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German Pages 239 [240] Year 2012
WERKZEUGE UND INSTRUMENTE
VIII HAMBURGER FORSCHUNGEN ZUR KUNSTGESCHICHTE Studien, Theorien, Quellen Herausgegeben vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg
WERKZEUGE UND INSTRUMENTE Herausgegeben von Philippe Cordez und Matthias Krüger
Akademie Verlag
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Inhaltsverzeichnis
PHILIPPE CORDEZ, MATTHIAS KRÜGER Einleitung PHILIPPE CORDEZ Werkzeuge und Instrumente in Kunstgeschichte und Technikanthropologie
VII
1
FRANÇOIS POPLIN L’outil, la matière et la main dans la profondeur de l’esprit
21
MARTINE CLOUZOT Matières en mouvement. Instruments de musique, objets et sonorités dans les livres peints (milieu 13e – milieu 14e siècles)
33
JULIA SAVIELLO Instrumente der Ordnung – Objekte der Verführung. Elfenbeinkämme als Bildträger im 14. und 15. Jahrhundert
49
ULRICH PFISTERER Das Werkzeug in der Sammlung – oder: Der König vor Cornelis Gijsbrechts’ Staffelei
67
GOTLIND BIRKLE Zwischen ästhetischer Norm und neuartigen Darstellungsverfahren. Der Pinsel in der Aquarellmalerei um 1800
93
MATTHIAS KRÜGER Gespachtelter Zufall. Gustave Courbet und die Messermalerei
109
VI INHALTSVERZEICHNIS
GOTTFRIED KORFF Schmerzlose Körperteile. Zu Aby Warburgs Anthropologie des »Geräts«
129
ALBRECHT POHLMANN Pastell, Pipette, Streichmaschine – Malwerkzeuge eines Naturwissenschaftlers. Wilhelm Ostwald zwischen Malerei und Reproduktion
151
KATJA MÜLLER-HELLE Gefährdete Objekte. Zur Zerstörung von Musikinstrumenten in der Kunst der 1960er Jahre
169
MONIKA WAGNER Geliehene Hände. Antony Gormleys Field
185
FRANÇOIS LAMY L’Outil
199
ANHANG Die Autoren Register der Werkzeuge und Instrumente Personenregister Abbildungsnachweis
211
PHILIPPE CORDEZ / MATTHIAS KRÜGER
Einleitung
In Honoré Daumiers 1855 im Charivari veröffentlichter Lithographie Combat des écoles (Abb. 1) stehen sich zwei ungleich gerüstete Kombattanten gegen über: Der Idealist tritt nackt und in antikisierender Pose an, gewappnet mit einem Malstock als Lanze und einer riesigen, kunstvoll geschwungenen Palette als Schild. Der Realist kommt dagegen plump und linkisch in Straßen kleidung und Holzpantinen daher, bewaffnet mit einem Malerpinsel und einem kleinen, rechteckigen Malbrett. Das unterschiedliche Kampfgerät bei der Kontrahenten verweist dabei auf zwei verschiedene Auffassungen ihrer künstlerischen Berufung. Der Realist versteht die Malerei als Handwerk. Der breite Borstenpinsel dient ihm dazu, die Farbe in kraftvollen Zügen auf die Leinwand zu streichen. Der Idealist hingegen sieht in der Malerei eine hehre
1. Honoré Daumier: Kampf der ›Schulen‹ Realismus gegen klassischen Idealismus, Lithographie, aus Charivari, 24. April 1855.
VIII EINLEITUNG
Kunst, deren Status er schon durch den bloßen Anschein handwerklicher Arbeit gefährdet wähnt. Um das Mischen, das stets auch eine »Verschmut zung« der Farbe mit sich bringt, zu vermeiden, arrangiert er bereits vor der Ausführung seines Gemäldes alle dazu benötigten Farbnuancen auf seiner Palette, deren Umfang dementsprechend überdimensional ausfällt. Zugleich verwendet er beim Auftragen der Farbe einen Malstock, der ihm erlaubt, die den Pinsel führende Hand ruhig zu stellen, um auf diese Weise die Farbe möglichst »sauber« aufzutragen. Im Jargon dieser Zeit ließe sich die unterschiedliche Ausrüstung beider Streiter sinnfällig mittels des Begriffspaares »Instrument« (instrument) und »Werkzeug« (outil) beschreiben. Obgleich im alltäglichen Gebrauch heute oft synonym verwandt, sind die beiden Wörter historisch mit verschiedenen Kon notationen behaftet, oft wurden sie sogar in Opposition zueinander gesetzt. Diese Polarisierung fand während des 19. Jahrhunderts ihre radikalste Aus prägung. So verdeutlicht die Definition von outil aus dem Dictionnaire encyclo pédique et biographique de l’industrie et des arts industriels (1881–1891) die Diffe renz beider Begriffe: Outil. Nom donné aux instruments que les ouvriers emploient pour travailler la matiè re; ce nom représente par conséquent la catégorie spéciale des instruments qui servent d’intermédiaires entre la main de l’ouvrier et la matière mise en œuvre.1
Das Dictionnaire definiert das Werkzeug (outil) als Gerät, das zur Bearbeitung von Material verwendet wird. Von ihm unterscheidet es die »Instrumente im eigentlichen Sinne«, les instruments proprement dits, die ausschließlich geistigen Zwecken dienen. Das Werkzeug zählt zum Handwerk, während das Instru ment geistigen Tätigkeiten zugeordnet wird. Instrumente waren das Arbeits gerät des Wissenschaftlers; aber auch für das System der Künste war das Begriffspaar von hoher Bedeutung: So ließ sich mit ihm gleichsam der Unter schied zwischen den ans Material gebundenen und daher stets aufs Werkzeug angewiesenen bildenden Künsten und der vom Material scheinbar unabhän gigen, mit Instrumenten ausgeführten Musik begründen. Die Kontrastierung zwischen outil und instrument ist tief im dualen Denken des 19. Jahrhunderts verankert, das glaubte, zwischen Materie und Geist eine klare Trennlinie zie hen zu können. Zugleich ist sie bestimmt durch die Geringschätzung des Materials, wie sie in der zeitgenössischen, idealistischen Kunstphilosophie zum Ausdruck kam. Nur unter diesen Vorzeichen konnten die Wissenschaf ten und die Musik als geistige Tätigkeiten in Opposition zur physischen Arbeit gesetzt werden. Heute wird kaum noch so rigide zwischen Werkzeug und Instrument geschieden. Der Unterschied wird zwar noch meist darin gesehen, dass Werk zeuge Hilfsmittel sind, die speziell der Materialbearbeitung dienen, der pri märe Zweck von Instrumenten dagegen eben nicht in der physischen Bearbei tung von Material zu sehen ist; demnach fallen etwa ein Hammer oder ein
IX EINLEITUNG
Pinsel unter die Werkzeuge, während das Fernglas, das Metermaß oder die Geige als Instrumente anzusprechen sind. Aus der Perspektive des gegenwär tigen Medienzeitalters springen jedoch vielmehr ihre Gemeinsamkeiten ins Auge: Werkzeuge und Instrumente sind materielle Artefakte, mit denen manuell etwas getan wird. Vor allem aufgrund der Transformationen der Arbeitswelt durch die Maschine im 19. Jahrhundert und den Computer im 20. Jahrhundert hat sich das Verständnis von Werkzeugen und Instrumenten grundlegend verändert. Die Entwertung physischer und manueller Arbeit in der Industrie und später der Dienstleistungsgesellschaft hat den sozialen Stellenwert handwerklicher Fähigkeiten relativiert. Demgegenüber ist in den bildenden Künsten eine gegenläufige, durchaus als kompensatorisch zu begreifende Tendenz zu konstatieren: So hat sich die Palette der zum Einsatz kommenden Utensilien in der modernen Kunst radikal erweitert, in der Gegenwartskunst ist sie nahezu unbegrenzt. Zugleich wurde dieser Einsatz seit dem 19. Jahrhundert zunehmend performativ zur Schau gestellt. Diese Entwicklungen laden die Kunstgeschichte zu einer intensiveren Auseinander setzung mit den Utensilien der bildenden Künste ein. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, verschiedene historische Auffassungen von Werkzeugen und Instrumenten aufzuzeigen und diese der Analyse zu unterwerfen. Die in den einzelnen Beiträgen erörterten Beispiele reichen vom späten Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, ohne dass damit ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wäre. Das Augenmerk liegt gleichermaßen auf der technischen Untersuchung der Handhabung verschiedener Werkzeuge und Instrumente, ihrer Diskursivierung, besonders in Kunstkritik und Kunstthe orie, sowie ihrer Verbildlichung. Zu zeigen gilt, dass die Thematisierung von Werkzeugen und Instrumenten aus einer kunstgeschichtlichen Perspektive heraus nicht nur verschiedene Konzepte der Poiesis, des künstlerischen Tuns, offenlegt, sondern darüber hinaus auch das sich historisch wandelnde Selbst verständnis der bildenden Künste gegenüber dem Handwerk, den Wissen schaften oder benachbarter Künste wie etwa der Musik auszuloten vermag. Der Band versammelt Beiträge, die aus zwei Tagungen im Juni 2008 am War burgHaus in Hamburg und im Juni 2010 am Kunsthistorischen Institut in Florenz hervorgegangen sind. Unser Dank gilt dem Verein der Freunde und Förderer des Kunstgeschichtlichen Seminars e.V. (Hamburg), der Susanne undMichaelLiebeltStiftung (Hamburg), der GeschwisterHinrichundHele neMeyerStiftung (Hamburg), der Mission historique française en Allemagne (Göttingen) sowie dem Kunsthistorischem Institut in Florenz – MaxPlanck Institut, deren großzügige und unkomplizierte Förderung beide Tagungen und die Drucklegung ermöglicht haben. Zugleich danken wir allen TagungsteilnehmerInnen und AutorInnen der hier publizierten Beiträge für die engagierte Mitarbeit und rege Diskussion.
X EINLEITUNG 1 EugèneOscar Lami u. Alfred Tharel (Hg.): Dictionnaire encyclopédique et biographique de l‘industrie et des arts industriels, 8 Bde., Paris 1881– 1888, Bd. 6, S. 940 (»Werkzeug. Name, der den Instrumenten gegeben wird, die die Arbeiter
zum Bearbeiten der Materie verwenden; der Name bezeichnet folglich eine Sonderkategorie der Instrumente, die als Vermittler zwischen der Hand des Arbeiters und seinem Werkstoff die nen«; eigene Übersetzung).
PHILIPPE CORDEZ
Werkzeuge und Instrumente in Kunstgeschichte und Technikanthropologie
Als das Wort »Werkzeug« im 12. Jahrhundert in der mittelhochdeutschen Volkssprache aufkam, hatte es einen ähnlichen Geltungsbereich wie das latei nische instrumentum, aus dem später »Instrument« hervorging: Es bezeichne te alles, was dem Mensch nützlich ist und von ihm für eine bestimmte Funk tion hergestellt wurde.1 Die einst nahezu deckungsgleichen Begriffe haben sich jedoch auseinander entwickelt, so dass sie heute auf zwei verschiedene Gegenstandsgattungen bzw. Aktivitätsbereiche hinweisen. Im heutigen Sprach gebrauch sind Werkzeuge Dinge, die in der Hand gehalten werden, um auf ein formbares Material wie Holz, Stein oder Metall direkt einzuwirken oder um an etwas bereits Konstruiertem, zum Beispiel einem Motorrad, zu arbei ten. Instrumente dagegen sind zwar auch Dinge, mit denen man etwas tut, bevorzugt aber solche, die feiner oder komplizierter gebaut sind und in beson ders gewürdigten Bereichen benutzt werden, wie Musik und Wissenschafts instrumente. Nach dieser Unterscheidung, die sich besonders während des 19. Jahrhunderts durchsetzte, arbeiten auch Künstler eher mit Instrumenten als mit Werkzeugen (bzw. tools, outils, attrezzi), die gemeinhin Handwerkern zugeschrieben werden.2 Hierzu kommen noch die Begriffe »Maschine«, »Apparat« oder »technisches Gerät«, die ebenfalls auf eine lange Geschichte zurückblicken und auf andere, von der Mechanik und der Elektronik geprägte Dinge und Tätigkeitsfelder verweisen. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich vielfältige Aufgaben für die Kunstgeschichte als akademische Disziplin, die bei ihrer Konstituierung selbst von der Unterscheidung zwischen Werkzeug und Instrument geprägt wurde. Es sollte möglich sein, ausgehend von diesem Begriffspaar die abendlän dische Geschichte der Herstellung und Handhabung von Dingen zu erhellen, und dabei die Spezifizität von ›Kunst‹ in der Gesellschaft einzuschätzen. Die ses Vorhaben schließt die Erfassung eines weiten Spektrums historischer instrumenta mit ein, die zwar nicht Kunstwerke im tradierten Sinne sind, aber doch aufwendige Produkte des Könnens. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was die Geschichte der Kunst zum breiten Feld der Forschungen über Technik beitragen kann. Dieser Ansatz wurde in jüngerer Zeit durch Untersuchungen
2 PHILIPPE CORDEZ
zur technischen Funktion von Bildern eingeführt.3 Er soll hier vertieft werden, indem die Aufmerksamkeit auf Werkzeuge und Instrumente als Objekte, Pro zesse und Repräsentationen von Kunst und Technik in historischer und inter disziplinärer Perspektive gerichtet wird.
Objekte Werkzeuge und Instrumente sind strenggenommen keine Objekte. Wie es die Etymologie von objectum mit objicere (vorwerfen) nahelegt, stehen Objekte einem Subjekt gegenüber, sind getrennt von ihm und inaktiv. Werkzeuge und Instrumente dagegen stellt man sich primär in einer bestimmten Funktion vor, mit dem Subjekt verbunden. Dies wird evident, wenn man zum Beispiel sein mentales Bild eines Lassos überprüft: Dominierend ist nicht das gerollte Seil am Nagel an der Wand, sondern die animierte Form in der Luft. Erst durch Klassifizierung und Ausstellung werden Werkzeuge und Instrumente stillgestellt, ihrer primären Funktionen beraubt und letztendlich als Objekte im eigentlichen Sinne konstituiert. So werden sie als materielle Gebilde der Neugierde oder der Wissenschaft ausgeliefert. Diese Beobachtung lädt zu einem Streifzug durch die Geschichte der systematischen Sammlung von Werk zeugen und Instrumenten ein, wobei nach ihrem jeweiligen Status gefragt werden soll. Einen ersten Kontext bilden dafür die fürstlichen Kabinette der Frühen Neuzeit. Dort sollten unter anderem, wie Samuel von Quiccheberg es in einem 1565 publizierten Traktat vorschlug, Instrumente (instrumenta) der Musik, der Mathematik, des Schreibens und Malens, der diversen künstlerischeren oder geläufigeren Künste (ab artificiosoribus artificibus usurpantur bzw. omnium arti ficum), der Chirurgie, der Jagd oder auch des Spielens versammelt werden.4 Die Zusammenkunft solcher Dinge an einem einzigen, autonomen Ort modi fizierte den Umgang mit und das Verständnis von ihnen. So hat die mit inno vativer Zahnstange und Kurbelgehäuse versehene sowie mit Intarsien und Ätzmalereien verzierte Drahtziehbank (Abb. 1), die 1565 für den persönlichen Gebrauch des Kurfürsten August von Sachsen (1553–1586) gefertigt wurde, sowohl in der ihre Stärke beweisenden Mechanik als auch in ihrer Kostbarkeit nur noch wenig mit dem instrumentum eines gewöhnlicheren Handwerkers zu tun.5 Ebenfalls geht das Sammeln von Musikinstrumenten mit der Entwick lung einer neuen Instrumentalmusik einher, welche sich in der zweiten Hälf te des 16. Jahrhunderts als eine eigene Gattung neben der Vokalmusik etablier te. Darüber hinaus ermöglichten die Dresdner Bestände Michael Praetorius, der unter anderem Kapellmeister des sächsischen Kurfürsten war, um 1620 die erste systematische Beschreibung und Analyse von Musikinstrumenten vorzulegen (Abb. 2).6 Außerdem entstanden vornehmlich an den Höfen des 17. Jahrhunderts, zusätzlich zu den tradierten Wissenschaftsinstrumenten wie etwa Zirkel, Lineal, Waage, Astrolab oder Uhr, neue Gerätschaften wie Fern rohr und Mikroskop, Thermometer und Barometer: Sie waren Teil von Expe
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1. Drahtziehbank für den Kurfürsten August von Sachsen, Leonhard Danner, 1565. Écouen, Musée national de la Renaissance
2. Tafel aus Michael Praetorius: Syntagma Musicum. De Organo graphia, Wolfenbüttel 1619–1620
rimenten, mit denen neuartige Erkenntnisse über die Umwelt erzielt werden sollten.7 In der Folge der frühneuzeitlichen Faszination für operative Dinge8 treten zugleich Erzeugnisse auf, die gezielt den Instrumentenbegriff bis zur Funktionslosigkeit führen bzw. mit dessen Grenzen spielen: so zum Beispiel eine Kugel aus toskanischer pietra paesina, die der dänische Wissenschaftler
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3. Kugel aus pietra paesina, montiert als Erdglobus für Olaus Wormius, um 1650. København, Kongens Kunstkammer
4. Cembalo aus CarraraMarmor für den Herzog Francesco II. d’Este, Michele Antonio Grandi, 1687. Modena, Galleria Estense
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5. Maréchal Ferrant et Opérant, Outils, Tafel aus Denis Diderot u. Jean le Rond D’Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, 28 Bde., Paris 1751–1772, Planches, Bd. 7
Olaus Wormius gegen 1650 wie einen Erdglobus montieren ließ (Abb. 3), wobei er sich zu Nutze machte, dass die natürliche Struktur dieses grünlichen und bräunlichen Gesteins das Liniengewirr kartographischer Konventionen evo ziert,9 oder ein Cembalo, das 1687 für den Herzog Francesco II. d’Este in Mode na aus CarraraMarmor gemeißelt wurde (Abb. 4) und auf dem doch gespielt werden kann.10 Eine nächste wesentliche Etappe innerhalb der Sammlungsgeschichte von Werkzeugen und Instrumenten markieren ab der zweiten Hälfte des 19. Jahr hunderts die Kunstgewerbe und Volkskundemuseen. Das technische Inter esse der Frühen Neuzeit hatte sich mit großer Eigendynamik in der Indus triellen Revolution weiter entfaltet. Bereits die zwischen 1751 und 1772 herausgegebene Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers hatte den Anspruch verfolgt, möglichst alle »Wissenschaften, Künste und Berufe« zu beschreiben, und aus dieser Motivation heraus Hunderte von Werkzeugen, Instrumenten und Maschinen in ihrem Funktionszusammen hang erläutert und anhand detaillierter Radierungen abgebildet (Abb. 5).11 Diese Demonstration des menschlichen Könnens wirkte als Innovationskata lysator. Sie fand eine Fortsetzung in den Lehrsammlungen des 1794 in Paris gegründeten Conservatoire des arts et métiers und später in zahlreichen Indus
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trie und Gewerbepräsentationen bei den Weltausstellungen, den großen Objektschauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bereits die erste Weltaus stellung, die 1851 in London stattfand, wies eine historische Sektion auf, aus der das South Kensington Museum hervorging, das zum Vorbild weiterer Kunst gewerbemuseen werden sollte. Diese Kunstgewerbemuseen verstanden sich auch als Technikmuseen12 und definierten sich zudem als zukunftsorientiert: Sie wollten alle Arten von Gegenständen zeigen, die im Gegensatz zu den neuen industriellen Produkten jene hohen Kunstfertigkeiten demonstrierten, die in vergangenen Jahrhunderten erreicht worden waren und noch in der neuen Ära als imitationswürdig erschienen. Volks und Völkerkundemuseen präsentierten währenddessen bevorzugt die Erzeugnisse des ländlichen und handwerklichen Alltags, die nicht zuletzt angesichts der fortschreitenden Urbanisierung und Industrialisierung verstärkt auf Interesse stießen. Neben dem neuen Terminus Kunstobjekt (bzw. objet d’art 13) wurde dabei auch das Wort »Gerät«14 verwendet, das die von Menschen hergestellten und benutzten Dinge übergreifend erfasste. Gerät wies weniger auf die Ästhetik hin, als auf die zivilisatorische Relevanz. In diesem Sinne versuchten auch Kunsthistoriker die Geschichte der gesamten menschlichen Artefakte zu erfassen. So entwickelte Gottfried Semper (1803–1879), der selber an der eng lischen Kunstgewerbereform und an Museumsfragen beteiligt war, unter dem Begriff »Praktische Ästhetik« eine Theorie des Stils, die von einer Klassifizie rung der Materialien und ihrer Bearbeitung ausging.15 An diesem Scharnier zwischen Funktionen und Formen etablierte sich auch der Ausdruck Volks kunst: Alois Riegl (1858–1905), langjähriger Kurator am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, betrachtete die entsprechenden Objekte in ihren sozialen Produktionsbedingungen, bevor er wenig später seine Gedan ken zum »Kunstwollen« in Bezug auf die Formen aller Gegenstandsarten einer Epoche formulierte.16 Aby Warburg (1866–1929) entwickelte seinerseits eine Auffassung von Gerät, mit der er die materiellen Produktionen des Men schen als Befriedigung funktionaler wie auch ästhetischer Bedürfnisse glei chermaßen erfassen konnte.17 Henri Focillon (1881–1943) engagierte sich für ein umfassendes Studium des Menschen anhand aller seiner Objekte,18 und George Kubler (1912–1996) bemühte sich in dessen Nachfolge um eine Beschreibung des morphologischen Zusammenhanges aller möglichen Arte fakte.19
Prozesse Parallel zur Sammlungs und Ausstellungspraxis und zum formorientierten Interesse hatte sich auch ein wissenschaftlicher Strang entwickelt, der die Werkzeuge und Instrumente weniger morphologisch als technologisch, also im Akt ihrer Verwendung, historisch erfassen und systematisch analysieren wollte. Die Entdeckung ›vorsintflutlicher‹ Werkzeuge aus Feuerstein durch den Franzosen Jacques Boucher de Perthes (1788–1868) um die Mitte des
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19. Jahrhunderts20 sollte nicht nur das Wissen um die frühe Geschichte des Menschen revolutionieren, sondern zugleich das wissenschaftliche Verständ nis von Werkzeugen und Instrumenten grundsätzlich bestimmen, zusammen mit ethnographischen, später auch primatologischen Beobachtungen. So ist der englische Generalleutnant Augustus Pitt Rivers (1827–1900) der erste, der in Anlehnung an die Evolutionstheorie Charles Darwins (1809–1882) seine umfangreiche Sammlung ethnographischer und archäologischer Artefakte funktionstypologisch und chronologisch ordnete, bevor er sie 1884 in ein nach ihm benanntes Museum in Oxford übertrug.21 Der deutsche Philosoph Ernst Kapp (1808–1896) veröffentlichte 1877 eine Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Geschichtspunkten, in der er die philosophische Theorie der »Organpro jektion« formulierte.22 Für die Entwicklung empirischer Forschungen wurde ein 1935 erschienener Aufsatz des französischen Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss (1872–1950) zu den »Körpertechniken« entscheidend.23 Nach dem zweiten Weltkrieg legte der Ethnologe und Prähistoriker André Leroi Gourhan (1911–1986) mehrere wegweisende Studien zur Anthropologie der Techniken vor24 und prägte zugleich einen Forschungszweig, der sich bis heu te unter dem Namen technologie culturelle (»kulturelle Technikwissenschaft«) fortbildet.25 Solche Überlegungen wurden in dem jungen Feld der Soziologie der Wissenschaft und der Technik weiterentwickelt,26 in empirischen und the oretischen Arbeiten zur Sachkultur,27 oder auch in Studien der pragmatischen Philosophie28 und auf dem Gebiet der Politikwissenschaft.29 Die Technikphi losophie30 gewinnt mit der Technikfolgenabschätzung und bewertung eine angewandte Dimension, die besonders für die Ausbildung an technischen Universitäten entscheidend ist.31 Schließlich bemühen sich auch ökologische Aktivisten darum, die Fragen der Technik ins Zentrum des öffentlichen Gesellschaftsinteresses zu rücken.32 Es fällt bereits in diesem kurzen Überblick auf, wie sehr die sozialwissen schaftlichen Forschungen zur Technik und damit auch die öffentliche Tech nikdebatte sich unabhängig von der Kunstgeschichte entwickelt haben. Sowohl die Kunstgeschichte, die sich zunächst vorwiegend der abendländischen Tra dition gewidmet hat, als auch die Anthropologie der Kunst, 33 die später aus außereuropäischen Forschungsfeldern hervorging, haben sich gemäß der seit dem 18. und 19. Jahrhundert in Europa dominierenden Auffassung von Kunst primär mit ästhetischen Phänomenen beschäftigt und dabei den Bereich der Technik vernachlässigt – obwohl das lateinische Wort ars den griechischen Terminus techne lediglich übersetzt und die Etymologie von »Kunst« als Aus druck des Könnens ebenfalls der Technik naheliegt. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in ars bzw. Kunst zwischen Technik und Ästhetik getrennt34. Eine solche Situation führt heute zu der Herausforderung, die Kategorien von Kunst und Technik, wie sie seit der Gründung der akade mischen Disziplinen tradiert worden sind, nun aus historischer Distanz zu betrachten, um jene Fachdivergenzen zu überwinden, die vielmehr dem ide alistischen und kolonialen Weltbild des 19. Jahrhunderts entsprachen, als sie
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heute die aktualisierten Aufgaben der Sozialwissenschaften bedienen kön nen. Über die ›Interdisziplinarität‹ hinaus, die notwendigerweise von älteren, trennenden Auffassungen bedingt ist, sollten für weitere Diskussionen neue und freiere, die einzelnen Fachgeschichten reflektierende ›metadisziplina rische‹ Arbeitsfelder eröffnet werden. Technische Universitäten als konzeptio nelle Orte künftiger Technikgestaltung und zugleich als Standorte sozialwis senschaftlicher Forschung und Lehre dürften hierfür eine entscheidende Rolle spielen.35 Mehrere Schritte in diese Richtung wurden bereits getan. So vertrat der Kunsthistoriker Pierre Francastel (1900–1970) eine Soziologie der Kunst, die der technischen Entwicklung einen entscheidenden Platz zuwies.36 Die fran zösische technologie culturelle inspiriert auch historische Arbeiten, die nicht zuletzt kunsthistorische Objekte betreffen, so etwa zur Baugeschichte.37 Fer ner hat der Anthropologe Alfred Gell in seinem Buch Art and Agency eine Theorie vorgelegt, die als Analyse sozialer Techniken aufgefasst werden kann und zugleich ein breites Spektrum an Objekten einschließt.38 Hans Belting hat seinerseits für eine Anthropologie plädiert, welche die Bilder von ihrem phy sischen Verhältnis zum Mensch her denkt39. Nicht zuletzt wird unter dem philosophischen Begriff der Kulturtechnik betont, dass Bild, Schrift und Zahl, die Kultur (im intellektuellen Sinne von Kant) ausmachen, auch als Techniken des Symbolischen zu betrachten sind.40 Dies lässt leider die umgekehrte Evi denz außer Acht, dass jede Technik ein symbolisch und eben kulturell durch drungenes, Kultur (im sozialanthropologischen Sinne) prägendes Phänomen ist. Darüber hinaus bezeichnete das lateinische cultura nicht nur Geistestech niken, sondern auch die Technik der Agrikultur. So riskiert der hybride Begriff der Kulturtechnik die Unterscheidung von Kultur und Technik wei terzutradieren, die er doch eigentlich überwinden möchte. Geschickter wäre wohl zu erkennen, dass Technik und Kultur miteinander verwobene Begriffe sind, die beide auf die operativen und kognitiven Erfahrungen des Menschen mit seiner Umwelt verweisen, und im strengen Sinne synonym sind – dafür erscheint der Ausdruck technologie culturelle bzw. kulturelle Technikwissen schaft nach wie vor passend. So verstanden bietet die Technik eine Perspek tive für eine Anthropologie, die ihre Untersuchungsfelder nicht mehr zwi schen dem naturwissenschaftlich angehauchten ›Technischem‹ oder dem auf Symbole fokussierten ›Kulturellem‹ wählen will, sondern sich zum Anspruch macht, die variierenden Formen des menschlichen Gesellschaftslebens eben jenseits der modernen Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zu verste hen.41 Es ist in diesem Zusammenhang ein entscheidendes Ergebnis, dass in jüngeren Arbeiten die Diskrepanz zwischen Anthropologie der Technik und Anthropologie der Kunst insofern überwunden wurde, als die Dinge nicht mehr theoretisch zwischen einem konstituierenden Technischen und einem kulturbedingten Ästhetischen zerlegt, sondern ganzheitlich im Bezug auf symbolische Akte erfasst werden.42
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Repräsentationen Soll damit die Kunstgeschichte zu einer historischen (Sozial)Anthropologie der Technik werden43? Nein, denn Einiges in diesem Forschungsfeld kann sie am besten. Im Spiel ist die Geschichte und die soziale Funktion des abendlän dischen, modernen KunstBegriffs und darüber hinaus die in den Sozialwis senschaften oft debattierte Frage nach dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft: Sind Techniken nur Ausdruck der jeweiligen Gesellschaftsfor men, oder gestalten sie vielmehr die sozialen Verhältnisse?44 Nun werden technische Akte selbst jenseits ihrer physischen Ausführung durch Wörter, Mythen,45 mentale oder materielle Bilder symbolisch ergriffen, konzeptuell begriffen und kulturell wirksam. Techne in der Antike – wie ars, ingenium oder industria im Mittelalter – bedeutet auch List. Sie impliziert die Verfügung über eine ambivalente Macht, deren Faszination im Prozess der Repräsentation eingefangen werden kann, ohne aufgelöst oder überwunden zu werden.46 Techniken rufen also Repräsentationen hervor und werden durch sie soziali siert: Technikrepräsentationen fügen die Techniken in der Gesellschaft ein und prägen die sozialen Verhältnisse, sie vermitteln zwischen Techniken und Gesellschaften. Das Imaginäre der heutigen Müllentsorgungstechnik besteht zum Beispiel, wie eine ethnographische Studie zeigt, aus Titanenkriegen, Höl lenfeuer und Alchimistenschmieden,47 wobei sich zeigt, wie geerbte Vorstel lungen älterer Mythen, Rituale und Techniken aktualisiert werden. ›Leitbil der‹, wie etwa Wachstum oder Nachhaltigkeit, spielen eine entscheidende Rolle bei technischen Innovationen.48 Diese wiederum werden kulturell ver arbeitet, unter anderem literarisch: So wird die sciencefiction von lebenden Maschinen und genetisch manipulierten Geschöpfen bevölkert.49 In diesem Zusammenhang kann auch die Kunstgeschichte einen Beitrag leisten, indem sie ihre empirische Expertise dafür einsetzt, die Materialisierungen von Repräsentationen technischer Objekte und Prozesse zu beschreiben und in ihrer sozialen Relevanz zu verstehen. Drei Beispiele von Werkzeug bzw. Instrumentbildern, die technische Akte evozieren, um auf soziale Zusammen hänge zu wirken, mögen dies im Folgenden verdeutlichen. Im südlichen Querschiff der Abteikirche San Miniato al Monte in Florenz ist ein Wandbild vom Beginn des 15. Jahrhunderts zu sehen (Abb. 6), das den auferstandenen Christus zeigt, der mit seiner rechten Hand das neben ihm stehende Holzkreuz umfängt, während er mit der Linken auf seine Seiten wunde deutet. Etwa fünfundzwanzig Werkzeuge sind ringsum angeordnet, wobei deren scharfen oder spitzen Enden allesamt auf seinen nackten Körper gerichtet sind. Dieser und das Kreuz wurden a fresco gemalt, die Werkzeuge aber wurden mittels anderer Techniken, nämlich a secco und durch Metall blattApplikationen, hinzugefügt. So wirken die Werkzeuge sowohl durch den Herstellungsprozess als auch innerhalb der Bildlogik als Fremdkörper; Obwohl heute meist nur noch die Umrisse ihrer metallenen Teile zu erkennen sind, ist ihre bedrohliche Präsenz auf dem einst ganz blauen Hintergrund
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6. Feiertagschristus, Fresko, Florenz, San Miniato al Monte, Mariotto di Cristofano, Frühes 15. Jahrhundert
leicht vorstellbar. Eine gut lesbare und leicht memorierbare Inschrift warnt den Betrachter in der Volkssprache: chi no guarda la domenica sca et a xpo no a devotione dio gli dara la eterna danatione – »wer den heiligen Sonntag nicht respektiert und Christus nicht ehrt, den wird Gott für ewig verdammen«. Jeder wird gemahnt, seine eigenen Werkzeuge am Sonntag ruhen zu lassen, andernfalls würde man symbolisch das Leiden des Erlösers fortführen und dafür bestraft werden – denn jedes tätige Werkzeug würde direkt auf den Leib Christi einwirken und diesen abermals martern, wie im verwandten Bildty pus der Arma Christi. Die Gemeinschaft wird hier sowohl über die Verwen dung diverser Werkzeuge definiert, die als Repräsentanten verschiedener Berufe wie Schneider, Metzger, Zimmermann usw. fungieren, als auch über das Aussetzen der Tätigkeiten, um sich in der Kirche für den Gottesdienst und die Eucharistie zu versammeln. Das Bild wurde auf der einzigen Wand der Kirche gemalt, von welcher der Blick durch das Hauptportal der Kirche, wenn es geöffnet ist, bis zur sich damals im Bau befindlichen Domkuppel schweifen kann. Dies ist wohl kein Zufall, denn dort wurde eben auch an Feiertagen gearbeitet, beispielsweise um die Mauern feucht zu halten, wie Archiveinträ ge aus den Sommern 1427 und 1428 bezeugen.50 Auf diesen Regelbruch inmit ten der Stadt wird man in San Miniato mit diesem Bild reagiert haben, dessen
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7. Sowjetischer Pavillon auf der Pariser Weltausstellung von 1937 8. Vera Mukhina, Arbeiter und Kolchosbäuerin, 1937, Detail
Ikonographie sonst vor allem in ländlichen Pfarreien der Alpen begegnet und dessen Inschrift unter allen bekannten Bildern des Feiertagschristus die War nung am strengsten formuliert.51 Die große Schere über dem Kopf Christi sollte ebenfalls auf den konkreten Anlass bezogen sein, als Verweis auf die Wollweberzunft, die für den Dombau von der Florentiner Kommune beauf tragt und damit in letzter Instanz verantwortlich war. Eine weitere Verbildlichung des Zusammenhanges von Technik und Gesellschaft stellen die Figuren eines Arbeiters und einer Kolchosbäuerin dar, welche Vera Mukhina für den sowjetischen Pavillon auf der Pariser Weltaus stellung bzw. Exposition Internationale des Arts et Techniques dans la Vie Moderne von 1937 entwarf (Abb. 7–8).52 Ihr Bedeutungsgehalt wird bereits durch die Größenverhältnisse herausgestellt: Die Turmfassade vor der sich lang nach hinten streckenden Ausstellungshalle ist fünfunddreißig Meter hoch, die Doppelskulptur darüber zwanzig. Das Ganze kulminiert in den Werkzeugen, welche der Arbeiter und die Kolchosbäuerin triumphierend emporhalten: Hammer und Sichel, die handwerklichen Embleme der Sowjetunion, deren heraldische Silhouette sich gegen den Himmel abzeichnet, und die in ihrer
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schimmernden Stahloberfläche geradezu transzendiert wirken. Die Gruppe besteht nämlich aus millimeterdünn getriebenen Platten einer rostfreien Nickel und Stahllegierung, die, wie in der Aerotechnik üblich, aneinander geschweißt und genietet wurden. Sie beweist sich damit als kollektive Arbeits leistung der Künstlerin, des Architekten und der Schwerindustrie: Diese monumentalen Bilder sollten durch ihr Material und ihren Herstellungspro zess die Verschränkung von Produktionsbedingungen und Gesellschaftsmo dell veranschaulichen. Dabei wurde mit den Werkzeugen auf Objekte rekur riert, die gerade infolge der hier gefeierten Mechanisierung ihre Funktion eingebüßt hatten, und eine Form gewählt, die, indem sie die Siegesallegorien der griechischen Antike aufruft, die kanonisierte Kunsttradition aktualisiert. So wurde ein sozialutopisches, ›kunstindustrielles‹ Bild des Handwerks geschaffen, das die Folgen seiner Verdrängung zugunsten der industriellen Produktion einerseits, der künstlerischen Tätigkeit andererseits zu überwin den behauptete. Ein ›materialikonographischer‹53 bzw. ›technikikonologischer‹ Zugang eignet sich also besonders für die Analyse von Technikrepräsentationen. Darüber hinaus legen sie der Kunstgeschichte nahe, nach dem historisch vari ierenden Verhältnis von Technik und Kunst zu fragen, sowie nach dem Status der Kunstgeschichtschreibung als einer zwar spezifischen, aber nichts destoweniger prägenden Meistererzählung der abendländischen Technik geschichte.54 Beide Fragen verweisen in die italienische ›Renaissance‹, als Künstlerbiographien entstanden, die bis heute grundlegend für die kunstwis senschaftliche Forschung blieben, und Kunsttheorien entwickelt wurden, die innerhalb der künstlerischen Arbeit das TechnischMaterielle herabsetzten. So inaugurierte Federico Zuccari 1578 eine repräsentative Fassade für sein neu gebautes Atelier in Florenz (Abb. 9), die drei Reliefs aufweist: Dort sind diver se Werkzeuge und Instrumente so dargestellt, als seien sie im Stein gefangen. Wären sie ganz freigelegt, würden sie, gleichsam durch die Ateliermauer her ausgeschleudert, auf die Passanten herunter stürzen. Diese Anspielung auf die non finitoÄsthetik Michelangelos (1475–1564) diente wohl als Gegenbild zu dem überlegenen disegno, kann man doch davon ausgehen, dass der große, leicht zum Betrachter geneigte, heute leere Steinrahmen im Obergeschoss für eine Allegorie des Zeichnens vorgesehen war.55 So wurde die Zeichenkunst als eine über jeder anderen Technik stehenden »Metatechnik«56 definiert und zelebriert, die weniger auf routinierter Praxis beruht, als darauf, virtuos und unmittelbar mentale Bilder zu vermitteln. Der Kontrast zwischen den rohen und glatten Steinquadern im unteren Bereich und den Backsteinen im oberen Teil verweist dabei sowohl auf die römische Palastarchitektur der Zeit als auch auf die Beherrschung von natura durch ars. Diese Atelierfassade, osten tativ von dem Wohnhaus getrennt, das einst dem berühmten Florentiner Künstler Andrea del Sarto (1486–1530) gehört hatte, war die erste ihrer Art. Ihr intellektueller Anspruch führte die Überlegungen Giorgio Vasaris (1511– 1574) fort, des Autors der Vite de‘ più eccellenti pittori, scultori e architettori,57 der
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9. Fassade des Ateliers von Federico Zuccari, Florenz, 1575–1579
seine eigenen Häuser in Arezzo und Florenz ebenfalls mit kunsttheoretischen Bilder freskiert hatte und dessen Vorhaben der Innenausmalung der Floren tiner Domkuppel Zuccari übernommen hatte. Die Werkzeugereliefs hingegen scheinen den Metopen im Innenhof eines unerhört spektakulären Wohnhau ses entlehnt zu sein, das der Bildhauer Leone Leoni wenige Jahre zuvor in Mailand hatte bauen lassen.58 So öffentlich die Fassade war, betraf jedoch ein solcher Diskurs vor allem das Künstlersubjekt selbst und einen begrenzten Kreis gebildeter Kenner, Auftraggeber und Kollegen, wie sie sich etwa in der 1563 gegründeten Accademia del Disegno zusammenfanden. Darin drückt sich die soziale Implikation der Unterscheidung von »Technik« und »Kunst« aus: Von den »Handwerkern« explizit getrennt, bildeten die »Künstler« nur eine kleinere Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Sie waren entsprechend flexibler und innovativer, wie es in Florenz bereits im 15. Jh. besonders deutlich wur de.59 Die Zurschaustellung von künstlerischen Werken involvierte zwar nach wie vor die breite Gesellschaft, nun aber viel mehr durch die verschiedenen Techniken der Aneignung als durch eine direkte Beteiligung am Herstel
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lungsprozess, wie es noch bei alltäglichen Handwerkserzeugnissen der Fall war. Die spezialisierte Produktion von Kunst, sowie und vor allem von indu strieller Ware, haben eine Verschiebung in der Wechselwirkung von Techni ken und ihrer Repräsentationen zur Folge. In handwerklich dominierten Gesellschaften können nämlich soziale Repräsentationen anhand von Her stellungstechniken entstehen, die sich nur wenig ändern und bekannt sind. Im Kontext von Kunst und Industrie dagegen hat die Produktion von Gesell schaft weniger direkt mit komplexer gewordenen Herstellungstechniken zu tun, als mit ständig erneuerten Objekten, welche die Mehrheit nur noch bewundert und konsumiert. So sind aufwendige Kunstprodukte, Apparate oder technische Geräte zugleich soziale Repräsentationen, welche in ihrem Gebrauch die Herstellung sozialer Formen unmittelbar bedingen.60 Techniken und ihre Repräsentationen determinieren einander und konstituieren zusam men die Gesellschaften: In diesem Zusammenhang liegt es nahe, dass die semantische Unterscheidung zwischen Werkzeug und Instrument, die zwi schen Handwerk und Kunst oder Wissenschaft trennen will, sich gerade parallel zur fortschreitenden Industrialisierung des Abendlandes radikali sierte, in der das Maschinenwerkzeug triumphierte und die Gültigkeit her kömmlicher technischer Repräsentationen relativierte. Die technische Ent wicklung hatte zu einer Neuordnung in den Repräsentationen menschlicher Tätigkeiten und Dinge geführt – eine Situation, die sich bis heute nur ver schärft und verkompliziert hat. Damit steckt schließlich in dem Begriffspaar, das diesem Band seinen Titel gibt, eine Aufforderung an die Kunstgeschichte, sich mit Techniken und ihren Repräsentationen auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht bloß um die kritische Analyse des Einsatzes von handwerk lichen, mechanischen, chemischen Techniken oder noch von Elektro und Biotechniken in der Produktion von Kunst, sondern, über den Weg einer historischen Verortung des Kunstbegriffes, vor allem um die Teilhabe der Kunstgeschichte am holistischen Unternehmen der Sozialwissenschaften.
* Ich bedanke mich für ihre sorgfältige Lek türe bei Gianenrico Bernasconi, Matthias Krü ger, Katja MüllerHelle, Susanne Pollack und Ju lia Saviello. 1 Siehe Jacob Grimm u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, 32 Bde., Leipzig 1854–1960, s.v. Instrument, Bd. 10, Sp. 2146–2152, Werkzeug, Bd. 29, Sp. 419–436. Im Französischen etwa leitet sich outil aus utensilia und verweist so ebenfalls auf Nützlichkeit (utilitas): Alain Rey (Hg.): Dicti onnaire historique de la langue française [Paris 1992], 3 Bde., Paris 2007, s.v. outil, Bd. 2, S. 2508. 2 Zur Artikulation beider Begriffe: Matthias Krüger: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der
französischen Kunstkritik. 1850–1890, München u. Berlin 2007, Kap. »Das Handwerk der Malerei«, S. 197–227, bes. S. 206–208. 3 Zur Geschichte der Bilder als Technik des Wissens: Horst Bredekamp, Matthias Bruhn u. Gabriele Werner (Hg.): Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, seit 2003; Horst Bredekamp, Birgit Schneider u. Vera Dün kel (Hg.): Das Technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, Berlin 2008. Ferner: Martin Schulz u. Beat Wyss (Hg.): Techni ken des Bildes, München 2010. 4 Samuel von Quiccheberg: Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi [München 1565], hg., übers.
15 WERKZEUGE UND INSTRUMENTE u. komm. von Harriet Roth: Der Anfang der Muse umslehre in Deutschland. Das Traktat »Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi« von Samuel Quicch eberg, Berlin 2000, S. 60–69; der Autor wollte mit seinem Traktat dem Herzog von Bayern seine Dienste anbieten. 5 Heute im Musée national de la Renaissance, Écouen. Siehe Manfred Welker: Die Reichsstadt Nürnberg, ein Zentrum des Schmiedeeisen ver arbeitenden Handwerks, in: Hermann Maué u. a. (Hg.): Quasi centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg. 1400–1800, Ausst.Kat. (Nürnberg, Ger manisches Nationalmuseum), Nürnberg 2002, S. 117–137, hier 119–125 zu Leonhard Danner, sei ner Drahtziehbank und seiner Erfindung der »Brechschraube« um 1550, die ebenfalls Eingang in der Dresdner Kunstkammer fand und auch von Quiccheberg mit der Kategorie instrumenta violenta erwähnt wird. Zur Adelung des Hand werks ab dem 16. Jahrhundert: Klaus Maurice: Der drechselnde Souverän. Materialien zu einer fürst lichen Maschinenkunst, Zürich 1985. Zur Dresdner Kunstkammer, die vor allem aus Wissenschafts instrumenten und Werkzeugen bestand, Micha el Korey: Die Dresdner Kunstkammer. Instru mente des Wissens und des Könnens, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 30, 2002/ 03 (2006), S. 47–60. 6 Michael Praetorius: Syntagma Musicum. De Organographia, Wolfenbüttel 1619–1620; siehe Conny Restle: Organologie. Die Kunde von den Musikinstrumenten im 17. Jahrhundert, in: Hel mar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazard zig (Hg.): Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahr hundert, Berlin 2006, S. 277–289; Florence Gétreau (Hg.), Les collections d’instruments de musique = Musique. Images. Instruments. Revue française d’orga nologie et d’iconographie musicale, 8, 2006 u. 9, 2007. 7 Siehe Michael Heidelberger: Experiment und Instrument, in: Schramm/Schwarte/Lazard zig 2006 (wie Anm. 6), S. 378–397. Ferner: Bart Grob u. Hans Hooijmaijers (Hg.): Who Needs Scientific Instruments? Conference on Scientific In struments and their Users, Leiden 2006; Giorgio Strano u. a. (Hg.): European Collections of Scientific Instruments, 1550–1750, Leiden u. a. 2009. 8 Siehe auch zur operativen Virtuosität Pame la H. Smith: The Body of the Artisan. Art and Expe rience in the Scientific Revolution, Chicago 2004.
9 Das Objekt wurde im Katalog der Samm lung veröffentlicht (Willum Worm (Hg.): Museum Wormianum, Leiden 1655) und mit ihr nach Worms Tod dem dänischen König übergeben. Es befin det sich heute in der königlichen Kunstkammer in Kopenhagen. Ich bedanke mich bei Lisbet Tarp für ihren freundlichen Hinweise. 10 Heute mit anderen Musikinstrumenten aus Marmor in der Galleria Estense in Modena. Siehe Maria Grazia Bernardini (Hg.): Un cembalo in marmo per Francesco II d’Este, Modena 2005. 11 Denis Diderot u. Jean le Rond D’Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sci ences, des arts et des métiers, 28 Bde., Paris 1751– 1772. Siehe Barbara Holländer: Technik und Ar beit in den Tafelbänder der Encyclopédie, in: Hans Holländer (Hg.): Erkenntnis, Erfindung, Kon struktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwis senschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahr hundert, Berlin 2000, S. 789–806. 12 Siehe über Technik und Wissenschaftsmu seen Helmut Trischler: Das Technikmuseum im langen 19. Jahrhundert: Genese, Sammlungskul tur und Problemlagen der Wissenskommunika tion, in: Bernhard Graf u. Hanno Möbius (Hg.): Zur Geschichte der Museen im 19. Jahrhundert 1789– 1918, Berlin 2006, S. 81–92. 13 Dazu Francesca Lederlin: L’apparition du terme objet d’art: quelques hypothèses sociocul turelles, in: French studies in Southern Africa, 26, 1997, S. 33–41. 14 Beide Begriffe parallel benutzt z. B. in C. Becker u. Jakob von Hefner: Kunstwerke und Ge räthschaften des Mittelalters und der Renaissance, 3 Bde., Frankfurt am Main 1852–1863. 15 Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunst freunde, 2 Bde. [Frankfurt am Main u. Zürich 1860– 1863], Hildesheim 2008. Vgl. auch ders., The Ideal Museum. Practical Art in Metals and Hard Materials [Manuskript 1852], hg. von Peter Noever, Wien 2007. Für eine historiographische Übersicht an der Schwelle von Kunstgewerbemuseum und Kunstwissenschaft siehe Michael Conforti: Les musées des arts appliqués et l’histoire de l’art, in: Edouard Pommier (Hg.): Histoire de l’histoire de l’art, Paris 1997, S. 327–347. 16 Alois Riegl: Volkskunst, Hausfleiss und Haus industrie [Berlin 1894], Mittenwald 1978; dazu Stefan Muthesius: Alois Riegl: Volkskunst, Haus
16 PHILIPPE CORDEZ fleiss und Hausindustrie, in Richard Woodfield (Hg.): Framing Formalism. Riegls’ Work, Amster dam 2001, S. 135–150; Georg Vasold: Alois Riegl und die Kunstgeschichte als Kulturgeschichte. Überle gungen zum Frühwerk des Wiener Gelehrten, Frei burg im Breisgau 2004. Siehe auch Katalin Sinkó: Die Entstehung des Begriffs der Volkskunst in den Kunstgewerbemuseen des Zeitalters des Po sitivismus: Ornament als Nationalsprache, in: Acta historiae artium, 46, 2005, S. 205–259. Zum »Kunstwollen«: Alois Riegl: Spätrömische Kunst industrie [Wien 1901], Berlin 2000. 17 Siehe der Beitrag von Gottfried Korff in diesem Band; allgemeiner ders.: Kulturforschung im Souterrain. Aby Warburg und die Volkskun de, in: Kaspar Maase u. BerndJürgen Warneken (Hg.): Unterwelten der Kultur. Themen und Theorien der volkskundlichen Kulturwissenschaft, Köln, Wei mar u. Wien 2003, S. 143–178. 18 Siehe Henri Focillon: Das Leben der Formen [La vie des formes, Paris 1934], Bern 1954; Anna maria Ducci: Henri Focillon, l’arte popolare e le scienze sociali, in: Annali di critica d‘arte, 2, 2006, S. 341–389. 19 Siehe George Kubler: Die Form der Zeit. An merkungen zur Geschichte der Dinge [The Shape of Time. Remarks on the History of Things, New Haven (Conn.) 1962], Frankfurt am Main 1982. Eine um fassende, semiotische Erfassung der zeitgenössi schen Sachkultur in der Konsumgesellschaft bietet wenige Jahre später Jean Baudrillard: Le système des objets [Paris 1968], Das System der Din ge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegen ständen, Frankfurt am Main 2007. 20 Jacques Boucher de Perthes: Antiquités cel tiques et antédiluviennes. Mémoire sur l’industrie primitive et les arts à leur origine, Paris 1847–1864. Zu den Konsequenzen prähistorischer Entde ckungen für die Kunstgeschichte: Ulrich Pfiste rer: Altamira – oder Die Anfänge von Kunst und Kunstwissenschaft, in: Vorträge aus dem Warburg Haus, 10, 2007, S. 13–80. 21 Siehe François Sigaut: De la technologie à l’évolutionnisme, l’œuvre de PittRivers, in: Grad hiva, 8, 1990, S. 20–37. 22 Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877; siehe Harald Leinenbach: Die Körperlichkeit der Technik. Zur Organprojektionstheorie Ernst Kapps, Essen 1990.
23 Marcel Mauss: Les techniques du corps, in: Journal de Psychologie, 32/3–4, 1935, S. 271–293, Körpertechniken, in: ders., Soziologie und Anthro pologie, 2 Bde., Frankfurt am Main 1981–1989, Bd. 2, S. 199–220. Siehe auch François Sigaut: Les outils et le corps, in: Thierry Pilon u. Georges Vi garello (Hg.): Corps et techniques = Communica tions, 81, 2007, S. 9–30. 24 André LeroiGourhan: L’Homme et la matiè re, Paris 1943; ders.: Milieu et techniques, Paris 1945; ders.: Hand und Wort. Die Evolution von Tech nik, Sprache und Kunst [Le Geste et la Parole, 1. Tech nique et langage, 2. La mémoire et les rythmes, Paris 1964–1965], Frankfurt am Main 1988. Siehe Fran çoise Audouze u. Nathan Schlanger (Hg.): Autour de l’homme. Contexte et actualité d’André Leroi Gourhan, Antibes 2004. Für eine nuancierte Ana lyse des Evolutionismus von LeroiGourhan und zum Konzept der technischen Evolution, Nathan Schlanger: Piaget et LeroiGourhan. Deux con ceptions biologiques des connaissances et des techniques, in: Bruno Latour u. Pierre Lemon nier (Hg.): De la préhistoire aux missiles balistiques. L’intelligence sociale des techniques, Paris 1994, S. 165–186; Xavier Guchet: Évolution technique et objectivité technique chez LeroiGourhan et Si mondon, in: Revue Appareil, 2, 2008, http://re vues.mshparisnord.org/appareil/index.php?id= 580 [22. 08. 10]. 25 Siehe die Zeitschrift Techniques & culture. Revue semestrielle d’anthropologie, seit 1983; Fran çois Sigault: Préface. Georges Haudricourt et la technologie, in: Georges Haudricourt: La Techno logie science humaine. Recherches d’histoire et d’eth nologie des techniques, Paris 1987, S. 9–34; Hélène Balfet (Hg.): Observer l’action technique. Des chaînes opératoires pour quoi faire?, Paris 1991; Pierre Le monnier: Elements for an Anthropology of Technolo gy, Ann Arbor 1992; ders. (Hg.): Technological Choices. Transformation in Material Cultures Since the Neolithic, London 1993; Robert Cresswell: Pro méthée ou Pandore? Propos de technologie culturelle, Paris 1996. Mit einen hauptsächlich historischen Zugang: Technology and Culture. The International Quarterly of the Society for the History of Technology, seit 1959. 26 Siehe für eine Zusammenarbeit zwischen Anthropologen und Soziologen der Technik La tour/Lemonnier 1994 (wie Anm. 24); ebd. Made leine Akrich: Comment sortir de la dichotomie technique/société. Présentation des diverses so
17 WERKZEUGE UND INSTRUMENTE ciologies de la technique, S. 105–131. Siehe auch Werner Rammert u. Cornelius Schubert (Hg.): Technografie. Zur Mikrosoziologie der Technik, Frank furt a. M. 2006; Werner Rammert: Technik – Han deln – Wissen. Zu einer pragmatistischen Technik und Sozialtheorie, Wiesbaden 2007. 27 Siehe JeanPierre Warnier: Construire la cul ture matérielle. L’homme qui pensait avec ses doigts, Paris 1999; MariePierre Julien u. JeanPierre Warnier (Hg.): Approches de la culture matérielle. Corps à corps avec l’objet, Paris 1999; MariePierre Julien u. Céline Rosselin: La culture matérielle, Pa ris 2005; dies. (Hg.), Le sujet contre les objets... tout contre. Ethnographies de cultures matérielles, Paris 2009. Siehe auch die Studien zur Technikerfah rung im »Forschungskolleg Kulturwissenschaft liche Technikforschung« am Institut für Volks kunde und Kulturanthropologie der Universität Hamburg (seit 2008). 28 Siehe Richard Sennet: Handwerk [The Crafts man, Yale 2008], Berlin 2008; Matthew B. Craw ford: Ich schraube, also bin ich. Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen [Shop Class as Soul craft. An Inquiry Into the Value of Work, New York 2009], Berlin 2010. Siehe auch zum Köperbe wusstsein: Richard Shusterman: Body Conscious ness. A Philosophy of Mindfulness and Somaesthetics, New York 2008. 29 Bruno Latour: Von der Realpolitik zur Ding politik oder: Wie man Dinge öffentlich macht, Berlin 2005. 30 Die Technikphilosophie hat sich vornehm lich den zeitgenössischen Techniken zugewandt: siehe Christoph Hubig, Alois Huning u. Günter Ropohl (Hg.): Nachdenken über Technik. Die Klassi ker der Technikphilosophie, Berlin 2000; Bernhard Irrgang: Philosophie der Technik, Bd. 1 Technische Kultur. Instrumentelles Verstehen und technisches Handeln, Bd. 2 Technische Praxis. Gestaltungsper spektiven technischer Entwicklung, Bd. 3 Technischer Fortschritt. Legitimitätsprobleme innovativer Tech nik, Paderborn u.a. 2001–2002; sowie die Buchrei he Technikphilosophie, hg. von Klaus Kornwachs, bisher 19 Bde., Münster u. London 2000. 31 Siehe Klaus Kornwachs (Hg.): Technik – Sys tem – Verantwortung, Münster u. London 2004, dort bes. ders.: Technik – System – Verantwor tung. Eine Einführung, S. 23–43, u. Walther Ch. Zimmerli: Technik und Philosophie – 125 Jahre, und wie weiter?, S. 665–678.
Siehe beispielsweise www.greenpeace.de. Siehe als Begegnung von Kunstgeschichte und Anthropologie (nicht nur der Kunst) Thierry Dufrêne u. AnneChristine Taylor (Hg.): Histoire de l’art et anthropologie, 2009, http://actesbranly. revues.org/60 [24/08/10], Texte z. T. gedruckt in ders. (Hg.): Cannibalismes disciplinaires. Quand l’his toire de l’art et l’anthropologie se rencontrent, Paris 2009. 34 Vgl. etwa im Französischem: Alain Rey (Hg.): Dictionnaire historique de la langue française [Paris 1992], 3 Bde., Paris 2007, s.v. esthétique, Bd. 1, S. 1311–1312, technique, Bd. 3, S. 3772–3773. 35 Für die Kunstgeschichte siehe bereits die Skizze von Wolfgang Braunfels, zunächst als Vortrag an der Technischen Hochschule Aachen vorgestellt: Die moderne Kunst und der techni sche Fortschritt, in: Jahrbuch für Aesthetik und all gemeine Kunstwissenschaft, 6, 1961, S. 17–43. 36 Siehe Pierre Francastel: Art et technique aux XIXe et XXe siècles [Paris 1956], Paris 1998; Zur Soziologie der »figurativen Techniken« seit dem Quatrocento ders.: Études de sociologie de l’art [Études de sociologie de l’art. Création picturale et so ciété, Paris 1970], Paris 1989; dazu Alain Schnapp u. Pierre Lemonnier: André LeroiGourhan et Pi erre Francastel, in: Dufrêne / Taylor 2009 (wie Anm. 33). 37 Siehe JeanClaude Bessac: L’outillage traditi onnel du tailleur de pierre de l’Antiquité à nos jours, Paris 1986; David Morel: Archéologie du bâti et anthropologie. L’exemple du technicien dans le Massif central et sur ses marges (XIe–XIIIe siè cles), in: Elisa Brilli, PierreOlivier Dittmar u. Blaise Dufal (Hg.): Faire l’anthropologie historique du Moyen Âge = L’Atelier du Centre de recherches historiques. Revue électronique du CRH, 7, 2010, http://acrh.revues.org/index1911.html [22. 08. 10]. Siehe auch den Bd. 78 der Typologie des sources du Moyen Age occidental: Johan David: L’outil, Turn hout 1997. 38 Alfred Gell: Art and Agency. An Anthropolo gical Theory, Oxford 1998. Vgl. Robin Osborne u. Jeremy Tanner (Hg.): Art’s Agency and Art History. New Interventions in Art History, Oxford 2007. 39 Hans Belting: BildAnthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001. 40 Siehe Sybille Krämer: Technik als Kultur technik. Kleines Plädoyer für eine kulturanthro pologische Erweiterung des Technikkonzeptes, in: Kornwachs 2004 (wie Anm. 31), S. 157–164; 32
33
18 PHILIPPE CORDEZ dies. u. Horst Bredekamp, Kultur, Technik, Kul turtechnik: Wider die Diskursivierung der Kul tur, in: dies. u. ders. (Hg.): Bild – Schrift – Zahl [München 2003], München 2008, S. 11–22; Harun Maye: Was ist eine Kulturtechnik?, in: Zeitschrift für Medien und Kulturforschung, 1, 2010 (= Kultur technik), S. 121–135. 41 Siehe Philippe Descola: Par delà nature et culture, Paris 2005, der seine Untersuchung zu den Sozialisierungsformen der ›Natur‹ vor allem auf der kognitiven Ebene entwickelt. Siehe je doch für eine ikonologische Anwendung im Sin ne einer »Anthropologie der Figuration«: ders. (Hg.): La Fabrique des images. Visions du monde et formes de la représentation, Ausst.Kat. (Paris, Mu sée du Quai Branly), Paris 2010. 42 Siehe die Forschungsübersicht und den Vorschlag einer »prozessualen Definition des Stils« von Bruno Martinelli: Style, technique et esthétique en anthropologie, in: ders. (Hg.): L’in terrogation du style. Anthropologie, technique et es thétique, Aix en Provence 2005, S. 19–48; dort auch zum Zusammenhang von Stil und Werkzeug Salvatore D’Onofrio: Chaque chose a son »galbe«. Style, technique et esthétique à propos d’outils siciliens, S. 87–96. Ein weiterer anthropologischer Forschungsbericht in Schnapp/Lemonnier 2009 (wie Anm. 36), S. 14–24. 43 Zur »historischen Anthropologie« franzö sischer Art siehe zuletzt Brilli/Dittmar/Dufal 2010 (wie Anm. 37). 44 Zu dieser Diskussion siehe z. B. Georges GuilleEscuret (Hg.): Efficacité technique, efficacité sociale = Techniques & Culture, 40, 2003, darin be sonders Robert Cresswell: Geste technique, fait social total. Le technique estil dans le social ou face à lui?, S. 125–152. 45 Siehe zu semantischen und narrativen Technikdarstellungen JeanLuc Jamard (Hg.): My thes. L’origine des manières de faire = Techniques & Culture, 43–44, 2004; Salvatore d’Onofrio u. Frédé ric Joulian (Hg.): Dire le savoirfaire. Gestes, techni ques et objets = Cahiers d’anthropologie sociale, 1, 2006; und auch der Beitrag von François Poplin in diesem Band. 46 Siehe zum Begriff der Repräsentation bzw. représentation aus der Sicht des Historikers: Jean Claude Schmitt: Représentations, in: Claudie Du hamelAmado (Hg.): Georges Duby. L’écriture de l’histoire, Brussel 1996, S. 267–278; für einen an thropologischen und ikonologischen Zugang
Daniel Russo: Anthropologie et Iconologie. Ré flexions sur les apports de Jack Goody à l’analyse de la notion de ›représentation‹, in: Bulletin du centre d’études médiévales d’Auxerre, 2008, http:// cem.revues.org/index4242.html [24. 08. 10] (aus gehend von Jack Goody: Representations and Con tradictions. Ambivalence Towards Images, Theatre, Fiction, Relics and Sexuality, London 1997). 47 Zu Technik und Kultur des Entsorgens: Sonja Windmüller: Die Kehrseite der Dinge. Müll, Abfall, Wegwerfen als kulturwissenschaftliches Pro blem, Münster 2004. Ebenso Technik und Reprä sentationen verbindend: Christiane Raynaud: »À la hache!« Histoire et symbolique de la hache dans la France médiévale (XIIIe–XVe siècles), Paris 2002. 48 Siehe Nicole C. Karafyllis: Nachwachsende Rohstoffe – Technikbewertung zwischen den Leitbil dern Wachstum und Nachhaltigkeit, Opladen 2000; dies.: Zum Systemverständnis von Leitbildern in der Technikentwicklung und gestaltung, in: Kornwachs 2004 (wie Anm. 31), S. 485–498. Vgl. auch Patrice Flichy: L’imaginaire d’Internet, Paris, 2001. 49 Siehe Monika Margarethe Raml: Der »homo artificialis« als künstlerischer Schöpfer und künstli ches Geschöpf. Gentechnologie in Literatur und Leben, Würzburg 2009. Zur kulturellen Einarbeitung der »technischen Objekte«: Gilbert Simondon: Du mode d’existence des objets techniques [Paris 1958], Paris 2001. 50 Die Kuppel wurde 1418–1436 erbaut; Feier tagsarbeit zu diversen Zwecken ist zwischen 1420 und 1426 in dreizehn Einträgen belegt: vgl. Margaret Haines: The Years of the Cupola: Digital archive of the sources of the Opera di Santa Maria del Fiore, 1417–1436, Firenze 2002, http://duomo. mpiwgberlin.mpg.de [09. 07. 10], s.v. festivas, festi vis, festivo, und auch Wolfgang Braunfels: Drei Bemerkungen zur Geschichte und Konstruktion der Florentiner Domkuppel, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 11/4, 1965, S. 203–226, hier 218: Der Autor von Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana [Berlin 1953], Berlin 1979, kennt aus dem italienischen Quattrocento keine einzige weitere Lizenz zur Sonntagsarbeit. Ich danke Alexander Markschies für diese Refe renzen. Die Datierung des Bildes durch seine Funktion verstärkt seine stilistiche Einordnung als ein Frühwerk von Mariotto di Cristofano (1393–1457): Siehe Angelo Tartuferi: Le opere d’arte e la decorazione pittorica della chiesa, in:
19 WERKZEUGE UND INSTRUMENTE Francesco Gurrieri, Luciano Berti u. Claudio Leo nardi (Hg.): La Basilica di San Miniato al Monte a Firenze, Firenze 1988, S. 183–214, hier 208. 51 Siehe Dominique Rigaux: Le Christ du di manche. Histoire d’une image médiévale, Paris 2005, S. 99, 154 u. 302–303 zu diesem Bild (mit Fehldeu tungen der Maltechnik und des Konservierungs zustandes). 52 Das Werk ist heute in Moskau ausgestellt. Ich danke Monika Wagner und einer Gruppe Hamburger Studenten für gemeinsame Überle gungen im Rahmen eines Seminars. Siehe Otto Karl Werckmeister: Vera Muchina, Arbeiter und Kolchosbäuerin, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, 2002/2, S. 41–50; Bettina Jungen: Kunstpolitik ver sus Kunst. Leben und Werk der Bildhauerin Vera Mu china (1889–1953), Bielefeld 2005. 53 Siehe zur Materialsemantik in der Kunst Thomas Raff: Die Sprache der Materialien. Anlei tung zu einer Ikonologie der Werkstoffe, München 1994; für die moderne und zeitgenössische Kunst Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine an dere Geschichte der Moderne, München 2001; dies., Dietmar Rübel u. Sebastian Hackenschmidt (Hg.): Lexikon des künstlerischen Materials. Werk stoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn [Mün chen 2002], München 2010. 54 Siehe für eine Pionierarbeit Ernst Kris u. Otto Kurz: Die Legende vom Künstler. Ein histori scher Versuch, Wien 1934. Allgemeiner über tech nische Narrationen im Zusammenhang mit der Geschichte der Technik im Abendland, jedoch ohne Einbeziehung der Kunstgeschichtsschrei bung: François Sigaut: Les techniques dans la pensée narrative, in: Jamard 2004 (wie Anm. 45), S. 191–214. 55 Die stark verwitterten Reliefs wurden 2002–2003 rekonstruiert und sind nicht ganz als historische Zeugnisse zu betrachten. Ob das aus gehend von anderen Werken Zuccaris suppo nierte, gemalte Bild jemals realisiert wurde, ist ungewiss. Siehe Cristina Acidini: Un episodio fiorentino: le formelle dello Studio Zuccari nella facciatamanifesto, in: dies. u. Elena Capretti (Hg.): Innocente e calunniato. Federico Zuccari (1539/
40–1609) e le vendette d’artista, Firenze 2009, S. 164– 171. 56 Siehe Robert Williams: Art, Theory, and Cul ture in SixteenthCentury Italy. From Techne to Me tatechne, Cambridge 1997, S. 135–150 zur Theorie Zuccaris. 57 Siehe ebd., S. 29–72; Giorgio Vasari: Le bensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bild hauer und Architekten [Vite de‘ più eccellenti pittori, scultori e architettori 2., revidierte Ausgabe Firen ze 1568], hg. von Alessandro Nova u.a. Berlin 2004. 58 Siehe HansPeter Schwarz: Das Künstler haus. Anmerkungen zur Sozialgeschichte des Genies, Braunschweig 1990, S. 177–182, 194–200; Hartmut Olbrich: Die Casa Zuccari in Florenz: Genese und Erscheinung eines Künstlerhauses der Renaissance, Bamberg 1999, S. 135–138. Zum Topos des Kün stlerateliers: Michael Cole u. Mary Pardo (Hg.): Inventions of the Studio. Renaissance to Romanti cism, Chapell Hill u. London 2005; Michael Diers u. Monika Wagner (Hg.): Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform, Berlin 2010 (Hamburger For schungen zur Kunstgeschichte, 7). 59 Siehe etwa Édouard Pommier: Comment l’art devient l’Art dans l’Italie de la Renaissance, Pa ris 2007. Über solche Situationen beschleunigter Interaktionen zwischen Sozialem und Techni schem siehe Robert Cresswell: La nature cyclique des relations entre le technique et le social. Ap proche technologique de la chaîne opératoire, in: Latour/Lemonnier 1994 (wie Anm. 24), S. 275– 288. 60 Vgl. die Beobachtung, dass die Bezüge zwischen Techniken und Gesellschaften in tra ditionellen Kontexten metaphorischer und in industriellen Kontexten unmittelbarer zu sein scheinen, wobei der Anthropomorphismus, zu erst projiziert oder figuriert, nun »in die Mecha nismen selber« eindringen würde: Bruno Latour u. Pierre Lemonnier: Introduction. Genèse so ciale des techniques, genèse technique des hu mains, in: Latour/Lemonnier 1994 (wie Anm. 24), S. 9–24, hier 18.
