1933–1945, München 1996. 174 Vgl. Peter Kurth, American Cassandra. The Life of Dorothy Thompson, Boston 1990, S. 349. 175 Vgl. ebd., S. 389 f. 176 Vgl. Alfred Kantorowicz, Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus, München 1983, S. 293. In der DDR, wurde an jedem 10. Mai, dem Datum des Autodafés, ein Tag des freien Buches begangen; eine Anregung, die auf Alfred Kantorowicz zurückzuführen ist.

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Da Kantorowicz’ Tagebücher aus seiner amerikanischen Zeit vorerst noch nicht im Nachlass öffentlich zugänglich sind,177 muss man sich mit seinen Bemerkungen, die er noch im Kalten Krieg über jene Zeit niederschrieb, zufriedengeben. Diese Bemerkungen lassen den Schluss zu, dass er sich in Roosevelts Amerika und zumal in New York mit seiner damals dort dominierenden linksliberalen Kultur recht wohlfühlte.178 „Ich hatte die vergangenen sechs Jahre in Amerika zugebracht, in einer geachteten Stellung“, erinnerte sich Kantorowicz noch 1949. „Man wusste, dass ich in all den Jahren niemals verleugnet hatte, ein unkompromisslerischer Sozialist zu sein, und dass ich den Antibolschewismus in Wort und Schrift unablässig als eine abscheuliche, todbringende Gehirnkrankheit unseres Jahrhunderts und die Drahtzieher dieser antibolschewistischen Hysterie als fluchwürdige Verbrecher verdammte; aber die, die mich von drüben [d. h. den USA] kannten, wussten auch und bezeugten es, dass ich aufrichtig war, wenn ich von Verständigung sprach, und dass ich zu meinen Worten stehen würde.“179 Georg Friedrich Alexan und Wieland Herzfelde arbeiteten in New York als Buchhändler und Verleger. Der rührige Alexan, der noch nicht der KPD angehörte, galt unter deutschen Exilanten als „Kulissenträger, Pressechef, Requisiteur, Organisator und Kartenbüro, Geschäftsführer und Schreiber von Briefkuverts.“180 Mit Geldern, die wahrscheinlich noch aus einem Fonds der KPD stammten, gründete er bereits 1938 in der U-Bahn-Station Sixth Avenue/42nd Street eine Buch- und Kunsthandlung, die zum Treffpunkt deutscher, meist kommunistischer Exilanten wurde, und in der Wieland Herzfelde und Max Schroeder mitarbeiteten. Neben den Intellektuellen im Umkreis der KPD warb auch der Schriftsteller Oskar Maria Graf, der sich wegen der Moskauer Prozesse von der Partei entfernt hatte, für das Geschäft. Ab 1938 war Alexan zweiter Sekretär der German American Writers Association und Mitbegründer ihres Nachfolgers, der Tribune for German Culture. Die am 7. Oktober 1938 in New York gegründete German American Writers Association (GAWA) ging auf eine Initiative des linksliberalen früheren Ullstein177 Vgl. Wolfgang Gruner, Ein Schicksal, das ich mit sehr vielen anderen geteilt habe. Alfred Kantorowicz – sein Leben und seine Zeit von 1899 bis 1935, Kassel 2007 S. 347. 178 Zur politischen Kultur New Yorks der 1940er Jahre vgl. ausführlich Alan M. Wald, The New York Intellectuals. The Rise and Fall of the Anti-Stalinist Left From the 1930s to the 1980s, Chapel Hill 1987, S. 99–263. 179 Alfred Kantorowicz: Abschied, in: Ost und West 3, 1949, Nr. 12, S. 82. 180 Berthold Viertel, Brecht in der „Tribüne“, in: Freies Deutschland, Mexico, D.F. vom 15. September 1942, S. 11 (benutzt wurde durchweg der von Wolfgang Kießling 1979 edierte Nachdruck der Zeitschrift).

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Redakteurs Manfred George (ursprünglich Manfred Georg Cohn) zurück. Die Gründungsversammlung wählte Oskar Maria Graf und Ferdinand Bruckner zu Präsidenten und Manfred George zum ersten Sekretär. Thomas Mann wurde Ehrenpräsident. Obgleich die GAWA nie mehr als 150 Mitglieder zählte, wirkte sie durch literarisch-politische Veranstaltungen in der New Yorker Öffentlichkeit und verstand sich auch als Interessenvertreter jener deutschsprachigen Schriftsteller, die noch um eine Einreise in die USA kämpften, durch Suche nach Möglichkeiten für Affidavits. Der Hitler-Stalin-Pakt brachte im August 1939 die Tätigkeit der GAWA jedoch praktisch zum Erliegen. Am Ende des Jahres löste sie Oskar Maria Graf ohne viel Federlesens auf.181 Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion gab Alexan wieder mehr Spielraum. Bereits 1942 gestaltete er für Peter M. Lindts deutsches Programm der Rundfunkstation die Sendung „Deutsches Panoptikum“.182 Unterstützt von Otto Sattler (1872–1950), einem früheren Redakteur und nunmehrigem Präsidenten einer amerikanischen Krankenkasse, sammelte er mit der Tribune for German Culture einen Kreis bekannter Schriftsteller unterschiedlicher politischer und literarischer Orientierung um sich: Oskar Maria Graf, Stefan Heym, Hans Marchwitza, Berthold Viertel, Ernst Waldinger und Franz Carl Weiskopf.183 Der Tribune-Kreis bestand seit 1941, doch verzögerte sich seine Registrierung bei der New Yorker Stadtverwaltung wegen bis dahin fehlender finanzieller Mittel bis zum 16. April 1943.184 Die Tribune führte eine Reihe politisch-literarischer Veranstaltungen mit deutsch-amerikanischen Kulturorganisationen durch, so mit dem Workmen’s Benefit Fund, einer Arbeiterkranken- und Sterbekasse, den German American Women for Victory oder den United Americans of German Descent durch, wobei stets auch Gelder zur Unterstützung der kämpfenden Soldaten gesammelt wurden, die an das Rote Kreuz gingen. Unter den Autoren, deren Werke die Tribune vorstellte, waren Alex Wedding mit ihrer Bauernkriegsnovelle Der Pfeiferhansl, Ferdinand Bruckner mit Die Toten von Lexington, seinem Drama über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, und Adolf Hofmeisters Drama Lidice. Alfred Kantorowicz las aus seinen Tagebü181 Vgl. Middell u. a., Exil in den USA, S. 110 f. Graf und Klaus Mann, der ebenfalls der GAWA angehörte, wurden nach dem 23. August 1939 von konservativen Exilkreisen ungerechtfertigter Weise als Stalinisten angegriffen, was zur Entscheidung, die Organisation aufzulösen, mit beitrug. Vgl. Pfanner, Exile in New York, S. 126. 182 Dies nach dem Eintrag „Alexan, Georg Friedrich“ in Wilhelm Kühlmann (Hg.), Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, Bd. 1, 2, vollst. überarbeitete Aufl., Berlin/New York 2008, S. 88. 183 Vgl. Middell u. a., Exil in den USA, S. 101 f. 184 Vgl. ebd., S. 230.

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chern aus dem Spanienkrieg, und aus Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches wurden einige Szenen gelesen.185 Neben den Autorenlesungen wurden War Bond Parties (gesellige Abende zur Sammlung von Kriegsanleihen), Ausstellungsabende und drei Theateraufführungen unter Leitung Berthold Viertels veranstaltet.186 Hier verband sich der Wunsch, politisch-literarisch im Exil zu wirken, mit dem Wunsch nach Bewahrung deutscher Sprache und Kultur in einem Kreis von Gleichgesinnten. Zudem war Alexan im Ausschuss des Deutsch-Amerikanischen Kulturverbandes (DAKV; German American League for Culture) tätig. Dieser war am 23. September 1935 in New York als Dachorganisation deutschsprachiger Amerikaner gegründet worden, die den Faschismus und insbesondere die Nazibewegung in den USA bekämpfen wollten. „Im Sinne der freiheitlich-fortschrittlichen Traditionen eines Carl Schurz“ wolle man dem Ansinnen der Nazis entgegenwirken, die deutsche Kultur zu vertreten. Unter der Losung „Für deutsche Kultur, gegen Nazibarbarei“ verstand sich der DAVK als Initiative einer weltweiten Bewegung, wie sie auch der Internationale Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur im Juni 1935 in Paris propagiert hatte.187 Doch trotz weiterer internationaler Anstrengungen zur Errichtung einer gemeinsamen antifaschistischen Kulturfront entstand diese nicht – verantwortlich dafür waren die faschistische Intervention in Spanien, wo ein zweiter Schriftstellerkongress anberaumt worden war, aber auch die Moskauer Prozesse, die die internationale Linke spalteten. So blieb es bei Sektionen des DAVK in New York, Los Angeles und Chicago.188 Die Organisation verstand sich als überparteilich. Der Ethnologe Franz Boas wurde als Ehrenpräsident gewählt. Eine kurz nach Gründung verabschiedete Erklärung stellte fest, der DAVK gehöre „zu keiner politischen Partei. Seine Grundlage ist so breit, dass alle Gegner des Nazisystems, die sonst durch ihre wirtschafts185 Diese Aufführung fand am 6. März 1943 statt, noch bevor der Tribune-Kreis offiziell als Verein registriert war. Vgl. Walter A. Berendsohn, Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur, Bd. 2: Vom Kriegsausbruch 1939 bis Ende 1946, Zürich 1946, S. 216 f.; Hans-Christof Wächter, Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933–1945, München 1973, S. 266. 186 Vgl. Middell u. a., Exil in den USA, S. 364 f. 187 Vgl. ebd., S. 105, unter Berufung auf einen Bericht in: Aufbau, 14. Dezember 1935. 188 In Chicago schlossen sich Ende 1935 auf Initiative des Germanisten Eric von Schroetter nicht weniger als 38 lokale Gruppen zur Arbeitsgemeinschaft der fortschrittlichen deutschsprachigen Vereine (Action Comittee of Progressive German Organizations) zusammen, gaben den zweisprachigen Rundbrief Volksfront/People’s Front heraus und traten im Frühjahr 1936 dem DAVK bei. Das (von mir nicht eingesehene) Material dieser Organisation befindet sich in der Richard J. Daley Library der University of Illinois at Chicago.

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politischen und sozialen Anschauungen und Interessen auseinandergehen, im Verband einen gemeinsamen Feind gemeinsam bekämpfen können.“189 Durch ihren Präsidenten Otto Sattler, der mit Georg Friedrich Alexan befreundet war, gelangte dieser als erster Kommunist zu Einfluss in einer Organisation, die ansonsten zunächst keinerlei Bindungen an die Kommunistische Partei der USA oder gar Deutschlands hatte. Alexan zog Hermann Jacobs (Martin Hall) nach, der zum leitenden Sekretär gewählt wurde und Ende 1938 den Sitz des DAVK nach Chicago verlegte.190 Der deutsch-sowjetische Pakt vom 23. August 1939 und der folgende Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern zogen auch die Arbeit des DAVK in Mitleidenschaft. Obwohl Sattler in einer ersten Reaktion auf eine Distanzierung von der Sowjetunion drängte, entschloss sich der DAVK zu einer Resolution, die „die unklare Weltsituation“ dafür verantwortlich machte, dass „ein abschließendes Urteil über den Vertrag“ unmöglich sei.191 Damit erwies sich der DAVK ebenso wenig auf der Höhe der Zeit, wie – in einem ganz anderen Feld – wenn er seine Mitglieder beschwor: „Bleibt euerer Muttersprache treu“, wo es doch auch darum ging, durch möglichst rasche Umstellung auf das Englische die Öffentlichkeit in den USA zu erreichen.192 Die sozialdemokratische Neue Volkszeitung (NVZ), die bislang die publizistische Arbeit des DAVK zwar mit Kritik, doch auch mit Sympathie begleitet hatte, ging nach dem 23. August 1939 auf schroffe Distanz zu ihm. Zwar hatte die NVZ schon am 24. April 1937 moniert, dass bei einer Rede Kurt Rosenfelds auf einer DAVK-Veranstaltung der Beifall stets dann am Lautesten gewesen sei, wenn der Name Ernst Thälmanns fiel,193 doch zog erst die unklare Haltung der Verbandes zum Bündnis Hitler-Stalin eine massive Austrittswelle der sozialdemokratischen Mitglieder nach sich. Zum schärfsten Kritiker des DAVK wurde NVZChefredakteur Gerhart Seger, dessen Protest gegen die Infiltration der Organisa-

189 Was ist und was will der Deutsch-Amerikanische Kulturverband?, New York o. J. [1935], ohne Seitenzahl, zit. n. Middell u. a., Exil in den USA, S. 107. 190 Vgl. ebd. 191 Deutsches Volksecho, 16. September 1939. Vgl. auch Robert E. Cazden, German Exile Literature in America 1933–1950, Chicago 1970, S. 45, 47 f. 192 Der Aufruf des DAKV „Bleibt eurer Muttersprache treu“ ist auszugsweise zit. n. Middell u. a., Exil in den USA, S. 108. Vgl. zum Hin- und Hergerissensein zwischen beiden Sprachwelten, von denen die Selbstzeugnisse vieler Schriftsteller berichten, auch Heinz Kloss, German-American Language Maintenance Efforts, in: J. A. Fishman (Hg.), Language Loyalty in the United States, Den Haag 1966, S. 206–252. 193 Vgl. Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluss auf die amerikanische Europapolitik 1933–1945, Düsseldorf 1971, S. 171.

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tion durch Kommunisten den Austritt der Sozialdemokraten bewirkte.194 Doch achtete der DAVK in der Öffentlichkeit weiterhin darauf, nicht als kommunistische Frontorganisation aufzutreten. Zwischen dem 23. August 1939 und dem 22. Juni 1941 war vom DAVK nicht viel zu hören oder zu lesen, und erst lange nachdem die USA und die Sowjetunion zu Kriegsverbündeten geworden waren, trat er mit einer Erklärung hervor, die zum gemeinsamen Kampf aller Hitlergegner aufrief.195 Ende 1944 hatten Georg Friedrich Alexan und Wieland Herzfelde genug Betriebskapital beisammen, um in New York einen Verlag zu gründen, den Aurora-Verlag. Einen Teil des Geldes hatte die aus Deutschland geflohene Mary Rosenberg aufgebracht, die in New York einen eigenen Verlag, Mary S. Rosenberg Publishers, gegründet hatte.196 Eine finanzielle Unterstützung gab es auch durch Wieland Herzfeldes Sohn Georg, der unter dem Namen George Wyland eine erfolgreiche Laufbahn als Eiskunstlauf-Profi eingeschlagen hatte.197 Als Gesellschafter des Verlages fungierten neben Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann der TribuneKreis um Graf, Viertel, Waldinger und Weiskopf.198 Der Verlag war eine Gemeinschaftsgründung seiner Autoren. Sein genossenschaftliches Modell war als Gegenkonzeption zum kapitalistischen Buchmarkt konzipiert, was hieß, eventuell erwirtschaftete Überschüsse ausschließlich entweder zur besseren Honorierung der Autoren, zur Erweiterung der Produktion oder zur Verbesserung des Vertriebes einzusetzen. Der Verlagsname Aurora (Morgenröte), den entweder Heinrich Mann oder Bertolt Brecht ins Spiel brachte, weckte Assoziationen an die Russische Revolution, stand aber auch für die Hinwendung zu einem antifaschistischen Nachkriegsdeutschland, für dessen potenzielle Leser-

194 Vgl. ebd., S. 172. 195 Die Erklärung vom März 1942 ist abgedruckt in: Alfred Kantorowicz, Vom moralischen Gewinn der Niederlage, Berlin 1949, S. 222. 196 Vgl. Cazden, German Exile Literature, S. 105; Pfanner, Exile in New York, S. 116. Vgl. auch Jürgen Schebera, Strategien eines Verlegers im Exil: Wieland Herzfelde – Prag, New York, Ostberlin, in: Dieter Sevin (Hg.), Die Resonanz des Exils. Gelungene und misslungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren, Amsterdam 1992, S. 51–65. 197 Vgl. Wyland-Herzfelde, Glück gehabt, S. 214 ff. 198 Vgl. Wieland Herzfelde, Wie der Aurora-Verlag entstand. Manuskript, abgedruckt in: Paul North (Hg.), Publishing in Exile. German-Language Literature in the U.S. in the 1940s, New York 2009, S. 32. Vgl. weiterhin Middell u. a., Exil in den USA, S. 230 f.; Cazden, German Exile Literature, S. 129, Anm. 56.

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schaft die hier versammelten Autoren schrieben.199 Der Aurora-Verlag verstand sich als direkte Fortführung von Wieland Herzfeldes Malik-Verlag.200 Im Verlag erschienen zwischen 1945 und 1947 dreizehn Buchtitel. Dies waren Ernst Bloch: Freiheit und Ordnung – Abriss der Sozialutopien, Bertolt Brecht: Furcht und Elend des Dritten Reiches, Ferdinand Bruckner: Simon Bolivar, Alfred Döblin: Sieger und Besiegte, Lion Feuchtwanger, Venedig (Texas) und vierzehn andere Erzählungen, Oskar Maria Graf: Der Quasterl und Unruhe um einen Friedfertigen, Anna Seghers: Der Ausflug der toten Mädchen, Berthold Viertel: Der Lebenslauf, Ernst Waldinger: Die kühlen Bauernstuben, Franz Carl Weiskopf: Die Unbesiegbaren sowie die Anthologie Morgenröte mit Texten deutscher Dichtung und Prosa von Walter von der Vogelweide bis Heinrich Mann, der auch das Vorwort beigesteuert hatte.201 Trotz der prominenten Autoren musste der Verlag 1947 aus finanziellen Gründen seine Arbeit einstellen, doch wurden durch die Arbeit des AuroraVerlages „wichtige Impulse aus dem USA-Exil in die antifaschistischdemokratische Ordnung in Nachkriegsdeutschland eingebracht.“202 Der rührige Alexan hatte jedoch unterdessen in den Subway Arcades, in den Räumen seiner Buchhandlung eine Verkaufs- und Ausstellungsgalerie, die Tribune of Art Gallery, gegründet, die die gleichnamige Zeitschrift Tribune of Art herausgab. Sie erschien von 1946 bis 1948 im Verlag Touchstone Press, einem weite-

199 Wieland Herzfelde hatte ursprünglich den Namen „Tribüne“ vorgeschlagen, doch meinte Bertolt Brecht, es gäbe schon genügend Einrichtungen mit diesem Namen. Um seiner Meinung Nachdruck zu verleihen, schrieb er ein Gedicht mit den Namen Aurora und schickte es an Herzfelde. Vgl. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 376. Das Gedicht findet sich in: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 10: Gedichte 3, Frankfurt a. M. 1967, S. 859. 200 Vgl. Der Malik-Verlag 1916–1947. Ausstellung (Dezember 1966–Januar 1967). Deutsche Akademie der Künste zu Berlin. Katalog, Berlin [DDR] 1966, S. 68. 201 Angekündigt, doch nie gedruckt wurden: Friedrich S. Alexan (Georg Friedrich Alexan): Der Wohltäter, Bertolt Brecht: Gedichte im Exil, Hermann Broch: Die Bücherverbrennung, George Grosz: Unter der gleichen Sonne, John Heartfield: Faschistenspiegel, Wieland Herzfelde: Immergrün und: Vogel Rock, Hans Marchwitza: Acht Ruten Land, F. C. Weiskopf und Kurt Pinthus: Geschichte der deutschen Literatur im Exil, Otto Zoff: Österreichische Novelle, Arnold Zweig: Neue Erzählungen. Vgl. ebd., S. 70; Cazden, German Exile Literature, S. 192 f. Der Band von Weiskopf und Pinthus erschien unter der alleinigen Autorschaft Weiskopfs 1948 in Berlin mit dem Titel: Unter fremden Himmeln, Herzfeldes Immergrün erschien 1949 in Berlin. 202 Middell u. a., Exil in den USA, S. 232.

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ren Unternehmen Alexans, das er zusammen mit den eingetragenen Firmeneignern Lesie Katz und Robert Sunley leitete.203 Die vierseitige, fast jeden Monat erscheinende Tribune of Art warb für die Ausstellungen der Galerie ebenso, wie es über sie berichtete.204 In der 2. Ausgabe vom März 1946 schrieb Infanterie-Unteroffizier Fritz Zorn über Zeichnungen und Gemälde amerikanischer Soldaten, deren Motiven das Kriegsgeschehen zugrunde lag.205 Im November 1946 informierte Alexan über die Biographie und das künstlerische Schaffen der anderthalb Jahre zuvor verstorbenen Käte Kollwitz, die damals in den USA noch wenig bekannt war.206 Der noch unbekannte Bildhauer, Graphiker und Kunstkritiker Leonard Baskin stellte im Mai/Juni 1948 neunzehn „Soldaten-Künstler“ vor, darunter Ralph Dubin, der vom „sozialen Realismus“ Ben Shahns geprägt war.207 Die Zeitschrift dokumentierte Ausstellungen in Alexans Galerie über Vincent van Gogh (5. Ausgabe), „Acht Künstler für das Volk“ von Pieter Bruegel d. Ä. bis Frans Masareel (9. Ausgabe) oder den „Unbekannten van Gogh“ (11. Ausgabe).208 Beachtung verdient auch die Präsentation von Künstlern des einstigen Kriegsgegners Japan.209 In seinem Bericht über „Einundzwanzig Künstler aus dem Deutschland vor Hitler“ würdigte Oskar Maria Graf im Juli/Juli 1948 die Anstrengungen, die es gekostet hatte, Werke von Liebermann, Slevogt oder Kokoschka in einer Ausstellung zusammenzuführen. Solche Werke seien in ihrer stilistischen Vielfalt Ausdruck der Tatsache, dass sich die deutsche Kunst internationalisiert und ihre „so

203 Vgl. Library of Congress (Hg.), Catalog of Copyright Entries. Third Series, Vol. 1, Part 1A, No. 1, Washington, D.C. 1947, S. 281. 204 Eine unvollständige Sammlung der Zeitschrift findet sich in der Frick Art Reference Library, The Frick Collection, New York. 205 Vgl. Fritz Zorn, Corporal, Infantry, Toward a New Universal Art, in: Tribune of Art, Number Two, March 1946. 206 Vgl. Friedrich George Alexan, Art and Propaganda. A Few Remarks on the Käte Kollwitz Exhibition, in: ebd., Number Six, November 1946. 207 Vgl. Leonard Baskin, Nineteen Unknown Soldier Artists in Postwar America, in: ebd., Number Thirteen, May-June 1948, S. 1 f. Vgl. auch die kurze Todesnotiz in: The New York Times, 16. März 1988. 208 Vgl. Tribune of Art, Number Five (July-August 1946), Number 10 (May-June 1947), Number 11 (September-October 1947). 209 Vgl. Ray de Monte, New Trends in Japanese Painting, in: ebd., Number Nine (May-June 1947).

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lange kultivierte sterile Isolation“ überwunden habe. Die Nationalsozialisten hätten vergeblich versucht, dies rückgängig zu machen.210 Über Bertolt Brechts Jahre in den USA ist soviel geschrieben worden, dass hier eine kurze Zusammenfassung genügt.211 Nach der Ankunft in San Pedro, dem Hafen des Großraums Los Angeles, und der Weiterreise nach Hollywood im Juli 1941 rang er zunächst mit der Umgangssprache, die zu erlernen er „nicht die geringste Hoffnung“ habe. Es fehle ihm dabei nicht die Neigung „und schon gar nicht der äußere Antrieb. Es ist etwas anderes, das mir fehlt. Ich versuche schon seit einiger Zeit, mich in der Landessprache auszudrücken. Dabei habe ich festgestellt, dass ich bei Diskussionen nicht das sage, was ich sagen will, sondern das, was ich kann, [was] sehr verschiedene Dinge sind. Man könnte vermuten, dieser verwirrende Zustand sei ein vorübergehender, etwas mehr Studium könne Erleichterung schaffen. Das ist leider nicht zu erhoffen. Mir mangeln nicht die Worte allein, noch die Kenntnis des Satzbaus allein. Mir fehlt vielmehr ein ganz bestimmter Habitus, den zu erlernen ich einfach keine Möglichkeit sehe. Mit einigem Fleiß könnte ich vielleicht im Laufe der Zeit den Gedanken, dass mir auf gewissen amerikanischen Bildern der Himmel und die Bäume wie Geschminkte vorkommen, wie auf die Produktion von möglichst viel sex appeal bedachte Wesen, in amerikanischen Sätzen ausdrücken. Aber die Haltung, in der ich so etwas sagen müsste, um nicht schon durch eben die Haltung Anstoß zu erregen, werde ich niemals lernen. Ich müsste lernen, ein ‚nice fellow‘ zu werden.“212 Mit dem Verfassen von Drehbüchern suchte Brecht aus dem exklusiven Ghetto der deutschen Sprache auszubrechen und vor allem Geld zu verdienen, scheiterte aber, so dass er auf finanzielle Unterstützung des European Film Fund sowie von Freunden, darunter von Lion Feuchtwanger, angewiesen war.213 Er schrieb 1942:

210 Oskar Maria Graf, Twenty One Artists From Pre-Hitler Germany, in: ebd., Number Fourteen, June-July 1948. 211 Vgl. z. B. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika; Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 7–209; Fuegi, Brecht und Co., S. 570–699; Parker, Bertolt Brecht, S. 403–502. 212 Bertolt Brecht, Die amerikanische Umgangssprache, in: Gesammelte Werke, Bd. 20: Schriften zur Politik und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1967, S. 298 f. Seine Freundschaft mit dem Schauspieler Charles Laughton trug jedoch ab 1944 zur wesentlichen Verbesserung von Brechts Englisch bei. Vgl. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 55 f. 213 Der European Film Fund war auf Initiative von Charlotte Dieterle (der Frau des Regisseurs William Dieterle) sowie Liesl Frank (der Frau des Schriftstellers Leonhard Frank) entstanden. Der Fund konnte Brecht mit 120 $ im Monat (dem Lohn eines ungelernten Industriearbeiters) unterstützen. Vgl. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 73 f.

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Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen, Fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll Reihe ich mich ein unter die Verkäufer.214 Über seine Lebensumstände in Hollywood und Santa Monica urteilte er: „fast an keinem ort war mir das leben schwerer als hier in diesem schauhaus des easy-going.“215 Im Filmgeschäft war Brecht nur bei wenigen bekannt: Wohin ich komme, hör ich: Spell your name! Ach, dieser ,name‘ gehörte einst zu den großen!216 Die Kunst in Hollywood war für den von ihr – wie es schien – Abgewiesenen nichts anderes als reiner Kunstbetrieb, jede künstlerische Äußerung nur ein bloßes Spiel zwischen Angebot und Nachfrage: „[...] ich suche unwillkürlich an jeder hügelkette oder an jedem zitronenbaum ein kleines preisschildchen. diese preisschildchen sucht man auch an menschen.“217 Statt Menschen, auch außerhalb des Kunstbetriebes, sah Brecht nur „typen“, die „fertig zusammenmontiert“ werden.218 Das Arbeitsjournal ist voll von Bemerkungen dieser Art.219 Brecht machte, wie Patty Lee Parmalee schrieb, auch bevor er die USA kennenlernte nie einen Hehl aus seiner Skepsis gegenüber der amerikanischen Filmindustrie und überhaupt dem Kulturbetrieb. „Hollywood repräsentierte für ihn die Anwendung kapitalistischer Beziehungen auf die künstlerische Produktion, und er war wiederholt scho214 Bertolt Brecht, Hollywoodelegien, in: Gesammelte Werke, Bd. 10: Gedichte 3, S. 848. Dabei sei Lyrik zu schreiben hier (in den USA) „goldschmiedekunst“ im „elfenbeinturm“; solche Lyrik sei „flaschenpost.“ Bertolt Brecht, Arbeitsjournal 1938–1955, hg. von Werner Hecht, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1973, S. 406 (Eintrag vom 5. April 1942). 215 Ebd., S. 291 (Eintrag vom 1. August 1941). 216 Bertolt Brecht, Sonett in der Emigration, in: Gesammelte Werke, Bd. 10, S. 831. 217 Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 362 (Eintrag vom 1. Februar 1942). 218 Ebd., S. 303 (Eintrag vom 22. Oktober 1941). Nur wenige Dinge, die aber kaum etwas mit den USA zu tun hatten, bereiteten Brecht ausgesprochenes „vergnügen“, so die Lektüre von Trotzkis Buch Über Lenin. Material für einen Biographen. Ebd., Bd. 2, S. 554 (Eintrag vom 10. Dezember 1942). Auch die gekürzte DDR-Ausgabe des Arbeitsjournals (Berlin/Weimar 1975, S. 317) enthält diese Bemerkung. – Heftige Debatten gab es zwischen Brecht und Peter Viertel, einem Sohn seiner Freunde Berthold und Salka, über die Haltung zu Stalin und zur sowjetischen Politik allgemein. Peter Viertel gehörte damals der amerikanischen Sektion der trotzkistischen Vierten Internationale an, was Brecht „nur begrenzt tolerierte.“ Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 325. 219 Eine Anzahl weiterer Bemerkungen findet sich bei Jost Hermand, Brecht in Hollywood, in: Ders., Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010, S. 107–118.

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ckiert und zornig wegen der Notwendigkeit, sich selbst zu verkaufen und anzupreisen, um zu überleben.“220 Doch sind solche Äußerungen Brechts nicht nur als Kapitalismuskritik zu sehen, sondern waren auch seinem anfänglichen Misserfolg im Exil geschuldet.221 Bevor er die USA kennenlernte, hatte Brecht recht abstrakte Vorstellungen über das Land gehabt, in denen sich Antikapitalismus mit Bewunderung für den technischen Standard der Gesellschaft mischte. Die teilweise Bewunderung aber schlug angesichts der Wirklichkeit in Enttäuschung und selbst Abscheu um, was ihn zu einseitigen und ungerechten Urteilen verleitete. Sein Biograph Werner Mittenzwei schrieb, dass Brechts Unbehagen an der amerikanischen Gesellschaft ihn auch gegen Landschaft und Natur reizbar machte, was aber nicht als Zeichen eines kulturellen Hochmuts gesehen werden sollte.222 Hier urteilte Mittenzwei indes zu milde: Wenn Brecht die Künstlichkeit der Natur ausgesprochen negativ vermerkte und meinte, das ihn störende schrille Grün „sei nur durch bewässerungsanlagen der wüste abgerungen“, darf man fragen, ob ihm die harte Arbeit der Menschen bewusst war, die diese Natur bewohnbar gemacht hatten.223 Wenn er das Gefühl hatte, irgendwo „in den kolonien“ zu leben, wo man als Weißer nur hingehe, um Geld zu machen, zeugt dies von einem eklatanten Mangel an sozialer Empathie mit den Sorgen und Nöten der in Kalifornien arbeitenden Menschen.224 Dies zeigt sich auch in seinen Briefen an einen erwachsenen Amerikaner aus dem Jahr 1946. Neben richtigen Beobachtungen, so dass die Krankheit eines einzigen Familienmitglieds „die Familie all ihrer Ersparnisse berauben“ kann,225 neben dem Lob für die Abwesenheit unterwürfigen Verhaltens in der Kommuni-

220 Parmalee, Brecht’s America, S. 268. 221 So schreibt er, hier durchaus die Lebensumstände reflektierend: „es ist hier für emigranten schwer, nicht entweder in ein wildes geschimpfe auf ‚die amerikaner‘ zu verfallen oder ‚mit dem wüstenscheck im maul’ zu reden [...].“ Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 313 (Eintrag vom 14. November 1941). Der Kapitalismus in den USA sei Kapitalismus in Reinkultur: hier könne man „den verkauf der meinungen nicht enthüllen.“ Ebd., S. 418 (Eintrag vom 18. April 1942). An anderer Stelle moniert er zwar „die elemente der lebensweise“ in den USA als „unedel“, schreibt aber auch: „es muss die unwürdigkeit der produktionsverhältnisse sein, die da alles banal macht.“ Ebd., S. 402 (Eintrag vom 30. März 1942). Nur waren für ihn die Lebensverhältnisse anderswo unter dem Kapitalismus nicht allein schon aufgrund der Produktionsverhältnisse „banal“ oder „unedel“. 222 Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 12 u. 14. 223 Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 293 (Eintrag vom 9. August 1941). 224 Ebd., Bd. 2, S. 303 (Eintrag vom 22. Oktober 1942). 225 Bertolt Brecht, Briefe an einen erwachsenen Amerikaner, in: Gesammelte Werke, Bd. 20, S. 296.

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kation226 findet sich eine Reihe falscher und grober Verallgemeinerungen. Allem zwischenmenschlichem Verkehr hafte in Amerika „etwas Unedles, Infames, Würdeloses“ an; ein Mann, „in der Frühe im Garten einen Band Lukrez lesend, wäre ein abgeschmackter Anblick, eine Frau, ihr Kind nährend, etwas Fades.“227 Brecht kritisierte, dass die amerikanischen Intellektuellen nach außen hin locker erscheinen sollten, während doch die große Unsicherheit und Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt sie pervertiere und sie „oberflächlich, ängstlich und zynisch“ werden ließe.228 Es gebe unter ihnen keine wirklichen Freundschaften und nicht einmal echte Feindschaften; Gefühle wie „Heimat“ oder „Vaterhaus“ seien ihnen vollkommen fremd.229 Dies schrieb ein Mann, der besser als kaum jemand sonst wusste, wie oberflächlich, ängstlich und zynisch sich deutsche Intellektuelle angesichts des Faschismus 1933 verhalten hatten, darunter Freunde Brechts wie Arnolt Bronnen und Konkurrenten wie Gottfried Benn; ein Mann, der auch genau wusste, welcher Missbrauch in Deutschland mit Worten wie Heimat und Vaterhaus getrieben wurde (und der dort selbst als „Kulturbolschewist“ sein Leben verwirkt hätte). Dass er den Amerikanern und vor allem ihren Intellektuellen solche Gefühle pauschal absprach, zeigte auch, dass er sich im Exil nicht mehr gründlich mit der progressiven amerikanischen Literatur auseinandersetzte, die er bestenfalls in Teilen gelesen haben dürfte: Referenzen etwa zu William Faulkner, F. Scott Fitzgerald, Sinclair Lewis oder John Steinbeck finden sich auch in den Tagebüchern kaum oder gar nicht, von der afroamerikanischen Literatur eines Langston Hughes oder Richard Wright ganz zu schweigen.230 226 Ebd., S. 294 f. 227 Ebd., S. 297. 228 Ebd., S. 296. Es gebe, laut Brecht, keinerlei „Lebensstellungen“ im Beruf (ebd., S. 295), doch dies stimmte und stimmt nicht; verwiesen sei auf das Tenure-System der amerikanischen Universitäten, wonach auch ein Professor, der wissenschaftlich nichts mehr leistet, nach der Beförderung auf eine unbefristete Stelle nicht entlassen werden kann. An anderer Stelle meinte Brecht, das Wort „failure“ sei in eine „Kultursprache“ kaum zu übersetzen, was, abgesehen von dieser falschen Behauptung, implizierte, das in den USA gesprochene Englisch sei keine Kultursprache. Ebd., S. 297. 229 Ebd., S. 295. 230 In seiner Jugend hatte Brecht ein idealisiertes Amerika-Bild durch die Lektüre damals moderner Schriftsteller wie Jack London gewonnen. Vgl. Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts, S. 5. Später traten, wie bereits erwähnt, kapitalismuskritische Bücher von Frank Norris und Upton Sinclair hinzu. In Hollywood beschränkte sich seine Rezeption zeitgenössischer amerikanischer Werke, nimmt man das Arbeitsjournal zur Grundlage, weitgehend auf die Dramen kommunistischer Autoren, was jedoch wohl auch mit seiner angespannten Arbeitssituation zu tun hatte. Brecht suchte nach Kontakten, und die fand er

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In Brechts Eintragungen im Arbeitsjournal mischen sich scharfsinnige Beobachtungen der amerikanischen Politik231 und seiner Umwelt mit beißenden, später oft zitierten Invektiven gegen Mitexilanten wie Thomas Mann, der dort als „Reptil“ auftaucht,232 oder über die Wissenschaftler des Instituts für Sozialforschung.233 Es gelang Brecht trotz der Unterstützung durch Erwin Piscator nicht, sein noch in Finnland fertiggestelltes Stück Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui an einer Bühne in den USA zur Aufführung zu bringen. Mit dem Kaukasischen Kreidekreis, Schwejk im zweiten Weltkrieg und (zusammen mit Lion Feuchtwanger) Die Gesichte der Simone Machard schrieb er nur drei Stücke während seiner Zeit in den USA. Zudem bearbeitete er mit The Duchess of Malfi ein Stück des elisabethanischen Dramatikers John Webster. Erwähnt sei natürlich die amerikanische Fassung von Das Leben des Galilei, die am 31. Juli 1947 mit seinem Freund Charles Laughton in der Titelrolle aufgeführt wurde.234 Waren die Jahre des Exils in Europa starke Schaffensjahre gewesen, vermochte Brecht in Amerika nur wenige seiner weiteren begonnenen Projekte zu Ende zu führen oder gar neue zu beginnen. Hierzu gehört das Filmdrama Hangmen Also Die (Auch Henker sterben), dessen Drehbuch er 1943 zusammen mit Fritz Lang, der auch Regie führte, und John Wexley, der für den Feinschliff der Sprache sorg-

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vorwiegend im literarischen Milieu, das der KP der USA nahestand. Dabei gab er nie seine Vorsicht auf, um keinen Zusammenstoß mit den Behörden zu riskieren. Er verlor jedoch weitgehend das Interesse z. B. an Clifford Odets, mit dem er bislang gut kooperiert hatte, nachdem dieser aus der KP der USA ausgetreten war. Vgl. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 391 f., 409. Ein künftiger Faschismus in den USA könne auf militaristisches Gehabe verzichten und „demokratisch in amerikanischer fasson“ sein, notierte er. Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 370 (Eintrag vom 7. Februar 1942). Ebd., Bd. 2, S. 621 (Eintrag vom 9. September 1943). „[...] auf einer gartenparty den doppelclown horkheimer und pollock getroffen, die zwei tuis vom frankfurter soziologischen institut.“ Ebd., Bd. 1, S. 295 (undatierter Eintrag, August 1941). Solche Invektiven waren auch aus Neid z. B. gegenüber dem Erfolgsschriftsteller Thomas Mann geboren. Brecht überschätzte aber Thomas Manns Einkünfte. Er dachte, dieser ließe seinen Bruder Heinrich im Stich, was nicht stimmte. Die Arbeiten der Frankfurter Schule sah Brecht als klassenindifferent, letztlich den Kapitalismus beschönigend, an. Zudem glaubte er, Horkheimer könne über die Besetzung von Professuren entscheiden, was dieser damals keineswegs konnte. Vgl. Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 111, 118–120. Vgl. ausführlich das entsprechende Kapitel „Brecht und die amerikanische Bühne“ in Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 139–275. Vgl. auch Wächter, Theater im Exil, bes. S. 164–167.

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te, schrieb.235 Dem Film lag die Ermordung des nazistischen „Reichsprotektors“ Reinhard Heydrich am 4. Juni 1942 in Prag zugrunde.236 Er blieb Brechts einzige vollendete Filmarbeit in Hollywood. Brecht wollte, dass seine Frau Helene Weigel, die bisher in den USA keine Chance in ihrem Beruf gehabt hatte, im Film mitwirken sollte. Fritz Lang bedachte sie zunächst mit einer Nebenrolle, disponierte dann jedoch um, und Helene Weigel bekam keine Gelegenheit, ihre Fähigkeiten als Schauspielerin zur Geltung zu bringen. Die „besonders rüde art“, so Brecht, „in der lang die strikte abmachung, die rolle einer gemüsefrau in unserer story der weigel zu geben, brach“, führte zum Ende der Freundschaft zwischen Brecht und Lang.237 Die Besetzung des Films aber war mit Brian Donlevy, Walter Brennan und Anna Lee herausragend und lebte auch von der künstlerischen Leistung der Exilanten Hans Heinrich von Twardowski, Alexander Granach, Reinhold Schünzel, Tonio Selwart und Ludwig Donath. Hanns Eisler, der die Filmmusik schrieb, wurde für einen Academy Award nominiert, jedoch erhielt nicht er, sondern Alfred Newman (für die Musik zum Lied von Bernadette nach Franz Werfels Roman) den „Oscar“. Es gelang Brecht jedoch, trotz des Einsatzes vor allem von William Dieterle, nicht, auch nur eines seiner weiteren Drehbuchprojekte filmisch umzusetzen.238 Insgesamt kann man sagen, dass von den rund zweitausend schriftstellerisch tätigen Exilanten nur wenigen die USA so fremd blieb wie Bertolt Brecht – und dies, obgleich ihm ja vor 1933 gerade dieses Land als Folie seiner Kapitalismuskritik gedient hatte. Doch trotz der Aversion gegen seine amerikanische Umgebung beantragte Brecht, wie das FBI notierte, am 8. Dezember 1941 die Staatsbürgerschaft der USA.239

235 Dennoch gab es eine Reihe inhaltlicher Diskrepanzen zwischen Brecht und Wexly, die vor allem auf unterschiedlichen Auffassungen über geplante und dann nur teilweise realisierte Massenszenen beruhten. Vgl. z. B. Middell u. a., Exil in den USA, S. 443. 236 Vgl. ebd., S. 90–108 (zur Entstehungsgeschichte des Films). Brecht musste das Ansinnen des Produzenten Arnold Pressburger abwehren, John Wexley als einzigen Drehbuchautor im Film zu nennen. Brecht erhielt für diesen Film eine Summe von rund 10 000 Dollar ausgezahlt. Vgl. Parker, Bertolt Brecht, S. 453. 237 Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 547 (Eintrag vom 24. November 1942). Vgl. auch Sabine Kebir, Abstieg in den Ruhm. Helene Weigel – eine Biographie, Berlin 2000, S. 190 f. Helene Weigel konnte lediglich 1944 in Fred Zinnemanns Film The Seventh Cross (Das siebte Kreuz) in einer Nebenrolle mitwirken. 238 Vgl. Middell u. a., Exil in den USA, S. 440 f. 239 Alexander Stephan FBI Files Collection: [Bestand] Bertolt Brecht, FBI-Report, Los Angeles, 6. Mai 1943.

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Zu allen Existenzsorgen kam ein persönlicher Schicksalsschlag: Im Jahr 1943 fiel sein Sohn Frank aus der Verbindung mit Paula Bahnholzer als Wehrmachtssoldat an der Ostfront. Worauf kann sich also ein Urteil stützen, dass Brecht in den USA eine große Wirkung entfaltete? Politisch sollte er, worauf zurückzukommen ist, eine Reizund Schlüsselfigur im antikommunistischen Klima der ersten Nachkriegsjahre werden, künstlerisch zeitigte Brecht schon kurz nach seinem Tod eine Nachwirkung in den USA, die ihn in die erste Reihe der ausländischen Dramatiker rücken ließ; ein Platz, den er bis heute behauptet hat. Brechts eklatante Charakterschwächen, seine Egomanie, sein Ausnutzen besonders von Frauen haben seinen Kritikern nicht den Blick für die künstlerischen Qualitäten des Dramatikers getrübt. Auch seine Schriften zum Theater wurden alsbald zur Standardlektüre von Schauspielern und Theaterwissenschaftlern wie natürlich auch in germanistischen Seminaren der USA. Das Foto des Zigarre rauchenden Brecht gehört auch in Amerika noch immer zur Ikonographie des 20. Jahrhunderts, wann immer von dorthin exilierten Künstlern und Schriftstellern im Pro und Kontra die Rede ist. Die nach Brechts Meinung so oberflächlichen amerikanischen Intellektuellen wussten seine künstlerische Leistung gerecht zu beurteilen.240 Leichter als Brecht hatten es die ungarischen Exilanten in Hollywood. Sie waren von Haus aus mehrsprachig, hatten kaum Probleme mit dem Englischen (wenn auch der Akzent ihre Herkunft verriet). Die Geschichte, dass der Wiener Otto Preminger eine Gruppe von Ungarn scherzhaft mit den Worten anherrschte: „Ihr vergesst wohl, wo ihr seid? In Hollywood! Sprecht gefälligst deutsch!“ ist womöglich erfunden, zeigt aber gut die dortige Atmosphäre. Zu den ungarischen Kosmopoliten Hollywoods wie Michael Curtiz (eigentlich Mihaly Kertész), Peter Lorre (eigentlich László Löwenstein) oder Joseph („Joe“, eigentlich Jószef) Pasternak muss Hans (eigentlich János) Székely gezählt werden, der sowohl als Roman- wie als Drehbuchautor hervortrat. Neben dem autobiographischen Roman Kisertes (Verlockung) und der in englischer Sprache geschriebenen Novelle You Can’t Do That to Svoboda (deutsch: Der arme Svoboda) verfasste er eine große Zahl von Drehbüchern für Filme in Deutschland und nach 1933 in den USA. Bereits aus Berlin kannte er Ernst Lubitsch und Marlene Dietrich, und dies erleichterte ihm, neben seiner geistigen Flexibilität, den „Einstieg“ in Hollywood. Unter dem Pseudonym John S. Toldy verfasste Székely zusammen mit Benjamin Glazer ein Buchmanuskript, Arise My Love, das Billy Wilder, Charles Bra-

240 Vgl. zur unmittelbaren Brecht-Schülerschaft sowie zur einsetzenden Brecht-Rezeption in den USA Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 324–332.

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ckett und Jacques Thery zu einem Drehbuch für den Film gleichen Namens nutzten. Vor dem Hintergrund des Spanischen Bürgerkrieges verlieben sich eine Klatschkolumnistin, die endlich gute Reportagen schreiben will (gespielt von Claudette Colbert) und ein Abenteurer, der für die Republik kämpft (gespielt von Ray Milland) ineinander. Der unter der Regie von Michael Leisen gedrehte Film war kommerziell erfolgreich und wurde für vier Oscars nominiert. Er gewann 1940 den Oscar für die beste Originalgeschichte, und so wurde Székely einer der ersten antifaschistischen Immigranten in den USA, die die begehrte Trophäe mit nach Hause nehmen durften.241 Paul Dessaus Probleme in den USA waren zunächst gesundheitlicher Natur. Nach seiner Genesung arbeitete er als Musiklehrer in einem Kinderheim, dann in einer Musikschule sowie zeitweise als Kopist bei einem Verlag. Als diese Einnahmequellen versiegten, musste er sich auf einer Hühnerfarm in New Brunswick (New Jersey) verdingen. Unter diesen Umstanden litt Dessaus kompositorische Arbeit; er konnte lediglich die in Paris begonnene Kantate Les Voix fertigstellen, die am 21. Mai 1941 bei der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik uraufgeführt wurde. „Alle Kraft brauchte er für den nackten Lebensunterhalt.“242 Ende 1942 erfuhr Dessau von seinem Freund Georg Friedrich Alexan, dass Brecht Anfang 1943 nach New York kommen werde. „Diese Zusammenarbeit wurde der Wendepunkt in meinem Schaffen“, so Dessau über Brecht.243 Am 6. März 1943 begleitete Dessau am Klavier den Schriftsteller bei einem, von beiden gemeinsam vorbereiteten Brecht-Autorenabend an der New School for Social Research in New York. Es folgten Vertonungen Dessaus für Brechts Gedichte Grabschrift für Gorki und Lied einer deutschen Mutter. Im Herbst 1943 zog Dessau mit seiner Tochter Eva aus erster Ehe von New York nach Santa Monica, um mit Brecht besser zusammenarbeiten zu können. Er fand bei Warner Brothers eine Anstellung als Filmkomponist – und in Brechts kongenialer Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann später auch seine Ehefrau. Sie fühlte sich als Tochter einer Amerikanerin weit weniger in den USA fremd als die meisten Immigranten. Das Leben sei „nicht erschreckend und menschenfresserisch, obwohl nun das ganze Business-Geschäft sehr hart und brutal ist“, notierte

241 Vgl. die Sammelbesprechung des Films von Bosley Crowther, Arise My Love at the Paramount, Joe E. Brown at the Rialto, The Quarterback at the Criterion, in: The New York Times, 17. Oktober 1940. 242 Werner Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 78. 243 Paul Dessau, Notizen nach Noten, Leipzig 1974, S. 36. Vgl. auch Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 153.

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sie. Man müsse „vor allen Dingen schlagfertig sei“ und brauche „viel Humor“, denn „sonst nehmen sie einen, wie der Berliner sagt, ‚auf die Schippe῾.“244 Elisabeth Hauptmanns Beziehung mit Horst Baerensprung, dem früheren Polizeipräsidenten von Magdeburg, war 1946 gerade in die Brüche gegangen, als die Zusammenarbeit mit Dessau einen privaten Charakter annahm. 1948 heirateten sie. Doch sollte die Ehe nicht dauerhaft halten.245 Für Paul Dessaus bislang wichtigstes Werk Deutsches Miserere, das auf Bertolt Brechts Kriegsfibel basierte, schrieb dieser das Libretto. Auch ging 1948 die amerikanische Erstaufführung von Der gute Mensch von Sezuan (1943 in Zürich von Leonard Steckel uraufgeführt) mit Paul Dessaus Musik über die Bühne – zu einer Zeit, als Brecht die USA bereits verlassen hatte.246 Neben Kurt Weill und später Paul Dessau gehörte Hanns Eisler bereits frühzeitig zu Brechts wichtigsten musikalischen Partnern. Ihre Kooperation wurde mit den Jahren immer intensiver. Sie ging bereits auf die späten Jahre der Weimarer Republik zurück. Brecht und Eisler lernten einander 1930 näher beim Festival „Neue Musik Berlin“ kennen, woraufhin Eisler die Musik für Brechts Stücke Die Jasager und anschließend für Die Maßnahme schrieb; die letztere Arbeit sollte in den USA für Brecht eine unvorhersehbare Bedeutung gewinnen. Für Brechts Dramatisierung von Maxim Gorkis Roman Die Mutter komponierte Eisler die Musikstücke, und nicht zuletzt schrieb er 1932 die Musik zum Film Kuhle Wampe, für den Brecht mit Ernst Ottwald das Szenario verfasste. Das Solidaritätslied aus diesem Film mit Eislers Musik und Brechts Text sollte auch für spätere Generationen zum musikalischen Soundtrack der Klassenschlachten in der ausgehenden Weimarer Republik werden.247 Kaum weniger populär wurden die Vier Wiegenlieder für Arbeitermütter; auch hier steuerte Eisler die Musik zu Brechts Texten bei. Im Exil setzten Brecht und Eisler ihre Zusammenarbeit fort, so 1934 an Brechts zwei Jahre vorher begonnenem Stück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, das 1936 in Kopenhagen zur Uraufführung gelangte. Während beide im Exil von Land zu Land getrieben wurden, schrieb Eisler eine Vielzahl weiterer Musikstücke 244 Zit. n. Sabine Kebir, Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht, Berlin 1997, S. 175. 245 Vgl. ebd., S. 194 f. 246 Vgl. zur Zusammenarbeit zwischen Brecht und Dessau ausführlich Matthias Tischer, Komponieren für und wider den Staat. Paul Dessau in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 89–123. 247 Die noch immer ausführlichste Dokumentation dieses Filmes findet sich in: Wolfgang Gersch/Werner Hecht (Hg.), Bertolt Brecht: Kuhle Wampe. Protokoll des Films und Materialien, Frankfurt a. M. 1969.

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zu Gedichten Brechts, so für die Ballade von der Judenhure Maria Sanders oder Sklave wer wird dich befreien. In den USA erfuhr die Zusammenarbeit ihre Fortsetzung, als Eisler die Musik zu Brechts Hollywood-Elegien oder Schwejk im Zweiten Weltkrieg schrieb.248 Diese hier nur in Stichworten und unvollständig aufzulistende Arbeit war auch deshalb möglich, weil es Eisler finanziell, nachdem 1941 endlich der kräftezehrende Kampf um die Aufenthaltsbewilligung ausgestanden war, besser als den meisten Immigranten ging: Die University of California in Los Angeles erteilte ihm einen Lehrauftrag, der bald danach in einer Professur für Kompositionslehre umgewandelt wurde. Mit Unterstützung der Rockefeller Foundation begann er zusammen mit Theodor W. Adorno die Arbeit an einem Buchprojekt, Composing for the Films. Das Buch sollte erst 1947 erscheinen – dann nur mit Eislers Namen auf dem Titelblatt, da Adorno eine allzu große Nähe zum nun politisch verschrienen Komponisten fürchtete. Noch im Krieg wurde Eisler als Komponist von Filmmusiken sehr erfolgreich: Nachdem er für die Musik zu Hangmen Also Die 1943 eine Oskar-Nominierung erhalten hatte, wurde seine Musik zu None but the Lonely Heart ein Jahr darauf ebenfalls für die Auszeichnung nominiert, und auch wenn er diese wiederum knapp verfehlte, wurde der Film dennoch künstlerisch wie kommerziell ein Erfolg: Die Darsteller Cary Grant und Ethel Barrymore, die den Oscar für die beste Nebenrolle bekam, überzeugten, und der National Board Review of Motion Pictures wählte den Streifen zum besten Film des Jahres 1944. Der Regisseur des Films, Clifford Odets, sollte wenige Jahre später, obgleich er die KP verlassen hatte, mit Brecht in die antikommunistische Verfolgungswelle in Hollywood geraten. Politisch stand Hanns Eisler, der nie der KPD angehört hatte, zwar weiterhin zur radikalen Linken, doch nicht mehr ohne Vorbehalte: Karl Wittfogel berichtete später, Eisler sei nach dem 23. August 1939 politisch tief verstört gewesen, habe sich „sehr antikommunistisch“ geäußert und „keinen Unterschied zwischen Hitler und Stalin“ mehr gesehen.249 Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion näherte er sich den Kommunisten wieder an. Keine Zweifel an seiner Parteitreue ließ Hanns Eislers Bruder Gerhart aufkommen. Ungleich seiner Komintern-Mission der 1930er Jahre war Gerhart Eisler nicht mehr im direkten Auftrag Moskaus unterwegs, sondern kam 1941 als „normales“ KPD-Mitglied aus Frankreich nach einem Umweg über Trinidad in 248 Vgl. ausführlich Jürgen Schebera, Hanns Eisler im USA-Exil, Berlin [DDR] 1978; Friederike Wissmann, Hanns Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär, München 2012, S. 139–165. 249 Greffrath, Die Zerstörung einer Zukunft, S. 327.

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New York an (noch war den Einwanderungsbehörden nicht bewusst, dass er mit dem Komintern-Funktionär „Edwards“ identisch war). Gerhart Eisler wurde, wie er später berichtete, vom 13. Juni, dem Tag seiner Ankunft, bis zum September 1941 auf Ellis Island festgehalten. Die geplante Weitereise nach Mexiko wurde ihm und seiner Lebensgefährtin Hilde Rothstein trotz gültiger Transitvisa versagt. Er erhielt eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und traf sich mit amerikanischen Kommunisten, die er aus den dreißiger Jahren kannte. Sie schlugen ihm vor, dem Barsky-Komitee beizutreten.250 Das Anfang 1941 von dem Arzt und früheren Spanienkämpfer Edward Barsky gegründete Komitee, dessen offizieller Name Joint Antifascist Refugee Committee lautete, unterstützte ehemalige Spanienkämpfer und vertrat in den USA das Anliegen der in Mexiko befindlichen Exilregierung der Spanischen Republik. Es sollte auch mit dem deutschen KPD-nahen Exil in Mexiko zusammenarbeiten.251 Das Barsky-Komitee hatte auch die Überfahrt von Gerhart Eisler und Hilde Rothstein von Frankreich in die USA finanziert. Wie mit der KP der USA vereinbart, engagierte sich Eisler in den nächsten Wochen in der Kampagne für die Freilassung inhaftierter kommunistischer Nazigegner in Frankreich, darunter Franz Dahlem, Heinrich Rau und Siegfried Rädel.252 Erwähnt sei auch, dass Hilde Rothstein und Gerhart Eisler am 27. November 1942 in Norwalk (Connecticut) heirateten. Hilde Rothstein, vor 1933 KPD-Mitglied und Mitarbeiterin des Marx-EngelsVerlages in Berlin, war im Juni 1940 aus Frankreich in die USA gekommen Dabei half ihr der polnische Pass, denn so fiel sie bei der Einwanderung nicht unter das deutsche (beschränkte) Kontingent.253 Gerhart Eislers weitere politische und publizistische Arbeit und die Kontroversen darum sind Gegenstand der folgenden Kapitel. So kann hier die Feststel250 Vgl. SAPMO-BArch, Zentrale Parteikontroll-Kommission (ZPKK), DY 30/IV 2/4/155: Bericht von Gerhart Eisler an die ZPKK, 6. April 1953, Bl. 38 f. 251 Vgl. Wolfgang Kießling, Exil in Lateinamerika. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil, Bd. 4, Leipzig 1980, S. 183. Barsky war Mitglied der KP der USA, machte dies aber nicht öffentlich. Im Jahre 1950 wurde er wegen Verweigerung der Aussage vor dem House Un-American Affairs Comittee zu einer halbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der er fünf Monate verbüßen musste. Noch 1954 wurde ihm für ein halbes Jahr seine ärztliche Berufserlaubnis entzogen. Vgl. Phillip Deery, Red Apple. Communism and McCarthyism in Cold War New York, New York 2014, S. 11 ff. Vgl. zu Barsky auch Richard Avedon, Edward Barsky, Surgeon, Dies; Joined Spanish Republican Side, in: The New York Times, 13. Februar 1975. 252 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 39, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. 253 Vgl. Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine-Gerhart-Eisler-Biographie, Berlin 2007, S. 160.

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lung genügen, dass auch die heute noch zu lesende Behauptung, Gerhart Eisler sei in New York Resident des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU gewesen, jeder Grundlage entbehrt.254 Diese Residenten (lokale Leiter) waren seit 1935 nacheinander Michail Abramowitsch Milstein, Pawel Michailow und Lew Tolokonnikow gewesen.255

254 GRU: Glavnoe Razvedyvatel’noe Unpravlenie, Hauptverwaltung für Aufklärung. 255 Belege, die auf den nach 1991 zeitweise freigegebenen russischen Akten beruhen, finden sich bei Kai Bird/Svetlana Chervonnaya, The Mystery of Ales, in: The American Scholar, Nr. 76 (Summer 2007), S. 20–35; Herbert Romerstein/Eric Breindel, The Venona Secrets. Exposing Soviet Espionage and American Traitors, Washington (D.C.) 2000, S. 176; Svetlana Chervonnaya, „Gorsky’s List“,http://algerhiss.com/history/newevidence-surfaces-1990s/interpreting-russian-files/alexander-vassiliev/the-vassiliev-notebooks/gorskys-list-analyzed/. Der GRU-Resident ist nicht mit den NKWD-Residenten zu verwechseln. Dieser war während der Zeit des Zweiten Weltkrieges Wassilij Anatoli Antonowitsch Jazkow (eigentlich Jakowlew), offiziell Sekretär im Generalkonsulat der UdSSR. Vgl. seine Biographie auf der russischsprachigen Website: Яцков, Анатолий Антонович (31.05.1913–26.03.1993), Герой Советского Союза (Helden der Sowjetunion), Geroi strany, http://www.warheroes.ru/hero/hero.asp?Hero_id=4854, S. 6.

III. Politik und Zeitgeschichte: Netzwerke und Publizistik der deutschen Kommunisten

I pity the poor immigrant Who tramples through the mud Who fills his mouth with laughing And who builds his town with blood Whose visions in the final end Must shatter like the glass I pity the poor immigrant When his gladness comes to pass (Bob Dylan: I Pity the Poor Immigrant)

Unlösbare Widersprüche: Die Kommunistische Partei der USA Wie jede kommunistische Partei verstand sich auch die kleine KP der USA als Teil einer weltumspannenden politischen Avantgarde, deren politisches Zentrum in Moskau lag. Die kommunistische Bewegung, wie sie seit 1917 Gestalt angenommen hatte, als Instrument, gewissermaßen als Demiurg, einer historischen Mission. Diese wurde der Arbeiterklasse zugeschrieben, ihr Kern lag in der Errichtung einer klassenlosen, ausbeutungsfreien Gesellschaft. Dabei hatten Lenin und die Bolschewiki, anders als Marx und Engels, das Konzept der Partei neuen Typs entwickelt: Diese Partei sollte, legale mit nötigenfalls illegalen Mitteln verbindend, Instrument zur Ergreifung wie zur Ausübung der politischen Macht sein. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte diese Avantgardepartei, unter Ausschaltung ursprünglich demokratischer und egalitärer Elemente, eine Diktatur im Namen der Klasse errichtet, die sie zu vertreten vorgab, jedoch von der Macht zugunsten einer bürokratischen Herrscherschicht fernhielt. Dabei war kein anderes Land dem sowjetrussischen Beispiel gefolgt. Die Kommunistische Internationale als, eigener Definition gemäß, Weltpartei des Proletariats, litt somit unter einem Konstruktionsfehler: Einer einzigen herrschenden Partei standen zahlreiche Parteien ohne politische Macht gegenüber, die naturgemäß politisch, ideologisch und nicht zuletzt finanziell in immer stärkere Abhängigkeit von der Sowjetunion gerieten. Somit war auch die kleine KP der USA von den wechselvollen politischen Entscheidungen in Moskau abhängig. Sie bildete sich aus zwei zunächst miteinan-

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III. Politik und Zeitgeschichte

der rivalisierenden Gruppen; eine Konstellation, die auch in anderen Ländern anzutreffen war. Am 30. August 1919 entstand aus einer Abspaltung einer Gruppe um Charles Ruthenberg und Louis Fraina von der Socialist Party of America die Partei, die sich konsequenterweise Communist Party of America nannte. Gleichzeitig konstituierte sich eine andere Gruppe um Alfred Wagenknecht und den Schriftsteller John Reed zur Communist Labor Party of America. Auf Drängen der Komintern vereinigten sich nach mehreren Anläufen beide Parteien im Mai 1921 zur Communist Party of America, die ihren Namen 1930 in Communist Party of the USA änderte. Die in ihrer Frühphase rund 12 000 Mitglieder zählende Partei unterlag von Anfang an scharfer Verfolgung, für die vor allem Justizminister Mitchell Palmer verantwortlich zeichnete. Obgleich die Partei als Ganzes nicht verboten wurde, war ein legales Auftreten von Kommunisten in der Öffentlichkeit in den ersten Nachkriegsjahren so gut wie unmöglich; die Partei konnte nur über Tarnorganisationen wie die Friends of Soviet Russia eine begrenzte agitatorische Wirksamkeit innerhalb der Linken entfalten. Die KP baute somit neben legal wirkenden „Frontorganisationen“ von Anfang an eine Untergrundstruktur auf, die neben den Komintern-Beauftragten auch von sowjetischen Nachrichtendiensten aus Moskau angeleitet wurden. Die Parteimitgliedschaft rekrutierte sich zunächst vor allem aus italienischen und osteuropäischen Einwanderern der ersten Generation, darunter vielen Juden. Ab etwa 1930 fasste sie unter Afroamerikanern, vor allem in Harlem und in Birmingham (Alabama) Fuß.1 Die Geschichte der Partei ist auch die Geschichte ihrer Fraktionskämpfe und Abspaltungen. Diese Wendungen und Konflikte beruhten zum Teil auf inneren Widersprüchen, zum Teil lagen ihnen die Kurswechsel der Komintern-Politik zugrunde. In den ersten Jahren der Partei war schon die sprachliche Verständigung unter ihren Mitgliedern nicht immer einfach. Ein Teil der Neueinwanderer sprach (meist sizilianisches) Italienisch, aber noch kaum Englisch, ein anderer Teil Jiddisch und oft auch Deutsch, Russisch oder Polnisch, lernte aber erst allmählich Englisch. So waren Spannungen zwischen den „fremdsprachigen“ Parteimitglie1

Vgl. zur Frühgeschichte der KP der USA die Pionierarbeiten von Theodore Draper, The Roots of American Communism, New York 1957, und ders., American Communism and Soviet Russia. The Formative Period, New York 1960, weiterhin Irving Howe/Lewis Coser, The American Communist Party. A Critical History, Bosten 1957, sowie die auf Archivstudien beruhenden Abhandlungen von Harvey Klehr/John Earl Haynes/F. I. Firsov, The Secret World of American Communism, New Haven 1995, und Jacob A. Zumoff, The Communist International and U.S. Communism, 1919–1929, Chicago 2015.

III. Politik und Zeitgeschichte

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dern um den Parteigründer Charles Ruthenberg und seinen damaligen Weggefährten Jay Lovestone auf der einen und William Z. Foster sowie James P. Cannon auf der anderen Seite nicht immer zu vermeiden. Die Letzteren verstanden sich als Vertreter der authentischen, englischsprachigen Arbeiterklasse, doch wurden sie 1925 von der Komintern aufgefordert, jede Aktivität zu unterlassen, die als Fraktionsarbeit hätte gedeutet werden können. Nach dem Tod Charles Ruthenbergs 1927 wurde Jay Lovestone Generalsekretär der Partei, nahm jedoch in den Richtungskämpfen der Komintern ab 1928 für Nikolaj Bucharin und gegen Stalin Partei. Er wurde von wichtigen Intellektuellen der Partei wie Bertram D. Wolfe, Benjamin Gitlow und Will Herberg unterstützt. James P. Cannon schlug sich zusammen mit einer Gruppe um Martin Abern, Max Shachtman und Maurice Spector auf Seiten Trotzkis, während William Z. Foster von Anfang an auf Stalin setzte. 1929 wurden Lovestone und seine Anhänger aus der KP der USA ausgeschlossen. Sie organisierten sich zusammen mit der deutschen kommunistischen „Rechtsopposition“ um Heinrich Brandler und August Thalheimer über mehrere Zwischenschritte in der Internationalen Vereinigung der kommunistischen Opposition (IVKO).2 Ihr Parteiausschluss fiel mit einem weiteren innerparteilichen Konflikt zusammen: In den arabisch-jüdischen Zusammenstößen in Palästina vom August 1929 hatte die Führung der amerikanischen KP nach einigem Zögern auf Drängen der Komintern die arabische Seite als Teil der antikolonialen Befreiungsbewegungen bezeichnet, hingegen hielt die Redaktion der jiddischen kommunistischen Wochenzeitung Morgen Frayhayt um Melech Epstein und Moissaye Olgin an ihrer Position fest, wonach der arabische Aufstand keineswegs primär antikolonial und antiimperialistisch motiviert sei, sondern ein antijüdisches, vom reaktionären islamischen Klerus um den Mufti von Jerusalem, Hadj Amin al-Hussaini, entfachtes Pogrom.3 Der Konflikt ließ sich nicht lösen: es kam zu Parteiausschlüssen. Mit der Redaktion der Morgen Frayhayt verließen mehrere Hundert jüdische Mitglieder die Partei, von denen sich einige der Gruppe um Lovestone anschlossen. Dieser nannte seine Organisation nun Communist Party of the USA (Majority

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Vgl. Robert J. Alexander, The Right Opposition. The Lovestoneites and the International Communist Opposition of the 1930s, Westport (Connecticut) 1981. Vgl. u. a. Mario Keßler, Der erste Bürgerkrieg in Palästina: Der arabisch-jüdische Konflikt 1929, in: Ders., Ein Funken Hoffnung. Verwicklungen: Antisemitismus, Nahost, Stalinismus, Hamburg 2004, S. 64–74; zuerst in: Sozialismus 31, 2004, Nr. 7/8, S. 5–862.

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III. Politik und Zeitgeschichte

Group), doch verblieb die Mehrheit auch der kritisch eingestellten Genossen in der Partei.4 Eine noch kleinere Minderheit wurde fast zeitgleich aus der KP ausgeschlossen oder verließ die Partei in eigener Entscheidung: die Anhänger Trotzkis um James P. Cannon, die sich zur Communist League of America konstituierten und als eine der ersten Gruppen von Trotzkisten für den Bruch mit der Komintern und den Aufbau einer neuen, der Vierten Internationale, eintraten.5 Die mit dem 6. Weltkongress der Komintern 1928 eingeleitete „Dritte Periode im Turnus von Krieg und Revolution“ zog eine scharfe Wendung gegen die Sozialdemokratie und gegen die von diesen dominierten Gewerkschaften nach sich. Fortan bekämpfte die KP der USA die Socialist Party, der sie vorher Bündnisangebote unterbreitet hatte, und propagierte mit sehr geringem Erfolg die Gründung von „dual unions“, kommunistisch geführten Gewerkschaften. Der Parteivorsitzende Foster, der versuchte, die schlimmsten Überspitzungen abzuschwächen, musste, offiziell wegen Herzbeschwerden, seinen Posten für Earl Browder räumen. Als Amerika-Beauftragter der Roten GewerkschaftsInternationale war Paul Merker an der Durchsetzung der ultralinken Politik mitbeteiligt. Die Mitgliedschaft der Partei, die sich zeitweilig der Zahl von 30 000 genähert hatte, fiel bis 1932 auf unter 6 000. Zwischen 1928 und 1934 vertrat die KP der USA außerdem die These, die afroamerikanische Bevölkerung sei eine nationale Minderheit. Sie solle ihr Recht auf Selbstbestimmung durch Errichtung eines eigenen Territoriums im tiefen Süden der USA wahrnehmen. Dieses Gebiet sollte in einem sozialistischen Amerika den Status einer Sowjetrepublik genießen; eine völlige Sezession war aber nicht vorgesehen. Doch stieß die KP mit dieser weltfremden Losung, die erst 1934 fallen gelassen wurde, selbst unter Schwarzen auf Skepsis.6 Ende 1932 wurde eine Reihe von Funktionären der KP der USA nach Moskau geladen, darunter Browder. Die Komintern forderte von der Partei, in einem Offenen Brief an ihre Mitgliedschaft einen politischen Neuanfang zu wagen, der sie aus ihrer Isolierung herausbringen und zu einer proletarischen Massenpartei werden lassen sollte. Neben der Konzentration auf die Bedürfnisse der Arbeiter und 4

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Vgl. Melech Epstein, The Jew and Communism. The Story of Early Communist Victories and Ultimate Defeats in the Jewish Community, U.S.A., 1919–1941, New York 1959, S. 225 f. Vgl. Bryan Palmer, James P. Cannon and the Origins of the American Revolutionary Left, 1890–1928, Urbana (Illinois) 2007, bes. S. 316–349. Vgl. zur KP-Forderung nach einer unabhängigen Schwarzen Republik Susan Campbell, “Black Bolsheviks” and Recognition of Africa America’s Right to Self-Determination by the Communist Party USA, in: Science & Society 58, 1994, Nr. 4, S. 440–470.

III. Politik und Zeitgeschichte

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vor allem der Farmer, die bisher zu wenig im Blickpunkt der KP gestanden hatten, finden sich im Brief auch die Propagandalosungen, die die Komintern damals all ihren Mitgliedsparteien verordnete und in deren Zentrum der Kampf gegen die „Sozialfaschisten“ und „Halbfaschisten“ – in den USA der Kampf gegen die Socialist Party – stand. Der Brief attackierte die Politik der Roosevelt-Administration als geschickte Ausübung monopolkapitalistischer Interessen.7 An der Schlussredaktion des Offenen Briefes im April 1933 war in Moskau neben Browder auch Gerhart Eisler beteiligt. Beide kannten sich aus China, wo Eisler als Komintern-Beauftragter und Browder als Vertreter des Pan-Pazifischen Gewerkschaftsbundes tätig gewesen waren. Eislers Beteiligung war kein Zufall: Im Juni 1933 wurde er im Komintern-Auftrag in die USA entsandt.8 Er ersetzte den aus Russland stammenden und mit der Journalistin Anna Louise Strong verheirateten Joel Shubin.9 Als Komintern-Vertreter nahm er unter dem Decknamen

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Central Committee, Communist Party U.S.A., An Open Letter to All Members of the Communist Party, New York 1933 (die Broschüre befindet sich in der American Left Ephemera Collection, 1894–2008, AIS.2007.11 im Archives Service Center der University of Pittsburgh, Box 3, Folder 14 und ist im Internet zugänglich unter http://digital.library.pitt.edu/u/ulsmanuscripts/pdf/31735061660019.pdf. Sie ist im Internet ebenfalls zugänglich unter http://palmm.digital.flvc.org/islandora/object/ fau%3A4546. Doch war die Partei darauf bedacht, Roosevelts Politik nicht allzu sehr in die Nähe faschistischer Machtausübung zu rücken. So schrieb Earl Browder im August 1933, es bestehe „keine chinesische Mauer zwischen Demokratie und Faschismus. Roosevelt bedient sich aller Varianten ‚demokratischer’ Herrschaft, und er tut dies unter ausgesprochen liberalem und sozialdemokratischem Deckmantel [...].“ Dies könne nicht über seine Politik als „kapitalistischen Angriff“ auf den Lebensstandard der Massen hinweg täuschen. Earl Browder, What is the New Deal?, New York 1933, S. 4 (Archives Service Center, University of Pittsburgh,: American Left Ephemera Collection, 1894–2008, AIS.2007.11, Box 2, Folder 131, http://digital.library.pitt.edu/u/ulsmanuscripts/ pdf/31735066228051.pdf). Eislers Biograph vermutete, dass er über die in New York eingetragene sowjetische Handelsgesellschaft Amtorg seine Informationen nach Moskau sandte und solche von dort empfing. Vgl. Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-EislerBiographie, Berlin 2007, S. 111. Amtorg: Russisches Akronym für Amerikanische Handelsgesellschaft. Vgl. ebd., S. 108–120 zu Eislers erstem Aufenthalt in den USA. Vgl. Harvey Klehr/John Earl Haynes/Kyrill M. Anderson, The Soviet World of American Communism, New Haven/London 1998, S. 169. – Mindestens zweimal konnte Eisler damals deutsche Kommunisten unterstützen, die sich im Auftrag der KPD kurzzeitig in den USA aufhielten: Willi Münzenberg im Rahmen der Kampagnen zur Befreiung des 1933 in Deutschland inhaftierten Ernst Thälmann sowie den Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf, der 1935 am Schriftstellerkongress in San Francisco teilnahm. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Zentrale Parteikontroll-Kommission (ZPKK), Bl.

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„Edwards“ an der Außerordentlichen Tagung der KP der USA teil, die vom 7. bis zum 10. Juli in New York stattfand. Auf dieser Tagung wurde der Offene Brief der Partei vorgestellt.10 Er erschien am 14. Juli im KP-Organ Daily Worker und kurz darauf als Broschüre. Anders als erhofft, isolierte sich die KP von der nichtstalinistischen Linken aber immer weiter. Darüber half ihr Engagement in verschiedenen Massenstreiks nicht hinweg, sosehr der daran beteiligte Komintern-Vertreter Gerhart Eisler dies zwei Jahrzehnte später beteuerte.11 Vielmehr überfielen in Konsequenz der Sozialfaschismus-Politik sogar KP-Schlägertrupps Versammlungen der Sozialistischen Partei.12 Die 8. Parteikonferenz, die im April 1934 in Cleveland stattfand, bekräftigte den politischen Irrweg.13 Noch im Verlauf des Jahres 1934 aber musste die Partei den Erfolg der Rooseveltschen Sozialpolitik zur Kenntnis nehmen, deren dirigistische Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung sie zunächst als „industrielle Sklaverei“ gebrandmarkt hatte.14 Im Einklang mit der Wendung der Komintern-Politik in Richtung breiter antifaschistischer Bündnisse propagierte die KP, ohne aber eine selbstkritische Wertung vorzunehmen, ab 1935 die Popular Front, die Volksfront-Politik, was sich in den Diskussionen und Beschlüssen der 9. Parteikonferenz im Juli 1936 niederschlug, an der Eisler jedoch nicht mehr teilnahm.15

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23 f: Bericht von Gerhart Eisler an die ZPKK, 16. April 1953. Vgl. auch Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 116. Vgl. die Materialien der Konferenz in: Robert F. Wagner Labor Archives, The Tamiment Library, New York University: Communist Party of the United States Records, TAM 132 (im Folgenden: CP USA, TAM 132), Box 173, Folder 20: National Conference, Extraordinary, Open Letter and Program, July 1933. Vgl. An Open Letter, S. 7, wo der Streik der Automobilarbeiter 1933 in Detroit allein den Verdiensten der KP zugeschrieben wurde, was aber nicht stimmte. Vgl. weiter SAPMOBArch, DY 30/IV 2/4/155, ZPKK, Bl. 23 f.: Bericht von Gerhart Eisler an die ZPKK, 16. April 1953. Vgl. Ronald Friedmann, Gerhart Eisler und die Sozialfaschismus-Konzeption in der KP der USA, in: Widerstand in der Illegalität und im Exil. Der 30. Januar 1933 im Spiegel deutscher Biographien. Konferenzbeiträge, Teil II, Berlin 2008, S. 44–49. Vgl. CP USA, TAM 132, Folders 11–13: Report of the Central Committee to the Eight Convention of the Communist Party of the USA. Held in Cleveland, Ohio, April 2–8, 1934. I[srael] Amter, Industrial Slavery – Roosevelt’s „New Deal“, New York 1933, in: Archives Service Center, University of Pittsburgh,: American Left Ephemera Collection, 1894– 2008, AIS.2007.11, Box 3, Folder 50, im Internet unter http://digital.library.pitt.edu/u/ulsmanuscripts/pdf/31735061659524.pdf. Eisler wurde nach Moskau zurückbeordert und ging von dort, nunmehr wieder in der KPD tätig, nach Spanien und Frankreich. Unter den Namen „John Gerhard“ hatte er

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Ihre größte Wirksamkeit erreichte die KP ab 1936 durch die von ihr initiierte Aufstellung der Abraham Lincoln Brigade, des Freiwilligen-Korps, das an der Seite der Spanischen Republik kämpfte und eine Vielzahl bekannter Intellektueller zur Unterstützung gewinnen konnte, von denen Ernest Hemingway und der der Partei nahestehende Paul Robeson die bekanntesten waren.16 In der Präsidentenwahl 1936 rief die Partei zur Unterstützung Roosevelts auf.17 Die Rechtfertigung von Stalins Zusammenarbeit mit Hitler ab dem 23. August 1939 durch die kommunistische Partei zerstörte den antifaschistischen Konsens in der Arbeiterbewegung. The Yanks are not coming (Die Amis machen nicht mit) hieß nun die offizielle Parole der Kommunisten, wenn nichtkommunistische Linke darauf drängten, die Roosevelt-Administration solle sich gegen das HitlerRegime wenden. Für die KP war der Krieg hingegen eine Auseinandersetzung zwischen beiderseitig imperialistischen Mächten. Präsident Roosevelt wurde nunmehr, wie 1932, dem Lager der Gegner zugeordnet.18 Der Alien Registration Act oder Smith Act stellte 1940 die KP vor neue Probleme, zumal er durch eine weitere Bestimmung, den nach seinem Urheber genannten Voorhis Act, ergänzt wurde. Diese Bestimmung richtete sich speziell gegen Organisationen, die von einer ausländischen Macht kontrolliert und bezahlt wurden.19 Dies betraf den Amerikadeutschen Bund, doch auch die KP. Um einem

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noch am 7. Weltkongress der Komintern im Sommer 1935 in Moskau als Delegierter der KP der USA teilgenommen. Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 116–119. Die von früheren Spanienkämpfern gegründete New Yorker Zeitschrift The Volunteer berichtet noch heute vierteljährlich über Forschungsergebnisse zur Abraham Lincoln Brigade. Vgl. The Communist Election Platform of 1936, Portland (Oregon) 1936, in: Archives Service Center, University of Pittsburgh American Left Ephemera Collection, 1894– 2008, AIS.2007.11, Box 3, Folder 8; im Internet zugänglich unter http://digital.library.pitt.edu/u/ulsmanuscripts/pdf/31735061659771.pdf. Vgl. auch Harvey Klehr, The Heyday of American Communism. The Depression Decade, New York 1984, S. 185 f. Über die defätistischen Parolen, die die KP zum 1. Mai und zum Labor Day Anfang September 1940 verbreitete, berichtet Donna T. Haverty-Stacke, America’s Forgotten Holiday. May Day and Nationalism, 1867–1960, New York/London 2009, S. 173 f. Die Verwirrung erfasste jedoch auch Teile der unabhängigen Linken: So unterstützte eine kleine Gruppe derer den Pakt, die 1929 im Umfeld der Zeitschrift Morgen Frayhayt die Partei verlassen oder aus ihr ausgeschlossen worden waren. Vgl. Jennifer Young, The Scorched Melting Pot: The Jewish People’s Fraternal Order and the Making of American Communism, 1930–1950, in: Matthew B. Hoffmann/Henry F. Srebrnik (Hg.), A Vanished Ideology. Essays on the Jewish Communist Movement in the English-Speaking World in the Twentieth Century, Albany, NY 2016, S. 57. Initiator war der demokratische Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses für Kalifornien, Jeremiah Voorhis.

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Parteiverbot und möglichen Verhaftungen zu entgehen, verließ die KP noch im gleichen Jahr, unter Abstimmung mit Moskau, die Kommunistische Internationale. Es war das erste und einzige Mal, dass eine KP einen solchen Schritt unternahm.20 Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 änderte die KP wiederum ihren Standpunkt radikal und wurde zum Vorkämpfer der, wie sie es nun nannte, antifaschistischen Einheitsfront. Die KP ging nun sogar soweit, Streiks als Sabotage amerikanischer Kriegsanstrengungen zu denunzieren. So stellten 1941 kommunistische Kader für das USJustizministerium und damit für das FBI ein Dossier über trotzkistische Streikführer in Minneapolis zusammen. Im Ergebnis dieses Verrats – denn nichts anderes war es – wurde auf Mitglieder und Anhänger der trotzkistischen Socialist Workers’ Party (SWP) zum ersten Mal der Smith Act angewandt, der solche legalen Streiks als von Einwanderern gesteuert, als subversiv und gegen die amerikanische Regierung gerichtet betrachtete.21 Am Tag nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion erlebte der aus Prag in die USA geflohene Regisseur und Dramaturg Hanuš Burger kommunistische Demonstranten vor dem Weißen Haus. Von einem Tag auf den anderen hatten sie ihren Slogan The Yanks are not coming geändert. Es hieß jetzt The Yanks are coming, als ob es nie anders gewesen wäre. Eine derartige „komplette Kehrtwendung“, schrieb Burger, „hat bestimmt nicht geholfen, die kommunistische Partei populär zu machen. Aber in der Folge zeigte es sich, dass die Kommunisten gute Soldaten wurden, als wollten sie die Widersinnigkeit ihrer Haltung in den ersten beiden Kriegsjahren wettmachen.“22 Ihre erneute Wendung bewog die Partei, die bisherige Solidarität mit den Afroamerikanern de facto aufzugeben. Als 1941 die schwarzen Bürgerrechtler Philip Randolph und Bayard Rustin zusammen mit dem (weißen) reformierten Prediger Abraham J. Muste einen Marsch von Afroamerikanern nach Washington

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Kurz zuvor war in Kanada die kommunistische Partei verboten worden, die sich allerdings 1942 unter der Bezeichnung Labor Progressive Party neu organisierte. Belege bei Steve Clark, How CPUSA backed Smith Act convictions of SPW, Teamster Leaders, in: The Militant, 23. Mai 2005 (auch im Internet). Unter Kommunisten gab es dennoch Befürchtungen, der Smith Act könne sich bald gegen sie richten. Vgl. Donna T. Haverty-Stacke, Trotskyists on Trial. Free Speach and Political Persecution since the Age of FDR, New York 2016, S. 142. Vgl. auch Maurice Isserman, Which Side Were You On? The American Communist Party During the Second World War, Middletown (Connecticut) 1982, S. 123 f. Hanuš Burger, Der Frühling war es wert. Erinnerungen, München 1977, S. 115.

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organisieren wollten, um gegen die Ungleichbehandlung im Zivilleben und besonders in den Streitkräften zu protestieren, attackierte die KP dies als Sabotage.23 Die KP begrüßte sogar den Erlass der Roosevelt-Administration vom 19. Februar 1942, der die unterschiedslose Zwangsinternierung amerikanischer Bürger japanischer Herkunft vorsah, und schloss einen der Internierten, Karl Yoneda, als „Feind“ der USA aus der Partei aus.24 Durch diese „nationale Wendung“ der Kommunisten stieg, anders als Burger geglaubt hatte, zunächst ihr Einfluss innerhalb der Gewerkschaften, in denen rassistische Vorurteile gegen Nicht-Weiße stark verbreitet waren. Im Zeichen der weiteren Annäherung an das „bürgerliche Lager“ hatte Generalsekretär Earl Browder (nach inoffizieller Weisung Moskaus) 1944 sogar die Idee, die Partei aufzulösen und als „linken“ Flügel Roosevelts Demokraten anzuschließen. Die Partei benannte sich in „Communist Party Political Association“ um. Doch der Plan scheiterte vor allem aufgrund der Ablehnung der Demokraten, mit den Kommunisten ein Bündnis einzugehen. Browder wurde daraufhin zum Sündenbock erklärt und im folgenden Jahr aus der Partei ausgeschlossen. Die Partei, die für große Teile der Linken immer unglaubwürdiger wurde, war von inneren Widersprüchen tief zerrissen, und dies war ihre Lage, als die deutschen kommunistischen Flüchtlinge im Land Fuß zu fassen suchten.

Stefan Heym und das „Deutsche Volksecho“ (1937–1939) Die Frühgeschichte der Arbeit kommunistischer Hitlerflüchtlinge in den USA ist eng mit der Zeitschrift Deutsches Volksecho und mit dem Namen des angehenden Journalisten und Schriftstellers Stefan Heym verbunden. Dieser arbeitete bereits als Student in Chicago an einer kurzlebigen antifaschistischen Zeitschrift mit, die den Namen Volksfront trug. Heyms Beiträge für diese Zeitschrift sind nicht erhalten, fielen aber, so berichtete er 1988, dem Wirtschaftswissenschaftler Alfons Goldschmidt und dem früheren preußischen Justizminister Kurt Rosenfeld auf, die daraufhin Heym einluden, an dem zu gründenden Volksecho in New York 23

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Der Marsch wurde schließlich abgesagt, nachdem Präsident Roosevelt am 25. Juni 1941 durch eine Verfügung (Executive Order No. 8802) die ethnische Diskriminierung zumindest in der Rüstungsindustrie verboten hatte. Erst Jahrzehnte später und erst allmählich gelangte die Partei zu der Feststellung, diese Haltung sei „furchtbar“ gewesen. Vgl. Tony Pecinovsky, On 4th of July, remember CPUSA’s commitment to patriotism, in: Peoples’ World, 2. Juli 2015, http://www.peoplesworld. org/article/on-4th-of-july-remember-cpusa-s-commitment-topatriotism/. Vgl. auch Isserman, Which Side Were You On?, S. 144 f.

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verantwortlich mitzuarbeiten.25 Die Zeitung sollte formell überparteilich sein, doch, so hieß es inoffiziell, die Politik der KP der USA unter den Deutschamerikanern propagieren, wo kommunistische Ideen bisher kaum populär waren (auch nicht im starken gewerkschaftlichen Segment in und um Milwaukee). Der junge Journalist Stefan Heym war im antifaschistischen Exil bereits kein Unbekannter mehr. Publizistische Sporen hatte sich der parteilose, doch der KPD nahestehende Heym bereits an seinem ersten Exilort Prag erworben. Nach einem ersten Artikel – „Dämmerung“ im Prager Tagblatt vom 7. Mai 1933 unter dem Pseudonym Elias Kemp – nutzte er den Namen, der ihn weltbekannt machen sollte, für seine Beiträge, so in der Saarbrücker Zeitung Deutsche Freiheit und vor allem in der Neuen Weltbühne. Das einstige publizistische Flagschiff der radikalen deutschen Linken war im Exil wiederbelebt worden, zunächst unter der Redaktion von Willi Schlamm, der damals kurzzeitig der KPD-Opposition angehörte. Unter Hermann Budzislawski gab das Blatt jedoch ab dem März 1934 jede Kritik an Stalin auf, und diese Ausrichtung verstärkte sich 1936, dem Jahr des ersten Moskauer Prozesses.26 Heym gehörte ab 1934 zu den Autoren der Neuen Weltbühne.27 Für seine publizistischen Beiträge unternahm er umfangreiche Recherchen in Prager Bibliotheken. „Das Studium macht mir einen unheimlichen Spaß“ schrieb er an Budzislawski. „Sie können sich gar nicht denken, was das für mich bedeutet: Wieder in einer Bibliothek sitzen und lesen, lesen, lesen zu können.“28 Zusammen mit seinem lebenslangen Freund Hanuš Burger schrieb Heym eine Bühnenfassung von Tom Sawyers Abenteuer. Kurz nach der Fertigstellung des Stücks 1935 emigrierte Heym nach Chicago.29

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Vgl. Stefan Heym, Nachruf, S. 151 f., sowie Heyms Artikelsammlung: Wege und Umwege. Einmischung, hg. von Peter Mallwitz, München 1990, Taschenbuchausgabe ebd. 1998, hier S. 18. (Die beiden Teile der Aufsatzsammlung, Wege und Umwege sowie Einmischung, erschienen in leicht veränderter Form auch als separate Publikationen, eine Auswahl aus beiden Büchern kam unter dem Titel Stalin verlässt den Raum in Leipzig 1990 heraus.) Vgl. Ursula Madrasch-Groschopp, Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift, Frankfurt a. M. 1985, S. 360 ff. Vgl. das Gedicht von Douglas Melchior (Pseudonym von Stefan Heym), Mord und Maschine, in: Die Weltbühne, 8. März 1932, S. 387 (und weitere Gedichte seitdem). Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Zentralarchiv (BStU, ZA), HA IX/11 SV 25/79, Bl. 000071: Briefwechsel Hermann Budzislawski-Stefan Heym, Brief Heyms an Budzislawski vom 18. April 1935. Vgl. Burger, Der Frühling war es wert, S. 77 f.; Heym, Nachruf, S. 105–107.

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Nachdem er dort eingetroffen war, konnte er Budzislawski schreiben: „In Chicago arbeiten wir ganz gut politisch unter der deutschen Bevölkerung. Überhaupt rührt sich Amerika. An der Universität Madison, Wisconsin, wurde der Gesandte [Hans] Luther, als er sich beim Chef des germanistischen Departments aufhielt, von Studentendelegationen nur so mit unangenehmen Fragen überhäuft. Schließlich wusste er sich nicht mehr zu helfen und begann zu brüllen.“30 In Chicago schrieb Heym für The Nation, einen Bericht über die Jugend im „Dritten Reich“, in dem er vor Illusionen warnte: Die Nazis verstünden es, durch den (wenn auch mit dirigistischen Mitteln betriebenen) Abbau der Arbeitslosigkeit einen großen Teil der jungen Menschen für sich zu gewinnen. Es gebe ein Widerstandspotenzial, doch seien dessen Träger oft isoliert.31 Aus Chicago brachte Heym ein Manuskript mit dem Titel Nazis in the U.S.A. nach New York mit. In der vom American Committee for Anti-Nazi Literature verbreiteten Broschüre warnte er vor jeder Leichtgläubigkeit gegenüber dem „braunen Netzwerk gedungener Agenten, das sich über den ganzen Erdball ausbreitet. Es spinnt seine Fäden nicht nur um die USA herum, sondern auch innerhalb des Landes.“32 In der Broschüre enthüllte Heym die Propagandaaktionen des Amerikadeutschen Bundes, der inoffiziellen Vorfeld-Organisation der NSDAP, und des Bundesleiters Fritz Kuhn. Er nannte jene Organisationen und Vereine, in denen Bund-Mitglieder Fuß gefasst hatten, darunter die League of Sudenten Germans, die League of the Saarlanders und die German-American Business League.33 Aus Deutschland erhielt der Bund umfangreiche Unterstützung, wenn auch das Hitler-Regime selbst offiziell damit nichts zu tun haben wolle, um die Beziehungen zu Washington nicht zu gefährden: So würden der Norddeutsche Lloyd, die Hamburg-Amerika-Linie und andere Reedereien kostengünstig den Amerikadeutschen 30 31

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BStU, ZA, HA IX/11 SV 25/79, Bl. 000066–67: Heym an Budzislawski, Brief vom 26. November 1935. Vgl. Stefan Heym, Youth in Hitler’s Reich, in: The Nation, 27. Juni 1936. Zu den Unterdrückten, aber auch zu potenziellen und tatsächlichen Nazigegnern aus der Arbeiterbewegung würden sich, so Heym in The Nation am 2. September 1936, die deutschen Juden gesellen, auch diejenigen, deren Klassenlage sie ohne den faschistischen Antisemitismus kaum je auf Seiten der Linken gebracht hätte (Heym in einer Rezension zu Marvin Lowenthal, The Jews of Germany, New York 1936). Am 29. September 1936 rezensierte Heym in der gleichen Zeitschrift die Hitler-Biographien von Rudolf Olden und Konrad Heiden. Obgleich beide keine Marxisten seien, hätten sie, „wie jeder ernsthafte Historiker“, von Marx gelernt. Stefan Heym, Nazis in U.S.A. An Exposé of Hitler’s Aims and Agents in the U.S.A., New York 1938, S. 4. Vgl. ebd., S. 12 f.

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Bund mit Material beliefern.34 Heym machte amerikanische Sympathisanten des Bundes wie die Journalisten Edwin Emerson und George Sylvester Viereck namhaft.35 In New York begann für Heym, der sich – ohne Erfolg – auch als Dramatiker und Lyriker versuchte,36 beim Deutschen Volksecho ein neuer Abschnitt seines Lebens. Am 20. Februar 1937 erschien die erste Ausgabe des Deutschen Volksechos, die behauptete, für das Blatt hätten sich bereits 35 000 Abonnenten angemeldet, was wohl stark übertrieben war.37 Auch ihr Redakteur Stefan Heym hat später, als dies keinerlei Gefahr für irgendjemanden mehr bedeutete, niemals auf eine ins Gewicht fallende finanzielle Unterstützung durch die KP der USA verweisen können, sieht man von den zwanzig Dollar Lohn ab, die ihm der Geschäftsführer Curt Loewe monatlich übergab. Die amerikanischen Kommunisten suchten das Volksecho unter deutschsprachigen Arbeitern zu vertreiben, jedoch mit geringem Erfolg. Das Deutsche Volksecho erschien seit Februar 1937 wöchentlich jeden Sonnabend mit dem Untertitel Die freie deutschamerikanische Wochenzeitung, später ergänzt durch den englischen Titel The German Peple’s Echo. Die Redaktionsadresse 5 Beekman St. lag im Süden Manhattans in der Nähe der Brooklyn Bridge. Später zog die Zeitschrift innerhalb des Südteils von Manhattan um, nach 20 Vesey Street in die Nähe des Battery Park, wo damals die Mietpreise für Geschäftsadressen noch erschwinglich waren. Das Jahresabonnement kostete 2,50 $. Als verantwortlicher Redakteur zeichnete Martin Hall, wie Hermann Jacobs nun offiziell hieß, Redaktionssekretärin war Hilde Schottlaender, spätere Hilde Marchwitza, Geschäftsführer (Business Manager) war Curt Loewe, Werbeleiter (Advertising Manager) Ernest G. Simon, ein Amerikaner, dessen Fähigkeit der Akquirierung von Werbeanzeigen die Existenz des Blattes zwei Jahre lang mit 34 35 36

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Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 17–19. Auf diese frühen Arbeiten Heyms kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Vgl. Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 23–36. Zachau bezog auch Heyms erste literarische Versuche in Berlin und Prag in die Darstellung ein. Vgl. auch Robert C. Jespersen, Stefan Heym, in: John M. Spalek (Hg.), Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd. 2, Bern 1989, S. 358–372, und die Vorab-Broschüre: Mario Keßler, Stefan Heym in den USA (1935–1951). Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e. V., Texte und Argumente 2018/1, Jena 2018. Deutsches Volksecho, 20. Februar 1937. Zum Vergleich: Die sozialdemokratische Neue Volkszeitung hatte 1934 eine Auflage von 21 850 und 1944 von 21 270 Exemplaren. Vgl. die Einleitung von Friedrich Stampfer zu: Erich Matthias (Hg.), Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration, bearbeitet von Werner Link, Düsseldorf 1968, S. 148.

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sichern halfen, ohne dass die Mitarbeiter bisweilen wussten, ob das Geld noch für zwei oder nur für eine folgende Nummer reichen würde. Ein geheimer Geldgeber für das Volksecho war Alfons Goldschmidt, der schon in Berlin der Weltbühne als Wirtschaftsberater gedient hatte und versiert im Auftreiben von Geldmitteln war. Auch Kurt Rosenfeld beteiligte sich an der Akquirierung der nötigen Finanzen, die aber dennoch kaum je reichten. Stefan Heym, der auch als Herausgeber fungierte, schrieb die meisten (ungezeichneten) Beiträge des Blattes.38 Die Zeitschrift war als Tabloid, als relativ kleinformatige Illustrierte, professionell aufgemacht. Leitartikel und Kommentare wechselten mit Fotos, mit Seiten für Frauen und Jugendliche, und selbst ein Comic strip fand sich, das der Zeichner Harold Magin, der früh versterben sollte, gestaltete. Kurzum: „ein Blatt im amerikanischem Stil“, wie Robert Cazden urteilte.39 Ursprünglich war eine rein deutsche Zeitschrift geplant, doch entschied Stefan Heym, von Anbeginn das Blatt zweisprachig zu gestalten. Von den sechzehn Seiten der ersten Ausgabe wurden bereits die Sport- und Familienseiten in Englisch gedruckt. Zudem akquirierten Heym und Hall mittels der Rechtsform einer eingetragenen Gesellschaft, der Volksecho Publishing Company, Anzeigen bei verschiedenen New Yorker Unternehmen, um die Druckkosten tragen zu können.40 Im Redaktionsbüro des Deutsches Volksechos wurde Heym von Martin Hall und von einer „grauen Eminenz“ erwartet, die ihren richtigen Namen nicht nannte, doch über die Heym später herausbekam, dass es Johannes Schroeter war. Er stellte sich ihm als „Hans“ vor, war anderen jedoch als „Otto“ bekannt. Heym beschrieb ihn, „der zunächst nur gelegentlich erscheint, zwinkernden Auges, den Kopf mit dem blondgewellten Schopf über faltenreicher Stirn ein wenig nach links geneigt; etwas ist nicht in Ordnung mit der Halsmuskulatur. Der nun gibt die wirklichen Analysen der Lage und macht Voraussagen, die wunderbarerweise fast immer eintreffen: mehr als ein Schlaumeier [...]. Hans oder Otto ist ein politisches Genie. Es heißt, dass er einmal Reichstagsabgeordneter war, ein kommunisti-

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Vgl. Reinhard Konrad Zachau, Stefan Heym in Amerika. Eine Untersuchung zu Stefan Heyms Entwicklung im amerikanischen Exil 1935–1952, Ph.D. Thesis, University of Pittsburgh 1978, S. 13 f.; Regina U. Hahn, The Democratic Dream. Stefan Heym in America, Bern 2003, S. 21 ff. (Die Darstellung von Inge Dube, Das Amerika-Bild Stefan Heyms, Ph.D. Thesis, Northwestern University, Evanston, Illinois 1986, lag mir nicht vor.) Cazden, German Exile Literature in America, S. 43. Die Volksfront Publishing Company musste im Frühjahr oder Frühsommer 1939 Bankrott anmelden, so dass zuletzt die Seitenzahl des Blattes auf acht reduziert wurde, um dessen Überleben wenigstens hinauszuzögern. Vgl. Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 39.

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scher,41 und dass er illegal in Amerika ist und hier zahllose Verbindungen unterhält, bis hin nach Hollywood und vorzugsweise zu sehr reichen Leuten, denn er verdient sein Geld als Investitionsberater […].“42 Dies stimmte insofern, als er eine Zeitlang mit Otto Katz zusammenarbeitete und ihm womöglich einen Teil der Gelder übermittelte, die aus Moskau für die Finanzierung der Anti-Nazi League for the Defense of American Democracy flossen, mittels derer eine Reihe von Hollywood-Schauspielern und Regisseuren mindestens zeitweise für „die Sache Moskaus“ gewonnen werden konnte. „Hans oder Otto also lässt stets durchblicken, dass er mehr weiß als er sagt, und dass das, was er sagt, auf Quellen beruht, zu denen nur er Zugang hat; doch nie gibt es irgendwelche Ordres; das hat er nicht nötig, durch ihn spricht in leicht sächsischem Tonfall eine höhere Autorität, nicht in Frage zu stellen von einem, der sich seinen Weg erst ertasten muss.“43 Als Redakteur des Volksechos machte sich Heym einen Namen innerhalb des heterogenen deutschen Exils, und in dieser Funktion wurde er im Oktober 1938 in den Beirat der German-American Writers Association gewählt – zusammen mit Gerhart Seger von der sozialdemokratischen Neuen Volkszeitung und Manfred George vom Aufbau.44 Obgleich er als erst 24-Jähriger in den politischliterarischen Debatten nur eine Außenseiterrolle spielen konnte, lernte er doch so Oskar Maria Graf, Ludwig Renn und sogar Thomas Mann kennen.45 Heym suchte das finanziell notorisch in Schwierigkeiten steckende Volksecho mit der Neuen Volkszeitung zusammenzubringen; man könne über eine Fusion der beiden Blätter nachdenken, schlug er Gerhart Seger vor, doch lehnte dieser jeden Gedanken an eine engere Zusammenarbeit entschieden ab. „Die Beredsamkeit des Besuchers“, so Heym über sein Treffen mit Seger, „hat sich bald erschöpft.; er spürt, wie wenig er zu bieten hat gegen die Solidität dieses Büros, in dem sein 41 42 43 44

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Als Reichstagsabgeordneter der KPD vertrat Johannes Schroeter 1928–1932 den Wahlkreis 11 (Merseburg). Stefan Heym, Nachruf, S. 154. Ebd., S. 155. Peter Hutchinson, Stefan Heym. The Perpetual Dissident, Cambridge/New York 1992, S. 29, verweist dabei auf die – trotz bedingter Zusammenarbeit zwischen der Neuen Volkszeitung und dem Aufbau – bestehende Konkurrenzsituation der drei deutschsprachigen Blätter. Vgl. Stefan Heym, Aus finsteren Jahren, in: Sinn und Form. Sonderheft 1965: Thomas Mann, S. 336–339, Wiederabdruck in: Ders., Wege und Umwege, S. 130–135. Das Heft enthält auch einen Brief Manns an das Volksecho sowie zwei Reden Manns (ebd. S. 340– 346). Vgl. weiterhin Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 15 f., und Gerhard Reich, Deutschsprachige Exilliteratur in New York nach 1933. Ph.D. Thesis, University of Pennsylvania, Philadelphia 1997, S. 174 f.

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Gegenüber herrscht, und gegen dessen acht schön aufgemachte großformatige Seiten, manchmal sind es auch zwölf, auf denen die Markenfirmen der Tabakindustrie und andere Großunternehmen ihre Anzeigen erscheinen lassen und so dem Blatt eine feste finanzielle Basis garantieren.“46 Doch hatte die Ablehnung durchaus plausible Gründe: „Seger war sich der kommunistischen Infiltrationstechniken wohl bewusst, die auf eine Übernahme hinausliefen“, schrieb auch der Heym wohl gesonnene Peter Hutchinson, „und weigerte sich zu glauben, dass das Volksecho etwas anderes war als Der Arbeiter in neuer Verkleidung“ – jene deutschsprachige Zeitung, in der die KP der USA die nichtkommunistische Linke als Sozialfaschisten und von Großkapital gekaufte Elemente denunziert hatte.47 In seiner großangelegten ersten Gesamtschau des deutschen Exils in den USA schrieb Joachim Radkau, dass „die Kommunisten immer am längeren Hebelarm sitzen und, wenn es darauf ankam, immer über die notwendigen Geldsummen, Visa und personalen Beziehungen verfügen würden; dass sie nur scheinbar Leidensgenossen des Exils seien.“ Dies sei jedenfalls die Wahrnehmung des größten Teils der nichtkommunistischen Exilanten. „Die potentielle Unterstützung durch die Sowjetunion schien den Kommunisten, vor allem in den Augen ihrer Gegner, auch dort, wo sie numerisch schwach vertreten waren, ein Schwergewicht zu verleihen, das alle Gegenkräfte mattsetzte.“48 Besonders misstrauisch verfolgten jene Sozialdemokraten und Exkommunisten, die aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Stalinismus sich als „gebrannte Kinder“ sahen, die Bemühungen der Kommunisten, auch in den USA eine Volksfront aufzurichten, in der sie, so ihre Kritiker, letztlich das alleinige Sagen haben würden. Sie sahen sich, gerade auch im Vergleich mit dem kommunistischen Exil, oft als „Generale ohne Armee.“49 Doch war eine kommunistische Dominanz innerhalb des deutschen Exils vielleicht eine Wunschvorstellung ihrer Parteigänger oder ein Albtraum ihrer Gegner: Mit der Realität hatte sie jedenfalls nichts zu tun.50 46 47 48 49

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Heym, Nachruf, S. 143 f. Hutchinson, Stefan Heym, S. 129. Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluss auf die amerikanische Europapolitik 1933–1945, Düsseldorf 1971, S. 169. Lewis J. Edinger, Sozialdemokratie und Nationalsozialismus. Der Parteivorstand der SPD im Exil von 1933 bis 1945. Übersetzt von Karl Hermann Tjaden, Hannover/Frankfurt a. M. 1960, S. 146. Von den in westlichen Exilländern erscheinenden Publikationen war (vor dem Erscheinen des German American 1944) lediglich die in Mexiko erscheinende Zeitschrift Freies Deutschland explizit prokommunistisch. Sie wurde hauptsächlich in den USA gelesen. Vgl. zur Exilpresse Hans-Albert Walter, Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Bd. 4: Exilpresse, Stuttgart 1978; zu den USA vgl. Robert E. Cazden, German Exile Literature in

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Das Volksecho nahm gezielt Kontakt mit verschiedenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf, die als Sympathisanten der kommunistischen VolksfrontPolitik gelten konnten. In der Liste der Sponsoren finden sich der Schriftsteller Malcolm Cowley, der Mitherausgeber der Zeitschrift New Masses, Joseph Freeman, der Rechtsanwalt Arthur Garfield Hays, der Politologe Max Lerner und der Kongressabgeordnete der American Labor Party, Vito Marcantonio.51 Diese Sponsoren halfen dem Deutschen Volksecho, seinen offiziell überparteilichen Charakter zu betonen. „Diese Zeitung stellt sich in den Dienst der Volksfront“ hieß es programmatisch in der ersten Nummer. „Das bedeutet: Sie nimmt Partei auf der Seite des Volkes. Sie will das Echo und der Ruf des Volkes sein. Sie will alle aufrufen, alle um sich scharen: Arbeiter, Bauern, Handwerker, Mittelständler, Intellektuelle – Deutsche in aller Welt, Deutsche in Amerika.“ Das Volksecho beschwor die demokratischen Traditionen deutscher Einwanderer, verzichtete aber auf die Nennung kommunistischer Namen wie Joseph Weydemeyer oder Wilhelm Weitling: „Kam nicht ein Steuben nach Amerika, um hier die Demokratie erkämpfen zu helfen? Trat nicht hier Carl Schurz selbstlos für die Freiheit einer versklavten Rasse ein?“52 Natürlich bekämpfte das Volksecho den amerikanischen Ableger der deutschen Nazis in aller Schärfe. Das Blatt zitierte den Kongressabgeordneten Samuel Dickstein, der die finanzielle Unterstützung Fritz Kuhns und seines DeutschAmerikanischen Volksbundes durch deutsche Stellen enthüllte. Kuhn, Chemiker und Ford-Angestellter, habe Henry Fords antisemitische Hetzschrift The International Jew, die bereits 1922 in deutscher Übersetzung erschien, erneut „in Deutschland nachdrucken und in einer großen Auflage nach den Vereinigten Staaten schicken lassen.“ Zudem habe Kuhn Gelder unterschlagen, die ihm Ford zur Verfügung gestellt habe und sei deshalb entlassen worden. Doch Kuhns Geschrei, er sei „ein gezeichneter Mann“, sei hinten und vorn erlogen, da er nun zwar

51 52

America 1933–1950. A History of the Free German Press and Book Trade, Chicago 1970; Manfred Durzak, Die Exilsituation in den USA, in: Ders. (Hg.), Die deutsche Exilliteratur 1933–1945, Stuttgart 1973, S. 145–158. Die Namen finden sich in: Deutsches Volksecho, 17. Juni 1937. Deutsches Volksecho stellt sich vor, in: ebd., 20. Februar 1937. Wiederabdruck in: Heym, Wege und Umwege, S. 57–59. Heym konnte 1938 auch einige Gedichte in der Moskauer Zeitschrift Das Wort unterbringen, worauf hier nur verwiesen werden kann. Vgl. Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 50. Hingewiesen sei jedoch auf publizistische Arbeiten Heyms in Das Wort, in denen er seine Volksecho-Erfahrungen verarbeitete. Vgl. von ihm: Kleine deutsche Chronik – USA (1938, Nr. 12, S. 141–143 und 1939, Nr. 1, S. 134– 138); Amerikanische Bücher deutscher Autoren (1939, Nr. 2, S. 107–110).

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inoffiziell, doch direkt aus Berlin bezahlt werde.53 Max Schmelings Niederlage gegen Joe Louis sei ein K.O. des Rassenwahnsinns (obwohl, wie angemerkt sei, Schmeling alles andere als ein Nazi war).54 Mit Befriedigung konnte das Volksecho vermelden, dass es der deutschen Filmregisseurin Leni Riefenstahl zwar ohne Probleme gelungen war, einen Termin bei Henry Ford zu erhalten, dass aber die großen Studios in Hollywood ihr die Türen verschlossen.55 Auch Fords ausbeuterische Arbeitsorganisation und sein Kampf gegen die Gewerkschaften fanden ihren Niederschlag in der Zeitung, ebenso der Rassismus im amerikanischen Süden.56 Das Volksecho brachte detaillierte Informationen vom spanischen Kriegsschauplatz und berichtete über Solidaritätsaktionen mit der Spanischen Republik: „Die Protestbewegung gegen die barbarische Vernichtung der heiligen Stadt der baskischen Katholiken, Guernica, nimmt auch in den Vereinigten Staaten einen immer größeren Umfang an. 76 bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in [den] USA, darunter zwei Gouverneure, sieben Senatoren, viele gewerkschaftliche, politische und kirchliche Führer haben unter Leitung des Bischofs Francis L. McConnell in einer öffentlichen Erklärung an das Gewissen der Welt appelliert.“57 Ein Kommentar dazu unterstrich: „Guernica bleibt eine Kulturschande, die den deutschen Namen in der Welt noch auf lange Zeit mit Schmach bedecken wird: Niemand empfindet diese Schande tiefer als wir Deutschamerikaner, die wir den Kampf gegen Hitler gerade darum führen, weil er den Hass der ganzen Welt gegen unsere alte Heimat heraufbeschwört.“58 Dabei grenzte sich das Volksecho von der Auffassung ab, die Hitler als eine logische Folge der deutschen Geschichte sah. Eine solche Haltung vertrat besonders der Schriftsteller Emil Ludwig, auch in einem Interview für das Volksecho. Es sei wichtig, festzustellen, zitierte das Blatt Ludwig, „dass der Nationalsozialismus nicht etwa nur ein Parteiunternehmen und keine deutsche Angelegenheit sei. Es sei falsch zu glauben, Deutschland sei von einem gewissenlosen Abenteurer regiert; in gewissem Sinne wolle es das deutsche Volk so. Die Deutschen lieben die Ordnung mehr als Freiheit.“ Die Opposition gegen Hitler sei schwach „und daran hat 53 54 55 56

57 58

Fritz Kuhn erklärt: „Ich bin ein gezeichneter Mann!“, Deutsches Volksecho, 20. März 1937. Schmelings K.O. ist ein K.O. des Nazi-Rassenwahnsinns, in: ebd., 2. Juli 1938. Vgl. Leni Riefenstahl in Hollywood, in: ebd., 17. Dezember 1938. Wiederabdruck in: Heym, Wege und Umwege, S. 77–80. Vgl. Im Reiche König Henrys I., in: Deutsches Volksecho, 7. August 1937 (Wiederabdruck in: Heym, Wege und Umwege, S. 92–97); Der Süden – das Problem der Nation, in: ebd., 20. August 1938. 76 Persönlichkeiten der USA protestieren gegen die Schlächterei von Guernica, in: ebd., 15. Mai 1937. Die Kulturschande von Guernica, in: ebd.

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auch der heldenhafte Kampf Tausender von Kommunisten, Katholiken und Protestanten nicht viel geändert.“ Dies aber sei „ein Standpunkt, den wir nicht teilen“, schrieb das Volksecho. „Wir jedenfalls glauben fest daran, dass das wahre Deutschland anders aussieht als das Deutschland des Dritten Reichs.“59 Heym erinnerte an die Selbstmorde verzweifelter Exilanten, von denen Ernst Toller, der sich am 22. Mai 1939 in New York das Leben nahm, nur der bekannteste war. Es müsse, neben der notwendigen materiellen Hilfe, auch gelingen, den Emigranten politisch durch überparteiliche Organisationen einen Halt zu geben; dies könne manche Verzweiflungstat verhindern.60 Doch nicht nur der Opfer Hitlers wurde gedacht. Das Blatt enthüllte die Verhaftung und Folterung des früheren deutschen Reichstagsabgeordneten der KPD, Arthur Ewert, der zusammen mit dem Sekretär der KP Brasiliens, Luis Carlos Prestes, durch die Polizei des Vargas-Regimes eingekerkert wurde und mahnte eindringlich: „Man muss protestieren! Jeder aufrechte Mensch, jeder Deutsche muss mithelfen, den blutigen Nachäffer Hitlers, Getulio Vargas, zu zwingen, die allem Recht zum Hohn Verurteilten vor ein öffentliches Zivilgericht zu bringen, wo sie die Anklagen der Vargas-Knechte widerlegen und als das erweisen können, was sie sind: Vorwände, um die faschistische Herrschaft Vargas’ zu ‚rechtfertigen‘.“61 Keinerlei Solidarität zeigte jedoch das Deutsche Volksecho mit den Opfern der stalinistischen Schauprozesse. Stefan Heym, der hier in seiner Autobiographie von sich in der dritten Person (S. H.) schrieb, gestand: „Ich kann die Sache nicht unter den Tisch fallen lassen und verschweigen, was S. H. dazu im Volksecho veröffentlichte, so bequem das auch wäre. Ich kann es nicht, weil es sich hier auch um ein persönliches Problem handelt, mit dem jeder, der glaubt, ein Sozialist zu sein, sich immer wieder herumschlägt: seine Stellung zur Sowjetunion. Es geht auch nicht an, im Falle S. H.s auf Unwissenheit zu plädieren; in Amerika gab es genug Quellen, die auf die Unwahrscheinlichkeit der Anklage hinwiesen, auf die Lückenhaftigkeit der Beweisführung, auf Widersprüche in den Angaben der Zeugen und auf die sichtliche Unfairness der Moskauer Prozessführung. Aber derartige Einwände wurden als trotzkistische Propaganda abgetan, und wie sollte man Trotzki, dem großen Verlierer, dem Hinausgeworfenen, ein objektives Urteil zutrauen; und wenn gar noch die Nazis, die Urheber des Reichstagsbrand-Prozesses, in das glei59 60 61

Gertrud Kamp [Stefan Heym?], Interview mit Emil Ludwig, in: ebd., 10. Juli 1937. Vgl. Immigranten-Selbstmorde, in: ebd., 10. Juni 1939. Wiederabdruck in: Heym, Wege und Umwege, S. 107–109. Prestes, Brasiliens Freiheitsheld, zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er und der deutsche Reichstagsabgeordnete Ewert auf Strafinsel deportiert, in: ebd., 15. Mai 1937. Vgl. Ronald Friedmann, Arthur Ewert. Revolutionär auf drei Kontinenten, Berlin 2015, S. 338 ff.

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che Horn stießen und hohnlachend die sowjetische Justiz als willfähriges Werkzeug eines Stalin bezeichneten, so schien der Beweis erbracht, dass es höchste Zeit war, dem Treiben jener irregeleiteten ehemaligen Revolutionäre, die nun in Moskau auf der Anklagebank hockten, ein Ende zu bereiten. Denn war nicht die kommunistische Sowjetunion, angefeindet von den Nazis wie sonst nur die Juden, der einzige wirkliche Fels in der braunen Brandung, der einzige prinzipienfeste, einzig ernstzunehmende und unter allen Umständen verlässliche Gegner des Hitler-Regimes? Sie durfte, auch nach S. H.s Gefühl, nicht in Zweifel gestellt werden, bei Strafe des Zusammenbruchs der letzten verbliebenen Hoffnung auf bessere Zeiten.“62 Schon die erste Nummer des Volksecho zitierte den sowjetischen Generalstaatsanwalt Andrej Wyschinski, der behauptete, die Angeklagten des zweiten Moskauer Prozesses vom Januar 1937 hätten „mehr als einmal bestätigt, dass die Untersuchungen in absolut korrekter Form geführt wurden, und dass weder von direkter noch von indirekter Gewaltanwendung die Rede sein könne.“ Zwar hätten die Angeklagten nach ihrer Verhaftung ihre konterrevolutionären Umsturzpläne zunächst abgeleugnet. „Muralow leugnete seine Schuld acht Monate lang, Boguslawski gestand nach acht Tagen, und Radek zögerte drei Monate lang, auszusagen“, aber: „Am Schluss begannen sie alle zu sprechen.“ Die Anklage sei „streng auf Tatsachen aufgebaut – und die Angeklagten haben im Allgemeinen nur das gestanden, was schon durch die Untersuchungsbehörden des Volkskommissariats aufgedeckt war.“63 Im Übrigen habe auch der japanische Heeresminister, General Hajime Sugiyama, erklärt, sein Land verfüge über geheime Informationskanäle nach Russland zu Elementen, „die in Opposition zu der gegenwärtigen Regierung stehen, und diese Elemente haben uns informiert.“64 Nach dem (nichtöffentlichen) Prozess gegen einen Teil der sowjetischen Armeeführung um Marschall Michail Tuchatschewski fragte Heym sich und die Leserschaft des Volksecho im Juni 1937, wie denn die deutschen und japanischen Geheimdienste derart enge Kontakte zu höchsten Kommandeuren der Roten Armee herstellen konnten, wer die Angeklagten überhaupt seien, wie ihr Verrat erklärt werden könne und welche Folgen dies alles für die Innen- und Außenpolitik der Sowjetunion habe. Sämtliche Angeklagte seien schon in der Zeit des Zarismus Offiziere gewesen. „Es handelt sich also in der Hauptsache nicht um alte Revolutionäre, sondern um militärische Spezialisten.“ Ihnen fehle der Glaube, in einem Zweifrontenkrieg gegen Deutschland und Japan zu bestehen. Deshalb hät62 63 64

Heym, Nachruf, S. 166 f. Warum gestanden die Angeklagten im Trotzkistenprozess?, in: Deutsches Volksecho, 20. Februar 1937. Japans Kriegsminister bestätigt Verbindungen mit Trotzkisten, in: ebd., 6. März 1937.

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ten sie Verbindung zu den Feinden der Sowjetunion aufgenommen. Sie hätten den Gedanken nicht gescheut, sowjetische Gebiete im Tausch gegen eine – allerdings nur allzu brüchige – Sicherheit abzutreten. „Der Rotarmist und jene Offiziere, die aus der revolutionären Bewegung hervorgingen, werden von vornherein anders zu dieser Frage stehen. Der Rotarmist kommt aus dem sozialistischen Milieu in die Armee und geht nach zwei Jahren Heeresdienst, die überdies mit einer politischen Schulung im sozialistischen Sinne verbunden sind, in das sozialistische Milieu zurück. Er hat die Erfolge des Sozialismus am eigenen Leibe erlebt. Er weiß, dass er im Kriegsfalle sein eigenstes Interesse zu verteidigen hat.“ Die Liquidierung der Verschwörung in der Armee zeuge von der Wachsamkeit und Stärke der Sowjetunion.65 Doch nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in Spanien gelte es, die Machenschaften der Trotzkisten zu entlarven. Sie und ihre Komplicen, die sogenannte Arbeiterpartei der marxistischen Einheit, die POUM, seien mit ihrem Aufstandsversuch gegen die rechtmäßige Regierung in Barcelona schmählich gescheitert. „Leute wie Andres Nin, Juan Andrade und Julian Gorkin“ führten „seit Wochen eine beispiellose Verleumdungskampagne gegen die Sowjetunion“ und gegen die Spanische Republik, die sie der Preisgabe aller revolutionären Errungenschaften bezichtigten. Bezeichnenderweise drucke die Nazipresse in Berlin diese scheinrevolutionäre Hetze ab. Von Mexiko aus sende „Herr Trotzki seine Anweisungen an seine Anhänger in Spanien, Anweisungen, die den Sieg der Rebellen und die Niederlage der spanischen Demokratie zur Folge haben müssten – wenn nicht ihre Durchführung durch die entschlossene Haltung der Organisationen der Volksfront verhindert worden wäre.“66 Von Trotzkis Scheitern auf der ganzen Linie zeuge der sogenannte „Gegenprozess“ in Mexiko, der die Rechtmäßigkeit der Urteile gegen die Konterrevolutionäre in Moskau zu widerlegen suche, sie aber unfreiwillig bestätige. Es sei dabei „nur zu bedauern“, dass sich einige Liberale in den USA (wie John Dewey) „dazu haben missbrauchen lassen, Statisten in dieser Komödie zu sein.“ Jedoch: „Mag Trotzki in Mexiko vor einer Handvoll geduldiger Zuhörer seine vom persönlichen Hass verzerrte Auffassung von der Geschichte der russischen Revolution zum hundertsten Male darlegen – die wirkliche Geschichte geht weiter, außerhalb der Steinmauern, hinter denen sich diese gespenstige ‚Untersuchung‘ abspielt, wie sie längst über ihre Akteure hinweggegangen ist.“67 Ein Verschwörernest um das andere werde in Moskau ausgehoben. Im März 1938 sei die Reihe an Bucharin gewesen. „Bucharin versuchte, die Mitwisserschaft 65 66 67

Militär und Politik in der Sowjetunion, in: ebd., 19. Juni 1937. Trotzkistenrevolte in Barcelona, in: ebd., 15. Mai 1937. Trotzkis „Gegenprozess“ ein Reinfall, in: ebd., 17. April 1937.

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an den Details der Verschwörung – die Vergiftungen, Sabotage, Spionage in sich schlossen – abzuleugnen. Aber Schritt für Schritt musste er unter dem Kreuzverhör Wyschinskis, des Staatsanwalts, und unter den Aussagen der anderen Angeklagten zurückweichen.“ In dem „rechts-trotzkistischen Block“ hätten sich Elemente verschiedenster Art zusammengetan – ukrainische Nationalisten, polnische Faschisten alte Partei-Oppositionelle und machthungrige Schurken wie Jagoda – , die aber ein gemeinsames Interesse hätten: die Sowjetmacht zu stürzen. „Der Prozess bedeutet einen ungeheuren Schlag gegen den Faschismus, der seine wertvollsten Agenten – die zum Teil an hohen Stellen des sozialistischen Staates saßen – plötzlich verliert. Er ist aber auch eine Warnung: Das Volk des ersten Arbeiterstaates der Welt ist nicht gewillt, Krankheitskeime in seinem Körper zu dulden. Der Prozess ist ein Reinigungsprozess.“68 Der erste Moskauer Schauprozess gegen Kamenew, Sinowjew und vierzehn weitere alte Bolschewiki im August 1936 fand, wie auch die nachfolgenden Prozesse, seine Begleitmusik in einer Welle von Beschwichtigungen und Rechtfertigungen durch westliche „Freunde der Sowjetunion“, darunter berühmten Schriftstellern wie Heinrich Mann, Halldór Laxness, Romain Rolland und Louis Aragon wie auch Ernst Bloch. Sie alle beteuerten die korrekte Durchführung der Ermittlungen und die Wahrheit der Aussagen, lobten die Sowjetjustiz, ihren Generalstaatsanwalt Wyschinski und begrüßten die Todesstrafen.69 Die staatliche Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland brachte sogenannte „Freunde der Sowjetunion“ ins Land, wo ihnen Potjemkinsche Dörfer vorgeführt wurden.70 Lion Feuchtwanger schrieb, es sei „läppisch“, die Prozesse „simpel auf Stalins Herrschsucht und Rachgier zurückzuführen. Stalin, der gegen den Widerstand der ganzen Welt ein so großes Werk vollbracht hat wie den wirtschaftlichen Aufbau der Sowjet-Union, der Marxist Stalin, gefährdet nicht die Außenpolitik seines Landes und damit einen wichtigen Teil seines Werkes aus einem persönlichen Motiv, wie es Gymnasiasten, die historische Stücke schreiben, ihren Helden unterschieben.“71

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Bucharin, Yagoda Hauptfiguren im zweiten Teil des Prozesses, in: ebd., 19. März 1937. Vgl. David Caute, The Fellow-Travellers. Intellectual Friends of Communism, New Haven/London 1988, S. 140–195. Vgl. Ludmila Stern, Western Intellectuals and the Soviet Union. From Red Square to the Left Bank, Abingdon-on-Thames 2007, bes. S. 132 ff. Lion Feuchtwanger, Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde, Berlin 1993, S. 86. Das Buch erschien zuerst 1937 in Amsterdam. Dass Feuchtwanger z. T. wider besseres Wissen schrieb, zeigt Anne Hartmann, Lion Feuchtwanger, zurück aus Sowjetrussland.

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Auch in den USA verteidigten linke oder als links firmierende Schriftsteller den Stalin-Terror, darunter Dorothy Parker, Lilian Hellman, Theodore Dreiser, Dashiell Hammett und Langston Hughes. Ihnen schlossen sich die Philosophen Howard Selsam und Corliss Lamont, die Politologen Max Lerner und Paul Sweezy, die Journalisten Anna Louise Strong und Louis Fischer und viele weitere an.72 Walter Duranty, der Moskauer Korrespondent der New York Times, schrieb: „Es ist undenkbar, dass ein öffentlicher Prozess gegen solche Männer geführt werden könnte, lägen den Verantwortlichen keine hieb- und stichfesten Beweise ihrer Schuld vor.“73 Für sie alle war selbstverständlich, was Stalins Helfer unermüdlich behaupteten: In der sozialistischen Sowjetunion seien politische Opposition und kriminelle Tätigkeit ein und dasselbe. Von gutgläubigen „Sowjetfreunden“ erhielt die kommunistische Partei einen bescheidenen Zulauf, wobei jedoch die Zahl der Parteieintritte nicht den Erwartungen der KP-Führung entsprach.74 Doch als mit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 das politische Klima umschlug, zogen sich die meisten von ihnen wieder zurück. „Und dann kam der Pakt“, schrieb Stefan Heym. „Es war ein Gefühl, ich spüre es heute noch, wenn ich an jene Zeit denke, als wären einem die Beine unterm Leib weggeschlagen worden.“75 Die Volksecho-Mannschaft rang nach Erklärungen. Man wisse, „dass alles, was die Sowjetunion tut, den Interessen des Friedens und der endgültigen Niederlage der faschistischen Aggressoren dient“, hieß es. Chamberlain habe in München 1938 Hitler durch Zugeständnisse gestärkt und seinen Aggressionsdrang nach Osten hin lenken wollen. „Kein Mensch, weder in Moskau noch in irgendeinem anderen Lande der Welt, wird sich Illusionen über den Wert einer Unterschrift Ribbentrops oder Hitlers unter einen Pakt machen.“ Tatsache

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75

Selbstzensur eines Reiseberichts, in: Exil. Forschung, Erkenntnisse, Ergebnisse 29, 2009, Nr. 1, S. 16–40. Vgl. auch Stern, Western Intellectuals, S. 156 ff. Vgl. An Open Letter to American Liberals, in: Soviet Russia Today 6, 1937, Nr. 3, S. 14 f. Später bedauerten Aragon, Bloch, Hughes, Laxness und Sweezy die Rechtfertigung der Prozesse öffentlich. The New York Times, 17. August 1936, zit. n. Robert C. Tucker, Stalin in Power. The Revolution from Above, 1928–1941, New York/London 1990, S. 373. Die Bereitschaft zur lautstarken Unterstützung der Moskauer Prozesse war unter Mitläufern sogar teilweise stärker als innerhalb der KP, in der eine gewisse Verunsicherung aufkam. Vgl. Judy Kutulis, Long War. The Intellectual People’s Front and Anti-Stalinism, 1930–1940, Durham/London 1995, S. 106–108. Heym, Nachruf, S. 178.

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sei, „dass Hitler gezwungen ist, jetzt öffentlich zuzugeben, dass er die Sowjetunion nicht anzugreifen wagt“, schrieb Johannes Schroeter am 26. August.76 Tage später schrieb Heym – noch ohne Kenntnis des deutschen Überfalls auf Polen – im Leitartikel, dass Chamberlains Pläne, Hitler gegen die Sowjetunion zu hetzen, „zu eitlen Träumen eines alten, nicht allzu schlauen Politikers geworden“ seien. „Der von Hitler angedrohte Krieg ist trotz einer wütenden Pressekampagne und trotz der Tatsache, dass an allen europäischen Grenzen die Armeen gefechtsmäßig aufmarschiert sind, noch nicht begonnen worden.“ Klar sei dabei: „Weder London, noch Paris, noch Berlin möchten den Krieg. Die Herren in allen drei Hauptstädten wissen, dass dieser Krieg nicht ohne innere soziale Umwälzungen ausgehen würde – ganz besonders gefährdet ist Hitlers Stellung.“ Die Sowjetunion aber habe es verstanden, „durch den Nichtangriffspakt Moskau-Berlin die Chancen eines wirklichen Friedens erheblich zu vergrößern.“77 Mit dem Leitartikel brachte Heym zugleich einen groß aufgemachten Artikel unter der Überschrift „Deutsche Kommunisten kämpfen für die Verteidigung Polens“, mit Auszügen aus einem in Deutschland illegal verbreiteten Exemplar der Roten Fahne, der Zeitung der KPD, die über Hitlers Kriegsvorbereitungen gegen Polen informierte.78 In der gleichen Nummer polemisierte der Historiker Kurt Kersten gegen die Behauptung der Nazis, beim ersten Kanonenschuss werde die Geschichte Polens zu Ende sein. Kersten erinnerte an die Traditionen der Solidarität der deutschen Arbeiterbewegung mit Polen und schloss mit dem Wort von Friedrich Engels: „Die nationale Existenz Polens aber ist für niemand notwendiger als gerade für uns Deutsche.“79 Die nächstfolgende Nummer druckte im Wortlaut die Erklärung des sowjetischen Außenministers Molotow ab, in der dieser sagte, der Nichtangriffspakt mit Deutschland sei erst abgeschlossen worden, nachdem die Verhandlungen mit Engländern und Franzosen in eine Sackgasse geraten waren. Wohl kaum ohne Rückendeckung der beiden Westmächte habe Polen jede militärische Hilfe durch die Sowjetunion abgelehnt, während „die deutsche Regierung den Wunsch aus76

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Alfred Langer, Was bedeutet ein Nichtangriffspakt Moskau-Berlin?, in: Deutsches Volksecho, 26. August 1939. Stefan Heym (Nachruf, S. 179) schrieb, „Alfred Langer“ sei Schroeters Pseudonym gewesen. Nichtangriffspakt und Frieden, in: Deutsches Volksecho, 2. September 1939. Heym (Nachruf, S. 199) bezeichnet sich selbst als Autor dieses Beitrages. Deutsche Kommunisten kämpfen für die Verteidigung Polens, in: Deutsches Volksecho, 2. September 1939. Kurt Kersten, Polen und Deutsche im gemeinsamen Freiheitskampf, in: ebd. Das Zitat findet sich in der Neuen Rheinischen Zeitung vom 20. August 1848 innerhalb der Artikelserie: Die Polendebatte in Frankfurt. Wiederabdruck in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 5, Berlin [DDR] 1959, S. 332. Kersten schrieb das Zitat irrigerweise Marx zu.

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drückte, die politischen Beziehungen gleichfalls zu verbessern“, und die Sowjetunion „keinen Grund“ hätte, diesen Wunsch zu verweigern.80 „S. H. lässt die Rede stehen, wie sie ist; er gibt keinen Kommentar. Aber er füllt den ganzen Rest der Nummer mit den denkbar schärfsten Angriffen auf die plötzlichen Bündnispartner der Russen, die Nazis, die den Krieg begonnen haben“; das war das Einzige, was er tun konnte.81 Er veröffentlichte eine in Englisch abgefasste Treueerklärung des Deutsch-Amerikanischen Kulturverbandes an Präsident Roosevelt und berichtete über die einhellige Zustimmung, die diese Erklärung und ein Aufruf an das deutsche Volk auf dem Zweiten Nationalkongress des Verbandes gefunden hätten.82 Schließlich übersetzte und publizierte Heym in der gleichen Nummer des Volksechos eine Erklärung von Eleanor Roosevelt, der Präsidentengattin. In ihrer täglichen Kolumne My Day hatte sie am 1. September Hitlers demagogische Rechtfertigung des Überfalls auf Polen mit den Worten kommentiert, wie man sagen könne, „dass man Krieg nicht gegen Frauen und Kinder führen wird, und dann Flugzeuge ausschicken [wird], um Städte zu bombardieren?“ Hitler sei für diesen Krieg und seine schlimmen Folgen verantwortlich.83 Die Volksecho-Ausgabe vom 16. September 1939, die die letzte des Blattes werden sollte, war, schrieb ihr Redakteur, „wie ein Aufschrei.“84 Der heroische Kampf des polnischen Volkes stelle die deutsche Wehrmacht vor ungeahnte Probleme. Die Sowjetunion sei wachsam wie bisher: Sie berufe angesichts des Vormarsches der deutschen Truppen ihre Reservisten ein. Alle Kräfte stünden bereit, um „das sozialistische Land, wenn nötig, mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.“85 Stefan Heym konnte und musste im Deutschen Volksecho nicht mehr die unmittelbar folgenden Ereignisse kommentieren: den sowjetischen Einmarsch in Polen, nicht gegen, sondern in Koordination mit der Wehrmacht, und den deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939, der zur Teilung Polens führte.86 Tausend Exemplare mehr als sonst wurden vom 80 81 82

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Die Friedenspolitik der Sowjetunion, in: Deutsches Volksecho, 9. September 1939. Heym, Nachruf, S. 180. An Affirmation of Loyalty, und: German-Americans Condemn Hitler: Call for Overthrow of Nazi Regime. An Appeal to the People of Germany, beide in: Deutsches Volksecho, 9. September 1939. Eleanor Roosevelt, Hitler ist verantwortlich, in: ebd. Heym, Nachruf, S. 180. Heroischer Kampf des polnischen Volkes, in: Deutsches Volksecho, 16. September 1939. Er tat es nicht ungeschickt in einem Artikel „What’s to Become of Germany“ für die der KPD der USA nahestehende Zeitschrift New Masses. Darin schrieb er am 14. November 1939, die Bedeutung des sowjetisch-deutschen Paktes würde „für jeden klar werden. In seiner ersten Rede vor dem Obersten Sowjet unterstrich Molotow die ‚Freundschaft zwi-

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Volksecho im September auf den Straßen und an den Zeitungsständen in New York verkauft, aber das reiche nicht, schrieb Heym.87 Seine Befürchtung, dass die Zeitschrift nicht zu halten sei, wurde in der gleichen Woche wahr. Das Zusammengehen der Sowjetunion mit Hitlerdeutschland hatte zerstörerische Auswirkungen auf die kommunistische Bewegung in der ganzen Welt. Weder die KP der USA noch der Mikrokosmos des Deutschen Volksecho waren davon ausgenommen.88 „Es gibt keine Erinnerung an das Ende“, so Stefan Heym. „Versammelte man sich noch einmal in 20 Vesey Street, um Abschied zu nehmen voneinander? Wer teilte mit, dass es vorbei war, kein Geld mehr in der Kasse, die Einkünfte versiegt? Hatte der Genosse Loewe noch eine Flasche irgendwo, für einen letzten Toast? Verteilte er die letzten paar Dollar, oder gab es auch das nicht? Und wie fühlte sich der Chefredakteur, bedrückt, enttäuscht, zornig, oder vielleicht auch ein wenig erleichtert? All das ist versunken in einem gnädigen Grau, das der Blick zurück nicht mehr durchdringt.“89

„Reden an den Feind“: Stefan Heym als amerikanischer Soldat Nach einigen Gelegenheitsjobs – er arbeitete als Vertreter und in einer Druckerei – entschloss sich Stefan Heym zum risikoreichen Beruf des freien Schriftstellers.90 Unterstützung fand er durch seine amerikanische Frau Gertrude Gelbin (1900– 1969). Sein erster Roman Hostages (deutscher Titel: Der Fall Glasenapp), der im okkupierten Prag spielte und 1942 in der hohen Startauflage von 25 000 bei Putnam’s erschien, wurde ein Erfolg. Die Detektivgeschichte zeigte auch die Todesangst und seelische Zerrüttung festgehaltener Geiseln, womit Heym wohl seines Vaters gedachte, der nach der Freilassung aus der Gestapo-Haft Selbstmord begangen hatte. Der Rezensent Orville Prescott würdigte das Buch in der New York

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schen dem deutschen Volk und den Völkern der UdSSR‘. Er hat nicht von der Freundschaft zwischen dem Nazismus und der sowjetischen Regierung gesprochen.“ Jetzt ist es noch Zeit ... , in: Deutsches Volksecho, 16. September 1939. Innerhalb des deutschen Exils waren die Kommunisten nun fast völlig isoliert. „Stalin als Leichenfledderer“ überschrieb die sozialdemokratische Neue Volkszeitung am 23. September 1939 ihren Leitartikel, und Rudolf Katz schrieb schon am 9. September an Friedrich Stampfer: „Der Hitler-Stalin-Pakt scheint alle namhaften früheren Exponenten der Volksfront zu uns [zur SPD] zurück zu treiben. Aufhäuser, Toni Sender, Siegfried Marck und viele andere klopfen jetzt bescheiden wieder an unsere Türen.“ Zit. n. Matthias (Hg.), Mit dem Gesicht nach Deutschland, S. 415. Heym, Nachruf, S. 181. Vgl. Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 16; Hahn, The Democratic Dream, S. 61 f.

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Times als den bisher besten Beitrag des deutschen literarischen Exils zum antifaschistischen Kampf. „Sogar Das siebte Kreuz von Anna Seghers, das einen breiten psychologischen Querschnitt durch das Leben in Deutschland bietet, malt kein besseres Bild von der verdrehten und entarteten Mentalität der Nazityrannen oder vom unerschütterlichen Heroismus ihrer Opfer; und als Roman und Beispiel des Geschichtenerzählens ist Hostages unvergleichlich besser“, so Prescott.91 Auch Alvah Bessie stellte es in New Masses dem Siebten Kreuz von Anna Seghers an die Seite.92 Trotz „melodramatischer“ Elemente seien vor allem die Liebes- und Sexszenen in ihrer naturalistischen Schilderung kaum zu übertreffen, hielt Robert Pick in der Saturday Review fest.93 Die Verfilmung des Romans mit der zweifachen Oscar-Preisträgerin Luise Rainer und mit William Bendix befreite Heym von seinen finanziellen Sorgen.94 Die Entscheidung, ab nun in (amerikanischem) Englisch zu schreiben, war zum einen dadurch bedingt, dass Heym das Honorar nicht auch noch mit einem Übersetzer teilen wollte. Zum anderen aber war es die Entscheidung für die Kultur des Landes, in dem er leben wollte.95 „Welch ein Wagnis das sein wird, ist ihm klar“, so Heym in seiner Autobiographie. „Eine Sprache ist mehr als Grammatik und Wortschatz, sie ist ein Wesen, das atmet und wächst und sich verändert, spröde und biegsam zugleich, und der 91

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Orville Prescott, Books of the Month, in: The New York Times, 16. Oktober 1942, auch zit. n. Reich, Deutschsprachige Exilliteratur, S. 209 f. Positiv fiel auch die Rezension von Diana Trilling (in: The Nation, 14. November 1942, S. 517) aus. Vgl. Alvah Bessie, Czech Underground, in: New Masses, 1. Dezember 1942, S. 25. Im Internet abzurufen unter: http://www.unz.org/Pub/HeymStefan-1942. Robert Pick, Hostages to the Dark Ages in: The Saturday Review, 24. Oktober 1942, S. 20. Die Rezension ist im Internet abzurufen unter: http://www.unz.org/Pub/ Heym Stefan-1942. Die Rezensionen (auch der deutschen und sonstigen Nachkriegsausgaben) sind aufgelistet in: Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 257–260. Das Drehbuch für den am 12. August 1943 uraufgeführten Film schrieb Lester Cole, später einer der als Kommunisten angeklagten „Hollywood Ten“, Regie führte Frank Tuttle. Auch weitere Filmrollen waren mit Oskar Homolka, Reinhold Schünzel und Kathina Paxou prominent besetzt. Um Bilder von Prag zu gewinnen, fügte man einige, von Ernst Lubitsch vor der deutschen Besetzung gedrehte Aufnahmen in den Film ein, der keinen Verleih in Europa fand. So Eduard Schreiber, in: Therese Hörnigk (Hg.), Ich habe mich immer eingemischt. Erinnerungen an Stefan Heym, Berlin 2013, S. 144. Vgl. Stefan Heym, Zwei Sprachen, ein Kopf, in: Walter Zadek (Hg.), Sie flohen vor dem Hakenkreuz. Selbstzeugnisse der Emigranten – ein Lesebuch für Deutsche, Reinbek 1981, S. 134. Vgl. auch Reinhard K. Zachau, My Literary Roots Lie in American and English Literature: Stefan Heyms Traum vom Sozialismus in Amerika, in: Peter Hutchinson/Reinhard K. Zachau (Hg.), Stefan Heym: Socialist – Dissenter – Jew. Stefan Heym: Sozialist – Dissident – Jude, Oxford/Bern/Berlin 2002, S. 13–32.

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Liebe zugänglich. Es gibt ein Englisch, das sich erlernen lässt, mit Wörtern und Regeln; und es gibt idiomatisches Englisch: für dieses muss man ein Ohr haben, man muss es ertasten, erschmecken, erleben – und diese Art von Englisch wird er schreiben müssen, wenn er will, dass man ihn liest.“96 Doch Heyms zweiter Roman Of Smiling Peace, der 1944 erschien und dessen Handlung er in die alliierte Landung in Nordafrika einbettete, wurde kein literarischer Erfolg.97 Im deutschen Emigranten Bert Wolff und seinem Gegenspieler, dem Wehrmachtsmajor von Liszt, suchte Heym das Typische im Verhalten der Deutschen zwischen Faschismus und Antifaschismus herauszuarbeiten. Das zeigt deutlich Heyms Wandlung vom Exilanten zum amerikanischen Gegner Hitler. „Selbst in ihrer Gemeinheit“, lässt Heym Bert Wolff sagen, „waren die Deutschen engherzig. Sie würden Menschenmassen hinrichten, aber zuvor den Menschen die Schuhe ausziehen und sie nach ihrer Größe ordnen. Sie könnten einen Mann zu Tode foltern, aber seine Asche nach Hause schicken – nicht um seine Frau zu quälen, sondern nur, damit die Dinge ihre Ordnung haben.“98 Noch der von Wolff festgenommene Liszt ist sich des künftigen Sieges der faschistischen Sache gewiss, wenn er sagt: „Wir werden euch erneut jagen, wie wir euch durch die Berge Spaniens gejagt hatten: mit Schimpf und Schande, denn wir allein haben ein klares Ziel und wissen, wofür wir kämpfen.“99 Wolff sieht einen unüberbrückbaren Abgrund zwischen sich und Liszt und muss sich zugleich gestehen, dass es ihm schwerfällt, seine in Amerika aufgewachsenen Mitkämpfer ganz zu verstehen. Trotz der interessanten Konstellation habe der Autor seine Buchgestalten, insbesondere Marguerite, der einzigen Frau, „nicht mit Leben erfüllen können“, bemängelten manche Kritiker.100 96 Heym, Nachruf, S. 207. Reich, Deutsche Exilliteratur, S. 21 ff., untersucht Klaus Mann als den, wie er schreibt, einzig anderen Schriftsteller, der vom Deutschen ins amerikanische Englisch wechselte. Zu nennen wären allerdings z. B. auch Fredrick Morton, Hans Habe und Joseph Wechsberg sowie zahlreiche Wissenschaftler. Vgl. Valerie Popp, „Aber hier war alles anders“. Amerikabilder der deutschen Exilliteratur nach 1933, Würzburg 2008, S. 286 f. In Prag hatte Heym nie versucht, Tschechisch zu lernen. 97 Streng genommen, sein dritter: Ein Romanmanuskript, No Turnpike Gate, das den Aufstieg der radikalen Rechten in Amerika zum Inhalt hat, wurde vom Verlag Putnam’s abgelehnt und auch später nie publiziert. Vgl. Ian Wallace, Stefan Heym in den USA, in: Etudes Germaniques, Nr. 252, 2008, S. 689 f. 98 Stefan Heym, Of Smiling Peace, Boston 1944, S. 27. Der Buchtitel bezog sich auf Shakespeares King John, 3. Akt, 1. Szene, in der es heißt: „Of smiling peace to march a bloody host, And make a riot on the gentle brow of true sincerity?“ 99 Ebd., S. 236. 100 Vgl. David Mc K. White, Education of an American, in: New Masses, 14. November 1944, S. 24. Ähnlich auch die Notiz in: Time Magazine, 30. Oktober 1944. Vgl. auch Za-

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Heym schloss Of Smiling Peace noch 1943 ab, kurz bevor er den Gestellungsbefehl zur US-Armee erhielt, was ihm auch die amerikanische Staatsbürgerschaft einbrachte. Er wurde zunächst nach Camp Crowder (Missouri), danach in eine abgeschiedene Gegend des Staates Maryland abkommandiert. Dort richtete im Juni 1942 die US-Armee das Military Intelligence Training Center, genannt Camp Ritchie ein. In diesem Ausbildungslager für Propaganda und psychologische Kriegsführung wurden deutschsprachige Emigranten ausgebildet – mit dem Ziel, deutsche Soldaten und Zivilisten zu verhören und mittels Propaganda zu demoralisieren. Die im Camp Ritchie erlernten Fragetechniken sollten den gefangenen deutschen Soldaten genaue Angaben über die Truppenteile, in denen sie gedient hatten, entlocken. Die „Ritchie Boys“ lernten auch, „zwischen den Zeilen“ von Wehrmachtsberichten und Feldpostbriefen zu lesen. Manche von ihnen tauschten ihre bisherigen, jüdisch klingenden Namen gegen nichtjüdische ein, um bei einer möglichen Gefangennahme durch die Deutschen besser geschützt zu sein.101 Mitte Juni 1944 landete Stefan Heym als Sergeant der Second Mobile Radio Broadcasting Company in der Normandie. Er verfasste Flugblätter und Rundfunktexte zur Beeinflussung der Deutschen und speziell an die Soldaten der Wehrmacht.102 Aber er war auch in Kampfhandlungen eingesetzt – auf der richtigen Seite, wie er stets betonen konnte: „Ich habe auch geschossen“, bekannte er noch 1998 in einem Spiegel-Interview.103 Am 3. Oktober 1944 stellte er sich als „Joe Jones“ im amerikanischen Militärsender in Luxemburg vor: „Mein Name ist Joe Jones. Ich bin ein amerikanischer Soldat. Ich komme aus Steubenville im Staate Ohio. Meine Kameraden und ich haben eine weite Reise gemacht, um hierher zu kommen. Unser Volk hat uns das chau, Stefan Heym in Amerika, S. 90–111 und 260–262. Eine präzise Analyse von Of Smiling Peace bietet Zachau auch in einer späteren Arbeit. Vgl. ders., Stefan Heym, München 1982, S. 25–28. Dass Heyms Frauengestalten in ihrer Prägnanz nicht an die von ihm gestalteten männlichen Figuren heranreichten, wurde auch von anderen Kritikern aufgegriffen. Vgl. Dennis Tate, Shifting Perspectives. East German Autobiographical Narratives before and after the End of the GDR, Rochester, NY 2007, S. 132. 101 Vgl. Christian Bauer/Rebekka Göpfert, Die Ritchie Boys. Deutsche Emigranten beim USGeheimdienst, Hamburg 2005; Bruce Henderson, Sons and Soldiers. The Untold Stories of the Jews Who Escaped the Nazis and Returned with the U.S. Army to Fight Hitler, New York 2017. 102 Heyms Texte aus diesen Jahren sind gesammelt unter dem Titel: Reden an den Feind, hg. von Peter Mallwitz, in München (und in der DDR) 1986 erschienen. 103 Stefan Heym, „Ich habe auch geschossen“, in: Der Spiegel, Nr. 53/1998, und in: Stefan Heym, Offene Worte in eigener Sache. Gespräche, Reden, Essays 1989–2001, hg. von Inge Heym u. a., Berlin 2003, S. 178–190.

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beste und das wirkungsvollste Kriegsmaterial aller Armeen der Welt zur Verfügung gestellt. Wir glauben nicht an Wunder. Wir glauben an Flugzeuge, Kanonen, Granaten, Panzer und Maschinen. In wenigen Monaten haben wir die deutschen Armeen des Westens überrannt und vernichtet. Was wir uns vornehmen, das führen wir durch. Wir wollen Frieden, Ruhe und Ordnung. Und nicht nur für 25 Jahre. Ich bin Joe Jones, ein amerikanischer Soldat. Ich verlange persönlich nichts von den Deutschen und bin daran gewöhnt, die Rechte meiner Mitmenschen zu achten. Ich führe Krieg als Soldat. Ich lebe gern und achte auch das Leben anderer. Aber wer mich angreift, der muss wissen, dass Joe Jones auch anders kann. Wer mein Feind sein will, der wird schnell erfahren, dass auch ich ein harter und unerbittlicher Feind sein kann. So hart und unerbittlich, dass meine Feinde mich nie vergessen.“104 Stets wollte Heym den deutschen Soldaten die Sinnlosigkeit des Krieges und des Weiterkämpfens vor Augen führen. So wandte er sich an die in Aachen eingekesselten Soldaten und Offiziere: „Ihr könnt, wie Goebbels sagt, bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Aber das wird den amerikanischen Vormarsch nicht aufhalten, der auf beiden Seiten und im Rücken der Stadt vorwärtsflutet. Aber wenn Ihr Euren Widerstand fortsetzt, erreicht Ihr nur eines: Dass die volle Wucht eines konzentrierten amerikanischen Angriffs gegen die Stadt Aachen gerichtet wird. [...] Die Militärvorschriften aller Länder schreiben vor, dass Soldaten so lange kämpfen, bis weiterer Widerstand nutzlos wird. Aber sie verlangen nicht, dass Soldaten noch weiterkämpfen, nachdem der Widerstand sinnlos geworden ist. Wenn weiterer Widerstand Selbstmord bedeutet, ist ein verantwortungsbewusster Befehlshaber verpflichtet, sinnlose Vernichtung von Leben und Eigentum zu verhüten. Er muss das Leben seiner noch übriggebliebenen Truppen schonen – und das Leben unschuldiger Zivilpersonen, das ohne Sinn und Zweck geopfert werden würde. Ein befehlshabender Offizier, der dies nicht in Betracht zieht, macht sich vor der Welt und vor seinem eigenen Volk der Verantwortungslosigkeit und brutalen Rücksichtslosigkeit schuldig.“105 Heym rief die Soldaten zur Desertion auf; so gefährlich diese sei, so sei sie noch immer eine Alternative zum sinnlosen Kampf, an dessen Ende der eigene Tod stünde. In Flugblättern und Radiobeiträgen riet er den deutschen Soldaten, englische Grundbegriffe zu lernen, weil dies lebensrettend sein könne, und er gab ihnen auch die richtige Aussprache der Vokabeln mit: „I am wounded. Auf Deutsch: Ich

104 Heym, Reden an den Feind, S. 39 (Joe Jones stellt sich vor, 3. Oktober 1944). 105 Ebd., S. 68 (Rede an den Feind, 11. Oktober 1944).

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bin verwundet. Wir wiederholen die Aussprache. [...] We surrender. Auf Deutsch: Wir ergeben uns. Wir wiederholen die Aussprache.“106 Über den amerikanischen Soldatensender erfuhren die Hörer von den Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Heym zitierte aus dem Bericht eines Überlebenden: „Jeden Tag kamen mehrere Transporte von je 2 000 bis 3 000 Menschen in Auschwitz an. Schon bei ihrer Ankunft wurden sie in zwei Gruppen geteilt: Männer und Frauen. Jede dieser beiden Gruppen wurde dann wieder in zwei Gruppen untergeteilt. In der einen Gruppe befanden sich die Menschen über 50 Jahre und diejenigen, die den inspizierenden SS-Ärzten als zu schwach zum Arbeiten erschienen. In der anderen Gruppe waren die jüngeren und stärkeren Menschen. Diejenigen, die sich in der Gruppe der über 50jährigen befanden – und zu dieser Gruppe gehörten auch die kleinen Kinder und solche Mütter, die sich nicht von ihren Kindern trennen wollten – , wurden sofort getötet.“ Der überlebende Häftling beschrieb die Gasöfen der Todesfabrik und sagte: „Der Geruch von dem verbrannten Fleisch war die ganze Zeit mit uns.“107 Kurz nach der Befreiung des Lagers Buchenwald kam der Sergeant Heym an diesen Ort. „Aufgeschichtete Leichen, die Körper fast nur mit Haut bespannte Skelette – und auf dieser Haut noch die Spur von Peitschenschlägen.“ Heym sah die Krematorien und die Labore der Medizin ohne Menschlichkeit. „Im Block 46 wurde experimentiert. Dort wurden die Wehrlosen benutzt, Gift wurde ihnen eingespritzt, mit Phosphor wurden sie beworfen, andere Grausamkeiten wurden an ihnen begangen.“108 Von Überlebenden hörte Heym, dass sich die SS-Bewacher angesichts der heranrückenden US-Truppen fluchtartig zurückzogen, Häftlinge des illegalen Lagerkomitees mittels rechtzeitig beiseite geschaffter Waffen die Reste der Wachmannschaft gefangen genommen und am Nachmittag das Lager den eintreffenden US-Truppen übergeben hatten. „Das werden wir den Nazis nicht vergessen“, war nicht nur Stefan Heyms Empfindung.109 106 Ebd., S. 270 f. (Englisch für den Landser, 1. Februar 1945). – Eine persönliche Bemerkung sei hier gestattet: Ende März 1945 wurde der Vater des Autors dieses Buches nach eigenen Angaben als antifaschistischer Wehrmachtssoldat zu seinem ersten „Feindeinsatz“ mit der Waffe abkommandiert. Er desertierte und lebte daraufhin eine Zeitlang illegal in Süddeutschland. Schließlich wurde er von amerikanischen Soldaten aufgegriffen, die ihn womöglich für einen „Wehrwolf“ hielten. Seine Englischkenntnisse retteten ihn; er konnte den Soldaten seine Lage erklären. Er wurde nach einigen Wochen Gefangenschaft auf den Rheinwiesen von den Amerikanern an die Sowjetunion überstellt und blieb dort als Kriegsgefangener bis 1947 – auch das gab es. 107 Ebd., S. 334 f. (Im Konzentrationslager Auschwitz, 20. April 1945). 108 Ebd., S. 346 (Buchenwald, 23. April 1945). 109 Ebd., S. 348.

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Mit den amerikanischen Truppen kehrte Heym über die Normandie und Luxemburg in seine zerstörte Geburtsstadt Chemnitz zurück. Dort wie anderswo wurde ihm von den befragten Deutschen entgegengehalten, dass sie, wie er in seiner Autobiographie schrieb, „im Grunde nichts Böses wollten und niemandem ein Übel tun, und dass sie’s nicht besser wussten, und dass ihnen jetzt großes Unrecht geschieht. Welch ein Verdrängungsmechanismus! Und wie geschickt der Versuch, ihn, den Amerikaner, umzudrehen: Versetzen Sie sich bitte in unsere Lage, Herr Lieutenant, wie hätten Sie denn gedacht, wie hätten Sie gehandelt?... Ja, wenn er nun nicht der Sohn des jüdischen Kaufmanns Flieg gewesen wäre, sondern einer von ihnen, und nicht das verfluchte Gedicht geschrieben hätte, das ihn zwang, in die Emigration zu gehen, wo stünde er denn jetzt und wie hätte er sich gehalten?“110 In Artikeln für die New York Times berichtete Heym bereits 1944 von rückgratlosen, aber immerhin ehrlichen Deutschen, die ihm bekannten: „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’.“111 Heym sah ein „Volk mit einem Minderwertigkeitskomplex und einer Verfolgungsangst.“112 Für ihn war der Kampf gegen den Nazismus nicht beendet; nach der deutschen Kapitulation gelte es, den Ungeist aus den Köpfen der Deutschen zu vertreiben. Darin sah er seine ureigene Aufgabe als amerikanischer Presseoffizier. Unmittelbar nach Kriegsende, vom 12. Mai bis zum 16. Juni 1945, assistierte Heym Hans Habe bei der Gründung der Ruhr-Zeitung in Essen. Noch im Frühjahr ging er mit Habe nach München, um dort die Neue Zeitung mit aufzubauen. Mehr noch als die Ruhr-Zeitung sollte das ambitionierte Projekt den Deutschen unter dem Signum der Re-education ein antifaschistisch-demokratisches Bewusstsein vermitteln. Unter der Leitung des aus Ungarn stammenden Hans Habe war Heym mit Erich Kästner, der im „Dritten Reich“ Schreibverbot erhalten hatte, und dem Journalisten Robert Lembke, der unter diesem angenommen Namen als „Halbjude“ überlebt hatte, einer der Redakteure der Zeitung.113 Doch schon im November 1945 druckte die Neue Zeitung einen Artikel Heyms, in dem er um „Verständnis für Sowjetrussland“ warb, nicht mehr ab.114 110 Heym, Nachruf, S. 363. Hervorhebung im Original. 111 Stefan Heym, I am Only a Little Man, in: The New York Times, 10. September 1944. Dieses und das folgende Zitat findet sich auf deutsch auch in: Zachau, Stefan Heym, S. 15. 112 Stefan Heym, Germans Hear a New Master’s Voice, in: The New York Times, 3. Dezember 1944. 113 Lembkes eigentlicher Name war Robert Emil Weichselbaum. Er wurde später durch das der CBS-Sendung What’s My Line nachempfundene Fernseh-Ratespiel Was bin ich? bekannt. 114 Er ist unter diesem Titel abgedruckt in: Heym, Wege und Umwege, S. 221 f.

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Seine sowjetfreundliche Haltung stieß zunehmend auf Argwohn. Die nun unvermeidlichen Konflikte, besonders mit seinem konservativen Vorgesetzten Hans Habe führten zu Heyms Entschluss, die Armee so schnell wie möglich zu verlassen. Ende 1945 quittierte er den Dienst.115 Nach seiner Demobilisierung arbeitete Heym in New York wiederum als freier Schriftsteller.

Was soll aus Deutschland werden? Kommunisten im Council for a Democratic Germany In einem aufschlussreichen Bericht an den SED-Parteivorstand beklagte der Rückkehrer Albert Schreiner Ende 1946, „dass in unserer Emigrationsgruppe eine wahre kollektive Zusammenarbeit fehlte. Als Kennzeichen für diesen Mangel führe ich nur an: 1. dass nach unserer Ankunft in New York im Nov[ember] 1941 eine Zusammenkunft der Gruppe stattfand und dann bis zum Frühjahr 1944 nicht wieder; 2. dass trotz wiederholten Drängens meinerseits in langen Diskussionen mit Gen. Eisler alte Genossen wie Daub und Deter, mit ihrer langen Organisationserfahrung in die Arbeit einzuschalten, erst im Frühjahr 1944 die Bildung einer Leitung unserer Emigrationsgruppe zustande kam (Daub, Deter, Eisler, Krüger, Norden, Schreiner), nachdem ich gefordert hatte, dass meine Tätigkeit im Council for a Democratic Germany in einer Gruppe vorberaten und von der Gruppe gedeckt wird; 3. dass die Leitung regelmäßig nur tagte während des Bestehens des Councils, bis Ende 1945, danach setzte der alte Zustand wieder ein; 4. dass Mitgliederzusammenkünfte erst nach Bildung der Leitung zustande kamen und auch nur in großen Abständen, später wieder fallen gelassen wurden bis eine vor unserer Abreise; 5. dass wir über die Arbeit unter den Deutschamerikanern, der Gründung der Zeitung etc. bis zur Bildung der Leitung nur aus gelegentlichen persönlichen Unterhaltungen oder aus unserer Presse lückenhaft orientiert waren. Dieser Zustand war von Ende 1945 an wiederum die Regel; 6. dass Gen. Deter und Daub während der ganzen Jahre der Emigration die Möglichkeit einer intensiven Mitarbeit auch noch dadurch unmöglich war, weil sie gezwungen waren im

115 Vgl. Heym, Nachruf, S. 389–391. Vgl. zur Zusammenarbeit und zum Konflikt zwischen Habe und Heym auch Reinhard K. Zachau, „Gute Europäer in Amerikas Uniform“. Hans Habe und Stefan Heym in der Psychological Warfare, in: Helmut G. Pfanner (Hg.), Der Zweite Weltkrieg und die Exilanten. Eine literarische Antwort, Bonn 1991, S. 1771–86, sowie Reinhard K. Zachau, Hans Habe als Herausgeber der Neuen Zeitung, in: Wolfgang Benz/Marion Neiss (Hg.), Deutsch-jüdisches Exil. Das Ende der Assimilation?, Berlin 1994, S. 151–164.

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Betrieb zu arbeiten, Gen. Norden war für lange Zeit gleichfalls dazu gezwungen, dasselbe traf für mich in den letzten anderthalb Jahren zu. Die dadurch bewirkte Ausschaltung alter Gen. aus der aktiven Arbeit war nicht zum Vorteil unserer Gesamtarbeit. Die geringe materielle Unterstützung hätte aufgebracht werden können, denn für andere wurde sie aufgebracht.“116 Offenkundig war Schreiner die treibende Kraft bei der Rekonstituierung der Parteigruppe, doch nannte Gerhart Eisler später Adolf Deter als deren Leiter.117 In der Wahrnehmung anderer, so Felix Boenheims, wurde Eisler selbst zum „clandestinen Hauptakteur der Exil-KPD in den USA.“118 Soweit die geflüchteten deutschen Kommunisten schon in der Weimarer Republik der KPD, einer mitglied- und wählerstarken Kraft, angehört hatten, hatten sie im Exil die Erfahrung immer stärkerer Marginalisierung machen müssen. Dem Bruch, den das Exil für sie bedeutete, wirkte jedoch in den ersten Jahren zumindest die Gewissheit entgegen, auch im Ausland, so in Frankreich mit seiner starken KP, nicht allein zu stehen. Internationale Hilfsorganisationen der Komintern wie die Rote Hilfe konnten zudem mitunter die gravierenden materiellen Härten etwas lindern. Doch der Zweite Weltkrieg zerstörte auch diese Netzwerke. In den USA bestanden (oft schwer nachweisbare) Kontakte zu amerikanischen Kommunisten, doch Möglichkeiten, als parteipolitische Kraft in der Öffentlichkeit zu wirken, gab es nicht. Immerhin hatten deutsche Kommunisten im DAKV und in der GAWA eine begrenzte Möglichkeit gefunden, ihren politischen Auffassungen Ausdruck zu verleihen, doch fand auch dies mit der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit im Herbst 1939 ein Ende. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion gelang es ihnen jedoch, Fuß in einer überparteilichen Organisation zu fassen: der German-American Emergency Conference. Deren Vorgeschichte geht auf eine Initiative des Historikers Arthur Rosenberg, des Mediziners Felix Boenheim und von Alice Rosenfeld, die Frau des sozialdemokratischen Politikers, der einst die linkssozialistische SAP mitbegründet

116 SAPMO-BArch, SgY 30/0850 (SED-Erinnerungsarchiv): Albert Schreiner an Franz Dahlem, Parteivorstand der SED [Ende Dezember 1946]. Abdruck in: Mario Keßler, Albert Schreiner. Kommunist mit Lebensbrüchen, Berlin 2014, S. 1572–03, Zitat S. 171 f. (im Folgenden zit. als: Schreiner-Bericht). Für die Zeit 1944/45 schreibt Alfred Zahn von 24 Genossen, die an der Parteiarbeit teilnahmen, doch bleibt unklar, ob dies die Zahl der Sympathisanten ohne Mitgliedschaft einschloss. Vgl. ebd., DY 30/IV 2/11/v. 1239, Bl. 44: SED-Kaderabteilung, Alfred Zahn, Protokoll vom 29. Juni 1951. 117 Vgl. ebd., DY 30/IV 2/4/155, Bl. 41, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. 118 Thomas M. Ruprecht, Felix Boenheim: Arzt, Politiker, Historiker. Eine Biographie, Hildesheim etc. 1992, S. 230.

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hatte, zurück.119 Rosenberg hatte der KPD und ihrer Führung bis 1927 angehört, war dann ausgetreten und hatte die Politik der Partei von einem unabhängigmarxistischen Standpunkt aus kritisiert, Boenheim stand der KPD nahe, ohne ihr anzugehören, Kurt und Alice Rosenfeld, einstige Kritiker der Thälmann-Partei, hatte ab 1933 mehrmals versucht, die Exil-SAP mit der KPD zu verschmelzen; Gerüchte, Kurt Rosenfeld sei der KPD inzwischen beigetreten, hielten sich hartnäckig, doch gab es keine Beweise. Der Jurist Kurt Rosenfeld (1877–1943) arbeitete, da er keine Zulassung zur Rechtsanwaltskammer des Staates New York besaß, als Rechtsberater. Er gehörte schon ab 1933 im Pariser und ab 1934 im New Yorker Exil zu den politisch aktivsten Persönlichkeiten. Er und seine Frau Alice (1878–1948) suchten eine Brücke zwischen sozialdemokratischem und kommunistischem Exil zu schlagen, was auf die Dauer nicht gelang.120 Bereits Ende 1939, als zwischen Kommunisten und Linken alle Kontakte eingefroren waren, riefen Rosenberg, Boehnheim und Alice Rosenfeld eine überparteiliche Organisation ins Leben: die Unabhängige Gruppe deutscher Emigranten. „Nach den Statuten hat unsere Gruppe die Aufgabe, politisch interessierte deutsche Emigranten ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit und politische Meinung zu freier Diskussion zusammenzuführen“, hielt ein Zirkular vom Februar 1940 fest.121 Die Gruppe verstand ihre geplante Arbeit im Sinne der Aktivitäten der GAWA, in deren Mitteilungen vom 1. Januar 1940 sich die Ankündigung geplanter Arbeitsgemeinschaften der Unabhängigen Gruppe deutscher Emigranten findet: Dazu gehörten „Die ökonomische Organisation des Nationalsozialismus“ mit Franz Neumann und Otto Kirchheimer, „Die Lage der Arbeiterschaft im Dritten Reich“ mit Felix Boenheim, „Die Stellung des Einwanderers in den USA“ mit Kurt Rosenfeld sowie „Die Entwicklung der deutschen Armee vom Weltkrieg bis zur Gegenwart“ mit Fritz Sternberg und Arthur Rosenberg.122 Es ist jedoch nicht bekannt, wie viel davon realisiert wurde und wie lange es die Gruppe überhaupt gab. 119 Vgl. ebd., S. 243 f.; Mario Keßler, Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen (1889–1943), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 229. 120 Eine Biographie fehlt bisher. Vgl. aber den biographischen Abriss von Dieter Fricke [Bremen], Rosenfeld, Kurt. In: Manfred Asendorf, Rolf von Bockel (Hg.), Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten, Stuttgart/Weimar 1997, S. 529– 530. 121 Hoover Institution on War, Revolution and Peace, Stanford, California, Kurt R. Grossmann Collection, Box No. 7, Folder ID: Boenheim. 122 Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 242.

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Doch waren fast alle der Genannten Anfang 1942 an der Gründung der German American Emergency Conference beteiligt. Die Organisation kann als de-factoZusammenschluss von GAWA und DAKV begriffen werden. Sie stellte sich am 1. März 1942 in der New Yorker Webster Hall erstmals der Öffentlichkeit vor. Kurt Rosenfeld fungierte als Präsident und Felix Boenheim als Sekretär (sowie nach Rosenfelds Tod am 25. September 1943 als dessen Nachfolger). Hauptredner waren Franz Boas, der frühere Reichsbannersekretär Horst Baerensprung, Ernst Bloch, Julius Deutsch, der einstige Führer des österreichischen Schutzbundes und General des Spanienkrieges, weiterhin sprachen Alfred Kantorowicz und der Schriftsteller Berthold Viertel zu politischen Aufgaben der deutschen Exilliteratur.123 Auch der Historiker Arthur Rosenberg ergriff in der Debatte das Wort – wohl letztmals, denn er starb am 7. Februar 1943 nach längerer Krankheit.124 Unter allen Exilorganisationen dürfte, hieß es in den Sozialistischen Mitteilungen der Londoner Exil-SPD, die German American Emergency Conference, „Sowjetrussland am Nächsten stehen.“125 Während die sozialdemokratisch inspirierten Zusammenschlüsse wie die German Labor Delegation (1939 von Friedrich Stampfer gegründet) und die Association of Free Germans (1941 von Albert Grzesinski gegründet) sich von den Kommunisten abgrenzten, hatten diese in der German American Emergency Conference von Anfang an beachtlichen Einfluss.126 Sie gab zuerst monatlich, später zweiwöchentlich eine Zeitung heraus, die die Tätigkeit der Gruppe über-

123 Boas hatte sich in den dreißiger Jahren der KP der USA inoffiziell angenähert. Ohne dies öffentlich zu machen, vollzog er bis zu seinem Tode 1942 jeden Schwenk der Partei geistig mit und verteidigte die jeweilige Parteilinie, wenn auch nicht ohne zaghafte Vorbehalte, so in Privatgesprächen mit Sidney Hook. „Roosevelt ist ein Kriegstreiber“, sagte Boas 1940 zu Hook laut dessen Erinnerungen – eine Bemerkung, die Boas wenig später vergessen haben wollte. Sidney Hook, Out of Step. An Unquiet Life in the 20th Century, New York 1987, S. 258. 124 Vgl. The German Americans and the War. Report of the German American Emergency Conference Held in New York City on March 1, 1942, New York 1942. Dieses hektographierte 15-seitige Material befindet sich in der Franz Boas Collection (Personal Papers, German American Emergency Conference) der American Philosophical Society Library in Philadelphia. 125 Sozialistische Mitteilungen. News for German Socialists in England, London, Nr. 49 (Mai 1943), S. 13. 126 Dabei bemühte sich die German-American Emergency Conference unter dem Signum „United Americans of German Descent“, anfangs mit Erfolg, auch um Kontakte zu den sozialdemokratischen Exilorganisationen und zur bürgerlich-konservativen Vereinigten Deutschen Gesellschaft sowie zum Carl-Schurz-Turnerbund. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 245 f.