FRANÇOIS POPLIN
L’outil, la matière et la main dans la profondeur de l’esprit
L’outil est fait pour être tenu en main et servir à une production matérielle par action sur une matière (scie, marteau), ou à une intervention sur une produc tion matérielle déjà constituée (clé à molette, tournevis). Cela définit deux catégories, celle des outils primaires, fondamentaux, et celle des outils secon daires, moins nécessairement engagés dans la matérialité en ces deux sens qu’ils ne traitent plus de la matière brute mais du matériel et qu’ils ne produi sent pas toujours du matériel nouveau. Le domaine de la musique offre tout de suite une contreépreuve : sa production est immatérielle et ses dispositifs producteurs sont appelés non pas outils, mais instruments, et même la clé à accorder les pianos, qui est tout à fait rapportable à une clé à tube comme celle pour les bougies de voiture automobile, est un instrument plutôt qu’un outil. Une même forme, préposée à une même fonction, se trouve rangée d’un côté avec les outils du garagiste, de l’autre avec les instruments sonores qu’elle sert à modifier pour l’harmonie. De même, l’instrumentum médical, qui sert à traiter non plus de la matière, ni même du matériel, mais des êtres vivants, des personnes, est exempt de l’étiquette « outil », tout comme la musique instru mentale. Les deux arts, médical et musical, se rejoignent sur un même niveau supérieur, et le fait qu’on décrive parmi les gestes du chirurgien une tenue du scalpel « en archet de violon » est conséquent et harmonieux. On voit ainsi s’esquisser une série allant de l’outil à l’instrument et, plus loin, à l’objet, lequel existe en soi et non plus dans la main, et trouve son achè vement dans l’objet d’art. Cette série est doublée par celle de l’armement, de chasse comme de guerre, mais il n’en sera pas question dans ces pages. Il importe de faire d’abord porter l’examen sur l’outil fondamental, celui qui est en rapport direct avec la matière d’un côté et la main de l’autre. Il est tentant de l’appeler « outil vrai ». Il sert généralement à passer de la matière à la forme. Avec lui, deux perspectives s’ouvrent, celle de la tenue en main, de la mani pulation, du rapport somatique plus en général, où la gradation outil / instru ment / objet suit un ordre de détachement croissant par rapport au corps, et la perspective de la matière. Il convient de commencer par celleci, la matière étant une donnée primordiale de l’interaction de l’homme et de son environ
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nement ; ce n’est pas l’outil qui appelle la matière, mais la matière qui appelle l’outil.
La matière et l’outil Les matières ne sont pas égales. Elles sont à considérer dans toute l’étendue de leur variation. Dans les langues romanes, le bois se présente comme la réfé rence fondamentale, materia étant la désignation du bois d’œuvre, par opposi tion à lignum, bois de chauffe, ce qui recouvre le couple allemand Bauholz / Brennholz. En grec déjà, un même terme, hylé, désigne matière et bois. Le bois est une matière reine parce que traitable, contrairement au diamant qui ne l’a pas été pendant longtemps, et qu’elle a une tenue suffisante, contrairement à l’eau non congelée, pour prendre un exemple à l’opposé du précédent. Le bois se trouve en position moyenne ; des actions modérées lui vont bien. Son traite ment à la hache ne donne qu’un travail grossier, le martelage lui convient infiniment moins qu’aux métaux. Ceuxci appartiennent par excellence au domaine de la percussion, ainsi que la pierre dans ses traitements par éclate ment et bouchardage, sans même parler du concassage. Au regard de cela, le travail du bois reste du domaine de la douceur, des actions conduites et non pas lancées avec violence. Il connaît peu les chocs et bruits qui restent une caractéristique essentielle, inaliénable, de la percussion. Sa participation à ce registre se limite à la percussion médiate du maillet agissant sur le ciseau à bois ; la percussion directe ne lui est guère appliquée que pour monter les assemblages, tout en finesse. L’action percutante directe (percussion vraie) reste attachée au métal et à la pierre. Elle ne s’en échappe que pour faire du bruit sur la peau du tambour ou s’en prendre à d’autres peaux, vivantes, par le poing ou les armes. Sur le vivant, il n’est pas d’outils : la trousse du chirur gien ne comporte que des instruments, atil été dit. C’est que ces moyens d’action interviennent non sur une matière, mais sur une forme animée. Une même sorte de trépan, de scie sera instrument au service de la santé, et outil dans l’échoppe de l’artisan en os et ivoire. Quand on en reste aux matières et qu’on en parcourt l’inventaire, on constate qu’autour des solides bois, pierre, métal, dont le plus conciliant pour le travail est le bois, et qui sont domaine d’outils par excellence, il est parlé d’instruments pour le modelage, le traite ment des fibres, les liquides et semiliquides comme le fromage dans son éla boration, en bref quand la matière n’est pas très consistante. Un vigneron a plutôt des instruments, et retrouve l’outil quand il travaille le bois, aux deux extrémités de son activité traditionnelle, pour faire ses piquets de vigne et pour travailler ses tonneaux. La démonstration se prolonge en plus grand entre la charpenterie de marine, aux merveilleux outils, et les métiers de la mer – du marin pêcheur, à qui l’on ne voit guère d’outils mais des engins de pêche, au saunier qui brasse la mer et amasse le sel en maniant des instru ments.
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Ce qui vient d’être dit peut être condensé en énonçant que le rapport direct avec le bois, le travail du bois définit fondamentalement l’outil, et que lorsque l’action intéresse des matières moins consistantes ou le vivant, l’animé, l’étiquette « outil » se trouve remplacée par celle d’« instrument » (scalpel du chirurgien, fouet du dresseur, houlette du berger). Il faut bien considérer la bipartition du domaine du bois. Le bois travaillé, porteur sinon générateur de la notion d’outil, doit en bonne logique trouver son contraire et complémentaire avec les bois grossiers, ceux du lignum. En effet, dans le domaine du bûcheronnage, du gros bois et non plus de la menui serie (le mot vient de « menu (bois) »), la percussion franche est très présente, avec l’action taillante de la hache. Le terme de « cognée » en est caractéristique, jusque dans sa sonorité1. Au cours de son histoire, le mot, parti de cuneus (« coin ») en raison de la forme du fer2, est passé à « frapper », dont la notion est très sensible dans le verbe « cogner ». « Comme avec sa cognée un pâtre brise un chêne », écrit Victor Hugo3 : l’emploi du verbe briser au lieu de couper montre le caractère de travail en force, et je revois un ami de mon père évo quant et vantant la vigueur des bûcherons de jadis : « Ils ne connaissaient pas leur force. Ils faisaient voler des éclats gros comme des biftecks ». Cela est loin de la fine sciure de la scie de menuisier, à lame mince, petites dents, et peu avoyée pour arracher le moins possible. On est là au bord du conte. Ceci me fait souvenir de Siegfried qui, forgeant son épée, schlug den Amboss in den Grund 4. C’est geste de géant, et il ne faut pas rejeter ces éléments de légende : il faut au contraire les prendre comme les éléments mythiques qu’ils sont, c’estàdire comme une manière pour l’esprit humain d’arranger les choses dans la profondeur – une manière très humaine dont les choses s’arrangent dans la profondeur de l’esprit. C’est là que siège la fontaine du langage, que sourd la création lexicale, avec des associations antéverbales qui ressemblent fort à l’idéographie, c’est là que jaillissent des appellations telles que Fuchs schwanz pour la scie à guichet. Lors de notre réunion à Hambourg, il m’a été dit que Fuchsschwanz dési gnait une telle scie, égoïne, c’estàdire à une seule main et susceptible d’être introduite pour découper de petites ouvertures, des guichets. Le plus difficile à concevoir pour la raison pratique dans cette appellation est que la queue à la fourrure si douce du renard puisse donner lieu à une métaphore si dure, si aiguisée. Je me suis dit d’abord qu’il y avait du schleichen làdedans, c’estàdire la faculté pour le renard de se glisser, de se faufiler, ce qui est précisément recherché dans la scie à guichet, à la lame moins encombrante que celle de l’égoïne, réduite au minimum pour pouvoir chantourner (ausschweifen, notion qui est apparue dans la gestuelle de mon interlocutrice), et je réalise, en rédi geant, que ce schleichen pourrait bien se doubler de schleifen désignant une usure douce, à quoi aboutit le sciage quand on réduit la taille des dents, comme dans la sciefil, qui est idéalement faufilante5, chantournante. Mais il reste à comprendre comment l’esprit peut voir la queue du renard dentée. Il se trouve que le renard est, dans notre bestiaire, le champion du retournement6. Quand
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on pense à sa queue, on voit ses dents, et sa denture est l’une des plus évoca trices de celle de la scie. Par ses mâchoires allongées, déliées, il est, de toutes nos bêtes, la mieux placée pour entrer dans le rôle de la scie fine apte à s’introduire, par un têteàqueue dans le jeu de l’image mentale. Fuchsschwanz a pour parallèle « queuederat », désignant une lime de sec tion ronde servant à limer dans les trous. Le mode de fonctionnement est le même, et assez ouvertement métaphorique de la copulation (limer a ce sens en argot), à la fois par la visite d’une cavité et par le vaetvient. Si j’ose aborder ce sujet bien vivant de l’acte sexuel, aux antipodes de la relation avec la matiè re inerte, c’est précisément que ce sujet intéresse, au plus profond, la relation avec materia par le sciage. Il m’a été rapporté un rêve intime, dont le principe7 est qu’un jeune homme rêve qu’il s’unit avec sa mère, sans retenue, dans une volupté exacerbée. Ils sont assis face à face sur le chevalet à scier le bois de chauffage de la maison, et le mouvement alternatif du sciage est directement impliqué dans le parallèle. Or l’étymologie de materia, « bois d’œuvre », retrou ve celle de mater, « mère », de sorte que le rêve reconstituait cette étymologie. S’il est vrai qu’il s’agit, avec la scie à bûches, de lignum et non pas de materia, le décalage vers le bûcheronnage, le travail fort s’explique simplement par l’ardeur du combat amoureux, qui rejoint, Mars visitant Vénus, la pugnacité, la percussion. Il ne s’agit plus de travail délicat de boiserie, qui rejoint la den telle, mais de besogner. Je pense que l’esprit profond du rêveur était gagné à ceci : s’il est vrai que matière et être vivant sont inconciliables, que l’inanimé est résolument différent de l’animé, il est une catégorie transcendante permet tant le passage, celle de la chair, qui est l’exact opposé du bois dans « je ne suis pas de bois », déclaration qui est proclamation d’être vivant, d’appartenir au monde des vivants. La chair est comme du bois animé, et dans l’image faisant des copeaux des bûcherons des biftecks volant sous la hache, il y avait cette transfiguration, cette transcendance du bois animé en chair par la vivacité.
La main et l’outil Parler des rapports de la main avec les outils, les instruments, les objets peut entraîner dans plusieurs directions : l’outil prolonge la main, la main anime l’outil, la main et l’outil s’unissent par un mode d’articulation tout aussi inté ressant à considérer. Tels sont trois points de départ possibles, même pour parler de l’objet, qui n’a plus de rapport direct avec notre membre scapulaire. J’envisagerai d’abord l’articulation, puis l’animation, laissant le prolongement pour plus tard. Avant cela, il est nécessaire de régler une question de vocabu laire : vaisje parler d’organes en étendant le mot à ce que tient la main, ou le laisser cantonné au domaine anatomique ? Aton le droit de parler de ces productions matérielles et techniques comme d’organes artificiels, n’estce pas trop jouer de la métaphore ? Il est bon de signaler à ce sujet combien est con ciliante, largement compréhensive, la langue grecque, d’où « organe » est tiré. Elle réunit sous ce vocable (organon) instrument de travail, outil, machine de
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guerre, instrument de musique, organe du corps, et même, par extension, matière sur laquelle on travaille (il y a métonymie), ouvrage, œuvre, au pluriel (organa) formes du langage, particularités du style. Admirable souplesse, qui fait communiquer les choses, qui ne craint pas la métaphore mais la recherche plutôt. Il sera donc admis que les organes de préhension se divisent en organes actifs comme le pouce et l’index ramassant une miette, et en organes passifs comme l’anse de la tasse. La langue française dispose, pour désigner les organes de préhension dont sont munis les outils, instruments et objets, de deux termes principaux, « man che » et « poignée ». Le premier renvoie à la main, manus en latin, où il existe déjà sous la forme manicus, et le second au poing, pugnus. Les deux termes font donc, depuis longtemps, un couple d’opposition caractéristique, même s’ils ne sont pas apparus en même temps en latin. Cette opposition se fait fondamen talement entre la main ouverte, qui est accueillante, caressante, industrieuse, et la main fermée, qui est le poing. En cela, l’esprit se concentre d’une part sur la face palmaire, qui est ouverte, offerte au Monde et aux autres comme la face de la tête et du corps, d’autre part sur le dos, qui est fermé comme celui du corps, qui n’accueille pas, qui ne saisit pas et, plutôt, se met en boule et devient hostile, donnant le poing, pugnus, éponyme de la pugnacité : le coup de poing est l’exact opposé de la caresse. Un jeu d’opposition, donc, existe entre le man che et la poignée, organes passifs de la préhension, métonymiques de la main et du poing, qui sont les organes actifs. Le terme « manche » s’attache surtout aux outils, où la main est très présente et actrice, directrice, et il est des manches courts, à une seule main, et des manches longs pour les deux. Man che ne s’applique qu’à des choses qui s’enlèvent en main, qui y trouvent leur position fonctionnelle. Il n’y a pas d’élément attaché, immobilier muni de man che. La charrue, avec ses deux mancherons, constitue un cas limite révélateur. Elle est, dans une certaine mesure, maniable, bien en main, ce que nous disons aussi des voitures automobiles, et la métaphore du « manche à balai », en aéronautique, a pour comparant un instrument qui virevolte dans les deux mains dans son emploi parmi les nuages de poussière. Le terme poignée, lui, a la faculté de s’étendre à des éléments non nécessairement en dépendance de la main, non tenus en l’air par elle, une porte ou un tiroir par exemple. Les poignées suspendues au plafond dans les transports en commun sont un cas encore plus net (et intéressant par son renversement : la main s’y suspend au lieu que la poignée de la valise, par exemple, y est suspendue). Dans les petits meubles, la poignée peut se réduire à un bouton à saisir entre le pouce et les doigts voisins, ou à un petit arceau où passer l’extrémité de quatre doigts. La prise en poing devient moins sensible, et de même lorsque, en sens inverse, l’arceau grandit, sur des vases, des paniers ou des sacs, où il devient anse, pouvant recevoir les deux mains ou être passée sur l’avantbras, au pli du coude. Dans ces variations, la poignée a moins de constance que le manche. Celuici reste élément princeps de l’activité manuelle, très attaché à l’outil, il est l’élément fort parmi les organes de préhension.
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Le terme manche est pris dans une autre opposition que celle de manus et pugnus, moins importante mais aussi invétérée qu’elle et d’une grande beauté : à côté de manche au masculin, le français a manche au féminin, qui est la manche de vêtement – d’où la manche à air des aéroports, pour indiquer la direction du vent, coexistant avec le manche à balai pour conduire l’avion. Ce couple sort tout droit du latin, avec manicus et manica. Le manche manicus est dans la main comme l’organe mâle dans l’organe femelle, et la manche manica reçoit la main comme la partie féminine reçoit la partie masculine ; et il n’y a pas plus à s’en offusquer que de parler de prises de courant mâle et femelle. Il est heureux qu’il en soit ainsi également en allemand, où Hand est féminin et Griff, Stiel, Schaft masculins ; les termes sont bien disposés à une union harmonieuse. Peutêtre existetil des contes ou légendes où cela se pro duit ? Comment se faitil que le principal des termes qui viennent d’être donnés, Griff, n’observe pas la distinction de la main et du poing, qu’il n’entre pas dans cette logique bipartite ? La réponse est simple : parce qu’il regarde l’action, le fait de saisir, non l’organe permettant cette action. Il s’attache au verbe, greifen, et non pas à ses agents, ses compléments instrumentaux. Greifen est saisir, prendre, et le substantif Griff qui en est tiré désigne le fait de prendre et l’organe passif qui permet la préhension. Ainsi, sous Griff qui ne fait pas la distinction, se trouvent réunis deux sens, deux composantes que le français sépare, la faculté de saisir, attraper et tenir quelque chose (c’est l’aspect poig née) et celle de pouvoir en jouer, d’agir avec (c’est l’aspect manche d’outil). Or, si la métaphore « les mots sont des outils » m’était déjà familière, je désirais exprimer que ces mêmes mots servaient à tenir les concepts, dans la perspec tive qu’ouvrent en français prendre, comprendre, appréhender au sens de sai sir par l’esprit (begreifen). C’est au cours de notre réunion à Hambourg que la synthèse s’est faite en moi, en allemand, et a trouvé à se dire parce que je baignais dans cette langue : Die Wörter sind die Griffe der Ideen. Les deux sortes d’organes de préhension, actifs comme le pouce et l’index et passifs comme l’anse de la tasse, sont rapportables à l’animé et à l’inanimé. Mais il est bon d’indiquer que la langue française souffre là d’une faiblesse : même si le langage courant fait de la main un être animé et de l’outil un objet inanimé, la main est plus exactement, au plan de la grammaire, animante pour l’outil qu’elle tient, et celuici est animé par elle. Il y a donc deux présen tations possibles pour les choses sur quoi la main porte : elles sont en fonction, en action quand elles sont en main, et au repos, en attente quand elles sont rangées. Et lorsqu’on passe de l’outil à l’instrument et à l’objet d’art, le premier aspect s’estompe au profit du second, de sorte que l’esprit retient électivement une image mentale en action des outils, et en présentation statique des objets. Cela fait d’une collection d’outils anciens un peu un obituaire, une exposition de cadavres, ce que la mise en scène dans une reconstitution d’atelier permet de rattraper un peu, et plus encore la petite vidéo associée que les moyens audiovisuels modernes permettent. Alors qu’un objet, d’art surtout, est plus
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immédiatement présent, mais de la présence d’une belle personne qui n’a rien à faire, comme un pot de fleurs. Il se trouve que la façon de parler du végétal est affectée de la même ambi guïté sur animé. Le végétal n’est pas doué de mouvement propre, sauf celui de la croissance, mais il peut être animé par le vent, ce qui le situe vers l’outil, l’instrument. Mais comme le végétal est sans action manifeste, le rapproche ment avec l’outil ne va pas très loin : il lui reste une sorte de perception instru mentale, où il est plus ou moins dormant, ainsi que la perception comme objet d’art, très importante avec la fleur, dont nous avons tendance à faire un élément séparé, autonome, dans la fleur coupée. Il faut cependant considérer aussi la croissance, la sourde puissance des racines, ainsi que la statique impo sante, la force tranquille des troncs. Dans cette direction, il est nécessaire de bien comprendre que le bois n’est pas le végétal, mais un produit du végétal, lequel est verdure et souplesse. Aussi ces forces majestueuses serventelles la matière, synonyme de bois, et non l’animation, ce qu’il pourrait y avoir de l’animal. L’animal luimême connaît cette statique. Elle est offerte à la compré hension dans le bestiaire instrumental : le cheval sert de comparant à des objets tels que le « cheval d’arçons », le « chevalement » de puits de mine, le « chevalet » de violon ou aussi bien de peintre, la « poutre » (y compris celle d’athlétisme féminin ; le mot a désigné en ancien français une jeune jument). Ce qui motive ces métaphores, ce n’est pas le mouvement, le galop, mais bien la faculté de se tenir debout. Et en parcourant à nouveau cette petite liste, le lecteur peut se persuader que tous les instruments invoqués sont de bois, au moins à leur origine comme pour le chevalement de mine. De l’inanimé, nous en avons dans notre anatomie ou, mieux, à la surface de notre anatomie : tout ce qui est en kératine. Couper les cheveux ne fait pas grand mal, les couper en soi, sans tirer dessus ; de même pour les ongles. Ces productions épidermiques sont très proches en nature des « peaux mortes », petites excroissances d’épiderme superflues. L’organisme animal produit la corne un peu comme le végétal produit le bois, mais à l’extérieur, et l’ongle est comme une pièce de matière inerte rapportée, incrustée dans notre corps, ce qui le rapproche de l’éclat de silex tenu par le bout des doigts. Il y a là, déjà, dans cette sorte d’implant naturel, quelque chose d’artificiel qui prélude au développement de l’outil. Mais c’est encore inné, alors que l’outil est acquis. Il est un morceau du Monde que l’homme attrape en main et traite comme de l’extérieur. De sorte qu’en passant de l’ongle du pouce pour entailler la peau d’un fruit à un débris de pierre ou de coquillage saisi entre pouce et index pour faire la même chose, et en persévérant, nous sommes passés à l’humanité. C’est là que se situe le grand fossé entre les carnivores, qui mangent directe ment avec les dents, sans aucun recul, comme les sangsues et les lamproies, et nous dont la main interpose du recul, amenant la possibilité de faire des opé rations culinaires des œuvres d’art. Ce qui vient d’être donné sur les phanères cornés demande à être complété de quelques mots sur l’innervation. Il n’y a pas de nerfs dans les productions cornées, mais il y en à leur racine, un peu
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dans la chevelure, beaucoup à la base et sous les ongles, ce qui confère à ceux ci une sensibilité exquise autant qu’indirecte : ils ne sont, dans la perception, que des transmetteurs, un peu comme l’aiguille de phonographe, ou le stéthoscope pour les bruits respiratoires. Sous eux, c’est l’extrémité digitée, la main qui perçoit. Il est superflu de développer ici le thème de cette merveil leuse sensibilité manuelle. Je dirai simplement qu’elle permet la continuité sensorielle avec ce qui est en dehors de notre enveloppe, et que cet audelà de la main dans les afférences nerveuses ouvre un champ de développement des efférences techniques, permettant l’extracorporalisation de l’activité. Ce phénomène comporte deux aspects principaux, l’un manifeste, l’autre qui demande à réfléchir. Le premier est le fait qu’au cours des âges se sont trouvés dans la main la partie active (éclat de silex, équivalent de l’ongle ou d’une dent) tenue « du bout des doigts », puis l’outil plus complet tenu à pleine main, puis l’outil prolongé d’un manche, puis doté de systèmes de démultiplication des forces divers et variés, puis doté d’un moteur, qui n’était plus musculaire, etc., jusqu’à ce qu’il ne reste plus en main qu’une commande comme la souris, en attendant mieux encore dans un monde toujours meilleur, l’homme ayant tendance à s’ennuyer quand il ne sait plus quoi inventer. Le second aspect est celui du recul par rapport au corps, qui situe ce qu’on fait en face de soi, en position d’objet. Les deux mains effectrices sous le regard des deux yeux peu vent constituer à bonne distance un petit atelier, un petit lieu d’élaboration où se fait, se fait faire quelque chose qui est au delà de soi, un dépassement de soi, mais qui reste à l’image de soi, et où l’on peut se retrouver tout en faisant œuvre. Les deux aspects que sont la constitution d’effecteurs en dehors du corps, audelà de la main, et la mise à distance et en regard de soi, se rejoignent dans le désir de faire sortir de ses mains un être créé de toutes pièces, vieux rêve par quoi l’on voudrait se mettre au dessus des lois de la nature et des dieux, et qui alimente fortement, dans le monde du spectacle, la thématique du savant détraqué. Sans aller à de tels risques, il est un moyen de s’occuper l’esprit avec la dialectique des œuvres de la physis et la de techné : c’est de son der le parallèle entre les dispositifs naturels, comme l’ongle et la dent, et ceux bâtis par l’homme, par exemple en guettant les appellations animalières prenant pied dans le monde instrumental. C’est d’une telle préoccupation que procède ce qui va venir maintenant.
Le bestiaire de l’outillage, une anthropozootechnologie Il s’agissait, au départ, de l’exploitation de métaphores zoonymiques telles que Fuchsschwanz, « queuederat », « chevalet », déjà apparues dans ces pages. J’ai développé de l’intérêt pour ces dénominations pour ce qu’elles révèlent de la manière dont l’esprit humain retrouve des éléments naturels dans ses produc tions techniques au sens large. Très vite, il est apparu que l’on pouvait dépas ser le niveau des mots et parvenir à une compréhension idéographique, nou veau niveau auquel se dessinent des ensembles, des traits culturels étendus et
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des contrastes entre langues, ce qui est en quelque sorte le point d’arrêt actuel. J’aimerais voir développer ce thème du bestiaire de l’outillage et autres instru ments, armes et objets dans d’autres domaines géographiques et linguistiques, ce qui n’est pas facile à obtenir, encore moins à réaliser de l’extérieur. Aussi seraisje heureux si ces pages stimulaient quelque développement dans le domaine germanique, ou, mieux encore, révélaient l’existence d’études déjà faites. J’ai choisi de présenter ici une étude de cas, celui des ovins et caprins, et un aspect de synthèse en examinant la prédisposition générale de l’animal à ces parallèles instrumentaux. L’engin d’assaut nommé « bélier » en français est le plus marquant des éléments en cause, et il trace une ligne directe depuis le grec ancien jusqu’à nos temps modernes à travers ses appellations κριός, aries, bélier. Ce n’est cependant pas proprement le mot qui est concerné, mais d’abord l’idée d’associer l’animal à l’instrument quels que soient les mots, et, dit plus juste ment et plus simplement, l’association d’idées, l’accolement de l’image mentale du bélier porteur de cornes enroulées et de laine à l’image mentale du tronc utilisé en boutoir8. Cette liaison s’exprime dans le fait que les représentions figurées ne manquent pas de montrer une tête de bélier à l’extrémité percu tante du bélier de bois, alors qu’il n’en est guère besoin dans la réalité. C’est la signature de la métaphore, et une culture qui produit une telle image pourra produire un tel rapprochement lexical dans sa langue – et l’appellation chan gera plus que l’image d’une culture à l’autre. Ce que je veux dégager ici, c’est que cela se produit en deçà des mots, à un stade qu’on désignera peutêtre comme infraverbal, mais je n’y vois pas de position inférieure en qualité ni antérieure dans le temps (en un mot : « primitive »), j’y vois un fonctionnement général et direct, relevant de l’idéographie, comme dans l’expression chinoise, où deux personnes peuvent s’écrire d’une province à l’autre parce que l’expression graphique est la même, mais non se téléphoner, parce que les mêmes signes d’écriture entrant par les yeux ne s’énoncent pas par les mêmes sons sortant de la bouche. L’élan horizontal avec lequel les béliers s’affrontent est déterminant dans ce que l’esprit retient, et il retient également le bruit du choc, à quoi se mêle le fait que ces mâles du troupeau peuvent être porteurs de cloche. Ce lien avec le son de la percussion se retrouve dans la « bélière », bracelet de cuir qui porte le battant des cloches, et le lien avec l’horizontalité corporelle dans le « mouton », barre de bois horizontale que l’on passe dans les anses des grosses cloches pour les suspendre ; dans ce dernier emploi, l’ovin est perçu par le corps et non plus par la tête et les cornes, ce que traduit, par adoucissement, le passage du bélier au mouton, celuici étant plus neutre. Quand on a cessé de sonner les cloches à la volée, à la corde et à la main, pour les frapper de côté par une mécanique, la poutre de bois ou de métal qui vient les heurter à l’horizontale a pris tout naturellement le nom de « bélier ». La métaphore primitive retrouvait de l’emploi. Il faut le noter, car leur silence même le ferait oublier : il n’y a ni outil, ni instrument, ni rien de tel qui soit appelé brebis ou agneau.
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Du côté des caprins, la chèvre se taille un rôle de premier plan9 et la pre mière chose par quoi commencer est sa faculté de se dresser, de se « cabrer » : on saisit, dans cet intitulé caprin de verbe, la fonction idéographique de la bête. Celleci est, dans l’histoire du mot, la référence, le comparant pour les autres animaux qui se dressent, cheval en tête. Autant les agneaux sautent sur place, des quatre pieds, pour retomber à l’aplomb, ce qui explique l’engin « mouton » à enfoncer les pieux (« mouton de sonnette »)10, autant les caprins se cabrent, tout particulièrement dans l’assaut que se livrent les jeunes pour jouer, et de façon plus sérieuse les mâles confirmés : ils commencent par se dresser sur leurs membres postérieurs avant de se porter en avant et de se cogner du front en retombant. Cette scène met en l’homme une image symé trique d’une vive intensité. Tout cela est si fortement sémiogène qu’il y a lieu de distinguer le cabré individuel et celui en affrontement. Le caprin seul se met sur deux pieds, mais trouve volontiers un appui vertical, un tronc d’arbre par exemple pour brouter plus haut. Cela se traduit dans l’instrumentum par exemple par une échelle à cueillir les olives, en Pro vence, en forme de A soutenu par une jambe d’appui, ce qui donne trois pieds, et nombre de supports tripodes, culinaires notamment, reçoivent le nom de « chèvre ». La « chèvre de levage », elle, n’a que deux montants, fortement haubanés, calés dans un « pieddechèvre », et la partie supérieure qui porte la poulie est appelée « tête ». Il peut arriver que le corps et, dans son prolon gement, les membres postérieurs de la chèvre de référence se réduisent à une simple pièce de bois, mais toujours oblique : c’est le cas du « chevron » des toits en pente. Dans les toits à double pente, l’affrontement fait passer l’esprit du « che vron » simple à une image double, en accent circonflexe, pour en arriver au « chevron » des motifs décoratifs (blason, tissu, etc.).11. Dans l’instrumentum, il n’est jamais parlé de bouc. La brave chèvre porte tout, elle fait tout le travail. Et elle est muette comme une recluse : sa contri bution, celle des caprins dans leur ensemble, est silencieuse, il n’y a rien des percussions du bélier, alors que les boucs se heurtent des cornes non moins vigoureusement, pas de lien avec la cloche non plus, alors que la gent caprine, du côté féminin, porte d’autant plus clochette qu’elle a fort tendance à s’écarter des chemins et à être difficile à retrouver12. Un couple « recomposé », celui du bélier et de la chèvre, fait donc tout ; leurs contreparties brebis et bouc n’apparaissent pas dans l’instrumentum. Bon nombre d’outils et d’instruments portent ainsi en français des noms d’animaux, constituant une belle ordonnance technosémiologique : horizon talité = bélier, poulain et autres équidés ; verticalité statique = équidés et homme ; verticalité dynamique = mouton ; obliquité = grande spécialité des caprins, chèvre en tête13. À côté de cela, les emprunts aux végétaux sont extrê mement rares, et ceux aux minéraux inexistants. En ne retenant que les outils pour mieux mettre en valeur ce qui ressortit à l’activité, le constat est d’une
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soixantaine de cas pour l’animal, contre un douteux pour le végétal, et aucun pour le minéral. Les modalités de ces transferts d’étiquette sont diverses, mais restent dominées par le mouvement et la forme, ce qui est dans la définition même des êtres animés, formes vivantes. Ce mode d’appellation relève de l’application directe d’une image mentale animalière, sans passer par les mots – elle est antéverbale –, comme dans la pictographie, l’idéographie. La com munication se fait de l’animal à l’élément animé de main d’homme par analo gie de forme, de mouvement, d’action, de couleur, de sonorité, etc. C’est la vivacité, l’activité même des deux supports, êtres naturels au départ et éléments artificiels à l’arrivée, qui actionne le processus de dénomination. Du côté de la nature, cela se concentre donc sur les animaux les plus actifs et les plus proches, les plus présents à notre esprit (cette proximité est un adjuvant de l’activité, elle augmente son efficacité, sa pénétrance) et cela désigne les animaux « vrais »14. En regard de cela, une autre étude apporte une contrepar tie. Il s’agit de la série des termes en « culture », comme « agriculture », « pis ciculture », « apiculture », « viticulture », qui se retrouve à l’identique dans son principe dans les langues romanes que j’ai pu visiter (français, italien, espa gnol, portugais)15. Elle couvre les végétaux de manière absolue, descend quel que peu sur le domaine minéral et s’étend de manière importante sur les strates basses du règne animal, pour s’arrêter là où commence le bestiaire de l’outillage. Ces deux phénomènes lexicaux sont aussi des classements et appa raissent comme complémentaires, comme deux aspects d’une même distribu tion. Ils se confortent l’un l’autre dans une même logique aboutissant à ceci : le réservoir des noms d’outils et d’instruments réside dans une classe supéri eure des productions de la nature, du vivant, audessus d’une vaste étendue végétative où l’homme s’occupe d’animaux inférieurs comme de plantes. Il est à souhaiter que les enquêtes, notamment sur l’instrumentum, soient poussées, et surtout étendues à d’autres langues.
À ce sujet, je suis admiratif devant l’alle mand dengeln, si expressif de l’action de battre les faux, de la dinanderie dans leur dimension so nore, avec le bruit de rebond ou d’écho dans la deuxième partie (cf. François Poplin : Des os sup ports à denter les faucilles : une longue histoire technologique dans le bassin de la Méditerranée et de la mer Noire, in : Bulletin de la Société natio nale des Antiquaires de France, 2007 (2009), p. 215– 221, ici p. 221) et je voudrais rappeler l’équiva lence perceptive du rouge et de la percussion : cf. Id. : L’animal couleur de lumière, in : Philippe Junod et Michel Pastoureau (dir.) : La couleur. Re gards croisés sur la couleur du Moyen Age au XXe siècle, Paris 1994, p. 209–233, ici p. 223. 1
Sur l’histoire des mots français, cf. Alain Rey (dir.) : Dictionnaire historique de la langue fran çaise [Paris 1992], Paris 1995. 3 Victor Hugo : La Légende des Siècles (Nou velle Série), IX. Avertissements et châtiments, L’aigle du casque [1877], in : Œuvres complètes de Victor Hugo. Poésie III, Paris 1985. 4 Ludwig Uhland : Siegfrieds Schwert [1812], in : Werke, t. 1, Sämtliche Gedichte, Munich 1980, p. 210–211. 5 Dans ce mot, le fil de l’instrument coupant rejoint le « fauxfil » de bâti de la couture. 6 Cf. François Poplin : Pas de renard dans le bestiaire de Jules Renard, in : Claude Rivals (dir.) : Le rire de Goupil, Toulouse 1998, p. 212–229. 2
32 FRANÇOIS POPLIN 7 Cf. aussi celui que Jules Renard a confié à son Journal, à la date du 18 octobre 1896 : Journal (18871910), éd. consultée Paris 1982, p. 347. 8 En allemand, Sturmbock renvoie à travers bock aux petits ruminants mâles, à tête cornue, sans distinction d’espèce (cf. cependant Widder schiff, « bateau bélier »). C’est en raison de cette uniformisation dans le vocabulaire que le jeu de contraste entre ovins et caprins que l’on observe en français ne se produit pas. Les supports, du cheval d’athlétisme au chevalet à scier le bois en passant par les tréteaux, chenets et autres, sont dominés par Bock, alors qu’ils sont partagés en français entre les équins (cheval, mulet et âne) et la chèvre. 9 J’ai donné un développement de son instru mentum dans « Marie Noël et la chèvre dans la tra dition grecque, in : Bulletin de la Société des Sciences historiques et naturelles de l’Yonne, 124, 1992 (1993), p. 229–258. 10 Cf. en allemand Rammklotz (Ramme dési gnant le « bélier » en moyenhaut allemand), en synonymie avec Bär, l’ours, que sa danse lourde fait associer au marteau pilon. 11 Ceci engage une fusion des caprins opposés, fusion d’intensité liée au degré d’abstraction, au point que, dans certaines figurations schéma tiques, on ne sait plus si l’on a affaire à deux bou quetins vus de profil ou à un bouquetin vu de face ou de dos. Cf. François Poplin : Symétries dans l’Art préhistorique et l’expression actuelle. Le cas
du ou des deux bouquetins, in : Hommage de la SPF à André Leroi Gourhan = Bulletin de la Société préhistorique française, 84, 1987, p. 10–12, 420–421. 12 Elle a du « caprice », et il est proverbiale ment admis que ce mot tient de la dénomination latine de la bête, caper pour le bouc, capra pour la femelle. 13 Les bovins ne donnent guère de méta phores instrumentales. La seule catégorie à en donner une quantité appréciable est la vache lai tière : on appelle « vache » des contenants mous tels que sacs, outres suspendues faisant office de pis à eau, cuir à gros plis d’un soufflet de forge, avec l’idée d’enveloppe grande et quelque peu molle, sans tenue, s’« avachissant ». Il ne s’agit plus d’animal, de forme animale, mais de ma tière, dans une conception alternative à materia. 14 L’extension va des lagomorphes (entre le la pin et lièvre) aux grands primates (entre les singes classiques et les anthropoïdes). Cf. François Po plin : Le bestiaire des linguistes et la limite supé rieure de l’animal vrai, in : Anthropozoologica, 37, 2003, p. 39–63. 15 Son système reste en revanche très étranger à l’allemand et l’anglais. Il se trouve qu’il cadre avec le bestiaire de l’art paléolithique occidental, ce qui porte à penser qu’on atteint par là des dispo sitions très profondes : il est frappant de constater que les animaux qui se cueillaient chez les chas seurscueilleurs se cultivent aujourd’hui, tandis que ceux qui se chassaient s’élèvent.
MARTINE CLOUZOT
Matières en mouvement Instruments de musique, objets et sonorités dans les livres peints (milieu XIIIemilieu XIVe siècle)
Comment les images figurentelles les sons et à quelles fins ? Quelle est la nature du son visualisé dans les manuscrits qui, entre le milieu du XIIIe et celui du XIVe siècle, établissent des relations entre les matières et les sonorités, selon les pratiques représentées et les types de livres ? L’intention de faire voir le sonore, et son contraire, le silence, engage de fait les perceptions sensoriel les et intellectuelles des lecteurs ; elle interroge la nature physique et orga nique du son et de l’ouïe. Comment rendre compte des formes nouvelles de visualisation du son qui apparaissent alors ? Une mise en série1 des livres peints des XIIIe et XIVe siècles indique que ce type de visualisation de la matière et de l’objet sonores concerne surtout les livres d’heures et les psautiers. Dans une moindre mesure, il s’observe dans quelques ouvrages « scientifiques », à savoir les traités de musique, la Méta physique et les Libri naturales d’Aristote. Or dans ces deux types de manuscrits, les contenus et les usages sont centrés autour du son, de l’animé, de la matière et de l’organique : le psautier et le livre d’heures contiennent les chants de louange, la psalmodie, chantés par la voix, le souffle et avec le cœur ; les trai tés de musique ainsi que les ouvrages de sciences physiques et métaphysiques traitent quant à eux du son, mathématique dans sa production acoustique et organique dans sa réception par l’ouïe. Il faut ajouter que les relations les plus élaborées, les plus subtiles, entre la matière, l’objet et la production sonore se trouvent avant tout dans des manuscrits relativement hors du commun, savants du point de vue des concepteurs, des contenus et des destinataires : la noblesse de cour et les clercs de l’Université. Les instruments de musique et autres objets sonores mis en scène dans les images ontils statut de figure, de medium, de signe ? On s’intéressera aux figu rations du bruit et du silence, incluant certains paradoxes au niveau du jeu instrumental et des sonorités, avant d’inscrire ces images dans le contexte des savoirs aristotéliciens autour du son et de l’ouïe (vers 1260–1330), puis dans celui des idées sur le son, le langage et le signe en lien avec la théorie musica le, pour poser finalement la question des rapports entre la figuration des sons dans les manuscrits et deux phénomènes contemporains : la pratique et la
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1. Jean d’Afflighem: De Musica, Allemagne, XIIIe siècle, fol. 96v. Munich, Bayerische Staatsbibliothek, clm 2599
théorie musicales de l’ars nova, et la philosophie ockhamiste du signe (autour de 1300–1330).
Jouer des matières : bruit et silence dans les miniatures Dans la culture médiévale, les sons produits par la manipulation des instru ments et autres objets oscillent entre l’harmonie et le bruit. Le son musical, en particulier, puise ses fondements dans la forge pythagoricienne : inventeur des consonances musicales, Pythagore serait le premier à avoir montré que le jeu des matières peut les rendre audibles pour la raison 2. Il aurait établi, comme le montre un feuillet accompagnant dans un manuscrit du milieu du XIIIe siècle le De Musica du théoricien de la musique Jean d’Afflighem (vers 1053–vers 1121)3, la relation entre le poids des marteaux frappés sur une enclu me et la hauteur du son produit par chacun d’entre eux (fig. 1). Il aurait ainsi découvert les intervalles harmonieux de l’octave, de la quinte, de la quarte et
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2. Roman de Fau vel, vers 1310–1314, fol. 36v. Paris, Biblio thèque nationale de France, ms Fr. 146
du ton, et enseigné à ses élèves que plus le rapport entre deux notes est simple, plus l’intervalle est harmonieux, car l’oreille le saisit plus facilement et la rai son le comprend plus vite4. Dans l’image de ce traité, Pythagore se tient devant la forge où quatre ouvriers martèlent, et désigne sur sa porte deux mots, pon dera malleorum, c’estàdire « les poids des marteaux ». Une inscription par court le cadre de la page : « À travers la forge du métal, Dieu permit de com prendre une chose admirable : en effet, Pythagore évalua, par l’entremise des poids des marteaux, ce qu’est l’harmonie des sons ». Pythagore aurait ainsi établi le Nombre (numerus) comme fondement de l’étude des intervalles entre les sons, rapportés aux lois mathématiques qui gouvernent l’univers. Cette légende antique a été transmise au Moyen Âge5 par saint Augustin (354–430, De Musica), Martianus Capella (vers 410–427, De nuptiis Philologiae et Mercurii), Cassiodore (vers 490–vers 583, Institutiones divinarum et saecularium litterarum), Isidore de Séville (vers 570–636, Etymologiarum sive originum), Boèce (vers 480– 524, De consolatione philosophiae et Topica boetii)6. Elle a trouvé toute sa légitimi
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3. Jean Pucelle: Livre d’Heures de Jeanne d’Évreux, vers 1325, fol. 153v–154r. New York, Cloisters Coll., ms 54.1.2
té dans le Livre de la Sagesse XI, 20 : « Tu as tout ordonné avec mesure, nombre et poids ». L’ordre et le désordre émettent donc tous deux du son, avec cette différence que le premier, mathématique, produit une harmonie, alors que le second déclenche un tintamarre assourdissant. C’est ce que figurent les feuillets ornant l’épisode du charivari interpolé dans le Roman de Fauvel (fig. 2)7. Ce poème composé dans les années 1310–1315 par Gervais du Bus, remanié et mis en musique vers 1316 par Chaillou de Pesstain, un autre clerc de la chancelle rie du roi de France Philippe le Bel (1285–1314), en intégrant notamment les premiers motets polyphoniques de l’ars nova de Philippe de Vitry8, est un roman satirique dénonçant la corruption et le désordre moral de la cour roy ale : âne roux personnifiant les vices, Fauvel a conclu un mariage disharmo nieux avec Dame Vaine Gloire. Dans les images, le charivari signalant cette honteuse mésalliance est bruyamment déclenché par des objets communs – les cruches – et des instruments de musique tels que les tambours et les vièles à archet : tous sont détournés de leurs véritables fonctions, domestiques pour les premiers, musicales pour les seconds, provoquant une paramusique ou une musique inversée, comme la définissent les ethnomusicologues9. Dés ordre dans l’ordre du rituel, le charivari est organisé pour opposer l’ordre moral au désordre social.
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4. Psautier portable, Gand, vers 13201330, fol. 76r. Oxford, Bodleian Library, ms. Douce 6
Jouer implique un mouvement, une mise en mouvement, en acte, mais tout aussi bien en puissance, c’estàdire pas nécessairement une émission sonore. En effet, d’autres objets, d’autres matières, eux aussi détournés de leurs véri tables fonctions, ne produisent que du silence, alors qu’ils sont joués comme des instruments de musique : l’intention de produire du son est signifiée, mais elle n’est pas réalisée. Ce « jeu des matières » s’observe particulièrement dans les ornements de quelques luxueux psautiers et livres de prières enluminés pour des laïcs dans les années 1300–1340. Deux livres de prières de la reine Jeanne d’Evreux (1326–1371) arborent un grand nombre d’êtres hybrides jou ant d’objets comme s’ils étaient des instruments de musique. Dans le premier, le second volume de son Bréviaire, beaucoup de lettrines sont ainsi ornées de Mischwesen peints en grisaille soufflant dans des soufflets et des cruches10. Le second, son Livre d’Heures, enluminé dans l’atelier parisien de Jean Pucelle, est bien connu ; dans la marge inférieure de l’image de la Nativité, un hybride couronné fait danser un chien et joue d’un grand os maxillaire avec un plectre, comme si l’objet était un luth (fig. 3)11. Un psautier gantois contemporain porte sur un de ses feuillets un hybride à la tête de clerc jouant lui aussi d’un os maxillaire avec un râteau ; ailleurs, deux musiciens dont l’un joue réellement d’une véritable vièle à archet tandis que l’autre, un singe situé en dessous de lui, imite le jeu de cet instrument avec un simple bâton en remplacement de l’archet, mais sans objet ou instrument à la place de la vièle (fig. 5) ; sur un autre feuillet encore, un hybride frottant un gril avec un crochet à feu comme s’il jouait de la vièle à archet (fig. 5)12. L’inversion règne d’un point de vue visuel, matériel et sonore : la pratique imite le jeu instrumental, mais produit le silence ; des objets a priori inappropriés à la production du son en produisent
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5. Psautier portable, Gand, vers 1320–1330, fol. 188r. Oxford, Bodleian Library, ms. Douce 6
pourtant ; la mâchoire en os rappelle la caisse de résonance de la vièle, mais sa matière inerte empêche la vibration et donc la production sonore ; les barres de fer du gril renvoient à ses cordes, mais n’émettent aucune mélodie ; dans le cas du singe musicien, l’absence d’instrument, le vide, amplifie le silence. L’impossibilité de produire du son entre ainsi en contradiction avec l’intention d’émettre des sonorités musicales. Dans certaines figurations, les relations entre instruments, pratiques et sonorités sont plus complexes encore, articulées elles aussi autour du son et du silence. C’est le cas des images du roi David. Dans les psautiers, souvent, il tient ou accorde sa harpe sans en jouer. Dans le Luttrell Psalter, réalisé vers 1325–1335 en Angleterre pour un riche baron13, David, assis sur son trône sur le fond or de la lettre B, accorde sa harpe avec une clé ; face à lui dans la mar ge opposée à droite, un jongleur le regarde et tient une cornemuse (fig. 6). Les relations entre les deux musiciens d’une part, entre l’instrument, la pratique et le son d’autre part, induisent un hiatus sonore. Aucun des deux instrumen tistes ne produit du son et les éléments visuels de l’émission sonore ont été clairement suspendus : David ne joue pas de mélodie sur les cordes de la har pe, le jongleur ne souffle pas dans l’embout de la poche d’air de la cornemuse. Tout mouvement vibratoire potentiel n’est pourtant pas aboli ; au contraire, les éléments d’amorce – pincer, souffler – sont bien signifiés mais intenti
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6. Luttrell Psalter, vers 13251335, fol. 13r. Londres, British Library, ms. Add. 42130.
onnellement non activés. Ce dispositif pictural est paradoxalement minima liste, aussi peuton se demander de quoi faitil signe : du son, du silence, de l’inaudible ? Avec une grande économie d’objets, cette mise en relations engendre des chaines de significations allégoriques et spirituelles entre David et le jongleur, conduisant vers une herméneutique14. De même, dans une autre lettrine, celle de l’Exultate Deo d’un psautier du Nord de la France15 (fig. 7), le jeu de cloches du roi David marque une suspension sonore et temporelle : David lève les bras et dirige les marteaux vers les cloches, mais ne les touche pas encore. L’intention du concepteur de l’image ne consiste pas à figurer le silence, mais plutôt à montrer le son « en acte » et « en puissance », pour rep rendre les termes d’Aristote : la matière sonore est en cours de réalisation dans la durée, mais elle n’est pas encore « là ». Le mouvement physique vers le son est visualisé par l’espace vide qui sépare les marteaux des cloches et par le mouvement des bras de David. Cette tension temporelle peut également être pensée dans le temps historique et mythique : David jouant « presque » des cloches fait généalogiquement référence au modèle de Pythagore devant la forge, prolongé dans l’Ancien Testament par Tubalcaïn le forgeron et son frère Jubal le musicien16. Ces deux références fondent la valeur mathématique du quadrivium (arithmétique, musique, géométrie, astronomie), dont David est le dépositaire au plan spirituel. Paradoxalement, c’est la musica de David, enten due dans ce sens historique et spirituel, qui n’est pas audible.
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La physique du son et de l’ouïe : le moment aristotélicien (vers 1260–1330) Les relations entre matières, objets, instruments et sonorités semblent s’épanouir, entre 1260 et 1330 environ, dans le contexte d’un « moment aristo télicien » favorisant de nouvelles formes visuelles du son et de l’ouïe. Des ouvrages de métaphysique et de philosophie naturelle d’Aristote, contempo rains des psautiers et livres de prières, ont également été enluminés de figures musiciennes, dont les corps en mouvement, les pratiques et les instruments soulèvent des questions d’ordre acoustique et physique. Dès les années 1200, les universités de Paris et d’Oxford sont les principaux relais de diffusion des sciences naturelles d’Aristote, alors que le Timée de Platon est moins étudié en Occident17. Dans ce contexte de renouvellement des savoirs mathématiques et naturalistes18, le De Anima (De l’Âme) d’Aristote, particulièrement, traduit du grec par Guillaume de Moerbeke (1215–1286), dominicain devenu évêque latin de Corinthe, a apporté aux théoriciens de la musique et aux théologiens du XIIIe siècle de nouveaux éléments de compréhension de la nature du son19. D’après le De Anima, le son n’est pas une substance, car il n’a pas d’existence en luimême, mais il est materialiter, c’estàdire issu de l’objet sonore qui est sa cause matérielle. De façon synthétique, Aristote distingue le son en acte et le son en puissance20. La production du son implique trois interventions : la per cussion (percutiens), l’objet sonore percuté (percussum), le milieu sonore dans lequel le son se déploie (medium). Le son a le statut d’accident : il ne peut pas être présent dans l’objet qui fait percussion, car il ne s’y trouve pas en puis sance (l’objet percuté serait éventuellement plus à même de le contenir) ; sa forme (species) est reçue et propagée par l’air, milieu de sa réalisation et de sa perception 21. C’est l’air en mouvement qui produit le son, car le son est formé par le choc de deux solides l’un contre l’autre22. L’air est aussi nécessaire à l’organe de l’ouïe, l’oreille, qui l’abrite, immobile, « afin de sentir avec précision toutes les variations du mouvement »23 – même si Aristote relativise cette immo bilité en précisant que « l’air qui se trouve dans les oreilles est, en effet, perpé tuellement agité d’un certain mouvement naturel ». En conséquence, « on entend grâce au vide qui résonne »24. La qualité de l’audition dépend du temps écoulé entre la percussion, le déplacement de l’air en vibration, et la sensation auditive ; la vitesse de déplacement de l’air conditionne la hauteur du son : plus l’air bat lentement, plus le son est grave, inversement, plus le mouvement de l’air est rapide, plus le son est aigu. Le son n’existerait que dans la mesure où il est audi ble, ou plus largement, compréhensible – car il peut être entendu en dehors de l’ouïe, par la raison ou l’inspiration : dans la sensation en effet, le corps et l’âme font ensemble l’expérience de l’objet sensible et perceptible, permettant à l’homme de connaître la Physis. C’est tout le sens de la Métaphysique, annoncé par le Philosophe dès la première phrase du Livre A, qui traite de la connais sance par la sensation, l’expérience, l’art et la science, en vue de la sagesse, et commence ainsi : « Tous les hommes désirent naturellement savoir »25.
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Les savants du XIIIe siècle ont repris et commenté les principes physiques du son énoncés par Aristote26. Étudiant surtout le langage, ils l’ont fait en relation avec la proportio 27 et la voix. Le théologien véritablement intéressé par le phénomène du son est Robert Grosseteste (vers 1170–1253) : il utilise le terme proportio aussi bien en mathématique que du point de vue de la théorie musi cale, théorisant sur la production et la sensation sonores via la lumière. En écho à Aristote, mais aussi à Avicenne, il expose sa théorie de la lumière incor porée dans son De artibus liberalibus et dans son De generatione sonorum28 : le phénomène physique du son contient des nombres ; il est produit par les mou vements de la lumière dans l’air le plus subtil, vibrant d’après les proportions les plus simples. La substance du son est constituée de lumière, ellemême emprisonnée dans des poches d’air subtil mis en vibration 29 : le son est généré quand le mouvement de l’air en vibration percute les poches de lumière. L’audition émane quant à elle de l’activité de l’âme : il y a sensation sonore quand l’âme réagit par un mouvement proportionnel, simultané et spontané au mouvement de l’air perçu par l’oreille. Le son est ainsi véritablement conçu comme un effet de la lumière et un comme phénomène optique. Roger Bacon (1214 ?–1292 ?), autre anglais, reprend cette théorie à son compte dans son Opus maius. Toute harmonie est pour lui source de délectation, qu’elle provienne de la musique instrumentale, du chant ou de musicalité du discours – la musica in sermone 30. Il estime comme Robert Grosseteste que l’union du son musical et du mouvement corporel trouve sa pleine expression dans le plaisir de la danse. Précèdant l’intelligible, le sensible sert de point d’ancrage à l’intellection : Grosseteste considère que la lumière constitue le premier instrument de l’âme, dans la perspective platonicienne du Timée, et surtout stoïcienne31. Albert le Grand (1206–1280) et Thomas d’Aquin (1225–1274), en revanche, abordent peu le problème du son. Tous deux adoptent la conception aristotélicienne du medi um, à savoir l’air qui permet la production du son en acte et sa perception par l’organe auditif32 : le son est ainsi une forme sonore se trouvant dans l’air avant d’être reçue par l’ouïe. Le concept de proportio revêt d’après Thomas d’Aquin une acception musicale : il part du De Musica de saint Augustin et du De insti tutione musica de Boèce pour la définir qualitativement comme une conve nance de la matière à la forme, et quantitativement comme une mise en bon ordre de plusieurs éléments, tandis que sur le plan esthétique elle s’incarne dans la substance physique, ainsi dans la danse qui fait correspondre un com portement extérieur avec un rythme mathématique : la beauté la plus pure se trouve être la plus proche de la beauté de Dieu, simple et signifiée par la pro portio harmonieuse33. Dans les manuscrits peints, des figurations hybrides habitant des rinceaux se multiplient à partir du milieu du XIIIe siècle34. Sur un feuillet d’un exem plaire de la Métaphysique d’Aristote traduite en latin par Guillaume de Moer beke, datant du premier quart du XIVe siècle35, les hybrides fonctionnent en bipolarité, sur le mode du dédoublement (fig. 8–9) : mianimaux et mihumains, ils s’affrontent dans la lutte et l’acrobatie ; leurs mouvements dans les rinceaux
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7. Psautier, France du Nord, vers 1300, folio 104r. Londres, British Library, ms. Yates Thompson 18
végétaux opposent nettement le haut et le bas, l’avant et l’arrière. Le mouve ment des matières corporelles, qui produit des sons et des sensations36, est action, il est appelé par Aristote kinésis en physique et energeia en rhétorique37. Ces figures ne synthétisent sans doute pas toutes les subtilités de la théorie aristotélicienne de la sensation38, mais elles mettent bien en acte les principes du mouvement des objets sensibles (dont le son et l’ouïe) et d’unicité des con traires : elles apparaissent ainsi comme le medium de l’idée de Physis (ou Natu ra)39. Aristote définit en effet la Nature, processus en mouvement, comme une croissance : « Nature se dit, en premier sens, de la génération de ce qui croît […] ; en un autre sens, c’est l’élément premier immanent d’où procède ce qui croît ; c’est aussi le principe du mouvement premier pour tout être naturel en lequel il réside par essence »40. Du mouvement de la Nature41, matière et instrument par excellence, découlent donc la physique du son, la perception par les sens et la connaissance42.
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8. Aristote: Métaphysique, Angleterre, vers 1325, fol. 2, Detail. Paris, Bibliothèque natio nale de France, ms. Lat. 6299
Entre les signes et les sens : la musica comme matière sonore (vers 1300–1330) Si la physique aristotélicienne de l’ouïe a été associée par les théologiens du XIIIe siècle et dans certaines images peintes aux corps et aux instruments sonores, c’est parce que pour les clercs du Moyen Âge, le son est indissociable du langage, soit de la grammaire et de la musica 43 : dans les écoles monastiques et cathédrales, puis à la Faculté des Arts, l’enseignement de ces deux disci plines du quadrivium accompagne celui des règles du discours et du chant. Ceci explique pourquoi le son fut d’abord l’objet d’étude des grammairiens, qui le désignent par vox et sonus44, avant d’être considéré par les théoriciens de la musique, comme Guido d’Arezzo au XIe siècle, Jean d’Afflighem au XIIe siècle, Jérôme de Moravie, Jean de Murs et Jacques de Liège aux XIIIe et XIVe siècles : c’est par l’intermédiaire du son qu’entre en jeu la parole énoncée, dont la signification sémantique est exprimée dans le verbum et dans le chant. Comme l’explique Elizabeth Eva Leach45, vox désigne en général ce qui réson ne ; il est grammaticalement la forme sonore du mot. Le son peut ainsi être une « voix », notamment celle de l’être humain. Cette conception grammati cale et physiologique prend une nouvelle acuité pour les théoriciens médié vaux, et gagne un sens biologique, à partir de la traduction du De Anima : Aristote définit vox comme « une sorte de son d’une chose animée », produit en particulier par les êtres humains ou animaux, c’estàdire par le souffle d’un vivant animé ayant du sang et possédant le sens de l’ouïe ; pour lui, les instruments de musique n’ont pas de « voix », sauf par analogie. Cette con ception donne toute leur pertinence aux joueurs d’instruments, aux oiseaux et aux êtres hybrides peints dans les manuscrits des années 1260–1330 : chez eux, plus que dans les traités de musique, vox croise la définition de la musica instrumentalis. Celleci est divisée en trois espèces : la musica organica, la musi
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ca ritmica et surtout la musica harmonica, qui est centrale. Considérant que tou te voix est un son, mais que tout son n’est pas nécessairement une voix, cette tripartition implique que le son qui n’est pas une voix peut produire une musi ca soit organica quand elle réalisée par le souffle des instruments à vent, soit ritmica par la pulsation des doigts, alors que le son qui est une voix utilise l’air et l’instrument naturel d’un être vivant. L’instrument naturel qu’est la voix est ainsi partagé par les hommes et les animaux, mais la musique des uns ne doit pas pour autant être confondue avec celle des autres. Parmi les subdivisions de la musica instrumentalis, la musica harmonica des théoriciens de la musique occupe une place à part, coïncidant précisément avec le concept grammatical de vox. Les grammairiens divisent la voix entre vox articulata (ou discreta) et vox confusa. La première intéresse les théoriciens de la musique, tels Jean d’Afflighem et Jérôme de Moravie : rationnelle et intellective, elle peut être transcrite visuellement par le signe noté, la lettre scripturale étant la garantie de son articulation sonore, de son contenu numérique, et donc de sa rationa lité. La seconde concerne plutôt les chants des oiseaux, une mélodie n’étant pas synonyme de la science musicale, comme l’enseigne saint Augustin dans le De Musica 46. Dans les pages enluminées figurant la matière musicale, une hiérarchie supplémentaire s’ajoute donc du point de vue sémiologique, en écho à la phy sique aristotélicienne : du plus articulé au plus confus, la voix d’Aristote ou la musique de David, généralement figurés en lettrine, signifient la perception rationnelle des mots et des nombres, alors que le chant des oiseaux et le cri des animaux ne relèvent que de l’instinct, et que la musique des instrumentistes se situe à michemin entre ces deux pôles. Tous s’adressent aux sens, mais seuls les premiers parlent à la raison. On a parlé d’Aristote, mais il faut rappeler que les conceptions musicales de saint Augustin et Boèce ont prévalu durant toute la période médiévale, y compris chez ceux qui s’en démarquent en partie dans les années 1320–1330, réalisant des expérimentations mathématiques et acoustiques autour des matières et des sons dans le domaine de la musique polyphonique, théorisée vers 1320 sous le nom d’ars nova par Philippe de Vitry (1291–1361) – auquel cinq motets sont attribués dans le Roman de Fauvel, vers 1310–1315. La question se pose des relations entre la figuration d’objets sonores dans certains manuscrits, le courant de l’ars nova, et celui de la philosophie nominaliste développée dans le même milieu de l’Université parisienne47, notamment par Guillaume d’Ockham (vers 1285–1347). Le point d’achoppement intellectuel porte sur la question du signe, que cela concerne l’ornementation des livres, l’écriture musicale (la note) ou le langage (le mot). Le signe estil un symbole, qui rap pelle autre chose, ou bien, comme les philosophes de la nouvelle génération voudraient l’affirmer, une réalité autonome48 ? On a vu que les concepteurs d’images font voir et entendre le son par divers procédés de significations et dispositifs topographiques : celuici est visible par l’intermédiaire de l’in strument, mais pas nécessairement audible ; des jeux de mouvements et de
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9. Aristote: Métaphy sique, Angleterre, von 1325, fol. 2. Paris, Biblio thèque nationale de France, ms. lat. 6299
décalages spatiotemporels constituent différents facteurs physiques et mathématiques de sa production49. Un « moment sonore » se dessine autour des années 1280–1320 dans les images des manuscrits et avec l’ars nova 50, sans pour autant qu’un lien direct avec l’ockhamisme puisse être établi ; de même comme l’indique le musicologue Christopher Page51, les savoirs et les innova tions de la période sont totalement empreints d’aristotélisme, mais n’en ayant que la couleur extérieure, ils ne sont pas nécessairement à l’origine de l’invention théorique de l’ars nova, dont les contenus et les fondements restent très liés aux arts libéraux du XIIe siècle52. Les musicologues parlent d’une « objectivation » du son, à partir de 1300–1330, autour de l’aristotélisme et de l’ars nova 53, mais du point de vue visuel, il est difficile de poser un telle con clusion. D’une part, le son a toujours été « objectivé », de façon mathématique et cosmologique depuis Platon, puis physique et acoustique à partir d’Aristote, ainsi qu’en rapport avec la grammaire à l’époque de saint Augustin, etc. D’autre part, si la diversification des formes visuelles du son dans certains livres peints à partir du milieu du XIIIe siècle, à travers les différents types de
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musiciens, d’instruments, d’objets et de matières, semble bien converger avec les réflexions contemporaines sur la physique aristotélicienne et sur le statut du signe, ces images s’inscrivent surtout dans le mouvement plus large encore de diversification des livres, des lecteurs, et des publics, qui dépend des muta tions de la société de l’époque.
1 Cf. à propos de ce type d’approche Jérôme Baschet : Inventivité et sérialité des images mé diévales. Pour une approche iconographique élargie, in : Annales. Histoire, Sciences Sociales, 51/1, 1996, p. 93–133 ; éd. revue sous le titre Inventivité et sérialité des images médiévales, in : Id. : L’ico nographie médiévale, Paris 2008, p. 251–280. 2 Jamblique (vers 242–325) : Vie de Pythagore, 115–121 ; introduction, traduction et notes par Luc Brisson et Alain Philippe Segonds, Paris 1996. Cf. Barbara Münxelhaus : Pythagoras musi cus. Zur Rezeption der pythagoreischen Musiktheorie als quadrivialer Wissenschaft im lateinischen Mittel alter, BonnBad Godesberg 1976 ; Séline Gülgö nen : Des lyres et cithares. Musiques et musiciens de l’Antiquité. Précédé d’un entretien avec Annie Bélis, Paris 2010, p. 45–48. 3 Jean d’Afflighem : De Musica, Munich, Baye rische Staatsbibliothek, clm 2599, folios 77–94, ici 96 verso, XIIIe siècle, Allemagne. Cf. Martine Clouzot, Christine Laloue et Isabelle Marchesin (dir.) : Moyen Age. Entre ordre et désordre, cat. exp. (Paris, Musée de la Musique), Paris 2004, notice 2, p. 66–67. 4 Edgar De Bruyne : Etudes d’esthétique médié vale [Bruges 1946], 2 t., Paris 1998, t. 1, p. 21. 5 Se reporter à Calvin M. Bower : The Trans mission of Ancient Music Theory into the Middle Ages, in : Thomas S. Christensen (dir.) : The Cam bridge History of Western Music Theory, Cam bridge 2002, p. 136–167. 6 Ubaldo Pizzani : Du rapport entre le De Mu sica d’Augustin et le De institutione musicae de Boèce, in : Alain Galonnier (dir.) : Boèce ou la chaîne des savoirs, LouvainlaNeuve 2003, p. 357– 377. 7 Paris, Bibliothèque nationale de France, ms Fr. 146, folios 34 et 36 verso. Le manuscrit date de 1316. Cf. Margaret Bent et Andrew Wathey : Fau vel Studies. Allegory, Chronicle, Music and Image in Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms français 146, Oxford 1998.
8 Cf. Emma Dillon : Medieval MusicMaking and The Roman de Fauvel, Cambridge 2002. 9 Cf. Claudie MarcelDubois : La paramu sique dans le charivari français contemporain, in : Jacques Le Goff et JeanClaude Schmitt (dir.) : Le charivari, Paris 1981, p. 45–53. 10 Chantilly, Musée Condé, ms 1887, folios 7, 19 verso, 27 verso, 189 verso, 211, 285 verso, 297 verso, 300 verso, 307 et 345. Cf. sur ce manuscrit Lépold Delisle : Recherches sur la librairie de Charles V, 2 t., Paris 1907, t. 1, p. 185–187. 11 New York, Cloisters Coll., ms 54.1.2, vers 1325, folio 154, voir également folio 149 ; cf. Rein hold Hammerstein : Diabolus in Musica. Studien zur Ikonographie der Musik im Mittelalter, Berne et Munich 1974, fig. 142, 143, 144 et 145 ; Michael Ca mille : Images dans les marges. Aux limites de l’art médiéval [Image on the Edge: The Margins of Medi eval Art, Londres 1992], Paris 1997, fig. 70 ; Barbara Drake Boehm, Abigail Quandt et William D. Wixom (facsimilé et comm.), The Hours of Jeanne d’Evreux. Acc. No. 54.1.2. Metropolitan Museum of Art, the Cloisters Collection, New York, Lucerne 2000. 12 Oxford, Bodleian Library, ms Douce 6, fo lios 52, 76, 188, psautier portable, vers 1320–1330, Gand. Voir une autre figuration de ce type dans un livre d’heures à l’usage de Maastricht, du pre mier quart du XIVe siècle : Londres, British Libra ry, Stowe ms 17, fol. 145 verso, fig. in Nicolas Bell : Music in Medieval Manuscripts, Toronto 2001, p. 57. 13 Londres, British Library, ms Add. 42130, folio 13. Cf. sur ce manuscrit Michael Camille : Mirror in Parchment. The Luttrell Psalter and the Making of Medieval England, Londres 1998 ; Mi chelle P. Browne (éd.), The Luttrell Psalter, a Fac simile, London 2006. 14 Cf. Gilbert Dahan : L’exégèse chrétienne de la Bible en Occident médiéval. XIIe–XIVe siècle, Paris 1999, p. 441 ; Martine Clouzot : Le Jongleur, Mé moire de l’Image au Moyen Âge. Figures, figurations et musicalité dans les manuscrits enluminés (1200– 1330), FrancfortsurleMain et Berne 2011.
47 MATIÈRES EN MOUVEMENT 15 Londres, British Library, ms Yates Thomp son 18, folio 104, vers 1300. 16 Genèse IV, 19–22 : « Lamec prit deux femmes, dont l’une s’appelait Ada, et l’autre Sel la. Ada mit au monde Jabel [...]. Le nom de son frère était Jubal, qui fut le père de tous ceux qui jouent de la harpe et du chalumeau. Sella, de son côté, mit au monde TubalCaïn, le père de tous ceux qui forgent le cuivre et le fer ». 17 Jacques Verger : Les universités au Moyen Age [Paris 1973], Paris 1999 ; Guy Beaujouan : Le qua drivium et la Faculté des arts, in : Olga Weijers et Louis Holtz (dir.) : L’enseignement des disciplines à la Faculté des arts, Paris et Oxford, XIIIe–XVe siècles, Turnhout 1997, p. 185–194. 18 Cf. Edwart Grant : La Physique au Moyen Âge. VIe–XVe siècle [Physical Science in the Middle Ages, Cambridge 1971], Paris 1995 ; David Lind berg : Science in the Middle Ages, Chicago 1978. 19 Cf. Luca Bianchi et Eugenio Randi : Vérités dissonantes. Aristote à la fin du Moyen Âge, Fri bourg et Paris 1993 ; Frank Hentschel (dir.) : Mu sik und die Geschichte der Philosophie und Naturwis senschaft im Mittelalter : Fragen zur Wechselwirkung von « musica » und « philosophia » im Mittelalter, Leyde 1998. 20 Aristote : De anima, II, 7–8, 419 a 20, traduc tion et notes par Richard Bodéüs, Aristote. De l’âme, Paris 1993. Cf. Charles Burnett : Sound and its Perception in the Middle Ages, in : Id. (dir.) : The Second Sense. Studies in Hearing and Musical Judgement from Antiquity to the Seventeenth Centu ry, Londres 1991, p. 43–69 ; Martine Clouzot : La représentation de l’ouïe dans l’art médiéval oc cidental, in : Géraldine MocellinSpicuzza (dir.) : Une histoire des sens. Du Moyen Age au Siècle des Lumières, cat. exp. (Musée de SaintAntoine l’Abbaye), SaintAntoinel’Abbaye 2008, p. 40–46. 21 Aristote : De anima, II, 7–8, 419 a 35 (cf. note 20) : « […] c’est l’air qui fait qu’on entend, chaque fois qu’il est ébranlé dans sa masse unique et continue ». 22 Aristote : De anima, II, 8, 420 a 10 (ibid.) : « Donc, est susceptible de produire un son, ce qui peut ébranler une unité d’air en continu jusqu’à l’ouïe. Or celleci présente la même nature que l’air. Et du fait qu’elle soit située dans l’air, le mouvement de l’air externe s’accompagne d’un mouvement de l’air interne ». 23 Aristote : De anima, II, 8, 420 a 1–5 (ibid.). 24 Aristote : De anima, II, 8, 420 a 15 (ibid.).
25 Aristote : Metaphysica, Livre A, 980a 21, tra duction, introduction, notes et index par Jules Tricot : Aristote. La Métaphysique, 2 t. [Paris 1933], Paris 1986, t. 1. 26 Cf. Jacques Paul : Sur quelques textes concer nant le son et l’audition, in : Michel Huglo, Marcel Pérès et Christian Meyer (dir.) : Jérôme de Moravie. Un théoricien de la musique dans le milieu intellectuel parisien du XIIIe siècle, Royaumont 1992, p. 117–143. 27 Cf. Michael Walter : Über den musikali schen Begriff proportio, in : Hentschel 1998 (cf. note 19), p. 73–95. 28 Cecilia Panti : Grosseteste’s Theory of Sound, in : Hentschel 1998 (cf. note 19), p. 3–17. 29 Robert Grosseteste : Commentarius in Poste riorum Analyticorum Libros, II, 4, 468, éd. Pietro Rossi, Florence 1981, p. 386 : Substantia autem soni est lux incorporata in subtilissimo aere. 30 Cité dans De Bruyne 1998 (cf. note 4), t. 2, p. 236. 31 Robert Grosseteste : Hexaëmeron, éd. Ri chard C. Dales et Servus Gieben, Oxford 1982, p. 98, 5–16. 32 Albert le Grand : Summa de homine (incluse dans la Summa de creaturis), qu. 24, a2, arg. 7, éd. Auguste Borgnet in : Beati Alberti magni […] Ope ra omnia, 38 t., Paris 1890–1899, ici t. 34–35, Paris 1896 : Omnes auctores ita dicunt quod materia soni est aer ; Thomas d’Aquin : Sentencia libri De anima, L II, L XVI, 441, éd. RenéAntoine Gauthier, Rome et Paris 1984 : Propter hoc dicunt quod sonus in actu est medii et auditus, non autem subjecti sonabilis. 33 Umberto Eco : Le Problème esthétique chez Thomas d’Aquin [Il problema estetico in Tommaso d’Aquino, Milan 1970], Paris 1993, p. 100–106 et 147. 34 Cf. Lilian Randall : Images in the Margins of the Gothic Manuscripts, Berkeley 1966 ; Michael Camille : Play, Piety and Perversity in Medieval Marginal Manuscript Illumination, in : Katrin Kröll et Hugo Steger (dir.) : Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalters, Fribourg en Brisgau 1994, p. 171–192. 35 Paris, Bibliothèque nationale de France, ms Lat. 6299, Angleterre, folio 2, voir aussi folio 34 ; cf. également dans un manuscrit des Libri natu rales d’Aristote, Paris, Bibliothèque nationale de France, ms Lat. 6223 A, folio 210 verso, seconde moitié du XIIIe siècle, Angleterre. 36 Cf. Lilian Randall : Sense and sensibility in an early fourteenthcentury Psalter from East
48 MARTINE CLOUZOT Anglia, in : Kathryn A. Smith et Carol H. Krin sky : Tributes to Lucy Freeman Sandler. Studies in Illuminated Manuscripts, London 2007, p. 219–233. 37 Cf. Pierre Morel : Aristote. Une philosophie de l’activité, Paris 2003. 38 Cf. sur celleci Jacques Brunschwig : Les multiples chemins aristotéliciens de la sensation commune, in : Revue de métaphysique et de morale, 4, 1991, p. 455–474. 39 Thomas d’Aquin a particulièrement com menté le concept de Nature : cf. Jakob Hans Josef Schneider : Physik und Natur im Kommentar des Thomas von Aquin zur aristotelischen Meta physik, in : Albert Zimmermann et Andreas Speer (dir.) : Mensch und Natur im Mittelalter, Ber lin et New York 1991, p. 161–193. 40 Aristote : Metaphysica, Livre ∆, 4, 1014, 20 (cf. note 25) : « On appelle croissance naturelle d’un être, l’accroissement qu’il reçoit d’un autre être […] ». 41 Cf. Pierre Hadot : Le voile d’Isis. Essai sur l’histoire de l’idée de nature, Paris 2004, p. 39–61 ; PierreMarie Morel (dir.) : Aristote et la notion de nature. Enjeux épistémologiques et pratiques, Bor deaux 1997. 42 Cf. Jan A. Aertsen : Natur, Mensch und der Kreislauf der Dinge bei Thomas von Aquin, in : Zimmermann / Speer 1991 (cf. note 40), p. 143– 160 ; Michel P. Pier : Aux sources de la Création, Paris 2010, p. 25–28. 43 Sur les liens entre grammaire et musique, cf. Max Haas : Studien zur mittelalterlichen Mu siklehre I : Eine Übersicht über die Musiklehre im Kontext der Philosophie des 13. und frühen 14. Jahrhunderts, in : Forum musicologicum, 3, 1982, p. 381–384. À titre de comparaison interdis ciplinaire, et en lien avec les objets musicaux de l’archéologie protohistorique : cf. Steven Mithen : The Singing Neanderthals. The Origins of Music, Language, Mind, and Body, Cambridge (Mass.) et Harvard, 2006. 44 Cf. JeanMarie Fritz : Anatomie et gram maire, in : Id., Paysages sonores du Moyen Age. Le versant épistémologique, Paris 2000, p. 190–204. Se reporter aussi à Vivien Law, Grammar and Gram marians in the Early Middle Ages, Londres 1997. 45 Elizabeth Eva Leach : Sung Birds. Music, nature and Poetry in the Later Middle Ages, Ithaca et Londres 2007, p. 24–44. 46 Saint Augustin : De Musica, Livre I, cha pitre IV : « En quoi le mot science entretil néces
sairement dans la définition de la musique ? », trad. par JeanFrançois Thénard et Marc Citoleux [BarleDuc 1869], préface d’AnneIsabelle Bou tonTouboulic, Paris 2006. Cf. GuyH. Allard : Arts libéraux et langage chez saint Augustin, in : Institut d’études médiévales de Montréal (dir.) : Arts libéraux et philosophie au Moyen Âge, Montréal et Paris 1969, p. 481–492. Cf. sur la musique à l’Université Michel Huglo : The Study of Ancient Sources of Music Theory in the Medieval Universities, in : André Barbera (dir.) : Music Theory and Its Sources. Anti quity and The Middle Ages, NotreDame 1990, p. 150–172 ; Olga Weijers : La place de la musique à la Faculté des arts de Paris, in : Letterio Mauro (dir.) : La musica nel pensiero medievale, Ravenne 2001, p. 245–61. 48 Cf. Etienne Anheim : Du symbole au signe : remarques sur la parenté entre ars nova et nomi nalisme, in : Médiévales, 32, 1997, p. 9–19. 49 Cf., à titre de comparaison avec les travaux des musicologues, Nancy Van Deusen : On the Usefulness of Music: Motion, Music and the Thir teenthCentury Reception of Aristote’s ›Physic‹, in : Viator, 29, 1998, p. 167–187. 50 Cf. aussi Franck Hentschel : Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie. Stra tegien der Konsonanzwertung und der Gegenstand der Musica Sonora um 1300, Stuttgart 2000. 51 Christopher Page : Discarding Images. Reflec tions on Music and Culture in Medieval France [Ox ford 1993], Oxford 2003, chap. 4, « Ars Nova and Algorism », p. 112–139. Se reporter aussi à Anna Maria BusseBerger, Mensuration and Proportion Signs: Origins and Evolution, Oxford 1993. 52 Pearl Kibre : The Quadrivium in the Thir teenth Century Universities (with special refe rence to Paris), in Institut d’études médiévales de Montréal (dir.) : Arts libéraux et philosophie au Moyen Âge, Montréal et Paris 1969, p. 175–192; ré impr. in Id. : Studies in Medieval Science. Alchemy, Astrology, Mathematics and Medicine, Londres 1984, p. 175–191. 53 Se reporter à Jeremy Yudkin : The Influence of Aristotle on French University Music Texts, in : Barbera 1990 (cf. note 48), p. 173–189. 47
JULIA SAVIELLO
Instrumente der Ordnung – Objekte der Verführung Elfenbeinkämme als Bildträger im 14. und 15. Jahrhundert
In einer französischen Abschrift von Giovanni Boccaccios De claris mulieribus (verfasst 1360–1374) von circa 1410 begegnet der Leser dem Bild einer Frau, die, ganz in ihre Toilette vertieft, den Schopf ihres wallenden blonden Haares kämmt (Abb. 1).1 Die Miniatur erscheint innerhalb der Vita der römischen Königin Gaia Cyrilla, es ist aber fragwürdig, ob es sich bei der Frau in rotem Gewand tatsächlich um die tugendhafte Königin handelt. Denn diese war, wie dem Text zu entnehmen ist, eine äußerst begabte Weberin, die jeden Müßiggang vermied.2 Im Bild jedoch hat die Frau den Webkamm gegen einen Haarkamm eingetauscht und verkörpert damit nicht den Fleiß, sondern die Müßigkeit, wie sie etwa als Personifikation im Roman de la rose (ca. 1230–1280) selbst das Wort ergreift: »Ich bin eine reiche und mächtige Frau. Und ich bin ganz besonders glücklich, denn ich bin nur darauf bedacht, mich zu freuen und zu vergnügen und meine Haare zu kämmen und zu flechten.«3 Dem Doppelkamm, den die Dame in der BoccaccioHandschrift zur Pflege ihres Haares verwendet, kommt durch den Bezug zu den auf dem Tisch lieg enden Geräten jedoch noch eine andere Bedeutung zu. So wie Hammer, Meißel und Zirkel in der Hand des Bildhauers Bilder generieren können, so kann auch der Kamm als ein Instrument der Bilderzeugung verstanden werden.4 Die durch ihn geformte Erscheinung ist dabei nicht nur in dem Rundspiegel zu sehen, in dem die Frau selbst den Fortschritt ihrer Toilette begutachtet, sondern steht als gleichsam voyeuristischer Einblick in diesen intimen Vorgang dem Betrachter unmittelbar vor Augen. Wie die beschriebene Miniatur bezeugt, war der Akt des Kämmens neben seiner realplastischen Funktion der Haarordnung mit unterschiedlichen sozialen wie geschlechtlichen Konnotationen behaftet. Unmittelbarer als im Medium der Buchmalerei, werden diese durch die figürlichen Szenen kom mentiert und akzentuiert, welche die Elfenbeinkämme des 14. und 15. Jahr hunderts auszeichnen. Die bildliche Gestaltung der Kämme betont den sym bolischen Wert dieser prunkvollen Objekte, die schließlich weniger der Körperpflege dienten als vielmehr Repräsentationsgegenstände und unter schiedlich einsetzbare Geschenkgaben waren. Als Bildträger wurden die
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Kämme zu Medien symbolisch kodierter Kommunikationsprozesse, deren Bedeutung weit über die heutige Vorstellung von »Kunsthandwerk« hinaus geht, da sie die gesellschaftlichen Reglements im Umgang mit dem Haar und damit ihre ursprüngliche Instrumentenfunktion reflektieren. Der vielseitigen Bedeutung dieser erstaunlichen Instrumente ist die vorliegende Untersu chung gewidmet.
Der Gebrauch von Kämmen und die Symbolik des Kämmens Als alltäglich gebrauchte Toilettenartikel dienten die Kämme des 14. und 15. Jahrhunderts primär der Ordnung bzw. Glättung des Haares sowie der Entfernung von Parasiten.5 Von Frankreich ausgehend entwickelte sich im 13. Jahrhundert eine regelrechte Kammindustrie, die Kämme – in diesem Fall aus Buchsbaumholz – in großer Anzahl in ganz Europa vertrieb.6 Neben sol chen Holzkämmen, von denen in einer Studie 278 Exemplare aus acht Jahr hunderten erfasst wurden (10.–17. Jh.),7 existiert eine weitere Gruppe von Elfenbeinkämmen, von denen bisher circa 30 Einzelstücke bekannt sind. Diesen ist in der Forschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit zuteil gewor den, obwohl gerade sie durch ihre aufwendigen figürlichen Verzierungen bestechen, die einem Gebrauch zur Körperpflege zu widersprechen scheinen.8 Die aufwendige Gestaltung und der auffällig gute Erhaltungszustand vieler Exemplare legen vielmehr nahe, dass die aus Elfenbein gefertigten Kämme primär Schaustücke waren.9 Sie wurden für adelige und wohlhaben de Kunden geschaffen, die meist mehrere solcher Objekte besaßen, wie aus einigen Inventaren hervorgeht.10 Abseits ihrer realen Nutzung kam den kunst voll gestalteten Elfenbeinkämmen des 14. und 15. Jahrhunderts demnach vor allem ein repräsentativer und symbolischer Wert zu. Sie waren beliebte Geschenkgaben, mit denen sowohl Liebesbotschaften als auch moralische Ermahnungen vermittelt werden konnten. Schon Andreas Capellanus hatte den Kamm in seinem Traktat De amore aus dem letzten Viertel des 12. Jahr hunderts als ein Geschenk beschrieben, das der höfischdistinguierte Galan seiner Dame machen dürfe, ohne diese wegen seines übertriebenen materiel len Wertes in die Rolle einer Kurtisane zu drängen.11 In diesem Sinne wurde der Kamm zu einem zentralen Bestandteil des Liebeswerbens. Zugleich aber war er ein beliebtes Brautgeschenk und häufig auch Teil der Mitgift.12 Cateri na Pico aus Carpi brachte, als sie 1474 heiratete, zum Beispiel sieben Elfen beinkämme mit in die Ehe ein.13 Die unterschiedlichen Produktionszentren und Werkstattzusammenhän ge, in denen die Elfenbeinkämme im 14. und 15. Jahrhundert europaweit ent standen, sind heute nur schwer rekonstruierbar. Im ersten Drittel des 14. Jahr hunderts setzte die serielle Herstellung von Kämmen aus Elfenbein wohl in Paris ein, wo sich die Gilde der pigniers, der Kammmacher, herausbildete.14 Neben Kämmen schufen die pigniers auch Spiegelkästchen und Haarnadeln, was an der Einheitlichkeit des figürlichen Schmucks zu erkennen ist.15 Ähn
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1. Miniaturmalerei, Schüler des Meisters von Sir John Fastolf, ca. 1410, Sich käm mende Frau, in: Boccaccio, Des cleres et nobles femmes, London, British Library, MS Royal 16 G.V, Fol. 80
lich dürfte es sich mit den Produktionszentren in Norditalien, Holland und Deutschland verhalten haben. Zwar ist über sie heute weit weniger bekannt, doch weisen die einheitlichen Ikonographien darauf hin, dass auch hier Kämme und andere Toilettenartikel von denselben Werkstätten produziert wurden.16 Den frühneuzeitlichen Elfenbeinkämmen sind die langrechteckige Form sowie zwei unterschiedlich feine Zahnreihen gemein, die sich bereits in der Antike als Standard herausgebildet hatten. Unabhängig von dem jeweiligen Verwendungskontext der Kämme ist diese Form über die Jahrhunderte hin weg konstant geblieben17 und findet sich daher auch bei den liturgischen Kämmen, die für das 7. bis 14. Jahrhundert überliefert sind.18 Auch diese Objekte, deren Einsatz im sakralen Kontext nicht in jedem Fall bereits bei der Produktion intendiert gewesen zu sein scheint, waren aus Elfenbein gefertigt und mit figürlichen Darstellungen oder vegetabilen Ornamenten versehen.19 Sie waren zentraler Bestandteil der Liturgie, denn das Kämmen des Priesters galt, wie von Honorius Augustodunensis überliefert ist, als ein symbolischer Akt der inneren Reinigung, der vor der Messe durchgeführt wurde.20 Diese Bedeutung einer moralischen Erhebung durch den gleichsam meditativen Akt des Kämmens wurde von Ivo von Chartres bestätigt, der im 11. Jahrhundert vor dem Hintergrund der mit dem Kamm verbundenen Symbolik des Ord
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nens die Unordnung der Haare mit den unordentlichen Sitten des Volkes ver glich.21 In Bezug auf die profanen Elfenbeinkämme des 14. und 15. Jahrhunderts lassen sich weitere Sinnebenen unterscheiden. Als ein Instrument, das der Steigerung weiblicher Schönheit diente, indem mit ihm das Haar geordnet und geglättet wurde,22 war der Kamm ein Zeichen für Kultivierung und konnte, wie etwa in Boccaccios bereits erwähnter Schrift De claris mulieribus, gar zu einem Sinnbild politischer Ordnung werden. So heißt es in der Beschreibung der assyrischen Königin Semiramis, dass diese den Kamm gegen das Schwert eingetauscht habe, als sie erfahren habe, dass Babylon abgefallen sei und sich ihrem Stiefsohn unterworfen habe: »Und die Haare, die sie ungebändigt gelas sen hatte, ordnete sie nicht eher, als bis sie jene so starke Stadt nach langer Belagerung in ihre Abhängigkeit gezwungen und mit Waffengewalt ihre Herrschaft zurückgeholt hatte.«23 Von dieser beherzten Tat, so Boccaccio weit er, habe lange Zeit eine riesige, aus Erz gegossene Statue Zeugnis abgelegt, die eine Frau mit auf der einen Seite gelösten, auf der anderen zu Zöpfen gefloch tenen Haaren darstellte.24 Auf diese Weise erscheint Semiramis auch in den Fresken eines anonymen Künstlers für die Sala Baronale des Castello della Manta von etwa 1420 (Abb. 2).25 Hier zeugt der gemalte Elfenbeinkamm gerade durch seinen Gebrauch von einer friedlichen Gesellschaftsordnung und erscheint das schön gekämmte Haar der Königin als ein Gegenbild von Natur zustand und Kriegschaos. Die Ordnung des Haares kann, wenn der Kamm falsch oder übermäßig gebraucht wird, aber auch zu moralischer »Unordnung« führen. Das Toiletten utensil erscheint dann als Zeichen von Hochmut und Verführung, was es gewissermaßen zum Gegenstück des Spiegels macht.26 In seinem Livre pour l’enseignement de ses filles hat der französische Ritter Geoffroi de La Tour Landry gerade diese negative Seite des Kammes hervorgehoben. In dem zwischen 1371 und 1373 verfassten Erbauungsbuch für seine drei Töchter wird dem Haar besondere Aufmerksamkeit zuteil. Dabei werden die unter schiedlichen Arten der Haargestaltung mit steigender Vehemenz verdammt und damit ex negativo Vorgaben für den guten Umgang mit dem Haar formu liert. In La Tour Landrys Auslegung der Geschichte von Davids Ehebruch mit Bathseba und seinem Mord an ihrem Ehemann Uria wird Bathseba, die im biblischen Bericht noch als passives Objekt der Begierde beschrieben ist, zur eigentlichen Schuldigen und vorsätzlichen Verführerin.27 Und dies gerade nicht wegen ihrer Nacktheit, sondern wegen ihres Haares und auf Grund der Tatsache, dass sie es vor den Augen Davids kämmt.28 Unter der Überschrift Cy parle de soi pingner devant les gens heißt es hier: »Si le lavoit et pingnoit à une fenestre dont le roy la poivoit bien veoir; sy avoit moult beau chief et blont. Et par cela le roy en fut tempté et la manda, et fist tant que il pecha avecques elle […].«29 Eine solche Eitelkeit ist schließlich nicht nur für den Mann gefährlich, sondern auch für die Frau selbst. So zeigt ein Albrecht Dürer zugeschriebener
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2. Freskomalerei (Anonym), ca. 1420, Semiramis, Manta, Castello della Manta, Sala Baronale 3. Holzschnitt, Albrecht Dürer?, Die putzsüchtige Frau, in: La Tour Landry, Der Ritter vom Turn, Basel 1493, Fol. 20r
Holzschnitt für die deutsche Übersetzung des Livre du chevalier de la Tour Landry (Ritter vom Turn, 1493) eine putzsüchtige Frau, die vor einer offenen Truhe steht, aus der kostbare Bänder, Hauben und Gewänder quellen (Abb. 3).30 Mit einem Doppelkamm kämmt sie ihr langes gelocktes Haar und betrachtet sich dabei gedankenverloren in einem Konvexspiegel. Doch statt ihres Gesichtes erblickt sie in diesem plötzlich das Gesäß des Teufels, ein Anblick der sie derart erschreckt, dass sie, wie dem kurzen Text zu entnehmen ist, darüber schwer erkrankt. Die übermäßige Pflege des Haares, in der Francesco da Bar berino (1264–1348) noch einen Grund für Haarausfall sah,31 ist damit zugleich ein Zeichen der vanitas.
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Bathseba und der Narr. Kammikonographien Der intime Moment des Kämmens konnte in seiner symbolischen Bedeutung durch die figürliche Gestaltung der Elfenbeinkämme akzentuiert werden. Das friesartige Mittelfeld zwischen der oberen und unteren Zahnreihe bot hierfür die besten Voraussetzungen. Mit den in diesen Raum eingepassten Szenen erhielt das doppelseitig zu gebrauchende Instrument eine bestimmte Ausrichtung, ein Oben und Unten. Wie aus der Menge der untersuchten Elfen beinkämme hervorgeht, stand die gröbere Zahnart, die gewöhnlich der Ord nung und Gestaltung des Haares diente, meist oberhalb, die feinzahnige Gegenseite, die für die Beseitigung von Läusen gedacht war, hingegen unter halb der Bilder. Die Bilder definierten jedoch nicht nur eine vertikale Ausrich tung des Kammes, sondern bezogen auch die beiden Seiten des Kammes in die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten mit ein. Zum einen konnten Vor der und Rückseite miteinander in Beziehung gesetzt werden, indem die Bilderzählung sich über beide Mittelfelder erstreckte, zum anderen konnten sie voneinander verschiedene Szenen zeigen, die jedoch thematisch aufein ander bezogen waren. Als zentraler Bestandteil des Liebeswerbens wurde der Kamm zum Bild träger einer sich im 14. Jahrhundert neu herausbildenden Minneikonographie. Ein französischer oder norditalienischer Kamm des frühen 15. Jahrhunderts zeigt dies deutlich, erscheint hier doch das Bild eines Kammes als Teil der Erzählung auf dem friesartigen Mittelfeld des Instrumentes (Abb. 4).32 Parallel zu zwei Männern, die in der Mitte reife Früchte von einem Baum schlagen, überreicht ein auf der rechten Seite stehender, galanter Mann einer auf der gegenüberliegenden Seite sitzenden Dame einen Kamm und wird dafür von ihr mit einer Blume belohnt. Die Interaktion der beiden Figuren scheint in einem Zusammenhang mit dem in der mittleren Szene angedeuteten und sich in den Blattranken der Kammwangen fortsetzenden Thema der Fruchtbarkeit zu stehen, wodurch der Gabentausch zu einer wichtigen Vorstufe der ehe lichen Gemeinschaft wird. Etwa zwei Drittel der bekannten Elfenbeinkämme des 14. und 15. Jahrhun derts werden durch Liebesszenen und Themen der Minne bestimmt.33 Bereits die frühesten erhaltenen Exemplare der Pariser pigniers weisen derartige Figu renfriese auf: so auch der sehr gut erhaltene, zwischen 1320 und 1330 datierte Kamm einer französischen Werkstatt, der sich heute im Victoria and Albert Museum in London befindet (Abb. 5).34 Die Erzählung erstreckt sich hier über beide Seiten des Kammes: Auf jeder Seite sind je drei Liebespaare dargestellt, die durch kleine, stark stilisierte Bäume voneinander abgetrennt werden. In einer von links nach rechts zu lesenden Bildsequenz veranschaulichen sie die stufenweise Annäherung eines Paares nach den Regeln der hohen Minne.35 Dabei beginnt die Szenenfolge auf einer der Kammseiten mit der galanten Unterhaltung links, bei der der minnende Mann durch die Kinnberührung der Frau seine Zuneigung bekundet. Wehrt die Dame den Affektgestus des
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4. Elfenbeinkamm, um 1400, Norditalien o. Frankreich, Kammüber gabe (Standort unbe kannt, ehemals Samm lung KoflerTruniger, Luzern)
5. Elfenbeinkamm, ca. 1320, Frankreich, Drei minnende Paare (London, Victoria and Albert Museum)
Mannes in der ersten Szene noch ab, ist sie es, die in der darauffolgenden Darstellung den Mann zeremoniell zu ihrem Verehrer erwählt und in den Minnedienst aufnimmt. Der Galan ist hier vor ihr niedergekniet, wofür er von der Umworbenen mit einem Kranz belohnt wird. In der letzten Szene ist sich das Paar schließlich deutlich näher gekommen, es kommt zur intimen Berüh rung, mit der in der minnekasuistischen Traktatliteratur der endgültige Gunsterweis der Frau markiert wird. Dieser Umstand wird noch dadurch betont, dass nun die Frau den Mann am Kinn liebkost und sich nicht mehr, wie in der ersten Szene, wehrend von diesem abwendet.
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Seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts wurden auch in Norditalien Elfenbeinkämme produziert, über deren Entstehungskontext bisher jedoch nichts bekannt ist.36 In Anlehnung an ihre französischen Vorgänger griffen die italienischen Kämme zunächst bekannte Bildformeln der Minneikono graphie auf, so etwa den Sturm der Liebesburg, 37 oder, wie im Fall des im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts entstandenen Exemplares in der Walters Art Gallery in Baltimore, die Hirschjagd (Abb. 6).38 Die caccia amorosa, in der die Geliebte im Rückgriff auf Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio als candida cerva und edles Beutetier allegorisch umschrieben wird, wurde im 14. Jahrhundert zum festen Bestandteil der Minneikonographie.39 Im Zusam menspiel der beiden Seiten wird diese Thematik auf dem Kamm, dessen poly chrome Fassung sich sehr gut erhalten hat,40 besonders deutlich. Auf der einen Seite ist ein Hirsch dargestellt, der ein mit goldenen und blauen Punk ten verziertes Band um seinen Hals trägt und von seinen Gegnern regelrecht umzingelt wird. Ein großer Hund beißt das prachtvolle Tier von hinten kom mend in den Rücken, während es ein Jäger von vorne mit dem Speer bedroht. Zwei weitere männliche Figuren mit einem netzähnlichen Gegenstand und einem Horn grenzen die Szene nach außen hin ab und betonen so die Einen gung des Hirsches. Dem wilden Treiben steht auf der anderen Seite ein höfisches Ereignis gegenüber. Sie zeigt zwei Paare, die sich an den Händen halten und zu der Musik tanzen, die von einer Orgelspielerin am linken Bild rand kommt. Erst im Vergleich mit dieser Szene offenbart sich die Jagd auf der Gegenseite als die besagte caccia amorosa.41 Neben dem Tanz konnte die Hirschjagd auch mit anderen Motiven kom biniert werden, wie etwa dem des Jung bzw. Liebesbrunnens auf einem Kamm aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (Abb. 7).42 Diese Thematik entstammt ebenfalls der Minneikonographie, wird auf dem Toilettenutensil jedoch kri tisch erweitert. Im Zentrum des Mittelfeldes befindet sich der Brunnen, der bereits von einem badenden Paar besetzt ist. Mit seiner hoch aufstrebenden Fontäne bildet er eine vertikale Achse, zu deren Seiten Jung und Alt einander gegenübergestellt sind. Ein bärtiger Mann führt links eine betagte Frau mit einladendem Gestus an das Wasser heran, die sich auf einen Gehstock stützt und ihr Haar unter der Kapuze ihres langen Mantels verbirgt. Ihr kontrastiert rechts eine junge Frau mit offenem, gold schimmerndem Schopf, die von einem Edelmann mit einer Blume begrüßt wird. Wie dieses Paar nahelegt, findet die magische Wirkung des Wassers, welches das Alter überwinden und einer Frau ihre Schönheit zurückgeben kann, erst im Reich Amors ihre Voll endung. Eine derartige Verquickung des Jungbrunnens mit der fontaine d’amour ist bereits für das 14. Jahrhundert überliefert.43 Mit der Narrenfigur, die vor dem Brunnen kauert und einen Dudelsack spielt, wird der Jungbrunnen als Min neallegorie jedoch zugleich zum Gegenstand von Spott und Distanzierung. Diese Brechung des Motivs ist für das 15. Jahrhundert einzigartig.44 Die Tat sache, dass sie erstmals auf einem Kamm erfolgt, wirft dabei die Frage auf, ob
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6. Polychromer Elfenbeinkamm, 1. Drittel 15. Jahr hundert, Italien, Hirschjagd (Balti more, Walters Art Museum)
7. Polychromer Elfenbeinkamm, Mitte 15. Jahrhun dert, Frankreich oder Oberrhein, Jung brunnen (London, Victoria and Albert Museum)
der Narr hier allein auf die verjüngende Wirkung des Wassers bezogen ist. Zwar ist er eindeutig dem älteren Paar auf der linken Seite zugeordnet, dem er den Rücken kehrt und es damit von dem Brunnen abtrennt, doch weist die blaue Farbe des Wassers, die nicht nur im Gürtel des bärtigen Mannes sowie den Weinreben der Kammwangen, sondern gerade auch in den über den Zahnreihen verlaufenden Bändern aufgriffen wird, zugleich auf eine weitere Sinnebene. Indem durch diese farbliche Analogie nämlich auf die funktionale
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8. Elfenbeinkamm, Anfang 16. Jahrhundert, Deutschland, David und Bathseba (London, Victoria and Albert Museum)
Struktur des Kammes zurückverwiesen wird, ist der Kamm selbst mit dem Thema des Jungbrunnens verbunden. In diesem Sinne kann der Narr auch als eine Warnung vor einer falschen, auf vergängliche Schönheit zielenden Nut zung des Instrumentes verstanden werden. Einen noch augenscheinlicheren Bezug zum Bad und zur Toilette weisen vier Elfenbeinkämme auf, die in Frankreich und Deutschland entstanden sind. Sie stehen im größeren Zusammenhang einer Gruppe von Kämmen des späten 15. Jahrhunderts, deren zentrale Bildfelder biblischen Themen gewid met sind. Neben fünf Exemplaren, die eine Verkündigungsszene sowie die Anbetung der Könige zeigen,45 stechen jene Kämme hervor, deren Ikonogra phien explizit auf den tatsächlichen Gebrauch des Instrumentes verweisen. Es handelt sich hierbei um einen italienischen oder französischen Kamm des Museo del Bargello, über dessen beiden Seiten sich die alttestamentarische SusannaGeschichte entfaltet,46 sowie um drei deutsche Kämme, die jeweils auf einer Seite Bathsebas Bad vor den Augen Davids darstellen (Abb. 8).47 In der Art ihrer ikonographischen Ausgestaltung stehen die Bathseba Kämme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der deutschen Überset zung des Livre du Chevalier de La Tour Landry von 1493: Der entsprechende, Dürer zugeschriebene Holzschnitt hat noch im 16. Jahrhundert zahlreiche Nachfolger gefunden und könnte auch dem Elfenbeinschnitzer als Vorlage gedient haben (Abb. 9). Dabei wird die vergleichsweise dichte Komposition der Druckgraphik in der Elfenbeinschnitzerei deutlich aufgelockert und erstreckt sich bis in die oberen Abschnitte der Kammwangen. Hier befindet
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9. Holzschnitt, Albrecht Dürer?, David sieht Bathseba sich baden, in: La Tour Landry, Der Ritter vom Turn, Basel 1493, Fol. 41r
sich der Turm, von dem aus König David Bathseba beim Bad beobachtet und sich durch ihre Schönheit zu Ehebruch und Mord verleiten lässt. Als Ursache dieses zweifachen Unheils ist die Badeszene, die in der anderen Kammwange von einem zweiten Turm flankiert wird, im Mittelfeld prominent ins Bild gebracht. Die verführerische Kraft des Haares tritt hier auf eigenwillige Weise hervor. Sind es im Holzschnitt die ihre Nacktheit unterstreichenden üppigen Locken der Frau, die Davids Blicke auf sich ziehen, ist es auf dem Kamm der Vorgang des Kämmens selbst. Zwar hat die badende Bathseba ihr Haar im Bild noch zusammengebunden und unter einer Haube versteckt, wie es sich für eine verheiratete Frau gehört,48 doch weist der Kamm als bildtragendes Instrument gewissermaßen selbst auf die kommende Handlung und das auf
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10. Elfenbeinkamm, Anfang 16. Jahrhundert, Deutschland, Parisurteil (London, Victoria and Albert Museum)
sie folgende Unheil hin. Der Kamm erscheint daher als genau jenes Objekt, das in der Beschreibung La Tour Landrys, wie bereits erläutert, den eigentli chen Auslöser des fatalen Ehebruchs darstellt. In der Hand der Frau, die ihn betrachtet und ihn »benutzt«, wird er selbst zum Teil der auf ihm dargestellten Ikonographie. Die bisweilen tragischen Folgen von Schönheit und der durch sie ent fachten Liebe werden auf der anderen Kammseite durch ein der antiken Mythologie entlehntes Thema weiter kommentiert.49 Dargestellt ist hier das Parisurteil (Abb. 10), das sich bekanntermaßen an einem Apfel mit der Auf schrift »Der Schönsten« (kallisti) entzündet hat. Diesen warf Eris, die Göttin der Zwietracht, bei der Hochzeit von Peleus und Thetis unter die feiernden Bewohner des Olymp und beschwor damit einen Zwist zwischen Aphrodite, Pallas Athene und Hera herauf. Paris, der von Zeus bestimmte Schiedsrichter, ist im zentralen Bildfeld des Kammes am Fuß eines Brunnens schlafend dar gestellt – eine Ikonographie, die sich in Deutschland gegen Ende des 15. Jahr hunderts herausgebildet hat.50 Über ihm steht Hermes mit dem schicksals trächtigen Apfel in der linken Hand und im Begriff, den trojanischen Königssohn mit dem Caduceus zu wecken. Links des schlafenden Protago nisten stehen die drei Göttinnen. Der lange Pfeil, mit dem Aphrodite auf Paris zielt, weist bereits auf den Ausgang des Urteils hin, d.h. die Wahl der Liebesgöttin und das Versprechen der schönsten Frau der Welt. Die fatalen Konsequenzen dieser Entscheidung, der Raub Helenas und der Trojanische Krieg, sind auf dem Elfenbeinkamm nicht zu sehen, doch sind sie der dar gestellten Szene implizit.
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Ein französischer Kamm des 15. Jahrhunderts macht diese negative Macht Aphrodites noch deutlicher.51 Das Mittelfeld der einen Kammseite zeigt das unglückliche Ende der Liebegeschichte von Pyramus und Thisbe: Pyramus liegt bereits tot am Fuß eines Brunnens und Thisbe, die den Verlust ihres Geliebten nicht erträgt, ist im Begriff, sich sein Schwert ins Herz zu rammen. Dieser Szene steht auf der anderen Seite ein Bild aus dem Reich der Liebesgöt tin gegenüber. Mit wehenden Haaren sitzt Aphrodite hier auf einem Thron und instruiert ihren Sohn Amor, mit verbundenen Augen auf ein im Himmel flatterndes Herz zu schießen. Der Pfeil, den sie selbst auf den Boden richtet, korrespondiert dabei mit der tödlichen Waffe auf der anderen Seite. Dieser Zusammenhang offenbart sich jedoch erst, wenn man den Kamm als Bildträger in Händen hält und wendet, womit das Instrument erneut zum zentralen Bestandteil seiner ikonographischen Ausgestaltung wird.
Die Instrumente der Venus In seinem Trattato dell’arte della pittura, scultura ed architettura (1584) spricht Giovanni Paolo Lomazzo an einer Stelle von Spiegeln, Vasen, Tüchern und simili istromenti di Venere, die er als passende Begleiter einer Liebesszene erach tet.52 Mit den »anderen Instrumenten der Venus« dürfte er wohl auch die Elfenbeinkämme gemeint haben. Diese waren, wie dargelegt, nicht nur Instru mente zur Ordnung und Pflege des Haares, sondern auch und vor allem repräsentative Bildträger, die als Minnegabe oder Brautgeschenk zum Einsatz kamen. Die figürlichen Szenen, die ihre Mittelfelder schmücken, kommentie ren diese Schenkungsarten. Als Objekte des Liebeswerbens sind die Elfenbeinkämme Teil einer stan dardisierten Minneikonographie, sie erscheinen entweder selbst im Bild oder sind Bilträger galanter Szenen. In ihrem Bezug zur weiblichen Schönheit und deren verführerischer Kraft, die besonders am Haar festgemacht wird, sind die Elfenbeinkämme aber zugleich als moralisierende Lehrobjekte zu verste hen. Als solche akzentuieren sie die Ambivalenz des Kämmens und zeigen in ihrer bildlichen Gestaltung die negative Seite von Schönheit und der durch sie entfachten Liebe auf. Der spezifischen Form der Elfenbeinkämme kommt in der Vermittlung solcher Ermahnungen eine besondere Rolle zu. Sie ermöglicht nicht nur eine über beide Seiten fortlaufende Narration oder die spannungsvolle Gegenüber stellung von Szenen unterschiedlicher Themenbereiche, sondern leistet zugleich eine unmittelbare Verknüpfung der figürlichen Darstellungen mit ihrem Bildträger. Der Kamm selbst wird so zum integrativen Bestandteil der bildlichen Geschichte, wie etwa beim Bad der Bathseba, umgekehrt erfährt das Instrument durch die auf ihm angebrachten Bilder aber auch eine Deu tung seiner ursprünglichen, alltäglichen Funktion. In diesem Sinne können die Elfenbeinkämme sowohl als Instrumente der Venus wie auch als die ihrer Gegner, der Sittenwächter, charakterisiert werden. Ihre eigentliche Funktion
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büßen sie damit jedoch ein. Das Instrument Kamm, das es vermag selbst bezaubernde und verführerische (Spiegel)Bilder zu produzieren, wird so selbst zu einem Bild.
* Mein besonderer Dank gilt Philippe Cor dez, der die vorliegende Untersuchung angeregt hat, Herbert L. Kessler, Christiane KlapischZu ber, Benedetta Chiesi und Martine Clouzot für zahlreiche Anregungen und konstruktive Kri tik. 1 Giovanni Boccaccio, Des cleres et nobles femmes, London, British Library, MS Royal 16 G.V, Fol. 80. Vgl. zum früheren Manuskript in der Bib liothèque Nationale de France (Ms. fr. 12420) Bri gitte Buettner: Boccaccio’s ›Des cleres et nobles femmes‹. Systems of Signification in an Illuminated Manuscript, Seattle u. London 1996. 2 Vgl. Giovanni Boccaccio: Famous Women, hg. u. übers. v. Virginia Brown, London 2001, S. 191. 3 Guillaume de Lorris u. Jean de Meung: Der Rosenroman, übers. u. hg. v. Karl August Ott, 3 Bde., München 1976–1979, Bd. 1, S. 107. 4 Vgl. Franco Sacchetti: Il trecentonovelle, hg. v. Valerio Marucci, Rom 1996, S. 412–415, Novelle CXXXVI, der die Florentiner Frauen als Schöp ferinnen täuschender Bilder, ja sogar als die größten Künstlerinnen bezeichnet, weil sie sich mit Schminke und kosmetischen Utensilien zu verschönern suchten. Vgl. hierzu WolfDietrich Löhr: Korrekturen. Schöpfung und Schminke bei Franco Sacchetti, in: Gerhard Wolf (Hg.): Kunstgeschichten. Parlare dell’Arte nel Trecento, im Druck. 5 Vgl. Michael Schäfer: (All)tägliche Toilette: Vom Kamm zum Zahnstocher – Körperpflege im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Con cilium medii aevi, 12, 2009, S. 225–250, hier 228. 6 Vgl. Pierre Mille: Les peignes de toilette en bois à double endenture du Xe au XVIIe siècle en Europe occidentale: un marqueur chronologi que exceptionnel, in: Archéologie Médiévale, 38, 2008, S. 41–59, hier 42. Ein Bewohner von Bug neinenBéarn habe zum Beispiel 1396 insgesamt 13.000 Kämme für den Export nach England und Flandern in seinem Depot in Bayonne gelagert (ebd.). 7 Vgl. Mille 2008 (wie Anm. 6). Die Holzkäm me entstammen 37 unterschiedlichen archäo logischen Fundstätten in ganz Westeuropa. Mille
unterteilt sie gemäß ihrer Form und ornamenta len Gestaltung in unterschiedliche typologische Klassen und erkennt in der von ihm aufgestellten Typochronologie eine den künstlerischen Stilen analog verlaufende Entwicklung. 8 Die Aufstellung der Elfenbeinkämme stammt von der Autorin und bildet die Grundlage der vorliegenden Untersuchung. Zur bisherigen For schung: Raymond Koechlin: Les ivoires gothiques français, 3 Bde., Paris 1924, Bd. 1, S. 423–431, bietet einen ersten Überblick über französische Elfen beinkämme, von denen heute allerdings einige anderen Produktionszentren zugeschrieben wer den. Michael Camille: The Medieval Art of Love. Objects and Subjects of Desire, London 1998, S. 54– 61, widmet sich dem Kamm hingegen erstmals in seiner Funktion als Minnegabe. Hugo Blake: Ev eryday Objects, in: Marta AjmarWollheim u. Flora Dennis (Hg.): At Home in Renaissance Italy, Ausst.Kat. (London, Victoria and Albert Muse um), London 2006, S. 332–341, beschreibt die Elfenbeinkämme als vielseitig einsetzbare Re präsentationsobjekte. Jen Cruse: The Comb, Lon don 2007, verfolgt die Geschichte des Kammes von der Prähistorie bis zur Gegenwart und in unterschiedlichen Teilen der Welt. 9 Blake 2006 (wie Anm. 8), S. 340, macht dies daran fest, dass nur die Elfenbeinkämme in den Inventaren erfasst wurden, nicht aber die Holz und Beinkämme. Die Tatsache, dass die heute erhaltenen Holz und Beinkämme überwiegend aus archäologischen Grabungsstätten stammen, verstärkt diese Vermutung. Vgl. Mille 2008 (wie Anm. 6) sowie Geoff Egan u. Frances Pritchard: Dress Accessories c. 1150–c. 1450, London 1991, die insgesamt 36 in London ausgegrabene Kämme und Kammfragmente auflisten und beschreiben. Auch Schäfer 2009 (wie Anm. 5) stützt sich auf solche archäologische Kammfundstücke. 10 Vgl. Marco Spallanzani (Hg.): Libro d’in ventario dei beni di Lorenzo il Magnifico, Florenz 1992, S. 60. Auch Koechlin 1924 (wie Anm. 8), S. 424, weist die Elfenbeinkämme einem homo gen höfischen Kontext zu.
63 INSTRUMENTE DER ORDNUNG – OBJEKTE DER VERFÜHRUNG 11 Andreas Capellanus: Über die Liebe. De amore. Ein Lehrbuch des Mittelalters über Sexualität, Erotik und die Beziehungen der Geschlechter, hg. u. übers. v. Fidel Rädle, Stuttgart 2006, S. 199f. Vgl. Markus Müller: Minnebilder. Französische Minne darstellungen des 13. und 14. Jahrhunderts, Köln, Weimar u. Wien 1996, S. 79f. 12 Vgl. Jacqueline Marie Musacchio: Art, Mar riage, and Family in the Florentine Renaissance, New Haven 2008, S. 163; Camille 1998 (wie Anm. 8), S. 56, der im Kammgeschenk einen Akt der Kon trolle der Frau erkennt. 13 Vgl. Andrea Bayer (Hg.): Art and Love in Re naissance Italy, Ausst.Kat. (New York, Metropoli tan Museum of Art; Fort Worth, Kimbell Art Museum), New Haven 2008, S. 106. Maria di Pie ro Bini aus Florenz brachte 1493 ebenfalls einen Elfenbeinkamm mit in die Ehe ein. Vgl. Blake 2006 (wie Anm. 8), S. 340. 14 Koechlin 1924 (wie Anm. 8), S. 424. 15 Koechlin 1924 (wie Anm. 8), S. 423, nennt insgesamt neun pigniers, die in Paris tätig waren. In den Rechnungen adliger Kunden, die Koech lin in einem Anhang veröffentlicht, erscheinen die Elfenbeinkämme zahlreich, jedoch wird ihr figürlicher Schmuck nicht näher beschrieben. Vgl. Peter Barnet (Hg.): Images in Ivory. Precious Objects of the Gothic Age, Ausst.Kat. (Detroit, De troit Institute of Arts; Baltimore, Walters Art Gal lery), Princeton/NJ 1997, S. 223. 16 Die Vermutung, dass die bekannte vene zianische Elfenbeinwerkstatt der Embriachi ne ben Altarretabeln auch Kämme produzierte, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden. Die bekannten norditalienischen Stücke werden von der Forschung anderen Meistern zugeschrie ben. Vgl. Michele Tomasi: La bottega degli Embria chi, Florenz 2001, S. 18, und Julius von Schlosser: Die Werkstatt der Embriachi in Venedig, in: Jahr buch der Kunsthistorischen Sammlungen des Aller höchsten Kaiserhauses, 20, 1899, S. 220–282, hier 225. Vgl. auch Michele Tomasi: Monumenti d’avo rio. I dossali degli Embriachi e i loro committenti, Pisa u. Paris 2010. 17 Vgl. Isabelle BardièsFronty, Michèle Bim benetPrivat u. Philippe Walter (Hg.): Le bain et le miroir. Soins du corps et cosmétiques de l’Antiquité à la Renaissance, Ausst.Kat. (Paris, Musée National du Moyen Âge; Ecouen, Musée National de la Re naissance), Paris 2009, S. 180.
18 Vgl. Franz Swoboda: Die liturgischen Kämme, Tübingen 1963. 19 Swoboda 1963 (wie Anm. 18), S. 27–33. 20 Gemma animae, lib. I, cap. CXCIX (De praepa ratione sacerdotis). Vgl. auch das sog. Pontificale des Ratoldus (1. H. 10. Jh.) sowie ein undatiertes Pontificale aus Paris, in dem der symbolische Reinigungsakt direkt angesprochen wird. Den genauen Ablauf des Kämmens beschreibt hinge gen das Pontificale von Mende (Ende 13. Jh.). Vgl. Swoboda 1963 (wie Anm. 18), S. 14–20. 21 Vgl. Yves de Chartres: Correspondance, hg. u. übers. v. Jean Leclercq, Paris 1949, Brief 6. Ich danke Philippe Cordez für diesen Hinweis. 22 Zur Bedeutung des Haares für die Schön heit der Frau vgl. Musacchio 2008 (wie Anm. 12), S. 162–164. 23 Giovanni Boccaccio: De claris mulieribus. Die großen Frauen, hg., übers. u. komm. v. Irene Erfen u. Peter Schmitt, Stuttgart 2003, S. 32f. 24 Boccaccio 2003 (wie Anm. 23), S. 32f. 25 Zur Ausmalung der Sala Baronale vgl. Giuseppe Carità (Hg.): Le arti alla Manta. Il Cas tello e l’Antica Parrocchiale, Turin 1992. 26 Kamm und Spiegel zählen daher auch zu den Attributen der Sirenen. Vgl. BardièsFronty / BimbenetPrivat / Walter 2009 (wie Anm. 17), S. 185. Zur Sirene als Personifikation der Verfüh rung vgl. Jacqueline LeclercqMarx: La Sirène dans la pensée et dans l’art de l’Antiquité et du Moyen Âge. Du mythe païen au symbole chrétien, Brüssel 1997, S. 41–68. 27 Vgl. Valérie Gontero: ›Cointises et Atours‹: la chevelure dans ›Le Livre du Chevalier de la Tour Landry pour l’enseignement de ses filles‹, in: Chantal ConnochieBourgne (Hg.): La cheve lure dans la littérature et l’art du Moyen Âge, Aixen Provence 2004, S. 181–193. Vgl. auch Edith Wenzel: Die schuldlose Schöne und die schöne Schuldige. Batseba in mittelalterlicher Kunst und Literatur, in: Ulrike Gaebel u. Erika Kartschoke (Hg.): Böse Frauen – Gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern, Trier 2001, S. 89–107, sowie Elisabeth KunothLeifels: Über die Darstellungen der ›Bathseba im Bade‹. Studien zur Geschichte des Bildthemas, 4. bis 17. Jahrhundert, Essen 1962. 28 Auch Giovanni della Casa rät in seinem Er ziehungsbuch Il Galateo ovvero de’costumi (1558), das Haar nur in der privaten Kammer zu käm men. Vgl. Blake 2006 (wie Anm. 8), S. 340.
64 JULIA SAVIELLO 29 Le Livre du chevalier de la Tour Landry pour l’enseignement de ses filles, hg. v. Anatole de Mon taiglon, Paris 1854, S. 154. 30 Vgl. Rainer Schoch, Matthias Mende u. Anna Scherbaum (Hg.): Albrecht Dürer. Das druck graphische Werk, 3 Bde., München 2001–2004, Bd. 3: Buchillustrationen, S. 58f. 31 Francesco da Barberino: Reggimento e costumi di donna, hg. v. Giuseppe E. Sansone, Rom 1995, S. 197. 32 Vgl. Hermann Schnitzler, Fritz Volbach u. Peter Bloch: Sammlung E. und M. KoflerTruniger, Luzern, 2 Bde., Luzern u. Stuttgart 1964–1965, Bd. 1: Skulpturen. Elfenbein, Perlmutter, Stein, Holz. Europäisches Mittelalter, S. 35 u. 128. Auch ein norditalienischer Spiegel von ca. 1390 in der Wal ters Art Gallery zeigt eine solche Kammszene. Vgl. Camille 1998 (wie Anm. 8), S. 56. 33 Zu diesem Themenschwerpunkt in der Elf enbeinkunst: Richard H. Randall, Jr.: Popular Romances Carved in Ivory, in: Barnet 1997 (wie Anm. 15), S. 62–79. 34 Vgl. Camille 1998 (wie Anm. 8), S. 55f.; Barnet 1997 (wie Anm. 15), S. 222f.; Koechlin 1924 (wie Anm. 8), Bd. 2, Nr. 1147. Ein unmittelbarer Nachfol ger oder Zeitgenosse dieses Exemplares befindet sich im Museo Nazionale del Bargello in Florenz (Inv. C 139). Vgl. Lamberto Vitali (Hg.): Avori gotici francesi, Ausst.Kat. (Mailand, Museo Poldi Pezzo li), Mailand 1976, S. 27; Koechlin 1924 (wie Anm. 8), Bd. 2, Nr. 1148. Zu den Elfenbeinobjekten des Museo Nazionale del Bargello entsteht an der Uni versität von Florenz gerade die Dissertation Gli avori gotici del Museo Nazionale del Bargello. Proposte per un catalogo von Benedetta Chiesi. 35 Vgl. Katharina A. Glanz: De arte honeste amandi. Studien zur Ikonographie der höfischen Liebe, Frankfurt a. M. 2005, S. 151; Müller Köln 1996 (wie Anm. 11), S. 43. 36 Vgl. Images in ivory 1997 (wie Anm. 33), S. 260. 37 Ein Exemplar dieser Art befindet sich im Museo del Bargello in Florenz (Inv. 137 C), ein weiteres im Victoria and Albert Museum in Lon don (Inv. 229–1867). 38 Vgl. Barnet 1997 (wie Anm. 15), S. 259f.; Rich ard H. Randall, Jr.: Masterpieces of Ivory from the Walters Art Gallery, New York 1985, S. 195 u. 234. 39 Vgl. Glanz 2005 (wie Anm. 35), S. 317–366; Müller 1996 (wie Anm. 11), S. 116.
40 Randall in Barnet 1997 (wie Anm. 15), S. 259f., sieht hierin einen Hinweis auf den geringen Ge brauch des Kammes. 41 Eine ähnliche Kombination von Jagd und Tanzszenen bestimmt auch einen circa 1475 bis 1500 entstandenen Kamm, der sich heute im Vic toria and Albert Museum in London befindet. Laut des OnlineKataloges des Museums han delt es sich hierbei um ein italienisches Werk (Stand: 10. 08. 10). Paula Nuttall: Dancing, Love and the ›Beautiful Game‹: a New Interpretation of a Group of FifteenthCentury ›Gaming‹ Boxes, in: Renaissance Studies, 24, 2010, S. 119–141, hier 122f., hat kürzlich jedoch Holland als Entstehun gsort vorgeschlagen. Koechlin 1924 (wie Anm. 8), Bd. 2, Nr. 1153, schrieb ihn einer französischen Werkstatt zu. 42 Anna Rapp: Der Jungbrunnen in Literatur und bildender Kunst des Mittelalters, Zürich 1977, S. 83–85, und Koechlin 1924 (wie Anm. 8), Bd. 2, Nr. 1151, erachten den Kamm als Werk eines französischen Meisters. Laut des Kataloges des Victoria and Albert Museum ist er am Oberrhein entstanden (Stand: 10. 08. 10). 43 Birgit Franke u. Sigrid Schade: Jungbrun nen und andere ›Erneuerungsbäder‹ im 15. und 16. Jahrhundert, in: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500–2000, Wien, Köln u.Weimar 1998, S. 197–212, hier 202– 204; Rapp 1977 (wie Anm. 42), S. 16f. Ferner zu Heilbädern: Frank Fürbeth: Heilquellen in der deutschen Wissensliteratur des Spätmittelalters. Zur Genese und Funktion eines Paradigmas der Wissens vermittlung am Beispiel des ›Tractatus de balneis na turalibus‹ von Felix Hemmerli und seiner Rezeption. Mit einer Edition des Textes und seiner frühneuhoch deutschen Übersetzung, Wiesbaden 2004. 44 Vgl. Rapp 1977 (wie Anm. 42), S. 83–85. Es ist ein weiterer Elfenbeinkamm bekannt, in dem der Narr ebenfalls erscheint. Dieser ist wohl fran zösischen Ursprungs, sein Standort ist momen tan unbekannt. Vgl. Koechlin 1924 (wie Anm. 8), Bd. 2, Nr. 1152, der ihn noch in der Sammlung Duruy verortet. Vgl. auch Franke / Schade 1998 (wie Anm. 43), S. 208–212, für spätere Darstel lungen des Narren am Jungbrunnen. 45 Es handelt sich hierbei um durchweg fran zösische Arbeiten, die sich heute an folgenden Orten befinden: World Heritage Museum der Universität von Illinois (vgl. Richard H. Randall, Jr.: The Golden Age of Ivory. Gothic Carvings in
65 INSTRUMENTE DER ORDNUNG – OBJEKTE DER VERFÜHRUNG North American Collections, New York 1993, S. 114), Schatzkammer der Kathedrale von Reims (vgl. Koechlin 1924 [wie Anm. 8], Bd. 2, Nr. 1159), Mu sée National du Moyen Âge – Thermes de Cluny in Paris (vgl. Koechlin 1924 [wie Anm. 8], Bd. 2, Nr. 1155), Musée du Louvre in Paris (vgl. Koech lin 1924 [wie Anm. 8], Bd. 2, Nr. 1158, und Dani elle GaboritChopin: Ivoires médiévaux. Ve–XVe siècle. Catalogue. Musée du Louvre, Paris 2003, S. 526f.), Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin (vgl. Koechlin 1924 [wie Anm. 8], Bd. 2, Nr. 1156, und GaboritChopin 2003, S. 526). 46 Inv. 12 A. Möglicherweise war dieser Kamm unter den 12 Elfenbeinkämmen, die Lorenzo il Magnifico in seinem Inventarbuch verzeichnete. Vgl. Spallanzani 1992 (wie Anm. 10), S. 60. 47 Zwei der Kämme befinden sich im Victoria and Albert Museum in London, ein dritter im Louvre in Paris. Dieser wird allerdings von Philippe Malgouyres: Ivoires du Musée du Louvre, 1480–1850. Une collection inédite, Ausst.Kat. (Dieppe, Musée), Paris 2005, S. 46, einer franzö sischen Werkstatt zugeschrieben. 48 Vgl. Annie Cazenave: La coiffure comme marque d’identité, in: ConnochieBourgne 2004 (wie Anm. 27), S. 59–68, hier 59f.
49 Mythologische Themen bestimmen den ge ringsten Teil der Kammikonographien. Es sind nur vier Elfenbeinkämme dieser Art bekannt. 50 Vgl. Claudio Stellini: ›Il Giudizio di Paride‹ di Cranach. Una silografia del 1508, in: Grafica d’arte, 19, 2008, S. 2–6, hier 3. Wie Nancy Eliza beth Edwards: Pleasure & Politics. Cranach’s ›The Judgement of Paris‹, in: Apollo, 166, 2007, S. 64–69, hier 64, vermutet, geht diese Bildtradi tion auf Guido delle Colonnes Historia Desctruc tionis Troiae von 1287 zurück, die seit 1477 in einer deutschen Übersetzung vorlag. 51 Museo Nazionale del Bargello, Florenz, Inv. 169 C. Vgl. Franz SchmittVon Mühlenfels: Pyramus und Thisbe. Rezeptionstypen eines Ovi dischen Stoffes in Literatur, Kunst und Musik, Hei delberg 1972, S. 99, der die Deutung von Pyra mus und Thisbe als Sinnbild der Liebesmacht verfolgt. 52 Giovanni Paolo Lomazzo: Trattato dell’arte della pittura, scultura ed architettura, 3 Bde., Rom 1844, Bd. 1, S. 218. Vgl. auch Cathy Santore: The Tools of Venus, in: Renaissance Studies, 11, 1997, S. 179–207, hier 179.
ULRICH PFISTERER
Das Werkzeug in der Sammlung – oder: Der König vor Cornelis Gijsbrechts’ Staffelei
Noch in den Jahrzehnten um 1600 interessierte sich kaum jemand für den cavalletto, alle Aufmerksamkeit galt der cavalletta. Oder anders gesagt: Von vereinzelten Konzeptualisierungsversuchen abgesehen, spielten bis dahin die Werkzeuge der Maler (und anderer Künstler) – etwa die Staffelei (cavalletto), aber auch Pinsel und Palette – im frühneuzeitlichen Kunstdiskurs keine ent scheidende Rolle.1 Dagegen dienten ingenieurtechnische Großgeräte – wie das SchwerlastGerüst (cavalletta) (Abb. 1) – oder aber die Instrumente der Wissen schaften und Artes (Schreibfeder, Zirkel, Fernrohr usw.) als herausragende Sinnbilder des menschlichen Ingeniums, als Leistungsbeweise von Erfin dungskraft, Rationalität und Fortschritt.2 Dies änderte sich seit dem späten 16., vor allem dann aber im Laufe des 17. Jahrhunderts entscheidend: Die Dis kussionen und Systematisierungsversuche zur Malkunst (im großen Kontext des ad artem redigere vieler Tätigkeitsbereiche zu sehen)3 bezogen nun zuneh mend auch deren Werkzeuge, Produktionsorte und zusammenhänge ein. Die steigende Zahl von Atelierbildern und von Selbstbildnissen beim Arbeitspro zess sind nur zwei der Indikatoren dafür.4 Die Staffelei spielt dabei eine pro minente, vielfältige Rolle: Der Maler (oder nun auch die Malerin) konnte in Distanz zur Leinwand auf der Staffelei die Eingebung einer Idee erwarten oder aber bereits im Furor der Inspiration an ihr arbeiten; die Muse konnte ihren Günstling an der Staffelei beglücken, genauso wie die Hemmnisse der Lebenswirklichkeit jedem Maler die Staffelei zum Kreuz verwandeln konnten – und zumindest die französischen Kunstlexika des späten 17. Jh.s geben als eine Bedeutung von chevalet auch an: ein hölzernes Gerüst zur Bestrafung.5 Parallel dazu förderte auf der praktischen Ebene die wachsende Zahl an dilet tanti eine, freilich anders gerichtete, Auseinandersetzungen mit den Werkzeu gen von Zeichnern und Malern. In den ersten Kunstlexika vom Ende des 17. Jahrhunderts und in den Hand und Lehrbüchern für angehende Maler, dilettierende Liebhaber und Gelehrte nehmen Werkzeuge, Materialien und Produktionsabläufe erstmals eine wichtige Stellung ein (Abb. 2).6 Dieser Wandel der Wertschätzung lässt sich an einem Werk für die Kunst sammlung des dänischen Königs Christian V. besonders deutlich ablesen.
68 ULRICH PFISTERER
1. Domenico Fontana: Del modo tenuto nel trasportare l’obelisco vaticano […], Rom 1590, fol. 8r; Kupferstich, 27,7 × 17,3 cm
Protagonisten des Folgenden werden der für den Hof in Kopenhagen tätige Niederländer Cornelis Gijsbrechts und seine Staffelei von um 1670 sein (Abb. 3).7 Gezeigt werden soll, wenn das Wortspiel erlaubt ist, wie aus dem cavalletto oder chevalet, dem ›LastenPferd(chen) der Maler‹ (im Niederländi schen und Englischen ist es gleich ein ›Esel‹: ezel bzw. easel), also der zunächst sehr dinglichen Staffelei – mit Leinwand, Palette, Pinseln und Malstock daran –,
69 DAS WERKZEUG IN DER SAMMLUNG
2. André Félibien: Des Principes de l’Architecture, de la Sculpture, de la Pein ture […], Paris 1690 [zuerst 1676], S. 421, Taf. 62; Kupferstich, 18 × 12 cm
ein Objekt werden konnte, das ähnlich dem Flügelpferd dichterischlitera rischer Inspiration, Pegasus, künstlerische Poiesis, außergewöhnliche Geistes kraft und Welterkenntnis zu signalisieren im Stande war. Gezeigt werden soll am vielleicht explizitesten Beispiel des 17. Jahrhunderts, in welchen diskursi ven Rahmen die Werkzeuge des Malers konzeptualisiert und damit eigentlich überhaupt erst ›diskursfähig‹ gemacht werden konnten.
70 ULRICH PFISTERER
3. Cornelis Gijsbrechts: Staffelei, um 1670, Öl auf Holz, 226 × 123 cm, Kopenhagen, Statens Museum für Kunst
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1. Überraschung »Am Ende des SammlungsRaumes befand sich eine Staffelei, auf der ein noch nicht ganz vollendetes Gemälde stand […]. Die Palette und Pinsel des Malers waren dort noch abgelegt. […] Unter der Staffelei hatte jemand ein Gemälde mit der Rückseite nach vorn abgestellt. […] Ich betrachtete das alles genauer aus der Ferne, dann aus der Nähe – ohne irgendetwas besonders Interessantes daran zu finden. Wie grenzenlos war dann allerdings meine Überraschung, als ich ein bezeichnetes Papier hochheben wollte – und bemerkte, dass die gesamte Staffelei mit allen Objekten nur gemalt und aus einem Stück war! Ich befeuchtete mein Taschentuch und rieb als Test damit über die Kreidezeich nung. […] [D]ie Körnung des Papiers, […] die Struktur der Leinwand des umgedreht abgestellten Gemäldes, die Löcher und das Holz der Staffelei – alles war so täuschend echt, daß ich Schreie der Bewunderung ausstieß! Ich hätte liebend gerne 10.000 Francs ausgegeben, um diese Gemälde zu besitzen – es allein war die Mühen der ganzen Reise wert.«8 Diese Beschreibung des Politikers und gelehrten Kunstliebhabers Charles de Brosses von 1739 lässt erahnen, welch’ spektakulären Effekt die Augentäu schung der gemalten Staffelei Gijsbrechts in Kopenhagen zur Entstehungszeit gehabt haben dürfte – ein Täuschungseffekt, der wohl noch überzeugender gewesen war, als an der Staffelei die ehedem herausragende Spitze des Mal stocks und der Lappen zum Abwischen der Pinsel noch nicht abgebrochen bzw. abgearbeitet waren.9 Dabei wird der Moment der Verwunderung und Ent/Täuschung des Auges eben dadurch maximal gesteigert, dass man zunächst ein scheinbar zweitklassiges Gemälde auf einer Staffelei zu erken nen glaubt, an dem der Künstler bis vor kurzem gearbeitet hat – die Farbe auf der Palette ist noch frisch und beginnt nach unten zu laufen. Ein Arbeits Arrangement, das sich dann erst durch die tastende Hand und den ReibeTest dem Betrachter als erstklassiges, weil selbst den Kenner täuschendes Gemäl de zu erkennen gibt.10 Gijsbrechts malte auf der Staffelei also offenbar mit voller Absicht ein ›konventionell‹ scheinendes Stillleben in der Nachfolge Willem Kalfs,11 das bewusst nicht maximale visuelle Täuschungskraft entfal tet, um so den Kontrast zur perfekt täuschenden Staffelei noch zu steigern. In der Folge mussten die Kenner, die zunächst die Darstellung der Früchte abqualifizieren zu können glaubten, eingestehen, dass die selbst sie täuschen de Staffelei als Ganzes den Gipfel der Kunst darstellt. Oder um zwei anderen Kriterien aufzurufen, auf die noch zurück zu kommen sein wird: Während der Betrachter das FrüchteStillleben kritisiert, erliegt er dem Trompel’oeil der Staffelei.12 Die Idee sukzessiver Grade der Täuschung demonstrierte zudem den gelehrten Anspruch von Maler wie Betrachtern: Denn das Täuschungsmanö ver der Staffelei verwies nicht allein auf die klassische Anekdote von den Trauben des Zeuxis und andere ähnliche Berichte der antiken und frühneu zeitlichen Kunstliteratur zurück, es erinnerte daran, dass diese Legenden
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häufig als Steigerung angeordnet waren: Vögel lassen sich durch gemalte Früchte täuschen, Hunde und Pferde – also höhere Tiere – bellen oder wiehern ihre scheinbar lebenden Artgenossen auf Gemälden an; den Höhepunkt bil den dann Bilder, die selbst Menschen und speziell Kunstkenner und Künstler zu täuschen vermögen, oder aber Automaten, also tatsächlich ›belebte‹ Kunst werke.13 Genau dieses Spiel treibt Gijsbrecht mit seiner Staffelei: Während der Betrachter noch glaubt, nicht durch die nur mäßig gemalten Früchte des Zeuxis getäuscht zu werden, ist er bereits in die Falle gegangen und hält die Staffelei für echt. Insgesamt könnte man bei Gijsbrechts auch von einer ›Sinnestäuschung zweiter Ordnung‹ sprechen – und darauf verweisen, dass der Maler dieses Prinzip noch an anderen Beispielen vorführte: So malte er nicht täuschend echte tote Vögel, die vermeintlich an der Wand hängen, sondern eine mit toten Vögeln bemalte Leinwand, die scheinbar an Brettern befestigt ist. Entspre chendes gilt für einige seiner FrüchteStillleben: Nicht das gemalte Obst soll den Betrachter täuschen, sondern dieser glaubt vielmehr, er befinde sich einer Atelierwand gegenüber, wo das eben vollendete Gemälde eines solchen FrüchteStilllebens vom Rahmen abgenommen wird. Selbst die Sicherheit der tastenden Hand stellte Gijsbrechts dadurch in Frage, dass sich die Tür eines seiner gemalten, durch fingierte Glasscheiben ein reiches Innenleben verhei ßenden Kabinettschränke wirklich öffnen lässt – nur um dahinter nichts zu offenbaren!14 Nun hatte Charles de Brosses bei seiner oben zitierten Beschreibung aller dings nicht die Staffelei Gijsbrechts vor Augen gehabt, sondern eine wenig nach dieser gemalte von Antonio Forbera aus dem Jahr 1686, die sich in Frank reich befand (Abb. 4). Allerdings war Forberas Staffelei in unmittelbarer Aus einandersetzung mit derjenigen Gijsbrechts entstanden, wodurch sich die Übertragung hier rechtfertigt. Dies scheinen im übrigen die einzigen beiden Exemplare solcher Staffeleien zu sein, deren Bildträger in entsprechender Form ausgeschnitten wurde und bei denen es sich um Spezialfälle der soge nannten chantournéStücke, silhouettes oder cutouts handelt (anders gestaltet ist eine wiederum etwas spätere Staffelei von Christofor Munari oder Antonio Cioci, heute in Florenz, Museo dell’Opificio delle Pietre Dure).15 Gijsbrechts jedenfalls schuf das erste bekannte Exemplar und mit 2,26 m auch das größte – wer immer sich in Kopenhagen um 1670 dieser gemalten, lebensgroßen Staf felei näherte, hatte noch keinerlei Erfahrung mit solchen Objekten, so dass die Täuschung umso besser funktionieren musste. Allerdings gab es für andere solcher geformten und bemalten Gegenstände bereits eine lange Tradition: Nicht nur für die Theaterbühne existieren seit dem 16. Jahrhundert selbst gedruckte Hinweise für das Herstellen von augentäuschenden Bühnenuten silien. Der als Buch geformte und bemalte Holzklotz, den die Brüder Limburg um 1400 an den Duc de Berry verschenkten, gehört letztlich ebenfalls schon in diese Gruppe.16
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4. Antonio Forbera: Staffelei, 1686, 162 × 95 cm, Avignon, Musée Calvet, Öl auf Leinwand
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2. Einbildung Gegen einen Fuß der Staffelei gelehnt wird dem Betrachter die Rückseite eines weiteren Leinwandgemäldes präsentiert: Da dieses bereits fertig gerahmt ist, dürfte es sich um das vor dem aktuell in Arbeit befindlichen Stillleben voll endete Werk handeln. Die vermeintliche Gemälderückseite täuscht also nicht nur den Betrachter – sie setzt bei ihm einen imaginativen Prozess in Gang, sich auszumalen, was auf der Vorderseite denn gemalt sein könnte: Sie pro voziert und verweist auf ein imaginatives »Begehren des Betrachters«.17 Da zudem die Palette über dieser Leinwand hängt und ihren Schatten darauf wirft, scheint zugleich auf die materiellen Bedingungen für ein solches Werk verwiesen, auf die Leinwand als Bildgrund und auf die Farbmaterie, die sich dann auf der Leinwand zu jedwedem Gemälde konkretisieren kann, mithin auch auf den (Mythos vom) Ursprung der Malerei insgesamt und der auf die ser Staffelei entstehenden Bilder im besonderen. Leinwand und Palette mit frischen Farben signalisieren das unbegrenzte schöpferische Potential der schilderkunst, die – wie schon Boccaccio schreibt – »in Wirklichkeit nur ein wenig kunstvoll auf einer Tafel aufgetragene Farbe ist.«18 Dass diese Gemälderückseite eine Reflexion über Bedingungen und Mög lichkeiten des Bildmediums provoziert, verdeutlicht, dass es hier nicht noch mals nur um Augentäuschung geht, sondern ein neuer Gedanke hinzugefügt wird: Sinnestäuschung und speziell Augentäuschung erfolgt eben nicht vor rangig in den Sinnen, im Auge, sondern in der Imagination des Betrachters, der etwas zu sehen glaubt, aufgrund einer Vorerwartung etwas sehen will oder sich in seiner Phantasie etwas zurecht konstruiert, was nicht wirklich da ist. Dieses Potential der imaginativen Mitarbeit des Betrachters nutzt dabei jeder gute Maler immer für seine Gemälde aus – jede Betrachtung impliziert ein ›NachSchöpfen‹ und imaginatives Evozieren des vom Maler nur partiell vorgegebenen Bildes (vgl. bereits Plinius, nat. hist. 35, 67f.). Gijsbrechts Kon
5. Cornelis Gijsbrechts: Fiktive Gemälderückseite, 1670/72, 66,4 × 87 cm, Kopenhagen, Statens Museum für Kunst, Öl auf Leinwand
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trastierung von genauester Nachahmung und dann dem Entzug des Bildes durch Umkehren der Leinwand scheint ganz explizit auf dieses Argument der ›imaginativen Füllung von Leerstellen‹ und Beteiligung des Betrachters im Erschaffen der Täuschung zu verweisen. Zumindest erwähnt sei, dass Descartes’ Überlegungen zu Optik, Sinnes eindrücken und Erkenntnisbildung seit den 1630er Jahren genau diese Rolle der projektiven Imagination und ihrer Bedeutung bei der Wahrnehmung und deren Täuschung untersuchten und erstmals konsequent herausstellten.19 Damit wird aus Gijsbrecht noch lange kein DescartesIllustrator. Aber in dem durch Descartes und andere abgesteckten Problemhorizont scheint Gijs brechts demonstrative Gegenüberstellung der künstlerischen Produktion auf der Staffelei mit ihren Werkzeugen, der perfekten Mimesis einer täuschenden BildWirklichkeit und der Leistung oder Fehlleistung der Betrachterimagina tion, an die die Leinwand von hinten erinnert, genau solche Diskussionen befördern zu können. Auch diese Zusammenhänge – das Spiel mit Erwartungshaltungen und Imaginationen – erprobt Gijsbrechts noch in anderen Gemälden: Heute am berühmtesten dürfte sein Trompel’œil einer Gemälderückseite sein (Abb. 5), das im übrigen der gleiche Sammler, der auch die Staffelei besaß, erwarb, Christian V.20 Damit die Gemälderückseite als Kunststück funktioniert und ihr gesamtes augentäuschendperformatives Potential entfaltet, darf sie nicht an die Wand gehängt werden, sondern man muss sie sich in einem Samm lungsraum am Boden gegen die Wand gelehnt vorstellen, so dass sich der Betrachter aufgefordert fühlt, das Gemälde hochzuheben und umzudrehen. Diese Aufforderung wird noch dadurch verstärkt, dass im Unterschied zu dem scheinbar gerade produzierten Gemälde an der Staffelei dieses vermeint liche Stück aus einer Kunstsammlung bereits eine mit Siegellack angebrachte Inventarnummer »36« vorzuweisen hat. Festzuhalten ist: Bei Gijsbrechts Staffelei geht es nicht nur um Augentäu schung, sondern zentral auch um Imaginationsleistungen der Betrachter, sich das Tun des Malers, die Handhabung von Pinseln und Farbe an der Staffelei, den Entwurfs und Entstehungsvorgang eines Gemäldes vorzustellen.