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dauerte: The German American, deren Büroräume, die Kurt Rosenfeld angemietet hatte, sich am Broadway Nr. 305 befanden.127 Das von Rudolf Kohler und anfangs auch von Rosenfeld herausgegebene Blatt erreichte eine Auflage bis zu 10 000. Zu den wichtigsten Mitarbeitern gehörten Gerhart Eisler, Alfred Kantorowicz, Albert Norden und Albert Schreiner. Redakteure waren zunächst Rudolf Kohler und Gerhart Eisler, dann Max Schroeder und Karl Obermann, zuletzt Margrit Adler, Geschäftsführer war Ernst Krüger, Redaktionssekretärin seine Frau Lore Krüger. Sie und Hilde Rothstein (später Eisler) übernahmen einen großen Teil der Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche und bald auch umgekehrt.128 Nicht alle Artikel konnten unter ihrem Verfassernamen erscheinen; so schrieb Gerhart Eisler bis Ende 1944 anonym für die Zeitung (meist in der Rubrik „Randbemerkungen“ und in Leserbriefen mit fiktiver Unterschrift), danach zeichnete er gelegentlich als „G.E.“129 Die Finanzierung erfolgte zum größeren Teil durch Annoncen und Werbetexte, zum kleineren Teil aus amerikanischen Gewerkschaftsgeldern.130 Doch war ab

127 Obgleich Rosenfeld über kein amerikanisches Anwaltsexamen verfügte und deshalb nicht offiziell als Anwalt zugelassen war, konnte er als Rechtsberater deutschen Exilanten gegen ein geringes Entgeld behilflich sein. 128 Vgl. Lore Krüger, Quer durch die Welt. Das Lebensbild einer verfolgten Jüdin, Schkeuditz 2012, S. 147 ff. – Klaus Mammach (Widerstand 1939–1945. Geschichte der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung im Inland und in der Emigration, Berlin [DDR] 1987, S. 210) untertreibt, wenn er lediglich festhält: „Einige Mitglieder der Gruppe deutscher Kommunisten […] arbeiteten am ,German American‘ mit.“ 129 Vgl. die Angaben in Max Schroeders undatiertem Lebenslauf an die SED-Kaderabteilung in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/v.439, Bl. 22 f., sowie ebd., DY 30/IV 2/4/155, ZPKK, Bl. 3: Befragung des Genossen Gerhart Eisler, 27. März 1953. Vgl. weiterhin „Ein Büro am Broadway“. Gespräch mit Lore Krüger über die Emigration in die USA und die antifaschistische Zeitschrift „The German American“. Interview: Cristina Fischer, in: Junge Welt, 2. Juli 2005, sowie Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 165. 130 Zur Einwerbung von Geldern wurde die German American Inc. als Aktiengesellschaft gegründet, deren Teilhaber Rosenfeld, Boenheim und Rudolf Kohler waren. Kohler hielt als Sekretär des Victory Committee innerhalb der German-American Emergency Conference die wichtigen Verbindungen zu amerikanischen Gewerkschaften und Arbeiterversicherungen aufrecht. Zudem wurde nach Rosenfelds Tod noch 1943 ein Kurt Rosenfeld Memorial Fund gegründet, der ebenfalls Spendengelder einzuwerben suchte. Zu dessen Mitgliedern gehörten Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Ida Guggenheimer, Alfred Kantorowicz, Karen Michaelis sowie der amerikanische Maler und Illustrator Rockwell Kent und der Gewerkschaftsführer Michael Obermeier. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 246. Vgl. auch Jean-Michel Palmier, Weimar in Exile. The Antifascist Emigration in Europe and America. Aus dem Französischen übersetzt von David Fernbach, Lon-

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dem Frühjahr 1945 auch ein Förderverein (Friends of the German American) am finanziellen Aufkommen beteiligt. Sekretärin des Fördervereins war Hilde Schottlaenders Tochter Hannah (geb. 1925), die später in der DDR den Historiker Karl Obermann heiraten sollte.131 Die Mitarbeiter wurden zum Teil über das Joint Antifascist Refugee Comittee, das Barsky-Komitee, inoffiziell von der amerikanischen KP bezahlt; jedenfalls war dies so im Fall von Gerhart Eisler.132 Einen Teil der Gelder dürfte Max Schroeder aufgetrieben haben, der über gute Verbindungen zu linksorientierten amerikanischen Verlegern verfügte.133 The German American wandte sich sowohl an Deutschamerikaner wie an Exilanten, wobei es den allmählich wachsenden Abstand zwischen jüdischer und nichtjüdischer Emigration zu verringern hoffte.134 Die Zeitung musste in der Themen- und Wortwahl auch in Rechnung stellen, dass, „je größer die räumliche Distanz zu Deutschland war, desto bürgerlicher und nichtkommunistischer wurden die Exilgemeinschaften.“135 Viele dieser Aktivitäten waren indirekt von der Bildung des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) in Moskau im Juli 1943 beeinflusst. Am 1. August traf in Berthold Viertels Wohnung in Santa Monica eine Reihe deutscher Emigranten zusammen: Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Ludwig Marcuse, Hans Reichenbach und Bertolt Brecht. In einem Aufruf, der die Gründung des NKFD begrüßte, hieß es: „In diesem Augenblick, da der Sieg der alliierten Nationen näher rückt, halten es die unterzeichneten Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler deutscher Herkunft für ihre Pflicht, folgendes öffentlich zu erklären: Wir begrüßen die Kundgebung der deutschen Emigranten und Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, die das deutsche Volk aufrufen, seine Bedrücker zu be-

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don/New York 2006, S. 545, sowie Eike Middell u. a., Exil in den USA. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933–1945, Bd. 3, Leipzig 1979, S. 145 f. Vgl. Friends of the German American, in: The German American, 1. April 1945. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 40, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953: „Die Partei gab mir monatlich 150,- Dollar zum Leben.“ Dies deutet Maximilian Scheer in seinem Nachruf auf Max Schroeder an. Vgl. Maximilian Scheer, Max Schroeder, in: Ders., In meinen Augen Aufzeichnungen aus 50 Jahren, Berlin [DDR] 1977, S. 84. Es müsse dabei, hieß es auf der Titelseite der ersten Nummer, „ins Bewusstsein jedes Bürgers der Staaten übergehen, dass das Amerikanertum deutscher Herkunft ein untrennbarer Bestandteil des ganzen amerikanischen Volkes ist.“ Kurt Rosenfeld/Rudolf Kohler, Was wir wollen, in: The German American, April 1942. Eric D. Weitz, Creating German Communism. From Popular Protests to Socialist State, 1890–1990, Princeton 1997, S. 306.

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dingungsloser Kapitulation zu zwingen und eine starke Demokratie in Deutschland zu erkämpfen. Auch wir halten es für notwendig, scharf zu unterscheiden zwischen dem Hitlerregime und den ihm verbundenen Schichten einerseits und dem deutschen Volke andrerseits. Wir sind überzeugt, dass es ohne eine starke deutsche Demokratie einen dauerhaften Weltfrieden nicht geben kann.“136 Sowohl das State Department als auch das Office of Strategic Service (OSS) zeigten sich daraufhin gegenüber Ideen innerhalb der German Labor Delegation offen, als Reaktion auf die Bildung des NKFD in Moskau einen Council of Free Germans in den USA zu gründen, um den Kommunisten den Wind aus den Segeln zu nehmen.137 Der Leiter der Planungsgruppe des OSS, John Crafton Rogers, stellte fest, das State Department betrachte die Gründung des NKFD als „einen der weitreichendsten Schritte, den die sowjetischen Regierungsstellen bis jetzt mit Auswirkungen auf ihre zukünftigen Beziehungen zu den Vereinten Nationen unternommen haben.“138 Immer wieder betonten OSS-Mitarbeiter, dass der

136 Der Aufruf ist abgedruckt in Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 2, Frankfurt a. M., S. 597. Thomas Mann ließ am folgenden Tag seinen Namen von der Unterzeichnerliste streichen. 137 Vgl. die Berichte der amerikanischen Militärmission in Mexiko an das State Department, in: U.S. National Archives, College Park (Maryland), Record Group (RG) 95, File 862.01/286: Free German Movement. Ein erster Bericht vom 25. Juni 1943 nannte Kurt Rosenfeld (ebd.) als wichtigen Verbindungsmann zwischen New York und Moskau, ohne aber Details anzuführen. Vgl. weiterhin Olaf Groehler, Die Haltung der herrschenden Kreise der USA und Großbritanniens zur Bewegung „Freies Deutschland“, in: Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg“, Nr. 1–2 (1983), S. 118–128; Walter F. Peterson, Zwischen Misstrauen und Interesse. Regierungsstellen in Washington und die deutsche politische Emigration 1939 bis 1945, in: Manfred Briegel/Wolfgang Frühwald (Hg.), Die Erfahrung der Fremde. Kolloquium des Schwerpunktprogramms „Exilforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Forschungsbericht, Weinheim 1988, S. 45–50; Heike Bungert, Deutsche Emigranten im amerikanischen Kalkül. Die Regierung in Washington, Thomas Mann und die Gründung eines Emigrantenkomitees 1943, in: VfZ 46, 1998, Nr. 2, S. 254; Petra Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany (1933 bis 1945), Frankfurt a. M. 2001, S. 275 ff.; Peter Fisch, „Wild Bill“ setzte auch auf Kommunisten. Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der US-amerikanische Geheimdienst OSS, in: Neues Deutschland, 13. Juli 2013. Dies bezog sich auf KPDMitglieder in England, die für den OSS arbeiteten, darunter Jürgen Kuczynski und Anton Ruh. 138 So Rogers in einem Memorandum for the Planning Group vom 29. Juli 1943, zit. n. Heike Bungert, „Ein meisterhafter Schachzug“. Das Nationalkomitee Freies Deutschland in der Beurteilung der Amerikaner, in: Jürgen Heideking/Christof Mauch (Hg.), Geheim-

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Gründungsaufruf des NKFD kaum im kommunistischen Vokabular abgefasst sei, sondern sich in sehr geschickter Weise an möglichst viele Deutsche in der Wehrmacht und in Deutschland selbst wende.139 Der Aufruf sei, mutmaßten Sowjetunion-Experten im State Department, ein Glied in einer Kette von indes nur taktischen und jederzeit widerrufbaren Zugeständnissen Moskaus an seine westlichen Bündnispartner, von denen die Auflösung der Komintern im Mai 1943 das wichtigste sei.140 Unter den Kommunisten gab es verschiedene Meinungen über Sinn und Ausmaß einer dem NKFD nachgebildeten Exilorganisation. Gerhart Eisler sah das Zentrum kommunistischer Aktivitäten allein in Moskau. Eine gesamtamerikanische, doch relativ autonome Organisation, die Paul Merker in Mexiko vorschwebte, würde den Einfluss der wenigen KPD-Kader begrenzen, da die Nichtkommunisten sehr rasch das Übergewicht gewinnen würden. Bereits im Februar 1943 wurde in Mexiko ein Lateinamerikanisches Komitee der Freien Deutschen gegründet, in dem die KPD mit Paul Merker, Alexander Abusch und Ludwig Renn die führende Rolle spielte, wiewohl mit dem in den USA lebenden Heinrich Mann ein prominenter Nichtkommunist als Ehrenpräsident gewonnen werden konnte.141 Ende April 1944 riefen amerikanische Intellektuelle zur Unterstützung eines aus deutschen Exilpolitikern bestehenden Council for a Democratic Germany auf. „Federführend waren der protestantische Theologe Reinhold Niebuhr, Jay Schieffelin und die Journalistin Dorothy Thompson. Ferner hatten etwa sechzig fühdienstkrieg gegen Deutschland. Subversion, Propaganda und politische Planungen des amerikanischen Geheimdienstes im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 1993, S. 90. 139 Vgl. ebd., S. 92 f. So sah DeWitt Clinton Poole, der Moskau aus langjähriger diplomatischer Tätigkeit kannte, im Aufruf des NKFD eine mittelfristige sowjetische Strategie am Wirken: Das NKFD solle konservative deutsche Politiker bis hin zu Nationalsozialisten und Militärs, die Hitlers Kurs nicht mehr mittrugen, für eine künftige deutsche Regierung unter Stalins Ägide gewinnen. Poole dachte an Feldmarschall Walther von Brauchitsch, den ehemaligen Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht und Pastor Martin Niemöller. Vgl. Christof Mauch, Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941–1945, Stuttgart 1999, S. 109. Moskau sei für einen langjährigen ideologischen Kampf über die kriegsbedingte Zusammenarbeit mit dem Westen hinaus gut gerüstet, wahrend jener nichts als das „Laissez-faire“ der Demokratie zu bieten habe. Ebd., S. 110. 140 Vgl. ebd., S. 344, Anm. 63 (Mauch zitiert hier ein vertrauliches Memorandum des State Department für den internen Gebrauch). 141 Vgl. Wolfgang Kießling, Im Widerstreit mit Moskau: Paul Merker und die Bewegung Freies Deutschland in Mexiko, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 34, 1992, Nr. 3, S. 29–42. Wiederabdruck in: ders., Partner im „Narrenparadies“. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994, S. 189–206, bes. S. 199 f.

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rende Persönlichkeiten des amerikanischen öffentlichen Lebens (darunter Rabbi Jonah W. Wise, Roger N. Baldwin, Prof. John Dewey, Dr. Harry Fosdick, Dean Christian Gauss, Louis P. Lochner, James A. Wechsler) die Erklärung unterzeichnet.“142 Am 2. Mai 1944 wurde der Council for a Democratic Germany als eine Art Gegenvertretung zum Naziregime gegründet.143 Der Gründung war eine Reihe von Treffs in der New Yorker Wohnung des protestantischen Theologen Paul Tillich vorausgegangen, von denen das erste am 13. Januar stattgefunden und an dem auch Bertolt Brecht teilgenommen hatte.144 Dieser setzte sich für die Teilnahme von Kommunisten an dem geplanten Council ein, auch wenn dies Tillich zunächst nur zögerlich akzeptierte, dem um die Anerkennung des Council durch amerikanische offizielle Stellen gelegen war. Doch wurde der Council von amerikanischer Seite zu keiner Zeit als Wegbereiter oder gar als Prototyp einer deutschen Exilregierung in Erwägung gezogen. Der Gründung waren Zeitungsmeldungen über Selbstmorde deutscher antifaschistisch gesinnter Soldaten in amerikanischen Kriegsgefangenenlagern vorausgegangen. Man hatte sie mit unverbesserlichen Nazis zusammengesperrt, und sie 142 So der dokumentierte Zeitzeugenbericht von Karl O. Paetel, Zum Problem einer deutschen Exilregierung, in: VfZ 4, 1956, Nr. 3, S. 289. Das Dokument ist abgedruckt in: Ursula Langkau-Alex/Thomas M. Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden? Der Council for a Democratic Germany in New York 1944–1945. Aufsätze und Dokumente, Frankfurt a. M. 1995, S. 164–166. Die Unterzeichnerliste des „Statement of Endorsers“ ist abgedruckt in: Ruprecht, Felix Boenheim, S. 273, Anm. 56. Daraus entstand die American Association for a Democratic Germany als Unterstützerkreis des Council, der Gauss, Niebuhr und Thompson vorstanden. Vgl. auch Erhard Bahr, Paul Tillich und das Problem einer deutschen Exilregierung in den Vereinigten Staaten, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 3: Gedanken an Deutschland im Exil und andere Themen, München 1985, S. 31–42, sowie Kurt Martin, Die vertane Chance des Krieges. Die Gründung des Council for a Democratic Germany (Exilrat) am 3. Mai 1944 in New York, http://www.dietrich-bonhoeffer-verein.de/index.php?id=107 (Internet-Präsentation des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins). Das Datum des 3. Mai bezieht sich auf die Veröffentlichung der Gründungsdeklaration; die Gründung erfolgte aber am Tag zuvor. 143 Rechtlich gesehen war der Council eine nicht-öffentliche („incorporated“) Mitgliederorganisation. Vgl. Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 299. 144 Die von Felix Boenheim geführten Sitzungsprotokolle sowie die Protokolle der Vorbereitungstreffen befinden sich im Bertolt-Brecht-Archiv an der Akademie der Künste in Berlin, Nr. 2016/61–98; vgl. hierzu ebd., Nr. 2061/61: Sitzung vom 13. Januar 1944. Sie sind ebenfalls (nicht ganz vollständig) enthalten in den Nachlässen von Maximilian Scheer, Nr. 1200–1203, und Albert Schreiner, SAPMO-BArch, NY 4198/80, Bl. 31–79. Von den nach Ostdeutschland zurückgekehrten Emigranten nahmen Bertolt Brecht, Hermann Budzislawski, Julius Lips, Albert Schreiner und Jacob Walcher an dieser Sitzung teil.

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hielten deren Schikanen nicht aus.145 Eine Fürsorge-Kommission, der auch Brecht angehörte, suchte Kontakte zu amerikanischen Regierungsstellen, um diese Zustände zu ändern. Doch ein Treffen Tillichs mit Eleanor Roosevelt kam nur unter der Bedingung zustande, dass diese Frage nicht berührt wurde. Die USA wollten sich in keinerlei Hinsicht von deutschen Emigranten das Gesetz des Handelns vorschreiben lassen.146 Entgegen erster Befürchtungen in amerikanischen Regierungskreisen, aber auch unter deutschen Sozialdemokraten, nahm der Council keine Verbindung zum NKFD auf, obwohl die Moskauer Gründung als wichtiges antifaschistisches Projekt begrüßt wurde.147 „Gegen die Bewegung Freies Deutschland wird oft ins Feld geführt“, schrieb Schreiner noch im November 1944, „dass sie sich mit deutschen Offizieren und Generälen verbünde. Ebert, Scheidemann, Stampfer etc. haben sich 1918 mit Hindenburg und dem deutschen Generalstab zur Niederschlagung der deutschen Revolution verbunden. Diese ‚Republikaner‘ akzeptierten das Programm der Reaktion. Das hatte Hitler zur Folge. Wenn sich heute Generäle und Offiziere den demokratischen Kräften des deutschen Volkes anschließen und deren Programm akzeptieren zur Überwindung der Hitler-Diktatur, dann ist es ein Erfordernis realpolitischen Denkens, solche Verbündeten zu akzeptieren. Zumal dann, wenn sie auf Wahrung ihrer Eigeninteressen und Standesvorurteile verzichten, ihr Leben aufs Spiel setzen ungeachtet dessen, dass Himmler ihre Familien und Freunde physisch vernichtet.“ Damit würdigte Schreiner die gescheiterte Militärrevolte um Goerdeler und Stauffenberg gegen Hitler.148 Der Council for a Democratic Germany verstand sich als überparteilicher Zusammenschluss der verschiedensten antifaschistischen Kräfte des Exils. In ihm wirkten Kommunisten, Sozialdemokraten, unabhängige Linke und sich als bürgerlich verstehende Demokraten bis zu früheren Angehörigen der katholischen Zentrumspartei zusammen, wobei die verschiedenen Strömungen innerhalb der Organisation um Einfluss rangen. Vorsitzender wurde Paul Tillich, der als linker

145 Bertolt-Brecht-Archiv, Nr. 1959/32: Sitzung der Fürsorge-Kommission, 4. März 1944 (im Folgenden werden die Sitzungsprotokolle nach den Unterlagen im Bertolt-BrechtArchiv zitiert). 146 Vgl. ebd., Nr. 2061/81: Council-Sitzung, 5. Juli 1944. 147 So z. B. Wieland Herzfelde, Deutschland hat wieder eine Volksvertretung, in: The German American, September 1943. 148 Albert H. Schreiner, Hunderttausende Kriegsgefangene, in: ebd., 15. November 1944. „Die Generalsrevolte ist auch Ausdruck von Massenunruhen“, sagte Schreiner in einer Sitzung des Councils am 4. August 1944. Aber nur die Armee könne einen Erfolg versprechenden Aufstand gegen Hitler beginnen. Vgl. Bertolt-Brecht-Archiv, Nr. 2061/89.

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Sozialdemokrat bereits in der Weimarer Republik politisch hervorgetreten war. Als Professor am Union Theological Seminary in New York war er zudem in der amerikanischen akademischen Welt verankert.149 Initiator des Gründungskomitees war der promovierte Psychoanalytiker Karl Frank, der unter seinem Exilnamen Paul Hagen bekannt war. Er war 1919 Mitbegründer der KP Österreichs gewesen, hatte dann der KPD, der KPO, der SAP und im Exil der Gruppe Neu Beginnen angehört.150 Die neunzehn Mitglieder des Komitees waren neben Frank und Tillich die Sozialdemokraten Siegfried Aufhäuser, Horst Baerensprung, Kurt Glaser, Albert Grzesinski, Paul Hertz151 und Hans Emil Hirschfeld, dazu Hermann Budzislawski und Julius Lips, die sich der KPD näherten, ohne dies öffentlich zu machen, Jacob Walcher von der SAP, für den Gleiches galt, der Zentrumsmann Friedrich Baerwald, die „bürgerlichen“ Parteilosen Frederik Forell, Joseph Kaskel, Alfons Nehring und Otto Pfeifenberger sowie die inoffiziell der KPD angehörenden oder ihr nahestehenden Felix Boenheim und Albert Schreiner. Auch Bertolt Brecht wurde, obwohl parteilos, dieser Richtung zugerechnet. Elisabeth Hauptmann, „executive secretary“ des Council, gehörte ebenfalls zur KPD, obgleich sie privat mit dem Sozialdemokraten Baerensprung liiert war. Zudem war die Redaktionssekretärin Margrit Adler KPDMitglied, was sie verschwieg.152 Thomas Mann, der zunächst die Mitarbeit im Council zugesagt hatte, zog seine Unterschrift zurück. Aus unterschiedlichen 149 Vgl. ausführlich Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, bes. S. 229 ff.; Ruprecht, Felix Boenheim, S. 265 ff. Die – exzellenten – Arbeiten von Petra Liebner und Thomas M. Ruprecht sowie die Dokumentensammlung von Ursula Langkau-Alex und Thomas M. Ruprecht bringen viele Details zum Council for a Democratic Germany, die hier nicht noch einmal in Gänze wiederholt werden. 150 Vgl. Reinhard Müller [Graz]: Karl B. Frank alias Paul Hagen (1883–1969), in: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Newsletter 12 (November 1995), S. 11–19. Zu Franks konfliktreichen Beziehungen mit der sozialdemokratischen German Labor Delegation vgl. Claus-Dieter Krohn, Der Konflikt der German Labor Delegation mit der Gruppe Neu Beginnen, in: Michael Grunewald/Frithjof Trapp (Hg.), Autour du „Front populaire allemande“. Einheitsfront-Volksfront, Bern 1990, S. 82–98. Vgl. zu Frank/Hagen in den USA weiterhin Terence Reynaud, The German Resistance in New York: Karl B. Frank and the New Beginning Group, 1935–1945, B.A. Thesis, Boston University 2007 (auch im Internet abrufbar). 151 Hertz war führend im Antinazi-Forum tätig, einem Zusammenschluss, der der SOPADE kritisch gegenüber stand, wenngleich er nicht prokommunistisch war. In diesem Forum arbeitete auch Walter Friedeberger mit, der sich aber dem KPD-Exil annäherte. Vgl. Bundesarchiv (BArch), Abteilung Berlin, Ministerrat der DDR, Bestand DC 20/7874: Personalakte Walter Friedeberger, ergänzende Angaben zum Lebenslauf (undatiert), Bl. 16. 152 So Margrit Pittman in einem Dokumentarfilm der Artia Nova Film GmbH. Vgl. Zwischen den Welten. Das Leben der Margrit Pittman, Regie: Hans-Joachim Ulbrich (2010).

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Gründen lehnten Oskar Maria Graf, Erich Maria Remarque, Heinrich Mann, Kurt Pinthus und der Kreis um Max Horkheimer eine Mitwirkung im Council ab.153 Der Gründungsaufruf des Council nannte als Vorbedingung jeder Lösung des deutschen Problems „die Besiegung des Nationalsozialismus, die Vernichtung seiner Träger und die Ausrottung seines Geistes und in jedem anderen Land.“154 Er forderte die Deutschen auf, sich gegen das Hitler-Regime zu erheben. Niemand dürfe das deutsche Volk an der Entmachtung des Großgrundbesitzes, der Großindustrie oder der Militärkaste hindern. Während über die Auflösung des Großgrundbesitzes Einigkeit bestand, war die Forderung nach Kontrolle (statt Nationalisierung) der Großindustrie Ausdruck eines Kompromisses unter den Unterzeichnern. Deutschland solle eine Demokratie werden, doch sei eine demokratische Selbstverwaltung erst nach dem Sturz des Faschismus möglich, und nur dann könne Deutschland auf einen gerechten Frieden hoffen. Der Aufruf wurde von rund sechzig Persönlichkeiten des deutschen (und österreichischen) Exils unterschrieben.155 Zu ihnen gehörten außer den bereits Genannten unter anderem Georg Friedrich Alexan, Elisabeth Bergner, Ernst Bloch, Paul Czinner, Hermann Duncker, Lion Feuchtwanger, Alexander Granach, Emil Julius Gumbel, Hans von Hentig, 153 Die Liste der Mitglieder des Initiativkomitees findet sich im Nachlass Elisabeth Hauptmanns. Vgl. Akademie der Künste, Berlin, Elisabeth-Hauptmann-Archiv, Nr. 1848. Sie ist ebefalls abgedruckt in: Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.); Was soll aus Deutschland werden?, S. 160. Vgl. auch Middell u. a., Exil in den USA, S. 186 f. Auch Forell und Wagner schieden bald aus dem Council wieder aus. Zu Thomas Manns Rückzug vgl. Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 217 ff. 154 Die Erklärung wurde zuerst von der New Yorker Staatszeitung und Herald am 3. Mai 1944 veröffentlicht. Sie ist u. a. abgedruckt in: Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, S. 155–159, Zitat S. 156. Die Council-Erklärung war damit auch im Sinne Brechts, der betont hatte: „Die unvermeidliche Endniederlage Hitlerdeutschlands wird unser Land in unausdenkbarem Elend sehen. Ein Sieg würde die ganze Welt in solchem Elend sehen.“ Bertolt Brecht, Bericht über die Stellung der Deutschen im Exil [um 1943], in: Gesamtausgabe, Bd. 20: Schriften zur Politik und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1967, S. 282. 155 Die Liste der Unterzeichner ist abgedruckt bei Ruprecht, Felix Boenheim, S. 274, Anm. 57, und Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, S. 161 f. Vgl. Schreiners Briefwechsel mit Paul Tillich, in: Harvard University, Andover-Harvard Theological Library, Cambridge, Massachusetts, Paul Tillich Papers: bMS 649, Series VI: Correspondences, Box No. 183, bes. Albert H. Schreiner an Paul Tillich, Brief vom 15. März 1944. Dieser Teilnachlass Tillichs (ein anderer Teil befindet sich im Universitätsarchiv Marburg) ist vor einigen Jahren neu katalogisiert und geordnet worden und wird im Folgenden als Paul Tillich Papers zitiert.

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Oskar Homolka, Marie Juchacz, Alfred Kantorowicz, Fritz Kortner, Helmut Kuhn, Peter Lorre, Heinrich Mann, Hans Marchwitza, Siegfried Marck, Albert Norden, Karl Obermann, Erwin Piscator, Maximilian Scheer, Erich Schmidt, Günther Stern, Fritz Sternberg, Wolfgang Stresemann, Veit Valentin, Walther Victor, Berthold Viertel, Martin Wagner und Albert Wollenberger.156 Die diverse Runde war zu einem wichtigen Teil dem Drängen Albert Schreiners zu verdanken.157 Felix Boenheim, von Anfang an einer der aktivsten Mitarbeiter und dann Stellvertreter Tillichs im Vorsitz des Council, gewann Albert Norden (inoffiziell KPD) sowie wahrscheinlich Walther Victor und Maximilian Scheer zur späteren Mitwirkung.158 Der Council repräsentiere, so sein Vorsitzender Paul Tillich, die Balance zwischen den verschiedenen demokratischen Kräften. Er vertrete also keine monarchistischen oder anderen autoritären Strömungen; so verliefen anfängliche Kontakte zum früheren deutschen Reichskanzler Heinrich Brüning ergebnislos. „Manche Persönlichkeit, die wir an und für sich gern bei uns gehabt hätten, konnten wir nicht auffordern, weil ihr Eintritt die Balance verschoben hätte. Wir bedauern diese Verluste und hoffen, uns der Mitarbeit solcher Freunde in anderer Form versichern zu können. [...] Wir müssen uns darüber klar sein, dass der Council nicht ein Spiegelbild der deutschen Emigration in Amerika geben soll – dann würde die Balance ganz anders aussehen – , sondern dass er die zu erwarten-

156 Noch 1943 hatte der Biochemiker und Doktorand Albert Wollenberger in Cambridge (Massachusetts) eine Gruppe „Freunde des Freien Deutschlands“ ins Leben gerufen. Am 22. Juni 1944 schrieb Tillich an Wollenberger, dessen Initiative sei zu begrüßen, doch könne sich die Gruppe nicht als offizielle Ortsgruppe dem Council anschließen und dürfe zudem keine politische Erklärung im Namen des Council abgeben. Anregungen, die an den Initiativ-Ausschuss zu richten sind, seien jedoch sehr willkommen. Der Brief befindet sich im Maximilian-Scheer-Archiv der Akademie der Künste, Berlin (im Folgenden: Maximilian-Scheer-Archiv), Nr. 1198. Vgl. auch Annette Leo, Seine Universitäten. Die Lehrund Wanderjahre des Kommunisten und Wissenschaftlers Albert Wollenberger. Mit Fotos von Gerhard Kiesling, in: Neue Berliner Illustrierte (NBI), Nr. 22/1984, S. 30. Auch Ernst Bloch unterstützte die Bildung dieser Lokalgruppe. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 272. 157 Dies bezeugt auch Friedrich Baerwald, Zur politischen Tätigkeit deutscher Emigranten im Council for a Democratic Germany, in: VfZ 28, 1980, Nr. 3, S. 376. 158 Vgl. Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 300. Am Council und seinen Ausschüssen beteiligten sich später u. a. die protestantischen Theologen Richard Kroner und Erwin Müller, die Sozialdemokraten Käthe Frankenthal und Erich Schmidt (der auch der Gruppe Neu Beginnen angehörte) und der Schriftsteller Berthold Viertel, der mit der KPD vorsichtig sympathisierte, aber den Stalinismus ablehnte.

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den Kräfte eines demokratischen Wiederaufbaus in Deutschland abbilden soll; und deshalb muss die Zusammensetzung des Council sein, wie sie ist.“159 Um gegenüber Zweiflern den überparteilichen Charakter des Council zu betonen, sollten bekannte KPD-Sympathisanten jedoch erst nach Verabschiedung eines Programms offiziell zugelassen werden. Albert Schreiner schrieb daraufhin am 10. April 1944 an Paul Tillich: „Wo ich politisch mitwirke, will ich es nicht als Statist tun.“160 Er wolle vielmehr die Deklaration in Presse und Radio verbreiten.161 Der Council stieß auf ein geteiltes Echo in der amerikanischen Öffentlichkeit wie im deutschen Exil. Das US-Außenministerium schickte ein Begrüßungsschreiben, das die offizielle Haltung verdeutlichte, wonach „die Bildung von Komitees weder zu erschweren noch zu fördern“ sei.162 Die großen Blätter berichteten über die Gründung. Die New York Times schrieb, der Council „helfe dabei, eine demokratische Ordnung in Deutschland zu errichten und die Herstellung konstruktiver Beziehungen zwischen einem erneuerten Deutschen Reich und der Welt zu erleichtern.“163 Hingegen kritisierte William Shirer in der New York Herald Tribune, dass das Gründungsmanifest „kein Wort des Bedauerns“ über die von Deutschen begangenen Verbrechen oder deren Wiedergutmachung äußerte,

159 Rede des Chairman Paul Tillich, Zusammenkunft der New Yorker Unterzeichner der Deklaration des Council for a Democratic Germany, 17. Juni 1944, vervielfältigtes Manuskript, zit. n. Paetel, Zum Problem einer deutschen Exilregierung, S. 290 f. 160 Paul Tillich Papers, Series VI: Correspondences, Box No. 183: Schreiner an Tillich, Brief vom 10. April 1944. 161 Ebd.: Schreiner an Tillich, Brief vom 24. April 1944. Beide Dokumente befinden sich auch im Nachlass Albert Schreiners in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (SAPMO-BArch), NY 4198/80, Bl. 201 f. 162 Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 287, zitiert das entsprechende, von Roosevelts Berater Adolf A. Berle verfasste Memorandum vom 22. Mai 1944 („not to impede the formation of committees, but not to sponsor one“). 163 Council for Democratic Germany Formed by Refugee Leaders Here, in: The New York Times, 3. Mai 1944. Am gleichen Tag gab es eine entsprechende Meldung in der International Herald Tribune, zwei Tage später berichtete der Aufbau; vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 275; Ragg, The German Socialist Emigration, S. 449. Auch Joseph Starobin äußerte sich in der KP-Zeitung Daily Worker am 3. Mai 1933 unter der Überschrift „AntiFascist Germans Form New Group Here“ positiv, wenngleich etwas verhalten, ebenso die prokommunistische Zeitschrift New Masses am 16. Mai 1944. Vgl. auch den Bericht in: The German American, 15. Mai 1944. Die sozialdemokratische Neue Volkszeitung blieb sehr skeptisch. Vgl. Kommunistische „Realpolitik“, in: Neue Volkszeitung, 13. Mai 1944. Vgl. weiterhin Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 286 f.

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doch war dies das Thema einiger der folgenden im Council entstandenen Erklärungen.164 Neben der Zustimmung zur Gründung gab es auch Stimmen einer heftigen Ablehnung, die fast ausschließlich von solchen Exilanten kam, die entweder den Gedanken an ein anderes Deutschland jenseits von Hitler ganz verwarfen oder dem Council unterstellten, es sei eine kommunistische Frontorganisation.165 Erbitterte Attacken ritten deutsche „Vansittardisten“ wie Hans Jacob, für den das Gründungsmanifest des Council „geradezu ekelerregend im Übergehen der Schandtaten [sei], die das deutsche Volk in seiner Gesamtheit begangen hat oder Hitler seit über zehn Jahren im Namen des deutschen Volkes hat begehen lassen.“166 Einen scharfen Angriff führte auch Rudolf Katz. Der Council sei ein „New Yorker Stalin-Coup“, so die Überschrift seines Beitrages. Tillich schweige über seine Verbindungen zum Moskauer NKFD, und dieses Schweigen besage mehr als Worte.167 Entgegen Tillichs ursprünglicher Idee vom Council als einem lockeren Zusammenschluss verschiedener Strömungen setzten Politiker mit Verwaltungserfahrung wie der Sozialdemokrat Albert Grzesinski oder Boenheim, der in Berlin eine Krankenhausabteilung geleitet hatte, eine ressortmäßige Gliederung durch.168 So entstand ein Gesundheits- und Fürsorgeausschuss unter Leitung Felix Boenheims, in dem auch Käte Frankenthal und Kurt Glaser mitwirkten. Der Ausschuss hatte drei Unterabteilungen: der Kriegsgefangenen-Ausschuss, dem Boenheim 164 William Shirer in: New York Herald Tribune, 2. Juli 1944, zit. n. Paetel, Zum Problem einer deutschen Exilregierung, S. 294. Die deutschsprachige Presse reagierte zögernd positiv. Vgl. den zusammen mit dem Gründungsaufruf abgedruckten Bericht der New Yorker Staatszeitung und Herald, 3. Mai 1944, in: Maximilian-Scheer-Archiv, Nr. 1198. 165 Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 275 ff.; Ragg, The German Socialist Emigration, S. 450 ff. 166 Hans Jacob, in: Aufbau, 19. Mai 1944, zit. n. Radkau, Die deutsche Emigration in den USA, S. 200. 167 Der New Yorker Stalin-Coup, in: Deutsche Volkszeitung, 6. Mai 1944. Vgl. auch Friedrich Stampfers Brief an den sozialdemokratischen Parteivorstand (SOPADE) in London vom 9. März 1943, in: Matthias (Hg.), Mit dem Gesicht nach Deutschland, S. 643. In seiner Antwort vom 5. April 1944 billigte Hans Vogel Stampfers Linie. Vgl. ebd., S. 647 168 Vgl. zur Zusammensetzung und Organisation des Council Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 297 ff. Eine Übersicht aller Ausschüsse und Unterausschüsse findet sich bei bei Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.); Was soll aus Deutschland werden?, S. 269–277. Von den späteren Rückkehrern nach Ostdeutschland arbeiteten die Folgenden in den Ausschüssen mit: Boenheim (Amerika, Europa, Fürsorge), Budzislawski (Presse, Amerika, Europa), Hauptmann (Kunst, Fürsorge), Lips (Amerika, Europa, Erziehung, Wirtschaft), Norden (Wirtschaft), Obermann (Erziehung), Scheer (Presse), Schreiner (Verwaltung, Recht), Victor (Presse, Europa), Walcher (Finanzierung).

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selbst vorstand, ein Relief Committee unter Leitung Henry E. Mullers, des Vorsitzenden der New Yorker Abteilung des Unitarian Service Committee, sowie eine „Gesundheits“-Gruppe, die, wieder unter Federführung Boenheims, einen Entwurf über den Aufbau eines demokratischen Gesundheitswesens vorlegte.169 Darin hieß es, die soziale Herkunft vieler deutscher Ärzte aus den reaktionären Gesellschaftsklassen sei für die weitgehende Unterstützung, die der Nazismus unter Medizinern erfahren habe, mitverantwortlich. Eine soziale Neugestaltung des deutschen Gesundheitswesens erfordere somit die Heranziehung geeigneter Kräfte aus der Arbeiterklasse.170 Dies entsprach den gesundheitspolitischen Ideen der KPD, die seit Anbeginn die Heranziehung einer neuen Ärzteschaft aus der Arbeiterklasse propagierte, wenngleich ihre wichtigsten Gesundheitspolitiker (so Friedrich Wolf und Maxim Zetkin, Clara Zetkins Sohn) dem linken Bürgertum entstammten.171 Im Gewerkschaftsausschuss einigten sich Kommunisten, Sozialdemokraten und unabhängige Sozialisten am 14. Juli 1944 rasch auf eine Denkschrift, die gemäßigte Töne anschlug. Sie forderte, die Trennung der Gewerkschaften in solche der Arbeiter, Angestellten und Beamten, wie sie in der Weimarer Republik bestand, aufzuheben. Die Gewerkschaften sollten für die „Mitbestimmung“ aller Lohnabhängigen in einer „Wirtschaftsdemokratie“ eintreten. Eine Gewerkschaft aber „will und wird kein Ersatz für politische Parteien sein. Sie wird zunächst auf Lohnfragen, Arbeitsbeschaffung, Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenfürsorge, Arbeiterschutz und Arbeiterwanderung konzentriert sein müssen. Sie hat in jeder ihrer Tagesaufgaben das Ziel einer Gesamtlinie zu verfolgen, nämlich die gleichberechtigte Mitwirkung der Arbeitnehmer in einer späteren Wirtschaftsorganisation und -verfassung. Der Aufbau der Gewerkschaft ist ein Teil des Aufbaues einer Wirtschaftsdemokratie.“172 Doch standen diese Leitsätze im Gegensatz zu Teilen 169 Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 284, Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 393 f. Der Kriegsgefangenen-Ausschuss entstand aus der FürsorgeKommission und leistete die von dieser geforderte politische Arbeit unter den gefangenen deutschen Soldaten, unter denen die Nazi-Ideologie teilweise noch sehr stark war, was die US-Bewacher aufgrund fehlender Deutschkenntnisse oft nicht bemerkten. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 286 f. 170 Der Entwurf ist abgedruckt in: Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, S. 230–246. 171 Vgl. Lothar Büttner/Bernhard Meyer, Die Bedeutung der Gründung der KPD für die Gesundheitspolitik der revolutionären Arbeiterbewegung, Berlin [DDR] 1986. Vgl. zur Ausschussarbeit im Council sehr detailliert auch Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 393 ff. 172 Die Denkschrift ist abgedruckt in: Langkau-Alex/Ruprecht Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, S. 171–180. Vgl. auch den Aufsatz von Jan Foitzik, Wiederaufbau der Ge-

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der amerikanischen Gewerkschaften, die sich als Teil einer rein kapitalistischen Marktwirtschaft sahen. Bei der Formulierung wirtschaftspolitischer Leitsätze vermochten sich die KPD-nahen Council-Mitglieder gegenüber den zahlenmäßig stärkeren Anhängern der Sozialdemokratie und der Gruppe Neu Beginnen nicht durchzusetzen. So hatte Albert Schreiner vorgeschlagen, den folgenden Passus in die Leitsätze aufzunehmen: „Die Produktivkraft der deutschen Wirtschaft muss bei der Neuregelung der Wirtschaftsbeziehungen der Völker so eingeordnet werden, dass die deutsche Produktivkraft nicht erneut zur Erringung einer politischen Vormachtstellung Deutschlands in Europa ausgenützt werden kann und die Gefahr einer deutschen Wiederaufrüstung vermieden wird.“173 Weit schärfer noch forderte Albert Norden die „Brechung der Macht der Trusts“ und eine „Übernahme der imperialistischen Kriegstrusts in Allgemeinbesitz […].“174 Dies stieß besonders bei den Ausschuss-Mitgliedern Friedrich Baerwald und Fritz Haussmann auf Ablehnung. Auch der Vorsitzende des Ausschusses, George Rudolph, reagierte ablehnend.175 Die offizielle Council-Erklärung sprach somit hingegen nur allgemein davon, dass die deutsche Produktivkraft Teil eines internationalen Systems der Produktion und Konsumtion werden solle, denn nur so könne Deutschland seine Verpflichtungen nach materiellen (also nicht finanziellen) Reparationsleistungen erfüllen, die zusammen mit dem übrigen Europa einem wirtschaftlichen Chaos in der Nachkriegszeit vorbeugen sollten. Eine solche Integration wirke einer erneuten wirtschaftlichen Vormachtstellung Deutschlands und die Gefahr seiner Wiederaufrüstung entgegen.176 Doch konnte Schreiner eine Einigung des Ausschusses

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werkschaften. Zur Denkschrift des Council for a Democratic Germany, in: ebd., S. 76–90. Mehrere Entwürfe, in denen um jedes Komma gerungen wurde, befinden sich im Nachlass Schreiners, SAPMO-BArch, NY 4198/79, Bl. 43–85. Paul Tillich Papers, Series VI: Correspondences, Box No. 183: Albert H. Schreiner an Paul Tillich, Brief vom 15. März 1944.; auch in: SAPMO-BArch, NY 4198/80, Bl. 205. Dieser „Zusatzvorschlag“ (so der Titel) von Nordens Papier findet sich in: SAPMOBArch, NY 4198/80, Bl. 143 f. Vgl. Council for a Democratic Germany: Bericht August bis Ende Oktober 1944, in: ebd., Bl. 36–38, sowie im Maximilian-Scheer-Archiv, Nr. 1202. In beiden Nachlässen finden sich weitere Dokumente, die, wo immer möglich, nach der gedruckten Fassung bei Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, zitiert werden, auch wenn sie geringfügig davon abweichen. Die wirtschaftspolitischen Leitsätze sind abgedruckt in: ebd., S. 181–187. Ein Entwurf befindet sich im Maximilian-Scheer-Archiv an der Akademie der Künste, Nr. 1200, sowie weitere Materialien ebd., Nr. 1202 (u. a. die Entwürfe der Entschließungen zum Verfassungs-, Rechts- und Bildungswesen). Sie befinden sich ebenfalls im Bestand Albert Schrei-

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über die notwendige „Wirtschaftskontrolle über die Industrie“ vermelden.177 Die Teilberichte des Ausschusses wurden im Mai 1945 zusammengefasst und vom Council-Plenum angenommen.178 Der Presse- und Kunstausschuss kam nicht über allgemeine Absichtserklärungen, die zudem auch nicht öffentlich gemacht wurden, hinaus.179 Der Verwaltungsausschuss fand keine einheitliche Linie, wie mit den nazistischen Spitzenbehörden verfahren werden sollte, von denen einige für den unmittelbaren Neuaufbau noch gebraucht wurden. Der Gedanke eines Volkstribunals wurde erwogen, doch nicht mehr umfassend diskutiert, wobei Friedrich Baerwald und Albert Schreiner eine besonders schwere Bestrafung aller Beteiligten an der Ermordung der Juden forderten.180 Im Council ging es auch um praktische Vorschläge, wie den Auswirkungen der nazistischen Geschichtspropaganda im Nachkriegsdeutschland begegnet werden könne. Die Vorstellungen für ein neues Bildungssystem waren vom Wissen, oft auch von der bloßen Ahnung dessen geprägt, was Rassismus, Antisemitismus und Führerkult in den Köpfen vieler Deutscher angerichtet hatte. Das Komitee für Erziehung und Wissenschaft im Council stellte deshalb in einem kurzen Resümee fest: „Die Rassenlehre und die von ihr abgeleitete Herren- und Knechtsideologie bedeuteten den Bruch mit der liberalen Tradition und demokratischen Entwicklung und war eine Fortsetzung des alldeutschen Imperialismus.“181

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ner, aus dem sie hier zitiert werden. Vgl. auch den vorläufigen Teilbericht vom 3. März 1945, in: SAPMO-BArch, NY 4198/79, Bl. 1371–42. Vgl. ebd., Bl. 196, Anlage 1: Die Wirtschaft besteht aus drei Sektoren [undatiert]. Vgl. ebd., Bl. 276–289: Bericht des Wirtschaftsausschusses. Vgl. ebd., NY 4198/80, Bl. 44 f.: Protokoll-Auszug der Sitzung vom 27. Januar 1945; ebd., NY 4198/79, Bl. 229–234: Council for a Democratic Germany: Entwurf eines Berichts des Presse-Ausschusses; ebd., Bl. 222 f.: Vorschläge für einen Wiederaufbau des Pressewesens im demokratischen Deutschland; ebd., Bl. 184 f.: Kunst-Ausschuss, Berthold Viertel, Bühne und Film; ebd., Bl. 216–221: E. Piscator, B. Viertel, E. Hauptmann, Some Remarks and Suggestions concerning the Re-organization of the German Theatre [undatiert]. In den Ausschüssen arbeiten neben den Vollmitgliedern des Council auch hinzugezogene Fachleute, so Berthold Viertel und Erwin Piscator, mit. Vgl. ebd., NY 4198/80, Bl. 304–306, und ebd., 4198/80, Bl. 266–275, sowie MaximilianScheer-Archiv, Nr. 1203. SAPMO-BArch, NY 4198/79, Bl. 197–204: Vorstellungen für ein neues Bildungssystem (25. Mai 1945), abgedruckt in: Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, S. 249–253. Dem waren „Richtlinien für eine Neuorganisierung des Schul- und Erziehungswesens in Deutschland“ vorangegangen, die der Ausschuss am 2. Januar 1945 im Entwurf beschloss. Vgl. SAPMO-BArch, NY 4198/80, Bl. 152–160. Am 27. Januar wurde der Entwurf vom Council an den Ausschuss zur Überarbeitung zurückverwiesen. Vgl. ebd., Bl. 45: Protokoll-Auszug der Sitzung.

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Die am 7. April 1945 vom Geschäftsführenden Ausschuss unter Leitung Tillichs und Boenheims entworfene „Denkschrift über Sofort-Maßnahmen“ forderte die „Ausmerzung des Nationalsozialismus und Militarismus“, eine Forderung, über deren Notwendigkeit „völlige Übereinstimmung [bestehe] zwischen der politischen Führung der Vereinten Nationen und allen deutschen demokratischen Kräften, die im Council ihren Ausdruck gefunden haben.“182 Der Council forderte die umfassende Beteiligung demokratischer Kräfte am Wiederaufbau. Ihre Handlungsfreiheit durch die Alliierten müsse garantiert sein. Ansonsten werde „es dem N.S.-Untergrund möglich sein, sich zu konsolidieren und seine Tätigkeit zu beginnen.“ Mehr noch: Die Erfahrung der letzten sechs Jahre habe gezeigt, „dass FremdBesatzungen sich selbst sichern und die äußere Ruhe und Ordnung wiederherstellen und aufrechterhalten können.“ Eine politische Überwindung des Nationalsozialismus könne“ jedoch nur vom deutschen Volk selbst durch die Wiedererweckung und Stärkung seiner demokratischen Kräfte vollzogen werden.“ Im Ganzen, so berichtete später Albert Norden, betrachteten die kommunistischen Mitglieder und die übrigen Genossen den Council „bis zum Sommer 1945 als nützlich, da er sich in seinem unregelmäßig erscheinenden Bulletin und in öffentlichen Erklärungen für die Einheit der Großmächte aussprach. Das war von Bedeutung angesichts der permanenten Antisowjethetze der amerikanischen Reaktion im Allgemeinen und eines Flügels der deutschen Sozialdemokraten in Amerika im Besonderen.“183 Hinter diesen Zeilen mag sich die Enttäuschung Nordens darüber verbergen, dass der Council insgesamt westlichen DemokratieVorstellungen weit näher kam, als einem an der Sowjetunion angelehnten Modell. Insgesamt lässt sich über die Mitarbeit deutscher Kommunisten im Council sagen, dass sie zwar ihren Auffassungen Geltung verschaffen wollten, dies aber nicht im Sinn einer politischen Avantgarde taten, die behauptete, allein den Schlüssel zur Lösung aller anstehenden Probleme zu besitzen. Die insgesamt offene, pluralistische Diskussionskultur im Council hatte durchaus auf sie abgefärbt und einigen doktrinären Haltungen entgegengewirkt. Natürlich interessierten sich auch die amerikanischen Dienste für den Council. Wie deutsche Kommunisten ins Visier des FBI gerieten, wird weiter hinten ausgeführt. Es genügt hier die Feststellung, dass das FBI wie auch das OSS den Council und seine Vorläufer beobachteten, um herauszufinden, inwieweit dort 182 Ebd, NY 4198/79, Bl. 307–326: Council for a Democratic Germany: Geschäftsführender Ausschuss, Denkschrift über Sofort-Maßnahmen (7. April 1945). Hiernach die folgenden Zitate. 183 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v.255, Bl. 171: Norden an Merker, Brief vom Oktober 1946.

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Kommunisten Einfluss ausübten, womöglich gar dessen Kurs bestimmten.184 Dabei bestand zwischen dem FBI und dem OSS eine gewisse Konkurrenzsituation: So konnte es geschehen, dass das FBI seine Berichte nicht an das OSS, sondern nur „vertraulich“ an die Geheimdienste von Heer und Marine sowie das State Department weiterleitete. Zudem stammten die Informationen, die das FBI erhielt, oft von anonymen und wohl nicht immer verlässlichen Zuträgern.185 Bereits am 11. Mai 1943 wies FBI-Direktor J. Edgar Hoover das FBI-Büro in Philadelphia an, die „kommunistischen Aktivitäten“ innerhalb „solcher Organisationen wie der German American Emergency Conference, der German American Cultural League, studentischer Gruppen und kleinerer Kreise“ zu beobachten. Der entsprechende Informant des FBI, Dr. Kempner, müsse „speziell darauf hingewiesen werden, dass er in keiner Weise zu erkennen gibt, dass er für dieses Büro arbeitet. Bevor er irgendwelche Kontakte in New York knüpft, muss sichergestellt werden, dass Dr. Kempner diese Angelegenheit mit einem Mitarbeiter des New Yorker Büros bespricht, der mit der Lage vertraut ist.“186 Im September 1939 und erneut am 14. Dezember 1941 hatte der aus Deutschland stammende Jurist Robert Kempner FBI-Chef Hoover brieflich seine Mitarbeit angeboten.187 Ein FBIMitarbeiter, J. C. Strickland, lobte Kempner im September 1944 gegenüber dem Leiter des New Yorker FBI-Büros, D. M. Ladd, für die „Nützlichkeit“ seiner Informationen über die Bewegung Freies Deutschland.188 184 Ein Großteil der vom FBI gesammelten Unterlagen über den Concil for a Democratic Germany befindet sich an der Ohio State University, Columbus (Ohio), Thompson Library: Spec.rare.cms.307, Alexander Stephan Collection of FBI Files on German Intellectuals in US Exile, [Bestand] Free Germany. Der Gesamtbestand dieser Sammlung von FBI-Akten wird im Folgenden als Alexander Stephan FBI File Collection zitiert. Diese Unterlagen sind ebenfalls im FBI-Aktenbestand Gerhard Eislers in den Robert F. Wagner Archives an der Tamiment Library der New York University enthalten. 185 Vgl. Mauch, Schattenkrieg gegen Hitler, S. 125. 186 Alexander Stephan FBI Files Collection, [Bestand] Robert Kempner, Moover to Searle, SAC, Philadelphia, 11. Mai 1943. 187 Vgl. ebd.: Briefe Kempners an Hoover vom September 1939 [ein genaues Datum fehlt] und vom 14. Dezember 1941. 188 Vgl. ebd.: J. C. Strickland, FBI-Memorandum an D. M. Ladd, 19. September 1944. Weitere Belege über Kempners diesbezügliche Arbeit, die ich einsah, fehlten in dem mir an der Ohio State University dann kopierten Aktenbestand. Kempner deutete seine Arbeit für das FBI in seinen Memoiren kurz an, als er erwähnte, ihm seien „Manuskripte oder Gutachten gerade dieser Leute“, nämlich von Kommunisten, vorgelegt worden, sagt aber nicht, vom wem vorgelegt. Robert M. W. Kempner, Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen, in Zusammenarbeit mit Jörg Friedrich, Frankfurt a. M. 1983, S. 171. Zugleich wurde Kempner aber auch, wie die Akte deutlich macht, vom FBI überwacht. Ein großer Teil seiner Arbeit für das FBI – wie auch für das OSS – bestand jedoch in der Übersetzung

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Hoover vermutete Ende 1943, dass die Kommunisten unter Bezugnahme auf das NKFD in verschiedenen Städten der USA „Free German Committees“ zu organisieren versuchten.189 Ein geheimer Informant mit dem Codenamen T-2 berichtete am 3. Mai 1944, „dass Paul Tillich, ein deutscher emigrierter Theologie-Professor, in aktiver Verbindung mit verschiedenen bekannten kommunistischen Frontorganisationen wie der German-American Conference steht. T-2 stellt fest, dass Tillich ein bekannter Mitläufer (fellow traveller) ist und als Herausgeber der Zeitschrift ‚The Protestant’ fungiert. T-3 [ein anderer FBI-Informant] stellt fest, dass er politisch eher den Kommunisten denn den Sozialdemokraten zuneigt.“190 Neben Tillich unterlag auch Karl Frank besonderer Beobachtung. Frank „alias Dr. Mueller, Willi Mueller und Paul Hagen“ habe sich schon früh, so ein internes Memorandum, in der KPD bewegt und 1925 in Berlin sogar einen kommunistischen Rundfunksender einzurichten versucht, „bis die Polizei dies unterband“, hieß es in einem FBI-Bericht.191 Die Organisation Neu Beginnen sei zwar nicht genuin kommunistisch, aber doch „eine Organisation marxistischer Intellektueller, von denen einige früher der Kommunistischen Partei Deutschlands angehört hatten.“192 Im Februar 1944 beantwortete Karl Frank einem Beamten der Alien Enemy Registration in einem sehr langen Telefongespräch detaillierte Fragen zu seinem politischen und persönlichen Lebenslauf. Das FBI erhielt eine Kopie dieser Aufzeichnungen.193 Der Schriftsteller Leo Lania, ein Freund Franks, versicherte in einem Brief an die New York Post, dessen Kopie das FBI ebenfalls erhielt, dass Frank schon im Ersten Weltkrieg ein entschiedener Kriegsgegner gewesen sei, was für seine demokratische Gesinnung spreche.194

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von Quellen nationalsozialistischer Provenienz. Vgl. für Kempners OSS-Arbeit Guy Stern, The Jewish Exiles in the Service of US Intelligence. The Post-War Years, in: Leo Baeck Institute, Yearbook 40 (1995), S. 53f. Vgl. Heike Bungert, Das Nationalkomitee und der Westen. Die Reaktion der Westalliierten auf das NKFD und die Freien Deutschen Bewegungen 1943–1948, Stuttgart 1997, S. 146, unter Bezugnahme auf einen Brief Hoovers an das State Department vom 31. Dezember 1943, in: U.S. National Archives, College Park (Maryland), Record Group (RG) 95, File 862.01/538. Alexander Stephan FBI Files Collection, [Bestand] Ernst Bloch, FBI-Report, 3. Mai 1944. Ebd.: [Bestand] Karl Frank, Internes Memorandum, 22. Juli 1942. Ebd.: Internes Memorandum an FBI-Direktor J. Edgar Hoover, 24. Februar 1944. Ebd.: Bureau Letter, 3, März 3, 1944: Information from Alien Enemy Registration. Ebd.: FBI-Büro New York, Bericht vom 29. Juni 1944 (mit einer Kopie des Briefes von Leo Lania an die Redaktion der New York Post).

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Im Mai 1944 informierte Ruth Fischer, die frühere Politsekretärin und nunmehrige Gegnerin der KPD, das OSS über den Council for a Democratic Germany.195 Daraufhin kam ein internes Memorandum des OSS an seinen Direktor William Donovan zu dem Schluss, dass „die dominierenden Elemente im Council Kommunisten und dissidente Sozialisten“ seien. „Die Hauptströmungen unter den Sozialdemokraten in den Vereinigten Staaten sind nicht vertreten, während die im Council vertretenen liberalen und gemäßigten Kräfte zweifellos dort ihren eigenen Interessen gemäß handeln.“ Obwohl dies offiziell nicht behauptet und auch bestritten werde, sei der allgemeine Eindruck über den Council der einer kommunistischen Frontorganisation. Doch dürften die Kommunisten außerhalb des Council mit diesem kaum zufrieden sei, trügen doch die programmatischen Erklärungen eher einen sozialdemokratischen als einen strikt kommunistischen Charakter. So habe sich zunächst Joseph Starobin im Daily Worker, der Zeitung der KP der USA, nur zurückhaltend über den Council geäußert, Hans Berger jedoch kurz darauf erklärt, die Gründung des Council sei zwar spät erfolgt, aber sie sei wichtig.196 Paul Hagen (alias Karl Frank) sei als wichtige Figur im Council besonders im Auge zu behalten, so Ruth Fischer. Dass mit Siegfried Aufhäuser und Kurt Glaser zwei für den Aufbau schreibende Sozialdemokraten im Council mitmachten, müsse Aufbau-Chefredakteur Manfred George aufgebrachten Lesern erklären. Ruth Fischer übertreibe aber, wenn sie den Council als bloßes Propagandainstrument der Kommunisten bezeichne.197 Ruth Fischer hatte sich im französischen Exil politisch zeitweilig Leo Trotzki angenähert. Seit 1941 lebte sie in New York, während ihrem Lebenspartner Arkadij Maslow das US-amerikanische Einreisevisum verweigert wurde und er deshalb nach Kuba gehen musste. Nach dem gewaltsamen Tod Maslows in Havanna, den Ruth Fischer aus plausiblen Gründen stalinistischen Geheimagenten anlastete, 195 FOIA-CIA Electronic Reading Room: Office of Strategic Services, Interoffice Memo, 6 May 1944: Ruth Fischer, Comment on Council for a Democratic Germany (www.foia.cia.gov/ browse_docs_full.asp). 196 Hans Berger, Anti-Fascist German Council – Late But Welcome, in: Daily Worker, 8. Mai 1944. 197 Foreign Nationality Groups in the United States, Memorandum by the Foreign Nationalities Branch to the Director of Strategic Services, Nr. 187: Volksfront or Communist Front? Internet- Präsentationsseite des CIA-Archivs (CIA Electronic Reading Room): https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/DOC_0000196663.pdf. Das Dokument befindet sich auch im Folder „CI.A.“ der Alexander Stephan Collection of FBI Files on German Intellectuals in US Exile in der Thompson Library der Ohio State University, Columbus (Ohio). Zur Perzeption des Council durch das FBI und das OSS vgl. detailliert Bungert, Das Nationalkomitee und der Westen, S. 141 ff.

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verwandelte sich ihre Gegnerschaft zur KPD und allen Anhängern Moskaus in einen wilden Hass, der auch vor ihren Brüdern Hanns und Gerhart Eisler nicht haltmachte.198 Aus ihrer Kenntnis der Biographien vieler deutscher und österreichischer Kommunisten beanspruchte sie einen Kronzeugen-Status in den ideologischen Feldzügen, zu denen es kommen würde, wenn nach Kriegsende die unnatürliche Allianz zwischen dem Sowjetkommunismus und dem amerikanischen Kapitalismus vorbei sei. „Seit Hitler auf dem Weg zur Hölle ist, ist der Stalinismus der gefährlichste Feind der Menschheit“, schrieb sie ein um das andere Mal.199 Eine Council-Sitzung befasste sich am 13. Mai 1944 mit dem Thema. „Man muss etwas gegen Ruth Fischer tun“, war die einhellige Meinung der Anwesenden. Überlegungen, das amerikanische Außenministerium oder das OSS über Ruth Fischers politischen Weg vom radikalen Kommunismus zum ebenso radikalen Antikommunismus zu informieren, wurden aber offenbar nicht weiter verfolgt.200 Denn vorerst war Ruth Fischer noch eine politische Außenseiterin, deren hektographiertes kleines Monatsperiodikum The Network vom rechten Flügel des amerikanischen Gewerkschaftsbundes finanziert wurde.201 The Network stellte sich (in ungezeichneten Artikeln) die Aufgabe, „antistalinistische Aufklärungsarbeit in Form eines Rundbriefes zu betreiben, der sich mit stalinistischen Organisationen und Organisationsformen befasst. Darüber soll vom Standpunkt eines Beobachters berichtet werden, der die stalinistischen Praktiken wie auch die rapide anwachsende stalinistische Bewegung in Europa, Asien und den Vereinigten Staaten von innen her kennt.“202 Ruth Fischers Wortwahl lässt Rückschlüsse auf die damalige Verfassung der früheren prominenten KPD-Politikerin zu. „The German American, das Wochenmagazin der deutschen Stalinisten hier“, lebe vom literarischen Renommee solcher Beiträger wie Carl Zuckmayer und Oskar Maria Graf (die, das sei angemerkt, mit der KPD nichts zu tun hatten). Sie alle hingen am „Gängelband“ kommunistischer Veteranen wie Hermann Duncker (der aber in Wirklichkeit 198 Vgl. zu Maslows Ermordung Keßler, Ruth Fischer, S. 372–391. 199 Ruth Fischer, „Free Germans“ in Moscow calling New York, in: The Network, 1944, Nr. 3, S. 2, auch enthalten in: Hoover Institution Archives, Stanford (California), Karl Frank Collection, Box No. 7, Folder 1D: Attacks on Karl Frank/Ruth Fischer and „The Network“. An gleicher Stelle attackierte Fischer auch Jacob Walcher, Karl Frank und Felix Boenheim. Zu ihren diesbezüglichen Aktivitäten vgl. Keßler, Ruth Fischer, S. 393–466. 200 Bertolt-Brecht-Archiv, Nr. 2061/48: Council-Sitzung. 13. Mai 1944. 201 Vgl. Keßler, Ruth Fischer, S. 411 f. 202 Ruth Fischer, Memorandum on The Network (November 1944), in: Ruth Fischer/Arkadij Maslow, Abtrünnig wider Willen. Aus Reden und Manuskripten des Exils, hg. von Peter Lübbe, München 1990, S. 481.

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krank und halbblind und somit zu politischer Arbeit kaum fähig war) und Albert Schreiner, die hier in den USA „ebenso das stalinistische Netzwerk kontrollieren wie Ludwig Renn und André Simone in Mexiko.“203 Ruth Fischer verstieg sich zu Spekulationen, als sie schrieb: „Albert Schreiner ist ein alter deutscher Kommunist, der sehr früh mit dem Geheimdienst der deutschen kommunistischen Partei verbunden war, der wiederum eng an die russischen Geheimdienste in Deutschland angebunden war. Nach einem kurzen ‚oppositionellen‘ Zwischenspiel war er, zweifelsohne als Belohnung für seine besonderen Gaben und in Voraussicht künftiger Dienste, einer der sehr wenigen Oppositionellen, die die kommunistische Partei jemals wieder aufnahm. Er diente Stalin treu, besonders in Spanien und unter den Flüchtlingen. Sein Rang in der GPU entspricht etwa dem eines Majors, und er ist einer jener erbarmungslosen, brutalen Typen, denen eine ganz undurchsichtige Rolle im Nachkriegsdeutschland zugedacht ist. Eine Zusammenarbeit mit solchen Typen wie Schreiner ist ein unverzeihliches Verbrechen und macht den Weg frei für den Triumph des Stalinismus.“204 Der Stalinismus tarne sich hinter der Maske der Überparteilichkeit, betonte Ruth Fischer, im Moskauer Nationalkomitee Freies Deutschland ebenso wie im Council for a Democratic Germany. Sozialdemokraten wie Siegfried Aufhäuser oder der Theologe Paul Tillich seien Feigenblätter, um die Ziele der Stalinisten zu verbergen. Die „Parteihierarchie“ der KPD, einschließlich der im Exil tätigen Organisationen bilde „eine Abteilung der GPU“, die von „russischen Agenten und Werkzeugen“ geleitet werde. Die deutschen Kommunisten würden aber „noch immer vom Ansehen der Parteigründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zehren“, die einst „viele der Besten aus der deutschen Arbeiterklasse“ begeistert hatten.205 In einem Offenen Brief an Paul Tillich beschuldigte Ruth Fischer ihn rundheraus, „mit dem terroristischen, totalitären Regime Stalins“ zu kooperieren. „Sie arbeiten nur mit Stalins Helfershelfern zusammen“ und „sprechen sich damit für Sklavenarbeit in Russland, für Konzentrationslager, für den Terror gegen Leib und Leben aus.“ 206 203 Ruth Fischer, Stalin’s Quislings – Kremlin Rallies Intern’l Circles To Support Soviet Maneuver for „Free Germany“, in: The New Leader, 2. Oktober 1943. 204 Fischer, „Free Germans“ in Moscow calling New York. 205 The Network, 1944, Nr. 5, S. 2 f. 206 Ebd., 1944, Nr. 6, S. 12. – In seiner Beobachtung des Council for a Democratic Germany nahm das FBI oftmals auf Ruth Fischers Behauptungen Bezug, die sich gesammelt im FBIAktenbestand über ihren Bruder Gerhart Eisler befinden. Vgl. Gerhart Eisler FBI File, hierzu z. B. Box Nr. 6, Mappe 1 (File SN 12).

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Die derart attackierten Sozialdemokraten und Linksliberalen aber wiesen Ruth Fischers Vorwürfe zurück. „Misstrauen gegenüber Sowjetrussland wird niemals einen Grundstein für ein wahrhaft demokratisches Deutschland legen, sondern zur Ursache neuer Konflikte werden“, schrieb Aufhäuser.207 Jeder Versuch, Deutschland als Stoßkeil gegen eine der alliierten Mächte (in diesem Fall die Sowjetunion) zu benutzen, solle ganz Europa in ein Schlachtfeld verwandeln, betonte Paul Tillich.208 „Wie ist es möglich“, fragte der Historiker Veit Valentin Paul Tillich, dass „eine Frau, die in New York als ‚Gelehrte‘ posiert, in der Lage ist, giftige und verleumderische Nachrichten über Ihre Arbeit zu verbreiten?“209 Ähnlich äußerten sich der Soziologe Siegfried Marck und der Historiker Carl Landauer.210 Die American Association for a Democratic Germany, der Unterstützerkreis des Council, wies die Anwürfe in scharfer Form zurück.211 Ruth Fischers „neurotische Art des Denkens“ sei für das deutsche Kleinbürgertum typisch. Zur Dolchstoßlegende und der Obsession vom „Weltjudentum“ habe sich nun das Renegatentum der ehemaligen Kommunistin gesellt.212 Von allen deutschsprachigen Blättern in den USA berichtete The German American naturgemäß am ausführlichsten über die Arbeit des Council. In der Zeitung schrieben zahlreiche Autoren, die zum Umkreis der KPD gezählt wurden, auch wenn diese als Partei nicht in Erscheinung trat. The German American wurde, obgleich es dafür zuerst nicht gedacht war, zum inoffiziellen Medium der Publizistik deutscher Kommunisten in den USA.

207 S. Aufhäuser in: Bulletin of the Council for a Democratic Germany 1, 1945, Nr. 4, S. 2. 208 Vgl. Paul Tillich, Outlook for 1945, in: ebd., Nr. 3, S. 1. 209 Paul Tillich Papers, Series VI: Correspondences, Box No. 183: Veit Valentin an Paul Tillich, Brief vom 18. März 1944. 210 Ebd., Briefe von Siegfried Marck und Carl Landauer an Paul Tillich vom 17. und 23. März 1944. 211 Die Organisation trug zunächst den Titel American Friends of German Freedom. Zu den Initiatoren gehörte Felix Boenheim, Sekretärin war Anne Caples, eine gebürtige Amerikanerin und Ehefrau Karl Franks. Vgl. Baerwald, Zur politischen Tätigkeit deutscher Emigranten [...], S. 375. Boenheim war auch am von konservativen Kräften getragenen German American War Bond Committee beteiligt, das für die Zeichnung von Kriegsanleihen unter Deutschamerikanern und Exilanten warb. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 269 f. 212 American Association for a Democratic Germany, An Answer to the Attacks of „The Network“ and of Ruth Fischer and Her Associates on the Council for a Democratic Germany, hektographiertes Manuskript vom Juli 1944, zit. n. Claus-Dieter Krohn, Der Council for a Democratic Germany, in: Langkau-Alex/Ruprecht (Hg.), Was soll aus Deutschland werden?, S. 41.

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Zwischen Tagespolitik und Geschichtspolitik: „The German American“ Die Themenpalette im German American war breit gefächert und behandelte Fragen der Kulturarbeit ebenso wie der politischen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der USA; so publizierte Lola Zahn in der Rubrik „Hier spricht die Frau“ zur Geschichte des amerikanischen Frauenwahlrechts wie auch zu Fragen der Sozialfürsorge, Grete Weiskopf (Alex Wedding) schrieb über das Engagement von Frauen in bisherigen „Männerberufen“ und Hilde Schottländer informierte über Blutspende-Aktionen für die Armee.213 Das Blatt berichtete fortlaufend über antifaschistische Aktionen unter Deutschamerikanern.214 Einen breiten Raum nahmen Berichte über deutsche Exilschriftsteller ein, die auch aus Anlass neu erschienener Arbeiten oder „runder“ Geburtstage gewürdigt wurden.215 Ebenso berichtete die Zeitung über wichtige Neuerscheinungen der deutschen Exilpublizistik: So brachte bereits eine der ersten Nummern im August 1942 einen Auszug aus Jürgen Kuczynskis in England erschienenem Buch The Economics of Barbarism.216 Paul Merkers Deutschland – Sein oder Nicht-Sein fand breite Beachtung.217

213 Lola Zahn, Wir haben das Frauenwahlrecht erkämpft – unter uns darf es keine Nichtwähler geben, in: The German American, 1. November 1944; dies., Der richtige Platz, in: ebd., 15. Februar 1945; Alex Wedding, Gleiche Pflichten, gleiche Rechte, in: ebd., April 1943; Hilde Schottländer, 50 000 Pints of Blood. The Greatest Gift a Civilian Can Give to a Fighting Man, in: ebd., Januar 1944 (ein kleiner Teil, etwa fünf Prozent, der im German American abgedruckten Beiträge war in Englisch abgefasst). 214 Zwei Beispiele: Die Erfolge der dritten Konferenz deutschamerikanischer Arbeiter in New York, in: ebd., Dezember 1943; Response from the German Americans Throughout USA, in: ebd., 1 Mai 1944. 215 Vgl. Alfred Kantorowicz, Thomas Mann spricht zu den Deutschen, in: ebd., Dezember 1942; Albert H. Schreiner, Ein Buch, das Beachtung verdient. Zu Heinz Pols „The Hidden Enemy“, in: ebd., Dezember 1943; ders., Wir sind Gefangene. Oskar Maria Graf und seine Generation, in: ebd., Februar 1944; Die Unbesiegbaren. Anekdoten von F. C. Weiskopf, in: ebd., März 1944; F. C. Weiskopf, Leutnant Bertram lernt denken. Zu Bodo Uhses Roman „Leutnant Bertram“, in: ebd., Juli 1944; Alfred Kantorowicz, Lion Feuchtwanger. Erfolg und Bewahrung eines deutschen Schriftstellers, in: ebd., 15. Juli 1944; Wieland Herzfelde, Oskar Maria Graf zum 50. Geburtstag, in: ebd., 1. August 1944; Max Schroeder, Egon Erwin Kisch, in: ebd., 15. April 1944. 216 Jürgen Kuczynski, World Consequences of the New Order, in: ebd., August 1942. 217 Paul Merker, Deutschland – Sein oder Nicht-Sein, in: ebd., 1. August 1944 [Auszug aus dem Vorwort]; Drei Briefe an den Verfasser des Buches „Deutschland – Sein oder NichtSein“, in: ebd., 15. August 1944 [Heinrich und Thomas Mann, Lion Feuchtwanger]; Albert H. Schreiner, Die deutsche Misere von Weimar bis Hitler. Zu Paul Merkers Buch „Deutschland – Sein oder Nicht-Sein“, in: ebd., 1. September 1944.

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Alfred Kantorowicz und Max Schröder erinnerten im German American, doch auch in der Free World, der New Republic und der Nation an Stufen faschistischer Machteroberung in Deutschland, die Unterstützung Hitlers durch wachsende Teile des Industrie- und Agrarkapitals und die brutale Ausschaltung der Hitlergegner. Hans Marchwitza verwiese auf die Kämpfe der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, deren Werk die in tiefster Illegalität wirkenden Antifaschisten heute fortzusetzen suchten.218 Auch an den Spanienkrieg wurde erinnert.219 Natürlich wurden alle Berichte über den deutschen Widerstand daraufhin gelesen, wie weit sie einen tatsächlichen Widerstandswillen innerhalb des deutschen Volkes widerspiegelten – eine Frage, die von niemandem präzise beantwortet werden konnte.220 Die von Goebbels „zum Jasagen und Heilbrüllen abgerichtete Horde“, die er im Berliner Sportpalast zusammengetrommelt habe, so Alfred Kantorowicz, könne jedenfalls am Niedergang des Naziregimes nichts ändern.221 Kantorowicz nutzte die Informationen aus seiner Arbeit bei der Auslandsredaktion der CBS zu Publikationen über das – von ihm vermutete – Ausmaß des deutschen Widerstandes. In der Monatszeitschrift Free World schrieb er Anfang 1942, neben der Ostfront und der von den Nazis gefürchteten unvermeidbaren Errichtung einer zweiten militärischen Front im Westen gebe es die dritte Front des deutschen Widerstandes in seinen verschiedenen Formen. Hierzu gehöre auch das von den deutschen Gerichten mit drakonischen Strafen geahndete verbotene Hören ausländischer Radiosender. Umso wichtiger sei es, jede Möglichkeit der Verbreitung von Informationen nach Deutschland hinein zu nutzen, die der

218 Alfred Kantorowicz, The Führer-Makers, in: The Nation, 6. Februar 1943; ders., The Burning of the Books, in: Free World, Mai 1943; ders., The Memorable Tenth of May, in: The German American, Juni 1943 [beide Artikel zum 10. Jahrestag der Bücherverbrennung in deutschen Universitätsstädten]; ders., Begrabene Freiheit. Carl von Ossietzky auf dem Weg ins Gefängnis, in: ebd., Januar 1944; ders., „Library of Burned Books“, in: The New Republic, 15. Mai 1944 [über eine von Kantorowicz 1934 mitorganisierte Ausstellung in Paris]; Max Schroeder, Der Reichstagsbrand. Auftakt der deutschen Tragödie, in: The German American, 1. Januar 1945; Hans Marchwitza, Glückauf dem hoffnungsvollen Werk! Gruß an die Kameraden von der Ruhr, die „alten Kämpfer“ gegen Krupp und Kapp, in: ebd., Oktober 1943. 219 Vgl. Alfred Kantorowicz, Deutscher Geist auf den Barrikaden. Aus dem „Madrider Tagebuch“, in: ebd., 1. August 1944; ders., Die neuen Glaubenskämpfer. Die internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, in: ebd., 15. November 1944. 220 Vgl. z. B. New Reports on German Underground, in: ebd., 15. Dezember 1944. 221 Alfred Kantorowicz, Goebbels auf dem Rückzug, in: ebd., März 1943.

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Goebbels-Propaganda mitsamt ihren Lügen vom unmittelbar bevorstehenden deutschen „Endsieg“ entgegenwirkten.222 Im folgenden Jahr schrieb Kantorowicz, das alle okkupierten Länder erfassende System der Sklavenarbeit sei die Grundlage, die Deutschen als Macht ausübende Aufseher bei Laune zu halten. Der Widerstand der „Fremdarbeiter“ greife jedoch auch auf jene deutschen Proletarier allmählich über, die sich der faschistischen Ideologie gegenüber immun gezeigt hätten oder von ihr zunehmend ernüchtert seien.223 Doch hatte die brutale Naziideologie nicht unter den Deutschen bereits starke Wurzeln geschlagen? In einem Kommentar zu Bildern und Berichten, die Wehrmachtssoldaten bei der Ermordung Gefangener zeigen, schrieb Alfred Zahn im German American von „jungen, kraftstrotzenden, durchaus nicht unschönen Nazisoldaten, die diese Grauen-Szenen als Staffage für ihre eigenen Aufnahmen benutzten. Die vor oder hinter oder neben den Gehenkten, Verstümmelten, den Leichenbergen unbekümmert lächeln.“224 Dem stand die überoptimistische Ferndiagnose F. C. Weiskopfs entgegen. Er behauptete unter Berufung auf einen Schweizer, der im Jahr zuvor die nordböhmischen Gebiete bereist hatte, dass es im „Sudetenland“ keinerlei Sympathie für die Nationalsozialisten mehr gebe und dass die im Jahre 1938 so starke Unterstützung für Hitler während der deutschen Okkupation auf nur noch fünfzehn Prozent gefallen sei. Die Widerstandsbewegung sei sehr stark.225 1944 war Weiskopf dann ernüchtert: Im Roman Himmelfahrtskommando beschrieb er die Stimmung in der Region als anhaltend nazifreundlich.226 In brieflichen Äußerungen gegenüber Freunden wie Lion Feuchtwanger und dem in Palästina lebenden Louis Fürnberg vertrat er nun die Auffassung, es sei fast unmöglich,

222 Vgl. Alfred Kantorowicz, The Third Front. A Report from the German Underground, in: Free World, Februar 1942; ders., The Strategy of Anti-Nazi Propaganda, in: ebd., März 1942. 223 Alfred Kantorowicz/John W. Gerber, Europe Against Hitler, in: The Nation, 1., 8. und 15. Mai 1943. 224 Alfred Zahn, Ein System, genannt neue Ordnung, in: The German American, 1. November 1944. 225 Vgl. F. C. Weiskopf, The Sudetenland Today, in: The Nation, 10. April 1943. 226 Weiskopfs Roman Himmelfahrtskommando erschien zuerst 1944 in englischer Übersetzung The Firing Squad in New York, das deutsche Originalmanuskript im Jahr darauf im Verlag Bermann-Fischer in Stockholm. Bis 1967 erschienen mehrere Auflagen des Buches in der DDR.

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die Unterscheidung zwischen Nazis und gewöhnlichen Deutschen noch aufrechtzuerhalten.227 Die Arbeiten deutscher Kommunisten für The German American kreisten vor allem um drei Themen: militärpolitische Fragen, der Suche nach den Ursachen für den Verlauf der deutschen Geschichte sowie Überlegungen zu Deutschlands unmittelbarer Zukunft. Zu militärpolitischen Themen schrieb vor allem Albert Schreiner, Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges und in der Weimarer Republik stellvertretender Leiter des Roten Frontkämpferbundes, der KPD-nahen paramilitärischen Organisation. Seine überaus detaillierten Bücher zur Aufrüstung des Hitler-Regimes, die er in Frankreich publiziert hatte, machten ihn auch im US-Exil zum unumstrittenen Experten für alle Fragen des Kriegsverlaufes und der Rüstungswirtschaft.228 So entnahm Schreiner im Oktober 1942 der deutschen und amerikanischen Presse erste Anzeichen einer Demoralisierung der deutschen Truppen, die durch die Luftangriffe der Alliierten verstärkt würden.229 Stalingrad werde, wie Verdun 1916, zur kriegsentscheidenden Wende des zweiten Weltkrieges, schrieb er, als die Kämpfe noch unentschieden waren.230 Die entscheidende Niederlage Hitlers sei schon 1943 möglich, so Schreiner am Beginn dieses Jahres, doch sei die Errichtung einer zweiten Front in Europa dafür eine zwingende Voraussetzung.231 Die amerikanische Landung in der Normandie würdigte Schreiner als militärische, aber ebenso als logistische Großtat.232 „Wir stehen an der Wende des Krieges“, hieß es in einem redaktionellen Artikel des German American als unmittelbare Reaktion auf den Sieg der Roten Ar227 Vgl. Jan Gerber, Ein Prozess in Prag. Das Volk gegen Rudolf Slánský und Genossen, Göttingen 2016, S. 158 (das Buch konzentriert sich auf die Lebensschicksale von Weiskopf und Fürnberg, die beide 1953–54 durch die Übersiedlung in die DDR der möglichen Verurteilung in einem Nachfolge-Verfahren zu diesem Schauprozess entgingen). 228 Vgl. Mario Keßler, „Hitler treibt zum Krieg“. Albert Schreiner als Militärwissenschaftler im Exil, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 7, 2008, Nr. 2, S. 126–142. Wiederabdruck in: Ders., Von Hippokrates zu Hitler. Über Kommunismus, Faschismus und die Totalitarismus-Debatte, Berlin 2008, S. 129–148. 229 Albert H. Schreiner, Risse an der seelischen Front, in: The German American, Oktober 1942. 230 Albert H. Schreiner, Stalingrad und Verdun, in: ebd., November 1942. Vgl. ders., Das „militärische Wunder“, in: ebd., Februar 1943. 231 Albert H. Schreiner, Hitlers Niederlage 1943?, in: ebd., Januar 1943. Ähnlich ders., Endrunde in Afrika – Entscheidung in Europa, in: ebd., Mai 1943, und ders., 1943 ist das Jahr für den entscheidenden Schlag gegen Hitler, in: ebd., September 1943; ders., Monate der Entscheidung, in: ebd., November 1943. 232 Albert H. Schreiner, Normandie: Brückenkopf für die Befreiung Europas, in: ebd., 1. Juli 1944.

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mee in Stalingrad, und Albert Schreiner bezeichnete die Wehrmachtsberichte, die von einem geordneten Rückzug schrieben, als Absurdität. Allerdings bezeichnete er an gleicher Stelle auch den Prozess von 1937 gegen Tuchatschewski und andere Marschälle der Roten Armee als Voraussetzung dafür, dass keine faschistische „fünfte Kolonne“ von innen her das Werk Hitlers habe besorgen können.233 Einen breiten Raum nahmen in Schreiners Publikationen die Enthüllungen der deutschen Kriegsverbrechen ein. In seinem Aufsatz „Die Barbarei der NaziKriegführung“ prangerte Schreiner die deutsche Wehrmacht als Organisation an. Sie habe, Seite an Seite mit der SS und mit speziell dafür zusammengetrommelten Polizeibataillonen, den „Vandalismus zum Sittengesetz“ erklärt. Alle Gesetze der Humanität seien außer Kraft gesetzt,, „die bestialische Abschlachtung von Millionen wehrlosen Menschen in Europa“ sei „ein Vernichtungs- und Ausrottungsunternehmen auf maschinell-großindustrieller Basis, gerichtet gegen ganze Völker“, wobei „die großen Räuber und Verbrecher […] Hunderttausende Mitschuldige, die durch kleinere oder größere Verbrechen an den Kriegskarren des deutschen Monopolkapitals gekettet werden“, brauchten. Allein in Rostow am Don seien zwischen 15 000 und 18 000 Zivilpersonen, in Charkow mehr als 20 000 erschossen oder vergast worden.234 In einer zur Jahreswende 1944/45 publizierten Sondernummer des German American zeichnete Albert Schreiner ein erschütterndes Bild der Vernichtungsmaschine der Nazis: „Die Nazis haben allein in drei ‚Vernichtungslagern‘ in Polen – Maidanek bei Lublin, Sobibor (Provinz Lublin), Auschwitz-Birkenau (Oberschlesien) – über fünf Millionen Kriegsgefangene und Zivilisten: Männer, Frauen, Greise, Wissenschaftler, Ärzte, Techniker, Künstler, Handwerker, Bauern, Arbeiter, Kaufleute, Hausfrauen, Schüler und Säuglinge fabrikmäßig ausgerottet. Die Opfer waren aus allen Ländern Europas zusammengetrieben, über die die Gestapo Macht hatte. Juden und politische Gegner der Nazis, kriegsgefangene Offiziere und Soldaten der polnischen und Roten Armee, alles in allem wehrlose Menschen, wurden in den Todesfabriken der Nazis physisch vernichtet. Auf polnischem Territorium bestanden außer in den genannten Orten noch ‚Vernichtungslager‘ in Dembin, Chelm, Biala Podliaska, Treblinka und anderwärts.

233 Vgl. Albert H. Schreiner, Die große Winteroffensive und Hitlers unfreiwilliger Rückzug, in: ebd., März 1943. – Mit einer Rechtfertigung des Stalin-Terrors hielt sich The German American aus bündnispolitischen Erwägungen freilich zurück: Eine Lobpreisung für den den Stalinismus verharmlosenden Film Mission to Moscow bildete eine Ausnahme. Vgl. Max Schroeder, „Mission to Moscow“, in: ebd., Juni 1943. 234 Albert H. Schreiner, Die Barbarei der Nazi-Kriegführung, in: ebd., April 1943.

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In den von den Nazis besetzt gewesenen Gebieten der Sowjetunion sind in den Städten und Gebieten um Krasnodar, Stavropol, Orel, Stalino, Smolensk, Kiew und anderwärts von den Nazis ca. 2 Millionen Sowjetbürger gemordet worden: vergast in Spezial-Gaswagen, erhängt, erschossen oder zu Tode gequält . [...] Nicht eingeschlossen in die über 7 Millionen auf russischem und polnischem Gebiet von den Nazis gemordeten Menschen – gemordet außerhalb der Kampfhandlung – sind die in den übrigen europäischen Ländern von den Nazis an Ort und Stelle durch Mord und Hunger vernichteten Zivilisten und Kriegsgefangenen. [...] Die Nazis haben in Europa mindestens ebensoviel Menschen kaltblütig durch Hunger und Mord – außerhalb der eigentlichen Kriegshandlung – vernichtet, wie der erste Weltkrieg allen kriegführenden Staaten, einschließlich Amerika und Japan, insgesamt an Toten gekostet hat; das waren über 8,5 Millionen Menschen.“ Diese „mit großindustriellen Methoden betriebene Entvölkerungspolitik der deutschen Kriegführung“ müsse bis in ihre „letzten materiellen und ideologischen Ursachen“ zurückverfolgt werden. Das „dem normalen menschlichen Empfinden unfassbare Verbrechen“ sei, so Schreiner weiter, „aus den Welteroberungsplänen des deutschen Imperialismus abzuleiten“, dessen Herrschaftssystem „nur noch durch Verbrecher und Verbrechen gestützt“ werde, sein historisches Daseinsrecht aber verwirkt habe.235 Zu diesen Verbrechern zählten auch die KZ-„Ärzte“, die mit grausamen medizinischen Experimenten den Tod wehrloser Gefangener in Kauf genommen und meist sogar wissentlich herbeigeführt hatten, worüber Felix Boenheim als einer der Ersten die Öffentlichkeit informierte.236 Einen wichtigen Platz nahm in der Zeitschrift die Suche nach den Ursachen für den Verlauf der deutschen Geschichte ein. Auch das deutsche Volk habe seine bürgerlich-demokratischen Traditionen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichten, schrieb Karl Obermann, der für fast alle Beiträge mit historischem Bezug im German American verantwortlich zeichnete.237 Unter Berufung auf Marx betonte er, das Recht auf Unabhängigkeit der europäischen Volker gegenüber dynastischen und hegemonialen Bestrebungen

235 Albert Schreiner, Hitlers Geheimwaffe „E“. Die Entvölkerungspolitik der deutschen Kriegführung. Sonderbeilage zu „The German American“, 1. Januar 1945. 236 Vgl. Felix Boenheim, Wie deutsche Ärzte zu Barbaren wurden, in: The German American, 1. Juli 1945. 237 Karl Obermann, „Du bist die Morgenröte“. Deutsche Stimmen zur amerikanischen Revolution, in: The German American., 1. Juli 1944; ders., Ein Humanist aus Preußen. Johann Gottfried Herders Kampf gegen preußischen Militarismus und für eine bessere Welt, in: ebd., 15. August 1944; ders. [Pseudonym K. O.], Friedrich von Steuben. Ein deutscher General im amerikanischen Freiheitskampf, in: ebd., 1. Dezember 1944.

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liege im Interesse des deutschen Volkes selbst.238 In seiner Suche nach fortschrittlichen deutschen Demokraten erinnerte Obermann an Engels’ radikal-demokratische Auffassungen.239 Er schlug jedoch Ernst Moritz Arndt posthum dem progressiven Lager zu, ohne den chauvinistischen und antisemitischen Aspekten von Arndts Denken genügend Aufmerksamkeit zu widmen.240 Ein um das andere Mal zog Obermann die Linie progressiven Denkens und Handelns vom deutschen Vormärz und der 1848er Revolution zur Emigration deutscher Demokraten in die USA und deren Einsatz für die Aufhebung der Sklaverei.241 In Deutschland sei hingegen nicht Preußen in einer demokratischen Republik, sondern vielmehr Deutschland im obrigkeitsstaatlichen Preußen aufgegangen.242 In solchen historischen Beiträgen ging es letztlich wie in den aktuellpolitischen Debatten auch um die geistige Hegemonie innerhalb des deutschen Exils. Dies zeigte sich noch in einer nach Obermanns Rückkehr nach Deutschland in den USA publizierten kleinen Biographie Joseph Weydemeyers. Für Obermann war Weydemeyer als Freund von Marx und Engels wie später als Oberst in Lincolns Armee ein Vorläufer der (1947) heutigen Kommunisten, für die keineswegs „die amerikanische Variante der bürgerlichen Demokratie ein und für allemal alle Probleme der menschlichen Gesellschaft gelöst hat.“243 Mehr noch: Weydemeyer habe in den USA den Einfluss der Anhänger Ferdinand Lassalles, der unter deutschen Arbeitern in St. Louis und Chicago besonders populär gewesen sei, erfolgreich zurückgedrängt und somit die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer marxistischen Kampfpartei in den USA schaffen helfen.244 Weydemeyer sei maß-

238 Karl Obermann, Karl Marx’ deutscher Standpunkt, in: ebd., 1, Januar 1945. 239 Karl Obermann, Friedrich Engels über den Kampf des deutschen Volkes um die Demokratie, in: ebd., Januar 1944. 240 Karl Obermann, Ernst Moritz Arndt, Freund des Volkes und Feind der Fürsten, in: ebd., 15. Januar 1945. 241 Vgl. Karl Obermann, Freiheitskämpfer zweier Welten. Die Achtundvierziger in Amerika, in: ebd., Mai 1943; ders., „God Bless the Dutch“. Präsident Lincoln und die Deutschamerikaner, in: ebd., Februar 1944; 1849: Der badische Aufstand, in: ebd., 15. September 1944; An den Anteil von Frauen bei der Unterstützung Lincolns in dessen Kampf für die Aufhebung der Sklaverei erinnerte Lola Zahn, Wir waren dabei ... als es darum ging, die Sklaverei zu bekämpfen, in: ebd., Februar 1944. 242 Vgl. Karl Obermann, Zur Preußenfrage. Eine historische Betrachtung, in: ebd., Juni 1943; ders., Ein Krebsschaden der deutschen Geschichte, 2 Teile, in: ebd., 15. November und 1. Dezember 1944. 243 Karl Obermann, Joseph Weydemeyer. Pioneer of American Socialism, New York 1947, S. 7. Das Buch erschien bei International Publishers, dem Parteiverlag der KP der USA. 244 Vgl. ebd., S. 134 f.

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geblich daran beteiligt gewesen, die International Workingmen’s Association, die Erste Internationale, in den USA ideologisch und politisch zu verankern.245

Das Ende des Council for a Democratic Germany Die Frage um Deutschlands Zukunft führte zu Konflikten innerhalb des Council for a Democratic Germany, die nicht mehr überbrückt werden konnten.246 Generell bestand zunächst Einigkeit darin, ein Deutschland zerstörendes Friedensdiktat zurückzuweisen, wie es die Anhänger Robert Vansittards in England und ein Kreis um den Kriminalautor Rex Stout in den USA forderten.247 Doch war es klar, dass auch ein vom Nazismus befreites Deutschland für die Folgen der Kriegs- und Eroberungspolitik würde zahlen müssen. Nach harten internen Debatten stellte sich deshalb der Council hinter die Beschlüsse der Konferenzen von Teheran und Jalta. Diese seien unumgänglich, nachdem sich gezeigt habe, dass das deutsche Volk sich nicht selbst vom Nationalsozialismus habe befreien können.248 Über das Ausmaß der territorialen Verluste und die Höhe der zu leistenden Reparationen entschieden zwar, so Albert Schreiner, die Alliierten, doch fielen die Entscheidungen auch in Abhängigkeit von „der Reife des deutschen Volkes“, wenngleich die „Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Partnern der Teheraner Vereinbarungen“ den Ausschlag gebe.249 Ein redaktioneller Artikel im German American antwortete im Februar 1945 unmittelbar nach der Jalta-Konferenz auf die Frage nach Deutschlands Zukunft als Nationalstaat: „Das Reich Bismarcks ist zu Ende. Die Weimarer Republik die dieses Reich auf einer neuen und fortschrittlichen Basis hätte retten können, kapitulierte in jämmerlichster Weise vor der Reaktion und dem Nationalsozialismus. Die Hitlerdiktatur hat dann durch ihre Politik das alte Deutschland vernichtet. Trotzdem wird ein neuer deutscher Nationalstaat entstehen, territorial kleiner als der frühere. Vorausgesetzt allerdings, dass die Deutschen endlich zum ersten Male in ihrer Geschichte von ihren progressiven Kräften geführt werden und alle reaktionären Ideen und Traditionen ausrotten. Nur als ein sozial, politisch und kultu245 Vgl. ebd., S. 128 f. 246 Vgl. Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 451 ff. 247 Vgl. Walther Victor, Offener Brief an Rex Stout, in: The German American, 15. Mai 1944; Albert H. Schreiner, Vernichtung oder Nationalisierung der deutschen Wirtschaft, in: ebd., 15. September 1944. 248 Vgl. die Stellungnahmen von Siegfried Aufhäuser, Friedrich Baerwald, Albert Schreiner und Gustav Faber, in: ebd., 1. März 1945. 249 Germany’s Future: Five Views, in: New Masses, 24. Oktober 1944.

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rell fortschrittliches Land haben die Deutschen noch die geschichtliche Möglichkeit, aus den jetzigen Trümmern eine neue deutsche Nation aufzubauen. Was 1918 unter günstigeren Bedingungen hätte geschehen können, werden die Deutschen nun unter ungünstigeren Bedingungen tun müssen, um sich als Nation zu retten. Die neue deutsche Nation wird fortschrittlich sein, sie wird mit den reaktionären Teilen ihrer Vergangenheit für immer gebrochen haben, oder sie wird nicht sein.“250 „Mit der Potsdamer Konferenz und ihren Beschlüssen trat eine neue Lage ein“, schrieb Albert Norden nach seiner Rückkehr nach Deutschland. „Schon vorher hatte die im Rat vertretene ‚Neu-Beginnen‘-Gruppe der Sozialdemokraten unter Führung von Paul Hagen (ein früherer aus Österreich stammender deutscher Kommunist namens Karl Frank) mit Attacken gegen die Sowjetunion begonnen. Es war deswegen im Rat selbst zu scharfen Auseinandersetzungen gekommen, auch hatte ich im ‚German American‘, dem Organ der linksgerichteten deutschen Amerikaner, Hagen öffentlich angegriffen.“251 Karl Frank (Paul Hagen) hatte, nachdem das Ausmaß der nazistischen Verbrechen an den überfallenen Völkern und besonders an den Juden allmählich sichtbar wurde, betont, dass der „Antisemitismus in Deutschland ein Produkt reaktionärer Bewegungen und keine spezifisch rassische Veranlagung der Deutschen oder irgend eines anderen Volkes sei.“ Er meinte (etwas zu optimistisch), „bedeutende Teile des deutschen Volkes seien bis zum heutigen Tag gegen den Antisemitismus immun geblieben“; dies gelte vor allem für ehemalige Mitglieder der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften.252 In seinen Vorträgen vor amerikanischem Publikum betonte Frank, eine DeIndustrialisierung Deutschlands entsprechend den Vorstellungen des Morgenthau-Plans hätte nur negative Auswirkungen für die Errichtung demokratischer Verhältnisse in Deutschland und die künftige Friedenssicherung in Mitteleuropa.253 In einem Streitgespräch mit Rex Stout, der den Antisemitismus und Militarismus als feststehenden Teil des deutschen Nationalcharakters ansah, erinnerte

250 Hat Deutschland noch eine Zukunft? Kurze Antworten auf einige aktuelle Fragen, in: ebd., 15. Februar 1945. 251 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v.255, Bl. 171: Norden an Merker, Brief vom Oktober 1946. 252 Paul Hagen, Are The Germans Inherently Anti-Semitic?, in: Jewish Frontier 11, 1944, Nr. 3, S. 14. 253 Vgl. die Redemanuskripte „The Present-day Policy of De-Industrialization in Germany ...“ und „Can Democracy succeed in Germany?“, enthalten in: Hoover Institution, Karl Frank Collection, Box 4, Folder: Lectures and Speeches 1945. Vgl. auch Franks Leserzuschrift in der New Republic vom 3. September 1945.

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Frank an die „Hunderttausende, die hingerichtet und umgebracht wurden – Freiheitskämpfer, wie es sie unter anderen Völkern gibt“, und er rief die Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert ins Gedächtnis.254 Franks Auffassung war bis dahin Konsens im Council for a Democratic Germany gewesen. Zu Jahresbeginn 1945 hatte sich Paul Tillich „für eine perspektivreiche Zukunft des deutschen Volkes als Teil der Völker von Europa und nicht als ein Niemandsland in deren Mitte“ eingesetzt.255 Doch nur wenige Wochen nach Ende des Krieges in Europa schrieb Albert Norden, Franks Warnungen vor einer „Zerstückelung Deutschlands“ als Ergebnis der Beschlüsse der Alliierten negierten die Notwendigkeit der Ausmerzung aller Wurzeln des Nazismus und des Militarismus.256 „In den Sitzungen des Rats kam es zu heftigen Auseinandersetzungen“, so die Sicht Nordens, ,,wobei Paul Hagen zusammen mit den katholischen und bürgerlichen Vertretern das schärfste Feuer auf die Abtrennung Schlesiens, Ostpreußens und Ostpommerns von Deutschland konzentrierten, die Aufnahme der Verbindung mit der Vier-Parteien-Koalition in Berlin unter dem Vorwand verweigerten, dass sie unter ‚russischem Terror‘ zustande gekommen sei und schließlich erklärten, dass ‚Stalin Deutschland in eine Elendshölle verwandeln will.‘ (Paul Hagen) Die drei kommunistischen Vertreter im Rat erklärten, dass sie einer Protestresolution gegen das Potsdamer Abkommen unter keinen Umständen zustimmen würden. Da auf Grund des Statuts alle Beschlüsse des Rats einstimmig gefasst werden mussten, war damit ein öffentlicher Protest unmöglich gemacht.“ Mit dem Ende des Krieges in Europa und der Lockerung des Verhältnisses zwischen den Westmächten und der Sowjetunion sei „den bürgerlich-sozialdemokratischen Kräften“

254 Ebd., Box 5, Folder D: Writers War Board: What shold be done with defeated Germany? (Manuskript). 255 Paul Tillich, Outlook for 1945, S. 1. Dennoch fragte auch Tillich in einer Council-Sitzung am 6. Januar 1945, ob es noch möglich sei, das deutsche Volk guten Gewissens von den Nazis zu trennen. Bertolt Brecht hielt hingegen an dieser Trennung als Notwendigkeit fest. Vgl. das Sitzungsprotokoll im Bertolt-Brecht-Archiv, Nr 2061/97f., sowie James K. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika. Übersetzt von Traute K. Marschall, Frankfurt a. M. 1984, S. 375. Brecht betonte, die Deutschen seien das erste von Hitler besiegte Volk gewesen, und er verlieh diesem Gedanken in einem kurzen Bericht über die Stellung der Deutschen Ausdruck, der sich in: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 20, Frankfurt a. M. 1967, S. 282 f., befindet. 256 Albert Norden, Neu Beginnen – aber nicht im alten Geleise, in: The German American, 1. Juni 1945.

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im Council „das Zusammensitzen mit den Kommunisten immer unangenehmer“ geworden.257 Neben Karl Frank lehnte Paul Tillich das Potsdamer Abkommen auf das Schärfste ab. „Das Vordringen der Slawen bis an die Oder hat die 1000jährige Geschichte der deutschen Ostsiedlung rückgängig gemacht, die Reagrarisierung hat die deutsche Arbeiterschaft in ihrer wirtschaftlichen und politischen Existenz unterminiert“ schrieb er.258 Doch entsprach eine solche Haltung immer weniger der offiziellen Position der US-Regierung. Anfang Juni 1944 hatte Tillich die Gelegenheit zu einer Unterredung mit Präsident Roosevelt, seiner Frau Eleanor und Vizepräsident Wallace gehabt. Roosevelt machte Tillich die unnachgiebige Haltung der USA klar, dass Deutschland um eine bedingungslose Kapitulation mit allen – auch territorialen – Konsequenzen nicht herumkomme.259 Während der Council davon ausgehe, dass die Politik des Selbstbestimmungsrechtes für alle Völker und damit auch für das deutsche Volk gelte, laufe die alliierte Forderung nach bedingungsloser Kapitulation darauf hinaus, dieses Selbstbestimmungsrecht für Deutschland außer Kraft zu setzen. Doch davon unabhängig, und dies erkannte Norden, geriet die Kooperation von bürgerlichen und kommunistischen Kräften an ihre politischen Grenzen.260 Während Norden schon zu Beginn des Jahres 1945 seine Kritik am SOPADEKreis um Seger und Katz und besonders Stampfer verschärft hatte,261 suchte er linkssozialdemokratische Kräfte zur KPD hinüberzuziehen. „In dieser Periode“, in der die Potsdamer Beschlüsse bekannt wurden, kam es laut Norden „zu einigen gemeinsamen Sitzungen zwischen dem kommunistischen Vertreter [also ihm selbst] und einem sozialdemokratischen Flügel unter Führung Siegfried Aufhäusers, ehemals in Deutschland Vorsitzender des Zentralverbandes der Angestellten 257 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v.255, Bl. 171 f.: Norden an Merker, Brief vom Oktober 1946. 258 Undatierter Brief Tillichs, zit. n. Baerwald, Zur politischen Tätigkeit deutscher Emigranten [...], S. 378 f. 259 Vgl. Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 343. 260 Friedrich Baerwald, der im Frühjahr 1945 kommissarisch von Paul Tillich die Leitung des Council for a Democratic Germany übernahm, hatte am 25. Mai 1945 in Washington eine Unterredung mit M. J. Riddleberger, dem Leiter der Mitteleuropa-Abteilung im State Department. Riddleberger erläuterte ihm die von Seiten der USA aus notwendige Ausschaltung des kommunistischen Einflusses in Deutschland, merkte aber an, dass „ganz Deutschland für die USA zu groß“ sei und dass daher eine Verantwortlichkeit nur für die westlichen Gebiete übernommen werden könne. So Baerwald, Zur politischen Tätigkeit deutscher Emigranten [...], S. 374. 261 Vgl. Albert Norden, Ein politischer Tartuffe, in: The German American, 1. Februar 1945 [bezieht sich auf Friedrich Stampfer].

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und Reichstagsabgeordneter. Ferner nahmen die folgenden Sozialdemokraten an den Sitzungen teil: Doktor Kurt Glaser, ehemals sozialdemokratischer Funktionär in Sachsen und Anhänger des Kreises um Karl Böchel, Horst Baerensprung, ehemals Polizeipräsident in Magdeburg, später Berater der Tschiang KaischekBewegung, der Anthropologe Professor Lips von der Universität Köln. Von Nichtsozialdemokraten beteiligten sich an diesen Sitzungen Jacob Walcher, einer der Gründer der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, der sich uns während seines Aufenthaltes in Amerika außerordentlich stark genähert hat, Doktor Budzislawski, ehemals Herausgeber der ‚Neuen Weltbühne‘ in Prag und Paris, gegenwärtig unter einem Pseudonym ständiger Leitartikler der linksbürgerlichen amerikanischen Nachrichtenagentur ONA. [...] Schließlich nahm an diesen Sitzungen noch Maximilian Scheer teil, der verantwortlich für die deutschsprachige Ausgabe der ONA ist.“262 „Die Befürchtungen“, betonte auch Albert Schreiner 1946, „dass in D[eutschland] nach dem Zusammenbruch eine starke Linksentwicklung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens einsetzen würde, machten der Gewissheit Platz, dass es mit Hilfe der Westmächte möglich sein würde, wenigstens in dem von ihnen besetzten Teil Deutschlands das Rad der Geschichte aufzuhalten. Diese Gewissheit bewirkte automatisch ein Abrücken von der sogenannten Ost-WestOrientierung und der C[ouncil] hatte damit praktisch sein Ende erreicht, als es diesen Kreisen nicht gelungen war, uns auf den Anti-SU-Kurs festzulegen in der Form des Verlangens der Revision der Potsdamer Beschlüsse.“263 Solange der Council bestand, gebraucht Schreiner indes verbindlichere Formulierungen als Norden: „Würde der Council for a Democratic Germany“, schrieb er im September 1945, „eine politische Stellung im Sinne des NeoRevisionismus beziehen“, dann würde er „die Politik der Ost-West-Orientierung“ verlassen, die für Schreiner damals noch bewahrenswerter war als für Norden.264 Norden und Schreiner vertraten im Council die Linie einer kompromisslosen Entmachtung des Industrie- und Agrarkapitals als der Klassen, ohne die Faschismus und Militarismus nicht möglich gewesen seien.265 Bereits 1943 hatte Norden 262 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v.255, Bl. 171 f.: Norden an Merker, Brief vom Oktober 1946. ONA: Overseas News Agency. 263 SAPMO-BArch, SgY 30/0850: Schreiner-Bericht; Keßler, Albert Schreiner, S. 197 f. 264 SAPMO-BArch, NY 4198/80, Bl. 82: Stellungnahme von A. Schreiner in der Sitzung vom 20. September. Siegfried Aufhäuser suchte zwischen den Lagern zu vermitteln; in der Korrespondenz mit ihm ging Schreiner damals zum „Du“ über. 265 Vgl. neben den bereits genannten Arbeiten: Albert Norden, Eisenhower in the Ruhr, in: The Nation, 30. September 1944; ders., German Cartel-Kings 2 Teile, in: Free World, Oktober/November 1944; ders., A Battle Cry Against the International Cartels, ebd.,

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in einem kleinen Buch, The Thugs of Europe, betont, der Nationalsozialismus sei trotz seiner pseudosozialistischen Demagogie der Ausfluss der aggressivsten Bestrebungen des deutschen Imperialismus.266 Die Nichtkommunisten im Council, selbst wenn sie Gegner des Kapitalismus waren, mochten nicht soweit gehen, fürchteten sie doch, dass am Ende der von Schreiner und Norden favorisierten Ordnung eine der Sowjetunion nachgebildete Diktatur stehe. Nach der Potsdamer Konferenz zerfiel der Council for a Democratic Germany noch im Sommer 1945, ohne dass es je einen offiziellen Auflösungsbeschluss gegeben hätte. Eine letzte Sitzung fand am 15. Oktober 1945 statt. Auf ihr erklärten Karl Frank und Friedrich Baerwald ihren Austritt aus dem Council und begründeten dies mit dem Druck, der auf sie ausgeübt werde, damit sie die Potsdamer Beschlüsse akzeptierten.267 Norden, Schreiner und Boenheim forderten den Council auf, die Potsdamer Beschlüsse hinzunehmen. Ihre Opponenten warfen ihnen vor, sie würden die Vorstellungen des Council über die deutsche Einheit und den Platz der Deutschen in der Völkergemeinschaft aufgeben. Es kam zu keiner gemeinsamen Erklärung mehr, die Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten war faktisch zu Ende. Der Kalte Krieg warf seine Schatten voraus. Rückblickend kommentierte Albert Norden das Ende des Council for a Democratic Germany: „Die kommunistischen Vertreter Dr. Felix Boenheim, Albert Norden und Albert Schreiner widerlegten die feindlichen Argumente und plädierten dafür, dass der Council sich seinen Aufgaben stellte, die die Bemühungen der deutschen Antifaschisten für ein neues, friedfertiges Deutschland unterstützten. Da im Statut des Council Einstimmigkeit vorgesehen war, konnte dank dem Widerstand der kommunistischen Vertreter die Annahme einer Erklärung gegen Potsdam verhindert werden.“268 Januar 1945; sowie bereits Michael Anders [Pseudonym Schreiners], What Will We Do With Germany, in: New Masses, 17. August 1943. Für eine andere Zeitschrift benutzte Schreiner ein weiteres Pseudonym. Vgl. Alfred Wollmer, How Shall We Punish The Nazis?, in: Reader’s Scope, September 1944, S. 61–64. Schreiner nennt beide Pseudonyme in seinem dem Exilforscher Wilhelm Sternfeld zugeleiteten Antwortschreiben auf dessen Fragebogen aus dem Jahr 1965. Das Schreiben ist enthalten in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945, Frankfurt a. M., Nachlass Wilhelm Sternfeld, Mappe Albert Schreiner. 266 Albert Norden, The Thugs of Europe. The Truth About the German People and its Rulers, New York 1943. 267 Vgl. Baerwald, Zur politischen Tätigkeit deutscher Emigranten [...], S. 377; Krohn, Der Council for a Democratic Germany, S. 47 f.; Liebner, Paul Tillich und der Council for a Democratic Germany, S. 483 f. 268 Albert Norden, Heimwärts, in: Neues Deutschland, 18./19. August 1979. Wiederabdruck in: Ders., Ereignisse und Erlebtes, Berlin [DDR] 1981, S. 199.

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Im Juli 1946 erschien eine Broschüre des Journalisten Tabitha Petran mit dem Titel Open Secret Reports on the Betrayal of Roosevelt's Peace Policy and American Preparations for World War III, deren Mitverfasser, wie erst Jahrzehnte später bekannt wurde, Maximilian Scheer war.269 Darin wurde Winston Churchills Fulton-Rede vom 5. März 1946, in der er vor dem Eisernen Vorhang warnte, als Auftakt zu einem neuen Kriegskurs bezeichnet, dem sich die Gegner Roosevelts, die nun Oberwasser bekämen, nur allzu gern anschlössen. Insbesondere Admiral William D. Leahy, der einst auch die USA als Botschafter in Vichy-Frankreich vertrat, dränge als Militärberater Präsident Trumans diesen auf einen Kurs „der strikten Gegnerschaft zu den Sowjets“; eine Politik, die in einen dritten Weltkrieg münden könne, für den sich die (damals einzige) Atommacht USA gerüstet zeige.270 Leahys Beispiel zeuge von der „Durchdringung des diplomatischen Korps durch das Militär“ und der Militarisierung der Außenpolitik.271 Auch Präsident Trumans Plan, die bisher selbständigen Ministerien des Heeres, der Marine und der Luftwaffe zu einem gemeinsamen Ministerium zusammenzulegen (was tatsächlich geschah) sei ein Zeichen für die angestrebte Erhöhung der militärischen Schlagkraft der USA. Doch gegen wen könne sich diese richten, wenn nicht gegen den neuen Konkurrenten auf der weltpolitischen Bühne: die Sowjetunion?272 Der Plan des amerikanischen Vertreters bei den Vereinten Nationen, Bernard M. Baruch, alle existierenden und künftigen Atomwaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, sei jedoch für die Sowjetunion wegen der Reihenfolge – erst Kontrolle, dann Abrüstung – für Moskau nicht annehmbar. Vielmehr solle die Reihenfolge umgekehrt sein.273 Die einzige Alternative zum drohenden Kriegskurs sei, schloss die Broschüre, ein Festhalten an der Politik der „Grossen Drei“ im 269 Vgl. Katharina Schliepers Vorwort zur Neuausgabe des Buches von Maximilian Scheer, Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland – ein Tatsachenbericht, neu hg. von Katharina Schlieper, Hamburg 2012 (Erstausgabe: Paris 1936), S. 13–16. Katharina Schlieper war Maximilian Scheers Tochter aus dessen zweiter Ehe. 270 Tabitha Petran, Open Secret Reports on the Betrayal of Roosevelt's Peace Policy and American Preparations for World War III, Washington, D.C. 1946, S. 9 f. Verantwortlich für die Publikation zeichnete das in Washington registrierte National Committee to Win the Peace verantwortlich. Ko-Vorsitzender dieser Vorfeld-Organisation der KP der USA war Paul Robeson. Tabitha Petran (1911–1990) war ein (jüdisch-)amerikanischer Publizist, der als Autor einer Reihe von Büchern über die Konflikte im Nahen Osten und als Kritiker des Zionismus bekannt wurde. 271 Ebd., S. 12. 272 Vgl. ebd., S. 13 f. 273 Ebd., S. 27.

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Geiste der Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam, „die den Sieg im Krieg sicherte.“274 Angesichts der neuen weltpolitischen Lage wurde klar, dass der Daseinszweck des Councils for a Democratic Germany im einsetzenden Kalten Krieg überflüssig geworden war. Doch hatten in seinem Rahmen und ebenso durch die Arbeit an der Zeitung The German American die deutschen Kommunisten sich in den USA politisch und auch quasi-organisatorisch einen Zusammenhalt schaffen können, der ihnen ansonsten unmöglich gewesen wäre, wie Albert Schreiner in seinem zitierten Bericht auch eingestand.

Lehren aus der Geschichte? „The Lesson of Germany“ (1945) Die Frage nach den Ursachen für den Verlauf deutscher Geschichte, der zum Hitler-Regime und in den Zweiten Weltkrieg führte, war eine der im deutschen Exil umstrittensten und am Leidenschaftlichsten debattierten Probleme. Auch unter den auf mehrere Länder verstreuten KPD-Publizisten entbrannten die unterschiedlichen Meinungen über die Ursachen der Naziverbrechen und die Mitverantwortung des deutschen Volkes. Die Gegenpole verkörperten der in London lebende Wilhelm Koenen und Paul Merker in Mexiko.275 Die KPD-Gruppe um Wilhelm Koenen und die Zeitschrift Freie Tribüne verloren im Verlauf der Jahre 1943 und 1944 die Hoffnung auf eine Selbstbefreiung des deutschen Volkes. Sie hatte unmittelbar die Folgen der von den Nazis propagierten „Luftschlacht über England“ erlitten und sah, dass Hitler wahr machte, was er am 4. September 1940 im Berliner Sportpalast dem britischen Volk angedroht hatte: Von nun an werde man Englands Städte „ausradieren.“276 Der Jubel der fanatisierten Menge schien die von den Nazis behauptete Einheit von „Führer“ und „Volksgemeinschaft“ zu bestätigen. 274 Ebd., S. 30. 275 Vgl. zum Folgenden Liselotte Maas, „Unerschüttert bleibt mein Vertrauen in den guten Kern unseres Volkes“. Der Kommunist Paul Merker und die Exil-Diskussion um Deutschlands Schuld, Verantwortung und Zukunft, in: Thomas Koebner u. a. (Hg.), Deutschland nach Hitler. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit, Opladen 1987, S. 181–189. Vgl. weiterhin dies., Paul Merker und die Exildiskussion um Deutschlands Schuld, Verantwortung und Zukunft, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 32, 1990, Nr. 2, S. 153–160, sowie Kießling, Im Widerstreit mit Moskau, S. 29–42; ders., Partner im „Narrenparadies“, S. 189–206. 276 Zit. n. Olaf Groehler, Geschichte des Luftkriegs 1910 bis 1970, 2. Aufl., Berlin [DDR] 1977, S. 270 f.

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Koenen und seine Gruppe sahen deshalb eine „Mitbeteiligung und Mitschuld des ganzen deutschen Volkes an den ungeheuerlichen Grausamkeiten des deutschen Faschismus“ als erwiesen.277 Die Vernichtungslager in Polen, die „zahllosen Verbrechen, die von Deutschen in allen Ländern Europas begangen oder geduldet wurden“,278 zeigten ihnen, dass das „andere Deutschland“ nur ein „Wunschbild“ sei, das der Wirklichkeit nicht entspreche.279 Mehr noch: Das Vorrücken der Alliierten in Deutschland zerstöre „auch die letzten Illusionen. […] Nicht mit Blumensträußen – mit Handgranaten und Heckenschützen empfangen die Deutschen im Osten und Westen die einmarschierenden Freiheitsarmeen der Alliierten. Statt jubelnder Menschenmassen – der Strom der Flüchtlinge ins Innere des Reichs. Statt Unterstützung der Alliierten – Widerstand oder zumindest tatenlose Gleichgültigkeit.“280 Die „gewaltige Mehrheit des deutschen Volkes“ stehe „mit Enthusiasmus“ hinter Hitler, ein großer Teil der Deutschen werde selbst nach der totalen militärischen Niederlage alles daransetzen, „den Faschismus als eine starke politische Kraft in Deutschland zu erhalten.“ Die Arbeiterklasse, „einst erfüllt vom Gedanken internationaler Solidarität“, sei „zu einer der wesentlichsten Stützen des Nationalsozialismus herabgesunken.“ Eine radikale politische Umerziehung und ein neues Geschichtsdenken seien nötig. Dabei stehe vor den Kommunisten die Aufgabe, die „Legende vom hitlerfeindlichen deutschen Volk“ zu zerstören.281 Auch Paul Merker konnte nicht daran zweifeln, dass Millionen in Deutschland, darunter viele Arbeiter, zu Anhängern Hitlers geworden waren. Er sah jedoch die Gründe dafür weniger in einem „Verrat“ einzelner Arbeiter während der Nazizeit, sondern verwies auf „zurückliegende Fehler“ der Arbeiterbewegung. Dies schließe ein Nachdenken über die Politik der KPD vor 1933 ein. „Beiträge zur Geschichte müssen schonungslos sein“, schrieb er in seinem Hauptwerk Deutschland – Sein oder Nicht-Sein? „Die Zukunft ist immer auch ein Stück Vergangenheit. Die Zukunft kann sich auch nur dann besser und glücklicher gestalten, wenn die Fehler der Vergangenheit rückhaltlos aufgedeckt werden. Aussprechen was ist und was war, ist von jeher das beste Heilmittel gewesen.“282 Doch anders als Koenen sah Merker einen Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und dem deutschen Volk als Ganzem. Es gelte, die klassenmäßigen 277 278 279 280 281 282

Freie Tribüne, Nr. 5 (1943), S. 1. Ebd., Nr. 11 (1944), S. 1. Ebd., Nr. 8 (1944), S. 2. Ebd., Nr. 11 (1944), S. 2. Ebd., Nr. 1 (1945), S. 1–3. Paul Merker, Deutschland – Sein oder Nicht-Sein? Bd. 1: Von Weimar zu Hitler, Mexico, D. F. 1944, S. 13.

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und die mentalen Ursachen für den Sieg des Faschismus zu erforschen. Das Ziel seines Buches sei es daher, das „Wesen und Wirken der reaktionärsten Kräfte Deutschlands im nationalen und internationalen Maßstab aufzuzeigen, dem Volke zu sagen, von welcher skrupellosen Gangsterbande es regiert, terrorisiert und betrogen wurde.“ Seine Schrift solle, so hoffte Merker, „dereinst als Baumaterial für eine endgültige geschichtliche Darstellung Verwendung“ finden.283 In diese Kontroversen schalteten sich Albert Schreiner, Albert Norden und Gerhart Eisler 1945 mit ihrem gemeinsam verfassten Buch The Lesson of Germany ein. Die Arbeit kann als Quintessenz der Diskussionen des kommunistischen Exils in den USA gelten. The Lesson of Germany stand in seinem Urteil zwischen Merker und Koenen. Es suchte „die Frage zu beantworten: Wie geschah es, dass ein Volk wie die Deutschen, mit solch einer alten Arbeiterbewegung, von seinen Imperialisten in die größte Schmach und Katastrophe seiner Geschichte geführt werden konnte? Das vorliegende Buch ist ein bescheidener Versuch, die jüngste Geschichte Deutschlands zu erläutern. Es wird dem Leser helfen, damit den zukünftigen Weg des deutschen Volkes besser zu gehen, die Zukunft im Augenschein der Vergangenheit zu meistern.“284 Auf der einen Seite sparten Eisler, Norden und Schreiner nicht mit scharfen Vorwürfen an die Adresse der Deutschen, auch der lohnabhängigen Klassen und Schichten. „Wenn jene, die Deutschland rechtfertigen, das deutsche Volk von der moralischen Schuld am Nazikrieg freizusprechen suchen, indem sie die Helden des deutschen Widerstandes loben, begehen sie einen gefährlichen Fehler. Die große Masse des deutschen Volkes bejubelte die Siege der Nazis, hatte Anteil an den Gräueltaten, profitierte von ihren Beutezügen und nahm ihre barbarische Herrschaft einfach ihn.“285 Auf der anderen Seite ging es ihnen um „die Bloßlegung der Rolle des deutschen Imperialismus und Militarismus“, um die langwierigen Folgen der staatlichen Zersplitterung, aber auch um den Einfluss der politischen Romantik und des Irrationalismus, um die Abwendung von der Aufklärung.286 In einer essayistischen 283 Paul Merker, Deutschland – Sein oder Nicht-Sein?, Bd. 2: Das 3. Reich und sein Ende, Mexico, D. F. 1944, S. 15. 284 Gerhart Eisler/Albert Norden/Albert Schreiner, The Lesson of Germany, New York 1945, S. 8. 285 Ebd. 286 Während Hans Kohn in seiner Rezension (The Saturday Review, 2. Februar 1946) den erstgenannten Aspekt als bestimmendes Merkmal des Buches hervorhob, strich Joseph Starobin (New Masses, 8. Januar 1946) den letztgenannten heraus. Eric Voegelin (The American Political Science Review, April 1946, S. 385 f.) warf den Autoren ein Schwarz-

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Einführung suchten sie die „Doppelpersönlichkeit Deutschlands historisch herauszuarbeiten und zu illustrieren.“287 Im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg seien sowohl die Entfaltung der klassischen deutschen Literatur und Philosophie wie auch der Aufstieg des preußischen Militärstaates zu verzeichnen gewesen – Eisler, Norden und Schreiner deuteten die Geschichte durchaus, um einen späteren Terminus zu gebrauchen, als deutschen Sonderweg, wenn auch in marxistischer Weise.288 Durch die mit Blut und Eisen herbeigeführte Reichseinigung sei nach 1871 das „Amalgam“ einer neuen herrschenden Klasse entstanden: Beim Übergang zum Imperialismus am Ende des 19. Jahrhunderts hätten sich die Kräfte zwischen ihren beiden Komponenten – Agrar- und Industrie- bzw. Finanzkapital – zugunsten der letzteren verschoben. Dies habe den Weg für eine ungehemmte Eroberungspolitik frei gemacht.289 Das kaiserliche Deutschland sei der Haupt-, wenn auch keineswegs Alleinschuldige am Ersten Weltkrieg gewesen; die Marxisten innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hätten zwar die Abstimmungen auf den Parteitagen gewonnen, in denen die SPD zum strikten Antikriegskurs verpflichtet wurde. Doch hätten sie den Nationalismus unterschätzt, der immer größere Teile der Parteiführung, des Apparats und der Mitgliedschaft ergriffen und dazu geführt habe, dass unter der Losung der Vaterlandsverteidigung die Partei im August 1914 „wie ein Kartenhaus“ in sich zusammenfiel.290 Die Autoren sahen im Bündnis der rechten Sozialdemokraten um Friedrich Ebert mit den geschlagenen Militärs des kaiserlichen Deutschland, das aus Furcht

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Weiß-Denken vor, Walter Consuelo Langsam (Political Science Quarterly, 1946, Nr. 2, S. 308) formulierte ein solch hartes Urteil nur für die Passagen ab der Weimarer Republik, während die Teile, die frühere Epochen behandelten, „gut geraten“ seien. Eine weitere Annotation (Foreign Affairs, 1946, Nr. 4, S. 751) bemängelte, dass die Zeit vor 1848 zu knapp behandelt sei. SAPMO-BArch, NY 4198/33, Bl. 1: Gerhart Eisler im ursprünglichen Vorspann des Manuskriptes „The Lesson of Germany“. Vgl. Eisler/Norden/Schreiner, The Lesson of Germany, S. 20 f. – Schärfer argumentierten andere Autoren der KPD und ihres Umfeldes, so Alexander Abusch in seinem in Mexiko entstandenem Buch Der Irrweg einer Nation und Ernst Niekisch (der Nichtmarxist schloss sich der SED an) mit der schon im Titel die Frage extrem zuspitzenden Broschüre Deutsche Daseinsverfehlung. Beide Arbeiten erschienen bereits 1945 in Deutschland. Vgl. Mario Keßler, Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 20–30. Vgl. weiterhin ders., Albert Schreiner, S. 71–78. Eisler/Norden/Schreiner, The Lesson of Germany, S. 53. Ebd., S. 61.

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vor einer wirklichen Volksrevolution entstand, den entscheidenden Geburtsfehler der Weimarer Republik. Dieses Bündnis „war eine Verschwörung gegen die demokratische Revolution mit dem Ziel, das alte kaiserliche Offizierskorps als das Rückgrat einer künftigen Armee ebenso zu erhalten wie den bürokratischen Staatsapparat sowie den Grundbesitz der Junker und die Fabriken der alldeutschen Industriellen zu retten. Diese Verschwörung war die Ursache wie der Ausgangspunkt der bitteren Kämpfe, von denen Deutschland in den folgenden Monaten zerrissen wurde.“291 Das dadurch mögliche Wiedererstarken des deutschen Militarismus und Imperialismus habe schon früh den Zerstörern der Weimarer Republik den Weg bereitet.292 Die Führer der SPD hätten sich diesen Zerstörern willig angedient. „Im Jahre 1925 hatten sie Wilhelm Marx unterstützt, der später gemeinsame Sache mit Hindenburg machte. Nun stimmten sie für Hindenburg, der nach weniger als einem Jahr Hitler zum Reichskanzler machen würde.“ Nichts sei absurder gewesen als das Vertrauen der Sozialdemokraten in die Republiktreue der bürgerlichen Eliten. „In Hindenburg irgend etwas anderes zu sehen als den Vorläufer der offenen Diktatur heißt, den Kopf in den Sand zu stecken, heißt, eine ‚Appeasement-Politik‘ gegenüber der Reaktion zu verfolgen, die dadurch nur erstarkt und immer aggressiver und unersättlicher wird.“293 „Es war kein Zufall, dass Hitler Reichskanzler wurde, und dass er und seine Partei gerade in dem Augenblick wachsende finanzielle, politische und moralische Unterstützung erhielten, als die Nazis in ernsthafte Schwierigkeiten gerieten. Die reaktionären Cliquen in Deutschland standen vor der folgenschweren Frage, was geschehen würde, sollten die Hitlerbewegung auseinanderfallen und die fortschrittlichen Kräfte erstarken können? Sie entschieden sich schließlich dafür, dies zu verhindern und ihre Unstimmigkeiten über die Formen des Machtkampfes beiseite zu lassen. In jeder für sie gefährlichen Situation gelang es seit 1918 der traditionellen Rechten nicht, die Volksmassen direkt ihrem Einfluss zu unterwerfen. Jetzt sahen die deutschen Herrscherklassen, dass von einem Auseinanderfallen der Hitlerbewegung nicht sie selbst, sondern die Linke profitieren würde. Die von den Nazis und ihren antikapitalistischen Losungen enttäuschten Massen würden 291 Ebd., S. 78 f. 292 Dies betonte vor allem Albert Norden, der zeitgleich zum Buch eine Reihe von Artikeln zu diesem Thema im hektographierten Rundbrief Newsletter Germany Today publizierte. Vgl. I.G. Farben War Criminals (Nr. 2, Juli 1945); Krupp von Bohlen und Hallbach (ebd.); The Armory of German Imperialism (Nr. 6, September 1945). Das noch bis 1946 erscheinende, von Norden edierte Blatt verstand sich als Nachfolge-Publikation des German American, ohne dessen Bedeutung annähernd zu erreichen. 293 Eisler/Norden/Schreiner, The Lesson of Germany, S. 106.

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eher zum Lager der Demokratie und der Arbeiterbewegung stoßen als sich zu den überkommenen Parteien der Junker und Generale, der Krupp, Thyssen und Hugenberg begeben. – So wurde ein ‚Selbstmordkandidat‘ deutscher Reichskanzler!“294 Die herrschenden Klassen riefen nach einer Diktatur, aber für ihre Aufrichtung brauchten sie eine Massenbasis. Die Nazis versprachen, diese zu liefern. Die Verfassung der Weimarer Republik mitsamt der Möglichkeit des Reichspräsidenten, mit Hilfe von Notverordnungen zu regieren, sei zum Einfallstor der Nazis und ihrer Wegbereiter geworden. „Hitler kam nicht durch eine ,Revolution‘ an die Macht, sondern durch Machenschaften in parlamentarischen Hinterstübchen und eine Intrige der reaktionären Cliquen. Die schreckliche Tragödie Deutschlands – die letztlich zu einer schrecklichen Tragödie für die ganze Welt wurde – begann im strengen Rahmen der Weimarer Verfassung. Es war die bürgerliche Weimarer Republik, die das Nazimonster hervorbrachte. Jeder, der dagegen protestierte, verletzte die Normen von ,Recht und Ordnung‘.“295 Der Weg in die Diktatur war jedoch nicht von vornherein vorgezeichnet, und er war nicht alternativlos. Zur Bewahrung der Demokratie reichten aber die Kräfte des immer kleiner werdenden liberal-bürgerlichen Lagers bei weitem nicht aus: „Nur die Arbeiter hätten den Kern des Widerstandes gegen die drohende Diktatur bilden können, nur sie wären in der Lage gewesen, den Nazis feindliche oder selbst schwankende Kräfte um sich zu scharen. Aber das hätte die Bereitschaft zur Aktionseinheit und die Bündelung aller Kräfte gegen den Nationalsozialismus erfordert.“296 Die Kommunistenfurcht der Sozialdemokratie und die Bereitschaft ihrer Führer, mit extrem konservativen Kräften stets, doch mit der KPD nie zusammenzuarbeiten, seien die Hauptursachen für die Schwäche der Arbeiterbewegung gewesen. Aber auch die KPD müsse Fehler eingestehen. Ihre Politik sei zu sehr von der „berechtigten Erbitterung mit der Politik der Sozialdemokratie“ geprägt statt von nüchterner Analyse geleitet gewesen.297 „Anstatt in dieser Lage das ganze Lager der Antinazi-Kräfte, vor allem die Arbeiter, zur Verteidigung der Republik und gegen die drohende Diktatur zusammenzuschließen, hielten die deutschen Kommunisten an ihrer Losung von einem sozialistischen Deutschland fest. Dies erleichterte den Führern der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften die Ablehnung jeder Zusammenarbeit. Voller Demagogie behaupteten die Sozialdemokraten, die Kommunisten wollten ein

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Ebd., S. 126 f. Ebd., S. 131. Ebd., S. 142. Ebd., S. 146.

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Sowjetdeutschland, während sie selbst für die Verteidigung der Weimarer Republik stünden.“298 Unter der Naziherrschaft habe die deutsche Arbeiterbewegung „ihren tiefsten Stand erreicht. Unter Hitler standen die Taten dieser Klasse in vollkommenem Widerspruch zu ihrer historischen Rolle und zu vielen positiven Traditionen. Im Gegensatz zu den Arbeitern in den vom Nazismus besetzten Ländern konnte die deutsche Arbeiterklasse ihre Schwächen nicht überwinden. Staat dessen wuchsen diese Schwächen ins Unermessliche und halfen den Nazis, ihr Werk der Zerstörung und moralischen Verwilderung zu vollenden.“299 Das Buch rief an keiner Stelle zur Errichtung eines Einpartei-Regimes auf, wie es die KPD in der Weimarer Republik gefordert hatte. Es war frei von alten Gewissheiten und schloss vielmehr mit einer Mahnung an die deutschen Arbeiter: „Bevor die deutsche Arbeiterklasse nicht einen Weg zur Selbstreinigung durch Taten findet, in denen sie Konsequenzen aus ihrer Passivität und Unterwerfung unter den Nazismus zieht, wird sie nicht imstande sein, sich selbst und ihr Volk zu einem höheren Niveau menschlicher Entwicklung empor zu führen und das Vertrauen der Völker wie der Arbeiterbewegungen anderer Länder zurückzugewinnen.“300 Erst wenn ihr dies gelinge, erst dann „wird der Name Deutschlands nicht länger mit der Barbarei verbunden sein, erst dann werden die Deutschen ein Volk sein, das niemals mehr für andere Völker der Welt zum Alptraum wird.“301 Mit all seinen Aussagen erreichte das Buch in der amerikanischen Öffentlichkeit bei Weitem nicht die Wirkung der wichtigsten Arbeiten des nichtkommunistischen Exils, etwa Franz Neumanns Behemoth, Ernst Fraenkels The Dual State oder Arthur Rosenbergs in mehrere Sprachen übersetzte Geschichte der deutschen Republik. Dies war angesichts der politischen wie akademischen Marginalisierung der deutschen Kommunisten nicht verwunderlich. The Lesson of Germany blieb dennoch nicht ganz ohne Resonanz: Das im englischen Original 222 Seiten starke

298 Ebd. Aus Anlass der bevorstehenden Vereinigung von KPD und SPD zur SED in der Ostzone schrieb Eisler, falle es den Kommunisten nicht ein, „sich aufs hohe Ross zu setzen und zu erklären: „Wir haben recht gehabt, die Sozialdemokratische Partei muss vernichtet werden wegen ihrer früheren furchtbaren Fehler.“ G. E., Einheit tut Not, in: The German American, 15. März 1945. Sechs Wochen vorher war Eisler durch Verwendung des Kürzels „G. E.“ in der gleichen Zeitschrift erstmals halb aus seiner Anonymität herausgetreten. Vgl. G. E., Was ist die Hauptgefahr für Deutschland?, in: ebd., 1. Februar 1945. In diesem Artikel warnte Eisler vor Vorstellungen einer möglichen De-Industrialisierung Deutschlands. 299 Eisler/Norden/Schreiner, The Lesson of Germany, S. 213. 300 Ebd. 301 Ebd., S. 219.

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Buch wurde ins Ungarische und Tschechische übersetzt.302 Eine deutsche Ausgabe erschien jedoch nicht. War die Selbstkritik an der Politik der Kommunisten zu scharf ausgefallen, als diese in der DDR dann die Macht innehatten?

302 Ungarische Ausgabe: A német történelem tanulsága, Budapest 1950; tschechische Ausgabe: Poučení z německých dějin, Prag 1952.

IV. Ein Netzwerk an Verschwörern? Deutsche Kommunisten im Visier des FBI

Harry Truman, Doris Day, Red China, Johnnie Ray South Pacific, Walter Winchell, Joe DiMaggio Joe McCarthy, Richard Nixon, Studebaker, Television North Korea, South Korea, Marilyn Monroe Rosenbergs, H-Bomb, Sugar Ray, Panmunjom Brando, The King And I, and The Catcher In The Rye Eisenhower, Vaccine, England's got a new queen Marciano, Liberace, Santayana goodbye We didn’t start the fire It was always burning since the world’s been turning We didn’t start the fire No, we didn’t light it, but we tried to fight it (Billy Joel: We Didn’t Start the Fire)

„Ich liebe die USA, das Land, die Menschen, die Vielfältigkeit der Landschaften und der Bevölkerung, die Ideen von Toleranz und Freiheit des ursprünglichen und eigentlichen Amerika“, schrieb die Medizinerin Ingeborg Rapoport Jahrzehnte später über das Land ihres Exils, in dem sie dauerhaft bleiben wollte. „Ich war dieser neuen Heimat dankbar, dass sie mich vor der Hitlerverfolgung gerettet hat, und bin ein durch und durch loyaler USA-Bürger gewesen. Es ist absurd zu denken, dass die amerikanischen Kommunisten keine loyalen citizens seien.“ Ingeborg und Samuel Mitja Rapoport hätten sich in Cincinnati, berichtete sie weiter, als Kommunisten für Dinge engagiert, die den Verfassungsprinzipien der USA entsprachen: für die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Schwarzen und gegen Antisemitismus.1 Dies sah indes der Direktor des amerikanischen Bundeskriminalamtes FBI, J. (John) Edgar Hoover, anders.

Gerhart Eisler und die anderen: J. Edgar Hoovers FBI und die deutschen Kommunisten John Edgar Hoover hatte im Ersten Weltkrieg seine Karriere im Justizministerium mit der gezielten Überwachung von Deutschamerikanern, Sozialisten und

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Ingeborg Rapoport, Meine ersten drei Leben. Erinnerungen, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 162.

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Anarchisten begonnen.2 Als Direktor des FBI hatte er sich „im Bewusstsein der amerikanischen Politiker, der Presse und der Öffentlichkeit nicht nur als hochqualifizierter und erfolgreicher Polizist etabliert, sondern er übernahm rasch auch die Rolle des unangefochtenen Aufsehers über die politische und moralische Sauberkeit des Landes.“3 Der Hintergrund für die sehr bald einsetzende Überwachung des gesamten linksgerichteten deutschen Exils war „eine in großen Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit verbreitete Mischung aus Angst vor Fremden, besonders deutschen Spionen und Saboteuren, einem tiefen Misstrauen gegenüber liberalen oder sozialistischen Ideen sowie einem mit quasi religiösem Eifer verfolgten Bedürfnis, den American Way of Life, so wenig er auch definiert war, zu verteidigen.“4 Dass FBI war Dreh- und Angelpunkt des Systems der Kontrolle von als gefährlich begriffenen politischen Personen, die den Werten des American Way of Life nicht entsprachen. Zu diesem System gehörte ebenso der 1934 vom Repräsentantenhaus der USA ins Leben gerufene Untersuchungsausschuss für unamerikanische Aktivitäten, das House Un-American Activities Committee (HUAC). Ihm stand seit 1938 Martin Dies, Abgeordneter der Demokratischen Partei für den 2. Wahlbezirk von Texas, vor. Zunächst mit der Überwachung nazistischer Organisationen wie dem Deutsch-Amerikanischen Bund befasst, weitete das HUAC Ende der 1930er Jahre seine Tätigkeit deutlich aus: Nunmehr gerieten neben als kommunistisch bezeichneten amerikanischen Organisationen auch Hochschullehrer und Studenten unter Beobachtung, denen teilweise zu Recht, manchmal zu Unrecht vorgeworfen wurde, Sympathisanten der KP der USA (also einer nicht verbotenen Organisation) zu sein, was in einer Reihe von Fällen zu ihrer Entlassung führte.5 2

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Hoover wurde 1924 Direktor des Bureau of Investigation, das seit 1935 den Namen Federal Bureau of Investigation (Bundesamt für Ermittlung) trug. Er behielt diesen Posten bis zu seinem Tod 1972. Vgl. aus der umfangreichen Literatur zum FBI und ihrem langjährigen Direktor Tim Weiner, FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation. Übersetzt von Christa Prummer-Lehmair u. a., Frankfurt a. M. 2012 (Originalausgabe: Enemies. A History of the FBI, New York 2012). Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart/Weimar 1995, S. 3. Eine gekürzte Taschenbuchausgabe erschien 1998 in Berlin. Wo nicht anders vermerkt, wird hier auf die Erstausgabe Bezug genommen. Ebd., S. 3 (Erstausgabe). Hiernach (S. 4 ff.) auch das Folgende. Vgl. zur Überwachung der Hochschulen durch das HUAC und der Entlassung politisch missliebiger Professoren Ellen W. Schrecker, No Ivory Tower. McCartyism and the Universities, New York/Oxford 1986, S. 70 ff., allgemein auch Michael J. Heale, American Anti-Communism. Combating the Enemy Within, Baltimore/London 1990, S. 119 ff.,

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Auch andere Geheimdienste waren mit einem mehrheitlich rechtskonservativ eingestellten Personal besetzt, so der 1942 gebildete Heeresnachrichtendienst (Military Intelligence Service; MID) und der Geheimdienst der Marine (Office of Naval Intelligence: ONI), der im gleichen Jahr eingerichtet wurde. Dies galt auch für das von William Donovan geleitete Office of Strategic Services (OSS), wiewohl dieses auf die Mitarbeit deutscher Exilanten, darunter vieler Linker, nicht verzichten konnte.6 Präsident Roosevelt trug entscheidend zur Ausweitung des Überwachungsnetzes bei, als er am 24. August 1936 FBI-Chef J. Edgar Hoover in einem vertraulichen Gespräch im Weißen Haus beauftragte, ihm Informationen über als subversiv eingeschätzte Bestrebungen faschistischer und kommunistischer Kreise zu beschaffen. Hoover, der bereits in Eigeninitiative eine Kartei mit Angaben über rund 2 500 als verdächtig eingeschätzten Personen angelegt hatte, erhielt nunmehr freie Hand zum Ausbau seiner bis dahin recht kleinen Behörde. Bis Kriegsende wuchs die Zahl der mit Überwachungsaufgaben befassten Mitarbeiter (Special Agents in Charge, SAC) von dreihundert auf über fünftausend an. Zur statistischen Erfassung des gewaltig anschwellenden Materials wurden zwischen 1941 und 1943 weitere siebentausend Mitarbeiter eingestellt. Das Budget seiner Behörde erhöhte sich im gleichen Zeitraum von rund sechs auf über dreißig Millionen Dollar. Im Jahre 1939 erreichte Hoover auch, dass die General Intelligence Division wiederbelebt wurde. Diese hatte im und nach dem Ersten Weltkrieg Verzeichnisse von Personen angelegt, die während eines nationalen Notstandes zu verhaften und, so sie im Ausland geboren waren, aus den USA zu deportieren seien. Diese Custodial Detention Lists stützten sich auf den bereits erwähnten Alien Registration Act oder Smith Act.7 Zudem ordnete Roosevelt am 19. Dezember 1941 als eine Reaktion auf den Kriegseintritt der USA die Errichtung einer Zensurbehörde, des Office of Censorship, an. Sie sollten den Brief- und Telefonverkehr zwischen den USA und dem Ausland kontrollieren. Auch diese Behörde erreichte bis zu ihrer Auflösung im November 1945 ein Ausmaß von zuletzt 1 678 ständigen Mitarbeitern (examiners) und 2 006 Übersetzern für 73 Sprachen.8 Sie arbeitete eng mit dem OSS, besonders dessen Foreign Nationalities Branch, sowie mit dem MID und dem

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und Joel Koval, Red Hunting in the Promised Land. Anticommunism and the Making of America, London/Washington 1997, S. 121 ff. und passim. Vgl. zum OSS Christof Mauch, Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941 bis 1945, München 1999. Vgl. Stephan, Im Visier des FBI, S. 8; Helmut F. Pfanner, Exile in New York. German and Austrian Writers after 1933, Detroit 1983, S. 30. Stephan. Im Visier des FBI, S. 13.

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ONI zusammen, denen Roosevelt das gesamte Ausland außer Lateinamerika als Operationsgebiet zugewiesen hatte.9 Für Lateinamerika als Überwachungsgebiet war das FBI zuständig.10 Alexander Stephan hat erstmals „die inmitten des Krieges ziemlich deplaziert wirkende Aufmerksamkeit“, mit der Hoover „das unscheinbare Grüppchen der aus Europa geflohenen Naziopfer“ und zumal der wenigen Kommunisten unter ihnen beobachtete, zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht, die Akten des FBI als Quellenmaterial verwenden konnte.11 In J. Edgar Hoovers Weltbild standen die Kommunisten zusammen mit Sozialdemokraten und den (im amerikanischen Sinn) Liberalen, ungeachtet aller Unterschiede zwischen ihnen, im völligen Gegensatz zu den Prinzipien, auf denen die USA aufgebaut waren. Zwischen den von Hoover verfochtenen Prinzipien des freien Unternehmertums und der Staatswirtschaft, für die Kommunisten, Sozialisten und sowjethörige Liberale anfällig seien, klaffe ein Abgrund, über den das Zweckbündnis der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion im Krieg nicht habe hinwegtäuschen können. Doch verband sich diese Überzeugung bei Hoover auch mit Kalkül: Er habe das Schreckgespenst der kommunistischen Bedrohung, hieß es einige Jahre nach seinem Tod, auch derartig überzeichnet, „um dem FBI finanziellen und öffentlichen Rückhalt zu sichern.“12 Dabei war Hoover durchaus flexibel: So verschwand der gerade von ihm zielgerichtet verbreitete Begriff des „Communazis“ 1941 aus der Propaganda – um 1945 sehr schnell wiederbelebt zu werden.13 9

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Bisweilen überschnitten sich jedoch die Befugnisse des FBI mit denen der Foreign Nationalities Branch (FNB) des OSS, die für die Überwachung der „Bindestrich-Amerikaner“, also der im Ausland geborenen US-Bürger, zuständig war. Von den hier behandelten Personen wurden Felix und Margarete Boenheim, Hermann und Johanna Budzislawski, Paul Dessau, Walter und Ellinor Friedeberger, Elisabeth Hauptmann, Stefan Heym, Alfred und Ursula Katzenstein, Hilde Marchwitza, Inge und Samuel Mitja Rapoport, Hans Székely sowie Albert Wollenberger amerikanische Staatsbürger. Doch gab es auch hier gewisse Kompetenzüberschneidungen mit Nelson Rockefeller, dem Coordinator of Inter-American Affairs (CIAA), und seinem Büro. Zudem interessierte sich das für offene Propaganda zuständige Office of War Information (OWI) ebenfalls für den lateinamerikanischen Subkontinent. Vgl. Heike Bungert, Das Nationalkomitee und der Westen. Die Reaktion der Westalliierten auf das NKFD und die Freien Deutschen Bewegungen 1943–1948, Stuttgart 1997, S. 14; Stephan, Im Visier des FBI, S. 17. Ebd., S. 24. The Truth About J. Edgar Hoover, in: Time Magazine, 22. Dezember 1975 (OnlineArchiv). Laut dem FBI-Handbuch war nicht Hoover, sondern der kalifornische Senator Jack Tenney der „Erfinder“ dieses Begriffs. Vgl. Michael Newton, The FBI Encyclopaedia, Jefferson (North Carolina) 2003, S. 74. Tenney, der auch mit antisemitischen Äußerungen und Schriften hervortrat, stand dem Fact Finding Committee on Un-American Activities

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Die Kommunisten tarnten sich als Menschenfreunde, blieben aber „rote Faschisten“, verkündete Hoover 1947 in einem repräsentativen Interview für Newsweek. Sie suchten stets ihre Absichten zu verschleiern. „Die Kommunisten können das Licht der Öffentlichkeit nicht ertragen. Ihr Werk kann nur im Schatten der Geheimniskrämerei gedeihen. Lügen und Betrug sind ihre wichtigsten Mittel“, um das Endziel, die Vernichtung der westlichen Welt, zu erreichen. Dagegen stünden Demokratie, Wahrheit und Freiheit als Prinzipien der USA, doch könnten diese nur bewahrt werden, indem man gegenüber den Machenschaften des „kommunistischen Untergrunds“ nicht blind und taub bleibe. Die erste Pflicht der Staatsdiener sei es, die Kommunisten, wo immer sie ihr Handwerk betrieben, zu entlarven. „Die Bürger müssen achtgeben auf das, was um sie herum passiert. [...] Schulen und Hochschulen sollten gegenüber kommunistischer Unterwanderung wachsam sein.“14 Natürlich erhebt sich die Frage, warum Hoover und das FBI derartige Anstrengungen aufwandten, um eine so kleine und schattenhafte Organisation wie die KP der USA zu verfolgen, die zudem ihren politischen Opportunismus in der Vergangenheit deutlich unter Beweis gestellt hatte. Der Hauptbeweggrund war, dass Hoover in der KP ein reines Produkt „Moskaus“ sah – und nichts anderes. Dass die KP, bevor sie sich Stalin unterworfen hatte, Teil eines genuinen Arbeiterprotests gewesen war, der sich gegen Ausbeutung und ethnische Unterdrückung richtete, musste dabei unter den Tisch fallen. Es war vielmehr umgekehrt: Hoover und die Seinen vermochten sich Widerstand gegen soziale Ungleichheit und politische Unterdrückung nicht anders, als von Moskau gesteuert, vorzustellen. So haftete dem Antikommunismus à la Hoover, der keineswegs auf Parteikommunisten und ihre Anhänger beschränkt blieb, eine verschwörungstheoretische Komponente an. Die einsichtigsten amerikanischen Kommunisten mussten (sofern sie überhaupt in der Partei blieben) erkennen, dass die einstigen Dienste der KP für das FBI ihnen nichts nützten: Wie die deutsche SPD-Führung, die trotz ihrer Kollaboration mit den Rechtskräften 1918 schließlich des Vaterlandsverrats geziehen wurde, galten auch die amerikanischen Kommunisten wieder als Feinde, sobald dies zweckmäßig erschien – als Feinde zudem, deren Stärke in der Propaganda bis ins Absurde übertrieben wurde. Von all dem konnten die Exilanten nicht unberührt bleiben.

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nahe, einem Ableger des House Un-American Affairs Committee in Kalifornien. Vgl. Ellen W. Schrecker, Many Are the Crimes. McCarthyism in America, Boston 1998, S. 318. J. Edgar Hoover, How to Fight Communism, in: Newsweek, 9. Juni 1947 (dieses Interview steht für zahllose weitere Äußerungen Hoovers).

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Da sich die deutschen kommunistischen oder kommunismusnahen Exilanten fast alle in New York oder im Großraum Los Angeles niedergelassen hatten, konzentrierte das FBI seine Aufmerksamkeit auf diese beiden Städte bzw. Regionen. Somit wurden Inge und Samuel Mitja Rapoport in Cincinnati sowie Karola und Ernst Bloch oder Albert Wollenberger, die in Cambridge (Massachusetts) lebten, zunächst noch nicht oder kaum beachtet, zumal sie sich mit publizistischen Wortmeldungen zurückhielten. Das FBI erhielt zahlreiche Informationen durch die Einwanderungsbehörde, den Immigration and Naturalization Service (INS) zugeleitet, was offenbar in New York eine reguläre amtliche Vorgehensweise war.15 So wurde beispielsweise Hermann Budzislawski von INS Special Inspector Thomas S. McGrath am 12. April 1943 in seiner New Yorker Wohnung 341 North Avenue befragt. Das FBI erhielt Kopien dieser Befragung.16 Budzislawski berichtete ausführlich über seine Lebensumstände vor der Einreise in die USA, insbesondere seine publizistische Arbeit in Deutschland und im Exil, die von ihm benutzten Pseudonyme („Hermann Eschwege“, „Herbert Ruland“, „Georg Haefner“ und „Fred Villinger“) ebenso wie über seine Familie: seine Frau Johanna, die Tochter Beate und seinen Vater Isidor (der im Februar 1943 in New York verstorben war). Budzislawski gab Auskunft über seine Arbeit für Dorothy Thompson, für die Overseas News Agency und für CBS, wo er im Auftrag des OWI an für Deutsche bestimmten Sendungen mitarbeitete. Befragt, mit wem er in New York Umgang habe, hütete er sich, Namen zu nennen, die mit der KPD in Verbindung gebracht werden konnten; er nannte unter anderem die Sozialdemokraten Alexander Schifrin, Siegfried Aufhäuser und Horst Baerensprung sowie Maxim Knopf, aber auch Alexander Sachs, den früheren Volkswirt (economic advisor) der Lehman-Brothers-Bank. Nach Berthold Viertel befragt (den das FBI, 15

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Zahlreiche Akten des New Yorker INS-Büros existieren nur noch als Kopien beim FBI, da die Originale nicht an das Nationalarchiv in Washington weitergeleitet, sondern laut Auskunft der New Yorker Stadtverwaltung nach einigen Jahren vernichtet wurden. Die folgenden Ausführungen stützen sich in starkem Maß auf die Alexander Stephan Collection of FBI Files on German Intellectuals in US Exile, die ich an der Ohio State University in Columbus (Ohio) im Januar 2015 in Teilen einsehen konnte. Seitdem wurde im Archiv dieser Bestand neu geordnet. Es ist mir deshalb nicht möglich, das mir damals zur Verfügung gestellte Material nach den Kisten (boxes) und Aktenmappen (folders) zu zitieren, in denen es sich jetzt befindet. Ich muss mich darauf beschränken, beim jeweiligen Schriftstück den Bestand (z. B. Hermann Budzislawski), das Datum und, wo immer möglich, den Verfasser anzugeben. Dies betrifft im vorliegenden Fall den in New York angefertigten Bericht vom 2. August 1943 über Hermann Budzislawski (der Name des Berichterstatters ist, wie in fast allen Fällen, in der vom FBI freigegebenen Kopie ausgeschwärzt).

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was Budzislawski aber nicht wissen konnte, als Sympathisanten der Kommunisten sah17), erklärte er, er habe ihn nicht unter seinen New Yorker Freunden genannt, da er derzeit in Hollywood sei. „Wenn er hier in New York ist, dann gehört er zu meinen engen Freunden.“ Der Bericht hielt fest, dass, um diese Angaben zu überprüfen, unter anderem auch Aufbau-Chefredakteur Manfred George und Arne Laurin vom Czechoslovak News Service befragt worden seien. Von einer Verbindung Budzislawskis zur KPD ging das New Yorker FBI nicht aus.18 Am 19. April 1944 betonte Budzislawski in einem Brief an das New Yorker FBI-Büro, er sei kein Kommunist und habe als Herausgeber der Weltbühne niemals irgendwelche Parteigelder erhalten; vielmehr habe sich die Zeitschrift in Prag finanziell selbst getragen.19 Erst 1947 beschrieb ein internes Memorandum an J. Edgar Hoover Budzislawski als „ausgesprochen cleveren und wichtigen internationalen kommunistischen Funktionär“, der dies aber stets geleugnet habe.20 Das INS leitete auch die Informationen, die es aus Hans Marchwitzas Befragung gewonnen hatte, an das FBI weiter. Marchwitza bestritt seine tatsächliche Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei, doch die INS-Beamten, die über Vorinformationen verfügten, stellten geschickte Fragen, wie zum Beispiel nach seinen Beiträgen für das Ruhr-Echo, eine KPD-Zeitung. Marchwitza entgegnete, er habe weder für das Ruhr-Echo geschrieben, noch sei er ein Leser des Blattes gewesen. Die INS-Beamten blieben skeptisch, da ihnen aber kein Exemplar des Ruhr-Echo mit einem Beitrag Marchwitzas vorlag, mussten sie diese – unwahre – Antwort akzeptieren. Auch nach seiner Zeit in Spanien wurde er befragt: „Was bewog Sie dazu, die republikanischen Kräfte in Spanien zu unterstützen? Antwort: Auf diese Weise hatte ich eine Chance, gegen Hitler zu kämpfen. Frage: Und nebenbei auch Stalin und seine Regierungsform zu unterstützen? Antwort: Ich hatte nichts mit Stalin zu tun. Frage: Stimmen Sie den Grundsätzen des 17 18 19

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Vgl. zur Überwachung Berthold Viertels Stephan, Im Visier des FBI, S. 335–343. Alexander Stephan FBI File Collection: [Bestand] Hermann Budzislawski, FBI-Bericht vom 2. August 1943. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Hermann-Budzislawski-Archiv, Nr. 122: Mitteilung Budzislawskis an das FBI Office, New York City, 19. April 1944. Diese Mitteilung war eine Reaktion auf die gegen das deutsche kommunistische Exil gerichtete Kampagne Ruth Fischers, die im Folgenden behandelt wird. – Bereits am 28. März 1941 hatten die Buzislawskis beim Immigration and Naturalization Service Anträge auf eine permanente Aufenthaltserlaubnis gestellt, denen stattgegeben wurde. Vgl. ebd., Nr. 242. Alexander Stephan FBI File Collection: [Bestand] Hermann Budzislawski: D. M. Ladd, New York, an J. Edgar Hoover, Internes Memorandum vom 13. Februar 1947. Diese Charakteristik gab der Rundfunkjournalist und FBI-Mitarbeiter Guenther Reinhardt bereits am 3. Juni 1942, die New Yorker FBI-Stelle ging der Sache jedoch offenbar nicht nach.

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Kommunismus zu? Antwort: In meiner Arbeit habe ich mich nicht mit den Grundsätzen des Kommunismus irgendwie eingelassen.“ Den Befragern fiel auf, das Marchwitza neben Theodor Balk, Bruno Frei und Albert Norden zu einer Gruppe von Autoren gehörte, die vom Exiled Writers Committee der League of American Writers unterstützt wurde; einer Organisation, die das FBI ohnehin skeptisch betrachtete. 21 Marchwitza selbst schilderte in seiner – in anderer Hinsicht noch sehr kritisch zu bewertenden – romanhaften Autobiographie In Amerika die Befragung in ganz ähnlichen Worten, nicht jedoch ohne anzumerken, dass „aus allen diesen mit großer Raffinesse zusammengestellten Charakteristiken“ ganz klar hervorgegangen sei, „dass man uns als ‚Beauftragte von Moskau‘ abstempeln und unsere Weiterreise nach Mexiko verhindern wollte.“ Er fügte hinzu: „Dahinter steckte ohne Zweifel eine der trotzkistischen Gruppen, die auch schon den französischen Behörden ähnliche Dienste geleistet hatte.“22 Ohne Zweifel vergiftete die Feindschaft vieler stalintreuer Kommunisten gegen die Trotzkisten ihr Denken dauerhaft; es sei nochmals daran erinnert, dass nicht die Trotzkisten, sondern die stalinistische KP der USA dem FBI beim Streik in Minnesota Zuträgerdienste geleistet hatte. Marchwitzas Befragung fand am 28. Juni 1941 statt; eine Woche nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, aber fast ein halbes Jahr, bevor die USA und die UdSSR zu Kriegsverbündeten wurden. Anders als viele Exilanten erhielt Marchwitza noch 1941 die Genehmigung zur Weiterreise nach Mexiko. Er blieb jedoch in New York, möglicherweise, wegen seiner zukünftigen Frau Hilde oder auch, weil er in den USA inzwischen eine Arbeitserlaubnis bekommen hatte.23 Auf die Observierung des Concil for a Democratic Germany wurde bereits hingewiesen. Schon seine Vorläufer-Organisation, die German Emergency Conference, stand unter Beobachtung des FBI, wobei Felix Boenheim in den Mittelpunkt geriet. Im März 1942 wurde ein antisemitisches und pronazistisches Flugblatt, das mit Boenheims New Yorker Adresse versehen war und sich in Boenheims FBI-Akte befindet, an Eleanor Roosevelt geschickt. Das fabrizierte Flugblatt diente als Vorwand seiner Überwachung. Ein FBI-Bericht vom 8. April 1942 beschrieb ihn als „Mitläufer bekannter ‚Radikaler‘, die unter Beobachtung dieses

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Stephan, Im Visier des FBI, S. 354 f. (Board of Special Inquiry, Ellis Island, Befragung von Hans Marchwitza, 28. Juni 1941). Diese und andere Zitate aus amtlichen Quellen gab Stephan im englischen Original wieder. Marchwitza, In Amerika, Berlin [DDR] 1961, S. 23. Vgl. ebd., S. 355.

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Büros stehen.“ Er sei Mitarbeiter „mutmaßlicher kommunistischer Frontorganisationen“, wobei der Name Gerhart Eislers fiel.24 Boenheims Überwachung wurde zunächst eingestellt, im Februar 1944 jedoch wieder aufgenommen, wobei nun auch sein Post- und Telefonverkehr kontrolliert wurde.25 Aufgrund der Angaben seiner früheren engen Freundin Ruth Fischer, die nun zur politischen Gegnerin geworden war, charakterisierte das FBI Boenheim im November als „sehr einflussreichen Kommunisten“, dem besonders daran gelegen sei, „in Verbindung mit den Anstrengungen der deutschen kommunistischen Bewegung“ deutschsprachige Organisationen in den USA zu unterwandern. Boenheim wurde deshalb für ein halbes Jahr auf die „key figure list“ des FBI gesetzt. Dazu trug bei, dass er Verbindungen nach Mexiko unterhielt.26 Dem FBI war besonders an der Aufdeckung von Verbindungen der in den USA lebenden Exilanten mit der Bewegung Freies Deutschland in Mexiko gelegen. Da das FBI in Mexiko eine Niederlassung unterhielt, gelangte es an eine Vielzahl von Informationen über dort lebende Schriftsteller und Publizisten, so über Alexander Abusch, Egon Erwin Kisch, Paul Merker, Ludwig Renn, Anna Seghers und Bodo Uhse.27 Doch auch Ernst Blochs Briefkontakte von Cambridge (Massachusetts) nach Mexiko wurden nun registriert. Ein FBI-Bericht vom Februar 1944 hielt fest, dass Bloch „in Kontakt mit Otto Katz, Leo Katz und Alexander Abusch sowie der Zeitschrift ‚Freies Deutschland‘ der Bewegung Freies Deutschland in Mexiko-City steht.“ Das FBI registrierte weiter, dass nach einem Vortrag von Bloch der Gedanke aufkam, in Boston eine Ortsgruppe (chapter) der Friends of Free Germany zu bilden.28 Einige Monate später vermeldete ein weiterer Bericht unter Bezug auf die in Mexiko erscheinende Zeitschrift Freies Deutschland, dass Bloch vor „Freunden und Bewunderern“ in New York gesprochen habe.29 Auch Alfred Kantorowicz’ Kontakte zu in Mexiko lebenden Hitlerflüchtlingen wurden beobachtet. Nach einer Befragung durch das INS im Frühsommer 1942 scheint sich das FBI aber für

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Boenheims FBI-Akte lag mir nicht vor. Die Angaben folgen deshalb Thomas Ruprecht, Felix Boenheim. Arzt, Politiker, Historiker. Eine Biographie, Hildesheim 1992, S. 261. Vgl. ebd., S. 262. Vgl. ebd., S. 277. Nach Kriegsende beobachtete das FBI Boenheim weiterhin; vgl. ebd., S. 308 f. Stephan (Im Visier des FBI, S. 393–503) widmet dem Mexiko-Thema den umfangreichen dritten Teil seines Buches (mit zahlreichen Dokumenten in Faksimile). Alexander Stephan FBI File Collection: [Bestand] Ernst Bloch, FBI-Report, 16. Februar 1944. Ebd.: FBI-Report, 22. Juni 1944.

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ihn nicht mehr interessiert zu haben – bis es nach Kriegsende die Beobachtung verstärkte und auch über Kantorowicz’ späteres Leben in der DDR und dann in der Bundesrepublik Informationen sammelte.30 Auf F. C. Weiskopf wurde das FBI im Juli 1942 aufmerksam, nachdem das Office of Censorship ihm die Kopie eines Briefes von Weiskopf an Egon Erwin Kisch in Mexiko zugeleitet hatte. Für Hoover war Kisch ein „berüchtigter deutscher Kommunist“. Auch Weiskopf halte Vorträge vor einem „höchstwahrscheinlich“ kommunistisch beeinflussten Publikum. Als einer der „führenden Köpfe bei der Formulierung der kommunistischen Strategie“ sei er jedoch „sehr darauf bedacht, seine kommunistischen Verbindungen zu verbergen.“ Zudem habe Weiskopf Kisch in diesem Brief „angewiesen“, den in Mexiko lebenden Exkommunisten Gustav Regler als Naziagenten zu denunzieren.31 Ein interner FBI-Bericht vom 19. März 1943 beschrieb Weiskopf ohne irgendwelche Belege als „literarisches Haupt der GPU“, als „Komintern-Diktator“ und als „Kommissar in der ‚League of Writers‘.“ In der Zeit des Hitler-StalinPaktes habe er zudem für die Gestapo gearbeitet. Dies hielten jedoch wohl auch die FBI-Beamten, die diesen Bericht zu lesen bekamen, für völligen Unsinn, so dass für Weiskopf daraus keine Konsequenzen erwuchsen.32 Ein weiterer Bericht vom 11. März 1944 behauptete, Weiskopf habe gesagt, das „wir“ im Kampf nach der Niederwerfung des Hitler-Regimes bewaffnet sein werden, vermochte aber in der Korrespondenz zwischen New York und Mexiko keinen Hinweis auf eine „bekannte Postadresse“ zu finden.33 In einem Memorandum an den Weiskopf speziell beobachtenden FBI-Informanten vermutete Hoover im Dezember 1944, Weiskopf sei „möglicherweise ein Agent des sowjetischen Geheimdienstes (NKWD).“34 Sogar in der Zeit des amerikanisch-sowjetischen Militärbündnisses erweckte eine allzu positive Beschreibung der Roten Armee beim FBI Argwohn. Ein Artikel Weiskopfs im Aufbau, in dem er die Hoffnung auf eine rasche Befreiung der Tschechoslowakei äußerte, wurde ebenso kritisch registriert wie entsprechende Passagen seines Romans Vor einem neuen Tag (1944), der zuerst 1942 in englischer Übersetzung unter dem Titel Dawn Breaks erschienen war.35 Die Beobach30 31 32 33 34 35

Vgl. Stephan, Im Visier des FBI, S. 358. Ebd., S. 345 (Brief Hoovers an SAC, New York, 7. Juli 1942). Ebd., S. 346 (FBI-Report, New York, 19. März 1943). Ebd., S. 347 (FBI-Report, New York, 11. März 1944). Ebd. (John Edgar Hoover, Memorandum an SAC, New York, 2. Dezember 1944). Vgl. F. C. Weiskopf, Mihailovich und die Partisanen, in: Aufbau, 15. Januar 1943; Stephan, Im Visier des FBI, S. 347 (FBI-Report, New York, 30. Dezember 1946); Gerber, Ein Prozess in Prag, S. 167 f.

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tung Weiskopfs setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort, als Weiskopf in Washington lebte – nun nicht mehr als Flüchtling, sondern seit 1947 als Botschaftsrat an der diplomatischen Vertretung der wiedererstandenen Tschechoslowakei.36 Das FBI war über Weiskopfs zeitweilige Arbeit als literarischer Agent ebenso informiert wie über seine Kontakte zu Maxim Lieber, einem prominenten Literaturagenten in New York (der 1951 von Whittaker Chambers als Hauptperson einer „kommunistischen Verschwörung“ im literarisch-verlegerischen Feld bezeichnet wurde).37 Ebenso waren Wieland Herzfelde und der Aurora-Verlag Gegenstand der Beobachtung. Bereits lange vor der Verlagsgründung vermeldete das New Yorker FBI am 2. September 1942 über den künftigen Verlagsleiter Herzfelde, dieser sei „einer der wichtigsten Komintern-Literaten in Deutschland“ gewesen. „Gerade heute haben wir erfahren, dass Herzfelde bei Alliance Book Publishers beschäftigt ist und dort ein Büro unterhält.“38 Indes kam das FBI am 10. März 1943 zu dem Schluss, „eine vorläufige Überprüfung“ könne „bislang nicht nachweisen, dass Herzfelde gegenwärtig mit irgendwelcher kommunistischer Tätigkeit etwas zu tun hat.“39 Ein interner OSSBericht bezeichnete Anfang 1944 jedoch Herzfelde und Brecht als „bekannte Stalinisten“, die sogar ihre nichtkommunistischen Exilsgefährten vor Konflikten mit der KPD warnten, so ihnen an der Erteilung von Einreisegenehmigungen in ein künftiges Deutschland etwas liege.40 Nach der Registrierung des Aurora-Verlags am 3. Mai 1944 verfolgte das FBI dessen Publikationen ebenso wie die Ausgaben des German American, Walter Jankas Tätigkeit für den Verlag El Libro Libre in Mexiko-City oder die dort erscheinende Zeitschrift Freie Deutschland.41 Paul Merker, dem FBI-Berichterstatter

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Vgl. Stephan, Im Visier des FBI, S. 348 ff. Die FBI-Materialien über Marchwitza, Kantorowicz und Weiskopf waren mir jedoch nicht zugänglich. Dieser Bericht Whittaker Chambers’ ist jetzt im Internet zugänglich. Vgl. Federal Bureau of Investigation: Whittaker Chambers, 3 December 1951, Form 1: Maxim Lieber, https://archive.org/stream/foia_Hiss_Alger-Whittaker_Chambers-xrefs-5/Hiss_AlgerWhittaker_Chambers-xrefs-5_djvu.txt. Alexander Stephan FBI File Collection: [Bestand] Wieland Herzfelde, FBI-Report, New York, 2. September 1942. Ebd.: E. E. Conroy, SAC, New York, an J. Edgar Hoover, 10. März 1943. Stephan, Im Visier des FBI, S. 198, zitiert ein OSS-Memorandum (C. B. Friediger an DeWitt C. Poole vom 7. Januar 1944). Vgl. Stephan, Im Visier des FBI, S. 303, sowie Alexander Stephan FBI File Collection: [Bestand] Free Germany, mit Kopien und ausführlichen Übersetzungen des German American sowie biographischen Angaben der Beiträger. Vgl. auch ebd. [Bestand] Walter

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in Los Angeles „bekannt als früheres kommunistisches Mitglied des Preußischen Landtages und des Reichstages“, sei der Autor einer Schrift, die als die „kommunistische Bibel“ in Bezug auf die Planungen des Nationalkomitees Freies Deutschland gelten könne, hieß es in einer der Akte Heinrich Manns zugeordneten Notiz.42 Auch Stefan Heyms Kontakte nach Mexiko wurden penibel registriert. Ein Memorandum vom 16. November 1944 vermerkte, dass Heym als Angehöriger der US-Armee in der Zeitschrift Freies Deutschland publiziert hatte (was keineswegs verboten war, da es sich um ein registriertes und offiziell überparteiliches Blatt in einem mit den USA befreundeten Land handelte).43 Jedoch blieben diese und viele weitere Hitlerflüchtlinge, die das FBI beobachtete, in der Zeit des Bündnisses zwischen den USA und der Sowjetunion auch dann unbehelligt, wenn über ihre Angaben, wonach sie weder Mitglieder noch Sympathisanten einer kommunistischen Partei waren, erhebliche Zweifel bestanden. Dies änderte sich beinahe schlagartig nach dem Krieg. Die Vorboten dieses drastischen Umschwungs waren jedoch schon 1944 sichtbar. Sie zeigten sich im Fall von Gerhart Eisler und noch mehr bei Bertolt Brecht. Beide Fälle sind untrennbar mit dem Namen von Gerhart Eislers Schwester Ruth Fischer verbunden.44 Seit 1943 stand Gerhart Eisler unter Beobachtung des FBI.45 Der mit ihm befasste FBI-Agent Robert Lamphere schrieb über ihn: „Gerhart Eisler war ein kleiner, glatzköpfiger Mann von achtundvierzig Jahren, der wie ein Buchhalter aussah. Mit seiner jungen Frau Brunhilde lebte er für 35 Dollar Monatsmiete in einer Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug in Long Island City. Wie viele

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Janka (mit Berichten des FBI-Büros in Mexiko-City) sowie ebd. [Bestand] Paul Merker (mit einem Mikrofilm, der biographische Angaben enthält). Vgl. ebd: [Bestand] Heinrich Mann, FBI-Report, Los Angeles, 5. September 1944. Gemeint war Merkers Buch Deutschland – Sein oder Nicht-Sein, das soeben erschienen war. Vgl. ebd.: [Bestand] Stefan Heym, FBI-Memo to Director, 16. November 1944. Das Folgende beruht zu einem guten Teil auf Recherchen, die ich für die Biographie Ruth Fischers unternahm und die 2013 erschien. Vgl. Mario Keßler, Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895–1961), Köln/Weimar/Wien 2013. Die Akten, die das FBI über ihn zwischen 1933 und 1936 wahrscheinlich führte, sind bisher nicht zugänglich. Erst 1947 wurde bekannt, dass er damals in den USA unter dem Namen Samuel Liptzin gemeldet war. Vgl. Communists: The Man from Moscow, in: Time Magazine, 17. Februar 1947 (Internet-Archiv des Time Magazine). Vgl. auch den Internet-Artikel von Spartacus Educational zu Gerhart Eisler: http://spartacuseducational.com/Gerhart_Eisler.htm sowie Jürgen Schebera, The Lesson of Germany. Gerhart Eisler im Exil: Kommunist, Publizist, Gallionsfigur der HUAC-Hexenjäger, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 7, München 1989, S. 85–97.