3. Apelles – Alexander Der Niederländer Gijsbrechts war 1668 noch vom dänischen König Frede rik III. wohl aus Hamburg nach Kopenhagen geholt worden. Als dann Chri stian V. zwei Jahre später, 1670, mit 24 Jahren auf den Thron folgte, scheint Gijsbrechts Stern nochmals gestiegen zu sein – allein aus diesem ersten Jahr sind fünf Überweisungen für Gemälde des neuen Hofmalers aus der Pri vatschatulle des Königs belegt. Unter den Neuerwerbungen war offenbar das Trompel’œil der Gemälderückseite. Gijsbrechts die Staffelei scheint ebenfalls in diesem Kontext und möglicherweise sogar als Geschenk für den jungen König entstanden zu sein: eine Art Demonstrationsstück seiner Kunst und
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seines zukünftig erhofften oder bereits verwirklichten Verhältnisses zum neuen Herrscher. Im ersten Inventar des Dänischen Schlosses von 1676 ist dann auch die Staffelei ein erstes Mal in den Quellen belegt – im Raum der Gemäldesammlung als »PerspektivKunststück eines FrüchteStilllebens mit Malerwerkzeugen«.21 König und Maler treten jedenfalls auf der Staffelei in unmittelbaren Dia log: Der König ist als kleines MiniaturOvalbildnis präsent – offen bleibt, ob dieses in der Bildfiktion von Gijsbrechts als eben fertig gestellt zu denken ist oder als Vorlage für ein zukünftiges repräsentatives Konterfei. Normalerwei se wären solche Porträts als eine der Hauptaufgaben des »Contreveijers« des Königs zu erwarten, des Hofmalers, als der Gijsbrecht auf dem Brief neben dem Königsporträt angesprochen wird – ein Brief, der zugleich als Signatur fungiert: »Monsieur / Mons Cornelius Gysbrehts / Contreveijer v. Ihr Königl maytt / v. Dennemarken / ggl. in / Coppenh«. Allerdings hat Gijsbrechts offen bar nie ein eigenständiges Bildnis des Königs geschaffen. Der Brief als Signatur und die integrierten Bildnisse sind an sich nicht überraschend. Sie finden sich bei Gijsbrechts und anderen vielfach, wobei zu betonen ist, dass sich Gijsbrechts in anderen Werken durchaus auch selbst im Selbstporträt integrierte.22 Daher lässt sich für die Staffelei präzisieren, dass die hier gewählten Formen der Repräsentation den Erwartungen beider Pro tagonisten an dieses Verhältnis besonders deutlich entspricht: Der König ver langt nach Bildern als Sammler und um mittels künstlerisch herausragender Darstellungen zu seinem ewigen Gedächtnis beizutragen; der Maler erstrebt durch königlichen Erlass dekretierte Gunstbeweise und kann sein Ansehen und seinen Ruhm durch die Tätigkeit für einen so bedeutenden Herrscher ebenfalls symbolisch steigern – ein Gedanke wechselseitiger Abhängigkeit, den bereits Alexander der Große am Grab des Achill formuliert haben soll: Selbst dessen Ruhm bedurfte eines kongenialen Homers.23 Dabei lässt nicht nur das durch diese beiden Requisiten aufgerufene Ver hältnis von Fürst und Hofmaler an das berühmte Vorbild von Alexander dem Großen und Apelles denken. Die gemalte Staffelei selbst evozierte in ihrem performativen Potenzial den Bericht des Plinius und anderer zu Apelles und Alexander: Denn mit die größte Auszeichnung für Apelles war ja, dass Alex ander ihn in seiner Werkstatt besuchte, sich mit ihm dort über Kunst unter hielt und ihm einmal sogar den hinunter gefallenen Pinsel aufhob. Die Gegen leistung des Apelles bestand unter anderem darin, Alexander den Großen so herausragend zu porträtieren, dass dieser in Malerei überhaupt nur noch von Apelles dargestellt werden wollte.24 In dem Moment nun, da Gijsbrechts Staffelei im Kunstkabinett des Königs aufgestellt wurde, veränderte sich schlagartig das Gefüge, die Semantik der gesamten Sammlung. Die Staffelei im Raum transformierte alles in die Werk statt des ›neuen Apelles‹ Gijsbrechts, wodurch auch der König, jedes Mal wenn seine Sammlung betrat, sich in der Rolle eines neuen Alexanders des Großen sah, der seinen Hofmaler besuchte. Wenn auch diese visuelle Umset
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6. Willem van Haecht: Die Werkstatt des Apelles, um 1630, Öl auf Holz, 104,9 × 148,7 cm, Den Haag, Mauritshuis
zung mittels einer fiktiven Staffelei eine ganz neuartige Erfindung darstellte, so war der zugrunde liegende Gedanke weithin bekannt: Willem van Haechts »Werkstatt des Apelles« kann vor Augen führen, dass man sich den Arbeits platz des Apelles offenbar genau so als Galerieraum vorstellen konnte (Abb. 6).25 Und ein 1667 vom Kölner Ratsherrn Franz von Imstenraedt angelegtes Inven tar seiner Sammlung, das er an den Kaiser verkaufen wollte, heißt nicht nur bereits im Titel: ICONOPHYLACIVM SIVE ARTIS APELLEAE THESAVRA RIVM – also »Schatzhaus der ApellesKunst«. Vor und Schlusswort bemühen ausführlich alle hier relevanten Topoi zu Apelles und Alexander dem Großen – so heißt es etwa schmeicheln zum Kaiser als dem neuen Alexander: »kein anderer Maßstab sollte in Bezug auf diese Malkunst angelegt werden als Dein Urteil, […], der Dir Apelles vertraut ist, die Farbe des Apelles, seine Zeich nung, seine Handschrift. Du mögest Dich als großer Gönner zeigen, als größ ter Mäzen seiner Kunst, deren Pflege sich die berühmtesten Heroen immer angelegen sein ließen, mit der sie schon immer die Privaträume ihrer Resi denzen ausstatteten.«26 Die Staffelei als Gabe Gijsbrechts für den König wäre also einerseits als dauernde Erinnerung an diesen zu verstehen gewesen, dass er seinen ApellesHofmaler auch entsprechend zu behandeln habe – zugleich wäre freilich auch dem König in besonderem Maße geschmeichelt, der sich nicht nur mit Alexander dem Großen verglichen sah, sondern auch seine Kunstsammlung als Ort, an dem wie in der Antike unter Alexander ein Gipfel der Kunst erreicht war. In letzter Konsequenz wird Kopenhagen durch Gijs brechts Staffelei geradezu als ›neues Athen‹ und Kunstzentrum Europas pro klamiert.27
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4. Gattungsstreit Von einigen Frühwerken abgesehen, hat Gijsbrechts offenbar keine eigenstän digen FrüchteStillleben gemalt, insbesondere nicht für Christian V. Dennoch präsentiert sich der »Contreveijer« des Königs seinem neuen Herrn erstaun licherweise mit dieser scheinbar nicht nur für ihn wenig zutreffenden Gat tung, sondern auch mit der oder einer der niedrigsten Gattungen in der Hie rarchie der Bildthemen überhaupt – wozu das kleine Königsporträt auf der Staffelei als eine der höchsten malerischen Aufgaben zudem seltsam kontras tiert. Die Entscheidung, auf der Staffelei ein FrüchteStillleben darzustellen, rekurriert zunächst zweifellos auf die Tradition der Trauben des Zeuxis, da eben Fragen der Augentäuschung seit der Antike an täuschend echt gemalten Früchten festmacht wurden. Allein das dürfte kaum der einzige Grund für die Auswahl sein, denn wie ein Blick auf die Staffelei des Antonio Forbera oder aber eine Atelierwand von Gijsbrechts selbst aus dem Jahr 1668 mit inte grierten Beispielen für Landschaft, Genre, Stillleben und Porträt zeigt, hätten sich durchaus auch noch andere Bildgattungen einbringen lassen.28 Zu vermuten ist vielmehr, dass mit der Staffelei auch eine programma tische Gegenposition zu der sich just in diesen Jahren verfestigenden Gat tungshierarchie der Malerei formuliert werden sollte. Unmittelbar zuvor, 1668, waren die Conférences de l’Académie royale erscheinen, mit deren Druck legung die Pariser KünstlerAkademie autoritativ das Stillleben als niedrigste malerische Leistung festlegen wollte. Samuel van Hoogstratens Inleyding tot de Hooghe Schoole der Schilderkonst von 1678 wartet dann mit einer eigenstän digen Begründung dieser Stufung (»dryderley graden der konst«) auf.29 Gijs brechts Staffelei könnte als unmittelbare Reaktion auf die Conférences und diese Vorstellung einer Rangfolge verstanden werden, die zugleich die Unab hängigkeit seiner aus anderen Bildtraditionen gespeisten Malerei (und wohl damit auch der diese ›nichtklassische‹ Kunstrichtung schätzenden Connais seure in Dänemark) von Frankreich betont hätte. Bewertet man – so scheint das Argument – allein die nachahmende Leistung und malerische Faktur, dann vermögen Stillleben, Genre oder Landschaft genauso Herausragendes wie Historienmalerei und komplexe Allegorien.30 Als zusätzlichen Beleg für diese Deutungsperspektive sei erneut auf Anto nio Forberas 1686 in Frankreich gemaltes Exemplar verweisen, das in unmit telbarer Auseinandersetzung mit Gijsbrechts Vorbild entstanden ist (Abb. 4). Forbera machte den Gattungsstreit, den er offenbar bereits bei Gijsbrechts als ein Thema erkannt hatte, zur Hauptaussage seiner Version: Im Unterschied zu der perfekt imitierten RötelVorzeichnung und den Landschaftsstichen, im Unterschied auch zu dem kleinen GenreGemälde mit trinkenden Bauern rechts ist das vermeintliche Hauptbild eine – wie ja schon Charles de Brosses in seiner eingangs zitierten Beschreibung konstatiert hatte – schwache (und zudem seitenverkehrte) Kopie ausgerechnet von Nicolas Poussins Gemälde
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»Das Reich der Flora«, also einem der Hauptwerke des Begründers und ›Über vaters‹ der intellektualisierten französischen Historienmalerei und Namens gebers des kunsttheoretischen Lagers der Poussinisten.31 Durch diese Kon trastierung will auch Forbera – ähnlich wie Gijsbrechts – vermittels der minderwertigen Ausführung des Historiengemäldes darauf hinweisen, dass eben nicht das Thema, sondern allein die künstlerische, mimetische Faktur, wie sie Zeichnung, Druckgraphik und Genre zeigen, für die Qualität entschei dend sind. Beide Staffeleien dürften aber auch noch in anderer, terminologischer Hin sicht auf die aktuellen Gattungsdiskussionen reagieren. Zwar war in ganz Europa die Begrifflichkeit für Gemälde in der Nachfolge der Trauben des Zeu xis noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allgemein sehr vage und fließend – man redete von »oogenbetreigertje«, vom »tromper les yeux«, »imi tation del natural« und ähnlichem, viel häufiger aber scheint man einfach den Bildgegenstand benannt zu haben: ein Gemälde mit Blumen, mit Früchten, mit JagdUtensilien usw.32 Zu überlegen wäre dennoch, ob Gijsbrechts mit seiner Kontrastierung von FrüchteStillleben und Trompel’œil nicht visuell für eine präzisere Unterscheidung plädierte, die ihn weniger zum Stillleben maler denn zu einem wesentlich kunstvolleren ›Augentäuscher‹ erklären sollte.33 Sei dem, wie es wolle, jedenfalls begann sich in diesen Jahrzehnten im niederländischen Einflussbereich der Begriff stilleven als Oberbegriff für die möglichst naturgetreue Wiedergabe aller unbelebten Gegenstände zu etablie ren. Die frühneuzeitliche Kunsttheorie, die den Anschein von ›Lebendigkeit‹ als eines ihrer höchsten Gebote handelte, 34 musste daraus ein zusätzliches Argument für die Abwertung dieser Malgattung, die das Unbewegte, Ruhig Gestellte, Unbeseelte schon im Titel führte, gewinnen. Allein die Staffeleien Gijsbrechts und Forberas führen nun aber vor, wie solche unbelebten Gegen stände (egal ob als Stillleben oder Trompel’œil verstanden) viel besser als alle Figurenmalerei eben durch ihre täuschende Wirklichkeitsnachahmung per formative Kontexte evozieren können. Oder anders gesagt: Die Staffelei führt vor, wie perfekte Mimesis des Unbelebten, scheinbare Objekte alltäglicher Praxis dazu verwendet werden können, das Kriterium der Lebendigkeit in den Betrachter und den performativen Akt der Betrachtung quasi auszula gern.
5. Das Werk im Entstehen Dass Gijsbrechts Staffelei eine zentrale Rolle für das Kunstverständnis am dänischen Hof spielte, zeigt vielleicht am deutlichsten die Neuordnung der Sammlungen unter Christian V. Das Schloss erhielt einen zweistockigen Gale rieanbau, in dessen Erdgeschoss die Bibliothek untergebracht wurde, im ersten Stock fanden sich dagegen die Gemäldesammlung, die Rüstkammer, Naturalia, technische und wissenschaftliche Instrumente und Geräte sowie Münzen und Medaillen. Das erste, 1690 abgefasste Inventar dieser neuen
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Sammlungsordnung erlaubt es, die Anlage sehr präzise zu rekonstruieren (Abb. 7) – mit einer großen Überraschung.35 Denn der erste Raum, den die Besucher der königlichen Kunstsammlungen nun betraten, wenn sie die Trep pe zum ersten Stock erklommen hatten, war die neu eingerichtete Perspektiv Kammer, die großenteils die Werken Gijsbrechts – und voran die Staffelei – umfasste. Warum aber vor jedem Blick auf die anderen Gemälde, auf die Waffen und Instrumente Perspektiv und AugentäuschungsKunststücke? Tatsächlich scheinen Gijsbrechts wie Christian V. diese Malereien nicht etwa als ›Vorraum‹ für die eigentlichen Sammlungen, sondern als zentrale Eröffnung und Grundbedingung für alles andere verstanden zu haben. Vor stufen für diese Idee finden sich wenig vorher in den Niederlanden, wichtiger Partner Dänemarks, wo zudem Gijbrechts seine Ausbildung durchlaufen hatte. Zunächst einmal gilt es zu betonen, dass das Vermögen zu Täuschen äußerst positiv bewertet wurde. Auf Samuel van Hoogstratens BriefBord von ca. 1670 (Abb. 8) – also genau zeitgleich zu Gijsbrechts Staffelei – rühmt ein eingeklemmtes Gedicht, dass der Maler selbst den »Herrscher der Welt«, offenbar Gott, mit dieser Malerei täuschen könne: »Ihr die [ihr] zweyfelt dass des Zeuxis Meisterhand / Die Vögel hab geteuscht durch flache farbentrau ben, / Dass Ihm die Meisterschaft ein Edler Hand (streyd) kont rauben / Durch Zärtten Pinsels fleiss und weisses Maltgewand / Kommt schau den Hoochstraet an! / Der Herscher aller Weltt / Durch seines Pinsels Kunst / In gleichen irrtuhm fällt. / J. W. Herr von Soebenberch, Wen 16…«36 Daneben
7. Rekonstruktion der neuen Kunstkammer des Kopenhagener Schlosses unter Christian V. auf Grundlage des Inventars von 1690 (nach Eva de la Fuente Pedersen 2003–2004)
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8. Samuel van Hoogstraeten: Briefbord, um 1670, Öl auf Leinwand, 63 × 79 cm, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle
zeigt prominent die Hoogstraten vom Kaiser verliehene Ehrenkette, dass der weltliche Herrscher großen Gefallen an dieser Täuschung hat, sie wertschätzt und belohnt. Warum ein weltlicher Herrscher so reagiert, kann ein Blick in die sehr populären, wenig früheren Schriften des Johan de Brune d. J. verste hen helfen. Dort heißt es etwa: »Es ist schwieriger, durch Täuschung als durch physische Gewalt etwas zu verlieren; wie es umgekehrt aber auch besser ist, durch Intelligenz als eben durch solche physische Gewalt etwa zu erringen.«37 Täuschung – hier fast synonym mit Intelligenz – ist der bessere Weg, seine Interessen durchzusetzen. Die Fähigkeiten zur Täuschung und zur Entdec kung der Täuschung werden so auch auf der politischen Bühne und für den Herrscher zu zentralen Eigenschaften. Bei de Brune heißt es an anderer Stelle zudem, dass schon Plutarch und Gorgias den Täuschenden, ja selbst auch den Getäuschten für klüger erachtet hätten als diejenigen, die überhaupt keine Täuschung kennen: »Dies gilt auch für die Malerei, denn sie liefert angenehme und harmlose Täuschungen. Denn erhellt und entzückt nicht das Staunen über Dinge, die wir für wirklich existent halten, es aber nicht sind, unseren Geist?«38 Die PerspektivKammer als Auftakt zu den Sammlungen Christians V. und insbesondere auch die Staffelei dort hätten also jedem Besucher signali
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9. Bendix Grodt schulling d. Ä. und d. J.: Vexierporträt Christians V., um 1685, Öl auf Holz (mit originalem Rahmen), 86 × 57 cm, Schleswig, Sammlungen Schloß Gottorf
siert, dass der König sich mit dieser Kunst der Täuschung beschäftigt und sie letztlich souverän beherrscht. Das beste PerspektivKunststück und die beste naturnachahmende Augentäuschung werden so tatsächlich zum Ausweis des perfekten Herrschers, der das Sichtbare ordnen und durchschauen kann.39 Das Versprechen Gijsbrechts an Christian V. mit der Staffelei bestand also nicht nur darin, Kunstblüte mit Herrschaftsblüte in Verbindung zu bringen, sondern Gijsbrechts souveräne Einsicht in die Mechanismen der Wahrneh mung, Darstellung und Täuschung machten ihn zur idealen Ergänzung für den Herrscher und dessen Kenntnis der WeltWahrnehmung. Eine spektaku läre Bestätigung findet diese Deutung schließlich in einem wohl eineinhalb Jahrzehnte später, um 1685, entstandenen Vexierporträt des Königs, auf dem der Monarch überhaupt erst durch Augentäuschung zum Erscheinen kommt (Abb. 9):40 Angefertigt von Vater und Sohn Bendix Grodtschulling, die beide auch entscheidend mit der Ausstattung bzw. Verwaltung der Sammlungen betraut waren, besteht dieses Bildnis scheinbar aus einer Porträttafel, auf der allein die Mutter Christians in der Mitte umgeben von den männlichen Vor fahren zu sehen ist. Erst der Blick durch ein Prisma spiegelt Gesichtsteile der männlichen Vorfahren so zusammen, daß sich daraus wundersam das Porträt des Königs ergibt und die eigene Mutter dahinter vollkommen verschwindet. Christian V. präsentiert sich auch hier als Beherrscher des Sichtbaren, der zugleich seine Abstammung und das ›Überstrahlen‹ der Vorfahren themati siert.
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10. Cornelis Gijs brechts: Staffelei, Detail, um 1670, Öl auf Holz, Kopenhagen, Statens Museum für Kunst
Aber zurück zur Staffelei: Tritt man abschließend noch einmal nahe vor das fiktive Stillleben mit Früchten, Pokal und Glas und betrachtet es inten siver, gibt man sich also noch einmal Mühe mit dieser auf den ersten Blick populären ›Standardkomposition‹ im Stile Kalfs, dann wartet dieses Früchte Stillleben mit der vielleicht größten Überraschung der Staffelei auf (Abb. 10). Denn im dunklen Hintergrund zeichnen sich sukzessive die Andeutungen eines weiteren solchen Stilllebens mit Trauben, Pfirsichen, Feigen und ande rem in einer Schale ab – und nicht nur das, man glaubt auch rahmende Profile zu erkennen, die im dunklen Grund die gesamte Bildfläche an allen vier Sei ten umgeben. Zweierlei ist gleich vorab auszuschließen: Es handelt sich hier mit Sicher heit nicht um frühere, übermalte Malschichten, die im Laufe der Jahrhunderte durch die endgültige Farboberfläche durchgeschlagen sind. Der Erhaltungs zustand der Maloberfläche – Öl auf Holz – ist annähernd perfekt, alles war so gleichzeitig von Gijsbrechts gemalt und gewollt, höchstens der Hintergrund dürfte ein klein wenig nachgedunkelt sein.41 Und ebenfalls auszuschließen ist eine gemalte Spiegelung im Bild, bei der der Marmortisch mit seinem Früch teAufbau im dunklen Marmorhintergrund schwach nochmals zu sehen wäre: Die dargestellten Früchte und Objekte sind ganz andere, der Winkel der Spie gelung wäre kaum zu erklären usw. Es bieten sich drei andere Erklärungsmöglichkeiten für dieses bislang nicht kommentierte Phänomen an, die freilich je für sich nicht vollständig überzeu
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gen. Die naheliegendste müsste argumentieren, dass das Stillleben noch nicht vollendet ist; der Maler hätte seinen Arbeitsprozess nur unterbrochen, die Palette mit der frischen Farbe nur kurz an die Staffelei gehängt. Eigentlich sollte um das Stillleben noch ein gemalter schwarzer Rahmen kommen, der die fiktionalen Qualitäten des Gemäldes erhöht hätte, ähnlich den Rahmen um Gijsbrechts gemalte Steckbretter – und im Hintergrund wäre eben noch das FrüchteEnsemble ergänzt worden. Das könnte mit Blick auf den Rahmen einigermaßen überzeugen; die Früchte ergäben dagegen eine seltsam unaus gewogene Gesamtkomposition mit einem starken Übergewicht rechts. Außer dem scheint auch das Vorgehen, den Vordergrund fast fertig zu malen und dann erst entscheidende Ergänzungen im Hintergrund auf einer bereits dun kel überstrichenen Fläche zu ergänzen, kaum der zeitgenössischen Malpraxis zu entsprechen. Alternativ wäre darüber zu spekulieren, dass Gijsbrechts ganz bewusst so tun wollte, als sei bei dem Stillleben auf der Staffelei eine ältere, bereits bemal te Leinwand zweitbenutzt worden und als wäre deren ältere Darstellung noch schwach unter der Übermalung des Hintergrundes zu erkennen. Gijsbrechts hätte dann ein künstliches Palimpsest gemalt. Eine solches Einbringen von Zeitlichkeit würde zunächst einmal auf die weitverbreitete Idee der Vergäng lichkeit aller Kunst, allen Ruhmesstrebens und überhaupt allen Irdischen verweisen.42 Spezifischer würde die gemalte Übermalung aber auch auf die Tradition(en) ›hinter‹ dem Bild verweisen und damit ein weiteres kunsttheo retisches Problem zur Anschauung bringen: Dass nämlich selbst Stillleben, die wie keine andere Bildgattung vorgeben, nichts als unmittelbare Abschil derungen der Wirklichkeit unmittelbar vor den Augen des Malers zu sein, nie voraussetzungslos entstehen können, dass vielmehr alle Malerei zunächst immer die eigene Tradition reproduziert (anders gesagt: diskutiert wird das Verhältnis und die genaue Vorgehensweise von imitatio naturae und imitatio auctorum).43 Zugegeben: Diese innerbildliche Thematisierung der an sich ge läufigen Praxis der Zweitverwendung von Leinwänden wäre ein absoluter Sonderfall. Immerhin lässt sich aber darauf verweisen, dass das Interesse am Entstehungsprozess eines Werks und sein nonfinito im 17. Jh. auch außerhalb Italiens bereits Konjunktur hatten: vom Titelblatt zu Raffaele Gualterottis heroischem Epos L’Universo ovvero Il Polemidoro, gedruckt Florenz 1600, dessen bewusst unvollendeter Zustand auf mehreren Ebenen den Entstehungspro zess der Dichtung kommentieren soll (zunächst, daß Gualterotti bei dieser ersten Publikation noch nicht alle Gesänge fertig vorlegen konnte), bis hin zu Velazquez’ Bildnis des Bildhauers Montañez mit auffällig unfertigem Tonmodell.44 Für die Niederlande lässt sich auf David Baillys rätselhaftes »Porträt eines Malers mit Vanitassymbolen« (1651, heute Leiden, Städtisches Museum De Lakenhal) verweisen, in dem ein seltsam schattenhaft an der Rückwand erscheinender Frauenkopf ähnliche, letztlich wohl auch schon vom Maler intendierte Verunsicherungen bei Betrachtung und Deutung hervor ruft.45
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11. Cornelis Gijsbrechts: Atelierwand, 1668, Kopenhagen, Statens Museum für Kunst, Öl auf Leinwand, 152 × 118 cm
Schließlich ließe sich überlegen, ob Gijsbrechts nicht zudem ganz bewusst in seine auf den ersten Blick so perfekte Augentäuschung ein erst langsam erkennbares, dann freilich in keiner Deutung vollkommen aufgehendes Moment der Verunsicherung, Brechung bzw. Kontingenz einbauen wollte. Das Verhältnis von Wirklichkeit, Wahrnehmung und Darstellung wäre damit auf einer noch grundlegenderen Ebene problematisiert. Zum Glück müssen diese Schwierigkeiten für die hier verfolgte Haupt argumentation gar nicht entschieden werden. Entweder will Gijsbrechts bewusst machen, dass das Stillleben auf der Staffelei durch zusätzliche De tails wie einen gemalten Rahmen noch an Täuschungskraft hätte gewinnen können, er verweist dann quasi auf die ›ParaElemente‹ der Täuschung. Oder aber Gijsbrechts will wirklich thematisieren, dass kein Gemälde aus unmit telbarer Naturbeobachtung, sondern immer auch auf der Grundlage älterer Gemälde entsteht, diese um und ›über‹malt, sich so vor eine Tradition setzt, die in einem nächsten Zeitschritt dann wiederum dieses Gemälde selbst über winden wird. Dann verwiese Gijsbrechts über die PalimpsestStruktur auf den Stellenwert von Tradition, Neuheit und Vergänglichkeit in der Malerei.
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Möglicherweise ist diese Unentschiedenheit zwischen NochNicht und NichtMehr sogar gewollt. Ein wenig früheres Bild Gijsbrechts mit dem Aus schnitt einer Atelierwand scheint eine ähnliche temporale Ambivalenz zu entfalten, deren Bezüge hier nur angedeutet werden können (Abb. 11):46 Auf einem der kleinen Ovalbildnisse ist der oder die Darzustellende noch ausge spart, der Bildträger vermeintlich nur vorbereitet, das Bildnis aufzunehmen. Andererseits zwingt die fertig bemalte Leinwand im Bild mit ihrer Vanitas Thematik dazu, über Vergänglichkeit und das Auslöschen von Bildern nach zudenken – wenn das ausgesparte Ovalbildnis nicht selbst schon Assoziati onen an eine verblassende Vera Icon erweckt hat. Bei aller Mahnung und Selbstreflexion dürfte der Maler jedoch in letzter Konsequenz hoffnungsvoll andeuten wollen, dass er mit den Materialien und Werkzeugen seiner Gedächtnis sichernden Kunst für beide Herausforderungen das Hilfsmittel parat hat.47 In jedem Fall handelt es sich bei dem Gemälde auf Gijsbrechts Staffelei um ein Werk im Entstehen. Der Prozess seiner Herstellung ist noch nicht abge schlossen – in dieser Pause tritt der Herrscher heran. Die Aufforderung dabei scheint nun wiederum eindeutig: Der Herrscher soll ermöglichen, dass der Maler dieses Werk fertig stellen kann. Das größte Versprechen und die größ te Herausforderung von Gijsbrechts Staffelei scheint so, dass sie nur zusam men mit dem König Christian V. vollendet werden kann. Das zu Anfang der Herrschaft übergebene Werk wäre eine gelehrtpanegyrische Aufforderung, diese ideale Zusammenarbeit im Stile von Apelles und Alexander fortzuset zen. Auch bei diesem Spiel mit dem Mäzen vor dem Werk wäre Gijsbrechts im übrigen im 17. Jahrhundert in bester Gesellschaft: von Nicolas Regniers Selbstbildnis beim Malen eines Porträts bis hin zu Velazquez’ Las Meninas, die den Bildübergreifenden Dialog mit Philipp IV. vorführen und deren Grund konstellation sich ebenfalls mit dem Modell ApellesAlexander fassen läßt. Zusammenfassend: Gisbrechts zielt mit seiner perfekt mimetischen Staffelei nur auf der ersten Verständnisebene auf die staunende (Ent)Täuschung des Auges. Bei näherer Betrachtung werden die kreativen Bedingungen und Pro zesse des malerischen Schaffens und die Wirkweisen des Werkes im Wech selspiel zwischen Mäzen, Maler und Betrachter thematisiert. Dabei erreicht die maximal gesteigerte demonstrative SelbstAusstellung der Materialien, Werkzeuge und Arbeitsprozesse des Malers, dass diese hier für den Betrach ter als unverzichtbares Fundament des kunsttheoretischen Diskurses erschei nen. Die zentrale Aussage der Staffelei wird dabei durch den Kontext und das performative Potenzial ihrer zwei Aufstellungsorte unter Christian V. noch deutlicher: Im ersten Kunstkabinett verwandelte sie den Sammlungsraum in die Werkstatt des Apelles. In der zweiten Aufstellung präsentierte sich die PerspektivKammer als Schlüssel zum Weltverständnis des Königs insge samt. Mit seiner so verstandenen Staffelei hätte Gijsbrechts im übrigen sogar Apelles und hätte Christian V. den großen Alexander übertroffen: Denn Alex
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ander hatte dem Apelles nur den Pinsel aufgehoben, war aber für seine unqualifizierten Bemerkungen zu den praktischen wie theoretischen Erfor dernissen der Malerei selbst von den Werkstattburschen des Apelles verlacht worden.48 Gijsbrechts dagegen verlangte von Christian V. und gestand ihm zugleich rühmend zu, sich eingehend mit dem ›Pinselwerk‹, dem malerischen Arbeitsprozess also, auseinander zu setzen, um hinter der mimetischen Ober fläche die eigentliche Kunst der Täuschung und die Bedingungen der Welt wahrnehmung zu verstehen.
* Für Hinweise und Hilfe danke ich sehr An dreas Beyer, Frank Fehrenbach, Karin Gludo vatz, Matthias Krüger, WolfDietrich Löhr, Hella und Rudolf Preimesberger sowie Valeska von Rosen. 1 Vgl. Filippo Baldinucci: Vocabolario Toscano dell’arte del disegno, Florenz 1681, ss.vv. Im Vocabo lario degli Academici della Crusca, Venedig 1612, S. 166, der cavalletto noch nicht speziell für die Ma lerstaffelei definiert: »si dice a ogni strumento da sostener pesi, che sia fatto con qualche similitu dine di cavallo.« – Zur vereinzelten Konzeptuali sierung von KünstlerWerkzeugen und künstle rischer (Hand)Arbeit s. etwa Wolfgang Schmid: Der Renaissancekünstler als Handwerker. Zur Bewertung künstlerischer Arbeit in Nürnberg um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Gerhard Jaritz (Hg.): Wert und Bewertung von Arbeit im Mit telalter und in der frühen Neuzeit. Festschrift für Er wig Ebner zum 65. Geburtstag, Graz 1995, S. 61–150; Tanja Michalsky: Der Reliefzyklus des Florenti ner Domcampanile oder die Kunst der Bildhau er, sich an der Heilsgeschichte zu beteiligen, in: Ursula Schaefer (Hg.): Artes im Mittelalter, Berlin 1999, S. 334–343; Michael W. Cole: »Am Werk zeug erkennen wir den Künstler«. Waffen und Wappen in der Zeit Cellinis, in: Alessandro Nova u. Anna Schreurs (Hg.): Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, Köln u. a. 2003, S. 39–58; Britta KuschArnold: Zur Bedeutung der Praxis für die künstlerische virtus, in: Joach im Poeschke u. a. (Hg.), Die Virtus des Künstlers in der italienischen Renaissance, Münster 2006, S. 173– 195; Thomas Rohark: Die Bewertung des Hand werks in der Frühen Neuzeit in Italien am Bei spiel der Arte del legname, in: Marie L. Allemeyer, Katharina Behrens u. Kathrina U. Mersch (Hg.): Eule oder Nachtigall? Tendenzen und Perspektiven kulturwissenschaftlicher Werteforschung, Göttingen
2007, S. 206–220; Robert Williams: The Artist as Worker in SixteenthCentury Italy, in: Julian Brooks (Hg.): Taddeo and Fedrico Zuccaro. Artist brothers in Renaissance Rome, Los Angeles 2007, S. 94–104; WolfDietrich Löhr: Handwerk und Denkwerk des Malers: Kontexte für Cennino Cenninis Theorie der Praxis, in: Ders. u. Stefan Neppelmann (Hg.): Fantasie und Handwerk. Cenni no Cennini und die Tradition der toskanischen Male rei von Giotto bis Lorenzo Monaco, Ausst.Kat. (Ber lin, Gemäldegalerie), München 2008, S. 153–177; Nicola Suthor: »Il pennello artificioso«. Zur In telligenz der Pinselführung, in: Helmar Schramm u. a. (Hg.): Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahr hundert, Berlin u. a. 2006, S. 114–136. Bronzinos Capitolo del Pennello arbeitet primär mit der sexu ellen Metaphorik des Pinsels; vgl. Deborah Par ker: Bronzino. Renaissance Painter as Poet, Cam bridge u. a. 2000, S. 24–28; Annette de Vriesa: The Hand of the Artist. Reflections on the notion of techne in some Antwerb gallery paintings by Frans II Francken and his circle, in: Intellectual History Review 20, 2010, S. 7–101. 2 Wohl bestes Beispiel dafür ist die Publika tion von Domenico Fontana: Del modo tenuto nel trasportare l’obelisco vaticano […], Rom 1590. Zu den Nova Reperta des Giovanni Stradano und anderen Texten und Bildern seit dem späten 16. Jahrhunderts, in denen etwa die Erfindung der Ölmalerei als Fortschritt der Bildkünste ge feiert wird, siehe Ulrich Pfisterer: Die Erfindung des Nullpunktes. Neuheitskonzepte in den Bild künsten, 1350–1650, in: Ulrich Pfisterer u. Ga briele Wimböck (Hg.): Novità – Neuheitskonzepte in den Bildkünsten um 1600, Berlin 2011, S. 7–81. – Vgl. insgesamt auch Hans Holländer (Hg.): Er kenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bild geschichte von Naturwissenschaften und Technik vom
88 ULRICH PFISTERER 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2000; Schramm 2006 (wie Anm. 1); Jonathan Sawday: Engines of the Imagination. Renaissance Culture and the Rise of the Machine, London u. New York 2007. 3 Zu den vielfältigen Aspekten dieser Forma lisierung und Theoretisierung von Wissensbe reichen jüngst die ausgezeichnete Zusammen fassung von Pascal Dubourg Glatigny u. Hélène Vérin: La réduction en art, un phénomène culturel, in: dies. (Hg.): Réduire en art. La technologie de la Renaissance aux Lumières, Paris 2008, S. 59–94, vgl. auch die dort folgenden Einzeluntersuchungen. 4 Vgl. etwa Katja Kleinert: Atelierdarstellungen in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahr hunderts. Realistisches Abbild oder glaubwürdiger Schein?, Petersberg 2006; Frédéric Gaussen: Le peintre et son atelier. Les refuges de la création, Paris, XVIIe–XXe siècles, [Paris] 2006; zur Hochschät zung der handwerklichen Komponente ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Babette Bohn: Female selfportraiture in early modern Bologna, in: Renaissance Studies, 18, 2004, S. 239–286, vor allem S. 243–248; Celeste Brusati: Stilled Lives. SelfPortraiture and SelfReflection in Seven teenthCentury Netherlandish StillLife Paint ing, in: Simiolus, 20, 1990/1991, S. 168–182; Achim Stanneck: Ganz ohne Pinsel gemalt. Studien zur Darstellung der Produktionsstrukturen niederländi scher Malerei im SchilderBoeck von Karel van Man der (1604), Frankfurt a.M. 2003. – Zum größeren Kontext auch James S. Amelang: The Flight of Ica rus. Artisan autobiography in early modern Europe, Stanford 1998; Pamela H. Smith: The Body of the Artisan. Art and experience in the scientific revolu tion, Chicago u. a. 2004. 5 Zum Einsatz der Staffelei siehe die Beispiele in Hermann U. Asemissen u. Gunter Schweik hart: Malerei als Thema der Malerei, Berlin 1994. – Zum Strafgerät [Thomas Corneille]: Le Grand Dictionnaire des Arts et des Sciences, Paris 1696, Bd. 3 [das ist eigentlich Bd. 1], S. 124 ; bei Pierre Lebrun: Recueuil des Essaies des Merveilles de la Peinture [Manuskript 1635, der Abschnitt zur Malerei publiziert von Mary Ph. Merrifield: Ori ginal Treatises, dating from the XIIth to the XVIIIth centuries, on the Arts of Painting, London 1849, Bd. 2, S. 757–841, hier S. 770f.], wird als synonyme Bezeichnung für Staffelei auch ›Schaffot‹ (im Sinne von ›Gerüst‹) aufgelistet: »L’Estodi, l’escha faux ou chevallet du peintre, c’est sur quoy on posse les tabelaux pour travailler.«
6 Vgl. eine partielle Zusammenstellung rele vanter Publikationen der Frühen Neuzeit bei Silvia Bordini: Materia e immagine. Fonti sulle tec niche della pittura, Rom 1991. – Nicht bestritten werden soll, dass es eine kontinuierliche, teils handschriftlich überlieferte Tradition von Werk statt und Rezeptbüchern gab (vgl. Johannes A. van de Graaf: Het De Mayerne manuscript als bron voor de schildertechniek van de barok, Mijdrecht 1958) und dass insbesondere neue oder kompli zierte Techniken nach Anleitungen verlangten (vgl. etwa die Publikationen von Abraham de Bosse; dazu Ad Stijnman: Kupferstecher bei der Arbeit. Bildliche Quellen zu Stellung von Kup ferstechern im Vergleich zu Malern, Bildhauern und Architekten vor Abraham Bosses Traicté des manieres de graver en taille douce sur l’airin (1645), in: Markus A. Castor u. a. (Hg.): Druckgraphik. Zwischen Reproduktion und Invention, Berlin u. München 2010, S. 261–290). Im 17. Jahrhundert finden sich Ausführungen zu Malerwerkzeugen und speziell zur Staffelei aber selbst in gelehrten lateinischen Abhandlungen wie Iulius Caesar Bulengerus: De pictura, plastice, statuaria libri duo, Lyon 1627, S. 48f. (wobei es hier vor allem unter philologischantiquarischem Interesse um die antiken Begriffe für ›Staffelei‹ geht) oder Johan nes Schefferus: Graphice, id est de arte pingendi, Nürnberg 1669, S. 89f. (§ 25 »Instrumenta servi entia huic arti …«); außerdem bei Lebrun 1635 (wie Anm. 5); William Salmon: Polygraphice …, London 1672, S. 3–6, 87–91 usw.; John Smith: The Art of Painting, London 1676, S. 5f. (im Chap. I. »The Description and Use of the Several Tools used in and about the Art of Painting”); André Félibien: Des Principes de l’Architecture, de la Sculp ture, de la Peinture […], Paris 1676, S. 414f. (mit Ab bildungen); [Roger de Piles:] Les premiers elements de la peinture pratique, Paris 1684, S. 66–69; erst 1730 gedruckt erschien Philippe de la Hire: Trai té de la pratique de la peinture, in: Memories de l’Academie Royale des Sciences. Depuis 1666 jusqu’à 1699, Paris 1730, Bd. 9: Œuvre diverses de M. de la Hire, S. 637–730, hier S. 683–695 das Kapitel »Des Outils necessaires à un peintre« (S. 686 zum che valet). – Wenig zur Konzeptualisierung bei Ho ward Dawes: Instruments of the Imagination. A hi story of drawing instruments in Britain, 1600–1850, [Pershore] 2009.
89 DAS WERKZEUG IN DER SAMMLUNG 7 Eine exponierte Stellung als (paradoxer) Höhe und Endpunkt der ›Selbstbewußtwerdung des frühneuzeitlichen tableaux‹ wird Gijsbrechts erstmals zugesprochen bei Victor I. Stoichita: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metama lerei [L‘instauration du tableau. Métapeinture à l‘aube des temps modernes, Paris 1993], Mün chen 1998, vor allem S. 299–312, der allerdings auf die Staffelei nicht eingeht. – Zu Leben und Werk des Malers insgesamt wichtig Poul Gam melbo: Cornelius Norbertus Gijsbrechts og Fran ciskus Gijsbrechts, in: Kunstmuseets Årsskrift, 49–52, 1952–1955, S. 125–156, speziell zur Staffelei hier S. 148 (Kat. 23); Michael Braun: Cornelis Nor bertus Gijsbrechts und Franciscus Gijsbrechts, Diss. FU Berlin 1994 [Microfiches]; Olaf Koester (Hg.): Illusions. Gijsbrechts. Royal Master of Deception, Ausst.Kat. (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst), Kopenhagen 1999; ders.: Painted Illusions. The Art of Cornelius Gijsbrechts, Ausst.Kat. (Lon don, National Gallery), London 2000, zur Staffe lei hier S. 52–54; Juliette Roding: Tekst en beeld in het trompel’œil van Cornelis Norbertus Gijsb rechts. De ›perspectiefkamer‹ van Frederik III en Christiaan V van Denemarken uit de periode 1668–1672, in: Karel Bostoen, Elmer Kolfin u. Paul J. Smith (Hg.): ›Tweelinge eener dragt‹. Woord en beeld in de Nederlanden (1500–1750), Hilversum 2001, S. 275–297, zur Staffelei hier S. 291f.; vgl. fer ner zur Staffelei Sybille EbertSchifferer (Hg.): Deceptions and Illusions. Five Centuries of Trompe l‘Oeil Painting, Ausst.kat. (Washington, National Gallery of Art), Washington 2002, S. 45; Roland Recht: Le lieu privé du peintre. Autoportraits et ateliers comme configurations du champ de l’art, in: Studiolo, 8 (2010), S. 9–37, zu Gijsbrechts’ Staf felei hier S. 24f; Sybille EbertSchiffer: Der Dur chblick und sein Gegenteil. Malerei und Täus chung, in: Bärbel Hedinger (Hg.): Täuschend echt: Illusion und Wirklichkeit in der Kunst, Ausst.Kat. (Hamburg, Bucerius Kunstforum), München 2010, S. 16–23, hier 19f. 8 Charles de Brosses: Lettres familières sur l’Italie, hg. v. Yvonne Bezard, Paris 1931, S. 15–17. 9 Koester 2000 (wie Anm. 7), S. 52. 10 Zum Problem sicherer Erkenntnis durch den Tastsinn siehe Hans Körner: Die enttäuschte und die getäuschte Hand. Der Tastsinn im Pa ragone der Künste, in: Klaus Krüger, Rudolf Preimesberger u. Valeska von Rosen (Hg.): Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des
Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, Mün chen u. Berlin 2003, S. 221–241. 11 Kalfs zahllose Stillleben mit Marmorti schen vor dunklem Grund und ähnlich angeleg ten Stilllebenelementen aus Pokal, Tischtuch, halbgeschälten Früchten usw. wurden seit der Mitte der 1650er Jahre weithin rezipiert, vgl. nur die Beispiele in Jeroen Giltaij (Hg.): Gemaltes Licht. Die Stilleben von Willem Kalf, 1919–1693, Ausst.Kat (Rotterdam, Museum Boymans van Beuningen; Aachen, SuermondtLudwigMuse um), München u. Berlin 2007; insgesamt Sybille EbertSchifferer: Die Geschichte des Stillebens, München 1998. 12 Zum Kontext für Gijsbrechts Augentäu schungen siehe vor allem Miriam Milan u. Ma gali Philippe (Hg.): Le TrompeL’Oeil. Plus vrai que nature?, Ausst.Kat. (BourgenBresse, Musée de Brou), Versailles 2005; Hanneke Grootenboer: The Rhetoric of Perspective. Realism and Illusionism in SeventeenthCentury Dutch StillLife Painting, Chicago u. London 2005; außerdem Susanne Schwertfeger: Das niederländische Trompel’oeil im 17. Jahrhundert. Studien zu Motivation und Aus druck, Diss. Kiel 2005 [http://deposit.dnb.de/ cgibin/dokserv?idn=980897629]; Gottfried Boehm: Die Lust am Schein im Trompel’œl, in: Hedinger 2010 (wie Anm. 7), S. 24–29. 13 Vgl. etwa Valerius Maximus: Facta et dicta mirabilia VIII, 11, Ext. §4; Marsilio Ficino: Opera Omnia, Basel 1576, Bd. 1, fol. 295f. (Theologia Plato nica XIII, 3); Lodovico Celio Ricchieri: Lectionum antiquarum libri XXX, Venedig 1516, fol. 38f. (II, 38); Cornelis de Bie: Het Gulden Cabinet van de Edel Vry Schilderconst, Antwerpen 1661 [1662], S. 29. Bemerkenswerterweise kehrt Jan Vos die Rei henfolge um und erklärt das Täuschen von Tie ren und sogar Vögeln zur größten Kunst, siehe Gregor J. M. Weber: Der Lobtopos des ›lebenden‹ Bildes. Jan Vos und sein »Zeege der Schilderkunst« von 1654, Hildesheim u. a. 1991, S. 308, Anm. 17. – Insgesamt Stephen Bann: The True Vine. On visual representation and the Western tradition, Cambridge u. a. 1989; Elizabeth C. Mansfield: Too Beautiful to Picture. Zeuxis, myth and mimesis, Min neapolis u. a. 2007. 14 Für diese Gemälde in Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, und Carcassonne, Musée des BeauxArts siehe Koester 1999 (wie Anm. 7), S. 204f. (Kat. 28), S. 142f. (Kat. 2; dort noch ein weiteres Beispiel abgebildet) u. S. 164–167 (Kat. 12),
90 ULRICH PFISTERER wobei die bewegliche Tür auch auf der Rückseite illusionistisch bemalt ist; zum Kabinettschrank auch Grootenboer 2005 (wie Anm. 12), S. 127f. 15 Jacques Wilhelm: Silhouettes and »trompe l’oeil« cutouts, in: Art Quarterly 16, 1953, S. 295– 304; Schwertfeger 2005 (wie Anm. 12), S. 45f.; vor allem aber Günter Herzog: Antonio Forbera’s ›Easel‹, in: Koester 1999 (wie Anm. 7), S. 91–113. 16 Dazu Brigitte Buettner: Past presents. New year’s gifts at the Valois courts, ca. 1400, in: Art Bulletin 83 (2001), S. 598–625. 17 Zu dieser Formulierung und anderen Ima ginationsMöglichkeiten niederländischer Male rei Daniela HammerTugendhart: Kunst der Imagination/Imagination der Kunst. Die Pantof feln Samuel van Hoogstratens, in: Klaus Krüger u. Alessandro Nova (Hg.): Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000, S. 139–153. – Zumindest dar auf hingewiesen sei auch, dass wenig später, 1683, in Giusppe Maria Mitellis Alfabeto in Sogno der Buchstabe ›A‹ auf dem Titelblatt durch eine Staffelei dargestellt wird, an der ein schlafender Maler im Traum die weiteren Bildfindungen von A–Z zu imaginieren scheint, vgl. Hohl, Hanna: Giuseppe Maria Mitellis ›Alfabeto in sogno‹ und Francisco de Goyas ›Sueño de la razón‹, in: Hans W. Grohn u. Wolf Stubbe (Hg.): Museum und Kunst. Beiträge für Alfred Hentzen, Hamburg 1970, S. 109–118. 18 Giovanni Boccaccio: Il Commento alla Divina Comedia, hg. v. Domenico Guerri, Bari 1918, Bd. 3, S. 82 [verfaßt um 1373/74]. 19 Zu Descartes und seiner Relevanz für die Bildkünste Karin Leonhard u. Robert Felfe: Loch muster und Linienspiele. Überlegungen zur Druck graphik des 17. Jahrhunderts, Freiburg i. Br. 2006; Claus Zittel: Theatrum philosophicum. Descartes und die Rolle ästhetischer Formen in der Wissen schaft, Berlin 2009 (jeweils mit weiterer Literatur) – Zu Vorstellungen von optischen Täuschungen und entsprechenden Malereien als Magie vgl. Michael Philipp: »Een recht natuerlijke Schilde ry«. Johannes Torrentius, die Camera obscura und der Augentrug in der niederländischen Ma lerei des 17. Jahrhunderts, in: Hedinger 2010 (wie Anm. 7), S. 30–39. 20 Koester 1999 (wie Anm. 7), S. 206f. (Kat. 29); Stoichita 1998 (wie Anm. 7), S. 299–312; Karin Gludovatz: Visueller Entzug und ästhetische Evidenz. Cornelius Gijsbrechts’ Blick hinter das
Bild, in: Asymmetrien. Festschrift für Daniela Ham merTugendhat, Wien 2008, S. 23–30. 21 H. C. Bering Liisberg: Kunstkammeret. Dets stiftelse og ældste historie, Koppenhagen 1897, S. 168f.: »Udi Schulderi Gemachet«, hier 169: »Tre [Toe] Kamfoore maalet paa Perspectisk. / En frugtstǿche med Contrafejers instrumenter maa lit paa Perspectiv.« 22 Beispiele in Koester 1999 (wie Anm. 7), S. 142f. (Kat. 2), S. 172–175 (Kat. 14) u. S. 212f. (Kat. 32). 23 Die Episode nach Plutarch, Alex. 15. 24 Plinius, nat. hist. 35, 85; das topische und antiquarische Wissen über Apelles zusammen gefasst bei Pierre Dupuy: Histoire des plus illustres favoris anciens et modernes, Leiden 1659, Bd. 1, S. 1–10; Carlo Dati: Vite de pittori antichi, Florenz 1667; Franciscus Junius: The Literature of Classical Art, Bd. 2: A Lexicon of Artists & Their Works […], hg. v. Keith Aldrich, Philipp Fehl u. Raina Fehl, Berkeley u. a. 1991, S. 32–45 (Nr. 98; mit allen Nachweisen zu den antiken Quellen; im Druck erstmals 1698 publiziert). 25 Kurt Wettengl: Kunst über Kunst. Die Ge malte Kunstkammer, in: Ekkehard Mai u. Kurt Wettengl (Hg.): Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, Ausst.Kat. (Mün chen, Haus der Kunst; Köln, WallrafRichartz Museum), München, Köln u. Wolfratshausen 2002, S. 127–141. 26 Lateinischer Originaltext und Überset zung in Jutta Seyfarth: Ein Schatzhaus des Apel les (Iconophylacium). Beschreibung der Bilder sammlung des Kölner Ratsherrn Franz von Imstenraedt, 1667, in: Werner Schäfke (Hg.): Coel len eyn Croyn. Renaissance und Barock in Köln, Köln 1999, S. 157–254, hier vor allem 248f. 27 Zu vergleichbaren Vorgängen und dem Be ginn einer eigenen Kunstliteratur im Schweden der 1660er Jahre siehe Allan Ellenius: De Arte Pin geni. Latin Art Literature in SeventheenthCentury Sweden and Its International Background, Uppsala u. Stockholm 1960. 28 Herzog 1999 (wie Anm. 15); Koester 1999 (wie Anm. 7), S. 172–175 (Kat. 14). – Unbenom men ist auch, dass insgesamt niederländische Gemälde, darunter Stilleben à la Kalf, bei den dänischen Kunstliebhabern dieser Jahre sehr ge fragt waren; vgl. Olaf Koester: Flemish Paintings 1600–1800. Statens Museum for Kunst, Kopenha gen 2000, S. 9–15; für die Verbindung von Lob
91 DAS WERKZEUG IN DER SAMMLUNG und Mahnung Martin Warnke: Laudando praeci pere. Der Medizinzyklus des Peter Paul Rubens, Gro ningen 1993. 29 André Félibien: Conférences de l’Académie royale, Paris 1668, [S. xv]; dazu Thomas Kirchner: La nécessité d’une hiérarchie des genres, in: La naissance de la théorie de l’art en France (Revue d’ésthetique, 31/32), Paris 1997, S. 187–196. – Zu Hoogstraten siehe Celeste Brusati: Artifice and Illusion. The art and writing of Samuel van Hoog straten, Chicago u. London 1995, S. 237–240. 30 In diese Richtung weist etwa Philips An gel: Lof der SchilderKonst, Leiden 1642; dazu Eric J. Sluijter: Seductress of Sight. Studies in Dutch Art of the Golden Age, Zwolle 2000, vor allem S. 199ff. – Am deutlichsten formulierte den Gedanke laut Vincenzo Giustiniani aber offenbar Caravaggio: »[…] Caravaggio sagte, daß es genauso viel Ar beit sei, ein gutes Blumenbild herzustellen wie ein Figurenbild« (zit. nach Eberhard König u. Christiane Schön [Hg.]: Stilleben, Berlin 1996, S. 175). 31 Diese Argumente entwickelt ausführlich Herzog 1999 (wie Anm. 15). 32 Zusammenfassend König/Schön 1996 (wie Anm. 30), v.a. 21–29; vgl. auch Louis Marin: Imi tation et trompel’œil dans la théorie classique de la peinture au XVIIe siècle, in: L’imitation – aliéna tion ou source de liberté? (Rencontres de l’École du Louvre), Paris 1985, S. 181–196; Marc Fumaroli: Natura morta, ›Stilleven‹, ›Vanitas‹ e ›Trompe l’oeil‹. Le avventure moderne dell’antica ›mime sis‹, in: Annamaria Giusti (Hg.): Inganni ad arte. Meraviglie del ›trompel’oeil‹ dall’antichità al con temperaneo, Ausst.Kat. (Florenz, Palazzo Stroz zi), Florenz 2009, S. 47–63. 33 Zum Versuch Hoogstratens, unterschiedli che Formen und Grade der Augentäuschung zu differenzieren, siehe Jan Blanc: Peindre et penser la peinture au XVIIe siècle. La théorie de l’art de Samuel van Hoogstraten, Bern u. a. 2008, S. 271–284. 34 Vgl. Weber 1991 (wie Anm. 13); hier wird S. 162f. und S. 308, Anm. 17 auch die verwandte Vorstellung von der belebenden Wirkung der Farbmalerei auf die »toten« Leinwände und Ta feln analysiert. 35 Dazu die Beiträge von Roding 2001 (wie Anm. 7) und vor allem Eva de la Fuente Peder sen: Cornelius Gijsbrechts og Perspektivkamme ret i Det Kongelige Danske Kunstkammer / Cor nelius Gijsbrechts and the Perspective Chamber
at the Royal Danish Kunstkammer, in: Statens Museum for Kunst Art Journal, 2003–2004, S. 85– 107 u. S. 152–160 (engl. Übersetzung, nach der hier zitiert wird). 36 Das Gedicht stammt von dem Adligen und Kunstsammler Johan Wilhelm von Stubenberg, Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft; der Bericht über Ferdinands III. Reaktion auf Hoog stratens Täuschung bei dessen Schüler Arnold Houbraken: De groote schouburgh der Nederlant sche konstschilders en schilderessen, Den Haag 1753, S. 157f. – Dazu Brusati 1995 (wie Anm. 29), S. 162– 168; Grootenboer 2005 (wie Anm. 12), S. 42–59, bei der allerdings theoretischer Anspruch und konkreter Erkenntnisgewinn teils auseinander liegen. – Hier scheint eine Veränderung zum frü hen 17. Jahrhundert stattgefunden zu haben, das bestimmte Formen von ›Augentäuschung‹ teils noch sehr heftig ablehnte, vgl. Philipp 2010 (wie Anm. 19), S. 34–37. 37 Johan de Brune d.J.: Alle Volgeestige Werken, Harlingen 1672, S. 213. – Dazu Brusati 1995 (wie Anm. 29), S. 162–168; Thijs Weststeijn: The Visible World. Samuel van Hoogstraten’s Art Theory and the Legitimation of Painting in the Dutch Golden Age, Amsterdam 1998; Sluijter 2000 (wie Anm. 30), vor allem S. 13 u. 209–213. 38 Johan de Brune d.J.: Wetsteen der Vernunften, 2 Bde., Amsterdam 1644, Bd. 1, S. 343. 39 ›Perspektive‹ scheint auch für die französi schen Könige und ihr Herrschaftsverständnis eine wichtige metaphorische Rolle gespielt zu haben, dazu ansatzweise Karl Möseneder: Zere moniell und monumentale Poesie. Die »Entrée solen nelle« Ludwigs XIV. 1660 in Paris, Berlin 1983, S. 184f. 40 Thomas Pöpper: Absenz und Präsenz als Spiel mit Technik und Kunst. Zu einem barocken Vexierbild König Christians V. von Dänemark, in: Margarete Jarchow (Hg.): Begegnungen von Kultur und Technik, Neumünster 2006, S. 111–118. 41 Freundliche Auskunft von Eva de la Fuente Pedersen, Statens Museum for Kunst, Kopenha gen. 42 Dazu etwa Grootenboer 2005 (wie Anm. 12), vor allem S. 144–152. 43 Die Positionen niederländischer imitatio Diskussion bei Weststeijn 2008 (wie Anm. 37), S. 123–137. 44 Zu Gualterotti siehe Massimiliano Rossi: Princeps artifex. Poetica tassiana, teoria dell’arte e
92 ULRICH PFISTERER sovranità tra Cinque e Seicento, in: Massimilia no Rossi u. Fiorella Gioffredi Superbi (Hg.): L’ar me e gli amori. Ariosto, Tasso and Guarini in Late Renaissance Florence, Florenz 2004, Bd. 1, S. 27–37; Karin Hellwig: Ut pictura sculptura. Zu Veláz quez’ Porträt des Bildhauers Montañés, in: Zeit schrift für Kunstgeschichte, 62, 1999, S. 298–319; weitere Beispiele des 17. Jahrhunderts bei Nicola Suthor: Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München u. a. 2010. 45 Zuletzt ausführlich Julian Kliemann: Über legungen zu David Baillys »Porträt eines Malers mit Vanitassymbolen«, in: Victoria von Flem ming u. Selbastian Schütze (Hg.): Ars naturam adiuvans. Festschrift für Matthias Winner, Mainz 1996, S. 430–452; noch konsequenter bedacht werden könnten allerdings die Möglichkeit und
die damit verbundenen Implikationen, sich das Frauenbildnis als Kohle bzw. Kreidezeichnung auf der Wand vorzustellen und darin einen Ver weis auf den DibutadesMythos mit verkehrten Geschlechterrollen zu sehen. 46 Koester 1999 (wie Anm. 7), S. 154–157 (Kat. 8). 47 So sehr diese kurzen Andeutungen den Überlegungen von Stoichita 1998 (wie Anm. 7) verpflichtet sind, scheint mir Gijsbrechts doch nicht in paradoxer Negativität zu enden und grundlegend die »Arbeit des Malers […] in Fra ge« zu stellen (S. 303). 48 Mit dieser Anekdote nach Plinius, nat. hist. 35, 85 beginnt Pierre Lebrun 1635 seine Abhand lung zur Malerei (Merrifield 1846 [wie Anm. 4], Bd. 2, S. 766f.), die dem Leser verspricht, ihm das richtige Sprechen über Malerei zu lehren.
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Zwischen ästhetischer Norm und neuartigen Darstellungsverfahren Der Pinsel in der Aquarellmalerei um 1800
»Jedermann weiß, dass die Pinsel Werkzeuge sind, womit die Farben aufge tragen werden«.1 Mit dieser lapidaren Feststellung leitet Le Pileur d’Apligny, der Autor eines 1779 erschienenen Handbuchs zu Farbenbereitung, sein kurzes Kapitel über »Die Pinsel« ein – um es nach wenigen Bemerkungen zu den verschiedenen Größen und Materialien, aus denen Pinsel gemacht sind, ebenso unspektakulär zu beenden, offenbar in der Gewissheit, das Thema erschöpfend behandelt zu haben.2 Mehr als zweihundert Jahre später fordert der Gegenstand »Pinsel« zu einer aufwändigeren Betrachtung auf, als Le Pileur d’Apligny ihm zuteil werden ließ. Trotz ihrer Unbedarftheit eignet sich die knappe Äußerung d’Aplignys als Ausgangspunkt einer Untersuchung zu Funktion und Stellenwert des Pinsels in der Aquarellmalerei um 1800, lenkt doch gerade das Fehlen jeglicher weiteren Reflexion, jedes Problembewusst seins, den Fokus auf den konkreten praktischen Gebrauchswert des Pinsels, seinen ›Werkzeugcharakter‘, und fordert so dazu heraus, nach dem Wandel von Funktion und Stellenwert von Werkzeugen und Instrumenten zu fragen und sich ihre grundsätzlichen Parameter zu vergegenwärtigen. Werkzeuge und Instrumente sind veränderlich, können aber auch in Gestalt und Funktion über lange Zeiträume hinweg gleich bleiben. Variabel jedoch ist die Stellung und der Stellenwert, der einem Werkzeug oder Instru ment im Arbeitszusammenhang zukommt, sind doch die Voraussetzungen und Ziele, in denen ein Werkzeug oder Instrument eingesetzt wird, histo rischem Wandel unterworfen.3 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die Rolle des Pinsels in der deutschen Aquarellmalerei um 1800 befragt werden. Dabei zeigt sich nicht nur, dass das Werkzeug Pinsel bei völlig gleich bleibender, unveränderlicher Beschaffenheit in der Tat höchst Unterschiedliches leistet. Sichtbar wird auch der Bedeutungshorizont, in dem die Handhabung des Werkzeugs nicht allei ne angesiedelt ist, sondern in dem auch die Beweggründe liegen, welche die Veränderungen von Funktion und Status des Werkzeugs Pinsel ermöglichen und bewirken: Wenn um 1800 praktisch und diskursiv über die Handhabung des Pinsels in der Malerei verhandelt wurde, ging es um weit mehr, als um rein
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technischhandwerkliche Probleme. Am Umgang mit dem Pinsel entschieden sich vielmehr die damals virulenten ideellen Fragen ersten Ranges, wie die nach dem Kunststatus eines Werkes, beziehungsweise nach dessen Wahrheits gehalt oder Naturnähe. Ebenso zum Thema werden aber auch die Gegensätze zwischen objektivgesellschaftlich vermittelten Normen, Ansprüchen und Zwängen und subjektivem Erleben und Dafürhalten sowie die Möglichkeit, solche Widersprüche und Gegensätze in einem anderen, neuen Umgang mit dem Werkzeug aufzuheben. Und schließlich werden so – aus einer entwicklungs orientierten Perspektive betrachtet – zumindest in Teilen auch entscheidende Bedingungen für die Entstehung von Formen moderner Bildlichkeit sichtbar.4 Im Folgenden ist die Darstellung in drei Schritte gegliedert: Zunächst wer den die Anforderungen an die materielle Beschaffenheit des Pinsels in der Wasserfarben und Aquarellmalerei dargelegt. Im Anschluss daran wird gezeigt, dass es vor allem ästhetische Ansprüche waren, die die maßgeblichen Grundlagen für die Qualitätsbestimmung des Werkzeugs Pinsel bildeten, und welche Konsequenzen sich aus diesen Ansprüchen für die Etablierung des Aquarells als autonome Kunstgattung ergaben. Und schließlich wird am Bei spiel von Aquarellen Johann Georg von Dillis’ exemplarisch ein Umgang mit Farbe und Pinsel vorgestellt, in dem die zeitgenössische hierarchische Ord nung von übergeordneter, hochrangiger Idee und lediglich ausführender, ›niederer‹ Hand bzw. bloßem Werkzeug aufgehoben ist und statt dessen die Möglichkeit aufscheint, Verstand und Gefühl im Arbeitsprozess zu integrie ren und zumindest temporär den Widerstreit zwischen gesellschaftlichen Funktionen und Zwängen und individuellem subjektivem Interesse und Emp finden aufzuheben.
Zur materiellen Beschaffenheit des Pinsels in der Wasserfarben und Aquarellmalerei Pinsel, die zur Wasserfarben und Aquarellmalerei verwendet werden, müs sen wegen des Malmaterials, das zu verarbeiten ist, anders beschaffen sein, als Pinsel zu anderen Arten der Malerei – etwa der Ölmalerei. Während in der Ölmalerei die Malfarben aufgrund des Bindemittels von pastoser, zäher Kon sistenz sind, sie deshalb mit dem Pinsel (oder anderen Mitteln) von der Palet te abgenommen und auf dem Malgrund aufgebracht und verstrichen werden können, muss ein Pinsel, der zur Aquarellmalerei taugen soll, wegen der wässrigen Konsistenz des Malmaterials die flüssige Farbe im Haarkörper auf nehmen und halten können und sie erst beim Aufsetzen auf den Malgrund in gezielter Menge über die Spitze abgeben. Zentrale Anforderung an einen Aquarellpinsel ist deshalb die Elastizität der Haare, also die Fähigkeit, sich je nach Druck zu biegen und zu spreizen, sich aber unmittelbar anschließend wieder zusammenzuschließen und eine feine Spitze zu bilden, ohne dass ein zelne Härchen abstehen würden.5
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1. JeanJacques Lequeu: Die Zeichengeräte, Detail, 1782, Feder in schwarzer und brauner Tinte, in Grau und Braun laviert, gelb, rot und blau aquarelliert, Scheinmontierung in Hellgrau mit Randlinien, 24,8 × 29,5 cm, aus Jean Jacques Lequeu: L’architecture civile, 1872, Paris, Bibliothèque Nationale, Cabinet des estampes
Historisch wurden Aquarellpinsel aus Haaren von Wiesel, Eichhörnchen, Iltis, Zobel und Marder gefertigt, wobei ausschließlich die Haare vom Schwanz der Tiere für die Verwendung in Frage kamen. Diese wurden abge schnitten, von Flaumhaaren befreit und so zusammengefasst, dass die natür liche Spitze der Haare die Spitze des Pinsels bildeten. Die mit einer Garn schlinge gebundenen Haare wurden in den zuvor gewässerten Kiel eines Wasservogels eingezogen, der den Haarbund nach seinem Trocknen eng umspannte, festklemmte und hielt. Je nach gewünschter Größe verwendete man Kiele verschiedener Vögel: Das Spektrum reichte vom Schwan über die Gans bis zur Ente, und die Gewohnheit, die Größe eines Pinsels mit dem Namen des Vogels, der den Kiel für ihn geliefert hatte, zu bezeichnen – also swan, goose, duck zu sagen – wurde selbst dann beibehalten, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Metallringe als Halterungen der Pinselhaare ent wickelt und gebräuchlich wurden. JeanJacques Lequeus Darstellung der Zeichengeräte und utensilien von 1782 (Abb. 1) zeigt nicht nur derart gefertigte Pinsel, sondern auch deren Handhabung: Zum Gebrauch steckte man einen Pinsel auf ein Stöckchen aus Holz oder Knochen, von dem er sich nach dem Malen wieder abnehmen ließ und gesondert aufbewahrt werden konnte.6
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Werkzeug Pinsel: Ästhetische Ansprüche als Grundlage der Qualitätsbestimmung In der Bestimmung, was die optimale Qualität eines Aquarellpinsels ausma che, verknüpfte sich, (und verknüpft sich bis heute), die so ganz faktischgreif bar anmutende Daseinsform des Werkzeugs mit einer ideellen Ebene, waren und sind doch die Ziele, die es mit dem Pinsel einzulösen galt und aus denen sich die Ansprüche an seine Eigenschaften ergaben, stets dem Werkzeug äußerlich, d. h. in einem anderen Bereich als dem des Werkzeugs selbst ange siedelt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren dies nichts weniger als die höchsten Ziele der Malerei, wie sie die Kunsttheorie seit der Neuzeit defi nierte: die Schöpfung einer zweiten idealen Natur durch die Kunst. Das Gelin gen der Schaffung einer solchen zweiten Natur – d. h. des Kunstwerks – erfor derte nicht nur Verfahren und Strategien, die im Bereich der Komposition angesiedelt waren und die mit Begriffen wie denen der »Auswahl der schöns ten Teile«, der »geschickten Anordnung« und der »guten Wahl oder Erfin dung« des Sujets definiert wurden.7 Von ebenso großer Bedeutung für den Status des Bildes als Kunstwerk, als »Gemälde«, war der Modus seiner forma len Erscheinung, eine Ebene, deren Phänomene in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit den Begriffen der »wahren« oder »vollkommenen« Zeich nung und des »wahren« oder »vollkommenen« Kolorits erfasst wurden.8 Für die idealischnatürlich anmutende Erscheinungsweise einer Darstel lung, die diese Termini implizierten, waren drei Repräsentationsmodi unab dingbar, sollte denn der Anspruch, ein vollkommenes Werk der Kunst zu sein, eingelöst werden: die plastischdreidimensionale Modellierung der darge stellten Bildgegenstände, die Suggestion ihrer substanziellen Beschaffenheit und ihrer haptischen Oberflächenqualitäten sowie die Vorführung der Dinge als integrative, farbige Bestandteile eines von Licht und Luft erfüllten, natür lich anmutenden Raumes (d. h. die Realisierung des »Helldunkel«).9 Die Herstellung eines Erscheinungsmodus, der diesen normativ geltenden Anforderungen entsprach, war letztlich durch die Technik zu bewerkstelli gen, also durch die Wahl der Malfarben sowie die Art und Weise ihres Auf trags und ihrer Verarbeitung auf dem Malgrund. Als maßgebliches Werk zeug des Farbauftrags hatte hier der Pinsel allen Ansprüchen Genüge zu tun.10 Den Maßstab für »Vollkommenheit« bildete die Ölmalerei. Deren Erschei nungsmodus galt als vorbildlich für alle Arten der Malerei, gleich mit welchen Farben man malte, ob also mit Wasser, mit Pastell oder mit sonstigen Mal farben. Sofern ein Bild in Wasserfarben zur Gattung der Malerei zählte oder gezählt werden sollte, folgte daraus eine Handhabung der Malwerkzeuge, die zur Einlösung dieses Anspruchs imstande war, und damit – so möchte man nach der Lektüre zeitgenössischer Anleitungen zur Wasserfarben und Aqua rellmalerei ergänzen – eröffnete sich das Kapitel der ›Leiden und Freuden‹ des Pinsels.