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seiner Nachbarn sprach er Englisch mit deutschem Akzent und wie viele von ihnen hatte er sich zum Blutspenden zur Verfügung gestellt. Er wurde auch als Luftschutzhelfer eingesetzt.[...] Man konnte die Uhr nach ihm stellen. Er verließ die Wohnung früh am Morgen und ging ohne Eile geradewegs zum Zeitungsstand, um die New York Times zu kaufen und die IRT-U-Bahnlinie nach Manhattan zu nehmen. Dem zufälligen Beobachter schien an ihm nichts Auffälliges, aber wer genauer hinsah, dem fiel eine gewisse Arroganz und eine ruhige Selbstsicherheit in seinem Verhalten auf.“46 Lamphere vermutete Kontakte Gerhart Eislers zu Wassilij Sarubin, der unter dem Namen Subilin als sowjetischer Botschaftsangehöriger, tatsächlich jedoch als NKWD-Resident in Washington arbeitete, und zu Steve Nelson, einem Mitglied der KP der USA, der – wie später herauskam – in der Atomspionage für die Sowjetunion Kurierdienste leistete.47 1944 griff Ruth Fischer dann ihren Bruder öffentlich an, indem sie ihn als Top-Agenten im Dienst der Sowjetunion bezeichnete. Die Vorgeschichte dieses Zerwürfnisses reicht bis in die Weimarer Republik zurück. Gerhart Eisler und Ruth Fischer hatten sich politisch 1925 entzweit, als er Partei für den von Stalin protegierten Ernst Thälmann ergriff, der Ruth Fischer von der KPD-Führung verdrängte und schließlich für ihren und Arkadij Maslows Parteiausschluss im August 1926 sorgte.48 Doch kamen sie einander wieder näher, als Gerhart Eisler nach dem deutsch-sowjetischen Zusammengehen im August 1939 im kleineren Kreis ernsthafte Zweifel an der Politik der KPD und der Komintern äußerte, wenngleich er dies nicht öffentlich machte. In den USA 46

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Robert J. Lamphere (with Tom Shachtman), The FBI-KGB War. A Special Agent’s Story, 2. Aufl., Macon (Georgia) 1986, S. 42. IRT ist die Abkürzung für Interborough Rapid Transit Company, die mit ihrem Streckennetz vorwiegend Manhattan und die Bronx erschloss. Vgl. ebd., S. 43. Vgl. zu Sarubin Christopher Andrew, The Mitrokhin Archive. The KGB in Europe and the West, London 1999, S. 161 f. Andrew war als Historiker beim britischen Geheimdienst MI5 angestellt, Wassilij Mitrochin arbeitete im Archiv des KGB, bevor er 1992 unter Mitnahme wichtiger Dokumente nach England flüchtete, wo er 2004 verstarb. Steve Nelson, eigentlich Stjepan Mesaparos, war Mitglied der KP der USA und kannte Eisler aus den 1930er Jahren. Im Zweiten Weltkrieg unterhielt er Kontakte zu Sarubin und spater auch zu anderen NKWD-Mitarbeitern. Er versorgte sie mit Dokumenten des für die Sowjetunion arbeitenden Atomphysikers Joseph Weinberg, der an der University of California arbeitete. 1957 trat Nelson aus der KP aus. Vgl. zu ihm Harvey Klehr/John Earl Haynes, Venona. Decoding Soviet Espionage in America, New Haven/London 1999, S. 230 f., und Athan Theoharis, Chasing Spies. How the FBI Failed in Counterintelligence But Promoted the Politics of McCarthyism in the Cold War Years, Chicago 2002, S. 49 f. Vgl. zum KPD-Ausschluss Fischers und Maslows Keßler, Ruth Fischer, S. 247–268.

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unterhielt Ruth Fischer zu Gerhart Eisler wieder sporadisch Kontakte, die keineswegs so eng waren wie die zu ihrem Bruder Hanns. Dieser überwies seiner in New York unter schwierigen Verhältnissen lebenden Schwester sogar dann Geld, als er selbst in Hollywood zeitweise ohne Vertrag war.49 Am 10. Juli 1941 entschuldigte sich Hanns Eisler bei ihr jedoch dafür, dass er ihr derzeit nicht helfen könne. Er sei selbst „in einer entsetzlichen Lage, voller Schulden und Verpflichtungen“, denen er nicht nachkommen könne.50 Am 16. August 1941 schrieb sie, nachdem sie Hanns nicht hatte treffen können, dass sie ihn unbedingt sehen möchte.51 Noch zur Jahreswende 1942/43 hatte Ruth Fischer von New York aus ihren Bruder Hanns und dessen Frau Lou in Kalifornien besucht.52 Doch spätestens 1944 kam sie zu der Ansicht, dass ihre Brüder, vor allem Gerhart Eisler, einen Anteil an der stalinistischen Hetzkampagne gegen sie und Maslow gehabt hätten, die zu Maslows plötzlichem Tod am 21. November 1941 in Havanna geführt habe. An diesem Tag war Maslows Leiche in seinem letzten Zufluchtsort gefunden worden, und Ruth Fischer konnte mit Gründen annehmen, dass er ermordet worden sei. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte der FBI-Agent Guenther Reinhardt, der zu Ruth Fischer in New York Kontakt aufgenommen hatte, ihr suggeriert, er wisse um die Hintergründe von Maslows Tod in Havanna, und auch, dass Gerhart Eisler damit etwas zu tun gehabt habe.53 Am 27. April 1944 schrieb sie einen Brief an Gerhart, Hanns und Lou Eisler. Darin klagte sie ihre Verwandten an, diese hätten jede Einzelheit aus ihrem und Maslows Leben, die ihnen bekannt war, nach Moskau an die GPU berichtet. „Ich 49

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Vgl. die (mit fünf kurzen Briefen quantitativ sehr geringe) Korrespondenz in: Houghton Library, Harvard University, Cambridge (Massachusetts), bMS Ger 204 Ruth Fischer Papers (im Folgenden: Ruth Fischer Papers), Mappen 217 und 218 (sowie im Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Hanns-Eisler-Archiv, Nr. 4237), bes. Ruth Fischer Papers, Mappe 217, Bl. 1: Hanns Eisler an Ruth Fischer, Brief vom 8. September [wohl 1941]. In den Ruth Fischer Papers sind nur Hanns‘ Briefe an sie, nicht jedoch ihre Briefe an ihn überliefert. Eine Ausnahme bildet der sogleich zu behandelnde Brief. Hanns Eisler, Briefe 1907–1943 (Werke, Serie IX, Bd. 4/1), Wiesbaden 2010, S. 173. Vgl. Hanns-Eisler-Archiv, Nr. 4237, Bl. 4: Ruth Fischer an Hanns Eisler, Brief vom 16. August 1941. Vgl. Jürgen Schebera, Hanns Eisler. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten, Mainz 1998, S. 198 f. Vgl. Reinhardts Schilderung des „Falles Maslow“: Guenther Reinhardt, Crime Without Punishment. The Secret Soviet Terror Against America, New York [1953], bes. S. 42 ff., sowie meine kritische Analyse von Reinhardts Darstellung in: Keßler, Ruth Fischer, S. 372–391, bes. S. 390 f.

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habe einen Augenblick geglaubt“, schrieb sie, „dass der russisch-deutsche Vertrag 1939–1941 Euch echt vom Apparat getrennt hätte. [...] Ich lebte einen Moment in der Illusion, dass Menschen, die so tief Einblick haben in die Brutalität dieses Herrschafts- und Unterdrückungssystems, nicht mehr zurückkehren könnten oder würden. Diese, meine unentschlossene, nicht ernsthaft zu Ende gedachte Haltung habe ich teuer bezahlt.“ Jetzt aber würde sie bis zuletzt darum kämpfen, dass die stalinistischen Machenschaften in der Öffentlichkeit bekannt würden. „Ich organisiere mich gegen Euch und zwar gründlich. Dabei kann ich natürlich doch den kürzeren ziehen.“ Dies sei vor allem an Gerharts Adresse gerichtet, „dessen Ausbildung in 15 Jahren Verrat“ an seinen Genossen bestehe.54 Gerhart Eisler steuere unter dem Namen Hans Berger die kommunistischen Aktivitäten in den USA, schrieb Ruth Fischer schon im Mai 1944.55 Er sei, wie sie später oft wiederholte, das „Haupt der deutschen Kommunisten in der westlichen Hemisphäre“ sowie einer „der Schlüsselagenten des kommunistischen Apparates hier und eine Schlüsselfigur der amerikanischen kommunistischen Partei.“56 Am 17. November 1944 schrieb FBI-Direktor J. Edgar Hoover dem Botschaftsattaché in Lissabon, dass Gerhart Eisler ein „Komintern-Agent“ sei. Eislers Frau Brunhilde könne „gleichfalls eine Reihe kommunistischer Aktivitäten nachgewiesen werden.“57 Über Gerhart Eislers Haupt zogen sich die Gewitterwolken zusammen. Doch spektakulärer waren zunächst Ruth Fischers Anwürfe gegen Bertolt Brecht.

„Poeta laureatus“ der Kommunisten: Das FBI und Bertolt Brecht Im April 1944 erschien in der von Dwight Macdonald edierten Zeitschrift Politics Ruth Fischers Artikel „Bert Brecht, Minnesänger der GPU.“58

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Ruth Fischers Brief an Hanns, Gerhart und Lou Eisler ist abgedruckt in: Fischer/Maslow, Abtrünnig wider Willen, S. 160 f. Vgl. The Network, Nr. 5, Mai 1944, S. 7. Frederick Woltman, Kremlin Agent in U.S. Identified, in: World Telegram, 17. Oktober 1946. Gerhart Eisler FBI File, Box 1, Mappe 5: J. Edgar Hoover an D. A. Flinn, Lisbon, Portugal, Brief vom 17. November 1944. Ruth Fischer, Bert Brecht, Minstrel of the GPU, in: Politics, April 1944, S. 88 f. Hiernach die folgenden Zitate. Das in ihrem Buch Stalin und der deutsche Kommunismus (Frankfurt a. M. [1950]) unter dem gleichen Titel abgedruckte Unterkapitel ist eine erweiterte, zum Teil von diesem Text erheblich abweichende Version. Vgl. auch Ruth Fischer Papers, Mappe Nr. 1634, Bl. 3: Ruth Fischer an Dwight Macdonald, undatierter Brief mit Über-

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„Die russische Propaganda ist sehr aktiv an der kulturellen Front“, begann sie. „Man kann mindestens dreißig verschiedene Arbeiten im neuesten Stil in deutscher Sprache kaufen, hier in New York, die aber in Moskau produziert worden sind und stolz darauf hinweisen: ‚The Foreign Language Publishing House, Moscow‘.“ Zu deren Verfassern gehörten „Erich Weinert, Vorsitzender der ‚Freien Deutschen‘ in Moskau, speziell ausgebildet in Spanien, Johannes R. Becher, der die Harfe zu Ehren der GPU zupfte, als diese durch Zwangsarbeit Zehntausender ihrer unglücklichen Opfer den ‚großen‘ Kanal von der Ostsee zum Weißen Meer bauen ließ, Willi Bredel, Friedrich Wolf, Theodor Plivier (ein Mann mit besserer Vergangenheit) und eine schreckliche, aus Wien kommende Verfasserin kleinbürgerlicher Kitschkunst, Klara Blum, die Jahre des Trainings in der Lobpreisung von ‚Väterchen Stalin‘ hinter sich hat und deren gesamte Produkte in der ‚Internationalen Literatur‘ abgedruckt sind, die seit 1933 in Moskau herausgegeben wird. Die Literatur ist das Opium des Stalinismus.“59 Brecht, der literarisch zu einer anderen Klasse gehöre, habe sich klugerweise von Stalins Machtbereich ferngehalten „Er stimmte mit den Füßen gegen Stalins Russland und zog das kapitalistische Amerika dem ‚sozialistischen Vaterland‘ vor.“ In Amerika sei er jedoch einer der „fähigsten Bewunderer des ,großen Stalin‘, ehrlich in seiner Bewunderung, da ihm sozialistische Ideen und sozialistische Theorie fremd geblieben sind. Er gehört zu einem neuen Typus, der in der deutschen Emigration so häufig auftritt, der dem Mythos des totalen Staates, des totalen Terrors und der eisernen Parteidisziplin erlegen ist. In diesem Sinne ist er typisch für so viele Deutsche aus den zwanziger Jahren, ein treibendes Blatt im Hurrikan, das dem Stalinismus als der für ihn einzig möglichen Alternative zum Nazismus zutreibt. Ganz in diesem Sinne werden die Nazis im Nach-Hitlerschen Deutschland wieder hin zum Stalinismus getrieben, denn sie sind in der Methode des Denkens und im Organisationsprinzip einander sehr ähnlich, sie sind Zwillingsbrüder der europäischen Konterrevolution.“

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sendung des Artikels. Verschiedene Textentwürfe des Artikels befinden sich ebd., Mappe Nr. 2506. Klara Blum (1904–1971) stammte aus Czernowitz, wuchs in einer zionistischen Familie auf und lebte zeitweilig in Palästina und zuletzt in China, wo sie unter dem Namen Zhu Bailan als Literaturprofessorin an verschiedenen chinesischen Hochschulen arbeitete. Vgl. Klara Blum, Kommentierte Auswahledition, hg. von Zhidong Yang, Wien etc. 2000, mit biographischer Einführung.

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Davon habe bereits 1930 Brechts Stück Die Maßnahme gezeugt.60 Darin „zeigte er nicht nur in Form des Dramas die Methoden der GPU als geheiligte und respektierte Institution der kommunistischen Partei, sondern billigte und glorifizierte auch die Prozesse, bevor diese überhaupt in Stalins Hirn ihre perfekte Gestalt angenommen hatten, somit die Parteilinie zu ihrem logischen Endzweck führend. Dieses ‚künstlerische‘ Werk muss man kennen, wenn man die Frage aufwirft: Was soll aus Deutschland werden?“ In dem Lehrstück berichten vier Agitatoren der Kontrollkommission von ihrem Auftrag in Form von Argumenten und Gegenargumenten. Der Kontrollchor dankt den Agitatoren für ihre Arbeit im Dienste der Revolution, aber die Agitatoren werfen ein: „Halt, wir müssen etwas sagen! Wir melden den Tod eines Genossen. Der Kontrollchor: Wer hat ihn getötet? Die vier Agitatoren: Wir haben ihn getötet. Wir haben ihn erschossen und in eine Kalkgrube geworfen. Der Kontrollchor: Was hat er getan, dass ihr ihn erschossen habt? Die vier Agitatoren: Oftmals tat er das Richtige, einige Male das Falsche, aber zuletzt gefährdete er die Bewegung. Er wollte das Richtige und tat das Falsche. Wir fordern euer Urteil.“61

Die Verkündung und Vollstreckung des Urteils gerate bei Brecht, so Ruth Fischer weiter, zur Apotheose. „Der Kontrollchor: Und eure Arbeit war glücklich, ihr habt verbreitet die Lehren der Klassiker, das ABC des Kommunismus … Und die Revolution marschiert auch dort Und auch dort sind geordnet die Reihen der Kämpfer; Wir sind einverstanden mit euch.“

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Die erste Fassung schrieb Brecht 1930, die er 1932 umarbeitete und die mit nochmals sehr geringen Änderungen der Werkausgabe von 1938 zugrunde liegt. Vgl. Jürgen Schebera, „Die Maßnahme“ – „Geschmeidigkeitsübung für gute Dialektiker“?, in: Werner Hecht (Hg.), Brecht 83. Brecht und Marxismus. Dokumentation, Berlin [DDR] 1983, S. 91– 102, und Günter Hartung, Der Maßnahme-Text, in: Ders., Der Dichter Bertolt Brecht. Zwölf Studien, Leipzig 2004, S. 111–125. Ruth Fischer zitierte relativ frei nach einem englischen Text, wohl der Fassung, die Richard Thompson für das FBI angefertigt hatte. Vgl. die Notiz im Vorwort der Taschenbuchausgabe von Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Berlin 1998, S. 12. In Stalin und der deutsche Kommunismus nutzte Ruth Fischer den Originaltext der zweiten Fassung aus: Bertolt Brecht, Die Maßnahme, in: Ders., Gesammelte Werke, Bd. 2, London 1938, S. 329–359, der auch hier verwendet wird.

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Die Maßnahme, deren Aufführung Brecht nach dem Krieg verbot, bleibt sein umstrittenstes Werk. Es ging ihm laut Werner Mittenzwei darum, „einen gesellschaftlich-existenziellen Fall als Grenzsituation menschlicher Entscheidungsmöglichkeit durchzuspielen.“62 Brecht habe die Frage gestellt, „was die Menschen auf sich nehmen, was sie mit sich selbst machen müssen, um diese Welt zu verändern.“63 Hingegen kritisierte Hans Mayer, Brecht sei mit der Maßnahme „an der Grenze zur Menschenverachtung angelangt.“64 Der Autor habe, schrieb Ilja Fradkin, sein sowjetischer Biograph, die „schreckliche Formel der Selbstpreisgabe der Persönlichkeit, diese Philosophie der Verwandlung des Menschen in ein namenloses Sandkörnchen im Fundament eines majestätischen Gebäudes“ als Ausdruck „revolutionärer“ Moral wenn nicht gepriesen, so doch als hier unvermeidlich dargestellt. „Doch schon dieser Glaube war ein Irrtum.“65 „Wer für den Kommunismus kämpft, der muss kämpfen können und nicht kämpfen; die Wahrheit sagen und die Wahrheit nicht sagen; Dienste erweisen und Dienste verweigern; Versprechen halten und Versprechen nicht halten; sich in Gefahr begeben und die Gefahr vermeiden; kenntlich sein und unkenntlich sein. Wer für den Kommunismus kämpft, hat von allen Tugenden nur eine: dass er für den Kommunismus kämpft.“ So hieß es bei Brecht. Eine solche „Philosophie der Zulässigkeit eines jeglichen Bösen im Namen des endlichen Sieges des Guten, der Geringschätzung des Menschen zum Wohle der Menschheit, diese neue Legende vom Großinquisitor“, war von kommunistischer Ethik, so Fradkin, „meilenweit“ entfernt.66 Indem Brecht die Praktiken einer „bolschewisierten“ kommu-

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Werner Mittenzwei, Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 1, 3. Aufl., Berlin/Weimar 1988, S. 361. Mittenzwei schreibt, Brecht und Ruth Fischer hätten sich erst in den USA kennen gelernt. Vgl. ebd., Bd. 2, S. 175, unter Bezug auf Ernst Aufricht, Erzähle, damit du dein Recht erweist, München 1969, S. 226. Möglicherweise waren sie aber einander im Haus von Karl Korsch in Berlin begegnet. Vgl. Henry Paechter, Weimar Etudes, hg. von Stephen Eric Bronner, New York 1982, S. 54 f. Mittenzwei, Bertolt Brecht, Bd. 1, S. 352. Hans Mayer, Zeitgenossen. Erinnerung und Deutung, Frankfurt 1999, S. 185. Ilja Fradkin, Bertolt Brecht. Weg und Methode, Leipzig 1974, S. 126. Das Wort „revolutionärer“ steht bei Fradkin in Anführungszeichen. Ebd., S. 127. Es waren also nicht nur „rechtslastige“ Exilanten wie Hans Sahl (so Alexander Stephan), die Brecht zumindest eines Flirts mit der Inhumanität ziehen. Vgl. Hans Sahl, Brecht gegen Brecht gewendet. Die „Maßnahme“ in New York: Diskussion über Mittel und Zweck in der Politik, in: Die Welt, 27. Dezember 1974. Sahls Kritik bezieht sich auf eine Aufführung der Maßnahme am New Yorker Public Theater. Wegen der Aufteilung der Rechte unter Brechts Erben galt das Aufführungsverbot für das Stück in Nordamerika nicht. Vgl. Alexander Stephan, „... advocates Communist world revolution by violent means“: Brecht, Eisler und The Measures Taken in den Dossiers von FBI und

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nistischen Partei zu ihrem logischen, wenn auch nicht unvermeidlichen Extremschluss führte, gab er seinen künftigen Kritikern, die in ihm einen Stalinisten sahen, Argumente in die Hand. Doch brauchte Stalin kein Brecht-Stück als Vorlage für seine Terrorprozesse. Mehr noch: Brecht transportierte in der Maßnahme eine hintergründige Botschaft: Der Glaube an eine abstrakte „Sache“ könne Menschen dazu bringen, Schlechtes im Namen des Guten zu tun. Ein solcher Glaube werde zum gefährlichen Trugbild und führe zur Selbstpreisgabe der Persönlichkeit.67 Ernst Aufricht, der einst in Berlin Brechts Dreigroschenoper die Uraufführung ermöglicht hatte, wusste von Ruth Fischers Absicht, den gegen Brecht gerichteten Artikel zu veröffentlichen. Er brachte sie mit ihm in der New Yorker Wohnung Ruth Berlaus zusammen, um die Dinge zu schlichten. „Der Anfang des Abends war sonnig, bei Rühreiern, die Ruth Berlau servierte“ so Aufricht, „bis die Fischer zur Attacke überging: ‚Brecht, Sie mit Ihrem politischen Primanergehirn fingen an, sich für die Partei zu interessieren, als sie schon von Stalin zersetzt war.‘ In normalen Verhältnissen hätte Brecht versucht, sie niederzuschreien, oder er hätte sie hinausgeworfen. Aber hier in Amerika saß er auf dem falschen und sie auf dem richtigen Pferd. Brecht redete sie achtungsvoll mit ‚Genossin‘ an und versuchte, eine gemeinsame proletarische Brücke zu finden.“ Doch dies misslang. „Um drei Uhr morgens war der Hass zwischen den beiden, die sich gegenseitig für Häretiker hielten, so groß, dass ich vorschlug, aufzubrechen.“68 Jedoch brachte nicht erst Ruth Fischer das FBI dazu, Brecht unter die Lupe zu nehmen.69 Bereits am 29. Mai 1942 hatte er einen – möglicherweise routinemäßi-

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HUAC, in: Ders., Überwacht, ausgebürgert, exiliert. Schriftsteller und der Staat, Bielefeld 2007, S. 72–94, hier S. 89. Diesen Aspekt betont der anregende Aufsatz von Helmut Kiesel, Brecht und Eislers „Maßnahme“ im Licht der Totalitarismus-Theorie: ein zweites Mal, in: Hans Jörg Schmidt/Petra Tallfuss (Hg.), Totalitarismus und Literatur. Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert – Literarische Öffentlichkeit im Spannungsfeld totalitärer Meinungsbildung, Göttingen 2005, S. 77–89. Allerdings geht Kiesel über eine Werkanalyse kaum hinaus und versäumt die Gelegenheit, den Totalitarismus in seiner beanspruchten theoretischen Reichweite und Begrenzung am Beispiel Brechts zu testen; „Totalitarismus“ bleibt somit als reiner Kampfbegriff stehen. Aufricht, Erzähle, damit du dein Recht erweist, S. 226. Neben dem intensiv genutzten Werk von Alexander Stephan, Im Visier des FBI, finden sich Informationen zur Überwachung von Brecht durch das FBI auch bei John Fuegi, Brecht und Co. Autorisierte Übersetzung von Sebastian Wohlfeil, Hamburg 1997, S. 607 ff., und Stephen Parker, Bertolt Brecht. A Literary Life, London 2014, S. 457 ff. (die beide nicht über Stephan hinausgehen). Gedrängte Informationen finden sich bereits bei James K. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika. Übersetzt von Traute M. Marshall, Frankfurt a. M. 1984, S. 107 f. und passim. Ein Teil von Brechts FBI-Akte ist jetzt im Internet einzusehen. Vgl. FOIA-FBI Electronic Reading Room, http://foia.fbi.gov (Hierzu:

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gen – Besuch von zwei Mitarbeitern des FBI erhalten, die kontrollierten, ob er die (für alle Exilanten verpflichtende) Sperrstunde einhalte, nach der er das Haus nicht mehr verlassen durfte.70 Seitdem oder kurz danach gab es Überlegungen, Brecht zu internieren. Er sei mit den Techniken der Untergrundarbeit vertraut, wie auch seine Mitarbeit am Film Hangmen Also Die, der die gewaltsame kommunistische Machtübernahme propagiere, gezeigt habe.71 Brechts FBI-Dossier wurde aus der Kategorie „Überwachung feindlicher Ausländer“ herausgenommen und in die viel bedenklichere Kategorie „Innere Sicherheit“ eingeordnet. Brecht selbst hatte im Frühjahr 1943 – allerdings indirekte – geheimdienstliche Kontakte, wenngleich nicht zum FBI, aufgenommen. Das Arbeitsjournal vermerkt, dass Lotte Lenya ihm bei einer Aufnahme des Liedes einer deutschen Mutter, zu der Paul Dessau die Melodie geschrieben habe und die für das Office of War Information gedacht sei, geholfen habe.72 Brecht arbeitete auch, vermittelt durch seinen Freund John Houseman, der beim OSS angestellt war, an weiteren Rundfunkprogrammen mit und wurde dafür regulär bezahlt. Diese Programme wurden jedoch nicht gesendet, da das OSS damals noch befürchtete, Sendungen deutscher Exilanten würden unter deutschen Hörern Feindseligkeit statt Zustimmung hervorrufen.73 Obgleich das FBI um Brechts (vergebliche) Bemühungen, die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten, wusste, beschrieb ein Memorandum vom 16. April 1943 ihn – korrekterweise – als eine Person, die sich in Amerika fremd fühle und fremd zu bleiben wünsche. „[...] der Autor und Gegenstand dieses Falles sieht sich, wie

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https://vault.fbi.gov/Bertolt%20Brecht%20). Dieser Bestand wird (im Unterschied zu den Teilen der Alexander Stephan Collection of FBI Files, [Bestand] Bertolt Brecht) weiterhin zitiert als: Bertolt Brecht FBI File. Dabei werden in Klammern der Dokumententeil sowie die Seite angegeben. Brecht notierte im Arbeitsjournal am 29. Mai 1942, dass am Abend „zwei fbi-leute kommen und mein registrationsbüchlein einsehen, anscheinend kontrolle wegen des curfews [der Sperrstunde].“ Bertolt Brecht, Arbeitsjournal 1938–1955, hg. von Werner Hecht, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1973, S. 455. Der pensionierte FBI-Mitarbeiter Ernest van Loon teilte Alexander Stephan am 18. November 1994 mit, er sei einer der beiden damaligen Vernehmer Brechts gewesen. Vgl. Stephan, Im Visier des FBI (Taschenbuchausgabe), S. 317. Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: R. B. Hood, Memorandum an FBI-Direktor [J. Edgar Hoover],FBI-Report, Los Angeles, 30. März 1943. Brecht, Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 568 (zusammengestellte Einträge für März, April und Mai 1943). Vgl. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 368.

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seine Schriften belegen, nicht als Einwanderer, sondern eher als Exilant aus Deutschland, seinem Geburtsland.“74 Im gleichen Schreiben versuchte R. B. Hood, Leiter des FBI-Büros in Los Angeles, seinen Direktor erneut davon zu überzeugen, gegen Brecht ein Internierungsverfahren einzuleiten. Brecht sei „ein Verfasser kommunistischer und revolutionärer Lyrik und Dramatik“ und die deutschen Kommunisten würden zu ihm „aufblicken“ als ihrem „Poeta laureatus.“ Er propagiere nicht nur die Errichtung eines „kommunistischen Staates“, sondern die Zerstörung der USA durch gezielte Sabotage.75 Doch hielten es die FBI-Beamten für unzweckmäßig, ein öffentliches Exempel zu statuieren, das den sowjetischen Bündnispartner in ein schlechtes Licht rücken könne. Man behalte sich aber „periodische Überprüfungen“ vor.76 Am 6. März 1943 äußerte ein FBI-Report aus Los Angeles die Vermutung, dass Brecht in Europa Kommunist und „an kommunistischer Untergrundarbeit“ beteiligt gewesen sei. Seine Schriften suchten zur „Beseitigung des Kapitalismus“ beizutragen und propagierten „die Errichtung eines kommunistischen Staates“ auch mit Hilfe von Sabotage. Der Bericht enthielt weiterhin die Angaben des INS zu Brecht sowie den Vermerk einer „Quelle A“, die angab, Brecht und Helene Weigel seien in Deutschland Kommunisten gewesen. Ein weiterer Informant („Quelle B“) berichtete, er habe Brecht in den USA kennen gelernt „und sah ihn immer noch als einen ‚radical‘ und einen Feind des Kapitalismus“ an. Sein Drehbuch zum Film Hangmen Also Die zeuge von Kenntnis über die Untergrundarbeit in Europa. Brecht sei von den Nazis eingesperrt und übel behandelt worden (was nicht stimmte). Brechts Buch Svendborger Gedichte, das der Malik-Verlag 1939 publizierte, sei auch von der American League for German Cultural Freedom gefördert worden. Der Inhalt der Gedichtsammlung zeige Brechts kommunistische Gesinnung und seinen Antikapitalismus, wie eine Reihe von wiedergegebenen Passagen belegen sollte.77 Am 30. März 1943 nahm bereits ein FBI-Bericht auf Die Maßnahme Bezug, das der Autor als ein „Lehrstück“ bezeichnet habe und das „die kommunistische Weltrevolution mittels Gewalt“ propagiere.78 Mehrere beigefügte Berichte sollten dies belegen. Ein weiterer FBI-Report vom 22. Mai 1943 bezog sich auf einen „Confidential National Defense Informant“ (Name ausgeschwärzt), der auf Brechts Freund74 75 76 77 78

Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: R. B. Hood, Los Angeles, Memorandum an FBI-Direktor [J. Edgar Hoover], 16. April 1943. Ebd. Ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 10. Juli 1943. Bertolt Brecht FBI File: FBI-Report, Los Angeles, 6. März 1943 (Teil 1, S. 4–12). Ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 30. März 1943 (Teil 1, S. 14).

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schaft zu Salka Viertel verwies, deren Kreis „prokommunistische Tendenzen“ zeige.79 Berichte im Aufbau verwiesen darauf, dass Brecht in New York aktiv sei, aber nach Los Angeles wohl zurückkehren werde. Auch die Zeitung Freies Deutschland beziehe sich oft in positiver Weise auf Brechts Werke. Unter den offen mit Brecht Sympathisierenden nannte der Bericht die Schauspieler Peter Lorre und Elisabeth Bergner. Letztere habe am 24. April an einem nichtöffentlichen Brecht-Programm im New Yorker Heckscher-Theater mitgewirkt, das Georg Friedrich Alexan mit finanzieller Hilfe der Landeszentrale der ArbeiterKrankenkasse von Amerika und des Washington Heights Center organisiert habe.80 Ähnliche Angaben, wobei auch auf Alfred Kantorowicz Bezug genommen wurde, finden sich in einem FBI-Report vom 8. Juni 1943.81 Am 10. Februar 1944 fasste ein Geheimdienstbericht die bisher vorliegenden Informationen über Brecht zusammen.82 Zu dem bisher Gesagten wurde vermerkt: Brechts Zusammenarbeit mit Hanns Eisler seit den Jahren der Weimarer Republik, seine Beiträge für die Moskauer Zeitschrift Das Wort (dass er einer der Mitherausgeber war, stimmte jedoch nicht), die Zusammenarbeit mit Fritz Lang, der ihn „mit Kenntnis und Genehmigung von Otto Katz, dem wahrscheinlichen GPU-Agenten in Mexiko“ finanziell unterstützt habe, und seine Arbeit für die Freie Deutsche Bewegung. Gegenüber dem INS habe Brecht seine Mitgliedschaft im PEN-Klub erwähnt und William Dieterle sowie dessen Frau als die Personen genannt, die für seine Angaben bürgten. Auch die in New York lebende dänische Schriftstellerin Karin Michaelis, eine langjährige Freundin Brechts, unterstütze ihn. Seine Bekannten in den USA seien vor allem Exilanten, die er schon aus Berlin her kenne, wo er am Theater am Schiffbauerdamm verschiedene Stücke inszeniert habe. Zu diesen Bekannten zählten die Schauspieler Alexander Granach, Oskar Homolka und Peter Lorre sowie die Regisseure Erwin Piscator und Max Reinhardt. Genannt wurde unter anderem auch Ernst Busch, der sich aber nicht in den USA befand. Ein Informant habe Brecht als Kommunisten bezeichnet, ohne aber „spezifische Informationen“ geben zu können. Er habe weiterhin betont, dass, ungeachtet 79

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Wegen ihrer vom FBI als kommunismusfreundlich unterstellten Privatkontakte zu Brecht und Hanns Eisler wurde Salka Viertel noch 1953 erst nach langer Verzögerung ein – noch dazu nur befristeter – Reisepass ausgestellt. Noch im gleichen Jahr verließ sie die USA und ließ sich in der Schweiz nieder. Vgl. Salka Viertel, Das unbelehrbare Herz. Übersetzt von Helmut Degner, (Taschenbuchausgabe) Reinbek 1987, S. 343 u. 351 f. Bertolt Brecht FBI File: FBI-Report, Los Angeles, 22. Mai 1943 (Teil 1, S. 25). Vgl. ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 8. Juni 1943 (Teil 1, S. 28 f.). Ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 10. Februar 1944 (Teil 1, S. 41–71). Die folgenden Zitate entstammen dieser Quelle.

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seiner Gesinnung und seines proletarischen Habitus, Brecht und seine Familie „eine eher bürgerliche Lebensweise“ pflegten. Das FBI zeigte sich über Brechts Leben im europäischen Exil ebenso gut informiert wie über sein Leben und seine Kontakte in den USA. Am 18. Mai 1944 drängte R. B. Hood in einem weiteren (von mehreren) Schreiben darauf, Brecht solle wegen seiner Kontakte zur Bewegung Freies Deutschland in Mexiko für wenigstens neunzig Tage auf eine „National Censorship Watchlist“ gesetzt werden.83 Fünf Tage später vermeldete ein Bericht des New Yorker FBI- Büros, Brecht stehe „mit Albert Schreiner, Paul Tillich und anderen prominenten Mitgliedern der ,Bewegung Freies Deutschland‘ in den USA“ in Briefkontakt.84 Es sei bekannt, hieß es in einem umfangreichen Bericht vom Oktober 1944, „dass die Freie Deutsche Bewegung in Mexiko der Ursprung der Bewegung in der westlichen Hemisphäre ist.“ Sie strebe die Errichtung eines Regimes in Deutschland an, das dem der Sowjetunion ähneln solle. Der gleiche Bericht hielt fest, dass Brecht Mitglied einer „German-Communist Modern Music Group, 764 House St., Los Angeles“ sei, als deren Leiter Professor Eli Jacobson, „ein sowjetischer Agent“, fungiere.85 Im sowjetischen Vizekonsulat in Los Angeles habe Brecht am 14. Oktober 1944 an einer Abschiedsparty für den sowjetischen Regisseur Michail Kalatosow teilgenommen. Mit dem aus Frankreich in die USA emigrierten Schriftsteller Vladimir Pozner arbeite er ebenfalls zusammen, so ein weiterer umfangreicher Bericht vom 2. Januar 1945, der besonders Brechts Verhältnis zu der unglücklichen Ruth Berlau untersuchte.86 Am 5. April 1945 berichtete ein FBI-Mitarbeiter, während eines Treffens der „Freien Deutschen“ in Los Angeles habe Brecht geäußert, „dass Otto Katz, vermutlicher GPU-Agent in Mexiko, über keine offizielle Verbindung verfüge und ohne politische Bedeutung“ sei. Dies zeuge „nach Ansicht des Informanten“ von Brechts „eigenwilligem Denken, das keiner Anordnung gehorcht. Er gehört somit zu jenem Typus von Personen, den die Sowjets nicht in Russland haben wollen.“87 83 84 85 86 87

Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: R. B. Hood, Los Angeles, an FBI-Direktor, 18. Mai 1944. Ebd.: FBI-Report, New York, 23. Mai 1944. Ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 2. Oktober 1944. Vgl. Bertolt Brecht FBI File: FBI-Report, Los Angeles, 2. Januar 1945 (Teil 1, S. 81–93). Die Fortsetzung des Berichtes findet sich im Teil 2, S. 1–9. Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: FBI-Report an Direktor, 5. April 1945. GPU war die inzwischen jedoch veraltete Bezeichnung für den Geheimdienst KGB (siehe Abkürzungsverzeichnis).

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Bereits am 26. Juli 1944 schrieb Hood an Hoover, die Überwachung von Grigorij Chejfez, des sowjetischen Generalkonsuls in San Francisco, habe ergeben, dass Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann mit ihm in Verbindung stünden.88 Brechts Name sei im Notizbuch von Chejfez, von dem das FBI wusste, dass er der örtliche KGB-„Resident“ war, aufgetaucht.89 Wann das FBI begann, Brechts Telefon abzuhören, ist genau nicht bekannt. Doch ersuchte R. B. Hood jedoch Hoover im Februar 1945 um die Abhörerlaubnis und verwies dabei auf eine frühere Aktion vom November 1944.90 Hoover war offenbar darüber ungehalten, dass dies ohne seine und die Genehmigung des Justizministers erfolgt sei, worauf sich Hood in die Notlüge rettete, Brecht sei mit Heinrich Mann verwechselt worden, den abzuhören das Büro in Los Angeles ermächtigt sei.91 Doch erteilte Hoover am 9. April die Abhörerlaubnis, worauf Brechts Telefon seit dem 18. April „angezapft“ wurde.92 Die Aktion lief bis zum 5. November.93 Ein Bericht vom 29. Mai 1946 zeigt, dass die Abhöraktion inoffiziell fortgesetzt wurde.94 Ein FBI-Bericht vom 30. Juni 1945, ein beiliegender Brief Hoods vom gleichen Tag und ein weiterer Bericht vom 24. Oktober 1945 nennen eine Reihe bekannter Namen, die damit in die Nähe kommunistischer Umtriebe gerückt wurden, so die Schauspieler Charles Chaplin und Charles Laughton, den Schriftsteller Archibald McLeish und sogar Eugene Meyer, den Herausgeber der Washington Post (und künftigen Direktor der Weltbank).95 Da sich Brechts Englisch deutlich verbesser-

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Vgl. ebd.: R. B. Hood, SAC, Los Angeles, an J. E. Hoover, 26. Juli 1944. Ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 2. Oktober 1944. Vgl. ebd.: R. B. Hood, SAC, Los Angeles, an J. E. Hoover, 21. Februar 1945. Vgl. auch Alexander Stephan, Neues vom FBI. CNDI LA-BB. Die Überwachung von Bertolt Brechts Telefon in Los Angeles [2003], in: Ders., Überwacht, ausgebürgert, exiliert, S. 52– 71. Das Kürzel CNDI LA-BB steht für Confidential National Defense Informant, Los Angeles-Bertolt Brecht. Vgl. Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: R. B. Hood, SAC, Los Angeles, an J. E. Hoover, 16. März 1945. Die Alexander Stephan (und mir) vorliegende FBI-Akte über Heinrich Mann ist durch zahlreiche Ausschwärzungen stark verstümmelt, so dass sich diese Angabe nicht überprüfen lässt. Fast gänzlich ausgeschwärzt ist die FBI-Akte Elisabeth Hauptmanns. Vgl. ebd.: J. E. Hoover, Teletype an SAC, Los Angeles [R. B. Hood], 9. April 1945. Vgl. ebd.: R. B. Hood, Los Angeles, Teletype an J. E. Hoover, 5. November 1945. Vgl. ebd.: FBI-Report, SAC, Los Angeles, 29. Mai 1946. Es ist nicht ersichtlich, ob dieser Bericht an Hoover geschickt wurde. Vgl. ebd.: FBI-Report, SAC, Los Angeles, 30. Juni 1945; Brief von R. B. Hood, Los Angeles, an J. E. Hoover, 30. Juni 1945; Vgl. ebd.: FBI-Report, SAC, Los Angeles, 24. Oktober 1945. Vgl. auch Ronald Friedmann, Die paranoide Angst des FBI vorm Genossen Tramp.

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te, intensivierten sich seine Kontakte zu Persönlichkeiten des amerikanischen Kulturbetriebes wie Charles Laughton und Mordecai Gorelik, und auch dies blieb dem FBI nicht verborgen.96 Die Inszenierung von Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches (The Private Life of the Master Race) in New York am 12. Juni 1945 wurde vom FBI ebenfalls genau beobachtet.97 Brecht war auf der Hut. Sein Engagement für den Council for a Democratic Germany war natürlich nicht zu verheimlichen, und sollte auch nicht verheimlicht werden. Er vermied aber tunlichst, den Anschein zu erwecken, hier agiere ein politischer Aktivist im Sinne oder gar im Auftrag der KPD. „Brecht enthielt sich jeder politischen Tätigkeit“, schrieb sein Freund Fritz Kortner später. „Er war dem Gastland dankbar dafür und verhielt sich loyal.“98 Mochte diese Dankbarkeit ihre Grenzen haben, so war Brecht doch klarsichtig genug, um zu wissen, dass radikale Linke wie er in den USA prinzipiell – sogar während des Krieges – als höchst unsichere Zeitgenossen wahrgenommen wurden. Er vermutete mit Recht, dass sein Post- und Telefonverkehr überwacht werde.99 Unter den mehreren hundert vom FBI mitgeschnittenen und transkribierten Telefongesprächen, von denen Helene Weigel und Barbara Brecht die meisten führten, finden sich jedenfalls kaum verwertbare politische Aussagen. So kommentierte Brecht sogar Hitlers Selbstmord nur sehr knapp und scheinbar emotionslos, als er zu seinem Arzt in einem Nebensatz sagte, „Sie haben gehört, dass Hitler tot ist.“100

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Die „kommunistischen Verwicklungen“ eines Stummfilm-Helden, in: Neues Deutschland, 28. April 2012, und Keßler, Ruth Fischer, S. 454 u. 464. Vgl. Bertolt Brecht, FBI-File: FBI-Report, Los Angeles, 30. Juni 1945 (Teil 2, S. 44–85). Dieser Bericht dokumentiert im Detail Brechts Treffs im Raum Los Angeles sowie seine Reisen im ersten Halbjahr 1945. Hingegen scheinen dem FBI Brechts Kontakte zu Paul Robeson entgangen zu sein. Dieser hatte im November 1943 an Brecht ein Telegramm (in Ruth Berlaus New Yorker Wohnung) gesandt und ihn gebeten, an einer zum 10. Jahrestag des Reichstagsbrand-Prozesses geplanten Kundgebung teilzunehmen. Brecht nahm die Einladung an. Vgl. Lyon, Bertolt Brecht in Amerika, S. 369 f., unter Bezug auf das im Bertolt-Brecht-Archiv, Nr. 1185/76 enthaltene Telegramm. Vgl. Bertolt Brecht, FBI-File: FBI-Report, New York, 29. August 1945 (Teil 2, S. 89–96). Fortsetzung im Teil 3, S. 1–16 (wiederum mit Namen von Brechts Kontaktpersonen). Fritz Kortner, Aller Tage Abend, München 1969, S. 319. Vgl. zur Überwachung von Brechts Korrespondenz Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: FBI-Report, SAC, Los Angeles, 30. Juni 1945, und bereits einen FBI-Report vom 1. Februar 1945. Doch haben sich nur wenige Dokumente der Postüberwachung Brechts erhalten. Ebd.: Transkript vom 1. Mai 1945, 15:43 Uhr. Brecht führte die Telefongespräche fast immer auf Deutsch. Sie sind in den Transkripten durchgängig ins Englische übersetzt und

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Eine zunächst als „Gina“ bezeichnete Person – das FBI identifizierte sie als die Schriftstellerin Gina Kaus – meinte: „Hitler ist tot. [...] Es ist schade, dass das nicht erst am ersten Mai bekannt wurde, denn das wäre doch eine richtig gute Sache für die Maifeier gewesen.“101 Als ein unbekannter Anrufer am 8. August 1945 Brechts Meinung zum Abwurf der Atombombe über Hiroshima erfahren wollte, antwortete dieser, wie der FBI-Bericht vermerkte, nur „einsilbig.“102 Gegenüber einem von Brecht als „Doktor“ bezeichneten Anrufer, hinter dem das FBI Lion Feuchtwanger vermutete, antwortete Brecht auf dessen Frage, ob er Nachrichten aus Deutschland habe: „Ja, Doktor, sehr schlechte Nachrichten. Deutschland wird auseinanderbrechen und seine Einheit als Kulturstaat nicht bewahren können. Der größte Teil davon wird an die Sowjets fallen. Mensch, das ist nicht so schlecht, das wird seine Entwicklung befördern.“103 Doch musste bereits der erwähnte Bericht vom 29. Mai 1946 bedauernd festhalten, dass Brecht am Telefon extrem kurz angebunden war und jeden Hinweis auf Dinge vermied, die für die Abhörer verwertbar waren. Das FBI bekam jedoch, wohl unter Verletzung des Bankgeheimnisses, heraus, dass Brecht bei der First National Bank in Santa Monica ein Konto mit einem Stand von 2 743,33 Dollar führte.104 Nicht verhindern konnte dieser, dass das FBI über seine damalige Geliebte Ruth Berlau genau im Bilde war. Sie war für das FBI von doppeltem Interesse: als Mitarbeiterin des Office of War Information und als Geliebte Brechts. Wegen dieser Beziehung war sie für das FBI als Quelle von Informationen über den Dramatiker interessant und somit ein bevorzugtes Objekt der Beobachtung. Die über Ruth Berlau angelegte Akte dokumentiert minutiös ihre wechselvolle Beziehung zu Brecht, dem sie rettungslos verfallen war. Sie hoffte, er würde Helene Weigel verlassen und sich für sie entscheiden. Als ihr klar wurde, dass dies nicht geschehen und sie über die Rolle der „Nebenfrau“ nicht hinauskommen würde, geriet sie in Verzweiflung. Das FBI dokumentierte die Tragödie, die Berlau widerfuhr, als sie Brecht durch eine Schwangerschaft an sich binden wollte. Ein Bericht

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werden der Lesbarkeit wegen hier in deutscher Rückübersetzung wiedergegeben. Vgl. für das Folgende auch Stephan, Überwacht, ausgebürgert, exiliert, S. 56 ff. Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: Transkript vom 1. Mai 1945, 14:12 Uhr. Ebd.: Transkript vom 8. August 1945, 9:10 Uhr. Ebd.: Transkript vom 2. August 1945, 16:45 Uhr. Ebd.: FBI-Report, SAC, Los Angeles, 29. Mai 1946. Dabei ließ Brecht selbst Helene Weigel über seine finanziellen Angelegenheiten im Unklaren. Für die Einnahmen von Hangmen Also Die kaufte er einen (gebrauchten) Buick, also eine recht große Limousine, und die Anschaffung neuer Möbel, so John Fuegi etwas spitz, „komplettierten den Statuswechsel.“ Fuegi, Brecht und Co., S. 611.

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vom 30. Juni 1945 vermeldete, dass „ein männliches Kind, ein Tag alt, geboren am 3. September 1944 im Cedars of Lebanon-Krankenhaus“, unmittelbar darauf nach Komplikationen bei der Frühgeburt verstorben war. Der Besuch des Kindesvaters, Bertolt Brecht, in New York wurde ebenso registriert.105 Keine Kenntnis hatte das FBI vom Brief der gedemütigten Helene Weigel, den sie an Brecht schrieb: „Lieber Bert, jetzt muss ich Dir schon einen Brief schreiben, weil es mir selber närrisch vorkommt, dass ich nein sage, wenn Du mit mir schlafen willst, und außerdem erstaunt mich Dein sofort auftretendes neubelebtes Interesse, wieso, nur wegen dem Nein? Ich bekomme meine Gedanken nicht in eine richtige Ordnung, es ist auch nicht geordnet, was in meinem Kopf vorgeht, öfters schon kamst Du auf einen Punkt zurück, der so aussieht, Du kannst und willst nicht eine deklarierte mit Stempel versehene Ehe führen, das war sie auch nie und ich hab sie nie verlangt. Was ich Dir neulich sagen wollte, war, dass ich sie nicht für mich verlange, weil ich annahm, dass sie nicht geht für Dich, aber ich finde auf einmal, dass Du solche Ansprüche einer anderen Frau einräumst. Deine Antwort darauf ist, dass Du völlig verschwindest, schweigend drei Wochen eine völlige Änderung einführst, das ist schon ein Fußtritt von besonderer Heftigkeit. Ich bin nicht unempfindlich, wenn Du Dein Leben so ändern willst, kann ich es nicht.“106 Seit ihrer Ankunft in New York wurde Ruth Berlau vom FBI beobachtet. FBIMitarbeiter zeichneten selbst routinemäßige Telefonate auf, die sie im Juli 1943 mit dem Hauptquartier der National Maritime Union of America, der SeeleuteGewerkschaft der USA, führte und stuften diese in einem Memorandum an Hoover als Sicherheitsrisiko ein.107 Daraufhin wurde sie vom Office of War Information entlassen. Das OWI hatte sie 1942 nach Vermittlung von Henrik Kauffmann, dem von den Vereinigten Staaten anerkannten Vertreter des Dänischen Freiheitsrates (der Exilregierung), angestellt.108 Sie schlug sich nun mit Gelegenheitsjobs, als Barfrau und Reinigungskraft durch, war jedoch auf Brecht angewiesen, der ihr Geld nach New

105 FBI File Collection, [Bestand] Bertolt Brecht: FBI-Report, New York, 23. Mai 1945. 106 Bertolt Brecht/Helene Weigel, „ich lerne: gläser + tassen spülen.“ Briefe 1923–1956, hg. von Erdmut Wizisla, Berlin 2012, S. 194. Der im Brecht-Archiv befindliche Brief ist undatiert. Ob Helene Weigel ihn abgeschickt hat, muss offen bleiben. 107 FBI-Memorandum, New York an J. Edgar Hoover, 23. Juli 1943. Das mir nicht vorliegende Memorandum ist erwähnt bei Fuegi, Brecht und Co., S. 624 f. 108 Vgl. Sabine Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine. Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006, S. 166.

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York überwies und sich nach wie vor mit ihr traf.109 Zeitweilig wohnte Ruth Berlau in Los Angeles im Haus von Peter Lorre, der auch ihre Krankenhauskosten übernahm. Zurück in New York, flüchtete sie sich in eine Beziehung zu einem Dänen, die aber nach kurzer Zeit zerbrach. Ihre Depressionen verschärften sich ebenso wie ihr Alkoholismus. Auch der Brecht positiv gesonnene Alexander Stephan schrieb von einer „erschreckenden Abhängigkeit“ Ruth Berlaus.110 Noch 1945 musste sie für längere Zeit in eine psychiatrische Klinik in Amityville (Long Island) eingeliefert werden. In dieser Zeit erfuhr sie auch Unterstützung durch Elisabeth Bergner und Paul Czinner sowie durch Salka Viertel, Hilde und Gerhart Eisler.111 Ruth Berlau entging dadurch, wenn auch nicht für lange, den Folgen des politischen Klimawechsels, der sofort mit Kriegsende einsetzte.

„Welche Regierungsform ist die bessere?“ Hanns Eisler unter Beobachtung Spätestens am 27. Februar 1942 wurde auch Hanns Eisler zum Gegenstand der Beobachtung durch das FBI.112 An diesem Tag beauftragte J. Edgar Hoover das 109 Vgl. z. B. Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Ruth Berlau: FBI-Report, New York, 14. Juli 1945: „Brecht lebt offensichtlich in Berlaus Wohnung, wo er sich anscheinend meistens aufhält. Es wird berichtet, dass das Namensschild am Briefkasten von ,Berlau-Brecht‘ einfach in ,Brecht‘ umgeändert wurde.“ Am 25. September vermeldete jedoch ein Bericht, dass er aus der Wohnung ausgezogen sei. Ebd. 110 Stephan, Im Visier des FBI, S. 218. Dort wird die „Angelegenheit Berlau“ ausführlich behandelt, so dass hier nur darauf verwiesen sei. Günstiger beurteilt Sabine Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine, Brecht: Ruth Berlau wäre ihrer Meinung nach ohne Brechts Zuwendung verloren gewesen. 111 Vgl. Viertel, Das unbelehrbare Herz, S. 295; Elisabeth Bergner, Bewundert viel und viel gescholten ... Elisabeth Bergners unordentliche Erinnerungen, München 1989, S. 213; Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine, S. 194. 112 Auch im Fall von Hanns Eisler hat das FBI einen Teil des umfangreichen Aktenbestandes ins Internet gestellt. Vgl. FOIA-FBI Electronic Reading Room, http://foia.fbi.gov bzw. für den direkten Zugang zum Aktenbestand: https://vault.fbi.gov/Hanns%20Eisler. Dieser Bestand wird weiterhin zitiert als: Hanns Eisler FBI File. Entsprechend der ins Internet gestellten Dokumente werden auch hier in Klammern der Dokumententeil sowie die Seite angegeben. Allerdings hatte bereits Walter S. Steele, Eigentümer und Herausgeber des rechten Magazins National Republic, 1938 vor dem Dies Committee „den ausländischen revolutionären Komponisten“ Hanns Eisler der Verbreitung kommunistischer Lieder und Schallplattenproduktionen beschuldigt. Vgl. Franklin Folsom, Days of Anger, Days of Hope. A Memoir of the League of American Writers 1937–1942, Niwot (Colorado) 1994, S. 115; Alexander Stephan, Enemy Alien. Die Überwachung des exilierten

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New Yorker FBI-Büro mit der Beobachtung Hanns Eislers, der damals, unterstützt durch ein Stipendium der Rockefeller-Stiftung, an der New School for Social Research das Fach Kompositionslehre unterrichtete.113 Zunächst geschah jedoch nichts Nennenswertes, bis am 27. März 1943 das FBI-Büro in San Antonio, Texas, die Kollegen in Los Angeles darüber informierte, dass Hanns und Lou Eisler seit 1935 mehrmals in die USA ein- und wieder, zumeist nach Mexiko, ausgereist seien.114 Eisler, der inzwischen in Pacific Palisades, Kalifornien, wohne, habe mit Bertolt Brecht und Slatan Dudow, über den nichts bekannt sei, Text und Musik zum Stück Die Maßnahme verfasst, das die repressive kommunistische Parteidisziplin verherrliche und dessen Übersetzung beiliege.115 Es folgte eine Reihe an Korrespondenzen zwischen Hoover und seinen Mitarbeitern in New York und Los Angeles, wobei betont wurde, dass Eisler 1936 acht Wochen in Moskau verbracht habe. Er habe dies gegenüber dem INS auch angegeben und dabei Wert darauf gelegt, dass die staatliche sowjetische Konzertagentur diese Einladung ausgesprochen habe. Vermerkt wurde auch sein Einsatz für die Spanische Republik. Auf die Frage: „Welche Regierungsform ist ihrer Meinung nach die bessere, die der USA oder die der Sowjetunion?“, habe er geantwortet, die der USA sei die bessere. Seit dem November 1940 befänden sich Hanns und seine Frau Lou Eisler legal in den Vereinigten Staaten. Beachtenswert sei aber, dass Eisler einen Bruder habe, der unter dem Namen „Edwards“ für die Komintern und die Kommunistische Partei der USA tätig gewesen sei.116 Hanns Eisler habe offiziell erklärt, kein Kommunist zu sein und nie für kommunistische Unternehmungen gearbeitet zu haben.117 In zwei Briefen teilte R. B. Hood seinem Direktor am 3. und 12. Juni 1943 mit, dass Hanns Eisler Verbindungen zu einem gewissen Gerhart Eisler, der mit besagtem „Edwards“ wahrscheinlich identisch sei,

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Komponisten Hanns Eisler durch FBI, HUAC und INS [1997], in: Ders., Überwacht, ausgebürgert, exiliert, S. 96. Hanns Eisler FBI File: J. Edgar Hoover an SAC, New York, 27. Februar 1942 (Teil 1, S. 3). Vgl. ebd.: FBI-Büro, San Antonio, Texas, Mitteilung an FBI-Büro, Los Angeles, 27. März 1943 (Teil 1, S. 13–15). Vgl. ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 30. März 1943 (Teil 1, S. 16–24, mit Übersetzung des Stückes, S. 25–44). Ebd.: FBI-Report, Los Angeles, 30. April 1943, unter Verwendung von Material des INS (Teil 1, S. 54–58). Alexander Stephan hatte noch 1997 mitteilen müssen, dass seine Suche nach einer INS-Akte zu Hanns Eisler erfolglos geblieben war. Vgl. Stephan, Überwacht, ausgebürgert, exiliert, S. 96. Vgl. Hanns Eisler FBI File: FBI-Report, Los Angeles, 18. Mai 1943 (Teil 1, S. 60 f.).

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sowie zu Otto Katz in Mexiko unterhalte.118 Sowohl Otto Katz wie Gerhart Eisler seien Gegenstand der Beobachtung.119 Hanns Eisler falle als gebürtiger Österreicher und späterer tschechoslowakischer Bürger nicht unter die Kategorie des „feindlichen Ausländers.“120 Doch blieb er auch weiterhin unter Beobachtung des FBI, wenn er auch noch keineswegs im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Erst am 16. Oktober 1946 fasste ein FBI-Bericht die Informationen über ihn zusammen.121 Dieser Bericht schildert in großer Detailtreue Hanns Eislers familiären Hintergrund, seinen Lebensweg, seine Passangelegenheiten und die Ein- und Ausreisen in und aus den USA. Seine Lehrtätigkeit an der New School for Social Research in New York und der University of Southern California at Los Angeles wurden ebenso registriert wie seine Publikationen und seine Filmarbeit in Hollywood. Auch ein Artikel von Sergej Tretjakow, der am 22. Juli 1935 in der Moskauer Prawda erschienen war, wurde in Übersetzung zusammengefasst. „Mit Eislers Liedern auf den Lippen kämpfte das ausländische Proletariat auf den Barrikaden von Berlin und Wien. Mit Eislers Liedern demonstrierten sie in Zürich und Antwerpen. Mit Eislers Liedern standen sie auf Streikposten in Kopenhagen und Manchester.“ Aber auch in den USA erfahre Eisler Anerkennung beispielsweise durch seinen Komponisten-Kollegen Aaron Copeland, den Ethnologen Charles Seeger oder den Dirigenten Leopold Stokowski. Eislers Adress- und Notizbuch, von denen sich das FBI wohl bei einer Durchsuchung der New Yorker Wohnung Kopien verschafft hatte, enthielt beigelegte Artikel und Notizen aus sowjetischen und amerikanischen Zeitungen, Verabredungen über Treffs mit Schauspielern, Regisseuren, Musikern und natürlich mit Bertolt Brecht, zu dem ein enger beruflicher und persönlicher Kontakt bestehe.122 Bei ihrem Umzug von New York nach Los Angeles hätten Hanns und Lou Eisler 1942 eine Reihe von deutschsprachigen Büchern zurückgelassen, die ihnen womöglich nachgeschickt werden sollten, darunter von Marx Das Kapital in drei Bänden sowie seine Kritik der politischen Ökonomie, eine Reihe von LeninWerken, die Erinnerungen an Lenin von Clara Zetkin, Trotzkis Lenin-Buch (ge118 Vgl. ebd.: R. B. Hood, FBI-Büro New York, an Hoover, Briefe vom 3 und 12. Juni 1943 (Teil 1, S. 66 f.). 119 Vgl. ebd.: R. B. Conroy, SAC, Los Angeles, an Hoover, 30. August 1943 (Teil 2, S. 3). 120 Ebd.: R. B. Hood an Hoover, 30. September 1943 (Teil 2, S. 5). 121 Ebd.: SAC, Los Angeles, Special Report, 16. Oktober 1946 (Teil 2, S. 11–54). Die im Folgenden angeführten Fakten entstammen dieser Quelle. 122 Die veröffentlichten FBI-Akten geben aber keinen Hinweis darauf, wann genau eine solche (auf der Hand liegende) Durchsuchung stattfand. Kurz nach dem Auszug der Eislers hatten FBI-Beamte in jedem Fall die Wohnung betreten.

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meint war wohl Lenin. Material für einen Biographen), Stalins Probleme des Leninismus, Eugene Lyons’ Buch über den Fall Sacco und Vanzetti und Max Beers Geschichte des Sozialismus. Das FBI fertigte Kopien einer Reihe von Ausarbeitungen Hanns Eislers an. Dazu gehörten „Entwürfe für ein Österreichisch-Ungarisches Freiheitskomitee“ und „Ein Konzept einer Rundfunksendung für Österreich.“ Im Manuskript über das Österreichisch-Ungarische Freiheitskomitee habe Eisler darauf gedrängt, die amerikanische Außenpolitik müsse die Widerstandsbewegungen soweit unterstützen, dass diese von Sabotageakten zum offenen Aufstand gegen die Faschisten übergehen könnten. Die amerikanische Propaganda für österreichische Rundfunkhörer müsse direkt nach Österreich hineinstrahlen und dabei auf alles verfügbare Material des OWI und der BBC zurückgreifen können. Vor allem müsse man den Menschen klarmachen, dass ein neues, unabhängiges Österreich eine demokratische Republik sein werde, kein monarchistischer oder autoritärer Staat. Die Österreicher in Amerika und die Amerikaner österreichischer Herkunft hätten voller Freunde die Nachricht aus Moskau aufgenommen, dass die Sowjetunion sich für die Wiedererrichtung eines unabhängigen österreichischen Staates einsetze. Der Bericht nahm Bezug auf eine Reihe von Adressaten in Hanns Eislers Korrespondenz, deren Namen in der Kopie jedoch oft ausgeschwärzt sind. Doch bringt der Bericht am Ende eine Zusammenstellung der Namen mit Anschriften, die die FBI-Beamten in Eislers Adressbuch fanden. Unter den nicht ausgeschwärzten Namen finden sich unter anderem die von Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Fritz Kortner, Fritz Lang, Charles Laughton, Peter Lorre, Joseph Losey, Arnold Schoenberg, Charles Seeger und Franz Werfel. Schließlich wurde vermerkt, dass die Musikabteilung des Office of War Information in einer Musikbibliothek (deren Name ausgeschwärzt wurde) ein Album Eislers mit dem Titel „Musik des Orients“ entliehen habe. Dieser Sache werde man noch nachgehen. Das Interesse des FBI an Hanns Eisler, weit davon entfernt zu erlahmen, sollte alsbald auch die amerikanische Öffentlichkeit berühren.

V. Rückkehr und Neubeginn, Hoffnungen und Rückschläge

’Cause I know that I’ve gotta get outta here I’m so alone Dont’t you know that I gotta get outta here ’Cause New York’s not my home (Jim Croce: New York’s Not My Home)

Der Kampf der Exilierten, schrieb Alfred Kantorowicz 1947, sei „immer mit dem Gesicht nach Deutschland geführt worden“ und „immer ein Kampf für Deutschland“ gewesen. „Dieser Kampf muss hier im Lande ausgetragen werden, unter uns Deutschen. Und das ist – um es auf eine Formel zu bringen – der Grund, weshalb wir bei erster Gelegenheit als Deutsche in unser Land zurückkehrten.“ Kantorowicz gab diesem Aufsatz den programmatischen Titel Mein Platz ist in Deutschland, und damit stand er stellvertretend für die Wünsche fast aller kommunistischen Hitlerflüchtlinge in den USA.1 Er war, wie er auch später hervorhob, ohne Zögern nach Deutschland zurückgekehrt – und doch im Bewusstsein, dass außer seinem in Australien lebenden Bruder niemand von der Familie den Judenmord überlebt hatte.2 Mit der Entscheidung zur Rückkehr schlug Kantorowicz die zunächst beantragte und ihm soeben von den US-Behörden gewährte unbefristete Aufenthaltsbewilligung aus.3 Doch wurde es für ihn wie für manch andere eine Rückkehr mit Hindernissen – mit Hindernissen, die sich vor ihnen in den USA, doch auch in der DDR auftürmten.

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Alfred Kantorowicz, Mein Platz ist in Deutschland, in: Neue Zeitung, 14. Februar 1947, hier zit. n. ders., Im 2. Drittel unseres Jahrhunderts. Illusionen-Irrtümer-WidersprücheEinsichten-Voraussichten, Gütersloh o. J. [1968], S. 100f. Vgl. Alfred Kantorowicz’ 1945 geschriebene Erinnerungen an seinen Vater: Rudolf Kantorowicz, in: Alfred Kantorowicz, Deutsche Schicksale. Intellektuelle unter Hitler und Stalin, Wien 1964, S. 61–69, sowie in: ders., Die Geächteten der Republik. Alte und neue Aufsätze, Berlin [West] 1977, S. 80–87. Vgl. Wolfgang Gruner, Alfred Kantorowicz – Wanderer zwischen Ost und West, in: Claus-Dieter Krohn/Axel Schildt (Hg.), Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit, Hamburg 2002, S. 297.

V. Rückkehr und Neubeginn

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Zwischen New York und Berlin. Die manchmal lange Rückkehr Am 3. Januar 1946 richtete eine Reihe in den USA lebender Deutscher einen Brief an Marschall Georgij Shukow, den Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen und Obersten Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. Darin baten sie ihn um die Genehmigung zur Einreise nach Deutschland; eine Prozedur, der sich jeder Flüchtling in allen vier Besatzungszonen unterziehen musste. „Wir möchten Ihnen versichern“, hieß es in dem in Englisch abgefassten Schreiben, „dass es unser Wunsch ist, mit all unseren Kräften und Anstrengungen zur vollständigen Vernichtung des Nazismus, zur Zahlung von Reparationen und zum Aufbau eines neuen, demokratischen Deutschland beizutragen.“ Beigelegt war eine vorbereitende Erklärung zur Bildung des Nationalkomitees Freies Deutschland in Krasnogorsk bei Moskau. Unterschrieben war der Brief von Gerhart Eisler und Frau, Hans Marchwitza, Philipp Daub, Else Steinfurth, Adolf Deter und Frau, Albert Schreiner und Frau, Albert Norden mit Frau und Kind (3 Jahre), Ernst Krüger mit Frau und Kind (4 Jahre), Alfred Zahn mit Frau und Kindern (6 und 4 Jahre), Karl Obermann und Frau, Max Schroeder, Lisa Kirbach. Als Absender fungierte Ernst Krüger, 305 Broadway, Room 207, New York, 7, NY.4 Einen ähnlichen Brief richtete Krüger am gleichen Tag an die sowjetische Botschaft in Washington.5 Doch dauerte die Einreiseprozedur länger als erwartet. Zur Einreise musste eine beglaubigte Einladung aus Deutschland vorliegen. Deshalb schrieb Hermann Duncker am 11. August 1946 einem Adressaten, von dem sich nur der Vorname Hans erschließen lässt, dieser möge ihm ein entsprechendes Schreiben zusenden, das Duncker dem sowjetischen Konsulat in New York vorlegen könne. Duncker schrieb weiter, ihm schwebe eine Art der Lehrtätigkeit vor, bei der er „einen Kurs über Demokratie“, aber auch einen „Kurs über sozialist. Zielvorstellungen“ abhalten könne. Dies sei „nicht als ‚Modell‘“ gedacht, wohl „aber als Anregung, sich vorzustellen, was alles einmal möglich werden könne, wenn eine einige sozialistische Arbeiterschaft es will!“ Gesellschaftlicher Fortschritt sei die „Verwirklichung von Utopien. – Und der wiss. Sozialismus ist immer stolz darauf gewesen, dass er auch von Fourier, St. Simon und Rob.[ert] Owen abstammt. In der nachfaschistischen Periode der bürgerlichen Gesellschaft ist diese Erkenntnis besonders wich-

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SAPMO-BArch, NY 4117/7: Bestand Gerhart Eisler, Aktenmappe: Politische Verfolgungen und Prozesse gegen Gerhart Eisler in den USA, Bl. 14. Vgl. ebd., Bl. 15.

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tig!“ Man solle Edward Bellamys Rückblick aus dem Jahre 2000 lesen; ein Buch, von dem Clara Zetkin eine Übersetzung angefertigt habe.6 Eine relativ schnelle Rückreise gelang Albert Norden, der mit seiner Frau Herta und dem 1942 in New York geborenen Sohn John bereits im Oktober 1946 in Berlin eintraf. Unmittelbar vor der Abfahrt aus New York, noch auf dem Laufsteg des Schiffes, war Norden von vier FBI-Beamten scharf kontrolliert worden, die einen Teil seiner Schriftstücke beschlagnahmten. Wie auch eine spätere Rückkehrer-Gruppe reisten Norden und seine Familie über Odessa und von dort auf dem Landweg nach Deutschland. Die Reise über die Sowjetunion war deshalb notwendig und möglich, da die Rückkehrwilligen ein sowjetisches Einreisevisum nach Deutschland beantragt hatten, was sie in den Augen der amerikanischen Behörden verdächtig machte.7 Ein Teil der Probleme mit amerikanischen Stellen entstand für Albert und Hertha Norden wegen ihres Sohnes: John Konrad Norden war in New York geboren worden. Er war somit automatisch US-Staatsbürger, den die Vereinigten Staaten mit Einsetzen des Kalten Krieges nicht an den sowjetischen Machtbereich „verlieren“ wollten.8 Die Reise führte die Familie auf dem sowjetischen Schiff Nikolajew nach Odessa, von dort auf dem Landweg nach Moskau und weiter nach Berlin. In Odessa und Moskau legte sie kurze Zwischenstopps ein.9

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Ebd., DY 30/IV 2/11/v. 255, Abteilung Kaderfragen: Abschrift eines Briefes von Hermann Duncker, 11. August 1946. Dort ist auch Dunckers Adresse angegeben: 83–15 118th St., Kew Gardens 15, Long Island, New York C, N.Y. Vgl. Albert Norden, Heimwärts, in: Neues Deutschland, 18./19. August 1979. Wiederveröffentlichung in: Ders., Ereignisse und Erlebtes, Berlin [DDR] 1981, S. 191–207, hierzu S. 193. Vgl. auch SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5427, Bl. 164: Kaderabteilung, Albert Norden, Lebenslauf vom 4. März 1951. Vgl. Norden, Ereignisse und Erlebtes, S. 200. Vgl. auch Conny und Johnny Norden, Frieden ohne Sozialismus? Albert Norden über die Ursachen von Kriegen und die Möglichkeit, diese zu verhindern, Berlin 2016, S. 39 f. Ähnliche Erfahrungen machten Alfred und Ursula Katzenstein, als sie 1954 in die DDR gehen wollten und ihnen gesagt wurde: „Sie können gehen, aber ihre Kinder gehören hierher.“ Ursula Katzenstein im Interview mit Robin Ostow. Vgl. Robin Ostow, Jews in Contemporary East Germany. The Children of Moses in the Land of Marx, New York 1989, S. 107. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5427, Bl. 186: Abteilung Kaderfragen, Albert Norden, Lebenslauf, 29. November 1949. Karl Obermann erinnerte sich 1984: „Unsere kleine Reisegruppe von zwölf Mitarbeitern der Zeitung ,The German American‘ konnte nach Überwindung aller Ausreiseschwierigkeiten aus den USA am 18. 10. 1946 mit einem sowjetischen 5 000-Tonnen-Dampfer, halb Frachter, halb Passagierschiff, abreisen. Nach einer Fahrt: Atlantischer Ozean, Mittelmeer, Dardanellen, Schwarzes Meer landeten wir

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Kurz nach seiner Rückkehr nach Berlin wurde Albert Norden Pressechef der Deutschen Wirtschaftskommission, doch lag sein Aufstieg bis ins SED-Politbüro, dem Machtzentrum der DDR, noch in der Zukunft. Wohl unmittelbar nach seiner Ankunft konnte er der Abteilung Kaderfragen beim SED-Parteivorstand berichten, dass „die folgenden Personen der New Yorker Gruppe deutscher kommunistischer Flüchtlinge“ Visen erhielten, „die sie zur Reise in die Sowjetzone Deutschlands berechtigen: Philipp Daub und Frau (Else Steinfurth), Adolf Deter und Frau (Mize),10 Gerhart Eisler, Ernst Krüger, Albert Schreiner und Frau (Emma), Doktor Alfred Kantorowicz und Frau (Friedel) [handschriftlicher Vermerk: unterwegs], Karl Obermann, Max Schroeder. Die Folgenden erhielten bisher kein Sowjet-Visum: Lore Krüger, Frau von Ernst Krüger, Brunhilde Rothstein, Frau von Gerhart Eisler, Hannah Obermann, Frau von Karl Obermann, Lisa Kirbach [handschriftlicher Vermerk: soll am 6.12.46 abfahren], Hans Marchwitza und seine Frau [handschriftlicher Vermerk: unterwegs], Ralf [recte: Alfred] Zahn und Frau Lola und zwei Kinder [handschriftlicher Vermerk: bis 17.10. kein Visum].“ Norden habe „beim sowjetischen Generalkonsul in New York um die schnellstmögliche Erteilung der Visen für all die oben genannten Personen gebeten“ und fügte hinzu, auch Jakob Walcher habe ein Visum beantragt, aber noch



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am 9. 11. 1946 in Odessa, nachdem wir den 7. November auf der Fahrt durch das Schwarze Meer mit der sowjetischen Schiffsmannschaft gefeiert hatten. Nach einem 14tägigen Aufenthalt in Odessa reisten wir mit dem Zug nach Moskau. Den Aufenthalt von einer Woche nutzte ich, um im Marx-Engels-Archiv den Briefwechsel Marx-EngelsWeydemeyer zu studieren […].“ Karl Obermann, Rolle und Bedeutung der Geschichtsschreibung in der antifaschistischen Publizistik und im Exil 1933 bis 1945, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 33, 1984, Nr. 3, S. 333. Mize war der Spitzname für Adolf Deters Frau Maria.

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nicht erhalten. Walcher sei zwar „einer der Organisatoren der unter den Namen ‚Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands‘ (SAP) bekannten Splittergruppe zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten“ gewesen, doch habe sich in New York zwischen ihm und den Kommunisten „ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. In allen entscheidenden Punkten, besonders im Council for a Democratic Germany, habe Walcher „unsere Linie“ bezogen. Er stehe „bedingungslos“ auf dem Boden des Programms der SED.11 In einem weiteren Schreiben an den SED-Parteivorstand ergänzte Norden, dass neben „der kleinen deutschen Parteigruppe und dem einen oder anderen Sympathisierenden“ noch eine ganze „Reihe wertvoller dichterischer und schauspielerischer Kräfte in Frage“ kommen, die nach Deutschland zurückkehren würden: die Schriftsteller Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Berthold Viertel sowie die Schauspieler Albert und Else Bassermann, Fritz Kortner und Helene Weigel. „Allerdings dürfen sie nicht so angefasst werden wie Parteifunktionäre“, so Norden. Es sei ein Fehler gewesen, Albert Bassermann zuerst einzuladen und dann die Sache auf sich beruhen zu lassen oder zuerst Thomas Mann und erst danach seinen Bruder Heinrich einzuladen. Außerdem müsse den Schauspielern ein konkretes Arbeitsangebot und die Zusicherung auf angemessenen Wohnraum unterbreitet werden. Gleiches gelte auch für Wissenschaftler. So habe Hermann Budzislawski ihm, Norden, gegenüber erklärt: „Ich bin amerikanischer Bürger und kann nicht so ohne Weiteres meine Reise nach Deutschland beantragen. Wenn man mir aber etwa eine Universitätsprofessur für Geschichte oder National-Ökonomie an einer der Universitäten der sowjetischen Zone anbieten würde, dann hätte ich einen triftigen Grund, meine Reise nach Deutschland bei der amerikanischen Regierung zu beantragen.“ Eine Rückkehr dieser Kräfte würde „nicht nur das Kulturleben in der sowjetischen Zone Deutschlands bereichern, sondern auch die politische Anziehungskraft und das Ansehen dieser Zone in den übrigen Teilen Deutschlands und in der Welt ganz beträchtlich steigern“ helfen.12

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SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 255, Abteilung Kaderfragen, Bl. 183 f.: Albert Norden, Zur Frage der Visen für deutsche Genossen in den USA, ohne Datum. – Fred Horn, der als 23-jähriger Deutschland verlassen hatte und über den sonst nichts bekannt ist, wurde bei seiner versuchten Rückkehr nach Ostdeutschland zwei Monate in einem Gefängnis in Chicago festgehalten. Dies nach einem Brief Horns vom 23. Juni 1947, der sich in den Kaderakten der SED fand. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 255, Abteilung Kaderfragen, Bl. 152. Horn gab als US-Adresse Cypress Avenue, Brooklyn, New York an. Er hatte aber nichts mit der KPD oder ihrem Umfeld zu tun gehabt und kehrte offenkundig nicht nach Ostdeutschland zurück. Ebd., Bl. 154 f.: Albert Norden, Zur Frage der eventuellen Rückkehr deutscher Geistesarbeiter aus den USA, ohne Datum.

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Im Oktober 1946 hob Albert Norden im schon mehrfach erwähnten Bericht die politische Zuverlässigkeit der Kommunisten im New Yorker Exil und besonders im Council for a Democratic Germany hervor. Boenheim, Schreiner und er selbst hätten den bürgerlichen Vertretern im Council Paroli geboten, die in der Schlüsselfrage Nationalisierung oder Privatisierung der deutschen Wirtschaft an kapitalistischen Vorstellungen festhielten.13 Damit aber spielte Norden die zeitweilig gute Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und sogenannten bürgerlichen Kräften etwas herunter. Kritischere Akzente setzte Albert Schreiner unmittelbar nach seiner Rückkehr Ende 1946. Die Schreiners kamen ohne ihre beiden Töchter Sonja und Helga zurück, die eigene Familien in England und den USA gegründet hatten. In seinem gleichfalls bereits erwähnten Bericht an Franz Dahlem bemängelte Albert Schreiner nicht nur den langen Zeitraum an Inaktivität der KPD-Genossen, sondern sah auch schwankende politische Positionen unter manchen Rückkehrwilligen.14 Lob fand Schreiner für Hermann Budzislawski. Dieser legte, schrieb er, „stets großen Wert auf engere persönliche Verbindungen zu uns. Er war einer der Hauptbefürworter unserer Hinzuziehung zum C[ouncil] und hat bis auf den Fall, als er als Verteidiger von D[orothy] Thompson auftrat, keine ernstlichen politischen Differenzen mit uns gehabt. Dieser Fall war darauf zurückzuführen, dass B. bis Anfang 1945 Berater und Schreiber für D. T. war. Er trennte sich aber von ihr, als sie offen mit ihrem antibolschewistischen Kurs heraustrat. B. arbeitete an der Overseas News Agency, einer internationalen Korrespondenz, die von liberalen Kreisen finanziert und von unserer Presse häufig benutzt wird.“ Budzislawski würde gern „die Weltbühne wieder leiten, wenn das nicht möglich sei, würde er als Lehrer für eine Journalistenschule oder für Nationalökonomie tätig sein. Zwar hat er in allen persönlichen Unterhaltungen mit mir auch zuletzt gesagt, dass er den deutsch-russischen Pakt seinerzeit abgelehnt habe und von der Richtigkeit seiner Haltung auch heute noch überzeugt sei, aber nicht daran denke, daraus ein Issue zu machen. Er sei bereit, loyal für die Einheitspartei zu arbeiten, denn er sei ein Vorkämpfer dieser Einheit auch in der Emigration gewesen. Er betonte, im Gegensatz zu früheren Unterhaltungen, dass er auch willig sei, sich der Parteidisziplin einzuordnen.“15

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Ebd.: Bericht von Albert Norden über die politische Emigration in New York, Oktober 1946. SAPMO-BArch, SED-Erinnerungsarchiv: SgY 30/0850: Albert Schreiner, Bl. 24–39 (Bericht Schreiners an Dahlem, 9. Dezember 1946). Der Bericht ist vollständig abgedruckt in: Mario Keßler, Albert Schreiner. Kommunist mit Lebensbrüchen (1892–1979), Berlin 2014, S. 157–203. Ebd., S. 182.

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Felix Boenheim, der „bei jeder Gelegenheit“ im Council betont habe, er sei kein KPD-Mitglied, habe dennoch „im Großen und Ganzen“ die Linie gehalten, „mit geringen Ausnahmen. B. ist Amerikaner, möchte aber, wenn er eine Berufung in leitende ärztliche Funktion erhält, nach Deutschland zurück.“16 Bertolt Brecht „hat uns im C.[ouncil] sehr gut und wirkungsvoll unterstützt.“17 Julius Lips habe hingegen „mit Rücksicht auf seine Position in Amerika“ eine „allzu enge politische Nachbarschaft“ mit den Kommunisten vermieden.18 Auch Georg Friedrich Alexan, Maximilian Scheer, Walther Victor (dessen politische Haltung „schwankend“ sei19) und Berthold Viertel wollten nach Deutschland zurück, ebenso Wieland Herzfelde. Dieser aber könne wegen der Leitung des Aurora-Verlages seine Zelte in den USA nicht von heute auf morgen abbrechen. Über Jacob Walcher, der wie Schreiner 1928 die KPD verlassen musste, äußerte sich dieser merklich kritischer als Norden. Walcher sei im Council for a Democratic Germany „politisch nie besonders hervorgetreten“ und habe in kritischen politischen Fragen „meist zu vermitteln versucht und uns manches Mal wegen unserer Haltung und Nicht-Nachgeben-Wollens heftig attackiert. So in der Stellung zu den Potsdamer Beschlüssen, obwohl er in einer langen Vorbesprechung mit mir unseren Standpunkt akzeptiert hatte. Im Allgemeinen hatte ich ein gutes persönliches Verhältnis zu W. und er hat sich im Laufe der Jahre in A[merika] sehr an uns angenähert. Versuche, ihn für die P[artei] zu gewinnen, scheiterten, weil er immer vorgab, der Einigung in Deutschland besser dienen zu können, wenn er zu seinen Leuten als der SAP-Mann zurückkommt. [...] Bei aller Freundschaft und bei allem Wert, den er auf enge Verbindung mit uns legte, wollte er öffentlich nicht mit uns in Erscheinung treten. Er hat auch all die Jahre abgelehnt, einen Beitrag für unsere Zeitung zu liefern, bis auf die letzten Monate vor der Abreise, als seine Position ohnehin verfahren war. W. wollte nach der Ostzone, und wenn er kommt, wird er, befreit von den Hemmungen, die er in A[merika] hatte und die z. T. in persönlichen Verhältnissen begründet waren, ein brauchbarer Arbeiter werden.“20

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Ebd., S. 189. Boenheim selbst schrieb in einem Lebenslauf, den er um 1955 in der DDR verfasste, er sei „seit jener Zeit [1918] immer kommunistisch orientiert“ und „parteiloser Kommunist“ gewesen. Stiftung Jüdisches Museum, Berlin, Sammlung Familien Boenheim/Bechhöfer (im Folgenden: Sammlung Boenheim/Bechhöfer), L-2016/1/1. Schreiner-Bericht, S. 189. Ebd., S. 184. Ebd., S. 187. Ebd., S. 188 f.

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Die SED-Kaderabteilung zog weitere Erkundungen über Walcher ein, der als ehemaliger Vorsitzender der SAP mit besonderer Skepsis beobachtet wurde. Ein ungezeichneter Bericht vom 30. Dezember 1946 hielt fest, Walcher habe „sich während seines Aufenthaltes in Nordamerika unseren Freunden gegenüber immer entgegenkommend verhalten.“ Im Council habe er seinem früheren SAPParteifreund Karl Frank stets widersprochen, wenn dieser die KPD angegriffen habe. Walcher habe in den USA die Vereinigung der Arbeiterparteien in der Ostzone unterstützt.21 Doch wurde Walcher noch 1948 von Franz Dahlem selbst um Auskünfte über einige seiner Mitexilanten ersucht. Er habe geglaubt, Henryk Grossmann sei schon in New York Mitglied der KPD gewesen; jedenfalls habe er entsprechende politische Positionen bezogen. Grossmanns „riesige“ Bibliothek sei gerade in Ostdeutschland nützlich. Julius Lips habe sich als Sozialdemokrat „sehr für die Zusammenarbeit mit den Kommunisten eingesetzt.“22 Sieht man von Albert Norden sowie dem aus dem „Alien Detention Camp“ in Kennedy (Texas) bereits im September 1945 nach Deutschland entlassenen Friedrich Karl Kaul ab, der nicht als USA-Exilant im eigentlichen Sinn gelten kann, kamen die ersten der Rückkehrer aus den Vereinigten Staaten im Dezember 1946 in Berlin an.23 Der Reiseweg der ersten Gruppe begann am 7. September 1946 per Schiff in New York, verlief über Odessa und von dort auf dem Schienenweg über

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SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 255, Abteilung Kaderfragen, Bl. 176: Bericht an Gen. Dahlem, 30. Dezember 1946. Ebd., Bl. 142: Jacob Walcher an Franz Dahlem, betr. Personalpolitik, Bericht vom 2. September 1949. Kaul hatte sich in Mittelamerika aufgehalten, zuletzt in Nikaragua, dessen Behörden ihn 1942 nach der Kriegserklärung des Landes an Deutschland an die USA überstellten. Im Lager Camp Kennedy trug er zur antifaschistischen Bildung deutscher Kriegsgefangener bei. Vgl. Max Paul Friedman, The Cold War Politics of Exile and Return, and the Search for a Usable Past in Friedrich Karl Kaul’s Es wird Zeit, dass du nach Hause kommst, in: German Life and Letters 58, 2005, Nr. 3, S. 306–325. Der von Friedman analysierte Roman Kauls aus dem Jahre 1959 verarbeitet dessen Exilerfahrungen. Die Hauptfigur Günther Karst trägt Züge des Verfassers. Kaul wurde jenem Kreis von Personen zugeschlagen, der gegenüber den USA als potenziell feindlich eingestellt galt und deren Kriegsgegner im Zweifelsfall unterstützen würde, was natürlich in seinem Fall völlig abwegig war. Kauls Rückkehr unmittelbar nach Kriegsende war die Folge einer Verfügung Präsident Trumans, der unter Berufung auf den Enemy Alien Act von 1789 erklärte, dass diese Personengruppe so rasch wie möglich das Land zu verlassen hätte. Vgl. zur Gesamtproblematik Arnold Krammer, Feinde ohne Uniform. Deutsche Zivilinternierte in den USA während des Zweiten Weltkrieges, in: VfZ 44, 1996, Nr. 4, S. 581–603.

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Moskau nach Berlin.24 Wie im Fall der Familie Norden musste die ungewöhnliche Route gewählt werden, da die Ausreise aus den USA nur mittels sowjetischer Visa möglich war.25 Zur Gruppe, die nach Odessa abfuhr, gehörten Else Steinfurth und Philipp Daub, Adolf und Maria Deter, Albert und Emma Schreiner, Alfred und Lola Zahn mit ihren beiden Kindern, Ernst und Lore Krüger sowie Karl Obermann und Hannah Schottlaender.26 Mit ihnen reiste Luise Eildermann, die nach Mexiko emigriert war und über New York zurückkehrte. Ihr Mann Wilhelm war zu diesem Zeitpunkt noch in der Sowjetunion. Alfred ging mit seiner Frau Lola zunächst nach Stuttgart, wo er von den amerikanischen Militärbehörden kurz interniert wurde, bevor er nach Berlin weiterreisen konnte.27 Die Mehrzahl der Gruppe erreichte am 3. Dezember Berlin.28 Unter den Rückkehrern, die am 8. Dezember 1946 über Bremerhaven und Bremen einreisten, waren Alfred und Elfriede Kantorowicz, Max Schroeder (noch ohne seine amerikanische Ehefrau Edith Anderson, die 1947 folgte), Jacob Walcher (noch ohne seine Frau Hertha, die im April 1947 ankam) sowie Hans und Hilde Marchwitza. Die Reise auf der Marine Flasher war (trotz des Schiffsna-

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Das Abreisedatum des 7. September teilte Jacob Walcher in einem Brief vom 19. August 1946 Bertolt Brecht mit. Der Brief ist abgedruckt in: Hermann Haarmann/Christoph Hesse (Hg.), Briefe an Bertolt Brecht im Exil (1933–1949), Bd. 3, Amsterdam/Boston 2014, S. 4049 (fortlaufende Seitenzählung). Die rasche Heimholung der Exilanten war in hohem Maße Paul Merker zu danken. Vgl. dessen Korrespondenzen, u. a. mit Max Bedacht (New York), dem Vorsitzenden der International Workers Order, einer Hilfsorganisation, die u. a. einen Teil der nötigen Reisegelder aufbrachte. Bedacht wurde 1948 aus der KP der USA ausgeschlossen, einige Jahre danach aber wieder aufgenommen. Vgl. ebenda, DY 30/IV 2/11/194, bes. Bl. 15, 435 ff. Vgl. auch Bedacht by Reds Expelled in Jersey, in: New York Times, 20. November 1948; Max Bedacht, 89, Co-Founder of U. S. Communist Party, Dead, in: ebd., 5. Juli 1972. Der Name findet sich in beiden Versionen: Schottländer und Schottlaender. Vgl. zum Folgenden, wo nicht anders vermerkt, die biographischen Angaben im Anhang. – Hans Marchwitza, der nach eigenen Angaben nichts sehnlicher wünschte, als die USA so schnell wie möglich zu verlassen, beantragte noch 1946 eine sechste Verlängerung seiner temporären Aufenthaltsbewilligung, da das ihm im 1941 im Marseille zuerkannte mexikanische Einreisevisum, von dem er keinen Gebrauch gemacht hatte, inzwischen verfallen war. Vgl. Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart/Weimar 1995, S. 355 f. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1239, Bl. 47: Abteilung Kaderabteilung, Alfred Zahn, Protokoll vom 29. Juni 1951. Als Termin der Abreise von New York gab er August 1946 an, doch war dies ein Fehler. Vgl. ebd., Bl. 44: SED-Kaderabteilung, Alfred Zahn, Protokoll vom 29. Juni 1951, sowie ebd., DY 30/IV 2/11/v. 255, Abteilung Kaderfragen, Bl. 177.

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mens) nicht im Blitztempo verlaufen, sondern durch einen Maschinenschaden, der eine längere Unterbrechung auf den Azoren nötig machte, verzögert worden. Zudem ließen sich die US-Militärbehörden in Bremerhaven beim Ausstellen der notwendigen Reisepapiere Zeit, so dass die Rückkehrer erst Mitte Januar 1947 nach Berlin weiterreisen konnten.29 In Deutschland blieben die Rückkehrer teilweise unter Beobachtung amerikanischer Dienste. Es waren nun vor allem die beiden militärischen Nachrichtendienste, das Office of Naval Intelligence und die Military Intelligence Division der Armee, die Materialien über sie sammelten, die aber bis heute zumeist der Forschung unzugänglich sind. Hinzu kam das Counter Intelligence Corps, das rechtsund linksgerichtete Aktivitäten in allen Besatzungszonen Deutschlands beobachtete. Alexander Stephan fand einige kopierte Dokumente und Querverweise dieser Dienste in FBI-Unterlagen. Ein CIC-Telegramm vermeldete am 11. Februar 1947, Alfred Kantorowicz sei von Bremen aus illegal nach Berlin gereist, um sich dort mit dem sowjetischen Geheimdienstchef Lawrentii Berija zu treffen.30 Ein Schreiben vom nächsten Tag, dessen Absender ausgeschwärzt wurde, notierte die Rückkehr von Hans Marchwitza und der „German Comintern agents“ Alfred Kantorowicz, Jacob Walcher, Albert H. Schreiner und Horst Baerensprung nach Deutschland, obgleich Baerensprung nie Kommunist gewesen und die Komintern bereits 1943 aufgelöst worden war.31 Anfang 1947 informierte Alfred Kantorowicz, der sich noch in Bremen befand, Franz Dahlem vom SED-Parteivorstand über die aktuelle Lage der mit ihm Eingetroffenen.32 Hans Marchwitza sei in den USA nicht untätig gewesen; er habe „mehrere vollendete Romanmanuskripte und Erzählungen in seinen Koffern mitgebracht und hofft auf baldige Publikation seiner Arbeiten.“33 Da Max

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Vgl. Ernst Stock/Karl Walcher, Jacob Walcher (1887–1970). Gewerkschafter und Revolutionär zwischen Berlin, Paris und New York, Berlin 1998, S. 145 f. Vgl. Alexander Stephan, Im Visier des FBI, S. 62. In dem WDG IR REURAD betitelten Telegramm der Security Army Group Frankfurt ist der Name „Laurenti Beria“ buchstabiert. Stephan, ebd., S. 356, zitiert aus dem Schreiben an FBI-Mitarbeiter D. M. Ladd vom 12. Februar 1947. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 255, Abteilung Kaderfragen, Bl. 160–162: Alfred Kantorowicz, Für Franz Dahlem und andere Genossen, 7. Januar 1947. Hiernach die folgenden Zitate. Marchwitza war in den USA durchaus produktiv, obgleich er außer zwei sehr schmalen Gedichtbänden, die im Selbstverlag erschienen, dort fast nichts veröffentlichen konnte. 1947 erschien in Deutschland seine in den USA geschriebene Autobiographie Meine Jugend und 1949 sein romanhaftes Erinnerungsbuch In Frankreich, dem 1961 der gleichfalls

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Schroeder innerhalb der SED noch nicht sehr bekannt sei, möchte er, Kantorowicz, dessen „gute organisatorische Arbeit“ und seine „treue Haltung“ gegenüber der Partei in den USA hervorheben. Jacob Walcher sei in Bremen von Freunden, die mit ihm in der SAP gewesen seien, aufgenommen worden, habe aber ihnen gegenüber in politischen Fragen „eine feste Haltung“ eingenommen.34 „Wir alle würden es für zweckmäßig halten“, fuhr Kantorowicz fort, „wenn es gelänge, uns auf legalem Wege nach Berlin zu bringen. Unser ‚Fall‘ ist nun durch die Amerikaner aufgerollt worden. Telegramme sind zwischen Bremen, Berlin und Washington in unserer Angelegenheit gewechselt worden. Wenn wir nun einfach dort verschwinden und hier wieder auftauchen, so kann es sein, dass die Amerikaner Schwierigkeiten machen.“ Kantorowicz machte konkrete Vorschläge, wie und wo die Neuankömmlinge am besten eingesetzt werden könnten. „Für Walcher eine Berufung von einer (nicht allzu eindeutig abgestempelten) Gewerkschaft oder Sozialfürsorge in Berlin. Für Schroeder Berufung von der Berliner Staatsbibliothek als Lektor oder Kustos von einem Museum etc. Für Marchwitza Berufung von einem Verlag als Lektor (Marchwitzas Frau ist Sozialfürsorgerin). Für mich Berufung von der Berliner Universität, da ich auf Grund eines Briefes von [Johannes R.] Becher bereits drüben angegeben habe, dass ich nach Deutschland zurückginge, um eine Professur für englische und amerikanische Literaturgeschichte an der Berliner Universität anzunehmen. (Meine Frau war Schauspielerin – sie hat auch in Madrid als Sprecherin der deutschen Radiosendungen gearbeitet – und möchte gerne wieder zum Theater oder Film oder Radio zurück.) Die Berufungen für uns sollen kommen so



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autobiographisch gefärbte Band In Amerika folgte. Die beiden 1954 und 1959 erschienenen Bände der Kumiak-Trilogie (der erste Band war bereits 1934 im Schweizer Exil erschienen) entstanden zum Teil ebenfalls bereits in den USA. Damit führte Marchwitza seine Behauptungen (vgl. das 8. Kapitel) ad absurdum, wonach er keinerlei Unterstützung bei seiner Arbeit durch Amerikaner erhalten habe, denn ohne ein gewisses Maß an Unterstützung, beispielsweise durch Befreiung von körperlich schwerer Arbeit, wäre literarische Arbeit in noch so bescheidener Form nicht zu leisten gewesen. Vgl. auch Matthias Wolbolt, Zwischen Ablehnung, Anpassung und Zerrissenheit. Deutsche Exilautoren in den USA. Eine Typologie am Beispiel von Hans Marchwitza, Hans Sahl und Ludwig Marcuse, Hamburg 1999, S. 68–97. Der soeben aus schwedischem Exil zurückgekehrte Theodor Bergmann, der Walcher noch aus der gemeinsamen Zeit in der KPD-Opposition der Weimarer Republik kannte, warnte ihn vor einer Rückkehr in die Sowjetische Besatzungszone, da ihm dort seine KPO- und SAP-Vergangenheit zum Nachteil gereichen würde. Walcher ließ sich aber nicht umstimmen: Er wolle endlich praktisch am Aufbau des Sozialismus mitwirken, auch wenn er sich keinen Illusionen hingebe. Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 243 f. Die folgenden Jahre sollten zeigen, wie berechtigt die Warnung war.

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offiziell wie möglich, also nicht in Bausch und Bogen von der Zentralverwaltung, sondern in Einzeltelegrammen beziehungsweise Briefen vom Museum, Verlag, [der] Universität etc.“ Kantorowicz strich seine guten Verbindungen zu linken und liberalen Intellektuellen in den USA heraus; er nannte speziell William Shirer und Howard K. Smith und berichtete, die Zeitschrift New Republic betrachte ihn als ihren Deutschland-Korrespondenten. Auch könne er „als eine Art liaison man“ in Verbindung zu weiteren Zeitschriften wie Collier’s und Harper’s Magazine fungieren (was wohl ein wenig übertrieben war). Dazu müsse er aber in einem der Westsektoren Berlins angemeldet sein. Seine Buchmanuskripte, darunter eine geplante Essaysammlung, sowie eine kulturpolitische Zeitschrift sollten eine Leserschaft in Ost und West erreichen können. „Ich möchte nach nunmehr mehr als 14 Jahren endlich wieder in Deutschland gedruckt und gelesen werden. Ich bin sicher, dass Ihr das verstehen, gutheißen und unterstützen werdet.“ Allen Remigranten, die nach Ostdeutschland zurückkamen, war die Zielvorstellung einer sozialistischen Gesellschaft gemeinsam. Doch wie diese Gesellschaft beschaffen sein sollte, mit welchem Maß an Demokratie, gesellschaftlichem Eigentum oder Autonomie der Wissenschaft – darüber sollten die Ansichten alsbald weit auseinandergehen.

Neubeginn in Ostdeutschland: Chancen und Probleme In Ostdeutschland standen die USA-Rückkehrer vor völlig neuen Herausforderungen. Mit Rücksichtnahme auf seine bisherigen westlichen Verbündeten erklärte Stalin unmittelbar nach Kriegsende, das sowjetische System auf Deutschland nicht übertragen zu wollen. Dennoch sollte gemäß seinen im Juni 1945 geäußerten Vorstellungen „die Hegemonie der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei“ auch in einem parlamentarisch-demokratischen System garantiert sein.35 Eine starke, politisch bestimmende Arbeiterpartei in einer demokratischparlamentarischen Ordnung hatte auch den allermeisten Männern und Frauen im Council for a Democratic Germany vorgeschwebt. Fast alle wollten eine sozialistische Wirtschaftsordnung ohne die Macht von Großindustrie und Großbanken. Die Rückkehrer aus den USA wurden jedoch sofort nach ihrer Ankunft mit der Tatsache konfrontiert, dass die sowjetische Besatzungsmacht unter Mithilfe der aus

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Vgl. Jochen Laufer, Genossen, wie ist das Gesamtbild? Ackermann, Ulbricht und Sobottka in Moskau im Juni 1945, in: Deutschland Archiv 29, 1996, Nr. 3, S. 355–371.

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Moskau gekommenen deutschen Kommunisten die entscheidenden Weichen gestellt hatten, mochten viele Dinge auch noch im Fluss sein. Von Anfang an war es der sowjetischen Besatzungsmacht klar, dass sie eine zentralisierte Partei nach sowjetischem Muster benötigte, wollte sie in Deutschland oder einem Teil davon dauerhaft Fuß fassen. Diese Partei war mit der teils durch Zwang herbeigeführten Vereinigung von KPD und SPD zur SED im April 1946 noch nicht voll gegeben. Es bedurfte eines längeren, 1948 verstärkt einsetzenden Prozesses der Umformung der SED in eine disziplinierte Massenpartei Stalinschen Zuschnitts mittels der alsbald berühmt-berüchtigten Partei-„Säuberungen“, die auch einige der USA-Rückkehrer in unterschiedlicher Weise in Mitleidenschaft zog, wenngleich sie von den härtesten Repressalien – langjähriger Haft – durchweg verschont blieben. 36 Die Gruppe Ulbricht und die aus der Sowjetunion zurückgekehrten kommunistischen Kader besetzten sofort politische Schlüsselpositionen in der sowjetischen Besatzungszone. Doch zunächst eröffneten sich auch den USA-Rückkehrern gute Karrierewege. Unter den über die Sowjetunion Eingereisten nahm die Mehrzahl eine Arbeit im Partei- oder Gewerkschaftsapparat auf. Philipp Daub wurde 1947–1948 als Stellvertreter Paul Merkers Erster Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für Umsiedler (ZVU) und war damit an der Eingliederung dieser großen Bevölkerungsgruppe in die Sowjetische Besatzungszone beteiligt.37 Im April 1947 forderte er auf einer Konferenz der Direktoren der Landes- und Provinzialämter, die mit dem Umsiedler-Problem befasst waren, die Einrichtung spezieller Ausschüsse auf allen Ebenen, in denen all jene Organisationen mitarbeiten sollten, die in irgendeiner Weise mit den Umsiedlern zu tun hatten. Die bestehenden Umsiedlerämter könnten dies mit ihren eng gefassten Kompetenzen nicht leisten.38 In der Folgezeit war Daub am Aufbau dieser Ausschüsse verantwortlich beteiligt. Wie andere Rückkehrer konnte das Ehepaar

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Vgl. z. B. Thomas Klein/Wilfriede Otto/Peter Grieder, Visionen. Repression und Opposition in der SED (1949–1989), 2 Bde., Frankfurt (Oder) 1996; Andreas Malycha, Die SED. Eine Geschichte ihrer Stalinisierung 1946–1953, Paderborn 2000; Thomas Klein, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2002.Vgl. hierzu auch das Material in SAPMOBArch, NY 4243/23: Bestand Philipp Daub. Vgl. Michael Schwartz, Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945–1961, München 2004, S. 185 f. Die Rede ist abgedruckt in: Manfred Wille/Steffi Kaltenborn (Hg.), Die Vertriebenen in der SBZ/DDR. Dokumente, Teil III: Parteien, Organisationen, Institutionen und die „Umsiedler“ 1945–1953, Wiesbaden 2003, S. 120 f.

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Daub erst jetzt ein geordnetes Familienleben führen: In Berlin wurde 1949 die Tochter Helga geboren.39 Von Ende März 1948, noch bevor er aus der ZVU ausschied, bis zum Juni (de jure bis Oktober) 1950 war Philipp Daub Leiter der Abteilung Personalpolitik bzw. Kader beim Parteivorstand der SED. Die mit Beginn des Jahres 1949 sichtbare Aufwertung der Kaderarbeit war vermutlich die Reaktion auf eine sowjetische Kritik an der SED-Führung, die, laut Wilhelm Pieck, Ende 1948 im Vorwurf des „Versagens“ der personalpolitischen Abteilung gegipfelt hatte.40 In Reaktion auf die Kritik richtete das neu entstandene Politbüro eine Kommission unter Walter Ulbrichts Vorsitz ein, der auch Paul Merker, Franz Dahlem und Philip Daub angehörten. Zu den im Februar und März 1949 von Politbüro und Kleinem Sekretariat beschlossenen Maßnahmen gehörte die personelle Verstärkung der Kaderabteilung unter Daubs Vorsitz.41 Adolf Deter wurde sofort nach der Rückkehr Mitglied des SED-Landesverbandes Berlin, 1947 dessen Sekretär und 1948 Zweiter Vorsitzender. Dabei tat er sich bei der Bekämpfung dessen hervor, was unter dem Begriff „Sozialdemokratismus“ zum Schimpfwort in der SED wurde. So kritisierte Deter auf einer Sitzung des Landesvorstandes jene früheren Sozialdemokraten, die immer noch von einem deutschen Weg zum Sozialismus träumten, der ein anderer Weg sei als jener des sowjetischen Vorbildes. Es gehe nicht an zu meinen, „mit der Sowjetunion sind wir einverstanden, aber Sowjetunion und Besatzungsmacht sind zwei verschiedene Dinge. Das ist aber ein und dasselbe!“42 Von 1947 bis 1950 gehörte Deter auch dem SED-Parteivorstand an. 1949 bis 1951 war er Vorsitzender des FDGB-Landesverbandes Berlin und 1949–1954 auch Abgeordneter der Volkskammer, 1950 bis 1954 Kandidat des ZK der SED und 1951 bis 1954 Sekretär des FDGB-Bundesvorstandes, bevor seine politische Laufbahn ins Stocken geraten sollte.43

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Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2512: Abteilung Kaderfragen, Kaderakte Philipp Daub vom 4. Dezember 1970 (nicht foliiert). Vgl. Rolf Badstübner/Wilfried Loth (Hg.), Wilhelm Pieck. Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, Berlin 1994, S. 272. Vgl. Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949–1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster 2003, S. 94. Landesarchiv Berlin, Bezirksparteiarchiv der SED, IV L-2/1/039: Sitzung des Landesvorstandes vom 2. Oktober 1948, zit. n. Harold Hurwitz, Die Stalinisierung der SED. Zum Verlust von Freiräumen und sozialdemokratischer Identität in den Vorständen 1946– 1949, Opladen 1997, S. 94. Vgl. SAPMO-BArch, 30/IV 2/11/v. 2921: Abteilung Kaderfragen, Kaderakte Adolf Deter.

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Ernst Krüger gehörte 1947–1949 dem Sekretariat des FDGB-Bundesvorstandes an und wurde 1948/49 Generalsekretär des FDGB. In dieser Funktion trug er am 11. November 1948 den Beschluss des Bundesvorstandes über die Auflösung der Betriebsräte mit, was die faktische Selbstentmachtung der Gewerkschaften und ihre Unterordnung unter die SED-Führung bedeutete. Diese legte vier Tage später in einer Sitzung des Zentralsekretariats fest, dass die Betriebsgewerkschaftsleitungen, die indes an der kurzen Leine der Partei lagen, die Aufgaben der bisherigen Betriebsräte übernehmen sollten.44 In diesem Sinne beschloss das Sekretariat des FDGB-Bundesvorstandes am 17. Juni 1949 eine „Richtlinie zum Verhältnis zwischen FDGB und Industriegewerkschaften“ für deren Umsetzung kein anderer als Ernst Krüger verantwortlich zeichnete. Der im Einzelnen mehrmals variierte Erlass zielte im Grundsätzlichen auf eine Zentralisierung der Leitungstätigkeit und damit auf eine Übertragung zahlreicher Kompetenzen von den Einzelgewerkschaften auf den Bundesvorstand ab, was, analog zur Umgestaltung der SED zur „Partei neuen Typus“, als eine Stärkung des sozialistischen Charakters der Gewerkschaften bezeichnet wurde.45 Die Belohnung mit weiteren Ehrenämtern folgte: 1949 wurde Krüger Abgeordneter der DDR-Volkskammer und 1949 Mitglied des Sekretariats der SED-Landesleitung Berlin, bevor auch sein Aufstieg vorerst endete. Die Krügers kamen mit zwei in New York geborenen Kindern nach Berlin zurück. Lore Krüger stellte ihre Arbeit als Fotografin zurück, machte sich statt dessen einen Namen als Übersetzerin unter anderem von Joseph Conrad, Daniel Defoe, Nathaniel Hawthorne, Henry James, Doris Lessing, Robert Louis Stevenson und Mark Twain. Politische Funktionen übernahm sie nicht. Alfred Zahn wurde nach dem Eintritt in die SED 1947 Lektor an der Parteihochschule in Liebenwalde und Leiter des ersten Lehrganges für Journalisten. 1947 bis 1949 war er Intendant des Landessenders Schwerin, 1949 bis 1953 Programmdirektor beim Berliner Rundfunk und Chefredakteur der Zeitschrift Unser Rundfunk. 1953 wurde er Chef vom Dienst bei der DDR-Nachrichtenagentur ADN und 1954 Chefredakteur des Kongress-Verlages und der kurzlebigen Monatszeitung Der Reporter. Von 1954 bis 1957 war Zahn stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Das Magazin, von der noch die Rede sein wird. Seiner Frau Lola eröffnete sich die akademische Laufbahn. 1947 wurde sie Professorin mit Lehrauftrag für Wirtschaftsplanung an der Universität Rostock. Im November 1949 wurde sie vom Kleinen Sekretariat des Politbüros mit der Edition ökonomischer Arbeiten von Lenin und Stalin am Marx-Engels-Lenin-Institut

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Vgl. Stefan Paul Werum, Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953, Göttingen 2005, S. 363 f. Vgl. ebd., S. 452 f.

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betraut.46 Nach der im gleichen Jahr erfolgten Habilitation in Berlin wurde sie zwei Jahre später Professorin für politische Ökonomie an der HumboldtUniversität. Dort sollte sie jedoch 1957 in Konflikte geraten, was die Unterbrechung ihrer akademischen Arbeit nach sich zog. Nach seiner Rückkehr war Albert Schreiner vom 1. Februar bis offiziell zum 30. Dezember 1947 in der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin tätig. Aus dieser Zeit resultierte die auch später enge Beziehung zu deren Präsidenten, Paul Wandel. Schreiner beriet Wandel bei den anstehenden Neuberufungen für ostdeutsche Universitäten. Ihm selbst bot sich überraschenderweise die Chance einer Tätigkeit an der Universität Leipzig. Fritz Behrens, Dekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, schrieb ihm am 24. April 1947 und bat ihn, den Aufbau eines Institutes für Weltpolitik zu übernehmen. Dies stehe zwar nicht in unmittelbarer Verbindung mit einer Lehrtätigkeit an der Universität, doch sei eine spätere Berufung nicht ausgeschlossen.47 Offenbar hatte Alfred Meusel, der an der Berliner Universität lehrte, Albert Schreiner für eine Tätigkeit in Leipzig vorgeschlagen. In einem nachgereichten Brief an Behrens schrieb Meusel, Schreiner solle mit der Leitung des Instituts für Staatenkunde und internationale Beziehungen beauftragt werden. Doch gab es Widerstände unter der Professorenschaft gegen den Mann, der nie eine reguläre Universitätsausbildung hatte absolvieren können und nicht promoviert war. Meusel forderte dessen ungeachtet, Schreiner in den regulären Lehrkörper als stimmberechtigtes Mitglied der Fakultät einzugliedern.48 Dafür hatte der Jurist Arthur Baumgarten Schreiners Schriften zu begutachten. „Meine Sachen habe ich geschrieben, weil und wann es mir politisch notwendig erschien“, erklärte ihm Schreiner in einem Brief. „Ich habe mir nie träumen lassen, sie dermaleinst als Proben meiner Geeignetheit für die akademische Laufbahn präsentieren zu müssen, dieweil ich nie den Ehrgeiz besessen, sie einzuschlagen; und was ich in der kurzen Zeit nur unmittelbarer Berührung mit ihr kennen lernte, macht mich eher geneigt, die akademische ‚Davonlaufbahn‘ denn die Lauf-

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SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/3/63, fol. 1, Bl. 6: Sitzung des Kleinen Sekretariats vom 14. November 1949. SAPMO-BArch, NY 4198/84, Bl. 72: Fritz Behrens an Schreiner, Brief vom 24. April 1947. Vgl. den Brief des Rektors der Universität Leipzig an die Gewifa vom 27. Mai 1947, in: Universitätsarchiv (weiterhin: UA) Leipzig, Nr. 271, Personalakte PA-SG 0043: Albert Schreiner, Bl. 1 (die Akte wird weiterhin zitiert als: PA-SG 0043). Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, Nachlass Alfred Meusel, Nr. 584: Alfred Meusel an Fritz Behrens, Brief vom 24. Juni 1947.

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bahn einzuschlagen.“49 Doch Baumgartens Urteil fiel offenbar günstig aus, denn am 26. Juni 1947 schrieb Behrens an Schreiner, es sei „von größter Wichtigkeit für die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, dass Sie dauernd für sie gewonnen werden.“50 Am 11. August 1947 akzeptierte die Dresdner Landesregierung den Vorschlag der Leipziger Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, der Gewifa, Schreiner zum Professor mit vollem Lehrauftrag für Staatenkunde zu berufen. Gleichzeitig sollte er die Leitung des Instituts für Staatenkunde und internationale Beziehungen an der Gewifa übernehmen. Ein entsprechendes Schreiben vom 11. September bestätigte dies.51 So zog Schreiner mit seiner Frau noch im September 1947 nach Leipzig. Er war der erste einer ganzen Reihe von Rückkehrern aus den USA an die Leipziger Universität. Am 26. Mai 1947 schrieben Albert und Emma Schreiner aus Berlin ihrem Freund Georg Friedrich Alexan nach New York. Sie teilten ihm mit, dass ihre Tochter Helga in den USA bleiben wolle, berichteten über den extrem kalten Winter, die allgemeine Not, den Mangel an allem – und die Hoffnung auf Frühling. „Trotzdem fühlen wir uns noch nicht zu Hause, denn in 13jähriger Abwesenheit hat sich doch manches geändert; auch die Menschen, oder vielleicht sind auch wir selber anders geworden. […] Doch haben wir auch viele alte, treue Freunde getroffen. […] Ja, das Leben ist sehr hart und bitter für die Menschen hier und die Not ist allgemein groß, ich hatte es mir schon vorgestellt, doch konnte ich mir kein Bild machen.“52 Die Rückschau auf die USA, „die gastlichen Gestade der Neuen Welt“, falle etwas wehmütig aus, der Blick aber sei nach vorn gerichtet und positiv, schrieb Schreiner an Alexan. Die deutsche Moral nannten sie „deprimierend“. Bewegend seien jedoch die Treffen mit alten Genossen, „mit denen man beinahe vier Jahrzehnte zusammen in der Bewegung war und die man fast 35 Jahre nicht mehr gesehen und die heute noch ihren Mann stellen. [ …] Kleine Episoden, sentimentale Regungen, aber wehre sich einer dagegen – vielleicht auch Alterserscheinun-

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SAPMO-BArch, NY 4198/84, Bl. 89: Schreiner an Arthur Baumgarten, Brief vom 18. Juni 1947. Ebenda, Bl. 107: Fritz Behrens an Schreiner, Brief vom 26. Juni 1947. Ebenda, Bl. 108 u. 160: Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung, Abteilung Hochschulen und Wissenschaft, Briefe an Albert Schreiner vom 11. August u. 11. September 1947. Privatsammlung Irene Runge: Albert und Emma Schreiner an Georg Friedrich Alexan, Brief vom 26. Mai 1947.

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gen Aber es ist gut, so alt geworden zu sein, da man so viele treffen kann, die die Zeit der Prüfung mit Auszeichnung bestanden haben.“53 Am 15. Mai 1948 dankte Schreiner Alexan für Kuba-Zigarren, „Früchte des Kaffeebaums“ und für Bücher; „daran und an Zeitschriften von draußen mangelt es ganz besonders.“ Weiter schrieb er: „Da hatten wir letzte Woche eine große zentrale Kulturtagung in Berlin. Das war eines meiner größten intellektuellem Erlebnisse seit Jahrzehnten. Man spürte, es kommt Grund in den Brei, fester ideologischer Grund. Bei dieser Gelegenheit habe ich übrigens auch mit Maxe [Max Schroeder] über Euer Kommen gesprochen.“54 Doch sollten Alexan und seine Familie erst im Mai 1949 nach Deutschland kommen. Schreiner holte Alexan nach Leipzig, da er, zunächst als Assistent, für eine Lehrtätigkeit an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität vorgesehen war. Doch schon im August 1949 warb ihn Gerhart Eisler ab: Alexan sollte in Berlin den ostdeutschen Rundfunk mit aufbauen helfen.55 Die Zahl der Rückkehrer wuchs. Karl Obermann kam zusammen mit seiner Lebensgefährtin Hannah Schottlaender, die er beim German American kennengelernt hatte. Doch machte er, anders als seine Mitreisenden, in Moskau länger Station, um im Archiv des Marx-Engels-Lenin-Instituts am Marxschen Nachlass zu arbeiten. Sein Berufsziel, das des Historikers, stand fest. Anfang 1947 nahm Karl Obermann ein Geschichtsstudium an der Berliner Universität auf. Seiner im gleichen Jahr geschlossenen Ehe entstammten zwei Söhne, Peter, geboren 1952, und Hans, geboren 1955. Der ältere Sohn trat als Erwachsener ins orthodoxe Judentum ein und siedelte 1984 mit seiner Frau, der Schriftstellerin Barbara Honigmann, nach Strasbourg über.56 Publizistische Fähigkeiten zeigte Obermann auch an der Universität in Berlin als Redakteur der Studentenzeitschrift Forum. 1949 schloss er mit sehr gutem Erfolg sein Studium als Historiker ab. Bereits 1950 erfolgte die Promotion mit einer Arbeit über Die deutschen Arbeiter in der Periode der Revolution von 1848 und 1953 die Habilitation an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, wo Obermann seit 1952 kommissarisch das Historische Seminar leitete. Im August 1953 wurde Obermann zum Professor für die Geschichte des deutschen Volkes an die Berliner Humboldt-Universität berufen. Zwischen 1955 und 1960 leitete er zudem das Akademie-Institut für Geschichte. In den folgenden Jahrzehnten war er einer der produktivsten Historiker der DDR, dessen zahlrei-

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Ebd.: Albert und Emma Schreiner an G. F. Alexan, undatierter Brief. Ebd.: Albert Schreiner an G. F. Alexan, Brief vom 15. Mai 1948. Vgl. verschiene Lebensläufe Alexans in: Georg-Friedrich-Alexan-Archiv, Nr. 1, Akademie der Künste, Berlin. Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, PA Karl Obermann.

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che Arbeiten sich auf die Vorgeschichte und Geschichte der Revolution von 1848 in Deutschland und Europa konzentrierten, doch sich auch mit verschiedenen Aspekten der deutsch-amerikanischen Beziehungen befassten. Obermanns frühere Zugehörigkeit zur SAP fiel nicht mehr ins Gewicht, da er keinerlei Funktion im Parteiapparat ausübte.57 Auch die über Bremerhaven Eingereisten wurden mit wichtigen Aufgaben betraut. Alfred Kantorowicz wurde Herausgeber der Zeitschrift Ost und West und Direktor des an sie gebundenen Verlages. In dieser im Ostteil Berlins erscheinenden Zeitschrift suchte er zwischen den sich bildenden antagonistischen Nachkriegslagern zu vermitteln, doch ging es ihm vor allem auch darum, die Deutschen mit Gedankenwelten bekannt zu machen, die ihnen durch die zwölf Jahre der Naziherrschaft verschlossen geblieben waren. Zu den Autoren der ersten Nummer gehörten Georges Bernanos, Günther Birkenfeld, Bertolt Brecht, Theodore Dreiser, Ilja Ehrenburg, Peter Huchel, Heinrich Mann, Carson McCullers und Franz Schoenberner. Ähnlich wie die von Eugen Kogon und Walter Dirks herausgegebenen Frankfurter Hefte bemühte sich Ost und West um einen Brückenschlag über die Zonengrenzen im Kalten Krieg.58 In der Einführung zur ersten Nummer hieß es, „die einzige Einschränkung, die wir uns selber auferlegen, ist die Versicherung, dass ,Ost und West‘ seine Spalten denen verschließen wird, die Feindschaft und Hass gegen eine der Besatzungsmächte propagieren“. Im Hinblick auf die Zukunft Deutschlands schrieb Kantorowicz: „Deutschland in seiner gegenwärtigen Situation kann weder die amerikanische Lebensform noch die Entwicklung des Sozialismus in der Sowjetunion schematisch adoptieren. Wir Deutschen müssen die unseren gegenwärtigen Bedingungen angemessene Lösung der sozialen, ökonomischen und ideologischen Probleme unseres Zeitalters selber finden. Die Zeitschrift, die ich im Sinne habe, wird versuchen, an der Lösung dieser Probleme mitzuarbeiten.“59 Bis Ende 1949 konnte sich die Zeitschrift halten, dann wurde sie auf Druck des SED-Apparates eingestellt. Einer ihrer Förderer Heinrich Mann, hatte im November 1949 an DDR-Volksbildungsminister Paul Wandel geschrieben, er

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Vgl. Mario Keßler, Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigranten als Historiker in der frühen DDR, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 209–221. Vgl. zu diesen Bemühungen Kogons und Dirks’ umfassend Sean Forner, German Intellectuals and the Challenge of Democratic Renewal. Culture and Politics after 1945, Cambridge [UK] 2015, bes. S. 296–298. Alfred Kantorowicz, Einführung, in: Ost und West 1, 1947, Nr. 1, S. 7 f. Wiederabdruck unter dem Titel: Ost und West, in: Kantorowicz, Im 2. Drittel unseres Jahrhunderts, S. 108.

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„würde den Verlust der Zeitschrift durchaus schädlich finden. Sie hält die Mitte zwischen Fach- und Publikumsorgan, sie genügt hohen Ansprüchen, ist aber lesbar für jeden. Sie sollte in jedem Fall erhalten bleiben. Lion Feuchtwanger und ich sind bereit, vorläufig einen Teil der fehlenden Kosten zu übernehmen.“60 Doch dies nützte nichts. Stefan Heymann, Abteilungsleiter im SED-Parteivorstand, begründete die Sperrung der Mittel für den Erhalt des Blattes mit der versuchten Konzentration der Kräfte in nur einer entsprechenden Zeitschrift, dem Aufbau. Ost und West habe zur Verhinderung der Spaltung Deutschlands beitragen sollen. Diese sei aber nunmehr vollzogen, Kantorowicz’ Publikationsorgan damit nicht länger nötig. „Daher kann ich mich“, so Heymann, „so leid es mir tut, nicht für die Aufrechterhaltung Deiner Zeitschrift einsetzen.“61 Das dreißigste und letzte Heft von Ost und West versammelte noch einmal Beiträge unter anderem von Elfriede Brüning, Lion Feuchtwanger, E. R. Greulich, Wolfgang Joho, Martin Kessel, Heinar Kipphardt, Heinz Pol, Elsa Triolet, Wolfgang Weyrauch und Arnold Zweig. In seinem Abschiedswort begründete der Herausgeber Kantorowicz die Einstellung des Blattes mit finanziellen, durch die Währungsreform entstandenen Schwierigkeiten ebenso wie mit den politischen Folgen der Maßnahmen der westlichen Besatzungsmächte, die zur „Abschnürung der Westzonen Deutschlands“ vom Druckhaus und Vertriebsort der Zeitschrift geführt hätten. Die Probleme mit den Kulturbehörden der Sowjetischen Besatzungszone konnte Kantorowicz aber kaum andeuten, sondern wies lediglich auf „Anlaufschwierigkeiten des Vertriebes durch die Post“ hin.62 Unmittelbar nach dem Ende der Zeitschrift Ost und West erhielt Kantorowicz jedoch eine Professur für Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Damit eröffnete sich für ihn ein „Ausweg“, wie er im Tagebuch notierte. „Die Berufung gibt mir die Möglichkeit, Mauern um mich zu bauen, auf anständige Art auszuharren im – Elfenbeinturm der Wissenschaft.“63 Doch war er mehr als ein Ausweg – es entsprach seinem Wunsch nach akademischer Anerkennung. Der Berufungsvorgang fiel noch in die letzte Zeit von Kantorowicz’ Tätigkeit für die Zeitschrift Ost und West. Am 2. Dezember 1949 begründete Dekan Alfred Meusel für die Philosophische Fakultät den Berufungsantrag mit dem Argument, dass Kantorowicz „der beste und gründlichste Kenner der deutschen fortschrittli-

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Heinrich Mann an Paul Wandel, 10. November 1949; in: Barbara Baerns, Ost und West. Eine Zeitschrift zwischen den Fronten. Zur politischen Funktion einer literarischen Zeitschrift in der Besatzungszeit (1945–1949), Münster 1968, S. 177. Stefan Heymann an Alfred Kantorowicz, Brief vom 1. November 1949, zit. n. ebd., S. 179 f . Alfred Kantorowicz, Abschied, in: Ost und West 3, 1949, Nr. 12, S. 77. Alfred Kantorowicz, Deutsches Tagebuch I [1959], Berlin [West] 1978, S. 668.

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chen Literatur [sei], die in der Nazi-Zeit im Ausland erschienen ist“, sowie mit seinen Schriften, in denen er sich an die deutsche Jugend gewandt habe, für deren Lage er „ein wahres Verständnis“ zeige.64 Trotz der Bedenken, die dem nichthabilitierten Publizisten galten, der streng wissenschaftlich bisher nicht gearbeitet hatte, wurde Kantorowicz noch vor Jahresende zum Professor mit Lehrauftrag berufen.65 Zum 1. Juli 1951 erfolgte die Heraufstufung zum Professor mit vollem Lehrauftrag. Mit Wirkung vom 1. Juli 1954 wurde Kantorowicz auf den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur berufen sowie am 27. Oktober 1955 zum Direktor des Germanistischen Institutes bestellt. Zudem wurde er als Herausgeber der Werke Heinrich Manns und als Leiter des Heinrich-Mann-Archivs der Deutschen Akademie der Künste einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Neben seiner Lehrtätigkeit schrieb er das Drama Die Verbündeten, das indes unmittelbar nach seiner Erstaufführung am 4. Juli 1951 auf Anordnung des Kultursekretariats der SED vom Spielplan des Deutschen Theater wieder aus dem Programm genommen wurde. Im ZK-Beschluss über den „Kampf gegen den Formalismus“ vom März 1951 war Kantorowicz noch als ein Schriftsteller gelobt worden, auf dessen Leistungen alle „fortschrittlichen Deutschen mit Recht stolz“ seien.66 Seine Enttäuschung über diese Zurücksetzung seiner schriftstellerischen Arbeit verband sich mit zunehmendem Zweifel an der Richtigkeit jener Politik, die er nach außen hin weiterhin entschieden vertrat. Alfred Kantorowicz’ Ehe mit Elfriede zerbrach, was er später sehr bedauerte. Eine zweite Ehe mit der aus Bosnien stammenden Seka von Achenbach scheiterte nach kurzer Zeit.67 Jacob und Hertha Walcher schienen mit ihrer Rückkehr nach Ostdeutschland ihre KPO- und SAP-Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Dies betonten sie auch in Gesprächen mit alten Freunden wie Irmgard und August Enderle, bei denen sie in Bremen wohnten. In Berlin suchte Walcher Willy Brandt, den er aus der Exilarbeit der SAP kannte, für die Arbeit in der Ostzone und in der SED zu gewinnen.68 Doch dieser lehnte ab und schloss sich stattdessen der SPD im West-

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Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Personalakte Alfred Kantorowicz: Prof. Dr. Alfred Meusel, Begründung für Antrag Kantorowicz, 2. November 1949, zit. n. Gruner, Alfred Kantorowicz, S. 308. Die Personalakte von Kantorowicz ist nur noch als (sehr schwer lesbare) Mikrofiche einsehbar, weshalb sie hier durchgehend nach diesem Aufsatz von Wolfgang Gruner (vgl. Anm. 3) zitiert wird. Alle folgenden Angaben über die Ernennungen beziehen sich auf diese Quelle, S. 308 f. Die Ernennungsurkunde ist auf den 15. Dezember 1949 datiert. Vgl. ebd., S. 308, Anm. 67. Abgedruckt in: Dokumente der SED, Bd. 3, Berlin [DDR] 1952, S. 452. Vgl. Eckart Spoo, Seka von Achenbach, in: Ossietzky, Nr. 24/2007. Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 146–149.

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teil Berlins an. Der spätere Kanzler der Bundesrepublik Deutschland erinnerte sich Zeit seines Lebens an Walcher als einen Arbeiter-Intellektuellen, der ihn geprägt hatte, auch wenn Brandt ihm politisch nicht zu folgen vermochte.69 Unmittelbar nach der Ankunft in Berlin nahm Jacob Walcher noch im Januar 1947 die Arbeit als Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne, gemeinsam mit dem Sowjetunion-Remigranten Fritz Apelt, auf. Jacob und Hertha Walcher traten der SED bei. Für Jacob Walcher, Mitbegründer der KPD, war die SED nun ohne Wenn und Aber die politische Heimat – wie sich zeigen sollte, nur für vier Jahre.70 Max Schroeder wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr Cheflektor des Berliner Aufbau-Verlages. Der Verlag war bereits am 16. August 1945 im Auftrag des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet worden. Geschäftsführer wurden zunächst Kurt Wilhelm und Otto Schiele, nach ihnen der Sowjetunion-Remigrant Erich Wendt und der aus Mexiko zurückgekehrte Walter Janka. Das Haus wurde zum wichtigsten Verlag der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR und übernahm 1948 auch (mit Ausnahme der Bücher von F. C. Weiskopf) alle Rechte des New Yorker Aurora-Verlags. Schwerpunkte des Programms waren die antifaschistische Exilliteratur, die deutsche Klassik und die Sowjetliteratur, doch öffnete sich das Verlagsprogramm in späteren Jahren der westlichen Moderne.71 Hans und Hilde Marchwitza gelangten zunächst nach Stuttgart, da sie nur für die amerikanische Besatzungszone Einreisevisa erhalten hatten. 1947 gingen sie in den Osten und ließen sich in Potsdam-Babelsberg nieder. Hans Marchwitza arbeitete fortan als freier Schriftsteller, Hilde als Übersetzerin. 1950 war Hans Marchwitza einer der Mitbegründer der Deutschen Akademie der Künste. Im gleichen Jahr wurde er jedoch Botschaftsrat (Kulturattaché) der DDR in Prag. Seine Frau begleitete ihn. Doch bereits 1951 kehrten die Marchwitzas in die DDR zurück; zeitig genug, um nicht als Diplomaten den antisemitischen Schauprozess in Prag erleben zu müssen.72 Im Verlauf des Jahres 1947 kamen Lisa Kirbach, die in Dresden ihre Arbeit als Lehrerin wieder aufnahm, die Schriftsteller Walther Victor und Maximilian

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Vgl. ebd., S. 232. Vgl. ebd., S. 150. Vgl. ausführlich Carsten Wurm, Der frühe Aufbau-Verlag 1945–1951. Konzepte und Kontroversen, Wiesbaden 1996. DDR-Botschafter Fritz Große wurde unmittelbar vor Beginn des Prozesses gegen Rudolf Slánský von seinem Posten abberufen, sein Nachfolger Bernhard Koenen (1937–1940 in der Sowjetunion inhaftiert) trat erst im Januar 1953, nach Beendigung des Prozesses und Hinrichtung der Todeskandidaten, sein Amt an.

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Scheer, der Mediziner Walter Friedeberger sowie Hermann und Käte Duncker nach Ostdeutschland. Walther Victor kehrte im Februar 1947 nach Europa zurück und lebte zunächst in Luxemburg, ab Juni 1947 in Hamburg. Noch im gleichen Jahr zog er nach Dresden um und arbeitete in der Sächsischen Landesregierung, unter anderem als Pressechef von Ministerpräsident Max Seydewitz. In seinem Gepäck befand sich das Manuskript seiner in lockerer Form niedergeschriebenen Lebenserinnerungen, Kehre wieder über die Berge, das er zunächst nur als Privatdruck in wenigen Exemplaren an seine Freunde hatte verteilen können. Es sollte bis 1982 dauern, ehe das Buch in der DDR erschien. Doch hatte Victor in die SBZ eine Broschüre mitgebracht, in der er die New York Times als ebenso von ihren Geldgebern abhängig bezeichnete wie die Presse der Sowjetunion; ein Urteil, das natürlich in der SED nur bedingt auf Wohlwollen stieß. Nur leugne, so Victor weiter, die staatliche Sowjetpresse dies nicht ab, und auch wenn in der UdSSR „eine vollentwickelte Demokratie“ noch nicht hergestellt sei, so seien doch die Aussichten dafür besser als in den Vereinigten Staaten.73 Wie informiert könne eine Bevölkerung sein, wenn es in zehn von achtundvierzig Staaten der USA „nicht eine einzige Stadt gibt, in der mehr als eine Tageszeitung erscheint?“74 Nach seiner Ankunft in Ostdeutschland 1947 trat Victor in die SED ein und arbeitete als freier Schriftsteller. 1948 war er Mitbegründer und 2. Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Autoren. 1949 wurde er Literarischer Leiter der Büchergilde Gutenberg in Berlin und übernahm 1950 den geschäftsführenden Vorsitz des Schriftstellerverbandes im Kulturbund der DDR. Ab 1951 lebte Victor in Kleinmachnow bei Berlin. Maximilian Scheer ließ sich in Berlin nieder und übernahm noch 1947 die Chefredaktion von Kantorowicz’ Zeitschrift Ost und West. Er trat nicht der SED bei. 1949 wurde er Leiter der Hauptabteilung Künstlerisches Wort des Berliner Rundfunks und des Deutschlandsenders. Ab 1952 arbeitete auch er als freier Schriftsteller.75 Nach der Scheidung von seiner Frau Elisabeth heiratete er in zweiter Ehe die Medizinerin und spätere Professorin Elfriede Hirsch (1927–2000), die den Namen Schlieper-Scheer annahm und gründete mit ihr eine neue Familie: 1957 wurde die Tochter Katharina, 1963 der Sohn Mathias geboren.76

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Walther Victor, The New York Time Exposed. Free Press? Where? In America? In Russia?, Girard (Kansas) 1946, S. 16. Ebd., S. 9. Vgl. Maximilian Scheers Autobiographie: Mit meinen Augen, Berlin [DDR] 1977, S. 228ff. Die Angaben entstammen dem biographischen Abriss von Lionel Richard sowie Katharina Schliepers Vorwort zur Neuausgabe des Buches von Maximilian Scheer, Das deutsche

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Im Februar 1947 kehrten Walter und Ellinor Friedeberger nach Berlin zurück. Walter Friedeberger trat im November in die SED ein. Er erfuhr einen bemerkenswerten beruflichen Aufstieg, während seine Frau fortan zu Hause blieb (die Friedebergers hatten keine Kinder). Von 1947 bis 1950 war Walter Friedeberger zunächst Referent in der Zentralverwaltung für Gesundheitswesen der SBZ beziehungsweise DDR. 1951 bis 1958 war er Direktor des Deutschen HygieneMuseums in Dresden. 1955 übernahm er einen Lehrauftrag an der Berliner Humboldt-Universität und wurde 1957 zum Titularprofessor ernannt. 1959 wurde er Stellvertretender Minister für Gesundheitswesen der DDR, von 1964 an war er zusätzlich Professor mit Lehrstuhl für Gesundheitserziehung an der Akademie für Ärztliche Fortbildung und deren Rektor. Von 1963 an war er Mitglied der Volkskammer.77 Am 17. Mai 1947 trafen Käte und Hermann Duncker in Berlin ein. Sie ließen sich zunächst in Charlottenberg bei ihrer Tochter Hedwig, dem einzigen überlebenden ihrer drei Kinder, nieder. Hermann Duncker nahm „wieder die Arbeit in der Arbeiterbildung auf“, wie er in einem Lebenslauf schrieb.78 Er trat der SED bei, Käte Duncker lehnte hingegen – angesichts des Schicksals ihres Sohnes Wolfgang in der UdSSR – den Eintritt in die Partei ab. Der Bedarf an Hochschullehrern in der Sowjetischen Besatzungszone verhalf Hermann Duncker am 1. Oktober 1947 zum späten Ruf als ordentlicher Professor für das Fachgebiet Geschichte der sozialen Bewegung an die Universität Rostock. Zudem wurde er Dekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät. In seine Vorlesungen zur Geschichte und Theorie des Sozialismus bezog er internationale Fragestellungen ein und empfahl die Lektüre fremdsprachiger Literatur. Die Lehr- und Publikationstätigkeit in Rostock aber war kurz bemessen. Schon im März 1949 wurde er zum Direktor der FDGB-Bundesschule in Bernau bei Berlin ernannt.



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Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland – ein Tatsachenbericht, neu hg. von Katharina Schlieper, Hamburg 2012 (Erstausgabe: Paris 1936), S. 9– 12 bzw. 13–16. Vgl. Bundesarchiv, Abteilung Berlin, Ministerrat der DDR: DC 20/7874: Personalakte Walter Friedeberger: Angaben nach den verschiedenen, dort enthaltenen Lebensläufen. Vgl. auch Qualifizierte Ärzte – gesunde Menschen. Prof. Dr. Walter Friedeberger neuer Rektor der Deutschen Akademie für Ärztliche Fortbildung, in: Neues Deutschland, 5. März 1964. – Ältere Beiträge aus dem Neuen Deutschland sind entweder dem Archiv der Zeitung oder der elektronischen Archivierung unter https://www.neues-deutschland.de/archiv.php entnommen. Lebenslauf Hermann Dunckers vom 2. Juli 1948, in: Horst und Rosemarie Hoffmann, Das Wirken Hermann Dunckers an der Universität Rostock, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 16, 1968, Nr. 6, S. 764.

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Für die Dunckers war das Leben in der SBZ und DDR von Anerkennung und materieller Sicherheit bestimmt. Von seiner Berliner Wohnung wurde Hermann Duncker zu den Lehrveranstaltungen und sonstigen Sitzungen im Auto mit Chauffeur gefahren, wenn er nicht in Rostock übernachten wollte. Zudem konnte er seine Vorlesungen und Seminare als Blockveranstaltungen, auf wenige Wochen im Semester zusammengedrängt, anbieten. Nach seiner Berufung an die Hochschule in Bernau bezogen die Dunckers eine komfortable Wohnung mit Zentralheizung. Die Hochschule stellte ihnen unentgeltlich eine Haushaltshilfe zur Verfügung und sorgte für die Anlieferung warmer Mahlzeiten für die gebrechlich werdenden Dunckers.79 Doch die qualvolle Erinnerung an das Ende ihrer beiden Söhne ließ sich nicht vertreiben. Am 4. Juni 1948 wandten sich Käte und Hermann Duncker wegen ihres Sohnes Wolfgang direkt an Stalin. Sie verwiesen auf ihre langjährige Tätigkeit in der deutschen Arbeiterbewegung, auf Wolfgangs Filmarbeit in der Sowjetunion und auf die Stationen seiner Haft, soweit ihnen diese bekannt waren, und schrieben: „Wir bitten Sie, verehrter Genosse Stalin, dass über das Verbleiben unseres Sohnes nachgeforscht wird und wir von dem Resultat dieser Untersuchungen benachrichtigt werden. Und wenn er noch lebt, dass es ihm ermöglicht wird, sich mit uns in Verbindung zu setzen und, wenn möglich, seine alten Eltern aufzusuchen.“ Wilhelm Pieck leitete den Brief an Stalin weiter.80 Am 10. November 1948 erhielt Pieck durch das Rote Kreuz und den Roten Halbmond der UdSSR eine Auskunft mit Wolfgangs Todesdatum vom 20. November 1942. Als Todesort wurde Workuta angegeben. Piecks Tochter Elly Winter übermittelte Hermann Duncker am 27. November die Nachricht und schrieb: „Bitte überreiche Du diese der Käte.“81 Drei Tage später schrieb Käte Duncker ihrer Schwiegertochter Erika, Wolfgangs Witwe, die inzwischen wieder in ihre Geburtsstadt Basel zurückgekehrt war: „So ist der letzte Rest meiner Hoffung dahin und ich hatte ja bis zuletzt immer noch ein bisschen Hoffnung. Nun sind wir ganz verarmt.“82

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Vgl. den Anhang in: Heinz Deutschland (Hg.), Käte und Hermann Duncker. Ein Tagebuch in Briefen (1894–1953). Inklusive USB Card mit dem vollständigen Briefwechsel, Berlin 2016 (im Folgenden: Duncker-Briefwechsel), S. 566. Ebd., USB Card, Nr. 2735. Der Brief befindet sich auch im Nachlass Wilhelm Piecks in: SAPMO-BArch, NY 4036/622, Bl. 173 f. Er ist vollständig abgedruckt in: Heinz Deutschland/Mario Keßler, Hermann Duncker. Sozialdemokratischer „Wanderprediger“, Spartakist, Gewerkschaftslehrer, Hamburg 2001, S. 20 f. Das Schreiben befindet sich im Nachlass Piecks, SAPMO-BArch, NY 4036/622, Bl. 177. Ebd., Nachlass Hermann Duncker, ebd., NY 4445/299, Bl. 203: Käte Duncker an Erika Duncker, Brief vom 30. Dezember 1948, auch zit. in: Duncker-Briefwechsel, S. 511.

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Erst 1956 – Käte war inzwischen verstorben – erhielt Hermann Duncker durch einen mit Wolfgang zusammen Inhaftierten – Auskünfte über Wolfgangs letzte Zeit in Workuta sowie hinterlassene Papiere, unter denen sich auch das Gedicht mit den Schlusszeilen „Ich kam als Gast in euer Land gereist“ befand.83 Im gleichen Jahr wurde Wolfgang Duncker durch die SED, doch erst im Jahre 1989 durch sowjetischen Gerichtsentscheid rehabilitiert.84 Unter diesen Umständen konnte Hermann Duncker nicht zum Propagandisten Stalins werden, den zu zitieren er, wann immer möglich, vermied. Beachtung verdient auch seine Ansicht über die Zukunftsausschichten des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, die sich von der parteioffiziellen Lesart deutlich unterschied. „Die alte bürgerliche Klassenherrschaft“, schrieb er kurz nach seiner Rückkehr aus den USA, sei in Deutschland und Italien „durch den Sturz des faschistischen Staatskapitalismus in außerordentlicher Weise geschwächt worden, so dass die Großbourgeoisie einer demokratischen Ausnutzung und Erweiterung der Volksrechte in der Richtung auf sozialistische Maßnahmen sich nicht mehr so sicher und erfolgsgewiss entgegenwerfen kann.“ Eine sozialistische Einheitsfront würde einen „friedlichen Weg zum Sozialismus“ eröffnen.85 Mit dieser Formel trat Duncker dem offiziellen Dogma Stalins vom sich gesetzmäßig verschärfenden Klassenkampf listig entgegen. Parteiintern wurde dies mehrmals kritisiert, wenn auch die Kritik nicht an die Öffentlichkeit gelangte.86 Daraufhin entgegnete Duncker mutig, er sei nicht gewillt, den Marxismus allein aus Stalins Schriften darzulegen.87 Duncker blieb trotz offizieller Ehrungen – so verlieh ihm die Leipziger Universität 1959 ein Ehrendoktorat – von den Dogmatikern misstrauisch beäugt. Seine Studenten und Mitarbeiter aber verehrten den hochgebildeten und bescheiden auftretenden Lehrer. Dieser setzte sich bei musikalischen Darbietungen des Hochschulchores noch oft selbst ans Klavier.88 Neben der Anerkennung für die Rückkehrer stießen diese auch auf Argwohn, und dies nicht nur innerhalb der SED. Überall, in Ost wie West, mussten die Remigranten damit fertig werden, in eine Gesellschaft zurückzukehren, deren

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Vgl. die Zusammenstellung der von Oktober 1955 bis Juli 1962 durch die ZPKK überprüften Genossen, in: Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (Hg.), SED und Stalinismus. Dokumente aus dem Jahr 1956, Berlin 1990, S. 154. Vgl. Carola Tischler, Mersus. Der Filmkritiker Wolfgang Duncker, München 2007, S. 60. Vgl. auch Duncker-Briefwechsel, S. 511. Hermann Duncker, Drei Epochen des Marxismus, in: Einheit 3, 1948, Nr. 2, S. 180. Vgl. Duncker-Briefwechsel, S. 568. Vgl. ebd., Brief Hermann Dunckers vom 23. Januar 1950, Nr. 2749. Vgl. ebd., Anhang, S. 567.

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Erfahrungen sie zwölf Jahre lang nicht geteilt hatten. Es waren keineswegs nur unverbesserliche Nationalsozialisten, die ihnen mit Misstrauen begegneten.89 Der später als die meisten, im August 1948, zurückkommende Hermann Budzislawski notierte, beim Zwischenstopp in Kopenhagen seien die dänischen Rückkehrer freundlich und sogar mit Jubel begrüßt worden, während sie kaum jemand in Deutschland erwartete – die Verwandten waren umgebracht worden. Es fiel Hermann und Johanna Budzislawski auf, dass viele Deutsche noch drei Jahre nach Kriegsende militaristische Vokabeln im Gespräch benutzten, die vor 1933 nicht Teil der Alttagssprache gewesen waren. „Unbewusst waren wir häufig versucht, Englisch miteinander zu sprechen, gleichsam in Abwehr gegen das von allen Seiten auf uns eindringende Deutsch.“ Sie gestanden sich ein, dass es vielleicht übertrieben war, in jeder befremdlichen Geste oder jedem störenden Ausdruck ein Erbe der Nazizeit zu sehen, und dennoch konnten sie sich dieses Eindrucks oft kaum erwehren.90 „Die Rückkehrer aus den USA wurden mit prüfenden Blicken betrachtet und fühlten sich als Ausländer auf Heimatboden“, heißt es in einer Arbeit zum Thema.91 Sie wurden bei der Wiederbegegnung mit den Plätzen ihrer Jugend auf Schritt und Tritt von Erinnerungen an Menschen heimgesucht, die nicht mehr da waren. Zumal die Berliner unter den Remigranten wussten, dass die lebendige Kultur der Weimarer Republik unwiederbringlich dahin war und durch keine noch so großen Anstrengungen zur Gänze wiederbelebt werden konnte. Dennoch überwog noch immer der Optimismus. Die Rückkehr wurde als Chance gesehen, zur Neugestaltung Deutschlands beitragen zu können, sogar einige der Pläne umzusetzen, die man im Council for a Democratic Germany und im German American geschmiedet hatte. Doch lief die proklamierte antifaschistisch-demokratische Ordnung auf ein Einparteiregime hinaus. Dies erzeugte neue gesellschaftliche Spannungen und Widersprüche, von denen die „Westemigranten“ aus den USA und anderswo alsbald in spezifischer Weise betroffen waren.

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Es bedürfte genauerer, hier nicht zu leistender Forschungen, um die Frage nach Kontakten zwischen den kulturellen Teilmilieus der Remigranten und der alten, zum DDRSozialismus gekommenen bürgerlich-miltärischen Elite nachzugehen. In beiden Milieus „zu Hause“ waren die Mexiko-Remigranten Ludwig Renn und Bodo Uhse. Vgl. zu Uhse Simone Barck, Antifa-Geschichte(n). Eile literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 161 ff. Hermann Budzislawski, Heimkehr, in: Ost und West 2, 1948, Nr. 10, S. 45. Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 94.

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Doch zunächst war die Rückkehr nach Deutschland für vier Emigranten eine Rückkehr mit Hindernissen: für Bertolt Brecht, Hanns und Gerhart sowie Hilde Eisler. Sie wurden zu Figuren der Propaganda im einsetzenden Kalten Krieg.

Rückreise mit Hindernissen: Brecht und die Eisler-Brüder Mit dem Beginn des Kalten Krieges änderte sich das politische Klima in den USA drastisch. Neben der außenpolitischen Frontstellung gegen die Sowjetunion war ein weiterer Faktor für diesen Umschwung die Tatsache, dass seit Kriegsende die Arbeitslosigkeit in den USA unerwartet stark gestiegen war und die sozialen Spannungen eine Reihe großer Streiks hervorriefen, als deren Urheber oftmals die Kommunisten galten. Durch einen scharfen Antikommunismus suchte die Truman-Regierung ihren rechten Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hierzu gehörte die Wiederbelebung des House Un-American Activities Committee, des Ausschusses für Unamerikanische Tätigkeit (HUAC), bevor ab Februar 1950 der mit dem Namen Joseph McCarthys verbundene Untersuchungsausschuss des Senats eine analoge Rolle übernahm.92 Das HUAC sollte am Ende des Zweiten Weltkrieges aufgelöst werden, doch gelang es im Januar 1945 dem Abgeordneten John Rankin aus Mississippi, die Auflösung nicht nur zu verhindern, sondern den Ausschuss in ein ständiges Organ des Repräsentantenhauses zu verwandeln. FBI-Direktor Hoover erklärte 1947 vor dem HUAC die Bekämpfung des Kommunismus in jeder Form zum obersten Gebot seiner Behörde.93 Dies betraf auch in den USA lebende Ausländer. Zu einem der bekanntesten Fälle wurde der „Fall Gerhart Eisler.“94 Dabei bedienten sich HUAC und FBI auch der Mitarbeit Ruth Fischers.95

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Dessen offizielle Bezeichnung lautete Subcommittee on the Investigation of Loyalty of State Department Employees (Unterausschuss zur Überprüfung der Staatstreue von Angestellten des Außenministeriums). Vgl. Hoovers Rede vor dem HUAC vom 26. März 1947, abgedruckt in: Ellen W. Schrecker, The Age of McCarthyism. A Brief History With Documents, 2. Aufl., Boston/New York 2002, S. 127–133. Vgl. für das Folgende auch Mario Keßler, Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895–1961), Köln/Weimar/Wien 2013, S. 417–441. Dennoch traute das FBI der ehemaligen KPD-Politikerin nicht. Auch sie wurde deshalb von Anfang an beobachtet. Laut einer Information vom 28. November 1942 sei sie „liberal gesinnt und habe starke Sympathien für die europäische Gewerkschaftsbewegung“, sie sei „erbitterte Antikommunistin, obgleich sie zwischen ehrenhaften Kommunisten und Stalinisten Unterschiede macht und sich selbst eher als Antistalinistin denn als Antikommunistin sieht.“ Ohio State University, University Libraries, Columbus, Ohio: Alex-

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Bereits am 17. Oktober 1946 vermeldete die Washingtoner Zeitung The World Telegram in großer Aufmachung „Agent des Kreml in den USA identifiziert!“ Louis F. Budenz, der frühere Chefredakteur des Daily Worker, der Tageszeitung der KP der USA, habe Gerhart Eisler als „Hans Berger“ namhaft gemacht, „als jenen Geheimagenten des Kreml, der alle kommunistischen Aktivitäten in den Vereinigten Staaten lenkt.“ Ruth Fischer habe diese Angaben bestätigt. „Frau Fischer beschrieb heute ihren Bruder ‚Hans Berger‘ als das Haupt der deutschen Kommunisten in der westlichen Hemisphäre und als eine Hauptfigur des kommunistischen Apparates und Schlüsselfigur in der amerikanischen kommunistischen Partei.“96 „Dieser Mann zeigt niemals sein Gesicht“, so Budenz. Der durchschnittliche amerikanische Kommunist habe noch nie von ihm gehört. Gerhart Eisler sei auch der Bruder des bekannten Komponisten Hanns Eisler, der in Hollywood gutes Geld verdient habe. Ruth Fischer, die von der Zeitung als „aggressiv antikommunistisch“ beschrieben wurde, habe ihren Bruder einen zynischen Mann des StalinApparates genannt, der jede von oben befohlene Wendung mitmachte.97 Sie hätte, so wurde sie von der Washington Post zitiert, „zu ihrem Bruder seit 15 Jahren keinen Kontakt gehabt und glaube nicht, dass er amerikanischer Staatsbürger sei. Er sei jedoch, unter welcher Identität und mit welch offizieller Funktion auch immer, „Kommunist Nr. Eins“ in den USA, so auch Budenz.98 In einem Interview mit dem Daily Worker wies Eisler dies zurück. Der mexikanische Präsident Lázaro Cárdenas habe den deutschen Hitler-Flüchtlingen Asyl in seinem Land geboten. Dorthin habe er, Gerhart Eisler, sich begeben wollen. Bei



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ander Stephan Collection of FBI Files on German Intellectuals in US Exile: Fischer, Ruth (weiterhin zitiert als Ruth Fischer FBI File), D. M. Ladd, Office Memorandum an FBIDirektor Hoover, 19. Mai 1944. Die Akte wurde erst mit Ruth Fischers Tod 1961 geschlossen. Ein Bericht darin warf die Frage auf, ob Ruth Fischers Aktivitäten Interventionen des sowjetischen Noch-Verbündeten hervorrufen könne. Vgl. ebd.: FBI-Memorandum, 24. Juni 1944. Frederick Woltman, Kremlin Agent in U.S. Identified, in: World Telegram vom 17. Oktober 1946. Fast im gleichen Wortlaut wiedergegeben in: Washington Daily News vom 17. Oktober 1946. Diese und weitere, im Folgenden zitierte Zeitungsberichte befinden sich in den Robert F. Wagner Archives der Tamiment Library an der New York University, Gerhart Eisler File, Box 2, verschiedene Mappen, sowie in einer auszugsweisen Zusammenstellung in: Gerhart Eisler Scrapbook, das gleichfalls dort unter der Signatur TAM 438 aufgewahrt wird. Woltman, Kremlin Agent in U.S. Identified. Ex-Editor of Daily Worker Names Director of U.S. Reds, in: Washington Post vom 18. Oktober 1946. Vgl. auch die Rechtfertigungsschrift von Louis F. Budenz, This is My Story, New York/London 1947, hierzu S. 241.

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einem Zwischenstopp in Trinidad habe die britische Polizei (Trinidad war eine britische Kolonie) ihn als Antifaschisten anerkannt, und er habe nach New York weiterreisen können. Nur weil ihm der direkte Weg nach Mexiko versperrt gewesen sei, habe er überhaupt den Umweg über New York genutzt.99 Der German American druckte diese Erklärung auf Deutsch sinngemäß nach.100 In einer Artikelserie, die vom 18. bis zum 23. November 1946 im Hearst-Blatt New York Journal American erschien, beschrieb Ruth Fischer ihre Version des Falles.101 „Die Karriere eines Terroristen“, hieß der erste Teil der Serie. Gerhart Eisler sei schon in den frühen dreißiger Jahren in den USA gewesen und habe die kommunistische Partei, den Vorgaben Stalins folgend, entsprechend zugerichtet. Er habe jede oppositionelle Regung erstickt. Gerhart Eisler habe sich 1928 nach anfänglicher Opposition Ernst Thälmann angeschlossen und mitgeholfen, ihn an der Spitze der KPD zu halten, obgleich Thälmann in finanziell unsaubere Geschäfte verwickelt gewesen sei. Damals sei die GPU auf Gerhart Eisler aufmerksam geworden und habe ihn in ihren Dienst gestellt.102 In China habe er ab 1929 seine zweite GPU-Mission erfüllt, als er die oppositionellen Kräfte innerhalb der KP Chinas ausfindig machte. Er sei durch ganz China „von Parteizelle zu Parteizelle“ gereist und habe Namen um Namen nach Moskau übermittelt. „Seine charakterliche Disposition“, so seine Schwester über ihn, „wurde durch diese orientalische Atmosphäre gefördert, in der die Blutrache gegen politische Feinde ein geschätzter Brauch ist. […] Gerhart hatte zum ersten Mal Blut gerochen.“103 1933 sei er nach New York gekommen und habe auch die amerikanische KP dem Kurs Stalins unterworfen. Er habe 1936 die amerikanischen Kandidaten für die Abraham Lincoln Brigade ausgewählt, die gegen die Franco-Truppen in Spanien kämpften. Dabei sei es ihm keineswegs um die Verteidigung der spanischen



99 Bernard Burton, Gerhart Eisler Punctures Budenz-Woltman Provocation, in: Daily Worker, 18. Oktober 1946. Cárdenas amtierte bis Ende 1940 als Präsident Mexikos. 100 Gerhart Eisler, Einige Bemerkungen zu meinem Fall, in: The German American, 1. November 1946. Eine Auflistung der Presseartikel zum „Fall Eisler“ vor dessen Anhörung findet sich in einem Memorandum vom 15. Februar 1947 (enthalten in: Gerhart Eisler FBI File, Box Nr. 5, Mappe 1). 101 Vgl. auch die Materialien zu Gerhart Eisler in: Ruth Fischer Papers, Mappen Nr. 2511 und 2525. Ruth Fischer erwog kurzzeitig, die Artikelserie zu einem Buch zu erweitern, ließ diesen Plan aber fallen. Vgl. Ruth Fischer Papers, Mappe Nr. 2526: Outline for a Book „The Comintern’s American Agent“, 29. November 1946. 102 Ruth Fischer, The Comintern’s American Agent, I: Gerhart Eisler, the Career of a Terrorist, in: New York Journal American, 18. November 1946. 103 Ruth Fischer, The Comintern’s American Agent, II: The Chinese School of Terrorism, in: ebd., 19. November 1946.

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Demokratie gegangen, statt dessen habe er als Verbindungsoffizier zwischen der sowjetischen Geheimpolizei und deutschen Kommunisten um Ulbricht gedient. Gerhart Eisler habe nicht verhindern können, dass ehemalige Kommunisten wie Ignaz Reiss und Juliet Poyntz sich von Moskau lossagten – und beide verschwanden spurlos oder wurden ermordet.104 Eisler sei nach Moskau zurückbeordert worden, doch während viele seiner alten Freunde dort liquidiert wurden, sei ihm nichts zugestoßen.105 Jetzt sei Gerhart Eisler das Haupt einer Reihe deutscher Flüchtlinge, die in den USA die Geschäfte Moskaus besorgten. Mit dem Council for a Democratic Germany habe er eine Frontorganisation der KPD aufgebaut und „mit zwei anderen NKWD-Agenten“, Albert Schreiner und Albert Norden, das Buch The Lesson of Germany geschrieben. „Es ist eine bloße Rechtfertigung für alles, was Stalin in Deutschland verbricht.“106 Auch Budenz wiederholte am 22. November vor dem HUAC die Behauptung über Gerhart Eisler als dem amerikanischen Kommunisten Nr. Eins. Darauf erklärte Eisler in einem Interview für die Rundfunkstation WOL in Washington, Budenz nie getroffen zu haben. Doch wisse dieser um „bestimmte, mich betreffende Denunziationen aus der Richtung gewisser europäischer Renegaten.“107 Welche Rolle spiele und welche Funktion bekleide er in der Kommunistischen Partei der USA, wurde Gerhart Eisler im Rundfunkinterview gefragt. „Ich habe keine offizielle und keine inoffizielle Funktion“, erwiderte er. „Ich war niemals Mitglied der KP der USA.“108 Auch habe er nicht den Namen Hans Berger verwendet, sondern dem außenpolitischen Redakteur des Daily Worker, Joseph Starobin, Informationen übermittelt.109 Starobin habe diese für eigene Beiträge ver-

104 Ruth Fischer, The Comintern’s American Agent, III: You Can’t Retire From the N.K.V.D., in: ebd., 20. November 1946. 105 Ruth Fischer, The Comintern’s American Agent, IV: Departure and Arrival, in: ebd., 21. November 1946. 106 Ruth Fischer, The Comintern’s American Agent, V: Eisler’s Activity in the U.S., 1933– 1946, in: ebd., 22. November 1946. 107 Gerhart Eisler in der Sendung der Station WOL, Washington, D.C., am 27. Dezember 1946, hier zit. n. dem Manuskript (aus dem Besitz von Gerhart Eislers Witwe Hilde) als Anhang zu: Jürgen Schebera, Gerhart Eisler im Kampf gegen die USA-Administration, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 24, 1982, Nr. 6, S. 724–736. Hiernach auch die folgenden Zitate. 108 Normalerweise ließen sich Kommunisten, die in ein anderes Land zogen, in der entsprechenden Partei registrieren. Da Eisler jedoch als Komintern-Beauftragter in die USA kam, traf dies für ihn nicht zu und er blieb Mitglied der KPD. 109 Diese Information findet sich auch bei Maximilian Scheer, Paris – New York, Berlin [DDR] 1966, S. 223. Darin schrieb Scheer, Eisler „beriet den außenpolitischen Redakteur



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wendet und als „Hans Berger“ abgezeichnet.110 Die Nennung des Namens war offenbar mit Starobin abgesprochen.111 Dennoch dürften zumindest einige der unter dem Namen Hans Berger publizierten Artikel aus Eislers Feder stammen.112 Befragt, wann er in die Vereinigten Staaten gekommen sei, antwortete Eisler, er sei am 13. Juni 1941 eingereist, um weiter nach Mexiko zu fahren, dessen Einwanderungsvisum er besessen habe. „Die amerikanischen Behörden verhinderten meine Abreise und zwangen mich, in diesem Lande zu bleiben.“113 Er habe sich zunächst mit einem Transitvisum, später mit einem Besuchervisum in den USA aufgehalten, und jetzt würden ihm die amerikanischen Behörden verbieten, das Land wieder zu verlassen. Somit sei er nicht in die USA gekommen, um dort zu bleiben.114

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des kommunistischen ‚Daily Worker‘“, nannte aber nicht den Namen Starobins, womöglich, weil dieser bereits aus der Partei ausgetreten war, als Scheers Buch erschien. Bereits am 20. Oktober 1946 hatte Gerhart Eisler eine entsprechende Erklärung vorbereitet. Vgl. SAPMO-BArch, NY 4117/7, Bl. 20 f.: Bestand Gerhart Eisler. Starobin schrieb, nachdem er aus der KP der USA ausgeschieden war, Eisler, habe einen Anteil am „vergleichsweise großen Erfolg der Partei“ in den dreißiger Jahren gehabt, aber ab 1941 relativ zurückgezogen vom Parteileben gelebt, da er mit deutschen Angelegenheiten befasst gewesen sei. Den jüngeren amerikanischen KP-Funktionären sei er „wie ein Geist aus der Vergangenheit“ erschienen. Joseph R. Starobin, American Communism in Crisis, 1943–1957, Cambridge (Massachusetts) 1972, S. 304. Vgl. auch seine zeitgenössischen Berichte: Odyssey of an Anti-Fascist, in: Daily Worker, 17. November 1946, und: The Eisler I Know, in: New Masses, 4. März 1947. Er habe, berichtete Eisler im April 1953 der ZPKK, „regelmäßig für die amerikanische Parteipresse“ geschrieben, „bis 1945 gewöhnlich unter dem Decknamen Hans Berger.“ Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 39: ZPKK, Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. Die Zusammenarbeit mit Starobin war offenbar enger, als jener auch nach seinem Bruch mit der KP der USA zugab, um mögliche juristische Konsequenzen zu vermeiden. Damit wandte sich Eisler auch implizit gegen Dorothy Thompson, die ihm vorgeworfen hatte, von Anfang an in den USA bleiben zu wollen. Vgl. Dorothy Thompson, An Open Letter to Gerhart Eisler, in: New York Post vom 29. Oktober 1946. Eisler traf nach seiner Einreise in New York mit den ihm aus den 1930er Jahren gut bekannten KP-Politikern William Z. Foster, Earl Browder und Eugene Dennis zusammen, doch war es für alle Beteiligten selbstverständlich, so Eisler, dass er „im Einverständnis mit der amerikanischen Partei“ sich auf die Arbeit am German American konzentrieren solle. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 39, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. „Er hatte daher auch keinen Auftrag – und damit auch keine Erlaubnis – der Komintern, erneut innerhalb der KP der USA politisch tätig zu werden“, schrieb Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-Eisler-Biographie, Berlin 2007, S. 163. Auch Romerstein und Breindel hatten nichts über eine Funktion Gerhart Eislers in der KP der USA ab 1941 zu berichten. Vgl. Herbert Romerstein/Eric Breindel, The

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Auf die Frage, was er über den möglichen Mord an Ruth Fischers Lebensgefährten Arkadij Maslow wisse, antwortete er: „Ich war in einem Konzentrationslager zu dieser Zeit, und ich weiß nicht, was mit ihrem Mann geschehen ist. Ich habe ihre Darstellung gehört, aber ich möchte darüber nicht diskutieren.“ Doch bohrte keiner der drei Radioreporter, die das Interview führten, hier nach: Denn zum Zeitpunkt von Maslows Tod am 22. November 1941 war Gerhart Eisler bereits seit über fünf Monaten in den USA und nicht mehr im Lager Le Vernet in Frankreich, in das ihn die Vichy-Regierung verbracht hatte.115 Mit der – zutreffenden – Begründung, er habe bei seiner Einwanderung falsche Angaben zur Person gemacht, wurde Gerhart Eisler am 4. Februar 1947 in

Venona Secrets. Exposing Soviet Espionage and America’s Traitors, Washington, D.C. 2000, S. 74–76. Eislers und seine eigenen Artikel in der amerikanischen „Arbeiterpresse“, so Paul Merker, „beschäftigten sich jedoch niemals mit Fragen der Innenpolitik irgendeines amerikanischen Landes. Sie behandelten den Kampf gegen den Nazismus und dienten der Gewinnung des Krieges gegen Hitler zur Rettung des deutschen Volkes.“ Paul Merker, Der „Fall“ Gerhart Eisler, in: Neues Deutschland, 25. Februar 1947. 115 Mehr als zwei Jahrzehnte später wurde Ruth Fischers unbewiesene Anschuldigung, Eisler habe seine Hände bei der Auslieferung ihres früheren Ehemannes Paul Friedländer aus dem französischen Internierungslager Le Vernet an die Gestapo im Spiel gehabt, von der seriösen Forschung unkritisch aufgegriffen. So hieß es in einem 1965 erschienenen Sammelband zur Geschichte der Komintern: „Gerhart Eisler wurde zu Beginn des Krieges in Frankreich interniert, wo er sich in der Gesellschaft [...] seines ehemaligen Schwagers Paul Friedländer wiederfand. Letzterer hatte anlässlich des Stalin-Hitler-Paktes nachdrücklich seine Missbilligung bekundet; Eisler gelang es daraufhin, als zur Zeit des französischen Debakels die Lager aufgelöst wurden, Paul Friedländer auf eine Sonderliste setzen zu lassen: Friedländer wurde von Vichy den Deutschen ausgeliefert. Er ist irgendwo in Deutschland verschwunden.“ Lucien Laurat, Le Parti communiste autrichien, in: Jacques Freymond (Hg.), Contributions à l’histoire du Comintern, Genève 1965, S. 95. Laurat (eigentlich Otto Maschl) war mit Ruth Fischer befreundet, die ihm ihre Sicht der Dinge vermittelt haben dürfte. Gerhart Eisler erhob Klage gegen die Librairie Droz, die Verlagsanstalt, in der das Buch erschienen war, und verlangte, die entsprechende Passage zu schwärzen. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11v. 749, Bl. 31, ZPKK, [Bestand] Gerhart Eisler: Brief von Rechtsanwalt Prof. Dr. Kaul an die Librairie Droz, Genève, 15. November 1965. Die Passage blieb jedoch in zahlreichen Bibliotheksexemplaren, so in denen der New York Public Library und der Leipziger Universitätsbibliothek, ungeschwärzt. Der Ex-Kommunist Gustav Regler schrieb, er habe in Le Vernet Eisler belauscht und ihn sagen hören, Friedländer sei ein „Verräter“, gibt jedoch keinerlei Hinweis auf irgendeine Denunziation. Gustav Regler, Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte, Frankfurt a. M. 1975, S. 454. Das Buch erschien zuerst 1959. Paul Friedländer wurde 1942 oder 1943 in Auschwitz ermordet.

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New York festgenommen.116 Zwei Tage darauf wurde er zur Anhörung vor das HUAC vorgeladen. Dessen Vorsitzender J. Parnell Thomas erklärte, das Komitee sehe „die Kommunistische Partei der Vereinigten Staaten als eine subversive Organisation, und die Untersuchung des Denkens und des Handelns jeder einzelnen Person“, die mit dieser Partei in Verbindung stehe, „liege in der Vollmacht dieses Komitees.“ Eisler erklärte, er sehe sich als politischen Gefangenen der USA. Er lehne es ab, sich vereidigen zu lassen, solange es ihm nicht erlaubt sei, einige Bemerkungen in eigener Sache zu machen. Das Komitee wies dies zurück und beantragte, Eisler wegen „Missachtung“ zu belangen. So endete nach zehn Minuten Eislers Verhör. Er wurde in das New Yorker Gefängnis zurückgebracht und anschließend dem Bezirksgericht in Washington überstellt.117 Eine erste Gerichtsverhandlung in New York endete im März und April ergebnislos, und Eisler musste gegen Kaution freigelassen werden.118 Damit war der „Fall Gerhart Eisler“ keineswegs beendet. Zunächst trat unmittelbar nach Eislers Anhörung Ruth Fischer in den Zeugenstand des HUAC.119 Sie wurde zur entscheidenden Belastungszeugin gegen ihren Bruder, den sie als „Haupt der Komintern-Aktivitäten in diesem Land“ bezeichnete, „oder, um es besser auszudrücken, als das Haupt eines Agentennetzwerkes der russischen geheimen Staatspolizei.“ Robert Stripling, der Vorsitzende des Hauptausschusses des Komitees, forderte Ruth Fischer auf, wichtige Stationen ihrer Biografie darzulegen und insbesondere die Frage zu beantworten, wie sie und ihr Bruder zur kommunistischen Bewegung gekommen waren. Sie erklärte: „Ich war ein Gründungsmitglied der österreichischen kommunistischen Partei, und als mein Bruder aus dem Krieg zurückkam, trat er ihr – wir waren beide sehr jung – auf mein Drängen hin bei. In Berlin, wo ich mich in der kommunistischen Organisation sehr aktiv betätigte, wurde Gerhart rasch zum Organisator und Propagandisten in der KPD. Zu dieser Zeit war unsere Beziehung sehr gut, nicht nur wegen der gemeinsamen familiären Herkunft – wir sind fast gleichaltrig und

116 Eisler war 1941 mit einem falschen, auf den Namen Joseph Liptzin ausgestellten Pass eingereist, was er in der DDR vor den Parteiorganen auch zugab. Vgl. SAPMO-BArch, DY/30/IV 2/4/155, Bl. 48, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. 117 Eislers Befragung ist abgedruckt in: House Committee on Un-American Activities, 80th Congress, 1st Session, Washington, D.C. 1947. Eine deutsche Übersetzung, nach der hier zitiert wird, befindet sich in: Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 273–276, Zitat S. 274. Seine Befragung durch das Washingtoner Bezirksgericht befindet sich in mehreren Kopien in Gerhart Eisler FBI File, Box No. 3, verschiedene Folder. 118 Maximilian Scheer, Paris – New York, S. 220 ff., erwähnt erstaunlicherweise in seiner Schilderung des Falles die Rolle und sogar den Namen Ruth Fischers nicht. 119 Ihre Befragung ist dokumentiert in: House Committee, S. 29–35 u. 46–55. Deutsch in: Mario Keßler, Ruth Fischer, S. 629–648. Alle folgenden Zitate nach dieser Quelle.

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zusammen aufgewachsen –, sondern auch, weil wir die gleichen politischen Anschauungen vertraten. Diese politische und persönliche Freundschaft dauerte bis zum Jahre 1923, dem Jahr der Ruhrbesetzung durch die französische Armee, als wir eine schwere Auseinandersetzung wegen der Politik der kommunistischen Partei hatten. Von diesem Moment an war unsere politische Beziehung zerbrochen, und im Jahre 1926 wurde ich aus der KPD wegen meiner Opposition gegenüber Stalin, der Komintern und dem Politbüro ausgeschlossen. Meine Beziehung zu Gerhart wurde zunehmend feindlicher und erreichte den Punkt, an dem ich mich gezwungen sehe, gegen ihn auszusagen, da ich ihn als einen der gefährlichsten Terroristen sowohl gegenüber dem amerikanischen wie dem deutschen Volk ansehe. Er möchte nach Deutschland zurückkehren, das er vorgibt, so sehr zu lieben.“ Nach Aussage seiner Schwester war Gerhart Eisler für die Festlegung der jeweiligen taktischen Linie der amerikanischen KP hauptverantwortlich gewesen, sowohl bei den kommunistischen Angriffen auf Präsident Roosevelt, der als „Faschist“ gebrandmarkt worden war, als auch bei der Wendung hin zur VolksfrontPolitik, zur „Einheitsfront mit all jenen Elementen, die mit Russland und den Kommunisten gemeinsam kämpfen wollten.“ Sie fuhr fort: „Die russische Staatspartei mag zu bestimmten Zeiten die kommunistischen Aktivitäten zügeln und sie zu anderen Zeiten befördern. Das macht die Sache für den Außenstehenden so schwer durchschaubar, aber es gibt dabei immer den einen springenden Punkt, den des russischen Staatsinteresses, und alle kommunistischen Organisationen stehen unter Kontrolle des kommunistischen Staates. Wenn das Politbüro aus dem einen oder anderen Grund die Aktivitäten ganz oder teilweise stoppen will, dann werden diese gezügelt oder gestoppt und später wieder aufgenommen. Aber die gesamte Organisation ist ein Geheimbund, der mit dem System der Geheimpolizei verbunden ist, die in jedem Fall die Befehle erteilt.“ Ruth Fischer scheute sich nicht, ihren Bruder zu bezichtigen, er habe bei der Ermordung von Nikolaj Bucharin und Hugo Eberlein „seine Hand im Spiel“ gehabt, ebenso wie bei der Auslieferung deutscher Kommunisten von Stalin an Hitler im Gefolge des deutsch-sowjetischen Paktes von 1939. Eisler wies dies zurück und wiederholte, er sei zum Zeitpunkt von Maslows Tod noch in einem französischen Konzentrationslager gefangen gehalten worden, obwohl er sich damals bereits in den USA befand. Richard Nixon, einer der Mitglieder des Ausschusses, fragte Fischer, inwieweit sie noch immer „Sympathie mit der marxistischen Philosophie und mit den Zielen [habe], die der Kommunismus zu vertreten vorgibt“, und nur Stalins Methoden ablehne. Sie wich der Frage aus und antwortete: „Was wir zu diesem Zeitpunkt sehen, ist ein Stalinsches Weltreich, das sich anschickt, in vielen Ländern Fuß zu fassen. Wir müssen dessen terroristische Methoden bekämpfen und alles in unse-

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rer Macht Stehende tun, um diese Bewegung zu stoppen.“ Fischer betonte, dass die Beziehung zu ihrem Bruder Hanns ebenso feindlich sei und dass es „einige Tausend“ Kommunisten in den USA gäbe, die von Moskau kontrolliert würden. Der „Familienroman“ der Eislers, schrieb Anthony Heilbut, „sein kultureller und historischer Hintergrund“ mussten indes dem amerikanischen Publikum weitgehend unverständlich bleiben, wusste es doch nichts von den erbitterten Fraktionskämpfen in der KPD.120 Die Presseberichte blieben in der Tat oft sehr plakativ, doch genau dies lag in Ruth Fischers Absicht. „Ich brachte Gerhart auf den Weg zu den Roten“, hieß es im Washington Times Herald, der Ruth Fischers Aussage vor dem HUAC fast vollständig abdruckte.121 Ruth Fischer erklärte ihren Bruder „voller Dramatik“ zum „gefährlichsten Terroristen sowohl für das amerikanische Volk wie für das Volk in Deutschland, dem Land, wohin er gehen möchte.“ Auch die von Budenz vorgebrachte Anschuldigung, Eisler habe Verbindung zur Atomspionage, kehrte wieder.122 Ein solcher Spionagering bestehe in Kanada.123 Die Daily News berichtete über ein Treffen Gerhart Eislers mit „Samuel Carr alias Kogan, einem kommunistischen Funktionär, der ein Verbindungsmann zum sowjetischen Atomspionagenetz sei, sich aber inzwischen in Gewahrsam der kanadischen Justiz“ befinde.124 Ein Überläufer habe Carr enttarnt, schrieb das Time Magazine, ohne aber auf Gerhart Eisler einzugehen.125 „Dieser letzte Punkt bleibt jedoch vage“, hieß es in der New York Daily New einschränkend, zumindest solange nicht J. Edgar Hoover sich umfassend dazu äußere.126

120 Anthony Heilbut, Kultur ohne Heimat. Deutsche Emigranten in den USA nach 1930. Übersetzt von Jutta Schust, Reinbek 1991, S. 358. 121 I Started Gerhart on Red Road, Sister Says, in: Washington Times Herald, Morning Edition, 7. Februar 1947. Auch diese und die im Folgenden genannten Zeitungsartikel befinden sich in Gerhart Eislers FBI-Akte, Box Nr. 1, Mappen 4, 5 und 8. Unvollständig befinden sie sich auch in Ruth Fischers FBI-Akte in der Alexander Stephan Collection of FBI File Files on German Intellectuals in US Exile in der Bibliothek der an der Columbus State University (Ohio) sowie im Bestand Gerhart Eisler in: SAPMO-BArch, NY 4117/7: Politische Verfolgungen und Prozesse gegen Gerhart Eisler in den USA. 122 Eisler Accused of Plot to Overthrow Government, Linked to Atom Spies, in: Daily Mirror, 7. Februar 1947. 123 Elliot Hayes/James Walter, Plan to Overthrow U.S. Government Is Charged to Eisler, in: Washington Times Herald, Evening Edition, 7. Februar 1947. 124 Swift Indictment Of Eisler Sought In Anti-U.S. Plot, in: Daily News, 8. Februar 1947. 125 What Made Sam Run, in: Time Magazine, 7. Februar 1947. 126 Hang Onto Eisler a While, in: Daily News, 8. Februar 1947.

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Der Daily Worker, das KP-Organ, erklärte alle Anschuldigungen seien auf Sand gebaut und berichtete über Solidaritätsbekundungen für Gerhart Eisler.127 Einem Komitee zur Verteidigung Gerhart Eislers, dem Eisler Defense Committee, gehörten neben seiner Anwältin Carol King und Felix Boenheim auch der amerikanische Schriftsteller Albert Maltz und der emigrierte deutsche Journalist und Reiseschriftsteller Gustav Faber an.128 Eisler konnte die Erklärung, die er vor dem Ausschuss nicht hatte verlesen dürfen, umgehend publizieren. Er sei weder ein ausländischer Agent noch der „Boss“ aller Roten, sondern „ein deutscher Kommunist, ein politischer Flüchtling, der nach Hause zurückkehren möchte.“ Wenn jetzt die Kommunistenverfolgung „zum neuen großen amerikanischen Zeitvertreib“ werde, „so kann das ohne mich geschehen. Die Welt hat das satt und ich ebenso.“129 „Natürlich wurden wir deutschen Kommunisten von den Nazis auch oft als amerikanische und britische Agenten bezeichnet, weil sie fürchteten, Ihr Land und Ihre Alliierten könnten den Sieg erringen.“ Der Ausschuss und überhaupt die Amerikaner sollten deshalb eine Lehre aus den schrecklichen Erfahrungen in Deutschland ziehen und nicht auf ihre Kriegstreiber hören, schon gar nicht im Atomzeitalter. „Als Deutscher habe ich ein besonderes Interesse daran, zu hoffen, dass Sie Ihren kriegstreiberischen Herren Einhalt gebieten.“130 Am 21. März 1947 unterzeichnete Präsident Truman die Executive Order No. 9835. Diese sah die Entlassung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes auch dann vor, wenn diese nur Kontakt zu Personen unterhielten, die „subversiver Aktivitäten“ verdächtigt wurden, nicht einmal selbst darin verwickelt waren. Das Schlagwort guilt by association (Schuld durch Bekanntschaft) wurde nun von fanatischen Antikommunisten ganz unverhüllt jenen entgegen gehalten, die sich

127 Hanns Eisler Backs His Brother, in: Daily Worker, 8. Februar 1947. 128 Die Namen nach einer Information auf der Rückseite von Gerhart Eislers Broschüre: Gerhart Eisler Hits Back, New York 1947. Maltz wurde, ohne dass ihm irgendeine illegale oder sonstwie rechtswidrige Tätigkeit nachgewiesen konnte, zu einem Jahr Haft verurteilt. Danach emigrierte er nach Mexiko. Er konnte Jahre später mit Unterstützung Frank Sinatras in die USA zurückkehren, wurde aber erst 1997 posthum rehabilitiert. 129 Gerhart Eisler, My Side of the Story. A Reply to Budenz, New York 1947, hier zit. n. der deutschen Übersetzung im Anhang zu Schebera, Gerhart Eisler im Kampf gegen die USAAdministration, Zitat S. 855. Der Aufsatz erschien zuerst in gekürzter Form in: New Masses, 18. Februar 1947. Die KP-nahe Zeitschrift brachte auch in den folgenden Monaten mehrere Beiträge zur Unterstützung Eislers. Vgl. auch Gerhart Eisler, What I Think of New Masses, in: New Masses, 21. Oktober 1947. 130 Schebera, Gerhart Eisler im Kampf gegen die USA-Administration, S. 858.

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den immer stärkeren ideologischen Kampagnen nicht beugten; Kampagnen, die längst nicht mehr allein gegen KP-Mitglieder gerichtet waren.131 Im so weiter aufgeheizten politischen Klima ging die Affäre Fischer-Eisler in die nächste Runde. Am 16. Juni 1947 bekräftigte Ruth Fischer vor dem Washingtoner Bezirksgericht, ihr Bruder sei in die USA geschickt worden, um hier die „idiotische kommunistische Parteilinie [...] aufzupolieren.“132 Sie bezeichnete ihn erneut als „gefährlichsten Terroristen“ und als „perfekten Terroristentypen.“133 Zwei ehemalige Mitglieder der KP der USA erklärten, Eisler habe die Kommunisten aufgefordert, für eine „unabhängige Negerrepublik“ zu kämpfen.134 Als „Mann aus Moskau“ habe „er in einer Welt gelebt, in der Ehre, Freundschaft, sogar die Familie nichts bedeuten.“135 Über all dem, so hatte Ruth Fischer schon im November 1946 betont, dürfe man Hanns Eisler nicht vergessen. Er habe in Hollywood, als kultureller Schöngeist getarnt, zusammen mit dem „Minnesänger der GPU“, Bertolt Brecht, das Geschäft der Stalinisten ebenso besorgt, wie er es bereits in Europa getan hatte.136 In künstlerisch interessierten Kreisen galt Hanns Eisler als der „Karl Marx der Musik“, was aber keineswegs immer wohlwollend gemeint war.137 Am 11. Mai 1947 musste sich Hanns Eisler in Los Angeles einer ersten Anhörung vor einem Ausschuss stellen, dem auch Parnell Thomas und Richard Nixon angehörten; letzterer hatte im Februar seine Antrittsrede als Kongressabgeordneter dem „Fall Gerhart Eisler“ gewidmet.138 Hanns Eisler erklärte, er sei vorgeladen,

131 Vgl. u. a. Ellen Schrecker, Many are the Crimes. McCarthyism in America, Princeton 1998, S. 274 f. 132 Ted Ayers: Sister Says Eisler Hit Party Line of U.S. Commies as „Idiotic“, in: Washington Times Herald, 17. Juli 1947, auch in: Gerhart Eisler FBI File, Box Nr. 2, Mappe 2. 133 Sister Testifies Again Today on Eisler Link to Communist Party, in: Washington Evening Star, 17. Juli 1947, auch in: Gerhart Eisler FBI File, Box Nr. 2, Mappe 2. 134 Ted Ayers: Eisler Plotted Negro Republic in South, Ex-Communists Testify, in: Washington Times Herald, 18. Juli 1947, auch in: Gerhart Eisler FBI File, Box Nr. 2, Mappe 2. 135 Communists: The Man from Moscow, in: Time Magazine, 17. Februar 1947. 136 Ruth Fischer, The Comintern’s American Agent, VI: The Comintern in Hollywood, in: New York Journal American, 23. November 1946. 137 Vgl. Günter Mayer, War der „Karl Marx der Musik“ Parteimitglied oder nicht?, in: Ders. (Hg.), Hanns Eisler, der Zeitgenosse, Leipzig 1997, S. 67–76. 138 Nixons Rede ist abgedruckt in: Congressional Record. Proceedings and Debates of the 80th Congress, Bd. 93, Teil 1, Jan.-Feb. 1947, Washington, D.C. 1947, S. 1129–1131. In Bezug auf Hanns Eisler sagte Nixon dann, dieser sei „vielleicht der wichtigste, der je vor den Ausschuss gekommen ist. Los Angeles Examiner, 26. April 1947, zit. n. Jürgen Schebera, Hanns Eisler im USA-Exil, Berlin [DDR] S. 96. Ausschnitte der damals im noch jungen Fernsehen übertragenen Befragung finden sich im Dokumentarfilm Solidarity Song. The Hanns Eisler Story (Produktion: Rhombus Media Inc., Arte/ZDF, Regie: Larry



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weil er der Bruder Gerhart Eislers sei.139 Die Befragung erbrachte noch nicht die gewünschten Ergebnisse.140 Deshalb wurde Hanns Eisler vom 25. bis zum 27. September 1947 ein zweites Mal, diesmal in Washington, vernommen. Das Verhör wurde im Rundfunk und im Fernsehen übertragen. „Etwas nervös und aufgeregt erschien er im Gericht, schließlich war er kein Berufsrevolutionär, sondern ein sensibler Künstler, dem alle Ämter und Behörden und schon gar die bedrückende Atmosphäre eines Gerichtsgebäudes ein Gräuel waren“, erinnerte sich seine Schwägerin Hilde Eisler.141 Zur Vorbereitung der Vernehmung fertigte das FBI, das den Komponisten seit 1942 beobachtete, für die Kommission ein 16-seitiges Dossier an, auf dessen Grundlage die Fragen gestellt wurden.142 Es ging auch bei Hanns Eisler um den versuchten Nachweis kommunistischer Betätigung und speziell um eine Mitgliedschaft in der KPD sowie die Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen in der Sowjetunion und in den USA.143 Wie seinem Bruder wurde es auch Hanns Eisler nicht erlaubt, eine vorbereitete Erklärung zu verlesen, in der über seine Arbeit als Hochschullehrer und Komponist von Filmmusiken berichten wollte. Er habe nie einer politischen Partei angehört, betonte er. „Ich bin angeklagt, weil ich der Bruder Gerhart Eislers bin, den



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Weinstein/Thomas Wellner, Erstsendung: 27. August 1996, The New Style Arts Channel/Kanada) sowie im Internet unter pratercottage.posterous.com/41520712, mit einem Link zu Youtube. Sie bezeugen auch Hanns Eislers fehlerloses Englisch. Die Erklärung findet sich im Hanns-Eisler-Archiv, HAE 105, und ist zit. n. Wissmann, Hanns Eisler, S. 164. Vgl. den Bericht (Berichterstatter geschwärzt) in Hanns Eislers FBI-Akte, Nr. 100– 195220 vom 21. Juni 1947, S. 21. Eine auszugsweise Kopie der Akte befindet sich in der Alexander Stephan Collection of FBI Files an der Ohio State University in Columbus (Ohio) im Folgenden zit. als: Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Hanns Eisler. Vgl. auch für teilweise andere Aktenteile im Internet http://foia.fbi.gov/eisler/eisler1a.pdf, Das FBI bereitete für diese Anhörung ein Dossier vor (Berichterstatter: D. M. Ladd an FBI-Direktor J. Edgar Hoover), das auf den 28. Februar 1947 datiert ist. Vgl. ebd. Hilde Eisler, Sein Bruder Hannsel, in: Das Magazin, Nr. 7/1968, S. 38. Dieses Dossier ist auf den 30. Juli 1947 datiert und befindet sich in der FBI-Akte. Der Text des Verhörs ist abgedruckt in: Bentley (Hg.), Thirty Years of Treason, S. 73–109. Vgl. auch James Wierzbicki, Sour Notes. Hanns Eisler and the FBI, in: Claire A. Culleton/Karen Leick (Hg.), Modernism on File. Writers, Artists, and the FBI, 1920–1950, New York/London 2008, S. 197–219 (in leicht erweiterter Form auch in Internet). Hanns Eisler sah sich dabei nicht als Märtyrer, wie er im Gespräch mit Hans Bunge betonte. „Und eigentlich hielt ich doch den Kopf für meinen Bruder hin – also für die Sache, die mein Bruder vertritt. Ohne meinen Bruder Gerhart hätte ich nie solche Schwierigkeiten gehabt“ – ohne seine Schwester auch nicht, doch vermied Hanns Eisler sorgfältig die Nennung ihres Namens. Hans Bunge (Hg.), Fragen Sie mehr über Brecht! Hanns Eisler im Gespräch, München 1970, S. 203.

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ich liebe und bewundere und den ich verteidige und weiter verteidigen werde. Ist das Komitee der Auffassung, dass Bruderliebe unamerikanisch ist? Entscheidender ist wohl, dass das Komitee hofft, durch die Verfolgung meiner Person viele andere Künstler in Amerika einschüchtern zu können, gegen die es aus verschiedenen Gründen, aber ganz zu Unrecht eine Abneigung hat.“ Schon Hitler und Mussolini hätten versucht zu entscheiden, welche Kunst erlaubt sei und welche nicht, und beide seien damit gescheitert.144 Nach einigen Fragen zu seinem Aufenthaltsstatus und seinen Filmarbeiten wollte John Rankin wissen, ob er Kommunist sei. „Ich bin jetzt kein Kommunist“, erwiderte Hanns Eisler. „Und ich erinnere mich daran, dass ich als junger Mann 1926 einen Antrag auf Aufnahme in die Kommunistische Partei Deutschlands gestellt habe; doch habe ich schnell erkannt, dass ich meine künstlerische Tätigkeit mit den Forderungen einer politischen Partei nicht vereinbaren konnte, so bin ich ausgestiegen.“145 Der Ausschuss legte Eisler eine Reihe von Ausschnitten aus dem Daily Worker vor, die sein Schaffen als bedeutenden Beitrag zu einer revolutionären Musikkultur würdigten. Als der Ausschussvorsitzende Parnell Thomas den leitenden Ermittler Robert Stripling fragte, was das zu bedeuten habe, antwortete dieser: „Der Zweck besteht darin, zu zeigen, dass Herr Eisler der Karl Marx des Kommunismus auf musikalischem Gebiet ist, und das weiß er ganz genau.“ – „Ich wäre geschmeichelt“, erwiderte dieser. Stripling beharrte darauf, zu zeigen, dass das Internationale Musikbüro in Moskau, in dem Eisler tätig war, „ein Hauptprogrammpunkt der Sowjetunion gewesen ist, eine Weltrevolution herbeizuführen und eine proletarische Diktatur zu errichten.“146 Da Hanns Eisler aber nicht einmal nachzuweisen war, dass er sich illegal in den USA aufhielt, durfte er den Raum verlassen. Zu Ruth Fischer wurde er nicht befragt. Nur bei der Aufnahme der Personalien Hanns Eislers war ihr Name gefallen. Sie beobachtete jedoch ihren Bruder und berichtete darüber dem FBI. Ruth Fischer sagte unter anderem, Hanns Eislers Reise in die USA 1935 sei von Gerhart in Moskau arrangiert worden.147

144 Die Erklärung ist erschienen in: New Masses vom 14. Oktober 1947, hier zit. n. der von Therese Bunge besorgten deutschen Übersetzung in: Alternative, Nr. 87 (Dezember 1972), Themennummer: Eisler/Brecht, Verhöre vor dem Ausschuss für Unamerikanische Tätigkeit, S. 233. 145 Hanns Eislers Befragung ist in deutscher Übersetzung abgedruckt ebd., S. 234–276, hierzu S. 246. 146 Ebd., S. 254 f. 147 Vgl. Alexander Stephan FBI File Collection, [Bestand] Hanns Eisler, Bericht vom 21. Juli 1947.

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Im Oktober 1947 gründeten Aaron Copland und Leonard Bernstein ein Committee for Justice for Hanns Eisler.148 Zu den prominenten Unterstützern gehörten Pablo Picasso, Charles Chaplin, Henri Matisse, Jean Cocteau, Louis Aragon, Paul Eluard und Igor Strawinsky sowie die beiden größten Namen des deutschen Exils: Albert Einstein und Thomas Mann.149 Strawinsky, der dem Kommunismus sehr fern stand, organisierte ein Solidaritätskonzert.150 Am 12. Februar 1948 erhielt Hanns Eisler vom amerikanischen Justizministerium den Ausweisungsbescheid zugestellt. Am 28. März verließen er und seine Frau die USA über London und Prag. Sie gingen zunächst nach Wien. Unmittelbar vor seiner Abreise aus Amerika hatte Hanns Eisler eine Erklärung abgegeben: „Die amerikanische Demokratie ist wunderbar, wenn sie funktioniert. In meinem Fall hat sie nicht funktioniert.“151 Trotz seiner Verbitterung unterschied er auch jetzt zwischen der Gesellschaftsordnung der USA und dem amerikanischen Volk. Man dürfe, betonte er beim Zwischenaufenthalt in Prag, „das amerikanische Volk nicht gleichsetzen mit den amerikanischen Behörden. Ich habe viele Freunde in [den] USA, die sehr zu mir gehalten haben, als ich vom Unamerikanischen Komitee verfolgt wurde. Besonders meine Kollegen, die Musiker, und auch die führenden Musikkritiker der Vereinigten Staaten haben sich sehr kameradschaftlich benommen.“ Anders als vielleicht erwartet, benannte er nicht die KP der USA als Alternative zur gegenwärtig herrschenden Politik, sondern Henry A. Wallace, den früheren US-Vizepräsidenten und nunmehrigen Vorsitzenden der linksbürgerlichen Progressive Party.152 Bertolt Brechts Vorladung vor den Ausschuss war einerseits ein Ergebnis der Kampagne Ruth Fischers, doch mehr noch wurde der Dramatiker ein Angriffsziel von Kräften, die die linke, als „subversiv“ gesehene Kultur insgesamt treffen wollten. Es ging besonders um die „kommunistische Unterwanderung“ der Filmindustrie. Unmittelbarer Anlass war ein von neunzehn Filmschaffenden, darunter Brecht, unterzeichneter Brief, der sich in allgemeinen Worten für die Beibehal-

148 Vgl. Barry Seldes, Leonard Bernstein. The Political Life of an American Musician, Berkeley/Los Angeles 2009, S. 40. 149 Vgl. Henneberg, Hanns Eisler, S. 81; Schebera, Hanns Eisler im USA-Exil, S. 100. 150 Vgl. Wissmann, Hanns Eisler, S. 165. 151 Die Erklärung ist abgedruckt in: Washington Evening Star, 27. März 1948, hier zit. n. der deutschen Übersetzung in: Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 245 (Übersetzung leicht verändert). 152 „Ich freue mich auf Berlin“. Hanns Eisler über seine nächsten Pläne – ein Interview [von Rudolf Feistmann] mit dem Komponisten, in: Neues Deutschland, 6. Juni 1948.

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tung der Freiheit des Films aussprach. Der Brief erschien am 17. Oktober 1947 im Hollywood Reporter.153 Die neunzehn Unterzeichner wurden nach Washington vor das HUAC zitiert. Dort begann John Rankin am 20. Oktober 1947, die Filmschaffenden zu befragen. Zehn von ihnen, die bald die „Hollywood Ten“ genannt wurden, weigerten sich unter Berufung auf die Verfassung, über ihre Mitgliedschaft zur KP auszusagen. Der elfte, Bertolt Brecht, sollte nach der Intention des HUAC als Verbindungsglied zwischen ideologisch motiviertem Kunstschaffen und kommunistischer Partei, zwischen US-Filmindustrie und ausländischem Zugriff auf amerikanische Ressourcen herhalten – „jede Verschwörung setzt die Anwesenheit von Ausländern voraus“, schrieb der damals in Hollywood lebende französische Schriftsteller Vladimir Pozner.154 So kam Brechts Name zusammen mit den zehn anderen auf die „Schwarze Liste“. Brecht war der einzige Ausländer von ihnen und der einzige, der vor dem Ausschuss erschien. Wenngleich der HUAC „nicht direkt ausländerfeindlich“ war, wie John Russell Taylor schrieb, waren Ausländer in einem Klima, in das Wort „Un-Amerikanisch“ eine zentrale Rolle spielte, dennoch „über ein vernünftiges Maß hinaus allerlei Verdächtigungen ausgesetzt.“155 Brechts Befragung in Washington, wohin ihn Ruth Berlau begleitete, war für den 30. Oktober 1947 angesetzt. Vorher hatte er mit Hanns Eisler gesprochen und mit Hermann Budzislawski ein mögliches Szenario der Fragen durchgespielt.156 Zudem hatte Brecht eine Erklärung vorbereitet, die er nicht verlesen durfte, die aber zu den Akten gegeben wurde. „Meine Betätigungen, selbst die gegen Hitler, waren immer rein literarische“, unterstrich er darin, „und sie waren von niemandem abhängig. Als Gast der Vereinigten Staaten betätigte ich mich in keiner Weise, dieses Land betreffend, auch nicht literarisch. Nebenbei erwähnt, bin ich kein Filmschreiber. Ich bin mir keines Einflusses bewusst, den ich auf die

153 Der Brief ist englisch und deutsch abgedruckt in: James K. Lyon (Hg.), Brecht in den USA, Frankfurt 1994, S. 148–154. Brecht hatte nur seinen Namen hergegeben, den Brief aber nicht mit verfasst. Vgl. Bruce Cook, Brecht in Exile, New York 1983, S. 183 f. 154 Vladmimir Pozner erinnert sich, Berlin [DDR] 1975, S. 28. 155 John Russell Taylor, Fremde im Paradies. Emigranten in Hollywood 1933–1950. Aus dem Englischen von Wilfried Sczepan, München 1994, S. 330 u. 332. 156 Vgl. Mittenzwei, Bertolt Brecht, Bd. 2, S. 199 f. Die Vernehmung Brechts ist auf einer von Eric Bentley edierten Schallplatte festgehalten: Bertolt Brecht Before the Committee on Un-American Activities. An Historical Encounter, presented by Eric Bentley, Folkway Records FD 5531, erschienen 1963.

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Filmindustrie ausgeübt haben könnte, weder eines politischen, noch eines künstlerischen.“157 Die Frage nach der Mitgliedschaft in der KPD verneinte Brecht und fügte hinzu, dass diese Frage nach amerikanischem Recht unzulässig sei, er aber keinen Rechtsstreit wolle. Er hütete sich, andere zu belasten. Er wisse nicht, ob Alfred Kantorowicz, nach dem er befragt wurde, Mitglied der Kommunistischen Partei sei. Er habe ihn in der Weimarer Republik als Redakteur des Ullstein-Verlages kennen gelernt. Nach dem Bericht des Zeitzeugen Cedric Belfrage waren die Ausschussmitglieder über das schlechte Englisch von Brecht erstaunt. Doch spielte dieser wohl seine Kenntnisse herunter, um bei den Antworten Zeit zu gewinnen. Zudem sprach er, wie die Tonaufnahme zeigt, zwar stockend, doch grammatisch korrekt.158 Brecht wurde eingehend nach seiner Film- und Theaterarbeit sowie seinen Liedtexten befragt. Dabei ging es, wie nach Ruth Fischers Attacke zu erwarten war, vor allem um Die Maßnahme. Nach den Eisler-Brüdern befragt, sagte Brecht, dass er Hanns Eisler seit den zwanziger Jahren kenne. Gerhart habe er einige Male getroffen habe, wobei auch von Politik die Rede war. Gerhart Eisler sei „ein Fachmann darin, er ist Politiker“ und wisse sehr viel mehr über die Lage in Deutschland als er selbst.159 Doch weder Gerhart noch Hanns Eisler noch sonst irgendjemand hätten ihn gebeten, in die KPD einzutreten. Am Abend seiner Befragung konnte Brecht im Radio diese zeitversetzt gesendet hören. Der Reporter sagte, es habe sich um ein ungewöhnlich freundliches Verhör gehandelt, so dass mit einer Anklage nicht zu rechnen sei. Den Beweis

157 Bertolt Brecht, Anrede an den Kongress für unamerikanische Betätigungen, in: Gesammelte Werke, Bd. 20, S. 305. 158 Vgl. Cedric Belfrage, The American Inquisition 1945–1960, Indianapolis/New York 1973, S. 63. Der in London geborene Belfrage wurde wegen kurzer Zugehörigkeit zur KP der USA im Jahre 1937 noch achtzehn Jahre später des Landes verwiesen. Er starb 1990 in Mexiko. Neuere Forschungsergebnisse belegen jedoch eine Tätigkeit für den sowjetischen Geheimdienst. Seine Rolle als Opfer antikommunistischer Verfolgung ist somit in einem anderen Licht zu sehen als von ihm beansprucht. Vgl. John Earl Haynes/Harvey Klehr, Venona. Decosing Soviet Espionage in America, New Haven/London 1999, S. 342. 159 Das Protokoll dieser Befragung findet sich in: Committee on Un-American Activities, House of Representatives, 80th Congress, Hearings Regarding the Communist Infiltration of the Motion Picture Industry, Testimony of Bertolt Brecht, October 30, Washington 1947. Es ist wiederabgedruckt in: Eric Bentley (Hg.), Thirty Years of Treason. Excerpts from the Hearings before the House Committee on Un-American Activities, 1938–1968, New York 1973, S. 207–225 und 959–976, hier zit. n. der deutschen Übersetzung in: Alternative, Nr. 87 (Dezember 1972), Zitat S. 289.

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dafür wollte Brecht nicht abwarten.160 Am nächsten Tag, dem 1. November 1947 verließ er die USA und ging zunächst nach Zürich und von dort nach Salzburg und Prag. Helene Weigel und die Tochter Barbara buchten Schiffspassagen nach Europa, und auch Ruth Berlau reiste per Schiff und Zug über Le Havre nach Zürich.161 Erst am 22. Oktober 1948 übersiedelte Brecht nach Berlin; nur einen Tag später nahm er dort an einer Tagung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands teil. Zuerst lebten die Brechts in der Berliner Allee im Stadtbezirk Weißensee, danach in der Chausseestraße in Berlin Mitte und im Sommer im Landhaus in Buckow in der Märkischen Schweiz. Brechts Wirken ab 1948 in Berlin wurde, trotz und auch wegen aller Kontroversen im Westen, ein wichtiger Teil der deutschen Kulturgeschichte. Die Inszenierungen des Berliner Ensembles, dem offiziell Helene Weigel vorstand, können hier ebenso wenig im Detail behandelt werden wie das weitere persönliche Leben der Brechts; darüber ist eine ganze Forschungsbibliothek entstanden. Die Erfahrungen des amerikanischen Exils spielten jedenfalls in seinem künstlerischen Schaffen keine entscheidende Rolle, wobei briefliche Kontakte in die USA nie ganz abrissen.162 Das bedeutet nicht, dass Brecht überhaupt kein Interesse an amerikanischen Angelegenheiten mehr hatte, wie im letzten Kapitel gezeigt wird. Gerhart Eislers Weggang aus den USA wurde zu einer spektakulären Affäre des Kalten Krieges. Ohne Angaben von Gründen wurde er am 2. Februar 1948 erneut verhaftet und kam nach Ellis Island. Mit vier amerikanischen Mitgefangenen trat er dort am 20. Februar, seinem 51. Geburtstag, in den Hungerstreik. Die Behörden konnten sich einen Tod Eislers im Gefängnis nicht leisten: Nach sechs weiteren Tagen wurde er entlassen. Seine Ausreise aus Amerika aber wurde ihm verweigert. Schließlich war er zu einem Handel mit der US-Justiz bereit: Er bot an, sich schuldig zu bekennen, wenn er sofort nach der Urteilsverkündung das Land verlassen könnte. Die Behörden schlugen das Angebot aus. Stattdessen erwartete ihn eine weitere Anklage, diesmal wegen Steuerhinterziehung. Nach Brechts Vernehmung hatte er sich, wie er später in der DDR erklärte, mit einigen amerikani-

160 Holger Gumprecht, „New Weimar“ unter Palmen. Deutsche Schriftsteller im Exil in Los Angeles, Berlin 1998, S. 142. 161 Vgl. Sabine Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine. Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006, S. 230. 162 Von den (zunächst) in den USA verbliebenen Freunden und Kollegen Brechts blieb der Kontakt mit Erwin Piscator, den Brecht vergeblich nach Ostberlin holen wollte, besonders eng. Vgl. John Willett, Erwin Piscator. Die Eröffnung des politischen Zeitalters auf dem Theater. Aus dem Englischen von Peter Keller, Frankfurt a. M. 1982, S. 118 f.

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schen Kommunisten beraten.163 Sie rieten ihm von einer Flucht nach Kanada oder Mexiko ab, da das FBI dort faktisch über Polizeivollmacht verfüge.164 Stattdessen sollte er das Land illegal auf dem Seeweg verlassen.165 Die Zeit drängte, als Gerhart Eisler im Februar 1949 in Washington zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, sein Einspruch abgelehnt, er aber gegen Kaution zeitweilig aus dem Gefängnis entlassen wurde.166 Georg Friedrich Alexan stellte eine Verbindung zum polnischen Passagierschiff Batory her, für das er, Felix Boenheim, ihre Familien sowie Kurt Rosenfelds Witwe Alice regulär Reisetickets erworben hatten.167

163 Zu ihnen gehörte Margrit Pittman (damals Adler). Vgl. den Dokumentarfilm der Artia Nova Film GmbH: Zwischen den Welten. Das Leben der Margrit Pittman, 2010, Regie: Hans-Joachim Ulbrich, sowie Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S.193 und 204. 164 Wie plausibel dieser Einwand war, zeigte nur ein Jahr später die Verhaftung Morton Sobells in Mexiko, der durch FBI-Beamte in die USA zurückgebracht und im Zusammenhang mit den Spionage-Vorwürfen gegen Ethel und Julius Rosenberg angeklagt wurde. Sobell wurde zu dreißig Jahren Haft verurteilt, von denen er neunzehn Jahre absitzen musste. Wie begründet jedoch die Fahndung nach Sobell war, zeigte sich im September 2008: Damals gestand der 91-jährige Sobell, für die Sowjetunion Spionagedienste geleistet zu haben. Vgl. Sam Roberts, Figure in Rosenberg Case Admits to Soviet Spying, in: The New York Times, 8. September 2008. 165 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/155, Bl. 50-52, ZPKK: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953. Auch in diesem Bericht dementierte er energisch, jemals der „Boss der Roten“ in den USA gewesen zu sein, obgleich ihm eine solche Rolle unter den neuen Bedingungen nur genützt hätte. 166 Ein Appell seiner Freunde an UN-Generalsekretär Trygve Lie, sich für die Aufhebung des Urteils einzusetzen, blieb erwartungsgemäß ohne Antwort. Vgl. den Bericht von Edith Anderson, Love in Exile. An American Writer’s Memoir of Life in Divided Berlin, South Royalton (Vermont) 1999, S. 135. Vgl. zu ihren DDR-Jahren Helen Thein, Eine Amerikanerin in Ostberlin: Edith Anderson, in: Andreas Degen/Margrid Bircken (Hg.), Reizland DDR: Deutungen und Selbstdeutungen literarischer West-Ost-Migration, Göttingen 2015, S. 73–85, und Sibylle Klemm, Eine Amerikanerin in Ostberlin. Edith Anderson und der andere deutsch-amerikanische Kulturaustausch, Bielefeld 2015. Edith Anderson befand sich zu diesem Zeitpunkt als Ehefrau des Remigranten Max Schroeder bereits in Berlin, kannte jedoch die dramatis personae aus New York. Dort hatte Gerhart Eisler ihren Entschluss, nach Deutschland überzusiedeln, als „verrückt“ bezeichnet. Anderson, Love in Exile, S. 20. Die Kaution für Eisler wurde von der German-AmericanUnterstützerin Ida Guggenheimer bezahlt, deren Namen er bei späteren Befragungen unerwähnt ließ, worüber jedoch z. B. Felix Boenheim Bescheid wusste. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 312. 167 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/15, Bl. 56: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Befragung des Genossen Gerhart Eisler, 27. März 1953. Diese Angabe bestätigte auch Alexans Tochter Irene Runge. Vgl. ihre Erinnerungen: Dreiundsechzig [vervielfältigte



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Am 5. Mai 1949 erwarb Gerhart Eisler ein Besucherticket, um das Schiff am Tag seines Auslaufens zu betreten. Er blieb an Bord, als die Besucher aufgefordert wurden, wieder an Land zu gehen.168 Nach dem Auslaufen und dem Verlassen der amerikanischen Hoheitsgewässer am 12. Mai gab er sich dem Kapitän zu erkennen. Dieser erklärte nach einer Rücksprache mit Warschau, sein Passagier habe das Schiffsticket ordnungsgemäß bezahlt und stehe unter dem Schutz der polnischen Regierung, die ihm Asyl gewähre.169 Die Überwachung durch das FBI hatte im entscheidenden Moment versagt.170 Als eine Art der „Revanche“ kann der Film I was a Communist for the FBI gelten, der zwei Jahre später Gerhart Eisler als „Boss“ der amerikanischen Kommunisten in seine Handlung einbaute. Wenige Tage nach Gerhart Eislers Flucht verhafteten FBI-Beamte seine Frau Hilde.171 Gegen sie fehlte aber jeder rechtliche Grund zur Verhaftung, obgleich Ruth Fischer auch sie zu belasten versucht hatte. Hilde Eisler habe falsche Angaben gemacht, sagte Ruth Fischer dem FBI-Mitarbeiter Robert Lamphere, idem sie sich als polnische Jüdin ausgegeben habe.172 Zwar hatte Hilde Eisler den größeren Teil ihrer Kindheit in Frankfurt (Main) verlebt. Doch ihre Geburtsstadt Tarnopol, die damals zu Österreich-Ungarn gehörte, war überwiegend von Polen und Polnisch sprechenden Juden bewohnt gewesen. Zu letzteren hatte Hilde Eislers Familie gehört. Nach Ankunft der Batory im englischen Southampton wurde Gerhart Eisler von der dortigen Polizei inhaftiert.173 Er unterlag britischem Recht, als die US-



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Schrift], Berlin 2005, S. 65 Sie ist im Internet zugänglich durch die dort eingestellten Archivmaterialien des Leo Baeck Institute New York and Berlin. Vgl. Digital Archives, Memoirs and Biographies https://www.lbi.org//: Georg Friedrich Alexan. Die Ausreise der Boenheims war vergleichsweise einfach, da sie als US-Staatsbürger den Behörden keine Rechenschaft über das Warum und Wohin ihrer Reise abzugeben hatten, sofern sie nur ihren Wunsch verschwiegen, dauerhaft in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands zurückzukehren. Unabsichtlich hätte ihn Boenheims Tante Sophie Frankenstein, die zur Verabschiedung ihres Neffen erschienen war, beinahe verraten, als sie ausrief: „Seht mal, da ist ja Eisler!“ Es gelang der gleichfalls anwesenden Margrit Adler, sie abzulenken. Eisler verschwand in einer Schiffstoilette. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 312. Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 209. Vgl. ebd., S. 205. Vgl. Mrs. Eisler Arrested by FBI, in: Washington Daily News, 13. Mai 1949. Vgl. Gerhart Eisler FBI File, Box Nr. 2, Mappe 5: FBI-Bericht NY 100–12376, Bl. 21. Der Kapitän der Batory verweigerte der britischen Polizei zunächst den Zutritt zum Schiff, da Polen Eisler nicht nur politisches Asyl, sondern auch die Staatsbürgerschaft angeboten habe. Als die USA damit drohten, der Gdynia-Amerika-Linie, zu der die Batory

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Regierung seine Auslieferung forderte. Sie gab als Begründung an: Verächtlichmachung (contempt) des Kongresses und Falschangaben bei der Einwanderung. Keiner der beiden Punkte war jedoch im Auslieferungsabkommen enthalten, das Großbritannien und die USA am 22. Dezember 1931 miteinander geschlossen hatten. Die britische Regierung erklärte, sie müsse deshalb die Asylgewährung der polnischen Regierung für Gerhart Eisler anerkennen.174 Dafür hatte sich auch eine Gruppe sozialdemokratischer, liberaler und konservativer Unterhausabgeordneter eingesetzt.175 Eisler erhielt juristische Hilfe durch Kronanwalt Dennis Nowell Pritt und den Dean of Canterbury, Hewlett Johnson, die beide dreizehn Jahre vorher die Moskauer Prozesse gepriesen hatten (und dies nie öffentlich bedauerten).176 Am 27. Mai 1949 wurde Gerhart Eisler auf freien Fuß gesetzt und durfte das Vereinigte Königreich verlassen. Von London flog er noch Ende Mai nach Prag und weiter nach Dresden. Am 22. Juni 1949 konnte auch Hilde Eisler die USA verlassen. Für ein Nachspiel zum Fall der Eisler-Brüder sorgte Justizminister James McGranery. Am 18. September 1952 ließ er erklären, dass der soeben zu einem Europa-Aufenthalt abgereiste Charles Chaplin die Vereinigten Staaten nicht mehr ohne Weiteres betreten dürfe. Bei einer Rückkehr solle er solange auf Ellis Island interniert werden, „bis über sein weiteres Schicksal entschieden sei.“ Zur Begründung dafür diente ein Telegramm, das Chaplin fünf Jahre vorher an Picasso gesandt hatte, um seine Unterstützung für Hanns Eisler zu bekunden.177 Chap-



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gehörte, die Landungserlaubnis in amerikanischen Häfen zu entziehen, musste er jedoch nachgeben und die Polizei an Bord lassen. Eisler leistete passiven Widerstand und ließ sich von vier Polizeibeamten in ein bereitstehendes Boot tragen, das ihn an Land brachte. Im Londoner Gefängnis besuchte ihn Boenheim regelmäßig. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 312 f. Vgl. George A. Finch, The Eisler Extradiction Case, in: The American Journal of International Law 43, 1949, Nr. 3, S. 487–491. Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 209. Vgl. ebd., S. 207–211, sowie Why Gerhart Eisler Went Free, in: People‘s Daily World, 10. Juni 1949. Vgl. auch den Zeitzeugenbericht von Gordon Schaffer, Zur Dokumentation über Gerhart Eislers Kampf gegen die USA-Administration, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 25, 1983, Nr. 3, S. 420 f. Zit. n. Georges Sadoul, Das ist Chaplin! Sein Leben. Seine Filme. Seine Zeit, Wien 1954, S. 211. Auf die Frage eines Reporters, „kennen Sie Hanns Eisler?“ antwortete Chaplin: „Ja, er ist ein sehr lieber Freund von mir und ein großer Musiker.‘ – ,Wissen Sie, dass er Kommunist ist?‘ – ,Es ist mir gleichgültig, was er ist; meine Freundschaft gründet sich nicht auf Politik.‘ – ,Sie scheinen aber die Kommunisten zu mögen‘, sagte ein anderer.“ Charlie Chaplin, Die Geschichte meines Lebens. Übersetzt von Günther Danehl und Hans Jürgen von Koskull, Frankfurt a. M. 1987, S. 460.

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lin, der als britischer Staatsbürger fast vierzig Jahre in den USA gewohnt hatte, zog es fortan vor, in der Schweiz zu leben. Erst die politische Entmachtung von Senator McCarthy, der die direkte Konfrontation mit Präsident Eisenhower gesucht hatte, setzte 1954 einen politischen Wandel in Gang. Jüngste Forschungen haben nach Öffnung der Akten den wichtigsten Verbindungsmann zwischen sowjetischen Diensten und amerikanischer KP ausfindig machen können: dem in der Partei als J. Peters (oder Alexander Stevens) bekannten Funktionär, der sich weigerte, vor dem HUAC auszusagen, die Ausweisung vorzog und 1949 in seinem Heimatland Ungarn eintraf. Whittaker Chambers, der neben Ruth Fischer und Louis Budenz zum meist zitierten Überläufer jener Jahre wurde, hatte ihn dem FBI 1942 als Komintern-Agenten beschrieben und wiederholte diese Aussage im August 1948 vor dem HUAC.178 Peters, der 1894 in der Karpatho-Ukraine als Sándor Goldberger geboren wurde, war 1921 in die USA eingewandert. Seit 1924 war er in der KP der USA aktiv und seit 1930 Leiter des illegalen KP-Apparates. Aus der Arbeitsbeziehung mit Gerhart Eisler entstand eine persönliche Freundschaft. 1933/34 teilten die Familien zeitweise eine Wohnung.179 Nachdem Eisler nach Spanien ging, wurde Peters ab 1936 zum entscheidenden Verbindungsmann zwischen der KP der USA und der sowjetischen Seite. Er koordinierte im und nach dem Zweiten Weltkrieg – offiziell zunächst im Auftrag der Komintern, tatsächlich aber stets als Agent des sowjetischen Militärgeheimdienstes – die als Parteikontakt getarnte Spionagetätigkeit.180 Zum Hintergrund all dieser Geschehnisse und zum Teil bizarren Vorwürfe gehörte natürlich der tatsächliche „Landgewinn“ des internationalen Kommunismus, gehört auch die Gefahr, die vom terroristischen Stalinismus ausging. Die Spaltung Deutschlands, die kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei, der erste sowjetische Atombombentest und der Sieg der Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg waren Marksteine der politischen Entwicklung, und überall mussten die USA Niederlagen einstecken. Die deshalb weiter wachsende Furcht vor Kommunisten verleitete einige der politischen Meinungsführer der

178 Vgl. Thomas Sakmyster, Red Conspirator. J. Peters and the American Communist Underground, Urbana (Illinois) 2011, hierzu S. 124, sowie Ann Hendon, Head of the Whole Business, in: The American Mercury, 25. Januar 2011. Dieser auch im Internet stehende Artikel ist eine Besprechung von Sakmysters Buch durch die Enkelin von Whittaker Chambers. Den Hinweis auf das Buch erhielt ich von Bernd-Rainer Barth. 179 Vgl. Sakmyster, Red Conspirator, S. 54. 180 Goldberger/Peters/Stevens, der erst 1990 starb, verfasste in den 1980er Jahren mehrere Manuskripte im ungarischen Parteiauftrag, die unpubliziert blieben, die aber Thomas Sakmyster nutzen konnte.

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USA dazu, Stärke und Wirkungsgrad der Kommunisten innerhalb der USA grotesk zu überschätzen. Dennoch, die Furcht vor einer „fünften Kolonne“ der Sowjetunion in den USA, so sehr sie übertrieben wurde, war nicht ganz grundlos, wie die auch hier benutzten Studien zu sowjetischen Geheimdienstaktivitäten gezeigt haben. Jedoch machten deren Ergebnisse auch deutlich, dass Gerhart Eisler kein sowjetischer Geheimdienstagent war, sondern das, was schon zeitgenössische FBI-Beobachter festgestellt hatten: ein Agent der Komintern, wenn auch nicht mehr ab 1941, dem Jahr seiner Ankunft als Hitlerflüchtling. Zwar hatte sich auch die Komintern, wo immer es ihr nötig schien, einer konspirativen Arbeitsweise bedient, doch war der Wirkungsgrad ihrer früheren Agenten mit der Auflösung der Organisation 1943 deutlich eingegrenzt worden. Bereits am 29. Mai 1944 wurde in einer Denkschrift des FBI mit erstaunlicher Begründung festgehalten, dass Eisler „selbst nicht mit der GPU in Verbindung steht, da er dafür zu gebildet ist.“181 Jenseits aller Verschwörungsphantasien hatte die amerikanische Regierung also durchaus Gründe, dem Verdacht einer sowjetischen Agententätigkeit nachzugehen. Doch wurde daraus ein ideologischer Feldzug gegen alles „Linke“, gegen alles, was auch nur Anklänge an irgendeinen Sozialismus aufwies.182 Für Gerhart Eisler begann der Start in Ostdeutschland vielversprechend: Am 12. Oktober 1949, fünf Tage nach der Gründung der DDR, wurde er Leiter des Amtes für Information beim Ministerrat. Zudem wurde er zum Professor für soziale und politische Fragen der Gegenwart an der Universität Leipzig ernannt.183 Dort war er jedoch nur pro forma tätig – im Unterschied zur Professorenriege,

181 Gerhart Eisler FBI File, Box No. 1, Mappe 1: Memorandum, Re: Gerhart Eisler alias Hans Berger, 29. Mai 1944. Das Standardwerk zur amerikanischen und britischen Gegenspionage gegen sowjetische Geheimdienstaktivitäten erwähnt Gerhart Eisler nur kurz im Zusammenhang mit seinem falschen Pass, den er zwischen 1935 und 1941 benutzt hatte. Vgl. Haynes/Klehr, Venona, S. 81. 182 Die Bekämpfung sowjetischer Agenten ändert nichts am teilweise verfassungswidrigen Vorgehen der Regierung gegen die Verdächtigten – obgleich es politisch wie moralisch einen großen Unterschied macht, ob sie während der Moskauer Prozesse für oder gegen Stalin gewesen waren oder sich zumindest zurückgehalten hatten. 183 Diese Ernennung war vom sächsischen Ministerpräsidenten Max Seydewitz vollzogen worden, als sich Eisler noch in den USA befand. Vgl. Max Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben. Lebenserinnerungen, Bd. 2: Mein sozialistisches Vaterland, Berlin [DDR] 1978, S. 172; Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 192 f. Die genauen Umstände der Berufung Eislers nach Leipzig, der dort eine fakultätsübergreifende Professur antreten sollte, waren jedoch nicht zu klären. Eislers Leipziger Personalakte, die sich im Universitätsarchiv unter der Signatur PA 0024 befindet, ist für die öffentliche Benutzung gesperrt.

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die, aus den USA gekommen, das Gesicht der Alma mater Lipsiensis für die nächsten Jahre mit prägen sollte.184

Sozialistische Academia: Die „Westemigranten-Universität“ Leipzig Durch die Neugestaltung des Hochschulwesens in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands eröffneten sich für manche Rückkehrer bislang ungeahnte Möglichkeiten des beruflichen und sozialen Aufstiegs. Zum Sprungbrett in eine akademische Laufbahn dienten zumeist die neu geschaffenen Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten an den ostdeutschen Universitäten. Diese wurden gemäß einem Befehl der Sowjetischen Militäradministration vom 2. Dezember 1946 an den Universitäten Leipzig, Jena und Rostock, später an weiteren Hochschulen nach sowjetischem Muster gegründet.185 Die Ausbildung verfolgte das Ziel, eine der SED-Führung ergebene Intelligenzschicht zu schaffen.186 Die Auswahl des Lehrkörpers erfolgte nach Vorgaben durch die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung, die auch die Lehrinhalte bestimmte. Unterrichtet wurden Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik sowie Kulturpolitik/Publizistik. Gründungs-Dekan der am 15. April 1947 gebildeten Leipziger Gewifa war der aus Basel berufene Jurist Arthur Baumgarten, der 1944 ein Mitbegründer der (kommunistischen) Partei der Arbeit der Schweiz war. Da er in Basel noch unabkömmlich war, übernahm der geschäftsführende Dekan, der Wirtschaftswissen-

184 Dabei soll keineswegs die Berliner Humboldt-Universität vergessen werden, an die, Annette Vogt, zufolge, bis Ende der 1950er Jahre nicht weniger als 36 Remigrantinnen und Remigranten kamen. Vgl. Annette Vogt, Die Universität im Spannungsfeld unterschiedlicher Akteure – Außensicht und Binnenperspektive, in: Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden, Bd. 3: Konrad Jarausch u. a., Sozialistisches Experiment und Erneuerung in der Demokratie – die Humboldt-Universität zu Berlin 1945–2010, Berlin 2012, S. 172. Im Unterschied zu Leipzig kehrte jedoch ein großer Teil der Berliner Remigranten aus der Sowjetunion zurück, doch gingen auch die EnglandRückkehrer meist nach Berlin. Das Leipziger „Westemigranten-Kontingent“ kam vor allem aus den USA, aber auch aus der Schweiz und sogar (Ernst Engelberg) aus der Türkei. 185 Der Befehl (Nr. 33) ist abgedruckt in: Gottfried Handel/Roland Köhler (Hg.), Dokumente der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zum Hoch- und Fachschulwesen 1945–1949, Berlin [DDR] 1975, S. 56–58. 186 Vgl. zu diesem Aspekt ausführlich John Connelly, Captive University. The Sovietization of East German, Czech, and Polish Higher Education, 1945–1956, Chapel Hill/London 2000, hierzu bes. S. 20 ff.

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schaftler Fritz Behrens, die Leitung. 1951 wurde sie aufgelöst und ihre Professoren wurden an andere Fakultäten berufen.187 Der Mangel an Lehrkräften veranlasste Fritz Behrens bereits 1947, in einer Sitzung der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät auszurufen: „Da hilft nur eins, da muss ein Trupp jüdischer Emigranten aus Amerika her.“188 Auch Albert Schreiner schrieb am 20. Dezember 1947 an Georg Friedrich Alexan, es lohne sich, neben Grossmann auch Hermann Budzislawski, Herbert Marcuse, Franz L. Neumann und den Kunsttheoretiker Max Raphael nach Leipzig zu holen. „Im Übrigen, ist Dir der Name Raphael oder Marcuse ein Begriff, beide soviel ich weiß Philosophen; ersterer wohl mehr auf dem Gebiet der Kunst- oder Kulturgeschichte, aber ich weiß nicht exakt Bescheid, letzterer wohl Alt-Hegelianer. Menschen, brauchbare Menschen, die insbesondere an der ideologischen Front eingesetzt werden können, daran mangelt es außerordentlich.“189 Doch war es wohl das Wissen um die Entwicklung in der SBZ, die Herbert Marcuse und Franz L. Neumann veranlassten, ein entsprechendes Angebot abzulehnen.190 Auch der Kunsthistoriker und Kulturphilosoph Max Raphael blieb in New York, wo er, tief vereinsamt, am 14. Juli 1952 Selbstmord beging.191 Am 30. Januar 1948 nannte Albert Schreiner in einem Brief an Paul Wandel, den Präsidenten der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, die Namen einiger Hochschullehrer, die man hoffte, an die Gewifa berufen zu können: Wolfgang Abendroth, Georg Mayer, Karl Polak, Gerhard Harig, sowie aus den USA Hermann Budzislawski, Henryk Grossmann und Julius Lips.192 Sie alle erhielten

187 Vgl. zu ihrer kurzen Geschichte Markus Wustmann, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig 1947–1951. Experimentierfeld kommunistischer Hochschulpolitik in SBZ und früher DDR, Leipzig 2004., bes. S. 35 ff. Hiernach auch das Folgende. 188 So erinnert sich Walter Markov, Zwiesprache mit dem Jahrhundert. Dokumentiert von Thomas Grimm, Berlin [DDR]/Weimar 1989, S. 181. 189 Privatsammlung Irene Runge: Albert Schreiner an G. F. Alexan, Brief vom 20. Dezember 1947. 190 Vgl. Helmut Steiner, Zur politisch-ökonomischen Kritik des „real existierenden Sozialismus“. Ein Musterfall – Fritz Behrens, in: Der Stalinismus in der KPD und SED. Wurzeln, Wirkungen, Folgen, Berlin 1991, S. 96. 191 Einem anderen 1933 entlassenen und emigrierten Professor, dem Nationalökonomen Gerhard Keßler, verlieh die Leipziger Universität 1946 zwar ein Ehrendoktorat, berief den linksliberalen Wissenschaftler aber nicht aus Istanbul zurück. Er siedelte 1950/51 nach Göttingen über und übernahm dort eine Honorarprofessur. Nachdem die bundesdeutschen Behörden Keßlers Tätigkeit als Hochschullehrer in der Türkei nicht für seine Rentenansprüche anerkannt hatten, starb er 1963 in relativer Armut in Kassel. 192 UA Leipzig, Nr. 271, PA-SG 0043: Schreiner, Bl. 235: Schreiner an Wandel, Brief vom 30. Januar 1948.

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in der Tat Professuren in Leipzig (Abendroth ging bald nach dem Westen), doch neben Mayer und Harig unterrichteten nur Budzislawski und Herzfelde an der Gewifa. Der dort gleichfalls tätige Schreiner kümmerte sich um damals schwer zu lösende Probleme wie Durch- und Einreisevisa, Wohnraum und Hilfe für die Familien.193 Ernst Bloch und seiner Familie beschaffte er die Reisekosten.194 In einem Brief an Wandel beklagte Schreiner am 20. Oktober 1947 die katastrophale Ernährungssituation der Leipziger Professoren. Fritz Behrens „bekommt zwar den Zuschuss, aber er hat vier Kinder zu ernähren. Behrens und [Walter] Markov sind im Sommer schon zusammengesackt. In einem halben Jahr oder Jahr sind wir mit dem Nachwuchs noch nicht so weit, dass wir abkratzen können. Ich hab es zwar nicht weit bis zum Kirchhof, aber keineswegs die Absicht, mir in absehbarer Zeit die Welt aus unterirdischer Abgeschlossenheit zu besehen. Mich reizt die in Angriff genommene Aufgabe viel zu sehr.“195 Optimistischer klangen andere Briefe. Manch ein in der widrigen Lage des Exils „schwankend Gewesener“, schrieb Schreiner, „wird gut laufen und sogar froh sein, wenn er in Verhältnisse kommt, wo er einmal in seinem Leben nicht mehr aus materiellen Rücksichten zu schwanken braucht.“196 Die sich abzeichnenden innerparteilichen Disziplinierungskampagnen, vor denen Abendroth geflohen war, sollten zeigen, dass dem nicht so war. Bereits Anfang 1948 kamen Eva und Julius Lips nach Leipzig. Julius Lips schlug das Angebot aus, die ihm 1933 entzogene Leitung des Kölner Völkerkundemuseums wieder zu über- und seine Lehrtätigkeit an der Kölner Universität erneut aufzunehmen. Stattdessen nahm er noch im Frühjahr des gleichen Jahres den Ruf nach Leipzig an. Er wurde auf einen Lahrstuhl für Völkerkunde und Vergleichende Rechtssoziologie berufen, der zur Philologisch-Historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät gehörte. Die Universität Leipzig hatte eine bereits länger zurückreichende Tradition in der ethnographischen Forschung. Bereits seit 1899 hatte Karl Weule eine Dozentur für Geographie und Völkerkunde inne, die jedoch erst 1920 in einen Lehrstuhl umgewandelt wurde. Zugleich leitete er das Grassi-Museum für Völkerkunde. Sein Nachfolger Otto Reche schwenkte auf rassistische Positionen um. Im April 1945

193 Vgl. SAPMO-BArch, NY 4198/84, Nachlass Albert Schreiner, Bl. 237, 314, 369 f.: Briefe an Wandel vom 30. Januar, 29. und 31. Juli 1948. 194 Ebd., Bl. 323: Vgl. Schreiner an Wandel, Brief vom 27. September 1948. 195 UA Leipzig, Nr. 271, PA-SG 0043: Schreiner, Bl. 167: Schreiner an Paul Wandel, Brief vom 20. Oktober 1947. In seiner Antwort vom 26. Januar 1948 informierte Wandel über inzwischen eingeleitete Hilfsmaßnahmen. Vgl. ebd., Bl. 234 f. 196 SAPMO-BArch, NY 4198/84, Nachlass Albert Schreiner, Bl. 238: Schreiner an Wandel, Brief vom 30. Januar 1948.

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wurde er, der die „Ausmerzung“ sogenannter „Fremdvölkischer“ begrüßt hatte, von der amerikanischen Besatzungsmacht verhaftet. Der Lehrstuhl blieb fast drei Jahre unbesetzt, bevor ihn Julius Lips einnahm. Seine erste Vorlesung über „Frühformen der menschlichen Wirtschaft“ hielt er zugleich an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, ohne dieser formell anzugehören.197 In diesen und weiteren Lehrveranstaltungen entfaltete Lips die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen und Rechtsformen in verschiedenen Gentil- und frühen Klassengesellschaften. Die Verbindung von ethnographischen und rechtssoziologischen Fragestellungen, die interdisziplinäre und historisch-vergleichende Herangehensweise an die Probleme fußten zwar auch auf deutschen Wissenschaftstraditionen, doch flossen in Lips’ Lehrveranstaltungen die spezifischamerikanischen Erfahrungen ein, insbesondere bei der Behandlung der nordamerikanischen Ureinwohner. Mehr als wohl jeder andere Rückkehrer war Lips von den Diskussionen der Fachdisziplin seines Exillandes geprägt, wobei solche Wegbereiter der Ethnologie wie Franz Boas und Bronislaw Malinowski selbst „Wanderer zwischen den Welten“ gewesen waren. Julius Lips’ Vorlesungen basierten nicht zuletzt auf seinem Hauptwerk The Orgins of Things, das er 1947, kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland, fertiggestellt hatte und das in Eva Lips’ deutscher Übersetzung 1951 erschien.198 Vom Ursprung der Dinge suchte die in der Nazizeit zur bloßen Ideologie herabgewürdigte Mythenforschung wieder auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen. Hatten nationalsozialistische Volkskundler die Ursprünge des Märchens in einer Überlieferungswelt nordischer Bauernvölker gesucht, konnte Lips deren ältere Ursprünge in den schriftlosen Kulturen mehrerer indigener außereuropäischer Gemeinschaften zeigen. In manchen Mythen solcher Völker habe ein Elefant oder Wolf das Tagesgestirn gefressen. „So ist etwa die Geschichte vom Rotkäppchen nichts anderes als eine Variante der Jonasmythe; sein rotes Käppchen ist der untergehende Sonnenball, und der Wolf ist die Nacht.“199 Bei Lips standen Mythen und Märchen in schriftlosen Kulturen einander noch sehr nahe, so dass

197 Vgl., auch zum Folgenden, Dietrich Treide, Der Lehr- und Forschungsbereich für Ethnographie „Julius Lips“, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 34, 1985, Nr. 6, S. 575–584. 198 Julius Lips, Vom Ursprung der Dinge. Eine Kulturgeschichte des Menschen, hg. von Eva Lips, Leipzig 1951. 199 Ebd., S. 473. Lips bezieht sich hier auf das 2. Kapitel des Buches Jona, wo Jona von einem Fisch verschlungen wird, der ihn nach drei Tagen wieder ausspeit. Auch im Koran taucht der Mann des Fisches bzw. der Mann mit dem Fisch auf (Sure 21,87 und 68,48). Eine solche Verschlingungsgeschichte war laut Lips in den Mythen verschiedener Völker die Errettung des Menschen durch Gott und die Durchsetzung des Glaubens.

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er, insbesondere bei der Untersuchung astraler Phänomene, methodisch noch keine Trennung zwischen ihnen vornahm.200 Julius Lips’ zweites Hauptwerk, The Savage Hits Back, das er 1937 in London publizierte, wurde ebenfalls Grundlage seiner Vorlesungen, doch erschien eine von seiner Frau Eva besorgte Übersetzung unter dem Titel Der Weiße im Spiegel der Farbigen erst 1983 in der DDR und 1984 in der Bundesrepublik. Vor einigen Jahren wies Wolf Lepenies auf das Verdienst dieser Pionierstudie hin: Erstmals präsentierte Lips außereuropäische Kulturen in einer neuen Sichtweise, die die bisherige konventionelle Perspektive umkehrte: Nicht Europäer präsentierten die Objekte und Bräuche der „Eingeborenen“, vielmehr stellten deren Angehörige die seltsamen Europäer und ihre exotischen Sitten dar. Grundlage dieses Buches waren über eintausend Abbildungen, die Lips schon in den 1920er Jahren gesammelt und die das Kölner Völkerkunde-Museum bereits 1931 in einer Ausstellung „Masken der Menschheit“ präsentiert hatte.201 In jedem Fall brach Lips damit mit der eurozentristischen und paternalistischen Tradition des Hauptstroms der deutschen Ethnologie. Am 25. Juli 1949 wurde Julius Lips zum Rektor der Leipziger Universität gewählt; die Amtseinführung erfolgte zum 1. Oktober. Doch schon am 21. Januar 1950 verstarb er nach kurzer, schwerer Krankheit.202 Seine Frau Eva übernahm die kommissarische Leitung des Instituts für Ethnologie und vergleichende Rechtssoziologie, das 1951 nach ihrem Mann benannt wurde. Eva Lips wurde im März 1951 mit einer Dissertation zu Wanderungen und Wirtschaftsformen der Ojibwa-Indianer promoviert. 1954 habilitierte sie sich. Ihre Habilitationsschrift erschien zwei Jahre später gedruckt unter dem Titel Die Reisernte der Ojibwa-Indianer. Wirtschaft und Recht eines Erntevolkes. Neben der empirischen Dichte des Buches, dessen Material auf Feldforschungen des Ehepaares in Minnesota beruhte, besticht es durch die Überwindung der in der Sowjetunion vorgegeben starren Stufenfolge gesellschaftlicher Entwicklung

200 Ein über Lips hinausgehender, differenzierterer Ansatz findet sich aber nur wenig später bei Mircea Eliade, Le Sacré et le Profane, Paris 1956, deutsch zuletzt: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Aus dem Französischen von M. Rassem und I. Köck, Frankfurt a. M. 1998. Vgl. zur Forschungsdiskussion auch Kathrin PögeAlder, Märchenforschung: Theorien, Methoden, Interpretationen, 2. Aufl., Tübingen 2011, S. 82 f. 201 Julius Lips, The Savage Hits Back, London 1937. Deutsch: Der Weiße im Spiegel der Farbigen, Leipzig 1983 und München 1984. Vgl. Wolf Lepenies, Der Wilde schlägt zurück, in: Die Welt, 16. August 2009. 202 Die Personalakte von Julius Lips (PA 0205) des Leipziger Universitätsarchivs ist derzeit an die Sächsische Akademie der Wissenschaften ausgelagert und der öffentlichen Benutzung unzugänglich.

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bei der Analyse von Jäger-und-Sammler-Kulturen sowie Anbau treibender Gesellschaften. Obgleich Eva Lips betonte, in welch starkem Maße ihre eigene wissenschaftliche Arbeit von den Gedanken ihres verstorbenen Mannes geprägt war, wiesen das Buch und folgende Publikationen sowie ihre Lehrtätigkeit über den von Julius Lips verwendeten Begriff des Erntevolkes als bloßem Durchgangsstadium gesellschaftlicher Entwicklung hinaus, was auch die spätere Forschung hervorhob.203 Im Studienjahr 1951/52 lehrte der sowjetische Ethnologe und Religionswissenschaftler Sergej Alexandrowitsch Tokarew am Institut für Ethnologie und vergleichende Rechtssoziologie. Noch ein halbes Jahrhundert später bestätigten Zeitzeugen den Eindruck, dass Tokarew auf dem Höhe- oder besser Tiefpunkt des stalinistischen Dogmatismus stets um eine offene Diskussionskultur bemüht gewesen sei.204 Dies zeigten auch seine Arbeiten, die sich von dogmatischem Vokabular bemerkenswert freihielten.205 1951 wurde Eva Lips zur Oberassistentin und 1955 zur Dozentin ernannt. 1957 wurde sie Professorin mit Lehrauftrag, 1960 Professorin mit vollem Lehrauftrag und 1966, im Jahr ihrer Emeritierung, ordentliche Professorin. Die zögerliche Professorenlaufbahn der international herausragenden Forscherin zeigt, welchen Widerstand es auch in der DDR gegen die Berufung von Frauen auf Lehrstühle noch immer gab.206 Neben streng fachwissenschaftlichen Beiträgen schrieb sie

203 Vgl. Eva Lips, Die Reisernte der Ojibwa-Indianer. Wirtschaft und Recht eines Erntevolkes, Berlin [DDR] 1956, S. 3 f. Vgl. auch Dietrich Treide, Vortrag zur Eröffnung des EvaLips-Archivs am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig am 31. Januar 1996, in: Abhandlungen und Berichte des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden, Bd. 49, Berlin 1996, S. 344, sowie Bettina Beer, Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie. Ein Handbuch, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 138 f. 204 Dies nach Aussage Bettina Beers, die sich auf Interviews mit früheren Studenten stützt. Vgl. ebd., S. 139 f. 205 Unter Tokarews Arbeiten ist sein auch ins Deutsche übersetzte Buch: Die Religion in der Geschichte der Völker hervorzuheben, Berlin 1968, das in der DDR eine breite Leserschaft erreichte. Die 2. Auflage von 1976 wurde zwei Jahre später auch in der Bundesrepublik verlegt. 206 Vgl. UA Leipzig, PA 1107: Eva Lips, Deckblatt, im Internet unter: http://recherche.archiv.uni-leipzig.de/Dokument/anzeigen/236419 einzusehen. Vgl. ebd., Bl. 107– 110, 132–134, 178. In der Akte befinden sich auch die entsprechenden Dokumente ihrer jeweiligen Berufungen sowie die Habilitationsunterlagen von 1954 mit den Gutachten der Professoren Eduard Erkes und Georg Mayer. Als Habilitationsvortrag wählte die Kommission unter drei Vorschlägen das Thema „Die Idee der Friedenspfeife und der Ort des internationalen Friedens“ aus. Vgl. ebd., Bl 66: Mitteilung des Dekans der Philosophischen Fakultät vom 29. November 1954. Die Venia legendi für Ethnologie wurden (laut der Urkunde) am 8. Dezember 1954 erteilt. Vgl. ebd., Bl. 68. Vgl. zu Eva Lips auch die



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populärwissenschaftliche Bücher, die ein großes Publikum erreichten und mit überlieferten Vorurteilen, aber auch mit romantischen Klischees über die Ureinwohner Nordamerikas aufräumten.207 Die rechtssoziologischen Arbeiten ihres Mannes führte sie, die darin keine Ausbildung besaß, nicht fort, sondern setzte neue Schwerpunkte, so in der Ethnobotanik.208 Ihr Institut erinnerte auch nach seiner Eingliederung in die Sektion Afrika-/Nahostwissenschaften 1969 als Lehrund Forschungsbereich Julius Lips an den Namen seines Neugründers. Es behielt seine alten Räume in der Ritterstraße und in der Schillerstraße, statt 1972 ins Universitätshochhaus umzuziehen. Al dies lag 1948 noch in der Zukunft. Damals bemühten sich Albert Schreiner und Paul Wandel in besonderer Weise um Ernst Bloch. Eine wichtige Unterstützung erhielten sie durch Werner Krauss, der 1946 von Marburg an die Leipziger Universität gegangen war, wo er einen Lehrstuhl für Romanische Philologie übernahm. „Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie viele Gedanken in Deutschland um Sie kreisen. Jedenfalls habe ich mich zum Interpreten dieser Wünsche gemacht“, schrieb Kraus Anfang 1948 an Bloch nach Massachusetts. „Wir sind nämlich alle davon überzeugt, dass der verwaiste philosophische Lehrstuhl von Ihnen besetzt werden müsste. [...] Es wäre Ihnen natürlich unbegrenzte Freiheit gelassen.“209 Schon im März 1948 nahmen die Berufungspläne nach einem Briefwechsel zwischen Walter Baetke, dem Dekan der Philosophischen Fakultät, und Bloch Gestalt an. Dabei ging es auch um eine gefahrlose Übersendung seiner zahlreichen im Exil entstandenen Manuskripte, und die Leipziger Universität sicherte ihm jede Hilfe zu.210 Um überhaupt die Ausreise aus den USA in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands bewilligt zu bekommen, bedürfe es einer bindenden

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biographische Studie ihres Schülers Dietrich Treide, Eva Lips. Ein Porträt, in: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Bd. XXXV, Berlin [DDR] 1984, S. 6–22. Vgl. Eva Lips, Das Indianerbuch, Leipzig 1956; dies., Weisheit zwischen Eis und Urwald. Vom Humor der Naturvölker, Leipzig 1959. Vgl. auch ihr Kinderbuch: Sie alle heißen Indianer, Berlin [DDR] 1974. Diese und weitere Bücher erlebten zahlreiche Nachauflagen. – Die moderne Ethnologie verwendet Bezeichnungen wie Indianer und Naturvölker inzwischen kritisch; diese Anmerkung soll keinesfalls Eva Lips’ Verdienste um eine moderne, jeden Kulturchauvinismus überwindende Sichtweise schmälern. Vgl. Beer, Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie, S. 141. Damit einher ging Eva Lips’ Hobby der Kakteenzüchtung in ihrer großbürgerlich eingerichteten Wohnung. Zit. n. Karola Bloch, Aus meinem Leben, Pfullingen 1981, S. 183. Dies und das Folgende nach der Personalakte 0322 Ernst Blochs im Leipziger Universitätsarchiv, deren Dokumente zum großen Teil in die folgende kommentierte Quellensammlung eingegangen ist: Volker Caysa u. a. (Hg.), „Hoffnung kann enttäuscht werden“. Ernst Bloch in Leipzig, Frankfurt a. M. 1992 (im Folgenden: Caysa, Hoffnung), hierzu Dokumente Nr. 1 und 2, S. 53 f.

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Ruferteilung auf eine Professur, schrieb Bloch auch dem Leipziger Oberbürgermeister Erich Zeigner.211 Blochs Berufung kam jedoch nur gegen den Widerstand mehrerer Fakultätsmitglieder zustande. Bloch war ihnen weitgehend unbekannt; seine in der Weimarer Republik erschienenen Bücher waren unter dem Hitler-Regime vergessen gemacht worden, die im Exil verfassten Schriften hatten noch keinen Verleger gefunden. Die Universität holte Gutachten auswärtiger Wissenschaftler ein: Erich Auerbach und Erich Frank, die beide an Hochschulen in Pennsylvania lehrten, votierten für die Berufung Blochs.212 Von Basel aus urteilte Edgar Salin vorsichtiger. Er kenne Bloch zu wenig, und man solle andere Kollegen, etwa Karl Jaspers, fragen.213 Ebenso zurückhaltend äußerte sich Arthur Baumgarten.214 In Leipzig sprachen sich der Pädagoge Alfred Menzel und der Historiker Johannes Kühn gegen Bloch aus; dieser könne wohl als Soziologe, nicht aber als Philosoph in Leipzig lehren.215 Die sechsköpfige Berufungskommission kam zu keinem Urteil.216 Nun griff Berlin ein: Paul Wandel, Präsident der Zentralverwaltung für Volksbildung, erklärte, falls Leipzig Bloch nicht umgehend berufe, „werden wir seine Berufung in Berlin erwirken.“217 Robert Rompe, Leiter der Abteilung für Hochschulen und wissenschaftliche Institutionen der Zentralverwaltung, drängte nun die Leipziger Universität, den Berufungsvorgang rasch abzuschließen.218 Nach weiterem Hin und Her erfolgte Blochs Berufung im Mai 1949 gegen die Vorbehalte der Fakultät durch Entscheid der Dresdner Landesregierung.219 Bloch lehrte

211 Vgl. ebd., Dokument 3, S. 55 f. 212 Vgl. ebd., Dokumente Nr. (Briefe Auerbachs vom 17. April und Frank vom 27. April an Werner Krauss). 213 Vgl. ebd., Dokument Nr. 7, S. 60 (Edgar Salin an Dekan Walter Baetke, Brief vom 7. Mai 1948). 214 Vgl. ebd., Dokument Nr. 4, S. 57 (Arthur Baumgarten an Dekan Baetke, Brief vom 14. Mai 1948). 215 Vgl. ebd., Dokumente Nr. 8, S. 61 f. (Johannes Kühn an Dekan Baetke, Brief vom 9. Mai 1948) und Nr. 12, S. 66–68 (undatierte Stellungnahme Menzels). 216 Vgl. ebd., Dokument Nr. 13, S. 68–71 (Niederschrift der Kommissionssitzung vom 8. Mai 1948). 217 Ebd., Dokument Nr. 14, S. 72 (Notiz Paul Wandels als Anlage zu einem undatierten Memorandum von Werner Krauss). 218 Vgl. Gerd Irrlitz, Ein Beginn vor dem Anfang. Philosophie in Ostdeutschland 1945–1950, in: Walter H. Pehle/Peter Sillem (Hg.), Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945?, Frankfurt a. M. 1992, S. 121 f. 219 Caysa, Hoffnung, Dokument Nr. 19, S. 79 f. (Ministerialdirektor Dr. Dyck an Dekan Baetke, Brief vom 25. Mai 1948).

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jedoch nicht, wie ursprünglich erwogen, auch an der Gewifa, sondern ausschließlich am Institut für Philosophie. Auch um Henryk Grossmann war es dem umtriebigen Albert Schreiner zu tun. 1948 erging der Ruf der Leipziger Universität auf den Lehrstuhl für Politische Ökonomie an ihn. Doch Grossmanns Abreise aus New York verschob sich ein um das andere Mal.220 Der Rechtshistoriker Rafael Taubenschlag, ein alter Freund Grossmanns, und der Ökonom Oskar Lange, die beide ebenfalls im US-Exil überlebt hatten und inzwischen Professuren in Polen innehatten, suchten ihn für eine akademische Tätigkeit in Warschau zu gewinnen. Grossmann lehnte ab. „Der persönliche Grund ist, dass meine Frau und mein Sohn in Auschwitz vergast worden sind, mein Bruder und seine Frau in einem anderen modernen Brennofen, und daran würde ich [mich] auf Schritt und Tritt erinnern. Ich könnte mich in Polen nicht wohlfühlen. Der sachliche Grund ist, dass in der deutschen Ostzone die sozialistische Lehre so viel weiter fortgeschritten ist als in Polen. Es geht dort nichts seinen gewöhnlichen Gang, sondern es gibt echte Schritte hin zu einer Lehrtätigkeit im sozialistischen Sinn, und dies ist für mich als Marxisten ein entscheidender Umstand.“221 Grossmann ließ die Frage offen, ob es für ihn in einem Land wie Deutschland, in dem der Faschismus in seiner grausamsten Ausprägung die Macht ausgeübt hatte, leichter zu leben war. Sein früherer Frankfurter Schüler und Freund Walter Braeuer, der damals Dekan für Gesellschaftswissenschaften in Rostock war, hätte Grossmann gern dorthin geholt, doch zog es diesen in eine Großstadt mit einer leistungsfähigen Bibliothek und einem reichhaltigeren kulturellen Angebot.222 Im Februar 1948 ergriff Gewifa-Dekan Fritz Behrens die Initiative und teilte seinem Kollegen Gerhard Menz, dem Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die Absicht einer Berufung Grossmanns nach Leipzig mit.223 Obgleich Grossmann sich mit Max Horkheimer zerstritten hatte, übernahm das Institute of Social Research einen Teil der Reisekosten für seinen früheren

220 SAPMO-BArch, NY 4198/85, Bl. 1: Schreiner an die Deutsche Verwaltung für Volksbildung, z. Hd. Frau Bode, Brief vom 1. Januar 1949. 221 Henryk Grossmann in einem Brief aus Leipzig an seine amerikanischen Freunde Alice und Joe Maier, 30. Mai 1949, zit. n. Rick Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, Urbana/Chicago 2007, S. 213. 222 Vgl. ebd., S. 211 f. 223 Vgl. UA Leipzig, PA 0040, Bl. 1 f.: Henryk Grossmann, Briefe Fritz Behrens’ an Gerhard Menz vom 27. Februar und 13. März 1948 (im Internet einzusehen unter: http://recherche.archiv.uni-leipzig.de/Dokument/anzeigen/235352). Im Antwortbrief vom 4. Mai 1948 empfahl Menz, Grossmann an die Gewifa zu berufen, da dieser doch eher Soziologe sei. Ebd., Bl. 5.

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Mitarbeiter.224 Als Grossmann im März 1949 endlich in Leipzig ankam, war er, wie Schreiner schrieb, „in einer körperlichen Verfassung, in der er ohne Fürsorge von Freunden verloren ist.“225 Fritz Behrens und Albert Schreiner, der nunmehrige Dekan der Gewifa, empfingen ihn sehr freundlich und ehrten Grossmann aus Anlass seines Geburtstages am 14. April 1949. Er wurde als Opfer des Faschismus anerkannt, was mit einer Ehrenrente verbunden war. Am 9. Juni trat Grossmann der SED bei. Schreiner teilte Grossmann mit, er habe ihn aufgrund seiner Forschungsleistungen für die Nominierung des Nationalpreises der DDR vorgeschlagen.226 Grossmann suchte seine immer noch spürbare Vereinsamung zu überwinden, indem er sich in die Arbeit stürzte. Er wurde zum Direktor des Instituts für Wirtschaftsplanung an der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät ernannt und zugleich an die Gewifa auf den Lehrstuhl für Politische Ökonomie II berufen.227 Grossmann bot zunächst Lehrveranstaltungen zur Geschichte der Politischen Ökonomie, danach zur marxistischen Wirtschaftstheorie, insbesondere zur Krisentheorie, an.228 Die zunächst vollen Hörsäle und Seminarräume lichteten sich jedoch bald, da Grossmann forderte, dass die Studenten auch Quellen und Literatur in Englisch und Französisch lesen sollten.229 Es drängte Grossmann, einige seiner im Exil fertiggestellten, aber noch nicht (oder nicht auf Deutsch) publizierten Arbeiten möglichst rasch einem neuen Lesepublikum zu präsentieren. Er verhandelte mit Fritz Schälike, dem Direktor des Dietz-Verlages, über eine erweiterte Fassung seines in der Economic History Review abgedruckten Aufsatzes über den schottischen Ökonomen William Playfair, den Begründer der statistischen Informationsgraphik und frühen Analytiker des Kapitalismus. Doch war Schälike der Gegenstand fremd, und so blieb der

224 Vgl. Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, S. 213. Vgl. auch Hendrik Niether, Intellektuelle aus dem Umfeld der Frankfurter Schule in der DDR. Hans Mayer, Ernst Engelberg und Henryk Grossmann an der Universität Leipzig, in: Monika Boll/Raphael Gross (Hg.), Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland, Göttingen 2009, S. 218–227. 225 SAPMO-BArch, NY 4198/85, Bl. 87.: Schreiner an Wandel, Brief vom 5. September 1949. Ähnlich Schreiners Brief vom 7. September 1949, ebd., Bl. 88. 226 Zu Schreiners Kontakten mit Grossmann vgl. SAPMO-BArch, Nachlass Albert Schreiner, NY 4198/70. Vgl. auch Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, S. 214 f. 227 Den Lehrstuhl für Politische Ökonomie I hatte Fritz Behrens inne. Vgl. Wustmann, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig, S. 73. 228 Vgl. Universitätsarchiv Leipzig, PA 0040: Henryk Grossmann, Bl. 25: Ankündigung der Lehrveranstaltung von Prof. Grossmann, 23. März 1949. 229 Vgl. Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, S. 216 f. (Kuhn beruft sich hier auf einen Zeitzeugenbericht).

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Aufsatz in seiner deutschen Fassung ungedruckt.230 Auch eine längere Studie über Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik, deren Publikation beim Institute of Social Research nicht zustande gekommen war, gedachte Grossmann zu publizieren, und auch dies gelang ihm nicht.231 Das hatte indes nicht nur verlegerische Gründe. Im Frühjahr 1950 verschlechterte sich Grossmanns Gesundheitszustand rapide. Einer zunächst gut verlaufenden Prostata-Operation schlossen sich ein Herzinfarkt und eine Niereninsuffizienz an. Zudem traten erste Anzeichen einer Parkinson-Krankheit auf. Die Universität beurlaubte Grossmann zunächst zeitweilig, dann auf Dauer von allen Lehr- und sonstigen Verpflichtungen bei gleichbleibender Bezahlung. Nach kurzzeitiger Entlassung wurde er im Oktober 1950 erneut in die Universitätspoliklinik eingeliefert, die unter Leitung seines New Yorker Exilkameraden Felix Boenheim stand. Dort verstarb er am 24. November 1950.232 In der DDR fand der marxistische Wissenschaftler zwar später gelegentlich eine positive Erwähnung, seine Schriften wurden jedoch nicht neu aufgelegt.233 Weit mehr als Grossmann blieb Hermann Budzislawski in der DDRÖffentlichkeit präsent. Nach seiner Rückkehr im August 1948 war er zunächst kurz Kommentator des Mitteldeutschen Rundfunks, bevor er zum Wintersemester 1948 auf einen Lehrstuhl für Internationales Pressewesen berufen wurde, der sowohl der Gewifa wie der Philosophischen Fakultät zugeordnet war. Dieser Ruf hatte Budzislawski bereits am 11. Februar noch in den USA erreicht. Am 24. November 1948 veröffentlichte Budzislawski im Neuen Deutschland einen Artikel mit der Überschrift „Ich war Amerikas berühmteste Frau“. Darin hieß es: „Ein Schriftsteller hat es in fremden Ländern nicht immer leicht. Er muss zuweilen unter angenommenem Namen schreiben, und so brauchte ich vier Jahre lang ein weibliches Pseudonym. Der Name, unter dem meine Zeitungsartikel, Zeitschriftenaufsätze, Vorträge und Radioreden und sogar ein Buch erschienen, war Dorothy Thomson.“234 Dies steht im klaren Gegensatz zu dem, was Budzislawski dem FBI am 19. April 1944 berichtet hatte. Damals hatte er verneint, dass er Dorothy Thompsons Ghostwriter und nicht nur ihr redaktioneller Mitarbeiter

230 Vgl. Henryk Grossmann, William Playfair, the Earliest Theorist of Capitalist Development, in: Economic History Review 18, 1948, Nr. 1/2, S. 65–83. 231 Die Studie erschien erst 1980 als Raubdruck. Vgl. Henryk Grossmann, Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik, Wiesbaden 1980. 232 Vgl. Kuhn, Henryk Grossmann and the Recovery of Marxism, S. 218–220. 233 Nicht erwähnt wurde Grossmann im biographischen DDR-Nachschlagewerk für Ökonomen. Vgl. Werner Krause u. a. (Hg.), Ökonomen-Lexikon, Berlin [DDR] 1989. 234 Hermann Budzislawski, Ich war Amerikas berühmteste Frau, in: Neues Deutschland, 24. November 1948.

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gewesen sei. Er habe niemals eine Zeile unter dem Namen eines anderen Journalisten veröffentlicht, so Budzislawski damals.235 Die Zusammenarbeit war durch Fritz Kortner vermittelt worden, der Dorothy Thompson auf den exzellent Englisch beherrschenden Journalisten aufmerksam machte.236 Am 22. Juni, direkt nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, rief sie Budzislawski an, „weil sie begriff, dass die journalistische Konjunktur einen fortschrittlichen Kurs vorschrieb. Damals wurde ich, was man in Amerika einen Ghostwriter nennt, ein Geist, der für einen anderen Schriftsteller schreibt.“237 Anders als es diese Zeile nahelegt, waren es aber nicht nur konjunkturelle Überlegungen, die Dorothy Thomson zur Zusammenarbeit mit dem umtriebigen Budzislawski bewogen hatte. Zwar kannte sie das Deutschland der Weimarer Republik und das beginnende „Dritte Reich“ und sprach selbst gut Deutsch, hatte Hitler interviewt und war, wie schon erwähnt, nach dessen Machtantritt die erste Journalistin, die wegen ihres konsequenten Antifaschismus des Landes verwiesen wurde.238 Sie benötigte jedoch für ihre antifaschistische Publizistik einen Mitarbeiter, der Deutschland nicht nur „von innen“ her kannte, sondern auch mit den verschiedenen politischen Strömungen unter den Hitlergegnern vertraut war. Budzislawski erschien ihr als Sozialdemokrat; dass er einst in Prag die Weltbühne auf einen prostalinistischen Kurs verpflichtet hatte, sah sie nicht oder wollte es vielleicht auch nicht sehen. Budzislawski schrieb nach eigener Aussage für seine Chefin dreimal wöchentlich Kolumnen, die über Dorothy Thompsons Syndikat die Leserschaft von 175 Tageszeitungen erreichte. Unter dem Pseudonym Donald Bell schrieb Budzislawski für die ebenfalls von Dorothy Thompson geleitete Overseas News Agency sowie anonym für den deutschsprachigen Kurzwellendienst von CBS; eine Arbeit, die ihm wohl Alfred

235 Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Hermann-Budzislawski-Archiv, Nr. 122: Mitteilung Budzislawskis an das das FBI Office, New York City, 19. April 1944. Darin heißt es wörtlich: „I state that I never have written a line to be published under my name of another journalist writer.“ Und weiter: „I mainly have earnt my living as a research writer for Miss Dorothy Thompson.“ 236 Vgl. Fritz Kortner, Aller Tage Abend, München 1969, S. 318 und 349. 237 Budzislawski, Ich war Amerikas berühmteste Frau. 238 Sie beschrieb Hitler als „formlos, fast gesichtslos; ein Mann, dessen Antlitz eine Karikatur ist, ein Mann, dessen Gestalt wie die eines Knorpelfisches ohne Gräten. Er ist unstetig geschwätzig, unausgeglichen und unsicher. Er verkörpert aufs Genaueste den Prototyp des Kleinen Mannes.“ Zit. n. Peter Kurth, American Cassandra. The Life of Dorothy Thompson, Bosten 1990, S. 162. Vgl. auch Axel Fair-Schulz, Collaboration, Manipulation, and the Politics of Anti-Fascism: the Cases of Dorothy Thompson and Hermann Budzislawski. Vortrag auf der Forty-First Annual Conference der German Studies Association, Atlanta (Georgia), 7. Oktober 2017, S. 5 (Ms.).

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Kantorowicz vermittelt hatte. Auch an Dorothy Thomsons CBS-Radioansprachen, die sich unter dem Titel Listen, Hans 1942 an deutsche Hörer richteten, war er beteiligt.239 Marion K. Sanders, eine frühe Biographin Dorothy Thomsons, bestätigte, wie wichtig Buzislawski für die berühmte Journalistin war: „Budzi, als der er im Thompsonschen Haushalt bekannt war, sollte anfänglich die ausländische Presse durcharbeiten und auswerten. Als befähigter und dialektisch versierter Journalist machte er sich bald unentbehrlich. Im Allgemeinen schrieb Dorothy am Vormittag im Bett, und manchmal trug sie ihre Next Day’s Column am Abend probeweise denen vor, die sich gerade im Haus befanden. Die weniger ausdauernden Gäste und Mitarbeiter machten sich bald unauffällig davon. Aber Budzi blieb bis zuletzt. Am nächsten Morgen erschien er mit einem sorgfältig in die Schreibmaschine getippten Manuskript, einer ausgearbeiteten Fassung ihres Vortrages vom vorigen Abend. Der Beitrag bedurfte nur noch weniger Korrekturen, um in Druck zu gehen.“240 Die prosowjetischen Artikel Dorothy Thompsons sind wahrscheinlich nicht ohne sanfte Nachhilfe Budzislawskis entstanden. „Russland unterlag in den letzten Jahren großen Veränderungen“, schrieb sie im September 1942, „und ist dabei immer konservativer geworden, besonders in den Dingen des täglichen Lebens, der Ehe, Ausbildung, Kultur und was das persönliche und private Eigentum angeht. Aber Russland ist ein sozialistischer Staat und wird es bleiben, so sehr auch die nicht-ökonomischen Bereiche ,demokratisiert‘ werden. Der russische Arbeiter, Schauspieler, Ingenieur oder Industriemanager bekommt Lohn oder Gehalt und mag den Überschuss anlegen, aber nur in Staatsanleihen, da der Staat der alleinige Finanzier der gesamten Wirtschaft ist.“241 Niemand inner- oder außerhalb Russlands denke dabei an einen Export des bolschewistischen Modells wie nach der Oktoberrevolution. „Russland möchte einfach keine solche Revolution – augenscheinlich nicht während des Krieges, aber auch nicht danach. Als Haupt des

239 Vgl. Franz Knipping, Der Mann, der Amerikas berühmteste Frau war, in: Neues Deutschland, 10./11. Februar 2001. 240 Marion K. Sanders, Dorothy Thompson. A Legend in Her Time, Bosten 1973, S. 286. Auf dieses Buch und diese Passage machte mich Prof. Axel Fair-Schulz aufmerksam. – Marita Krauss warnte allerdings davor, Budzislawskis Bedeutung für Dorothy Thompson zu überhöhen. Vgl. Marita Kraus, Hans Habe, Ernst Friedlaender, Hermann Budzislawski – Drei Zentren, drei Städte, drei Schicksale, in: Krohn/Schildt (Hg.), Zwischen den Stühlen?, S. 254–1966 sprach Budzislawski in einem Interview von Artikeln, die er „gemeinsam mit Dorothy Thompson verfasst habe [...].“ Gespräch mit Prof. Dr. Hermann Budzislawski, in: Die Weltbühne, 9. Februar 1966, S. 180. 241 Dorothy Thompson, Listen Hans, Bosten 1942, S. 115. Auf diese und die folgende Passage machte mich Prof. Axel Fair-Schulz aufmerksam.

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russischen sozialistischen Staates hat Stalin seine Zeit der Konsolidierung des Staates und der Normalisierung des Lebens gewidmet und dabei die Anhänger einer „permanenten Revolution‘ ausgeschaltet.“242 Budzislawski habe jedoch während ihrer Zusammenarbeit immer deutlicher gesehen, so berichtete er dem Neuen Deutschland, wie sich Dorothy Thompson, kaum dass am Sieg über Hitler nicht mehr zu zweifeln war, wieder in ihren alten Antikommunismus hineingesteigert habe. Ja, sie habe ihm nach der deutschen Kapitulation eine Wette angeboten, dass es bis zum 15. August 1945 zu einem Krieg zwischen der Sowjetunion und den Westmächten kommen werde, sei doch nur so Stalins Expansionsdrang abzuwehren. Erst am 16. April 1949 reagierte Dorothy Thompson mit dem Artikel „Wie ich von einem Kommunisten hinters Licht geführt wurde“, der in der Saturday Evening Post erschien, auf Budzislawskis Enthüllungsartikel. Am Anfang stand eine Captatio benevolentiae: „Niemand wird gern zugeben, dass er ein Narr ist oder genießt die Erinnerung an eine unangenehme Erfahrung. Ginge es nur um eine persönliche Sicht, dann würde ich es vorziehen, diese Erfahrung meines Lebens nicht anzusprechen. Aber in einer Zeit, in der viele Menschen wegen ihrer einstigen Verstrickungen mit Kommunisten leiden, halte ich es für sinnvoll, davon zu schreiben, um zu zeigen, wie man selbst unschuldig und gegen die eigene Natur in solche Verstrickungen gerät.“243 Sie sei nie eine Kommunistin, indes eine entschiedene Gegnerin jeder totalitären Diktatur gewesen, und daran habe sich nichts geändert, schrieb sie. Als sie Budzislawski kennengelernt habe, sei dieser, so Dorothy Thompson, „nicht nur ein Antinazi, sondern auch ein Antikommunist“ gewesen, und „als Jude habe er kaum einen russischen Pakt mit Hitler tolerieren können.“ Die Weltbühne habe sie als eine linksgerichtete, pazifistische, nie aber als kommunistische Zeitschrift gesehen, und überdies sei der Flüchtling, als er zu ihr kam, einfach in einer „bemitleidenswerten“ Lage gewesen. Da er seine Arbeit jederzeit akkurat erledigt habe und politisch keinen Anlass zu Beanstandungen bot, habe sie Warnungen von ExKommunisten (sie dachte wohl auch an Ruth Fischer und Karl August Wittfogel) über Budzislawski in den Wind geschlagen. „Unter den Emigranten gab es jede Menge an gegenseitigen Verdächtigungen und Schuldzuweisungen, und ich habe es für undenkbar gehalten, dass ein Mann, der mir immer wieder beteuerte, in welcher Schuld er bei mir stehe, der scheinbar die freundschaftlichen Beziehungen, die auch zwischen unseren Familien bestanden, genoss, der persönliche Vorteile, die weit über geschäftliche Beziehungen



242 Ebd., S. 118. 243 Dorothy Thompson, How I was Duped by a Communist, in: Saturday Evening Post, 16. April 1949. Hiernach die folgenden Zitate.

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reichten, erbat und erhielt, der genau wusste, was ich vom Kommunismus halte und wie sehr ich auch alle anderen totalitären, im Untergrund wühlenden Bewegungen verabscheue, dass ein solcher Mann mich womöglich täuschen könne. Inzwischen weiß ich sehr viel mehr über die Kommunisten. Ich weiß, es gehört zu ihren Pflichten, ohne die geringsten Skrupel die Bourgeoisie zu täuschen, möge dies auch ihre ‚besten Freunde‘ betreffen.“ Sie habe Budzislawski umso mehr vertraut, als ihr nunmehriger Ehemann, ein früherer tschechoslowakischer Staatsbürger, eine Zeitlang mit Budzislawski im selben Lager interniert gewesen sei. Schließlich sei Budzislawski ja bei seiner Einreise in die USA genau befragt worden, und die zuständigen Behörden hätten ebenso wenig Verdacht geschöpft. Dennoch müsse sie sich vorwerfen, dass sie Budzislawskis prokommunistische Äußerungen nach dem Krieg nicht Ernst genug genommen habe. Dies müsse nicht nur für sie, sondern solle für jeden Amerikaner eine Lehre sein: „Unschuld kann nicht weniger als Bosheit zu unserem Untergang beitragen.“ All dies empfahl Budzislawski der SED für eine Lehrtätigkeit an der Leipziger Universität und zumal für eine Schlüsselposition beim Aufbau einer – in Sinne der Partei – sozialistischen Journalistik.244 Am 10. Juni 1948 erfolgte die Ernennung zum Professor mit Lehrstuhl für Geschichte der deutschen Presse, am 7. September bezog Budzislawski mit seiner Familie eine Wohnung in Leipzig. Ein Jahr später, am 7. Oktober 1949, war er als Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer direkt an der Gründung der DDR beteiligt. In Leipzig begann Budzislawski seine Lehrveranstaltungen mit einer Vorlesung und Seminaren zur Theorie der öffentlichen Meinung.245 Ab 1950 folgten Vorlesungen über außenpolitische Probleme der Gegenwart, zur bürgerlichen Presse des Auslands und zur

244 Laut einem Schreiben vom 21. Juni 1947 von Hauptabteilungsleiter Robert Rompe an die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig empfahl die Zentralverwaltung für Volksbildung neben Budzislawski auch Maximilian Scheer für eine Arbeit an der Gewifa. Scheer zog jedoch die schriftstellerische Tätigkeit vor. Vgl. UA Leipzig, PA 0364 (Hermann Budzislawski), Bl. 1. Die Akte ist im Internet zugänglich unter http://recherche.archiv.uni-leipzig.de/Dokument/anzeigen/235676. 245 Seminare zur Journalistik in den USA („Der amerikanische Imperialismus“) und Übungen zur Technik des Journalismus konnte er zunächst wegen Arbeitsüberlastung nicht halten und verschob sie auf 1949. Vgl. Jochen Jedraszczyk, Entideologisierung – Rekonstruktion – Re-Ideologisierung: Leipziger publizistik- und zeitungswissenschaftliche Einrichtungen 1945 bis 1952, in: Erik Koenen (Hg.), Die Entdeckung der Kommunikationswissenschaft. 100 Jahre kommunikationswissenschaftliche Fachtradition in Leipzig: Von der Zeitungskunde zur Kommunikations- und Medienwissenschaft, Köln 2016, S. 203.

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Presse der Weimarer Republik.246 Der variantenreiche Duktus von Budzislawskis Vorlesungen wurde jedoch immer wieder konterkariert durch seine Appelle an die „sozialistische Parteilichkeit“ als dem A und O journalistischer Arbeit.247 Ebenfalls ab 1950 amtierte er als Prodekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät. 1951 wurde sein Lehrstuhl umgewandelt in einen Lehrstuhl für Geschichte des internationalen Pressewesens.248 Auch Wieland Herzfelde kam an die Leipziger Universität. Am 10. März 1948 schrieb er aus New York an Ernst Bloch in Cambridge, Albert Schreiner habe ihn aufgefordert, die nötigen Angaben nach Leipzig zu schicken, da er für eine Universitätsstellung in Erwägung gezogen sei. Er riet Bloch, sich in dessen eigener Angelegenheit mit Werner Krauss in Verbindung zu setzen, was dieser, wie bekannt, auch tat.249 Die Abteilung Personalpolitik beim ZK der SED erbat von Jacob Walcher eine Auskunft über Herzfeldes politisches Wirken in den USA. Walcher hob dessen kulturpolitisches Engagement als Verleger in New York hervor, worauf der für Kaderfragen zuständige Paul Merker anregte, die Gewifa in Leipzig möge Herzfelde zu Probevorträgen mit dem Schwerpunkt modernes Verlagswesen einladen.250

246 Vgl. UA Leipzig, PA 0364 (Hermann Budzislawski), Bl. 37, 58, 88 (http://recherche.archiv.uni-leipzig.de/Dokument/anzeigen/235676). 247 Dies zeigte sich deutlich in seinem auf jahrelanger Vorlesungstätigkeit beruhendem Werk: Sozialistische Journalistik, Berlin [DDR] 1966, dessen agitatorische Sprache auch unter DDR-Journalisten intern bald als altmodisch galt. Vgl. auch Verena Blaum, Hermann Budzislawski: Sozialistische Journalistik, in: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch (Hg.), Schlüsselwerke für die Kommunikationswissenschaft, Opladen 2002, S. 83–85. 248 Vgl. UA Leipzig, PA 0364 (Hermann Budzislawski), Bl. 89: Ab Ende 1953 lautete die Bezeichnung des Lehrstuhls: Geschichte der Presse. Professor Wilhelm Eildermann, Direktor des Instituts für Publizistik und Zeitungswissenschaften der Karl-Marx-Universität Leipzig, an das Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR, Mitteilung vom 3. Dezember 1953. 249 Vgl. Wieland Herzfelde an Ernst Bloch, Brief vom 10. März 1948, in: Ernst Bloch/Wieland Herzfelde: „Wir haben das Leben wieder vor uns“. Briefwechsel 1938– 1949, hg. von Jürgen Jahn, Frankfurt a. M. 2001, S. 255 f. 250 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11 v. 4504, Bl. 44: Abteilung Kaderfragen, Wieland Herzfelde, Jacob Walcher, Notiz, o. D.; ebd., Bl. 45: Abteilung Personalpolitik, Paul Merker, Hausmitteilung [April 1948]. Vgl. auch Doris Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918–1960), Göttingen 2012, S. 442 f.

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Doch zog sich die Angelegenheit hin.251 Erst im September 1949 erteilte die Leipziger Universität den Ruf an Herzfelde, allerdings nicht, wie er geglaubt hatte, für Verlags- und Pressewesen, sondern für Soziologie der neueren Literatur. Seine Professur war zunächst ausschließlich an der Gewifa angesiedelt, nicht an der Philosophischen Fakultät und schon gar nicht am Germanistischen Institut, wo die Altordinarien Theodor Frings und Hermann August Korff zwar den habilitierten Hans Mayer als Neuzugang notabene akzeptieren mussten, nicht aber den ohne jeden akademischen Abschluss ernannten Herzfelde. Dieser teilte sich mit Gerhard Harig, Hans Mayer und Ernst Engelberg die Leitung der Gewifa und stand zudem der Abteilung Literaturwissenschaft vor.252 Im April 1949 traten Wieland Herzfelde und seine Frau, aber ohne den Sohn George, der in den USA geheiratet hatte und dort blieb, die Rückreise an.253 Diese führte sie über Polen nach Deutschland. Im Oktober nahm Herzfelde seine Lehrtätigkeit an der Gewifa in Leipzig auf und publizierte eine feuilletonistische Zusammenstellung früherer Prosa unter dem Titel Immergrün. Merkwürdige Erlebnisse und Erfahrungen eines fröhlichen Waisenknaben. Die Universität war jedoch an einem wissenschaftlich arbeitenden Hochschullehrer interessiert. Solche Erwartungen vermochte Herzfelde nicht zu erfüllen. Die Umwidmung seiner Professur Anfang 1951 auf das Lehrgebiet für Literatur und Kunstkritik und zum 1. September 1952 für Probleme der deutschen Literaturgeschichte ab 1870 änderte daran nichts.254 Von der geplanten Dissertation war bald keine Rede mehr.

251 Wustmann, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig, S. 89, zitiert ein Schreiben des Hauptabteilungsleiters des DDR-Staatssekretariats für Volksbildung an den zuständigen sächsischen Minister Helmut Holtzhauer vom 19. Oktober 1949, in dem dieser gebeten wird, sich „doch noch einmal zu überlegen, ob eine solche Ernennung zum Professor mit Lehrstuhl gerechtfertigt ist.“ Doch hatte das sächsische Volksbildungsministerium, dem auch (wie in der übrigen DDR) damals noch die Universitäten unterstanden, bereits am 8. September 1949 den Ruf an Herzfelde erteilt und nahm ihn nicht zurück. Vgl. ebd., S. 89, Anm. 430, unter Berufung auf ein persönliches Schreiben O. Halles an Minister Holtzhauer vom 19. Oktober 1949, in: Bundesarchiv Berlin, Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, DR 3, B 15048, Bl. 25. Hervorhebung im Original. 252 Geschäftsführender Direktor und zugleich Leiter der Abteilung Dialektischer und Historischer Materialismus war der Physiker Gerhard Harig, Leiter der Abteilung Geschichte der sozialen Bewegungen war Ernst Engelberg, Hans Mayer leitete die Abteilung Geschichte und Kulturpolitik. 253 Vgl. zu den Umständen George Wyland-Herzfelde, Glück gehabt. Erinnerungen, München 2003, S. 294–296. 254 Auch im Ministerium für Staatssicherheit wurde festgehalten, dass Herzfelde „nur durch ein Versehen Professor geworden“ sei. Bericht von Unterleutnant Heider, Leipzig, nach einem Treff mit dem Geheimen Informator „Grete“ vom 20. Februar 1958. BStU, ZA,



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Herzfelde überspielte seine Unsicherheit indes derart mit Ordinarien-Allüren, dass sogar der ihm wohl gesonnene (und gänzlich anders auftretende) Historiker Walter Markov ironisch anmerkte, Herzfelde, der einstige Bohemien, sei nunmehr „jeder Zoll ein Professor.“255 Im DDR-Volksbildungsministerium bestand deshalb die Überlegung, einen für Herzfelde „geeigneteren Tätigkeitsbereich“ zu finden, entweder als Studentendekan in Leipzig oder im Verlagswesen.256 Doch erst zum 1. Oktober 1958 wurde Herzfelde von seiner Professur ständig beurlaubt. Dies stürzte ihn finanziell nicht ins Bodenlose, denn als Verfolgtem des Naziregimes stand ihm eine vorzeitige hohe Rente zu. Er nutzte die Zeit der Muse, um eine Biographie seines Bruders zu schreiben.257 Ralph Jessen bezeichnet in seiner Studie über die akademische Elite der DDR die Remigranten als „Doppelstaatsbürger von Partei und Fach.“258 Sie waren formell kein Teil der alten Bildungselite gewesen, die zum Teil in der frühen DDR noch das Universitätsleben dominierte. Die Remigranten brachten jedoch, wie neben Jessen auch Axel Fair-Schulz unterstreicht, ein kulturelles Kapital mit, das diese „neo-humanistischen Marxisten“ intellektuell auch gegenüber der „alten“ Elite ins Feld führen konnten und deren wichtigster Teil ihr Vorsprung in der Welt- und Fremdsprachenkenntnis war.259 Zumal die Juden unter ihnen waren seit ihrer Kindheit am Erwerb von Bildungsgütern orientiert. Sie entstammten Elternhäusern, die der Weimarer Republik gegenüber generell positiver eingestellt gewesen waren als das oftmals republikfeindliche klassische Bildungsbürgertum. Zudem hatten sie durch eine oft in



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HA IX/11, ZUV, Nr. 76, Bl. 000068. Dieser Aktenbestand enthält die als „Operativen Vorgang Wild“ bezeichnete Überwachung von Ernst und Karola Bloch, die im 7. Kapitel behandelt wird. Markov, Zwiesprache mit dem Jahrhundert, S. 184. Vgl. Wustmann, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig, S. 89; Zitat unter Berufung auf eine hausinterne Mitteilung des Ministeriums vom 3. März 1950, in: Bundesarchiv Berlin, Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, DR 3, B 15048, Bl. 66. – Davon abweichend ist das Urteil eines einstigen Leipziger Studenten, der Herzfelde bescheinigte, dessen Vorlesung habe „erheblich dazu bei [getragen], den Bildungshorizont der Studierenden zu erweitern.“ Siegfried Schmidt, Hermann Budzislawski und die Leipziger Journalistik, in: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hg.), Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft, Köln 2017. http://blexkom.halemverlag.de/schmidtbudzislawski/. Wieland Herzfelde, John Heartfield, Dresden 1961; Taschenbuchausgabe ebd. 1986; 2. Aufl. ebd. 1988. Ralph Jessen, Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-Ära, Göttingen 1999, S. 316. Axel Fair-Schulz, Loyal Subversion. East Germany and Its Bildungsbürgerlich Marxist Intellectuals, Berlin 2009, S. 17.

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mehreren Ländern lebende Verwandtschaft früh eine Skepsis gegenüber dem Deutschnationalismus vermittelt bekommen.260 Die unausgesprochene Distanz, die sie, aber auch nichtjüdische Hitlergegner, zum „Durchschnittsdeutschen“ hielten wie zum scheinbar unpolitischen Akademiker, der seine einstige NSDAPZugehörigkeit verbarg, ließ sich nie vollständig aufheben.261 Auch wenn die Remigranten sich bemühten, als „gute Genossen“ aufzutreten, blieben andere Unterschiede gleichfalls unterschwellig bestehen: die geistigkulturellen Differenzen zum braven Parteikader, der im Stalinschen SchwarzWeiß-Denken verharrte. Auch dort, wo die Remigranten sich in die Front des Kalten Krieges eingliedern mussten und den „amerikanischen Imperialismus“ pflichtgemäß verdammten, vermutete der Parteiapparat – nicht zu Unrecht – eine Wissens- und Erfahrungsebene, die mit den verordneten Propagandabildern nie ganz, oder doch nur in Ausnahmen, in Übereinstimmung zu bringen war. Die akademischen „Westemigranten“ blieben politisch unsichere Kantonisten, ob sie dies wollten oder nicht. Dies zeigte sich auch im Fall Felix Boenheims, wiewohl dieser es an Loyalität zur SED, der er 1949 beitrat, nicht fehlen ließ. Boenheim, der in Palästina, England, Frankreich und den USA gelebt und als Arzt gearbeitet hatte und trotz seiner Nähe zur KPD bisher nie einer Partei angehört hatte, war in der Medizinischen Fakultät der Leipziger Universität die Rolle des Außenseiters wie auf den Leib geschneidert.262 Nur der Psychotherapeut Dietfried Müller-Hegemann, der 1952 zur Fakultät stoßen sollte, hatte unter Leipzigs Medizin-Professoren eine ähnlich konsequente antifaschistische Vita aufzuweisen.263

260 Dieses Problem behandeln auf einer erweiterten Ebene ausführlich Kai Schiller, Gelehrte Gegenwelten. Über humanistische Leitbilder im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2000, und prägnant George L. Mosse, German Jews Beyond Judaism, Bloomington/Cincinnati 1985. 261 Dies galt auch umgekehrt: So sah sich der aus dem Schweizer Exil 1947 nach Ostdeutschland (Halle) zurückgekehrte Archäologe Heinz Mode in der „bürgerlichen“ Welt in vierfacher Hinsicht als Außenseiter: Als Emigrant, Jude, Kommunist und sogar als Berliner. Mit letzterem meinte er wohl die urbane Kultur der deutschen Hauptstadt, die dem grassierenden Nationalismus in der Weimarer Republik noch am ehesten widerstanden hatte. Vgl. Marita Krauss, Die Rückkehr der „Hitlerfrischler“. Die Rezeption von Exil und Remigration in Deutschland als Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung nach 1945, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, 1997, Nr. 3, S. 155. 262 Bezeichnenderweise erwähnte Boenheim in einem Lebenslauf (ca. 1955) sein Exil mit nur einem einzigen Satz: „Nach meiner Freilassung [aus Nazihaft] gelang es mir, ins Ausland zu emigrieren.“ Sammlung Boenheim/Bechhöfer, L-2016/1/1. 263 Er hatte ab 1935, nach der Verhaftung Ernst Engelbergs, den studentischen antifaschistischen Widerstand an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität neu organisiert, war



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Von zwei Seiten aus gab es starke Vorbehalte gegen Boenheims Rückkehr. Der zunächst stärkste Widerstand ging von seiner Frau Margarete aus. Sie wollte nicht in ein Land zurückkehren, in dem ihre Familie ausgelöscht worden war, und sie wollte ihre in New York geborene Tochter Annette nicht als Deutsche aufwachsen sehen. Doch die immer schwierigere politische Lage in den USA, in die auch Nichtmitglieder der KPD gerieten, so sie nur als „fellow travelers“ der Kommunisten und als „premature anti-fascists“ galten, gab schließlich den Ausschlag für die Rückkehr, zumal in Leipzig die Zukunft als materiell gesichert gelten konnte.264 Bereits am 31. Juli 1947 war Boenheim vom Washingtoner Bezirksgericht wegen seiner Beziehungen zu Gerhart Eisler vernommen worden. Er bestritt wider besseres Wissen, von Gerhart Eislers KPD-Mitgliedschaft etwas gewusst zu haben, fühlte sich jedoch seitdem in seiner beruflichen und persönlichen Existenz nicht mehr sicher.265 Am 6. Mai 1949 verließ er, wie bereits berichtet, mit Frau und Tochter – unproblematisch, da die Boenheims amerikanische Bürger waren – auf jenem Schiff die USA, auf dem Gerhart Eisler als blinder Passagier dem FBI entwischte. Leipzig war nicht Boenheims erste Wahl gewesen; er hatte gehofft, einen Ruf nach Berlin zu erhalten. „Er ließ sich jedoch“, so sein Biograph, „überzeugen, dass gerade an der konservativen Fakultät in Leipzig ein ,fortschrittlicher‘ Mediziner notwendig sei und entschied sich für die sächsische Metropole, was er später wohl etwas bereute.“266 Am 2. Juli 1949 wurde Boenheim offiziell und rückwirkend zum 1. April vom sächsischen Innenministerium zum Professor mit Lehrstuhl für Innere Medizin und Direktor des Medizinisch-Poliklinischen Institutes der Universität ernannt.267 Die Stellungnahme der Fakultät bezeichnete dies ausdrücklich auch als „Wiedergutmachung“ für das Boenheim angetane Unrecht.268



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aber unentdeckt geblieben. Auch Müller-Hegemann (1910–1989) blieb ein Außenseiter, der mit den SED-Oberen nach anfänglicher Linientreue in Konflikt geriet. 1971 floh er in den Westen und veröffentlichte mit seinem Buch Die Berliner Mauer-Krankheit 1973 eine Aufsehen erregende Studie über psychische Schäden von Menschen, die das Eingesperrtsein in der DDR nicht ertrugen. Er kritisierte jedoch die DDR von eindeutig sozialistischen Positionen aus, was ihn auch in der konservativen Medizinerschaft der Bundesrepublik zum Außenseiter machte. Sein Fall weist Parallelen zu Alfred Kantorowicz auf, über dessen „Heimatlosigkeit“ zwischen Ost und West im 7. Kapitel berichtet wird. Eine Biographie über ihn fehlt, ist jedoch ein Desiderat der medizinhistorischen Forschung. Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 310. Vgl. ebd., S. 309. Ebd., S. 315. Die Korrespondenz, die zur Berufung führte, an der hinter den Kulissen auch Hermann Budzislawski eine „Aktie“ hatte, befindet sich in: Sammlung Boenheim/Bechhöfer, L-

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Dabei gab es starke Widerstände innerhalb der Fakultät. Die Leitung eines großen medizinischen Institutes erfordere, so eine Stellungnahme der Fakultät, „eine sehr große bewiesene persönliche Erfahrung in ärztlichen und organisatorischen Fragen, insbesondere Fähigkeiten in der straffen Anleitung des ärztlichen und sonstigen Hilfspersonals. […] Aus dem vorliegenden Lebenslauf kann die Fakultät nicht die Sicherheit gewinnen, dass Herr Dr. B. diesen besonderen ärztlich-organisatorischen Anforderungen gewachsen sein dürfte.“ Bemängelt wurde auch die mangelnde Lehrerfahrung und die Tatsache, dass Boenheim sich bis 1933, als er bereits 43 Jahre alt war, nicht habilitiert hatte. Keine Erwähnung fand in dieser Stellungnahme, dass Boenheim zahlreiche Publikationen in mehreren Sprachen vorzuweisen und als Kliniker in verschiedenen Ländern gearbeitet hatte.269 Treibende Kraft bei der Organisierung des Widerstandes gegen Boenheim war der Zahnmediziner Rudolf Kleeberg. Dieser war nach einer eher unauffälligen, stets an der Universität Leipzig absolvierten akademischen Laufbahn 1949 Dekan der Medizinischen Fakultät geworden.270 Unterstützung erhielt Boenheim andererseits durch den Gerontologen Max Bürger. Der hochgeehrte Bürger – unter anderem Träger des Nationalpreises der DDR und Mitglied der Leopoldina – war, gleich vielen anderen, nach Ablauf der Aufnahmesperre 1937 in die NSDAP eingetreten. Ob Boenheim dies wusste, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Ganz unbekannt war ihm – und auch den DDR-Stellen – , dass Bürger sich an den verbrecherischen Menschenversuchen des Hitler-Regimes beteiligt hatte.271 Ungeachtet aller materiellen und sonstigen Probleme lebten sich die Boenheims in Leipzig ein. Margarete Boenheim nahm ihren Arztberuf wieder auf. Ab 1951 war sie Leiterin des Referats „Mutter und Kind“ beim Rat der Stadt und ab

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2016/1/21. Boenheim bekam ein Jahresgehalt von 11 600 Mark, hinzu kam eine Wohnungsgeld-Zulage. Vgl. ebd., L-2016/1/17. UA Leipzig, PA Felix Boenheim, Bl. 121: Stellungnahme der Medizinischen Fakultät vom 21. Mai 1949. Boenheims umfangreiche Personalakte ist im Internet-Archiv der Universität Leipzig unter http://recherche.archiv.uni-leipzig.de/Dokument/anzeigen/236582 einzusehen. Ebd., Bl. 120 f. Der Vorwurf Ruprechts, Kleeberg habe auch „latent antisemitische Vorurteile“ gegen Boenheim geschürt, wird durch das Material allerdings nicht überzeugend belegt. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 317. Beleg bei Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a. M. 2003, S. 82 f. Nach einem Gutachten Wolfgang Wippermanns entschied die deutsche Gesellschaft für Gerontologie ihren seit 1976 ausgelobten MaxBürger-Preis umzubenennen in Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie.

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1953 beim Rat des Bezirks Leipzig zuständig für den Bau und die gesundheitliche Überwachung von Kindergärten und Kinderkrippen. Von 1956 bis 1959 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Hygiene-Institut der Universität Leipzig. Ab 1960 war sie bis zum Renteneintritt 1985 Schul- und Jugendärztin der Stadt Leipzig, später auch Mitglied der Kommission Schwangerschaftsunterbrechung bei der städtischen Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen.272 Im November 1949 schrieb Felix Boenheim seinem Lehrer, dem aus Leipzig in die USA emigrierten Medizinhistoriker Henry Sigerist: „Auch die äußeren Lebensbedingungen sind besser, als ich geglaubt habe. Das Wirtschaften ist zwar nicht so einfach, wie wir es aus Amerika kennen, und man kann aus dem Leben der Professoren nicht ohne weiteres allgemeine Schlüsse ziehen, da wir stark bevorzugt werden. Was wir bekommen, ist durchaus ausreichend und es kommt fast nie vor, dass wir in der Handelsorganisation uns Lebensmittel kaufen. Einen schwarzen Markt gibt es praktisch wohl kaum noch, da die Handelsorganisation, d. h. der freie Markt, meist billiger sind und sich deshalb der Schwarzhandel nicht lohnt.“273 In dem ihm noch verbleibenden Lebensjahrzehnt übernahm Boenheim eine Vielzahl wissenschaftlicher, wissenschaftspolitischer und politischer Aufträge und Funktionen. 1950 wurde er, zunächst kommissarisch, ab 1955 regulär, Direktor des Karl-Sudhoff-Instituts für Geschichte der Medizin, weshalb er im gleichen Jahr zum Professor für dieses Lehrfach umberufen wurde.274 Bereits 1951 war Boenheim Mitbegründer des Friedensausschusses deutscher Ärzte, der sich um eine Wirksamkeit in beiden deutschen Staaten bemühte, jedoch, was die Bundesrepublik betraf, kaum mit Erfolg. Er war Mitverfasser des Aufrufes der Ärzte der DDR zur Ächtung des Atomkrieges, und trotz mehrer verweigerter Dienstreisen führten ihn diese Tätigkeiten auch nach Wien und London sowie nach Moskau,

272 Biographische Angaben bei Ruprecht, Felix Boenheim, S. 412 f. 273 Felix Boeheim an Henry Sigerist, Brief vom 11. November 1949, zit. in: ebd., S. 318. 274 Vgl. Sammlung Boenheim/Bechhöfer, L-2016/1/21. Interessanterweise hatte Boenheim keinen Erfolg, das Karl-Sudhoff-Institut zugunsten von Henry Sigerist umzubenennen, obgleich noch der achtzigjährige Sudhoff 1933 zum begeisterten Hitler-Anhänger geworden und der NSDAP beigetreten war, wohingegen der politisch linksstehende und mit dem Marxismus sympathisierende Sigerist hellsichtig unmittelbar vor der Machtübergabe an Hitler Deutschland verlassen und einen Ruf an die Johns Hopkins University angenommen hatte. Vgl. zu Sudhoff und Sigerist zahlreiche Publikationen von Ingrid Kästner, darunter: Henry Ernest Sigerist (1891–1957), in: Achim Thom/Ortrun Riha (Hg.), 90 Jahre Karl-Sudhoff-Institut an der Universität Leipzig, Leipzig 1996, S. 29–43, sowie: Das Leipziger Karl-Sudhoff-Institut und das Fach Geschichte der Medizin in der DDR, in: Medizinhistorisches Journal 49, 2014, S. 118–158. Auch heute trägt das Institut Sudhoffs Namen.

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wo er KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow erlebte. Boenheim war Mitbegründer und Präsident der Medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium der aktuellen Lebensbedingungen und Präsidiumsmitglied der Urania-Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Im Mai 1950 wurde Boenheim Abgeordneter des sächsischen Landtages, musste jedoch bald sein Mandat wegen Arbeitsüberlastung zurückgeben.275 Es nimmt nicht Wunder, dass sein ohnehin angegriffener Gesundheitszustand durch die Überbelastung litt: Im Dezember 1952 erlitt er eine schwere Lungenentzündung. Eine dauernde Begleiterscheinung war seine seitdem spürbare Herzschwäche, die in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 1960 zu Boenheims Tod führte. Zwar erhielt er einige staatliche Ehrungen, die höchstrangige, den Vaterländischen Verdienstorden in Silber, aber erst wenige Tage vor seinem Tod.276 Der von ihm insgeheim erhoffte Titel „Verdienter Arzt des Volkes“ blieb ihm versagt. In dieser nur relativen Wertschätzung Boenheims durch die DDR drückt sich der nie ganz erloschene Argwohn des Parteiapparates gegenüber dem „Westemigranten“ aus.277 Doch war dies jedoch womöglich auch auf eine grundfalsche wissenschaftliche Position zurückzuführen, die Boenheim bald nach seiner Rückkehr in den Osten Deutschlands bezog: Er machte sich zum Propagandisten des wissenschaftlichen Scharlatans Trofim Denissowitsch Lyssenko.278 Noch im französischen Exil fand sich Boenheims Name auf einem Flugblatt „An das werktätige deutsche Volk“, das im Sinne der Volksfrontpolitik der Komintern Hitlergegner aus allen politischen Lagern zusammenführen wollte. Einer der Signatare war der im Moskau Exil lebende und Boenheim aus der Weimarer Republik bekannte Jenaer Biologe Julius Schaxel, ein scharfer Gegner Lyssenkos.279

275 Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 409 f. 276 Vgl. die entsprechende kurze Meldung in: Neues Deutschland, 28. Januar 1960. 277 So wurde Boenheim auch Gegenstand der Beobachtung durch die Leipziger Staatssicherheit. In einem Bericht vom 1. Dezember 1956 bescheinigte ihm diese jedoch die Fähigkeit, in klärenden Gesprächen mit seinen Mitarbeitern in der Klinik, die Ereignisse in Ungarn politisch richtig einordnen zu können. Vgl. BStU-Außenstelle Leipzig, BV Leipzig, Leitung, 00824/01, Bl. 000010. 278 Zu Lyssenkos zerstörerischer Politik und ihren Auswirkungen auf die Wissenschaft der Genetik in der UdSSR und darüber hinaus vgl. Shores Medwedjew, Der Fall Lyssenko. Eine Wissenschaft kapituliert. Übersetzt von Peter A. Weidner, Hamburg 1971, und Dominique Lecourt, Proletarische Wissenschaft? Der Fall Lyssenko und der Lyssenkismus. Aus dem Französischen von Rolf Löper und Peter Schöttler, Hamburg 1976. 279 Vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 230. Schaxel, der 1943 in der Sowjetunion starb, hatte Lyssenkos Thesen von der genetischen Vererbung erworbener Eigenschaften als unwissen-



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Ende 1949 aber schwang sich Boenheim zum Lobredner Lyssenkos auf. In der von Karl Obermann in Berlin herausgegebenen Studentenzeitschrift Forum behauptete er, womöglich wider besseres Wissen, Lyssenko werde im Westen „als ,Schuljunge‘ abgekanzelt, weil er die Lehre von Mendel, Weismann und Morgan angreift und widerlegt.“ Es sei aber „gefährlich, alte, überlieferte Anschauungen zu bekämpfen, an alten Vorstellungen zu rütteln.“ In Westeuropa und besonders in Amerika werde „die wissenschaftliche Diskussion in eine Hetze gegen die Sowjetunion umgewandelt. Alle Tageszeitungen sind über Nacht zu Sachverständigen über die komplizierten Fragen der Genetik geworden. Die russischen Gelehrten werden beschimpft, sich würdelos der kommunistischen Partei unterworfen zu haben.“280 Noch zwei Jahre später rühmte Boenheim Lyssenko, der „die maßlos übertriebene Bedeutung der Vererbung auf ihr rechtes Maß zurückgeführt“ habe.281 Warum tat Boenheim dies? Seine „freiwillige Selbstauslieferung“, so sein Biograph Thomas Ruprecht, „an ein ideologisches und gesellschaftliches System, das objektiv vielen seiner tiefsten Überzeugungen widersprach, enthüllte zunächst sein übermächtiges Bedürfnis, aller Welt zu demonstrieren, dass er weltanschaulich die Grenzen seiner Klasse, des Bürgertums, überwunden und sich ideologisch ,an der Seite der Arbeiterklasse‘ befand – als ob er sich selbst an diesem Punkt misstraute […]. Darüber hinaus zeigt sich freilich die Sehnsucht nach Ankommen-Können, nach ,Heimat‘, nach Identifikation mit den herrschenden Verhältnissen und der sie bestimmenden Schicht“, und dies ließ „die bisherige kritische Distanz gegenüber der Macht umschlagen in relativ unkritische Loyalität.“282 Dies war allgemein das Grunddilemma der aus dem Bürgertum im Exil zur KPD Gestoßenen.

schaftlich zurückgewiesen – noch im Einklang mit seinem Mitarbeiter Georg Schneider, der nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion als Professor in Jena zum Propagandisten Lyssenkos wurde. Vgl. zu ihm Michael Ploenus, „… so wichtig wie das tägliche Brot“. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945–1990, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 88. 280 Felix Boenheim, Lyssenko. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Freiheit der Wissenschaft in Amerika, in: Forum, Nr. 11/12 (1949), S. 376 f. 281 Felix Boenheim, Arzt und Politik, Potsdam 1951, S. 54. Dies ist der erweiterte Text von Boenheims Leipziger Antrittsvorlesung vom 3. November 1949. 282 Ruprecht, Felix Boenheim, S. 325.

VI. „Säuberungen“ ohne letzte Konsequenz. Der Parteiapparat und die Rückkehrer aus Amerika

Freedom’s just another word for nothin’ left to lose (Janis Joplin: Me and Bobby McGee)

Die Sowjetische Besatzungszone, in die die USA-Emigranten ab 1946 zurückkehrten, trug unzweifelhaft die Handschrift ihrer Besatzer, doch noch schienen verschiedene politische Entwicklungswege gangbar. Auch war die am 22. April 1946 entstandene SED noch keineswegs eine monolithische Partei wie die KPD in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Der Wandel der SED zu einer solchen Partei, der vielen Zeitgenossen nicht sofort bewusst wurde, vollzog sich in mehreren konfliktreichen Schritten. Diese waren von einer Kampagne gegen wirkliche oder angebliche innerparteiliche Gegner geprägt. Sowjetischer Druck und bald auch das Avantgarde-Verständnis der KPD-Kader gingen eine Symbiose ein und schufen eine Körperschaft, aus der alle Abweichler oder auch nur potenziell heterodoxen Kräfte eliminiert sein sollten. Dieses Ziel war indes nie ganz zu erreichen: Der Appell der SED, eine sozialistische Ordnung zu errichten, zog nicht nur Karrieristen an, sondern auch Menschen, die diese Ziele ernst nahmen. Solche Menschen neigten zum Widerspruch, wenn ihnen die Kluft zwischen dem verkündeten Schein und der Wirklichkeit der DDR unerträglich wurde. Die Konflikte durchzogen die Partei von Anfang an, wurden jedoch besonders in Stalins letzten Jahren und der unruhigen Zeit danach mit Brachialgewalt „gelöst“. Hinzu kam die Furcht der aus Moskau zurückgekehrten Funktionäre vor den ansteckenden Krankheiten „des Westens“, vor Liberalismus oder unorthodoxen linken Meinungen. So richtete sich der parteiamtliche Argwohn auch gegen einen Teil der SED selbst: gegen die sogenannten „Westemigranten“. Diese hatten in einem kapitalistischen Umfeld gelebt, das auf ihr Denken unvermeidlich abzufärben schien. Intern ging im SED-Apparat das Wort von der „englischen“ oder „amerikanischen Krankheit“ um.

VI. „Säuberungen“ ohne letzte Konsequenz

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Die SED als „Partei neuen Typus“ In den ersten KPD-Dokumenten unmittelbar nach dem Krieg war noch von der Politik eines eigenen Weges zum Sozialismus, der sich vom sowjetischen Modell unterschied, die Rede gewesen.1 Doch bereits die Jahre 1946 bis 1948 waren von der „Entlarvung“ sozialdemokratischer und ketzerisch-kommunistischer „Feinde“ geprägt, die sich, so die offizielle Diktion, in die Partei eingeschlichen hätten. Dies betraf auch frühere Angehörige sogenannter konterrevolutionärer Splittergruppen, zu denen Trotzkisten und Anarchisten, Anhänger Titos, aber auch die KPO und die SAP gerechnet wurden. Gegen sie wurde der Apparat mit der Zentralen Parteikontroll-Kommission (ZPKK) als seinem Herzstück früh aktiv.2 Dabei spielte es nur am Rande eine Rolle, ob die Genossen tatsächlich der forcierten Stalinisierung der Partei zu widerstehen suchten oder nur als potenziell renitent galten. Viele der leitenden Funktionäre und Mitarbeiter in der ZPKK und nachgeordneten Organen hatten Stalins Terror in der Sowjetunion überlebt. Sie alle „wussten, dass ihr weiteres Leben von ihrer Bereitschaft abhing, jeden sowjetischen Befehl widerspruchslos auszuführen.“3 Das Wissen um die an ihren Genossen begangenen Verbrechen schweißte sie zusammen – und ebenso die Bereitschaft, jene Kommunisten, darunter die Rückkehrer aus dem Westen, die keine solchen „Leichen im Keller“ liegen hatten, von wirklichen Machtpositionen möglichst fernzuhalten. Mit ihrer im Juli 1948 verabschiedeten Entschließung über die „Entfernung feindlicher und verantwortungsloser Elemente aus der Partei“ folgte die SEDFührung der vom Kommunistischen Informationsbüro, dem Kominform, vorgezeichneten Politik, die die jugoslawischen Kommunisten, die Stalin Widerstand zu leisten wagten, als Agenten des Imperialismus und bald darauf als Mörder und Spione denunzierte.4 Die SED-Spitze sah nunmehr jede Abweichung von der

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Vgl. vor allem den Aufruf des ZK der KPD vom 11. Juni 1945: Schaffendes Volk in Stadt und Land! Männer und Frauen! Deutsche Jugend!, in: Lothar Berthold/Ernst Diehl (Hg.), Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, Berlin [DDR] 1964, S. 191–122. Zur Funktion der ZPKK und ihrer Gliederungen bei der Stalinisierung der SED vgl. das Standardwerk von Thomas Klein, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2002. Jörn Schütrumpf, Freiheiten ohne Freiheit. Die DDR – historische Tiefendimensionen, Berlin 2010, S. 57. Im Juni 1948 verabschiedete das Informationsbüro kommunistischer und Arbeiterparteien (Kominform) eine Resolution, in der die Kommunistische Partei Jugoslawiens als „Spionagezentrum in den Händen ausländischer Geheimdienste“ bezeichnet wurde. Da-

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Parteilinie als feindliche Aktivität und als Werk ausländischer Agenten an. Diese Disziplinierung erfolgte vor allem durch die im September 1948 gebildete ZPKK. Am 15. und 16. September 1948 beschloss die 13. Tagung des Parteivorstandes der SED die Umwandlung zu einer „Partei neuen Typus“. Im Januar 1949 sanktionierte die 1. Parteikonferenz dieses Vorgehen. Oberstes Leitungsgremium wurde nunmehr das Politbüro, das nicht mehr, wie bisher der Parteivorstand, paritätisch aus früheren KPD- und SPD-Mitgliedern zusammengesetzt war. Analog dazu wurde auf allen Ebenen die paritätische Besetzung der Leitungen abgeschafft; eine Dominanz der früheren KPD-Kader wurde sichtbar. Die Duldung innerparteilicher Fraktionen oder Gruppierungen wurde ausdrücklich verboten. Damit war das starke sozialdemokratische Element in der Partei weitgehend lahmgelegt (die SED-Gründung hatten rund 600 000 Kommunisten, aber 680 000 Sozialdemokraten vollzogen). Die sowjetische Unterstützung für den kommunistischen Teil hatte diesem die Dominanz in der Partei ermöglicht.5 Am 18. Oktober 1949 verfügte das Politbüro eine Überprüfung der Parteimitglieder.6 Das Kleine Sekretariat des Politbüros beschloss zehn Tage später die Bildung jeweils spezieller Kommissionen für den Parteiapparat, die Gewerkschaften, den Staatsapparat und für große Betriebe.7 Eine Woche darauf schlug der ZPKK-Vorsitzende Hermann Matern Walter Ulbricht die Bildung einer vierköpfigen Sonderkommission vor, die weitgehend unabhängig von der ZPKK Untersuchungen nicht nur gegen Mitglieder der SED, sondern auch der westdeutschen KPD einleiten sollte, um herauszufinden, wer von diesen Kontakte zu Personen hatte, die als amerikanische Agenten galten. Zur ideologischen Rechtfertigung

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mit trat der Stalinisierungsprozess in allen kommunistischen Parteien, die mit den Sozialdemokraten nach 1945 verschmolzen worden waren, in seine entscheidende Phase. Die meisten Historiker bezeichnen die Vereinigung von KPD und SPD zur SED in Ostdeutschland heute als Zwangsvereinigung, da Sozialdemokraten, die sich der Vereinigung widersetzten, psychisch und physisch unter Druck gesetzt wurden und die sowjetische Besatzungsmacht auch im größeren Ausmaß Verhaftungen vornahm. Vgl. pars pro toto Beatrix Bouvier, Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–1953, Bonn 1996. Andere Autoren streichen stärker den auch unter Sozialdemokraten zunächst vorhandenen Willen zum freiwilligen Zusammenschluss heraus, doch auch die Illusionen, die Nichtkommunisten in der neuen Partei damit verbanden. Vgl. Günter Benser, Neubeginn ohne letzte Konsequenz (1945/1946). Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität, Bd. 4, Berlin 2009. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/51: Protokoll der Sitzung des Politbüros vom 18. Oktober 1949. Vgl. ebd., DY 30/J IV 2/3/60, Bl. 10: Protokoll Nr. 60 des Kleinen Sekretariats, Tagesordnungspunkt (TOP) 9: Plan zur Überprüfung der Genossen aus westlicher Emigration und Kriegsgefangenschaft. Das aus neun Mitgliedern bestehende Kleine Sekretariat leitete die ZK-Abteilungen an.

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dieser Maßnahmen wurden Stalins These von der gesetzmäßigen Verschärfung des Klassenkampfes nach dem politischen Sieg des Sozialismus sowie die Spannungen des Kalten Krieges herangezogen, die allerdings von der Sowjetunion in hohem Maß herbeigeführt worden waren.8 Am 7. November 1949 benannte Matern in einem Rundschreiben an die Landeskontroll-Kommissionen den Personenkreis, um den es in den Überprüfungen ging. Dabei wurde „völlige Klarheit“ in der politischen Einschätzung der „Westemigranten“ und ehemaliger Kriegsgefangener in westlichen Ländern sowie Jugoslawien gefordert. Es gelte, Lücken im Lebenslauf auszumachen und nachzufragen, wie diese entstanden seien. Das Ziel sei, frühere und noch bestehende Kontakte der Rückkehrer aus dem Westen auszumachen, über die möglicherweise ideologisch fremdes Gedankengut in die Partei gelangt sei oder noch gelangen könne. Daraus seien Maßnahmen abzuleiten, in deren Konsequenz ideologisch schwankende Parteimitglieder aus der SED auszuschließen seien.9 Auf einer Sitzung am 14. November legte das Kleine Sekretariat fest, dass zur Durchführung dieser Maßnahmen zwei Kommissionen gebildet werden sollten. Der „Kommission zur Überprüfung von Parteimitgliedern aus westlicher Emigration und Kriegsgefangenschaft“ stand ZPKK-Mitglied Ernst Altenkirch vor, die „Kommission für die Field-Untersuchungen“ leitete ZPKK-Chef Hermann Matern.10 Das war der Auftakt der Überprüfungen und Säuberungen. Allein in Sachsen betraf dies 4 653 Personen. Die Listen von „verdächtigen Elementen, Agenten, Trotzkisten“ und sonstigen „fragwürdigen Elementen“ umfassten 140 Personen. Deren Namen und sonstige Angaben wurden an die ZPKK und an dafür eingerichtete Sonderkommissionen weitergeleitet und dort miteinander verglichen.11 8 9

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Vgl. Hermann Weber, Schauprozessvorbereitungen in der DDR, in: Ders./Ulrich Mählert (Hg.), Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936–1953, Paderborn 1998, S. 462 f. Sächsisches Landeshauptarchiv Dresden, Bestand SED-Landesleitung Sachsen, Signatur IV/A/2017: Schreiben der ZPKK an die Landesparteikontroll-Kommissionen vom 7. November 1949. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/3/63, Bd. 1, Bl. 10 f.: Sitzung des Kleinen Sekretariats vom 14. November 1949. Vgl. Nora Goldenbogen, „Säuberungen“ und Antisemitismus in Sachsen (1949–1953), in: Mario Keßler (Hg.), Arbeiterbewegung und Antisemitismus. Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert, Bonn 1993, S. 126. Im Mai 1950 bemängelte ein Bericht der ZPKK an den III. SED-Parteitag die aus alten Freundschaften entstandene Konzentration von „Westemigranten“ oder Angehörigen früherer oppositioneller Gruppen in bestimmten Arbeitsbereichen, wobei einer den anderen nach sich zöge. Damit sei „nicht immer unbedingt eine schlechte Absicht verbunden“, diese Praxis müsse jedoch beendet werden. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/1, Bl. 21 f.: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Bericht an den III. Parteitag (Entwurf) vom 9. Mai 1950. An gleicher Stelle wurde vermerkt, dass

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Die Überprüfungen wurden zwar im Frühjahr 1952 zeitweise gemildert, doch nicht gestoppt. Sie endeten allgemein oft mit Parteiausschlüssen und zeitweiligem Berufsverbot. Einen kleinen Teil der Vernommenen traf es jedoch mit Haftstrafen ungleich härter. Die Überprüfungen zogen sich bis ins Jahr 1953 hin. Ihr erster Kulminationspunkt waren die Jahre 1950–51, in der ein Umtausch der Parteidokumente angeordnet wurde. Den Verdächtigten der Kampagnen gegen „Tito-Faschismus“, „Trotzkismus“, „Sozialdemokratismus“ sowie gegen „imperialistische Spione und Agenten“ wurden nicht immer feindliche Aktionen vorgeworfen, sondern ihnen wurden auch beabsichtigte verbrecherische Handlungen unterstellt. Diese rührten oftmals aus ihrer politischen Vergangenheit her, die als Bedrohung für die Gegenwart gesehen wurde. Doch geriet nunmehr auch die relativ kleine Gruppe der „Westemigranten“ verstärkt in das Fadenkreuz der ideologischen Eiferer.

„Westemigranten“ im Visier der Parteikontrolleure Die Aufmerksamkeit der Parteikontrolleure galt insbesondere den aus Mexiko, der Schweiz und Frankreich zurückgekehrten Kommunisten, die Funktionen im SEDApparat übernommen hatten. Demgegenüber gerieten die Rückkehrer aus den USA weniger in das Visier der Ermittler; die Stalinisten wussten, dass sie nicht gegen alle „verdächtigen Elemente“ gleichzeitig und mit gleicher Härte vorgehen konnten. Zur unfreiwilligen Schlüsselfigur der internationalen Dimensionen der „Säuberungs“-Welle wurde jedoch ein Amerikaner: Noel Field, der im Zweiten Weltkrieg mit dem Unitarian Service Committee eine Hilfsorganisation mit aufgebaut hatte, die von Frankreich aus vielen Verfolgten das Leben rettete, indem sie ihnen zur Emigration meist nach Mexiko verhalf. Die Szenarien der Terrorwelle, die sich vor allem gegen Kommunisten richtete, spielten hauptsächlich in Ostmitteleuropa: Am 9. Mai 1949 wurde Noel Field in Prag verhaftet und nach Budapest verbracht. Auch Fields Frau Herta, sein Bruder Herman, ein Architekt, und seine Adoptivtochter Erica Glaser wurden verhaftet. Die Fields hatten von der Schweiz aus bis 1945 mit vielen führenden Personen des kommunistischen Untergrunds und Widerstandes zusammengearbeitet, von denen die meisten inzwischen in ihren Herkunftsländern hohe Positionen in der Partei einnahmen. Zudem hatten sie – als Teil der antifaschistischen Arbeit – mit der Vereinigung von KPD und SPD „auch eine ganze Reihe alter, oppositioneller Elemente von vor 1933 in die Partei hinein gelangt“ seien. Ebd., Bl. 7.

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Kontakte zu Allan Welsh Dulles, dem Leiter des OSS, aufgebaut. Zum Teil unter der Folter gestanden sie, eine Spionageorganisation aufgebaut zu haben, die für amerikanische Geheimdienste tätig sei.12 Da Noel Field in Budapest der Prozess gemacht wurde, geriet zunächst Ungarn in den Brennpunkt stalinistischen Terrors. Ungarns Außenminister László Rajk, der im Oktober 1949 als angeblicher Agent der Amerikaner und Titos hingerichtet wurde, war indes nur das erste in einer langen Reihe kommunistischer Opfer, zu denen als prominenteste auch der bulgarische stellvertretende Ministerpräsident Trajtscho Kostow und der tschechoslowakische KP-Generalsekretär Rudolf Slánský gehörten, wobei im Schauprozess gegen „Slánský und Konsorten“ im Dezember 1952 das antisemitische Element hinzukam.13 Die Suche nach einem „deutschen Rajk“ oder „deutschen Slánský“ blieb zunächst erfolglos. Die möglichen Vorbereitungen zu einem Schauprozess führten in der DDR zu keinem Ergebnis, da ein solcher Prozess angesichts der offenen Grenze zu West-Berlin eine nicht zu steuernde Massenflucht der Bevölkerung ausgelöst hätte. So musste die SED-Führung zwischen dem politischen Druck aus Moskau und den unabsehbaren Konsequenzen eines Schauprozesses in der DDR lavieren. Im Jahre 1950 schien sich jedoch die Schlinge über einem der prominentesten „Westemigranten“, Politbüromitglied Alexander Abusch, zusammenzuziehen. In einer Reihe von Befragungen durch Hermann Matern und die ZPKK sollte Abusch genötigt werden, während seines Exils in Frankreich und Mexiko Kontakte nicht nur zu Noel Field, sondern auch zu „zionistischen Kreisen“ zuzugeben. Doch wurde diese mit antisemitischer Stoßrichtung eingeleitete Untersuchung so rasch abgebrochen, wie sie begonnen hatte. Abusch verlor seinen Sitz im Politbüro, brachte es jedoch später immerhin bis zum Kulturminister der DDR.14 Die gemeinsame Erklärung von ZK und ZPKK fasste am 24. August 1950 die Ergebnisse des ZPKK-Sonderausschusses zusammen. Die „Verbindungen ehemaliger deutscher politischer Emigranten zu dem Leiter des Unitarian Service Committee Noel H. Field“ wertete jedweden Kontakt zu Field als Beweis der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdienststellen. Die mangelnde Wachsamkeit innerhalb des kommunistischen Exils habe dem dort eingedrungenen Feind wich12 13

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Vgl. die detaillierte Dokumentation von Bernd-Rainer Barth/Werner Schweizer (Hg.), Der Fall Noel Field. Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa, 2 Bde, Berlin 2006. Vgl. aus der inzwischen sehr umfangreichen Literatur zu diesem Themenkomplex das Standardwerk von Georg Hermann Hodos, Schauprozesse: Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948–1954, Berlin 2001. Vgl. zu Abusch Mario Keßler, Die SED und die Juden – zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967, Berlin 1995, S. 78–85 (und die dort genannten Quellen).

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tige Informationen über die Partei in die Hände gespielt. Die bewusste Unterstützung des Klassenfeindes liege auf der Hand. Unter den in der Erklärung genannten Namen war der von Politbüromitglied Paul Merker der prominenteste.15 Er wurde zusammen mit anderen „Westemigranten“ aus der SED ausgeschlossen, verlor alle Ämter und arbeitete in Luckenwalde bei Berlin in seinem erlernten Beruf als Kellner sowie später als Gaststättenleiter. Doch wurde er noch nicht verhaftet, während die in der Erklärung gleichfalls genannten Leo Bauer, Bruno Goldhammer und Lex Ende sich bereits in Haft befanden.16 Merker war, ungleich Abusch, Nichtjude, hatte jedoch im Exil in Mexiko und nach seiner Rückkehr in die SBZ die besondere politische und moralische Verpflichtung der Deutschen gegenüber den Überlebenden des Holocaust betont. Hierzu gehöre auch, sofern dies überhaupt möglich sei, eine umfassende materielle „Entschädigung“ für die erlittenen Leiden. Merker wollte dies ausdrücklich nicht auf die in der DDR lebenden Juden beschränkt sehen, sondern auch die außerhalb der Grenzen Lebenden darin einbeziehen.17 Im Gefolge des Slánský-Prozesses in Prag wurde Merker am 30. November 1952 schließlich festgenommen. Am 20. Dezember beschuldigte eine ZKErklärung ihn der Agententätigkeit und des Prozionismus. Er habe mit seiner Forderung nach finanzieller Kompensation für Juden, die außerhalb der DDR lebten, der „Verschiebung deutschen Volksvermögens“ Vorschub leisten wollen.18 In seiner mehrjährigen Haft im Gefängnis der Staatsicherheit in BerlinHohenschönhausen wies Merker jede Zusammenarbeit mit dem MfS, die seine Lage erleichtert hätte, zurück. Da ein Schauprozess nicht mehr opportun war, wurde er im März 1955 in einem Geheimprozess zu langjähriger Haft verurteilt, Im Prozess wurden alle Beschuldigungen gegen ihn aufrechterhalten, obgleich Noel und Hermann Field im Zuge des „Tauwetters“ im Oktober 1954 bereits aus der Haft entlassen und rehabilitiert worden waren.19 Als ehemaliger Mitarbeiter Merkers wurde auch der USA-Rückkehrer Philipp Daub für die Parteiführung untragbar, sollte aber Merkers Schicksal einer jahre15 16 17 18 19

Die Erklärung ist abgedruckt in: Dokumente der SED, Bd. 3, Berlin [DDR] 1952, S. 197– 213. Vgl. den Zeitzeugenbericht von Leo Bauer, Die Partei hat immer Recht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. B 27, 4. Juli 1956. Vgl. zu Merker Wolfgang Kießling, Partner im „Narrenparadies“. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994. Vgl. Keßler, Die SED und die Juden, S. 85–99 (und die dort verwerteten Quellen). Die Erklärung ist abgedruckt in: Dokumente der SED, Bd. 4, Berlin [DDR] 1952, S. 199–219. Das Urteil ist abgedruckt bei Jeffrey Herf, Antisemitismus in der SED. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED- und MfS-Archiven, in: VfZ 42, 1994, Nr. 4, S. 643–650.

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langen grundlosen Haft nicht teilen. Schon am 7. April 1950 bezeichnete Wilhelm Pieck gegenüber Wladimir Semjonow, dem Politischen Berater der Sowjetischen Kontroll-Kommission in Deutschland, Daub als ideologisch „unklar.“20 Im Juni wurde Daub offiziell in den „Erholungsurlaub“ geschickt, aus dem er in seine bisherige Position nicht zurückkehren durfte. Er wurde Oberbürgermeister von Magdeburg, seine Funktion als Leiter der SED-Kaderabteilung übernahm mit Ewald Munschke jedoch erneut ein „Westemigrant“ und Spanienkämpfer.21 Auch Ernst Krüger wurde Ende 1950 aus dem Parteiapparat entfernt. Vor der ZPKK wies er Anfang 1951 jede frühere Verbindung mit Noel Field und Paul Merker zurück. „Die Korrespondenz mit Paul Merker haben die Genossen Gerhart Eisler und Philipp Daub unterhalten.“22 Er erhielt den Posten eines Magistratsdirektors für Materialversorgung von Berlin, wurde danach Werkleiter des VEB „Schnitt und Formenbau“ in Berlin-Köpenick und war zuletzt Personalleiter bei den Berliner Wasserwerken in Friedrichshagen. 1954 wurde er aus gesundheitlichen Gründen berentet.23 Unter den im Zusammenhang mit der „Affäre Field“ Verhafteten befand sich kein einziger Rückkehrer aus den USA. Verhaftet wurden neben Bauer, Goldhammer und Ende unter anderem auch Maria Weiterer und Reichsbahnchef Willi Kreikemeyer, die mit Field in Frankreich zusammengearbeitet hatten. Kreikemeyer wusste um den gefälschten Lebenslauf des stellvertretenden Staatssicherheitschefs Erich Mielke, der in Frankreich und Belgien in der nazistischen Arbeits20

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Vgl. Rolf Badstübner/Wilfried Loth (Hg.), Wilhelm Pieck. Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, Berlin 1994, S. 343; Michael Schwartz, Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945–1961, München 2004, S. 186. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV/2/3/117, Bl. 8 f: ZK-Sekretariat, Protokoll der Sitzung vom 26. Juni 1950, Tagesordnungspunkt 27: Beurlaubung des Genossen Daub zum 1. Juli 1950. Munschke (1901–1981) ging 1933 ins sowjetische Exil, kämpfte 1936–1938 in Spanien und war ab 1940 im illegalen Widerstandskampf in Belgien und den Niederlanden. Seit 1952 gehörte er den bewaffneten Organen der DDR an, zuletzt (bis zum Ruhestand 1969) als Generalmajor der NVA. 1952–1961 war er zudem Stellvertretender DDR-Innenminister. Munschkes Beispiel zeigt, dass „Westemigranten“ im Apparat ausnahmsweise nicht misstraut wurde. Hier fiel natürlich sein Studium an der Kommunistischen Universität der Völker des Westens in Moskau 1934–1936 stark ins Gewicht. Ebd., DY 30/IV 2/4/118, Bl. 370: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Betr.: [Zusammenfassung der Aussprache mit] Genossen Ernst Krüger, 2. Februar 1951. Ein Schreiben vom Januar 1953, das Krüger als persönlichen Freund des „Agenten“ Kreikemeyer und des „aus der KPD ausgeschlossenen Verräter[s]“ Hermann Nuding denunzierte, scheint dabei aber folgenlos geblieben zu sein. Ebd., Bl. 372: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Gerda Schael, Berlin-Pankow, an Walter Ulbricht, Brief vom 23. Januar 1953.

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organisation Todt unter dem Namen „Leistner“ als Straßenarbeiter „überwintert“, dies aber nach 1945 sorgfältig verschwiegen hatte. Angeblich verübte Kreikemeyer im August 1950 im MfS-Gefängnis Selbstmord. Dies ist, so der Historiker Wolfgang Kießling, zwar möglich, doch auch ein Mord oder – am Wahrscheinlichsten – ein von der Staatssicherheit nicht erwarteter Tod Kreikemeyers im Gefängnis kommt in Betracht.24 Doch die Affäre Field“ sollte auch an den USA-Rückkehrern nicht spurlos vorübergehen.

Die „Affäre Field“ und die USA-Rückkehrer Die Überprüfungen zogen vor allem jene USA-Rückkehrer in Mitleidenschaft, denen Kontakte zu den Fields vorgeworfen wurden. Interessant bleibt, dass, von ihnen abgesehen, nur diejenigen Rückkehrer, die politische Funktionen in der SBZ und DDR ausübten, vor die ZPKK geladen wurden.25 Eine erste Überprüfung Albert Nordens, des Leiters der Presseabteilung des Amtes für Information, endete mit dem Ergebnis, dieser sei zwar „etwas empfindlich und wenig kämpferisch“, doch „ein parteiverbundener, ideologisch klarer Genosse.“26 In der Hauptabteilung Personal des Ministeriums des Innern wurde vermerkt, er gehöre „zu den fähigsten Publizisten mit großer Initiative“, sein Organisationsvermögen sei jedoch mangelhaft.27 Im Juli 1953 schrieb Deba Wieland, die frühere Vizechefin 24 25

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Vgl. Wolfgang Kießling, „Leistner ist Mielke“. Schatten einer gefälschten Biographie, Berlin 1998. Im Vergleich mit den Rückkehrern aus Skandinavien, die mehrheitlich aus dem KPDApparat kamen und nach ihrer Rückkehr wieder im SED-Apparat eingesetzt wurden, wiesen die USA-Remigranten eine weit größere berufliche „Streuung“ auf, was auf die Befragungen nicht ohne Einfluss blieb. Vgl. Michael F. Scholz, Skandinavische Erfahrungen erwünscht? Nachexil und Remigration. Die ehemaligen KPD-Emigranten in Skandinavien und ihr weiteres Schicksal in der SBZ/DDR, Stuttgart 2000, S. 89 ff. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 5427, Bl. 156: Abteilung Kaderfragen, Albert Norden, Protokoll der Sonderkommission, 2. März 1951. Bei dieser Überprüfung lag der Schwerpunkt noch auf Nordens früherer möglicher Verbindung zu „Parteifeinden“ und „Versöhnlern“ aus der Zeit der Weimarer Republik. Ebd., Bl. 166: Beurteilung, Ministerium des Innern, Hauptabteilung Personal, Albert Norden, 31. Januar 1951. In einem Brief an Walter Ulbricht vom 13. September 1950 hatte sich Norden darüber beklagt, dass er bei der Verleihung des Nationalpreises übergangen worden sei, wo dieser ihm doch wegen seines Buches Lehren deutscher Geschichte zustehe. Vgl. ebd., Bl. 168. Dies wurde in den Beurteilungen über ihn negativ vermerkt. Im folgenden Jahr erhielt Norden den Nationalpreis.

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des Amtes für Information beim Ministerrat der DDR, im Juli 1953, Norden sei zwar „ein hervorragender Publizist und Journalist, besitzt ein ausgezeichnetes Allgemeinwissen und gute theoretische Kenntnisse“, doch lasse seine organisatorische Arbeit in der Leitung der Abteilung viele Wünsche offen.28 Dies zielte nicht auf eine Verfolgung Albert Nordens, sondern nur auf eine Ablösung von seiner Funktion ab, die mit der Auflösung des Amtes für Information zum Jahresende 1952 ohnehin obsolet wurde. Möglicherweise sollte er „aus der Schusslinie“ genommen werden. Es erging ihm glimpflich: Zum 1. März 1953 wurde er zum Professor mit Lehrauftrag für Neuere Geschichte berufen. Dies fiel mit der Leitung der für ihn geschaffenen Forschungsstelle für die Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen zusammen.29 Doch gab Norden an der Berliner Universität nur eine Gastrolle: Bereits 1954 wurde er zum Staatssekretär und Vorsitzenden des Ausschusses für die deutsche Einheit ernannt. In diese Propagandaabteilung, die speziell gegen den bundesdeutschen Konkurrenten gerichtet war, sollte Norden durch spektakuläre, doch auch umstrittene Aktionen über die Grenzen der DDR hinaus bekannt werden. Im Falle eines weiteren „Medienprofis“, des Rundfunkintendanten Alfred Zahn, waren andere Dinge von Interesse: Warum, so wurde er befragt, gab es unter den Genossen im Exil eine längere ideologische Unsicherheit nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Paktes vom 23. August 1939? Die Diskussionen seien „sehr heftig und sehr lange“, die Informationen aber „lückenhaft“ gewesen, erwiderte er. Zudem wurde Zahn nach Bruno Goldhammer befragt, mit dem er beim Rundfunk zusammengearbeitet hatte, über den er aber nichts Substanzielles mitteilen konnte (oder wollte).30 Fast ganz verschont von scharfen Nachfragen blieben die neu ernannten Universitätsprofessoren in Berlin und Leipzig, die keine 28

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Ebd., Bl. 141: Abteilung Kaderfragen, Beurteilung des Genossen Albert Norden [gez. Wieland], 28. Juli 1952. – Deba Wielands Ehemann, als einstiger Interbrigadist in Spanien ebenfalls ein „Westemigrant“, doch später in der Sowjetunion lebend, saß gewissermaßen an der Quelle der Parteikontrolle: Er war Leiter des Sektors II (Registrierung leitender Kader/Nomenklatur) der Abteilung „Kader“ des ZK der SED und anschließend Sektorenleiter für leitende Parteikader der Abteilung „Leitende Organe, Parteien und Massenorganisationen“ beim ZK der SED. Vgl. Archiv der Humboldt-Universität Berlin: Personalakte (PA) Albert Norden, Bd. 1. Die von Staatssekretär Gerhard Harig unterschriebene Berufungsurkunde wurde am 15. April 1953 ausgestellt. Vgl. weiterhin Podewin, Albert Norden, S. 249–255. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1239, Bl. 44: Abteilung Kaderfragen, Alfred Zahn, Protokoll vom 29. Juni 1951. In Bezug auf Lola Zahn, die damals nebenamtlich am Marx-Engels-Lenin-Institut angestellt war, wurde lediglich vermerkt, sie habe Verwandte in den USA und England. Vgl. ebd., DY 30/IV 2/4/147, ZPKK, Bl. 157: Liste von Mitarbeitern des Parteiapparates, undatiert.

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Parteifunktionen ausübten, sofern ihnen nicht das Odium anhaftete, in Verbindung mit Noel Field gestanden zu haben. In Leipzig gerieten Hermann Budzislawski und Wieland Herzfelde, aber auch Karola Bloch, ins Fadenkreuz der Ermittler. Karola Bloch war in den USA zeitweise ehrenamtlich in der Polnischen Sektion der International Workers’ Order, einer gewerkschaftlichen Hilfsorganisation, tätig gewesen und hatte dort Kontakte zu Noel Field aufgenommen, den sie bereits aus der Freundschaftsgesellschaft USA-UdSSR kannte. Field brachte von einer Polenreise 1949 Material mit, das Karola Bloch auswertete. Auch Noels Bruder Herman traf sie nach eigener Aussage. Vielleicht wegen der Flüchtigkeit der Kontakte, vielleicht aber auch wegen der Stellung ihres Mannes als parteiloser Philosophie-Professor in Leipzig blieb diese Erklärung für Karola Bloch folgenlos.31 Am 22. November 1950 bestellte die Agitationsabteilung des ZK Hermann Budzislawski zu einer Aussprache nach Berlin ein und berief ihn, akademische Gepflogenheiten übergehend, von seiner Funktion als Direktor des Instituts für Publizistik ab. Nur fünf Tage darauf verfügte DDR-Volksbildungsminister Paul Wandel, dem noch das Hochschulwesen unterstand, die Auflösung des Instituts. Zum 1. Dezember sollte ein neuer Lehrstuhl für Publizistik und Zeitungswissenschaften eingerichtet werden. Lehrstuhlleiter wurde jedoch nicht Budzislawski, der von seinen Lehrverpflichtungen beurlaubt wurde. Dabei zahlte ihm die Universität das Professorengehalt weiter und er amtierte auch nominell weiter als Dekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät. Der neue Lehrstuhlleiter Eduard Schulz flüchtete allerdings nach einem halben, Jahr, am 29. Juni 1951, mit seiner Familie nach Westberlin, nachdem Vorwürfe der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung gegen ihn auftauchten.32 Die näheren Umstände dieser Angelegenheit bleiben jedoch im Dunkeln: Schulz arbeitete in Westberlin bei der Neuen Zeitung, kehrte jedoch in die DDR zurück und ließ sich zuletzt in Stendal nieder, wo er 1982 verstarb.33 Budzislawski kehrte nun auf seinen Lehrstuhl, jetzt für das Lehrgebiet Publizistik und Zeitungswissenschaften, zurück.34 Der Lehrstuhl wurde nach der Auflösung 31 32 33 34

Vgl. ebd., DY 30/IV 2/4/118, Bl. 189: Zentrale Parteikontroll-Kommission ZPKK), undatierter Lebenslauf von Karola Bloch (wahrscheinlich 2. Jahreshälfte 1950). Vgl. zu dieser Angelegenheit Daniel Siemens, Die Leipziger Journalistenausbildung in der Ära Ulbricht, in: VfZ 61, 2013, Nr. 2, S. 203 f. Vgl. zu Eduard Schulz (1917–1982) die Angaben im Professorenkatalog der Universität Leipzig, http://research.uni-leipzig.de/agintern/CPL/PDF/Schulz_Eduard.pdf. Unterdessen war Karl Jakobi zum Professor mit vollem Lehrauftrag für das zeitgenössische Pressewesen an der Philosophischen Fakultät ernannt worden. Vgl. zu ihm die Angaben im Professorenkatalog der Universität Leipzig, http://research.uni-leipzig.de/catalogusprofessorum-lipsiensium/leipzig/Jakobi_1137/. Wie Herzfelde und die Professoren

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der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät Ende 1951 der Philosophischen Fakultät zugeordnet.35 1954 wurde dann eine eigene Fakultät für Journalistik geschaffen, der wiederum Budzislawski als Dekan vorstand. Nach dieser „Ämterverwirrung“ blieb Budzislawski von weiteren Unannehmlichkeiten weitgehend verschont, vielleicht auch deshalb, weil sich vermutete Kontakte zu Noel Field nicht bestätigten, aber wohl auch deshalb, weil er in den USA der KPD offiziell nicht angehört hatte.36 Am 8. Januar 1953 musste er indes noch einmal vor der KreisparteikontrollKommission erscheinen. Er und sein Kollege Josef Schleifstein, ein EnglandRemigrant, mussten wiederum Fragen zu ihrem Exil über sich ergehen lassen. Doch richtete sich der Argwohn der Parteikontrolleure diesmal als Folge des Slánský-Prozesses hauptsächlich gegen die Jüdische Gemeinde, von deren Mitgliedern die Hälfte im Verlauf des Jahres Leipzig (und wohl auch die DDR) verließ. Budzislawski gehörte der Gemeinde nicht an, und so blieben die Befragungen ohne Konsequenzen.37 Relativ spät, 1961, schloss die Leipziger Universität mit

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Heinrich Bruhn, Wilhelm Eildermann und Hans Teubner wurde Jakobi ohne den Nachweis der Promotion berufen. Einzig Teubner, der als „Westemigrant“ in der Schweiz ebenfalls in die „Parteisäuberungen“ der 1950er Jahre geriet, holte 1972 die Promotion unter widrigen Umständen mit großer Willenskraft nach. Vgl. zu ihm Jürgen Schlimper, Für keine Schublade passend: Hans Teubner. Ein Exilant an leitender Stelle im DDRJournalismus, in: Markus Behmer (Hg.), Deutsche Publizistik im Exil 1933 bis 1945. Personen, Positionen, Perspektiven. Festschrift für Ursula E. Koch, Münster 2000, S. 354– 375. Vgl. die entsprechende Mitteilung des Rektors der Universität Leipzig vom 10. September 1951 in: Universitätsarchiv Leipzig, PA 0365, Bl. 60: Hermann Budzislawski; im Internet zugänglich unter: http://recherche.archiv.uni-leipzig.de/Dokument/anzeigen/235676. Während er die Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit vorbereitete, wurde Budzislawski zur ZPKK nach Berlin einbestellt. Am 3. Juli 1951 verwahrte er sich dort gegen den inquisitorischen Ton, in dem er über seine Emigrationszeit befragt wurde. Die ZPKK sah von Maßnahmen gegen ihn ab. Vgl. SAPMO-BArch, DY/30 IV 2/11/v. 2509, Bl. 134: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Hermann Budzislawski. In seinem Lebenslauf gab Albert Norden an, er habe 1939 ernsthafte Auseinandersetzungen mit Budzislawski wegen des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes geführt, den er verteidigt, Budzislawski aber abgelehnt habe. Vgl. ebd., DY 30/IV 2/11/v. 5427, Bl. 161: Abteilung Kaderfragen, Albert Norden, Lebenslauf, 27. Februar 1951. An der Universität Leipzig wurden die ZPKK-Überprüfungen zum „Fall Field“ von den späteren Durchsuchungen der Jüdischen Gemeinde durch die Staatssicherheit getrennt durchgeführt, während an anderen Orten der DDR beide Maßnahmen miteinander verschmolzen wurden. Einem Bericht der Leipziger Jüdischen Gemeinde zufolge besaß diese 1948 dreihundert Mitglieder, doch lebten in der Stadt rund 2 500 ehemals rassistisch Verfolgte, wozu auch nicht der Gemeinde angehörende Juden sowie Menschen gehörten, die die Nationalsozialisten als „Halbjuden“ diskriminiert hatten. Vgl. Helmut Eschwege, Die

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ihm den begehrten Einzelvertrag, durch den er ein für DDR-Verhältnisse überaus hohes Monatsgehalt von 4 000 Mark erhielt.38 Die Staatssicherheit interessierte sich nur am Rande für den umtriebigen, doch parteitreuen Remigranten.39 Härter traf es Wieland Herzfelde. Ihm, seiner Frau Gertrud und der Dresdner Lehrerin Lisa Kirbach wurden Kontakte zu den Fields nachgewiesen. Auf seiner Sitzung vom 9. September 1949 erwog das Kleine Sekretariat des Politbüros, Herzfelde aus Leipzig abzuberufen und ihn zum Präsidenten der zu gründenden Akademie der Künste zu ernennen. Die Kaderabteilung, speziell Philipp Daub, hatten jedoch starke Bedenken, und diese Bedenken richteten sich auch gegen Herzfeldes Bruder John Heartfield, der als Kandidat in die SED aufgenommen werden wollte.40 Herzfelde wurde über diese Dinge nicht informiert, wenngleich er mitbekommen hatte, er solle nach Berlin ziehen, um möglicherweise Leiter eines zu gründenden Verlages zu werden, wie ihm auch Brecht mitteilte: „Ich höre“, schrieb dieser, „dass da ein Wunsch besteht, Dich hierher [nach Berlin] zu bringen für die Leitung eines Verlages. Erlaube, dass ich Dir da sehr zurate.“41

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erneute Vertreibung der Juden, in: Leipziger Volkszeitung, 21.//22. Juli 1990; Robert Allen Willingham, II, Jews in Leipzig. Nationality and Community in the 20th Century, Ph.D. Thesis, University of Texas at Austin 2005, S. 141; Hendrik Niether, Leipziger Juden und die DDR. Eine Existenzerfahrung im Kalten Krieg, Göttingen 2015, S. 48. Vgl. die Mitteilung des Rektorats an die Abteilung Arbeit der Universität Leipzig vom 10. August 1961 sowie den zum 3. August ausgefertigten Einzelvertrag, in: Universitätsarchiv Leipzig, PA 0365, Hermann Budzislawski, Bl. 83, 103–107 (http://recherche.archiv.unileipzig.de/Dokument/anzeigen/235676). Die Bestimmungen des Einzelvertrages blieben über die zum 1. Januar 1967 ausgesprochene Emeritierung Budzislawskis bestehen. Die Staatssicherheit war auf nicht nachweisbarem Weg, doch möglicherweise durch einen illegalen Zugriff auf Stefan Heyms Privatpapiere auch an dessen (bereits zitierten) Briefwechsel mit Budzislawski gelangt, den beide in den 1930er Jahren im Zusammenhang mit ihrer Zusammenarbeit an der Neuen Weltbühne geführt hatten. Sie registrierte, dass Ernst Bloch am 9. April 1951 für Budzislawskis Tochter Beate Eckert die Anerkennung als Opfer des Faschismus beantragt hatte, was mit einer materiellen Zuerkennung verbunden war. Vgl. BStU, ZA, HA IX/11, SV 25/79, Bl. 000182. Spätere Notizen über die Familie Budzislawski ergaben keine Angaben, die für das MfS von besonderem Interesse waren. Vgl. die undatierte, routinemäßige Zusammenstellung einer Liste prominenter Einwohner Leipzigs in: BStU-Außenstelle Leipzig (Leitung), 00273/02, Bl. 000035. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/3/63: Sitzung des Kleinen Sekretariats, Protokoll Nr. 51, 9. September 1949. Vgl. auch Doris Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918– 1960), Göttingen 2012, S. 479–482. Akademie der Künste, Berlin, Wieland-Herzfelde-Archiv, Nr. 318: Bertolt Brecht an Wieland Herzfelde, Brief vom 12. Dezember 1949; der Antwortbrief ebd., 16. Dezember 1949.