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2. Karl Blechen: Straße in Pompeji, 1829, Pinsel/Aquarellfarben über Bleistift, 24,2 × 35,4 cm, Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett
Die wässrige Konsistenz der Malfarben nämlich machte und macht einen fleckenlosen Farbauftrag, bei dem die Farbtöne je nach Bedarf unmerklich ineinander übergehen oder kontrastierend aneinandergrenzen müssen, aus gesprochen schwierig. Ein solcher Farbauftrag aber war sowohl zur Vorfüh rung der Bildgegenstände als plastischdreidimensionale Dinge als auch zur Erzeugung eines für die zeitgenössische Wahrnehmung atmosphärisch stim mig und natürlich anmutenden Bildraumes unerlässlich. Eine Nutzung hin gegen, die gerade die Wässrigkeit des Malmaterials als Bild konstituierendes Mittel einsetzte, war in der Perspektive des 18. Jahrhunderts undenkbar. Nassinnass aufgetragene Farben, ungleichmäßig verlaufende Farbüber gänge, Flecken und Kleckse jeder Art und Gestalt, deutlich erkennbare Pin selstriche und züge, wie sie beispielsweise Karl Blechens (1798–1840) Darstel lung der Vico di Mercurio in Pompeji (1829) oder Ernst Fries’ (1801–1833) Ansicht der Villa Adriana bei Tivoli (1826) prägen (Abb. 2, Abb. 3) – ein solcher Einsatz von Pinsel und Farben stand im ausgehenden 18. Jahrhundert gedanklich und praktisch nicht zur Verfügung, jedenfalls dann nicht, wenn ein Bild den Anspruch erhob, nicht Skizze oder Studie, sondern ein vollendetes Werk der Kunst zu sein. Der ästhetischen Norm entsprechend war es eines der Hauptanliegen in der Malerei mit Wasserfarben, Phänomene wie Flecken und Kleckse, marmo rierte oder in Gestalt von Rinnsalen ineinander laufende Farbflächen, die durch das eigendynamische Ausbreiten und SichMischen der wässrigen Far
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3. Ernst Fries: Ruinen in der Villa Hadriana bei Tivoli, 1826, Pinsel/Aquarellfarben über Bleistift, 19,6 × 31,1 cm., Heidelberg, Kurpfälzisches Museum
ben unschwer entstehen konnten, zu vermeiden. Statt dessen galt es, vermit tels des Farbauftrags eine möglichst weit reichende Kontrolle über die Gestalt ausprägungen der Farben auf dem Malgrund zu erhalten. In der Miniaturmalerei, die in der Systematik des 18. Jahrhunderts tradi tionell zu den Arten der Malerei zählte, war das Problem des Ineinanderlau fens und der Entstehung von Flecken und Klecksen dadurch gelöst, dass die Farben mit dem Pinsel in zwei oder drei Lagen übereinander aufgetragen wurden, wobei man sie in der zweiten und dritten Schicht auf die noch nicht vollständig getrocknete vorangegangene Farblage in Form winziger Pünkt chen (oder auch Strichlein) dicht nebeneinander aufsetzte.11 Beim »Tuschen«, dem anderen großen, um 1770 lange tradierten Anwendungsbereich von wässrigen Malfarben, stellte sich das Problem der unkontrolliert sich ausbrei tenden Farben, der Flecken und Kleckse und der damit sichtbaren Präsenz des Malmaterials nicht. Da das »Tuschen« nicht zur Gattung der Malerei, sondern zu der der »Zeichnung« gehörte, bestand hier ein wesentlich größerer Spiel raum im Umgang mit Pinsel und wässriger Malfarbe. Als in den 1770er Jahren neben diesen tradierten Einsatzbereichen der Wasserfarben der neue Bildtyp der kolorierten Umrissradierung auftrat, der sich in Kürze – das gilt zumindest für die deutschen Ländern und die Schweiz – zum öffentlichen Prototyp des Aquarells entwickeln sollte, wurden diese Bilder aufgrund ihrer farbig ausgeführten und kompositorisch wohlüber legten Erscheinung umgehend als Werke der Malerei angesprochen. Den ästhetischen Anforderungen, die damit einhergingen, genügten sie in den Augen der zeitgenössischen Kritik jedoch nicht.12
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4. Johann Ludwig Aberli u. Balthasar Anton Dunker: Vue de Vevey. Dessiné par J. A. Aberli et gravé par B. A. Dunker. avec Privilège, 1773/74, kolorierte Umrissradierung, 20,6 × 34,4 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett
Angesichts der Ansicht von Vevey am Genfer See Vue de Vevey (1773/74) von Johann Ludwig Aberli (1723–1786) beispielsweise (Abb. 4), die heute unschwer als eine atmosphärisch stimmige, natürlich anmutende Darstellung einer sommerlichen Alpenlandschaft überzeugen dürfte, bemängelte die Kritik die unzureichende Nuancierung der Farben, also die Zurücknahme der Farbin tensität zugunsten von Tonigkeit, und den fehlenden unmerklichen Übergang von einem Farbton zum andern – Mängel, die in der zeitgenössischen Wahr nehmung den Bildeindruck eines atmosphärisch stimmigen, natürlichen Raums verhinderten: »[…] Sehen Sie die punctierten Linien durch’s Wasser schimmern? Sehen Sie die mageren Gründe, den einfärbigen Hügel, der mit Lava überzogen zu sein scheint, und die ausgeschnittenen Bäume im Vordergrund […]? Die Stärke des Kolorits werden sie wohl nicht auf der Fläche des Sees suchen, Luft und Wasser sind auch hier gar nichts weiter, als ein farbiger Überzug, wie man ihn in geometrischen Rissen macht. Ich muß Sie aber auf den Hügeln und Felsen […] herumführen, damit Sie empfinden, wie es dem Auge deucht, wenn es jetzt vom Braunen zum Röthlichen, von diesem zum Gelben, von diesem zu dem zweyerley Grün überspringen soll. Da ist an Verschmelzung der Farben gar nicht zu denken […]. Partien, mit Strichelchen, und punctierten Linien begrenzt, und mit Farben ausgefüllt stellen Bäume vor!«13
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5. Heinrich Rieter u. Georg Rieter: Dernière Cascade du Reichenbach dans la vallée d‘ Oberhasli. / peint d‘après nature & gravé par H. Rieter avec privilège, früheste Ausgabe 1794, kolorierte Umrissradierung, 42,7 × 57,7 cm, Bern, Kunstmuseum
Im schlimmsten Fall kam die Kritik zu dem Schluss, dass die »Bunten Kupfer« keine »ächten Kunstwerke« seien, »die den Geschmack bilden könn[t]en und die Behandlung des Künstlers verdien[t]en.«14 Das vernichtende Urteil, das aufgrund der Erscheinungsweise dieser frü hen Aquarelle gefällt wurde, zeigt, welche Bedeutung dem Auftrag und der Verarbeitung der Farben zukam: Von ihnen hing wesentlich ab, ob ein Bild den Status eines Kunstwerks innehatte oder ob es, belegt mit Begriffen wie »Flittermanier« oder »Schminke«15 – um weitere Termini der Kritik zu nennen – der ästhetischen Verdammnis anheim fiel. Zugleich lag in dieser Kritik jedoch die Motivation, die neue »Manier« zu verbessern. Den Maßstab bildete dabei bis auf weiteres die Ölmalerei. Aqua relle, die hier brillierten und die Erwartungen nicht nur erfüllten, sondern gar übertrafen, wurden von der Kritik enthusiastisch gefeiert. Die kolorierten Umrissradierungen Heinrich Rieters, in denen die Farben völlig entgegen ihrer Neigung, sich selbstständig und unkontrolliert auszubreiten, verarbeitet waren und in denen weder Flecken, Kleckse noch andere Spuren der Bildher stellung sichtbar waren, begrüßten die Rezensenten regelmäßig mit begeis terten Worten. »Ein Meisterwerk fürwahr!« schrieb so etwa der Autor der
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»Kunstnachrichten aus der Schweiz« 1797 angesichts Rieters Dernière Cascade du Reichenbach dans la vallée d’Oberhasli (1. Ausgabe 1793) (Abb. 5): »[…] Nie hätte man es ohne dies geglaubt, dass mit Wasserfarben sowohl die schäu menden Wellen als der vom Wogensturz aufsteigende feine Duft mit der Verblasenheit oder der Durchsichtigkeit so täuschend, und der besten Oelmahlerey so ähnlich, könnten erreicht werden.«16
Aufgrund der Vorbildlichkeit der Ölmalerei, respektive der an ihr gewonne nen ästhetischen Norm kam es so zu dem heute paradox anmutenden Phäno men, dass in der Entwicklung des Aquarells zu einer eigenständigen, neuar tigen Bildgattung zunächst alles getan werden musste, um eine durch die spezifische Eigenart des Malmaterials geprägte Bilderscheinung zu vermei den. Was nach heutigem Verständnis als Wesensmerkmal der Aquarellmale rei gilt – Flecke und Kleckse, Transparenz und ungebrochene, leuchtende Far ben – und wofür Aquarelle wie diejenigen von Karl Blechen, Ernst Fries und anderer Maler ein zu stehen scheinen, musste um jeden Preis als Fehler und Mangel vermieden werden.17 Für die Künstler stellte sich die Aufgabe, in der Maltechnik einen Umgang mit dem Pinsel zu entwickeln, bei dem die Malfarben variabel sowohl groß flächig (z. B. für die so genannte erste »Anlage« eines Bildes) als auch klein teilig (in der fortschreitende Ausarbeitung), sowohl lasierend (z. B. im Bereich des Himmels) als auch deckend (für die vorderen Gründe – z. B. Boden, Felsen, Erdreich) aufzutragen waren. Zugleich war dabei konstant darauf zu achten, dass die Handhabung des Pinsels, seine »Führung«, ein fleckenloses Sich Mischen, das »Vertreiben« und »Verlieren« der Farben gewährleistete.18
Der Dialog mit Pinsel und Farbe, oder: die Integration von Verstand und Gefühl im Bildherstellungsprozess Zur gleichen Zeit, in der sich der an der Ölmalerei orientierte Typ des Aquarells ausbildete, praktizierten Künstler und Maler einen Umgang mit Werkzeug und Material, der zu einem ganz gegenteiligen Ergebnis führte. Symptomatisch für diese Aquarelle, auf welche die moderne, gegenwärtige Definition der Gattung letztlich basiert, ist zum einen, dass sie – anders als die bislang angeführten Bildbeispiele – nicht im öffentlichen Raum, auf Ausstellungen oder im Kunst handel erschienen, sondern dass sie im privaten Bereich des Ateliers, der Kol legen, Freunde und Förderer entstanden und zirkulierten. Zum andern aber – und das ist von grundlegender Bedeutung – nutzten Künstler wie Johann Georg von Dillis, Karl Blechen, Ernst Fries und andere die spezifischen Möglichkeiten des Malmaterials und des Werkzeugs extensiv zur Bildgestaltung.19 Exemplarisch für diesen Umgang wird im Folgenden der Blick auf Arbei ten von Johann Georg von Dillis (1759–1841) geworfen, die im Kontext einer
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6. Johann Georg von Dillis: Meillerie am Genfer See (Voyage pittoresque dans le Midi de la France, Nr. 10a) 1806/07, Pinsel in Grau und Braun, Bleistift, mit Tusche umrandet, 20,5 × 28,6 cm, München, Staatliche Graphische Sammlung
Reise des Malers nach Südfrankreich entstanden sind, welche er gemeinsam mit dem bayerischen Kronprinz Ludwig (1786–1868) 1806 unternahm. Auf traggeber dieser Voyage pittoresque dans le Midi de la France – das ist der Titel der Ansichtenfolge – war der junge Thronfolger.20 In der Ansicht von Meillerie am Genfer See, Blatt Nr. 10a der Folge, (Abb. 6) ist die Herstellung des Bildes aus dem wässrigen Malmaterial in Gestalt ver schiedener Arten von Flecken nicht nur deutlich erkennbar. Die Platzierung und Verteilung der unterschiedlichen Flecken und Kleckse ist darüber hinaus geradezu konstitutiv für die Komposition des Bildes und damit für seinen Status als Kunstwerk. So bilden beispielsweise die dunklen, durch relativ trockenen Farbauftrag mit einem feinen Rand gesäumten Flecke am Felsen rechts das Gegengewicht zu der durch nasseren Farbauftrag entstandenen, hell verschwimmenden Flä che des Sees. Die kleinen, kontrastreichen Farbkleckse der Büschchen vorne links finden ihre formale Variation in den sanft ineinander übergehenden Klecksen der Bäume auf der Landzunge. Die Stelle, an der solche Gegensätze und Varianten kulminieren, sich auf engstem Raum kleine und große, helle und dunkle, ›nasse‹ und ›trockene‹ Flecken und Kleckse begegnen, befindet sich in der Mitte des Bildes just dort, wo – thematisch bedeutsam – die Kutsche der königlichen Reisegesellschaft in der Krümmung der Straße dem Blick
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7. Johann Georg von Dillis: Feriolo (Voyage Pittoresque dans le Midi de la France, Nr. 18a), 1806/07, Pinsel in Grau und Braun, Bleistift, 20,5 × 28,8 cm, München, Staatliche Graphi sche Sammlung
entschwindet. Die »Komposition« des Bildes, also das, was ein Bild nach der gängigen Vorstellung eben erst zum Kunstwerk machte, wird so auf neuartige Weise als eine Komposition visueller Phänomene vorgeführt, die vollkommen aus einer Ästhetik der spezifischen Eigenschaften und Möglichkeiten des Malmaterials und –werkzeugs gewonnen ist. Die tradierten Begriffe von »Harmonie«, »Kontrast«, »Einheit in der Viel falt« etc. werden auf völlig neuartige Weise in eine Harmonie überführt, die sich ganz auf die gestalterischen Möglichkeiten der wässerigen Malfarbe und deren ästhetischen Reize gründet. Das Verfahren, mittels Fleck und Klecks die real vorgefundenen Ansichten als malerisch schönes Bild, also als Kunstwerk zu konstituieren, lässt Dillis den unterschiedlichsten Szenen, Gebäuden und Gegenständen angedeihen. In der Ansicht von Feriolo (Abb. 7) zum Beispiel werden die ärmlichen Häuser des an für sich unbedeutenden Ortes durch die vielfältigen Formen und Ton werte der Flecken und Kleckse, der Farbnuancen und kontraste zum schönen, bildwürdigen Gegenstand. In der Darstellung der Porte St. André in Autun (Abb. 8) wiederum sorgt die Aquarellierung dafür, dass das römische Stadttor nicht nur als historischarchäologisch interessantes Monument, sondern zugleich auch als schönes Objekt erscheint.21 In anderen Blättern der Voyage pittoresque sind es die karge und steinige Landschaft Südfrankreichs, das
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8. Johann Georg von Dillis, Porte St. André in Autun, (Voyage pittoresque dans le Midi de la France, Nr. 3b), 1806/07, Pinsel in Grau und Braun, Bleistift, Feder in Grau, mit Tusche schwarz umrandet, 20,2 × 28,2 cm, München, Staatliche Graphische Sammlung
unspektakuläre Motiv einer Gruppe von Bäumen am Wegesrand oder der Blick auf einen ehemals wichtigen, heute der Bedeutungslosigkeit anheim gefallenen Ort, die solcherart zum schönen Anblick, zum Bild werden.22 Nicht nur die Bilderscheinung dieser Aquarellmalerei ist derjenigen, die von der öffentlichen Kritik begrüßt wurde, entgegengesetzt. Auch der Arbeits prozess ist ein völlig anderer als dort. Zugespitzt formuliert, strukturiert in jenen eine hierarchische Ordnung den Bildherstellungsprozess: Der Einsatz des Pinsels folgt der Intention, während des gesamten Arbeitsablaufes das Fließen und SichAusbreiten der Farben auf dem Papier zu steuern und zu kontrollieren, nach Maßgabe einer Ide e, die der praktischen Realisierung des Bildes mit Pinsel und Farben vorgängig ist. Dillis’ Arbeitsweise hingegen ist gekennzeichnet durch ein Wechselspiel von Planung und Kontrolle einerseits, GewährenLassen und phantasievoller Reaktion andererseits. So achtet er etwa dort, wo es ihm unerlässlich erscheint, peinlich darauf, dass die Lavierung eine grenzziehende Bleistiftlinie nicht überschreitet (in Meillerie z. B. in der Silhouette der Berge gegen den Himmel). An anderer Stelle scheint das Aufbringen der Farbe hingegen durch bereits existierende Töne, Flecke und Kleckse inspiriert und der Maler sich verson nen von dem leiten zu lassen, was ihm Farbe und Pinsel eingeben.23 Der hier vorliegende Arbeitsprozess lässt sich als Dialog charakterisieren: Der Pinsel
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ist nicht das Instrument der Kontrolle, vielmehr sind Pinsel und Farbe die Mittel, mit denen die Bildidee im Prozess ihrer Verwirklichung entwickelt, überprüft und verändert wird, die Bildidee überhaupt erst ihre Gestalt gewinnt – sie sind Werkzeuge der Hand und Idee zugleich. Wirft man vom Stellenwert und der Funktion des Pinsels in der Aquarell malerei um 1800 den Blick zurück auf Le Pileur d’Aplignys eingangs zitierte Definition, so kann ergänzt werden: Pinsel sind die Werkzeuge, mit denen die Maler die Farben auftragen – sie sind aber auch da s Werkzeug, an dessen spezifischen Einsatz sich historisch entschied, ob einem Bild Kunststatus zugesprochen werden konnte oder nicht. In den Arbeiten von Johann Georg von Dillis scheint dabei eine noch weit reichendere, über den kunstimmanenten Bereich hinausgehende Funktion des Pinsels – alias der Kunst von Fleck und Klecks – auf: Dem Werkzeug bzw. dem Umgang mit ihm und der mit ihm hervorgebrachten Kunst scheint die Funktion zu zukommen, einen Raum zur Kompensation jener Versagungen und Frustrationen zu konstituieren, welche die zunehmende Diskrepanz zwi schen gesellschaftlichen Zwängen, Normierungen und Pflichten einerseits und persönlichem, subjektivem Empfinden andererseits hervorbrachte. Denn betrachtet man die Umstände der Entstehung der Voyage pittoresque, so wird offenbar, dass das Zusammenspiel von Verstand und Gefühl, das den künstlerischen Prozess der Bildherstellung prägt, eine Entsprechung schon in der Funktion der realen, der Bilderfolge zugrunde liegenden Reise hat: Der Voyage pittoresque unmittelbar vorausgegangen war ein Aufenthalt des Kron prinzen als Gast Napoleons an dessen Hof in Paris – ein Aufenthalt, dem Ludwigs nachhaltige Ablehnung des französischen Kaisers völlig entgegen stand, dem er aber als Thronfolger aus Gründen der Staatsräson Folge zu leisten hatte.24 Die Tour nach Südfrankreich bedeutete für Ludwig nicht nur die Befreiung vom Zwang zu konformem, den politischen Intentionen der bayerischen Regierung (d. h. seines Vaters König Max I. Joseph und dessen Minister Maximilian Graf von Montgelas) entsprechenden Verhaltens und damit die zumindest partielle Wiederherstellung einer persönlichsubjekti ven Freiheit.25 Sie bot auch die Gelegenheit, im Blick auf die Landschaft, auf malerisch schöne Orte, historisch bedeutsame Stätten und kunstvolle Bauwer ke die erlittenen Frustrationen und die Empfindung politischer Ohnmacht durch die Imagination der überzeitlichen Wirkmächtigkeit, der ›Größe‹ von Natur, Kunst und Geschichte auszugleichen. Dillis wiederum war nicht nur derjenige, der diesen Blick mit seiner ganz persönlichen, individuell entwickelten und neuartigen Methode der schönen Flecken und Kleckse überhaupt erst zum Bild machte und der für die Prägung bzw. die Einübung dieses Blickes maßgeblich verantwortlich gewesen sein dürfte. Die Voyage pittoresque dans le Midi de la France ermöglichte ihm ebenso, frei von beruflichen Zwängen, noch einmal Natur und Kunst zu studieren und zu malen, d. h. das zu tun, was zukünftig in den Hintergrund treten sollte, hatte sich der Maler doch kurz vor Antritt der Reise entschieden,
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zugunsten seiner Funktion und Tätigkeit als GalerieDirektor in München die eigene künstlerische Arbeit fortan zurückzustellen.26 Wenn diese Deutung zutrifft und künstlerischer Prozess, Bild und Subjekt disposition korrespondieren, so wird hier eine Funktion des Pinsels kennt lich, die in der langen Geschichte des Gebrauchs des an sich immergleichen Werkzeugs womöglich relativ jung ist und deren Genese nicht zufällig in die Zeit des Beginns der Transformation staatlicher, wirtschaftlicher und gesell schaftlicher Ordnungen fiele. Die Rolle des Werkzeugs resp. des Pinsels wäre im Gegenteil geradezu symptomatisch für die Funktion, die Kunst in den sich entwickelnden modernen Gesellschaften einnähme: die Funktion nämlich, in einem von dem Gefühl der Entfremdung strukturierten Dasein in der Hand arbeit mit dem Werkzeug immerhin zeitweise bei sich selbst zu sein.
* Mein herzlicher Dank für Diskussionen, Anregungen und Kritik geht an Bettina Götz, Alexandra Köhring, Olaf Pascheit und Veronika Schöne. 1 Le Pileur d’Apligny: Abhandlung von den Far ben und ihrem Gebrauch in Absicht auf die Künste und Handwerker […], Leipzig 1779, S. 32. 2 Die Quellenrecherchen für den vorliegen den Beitrag sind Teil eines Dissertationsprojekts der Autorin zur Entstehung der Aquarellmalerei als autonome Kunstgattung in Deutschland 1785–1835, der Entwicklung von Malmaterial und technik und der Genese moderner materi alästhetischer Bildlichkeit. 3 Vgl. Richard Sennett: Handwerk, Berlin 2008. 4 Zu Verständnis und Begriff von »Moderne« siehe Monika Wagner: Das Problem der Moder ne, in: Dies. (Hg.): Moderne Kunst. Das Funkkolleg zum Verständnis der Gegenwartskunst, 2 Bde., Rein bek 1991, Bd. 1, S. 15–30; Dies.: Vorwort, in: ebd., S. 9–14; Klaus Herding: Die Moderne. Begriff und Problem, in: Funkkolleg Moderne Kunst, hg. v. DIFF an der Universität Tübingen, Studienbe gleitbrief 3, S. 90–121; Werner Busch: Das senti mentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhun dert und die Geburt der Moderne, München 1993. 5 Siehe Marjorie B. Cohn: Wash and Gouache, in: Dies. (Hg.): Wash and Gouache. A Study of the Development of the Materials of Watercolor, Ausst. Kat. (Fogg Art Museum, Cambridge/Mass.), Cam bridge/Mass. 1977, S. 30. Die Darlegung der er forderlichen Eigenschaften von Pinseln zur Was serfarben und Aquarellmalerei gehörte zum inhaltlichen Standardrepertoire historischer
Traktate und Anleitungen, siehe z. B. ebd., S. 30ff. 6 Siehe Rosamond D. Harley: Artist’s Brushes. Historical Evidence from the Sixteenth to the Nineteenth Centuries, in: Conservation of Paint ings and the Graphic Art. Reprints of contributions to the Lisbon Congress 1972, London 1972, S. 123–129; Rutherford J. Gettens u. George L. Stout: Painting Materials. A Short Encyclopaedia, New York 1966, S. 278 u. S. 279f. 7 Exemplarisch für diese Definition der Male rei und ihrer Konstituenten, die den kunsttheo retischen Diskurs seit dem 16. Jh. paradigma tisch prägte, kann hier Sulzers Ausführung im Artikel »Mahlerey« der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste stehen. S. Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden Artikel abgehandelt. Neue ver mehrte 3. Auflage, 4 Theile, Leipzig, 1792, 3. Theil , S. 338. 8 Sulzer 1792 (3. Theil), S. 338, S. 340 und Sul zer 1798 (4. Theil), S. 569 (wie Anm. 7). 9 Zur Problematik des »Helldunkel« und zum Verschwinden dieses tradierten Systems der Far bengebung um 1800 vgl. Birgit RehfußDechêne: Farbengebung und Farbenlehre in der deutschen Ma lerei um 1800, München 1982. Einen guten Ein stieg in die Thematik »Helldunkel« bietet An dreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio. Studien zur Ästhetik und Ikonologie des Helldunkel, Stutt gart 1992; siehe außerdem auch René Verbrae ken: ClairObscur. Histoire d’un mot, NogentleRoi 1979.
107 ZWISCHEN ÄSTHETISCHER NORM UND NEUARTIGEN DARSTELLUNGSVERFAHREN 10 Der Anspruch an diesen Darstellungsmo dus wurde keineswegs obsolet, als in den ästhe tischen Debatten des frühen 19. Jahrhunderts in der Nachfolge Kants die Begriffe der »vollkom menen Wahrheit der Nachahmung«, der »Täu schung« oder der »Natürlichkeit«, die J. G. Sulzer noch ganz selbstverständlich als Zielrichtung und Qualitätskriterium der Malerei verwenden konnte, abgelöst wurden durch die neue Zweck bestimmung der Kunst als Medium der Darstel lung und Hervorbringung des »Idealschönen«, »ästhetischer Ideen« oder des »Poetischen«. 11 Vgl. Anonym: Anweisung zum Migniatur malen, vermittelst derer diese Kunst ganz und leicht und ohne Lehrmeister zu begreifen […], Leipzig, 1753, S. 19 ff. 12 Die Geschichte der Aquarellmalerei in England ist sehr gut aufgearbeitet; unter den zahlreichen Publikationen sei hier nur auf Mar tin Hardie’s Standardwerk und, als jüngere Pu blikation, auf den Katalog der Ausstellung Lon don/Washington 1993 verwiesen. Martin Hardie: Watercolour painting in Britain, 3 Bde., London 1966–1968; Andrew Wilton u. Anne Lyles (Hg.): The Great Age of British Watercolours 1750–1880, Ausst.Kat. (London, Royal Academy of Arts; Washington, National Gallery of Art), München u. London 1993. 13 Anonym: Ueber die bunten Kupfer; an Hrn.*, (Aus den im J. 1786 zu Leipzig erschiene nen philosophischen Unterhaltungen, B. 1, S. 203– 222), in: Museum für Künstler und Kunstliebhaber, 8. Stück, hg. v. Johann Georg Meusel, Mannheim 1789, S. 146–160, hier S. 156. 14 Anonym 1789 (wie Anm. 13), S. 158. 15 Anonym: Gedanken und Bemerkungen über die diesjährige GemäldeAusstellung der Churfürstlichen Academie der Mahlerey zu Dresden. In einem Schreiben an einen Freund im März Monat 1794, in: Neues Museum für Künstler und Kunstliebhaber, hg. v. Johann Georg Meusel, 3. Stück, Leipzig 1794, S. 249–272, hier S. 262. 16 Kunstnachrichten aus der Schweiz. In ei nem Schreiben an den Herausgeber des Muse ums, in: Neues Museum für Künstler und Kunstlieb haber, hg. v. Johann Georg Meusel, 4. Stück, Leipzig 1795, S. 383–484, hier S. 482. 17 Zur gegenwärtigen Definition des Aqua rells vgl. z. B. Walter Koschatzky: Die Kunst des Aquarells. Technik, Geschichte, Meisterwerke, Mün chen 1985, S. 10; Kurt Fassmann, »Aquarell«, in:
Kindlers MalereiLexikon im dtv, hg. v. Germain Bazin, Bd. 13: Sachwörterbuch der Weltmalerei, München, 1976, S. 75f. 18 Vgl. z. B. Johann Heinrich Meynier: Neues theoretisch=practisches Zeichenbuch zum Selbstun terricht für alle Stände. Nebst einer Anleitung zum Colorieren der Landschaften und zur Blumen = und Pastellmahlerey, Erster und Zweyter Heft, mit XVIII Kupfertafeln, Hof 1797, S. 89 ff. 19 Die Neuerungen in der Bildgestaltung, wie etwa die Kenntlichkeit von Farbauftrag und Malmaterial, ein Kolorit aus so genannten unge brochenen, nicht mehr dem tradierten System des Helldunkel verpflichteten Farben, der Bruch mit der zentralperspektivischen Bildordnung u. a. m. sind für den deutschsprachigen Raum bislang überwiegend im Bereich der Ölskizze erörtert worden, siehe z. B. Werner Busch: Die notwendige Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19. Jahrhun derts, Berlin 1985, S. 256 ff. 20 Die Folge umfasst insgesamt 81 teils nahe zu monochrom, teils mehrfarbig aquarellierte Ansichten. Vgl. Christoph Heilmann (Hg.): Jo hann Georg von Dillis 1759–1841. Landschaft und Menschenbild, Ausst.Kat. (München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek; Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Alberti num), München 1991, S. 240–251, Kat. 109–118; Richard Messerer (Hg.): Briefwechsel zwischen Ludwig I. von Bayern und Georg von Dillis 1807– 1841, München 1966, S. XVIIf.; Katrin Pollems (Hg.): Johann Georg von Dillis 1759–1841. Zeich nungen und Aquarelle aus den Sammlungen des His torischen Vereins von Oberbayern im Stadtarchiv München, Ausst.Kat. (München, Bayerische Ver einsbank), München 1989, S. 17, S. 26. 21 Katrin Pollems und Hinrich Sieveking wer ten die Bilder der Voyage pittoresque als »getreue Ansichten« bzw. als konventionelle Veduten, eine Einschätzung, die für die überwiegende Zahl der Ansichten nicht nur beim ersten Hinsehen aus vielfachen Gründen nicht haltbar ist. S. Pol lems 1989 (wie Anm. 20), S. 27; Hinrich Sieve king: Im Unvollendeten vollendet. Der Zeichner und Aquarellist Dillis, in: Heilmann 1991 (wie Anm. 20), S. 60–65, S. 63. 22 Siehe z. B. Voyage pittoresque dans le Midi de la France Nr. 34 (Felsen bei St. Rémy, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. Nr. 21571), Nr. 7a (Près de Lazare, München, Staatliche Gra
108 GOTLIND BIRKLE phische Sammlung, Inv. Nr. 21525), Nr. 33 (Beau caire, München, Staatliche Graphische Samm lung, Inv. Nr. 21570). 23 Anders als für Alexander Cozens, der seine Methode des blotting als Mittel zur Erfindung neuer Bildkompositionen entwickelt, ist für Dil lis die Nutzung der Wässrigkeit seines Malmate rials nicht nur Methode, sondern zugleich auch Ergebnis, vollendetes Bild. Zu A. Cozens’ New Method vgl. JeanClaude Lebensztejn: L’art de la tache. Introduction à la Nouvelle méthode d’ Alex ander Cozens, London 1990; Adolf P. Oppé: Alex ander und John Robert Cozens. With a reprint of Alexander Cozens ›A new method of assisting the invention in drawing original compositions of landscape‹, London 1952. 24 Siehe Eberhard Weis: Die politischen und historischen Auffassungen Ludwig I. in der Kronprinzenzeit, in: Johannes Erichsen u. Uwe Puschner (Hg.): »Vorwärts, vorwärts sollst du schauen …«. Geschichte, Politik und Kunst unter Lud wig I., 3 Bde., München 1986, Bd. 2, S. 11–28; Heinz Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1986,
S. 120–133; Max Spindler: Kronprinz Ludwig von Bayern und Napoleon, in: Andreas Kraus (Hg.): Max Spindler. Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur Bayerischen Geschichte, München 1966, S. 212–251. 25 Siehe Gotlind Birkle, Des Prinzen Trost in schwerer Zeit: Zur politischen Funktion von Na türlichkeit und Geschichte in den Ansichten der »Voyage pittoresque dans le Midi de la France« von Johann Georg von Dillis (1806/1807), in: Irene Nierhaus, Josch Hoenes u. Annette Urban (Hg.): Landschaftlichkeit. Forschungsansätze zwischen Kunst, Architektur und Theorie, Berlin 2010, S. 163–172. – Die Reise hatte Spanien zum Ziel und führte über die Schweiz, Oberitalien und Südfrank reich bis nach Figueras. Dort endete sie abrupt, da Ludwig als bayerischer Thronfolger und Ver bündeter Frankreichs nach den Siegen bei Jena und Auerstedt von Napoleon in Berlin erwartet wurde. Vgl. Messerer 1966 (wie Anm. 20), S. XVI II; Gollwitzer 1986 (wie Anm. 24), S. 133f. 26 Siehe Messerer 1966 (wie Anm. 20), S. XVII.
MATTHIAS KRÜGER
Gespachtelter Zufall Gustave Courbet und die Messermalerei
Das Messer als Waffe Bibliographiert man in der Pariser Bibliothèque Nationale zum Stichwort pein ture au couteau (dt. »Malerei mit dem Messer«), so erhält man sieben Treffer.1 Zwei verweisen auf Malhandbücher, die beide erst im 21. Jahrhundert publi ziert wurden, woraus zu schließen ist, dass die Messermalerei heute offen sichtlich beliebt ist wie nie zuvor.2 Auch bei den fünf weiteren Treffern handelt es sich um keine kunsthistorische Lektüre, sondern um literarische Werke, präziser um Kriminalromane.3 Zwei davon sind Übersetzungen aus dem Eng lischen und haben im Original einen anderen Titel, nämlich Half light und The Art Studio Murders. Allen fünf Krimis ist gemein, dass ihr plot im Künstlermi lieu angesiedelt ist und als Tatwaffe ein Messer fungiert. Das Palettmesser hat mithin die Phantasie von Literaten anregen können, Kunsthistoriker ließ es offenbar bislang kalt. Dies hat seine Gründe sicherlich auch darin, dass es sich im Licht der Wissenschaft betrachtet als weitaus weni ger bluttriefend erweist als im zwielichtigen clairobscur eines Kriminalro mans. Die handelsüblichen Palettmesser taugen tatsächlich kaum als Mord werkzeug. Ihnen fehlt die Schärfe, um effektiv zustechen zu können. Überdies steht auch ihre Biegsamkeit einem solchen Behuf entgegen.4 Die Sache ist wesentlich harmloser als der Name; so ist leicht einzusehen, warum die im Deutschen handelsüblicheren Synonyme »Spatel« und »Spachtel« nicht die selben Assoziationen zu wecken vermögen, wie sie die Rede vom »Messer«, französisch couteau, englisch knife, auslöst. Dass couteau auch eine Stichwaffe bezeichnen kann, mag die Kontroverse, die das Malutensil im Frankreich des 19. Jahrhunderts für viele darstellte, angefacht haben, entfacht hatte es sie nicht. Im Mittelpunkt dieser Kontrover se stand Gustave Courbet (1819–1877), den damals viele, obschon zu Unrecht, als Erfinder der peinture au couteau ansahen (Abb. 1).5 Angesichts der umfang reichen Forschungsliteratur zu Courbet muss es erstaunen, dass es bislang keine einzige Untersuchung zu dem Malgerät gibt, das so eng mit seinem Namen verbunden ist. Der Grund dafür dürfte vor allem darin liegen, dass das Provokationspotential von Courbets Kunst meist ausschließlich in der
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1. André Gill: G. Cour bet, 1867, Karikatur aus Le Charivari, 6. 2. 1867
Ikonographie verortet wurde, weshalb seine Landschaftsbilder in der For schung nicht dieselbe Beachtung erfuhren. Doch gerade was die Maltechnik betrifft, zeigte sich Courbet in der Landschaftsmalerei weitaus radikaler als bei seinen Figurenbildern – und dies verdankt sich in erster Linie dem mas siven Einsatz des Palettmessers.6
Das Messer als Utensil der Landschaftsmalerei Tatsächlich galt die Landschaftsmalerei aufgrund ihres offensichtlichen Bruchs mit der akademischen Tradition als innovativster Zweig der französi schen Malerei – eine Sonderrolle, die sich auch in der zeitgenössischen Hand buchliteratur widerspiegelt. Aus ihr ließ sich lernen, dass eine Landschaft grundsätzlich anders zu malen war als eine Figurenstudie. Das galt insbeson dere in Bezug auf den Farbauftrag. Ein Figurenmaler hatte seinem Gemälde fini zu verleihen. Mit fini bezeichnete man die dem Malprozess nachträgliche Einebnung der Spuren des Pinselstrichs. Das fini stellte buchstäblich den letz ten Schliff dar, den der Künstler seinem Werk verlieh und galt als das Mar kenzeichen akademischer Malerei. Um einen solchen Schliff zu erzielen, bediente man sich üblicherweise eines Dachspinsels oder blaireau, der trocken und in Kreisbewegungen über die zu glättende Partie zu führen war.7
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2. Auswahl von Palettmessern aus dem Katalog von Lefranc & Cie, 1900
Anders als bei der Figur wurde bei der Landschaftsmalerei ein Relief der Farbe von den Manualen geradezu eingefordert. Das betraf zum einen die Staffelung der Malgründe. So war es hier sogar die Aufgabe des Künstlers, im Bildvordergrund möglichst kräftig zu impastieren – wobei eine solche Vorga be zweifelsohne sehr relativ ist. Zum Horizont hin hatte sich die Farbe auszu dünnen.8 Zum anderen sollte der Farbauftrag auch der Beschaffenheit der dargestellten Gegenstände angepasst werden. Beispielsweise galt es zwischen den verschiedenen Baumarten zu differenzieren: So hatte der Farbauftrag bei einer Eiche oder Kastanie pastoser auszufallen als bei der Weide oder Birke, deren lichteren Baumkronen mit einem frottis Genüge getan war (ein Farbauf trag, bei dem die Farbe derart in die Leinwand gerieben wird, dass diese in ihrer Textur zum Vorschein kommt).9 Fini hatte in der Landschafsmalerei mit hin nichts zu suchen. Entsprechend war auch der blaireau hier von relativ geringer Bedeutung: Bei der paysage war der Wirkungskreis des Dachspinsels auf diejenigen Bereiche des Bildes eingeschränkt, in denen sein Gebrauch sich quasi naturgegeben rechtfertigen ließ: »Blaireautiert« werden durfte beispiels weise die Oberfläche eines stillen Gewässers.10 Doch auch für das Palettmesser galten auf dem Feld der Landschaftsma lerei andere Regeln. Die meisten der Lehrwerke erörtern es allerdings nur in seiner tradierten Funktion, nämlich als ein Werkzeug, mittels dessen der
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Maler seine Farben auf der Palette anrichtet – ihr verdankt das »Palettmesser« seinen Namen. Einige Manuale empfehlen es darüber hinaus zum Abkratzen misslungener Partien. Obwohl Künstler bereits seit dem 17. Jahrhundert das Palettmesser seinem eigentlichen Zweck entfremdet auch für den Farbauftrag verwendeten, und obwohl dieser alternative Gebrauch sich Ende des 19. Jahr hunderts soweit eingebürgert hatte, dass neben dem herkömmlichen Palett messer nun auch ein speziell zum Auftragen der Farben angefertigter Spach tel die Ausrüstung des Künstlers bereicherte (Abb. 2),11 wird die peinture au couteau in den meisten Malhandbüchern keiner Erwähnung gewürdigt. Wo dies jedoch geschieht – die wenigen Ausnahmen stammen aus der zweiten Hälfte 19. Jahrhunderts –, dort nur unter starken Vorbehalten und lediglich im Hinblick auf die Gattung der Landschafsmalerei. Wenn die Malhandbücher ihren Lehrstoff in der Regel ohne Bezüge auf die zeitgenössische Malerei darbieten, so kommt keine der Besprechungen der peinture au couteau ohne den Namen Courbet aus. Doch so große Meisterschaft dem Künstler auch in der Handhabung des Messers attestiert wird, so ein dringlich wird zugleich vor der Nachahmung gewarnt. Dies hindert die Manu ale nicht, einzuräumen, dass sich bestimmte Aufgaben am besten mit dem Messer bewerkstelligen ließen: In seinem 1889 publizierten Manuel pratique de la peinture à l’huile führt Ernest Hareux näher aus: L’emploi du couteau à palette est pourtant admissible dans certains cas, par exemple, pour peindre des rochers; ce procédé donne une facture sèche et brutale qui rend bien l’aspect et la dureté du roc. Les formes anguleuses que laisse la lame en aplatissant la couleur ajoutent une rigidité qui fait bien.12
Der Landschaftsmaler hatte mithin seine Werkzeuge nach materialmimeti schen Gesichtspunkten auszuwählen.
In Stein geschlagen Obgleich Courbet unter den Kunstkritikern seiner Zeit sehr umstritten war, fiel das Presseecho auf seine Bilder von Felsen und Grotten stets positiv aus. Seine Gemälde von der Steilküste in Étretat stießen auf allgemeine Akzeptanz und Bewunderung (Abb. 3). Das lag zweifelsohne auch daran, dass diese Gemälde die wohl beliebteste touristische Sehenswürdigkeit der Normandie zeigten. Doch der Beifall galt nicht nur dem Motiv, sondern auch der maltech nischen tour de force, mit der es hier gestaltet war. Bei Fels und Grotte schien der Spachtel dem Künstler gute Dienste zu leisten. Courbet hatte den Vorteil des Messers für die Darstellung von Stein selbst herausgestellt. So überliefert der Bildhauer Max Claudet eine Äußerung, die Courbet über die Felsen des JuraGebirges gemacht haben soll: »Faites donc […] avec un pinceau des rochers comme cela que le temps et la pluie ont rouillé de grandes veines du haut en bas.«13 Ein Bildtitel wie Étude géologique zeigt, dass der Künstler seinen
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3. Gustave Courbet: Falaise d’Étretat, 1870, Öl auf Leinwand, 133 × 162 cm, Paris, Musée d’Orsay
4. Gustave Courbet: Étude géologique, 1864, Öl auf Leinwand, 60 × 73 cm, SalinslesBains, Musée Max Claudet
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Darstellungen von Felsen sogar wissenschaftlichen Wert zuschrieb. Das so betitelte Werk der RochePourrie, eines Felsens bei Salin in der FrancheComté, war dem Geopaleontologen Jules Marcou zugeeignet (Abb. 4).14 Dass Courbet im Malen von Felsen jeden Konkurrenten ausstach, wurde von niemand in Abrede gestellt. Allerdings ließ sich darin auch eine gefähr liche Manie erkennen. Wohin diese führen konnte, veranschaulicht drastisch eine ScienceFictionGeschichte aus dem Jahre 1866, Besançon dans 70 ans, die in den Annales FrancComtoises erschien. In ihr besucht der Erzähler im Jahr 1936 in Courbets Heimatort unter anderem eine Ausstellung zeitgenössischer Künstler, in der ihm vor allem die Gemälde eines gewissen Xavier Bouterson ins Auge springen. Diese stellen den letzten Schrei einer Entwicklung dar, die, wie zu erfahren ist, mit dem Spachtel begonnen habe: »On avait commencé à peindre au couteau, on peignit à l’ébauchoir, à la gouge; puis on incrusta et, prenant la truelle, on bâtit ses tableaux.«15 Die Bilder Boutersons sehen entspre chend aus: Der ferne Hintergrund war noch in etwa so gemalt, wie es auch in herkömmlichen Gemälden üblich sei; aber je mehr man sich dem Vorder grund näherte, wurden die Bilder immer dicker, derart, dass der hintere Mittelgrund bereits mit dem Hohlmeißel ziseliert worden war, der vordere Mittelgrund es erlaubt hätte, in ihn Höhlen hineinzuschlagen und der Vor dergrund schließlich in einer gummiartigen Paste gearbeitet war, auf die der Künstler Brocken von Tuffstein, Steinkohle, Holz, Brombeersträucher, Farn und Moos appliziert hatte. Hier ist das Relief der Farbe, wie es für die Anlage einer Landschaft ja von den Handbüchern durchaus eingeklagt wurde, ins Groteske gesteigert.16 Für einige war Courbet nur eine Art plumper Materialist, der für feine Nuancen keinen Sinn zu haben schien. So sah ihn etwa Edmond About, der in seinem Salonbericht von 1857 den Künstler ein Loblied auf seine eigenen Gemälde anstimmen lässt: In ihm rühmt sich Courbet, in seinen Bildern nichts als Materie zu zeigen – und zwar Materie von einer so soliden Qualität, dass man ihr mit dem Hammer nichts anhaben könne. Dasjenige nämlich, was nachgebe, was sich falten ließe, was sanft woge oder sich durch Eleganz, Anmut oder Geschmeidigkeit auszeichne, käme, da es dem Reich der Träume angehöre, in seiner Malerei nicht vor.17 Auch Camille Lemonnier bezichtigt Courbet wiederholt des Materialismus, der sich für ihn nicht zuletzt in der Verwendung des Palettmessers äußerte, dem das Erbmal anhafte, »alles zu materialisieren, was es berührt« (»il garde sa souillure héréditaire, qui est de matérialiser tout ce qu’il touche«).18 Aus diesem Grund tauge das Messer nicht gleichermaßen für jede Bildgattung, hinsichtlich der Porträtmalerei sei es sogar vollkommen untauglich: »Il n’y a pas d’exemple d’une belle tête peinte au couteau; ce n’est pas avec de telles armes qu’on apprivoise l’âme.«19 Doch auch in der Landschaftsmalerei hatte sich der Künstler dem Kritiker zufolge im Werkzeug vergriffen: So heißt es in Lemonniers Rezension des Salon von 1870 über Courbets Gemälde La vague (Abb. 5): »Par moments, il est vrai, ces marines splendides ressemblent à des incrustations de marbre et de métal, les
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5. Gustave Courbet: La vague, 1869, Öl auf Leinwand, 117 × 160 cm, Paris, Musée d’Orsay
vagues ont des cabrements de cheval, et l’écume, qui plaque à leurs pointes, s’effrite comme les éclats d’un marbre taillé à coup de maillet.«20 Camille Lemonnier ist nicht der einzige, der bei der Woge einen materialmimetischen Fauxpas konstatierte. In dieselbe Kerbe schlägt auch Cham mit seiner bekann ten Karikatur des Bildes, auf der dem Betrachter eine Scheibe dieser »peintu re légère« auf einer Spachtel wie auf einem Tortenheber dargereicht wird, obgleich die zähen Impasti auf Courbets Gemälde kaum nach einer leichten Kost anmuten (Abb. 6).21
6. Cham [AmédéeCharlesHenry Comte de Noé]: La vague de Courbet, 1870, Karikatur aus Cham: Cham au Salon de 1870, Paris 1870
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Die Kritik zeigte sich indes merkwürdig gespalten. Einerseits gab es kaum jemanden, der die Faszination abstritt, die ihm die maltechnische tour de force dieses Gemäldes abnötigte, anderseits war man sich doch zugleich einig, dass Courbet an dem Motiv der Woge, so virtuos er hier auch sein Lieblingsutensil gehandhabt habe, Schiffbruch erlitten hatte. Es half wenig, dass Gischt zu jenen Motiven gehörte, bei denen selbst akademische Künstler den Griff zum Messer nicht scheuten, nein, die Kritik ahndete die pastosen Krusten, mit denen der Künstler den Wellenkamm gekrönt hatte, als eklatanten Verstoß gegen das Gebot der Materialmimesis. Statt der Fluidität und Transparenz, wie sie Wasser zu eigen ist, gerecht zu werden, hatte Courbet seiner Woge eine solche Festigkeit und undurchdringliche Dichte verliehen, dass das darge stellte Toben des Meeres gleichsam stillgestellt schien.22 Schuld daran war das Palettmesser, das Courbet hier ge und missbraucht habe und dessen Einsatz laut Paul Mantz notgedrungen eine Art von Versteinerung nach sich zog (»ce procédé se caractérise nécessairement par une sorte de pétrification«).23 Frot zelnd interpretierte die Kritik die Woge als eine weitere geologische Studie des Künstlers, uneins war sie sich lediglich in der genauen petrographischen Bestimmung des Gesteins. Lemonnier wähnte, wie zitiert, dass Courbets Wel le aus einem Marmorblock gehauen sei. Als weitere Belegstellen seien hier nur drei Urteile zitiert, alle drei der Gazette des BeauxArts entnommen. Wie Lemonnier denkt auch Mantz an Marmor, nicht ohne jedoch vorher auch Basalt ins Spiel zu bringen: »[…] sa vague […] n’est pas liquide, elle semble taillée dans un morceau de basalte. Ici, le procédé d’exécution contribute beau coup à éveiller pour les yeux le sentiment d’une solidité marmoréenne.«24 Anlässlich der CourbetGedächtnisausstellung 1882 vermutet dagegen Alfred de Lostalot: »[…] ces vagues magnifiques semblent taillées dans un bloc de malachite par la main d’un sculpteur. Elles sont superbes de colorations et de tournure, mais elles manquent de ce qui est la vie des eaux, la transparence et le mouvement.«25 1884 ist es Louis de Fourcaud, der – obwohl er sich zu den Freunden pastoser Malerei (peinture grasse) bekennt – in Courbets Woge ein Beispiel dafür erblickt, dass sich eben nicht jedes Sujet gleichermaßen für eine pastose Malweise eigne. Er hält den Werkstoff, aus den die Wogen geformt seien, für Achat: »Courbet […] a réduit sa Vague, du Musée du Luxembourg, à l’état d’un bloc d’agate, pour avoir voulu trop sacrifier à la technique.«26
Natürlicher und künstl(er)i(s)cher Zufall Marmor, Basalt, Malachit, Achat: Es geht hier natürlich auch um Ekphrasis. Jeder der Kritiker suchte den anderen durch die Originalität seines Vergleichs auszustechen.27 Und dennoch handelt es sich nicht um eine zufällige Zusam menstellung verschiedener Gesteinsarten. Zwar verbindet sie keine geolo gische Verwandtschaft, wohl aber verfügen sie über einen gemeinsamen kulturgeschichtlichen Nenner: Alle vier Gesteinsarten wurden gern heran gezogen, um den »Bildungstrieb der Natur« zu exemplifizieren. Basalt taugte
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7. Achat
dazu dank seiner naturgegebenen prismatischen Gestalt, die nicht erst die Romantiker faszinierte.28 Bei Achat war es die besonders feine Bänderung, die ihn zum beliebten exemplum der Bildkünstlerin Natur machte, wähnte man doch in seinen Verästelungen die diversesten Figuren und Gesichter verbor gen (Abb. 7). Ähnliches lässt sich auch von Malachit oder Marmor sagen. In ihrem reichen Aderwerk schienen sich bisweilen ganze Landschaftsszenarien zu entfalten, Meere zu öffnen und die aberwitzigsten Wolken und Gebirgs formationen aufzutürmen. Bereits in der frühen Neuzeit wurden diese sich im Stein abzeichnenden QuasiLandschaftsbilder kunstgewerblich verwertet, indem man sie sinnfällig um Figuren oder Gebäude ergänzte, wobei die Gren ze zwischen natura und ars oft bewusst verschleiert wurde (Abb. 8).29 In der
8. Seeschlacht nach Jacques Callot, 1632, auf Marmor gemalt, Kunstschrank Gustav Adolfs, Uppsala
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9. Gustave Courbet: Le Géant de Saillon, 1873, Öl auf Leinwand, 87 × 93 cm, Amiens, Musée de Picardie
kunstgeschichtlichen Forschung wird angesichts solcher Bilder von images of chance gesprochen – eine von Horst Janson geprägte Bezeichnung.30 In jünge rer Zeit hat Dario Gamboni vorgeschlagen, besser von potential images zu spre chen, da es sich strenggenommen bei ihnen stets um Projektionen seitens des Betrachters handelt.31 Doch darf unterstellt werden, dass die Kritiker, wenn sie angesichts von Courbets Wogenbildern Achat oder geäderten Marmor beschworen, an genau solche Bilder dachten? Das Phänomen der images of chance bzw. der potential images war ihnen freilich bekannt. Dass Courbet selbst an solchen Bildern Interesse hegte, dokumentiert ein Gemälde, das er 1873 vom Géant de Saillon, einer anthropomorphen Felsformation, die zu den touristischen Attraktionen des Südschweizer Kantons Valais (Wallis) gehört, anfertigte (Abb. 9). In die sem Werk ist der von der Natur hervorgebrachte Zufall zum Bildmotiv gewor den. Tatsächlich lassen sich auch Courbets gemesserte Bilder als Zufallsbilder bezeichnen, wenngleich der Zufall hier auf einer anderen Ebene angesiedelt ist, nicht beim Motiv, sondern beim Darstellungsverfahren. Kein anderes mal technisches Verfahren wurde im 19. Jahrhundert nämlich so sehr mit dem Zufall assoziiert wie die peinture au couteau. Camille Lemonnier etwa hatte in seiner CourbetMonographie ausgeführt, dass, während der Pinsel das gefü gige Instrument des Hirns sei, das Messer die Hand lenke und mit dem Zufall kollaboriere.32 Dieses Image der Palettmessermalerei beruht auf den Umstand, dass die Strukturen, die der Spachtel erzeugt, sich von der Künstlerhand nur sehr eingeschränkt kontrollieren lassen. Somit lässt sich die peinture au couteau als ein »autopoetisches Verfahren« bezeichnen, definiert als »eine künstleri
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sche Strategie […], innerhalb derer die Künstlerin oder der Künstler die Kon trolle über Bereiche der Werkentstehung, der Ausführung oder Produktion aufgibt.«33 Dass diese »Kontrollabgabe Teil der künstlerischen Strategie«34 ist, gilt es auch hinsichtlich der Palettmessermalerei hervorzuheben, haftet der Rede vom Zufall doch stets insofern eine Unschärfe an, als dieser immer nur in einem bestimmten Rahmen möglich ist, wobei der Künstler diejenige Instanz bleibt, welche die Rahmenbedingungen absteckt. In diesem Sinne muss man auch zwischen Steinbildern und gemesserten Bildern unterschei den, handelt es sich doch im ersten Fall um einen vorgefundenen Zufall, im zweiten Fall um einen künstlich bzw. künstlerisch generierten Zufall. Tatsächlich jedoch wurden künstlich bzw. künstlerisch erzeugte Zufalls bilder gern mit Steinbildern verglichen – und dies bereits im 17. Jahrhundert. Der Vergleich findet sich etwa in Samuel van Hoogstratens Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst von 1678. Hier begegnet er uns im Kontext der berühmten Anekdote jenes Künstlerwettstreits zwischen Knipbergen, Van Goyen und Perselles, in dem es darum ging, wer von ihnen am schnellsten eine Landschaft malen könne. Knipbergen sei »wie ein tüchtiger Schreiber« vorgegangen, indem er die Landschaft ohne zu zögern auf die Leinwand mal te. Van Goyen dagegen habe zunächst »in kühnen Hieben« Farbe auf die Lein wand gesetzt, so dass diese »das Aussehen eines buntstreifigen Achats oder Marmorpapiers« annahm. Sodann habe er sich daran gemacht, aus den so gewonnen Strukturen »mit wenig Mühe« und einer Unzahl kurzer Pinselstri che einen Horizont, Dörfer, eine Befestigungsanlage und einen Hafen entste hen zu lassen, in welchem man Schiffe und Barken gewahr werden konnte, die mit Fracht und Passagieren be und entladen wurden. Dabei habe sich, so Hoogstraten, der Anschein gewinnen lassen, als richte van Goyen nur zu, was im »Chaos der Farben [bereits] verborgen« gelegen habe.35 Van Goyens Ver fahren ist also ganz ähnlich wie bei jenen Künstlern, die sich der Fasern und Adern eines Steins bedienen, um aus ihnen Landschaften hervorzuzaubern – dabei bediente auch er sich der sogenannten »Projektionsmethode«, nur dass er sich seine Projektionsfläche selbst erschuf.36 In dem Künstlerwettstreit mus ste er sich allerdings geschlagen geben: Hoogstraten lässt mit Perselles einem Künstler den Sieg davontragen, der sein Bild zunächst in seinem Geist konzi piert hatte, um es sodann in einem Zug auf die Leinwand zu übertragen.
Palettschabselmalerei Ob und wieweit van Goyen wirklich so verfuhr, wie es van Hoogstraten über liefert, muss offen bleiben. Die ihm zugeschriebene Methode wurde auch im 19. Jahrhundert noch praktiziert. Sofern wir Théophile Silvestre, der 1861 eine Sammlung von Biographien französischer Künstler publizierte, Glauben schenken dürfen, fand auch Alexandre Decamps an ihr Gefallen. Der Autor führt es auf die Zwangsjacke der akademischen Ausbildung zurück, die, da sie den Launen, dem Drang und der Wucht von Decamps’ Temperaments kein
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Schlupfloch gewährte, diesen notgedrungen zum Trickser werden ließ. Der Künstler habe kein Mittel ungenutzt gelassen, um bei dem von der zeitgenös sischen Kunstszene zu Tode gelangweilten Publikum Aufmerksamkeit zu erregen, indem er seine Maltechnik durch ungewöhnliche Pinselstriche zu beleben suchte, bei denen der Zufall stets die erste Geige gespielt habe (coups insolites où le hasard jouait le premier rôle). Schließlich sei er gänzlich auf die schiefe Bahn geraten: Après avoir une bonne fois résolu de remplacer l’étude par le caprice, M. Decamps a tiré de ses trouvailles le parti le plus raffiné: quand la ligne horizontale qui doit séparer la partie solide du tableau était fixée, il pouvait, audessous de cette ligne, travailler au petit bonheur, tirer de ses résidus de palette étalés au couteau sur la toile, des roches, des flaques d’eau, des plantes, des mousses, des buissons, de vieux troncs d’arbres, des hommes ou des animaux. Notons bien ceci: Quelquefois l’artiste ne dessinait rien sur sa toile, ni au crayon ni au pinceau; il y faisait une couche des diverses couleurs dont sa palette était chargée; de ce mélange de hasard se dégageaient des images vagues, comme on en peut voir dans le marbre et dans certains bois d’ébénisterie. Le peintre effaçait les moins déterminés de ces fantômes et gardait les autres pour en faire en quelque sorte les êtres réels du tableau. 37
Solche Vergleiche zwischen künstlich geschaffenen Zufallsbildern und mine ralogischen oder vegetabilen Zufallsstrukturen gehören im 19. Jahrhundert zum festen kunstkritischen Repertoire.38 Zwar ist nicht auszuschließen, dass Silvestres Schilderung von Decamps’ Malverfahren von van Hoogstratens Beschreibung der Malweise van Goyens zehrt, doch wartet sie mit einer Reihe von Details auf, die in der berühmten Maleranekdote kein Vorbild haben. So finden sich in van Hoogstratens Bericht keine Angaben zum Malgerät, mit dem Van Goyen seine »kühnen Streiche« vollführt habe. Silvestre benennt dagegen ausdrücklich Decamps Utensil als »Messer«. Ebenso interessant ist die Spezifierung des Farbmaterials als »Palettenrückstände«, lässt sich doch aus ihr ableiten, dass Decamps, bevor er das Gemälde schuf, dessen Bildwer dung beschrieben wird, bereits mindestens ein anderes Bild gefertigt haben musste – vermutlich mittels eines konventionellen Malverfahrens. Diese Vermutung lässt sich sogar erhärten. Als Kronzeuge kann hier August Strindberg aufgerufen werden, der nicht nur selbst mit dem Messer malte, sondern – und das macht ihn in unserem Zusammenhang so interes sant – sich auch theoretisch mit dem Zufall in der Kunst auseinandersetzte. Strindberg war ein radikaler Messermaler, der jede Zuhilfenahme von Pinseln kategorisch ablehnte.39 Offensichtlich von Gustave Courbets Wogenbildern inspiriert, malte der schwedische Schriftsteller eine Reihe von Meeres landschaften, darunter auch zahlreiche »Wogen«, die in ihrem Abstraktions grad die Bilder des Franzosen oftmals noch übertrafen (Abb. 10). In seinem in der Revue des Revues von 1894 publizierten Aufsatz Le hasard dans la création
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10. August Strindberg: Marine avec un récif, 1894, Öl auf Holz, 40 × 30 cm, Privatsammlung
artistique nimmt er indes auf dieses Vorbild keinen Bezug. Stattdessen berich tet er von einem Typ Bild, das den Namen grattures de palettes (dt. »Palettschab sel«) führe. Es handelt sich um das technische Verfahren, wie es Silvestre in Bezug auf Decamps beschrieben hatte, nur dass Strindberg zu einer anderen Bewertung gelangt: Les peintres l’appellent »grattures de palette«, ce qui se traduit: le travail fini l’artiste racle les restes des couleurs, et si le cœur lui le dit, faitil une ébauche quelconque. […] Dégagé de la peine de controuver les couleurs, l’âme du peintre dispose de la pleinitude [sic] des forces à chercher des contours, et comme la main manie la spatule à l’aventure, toutefois retenant le modèle de la nature sans vouloir la copier, l’ensemble se révèle comme ce charmant pêlemêle d’inconscient et de conscient. C’est l’art naturel, où l’artiste travaille comme la nature capricieuse et sans but déterminé.40
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Die hier von Strindberg beschriebene Palettschabselmalerei ist demnach einerseits nur eine Laune, auf die sich ein Maler »nach getaner Arbeit« ein lässt; man könnte von einer Art spielerischer Resteverwertung sprechen. Anderseits wird diese Malerei jedoch dadurch aufgewertet, dass Strindberg sie in eine direkte Analogie zum Wirken der Natur bringt – einen Gedanken, den er am Ende seines Essays noch einmal emphatisch aufgreifen wird: »L’art à venir […]. Imiter la nature à peu près; surtout imiter la manière de créer de la nature!«41 Der Künstler soll sich in seinem Schaffen also die Natur zum Vorbild nehmen, und das heißt für Strindberg: den Zufall frei walten lassen.42 Strindberg formuliert hier ein Programm, das letztlich bereits in den topi schen Vergleichen zwischen künstlichen und natürlichen Zufallsbildern bzw. zwischen dem gespachtelten Zufall und den Steinbildern angelegt ist. Courbets Wogenbilder lassen sich mithin in eine Tradition der Zufallsbil der einordnen, die von Van Goyen bis Strindberg reicht, um in einem Punkt jedoch von ihr entscheidend abzuweichen: Während nämlich sowohl in van Hoogstratens Schilderung als auch bei Strindberg die erzeugten Zufallsstruk turen noch zu sinnfälligen Figurationen ergänzt werden, verzichtet Courbet auf eine solche nachträgliche Manipulation. Nicht als Quelle der künstleri schen Inspiration nutzt er der Zufall. Vielmehr dient bei ihm die roh verstri chene Farbe als maltechnisches Analogon der anarchischen Elementarkraft des Wassers.