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Nach einer Befragung Herzfeldes durch die ZPKK am 18. Oktober 1949 aber änderte die Parteiführung ihren Entschluss: Er solle in Leipzig bleiben. Doch wurde nun gegen ihn wegen einer möglichen Verbindung zu Hermann Field ermittelt.42 Erst im Frühjahr 1951 aber gerieten Wieland und Gertrud Herzfelde ernsthaft ins Schussfeld. Im April und Mai wurden sie aufgefordert, ausführliche Lebensläufe zu verfassen und Fragebögen auszufüllen. Beide Lebensläufe wurden von einem Mitarbeiter der Landesparteikontroll-Kommission Sachsen abgestempelt und mit dem Vermerk „Ausschluss“ versehen.43 Offenbar wurde den Herzfeldes dieser Bescheid aber noch nicht mitgeteilt, denn am 13. September schrieb Wieland Herzfelde dem fragenden Brecht, er wisse nichts darüber.44 Am 15. Oktober 1951 schrieb Herzfelde an Matern und bat um einen Bescheid, da in Leipziger Parteikreisen Gerüchte über ihn umgehen würden.45 Am gleichen Tag erfuhr er, der nach Berlin gereist war, dass sich „die Partei von ihm trennen“ werde. Sein Mitgliedsbuch wurde in der Parteizentrale einbehalten.46 Am 2. November wurde auch Gertrud Herzfelde aus der SED ausgeschlossen. Die Herzfelds erhoben mehrmals, doch vergeblich, Einspruch gegen den Ausschluss.47 Wieland Herzfelde behielt seine Leipziger Professur, jedoch musste er fortan seine Vorlesungsmanuskripte dem amtierenden Institutsdirektor Wilhelm

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Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 4504, Bl. 104: Kaderakte Wieland Herzfelde, mit Abschrift aus dem Protokoll Nr. 20 vom 19. Dezember 1949 der Sitzung des Kleinen Sekretariats. Vgl. ebd., Bl. 30–33: Protokoll der Kandidatin Herzfelde, 17. Mai 1951; Protokoll über den Genossen Wieland Herzfelde, 2. Mai 1951, ebd., Bl. 151–156. Vgl. Akademie der Künste, Berlin, Wieland-Herzfelde-Archiv, Nr. 318: Wieland Herzfelde an Bertolt Brecht, Brief vom 13. September 1951. Brecht hatte von einem „Gerücht“ geschrieben, wonach „Du Schwierigkeiten mit der Partei hast.“ Ebd., Brief Brechts vom 10. September 1951. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 4504, Bl. 164: Kaderakte Wieland Herzfelde, Herzfelde an Matern, Brief vom 15. Oktober 1951. Ebd., Bl. 189: Aktennotiz, gez. Schwedka, ZK[-Mitarbeiter] der SED, 15. Oktober 1951. Vgl. ebd., Bl. 125: Herzfelde an die ZPKK, Brief vom 17. Oktober 1951 (worin er als Gewährsleute für seine Parteitreue Johannes R. Becher, Willi Bredel, Frieda Rubiner, Erich Weinert, Erich Wendt und Friedrich Wolf angab); Gertrud Herzfelde an die Landesparteikontroll-Kommission (LPKK) Sachsen, Brief vom 4. November 1951, ebd., B. 36; Herzfelde an Walter Ulbricht, Brief vom 19. April 1952, ebd., Bl. 92. Herzfelde legte diesem Schreiben einen Prospekt des Aurora-Verlages bei, wohl um seine politische Wirksamkeit im New Yorker Exil zu zeigen. Vgl. zu ihm auch den Beschluss der LPKK Sachsen vom 13. März 1952, ebd., Bl. 182. Vgl. für den Vorgang auch: Akademie der Künste, Berlin, Wieland-Herzfelde-Archiv, Nr. 3028.

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Eildermann vorlegen.48 Seine Professur wurde nach Auflösung der Gewifa von 1952 bis 1954 der Philosophischen Fakultät angegliedert und danach ein Bestandteil der Fakultät für Journalistik. Im Gefolge des Slánský-Prozesses aber untergrub die Abteilung Wissenschaft und Hochschulen Herzfeldes Stellung in Leipzig weiter: Da sie ihn weder fachlich, noch politisch für die Ausübung des Professorenamtes für geeignet hielt, sollte er zwar in Leipzig weiter lesen dürfen, ohne aber, wie bisher, fest am Institut verankert zu sein.49 Dies zeigt die Verwirrung, in die sich der Parteiapparat angesichts der Vorgänge in Prag befand, die undurchschaubar schienen, aber in jedem Fall eine Bedrohung darstellten, ohne dass irgendjemand wusste, wer als Nächster direkt bedroht war. Stalins Tod im März 1953 und noch mehr die verschämte Rehabilitierung der Fields im Jahre darauf schufen indes eine neue Lage. Am 13. Dezember 1954 schrieben Gertrud und Wieland Herzfelde an Hermann Matern und beantragten eine erneute Überprüfung ihres Ausschlusses durch die ZPKK, „da durch die Wendung im Falle Hermann Fields eine geänderte Situation entstanden ist.“ Sie betonten, sie hätten sich nach dem Ausschluss „unverändert der Partei verpflichtet gefühlt“ und sich „entsprechend verhalten.“50 Doch noch geschah nichts. Unterdessen mochte Dekan Budzislawski die ungenügenden akademischen Leistungen Herzfeldes nicht mehr akzeptieren. Am 20. Oktober 1955 mahnte er, „dass auch die Herren Professoren ihre dienstlichen Verpflichtungen voll erfüllen“ sollten.51 Wer damit gemeint war, wurde klar, als er neun Tage später in einem sehr scharf gehaltenen Brief Herzfelde darauf hinwies, dass dessen Arbeitsplan für das Studienjahr 1955/56 „nicht einmal als Diskussionsgrundlage angesehen werden“ könne.52 Zum Überlaufen hatte das Fass wohl Herzfeldes Bemerkung gebracht: „Meine Forschungsarbeit gilt der Erarbeitung von Maßstäben für das literarische Urteil.“53 Dies mochte Budzislawski geradezu als Verhöhnung forscherischer Tätigkeit empfinden. Am 30. November teilte er (sichtlich erleichtert, wie es zwischen den Zeilen hindurch scheint) Herzfelde mit, dass die Fakultät dessen

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Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 4504, Bl. 210: Aktennotiz, ZK-Abteilung Agitation, 1. August 1952. Vgl. ebd., Bl. 214: ZK-Abteilung Wissenschaft und Hochschulen an Abteilung Presse, Hausmitteilung vom 16. Februar 1953. Ebd., DY 30/IV 2/4/118, Bl. 196: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Gertrud und Wieland Herzfelde, Brief an die ZPKK vom 13. Dezember 1954. Akademie der Künste, Berlin, Wieland-Herzfelde-Archiv, Nr. 2014: Dekan Budzislawski an die Professoren der Fakultät für Journalistik, Rundschreiben vom 20. Oktober 1955. Ebd.: Budzislawski an Herzfelde, Brief vom 29. Oktober 1955. Ebd.: Prof. Herzfelde, Arbeitsplan für das Studienjahr 1955/56.

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Antrag auf Entpflichtung von der Lehrtätigkeit kein Hindernis in den Weg legen werde. Doch ließ sich Wieland Herzfelde erst 1958 von der Universität Leipzig offiziell beurlauben. Er wurde weiterhin als Professor geführt, hielt aber keine Lehrveranstaltung mehr ab. Bereits 1956 war er nach Berlin gezogen und übernahm die Präsidentschaft des PEN-Zentrums der DDR.54 Im gleichen Jahr 1956 zog auch John Heartfield von Leipzig nach Berlin. 1951 waren dem England-Remigranten und seiner Frau Gertrud Fietz der Aufnahmeantrag in die SED abschlägig beschieden worden. Fortan blieben beide parteilos.55 Albert Schreiner wusste, dass er als altes KPO-Mitglied schnell in die Schusslinie der ZPKK geraten konnte – und er trat die Flucht nach vorn an: Anfang 1950 wandte er sich gegen seinen bisherigen Förderer Fritz Behrens, dessen freigeistige Auffassung von Wissenschaft ohnehin auf Argwohn stieß. „Bis zum Frühjahr 1949 verlief die Arbeit im Grunde ganz kollegial, vor allem, soweit es den Lehrkörper der Fakultät anging“, berichtete Schreiner, nunmehr Behrens’ Nachfolger als Dekan der Gewifa, am 20. Januar 1950 keinem anderen als Walter Ulbricht.56 Kurz zuvor hatte Behrens sein Buch Hermann Heinrich Gossen oder die Geburt der wissenschaftlichen Apologetik des Kapitalismus veröffentlicht, eine Abhandlung zur Entwicklung der Grenznutzentheorie, jener volkswirtschaftlichen Doktrin, mit der sich Bucharin als Student in Wien 1914 auseinandergesetzt hatte.57 Behrens, der Bucharin zustimmend zitieren wollte, stieß auf die Kritik des einstigen „Bucharinisten“ Schreiner. Dieser hatte im Mai 1948 das Manuskript begutachtet und Behrens davon zu überzeugen gesucht, „dass es falsch sei, Wiederbelebungsversuche am politischen Leichnam Bucharins vorzunehmen.“58 Das Buch erschien ohne die Bucharin-Zitate, aber Behrens geriet dennoch in die Kritik der Parteioberen. Auf einer SED-Delegiertenkonferenz bezeichnete der 54

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Noch 1958 erinnerte Budzislawski die Journalistik-Professoren an ihre Präsenzpflicht in Leipzig, dass sie während des Semesters ohne Genehmigung des Rektors nicht länger als drei hintereinander folgende Tage verlassen sollten. Rundschreiben von Dekan Budzislawski vom 26. Juni 1958, ebd. Wegen all dieser Differenzen kühlte die im Exil enge Freundschaft zwischen Budzislawski und Herzfelde in Leipzig merklich ab. Vgl. auch Daniel Simons, Elusive Security in the GDR: Remigrants from the West at the Faculty of Journalism in Leipzig, 1945–61, in: Central Europe 11, 2013, Nr. 1, S. 36. Vgl. Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat, S. 478. SAPMO-BArch, NY 4198/83, Bl. 94: Schreiner an Walter Ulbricht, Brief vom 20. Januar 1950. Fritz Behrens, Hermann Heinrich Gossen oder die Geburt der wissenschaftlichen Apologetik des Kapitalismus, Leipzig 1949. SAPMO-BArch, NY 4198/83, Bl. 94: Schreiner an Ulbricht, Brief vom 20. Januar 1950.

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Kreisvorsitzende Horst Sindermann die Leipziger Hochschullehrer Werner Krauss, Walter Markov und Fritz Behrens als „Trotzkisten.“59 Behrens vermutete, Schreiner habe ihn bei Sindermann denunziert und sah dies als Vertrauensbruch. Er warf Schreiner nun vor, dieser „habe als Wissenschaftler und Lehrer versagt.“ Schreiner ließ wiederum Behrens spüren, er halte nichts von einem Wissenschaftler, der in der Nazizeit promoviert und anschließend im Statistischen Zentralamt im okkupierten Prag tätig gewesen war – dass Behrens noch bis zum Krieg Kontakte zum Widerstand unterhalten hatte, fiel dabei unter den Tisch.60 Die sachliche Differenz um Bucharin vermischte sich mit dem persönlichen Zerwürfnis. Eine Zusammenarbeit zwischen Schreiner und Behrens war nicht mehr möglich. Schreiner begab sich daraufhin wegen einer schweren Neuritis des linken Nervus trigeminus in ärztliche Behandlung.61 Anfang 1950 bat er Paul Wandel um Beurlaubung von den Universitätsgeschäften62 und äußerte im März die Absicht, Leipzig zu verlassen.63 Seinem Wunsch wurde stattgegeben: Zum 1. April 1950 wurde Schreiner aus der Universität entlassen und nahm eine Tätigkeit am MarxEngels-Lenin-Institut, dem späteren Institut für Marxismus-Leninismus, in Berlin auf.64 Dort stellte Schreiner sein Buch Zur Geschichte der deutschen Außenpolitik von der Reichseinigung bis zur Novemberrevolution fertig. Dieses ging aus Schreiners Leipziger Vorlesungen hervor. Damit war es ihm möglich, die ausstehende Promotion nachzuholen; er verteidigte die Arbeit 1953 in Halle bei Leo Stern. Das Buch fiel jedoch deutlich hinter den Standard zurück, den er mit seinen Arbeiten in der Zwischenkriegszeit gesetzt hatte. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass Schreiner eine Darstellung, doch kaum eine Analyse der ökonomischen und politischen Interessen der herrschenden Eliten lieferte. Zudem litt das Buch unter dem – bei Schreiner bislang ungewohnten – ideologischen Ballast, mit dem die „bürgerliche“ Forschung abgewertet wurde. Relativ umfassend behandelte Schreiner die deutsche Kolonialpolitik, die Orientexpansion und die sozialdemokratische Kritik an der „Weltpolitik“ Wilhelms II. Informativ sind auch die Passagen über die Spekulationen der deutschen 59

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Vgl. Helmut Steiner, Notizen zu einer „Gesellschaftsbiographie“ des Fritz Behrens (1909– 1980), in: Eva Müller u. a. (Hg.), „Ich habe einige Dogmen angetastet ...“ Werk und Wirken von Fritz Behrens, Leipzig 1999, S. 22. SAPMO-BArch, NY 4198/85, Bl. 96 f.: Schreiner an Wandel, Brief vom 21. November 1949. Ebd., 4198, Bl. 101: Dr. [Fritz] Gietzelt, Fachärztliches Zeugnis vom 29. November 1949. Ebd., Bl. 227: Schreiner an Wandel, Brief vom 3. Januar 1950. Ebd., Bl. 256: Schreiner an Wandel, Brief vom 3. März 1950. Vgl. Schreiner, Lebenslauf 2, Bl. 3.

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Regierung auf antirussische Ressentiments unter den deutschen Sozialdemokraten beim Kriegsbeginn 1914.65 Als sein Buch erschien, war Schreiner bereits Abteilungsleiter am 1952 gegründeten Museum für Deutsche Geschichte in Berlin. Dort traten erneut Konflikte auf, diesmal mit dem Museumsdirektor Alfred Meusel. Dieser lehnte eine hochgradige Politisierung der Geschichtsforschung, wie sie Schreiner vorschwebte, rundweg ab.66 Zum Streitpunkt wurde die gegensätzliche Beurteilung der Novemberrevolution, die Schreiner als sozialistische Revolution sah, während Meusel sie als – noch dazu unvollendete – bürgerliche Revolution bewertete. Zu Schreiners großem Erstaunen gab Walter Ulbricht, der sich in die Debatte einschaltete, schließlich 1957 jenen Ansichten Recht, die der Novemberrevolution den sozialistischen Charakter absprachen, denn, so Ulbrichts Lesart: eine sozialistische Revolution sei ohne eine marxistisch-leninistische Kampfpartei unmöglich. Nur weil es Lenins Partei gab, habe die Oktoberrevolution in Russland Erfolg gehabt, während in Deutschland das Fehlen der KPD zu Beginn der Novemberrevolution diese selbst auf ein falsches Gleis geführt habe.67 Ungeachtet aller Differenzen und Probleme blieb Schreiner in Leipzig wie in Berlin von parteiinternen Überprüfungen unbehelligt, was angesichts seiner KPOVergangenheit auffällt. Ruth Fischers Behauptung, Schreiner sei ein sowjetischer Geheimdienstoffizier gewesen, konnte sich auf keine Beweise stützen. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass sowjetische Stellen inoffiziell, doch wirksam interveniert haben könnten, als es darum ging, wer zur ZPKK vorgeladen wurde. Ein Mann mit einer detaillierten Kenntnis der deutschen Kriegsmaschinerie unter Hitler sollte dabei möglicherweise nicht kaltgestellt werden, da sein Wissen angesichts der westdeutschen Wiederbewaffnung von Nutzen sei. Zudem war das entscheidende Kriterium, ob man zum Gegenstand parteiinterner „Maßnahmen“ wurde, die Zugehörigkeit zum – so aber nur als Konstrukt existierenden – Kreis um Noel Field. Zu ihm aber hatte Schreiner keinerlei Verbindung gehabt. Die in Dresden als Lehrerin arbeitende Lisa Kirbach war 1941 mit Hilfe von Kurt Rosenfeld und Noel Field aus Marseille nach New York gelangt. Dort arbei65

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Albert Schreiner, Zur Geschichte der deutschen Außenpolitik 1871–1945. Bd. 1: Von der Reichseinigung bis zur Novemberrevolution, Berlin [DDR] 1952. Ein zweiter Band erschien nie. Vgl. Mario Keßler, Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigranten in der Geschichtswissenschaft der frühen DDR, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 185 ff. Vgl. zu seinem relativ undogmatischem Geschichtsverständnis Mario Keßler, Alfred Meusel. Soziologe und Historiker zwischen Bürgertum und Marxismus (1896–1960), Berlin 2016, bes. S. 75 ff. Vgl. hierzu ausführlich Mario Keßler, Die Novemberrevolution und ihre Räte. Die DDRDebatten des Jahres 1958 und die internationale Forschung, Hefte zur DDR-Geschichte, Nr. 112, Berlin 2008.

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tete sie zeitweilig im Büro des Unitarian Service Committee, war also direkte Mitarbeiterin Noel Fields. Sie hatte sich in New York der KPD angenähert und war nach ihrer Rückkehr nach Ostdeutschland 1947 der SED beigetreten. Sofort nach den in Sachsen im Oktober 1949 anlaufenden Überprüfungen erhielt sie durch ihre Mitemigranten Ernst Krüger und Adolf Deter beste Zeugnisse ausgestellt. Krüger hob ihre Arbeit innerhalb der Freundeskreise für eine deutsche Volksfront in Paris sowie ihre „größte Verbundenheit“ mit dem antifaschistischen Exil auch in New York hervor.68 Deter schrieb, Lisa Kirbach habe schon als Sozialdemokratin in Paris mit den KPD-Genossen zusammengearbeitet und sie in New York auch materiell unterstützt. Sie habe sich auch im französischen Internierungslager „einwandfrei und tapfer“ verhalten.69 Am 15. Juni 1950 wurde Lisa Kirbach in Berlin von der ZPKK nach ihren Verbindungen zu Noel Field befragt. Sie lernte ihn und seine Frau Hertha im Februar 1941 in Bompard bei Marseille kennen, ihrer letzten Internierungsstation, in der die Verhältnisse jedoch erträglicher als im Lager waren. Dort leitete sie eine provisorisch eingerichtete Schule für Flüchtlingskinder. Die Fields konnten bei der örtlichen Polizei erwirken, dass Lisa Kirbach Ausgang aus der Aufnahmestation erhielt, die sie ansonsten nicht verlassen durfte. Auch ihrem damaligen Lebenspartner (der im Bericht nur als „Alex“ auftaucht) habe das Ehepaar Field geholfen. Vor allem aber beschafften sie für Lisa Kirbach das überlebensnotwendige amerikanische Visum. Dies bedeutete die Trennung von ihrem Freund, die ihr sehr naheging. In New York habe sie Field, für dessen Unitarian Service Comittee sie arbeitete, jedoch nur einmal getroffen, da er meist in Europa, wohl in der Schweiz, unterwegs gewesen sei. Doch habe sie Noel Fields Bruder Hermann einige Male getroffen. Auf Befragen räumte Lisa Kirbach Kontakte zu Maria Weiterer ein, die im August 1950 als angebliche Komplizin Fields ihre Arbeit beim DDR-Frauenbund verlor und aus der SED ausgeschlossen wurde.70 Danach geschah lange nichts. Lisa Kirbach wurde zweimal durch die Kreisparteikontroll-Kommission in Dresden überprüft, doch scheinen diese Befragungen eher routinemäßig verlaufen zu sein, bis sie am 6. Juli 1951 erneut dorthin vorgeladen wurde und ihren Ausschluss aus der SED mitgeteilt bekam. Sie war verzweifelt. Sie sei kein Karrierist, schrieb sie der ZPKK nach Berlin, ihr Leben sei „eigentlich nur Arbeit – und diese Arbeit hat nur Sinn, wenn sie Hand in Hand mit 68 69 70

Vgl. ebd., DY 30/IV 2/4/115, Bl. 347: Zentrale Parteikontroll-Kommission, Ernst Krüger an die ZPKK, Brief vom 17. Oktober 1949. Ebd., Bl. 346: Adolf Deter an die ZPKK, Brief vom 29. Oktober 1949. Vgl. ebd., Bl. 331–345: [ZPKK-Befragung von] Lisa Kirbach, 15. Juni 1950.

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unseren Genossen für unsere Sache geschieht. Wenn diese Zusammengehörigkeit aufhört – ist es für mich, als sei die Lebensluft abgeschnitten. Ich gehöre einfach zu ihnen und zu Euch, zu unserer gemeinsamen Arbeit – ein Privatleben kenne ich nicht.“ Sie bat die Genossen, ihr mitzuteilen, wo sie falsch gehandelt habe.71 Doch verlor Lisa Kirbach nicht ihre Stelle im Schuldienst. Am 31. August 1953 teilte sie Hermann Matern weitere Einzelheiten ihres beruflichen Lebens in New York mit. Sie habe nur zeitweise für das Unitarian Service Committee gearbeitet, später sei sie als Krankenpflegerin in einem Krankenhaus und danach als Bohrerin und Fräserin in einer Maschinenfabrik beschäftigt gewesen. Sie schrieb auch, in Dresden habe man ihr gesagt, sie müsse für die Partei ein Opfer bringen. Ihr Ausschluss, so wurde ihr jedoch am 21. Februar 1953 in der SED-Bezirksleitung beschieden, sei ein „Versehen“ gewesen. Doch sei dieses Versehen nicht korrigiert worden, erwiderte sie.72 Es wurde zwar 1956 korrigiert, doch nur stillschweigend, ohne eine öffentliche Rehabilitierung. Lisa Kirbach blieb faktisch eine Ausgegrenzte, und offenbar konnte sie dies nicht auf Dauer ertragen: Zu einem unbekannten Zeitpunkt verließ sie die DDR und ging nach Frankfurt a. M., wo sie erst am 25. März 1997 verstarb.73

Ein „Feind der Arbeiterklasse“: Jacob Walcher Im Unterschied zu Lisa Kirbach war Jacob Walcher eine prominente Persönlichkeit der deutschen Linken. Als Mitbegründer des Spartakusbundes, der KPD und der KPO wie als Exilvorsitzender der SAP hatte er eine herausragende Rolle in den 71 72 73

Vgl. ebd., Bl. 312 f.: Lisa Kirbach an die ZPKK, Brief vom 7. Juli 1951. Vgl. ebd., Bl. 357: Lisa Kirbach an Hermann Matern, Brief vom 31. August 1953. Vgl. https://newspaperarchive.com/lisa-kirbach-obituary-211805140/. Ein Nachruf (obituary) war jedoch nicht feststellbar. – Auch Willi Busch, der 1918 dem Spartakusbund angehört hatte, bereits 1923 in die USA ausgewandert war und 1937/38 als Amerikaner in der Lincoln Brigade im Spanienkrieg gekämpft hatte, schlug Misstrauen entgegen, nachdem er 1954 in die DDR gekommen war. Erst 1956 wurde er in die SED aufgenommen und fand lediglich als Transportarbeiter in der Waggonfabrik Ammendorf bei Halle Beschäftigung, ohne dass seine Lebenserfahrung und seine Englischkenntnisse Berücksichtigung fanden. Enttäuscht teilte er einem Freund mit, er fühle sich in der DDR „noch mieser als in New York“, wo er zwei Jahre unter Polizeiaufsicht gestanden habe. So ein Bericht in Buschs Kaderakte im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung 3, Merseburg, P 522: Kaderakten von SED-Funktionären des Bezirkes Halle (Auswahl), Nr. 167. Vgl. auch Frank Hirschinger, „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“. Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918–1953, Göttingen 2005, S. 371.

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politischen Kämpfen für, doch zeitweise auch gegen die Politik der KPD eingenommen. Als Chefredakteur der FDGB-Zeitung Tribüne schien er jedoch in der DDR angekommen und etabliert zu sein. Es schien nur so. Auch Walcher wurde Opfer eines Feldzuges gegen jedes Denken, das der Entwicklung zur „Partei neuen Typus“ entgegenstand. Er war weniger clever als sein einstiger KPO-Genosse Albert Schreiner. Die ersten Repressalien, bei denen stalinistische Kommunisten und die sowjetische Besatzungsmacht Hand in Hand wirkten, hatten sich vor allem gegen kritische Sozialdemokraten gerichtet. Doch ab 1947 gerieten zunehmend Angehörige ehemaliger linker Gruppen ins Fadenkreuz der Ermittler. In der Presse der SED wurde, beginnend mit einem Artikel des (später gänzlich undogmatischen) Literaturhistorikers Werner Krauss, eine Kampagne gegen wirkliche wie auch unterstellte Aktivitäten früherer Mitglieder der KPO, der SAP und ehemaliger Trotzkisten gestartet.74 Sie nahm seit Ende 1949 weiter an Fahrt auf. Am 19. Juli 1950 behauptete SED-Politbüromitglied Fred Oelssner im Neuen Deutschland, das Gedankengut der KPO – jener Kommunisten, die Stalin in der Weimarer Republik nicht gefolgt waren – sei ein „Einfallstor für Agenten des amerikanischen Imperialismus.“75 Die gemeinsame Erklärung des ZK und der ZPKK vom 24. August 1950, die den Eckstein in der „Affäre Field“ in der DDR bildete, zog dann auch die Verbindung zu den linken Kleingruppen, zu denen die KPO und die SAP gehört hatten. Bereits im Sommer 1947 hatte sich Jacob Walcher mit ehemaligen KPOMitgliedern sowie mit Hermann Duncker, der nicht der KPO angehört hatte, in Leipzig getroffen.76 Am 11. Oktober 1950 befragte ihn die ZPKK nach diesbezüglichen Kontakten. Walcher berichtete, er habe auf seiner Rückreise aus den USA in Bremen Station gemacht und dort seinen ehemaligen KPO- und SAP-Genossen August und Irmgard Enderle widersprochen, die die Zustände in der SBZ kritisiert hatten. Ebenso habe er die Politik der SED gegenüber Willy Brandt, aber auch gegenüber Heinrich Galm und Richard Löwenthal, die beide früher der KPO angehört hätten, verteidigt. Er teilte mit, er habe erfahren, dass zwei weitere ehemalige KPO-Mitglieder, Josef Lang und Erna Halbe, für die Gründung einer, 74

75 76

Vgl. Werner Krauss, Über marxistische Abweichungen in älterer und jüngster Zeit, in: Einheit 2, 1947, Nr. 3, S. 253–259, Nr. 4, S. 356–365. Gemessen an späteren Beiträgen ist jedoch Krauss’ Artikel noch relativ sachlich gehalten. Fred Oelssner, Konkreter Kampf zur Überwindung des Sozialdemokratismus, in: Neues Deutschland, 19. Juli 1950. Dies nach einer späteren undatierten Aktennotiz der Leipziger KreisparteikontrollKommission. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/385, so auch vermerkt bei Klein, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“, S. 129.

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wie sie behaupteten, unabhängigen und wirklich revolutionären Massenpartei an Stelle von SED und SPD einträten.77 Walcher wurde aufgefordert, seine Stellung zur KPO schriftlich darzulegen. Er versuchte zu retten, was nicht zu retten war. In seiner auf den 7. Februar 1951 datierten Stellungnahme beteuerte er, dass er in den dreißiger Jahren zur Erkenntnis gekommen sei, mit der „seinerzeitigen Fraktionsmacherei und der nachfolgenden Gründung der KPO einen schweren Fehler gemacht und dadurch der kommunistischen Bewegung großen Schaden zugefügt [zu] haben.“78 Das bedeute aber nicht, dass die KPD fehlerfrei gewesen sei; Walcher verwies auf die Selbstkritik des Jahres 1935, als die KPD-Führung im Exil eingestand, die Polemik gegen die SPD sei zu weit gegangen. Dennoch: Er habe sich klar „von den mit sozialdemokratischen Eierschalen behafteten Brandlerianer[n]“ abgewandt, und der Bruch sei vollkommen gewesen, als sich die KPO im Spanienkrieg mit der trotzkistischen POUM verbündet habe. „Das totale Fiasko der KPO und ihre Entartung in eine Agentur der Imperialisten [sei] kein Zufall, sondern das zwangsläufige Schicksal jeder Gruppe, die aus der Partei ausscheidet und sich feindlich zu ihr stellt.“ Walcher habe viel politisches Lehrgeld zahlen müssen, um den Sinn der Parteidisziplin, deren jede kommunistische Partei bedürfe, zu erkennen. Am 8. Februar 1951 beschloss das ZK-Sekretariat, Jacob Walcher als Chefredakteur der FDGB-Zeitung Tribüne abzulösen. Durch Wilhelm Piecks Vermittlung fand er im März eine Anstellung als Mitarbeiter beim Institut für Zeitgeschichte.79 Dieses war in Form einer GmbH dem Amt für Information der Regierung der DDR unterstellt. Walchers Arbeitsauftrag war die Erforschung der süddeutschen Arbeiterbewegung und der KPD-Geschichte – eine bemerkenswerte Aufgabe, bedenkt man, dass gerade Walchers Ansichten zur Politik der KPD als Abweichung von der Parteilinie galten.80 Einen Tag später, am 9. Februar, erschien im Neuen Deutschland ein Artikel des früheren SAP-Parteivorsitzenden Max Seydewitz. Darin vollzog der nunmeh77 78 79 80

Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11//v. 1142, nicht foliiert: Abteilung Kaderfragen, Jacob Walcher, Aktennotiz, 13. Oktober 1950. Ebd., J. Walcher, Einige Bemerkungen zur Rolle der KPO, 7. Februar 1951. Die folgenden Zitate entstammen dieser Quelle. Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 162 f. Bei dieser Entscheidung hatte das noch junge Ministerium für Staatssicherheit seine Hände im Spiel: In einer Aktennotiz vom 20. August 1951 wurde vermerkt, dass auf Walchers Kontakte zu anderen Genossen aus der Zeit der Emigration, insbesondere zu Gerhart Eisler, zurückzugreifen sei und Walcher deshalb als Geheimer Informator gewonnen werden sollte. Vgl. BStU, ZA, All. P 3720/55, Bl. 000021. Daraus wurde offenbar nichts, und auch 1956 verlief eine Anwerbung erfolglos, da Walcher jeden Kontakt zur Staatssicherheit rundweg ablehnte. Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 249.

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rige sächsische Ministerpräsident, das ihm abgeforderte Unterwerfungsritual. Soweit, laut Seydewitz, die ehemaligen SAP-Mitglieder heute in Westdeutschland oder Westberlin wohnten, seien sie als Agenten amerikanischer Geheimdienste verpflichtet worden. Er nannte namentlich Willy Brandt, der schon im Spanienkrieg 1938 „in trauter Gemeinschaft mit der trotzkistischen POUM“ zum Verräter am spanischen Volk geworden sei.81 Jacob Walcher hatte bereits vom französischen Exil aus enge Kontakte zu Willy Brandt unterhalten und diese auch, trotz politischer Meinungsverschiedenheiten, 1947 in Berlin fortgesetzt.82 Der Seydewitz-Artikel besiegelte Walchers politisches Schicksal. Am 29. Mai 1951 musste sich Walcher der Überprüfung durch die LPKK, die Berliner Landesparteikontroll-Kommission, unterziehen.83 Er halte, so betonte er, die Überprüfung „für eine notwendige und nützliche Einrichtung“, um Karrieristen, die sich in die Partei eingeschlichen hätten, aus dieser zu entfernen. Er selbst sei durch den engen persönlichen Kontakt mit Rosa Luxemburg schon vor dem Ersten Weltkrieg zu marxistischem Bewusstsein gelangt, sei sich aber der Tatsache bewusst, dass die KPD ihre Zeit gebraucht habe, um zur politischen Reife zu gelangen. In den Fraktionskämpfen der Weimarer Republik seien auf allen Seiten Fehler begangen worden, wobei, wie im Jahre 1923, die Partei die „Gefangene ihrer eigenen Strategie“ geworden sei. Sie habe verkannt, dass im Oktober, anders als im Juli 1923, eine revolutionäre Situation in Deutschland nicht mehr gegeben war. Der Hamburger Aufstand sei ein Fehler und zum Scheitern verurteilt gewesen.84 Auch die anschließende ultralinke Politik von Ruth Fischer und Arkadij Maslow sei „Irrsinn“ gewesen, was das EKKI in Moskau rasch erkannt habe.

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Max Seydewitz, Was war die SAP?, in: Neues Deutschland, 9. Februar 1951. Brandt antwortete rasch mit einem Artikel „Der kleine Wyschinski“ im Berliner Stadtblatt vom 10. Februar 1951, in dem er an Seydewitz’ Rechtfertigung der Moskauer Prozesse erinnerte. Vgl. Scholz, Skandinavische Erfahrungen erwünscht?, S. 142 f. Die POUM (Partito Obrero de Unificación Marxista/Arbeiterpartei der marxistischen Einheit) war ein Zusammenschluss von Anhängern Trotzkis und Bucharins. Ihre Mitglieder wurden von der sowjetischen Geheimpolizei im Spanienkrieg verfolgt, was zur Demoralisierung der Franco-Gegner beitrug. Vgl. Reiner Tosstorff, Die POUM in der spanischen Revolution, 2. Aufl., Köln 2016. Vgl. Ernst Stock/Karl Walcher, Jacob Walcher (1887–1970). Gewerkschafter und Revolutionär zwischen Berlin, Paris und New York, Berlin 1998, S. 147–150. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/48, Bl. 111–144: ZPKK, Jacob Walcher, Protokoll, 29. Mai 1951. Dieser Quelle sind die folgenden Zitate entnommen. Mit dieser – richtigen – Einschätzung des Hamburger Aufstandes, an der Walcher zeitlebens festhielt, wandte er sich gegen die Interpretation der in der SED zur Legende verklärten Erhebung.

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Walcher verteidigte seine Kritik auch an der ultralinken Linie der Partei ab 1929, die zur Isolierung von der SPD und den Gewerkschaften geführt hatte. Er betonte, die KPO habe sich nicht als gegnerische Partei verstanden, sie habe in den Wahlkämpfen zur Wahl der KPD aufgerufen. Er musste allerdings wider besseres Wissen erklären, die KPO und alle Oppositionsgruppen seien „ins gegnerische Lager“ übergegangen. Damit gaben sich die Parteikontrolleure aber nicht zufrieden und nötigten Walcher das Eingeständnis ab, bereits die Bildung der KPO sei in ihren Auswirkungen „objektiv feindlich“ gewesen. Ob er sich schlauer gedünkt habe als die KPD, wurde Walcher gefragt. Er suchte die Flucht nach vorn anzutreten und sagte, bei Heinrich Brandler, dem Vorsitzenden der KPO, sei dies der Fall gewesen, bei ihm selbst aber nie. Solche Unverträglichkeiten hätten dazu geführt, dass er, Walcher, die KPO verlassen und der SAP beigetreten sei. Doch sehe er heute die Gründung der SAP und seine Mitwirkung in ihr als einen Fehler. Gab es Verbindungen zu trotzkistischen Gruppen?, lautete eine weitere Frage. „Nein, nur 1933“, erwiderte Walcher, „später waren wir offene Feinde. Aber 1933 war Trotzki in Paris, ich habe mit ihm gesprochen.“ Es sei der Versuch gewesen, „eine sozialistische Konzentration zustande zu bringen.“ Trotzki habe die deutschen Ereignisse „ganz nüchtern beurteilt“; so sei „eine Art Kartell“ angestrebt worden. Doch sei Trotzki persönlich „größenwahnsinnig“ gewesen, und dies habe zum Bruch geführt. Walcher habe, wie er sagte, 1937 Wilhelm Pieck über seine Kontakte zu Trotzki informiert, räumte aber ein, dass er, als er 1947 der SED beitrat, nicht darüber berichtet hatte. Ob ihm klar sei, dass „die Zusammenkunft mit einem so abgefeimten Verbrecher eine besondere Sache“ sei?, wurde er gefragt. „Ja, ja, das stimmt schon.“ Walcher bestritt, dass Willy Brandt Trotzkist sei oder gewesen sei. Der Pakt der Sowjetunion mit Nazi-Deutschland habe ihn „sehr getroffen“, so Walcher weiter, und er habe 24 Stunden gebraucht, um einzusehen, dass die Sowjetunion nicht anders handeln konnte. In New York habe er aber über Albert Schreiner wieder Kontakte zu KPD-Genossen knüpfen können: zu Philipp Daub, Ernst Krüger und Adolf Deter. Im Council for a Democratic Germany habe er die KPD-Linie unterstützt. Nach seiner Rückkehr habe er in Berlin zusammen mit Klaus Zweiling, einst Mitverfasser des SAP-Programms, allen früheren KPO- und SAP-Mitgliedern empfohlen, in die SED einzutreten. Über seine Kontakte zu ihnen, so zu seinem besten Freund August Enderle, habe er der Partei berichtet. Die LPKK kam zu dem bündigen Urteil: „Die Überprüfung von Walcher hat ergeben, dass W. seit Jahrzehnten zu den ärgsten Feinden der revolutionären Arbeiterklasse und ihrer Partei gehört. Als Mitglied des Pol.-Büros im BrandlerZK hatte er maßgeblichen Anteil an der falschen Politik, die zur Niederlage der Arbeiterklasse 1923 führte. [...] Nach seinem Ausschluss aus der KPD war er

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neben Brandler und Thalheimer führend an der Gründung der KPO und ihrer politischen Leitung beteiligt. Nach seinem Ausscheiden aus der KPO führte er seine zersetzende Tätigkeit im Lager der Arbeiterklasse weiter fort, indem er sich führend an der SAP beteiligte und dort die Antisowjet-Hetze durch die trotzkistische Phrase von der Unmöglichkeit des Aufbaues des Sozialismus in einem Land noch verstärkte. Wie weit seine verräterische Rolle ging, wird noch dadurch unterstrichen, dass er in der schwersten Zeit der deutschen Arbeiterklasse nach 1933 die Führung der arbeiterfeindlichen SAP im Ausland übernommen hat. Er hat in dieser Zeit mit dem Verbrecher Trotzki und anderen bezahlten Agenten zusammen gearbeitet.“85 Im August 1933 hatte Walcher von Paris aus Trotzki an dessen nahegelegenem Exilort Barbizon besucht. Die Gespräche verliefen in einer solchen Atmosphäre, dass Trotzki seiner „ungeheure[n] Freude“ Ausdruck verlieh, mit Walcher drei Tage verbracht zu haben „und alle die schwebenden Fragen einmal gründlich von Angesicht zu Angesicht“ besprochen zu haben. Die „KPO-Minderheit in der SAP“ habe diese nach links gedrängt, und so lägen eine Zusammenarbeit und auch ein späterer Anschluss an die Linke (trotzkistische) Opposition im Bereich des politisch Möglichen.86 Walcher erwiderte, dass das Nachdenken über eigene Fehler der Vergangenheit innerhalb der Exil-KPD eingesetzt habe, und deshalb seien auch Linkssozialisten im internationalen Maßstab wie Fenner Brockway von der britischen Independent Labour Party (ILP) zur engeren Zusammenarbeit mit der Komintern bereit, deren Boykott-Politik an ihr Ende gelangen werde.87 Trotzki blieb in Bezug auf die ILP skeptischer.88 Auch Walcher sah die Probleme, die selbst innerhalb der linkssozialistischen Bewegung, so der norwegischen Mot-Dag-Gruppe und der niederländischen Unabhängigen Sozialistischen Partei, bestanden, was ein Zusammengehen nicht erleichtere. Ob und inwieweit sich diese Parteien hin in Richtung eines unabhängigen Kommunismus entwickelten, sei völlig offen.89 Im September 1933 trafen sich Vertreter der trotzkistischen Linken Opposition, der SAP und zweier niederländischer Parteien in Paris, um weitere Schritte der Zusammenarbeit zu beraten.90 Die 85 86

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Ebd., Bl. 110: Stellungnahme der Landeskommission zur Überprüfung von Walcher, 29. Mai 1951 (das dort angegebene Datum des 29. April ist ein Tippfehler). Houghton Library, Harvard University Cambridge (Massachusetts), bmS Rus 13.1: The Trotskii Collection, Nr. 10743: Leo Trotzki an Jacob Walcher, Brief vom 19. August 1933. Ebd., Nr. 5783: Walcher an Trotzki, Brief vom 20. August 1933. Vgl. ebd., Nr. 10744: Trotzki an Walcher, Brief vom 21. August 1933. Ebd., Nr. 5784: Walcher an Trotzki, Brief vom 23. August 1933. Dies waren die Revolutionär-Sozialistische Partei unter Hendricus Sneevliet sowie die Unabhängige Sozialistische Partei unter Piet J. Schmidt, die sich im März 1935 zur Revo-

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Parteien riefen zum „Bruch mit der reformistischen Politik“ der Sozialdemokratie auf und erklärten gleichermaßen ihre Gegnerschaft zu Stalins Politik des „Sozialismus in einem Land“, der sich die Komintern noch immer „sklavisch“ unterordne.91 Doch offenbarte auch die Korrespondenz zwischen Trotzki und Walcher eine nicht zu überbrückende Differenz: „Sie wollen mich überzeugen“, schrieb Trotzki am 2. November an Walcher, „dass man mit den Brandlerianern diskutieren kann.“ Man könne dies nicht, wenn das Ziel darin bestehe, sich mit ihnen organisatorisch zu vereinigen oder selbst eine gemeinsame politische Plattform zu bilden bzw. eine überparteiliche Zeitschrift herauszugeben. Die KPO um Heinrich Brandler sei zu einer konsequenten Kritik an Stalin weder bereit noch fähig.92 Trotzkis Standpunkt stehe „im Widerspruch mit jeder kollektiven Arbeit“, antwortete ein enttäuschter Walcher dennoch mit „herzlichsten Grüßen.“93 Walcher sei offenbar nicht länger bereit, die Vereinigung von Trotzkis Gruppe, der Linken Opposition, mit der SAP voranzutreiben, schrieb daraufhin Trotzki. Warum halte Walcher an einer politischen Zusammenarbeit mit Brandler und Thalheimer fest, für die er doch „privat nur Verachtung übrig“ habe?, wie Trotzki zu wissen meinte.94 Walcher ließ die Frage unbeantwortet und die Korrespondenz kam zum Erliegen. Was Trotzki 1933 mutmaßte, stand für die SED-Kontrolleure volle achtzehn Jahre später felsenfest: Walcher stehe faktisch noch immer auf dem Standpunkt der KPO, deren organisierte Fraktionstätigkeit er lediglich als „Disziplinbruch“ bezeichne. Auch seine Beziehung „zu dem Agenten Brandt“ habe er gegenüber den Organen der Partei heruntergespielt. In dem von ihm als „Selbstkritik“ bezeichneten Artikel habe er die „verbrecherische“ Politik der KPO im Grunde verteidigt.95

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lutionär-Sozialistischen Partei der Niederlande vereinigten. Diese stand in Verbindung zu Trotzki, betonte aber ihren linkssozialistischen Charakter. Vgl. Menno Eekman/Herman Pieterson, Linkssocialismus tussen de wereldoorlogen, Amsterdam 1987, S. 128. Dies nach Robert J. Alexander, International Trotskyism, 1929–1985. A Documented Analysis of the Movement, Durham (North Carolina) 1991, S. 261. Von Seiten der Linken Opposition nahm „E. Bauer“ (Erwin Ackerknecht), für die SAP „Jim Schwab“ (Walcher) an der Pariser Tagung teil. Houghton Library, Trotskii Collection, Nr. 10747: Trotzki an Walcher, Brief vom 2. November 1933. Ebd., Nr. 5789: Walcher an Trotzki, Brief vom 7. November 1933. Ebd., Nr. 10748: Trotzki an Walcher, Brief vom 14. November 1933. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/48, Bl. 110: Stellungnahme der Landeskommission zur Überprüfung von Walcher, 29. Mai 1951 (das dort angegebene Datum des 29. April ist ein Tippfehler).

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Doch weder wurde Walcher umgehend aus der SED ausgeschlossen, noch erhielt er Kenntnis vom Beschluss der LPKK. Die Angelegenheit blieb in der Schwebe, was damals ganz unüblich war. Auf einer Feierstunde am Institut für Zeitgeschichte aus Anlass seines 65. Geburtstages am 7. Mai 1952, in der er energisch den Erhalt des Parteimitgliedsbuches forderte, wurde ihm dann von einem anwesenden SED-Funktionär der Parteiausschluss mitgeteilt. Man habe damit warten wollen, hieß es, aber da er selbst die Angelegenheit aufs Tapet gebracht habe, müsse ihm der am Vortag gefasste Beschluss zur Kenntnis gegeben werden. Schlagartig verlief sich die Geburtstagsrunde; zur anschließenden Feier in Walchers Wohnung fanden sich nur zwei alte Exilkameraden, Bertolt Brecht und Maximilian Scheer, ein.96 Mit schlechtem Gewissen suchte Karl Bittel, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Walcher am nächsten Tag Mut zu machen: Er könne seine Entlassung zwar nicht verhindern, werde aber dafür Sorge tragen, dass Walcher als freier Mitarbeiter am Institut weiter arbeiten könne. Walcher wusste, dass dies zwar gut gemeint, aber nicht möglich war. So kam es: Er wurde in Rente geschickt. Die Ehrenpension als Kämpfer gegen den Faschismus wurde ihm gestrichen.97 Am 12. Mai 1952, fünf Tage nach dem ihm mitgeteilten Ausschluss, bat Walcher SED-Politbüromitglied Heinrich Rau um eine Aussprache. Es gehe ihm um die grundsätzliche Frage, „ob einem alten Kommunisten, der vor einem Vierteljahrhundert in die Irre ging, nunmehr in der Gegenwart das Wirken in den Reihen der Partei auch dann unmöglich gemacht wird, wenn er seine Fehler eingesehen, daraus die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen und sich – nachdem er schon in der Emigration in Paris und New York eng mit den Kommunisten im Rahmen der Volksfrontbewegung zusammen gearbeitet hat – nach seiner Rück-

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Vgl. Maximilian Scheer, Ein unruhiges Leben, Berlin [DDR] 1975, S. 293. – Brecht hatte Walcher über Fritz Sternberg, der damals ebenfalls der SAP angehörte, erstmals 1931 in Berlin und dann in Paris 1933 getroffen. Zwischen beiden Männern entwickelte sich ab 1943 in New York, wo sie auch im Council for a Democratic Germany zusammenarbeiteten, ein enges persönliches Verhältnis, das sich in der SBZ und DDR fortsetzte. Jacob und Hertha Walcher hielten sich zeitweise in Brechts Landhaus in Buckow auf. Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 171–175; Stephen Parker, Bertolt Brecht. A Literary Life, London 2014, S. 307. Vgl. auch Brechts Eintragungen im Arbeitsjournal (Bd. 2, hg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973) unter den Daten des 24. Oktober und 14. Dezember 1948 sowie ein Interview von Dr. Hans Bunge mit Jacob Walcher, 11./12. Februar 1958, in Auszügen abgedruckt in: Exilograph, Ausgabe 15 (Frühjahr 2006), S. 7–9. Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 167 f.

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kehr aus der Emigration alle Mühe gegeben hat, durch hingebungsvolle Arbeit verscherztes Vertrauen zurück zu gewinnen.“98 Am 17. Juni 1952 erhob Walcher in einem Brief an die ZPKK formell Einspruch gegen den Parteiausschluss.99 Er betonte erneut, er habe die ersten beiden Jahrzehnte seines aktiven Kampfes in der Arbeiterbewegung unzweideutig kommunistische Positionen bezogen. Nicht umsonst sei er gemeinsam mit Wilhelm Pieck zum Vorsitzenden des KPD-Gründungsparteitages gewählt worden. An der Jahreswende 1923–24 habe er in Moskau an den Verhandlungen mit dem EKKI zur „Beilegung der schweren Führungskrise der KPD“ teilgenommen. In Moskau habe er sich an der Arbeit der Roten Gewerkschafts-Internationale beteiligt. Er leugne aber in keiner Weise seine „schwersten Verfehlungen“ der Jahre von 1928 bis 1933 ab. Er bekenne, „welch schwere Schuld“ er durch seine Teilnahme an der Gründung der KPO, den Übertritt zur SAP und insbesondere durch seinen Kontakt mit Trotzki auf sich geladen habe. Er hätte der Partei darüber früher und genauer Kenntnis geben sollen. Er betrachtete Trotzki – und dies sei sein Kardinalfehler gewesen – 1933 „noch nicht als einen verbrecherischen Schädling, sondern als einen Mann mit anderen politischen Auffassungen“, die er zwar in vieler Hinsicht ablehnte, „mit denen man sich aber noch auseinandersetzen könne.“ Wie die ganze Pariser SAP-Gruppe sei er „in dem Irrwahn befangen“ gewesen, „dass man den Versuch einer Zusammenarbeit mit Tr. machen könne.“ Er habe aber diesen Fehler schnell erkannt, und ab Ende 1933 habe er sich immer stärker politisch auf die KPD hinzubewegt. Im August 1939 habe er die Richtigkeit der sowjetischen Politik erkannt und den Nichtangriffspakt mit Deutschland verteidigt. Auch in New York habe er mit den Genossen der KPD eng zusammengearbeitet, beteuerte Walcher. Nach seiner Rückkehr habe er geglaubt, Willy Brandt sei für die Politik der SED zu gewinnen. Als sich dies als vergeblich erwies, habe er jeden Kontakt abgebrochen. Er bitte um Wiederaufnahme in die Partei und wolle auch seine Arbeit am Institut für Zeitgeschichte wieder aufnehmen. Wenn die Partei aber anders entscheide, werde er dennoch selbstverständlich ihre Politik als Kommunist in der Öffentlichkeit vertreten.100 98 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1142, nicht foliiert: ZPKK, Jacob Walcher, Walcher an Heinrich Rau, Brief vom 12. Mai 1952. 99 Ebd., nicht foliiert: Jacob Walcher an die ZPKK, z. H. des Gen. Hermann Matern, Brief vom 17. Juni 1952. Die folgenden Zitate entstammen dieser Quelle. 100 In seinen (undatierten) Erinnerungen an die SAP, die er für das Parteiarchiv niederschrieb, berichtete Walcher: Als Brandt ihm 1947 mitteilte, er sei in die SPD eingetreten, habe er gesagt; „Du wirst verstehen, dass wir nun nichts mehr miteinander gemein haben und dass unsere Wege sich jetzt ein für allemal ‚trennen‘, und seitdem habe ich ihn nie

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Walcher wusste, dass der Schlüssel zu jeder Entscheidung über seine Zugehörigkeit zur SED in den Händen Walter Ulbrichts lag. Am 22. Juli 1952 betonte er in einem Brief an ihn, sein Verhältnis zur Partei sei heute ein gänzlich anderes als 1928.101 „Ich bin von der Richtigkeit der Prinzipien, auf denen eine Partei vom neuen Typus aufgebaut ist, völlig überzeugt und durchdrungen.“ Ihm sei heute vollkommen klar: „Die Opposition gegen das von Ernst Thälmann geführte ZK und der anschließende Bruch mit der KPD waren Taten, die fortzeugend Böses gebären mussten.“ Wäre er, Walcher, nicht „durch die geschichtlichen Erfahrungen belehrt worden und in einem jahrelangen inneren Ringen mit mir selbst wieder ins Reine gekommen, so hätte ich mich, das kannst Du mir glauben, niemals entschlossen, meine Wiederaufnahme in die Partei zu beantragen und von New York nach dem sowjetischen Sektor Berlins zurückzukehren.“ Die Kaderabteilung des ZK habe ihm vorgeschlagen, in einer Bibliothek in Chemnitz zu arbeiten. Natürlich gehe er dahin, wohin ihn die Partei schicken wolle, doch könne er in Berlin seine Forschungen zur Frühgeschichte der kommunistischen Bewegung im süddeutschen Raum, an denen ihm viel gelegen sei, weit besser als in Chemnitz fortführen. Walcher blieb in Berlin, doch seine Bitten, den Parteiausschluss zu revidieren, blieben vorerst ohne Antwort. Doch war die SED-Führung nicht nur treibende Kraft der Partei-„Säuberungen“, sondern auch eine Getriebene. Denn letztlich bestimmte die Sowjetunion die Politik in der DDR, und sie warf ein wachsames Auge auf die „Westemigranten“ – insbesondere auf einen der bekanntesten unter ihnen: auf Gerhart Eisler.

wieder gesehen, nie wieder von ihm etwas gehört, also keinerlei Beziehung mehr mit ihm gehabt.“ SgY 30/1301: Erinnerungsarchiv, Jacob Walcher, Bl. 25. – Bemerkenswert bleibt, dass Walter Friedeberger, über den sich Walcher nach dessen Rückkehr sehr positiv im Sinne der SED geäußert hatte, von Befragungen durch die ZPKK verschont blieb. Verschiedentlich wurde Friedeberger vielmehr politische Zuverlässigkeit bescheinigt. Vgl. eine entsprechende Aktennotiz der Betriebsgewerkschaftsleitung der Hauptverwaltung Gesundheitswesen vom 27. Januar 1949 (der weitere folgten), in: Bundesarchiv (BArch), Abteilung Berlin, Ministerrat der DDR, Bestand DC 20/7874: Personalakte Walter Friedeberger, Bl. 10. 101 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1142, nicht foliiert: Jacob Walcher an Walter Ulbricht, Brief vom 22. Juli 1952. Die folgenden Zitate entstammen dieser Quelle.

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Erneut Glück gehabt: Gerhart Eisler Die umfassenden Partei-„Säuberungen“ seit den späten vierziger Jahren erfassten in unterschiedlicher Intensität den gesamten sowjetischen Machtbereich. Stalin, Berija und ihre nur allzu zahlreichen Helfershelfer wollten ein für allemal jede tatsächliche oder potenzielle Opposition, die ihre Herrschaft gefährden könnte, vernichten. Sie wussten aber, dass der Terror nur dann wirksam war, wenn er sich gegen einen Gegner richten konnte, der – weit über sein wirkliches Gefahrenpotenzial hinaus – zum Sündenbock für alle Probleme erklärt werden konnte; ein Gegner, dem eine Macht zugeschrieben werden konnte, die den Terror begründbar machte, und der doch nie so stark war, dass er der Repressionsmaschine in die Speichen greifen konnte. In der Geschichte des Stalinismus hatten – wirkliche oder zu solchen erklärte – Trotzkisten, Bucharinisten oder Titoisten den jeweiligen Sündenbock abgegeben. Stalin misstraute jedoch generell Menschen in seinem Machtbereich, die über ein Wissen und über solche Verbindungen verfügten, die vielleicht momentan benötigt wurden, die aber nie ganz zu kontrollieren waren. Es erscheint somit beinahe logisch, dass die deutschen „Westemigranten“ und zumal die Juden unter ihnen, die Verwandte und Freunde im Ausland besaßen, in besonderem Maß gefährdet waren. Der Antisemitismus Stalins, der in seinen letzten Lebensjahren sichtbar zum Ausdruck kam, tat dabei sein Übriges. Leidtragende waren nicht nur die jüdischen Intellektuellen in der Sowjetunion, sondern auch die Opfer des antisemitischen Slánský-Prozesses in Prag. Unter allen „Westemigranten“ erschien Gerhart Eisler als der Kandidat par excellence für einen möglichen deutschen Slánský-Prozess. Er war einstiger „Versöhnler“, also de facto Parteifeind, gewesen, er war jüdischer Herkunft, Westemigrant und war zudem der Bruder von Ruth Fischer, die als das Sinnbild der Renegatin galt. Nach seiner spektakulären Flucht aus den USA tauchte Gerhart Eisler bereits am 1. Juni 1949 in der Öffentlichkeit auf: An diesem Tag hielt er eine Rede vor Dresdener Bürgern und sprach am gleichen Abend im Dresdner Landessender über die Umstände seiner Flucht.102 Danach fuhr er in seine Geburtsstadt Leipzig, wo er Ehrengast des 3. FDJ-Parlaments war. Er dürfte dort auch zum ersten Mal die Universität besucht haben, an der seine Ernennung zum Professor mit Lehrauftrag für politische und soziale Fragen der Gegenwart bereits beschlossene Sache

102 Max Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben. Lebenserinnerungen, Bd. 2: Mein sozialistisches Vaterland, Berlin [DDR] 1978, S. 172 f.

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war.103 Am 21. Juni ernannte ihn das Politbüro zum Leiter der „Parteikommission für Fragen der Koalition“, was zunächst vage eine Art der Öffentlichkeitsarbeit umschrieb.104 Einen Monat später, am 21. Juli 1949, wurde er in den Parteivorstand der SED gewählt.105 Seine erste Auslandsreise nach seiner Rückkehr führte ihn Ende August nach Moskau zu einem internationalen Friedenskongress.106 Im September 1949 wurde er schließlich Leiter der Verwaltung für Information bei der Deutschen Wirtschaftskommission, aus der nach Gründung der DDR am 7. Oktober die Provisorische Regierung hervorging. Am gleichen Tag konstituierte sich der Volksrat der SBZ als Provisorische Volkskammer der DDR, der auch Gerhart Eisler angehörte. Am 12. Oktober bildete sich die Verwaltung für Information unter Leitung Gerhart Eislers zum Amt für Information um. Dieses war dem Ministerpräsidenten direkt unterstellt. Eisler wurde damit zwar nicht Mitglied der Regierung, nahm jedoch an allen Tagungen des Ministerrates teil.107 Er nahm die Aufgaben eines Regierungssprechers wahr und war für die Herausgabe der offiziellen Regierungsmaterialien verantwortlich. Stellvertretende Leiter wurden die aus der Sowjetunion zurückgekehrte Deba Wieland sowie der Frankreich-Remigrant Georg Stibi, Leiter der Abteilung „Friedenspropaganda“ wurde der Auschwitz-Überlebende Hermann Axen, Leiter der Abteilung Meinungsforschung wurde Bruno Goldhammer, einst im Schweizer Exil lebend, Leiter der Abteilung Presse war Albert Norden.108 Das Amt für Information, das zunächst auf rund dreihundert Mitarbeiter anwuchs, später indes deutlich weniger Beschäftigte aufwies, hatte Büros in allen 103 Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 213. 104 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2/28: Sitzung des Politbüros am 21. Juni 1949, TOP 4: Verwendung des Genossen Eisler. 105 Vgl. Kommunique der 20. (34.) Tagung des Parteivorstandes der SED, in: Neues Deutschland, 22. Juli 1949. 106 Vgl. Badstübner/Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 292. 107 Ein undatierter Vorschlag des SED-Politbüros, möglicherweise Ende September 1949 formuliert, sprach noch von 13 Fachministern der künftigen DDR-Regierung, zu denen auch Gerhart Eisler als Leiter des Amtes für Information gehören sollte. Die Gründe für die leichte Herabstufung von Eislers Befugnissen müssen offenbleiben. Vgl. ebd., S. 304; Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 224, Anm. 5. 108 Vgl. Norbert Podewin, Albert Norden. Der Rabbinersohn im Politbüro – Stationen eines ungewöhnlichen Lebens, 2. Aufl., Berlin 2003, S. 222. Hier waren die guten Fremdsprachenkenntnisse der Ernannten ausschlaggebend: Norden sprach fließend sowohl Französisch wie Englisch, Deba Wieland (geb. Deborah Raschkess) Russisch als Muttersprache sowie fließend Französisch und Litauisch, Stibi fließend Französisch, Russisch und Spanisch, Eisler fließend Englisch und Französisch sowie etwas Spanisch, Axen fließend Französisch und Russisch, Goldhammer, obgleich aus Dresden stammend, von Haus aus Polnisch, möglicherweise auch Jiddisch.

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fünf Ländern der DDR und gab bis zu seiner Umwandlung in das DDRPresseamt Ende 1952 fast siebzig Bücher und Broschüren heraus, von denen die erste die Verfassung der DDR war.109 Doch wimmelte es geradezu im Amt für Information von „Westemigranten“. So war z. B. Georg Friedrich Alexan Hauptreferent der Abteilung Presse und dort auch Leiter der Unterabteilung USA und Imperialismus. Damit geriet vor allem der Leiter des Amtes, Gerhart Eisler, ins Fadenkreuz der Ermittler. Bereits am 12. Oktober 1949, es war die Zeit des Rajk-Prozesses in Budapest, ermahnte Wladimir Semjonow, Politischer Berater der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, der SMAD, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht zu äußerster Wachsamkeit. Pieck notierte, dies beziehe sich auch auf die „Umgebung Eisler.“ Zwölf Tage später hielt er fest, es gehe um „Agenten im Apparat – bei Eisler – Leute von Westmächten.“110 Im Juli 1950 scheiterte Wilhelm Pieck mit der Absicht, Eisler ins SEDPolitbüro wählen zu lassen. Mehr noch: Dieser verlor auch seinen Sitz im ZK sowie im Oktober 1950 seinen Volkskammer-Sitz.111 Eislers Person wurde nun zum Gegenstand von Spekulationen, und die ZKResolution vom 24. August 1950 gab dem Auftrieb, obgleich er darin nicht erwähnt worden war. Sein Name fiel dennoch unter jenen, die in die „Affäre Field“ hineingezogen und der Spionagetätigkeit bezichtigt werden könnten. Unter der Überschrift „Neun befühlen ihren Hals“ berichtete der Spiegel am 9. September, im Rajk-Prozess habe Tibor Szönyi ausgesagt, „dass der anglo-amerikanische Imperialismus noch vor Ausbruch des Weltkrieges II den Weltkrieg III vorbereitete, indem seine Spionagezentren unter den mittellosen politischen Emigranten Agenten warben, die später in sowjetisch besetzten Ländern eingesetzt werden könnten.“ Hauptwerber für den US-Geheimdienst sei der Quäker Noel Field gewesen, der in der Schweiz vor Kriegsausbruch das Unitarian Service Comittee leitete. „Von ihm bezog Tibor Szönyi seine Fränkli, laut Geständnis im Rajk-Prozess. Der erste deutsche KP-Emigrant, der ihm auf den Leim hüpfte, war Bruno Goldhammer, bis zum letzten Augusttag [19]50 Referent in Gerhart Eislers sowjetdeutschem Informationsamt und Instrukteur von Radio Berlin International.“ Vor dem Krieg verkehrte, so der Spiegel, „auch die sowjetische Abwehr bereits mit Noel H. Field, der Mitte der 30er Jahre ein hoffnungsvoller Beamter im amerikanischen State Department war. Er wurde Ende 34 von Hede Massing, die in 109 Vgl. Katrin Bobsin, Das Presseamt der DDR. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit für die SED, Köln/Weimar/Wien 2013, S. 65–78; Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 214 f. 110 Vgl. Badstübner/ Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 319. 111 Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 219 f.

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erster Ehe mit Propagandachef Gerhart Eisler verheiratet war, für einen sowjetischen Spionagering geworben. Und in Noel Fields Wohnung traf Hede EislerMassing auch – Alger Hiss, der Anfang 1950 [in den USA] für schuldig befunden wurde, Akten des State Departments an die Sowjets weitergegeben zu haben und zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Diese Begegnung mit Alger Hiss hatte Noel Field bei einem zwanglosen Essen arrangiert.“112 Der Spiegel nannte unter Berufung auf die ZK-Entschließung vom 24. August neben Lex Ende, als Chefredakteur des Neuen Deutschland „Spitzenreiter der roten Journalistik“, neun weitere Namen als Kandidaten für einen deutschen Schauprozess: Leo Bauer, Walter Beling, Paul Bertz, Bruno Fuhrmann, Bruno Goldhammer, Willi Kreikemeyer, Paul Merker, Maria Weiterer – und Gerhart Eisler. Zudem seien neben den ZK-Sekretären Beling und Fuhrmann auch Wolfgang Langhoff, Intendant des Deutschen Theaters, sowie der Lehrgangsleiter an der Karl-Marx-Parteischule in Kleinmachnow, Hans Teubner, ihrer sämtlichen Funktionen enthoben worden.113 Das Time Magazine schrieb, nachdem sich unter den in der ZK-Resolution Genannten auch Eislers Mitarbeiter Bruno Goldhammer befinde, sei die Reihe bald an ihm. „Auch wenn sich Gerhart Eisler, der vor zwei Monaten aus dem Zentralkomitee entfernt wurde, noch in Freiheit und sogar in seinem Amt befindet, steht er nach Berichten ganz oben auf der Liste derer, die bald das Ziel von Säuberungen sein werden.“114 Gerhart Eisler trat die Flucht nach vorn an. Im Februar 1951 übte er in einem langen Artikel mit dem Titel „Ernst Thälmanns Kampf gegen die Versöhnler“ im Neuen Deutschland eine „Selbstkritik“. Die ihm angelasteten „Verfehlungen“ lagen ein Vierteljahrhundert zurück. Doch die SED-Führung wollte nach der Ausschaltung ehemaliger Sozialdemokraten sowie KPO- und SAP-Mitglieder nun auch parteitreue Kommunisten aus Führungspositionen verdrängen, falls diese in der Vergangenheit dem Thälmann-ZK in irgendeiner Weise jemals kritisch begegnet waren. Zu ihnen gehörte der einstige „Versöhnler“ Gerhart Eisler, der sich 1929 für Thälmanns Absetzung ausgesprochen hatte, nachdem herausgekommen war, dass der Parteivorsitzende mit John Wittorf den Urheber eines Korruptionsskandals gedeckt hatte. Stalins Intervention hatte Thälmann damals gerettet. Nun blieb es Gerhart Eisler nicht erspart zu schreiben: „Die Versöhnler wurden aus der Partei112 Vgl. Hede Massing, Die große Täuschung. Geschichte einer Sowjetagentin, Freiburg/Br. 1967, S. 307–316, worin sie über diese Kontakte berichtete. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel This Deception 1951 in den USA. 113 Neun befühlen ihren Hals, in: Der Spiegel, 9. September 1950. 114 Foreign News: Foul Nest, in: Time Magazine, 11. September 1950.

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führung entfernt, die rechte Fraktion politisch zerschlagen und aus der Partei entfernt, als sie sich weigerten, politisch abzurüsten, ihre Fraktion aufzulösen und sich bedingungslos der Disziplin und den Entscheidungen der Partei zu fügen.“ Erst im Jahre 1929 habe er begonnen zu verstehen, „dass ein Versöhnler kein ehrlicher Kommunist, kein Marxist-Leninist, kein ehrlicher Freund der Sowjetunion, kein ehrlicher Schüler der KPdSU und des Genossen Stalin sein kann“ – Eisler musste also sein gesamtes politisches Wirken vor 1929 abwerten. So wurde auch er – wie eine Vielzahl einst kritischer Kommunisten – gebrochen.115 Die ihm dadurch gewährte Atempause dauerte indes nur wenige Monate: Am 23. Juli 1951 wurde er zur ZPKK vorgeladen. In der Befragung, die unter anderem Hermann Matern und Max Sens vornahmen, ging es zunächst um Eislers politische Vergangenheit. Er beteuerte einmal mehr, seinen Fehler von 1929, als er gegen Ernst Thälmann aufgetreten war, durch seine spätere Arbeit getilgt zu haben. Ein weiterer Punkt war die Empfehlung der KPD an ihre Mitglieder im französischen Exil, mit Kriegsbeginn dem Aufruf der Regierung nachzukommen und sich registrieren zu lassen. Während Franz Dahlem dies als notwenig sah, da er eine illegale Existenz deutscher Kommunisten in Frankreich für aussichtslos hielt, war Anton Ackermann dagegen. Dieser gelangte mit seiner Frau mithilfe sowjetischer Agenten über die Schweiz und Italien nach Moskau, während Dahlem von den französischen Behörden an Deutschland ausgeliefert wurde. Er überlebte im KZ Mauthausen.116 Eisler konnte jedoch nachweisen, dass er in diese Diskussion nicht verwickelt war, da er bereits Anfang September von der französischen Fremdenpolizei verhaftet wurde. Nur kurz und nur im Zusammenhang mit seiner Exfrau Hede Massing wurde die „Angelegenheit Field“ erwähnt, hingegen musste Eisler detailliert über die Umstände seiner Einreise in die USA 1941 berichten. Der bisher verbindliche Ton der Überprüfung verschärfte sich, als Eisler gefragt wurde, ob er die Neigung habe, in seinen Reden überspitzte Formulierungen zu verwenden. Manchmal entstünde der Eindruck, als wolle er mit seinen Reden provozieren. Das sei ein schwerer Vorwurf, absichtlich aber komme dies nicht vor, erwiderte er. Er stehe dafür ein, so die Antwort auf eine weitere Frage, dass beim 115 Gerhart Eisler, Ernst Thälmanns Kampf gegen die Versöhnler, in: Neues Deutschland, 18. Februar 1951. – In einem wenig später für die ZPKK verfassten Lebenslauf schrieb Eisler: „Die Jahre 1927/28/29 waren für mich die Jahre der schwersten und unverzeihlichsten Fehler meines Lebens. [...] Hätten die Brandler-Thalheimer gesiegt, dann hätte die revolutionäre Partei der deutschen Arbeiterklasse einen furchtbaren Schlag erlitten. (Ähnlich wie heute die jugoslawische Kommunistische Partei durch die Tito-Bande).“ SAPMOBArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 106: ZPKK, Biografie des Genossen Eisler, 13. Juli 1951. 116 Vgl. Kießling, Partner im „Narrenparadies“, S. 14–20.

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Amt für Information nur politisch zuverlässige Mitarbeiter beschäftigt seien, musste aber gestehen, dass er den Diebstahl von Westgeld durch einen Beschäftigten nicht verhindern konnte. Doch sei die betreffende Person gefasst und verhaftet worden. Zuletzt ging es um die Idee Paul Merkers, im Exil ein gesamtamerikanisches Komitee Freies Deutschland zu gründen. Eisler habe dies zurückgewiesen und betont, die Leitung der Bewegung Freies Deutschland sei in Moskau, nirgendwo sonst. Dass Max Bedacht, nach dem er ebenfalls gefragt wurde, in Verbindung zu Merker stand, habe er nicht gewusst. Mit Earl Browder habe er „aus Gründen der Sicherheit“ nur noch wenig zu tun gehabt. Als dieser den gescheiterten Versuch machte, die KP der USA formell aufzulösen und als breite linke Bewegung weiterzuführen, sei er dagegen gewesen und habe dies Browder sagen wollen. Doch sei es zu keinem Gespräch mit Browder mehr gekommen.117 Damit gab sich die ZPKK vorerst zufrieden. Am 5. November 1951 wurde die Überprüfung Gerhart Eislers mit der Aushändigung des neuen SED-Mitgliedsbuches Nummer 0.000.109 abgeschlossen. Die niedrige Mitgliedsnummer war ein äußerliches Zeichen des Vertrauens, das der Parteiapparat in seinen Funktionär setzte.118 Doch nur reichlich drei Wochen später, am 13. Dezember, sandte der Leiter der Informationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland einen Geheimbericht über die Ergebnisse der Parteiüberprüfung nach Moskau. Diese Ergebnisse seien keineswegs durchgängig zufriedenstellend. Nach dem Abschluss der Überprüfungen habe sich gezeigt, „dass in der Partei nicht nur fremde Elemente, sondern auch eindeutige Feinde des demokratischen Aufbaus der DDR und der Politik der SED verblieben waren.“ So beließ die Überprüfungskommission „auch den Bruder der Trotzkistin Ruth Fischer, Gerhart Eisler, in der SED, der früher als Angehöriger verschiedener trotzkistischer Organisationen bekannt war.“119 Dies stimmte nicht, bedeutete aber für Eisler die höchste Gefahr. Nun begann ein Katz-und-Maus-Spiel. Mit Beginn des Jahres 1952 häufte sich dann in der DDR-Presse die Kritik am Amt für Information, ohne dass jedoch der Name

117 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, ZPKK, Bl. 87–96: Protokoll. Genosse Gerhart Eisler, Leiter des Amtes für Information, 23. Juli 1951. 118 Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 225. 119 Schriftlicher Bericht der Ergebnisse bei der Überprüfung der Mitglieder und Kandidaten der SED und beim Umtausch der Parteidokumente, in: Weber/Mählert (Hg.), Terror, S. 344 f.

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seines Leiters fiel.120 Es war vor allem Wladimir Semjonow, nunmehriger sowjetischer Hochkommissar und somit der eigentliche starke Mann in der DDR, der Gerhart Eisler misstraute. Semjonow bedrängte Ende 1952 Rudolf Herrnstadt, der als Sowjetunion-Remgrant einen guten „Draht“ zu ihm hatte, ihm belastendes Material zu übergeben, das in einem eventuellen Prozess gegen Eisler verwendet werden könne. Zu Semjonows Unzufriedenheit gab ihm Herrnstadt jedoch kein entsprechendes Material.121 Die Gerüchte blieben jedoch im Raum stehen und fanden ihren Weg bis nach New York zu Ruth Fischer. Bereits im Mai 1952 schrieb diese ihrem Londoner Freund Heinrich Hellmann, sie habe von einem Gewährsmann erfahren, dass sich Gerhart Eisler in den Westen absetzen wolle. Doch wolle er nicht amerikanische oder britische Dienste in Anspruch nehmen, seien diese doch „so mit GPU-Agenten infiltriert, dass das für ihn unsicher sei.“ Sie halte die Geschichte jedoch für falsch oder für eine Provokation der sowjetischen Seite.122 Zum Jahresende 1952 wurde das Amt für Information aufgelöst. Gerhart Eisler fand sich plötzlich ohne Beschäftigung, da er – aus nicht nachweisbaren Gründen – auch seine Professur an der Universität Leipzig nicht ausüben konnte. Der Öffentlichkeit und auch den Parteikontrollorganen blieb verborgen, dass er finanzielle Unterstützung durch Walter Ulbricht erhielt. Regelmäßig erschien ein Bote in Eislers Wohnung mit einem Honorar für journalistische Aufträge, die der „Ghostwriter“ für den Parteichef erledigte.123 Ulbricht wollte Eisler offenkundig aus der sowjetischen „Schusslinie“ nehmen. Dabei mag auch das Kalkül eine Rolle gespielt haben, dass es in Deutschland unmöglich war, einen Juden (oder, in Eislers Fall, einen sogenannten „Halbjuden“) als Kandidaten eines Schauprozesses 120 So hieß es in einem Artikel der Täglichen Rundschau am 7. September 1952, das Amt für Information habe es nicht verstanden, seine Arbeit auf das von Genossen Walter Ulbricht geforderte Niveau zu heben. Zit. n. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 226. Die Erwähnung von Ulbrichts Namen in diesem Zusammenhang verdeutlichte die Schwere der Kritik. 121 Vgl. Rudolf Herrnstadt an W. S. Semjonow, Auszug aus einem Schreiben vom 28. November 1952, abgedruckt in: Nadja Stulz-Herrnstadt (Hg.), Das Herrnstadt-Dokument. Das Politbüro der SED und die Geschichte des 17. Juni 1953, Reinbek 1990, S. 273. Herrnstadt war Politbüromitglied und Chefredakteur des Neuen Deutschland, bis er 1953 als Kritiker Ulbrichts alle Funktionen verlor. 122 Houghton Library, Harvard University Cambridge (Massachusetts): bmS Ger 204: Ruth Fischer Papers, Mappe Nr. 1429, Bl. 139: Ruth Fischer an Heinrich Hellmann, Brief vom 6. Mai 1952. 123 Dies nach einer Mitteilung von Eislers damaligem Mitarbeiter Kurt Goldstein vom 8. September 2006 an Ronald Friedmann. Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 251.

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auszuwählen und dass mit der Inhaftierung Merkers Stalins und Berijas Wünschen genug Rechnung getragen sei. Doch anders als Merker, den Ulbricht stets als Rivalen sah, war dies bei Eisler nicht der Fall. Ulbricht wusste um die Loyalität seines Parteimannes. Als Gerhart Eisler Ende 1952 als Leiter des Amtes für Information abgesetzt wurde, mutmaßte die Washington Post, dabei werde es nicht bleiben. Seine Verhaftung sei nur noch eine Frage der Zeit.124 Der Telegraf, eine Westberliner Zeitung, behauptete am 15. Februar 1953 reißerisch, dass „Pankows ehemaliger Informationschef“ bereits geflüchtet sei und die Amerikaner nach ihm fahnden würden. Am nächsten Tag wiederholten andere westliche Zeitungen diese Falschmeldung.125 Kurz zuvor aber hatte das Politbüro Staatssicherheitschef Wilhelm Zaisser mit einer Untersuchung über Eislers Verbindungen in den Westen beauftragt.126 Ruth Fischer sah zwar eine Chance, Gerhart Eisler zu sehen, sollte an den Gerüchten über dessen Fluchtpläne doch etwas dran sein, machte sich aber keine großen Hoffnungen. Im März 1953 teilte sie dem State Department und dem Pond-Geheimdienst127 mit, sie bleibe über Hellmann mit britischen Stellen in Verbindung, da, sollte Eisler fliehen, „er sich nach England wenden wird, und mit Hilfe dieser zuständigen Behörden wird er nach London gelangen. Allerdings werde ich davon wohl erst erfahren, wenn alles bereits zu einem positiven Abschluss gekommen ist. Wenn das alles geschieht, so bin ich sicher, werde ich Eisler treffen können, vielleicht noch nicht in den ersten Tagen nach seiner Ankunft, doch ohne Frage sehr bald danach. Ich höre allerdings aus London, dass angesichts

124 Eisler Ousted as East German Propagandist, in: Washington Post, 30. Dezember 1952. 125 Telegraf, 15. Februar 1953, zit. n. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 232. 126 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30 J IV 2/2/61: Sitzung des Politbüros am 10. Februar 1953, so in: Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 232. Vgl. Klein, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“, S. 160. 127 Der (inoffiziell so genannte) Pond-Geheimdienst war eine unter Leitung von Jean Grombach vom US-Militärgeheimdienst stehende Organisation, für die auch Ruth Fischer tätig war. „The Pond“ bestand von 1942 bis 1955. Vgl. Mark Stout, The Pond: Running Agents for State, War, and the CIA, in: Studies in Intelligence 48, 2004, Nr. 3, S. 69–82, und Christian Salazar/Randy Herschaft, Before the CIA, There Was the Pond. Associated Press, 29. Juli 2010, http://www.nbcnews.com/id/38470605/ns/us_newssecurity/t/cia-there-was-pond/#.Wc-lIBNSzVo. Vgl. weiterhin Keßler, Ruth Fischer, S. 513–516.

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der derzeitigen öffentlichen Aufmerksamkeit die Chancen dafür, dass eine solche Flucht vorbereitet werden kann, im Augenblick eher gering sind.“128 Doch paradoxerweise rettete Gerhart Eisler wohl gerade die Publicity im westlichen Blätterwald. Durch Repressalien gegen ihn hätten die SED-Spitze und ihre Moskauer Schutzherren sich selbst einer zu wichtigen Propagandafigur im Kalten Krieg beraubt.129 Für den 16. Februar 1953 wurde er als Redner bei einer Großveranstaltung in Ostberlin angekündigt; damit konnte er hoffen, dass sich die Gefahrenwolken um sein Haupt verflüchtigen würden.130 Das „Versagen“ der KPD in Frankreich 1939 wurde nun dem ranghöchsten KPD-Politiker, der damals im Lande war, in die Schuhe geschoben: Franz Dahlem. Auch ihn sah Ulbricht, wie vorher den entmachteten und eingesperrten Merker, als potenziellen Rivalen im Kampf um die Parteispitze, sollte er, Ulbricht, je Schwäche zeigen. Er benutzte das noch immer wirksame sowjetische Misstrauen gegen „Westemigranten“, um Dahlem im Frühjahr 1953 aus dem Politbüro zu verbannen und ihn auf den relativ untergeordneten Posten eines Stellvertretenden Staatssekretärs für Hochschulwesen abzuschieben.131 Doch war der aus der SED-Spitze verdrängte Dahlem wohl kein Kandidat für einen „Säuberungs“-Prozess mehr – denn mit dem 5. März 1953, dem Tag, an dem Stalin starb, wurden die Karten neu gemischt. „Offensichtlich“, so der Historiker Thomas Klein, war nun „der Zeitpunkt verpasst, wo ein solches Unterfangen politisch zweckvoll gewesen wäre“ – nämlich die Inszenierung eines Prozesses, zu dessen möglichen Angeklagten ein „Westemigrant“ wie Gerhart Eisler gepasst hätte.132 Dabei waren die Dinge in Moskau politisch noch in der Schwebe, als Gerhart Eisler am 27. März 1953 erneut zur ZPKK vorgeladen wurde. Er wiederholte noch 128 Ruth Fischer Papers, Mappe Nr. 2073, Bl. 29: Note on Gerhart Eisler, March 10, 1953, auch in: Ruth Fischer/Arkadij Maslow, Abtrünnig wider Willen. Aus Reden und Manuskripten des Exils, hg. von Peter Lübbe, München 1990, S. 498. 129 Gerhart Eisler sei „ein Symbol geworden“, sagte Albert Norden am 5. Juli 1948 auf einer Kundgebung in Berlin, „ein Symbol für die Verfolgung aller fortschrittlichen Elemente der amerikanischen Gesellschaft.“ Albert Norden, Freiheit für Gerhart Eisler!, in: Ders., Fünf Jahrzehnte im Dienst seiner Klasse. Ausgewählte Aufsätze und Reden 1922–1974, Berlin [DDR] 1984, S. 124. 130 Vgl. BZ am Abend, 16. Februar 1953, nach Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 232. Vgl. auch Prof. Eisler Given a Second Chance, in: The Daily Telegraph [London], 19. Februar 1953. 131 Vgl. zum „Fall Dahlem“ Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949– 1963: Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZKApparat, Münster 2003, S. 188 ff. 132 Klein, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“, S. 256.

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einmal, was er schon am 23. Juli 1951 über seine Zeit in Frankreich und den USA gesagt hatte. Doch hakten diesmal die Befrager beim Namen André Simone nach, der bereits in Prag gehenkt worden war. Ob Simone mit dem vielen Geld etwas zu tun hatte, über welches Franz Dahlem und Siegfried Rädel in Frankreich verfügten? Damit habe er nichts zu tun gehabt, alles Geld, das er erhalten habe, sei ihm vom Barsky-Komitee zur Verfügung gestellt worden, damit er seine Schiffskarte nach Übersee bezahlen könne. Eisler räumte ein, dass möglicherweise ein Teil des Geldes von Noel Field aufgebracht worden sei, er wisse dies aber nicht. Lex Ende und Willi Kreikemeyer hätten in Marseille in der Tat über viel Geld verfügt, doch den anderen davon fast nichts abgegeben. Die mexikanischen Einreisevisen seien ordnungsgemäß vom mexikanischen Konsulat in Marseille ausgefertigt worden. Auch zu Paul Merker wurde Eisler befragt. Sie seien vor 1933 keine politischen Freunde gewesen, hätten auch in den USA nichts miteinander zu tun gehabt, da Eisler 1933 dort ankam, als Merker bereits das Land verlassen hatte. Merkers Idee, die Bewegung Freies Deutschland auf dem amerikanischen Kontinent zusammenzufassen, habe er, Eisler, nie gebilligt, wiederholte er. Offenbar glaubte Merker, als einziges Politbüromitglied auf dem amerikanischen Kontinent gegenüber den Genossen so handeln zu müssen. Eine Frage zielte auf Merkers Haltung zum Zionismus. „Ich hatte nie Zweifel darüber gehabt“, so Eisler, „dass Merker sich in dieser Frage mit den Juden stark liierte. In Mexiko gab es viele jüdische Emigranten, insbesondere Wirtschaftsemigranten, und darunter war natürlich viel Gesocks. Die Genossen holten nun vieles aus Mexiko heraus an Gold usw. Aber man musste sich fragen, woher holen sie es. Mexiko ist an und für sich ein sehr armes Land, kann also nichts geben, von wo kam es also? Von den jüdischen Emigranten. Damit sie aber mit dem Geld rausrückten, musste man sie natürlicherweise ideologisch etwas kitzeln. Man kann hier von einem ganz ordinären Opportunismus sprechen, wie das gemacht wurde. Es wurden ihnen Versprechungen gemacht, betr. Wiedergutmachung später in Deutschland usw. Und das ging von Merker aus.“ Mit dem Inhalt und der Wortwahl von Eislers Antwort war die ZPKK zufrieden.133 Sie beauftragte ihn allerdings, einen weiteren Bericht mit allen Details seiner Arbeit in den USA zu liefern. Eisler reichte diesen Bericht am 16. April 1953 bei der ZPKK ein. Gegenüber dem bereits Gesagten lieferte er mehr Einzelheiten über seine Arbeit zu hochrangigen Komintern-Funktionären: So schrieb er, vor seiner Abreise aus Moskau nach dem Ende des 7. Komintern-Kongresses habe ihm Georgi Dimitrov genaue Anweisungen erteilt, wie die Beschlüsse des Kongresses in der KP der USA umgesetzt werden sollten. Vor allem sollte Eisler, worauf ihn 133 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 1–20: ZPKK, Befragung des Genossen Gerhart Eisler, 27. März 1953, Zitat S. 13.

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Otto Kuusinen hinwies, ausgleichend zwischen William Z. Foster und Earl Browder wirken, deren politische und persönliche Differenzen bis hin zu einer Spaltung der Partei führen könnten. Eisler berichtete auch über Kontakte in Los Angeles zu dort ansässigen japanischen Genossen. Er lieferte Informationen über seine Pressearbeit in Frankreich und seine Tätigkeit beim Rundfunksender 29,8 in Spanien während des Bürgerkrieges, ließ aber Zweifel durchblicken, ob André Simone nach Willi Münzenbergs Ausschluss aus der KPD wirklich mit diesem gebrochen habe (was aber der Fall war). Im Internierungslager Le Vernet habe sich „besonders Genosse Franz Dahlem, der an der Spitze unserer Organisation stand, mutig und umsichtig“ verhalten. Im Gegensatz zu ihm sei Paul Merker „äußerst passiv“ gewesen. In New York habe er sich, wie beauftragt, ab 1941 von den inneren Angelegenheiten der amerikanischen KP ferngehalten, obgleich er in der KP-Presse publiziert habe. Alles Weitere im Bericht waren Wiederholungen früherer Stellungnahmen.134 In Zukunft sollte sich die Aufmerksamkeit der sowjetischen und DDR-Stellen von Gerhart Eisler abwenden. Drei Jahre lang durfte er keine Parteifunktion wahrnehmen und war damit aus dem innersten Machtzirkel der SED ein für allemal ausgeschlossen, doch forderte niemand seinen Kopf. Er wurde in der neu gegründeten Wochenpost, einer Zeitung mit Massenauflage, für den außenpolitischen Bereich zuständig.135 Gerhart Eisler hatte erneut Glück gehabt: Wie in den USA war er einem konstruierten Komplott entkommen. Der Aufstand des 17. Juni 1953 ließ in der SEDFührung dann andere Kontroversen aufbrechen: In Politbüromitglied Rudolf Herrnstadt und dem Chef der Staatssicherheit Wilhelm Zaisser erwuchs Ulbricht eine wirkliche Opposition, die seinen Sturz anstrebte. Der Fall ihres sowjetischen Protektors Lawrentii Berija rettete Ulbricht jedoch.136 Auch eine zweite, 1957 134 Ebd., Bl. 22–55: Bericht von Gerhart Eisler, 16. April 1953, Zitate S. 33 f. – Im Gegensatz zu ihrem Mann scheint Hilde Eisler von der ZPKK nicht weiter bedrängt worden zu sein: Die ZPKK forderte einen Lebenslauf von ihr an, in dem Hilde Eisler über ihre politische Tätigkeit Rechenschaft ablegen sollte Sie reichte den (undatierten) Lebenslauf, der der ZPKK-Akte ihres Mannes zugeordnet wurde, ein; vgl. ebd., Bl. 69. 135 Vgl. Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 251. – Im Oktober 1953 schrieb Ruth Fischer ihrem alten Berliner Freund Karl Menges, der damals Altaistik an der New Yorker Columbia University unterrichtete, dass es über die Eislers „immer wieder die dümmsten Zeitungsgeschichten“ im Westen gebe. „Die letzten waren sogar in Verbindung mit Berija, wobei man zuletzt nicht mehr wusste, ob Gerhart Eisler Berija ist oder Berija Gerhart Eisler.“ Ruth Fischer Papers, Mappe Nr. 1676, Bl. 8: Ruth Fischer an Karl Menges, Brief vom 11. Oktober 1953. 136 Vgl. Helmut Müller-Enbergs, Der Fall Rudolf Herrnstadt. Tauwetterpolitik vor dem 17. Juni, Berlin 1991 (die Erwähnung Gerhart Eislers auf S. 190 wird jedoch durch einen

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gegen ihn entstehende Opposition um Karl Schirdewan und Zaissers Nachfolger Ernst Wollweber konnte Ulbricht zerschlagen. Dabei konnte sich der SED-Chef Gerhart Eislers bedingungsloser Unterstützung immer sicher sein. Dieser zeigte am 17. Juni 1953 Mut, als viele Parteiobere die sichere Deckung vorzogen. Es wird berichtet, er habe sich an eine Gruppe streikender Arbeiter mit den Worten gewandt: „Ich bin Gerhart Eisler. Worüber müssen wir reden?“137 Am 27. September 1955 wandte sich Eisler an Walter Ulbricht und Hermann Matern. Er sei es leid, schrieb er, sich weiter „als Genosse zweiter Klasse behandeln zu lassen.“ Die seinerzeitige Untersuchung gegen ihn sehe er als „Methode der Provokation“, die „ein Interesse daran hat, alte Genossen als amerikanische oder andere Agenten zu diffamieren.“ Er hoffe, die Genossen verstünden seine offene Sprache. „Die Geduld und Disziplin eines alten Kommunisten können nicht darin bestehen, viele Jahre hindurch, ohne Hoffnung auf ein Ende, Schindluder mit sich treiben zu lassen.“138 Am 1. November 1955 schrieb Albert Norden, inzwischen ZK-Mitglied und Leiter der ZK-Agitationskommission, an Ulbricht, nach gemeinsamer Rücksprache mit Hermann Matern sei es nun an der Zeit, eine Entscheidung über die weitere Verwendung Gerhart Eislers zu fällen. Seine Stärke liege auf agitatorischem Gebiet. „Am wirkungsvollsten würde sich die Arbeit des Genossen Eisler [...] gestalten, wenn er im Kollegium des Staatlichen Rundfunkkomitees eingegliedert wird. Einerseits versprechen wir uns von seiner Tätigkeit, dass er dort seine Fähigkeiten zur Geltung bringen und helfen würde, die routinemäßige Erstarrung in der Rundfunkleitung aufzulockern. Zum anderen sind die Genossen im Kollegium des Rundfunkkomitees stark genug, um etwa befürchtete Überspitzungen und Husarenritte des Genossen Eisler zu verhindern.“139 Mit Jahresbeginn 1956 nahm Gerhart Eisler seine Arbeit als Mitglied des Staatlichen Rundfunkkomitees beim Ministerrat der DDR auf. Am 27. Januar 1957 wurde er Stellvertretender Vorsitzender des Komitees, am 22. März 1962 übernahm er als Nachfolger Hermann Leys den Vorsitz. Als bissiger Rundfunk-

Druckfehler – 1938 statt richtig 1928 – dem Sinn nach entstellt); Andrea Görldt, Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser. Ihre Konflikte in der SED-Führung im Kontext innerparteilicher Machtsicherung und sowjetischer Deutschlandpolitik, Frankfurt a. M. 2002. 137 Dies nach Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 237, der den von ihm interviewten Zeitzeugen Peter Spacek zitiert. 138 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/155, Bl. 85: ZPKK, Brief Eislers an Ulbricht und Matern, 27. September 1955. 139 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 749, Bl. 49: ZPKK, [Bestand] Gerhart Eisler, Hausmitteilung Albert Nordens an Walter Ulbricht, 1. November 1955.

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kommentator wurde er in der DDR bekannt, aber keineswegs durchweg beliebt. Da die meisten seiner Kommentare in dem auch für westdeutsche Hörer bestimmten Deutschlandsender erschienen, nahm auch die Öffentlichkeit der Bundesrepublik von ihm teilweise Notiz. Dabei vermied es Eisler weitestgehend, an seine Zeit in den USA zu erinnern. Ein Thema kehrte jedoch in seinen Kommentaren immer wieder: die Behauptung, in der DDR gebe es keine reaktionären Parteien wie in den USA oder in Westdeutschland, und somit verkörperten die nach freier Aussprache auf die Einheitsliste gesetzten Kandidaten zur DDR-Volkskammer oder zu den regionalen Parlamenten hundertmal mehr den Volkswillen als im Kapitalismus. Und noch etwas käme hinzu: „Wenn ein gewählter Abgeordneter seine Wahlversprechen nicht einhält, sich so benimmt, dass er den Interessen seiner Wähler zuwiderhandelt, dann können die Wähler ihn abberufen.“140 Ob Eisler viele seiner Zuhörer damit überzeugen konnte, sei dahingestellt. Er, dem eigene Lebensbrüche und dramatische Wendungen der kommunistischen Parteien nicht unvertraut waren, hielt daran fest, die DDR bewege sich im Einklang mit den Gesetzen der Gesellschaftsentwicklung hin zum entfalteten Sozialismus und zum Kommunismus. „Auf der Hauptstraße der Weltgeschichte“ war einer seiner späten Artikel betitelt.141 Dass die Hauptstraße in der Sackgasse enden könne, vermochte er sich so wenig vorzustellen wie wohl alle seine Freunde und Gegner. Man könne Menschen wie den Eisler-Brüdern kaum vorwerfen, schrieb Eric Hobsbawm, „sich viele Illusionen über die Realität des Kominternkommunismus, der Sowjetunion oder gar der DDR gemacht zu haben. Sie blieben dort, kontrolliert und schikaniert von einer rigiden politischen Hierarchie, bei der sie von Zeit zu Zeit von Rivalen und ehrgeizigen Jüngeren denunziert wurden, ständig unter Beobachtung, selbst während sie öffentlich geehrt wurden, vom größten dauerhaften Polizeiapparat, der je in einem modernen Staat tätig war, der Stasi. Aber sie blieben.“142 Für Gerhart Eisler, der um die verwickelten Spielregeln im deutschen und internationalen Kommunismus Bescheid wusste wie kaum ein anderer, ging es dabei wieder aufwärts: Der VII. SED-Parteitag wählte ihn im April 1967 zum 140 Gerhart Eisler, Was bei uns nicht erlaubt ist. Kommentar des Deutschlandsenders, 7. Juni 1957, in: Ders., Auf der Hauptstraße der Weltgeschichte. Artikel, Reden und Kommentare 1956–1968. Mit einem Nachwort von Hilde Eisler, Berlin [DDR] 1981, S. 50. 141 Gerhart Eisler, Auf der Hauptstraße der Weltgeschichte, in: Berliner Zeitung, 8. November 1967; Wiederabdruck in: Ders., Auf der Hauptstraße der Weltgeschichte, S. 363–365. 142 Eric Hobsbawm, Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Udo Rennert, München/Leipzig 2003, S. 177.

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Mitglied des ZK. Der rastlose Publizist starb am 21. März 1968 auf einer Dienstreise in Jerewan. Nie kommentierte Gerhart Eisler öffentlich den erneuten politischen Wandel seiner Schwester Ruth Fischer, die sich besonders nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 von ihrem Antikommunismus löste und zuletzt ihre Kampagne gegen ihre Brüder bitter bereute. Sie hoffte in ihren späten Lebensjahren auf eine Reform der Sowjetunion auf kommunistischer, doch nichtstalinistischer Grundlage, wie auch ihre letzten Veröffentlichungen zeigten. Ihr sehnlicher Wunsch nach Aussöhnung mit ihren Brüdern ging jedoch nicht in Erfüllung: Nur ihr Neffe Georg Eisler, Hanns Eislers Sohn, der aus englischem Exil nach Wien zurückgekehrt war und dort eine erfolgreiche Laufbahn als Maler einschlug, hielt zu Ruth Fischer den Kontakt. Er ließ sie wissen, dass Hanns und Gerhart Eisler über ihre politische Neuorientierung informiert seien, dass aber ein Treffen unter den gegenwärtigen Umständen nicht möglich sei. Ruth Fischer, die 1961 in Paris starb, sah ihre Brüder nie wieder. In der DDR blieb sie offiziell eine Unperson.143 Doch die Gestalt der Schwester sollte Gerhart Eisler auch weiterhin „wie ein dunkler Schatten“ begleiten. „Aber“, erinnerte sich Jürgen Kuczynski, „als die Partei so doktrinär und stalinistisch wurde, wurde er nicht stalinistisch, sondern müde.“ Er hörte auf, der „frische und fröhliche Gerhart zu sein“, als der ihn Kuczynski zwanzig Jahre vorher kennengelernt hatte.144 Bei der Beerdigung seines alten Freundes Arthur Ewert würdigte Gerhart Eisler 1959 dessen Schwester Minna warmherzig als „treueste aller Schwestern“, und wünschte sich wohl, er hätte eine solche Schwester gehabt.145 Auch über andere Dinge wahrte der erfahrene Parteifunktionär Stillschweigen – so sehr, dass auch die Staatsicherheit nur wenig für sie Wichtiges herausfinden konnte.146 Es mag Gerhart Eisler oft aufgestoßen sein, ohne dass er ein Sterbens143 Vgl. hierzu ausführlich Keßler, Ruth Fischer, Kap. 8 und 9, S. 525–619. 144 Jürgen Kuczynski, Freunde und gute Bekannte. Gespräche mit Thomas Grimm, Berlin 1997, S. 154. 145 SAPMO-BArch, NY 4117/22, Bl. 219: Bestand Gerhart Eisler, Trauerrede für Arthur Ewert am 9. Juli 1959. Vgl. dazu Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 201. 146 Eine undatierte MfS-Mitteilung hielt fest, die Beobachtung Gerhart Eislers sei lediglich noch im Zusammenhang „mit der früheren Ehefrau, jetzt Massing, Hede (geb. Tune)“ von Interesse. Vgl. BStU, ZA, HA IX/11, SV 1/84, Bd. 1, Bl. 000011. Vgl. auch die Vermerke zu Hede Massing, ebd., Bl. 000220-000227. „Hede M. war Mitarbeiterin des sowjetischen ND [Nachrichtendienstes]. Sie soll in den USA ein kleineres Netz geleitet haben. Sie hat Verrat begangen, wahrscheinlich Ende der 40er Jahre.“ (Mitteilung vom 17. Juni 1967, in: ebd., Bl. 000250. – Der soeben aus dem Parteivorstand der SED entlassene Alexander Abusch, der um seinen Wiederaufstieg bemüht war, verpflichtete sich im März 1951 dem MfS gegenüber als einer der ersten Geheimen Informatoren (GI) und suchte unter ande-

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wörtchen darüber öffentlich verlor, wie ähnlich das Mittel der Denunziation damals in den USA und in der DDR gehandhabt wurde. Die geforderte Loyalität zum jeweils eigenen System wurde hier wie dort, in den USA wie der DDR, zur Glaubensfrage stilisiert, von deren richtiger Beantwortung das politische Überleben abhing. Die Verpflichtung auf das eigene System wurde in einer Sprache gefordert, deren Schlagworte jede Diskussion ausschlossen. Der Bürger oder Genosse wurde Kontrollkommissionen und Ausschüssen unterworfen, die denunziatorisches Verhalten abforderten und die Verweigerung der Kollaboration politisch, moralisch und juristisch brandmarkten. Hinzu kam die freiwillige oder halb freiwillige Bereitschaft von Bürgern oder Genossen, den „Sündenbock“ weiter oder in vorauseilendem Gehorsam zu belasten. Hier fallen natürlich auch die Unterschiede zwischen beiden Gesellschaften ins Auge, wurde doch die Denunziation als Zeichen der „Klassenwachsamkeit“ in der (frühen) DDR, was Ausmaß und Intensität betrifft, viel weiter getrieben als in den USA, deren Öffentlichkeit, anders als die DDR in ihrer ganzen Existenz, letztlich zur Selbstkritik fand – mochte diese Selbstkritik auch sehr spät kommen. Sie führte immerhin zur Freigabe wesentlicher Teile der FBI-Akten, wovon auch diese Arbeit profitiert hat. In der DDR führte erst die Beseitigung des politischen Systems zur Öffnung der Akten von Parteiapparat und Staatssicherheit.147 Die Rehabilitierung der in der Field-Kampagne Verfemten vollzog sich, solange die SED-Führung das politische Handeln bestimmte, bestenfalls lautlos. Am 19. Juni 1956 erklärte ausgerechnet Walter Ulbricht als Vorsitzender der Kommission, die die seinerzeitigen Parteiausschlüsse überprüfte, vor dem Politbüro: „Bei der Aufhebung von Ausschlüssen und Streichungen ließ sich die Kommission in jedem Fall davon leiten, wie sich die Betreffenden in der Zeit nach 1945 verhalten haben. Von diesen Erwägungen ausgehend wurden z. B. bei Wieland Herzfelde (KPD seit 1918), Gertrud Herzfelde (KPD seit 1924), Lisa Kirbach (SPD vor 1933) die Streichungen bzw. Ausschlüsse wegen Verbindungen zu Noel und

rem Hanns und Lou Eisler auszuspionieren – mit geringem Erfolg. Vgl. Joachim Walther, Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1996, S. 563, unter Bezugnahme auf: BStU, ZA, AIM [Archivierter IM-Vorgang] 5079/56, Bd. I/1. Diese in der BStU-Außenstelle Dresden archivierte Akte ist derzeit nicht benutzbar. 147 Vgl. zu diesem Problem die interessanten Überlegungen von Olaf Stieglitz, Sprachen der Wachsamkeit: Loyalitätskontrolle und Denunziation in der DDR und in den USA bis Mitte der 1950er Jahre, in: Historical Social Research 26, 2001, Nr. 2/3, S. 119–135.

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Hermann Field während der Emigration in Frankreich und Amerika aufgehoben.“148 Am 12. Juli 1956 durfte auch Jacob Walcher in der Parteizentrale sein Mitgliedsbuch wieder in Empfang nehmen. Es datierte die Mitgliedschaft aber nur vom Jahr 1947, dem Jahr seines Eintritts in die SED, an. Seine Jahre in der KPD waren ihrem Mitbegründer wegen seiner Zeit in der KPO und der SAP gestrichen worden. Erst am 21. Februar 1962 erhielt Walcher durch ZK-Beschluss ein Parteidokument ausgehändigt, das ihn seit 1906 – dem Jahr des Eintritts in die SPD – als Mitglied der Partei der Arbeiterklasse führte.149 Die Rehabilitierungen wurden nur parteiintern vollzogen. Einzig Paul Merker, soeben aus dem Gefängnis entlassen, forderte eine öffentliche Rehabilitierung und Entschuldigung der Partei.150 Sie wurde ihm verweigert. Doch anders als Merker und seine Exilgenossen aus Mexiko, wurde keiner der USA-Rückkehrer verhaftet. Für sie blieben somit die „Säuberungs“-Kampagnen ohne letzte Konsequenz. Doch war jeder Gedanke an eine demokratisch-pluralistische Ordnung, die ihnen im Exil noch vorgeschwebt haben mag, aus ihrer Vorstellungswelt verbannt. Die „Säuberung“ hatte somit ein wichtiges Ziel erreicht.

148 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/202/9, ZPKK: Bericht über die Tätigkeit der Kommission des ZK zur Überprüfung von Angelegenheiten von Parteimitgliedern, 12. Juni 1956, zit. n. Klein, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“, S. 276. 149 Vgl. Stock/Walcher, Jacob Walcher, S. 181 f. 150 Vgl. Keßler, Die SED und die Juden, S. 98 f.

VII. Zwischen Teilhabe und Flucht. Die „Amerikaner“ in der DDR

All lies and jests, Still a man hears what he wants to hear And disregards the rest (Simon & Garfunkel: The Boxer)

„In der Nachkriegszeit standen Amerikanisierung und Sowjetisierung als Chiffren für einen Neubeginn unter ideologisch entgegengesetzten Vorzeichen“, heißt es in einer vergleichenden Studie. „Zum einen wurde die Akzeptanz amerikanischer oder sowjetischer Einflüsse von den Besatzungsmächten durch Entnazifizierung, Umerziehung und mannigfaltige politische, wirtschaftliche, institutionelle und kulturelle Maßnahmen erzwungen; zum anderen beruhte sie darauf, dass schuldbeladene Deutsche vor ihrer eigenen unerträglich gewordenen Vergangenheit fliehen wollten und sich selbst amerikanisierten bzw. sowjetisierten. Bei der Übernahme neuer Leitbilder vermengten sich opportunistische Einschmeichelung bei den Siegern und idealistische Suche nach neuen Werten zu einem unentwirrbaren Gemisch.“1 Beide deutsche Staaten hatten die Absichten, Maßnahmen und Strategien ihrer wichtigsten bzw. alleinigen Vormacht in ihren politischen Aktionen in Rechnung zu stellen, beide wurden nach den Vorstellungen ihrer jeweiligen „Schutzmacht“ modelliert und in beiden Staaten hatten sich nationale Traditionen diesen Vorstellungen anzupassen. Für die USA-Rückkehrer wurde dies zu einer stärkeren Herausforderung, als ihnen zunächst bewusst sein konnte. Sie kamen in einen deutschen Teilstaat, der ein Gegenentwurf zum Westen mit seiner Führungsmacht war. Die DDR war und blieb in der Frontstellung des Kalten Krieges auf die Bundesrepublik als dem näher liegenden, vertrauten Gegner fixiert, doch spielte die ferne imperialistische 1

Konrad H. Jarausch/Hannes Siegrist, Amerikanisierung und Sowjetisierung. Eine vergleichende Fragestellung zur deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte, in: Diesn. (Hg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, Frankfurt a. M. 1997, S. 11 f. Die Literatur zur Amerikanisierung Westdeutschlands bzw. der Bundesrepublik ist überaus reichhaltig. Vgl. zur Einführung (mit umfangreichen Literaturhinweisen) Anselm Doering-Manteuffel, Amerikanisierung und Westernisierung, DocupediaZeitgeschichte, 18. Januar 2011, http://docupedia.de/zg/Amerikanisierung_und_Westernisierung? oldid=125786.

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Supermacht im Hintergrund stets eine Rolle. Um ihrer Sogwirkung, die durch Rundfunk- und Fernsehstationen noch im letzten Winkel der DDR spürbar war, etwas entgegenzusetzen, bedurfte es auch derer, die die USA aus eigenem Erleben kannten. Deren Erfahrungen aber waren von der übergroßen Masse der DDRBürger und auch des SED-Apparates nicht zu überprüfen. Konnte man diesen „Westemigranten“ bedingungslos glauben? Einmal mehr galt: Sie wurden beargwöhnt – doch nun auch benötigt.

Verordnete Amerikabilder? Die USA-Rückkehrer in der frühen DDR Neben den sich ausbreitenden elektronischen Medien blieben Zeitungen und Zeitschriften in den Nachkriegsjahrzehnten die wichtigste Informationsquelle. Zwar waren amerikanische Zeitschriften in der DDR unzugänglich, doch über die bis 1961 relativ leicht aus Westberlin einzuschmuggelnden deutschsprachigen Presseerzeugnisse konnte sich auch eine Leserschaft, die kein Englisch las, ein Bild über Vorgänge in den USA machen. Von Politkern abgesehen, bestimmten natürlich Schauspieler, Sänger und andere Unterhaltungskünstler sowie Sportler die Schlagzeilen westdeutscher Illustrierter. Gewerkschafter, Opfer politischer Verfolgung oder Opfer des Rassismus kamen selten vor, auch wenn sie nie ganz ignoriert wurden. Wie die Sowjetunion, führte auch die DDR in ihrer Ideologie und Propaganda alle sozialen Probleme in den USA auf den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit zurück. Dies war vom Ansatz her keineswegs falsch, doch das grobe stalinistische Weltbild der 1950er Jahre ließ kaum Raum für differenzierte Zugänge zur komplexen Wirklichkeit der USA, deren Konflikte sich oft in weit widersprüchlicherer Form äußerten. Was über die USA in der DDR offiziell gesagt oder gar geschrieben wurde, musste der binären Weltsicht Stalins Rechnung tragen. Eine solche Weltsicht entsprach keineswegs der marxistischen Denktradition, hatte doch kein anderer als Friedrich Engels 1890 eindringlich davor gewarnt, alle Widersprüche nur auf das Schema ökonomische Basis-gesellschaftlicher Überbau zu reduzieren, denn dies würde jede Analyse „in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase“ verwandeln.2 2

Es lohnt sich, das Zitat im Ganzen nachzulesen: „Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr [haben] weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig be-

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Der Zerfall der Anti-Hitler-Koalition nach dem Zweiten Weltkrieg und der Beginn des Kalten Krieges hatten auf beiden Seiten eine „Zwei-Lager-Theorie“ hochgezüchtet, wonach es nur die Unterscheidung zwischen Freund und Feind gebe und jede politische Äußerung nur nach diesem Schema zu bewerten sei. Weit stärker als ihr kapitalistischer Widerpart dehnte jedoch die Sowjetunion dies auch auf künstlerische und andere kulturelle Leistungen aus: Was nicht in das offizielle Weltbild passte, wurde dem Lager des Gegners zugeschlagen, aus dem es einfach nichts Positives zu vermelden gebe. Dabei stand die sowjetische und in ihrem Gefolge die DDR-Politik vor einem Dilemma: Das Thema „Amerika“, hier stets bezogen auf die USA, rief (und ruft) starke Emotionen hervor, die nicht immer in eine rationale Debatte zu fassen sind. Die Faszination, die die Einwanderergesellschaft der USA entfaltet, und die krassen Widersprüche, auf denen sie beruht, führt zu Urteilen, die, sofern sie negativ ausfallen, oft auch von der Abwehr einer Verführung geprägt waren und sind. So wurde der Antiamerikanismus zu einer Ideologie, die eine komplexe Wirklichkeit in einfach zu begreifende Schlagworte zu bringen suchte. Teile der Wirklichkeit wurden nach ideologischen Gesichtspunkten ausgewählt und für die Wirklichkeit selbst ausgegeben. Die im Sowjetmarxismus unter Einschluss der DDR vorherrschende Sicht auf die USA war dabei nicht nur genuin antikapitalistisch, sondern auch durch antimoderne Reflexe geprägt, standen doch die USA in ihrem Selbstverständnis für die westliche Moderne schlechthin. Allerdings war dies keine ureigene Spezifik der Sowjetunion oder der DDR: In den USA selbst waren antimoderne und antiliberale Ideologien weit verbreitet; vom damals noch vorherrschenden Rassismus in den Südstaaten ganz zu schweigen, der sich auch sozialdarwinistischer Denkmuster bediente.3 Zudem war der Antikommunismus in den USA durch eine vehemente Abwehr modernen sozialstaatlichen oder gar

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stimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus – politische Formen des Klassenkampfes und seine Resultate – Verfassungen, nach gewonnener Schlacht durch die siegende Klasse festgestellt usw. – Rechtsformen, und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren Weiterentwicklung zu Dogmensystemen, üben ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen deren Form.“ Friedrich Engels an Joseph Bloch in Königsberg, Brief vom 21. September 1890, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 37, Berlin [DDR] 1967, S. 463. Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu noch immer die herausragenden Werke von Richard Hofstadter, Social Darwinism in American Thought, Philadelphia/London 1944, Neuausgabe: Bosten 1992 (With a new introduction by Eric Foner), und ders., Anti-Intellectualism in American Life, New York 1963.

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sozialistischen Denkens bestimmt, die jede Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise als kommunistisch zu denunzieren suchte. Umgekehrt galt nur ein Parteigänger der UdSSR in sowjetischen Augen als ein „guter“ Amerikaner.4 Von dem Schwarz-Weiß-Denken frei hielt sich Hermann Duncker. „Völker und Staatsmänner müssen mehr das gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen“, betonte er kurz nach seiner Rückkehr. „Alle fortschrittlichen Menschen müssen auch gegen jede Unterdrückung von Minderheiten eintreten, es darf keinen Rassenhass, keine Herren und Knechte geben.“5 Dass die mahnenden Worte auch den eigenen Genossen galten, konnte vermuten, wer um das Schicksal von Hermann Dunckers Sohn Wolfgang wusste. Doch ausgerechnet Ernst Bloch verlieh dem Schwarz-Weiß-Denken im ersten Interview für das Neue Deutschland nach seiner Rückkehr die intellektuelle Weihe. „Ich komme gleichsam aus dem Lande Metternichs und der Heiligen Allianz. Früher nannte man es die Neue Welt, nun aber ist sie hier bei uns, die neue Welt“, erklärte er emphatisch im August 1949.6 In die gleiche Kerbe schlug Hermann Budzislawski in einer zweiteiligen Artikelserie in der Täglichen Rundschau über „Die Scheindemokratie des Westens.“ „Der USA-Kongress – Paradies der Volksbetrüger“ lautete die reißerische Überschrift des ersten Teils, in dem Budzislawski zwar konstatierte, dass der Kongress „nicht ausschließlich eine Schwatzbude“ sei, da der Präsident ihn „bei der Gesetzgebung und der Bewilligung von Geldern“ noch brauche. Doch sei die amerikanische Präsidialregierung durchaus mit dem „Hindenburg-Brüning-PapenSchleicher-Regime“ vergleichbar. Zudem verkörpere sie nicht den Volkswillen, wenn „die Neger7 – 10 Prozent des Volkes – von Wahlen ausgeschlossen werden: durch eine besondere Wahlsteuer, die sie nicht bezahlen können, und durch direkten Terror.“ Neben Vertretern der herrschenden Klasse wie Robert A. Taft oder Henry Cabot Lodge säßen in beiden Häusern des Kongresses vor allem von ihnen direkt Abhängige wie Immobilienmakler und besonders Rechtsanwälte. Ihnen zahle die Großindustrie horrende Bestechungssummen, um ihre Interessen gesetz-

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Vgl. auch Jan C. Behrends/Árpád von Klimó/Patrice G. Poutrus, Antiamerikanismus und die europäische Moderne. Zur Einleitung, in: Diesn. (Hg.), Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu Ost- und Westeuropa, Bonn 2005, S. 10–33. Willkommen nach langer Trennung. Erstes Gespräch mit Hermann Duncker, in: Neues Deutschland, 28. Mai 1947. Gleichsam aus dem Lande Metternichs gekommen. Ein Gespräch mit dem aus Amerika heimgekehrten Leipziger Philosophiedirektor Ernst Bloch, in: Neues Deutschland, 27. August 1949. Es sei betont, dass der Begriff „Neger“ damals noch keine negative Bedeutung hatte.

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lich abzusichern. Dies geschähe direkt oder durch Lobbygruppen, die gewissermaßen das „dritte Haus“ des Kongresses bildeten.8 Nicht viel anders sähe es im britischen Parlament aus, dem der zweite Teil von Budzislawskis Ausführungen galt. Es gebe jedoch einen Unterschied zu den USA, wo beide große Parteien direkte Interessenvertreter des Monopolkapitals seien: „Die Tories oder Konservativen sind die unmittelbare Vertretung des Großkapitals. Die Labour-Führer haben dagegen die Funktion kleinbürgerlicher Angestellter derselben Tories. Sie haben die Aufgabe, proletarische Wählermassen, vor allem die Mitglieder der Gewerkschaften, einzulullen und für die imperialistische Politik des englischen Monopolkapitals gefügig zu machen.“9 Von den gegen den Widerstand des Großkapitals durchgesetzten Sozialreformen der LabourRegierung war bei Budzislawski keine Rede. Maximilian Scheer behauptete, Präsident Truman habe vor allem durch Wahlbetrug den Weg an die Spitze geschafft.10 Dies war die Kalte-Kriegs-Atmosphäre, in der von März 1950 bis Dezember 1954 in der DDR die Monatszeitschrift USA in Wort und Bild erschien – das materialreichste Druckerzeugnis der DDR-Meinungsbildung über die USA. Rundfunk und Tagespresse unter Einschluss des Neuen Deutschland wiederholten nur in verknappter Form, was zuvor, zeitgleich oder kurz danach in dieser Zeitschrift erschien. USA in Wort und Bild war professionell aufgemacht; die großformatigen Pressefotos waren oft amerikanischen Zeitschriften wie Time oder Life entnommen. Chefredakteur war Georg Friedrich Alexan, seit dem gleichen Jahr Hauptreferent der Abteilung Presse im Amt für Information und dort auch Leiter der Unterabteilung USA und Imperialismus. Er war auch Chefredakteur der Rundfunksendung Die Wahrheit über Amerika. Deren Sendemanuskripte bildeten die Grundlage für ein Rundfunkbulletin sowie für die Artikel in USA in Wort und Bild, die teilweise mit Namensnennung der Autoren, teils ungezeichnet erschienen. Es ist anzunehmen, dass viele der ungezeichneten Beiträge aus Alexans Feder stammten. Bereits die erste Nummer gab auf der Titelseite die Stoßrichtung des Blattes vor. Unter der Überschrift „Geisteskrankheit als soziale Massenerscheinung“ hieß es: „Die statistische Abteilung des Gesundheitsamtes hat errechnet, dass jede 10. Person [in den USA] zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens psychiatrische Hilfe 8 9 10

Hermann Budzislawski, Die Scheindemokratie des Westens: I. Der USA-Kongress – Paradies der Volksbetrüger, in: Tägliche Rundschau, 10. Oktober 1950. Hermann Budzislawski, Die Scheindemokratie des Westens: II. Der parlamentarische Betrug am britischen Volk, in: ebd., 13. Oktober 1950. Maximilian Scheer, Zement, Krawalle und Atombomben. Der Weg des Harry S. Truman, in: Berliner Zeitung, 12. Februar 1951.

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in Anspruch nimmt. Jede 20. Person wird einen Teil ihres Lebens in einem Irrenhaus verbringen müssen.“ Derzeit seien eine Million Menschen als Geisteskranke in Behandlung (die Bevölkerung der USA betrug damals rund 150 Millionen).11 Dabei gebe es, so Gerhart Eisler, in den USA nicht einmal die so dringend nötige staatliche Krankenversicherung.12 In der Startnummer wurde unter der Rubrik „Wussten Sie schon?“ gefragt, wie viele amerikanische Schulkinder unterernährt sind. Die Antwort: 900 000. „Schätzungsweise zwei Millionen haben schlechte Augen, ungefähr 200 000 haben orthopädische Mängel, und mehr als 400 000 haben ernsthafte Sprachfehler.“13 Es war wichtig und richtig, die gravierenden Ungerechtigkeiten eines Gesundheitswesens aufzuzeigen, in dem der Geldbeutel das Niveau der ärztlichen Behandlung so stark bestimmte – doch es dabei zu belassen, die verbesserte Ernährungslage und die ansteigende Lebenserwartung von Millionen Amerikanern seit dem Zweiten Weltkrieg ganz zu ignorieren, zeigte auch: Alexans Zeitschrift zielte auf ein Feindbild ab, in dem der Gegner nicht nur politisch als rückständig, sondern auch psychosozial als krank dargestellt wurde.14 Ein Artikel berichtete unter der Zeile „Freies Wahlrecht“ Folgendes: „Einen starken Einfluss auf die Wahlbeteiligung übt auch die sogenannte Poll Tax aus. Das ist eine Wahlsteuer, die in den Südstaaten erhoben wird, wo der größte Teil der Bevölkerung aus Negern und armen Weißen besteht. Diese Kopfsteuer in den ehemaligen Sklavenstaaten muss jedes Jahr erneuert werden. Damit werden die Farmarbeiter und die Baumwollpflücker, dass heißt, die weißen und die schwarzen Neger, die den Großteil der Bevölkerung ausmachen und die kaum das Notwendigste verdienen, automatisch ihres Wahlrechts beraubt.“15 In einem historischen Vergleich suchte Alexan zu zeigen, dass den Präsidentenwahlen in den USA ausschließlich Manipulationen zugrunde lägen. So sei nach einer eidesstattlichen Erklärung eines Mitarbeiters des State Departments die Wahl Theodore Roosevelts 1904 von „einer Gruppe von sieben Männern planmäßig organisiert worden. Bei einer geheimen Zusammenkunft war alles bis ins Letzte geregelt, und selbst die Quoten der Geldbeträge, die jeder für den Wahlfonds zu bringen hatte, waren festgelegt worden.“ Theodore Roosevelts Kampagne 11 12 13 14

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Geisteskrankheit als soziale Massenerscheinung, in: USA in Wort und Bild, Heft 1/1950, S. 1. Gerhart Eisler, Der kranke Chauffeur, in: ebd., Heft 4/1953, Nr. 26. Wussten Sie schon?, in: ebd., Heft 1/März 1950, S. 5. Vgl. hierzu auch die allgemeinen Überlegungen bei Silke Satjukow/Rainer Gries, Feindbilder des Sozialismus. Eine theoretische Einführung, in: Diesn. (Hg.), Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus, Leipzig 2004, S. 13–70. Freies Wahlrecht, in: USA in Wort und Bild, Heft 1/1950, S. 21.

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sei von den Großbanken und Großkonzernen – J. P. Morgan, Rockefeller und dem Eisenbahnkönig Edward Harriman – bezahlt worden, wovon der Gegenkandidat Brooks Parker erst am Tag vor der Wahl erfahren habe.16 1932, so Alexan, habe das amerikanische Volk Franklin Delano Roosevelt seine Stimme gegeben, „aber die Wallstreet-Magnaten waren stärker. Es gelang ihnen, fast alle seine Reformvorschläge zu vereiteln oder zu sabotieren“, was aber so verkürzt nicht stimmte. Recht hatte Alexan mit seiner Kritik an Harry S. Truman, der 1948 nach gewonnener Wahl eine Reihe seiner Unterstützer mit Botschafterposten belohnte, unabhängig davon, ob die Kandidaten die dafür nötige Qualifikation besaßen.17 Dies war jedoch auch unter Franklin D. Roosevelts Präsidentschaft vorgekommen, wenngleich nicht die Regel gewesen.18 Auch andere USA-Rückkehrer schrieben für die Zeitschrift. So brandmarkte Adolf Deter den früheren Präsidenten der American Federation of Labor, William Green, als kapitalistischen Agenten in den Reihen der Arbeiterbewegung. Green habe selbst eingestanden, dass es ihm um die Stabilisierung des Kapitalismus gehe „und dass die Unternehmer auf einen anständigen Gewinn für ihre Kapitalanlagen Anspruch haben.“ Greens Freund Irving Brown suche seit 1946 die internationale Gewerkschaftsbewegung zu spalten.19 Daran stimmte, dass Green als AFL-Präsident seine Gewerkschaft auf eine Kooperation mit den Unternehmern orientierte, da die Kräfteverhältnisse eine radikal andere Politik nicht zuließen, doch es stimmte nicht, dass Green sich mit einer Klassenzusammenarbeit zufrieden gab: So hatte er 1932 das Norris-La Guardia-Gesetz in beiden Häusern des Kongresses mit durchsetzen helfen, das den Arbeitern die Organisation von Gewerkschaften auch gegen den Willen der Kapitalisten erlaubte.20 1938 war er als treibende Kraft am Zustandekommen eines Gesetzes über Mindestlohn und die 40-Stunden Woche beteiligt. Richtig war, dass Irving Brown maßgeblich die Spaltung des kommunistischen Weltgewerkschafts16

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Diese Passage enthielt zwei Fehler: Alexan datierte die Wahl auf 1901 statt 1904, doch 1901 war Vizepräsident Roosevelt dem ermordeten Präsidenten William McKinley ins Amt nachgefolgt und stellte sich erst turnusmäßig 1904 zur Wahl. Harrimans Vornamen gab Alexan fälschlicherweise mit Ernest an. G. F. Alexan, 3 x Wahlen, made in USA, in: ebd., Heft 5/1950, S. 5 und 8. So hatte F. D. Roosevelt Joseph E. Davis, einen Milliardär, der seinen Wahlkampf 1936 finanziell unterstützt hatte, zum Botschafter in der Sowjetunion ernannt, obwohl dieser kein Russisch sprach. A. Deter, Wie USA-Agenten die Gewerkschaften korrumpieren, in: USA in Wort und Bild, Heft 7/1951, S. 15. Das Gesetz war nach seinem beiden offiziellen Antragstellern, Senator George Norris und dem Mitglied des Repräsentantenhauses Fiorello La Guardia, bekannt.

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bundes betrieben und sich dabei der Hilfe des Exkommunisten und nunmehrigen CIA-Agenten Jay Lovestone bedient hatte; die letztere Tatsache war Deter freilich noch unbekannt.21 Unter der Überschrift „Die AFL – Brutstätte des Reformismus“ behauptete Jacob Walcher, die Führer der American Federation of Labor seien „fanatische Gegner“ der von den breiten Massen verlangten Arbeitslosenunterstützung gewesen. Der in der Ära Roosevelt erreichte „geringfügige soziale Fortschritt“ sei nur „gegen den stärksten Widerstand gewisser AFL-Führer erkämpft“ worden. „Wenn die AFL heute auf internationalem Gebiet und besonders auch in der amerikanischen Kolonie Westdeutschland äußerst aktiv ist und hier viele Millionen Dollar ausgibt, so ist das nur ein scheinbarer Widerspruch zu unserer Feststellung. Denn bei der internationalen Aktivität, die die AFL heute entfaltet, handelt es sich nur um die Tätigkeit einer Agentur des amerikanischen Imperialismus.“22 Auch Walchers Attacke richtete sich gegen AFL-Führer wie Brown und Lovestone; letzteren kannte Walcher noch aus gemeinsamer Arbeit in der linkssozialistischen Bewegung. Eine Verbindung zwischen politischer und Geheimdiensttätigkeit zog auch Albert Norden, der den Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter als CIAAgenten bezeichnete.23 Ganz Amerika sei „zum Warenhaus degradiert worden“, klagte Lola Zahn. „Man muss etwas zu verkaufen haben oder wenigstens zu verkaufen verstehen. Der Politiker verkauft seine Ideen (to sell one’s ideas), wie der Vertreter von General Motors Autos verkauft. Alles ist käuflich und verkäuflich geworden: Ehre und Ehrlichkeit, die eigene Überzeugung und die fremde Haut. Alles hat seinen Preis. Auch das Denken, auch die Fähigkeit, schöpferische Einfälle zu haben, das Talent, zu überzeugen. Hollywood, die amerikanische Presse und der Büchermarkt haben jede menschliche Fähigkeit standardisiert und für die Bedürfnisse kapitalistischer Ausbeutung nutzbar gemacht.“24 Es fällt schwer zu sagen, wo hier die marxistische Analyse endet und eine konservative Kulturkritik beginnt. Eine frühe Kritik an der amerikanischen Umweltpolitik entstammte der Feder Hermann Budzislawskis. Im Oktober 1951 schrieb er über die Sanddünen, die der kapitalistische Raubbau in Nevada hinterlassen habe und stellte dem als positives Gegenbeispiel die Aufforstungen im sowjetischen Steppengebiet gegenüber. Dort werde zuerst „der Schutz für die neue Wirtschaftsweise geschaffen, und nach die21 22 23 24

Lovestones Arbeit für die CIA wurde erst 1973 bekannt. Vgl. Ted Morgan, A Covert Life. Jay Lovestone: Communist, Anti-Communist and Spymaster, New York 1999, S. 350 f. Jacob Walcher, Die AFL – Brutstätte des Reformismus, in: USA in Wort und Bild, Heft 8/1951, S. 41. Albert Norden, Kleine Geschichte einer großen Glocke, in: ebd., S. 22–24. Lola Zahn, Was ist der Mensch wert?, in: ebd., Heft 7/1951, S. 35.

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ser Umwandlung der Natur werden Ländereien, größer als die in Amerika zerstörten, dem Menschen nutzbar gemacht.“ Keine Krise des Kapitalismus könne in der Sowjetunion „das Werk des Menschen vom Segen in einen Fluch verkehren.“25 Dies besorgte schließlich die sowjetische Politik selbst. Wie andere kommunistische Autoren beschuldigte auch Gerhart Eisler die USA des Einsatzes bakteriologischer Waffen im Koreakrieg. Militärflugzeuge hätten mit Bakterien infizierte Lebensmittel über Wohngebieten abgeworfen. „Mit Recht beginnt die ganze Welt zu sagen: Wo ein Amerikaner auftritt, da ist nicht weit von ihm der schwarze Tod oder die Cholera oder der Flecktyphus oder eine andere in den USA fabrizierte Seuche.“26 Die USA bestritten dies und behaupteten, solche Aussagen prokommunistischer Autoren wie Joseph Needham oder Wilfried Burchett seien gezielte Verleumdungen. Stichhaltige Beweise konnte Eisler nicht erbringen. Das Thema ist noch immer heiß umstritten; wenngleich Forschungen der letzten beiden Jahrzehnte auf einen solchen Einsatz hinweisen, gibt es doch auch Gegenargumente.27 Heute könne in den USA, schrieb W. E. B. DuBois in einem Gastbeitrag, „kein Mensch mehr seinen Lebensunterhalt ehrlich verdienen, er kann nicht Verleumdung und Unterdrückung entgehen und wird auch schließlich nicht vom Kerker verschont bleiben, wenn er nicht öffentlich und immer wieder bekundet, dass er bedingungslos für den Krieg in Korea eintritt, dass er bereit ist, gegen die Sowjetunion, gegen Volkschina und jedes andere Land oder alle Länder zusammen zu kämpfen.“28 Auch die zweite DDR-Ikone des schwarzen Amerika, Paul Robeson, schrieb, ein „echter“ Amerikaner sei im Verständnis der herrschenden Klassen stets mit einem superpatriotischen Kriegstreiber gleichzusetzen, wogegen aber das fortschrittliche Amerika stünde.29 Oftmals wies die Zeitschrift auf die Verweigerung der amerikanischen Behörden hin, Kommunisten und Fellow travelers wie DuBois und Robeson einen Reisepass auszustellen – ganz als sei die unbegrenzte Reisefreiheit ein Merkmal der DDR gewesen. 25 26 27

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Hermann Budzislawski, Die Staubschüssel und der volle Tisch, in: ebd., Heft 10/1951, S. 18. Gerhart Eisler, Pestilenz made in USA, in: ebd., Heft –3/1952, S. 3. Vgl. für die These eines Einsatzes beispielhaft Stephen Endicott/Edward Hangerman, The United States and Biological Warfare. Secrets from the Early Cold War and Korea, Bloomington (Indiana) 1998, für die Gegenthese vgl. New Evidence on the Korean War, in: Cold War International History Project, Nr. 11 (1998), S. 176–193 (die Nummer enthält zwei dokumentierte Analysen von Kathryn Weathersby und Milton Leitenberg). W.E.B. DuBois, Es ist an der Zeit, in: USA in Wort und Bild, Heft 10/1951, S. 34. Paul Robeson, Was ist ein „echter“ Amerikaner?, in: ebd., Heft 8/1951, S. 46 f. Vgl. Sie kämpfen für die Menschheit, in: ebd., Heft 8/1954, S. 14 (Porträts von Eugene Dennis, Charles Chaplin und Hewlett Johnson).

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Es nimmt nicht wunder, dass die Zeitschrift sich der Verfolgung von Kommunisten in den USA annahm.30 Natürlich nahm die Berichterstattung über Ethel und Julius Rosenberg, ihre Hinrichtung sowie über ihre Söhne, die zu Waisen wurden, einen breiten Raum ein.31 Immer wieder (und auch im Doppelporträt) wurden die Namen von zwei jüngeren amerikanischen Schriftstellern genannt: Albert Maltz und Howard Fast.32 Albert Maltz war einer der „Hollywood Ten“, der nach Verbüßung seiner Haftstrafe in Mexiko lebte, da er in den USA keine berufliche Existenzmöglichkeit mehr hatte.33 Howard Fast hatte sich geweigert, vor dem HUAC die Namen eines Unterstützerkomitees für Veteranen der Lincoln-Brigade zu nennen, die im Spanienkrieg die Demokratie gegen den Faschismus verteidigt hatten (eine Unterstützerin war Eleanor Roosevelt). Er war wegen Missachtung des HUAC 1950 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Danach wurde der Autor von den Großverlagen boykotiert und musste seine Bücher im Selbstverlag publizieren. In ähnlichem Zusammenhang verglich Alexan ein antikommunistisches Gerichtsurteil in Washington mit dem Reichstagsbrandprozess.34 Der McCarthyismus sei die amerikanische Spielart des Faschismus.35 Einen prophetischen Blick in die Zukunft wagte der aus englischem Exil zurückgekehrte Gerhard Zadek. Unter Berufung auf Aldous Huxley schrieb er, im Jahre 1999 werde der Amerikaner, isoliert in seinen eigenen vier Wänden, auf Fernsehbildschirme starren. „Geselligkeit ist ein Begriff, den man im Jahre 1999 gering schätzen wird. Der Mangel an geselligem Sinn erklärt sich aus dem gebrech30 31 32

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Vgl. z. B. Maximilian Scheer, Die Freiheit sitzt im Gefängnis, in: ebd., Heft 8/1951, S. 42 f. Vgl. Sheila Lynd, Wo der Mensch entrechtet wird, in: ebd., Heft 1/1954, S. 14. Maltz und Fast gehörten zu den zuerst in der SBZ bzw. DDR verlegten USASchriftstellern. 1948 brachte der Verlag Neues Leben Fasts Straße zur Freiheit heraus, von Maltz erschien 1949 Das Kreuz und der Pfeil im Verlag Volk und Welt. Maltz’ Übersetzer Kurt Wagenseil hatte pikanterweise auch George Orwells 1984 übersetzt. Vgl. zusammenfassend Anna-Christina Giovanopoulos, Von „Menschen in der Tiefe“ bis „Vom Winde verweht“. Amerikanische Literatur in DDR-Verlagen, in: Uta A. Balbier/Christiane Rösch (Hg.), Umworbener Klassenfeind. Das Verhältnis der DDR zu den USA, Berlin 2006, S. 194–214. Zwei junge Schriftsteller des fortschrittlichen Amerika: Howard Fast/Albert Maltz, in: USA in Wort und Bild, Heft 1/1950, S. 46 f. Vgl. auch Maximilian Scheer, Ein Schriftsteller des anderen Amerika, in: Tägliche Rundschau, 28. Oktober 1953 [zum 45. Geburtstag von Maltz]. G. F. Alexan, Reichstagsbrandprozess in Washington, in: USA in Wort und Bild, Heft 11/1951, S. 3. Stoppt McCarthy! – McCartyismus ist Faschismus, in: ebd., Heft 2/1954, Innenseite.

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lichen, zarten und übernervösen Wesen des in 50 Jahren herrschenden Menschentypus, der Massenansammlungen schwer erträgt. Diesem melancholischen und verschlossenen und zu Schüchternheit neigenden Menschen kommt die Technik entgegen, indem sie ihm erlaubt, innerhalb seiner vier Wände an allen Geschehnissen des Lebens teilzunehmen. Jener seltsame kulturelle Lebensstil, dessen Anfang man schon heute in den USA verspürt, wird sich zur Blüte entwickeln.“36 Themen aus dem Bereich der Kultur kamen in der Zeitschrift auffällig selten vor.37 Wenn sie Erwähnung fanden, dann als Beweis für den angeblichen Kulturverfall der USA, von dem nur der KP nahestehende Künstler ausgenommen wurden. So musste ein Gemälde von Jackson Pollock als Beleg für die inhaltliche Leere der amerikanischen Malerei dienen.38 Über den Boogie-Woogie und den Jazz fanden sich einige abschätzige Bemerkungen. Zurückhaltender fielen die Urteile über die Folk Music aus, wurde diese doch auch von Künstlern ausgeübt, die der KP der USA angehörten oder ihr nahestanden. Wenig berichtet wurde über den Film, eine Ausnahme bildete die Kritik an antikommunistischen Propagandafilmen wie I was a Communist for the FBI, in dem der Lockspitzel Matt Cvetic zum Freiheitskämpfer hochstilisiert wurde.39 Auch die Sportberichterstattung nahm nur einen geringen Platz ein: Boxkämpfe von Frauen wurden als Tiefpunkt des kapitalistischen Showgeschäfts bezeichnet, doch auch als typisch für die „amerikanische Lebensweise“ hingestellt.40 Hingegen fand sich kein Bericht über den Hass, der schwarzen Spitzensportlern entgegenschlug, die bisherige Domänen der Weißen eroberten, wie Jackie Robinson im Baseball oder Don Barksdale und Chuck Cooper im Basketball. 36 37

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Gerhard Zadek, Amerikanismus im Jahre 1999, in: ebd., S. 32 f. Einen von der Redaktion offenbar unbemerkten Fauxpas leistete sich der Schriftsteller Johannes Tralow in einem Vergleich der Lage von Künstlern in Ost und West. „Der große deutsche Komponist Hans Pfitzner“, schrieb er, „starb 1949 in einem Münchner Altersheim. Armenhäuser gibt es nicht mehr, obwohl Armenhäuser auch als Altersheime immer noch Armenhäuser sind. Das Ende des weltberühmten Hans Pfitzner war demnach durchaus folgerichtig: Er starb ja in der Bundesrepublik ...“ Johannes Tralow, Getarnter Kulturkampf, in: ebd., Heft 8–9/1953, S. 27. Pfitzner war eine Zentralfigur in der Kulturpolitik des Hitler-Regimes gewesen. Bilder ohne Worte, in: ebd., Heft 8–9/1953, S. 51. Vgl. Art Shields, „Kronzeuge“ Cvetic sagt aus, in: ebd., Heft 8/1951, S. 19–21. Eine weitere Ausnahme war die beißende Filmkritik zu Gentlemen Prefer Blond (Gentlemen heiraten Brünette) mit Marilyn Monroe und Jane Russell in: ebd., Heft 2/1954, S. 8. Bilder boxender Frauen finden sich unter der Überschrift „Amerikanische Lebensweise“ in mehreren Nummern der Zeitschrift. In der DDR war Frauenboxen aus sportmedizinischen Gründen verboten, auch in der Bundesrepublik galt das Verbot offiziell bis 1996. In Kuba, der führenden Boxsport-Nation, ist es bis heute gültig.

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Unerwähnt blieben Ehrungen für afroamerikanische Persönlichkeiten: Dass Gwendolyn Brooks als erste schwarze Autorin 1950 den Pulitzer-Preis oder Ralph Bunche im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis erhielt, waren den USA in Wort und Bild keinen Artikel wert. Das dort gezeichnete, einseitige Bild der USA verwandelte damit selbst Wahrheiten, um Friedrich Engels noch einmal zu bemühen, in „eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase“ – nicht immer, jedoch allzu oft. Doch mit der Schwarz-Weiß-Darstellung der USA hatte das Blatt durchaus seinen ideologischen Auftrag erfüllt, was auch der Generalsekretär der SED lobend zur Kenntnis nahm. Schon am 29. Januar 1952 ließ Walter Ulbricht Alexan die Anerkennung der Partei für seine „große und selbstlose Arbeit“ als Redakteur der Zeitschrift USA in Wort und Bild ausrichten: „Wir schätzen Deine Arbeit als einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus, um die Erhaltung des Friedens und für die Einheit eines demokratischen Deutschland.“ Verbunden war der Dank mit einer Prämie in Höhe von 5 000 Mark. Dies entsprach dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Arbeiters in der DDR.41 Ulbrichts Gunstbeweis war angesichts Alexans Nähe zu Gerhart Eisler – den Ulbricht aber gleichfalls schützte – existenziell wichtig.42 Er stabilisierte Alexans Stellung auch angesichts einer privaten Tragödie: seine Frau Maria hatte sich kurz nach ihrer Rückkehr in die DDR das Leben genommen. Doch erschien die Agitation in USA in Wort und Bild manchen Remigranten allzu plakativ, konnten sie doch die Bilder und Zerrbilder anhand eigener Erfahrungen überprüfen. So kritisierte der England-Emigrant Georg Knepler, dass das „andere Amerika“ viel zu wenig zur Geltung käme.43 Nach dem Ende von USA in Wort und Bild im Dezember 1954 kam eine Nachfolgezeitschrift Reporter über erste Anfänge nicht hinaus. Fortan arbeitete Alexan weiter als Übersetzer sowie für den Rundfunk, jedoch auch als freier Lektor für englisch- und französischsprachige Literatur beim Verlag Rütten & Loening. 41

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So zit. in: Ralph Jessen, German culture in exile: American experience, and post-war antiamericanism in Germany – The case of Georg Friedrich Alexan. Vortrag auf der FortyFirst Annual Conference der German Studies Association, Atlanta (Georgia), 7. Oktober 2017, S. 2. (Ms.). Der Brief an Axen vom 29. Januar 1952 befindet sich im GeorgFriedrich-Alexan-Archiv, Nr. 81, in der Akademie der Künste Berlin. Laut Alexan betrug die Startauflage der Zeitschrift 201 315 Exemplare. Vgl. Alexans undatierten Lebenslauf in: ebd., Nr. 1. Alexan war im November 1949 der SED beigetreten. Damals wie später bekundete Gerhart Eisler parteiintern seine unbedingte Unterstützung für ihn. Vgl. Alexans Brief an die SED-Kaderabteilung vom 27. April 1950 und Gerhart Eislers Schreiben vom 18. Dezember 1952, beide in: ebd., Nr. 1. Vgl. Kneplers Brief an Alexan vom 19. Januar 1954 in: ebd., Nr. 2.

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Im Schaffen Bertolt Brechts, des berühmtesten USA-Rückkehrers, spielten amerikanische Themen keine Rolle mehr. Das bedeutet nicht, dass sein Interesse an dem einst heimlich bewunderten, dann beinahe gehassten Land gänzlich erlosch. Er las neue amerikanische Kriminalromane, aus denen er Aufschluss über die Psychologie von Verbrechern gewinnen wollte.44 Auch trug er sich mit dem Gedanken, Jack Londons Novelle The Mexican für den Film zu bearbeiten. Darin gelangt ein Junge durch verbissenes Boxtraining und gewonnene Kämpfe nach oben, doch nicht nur aus persönlichem Ehrgeiz, sondern, um mit dem Geld die Sozialisten zu unterstützen. Ein anderes, nicht verwirklichtes Filmszenario, The Traitor, sollte Gewerkschaften zeigen, die trotz eines Verräters und Streikbrechers ihre Kämpfe gewinnen.45 1954 schrieb Brecht den Text für Joris Ivens’ Film Das Lied der Ströme. Die Musik komponierte Dmitri Schostakowitsch. Der Dokumentarfilm zeigt die damalige wechselvolle Gegenwart der internationalen Arbeiterbewegung in sechs Regionen der Welt. Brecht sparte nicht mit Kritik am amerikanischen Imperialismus, der die eigene schwarze Bevölkerung in den Südstaaten in Armut und faktischer Rechtlosigkeit halte und in Südamerika die dortigen Menschen als Objekt neokolonialer Ausbeutung missbrauche. Die ausdrucksstarke Stimme Ernst Buschs (und in der englischsprachigen Version Paul Robesons) unterlegte Brechts Appell. Der Film wurde fast anderthalb Jahrzehnte in den Schulen der DDR gezeigt – bis der Kommunist Ivens nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages in Prag sich einem neuen Ideal zuwandte, das indes auch brüchig werden sollte – Mao Tse-Tungs China, das mit der Sowjetunion tief verfeindet war.46 Brechts Blick auf Amerika nahm in seinen letzten Lebensjahren immer mehr an Schärfe zu. Die Hinrichtung von Ethel und Julius Rosenberg, aber auch die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, die ohne die USA nicht möglich gewesen wäre, zeigte ihm eine Tendenz zur Faschisierung der kapitalistischen Ordnung (ohne dass er aus den Schauprozessen im sowjetischen Machtbereich eine ähnliche Schlussfolgerung gezogen hätte). Die größte Gefahr drohe von einer Atombombe in den Händen kriegslüsterner Kapitalisten, Politiker und Generäle, die in den 44

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Jürgen Kuczynski verborgte Brecht seine englischen und amerikanischen Kriminalromane gegen gute Zigarren, die dieser ihm dafür beschaffte. „Er hatte die besseren Beziehungen für Zigarren, und ich die besseren für Detektivromane.“ Jürgen Kuczynski, Freunde und gute Bekannte. Gespräche mit Thomas Grimm, Berlin 1997, S. 124. Vgl. auch Helfried W. Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts, Bonn 1974, S. 281, Anm. 19. Vgl. ebd., S. 239. Vgl. zur Entstehung des Films Hans Schoots, Living Dangerously. A Biography of Joris Ivens, Amsterdam 2000, S. 244 ff.

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USA die Herrschaft über die arbeitenden Menschen innehatten. Diese sah Brecht aber nicht mehr (wie in manchen Tagebucheinträgen des Exils) als bloße genormte und manipulierte Masse: „Einundeinhalb hundert Millionen fleißiger, wacher, in vielen Gewerben und Praktiken geschulter Menschen sehen sich unter einem Regime, das ihre Intelligenz missachtet und ihre Gerechtigkeitsliebe verlacht. [...] An der Verschwörung des Regimes nehmen alle großen Zeitungen des Landes teil, die Rundfunknetzwerke, der Film, der Sehfunk. Die 150 Millionen erfahren so kaum, was einem der ihren passiert. Erführen sie es, könnten sie zunächst wenig machen.“47 Brecht wollte dies in der letzten Fassung seines Galilei ebenso deutlich darstellen wie in einem nicht mehr geschriebenen Stück über das Leben des Einstein.48 Die – auch ihm durch die Medien zugängliche – Tatsache der Entmachtung Joseph McCarthys 1955 kommentierte er nicht mehr. Brechts Tod am 14. August 1956 wurde zur Zäsur des Theaterschaffens weit über die DDR hinaus.49

Jazz, Rock ’n’ Roll und die „fortschrittliche deutsche Kultur“ Am 17. März 1951 rief das 5. ZK-Plenum zum „Kampf gegen Formalismus in Literatur und Kunst“ und „für eine fortschrittliche deutsche Kultur“ auf.50 Die

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Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 20: Schriften zur Politik und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1967, S. 338. Vgl. Seliger, Das Amerikabild Bertolt Brechts, S. 241. Natürlich blieb Brecht auch nach seinem Tod Gegenstand künstlerischer und politischer Kontroversen. So merkte der aus der DDR geflüchtete linke Schriftsteller Gerhard Zwerenz zu Brecht an, dieser habe zwar in Gedichten plakativ seine Treue zur SED und zur DDR beschworen und von anderen rigoros eingefordert, sei aber selbst weder Mitglied der SED noch sogar Bürger der DDR geworden: Brecht besaß vom 12. April 1950 bis zum Lebensende die österreichische Staatsbürgerschaft, die ihm durch Entscheid der Salzburger Landesregierung auf Betreiben seines Freundes Gottfried von Einem verliehen worden war (der Komponist von Einem gehörte dem Direktorium der Salzburger Festspiele an). Vgl. Gerhard Zwerenz, Brecht und die Korruption, in: Frankfurter Rundschau, 29. Januar 1966. Dabei wollte Zwerenz Brechts Verhalten als Teil seiner Strategie des Umganges mit der politischen Macht sehen und nicht reinweg als moralisch verwerflich verurteilen. „Unter der Maske des loyalen Bürgers schmuggelte er die List der Vernunft“ in die DDR ein, so Zwerenz. Doch sei auch im Falle Brechts zu bedenken, dass die Grenze zum Verrat dort überschritten werden könne, wo die Hilfe gegenüber bedrängten Kommunisten (zu denen Zwerenz gehörte) verweigert werde. Der Kampf gegen Formalismus in Literatur und Kunst für eine fortschrittliche deutsche Kultur, in: Dokumente der SED, Bd. 3, Berlin [DDR] 1952, S. 438.

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ideologische Kampagne, die mehr als zwei Jahre anhielt, richtete sich auch gegen die von Paul Dessau komponierte Oper Das Verhör des Lukullus nach dem Drama Brechts, der auch das Libretto schrieb. Die Oper musste (bis 1961) abgesetzt werden.51 Der rebellische Sänger Ernst Busch, der sich gegen solche Gängelung verwahrte, erhielt ein zeitweiliges Auftrittsverbot. Sogar sein Lied Ami go home, das die USA scharf angriff, wurde nicht mehr im Rundfunk gespielt.52 Vor allem aber geriet Hanns Eislers Libretto zu seiner geplanten und nur in Teilen fertiggestellten Oper Johann Faustus ins Kreuzfeuer der Kritik. Eislers Oper ging auf die Diskussionen mit Thomas Mann in den USA zurück, als dieser sein Romanwerk Doktor Faustus schuf, wobei Eisler auch Anregungen Arnold Schönbergs, Lion Feuchtwangers und Bertolt Brechts aufgegriffen hatte. Im August 1952 hatte Eisler das Manuskript des Librettos dem Aufbau-Verlag übergeben, der es im Oktober veröffentlichte. In die grundsätzliche Debatte griff selbst Walter Ulbricht ein. Eisler, so lautete Ulbrichts Vorwurf, halte an der „MisereTheorie“ des deutschen Exils fest, wonach die deutsche Geschichte und Kultur unvermeidlich im Faschismus geendet habe. Doch komme es darauf an, dem deutschen Volk einen Nationalstolz zu vermitteln, der für den Kampf um Frieden, Einheit und Sozialismus die notwendige Grundlage bilde.53 „Unseren Kampf führen wir“, so Ulbricht noch Anfang Juni 1953, „auch um die Pflege unseres großen deutschen Kulturerbes.“ Dabei dürfe nicht zugelassen werden, „dass eines der bedeutendsten Werke unseres großen deutschen Dichters Goethe formalistisch verunstaltet wird, dass man die große Idee in Goethes Faust zu einer Karikatur macht, weil das in einigen Werken auch in der DDR geschehen 51

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Vgl. u. a. Werner Mittenzwei, Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin [DDR]/Weimar 1988, S. 427–436; Matthias Tischer, Komponieren für und wider den Staat. Paul Desau in der DDR, Köln etc. 2009, S. 12; Werner Hecht, Ein Sündenfall der Brecht-Rezeption. Vor 60 Jahren begann der Streit um die Lukullus-Oper von Brecht und Dessau, in: Berliner Zeitung, 9. März 2011. Vgl. Jochen Voit, Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch. Die Biographie, Berlin 2010, S. 233. – Auch der Schauspieler Curt Bois, der nach seiner Rückkehr aus den USA 1950 zunächst in Babelsberg seinen Wohnsitz nahm, da er im Westteil Berlins keine geeignete Wohnung fand, hatte Probleme, beim Theater oder Film engagiert zu werden. Diese setzten sich freilich im Westen fort, wohin er 1954 übersiedelte, nicht ohne zu betonen: „Ich klopfte nicht als politisch Verfolgter an.“ Curt Bois, Zu wahr, um schön zu sein. Unter Mitarbeit von Gerold Ducke, Berlin [DDR] 1980, S. 121. Die neue „nationale“ Konzeption der SED, die zur Herstellung einer Massenloyalität auf jede „nihilistische“ und „kosmopolitische“ Sicht auf die deutsche Frage verzichtete, war somit nicht nur sowjetischem Druck entsprungen, sondern lag auch im Interesse der SEDFührung und besonders Ulbrichts. Vgl. die anregende Interpretation der Faustus-Debatte unter diesem Gesichtspunkt bei Peter Davis, Divided Loyalties. East German Writers and the Politics of German Division 1945–1953, London 2000, S. 210 ff.

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ist, zum Beispiel in dem sogenannten Faustus von Eisler und in der Inszenierung des Urfaust.“54 Hanns Eisler musste sich eingestehen, dass er angesichts der Kräfteverhältnisse „mit jeder Konvention, auch der modernistischen, zu brechen habe.“ Ihn befiel „Mutlosigkeit vor all den Schwierigkeiten.“55 Von all dem konnten die Urteile über den Jazz, die genuine Musik (nicht nur der Schwarzen) Nordamerikas, nicht unbeeinflusst bleiben. Die Forschung hat sich bereits ausführlich mit der wechselvollen Haltung der DDR-Oberen zum Jazz, Rock und Blues – von anfänglicher Verdammung über die beargwöhnte Duldung bis hin zur Akzeptanz – zugewandt, so dass hier die Erwähnung des Anteils der Remigranten beim Umgang mit der musikalischen Populärkultur genügt.56 Es waren zwei England-Remigranten, die die ideologische Debatte um den Jazz eröffneten, der bislang eher als Teil der „unpolitischen“ Unterhaltungskultur galt, nun aber in seiner Verdammung münden sollte. Georg Knepler, damals Rektor der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin, übte im April 1951 auf der Gründungskonferenz des Verbandes Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler (VDK) eine scharfe Kritik am Jazz, besonders an seinen neuen experimentellen Formen wie dem Bebop, dem Hard Bob oder dem Cool Jazz, aber auch dem Boogie-Woogie; Musikstile, die den Big-Band-Sound der 1930er Jahre damals abgelöst hatten. „Das ist eine Musik“, so Knepler, „die das Chaos darstellt, die das Chaos ist, die nicht nur Kriegsvorbereitung, sondern der Krieg ist. Das ist ein Versuch, den Krieg in die Hirne der Menschen einzuschmuggeln. Sie haben gemerkt, wie das gemacht ist. Es sind bloße Fetzen von Melodien. Was an Anklängen von Melodiefloskeln da ist, wird sofort zerfetzt, zerrissen. Es sind scharfe Dissonanzen. Es

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Walter Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 4, Berlin [DDR] 1956, S. 604. Hanns Eisler, Musik und Politik. Schriften 1948–1962. Gesammelte Werke, Serie III, Bd. 2, hg. von Günter Mayer, Leipzig 1982, S. 309, auch in: Fritz Henneberg, Hanns Eisler mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1987, S. 98. – Der gesamte Vorgang ist dokumentiert in: Hans Bunge (Hg.), Die Debatte um Hanns Eislers „Johann Faustus“. Eine Dokumentation, Berlin 1991. Vgl. Rainer Bratfisch (Hg.), Freie Töne. Die Jazzszene der DDR. Berlin 2005. Vgl. auch Bert Noglik/Heinz-Jürgen Lindner, Jazz im Gespräch, Berlin [DDR] 1978 (ein Interviewbuch, das heikle Punkte jedoch aussparen musste) sowie die Erinnerungen von Siegfried Schmidt-Joos, Die Stasi swingt nicht. Ein Jazzfan im Kalten Krieg, Bonn 2016, S. 428. Eine beide deutschen Staaten vergleichende Sicht findet sich bei Uta G. Poiger, Jazz, Rock, and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley 2000.

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ist der unerbittlich hämmernde Rhythmus. Es ist eine unnatürliche Verwendung von Instrumenten.“ 57 Gemäßigter äußerte sich 1952 Ernst Hermann Meyer, Professor für Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität und Vorsitzender des VDK: „Der Jazz war einmal der Ausdruck lebendigen, großstädtisch-volkstümlichen Lebens von Negern und Weißen in den amerikanischen Südstaaten, nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen als aktuelle Kunstäußerung. Es wäre falsch, die im ursprünglichen Jazz enthaltene rhythmische Vitalität, die instrumentatorische Farbigkeit, das Element der Improvisation und den Humor und Witz des Ur-Jazz zu verkennen, denn diese erfüllten echte Bedürfnisse der Werktätigen; Züge übrigens, die bei der Schaffung einer neuen zeitgemäßen Tanz- und Unterhaltungsmusik durchaus brauchbar wären. Doch wurde der Jazz schon in sehr frühem Stadium von der amerikanischen Industrie ausschließlich zum Zweck des Profitmachens aufgegriffen und massenweise verbreitet“ – als ob eine massenhafte Verbreitung von Unterhaltungskultur im Kapitalismus per se etwas Negatives wäre.58 Noch im September 1953, nachdem der Aufstand des 17. Juni den SEDApparat in Teilen zum Nachdenken gebracht hatte, erklärte der führende Fach57

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Georg Knepler, Musik, ein Instrument der Kriegsvorbereitung, in: Musik und Gesellschaft, Nr. 2/1951, S. 25, zit. n. Michael Rauhut, Beat in der Grauzone. DDR-Rock 1964 bis 1972 – Politik und Alltag, Berlin 1993, S. 20. – Kneplers Sohn John teilte die Meinung seines Vaters nicht: Er war 1964 Mitbegründer und Bassgitarrist der Gruppe „Team 4“, einer der ersten Beatgruppen in der DDR, die sich ein Jahr darauf in „Thomas Natschinski und seine Gruppe“ umbenennen musste. Sein Vater revidierte schließlich das harsche Urteil. Ernst Hermann Meyer, Musik im Zeitgeschehen, Berlin [DDR] 1952, S. 162, zit. in: ebd., S. 19. Vgl. auch Jost Hermand, Ernst Hermann Meyers Polemik gegen die „westliche Unkultur“ in der Musik, in: Ulrich Blomann (Hg.), Kultur und Musik im Zeichen des Kalten Krieges nach 1945, Saarbrücken 2015, S. 252–265. – Es sei jedoch betont, dass die erste wissenschaftlich „haltbare“ Monographie eines DDR-Autoren zum Jazz ebenfalls der Feder eines England-Remigranten entstammte. Vgl. André Asriel, Jazz – Analysen und Aspekte, Berlin [DDR] 1966, 2. erweiterte Aufl. ebd. 1977. Am 16. Oktober 1966 gastierte (nach 1964 zum zweiten Mal) das American Folk Blues Festival im Berliner Friedrichstadt-Palast. Der Konzertmitschnitt, unter anderem mit Otis Rush und Big Joe Turner, ist auf zwei Amiga-LPs (855 114 und 855 126) dokumentiert. Vom 1964er Festival gibt es keine Aufnahme, jedoch eine LP mit Studiostücken der beteiligten Musiker, darunter Willie Dixon und Sunnyland Slim (Amiga 850 043). Es dauerte bis 1982, bis das Festival wiederum in der DDR gastieren konnte. Ebenfalls 1966 erschien von Theo Lehmann, Blues & Trouble, Berlin 1966, 2. erweiterte Aufl. ebd. 1980, eine Dokumentation mit übersetzten Texten von der Jahrhundertwende bis zu den 1960er Jahren. (Die Tatsache, dass Theo Lehmann im Alter sich in fremdenfeindlichen Initiativen betätigte, kann seine Verdienste um die Propagierung der Bluesmusik in der DDR nicht vergessen machen.)

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vertreter auf dem Gebiet der Volkskunde und Schweden-Remigrant Wolfgang Steinitz apodiktisch: „Das werktätige Volk, Arbeiter und Bauern waren bisher faktisch von den Schätzen unserer reichen nationalen Kultur ausgeschlossen und eine kapitalistische Kulturindustrie war tätig, um Schundliteratur, Verbrecherfilm, Boogie-Woogie-Musik usw. als leicht eingehende Pseudokultur zu verbreiten.“59 Die Steinitz-Biographin Annette Leo (selbst Tochter eines FrankreichRemigranten) erstaunt mit Recht „der unbefangene Umgang mit Begriffen, die kurz zuvor noch im Dienst der Nazi-Ideologie gestanden hatten. Indem sie vertraute Vokabeln benutzte und an vorhandene Mentalitäten anknüpfte, wollte sich die SED die Zustimmung der Bevölkerung für ihre Kunstpolitik sichern. ,Verständlichkeit‘ und ,Volksverbundenheit‘ waren die Kriterien, an denen die Parteizensoren den Wert der Kunstwerke fortan messen wollten.“60 Doch schwang darin stets auch die Furcht vor der Anziehungskraft der amerikanischen Populärmusik auf die Ostdeutschen mit.61

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Wolfgang Steinitz, Die volkskundliche Arbeit in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Studienmaterial für die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Volkskunstgruppen, Nr. 1/1953, S. 34, zit. n. Annette Leo, Leben als Balance-Akt. Wolfgang Steinitz: Kommunist, Jude, Wissenschaftler, Berlin 2005, S. 324. Dies war der Text eines Referates auf der Volkskunde-Tagung der Akademie der Wissenschaften. Ebd., S. 323. Die amerikanische Strategie der Beeinflussung ostdeutscher und osteuropäischer Rundfunkhörer „setzte“ in der Tat auch auf die Attraktivität des Jazz und später des Rock ’n’ Roll. Vgl. Lisa E. Davenport, Jazz Diplomacy. Promoting America in the Cold War Era, Jackson (Mississippi) 2009. Wie sehr andererseits die Manie, in jeder Abweichung von engstirnigen Normen eine Gefahr zu sehen, die Dogmatiker in Ost und West einte, illustriert auch die Überwachung politisch denkender Jazzmusiker durch das FBI. So musste Max Roach noch 1965 entsprechende Befragungen über sich ergehen lassen – pikanterweise fast zeitgleich mit der parteioffiziellen Verdammung „westlich-dekadenter“ Musik durch das ZK der SED. Vgl. Andrew W. Lehren, Jazz and the FBI: Guilty Until Proven Innocent, jazztimes.com, 1. April 2009. Der KP der USA kamen die Kampagnen gegen Jazz und Rock ’n’ Roll aus der Sowjetunion und der DDR natürlich ungelegen, auch wenn sie diese halbherzig billigen musste. Doch existierte, wenngleich dies nicht typisch war, im amerikanischen KP-Milieu sogar die Ansicht, man dürfe die Musik des Klassenfeindes nicht hören, sondern solle seine Kinder mit sowjetischen Tanzliedern, Heldengesängen und Filmen aufwachsen lassen. Eine solch sektiererische Atmosphäre schildert David Horowitz in seinen Lebenserinnerungen: Radical Son. A Generational Odyssey, New York 1997. Wohl kaum zufällig wurde damit der Keim für eine besondere Art der Intoleranz gelegt: Nach politischen Frontwechseln bekämpften ehemalige Stalinisten und Maoisten, denen die Verachtung für „abweichende“ Ansichten und künstlerische Äußerungen sozusagen in die Wiege gelegt worden war, oftmals mit der gleichen Intoleranz liberale Kritiker

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Hingegen hielt sich Hanns Eisler mit der Beurteilung des Jazz im Für und Wider zurück. Einerseits ließ er keinen Zweifel daran, dass der Jazz ein wichtiger, wenngleich nicht der einzige Teil der amerikanischen Volkskultur war. „Amerika hat auf allen Gebieten bedeutende kulturelle Leistungen aufzuweisen“, sagte er in einem Interview mit Karl Kleinschmidt im April 1956 – er war und blieb stets weit davon entfernt, die amerikanische Kultur als Unkultur zu schmähen. Doch werde um den Jazz ein Kult gemacht, was eine Ursache für die Massenhysterie sei, die beispielsweise um die Auftritte von Lionel Hampton und Louis Armstrong in Amsterdam und Hamburg erzeugt worden sei. Die in der DDR entstandenen Jazzklubs sollten sich hier vor falscher Nachahmung hüten. Jedoch, so Eisler: „Auch im schlechtesten, verkommensten Jazz lebt noch etwas von der Empörung der unterdrückten Neger. Hätte ich zu wählen zwischen dem übelsten Jazzschlager und einem unserer miesen Tangos oder gar dem Rennsteiglied: Ich würde den Jazz wählen.“62 Im Mai 1956 – Nikita Chruschtschows Politik wies in Richtung einer vorsichtigen Öffnung – beraumte das Ministerium für Kultur in der Deutschen Akademie der Künste eine Diskussion über den Jazz an. Beteiligt waren unter anderem Hanns, Gerhart und Hilde Eisler, Georg Knepler sowie Nathan Notowicz, Remigrant aus den Niederlanden und Prorektor der Berliner Musikhochschule, und Hans-Georg Uszkoreit, Hauptreferent der Abteilung Musik sowie Parteisekretär im DDR-Kulturministerium. Er gehörte zu den ideologischen Scharfmachern gegen den Jazz.63 Geladen waren auch einige Jazz-Musiker und -Enthusiasten wie Heinz Lukasz und der Journalist Reginald Rudorf.

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ihrer neuen Haltung – nun von Positionen aus, die sie fälschlicherweise als konservativ deklarierten. Horowitz ist heute ein bekannter rechtsradikaler Publizist. Hanns Eisler über den Jazz, in: Berliner Zeitung, 18. April 1956. Uszkoreit wurde 1965 Professor und war bis 1968 Rektor der Dresdner Musikhochschule. Danach wechselte er in leitender Funktion zur DDR-Schallplattenfirma Eterna. 1975 kehrt er von einer Reise in die Bundesrepublik nicht in die DDR zurück. Fortan gab er sich unverbindlich-unpolitisch und arbeitete an der Volkshochschule in Schwerte im Ruhrgebiet. Vgl. Daniel zur Weihen, Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten und die Komposition neuer Musik, in: Jochen Staadt (Hg.), „Die Eroberung der Kultur beginnt!“ Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR (1951– 1953) und die Kulturpolitik der SED, Frankfurt a. M. 2011, S. 278 f. und passim. Die Kommission war ein aus der Deutschen Verwaltung für Volksbildung heraus entstandenes und dem Ministerpräsidenten unterstelltes Staatssekretariat, das 1953 im Kulturministerium aufging. Auch der Kommissionsvorsitzende Helmut Holtzhauer beteiligte sich an der Kampagne gegen den Jazz mit seinem fast sprichwörtlichen Dogmatismus, von dem er sich später als Generaldirektor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar jedoch löste.

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Laut Rudorf war Hanns Eisler Wortführer der Sitzung. Er warnte vor einer Überschätzung des Jazz, gegen den er persönlich nichts habe, dem er aber auch nicht viel abgewinnen könne. Nach der Diskussion sagte Eisler hintergründig: „Ich habe aufmerksam zugehört. Es geht natürlich darum, dem Jazz in unserer Republik alle Freiheiten zu geben, um unseren jungen Menschen zu beweisen, dass es der Partei um die Jugend geht. Es wird bei uns Jazzkeller geben, Jazzschallplatten und Jazzclubs. Ich empfehle Herrn Uszkoreit, sich darum zu kümmern. Inzwischen können sich die Musiksachverständigen über Wert und Wesen des Jazz auseinandersetzen.“64 Damit war die Angelegenheit keineswegs in ruhiges Fahrwasser geraten. Die folgenden Jahre sollten zeigen, dass die offizielle Kulturpolitik, was den Jazz und später die Beat- und Rockmusik betraf, zwischen Repression und Toleranz, zwischen Verboten und Verhaftungen, Duldung und Förderung hin- und herschwankte, was ein Leben für die Musiker (und ihr Umfeld) keineswegs leicht machte.65 Zudem unterlagen sie wie andere DDR-Bürger lange den Restriktionen bei Reisen ins westliche Ausland, darunter die Bundesrepublik.66 Doch liegt eine Darstellung dieser spannenden Geschichte außerhalb des Anliegens dieses Buches.67 Nicht unerwähnt bleiben darf Gerhart Eislers Anteil an der Gründung des Jugendradios DT 64. Zum Deutschlandtreffen, das zu Pfingsten 1964 in der 64 65

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So zit. bei Reginald Rudorf, Jazz in der Zone, Köln 1964, S. 83. Rudorf, Gründer des Jazzkreises Leipzig, floh 1959 nach einer zweijährigen Zuchthausstrafe in den Westen. Auf der einen Seite stand 1957 die Verhaftung von Reginald Rudorf, auf der anderen Seite zur gleichen Zeit die Entsendung der „Alfons Zschockelts Jazz Band Halle“ zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten nach Moskau. Vgl. Schmidt-Joos, Die Stasi swingt nicht, S. 428. Bis Ende der 1970er Jahre gab es für Jazz- oder Rockmusiker aus der DDR so gut wie keine Möglichkeit von Auftritten im Westen. Eine der sehr wenigen Ausnahmen bildete das Günther-Fischer-Quartett, das 1968 in den skandinavischen Ländern sowie in WestBerlin auftrat. Vgl. Noglik/Lindner, Jazz im Gespräch, S. 30. Vgl. vor allem die zahlreichen Publikationen von Michael Rauhut, darunter seinen Aufsatz: Schwarz-weiße Netze. Afroamerikanische Musik als politisches Medium in der DDR, in: Werner Kremp/David Sirakov (Hg.), Globaler Gesang vom Garten der Freiheit. Anglo-amerikanische Populärmusik und ihre Bedeutung für die US-Außenpolitik, Trier 2008, S. 231–249. Vgl. weiterhin Edward Larkey, Rotes Rockradio. Populäre Musik und die Kommerzialisierung des DDR-Rundfunks, Berlin 2007, sowie allgemein auch Thomas Fuchs, USA-Populärkultur in der DDR: Bewertung und Interpretation in den Medien und in der Amerikanistik, in: Rainer Schnoor (Hg.), Amerikanistik in der DDR: Geschichte – Analysen – Zeitzeugenbereichte, Berlin 1999, S. 153–172, und Therese Hörnigk/Alexander Stephan (Hg.), Jeans, Rock und Vietnam. Amerikanische Kultur in der DDR, Berlin 2003.

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DDR-Hauptstadt Angehörige der FDJ und als fortschrittlich bezeichnete Jugendliche aus der Bundesrepublik zusammenführte, spielten DDR-Musikgruppen erstmals öffentlich westliche Musik, wofür sich Gerhart Eisler als Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees einsetzte.68 Zur Übertragung richtete der Rundfunk der DDR das Sonderstudio DT 64 ein. Gerhart Eisler konnte durchsetzen, dass der Berliner Rundfunk aus dem Sonderstudio ein eigenes festes Radioprogramm, nämlich DT 64, entwickelte. Der Sender berichtete 1965 in Zusammenarbeit mit Radio DDR ausführlich über Louis Armstrongs gefeiertes Konzert im Ostberliner Friedrichstadt-Palast. Dank Eislers Einsatz überstand DT 64 auch das 11. ZK-Plenum im Dezember 1965, das einen kulturellen Rollback einleitete. „Über eine lange Zeit“, so Erich Honecker auf dem Plenum, „hat ,DT 64’ in seinem Musikprogramm einseitig die BeatMusik propagiert. In den Sendungen des Jugendsenders wurden in nicht vertretbarer Weise die Fragen der allseitigen Bildung und des Wissens junger Menschen, die verschiedensten Bereiche der Kunst und Literatur der Vergangenheit und Gegenwart außer acht gelassen. Hinzu kam, dass es im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend eine fehlerhafte Beurteilung der Beat-Musik gab. Sie wurde als musikalischer Ausdruck des Zeitalters der technischen Revolution ,entdeckt‘. Dabei wurde übersehen, dass der Gegner diese Art Musik ausnutzt, um durch die Übersteigerung der Beat-Rhythmen Jugendliche zu Exzessen aufzuputschen.“69 Zwar kam die Beatmusik aus England, nicht aus den USA, doch das Etikett der „anglo-amerikanischen (Un-)Kultur“ stigmatisierte Musiker von beiden Seiten des Atlantiks gleichermaßen. Gerhart Eisler reagierte geschickt: Er setzte im Staatlichen Rundfunkkomitee den Beschluss durch, wonach für die Arbeit von DT 64 künftig nicht nur dessen Redaktion und der Berliner Rundfunk Verantwortung tragen sollten, sondern das Rundfunkkomitee in seiner Gesamtheit. Somit blieben für DT 64 auch nach dem „Kahlschlag“-Plenum sehr kleine Freiräume erhalten.70 1965 erschien sogar noch eine erste LP der Beatles in der 68

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Vgl. Heiner Stahl, Hausherren von Morgen. Die Jugend- und Medienpolitik der SED und ihre Umsetzung bei Jugendstudio DT 64 im Zeitraum von 1964 bis 1971, Berlin 2010, S. 52; Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-Eisler-Biographie, Berlin 2007, S. 267. Der Text der Rede vom 15. Dezember 1965 ist nachzulesen bei Günter Agde (Hg.), Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 238–251. So konnte DT 64 zwar vom Besuch Martin Luther Kings 1964 in der DDR-Hauptstadt berichten, nicht jedoch über seine Treffen mit kirchlich gebundenen DDR-Bürgern. Vgl. Thomas Gehringer, Martin Luther King in Ost-Berlin, in: Der Tagesspiegel, 6. April 2014. Kings Buch Warum wir nicht warten können erschien 1965 fast zeitgleich beim Fischer-Taschenbuchverlag in Frankfurt a. M. und beim Union-Verlag Berlin in der DDR.

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DDR.71 Gerhart Eisler hatte wohl begriffen, wie wichtig diese Musik für die Jugend auch in der DDR war, denn es war die erste Musik, die die Jugendlichen nicht mehr „mit den Erwachsenen teilen“ mussten, wie Nik Cohn festhielt.72 Der Medienhistoriker Heiner Stahl und Gerhart Eislers Biograph Ronald Friedmann schrieben, damit konnte sich Eisler auch der Unterstützung Kurt Hagers und Albert Nordens versichern.73 Die DDR-Oberen suchten die angelsächsische Kultur von der Jugend fernzuhalten, als diese Kultur nicht nur im musikalischen Bereich eine Höhe ereichte, für die sich im zwanzigsten Jahrhundert kaum eine Parallele finden lässt. Sogar das „silberne Zeitalter“ in Russland und die Spätblüte in Paris halten nur schwer dem Vergleich mit „Swinging London“ oder den Zentren der USA von New York bis Kalifornien stand. Allein das Berlin der Weimarer Republik erreichte kulturell eine ähnliche Vielfalt – ein Berlin, aus dem viele der hier beschriebenen Männer und Frauen dann fliehen mussten. Sie lebten, aus den USA zurückgekehrt, nun in einem Land, das zur kulturellen Provinz herabzusinken drohte. Erst im April 1972 setzte eine Tanzmusikkonferenz des Ministeriums für Kultur der grotesken Debatte, ob die westliche Jazz-, Rock- und Popmusik der DDRJugend gemäß sei, ein Ende.74 Fortan wurde diese Musik auch in der DDR wenngleich nicht überall geliebt, so doch akzeptiert.75 Mit der Übernahme westlicher Musik auf Schallplatte tat sich jedoch die DDR noch lange schwer, so dass ein florierender Schwarzmarkt für „Westscheiben“ entstand.76 71

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The Beatles, Amiga 850 040. Diese Pressung wird heute antiquarisch hoch gehandelt. – Doch erschienen auch in diesen für Rock- und Popmusikfans „schwarzen Jahren“ in der DDR einige westliche Platten in Lizenz, wenngleich vorwiegend aus den unter Jugendlichen nicht so populären Genres des Blues und Spirituals sowie des Traditional Jazz. Nik Cohn, AWopBopaLooBopALopBamBoom. Pop History. Übersetzt von Teja Schwaner, Reinbek 1971, S. 14. Vgl. Stahl, Hausherren von morgen, S. 77; Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann, S. 267. Zu dieser geänderten Haltung trugen möglicherweise indirekt, obwohl dies Vermutung bleiben muss, auch das zeitweilige Verbot westlicher Popmusik durch das griechische Obristen-Regime sowie die Feindschaft der chinesischen „Kulturrevolutionäre“ gegen diese Musik bei. Die DDR befand sich in scharfer Frontstellung gegen die Regimes in Athen wie in Peking und kritisierte auch deren jeweilige Kulturpolitik, darunter jene Verbote. Vgl. Peter Wicke, Rockmusik. Zur Ästhetik und Soziologie eines Massenmediums, Leipzig 1987, S. 239. In diesem Buch, dem Wickes Habilitationsschrift an der HumboldtUniversität von 1986 zugrunde lag und das als Reclam-Band eine Massenauflage erreichte, übte der Autor eine scharfe Kritik an den offiziellen engstirnigen Positionen der 1950er und 1960er Jahre. Vgl. ebd., S. 236 ff. Dabei spielten auch finanzielle Fragen eine Rolle – nicht nur bei der Pressung westlicher Lizenzplatten: Zumindest ab den mittsiebziger Jahren spielte auf bald jeder Dorfkirmes in der DDR die gastierende Band „Helpless“, „Who’ll Stop the Rain“ oder das unvermeidli-

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Albert Norden: Ein USA-Rückkehrer im Politbüro Als Jude und „Westemigrant“, in dessen Kaderakte eine politische „Abweichung“ vermerkt war – er hatte 1932 in der KPD zu den „Ultralinken“ um Heinz Neumann gehört – besaß Albert Norden eigentlich kaum Chancen, in das höchste Führungsgremium der SED aufzurücken. Die (auch mit Antisemitismus durchsetzte) Kampagne gegen „Westemigranten“ und gegen den „Kosmopolitismus“ hatte er jedoch recht glimpflich überstanden, und so ging es nach der Auflösung des Amtes für Information für ihn auf der Karriereleiter wieder aufwärts. Bis 1958 blieb er offiziell noch Professor für neuere Geschichte an der Berliner HumboldtUniversität.77 Nordens historische und Sprachkenntnisse, sein kulturbürgerlicher Hintergrund, das eloquente Auftreten und seine völlige Loyalität zu Walter Ulbricht verhalfen ihm 1958 zum Aufstieg in das Politbüro, das höchste Entscheidungsgremium der SED und der DDR. Schon früh sorgte sich Norden darum, dass die USA im Kalten Krieg jene Kräfte schützen würden, die Hitler einst zur Macht verholfen hatten. Bereits im Mai 1946 berichtete er noch aus New York über Bestrebungen innerhalb der USMilitärverwaltung in Deutschland, die den Direktiven zur Entnazifizierung, wie sie Oberbefehlshaber Eisenhower ausgegeben hatte, zuwiderliefen. So berief er sich auf eine Aussage von Frederick Reinhardt, Mitarbeiter des Außenministeriums bei der US-Militärverwaltung in Deutschland: „Was wir hier mit der Entnazifizierung machen, ist in Wirklichkeit eine soziale Revolution. Wenn die Russen östlich der Elbe bolschewisieren, dann ist das ihre Sache. Aber es entspricht nicht amerikanischen Begriffen, die Grundlage des Privateigentums abzuschaffen.“78 Laut Norden habe ein Mitarbeiter der US-Militärverwaltung in Bayern offen zugegeben, dass durch die – deshalb zu verhindernde – „Absetzung von Nazis ein Block von unzufriedenen Deutschen geschaffen würde, die dadurch reif für den

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che „Smoke on the Water“ – und stets floss dafür über die Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte Geld in westliche Kassen, und dies waren keine Mark der DDR. Am 29. Dezember 1958 informierte das Rektorat in einer Hausmitteilung das Dekanat der Philosophischen Fakultät über die vollzogene Auflösung der Forschungsstelle für deutsch-sowjetische Beziehungen (die wohl ohnehin nur noch auf dem Papier bestanden hatte). Vgl. Archiv der Humboldt-Universität Berlin: Personalakte (PA) Albert Norden, Bd. 2. Albert Norden, Vernichtung oder Stärkung der deutschen Trusts?, in: Die Nation (Zürich), 15. Mai 1946; Wiederabdruck in: Ders., Fünf Jahrzehnte im Dienst seiner Klasse. Ausgewählte Aufsätze und Reden 1922–1974, Berlin [DDR] 1974, S. 100–104, Zitat S. 101. Reinhardt war später u. a. US-Botschafter in Vietnam und Italien.

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Kommunismus würden.“ Wenn die in Gewahrsam der Amerikaner befindlichen Direktoren des I. G. Farben-Konzerns mit Glacéhandschuhen angefasst würden, da man auf ihre Wiederverwendung hoffe, sei dies kein Zufall.79 Ähnlich lesen sich weite Passagen von Nordens 1947 erschienenem Buch Lehren deutscher Geschichte. Zur politischen Rolle des Finanzkapitals und der Junker. Diese Darstellung verwertete in bedenklicher Weise, da sich im Text nirgendwo ein Hinweis darauf fand, weite Passagen aus dem 1945 mit Gerhart Eisler und Albert Schreiner zusammen geschriebenen Buch The Lesson of Germany, auch von Passagen, die der Feder Eislers oder Schreiners entstammten. Die damalige Kritik an den Fehlern der KPD in der Weimarer Republik fehlte nun jedoch. Die Lehren deutscher Geschichte waren dennoch eine insgesamt kenntnisreiche Tour de force durch die deutsche Nationalgeschichte, doch sollen hier lediglich die Passagen interessieren, die ein Licht auf Nordens Amerika-Bild werfen. Nur wenig sagte Norden zum deutsch-amerikanischen Verhältnis der Zeit vor oder nach dem Ersten Weltkrieg, auch wenig zu den Wirtschaftsbeziehungen, wiewohl doch die aus den USA aufgenommenen Anleihen die Weimarer Republik zeitweilig stabilisieren halfen. Doch hatte die KPD (wie die Rechtsparteien) Deutschland damals als von den USA abhängige „Industriekolonie“ bezeichnet, und Norden sah keine Veranlassung, an die Fehleinschätzung zu erinnern. Doch brachte er auch hier viele Details über die Schonung, die die USBesatzungsmacht ab 1945 deutschen Konzernherren und ihren Beauftragten gewährte. Dies sei kein Zufall: So habe bis Anfang 1947 mit William Draper ein Mann an der Spitze der Wirtschaftsabteilung der amerikanischen Militärverwaltung gestanden, der zuvor Vizepräsident der Großbank Dillon, Read & Co. gewesen war. Diese aber hatte vor dem Krieg nächst der Morgan-Bank am stärksten in Deutschland investiert. Drapers Mitarbeiter Peter S. Hoglund leitete vor 1939 die Opel-Werke, die zu General Motors gehörten. „Weder Hoglund noch seine Vorgesetzten in der Direktion von General Motors erhoben jemals Einspruch dagegen, dass ganze Sektionen der motorisierten Stoßarmee Hitlers aus Opels Werkhallen kamen.“80 Die Verflechtung deutscher und amerikanischer Wirtschaftsinteressen habe die Nazizeit fast unbeschadet überstanden: „Die deutsche Gruben-, Erz- und Brennstoffindustrie in der amerikanischen Zone wurde Frederick Gathke unterstellt, der bis zum zweiten Weltkrieg im Auftrag des amerikanischen Anaconda

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Ebd., S. 102. Albert Norden, Lehren deutscher Geschichte. Zur politischen Rolle des Finanzkapitals und der Junker, 3. Aufl., Berlin 1948, S. 255.

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Copper-Trusts, des größten Kupferproduzenten der Welt, dessen oberschlesische Filialen verwaltete.“81 Charles H. Powell, der die Abteilung für Elektrische und Radio-Industrie bei der US-Militärverwaltung leite, sei ein Mann des Westinghouse-Trusts, der mit dem Hitler-Regime „in einem regelrechten Kartellvertrag“ Patente ausgetauscht und sogar einen Teil des Weltmarktes abgesteckt habe.82 Der Vorsitzende des Verwaltungsrats der International Telephone & Telegraph Co., Sosthenes Behn, habe 1933 eine Unterredung mit Hitler geführt und dabei den Naziführer ersucht, ihm politisch genehme Persönlichkeiten zu benennen, die er in die Aufsichtsräte seiner deutschen Unternehmen berufen könne.83 Norden fasste seine zahlreichen Äußerungen zum amerikanischen Kapitalismus 1950 in seinem Buch So werden Kriege gemacht! Über Hintergründe und Technik der Aggression zusammen. Spätere Wortmeldungen variierten diese Ausführungen nur noch, ohne ihnen inhaltlich wesentlich Neues hinzuzufügen. Die Politik der USA, die sich als Bannerträger der Demokratie aufspiele, sei von engster Zusammenarbeit mit faschistischen und halbfaschistischen Regimes geprägt, hieß es darin. Doch die „Herren von Washington und Wallstreet, die in dem korrupten Tschiang Kai-schek ihre Rettung sehen und ihm die Waffen geben, um Millionen Chinesen zu schlachten; die den griechischen Patrioten die Köpfe abschneiden lassen; die in Südostasien täglich Bombardements und Mitrailleusenfeuer unterhalten, um das imperialistische Kolonialregime über freiheitsdurstige und freiheitsfreife Völker aufrechtzuerhalten – sie haben jeden Anspruch darauf verwirkt, sich Demokraten zu nennen. Ihre Außenpolitik des Bundes mit der Weltreaktion ist übrigens nur Fortsetzung und Spiegel ihrer antidemokratischen Innenpolitik, der Verbannung und Niederknüppelung jeder den Trustdirektoren unangenehmen politischen […] Meinung in Amerika selbst.“84 Die amerikanische Propaganda für Freiheit und Demokratie sei, so Norden weiter, „nur als Nebelwand für die Vorstöße des amerikanischen Imperialismus“ zu sehen. „Jeder Hinauswurf von Kommunisten aus den Regierungen Frankreichs, Italiens, Belgiens, Westdeutschlands war nur der Prolog für die Überfremdung großer Industrien durch das amerikanische Kapital.“85 Der militärische Triumph des griechischen Monarchofaschismus unter dem Kommando von fünfhundert amerikanischen Offizieren habe der Errichtung 81 82 83 84 85

Ebd., S. 256. Ebd., S. 258. Vgl. ebd., S. 180. Albert Norden, So werden Kriege gemacht! Über Hintergründe und Technik der Aggression, 3. Aufl., Berlin [DDR] 1953, S. 96. Ebd., S. 97.

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einer amerikanischen Militärbasis im östlichen Mittelmeer und der Sicherung der nun hereinströmenden amerikanischen Kapitalien gedient. Die militärische Hilfe für den vietnamesischen „Puppenkaiser Bao Dai und seine französischen Protektoren erfolgt nur um den Preis großer Konzessionen an das amerikanische Finanzkapital sowohl im französischen Mutterlande wie in seinen Kolonien, die sich so immer mehr in Kolonien der USA verwandeln.“86 Am wenigsten aber bräuchten die USA echte Demokraten in Westdeutschland. „Demokraten würden nämlich darauf bestehen, dass Deutschland endlich Frieden bekommt und frei wird von Besatzungstruppen. Das aber ist das Letzte, was die Herren der USA Deutschland geben wollen. Den Frieden schließen hieße das Land räumen. Das Land räumen aber hieße, auf Westdeutschland als amerikanische Militärbasis zu verzichten. Auf Westdeutschland als amerikanische Militärbasis verzichten hieße, sich selbst der entscheidenden Ausgangsstellung für den gewollten Krieg gegen die Sowjetunion, die Volksdemokratien und die Deutsche Demokratische Republik zu berauben. Da aber die ganze amerikanische Politik von dem Gesichtspunkt der Vorbereitung des Krieges gegen die Staaten des Sozialismus gelenkt wird, darum erfanden die Herren in Washington und ihr europäischer Anhang das Berliner Problem, das ihnen zur Tarnung und Verschärfung ihrer Politik des Abfalls Westdeutschlands von der gesamtdeutschen Nation diente.“87 Dass Westdeutschland ein nur oberflächlich entnazifizierter Vorposten der USA im Kampf gegen jede Art von Sozialismus sei, blieb Nordens unverrückbarer Glaubenssatz. Nicht nur westlichen Kritikern galt der eloquente Redner als politischer „Falke.“ Zögernde Anerkennung über kommunistische Kreise hinaus verschaffte er sich jedoch mit dem sehr gut dokumentierten Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, das 1965 erstmals erschien und die erschreckende Kontinuität vieler Karrieren von Hitlers einstigen Helfern im Westen Deutschlands nachwies.88

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Ebd. Ebd., S. 129 f. Heute sind die dort mitgeteilten Tatsachen weitestgehend unumstritten. „Nachdem Versuche scheiterten, das Buch zu unterdrücken, qualifizierten es westdeutsche Regierungsstellen als Gespinst voller Lügen und Fälschungen ab. Es erwies sich jedoch als weitgehend richtig.“ Richard J. Evans, The Third Reich in History, Oxford/New York 2015, S. 285.

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Wissenschaftliche „Spätheimkehrer“: Die Rapoports, Albert Wollenberger und die Katzensteins Die Sowjetische Besatzungszone und spätere DDR spielte in der Lebensplanung des Wissenschaftler-Ehepaares Ingeborg und Samuel Mitja Rapoport zunächst keine Rolle. Sie hatten in den USA bleiben wollen, doch ließen dies die Zeitläufte nicht zu. Ingeborg und Samuel Rapoport hatten die US-Staatsbürgerschaft erworben und lebten in Cincinnati in beruflicher Sicherheit: Samuel Rapoport war seit 1942 Associate Professor of Pediatrics an der University of Cincinnati. Seine Forschungen über die Haltbarkeit von Blutkonserven, die zur besseren medizinischen Versorgung verwundeter Soldaten beitrugen, hatten ihm landesweite Anerkennung verschafft: Präsident Truman zeichnete ihn mit einem Certificate of Merit aus. Ingeborg Rapoport arbeitete als Kinderärztin und Stellvertretende Leiterin des Children’s Hospital, der städtischen Kinderklinik. 1944 lernten sie einander kennen: Samuel Rapoport verließ zwei Jahre später seine Frau Mária Szécsi.89 Noch 1946 heirateten die Rapoports, ein Jahr darauf wurde Tom, das erste ihrer vier Kinder, geboren.90 Die Rapoports waren Kommunisten. Dies und sogar die Tatsache, dass sie öffentlich die kommunistische Zeitung Daily Worker auf der Straße verteilten, wurde im Zweiten Weltkrieg toleriert. Mit dem Beginn des Kalten Krieges änderte sich das. Noch 1947 gehörte Samuel Rapoport aufgrund seiner Arbeiten zum Elektrolytstoffwechsel zu einer Delegation, die in Japan die Ursachen der Kinderkrankheit Ekiri, die mit einer hohen Todesrate verbunden war, aufklären wollte. Als Ursache identifizierten die Forscher eine bakteriell bedingte Darminfektion, die zu schweren Durchfällen mit lebensbedrohlichem Elektrolytmangel führt, der durch Infusionen mit Kalziumzusatz behandelt werden konnte. In Cincinnati setzte er seine Forschungen zur Aufrechterhaltung des intrazellulären Spiegels von Adenosintriphosphat, dem wichtigsten biologischen Energiespender für die Überlebensfähigkeit roter Blutzellen, fort.91 89

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Die näheren Umstände sind in den Briefen Samuel Rapoports an Mária Szécsi (aus seiner Sicht) geschildert. Sie befinden sich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien, Bestand 21066, Sammlung Marika (Mária) Szécsi und Samuel Mitja Rapoport. Vgl. zu den Lebensumständen Inge Rapoport, Meine ersten drei Leben. Erinnerungen, 2. Aufl., Berlin 2003, S. 140 ff. Hier folge ich den Ausführungen von Gisela Jacobasch/Claus Wagenknecht, Medizin – eine Biowissenschaft, S. 3 f. Manuskript eines Vortrages vom 26. November 2012. Ich

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Doch 1950 erhielten die Rapoports eine Vorladung zum Ausschuss für Unamerikanische Tätigkeit, dem HUAC.92 Die Nachricht erreichte sie fast am Vorabend einer geplanten Reise Samuel Rapoports nach Zürich zum Sixth International Congress of Pediatrics in Zürich im Juli 1950, dem ersten Internationalen Pädiatriekongress nach dem Zweiten Weltkrieg, auf dem er einen Vortrag halten sollte. Die nun fünfköpfige Familie – mit ihrem vierten Kind war Ingeborg Rapoport schwanger – beschloss, die USA zu verlassen. Ingeborg reiste mit den Kindern – ohne dass sie ihre amerikanischen Freunde hätte informieren können – ihrem Mann nach, bevor sie wegen der anstehenden Vorladung am Verlassen des Landes gehindert werden konnte.93 Die Rapoports gingen im August 1950 nach Wien. Samuel Rapoport hoffte auf eine Anstellung am dortigen Biochemischen Universitäts-Institut. Sein Kollege, der 1938 aus Wien nach Rio de Janeiro vertriebene Chemiker Fritz Feigl warnte ihn jedoch: Die „österreichischen Hochschulnazis und die nicht weniger gefährlichen Sympathisanten der Nazis“ hätten ihre Haltung kaum geändert.94 Rapoport bemühte sich zunächst um die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Am 31. März 1951 erkannte das Amt der Wiener Landesregierung ihm und der gesamten Familie die österreichische Staatsbürgerschaft zu. Dies betraf auch seine Frau sowie seine in Cincinnati geborenen Kinder Tom (geb. am 17. Juni 1947), Michael (geb. am 2. Oktober 1948) und Susan (geb. am 15. Oktober 1949). Die am 17. November 1950 in Wien geborene Tochter Lisa war automatisch österreichische Bürgerin. Für die Anstellung an der Universität benötigte Rapoport, obschon mit zwei Doktortiteln ausgestattet, die Habilitation. Am 31. Mai 1951 reichte Rapoport seinen Habilitationsantrag für das Fach „Medizinische Chemie mit besonderer Berücksichtigung der physiologischen und pathologischen Chemie“ zusammen mit dem 84 Titel umfassenden Schriftenverzeichnis ein. Für die Lehre wollte er Vorlesungen ankündigen zu den Themen 1.) Wasser- und Salzhaushalt des

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danke Frau Prof. Jacobasch für die freundliche Überlassung einer Kopie. Eine gekürzte Fassung des Ehren- bzw. Gedenkkolloquiums für Inge und Samuel Mitja Rapoport findet sich unter dem gleichen Titel in: Medizin – eine Biowissenschaft. Zum 100. Geburtstag des Forscherehepaares Ingeborg und Mitja Rapoport, Berlin 2013, S. 8–18. Inge Rapoport, Meine ersten drei Leben, S. 211 und passim, schrieb irrigerweise meist vom McCarthy-Komitee, nannte an einer Stelle jedoch korrekt das HUAC als vorladende Institution. Vgl. ebd., S. 211. Vgl. ebd., S. 222 ff. Das Folgende stützt sich auf Hans Mikosch/Gerhard Oberkofler, Über die zweimalige Emigration von Samuel Mitja Rapoport aus Wien (1937 und 1952), in: Mitteilungen der Alfred-Klahr-Gesellschaft 15, 2008, Nr. 3, S. 14–22, hierzu S. 17.

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menschlichen Körpers, 2.) Neue Probleme des Zellstoffwechsels und 3.) Physiologisch-chemisches Denken in der Klinik. Die beiden Gutachter Gustav Schubert und Franz Seelich urteilten über die für das Verfahren von Rapoport eingereichten Arbeiten, diese würden „den Anforderungen für die Verleihung der venia legendi für das Fach Medizinische Chemie mit besonderer Berücksichtigung der physiologischen und pathologischen Chemie vollauf entsprechen.“95 Mit Rapoport werde die Wiener Universität Anschluss an die moderne wissenschaftliche Biochemie gewinnen. Doch geriet das Verfahren ins Stocken, und Rapoport erhielt keine Termine für das Habilitationskolloquium sowie die Probevorlesung übermittelt. Die Gründe erfuhr er erst stückchenweise und im Nachhinein. Seit Anfang 1951 wurden an der Universität Meldungen von Seiten des International News Service verbreitet, wonach Rapoport Kontakte zum Chemiker Engelbert Broda unterhalten würde, der als Parteigänger der Kommunisten galt. Dekan Karl Fellinger und sein Nachfolger Hermann Chiari bekamen „kalte Füße“, als ein nicht näher bezeichneter amerikanischer Jurist „ernste Bedenken“ gegen die Anstellung Rapoports mitteilte und kurz darauf erklärte, diese Anstellung würde die Fakultät in „ernste Schwierigkeiten“ bringen. Dies war offenbar auch Gegenstand einer Unterredung Chiaris mit einem hohen Ministerialbeamten (Sektionschef) im Ministerium für Unterricht und Erziehung. Das Habilitationsverfahren wurde immer weiter auf die lange Bank geschoben, und es wurde Rapoport klar, dass es hintertrieben werden sollte.96 Da seine finanziellen Mittel zur Neige gingen, bewarb sich Rapoport überall in Europa bis nach Albanien um eine Stelle, indes vergeblich. Doch halfen ihm seine Wiener KP-Genossen und ließen ihre Verbindungen in die DDR spielen. Ende 1951 erreichte ihn ein Angebot auf die Wahrnehmung einer Professur für medizinische Biochemie der Humboldt-Universität – gerade als eine weitere Offerte eintraf: Ernst David Bergmann, der Forschungsdirektor des Weizmann-Institutes in Rehovot, bot ihm an, die Leitung der dortigen Biochemischen Abteilung zu übernehmen. Vor die Wahl zwischen der DDR und Israel gestellt, entschieden sich die Rapoports für Ostberlin und übersiedelten im Februar 1952 dorthin.97 Durch den Wechsel von Karl Lohmann an die Akademie-Forschungsstelle nach Berlin-Buch war die Professur für Physiologische Chemie an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität freigeworden. Dies war Rapoports 95 96 97

Ebd. Ursprünglich hatte Rapoport sich im Fachgebiet „Physiologie mit besonderer Berücksichtigung der Biochemie“ habilitieren wollen. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. Gabriele Goettle, Ein ganz besonderer Saft. Die geliebten Roten Blutkörperchen, in: Die Tageszeitung/Taz, 31. Juli 2000.

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Chance, auch wenn die Wahrnehmung einer Professur noch nicht den endgültigen Professorenstatus bedeutete. Die Berufung gestaltete sich nicht einfach: Am 13. Februar 1952 wurde Rapoport zwar zum kommissarischen Direktor des Physiologisch-Chemischen Instituts der Charité ernannt und erhielt einen der begehrten Einzelverträge mit einer Vergütung von 2 600 Mark, was die finanzielle Sicherheit bedeutete.98 Am 24. April wurde er mit der Wahrnehmung der Professur für Physiologische Chemie betraut und hielt am 16. September seine Antrittsvorlesung.99 Doch erlebte er eine böse Überraschung, als die medizinische Fakultät am 18. Dezember die endgültige Berufungsliste für den Lehrstuhl veröffentlichte. Dort fand sich Rapoport nur an dritter Stelle hinter Peter Holtz, der eine Professur für Pharmakologie an der Universität Rostock innehatte, sowie Erich Strack, Professor und Direktor des Chemisch-Physiologischen Instituts der Leipziger Universität.100 Staatssekretär Gerhard Harig setzte sich jedoch über den Berufungsvorschlag hinweg und berief Rapoport am 10. Januar 1953 auf den Lehrstuhl sowie zum 1. September zum Direktor des Instituts für Biochemie. Am 14. Juni 1957 wechselte Rapoport von der Kommunistischen Partei Österreichs, der er seit seinem Weggang aus den USA angehört hatte, zur SED, doch erst 1968 wurden er und seine Frau DDR-Bürger. Wie Karl Lohmann, der Entdecker des Adenosintriphosphats (ATP), gehörte Rapoport zu den Großen seines Faches, was die überaus intensive Forschungstätigkeit der folgenden Jahrzehnte unterstrich. Rapoports bevorzugte Forschungsobjekte waren die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten, und ihre Vorläuferzellen, die Retikulozyten. Er entwickelte die These, wonach der Eiweißabbau energieabhängig ist, was spätere Forschungen bestätigten. Zu seinen Doktoranden gehörten Eberhard Hoffmann, Gisela Jacobasch, Sinaida Rosenthal und Harry Scharfschwerdt, die später selbst Professuren in der DDR übernahmen. Als akademischer Lehrer erarbeitete Rapoport neue Ausbildungskonzeptionen des Faches medizinische Biochemie, wobei er hier, wie in der Forschung, auf seine 98 Vgl. Archiv der Humboldt-Universität Berlin: Personalakte (PA) Samuel Mitja Rapoport, mit der Ernennungsurkunde sowie dem Einzelvertrag vom 18. Februar 1952. Die Bezahlung wurde am 15. September 1960 auf 4 000 Mark erhöht. Hinzu kamen weitere Vergütungen. 99 Vgl. ebd., auch für die folgenden Angaben. 100 Eine Rolle könnte die nicht vorliegende Habilitation Rapoports gespielt haben. Aufgrund seiner Leistungen verlieh ihm die Humboldt-Universität am 7. April 1970 den Dr. sc. med., das DDR-Äquivalent zur Habilitation. – Holtz, der 1946 in Rostock wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft zeitweilig vom Dienst suspendiert worden war, flüchtete 1953 in die Bundesrepublik und übernahm eine Professur für Pharmakologie und Toxikologie in Frankfurt a. M. Strack, der nie Mitglied einer Partei war, blieb in Leipzig.

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Erfahrungen in den USA zurückgreifen konnte. Dazu zählten Modellseminare, in denen biochemische Inhalte mit klinischen Fragestellungen verbunden wurden. Dies sollte den Studenten das Erkennen funktionaler Zusammenhänge deutlich machen. Gemeinsam mit Hans-Joachim Raderecht modernisierte er das Physiologisch-chemische Praktikum; so auch der Titel eines 1956 erstmals erschienenen Buches, das noch 1989 in achter Auflage herauskam. Rund eintausend Studenten konnte er so jedes Jahr ausbilden. Die dabei gewonnenen Erfahrungen fanden 1962 Eingang in sein bis 1987 in neun Auflagen erschienenes Lehrbuch Medizinische Biochemie. Er widmete sein Lehrbuch, das auch ins Russische übersetzt wurde, „Den Studenten, deren Nichtwissen und Neugierde der ständige Stachel eines Lehrers sind.“ Wichtige Ergebnisse der Forschung fasste er 1986 in der Monographie The Reticulocyte zusammen. In öffentlichen Auftritten hob er die Notwendigkeit interdisziplinärer Arbeit hervor: „Alle an der Erforschung von Lebensvorgängen beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen sind zu einem Komplex der Biowissenschaften zusammengewachsen“, sagte er 1972. „Ihr Gegenstand ist der gesamte Bereich der belebten Materie, der mit spezifischen biologischen Methoden und unter Anwendung der naturwissenschaftlichen Grundlagenwissenschaften Mathematik, Physik und Chemie sowie anderer naturwissenschaftlicher und technischer Disziplinen bearbeitet wird. Mit deren Anwendung umfassen die Biowissenschaften wesentliche Bereiche der Gesellschaft, besonders das Gesundheitswesen, die chemische Industrie, die Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft, die Forst- und Wasserwirtschaft.“101 Bis 1996 veröffentlichte Rapoport nicht weniger als 666 wissenschaftliche Arbeiten. Zusammen mit dem Pharmakologen Friedrich Jung veranstaltete er im Drei- oder Vierjahresrhythmus die Internationalen Berliner Erythrozytensymposien. Rapoport verfügte aber auch über die Fähigkeit, neue Forschungsrichtungen zu initiieren und zu unterstützen, an deren Arbeiten er nicht direkt teilnahm. Ein Beispiel war der Aufbau der Gentechnik am Institut für Molekularbiologie an der Akademie in Berlin-Buch durch seine Schüler Sinaida Rosenthal, Charles Coutelle, Tom Rapoport und Hartmut Liebscher. Auf die Anregungen von Ingeborg und Samuel Rapoport ging die pharmazeutische Herstellung von Insulin in der

101 Rapoport in einem Vortrag anlässlich eines Treffens von Angehörigen der HumboldtUniversität und der Moskauer Lomonossow-Universität, abgedruckt in: Samuel Mitja Rapoport, Molekularbiologie, Medizin, Philosophie, Wissenschaftsentwicklung. Essays, Berlin [DDR] 1987, Zitat S. 15.

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DDR zurück, wobei ihr ältester Sohn Tom und der Physiker Eberhard Heinrich an der weiteren Forschung beteiligt waren.102 1962 gehörte Rapoport zu den Gründungsmitgliedern der Biochemischen Gesellschaft der DDR, der er von 1971 bis 1979 vorstand. Gemeinsam mit Karl Lohmann und Horst Frunder setzte er 1964 die Aufnahme der Biochemischen Gesellschaft in die Federation of European Biochemical Societies (FEBS) und 1967 in die International Union of Biochemistry & Molecular Biology (IUBM) durch und wurde 1967 Delegierter in der General Assembly der IUBM und im FEBSCouncil. Die Biochemische Gesellschaft war die erste wissenschaftliche Gesellschaft der DDR, die – in Zeiten des diplomatischen Boykotts durch die Bundesrepublik – die offizielle internationale Anerkennung erlangte. Rapoport war Präsident des 12. FEBS-Kongresses 1978 in Dresden, an dem rund 3 500 Wissenschaftler aus 35 Ländern teilnahmen, und Präsident der Gesellschaft für Experimentelle Medizin der DDR. In der FEBS und IUBM bekleidete er zahlreiche Funktionen. Mehrere Ehrendoktorate und Akademiemitgliedschaften bezeugten seine internationale Anerkennung. Ingeborg Rapoport arbeitete zunächst als Oberärztin am HufelandKrankenhaus in Berlin-Friedrichshain und legte dort 1953 die Facharztprüfung für Kinderheilkunde ab. Danach ging sie ans Biochemische Institut der Charité. 1959 habilitierte sie sich mit Studien über den Magnesium-Mangel (so der Titel der Habilitationsschrift) und wurde 1960 Dozentin an der Kinderklinik der Charité. 1964 wurde sie zur Professorin mit Lehrauftrag, 1968 zur Professorin mit vollem Lehrauftrag berufen. 1969 erhielt sie den europaweit ersten Lehrstuhl für Neonatologie, für jenen Zweig der angewandten Kinderheilkunde, der sich mit Neu- und Frühgeborenenmedizin sowie der Neugeborenenvorsorge befasst. Neben ihrem eigentlichen Fachgebiet forschte sie auch über Störungen des Wasser-Elektrolyt-Haushaltes im menschlichen Körper. „Bis zu ihrer Emeritierung 1973“, hieß es im Nachruf der HumboldtUniversität, „entwickelte Ingeborg Rapoport ihre Abteilung inhaltlich und strukturell mit dem Neuaufbau einer Station für Neugeborenen-Intensivtherapie und einer Forschungsabteilung (Schwerpunkte Hypoxie, Bilirubin, Surfactant) wei-

102 Vgl. Gisela Jacobasch, Nachruf auf Samuel Mitja Rapoport. Vorgetragen auf der Gedenkveranstaltung im Plenum der Leibniz-Sozietät am 16. September 2004, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Nr. 68 (2004), S. 134–140; Eberhard Hoffmann, Nachruf auf Samuel Mitja Rapoport (27. 11. 1912–07. 07. 2004), in: Bio Spektrum 10, 2004, Nr. 5, S. 643 f.

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ter.“103 Damit, so heißt es weiter, „gehörten auch die Forschungen in der Neonatologie und der Pädiatrie zu ihren Verdiensten. Nach ihrer Emeritierung war Prof. Rapoport noch bis in die achtziger Jahre hinein wissenschaftlich tätig und engagierte sich in der Nachwuchsförderung.“ 104 In einer nuancierten Würdigung ihres über 150 Titel umfassenden wissenschaftlichen Werkes hieß es, Ingeborg Rapoports Erfolge beruhten auf drei Säulen: Zum einen waren das die aus den USA mitgebrachten und in der DDR angewandten Erfahrungen im Bereich der Pädiatrie und speziell der Neonatologie, zum zweiten die Verflechtung von Wissenschaft und Versorgungsmedizin in dem durch sie 1969 angeregten und geleiteten Projekt Perinatologie, zum dritten initiierte Ingeborg Rapoport die Analyse eines jeden Kindersterbefalles in der DDR.105 Die dafür seit 1958 auf Kreis- sowie Bezirksebene eingesetzten Kommissionen von Sachverständigen hatten zunächst in der Bundesrepublik kein Pendant. Erst 1987 wurden in West-Berlin entsprechende Einzelfalluntersuchungen auf freiwilliger Basis eingeführt.106 1954 kehrte Albert Wollenberger mit seiner dänischen Frau Gertrud, geb. Basse (1925–2016), die er 1951 geheiratet hatte, in die DDR zurück. Auch er hatte als Kommunist 1951 die USA verlassen und dann drei Jahre an Forschungsprojek103 Hypoxie ist die Mangelversorgung des menschlichen Gewebes mit Sauerstoff, das Bilirubin ist ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, Surfactant bezeichnet eine oberflächenaktive Substanz in der Lunge. 104 Der Nachruf auf die im Alter von 104 Jahren verstorbene Ingeborg Rapoport findet sich im Internet unter https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/charite_trauert_um_prof_dr_dr_ingeborg_rapoport/. Vgl. auch Inge Rapoports Autobiographie: Meine ersten drei Leben, S. 282 ff., für ihre Arbeit an der Charité. 105 Das Projekt Perinatologie befasste sich mit der gesundheitlichen Versorgung von Schwangeren und Föten bzw. Neugeborenen vor und nach der Geburt. 1961 änderte die DDR ihre Definition von Lebend- und Totgeburt. Waren bis dahin Lungenatmung oder ein anderes Lebenszeichen zur Klassifizierung einer Lebendgeburt ausreichend, so mussten jetzt Lungenatmung und Herzschlag gleichzeitig vorliegen. Dabei spielte das Bestreben eine Rolle, die Ausgaben für Leistungen für die Geburtenbeihilfe in den Griff zu bekommen. Diese wurden im Juli 1959 von 100 Mark (ab dem dritten Kind) auf 500 Mark ab der Geburt des ersten Kindes erhöht. Dies riss sofort empfindliche Löcher in den DDRStaatshaushalt. Offenbar dienten die höheren Anforderungen an die abschließende Klassifizierung der Geburt dem Versuch, die Mehrkosten zu kompensieren. Vgl. Stephan Mallik, Lebendgeburt und Totgeburt in der DDR. Motive und Konsequenzen der Neudefinition von 1961, in: Der Gynäkologe 46, 2013, Nr. 11, S. 858–864. 106 Vgl. Roland R. Wauer, Inge Rapoport – Nestorin der deutschen Neonatologie, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Nr. 115 (2013), S. 51 f., 54 f. Vgl. auch Kornélia Fruzsina Böhmerle, Die Entwicklung der Perinatalmedizin in Berlin aus geburtshilflicher Perspektive. Med. Diss., Freie Universität Berlin 2015, S. 46.

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ten in Schweden und Dänemark gearbeitet. 1954 ereichte ihn ein Ruf der Berliner Humboldt-Universität auf die Professur für Pharmakologie. Wollenberger nahm den Ruf, der ihm auch materielle Sicherheit brachte, an und siedelte mit seiner größer werdenden Familie – er sollte Vater von sieben Kindern, darunter sechs Töchtern, werden – nach Berlin über, wo er in die SED eintrat.107 1956 war Wollenberger Mitbegründer und ab 1962 Leiter der Arbeitsstelle für Biochemie des Herzens an der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch. 1965 wurde er Direktor des Akademie-Institutes für Kreislaufforschung. Nachdem in Folge der Akademie-Reform das Institut 1968 in das Zentralinstitut für Herz- und Kreislaufforschung eingegliedert wurden war, leitete er dort bis zur Emeritierung 1978 den Bereich Molekulare und Zelluläre Kardiologie. Wie die Rapoports, konnte auch Wollenberger auf seinen amerikanischen Erfahrungen aufbauen und diese in der DDR schöpferisch anwenden. Er entwickelte unter anderem ein Verfahren, das die experimentelle Untersuchung von lebenden Herzmuskelzellen ermöglichte.108 Dieses Wollenberger clamp genannte Verfahren brachte ihm nationale und internationale Anerkennung. 1968 war er Mitbegründer und 1973–1976 Präsident der International Society of Heart Research, 1969 Mitbegründer des Journal of Molecular and Cellular Cardiology. Im Juni 1954 kehrten auch Alfred und Ursula Katzenstein mit den beiden Töchtern Kate und Susan in die DDR zurück. Die Eltern traten der SED bei. Alfred Katzenstein, promovierter Sozialpsychologe, fand Arbeit in einem Berliner Krankenhaus. Doch zog es ihn zur Wissenschaft: 1965 habilitierte er sich in Jena mit der Schrift Unterschiede in der Reaktionsweise von Patienten mit inneren Erkrankungen auf eine Hypnose-Induktion.109 1973 wurde er Akademie-Professor und Vorsitzender der Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie. Suggestion und Hypnose blieben im Zentrum von Alfred Katzensteins wissenschaftlichen Tätigkeit, wobei er auch „eine Lanze“ für den in der DDR noch immer beargwöhnten Sigmund Freud brach: Zusammen mit dem Psychologen Siegfried Kätzel, dem Medizinhistoriker Achim Thom, dem Philosophen Dietrich Alexander und weiteren Mitstreitern organisierte er im Mai 1981 in Bernburg aus Anlass des 125. Geburtstages Freuds eine Tagung zur historischen Stellung und 107 Laut Auskunft des Archivs der Humboldt-Universität existiert keine Personalakte zu Albert Wollenberger. 108 Vgl. Ernst-Georg Krause, Nachruf auf Prof. Dr. Albert Wollenberger, in: Zeitschrift für Kardiologie 89, 2000, Nr. 4, S. 1153–1154. 109 Katzensteins Dissertations- und Habilitationsschriften sind zusammen mit einigen persönlichen Dokumenten am Institut für Psychologie der Fern-Universität Hagen aufbewahrt.

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gegenwärtigen Funktion der wissenschaftlich begründeten Psychotherapie.110 Durch ihren Beruf als Arbeitsmedizinerin beansprucht, konnte Katzensteins Frau Ursula erst 1970 ihre Dissertation Zur Rehabilitation schwerstgeschädigter Jugendlicher als humanitäres, medizinisches, soziales und ökonomisches Anliegen vorlegen. Ihrem verantwortungsvollen Arbeitsgebiet blieb Ursula Katzenstein treu, so in der Organisierung geschützter Arbeitsplätze für Schwerbeschädigte.111

„Spätheimkehrer“ auf Umwegen: Die Weiskopfs und Hans Székely Das Ehepaar Franz Carl Weiskopf und Alex Wedding (unter diesem Schriftstellernamen war Grete Weiskopf populär) wollte zunächst in den USA bleiben. Die Weiskopfs hatten 1941 und 1943 Anträge auf eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung gestellt, und sie taten dies im Herbst 1945 noch einmal, jedoch vergeblich. Ende 1946 wurden sie stattdessen aufgefordert, die USA innerhalb eines halben Jahres zu verlassen. Dazu trugen womöglich nicht nur ihre Einbindung in das kommunistische Exil bei (nicht zuletzt durch Grete Weiskopfs Schwager Wieland Herzfelde), sondern auch Gerüchte über eine geheimdienstliche Tätigkeit F. C. Weiskopfs für die Sowjetunion, die sich hartnäckig hielten.112 Doch konnten die Weiskopfs in den USA bleiben, da die Regierung der wiedererstandenen Tschechoslowakei F. C. Weiskopf zum ehrenamtlichen Presseattaché ihres Generalkonsulats in New York bestellte. Dies war mit der Ausstellung eines Diplomatenpasses verbunden, der Weiskopf möglicherweise auch vor einer Vorladung vor das HUAC bewahrte.113 1947 wurde er zum Botschaftsrat in Washington ernannt, verließ zusammen mit seiner Frau Grete jedoch 1949 schließlich die USA. Er war zum Botschafter der ČSR in Schweden befördert worden und übte von 1950 bis 1952 das gleiche hohe Amt in China aus. 110 Vgl. Alfred Katzenstein u. a., Die historische Stellung und die gegenwärtige Funktion der von Sigmund Freud begründeten Psychoanalyse im Prozess der Formierung einer wissenschaftlich fundierten Psychotherapie. Vorträge einer Arbeitstagung anlässlich des 125. Geburtstages von Sigmund Freud, 7. und 8. Mai 1981. Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, Bernburg 1981. 111 Vgl. Ursula Katzenstein/Wolfgang Presber/Jochen Walther, Organisation der geschützten Arbeit in der DDR, Berlin [DDR] 1975. 112 Vgl. Alexander Stephan, Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart/Weimar 1995, S. 346; Jan Gerber, Ein Prozess in Prag. Das Volk gegen Rudolf Slánský und Genossen, Göttingen 2016, S. 186, 188 f. 113 Vgl. Stephan, Im Visier des FBI, S. 348.

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Der politische Wechsel von der bürgerlichen Demokratie zum sowjetischen Modell im Februar 1948 in der Tschechoslowakei schien seiner Karriere zunächst nichts anzuhaben. Doch im Juli 1952 wurde Weiskopf aus China nach Prag zurückberufen. Angesichts der Repressalien, die gerade jüdische „Westemigranten“ im Kontext des mörderischen Slánský-Prozesses erlitten, erstaunt es, wie viel Glück er hatte: Zwar wurde er von den Parteikontroll-Kommission vernommen, doch gab sich diese mit seiner Auskunft zufrieden, die Partei habe von Anfang an gewusst, dass er ein deutschsprachiger Schriftsteller sei.114 Die Weiskopfs sahen keine andere Möglichkeit, als die Tschechoslowakei zu verlassen. Um dies auf legalem Wege zu tun, blieb als einziges mögliches Aufnahmeland nur die DDR. Zwischen August und Dezember 1952 schrieb Weiskopf mehrmals an offizielle Parteistellen, doch die SED reagierte nicht.115 Am 17. Oktober 1952 wandte er sich in einem Privatbrief an seinen Freund Willi Bredel. Er bat ihn, bei der gewünschten Übersiedlung der Weiskopfs in die DDR behilflich zu sein. Bredel setzte sich mit DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck in Verbindung.116 Doch erst im November 1953 konnten die Weiskopfs übersiedeln. Die DDR war keineswegs das Land ihrer Wahl gewesen: Ähnlich wie ihr Freund Louis Fürnberg, der von Prag nach Weimar ging, mussten sie das Paradoxe einer Situation erkennen, in der sie auf deutschem Boden Sicherheit fanden – auf dem Boden, auf dem sie als Juden wie als aktive Kommunisten noch wenige Jahre zuvor kaum Chancen des Überlebens gehabt hätten.117 Kurz nach seiner Übersiedlung nach Berlin begründete Weiskopf zusammen mit Bredel die Zeitschrift Neue Deutsche Literatur, die er bis zu seinem frühen Tod am 14. September 1955 leiten sollte. Über die USA publizierte er nichts mehr. Seine Frau Alex Wedding veröffentlichte hingegen bereits 1948 ihren Roman Söldner ohne Sold, dessen Rahmen die amerikanische Unabhängigkeitsrevolution von 1776 bildete.

114 Vgl. Gerber, Ein Prozess in Prag, S. 226. 115 Vgl. Doris Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918–1960), Göttingen 2012, S. 472. 116 Vgl. „Ich verdanke ihm wahrhaftig nicht wenig“. Willi Bredel über Franz Carl Weiskopf – seinen literarischen Ratgeber und Freund, in: Willi-Bredel-Gesellschaft, Rundbrief Nr. 21 (2011), S. 17 f. 117 In der DDR stand F. C. Weiskopf unter Beobachtung der Staatssicherheit. Diese meinte über ihn zu wissen, er habe auch nach dem Februar 1948 noch Verbindungen zu „geflüchteten reaktionären Emigranten“ unterhalten und zudem weiterhin „engen Kontakt zu den deutschen Trotzkisten, u. a. zu Münzenberg.“ BStU, ZA, Allg. P., Bd. 1829/55, Bl. 000004f. (Bericht vom 7. Januar 1955). Willi Münzenberg war nie Trotzkist gewesen und zudem 1940 unter nie aufgeklärten Umständen verstorben. Negative Folgen hatte dieser Bericht für Weiskopf nicht.

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Wie die Tschechoslowakei war auch Ungarn ein Schauplatz stalinistischen Terrors, und auch hier waren „Westemigranten“ eine „bevorzugte“ Opfergruppe. Die vielen Ungarn, die es vorzogen, in ihren Exilländen zu bleiben, hatten somit das bessere Los gezogen. Doch durften einige wenige, die des Kommunismus bezichtigt wurden, nicht in den USA bleiben. Dabei ging kaum jemand, so er es irgendwie vermeiden konnte, in den Osten Deutschlands. Eine Ausnahme bildete der Drehbuchautor Hans (eigentlich János) Székely. Székely, der unter den Namen John Toldy zusammen mit Billy Wilder für das Drehbuch von Arise my Love 1940 einen „Oscar“ erhalten hatte, war seit 1944 US-Staatsbürger. Auch als Schriftsteller hatte er sich voll integriert und schrieb in amerikanischem Englisch. Der 1943 zuerst als The Dynamiters und dann unter dem Titel You Can’t Do That with Svoboda erschienene Roman wurde wie sein Nachfolger Temptation 1946 ein Erfolg. Von Krankheiten geplagt, musste Székely indes erleben, dass die Übersetzung des letzteren Buches 1949 in Ungarn – als angebliches Werk eines amerikanischen Autors! – sofort nach dem Erscheinen verboten wurde. Zugleich aber geriet Székely in Hollywood in Bedrängnis. Noch 1949 konnte er in New York am Drehbuch des Films Give Us This Day mitwirken, der in der Bundesrepublik unter dem Titel Haus der Sehnsucht in die Kinos kam. Doch benannte zwei Jahre später Edward Dmytryk, der Regisseur des Films und einer der einstigen „Hollywood Ten“, Székely als einen der kommunistischen Drahtzieher im Filmgeschäft. Diesem blieb nun nichts anderes übrig, als mit seiner Familie das Land in Richtung Mexiko zu verlassen. Dort ereichte ihn 1956 ein Angebot der DEFA, das er annahm und in die DDR übersiedelte. Die Rückkehr nach Berlin war für ihn die Wiederbegegnung mit dem Ort, an dem er in der Weimarer Republik seine ersten Drehbücher für Stummfilme geschrieben hatte.118 In der DDR gelang ihm als Regisseur 1958 mit dem Film Geschwader Fledermaus nach einem Roman von Rolf Honold ein Meisterwerk in der besten Tradition der Antikriegsfilme Hollywoods. Der England-Remigrant Wolfgang Heinz und die junge Christine Lazsar spielten als US-General Lee und als seine Sekretärin und Geliebte Flessy einprägsame Rollen in einem Film, der die Aussichtslosigkeit des französischen Kolonialkrieges in Vietnam trotz des skrupellosen „Verheizens“ der Piloten des Geschwaders drastisch vor Augen führt. Die oft von Zynismen durchsetzten Dialoge lassen die Handschrift des Hollwood-erfahrenen Regisseurs erkennen, und die Musik von Hanns Eisler tat ein Übriges, um Spannungs118 Vgl. die Informationen auf der von „Labdarugo“ geführte flämischen Internet-Seite: Székely, János, http://www.labdarugo.be/Szekely%20Janos.html. Das Pseudonym des Betreibers deutet auf einen aus Ungarn stammenden Fußball-Anhänger hin (Fußball, ungarisch: Labdarúgás).

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reichtum zu erzeugen. Die Uraufführung des Filmes war für den 26. Dezember 1958 angesetzt. Hans Székelý sollte sie nicht mehr erleben: Er starb zehn Tage vorher in Berlin.

Erneute Flucht wider Willen: Alfred Kantorowicz, Ernst Bloch, Karola Bloch Zu diesem Zeitpunkt befand sich ein anderer Remigrant, Alfred Kantorowicz, bereits nicht mehr in der DDR. Er war im August 1957 in den Westen geflüchtet. Vorangegangen war seine wachsende Enttäuschung über die Zustände in der DDR, die er zunächst nur seinem Tagebuch anvertraute. Diese Enttäuschung bekam ihren entscheidenden Anstoß durch den Slánský-Prozess. Er schrieb: „Das – das ist monströs. Das ist die Sprache Streichers, die Gesinnung Himmlers, die Atmosphäre der Gestapoverhöre und der Volksgerichtshof-Verhandlungen unter Freislers Vorsitz, die ,Moral‘ der Menschenschlächter von Dachau und Buchenwald, der Vergaser von Auschwitz und Majdanek. Es ist unmenschlich. Hitler, du hast Schule gemacht – nicht nur im Westen, wo die Deinen in Spanien, in Portugal, überall, wo es faschistische Diktaturen in der Welt gibt, dein Beispiel nachahmen, sondern auch im Osten.“119 Der lange Weg Kantorowicz’ vom skeptischen Kommunisten zum sozialistischen Gegner des offiziellen Kommunismus führte ihn zum Sympathisieren mit den aufständischen Arbeitern am 17. Juni 1953. Er lag zu dieser Zeit im Krankenhaus; dies machte eine irgendwie geartete politische Aktion seinerseits ganz unmöglich. Kantorowicz vertraute seine Empfindungen, die durchaus widersprüchlich waren, dem Tagebuch an. „Ich fand es ganz folgerichtig“, schrieb er, „dass Arbeiter ihre Antreiber und Fronvögte verprügeln. Nur würden, wie stets bei solchen Ausbrüchen, Unschuldige die Prügel erhalten, meine gutgläubigen Studenten und Assistenten [...], sie verdienen Schonung.“120 Weiter bemerkte er: „Wie hätten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sich in solcher Situation verhalten? Gleichzeitig wusste ich, wie unsinnig diese Fragestellung war. Gäbe es Sozialisten von der Art Liebknechts unter uns, sie hätten sich an die Spitze der Arbeiter gestellt – nein, man hätte sie erst aus den Gefängnissen befreien müssen, kein Zweifel daran [...]. Provokation? Mag sein, dass auch Provokateure den Zeitpunkt genutzt haben, doch was für eine armselige Ausrede, sich weiszumachen, ein paar Tangobubis vermöchten einen 119 Alfred Kantorowicz, Deutsches Tagebuch II [1961), Berlin [West] 1979, S. 335. 120 Ebd., S. 365.

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Arbeiteraufstand auszulösen. Das Pulverfass, das durch einen einzigen Funken, von woher er auch kommen mochte, entzündet werden konnte, hatte sich in Jahren bis zum Rand gehäuft.“121 Kantorowicz schwankte, wie er schrieb, „zwischen Erleichterung und Besorgnis“ angesichts der sowjetischen Panzer. „Nicht nur die Brandstiftungen, Plünderungen, Gewalttätigkeiten, sondern auch die Einmischung der aus ihren Schlupfwinkeln auftauchenden Nazis, die die Führung an sich zu reißen suchten, zersetzten die Demonstrationen der Arbeiter.“ Kantorowicz wurde blitzartig klar, dass nur durch das Eingreifen der sowjetischen Truppen Ulbricht gerettet werden konnte. Die Sowjetunion, die, so mutmaßte Kantorowicz, Ulbricht habe stürzen wollen, müsse ihn nun stützen.122 Die Intellektuellen und alten Sozialisten seien jedoch in der Vergangenheit zu passiv gewesen. Hätten sie sich an die Spitze des Aufstandes gestellt, dann hätten vielleicht Ausschreitungen gegen Kommunisten verhütet werden können. Kantorowicz wusste, dass dies nunmehr eine müßige Spekulation war. „Jetzt kann man nur noch von innen her für Veränderungen wirken“, schloss er.123 Es mussten neue Konflikte auftreten, bis Kantorowicz meinte, nichts mehr in der DDR tun zu können. Am 22. August 1957, ein Dreivierteljahr nach dem Ungarn-Aufstand, brach Kantorowicz mit der DDR und ging nach West-Berlin. Am Nachmittag dieses Tages gab er eine öffentliche Erklärung über den Sender Freies Berlin ab, in der es hieß: „Mit dem heutigen Tage habe ich den Machtbereich der Ulbrichtschen Gewaltherrschaft verlassen. Damit gebe ich preis meine Ämter als Professor mit Lehrstuhl für neueste deutsche Literatur, Direktor des Germanistischen Instituts und Fachrichtungsleiter für Germanistik an der Humboldt-Universität, meine Arbeit als Direktor des Heinrich-Mann-Archivs der Deutschen Akademie der Künste, Verwalter des Nachlasses und Herausgeber des Gesamtwerks meines verehrungswürdigen Vorbildes Heinrich Mann.“124 Zwei Tage nach Kantorowicz’ Flucht brachte das Neue Deutschland eine Stellungnahme des Schriftstellerverbandes der DDR. In dem unter anderen von Willi Bredel, Stephan Hermlin, Ludwig Renn und Anna Seghers unterzeichneten Text heißt es: „Alfred Kantorowicz, der sich bis vor kurzem Antifaschist nannte, hat den ehemaligen SA-Mann und gegenwärtigen Bonner Innenminister um Schutz und Bürgerrechte in dem von diesem Schröder ,gesicherten Teil seines Vaterlan121 122 123 124

Ebd., S. 365 f. Ebd., S . 369 f. Ebd., S. 376. Alfred Kantorowicz, Warum ich mit dem Ulbricht-Regime gebrochen habe, in: Die Welt, 24. August 1957. Wiederabdruck in: Ders., Im 2. Drittel unseres Jahrhunderts. Illusionen, Irrtümer, Widersprüche, Einsichten, Voraussichten, Köln 1967, S. 157.

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des‘ ersucht.“ Er falle allen Menschen in den Rücken, die Deutschland vom Alpdruck der Kriegspartei befreien wollen. Damit habe er alles verraten, für das er bisher eingetreten sei. Die Erklärung schloss mit einem auf Wirtschaftsflüchtlinge und Schieber gemünzten Kantorowicz-Zitat aus der Täglichen Rundschau von 1949: „Wir dürfen zufrieden sein. Je mehr von der Sorte wir loswerden, desto besser für uns. Auch das ist eine Art Enttrümmerung. Es wird sauberer bei uns.“125 Kantorowicz’ Name verschwand umgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung, dann für lange Zeit aus Büchern und Bibliotheken der DDR. Der Fall Kantorowicz wurde dafür nach seiner Flucht bei der Staatssicherheit zum Operativen Vorgang „Renegat.“126 Aus Angst vor ihr hatte Kantorowicz seine persönlichen Dokumente und Tagebücher schon vor der Flucht heimlich nach West-Berlin verbracht. Mit Bundesminister Ernst Lemmer hatte er abgesprochen, dass er sofort nach München ausgeflogen würde, ohne zuvor in West-Berlin ein förmliches Notaufnahmeverfahren zu durchlaufen, da er nicht von westlichen Nachrichtendiensten verhört werden wollte.127 In seiner ersten, im Rundfunk ausgestrahlten Stellungnahme sagte Kantorowicz noch am 22. August 1957, er habe Warnungen erhalten, dass er nach der Verhaftung Wolfgang Harichs das nächste Opfer sein könne. Deshalb habe er, wenn auch schweren Herzens, gehen müssen.128 In der Bundesrepublik sah sich Kantorowicz, der zuerst vom Verleger Helmut Kindler in München finanziell unterstützt wurde, als ein unabhängiger Linker. Im Kalten Krieg blieb er damit auch in der Bundesrepublik lange marginalisiert. Seine anfängliche Hoffnung auf eine erneute Anstellung an einer Universität blieb unerfüllt. Politisch blieb er im Kalten Krieg ein Außenseiter. Noch 1968 schrieb er: „Es wird nicht dem einschlägigen, sterilen, unbedingten Antikommunismus das Wort 125 Neues Deutschland, 25. August 1957. 126 Es verwundert nicht, dass die in der DDR begonnene Beobachtung Kantorowicz’ durch das MfS in der Bundesrepublik fortgesetzt wurde. Vgl. Kantorowicz’ MfS-Akte: BStU, ZA, HA IX/11, SV 19/77, Bd. 1. Vgl. auch Joachim Walther, Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1996, S. 70 f., 666 f. 127 Vgl. Klaus Körner, Alfred Kantorowicz – ein deutsches Schicksal. www.berlinerlesezeichen.de/Blz00_04/text01.htm. 128 Kantorowicz, Warum ich mit dem Ulbricht-Regime gebrochen habe, S. 161. Wolfgang Gruner, Alfred Kantorowicz – Wanderer zwischen Ost und West, in: Claus-Dieter Krohn/Axel Schildt (Hg.), Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit, Hamburg 2002, S. 294–315, streicht stärker die Enttäuschung Kantorowicz’, als Schriftsteller in der DDR nicht anerkannt worden zu sein, als Hauptbeweggrund für seinen Weggang heraus.

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geredet, der in seiner herkömmlichen extremen Form eine andere Spielart des Totalitarismus ist, also nicht die Antithese, sondern die Entsprechung der stalinistischen Variante des Kommunismus.“129 Kantorowicz warnte vor einem „undifferenzierte[n] Antikommunismus um jeden Preis – also auch den Preis der Demokratie und der Freiheit im eigenen Lager“, der jedoch das politische Klima der Bundesrepublik damals weitgehend prägte.130 Er unterstrich an anderer Stelle: „Der Kampf gegen die Tyrannei ist unteilbar. Wer gegen die Massaker in Ungarn Protest erhob, muss auch gegen die Massaker in Angola protestieren; wer sich über die geistige Knebelung in den Ostblockstaaten entrüstet, darf nicht verschweigen oder beschönigen, dass in Franco-Spanien der Besitz einer Luther-Bibel unter Strafdrohung steht; wer sich mit Recht vor der Gehirnwäsche entsetzt, kann sich nicht zum Advokaten der McCarthyschen Inquisitionsmethoden machen, die in Amerika nur eine Episode gewesen sind, jedoch Nährboden bei denen in der Bundesrepublik gefunden haben, die die Vergangenheit keineswegs zu bewältigen wünschen, sondern sie nur zu gerne wieder aufleben machen möchten.“131 Indem Kantorowicz in der Bundesrepublik die Tätigkeit alter, teilweise kaum geläuterter Nationalsozialisten in öffentlichen Funktionen angriff, wurde er ein Unbequemer. Der bayerische Arbeitsminister Walter Stain vom „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“, der selbst nur mit knapper Not „entnazifiziert“ worden war, verfügte im Juni 1958 die Verweigerung des Flüchtlingsausweises C für den in München lebenden Kantorowicz. Dieser Ausweis bestätigte nicht nur die Anerkennung als DDR-Flüchtling, sondern war auch Voraussetzung, um Entschädigungsansprüche für die Zeit ab 1933 geltend machen zu können. Bayerische Gerichte bestätigten 1962 und 1964 diesen Entscheid.132 Doch auch im SPD-regierten West-Berlin wurde Kantorowicz mit dem Argument abserviert, dem SED-Regime Vorschub geleistet zu haben. Resigniert schrieb er in der Einleitung zum zweiten Band seines Deutschen Tagebuches, die Bundesrepublik würde jeden NS-Blutrichter, Reichstreuhänder oder SS-General dem vormaligen Kommunisten, Spanienkämpfer, Emigranten, linken Schriftstel-

129 Alfred Kantorowicz, Der geistige Widerstand in der DDR, Troisdorf 1968, S. 3. 130 Ebd. 131 Kantorowicz, Deutsches Tagebuch II, S. 712. Hervorhebung im Text. Druckfehler berichtigt. 132 Vgl. Alfred Kantorowicz, Etwas ist ausgeblieben. Zur geistigen Einheit der deutschen Literatur nach 1945, Hamburg 1985, S. 206. Offiziell wurde die Verweigerung des Ausweises damit begründet, Kantorowicz habe als Hochschullehrer und Parteimitglied dem Unrechtssystem in Ostdeutschland Vorschub geleistet.

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ler und Juden vorziehen.133 Er neigte auch zu Überspitzungen: Die „volkstümliche Intellektuellenhatz“ in Westdeutschland könne „ein Vorbote des Abstiegs in Geschichtslosigkeit sein.“ Doch fügte er hinzu: „Noch kann man dies hier ohne unmittelbare Gefährdung aussprechen“, und dies sei der Unterschied zur DDR.134 Dem amerikanischen Drehbuchautor und Journalisten Leo Katcher, der 1968 die Bundesrepublik bereiste, sagte Kantorowicz: „Heute ist mir mein Jude-Sein wichtig geworden. Ich hatte eine große Familie, aber bin als Einziger übrig geblieben. Die anderen starben in Auschwitz und Theresienstadt, weil sie Juden waren. Ich gehöre zu ihnen, wie ich zu allen Juden gehöre, die nur deshalb starben, weil sie Juden waren.“135 Der Rundfunkjournalist Axel Eggebrecht, ein alter Freund von Kantorowicz, vermittelte ihn an die Kulturredaktionen der großen Sender. Der Zeit-Verleger Gerd Bucerius übernahm die Kosten, um vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Revision der Entscheidung der bayerischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden zu erreichen. Am 1. Dezember 1966 verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht die Stadt München, Kantorowicz den beantragten C-Ausweis auszustellen. Das unter Leitung Herbert Wehners stehende Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen verlieh ihm 1969 den mit 10 000 Mark dotierten Thomas-DehlerPreis für Literatur. Der Hamburger Kultursenator Hans Biermann-Ratjen veranlasste, dass Kantorowicz durch die Aktion Deutsche Künstlerhilfe einen monatlichen Beitrag von 500 Mark erhielt. Die Freie Akademie der Künste wählte ihn 1965 zum ordentlichen Mitglied. In Hamburg lebte er bis zuletzt mit seiner dritten Frau Ingrid, einer Professorin für Modedesign. Er starb am 27. März 1979, dem 108. Geburtstag seines Vorbildes Heinrich Mann. Der prominenteste Amerika-Remigrant – und einer der prominentesten überhaupt – , der die DDR nach anfänglich großer Hoffnung wieder verließ, war der Philosoph Ernst Bloch. Mit großem Enthusiasmus 1949 als bereits 64-Jähriger nach Leipzig gekommen, verließen der 76-Jährige und seine Frau 1961 den Ort wieder, an dem, wie er bekannte, die Hoffnung enttäuscht wurde. Ernst und Karola Bloch wären von einer Reise in die Bundesrepublik, ungeachtet aller Konflikte, 133 Kantorowicz, Deutsches Tagebuch II, S. 9. 134 Alfred Kantorowicz, Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus, München 1983, S. 8. – Kantorowicz beschränkte seine scharfen Attacken nicht auf die Bundesrepublik: In seinen öffentlichen Äußerungen und im Tagebuch attackierte er Walter Ulbricht und andere DDR-Funktionäre auch mit persönlich gefärbten Angriffen. 135 Leo Katcher, Post morten: The Jews in Germany – Now, London 1968, S. 92, zit. nach: Debórah Dwork/Robert Jan van Pelt, Flight from the Reich. Refugee Jews, 1933–1946, New York/London 2012, S. 370.

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vielleicht nach Leipzig zurückgekommen, hätte sie der Mauerbau nicht im Westen überrascht. Den Ausschlag gab der feste Entschluss ihres Sohnes, der gleichfalls im Westen war, nicht in die DDR zurückzukehren. Blochs Weggang zeigte vor allem, dass der Kern seines philosophischen Denkens letztlich mit dem, was damals DDR-offiziell als Marxismus galt, unvereinbar war. Leser und Kritiker seines dreibändigen Hauptwerkes Das Prinzip Hoffnung bemerkten mit Recht, dass Blochs Philosophie, die das Utopische, das NochNicht Erreichte in den Blick nahm, sowohl auf die Überwindung der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft abzielte, als auch, um einen Blochschen Begriff zu verwenden, den Sozialismus, wie er sich im sowjetischen Machtbereich bot, zu transzendieren suchte. In den deshalb unvermeidlichen Konflikten mit dem ideologischen Apparat der SED wurde ihm nicht zugutegehalten – was er naiver Weise annahm – , dass seine Kritik am realen Sozialismus nicht-antagonistischer Natur war, dass er in der Sowjetunion wie in der DDR die Potenzen einer Ordnung erblickte, die imstande sei, den Menschen aus gesellschaftlicher Knechtung zu befreien. Es half ihm nicht, dass dem gegenüber seine Kritik am Kapitalismus in Inhalt und Duktus weit grundsätzlicher war und zeitlebens blieb.136 Bloch, der sich in den USA stets als Fremder gefühlt hatte, griff in seinen philosophischen Schriften in der DDR und später in der Bundesrepublik nicht auf die Anregungen der zeitgenössischen amerikanischen Philosophie oder gar der Politikwissenschaft zurück. Eine auch nur kursorische Auseinandersetzung beispielsweise mit dem Pragmatismus eines Morris Cohen oder eines John Dewey findet sich ebenso wenig wie etwa die Rezeption Sidney Hooks, der jenen Pragmatismus mit der Marxschen Sozialanalyse zu verbinden suchte. Was Bloch aus den USA mitnahm, waren die Früchte seines Studiums in der New York Public Library und der Cambridge Public Library, wo er alle erreichbaren Werke studierte, die dem Prinzip Hoffnung, dessen drei Bände zwischen 1955 und 1959 in der DDR erschienen, zugute kamen. Im Prinzip Hoffnung suchte Bloch freizulegen, was er als den utopischen Kernbestand des Marxismus begriff. Damit musste er in einen unaufhebbaren Gegensatz zum offiziellen Marxismus-Verständnis in der DDR geraten, galt der Marxismus dort doch als eine Lehre, die auf scheinbar unverrückbaren Gesetzen 136 Blochs Leipziger Zeit und seine Konflikte in der DDR sind umfassend dokumentiert und untersucht worden, so dass hier der Hinweis auf die beiden wichtigsten Dokumentationen genügt: Michael Franzke (Hg.), Die ideologische Offensive. Ernst Bloch, SED und Universität, Leipzig o. J. [ca. 1991]; Volker Caysa u. a. (Hg.), „Hoffnung kann enttäuscht werden“. Ernst Bloch in Leipzig, Frankfurt a. M. 1992. Unter den biographischen Arbeiten sei hingewiesen auf die gute knappe Einführung von Silvia Markun, Ernst Bloch mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1977, Neuausgabe ebd. 1990.

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der gesellschaftlichen Bewegung beruhte (einem Missverständnis, vor dem Marx und Engels gewarnt hatten) und keinen Raum ließ für die spekulative Dimension des Blochschen Denkens. Dabei war den DDR-Oberen zunächst weniger die Tatsache problematisch, dass Bloch vom DDR-Marxismus abwich, sondern vielmehr, dass er seine Philosophie mit dem Anspruch des Marxisten vortrug. Einen linken, doch „bürgerlichen“ Bloch hätte die DDR womöglich dauerhaft integrieren können, nicht aber einen Denker, der implizit und schließlich explizit den Anspruch erhob, den Marxismus zu modernisieren. Der Revisionist, nicht der erklärte Gegner, blieb stets der gefährlichste Feind der Orthodoxie. Bis Ende 1956 verharrte Blochs Anspruch im Impliziten. Das Neue und Aufregende, das er an der Leipziger Universität vortrug, wurde – trotz erster Kritiken – toleriert, solange es auf den Hörsaal beschränkt blieb. Blochs auch auf die DDR bezogene Forderung, man müsse sich dessen bewusst sein, was einem fehle, um überhaupt etwas verändern zu können, wurde noch nicht als Häresie begriffen, zumal dann nicht, wenn diese Forderung in der Bloch so eigenen Mischung aus barockem und expressionistischem Deutsch vorgetragen wurde: „Das Nein zum vorhandenen Schlechten, das Ja zum vorschwebenden Besseren wird von Entbehrenden ins revolutionäre Interesse aufgenommen. Mit dem Hunger fängt dies Interesse allemal an, der Hunger verwandelt sich, als belehrter, in eine Sprengkraft gegen das Gefängnis der Entbehrung.“137 Zudem scharte Bloch zwar eifrige Assistenten und Studenten um sich, die bald als der „Bloch-Kreis“ bewundert wie verrufen wurden, doch bildete er im eigentlichen Sinn keine philosophische Schule, die für die Staatsphilosophie der DDR zur Herausforderung geworden wäre.138 Der appellative Ton seiner Vorlesungen und Schriften mündete stets in der Forderung nach Stärkung der DDR. Im März 1956 berief Bloch die Konferenz über „Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus“ ein. Es gelte, so Bloch, den Freiheitsbegriff gegen jeden Missbrauch aus dem imperialistischen Lager zu schützen. Der westliche Freiheitsbegriff diene stets dazu, kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung zu beschönigen: „So ist zwar die Antreiberei aufs Höchste gesteigert, aber es wird gesagt, man sei ein freier Mann. So wüten zwar die Kolonialherren in Kenia, Algier, Zypern, Südafrika und wo immer sonst, aber man spricht vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und singt von der freien Welt. So blüht die Lynchjustiz in den amerikanischen Südstaaten, und die United Fruit Company samt allen ähnlichen Firmen 137 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung (Werkausgabe, Bd. 5, Teil 1), Frankfurt a. M. 1985, S. 84. 138 Vgl. hierzu Ingrid und Gerhard Zwerenz, Sklavensprache und Revolte. Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West, Hamburg/Berlin 2004.

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und Banken ist nicht minder kein Feigenbaum, unter dem sich’s ungeschreckt ruht, aber das gleiche Land verficht atlantische Freiheit. Wie recht hatte Thomas Mann, als er prophezeite, der Faschismus werde in und von Amerika unter dem Namen der Freiheit eingeführt werden.“139 Dies war eine der wenigen Äußerungen, in denen Bloch die USA erwähnte. Wo immer er es tat, geriet die Kritik zur Agitation. Die tiefe Verunsicherung, die ihn nach Chruschtschows „Geheimrede“ auf dem XX. KPdSU-Parteitag befiel, änderte noch nichts an Blochs öffentlich vertretener Position. Nur im privaten Kreis machte er seiner Erbitterung über das stalinistische System, das er so lange mitgetragen hatte, Luft. Heinz Brandt, damaliger Agitationssekretär der Berliner SED-Bezirksleitung und später politischer Häftling in der DDR, berichtete über einen Urlaubsspaziergang an der Ostsee mit Ernst Bloch und Gerhart Eisler, bei dem die drei in Erregung über die aktuellen politischen Probleme gerieten. Brandt schrieb: „Was Not tut“, so Ernst Bloch, „ist eine Erneuerung der Partei an Haupt und Gliedern. Ich wiederhole: reformatio capitis et membrorum. Ulbricht hat nie gewagt, mit den Sowjets ein offenes Wort zu sprechen. Deren politische Strategie war von Grund auf falsch. Sie hätten die DDR zum Schaufenster des Sozialismus machen müssen; stattdessen wurden wir seine Rumpelkammer, angefangen von der Demontage bis zum Normen-Irrsinn. Tabula rasa machen! Wenn jetzt nicht, wann denn?“140 Eisler stimmte Bloch zu: „Neben dieser rührend donquijotehaften, knochigen Gestalt wirkte der kleine, runde Gerhart Eisler mit dem halbkahlen Kugelkopf wie sein schimpfgewaltiger Knecht Sancho Pansa, der allerdings seinen Herrn, anstatt ihn zu besänftigen, zu immer neuen Ausbrüchen animierte. In der Tat wetterte Gerhart Eisler wie ein Rohrspatz, stand ihm doch jederzeit das unerschöpfliche, von ihm schöpferisch variierte Schmählexikon der Wiener Kaffeehäuser zur Verfügung.“141 Erst als während des Ungarn-Aufstandes sein Freund Georg Lukács, wie er befürchten musste, in Lebensgefahr geriet, forderte Ernst Bloch am 14. November 1956 in einem Vortrag an der Humboldt-Universität eine umfassende Kritik und Selbstkritik der politisch Verantwortlichen auch in der DDR; nun müsse endlich

139 Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus. Protokoll der Konferenz der Sektion Philosophie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 8.–10. März 1956, Berlin [DDR] 1956, S. 18 f., zit. nach Markun, Ernst Bloch, S. 92. 140 Heinz Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West, Frankfurt a. M. 1985, S. 254 f. 141 Ebd., S. 255.

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„Schach statt Mühle“ gespielt werden.142 Dabei helfen, so Bloch weiter, „keine roten Oberlehrer fern vom Leben, keine Papier-Ästhetik fern von Kunst, kein Philosophieren fern von Philosophie.“143 Nach dem Vortrag sprach Wolfgang Harich, der Chefredakteur der Deutschen Zeitschrift für Philosophie ihn auf die Idee an, durch eine Intellektuellen-Revolte, die von der Sowjetunion unterstützt werde, Walter Ulbricht zu stürzen. Bloch wies dies als abenteuerlich zurück.144 Doch distanzierte er sich nicht von Harich in der Weise, dass er ihn als Konterrevolutionär und feindlichen Agenten bezeichnen wollte, was jedoch erwartet wurde. Nun begann sich das Blatt zuungunsten Blochs zu wenden, nun wurde seine Philosophie als feindlich gegenüber dem DDRMarxismus begriffen. Noch 1955 hatte Bloch aus Anlass seines 70. Geburtstages hohe Ehrungen erfahren: Er wurde in die Akademie der Wissenschaften gewählt, ihm wurde der DDR-Nationalpreis (jedoch nur 2. Klasse) verliehen, und eine Festschrift erschien. Diese gab sein einstiger Habilitand Rugard Otto Gropp heraus. Im Vorwort rühmte er Bloch als bedeutenden Gelehrten, der „sich in der Emigration für eine Neugeburt unseres deutschen Vaterlandes, unserer deutschen Kultur eingesetzt“ habe. Nunmehr stelle Bloch sein reiches Wissen und lebendiges Denken in den Dienst des sozialistischen Aufbaus.145 Nach Blochs Berliner Vortrag, den er nicht direkt zitierte, blies Gropp jedoch zum Sturm. Wenn Bloch „ein dem Psychischen zugehöriges untergeordnetes Moment wie die Hoffnung zu einem Weltprinzip macht und einem solchen an142 Ernst Bloch, Hegel und die Gewalt des Systems, in: Ders., Philosophische Aufsätze zur objektiven Phantasie (Werkausgabe, Bd. 10), Frankfurt a. M. 1985, S. 483. In der DDR erschien die Rede nie. Martin Hundt wies auf Unterschiede zwischen der gehaltenen Rede und dem Textabdruck hin, die den Inhalt des Ganzen jedoch unberührt lassen. Vgl. Martin Hundt, Die Gewalt des Systems. Zu Ernst Blochs Rede anlässlich des 125. Todestages von Hegel, in: Manfred Neuhaus/Helmut Seidel (Hg.), Ernst Blochs Leipziger Jahre, Leipzig 2001, S. 27–34, bes. S. 28. Karola Bloch erinnerte sich daran, dass nach der Rede „ein wahrer Sturm“ losbrach. Ernst Bloch sprach „wie ein wahrer Zeus“, wie selbst Kurt Hager zugegeben habe. Karola Bloch, Aus meinem Leben, Pfullingen 1981, S. 220. 143 Bloch, Hegel und die Gewalt des Systems, S. 495. Georg Lukács, Kulturminister der reformkommunistischen Regierung um Imre Nagy, wurde, als diese die Kontrolle über das Land verlor, von sowjetischen Truppen zeitweilig gefangen genommen und nach Rumänien verbracht. Über seinen genauen Verbleib war zunächst nichts bekannt. 144 Dies nach Silvia Markun, Ernst Bloch, S. 94. Markuns späterer Ehemann, der Philosoph Hans Heinz Holz, stand damals in enger Verbindung zu Bloch und übermittelte ihr wohl Einzelheiten des Gespräches zwischen Bloch und Harich. 145 R. O. Gropp, Vorwort in: Ernst Bloch zum 70. Geburtstag, Berlin [DDR] 1955, S. 7, zit. nach: ebd., S. 91. Beiträger der Festschrift waren u. a. Arthur Baumgarten, Auguste Cornu, Hans Heinz Holz, Georg Lukács, Hans Mayer und Walter Markov.

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geblichen ,Prinzip‘ die ganze vielgestaltige reale Entwicklungsgesetzmäßigkeit zu unterwerfen trachtet“, sei dies eine Absage nicht nur an den dialektischen Materialismus, sondern an den Materialismus überhaupt.146 Gropp genoss die Protektion des Leipziger SED-Bezirkssekretärs Paul Fröhlich und (anfangs noch zögernd) von ZK-Sekretär Kurt Hager. Dieser griff am 27. Dezember in scharfer Form die – seiner Meinung nach – indiskutablen Zustände am Leipziger Philosophischen Institut an.147 Nur drei Tage darauf, am 30. Dezember, legte kein anderer als Walter Ulbricht nach. „Das Denken einiger [Leipziger] Studenten“, ließ er im Neuen Deutschland verlauten, „kreist um solche Fragen wie die ,Perfektion des Glücks‘, die ,Pseudoewigkeit‘, die ‚kosmische Unbehaustheit‘ und dergleichen.“ Dies zeige, „wie weit sich manche Philosophen vom Kampf um die neue sozialistische Gesellschaftsordnung und von den Problemen der gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung gelöst und vom Volke entfremdet haben.“148 Obwohl Ulbricht Ernst Bloch nicht direkt benannte, verstanden Blochs Kritiker in Leipzig die Zeichen der Zeit. Manche der jüngeren Wissenschaftler, die sich nun mit Stellungnahmen gegen Bloch ihre ersten Sporen in der DDRWissenschaftshierarchie verdienten, hatten kurz vorher noch zu seinen Bewunderern gehört.149 Der Kern der Vorwürfe wurde in einer Erklärung der SEDParteileitung des Philosophischen Institutes an Bloch vom 18. Januar 1957 deutlich: Bloch habe die Wahl, sich marxistische Prinzipien der Philosophie zu eigen zu machen oder dies nicht zu tun. „Nicht hingegen können wir Ihnen zubilligen, nicht-marxistische Prinzipien zu vertreten und gleichwohl den Anspruch zu erheben, marxistische Philosophie zu lehren.“150 Am 22. Januar 1957 wandte sich der so bedrängte Bloch an Staatspräsident Wilhelm Pieck. Er betonte seine unbedingte Treue zum Sozialismus und zur Deutschen Demokratischen Republik und schrieb, die SED-Leitung habe in 146 R. O. Gropp, Idealistische Verirrungen unter „antidogmatischem“ Vorzeichen, in: Neues Deutschland, 19. Dezember 1956. Wiederabdruck in Franzke (Hg.), Die ideologische Offensive, S. 68–74. 147 Kurt Hager, Unter falscher Flagge. Zum Revisionismus in der Philosophie, in: Leipziger Volkszeitung, 27. Dezember 1956. Wiederabdruck in: Franzke (Hg.), Die ideologische Offensive, S. 122–127. 148 Walter Ulbricht, Was wir wollen und was wir nicht wollen, in: Neues Deutschland, 30. Dezember 1956. Wiederabdruck in: Franzke (Hg.), Die ideologische Offensive, S. 75–96, Zitat S. 91. 149 Vgl. die Dokumentation ebd., S. 128 ff. 150 Die Erklärung ist abgedruckt in: Caysa u. a. (Hg.), Hoffnung, S. 129–135, Zitat S. 132. Vgl. weiterhin das Protokoll zur 3. Sitzung der Universitäts-Parteileitung vom 25. Januar 1957, in Auszügen abgedruckt in: Franzke (Hg.), Die ideologische Offensive, S. 114–117.

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ihrem Brief völlig verschwiegen, dass er sich befriedigt über die Stabilisierung der Lage in Polen geäußert und angesichts der sich zuspitzenden Lage in Ungarn sofort im Institut gesagt habe: „Jetzt ist doch allerhöchste Zeit, wann marschiert endlich die Rote Armee ein?“ Als diese es tat, habe er seine Freude darüber ausgedrückt, was wohl kaum etwas „mit der westlichen Auffassung der ungarischen Ereignisse gemein hat.“151 Doch half dies nichts, denn am 11. Februar 1957 forderte Walter Ulbricht Ernst Bloch auf, sich von Wolfgang Harich und seinem Kreis zu distanzieren.152 Ulbricht beließ es jedoch dabei und übte scheinbar keinen weiteren Druck auf Bloch aus, als der Philosoph sich im Präsidialrat des Kulturbundes nur zurückhaltend äußerte. Er habe Harich „einmal in einem Vortrag gesehen, kurz nur, eine Dreiviertelstunde“, so Bloch. Doch habe Harich sich dort nicht zu Wort gemeldet. „Ich konnte also über die Absicht Harichs nicht sagen, was ich nicht wusste. Nicht etwa, dass ich sie gehört und missverstanden hätte. Ich hätte die Tragweite erkannt; ich hätte vielleicht erkannt, wenn ich sie gehört hätte; aber nicht ein Wort!“153 Bloch suchte sich zu schützen: „Auf den Budapester Aufstand folgte erneuter Rückzug in die kryptische Artikulation.“154 Dabei blieb es zunächst, bis die Leipziger Universität gegen Bloch nach seiner Emeritierung im Herbst 1957 ein (nie kontrolliertes) Hausverbot gegen ihn erließ. Seine Frau Karola wurde – wegen Solidarisierung mit den politisch falschen Auffassungen ihres Manes – jedoch noch 1957 aus der SED ausgeschlossen. Sie verlor ihre Arbeit an der Bauakademie. In Leipzig und Berlin rückten bisherige „Freunde“ nun von den Blochs ab, doch hielten Hanns Eisler, Werner Krauss und Hans Mayer zu ihnen.155 Die Blochs konnten weiterhin in die Bundesrepublik reisen; von dort fuhr Karola 1959 nach Israel, um ihre Schwester zu besuchen, die als einziges Familienmitglied außer ihr selbst den Holocaust überlebt hatte. Weniger glimpflich ging die Sache jedoch für einige von Blochs jungen Schülern aus: Günter Zehm, inzwischen Assistent an der Universität Jena, wurde verhaftet und blieb bis 1960 im Gefängnis. Nach seiner Freilassung verließ er die

151 Der Brief ist teilweise im Faksimile abgedruckt und zitiert bei: Christian Striefler, „Wann marschiert endlich die Rote Armee ein?“ Wie antistalinistisch war Ernst Bloch wirklich? Ein bisher unbekannter Brief im Streit um seinen Lehrstuhl, in: Die Welt, 16. April 1991. 152 Vgl. Walter Ulbricht an Prof. Dr. Ernst Bloch, Brief vom 11. Februar 1957, in: Caysa u. a. (Hg.), Hoffnung, S. 152–154. 153 SAPMO-BArch, DY 27/922: Kulturbund der DDR, Bl. 45, zit. in: Siegfried Prokop, Ernst Bloch und Wolfgang Harich im Jahre 1956, in: Utopie kreativ, Nr. 184 (Februar 2006), S. 124. 154 Ingrid und Gerhard Zwerenz, Sklavensprache und Revolte, S. 130. 155 Vgl. Karola Bloch, Aus meinem Leben, S. 226.

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DDR und wandte sich später der radikalen Rechten zu. Richard Lorenz und Gerhard Zwerenz flohen rechtzeitig. Lorenz wurde Professor für Geschichte Osteuropas an der Universität/Gesamthochschule Kassel, Zwerenz ein bekannter linker Schriftsteller. Jürgen Teller wurde „zur Bewährung in die Produktion“ geschickt. Er verlor bei einem Arbeitsunfall im Stahlwerk einen Arm, durfte später als Lektor beim Leipziger Reclam-Verlag arbeiten und erhielt 1990 eine Honorarprofessur an der Universität Leipzig zuerkannt.156 Bloch konnte zwar sich selbst, nicht aber seine Assistenten und Studenten mehr schützen. Aus dem Herausgebergremium der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, die er 1953 mitbegründet hatte, musste er ausscheiden. Es verwundert nicht, dass Ernst Bloch ins Visier der Staatssicherheit geriet. Wohl nur wenige Wissenschaftler wurden damals derart intensiv beobachtet wie der Philosoph – dies in einer Zeit, in dem das MfS an eine flächendeckende Überwachung der Menschen nicht einmal denken konnte. Der verhaftete Wolfgang Harich hatte am 1. Januar 1957 gegenüber seinen Vernehmern erklärt, er sehe trotz „der zahllosen negativen Äußerungen von Bloch“ in ihm einen „alten, bewährten Anhänger und aktiven Mitstreiter des Kommunismus“ sowie „den bedeutendsten fortschrittlichen deutschen Denker der Gegenwart […].“157 Am 17. Januar 1957 wurde zuerst Karola, dann Ernst Bloch, von MfSOffizieren in Leipzig nach Wolfgang Harich befragt. Die Beziehungen ihres Mannes zu Harich seien dienstlicher Art gewesen, da sie beide an der Herausgabe der Deutschen Zeitschrift für Philosophie beteiligt waren, doch hätten sich zwischen ihnen auch „gewisse freundschaftliche Beziehungen entwickelt.“158 Nach dem Inhalt des Gespräches zwischen Ernst Bloch und Harich im Anschluss an den Berliner Hegel-Vortrag befragt, machte Karola Bloch keine genauen Angaben, da sie sich mit anderen Tischgästen unterhalten habe.159 Auch ihrem Mann habe Harich keine Einzelheiten, „eine andere Politik der DDR betreffend, mitgeteilt.“ An jenem Abend habe er ohnehin mit Harich nur wenig gesprochen.160 Am 21. März 1957 eröffnete die MfS-Hauptabteilung V/6 den „Operativen Vorgang Wild“ (der Name bezog sich auf die Wilhelm-Wild-Straße 8 im Leipziger 156 Vgl. ebd., S. 236 f. 157 Der im Folgenden behandelte Vorgang befindet sich in: BStU, ZA, HA IX/11, ZUV Nr. 76, und wurde erstmals dokumentiert in: Guntolf Herzberg, Ernst Bloch in Leipzig: Der Operative Vorgang „Wild“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 41, 1994, Nr. 8, S. 677–693. Im Folgenden wird der Operative Vorgang „Wild“ zitiert als: OV Wild (mit Blattzahl des MfS-Zentralarchivs), hier Bl. 00087f. 158 OV Wild, Bl. 000117. 159 Ebd., Bl. 000120. 160 Ebd., Bl. 000123f.

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Stadtteil Plagwitz, wo die Blochs wohnten).161 Hierbei wurde von Anfang an Augenmerk auf die Personen gelegt, „die sich mit Bloch zusammen in der Emigration in den USA befanden. Mit geeigneten Personen sind Aussprachen zu führen, um Einzelheiten über das Auftreten und die Haltung Blochs in den USA zu erfahren.“162 Dabei sei auch Blochs Sohn Jan anzusprechen, von dem das MfS vermutete, er habe „ein gespanntes Verhältnis zu seiner Mutter.“163 Weiterhin hielt die MfS-Bezirksverwaltung Leipzig fest: „Es ist die Möglichkeit zu überprüfen, ob ein Jude gefunden und angeworben werden kann, der in der Perspektive an Mayer und Bloch anzusetzen ist.“164 Die Suche blieb offenbar erfolglos. Bloch habe sich „bisher zu unserem Staat bekannt“, doch habe „seine Philosophie nichts mit dem Marxismus und dem dialektischen Materialismus zu tun. Sie weist zwar zahlreiche humanistische Tendenzen auf, gipfelt aber in einem utopischen Zukunftsglauben, in einer Lehre von dem sogenannten ,Prinzip Hoffnung‘.“ Blochs „umfangreiches Wissen, seine rhetorische Begabung und die elektrisierende Form seines Auftretens haben viele Studenten tief beeindruckt“, hieß es weiter. „Den meisten von ihnen sind die Konsequenzen, die in seinen Auffassungen liegen und unmarxistisch sind, noch nicht klargeworden.“165 „Die fortschrittlichen Studenten der westdeutschen Universitäten betrachten Bloch als ihren geistigen Vater“, berichtete ein auf Bloch angesetzter Spitzel.166 Ein anderer meinte indes zu wissen, „dass es sich bei Bloch, trotzdem er den Amerikanismus ablehnt, um einen Trotzkisten handelt. Bloch ist mit der gegenwärtigen Politik in der Sowjetunion nicht restlos einverstanden. Die Form seiner Kritik, die er daran übt, lässt den trotzkistischen Inhalt deutlich werden.“167 Eine Durchsuchung der Blochschen Wohnung am 22. Januar 1959 erbrachte jedoch nichts, was auf eine trotzkistische oder sonstige Verschwörung hindeutete. Jedoch installierten die MfS-Mitarbeiter eine Abhöranlage in der Wohnung.168 An dieser Stelle sind einige Worte zur Überwachung der Schriftsteller und überhaupt der Intellektuellen durch die Staatssicherheit am Platz. Für diese Arbeit 161 162 163 164 165

Zum Datum der Eröffnung des Vorgangs vgl. ebd., Bl. 000031. Ebd., Bl. 000070: Bezirksverwaltung Leipzig, Abt. V/1, Operativplan vom 14. Mai 1957. Ebd., Bl. 000072. Ebd., Bl. 000073. Ebd., Bl. 000034f. Der „Vorgang Wild“ dokumentiert ausführlich die Auseinandersetzungen mit und um Ernst Bloch am Philosophischen Institut der Leipziger Universität. 166 BStU, MfS-Außenstelle Leipzig, LPZ AOP 2839/63, OV Wild, Bl. 000018. 167 Ebd., Bl. 00078. Bei diesem Informanten handelte es sich um Max Burghardt, früherer Generalintendant des Städtischen Theaters Leipzig und nunmehr Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Der Bericht ist undatiert. 168 Ebd., Bl. 000081f.: Bericht vom 24. Januar 1959. Erwähnt wurden lediglich einige Briefe von und an Wolfgang Harich, von denen die MfS-Mitarbeiter Kopien anfertigten.

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wurden vorrangig Akten der Hauptabteilung IX herangezogen, die sich mit Ermittlungsverfahren gegen sogenannte subversive Strömungen und Personen befasste, wozu – vorbeugend verdächtigt – auch ein mitunter willkürlich ausgewählter Kreis sogenannter Westemigranten zählte. In den ersten anderthalb Jahrzehnten seiner Existenz war das Staatssekretariat und ab 1953 dann das Ministerium für Staatssicherheit zur – später berüchtigten – flächendeckenden Überwachung der Bevölkerung und selbst ausgewählter Personengruppen noch gar nicht in der Lage. Doch besaß diese Hauptabteilung, und daraus erwuchs für Personen, die in ihr Visier gerieten, eine Gefahr, auch weitreichende polizeiliche und sogar staatsanwaltliche Aufgaben. Entsprechende Befugnisse erstreckten sich auch auf ihre Bezirksverwaltungen, weshalb der Operative Vorgang „Wild“ für mehrere Angehörige des sogenannten Bloch-Kreises straf-„rechtliche“ Konsequenzen nach sich zog. Im Januar 1955 wurde zur speziellen Überwachung von Schriftstellern zudem die Hauptabteilung V, der sogenannte „Sicherungsbereich Literatur“, gebildet, über den eine gründliche Forschungsarbeit vorliegt.169 Trotz aller Ärgernisse und Schikanen dachten Ernst und Karola Bloch noch keineswegs an eine Übersiedlung in den Westen.170 Im Gegenteil: Am 20. April 1958 druckte das Neue Deutschland eine ihm zugesandte Erklärung Ernst Blochs ab, in der er jede Spekulation über einen Weggang aus der DDR, die „Kriegshetzer in Westdeutschland, und nicht nur dort“, verbreiten würden, in scharfer Form zurückwies.171 Doch natürlich blieben „die zuständigen Organe“ äußerst misstrau169 Vgl. Walther, Sicherungsbereich Literatur, S. 152 f. Hieraus wurde 1964 die Hauptabteilung (HA) XX mit ihren entsprechenden Abteilungen in den Bezirksverwaltungen. Sie überwachten wichtige Teile des Staatsapparates (u. a. Justiz und Gesundheitswesen), die Blockparteien, den Kulturbereich, die Medien und Kirchen, vor allem aber die politische Opposition. Für die „Liquidierung und Zerschlagung von Feindgruppen“ war seit 1953 in der HA V Paul Kienberg zuständig, seit 1964 Leiter der HA XX (zuletzt im Rang eines Generalleutnants). Vgl. ebd., S. 838, sowie Jens Gieseke, Kienberg, Paul, in: Ders., Wer war wer im Ministerium für Staatssicherheit (MfS-Handbuch), hg. von der BStU, Berlin 2012, S. 40, im Internet einsehbar unter: http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn: de:0292-97839421303250. Vgl. zur Gründungsperiode des MfS Jens Gieseke, Die Stasi 1945–1990, München 2011, S. 23 ff. 170 In der Akte zum „OV Wild“ befindet sich ein Brief Blochs an Kurt Hager vom 29. Oktober 1957, in dem sich Bloch dagegen verwahrte, dass sein inzwischen im Westen lebender einstiger Student Gerhard Zwerenz sich auf ihn berief. Dies war eine notwendige und damals übliche Schutzbehauptung. Vgl. BStU, MfS-Außenstelle Leipzig, LPZ AOP 2839/63, OV Wild, Bl. 00021f. Auch der zu Bloch befragte Jenaer Philosoph Georg Mende berichtete, es käme für Bloch „nicht in Frage“, in den Westen zu gehen. Ebd., Bl. 000088: Bericht Mendes vom 7. Februar 1959. 171 „Ich stehe auf dem Boden der DDR“. Erklärung von Prof. Dr. Ernst Bloch, in: Neues Deutschland, 20. April 1958. Dies war eine Reaktion auf Hermann Leys „Nachschlag“ zur

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isch. Die Abhöranlage der Stasi zeichnete am 5. Juni 1959 ein Gespräch Blochs mit seinem Besucher, dem ebenfalls unter Beobachtung stehenden Fritz Behrens, auf, der sagte, „es sei grausam, vom Sozialismus zu sprechen“, was die Zustände in der DDR anbelange.172 Im Jahre 1960, die Lage hatte sich inzwischen beruhigt, nahm Klaus Gysi, der Leiter des Aufbau-Verlages, im Auftrag der ZK-Abteilung Wissenschaft Kontakt zu Ernst Bloch auf. In einem Gespräch am 21. Juni 1960 forderte er Bloch auf, in einer erneuten Erklärung „gegen die Atomkriegspolitik Adenauers und des Philosophen Jaspers Stellung zu nehmen“, wie es im Bericht des Abteilungsleiters Johannes Hörnig hieß. Diesmal aber, wo es um die Nennung von Namen ging, lehnte Ernst Bloch das Ansinnen ab. Eine solche Erklärung würde ihm „nicht ermöglichen, weiter in Westdeutschland aufzutreten“, seine westdeutschen Freunde müssten meinen, „ein Rotarmist mit MP“ habe beim Abfassen des Textes hinter ihm gestanden; überdies kämen alle Zeitungen der DDR, die gegen ihn Stellung bezogen hatten, als Adressaten eines solchen Schreibens ohnehin nicht in Frage (offenbar vermied er, daran zu erinnern, dass die vorherige Erklärung im Neuen Deutschland erschienen war, das sehr wohl gegen ihn Stellung bezogen hatte). Bloch nahm die von Peter Huchel redigierte Zeitschrift Sinn und Form ausdrücklich davon aus.173 Nach dem 13. August 1961 gab es jedoch keine Rückkehr mehr. Im Westen wurde er zunächst willkommen geheißen. „Nichts ehrt Ernst Bloch mehr, als dass er jetzt ein Kernstück seiner Philosophie der Hoffung zu leben beginnt: die geheimnisvolle Ethik der Rosenkreuzler, der Alchemisten, die da besagt, dass man Gold nicht allein durch chemische Verbindungen machen kann; man muss dabei rein bleiben.“ So schrieb Hans-Dietrich Sander in der Welt.174 Blochs Jugendfreund Benno Reifenberg gab ihm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine in freundliche Worte gekleidete Warnung mit: Bloch solle aufhören, hinter dem kommunistischen Paradies herzulaufen; es komme vielmehr darauf an, sich in der westlichen Wirklichkeit einzurichten.175

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Anti-Bloch-Kampagne. Vgl. Hermann Ley, Akademisch präparierter Revisionismus. Zu den philosophischen Auffassungen von Ernst Bloch, in: Sonntag, 2. Februar 1958. Dieser „Nachschlag“ erfolgte im Kontext neuer Kampagnen, die sich nunmehr vor allem gegen Jürgen Kuczynski und Fritz Behrens richteten. BStU, Außenstelle Leipzig, LPZ AOP 2839/63, OV Wild, Bl. 000094: Bericht, betr. Prof. Bloch, Prof. Behrens, 1. Juli 1959. Johannes Hörnig, ZK-Abt. Wissenschaften, an Walter Ulbricht, Mitteilung vom 23. Juli 1960, in: Caysa u. a. (Hg.), Hoffnung, S. 180. Hans-Dietrich Sander, Was bedeutet uns Ernst Bloch. Zur Absage des Philosophen an den Zonenstaat und seine Methoden, in: Die Welt, 21. September 1961. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Januar 1962, zit. in: Markun, Ernst Bloch, S. 117.

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Genau dies aber tat Ernst Bloch nicht: Als unorthodoxer Marxist, als Honorarprofessor, der in Tübingen Tausende Studenten anzog, als Kämpfer gegen die Notstandsgesetze und als Warner vor einer scheinradikalen Wendung junger Linker gegen Israel als jüdischem Staat erneuerte er seine Maxime: „Und wenn die Verhältnisse die Menschen bilden, so hilft nichts als die Verhältnisse menschlich zu bilden; es lebe die praktische Vernunft.“176 Bloch blieb ein unbequemer Denker, obwohl er seine Kritik am Sowjetsystem nie so scharf und systematisch geordnet vortrug wie Leo Trotzki oder Milovan Djilas. Für die Blochs und Kantorowicz gelten die Worte Sean Forners, eines jüngeren Chronisten der deutschen Intellektuellen-Geschichte: „In den fünfziger Jahren durchliefen diese Intellektuellen konsequenterweise gleichermaßen den Weg von der Hoffnung zum Verlust der Illusionen bis hin zum Aufbegehren. Sie wurden in beiden deutschen Staaten zu lautstarken Kritikern. In der DDR wurden sie als ‚Revisionisten‘ geschmäht und in der Bundesrepublik, etwas weniger giftig, als ‚Nonkonformisten‘ abgestempelt.“177 Kantorowicz’ Bundesgenosse Ossip Flechtheim brachte das Problem dieser Rebellen in Ost und West auf den Punkt: Beide deutschen Staaten verdankten ihre Existenz keiner demokratischen Massenerhebung, sondern der totalen Niederlage und dem Diktat der jeweiligen Besatzungsmacht, und je mehr der Kalte Krieg Deutschland und Europa spaltete, desto mehr schien, wenn auch im unterschiedlichen Maß, die Anpassung an den Zeitgeist als das Gebot der Stunde.178

„Offen gesagt“ – Stefan Heyms Publizistik Nach seiner noch 1945 erfolgten Demobilisierung aus der US-Armee schrieb Stefan Heym den Roman The Crusaders, der 1948 erschien und später auf Deutsch unter zwei Titeln herauskam: Im Osten hieß er Kreuzfahrer von heute, im

176 Ernst Bloch, Widerstand und Friede [1968], in: Ders., Politische Messungen, S. 445. – Wie im Falle Alfred Kantorowicz’, setzte das MfS auch die Beobachtung der Blochs in der Bundesrepublik fort und legte eine entsprechende Akte unter dem Vermerk „Kiel“ an. Dies bezog sich auf den Wohn- und Arbeitsort des Sohnes Jan-Robert Bloch. Vgl. BStU, ZA, HA IX/11, SV 5/86. 177 Sean A. Forner, German Intellectuals and the Chance of Democratic Renewal. Culture and Politics after 1945, Cambridge [UK] 2014, S. 239. 178 Vgl. Ossip K. Flechtheim, Blick zurück im Zorn. Westdeutschland 1945 bis 1960, in: Axel Eggebrecht (Hg.), Die zornigen alten Männer. Gedanken über Deutschland seit 1945, Reinbek 1979, S. 31.

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Westen Der bittere Lorbeer.179 Der voluminöse Roman war Frucht seiner Kriegserfahrung. Mit dem Leutnant David Yates, der, anders als seine militärische Umgebung, für eine kompromisslose Abrechnung mit den Nazis eintritt, schuf Heym eine Romanfigur, deren Motive in allen späteren Werken wiederkehrte: Ein Einzelner, scheinbar isoliert, kämpft gegen eingefleischte Vorurteile der großen Mehrheit an, und sucht Gleichgesinnte, um im gemeinsamen Handeln Ungerechtigkeiten zu überwinden. Dies führte, wie die Kritik anmerkte, zu einer „Polarisierung“ der Figuren, hier von David Yates im Gegensatz zu zwielichtigen Gestalten wie Willoughby und Dondolo.180 Obgleich Heym damals wie später keineswegs den Begriff der Unterhaltungsliteratur ablehnte und davor warnte, diese mit Trivialliteratur gleichzusetzen, wollte er in seinen Büchern niemals nur unterhalten, sondern die Leserschaft zum Mitund Nachdenken bewegen. Einen seiner amerikanischen Helden ließ Heym in den Kreuzfahrern zu deutschen Soldaten sagen: „Wenn ihr jetzt, da der Krieg beinah vorbei ist, es euch überlegt – wofür habt ihr eigentlich gekämpft? Um ein paar Leuten, die Deutschland seit je ausgebeutet haben, Gelegenheit zu geben, noch weitere Gewinne durch die Ausbeutung ganz Europas einzustecken. Um ein paar Männer an der Macht zu halten, die nun ihre Juwelen und wertvollen Besitztümer verpacken und vor den Russen davonlaufen, die schon auf Berlin vorrücken. Meint ihr, ihr habt für euch selbst gekämpft? Wo ist dann euer Gewinn? Eure Frauen sind tot oder auf der Flucht, oder sie verkriechen sich in Bunkern vor Luftangriffen oder befinden sich bereits in alliiertem Besatzungsgebiet; eure Söhne, Väter und Brüder sind tot, verwundet. [...] Welch ein Fehler, dass ihr geglaubt habt, ihr könntet die Welt beherrschen, wo ihr nicht einmal in der Lage wart, euch selber zu regieren! Denkt doch endlich nach!“181 The Crusaders fanden in den USA allgemein eine gemischt, doch insgesamt freundliche Aufnahme.182 Dies war bei Heyms nächstem, Anfang 1951 erschiene179 Wegen seiner Länge hatte der Verlag Little, Brown & Co das Manuskript zuerst abgelehnt. Die um ein Viertel gekürzte Fassung betrug in der Originalausgabe noch immer 642 Seiten. 180 Alan M. Wald, Trinity of Passion. The Literary Left and the Anti-Fascist Crusade, Chapel Hill (North Carolina) 2007, S. 195. Vgl. Reinhard K. Zachau, Stefan Heym, München 1982, S. 33. 181 Stefan Heym, Kreuzfahrer von heute, Leipzig 1958, S. 740 f. 182 Stellvertretend sei aus der Rezension von John Woodburn, Disreputable Business, in: The Saturday Review, 11. September 1948, S. 18 (abrufbar unter: http://www.unz.org/Pub/ HeymStefan-1948), zitiert: Das „mit großem Ernst“ geschriebene Buch ist „getrübt durch gelegentliche Melodramatik, durch Dialoge, die manchmal eher klingen wie ein Transportmittel für Heyms sehr lobenswerte Ansichten als die schräge, idiomatische und abgehackte Sprechweise von Soldaten, sowie durch Charaktere, die zu schnell unter die Kate-

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nem Buch The Eyes of Reason (deutsch: Die Augen der Vernunft, 1955) völlig anders.183 Im Zentrum der Erzählung standen die drei Brüder Benda: Joseph, Besitzer der elterlichen Firma und Offizier, Karel, der Arzt, der das Konzentrationslager überlebt hatte, und Thomas, Dichter und Essayist, der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt war. Im Prag der Nachkriegsjahre, die ihren Kulminationspunkt in der kommunistischen Machtergreifung 1948 fanden, gingen die Brüder sehr unterschiedliche und gegensätzliche Wege. Heyms offenkundige Sympathie für den kommunistischen Weg, den die Tschechoslowakei einschlug, brachte ihn in den USA bei den tonangebenden Literaturkritikern in Verruf. Die katholische Zeitschrift America bezeichnete den Roman als Aufruf zum offenen Verrat an den Werten, für die die USA stünden. The Eyes of Reason solle eher den Titel The Eyes of Treason (Die Augen des Verrats) tragen. Es sei deshalb „an der Zeit, dass die Göttin Justitia die Binde von ihren beiden Augen, und von den unseren, reißt.“184 Um für das Buch zu recherchieren, hielt sich Heym zusammen mit seiner amerikanischen Frau Gertrude längere Zeit in der Tschechoslowakei auf. Die zuerst sehr positiven Eindrücke bekamen einen ersten Dämpfer, als Heym erleben musste, dass viele seiner alten Freunde aus den dreißiger Jahren politisch an den Rand

gorien von Gut und Böse fallen.“ Die amerikanische KP-Zeitung brachte eine enthusiastische Besprechung. Vgl. Robert Friedman, Stefan Heym’s ‚Crusaders‘: Outstanding War Novel, in: Daily Worker, 5. September 1948. Eine Auflistung der Rezensionen (auch deutscher und sonstiger Ausgaben) findet sich bei Reinhard K. Zachau, Stefan Heym in Amerika. Eine Untersuchung zu Stefan Heyms Entwicklung im amerikanischen Exil, Ph.D. Thesis, University of Pittsburgh 1978, S. 260–265. 183 So schrieb Marcia Davenport (in: The Saturday Review, 10. Februar 1951, S. 103, abrufbar unter: http://www.unz.org/Pub/HeymStefan-1951), das Buch sei „unglaubwürdig für jeden der die dortige [tschechoslowakische] Situation kennt“ und allgemein sei festzuhalten, „dass dies ein Roman ohne Herz [sei], abgefasst nur von einem kalten, dialektisch disziplinierten Gehirn.“ Heyms Besuch in Prag, der für die Niederschrift des Buches notwendig war, wäre nicht, wie die prominente Rezensentin voller Schärfe kritisierte, „möglich gewesen ohne die Genehmigung des kommunistischen Informationsministeriums, das in der Tat Heyms Aufenthalt in der Tschechoslowakei in einem seiner PropagandaBulletins angekündigt hatte.“ Marcia Davenport war mit Jan Masaryk, dem tschechoslowakischen Außenminister und Gegenspieler der Kommunisten, eng befreundet gewesen. Sie fühlte sich zudem in Heyms Roman in Gestalt der Journalistin Elinor Simpson negativ dargestellt. Vgl. Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 146. 184 Charles A. Brady/Harold C. Gardiner, Literature and Arts, in: America, 24. März 1951. Diese Passage ist auch zitiert bei Stefan Heym, Nachruf, Berlin 1990, S. 486. Vgl. die Auflistung der zum großen Teil negativen Rezensionen bei Zachau, Stefan Heym in Amerika, S. 265 f.

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gedrängt wurden; wie später klar wurde, warf der Slánský-Prozess seine Schatten voraus. Dennoch fühlte sich Heym in den USA weit mehr bedroht, als im sowjetischen Machtbereich, von dem er noch überaus abstrakte Vorstellungen hatte. So forderte die einflussreiche katholische Zeitschrift Commonweal, die zu einem Sprachrohr der Kalten Krieger geworden war, dass nicht nur Heym, sondern alle Kritiker, die das Buch nicht verurteilten, gerichtlich bestraft werden sollten.185 Heym sah die Gefahr einer Inhaftierung umso stärker, als seine Frau ihm gestand, was er zwar geahnt, sie ihm jedoch bisher verschwiegen hatte, um ihn nicht unnötig zu belasten: Sie war Mitglied der KP der USA. Die Heyms waren mit einigen der „Hollywood Ten“, der des Kommunismus (zu Recht oder Unrecht) verdächtigten Drehbuchautoren bekannt und zum Teil befreundet; einer von ihnen, Lester Cole, hatte das Drehbuch zur Verfilmung der Hostages geschrieben. Einer der Hauptbelastungszeugen gegen die „Hollywood Ten“, der frühere Daily Worker-Redakteur Howard Rushmore, belastete auch Heym.186 Die Lage komplizierte sich für ihn weiter nach einer Fahrt zu streikenden Bergarbeitern in Pennsylvania: Im Wagen, in dem er Lebensmittel für die Streikenden transportierte, fanden sich – offenbar untergeschobene – kommunistische Flugblätter (Heym verarbeitete dies später im Roman Goldsborough).187 Der Entschluss zu gehen, fiel den Heyms jedoch schwer. Gertrude Heym war in New York geboren, ihr Mann hatte sich völlig in die amerikanische Kultur integriert. „Aber muss man denn warten?“, beschrieb Stefan Heym seine damaligen Empfindungen über dreieinhalb Jahrzehnte später. „Das Ende derer, die in Deutschland [1933] blieben und warteten in der Hoffnung, so schlimm werde es schon nicht kommen, ist bekannt. Ist er wirklich verdammt, das Kaninchen zu spielen, das vor der Schlange kauert, dem tödlichen Biss entgegenzitternd?“188 Ende 1951 verließ das Ehepaar die USA, zunächst in Richtung Prag, wohl auch, weil sie befürchteten, Heym könnte als Soldat zum Korea-Krieg gezogen werden. Das Paar wollte solange in Prag bleiben, bis in den USA wieder „normalere“ Verhältnisse eingezogen wären; von einer baldigen positiven Wendung der Dinge in Amerika war Gertrude überzeugt. Ihr Mann war skeptischer. Im Jahre 1964 begründete Stefan Heym seinen Weggang in einem Beitrag für die Zeitschrift Atlantic Monthly: „Senator McCarthy stand auf dem Höhepunkt seiner Macht, der Korea-Krieg verzerrte das politische und literarische Urteil der 185 Dies nach Zachau, Stefan Heym, S. 36. 186 Die entsprechenden Teile von Stefan Heyms FBI-Akte, sind, soweit sie sich an der Columbus State University in Ohio befinden, ausgeschwärzt. 187 Vgl. Heym, Nachruf, S. 479 f. 188 Ebd., S. 489.

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Menschen, Schriftsteller wurden unter dem Vorwand der Missachtung des Kongresses eingesperrt, die schwarze Liste wurde in der Film-, Radio- und Verlagsindustrie tagtäglich angewandt. Meine Stellung als Eingebürgerter machte mich für politische Verfolgung besonders verwundbar; meinem Exodus war der von Thomas Mann, Charles Chaplin und Bertolt Brecht vorausgegangen.“189 In seiner Autobiographie schilderte Heym die verwickelten Fährten, die ihn und seine Frau über Prag, Paris, das schweizerische Vevey, wiederum Prag und Warschau in die DDR-Hauptstadt führten, wohin Gertrudes Sohn David aus ihrer ersten Ehe schließlich folgte. Fritz Grosse, als Komintern-Emissär in mehreren Ländern gewesen, dann Überlebender von Brandenburg und Mauthausen und nun DDR-Botschafter in Prag, konnte ihnen schließlich die Wege in ein Land ebnen, auf das sie zunächst mit Skepsis blickten. Erst als alle anderen Länder, eines nach dem anderen, ausfielen, stellten sie ein entsprechendes Gesuch. Doch wie die Behörden in Prag, reagierte auch die DDR-Bürokratie zunächst nicht auf sein Gesuch. 1952 konnten die Heyms dann einreisen. Nach seiner Ankunft in Berlin schickte Heym Präsident Eisenhower den Bronze Star, seine Kriegsauszeichnung, zurück. Heym wollte in seiner schriftstellerischen Arbeit keine Kompromisse eingehen und auf die Darstellung von Klassenauseinandersetzungen nicht verzichten. Doch barg dies in den USA unkalkulierbare Risiken: „Gefängnis und die Möglichkeit der Deportation, die logische Folge eines Zusammenstoßes mit Mister Roy Cohn vom McCarthy-Ausschuss, waren dem Schreiben und Veröffentlichungen von Büchern nicht förderlich. Mein Einkommen hing ab vom Verkauf meiner Bücher. Würden sie nicht mehr verkauft, hätte ich mich als Hilfsarbeiter verdingen müssen, was jedes Schreiben ausgeschlossen hätte. Also ging ich fort.“190 In die DDR brachte er das Manuskript seines neuen Romans mit, des letzten, der ganz in Amerika handelt. Vor dem Hintergrund des Bergarbeiterstreiks in Pennsylvania schilderte er in Goldsborough das Schicksal des Dentisten Doc Hale, der für die Wahrung demokratischer Grundsätze eintritt, sich nicht mundtot machen lässt und die Solidarität der Streikenden erfährt.191 Ganz ohne Pathos und Proletkult leistete Heym mit diesem Arbeiterroman einen wichtigen Beitrag zu einer in der englischsprachigen Welt recht seltenen Literaturgattung, denn auch 189 Der Beitrag ist auf deutsch unter dem Titel: Warum ich bin, wo ich bin, abgedruckt in: Stefan Heym, Wege und Umwege. Streitbare Schriften aus fünf Jahrzehnten, hrsg. von Peter Mallwitz, München 1998, S. 248–255. 190 Ebd., S. 249. 191 Der Hintergrund war die Verabschiedung des Taft-Hartley-Gesetzes durch den USKongress am 23. Juni 1947, das die Möglichkeit gewerkschaftlicher Organisierung stark einschränkte.

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dieses Buch schrieb er in zwei Versionen sowohl für englisch- wie auch deutschsprachige Leser.192 Als zweisprachig schreibender Autor wurde er fortan zumeist auch sein eigener Übersetzer. Mit Goldsborough gehörte Heym zur Minderheit exilierter oder remigrierter deutschsprachiger Autoren, die nicht nur europäische Themen, sei es für eine amerikanische oder eine europäische Leserschaft wählten, sondern ihr Gastland als Vorlage literarischen Schaffens nahmen.193 In den folgenden Jahrzehnten war es jedoch eher die deutsche und europäische denn die amerikanische Zeitgeschichte, die den Rahmen für seine Romane und Erzählungen abgab. Stefan Heyms schriftstellerisches Werk kann hier nicht annähernd zureichend diskutiert oder auch nur beleuchtet werden.194 Zu fragen ist jedoch, welche Erfahrungen des amerikanischen Exils sich in Heyms politischer Publizistik der ersten anderthalb Jahrzehnte seines Lebens in der DDR niederschlugen. In seinen für den Tag geschriebenen Artikeln, die zumeist in der Berliner Zeitung erschienen – ab Oktober 1954 unter der Rubik – Offen gesagt, unternahm er gelegentlich Rückgriffe auf seine Zeit in den USA.195 Der Kontrast zwischen seinen Romanen und seiner frühen DDR-Publizistik konnte jedoch kaum größer sein: Der Romancier Heym war und blieb Realist, der Publizist Heym sah seine alt-neue Heimat zunächst durch die rosarote Brille. Ein Grund dafür war sein kommunistisches Verständnis des Antifaschismus, das er mit allen Rückkehrern aus den USA gemein hatte. „Das politische System der DDR hatte für ihn von Anfang an einen antifaschistischen Bonus“, schrieb die Historikerin Angela Borgwardt, „der sich primär aus der in seinen Augen gründli192 Das Buch erschien 1953 in Englisch und 1954 in der vom Autor besorgten Übersetzung unter dem Titel Die Liebe der Miss Kennedy in Leipzig. In der Bundesrepublik erschien der Roman erst 1978, wobei Heym seine eigene Übersetzung gegenüber der älteren DDRAusgabe an einigen Stellen modifizierte. 193 Dies hebt auch Valerie Popp, „Aber hier war alles anders …“ Amerikabilder der deutschsprachigen Exilliteratur nach 1939 in den USA, Würzburg 2008, S. 287 f., hervor. Weitere, in diesem detailreichen Buch behandelte Beispiele sind u. a. Ulrich Becher (New Yorker Novellen), Lion Feuchtwanger (Wahn oder der Teufel in Boston), Hans Habe (Weg ins Dunkel), Klaus Mann (Der Vulkan), Erich Maria Remarque (Distinguished Visitors) und Hans Sahl (Die Wenigen und die Vielen). Sogar Oskar Maria Graf, der sich nie in New York einlebte, aber eine Rückkehr nach Deutschland kategorisch ausschloss, ist hier (Die Flucht ins Mittelmäßige. Ein New Yorker Roman) zu nennen. 194 Vgl. hierzu Zachau, Stefan Heym, und Peter Hutchinson, Stefan Heym. The Perpetual Dissident, Cambridge [UK] 1992. 195 Die Rubrik Offen gesagt bestritt Heym im Wechsel mit dem protestantischen Theologen Karl Kleinschmidt. Heyms Beiträge sind enthalten in der Textsammlung: Offen gesagt. Neue Schriften zum Tage, Berlin [DDR] 1957.

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cheren Entnazifizierung als im Westen ergab. Auch wenn er eine partielle Übernahme nationalsozialistischer Traditionen ins Ritual von SBZ und späterer DDR sah, betonte er immer wieder, dass sich nach dem Krieg in Westdeutschland stärker als in Ostdeutschland ein Netzwerk alter Nazis in wichtigen Machtpositionen etablieren konnte. Trotz dieses moralischen Vorsprungs der DDR hatte er noch viele Jahre nach Kriegsende eine prinzipiell kritische Einstellung gegenüber der deutschen Mentalität und den Deutschen insgesamt, die durch ihre Mitverantwortung am Nationalsozialismus schuldig geworden waren.“196 Nur kurz nach seiner Übersiedlung wurde Stefan Heym Zeuge des Aufstandes vom 17. Juni 1953. Im Zentrum Berlins erlebte er zum ersten Mal Konflikte von Arbeitern nicht mit ihren kapitalistischen Brotgebern und Ausbeutern, sondern mit einer Regierung, die sich als die Vertreterin der Arbeiter-und-Bauern-Macht begriff. Der 17. Juni bewog Heym, „von den Buchmanuskripten direkt in die politische Öffentlichkeit zu gehen.“197 Die Publizistik seiner ersten Jahre in der DDR zeigt einen Schriftsteller mit noch fast ungebrochenem Optimismus. „Und von wem der Klassenkampf über kurz oder lang gewonnen wird, das steht nun mal seit Oktober 1917 fest“, schrieb Heym beinahe trotzig Ende 1953.198 Stalin, so Heym wenig später, habe „sich immer als Schüler Lenins bezeichnet. Aber der Schüler, auf sich selbst gestellt, wurde zum Meister.“ Er hatte, so Heym, „die Fähigkeit, neue Erkenntnisse einfach und klar auszusprechen – so einfach und klar, dass man, ihn lesend, sich an den Kopf schlägt und sich fragt: Wieso habe ich das selber nicht schon längst erkannt?!“199 Zwar waren Heym die „Lobhudler“ suspekt, „die sich gar nicht genug tun konnten mit schönen Adjektiven“, als sie Stalin priesen.200 Doch dass der „Meister“ für den Tod von Millionen – vor allem für den Tod von Kommunisten – verantwortlich war, blendete er noch aus. „Der Slánský-Prozess, die Anklage, die so konstruiert erscheint, die Funk- und Presseberichte aus dem Gerichtssaal, die die Konstruktion der Anklage bestätigen 196 Angela Borgwardt, Im Umgang mit der Macht. Herrschaft und Selbstbehauptung in einem autoritären politischen System, Opladen 2002, S. 143. – „Die Henker von Oradour, die Mordbrenner von Lidice, die Folterknechte von Mauthausen – was waren sie, wenn nicht deutsche Staatsbürger?“, fragte Heym angesichts auch des „gewöhnlichen“ Deutschen. Stefan Heym, Im Kopf – sauber, Leipzig 1954, S. 95 (Aber, aber, Herr Tillich, 20. Juni 1954). Wiederabdruck des Artikels in: Heym, Wege und Umwege, S. 288–291, Zitat S. 289. 197 Stefan Heym, Im Kopf – sauber, S. 7 (Statt eines Vorwortes). Das Buch enthält Heyms politische Publizistik der Jahre 1953 bis 1955. 198 Ebd., S. 75 (Wettlauf um die deutsche Seele, 6. Dezember 1953). 199 Ebd., S. 78 (Ein reiches Leben, 20. Dezember 1953). 200 Ebd., S. 76.

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bis ins Detail, die Plädoyers, die so gut wie nichts erklären, und dann die Urteile: Tod, auch André Simone soll sterben müssen, den man doch kennt – wie verdrängt man das? Wie verdrängt man die Zweifel, unterdrückt man die Fragen, die man sich stellen müsste, wenn die Zweifel nicht zu verdrängen sind? Doch da gibt es, fast möchte man sagen, Gott sei Dank, die Geständnisse: die Angeklagten haben gestanden, ohne Ausnahme, dass sie sich verschworen, zum Teil vor Jahren schon, und Verrat begingen an ihrem Land, ihrer Partei, ihrem Volke, und kollaborierten mit den Faschisten und den Agenten des Imperialismus.“ Was steckte dahinter, fragten Heym und seine Frau Gertrude sich gegenseitig, wenn womöglich, „um der großen Sache willen, Richter wie Ankläger und Angeklagte im stiller Übereinkunft schwiegen; man kann doch nicht, meinte sie, die innerlich noch schwerer betroffen zu sein scheint als S. H., jeglichen Glauben an sozialistische Justiz und sozialistische Ethik so einfach aufgeben!“201 Im Auftrag des FDGB verfasste Heym noch 1953 mit dem schmalen Band Forschungsreise ins Herz der deutschen Arbeiterklasse einen Bericht über den Aufenthalt einer sowjetischen Arbeiter-Delegation in der DDR. Diese 47 Delegationsmitglieder aus verschiedenen Industriezweigen und -regionen der UdSSR sollten sich selbst ein Bild von dem machen, was eigentlich am 17. Juni 1953 in der DDR geschehen war. Sie besuchten zahlreiche Betriebe und sprachen mit vielen Menschen. Der relativ unproblematische Kontakt war Zeichen eines ersten, zaghaften politischen Tauwetters in beiden Ländern. „Obwohl nicht in der Partei, genoss Heym das uneingeschränkte Vertrauen der DDR-Behörden“, hob eine neuere russische Wortmeldung hervor.202 Natürlich spielte dabei auch eine Rolle, dass Heym mit seiner antifaschistischen Biographie den sowjetischen Arbeitern anders gegenübertreten konnte, als ein Deutscher, der wenige Jahre zuvor mit der Wehrmacht in die UdSSR eingedrungen war.203 War „Provokation oder Selbstentzündung“ die Ursache für den Aufstand des 17. Juni?, fragten die Gäste. Heym bestätigte ihnen die offizielle Haltung der DDR: „dass der 17. Juni eine Provokation war.“ Dies sei die Meinung der übergroßen Mehrheit der befragten DDR-Bürger. „Wie anders ließen sich denn die Zerstörungen, die Brandschatzungen, die Brutalitäten in Berlin und in mehreren

201 Heym, Nachruf, S. 552 f. 202 Человек наперекор: вечный социалист Стефан Гейм (Der Mann im Widerstand: Der lebenslange Sozialist Stefan Heym), www.dw.com/ru/человек-наперекор-вечныйсоциалист-стефан-гейм/a-1672412. 203 Der Bericht Forschungsreise ins Herz der deutschen Arbeiterklasse erschien 1953 als selbständige Broschüre und ist wiederabgedruckt in: Heym, Im Kopf – sauber, S. 215–280.

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Städten der Republik erklären? Arbeiter, selbst unzufriedene Arbeiter, zerstören nicht mutwillig, was sie selbst aufgebaut haben.“204 Ideologisch derart gerüstet, fuhr Stefan Heym 1954 erstmals in die Sowjetunion. Anders als seine Frau, sprach er kein Russisch und reiste zudem unter den sehr privilegierten Bedingungen des vom sowjetischen Schriftstellerverband eingeladenen Gastes. Sein Bericht über die Reise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten erschien in Teilen in der Täglichen Rundschau und der Berliner Zeitung sowie noch im gleichen Jahr in Buchform.205 Natürlich wies der Titel auf Heyms Absicht hin, die Sowjetunion als Gegenbild zu den USA vorzustellen, als ein Land, in dem – anders als in Amerika – die sozialen Rechte der Arbeiter garantiert seien und die Entwicklung eines jeden Einzelnen in eine frohe Zukunft weise. Heym schien zwar nicht nur Potjomkinsche Dörfer besucht zu haben. Sein Bericht verzichtete nicht auf kritische Akzente; er schilderte Probleme des Alltagslebens, sah diese aber als in naher Zukunft überwindbar an. Heym würdigte mit Recht die außerordentlichen Anstrengungen der Menschen, die schlimmen Kriegsfolgen zumindest materiell zu überwinden, doch fanden die Bedrängnisse menschlicher Existenz unter einer auch nach Stalins Tod noch immer harten Diktatur kaum einen Niederschlag. Er habe sich, so Heym, „besonders erkundigt, ob sich noch deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion befinden. Es sind keine mehr dort.“206 Heym stieß sich in keiner Weise an der Tatsache, dass es in der Sowjetunion wie in der DDR keine freien Wahlen gab. Selbst der Verzicht auf die Wahlkabine war ihm keine kritische Frage wert. „Ich bin zufrieden mit allem; warum soll ich erst in die Zelle“, sagte ein, laut Heym, „altes Mütterchen, das schon bessere Tage gesehen hat.“ Sie habe „eine gute Regierung; uns alte Leute hat man nicht vergessen, wir werden geehrt. Mein Sohn ist Oberstleutnant in der Armee, und eine Tochter ist Buchhalterin, die andere Arbeiterin in einer Bäckerei. Bei so einem Leben möchte man gar nicht älter werden und schon gar nicht sterben.“207 Beklemmend liest sich Heyms Bericht über eine Moskauer Gerichtsverhandlung, die vom Lob der sozialistischen Gesetzlichkeit strotzte. Der sowjetische Strafvollzug, schrieb Heym, kenne „außer Untersuchungsgefängnissen, in denen die Untersuchungshäftlinge nur eine beschränkte Zeit bis zum Prozess verbringen, 204 Ebd., S. 262. 205 Stefan Heym, Reise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten; auch abgedruckt in: ebd., S. 281–437. 206 Ebd., S. 426. 207 Ebd., S. 431. Die Passage über die Wahl ist unter dem Titel Глазами немецкого писателя (Mit den Augen eines deutschen Schriftstellers) auch abgedruckt in der Moskauer Zeitschrift Ogonjok, 28. März 1954, S. 13 f.

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keine Gefängnisse und Zuchthäuser. Die düsteren, grauen, von hohen, glasgespickten Mauern umgebenen Gebäude mit ihren vergitterten Fensterchen, ihren Zellenrundgängen, ihren Hinrichtungskammern, ihren elektrischen Stühlen findet man von Wladiwostok bis Kaliningrad, von Baku bis Archangelsk nirgends.“ Die „Arbeitslager“ – Heym setzte das Wort in Anführungszeichen – , von denen die amerikanische und westdeutsche Propaganda zu berichten nicht müde werde, seien in Wahrheit „kleine Siedlungen“, in denen „die erzieherische Wirkung produktiver Arbeit“ im Geiste Makarenkos sichtbar werde. „Man lässt die Strafgefangenen weder Tüten kleben wie in Deutschland, noch verhökert man sie, die Füße zusammengekettet, an reiche Grundbesitzer wie in Amerika. Man beschäftigt sie in den Werkstätten der Siedlung, wenn möglich in ihrem eigenen Beruf, und zahlt ihnen dafür einen etwas unter Gewerkschaftstarif liegenden Lohn sowie Leistungslohn für Erfüllung und Übererfüllung der Norm.“208 Die Gefahren für eine solch vorbildliche Ordnung erwuchsen für Heym ausschließlich aus den Plänen des imperialistischen Gegners, nicht aus fundamentalen Defiziten der „eigenen“ Gesellschaft. „Die amerikanischen Bosse und Bonn wollten ja gerade, dass die Menschen in Deutschland innerlich Nazis blieben; denn nur als Nazis würde man sie aufs neue in einen Krieg schicken können.“ Hingegen verlangten die sowjetischen Kommunisten nichts weiter als „Arbeit, ehrliche Arbeit, Wiederaufbau im Lande und im Herzen; und für diese Zwecke waren sie bereit, Hilfe zu gewähren. Die Amerikaner dagegen verlangten – Handlangerdienste. Der harte Weg, der aufwärts führt, ist aber beschwerlicher zu beschreiten als die breite, mit Dollarkrediten asphaltierte Straße, die ins Massengrab führt.“209 Heym verglich die irreparablen sozialen Missstände im Kapitalismus, wie er sie sah, mit den behebbaren oder schon gelösten Problemen in der DDR – sei es die Unsicherheit auf den Straßen oder die hohen Krankenhauskosten hier, die Sicherheit vor Verbrechen und kostenlose Krankenbehandlung da. Doch auch die bürgerliche Demokratie sei nichts, woran sich die DDR-Bürger ein Beispiel nehmen könnten. Die Wahlen in den USA seien eine Auswahl von Kandidaten zweier beinahe identischer kapitalistischer Parteien, „also eine reine Formsache, viel Lärm um nichts.“ Die Abgeordneten, die Heym in der DDR auf der Einheitsliste wähle, seien „keine Großbankiers und Großindustriellen und Trustanwälte wie in den USA, sondern [sind] Arbeiter und Bauern, Angestellte und Angehörige der Intelligenz, wie ich einer bin. Sie sind mir verantwortlich, sie müssen mir Rechenschaft ablegen, und sie müssen durchführen, was sie mir versprechen.“210 Dass sie unabwählbar waren, wollte Heym noch nicht erkennen. 208 Heym, Im Kopf – sauber, S. 425. 209 Ebd., S. 74 (Wettlauf um die deutsche Seele, 6. Dezember 1953). 210 Heym, Im Kopf – sauber, S. 117 f. (Zwölf Gründe, 17. Oktober 1954).

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Wie sehr hingegen die bürgerliche Demokratie in den USA nur noch eine bloße Fassade sei, zeige die drohende Hinrichtung von Ethel und Julius Rosenberg. Der Prozess gegen sie sei nur die Spitze eines Eisberges, „einer Serie von wilden Hexenjagden und Hexenprozessen: Kongresskomitees, Senatoren, der Präsident selbst beteiligen sich daran; Dutzende und Hunderte von Unschuldigen werden durch die schmutzigen Spalten der Hetzpresse gezerrt, ihre Existenz wird vernichtet; angesehene Regisseure, unter falsche Anklage gestellt, von bezahlten Zeugen verleumdet, begehen Selbstmord; kein Forscher, kein Künstler, kein Arbeiterführer ist seines Lebens und seiner Freiheit mehr sicher; jeder, der zu irgendeiner Zeit irgend etwas gesagt oder gedacht zu haben glaubt, was jetzt verpönt ist, zittert und bangt; ein Gesetz nach dem anderen erscheint, das Meinungen, Absichten, Worte, Gedanken, Zusammenkünfte verbietet und bestraft: nicht nur, wie juristisch üblich, für die Zukunft, sondern auch – für die Vergangenheit.“211 Die USA seien ein Polizeistaat, wenngleich offiziell keine Zensur existiere. Diese „wäre ja undemokratisch. Aber es gibt eine Unzahl parlamentarischer und sonstiger Schnüffel- und Denunziantenkomitees, von denen das berüchtigte McCarthy-Komitee nur eines ist; und dazu faschistische und halbfaschistische Organisationen wie die American Legion, die ‚Liga für Anständigkeit‘, den Ku Klux Klan, die Töchter der amerikanischen Revolution, die Assoziation katholischer Gewerkschafter und andere, die schwarze Listen aufstellen und Boykottaktionen, öffentliche Bücherverbrennungen und Hexenjagden ähnlicher Art durchführen. Die Bundespolizei selbst hat Beamte abgestellt, um eine Zeitschrift, ‚CounterAttack‘, herauszugeben, in der alles Wahre, Gute und Fortschrittliche im amerikanischen Geistesleben als ‚Rot‘ angekreidet wird. Werke, die so gebrandmarkt sind, verschwinden stillschweigend aus dem Buchhandel und ganz offiziell aus den öffentlichen Bibliotheken; Männer und Frauen, die so gebrandmarkt sind, werden vor die parlamentarischen Komitees gezerrt und dort Verhören unterworfen, die oft mit Gefängnisstrafen von ein bis fünf Jahren für die so Verhörten enden; die wirtschaftliche Existenz von Schriftstellern, Forschern, Schauspielern, Regisseuren, die sich dem Terror nicht beugen wollen, wird vernichtet; und die Verleger und Theaterdirektoren, die ja nichts als kapitalistische Unternehmer mit den dazugehörigen Profitmotiven sind, veröffentlichen nur noch Bücher und führen nur noch Stücke auf, bei denen man sicher sein kann, dass sie die Billigung von Geistesgrößen wie McCarthy finden.“212 Heym erwähnte nicht, dass der KP-Verlag International Publishers in New York, wenn auch unter Schwierigkeiten, seine Arbeit fortsetzen und weiterhin 211 Ebd., S. 130 (Für Ethel und Julius Rosenberg. Rede vor der Deutschen Akademie der Künste, 9. Juni 1953). 212 Ebd., S. 45 (Über Fröhlichkeit und Anders, 16. August 1953).

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Bücher herausbringen konnte; sein Leiter Alexander Trachtenberg wurde vom McCarthy-Komitee vorgeladen und daraufhin zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Diese Verurteilung geschah aufgrund jenes Gesetzes, das einst die KP der USA begrüßt hatte, als es gegen Trotzkisten angewandt worden war, und das sich nun mit voller Wucht gegen die KP selbst richtete.213 Selbst der Verdammung gegen das, was als amerikanische Unkultur galt, schloss sich Heym an. Es gebe in Washington keine Theater, behauptete er wahrheitswidrig.214 Er ging sogar noch weiter: Was in Amerika derzeit als Tanz bezeichnet werde, was die westdeutschen Jugendlichen nachäfften, spotte jeder Beschreibung: „Und dann die Kleidung und die Haartracht! So, genau so, laufen in Amerika die Homosexuellen herum, und nur die Homosexuellen. Und wenn solche Dauerwellenträger und Bürstenköpfe in irgendeiner amerikanischen Stadt in derartigen Rudeln auftauchten wie hier, würde man sie aus dem Lokal hinausschmeißen, und zwar kräftig.“215 Es kam Heym offenbar nicht in den Sinn, dass er genau so klang wie die amerikanischen Law-and-Order-Patrioten, die seine politischen Gegner gewesen waren – mehr noch: dass er mit einem solchen Ruf nach Reinheit, Zucht und Ordnung genau die Mentalität jener Deutschen bediente, die Hitler unterstützt hatten. Warum tat Heym dies, warum vermengte er richtige Beobachtungen mit offenkundigem Unsinn und gröbsten Vorurteilen? In seiner Autobiographie findet sich ein indirekter Hinweis für die Gründe: Nach seiner Demobilisierung hatte er mit seiner Frau Gertrud und dem Stiefsohn David eine komfortable Wohnung im Cooper Village District bezogen, einer neu gebauten Wohnsiedlung an der Ostseite Manhattans zwischen Midtown und Downtown. Dort fühlte sich der nun gut verdienende Autor endlich „daheim; wenn überhaupt irgendwohin, gehört er hierher, in dieses Land, diese Stadt, hier hat er seine Bücher geschrieben, von hier aus zog er in den Krieg, unter anderem auch dafür, dass er jetzt sagen kann: hier gehöre ich hin.“216 Doch dies hatte sich als Illusion erwiesen, und in Heyms scharfen Anklagen gegen die USA ist so etwas wie die Enttäuschung eines verschmähten Liebhabers spürbar, der nun die einst Angebetete vor sich selbst und vor anderen herabzusetzen sucht. 213 Vgl. David A. Lincove, Radical Publishing to „Reach the Million Masses“: Alexander L. Trachtenberg and International Publishers, 1906–1966, in: Left History 10, 2004, Nr. 1, S. 87. 214 Vgl. Heym, Im Kopf – sauber, S. 87 (Gespräch in der Küche, 17. Januar 1954). Allein 1950 wurden zwei neue Theater in Washington eröffnet; die Zahl der Theater in der Stadt stieg damit auf mindestens zehn. 215 Ebd., S. 83 (Zum Neuen Jahr, 3. Januar 1954). 216 Heym, Nachruf, S. 454.

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Auch literarisch suchte der Stefan Heym dieser Jahre in der Erzählsammlung Die Kannibalen die Abrechnung mit Amerika, selbst wenn einige der Geschichten außerhalb der USA angesiedelt sind. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Erzählung „Der Floh“, in der der Biologe Norwood Ellington todbringende Bakterien für einen kommenden Krieg züchtet und Selbstmord begeht, nachdem er sich mit seinen eigenen Flöhen infiziert glaubt. Erst nach dem Tod seiner literarischen Figur klärt Heym die Leserschaft auf: Ellington war von einem ungefährlichen Hundefloh gebissen worden, der Selbstmord völlig unnötig. Das Buch erschien 1953 in Leipzig und 1957 sogar in Düsseldorf, eine russische Übersetzung kam 1954 in Moskau heraus.217 In den USA fand Heym für das zuerst englisch geschriebene Buch keinen Verleger. Es erschien schließlich in Englisch 1957 bei Paul List in Leipzig und 1958 im neu gegründeten Verlag Seven Seas Publishers.218 Gertrude Heym leitete dieses Unternehmen, das dem Verlag Volk und Welt angeschlossen war. Seven Seas Publishers brachte, meist als Taschenbücher, Klassiker der angelsächsischen Literaturen heraus, so bereits im Gründungsjahr Emily Brontës Wuthering Heights, Charles Dickens’ Three Christmas Tales, Mark Twains Adventures of Huckleberry Finn und einen Auswahlband mit Werken Walt Whitmans. Auch Albert Maltz’ The Cross and the Arrow fehlte nicht. Maltz wie auch Stefan Heym waren in einer Sammlung von Erzählungen linker amerikanischer Autoren vertreten, die unter dem Titel The American Century ebenfalls noch 1958 erschien. The Crusaders erschien als Neuauflage, nachdem Heym die Rechte von seinem amerikanischen Verleger Little, Brown & Co. zurückerhalten hatte. Ab 1960 erschienen in Übersetzung auch Bücher bekannter DDR-Autoren wie Christa Wolf, Anna Seghers und Franz Fühmann bei Seven Seas Publishers. Der Australien-Remigrant Walter Kaufmann, der wie Heym seine Romane, Kurzgeschichten und Reisebeschreibungen noch viele Jahre zuerst auf Englisch schrieb, publizierte ebenfalls dort. Zudem erschienen einzelne Arbeiten der Historiker Herbert Aptheker und Philip S. Foner, die beide der KP der USA angehörten.219 Der Verlag bestand noch bis 1980.220 217 Der Progress-Verlag in Düsseldorf, in dem das Buch herauskam, hatte der KPD nahegestanden und konnte auch nach dem Verbot der Partei in der Bundesrepublik seine Tätigkeit noch einige Zeit fortsetzen. 218 Das Buch wurde in der englischsprachigen Welt (soweit bekannt) nicht rezensiert. 219 Allerdings erschienen von beiden bis 1989 keine Bücher in deutscher Übersetzung in der DDR. 220 Als Nachfolgerin Gertrude Heyms leitete die gebürtige Amerikanerin Kathryn (Kaye) Pankey den Verlag. Ihr Mann Aubrey Pankey, ein Afroamerikaner, arbeitete in der DDR als Konzertsänger. Er war nach einer erfolgreichen Karriere unter anderem als Goodwill-

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Gertrude und Stefan Heym hofften damit, in den USA, Großbritannien und Kanada Fuß zu fassen, doch das gelang nicht. Doch fanden die Bücher des Verlages in einigen asiatischen und afrikanischen Ländern, darunter in Indien, eine größere Zahl an Abnehmern.221 Auch in Australien gab es ein begrenztes Interesse, zumal Bobbin Up, der erste Roman von Dorothy Hewett, ebenfalls als Lizenz bei Seven Seas Publishers erschien.222 Für den Vertrieb der Seven-Seas-Bücher sorgte nicht zuletzt der rührige, nun in Warschau ansässige Literaturagent Maxim Lieber. Dieser hatte lange Jahre erfolgreich in New York gearbeitet, als Kommunist jedoch 1951 nach Mexiko fliehen müssen, nachdem ihn Whittaker Chambers – zutreffend – als sowjetischen Spion bezeichnet hatte. 1954 kehrte Lieber in sein Geburtsland Polen zurück. 1968 verließ er dann im Zuge der von polnischen Kommunisten initiierten antisemitischen Kampagne das Land und ging wiederum in die USA. Der bis dahin überzeugte Kommunist brach nun mit dem Kommunismus. Eine Aussage

Botschafter für die US-Regierung in Lateinamerika tätig gewesen, geriet aber am Beginn der fünfziger Jahre in den Verdacht des Prokommunismus. Dies – und die spürbare Zurücksetzung wegen seiner Hautfarbe – bewog ihn 1953 zur Übersiedlung in die DDR. Dort starb er 1971 bei einem Autounfall. Vgl. den Nachruf in der New York Times vom 11. Mai 1971 sowie den instruktiven Artikel über ihn in der englischen Wikipedia. Vgl. weiterhin Earl Shorris, Expatriate Chess On the Other Side of the Wall, in: The New York Times, 23. Mai 1971. Shorris’ Behauptung, Kathryn Pankey habe, obwohl viele Jahre in der DDR lebend, kaum Deutsch gesprochen, klingt jedoch unwahrscheinlich: Ohne Deutschkenntnisse war ein Leben in der DDR damals nicht möglich. Auch der Zeichner und Karikaturist Oliver Harrington, der unter anderem für Das Magazin arbeitete, war Afroamerikaner. Wie Aubrey Pankey (und andere schwarze Amerikaner von Sidney Bechet bis James Baldwin) hatte er mehrere Jahre in Paris gelebt, und wie die Pankeys behielt er auch in der DDR seinen amerikanischen Pass. Vgl. auf ihn den Nachruf in der New York Times vom 7. November 1995. 221 So erschien Heyms zeitbedingt euphorischer Bericht über eine Reise zu sowjetischen Raumfahrt-Experten und deren Wirkungsstätten, The Cosmic Age, zuerst 1959 in New Delhi. Eine deutsche Ausgabe: Das kosmische Zeitalter. Ein Bericht, kam 1961 im Berliner Verlag Tribüne heraus. 222 Vgl. Nicole Moore/Christina Spittel, Bobbin Up in the Leseland. Australian Literature in the German Democratic Republic, in: Peter Kirkpatrick/Robert Dixon (Hg.), Republic of Letters. Literary Communities in Australia, Sydney 2012, S. 116 f. Bobbin Up erschien 1959 zuerst in Australien, zwei Jahre später bei Saven Seas Publishers. 1965 kam unter dem Titel Das Mädchen von Sydney eine von Ernst Adler besorgte deutsche Übersetzung im Verlag Volk und Welt heraus. Nach dem Einmarsch der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Prag 1968 verließ Dorothy Hewett die KP Australiens, die sich selbst drei Jahre später über der Haltung zur Sowjetunion spaltete.

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gegenüber dem FBI bewahrte ihn vor der Strafverfolgung, und er lebte bis zu seinem Tod 1993 zurückgezogen in Connecticut.223 Auch die DDR war, als Heym dort eintraf, nicht frei von Antisemitismus Stalinscher Prägung, doch findet sich nichts davon in Heyms frühen Veröffentlichungen. In der DDR wollte er zum zweiten Mal eine Heimat finden, und dieses Bestreben teilte er mit den anderen Rückkehrern. Trotz mancher auch unter ihnen spürbaren Dissonanzen stellten sie jedoch, ob sie dies wollten oder nicht, noch lange eine vom Durchschnittsdeutschen abgrenzbare Gruppe dar; „man kannte einander von früher“, schrieb Heym, „teils schafft das gemeinsame Schicksal auch andere Gemeinsamkeiten; und, für Gertrude zur Anknüpfung, sind da die amerikanischen und englischen Frauen, die mehr als einer der Männer von draußen mitgebracht hat. Ganz ohne Nachteile ist diese Sorte sozialer Inzucht nicht; einmal verzögert sie die nähere Bekanntschaft mit dem Alltagsvolk, für das und mit dem man ja zu arbeiten haben wird, und zum zweiten lässt sie alte Eifersucht, alten Erfolgsneid neu aufleben; mitunter erschrickt S. H., wenn er Ressentiments begegnet, von deren Existenz er nie geahnt [...].“224 Für „die nähere Bekanntschaft mit dem Alltagsvolk“ war Heym, wie auch andere Rückkehrer, zunächst bereit, sich politisch etwas vorzumachen. Doch ganz ohne innere Bedenken konnte er dies kaum tun: Denn schon kurz nach seiner Ankunft habe er, wie Heym später schrieb, erkannt, dass er nicht in ein Land gekommen sei, in dem Milch und Honig fließen. „Vor das Land Utopia haben die himmlischen Mächte das Gestrüpp der Doktrinen gesetzt, und wer in das Land hinein will, der muss durch die Dornen hindurch, und nicht nur sein Jäckchen, auch seine Haut werden die Spuren des Weges zeigen.“225 Doch zeugten seine publizistischen Beiträge damals noch kaum von irgendeinem kritischen Denken. Als Schriftsteller aber reagierte Heym doch sensibler auf die Konflikte – mit dem Roman Fünf Tage im Juni, der einige Widersprüche beim Aufbau der neuen Gesellschaft zeigte. Obgleich Heym auch hier die DDR insgesamt positiv und ihren Kurs perspektivisch als richtig sah, da die Partei aus den Fehlern lernen werde, lehnten sämtliche DDR-Verlage, denen Heym das Manuskript vorlegte, dieses

223 Eine Biographie Liebers fehlt bisher. Vgl. aber den gut belegten Artikel über ihn in der englischsprachigen Wikipedia. 224 Heym, Nachruf, S. 543. – Die aus den USA oder aus England in die DDR Gekommenen hatten nicht selten nichtdeutsche Ehefrauen; so war der britische Journalist John Peet mit einer gebürtigen Bulgarin verheiratet. Vgl. Earl Shorris, Expatriate Chess On the Other Side of the Wall. 225 Heym, Nachruf, S. 534.

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ab. Erst 1974 konnte das Buch in veränderter Fassung erscheinen – im Münchner Bertelsmann-Verlag, während es DDR-Lesern bis 1989 vorenthalten blieb.226 So begann ein allmählicher Prozess der Ernüchterung, doch bedurfte es des XX. Parteitages der KPdSU und der „Geheimrede“ Nikita Chruschtschows, bis Heym erste Zweifel an der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges bekam. Heyms erste öffentliche Reaktion auf den Parteitag hätte linientreuer kaum sein können. „Die an sich gute Diskussion“ über den Parteitag – noch kannte er nicht Chruschtschows Rede – könne, so Heym, „dadurch schlecht werden, dass sie sich auf nur einen Punkt konzentriert: auf Stalin. Und auf genau das steuert der Klassenfeind hin, der ja nicht aufgehört hat zu existieren, weil Stalin dies oder jenes falsch analysierte.“ Die „gewisse, durchaus echte, schmerzliche Enttäuschung“ über Stalin dürfe jedoch „nicht dazu verführen, gerade den Leuten auf den Leim zu kriechen, die Stalin zu seinen Lebzeiten mit gar nicht genug Dreck bewerfen konnten.“ Wir jedoch in der DDR „sollten vermeiden, dass wir auf einmal den Wald nicht sehen vor dem einen vom Tode gefällten, gewaltigen Baum, unter dessen Rinde wir nun die Würmer entdecken. Denn der Wald war gestern da und steht auch heute, und morgen wird er erst recht da sein, großartiger und mächtiger als je.“227 Doch da waren die Opfer Stalins, und wiederum waren Bekannte aus Heyms Prager Exilszeit darunter: Der Schriftsteller Ernst Ottwalt war von Dänemark über Prag nach Moskau gelangt und dort unter Spionageverdacht geraten. Als Wieland Herzfelde seinem Freund Heym 1952 erzählte, er sei von Ottwalts Spionagetätigkeit überzeugt und habe den sowjetischen Stellen eine entsprechende Mitteilung gemacht, nahm Heym dies noch als gegeben hin. 1956 wurde Ottwalt in der Sowjetunion wie in der DDR als unschuldiges Stalin-Opfer rehabilitiert. „Ich weiß, ich weiß, wer bin ich“, schrieb Stefan Heym, „den Stein zu erheben, und wie hätte ich mich verhalten in Moskau, zu einer Zeit, wo es hieß, du oder ich ...? Dennoch ist es dem Schriftsteller S. H. seither nicht mehr möglich gewesen,

226 Heym schrieb das Buch zuerst in Englisch und gab ihm den Titel A Day Marked X. Diese Erstfassung blieb unveröffentlicht. Die 1977 in London publizierte Fassung Five Days in June. A Novel ist die von ihm vorgenommene Übersetzung der deutschen Ausgabe Fünf Tage im Juni. Vgl. zur Entstehungsgeschichte u. a. Doris Lindner, Schreiben für ein besseres Deutschland. Nationalkonzepte in der deutschen Geschichte und ihre literarische Gestaltung in den Werken Stefan Heyms, Würzburg 2002, S. 123 ff., sowie Dieter Schiller, Ein Buch als Ärgernis. Stefan Heyms Roman „Der Tag X“ und die Parteiprominenz der SED, Berlin 2003. 227 Stefan Heym, Offen gesagt, S. 211 f. (Der Wald und ein Baum, 25. März 1956). Hervorhebung im Original.

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mit dem Genossen Wieland Herzfelde, dem er vieles verdankte an freundschaftlicher Belehrung, auch nur ein persönliches Wort zu wechseln.“228 Das Bekanntwerden von Chruschtschows Abrechnung mit Stalin, mehr noch die Erhebungen in Polen und Ungarn im Sommer und Herbst 1956 mahnten Heym zur Vorsicht im Umgang mit den Defiziten der eigenen Bewegung. Gleichwohl sah er nun die Zeit für eine innerkommunistische Kritik und Selbstkritik gekommen. In keinem Fall aber, schrieb Heym Anfang Dezember 1956, dürfe diese Selbstkritik dazu führen, „die Einheit und die Kampfkraft und die Macht der Arbeiterklasse durch Wort oder Tat in Frage zu stellen. Das heißt nicht: Schweigen, wo Unrecht geschieht. Das heißt aber: Kühl abwägen, wo Recht und wo Unrecht wirklich liegen, und nicht kleinbürgerliche Hysterie setzen anstelle wissenschaftlicher Erkenntnisse.“229 In Ungarn, wo die Konterrevolution die Kommunisten am Laternenpfahl aufhänge, zeige sich, wohin es führe, wenn die Partei die Macht aus der Hand gebe. „Kaum war die Partei der Arbeiterklasse führerlos und entmachtet, da waren sie plötzlich alle wieder da: die HorthyOffiziere, die Pfeilkreuzler und sogar der gnädige Herr Fürst von Esterházy selber, Ungarns größter Großgrundbesitzer.“230 Es war wohl weniger Naivität, mehr wohl eine Schutzbehauptung, wenn Heym Anfang 1956 auf dem DDR-Schriftstellerkongress sagte, in der DDR existiere keine Zensur. Es gebe hier keineswegs die vom Westen erfundene Kategorie des „von der Regierung genehmigten Schriftstellers“, sagte er. „Und was mich betrifft, so war dies einer der Gründe, die mich veranlassten, aus den USA hierher überzusiedeln. Ich konnte und wollte nicht in einem Lande arbeiten, in dem den Schriftstellern ein Maulkorb umgehängt wird.“ Es gebe in der DDR keinen Maulkorb und keine Zensur, wiederholte er. „Aber es gibt bei uns eine Verantwortlichkeit des Schriftstellers der Sache gegenüber, der Sache des Friedens und der Demokratie und des Sozialismus. Der Zensor, von dem immer gesprochen wird, sitzt im Herzen der Schriftsteller. Und bei jedem Satz fragt dieser Zensor: Ist das, was du schreibst, auch im tiefsten Sinne wahr? Regt es zum Denken an, zum Denken in der richtigen Richtung? Hilft es unserer Sache? Bringt es die Menschen weiter?“231 Doch bereits diese insgesamt ideologiekonforme Rede barg den Stoff künftiger Konflikte in sich. „Man hat vom Mangel an Mut bei Schriftstellern gesprochen“, so Heym weiter. „Ich halte das – verzeihen Sie mir – für oberflächlich. Ich glaube, 228 229 230 231

Heym, Nachruf, S. 602. Heym, Offen gesagt, S. 159 (Über das Bekennen von Fehlern). Ebd., S. 146 (Freiheit – für wen?). Die Rede ist unter dem Titel „Der Schriftsteller und die Macht“ abgedruckt in: Heym, Wege und Umwege, S. 322–333, Zitate S. 330.

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die Mehrzahl von uns sind keine Feiglinge, wir haben keine Angst vor Kritik und vor dem erhobenen Zeigefinger und den erhobenen Augenbrauen großer und kleiner Päpste.“232 Die „kleinen und großen Päpste“ sollten Heym fortan viele Jahre lang begleiten. Früher als andere nahm er öffentlich Stellung zu seinen Irrtümern. Seit 1956 durchzog die Frage nach eigenen Fehlurteilen und Wunschvorstellungen, die an der Wirklichkeit zu korrigieren waren, immer mehr seine politischen Wortmeldungen. Doch erst ganz allmählich wurde Heym zum Sprecher politischer Reformen in der DDR, wobei er sich noch lange völlig in Übereinstimmung mit der politischen Linie der SED wähnte. Das war jedoch zunehmend weniger der Fall: Heym ging so weit, am 25. November 1956 in der Berliner Zeitung die Einrichtung von Verwaltungsgerichten in der DDR zu fordern. Dies käme einer unabhängigen Rechtsprechung zugute und könne die Glaubwürdigkeit des Staates in den Augen seiner Bürger nur steigern. Zudem seien solche Verwaltungsgerichte – Heym verwies auf den Artikel 138 der DDR-Verfassung – rechtskonform. „Geben wir dem Bürger, der glaubt, dass ihm von einer Behörde unrecht getan wurde, seinen Tag vor Gericht! Es kann uns nichts schaden – es kann uns nur nützen! Wir erfahren auf diese Weise sehr schnell, wo etwas in der Verwaltung stinkt.“233 Solche Worte führten 1957 dann zum Ende seiner Kolumne Offen gesagt, nachdem die Berliner Zeitung wiederholt Beiträge von ihm gekürzt oder abgelehnt hatte.234 Auf lange Sicht war es unmöglich, Themen zu behandeln und Fragen aufzuwerfen, die nur ansatzweise das Wahrheits- und Entscheidungsmonopol der Partei in Frage stellten. Für fast ein Jahrzehnt enthielt sich Heym nun weitestgehend publizistischer Wortmeldungen, was natürlich der Produktivität des Romanciers zugute kam. So erschien 1963 der zweibändige Roman Die Papiere des Andreas Lenz, der in der deutschen Revolution von 1848/49 angesiedelt war und später unter dem Titel Lenz oder die Freiheit auch in der Bundesrepublik mehrfach aufgelegt wurde. Als 1964 der politische Publizist Stefan Heym wieder stärker das Wort ergriff, tat er dies im Ergebnis eines Denk- und auch eines Wandlungsprozesses. Seine kritische Sicht auf die USA blieb bestehen. Im bereits erwähnten Interview für die Zeitschrift Atlantic Monthly antwortete er auf die Frage, ob er nicht in Amerika hätte bleiben können: „Ich hätte mir vielleicht mit Kompromissen helfen 232 Ebd., S. 331. 233 Vgl. Stefan Heym, Ein Vorschlag, in: ebd., S. 310–313, Zitat S. 313. 234 Bereits damals geriet Heym in das Visier des MfS. So hielt ein Spitzelbericht von GI „Kurt Feuerherd“ (Bernhard Seeger) vom 14. September 1956 Heyms „feindliche Einstellung“ fest. BStU, ZA, HA XX, AIM 11229/81, Bl. 000.159.

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können. Niemand zwang mich, Bücher zu schreiben, die immer irgendwie die neuralgischen Punkte der herrschenden Ordnung berührten. Die Kreuzfahrer (Der bittere Lorbeer) betonten zwar den demokratischen Charakter des Zweiten Weltkrieges, enthüllten aber auch die großkapitalistisch-faschistische Schlagseite des amerikanischen Machtapparates und deuteten bereits auf das kommende Bündnis mit eben jenen Kräften hin, die das deutsche KZ-Regime geschaffen hatten; Die Augen der Vernunft stellten die historische Berechtigung der kommunistischen Machtübernahme in der Nachkriegs-Tschechoslowakei fest; Goldsborough (Die Liebe der Miss Kennedy) demonstrierte die Verschwörung von Unternehmern, Regierung und korrupten Gewerkschaftsbeamten gegen die Bergarbeiter von Pennsylvania während des Streiks von 1949/50. Doch das waren die Konflikte, die mich interessierten.“235 Im August 1964 forderte Heym auf dem slowakischen Schriftstellerkongress eine neue Form der politischen wie – gerade auch von Schriftstellern – der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Stalinschen Erblast ein: „Die Zerschmetterung des Weltbildes, das mit dem Namen Stalin umschrieben ist, erschütterte auch die ästhetischen und literarischen Lehrsätze, die Teil des allgemeinen Dogmas gewesen waren. Ob es nun die Kulturbehörden in den einzelnen sozialistischen Ländern eingestehen oder nicht, ihre Schriftsteller und Künstler haben die Theorie des sogenannten sozialistischen Realismus neu überprüft – wobei man hinzufügen muss, dass es eine abgerundete Theorie der Art eigentlich nie gab, sondern höchstens ein Flickwerk aus Engels und Lenins gelegentlichen Äußerungen über Kunst und diesbezügliche Gedanken seitens zeitgenössischer Funktionäre.“236 Überhaupt war es die Tschechoslowakei, in der ein erster Hauch von Veränderungen spürbar war, die Heym Gelegenheit zu kritischer Wortmeldung bot. Im Dezember 1964 hielt er in Prag auf einem internationalen SchriftstellerKolloquium eine Rede, in er wiedergab, was ihm Ilja Ehrenburg berichtet hatte: Stalin habe in einem Filmszenario, das ihm vorgelegt worden sei, den Satz „Stalin verlässt den Raum“ ergänzt, und nun habe es heißen müssen: „Der große Stalin verlässt den Raum.“ Neben der Frage nach Stalins Charakter sei vor allem, und das habe diese Begebenheit gezeigt, die Frage der revolutionären Ethik wichtig: „Wie 235 Stefan Heym, Warum ich bin, wo ich bin, in: ebd., S. 248 f. Ein Jahr später sagte Heym in einem Interview für The Nation: „Ich wäre wahrscheinlich unbehelligt geblieben, durch Kompromisse. Niemand zwang mich, die Art von Büchern zu schreiben, die sich gegen die neuralgischen Punkte des Establishments richteten.“ Stefan Heym, I arrive at socialism by train, in: The Nation, 1. Oktober 1965, S. 228, auch zit. in: Zachau, Stefan Heym, S. 29. 236 Die Rede erschien und ist auf Deutsch unter dem Titel „Bedeutung und Perspektive“ abgedruckt in: Heym, Wege und Umwege, S. 346–347, Zitat S. 346.

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Tausende von Kommunisten, bewährte Kämpfer, sich allmählich einem Zustand unterwerfen konnten, den sie als übel und im Gegensatz zu ihren Idealen stehend erkannt haben mussten.“237 Noch immer sah Heym Chancen einer Gesellschaftsreform an Haupt und Gliedern, denn noch immer gäbe es genug Menschen, die an sozialistische Ideale glaubten. „Es ist um dieser Menschen willen, dass man den Schmutz, der unter den Teppich gekehrt wurde, ausfegen, den Teppich selbst reinigen und den Raum desinfizieren muss, den Stalin verlassen hat.“238 Im August 1965 erschien in der slowakischen Zeitschrift Kultúrny život Heyms Artikel „Die Langeweile von Minsk“. Bertolt Brecht habe zu Heym gesagt, man müsse, um der parteiamtlichen Schönfärberei zu begegnen, einen Artikel mit den Worten beginnen lassen: „Minsk ist eine der langweiligsten Städte der Welt.“ Ob dies so sei, könne überprüft werden, aber in jedem Fall müsse gelten: „Wenn eine Stadt langweilig ist, sage es. Wenn ein Mann ein Schurke ist, setze ihm keinen Heiligenschein auf den Kopf. Wenn das Leben nicht so ist, wie der Leitartikel in der Zeitung und die Reisebüros es dir darstellen: Du bist Romancier, Dramatiker, Dichter, und es ist deine Pflicht, auszusprechen, was ist. Denn dies, und nur dies, ist die Bedeutung des Wortes Realismus. Und sozialistischer Realismus bedeutet, die Wahrheit darzustellen mit der ihr innewohnenden Perspektive, die nach der Natur der Dinge nur eine sozialistische Perspektive sein kann.“239 Es verwundert nicht, dass auf dem „Kahlschlag“-Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 auch Stefan Heym ins Fadenkreuz der Kritiker geriet. Die Schärfe des Angriffs von Erich Honecker in dessen Hauptreferat aber überraschte Heym, der soeben noch als ein Wegbereiter sozialistisch-realistischer Literatur auch wissenschaftlich gewürdigt worden war, dann doch.240 Heym gehöre „zu den ständigen negativen Kritikern der Verhältnisse in der DDR“, so Honecker. Er sei „offensichtlich nicht bereit, Ratschläge, die ihm mehrfach gegeben worden sind, zu beachten.“ Heyms jüngste Äußerungen seien nichts als Angriffe auf die führende Rolle der Partei in der Kulturpolitik. „Die ,Wahrheit‘, die er verkündet“, so Honecker über Heym, sei „die Behauptung, dass nicht die Arbeiterklasse, sondern nur die Schriftsteller und Wissenschaftler zur Führung der neuen Gesellschaft berufen seien.“241 Wenige Tage später wurde Heym zum DDR-Innenminister Friedrich Dickel vorgeladen. Dieser forderte ihn auf, öffentliche Äußerungen gegen die DDR und 237 238 239 240

Stefan Heym, Stalin verlässt den Raum, in: Ders., Wege und Umwege, S. 348. Ebd., S. 349. Stefan Heym, Die Langeweile von Minsk, in: ebd., S. 354. Hervorhebung im Text. Vgl. Otto Ernst, Stefan Heyms Auseinandersetzung mit Faschismus, Militarismus und Kapitalismus. Dargestellt an den Gestalten seiner Romane. Phil. Diss., Jena 1965. 241 Honeckers Rede ist abgedruckt in: Agde (Hg.), Kahlschlag, S. 238–251.

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ihre Politik fortan zu unterlassen. Heym bestritt, solche Äußerungen je getätigt zu haben. Doch wollte und konnte er, der immer nach Zugehörigkeit zur „Sache“ gestrebt hatte, den Preis dafür nicht zahlen: Dieser bestand, und das war die Realität in der DDR, in der Anpassung des Schriftstellers an die Macht. Im Kalten Krieg mit der Frontstellung des „Entweder-Oder“ blieb dem Kommunisten und Antistalinisten Stefan Heym folglich nur die Position des ewigen Dissidenten wider Willen.

Ein Fenster nach Amerika? Hilde Eisler und „Das Magazin“ Im Januar 1964 schrieb Arnold Zweig aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Zeitschrift Das Magazin, diese sei dem Motto des Horaz gefolgt: Ridendo dicere verum – lachend die Wahrheit sagen. „Dies, liebes Magazin, tust Du nun schon zehn Jahre. Mit heiteren Grafiken, erfreulichen Fotos und kürzeren oder längeren Erzählungen hältst Du eine Schar von Lesern zusammen, die nur von der Schwierigkeit begrenzt wird, die zur Zeit noch Papier bedeutet.“ Das Magazin werde vor allem auch gelesen, weil es, so Zweig weiter, „von der Welt außerhalb unserer Grenzen nicht abgeschlossen“ sei. Rudi Singer, Leiter der Abteilung Agitation im ZK der SED, gratulierte ganz ohne alle Parteisprache dem Magazin, das „in den zehn Jahren von einem kleinen ‚Es‘ zu einer charmanten ‚Sie‘ herangewachsen“ sei. Dieses „Kind der heiteren Muse“ sei „liebevoll bemüht, das Leben von seiner schönsten Seite zu zeigen. Wer sucht nicht Schönheit, wer sucht nicht Lebensfreude – und wer greift da nicht zum Magazin?“242 Die meist achtzigseitige Zeitschrift begegnete, wie ein späteres Urteil lautete, „ostdeutschen Sehnsüchten und Wünschen nach Welt-Anschauung – im Buchstabensinne verstanden – mit einem opulenten und facettenreichen Angebot an Bildern, Nachrichten und Geschichten aus allen Himmelsrichtungen.“243 Die Gründung des Magazins, dessen erste Nummer im Januar 1954 erschien, fiel in die Zeit der begrenzten kulturellen Öffnung der DDR nach dem 17. Juni 1953. Nur wenige Monate vorher wäre das Erscheinen einer solchen Publikation undenkbar gewesen, war doch die Kulturpolitik der SED vom „Kampf gegen den westlichen Formalismus“ bestimmt gewesen. Doch schienen diese übersteuerten Kampagnen nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 in Frage gestellt. Auch nach242 Beide Leserbriefe sind abgedruckt in: Das Magazin, Nr. 1/1964, S. 2. 243 Evemarie Badstübner, Auf 80 Seiten um die Welt. Das Magazin zwischen 1954 und 1970, in: Simone Barck/Martina Langermann/Siegfried Lokatis (Hg.), Zwischen Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin 1999, S. 189.