Die Lizenzen des palette knife Die Vorstellung, dass sich bestimmte Phänomene der Natur nur unter Zuhil fenahme des Zufalls darstellen ließen, ist ein kunsttheoretischer Topos, der sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Angelegt ist er bereits in einer Anekdote über den griechischen Künstler Protogenes, der, nachdem es ihm unter Zuhilfenahme der unterschiedlichsten Pinsel nicht gelang, den Schaum vor dem Maul eines keuchenden Hundes zu malen, schließlich wutentbrannt seinen Schwamm auf die missglückte Partie schleuderte, womit er wider Erwarten genau das erreichte, woran er zuvor verzweifelt war – »so hat in der Malerei der Zufall die Naturwahrheit geschaffen.«43 Dass sich mittels des Messers ähnliche Zufallstreffer landen ließen, hatte die Kunsttheorie bereits im 18. Jahrhundert anerkannt. Im Unterschied zu Frankreich, wo die Verwendung des Palettmessers in den Malhandbüchern noch bis Ende des 19. Jahrhunderts als Regelbruch galt, empfing die Messer malerei in England, wo mit William Turner und John Constable zwei Künstler bereits lange vor Courbet zum Spachtel gegriffen hatten, im 18. Jahrhundert als Zufall generierendes Verfahren höchste kunsttheoretische Weihen. 1784 zollte Sir Joshua Reynolds im zwölften seiner als Präsident der Royal Academy gehaltenen Discourses dem Messer in der Hand eines Rembrandts seinen Tri but:
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Rembrandt, in order to take advantage of accident, appears often to have used the pallet knife to lay his colours on the canvass, instead of the pencil. Whether it is the knife or any other instrument, it suffices if it is something that does not follow exactly the will. Accident in the hands of an Artist who knows how to take the advantage of its hints, will often produce bold and capricious beauties of handling and facility, such as he would not have thought of, or ventured, with his pencil, under the regular restraint of his hand. However, this is fit only on occasions where no correctness of form is required, such as clouds, stumps of trees, rocks, or broken ground. Works produced in an acci dental manner, will have the same free unrestrained air as the works of nature, whose particular combinations seem to depend upon accident. 44
Der letzte Satz nimmt allerdings nur scheinbar Strindbergs Vorgabe vorweg, nach welcher der künstlerische Schaffensprozess dem Prinzip der natürlichen Schöpfung zu folgen habe. Doch besteht ein entscheidender Unterschied zwi schen den beiden Auffassungen: Reynolds nämlich schränkt den Gebrauch des Spachtels auf bestimmte Motive ein: Wolken, Baumstümpfe, Felsen und unebenes Terrain. Dagegen würde das Utensil bei denjenigen Motiven nichts taugen, bei denen eine präzise Erfassung der Form gefordert sei. Ähnlich wird dies auch Sir Charles Eastlake formulieren, der im zweiten Band seiner Mate rials of a History of Oil Painters dem palette knife ein eigenes Kapitel zu widmen gedachte. Wie Reynolds ist auch er davon überzeugt, »that accidental appear ances in nature had better be produced by accidental operations«45 – eine Ansicht, die er zunächst am Beispiel der Aquarellmalerei darlegt. Gerade weil diese aufgrund der Schnelligkeit, mit der sie auszuführen sei, sich nur unvoll kommen durch den Maler kontrollieren ließe, eigne sie sich so trefflich für die Wolkenmalerei.46 Auch das Messer wird sodann als Werkzeug der Zufallsge nerierung vorgestellt, das sich aufgrund seiner Härte besser als der weiche Pinsel für die Wiedergabe von Fels eigne. Doch wie Reynolds zeigt auch East lake die Grenzen der Zufallsmalerei auf. So tauge sie dort nichts, wo sich eine Form nur mittels wissenschaftlicher Präzision erfassen ließe, wie etwa beim Körper der Tiere oder des Menschen, deren Anatomie »festen Gesetzen« gehorche.47
Der Angriff auf das dessin Genau die Form auflösende, anarchische Qualität der Palettmessermalerei war es, die in der französischen Kunstszene die Vorbehalte gegen Gemälde wie Courbets La vague schürten, mussten sie doch als ein Angriff auf den Kern der idealistischen Kunsttheorie, das dessin, verstanden werden. Dass peinture au couteau und dessin zwei miteinander unvereinbare Prinzipien sind, wird in den Malhandbüchern immer wieder herausgestrichen. In seinem Manuel pra tique de la peinture à l’huile hatte Ernest Hareux das Palettmesser für die Aus führung von Fels zwar erlaubt, nicht ohne jedoch grundsätzliche Vorbehalte gegen den Usus, den Spachtel anstelle des Pinsels zu verwenden, vorzubrin
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gen. So warnt er ausdrücklich vor dem fatalen Irrtum, den Anfänger gern begingen, wenn sie meinten, mit der peinture au couteau jenen Schwierigkeiten zu entgehen, die ihnen das dessin bereite, das doch die eigentliche Basis für jedes Gemälde bilden müsse.48 In dasselbe Horn blässt auch Camille Lemon nier in seiner frühen CourbetMonographie: »Peindre au couteau permet de ne pas savoir sa grammaire. C’est un tour de gobelet au moyen duquel on escamote les difficultés de l’art.«49 Trickserei ersetzte demnach bei der Mes sermalerei das gründliche Studium im dessin. Im Fall von La Vague ist freilich zu fragen, wie der Künstler das amorphe Wesen einer Woge denn mit den Mitteln der Zeichnung hätte fixieren können? Doch es stand mehr auf dem Spiel als die zeichnerische Erfassung eines Gegenstandes. Die Palettmessermalerei verstieß nämlich gegen das dessin noch in einem höheren Sinne, denn der kunsttheoretische Begriff dessin bein haltet ja mehr als die Striche einer Zeichnung. Dessin bezeichnet vielmehr die künstlerische Konzeption, die der Ausführung des Kunstwerks nach idealis tischer Theorie vorauszugehen hatte.50 Demnach hatte der Künstler sein Bild bereits in seinem Geist vollendet, bevor er überhaupt Hand ans Werk legte. Eine solche Auffassung der künstlerischen creatio schloss jeden Zufall katego risch aus. Daher musste die Malerei mit dem Messer aus der Warte der idea listischen Kunstauffassung als eine Bedrohung verstanden werden. Diese kunsttheoretische Debatte lässt sich in einen MetaDiskurs einbetten. So ver trug sich die idealistische Auffassung der künstlerischen creatio sowohl mit der platonischen Ideenlehre als auch mit der christlichen Schöpfungslehre. Doch der Vorstellung von einem Gott als suprême dessinateur, wie sie etwa Charles Blanc in seiner Grammaire des arts du dessin von 1867 entwarf,51 war damals bereits in der Evolutionstheorie eines Charles Darwin, die die Entste hung der Arten aus unzähligen Zufällen heraus erklärte, eine ernst zu neh mende Konkurrenz erwachsen.52
* Für die kritische Lektüre bedanke ich mich bei Philippe Cordez, Semjon Dreiling, Christine Krüger und Aldona KrügerKuczkowska. Stand 14. April 2010. Ewa Rzeźnik: La peinture au couteau, Paris 2004; Anonymus: Peinture au couteau [Espatula], Paris 2000. 3 Edward S. Aarons: Peinture au couteau [The Art studio murders], Paris 1965; Pierre Bridonneau: Peinture au couteau, Paris o. D. [1959 ?]; Frances Hegarty: Peinture au couteau [Half light], Paris 1994; André Héléna: Peinture au couteau, Paris 1958; Alain Page: Peinture au couteau, Paris 1957. 4 Juristisch würde es also nicht unter die Ka tegorie der »gefährlichen Werkzeuge« fallen. Zu 1 2
diesem Begriff siehe Matthias Krüger: Das »ge fährliche Werkzeug« und verwandte Erscheinungs formen des Kernstrafrechts. Rechtliche Kürzübersich ten für die polizeiliche Praxis, Aschersleben 2008. Die Utensilien der Maler sind indes von Seiten der Kunstliteratur oft mit Waffen verglichen worden, vgl. hierzu insbesondere: Nicola Suthor: Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Male rei der Frühen Neuzeit, München u. a. 2010, S. 13– 20, S. 66–77 u. passim. 5 Ernest Hareux: Manuel pratique de la peinture à l’huile […], 4. Bde., Bd. IV, Paris 1888/89, S. 59. Vgl. Alfred de Lostalot: L’Exposition des Œuvres de Courbet, in: Gazette des BeauxArts, 2. Serie, 25, 1882, S. 572–582, hier S. 580: »il [Gustave Courbet] l’étale au couteau. Le système a du bon; si Cour
125 GESPACHTELTER ZUFALL bet ne l’a pas inventé, il l’a du moins perfectionné à un tel point qu’on peut lui attribuer les hon neurs de l’invention.« 6 Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass das Palettmesser nur in Bezug auf die Land schaftsmalerei diskutiert wurde. So galt das Pa lettmesser etwa nicht zuletzt aufgrund seiner formalen Ähnlichkeit zu einer Mauerkelle auch als das Werkzeug des peintreouvrier. Siehe hier zu Matthias Krüger: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der französischen Kunstkritik. 1850–1890, Berlin u. München 2007, S. 206–207. 7 Zu diesem Spezialpinsel siehe ebd., S. 12, S. 84–86, S. 126–127 u. passim. 8 Siehe z.B. PierreLouis Bouvier: Manuel des jeunes artistes et amateurs en peinture […], Paris 1828, S. 154: »Si vous peignez un paysage, ne crai gnez pas non plus de nourrir grassement les dé tails éclairés des premier plans, comme les ter rasses, les mousses, les pierres, les rochers, etc., et exprimez l’aspérité et les dehors raboteux de tous ces objets par un maniement de brosse pit toresque, inégal et libre; mais ne mettez jamais des épaisseurs de couleurs dans les parties tour nantes et fuyantes.« 9 Karl Robert: Traité pratique de la peinture à l’huile. Paysage, Paris 1878, S. 77: »On peut ébau cher les arbres, suivant leur nature, de deux ma nières différentes: en pleine pâte ceux dont le feuillage est compact, comme le chêne, le châtai gnier; en frottis léger ceux dont les masses sont plutôt apparentes que réelles, comme le saule, le bouleau, etc.« 10 Frédéric Goupil: Traité méthodique et raisonné de la peinture à l’huile […], Paris 1867: »L’excès de blaireautage est un défaut trèsgrave dans cer taines occasions; un terrain ou des rochers de premier plan dans un paysage, ne devant jamais être blaireautés: les rugosités et la rudesse de la pâte dans ce cas feront toujours bien sur le sol ou pour représenter des surfaces qui ne doivent pas être lisses d’habitude. Voulezvous peindre de belles eaux? blaireautezles, au contraire, afin de faire disparaître toutes les aspérités de la pâte.« Vgl. auch Robert 1878 (wie Anm. 9), S. 10: »En paysage, la brosse à poils courts est souvent pré férable, parce qu’elle donne plus de fermeté au travail. Je ne puis passer sous silence l’emploi du blaireau, qui a son utilité, mais qui présente aus si ses inconvénients. Le blaireautage rend le ton mou et nuit à la fermeté et au relief d’un paysage;
aussi ne doiton s’en servir que pour le ciel et les eaux: dans le ciel, pour avoir une exécution plus douce, qui donnera de la profondeur et de l’air; dans les eaux, pour obtenir la transparence des reflets.« 11 Hareux 1888–1889 (wie Anm. 5), Bd. I, Paris 1888/89, S. 9. Vgl. Anthea Callen: The Art of Im pressionism. Painting Technique and the Making of Modernity, New Haven u. London 2000, S. 138. 12 Hareux 1888–1889 (wie Anm. 5), Bd. IV, S. 59. 13 Max Claudet: Souvenirs. Gustave Courbet, Paris 1878, zit. nach Pierre Courthion (Hg.): Cour bet, Bd. I: Sa vie et ses œuvres, Genf 1948, S. 200. 14 Zu Jules Marcou und seiner Beziehung zu Courbet siehe Petra tenDoesschate Chu: »It Took Millions of Years to Compose that Picture«, in: Sarah Faunce u. Linda Nochlin (Hg.): Courbet Reconsidered, Ausst.Kat. (The Brooklyn Muse um; The Minneapolis Institute of Arts), New Ha ven u. London 1989, S. 55–66, hier 58–59. 15 M. le Vicomte de Chiflet: Besançon dans 70 ans (suite), in: Annales FrancComtoises, 5, 1866, S. 191–209, hier 206. 16 Ebd., S. 205–6. 17 Edmond About: Nos artistes au Salon de 1857, Paris 1858, S. 25. 18 Camille Lemonnier: G. Courbet et son œuvre, Paris 1878, S. 62. Zur Verbindung von Palettmes sermalerei und Materialismus siehe Frédérique Desbuissons: Courbet’s materialism, in: Oxford Art Journal, 31, 2008, S. 251–260. 19 Lemonnier 1878 (wie Anm. 19), S. 62. 20 Ebd., S. 58. 21 Unsinnig ist die Deutung der Bildunter schrift in Petra tenDoesschate Chu: The Most Arrogant Man in France. Gustave Courbet and the NineteenthCentury Media Culture, Princeton u. Oxford 2007, S. 162: »The implication was clear. Courbet’s wave paintings were without weight and depth perfectly suited to the tastes of the fa shionable bathing guests in the hotels and casi nos of Deauville and Trouville [wo Courbet seine Wogenbilder schuf; Anm. M. K.]«. Vgl. dagegen James H. Rubin: Courbet, London 1997, S. 267: »The irony is that the substance on the palette knife indicates not the lightness but the materia lity of Courbet’s water.« 22 Dieser Eindruck wird auch von modernen Interpreten des Bildes geteilt, so begreift etwa Klaus Herding die Woge als »Denkmal« bzw. mo
126 MATTHIAS KRÜGER nument. Klaus Herding: Gustave Courbet. Die Woge / Gustave Courbet. La vague, in: Sabine Schulz (Hg.): Impressionisten. 6 Französische Meis terwerke / Impressionistes. 6 chefsd’œuvre français, Frankfurt a.M. 1999, S. 16–29, hier S. 18. 23 Paul Mantz: Gustave Courbet (iii), in: Ga zette des Beauxarts, 18, 1878, S. 381. 24 Ebd. Zwar lobt Mantz die Handhabung des Utensils, gibt jedoch in Bezug auf Courbets Bild motiv zugleich kritisch zu bedenken: »appliqué à la représentantion du flot vivant, qui se gonfle, monte et s’écroule, ce procédé se caractérise né cessairement par une sorte de pétrification.« 25 De Lostalot (wie Anm. 5), S. 580. 26 L. de Fourcaud: Le Salon de 1884 (ii), in: Ga zette des BeauxArts, 29, 1884, S. 465–492, hier S. 472. 27 Zu solchen Vergleichen in der Kunstkritik siehe Matthias Krüger: Porzellan, Kautschuk und Konfitüre. Materialvergleiche in der franzö sischen Salonkritik zur Zeit des Impressionis mus«, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Kon servierung, 22, 2008, S. 21–28. 28 Monika Wagner: Das Material in der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001, S. 181. Zu einer Rezeption frühneuzeitlicher Stein bilder in der zeitgenössischen Landschaftsmale rei siehe Claudia Blümle: Mineralischer Sturm. Steinbilder und Landschaftsmalerei, in: Werner Busch u. Oliver Jehle (Hg.): Vermessen. Landschaft und Ungegenständlichkeit, Zürich 2007, S. 73–96. 29 Zu diesen Steinbildern siehe grundlegend Jurgis Baltrušaitis: Pierres imaginées, in: ders., Aberrations. Quatre essais sur la légende des formes, Paris 1957, S. 47–72. 30 Horst Janson: The »Image made by Chan ce« in Renaissance Thought, in: Millard Meiss (Hg.): De Artibus Opuscula 40. Essays in Honor of Erwin Panofsky, New York 1961, S. 340–353. 31 Dario Gamboni: Potential Images. Ambiguity and Indeterminacy in Modern Art, London 2002. 32 Lemonnier 1878 (wie Anm. 19), S. 62. Umso erstaunlicher ist der Umstand, dass Courbets Pa lettmessermalerei in den einschlägigen Untersu chungen zum Zufall in der Kunst unerwähnt bleibt. Vgl. etwa Raphael Rosenberg: Zufall und Abstraktion, in: ders. u. Max Hollein (Hg.): Tur ner, Hugo, Moreau. Entdeckung der Abstraktion, Ausst.Kat. (Frankfurt a. M., Schirn Kunsthalle), München 2007, S. 54–111; Christian Janecke: Kunst und Zufall. Analyse und Bedeutung, Nürn berg 1995.
33 Friedrich Weltzien: Autopoeisis, in: Nina Gülicher u. a. (Hg.): Poiesis. Essays zum künstleri schen Schaffensprozess, o. J., URL: http://www. udkberlin.de/sites/content/themen/forschung/ graduiertenkolleg/veroeffentlichungen/poesis/ autoren/autopoiesis_friedrich_weltzien/index_ ger.html (letzter Zugriff 23. 8. 2010); zur Bedeu tung autopoetischer Verfahren in der Kultur des 19. Jahrhunderts siehe grundlegend ders.: Von Selbst. Autopoetische Verfahren in der Ästhetik des 19. Jahrhundert, Berlin 2005. Die Palettmesserma lerei, als das wohl prominenteste autopoetische Verfahren der Malerei des 19. Jahrhunderts, fin det hier allerdings keine Berücksichtigung. 34 Weltzien o.J. (Autopoesis)(wie Anm. 33). 35 Samuel van Hoogstraeten: Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst. Anders de zichtbaere werelt, Rotterdam 1678, S. 237–238: »Nevens deeze zat Jan van Gooyen, die op een gansch andere wi jze te werk ging: want hy zijn geheel paneel in ’t gros overzwadderende, hier licht daer donker, min noch meer als een veelverwige Agaet, of ge marbert papier, bestont allerley aerdige koddi gheeden daer in te zoeken, die hy met weynig moeiten en veel kleyne toetsjes kenlijk maekte, zoo dat ginder een aerdig verschiet, versiert met boere gehugten, zich opdee; hier zagmen een oude steevest met poort en waeterhooft voor den dag komen, en in ’t aenkabbelende water weder glanssen, scheepen en schuiten, met vragt of rey zigers belaeden, af en aen’haelen, en in ’t kort zijn oog, als op het uitzien van gedaentens, die in een Chaos van verwen verborgen laegen, afge recht, stierde zijn hand en vserstandt op een va erdige wijs, zoo datmen een volmaekte Schildery zag, eermen recht merken kon, wat hy voor hadt.« 36 Ernst Gombrich: Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung [Art and Illu sion. A Study in the Psychology of Pictorial Re presentation, London 1960], Berlin 2002, S. 154– 169, speziell zu der dem Malverfahren von Van Goyen, wie es Van Hoogstraeten in seiner Inley ding tot de hooge schoole der schilderkonst beschreibt, S. 187–188. 37 Théophile Silvestre: Les artistes français. Etudes d’après nature, Bruxelles u. Leipzig 1861, S. 201. 38 Siehe etwa die Bemerkung Théophile Gau tiers angesichts der Gemälde von Narcisse Díaz de la Peña: »Quelquefois on dirait une palette
127 GESPACHTELTER ZUFALL chargée de tons qui, tombée sur une toile par mégarde, y a laissé une empreinte formant une figure, ou bien une racine ondée, une agathe à ramifications singulières, tant ce bonheur res semble à du hazard« (Théophile Gautier: Salon de 1848, in: La Presse, 3. Mai 1848, hier zit. nach Théophile Gautier: Critique d’art. Extraits des Sa lons (1833–1872), Paris 1994, S. 199. 39 August Strindberg: Du hasard dans la créa tion artistique, in: Revue des Revues, 9 ,1894, S. 265–270, hier zitiert nach dem Wiederabdruck in: Per Hedström (Hg.): Strindberg. Peintre et pho tographe, Ausst.Kat. (Stockholm, Nationalmuse um; Kopenhagen, Statens Museum for Kunst; Paris, Musée d’Orsay), Paris u. Stockholm 2001, S. 149–153, S. 149–153, hier 152: »je ne possède pas de pinceaux!« 40 Ebd., S. 149. 41 Ebd., S. 182. 42 Zum Zufall als künstlerisches Prinzip bei Strindberg vgl. jüngst das Kapitel »Die Kunst der Störung I. August Strindberg« in: Peter Geimer: Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen, Hamburg 2010, S. 111–123, speziell zur Zufallsmalerei S. 121–123. 43 Plinius [d.Ä.]: Naturalis historia, Buch XXXVII, hg. v. Roderich König u. Gerhard Wink ler u. a., München u. Darmstadt 1978, S. 79–81. 44 Sir Joshua Reynolds: Discourses on Art [Lon don 1769–1790], hg. v. Robert R. Wark, New Ha ven u. London 1975, S. 223 (Discourse XII, Deli vered to the Students of The Royal Academy, on the Distribution of the Prizes, December 10, 1784; London 1785).
45 Sir Charles Lock Eastlake: Methods and Ma terials of Painting of the Great Schools and Masters, Bd. II. [Materials for a History of Oil Painters, Lon don 1869], New York 1960, S. 375–376. 46 Zum Aquarellpinsel siehe den Beitrag von Gotlind Birkle in diesem Band. 47 Eastlake (wie Anm. 45), S. 375–376. 48 Hareux (wie Anm. 5), Bd. IV, S. 56: »L’inven tion de l’emploi du couteau à palette comme pin ceau est toute moderne et ce fléau a été la cause de bien des égarements. Les néophytes de l’art sont très enclins à se servir de ce moyen qui sup prime une des grandes difficultés de la peinture en escamotant le dessin: Le dessin, base fonda mentale d’un tableau, si intéressant pour les ar tistes savants et si peu attrayant pour les com mençants.« 49 Lemonnier 1878 (wie Anm. 19), S. 60. 50 Vgl. etwa Charles Blanc: Grammaire des arts du dessin, Paris 1867, S. 24. Zu der Herausbildung der disegnoTheorie in der Kunsttheorie der frü hen Neuzeit siehe Wolfang Kemp: Disegno. Bei träge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissen schaft, 19, 1974, S. 219–240. 51 Blanc 1867 (wie Anm. 50), S. 33. 52 Vgl. Petra tenDoesschate Chu 1989 (wie Anm. 15), 55–66, die bereits Courbets Landschafs malerei im Kontext aufkommender Evolutions theorien diskutiert und dabei ebenfalls auf Par allelen zwischen natürlicher und künstlerischer Schöpfung hinweist. Ein Aufsatz zur Verschwisterung von der tra dierten disegnoTheorie und dem antidarwini stischen argument of design in der Kunsttheorie Charles Blanc’ ist in Vorbereitung.
GOTTFRIED KORFF
»Schmerzlose Körperteile«? Volkskundliche Bemerkungen zu Aby Warburgs Anthropologie des »Geräts«
Die Begriffe »Werkzeug« und »Instrument«, die den Titel dieser Konferenz bilden, sind Subkategorien dessen, was alltags und wissenschaftssprachlich wenig präzise als Gerät geführt wird. Dabei handelt es sich um einen Kollek tivsingular, der außerhalb technikwissenschaftlicher Verwendungskontexte mittlerweile wie aus der Zeit gefallen wirkt, selbst in jener Disziplin, in der er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert eine gewisse wissenschaftliche Kar riere gemacht hat und in der es auch im 20. Jahrhundert immer wieder Phasen einer starken gerätekundlichergologischen Ausrichtung gab – in der Volks kunde. Insbesondere im späten 19. Jahrhundert ist neben der Kunstgeschichte und Archäologie sie es, die sich im Gefüge der neu konstituierenden Kultur wissenschaften mit der »Dingwelt der Realien im Reiche der Ideen«1 beschäf tigt – in aller Regel mit einer deutlich altertumskundlichen Orientierung, die sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verliert. Im Unterschied zur Kunstgeschichte mit ihrem Interesse an »kostbarem Gerät« war die volks kundlichethnologische Geräteforschung stets den alltäglichen, auf Arbeit und Wirtschaft bezogenen Dingwelten zugewandt. »Gerät im volkskund lichen Sinn«, das war für Eduard HoffmannKrayer, einem der frühen impuls gebenden Vertreter des Faches, das »Arbeitsgerät«, wobei ihm Arbeit als »menschliche Tätigkeit zur Beschaffung des Lebensunterhalts« galt.2 Nach einer Definition des Volkskundlers Lenz KrissRettenbeck aus dem Jahr 1980 umschreibt der Begriff Gerät ein »anthropogenes Handlungser zeugnis, das zweckhaft produktiv eingesetzt werden kann«.3 Sehr viel allge meiner sah 1966 Alfred Janata in seinem völkerkundlichen ErgologieKlassi ker Geräte als »in breitester Bedeutung alle vom Menschen gebrauchten Dinge«.4 2006 hingegen macht das »Reallexikon der Germanischen Altertums kunde« in der absichtsvoll hergestellten Zweckhaftigkeit das Kennzeichen des Geräts aus und betont so dessen Nähe zu Werkzeugen und Instrumenten. Seiner Definition im 33. Band zufolge sind Werkzeuge »alle möglichen Dinge oder Gegenstände, mit denen etwas bearbeitet oder bewirkt werden soll«.5 Bei Werkzeugen, so wird mit zahlreichen archäologischen Beispielen belegt, han
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delt es sich um »für bestimmte Zwecke geformte Gegenstände«, die in hand werklichen Kontexten stehen und im Gegensatz zu Instrumenten »materielle Spuren« hinterlassen. Bei dem nicht geringen Kurswert, den der Begriff Gerät in den Jahrzehnten um 1900 zeitweilig in diversen im akademischen Etablierungsprozess befind lichen Kulturwissenschaften hatte, kann es nicht verwundern, wenn auch Aby Warburg bei seinen vielfältigen bild und mentalhistorischen Suchbewe gungen den Begriff aufgreift und in unterschiedlichen Verwendungsformen benutzt. So findet der Begriff Verwendung als empirisch deskriptive Ord nungskategorie (etwa im Sinne von Hausrat)6, als allgemeine Metapher, wenn von einem »gerätmäßigen« Verstehen von Botticellis »Frühling« die Rede ist (wobei ihm »loses Haar« und »flatternde Mäntel« als Gerät gelten7) oder als Bezeichnung für etwas Anorganisches, für Dinge, durch die »des Menschen Blut nicht kreist«8. Aufschlussreich ist auch die spätere Formulierung »Gerät als Vehikel«, mit der Warburg die Bildauswahl der Tafel 32 des »Bilderatlas« erläutert.9 Gemeint ist damit ein »Gerät«, mit dem Bildideen und motive transportiert und verbreitet werden: Kupferstiche, Teppiche, Trinkbecher, Schachbretter, Kisten und Truhen. Schon 1905 hatte er diese den »niederen Regionen« entstammenden »Kunstwerke« in seinem Aufsatz über den »Aus tausch künstlerischer Kultur zwischen Norden und Süden« als »Gerätkunst« bezeichnet.10 Die von ihm immer wieder als Belege für Bildwanderungen traktierten »Cassoni« gehören ebenso dazu wie eine auf der gleichen Tafel abgebildete Spielzeugkiste, der Michael Diers vor einiger Zeit eine höchst instruktive Studie zu Fragen der Bildwanderung und –prägung gewidmet hat.11 Auch in den auf seiner Amerikareise entstandenen Tagebuchnotizen und mehr noch in deren späteren Ergänzungen und Kommentierungen findet sich der Begriff immer wieder – sowohl als empirisch ordnende Kategorie wie als theoretischer Schlüsselbegriff. Nicht anders ist es in der um 1900 in Stichwor ten und »Bruchstücken« entworfenen Bildanthropologie mit ihrer dezidiert psychohistorischen Ausrichtung und in den Studien zum florentinischen »Kunstgewerbe«. In den archivalischen Recherchen zu den medicäischen Festen ist er ebenso präsent wie in allgemeinen Überlegungen zur materialen Verfassung der Kultur und Zivilisationsgeschichte. Gerät ist für Warburg die deutsche Entsprechung des englischen »tool«, dessen Gebrauch nach Benja min Franklin den Menschen zum Menschen macht und so gewissermaßen den »starting point« einer Anthropologiegeschichte darstellt12. So umschreibt der Begriff bei Warburg Produkte von Materialisierungs und Verobjektivie rungsprozessen, aber auch ganz konkret astronomische Instrumente13 oder haus und landwirtschaftliches Arbeitszeug. Festdekor und Fahnenwerk wer den ebenso dazu gerechnet wie Tracht und Schmuck. Gerät figuriert darüber hinaus ganz allgemein als handlungsprägendes Objektschema wie als nütz liches Artefakt, das in der Lage ist, menschliche Handlungs und Denkweisen der Vergangenheit zu bezeugen.
131 »SCHMERZLOSE KÖRPERTEILE«?
1. Aby Warburg: Grundlegende Bruchstücke zu einer monistischen Kunstpsychologie, fol. 59, 1899
Im Sachregister von Gombrichs WarburgBiographie taucht der Begriff allerdings nicht auf – im Gegensatz zu Gebärde (19), Gedächtnis (14), Gewand (11).14 Ganz augenscheinlich rechnet Gombrich den Begriff also nicht zu den zentralen Kategorien des Warburgschen Denkens, obwohl er sich in diesem vom »Rosenmontag 1888« bis hin zu dem Großunternehmen »Mnemosyne« in den späten 1920er Jahren immer wieder meldet. Vielleicht lässt sich in ihm sogar so etwas wie ein »grundlegendes Bruchstück« für jene Abhandlung ausmachen, deren Veröffentlichung 1888 zunächst als »Psychologische Kunst philosophie«, ab 1901 als »Monistische Kunstpsychologie« und schließlich ab 1912 als »Pragmatische Ausdruckskunde« geplant war.15 Was in einem Zettel kasten – gestartet am »Rosenmontag 1888« in Bonn, Warburgs damaligen Studienort – an Gedankensplittern, Aphorismen, Lesefrüchten und Formulie rungsentwürfen zusammengetragen ist, enthält zahlreiche Hinweise auf die Kategorie Gerät – in unterschiedlichen Bedeutungs, Zuordnungs und Defi nitionszusammenhängen.16 Dass der Begriff zeitweilig hohe Relevanz für Warburg gehabt haben muss, macht eine in Georges DidiHubermans L’image survivante faksimiliert wie dergegebene Tintenskizze deutlich (Abb. 1). In ihr wird »Gerät« nicht nur in eine kulturtheoretisch durchdachte Systematik eingeordnet, sondern sogar an zentraler, eben an »grundlegender« Stelle platziert.17 Die Skizze stammt aus den »Grundlegenden Bruchstücken zu einer psychologischen Kunstphi losophie«18 und zeigt den Begriff in Kombination mit »Schmuck« in einem gegenläufigen Doppelkreis – und zwar an dessen Basis. Sein vertikales Pen dant bilden die Begriffe Kunst (als Oberbegriff) und Manierismus (als Unter
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begriff). Auf der linken Seite sind die Begriffe Glaube und Aberglaube einge tragen, auf der rechten finden sich die Begriffe Wissenschaft (in horizontaler Korrespondenz zu Glauben), Benennung, Formula und Vergleich (als gewis sermaßen wissenssoziologische Achse). Drei Fassungen der Skizze sind über liefert: eine in der o. a. Zettelkastenfassung vom 8. Dezember 1899 (dort als Nummer 387 geführt, allerdings in einem chronologisch völlig anderen Zu sammenhang, Abb. 7)19, eine zweite in Teil Eins einer zwei Bände umfas senden handschriftlichen Kladde (dort auf Seite 59, Abb. 1)20 und schließlich eine dritte in einer späteren, 1927 maschinenschriftlich hergestellten Fassung (dort als Tintenskizze auf Seite 158)21. Die erste Fassung der Zeichnung führt den Begriff Gerät zweimal auf – einmal durchstrichen und ersetzt durch Wissenschaft an der rechten Seite des Kreises und zum anderen an der Basis, wahrscheinlich um seine grundle gende Bedeutung zu markieren – mit der Absicht, seine im 19. Jahrhundert in den Kulturwissenschaften nicht unwichtige Rolle pointiert zur Geltung zu bringen. Dies ist auch in den späteren Versionen der Skizze der Fall. In ihnen erscheint »Gerät« gewissermaßen als ein materielles Substrat, das Gebilde der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit – wie Religion, Kunst und Wissenschaft – vergegenständlicht und festigt, verobjektiviert und tradier wie kommunizierbar macht. Dies entspricht einerseits den evolutionistischen Modellen einer »science of culture«, wie sie von Edward B. Tylor in den 1860/ 70ern begründet worden war22, andererseits den zivilisationstheoretischen und völkerpsychologischen Vorstellungen, wie sie sich in den Jahrzehnten vor 1900 insbesondere in den deutschen Kulturwissenschaften herausgebildet hatten. In ihnen war Gerät ein absichtsvoll hergestelltes und auf die material verfasste Realität einwirkendes Werkzeug und solcherart sowohl Produkt wie Hilfsmittel menschlicher Arbeit, also tatsächlich eine fundamentale Kategorie im Sinne materialistischer Theorien (wie etwa des BasisÜberbauSchemas à la Marx und Engels) oder auch der Mängeltheorien à la Herder und Nietzsche, denen zufolge der Mensch seine defizitäre Organausstattung »gerätemäßig« kompensiert.23 Exkurs I: Als der Begriff in den frühen 1890ern Eingang in Warburgs Zettelka sten findet und dort in unterschiedlichen Zusammenhängen mit anthropolo gischer Bedeutung aufgeladen wird, hatte er eine etwa hundertjährige »wis senschaftliche« Geschichte hinter sich. Im frühen 19. Jahrhundert taucht er in seinem heutigen Verständnis zunächst in technischökonomischen und kame ralistischphysiokratischen Kontexten auf, um dann ab 1850 – vermittelt über die statistischlandeskundliche Literatur – Eingang in volkskundlichethno graphische Beschreibungen zu finden.24 Dort steht Gerät als Ordnungs und Gliederungskategorie neben Sitte und Brauch, Wirtschaften und Wohnen etc. Ihm gilt nicht in erster Linie eine ästhetischikonographische, sondern eine zivilisationshistorische und theoretische Aufmerksamkeit. Gefragt wird nach dem »biologischen« (= funktionallebensweltlichen) Gebrauch der »Geräth
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schaften«, und nicht primär nach deren volkskünstlerischen Gestaltungs formen und –absichten. Schon in den Denkschriften, die im frühen 19. Jahr hundert zur Sammlung von sprachlichen und dinglichen Überlieferungen verfasst worden waren, hatte sich der Begriff auch als dokumentarische Kate gorie zur Geltung gebracht.25 Georg Landau, einer der Begründer der volks kundlichen Haus und Sachforschung, sieht die tradierte Gerätekultur in Haus und Landwirtschaft als »lebendige Quelle«26, also als das, was in der damals differenziert entwickelten historiographischen Quellenkunde als »Überlebsel« (survival) oder als »Überrest« bezeichnet wird. Das ethnologischvolkskundliche Interesse an Arbeits und Hausgerät erwei tert sich im späten 19. Jahrhundert zunehmend.27 Die seit 1893 erscheinende »Zeitschrift für Kulturgeschichte«, eine für die Ausbildung und Institutiona lisierung der Kulturwissenschaften relevante Publikation, richtet in ihrer bib liographischen Abteilung, in der Neuerscheinungen angekündigt werden, eine Rubrik »Geräte« ein, in der Miszellen über »bäuerliche Arbeit und Wirtschaft« unter sachkulturellen Aspekten veröffentlicht werden.28 Und der ab den 1860er Jahren aufblühende Kunstgewerbediskurs macht aus dem sakralen und pro fanen Gerät auch eine in der Kunstgeschichte zunehmend Beachtung bean spruchende Kategorie. Mit den gerätetheoretischen Überlegungen, die im letz ten Viertel des 19. Jahrhunderts intensiv und expansiv in den Kultur und Naturwissenschaften Wissenschaften angestellt wurden, war Warburg über seine Lehrer Karl Lamprecht (»le propre maître de Warburg«, wie DidiHuber man ihn nennt29) und August Schmarsow bekannt geworden. Beide waren an dem Diskurs beteiligt und wichtige Stichwortgeber für eine realienkundliche Erweiterung der Kultur und Kunstgeschichte. Dazu werden allgemeine Anre gungen der im späten 19. Jahrhundert weit verbreiteten materialistischen und evolutionistischen Theorien gekommen sein. Gerät – das konnte Beleg sein für zivilisationstheoretische Annahmen, Indiz für Modernitätsvorstellungen, konnte »objet inouï et anachronique«30 und »epistemisches Ding« sein. Viel leicht waren es gerade diese Unschärfe und Unspezifik, die den Begriff für Warburg interessant gemacht haben.
Das Grimmsche Wörterbuch widmet dem Begriff in seinem vierten Band mehrere Spalten.31 Es umschreibt ihn mit den Stichworten »Hausrat, Werk zeug, Geräthschaft« und fasst diese als »sächliche concreta« zusammen. Den Wortbestandteil »rat« erläutert es als Eindeutschung eines lateinischen »con silium« und markiert so eine wortgeschichtliche Verschiebung von einer ehe mals mentalgeistigen Semantik hin zu materiellen Bedeutungsakzenten – zum Werkzeug der Bauern, der Handwerker, der Künstler usw. So wie »tool« als die englische, gibt es »outil« als die französische Übersetzung an. Her vorzuheben ist eine wortgeschichtlich frühe Zuordnung von Gerät und tex tilem Gut (»geräthe nennet das frauenzimmer die sämmtliche wäsche und sonderlich das leinene zeug, welches sie im vorrat haben«), eine semantische Ausrichtung, die für Warburgs Vorstellung von Gerät eine besondere Bedeu
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2. Organverlängerung durch Geräte – beobachtet von Rudolf Virchow, 1889
tung gewinnen sollte.32 Der vierte Band des Grimmschen Wörterbuchs war 1897 erschienen und spiegelt so auch das anthropologische Denken der Zeit um die Jahrhundertwende, einer Zeit, die für die Ausprägung kulturwissen schaftlicher Kategorien, Konzepte und Denkbilder nicht unwichtig war. An dem Begriff Gerät lassen sich so Eigenarten des frühen Anthropologie diskurses aufweisen – etwa die gesellschaftsstrukturelle Basisfunktion der material culture oder die Verschränkung von kulturellen und biologischen Sichtweisen, wie sie sich etwa in den Vorstellungen von der organverlängern den Funktion des Geräts zeigen lassen. Vorstellungen dieser Art finden sich bei dem Mediziner Rudolf Virchow ebenso wie auch in den auf Kunst und Kultur bezogenen Gerätekonzepten, wie sie etwa Alois Riegl in seinem pro grammatischen Essay über »Volkskunst, Hausfleiß und Hausindustrie« 1894 dargetan und sogar mit Feldforschungsempfehlungen versehen hatte33. Auch der intensiv von sozial und kulturanthropologischen (und übrigens auch Volkskundemuseumsgründungs)Interessen geprägte Virchow verfertigt bei einem Aufenthalt in den Vierlanden vor den Toren Hamburgs gerätekund liche Notizen, in denen er schneidende Erntegeräte, also Sensen, Sicheln und Sichten unter dem Aspekt »der Anpassung der Geräte an menschliche Kör perteile« darstellt.34 Es ist eine Beschreibung, die in der Art einer thick descrip tion den Gebrauch des Geräts und die Gestalt der Gebärde in allgemeine kul turgeschichtliche und zivilisationstheoretische Zusammenhänge stellt (Abb. 2). Angeregt von seinen Studien zum Verhältnis von Völkerpsychologie und Kunstwissenschaft hatte auch der Kunsthistoriker August Schmarsow, übri
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3.
„Geräte der Naturvölker“, Bildtafel aus Meyers Großes Konversationslexikon, 1904
gens ebenfalls am Beispiel von Sense und Sichel, Betrachtungen über das Zusammenspiel von Arbeit, Gerät und Gebärde angestellt. In seinen 1905 erschienenen »Grundbegriffen der Kunstwissenschaft« hatte Schmarsow Werkzeuge und Geräte als »Fortsetzungen oder Besonderungen der natür lichen Organe« des Menschen beschrieben.35 Die Sense nehme sich aus, so erläutert er, »als hätte sie ein Gelenk zwischen beiden Gliedern, deren eines sich wie ein verlängerter Arm erstreckt, während der andere herumgreift wie eine verlängerte Hand. Im Vollzuge der Leistung, deren sie (die Sense) fähig ist, scheint sie und der Mäher zusammengewachsen, wie aus einem Guss. Bestimmt der Schnitter die Sense oder die Sense den Schnitter? Es ist ein lebendiger Vorgang der Organisation, den die Menschenhand, ja unser gan zer Menschenleib vollzieht, indem sie das bildsame Material mit ihrem Wesen durchdringen«36. Oder allgemeiner, ebenfalls in den »Grundbegriffen der Kunst wissenschaft«: »Der bereitwillige Anschluss an die Körperbewegung des Menschen und die Arbeitsleistung, die von ihm verlangt wird, gibt dem Werk zeug eine bleibende Gebärde«37. Die theoretische Durchdringung der Konstel lation Mensch – Gerät – Gebärde, die Schmarsow mit zahlreichen Beispielen in Art einer ethnologischen Kombinatorik umspielt, war – wie Gombrich ver mutet – nicht ohne Einfluss auf Warburg.38 Exkurs II: Die Stichworte Organ, Materie, Hand, die in Schmarsows Beobach tungen und Argumentationen eine deutlich evolutionstheoretische Ausrich tung zu erkennen geben, stammen aus diversen völkerpsychologischen, tech
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niktheoretischen und kulturhistorischen Entwürfen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diskutiert wurden und in unterschiedlichen wissenskom munikativen Formen verbreitet waren. Sie lagen gewissermaßen in der Luft, weil sie durch Zeitschriften, Lexika und expositorische Medien popularisiert worden waren. Beispielhaft belegt dies etwa der Artikel »Geräte der Naturvöl ker« in Meyers Konversationslexikon, das sich in seiner sechsten Auflage, nicht zuletzt auch mit seinen Abbildungen, als Kompendium des neuen anthropolo gischen Wissens über Kulturtechniken und Technikkulturen darbietet (Abb. 3).39 In den beigegebenen Erläuterungen wird mit Stichworten einer Anthropologie operiert, die einerseits auf das 18. Jahrhundert, etwa auf die Ansichten des Menschen als »mittellosem Tier« oder auf Franklins Bestimmung des Werkzeug gebrauchs als Unterscheidungsmerkmal von Mensch und Tier zurückverweisen, andererseits angelehnt waren an die kulturwissenschaftlichen Großtheorien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Materialismus und Evolutionismus). Eine zentrale Rolle dabei spielt etwa die Hervorhebung der Hand im Evolu tionsprozess. So hatte etwa Ludwig Noiré in einem techniktheoretischen Essay »die Hand als Werkzeug der Werkzeuge« und als »Organ der Organe« be schrieben.40 Eine nicht geringe Berühmtheit hatte auch die Schrift »Grund linien einer Philosophie der Technik« von Ernst Kapp erlangt.41 Sie stammte aus dem Jahr 1877 und war intensiv beeinflusst von ethnologischen und primi tivitätstheoretischen Konzepten, die versuchten, natur und technikwissen schaftliche Betrachtungsweisen in die Kulturwissenschaften zu übertragen – mit dem Ziel, eine Systematik von Entwicklungsreihen aufzustellen. Kapps Bändchen wies sich in seinem Untertitel als ein Beitrag zur »Entstehungsge schichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten« aus und skizzierte in präziser Form eine Lehre vom Werkzeug als Organersatz, Organentlastung und Organüberbietung. Es war eine Lehre, die von zahlreichen der in Entstehung begriffenen anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Disziplinen auf gegriffen und in empirischen Studien durchexerziert wurde. Mit der Hand war so eine evolutionäre Metapher geschaffen, mit der folgenreiche zivilisations theoretische Wirkungen beschrieben werden konnten (wie dies etwa zusam menfassend der Prähistoriker André LeroiGourhan in seiner Abhandlung über »Hand und Wort« mit zahlreichen anthropologiegeschichtlichen Exkursen gemacht hat)42. Als Produkte des absichtsvollen, zweckgerichteten und souve ränen Gebrauchs der Hand bezeugen Geräte evolutionäre Prozesse – und zwar nicht auf das TMÜ (=TierMenschÜbergangsfeld)43, sondern auf den gesamten zivilisationshistorischen Entwicklungsgang bezogen: im Gerät spiegeln sich die »operativen Synergien von Werkzeug und Geste«44.
Warburg kannte Schmarsow seit Herbst 1899, nachdem er an einem von die sem veranstalteten Gründungsseminar des Kunsthistorischen Instituts in Florenz teilgenommen hatte.45 Ausgehend von diesem Kontakt sieht Gom brich in der Folge intensive Prägungen – einmal in Bezug auf evolutionistische Denkstrategien, die bei Warburg durch seine Bonner Lehrer Usener und Lam
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precht angelegt waren, zum anderen in Bezug auf die Rolle von Gebärden und formalisierten Handlungen – verstanden als »schöpferische Ausdrucksbewe gungen« und »gedächtnisformierende Exteriorisierungen«46. In der Tat scheint Warburgs Aufmerksamkeit in den frühen 1890ern sowohl der Frage nach der Bedeutung und Funktion von Gebärden als auch der Frage nach der Rolle von Geräten, Werkzeugen und Dingen gegolten zu haben. Das hat seinen Grund einerseits in seiner Dissertation47, in der er sich intensiv mit Problemen der »Bewegung«, vor allem der »Verknüpfung von naiver Geisteshaltung und Kör perausdruck«48 bei Botticelli beschäftigt hatte. Zu diesen Problemen gehörte allerdings auch die Frage nach dem äußerlich »bewegten Beiwerk«49, der Gewandung und dem wehenden Haar, in denen Warburg so etwas wie »Zwi schendinge«, Dinge zwischen Gebärde und Gerät ausmacht. Warburgs Ansichten waren nachdrücklich bestimmt von zwei Lektüren der frühen Studienzeit. Sie hatten ihn dazu verleitet, das materialistisch und evolutionistisch ausgerichtete Konzept des Geräts in spezifischer, nämlich ästhetischer Weise zu formatieren – so wie er es für seine Dissertation brauch te. Dabei handelt es sich um die Lektüre von Carlyles Sartor Resartus 50 und zum anderen von Sempers Abhandlung Über den Schmuck 51. Beide Schriften sind ethnologisch ausgerichtet, jedenfalls in den Passagen, die Warburg besonders interessierten – und was ihn interessierte, waren die Ausdrucks elemente in Form von Schmuck und Kleidung. Dabei rücken die Kategorien Gerät, Gebärde und Bewegung dicht zusammen. Zwar greift Carlyle kultur theoretisch weit aus, indem er den Menschen – zurückgreifend auf Benjamin Franklin – als tool using animal definiert, eine Bestimmung, die in Sartor Res artus an der »Welt in Kleidern«, an clothes umständlich, aber nicht ohne Witz erläutert wird. »Körper und Kleiderstoff«, so heißt es in der deutschen Car lyleÜbersetzung von 1889, die Warburg in Händen hatte, »sind für ihn nichts anderes als der Bauplatz und das Material worauf und woraus er das Gebäu de seiner verschönerten Person errichtet«52. Zu diesem Material zählen »feine Spitzen, Bänder und Frisuren«, also das, was bei Warburg unter der Kategorie »bewegtes Beiwerk« figuriert. Ganz ähnlich sind die Überlegungen in Sempers SchmuckTheorie. Auch bei ihm ist von »flatternden Bändern, Schnüren, Troddeln u. dgl.« die Rede, als »unerschöpflichem Mittel«, wie es bei Semper heißt, »die Richtung und die Bewegung einer Gestalt anmutig zu akzentuieren«.53 Aus diesen Stichworten bildet Warburg Leitbegriffe und ein argumentatives Gerüst für seine Disser tation, aber auch den Ausgangspunkt für eine Theorie organverlängernder Werkzeuge und verbindet diese mit dem Konzept der Bewegung, der Aus drucksbewegung. Kleidung sei, so notiert er im September 1890 unter Hin weis auf Semper auf einen seiner Zettel, »ein Fremdkörper, der am Leibe einer Person befestigt ist« (Zettel 87 vom 22. 9. 90).54 Konsequent definiert er solcher art Kleidungsstücke als »eine unorganische Erweiterung des Individuums, die den Dingen das Prädikat der unbedingten Zugehörigkeit [erteilt]«55. Oder, deutlich die Bewegung ins Spiel bringend, »Kleidung ist eine willkürliche
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materielle Beschwerung des mobilen Ich« (Zettel 146 vom 1. 3. 91). Zwar domi nieren in den frühen 1890ern, also in der Zeit, in der die Doktorarbeit entsteht, die Notizen über Schmuck, Tracht und Kleidung, aber auch generelle anthro pologische Perspektiven werden immer wieder zu Papier gebracht. So macht er sich Gedanken über die Aneignungsmodalitäten der zum Menschen »hin zukommenden Materie« – in Form von »Kleidung«, »Werkzeug«, »Fuhrwerk« u. ä. (Zettel 206 vom 1. 9. 91). Ausgehend von Carlyles tool using animal, das Warburg in der deutschen Übersetzung als »hantierendes Tier« kennenlernt, formuliert er: »Der Mensch ist nicht allein hantierendes (Carlyles S. R.), son dern auch tragendes Tier« (Zettel 162 vom 22. 3. 91). Daraus entwickelt er eine Gedankenlinie, die über die Tracht, verstanden als Gerät, und tool zu der Fra ge nach dem Werkzeug als Organersatz führt. 1890/91, als seine Überlegungen in enger Verflechtung zur Dissertationschrift stehen, deutet er Kleidungs stücke und Schmuck als »schmerzliche Organe«, als »Fremdkörper« (Zettel 87 vom 22. 9. 90). Das ist eine Feststellung, die Warburg einige Jahre später mit Entschieden heit revidiert – und zwar als Folge der Amerikareise. Auf Zettel 328, der aus der zweiten Augusthälfte von 1896 stammt, finden sich die Stichworte Gerät, Schmuck und Tracht mit dem Zusatz »schmerzlose Körperteile« (Zettel 328 vom 21. 8. 96). Und diese Zuordnung steht im Zusammenhang mit Gedanken zur »Erweiterung bzw. zum Verlust des IchGefühls durch Zuwachs, Anste ckung, Zusatz, Zufügung«, wie er die Aneignungsmodalitäten des »Anorga nischen« konkret beschreibt (Zettel 327 vom 21. 8. 96). Es geht um das »Gefühl der Einheit (Identität) zwischen seinem (des primitiven Menschen) lebendigen Ich und seinem jeweiligen, tatsächlich räumlichen, körperlichen Umfang«. Gombrich erläutert diesen Zetteleintrag mit einem Rückverweis auf die Fichtesche Wissenschaftslehre und zwar auf die Opposition von Ich und Nicht Ich.56 Erst im Werkzeuggebrauch entwickelt der Mensch die Vorstellung einer unbelebten, anorganischen Materie, einer von ihm unabhängigen Wirklich keit. »Die Grenze zwischen dem Ich und dem NichtIch«, so Gombrich, »zwi schen unseren Körpern und der Außenwelt ist dem primitiven Menschen […] nicht unmittelbar gegeben«57. So erkläre sich die Warburgsche Frage nach dem »Verlust der Identität des hantierenden Menschen«. Diese Notizen stammen, wie gesagt, aus dem Sommer 1896, stehen also unter dem unmittelbaren Eindruck der AmerikaReise, von der Warburg im Juni 1896 zurück gekommen war. Diese Reise, die in der WarburgForschung gründlich erkundet ist, muss ihn auch in puncto Gerät und Umgang mit Gerä ten tief beeindruckt haben – insbesondere die Besuche in den Indianerreser vaten in Arizona und New Mexico. Mit einem Schreiben vom 31. Dezember 1896 gibt er bei seinen Eltern den Bau von Glasschränken in Auftrag – für eine beachtliche Anzahl von Objekten, die er im Zusammenhang mit seinen Feld forschungen erworben und schon auf die Reise nach Hamburg geschickt habe.58 Das, was er expediert, nennt er in dem Brief »Töpfe, Trachten und Gerätschaften«. Er wolle sie, so schreibt er, zu Studienzwecken in Hamburg
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haben, um Fragen an ihre Funktion, Bedeutung und ornamentale Symbolik zu stellen. Der Brief bezeugt ein nicht unbedingt neues, aber doch mit Ent schiedenheit ethnologisch zugeschnittenes Interesse an der materiellen Kul tur, an Geräten, an Artefakten. Exkurs III: Dieses Interesse ist durchaus auch noch dem viele Jahre später ent standenen Kreuzlinger Vortrag über die Amerikareise anzumerken. Zwar geht es in diesem zentral um bild, ritual, und symbolanthropologische Fragen, doch immer wieder wird der Blick auch auf gerätekundlichsachkulturelle Zu sammenhänge gelenkt.59 Die in die PuebloKulturen einführenden Bemer kungen gelten dem Wirtschaften und Wohnen und deren Materialisierungen: den Behausungen, den Hauseinrichtungen bis hin zu solch trivialen Geräten wie Backmulden und Strohbesen.60 Eine besondere Aufmerksamkeit gilt den Ornamenten der Keramikgefäße. Der Anfang des Vortrags ist nach einem ge wissermaßen klassisch ethnographischanthropogeographischen Schema auf gebaut: Zunächst wird die naturräumliche Situation umrissen, dann die ma terielle Kultur in ihren bestimmenden Strukturen gekennzeichnet und schließlich werden die rituellen und mentalen Ordnungen, z. T. unter Verweis
4. Aby Warburg: HemisKatchinaTänzer, Zeichnung, 1895 5. Aby Warburg: Dekorationsmuster auf einem PuebloKeramikgefäss, Zeichnung, 1896
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auf dingliche Überlieferungen, zum Thema gemacht. Bei dem Tanzritual, das er in den auf dem Felsenplateau der Black Mesa in Arizona gelegenen Dörfern Walpi und Oraibi »teilnehmend beobachtet«, schenkt Warburg vor allem der Textil und Maskenausstattung große Aufmerksamkeit. Bekannt ist die Foto grafie, die ihn als Träger einer HemisKatchinaMaske zeigt.61 Die Aufnahme, entstanden im Mai 1896 in Oraibi, stammt aus einer Serie von Fotografien, mit denen der Feldforscher Warburg nicht nur Brauchrequisiten (und dort vor allem die Masken), sondern auch haus und landwirtschaftliche Geräte – z. T. in Funktion – im Bild dokumentiert: Keramikgefäße, Decken, Webstühle, Back tröge, Leitern etc. In Detailaufnahmen von Gebäuden werden konstruktive und ornamentale Besonderheiten festgehalten. Was Warburg mit seiner »Bull’s EyeBoxcamera« betreibt, ist das, was Ulrich Hägele als klassisches Verfahren der »Fotoethnografie« beschrieben hat.62 Seine eigenen Schnappschüsse er gänzt Warburg durch Aufnahmen professioneller und ethnographischer Licht bildner, wobei auch diesen Fotografien ein deutliches Interesse an sachkultu rellen Motiven abzulesen ist (Töpfe, Masken, Webrahmen, Textilien etc.). Außer den Fotografien, über deren Entstehung und Verbleib uns die Publikation von Benedetta Cestelli Guidi und Nicholas Mann gut informiert, ist eine Reihe von Zeichnungen und Bleistiftskizzen überliefert.63 Auch sie sind im Rahmen der Feldforschungen entstanden. Sie zeigen – nicht selten mit linguistischen Erläu terungen – Masken, Maskendetails, Trachtenstücke und Geräte (Abb. 4 und 5). In ihrer Präzision lassen sie ein deutliches Interesse an der Empirie der Sach forschung erkennen. Immer wenn er eine »wichtige visuelle Notiz zu machen hatte«, muss Warburg zu »seinem Bleistift« gegriffen haben, beobachtet selbst Jan Jones, der der Arbeit Warburgs mit Fotografien bei seinen »indianischen Forschungen« nachgegangen ist. Warburgs »Vertrauen in Bleistift und Papier«, so seine Behauptung, sei stärker gewesen als das in die neue Technik des »Schnappschusses«64. Schließlich bezeugt die Akquisition einer beachtlichen Zahl »indianischer« Objekte, für die er in seinem Brief vom 31. Januar 1896 an die Eltern eigene Sammlungsschränke in Auftrag gibt, deutlich sachkundliche Orientierungen, die sich seit seinen wissenschaftlichen Reisevorbereitungen in der Smithonian Institution in Washington mehr und mehr entwickelt und in der Feldforschung selbst dann eine starke Kontur gewonnen hatten. Mehr als hundert Objekte traten die Reise nach Hamburg an – und zwar nicht nur in Europa geschätzte Ethnopreziosen (wie Keramikgefäße der Hopi oder Katchinapuppen), sondern auch Arbeitsgerät (Webrahmen) und banales Alltagszeug (wie etwa luftge trocknete Präparate von Fladenbrot).65 Claudia Naber weist in ihrer Rekon struktion von Warburgs Amerikareise darauf hin, dass seine wissenschaftli chen Dingzuwendung von archäologischethnographischen Perspektiven geleitet war: zum einen waren es die »Überreste von Töpferei, Mumien, Geräte etc.« (in Analogie zu den »Ruinen der Cliffdwellings«), zum anderen interes sierten ihn die »lebhaften Vorstellungen«, die aus der »vitalen Ritual und Braucheinbindung« der Objekte resultierten. Ihnen galt eine theoretisch ausge
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6. Aby Warburg: „Verleibungsschema“, Zettel, 27. Januar 1896 7. Aby Warburg: Skizze zum „Verleibungsschema“, Zettel, 8. Dezem ber 1899 richtete Aufmerksamkeit deshalb, weil er sie, wie er das in dem Brief an seine Eltern formuliert, als »Korrektiv bei dem Studium jeder Kunst« lesen wollte.66
Nicht minder aufschlussreich ist eine theoretisch ausgerichtete Notiz vom 27. Januar 1896, ebenfalls verfasst in Santa Fé (Abb. 6). Ausgehend von Beob achtungen, die er kurz zuvor bei einem indianischen Ritual (dessen detail lierte Schilderung übrigens der Brief an die Eltern enthält) angestellt hat, unterscheidet er vier Varianten der »Verleibung«, darunter »Anverleibung« und »ZuVerleibung«, die beide durch »Geräte« erfolgen. Die Aneignung der Aussenwelt geht vonstatten über das Hantieren und dem dabei erforderlichen Gebrauch von Werkzeugen, Instrumenten und Geräten, egal ob das nun
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Töpfe, Backmulden, Webstühle oder Kleidungsstücke sind. Wie vorläufig und skizzenhaft sein konzeptionelles System im einzelnen auch ist, er misst der materiellen Kultur, den Geräten eine grundlegende Bedeutung zu. Es verwun dert deshalb nicht, wenn er seine Notizen zur »Verleibung und Gerätesymbo lik« mit der nicht ohne Pathos vorgetragenen Feststellung beschließt: »Ich glaube, ich habe den Ausdruck für mein psychologisches Gesetz endlich gefunden; seit 1888 gesucht!« Und dieser gesuchte Begriff ist »Verleibung«. In der Koppelung mit »Gerätesymbolik« verweist er auf die Dialektik von Exter nalisierung und Internalisierung – auf die materiell geformte und gefestigte Entäußerung (= Ausdruck) und die dadurch erst mögliche Form der Interna lisierung (= Verleibung, Verkörperung). Warburg muss die am 27. Januar 1896 im Palacehotel in Sante Fé festgehal tene Einsicht auch über den Moment hinaus so wichtig gewesen sein, dass er sie drei Jahre später ergänzte und in einer schematischen Darstellung syste matisierte – und zwar durch jene Skizze, die ab 1899 in leicht variierter Form immer wieder in den Exzerpten, Skripten und Aphorismen der »Grundlegen den Bruchstücke« auftaucht (Abb. 7).67 In diesem Schema hatte er der Katego rie Gerät eine sowohl hervorgehobene als auch grundlegende wissenssoziolo gische Funktion zugewiesen: hervorgehoben durch die Parallelsetzung zu den Kategorien Glaube, Kunst und Wissenschaft, grundlegend durch die Anord nung an der Basis des Kreismodells. So steht das gewissermaßen »geerdete« Gerät der Kunst gegenüber, wobei »Gerät« wie »Kunst« als Formen der Wirk lichkeitsaneignung durch ästhetische Sonder und Gegenformen (also Schmuck und Manierismus) dynamisiert und in innere Spannung versetzt werden. Sowohl das in Santa Fé entworfene »Verleibungsschema« wie auch die Leitbe griffe der Kreisfigur mit ihrer vertikalmateriellen und horizontal kognitiven Achse (dem »ordnenden Verhalten des Geistes dienend«) werden auf den zahlreichen Notiz und Merkzetteln immer wieder variationsreich, z. T. aber auch überkomplex durchspielt, was dazu führt, dass sie nicht frei von Diffu sität und Rätselhaftigkeit sind. Ungeachtet jeder Rätselhaftigkeit im Detail lässt sich jedoch sagen, dass Warburg auf seiner AmerikaReise die Bedeutung des Phänomens und der Kategorie »Gerät« stärker zu gewichten und kultur anthropologisch erweitert zu benutzen gelernt hat, was insbesondere auch für die theoretische Bestimmung des Gegenständlichen und Pragmatischen (= »das Gerätemäßige«) gilt. Kurzum: aus Amerika bringt er nicht nur Töpfe, Masken und Geräte mit, sondern auch Sichtweisen und Deutungsmuster, die ihm bei seinen Florentiner Untersuchungen zum Festwesen und zu den Cas soni, zu den Wachsvotiven und den textilen Bildträgern nützlich werden. Einer der letzten Zettel der »Fragmente« (die 1906 enden) ist der mit der Ord nungsnummer 437; er enthält die Eintragung »häusliche und festliche Geräte«, wobei als Beispiele für die häuslichen Geräte »Kasten« und »Wand« (also Cas soni) und als Beispiel für festliches Gerät »Fahnen« (gedeutet als »volksver sammelndes, richtungsbestimmendes Symbol«) angeführt und als »Mimik des sozialen Körpers« interpretiert werden (Zettel 437 vom 28. 12. 1906).68 Mit
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beidem, mit häuslichem und festlichem Gerät, mit den Cassoni und dem Fest wesen beschäftigte er sich archivalisch in der Zeit zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg. Ein stärker konzeptionell ausgerichtetes Interesse an dem Komplex Gerät, Werkzeug und tool making meldet sich dann erst wieder in den späten 1920ern – einmal im Zusammenhang mit der Arbeit an dem »Bilderatlas«, ablesbar etwa an der Formulierung »Gerät als Vehikel«, wie sie uns in den Erläuterun gen zur Tafel 32 entgegentritt, und zum anderen im Zusammenhang mit Überlegungen, die er 1927 im Austausch mit Edgar Wind anstellt. Durch die Erkundungen von Bernhard Buschendorf wissen wir, dass die intensiven Unterredungen, die Warburg und Wind 1928/29 führten69, an den Reflexionen und Denkspielen aus den 1890er Jahren anknüpfen – und zwar erstens an dem, was damals bei Warburg »Ausdruckskunde« hieß, zweitens an Carlyles Vor stellungen vom Menschen als tool using animal (als »hantierendem Tier«, wie es in Warburgs Exzerpten heißt) und drittens – von beidem ausgehend – an den »elementaren Formen des mimischen und gerätemässig erweiterten Aus drucks«70. Die Anregungen, die von Wind ausgingen – insbesondere der Hin weis auf einschlägige tierpsychologische Versuche und die Vorstellung einer »variablen Distanz zwischen Auge und Hand« (die eine Nähe zu Husserls Theorie des okulomotorischen Feldes erkennen läßt) – müssen stark gewesen sein. Das Konzept des Hantierens scheint in den Mittelpunkt der ausdrucks kundlichen Überlegungen zu rücken, eine Entwicklung, die auch von Gom brich konstatiert wird. Neben dem Körper als nächstliegendem Organ für den mimischen Ausdruck, figurieren Geräte, tools als wichtige Ausdrucksmedien. Am Gebrauch dieser Geräte ist das gleiche beobachtbar, was an der Muskel bewegung des Körpers – als Produzent von Mimik – festgestellt werden kann: sie werden über ihre Zweckbestimmung hinaus zu Trägern von Ausdrucks werten, die selbst wieder die Generierung von Ausdrucksformen beeinflus sen. Liest man die frühen, aus den 1890er Jahren stammenden Notizen mit den Augen Edgar Winds (vor allem in der Abhandlung »Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft« von 193171), dann ergibt sich als ihr Schlüssel der Begriff Ausdruck. Der Ausdruck wird in der Gebärde geformt. Zur Gebärde tritt als weitere Ausdrucksform das Gerät, das, wie es bei Wind heißt, die Funktionen des Körpers erweitert, ergänzt und verobjektiviert. Das Gerät ist es, das dem Menschen die erste Vorstellung der von ihm unabhängigen Wirklichkeit ver mittelt, über ein Objekt, das er handhaben kann, das es sich naherücken oder auf Distanz halten kann. Mit den Objekten, zu denen der hantierende Mensch in einer »gerätemäßigen Beziehung« steht, erweitert er die Grenzen seines Ich – organverlängernd und erfahrungsspeichernd. Aus dieser organverlän gernden und erfahrungsspeichernden Funktion leitet sich für Warburg – nach Wind – zweierlei ab: zum einen die Annahme eines »Gedächtnisses als allge meiner Funktion der organisierten Materie«72 und zum anderen die Beobach tung, dass Geräte über ihre Zweckbestimmung hinaus zu Trägern von Aus druckswerten werden – zu erfahrungsbildenden und erfahrungsbindenden
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Objektivationen. Zweierlei ist den Geräten inhärent: der Pragmatismus des Faktischen und die qua Dingsymbol mögliche Subjekt und Gegenwartstran szendenz.73 Die Kombination von Gerät und Hantierung, die durch den Dia log mit Wind starkes Profil gewinnt, verweist auf symboltheoretische Zusam menhänge, auf die übrigens kürzlich auch Birgit Recki aufmerksam gemacht hat: »Jeder Symbolgebrauch ist bei Lichte besehen Werkzeuggebrauch«74. Neben den »tüchtig fördernden«, den impulsgebenden theoretischen Anre gungen von Edgar Wind ist auch auf die konzeptionelle und empirische Arbeit am Großunternehmen des Bilderatlas hinzuweisen, wenn man sich die Bedeutung der »Geräteüberlegungen« für den Warburg der späten 1920er klar machen will. Folgt man den Vermutungen Gombrichs75, dann war es ein eth nologischgerätekundliches Vorbild, das Warburg als Modell für die Bilderta feln des »Atlas« diente – nämlich das »Ethnologische Bilderbuch« des Berliner Völkerkundlers Adolf Bastian. Es war 1887 erstmals erschienen und nach dem Muster der Bildtafeln der großen Lexika der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun derts angelegt.76 Postscriptum: Das ausdruckskundliche Schema, das den Kern der von War burg und Wind entfalteten »Gerätesymbolik« bildet, ist auch in unterschied lichen Versionen und Entwürfen der »neuorientierten« Kulturwissenschaften präsent.77 Das trifft etwa zu auf die erinnerungs und gedächtnistheoretischen Modelle, wie sie in den letzten beiden Jahrzehnten insbesondere von Aleida und Jan Assmann formuliert worden sind – z. T. unter ausdrücklicher Bezug nahme auf Warburg und Wind (wie es schon der Titel »Mnemosyne« einer frühen Aufsatzsammlung von Aleida Assmann und Dietrich Harth aus dem Jahr 1991 zu erkennen gibt78). Internalisierung und Externalisierung werden von A. Assmann als komplementäre Bewegungen gesehen. Externalisierung ist die Ermöglichungsbedingung einerseits für Kommunikation und anderer seits für die Verobjektivierung von Wissensbeständen, die als Ausschnitte von Welt figurieren und so als Kultur angeeignet werden: durch Internalisierung werden externalisierte Erfahrungen (=Ausdrücke) zu Wert und Deutungsmus tern.79 So ist die Doppelbewegung von Entäußerung und Verinnerlichung (Ein verleibung) die Voraussetzung für Symbolbildung und bindung. Die »Dialektik von Interiorität und Exteriorität«80 ist es auch, die der in den letzten Jahrzehnten variantenreich in den Kultur und Sozialwissenschaften traktierten »Habitustheorie« von Pierre Bourdieu zugrundeliegt – eine ethno logisch fundierte Theorie, die, wie uns von kunsthistorischer Seite durch Bernd Roeck 81 und von soziologischer Seite durch Martin Schmeiser82 bekannt gemacht worden ist, auf Warburg und Panofsky zurückverweist.83 Entwickelt ist die Theorie an ethnologischen Beobachtungen der Einrichtung und Gerä teausstattung eines »kabylischen Hauses«, wie Bourdieu es in den 1950/60er Jahren bei algerischen Berberstämmen kennen gelernt hatte. Dinge sind nicht nur Artefakte, sondern Aktanden. Im dauerhaften Umgang mit ihnen werden Praxisformen erzeugt, die zur Verobjektivierung drängen und so zu einem
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»Erzeugungsmodus« von Dispositionen werden. Dieses System von real wir kenden Dispositionen nennt Bourdieu – in Anlehnung an Panofskys aus der scholastischen Theologie übernommenen Begriff – Habitus. »Jedes hergestell te Produkt«, so Bourdieu, »übt kraft seiner Funktionsweise einen Lerneffekt aus, der dazu beiträgt, den Erwerb von Dispositionen zu erleichtern, die für seine adäquate Verwendung notwendig sind«84. Begriffe wie Einverseelung und Einverleibung werden mit der Dingkultur des Alltags, mit Geräten und Werkzeugen in Beziehung gebracht. Habitus ist so ein über Dinge sozialisierter (= einverleibter) Verhaltenscode, der seinerseits wieder Dinge erzeugt, die mit dem Code übereinstimmen. So entstehen Stile – regionale, temporale und sozi ale Stile. Am Dinghaften, an der »obdurate objecthood«85 orientiert ist schließlich auch das Gerätekonzept des »epistemischen Dings«, wie es von HansJörg Rhein berger entwickelt worden ist86. Sein Ausgangspunkt ist das Laborgerät, wel ches zum experimentellen Handeln, zur »Hantierung« auffordert. Das »episte mische Ding« hat seinen Ort an der Schnittstelle von Hirn und Hand. Es ist das Bindeglied zwischen der kognitiven Tätigkeit des Hirns und der Materialität eines externen Operationsfeldes. Rheinberger kann – ausgehend von Laborge räten, Präparaten und Modellen – zeigen, dass die Entstehung von Neuem in Wissenschaft und Kunst sich nicht nur Ideen, Begriffen und Einfällen ver dankt, sondern auch der hantierenden Arbeit an und mit den Geräten. In ihnen wirkt »la force créatrice de la chose créée«87. Mit den Dingen und im Hantieren mit ihnen ist das »okulomotorische Feld« ins Spiel gebracht – und damit die Kraft und das Vermögen der Hand mit dem »Menschenrecht des Auges« ver bunden.
* Mein Dank gilt Claudia Wedepohl und dem Warburg Institute Archive für ihre Unter stützung bei den Recherchen in London. 1 Vgl. dazu Wolfgang Brückner: Das Muse umswesen und die Entwicklung der volkskund lichen Wissenschaft in den Jahren 1902/1904. Die Dingwelt der Realien, in: Bernward Deneke u. Rainer Kahsnitz (Hg.): Das Kunst und kulturge schichtliche Museum in 19. Jahrhundert, München 1977, S. 133–142. 2 Eduard HoffmannKrayer: Über Museen für vergleichende Volkskunde, in: Paul Geiger (Hg.): Kleine Schriften zur Volkskunde von Eduard HoffmannKrayer, Basel 1936, S. 205–222, hier 207. In diesem Aufsatz aus dem Jahr 1910 entwirft HoffmannKrayer eine Systematik der volks kundlichen Gerätekultur / Ergologie.
3 Lenz KrissRettenbeck: Das Problem großer historischer Ausstellungen, in: Museumskunde, 45, 1980, S. 115–133, hier 130 (Anm.). 4 Vgl. dazu Christian F. Feest u. Alfred Jana ta: Technologie und Ergologie in der Völkerkunde [Mannheim 1966], 2 Bde., Berlin 1999, Bd. 1, S. 15. 5 »Werkstatt und Werkzeug«, in: Johannes Hoops (Hg.), Reallexikon der Germanischen Alter tumskunde, 35 Bde., Berlin u. New York 2006, Bd. 33, S. 463–469, hier 463f. 6 Aby Warburg: Die Erneuerung der heidni schen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance [hg. von Gertrud Bing unter Mitarbeit von Fritz Rouge mont Leipzig 1932], neu hg. von Horst Brede kamp und Michael Diers (= Aby Warburg. Gesam melte Schriften, 1. Abt., Bd. I, 1), Berlin 1998, S. 326. 7 Ebd.