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dem Ulbricht die Oberhand behalten hatte und wieder fest im Sattel saß, war ein „Weiter so!“ im Zeichen eines angeblich sich gesetzmäßig verschärfenden Klassenkampfes auch an der „Kulturfront“ nicht mehr ohne Weiteres möglich. So entstand die Idee, neben und vielleicht teilweise anstatt der vielen propagandistischen Hefte „eine Zeitschrift für Unterhaltung, Bildung und Geschmacksbildung“ zu gründen. Der England-Remigrant Heinz Schmidt, im Londoner Exil Chefredakteur der Freien Tribüne, beriet sich deshalb mit Bertolt Brecht, Hanns Eisler und Ernst Busch. Schmidts Erinnerung nach sagte Brecht: „Ein Magazin willst Du machen, dann nenne es doch beim Namen – Magazin.“244 Für eine solche Zeitschrift gab es, schrieb der spätere Chefredakteur Manfred Gebhardt, jedoch „kein Vorbild. Die kommunistischen Zeitungen vor 1933 waren Kampfblätter, für Unterhaltung blieb da wenig Raum.“245 Ein inoffizielles und erst nach 1989 eingestandenes Vorbild war eine von 1924 bis 1941 in Berlin von Franz Koebner und anfangs auch von Robert Siodmak herausgegebene gleichnamige Zeitschrift, die nach dem Zweiten Weltkrieg in München nur kurzzeitig wiederbelebt werden konnte. So war der Titel frei, und im Januar 1954 erschien im Verlag Das Neue Berlin (ab 1960 im Berliner Verlag) in jedem Monat die alsbald überaus populäre Publikumszeitschrift. Inhaltlich wurde eine Mixtur aus Literatur, Reportage, Feuilleton, Satire und Alltagsinformation geboten. Die „Aktuelle Umfrage“ und die „Wahre Begebenheit“ widmeten sich dem Zusammenleben von Mann und Frau; der monatliche Frauenakt machte Das Magazin zum begehrten Sammelobjekt junger Männer, und als erste Zeitschrift in der DDR brachte es im „Treffpunkt“ Kontaktanzeigen, deren annoncierte Texte mit den Jahren an Freizügigkeit zunahmen. Das Magazin wandte sich auch gegen Vorurteile, die Homosexuellen noch entgegenschlugen. Doch gab es auch Besprechungen von Büchern und Schallplatten, die in der DDR erschienen. „Der freche Zeichenstift“ Herbert Sandberg stellte unter dieser Rubrik in monatlichen Beiträgen Karikaturisten aus aller Welt vor, darunter im Juli 1955 mit Saul Steinberg erstmals einen Amerikaner. Ein Blickfang waren die spritzig gezeichneten Titelbilder von Werner Klemke, auf denen der obligatorische Kater nie fehlen durfte. Obgleich die Auflage zuletzt auf 585 000 stieg, konnte die Nachfrage nie vollständig befriedigt werden. Das Magazin blieb eine „Bückware“, die oft nur unter dem Ladentisch erhältlich war. Das Geld kam von der Presseabteilung des ZK der SED, obgleich dies nie irgendwo vermerkt wurde und Das Magazin allen An-

244 Das Magazin wird dreißig, in: Das Magazin, Nr. 1/1984, S. 1. 245 Ebd.

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schein einer Parteizeitung vermied.246 Natürlich musste auch der Chefredakteur oder die Chefredakteurin des Magazin ebenso wie alle anderen jeden Donnerstag zur Anleitung ins ZK-Gebäude am Werderschen Markt, wo der Leiter der Agitationsabteilung die politischen Richtlinien vorgab.247 Mit Heinz Schmidt wurde ein erfahrener Journalist, der schon in der Weimarer Republik an verschiedenen SPD-Blättern mitgearbeitet und zwischen 1938 und 1945 im englischen Exil gewesen war, erster Chefredakteur. Als er zum Jahresbeginn 1956 die Chefredaktion des Eulenspiegel, der einzigen Satire-Zeitschrift der DDR, übernahm, folgte ihm bis 1979 als Chefredakteurin Hilde Eisler. Durch sie verstärkte sich die ohnehin bemerkenswert weltoffene Ausrichtung des Magazin. Heinz Schmidt und Hilde Eisler hatten im Exil mit vielen fähigen Journalistinnen und Journalisten Freundschaft geschlossen, die nun Beiträge lieferten: aus London Rose Grant und aus Rom ihre Schwester Phyllis Rosner, aus Paris Vladimir Pozner und aus Wien Ernst Fischer und Bruno Frei. Von Zürich aus steuerte Theo Pinkus Beiträge bei. Zwar aus dezidiert linker Sicht, doch ohne jeden Agitations-Jargon berichteten sie über Kunst, Kultur und Alltagsleben aus den Metropolen, doch auch aus dem jeweiligen Land. Die USA waren kein Schwerpunkt der Berichterstattung. DDR-Bürger konnten so gut wie überhaupt nicht dorthin reisen.248 So war die Zeitschrift auf Beiträge angewiesen, die etwa Walter Kaufmann, der mit einem australischen Pass in der DDR lebte, oder die gebürtigen Amerikanerinnen Gertrude Gelbin, die Frau Stefan Heyms, und Edith Anderson, die Witwe Max Schroeders, lieferten. Besonders Kaufmanns impressionistisch gefärbte Reportagen boten einen unverstellten Blick auf New York.249 Auch Alvah Bessie, einer der „Hollywood Ten“, den Hilde

246 Vgl. Manfred Gebhardt, Die Nackte unterm Ladentisch. Das Magazin in der DDR, Berlin 2002, S. 25. 247 Dies waren nacheinander Rudi Singer, Werner Lamberz, Hans Modrow und Heinz Geggel. 248 Selbst zu den Olympischen Winterspielen im Februar 1960 in Squaw Valley, bei denen die DDR Teil einer gemeinsamen deutschen Mannschaft war, erhielten zwar ostdeutsche Sportler und akkreditierte Funktionäre als Delegationsmitglieder die Einreise in die USA gestattet, nicht jedoch Trainer und Journalisten. Die einzigen DDR-Bürger, die noch zu Beginn der 1970er Jahre in den USA wohnten und arbeiteten, waren ADNKorrespondent Willi Wurdak und seine Frau Carola. 249 Walter Kaufmann, Manhattan-Symphonie, in: Das Magazin, Nr. 1/1965, S. 18–23; ders., New Yorker Skizzen, in: ebd., Nr. 10/1966, S. 24; ders., Mühle der Justiz, in: ebd., S. 25 f. Auf diesen Skizzen beruhen Kaufmanns Reportagebände Begegnung mit Amerika heute (1965), Hoffnung unter Glas (1966) und Gerücht vom Ende der Welt (1969). Sie sind zusammen mit anderen Berichten über die USA wiederabgedruckt in seinem Buch: Ameri-

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Eisler noch aus New York kannte, schrieb für das Blatt. Hilde Eisler verfügte, als einzige Chefredakteurin der DDR, über einen Devisenfond, um ihre finanziell keineswegs immer gut gestellten Autoren zu bezahlen.250 Bessies wohl bester Beitrag behandelte in einfühlsamer Art den Selbstmord von Marilyn Monroe und den Medienrummel, an dem sie zerbrochen war und der dennoch, um mit ihr noch einmal Profit zu machen, nach ihrem Tod fortgesetzt wurde.251 Auch Maximilian Scheer sah auf einer Kuba-Reise die ihm noch aus seiner Zeit in den USA bekannten Spielhöllen als Symbol des Tanzes um das Goldene Kalb.252 Natürlich wurde über bekannte linksorientierte Amerikaner wie Charles Chaplin oder später auch Martin Luther King berichtet, doch ging es auch dabei mehr um die Alltagsbedingungen, unter denen diese Persönlichkeiten arbeiteten, als um Politik im strengen Sinn. In den ersten fünfzehn Jahrgängen seiner Existenz (diese werden im Folgenden ausgewertet) erschienen rund vierzig Artikel mit einem USA-Bezug. Aus finanziellen und rechtlichen Gründen brachte Das Magazin kaum Beiträge nichtkommunistischer Autoren aus den USA.253 Im Februar 1964 wurde jedoch eine skurrile Kurzgeschichte von Art Buchwald abgedruckt, die von der (erfundenen) Irrfahrt einer Reihe von Gemälden Francisco Goyas in einem Bananentransport handelte.254 Im Juni 1959 schrieb Hilde Eisler über ihre Bewachung durch das FBI. Dabei erfuhren die Magazin-Leser nur wenig über die Umstände, unter denen sie und ihr Mann die USA hatten verlassen müssen. Warum ihnen 1946 die Ausreise verweigert wurde, als ihre Exilkameraden nach Ostdeutschland abfuhren, sagte Hilde Eisler nicht. Sie beklagte jedoch die intensive Bewachung, die die Eislers als

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ka. Zwischen Präsidentenmord und 11. September. Reportagen aus vier Jahrzehnten, Rostock 2003. Dies berichtete sie freimütig einem Journalisten der New York Times, der sie 1971 interviewte, ohne natürlich die Geldquelle, die Presseabteilung des ZK der SED, anzugeben. Vgl. Shorris, Expatriate Chess On the Other Side of the Wall. Shorris zeigte sich vom Inhalt und der Aufmachung des Magazins beeindruckt; ihm war jedoch schwer begreiflich, warum es an den Kiosken kaum erhältlich war. Alvah Bessie, Sie wollte ein Mensch sein, in: Das Magazin, Nr. 10/1962, S. 30–33. Maximilian Scheer, Glücksspiel–Gangster–Polizei, in: Das Magazin, Nr. 8/1962, S. 30– 33, 65–69. Dorothy Parker, von der Das Magazin mehrere Kurzgeschichten brachte, ist ein Grenzfall: Obwohl sie keine eingetragene Kommunistin war, geriet sie als Unterstützerin der Spanischen Republik und Mitbegründerin der von Otto Katz/André Simone initiierten Anti-Nazi League (und somit als „fellow traveler“) in den 1950er Jahren auf die „schwarzen Listen“ des McCarthy-Ausschusses, was ihre Arbeit in Hollywood äußerst erschwerte. Sie hatte allerdings in den 1930er Jahren den Stalinismus in der Sowjetunion verharmlost. Art Buchwald, Abstrakte Bananen, in: ebd., Nr. 2/1964, S. 38.

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Kommunisten erdulden mussten. „Sechs, acht und noch mehr dieser Herren waren zu unserer Bewachung abkommandiert, Tag und Nacht, an allen strategischen Punkten postiert. Zwei im Hof, zwei eine halbe Treppe über unserer Wohnung, und jedes Mal, wenn es bei uns klingelte oder die Tür ging, streckten sie die Köpfe vor.“255 Im Oktober 1960 schilderte Hilde Eisler ohne Pathos, wie der spätere DDRPräsident ihr und ihrem Mann bei der Ankunft aus den USA 1949 behilflich gewesen war. Diese „Erinnerung an Wilhelm Pieck“ unterschied sich sehr von den sonstigen Nachrufen auf den soeben Verstorbenen.256 Ganz ohne den politischen Kontext zu erwähnen, schilderte Ruth Berlau ihre zeitweilige Arbeit als Bar- und Putzfrau in New York.257 Eine sehr ungewöhnliche Sicht auf New York vermittelte Edith Anderson im August 1960 der Magazin-Leserschaft, ermöglichte sie doch ihrer 12-jährigen Tochter Cornelia, ein Jahr in New York bei ihrer Familie zu wohnen und dort die Schule zu besuchen. Es sagt mehr über die DDR als über die USA aus, wenn Cornelia unablässig in einer Mischung aus Neugier und Furcht fragte: Ist das ein Kapitalist? Doch zeigte der Bericht auch, welche Reize und Sehenswürdigkeiten New York einer Heranwachsenden zu bieten hatte.258 Die Härte des Lebens in Amerika, in dem oft nur das Geld zähle, war immer ein Thema. So berichtete Gertrude Gelbin über einen Vorfall, dessen Zeuge sie wurde: Ein auf der Straße zusammengebrochener Mann erhielt erst nach längerer Zeit medizinische Hilfe, da er offensichtlich kein Privatpatient war.259 Dass hinter ungezwungenen Umgangsformen eine knallharte Einstufung jeder Person nach der Größe seines Gehaltes stand, war ein oft wiederkehrendes Thema in den Kurzgeschichten amerikanischer Autoren, wobei auch hier zunächst Albert Maltz und Howard Fast gedruckt wurden – Fast noch im Dezember 1956, als er bereits aus der KP der USA ausgetreten war.260 255 Hilde Eisler, Brandenburgische Konzerte unter Polizeibewachung, in: ebd., Nr. 6/1959, S. 19. 256 Hilde Eisler, Heimkehr. Zur Erinnerung an Wilhelm Pieck, in: ebd., Nr. 10/1960, S. 10 f. 257 Ruth Berlau, Wie ich Barfrau in New York wurde, in: ebd., Nr. 10/1957, S. 18–21; dies., Als Reinemachfrau in New York, in: ebd., Nr. 12/1962, S. 23. 258 Edith Anderson, Cornelia in New York, in: ebd., Nr. 8/1960, S. 13–15. 259 Gertrude Gelbin, New Yorker Pflaster, in: ebd., Nr. 4/1958, S. 40 f. 260 Am 24. Oktober, dem Tag, an dem die ersten sowjetischen Panzer Budapest erreichten, teilte Howard Fast Stefan Heym mit, dass er die KP der USA verlassen werde, auch wenn dies die Trennung von vielen seiner Freunde bedeute: „Here I sit, 42 years old, 25 years of literary effort behind me, and apparantly at the end of the road. It would seem that I have no place in my own country, no one to publish my books, no one to distribute them, no one to read them. What do I do and how do I start life at 42?“ Zit. nach Phillip Deery, Red

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Es überrascht nicht, dass Das Magazin auch einen Vorabdruck der von Georg Friedrich Alexan übersetzten Autobiographie Paul Robesons, Here I Stand, brachte; das Kapitel, in dem er seine Zusammenarbeit mit Joris Ivens am Film Lied der Ströme schildert.261 Die sportliche Rassentrennung in den US-Südstaaten war im Oktober 1963 Thema eines Berichtes mit dem Titel „Die Goldmedaille am Schuhputzkasten“. Sein Autor Gerhard Kleinlein schrieb, dass Ralph Boston, Olympiasieger 1960 im Weitsprung (und promovierter Chemiker) körperlich attackiert wurde, als er versehentlich eine Bahn bestieg, deren Abteile nur für Weiße reserviert waren. Die dreifache Sprint-Olympiasiegerin Wilma Rudolph sagte einen Start in Houston ab, als sie erfuhr, dass es getrennte Zuschauerränge für Weiße und Schwarze gab. Boxweltmeister Archie Moore unterstützte Bürgerrechtsorganisationen der Schwarzen finanziell. Der Titel des Beitrages zeugte jedoch von einer Fehlinformation: Im Bericht hieß es, der vierfache Sprint- und Hürdenolympiasieger Harrison Dillard friste als Schuhputzer sein Leben.262 Doch arbeitete Dillard in Wirklichkeit als Rundfunkjournalist in seiner Heimatstadt Cleveland.263 Ab Januar 1966 schrieb Hermann Budzislawski unter der ständigen Rubrik „Meine Meinung“ eine monatliche Glosse, deren Inhalt auf aktuell-politische oder gesellschaftliche Ereignisse Bezug nahm. Bereits im zweiten Beitrag setzte er sich kritisch mit dem Jugendkult in den USA auseinander und sah diesen zutreffend, wenngleich einseitig als Produkt einer Gesellschaft, die schon den Mittvierzigern kaum noch Chancen im Kampf um die knappen Arbeitsplätze einräume. „Eine ganze Gesellschaft, überaltert wie sie ist, spielt auf jung und schafft zum Beispiel in den USA den Teenager-Typ der alten Herren und der Großmütter, die nicht in schöpferischen Jahren aus dem Schaffensprozess ausgestoßen werden wollen. Aber Apple. Communism and McCarthyism in Cold War New York, New York 2015, S. 64. Stefan Heym hatte Fast vom Austritt abgeraten, wie auch das MfS notierte. Vgl. BStU; ZA, HA XX, 11229/81, Bl. 000.173 (Treffbericht mit dem GI „Karl Feuerherd“ alias Bernhard Seeger vom 15. Februar 1957). Fast blieb Sozialist aus Überzeugung. 261 Paul Robeson, Es geschah in Harlem, in: Das Magazin, Nr. 4/1958, S. 35–37. 262 Gerhard Kleinlein, Die Goldmedaille am Schuhputzkasten, in: ebd., Nr. 10/1963, S. 56– 58. 263 Harrison Dillard hatte 1948 und 1952 je eine Einzel- und Staffelgoldmedaille im Sprint bzw. Hürdensprint gewonnen. Aus Protest gegen die auch in vielen Kirchen verbreitete Rassendiskriminierung war Dillard jedoch, was dem Magazin wohl unbekannt war, ins Judentum eingetreten und hatte 1953 zwei Goldmedaillen bei der Maccabiade, den jüdischen Sportspielen in Israel, gewonnen. Vgl. Maccabiah’s Best Athletes, http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3113612,00.html. Ein anderer ins Judentum eingetretener schwarzer Amerikaner war der Schauspieler und Unterhaltungskünstler Sammy Davis, Jr., worüber auch die DDR-Presse berichtete.

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der kapitalistische Unternehmer lässt sich über das Lebensalter nicht täuschen. Er leitet die Leistungsfähigkeit selbst in solchen Ländern, die unter Mangel an Kräften leiden, aus den Arbeitspapieren ab. Der Prozess des Alterns, biologisch kunstvoll verschleppt von der Medizin, setzt umso frühzeitiger und folgenschwerer im Berufsleben ein.“264 Im Mai 1966 geißelte Budzislawski geradezu den Psychologen und „Guru“ der Hippie-Bewegung Timothy Leary für dessen Propagierung von ungezügeltem Sex und der Einnahme von Rauschgift: „Doch was jetzt unter der Flagge der Freiheit als neue Lebensform angeboten wird, dieses Gemisch von Gift und nackter Schweinerei, ist eine epidemische Krankheit, die die Grenzen des amerikanischen Kontinents leider schon überschritten hat. Auch die westdeutsche Jugend wird pornographisch verseucht. Man ist wahrhaftig kein Mucker, wenn man vor einem beispiellosen Verfall warnt, der gleichzeitig verführerisch und von abgründiger Scheußlichkeit ist.“265 Zwei Monate später nahm Budzislawski den von der Regierung Johnson propagierten „Krieg gegen die Armut“ aufs Korn. Was in den USA an Regierungsgeldern für die erklärte Bekämpfung der Armut ausgegeben werde, erreiche die Armen fast gar nicht, sondern werde „in mittlerer Höhe in großen Bottichen abgefangen. Mit den Wohltätigkeitsgeldern finanzieren die Bürgermeister ihre politischen Maschinen und die Politiker schaffen für ihren Anhang neue Verwaltungsposten. Was Krieg gegen die Armut genannt wird, ist der Sondertribut, den die Multimillionäre und ihr Staat den Stützen ihrer Macht zahlen.“266 Im August 1966 würdigte Budzislawski die Proteste gegen den Vietnamkrieg in den USA und die starke Beteiligung von Intellektuellen daran. „Wo sie sich mit der Arbeiterklasse verbünden, üben sie großen Einfluss aus.“267 Doch gab es unter amerikanischen Arbeitern nur ansatzweise Bestrebungen für ein solches Bündnis, was er nicht erwähnte.268 Im Februar 1967, dem letzten Beitrag seiner dann eingestellten Glosse, kritisierte Budzislawski die Vermengung politischer mit intim-privaten Informationen; letztere hätten in Darstellungen über Politiker und andere Personen des 264 265 266 267 268

Hermann Budzislawski, Das gefährliche Alter, in: Das Magazin, Nr. 2/1966, S. 32. Hermann Budzislawski, Im Wilden Westen, in: ebd., Nr. 5/1966, S. 29. Hermann Budzislawski, Die widerspenstige Armut, in: ebd., Nr. 7/1966, S. 35. Hermann Budzislawski, Wissen und Gewissen, in: ebd., Nr. 8/1966, S. 35. Der Vietnamkrieg blieb ein Thema, dessen Grausamkeiten und seine Sinnlosigkeit an Einzelschicksalen gefallener US-Soldaten gezeigt wurden. Vgl. Jimmi Breslin, Dieser Mann ist heute gestorben, 22. März 1967, in: ebd., Nr. 6/1967, S. 60. Vgl. auch den Vorabdruck aus einem Roman von Editha Morris: Liebe zu Vietnam, in: ebd., Nr. 5/1968, S. 27–29.

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öffentlichen Lebens nichts zu suchen. Wenn Jacqueline Kennedy die Veröffentlichung eines Werkes über ihren Mann, das sie zunächst autorisiert hatte, nunmehr zu verhindern suche, zeige dies das Problem. Der Autor des Werkes, William Manchester, habe mit dem zuerst genehmigten Zitieren aus Privatbriefen der Kennedys jedoch nur getan, was ihm die kapitalistischen Marktgesetze vorschrieben: Ohne Schilderungen des Privat- und Intimlebens werde ein solches Buch kein Bestseller, und nur darum gehe es.269 Ab dem Juli 1968 brachte Das Magazin unter der ironisch gemeinten Überschrift „Notizen aus der freien Welt“ in lockerer Folge knapp kommentierte Nachrichten aus amerikanischen Zeitungen, in deren Mittelpunkt die schwarze Bürgerrechtsbewegung und der Hass, der ihr besonders in den Südstaaten entgegenschlug, standen. Nur selten berichtete das Blatt über die KP der USA. Eine Ausnahme war im Dezember 1968 die Vorstellung der (chancenlosen) kommunistischen Vizepräsidentschafts-Kandidatin Charlene Mitchell für die Wahlen 1969.270 Zur amerikanischen Kultur gehörten Jazz und Rock ’n’ Roll. „Man diskutiert über Jazz“ – unter dieser Überschrift berichtete Das Magazin im Januar 1956 in einem ungezeichneten Artikel über eine Debatte in der britischen KP-Zeitung Daily Worker. Ist der Jazz ein Mittel zur Massenmanipulation oder Ausdruck amerikanischer Volkskultur, kulturelles Zeugnis der Schöpferkraft unterdrückter Schwarzer? Die Antwort war eindeutig: Sie ist Letzteres, und dass auch in der Sowjetunion Jazz-Enthusiasten am Werk seien, spreche für den universellen Charakter dieser Musik. Dass in der Sowjetunion der Gebrauch des Saxophons endlich wieder erlaubt sei, könne man nur als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung begrüßen. Überhaupt: Vor wenigen Jahrzehnten seien in der Sowjetunion der Tango und der Foxtrott verboten gewesen. Konnte man damit nur eines der Probleme der Jugend lösen? Genau so sei es mit dem Jazz in all seinen Stilrichtungen. „Die leichte Musik, die durch die Tür aus dem Leben vertrieben worden war, drang nun ‚durchs Fenster‘ und durch alle Ritzen ein.“271 „Was ist dran am Boogie-Woogie?“, lautete das Thema der Aktuellen Umfrage im Juli 1956. „Das Thema ist so heiß wie die Musik und die Tanzrhythmen, um die es geht“, räumten die Autoren ein. Soll man deshalb dazwischen fahren, weil ein Tanzpaar einen Boogie-Woogie aufs Parkett legt? Die Antworten fielen naturgemäß völlig unterschiedlich aus, doch auch Jüngere waren nicht automatisch begeistert. Das sei kein Tanz, sondern schwere Arbeit, lauteten mehrere Antworten. Aber: „Die modernen Tänze sind nun einmal da. Es geht nicht darum, unsere 269 Hermann Budzislawski, Die Intimsphäre, in: ebd., Nr. 2/1967, S. 19. 270 Margrit Pittman, Charlene Mitchell, in: ebd., Nr. 12/1968, S. 44. 271 Man diskutiert über Jazz, in: ebd., Nr. 1/1956, S. 54 f.

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jungen Menschen davon zu überzeugen, dass diese Tänze schlecht sind, sondern darum, zu zeigen, wie man alle Tänze so tanzt, dass man selber und die Zuschauer Freude daran haben.“272 Kritischer sah die Zeitschrift den Rock ’n’ Roll. Bill Haleys Auftritte und die Aufführungen des Filmes Rock Around the Clock hätten hysterische Massenszenen in westlichen Großstädten hervorgerufen. Es mache aber keinen Sinn, eine Musik zu verbieten, bei der sich junge Menschen in konvulsivischen Zuckungen winden würden. Ohnehin gehe die Popularität des Rock ’n’ Roll zurück; er werde in den USA vom Calypso angelöst. Jedoch informierte Das Magazin seine Leserschaft auch darüber, dass ältere Jazzmusiker den Rock ’n’ Roll gelassen sähen. So wurde Dizzie Gillespie mit der Bemerkung zitiert: „Rock and Roll ist nichts Neues. Es ist eine alte Form, die es schon lange bei uns gegeben hat. Cab Calloway hat ihn schon vor Jahren, mit einer Gitarre hinter seinem Kopf, gesungen und sich dabei ausgezogen. – Der Rock and Roll erinnert mich an die Zeit, als ich in der ‚Blue Note‘ in Chicago spielte und eine Dame zu mir kam und sagte: ‚Diz, ich weiß nicht, ob ich Sie anschauen oder Ihnen zuhören soll.‘ Ich will es ganz einfach erklären. Rock and Roll ist unverfälschter Blues, gemixt mit ,Hillbilly‘. Rock and Roll nennt man es wegen der Texte. Ich will schaukeln, ich will rollen …“273 Die Beatles waren bekanntlich keine amerikanische Band, doch in der Zeit der Beatlemania wollte auch Das Magazin die „Fabulous Four“ nicht ignorieren. Unter der etwas ironischen Überschrift „Wie verrückt kannst du werden?“ suchte Rose Grant im August 1964 den Erfolg der Gruppe in einem insgesamt sehr freundlichen Artikel nachzuzeichnen. „Der überschäumende, ungebändigte jugendliche Frohsinn bei ihrem Tun geht ins Publikum, fängt und steckt jung und alt an. Ihr Humor, ihre Respektlosigkeit allem Pomp und der Bewunderung gegenüber, die im allgemeinen die Revuestars umgeben, haben ihnen zu einer Popularität verholfen, die manchmal in Massenhysterie ausartete, wenn junge Mädchen schrien, stöhnten und sich an den Köpfen rissen.“ Die Autorin ließ aber keinen Zweifel daran: Es war vor allem die überaus gute und ideenreiche Musik, die den amerikanischen Rock ’n’ Roll ins Britische übersetzte und die Jugend weltweit begeisterte.274 Die werbende Sympathie für die angelsächsische Populärkultur scheiterte jedoch an der Wirklichkeit der DDR: Im Dezember 1965 beendete das alsbald so genannte „Kahlschlag“-Plenum des ZK der SED die kulturelle Offenheit, und auf lange Zeit konnte auch Das Magazin keinen ähnlichen Beitrag mehr bringen. Die folgenden Jahre, in denen die Rockmusik eine bislang unvorstellbare künstlerische 272 A.S./M. W., Wie ist das mit dem Boogie-Woogie?, in: ebd., Nr. 7/1956, S. 44. 273 R. H., Rock and Roll, in: ebd., Nr. 6/1957, S. 59. 274 Rose Grant, Wie verrückt kannst du werden?, in: ebd., Nr. 8/1964, S. 52–55.

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Reife erreichte, fanden somit keinen Niederschlag in der Zeitschrift, denn im geforderten abwertenden Sinne mochte die Redaktion sich darüber nicht äußern. Doch trotz aller Hindernisse hatte Das Magazin ein Fenster zur Welt geöffnet, durch das auch ein kleiner Blick ins ferne Amerika möglich wurde.

VIII. Amerika, die DDR und die Erinnerung

There were three of us this morning I'm the only one this evening But I must go on The frontiers are my prison (Leonard Cohen: The Partisan)

Die Jahre, die dem „Kahlschlag“-Plenum vom Dezember 1965 folgten, wurden, ohne dass dies den Akteuren schon bewusst war, zur Wegscheide in Ost wie West. Es waren die Jahre, in denen das politische Ansehen der USA weltweit auf einen Tiefpunkt sank. Der Aggressionskrieg in Vietnam, die Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy, die „Rassenunruhen“ im Inneren, aber auch die Proteste vor allem von Studenten gegen diese Zustände zeigten ein Land, das von schwersten Widersprüchen zerklüftet war, wie seit dem Bürgerkrieg ein Jahrhundert zuvor nicht mehr. Es waren die Jahre des politischen Aufbruchs auch im sowjetischen Machtbereich. Dieser Aufbruch kulminierte im „Prager Frühling“ von 1968, den die Panzer der Sowjetunion und ihrer Satelliten beendeten. Doch was als der Triumph des seit vier Jahren in Moskau herrschenden Leonid Breshnew erschien, sollte zum Pyrrhussieg werden.

Die Entdeckung der USA in der DDR? Die erzwungene politische Ruhe, die das Leben in der Sowjetunion, der ČSSR und der DDR nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ prägte, erwies sich weitgehend als trügerisch. Unterhalb der Oberfläche gärte es, und der Gärungsprozess schritt umso schneller fort, je mehr dessen Existenz von offizieller Seite geleugnet wurde. In der weltpolitischen Arena führten gerade die Konflikte, die beide Lager – der Sowjetblock und der Westen – im Inneren zu meistern suchten, zur pragmatischen Zusammenarbeit. Der beginnende Entspannungsprozess musste zur Auflockerung alter Feindbilder im ideologischen Bereich führen; dies wurde zur Nebenwirkung der Entspannungspolitik, die vor allem von DDR-Offiziellen misstrauisch beäugt wurde. Es kam zu Kontakten zwischen Ostdeutschen und Amerikanern im sportlichen und kulturellen Bereich: 1971 trugen die Schwimmerinnen und Schwimmer der DDR und der USA einen ersten Länderkampf in Leipzig aus, und fast die ganze DDR saß vor dem Fernsehschirm. Dass 1972 der amerikanische Sänger und

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Schauspieler Dean Reed der Politik und der Liebe wegen in die DDR zog, wurde in den Medien breit kommentiert, galt Reed doch als Repräsentant eines „anderen“, fortschrittlichen Amerika.1 Dean Reed löste in der öffentlichen Wahrnehmung Paul Robeson als positiver Held der USA ab. Zum 75. Geburtstag des schwarzen Sängers brachte das DDRFernsehen 1973 noch einmal die 1971 entstandene Dokumentation Auch ich singe für Amerika.2 Es wurde aber deutlich, dass Robesons pathetischer Gesangsstil einer durch die Rockmusik geprägten jüngeren Generation von DDR-Bürgern nur noch schwer zu vermitteln war. Das unter Leitung des Berliner Philosophie-Professors Franz Loeser arbeitende Paul-Robeson-Komitee trug jedoch dafür Sorge, dass dem kranken Sänger und seiner gleichfalls erkrankten Frau eine umfassende gesundheitliche Behandlung in der DDR zuteil wurde.3 Im gleichen Jahr 1973 reisten auch junge Amerikaner zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in die DDR-Hauptstadt. Unter ihnen war die schwarze Kommunistin Angela Davis. Sie war wegen Beihilfe zum Mord in Kalifornien verurteilt worden – es ging um Waffenschmuggel, um einen im Gefängnis sitzenden Angehörigen der in Teilen terroristischen Black Panther Party freizupressen, was in einer Schießerei endete. Ihr drohte die Todesstrafe. Dies führte zu einer

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Reeds facettenreiches, doch durch Selbstmord tragisch geendetes Leben ist mehrfach nachgezeichnet worden. Vgl. Reggie Nadelson, Comrade Rockstar. The Search for Dean Reed, London 1991; Stefan Ernstling, Der rote Elvis. Dean Reed oder das kuriose Leben eines US-Rockstars in der DDR, Berlin 2004; Chuck Laszewski, Rock ’n’ Roll Radical. The Life and Mysterious Death of Dean Reed, Edina (Minnesota) 2005. (Das Buch von F.-B. Habel/Thomas Grossmann, Dean Reed. Die wahre Geschichte, Berlin 2007, lag mir nicht vor). Neben Reed erreichten zwei andere englischsprachige Künstler eine gewisse Aufmerksamkeit: der kanadische, in die DDR übergesiedelte Folksänger Perry Friedman sowie die von den Bahamas stammende Jazzsängerin Etta Cameron, die von 1967 bis 1972 in der DDR und danach in Dänemark lebte. Vgl. zu ihr den von Michael Rauhut und Tom Franke produzierten Film: Die Stimme Amerikas, der zuerst am 8. November 2016 im Rundfunk Berlin-Brandenburg gesendet wurde. Zu Friedman vgl. den Eintrag in: Thomas Adam (Hg.), Germany and the Americas. Culture, Politics, and History. A Multidisciplinary Encyclopaedia, Bd. 1, Santa Barbara 2005, S. 389 f. Am 14. April 1971 fand in der Berliner Volksbühne unter diesem Titel eine Veranstaltung zu Ehren Paul Robesons und der noch im Gefängnis sitzenden Angela Davis statt, auf der bekannte DDR-Künstler wie Manfred Krug und Klaus Lenz auftraten (die später aber beide in den Westen gingen). – Der Titel bezog sich auf die Robeson-Biographie des Moskauer Autors Viktor Gorochow, Ich singe Amerika, Berlin [DDR] 1955, die jedoch kurz nach dem Zeitpunkt der Fernsehsendung aus dem Verkehr gezogen worden war, da Gorochow zum Dissidenten und Regimekritiker wurde. Vgl. Hans-Christian Norregaard, Vorläufiges zu Paul Robeson. Unveröffentlichtes Manuskript, 2011.

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internationalen Solidarisierung, die von offizieller DDR-Seite sehr stark befördert wurde.4 Die Beweislage aber war dünn und Angela Davis, die in der Haft zu einer Symbolfigur wurde wie zwanzig Jahre zuvor die Rosenbergs, wurde freigesprochen. Am 4. September 1974 nahmen die Vereinigten Staaten und die DDR diplomatische Beziehungen miteinander auf. Damit begann ein begrenzter kultureller Austausch und es gab später auch offizielle Kontakte im Bereich der Wissenschaft. Als Handelspartner war und blieb die DDR für die USA jedoch schon aufgrund des Größenunterschiedes nur von geringem Interesse. Die mangelnde politische Freiheit in der DDR, aber auch ungelöste Fragen, die die Restitution einstigen jüdischen Eigentums betrafen, hielten den Enthusiasmus für die DDR von Seiten der amerikanischen Öffentlichkeit in sehr engen Grenzen; dieser beschränkte sich auf die KP der USA und ihr unmittelbares Umfeld. Doch galt die KP wegen ihrer fortdauernd unbedingten Treue zu Moskau unter aufgeklärten amerikanischen Linken immer weniger als ernstzunehmender Partner in den allfälligen politischen und sozialen Kämpfen.5 Die DDR-Politik tat sich naturgemäß schwer mit der Revision eingefahrener Vorurteile. Zwar erschienen immer mehr Lizenzausgaben von Büchern, schließlich auch – in geringerem Maß – von Schallplatten amerikanischer Schriftsteller und Musiker, gelangten immer mehr Filme aus den USA in die Kinos der DDR. Die Propaganda in den offiziellen Medien blieb jedoch klischeebehaftet, wenngleich der Ton allmählich etwas sachlicher wurde. Nur sehr wenig Bereitschaft zur Differenzierung ließ sich dort, wo es besonders wichtig gewesen wäre, nachweisen:

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Vgl. Sophie Lorenz, „Heldin des anderen Amerikas“. Die DDR-Solidaritätsbewegung für Angela Davis 1970–1973, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 10, 2013, Nr. 1, S. 38–60; Anja Werner, Convenient Partnerships? African American Civil Right Leaders and the East German Dictatorship, in: Kendahl Radcliffe u. a. (Hg.), Anywhere But Here. Black Intellectuals in the Atlantic Worlds and Beyond, Oxford (Mississippi) 2015, S. 139–163. In der DDR nahmen sich der US-Remigrant Maximilian Scheer (Der Weg nach San Rafael, Berlin [DDR] 1971; Hörspiel), der aus Australien zurückgekehrte Walter Kaufmann (Unterwegs zu Angela, Berlin [DDR] 1973) und Klaus Steiniger (Schauprozess in San José, Berlin [DDR] 1983), der als „Mischling“ das Naziregime überlebt hatte, des „Falles“ Angela Davis an. Scheer gab auch die Briefe George Jacksons an Angela Davis (Liebste Angela – Erste unter Gleichen, Berlin [DDR] 1971) heraus. (Im Alter rief Angela Davis zum Boykott gegen Israel, auch gegen seine Künstler und Universitäten, auf.) Ein guter Überblick der zwischenstaatlichen und sonstigen Beziehungen findet sich in: Detlef Junker (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges, Bd. 2: 1968–1990, Stuttgart 2001. Verwiesen sei besonders auf die Beiträge von Heinrich Bortfeldt und Rainer Schnoor.

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in den Schulbüchern. Dort blieben die USA (vom 18. Jahrhundert abgesehen) das Sinnbild des Spätkapitalismus und Imperialismus – und nichts sonst.6 Das Abschmelzen mancher Vorurteile aus der Eiszeit des Kalten Krieges war jedoch selbst in der DDR nicht aufzuhalten. Schon aufgrund seiner eigenen Erfahrungen urteilte der im Koreakrieg aus der US-Armee desertierte und nun in der DDR lebende Journalist Victor Grossman differenzierter über sein Geburtsland. Von ihm stammten auch die Liner notes, die Texte auf den Hüllen der LPs von Bob Dylan, Peter Seeger und Joan Baez, die 1967 (!) bzw. 1971 in der DDR erscheinen konnten.7 (Über literarische Berichte und Autobiographien wird an anderer Stelle zu reden sein.) Der Wechsel an der Partei- und Staatsspitze der DDR von Walter Ulbricht zu Erich Honecker im Mai 1971 verband sich mit der Hoffnung auf gewisse Lockerungen im Bereich der Kulturpolitik. Kurz nach seinem Amtsantritt als Erster Sekretär des ZK der SED empfing Erich Honecker, 1965 noch Stefan Heyms Kritiker auf dem ZK-Plenum, diesen zu einem Gespräch. Das vertrauliche Du der alten Antifaschisten, das Honecker dem parteilosen Schriftsteller sofort anbot, verband er mit dem schließlich auch eingelösten Versprechen, dem bislang „auf Eis gelegten“ König-David-Bericht in der DDR zur Publikation zu verhelfen.8 In diesem Roman behandelte Heym in der Gestalt des Historikers Ethan, des „Korrektors“ am Hofe König Salomos, das Dilemma einer Geschichtsschreibung zwischen quellengetreuer Interpretation und geforderter „Parteilichkeit“. „Es

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Vgl. Heinrich Bortfeldt, Das USA-Bild in den Schulbüchern der ehemaligen DDR, in: Geschichte – Erziehung – Politik 3, 1992, Nr. 4, S. 217–223. Bob Dylan, Amiga 840 040 (1967; eine Übernahme der LP „The Freewheelin’ Bob Dylan“ von 1963); Pete Seeger, We Shall Overcome, Amiga 845 038 (1967; ein Mitschnitt von Seegers Konzert in der New Yorker Carnegie Hall von 1963); Joan Baez, Amiga 840 042 (1971; eine Übernahme der LP „Joan Baez in Concert, Part Two“ von 1963, jedoch mit dem Cover der Original-LP „Joan Baez in Concert, Part One“). Joan Baez gab ca. 1973 ein inoffizielles Konzert in der DDR, wobei sie auch Wolf Biermann kennenlernte. Vgl. Victor Grossman, Crossing the River, Amherst/Boston 2003, S. 181. Der Kommunist Grossman zeichnete in dieser Autobiographie ein von kritischen Tönen keineswegs freies Bild der DDR. Vgl. Stefan Heym, Nachruf, Berlin 1990, S. 782–785. Zum Auf und Ab der DDRPublikationspolitik vis-à-vis Heym vgl. Sara Jones, Censorship and Criticism. Negotiating Space in the GDR Literary Sphere, Berlin/New York 2011, S. 113–116, die indes auch mit Recht Heyms mitunter „spöttischen Ton“ kritisiert, mit dem er seine „intellektuelle Überlegenheit“ gegenüber den Parteifunktionären herausstrich. Ebd., S. 99. Auch Angela Borgwardt (Im Umgang mit der Macht. Herrschaft und Selbstbehauptung in einem autoritären politischen System, Opladen 2002, S. 258 u. 265) sieht eine Tendenz zur Selbststilisierung, die jedoch auch die Kehrseite des nötigen Selbstvertrauens war, ohne welches Heym sich nicht hätte behaupten können.

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obliegt mir nicht zu werten“, ließ Heym seinen Chronisten Ethan sagen. „Ich sammle, ich ordne, ich teile ein, ein bescheidener Diener im Hause des Wissens; ich deute und versuche, die Gestalt der Dinge darzustellen und ihren Lauf zu verzeichnen. Doch das Wort hat sein eigenes Leben; es lässt sich nicht greifen, halten, zügeln, es ist doppeldeutig, es verbirgt und enthüllt, beides; und hinter jeder Zeile lauert Gefahr.“9 Dass die DDR-Oberen gerade hinter Heyms Zeilen die Gefahr lauern sahen, sollte dieser auch weiter erfahren. Sein Romanmanuskript über den 17. Juni 1953 blieb ungedruckt; die DDR-Kulturpolitik vermochte sich, trotz einzelner Lockerungen, nicht aus ihrer Verhärtung zu lösen. Dies galt auch für die Geschichtswissenschaft. Eine Geschichtsschreibung zu den USA entstand in der DDR nur zögernd. Der Remigrant Karl Obermann hatte 1952 eine Monographie über die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen in der frühen Weimarer Republik vorgelegt. Darin behandelte er die indirekte amerikanische Unterstützung für Deutschland während der Versailler Verhandlungen von 1919, das Eindringen amerikanischen Kapitals nach Deutschland in den zwanziger Jahren sowie den Dawes-Plan und seine Folgen.10 Obermanns Hauptforschungsfeld aber blieb die Revolution von 1848. Mit zahlreichen Publikationen dazu erwarb er sich internationales Ansehen. 1968 legte er eine deutsche, wesentlich erweiterte Fassung seiner 1947 in den USA erschienenen Weydemeyer-Biographie vor.11 Unter den nachwachsenden DDR-Historikern wählten einige wenige die Geschichte der USA zu ihrem Spezialgebiet. Das große Manko auch für diese Historiker bestand – neben den ideologischen Vorgaben und auch verinnerlichter Parteitreue – vor allem in mangelnden Reisemöglichkeiten. Zwar konnte Karl Drechsler einige wenige Male in die USA zum Archivstudium reisen, Peter Schäfer jedoch nicht. Immerhin hatte dieser bei seltenen Privatbesuchen in Westdeutschland, wo seine Eltern lebten, Zugang zu Buchhandlungen und Forschungsbibliotheken.12 Doch vor allem jüngere Forscher des Akademie-Instituts für Literaturwissenschaft, der Universitäten in Berlin, Leipzig und Jena und der Pädagogischen



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Stefan Heym, Der König-David-Bericht, Berlin [DDR] 1973, S. 134. Karl Obermann, Die Beziehungen des amerikanischen Imperialismus zum deutschen Imperialismus in der Zeit der Weimarer Republik (1918–1925), Berlin [DDR] 1952. Karl Obermann, Joseph Weydemeyer. Ein Lebensbild 1818–1866, Berlin [DDR] 1968. Vgl. die Autobiographien der beiden Historiker: Peter Schäfer, „Schreiben Sie das auf, Herr Schäfer!“ Erinnerungen eines Historikers an seine Universitäten in Berlin und Jena, Jena 2007; Karl Drechsler, Aus dem Erzgebirge nach New York, Moskau und Peking. Ernstes, Heiteres und Kurioses aus dem Leben eines Historikers oder wie meine Karriere als Geheimagent endete, bevor sie begann, Berlin 2011.

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Hochschule Potsdam – den Stätten, an denen die Forschung zu den USA einen Schwerpunkt bildeten – fanden lange Zeit so gut wie keine Gelegenheit, das Land kennenzulernen, dem ihr berufliches Interesse galt.13 Solche Probleme standen auch vor den Englischlehrern, die weder in ihrer Ausbildung, noch im Beruf die Möglichkeit hatten, ihr erlerntes Wissen in englischsprachigen Ländern zu überprüfen. Die von der gebürtigen Engländerin Diana Loeser im DDR-Fernsehen gekonnt moderierte Sendung English for you bot nur einen unzureichenden Ersatz; die DDR-Englischlehrer (und nicht nur sie) mussten oder konnten ab 1990 erkennen, dass ein am Fernsehschirm erlerntes Englisch nur bedingt half, wenn der Gesprächspartner sich im Londoner Cockney, im Liverpooler MerseysideDialekt oder im Slang der amerikanischen Südstaaten ausdrückte. Ebenso stand die amerikanistische Literaturwissenschaft der DDR, deren Publikationen an Qualität immer mehr zunahmen, vor dem Problem fehlender Reisemöglichkeiten.14 Der Literaturwissenschaftler Robert Weimann gehörte zu den seltenen Ausnahmen: Schon seit den 1970er Jahren hatte er mehrere Gastprofessuren in den USA inne. Auffallend war die geringe Zahl an Veröffentlichungen zur Geschichte der KP der USA, besonders zur Zeitperiode bis 1945. Diese beschränkten sich im Wesentlichen auf die Übersetzung von Arbeiten William Z. Fosters. Eine problematische Ausnahme war die 1975 an der SED-Parteihochschule verteidigte Dissertation von Grace Arnold.15 Die gebürtige, mit ihrem Mann Ludwig Arnold in der DDR lebende Amerikanerin identifizierte sich darin völlig mit der Politik der KP der USA – sogar dann, wenn diese mit den Interessen der DDR kaum in Übereinstimmung zu bringen war. So griff sie liberale Bürgerrechtler wie Abraham J. Mus-

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Erst ab 1987/88 konnten wenige jüngere Historiker aus der DDR im Rahmen eines Wissenschaftler-Austauschprogramms die USA zu längeren Forschungsaufenthalten besuchen. Zwei Beispiele für einen bemerkenswert undogmatischen Zugang zur modernen amerikanischen Literatur sind Utz Riese, Zwischen Verinnerlichung und Protest. McCullers, Salinger, Malamud, Bellow, Capote, Berlin [DDR] 1982, und Friederike Hajek, Selbstzeugnisse der Afroamerikaner. Black Liberation Movement und Autobiographie, Berlin [DDR] 1984. Vgl. auch die Auflistung von Arbeiten der DDR-Literaturwissenschaft in: Karl-Heinz Schönfelder/Karl-Heinz Wirzberger, Literatur der USA im Überblick, Leipzig 1977, S. 523–526. Grace Arnold, Zur Geschichte der Kommunistischen Partei der USA – Kämpferin für die gerechte Sache der amerikanischen Arbeiterklasse, des amerikanischen Volkes, Berlin [DDR] 1975. Dies war ein nur parteiintern verbreiteter Sonderdruck der Arbeit, nach dem im Folgenden zitiert wird. Eine Buchausgabe erschien im gleichen Jahr ohne den plakativen Untertitel im von der DDR finanzierten Verlag Marxistische Blätter in Frankfurt a. M., nicht jedoch in der DDR.

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te als Antikommunisten an, als die DDR zu den in seiner Tradition stehenden Pazifisten Kontakte im Zeichen deklarierter antiimperialistischer Bündnisse suchte.16 Der Gewerkschaftsbund AFL war für sie auch dann noch ein „treuer Diener der Wallstreet“, als die DDR-Literatur von diesem Verdikt längst abgerückt war.17 Die Autorin rechtfertigte die Appeasement-Politik der KP zwischen 1939 und 1941 ebenso unreflektiert wie den anschließenden Verzicht auf ökonomische Arbeitskämpfe, den die KP zwischen 1941 und dem Kriegsende propagierte. Natürlich war von einer Zusammenarbeit von Kommunisten mit dem FBI in Minnesota keine Rede. Selbst die faktische Aufkündigung der Kooperation mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung fand ihren Beifall: In Arnolds Lesart trat die KP 1941 „den Bemühungen der Trotzkisten, die ‚Farbigen‘ gegen die Weißen aufzuhetzen, entgegen.“18 Die Afroamerikaner erscheinen hier – und erschienen damals vielleicht auch der Partei – als leicht manipulierbare und aufzuhetzende Masse.19 So blieb die Entdeckung der USA in der DDR äußerst begrenzt. Sie war naturgemäß nun immer weniger mit den Biographien der Rückkehrer verbunden. Fast jedes Jahr starb einer der einstigen Flüchtlinge. Die Generation der Westemigranten befand sich aus biologischen Gründen nun auf dem unvermeidlichen Rückzug.

Der Rückzug einer Generation Alice Rosenfeld starb schon unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die Noch-NichtDDR 1948, Henryk Grossmann und Julius Lips starben 1950, Käte Duncker 1953 – Hermann folgte 1960. F. C. Weiskopf starb 1955, seine Frau Margarete (Alex Wedding) überlebte ihn um elf Jahre. Mit Bertolt Brecht starb 1956 die

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Vgl. hierzu Fritz Klein, Drinnen und draußen. Ein Historiker in der DDR, Frankfurt a. M. 2000, S. 273–285. Zuvor waren bereits Heinz Voßke und Karl Drechsler in den USA gewesen. Sie nahmen dort auch von der DDR erwünschte Kontakte zu nichtkommunistischen Bürgerrechtlern und politischen Aktivisten auf. Vgl. Drechsler, Aus dem Erzgebirge […], S. 52–58. Vgl. Arnold, Zur Geschichte […], S. 38 u. 52. – Sie verschwieg, dass sich ein Teil der Young Communist League, der Jugendorganisation der KP der USA, um eine deutlich entspanntere politische und kulturpolitische Linie bemühte. Dies schlug sich besonders in der Arbeit der formell überparteilichen DuBois Clubs unter der Leitung von Jarvis Tyner, dem Bruder des Jazzpianisten McCoy Tyner, nieder. Ebd., S. 58. Einzig die Trotzkisten der Socialist Workers Party ließen sich im Kampf um die Gleichberechtigung der Schwarzen in der Zwischenkriegszeit auf keine Kompromisse ein. Vgl. die Aufsatzsammlung ihres damaligen Theoretikers Max Shachtman, Race and Revolution, hg. von Christopher Phelps, London/New York 2003.

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wohl bedeutendste und zugleich umstrittenste künstlerische Persönlichkeit der DDR. 1958 starben mit dem Regisseur János Székely und dem Verleger Max Schroeder zwei Personen aus Brechts weiterem künstlerischem Umkreis der letzten Jahre.20 Zwei Jahre darauf starb auch sein Mitstreiter aus dem Council for a Democratic Germany, Felix Boenheim. Bis zu ihrem frühen Tod 1961 arbeitete Hilde Marchwitza als Übersetzerin. Sie übertrug für den Berliner Dietz-Verlag unter anderem Kultur in einer sich ändernden Welt von Victor J. Jerome, einem alten kommunistischen Bekannten aus New York, und Indien heute von Rajani Palme Dutt, dem zeitweiligen „Chefideologen“ der britischen KP, ins Deutsche. Der Kampf um ein neues China, die englisch geschriebene Autobiographie von Sun Yat-Sens Witwe Sun Tjing-Lin, fand in Hertha Walcher ihre Übersetzerin.21 1962 starb Hanns Eisler, mit dem Brecht mehr als mit jedem anderen Kulturschaffenden eine geistige Partnerschaft gepflegt hatte. 1965 starb Hans Marchwitza.22 1967 starb auch Walter Friedeberger im hohen Rang eines stellvertretenden DDR-Gesundheitsministers, der zudem Rektor der Akademie für Ärztliche Fortbildung und Volkskammer-Mitglied geworden war.23 Gerhart Eisler starb 1968 während einer Dienstreise in Armenien. Der so schillernde Komintern-Mann von einst erhielt ein Staatsbegräbnis, doch ließ Albert Norden in seiner Trauerrede gerade diese spannende Lebensstation des Verstorbenen aus. Einen versteckten Hinweis lieferte Sowjetbotschafter Pjotr Abrassimow, der Eislers „Verdienste in der deutschen und internationalen kommunistischen Bewegung“ ansprach, ohne aber diese Verdienste aufzulisten.24 Adolf Deter geriet wegen angeblich „kapitulantenhaftem“ Verhaltens am 17. Juni 1953 in die parteioffizielle Kritik und wurde ein Jahr später nicht wieder ins ZK gewählt. Der Mitarbeiter Albert Nordens war ab 1958 Sekretär des Ausschusses für deutsche Einheit und ab 1964 Vorstandsmitglied der Liga für Völker-

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Eine der wenigen Erinnerungen an Schroeder findet sich bei Günter Caspar, Max Schroeder, in: Die Weltbühne, 21. April 1970. Sun Tjing-Lin war zeitweise in den USA aufgewachsen und hatte am Wesleyan College in Macon (Georgia) studiert. 1962 hatte Hans Marchwitza erneut geheiratet: Seine letzte Frau Hilde Gottwick überlebte ihn. Erstaunlicherweise fand sich aus Anlass seines Todes im Zentralorgan der SED nur eine auffallend kurze Notiz von 15 Zeilen, wovon fünf auf die Aufzählung seiner Titel entfielen. Über seine Zeit im Exil war hingegen kein Wort zu finden. Vgl. Neues Deutschland, 16. Mai 1967. Walter Ulbricht übersandte Hilde Eisler ein „in herzlichen Worten“ gehaltenes Beileidstelegramm, über dessen Text jedoch offiziell nichts verlautbart wurde. Nordens Rede, das Beileidstelegramm Abrassimows sowie weitere Kondolenzen sind abgedruckt in: Neues Deutschland, 26. März 1968.

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freundschaft. Er konnte noch einige offizielle Auslandsreisen unternehmen. Nach seinem Tod 1969 wurde er relativ breit gewürdigt.25 Nicht mehr im Lichte der Öffentlichkeit stand Ernst Krüger nach seiner Entfernung aus den Partei- und Gewerkschaftsapparaten 1950. Zuletzt war er Personalleiter bei den Berliner Wasserwerken, ging jedoch schon 1954 in Rente. 1970 starb auch er, ohne dass dies ein größeres Echo in seiner Partei oder der DDR hervorrief. Seine Frau Lore arbeitete als Übersetzerin unter anderem von Joseph Conrad, Daniel Defoe, Nathaniel Hawthorne, Henry James, Doris Lessing, R. L. Stephenson, Mark Twain und als freiberufliche Dolmetscherin. Zudem wurde sie als Fotografin in ihren letzten Lebensjahren – sie starb erst 2009 – einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Ein Jahr nach Ernst Krüger, 1971, verstarb Walther Victor. Er hatte sich, nach seinen noch zu besprechenden autobiographischen Texten über die USA, einen Namen als unermüdlicher Herausgeber preiswerter Auswahlbände deutscher Schriftsteller gemacht. Unter den von ihm zuerst im Weimarer Volksverlag, dann im Berliner Aufbau-Verlag edierten Schriftstellern befanden sich Lessing, Goethe und Kleist, Heine, Hebbel und moderne Autoren wie Erich Weinert und Bertolt Brecht. Einer Shakespeare-Ausgabe kamen Victors Englischkenntnisse zunutze. Politisch äußerte er sich jedoch, je älter er wurde, desto weniger. Wie Adolf Deter wurde auch Philipp Daub nach den Maßregelungen der harten fünfziger Jahre stillschweigend rehabilitiert. Er wurde aber auch als Bürgermeister von Magdeburg 1961 abgelöst und war anschließend noch bis 1964 Präsident der Liga für Völkerfreundschaft. Doch danach zog auch er sich aus der Öffentlichkeit zurück. 1976 starb Daub zwar offiziell geehrt, doch fast unbeachtet. Einige Emigranten und Emigrantinnen nutzten ihre Sprachkenntnisse als Übersetzer. Georg Friedrich Alexan arbeitete nach der Schließung von USA in Wort und Bild seit 1955 freiberuflich für Funk und Fernsehen. Unter den Autoren, deren Bücher er ins Deutsche übertrug, waren William Z. Foster, Agnes Smedley und Carl Marzani. Viel gelesen wurden die Autobiographien des früheren US-Botschafters in Deutschland William E. Dodd, Diplomat auf heißem Boden, und von Paul Robeson, Mein Lied – meine Waffe, in Alexans Übersetzung. Mit dem Eintritt in den Rentenstand wurde es stiller um ihn, doch blieb er im Paul-Robeson-Komitee und beratend für die DDR-Medien aktiv. Er holte auch den Folk-Musiker Earl Robinson zum Konzert in die DDR.26 Natürlich war es undenkbar, dass er die Spitzen der amerikanischen Schauspielkunst oder Musik in die DDR verpflichtet hätte: Es gab keine Parallele zur

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Vgl. Adolf Deter gestorben, in: Neues Deutschland, 16. November 1969 (zwei Nachrufe des ZK der SED und des FDGB-Bundesvorstandes). Robinsons bekanntestes Lied war später auch das von Joan Baez gesungene „Joe Hill“.

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filmischen Koproduktion Frankreich-DDR, die in Die Hexen von Salem 1957 ihren Höhepunkt fand; ein Film mit Simone Signoret, Yves Montand und Mylène Demongeot, zu dem Jean-Paul Sartre das Drehbuch und Hanns Eisler die Musik geschrieben hatte – die Romanvorlage stammte indes von einem Amerikaner: Arthur Miller. Die französische Kultur war aber auch nie in der DDR-Presse als Unkultur geschmäht worden, wohl auch deshalb nicht, weil viele Künstler, unter ihnen auch Simone Signoret und Yves Montand, damals noch den Kommunisten nahestanden. Alexan lebte noch bis 1995. Seine Tochter Irene Runge wurde selbst eine produktive Autorin; in ihrem Buch Himmelhölle Manhattan (1968) und späteren Publikationen ging sie auch den noch sichtbaren Spuren nach, die deutschjüdische Emigranten in New York hinterlassen hatten. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und -historikerin Lola Zahn, gelangte in der DDR über eine Außenseiter-Existenz nicht hinaus. Dabei verlief der Start sehr gut: 1947 wurde sie Professorin mit Lehrauftrag für Wirtschaftsplanung an der Universität Rostock. Nach der Habilitation 1949 in Berlin wurde sie 1951 Professorin für politische Ökonomie an der Humboldt-Universität, zunächst an der Juristischen Fakultät, dann an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, wo sie 1952 zur Prodekanin gewählt wurde. 1957 gab es – offenbar schwere – Konflikte mit der Partei an der Universität, deren Einzelheiten aber hier nicht benannt werden können, da Lola Zahns Personalakte der Humboldt-Universität aus Datenschutzgründen noch gesperrt ist. Wolfgang Herzberg schrieb in einem Nachruf, Kurt Hager habe sie wegen mangelnder Verantwortung in ihren Vorlesungen gerügt, was wahrscheinlich mit der politischen Krisensituation an DDR-Universitäten nach dem KPdSU-Parteitag 1956 zusammenhing, von der Ernst Bloch und Alfred Kantorowicz in Mitleidenschaft gezogen wurden.27 Es kam zur Lösung des Arbeitsverhältnisses von Lola Zahn und zu ihrer Versetzung in den Ruhestand bei Kürzung des Gehaltes um die Hälfte.28 1958 nahm sie eine Tätigkeit im DDR-Finanzministerium auf. Zwei

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Vgl. Wolfgang Herzberg, Lola Zahn gestorben. Der schwere Lebensweg einer Jüdin und Kommunistin. Von Lichtwark zu Saint Simon, in: Neues Deutschland, 26. Februar 1998. Vgl. Robert Katzenstein, Lola Zahn (1910–1998). Ein bewegtes Leben ist zu Ende gegangen, in: Utopie kreativ, Nr. 91/92 (Mai/Juni 1998), S. 167–170, der sich möglicherweise auf direkte Informationen von Lola Zahn stützte, sowie Kristin Kleibert, Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Umbruch. Die Jahre 1948 bis 1951, Berlin 2010, S. 144 f., und Ulla Ruschhaupt, Karrieren von Frauen in Lehre und Forschung an der Humboldt-Universität zu Berlin nach 1945, in: ZiF-Bulletin, Nr. 23: Zur Geschichte des Frauenstudiums und Wissenschaftlerinnenkarrieren an deutschen Universitäten, Berlin 2001, S. 74 f.

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Jahre später wurde sie Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften. Dort arbeitete sie bis zur Emeritierung 1971 zurückgezogen an verschiedenen Editionen von Schriften frühsozialistischer Ökonomen sowie als Übersetzerin wissenschaftlicher Texte. Doch erst 1984 veröffentlichte sie eine größere Monographie über Utopischen Sozialismus und Ökonomiekritik, worin sie eine Bilanz jahrzehntelanger Forschungen zog.29 Seit 1972 war sie Witwe: Alfred Zahn war bis 1962 bei Radio Berlin International, dem Auslandsdienst des DDR-Rundfunks, und anschließend bis zum Ruhestand 1968 als Leiter des Archivs und der Bibliothek des Staatlichen Rundfunkkomitees tätig gewesen. Jacob Walcher, erlebte 1962, acht Jahre vor seinem Tod, dass seine Parteimitgliedschaft – geführt seit 1906 – nun offiziell als nicht unterbrochen galt, doch blieb seine Zugehörigkeit zur KPO und dann zur SAP als Stigma (wenngleich inoffiziell) an ihm haften. Die politischen Leistungen der beiden Kleingruppen, deren Faschismus-Analysen vor 1933 denen der KPD und teilweise auch der SPD überlegen gewesen waren, wurden in der parteioffiziellen DDR-Historiographie weiterhin ignoriert. In den spärlichen Pressemitteilungen, die zu Walchers „runden“ Geburtstagen erschienen, fand sich keine objektive Darstellung seiner Arbeit, die er als Vorsitzender der SAP in Paris beim Versuch der Herstellung einer Einheitsfront der Arbeiterparteien geleistet hatte.30 Selbst in den Würdigungen zu seinem 100. Geburtstag im Mai 1987 – in einer Zeit, in der die Sowjetunion die „weißen Flecken“ der Geschichte aufzuarbeiten begann – hielt das Stillschweigen über diesen Teil seiner Biographie an.31 Anders als Albert Schreiner aber war Walcher nicht bereit gewesen, seine Jahre in den linken Kleingruppen als politischen Fehltritt abzutun, sieht man von dem erzwungenen „Schuldbekenntnis“ vor der ZPKK 1951 ab. Doch fand auch Schreiner in vertrauten Gesprächen mit Freunden ganz andere Worte als in der Öffentlichkeit.32 Sein zeitweiliger Assistent Joachim Pet-

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Lola Zahn, Utopischer Sozialismus und Ökonomiekritik. Eine ökonomiegeschichtliche Untersuchung zu den theoretischen Quellen des Marxismus, Berlin [DDR] 1984. Vgl. Glückwunsch des ZK. Genosse Walcher 75 Jahre, in: Neues Deutschland, 7. Mai 1962; Jakob Walcher 80 Jahre, in: Tribüne, 9. Mai 1967. Vgl. Hans Polzin, Gründung der KPD – ein Höhepunkt in seinem Leben. Zum 100. Geburtstag von Jacob Walcher, in: Neues Deutschland, 2. Mai 1987; Günter Thomas, Am Geschichtsbuch seiner Klasse schrieb er mit. Heute vor 100 Jahren wurde der Kommunist und Gewerkschafter Jacob Walcher geboren, in: Tribüne, 7. Mai 1987. So hielt Schreiner die Verbindung mit Walcher auch nach dessen SED-Ausschluss aufrecht. Vgl. zu Walchers langjähriger politischer Isolierung Ernst Stock/Karl Walcher, Jacob Walcher (1887–1970). Gewerkschafter und Revolutionär zwischen Berlin, Paris und New York, Berlin 1998, S. 162 f.

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zold, später ein bekannter Historiker, registrierte diesen Widerspruch zwischen äußerem Auftreten und innerer Einsicht Schreiners. „Er konnte in Gesprächen mit Freunden, deren Zeuge ich zufällig wurde, sehr kritisch über das urteilen, was er in der Öffentlichkeit glaubte ganz entschieden verteidigen zu müssen. Leider war das eine weitverbreitete Erscheinung.“33 Albert Schreiner wurde 1960 emeritiert. Er lebte noch weitere neunzehn Jahre und konnte sich über die Neuausgaben zweier älterer Bücher freuen. Politisch aber stand auch er seit den fünfziger Jahren eher am Rande des offiziellen Geschehens. Seine Mitwirkung als Konsultant bei der achtbändigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, die 1966 erschien, war fast nur formaler Natur. Die Blochs und Alfred Kantorowicz waren im Westen, und über sie war nur aus den „Feindmedien“ etwas zu erfahren. Dass die Blochs wie Kantorowicz in der Bundesrepublik sich einem – wie vage auch immer umrissenen – linken Lager unzweideutig zuordneten, wurde in der DDR zunächst mit Stillschweigen übergangen oder dementiert. Besonders Kantorowicz erregte mit der Veröffentlichung seines Deutschen Tagebuchs, dessen beide Bände 1959 und 1961 erstmals erschienen, den Zorn der DDR. Die „Renegaten Ernst Bloch, Hans Mayer und das verkommene Subjekt Kantorowicz“, schrieb der Leitartikler Werner Krecek in der Leipziger Volkszeitung 1964, seien nichts anderes als „Gehilfen des Faschistenklüngels“ im Westen.34 Auf einem Kongress in Kopenhagen, zu dem Exilforscher aus Ost und West im August 1972 zusammenkamen, suchte Kantorowicz das Gespräch mit der DDR-Delegation. Nach Zeugnis einer DDR-Teilnehmerin, der Literaturhistorikern Sigrid Bock, wies ihn der Delegationsleiter Wieland Herzfelde jedoch mit den Worten ab: „Mit Verrätern spricht man nicht. Verräter ignoriert man.“35

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Joachim Petzold, Parteinahme wofür? DDR-Historiker im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft, hg. von Martin Sabrow, Potsdam 2000, S. 91. Schreiners Vorsicht war verständlich: Noch als Petzold 1978 beauftragt wurde, eine Bibliographie Schreiners zu erstellen und die KPO-Publikationen aufnehmen wollte, wurden ihm von Seiten des Instituts für Marxismus-Leninismus (das den Auftrag erteilt hatte!), Konsequenzen angedroht, falls er diese parteifeindlichen Quellen überhaupt anführe. Die Anwürfe verliefen letztlich im Sande, Schreiners Bibliographie wurde jedoch nicht erstellt. Vgl. ebd., S. 265 f. Leipziger Volkszeitung, 5. April 1964, zit. n. Alfred Kantorowicz, Der geistige Widerstand in der DDR, Troisdorf 1968, S. 25. Mündliche Auskunft von Prof. Sigrid Bock an den Verfasser. Alfred Kantorowicz (Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus, München 1983, S. 36 f.) ging auf Herzfeldes Verhalten nicht ein. Er erwähnte jedoch, dass Herzfelde, der „niemals wissenschaftlichen Ehrgeiz entwickelt hat“, bei dieser Gelegenheit auf den Text seiner Leipziger Antrittsvorlesung von 1949 (!) zurückgriff. „Jedenfalls kamen nach dem in Kopenhagen verteilten Text in dieser, wie in der Vorbe-

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Doch zeigten sich am Ende der 1970er Jahre zögernde Änderungen: Silvia Schlenstedt (selbst Tochter von Frankreich-Remigranten) erwähnte im groß angelegten Akademie-Projekt über Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil sachlich Kantorowicz’ Anteil als Mitgründer und Autor der Frontzeitschrift der Internationalen Brigaden, Volontaire de la Liberté, im Spanienkrieg.36 Dies konnte als Auftakt zu einer flexibleren Behandlung sogenannter „Renegaten“ durch die Literaturgeschichtsschreibung in der DDR gelten; einer Disziplin, die offenere Worte wagte als die traditionelle Partei-Historiographie.37 Ernst Bloch wurde aus Anlass seines 100. Geburtstages 1985 gar in der DDR gedruckt: In diesem Jahr brachte der Leipziger Reclam-Verlag eine Teilausgabe des Prinzips Hoffnung unter dem Titel Freiheit und Ordnung. Abriss der Sozialutopien heraus – jene Ausgabe, die erstmals 1946 im New Yorker Aurora-Verlag erschienen war. Kurz vor dem Fall der Berliner Mauer folgte 1989 die Reclam-Edition von Thomas Müntzer als Theologe der Revolution. Über ihren Tod hinaus blieben prominente US-Remigranten in der DDR weiterhin im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie andere Zeitschriften erinnerte Das Magazin oftmals an Hanns und Gerhart Eisler – auch nach Hilde Eislers Zeit als Chefredakteurin. Der 1979 ins Amt berufene Nachfolger Manfred Gebhardt setzte die kulturell offene Publikationspolitik des Blattes fort, wenngleich die USA-Reiseberichte des neuen Kolumnisten Harald Wessel plakativer aufgemacht waren als die Artikel etwa von Edith Anderson oder Walter Kaufmann. Das Magazin gehörte zu jenen Publikationen, die sich dessen annahmen, was in der DDR als das Brechtsche Erbe galt. Berichte über den Dramatiker und sein Umfeld fanden sich auch in den späteren Jahrgängen der Zeitschrift. Brechts Witwe Helene Weigel, seine einstigen Mitarbeiterinnen Ruth Berlau und Elisabeth Hauptmann sowie der mit ihr zeitweilig verheiratete Paul Dessau blieben aber ohnehin, wenn auch in unterschiedlicher Weise, im Bewusstsein der DDRBürger und weit darüber hinaus präsent. An ihnen arbeiteten sich so unterschiedliche Autoren ab wie Brechts zahlreiche Biographen – von Werner Mittenzwei bis Stephen Parker – oder Sabine Kebir, die mehrere Biographien der Frauen um Brecht schrieb.



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merkung gesagt wurde, vor der Begründung der Deutschen Demokratischen Republik gehaltenen Vorlesung auch die Namen von Ernst Bloch und Georg Lukács rühmlich vor […].“ Vgl. Silvia Schlenstedt, Exil und antifaschistischer Kampf in Spanien, in: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933–1945, Bd. 6, Leipzig 1981, S. 269 f. Vgl. Josie McLellan, Antifascism and Memory in East Germany. Remembering the International Brigades 1945–1989, Oxford 2004, S. 162 f.

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Helene Weigel wurde im Februar 1949 auf Beschluss des Berliner Magistrats Intendantin des neu gegründeten Berliner Ensembles am Deutschen Theater und damit formell Vorgesetzte ihres Ehemannes, der als Hauptspielleiter angestellt war. Brecht suchte in der Schweiz und Österreich mit ihm befreundete Schauspieler und Regisseure wie Caspar Neher, Teo Otto, Therese Giehse und Leonhard Steckel zur Mitarbeit am Berliner Ensemble zu gewinnen. Doch keiner von ihnen wollte dauerhaft nach Ostdeutschland übersiedeln. Brechts Bemühungen um die österreichische Staatsangehörigkeit hatten hingegen auch deshalb Erfolg, weil Helene Weigel diese wieder zuerkannt bekam.38 Ungeachtet von Krisen, die sich einmal mehr an Brechts notorischer und hemmungsloser „Jagd“ auf andere Frauen entzündeten und in Helene Weigels zeitweiligem Auszug aus der gemeinsamen Berliner Wohnung gipfelten, blieben Brecht und Weigel zusammen und kauften ein Sommerhaus in Buckow östlich von Berlin, das später ein vielbesuchtes Museum wurde. Bis 1954 an Wolfgang Langhoffs Deutschem Theater als „Gast“39 und seitdem im eigenen Haus am Schiffbauerdamm tätig, errang das Berliner Ensemble damals Weltruf – trotz z. B. des in Österreich von 1953 bis 1963 geltenden Boykotts von Brechts Stücken.40 Nach Brechts Tod übernahm Manfred Wekwerth dessen Funktion als Hauptspielleiter, doch gestaltete sich die anfangs gute Zusammenarbeit mit der Intendantin Helene Weigel immer schwieriger.41 Ihre Anerkennung als öffentliche Person in der DDR nahm zu: 1950 war Helene Weigel Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste in OstBerlin. Im Unterschied zu Brecht trat sie der SED bei. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU trat sie jedoch aus der Partei wieder aus, ohne indes diesen Schritt öffentlich zu machen. Als wohl einzigem SED-Mitglied, das mit der Partei gebrochen hatte, erwuchsen ihr daraus keine beruflichen Nachteile. Mehr noch: Sie erhielt den Professorentitel, den Nationalpreis 1. Klasse der DDR und den Vaterländischen Verdienstorden in Gold zuerkannt (nicht aber den Karl-Marx-Orden, die höchste Auszeichnung der DDR). Sabine Kebir würdigte als künstlerische

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Vgl. Sabine Kebir, Abstieg in den Ruhm. Helene Weigel – eine Biographie, Berlin 2000, S. 218. Hierzu mehr bei Petra Stuber, Helene Weigel und ihre Rolle als Intendantin zwischen 1949 und 1954, in: Judith Wilke/Maarten van Dijk (Hg.), Helene Weigel 100 (Das Brecht-Jahrbuch/Brecht Yearbook), Madison (Wisconsin) 2000, S. 252–275. Vgl. Kurt Palm, Brecht und Österreich. Anmerkungen zu einigen Auseinandersetzungen um Brecht in den fünfziger Jahren, in: Friedbert Aspetsberger u. a. (Hg.), Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich, Wien 1984, S. 128–138. 1969 verließ Wekwerth das Berliner Ensemble. Nach dem Rücktritt von Helene Weigels Nachfolgerin Ruth Berghaus, der letzten Frau Paul Dessaus, als Intendantin kehrte er jedoch 1977 zurück und blieb dort bis 1991 als Intendant tätig.

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Leistungen Helene Weigels insbesondere die Adaption exakter, asiatischer Körpersprache für das deutsche Theater, deren Präzision deutschsprachige Stücke auch Zuschauern ohne Deutschkenntnisse verständlich machte, sowie ihre Erarbeitung darstellerischer Lösungen für Brechts Episches Theater.42 Helene Weigel starb am 7. April 1971, vier Wochen, nachdem sie in Nanterre bei Paris letztmalig als Titelgestalt in Brechts Die Mutter, einer ihrer bekanntesten Rollen, aufgetreten war – am gleichen Ort, an dem ihr und dem Berliner Ensemble 1954 der künstlerische Durchbruch im Westen gelungen war. Im Nachruf der Weltbühne schrieb Hermann Budzislawski, „die Weigel“ sei „der Antipode von Hollywood“ gewesen, „lebenswahr ihr natürliches Gesicht unterstreichend, es aber nicht wegschminkend“, so, als bestünde Hollywood nur aus einer künstlichen, lebensfernen Welt – ganz wie Brecht sie einst wahrzunehmen meinte.43 1973 und 1974 starben mit Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau die beiden – neben Helene Weigel – wohl bekanntesten Frauen um Brecht. Elisabeth Hauptmann, deren Partnerbeziehung mit Brecht lange vorüber und deren Ehe mit Paul Dessau 1951 zerbrochen war, blieb bis zu Brechts Tod eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen und war danach Herausgeberin seiner Werke im SuhrkampVerlag. 1967 erschien eine erste zwanzigbändige Gesamtausgabe. Kritiker bemängelten, dass Weigel und Hauptmann unabhängigen Forschern keinen vollen Zugang zu den Archivalien ermöglichten.44 Weitaus tragischer verlief das Leben von Ruth Berlau. Da sie über einen dänischen Pass und noch immer über einen amerikanischen Presseausweis verfügte, hatte sie 1948 vor ihrer Weiterreise nach Berlin in der Schweiz und in München eine Reihe von Kontakten für Brecht herstellen können. Nach ihrer Ankunft in Berlin im Oktober 1948 dokumentierte sie, die in den USA eine Ausbildung als Fotografin gemacht hatte, in einer Vielzahl von Fotos die Einübung der BrechtStücke am Deutschen Theater. Auch ansonsten war sie viel in Brechts Auftrag, manchmal auch im selbst gewählten Auftrag für Brecht in den westlichen Besat-

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Vgl. Kebir, Abstieg in den Ruhm, S. 9. Hermann Budzislawski, Helene Weigel, in: Die Weltbühne, 16. Mai 1971. Diesen Punkt räumt auch Sabine Kebir ein. Vgl. dies., Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht, Berlin 1997, S. 214. Sabine Kebir zeigt detailliert, wie viel an Arbeit, die Elisabeth Hauptmann in Brechts Stücke investiert hatte; eine Tatsache, die auf ihren eigenen Wunsch hin aber unerwähnt blieb. Sie zeigt weiterhin die Probleme, die es gab, als Brechts Gesammelte Werke in der DDR veröffentlicht werden sollten, was zunächst nur sukzessive und bruchstückhaft geschah. Vgl. auch ihren zu Elisabeth Hauptmanns 100. Geburtstag erschienenen Artikel: Die Frau im Schatten, in: Die Tageszeitung/Taz, 20. Juni 1997. Mit Recht aber bezeichnet Ernst Schumacher Elisabeth Hauptmann als „Vorarbeiterin im Weinberg des b.“ – so die Überschrift eines am gleichen Tag in der Berliner Zeitung erschienenen Artikels.

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zungszonen Deutschlands unterwegs. Im Januar 1950 nahm sie in Leipzig als Regisseurin an der Inszenierung von Brechts Stück Die Mutter teil, kümmerte sich zu alldem noch um Brechts Tochter Barbara, mit der sie und die mit ihr aber nicht gut zurechtkam. Mit Helene Weigel traten unvermeidlich starke Spannungen auf; dies umso mehr, als Ruth Berlau die Intendantin drängte, ihr das auf den Reisen verauslagte Geld zurückzuzahlen. Die Jahre bis zu Brechts Tod waren für Ruth Berlau Jahre voller Streitigkeiten, Geldnöte, befristeter Arbeitsverträge, Traumata, Aufenthalte in Sanatorien und vergeblicher Hoffnungen, Brecht wieder für sich zu gewinnen. Doch beschied ihr dieser ungerührt, sie könne auf ihn nurmehr soweit rechnen, als sie gemeinsam an der „dritten Sache“ arbeiteten.45 Elisabeth Hauptmann hatte einst, nachdem Brecht sie als Liebhaberin fallen gelassen hatte, einen Selbstmordversuch unternommen, sich aber dann aus dieser zerstörerischen Bindung an Brecht befreit. Ruth Berlau gelang dies nicht. Sie blieb an Brecht bis zur Selbstverleugnung gebunden. Schließlich erhielt sie am Berliner Ensemble eine Anstellung als Archivleiterin, was sie als Gnadenbrot empfinden musste. In jedem Fall war Ruth Berlau die Verliererin im gespenstischen Reigen der Frauen um Brecht. Nach dessen Tod erteilte ihr Helene Weigel am Berliner Ensemble Hausverbot. Unterstützung erfuhr Ruth Berlau jedoch durch Hilde Eisler: Diese ermöglichte ihr, im Magazin ihre (freilich um wichtige Elemente kaschierten) Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Brecht zu publizieren, was auch ihre finanzielle Lage verbesserte.46

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Bertolt Brecht, Briefe, hg. von Günter Gläser, Frankfurt a. M. 1981, S. 637: Brief an Ruth Berlau, 10. März 1950. – In Brechts Bearbeitung des Gorki-Stückes Die Mutter (das am 15. Januar 1932, dem 15. Todestag Rosa Luxemburgs, in Berlin uraufgeführt wurde) trägt die Mutter des Revolutionärs Pawel das „Lob der dritten Sache“ vor: „Immerfort hörte man, wie schnell/ Die Mütter die Söhne verlieren, aber ich/ Behielt meinen Sohn. Wie behielt ich ihn? Durch/ Die dritte Sache./ Er und ich waren zwei, aber die dritte/ Gemeinsame Sache, gemeinsam betrieben, war es, die/ Uns einte.“ Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 2 (Stücke 2), Frankfurt a. M. 1967, S. 878. Die „dritte Sache“ war für Brecht das für eine Gemeinschaft konstitutive Element, das der Einzelne nicht mitbringen und das nicht durch den Einzelnen repräsentiert werden kann. Allein über Brecht publizierte sie mehrmals im Magazin. Vgl. ihre Beiträge: Der Kaukasische Kreidekreis von Brecht (Nr. 9/1954, S. 50–53); Das „Berliner Ensemble“ spielt Die Winterschlacht von Johannes R. Becher (Nr. 1/1955, S. 54–57); In Erinnerung an Bertolt Brecht (Nr. 10/1956, S. 18–20); Brecht und die Kinder (Nr. 8/1957, S. 22–25); Der Kapitän und sein Schiff. Über Bertolt Brecht (Nr. 10/1967, S. 10 f.); Brecht und die humorvollen Dänen (Nr. 8/1969, S. 14–17). Auch andere, zum großen Teil ebenfalls autobiographisch gefärbte Artikel schrieb sie für die Zeitschrift. Eine Aufzählung aller publizistischen und literarischen Arbeiten Ruth Berlaus findet sich im sehr detaillierten deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über sie.

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Am 15. Januar 1974 starb sie in Berlin im Krankenhaus durch einen unabsichtlich von ihr verursachten Zigarettenbrand.47 Ihre 1985 erschienenen bruchstückhaften Memoiren dokumentierten noch einmal Ruth Berlaus verzweifelte Abhängigkeit von Brecht.48 Am 3. Februar 1978 starb Maximilian Scheer, am 28. April des gleichen Jahres Hermann Budzislawski. Bis fast zu seinem Tode war Maximilian Scheer als Reiseschriftsteller unterwegs. Frucht dieser Reisen waren zahlreiche Reportagebände: über das frühere Deutsch-Südwestafrika (Schwarz und Weiß am Waterberg, 1952), Ägypten (Als Augenzeuge in Ägypten, 1956; Länder am Nil, 1958; Das Verhör am Nil, 1969), Irak (Irak, 1958) und andere Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens, Afrikas und Lateinamerikas (Von Afrika nach Kuba, 1961) sowie zuletzt mehrere autobiographische Arbeiten. Dabei suchte Scheer, wenn auch nicht immer konsequent, das DDR-übliche Schwarz-Weiß-Schema zumindest im Duktus seiner Reportagen vorsichtig hinter sich zu lassen. Dies aber war, wie noch gezeigt wird, in seinen Berichten über die USA nicht der Fall. Er gab die Schriften seines Freundes Rudolf Leonhardt sowie die Korrespondenz von Angela Davis mit dem militanten Schwarzafrikaner George Jackson heraus, der 1971 während einer Gefängnisrevolte im kalifornischen St. Quentin erschossen wurde (Liebste Angela – Erste unter Gleichen, 1971). Scheer schrieb ein Buch über den Prozess gegen Ethel und Julius Rosenberg (Ethel und Julius, 1954) sowie viel später auch ein Hörspiel über den Prozess gegen Angela Davis (Der Weg nach San Rafael, 1971). Er wurde in der DDR vielfach geehrt, doch erhielt er nicht den Karl-Marx-Orden. Hermann Budzislawski zog nach seiner Emeritierung in Leipzig 1967 wieder nach Berlin und wurde erneut Herausgeber und Chefredakteur der Weltbühne. Er blieb dies bis 1971. Zudem war er Präsident der UNESCO-Kommission der DDR. Als höchsten Orden verlieh ihm die DDR den „Stern der Völkerfreundschaft“. Die Universität Leipzig zeichnete ihn mit einem Ehrendoktorat aus, doch lockerte sich, so die Erinnerung eines früheren Studenten, Budzislawskis Bindung

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Vgl. für Ruth Berlaus letzte Lebensjahre Sabine Kebir, Mein Herz liegt neben der Schreibmaschine. Ruth Berlaus Leben vor, mit und nach Bertolt Brecht, Algier 2006, S. 359 ff. Vgl. Ruth Berlau, Brechts Lai-Tu. Erinnerungen und Notate, hg. von Hans Bunge, Darmstadt 1985. Sie erwähnt ihren und Brechts Sohn, der so kurz nach der Geburt starb, nur zweimal en passant. Vgl. ebd., S. 167 u. 227. Lai-Tu war der von Brecht erdachte Name der Schülerin des Me-Ti, und unter diesem Namen ging Ruth Berlau in das zwischen 1935 und 1939 geschriebene und Me-Ti betitelte Buch der Wendungen (so der Untertitel) ein, das aber Fragment blieb. Vgl. Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 12 (Prosa 2), S. 417–585.

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an die Leipziger Alma mater im Laufe der Jahre.49 Der stets korrekt gekleidete und eine Fliege statt der Krawatte tragende Budzislawski blieb jedoch eine öffentliche Figur in der DDR: In der Weltbühne kommentierte er das politische Zeitgeschehen – dabei stets die Parteilinie haltend, mit Detailwissen glänzend, doch abgegriffene Propagandaworte, wo möglich, vermeidend. Dies gelang der Weltbühne nicht immer: Ein „Glanzstück“ besonderer Art leistete sich die Zeitschrift im Juli 1969 in einem Artikel über Herbert Marcuse. Dieser sei ein „Agent der CIA“, schrieb L. L. Matthias, und habe in geheimdienstlichem Auftrag in Frankfurt a. M. „eine Zentrale für die Spionagetätigkeit der Vereinigten Staaten in ganz Westeuropa aufzubauen“ gesucht.50 Marcuse, langjähriges Mitglied des Frankfurter und dann des New Yorker Instituts für Sozialforschung, hatte wie zahlreiche andere Emigranten während des Krieges beim OSS und danach beim State Department gearbeitet, bevor ihm die akademische Laufbahn gelungen war. Mit dem CIA hatte er nichts zu tun, obgleich rechte Kräfte, Stalinisten und auch Neider wie Matthias dies ausdauernd wiederholten. Die DDR, die vor linken Kritikern weit mehr Angst hatte als vor rechten Gegnern, griff jede Behauptung auf, die Persönlichkeiten wie Marcuse in den Augen der Leserschaft herabsetzen konnte. Die um ein intellektuelles Image bemühte Weltbühne machte keine Ausnahme – einzig Hilde Eislers Magazin enthielt sich solch unsauberer Attacken. Dass Angela Davis eine Doktorandin des angeblichen CIA-Agenten gewesen war, wurde verschwiegen oder bestenfalls heruntergespielt. Die Verleumdung zeigte einmal mehr, wie weit sich die DDR und ihre gelenkte Presse von dem entfernt hatten, was einmal das Anliegen einer sozialistischen Linken gewesen war und für das Marcuse zeitlebens stand. Budzislawskis eigene Beiträge schöpften auch aus der Erfahrung seines achtjährigen Lebens in den USA. Als Mitarbeiter Dorothy Thompsons hatte er zahlreiche prominente Journalisten kennengelernt, darunter Drew Pearson. Dieser erreichte als „syndicated columnist“ mit Beiträgen, die ihm eine große Zahl von Zeitungen landesweit abnahmen, ein Millionenpublikum. Auch Regierungsstellen zählten zu seinen Lesern. Budzislawki verspottete Pearsons Vorhersagen für das

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Vgl. Siegried Schmidt, Hermann Budzislawski und die Leipziger Journalistik, in: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hg.), Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft, Köln 2017, http://blexkom.halemverlag.de/schmidt-budzislawski/. L. L. Matthias, Wer ist Herbert Marcuse?, in: Die Weltbühne, 10. Juli 1969. – Matthias, 1933 aus Deutschland emigriert und ab 1950 in der Schweiz lebend, war in seinem Buch Die Kehrseite der USA (1964), das in der DDR wohlwollend rezipiert, aber nicht publiziert wurde, aus nichtmarxistischer Sicht mit dem amerikanischen Kapitalismus scharf ins Gericht gegangen. Seine Kritik an den Neuen Linken und ihrem Wortführer Marcuse erfolgte jedoch von kulturkonservativen Positionen aus.

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Jahr 1969. Pearsons Prognose, der Übergang von Johnson zu Nixon im Weißen Haus werde keinen grundlegenden Wechsel der Politik mit sich bringen, sei banal, eine andere, wonach Lyndon B. Johnson als Expräsident bald wieder eine wichtige Aufgabe im öffentlichen Leben übernehmen werde, sei irrelevant. Natürlich seien solche Einzelheiten nicht vorherzusagen, und darauf komme es auch gar nicht an: Dass die imperialistische Politik der USA in Vietnam und anderswo zu schwersten internationalen Verwicklungen führe, wisse man aber auch ohne Pearsons Voraussagen. Auch die innere Zersetzung schreite voran, wovon Pornographie und SexWelle zeugten. „Der Auflösungsprozess hat die Universitäten und auch die Schulen ergriffen, und er vernichtet, was ein Glück ist, überkommene, historisch überholte, und bisher fast stets missbrauchte Autorität, ohne aber an ihre Stelle die sozialistische Moral zum regulierenden Faktor der Gesellschaft zu machen.“ Hingegen sei die sozialistische Planwirtschaft der DDR und ihrer Verbündeten die einzige Voraussetzung auch zur Herbeiführung einer neuen Moral und qualitativ neuer zwischenmenschlicher Beziehungen.51 Budzislawskis düstere Schilderungen der Zustände im Kapitalismus enthielten manche Wahrheit; über die Zukunft der DDR hätte er sich mittelfristig nicht stärker täuschen können. Auch nachdem Budzislawski 1971 die Chefredaktion und Herausgeberschaft der Weltbühne niedergelegt hatte, schrieb er noch gelegentlich für das Blatt. Kenntnisreich kommentierte er im März 1973 die Ursachen und möglichen Folgen, die aus der Aufhebung der Golddeckung des US-Dollars durch Präsident Nixon 1971 erwuchsen. Im Frühjahr 1973 kam das Bretton-Woods-System, das durch feste Wechselkurse den weltweiten Handel stabilisieren wollte, nach 29 Jahren an sein Ende. Bei seiner Etablierung lagen fast drei Viertel des weltweiten Goldvorrats in den USA. Budzislawski zeigte, dass dieses System von Anfang an darunter litt, dass die in den verschiedenen Ländern benötigten Dollar-Reserven nur durch konstante Überschüsse in den Leistungsbilanzen mit den USA erwirtschaftet werden konnten. Doch die damit einhergehenden Defizite der USLeistungsbilanz mussten auf die Dauer das Vertrauen in den Dollar untergraben. In der Tat hatten sich im Laufe der Jahre im Ausland hohe Dollarbestände angesammelt, die weit höher waren als die amerikanischen Goldreserven. „Aber nun ist der Goldvorrat der USA auf weniger als 10 Milliarden geschrumpft, und davon wird nichts mehr abgegeben.“ Dem stünden im August 1971 über 116 Milliarden Dollar im kapitalistischen Ausland gegenüber. Die USA könnten daher der im Bretton-Woods-System vorgesehenen Pflicht zur Goldeinlöse der Leitwährung nicht mehr nachkommen, weshalb Nixon Ende 1971 die Goldanbindung des Dollars und damit das System fester Wechselkurse

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Hermann Budzislawski, Was bringt 1969?, in: ebd., 7. Januar 1969.

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aufgehoben habe. „Händeringend flehen die europäischen Notenbanken die USA an, wenigstens ihren Diskontsatz zu erhöhen und dadurch der Kapitalflucht in den USA entgegenzuwirken. In den USA sagen die zuständigen Finanzleute: Was ihr mit euren Dollarreserven macht und wie ihr den Zustrom weiterer Dollar abwehrt, das ist ein europäisches Problem und geht uns nichts an.“ Die USA würden, entgegen den Interessen ihrer europäischen Geschäftspartner, nun soviel Dollars wie möglich auf den Weltmarkt werfen und sie „mit der Kraft des reichen Schuldners“ zwingen, sich diesem Diktat zu fügen. „So ist eine Situation entstanden, die den Wochen vor dem Ausbruch einer Epidemie ähnelt. Die Ärzte sind in Erwartung, haben aber keine Medikamente und keine Rezepte.“ Budzislawski traute den westeuropäischen Regierungen offenbar nicht zu, durch interventionistische Maßnahmen der Staatsbanken die unvermeidlichen starken Schwankungen der Wechselkurse in Grenzen zu halten, was aber geschah.52 Hier wie anderswo zeigte sich das Problem (nicht nur bei Budzislawski), Krisenerscheinungen in den kapitalistischen Ländern als prinzipiell unlösbar anzusehen, innerkapitalistischen Reformen keine Chance zu geben. Budzislawski starb hochgeehrt – und hinterließ doch als Journalist, Herausgeber und Hochschullehrer ein zwiespältiges Erbe. Die Berichterstattung über die USA übernahm nach Budzislawskis allmählichem Rückzug aus der Weltbühne Margrit Pittman. Sie war in den sechziger Jahren Übersee-Korrespondentin des kommunistischen Daily Worker sowie später ihrer Nachfolger-Zeitung Daily World und People’s World. Mit ihrem Mann John, einem Afroamerikaner und ebenfalls Journalist, lebte sie zunächst in der Sowjetunion und dann in der DDR. Nach ihrer Rückkehr in die USA arbeitete Budzislawskis alte Bekannte aus der Emigrationszeit als Amerika-Korrespondentin der Weltbühne, gelegentlich auch anderer DDR-Zeitschriften. Ihre Beiträge behandelten ein breites Spektrum: Natürlich wurden DDRkonforme Vorstellungen bedient, wenn sie über die Arbeitshetze im Betrieb oder den Alltagsrassismus schrieb, über den Fast-Bankrott der Stadt New York oder – nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten – über Reisen von Amerikanern und Amerikanerinnen in die DDR.53 Doch zeichneten sich ihre Berichte durch große Detailtreue aus, was den Wunsch mancher Leser

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Hermann Budzislawski, Die ansteckende Krankheit des Dollars, in: ebd., 28. März 1971. Der Diskontsatz ist der Zins, den Privatbanken bezahlen, um bei der US-Bundesbank sofort einen Kredit zu erhalten. Als Beispiele von Margrit Pittmans Weltbühne-Artikeln seien genannt: Laufschritt am Fliessband (14. März 1972); Rassismus – nicht nur in Boston (28. Januar 1975); Wer finanziert New York? (26. August 1975); Amerikanerinnen in Berlin (18. November 1975).

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und Leserinnen, dieses Land voller Gegensätze selbst einmal zu besuchen, verstärkt haben mag. Dies aber musste nach Ansicht der Presse- und Zensurgewaltigen vermieden werden. Mit den daraus erwachsenden und in der DDR nicht zu lösenden Konflikten stand Die Weltbühne nicht allein. Die DDR war jedoch kein monolithisches Gebilde und ihre Schriftsteller, Künstler und Musiker bildeten keine homogene Masse. Dies zeigten auch die Nachrufe auf Paul Dessaus Tod am 28. Juni 1979 in der westlichen Presse. Die Frankfurter Rundschau sah in Dessau den renommiertesten DDR-Komponisten nach Hanns Eislers Tod: Dessau war, so hieß es im Nachruf, „engagierter Sozialist; er entwickelte und verfolgte entscheidende Kriterien realistischer Ästhetik.“ Seine „erratische Struktur war für Biegungen und Verbiegungen nicht geeignet“, und somit sei er keineswegs auf die Rolle eines DDR-Repräsentativkünstlers zu reduzieren. Die Rundschau erinnerte an die Konflikte, die es 1951 um die gestoppte Lukullus-Aufführung gab. „Theoretisch und publizistisch äußerte sich Dessau seltener als Eisler oder sogar Kurt Weill. Sein Intellekt entfaltete sich stets unmittelbar am musikalischen Sprachmaterial. Diesem zu sinnlicher Plastizität zu verhelfen, war stets das Bestreben seines kritisch-parteilichen, aber nicht parteihörigen künstlerischen Temperaments.“54 Dessau sei, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „der überragende Vertreter eines im weitesten Sinne sozialistischen Theaters“, dessen Werk ohne Brecht nicht zu denken sei – doch gelte dies auch umgekehrt.55 Die positiven Urteile gründeten sich nicht zuletzt auf Dessaus Festhalten an der Arbeit mit westlichen Musikern auch in politisch komplizierten Zeiten; so regte er 1961 die Jüdische Chronik, eine deutsch-deutsche Gemeinschaftskomposition an, bei der unter anderem auch Hans-Werner Henze und Boris Blacher mitwirkten. Obwohl er mit tagespolitischen Kantaten die Wünsche der SED-Kulturpolitik erfüllte, war er, auch in seinem Auftreten, alles andere als ein typischer Repräsentationskünstler, sondern hielt sich seine künstlerische Verbindung mit der musikalischen Moderne.56 Als einer der wenigen DDR-Künstler wurde er auch Mitglied der Akademie der Künste in West-Berlin, trat jedoch nach dreijähriger Mitgliedschaft 1968 wieder aus, um ein Zeichen zu setzen gegen die indifferente Haltung der Akademie zum Vietnamkrieg.

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Hans-Klaus Jungheinrich, Kein Repräsentierkünstler. Zum Tode des Komponisten Paul Dessau, in: Frankfurter Rundschau, 30. Juni 1979. Gerhard R. Koch, Ein Patriarch – im Banne Brechts. Zum Tode des Komponisten Paul Dessau, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Juni 1979. Diesen Nachweis führt detailliert Matthias Tischler, Komponieren für und wider den Staat. Paul Dessau in der DDR, Köln u. a. 2009.

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Ganz anders fielen naturgemäß die Nachrufe im Westen aus, als am 30. Mai 1982 mit Albert Norden der politisch ranghöchste Rückkehrer aus den USA starb. Die westliche Presse erinnerte an Norden als eloquenten, doch in der Sache unerbittlichen Verfechter eines harten Kurses, der die von Erich Honecker betriebene freundlichere Außenpolitik gegenüber der Bundesrepublik nur schwer akzeptieren konnte. „Strikt“ habe sich Norden, so Der Spiegel, geweigert, „Anfang der siebziger Jahre auf die Ost-West-Annäherung einzuschwenken. Innerparteilich gehörte der SED-Falke fortan zu den schärfsten Kritikern des UlbrichtNachfolgers Erich Honecker.“57 Die New York Times schrieb, Norden „war ein Kritiker des Parteiführers Erich Honecker, und seiner Meinung nach vernachlässigte Honecker, wie berichtet wurde, allzu oft das Parteiprinzip der kollektiven Leitung.“58 Nordens große Zeit sei mit dem Sturz Walter Ulbrichts und der Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten vorbei gewesen, schrieb Die Zeit. „Zu unerbittlich hatte er im Kalten Krieg die Propaganda-Offensive gegen die Bundesrepublik geführt; zu sehr hatte er sich als Warner vor ‚besonderen innerdeutschen Beziehungen‘ exponiert.“ Dennoch habe Norden seine Partei- und Staatsämter bis zu einer schweren Erkrankung 1981 behalten; noch lange holte die DDR-Führung „das alte Schlachtross von Zeit zu Zeit wieder aus dem Stall, damit es in gewohnter Manier ,gegen Imperialismus, Faschismus, und Militarismus‘ ausschlagen konnte. Die SED wusste, was sie an ihm hatte. Niemand in der Partei konnte so gut mit der Feder umgehen, niemand so einprägsame Parolen und Formeln erfinden, niemand so geschickt agitieren wie der gelernte Journalist und MünzenbergSchüler Albert Norden.“59 Die SED-Spitze trug Norden mit einem Staatsakt zu Grabe, das Neue Deutschland und alle anderen Tageszeitungen der DDR berichteten ganzseitig darüber. Verschwiegen wurde, wie still es um Norden nach dem Verlust aller Ämter geworden war: Seinen Antrag, aus Krankheitsgründen aus dem Politbüro auszuscheiden, hatte dieses auch mit der – von Norden nicht gewünschten – Entfernung aus dem ZK beantwortet.60 Weder in Ost noch in West erwähnten die Nachrufe Walter Ulbrichts Auftrag an Norden, den Staat Israel scharf anzugreifen und dessen

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Gestorben: Albert Norden, 77, in: Der Spiegel, Nr. 23/1982, S. 220 Albert Norden Is Dead; Key East German Aide, in: The New York Times, 31. Mai 1982. Im Kalten Krieg zu Hause, in: Die Zeit, Nr. 23/1982. Vgl. Norbert Podewin, Der Rabbinersohn im Politbüro. Albert Norden – Stationen eines ungewöhnlichen Lebens, 2. Aufl., Berlin 2003, S. 409 ff.

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„Komplizenschaft“ mit dem westdeutschen Imperialismus und Militarismus zu brandmarken.61 Keinerlei politische Ambitionen hatte der Historiker Karl Obermann. Die Leitung des Akademie-Instituts für Geschichte zwischen 1955 und 1959 blieb eine Episode; Obermann konzentrierte sich nach seiner Berufung 1953 auf seine Arbeit an der Humboldt-Universität und in der Forschung speziell auf die europäische Revolution von 1848/49.62 Er sei „ein Mensch, der nur für seine Wissenschaft da ist“, hieß es im Stasi-Bericht. „Vermutet wird, dass er Mitglied der SED ist. Allerdings wurde es mit Vorbehalt angegeben. Es könnte auch eine Blockpartei sein, der der Prof. Dr. O. angehört.“ Er wurde „als ein ausgesprochen bescheidener und zurückhaltender Mensch“ beurteilt.“63 Seine Forschungen zur europäischen Revolution von 1848 setzte er noch lange fort. Erst eine Demenz schränkte ab etwa 1984 seine Arbeitsfähigkeit immer mehr ein. Eine Gesamtgeschichte der 48er Revolution, die sein Werk hätte krönen sollen, blieb ungeschrieben. Am 10. Juli 1987 starb Karl Obermann in Berlin. Sein Sohn Peter verließ 1984 die DDR in Richtung Strasbourg, wo er mit seiner Frau, der Schriftstellerin Barbara Honigmann, seitdem das Leben ultraorthodoxer Juden führte.64 Am 24. Juli 1988 starb in ihrer Geburtsstadt Leipzig mit Eva Lips eine Remigrantin, die im Exil zur produktiven Wissenschaftlerin herangereift war. Auch nach ihrer Emeritierung 1966 war sie unermüdlich tätig, nun aber nicht nur als professionelle Ethnologin, sondern auch als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern über die Ureinwohner Nordamerikas (ein eigener Kinderwunsch war unerfüllt geblieben). Sie blieb freundlich und kommunikativ bis zuletzt und war gern bereit, über ihre Erfahrungen zu berichten, auch über die Hilfe, die sie und ihr Mann im Exil erfahren hatten. Nach dem Verlust ihres „Jules“, dessen Werk sie in einer Darstellung würdigte, ging sie keine neue Partnerschaft ein.65 1987 verlieh ihr die (West-)Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde die Ehrenmitgliedschaft.

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Hierzu mehr u. a. bei Mario Keßler, Die SED und die Juden – zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967, Berlin 1995, S. 142 f., sowie den Dokumentenanhang, bes. S. 171, Dokument Nr. 7 und 8. Vgl. zu seiner wissenschaftlichen Arbeit in der DDR Mario Keßler, Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR, Köln/Weimar/ Wien 2001, bes. S. 209 ff. BStU, ZA, HA VIII/2/2, HVA/I, Allg. P2063/77Bl. 000020: Ermittlungsstand 25. Juli 1975. Zu Obermanns Familienverhältnissen vgl. die laufenden Personalbögen in: HUB, UA, PA K. Obermann. Eva Lips, Zwischen Lehrstuhl und Indianerzelt. Aus dem Leben und Werk von Julius Lips, Berlin [DDR] 1965.

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Auch Wieland Herzfelde starb 1988. Unter der Devise „David gegen Goliath“ habe er in seinem langen Leben, hieß es im Nachruf der Zeit, „über Krieg, Revolutionen und Exilzeiten bis hin zur Rückkehr in die Heimat des realen Sozialismus mit Witz und Verstand, fast immer ohne Geld, aber mit unerschütterlichem Glauben den Kampf des Wortes gegen die Gewalt gewagt.“ Die künstlerische Zusammenarbeit mit seinem Bruder John Heartfield, die er in der DDR wieder habe aufnehmen können, sei zum großen Glück seines Lebens geworden.66 1970 hatte Herzfelde die Präsidentschaft des PEN-Zentrums der DDR niedergelegt und sich fortan weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Als ihm 1986, zwei Jahre vor seinem Tod, die Ehrenbürgerschaft der DDR-Hauptstadt verliehen wurde und der Neunzigjährige zum letzten Mal in den Medien gezeigt wurde, erschien er wie ein Geist aus einer vergangenen Zeit. Die „Wende“ von 1989, die zur Weltenwende werden sollte, erreichte eine abnehmende Zahl von Remigranten, deren Zahl weiter schmolz: 1990 starb Hertha Walcher, die noch die vollständige Rehabilitierung ihres verstorbenen Mannes durch die nun entmachtete Staatspartei erleben durfte. Im gleichen Jahr überbrachte der neue Parteivorsitzende Gregor Gysi Karola Bloch in Tübingen die Nachricht, dass auch sie vollständig rehabilitiert sei, worauf sie mit den Worten reagierte, auf die sie lange gewartet hatte: „Also wer hier wen zu rehabilitieren hat, das ist noch die Frage.“ Die Kommunistin Karola Bloch trat der PDS bei und blieb, solange es ihre Kräfte gestatteten, in der Partei aktiv. Sie verstarb am 31. Juli 1994. „Karola, eine Mutter Courage, die liebenswerter nicht zu denken ist“, schrieb ihr Freund Walter Jens aus Anlass ihres Todes.67 Im Jahr darauf starb Georg Friedrich Alexan, von dessen Tod nur noch wenige Notiz nahmen, hatte sich der einst Hyperaktive doch nach dem Eintritt in die Rente immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. 1996 starb Margarete Boenheim in Leipzig; auch sie blieb – wie wohl alle Remigranten in der DDR – bis ans Lebensende Mitglied der Partei. In Frankfurt a. M. starb 1997 Lisa Kirbach; wie sie über die politischen Ereignisse dachte, blieb unbekannt. Ein Jahr später starb Lola Zahn. Ursula und Alfred Katzenstein starben 1998 und 2000, im Jahre 2000 auch Albert Wollenberger und Hilde Eisler. Das Magazin, „ihre“ Zeitschrift, die sie „mit Charme und Verstand, immer mit einem Schuss Doppelbödigkeit“ geleitet hatte, erscheint noch immer.68 Albert Wollenberger musste noch erleben, dass sein Sohn Knud, ein Mathematiker, als langjähriger Spitzel der Staatssicher-

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Elisabeth Wehrmann, Ein erträumter Sieg. Zum Tode des Verlegers Wieland Herzfelde, in: Die Zeit, Nr. 49/1988. Walter Jens, Gradaus. Zum Tode von Karola Bloch, in: Die Zeit, Nr. 33/1994. Manfred Gebhardt, Hilde Eisler. 28. Januar 1912–8. Oktober 2000, in: Das Magazin, Nr. 11/2000, S. 8.

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heit im oppositionellen DDR-Milieu enttarnt wurde. Da Knud Wollenberger auch seine Frau bespitzelt hatte, zerbrach die Ehe. Zum Zeitpunkt, da dies geschrieben wird, lebt Hannah Obermann völlig zurückgezogen noch in Berlin.69 Vier Remigranten starben im neuen Jahrhundert: Stefan Heym 2001, Samuel Mitja Rapoport 2004, Lore Krüger 2009 und Inge Rapoport erst 2017 im Alter von 104 Jahren. In ihren letzten Jahren suchten sie Fragen ihrer und unserer Zeit zu beantworten – nicht zuletzt mit autobiographischen Texten.

Amerikabilder eigener Art. Frühe autobiographische Schriften Fraglos wäre eine tabulose Autobiographie aus der Feder Gerhart Eislers eine wichtige Quelle zur Geschichte des internationalen Kommunismus geworden. Daran war jedoch nicht zu denken. Gerhart Eisler, der, in Eric Hobsbawms Worten, zusammen mit seinen Geschwistern „fast die Komintern-Familie par excellence“ verkörperte, schwieg sich aus.70 Die wenigen autobiographischen Reminiszenzen von DDR-Politikern wie Albert Norden ließen mehr an Dingen aus, als dass sie diese erhellten.71 Dies verwunderte kaum, war doch „die oberste Maxime der kommunistischen Autobiografik“, Widersprüche zwischen Lebens- und Parteigeschichte zu vermeiden.72 Grundsätzlich galt für DDR-Autobiographien, dass die Definitionsmacht über jedes publizierte Buch bei der SED und ihrem Apparat lag. Wissenschaftler, Künstler oder Schriftsteller sollten Erzählungen verfassen, die kommunistischen

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Ihr Bruder Michael Schottlaender (1924–1989) blieb unter dem Namen Michael Scott in den USA und arbeitete als Reklamefachmann. Eric Hobsbawm, Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Udo Rennert, München/Leipzig 2003, S. 176. Hingewiesen sei hier nochmals auf Albert Norden, Ereignisse und Erlebtes, Berlin [DDR] 1981; eine Artikelsammlung, die auch einen Abschnitt über seine Zeit in den USA und die Rückkehr enthielt (S. 191–207), aber alle Konflikte, soweit sie nicht die kapitalistische Umgebung betrafen, sorgfältig umging. Martin Sabrow, Lebenserinnerung und Parteigedächtnis. Zum paradoxen Charakter politischer Autobiografik in der DDR, in: Patricia F. Blume/Thomas Keiderling/Klaus G. Saur (Hg.), Buch macht Geschichte. Beiträge zur Verlags- und Medienforschung, Berlin/Boston 2016, S. 187. Vgl. auch ders., Lebensgeschichtliche Zeitlosigkeit. Erzählmuster der politischen Funktionärsbiographik in der DDR. Die Aporie der kommunistischen Funktionärsbiographik, in: Dietrich Erben/Tobias Zervosen (Hg.), Das eigene Leben als ästhetische Fiktion. Autobiographie und Professionsgeschichte, Bielefeld 2018, S. 175– 192.

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Bildungsromanen gleichkamen: Wer aus bürgerlichem Haus stammte oder von der Sozialdemokratie her kam, sah sich verpflichtet – durchaus mit eingestandenen Brüchen – , den Weg zur Partei zu finden und in der DDR sein Wirkungsfeld zu erblicken, das sich dem Leser am Ende der Erzählung gewissermaßen logisch darbot. Der oft zitierte Prototyp einer solchen Autobiographie waren Jürgen Kuczynskis 1973 publizierte Memoiren. Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler.73 Seit seinem Eintritt in die KPD im Jahr 1930 verstand sich Kuczynski als in der und durch die Partei wirksamer Intellektueller. „Niemals, nicht einen Tag, nicht eine Minute habe ich den Eintritt in die Partei bereut. Die Idee schon, dass das je hätte der Fall sein können, scheint mir, während ich das schreibe, undenkbar und unsinnig“, schrieb er. „Aus der Partei auszutreten, hätte mir geschienen, wie aus der Menschheit auszutreten.“74 Es war somit klar, dass Jacob Walchers recht offenherzige Aufzeichnungen über seinen politischen Lebensweg in das Erinnerungsarchiv der SED gebannt blieben, ohne dass je überhaupt der Gedanke aufkam, sie könnten publiziert werden.75 Doch veröffentlichten mit Maximilian Scheer und Walther Victor zwei Schriftsteller nur wenige Jahre nach ihrer Rückkehr Erinnerungsbücher über ihr (letztes) Exilland: Scheers Begegnungen in Europa und Amerika erschien 1949, Victors Artikelsammlung Ein Paket aus Amerika im Jahr darauf. Beide Bücher unterscheiden sich von der gängigen autobiographischen Literatur: Sie sind keine Lebensbilanzen, waren ihre Verfasser bei der Niederschrift doch erst rund fünfzig Jahre alt und sahen sich kurz nach ihrer Rückkehr aus den USA am Beginn eines neuen Lebens- und Arbeitsabschnitts. Scheers Begegnungen in Europa und Amerika und Victors Paket aus Amerika fanden durchaus ihre Leserschaft in der DDR, auf deren eingeschränktem Buchmarkt jede Information über das ferne Riesenland wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirken musste – zumal in der Hochphase des Kalten Krieges.

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Hier wie auch sonst im Buch vernachlässige ich zweckmäßigerweise den ansonsten wichtigen Unterschied zwischen der vor allem dem eigenen Ich zugewandten Autobiographie und den Memoiren, die sich vorrangig den äußeren Umständen und den Zeitgenossen des jeweiligen Verfassers zuwenden. Die Grenzen zwischen beiden Genres sind jedoch, wie Roy Pascal einräumt, fließend. Vgl. Roy Pascal, Die Autobiographie. Gehalt und Gestalt. Aus dem Englischen von Marlene Schaible, Stuttgart 1965, S. 16. Jürgen Kuczynski, Memoiren. Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler, Berlin/Weimar 1973, S. 198. Vgl. Siegfried Lokatis, Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 197.

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Scheers Buch erreichte mehrere Auflagen; die dritte erschien 1966 unter dem veränderten Titel Paris-New York.76 Die Amerika-Passagen blieben darin wesentlich unverändert und zeigen die Eindrücke eines unfreiwillig ins Land Gekommenen, der bei der Ankunft mehr Furcht als Hoffnung empfindet. Ellis Island, durch deren Kontrollturm alle Ankömmlinge hindurch mussten, war für ihn „die Träneninsel“, kein Symbol der Freiheit.77 Scheer übte eine schneidende Kritik an Gesellschaft und Kultur der USA. Zwar werde die Gleichheit der Menschen überall proklamiert, doch seien die USA auch jenseits des Südens eine Gesellschaft unübersteigbarer Rassenschranken. Zwar seien am Strand von Long Island alle formal gleich. „Aber kein Weißer plaudert mit einem Schwarzen, kein Neger plaudert mit einer Weißhaut, kaum ein Fremder spricht mit einem Fremden. Sie leben jeder für sich, sprechen leichthin mit Bekannten und Freunden, kein Fluidum einer Gemeinschaft geht von einem zum anderen; sie sind alle höflich einer mit dem anderen, selbst aufmerksam einer zu dem anderen; allen ist eine kühle, lächelnde Höflichkeit und Aufmerksamkeit gemein und das Misstrauen der Pionierzeit, als niemand wusste, ob der Fremde ein guter Mensch oder Betrüger, ein Helfer oder ein Mörder war. Das instinktive Misstrauen einer nicht gewachsenen, sondern zusammengewürfelten Nation.“ (S. 131) Auch an anderer Stelle des Buches schrieb Scheer, es fehle den Amerikanern schlicht „an gemeinschaftsbildende[r] Kraft.“ (S. 206) Vielmehr seien „unter der Losung des Individualismus die Menschen grauenhaft nivelliert, mechanisiert“ worden. Unter der „Erbarmungslosigkeit des titanischen Götzen Dollar“ sei das ganze Leben genormt, von Möbeln und Kleidern über Kunst und Literatur, über die Zeitungen bis zum Denken und zum Umgang der Menschen untereinander. (ebd.) Präsident Roosevelt habe daran, trotz bester Vorsätze, nichts ändern können; sein Nachfolger Truman sei das Produkt einer Gesellschaft, die bei der „Bildung einer Gemeinschaft“ versagt habe, was aber nur die soziale Natur des amerikanischen Kapitalismus ausdrücke. (ebd.) Mit seiner Lobpreisung einer mystischen Gemeinschaft und der Abwertung der amerikanischen Lebensweise aber ging Scheer über eine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft der USA hinaus.78

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Maximilan Scheer, Begegnungen in Europa und Amerika, Berlin 1949. Die 3. Auflage erschien, kombiniert mit dem Erinnerungsbuch an Frankreich, So war es in Paris (1964). Maximilan Scheer, Paris-New York, Berlin [DDR] 1966, S. 108. Fortan beziehen sich die in Klammern gesetzten Seitenzahlen auf diese Ausgabe. Damit soll natürlich nicht die Berechtigung von Scheers Kritik z. B. am amerikanischen Justizwesen in Abrede gestellt werden, die sich in unverhältnismäßig harten Urteilen gegen Sowjetspione zeigten. Scheer selbst griff nach der Hinrichtung von Ethel und Julius

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Er sei keineswegs vom Leben des amerikanischen Normalbürgers isoliert gewesen, beteuerte er. „Ich sah manche Ansammlung von Amerikanern, ich hörte sie schreien, als sie sich zu Tausenden im Madison Square Garden vom Boxkampf hochpeitschen ließen“ – als ob auf den Rängen des Berliner Sportpalastes bei gleichen Veranstaltungen nur Sonntagsschüler sittsam Beifall klatschten. „Ich hörte Backfische krähen und lustvoll stöhnen, als sie zu Hunderten sich drängten und jenen sahen, den zu sehen die Gier ihrer Jahre war: einen betörenden Schlagersänger“ – leider nannte Scheer dessen Namen nicht. Auch im Theater oder bei Gesprächen seien Amerikaner „wenig denkgeschult, oft naiv wie Kinder, leicht entflammbar, wie Halbwüchsige, spielend mit Gedanken, Eindrücken und Erlebnissen und sie vergessend.“ (S. 204 f.) Kinder seien Fremde in diesem Land, in dem es kaum Familienzusammenhalt gebe, da das, was anderswo als Partnerschaft gelte, hier von „losen erotischen oder sexuellen Beziehungen“ geprägt sei. Eine College-Studentin habe Scheer verraten, dass in ihrem Studienjahr von zehn Studentinnen „neun defloriert waren“ – es konnte kaum ein College des amerikanischen Südens oder Mittleren Westens gewesen sein. (S. 206) All dies aber sei nur ein, wenngleich besonders schlimmer Ausdruck der durch den Kapitalismus bewirkten Arbeitshetze. Man jage durchs Land, giere nach Sensationen, suche Ruhe und entfliehe ihr doch – kurz: „man hat Angst.“ (S. 209) Die Rückkehr nach Deutschland sei die Heimkehr in eine „Freie Heimat der Zukunft“ gewesen. (S. 226) Mit diesen Worten endet das Buch. Spätere Äußerungen Scheers fügten dem nicht mehr viel hinzu.79 Nach seiner Ankunft 1941 sei er zwar gleich zu neuen amerikanischen Bekannten eingeladen worden, doch sei alles dort belanglos zugegangen –„mit Whisky, Diskussionen, Langeweile, Scherz, Satire und ohne tiefere Bedeutung.“80 Scheers eingefleischte Vorurteile, aus denen man kaum einen Sozialisten, sondern eher einen elitären Kulturkonservativen herausliest, befremden umso mehr, als der Schriftsteller in seinen Reportagebän-

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Rosenberg die US-Justiz als – reine – Klassenjustiz und die USA selbst als Unrechtsstaat an. Vgl. Maximilian Scheer, Ethel und Julius, Berlin [DDR] 1954. Fast wortgleich finden sich viele dieser Passagen bei Maximilian Scheer, Ein unruhiges Leben, Berlin [DDR] 1975, S. 184 ff. Maximilian Scheer, Ankunft in New York, in: Ders., Mit meinen Augen. Auslese aus 50 Jahren, Berlin [DDR] 1977, S. 210. Dieser Text beruht auf einem von Scheer 1947 gehaltenen Rundfunkvortrag.

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den über Nordafrika, den Nahen Osten und Kuba zu differenzierten und stilistisch ansprechenden Schilderungen durchaus imstande war.81 Sehr ähnlich lesen sich die Schilderungen Walther Victors. Seinen autobiographischen Bericht Kehre wieder über die Berge hatte er 1945 in New York nur als Privatdruck binden lassen können, und das Buch erschien erst 1982, elf Jahre nach Victors Tod, in der DDR. Doch finden sich längere Passagen dieser Autobiographie bereits in der Sammlung Ein Paket aus Amerika. Auch Victor hielt sich lange bei den Manieren der Amerikaner – oder bei dem von ihm behaupteten Mangel daran – auf. Die vorherrschenden Charakterzüge des Durchschnittsamerikaners seien Heuchelei und moralische Doppelbödigkeit. Offiziell seien die Beziehungen zwischen Mann und Frau von Prüderie bestimmt, dahinter aber verberge sich die Gier nach Ausschweifungen und sexuellen Abenteuern. Wer jenseits dieser Doppelmoral zu leben versuche, werde als „Querkopf und Sonderling“ verspottet und sei „von allem sozialen Leben und damit auch von der Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ausgeschlossen [...].“82 Im Alltag würden beispielsweise die Amerikaner fast keinen Alkohol zu sich nehmen, auf Parties dann umso mehr – als ob es dies in Deutschland oder anderswo nicht geben würde. Aber nur die Amerikaner, glaubte Victor zu wissen, ließen sich am Abend auf eine solch „grauenhafte, jeder Beschreibung spottende Weise gehen.“ (S. 72) Die morbide Lust an Geschichten über Verbrecher und überhaupt der Kitzel, den die Lebensläufe von Gangstern beim Durchschnittsleser der ohnehin grauenvollen Billig-Magazine verursachten, sei etwas, das zivilisierte Europäer nie begreifen könnten und das Victor „geradezu abstieß.“ (S. 25) Den so zivilisierten Europäer stießen – natürlich neben dem Boogie-Woogie – auch die amerikanischen Grußformen ab. Wie könne man „How do you do?“ sagen, ohne eine Antwort zu erwarten? Warum gebe man in den USA einander nicht die Hand bei der Begrüßung? Warum würden Amerikaner – hier wiederholte Victor ein altes Vorurteil – so oft die Füße auf den Tisch legen, und dies auch in Gegenwart von Frauen? Hatte Victor dies je beobachten können? Die amerikanischen Filme seien kaum mehr als „Kunstersatz“, behauptete er. (64) Hatte Victor einen der antifaschistischen Hollywood-Filme gesehen, an denen so viele seiner Mitemigranten beteiligt gewesen waren? Immerhin fand er lobende Worte über die Universitätsausbildung. Die Staatsuniversitäten – in diesem Fall die University of New Hampshire, die er als Gast-

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Auch sei daran erinnert, dass Scheer zur gleichen Zeit, als er diese Zeilen schrieb, die Zeitschrift Ost und West redigierte, die geistige Brücken zwischen den Lagern zu schlagen suchte – noch ein Widerspruch im Denken und Handeln Scheers. Walther Victor, Ein Paket aus Amerika, Weimar 1950, S. 70. Die fortan in Klammern gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Buch.

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hörer ein Semester besuchte – würden auch Amerikanern aus wenig begüterten und sogar linken Familien Zugänge zum Studium eröffnen. Unter den Studenten finde sich „auch eine Handvoll junger Menschen, die nicht nur der politischen Entwicklung in den Staaten kritisch gegenüberstanden, sondern auch etwas von Marxismus wussten, ja bereits Quellenwerke gelesen hatten, sozialistische Bildungskurse besucht hatten.“ (24) Eine Studentin überraschte Victor durch die genaue Kenntnis der Werke Kants – waren also nicht alle Amerikaner nur oberflächlich gebildet? Dabei irritierte der ungezwungene Umgang zwischen Lehrkräften und Studenten den Beobachter, der den Standesdünkel vieler deutscher Professoren vermutlich als der Universität gemäßer empfand. Doch insgesamt zeigte diese Passage ein Verständnis für die Realität Amerikas, das sich sonst bei Victor nicht einstellte. Warum schrieben Scheer und Victor über das Land, in dem sie Hitler überlebt hatten, in dieser Weise? Die Erfahrung beruflicher Marginalisierung, die für viele Flüchtlinge so einschneidend war, mussten beide kaum machen. Gerade sie fassten recht schnell im Kulturmanagement Fuß: Victor als Angestellter der American Book and Stratford Press und dann als Produktionsleiter des Verlages Alfred A. Knopf, Scheer zusammen mit Hermann Budzislawski als Mitarbeiter der Overseas News Agency und schließlich als Leiter von deren Auslandsabteilung. Zumindest Victor schrieb Teile seines Textes noch in den USA, als sich die Konfrontation der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion erst abzeichnete.83 Scheers Buch war vielleicht in Teilen noch in New York entstanden, wenngleich zumindest das Schlusskapitel in Deutschland geschrieben wurde. Auch der – anfänglich verständliche – Unwille, das zumindest halbvertraute Europa in Richtung einer Terra incognita verlassen zu müssen, reicht als Erklärung dafür nicht aus. Ebenso wenig ist Daisy Weßels Begründung in ihrer wichtigen Studie über Die USA in der Belletristik der DDR, so der Untertitel, hinreichend. Die Autorin sieht die Remigranten im Gehäuse ihrer parteikommunistischen Doktrin gefangen. Sie betont jedoch auch, dass andere DDR-Schriftsteller, die in den USA gelebt hatten, sich solch gehässiger Invektiven enthielten: Wolf Durians Roman Lumberjack von 1959 stützte sich auf weit zurückliegende Erlebnisse seiner Zeit als Waldarbeiter in den Rocky Mountains vor dem Ersten Weltkrieg. Karl Reiche verarbeitete 1959 in Fackeln vor Lumber Point seine Zeit als Kriegsgefangener in Amerika in einem Roman, doch hinderte ihn sein früher Tod kurz darauf an weiteren Arbeiten dieser Art. Ernst Rudolf Greulichs Amerikanische Odyssee von 1965 zeigte deutsche Kriegsgefangene und Amerikaner in einem La-

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Das Kapitel über die University of New Hampshire findet sich auch in: Walther Victor, Kehre wieder über die Berge. Eine Autobiographie, Berlin/Weimar 1982, S. 374–379.

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ger in Nordafrika vor dem Hintergrund der sich auflösenden Anti-HitlerKoalition.84 Hier sei nochmals daran erinnert, dass kommunistische Reisende früherer Jahre wie Egon Erwin Kisch und Maria Leitner ihre Kritik am amerikanischen Kapitalismus mit großer Sympathie für das Land und seine Menschen verbunden hatten. Zudem, um auch dies klarzustellen, waren weder Scheer noch Victor harte Stalinisten – im Gegenteil: In der DDR traten beide gemäßigt und eher unideologisch auf. Der Schluss ist nicht zu umgehen: Ein tief sitzender Antiamerikanismus, dem so viele deutsche Rechte wie vorgeblich liberale Bürger selbst nach 1945 noch frönten, hatte auch unter Kommunisten seine Fürsprecher – sogar unter solchen, die es besser hätten wissen sollen.85 Dass Marx, Engels, Wilhelm Liebknecht und so viele ihrer deutschen Genossen die USA als ein Land der Zukunft, als einen Kampfboden für einen demokratischen Sozialismus begriffen hatten – diese Einsicht war bei Maximilian Scheer und Walther Victor, wiewohl Letzterer doch viel zu Marx publizierte, ganz verloren gegangen.86 (Dass Scheer nicht und Victor noch nicht der kommunistischen Partei angehörten, ändert nichts daran, dass ihre Bücher Teile einer parteikommunistischen Kulturproduktion wurden.) Eine solche Haltung blieb nicht auf Kulturbürger beschränkt, wie Hans Marchwitzas romanhaftes Erinnerungsbuch In Amerika von 1961 zeigt. „Ich fuhr so zurück“, schrieb er gegen Ende des Buches, „wie ich dieses Amerika betreten hatte, mit einer nie zu beseitigenden Bitterkeit und der immer gleichen Regung von Hass, denn der starre und kalte Blick der Zementtürme und das Gelächter in dem Zollabfertigungsbüro – ‚Haben Sie Kapital?‘ – schien einen auch hier nicht verlassen zu wollen.“87 Vor der Einreise fürchtete er, dass „Konzentrationslager

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Vgl. Daisy Weßel, Bild und Gegenbild. Die USA in der Belletristik der DDR (bis 1987), Opladen 1989, S. 283 ff. Aus der umfangreichen Literatur sei stellvertretend genannt Jan C. Behrends/Árpád von Klimó/Patrice G. Poutrus, Antiamerikanismus und die europäische Moderne. Zur Einleitung, in: Diesn. (Hg.), Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu Ost- und Westeuropa, Bonn 2005, S. 10–33 (vgl. auch weitere Beiträge dieses Sammelbandes sowie die dort genannte Literatur zum Thema). – Der Begriff des Antiamerikanismus wird hier vom Verfasser als analytischer, nicht als moralischer Terminus verstanden, sowenig der eine Gesichtspunkt vom anderen zu trennen ist. Vgl. hierzu auch Thomas Haury, Von der Demokratie zum Dollarimperialismus. Linke Amerikabilder bei Karl Marx, der KPD der Weimarer Republik und der frühen SED, in: Michael Hahn (Hg.), Nichts gegen Amerika, Linker Antiamerikanismus und seine lange Geschichte, Hamburg 2003, S. 50–65. Hans Marchwitza, In Amerika, Berlin [DDR] 1961, S. 221. Die nachfolgenden Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe. Die zweite Auflage von 1971 weist einige Änderungen auf, die hier referierten zentralen Aussagen bleiben davon aber unberührt.

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und Marterhöllen“ auf ihn warteten. (S. 12) Seine Befragung durch die Einwanderungsbehörde in Ellis Island dauerte ungewöhnlich lange. Während seines mehrwöchigen Aufenthaltes in den Räumen der Behörde fühlte er sich, wie er schrieb, wie ein Gefangener. Die Aussicht, in einem Land zu leben, das nichts sei als „eine Festung des Teufels Geld“, ängstigte ihn. (S. 20) Warum er dennoch in den USA blieb, als ihm 1941 die Weiterreise nach Mexiko eröffnet wurde, sagte er nicht. Die Arbeitshetze auf dem Bau erlebte der nicht mehr junge Marchwitza, nachdem er endlich Arbeit gefunden hatte, als eine einzige Tortur, zudem er schlechte Erfahrungen mit korrupten Gewerkschaftsfunktionären machte. Hinter jeder Ablehnung seiner Person witterte er heimliche Sympathie für die Nazis. Zu kulturellen Veranstaltungen, gleich welcher Art, fand er nach zermürbender Arbeit keinen Zugang (obgleich er zu Hause die Kraft zum Schreiben fand). Das „schrille und kreischende oder schmalzige Gequake“ der Musik nervte ihn und die Tänze waren für ihn nichts als „Veitstanz“ (S. 151 f.) „Dieses Amerika ist ein einziger Betrug und Schwindel“, und dies zeige sich besonders in den Filmen. (S. 137) Dass sich alte Frauen schminkten, empfand Marchwitza als lächerlich. Was ihn aufrecht hielt, war „die nie gebrochene Kraft der Partei und unserer [deutschen] arbeitenden Menschen.“ (S. 246) Natürlich lebte Marchwitza unter schwierigeren Bedingungen in New York als Victor oder Scheer.88 Aber das Los harter körperlicher Arbeit teilte er mit vielen anderen Flüchtlingen, so z. B. mit Paul Dessau, der sich nie derart abwertend über die Menschen seines Exillandes äußerte. Die Vereinigten Staaten, so wiederholte Marchwitza am Ende seines Buches, seien „die grauen Zementtürme, von wo aus der Teufel Geld seine Herrschaft bis hierher in das [deutsche] Trümmerfeld mit der gehetzten Menschheit auszubreiten suchte.“ (S. 246) Natürlich spielten seine Sprachprobleme hier eine Rolle. Doch sprach Marchwitza von Hause aus fließend Polnisch und hatte in Paris Französisch nicht nur sprechen, sondern auch schreiben gelernt.89 Dass er mit dem Englischen große Mühe hatte, ist wohl auch auf seine mentale Blockade zurückzuführen, die er weder überwinden konnte, noch wollte.



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Vgl. Matthias Wolbold, Zwischen Ablehnung, Anpassung und Zerrissenheit. Deutsche Exilautoren in den USA. Eine Typologie am Beispiel von Hans Marchwitza, Hans Sahl und Ludwig Marcuse, Hamburg 1999, S. 98 ff. Laut Wolbold erlebte Marchwitza in New York eine „soziale Deklassierung“, was zu seinem verbitterten Urteil beitrug. Doch hatte Marchwitza in Deutschland über Jahre unter vergleichbar schweren Lebensbedingungen gearbeitet, ohne dass er sich ähnlich negativ äußerte. Vgl. ebd., S. 80. Dies nach einer Information des mit Marchwitza befreundeten Werner Ilberg. Vgl. ders., Hans Marchwitza, Leipzig 1971, S. 44.

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Autobiographien sind, wie Matthias Wolbold schreibt, „literarische Gebilde […], in denen der Autor mit Hilfe eines nachträglich konstruierten Ichs in komprimierter Form sein Leben erzählt.“ Exilautobiographien geben „eine Verarbeitung der Erfahrungen ihres Exillandes wieder, während diese Erfahrungen gleichzeitig die Person des Exilanten prägen.“90 Die drei hier vorliegenden Autobiographien sind jedoch Beispiele dafür, dass ihre Autoren nicht bereit waren, ihre Vorurteile zu überprüfen, neue Erfahrungen in einer Weise zu verarbeiten, die sie selbst bereichert und ihrer Leserschaft Chancen zum Lernen und Differenzieren geboten hätten. Natürlich muss bei aller Kritik mitbedacht werden, dass die Intellektuellen unter den deutschen Flüchtlingen oft von Hause aus eine Verehrung und zum Teil auch Vertrautheit mit der französischen Kultur mitbrachten, die in Bezug auf Amerika zunächst fehlte. Die Urteile, gerade von Scheer und Victor, fielen über Frankreich deutlich milder aus, obgleich doch deutsche Exilanten von französischen Behörden oft schikaniert und in Internierungslager gesteckt wurden, was ihnen in den USA nie widerfuhr. In Paris hatten sie, trotz des von der VolksfrontRegierung subventionierten Kulturbetriebes, es sich kaum je leisten können, ins Theater oder Konzert zu gehen, was in New York oder Los Angeles für beide mit ihrem geregelten Auskommen möglich gewesen war. Das Vorurteil, in Amerika sei alles künstlich und oberflächlich, erwies sich gegenüber manchen Erfahrungen indes als immun. Es wurde womöglich dadurch verstärkt, dass Kommunisten in den USA nicht nur außerhalb des politisch akzeptierten Mainstream standen, sondern auch im Kulturleben Außenseiter waren, während sie in Frankreich vor und noch mehr nach dem Zweiten Weltkrieg Teil des allgemeinen Kulturbetriebes waren. Es fiel aber älteren Deutschen, sogar Großstädtern, allgemein oft schwer, sich auf die neue Lebensweise in der Neuen Welt einzustellen. Weit besser schafften dies Emigranten aus Wien, Prag oder Budapest, den kosmopolitischen Zentren der alten Donaumonarchie, so auch die Brüder Eisler. In Ostdeutschland fanden die kommunistischen Rückkehrer dann eine Gesellschaft vor, in der Preußentum und Sozialismus, sächsische Bürokratie und russisches Kommando eine Atmosphäre geschaffen hatten, in der alles Amerikanische nur störte. Dem trugen Scheer, Victor und Marchwitza Rechnung, welche Motive ihnen ansonsten auch die Feder diktiert haben mag. Doch galt auch für die DDR: Niemand konnte Victor, Scheer oder Marchwitza zwingen, Derartiges über Amerika zu publizieren. Ihre Bücher fanden eine Leserschaft, die ihnen vielleicht nicht jede Behauptung abnahm, die sich aber

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Ebd., S. 17 f.

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kaum ein eigenes Bild über die USA machen konnte. War nicht doch etwas dran an dieser Kritik, wenn sie von Männern kam, die sich auszukennen schienen? Die wenigen, die besser Bescheid wussten, darunter wohl auch manche Mitemigranten, mögen sich gefragt haben: Wie viel an Erfahrung musste man verdrängt haben, um so über ein Land zu schreiben, dem man das eigene Überleben verdankte?

Die späten Zeugnisse Warum es fast bis zum Ende der DDR dauerte, bevor mit Stefan Heym wiederum ein Remigrant aus den USA eine Autobiographie – noch dazu nur in der Bundesrepublik – vorlegte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Womöglich wollte in Zeiten des Kalten Krieges, in denen holzschnittartige Propagandabilder gefragt waren, sich kaum jemand die abschreckenden Beispiele von Scheer, Victor und Marchwitza zum Vorbild nehmen. Zwar erschienen hin und wieder Bücher, denen Autobiographisches zugrunde lag, so die erwähnten Romane von Wolf Durian, Karl Reiche oder Ernst Rudolf Greulich, doch nicht aus der Feder von Remigranten. Eigene Abhandlungen verdienten zwei Bücher, die am Anfang und am Ende dieser Reihe standen: Ehm Welks Roman Der Nachtmann: Geschichte einer Fahrt zwischen hüben und drüben von 1949 sowie Günter Kunerts Reisebericht Der andere Planet. Ansichten von Amerika aus dem Jahre 1974.91 Auch Welk, der 1922 die USA bereist hatte, behandelte die sozialen Gegensätze, suchte aber, so in einem Dialog zwischen dem jungen Deutschen Trimm, der Hauptgestalt seines Buches, und einem amerikanischen Historiker nach psychologischen Ursachen für jene Mentalitäten, die dem amerikanischen Kapitalismus entsprangen und ihn zugleich stützten. Dabei kam Welk ohne jeden kulturellen Hochmut aus und bemühte sich, auch Ansichten, die ihm (und seiner Hauptfigur) fernlagen, einer deutschen Leserschaft verständlich zu machen. Günter Kunert war der erste Schriftsteller mit DDR-Pass, dem die Möglichkeit geboten wurde, die USA zu bereisen. Seinem Bericht Der andere Planet lagen zwei Gastaufenthalte an der University of Texas in Austin 1972 und 1973 zugrunde. Doch hatte Kunert auch die Gelegenheit bekommen, im Land herumzureisen. Dabei zeigte er sich, bei allen kritischen Beobachtungen, als Lernender, der nicht schon – ausgerüstet mit einem Schmalspur-Marxismus – vorher wusste, wie die Dinge in dem Riesenland be- und verurteilt werden mussten. 1979 verließ Kunert die DDR in Richtung Bundesrepublik.

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Vgl. hierzu die Bemerkungen bei Weßel, Bild und Gegenbild, S. 283 ff., 300 ff.

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Mit Kunerts Buch meldete sich erstmals – nach den Reportagen der Amerikanerin Edith Anderson und von Walter Kaufmann, dem DDR-Autor mit australischem Pass, ein „richtiger“ DDR-Schriftsteller zu Wort. Er sollte nicht der letzte sein: Die Reiseberichte von Manfred Jendryschik (Zwischen New York und Honululu) und von Alexans Tochter Irene Runge (Himmelhölle Manhattan), die beide 1986 erschienen, machten ohne jede Vorurteile Neugier auf das Land. Dass sich hinter David Fischer, dem Mitautor eines lesenswerten Text-Bildbandes über Los Angeles, der DDR-Diplomat Horst Grunert verbarg, wussten indes nur wenige Eingeweihte.92 Bereits 1980 erschien die Autobiographie eines remigrierten Wissenschaftlers: Franz Loesers Die Abenteuer eines Emigranten. Darin schilderte er sein bewegtes Leben zwischen der Kindheit in Breslau, der Emigration nach England, dem Dienst in der britischen Armee mit Einsätzen von Nordafrika bis Japan, seine Zeit in den USA, erneute Jahre in England und die Übersiedlung mit seiner britischen Frau Diana und dem gemeinsamen Sohn Tony in die DDR. Er bezeugte Dankbarkeit gegenüber der DDR, die dem in England zum Kommunisten gewordenen Loeser die Möglichkeit einer Universitätsausbildung mit Promotion, Habilitation und schließlich der Professur bot. Für Loeser waren die USA damals sowohl eine kapitalistische „Räuberhöhle“ wie auch ein schönes und reiches Land mit „großartigen Menschen.“93 1983 kehrte Loeser von einer Privatreise zu seinem in den USA lebenden Bruder nicht in die DDR zurück, sondern ließ sich in Köln nieder. In seiner revidierten Version der Autobiographie, diesmal unter dem Titel Sag nie du gehst den letzten Weg, schrieb er über die zunehmende Isolierung, die er in der DDR in den letzten Jahren erfahren habe – nicht immer überzeugend, denn die von ihm beanspruchte Rolle als Stichwortgeber der pazifistischen Friedensbewegung ist durch die Forschung nicht bestätigt worden.94 Recht hatte Loeser aber wohl, wenn er

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David Fischer/Karol Kállay, Los Angeles, Leipzig 1984. Vgl. Horst Grunert, Für Honecker auf glattem Parkett. Erinnerungen eines DDR-Diplomaten, Berlin 1995, S. 320. – Ein mit soziologischen Fragestellungen angereicherter sachlicher Bericht ist das Buch von Ingrid Deich, Zwischen Dallas und New York. Wie ich die USA erlebte. Notizen eines Aufenthaltes, Leipzig 1986. Seine Autorin arbeitete mehrere Jahre an der University of Missouri, bevor sie 1979 zusammen mit ihrem Mann Werner Deich, einem Neuzeithistoriker, die USA verließ. Das Paar hatte lange Jahre für die Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Staatssicherheit gearbeitet und kam mit der Übersiedlung einer Enttarnung zuvor. Franz Loeser, Die Abenteuer eines Emigranten. Erinnerungen, Berlin [DDR] 1980, S. 259. In seinem Standardwerk zum Thema erwähnte Erhard Neubert (Geschichte der Opposition in der DDR 1949–1989, Berlin 1998, S. 237) Loeser kurz im Zusammenhang mit

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über manche zurückgekehrte „Westemigranten“ meinte: „So wie ich waren auch viele von ihnen desillusioniert, enttäuscht, was aus unseren Idealen geworden war. Aber sie hatten sich arrangiert. Sie waren geachtet als Widerstandskämpfer, hatten ihre Familie, ihr Auskommen, ihre Privilegien. Und außerdem: sich gegen den Parteiapparat zu stellen, konnte doch nur dem Klassenfeind nützen.“95 Doch vor allem spürten sie im Alter die Spätfolgen jahrelanger Gefährdung. Auch wer Mut vor dem Freund zeigen wollte, musste wissen, was er der eigenen Gesundheit noch zumuten konnte. Beiden Autobiographien Loesers ist ein kritischer Blick auf die USA gemein. Dieser bleibt jedoch frei von abwertenden Verallgemeinerungen. Loeser benannte in Ost wie West den Rassismus als Erbübel Amerikas, kritisierte (im Osten stärker als im Westen) die kapitalistische Profitwirtschaft und bekannte sich 1980 wie 1986 zur Freundschaft zum inzwischen verstorbenen Paul Robeson. Noch in ihrer 1987 fertiggestellten Dissertation über Amerikabilder in der DDR-Literatur bedauerte Daisy Weßel das Fehlen einer Autobiographie Stefan Heyms.96 Als ihre Arbeit dann im Druck erschien, lag diese Autobiographie vor: Das 1988 erschienene Buch trug den ungewöhnlichen Titel Nachruf. Alden Whitman, ein Mann der New York Times, hatte Heym einst um Material für den geplanten künftigen Nachruf gebeten. Als Heym ihn darum ersuchte, den Text vorab lesen zu dürfen, lehnte sein Interviewpartner ab. Dies sei nie und nimmer möglich. So müssten die geneigten Leser, schrieb Heym, bevor er das letzte Stück seines Weges getragen worden sei, sich mit dem vorab veröffentlichten Nachruf, eben seiner Autobiographie, begnügen.97 Schon die Tatsache, dass diese Autobiographie eines DDR-Schriftstellers in der Bundesrepublik (bei Bertelsmann in München) erschien, war ungewöhnlich. Im Jahr 1979 war Heym von der DDR-Justiz zur Zahlung einer hohen Geldstrafe verurteilt worden weil er ohne offizielle Genehmigung seinen Roman Collin hatte im Westen erscheinen lassen. Doch war dies auch die Reaktion auf eine Erzählung, die mit der Schilderung des Innenlebens der DDR-Staatssicherheit inhaltlich der offiziellen Norm zuwiderlief. Wenn nicht wegen seines Engage-



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dem oppositionellen Manifest, das eine Gruppe von DDR-Professoren anonym Ende 1977 dem Spiegel zuleitete. Loeser hatte offenbar mit dieser Gruppe sympathisiert, war aber an der Abfassung des Manifest-Textes nicht beteiligt gewesen. Vgl. auch Dominik Geppert, Störmanöver. Das „Manifest der Opposition“ und die Schließung des OstBerliner „Spiegel“-Büros im Januar 1978, Berlin 1996, S. 121 f. In seinen eigenen Arbeiten erwähnte Loeser dieses Manifest jedoch nicht. Franz Loeser, Sag nie du gehst den letzten Weg. Ein deutsches Leben, Köln 1986, S. 222. Vgl. Weßel, Bild und Gegenbild, S. 279. Vgl. Stefan Heym, Nachruf, S. 844.

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ments für den ausgebürgerten Wolf Biermann drei Jahre zuvor, der ihm dies später mit Beschimpfungen („der verlogene Stefan Heym“98) dankte, wurde Heym spätestens durch den Roman Collin zum öffentlichen Ärgernis in der DDR. Als sich mehrere Kollegen, darunter Jurek Becker, Erich Loest, Klaus Schlesinger und Martin Stade, mit ihm solidarisierten, wurden sie alle in einer internen Sitzung aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Daraufhin rückte Heym in einer Erklärung, die er der Nachrichtenagentur Reuter und der BBC zukommen ließ, die Kampagne zur Einschüchterung kritischer DDR-Autoren den Methoden McCarthys an die Seite.99 Trotz behördlicher Schikanen fuhr Heym fort, seine Werke in der Bundesrepublik zu veröffentlichen, wenn sich in der DDR kein Verlag fand. So erschienen auch Heyms nächste Romane Ahasver – womöglich sein bester überhaupt – und Schwarzenberg nur im Westen.100 Dies war risikoreich, doch waren 1988, als seine Autobiographie herauskam, die Arme der DDR-Autoritäten schon zu kurz, um Heym noch zu „greifen“.101 In der DDR beschränkte sich die Möglichkeit öffent-



98 Wolf Biermann: Ein öffentliches Geschwür, in: Der Spiegel, 13. Januar 1992. Für die nach 1976 in der DDR erneut wirksamen Publikationsverbote Heyms vgl. Jones, Censorship and Criticism, S. 121 ff. Angela Borgwardt (Im Umgang mit der Macht, S. 494 ff.) sieht den wesentlichen Unterschied zwischen Biermann und Heym darin, dass ersterer auch die persönliche Konfrontation mit der SED-Führung und der Stasi (seinem „Eckermann“) suchte, was Heym strikt vermied. Zudem war Heym stets darauf bedacht, dass seinem Freundes- und Leserkreis keine Plattformbildung untergeschoben werden konnte. Dies unterschied ihn auch von Robert Havemann. Ohnehin war er in der Auswahl seiner Freunde sehr vorsichtig. Doch auch nach dem Bruch Biermanns mit Heym erinnerte dieser an den Liedermacher als einen einstigen Sozialisten, dessen beste Lieder ihren Wert behielten. Vgl. Stefan Heym, Der Winter unseres Missvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant, München 1996, S. 61 f. 99 Heym vergleicht Einschüchterung mit Methoden McCarthys, in: Frankfurter Rundschau, 25. April 1979. Vgl. zum Gesamtvorgang Joachim Walther u. a. (Hg.), Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979, Reinbek 1991. 100 Der westdeutschen Ahasver-Edition von 1981 folgte jedoch – nach mehreren Neuausgaben und zahlreichen Übersetzungen – 1988 eine DDR-Ausgabe im Buchverlag Der Morgen. Womöglich verstanden die mit Heym „befassten“ Kultur- und MfS-Funktionäre nicht völlig die satirischen Anspielungen, die sich auch aus der jüdischen Geschichte und biblischen Stoffen speisten. Vgl. für diesen, hier nur kurz zu nennenden Aspekt in Heyms Schaffen Hermann Gellermann, Stefan Heym. Judentum und Sozialismus, Zusammenhänge und Probleme in Literatur und Gesellschaft, Berlin 2002. 101 DDR-Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann hatte sich gegenüber Kurt Hager für eine Tolerierung Heyms eingesetzt; auch sollte der Nachruf aus kontrollierten Postsendungen von der Bundesrepublik in die DDR durch den DDR-Zoll nicht mehr entfernt werden. So geschah es. Vgl. Borgwardt, Im Umgang mit der Macht, S. 259.

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licher Lesungen zunehmend auf die Kirchen und halboffizielle Kreise im Prenzlauer Berg, die indes vom MfS wirksam unterwandert waren.102 Den Nachruf durchzieht, je mehr sich das Geschehen der Gegenwart nähert, immer mehr die Schilderung der zunächst verdrängten politischen Selbstzweifel. Doch bedeutete dies keine Abwendung vom Sozialismus. Vielmehr beharrte Heym darauf, dass seine Kritik, auch wenn er sie nur über die westdeutschen Medien äußern konnte, auf nichts anderes zielte als auf die Verbesserung und Vermenschlichung der Zustände in der DDR, den Staat, den er potenziell, wenn auch nicht in der Praxis, lange als den zukunftsfähigeren deutschen Staat sah. Doch gerade deshalb dürfe der Schriftsteller nicht vor Kritik an der Politik des Staates zurückschrecken. Damit hob Heym rigoros das von Kuczynski und anderen postulierte Gleichheitszeichen zwischen dem Kommunisten und dem Schriftsteller auf und stellte sich gegen die biographische Großerzählung der DDR. Den Kapitalismus sah Heym jedoch auch in der Autobiographie als ein historisch entstandenes und historisch vergängliches System, das freilich Leistungen aufzuweisen und Bürgerfreiheiten geschaffen habe, hinter die ein Sozialismus bei Strafe des Scheiterns nicht zurückfallen dürfe. Wie kein anderer deutscher Schriftsteller – und wie kaum je ein anderer Schriftsteller überhaupt – bot Heym im Nachruf ein facettenreiches Bild der USA. Er zeichnete die Vielgestaltigkeit des Landes, das er einst zur neuen Heimat erwählt hatte und in dem er dennoch auf Dauer nicht bleiben konnte. Überaus packend schilderte Heym seine Arbeit im Volksecho, in verschiedenen „Jobs“ danach, beim Dienst in der Armee und besonders in dessen Psychological Warfare Division, er berichtete von der Zusammenarbeit wie von Kontroversen mit anderen Autoren und porträtierte Zeitgenossen verschiedenster Herkunft, Berufe und politischer Überzeugungen. Heym zeigte, wie fremd ihm – trotz größter Lernbereitschaft – die DDR anfangs noch war, wie er seine Amerika-Erfahrungen mit dem, was im Osten Deutschlands gefordert wurde, in Übereinstimmung zu bringen suchte, wie ihm dies gelang – oder auch nicht. Er verschwieg nicht die Probleme, die seine Frau – ein kommunistischer True believer bis zur Niederschlagung des „Prager Frühlings“ – in der ostdeutschen Gesellschaft haben musste, und er machte seiner Leserschaft bewusst, dass der gleiche Typus Mensch – engstirnig, skrupellos und voller Verachtung allem Neuen gegenüber – sowohl die bürokratischen Apparate in den

102 Vgl. BStU, ZA, HA XX 4130, Bd. 1, Bl. 000.073: Information über das Auftreten von Schriftstellern in Einrichtungen der Evangelischen Kirche, Bericht vom 22. Juni 1979. Vgl. auch Jones, Censorship and Criticism, S. 131 f.

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USA wie in der DDR bevölkerte. Über weite Passagen beschrieb Heym die Konflikte mit amerikanischen wie mit DDR-Behörden.103 Es kam das Jahr des politischen Umbruchs. Am 4. November 1989 forderte Heym auf der Massendemonstration am Berliner Alexanderplatz: „Freunde! Mitbürger! Übernehmt die Herrschaft!“104 Doch das Volk, so schrieb er wenig später äußerst spitz, das soeben noch edlen Blicks einer verheißungsvollen Zukunft zuzustreben schien, wurde „eine Horde von Wütigen, die, Rücken an Bauch gedrängt, Hertie und Bilka zustrebten auf der Jagd nach dem glitzernden Tinnef.“105 Ende 1989 gehörte Heym mit Christa Wolf zu den Initiatoren des Aufrufs Für unser Land, der für ein Weiterbestehen der DDR eintrat und vor ihrem Beitritt zur Bundesrepublik warnte. Warum konnte der offenbar ewige Rebell nicht seinen Frieden mit der neuen Gesellschaft machen, nachdem das System, das ihn so arg schikaniert hatte, zusammengebrochen war? Mit der allwissenden Partei und ihren Nachbetern fiel, so Heym, „auch das System der Alternativen, welches, beginnend mit dem Oktober Siebzehn, das Auf und Ab der Historie dieses Jahrhunderts bestimmte. Und die unten werden es zu spüren bekommen, dass der Hebel zerbrochen ist, vermittels dessen sie Druck auszuüben vermochten, bei guter Gelegenheit, auf die Oberen.“106 Denn jetzt fehle die Alternative, „die einst real existierte, so schäbig sie auch gewesen sein mochte.“ Im Ende der DDR sah Heym eine Revolution wie eine gesellschaftliche Restauration.107 Das Echo, auch die Empörung über solche Zeilen war nichts im Vergleich zur Reaktion auf Stefan Heyms Ankündigung, zu den Bundestagswahlen 1994 für die PDS/Linke Liste in Berlin zu kandidieren. Warum er der Nachfolge-Partei der

103 Vgl. zum literarischen Echo auf die Autobiographie und weitere Werke Heyms die Internet-Präsentationen der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft (stefan-heym-gesellschaft.de) sowie der Aufstellung der Stadtbibliothek Chemnitz (www.stadtbibliothekchemnitz.de/heym/). 104 Stefan Heym, Rede auf der Demonstration am 4. November 1989, in: Ders., Wege und Umwege. Einmischung, hg. von Peter Mallwitz, München 1998, S. 815. 105 Stefan Heym, Aschermittwoch in der DDR, in: Der Spiegel, 4. Dezember 1989. Wiederabdruck unter dem Titel: Aschermittwoch, in: Ders., Wege und Umwege, S. 822. – Heyms unmittelbar nach der Bundestagswahl vom 18. März 1990 geäußerten Worte, die DDR sei nun „eine Fußnote der Geschichte“, wurde von den meisten Beobachtern als der Abschied des Schriftstellers von den Problemen der DDR missverstanden. Vgl. zum Thema Reinhard F. Zachau, Stefan Heym und die deutsche Einheit – eine Fußnote der Geschichte?, http://www2.dickinson.edu/glossen/heft10/zachau.html. 106 Stefan Heym, Eine andere Welt [1992], in: Ders., Auf Sand gebaut/Filz, München 1998, S. 184. 107 Ebd., S. 187.

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SED solche Dienste leiste?, wurde er gefragt. Lohne sich denn ein Engagement für jene Partei, mit deren Vorgängerin Heym so schlechte Erfahrungen gemacht habe? „Ich versuche zu unterscheiden, was ursprünglich da war und richtig ist und was mit der Zeit missgestaltet wurde. Diese Unterschiede sind sehr klar sichtbar“, erwiderte er. Sein Kampf gegen den Missbrauch der sozialistischen Idee sei ihm, Heym, niemals leichtgemacht worden. „Wie mir mein heutiges Engagement, wie es scheint, ja auch nicht leichtgemacht wird. Aber Konsequenz ist wohl niemals leicht. Opportunismus, ein Kniefall, werden einem leichter gemacht, und sie lohnen sich zudem. In jeder Gesellschaft.“108 Auf Betreiben von Kanzler Helmut Kohl verweigerte die CDU/CSUFraktion dem Alterspräsidenten des Bundestages, Stefan Heym, in der ihm zustehenden Eröffnungsrede jede Höflichkeit. Mit Ausnahme Rita Süssmuths rührte sich im konservativen Lager im Anschluss an die Rede keine Hand zum Beifall, obgleich Heym von „Großzügigkeit und Toleranz im Umgang miteinander“ sprach und davon, dass dabei „die gewählten Repräsentanten mit gutem Beispiel vorangehen“ sollten. Das wichtigste aber sei, alles zu tun, damit sich eine gefahrvolle Situation wie 1933, deren Zeuge und Leidtragender er gewesen sei, nie wiederhole.109 Mehr als einmal warnte er eindringlich vor der „Rückkehr der Gespenster“, deren Urbilder er damals habe marschieren sehen und deren Wiedergänger jetzt Asylheime anzündeten und Obdachlose erschlügen.110 Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag aus Protest gegen die Erhöhung der Diäten, deren Nutznießer auch er gewesen wäre, schrieb Heym den RadekRoman, worin es ihm einmal mehr um Chancen revolutionärer Veränderungen und den Gründen für ihr Scheitern ging. Auch im Alter blieb er literarisch produktiv. Davon zeugen zahlreiche Essays und Erzählungen, gebündelt in einer Reihe von Bänden – Einmischung, Offene Worte in eigener Sache und Filz, seine Geschichtensammlung Immer sind die Weiber weg von 1997, dem ein Jahr darauf erschienenen Roman Pargfrider, eine Schelmengeschichte über den letztlich erfolgreichen Existenzkampf eines jüdischen Außenseiters im Österreich des 19.

108 Stefan Heym, Noch einmal zur Kandidatur für den Bundestag. Interview „Freitag“, Juni 1994, in: Ders., Offene Worte in eigener Sache. Gespräche, Reden, Essays 1989–2001, hg. von Inge Heym u. a., Berlin 2003, S. 94 f. 109 Stefan Heym, Rede zur Eröffnung des 13. Deutscher Bundestages, 10. November 1994, in: ebd., S. 116. 110 Stefan Heym, Die Rückkehr der Gespenster, in: Berliner Zeitung, 6. Mai 1998. Wiederabdruck in: ebd., S. 168–174. – Im Vorfeld der Eröffnungssitzung des Bundestages waren Berichte in die Presse lanciert worden, nach denen Heym in der DDR Kontakte zum MfS unterhalten habe. Sie erwiesen sich gänzlich als unwahr. Vgl. zu diesem Vorgang u. a. Axel Fair-Schulz, A „Wandering Jew“: Stefan Heym’s Humanist Socialism, in: Logos, 10. März 2013, http://logosjournal.com/2013/fair-schulz/.

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Jahrhunderts, oder das bereits in den sechziger Jahren verfasste, kurz vor Heyms Tod veröffentlichte Werk Die Architekten. Im Rückblick mag man bedauern, dass Heym niemals Leo Trotzki zur Zentralgestalt eines Romans machte. Den wichtigsten Zugang zu seiner Biographie eröffnen, abgesehen vom Nachruf, aber seine Tagebuchaufzeichnungen der siebziger Jahre, die unter dem Shakespeare entlehnten Titel Der Winter unseres Missvergnügens 1996 erschienen. Darin konfrontierte Heym seine, von der bei ihm angestellten Haushälterin der Stasi zugesteckten Aufzeichnungen mit den Akten des Mielke-Ministeriums. Vom ihn betreffenden „Operativen Vorgang Diversant“ waren nur noch Teile erhalten. „Aber selbst diese Auswahl genügte, um einen das Gruseln zu lehren. Wir hatten gelebt wie unter Glas, aufgespießten Käfern gleich, und jedes Zappeln der Beinchen war mit Interesse bemerkt und ausführlich kommentiert worden.“111 „Wie sagten doch die Engel zu den Hirten? Fürchtet Euch nicht! Erst heute, in Kenntnis dieser Bearbeitungskonzeption, wird mir klar, aus welch guten Gründen und wie sehr ich mich damals hätte fürchten sollen.“112 Im gleichen Jahr 1996, in dem Heym Teile seiner MfS-Akte öffentlich machte, erschien Joachim Walthers großangelegte Untersuchung über den Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen demokratischen Republik, die auch die Überwachung Stefan Heyms eingehend dokumentierte.113 Das Buch zeigt, dass Heym in Folge des 11. Plenums verstärkt in Erich Mielkes „Schussfeld“ geriet. Am 20. Januar 1966 hielt der Staatssicherheitsminister auf der zentralen Parteiaktivtagung des MfS ein Referat zur Auswertung des 11. ZKPlenums. Er steigerte sich in eine fast unartikulierte Wut hinein, als er ausrief: „Wenn hier Heym und alle solchen Literaten und Künstler die Macht hätten, dann hätten wir die DDR schnell aufgefressen! So, Genossen, und nur steht so die Frage! Diese Briefe oder dieses Schreiben, diese Abhandlung über ,Langeweile von Minsk‘ von Heym grenzt objektiv an Staatsverrat! So muss man die Frage, die dort steht, einschätzen! […] Wenn wir nur einen Tag diesen Menschen die Macht in die Hände geben, dann wäre die Macht verloren! […] Hier können wir deutlicher sprechen, was das für eine Gefahr bedeutet, dass man die auch noch abdruckt. […] Jetzt zeigt sich, dass ein Teil nichts tut, Genossen. Bei den Bildern: abstrakte Kunst, bei den Filmen: besonders wertvoll, bei den Machwerken der Schriftsteller, das greift die Bourgeoisie auf! […] Und nun kommt die Beatmusik, und nun kann man sich völlig enthemmen und entarten, so wie man es in der Waldbühne gemacht hat! Dann kommen diese Schriftsteller, diese Machwerke! […] Und sie

111 Heym, Der Winter unseres Missvergnügens, S. 14. 112 Ebd., S. 222. 113 Joachim Walther, Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1996.

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spotten uns Stalinisten, Dogmatiker, neue Eiszone oder so was, zurück in die Eiszeit und so weiter! Genossen! Wir sehen die Sache viel kühner, als sie überhaupt zu denken vermögen! So sehen wir die weitere Entwicklung und Entfaltung der sozialistischen Demokratie, indem wir diese edlen und wertvollen humanistischen Taten mit dem proletarischen Internationalismus, mit dem revolutionären Reichtum unserer Klasse verbinden und das den Menschen übermitteln.“114 Darauf eröffnete die MfS-Hauptabteilung XX den „Operativen Vorgang Diversant“, mit dem über sieben Jahre Leutnant (zuletzt Major) Rolf Pönig befasst war.115 Heym, ohnehin der Stasi seit Längerem suspekt, wurde damit zum Gegenstand intensiver Beobachtungen.116 Nicht nur er selbst, auch seine Familie und Freunde galten als potenzielle oder sogar tatsächliche Feinde der DDR. Es sei anhand seiner Verbindungen in das kapitalistische Ausland zu prüfen, „ob Heym im Auftrag von Geheimdiensten, anderen feindlichen Organisationen oder Einzelpersonen handelt.“ Seine Wirksamkeit sei durch „geeignete politisch-operative Maßnahmen einzuschränken.“117 Dazu gehörten die gezielte Abwertung seiner Bücher in den DDR-Medien durch willfährige Schriftsteller und Akademiker ebenso wie die Beobachtung Heyms bei Auftritten im Ausland oder im internationalen PEN-Club.118

114 Mielkes Rede ist zit. n. ebd, S. 52 f., unter Berufung auf das Transkript (BStU, ZA, SdM/Tb/192). – Das von Mielke erwähnte Geschehnis auf der Waldbühne bezog sich auf die Randale eines Teils der Besucher bei einem Konzert der Rolling Stones in der WestBerliner Waldbühne am 15. September 1965. Vgl. zur DDR-Reaktion auf das Konzert Michael Rauhut, Beat in der Grauzone. DDR-Rock 1964–1972 – Politik und Alltag, Berlin 1993, S. 116–118. 115 Vgl. Walther, Sicherungsbereich Literatur, S. 257 ff. 116 So wurden u. a. seine freundschaftlichen Kontakte zur Schriftstellerin Bertha Waterstradt, die zudem enge Kontakte zu ihren Verwandten nach Israel unterhielt, schon in den 1950 und frühen 1960er Jahren beobachtet. Vgl. ebd., S. 79. 117 BStU, ZA, HA XX, 1246, Bl. 000040, zit. n. Walther, Sicherungsbereich Literatur, S. 91. Diese Akte, die Abhörprotokolle enthält, ist inzwischen laut Mitteilung der BStU laut Gesetz nicht mehr zugänglich. 118 Vgl. BStU, ZA, HA XX, A-1756/86, Bd. 1, Bl. 000030 (Bericht von „Georg“, d. i. Heinz Kamnitzer, 3. Oktober 1979). Auf diese Quelle machte mich Wolfgang Herzberg aufmerksam. – Als Heym in der DDR-Presse als „ehemaliger amerikanischer Bürger“ angegriffen wurde, verwahrte sich jedoch selbst sein Kontrahent Hermann Kant, der Präsident des Schriftstellerverbandes, dagegen. Diese Staatsbürgerschaft habe, so Kant in einer internen Vorstandssitzung am 30. Mai 1979, „mit einer antifaschistischen Haltung im Zusammenhang gestanden.“ Ebd., HA XX, 4130, Bd. 1, Bl. 000.018 (undatierter interner Bericht).

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Nicht nur Schriftsteller-„Kollegen“ lieferten Berichte über Heym an das MfS.119 Auch die Vertragsabteilung für Urheberrechte hielt die Staatssicherheit über Heyms Kontakte zu westlichen Verlagen „auf dem Laufenden.“120 In Gefahr geriet Heym, als eine Verbindung von ihm zu Rudolf Bahro konstruiert wurde, dessen Buch Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus im Westen seinem Verfasser eine mehrjährige Haft in der DDR eintrug.121 Doch schützten wohl Heyms Biographie als antifaschistischer jüdischer Schriftsteller und seine literarische Weltgeltung ihn vor den schlimmsten Verfolgungs- und „Zersetzungs“-Maßnahmen des MfS-Apparates. Eine Verhaftung Heyms hätte sich die DDR nicht „leisten“ können. Am 16. Dezember 2001 starb Stefan Heym in einem Hotel in Ein Bokek in Israel – nur Stunden, nachdem er in Jerusalem an einem Kongress über Heinrich Heine teilgenommen hatte. Dort hatte Heym einen alten, 1950 geschriebenen, doch nie gedruckten Text über Heine vorgetragen. „Heine riss die Poesie, riss das Wort, aus den dämmrigen Regionen der Klassik und der Romantik und pflanzte sie in die Mitte des Lebens“, sagte Heym in der Rede, die seine letzte werden sollte. „Dies Leben, spürte er, kann nicht getrennt betrachtet werden von dem sozialen Kampf und den politischen Auseinandersetzungen. In seinem Werk schuf Heine, der Dichter des tiers état, eine Synthese zwischen Leben und Kunst, und er tat das unter den schwierigsten, quälendsten Bedingungen: der Metternich-Reaktion in Deutschland, den Zwängen des Exils, und seines Judentums, der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, die damals so wie heute unterdrückt wurde. Die Zwänge, unter denen er arbeiten musste, waren aber auch der Ansporn seines schöpferischen Geistes, und da diese Zwänge, nur leicht verändert, bis heute gelten, tragen sie dazu bei, sein Werk so erschreckend aktuell zu halten und ihm Gültigkeit zu verleihen auch für jetzt.“ Stets sei es Heine darum gegangen, Anstöße zu vermitteln im „Kampf gegen die Zensur, gegen die Unterdrückung, für Redefreiheit und für Freiheit des Volkes“ – und dieser Kampf müsse weitergehen.122 Wie Heinrich Heine ging es auch Stefan Heym immer wieder darum, Anstöße zum Denken und Handeln zu geben. „Immer ruhelos, manchmal verstörend, forderte er die herrschenden Orthodoxien im Namen einer revolutionären Utopie heraus“, schrieb Mikhail Krutikov in seinem Nachruf im New Yorker Forward.

119 Vgl. Walther, Sicherungsbereich Literatur, u. a. S. 598 (zu Paul Wiens) und S. 608 (zu Jan Koplowitz). 120 Ebd., S. 800. Leiter der Vertragsabteilung war Jenö Klein (IM „Ernö). 121 Vgl. BStU, ZA, HA XX/AKG 853, Bl. 000.520, wo auch auf Heyms eigene, sozialismusfeindliche „Machwerke“ hingewiesen wird. 122 Stefan Heym, Rede über Heine. New York, 15. Januar 1950. Internationale Konferenz in Jerusalem, 13. Dezember 2001, in: Ders., Offene Worte in eigener Sache, S. 260 f.

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„Unter allen osteuropäischen Dissidenten in der Ära des Kommunismus war Heym der Erfolgreichste. Eine einzigartige Kombination von marxistischem Idealismus, amerikanischem Praxisbezug und jüdischem Überlebensinstinkt half ihm beim Durchqueren der gefahrvollen politischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, bewahrte ihm Integrität und Freiheit und befähigte ihn, drei politische Regime in Deutschland zu überleben. Der Mensch und der Schriftsteller waren in ihm nicht voneinander zu trennen, und nach seinem Tod werden seine Bücher weiterhin feststehende Weisheiten kritisch befragen, wie er es selbst sein Leben lang tat.“123 Ähnlich sah es Dennis Tate, der im Londoner Guardian an Heyms stetige Forderung nach Solidarität und Toleranz und an sein Aufbegehren gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in verschiedenen Gesellschaften erinnerte: „Heyms kräftige Teilhabe am amerikanischen öffentlichen Leben erteilte ihm Lektionen, die ihm fast vier Jahrzehnte lang halfen, sich in seinem beständigen Kampf mit der kommunistischen DDR-Führungsschicht zu behaupten.“124 Für Werner Mittenzwei war er „der Prototyp des Intellektuellen, der es für seine Pflicht hielt, immer das auszusprechen, was er für notwendig erachtete.“125 Als „Mann im Widerstand“ genoss der „lebenslange Sozialist“ Stefan Heym auch in Russland hohes Ansehen.126 Heyms Autobiographie Nachruf sei das bedeutendste deutsche Buch nach 1945, sagte sein Freund Johannes Mario Simmel auf der Gedenkveranstaltung in der Berliner Akademie der Künste. Als Jude und Sozialist sei Heym „Rebell aus Gewissenszwang“ gewesen. An ihm zeige sich, dass der Traum des humanen Sozialismus nicht ausgeträumt sei.127 David Binder, der statt des verstorbenen Alden Whitman den Nachruf in der New York Times schrieb, blieb es vorbehalten, Heym wahrheitswidrig als „Starpropagandisten des kommunistischen Regimes und seiner sowjetischen Schutzherren“ zu schmähen.128

123 Mikhail Krutikov, A „Wandering Jew“ of the 20th Century: German Writer Stefan Heym (1913–2001) Challenged Orthodoxies, in: Forward, New York, 25. Februar 2002. 124 Dennis Tate, Stefan Heym, East German dissident author, in: The Guardian, London, 17. Dezember 2001. 125 Werner Mittenzwei, Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945– 2000, Leipzig o. J., S. 170. 126 Человек наперекор: вечный социалист Стефан Гейм (Der Mann im Widerstand: Der lebenslange Sozialist Stefan Heym), www.dw.com/ru/человек-наперекор-вечныйсоциалист-стефан-гейм/a-1672412. 127 So nach dem Bericht: Den Traum des humanen Sozialismus nie ausgeträumt, in: Der Standard, Wien, 4. Februar 2002. 128 David Binder, Stefan Heym, Marxist-Leninist Novelist, Dies at 88 on Lecture Tour in Israel, in: The New York Times, 18. Dezember 2001.

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Jahre nach Stefan Heym publizierte eine auf gänzlich anderen Gebieten ausgewiesene Remigrantin ihre Lebenserinnerungen: Ingeborg Rapoport.129 Sie lassen sich mit keiner der DDR-Autobiographien vergleichen, denn Ingeborg Rapoport schrieb mit dem Wissen um eine neue geschichtliche Wende – nicht der ersten in ihrem Leben. Es war gewissermaßen eine Doppelbiographie, die sie 1997 in erster und 2002 in zweiter Auflage vorlegte, denn immer bezog sie ihren Mann mit ein, der selbst kein entsprechendes Werk schreiben wollte. Die Partnerschaft der beiden reichte bis zum 7. Juli 2004, dem Tag, an dem Samuel Mitja Rapoport starb. Der Buchtitel Meine ersten drei Leben bezieht sich auf die Einschnitte ihrer Biographie, die zugleich Wegscheiden der Zeitgeschichte waren: Das erste Leben reicht von ihrer Geburt in der deutschen Kolonie Kamerun und der Kindheit in Hamburg, dem frühen Wunsch, Ärztin zu werden und dem Studium bis zur 1937 verweigerten Promotion. Das zweite Leben behandelt die Zeit in den USA, die erneuten medizinischen Examina und die Promotion, die Bekanntschaft mit Samuel Mitja und die gemeinsame Arbeit in Cincinnati, aber auch die politische Tätigkeit in der KP der USA, schließlich die größer werdende Familie. Das dritte Leben spielt nach der Flucht aus Amerika im Kalten Krieg und dem nicht geglückten Neuanfang in Wien dann in der DDR. Dort gelang beiden Rapoports die erfolgreiche akademische Laufbahn, dort erfuhren ihre Kinder eine sehr gute Ausbildung, darunter die sehbehinderte Lisa. Eine ausführliche Darstellung der Autobiographie, aus der viel über medizinische Einrichtungen und Wissenschaftszweige zu erfahren ist, ginge über das Anliegen dieser Arbeit hinaus. Gerichtet an ihren fiktiven Nachkommen Joshua, zeichnete die Autorin überaus farbige Porträts ihrer Familie, besonders ihrer vier Kinder, von deren Freunden und Angehörigen sowie von Patienten aus ihrer Arbeit als Neonatologin. Sie berichtete über die Demütigung, die sie erfuhr, als sie nach bestandenem Staatsexamen in Hamburg zum Promotionsverfahren 1937 nicht mehr zugelassen wurde, über ihr Jahr als Assistenzärztin am Israelitischen Krankenhaus der Hansestadt und über die Emigration in die USA. Zwar war auch

129 Nur kurz sei noch einmal auf das Buch von Lore Krüger, Quer durch die Welt. Das Lebensbild einer verfolgten Jüdin, Schkeuditz 2012, verwiesen, dessen Verfasserin nicht mehr genug Lebenszeit fand (sie starb 2009 mit fast 95 Jahren), das Amerika-Kapitel in der von ihr gewünschten Ausführlichkeit zu vollenden. Vgl. jedoch „Ein Büro am Broadway“. Gespräch mit Lore Krüger über die Emigration in die USA und die antifaschistische Zeitschrift „The German American“. Interview: Cristina Fischer, in: Junge Welt, 2. Juli 2005. Lore Krüger hielt sich von jedem antiamerikanischen Ressentiment frei. In ihren letzten Lebensjahren und verstärkt nach ihrem Tod wurde die Fotografin Lore Krüger von einer interessierten Öffentlichkeit (wieder-) entdeckt.