146 GOTTFRIED KORFF 8 Vgl. dazu Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie [Aby Warburg. An Intellectual Biography, London 1970], Frankfurt a. M. 1984, S. 300. 9 Aby Warburg: Der Bildatlas Mnemosyne, hg. von Martin Warnke unter Mitarbeit von Claudia Brink (= Aby Warburg. Gesammelte Schriften, 2. Abt., Bd. II, 1), Berlin 2000, S. 123f. 10 Vgl. dazu Aby Warburg: Austausch künst lerischer Kultur zwischen Norden und Süden im 15. Jahrhundert [1905], in: wie Anm. 6, S. 177–184, hier 180. Aufschlussreich ist in diesem Zusam menhang, dass die von Warburg in diesem Auf satz zusammengetragenen Beispiele für »Gerät kunst« etwas mehr als zwanzig Jahre später auf Tafel 32 des Bilderatlas als »Vehikel« wieder auf gegriffen werden. 11 Michael Diers: Erinnerung der Antike bei Aby Warburg oder: Die Gegenwart der Bilder, in: Bernd Seidensticker u. Martin Vöhler (Hg.): Ur geschichte der Moderne. Die Antike im 20. Jahrhun dert, Stuttgart u. Weimar 2001, S. 40–65. 12 Vgl. dazu Paul Carus: Philosophy of the Tool, Chicago 1893. 13 Aby Warburg: Heidnischantike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten, Heidelberg 1920, S. 63; vgl. dazu auch Michael P. Steinberg: Aby Warburg‘s Kreuzlingen Lecture: A Reading, in: Aby Warburg: Images from the Region of the Pueblo Indians of North America, Ithaca 1995, S. 59– 109, hier 90 (»einheitlich primitives Gerät« / «uniformly primitive tool«). 14 Gombrich 1984 (wie Anm. 8). 15 Ebd., S. 458, Pos. 1. 16 Warburg Institute Archive (im Folgenden: WIA) III.2.1. Zettelkasten »Aphorismen«. Vgl. dazu auch den vor kurzem erstmals edierten Text »Symbolismus aufgefasst als primäre Um fangsbestimmung« (1896–1901), in dem auf den Begriff Gerät immer wieder zur Erläuterung symboltheoretischer Überlegungen zurückge griffen wird. Frauke Berndt u. Heinz Drügh (Hg.): Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft, Frankfurt a. M. 2009, S. 75–91. 17 Georges DidiHuberman: L’image survi vante. Histoire de l’art et temps des fantômes selon Aby Warburg, Paris 2002, S. 247. WIA III. 43.2.1., fol. 59. 18 Vgl. dazu Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 458. Das Titelblatt der Kladdenversion ist fak similiert wiedergegeben in: Georg Syamken: Aby Warburg – Ideen und Initiativen, in: Werner
Hofmann u. a.: Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg, Frankfurt a. M. 1980, S. 11–51, hier 34f. Vgl. dazu auch Bernhard Buschendorf: »War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern«. Edgar Wind und Aby Warburg, in: Idea. Werke, Theorien, Dokumente. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, 4, 1985, S. 165–209, hier 178. Eine von Bernhard Bu schendorf u. Claudia Naber geplante Edition der »Grundlegenden Bruchstücke« ist angekündigt in Bernhard Buschendorf: Zur Begründung der Kulturwissenschaft. Der Symbolbegriff bei Fried rich Theodor Vischer, Aby Warburg und Edgar Wind, in: Edgar Wind. Kunsthistoriker und Philo soph, hg. von Horst Bredekamp u. a., Berlin 1998, S. 227–250, hier 230f., Anm. 15. 19 WIA III.2.1., Nr. 387 (cf. Anm. 16). 20 WIA III. 43.2.1, S. 59. 21 WIA III. 45, S. 158. 22 Vgl. dazu Christian F. Feest u. KarlHeinz Kohl: Hauptwerke der Ethnologie, Stuttgart 2001; S. 492–498. 23 Vgl. dazu Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt [Berlin 1940], Wiesbaden 1986, S. 20; Roger Häußerling: Nietz sche und die Soziologie. Zum Konstrukt des Über menschen, Würzburg 2000, S. 15. Der Kompensa tionsgedanke war Warburgs anthropologischem Denken keineswegs fremd, denn nach Gertrud Bing soll eine seiner »gern zitierten« Behauptun gen gewesen sein: »Der Mensch ist mit wenig Auslagen gearbeitet«. Vgl. dazu Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 379. 24 Vgl. dazu Wolfgang Jacobeit: Bäuerliche Arbeit und Wirtschaft. Ein Beitrag zur Wissenschafts geschichte der deutschen Volkskunde, Berlin 1965, insbes. S. 42; Ulrich Bentzien: Volkskundliche Geräteforschung und mittelalterliche Realien kunde, in: Harry Kühnel (Hg.): Die Erforschung von Alltag und Sachkultur des Mittelalters. Methode, Ziel, Verwirklichung, Wien 1984, S. 140f. 25 Vgl. dazu den Entwurf einer Denkschrift von Christian Friedrich Rühs vom 14. Dezember 1814 in: Georg Winter: Zur Vorgeschichte der Monumenta Germaniae Historica. Vier Denk schriften von Rühs, K. F. Eichhorn, Savigny und Niebuhr, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, 47, 1928, S. 1–10. 26 Vgl. dazu Jacobeit 1965 (wie Anm. 24), S. 43 f. 27 Vgl. dazu etwa Friedrich Hottenroth: Trach ten, Haus, Feld und Kriegsgeräthschaften der Völ
147 »SCHMERZLOSE KÖRPERTEILE«? ker Alter und Neuer Zeit, 2 Bde., Stuttgart 1884– 1891, Bd. 1: »Es ist der stoffliche Gesichtspunkt, welchen dieses Buch hervorkehrt«, so heißt es in der Einleitung, »es will dem Künstler und kunst verwandten Handwerker in Wort und Bild eine reichhaltige Sammlung von Material aus dem weiten Gebiete der Völkertrachten an die Hand geben« – eine »Notwendigkeit«, die mit dem in »unseren Tagen so lebhaft hervortretendem In teresse für alle Zweige des Kunstgewerbes« be gründet wird (S. I). Aufschlussreich in Hotten roths weit verbreitetem Werk ist die Nähe von Gerät und Tracht, die auch in Warburgs Geräte Überlegungen eine auffallende Rolle spielt. 28 Georg Steinhausen (Hg.): Zeitschrift für Kul turgeschichte, Berlin 1894ff. 29 DidiHuberman 2002 (wie Anm. 17), S. 70. 30 Ebd., S. 69. 31 Jacob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörter buch, Bd. 4/I, 2 (»Gefoppe – Getreibs«), Leipzig 1897, Sp. 3563ff. 32 Vgl. dazu den Hinweis auf Hottenroth (wie Anm. 27). 33 Alois Riegl: Volkskunst, Hausfleiß und Haus industrie, Berlin 1894. Vgl. dazu auch Riegls An weisung zur »teilnehmenden Beobachtung«: »Man muss das Haus selbst aufsuchen, die Hand bei der Arbeit beobachten, die wirtschaftliche Art der Produktion studieren, alle Faktoren, die bei der Erzeugung in Betracht kommen, vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt und dessen Verwendungsart peinlich verzeichnen« (S. 80). 34 Rudolf Virchow: Mähwerkzeuge mit ab gepasstem Handgriff aus den Vierlanden, in: Zeitschrift für Ethnologie, 21, 1889, S. 485ff. Zu Vir chows anthropologischgerätekundlichen Ansich ten vgl. auch Dagmar NeulandKitzerow: »… denn niemand kann sagen, wo die Kunst beginnt und wo das tägliche Leben endet«: Das Wirken Rudolf Virchows für das »Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewer bes, in: Geraldine Saherwala u. a. (Hg.): Zwischen Charité und Reichstag. Rudolf Virchow. Mediziner, Sammler, Politiker, Berlin 2002, S. 113–122, hier 116. 35 August Schmarsow: Grundbegriffe der Kunst wissenschaft. Am Übergang vom Altertum zum Mit telalter [Leipzig 1905], Berlin 1998, S. 136. 36 Ebd. S. 138. 37 Ebd. S. 145. Vgl dazu auch August Schmar sow: Kunstwissenschaft und Völkerpsychologie.
Ein Versuch zur Verständigung, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 2, 1907, S. 305–339 u. 469–500, hier 498. 38 Gombrich 1984 (wie Anm. 8 ), S. 60f. 39 »Geräte der Naturvölker«, in: Meyers Gro ßes Konversationslexikon, 20 Bde., Leipzig u. Wien 1902–1908, Bd. 7, 1904, S. 624–626 (»[…] sie bilden ein gewaltiges Dokument der menschlichen Ent wicklung«, so heißt es dort über Geräte). 40 Ludwig Noiré: Das Werkzeug und seine Be deutung für die Entwicklungsgeschichte der Mensch heit, Mainz 1880, S. 183 (»Außer der Entwicklung der Vernunft ist es die für die einzelnen speciali sierten Thätigkeiten immer geschickter werden de Hand, das Werkzeug der Werkzeuge oder auch das Organ der Organe, welches dies Wun der bewirkt«). 41 Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877. 42 André LeroiGourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst [Le geste et la parole, Paris 1964/1965], Frankfurt a. M. 1980. 43 Vgl. dazu Gerhard Heberer: Der Ursprung des Menschen. Unser gegenwärtiger Wissensstand [Stuttgart 1968], Stuttgart 1972, S. 9. 44 LeroiGourhan 1980 (wie Anm. 42), S. 296. 45 Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 60–62. 46 Vgl. dazu LeroiGourhan 1980 (wie Anm. 42), S. 296f. 47 Aby M. Warburg: Sandro Botticellis »Geburt der Venus« und »Frühling«. Eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance, Hamburg u. Leipzig 1893. 48 Gombrich 1984 (wie Anm. 8 ), S. 63. 49 »Bewegtes Beiwerk« ist ein Begriff War burgs, dessen Erfindung Gombrich (S. 416) in den »Winter 1888« datiert, wobei anzumerken ist, dass der Begriff »Beiwerk« in der volkskund lichen Kleidungs und Trachtenforschung durch aus üblich war. Vgl. dazu etwa die Einleitung in die »Gerätekunde« von Friedrich Hottenroth (wie Anm. 27). Grundlegend dazu auch Ulrich Raulff: Wilde Energien. Vier Versuche zu Aby Warburg, Göttingen 2003, S. 19f. und insbesondere der Be griff »intrafiguratives Graphem«, mit dem Raulff das »bewegte Beiwerk« in »Locken, Schmuck und Gewand« beschreibt (S. 145f.). 50 Thomas Carlyle: Sartor Resartus oder Leben und Meinungen des Herrn Teufelsdröckh in drei Bü chern [Sartor resartus, or life and opinions of
148 GOTTFRIED KORFF Herr Teufelsdroeckh, London 1832], Halle a. d. S. 1889. Vgl. dazu Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 102f.; Bernd Villhauer: Aby Warburgs Theorie der Kultur. Detail und Sinnhorizont, Berlin 2002, S. 39–44; Mark Cumming (Hg.): The Carlyle Ency clopedia, Cranburg N. J. 2004, »Clothes Clothes Philoso phy”, S. 93ff. 51 Gottfried Semper: Über die formelle Ge setzmäßigkeit des Schmuckes und dessen Be deutung als Kunstsymbol, in: Manfred u. Hans Semper (Hg.): Kleine Schriften von Gottfried Sem per, Berlin u. Stuttgart 1884, S. 303–343. 52 Carlyle 1889 (wie Anm. 50), S. 49f. Es darf nicht übersehen werden, dass die Vorstellung des »gerätemäßigen« Mängelausgleichs à la Her der auch bei Carlyle thematisiert ist: »Schwach an sich selbst, […] versteht er es, Werkzeuge zu gebrauchen, Werkzeuge zu ersinnen; den granit nen Felsen zermalmt er durch sie zu Staub; glü hendes Eisen formt er wie weiches Wachs« (S. 55). 53 Semper 1884 (wie Anm. 51), S. 321f. 54 WIA III. 2. 1 (wie Anm. 16). 55 Zettel 87 vom 22. 9. 90. 56 Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 299. 57 Ebd. 58 WIA, FC Aby Warburg an seine Eltern 31. 1. 96. Zur Amerikareise vgl. Claudia Naber: Pompeji in NeuMexiko. Aby Warburgs amerika nische Reise, in: Freibeuter, 38, 1988, S. 88–97. Dort auch Ausführungen zu dem unveröffentlichten Brief Warburgs an seine Eltern. 59 Aby M. Warburg: Schlangenritual. Ein Reise bericht. Mit einem Nachwort von Ulrich Raulff, Ber lin 1988. 60 Ebd. S. 13f. (Abbildung des Strohbesens im »Innenraum eines Hauses in Oraibi« und Kom mentar). 61 Benedetta Cestelli Guidi u. Nicolas Mann (Hg.): Grenzerweiterungen. Aby Warburg in Ameri ka 1895–1896, Hamburg u. München 1998, S. 143 (Abb. 81). 62 Ulrich Hägele: FotoEthnographie. Die visuel le Methode in der volkskundlichen Kulturwissen schaft, Tübingen 2007. 63 Benedetta Cestelli Guidi: Aby Warburgs Reise nach Amerika in Photographien, in: dies./ Mann 1998 (wie Anm. 61), S. 28–47 (insbes. Abb. 12, 14 und 15). 64 Ian Jones: Aby Warburg als Photograph, in: Cestelli Guidi/Mann 1998 (wie Anm. 61), S. 48– 52, hier 49.
65 Zu den nach Hamburg expedierten Objek ten und deren Geschichte vgl. Salvatore Settis: Kunstgeschichte als vergleichende Kulturwis senschaft: Aby Warburg, die PuebloIndianer und das Nachleben der Antike, in: Thomas Gaethgens (Hg.): Künstlerischer Austausch / Artis tic Exchange, 3 Bde., Berlin 1993, Bd. 1, S. 139–158, hier 144f. 66 Naber 1988 (wie Anm. 58), S. 91, Anm. 18. 67 WIA, III.2.1., Nr. 387. Ähnlich konfiguriert und mit analogen Begriffen ausgestattet, aber sehr viel differenzierter ist eine Skizze in dem kürzlich publizierten »Symbolismus«Skript in Berndt/Drühg 2009 (wie Anm. 16), S. 85. 68 Vgl. dazu auch Villhauer 2002 (wie Anm. 50), S. 39f. 69 Buschendorf 1985 (wie Anm. 18), S. 165–209. 70 Edgar Wind: Warburgs Begriff der Kultur wissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhe tik, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 25, 1931, Beilageheft, S. 163– 179. Wieder abgedruckt in Dieter Wuttke (Hg.): Aby Warburg. Ausgewählte Schriften und Würdigun gen, BadenBaden 1980, S. 401–417. 71 Ebd. 72 Vgl. Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 301. 73 Vgl. dazu mit direktem Bezug zu Warburgs Symboltheorie präzise und äußerst erhellend Jürgen Habermas: Die befreiende Kraft der sym bolischen Formgebung, in: ders.: Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck, Frankfurt a. M. 1997, S. 9–40, hier 19 und 37. 74 Vgl. dazu Martin Bauer: Der Mensch an sich ist Ingenieur, in: Süddeutsche Zeitung, 26. No vember 2008. 75 Gombrich 1984 (wie Anm. 8), S. 378. 76 Ethnologisches Bilderbuch mit erklärendem Text. 25 Tafeln, davon sechs in Farbendruck, drei in Lichtdruck. Zugleich als Illustrationen beigegeben zu dem Werke »Die Welt in ihren Spiegelungen unter dem Wandel des Völkergedankens« von Adolf Bastian, Berlin 1887. Zur komplizierten und ungeklärten Vor und Entstehungsgeschichte des »Bilderat las« hat jüngst Michael Diers bisher unbekannte Materialien und Deutungen vorgelegt. Vgl. dazu Michael Diers: Atlas und Mnemosyne. Von der Praxis der Bildtheorie bei Aby Warburg, in: Klaus SachsHombach (Hg.): Bildtheorien. Anthro pologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn, Frankfurt a. M. 2009, S. 181–213.
149 »SCHMERZLOSE KÖRPERTEILE«? 77 Vgl. dazu Doris BachmannMedick: Cultu ral Turns. Neuorientierung in den Kulturwissen schaften, Reinbek bei Hamburg 2006. 78 Aleida Assmann u. Dietrich Harth (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen kultureller Er innerung, Frankfurt a. M. 1991. 79 Aleida Assmann: Externalisierung, Inter nalisierung und Kulturelles Gedächtnis, in: Wal ter M. Sprondel (Hg.): Die Objektivität der Ord nungen und ihre kommunikative Konstruktion. Für Thomas Luckmann, Frankfurt a. M. 1994, S. 422–435. 80 Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabyli schen Gesellschaft [Esquisse d’une théorie de la pratique, Paris 1972], Frankfurt a. M. 1979, S. 164f. (im Abschnitt »Die Dialektik von objektiven und einverleibten Strukturen«). 81 Bernd Roeck: Lapidarische Übertragung. Gotik und Scholastik: Eine Idee Panofskys und ihre Vorläufer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. April 2003. 82 Martin Schmeiser: Pierre Bourdieu. Von der SozioEthnologie Algeriens zur EthnoSozio logie der französischen Gegenwartsgesellschaft. Eine biobibliographische Einführung, in: Ästhe
tik und Kommunikation, 16/6162, 1986, S. 167–183, hier 181, Anm. 18. 83 Vgl. dazu auch Gottfried Korff: Kulturfor schung im Souterrain. Aby Warburg und die Volkskunde, in: Kaspar Maase u. BerndJürgen Warneken (Hg.): Unterwelten der Kultur. Themen und Theorien der volkskundlichen Kulturwissen schaft, Köln, Weimar u. Wien 2003, S. 143–178, hier 172f. 84 Bourdieu 1979 (wie Anm. 71), S. 170, Anm. 42 (S. 447). 85 Vgl. dazu Lorraine Daston: Introduction: Speechless, in: dies. (Hg.): Things that Talk. Object Lessons from Art and Science, New York 2004, S. 9–24, hier 11. 86 HansJörg Rheinberger: Experimentalsyste me und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Pro teinsynthese, Göttingen 2001; ders.: Objekt und Repräsentation, in: Bettina Heintz u. Jörg Huber (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbar machung in wissenschaftlichen und visuellen Welten, Zürich, Wien u. New York 2001, S. 55–64. 87 Vgl. dazu Helga Nowotny: Unersättliche Neugier. Innovation in einer fragilen Zukunft, Berlin 2005, S. 82.
ALBRECHT POHLMANN
Pastell, Pipette, Streichmaschine – Malwerkzeuge eines Naturwissenschaftlers Wilhelm Ostwald zwischen Malerei und Reproduktion
Farbatlas und Reproduzierbarkeit Am Silvestertag 1922 machte Wilhelm Ostwald (1953–1932), Nobelpreisträger für Chemie von 1909, eine der zahlreichen praktischen Erfindungen, die sei nen Weg als experimenteller Forscher begleiteten. Als Alternative zum Pinsel erfand er zunächst eine Streichbürste, indem er ein Stück Plüsch auf Gutta percha, dann auf einen Holzklotz klebte. Danach kam ihm die Idee zu einer »Streichmaschine«, die er sich zum Jahresanfang 1923 auch baute. Beides hat er in einem Laborheft mit dem Titel Normen 2. 19221 dokumentiert. Notwendig wurde die Erfindung durch Ostwalds Arbeit an seinem zweiten Farbenatlas. Auslöser für Ostwalds Beschäftigung mit der Farbe war der Auftrag des Deutschen Werkbundes von 1914 gewesen, Ordnung in das Chaos der mitt lerweile unüberschaubaren Menge von Farbtönen zu bringen, die in Kunst, Gewerbe und Industrie verwendet wurden. Dafür sollte Ostwald einen Atlas der Körperfarben zusammenstellen. Bis zum Kriegsausbruch im August 1914 hieß das Projekt »Internationaler Farbenatlas«, danach nur noch »Rationeller Farbenatlas«. Ostwald vermochte diese Aufgabe nicht anders zu lösen, als dass er eine neue Farbenlehre entwickelte und das eigene Farbsystem zur Grundlage des Farbatlanten machte. Der radikale Ordnungssinn, der sich in diesen Arbeiten äußerte, rief hef tigen Widerspruch bei den Zeitgenossen hervor. Naturwissenschaftler und Psychologen wiesen auf die Gewalt hin, die Ostwald den Phänomenen antun musste, damit sie in sein perfektes Schema passten; Künstler und Kunsthisto riker fühlten sich in ihrem künftigen Umgang mit Farbe von einem Wissen schaftler in anmaßender Weise bevormundet. Diese Debatte, so viel sie auch über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft aussagen könnte, kann hier nicht dargestellt werden, bildet aber dennoch eine Art Subtext, den es im Folgenden zu gegenwärtigen gilt.2 Wie alle Vorgänger, die Farbkarten oder Verwandtes herzustellen hatten, stieß Ostwald auf ein sehr simples, nichtsdestoweniger aber hartnäckiges Pro blem: nämlich die Forderung, dass Farbmuster eines Farbtones identisch sein müssen, um zuverlässiges Vergleichen und Abmustern zu ermöglichen (Abb. 1).
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1. Wilhelm Oswald: Der Kleine Farbkörper. Beilage in: Die Farbschule. Eine Anleitung zur praktischen Erlernung der wissenschaftlichen Farbenlehre. 4. bis 5., verb. Aufl., Leipzig 1924
Idealerweise musste das Farbmuster jeden störenden Reflex ausschließen, also vollkommen matt sein. Seine Materialität durfte als solche nicht auffallen und der Farbauftrag musste homogen und sehr gleichmäßig sein, insbesondere durften die Muster keine individuellen Besonderheiten aufweisen. Dies waren Forderungen, die für Farbmustersammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts unerfüllbar gewesen waren. Mit den Druckverfahren des frühen 20. Jahrhun derts ließen sich die Forderungen annähernd erfüllen, wenngleich die matte Oberfläche vor allem durch die Wahl eines matten Papiers zustande kam, weniger durch matten Auftrag. Drei und Vierfarbendruck waren allerdings aus zweierlei Gründen ungeeignet: Das Raster verstieß gegen die Homogeni tätsforderung, obwohl es bei entsprechender Feinheit unter die Wahrneh mungsschwelle gedrückt werden konnte. Schwerer wog die Tatsache, dass sich aus drei bzw. vier Farbtönen mit Druckfarben nur ein kleiner Teil der möglichen Körperfarben darstellen ließ. Dies gab für Ostwald den Ausschlag, die Farbmuster seiner Farbatlanten selbst herzustellen. Er hatte dafür mit seinem Mitarbeiter, dem Färbereiche miker Paul Krais, monatelang experimentiert: hauptsächlich, um die erforder lichen Farbnuancen mit den verfügbaren Farbmitteln zu reproduzieren, dann aber auch, um die geforderten Materialqualitäten der Farbmuster zu errei chen. Am 10. August 1915 sandte Ostwald an Krais seine soeben beendete »Zusammenstellung reinster Farben im ganzen Farbkreis«, die er durch Trän kung von Papieren in Lösungen von zehn Teerfarbstoffen hergestellt hatte, »eine Methode […], welche von der persönlichen Willkür ganz unabhängig ist
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2. Wilhelm Oswald: Der Kleine Farbkörper (wie Abb. 1), Detail der ausge färbten Muster
und [immer] übereinstimmende Resultate ergibt.«3 Mit seinem Ideal materiell unauffälliger Farbproben strebte Ostwald einen hohen Abstraktionsgrad von »Körperfarbe« an, die wir doch meist gekoppelt an bestimmte Oberflächen phänomene wahrnehmen (Abb. 2). In den folgenden Jahre wurde der Farbenvorrat des Atlanten von rund 2500 Farben drastisch reduziert und die verbleibenden Töne als »Farbnormen« modifiziert. Die zweite Auflage von 1923/1924 enthält daher nur noch 680 Farb töne – 672 Bunttöne und eine achtteilige Graureihe. Mit dem bisherigen, für die erste Auflage von 1917/1918 verwendeten Tränkungsverfahren war Ost wald allerdings in eine Sackgasse geraten. Von den rein in wässriger Lösung verwendeten Farbstoffen hatten sich zu viele als lichtunecht erwiesen. Dieser Umstand, den Ostwald anfangs glaubte, vernachlässigen zu können, trug ihm die schärfste Kritik von künstlerischer wie wissenschaftlicher Seite ein. Außerdem hatte es immer wieder Schwierigkeiten beim Kaschieren der getränkten Papiere gegeben; der Leim sorgte für Flecken und reagierte sogar mit einigen der verwendeten Teerfarbstoffe. Noch 1918 begann Ostwald, mit der Herstellung von Deckfarben zu expe rimentieren und entschied sich schließlich für einen Pflanzenleim aus aufge schlossener Stärke, der wässrig angewendet wird, aber wasserfest auftrock net.4 Das warf aber nur neue Probleme auf: Deckfarbenaufstriche mit breiten Pinseln oder Bürsten verlangten vom Ausführenden eine stärkere Unterdrü ckung zufälliger Bewegungen, als es etwa von einem Anstreicher erwartet wurde. Jeder Druckunterschied bei der Führung des Werkzeugs konnte Unre gelmäßigkeiten bewirken, Unterschiede in der Farbabgabe und verklebte Pin selborsten führten sofort zu striemigem Farbauftrag. Ein derart beherrschtes Arbeiten rief insbesondere beim Arbeitenden Ermüdungserscheinungen her vor, wodurch eine zusätzliche Fehlerquelle entstand. Die Lösung fand sich schließlich 1923 in der eingangs erwähnten Streich maschine: Ostwald baute sich zunächst eine Streichbürste, in der die üblichen
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3. Wilhelm Ostwald: schematische Zeichnung der Streichmaschine, 1922?, aus dem Laborheft „Normen 2. 1922, 280365“, Archiv der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Nachlaß Wilhelm Ostwald 4826, Bl. 19
Borsten durch ein Stück Plüsch ersetzt werden. In seinem Laborheft ver merkte er nach ersten Streichproben begeistert: »ausgezeichnet! Streicht sich schnell und glatt.«5 Der emphatischen Notiz folgt die schematische Zeichnung der Maschine, welche die Plüschbürste in einen mechanischen Zusammen hang bringt. Ihre Funktionsweise lässt sich wie folgt beschreiben: Ein Papier band wird durch ein Endlosband vorwärts bewegt und dabei zwischen einer Plüschbürste und einem Führungsklotz hindurchgeführt. Unmittelbar vor der Bürste ist ein Farbbehälter angebracht, der gleichmäßig streichfertige Farbe abgibt, die durch die Bewegung des Papiers von der Plüschbürste glattgestri chen wird. Danach wird die Papierbahn über eine Trockenstrecke geführt und schließlich aufgerollt (Abb. 3). Am 24. Januar 1923 begann Ostwald mit der Herstellung der Farbmuster, wobei sich die »Färbemaschine mit endlosem Papier« bewährte: »10 m je Minute, die Färbung tadellos.«6 Es ist bemerkenswert, dass Ostwald, der sich stets für neue Erfindungen begeisterte, den Siebdruck, wie er sich seit Ende des 19. Jahrhunderts von Kalifornien aus bis nach Europa verbreitet hatte, nicht als Auftragsart in Erwägung gezogen hatte. Möglicherweise hatte er ihn nicht zur Kenntnis genommen – denn seit Mitte der 1920er Jahre spielte das Verfahren lediglich für Schildermaler und Werbegrafiker auch in Deutschland eine Rolle.
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4. Wilhelm Ostwald: Ölstudie, um 1900, WilhelmOstwaldArchiv Großbothen
Pastell als mechanisierte Malweise Es erhebt sich allerdings die Frage, was es mit dieser relativ banalen Erfin dung einer Streichmaschine auf sich hat. Diese Maschine ist jedenfalls mehr, als nur ein Hilfsmittel zur Herstellung von Farbmustern – sie ist in gewisser Weise die letzte Konsequenz eines maltechnischen Ideals. Denn der Gelehrte war nicht nur ein begeisterter Musiker, sondern auch ein versierter und lei denschaftlicher Freizeitmaler. In seinem Nachlass werden Tausende von Ölskizzen, Aquarellen, Gouachen und Pastellen aufbewahrt. Gerade seine LandschaftsÖlskizzen sind bemerkenswert und stehen in ihrer Unmittelbar keit und Frische in der Tradition der zu Beginn des 19. Jahrhunderts einset zenden Freilichtmalerei (Abb. 4). Ostwald betrachtete seine künstlerische Tätigkeit lange Zeit als Ausgleich zur wissenschaftlichen Forschung und Lehrtätigkeit, bis er schließlich – mit zunehmender Lehrmüdigkeit – dazu überging, seine Wissenschaft auch auf die Kunst auszudehnen. 1903 begann er, in der Münchner Allgemeinen Zeitung eine Artikelserie zum Thema »Physikalischchemisches zur Malerei« zu ver öffentlichen, die 1904 auch als Buch unter dem Titel Malerbriefe 7 erschien. Für scheinbar paradoxe Thesen und Lehrsätze war Ostwald berühmt, nach Ansicht seiner Gegner berüchtigt – dies galt auch für die Kunst. So erklärte er in den Malerbriefen die Zweckmäßigkeit der vorherrschenden Ölmalerei auf Leinwand zum Vorurteil und das Pastell zur dauerhaftesten Maltechnik über haupt. Sechs Jahre später steigert er diese vermeintliche Absurdität zur Behauptung, monumentale Wandgemälde würden am dauerhaftesten in Pas telltechnik ausgeführt.
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»Wenn ich mit Künstlern über die Sache sprach, so fand ich meist trotz jener [schlechten] Erfahrungen [mit der Haltbarkeit herkömmlicher Wandbilder] ein achselzuckendes: es wird nicht so schlimm sein. Und wenn ich dann weiter behauptete, daß der beste Ersatz für das Fresko eine monumentale Pastelltech nik sei, so ließ man mich höflich reden, suchte sich aber bald eine vernünf tigere Gesellschaft. Wie soll eine Technik, deren Beschaffenheit mit der des Schmetterlingsstaubes verglichen wird, monumental sein können? Das erschien so undenkbar, daß es sich überhaupt nicht lohnte, derartiges anzuhören.«8
Die entscheidende Begründung für den bevorzugten Einsatz der Pastelltech nik lag für Ostwald in der Tatsache, dass die Probleme der verschiedenen Maltechniken daher rührten, dass alle Bindemittel mehr oder weniger starke, filmartige Schichten ausbilden, die ihrerseits schnell reißen, schrumpfen oder abplatzen können. Trocknende Öle, als die meistverwendeten Bindemittel, konnten überdies gilben oder in Wechselwirkung mit Schwermetallpigmen ten transparent werden. Es erschien Ostwald deshalb wohl als Ei des Kolumbus, überhaupt kein Bindemittel mehr zu verwenden. Mit dem Pastell stand tatsächlich eine bin demittellose Technik zur Verfügung, deren jahrhundertealte Beispiele frisch und jung wie zu ihrer Entstehungszeit wirkten. Dieser konservatorische Aspekt soll hier nicht weiterverfolgt werden. Nur soviel sei erwähnt, dass wie beim Kolumbusei auch hier eine Deformation, ein Schönheitsfehler zurück blieb – denn auch Ostwalds Pastelle auf der Wand mussten fixiert, an der Außenwand sogar wasserfest gemacht werden. Mit Fixativen und hydropho bierenden Überzügen kamen nachträglich also doch wieder Bindemittel ins Spiel. Schließlich fand Ostwald den Künstler, der seine Erfindung erproben wollte: Sascha Schneider, in dessen Malklasse an der Weimarer Kunstschule Grete Ostwald, die Tochter, studierte. Für das Vestibül der neuerbauten Jena er Universität arbeitete er an den doppellebensgroßen »Fackelträgern der Wis senschaft« und beklagte sich bei Ostwald: »Wenn ich […] eine schöne Linie vom Oberschenkel bis zum Knöchel mit dem Pinsel ziehen will, so versagt er mir in der Mitte, und um den Schwung ist es geschehen. Und nehme ich den Pinsel voll genug, so klext er.«9 Pastellstifte haben den Vorteil, nicht auszuset zen. Das überzeugte Schneider so weit, dass er die Technik tatsächlich auf der Wand ausprobieren wollte. Mit Ostwald zusammen stellte er Pastellstifte her, allerdings in enormer Größe (»fast von der Stärke einer Frühstückssemmel«). Die eigentliche Malerei ging dann in großer Schnelligkeit vor sich und benö tigte ein Zehntel der Zeit eines klassischen Freskos. Interessant ist nun in unserem Zusammenhang, dass Ostwald mit der Be vorzugung des Pastells eine Technik propagierte, die zur Mechanisierung und Objektivierung tendierte. Angesichts sehr individueller Pastellstile er scheint dies zunächst nicht stichhaltig. Wie so oft erkannte aber gerade die ablehnende Kunstkritik das Wesentliche sofort: Als Ostwald am 22. Septem
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5. Wilhelm Ostwald: Selbsthergestellte Pastellstifte in den Ostwaldschen Farbnormen, 1918, WilhelmOstwaldArchiv Großbothen
ber 1910 einen Vortrag im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe über seine monumentale Pastelltechnik gehalten hatte, bemerkte das Hamburger Fremdenblatt: »Das eminent Künstlerische eines Pinselstriches vermag die Kreide niemals zu ersetzen, und ein Künstler würde nie eine Befriedigung darin finden, mit der Kreide das niederzuschreiben, was nur ein Pinsel um schreiben kann«10. Was das »eminent Künstlerische« sein mochte, blieb dabei zwar Geheimnis des Fremdenblatts, aber der Leser konnte vermuten, was ge meint war: die individuelle Variabilität des Pinselstrichs, sein getreues Abbil den jeder Druckveränderung, jedes minimalen Auslenkens der Hand und die Zufälligkeiten, die sich ergeben, wenn die Farbflüssigkeit zur Neige geht. Demgegenüber bleibt sich der Pastellstrich selbst weitgehend gleich, wobei freilich der Unterschied betont sei zwischen einer Pastellmalerei im klas sischen Sinne und einer Zeichnung mit farbigen Kreiden, wie wir sie etwa von den BrückeKünstlern kennen. Dennoch lässt sich der Pastellstift (Abb. 5) viel einfacher als ein Öl oder Aquarellpinsel dazu nutzen, all diese feinen Unter schiede zu nivellieren, weil er nicht derart sensibel unbewusste Regungen transportiert. Die große Variationsbreite von Pinsel, Tuschfeder, Zeichenkohle, ja sogar Radiernadel und Grabstichel lässt sich allerdings sehr bewusst einsetzen: Ob der Strich schmal oder breit, durchgehend scharf oder an und abschwellend geführt wird, zählt zu den wesentlichen Charakteristika der jeweiligen Zei chentechnik. Auch angespitzte Stifte ermöglichen ähnliche Effekte. Anders
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ist dies jedoch bei den Pastellkreiden: Auch mit ihnen lassen sich zweifellos verschieden starke, ja sogar sehr scharfe, wie auch sehr breite Striche ausfüh ren. Aber es gibt gerade in der Blütezeit des Pastells im 18. Jahrhundert ein starkes Bestreben, den Strich entweder ganz verschwinden zu lassen – wie etwa bei Liotard – oder ihn mechanischgleichförmig anzuwenden – wie etwa bei Chardin. Dass der Pastellstift, anders als der Pinsel, gleichmäßig Farbe abgibt und niemals aussetzt, ist ein kennzeichnendes Merkmal. Die Modula tionsfähigkeit der Kombination von Pinsel und flüssiger Farbe besitzt die tro ckene Technik nicht – Lasuren sind unmöglich, sieht man von den schein baren Lasuren übereinander gesetzter Strichlagen ab. Mit der Stricheltechnik nähert sich das Pastell der stärker mechanisierten Grafik an, sein Vermögen, farbige Flächen zu schaffen, berechtigt andererseits dazu, von Pastellmalerei zu sprechen. Die Pastellkreide verbindet exemplarisch Auftragswerkzeug und aufzu tragenden Stoff, das Farbmittel bildet selbst das Werkzeug. Dies ist zwar auch bei allen Arten von Grafit und Farbstiften der Fall. Dort konzentriert sich die Farbmittelabgabe jedoch nur auf das angespitzte Ende des Stiftes, der Rest ist von der Hülse aus Holz, Pappe oder Metall ummantelt. Den Stiften steht die Gruppe der Zeichenkohlen und kreiden gegenüber. Die Kreide lässt sich bekanntlich nicht nur mit ihrer Spitze, sondern mit ihrer gesamten Oberfläche verwenden. Ihr farbgebendes Pulver liegt meist lockerer auf dem Papier, als das Material der Farbstifte. Das verleiht ihrem Strich eine »Körnigkeit«, sofern das Farbpulver nicht mittels Finger oder Wischer auf dem Bildträger verrieben wird. Ostwalds Verständnis der Pastelltechnik zielte auf Mechanisierung des Malvorgangs. Das Fixieren von Pastellen bewirkt stets ein Dunklerwerden der Töne. Dies liegt daran, dass mit dem Fixativ ein Mittel ins Spiel kommt, das sich dort anlagert, wo sich zwischen den Pigmentkörnern vorher Luft befand. Es entstehen optische Brücken zwischen den Körnern, das Fixativ hat zudem eine höhere optische Brechkraft als Luft. Damit verringert sich der Unter schied zur an sich schon niedrigen Brechkraft der zu einem Gutteil aus Kreide bestehenden Pastellstifte. Ostwald empfahl daher, statt der geringbrechenden Kreide hochbrechende Weißpigmente wie Lithopone und das neuentdeckte Titanweiß zu nutzen. Damit ließe sich die Differenz der Brechkräfte wesent lich vergrößern, das Aufspritzen des Fixativs bewirkte kaum noch merklichen Veränderungen, weshalb auch kräftiger fixiert werden könne, als bisher, was zu größerer Dauerhaftigkeit der Pastelle führe. Ostwald beschreibt diesen Fortschritt so: »Das Malen und das Binden der aufgetragenen Farbstoffe, das bei allen ande ren Maltechniken untrennbar verbunden ist, weil die Tünchen aus Farbstoff und Bindemittel gemischt werden, würde hier in zwei unabhängige Anteile zerlegt. Dies ist eine Richtung der Entwicklung, die mit der der gesamten Tech nik übereinstimmt, denn überall werden die Arbeiten in ihre Teilvorgänge
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6. Wilhelm Ostwald: Farborgel, 1930, WilhelmOstwaldArchiv Großbothen
zerlegt, und jeder Teil wird selbständig bearbeitet. Es erhält mit anderen Wor ten jede Funktion ihr eigenes Organ.«11
Diese mechanische Vorstellung des Malens wird in vielen seiner maltech nischen Ratschläge deutlich – so zählt Ostwald die malpraktischen Vorteile des Pastells auf: – Das »Eindecken beliebig großer Flächen« mit demselben Farbton ist mühe los. – Verschmutzungen durch Farbreste im Pinsel oder Anlösen des Grundes sind ausgeschlossen. – Da auf keinerlei Trockenzeiten Rücksicht genommen werden muss, kann die Arbeit jederzeit unterbrochen und wiederaufgenommen werden – »merkt man sich den benützten Stift, so kann man nach beliebiger Zeit den gleichen Farbton an den vorhandenen ansetzen, ohne dass die kleinste Spur einer Fuge erscheint.«12 Das Arbeiten mit vorgemischten Farbtönen, wie es für die Pastelltechnik kennzeichnend ist, gehörte zu Ostwalds maltechnischen Idealen. Er konstru ierte daher nach dem Schema der Normatlanten sogenannte »Farborgeln«. Dies sind hölzerne Schränkchen, die ausziehbare Tabletts mit nach dem Sys tem geordneten Farbtönen enthalten – und zwar in malfertiger Form als deck fähige Wasserfarben (Abb. 6).
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Jeweils vierundzwanzig Farben eines »wertgleichen Kreises«13 aus Ost walds Farbkörper14 sind dabei auf einem »Manual« angeordnet und bilden ein Register, wovon eine vollständige Orgel achtundzwanzig besitzt. Damit war tatsächlich ein Instrument geschaffen, das in seinen Schnitten durch den Farbkörper dem Anwender Harmonien unmittelbar vor Augen führte und auch sofort verwendbar machte. In ihren verschiedenen Formen machten die »Farborgeln« den gesamten Normenvorrat unmittelbar verfügbar, was vor allem rationelles und rasches Arbeiten ermöglichte. Tatsächlich sind die Farb orgeln Instrumente, die ihre Komplexität von den übrigen Ostwaldschen Mal werkzeugen und hilfsmitteln unterscheidet. Für den eigenen Gebrauch hatte sich Ostwald bereits 1918 eine Art Pastell orgel geschaffen, das heißt, den Farbenvorrat seines Farbatlanten in Pastell stiften ausgefärbt. Die Vorstellung von einer Zerlegung des Malvorgangs in Teilprozesse wird dort am deutlichsten, wo Ostwald das Pastell als das geeig nete Mittel ansieht, in quasi pointillistischer Manier die beim Malen unum gängliche subtraktive Farbmischung zu ersetzen: »Für die Durchführung einer rein additiven Technik gewährt das Pastell gute Möglichkeiten, indem man erst die eine Farbe in kurzen Strichen oder Punkten hinsetzt, darauf fixiert, und dann mit der anderen Farbe in die Zwischenräume geht. Durch das nach jedem Auftrag vorgenommene Fixieren ist ein Mittel gegeben, die [subtraktive] Vermischung der nacheinander gebrauchten Farb stoffe zu verhindern.«15
Ostwalds Beschreibung der üblichen Malweise trägt allerdings Züge unfrei williger Komik: »Beobachtet man einen Künstler bei seiner Arbeit, so sieht man ihn folgender weise beschäftigt. Er entscheidet sich zunächst über das Format seines künfti gen Werkes, bestellt im Laden einen entsprechend mit grundierter Leinwand bezogenen Rahmen, stellt ihn auf seine Staffelei, entwirft die Umrisse seines Bildes, meist mit Kohle (oder unterläßt dies auch) und schreitet dann zur Aus führung. Hierfür wählt er aus seinem Tubenvorrat die Tünchen, die er anzu wenden gedenkt, setzt Häufchen davon auf seine Palette, tut Malmittel in das angeklemmte Näpfchen, nimmt die Palette auf den linken Daumen, einen Vor rat Pinsel in die linke Hand und fährt nun mit dem Malpinsel in der Rechten in die geeigneten Häufchen, um den ›Ton‹ zu mischen, mit dem er beginnen will. Dies Mischen nimmt eine geraume Zeit in Anspruch, denn da er mit dem Pinsel keine irgendwie genau bemessenen Mengen erwischt, so muß er mehr fach dies oder das zusetzen, bis er die gewünschte Farbe erreicht hat. Meist ist es dabei zu viel geworden, da er die Verbesserung nur durch Zufügen, nicht durch Abnehmen bewirken kann. In derselben Weise geht es weiter: Jede neue Fläche erfordert ein neues Mischen. Oft tut ihm die Zeit leid, die ein ordentliches Reinigen des benutzten Pinsels
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erfordern würde. Er wischt ihn daher nur aus (wobei er Berge von Lappen vollschmiert) und muß nun auf die Reste im Pinsel bei der neuen Mischung Rücksicht nehmen, was die Aufgabe noch mehr verwickelt und ihre Lösung noch unvollkommener macht. Insgesamt verbraucht er, auch wenn er so geübt ist, daß das Mischen großenteils unterbewußt erfolgt, mindestens neun Zehn tel seiner Zeit zum Mischen und behält daher nur ein Zehntel zum Malen übrig.«16
Es ist demzufolge Ostwalds erklärtes Ideal, dass der Künstler durch die Ein fachheit und Umstandslosigkeit der technischen Zurichtungen nicht weiter in seinem Schaffensdrang gestört werde und die bisher für das Handwerkliche benötigte Energie der Ausführung der Idee selbst zugute komme. Eine offensichtlich simplifizierende energetische Rechnung, so will es scheinen, die keinem ernsthaften Wissen um schöpferische Prozesse in der Kunst standhalten sollte. Allein, Ostwald befindet sich in überraschend guter Gesellschaft. Es ist der Rationalismus der Aufklärung, der ähnliche Gedan ken über Kunst hervorgebracht hat – und zwar ausgerechnet anlässlich des Pastells, wie Robert Gräf in einer leider nahezu vergessenen Studie herausge arbeitet hat.17 Die mit Beginn des 18. Jahrhunderts ungeheuer steigende Nach frage nach Porträts erzwang geradezu eine Beschleunigung der Produktion. Das Ölporträt benötigte wegen der Trockenzeiten für Unter und Übermalung in der Regel mindestens drei, häufig aber wesentlich mehr Tage – das Pastell porträt konnte, auch wenn es zweischichtig aufgebaut war, in wenigen Stun den vollendet werden. Diese Relation berechtigt Robert Gräf, etwa bei La Tours Pastellporträts von »Schnappschüssen« zu reden. Er verweist überdies zu Recht auf den Geist der Mechanisierung, der im 18. Jahrhundert, ausge hend von Frankreich und England, Kunst, Technik und Handwerk durch drang – so bezeichnete der Begriff der machine pittoresque im Rokoko das Zusammenwirken der zahlreichen Elemente eines Bildes, um die beabsich tigte Gesamtwirkung zu erzielen. Die ersten Versuche zum Mehrfarbendruck von Le Blon und seinen Nachfolgern wiesen mit ihrer Zerlegung in Farbaus züge und Bildpunkte eine ähnliche Tendenz zur Mechanisierung auf wie das Pastell. Die Körnigkeit des Pastellauftrags ist verwandt mit allen modernen RasterdruckVerfahren, in denen Strich und Fläche konsequent in Punkte zer legt werden. Das 18. Jahrhundert ist aber zugleich dasjenige bahnbrechender Entdeckungen zur Lichtempfindlichkeit bestimmter Substanzen, welche die Erfindung der Fotografie vorbereiten. Robert Gräf gelangt so zu einer bemer kenswerten, wenn auch angreifbaren Argumentation: »Die Werke der Pastellisten des 18. Jahrhunderts weisen ihrem Charakter nach eine idealisierende Tendenz auf, in der sich Gegenwart und Zukünftiges in einer künstlerischen Vorstellung von der Möglichkeit des ›Lichtbildes‹ als eines ›mechanisch‹ Machbaren zu treffen scheinen […].«18
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»Kollon« – Malerei ohne Pinsel Tatsache jedenfalls ist, dass auch Ostwalds Vorstellung des vollkommenen Bildes auf die Fotografie fokussiert war, wie sich beim dritten hier vorgestell ten Verfahren zeigen wird. Es gehörte zu Ostwalds Lieblingsideen seiner letz ten Jahre, ein »freier Maler« zu werden. Wie immer bei ihm, wurde die neue Idee von Erfindungen begleitet. Mit modernen Harzlacken versuchte Ost wald, eine ähnliche Tiefenlichtwirkung zu erzielen wie in der Lasurmalerei van Eycks und seiner Zeitgenossen. Eine tatsächliche Neuheit stellte dann allerdings sein Verfahren von 1930 dar, mit durchsichtigen Gelatinefarben auf durchsichtige Bildträger zu malen. Im Durchlicht betrachtet, lässt sich damit der Weißanteil eliminieren, der sonst bei der Wahrnehmung jeder Körperfar be im Auflicht eine Rolle spielt. Damit wird es möglich, tiefe, dunkle Töne zu erreichen, die neben ihrem Farbton lediglich Schwarz enthalten, aber kein Weiß. In Ostwalds Farbsystem sind dies die »dunkelklaren Farben« in Ab grenzung zu allen Farben, die Schwarz und Weiß enthalten und damit immer getrübt erscheinen. Solche dunkelklaren Farben ließen sich mit allen transpa renten Verfahren der Glasmalerei erreichen, aber Ostwalds Gelatinemalerei lässt sich viel einfacher und unmittelbarer verwirklichen als das aufwendige Zusammensetzen oder das Aufschmelzen farbiger Gläser. Ostwald nannte die neue Technik »KollonMalerei«, weil hier sowohl das Bindemittel, als auch die verwendeten Teerfarbstoffe Kolloide sind, das heißt, beide bestehen aus Teilchen, die nur einen Millionstel Millimeter messen oder noch kleiner sind.19 Die neue Durchsichtmalerei ließ sich praktisch von jedermann am Küchen tisch verwirklichen. Ihr Verfahren ist einfach: Als Bildträger dient ein durch sichtiges Material – anfangs verwendete Ostwald Glas, später experimentierte er mit Zellophanfolie und mit Zelluloidfilmen, die ihm von der AgfaFilmfa brik in Wolfen zur Verfügung gestellt wurden und die auf der Lichtseite mit mattierter Gelatine überzogen waren, um das durchfallende Licht zu zer streuen, so dass durch die Kollonschicht hindurch keine dahinterliegenden Gegenstände sichtbar werden konnten. Zunächst wird dieser Träger mit einer Gelatineschicht, dem »Unterguß«, versehen. Diese durchsichtige Grundie rungsschicht dient zur besseren Verbindung zwischen Glasplatte beziehungs weise Folie und aufzutragenden Farben. Gestalterische Grundlage ist die Vorzeichnung, die im Anschluss mit schwarzer, wasserunlöslicher »Umriß farbe« durchgezeichnet wird (Abb. 7). Für das Auftragen der flüssigen Farbe ist es notwendig, dass der Bildträger absolut eben ist. Ostwald hat hierfür ein Tischchen gebaut, das an einer Ecke mit einer Stellschraube versehen ist, so dass die Arbeitsplatte mithilfe einer Wasserwaage ausgerichtet werden kann. Die Platte selbst ist gläsern und gestattet so das Arbeiten im Durchlicht. Zum Auftragen der Umrissfarbe wer den Holzfedern verwendet. Die Gelatinefarben selbst werden in verschließbaren Glasröhrchen aufbe wahrt und im Wasserbad flüssig gehalten. Auf den Bildträger werden sie mit
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7. Wilhelm Ostwald: KollonArbeitstisch mit Stellschraube und Wasserwaage, 1930, WilhelmOstwaldArchiv Großbothen 8. Wilhelm Ostwald: Werkzeug für Kollonmalerei, 1930, WilhelmOstwald Archiv Großbothen
tels Pipetten gebracht und anschließend mit Pinseln und Drahtwerkzeugen innerhalb der mit wasserunlöslicher Farbe gemalten Begrenzungen verteilt. Zur Ausbreitung auf größeren Flächen dient eine vorn gerade gezogene Drahtschlinge, zur Ausfüllung feinerer Formen einfach ein gebogener Draht (Abb. 8).
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Das Resultat ist die weitgehend entindividualisierte Faktur dieser Arbei ten. Selbstverständlich trägt auch sie individuelle Züge: Die schwarze Umriss zeichnung verrät die Handschrift des Ausführenden, und die mit farbiger Gelatine gefüllten Flächen weisen in sich Unregelmäßigkeiten auf – wie etwa unterschiedliche Schichtstärken und daher unterschiedliche Farbintensitäten. Dennoch ist die Feststellung unabweisbar: Eine individuelle Künstlerhand schrift, all das, was man – stets nur unvollkommen – mit Pinselführung, Duk tus und ähnlichen Worten bezeichnet, spielt hier keine Rolle mehr (Abb. 9). Dass die Farbe hier mit Pipetten aufgetropft und mit Pinsel und Draht schlinge nunmehr verteilt wird, macht dies deutlich: Es handelt sich um die Realisierung eines Form und Farbkon zepts, das zuvor bis in die Einzelheiten definiert wurde. In dieser Hinsicht ergibt sich tatsächlich eine Verwandtschaft zu den immer wieder vergleichsweise zitier ten Techniken: zur Glasmalerei ohnehin, aber auch zur Lasurtechnik der altnieder ländischen Malerei, die mit der Unter zeichnung die Komposition weitgehend festlegte. Augenfällig ist auch die Nähe zum Ideal dominierender Malweisen des beginnenden 19. Jahrhunderts, das Jakob Roux folgendermaßen kennzeichnete: »Sieht man an einem Bilde in der Entfer nung, für welche es gemalt, noch die Art, wie es gefertigt ist, so kann es nicht als Kunstwerk gelten.«20 Der fortwährende Versuch, durch Materialauswahl und behandlung den Materialcharakter der Farbe vergessen zu machen, ist sympto matisch für die erste Hälfte des 19. Jahr hunderts und findet sich bei Klassizisten ebenso wie bei Romantikern. Vermutlich ohne davon zu wissen, nähert sich jedoch Ostwald um 1930 mit seinem Konzept einer weitgehend objek tivierten Malweise radikalsten Strömun gen der Avantgarde. »Die Hand völlig zu vergessen, das ist die Idee…«21, hatte Duchamp mit Hinblick auf seine Arbei ten des Jahres 1913 gesagt, die ohne Pin 9. Wilhelm Ostwald: Kollonbild, sel gemalt waren. Für die Suprematisten um 1930, WilhelmOstwaldArchiv spielte wohl die Faktur, aber nicht die Großbothen persönliche Handschrift mehr eine Rolle,
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und Ähnliches lässt sich von den nachfolgenden Konstruktivisten der ver schiedenen Richtungen sagen. Fluchtpunkt aller dieser mechanisierten Verfahren ist die Fotografie, die Ostwald seit seiner Jugend ausführte und perfekt beherrschte. Sie erscheint unübertroffen in ihrer Mechanisierung, bei der das Zusammenspiel von optischen Vorrichtungen und lichtempfindlicher Gelatineschicht einen gro ßen Teil des Bildgebungsprozesses individueller Beeinflussung entzieht. Ost wald rühmt in seinem letzten, 1930 erschienenen Buch, Die Maltechnik jetzt und künftig, die Vorzüge der Fotografie gegenüber allen bisherigen Techniken, um dann fortzufahren: »Die übliche Rede, daß die tote Kamera niemals die künstlerische Hand erset zen würde, wird zwar noch heute eifrig wiederholt, man verliert aber innerlich immer mehr den Glauben an sie. Vielmehr empfindet man umgekehrt, daß die Hand des Künstlers niemals die Schönheiten ausdrücken kann, welche eine gute Aufnahme in der Feinheit der Zeichnung, in der Kennzeichnung des Materials, in dem Spiel des Lichts dem entzückten Auge schenkt.«22
Ostwalds Ablehnung gegenüber dem »Kult der Handschrift« wird hier un missverständlich deutlich. Zukünftige künstlerische Arbeit soll dem demo kratischen Zweck der Vervielfältigung dienen und das überlebte Tafelbild ablösen. »Hierdurch erlangt das Handerzeugnis des Künstlers die Beschaf fenheit einer Vorlage, welche nicht für sich wirken soll, sondern erst nachdem sie die Übersetzung in das Druckwerk erfahren hat.«23 Damit wurde auch der Bruch mit der eigenen Maltradition der lockerpastosen Ölskizze besiegelt, der freilich bereits mit den zahlreichen Bildstudien zur Farbenlehre in den 1920er Jahren manifest geworden war. Der Bezug auf die Fotografie betraf ohnehin die eigene Praxis: Es gibt Kollonbilder, die nach Fotos entstanden sind und diese zeigen, unter Verzicht auf die dicken schwarzen Konturen, das Bestreben, die Objektivität des Fotos, aber auch seine außerordentliche Diffe renziertheit zu erreichen. Es erscheint symptomatisch, dass Ostwald als bereits vorhandenes Bei spiel für Durchsichtbilder das – zu seiner Zeit meist noch schwarzweiße – Dia positiv erwähnt, das wegen der »Unbeschränktheit der Helligkeitsreihe« un gleich stärker wirke als jeder Papierabzug eines Fotos. Am Bauhaus hatte Laszlo MoholyNagy erklärt,24 dass die zukünftige Malerei aus farbigen Dia positiven bestehen werde. Selbst die technische Grundidee der Kollonmalerei lässt sich aus der foto grafischen Technik herleiten: Ein lichtdurchlässiger Träger aus Glas, Zelluloid oder Zellophanfolie wird mit Gelatine beschichtet – nur dass diese nicht sen sibilisiert, sondern wie bei der Herstellung von farbigen Lichtfiltern mit Farb stoffen versetzt wird. Ostwald war das Verfahren bestens bekannt aus seinem jahrelangen Experimentieren mit Lichtfiltern für sein Farbmessverfahren, die exakt auf diese Art und Weise, nämlich aus gefärbter Gelatine, hergestellt
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wurden. Im gleichen Zeitraum, in dem Ostwald seine Farbenlehre mit dem erklärten Ziel der Reproduktion entwickelte, arbeitete die Aktiengesellschaft für Anilinfarben, besser bekannt unter dem Namen Agfa, an der Verbesse rung der Farbfotografie – dies etwa parallel zu den Bemühungen der Eastman Kodak Company. Die hier entwickelten Korn und Emulsionsrasterplatten waren teilweise von hoher Qualität, aber immer noch zu unempfindlich, mit technischen Mängeln behaftet und zu teuer. Deshalb meinte Ostwald noch 1930: »In einer Beziehung jedoch ist die Photographie noch sehr rückständig und wird es voraussichtlich noch lange bleiben: es ist die Farbe.«25 Aber bereits wenige Jahre später war das 1907 entdeckte Verfahren der chromogenen Film entwicklung so weit verbessert worden, dass 1935 mit »Kodachrome« und 1936 mit »Agfacolor Neu« die ersten preiswerten Kleinbildfarbfilme auf den europäischen Markt kamen, deren chemischphysikalisches Grundprinzip bis heute überdauert hat. Ostwald unterhielt beste Beziehungen zur Agfa und besonders zu deren Filmfabrik in Wolfen, die ihn mit Materialien für seine Kollonmalerei versorgte – die aufregenden Fortschritte der Farbfotografie in den Laboren eben dieser Fabrik scheint Ostwald hingegen nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Zum Schluss sei ein zusammenfassender Blick auf die Ostwaldschen Mal werkzeuge gestattet. Immer noch gelten die klassischen Zeichen und Mal werkzeuge, Stifte, Federn, Pinsel als Verstärker, quasi als bessere »Leiter« und Vermittler der künstlerischen Sensibilität, was in ihren Übertragungsquali täten und Variationsmöglichkeiten begründet liegt. Wesentlich erscheint dabei, dass die Spuren dieser Werkzeuge sowohl eine Konzeption abbilden, als auch den Abdruck körperlicher Aktivität. Allerdings gibt es eine andere, mittlerweile geläufige Art, Bilder herzustellen: nämlich mit der Maus am Bild schirm. Hier ist die Übertragung derart vermittelt, die apparative Barriere derart groß, dass Konzeptionen abgebildet werden können, aber keine unmit telbaren Körperspuren. Wäre Ostwald diese Möglichkeit bekannt gewesen, so hätte er sie ver mutlich begrüßt. Denn die Malwerkzeuge dienten ihm – jedenfalls tenden ziell – zur Objektivierung des Malvorgangs. Es scheint offenbar seine Absicht gewesen zu sein, etwas zwischen sich und das Bild zu bringen, womit die Zufälligkeiten, die unwillkürlichen Abweichungen und Störungen des Farb auftrags minimiert werden können. Das erinnert an die Tendenz physika lischer, noch mehr aber psychophysischer Apparaturen, den subjektiven Fak tor so gering wie möglich zu halten. Ostwald hat selbst mehrere solcher Instrumente konstruiert, für die Farbenmessung baute er einen Polarisations farbenmischer und ein Halbschattenphotometer – Instrumente, von denen er rühmend behauptete, dass jede Willkür damit künftig ausgeschlossen sei. Ostwald misstraute dem Gefühl und der Inspiration beim Malen. Es lässt sich sogar argwöhnen, sein Farbenthusiasmus sei eigentlich nur der getarnte Geist des disegno: Entscheidend ist das farbige Konzept, das gemalte Bild dient nur als Vorlage zur mechanischen Reproduktion, ist kein eigenständiges Werk
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mehr. Letztlich handelt es sich hier um den Versuch, die objektivierende Mechanik der Reproduktionsverfahren bereits in den Entwurfsprozess vor zuverlegen. Die mechanischen Zurichtungen, die in der Tendenz bereits im Pastell angelegt sind, dann aber in den Arbeiten der FarbenlehreZeit unverhüllt zutage treten, garantieren eine quasi ›wissenschaftliche‹ Objektivität. Es ist ein weiterer Schritt zu Ostwalds Ideal einer »Kunst als Wissenschaft«, die Schönheit auf wissenschaftlicher Grundlage erzielen will – losgelöst von den individuellen Bedingtheiten, die ihm immer mehr als Beschränktheiten erschei nen mussten. Kunst ist bis heute nicht zur Wissenschaft geworden. Ostwalds Farbenleh re, die er als sein Hauptwerk betrachtete, mutet wie ein Zwitterwesen an. Einerseits gibt sie sich als wissenschaftliche Arbeit aus, die als solche spätere Farbsysteme stark beeinflusst hat. Anderseits aber wirkt sie mit ihren zahl losen Manifestationen in Form von Farbatlanten, Farborgeln, Lehrmaterialien, Büchern und Farbstudien selbst wie ein Kunstwerk gigantischen Ausmaßes an. Die Konsequenz, mit der Ostwald die einmal aufgestellten Grundgesetze axiomatisch wieder und wieder anwendet, würde jedem Neokonstruktivisten oder Konkreten zur Ehre gereichen, der sein einmal gefundenes Konzept in allen denkbaren Variationen zu verwirklichen trachtet. Und deshalb erscheint die Streichmaschine mit ihrer mechanischen Präzision tatsächlich als die Ver wirklichung eines maltechnischen Ideals, betrachtet man die unzähligen Farbmuster, die Ostwald hinterlassen hat, als Teil eines künstlerischen Wer kes, das nach dem Willen seines Schöpfers zur Wissenschaft geworden war.
* Für vielfältige Hilfestellung und für die Bereitstellung von Texten und Bildern sei an die ser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des WilhelmOstwaldArchivs in Großbothen (jetzt: WilhelmOstwaldPark) sowie des Archivs der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin gedankt. 1 Wilhelm Ostwald: Laborheft »Normen 2. 1922, 280–365«, Archiv der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Nachlaß Wil helm Ostwald (BBAWNWO 4826), hier Bl. 19. 2 Eine ausführliche Darstellung der Entste hungsgeschichte von Ostwalds Farbenlehre, aber auch der zeitgenössischen Debatten enthält die Dissertation des Verfassers (Albrecht Pohlmann: Von der Kunst zur Wissenschaft und zurück. Farben lehre und Ästhetik bei Wilhelm Ostwald, Universität Halle, Institut für Archäologien und Kunstge schichte Europas, 2010). Kürzere Darstellung haben die Vorgänge mehrfach gefunden, stellver
tretend sei hier verwiesen auf: John Gage: Mili tarismus in der Kunst? Wilhelm Ostwald und die Maler, in: Mitteilungen der WilhelmOstwald Gesellschaft 4/2 (1999), S. 54–63. Eine analytische Darstellung von Ostwalds Farbsystem findet sich in: Rolf G. Kuehni u. Andreas Schwarz: Color Ordered. A Survey of Color Order Systems from An tiquity to the Present, Oxford u. a. 2008, S. 245–247. 3 Ingeborg Mauer u. Karl Hansel (Hg.): Die Farbenlehre Wilhelm Ostwalds. Der Farbenatlas [Mit dem Briefwechsel OstwaldKrais 1914–1916], Großbothen 2000 (Mitteilungen der Wilhelm OstwaldGesellschaft; Sonderheft 8), S. 78. 4 Wilhelm Ostwald, Neue Fortschritte in der Maltechnik, in: Die Farbe, 35, 1923, S. 481–488. 5 Ostwald 1922 (wie Anm. 1), hier Bl. 19: »365« [31. Dezember 1922]. 6 Laborheft »Normen 3. 1923, 1–41«, BBAW NLO 4842, Bl. 11.
168 ALBRECHT POHLMANN 7 Wilhelm Ostwald: Malerbriefe. Beiträge zur Theorie und Praxis der Malerei, Leipzig 1904; wie derabgedruckt in: Karl Hansel u. Albrecht Pohl mann (Hg.): Wilhelm Ostwald. Maltechnische Schrif ten 1904–1914, Großbothen 2005, S. 49–137. Für die maltechnischen Einzelheiten von Ostwalds Pastelltechnik sei im Folgenden auf diese Ausga be, ihre Einleitung und die ausführlichen An merkungen verwiesen. 8 Wilhelm Ostwald: Monumentales und dekora tives Pastell, Leipzig 1912, S. 1f. 9 Ostwald 1912 (wie Anm. 8), S. 4. 10 Anonym: Die neue Maltechnik Geheimrat Ostwalds, in: Hamburger Fremdenblatt, 23. Sep tember 1910, zit. nach: Karl Hansel: Die maltech nische Alternative, in: Hansel/Pohlmann 2005 (wie Anm. 7) , S. 5–14, hier S. 13. 11 Wilhelm Ostwald: Die Maltechnik jetzt und künftig, Leipzig 1930, S. 18. 12 Ostwald 1904 (wie Anm. 7), S. 35. 13 Farbkreise in Ostwalds doppelkegelför migen Farbkörper, welche gleichen Weiß und Schwarzgehalt haben. 14 »Farbkörper« nennt Ostwald die dreidi mensionale Anordnung des Atlanten von rund 2500 Farben in seinem System, die einen Doppel kegel bildet: mit Weiß an der oberen, Schwarz an der unteren Spitze und mit dem Kreis der rein sten Farben, von Ostwald »Vollfarben« genannt, auf dem Äquator. 15 Ostwald 1904 (wie Anm. 7), S. 64f. Es bleibt anzumerken, dass sich hiermit bestenfalls, wenn die Farbpunkte oder striche klein genug sind, eine optische Mischung erzielen lässt, aber keine
additive, wie sie für farbige Lichter gilt. Gerade die pointillierten Bilder der NeoImpressionis ten erreichten, entgegen behaupteter Absicht, die Wirkung einer optischen Mischung nicht – sondern, aufgrund der relativen Größe der Farb punkte, lediglich einen »Flimmereffekt«. 16 Ostwald 1930 (wie Anm. 11), S. 12. 17 Robert Gräf: Das Pastell im 18. Jahrhundert. Zur Vergegenwärtigung eines Mediums, München 1982, S. 73–76, 97–100, 119–122. 18 Gräf 1982 (wie Anm. 17), S. 119. 19 Albrecht Pohlmann: Die schönsten Farben. Tendenzen zur Entmaterialisierung der Farbe in Ostwalds Spätwerk, in: Farbe interdisziplinär, 1, 2006, S. 7–15. 20 Jacob Roux: Die Farben. Beitrag zur Vervoll kommnung der Technik in mehreren Zweigen der Ma lerei, 2. Heft, Heidelberg 1828, S. 15. Vgl. dazu: Albrecht Pohlmann: Widersprüche im Material. Licht und Stoff bei Goethe, Runge und Roux, in: Cornelia Wieg (Hg): Licht und Dunkel. Zum 200. Geburtstag von Novalis, Ausst.Kat. (Halle, Staatliche Galerie Moritzburg u. Landeskunst museum SachsenAnhalt), Halle 2001, S. 32–39. 21 Calvin Thomkins: Marcel Duchamp. Eine Biografie, übers. v. Jörg Trobitius, München u. Wien 1999, S. 152. 22 Ostwald 1930 (wie Anm. 11), S. 5. 23 Ostwald 1930 (wie Anm. 11), S. 3. 24 Frank Whitford (Hg.): Das Bauhaus. Selbst zeugnisse von Meistern und Studenten, Stuttgart 1993, S. 166. 25 Ostwald 1930 (wie Anm. 11), S. 5.
KATJA MÜLLER-HELLE
Gefährdete Objekte Zur Zerstörung von Musikinstrumenten in der Kunst der 1960er Jahre
Am 16. Juni 1962 führte der koreanische Künstler Nam June Paik eine Aktion mit dem Titel One for Violin Solo in den Kammerspielen Düsseldorf aus (Abb. 1).1 Paik hob sehr langsam mit beiden Händen eine Geige am Hals von einem Tisch aus in die Höhe, um sie ganz plötzlich mit einer heftigen Abwärts bewegung zu zerschlagen. In eben diesem Moment ging das Licht an und erfüllte zusammen mit dem Schall des zerberstenden Holzes den Raum. Hier treffen nicht nur zwei komplementär zueinander stehende Zeitmodi aufein ander – die langsame, gedehnte und spannungsgeladene Zeit des Hebens des Instrumentes und die plötzlich ausgeführte Geste des Zerschmetterns der Geige – sondern auch zwei verschiedene Zustände des Musikinstrumentes. Das unversehrte Objekt geht in eine ungeordnete Anhäufung von zersplit tertem Holz, Instrumentensaiten aus Tierdarm und dem Plastik des Kinnhal
1. Nam June Paik bei der Aufführung von One for Violin Solo, Kammerspiele Düsseldorf 16. 6. 1962 (Photo und rückseitige Beschriftung George Maciunas), Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart
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ters über. Das verbindende Element zwischen diesen beiden Zuständen ist die Handlung des Künstlers, in der das Musikinstrument seinem ursprünglichen Funktionszusammenhang enthoben und innerhalb einer streng geplanten Aktion umgeformt wird. Diese Zerstörung des Musikinstrumentes hatte wie derum eine Störung der Aktion One for Violin Solo zur Folge. Nam June Paik berichtet davon, dass er während der Aufführung durch leise Geräusche irri tiert wurde, über die ihm im Nachhinein zugetragen wurde, dass sie von einem Rausschmiss aus dem Saal herrührten. Der Konzertmeister des Rhei nischen Landesorchesters wollte die Zerstörung der Geige verhindern und wurde daraufhin von Joseph Beuys und Konrad Klapheck aus dem Saal gebracht.2 Am Instrument der Geige schien eine kulturelle Bedeutung zu haf ten, welche im Akt der Zerstörung des Objektes angetastet wurde. Anfang der 1960er Jahre waren Geigen und Klaviere als Symbole der Hochkultur im künstlerischen Rahmen in besonderem Maße gefährdet.3 Im Folgenden soll quer zu den einzelnen Bewegungen von Fluxus, Konzeptkunst oder Nouveau Réalisme an den klassischen Musikinstrumenten der Geige und des Klaviers gezeigt werden, wie eine Arbeit an der künstlerischen und musikalischen Tradition entstand, die sich nicht durch die bloße Paralleli sierung mit den revolutionären Gesten der Studentenrevolte erschöpfend beschreiben lässt. Die damals verbreiteten Attacken gegen Musikinstrumente wurden in ihrer Rezeption oftmals als »destruktive Handlungen« verstan den.4 Der Begriff »Destruktionskunst«5 wurde zum Signum einer Bewegung, die mit der Auflehnung gegen bürgerliche Konventionen und der Umdeutung und Entgrenzung der traditionellen Begriffe von Kunst und Kunstwerk ver bunden wird.6 Jedoch soll hier nicht nur der Übergang vom Funktionieren der Musikinstrumente in ihre Stillstellung und Auflösung beschrieben, sondern vielmehr, entgegen einer Überbetonung des destruktiven Charakters, der formgebende Aspekt der Materialumwandlung7 fokussiert werden.8 Zerstö rung wird dabei als ein Übergang von einer Form zum Material begriffen, der in besonderem Maße einen Umgang mit den Werten unserer Kultur anhand von Dingen festmacht. Diese Spannung lässt sich nicht in einer binären Ent gegensetzung von künstlerischer Schöpfung und Zerstörung fassen, sondern als eine Form der Gestaltung, die sich auf eine Verschiebung im funktionalen System der Musikinstrumente bezieht. Diese Verschiebung soll in Bezug auf die Aspekte der Materialumwandlung und der produktiven Fehlnutzung der Musikinstrumente analysiert werden.9
Bildwerdung der Geige Die Objekte um uns sind in eigenen Hierarchien geordnet.10 Manche Objekte binden verstärkt eine kulturelle Symbolbildung an sich; während das Zer schlagen einer Geige auf der Bühne direkte Betroffenheit auslöst, ist es unspektakulärer, einen Stuhl in seine Einzelteile zu zerlegen. Dies leitet sich von der am Objekt durch die Tradition gewachsenen Gerinnungsfähigkeit des
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2. Antonius Stradivarius: Il Cremonese, 1715, Palazzo Comunale, Cremona
Kulturellen ab.11 Je höher die kulturelle Besetzung des Objekts ist, desto stär ker wird in einer Aktion wie der von Nam June Paik nicht allein ein aktuelles Objekt zerstört, sondern darüber hinaus dessen symbolhafte Bedeutung. Musikinstrumente sind eine besondere Art von Objekten, deren spezi fische Beschaffenheit im konventionellen Gebrauch auf die aktivierende Klang erzeugung im Rahmen musikalischer Darbietung ausgerichtet ist. Es sind keine Objekte, die uns gegenüberstehen und uns in sperriger Materialität »entgegengeschleudert«12 werden, sondern deren Eigenlogik auf den Gebrauch eines Spielers zielt. Das Aufbegehren des Konzertmeisters gegen die Zerstö rung des Instruments richtet sich demnach auf das Bedeutungspotential des Objektträgers und nicht auf die spezifische Materialbeschaffenheit der Geige. Die Beschaffenheit jeder einzelnen Geige richtet sich nach einer tradierten Formausprägung (Abb. 2). Die Form der Geige mit den Hauptbestandteilen des Resonanzkörpers, des Halses mit Griffbrett und den vier in Quintab ständen gestimmten Saiten ist im italienischen Geigenbau zu Antonio Stradi varis Zeiten (1648–1737) perfektioniert worden und unterlag seitdem nur wenigen Modifikationen.13 Die Grundform des Violinkorpus wird von einer unteren weiter ausschweifenden und einer oben enger geführten Rundung geprägt, welche in einem schmaleren Mittelteil durch zwei seitliche Schwin gungen konterkariert werden. Diese Dialektik von SchwungGegenschwung,
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3. Arman: Mamma Mia!, 1961, Corice und Armand Arman Collection, New York
bestehend aus einer Bewegung, die von einer anderen durchbrochen und umgekehrt wird, wiederholt sich an Hals und Schnecke und auch in den FLöchern der schmalen Verjüngung des Instruments. Diese barocke Form bildung, welche sich über Jahrhunderte tradierte und unverwechselbares Signum der Geige ist, hat rein ästhetische und keine klanglichen Qualitäten. Jenseits der Optimierungsgeschichte des Instruments lässt sich von einer modellhaften Ausbildung der Grundform des 17. und 18. Jahrhunderts durch Stradivari und Guarneri (1698–1744) sprechen, die noch in der heutigen Gei genbaupraxis als mustergültig kopiert wird. Die Geigenform existiert einer seits in jeweils konkretisierten Instrumenten mit einer besonderen Material beschaffenheit und andererseits in einer abstrakten Form, die sich über die Zeit nahezu gleich bleibt und als Modell für weitere Instrumente nutzbar ist.14 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die »Colère« Mamma mia! (Abb. 3) des französischen Künstlers Arman von 1961, dem Hauptvertreter der »Nou veaux Réalistes«, wird das Spiel mit der tradierten Form der Geige und deren Auflösung deutlich.15 Zerschlagene Teile eines Geigenkorpus sind mit Tacker und Nägeln auf einer schwarz eingefärbten Holzplatte appliziert. Der kom plette Boden der Geige ist nahezu unversehrt in der unteren rechten Ecke über
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4. Rib Support. Hans Weis shaar and Margaret Shipman: Violin Restoration. A Manual for Violin Makers, Los Angeles 1988.