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sie bei der Ankunft in New York erstaunt über „das verwahrloste Aussehen der Hafenanlagen und die endlosen kahlen Straßen der Bronx mit ihren Mietshäusern“, doch besserte sich ihre Stimmung rasch, nachdem sie von einem Zeitungskonzern – sie sagt nicht, von welchem – ein Stipendium zur Facharztausbildung erhielt.130 Damit eröffnete sich für sie „eine ganz neue Zukunft.“ (S. 109) Bis 1940 war Ingeborg Syllm, wie sie damals noch hieß, Assistenzärztin in Brooklyn und Akron (Ohio) und erwarb in Philadelphia das medizinische Berufsdoktorat. Darüber berichtete sie ebenso ausführlich wie über ihre Arbeit in Cincinnati, wo sie Samuel Mitja Rapoport kennenlernte. Der gemeinsam vollzogene Eintritt in die KP der USA war, betonte sie, kein Akt der Illoyalität gegenüber dem Emigrationsland, dessen Staatsbürger beide Rapoports geworden waren. Ohne die antikommunistische Verfolgungswelle hätten sie die USA nie verlassen. „Mitja fühlte den USA gegenüber wie ich“, so Ingeborg Rapoport. (S. 162) Die Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, fiel den Rapoports schwer. „Mitja hatte bis zuletzt im tiefsten Inneren gehofft, Österreich, seine ursprüngliche Heimat, nicht wieder verlassen zu müssen. Und zu allen anderen antifaschistischen Gefühlen kam für ihn die bittere Erinnerung an die Besetzung Österreichs durch Hitler-Deutschland hinzu. Meine inneren Vorbehalte gegenüber Deutschland waren sicherlich noch tiefer und verborgener. Sie wurden gespeist durch die niemals vom Verstande her auflösbaren Schmerzen persönlicher Erfahrungen. Aber wir sagten uns beide, dass diese DDR ein anderes Deutschland sei, ein antifaschistisches, geläutertes, ein demokratisches Deutschland mit dem Ziel, den Sozialismus aufzubauen.“ (S. 244) Doch konnten sich die Rapoports des Gefühls nicht erwehren, dass mancher ihrer DDR-Nachbarn, besonders aus dem alten, politisch an den Rand gedrängten Bürgertum in ihnen die privilegierten Nutznießer des neuen Regimes sah, denen dieses bevorzugt gute Arbeitsplätze und Wohnhäuser zur Verfügung stellte. „Ich habe mich oft gefragt“, so Ingeborg Rapoport, „wie viel Feindseligkeit diese Häuser unter den Anwohnern ausgelöst haben mögen, und habe mich von Anfang an darum bemüht, diese Feindschaften abzubauen, ohne deshalb unsere politische Weltanschauung zu verstecken.“ (S. 250) Unvermeidlicherweise bestand zunächst der Bekanntenkreis der Rapoports vorwiegend aus Mitremigranten – zumeist auch aus „Westremigranten“ – oder Antifaschisten, die in Deutschland die Verfolgung überlebt hatten und nun oft zu Hausnachbarn wurden. Doch änderte sich dies durch die berufliche Integration beider Rapoports, die recht bald einen großen Kreis an Kollegen und Schülern um

130 Ingeborg Rapoport, Meine ersten drei Leben. Erinnerungen, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 95. Die folgenden Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf dieses Buch.

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sich scharen konnten. Dabei, schreibt seine Frau, „weigerte“ sich der Institutsdirektor Rapoport, „seine Mitarbeiter nach politischen Überzeugungen auszuwählen – er nahm sie aufgrund von Fähigkeiten, Hingabe an die Wissenschaft und Charakter.“ (S. 294) Da die Rapoports in den ersten DDR-Jahren noch österreichische Staatsbürger und Mitglieder der Kommunistischen Partei Österreichs, nicht der SED, waren, gingen auch die Partei-„Säuberungen“ an ihnen weitgehend vorüber (obgleich ihr Freund Walter Hollitscher, ebenfalls Österreicher, seine Philosophie-Professur an der Humboldt-Universität aus politischen Gründen verlor). Obwohl sie die Schwächen der DDR nicht leugneten, blieben ihr Inge und Samuel Mitja Rapoport ohne Wenn und Aber verbunden. Als ihr Sohn Michael, der nie die DDRStaatsbürgerschaft angenommen hatte, zum Studium in den Westen ging, sahen sie dies als Niederlage.131 Als entscheidende Niederlage ihres Lebens empfanden die Rapoports aber den Zusammenbruch der DDR, der auch für manche ihrer Schülerinnen und Schüler das Ende ihrer akademischen Laufbahn bedeutete, wogegen sich Samuel Mitja Rapoport vergeblich zu wehren suchte.132 Ingeborg Rapoport wich dabei der bequemen Scheinbegründung aus, wonach der kaltkriegerische Kapitalismus dafür allein verantwortlich sei. Wäre mit einer geistig offeneren DDR ein anderes Ende denkbar gewesen? Sie vermochte dies weder zu bejahen, noch zu verneinen. Doch sah sie in der Selbstabschottung der DDR, die weiter ging als je nötig gewesen wäre, den entscheidenden Sargnagel. „Die Isolierung von der westlichen Welt erzeugte an vielen Stellen die Gefahr des geistigen Provinzialismus, man kannte das Ausland wenig, westliche Fremdsprachen kaum, die Konfrontation mit dem Weltniveau wurde nur schwer gefunden, häufig gar nicht mehr gesucht.“ (S. 404) Ingeborg Rapoports Autobiographie gehört zu dem Typus an Selbstzeugnissen, der über politische Brüche hinaus eine Kontinuität persönlichen Handelns herzustellen versucht. Die Autorin wollte sich über „das wissenschaftliche Ethos als Bezugsrahmen ihres Lebens definieren“, in das sich ihre politische Option –

131 Michael Rapoport wurde ein international herausragender Mathematiker, der verschiedene Professuren begleitete und zuletzt an der Universität Bonn arbeitete. Sein Bruder Tom ist als – gleichfalls sehr renommierter Zellbiologe und Institutsdirektor – an der Harvard University tätig. 132 Vgl. seinen leidenschaftlichen Protest gegen die Massenentlassungen an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität – auch unter dem Vorwand, behinderte Kinder getötet zu haben: Samuel Mitja Rapoport, Medizin ohne Menschlichkeit?, in: Neues Deutschland, 5. September 1991. Der Titel bezieht sich auf Alexander und Margarethe Mitscherlichs gleichnamiges Buch über die im Nürnberger Ärzteprozess 1947 verurteilten Nazi-Doktoren.

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das Engagement für eine gerechtere Welt – organisch einfügt.133 Sie konnte dies angesichts ihrer Lebensgeschichte und wissenschaftlichen Leistungen, vor allem aber angesichts ihrer Nicht-Beteiligung an repressiven Maßnahmen gegen Andersdenkende in der DDR auch überzeugend tun. Umso mehr fallen aber auch Grenzen ihres Denk- und Erkenntnisweges auf: Denn kein Verständnis hatten sie und ihr Mann je für die Prager Reformbemühungen 1968 und noch weniger Verständnis dafür, dass ihr alter Freund Franz Marek nach deren Niederschlagung mit dem Pseudokommunismus sowjetischer Machart rigoros brach. Begriffen sie nicht, dass die Prager Reformer und ihre linken Unterstützer im Westen mitsamt den Opfern westlichen Linkenhasses auf ein und derselben Seite der Geschichte standen – und die Prager „Normalisierer“ im Gefolge der sowjetischen Truppen, die DDR-Stalinisten, die Zuträger McCarthys und die westdeutschen „Abwickler“, die DDR-Mediziner des Kindesmordes ziehen, allesamt auf der anderen Seite? Dennoch: Nach dem Ende der DDR befiel Ingeborg Rapoport „ein schreckliches Gefühl, Zweifel, ob wir damals den richtigen Weg gewählt hatten.“ Ein Besuch in North Carolina ließ 1990 „alle meine Liebe und Sehnsucht nach unserer USA-Vergangenheit wieder aufleben. Der Umgang der Menschen [war] miteinander, achtungsvoller und zugleich kritischer, näher und zugleich unabhängiger – ich war mir bewusst, dass dies der gute alte Kern der USA war – und dass ich dieses Erlebnis des Besten, das die USA in sich birgt, nicht verallgemeinern kann. Aber diesen wahren Kern liebe ich. [...] Die ersten Tage in North Carolina brachten Wehmut und das Gefühl des verlorenen Paradieses mit sich, etwas Unwirkliches, wohl auch nie Gewesenes, das ich mit einer Mischung aus weher Sehnsucht und freudigem Wiedersehen empfand.“ (S. 149) Manche der alt gewordenen „Westemigranten“ und mehr noch ihre Kinder und Enkel suchten nach dem Ende der DDR nun einen Halt im Judentum. Für die Rapoports hellte sich die Erinnerung an Amerika immer mehr auf. Am 8. Oktober 2012 gedachten die Humboldt-Universität und die LeibnizSozietät, die von Samuel Rapoport mitgegründete und geleitete Gelehrtengesellschaft, in einem gemeinsamen Festakt seines 100. Geburtstages und ehrten zugleich die anwesende Ingeborg Rapoport, die kurz zuvor ihr Zentenarium begangen hatte. Auch der Politische Bildungsverein „Helle Panke“ und die Deutsche

133 Martin Sabrow, Autobiographie und Systembruch im 20. Jahrhundert [2012], in: Ders., Zeitgeschichte schreiben. Von der Verständigung über die Vergangenheit in der Gegenwart, Göttingen 2014, S. 97. Sabrow unterscheidet eine solch reflektierte Autobiographie von der reinen „Kontinuitätsbiographie“, die die historische Zäsur von 1989 für das eigene Leben zu relativieren, und der „Konversionsbiographie“, die dem vorherigen Leben abzuschwören sucht.

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Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin würdigten Deutschlands älteste Ärztin. Wie aktiv Ingeborg Rapoport war, konnte eine staunende Öffentlichkeit noch beinahe drei Jahre später erfahren: Am 13. Mai 2015 unterzog sich die 102-jährige Kandidatin in ihrer Berliner Wohnung der mündlichen Prüfung ihres Doktorexamens, die ihr 1937 verwehrt worden war. Die Mitglieder der Promotionskommission reisten aus Hamburg an und schenkten, darauf hatte Ingeborg Rapoport bestanden, ihr im Verfahren nichts. Sie zeigte, dass sie auch den Wissensstand des Jahres 2015 im Fach voll beherrschte und wurde „Magna cum laude“ promoviert. Der erfolgreiche Abschluss des Promotionsverfahrens fand ein weltweites Echo.134 Es war „ein reiches Leben“, so Karlen Vesper im Neuen Deutschland, das am 23. März 2017 zu Ende ging, und noch kurz vor ihrem Tod war Ingeborg Rapoport als Mitautorin an einem Kinderbuch – Eselsohren. Ein Lesebuch weint – beteiligt gewesen.135 Die Sorge um das Wohlergehen der Kinder, nicht nur ihrer eigenen, war die Achse ihres Daseins in einem ganzen Jahrhundert der Hoffnung wie der Katastrophen gewesen.

* Die Erfahrungen des Exils waren vielfältig. Kaum einer der Geflüchteten erwog zuvor ein Leben in den USA, doch lebte sich ein Fünfundzwanzigjähriger anders ein als ein Fünfzigjähriger. Alfred Katzenstein oder Stefan Heym, die in amerikanischer Uniform Deutschland befreien halfen, behielten auch nach ihrer Rückkehr in ihr Geburtsland andere Erinnerungen an die USA als ein Exilant, der sich

134 So berichteten in Deutschland unter anderem der Tagesspiegel (Bodo Straub, „Es geht ums Prinzip“. Pankowerin promoviert mit 102 Jahren; 15. Mai 2015), die Junge Welt (Horst Schäfer, Magna cum laude; 20. Mai 2015) und das Neue Deutschland (Karlen Vesper, Die Prüfung einer Hundertjährigen; 8. Juni 3015) ausführlich darüber, doch auch die Washington Post (Michael E. Miller, The horrible reason one woman had to wait 77 years for her PhD; 29. Mai 2015) sowie NBC News, die BBC, Agence France-Presse und zahlreiche weitere Zeitungen und Nachrichtenagenturen brachten Berichte oder Meldungen. 135 Karlen Vesper, Ein reiches Leben, in: Neues Deutschland, 29. März 2017. – Ob die Erforschung und Bekämpfung von Kindersterblichkeit das eigene produktive Wissenschaftlerleben verlängert, kann hier nicht entschieden werden: Verwiesen sei jedoch auf ein Symposium der Humboldt-Universität aus Anlass des 105. Geburtstages der kurz zuvor verstorbenen Ingeborg Rapoport, dessen Vorträge u. a. zwei weiteren Pionieren der Neonatologie gewidmet waren: dem Finnen Arvo Ylppö (1887–1992) und der aus Deutschland in die Türkei und später nach England emigrierten Erna Eckstein (1895–1998). Vgl. die Pressemitteilung der Charité vom 7. September 2017: Symposium zu Ehren von Ingeborg Rapoport unter https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/symposium _zu_ehren_von_ingeborg_rapoport/.

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dort fehl am Platz fühlte wie Hans Marchwitza. Ein Avantgardist moderner Musik wie Hanns Eisler fand andere Zugänge zur amerikanischen Kultur als Maximilan Scheer oder Walther Victor. Wie wenig Verallgemeinerungen aber taugen, zeigt die relative Isolation Ernst Blochs und Bertolt Brechts – zweier Avantgardisten der Weimarer Kultur. Die Frauen, Helene Weigel, Karola Bloch, Hilde Marchwitza und viele andere, passten sich oft rascher als die Männer an: Sie lernten die Sprache schneller und waren sich für keine Arbeit zu schade. Einige der hier behandelten Exilanten, die vor ihrer Flucht aus Deutschland nicht mit der KPD verbunden waren, näherten sich im amerikanischen Exil den Kommunisten an. Zu ihnen gehörten Paul Dessau und Ingeborg Rapoport (die beide der KP der USA beitraten) sowie Eva und Julius Lips oder Walther Victor, die ursprünglich der SPD angehörten oder ihr nahestanden. Walter Friedeberger trat nach der Rückkehr der SED bei. Auch für Felix Boenheim, Georg Friedrich, Alexan, Hermann Budzislawski oder Hilde Marchwitza war das kommunistische Netzwerk in den USA nicht nur ein „Ankerplatz“, sondern auch politische „Sozialisationstanz“, und manchmal wohl auch ein Stück Heimat in einer fremden Welt. Wer, wie die Genannten, der KPD beitrat oder sich ihr anschloss, wollte auch an einer weltweiten Bewegung teilnehmen, die den Faschismus überwand. Ursula Katzenstein in Palästina, Samuel Mitja Rapoport in Österreich und F. C. Weiskopf in der Tschechoslowakei waren KP-Mitglieder gewesen. Hanns und Gerhart Eisler, Alfred Kantorowicz, Alfred Katzenstein, Ernst Krüger, Hans Marchwitza, Albert Schreiner und Alfred Zahn waren in unterschiedlicher Weise am Spanienkrieg beteiligt; eine Erfahrung, die für ihr künftiges politisches Engagement kaum zu überschätzen ist. Sie und andere standen schon vor 1933 in einer Beziehung zur Partei, meist als Mitglied, oft auch als politischer Funktionär, und dies galt auch für Albert Schreiner und Jacob Walcher, die 1928/29 die KPO in Deutschland mitgegründet hatten. Karl Obermann, kein politischer Aktivist, war in Frankreich von der SAP zur KPD gewechselt. Dieses Buch berichtete somit von Menschen, deren politische Denkwelt überwiegend und immer mehr von kommunistischen Ideen bestimmt war. Ihr Leben aber musste in den USA den Forderungen des Hochkapitalismus genügen. Dies allein war die Quelle von Widersprüchen – noch dazu in einem Land, auf das deutsche Linke mitunter mit Faszination, mitunter mit Abscheu, manchmal mit einer Mischung aus beidem geblickt hatten. Ob die vorgefassten Amerikabilder durch unmittelbare Erfahrung Konturen gewannen oder auch revidiert wurden, ließ sich zunächst noch kaum feststellen: Während ihrer Emigrationszeit waren fast alle Männer und Frauen, unabhängig vom erlernten Beruf, zunächst ganz mit der Organisierung des eigenen Lebens beschäftigt. Am Beginn des Buches stand die Frage, welche Entwürfe für ein Nachkriegsdeutschland das deutsche kommunistische Exil entwickelte und welche Hoffnun-

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gen sich in der DDR erfüllten oder nicht erfüllten. Im Exil waren die German American Writers’ Association und vor allem der Council for a Democratic Germany – mangels einer effektiv arbeitenden KPD – die einzigen kollektiven Stützen des kommunistischen Exils. Ihre Netze waren engmaschig, doch nicht weit auszuwerfen: Diese politischen Netzwerke brachten die Exilanten zusammen, doch integrierten sie kaum in die Kultur des Gastlandes. Wo die KPD-nahen Exilanten am ehesten als Denkkollektiv funktionierten, in der Zeitschrift The German American, blieben ihre Einsichten und Erkenntnisse auf einen – sie wohl manchmal lähmenden – Binnendiskurs begrenzt. Im Council for a Democratic Germany waren Kommunisten durchaus wirksam, auch wenn ihre politischen und vor allem wirtschaftspolitischen Vorstellungen dort nicht dominierten. Sie waren im Cuncil allerdings auch nicht als politische Avantgarde mit dem entsprechenden Parteiverständnis aufgetreten. Auch in ihren Vorstellungen über die Gestaltung Nachkriegs-Deutschlands finden sich – bei aller Anlehnung an die Sowjetunion – keine Forderungen, in Deutschland ein Einparteiregime aufzurichten. Auf die politische Gestaltung NachkriegsDeutschlands hatten die Kommunisten keinen Einfluss – ebenso wenig wie der Council insgesamt. Er zerfiel wegen divergierender Auffassungen über ein zukünftiges Deutschland, nicht jedoch entlang nur einer Linie, die Kommunisten von Nichtkommunisten trennte. Sowenig Kommunisten in Amerika auf die Gestaltung Nachkriegsdeutschlands Einfluss nehmen konnten, so wenig konnten sie dies nach ihrer Rückkehr. Nicht sie, sondern die Rückkehrer aus Moskau bestimmten unter Vorgabe der sowjetischen Besatzungsmacht die Richtlinien in Politik und Gesellschaft. Dass Ostdeutschland und dann die DDR nach dem sowjetischen Modell geformt wurde, stieß – auch angesichts des Kalten Krieges – auf keinen nachweisbaren Widerspruch unter den Rückkehrern. Wo sich ein solcher Widerspruch dann zeigte oder gar verstärkte, blieb nur das Schweigen wie bei den Dunckers oder die Flucht aus der DDR. Doch nur wenige – Alfred Kantorowicz, Ernst und Karola Bloch sowie Lisa Kirbach – gingen diesen Schritt. Dabei wussten sie, dass sie nun in ein Land kamen, in dem Vollzugsbeamte des „Dritten Reiches“ ein größeres Maß an Absicherung und Anerkennung erfuhren als Antifaschisten. Doch konnten diese erneuten Emigranten im Westen über ihre Erfahrungen zumindest freier sprechen und schreiben als im Osten. In der DDR mussten die Rückkehrer ein weit größeres Maß an Vorsicht walten lassen. Die Frage, inwieweit die Wirklichkeit den einstigen Hoffnungen entsprach oder diese Hoffnungen enttäuschte, konnte in einer Diktatur nicht offen diskutiert werden. Damit gerät die kulturgeschichtliche Seite in den Blick – die Frage nach dem „geistigen Gepäck“ der Rückkehrer. War, was sie mitbrachten, geistiger Vorrat, Wegzehrung für das Leben in einem Deutschland, von dem noch keiner wusste,

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wie es dabei weiterging? Oder war es eine Bürde, die tunlichst abzustreifen war? Eine klare Antwort hatten die Naturwissenschaftler: Die Rapoports, die Katzensteins und Albert Wollenberger profitierten von den besten Schulen, die sie in den USA durchlaufen hatten. Doch auch sie sahen sich nun vor die doppelte Herausforderung gestellt: Die SED brauchte die Rückkehrer, doch misstraute ihnen zugleich. Trotz größter Mühe, den neuen Normen zu entsprechen, waren und blieben sie anders als jene, die aus Moskau kamen – und anders, als die „Daheimgebliebenen“. Die Partei-Überprüfungen der fünfziger Jahre wirkten in jedem Fall disziplinierend und verhinderten offene Debatten. Woran waren unter diesen Bedingungen die Leistungen von Schriftstellern, Musikern, Film- und Theaterleuten, Historikern und Publizisten, gar von Naturwissenschaftlern zu messen? Gab es eine Maßeinheit, die für alle gelten konnte? War, was der eine als Anregung empfing, nicht für den anderen die giftige Verlockung des American way of life, der unbedingt zu widerstehen war? Welche Lehren konnte jeder Einzelne ziehen? Was galt mehr für das eigene Urteil: Die Redefreiheit in den USA oder die Rassentrennung im Süden, die weitgehend freie Presse oder die Furcht vor Überwachung? Was galt beim Aufenthalt im Lande, was davon nach der Rückkehr? Natürlich hatten ein Bertolt Brecht, ein Hanns Eisler – zumal als Staatsbürger Österreichs – trotz aller Einschränkungen, die auch sie erfuhren, andere Spielräume als Remigranten, die sich ihren Platz im kulturellen Leben der DDR erst erkämpfen mussten. Die Kritik an den USA, nicht nur an ihrem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, sondern auch an ihrer Kultur und Lebensweise war im Kalten Krieg erwünscht und oft auch gefordert. Dabei traf diese Forderung auf eine Haltung unter manchen Rückkehrern, die man als Antiamerikanismus bezeichnen muss. Dieser war eine Ansammlung an Vorurteilen, die den Gegner zum Feind stilisierten und zugleich die Geschlossenheit im eigenen Lager herzustellen suchten. Manche Vorurteile über Amerika veränderten selbst ein Leben im Lande nicht, andere zerstoben oder änderten sich langsam. Mitunter, so bei Stefan Heym, aber war wohl der zeitweilige Antiamerikanismus auch Zeichen der Enttäuschung über ein Land, in dem man hatte bleiben wollen, doch nicht konnte. Doch oftmals führte die erwünschte dogmatische Weltsicht zur Reduktion komplexer Zusammenhänge von Kapitalismus und Kulturindustrie auf Kampfbegriffe, in der die nichtkommunistische Kultur und ihre Vertreter schlechthin als Ausdruck feindlicher Herrschaftstechniken wahrgenommen wurden. Eine solche Ideologie gedieh indes auch deshalb, weil sie spiegelverkehrt so wirkte wie der irrationale Antikommunismus in den USA, der das Zerrbild eines umfassenden kommunistischen Verschwörernetzes zeichnete. Der Antiamerikanismus und ein solcher Antikommunismus (der nicht mit rationaler Kommunis-

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mus-Kritik zu verwechseln ist) aber waren keine Antipoden: Sie waren Brüder im gleichen Geiste, wenn auch im unterschiedlichen Gewand. Ein Brückenbau im Kalten Krieg war nicht möglich – und doch erschien in Hilde Eislers Magazin ein anderes Amerika als in den USA in Wort und Bild. Zudem war manches richtig in der Kritik der Rückkehrer an den Defiziten der USA: der ökonomischen Ungleichheit, dem Rassismus, einem teilweise rückständigen Gesundheitswesen oder der Anbetung von Gewalt in Teilen der Unterhaltungskultur. Manche Rückkehrer öffneten ihren Landsleuten Fenster in eine fremde Welt, andere halfen, diese Fenster zuzunageln. Ein Problem blieb lange bestehen: Die Remigranten waren „Fremdkörper“ in einem Land, dessen Menschen – nicht gänzlich, doch zum großen Teil – in der einen oder anderen Weise mit dem Hitler-Regime sympathisiert oder aus ihm Nutzen gezogen hatten. Wie im Westen, oder fast wie dort, machte auch im Osten dies die Remigranten zu Außenseitern; ein inoffizieller Status, der nie ganz zu überwinden war. Doch erlebten die Remigranten, nicht zuletzt die aus westlichem Exil zurückgekehrten Akademiker, einen (im Westen nicht möglichen) Aufstieg auf Kosten der alten bürgerlichen Elite, die in Teilen unter Hitler so versagt hatte und den Rückkehrern oft mit versteckter Feindschaft begegnete. Remigranten proletarischer Herkunft wie Daub oder Schreiner waren Parteifunktionäre geworden. Sie fanden kaum Kontakt zu den Arbeitern mehr. Es gab keinen gemeinsamen Vorrat an Erfahrungen, auch dann nicht, wenn viele Deutsche am Ende des Krieges selbst ihre Heimat verloren. Die kommunistischen Remigranten und Überlebenden des Nazi-Terrors waren ihrerseits tief miteinander zerspalten, als in den Partei-„Säuberungen“ offene Rechnungen des Exils und selbst der Weimarer Republik präsentiert wurden. Remigranten aus den USA waren (wenngleich nicht wie die Rückkehrer aus Mexiko und der Schweiz) Leidtragende dieser Entwicklung. Dabei wirkte auf sie ein doppelter Druck: Sie sollten sowohl biographische Brüche zugunsten einer kommunistischen Meistererzählung verschweigen und einebnen, wie auch die Erfahrungen des Exils den politischen Umständen gemäß anpassen. Auch dies schränkte die Wahrnehmung der USA jenseits geforderter Klischeebilder stark ein. Stefan Heyms Nachruf, ein Buch, das nur im Westen erschien, ließ sich keine andere Autobiographie vergleichbar an die Seite stellen. In dieser Schilderung seines Lebens entzog sich Heym als einziger der in der DDR verbliebenen Rückkehrer dem Anspruch der Partei auf alleinige Gestaltung nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Vergangenheit. Die Gründe, warum andere dies nicht taten, waren im Für und Wider so verschieden, wie die Menschen, die hier in Rede standen. Die DDR war ohne ihre herrschende Partei – und auch ohne ihre Staatsicherheit – nicht denkbar. Als beide wirkungslos wurden, zerfiel auch die DDR. Leben und Leistung der Menschen, die in und mit diesem Staat wirkten, sind aber in

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jedem Fall einzeln zu messen. Dies betrifft auch die Rückkehrer aus den USA. Ein bündiges Fazit ihres Lebens, ihrer Urteile und Fehlurteile, das wichtige Unterschiede einebnen würde, soll nicht gezogen werden. Doch war es nötig, über die Leistungen und Einsichten, Irrtümer und Illusionen der Rückkehrer hier zu berichten – gerade auch, weil es um eine gemeinsame Zukunft von Deutschen und Amerikanern in einer kleiner werdenden Welt geht, deren Probleme größer werden. Denn Zukunft braucht Erinnerung.

Deutsche kommunistische Exilanten in den USA 1934–1945: Biographien

Die Angaben stützen sich auf Akten im SED-Archiv, auf Archive der Universitäten Berlin und Leipzig, weiterhin auf Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, 3 Bde., München 1980; Jochem Černy u. a. (Hg.), Wer war wer – DDR. Ein biographisches Lexikon, 2. Aufl., Berlin 1992, sowie die auch im Internet verfügbare 5. aktualisierte Neuauflage von 2010, hg. von Hartmut Müller-Enbergs; auf Andreas Herbst u. a. (Hg.), So funktionierte die DDR, Bd. 3: Lexikon der Funktionäre, Reinbek 1994; Hermann Weber/Andreas Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004 (Ergänzungsband 2008, 2. Aufl. 2010); die Wikipedia-Artikel und die Einträge bei www.ddr-biographien.de sowie auf allgemeine Nachschlagewerke. Aufgenommen wurden 49 Personen, die ab 1934 (beginnend mit Elisabeth Hauptmann sowie Eva und Julius Lips) als politische (bzw. auch als jüdische) Flüchtlinge in die USA kamen, bis nach dem Zweiten Weltkrieg dort blieben, anschließend in die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR zurückkehrten. Über Ehepartnerinnen von Exilanten ist das Material oft nur spärlich. Nicht aufgenommen wurden politische Flüchtlinge, die nach ihrem Aufenthalt in den USA nach Mexiko weiterreisten und von dort nach Europa zurückkehrten wie Leo Katz, Otto Katz, Egon Erwin Kisch oder Anna Seghers sowie Personen, die im geheimen Auftrag der Sowjetunion in den USA arbeiteten (Klaus Fuchs und Joseph Gutsche). Ebenfalls nicht aufgenommen wurden Friedrich Karl Kaul, der aus Nikaragua in ein Lager für feindliche Ausländer in die USA überstellt wurde, Anselm Glücksmann, der als honduranischer Staatsbürger über die USA nach Deutschland zurückreiste, Willi Busch und Ludwig Arnold, die bereits 1923 in die USA ausgewandert waren und nach 1945 nach Ostdeutschland zurückkehrten, sowie Franz Loeser, der zwischen 1947 und 1951 in den USA studierte, dann in sein ursprüngliches Exilland Großbritannien ausgewiesen wurde und 1957 in die DDR kam. Berücksichtigung fanden jedoch F. C. Weiskopf und seine Frau Alex Wedding, die zunächst in die Tschechoslowakei zurückkehrten, aber 1953 in die DDR übersiedelten.

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Alexan, Georg Friedrich 12. Juli 1901, Mannheim (als Alexander Kupfermann) – 11. Januar 1995, Dornum, Ostfriesland. Beigesetzt in Berlin-Weißensee. Journalist, Buchhändler und Verleger. Sohn einer armen jüdischen Familie, die um 1900 aus der Czernowitzer Gegend nach Mannheim auswanderte. Früher Tod des Vaters. Mutter übernahm den ambulanten Handel, entwickelte daraus bis nach Ende des Ersten Weltkriegs mit Hilfe zweier Söhne das führende Möbelkaufhaus der Region. 1916 Lehre als kaufmännischer Angestellter, 1921–1931 Möbelhändler. Abendkurse an der Handelshochschule Mannheim. 1932 freier Schriftsteller in Paris, Liquidation des Mannheimer Geschäfts, Transfer des Gewinns aus Verkauf u. a. nach Paris, dort 1933 Gründung des Verlags Editions météore, der u. a. Wolfgang Hallgartens Buch Vorkriegsimperialismus herausbrachte. Verleger eigener Werke. 1937 auf einer Palästina-Reise Ehe nach jüdischem Recht mit Maria Krotz (1905–1951), Tochter einer Arbeiterfamilie, mit der er nach Paris ausgewandert war. 1937 Emigration (als Alexander Kupermann) nach New York, dort 1938 Gründung einer Buch- und Kunsthandlung. 1938 zweiter Sekretär der German American Writers League. 1938–1945 Leitungsmitglied der German American League for Culture. 1940 Gründer und kulturpolitischer Leiter der Tribune for Free German Culture (nach Spaltung der German American Writers League infolge des Hitler-Stalin-Paktes). 1942 Gestaltung der Sendung „Deutsches Panoptikum“ für Peter M. Lindts deutschen Exilrundfunk. 1942 Geburt der Tochter Irene (später verh. Runge). Ende 1944 mit Wieland Herzfelde Gründung und Leitung des Aurora-Verlages in New York. 1945–1949 Leiter der Tribune of Art Gallery und Herausgeber der Zeitschrift Tribune of Art, 1947–1949 Ko-Direktor des Verlages Touchstone Press in New York. Verhalf am 6. April 1949 Gerhart Eisler zur Flucht aus den USA. Mai 1949 Rückkehr nach Ostdeutschland. Eintritt in die SED. Juni-August 1949 Assistent am Franz-Mehring-Institut der Universität Leipzig. Oktober 1949 bis Januar 1950 Hauptreferent der Deutschen Wirtschaftskommission, danach Hauptreferent der Abteilung Presse im Amt für Information, dort Leiter der Unterabteilung USA und Imperialismus sowie Chefredakteur der Rundfunksendung Die Wahrheit über Amerika. 1950–1954 Chefredakteur der Zeitschrift USA in Wort und Bild. Seit 1955 freiberuflicher Übersetzer und Verlagslektor, Mitarbeiter beim Rundfunk, später beim Fernsehen. Vorsitzender des Paul-RobesonKomitees der DDR, Übersetzer von Robesons Autobiographie. 1961 Ruhestand. Freiberuflicher Journalist.

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Berlau, Ruth 24. August 1906, Kopenhagen – 15. Januar 1974, Berlin [DDR]. Schauspielerin, Fotografin und Schriftstellerin. Tochter eines wohlhabenden Konservenfabrikanten und Teppichgroßhändlers deutscher Herkunft. Besuch einer katholischen Schule. Schulabbruch nach Schwangerschaft mit 13 Jahren. Eine kurze Ehe endete mit einem Selbstmordversuch. Danach Gelegenheitsarbeiten und Zahnarzthelferin. 1926–1936 Ehe mit Medizinprofessor Robert Lund. Schauspielunterricht und Theaterauftritte in Kopenhagen. 1929/30 Aufenthalte in Paris und Moskau. 1930 Eintritt in die Kommunistische Partei Dänemarks. Schriftstellerische und fotografische Tätigkeit. 1933 Bekanntschaft, kurz danach Liebesbeziehung mit Bertolt Brecht. Verschiedene Tätigkeiten zur Unterstützung der Spanischen Republik. 21. Juli 1941 Einreise in die USA mit Brecht und seiner Familie. 1942–1943 Arbeit für das Office of War Information. Entlassung nach Bekanntwerden ihrer KP-Mitgliedschaft. Gelegenheitsjobs als Barfrau und Reinigungskraft. 2. September 1944 Geburt des Sohnes Michael (Vater: Bertolt Brecht), der unmittelbar darauf starb. Nervenzusammenbruch und psychiatrische Behandlung, anschließend zeitweise in Los Angeles in der Wohnung von Peter Lorre, der auch ihre Krankenhauskosten übernahm. In New York eine kurze Beziehung zu einem Dänen. 1945 längere Zeit in einer psychiatrischen Klinik. Anschließend wiederum Zusammenarbeit mit Brecht. Februar 1948 Ausreise nach Zürich, ab Juni in München, ab Oktober in Berlin, Archivleiterin des Berliner Ensembles. Arbeit u. a. als Regisseurin. 1950 erneute psychiatrische Behandlung. Nach Brechts Tod 1956 Hausverbot im Berliner Ensemble durch Helene Weigel. Tod im Krankenhaus durch einen von ihr unabsichtlich verursachten Zigarettenbrand.

Bloch, Ernst 8. Juli 1885, Ludwigshafen – 4. August 1977, Tübingen. Philosoph und Philosophiehistoriker. Sohn eines Eisenbahnbeamten jüdischer Herkunft. 1905–1908 Studium der Philosophie, Musik und Physik in München und Würzburg. 1908 Dr. phil. Daran anschließend freier Schriftsteller in Berlin, Heidelberg und München. 1917–1919 als Kriegsgegner in der Schweiz, danach wiederum freier Schriftsteller in Deutschland. 1933 Emigration in die Schweiz, 1934 nach Österreich, 1935 nach Frankreich, 1936 in die Tschechoslowakei. 1934 (in dritter Ehe) Heirat mit Karola Bloch, 1937 Geburt des Sohnes Jan Robert.

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April 1939 Emigration mit Frau und Sohn in die USA. Lebte in Cambridge (Massachusetts) zuerst von der Erwerbsarbeit seiner Frau, gab ab 1944 Kurse an einer Abendschule. 1948 Berufung zum Professor für Philosophie an die Universität Leipzig. 1949 Rückkehr und Aufnahme der Lehrtätigkeit. Bis 1957 Direktor des Instituts für Philosophie. Umfangreiche Publikationstätigkeit. 1953 Mitbegründer und Mitherausgeber der Deutschen Zeitschrift für Philosophie. 1957 nach parteiamtlichem Vorwurf des „Revisionismus“ Lehr- und (de facto) auch Publikationsverbot. Nach dem 13. August 1961 keine Rückkehr von einer Reise in die Bundesrepublik. 1961 Ständiger Gastprofessor in Tübingen, 1962 Ausschluss aus der Deutschen Akademie der Wissenschaften, 1989 rückgängig gemacht. In der Bundesrepublik politisches Engagement auf Seiten der revoltierenden Studenten 1968. Enge Zusammenarbeit mit der neomarxistischen Gruppe um die jugoslawische Zeitschrift Praxis. Mehrere Ehrendoktorate. Ab 1959 Publikation der Gesammelten Werke im Suhrkamp-Verlag in Frankfurt a. M. (16 Bände). Mehrere Ergänzungsbände und Interview-Publikationen. Ab 1985 erschienen einzelne Arbeiten Blochs wiederum in der DDR.

Bloch, Karola 22. Januar 1905 (geb. als Karola Piotrkowska), Lodz – 31. Juli 1994, Tübingen, Architektin. Tochter eines jüdischen Fabrikanten, mehrsprachig aufgewachsen. Im Ersten Weltkrieg in Russland, seit 1921 in Berlin. Studium der Architektur in Wien, Berlin (bei Bruno Taut und Hans Poelzig) und, nach ihrer Emigration 1933, in Zürich. Freundschaft und zeitweilige Liebesbeziehung mit Alfred Kantorowicz. 1934 Diplom als Architektin. 1932 Eintritt in die KPD. Nach 1933 illegale Reisen nach Deutschland im nachrichtendienstlichen Auftrag der Sowjetunion, Unterstützung illegaler KPD-Genossen und Fluchthelferin. 1934 Ehe mit Ernst Bloch. 1935 Emigration nach Frankreich, 1937 in die Tschechoslowakei, dort 1937 Geburt des Sohnes Jan Robert. April 1939 Emigration mit Frau und Sohn in die USA. Lebte in Cambridge (Massachusetts), u. a. als Lehrerin, Übersetzerin und Haushaltshilfe, konnte aber auch zeitweilig in ihrem Beruf als Architektin arbeiten. 1949 Rückkehr nach Ostdeutschland. SED-Mitglied. Lebte mit ihrer Familie in Leipzig und arbeitete in Berlin an der Deutschen Bauakademie, entwarf dort Gebäude für Kinderkrippen und Kindergärten. 1957 Ausschluss aus der SED, nachdem sie gegen die „Revisionismus“Vorwürfe, die gegen ihren Man erhoben wurden, protestiert hatte. Nach dem 13. August 1961 keine Rückkehr von einer Reise in die Bundesrepublik. Ihr Sohn, der

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zu dieser Zeit in England war, hatte mitgeteilt, er werde nicht in die DDR zurückkehren. Ernst und Karola Bloch lebten seitdem in Tübingen. Dort gründete Karola Bloch den Verein Hilfe zur Selbsthilfe für die Betreuung entlassener Strafgefangener und blieb in linken Bürgerinitiativen aktiv. 1991 Eintritt in die SED-PDS.

Boenheim, Felix 17. Januar 1890, Berlin – 31. Januar/1. Februar 1960, Leipzig. Mediziner (Internist) und Wissenschaftspolitiker. Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns. Neffe des SPD- und USPDPolitikers Hugo Haase. Schulbesuch in Berlin (Goethe-Realgymnasium in BerlinWilmersdorf). 1909–1914 Studium der Medizin in München, Freiburg (Breisgau) und Berlin, dort Promotion bei Friedrich Kraus und Theodor Brugsch. Anschließend Arzt im Festungslazarett Graudenz. 1914–1916 Militärarzt. Als Pazifist zum einfachen Soldaten degradiert. 1916– 1918 Assistenzarzt an der Universitätsklinik Rostock. 1918 Assistenzarzt in Nürnberg, dort Wahl in den Arbeiter- und Soldatenrat, lehnte das Amt des Justizministers in der zweiten Münchner Räterepublik ab, arbeitete mit Gustav Landauer ein Kulturprogramm der Räterepublik aus. 1919–1921 Assistenzarzt in Stuttgart, 1921–1929 eigene Praxis als Internist in Berlin, 1929–1933 Leitender Arzt der Zweiten Inneren Abteilung des Hufeland-Krankenhauses in Berlin. 1923 Mitbegründer der Gesellschaft der Freunde des Neuen Russland. Stand der KPD nahe, ohne ihr beizutreten. 1926 Mitbegründer der Liga gegen Kolonialgreuel (1927 Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit). 1932 Mitglied des Vorbereitungskomitees zur Einberufung des Amsterdamer Antikriegskongresses, zu dessen Präsidenten er gewählt wurde. Populärwissenschaftliche Schriften im Malik-Verlag. Mit Willi Münzenberg, Ruth Fischer und Arkadij Maslow befreundet. Februar-August 1933 Inhaftierung in Berlin-Spandau, daran anschließend Emigration in die Schweiz, von dort nach Frankreich und Großbritannien, 1935 kurzzeitig nach Palästina, von dort wieder nach Frankreich, dort 1938 (in dritter Ehe) Heirat mit der Ärztin Margarete Bechhöfer. Boenheim hatte vier Kinder aus seinen Ehen. 18. Dezember 1935 Emigration in die USA. Nach erneutem Examen Niederlassung in eigener Praxis in New York. 1941 US-Staatsbürger. 1939 in New York mit Arthur Rosenberg und Alice Rosenfeld Gründung der Unabhängigen Gruppe deutscher Emigranten, 1942 Mitbegründer der German American Emergency Conference, 1943 Wahl zum Präsidenten nach Kurt Rosenfelds Tod, 1944 Mitinitiator und Mitbegründer des Council for a Democratic Germany. 1947 Gründung des Eisler Defense Committee.

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1949 Rückkehr nach Ostdeutschland, Eintritt in die SED. 1949 Berufung als Professor für Innere Medizin an die Universität Leipzig, 1955 Umberufung zum Professor für Geschichte der Medizin. 1950 kurzzeitig Abgeordneter des Sächsischen Landtages. 1951 Präsidiumsmitglied des DDR-Friedensrates, mehrere weitere wissenschaftspolitische Funktionen. Verstarb in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 1960.

Boenheim, Margarete 15. März 1907, Göppingen (als Margarete Bechhöfer) – 4. November 1996, Leipzig, Ärztin. Stammte aus jüdischer Familie. 1918–1927 Besuch des Gymnasiums in Stuttgart. 1927–1933 Studium der Medizin in Tübingen, München, Freiburg/Br. (dort 1929 Physikum), Berlin, Wien, Prag und wiederum Berlin. Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes und des Kommunistischen Studentenverbandes. 1932 Promotion bei Paul Diepgen am Institut für Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften der Universität Berlin. 1933 Nichtuzlassung zum praktischen Jahr. 1934 Emigration nach New York; im Exil parteilos, aber zunehmend Annäherung an die KPD. 1934–1936 Assistenzärztin am Metropolitan Hospital, 1936–1938 am Elton Hospital, einer Privatklinik für Geburtshilfe. Ab 1938 Leiterin von Sexualberatungsstellen in Harlem und der Bronx. 1938 Ehe mit Felix Boenheim, 1940 USStaatsbürgerin, 1948 Geburt der Tochter Annette. Mitarbeit am German American. April 1949 Rückkehr mit ihrer Familie nach Ostdeutschland. Eintritt in die SED. In Leipzig als Ärztin tätig, ab 1951 Leiterin des Referats „Mutter und Kind“ beim Rat der Stadt. Ab 1953 beim Rat des Bezirks Leipzig zuständig für den Bau und die gesundheitliche Überwachung von Kindergärten und Kinderkrippen. 1956–1959 wissenschaftliche Assistentin am Hygiene-Institut der Universität Leipzig. 1960–1985 Schul- und Jugendärztin, Mitglied der Kommission Schwangerschaftsunterbrechung bei der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen der Stadt Leipzig. Blieb nach 1990 Mitglied der PDS.

Brecht, Bertolt 10. Februar 1898, Augsburg (als Eugen Berthold Friedrich Brecht) – 14. August 1956, Berlin [DDR]. Schriftsteller. Sohn eines kaufmännischen Angestellten. 1917 Notabitur und Beginn des Studiums für Medizin und Naturwissenschaften an der Universität München.

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1. Oktober 1918 Einzug als Lazarettsoldat, November 1918 Mitglied des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrates. 1920 Übersiedlung nach München, 1924 nach Berlin. 1922 Uraufführung seines Stückes Trommeln in der Nacht und Buchausgabe seines Stückes Baal. 1922–1927 Ehe mit der Opernsängerin Marianne Zoff. 1922 Bekanntschaft mit Helene Weigel, die er 1929 heiratete und mit der er trotz zahlreicher Verbindungen mit anderen Frauen verheiratet blieb. Vater von drei (überlebenden) Kindern, darunter einer Tochter mit Helene Weigel. 1927 Mitarbeit am Theater Erwin Piscators in Berlin. Zahlreiche Stücke und Texte für Opern (u. a. Die Dreigroschenoper, 1928; Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 1929; Die Maßnahme, 1930; Die heilige Johanna der Schlachthöfe, 1931 – angegeben ist jeweils das Jahr der ersten Drucklegung), 1932 Uraufführung des Films Kuhle Wampe, für den Brecht mit Ernst Ottwalt und Slatan Dudow das Drehbuch schrieb. 28. Februar 1933 Emigration über Prag nach Wien, die Schweiz und Dänemark. 1935 Teilnahme am Ersten Internationalen Schriftstellerkongress in Paris. 1939 Emigration nach Schweden, 1940 nach Finnland. Im Exil umfangreiche schriftstellerische Arbeit, u. a. Die Gewehre der Frau Carrar (1937); Furcht und Elend des Dritten Reichs (1938); Mutter Courage und ihre Kinder (1939/41); Der gute Mensch von Sezuan (1939); Herr Puntila und sein Knecht Matti (1940). 21. Juni 1941 Einreise (über die Sowjetunion) in die USA. Dort entstanden weitere Werke: Die Gesichte der Simone Machard (1941/56, mit Lion Feuchtwanger); Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (1941/57); Schwejk im zweiten Weltkrieg (1943/47); Der kaukasische Kreidekreis, (1944/49). 1944 Mitinitiator des Council for a Democratic Germany. Publizistische Angriffe von Ruth Fischer gegen ihn. 1947 Fertigstellung der zweiten Fassung des Galileo Galilei. 30. Oktober 1947 Befragung durch das House Un-American Affairs Committee in Washington. 31. Oktober 1947 Abreise aus den USA nach Zürich. Oktober 1948 Übersiedlung in den sowjetischen Sektor von Berlin, dort Hauptspielleiter des Berliner Ensembles. Lebte in Berlin und Buckow (Märkische Schweiz). 12. April 1950 Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Salzburger Landesregierung an den bisher Staatenlosen. 1950 Mitbegründer und 1954 Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste. 1953 Präsident des PEN-Zentrums Ost und West.

Budzislawski, Hermann 11. Februar 1901, Berlin – 28. April 1978, Berlin [DDR]. Journalist und Hochschullehrer. Sohn eines Fleischermeisters und Schächters. Besuch der Knabenschule der Berliner Jüdischen Gemeinde und anschließend der Oberrealschule. 1919–1923 Stu-

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dium der Staatswissenschaften und Nationalökonomie in Berlin, Würzburg und Tübingen. 1923 Dr. rer. pol. in Tübingen mit einer Arbeit über Eugenik. Ein Beitrag zur Ökonomie der menschlichen Erbanlagen, danach kaufmännischer Angestellter und Hauslehrer. Seit 1924 Redakteur und Mitarbeiter deutscher und ausländischer Fachzeitschriften, darunter der Industrial and Trade Review for India. Freier Mitarbeiter des Nachtexpress und der Weltbühne. 1929–1933 SPD-Mitglied. Heirat mit Johanna B. (1901–1979), ein Sohn, eine Tochter. 1933 Emigration nach Zürich, 1934 nach Prag, dort Herausgeber der Weltbühne, wobei seine Frau einen guten Teil der Redaktionsarbeit leistete. 1935 Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft. 1935 in Prag Vorsitzender des Deutschen Volksfrontkomitees. Mai 1938 Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft, im gleichen Jahr Flucht nach Frankreich. Dort am 21. Juni 1940 Internierung, da die französischen Behörden ihn nach der Okkupation der Tschechoslowakei als Deutschen ansahen. Zwangsaufenthalt im Lager Maisons-Laffitte bei Paris, in der Normandie (Athis und Damigny-sur-Orne) und in Bassens bei Bordeaux. Über Portugal Emigration in die USA. Ankunft am 13. Oktober 1940 in Ellis Island. In New York Arbeit für Dorothy Thompson, daneben und danach für die Nachrichtenagentur Overseas News Agency (ONA). Erwerb der US-Staatsbürgerschaft. Lebte mit seiner Familie auch zeitweise in Dorothy Thompsons Landhaus Twin Farms in Barnard (Vermont). Mitarbeit am Council for a Democratic Germany. August 1948 Rückkehr nach Ostdeutschland, Eintritt in die SED, Professor mit Lehrstuhl für Internationales Pressewesen an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und Direktor des Instituts für Publizistik der Universität Leipzig, das 1950 in der SED-Kampagne gegen „Westemigranten“ geschlossen wurde. 1950/51 Prodekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, 1951–1953 Professor mit Lehrstuhl für Publizistik und Zeitungswissenschaften und 1953– 1966 für Geschichte an der Fakultät für Journalistik. 1954–1963 Dekan der Fakultät für Journalistik. 1960–1967 Direktor des Instituts für Theorie und Praxis der Pressearbeit (ab 1966 Institut zur Erforschung des Zusammenwirkens der Massenkommunikationsmittel). 1958–1966 Abgeordneter der Volkskammer. 1963 Präsident der UNESCOKommission der DDR. 1966 Ehrenpromotion in Leipzig. 1967–1971 Herausgeber und zeitweiliger Chefredakteur der Weltbühne.

Daub, Philipp 21. Januar 1896, Burbach b. Saarbrücken – 14. Juli 1976, Berlin [DDR]. Maschinenschlosser, KPD-Politiker.

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Sohn eines Hüttenarbeiters. Nach Grundschule 1912–1915 Besuch einer technischen Fachschule. Ausbildung zum Maschinenschlosser. 1916–1918 Militärdienst. 1918 Mitglied der Gewerkschaft und Eintritt in die USPD, ab 1921 KPDMitglied. 1919–1921 Metallarbeiter. Heirat mit Else, geb. Steinfurth (3. Juli 1906 – 21. November 1984). Ab 1921 hauptamtlicher KPD-Funktionär. Geschäftsführer des Verlags der Parteizeitung in Saarbrücken. 1924–1931 Stadtverordneter in Saarbrücken, 1926 Mitglied des Landesrats Saarland. 1927 Org.-Leiter und 1928–1930 Polit.-Leiter des KPD-Bezirkes Saar. 1929 Kandidat des ZK der KPD. April 1931 Polit.-Leiter des KPD-Bezirkes Hessen-Frankfurt, nach Absetzung wegen angeblichen „Verstoßes gegen die ZK-Linie“ im Oktober 1932 ZK-Instrukteur, 1932–1933 Leiter der Abteilung Land und Forst des ZK der KPD. November 1932–März 1933 Reichstagsabgeordneter. April 1933 Oberberater der KPD für Mitteldeutschland, 1934 unter dem Decknamen „Christian“ Mitglied der illegalen KPD-Landesleitung Mitteldeutschland und Leiter des Oberbezirkes Mitte. August 1934 Beauftragter des Politbüros zur Arbeit im Saargebiet. 1935/36 im Parteiauftrag in die Niederlande, Abschnitts-Leiter West in Amsterdam. Oktober 1935 Mitglied der Kontrollkommission des ZK der KPD. 1936– 1941 in Frankreich Beauftragter der illegalen KPD-Leitung in Paris und Leiter der Grenzarbeit für Westdeutschland. 1936 Übernahme der Auslandsleitung der Roten Hilfe Deutschlands in Paris; 1937/38 publizistische Arbeit (Pseudonym Philipp Horn). Aug. 1939 aus Frankreich ausgewiesen und in Paris verhaftet, Sept. 1939–Mai 1941 Internierung in Paris (La Santé, Einzelhaft) und im Stade Roland Garros (Camp des indésirables), vom Oktober 1939–Februar 1941 im Lager Le Vernet, später in Les Milles. 1941 Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft. Mai 1941 mit mexikanischem Visum Ausreise aus Frankreich, Weiterfahrt in New York verweigert. Aug. 1941–Oktober 1946 in New York. Arbeit in der Metallindustrie. 1941 und ab 1944 in der KPD-Gruppe tätig. Oktober 1946 Rückreise in die UdSSR, von dort im Dezember 1946 Weiterreise nach Berlin. 1947–1948 Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für Umsiedler. In Berlin 1949 Geburt der Tochter Helga, später verheiratete Nachtigall. 1948–1950 Leiter der Abteilung Personalpolitik bzw. Kader beim Parteivorstand der SED. 1950–1961 Oberbürgermeister von Magdeburg. 1950–1951 Abgeordneter des Landtages von Sachsen-Anhalt. Nach dem 17. Juni 1953 Konflikte mit der SED-Führung wegen ihm vorgeworfener Nachsicht mit den streikenden Magdeburger Arbeitern.

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Fernstudium und Studium an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR in Potsdam-Babelsberg, Fachrichtung Staatliche Verwaltung, 1952 Diplom, 1955 Staatsexamen. 1961–1964 Präsident der Liga für Völkerfreundschaft, seit 1964 Rentner, aber weiterhin Präsidiumsmitglied der Liga.

Dessau, Paul 19. Dezember 1894, Hamburg – 28. Juni 1979 Königs Wusterhausen. Komponist. Sohn eines Zigarrenfabrikanten, Großvater und Urgroßvater waren Kantoren der Jüdischen Gemeinde Hamburg. 1910 Besuch des Konservatoriums in Berlin. Erste Komposition als Sechzehnjähriger. 1912 Korrepititor am Hamburger Stadttheater und kurzzeitig auch 2. Operettenkapellmeister in Bremen. 1915–1918 Kriegsdienst. 1919–1933 Kapellmeister in Hamburg, Köln, Mainz und an der Städtischen Oper Berlin. 1924 Heirat mit der Schauspielerin Gudrun Kabisch, zwei Kinder (Eva und Peter). 1938 Scheidung. Mitarbeit an siebzehn Tonfilmen als Komponist, darunter an Arnold Fancks Stürme über dem Montblanc (1930) und Der weiße Rausch (1930). 1933 Emigration nach Paris, dort kompositorische Arbeit u. a. für Filme von Max Ophüls und Robert Siodmak. 1936 durch René Leibowitz Einführung in die Zwölftonmusik. 1939 Emigration in die USA. Arbeit als Musiklehrer in einem Kinderheim, dann in einer Musikschule, als Kopist bei einem Verlag sowie einer Hühnerfarm in New Brunswick (New Jersey). Seit 1943 Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht. Vertonungen Dessaus für Brechts Gedichte Grabschrift für Gorki und Lied einer deutschen Mutter. Herbst 1943 Umzug nach Santa Monica (Kalifornien), um besser mit Brecht arbeiten zu können. Anstellung als Filmkomponist bei Warner Brothers. 1948 Heirat von Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann (1951 Scheidung). Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft. 1946 Mitglied der KP der USA. 1948 Rückkehr nach Berlin. Eintritt in die SED. 1952 dritte Ehe mit der Schauspielerin Antje Ruge (1954 Scheidung), 1954 vierte Ehe mit der Regisseurin Ruth Berghaus, ein Sohn (Maxim). Arbeit als freischaffender Komponist. Musik zu mehreren Bühnenwerken Brechts. 1952 Mitglied, 1957–1962 Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste. Lehrtätigkeit an der Staatlichen Schauspielschule Berlin, dort 1959 Ernennung zum Professor. 1974 Ehrendoktorat der Universität Leipzig.

Biographien

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Deter, Adolf 23. Juni 1900, Czarnikau (Westpreußen) – 14. November 1969, Berlin [DDR]. Schlosser, KPD-Politiker. Sohn eines Arbeiters. Nach Volksschulbesuch in Berlin Ausbildung zum Schlosser. 1916 Mitglied des Transportarbeiterverbandes. 1918 Militärdienst und Teilnahme an der Novemberrevolution. Maschinenarbeiter bei der AEG und der Berliner Straßenbahn, dort auch Betriebsratsvorsitzender. 1918 USPD, 1920 KPD. Ehefrau: Maria Deter (1900–1967). 1925 Berliner Stadtverordneter, 1926 Mitglied der KPD-Bezirksleitung. 1928–1933 Abgeordneter des Preußischen Landtages. Gehörte 1928 mit Gerhart Eisler zur „Versöhnler“-Gruppe der KPD. 1929 Sekretär der Unterbezirksleitung Frankfurt (Oder), 1930 Bezirksleiter Hamburg der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition. 1932 einer der Organisatoren des Berliner Verkehrsarbeiterstreiks. 1933 Mitglied der illegalen Reichsleitung der KPD (Pseudonym: Walter Kother). Herbst 1933 Emigration nach Dänemark. 1934 Sekretär der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter. 1936 Emigration nach Antwerpen. 1939 Teilnahme an der „Berner Konferenz“ der KPD in Draveil bei Paris. 1939–1941 Internierung in verschiedenen französischen Lagern, u. a. in Le Vernet. Mai 1941 auf dem Weg nach Mexiko in Ellis Island festgehalten, seitdem in New York. Dort Arbeit als Dreher. 1941 und ab 1944 Mitarbeit in der Leitung der KPD-Gruppe. Oktober–Dezember 1946 über Odessa Rückkehr nach Berlin. Mitglied des Berliner SED-Landesverbandes (1947 Sekretär, 1948–1949 2. Vorsitzender). 1947–1950 Mitglied des SED-Parteivorstandes. 1949–1951 Vorsitzender des FDGB-Landesverbandes Berlin, 1949–1954 Abgeordneter der Volkskammer, 1950–1954 Kandidat des ZK der SED, 1951–1954 Sekretär des FDGBBundesvorstandes. Wegen angeblich „kapitulantenhaftem“ Verhaltens am 17. Juni 1953 parteioffizielle Kritik und ein Jahr später nicht wieder ins ZK gewählt. 1954–1962 Mitarbeiter, ab 1958 Sekretär des Ausschusses für die deutsche Einheit. 1962 Rentner. 1963 Mitglied des DDR-Friedensrates, 1964 Vorstandsmitglied der Liga für Völkerfreundschaft.

Duncker, Hermann 24. Mai 1874, Hamburg – 22. Juni 1960, Bernau bei Berlin. Historiker, Publizist und Hochschullehrer.

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Sohn eines Kaufmanns. Gymnasialbesuch in Göttingen und Goslar. 1891–1896 Studium der Musikwissenschaften am Konservatorium in Leipzig, 1893 Eintritt in die SPD. 1896–1902 Studium der Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie an der Universität Leipzig. 1898 Ehe mit Kate geb. Döll, zwei Söhne: Karl (1903–1940, zuletzt Professor für Psychologie am Swarthmore College in Pennsylvania, starb durch Selbstmord), Wolfgang (1909–1942, umgekommen in sowjetischer Lagerhaft), eine Tochter (Hedwig, geb. 1898–1994, Ärztin). 1902 Promotion in Leipzig bei Karl Bücher und Karl Lamprecht. Dissertationsthema: Das mittelalterliche Dorfgewerbe, mit Ausschluss der Nahrungsmittelindustrie, nach den Weistumsüberlieferungen, anschließend Redaktionsvolontär bei der Leipziger Volkszeitung. 1902–1907 Leiter des Arbeitssekretariats in Leipzig und Dresden, 1907 Umzug nach Stuttgart. 1906–1914 Lehrtätigkeit im Rahmen der SPD-Bildung, zunächst als Wanderlehrer, ab 1912 an der Zentralen Parteischule in BerlinFriedenau. 1915–1918 Militärdienst als Landsturmmann. 1915 Mitglied der Gruppe Internationale, 1916 Mitbegründer der Spartakusgruppe, 1917 USPD, 1918 Spartakusbund und Teilnahme an der Novemberrevolution (1919 kurzzeitig verhaftet), 1918/19 Mitbegründer der KPD, bis 1919 Mitglied der KPD-Zentrale. 1920–1933 Lehrtätigkeit in der KPD, 1923 Berufung an die Reichsparteischule der KPD, ab 1926 Leiter der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) in Berlin. Februar-November 1933 Inhaftierung im Berliner Columbia-Haus, in Spandau und Brandenburg. 1936 Exil in Dänemark, 1937 in England, 1938 in Frankreich, wo er an der Deutschen Volkshochschule unterrichtete. Anfang Mai 1941 Internierung in Marokko. 24. September 1941 Ankunft in New York. Lebte mit Käte Duncker in Swarthmore und Haverford (Pennsylvania) sowie in Tuxedo Park (New York). Mitarbeit im Council for a Democratic Germany. 17. Mai 1947 Rückkehr nach Ostdeutschland und Eintritt in die SED. September 1947 Professur für Geschichte der sozialen Bewegungen und Dekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Rostock. Februar 1949–Juni 1960 Direktor bzw. Rektor der Bundesschule des FDGB (ab 1952 Hochschule der deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“) in Bernau bei Berlin. 1954 Ehrendoktorat der Universität Leipzig. 1955 Mitglied des FDGBBundesvorstandes.

Biographien

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Duncker, Käte 23. Mai 1871, Lörrach (als Paula Kathinka Döll) – 2. Mai 1953, Bernau bei Berlin. Lehrerin. Nach dem Tod des Vaters Umzug mit der Mutter 1877 nach Friedrichroda (Thüringen), dort 1880 Besuch der Höheren Töchterschule. 1888–1890 Ausbildung im Lehrerinnenseminar in Eisenach. 1893–1896 Lehrerin an Höherer Mädchenschule in Leipzig, in Friedrichroda und 1897–1898 in Hamburg. Gab ab 1894 Kurse im Leipziger Arbeiterbildungsverein und in der Gesellschaft für ethische Kultur. 1898 Ehe mit Hermann Duncker, zwei Söhne, eine Tochter. 1898 Eintritt in die SPD. 1906 Tätigkeit in der Arbeiterbildung in Dresden, ab 1907 in Stuttgart, dort Redakteurin der Zeitschrift Gleichheit und Freundschaft mit Clara Zetkin. Publizistische Tätigkeit. 1910 Teilnahme an der internationalen Frauenkonferenz im Rahmen des Kongresses der Zweiten Internationale in Kopenhagen. 1912 Umzug nach Berlin und Arbeit im SPD-Bildungsausschuss. 1915 Mitglied der Gruppe Internationale, 1916 Mitbegründerin der Spartakusgruppe, 1917 USPD, Teilnahme an den internationalen sozialistischen Frauenkonferenzen 1915 in Berlin und 1917 in Stockholm, 1918 Spartakusbund, 1918/19 Mitbegründerin der KPD, bis 1919 Mitglied der KPD-Zentrale. 1919 aufgrund des Freikorps-Terrors kurzzeitige Flucht nach Dänemark und Schweden. 1920 (Teil-)Umzug nach Friedrichroda, 1921–1923 KPD-Landtagsabgeordnete in Thüringen. März–Juli 1924 in der Sowjetunion, danach pädagogische Tätigkeit im Rahmen der KPD. 1933 Umzug nach Friedrichroda, dort Unterhalt einer Pension in ihrer Wohnung. Januar 1939 Emigration in die USA. Lebte (ab 1941 mit Hermann Duncker) in Swarthmore und Haverford (Pennsylvania) sowie in Tuxedo Park (New York), arbeitete als Hauswirtschafterin und Hauslehrerin. 17. Mai 1947 Rückkehr nach Ostdeutschland, lehnte Eintritt in die SED ab. Lebte mit Hermann Duncker in Berlin und ab 1949 in Bernau.

Eisler, Gerhart 20. Februar 1898, Leipzig – 31. März 1968 Jerewan. Journalist und KPDPolitiker.

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Sohn des österreichisch-jüdischen Philosophen Rudolf Eisler. Geschwister: Hanns Eisler und Ruth Fischer (eigentlich Elfriede Eisler) Aufgewachsen in Wien, dort Besuch der Volksschule und des Gymnasiums. 1914–1918 Militärdienst. Journalistische Tätigkeit. 1918 Mitbegründer der KP Österreichs. 1919 Ehe mit der Schauspielerin Hedwig (Hede) Tune (1900–1981), die 1923 geschieden wurde. 1921 Übersiedlung nach Berlin, seitdem KPD-Funktionär. 1923–1933 Ehe mit Ella Tune (Schwester seiner ersten Frau), 1931 Geburt der Tochter Anna. 1923 Chefredakteur der Roten Fahne. 1927 Kandidat des Politbüros. 1928 als „Versöhnler“ parteiinterner Gegner Ernst Thälmanns. Ende 1928/Anfang 1929 Verlust der Parteifunktionen und Entsendung nach Moskau; dort im Apparat der Komintern tätig. Bis 1931 zur „Bewährung“ als Komintern-Emissär in China, danach vorwiegend in Moskau. 1933–1936 unter dem Namen Edwards (illegal arbeitender) Vertreter der Komintern bei der KP der USA. 1935 Vertreter der KP der USA auf dem VII. Weltkongress der Komintern. 1937 in Paris Mitglied der KPD-Auslandsleitung und Chefredakteur der KPD-Zeitschrift Die Internationale, 1937–1939 Leitung des Deutschen Freiheitssenders 29,8 in Spanien, danach wieder in Frankreich. August 1939 Verhaftung und bis 1941 Internierung im Lager Le Vernet und Les Milles. Über Trinidad Ankunft am 13. Juni 1941 in Ellis Island, dort bis September festgehalten. Nach Einreise in New York Kontakte zur KP der USA und Mitarbeit am Barsky-Komitee zur Unterstützung antifaschistischer Flüchtlinge. 1941 und ab 1944 leitende Mitarbeit in der KPD-Gruppe New York. 1942 Ehe mit Hilde Eisler. Seit 1943 Redakteur und (anonymer) Mitarbeiter der Zeitschrift The German American. 1944 öffentliche Angriffe gegen ihn durch seine Schwester Ruth Fischer. 1945 mit Albert Norden und Albert Schreiner Publikation des Buches The Lesson of Germany. 4. Februar 1947 Verhaftung wegen falscher Angaben bei seiner Einwanderung (Verschweigen der KPD-Mitgliedschaft), 6. Februar Befragung vor dem HUAC (unmittelbar nach der Befragung sagte seine Schwester Ruth Fischer gegen ihn aus). Februar-April 1948 Verhaftung und Internierung auf Ellis Island. 5. Mai 1949 Flucht nach drohender erneuter Verhaftung über England (Southampton) und Prag nach Ostdeutschland (Ende Mai in Dresden, ab Juni in Berlin).

Biographien

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1949 Berufung als Professor für soziale und politische Fragen der Gegenwart an die Universität Leipzig. 1949–1950 Mitglied der (Provisorischen) Volkskammer und des Parteivorstandes der SED. 1949–1952 Leiter des Amtes für Information beim Ministerrat der DDR. Februar 1951 Verlust aller Ämter und öffentliche „Selbstkritik“ aufgrund seines angeblichen Fehlverhaltens als „Versöhnler“ 1928. 1955 Rehabilitierung. 1956–1962 Stellvertretender Vorsitzender bzw. Vorsitzender des Staatlichen Rundfunkkomitees beim Ministerrat der DDR. 1963 Ehrendoktorat der Universität Leipzig. 1967 ZK-Mitglied. Starb auf einer UdSSR-Reise.

Eisler, Hanns 6. Juli 1898, Leipzig (als Johannes Eisler) – 6. September 1962, Berlin [DDR]. Komponist. Sohn des österreichisch-jüdischen Philosophen Rudolf Eisler. Geschwister: Gerhart Eisler und Ruth Fischer (eigentlich Elfriede Eisler) Aufgewachsen in Wien, dort Besuch der Volksschule und des Gymnasiums. 1916–1918 Militärdienst. 1919–1923 Studium am Wiener Konservatorium, seit 1923 Privatschüler von Arnold Schoenberg. 1920 bis 1935 Ehe mit der Sängerin Charlotte geb. Demandt (1894–1970). Ein Sohn, Georg (1928–1998), später ein berühmter Maler. 1925 Umzug nach Berlin, dort als Klavierlehrer tätig. Kompositionen für Arbeiterchöre und Agitprop-Gruppen. Lehrtätigkeit an der MASCH, Musikkritiken in der Roten Fahne. Enge Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht, u. a. für den Film Kuhle Wampe (1932). Befand sich zur Zeit der Machtübernahme Hitlers 1933 in Wien. Trennung von seiner Frau und Beziehung mit Hedi Guttmann sowie seit Ende 1933 mit Louise (Lou) Jolesch (1906–1998), die er 1937 heiratete. Reisen und Dirigate in Europa. Lebte ab 1933 in Paris, ab 1934 in London. Februar–Mai 1935 Konzertund Vortragstournee durch die USA, große öffentliche Erfolge. Juni 1935 Mitwirkung an der Arbeiter-Gesangsolympiade in Moskau. Oktober 1935 bis Anfang 1936 Gastprofessor für Kompositionslehre an der New School for Social Research in New York. Ab 1937 Arbeit für die Internationalen Brigaden in Spanien. 20. Januar 1938 Emigration in die USA mit zunächst nur einem auf sechs Monate befristetem Besuchervisum, das er verlängern lassen konnte. Erneute Lehrtätigkeit an der New School for Social Research. März 1938 Ausweisung aus den USA nach Mexiko. 11. September 1939 Wiedereinreise in die USA mit einem Besuchervisum. 17. Juli 1940 Haftbefehl wegen Überschreitung der genehmigten Aufenthaltszeit in den USA und Ausreise nach Mexiko. Dort (aufgrund des Fehlers eines amerikanischen Konsularbeamten) Erhalt eines Dauervisums.

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22. Juni 1940 Wiedereinreise in die USA nach New York, lebte ab dem 20. April 1942 im Raum Los Angeles, seit 1943 in Pacific Palisades. Komposition von Filmmusiken. 1944 Gastprofessur an der University of Southern California. Schrieb 1947 zusammen mit Theodor W. Adorno das Buch Komposition für den Film. Nach Anschuldigungen seiner Schwester Ruth Fischer Verhöre durch das HUAC am 11. Mai 1947 in Los Angeles und vom 24.–26. September 1947 in Washington. Oktober 1947 Bildung eines Komitees zur Verteidigung Hanns Eislers unter Aaron Copland und Leonard Bernstein. 12. Februar 1948 Ausweisung aus den USA, 28. März Ausreise über London und Prag nach Wien (Eintreffen am 1. April). Arbeit für das Scala-Theater. 22. Juni 1949 Übersiedlung nach Ostberlin unter Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft und einer Wohnung in Wien. 1949 Komposition der DDR-Nationalhymne. 1950 Professorentitel und Mitglied der Deutschen Akademie der Künste, leitete dort die Meisterklasse für Komposition. Konflikt mit der SED-Kulturpolitik wegen des Librettos und der nur in Teilen fertiggestellten Oper Johann Faustus. 1955 Scheidung von Lou Eisler und Ehe mit Stephanie Wolf.

Eisler, Hilde 28. Januar 1912, Tarnopol (als Brunhilde Rothstein) – 8. Oktober 2000, Berlin. Journalistin. Tochter eines Kaufmannes polnisch-jüdischer Herkunft, wuchs in Frankfurt a. M. auf und erlernte den Beruf einer Buchhändlerin. 1930 Übersiedlung nach Berlin, bis 1934 Mitarbeiterin des Marx-Engels-Verlages. 1931 KPD-Mitglied. 1934–1935 illegale Kurierdienste für die KPD zwischen Deutschland und der Schweiz. 1935 Verhaftung und einjährige Gefängnisstrafe, anschließend als polnische Staatsbürgerin Ausweisung nach Polen. 1937 Emigration aus Polen nach Frankreich. Im Spanienkrieg Mitarbeit am Deutschen Freiheitssender 29,8, dabei Begegnung mit Gerhart Eisler. Lebte seit Mitte 1940 in Marseille. 6. Mai 1941 Abreise mit Gerhart Eisler aus Marseille. Über Trinidad Ankunft am 13. Juni 1941 in Ellis Island. Arbeit in einer Fabrik, einem Kindergarten, Buchhalterin bei der Gewerkschaft der Konfektionsarbeiter, zeitweilig Arbeit im Büro der jugoslawischen Kriegshilfe. Nach Gerhart Eislers Flucht im Februar 1949 Verhaftung von Hilde Eisler. 22. Juni 1949 Ausweisung aus den USA mit Deportationsbescheid Rückkehr über London, Kopenhagen und Warschau nach Ostberlin.

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Niederlassung in Berlin und journalistische Arbeit in der DDR. 1952–1953 Stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Friedenspost (Chefredakteur: Lex Ende), 1953 Mitbegründerin und Leiterin der Kulturredaktion der Zeitschrift Wochenpost. 1955–1979 Chefredakteurin der Zeitschrift Das Magazin.

Friedeberger, Walter Axel 25. September 1898, Breslau (bis 1951 Fräser-Friedenberger) – 14. Mai 1967, Berlin [DDR]. Mediziner, Gesundheitspolitiker. Sohn eines jüdischen Kaufmanns und einer Schauspielerin, wuchs in BerlinPrenzlauer Berg auf, dort Besuch des Gymnasiums, 1916–1921 Medizinstudium in Berlin und Innsbruck. 1921 Dr. med. in Berlin. 1921 SPD-Mitglied. 1922–1933 Anstellung im Diagnostischen Institut des Verbandes der Krankenkassen in Berlin, seit 1923 außerdem Stellvertretender Chefarzt und Geschäftsführer bei der Geschäftsstelle der Ambulatorien des Verbandes. 1926–1930 Zusatzstudium der Volkswirtschaft in Berlin, 1930 Examen als Diplom-Volkswirt. 22. März 1933 Inhaftierung im SA-Gefängnis Berlin-Alexanderplatz, dann Plötzensee. 1934/35 im Lyssia-Werk in Wiesbaden in der angewandten Krebsforschung tätig. 1936 Emigration mit seiner Frau Ellinor, geb. Posch (1907–1999), einer Schauspielerin, in die Schweiz. In Basel, London und Paris Arbeit bei der Aristophanes A.G. und Wertheim Brothers. 1939 Internierung in mehreren Lagern (Albi, Villebon, La Braconne). Mai 1941 Ausreise aus Marseille, zwei Monate in Casablanca interniert. August 1941 Ankunft in New York, dort Fortsetzung der Arbeit in der angewandten Krebsforschung in den Carnegie Research Laboratories (durch jüdische Hilfsorganisationen mitfinanziert). Sekretär des linkssozialdemokratischen Antinazi-Forums. Februar 1947 mit seiner Frau Rückkehr nach Berlin. November 1947 Eintritt in die SED. 1947–1950 Referent in der Zentralverwaltung für Gesundheitswesen der SBZ. 1951 Kommissarischer und 1952–1958 Direktor des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. 1955 Lehrauftrag an der Humboldt-Universität. 1957 Ernennung zum Titularprofessor. 1959–1967 Stellvertretender Minister für Gesundheitswesen der DDR. 1964–1967 Professor mit Lehrstuhl für Gesundheitserziehung an der Akademie für Ärztliche Fortbildung und deren Rektor. 1963–1967 Mitglied der Volkskammer.

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Grossmann, Henryk 14. April 1881, Kraków – 24. November 1950, Leipzig. Wirtschaftswissenschaftler. Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns. Studium der Rechtswissenschaften in Kraków. 1905 Mitbegründer der Jüdischen Sozialdemokratischen Partei in Galizien und Redakteur der sozialistischen Zeitschrift Zjednoczenie (Vereinigung). 1908 Dr. jur. 1908–1914 Rechtsanwaltskandidat in Wien, dort Gasthörer an der Universität (Vorlesungen bei Eugen Böhm-Bawerk und Carl Grünberg). Im Ersten Weltkrieg Artillerieleutnant in der k.u.k-Armee. 1917–1918 im Wissenschaftlichen Komitee für Kriegswirtschaft des österreichischen Kriegsministeriums. 1919 Ministerialrat im Statistischen Hauptamt der Republik Polen. 1921 Leiter der ersten polnischen Volkszählung. 1922–1925 Professor für Nationalökonomie an der Universität Warschau. Nach politisch motivierter Entlassung wegen seiner Mitgliedschaft in der KP Polens seit 1925 an der Universität Frankfurt a. M. 1927 Habilitation und Privatdozent. 1930 Hauptassistent am Frankfurter Institut für Sozialforschung und außerordentlicher Professor an der Universität. Ehrenmitglied des Internationalen Agrar-Institutes in Moskau. 25. Januar 1933 Emigration nach Paris, 1936 nach London, 1937 nach New York. Arbeit für das Institute of Social Research in New York. Nach 1933 zunehmend kritische Haltung gegenüber der Komintern, seit 1941 prosowjetische Haltung, die ihn im Institute for Social Research isolierte. 1949 Rückkehr nach Ostdeutschland. Juni 1949 Eintritt in die SED. Im gleichen Jahr Ernennung zum Professor für Politische Ökonomie und zum Direktor des Instituts für Wirtschaftsplanung an der Universität Leipzig.

Hauptmann, Elisabeth 20. Juni 1897, Peckelsheim/Westfalen – 20. April 1973, Berlin [DDR]. Lehrerin, Übersetzerin und Schriftstellerin. Tochter eines deutschen Sanitätsrates und einer amerikanischen Mutter. Unterricht zumeist zu Hause in der Familie. 1912–1918 Lehrerinnenausbildung in Droyssig bei Zeitz. 1918–1922 Lehrerin in einem Lyzeum in Linde, Kreis Flatow (Hinterpommern). 1922 Übersiedlung nach Berlin und Tätigkeit als Sekretärin. Seit 1925 enge Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht, zeitweilig private Beziehung, nach deren Zerbrechen 1929 Selbstmordversuch. 1927–1933 Arbeit als Übersetzerin und freischaffende Autorin. 1929 Eintritt in die KPD. 1931–1932 kurze Ehe mit dem Redakteur Friedrich Hacke.

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1933 Flucht nach Paris, 1934 nach New York. Weiterreise nach St. Louis, dort Büroarbeit, dann (bis 1940) Lehrerin an einer High School in St. Louis. 1937 in Hilfsorganisationen für republikanische Spanienkämpfer und geflüchtete europäische Antifaschisten tätig. 1940 Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft. 1941 Übersiedlung nach New York. 1944–1945 Exekutivsekretärin des Council for a Democratic Germany. Lebte mit dem SPD-Exilanten Horst Baerensprung bis 1946 zusammen, danach mit dem Komponisten Paul Dessau, den sie 1948 heiratete (1951 Scheidung). Oktober/November 1948 Rückkehr nach Westdeutschland (Braunschweig), ab 15. März 1949 in Ostberlin. 1949 Eintritt in die SED. 1949–1950 Dramaturgin bei der DEFA, danach wieder Übersetzerin und freie Schriftstellerin. 1954 Dramaturgin am Berliner Ensemble. Seit 1958 an der Herausgabe der Gesammelten Werke von Bertolt Brecht beteiligt.

Herzfelde, Wieland 11. April 1896, Weggis (Kanton Luzern, Schweiz) – 23. November 1988, Berlin [DDR]. Schriftsteller und Verleger. Sohn des Publizisten Franz Held (Herzfeld), jüdischer Herkunft. Wuchs als Waisenkind bei Pflegeeltern in der Schweiz auf. Bruder des Fotographen und Designers John Heartfield (Helmuth Herzfeld, 1891–1968). 1913 Studium der Germanistik und Medizin in Berlin, blieb bis 1917 immatrikuliert, aber ohne Studienabschluss. 1914 Kriegsfreiwilliger (und alsbald Kriegsgegner), bis 1917 Kriegsdienst in der deutschen Armee (Sanitäter). 1917–1933 Direktor des Malik-Verlages in Berlin, zunächst einer der Hauptvertreter des Dadaismus. Enge Zusammenarbeit mit George Grosz, mit dem er eine Galerie betrieb. 1919 KPD-Mitglied, 1928 Mitglied des Bundes proletarischrevolutionärer Schriftsteller. In zweiter Ehe verheiratet mit Gertrud, geb. Bernheim (1902–1970, Schwester der Schriftstellerin Alex Wedding), ein Sohn (Georg, 1925–2011, später George Wyland). 1933 Emigration in die Tschechoslowakei, 1935/36 zeitweilig in der Sowjetunion, 1938 Emigration von Prag nach Großbritannien, in London bis 1939 Fortführung des Malik-Verlages im Exil. 1933–1935 Herausgabe der Neuen deutschen Blätter in Prag. Am 3. Mai 1939 Ankunft in New York, dort Mitarbeit in der von Georg Friedrich Alexan gegründeten Buch- und Kunsthandlung. Ende 1944 mit Alexan Gründung und Leitung des Aurora-Verlages in New York.

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1948 Rückkehr nach Ostdeutschland und Eintritt in die SED. 1949 Professor für Soziologie der modernen Weltliteratur, ab 1951 für Literatur und Kunstkritik, ab 1954 für Soziologie der neueren Literatur an der Universität Leipzig. 1961 Emeritierung. März 1951 als „Westemigrant“ Parteiausschluss, 1956 Rehabilitierung und erneuter Parteientritt. 1956–1970 Präsident des PEN-Zentrums der DDR, danach Ehrenpräsident. 1961 Mitglied und zeitweiliger Vizepräsident der Akademie der Künste.

Heym, Stefan 10. April 1913, Chemnitz (als Helmut Flieg) – 16. Dezember 2001, Ein Bokek (Israel), Schriftsteller. Sohn eines Kaufmanns jüdischer Herkunft. Wegen eines schulkritischen Gedichtes Relegation vom Chemnitzer Gymnasium, Ablegung des Abiturs in Berlin. 1932 Studium der Philosophie, Germanistik, Geschichte und Zeitungswissenschaft in Berlin. 1933 Emigration in die Tschechoslowakei, 1935 in die USA, dort Studium der Germanistik in Chicago. 1937 Master’s Thesis über Heinrich Heines Atta Troll. 1937–1939 Chefredakteur des Deutschen Volksechos in New York, danach u. a. Vertreter. 1942 literarischer Erfolg mit dem Roman Hostages (Der Fall Glasenapp), der 1943 verfilmt wurde. 1943 freiwillige Meldung zur US-Armee, Kriegsdienst in Europa an der Westfront, vorwiegend in der Propagandaarbeit für deutsche Soldaten eingesetzt (Psychological Warfare Division). 1945 mit Hans Habe Leitung der Ruhr-Zeitung in Essen und Mitbegründer der von der US-Armee herausgegebenen Neuen Zeitung in München; dabei Zusammenarbeit u. a. mit Erich Kästner und Hildegard Brücher. 1952 mit seiner amerikanischen Frau Gertrude Gelbin (1900–1969) und seinem Stiefsohn David Gelbin Übersiedlung nach Prag, 1953 in die DDR, seitdem freier Schriftsteller und Publizist. Zahlreiche Publikationen in englischer und deutscher Sprache. Seit 1965 Kritik an der Politik der DDR von sozialistischen Positionen aus. Angriffe gegen Heym auf dem 11. ZK-Plenum der SED im Dezember 1965. 1979 Ausschluss aus dem Schriftstellerverband der DDR und Verurteilung zu einer hohen Geldstrafe nach Publikation seines Romans Collin in der Bundesrepublik, dessen Druck die DDR nicht zugelassen hatte (1989 rehabilitiert). Ehrendoktorate der Universitäten Basel 1990 und Cambridge (UK) 1991. 1994 parteiloser Bundestagsabgeordneter der PDS und Alterspräsident des Bundestages, seitdem auch Angriffe aus dem bundesdeutschen Establishment

Biographien

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gegen ihn. 1995 Rücktritt vom Bundestagsmandat. Starb in Israel nach einer Tagung über Heinrich Heine.

Kantorowicz, Alfred 12. August 1899, Berlin – 27. März 1979, Hamburg, Schriftsteller und Hochschullehrer. Sohn eines Textilhändlers jüdischer Herkunft. 1918 Abitur in Berlin. Kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges noch Meldung als Kriegsfreiwilliger. 1918 Studium der Rechts- und Literaturwissenschaften in Berlin, Freiburg (Breisgau) und Erlangen. 1923 Dr. jur. in Erlangen mit einer Dissertation über Die völkerrechtlichen Grundlagen des jüdischen Nationalheims in Palästina. Danach u. a. Korrespondent (u. a. in Paris) für die Vossische Zeitung und die Frankfurter Zeitung. War in den 1920er Jahren zunächst Zionist, stand dann völkischen Kreisen nahe und rückte politisch in der Zeit der Weltwirtschaftskrise nach links. 1931 Eintritt in die KPD. 12. März 1933 nach kurzer Illegalität Flucht mit seiner Frau Elfriede nach Frankreich, dort maßgeblich am Aufbau der Deutschen Freiheitsbibliothek beteiligt. 1934 Mitautor des Braunbuches über Reichstagsbrand und Hitlerterror. Generalsekretär des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS). Im Juli 1935 beteiligt an der Vorbereitung und Durchführung des Ersten Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur. 1936–1938 Offizier der Interbrigaden im Spanienkrieg. Er gehörte zu den Gründern und Autoren der Frontzeitschrift der Internationalen Brigaden, Volontaire de la Liberté, die in deutscher und französischer Sprache erschien. 1938 Rückkehr nach Paris, lebte dann in Südfrankreich, wurde am Beginn des Zweiten Weltkrieges zuerst in der Nähe von Toulon, später in Les Milles interniert. Während eines Transportes gelang ihm die Flucht vor den anrückenden HitlerTruppen. Ende März 1941 mit seiner Frau Emigration in die USA. Fand 1941 in New York Anstellung beim Rundfunksender CBS in New York. Seine Aufgabe in der Auslandsredaktion war das Abhören und Auswerten deutscher Rundfunksendungen. Organisierte zum zehnten Jahrestag der faschistischen Bücherverbrennung in Berlin und anderen deutschen Universitätsstädten in der New York Public Library am 10. Mai 1943 eine Ausstellung der damals verbrannten Bücher. Ende 1946 Rückkehr nach Deutschland (Bremen), Anfang 1947 nach Berlin und Eintritt in die SED. 1947–1949 Herausgeber der Zeitschrift Ost und West. 1949 Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Berliner Universität. Direktor des Germanistischen Instituts der Universität und des HeinrichMann-Archivs bei der Akademie der Künste.

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Scheidung von Elfriede, die später als Auslandskorrespondentin für ADN arbeitete. Kurze zweite Ehe mit Seka von Achenbach (1917–2007). 1957 Flucht nach West-Berlin, von dort nach München. Erhielt finanzielle Unterstützung durch den Verleger Helmut Kindler und später auch durch Herbert Wehner. Wegen seiner Arbeit in der DDR und aufgrund von Angriffen ehemaliger Nationalsozialisten in hohen Regierungsämtern, die Kantorowicz beim Namen genannt hatte, zunächst nicht als Verfolgter des NS-Regimes anerkannt. Lebte seit 1965 in Hamburg. Dritte Ehe mit Ingrid Kantorowicz, geb. Schneider (1921–2014), Professorin für Modegestaltung. Verstand sich als radikaler Linker. Späte literarisch-publizistische Anerkennung in der Bundesrepublik, zuletzt erfolgte auch eine zögernde Würdigung seiner antifaschistischen Haltung in der DDR. Wahl in die Freie Akademie der Künste Hamburg.

Katzenstein, Alfred 16. Mai 1915, Mönchengladbach – 16. Januar 2000, Berlin. Klinischer Psychologe. Sohn eines Kleiderfabrikanten. Wurde als Jude und als Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes 1933 vom Gymnasium relegiert. Schloss sich mit Beginn des Nazi-Regimes der Widerstandsgruppe Deutsche Jungfront um Hans Ebeling an. Exil in Frankreich, dort 1934 Verhaftung wegen seiner Mitarbeit in Henri Barbusses Antikriegs-Komitees und Ausweisung, danach in Belgien und den Niederlanden. In Amsterdam Aufnahme einer Klempnerlehre. Mai 1937 bis Februar 1939 Interbrigadist im Spanienkrieg (Bataillon „Etkar André“ der XI. Internationalen Brigade). Mitglied der KP Spaniens. 1939 Internierung in Frankreich (Saint Cyprien, Gurs, Le Vernet, Les Milles, Camp de Rieucros). 1941 Einwanderung in die USA zusammen mit seiner späteren Frau Ursula Pacyna, die er im Lager Camp de Rieucros kennengelernt hatte. Alfred Katzenstein verpflichtete sich 1942 zur US-Armee und erwarb dadurch die amerikanische Staatsbürgerschaft. In New York Geburt der beiden Töchter (siehe unter Ursula Katzenstein). Soldat im Zweiten Weltkrieg, gehörte zur Spezialabteilung des Counter Intellligence Corps (CIC). 1945 Entlassung aus der Armee und Rückkehr in die USA. Studium der Sozialpädagogik und Psychologie, Promotion an der University of Kansas. 15. Juni 1954 über die Niederlande Rückkehr in die DDR und Eintritt in die SED. Zunächst Arbeit in einem Krankenhaus. Vorsitzender der Gesellschaft für ärztliche Psychotherapie. 1965 Habilitation. 1973 Professor für klinische Psycho-

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logie am Zentralinstitut für Psychologie der Akademie der Wissenschaften in Berlin.

Katzenstein, Ursula 27. März 1916, Berlin (als Ursula Pacyna) – 14. Dezember 1998, Berlin. Psychologin. Trat 1932 dem Sozialistischen Schülerbund und dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands bei. 1933 Ausschluss vom Lyzeum als Jüdin und wegen des Verkaufs kommunistischer Literatur. Frühjahr 1933 Emigration nach Palästina (mit Zustimmung der Berliner KPD-Bezirksleitung), dort Eintritt in die illegale KP Palästinas. Arbeit in landwirtschaftlicher Schule sowie in einer Möbeltischlerei. Ende 1936 Verhaftung, März 1937 Ausweisung aus Palästina durch die britischen Mandatsbehörden. Seit April 1937 in Paris, dort Mitglied der (kommunistischen) Freien Deutschen Jugend. 2. September 1939 Verhaftung und Einlieferung in das Gefängnis Petit Requette, danach im Lager Camp de Rieucros, dort Bekanntschaft mit Alfred Katzenstein. 1941 mit ihm Einwanderung in die USA, wo sich bereits ihre Eltern befanden. Geburt der Töchter Kate (später K. Leiterer) und Susan (später S. Koehn). Erwerb der US-Staatsbürgerschaft. 1944–1948 Studium der Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeitstherapie an der New York University. 1948–1952 Arbeit als Therapeutin, u. a. in Lawrence (Kansas). 15. Juni 1954 über die Niederlande Rückkehr in die DDR und Eintritt in die SED. Arbeit in ihrem Beruf, u. a. im Krankenhaus für Psychiatrie in BrandenburgGörden, danach in Berlin-Buch. 1970 Promotion Zur Rehabilitation schwerstgeschädigter Jugendlicher als humanitäres, medizinisches, soziales und ökonomisches Anliegen. Nach ihrer Pensionierung 1976 arbeitete sie weiterhin in Teilzeit in Berlin-Buch. Ursula Katzenstein erwarb sich Verdienste bei der Organisierung geschützter Arbeitsplätze für Schwerbeschädigte.

Kirbach, Lisa Maria 10. März 1907, Dresden – 25. März 1997, Frankfurt a. M. Lehrerin. Ausbildung zur Volksschullehrerin, in Dresden im Beruf tätig. SPD-Mitglied in der Weimarer Republik.

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1933 Entlassung aus dem Schuldienst, Emigration nach Frankreich. In Paris mit Max Braun, dem KPD-Politiker Heinz Renner und dem unabhängigen Linken Fritz Fränken in der Leitung der Freundeskreise für eine deutsche Volksfront tätig. Januar 1940 Internierung in Rieucros, später in Alby, Les Milles und Bompard bei Marseille. Leitete in Bompard eine provisorisch eingerichtete Schule für Flüchtlingskinder. 1941 mit Hilfe von Noel Field und Kurt Rosenfeld Ausreise nach New York, dort zeitweise Arbeit in Fields Unitarian Service Committee, später als Krankenpflegerin in einem Krankenhaus angestellt, danach Bohrerin und Fräserin in einer Maschinenfabrik. Annäherung an die KPD-Gruppe, ohne dieser beizutreten. Herbst 1946 Rückreise nach Stuttgart, wegen fehlender Papiere (?) kurzzeitig in Ludwigsburg interniert. 1947 Weiterreise nach Dresden. Dort als Unterstufenlehrerin tätig. Eintritt in die SED und Übernahme verschiedener ehrenamtlicher Parteifunktionen. 1951 als „Komplizin“ Fields aus der SED ausgeschlossen, blieb aber im Schuldienst. Wurde 1956 parteiintern rehabilitiert. Verließ später die DDR und ging nach Frankfurt a. M.

Krüger, Ernst 9. Januar 1895, Eberswalde – 26. Oktober 1970, Berlin [DDR]. Metallarbeiter und KPD-Politiker. Sohn eines Lackierers. Schlosserlehre und Berufsausbildung als Metallarbeiter. 1915–1918 Soldat im Ersten Weltkrieg. 1918 Mitglied der USPD, 1920 der KPD. 1920–1921 Polizeidienst, quittierte den Dienst, arbeitete anschließend als Schlosser in Berlin. 1923 Sekretär für Betriebsräte der KPD-Bezirksleitung Hessen-Kassel. Februar-November 1924 inhaftiert. 1926–1927 Politleiter in Berlin-Moabit. 1928– 1929 hauptamtlicher Sekretär für den KPD-Bezirk Nord in Eberswalde, Stadtverordneter in Eberswalde. 1929 Abgeordneter im Brandenburgischen Provinziallandtag, im gleichen Jahr Sekretär der Org.-Abteilung der Bezirksleitung BerlinBrandenburg und Instrukteur für den Landarbeiterverband der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition. 1932 Redakteur in Kassel. März 1933 Mitglied der illegalen KPD-Bezirksleitung Brandenburg/Lausitz/Grenzmark. 28. Juli 1933 in Brandenburg verhaftet und zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Luckau verbüßte. Februar 1936 Exil in der Tschechoslowakei, Dezember 1936 in Spanien, Interbrigadist. Seit Juli 1938 in Frankreich, September 1939 Internierung.

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Mai 1941 über Trinidad (nach gescheiterter Reise nach Mexiko) Ankunft in New York, dort Metallarbeiter. Geschäftsführer der Zeitschrift The German American. Oktober 1946 Rückkehr nach Ostdeutschland. Gehörte 1947–1949 dem Sekretariat des FDGB-Bundesvorstandes an, 1948/49 Generalsekretär des FDGBBundesvorstandes. 1949/1950 Abgeordneter der Volkskammer. 1949 im Sekretariat der SED-Landesleitung Berlin, als „Westemigrant“ 1950 aus Partei- und Gewerkschaftsapparaten entfernt. Ende 1950 Magistratsdirektor für Materialversorgung von Berlin, danach Werkleiter des VEB „Schnitt und Formenbau“ in Berlin-Köpenick, zuletzt Personalleiter bei den Berliner Wasserwerken in Friedrichshagen. 1954 aus gesundheitlichen Gründen berentet.

Krüger, Lore 11. März 1914, Magdeburg (geb. als Lore Heinemann) – 3. März 2009, Berlin. Fotografin und Übersetzerin. Tochter eines Ingenieurs jüdischer Herkunft. Oberschulbesuch in Magdeburg. KPD-Mitglied. April 1933 Emigration nach Großbritannien, ein Jahr später zu ihren Eltern nach Spanien. In Barcelona und Paris Ausbildung zur Portraitfotografin. Belegte in Paris Kurse an der Freien Deutschen Hochschule, schrieb eine Diplomarbeit bei László Radvanyi, dem Mann von Anna Seghers. Lebte mit Ernst Krüger, einem leitenden deutschen Gewerkschaftsfunktionär in der Metallarbeitergewerkschaft und Kommunisten, zusammen. Im Mai 1940 Internierung im Lager Gurs in den Pyrenäen, danach halblegal in Toulouse. 1941 Emigration mit Ernst Krüger und ihrer Schwester Gisela (die in den USA blieb) über Trinidad nach New York, dort Arbeit in einem Fotoatelier. 1942 Ehe mit Ernst Krüger, zwei Kinder. Mitarbeit an der Zeitschrift The German American. Anfang Dezember 1946 Rückkehr nach Ostdeutschland und Eintritt in die SED. Arbeitete als Übersetzerin (u. a. von Joseph Conrad, Daniel Defoe, Nathaniel Hawthorne, Henry James, Doris Lessing, R. L. Stephenson, Mark Twain) und freiberufliche Dolmetscherin. Als Fotografin in ihren letzten Lebensjahren wieder entdeckt und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden.

Lips, Eva Elisabeth 6. Februar 1906, Leipzig (geb. als Eva Wiegandt) –24. Juli 1988, Leipzig. Ethnologin.

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Tochter des Verlegers Ernst Wiegandt. Besuch einer Mädchenschule in Leipzig, 1923 Obersekundareife. 1925 Ehe mit Julius Lips. 1928–1932 Studium der Völkerkunde in Köln, Bonn und Paris. 1933 Mitarbeiterin von Julius Lips am Museum für Völkerkunde in Köln. 1934 Emigration über Frankreich in die USA. Forschungsassistentin von Julius Lips 1934–1936 an der Columbia University in New York, 1937–1939 an der Howard University in Washington und 1939–1948 an der New School for Social Research in New York. 1935–1947 mit Julius Lips zahlreiche Feldforschungsaufenthalte bei nordamerikanischen Ureinwohnern: den Naskapi in Labrador, den Ojibwa im Gebiet der Großen Seen, den Chippewa in Minnesota und den Sioux in South Dakota. 1948 Rückkehr über Kopenhagen nach Leipzig und Eintritt in die SED. 1950 Lehrauftrag für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie an der Universität Leipzig, 1950–1951 Leiterin des dortigen Instituts für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie der Universität Leipzig. 1951 Promotion in Ethnologie an der Universität Leipzig über Wanderungen und Wirtschaftsformen der Ojibwa-Indianer, 1954 Habilitation für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie über Die Reisernte der Ojibwa-Indianer. Wirtschaft und Recht eines Erntevolkes. 1951–1955 wissenschaftliche Oberassistentin und kommissarische Direktorin des Instituts für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie der Universität Leipzig, 1955–1957 Dozentin für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie an der Philosophischen Fakultät, 1957 Professorin (ab 1966 mit Lehrstuhl) für Ethnologie und Vergleichende Rechtssoziologie. 1966 Emeritierung, danach bis 1968 kommissarische Direktorin des Instituts für Ethnologie und vergleichende Rechtssoziologie.

Lips, Julius 8. September 1895, Saarbrücken – 21. Januar 1950, Leipzig. Ethnologe. Sohn eines Eisenbahnbeamten. 1914–1916 Soldat im Ersten Weltkrieg. 1916– 1925 Studium der Rechts-, Human-, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie in Leipzig. 1919 Dr. phil. auf dem Gebiet der Psychophysik über Die gleichzeitige Vergleichung zweier Strecken mit einer dritten nach dem Augenmaß, 1925 Dr. jur. utr. mit einer Arbeit über Die Stellung des Thomas Hobbes zu den politischen Parteien in der großen englischen Revolution. 1919 SPD-Mitglied und bis 1921 Vorsitzender des Sozialistischen Studentenbundes an der Universität Leipzig. 1925 Ehe mit Eva Lips, geb. Wiegandt. Ab 1925 Reisen innerhalb Europas und nach Amerika. 1925 wissenschaftlicher Angestellter am Museum für Völkerkunde in Köln. 1926 Habilitation und Privatdozent in Köln. Habilitationsschrift über Fallensysteme der Naturvölker.

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1929–1933 Professor für Völkerkunde und Soziologie an der Universität Köln. 1928 Direktor des Kölner Museums für Völkerkunde. 1933 Entzug der Professur durch das Naziregime. 1934 Emigration über Frankreich in die USA. Durch Vermittlung von Franz Boas Lehrauftrag an der Columbia University in New York, 1937–1939 befristete Professur an der Howard University in Washington, dort Leitung des Institute of Anthropoloy. 1939–1948 Lehre an der New School for Social Research in New York. 1935–1947 mit Eva Lips zahlreiche Feldforschungsaufenthalte bei nordamerikanischen Ureinwohnern: den Naskapi in Labrador, den Ojibwa im Gebiet der Großen Seen, den Chippewa in Minnesota und den Sioux in South Dakota. 1937 in New York Mitarbeit im Bund Freiheitlicher Sozialisten in New York, 1944 Mitarbeit im Council for a Democratic Germany. 1948 Rückkehr über Kopenhagen nach Leipzig und Eintritt in die SED. Schlug im gleichen Jahr ein Angebot auf Wiedereinsetzung in seine Kölner Professur aus und nahm einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Völkerkunde und Vergleichende Rechtssoziologie an die Universität Leipzig an. Seit 1949 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. 1949–1950 Leiter des Instituts für Völkerkunde und Vergleichende Rechtssoziologie sowie Rektor der Universität Leipzig.

Marchwitza, Hans 25. Juni 1890, Scharley, Kreis Beuthen (Oberschlesien) – 17. Januar 1965, Potsdam-Babelsberg. Bergarbeiter und Schriftsteller. Sohn eines polnischsprachigen Bergarbeiters. Volksschule, ab 1904 Kohlenschlepper, 1910 Berg- und Hilfsarbeiter im Ruhrgebiet. Eignete sich autodidaktisch seine Bildung an. 1915 erste Ehe, eine (überlebende) Tochter, vier Stiefkinder. 1915–1918 Kriegsdienst. 1918 Mitgl. der Republikanischen Soldatenratswehr, 1919 USPD, 1920 Zugführer in der Roten Ruhrarmee, aktiv gegen den KappPutsch. KPD-Mitglied. 1924 nach einem Streik entlassen, danach arbeitslos. Lebensunterhalt als Straßensänger und durch Gelegenheitsarbeiten. Arbeiterkorrespondent von KPDZeitungen (Ruhr-Echo und Die Rote Fahne). 1930 erster Roman (Sturm auf Essen), Mitglied des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller. Lebte seit 1932 mit Sophie Wiedemann zusammen, hatte mit ihr den Sohn Hannes. 1933 Trennung von seiner Familie und Emigration in die Schweiz, 1934 wegen politischer Betätigung ausgewiesen, danach im Saargebiet und ab 1935 in Frankreich. 1935 und 1937 Teilnehmer der Internationalen SchriftstellerKongresse zur Verteidigung der Kultur. November 1936 Leutnant im Tschapa-

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jew-Bataillon der XIII. Internationalen Brigade im Spanienkrieg, nach Verwundung ab Sept. 1937 Mitarbeiter im Hauptstab der Interbrigaden. April 1937 Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, ab Okt. 1938 in Frankreich, Sept. 1939 in Paris interniert, 1941 Flucht aus dem Lager nach Marseille. Juni 1941 Ankunft in New York, dort Straßen- und Bauarbeiter; publizierte Gedichte und Erzählungen im Selbstverlag. 1942 Bekanntschaft und 1945 Ehe mit Hilde, geb. Stern (1900–1961). Mitglied der German Anti-Nazi Writers League. Dezember 1946 Rückkehr nach Deutschland (Stuttgart). 1947 SED-Eintritt und Übersiedlung nach Potsdam-Babelsberg. 1950 Mitbegründer der Deutschen Akademie der Künste. 1950/51 Botschaftsrat (Kulturattaché) der DDR in Prag; 1960 Ehrendoktorat der Berliner Humboldt-Universität; Ehrenbürger der Stadt Potsdam. 1962 Ehe mit Hilde, geb. Gottwick.

Marchwitza, Hilde 7. April 1900, Breslau (geb. Hilde Stern, geschiedene Schottländer bzw. Schottlaender) – 8. September 1961, Berlin [DDR]. Berufsberaterin, Sozialarbeiterin und Übersetzerin. Tochter des Psychologenehepaares William (1871–1938) und Clara Stern (1877– 1948; Clara Stern war Autodidaktin, da ein Frauenstudium noch nicht möglich war). Geschwister waren der Philosoph und Schriftsteller Günther Stern (1902– 1992; publizierte später unter dem Namen Günther Anders) und Eva Stern (1904–1992). 1916 Umzug nach Hamburg, da William Stern eine Professorenstelle an einer Hochschule (1919 Übernahme an die neugegründete Universität) erhielt. Nach dem Abitur in Hamburg arbeitete Hilde Stern an einer Sozialen Frauenschule unter Leitung von Gertrud Bäumer. 1921 Anstellung beim Hamburger Arbeitsamt, zunächst als Praktikantin, später als Berufsberaterin. 1922 Ehe mit dem Altphilologen Rudolf Schottländer. Umzug nach Berlin, Sekretärin bei Gertrud Bäumer. Zwei Kinder: Michael (1924–1989) und Hannah (geb. 1925, später verheiratete Obermann). 1927 Ehescheidung und Rückkehr mit den Kindern nach Hamburg, wiederum Anstellung beim Arbeitsamt. Juli 1933 Kündigung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft (mittels des sogenannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums). Anschließend Arbeit bei der Jüdischen Berufsberatungsstelle in Hamburg. Teilnahme am antifaschistischen Widerstandskampf in einer Widerstandsgruppe um Hans Westermann. Hilde Schottlaender stellte der Gruppe ihre Wohnung als Treffpunkt für Diskussionen und das Studium ausländischer Presse zur Verfügung. März 1935 Festnahme, Verurteilung zu einer zweijährigen Haftstrafe

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durch das Hanseatische Oberlandesgericht. Haftzeit in der Frauenhaftanstalt Lübeck-Lauerhof. August 1937 Emigration in die Niederlande zu ihren Kindern (Sohn Michael besuchte die Quäkerschule Eerde), von dort im gleichen Jahr nach New York. 1937–1939 in New York Redaktionssekretärin bei der von Stefan Heym redigierten Wochenzeitung Deutsches Volksecho. 1939–1942 Bürotätigkeiten und Sozialarbeiterin für mehrere Hilfsorganisationen jüdischer Auswanderer. Beiträge zu sozialpolitischen Fragestellungen für den Aufbau und The German-American (hier auch Mitarbeit in der Redaktion). 1942 Bekanntschaft und 1945 Ehe mit Hans Marchwitza. Dezember 1946 Rückkehr nach Deutschland (Stuttgart). 1947 Übersiedlung nach Potsdam-Babelsberg und Eintritt in die SED. Lebte 1950/51 mit Hans Marchwitza in Prag. Übersetzte für den Berliner Dietz-Verlag unter anderem Kultur in einer sich ändernden Welt. Eine marxistische Studie (1949) von V. J. Jerome und Indien heute (1951) von Rajani Palme Dutt.

Norden, Albert 4. Dezember 1904, Myslowitz (Oberschlesien) – 30. Mai 1982, Berlin [DDR]. Publizist und KPD- bzw. SED-Politiker. Sohn eines Rabbiners. 1911–1920 Besuch des Realgymnasiums in WuppertalElberfeld, 1919 Eintritt in die Freie Sozialistische Jugend, ein Jahr später Eintritt in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), im KJVDAuftrag Entwicklung eines linken Flügels im Jungjüdischen Wanderbund. 1920 Schulverweis. 1921–1923 Tischlerlehre. 1921 Eintritt in die KPD und die Gewerkschaft der Holzarbeiter. 1923–1933 Volontär, Redakteur und Chefredakteur verschiedener kommunistischer Zeitungen, u. a. Rote Fahne des Westens, Remscheid, Klassenkampf, Halle, Hamburger Volkszeitung, Ruhr-Echo, Essen). 1931–1932 Stellvertretender Chefredakteur der Roten Fahne, als Parteigänger des in der KPD im Widerspruch zu Thälmann geratenen Heinz Neumann abgesetzt. Benutzte oft das Pseudonym Hans Behrendt. März 1933 Emigration über Dänemark nach Frankreich, dort Mitarbeit am Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror und Redakteur der Zeitung Front mondial sowie der Komintern-Zeitschrift Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung. Mitarbeit an illegalen KPD-Publikationen, u. a. der Roten Fahne. 1934/35 Teilnahme am (verlorenen) Abstimmungskampf im Saargebiet, 1935 Emigration in die Tschechoslowakei, 1938 wiederum nach Frankreich, dort u. a. Verbindungsmann der KPD zur Kommunistischen Partei Frankreichs. Juli 1938 Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft. 1938–1939

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Sekretär des von Heinrich Mann gegründeten Aktionsausschusses deutscher Oppositioneller. 1939–1940 Internierung in verschiedenen Lagern (Maisons-Laffitte bei Paris, Athis und Damigny-sur-Orne in der Normandie und Bassens bei Bordeaux, dort Mitglied der illegalen KPD-Lagerleitung). 1940 Flucht aus Bassens, Heirat mit der Grundschullehrerin Herta Fischer (1908–1990), ein Sohn (John, geb. 1942 in New York). 1941 Emigration nach New York, dort Arbeit als Tischler. Funktionär des Deutsch-Amerikanischen Kulturverbandes und seit 1942 Mitarbeit an der Zeitung The German American, 1944 Mitarbeit im Council for a Democratic Germany. Mit Gerhart Eisler und Albert Schreiner 1945 Verfasser von The Lesson of Germany. 1945–1946 Herausgeber des Rundbriefes Germany Today in New York. August 1946 Rückkehr nach Berlin, Eintritt in die SED. 1947–1948 Pressechef der Deutschen Wirtschaftskommission, 1948–1949 Chefredakteur der Zeitschrift Deutschlands Stimme, 1949–1950 Mitglied des Deutschen Volksrates und Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer der DDR. 1949–1952 Leiter der Presseabteilung des Amtes für Information. 1952 Professor für Neuere Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität (Ausübung der Professur 1953– 1955). 1954 Mitglied des Präsidiums des Nationalrates der Nationalen Front. 1955–1981 Mitglied und Sekretär des ZK der SED, dabei u. a. verantwortlich für die Abteilung Auslandsinformation und die Westabteilung. 1958–1981 Mitglied des Politbüros. 1960–1979 Leiter der Westkommission beim Politbüro. Norden stellte am 2. Juli 1965 in Berlin das Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik vor, dessen 2. Auflage 1967 auf der Frankfurter Buchmesse beschlagnahmt wurde, dessen Fakten heute aber zum größten Teil unbestritten sind. Weitere Funktionen: 1960–1979 Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, 1963–1968 Leiter der Agitationskommission des ZK, 1958–1981 Abgeordneter der Volkskammer und Mitglied des Präsidiums des Deutschen Friedensrates, 1976–1981 Mitglied des Staatsrates der DDR, 1977 Vizepräsident des Weltfriedensrates. 1981 wegen schwerer Erkrankung Rücktritt von allen Ämtern.

Obermann, Karl 22. September 1905, Köln-Ehrenfeld – 10. Juli 1987, Berlin [DDR]. Historiker. Sohn eines Sattlers. Besuch der Realschule, Ausbildung zum technischen Zeichner und Arbeit in einer Zahnradfabrik. Anschluss an die Freideutsche Jugendbewegung, Mitarbeit in der Weltjugendliga, betrachtete den Pädagogen Paul Honigs-

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heim als seinen politischen Lehrer. 1925 als jüngster deutscher Delegierter Teilnahme am Weltfriedenskongress in Paris, im gleichen Jahr Beitritt zur Freien Sozialistischen Jugend. 1931 SPD-Mitglied, 1932 Übertritt zur SAP. Erste journalistische Arbeiten für die Kölnische Zeitung und den Dortmunder Generalanzeiger. Vorträge beim Westdeutschen Rundfunk Köln im Rahmen der Sendereihe „Der junge Mensch“. 1933 Teilnahme am illegalen Widerstand der SAP (Kurierdienste im In- und Ausland). Oktober 1933 nach Enttarnung der SAP-Gruppe Flucht nach Paris, dort seit 1934 Arbeit an der Deutschen Freiheitsbibliothek. Mitglied des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller und (seit Dezember 1935) Mitglied des Verbandes deutscher Journalisten in der Emigration. März 1936 im Rahmen innerparteilicher Auseinandersetzungen wegen Zusammenarbeit mit der KPD aus der SAP ausgeschlossen, daraufhin Eintritt in die KPD. Journalistische Tätigkeit für die deutsche Exilpresse (Deutsche Volkszeitung, Deutsche Freiheit, Die neue Weltbühne, Aufruf, Das Wort, Internationale Literatur). September 1937 Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft durch das Naziregime. Vorbereitung und Mitarbeit an der 3. Internationalen Konferenz der Weltstudentenbewegung im August 1939 in Paris. Nach Kriegsbeginn Internierung im Camp de Marolles bei Paris, Dezember 1939 Entlassung nach mehreren Asthmaanfällen. 9. Mai 1940 Verhaftung in Paris und Überstellung in das Lager Le Vernet. 26. November 1940 Affidavit für die USA durch das Emergency Rescue Committee. April 1941 Überstellung aus Le Vernet in das Auswandererlager Les Milles bei Marseille. Ende August 1941 über Casablanca Ankunft in New York. Betreuung in einer Einrichtung der Quäker in Bryn Mawr (Pennsylvania), Anfang 1942 Rückkehr nach New York. 1942–1943 Teilnahme an einem Lehrgang für ausländische Studierende am Black Mountain College in North Carolina. 1943 in New York Redakteur der Zeitschrift The German American, schrieb darin zahlreiche Beiträge zu historischen Themen. Verfasste eine Biographie über Joseph Weydemeyer, die 1947 im KP-Verlag der USA in New York erschien. Oktober 1946 Rückkehr über die Sowjetunion (Odessa und Moskau) nach Deutschland und Eintritt in die SED. 1947 Ehe mit Hannah Schottlaender (geb. 1925), zwei Söhne (Peter, geb. 1952, und Hans, geb. 1955). Anfang 1947 Immatrikulation an der Berliner Universität, dort Redakteur der Studentenzeitschrift Forum. 1949 Studienabschluss als Historiker. 1950 Promotion mit einer Arbeit über Die deutschen Arbeiter in der Periode der Revolution von 1848, Habilitation 1953 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, wo Obermann seit 1952 kommissarisch das Historische Seminar leitete. August 1953 Berufung zum Professor (seit 1956 mit Lehrstuhl) für die Geschichte des deutschen Volkes an die Berliner Humboldt-Universität.

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Dezember 1955 Direktor des Institutes für die Geschichte des deutschen Volkes. März 1956–Januar 1960 Direktor des Institutes für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Danach dort Abteilungsleiter und wiederum an der Humboldt-Universität tätig. 1968 Emeritierung an der Universität und 1970 an der Akademie.

Rapoport, Inge 2. September 1912 in Kribi/Kamerun (als Ingeborg Syllm) – 23. März 2017, Berlin. Kinderärztin und Hochschullehrerin. Vater Kaufmann, der in der deutschen Kolonie Kamerun tätig war, Mutter Pianistin. Mütterlicherseits jüdischer Herkunft, doch protestantisch erzogen. Schulbesuch in Hamburg, 1937 Staatsexamen, wurde zum Promotionsverfahren nicht mehr zugelassen. 1937–1938 Assistenzärztin am Israelitischen Krankenhaus Hamburg. 1938 Emigration in die USA, bis 1940 Assistenzärztin in Brooklyn und Akron (Ohio), Promotionsstudium am Women’s Medical College in Philadelphia (Fachgebiet Pädiatrie). 1943 Promotion zum M.D., danach an der University of Cincinnati, lernte dort Samuel Mitja Rapoport kennen, den sie 1946 heiratete. Vier Kinder, darunter der Biochemiker Tom Rapoport (geb. 1947), heute Professor in Harvard, und der Mathematiker Michael (geb. 1950), heute Professor in Bonn. 1944 Eintritt in die KP der USA. 1950 Rückkehr nach Europa, zunächst nach Wien, ab 1952 in Berlin. Eintritt in die SED. Oberärztin am Hufeland-Krankenhaus in Berlin-Buch, 1953 Fachärztin für Kinderheilkunde. Nach der Habilitation für Biochemie 1959 Dozentin und 1964 Professorin für Pädiatrie am Institut für Biochemie der HumboldtUniversität, 1969 Lehrstuhl für Neonatologie. 1973 Emeritierung. Im Mai 2015 schloss die Universität Hamburg das 1937 abgebrochene Promotionsverfahren Inge Rapoports ab. Vor einer Prüfungskommission verteidigte Inge Rapoport die Ergebnisse ihrer damaligen Arbeit. Am 9. Juni 2015 erhielt sie die Promotionsurkunde zugestellt. Mit 102 Jahren war sie der weltweit älteste Mensch, der je ein Promotionsverfahren abschloss.

Rapoport, Samuel Mitja 14./27. November 1912, Wolotschysk (Russisches Reich, heute Ukraine) – 7. Juli 2004, Berlin. Biochemiker und Hochschullehrer. Stammte aus einer ukrainisch-jüdischen Familie. Lebte 1912–1916 in Wolotschysk, 1916–1920 in Odessa, ab 1920 in Wien. Schulbesuch und Studium der

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Medizin und Chemie in Wien, 1933 Promotion, anschließend Assistenz am Chemischen Institut der Universität Wien. Erste Publikation über die Bestimmung von Aminosäuren im Blutserum. 1937–1946 Ehe mit Mária Szécsi. 1937 auf Anraten seines Lehrers Otto von Fürth Übersiedlung in die USA, die ab 1938 zum Exilland wurden. 1937 am Cincinnati Children’s Hospital, zweite Promotion. 1942 Associate Professor an der University of Cincinnati. Durch Rapoports experimentelle Forschungen konnte die Haltbarkeit von Blutkonserven wesentlich verlängert werden, womit ein wichtiger Fortschritt für die Versorgung von verwundeten Soldaten erreicht wurde. Seit 1946 mit Ingeborg, geb. Syllm verheiratet. 1944 Eintritt in die KP der USA. Aufgrund der antikommunistischen Atmosphäre in den USA entschloss sich die Familie Rapoport, in Europa zu bleiben. Nach mehreren vergeblichen Bewerbungen 1952 Ruf auf einen Lehrstuhl für Biochemie an der Berliner HumboldtUniversität. Eintritt in die SED. Direktor des Institutes für Biochemie. Zahlreiche Schüler, die selbst Professuren übernahmen, darunter Eberhard Hoffmann, Sinaida Rosenthal und Eberhard Heinrich. 1978 Emeritierung. 1992 Präsident der Leibniz-Sozietät, als Nachfolge-Einrichtung der GelehrtenGesellschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Rosenfeld, Alice 10. Oktober 1878, Berlin (als Alice Kristeller) – 15. Juni 1948, Berlin. Stammte aus einer jüdischen Familie. Das Erlernen eines Berufes war ihr noch nicht möglich. 1902 Ehe mit dem sozialdemokratischen Rechtsanwalt Kurt Rosenfeld (1877–1943); seitdem auch enge politische Zusammenarbeit mit ihm. Zwei Kinder: Hilde (1905–1959) und Alfred (1908–1934). 1931 zusammen mit Kurt Rosenfeld aus der SPD ausgeschlossen und Mitglied der SAP. 1933 Emigration nach Paris, 1934 nach New York. 1939 mit Felix Boenheim und Arthur Rosenberg Gründung der Unabhängigen Gruppe deutscher Emigranten, 1. März 1942 Mitbegründerin (u. a. mit Kurt Rosenfeld) der German Emergency Conference, seit 1944 Mitarbeit im Council for a Democratic Germany. Zunehmend Annäherung an die KPD-Gruppe in New York. April 1949 Rückkehr nach Ostdeutschland, zusammen mit den Familien Alexan und Boenheim (sowie Gerhart Eisler als blindem Passagier) auf der polnischen Batory. Wohnsitz in Ostberlin und Eintritt in die SED. Alice Rosenfelds Tochter Hilde war in erster Ehe verheiratet mit dem Politikwissenschaftler Otto Kirchheimer, danach mit dem Arzt Rudolf Neumann, mit

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dem sie ins Exil nach Mexiko ging und im Frühjahr 1947 nach Ostdeutschland zurückkehrte (sie war in der DDR u. a. im SED-Apparat sowie als Berliner Landesgerichtspräsidentin tätig).

Scheer, Maximilian 22. April 1896, Haan/Rheinland (als Walter Schlieper) – 3. März 1978, Berlin [DDR]. Journalist und Schriftsteller. Sohn eines Schmiedes. Volksschule, anschließend Büroarbeit und in verschiedenen Berufen tätig. Kurzer Militärdienst im Ersten Weltkrieg, danach leitender Angestellter eines Stahlwerkes im Ruhrgebiet, nach 1918 Büroleiter einer Stahlund Werkzeughandlung in Köln, Ende der 1920er Jahre Personalchef, Filialleiter in Essen und 2. Direktor eines sowjetischen Exportunternehmens in Deutschland. Heirat mit Elisabeth Höher (1900–1967), 1923 Geburt des Sohnes Gerrit. Studierte als Gasthörer Völkerkunde, Theaterwissenschaft und Literaturgeschichte in Köln; Mitbegründer der literarischen Vereinigung „Oktobergruppe“, arbeitete als Kritiker und Journalist für die Tageszeitung Sozialistische Republik und schrieb Theaterkritiken für den Berliner Börsen-Courier. März 1933 Emigration nach Paris, näherte sich dort der KPD an, ohne ihr (oder später der SED) je beizutreten; seitdem Benutzung des Pseudonyms Scheer. 1933–1936 Mitarbeiter der von Sándor Radó geleiteten Presseagentur Inpress in Paris, schrieb für Die neue Weltbühne, den Gegen-Angriff, das Pariser Tageblatt bzw. das Nachfolge-Organ Pariser Tageszeitung sowie für französische Zeitschriften. 1935 Mitarbeit im Vorläufigen Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. September 1939 in Frankreich interniert (Lager Vierson, Bagny, Nantes). Juli 1940 mit falschem Pass unter dem Namen Walter Sandek Flucht nach Marseille, von dort nach Lissabon. In Abwesenheit in Deutschland zum Tode verurteilt. März 1941 mit Hilfe des französischen Schriftstellers Vladimir Pozner, der ihm ein Visum beschaffte, Überfahrt auf der portugiesischen „Serpa Pinto“ nach New York. Mitarbeit der Overseas News Agency (mit Hermann Budzislawski), 1944 Leiter des Foreign Languages Department der ONA, schrieb für The Protestant und den Aufbau. 1944 Mitarbeit im Council for a Democratic Germany und mit Elisabeth Hauptmann Redakteur des Bulletins. 1946 gemeinsam mit Tabitha Petran (der als Alleinautor genannt ist) Publikation der Open Secret Reports on the Betrayal of Roosevelt's Peace Policy and American Preparations for World War III. September 1947 auf der „Marine Flasher“ Überfahrt von New York nach Bremerhaven, dort vorübergehende Festnahme und Verhör durch US-amerikanisches Militär, danach nach Ostdeutschland.

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1947–1949 Chefredakteur der von Alfred Kantorowicz herausgegebenen Zeitschrift Ost und West, 1949–1952 Leiter der Hauptabteilung Künstlerisches Wort des Berliner Rundfunks und des Deutschlandsenders. 1951 Mitglied des PENZentrums Deutschland (später Deutsches PEN-Zentrum Ost und West bzw. PEN-Zentrum der DDR). Ab 1952 freischaffender Schriftsteller, Mitgl. des Präsidiums des Schriftstellerverbandes der DDR, Mitglied des Weltfriedensrates und des DDR-Friedensrates, Reisen in die arabische Welt, nach Ostafrika, Indien und Kuba, im Ergebnis Publikation zahlreicher Reportagebände. Zweite Ehe mit der Medizinerin und späteren Professorin Elfriede Hirsch (1927–2000), die den Namen Schlieper-Hirsch annahm. 1957 Geburt der Tochter Katharina, 1963 Geburt des Sohnes Mathias.

Schreiner, Albert Hermann 7. August 1892, Aglasterhausen/Kreis Mosbach in Baden (als Albert Poser) – 4. August 1979, Berlin [DDR]. Journalist und Historiker. Sohn eines Metalldrehers. Besuch der Volksschule in Chemnitz (wobei er wegen sehr guter Leistungen ein Jahr „übersprang“) und Stuttgart. 1907 Lehre als Maschinenschlosser und Besuch einer Abendfachschule, 1908 Eintritt in den Deutschen Metallarbeiterverband und die Sozialistische Arbeiterjugend, 1910 Eintritt in die SPD, Kontakte u. a. zu Arthur Crispien, Hermann und Käte Duncker, Edwin Hoernle, Fritz Rück, Jacob Walcher, Fritz Westmeyer, und Clara Zetkin. 1911 Gesellenprüfung, danach auf „Walze“ in Italien, der Schweiz und Österreich. Oktober 1912 Einzug zur Armee, mit Beginn des Ersten Weltkrieges Kriegsdienst an der Westfront. September 1918 Ehe mit Emma, geb. Hermann (1892– 1973), zwei Töchter. Ende Oktober 1918 Mitglied des Stuttgarter Arbeiter- und Soldatenrates. Ende November Kriegsminister in der württembergischen Revolutionsregierung unter Wilhelm Blos; übte die Funktion nur einen Tag aus. Januar 1919 Mitbegründer der KPD in Stuttgart. Anfang 1919 militärischer Führer der Januarkämpfe in Stuttgart, nach deren Niederschlagung bis Juni 1919 in Haft. Danach im Auftrag der KPD zwischen Stuttgart und Berlin pendelnd. 1920 an der Niederschlagung des Kapp-Putsches in Stuttgart beteiligt. Nach der „Märzaktion“ der KPD 1921 erneute Verhaftung, nach Freilassung Chefredakteur der Süddeutschen Arbeiterzeitung. 1922 Landesvorsitzender des KPD-Bezirkes Württemberg. November 1922 Teilnahme am 4. Weltkongress der Komintern in Moskau, dort Zusammentreffen mit Lenin. 1923 in der Redaktion der Roten Fahne in Berlin, September: Illegaler militärischer Leiter der Bezirke Nordwest (Hamburg, Bremen, Hannover). Nach dem Fiasko des „Deutschen Oktober“ Flucht in die Sowjetunion (Odessa).

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1924 Rückkehr nach Amnestie. Stellvertretender Vorsitzender des Roten Frontkämpferbundes (RFB) und Chefredakteur seiner Zeitung Rote Front. Zunehmende Kritik am linksradikalen Kurs der KPD-Führung um Ruth Fischer, suchte stattdessen die Zusammenarbeit mit der SPD. 1927 Kritik an der Personalpolitik des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann, daraufhin Ablösung von seinen Funktionen im RFB. Beauftragung mit der Ausarbeitung der Parteigeschichte. 1929 Mitautor der Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution. Ende 1928 Ausschluss aus der KPD, an der Jahreswende 1928/29 Mitbegründer der KPD-Opposition. Zahlreiche Beiträge im KPDO-Organ Gegen den Strom, darunter Anfang 1930 eine der ersten kompetenten Analysen des Antisemitismus der Nationalsozialisten. Oktober 1932 überraschender Austritt aus der KPDO und Versuch der Rückkehr zur KPD. Noch 1932 wieder bei der KPDO und Erklärung Schreiners, er „habe den Kopf verloren.“ April 1933 Flucht nach Frankreich, dort im November 1935 Wiederaufnahme in die KPD. Autor mehrerer herausragender Bücher zur deutschen Rüstungspolitik. 1936–1938 Offizier der Interbrigaden im Spanischen Bürgerkrieg, u. a. Stabschef der XII. Internationalen Brigade. 1938 Demobilisierung und Rückkehr nach Frankreich. September 1939 Internierung in mehreren Lagern, zuletzt in Les Milles. 1941 Versuch, aus Marseille nach Mexiko zu gelangen. Mai 1941 nach Verweigerung des Transitvisums durch die amerikanischen Behörden in Ellis Island Verbleib in den USA. Arbeitete als Metallarbeiter und in der Juwelenherstellung. 1941 und 1944 Leitung der illegalen KPD-Gruppe in New York. Mitglied der German American Conference und Autor ihres Organs The German American. 1944 führend am Zustandekommen des Council for a Democratic Germany beteiligt. War publizistischen Angriffen Ruth Fischers ausgesetzt. Publizierte 1945 mit Gerhart Eisler und Albert Norden The Lesson of Germany. Oktober 1946 Rückkehr nach Berlin, Eintritt in die SED. Februar–Dezember 1947 Mitarbeiter der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung. 1947/48 Berufung zum Professor für Staatenkunde an der Universität Leipzig. 1. April 1950 Wechsel an das Marx-Engels-Lenin-Institut in Berlin. 1952 Abteilungsleiter am Museum für Deutsche Geschichte. 1953 Promotion zum Dr. phil. in Halle mit einer Arbeit Zur Geschichte der deutschen Außenpolitik 1871–1918. 1960 Ruhestand, danach noch beratende Tätigkeit bei der Erarbeitung der achtbändigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, die 1966 erschien.

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Schroeder, Max 16. April 1900, Lübeck – 14. Januar 1958, Berlin [DDR]. Journalist und Redakteur. Sohn eines Rechtsanwalts. 1918 kurzer Militärdienst und Abitur, danach bis 1924 Studium der Kunstgeschichte und klassischen Philologie in Rostock, Freiburg, München, Berlin und Göttingen, ohne Abschluss. Freier Journalist für den Berliner Börsen-Courier, die Berliner Volkszeitung und Die Weltbühne, trat der KPD bei und stand auf Seiten der „Versöhnler“. Gehörte zu einem Künstlerkreis um den Berliner Breitenbachplatz, wo er Ernst Bloch, Ernst Busch, Axel Eggebrecht, Alfred Kantorowicz, Arthur Koestler und Gustav Regler kennenlernte. 1933 Emigration nach Paris, dort Chefredakteur der Deutschen Nachrichten (Nouvelles d’Allemagne). Leitete seit 1934 die von Kantorowicz initiierte Deutsche Freiheitsbibliothek beim Antifaschistischen Archiv, einem Dokumentationszentrum, das zum Netzwerk der von Willi Münzenberg und André Simone aufgebauten Organisationen gehörte. September 1939 Internierung in Frankreich; vergeblicher Versuch der Weitereise nach Mexiko. Mai 1941 in New York, (ungenannter) Chefredakteur der Zeitschrift The German American. 1945 Ehe mit der amerikanischen Journalistin und Schriftstellerin Edith Anderson (1915–1999), die als Übersetzerin sowie als EuropaKorrespondentin des linksgerichteten New York National Guardian arbeitete. 1948 Geburt der Tochter Cornelia. 1946 Rückkehr nach Berlin, 1947 Eintritt in die SED, Cheflektor des AufbauVerlages. 1956 Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West.

Székely, Hans (János) 7. Juli 1901, Budapest (als János Székely) – 16. Dezember 1958, Berlin [DDR]. Schriftsteller und Drehbuchautor. Stammte aus dem jüdischen Kleinbürgertum. Mit 14 Jahren erste Gedichte in der Zeitung Pesti Hírlap. 1919 Flucht vor dem Horthy-Regime nach Berlin, dort Drehbuchautor für zahlreiche Stumm- und Tonfilme, u. a. Der Herr des Todes (1926, Regie: Hans Steinhoff, mit Fred Solm und Eduard von Winterstein), Ungarische Rhapsodie (1928, Regie: Hans Schwarz, mit Lil Dagover, Willy Fritsch und Dita Parlo), Asphalt (1929, Regie: Joe May, mit Gustav Frölich), Melodie des Herzens (1929, Regie: Hans Schwarz, mit Willy Fritsch und Dita Parlo), Die wunderbare Lüge der Nina Petrowna (1929, Regie: Hans Schwarz, mit Brigitte

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Helm), Ich bei Tag und du bei Nacht (1932, Regie: Ludwig Berger, mit Käte von Nagy und Willy Fritsch). 1934 auf Einladung Ernst Lubitschs Arbeit in Hollywood, u. a. für Desire mit Marlene Dietrich und Gary Cooper (1936). Schrieb 1935 den Roman Kísértés (Verlockung), der erstmals 1949 erschien; leitete danach in Wien eine Schauspielschule. März 1938 Flucht in die USA, wiederum Arbeit in Hollywood. 1940 unter dem Namen John S. Toldy Mitautor des Drehbuches für Arise my Love, dafür Zuerkennung des Academy Award („Oscar“). Schrieb auch unter dem Pseudonym John Pen. 1941 Geburt der Tochter Catherine (später Kati). Verließ Ende der vierziger Jahre die USA und ging nach Mexiko, kam 1957 in die DDR und schrieb dort das Drehbuch für den Film Geschwader Fledermaus. 2006 erschien der in den USA entstandene Roman Der arme Swoboda in deutscher Übersetzung.

Victor, Walther 21. April 1895, Bad Oeynhausen (Westfalen) – 19. August 1971, Bad Berka bei Weimar. Journalist und Schriftsteller. Sohn eines Ziegeleibesitzers und Fabrikdirektors jüdischer Herkunft, ab 1901 in Posen aufgewachsen. 1901–1904 Besuch der Volksschule und 1904–1913 des Gymnasiums in Posen, Teilnehmer des Gründungstreffens der Freideutschen Jugend auf dem Hohen Meißner. 1913/14 Studium der Rechtswissenschaften und Literaturgeschichte in Freiburg und 1918/19 in Halle, ohne Abschluss, dazwischen 1914–1918 Militärdienst im Ersten Weltkrieg. 1918 Mitglied eines Soldatenrates in Halle, 1919 Eintritt in die SPD und Mitarbeit ihres Halleschen Organs Volksstimme. Redakteur verschiedener SPD-Zeitungen: 1919–1923 des Hamburger Echo, 1923–1931 des Sächsisches Volksblattes in Zwickau. 1923–1931 SPD-Stadtverordneter in Zwickau. 1930 wegen angeblicher Gotteslästerung zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, amnestiert u. a. nach Bemühungen von Kurt Tucholsky, publizistische Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten, die ihn (auch antisemitisch) bedrohten, was 1932 zu seinem Wegzug aus Zwickau nach Berlin führte. 1932–1933 Feuilletonredakteur des Acht-Uhr-Abendblattes. Seit Februar 1933 illegal lebend (zumeist als „Werner Voigt“), zuerst in Berlin, dann auf der Insel Reichenau im Bodensee. 1935 Verhaftung, danach Flucht in die Schweiz, wohin ihm seine Frau, die Kinderbuchautorin Maria Gleit (ursprünglich Hertha Gleitsmann, 1909–1981), und seine Mutter folgen konnten. Redakteur der Zeitschrift Die Naturfreunde und Gründung des Verbano-Verlages. Publika-

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tion in linken Schweizer Zeitschriften, in der Prager Volksillustrierten sowie der Moskauer Zeitschrift Das Wort. 1937 Geburt des Sohnes Vito. 1938 Ausweisung aus der Schweiz, ging zunächst mit seiner Familie nach Luxemburg, arbeitete dort am Escher Tageblatt, und gelangte im Juli 1939 nach Frankreich. 1940 Verhaftung in Paris, Internierung in verschiedenen Lagern, nach Entlassung Flucht nach Portugal. Oktober 1940 Ankunft in New York, dort zeitweise als ungelernter Arbeiter tätig, schrieb die Autobiographie Kehre wieder über die Berge, die 1945 erschien. 1941 Verlagsangesteller der American Book and Stratford Press, 1943–1945 Produktionsleiter des Verlages Alfred A. Knopf in New York. Schrieb für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, darunter The German American (New York) und Freies Deutschland (Mexiko). 1943–1946 Mitglied der Leitung des Komitees Freies Deutschland in den USA, Annäherung an die KPD. 1946–1947 UNOKorrespondent für verschiedene Zeitungen der Schweiz und der Niederlande. Februar 1947 Rückkehr nach Europa, zunächst nach Luxemburg ab Juni in Hamburg, Weiterreise nach Dresden, dort Arbeit in der Sächsischen Landesregierung, u. a. als Pressechef von Ministerpräsident Max Seydewitz. 1947 Eintritt in die SED und freier Schriftsteller. 1948 Mitbegründer und 2. Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Autoren. 1949–1950 Literarischer Leiter der Büchergilde Gutenberg in Berlin, 1950 Geschäftsführender Vorsitz des Schriftstellerverbandes im Kulturbund der DDR, lebte ab 1951 in Kleinmachnow bei Berlin. 1952 Vorstandsmitglied im Deutschen Schriftstellerverband, 1957– 1959 dessen Sekretär, 1961 Ehrenmitglied. 1961 Ehrendoktorat der Universität Greifswald, Titularprofessor. 1961 Umzug nach Weimar.

Wagner, Louise 24. Juni 1906, Dresden (als Louise Hahn), Todesdatum unbekannt. Lehrerin. Angestellte. 1924 Eintritt in die SPD, Januar–Juni 1926, Besuch der Heimvolkshochschule in Gera-Tinz. 1932 Anschluss an die Gruppe Rote Kämpfer (was sie in der SPD verschweigen musste). 1933 (?) Emigration in die Schweiz, 1941 in die USA, dort Annäherung an die KPD. 1947 Rückkehr nach Ostdeutschland, Eintritt in die SED. Lehrerin an der Parteihochschule der SED in Liebenwalde und ab 1948 in Kleinmachnow. 1949 Streichung als SED-Mitglied und Abberufung von der Parteihochschule.

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Walcher, Jacob 7. Mai 1887 Betlehain (Württemberg) – 23. Juli 1970, Berlin [DDR]. Dreher und KPD- bzw. SAP-Politiker. Sohn eines Landwirtes. 1894–1901 Besuch der Volksschule in Wain (Württemberg). Ausbildung als Dreher und Arbeit im Beruf. 1906 Mitglied der SPD und des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. 1906– 1910 Vorsitzender der Freien Sozialistischen Jugend in Stuttgart. Bildung im Rahmen der SPD, 1910 Besuch der SPD-Parteischule in Berlin, lernte dort Rosa Luxemburg und Franz Mehring kennen. In Stuttgart Bekanntschaft und Freundschaft mit Hermann und Käte Duncker, Clara Zetkin, Albert Schreiner und Fritz Westmeyer. 1911–1915 Redakteur des Schwäbischen Tageblattes in Stuttgart, wegen Gegnerschaft zur „Burgfriedens“-Politik des SPD-Parteivorstandes abgesetzt und Anschluss an die Spartakusgruppe. 1915–1918 Kriegsdienst, 1918 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Stuttgart. 1918 Mitglied des Spartakusbundes. 1918/19 Mitbegründer der KPD, 2. Vorsitzender des Gründungsparteitages. 1920 Kandidat, 1921 Mitglied der KPD-Zentrale, verantwortlich für Gewerkschaftsfragen. 1924–1927 Mitarbeiter der Zentrale und Mitglied der Exekutive der Roten Gewerkschafts-Internationale in Moskau. 1927–1928 Mitarbeiter der Abteilung Gewerkschaftsfragen beim ZK der KPD in Berlin. 1928 Ausschluss aus der KPD wegen Opposition zur ultralinken Politik des ZK. 1928/29 Mitbegründer und 1928–1931 Mitglied der Reichsleitung der KPD-Opposition, Mitherausgeber und Mitarbeiter der Zeitschrift Gegen den Strom. 1929–1930 hauptamtlicher Sekretär der KPO-Reichsleitung. 1932 aus der KPO ausgeschlossen und Übertritt zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Mitglied der Reichsleitung und hauptamtlicher Sekretär. 1933 Emigration nach Spanien und Frankreich, dort 1933 Kontakte mit Leo Trotzki. In Paris Mitarbeit im Lutetia-Kreis, der sich für ein Zusammengehen mit der KPD und der SPD einsetzte. Freundschaft mit Willy Brandt. 1939 de-factoRückzug aus der Exil-SAP. 1941 Emigration nach New York, näherte sich dort der KPD an. Arbeit als Dreher. 13. Mai 1941 Heirat mit Hertha Gordon in New York. Freundschaft mit Bertolt Brecht. 1944 leitende Mitarbeit im Council for a Democratic Germany. 1946 Rückkehr über Bremen nach Berlin. 1946–1949 Chefredakteur der FDGB-Zeitung Tribüne, 1949–1951 Mitarbeit im FDGB-Archiv und im Deutschen Institut für Zeitgeschichte. 1947 Eintritt in die SED. Mai 1951 Ausschluss wegen seiner KPO- und SAP-Vergangenheit.

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1956 Ablehnung einer Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Staatssicherheit. In der Zeit der politischen Isolation Unterstützung durch Bertolt Brecht. 1956 parteiintern rehabilitiert.

Walcher, Hertha 9. August 1894, Königsberg (als Hertha Gordon) – 27. Dezember 1990, Berlin. Stenotypistin und Übersetzerin. Aus jüdischer Familie stammend. 1900–1908 Besuch der Volksschule. 1912 Übersiedlung nach London und Ausbildung als Stenotypistin. 1914 von London aus Kontaktaufnahme zu Clara Zetkin, die zu Hertha Gordons politischer Lehrerin wurde. Januar/Februar 1915 Übersiedlung nach Stuttgart und persönliche Bekanntschaft mit Clara Zetkin und Friedrich Westmeyer (SPD-Vorsitzender in Stuttgart). März 1915 Eintritt in die SPD. 1917–Januar 1918 in Königsberg, Verhaftung wegen „pazifistischer Propaganda“ und Internierung im Lager Holzminden. Juni 1918 durch Vermittlung Clara Zetkins und der sowjetrussischen Botschaft in Berlin auf dem Austauschwege nach Moskau verbracht, dort Treffen mit W. I. Lenin. Juni-November 1918 Sekretärin bei Karl Radek; pro forma Heirat mit Hermann Osterloh. Anfang Dezember 1918 Rückkehr nach Deutschland, Januar 1919 in Berlin, dann in Stuttgart wohnend. Oktober 1919 Teilnahme am 2. (Heidelberger) Parteitag der KPD. 1920–1925 Sekretärin von Clara Zetkin. Bekanntschaft, dann Lebenspartnerschaft mit Jacob Walcher. 1925–1926 Arbeit am Marx-Engels Institut in Moskau. 1926–1927 Tätigkeit in der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin. 1928/1929 Bruch mit der KPD und Mitglied der KPO. 1932 mit Jacob Walcher Übertritt zurr SAP. 1933–1940 Exil in Paris und Arbeit in der SAP-Auslandsabteilung mit Jacob Walcher. 1941 Emigration nach New York, dort u. a. Arbeit als Stenotypistin und Übersetzerin. 13. Mai 1941 Heirat mit Jacob Walcher in New York. 1946 Rückkehr über Bremen nach Berlin, seitdem Tätigkeit als freischaffende Übersetzerin. Mitglied in der SED und politische Tätigkeit in der Wohnparteiorganisation.

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Wedding, Alex 11. Mai 1905, Salzburg (als Margarethe Bernheim) – 15. März 1966, Saalfeld (Thüringen). Schriftstellerin. Tochter eines kaufmännischen Angestellten jüdischer Herkunft. 1911–1921 Besuch der Volks- und Mittelschule, danach Ausbildung zur Bankkauffrau und Arbeit im Beruf. 1925 Übersiedlung nach Berlin, dort Angestellte im Buchhandel und im Malik-Verlag, Stenotypistin in der Handelsvertretung der Sowjetunion. Mitglied der KPD. 1931 Ehe mit F. C. Weiskopf, erste Buchveröffentlichung Ede und Unku. 1933 Emigration nach Prag, redaktionelle Mitarbeit an der ArbeiterIllustrierten Zeitung. 1939 Emigration nach Paris. 1941 Emigration nach New York. 1948–1952 Begleitung F. C. Weiskopfs im diplomatischen Dienst der Tschechoslowakei nach Washington, Stockholm und Peking. 1952 Rückkehr nach Prag. November 1953 Übersiedlung nach Berlin. In der DDR als Kinderbuchautorin sehr populär. Verfilmung ihrer beiden erfolgreichsten, noch in der Weimarer Republik bzw. im Exil geschriebenen Kinderbücher Ede und Unku und Das Eismeer ruft. 1956 Mitglied der Akademie der Künste.

Weigel, Helene 12. Mai 1900, Wien – 6. Mai 1971, Berlin [DDR]. Schauspielerin und Theaterdirektorin. Vater Prokurist, später Direktor einer Textilfirma. Jüdischer Herkunft, doch säkular erzogen. 1907–1915 Besuch der Volksschule in Wien, 1915–1918 Besuch eines Lyzeums und des Realgymnasiums von Eugenie Schwarzwald. Schauspielund Sprechunterricht in Wien und erste kleine Rollen am Theater in TetschenBodenbach. 1921 Engagement am Schauspielhaus in Frankfurt a. M. 1922 Umzug nach Berlin, Engagement u. a. am Staatstheater, ab 1927 auch Auftritte auf Arbeiterbühnen. 1923 Verbindung mit Bertolt Brecht, 1929 Heirat und Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft. 1924 Geburt des Sohnes Stefan, 1930 Geburt der Tochter Barbara. 28. Februar 1933 Emigration über Prag nach Wien, die Schweiz und Dänemark. Juni 1937 Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft.

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21. Juni 1941 Einreise (über die Sowjetunion) in die USA. Wohnsitz mit Brecht in Santa Monica. 1944 Nebenrolle im Film The Seventh Cross (Das siebte Kreuz). Am 19. November 1947 verließ Helene Weigel mit der Tochter Barbara die USA, der Sohn Stefan entschloss sich, in den USA dauerhaft zu bleiben. Nach einem Zwischenaufenthalt in Paris Ankunft in Zürich, wo sich Brecht bereits aufhielt. Am 17. Oktober 1948 verließen Brecht und Weigel Zürich und reisten über Prag nach Ostdeutschland. 22. Oktober Ankunft in Berlin. 8. November 1949 Eröffnung der ersten Spielzeit des Berliner Ensembles mit Helene Weigel als Intendantin und Brecht als künstlerischem Leiter. Eintritt in die SED. Am 12. April 1950 erhielt Helene Weigel (neben der deutschen) die österreichische Staatsbürgerschaft zurück. Im September 1950 begleitete Helene Weigel das Berliner Ensemble bei einem Gastspiel in Wien. Seitdem zahlreiche Auslandsaufenthalte. Populäre Rollen in Brecht-Stücken: Pelageja Wlassowa (in Die Mutter), Anna Fierling (in Mutter Courage und ihre Kinder), Teresa Carrar (in Die Gewehre der Frau Carrar), Natella Abaschwilli und Mütterchen Grusinien (in Der kaukasische Kreidekreis), Volumnia (in Coriolan), Frau Luckerniddle (in Die heilige Johanna der Schlachthöfe), auch Hauptrollen in Stücken anderer Autoren: Frau Großmann (in Katzengraben von Erwin Strittmatter), Wassilissa (in Die Ziehtochter oder: Wohltaten tun weh von Alexander Ostrowski), Martha Flinz (in Frau Flinz von Helmut Baierl)). Film- und Fernsehauftritte, u. a. in Mutter Courage (1960, Drehbuch: Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth). September 1951 unabhängige Kandidatin für die SED in Westberlin bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Von Mai bis November 1953 lebte Helene Weigel von Brecht zeitweise getrennt und bezog mit ihrer Tochter eine eigene Wohnung in der Reinhardtstraße. Lebte später auch in Buckow (Märkische Schweiz). 1956 trat Helene Weigel als Reaktion auf die „Geheimrede“ Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU aus der SED aus. Nach Brechts Tod am 14. August 1956 berief Helene Weigel Erich Engel zum Oberspielleiter an das Berliner Ensemble. 1960 Ernennung zur Titularprofessorin. 1967 Entscheidung für die von Elisabeth Hauptmann maßgeblich redigierte Gesamtausgabe der Schriften Bertolt Brechts im Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M.

Weiskopf, Franz Carl 3. April 1900, Prag – 14. September 1955, Berlin [DDR]. Schriftsteller und Diplomat.

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Führte als Schriftsteller zumeist die Initialen F. C. Sohn eines Bankbeamten jüdischer Herkunft. Besuch der deutschen Volksschule und des Altstädter Realgymnasiums in Prag, 1918 Abitur. 1918 kurzer Militärdienst, anschließend Studium der Germanistik und Geschichte an der Deutschen Universität in Prag. 1923 Promotion zum Dr. phil. 1919–1921 Mitglied der (Deutschen) Sozialdemokratie in der ČSR, 1921 Übertritt zur KPČ. 1920 Austritt aus der jüdischen Gemeinde. Ab 1920 journalistische Tätigkeit, ab 1924 TASS-Auslandskorrespondent. Mitglied der tschechischen Dichtergruppe „Devetsil“. 1926 Reise in die Sowjetunion. 1928 Umzug nach Berlin. 1928–1933 Lektor, Redakteur und Journalist, u. a. 1928–1931 Feuilletonredakteur der Zeitschrift Berlin am Morgen. Mitglied des Bundes ProletarischRevolutionärer Schriftsteller. 1931 Ehe mit Alex Wedding. Februar 1933 als tschechoslowakischer Staatsbürger aus Deutschland ausgewiesen. 1933–1937 Chefredakteur der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, 1937–1938 der Volks-Illustrierten in Prag, benutzte auch das Pseudonym F. W. L. Kovacs. 1934 Gast beim 1. Allunions-Kongress der sowjetischen Schriftsteller in Moskau. 1938 Emigration nach Paris, schmuggelte dabei ein Exemplar des tschechoslowakischen Weißbuches über München außer Landes, das anschließend in mehreren Sprachen erschien. In Paris Mitarbeit im Schutzverband Deutscher Schriftsteller. Juni 1939 Teilnahme am Kongress der League of American Writers in New York. Das Ehepaar Weiskopf kehrte infolge Kriegsbeginns 1939 nicht nach Europa zurück. In New York Mitarbeit in der Tribune for German Culture. Journalistische Tätigkeit und Arbeit als Übersetzer. Nach 1945 im diplomatischen Dienst für die Regierung der ČSR. 1946–1947 Presseattaché beim Generalkonsulat der ČSR in New York, 1948–1949 Botschaftsrat in den USA (Washington, D.C.), 1949 Botschafter in Schweden und 1950–1952 in China. Juli 1952 Rückruf nach Prag, dort Vernehmung durch die ParteikontrollKommission im Kontext des Slánský-Prozesses. November 1953 Übersiedlung mit seiner Frau nach Berlin und Staatsbürger der DDR. 1954 Mitbegründer und zusammen mit Willi Bredel Chefredakteur der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur. 1954 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Schriftsteller-Verbandes und der Deutschen Akademie der Künste. Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West. 1968 von der KPČ wegen der Verfolgung 1952/53 posthum rehabilitiert.

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Wollenberger, Albert 21. Mai 1912, Freiburg (Breisgau) – 25. September 2000, Berlin. Biochemiker und Pharmakologe. Entstammte dem jüdischen Bürgertum. Schulbesuch in Genf und ab 1919 in Berlin. 1931 Abitur, anschließend Beginn des Studiums der Medizin und Biologie in Berlin. Eintritt in die KPD. Am 28. Februar 1933 Emigration in die Schweiz, später nach Frankreich und Dänemark. Arbeit u. a. als Lieferwagenfahrer für eine Likörfabrik. 1935/36 zwischenzeitlich illegale Arbeit in Berlin im Auftrag der KPD. 1937 Emigration in die USA mit Hilfe seiner Tante Helene Dukas (der Sekretärin Albert Einsteins), dort ab 1940 Fortsetzung des Studiums an der Harvard University. Gründung der Gruppe „Freunde des Freien Deutschlands“. 1945 Promotion bei Fritz Lippmann. Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter am Pharmakologischen Institut der Harvard University bei Otto Krayer. 1951 Rückkehr nach Europa, zunächst nach Dänemark und Schweden. Gastprofessuren am Carlsberg-Laboratorium der Universität Kopenhagen und am Institut für Biochemie der Universität Uppsala. Nach einem Forschungsaufenthalt in London wiederum Gastprofessor am Institut für Neurophysiologie der Universität Kopenhagen. Vater von sieben Kindern, u. a. des Mathematikers Knud Wollenberger (1952–2012), der seit 1972 als inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit kirchliche Oppositionsgruppen unterwanderte. Zeitweilig Schwiegervater der Publizistin und DDR-Bürgerrechtlerin Vera Wollenberger bzw. Lengsfeld (geb. 1952), die sich später der politischen Rechten zuwandte. 1954 Rückkehr in die DDR und Professor für Pharmakologie an der Berliner Humboldt-Universität. Eintritt in die SED. 1956 Mitbegründer und ab 1962 Leiter der Arbeitsstelle für Biochemie des Herzens an der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch. 1965–1972 Direktor des Institutes für Kreislaufforschung an der Akademie, 1972–1978 Leiter des Bereiches Molekulare und Zelluläre Kardiologie am Zentralinstitut für Herz-Kreislaufforschung der Akademie. 1978 Emeritierung. 1968 Mitbegründer und 1973–1976 Präsident der International Society of Heart Research. 1969 Mitbegründer des Journal of Molecular and Cellular Cardiology. Entwickelte u. a. ein Verfahren zur Konservierung von Gewebe am schlagenden Herzen (Wollenberger clamp).

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Zahn, Alfred Franz 17. August 1903, Hamburg – 14. April 1972, Berlin [DDR]. Journalist und Redakteur. Sohn eines Maschinisten. Bis 1918 Besuch der Volksschule in Hamburg, anschließend bis 1921 Besuch des Lehrerseminars in Havelberg. 1921 Abbruch der Lehrerausbildung. Eintritt in die KPD, Technischer Sekretär der KPD in Hamburg und Leiter der Jugendbeilage der Hamburger Volkszeitung. Oktober 1923 Teilnahme am Hamburger Aufstand, anschließend Illegalität und 1924–1927 in der Sowjetunion. 1924–1925 Schulinspektor und Englischlehrer an der deutschen Schule sowie Kursant der Komintern-Schule der nationalen Minderheiten und Inspektor am Volksbildungskommissariat für nationale Minderheiten in Cherson. 1925–1927 Mitarbeiter der Internationalen Roten Hilfe in Moskau sowie Leiter ihres Pressebüros. Mitglied der KPdSU(B). Nach einer Amnestie 1927 Rückkehr nach Deutschland. In Hamburg hauptamtlicher Korrespondent der Moskauer Eisenbahnerzeitung Gudok. Schrieb Theater- und Filmkritiken für die Hamburger Volkszeitung. Bis 1932 Geschäftsführer der Hamburger Zweigstelle von Zentrosojus. Mitarbeiter des AM-Apparates, des Nachrichtendienstes der KPD. 1932–1933 offiziell Inhaber eines Antiquariats, in Wirklichkeit Arbeit in der Passfälscherzentrale des Zentralkomitees der KPD in Berlin. Mai 1933 Verhaftung. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und Urkundenfälschung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Bis 1935 Inhaftierung in Plötzensee, Hamburg und Wolfenbüttel, danach Emigration nach Frankreich. Dort Arbeit als Pressefotograf. Mitglied und Leiter der Propagandaabteilung des Komitees für Recht und Freiheit in Deutschland. 1936–1939 Arbeit beim Deutschen Freiheitssender 29,8 in Spanien. Im Exil und später auch als „Ralph“ bzw. „Ralf“ bekannt. September 1939 Internierung in Paris, Le Vernet und Les Milles. 1941 Emigration nach New York. Seit 1943 Mitarbeit an der Zeitschrift The German American. 1946–1947 mit Albert Norden Herausgabe des NachfolgeRundbriefes Germany Today. Dezember 1946 Rückkehr nach Deutschland und Eintritt in die SED. 1947 Lektor an der SED-Parteihochschule in Liebenwalde, Leiter des ersten Lehrganges für Journalisten. 1947–1949 Intendant des Landessenders Schwerin, 1949–1953 Programmdirektor beim Berliner Rundfunk und Chefredakteur der Zeitschrift Unser Rundfunk. 1953 Chef vom Dienst bei der DDR-Nachrichtenagentur ADN. 1954–1956 Chefredakteur des Kongress-Verlages und der Monatszeitung Der Reporter,

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1954–1957 stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Das Magazin. 1958 Redakteur der Zeitschrift Probleme des Friedens und des Sozialismus beim DietzVerlag, 1959 Leiter der arabischen Redaktion bei Radio Berlin International (RBI), 1959–1961 Leiter des Überseeprogramms von RBI. 1962–1968 Leiter des Pressearchivs und der Bibliothek des Staatlichen Rundfunkkomitees.

Zahn, Lola 9. August 1910, Hamburg (als Helene Golodez) – 17. Februar 1998, Berlin, Juristin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Tochter eines russisch-jüdischen Chemikers und Unternehmers. Staatenlos. Besuch der Lichtwarkschule in Hamburg. 1929–1933 Studium der Rechtswissenschaft in Hamburg, Freiburg und Heidelberg, als Studentin KPD-Mitglied; wegen ihrer Staatenlosigkeit nicht zum Referendarexamen zugelassen. Ihr Antrag auf Einbürgerung wurde wegen ihrer kommunistischen Haltung abgelehnt. 1933 erzwungener Abbruch des Studiums und Emigration nach Frankreich, dort Bekanntschaft mit Anna Seghers und Egon Erwin Kisch. Kurzzeitig im Pariser Frauengefängnis Petite Rocquette inhaftiert. Fortsetzung des Studiums an der Sorbonne in Paris. 1937 Promotion bei Celestin Bouglé und Maurice Halbwachs mit einer vergleichenden Arbeit über die sowjetische Planwirtschaft und den amerikanischen New Deal. Teilnahme an einem Diskussionszirkel mit Jean-Richard Bloch, Georges Friedmann und Raymond Aron. 1937–1938 Forschungsstipendien aus dem Fonds des Universitätsrates für Sozialforschung, dadurch Fortsetzung des Studiums am Institut für Statistik. Ehe mit Alfred Zahn, zwei Kinder. Juni 1940 Flucht nach Südfrankreich. 1941 Emigration nach New York, dort Redakteurin der Zeitschrift The German American. Statistikerin im Sozialdienst der Psychiatrischen Abteilung des Bellevue Hospitals in New York. Dezember 1946 Rückkehr nach Deutschland und Eintritt in die SED. 1947 Professorin mit Lehrauftrag für Wirtschaftsplanung an der Universität Rostock. 1949 Habilitation in Berlin, 1951 Professorin für politische Ökonomie an der Humboldt-Universität. 1952 Prodekanin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. 1957 Konflikte an der Universität, Lösung des Arbeitsverhältnisses und Versetzung in den Ruhestand bei Kürzung des Gehaltes um die Hälfte. 1958 wissenschaftliche Mitarbeiterin im DDR-Finanzministerium, 1960/61 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften. 1971 Emeritierung.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivquellen Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch), Archiv der SED, Berlin: DY 30/IV 2/1: Tagungen des Parteivorstandes bzw. des ZK der SED. DY 30/J IV 2/3: Sitzungen des Kleinen Sekretariats bzw. des ZK-Sekretariats. DY 30/IV 2/4: Zentrale Parteikontroll-Kommission (ZPKK). DY 30/IV 2/11/v.: Abteilung Kaderfragen. 194: [Rückreise aus der Emigration]. 195: [Prozess gegen Gerhart Eisler in den USA]. 255: [USA-Emigration]. 439: Max Schroeder. 630: Maria Deter. 749: Gerhart Eisler. 1142: Jacob Walcher. 1239: Alfred Zahn. 2509: Hermann Budzislawski. 2512: Philipp Daub. 2921: Adolf Deter. 4504: Wieland Herzfelde. 4527: Albert Norden. DY 30/IV 2/9.02/75: Amt für Information. Nachlässe und Bestände: NY 4036: Wilhelm Pieck. NY 4087: Jacob Walcher. NY 4117: Gerhart Eisler. NY 4182: Walter Ulbricht. NY 4198: Albert Schreiner. NY 4217: Albert Norden. NY 4243: Philipp Daub. NY 4445: Hermann Duncker.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Erinnerungsarchiv: SgY 30/0328: Joseph Gutsche. SgY 30/0850: Albert Schreiner. SgY 30/1301: Jacob Walcher.

Bundesarchiv, Abteilung Berlin, Ministerrat der DDR: DC 20/7874: Personalakte Walter Friedeberger. Sächsisches Hauptstaatsarchiv, Dresden: Bestand SED-Landesleitung Sachsen, Signatur IV/A/2017. Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung 3, Merseburg: P 522: Kaderakten von SED-Funktionären des Bezirkes Halle (Auswahl), Nr. 167: Willi Busch. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), MfS-Zentralarchiv (ZA), Berlin: HA VIII (Beobachtung, Ermittlung): 2/2, HVA/I, Allg. P 2063/77. HA IX (Untersuchungsorgan): AV 4/74, Bd. 11; SV 1/81, Bd. 286; SV 1/84, Bd. 1; SV 19/77, Bd. 1; SV 25/79; SV 31/84; ZUV, Nr. 76; Allg. P., Bd. 1829/55; AKK 8661/76, Bd. 2. Hauptabteilung (HA) XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund): AIM 175/86, Bd. 2; AIM 11229/81; AKG 853; ZMA 4130, Bd. 1. BStU, Außenstelle Leipzig, Archiv: HA V (Überwachung, Staatsapparat): LPZ AOP 2839/63; BV Lpz. 00273/02. Archiv der Akademie der Künste (Exilarchiv), Berlin: Georg-Friedrich-Alexan-Archiv, Nr. 1; 2; 81. Hermann-Budzislawski-Archiv, Nr. 118; 122; 242; 252; 267. Hanns-Eisler-Archiv, Nr. 4237. Elisabeth-Hauptmann-Archiv, Nr. 25; 464; 1848. Wieland-Herzfelde-Archiv, Nr. 151-174; 318; 2014; 3018. Maximilian-Scheer-Archiv, Nr. 1198-1203. Bertolt-Brecht-Archiv im Archiv der Akademie der Künste, Berlin: Nr. 1959/32 (Council for a Democratic Germany, Fürsorge-Kommission, 4. März 1944). Nr. 2061/61-98 (Sitzungsprotokolle des Council for a Democratic Germany). Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin: Personalakten: Albert Norden; Karl Obermann; Samuel Mitja Rapoport.

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Anhang

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572

Anhang

Bertolt Brecht Before the Committee on Un-American Activities. An Historical Encounter, presented by Eric Bentley, Folkway Records FD 5531 (1963). American Folk Blues, Amiga 850 043 (DDR, 1964). The Beatles, Amiga 850 040 (DDR, 1965). American Folk Blues Festival 66 (1 und 2), Amiga 855 114 bzw. 855 126 (DDR, 1966). Bob Dylan, Amiga 840 040 (DDR, 1967). Pete Seeger, We Shall Overcome, Amiga 845 038 (DDR, 1967). Joan Baez, Amiga 840 042 (DDR, 1971). Solidarity Song. The Hanns Eisler Story. Produktion: Rhombus Media Inc., Arte/ZDF, Regie: Larry Weinstein/Thomas Wellner (1995). Erstsendung: 27. August 1996, The New Style Arts Channel/Kanada; auch im Internet unter: pratercottage.posterous.com/41520712. Zwischen den Welten. Das Leben der Margrit Pittman. Dokumentarfilm der Arte Nova GmbH, Hannover, Regie: Hans-Joachim Ulbrich, 2010. Die Stimme Amerikas. Film von Michael Rauhut und Tom Franke. Erstausstrahlung im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) am 8. November 2016.

Verzeichnis der an den Kapitelanfängen zitierten Liedtexte B. B. King: Into the Night, written by Ira Newborn. LP: Six Silver Strings, MCA– 5616 (1985). Auch auf: B. B. King, Amiga Blues Collection 3, Amiga 856 180 (DDR, 1986). Arlo Guthrie: The City of New Orleans, written by Steve Goodman. LP: Arlo Guthrie, Hobo’s Lullaby, Reprise Records REP 44 169 (1972). Chris de Burgh: Say Goodbye to It All, written by Chris de Burgh. LP: Into the Light, A&M Records SP–51 21 (1986). Bob Dylan: I Pity the Poor Immigrant, written by Bob Dylan. LP: John Wesley Harding, CBS 63 252 (1967). Billy Joel: We Didn’t Start the Fire, written by Billy Joel. LP: Storm Front, CBS 465 658 1 (1989). Jim Croce: New York’s Not My Home, written by Jim Croce, LP: You Don’t Mess Around With Jim, Vertigo 6360 700 (1972). Janis Joplin: Me and Bobby McGee, written by Kris Kristoffersen and Fred Foster. LP: Pearl, CBS 64 188 (1970; released 1971). Auch auf: Janis Joplin, Amiga 855 839 (DDR, 1981). Simon & Garfunkel: The Boxer, written by Paul Simon and Art Garfunkel. LP: Bridge Over Troubled Water, CBS 63 699 (1970). Auch auf: Simon & Garfunkel’s Greatest Hits, CBS 69 003 (1972) und Amiga 855 684 (DDR, 1979). Leonard Cohen: The Partisan, written by Anna Marly, Emmanuel d’Astier, and Hy Zaret. LP: Songs From a Room, CBS 63 587 (1969). Auch auf: Leonard Cohen’s Greatest Hits, CBS 69 161 (1975) und Amiga 855 790 (DDR, 1982).

Abkürzungsverzeichnis

AAA AADG ABBAW AdK ADN AdW AFC AFL AM-Apparat ATP BArch BBC BV CBS CIA CIAA CIC CIO CPUSA ČSR DAKV DEFA DÖW EKKI FBI FDGB FEBS FNB FOIA GACD GAWA Gestapo

Agricultural Adjustment Act American Association for a Democratic Germany Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Akademie der Künste Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (der DDR) Akademie der Wissenschaften America First Committee American Federation of Labor Antimilitärischer Apparat (Nachrichtendienst der KPD) Adenosintriphosphat Bundesarchiv Berlin British Broadcasting Corporation Bezirksverwaltung (der DDR-Staatssicherheit) Columbia Broadcasting System Central Intelligence Agency Coordinator of Inter-American Affairs Counter Intelligence Corps Congress of Industrial Organization Communist Party of the USA Tschechoslowakische Republik Deutsch-Amerikanischer Kulturverband/German American League for Culture Deutsche Film-Aktiengesellschaft Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Federal Bureau of Investigation Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Federation of European Biochemical Societies Foreign Nationalities Branch Freedom of Information Act (Abkürzung in Archivbeständen) German-American Congress for Democracy German American Writers Association Geheime Staatspolizei

574

GI GPU

GRU

HA HUAC HUB ILP INO INS IRH IRT ISK IUBM IVKO KGB

KI KJVD Kominform Komintern KP KPČ KPD KPDO/KPO KPdSU KPdSU(B) KPÖ KPR(B) KZ LP LPKK MASCH

Anhang

Geheimer Informator (der DDR-Staatssicherheit) Gosudarstvennoe Političeskoe Upravlenie (Staatliche Verwaltung; Bezeichnung für die Geheimpolizei 1922–1934, zuletzt als Objedinjonnoje Gosudarstvennoe Političeskoe Upravlenie, Vereinigte Staatliche Verwaltung) Glavnoe Razvedyvatel’noe Upravlenie (Hauptverwaltung für Aufklärung; leitendes Organ des sowjetischen Militärgeheimdienstes) Hauptabteilung (der DDR-Staatssicherheit) House Un-American Activities Committee (hier übersetzt als Ausschuss für Unamerikanische Tätigkeit) Humboldt-Universität zu Berlin Independent Labour Party Innostrannyi Otdel (Auslandsabteilung des sowjetischen Geheimdienstes) Immigration and Naturalization Service Internationale Rote Hilfe Interborough Rapid Transit Company Internationaler Sozialistischer Kampfbund International Union of Biochemistry & Molecular Biology Internationale Vereinigung der Kommunistischen Opposition Komitet Gosudarstvennoj Besopasnosti (Komitee für Staatssicherheit; Bezeichnung für den sowjetischen Geheimdienst 1954–1991) Kommunistische Internationale Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kommunistisches Informationsbüro Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei-Opposition (Deutschlands) Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kommunistische Partei Österreichs Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) Konzentrationslager Langspielplatte Landesparteikontroll-Kommission Marxistische Arbeiterschule

Abkürzungsverzeichnis

M.D. MDR MfS MID MP MWD

575

Doctor of Medicine (US-amerikanisches Berufsdoktorat) Mitteldeutscher Rundfunk Ministerium für Staatssicherheit (der DDR) Military Intelligence Division Maschinenpistole Eingedeutschte Abkürzung für Ministerstvo Vnutrennich Del (Ministerium für Innere Angelegenheiten) NAACP National Association for the Advancement of Colored People NAR, RG National Archives Records, Record Group NATO North Atlantic Treaty Organization NBI Neue Berliner Illustrierte NKFD Nationalkomitee Freies Deutschland NKVD/NKWD Narodnyi Kommissariat Vnutrennich Del (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten; sowjetisches Innenministerium, 1934–1946 auch Bezeichnung der ihm unterstellten Geheimpolizei; 1946–1954 war die Geheimpolizei dem MWD unterstellt) NL Nachlass NS/N.S. Nationalsozialismus/nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NVZ Neue Volkszeitung OMS Otdel’ Meždunarodnoj Svjazi (Abteilung Internationale Verbindungen) ONA Overseas News Agency ONI Office of Naval Intelligence OSS Office of Strategic Services OV Operativer Vorgang (der DDR-Staatssicherheit) OWI Office of War Information PA Personalakte PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PEN Poets, Essayists and Novelists Ph.D. Doctor of Philosophy (höchster akademischer Abschluss in den USA auch in naturwissenschaftlichen Fächern und in Medizin) Polbüro Politisches Büro, Politbüro POUM Partido Obrero de Unificación Marxista (Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit) RBB Rundfunk Berlin-Brandenburg RFB Roter Frontkämpferbund RG Record Group (in den U.S. National Archives)

576

RGASPI

Anhang

Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Social’no-Političeskoj Istorii (Russländisches Staatsarchiv der sozial-politischen Geschichte) RGI Rote Gewerkschaftsinternationale RGO Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition RKP(B) Russkaja Kommunističeskaja Partija (Bolševikov) SA Sturmabteilung SAC Special Agent in Charge (Diensthabender des FBI) SAP Sozialistische Arbeiterpartei SAPMO-BArch Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv SBZ Sowjetische Besatzungszone SDS Schutzverband Deutscher Schriftsteller SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SOPADE Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD im Exil) SS Schutzstaffel SWP Socialist Workers Party TASS Telegrafnoe Agentstvo Sovetskogo Sojuza (Telegrafenagentur der Sowjetunion) UA Universitätsarchiv UAP Unabhängige Arbeiterpartei UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VDK Verband Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VOKS Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej (AllunionsGesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland) WEVD New Yorker Radiostation; der Name nahm Bezug auf die Initialen von Eugene Victor Debs, dem Mitbegründer der Sozialistischen Partei der USA WOL (Ursprünglich: Worldnews) Radiostation in Washington, D. C. WPA Works Progress Administration ZA Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit ZK Zentralkomitee ZKK Zentrale Kontrollkommission ZPKK Zentrale Parteikontrollkommission ZVU (Deutsche) Zentralverwaltung für Umsiedler