Kopf angebracht. Der Hals mitsamt der Schnecke sitzt nicht auf dem Korpus, sondern ist umgekehrt im oberen Teil mit Nägeln befestigt. Die Decke weist nach unten, am Saitenhalter haften noch drei Saiten, und die weiteren frag mentierten Teile sind über die Fläche verteilt. Grundlegende Funktionen, wie das Halten der Saiten durch den Saitenhalter, sind in die Bildkomposition überführt und umgedeutet. Die Saiten werden nicht mehr vom Saitenhalter zum Steg geführt, um dann zur Schnecke geleitet zu werden, sondern der Saitenhalter fungiert als zentraler Haltepunkt der Komposition der Einzel teile, um sie auf der schwarzen Fläche zu verspannen. Die Geigenform bleibt durch die Decke und die über den schwarzen Grund gesäten Stücke als Refe renz erhalten. Es ist keine totale Zerstörung des Instruments zu erkennen, vielmehr hat dessen ursprüngliche Form konstitutiven Anteil an der Bildkom position. Die dreidimensionale Organisation des Instruments ist in die Anordnung auf der zweidimensionalen Fläche eingegangen; seine Ausrich tung ist aufgesprengt und in eine andere räumliche Ordnung überführt. Bei Arman werden vorwiegend Geigen und andere Streichinstrumente zerschlagen, verbrannt, zerschnitten und in dieser versehrten Form in neue Kompositionen überführt. Die Destruktion der Musikinstrumente ist der
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5. Man Ray: Violon d’Ingres, 1924, Fotografie, Los Angeles, Getty Mu seum
Konstruktion der Bilder vorgängig. Obwohl Arman auch Zertrümmerungen von Instrumenten in Performances umsetzt, wie zum Beispiel mit einem Flü gel in der Galerie Saqqârah in Gstaad 1962, folgt seine Arbeit vor allem einer visuell orientierten Strategie der Destruktion, die sich auf die Form des Instru ments bezieht und dessen Repräsentationswert als kompositorisches Element produktiv macht. Der Blick in das wohl nützlichste Handbuch zur Geigenreparatur16 zeigt (Abb. 4), dass der Geigenkörper visuell bestimmbar bleibt, auch wenn Decke und Boden abgetrennt wurden, die Substanz des Klangkörpers demnach fehlt und nur die durch Stützhölzer stabilisierten Zagen die äußere Form erhalten. Diese Art der Abstraktion, die jeder modellhaften Form durch die Vernach lässigung bestimmter Merkmale zu Eigen sein muss, bildet das besondere Spannungsmoment zwischen dem Symbol der Geige und ihrer für die Nutz barkeit unabdingbaren materiellen Grundlage als eines dreidimensionalen Objektes. Arman benutzt diese Spannung – die Zerstörung der ursprüng lichen Form bleibt in diese eingeschrieben und bringt eine neue Form hervor. Das dreidimensionale Objekt der Geige geht hier durch eine Materialum wandlung in die Bildkomposition ein.
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6. Pablo Picasso: Construction: Violon, 1913, Paris, Musée Picasso
Schon Man Ray machte sich in seiner berühmten Fotografie Le Violon d’Ingres (Abb. 5) von 1924 diesen Doppelcharakter zunutze. Die Fotografie eines zentriert ins Bild gesetzten Rückenakts einer Frau mit Turban überblen det den menschlichen Körper mit dem Musikinstrument. Der einfache Ein griff der Bemalung des danach wieder abfotografierten Positivabzugs benutzt allein die FLöcher als visuelles Signal. Das Bild lebt von der Ähnlichkeits beziehung zwischen der Umrisslinie des fotografisch inszenierten Frauenkör pers und der Violinform. Der doppelte Blick, der hier inszeniert wird, beruht auf der Ablösung der abstrahierten Violinform von dem Instrument als Objekt. Die äußere Form wird als Symbol auf der zweidimensionalen Bildflä che mit dem Frauenkörper in eins gesetzt. Man Ray bezieht sich mit seiner Arbeit auf die vielfache Verwendung der Geigenform in den kubistischen Stillleben Pablo Picassos. Die Zergliederung von Musikinstrumenten hatte dieser oft und verstärkt ab 1914 auch in Reliefs anhand von Geigen, Gitarren und anderen Musikinstrumenten entwickelt. In Construction: Violon (Abb. 6) von 1913 werden die mit Gouache gezeichneten, signifikanten Merkmale einer Geige, wie die Schnecke oder die Saiten, als raumkonstituierende Elemente benutzt und beziehen sich abermals rein visuell auf die Form der Geige. Die
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entscheidende Pointe bei Arman ist in Abgrenzung zu Man Ray und Picasso allerdings, dass er ein zuvor spielbares Musikinstrument in eine neue Bildor ganisation überführt. Das Symbol der Geige und die Geige als Objekt werden im Bild neu formiert. Welches Material aber liegt Mamma mia! genau zugrunde? Die Einarbei tung von Musikinstrumenten in den künstlerischen Kontext geht nicht ein fach mit dem gemeinhin als schlichtes Material eingeschätzten Holz um,17 auch wenn dies die Materialgrundlage der Instrumente selber ist. Das Mate rial besteht in erster Linie aus handwerklich hergestellten Instrumenten, die durch die Technik des Musikinstrumentenbaus innerhalb einer spezifischen Produktions und Nutzungsgeschichte hervorgebracht werden und in sich Kulturgeschichte speichern. In diesem Punkt unterscheiden sich die verwen deten Musikinstrumente von anderen »kunstfernen Materialien«,18 auch von Abfallprodukten des Alltags, die Arman beispielsweise in seinen »Poubelles« verarbeitete. Kompositionen mit Abfall, die den Kunstraum mit der Alltags wirklichkeit verbinden sollten, stehen der Verwendung von Objekten der Hochkultur diametral entgegen. Die Zerstörung der Instrumente im künstle rischen Rahmen setzt den Übergang einer kulturell geprägten Form in das ihr zugrundeliegende Material in Gang – ein spielbares Musikinstrument als einheitlicher Klangkörper wird durch die Vereinzelung der Teile partiell wie der zum Material. Das zersplitterte Holz tritt erst nach der Zerstörung in sei ner Materialqualität wieder hervor. Die Tradition des abendländischen Kunstverständnisses folgt einer genau gegenteiligen Logik.19 Das Ziel des künstlerischen Produktionsprozesses war über Jahrhunderte hinweg die Überwindung der Materialität in der gestal teten Form. Während darin eine Vernichtung des Materials durch die Form angestrebt wurde,20 zeigt sich bei Arman die Vernichtung der Form als Frei setzung des Materials. Das Verhältnis von Form und Material erfährt hier eine Umkehrung. In der Zerstörung wird das Musikinstrument seiner Indienst nahme als Instrument enthoben und legt partiell das Material frei; sie ist in diesem Sinne eine Materialisierung des zugrundeliegenden Rohstoffes. Bis in das 19. Jahrhundert hinein war die Hierarchie der verschiedenen Künste im Verhältnis zur jeweiligen Gebundenheit an das physische Material organi siert21: Die bildende Kunst ließ sich demnach als am meisten an das physische Material gebunden auf der untersten Stufe verorten, wohingegen die Musik auf der nächst höheren Stufe rangierte. Gebunden an das Musikinstrument als Tonerzeuger war sie einerseits mit einer physischen Grundlage ausgestat tet, während die erzeugten Töne auf eine abstraktere Sphäre verwiesen. Die höchste Stufe nahm die Poesie ein, welche nicht schriftgebunden, sondern in Bezug auf das gesprochene Wort die Aufhebung des Materials versprach. Die künstlerische Zerstörung der Musikinstrumente Anfang der 1960er Jahre lässt sich demnach als eine Arbeit an der Objektgebundenheit der musika lischen Klangproduktion verstehen, die gleichzeitig die klassische Hierarchi sierung der Künste in der abendländischen Tradition durchkreuzt.
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Klang als Material Im Fall der Musik lässt sich die Materialität nicht allein auf das Objekt des Musikinstruments beschränken, sondern die Tonproduktion selbst kann als zu gestaltendes Material betrachtet werden. Die eingangs beschriebene Ak tion Nam June Paiks weist auf diesen Aspekt des klanglichen Materials hin, indem die Destruktion des Instruments gleichzeitig als Klangerzeugung auf gefasst werden soll. Die Nähe der materiellen Beschaffenheit von Objekten und ihrer klanglichen Hervorbringung hatte der FluxusOrganisator George Maciunas eine Woche vor der Wiesbadener Aufführung von One for Violin Solo in seinem Vortrag »NeoDada in New York« wie folgt beschrieben: »Ein Klang ist dann als stofflich oder konkret anzusprechen, wenn er in enger Verwandt schaft mit dem Material steht, durch das er hervorgebracht wird.«22 Dieser Zusammenschluss von Klang und Material wurde in den »Piano Activities« von Philip Corner auf dem Wiesbadener FluxusFestival von 1962 aufgenom men und durch die Zerstörung von Musikinstrumenten realisiert: Konzert flügel wurden in diesen Aktionen anhand einer durchkomponierten Partitur in Einzelteile zerlegt. Ben Patterson, einer der Performer, der in den 1950er Jahren noch eine klassische Bassistenausbildung absolvierte, erklärte die In tention retrospektiv: »Der Grundgedanke dieser Arbeit war allerdings nicht einfach zerstörerisch; das Ziel war eher, dem Klavier neue, noch nie gehörte Geräusche zu entlo cken… und dafür brauchte man eben ungewöhnliche Mittel. Es war kein will kürlicher Akt der Zerstörung, sondern eine sehr überlegte, sehr am Klang interessierte Aufführung.«23
Dem Klavier sollen ungewöhnliche Geräusche entlockt werden, indem es sei ner Zerstörung anheim gegeben wird. In dem Moment, in dem die Geige wie bei Paik oder der Flügel bei Corner zerschlagen bzw. zerlegt werden, sind sie als Musikinstrumente still gestellt und im konventionellen Gebrauch nicht mehr spielbar. Gleichzeitig kommt ihre Materialität zum Vorschein. Die Zer störung des Objekts ist gleichsam Arbeit am klanglichen Material, wie es Wolf Vostell in seiner Konzeption einer »Décollage music« 1958 beschrieben hatte: »Décollage music takes place if a sound is produced by an object at the moment when it loses its concrete form (when it’s destroyed.)«24 Mit dieser Vorstellung von einer Tonproduktion im Moment der Zerstörung des Objekts werden gleichsam zwei Traditionen angegriffen: Einerseits das abendländische Kunstverständ nis als eine zur Abstraktion strebende, das Material überwindende Entwick lung und andererseits die Musikinstrumente selbst als gestaltete Objekte. In einer Umkehrung des Produktionsprozesses der Musik wird die künstleri sche Arbeit an den Objekten der Musikinstrumente entwickelt und eine Form gebung im Formverlust der zur Materialansammlung zerberstenden Instru mente behauptet.25
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Entscheidend an diesen Operationen der Klangerzeugung durch die Zer störung von Geigen und Flügeln ist die Wahl von klassischen Musikinstru menten als Symbole einer hochkulturellen Kulturtechnik. In der »klassischen Avantgarde« hatte der futuristische Maler Luigi Russolo 1913 angefangen, eigene Instrumente, die intonarumori, zu bauen, mit denen eine dem klassi schen Repertoire fremdartige Klangerzeugung möglich war.26 Damit war er der Erste, der das ›Geräusch‹ als Klangform einbrachte. Im gleichen Zuge sollten die klassischen Instrumente ausgetauscht und durch neue ersetzt wer den: »Fort! Verlassen wir den Saal, denn wir können nicht länger unseren Wunsch bändigen, endlich eine neue musikalische Realität zu schaffen, indem wir tönende Ohrfeigen verteilen und Geigen, Klaviere, Kontrabässe und jam mernde Orgeln beiseite schieben. Hinaus!«27
Während die »klassische Avantgarde« versucht, die Konzertinstrumente auf zugeben und durch eigens gebaute zu ersetzen, arbeiten die Künstler Anfang der 1960er Jahre mit der Materialität der Instrumente selber. Das Objekthafte der traditionellen Musikinstrumente gerät hier in das Zentrum der künstle rischen Produktion. Dieser künstlerische Zugriff unterscheidet sich von der Integration ungewöhnlicher Gegenstände zur Klangerzeugung, wie Blumen töpfe, Radios oder Haushaltsgeräte als Ausweitung des Klangspektrums, wie sie von dem »Klangphänomenologen« John Cage schon in den 1940er Jahren eingeführt wurden. Durch die gleichwertige Behandlung aller Objekte als Tonerzeuger schaffte er jedoch die Voraussetzung dafür, dass die Klänge, die durch das Zerstören von Instrumenten erzeugt werden, als relevante Geräusche begriffen werden können. Auf dieser Grundlage lässt zum Beispiel Wolf Vostell zu Beginn der 1960er Jahre fünfzig Staubsauger eine Symphonie aufführen, in der sich verschiedenartige Brummgeräusche zu einem Klang körper zusammenschließen.28
Strategien der Umnutzung Nicht allein die klassischen Instrumente wurden Anfang der 1960er Jahre als Material begriffen, das im Spannungsverhältnis von Objekt, Bild und Klang transformiert wurde, sondern auch die Handlungen der Spieler am Instru ment sowie die institutionellen Rahmenbedingungen der Musiktradition wurden zum Gegenstand künstlerischer Arbeiten. Auch ein verkehrter Umgang mit dem Instrument fungierte als zerstörerischer Akt. So zog zum Beispiel Nam June Paik eine Violine wie einen Hund an der Leine hinter sich her, oder Ben Patterson benutzte anstatt eines Bogens Papierlagen, die keine Töne auf den Saiten erzeugen konnten. Ab 1961 hat Nam June Paik eine sich heute im Museum für Moderne Kunst in Wien befindliche Geige (Abb. 7) immer wieder als nichtmusikalisches Objekt benutzt, sodass sich über die
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7: Nam June Paik, Violine mit Schnur
Jahre zahlreiche Spuren im Lack eingeschrieben haben, die das darunter befindliche Holz aufscheinen lassen. Die Verschiebungen und Verkehrungen der Handlungen, die um die Musikinstrumente als klangerzeugende Objekte stattfanden, waren Teil einer grundlegenden Kritik an den institutionellen Rahmenbedingungen klassischer Musikproduktion. So bemerkte Nam June Paik in der einmaligen Ausgabe von »The Monthly Review of the University for Avantgarde Hinduism” im März 1963 in seinem Aufsatz »New ontology of music«: »I am tired of renewing the form of music – serial or aleatoric, graphic of five lines, instrumental or bellcanto, screaming or action, tape or live… I (hope) must renew the ontological form of music.«29
Die Angriffe richteten sich auf alle Ebenen der Musikproduktion: die Instru mente als Objekte, die Klangproduktion als Interpretation von Notationen und den symbolischen Code des Notationssystems, sowie die Aufführungs situation als Institution. Im Sinne einer Verkehrung der institutionellen Rah menbedingungen komponierte Dick Higgins 1963 sein Stück »Der fetteste Mann der Welt, New York«: »1. Eine beliebige Anzahl Spieler. Jeder benutzt ein Musikinstrument in kon ventioneller, d.h. in der für das Instrument vorgesehenen Weise. Jeder spielt nur die vier oder fünf tiefsten Töne seines Instruments. 2. Die Spieler beginnen auf ein Signal hin, danach spielen sie wann immer sie wollen. Zu einer bestimmten Zeit oder auf ein bestimmtes Signal hin endet die Aufführung.
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3. Jeder Spieler versucht, durch sein Spiel oder sonstwie auszudrücken oder zu suggerieren, er sei der fetteste Mann der Welt.«30
Die Konzeption dieser Handlungsanweisung impliziert einen ungestörten Gebrauch der Musikinstrumente in einem neu konzipierten Rahmen, welcher vor dem Hintergrund einer traditionellen Musikpraxis Sinn macht, die sich ex negativo in das Stück einschreibt. Die Festlegung der Anzahl an Musikern, die zum Beispiel in einer Symphonie von Gustav Mahler bis zum achten Horn durch den Komponisten festgelegt wurde, unterliegt bei Dick Higgins der Motivation der Spieler. Die Dauer des Stückes wird offen gehalten, was auf die variable Zeitausdehnung bei der Aufführung von Musikstücken verweist: Während Herbert von Karajan die 9. Symphonie von Beethoven in 74 Minuten dirigierte, braucht John Eliot Gardiner dafür nur 59 Minuten.31 Bei Dick Hig gins sind die Spieler auf eine Skala der vier bis fünf tiefsten Töne ihres jewei ligen Instruments festgelegt, was insgesamt ein bestimmtes Intervall des Stückes definiert, innerhalb dessen die Spieler Entscheidungsfreiheit besitzen. Der Effekt besteht darin, dass keine weitere Notation benötigt wird und ein immer neues Stück zur Aufführung kommt. Die eigene Körperlichkeit des Spielers, welche beim Spielen von Streich, Schlag und Tasteninstrumenten durch eine Ausbildung der Motorik von Händen und Armen und bei Blasin strumenten durch bestimmte Techniken des Atems und des Mundes bestimmt ist, wird durch das Rollenspiel des »fettesten Mannes der Welt« ironisiert. Die Instrumente bleiben in ihrer ursprünglichen Gebrauchsweise erhalten und die Umdeutung richtet sich auf die institutionellen Bedingungen, in die das Instrument eingespannt ist. John Cage hatte mit seinem berühmtesten Stück 4’33 den Anfang einer solchen Möglichkeit der Umdeutung markiert.
Elektrifizierung Die Zerstörung von klassischen Musikinstrumenten und die Umdeutung ihrer institutionellen Rahmenbedingungen zeugt von einer Auseinanderset zung mit den Formen und Traditionen, die sich in jedem Einzelobjekt mani festieren. Dieser Umgang mit der abendländischen Musiktradition wurde jedoch begleitet von einer Forderung nach Erweiterung des Klangspektrums der Instrumente durch die elektronische Verstärkung, die ihrerseits vom Rock ’n’ Roll beeinflusst war. Damit wurde eine Kreuzung von Hoch und Populär kultur in Gang gesetzt. Schon 1959 schrieb der Theoretiker der »AutoDestruc tive Art« Gustav Metzger: »The amplified sound of the autodestructive pro cess can be an element of the total conception.«32 Dieser forderte weitergehend, dass der Lärm der Zerstörung eines Musikinstruments durch die »technische Entwicklung« verstärkt werden solle.33 Zum Jahreswechsel 1966/67 kam es zu einem Zusammenschluss mit den Bands »The Cream« und »The Who«, die ihre Auftritte im Londoner Roundhouse von psychedelischen Lightshows Metzgers begleiten ließen. Pete Townshend, Gitarrist von »The Who«, hörte
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1962 in der Ealing Art School Vorträge von Metzger zur »AutoDestructive Art« und entwickelte daraufhin seine Praxis der Gitarrenzerstörung auf der Bühne.34 In dem Film »Blow Up« von 1966, auf dem Höhepunkt der Erfolge von »The Who«, entwirft Michelangelo Antonioni eine Szene, die eben diese Praxis reflektiert. Der Protagonist des Films gerät in ein Rockkonzert, in dem während der Aufführung eine Gitarre durch das Zerschlagen auf einem Ver stärker zerstört wird. Die elektronische Verstärkung des Klangs wird hier zum Angriffspunkt durch das Objekt der Gitarre. Der Protagonist greift nach dem hingeworfenen Hals des Instruments in dem Moment, als es seine Funk tion als Musikinstrument verloren hat und als nutzloses Objekt zur Beute der aufgewühlten Menge wird. Auf der Straße, auf der Flucht, mit dem Instru mentenrest in der Hand wird ihm die Funktionsuntüchtigkeit des Objekts bewusst und er wirft es interesselos weg. Strukturell ist diese Gitarrenzerstö rung in der Stillstellung des Instruments bei gleichzeitiger Materialisierung des Objekts den FluxusAktionen im künstlerischen Kontext analog. Sie wird hier in einem anderen Medium, dem Film, weitergedacht. Findet man Formen der Zerstörung von Musikinstrumenten bereits in Fil men wie The Music Box von 1932 von Stan Laurel und Oliver Hardy, in dem Klaviere demoliert werden, oder dem surrealistischen HollywoodMusical Hellzapoppin von Henry C. Potter aus dem Jahr 194135, in dem ein Cello mit einer Säge statt eines Bogens bearbeitet wird, zeigt sich Anfang der 1960er Jahre eine umfassendere Kritik an einer Repräsentationskultur der klassi schen Musik, die sich über die Objektbearbeitung der Instrumente herstellt. Das Objekt des Musikinstruments wird – und darin kulminiert das gesamte Panorama der Zerstörungs und Umnutzungspraktiken Anfang der 1960er Jahre – als Speicher von kulturellem Ausschluss wahrgenommen: »Das Kla vier ist ein Tabu. Es muss zerstört werden«,36 heißt es bei Nam June Paik. Diese Kritik am bürgerlichen Wertesystem zeigt sich in den hoch wie in den populärkulturellen Kontexten in der Behandlung der jeweiligen Musikinstru mente als Objekte, welchen droht, die Form und damit ihre kulturelle Bedeu tung zu verlieren.
1 Vgl. hierzu den Bericht des Journalisten Günter Schab: Zuviel Klamauk mit NeoDada. Frische Eier und June Paik nachts in den Kam merspielen, in: Jürgen Becker u. Wolf Vostell (Hg.): Happenings, Fluxus, Pop Art, Nouveau Réalisme, Reinbek bei Hamburg 1965, S. 269. 2 Vgl. ein Gespräch mit Nam June Paik, wie derabgedruckt in: Justin Hoffmann: Destruk tionskunst. Der Mythos der Zerstörung in der Kunst der frühen sechziger Jahre, München 1995, S. 84.
3 Einen chronologischen Überblick der Aktio nen bietet die Zusammenschau von Hoffmann 1995 (wie Anm. 2), S. 75 ff. 4 Vgl. Hoffmann 1995 (wie Anm. 2); ders.: Die Destruktionskunst der frühen 1960er Jahre, in: Bettina Paust (Hg.): Aufbauen – Zerstören. Phäno mene und Prozesse der Kunst, Oberhausen 2007, S. 69–78; ders.: Es begann in den 1960er Jahren. Der Aspekt der Zerstörung verbindet bildende Kunst und Musik, in: Eleonora Louis u. Toni Stooss (Hg.): Sound of Art. Musik in der bildenden Kunst. Les Grands Spectacles III, Ausst.Kat. (Salz
182 KATJA MÜLLER-HELLE burg, Museum der Moderne), Weitra 2008, S. 100– 108. 5 Der Begriff Destruktionskunst leitet sich von der angloamerikanischen Bezeichnung De struction Art ab, die sich auf das Art Symposium mit dem Titel Destruction bezieht, welches im Jahr 1966 unter der Leitung von Gustav Metzger unter Teilnahme von Yoko Ono, Wolf Vostell, Al Hansen, Hermann Nitsch, Peter Weibel, Raphael Montañez Ortiz u.a. in London stattfand. Vgl. Hoffmann 2007 (wie Anm. 4), S. 70. 6 Vgl. Werner Faulstich: Das Versagen der Avantgarde als Bastion der Hochkultur. Zum Wertewandel bei EMusik und Bildenden Kün sten in den sechziger Jahren, in: ders. (Hg.): Die Kultur der 60er Jahre. Kulturgeschichte des 20. Jahr hunderts, München 2003, S. 61–71; Sabine Sanio: Autonomie, Intentionalität, Situation. Aspekte eines erweiterten Kunstbegriffs, in: Helga de la MotteHaber (Hg.): Klangkunst: Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber 1999, S. 67–118. 7 Vgl. Monika Wagner: Materialvernichtung als künstlerische Schöpfung, in: Andreas Haus (Hg.): Material im Prozeß. Strategien künstlerischer Produktivität, Berlin 2000, S. 109–121, hier 109. 8 Justin Hoffmann hebt in seiner Definition von Destruktion in besonderem Maße den zer setzenden und auflösenden Aspekt von vormals funktionierenden Objekten hervor: »Unter De struktion ist hier die vollständige oder partielle Auflösung einer organischen oder anorgani schen Einheit durch verschiedenartige Prozesse und Handlungen (z.B. Zerreißen, Zersetzen, Zertrümmern, Schlachten, Schinden) zu verste hen.« Hoffmann 1995 (wie Anm. 2), S. 11. 9 In diesem Zusammenhang ist Dario Gam bonis Unterscheidung zwischen »Missbrauch« und »Gebrauch« eines Objektes nützlich: »[es] scheint […] besser, von ›Mißbrauch‹ oder ›Fehl nutzung‹ zu sprechen, weil damit begrifflich verdeutlicht wird, dass es sich um eine Form der ›Nutzung‹ oder des ›Gebrauchs‹ handelt und dass die Unterscheidung zwischen ›Mißbrauch‹ oder ›Gebrauch‹ davon abhängt, was zu einer bestimmten Zeit, für ein bestimmtes Objekt, eine bestimmte Person und die jeweiligen Umstände als ›richtiger Gebrauch‹ definiert ist.« Dario Gamboni: Zerstörte Kunst. Bildersturm und Vanda lismus im 20. Jahrhundert, Köln 1998, S. 26. 10 Meine Betrachtungen zum Objekt an der Schnittstelle von musikalischer und künstleri
scher Praxis sind insbesondere von den Ausfüh rungen Dario Gambonis inspiriert, in denen aus kunst und kulturhistorischer Perspektive eine »Semantik der Dinge« nachverfolgt wird, ohne diese rein nach ihrem Symbolgehalt zu klassifi zieren. Vgl. Gamboni 1998 (wie Anm. 9). 11 Vgl. Gamboni 1998 (wie Anm. 9), S. 26–28. 12 Vgl. die Flussersche Definition von Objek ten, bei der die Konfrontation des Subjektes mit dem vor ihm befindlichen Objekt betont wird. Objekte seien allein darüber zu fassen, dass sie sich dem Subjekt entgegenstellen: »Als Subjekte sehen wir uns einer Gesamtheit von Objekten, Problemen, gegenüber, die irgendwie gegen uns geschleudert werden. Diese Konfrontation ist dynamisch.« Vilém Flusser: Das Foto als nachin dustrielles Objekt: Zum ontologischen Status von Fotografien (1986), in: Gottfried Jäger (Hg.): Fotografie denken. Über Vilém Flusser’s Philosophie der Medienmoderne, Bielefeld 2001, S. 15–25, hier 15. 13 Vgl. zum Beispiel Walter Kolneder: Das Buch der Violine. Bau, Geschichte, Spiel, Pädagogik, Komposition, Zürich 1989, S. 11. 14 Zum Problem von Abstraktion und Modell vgl. Claudia Blümle u. Armin Schäfer (Hg.): Struk tur, Figur, Kontur. Abstraktion in Kunst und Lebens wissenschaften, Zürich 2007. 15 Vgl. hierzu Renate Wiehager (Hg.): ZERO und Paris 1960. Und heute, Ostfildern 1997; Silvia Höller: Zero – Die europäische Vision – 1958 bis heu te, Innsbruck 2003. 16 Vgl. Hans Weisshaar u. Margaret Shipman: Violin Restoration. A Manual for Violin Makers, Los Angeles 1988, S. 242. 17 Vgl. Thomas Raff: Die Sprache der Materi alien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe, München 1994. 18 Vgl. Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, Mün chen 2001, S. 14. 19 Vgl. Wagner 2000 (wie Anm. 7), S. 109–121. 20 Wagner 2000 (wie Anm. 7), S. 109: »Der Ausgangsstoff wird in der Gestaltung zugun sten einer anderen Materialität ›vernichtet‹.« 21 Vgl. Wagner 2000 (wie Anm. 7), S. 114. 22 Vgl. George Maciunas: Neo Dada in New York. Abgedruckt in: Becker/Vorstell 1965 (wie Anm. 1), S. 193. 23 Vgl. Ben Patterson in einem Gespräch mit Martin Büsser. Wiesbaden, 19. Mai 1995, in: Test card: Beiträge zur Popgeschichte, 1995/1 = Martin
183 GEFÄHRDETE OBJEKTE Büsser u.a. (Hg.): Pop und Destruktion, S. 224–232, hier 227. 24 Zit. nach Hoffmann 1995 (wie Anm. 2), S. 91. 25 Vgl. Faulstich 2003 (wie Anm. 6), S. 71. 26 Vgl. hierzu Juan AllendeBlin: Der italieni sche Futurismus in der Musik, in: Norbert Nobis (Hg.): Der Lärm der Strasse. Italienischer Futurismus 1909–1918, Hannover 2001; Wolfgang Lamprecht: kroook – kraak: Tönende Manifeste. Über die Mu sik und die Geräuschkunst im Futurismus, in: Evelyn Benesch (Hg.): Futurismus. Radikale Avant garde, Wien 2003, S. 101–109. 27 Luigi Russolo: Die Geräuschkunst, 11. März 1913. in: Hansgeorg SchmidtBergmann (Hg.): Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente, Rein bek bei Hamburg 1993, S. 235 ff. 28 Vgl. Brigitte Felderer: Keine Musik? Les Grands Spectacles III, in: Louis/Stooss 2008 (wie Anm. 4), S. 8–19, hier: 15. 29 1963 Postmusic. The Monthly Review of the University for Avantgarde Hinduism. Edited by N. J.
Paik. FLUXUS publication – an essay for the new on tology of music, Exemplar im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien. 30 Dick Higgins: Selected early works 1955–64, Berlin 1982, S. 47. 31 Vgl. Julia Kursell u. Armin Schäfer: Slow Spaces. Remarks on the Music of John Cage, in: Klaus Benesch u. Kerstin Schmidt (Hg.): Space in America. Theory History Culture, New York 2005, S. 471. 32 Zit nach Hoffmann 1995 (wie Anm. 2), S. 449. 33 Vgl. hierzu Neidhart 2008 (wie Anm. 32), S. 142. 34 Vgl. Simon Frith: Howard Horne, Art Into Pop, London 1987, S. 100–101. 35 Vgl. hierzu Didi Neidhart: Durchkreuzte Linien – Fluxus und »The Art of Sound«, in: Lou is/Stooss 2008 (wie Anm. 4), S. 134–145, hier: 141. 36 Zit. nach Edith Decker: Paik. Video, Köln 1988, S. 41.
MONIKA WAGNER
Geliehene Hände Antony Gormleys Field
Die Hand hat gegenwärtig wieder Konjunktur. Nach der Entdeckung phy sischer Qualitäten des Körpers, der Materialien und der Dinge wenden sich auch die Kulturwissenschaften verstärkt dem Fabrikationsprozess und den Werkzeugen zu.1 Als »Werkzeug aller Werkzeuge« hatte schon Aristoteles in einer oft zitierten Passage die Hand bezeichnet, weil sie »zur Klaue und zum Horn und zum Spieß und zum Schwert und zu jeder beliebigen anderen Waf fe und jedem beliebigen anderen Werkzeug« werden könne. »Denn sie kann alles sein, weil sie alles ergreifen und festhalten kann«.2 Trotz derartig grund legender Charakterisierungen der Hand als Distinktionsmerkmal unter den Lebewesen3 und damit für die Kulturleistungen der Menschheit blieb in der Geschichte der abendländischen Bildkünste das »Lob der Hand«4 zunächst begrenzt. Während ihr für die »nützlichen Künste« größte Bedeutung zukam, war sie in den schönen Künsten eine zwar unverzichtbare, aber gern verleug nete Dienerin des Intellekts. Dem entsprach die Hierarchisierung der Sinne: Die Hand korrelierte dem Taktus, dem Gefühl, das gegenüber den Fernsin nen, vor allem gegenüber dem Auge, meist auf einen ungleich niederen Rang verwiesen wurde. Warum die Theorie der bildenden Künste der Hand lange Zeit keineswegs freundlich gesonnen war, hat Martin Warnke 1987 in seinem Aufsatz »Der Kopf in der Hand« dargelegt.5 Warnke zeigt, wie seit dem 15. Jahrhundert die Hand des Malers allmählich zu einer docta manus, einer gelehrten Hand, wur de und wie damit im Zuge der Emanzipation des Künstlers vom Handwerker zum Intellektuellen die Vergeistigung künstlerischer Arbeit postuliert und durchgesetzt werden konnte. Nicht die Arbeit der Hand wurde fortan als das Ausschlaggebende am Kunstwerk gewürdigt, sondern die Idee. Entsprechend haben sich Künstler der Neuzeit lieber in der Pose des Denkers denn als manuell Arbeitende dargestellt.6 In diesem Prozess der »Vergeistigung der Hand« wurden die spezifischen Potenziale der Hand letztlich verleugnet. Marcantonio Raimondis Stich, der Raffael mit verhüllten Händen vor einer leeren Bildtafel zeigt (Abb. 1), ist wohl die pointierteste Konsequenz aus einer solchen Vergeistigung: Die Hände sind für das Genie gar nicht mehr nötig,
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weil es die Idee ist, die den Künstler auszeichnet, eine Denkfigur, die 1772 in Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel Emilia Galotti ihre Zuspitzung fand: In dem berühmten Gespräch7 fragt der Maler Conti seinen Auftraggeber, den Prinzen, ob Raffael nicht «das größte malerische Genie« bliebe, selbst »wenn er ohne Hände wäre geboren worden«? Die Fokussierung des Problems bei Lessing verweist allerdings auch darauf, dass es einen anderen Diskurs gab, der sich im Verlauf des 18. Jahr hunderts verstärkte und der nicht ohne Auswirkungen auf die Bildkünste blieb. Dem Modell der Vergeistigung der Hand trat eine andere Vorstellung, nämlich die von der Erkenntnisfähigkeit der Hand gegenüber. René Descartes 1637 publizierter Essay Dioptrique zeitigte lang anhaltende Debatten über das Verhältnis von Sehen und Fühlen, über die Raumwahrnehmung von Blinden und damit der Erkenntnisfähigkeit des Tastens.8 In diesem Prozess gewann der Tastsinn erheblich an Bedeutung. »Die Natur geht«, so formulierte es Johann Gottfried Herder in seinen wegweisenden Überlegungen zur taktilen Wahrnehmung »mit jedem einzelnen Menschen, wie sie mit dem ganzen Geschlecht ging, vom Fühlen zum Sehen, von der Plastik zur Piktur«.9 Um dies zu verifizieren forderte er zur empirischen Beobachtung auf: »Kommt in die Spielkammer des Kindes, und sehet, wie der kleine Erfahrungsmensch fasset, greift, nimmt, wägt, tastet, misst, mit Händen und Füßen […] In weni gen Augenblicken lernt er da mehr und alles lebendiger, wahrer, stärker, als ihm in zehntausend Jahren alles Angaffen und Worterklären beibringen wür de«.10 Herder machte deutlich, dass er im Bereich der Künste dementspre chend die Plastik phylogenetisch wie ontogenetisch als primäre Kunsterfah rung verstand. Die Vorstellung, dass über die Hand spezifische Erkenntnisse zu gewin nen seien, dass die Hand ein eigenes Wissen generiere,11 findet sich also nicht erst in den aktuellen neurophysiologischen oder evolutionsgeschichtlichen Debatten. Allerdings hat das Bewusstsein von der Gefährdung der spezifi schen Erkenntnispotenziale der Hand im Zeitalter des Mausklicks und des Verschwindens differenzierter manueller Arbeit in den westlichen Industrie ländern dazu geführt, der Hand größere Aufmerksamkeit zu widmen. Zu befürchten stehe, so gibt etwa Richard Sennett zu bedenken, dass mit den Fähigkeiten der Hand noch weit mehr drohe verloren zu gehen.12 Angesichts der rasanten Verbreitung digitaler Medien scheint im Bereiche der bildenden Künste in einer Gegenbewegung ein Reservat der Tätigkeiten der Hand entstanden zu sein.13 Nicht nur ausgeschiedene Dinge finden als Relikte einen prominenten Speicher, sondern auch historische Arbeitsweisen. Im Gegenzug zu den technischen Bildern mit ihren perfekten Oberflächen ist eine Archaisierung, ein Hang zum Rohen und Handgemachten, zur Arte Pove ra auch jenseits der 60er Jahre zu verzeichnen. Im folgenden sollen einige Probleme, die mit der »Rettung« des verloren gehenden Wissens der Hand im Modus Kunst einher gehen, am Beispiel einer ungewöhnlichen künstle rischen Arbeit des englischen Bildhauers Antony Gormley diskutiert werden,
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1. Marcantonio Raimondi: Maler im Atelier, Kupferstich, um 1520, Wien, Graphische Sammlung Albertina
in der sich der Künstler fremder Hände bediente und deren Wissen appropri ierte.
Schöpfungen aus »plastischem Urstoff« 1997 ließ Gormley einen Kellerraum der Kieler Kunsthalle mit Schlick und Wasser aus der nahe gelegenen Ostsee fluten.14 Das geschah mit allerhand Geräten, mit Pumpen, Lastwagen, Kompressoren usw. wie sie in der Industrie eingesetzt werden. Das schlammige Wasser führte im Keller der Kieler Kunst halle sein Eigenleben: Es bildete Blasen, Algen, Krusten und Risse, die Ober fläche wurde inhomogen. Aus Wasser und Erde entwickelte sich allmählich etwas Neues; es entstand eine Informelbildern der 1950er Jahre vergleichbare, rostrot patinierte Oberfläche. Stieg man vom Keller in das Obergeschoß der Kieler Kunsthalle und blickte in die Ausstellungsräume, so schien sich der von Eisenoxyd rot gefärbte amor
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2. Antony Gormley: Field, Installation in der Kunsthalle zu Kiel, 1999
phe Schlamm sprunghaft weiter transformiert zu haben (Abb. 2). 40.000 gole martige Figuren, die denselben rostroten Farbton aufwiesen wie der Schlamm im Keller, füllten die Bildersäle und drängten wie die Lemminge dem Eingang entgegen. Die handlichen Terracottafiguren hat Gormley unter dem Titel Field seit 1990 schon mehrfach in musealen Räumen verschiedener Kontinente ver sammelt. Sie alle besitzen eine gleichartige Grundform, wirken jedoch dem Eindruck von serieller Produktion, wie sie dem industriellen Arbeitsprozess verbunden ist, diametral entgegen. Die reduzierten Körper der Figuren beste hen aus dem Rumpf und einer kopfartigen Ausstülpung, die zwei augenartige Löcher aufweist (Abb. 3). Dass sie handgeformt sind, wird umso anschau licher, als sie in Field dicht nebeneinander stehend auf den Betrachter ausge richtet sind, wodurch bei aller Gleichartigkeit die Varianz der Figuren deutlich wird. Field erscheint auf diese Weise als unüberschaubare Masse von Indivi duen. Die unglaubliche Zahl von 40.000 Homunculi wurde in einer mexika nischen Ziegelei aus derselben groben Tonerde geformt und dort in denselben Öfen bei niedrigen Temperaturen gebrannt wie zuvor Backsteine für regio nale Bauten. Durch das unraffinierte Ausgangsmaterial und den Verzicht auf Hilfsmittel zugunsten des Formens mit den bloßen Händen entstanden Ter racottafiguren, deren rohe Formen den rauen Oberflächen entsprechen. In der Kieler Kunsthalle hat also zwischen dem Keller und dem Oberge schoß eine Art von Schöpfungsakt stattgefunden – und zwar gleich vierzig tausendfach. Mit der Überführung des amorphen Schlamms in aufrecht
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3. Antony Gormley: Field, Detail
stehende Figuren schrieb Gormley sich in eine alte Tradition ein: In Schöp fungsmythen unterschiedlicher Kulturkreise wird überliefert, Gott habe den ersten Menschen aus Schlamm, aus Erde, Lehm oder Ton erschaffen. Der ägyptische Schöpfergott Chum etwa formte den Menschen auf einer Töpfer scheibe, der griechische Mythos berichtet von Prometheus, der den Menschen aus einem Klumpen Lehm bildete, ein Material, aus dem auch der legendäre Golem erschaffen wurde. Nicht anders verhält es sich in der biblischen Schöp fungsgeschichte (Genesis 2.7), in der Adam aus Lehm geformt wird. Auch in einem der Gründungsmythen der Kunst ist es die Töpferwerkstatt, aus der das erste Kunstwerk hervorgeht, überführte laut Plinius doch der Töpfer Buta dis den Schattenriss, den seine Tochter von ihrem Geliebten an die Wand gezeichnet hatte, in ein transportables Porträt aus Ton. Die »Urszene« der göttlichen Formgebung des Menschen ist in der euro päischen Bildtradition jedoch überraschend selten anzutreffen. Das hat offen bar mit der Rolle der Hände des christlichen Schöpfergottes zu tun. Wesent lich häufiger findet sich demgegenüber die Belebung des fertig geformten ersten Menschen durch den göttlichen Odem in Gestalt eines Lichtstrahls, der vom Kopf – meist dem Auge Gottes – ausgeht, wie etwa in der Darstellung des 6. Tags der Schöpfungsgeschichte aus dem Mosaikzyklus im Dom von Mon reale. Von dieser Vorstellung der alles entscheidenden Belebung durch Licht, bzw. Elektrizität, zehrten noch die modernen Varianten der Schöpfung des künstlichen Menschen, die in Fritz Langs legendärem Film Metropolis ihren ersten Höhepunkt feierten.
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4. Hans Baldung Grien: Flügel einer astronomischen Uhr (?), Außenseite, Die Erschaffung der Menschen und Tiere, um 1533, Tempera auf Holz, Erfurt, Anger museum 5. Schedelsche Weltchronik: Gottvater erschafft Adam aus einem Erdenkloß (Blatt 5 r), um 1493, Holzschnitt
Zu den wenigen Ausnahmen, in denen dargestellt ist, wie Gottvater den Menschen mit seinen Händen formt, gehört das Kuppelmosaik in der Vorhal le von San Marco in Venedig aus dem 13. Jahrhundert. Die Szene zeigt den fast vollendeten Körper Adams. Aus welchem Stoff er gebildet wird, lässt sich allerdings nicht erkennen, es scheint, als ob das Gerippe in einem abschlie ßenden Akt mit Fleisch bekleidet, also gewissermaßen letzte Hand angelegt würde. Eine interessante Ausnahme stellt auch die Erfurter Altartafel von Hans Baldung Grien aus der Zeit um 1530 dar (Abb. 4).15 Sie zeigt wie Gottvater sein ebenbildliches Geschöpf mit beiden Händen aus einem merkwürdigen Stoff formt. Das Material, das unten wie ein weißer Marmorblock, weiter oben aber wolkenartig erscheint, erweist sich unter den göttlichen Händen gefügig wie Wachs und nimmt unter der sanften Berührung menschliche Gestalt an. Offenbar sorgte der Künstler trotz seiner nahezu materialistischen Schöp fungsvorstellung dafür, dass nicht zu viel irdische Handarbeit in die mit einer
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6. Max Ernst: Himmlische und irdische Liebe, um 1923/24, Öl auf Karton, Köln, Privatsammlung
Materialtransformation einhergehende göttliche Schöpfung geriet. Anders verhält es sich in dem grafischen Blatt aus der Schedelschen Weltchronik von 1493, in dem Gottvater die bis zum Bauch geformte Figur Adams aus einem unförmigen, auf der Erde liegenden Klumpen herauszieht (Abb. 5). Die Rech te des Schöpfergottes ist zu einem Gestus der Ansprache erhoben, so dass das Wort ins Spiel kommt. Nicht formend, sondern sprechend und helfend sind die göttlichen Hände dargestellt. Das weist auf eine der Ursachen, wieso der Prozess der Formgebung in der christlichen Schöpfungsgeschichte so selten dargestellt wurde: Der biblische Gott schafft, so jedenfalls die sich schon sehr früh herausbildende christliche Lehrmeinung, nicht mit den Händen, sondern durch das Wort. Dem haben erst Künstler des 20. Jahrhunderts widersprochen, so etwa Max Ernst, der in einem Gemälde der 20er Jahre unterhalb einer anatomischen Ausschlachtung die Figur eines robusten Arbeiters mit kräftigem Handgriff das Gesicht eines Menschen formen lässt (Abb. 6), so, als würden hier der Anatom und der Schlächter zum Modell des Menschenschöpfers. Auch Alig hiero Boetti demonstriert in seiner Arbeit (»Io che prondo sole a Torino il 24. 2. 1969«) aus dem Jahr 1969, die physische Dimension der Schöpfung, indem er aus Stücken, die den Abdruck der zupackenden Faust tragen, eine fragmen tierte menschliche Figur auf dem Boden zusammenfügte.
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Geliehene Hände Dass in Gormleys Ausstellung Field Hinweise auf den Schöpfungsvorgang selbst ausgespart blieben, und damit auch auf die Produktionsbedingungen, unter denen 40.000 Homunculi entstanden, hat natürlich andere Gründe als bei den biblischen Schöpfungsdarstellungen. Doch anlässlich der Ausstellung des Werks im Montreal Museum of Fine Arts erschien 1993 ein Begleitbuch, in dem die Werkherstellung dokumentiert wird. Der Einblick in die Produk tion von Field, die offenbar auch dem Bedürfnis des Künstlers geschuldet ist, das Geheimnis der Genese eines derart eigentümlichen Werks zumindest ein Stück weit offen zu legen, erweist sich als aufschlussreich. Er dokumentiert darin, wem die Realisierung von Field zu verdanken ist. Gormley beginnt sei nen Beitrag folgendermaßen: »Dieses Buch feiert die Arbeit, die ich mit Hilfe der Familie Texca, Backsteinhersteller der Gemeinde San Matias, in Cholula, Mexico, ausführte, mit der ich während der ersten drei Wochen im Dezember 1990 zusammen arbeitete«.16 Die 40.000 handgeformten irdenen Einzelfiguren stammen also nicht aus der Hand des Künstlers, sondern sie wurden von rund 100 Arbeitern – Män nern, Frauen, Kindern zwischen sechs und mehr als sechzig Jahren – in Mexi ko geformt und gebrannt. Gormley hat sich demnach für sein Projekt Field ideale Werkzeuge geschaffen, indem er seine eigenen Hände verhundertfach te. Im Unterschied zur manufakturellen Arbeitsweise im traditionellen Fami lienbetrieb einer Ziegelei, wie dem von Gormley ausgewählten, der norma lerweise Backsteine herstellt (Abb. 7), entstanden die Figuren selbst nicht arbeitsteilig. Vielmehr sollten deren Realisierungen innerhalb der Vorgaben des Künstlers durchaus variieren. Gormley hat zusammen mit den vielen fremden Händen deren know how, d. h. das der Ziegeleiarbeiter, deren Erfah rung in der Bearbeitung des Materials mit erworben und für sein Werk ein gesetzt. Man könnte auch sagen, die mexikanischen Arbeiter wurden zu Hän den des Künstlers. Die darin liegende Problematik hatte schon der Kyniker Diogenes von Sinope charakterisiert, der die Sklaven als »die Hände der Rei chen« bezeichnete;17 heute ist das »Leihen« fremder Hände so selbstverständ lich, dass es kaum mehr auffällt. Gormleys geliehene Hände gehören zwar weder Sklaven, noch ist der Künstler ein veritabler Unternehmer, doch die Unterschiede zwischen dem Lohn mexikanischer Handwerker und europä ischer Künstler dürften beträchtlich sein. Innerhalb künstlerischer Werkstätten der Vormoderne basierte die Pro duktion ebenfalls häufig auf geliehenen Händen der Mitarbeiter, die meist namenlos unter dem Signum des Meisters tätig waren. Von Frederico Zuccaro ist sogar überliefert, er habe, nachdem er auf die Kritik seines Auftraggebers an einem Gemälde seinerseits mit einem satirischen Bild reagiert hatte, und ihm deshalb der Prozess gemacht wurde, vor Gericht unumwunden erklärt, sein Assistent Domenico Passignano habe den Karton der berühmt gewor denen Porta virtutis ausgeführt. Gleichwohl reklamierte Zuccaro das Werk
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7. In der mexikanischen Ziegelbrennerei von San Matias, Cholula, Mexico
ganz selbstverständlich als das seine, denn »die Erfindung, die Konzeption und die Idee waren«, wie er äußerte, »die meinen«.18 Die Herstellung von Gormleys Field unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der sei nerzeit verbreiteten Arbeitsweise in Künstlerwerkstätten wie derjenigen Zuc caros, die sich fremder Hände bedienten: Im Unterschied zu jenen, in denen es darauf ankam, dass sich die Mitarbeiter dem Stil des Meisters assimilierten, der als zeitgemäßes Markenzeichen figurierte, setzte Gormley in seiner tempo rären Aktion die mexikanischen Arbeiter für einen demonstrativen Archa ismus ein, der sowohl im Material als auch im Herstellungsprozess zum Ausdruck kommt. Die moderne künstlerische Praxis hatte sich zunächst ge genüber der zweckdienlichen Industrieproduktion dadurch abgegrenzt, dass sie keine fremden Hände, sondern nur die des Erfinderkünstlers gelten ließ. Erst Marcel Duchamp rebellierte mit seinem Konzept des industriell fabri zierten ready made gegen den Kult der authentischen Künstlerhand, die mit Handarbeit identisch war. Im Unterschied zu Gormley hat Duchamp also ge rade das anonyme, arbeitsteilig hergestellte Industrieprodukt als Kunstwerk reklamiert. Und im Unterschied zu den künstlerischen Forschungslabors, wie sie etwa gegenwärtig Olafur Eliasson im großen Stil betreibt, in denen Wis senschaftler und Techniker Lohnarbeit im Dienst des Künstlerunternehmers verrichten,19 nutzte Gormley – gewissermaßen retrospektiv – ein hierzulande weitgehend verschwundenes Wissen der Hand für eine Gestaltung, die um die Potenziale des Materials weiß.
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Handarbeit als Primitivismus? Die Entscheidung mexikanische Arbeiter, die Erfahrung im Gebrauch des Werkstoffs, nicht aber in der Gestaltung zweckfreier Formen besaßen, für die eigene Arbeit einzusetzen, bedeutete einen bewußten Archaismus. Dem ent sprachen die Vorgaben des Künstlers, dass jede Figur ohne weitere Hilfsmit tel, nur aus dem »Akt des Zusammenpressens des Hände« entstehen sollte,20 ähnlich wie der mexikanische Künstler Gabriel Orozco 1991 »My hand is my heart« aus Tonerde formte (Abb. 8). Auch der Primitivismus europäischer Künstler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, äußerte sich in rohen Bearbeitungen einfacher Materialien, besonders des Holzes. Pablo Picasso, ErnstLudwig Kirchner, Erich Heckel oder Karl SchmidtRottluff erprobten selbst eine als »primitiv« verstandene, d. h. demonstrativ rohe Technik der Holzschnitzerei.21 Zwar suchte SchmidtRottluff als Soldat während des Ersten Weltkriegs im Baltikum entlegene ländliche Holzschnitzer auf und Kirchner zog sich in die Schweizer Bergwelt zurück, wo es noch Holzschnit zer gab, doch wäre für beide eine Delegation der Ausführung an Handwerker ebenso wenig in Frage gekommen wie für Gauguin an die Maori auf Tahiti. Die Künstler selbst wollten die taille directe wieder beleben und sich in der Arbeit am widerspenstigen Material üben, um dadurch etwas verloren Geglaubtes, »Ursprüngliches« wieder zu gewinnen. Auch zeitgenössische Künstler, die sich heute von der Ethnographie inspirieren lassen und etwa in abgelegenen Regionen Südamerikas lokale Handwerke aufspüren, integrieren
8. Gabriel Orozco: Meine Hände sind mein Herz, 1991, New York, Marian Goodman Gallery
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9. Gian Lorenzo Bernini: Hl. Hieronymus, um 1661, Tonbozetto, H.: 36cm , Cambridge/Mass., Fogg Art Museum
entweder selbst die Herstellungsverfahren in ihr eigenes Werk oder sie doku mentieren und archivieren die fremden Praktiken.22
Spuren der Hand Lehm, Ton, Schlamm, formbare Erden also, rangierten in der Hierarchie der Materialien weit unten, doch haftete ihnen das in den Schöpfungsmythen beschworene Image des Ursprünglichen an. Johann Heinrich Winckelmann bezeichnete die Erden daher als »erste Materie«.23 Gottfried Semper würdigte den »plastischen Urstoff«, dem eine »gemeinsame Urtechnik« für die nütz lichen wie die symbolischen Dinge eignet,24 als Basisstoff aller Kulturen. Das hat neben dem ubiquitären Vorkommen auch damit zu tun, dass sich Ton ohne weitere Werkzeuge allein mit den Händen formen lässt. In der Geschichte der europäischen Skulptur erlangte Ton aufgrund dieser Materialeigenschaft, die ein direktes schnelles Arbeiten erlaubt, vor allem in den bozzetti einen legen dären Ruf. Die aus Ton oder aus Wachs gekneteten bozzetti, jene absichtsvoll
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skizzenhaften Skulpturmodelle der Vormoderne wurden von Sammlern als Niederschlag der prima idea hoch geschätzt. Gleichwohl ist es die Hand, die in dem gefügigen Material ihre Spuren hinterlässt und so die künstlerische Schöpfung scheinbar nachvollziehbar macht. Hier realisierte sich das Güte zeichen der Autorschaft di sua propria manu. Als »spontane«, als »unmittel bare« oder »frische« Äußerungen besitzen bozzetti in der Kunstgeschichts schreibung den Status des Authentischen.25 Die BildhauerTraktate empfahlen im 17. Jahrhunderts ausdrücklich, Ton mit den Händen zu bearbeiten. Orfeo Boselli ebenso wie André Felibien hielten die Hand für das geeignetste Werkzeug zur Bearbeitung des plasti schen Werkstoffs. In Félibiens einflussreichem Traktat Des principes de l’archi tecture… aus dem Jahr 1676 heißt es über das Modellieren von Figuren aus Ton: »Man benötigt nicht viel Werkzeug. Man legt den Ton (»terre«) auf eine Unter lage und es sind die Hände, mit denen man beginnt und mit denen man das Werk fortführt; Die Geschicktesten benutzen ihre Daumen mehr als irgend ein Werkzeug«.26 Und Claude Henri Watelet wusste unter Bezugnahme auf Winckelmann zu berichten, dass »die Griechen wie die Modernen selbst Fin gernägel als Werkzeuge einsetzten«.27 Auf den zahlreich überlieferten bozzet ti Berninis finden sich entsprechend neben zahlreichen Hand und Daumen abdrücken28 sowie Kratzspuren von Fingernägeln als individuellen Signaturen auch sichtbar von der ganzen Hand geformte Partien (Abb. 9). An den Ein und Ausbuchtungen, den Rillen und Dellen lässt sich das Verhältnis zwischen dem Druck der formenden Hand und dem Widerstand des plastischen Mate rials erkennen. Das gilt ebenfalls für die Figuren von Gormleys Field, auch wenn deren Schöpfer namenlos bleiben.29
Handarbeit für den Kopf In seiner Biographie von Bernini hat Filippo Baldinucci das Procedere des berühmten Barockbildhauers bei der Anfertigung von Porträts überliefert; darin findet sich ein bemerkenswertes Detail: Zuerst habe Bernini von seiner Majestät dem König von Frankreich viele Modelle angefertigt. Dann habe er jedoch alle Modelle weggeräumt und nach dem lebenden Modell gearbeitet. Als der Monarch sich über dieses Verfahren wunderte und fragte, warum Bernini die Modelle nicht nutze, habe der Künstler geantwortet, es sei nötig gewesen die vielen Modelle mit der Hand zu formen, um seiner Vorstellungs kraft ( fantasia), seinem Geist also, die Formen beizubringen.30 Vergleichbare Überlegungen zur Interaktion von Hand und Kopf, zur Ausbildung und Ent faltung der Vorstellungskraft dank der geübten Hand finden sich zumindest implizit in einigen der von Künstlern verfassten Traktaten, wie WolfDietrich Löhr jüngst für die Malerei am Beispiel von Cennino Cennini zeigen konnte.31 Die Übung der Hand, wie sie etwa auch Dürer postulierte, erscheint dann in einem neuen Licht: sie ist nicht länger Ausdruck geistloser Repetition, sondern ein Mittel, um – wie Dürer es ausdrückte32 – den Verstand wachsen zu
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lassen. Unter kognitionswissenschaftlichen und neurophysiologischen Ge sichtspunkten würde man heute wohl eher von der Aktivierung der Synapsen sprechen. Gegenüber dem Modell eines »Raffael ohne Hände« wird eine um gekehrte Denkfigur ablesbar, deren verschüttete Tradition es zu entdecken gilt: Die Hand ist darin nicht einseitig die Befehlsempfängerin des Kopfes, sondern die Hand bringt ihrerseits der Fantasie, die im Kopf anzusiedeln sein dürfte, etwas bei, mit der diese dann operieren und für die Entwicklung neu er Vorstellungen verarbeiten kann. Es scheinen vor allem Künstler und Em piriker gewesen zu sein, die der Hand ein eigenständiges Erfahrungswissen zubilligten, ohne das der Kopf ideenlos bliebe. Eine solche produktive Osmo se durchbricht Gormley in Field durch die Arbeitsteilung geradezu program matisch. So bleibt denn Field eher die Markierung eines Verlustes durch die inzwischen global funktionierende Trennung von Hand und Kopfarbeit.
1 Aus der umfangreichen Literatur seien hier nur einige Bände genannt, die in den letzten Jah ren erschienen sind: Frank R. Wilson: Die Hand – Geniestreich der Evolution. Ihr Einfluss auf Gehirn, Sprache und Kultur des Menschen, Stuttgart 2000; Marco Wehr u. Martin Weimann: Die Hand. Werk zeug des Geistes, München 2005; anders als der Titel vermuten lässt, geht es jedoch um eine In teraktion von Hand und Hirn. Richard Sennett: Handwerk, Berlin 2008; Mariacarla Gadebusch Bondio (Hg.): Die Hand. Elemente einer Medizin und Kulturgeschichte, Berlin 2010; Annemaria Ducci (Hg.): La mano nelle arti figurative. Gradi di presenza ed implicazioni teoriche (Predella, 29, 2011), Pisa, in Vorbereitung. 2 Zit. n. Thomas Ricklin: Die Hände des Dio genes, in: Gadebusch Bondio (wie Anm. 1), S. 33. 3 André LeroiGourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst, Frank furt a. M. 1988. 4 Henri Focillon: Lob der Hand [Éloge de la main, 1936], Bern 1958. 5 Martin Warnke: Der Kopf in der Hand, in: Werner Hofmann (Hg.): Zauber der Medusa. Euro päische Manierismen, Ausst.Kat. (Wien, Gesell schaft Bildender Künstler Österreichs, Künstler haus), Wien 1987, S. 55–61. 6 Vgl. Monika Wagner: Die tabula rasa als DenkBild. Zur Vorgeschichte bildloser Bilder, in: Barbara Naumann u. Edgar Pankow: Bilder – Denken, Paderborn 2004, S. 67–86. 7 Vgl. Hans Roosen: Die Rolle der Hand im künstlerischen Schaffensprozeß, in: Kunstpäd
agogik 74. KonzepteAspekteMarginalien. Festschrift für Reinhard Pfennig, Ratingen 1974, S. 241–253. Andreas Beyer: Künstler ohne Hände – Fasten zeit der Augen? Ein Beitrag zur Ikonologie des Unsichtbaren, in: Jürgen Stöhr: Ästhetische Erfah rung heute, Köln 1996, S. 340–359. 8 Daran waren etwa Etienne Bonnot Condil lacs Traité des sensations von 1759 ebenso wie Schriften von Diderot und Herder beteiligt. Vgl. Georg Braungart: Leibhafter Sinn. Der andere Dis kurs der Moderne, Tübingen 1995; Jacqueline Lich tenstein: The Blind Spot. An Essay on the Relations between Painting and Sculpture in the Modern Age, Los Angeles 2008. 9 Johann Gottfried Herder: Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume [1778], in: Johann Gottfried Herder: Sämtliche Werke, hg. v. Bern hard Suphan (Hg.): Bd. VIII, Hildesheim 1967, S. 62. 10 Herder (wie Anm. 9): S. 7–8. Vgl. auch Ulri ke Zeuch: Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns in der frühen Neuzeit, Tübingen 2000. 11 Horst Bredekamp spricht etwa im Kontext von Galileis Mondzeichnungen von der ‚denken den Hand’, um damit auf die Erkenntnisdimen sion bildnerischer Tätigkeiten jenseits der Spra che zu verweisen; Horst Bredekamp: Denkende Hände. Überlegungen zur Bildkunst der Natur wissenschaften, in: Angela Lammert u. a. (Hg.): Räume der Zeichnung, Berlin 2007, S. 12–24. 12 Sennett (wie Anm. 1), S. 55f.
198 MONIKA WAGNER 13 Vgl. Shu Hung u. Joseph Magliano (Hg.): By Hand. The Use of Craft in Contemporary Art, Princeton 2007. 14 HansWerner Schmidt (Hg.): Antony Gor mley: host, field, another place. Ein Gespräch mit Klaus Theweleit und Monika TheweleitKubale [er schienen anlässlich der Ausstellung Antony Gormley, Our House, Holsteinischer Kunstver ein, Kunsthalle zu Kiel der ChristianAlbrechts Universität], Bielefeld 1999, S. 45.. 15 Monika Wagner: Materialvernichtung als künstlerische Schöpfung, in: Andreas Haus u. a. (Hg.): Material im Prozeß. Strategien ästheti scher Produktivität, Berlin 2000, S. 109–121. 16 Antony Gormley: Making Field, in: Antony Gormly Field, Stuttgart 1993, S. 19 (Übersetzung M. W.) 17 Ricklin (wie Anm.2), S. 29, 34. 18 Robert Klein u. Henri Zerner: Italian Art 1500–1600. Sources and Documents, Englewood Cliffs/N.J. 1966, S. 171. Allerdings wanderte der Gehilfe ins Gefängnis, während Zuccaro gegen Kaution auf freiem Fuß blieb. 19 Philip Ursprung: Arbeiten in der globalen Kunstwelt. Olafur Eliassons Werkstatt und Büro, in: Michael Diers u. Monika Wagner (Hg.): Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform, Hamburger Forschungen VII, Berlin 2010, S. 137–150. 20 Antony Gormley in einem Interview mit James Putnam, in: Simon Groom (Hg.): A Secret History of Clay from Gauguin to Gormley, Ausst. Kat. (Liverpool, Tate Gallery) 2004, S. 82. 21 Vgl. Monika Wagner: Der Holzstil. Expres sionistische Beiträge zur »neuen deutschen Kunst«, in: Matthias Krüger u. Isabella Woldt (Hg.): Im Dienst der Nation. Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst, Ber lin 2011, S. 61–74. 22 Arnd Schneider u. Christopher Wright (Hg.): Contemporary Art and Anthropology, Oxford u. a. 2006. 23 Auch Claude Henri Watelet nennt in sei nem Dictionnaire des Arts de Peinture, Sculpture et Gravure, Paris 1792, S. 551, »l’argile la première matière«.
24 Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik [1860], 2 Bd., Mittenwald 1977, Bd. 2, S. 120. 25 Ian Wardroper: The Role of Terracotta Models in Italian Baroque Sculptural Practice, in: ders. (Hg.): From the Sculptor’s Hand. Italian Ba roque Terracottas from the State Hermitage Museum, Ausst.Kat.(Chicago, Art Institute; Philadelphia, Museum of Art) Chicago 1998, S. 30–42, hier S. 31. 26 André Félibien: Des Principes de l’archi tecture, de la sculpture, de la peinture, Paris 1676, Buch 2, S. 303. 27 Watelet (wie Anm. 23) , S. 551. 28 Zur Faszination des Abdrucks als Spur vgl. Georges DidiHuberman: Ähnlichkeit und Berüh rung,. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln 1999. 29 Gormley nennt mit Santiago und Tomás die Namen zweier Arbeiter, für die das Projekt Anregungen geboten habe. Er beschreibt aber auch, daß verschiedenen Arbeitern durchaus verschiedene Figurentypen zuzuordnen seien. Gormley (wie Anm. 16), S. 22. 30 Filippo Baldinucci: Vita di Bernini [Vita del Cavaliere Gio. Lorenzo Bernino scultore, archi tetto, e pittore, 1682], Mailand 1948, S. 144. Vgl. Colette Czapski Hemingway: Of Clay, and the Initial Stages of Sculpture, in: Ivan Gaskell u. Henry Lie (Hg.): Sketches in Clay for Projects by Gian Lorenzo Bernini (Harvard University Art Museums Bulletin 6, 1999), Cambridge 1999, S. 31–36, hier S. 33. 31 WolfDietrich Löhr: Handwerk und Denk werk des Malers. Kontexte für Cenninis Theorie der Praxis, in: WolfDietrich Löhr u. Stefan Wep pelmann: »Fantasie und Handwerk«. Cennino Cen nini und die Tradition der toskanischen Malerei von Giotto bis Lorenzo Monaco, Ausst.Kat. (Berlin, Staatliche Museen), München 2008, S. 153–176. Für den Hinweis danke ich Matthias Krüger. 32 »Dann der Verstand muß mit dem Ge brauch anfahen zu wachsen, also daß die Hand künn thon, was der Will im Verstand haben will«; Dürer zit. nach Roosen (wie Anm. 7), S. 245.
FRANÇOIS LAMY
L’Outil
Durée : 30 minutes. Public : historien de l’art. Démarche de travail : choisir 10 outils me caractérisant ; les prendre en photo et raconter une histoire étonnante.1 Donc, essaie vraiment, lis à voix haute ! Si, si, oublie un peu ta réserve naturelle, on joue ! Sérieusement, mais on joue. Bonjour, On me nomme François Lamy « le dinandier ». Pendant un quart d’heure tu es ma voix allemande aux endroits choisis : * J’ai 47 ans, je vis et travaille en province Bourbonnaise avec mon épouse Catherine.* La France comme vous l’entendez !* Permettezmoi d’essayer de vous transmettre mes curieuses sensations lors que je songe à mon imprégnation et mes interactions dans le monde de l’outil.* Pas du tout ma vie !* … quoique*… l’imbrication est tellement forte*… un cer tain parcours*… ! Sur la scène, nous avons placé 2 chaises presque côte à côte ; sur la 2e se trouve ma veste : le « bleu de chauffe ». En arrièreplan, sur un écran, passent les photos des outils, énoncés successivement. Je me touche le front. Mémoire focalisée sur l’outil !* Le premier souvenir qui fait surface lorsque j’y songe est l’association « travail / souffrance », du latin tripalium (« instrument de torture à trois poutres »). Le premier outil lié à ce couple est le stylo ou la plume.* Écrit ainsi : les outils apparaissent sur l’écran dans mon dos.
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Plume, règle ou doigt qui suivent la ligne des mots puis des phrases qu’il faut décrypter, mémoriser, répliquer puis inventer. « Concentretoi, appliquetoi, non recommence ! encore un quart d’heure ! » Avec mon petit Q.I. à la juste moyenne, j’ai commencé de sentir le poids du mot labeur (labor : « fatigue » et « peine »). S’en sont suivies des heures, des jours, des mois, des années, avec les mathé matiques, les langues, les langues, la géographie, l’histoire et autres matières dites « principales ». « C’est bien, tu iras bientôt jouer, c’est nécessaire, pour ton bien… tu dois pou voir entamer l’ascension… pour, un jour, jouer avec les autres aux domaines de la complexité, pour être plus libre, plus riche, pour communiquer, pour participer à la construction d’un monde plus juste… »* Labeur (labor : « fati gue » et « peine »). À partir de maintenant, chaque * résume en allemand le paragraphe. Je n’oublierai pas le crayon, le pinceau, l’instrument de musique, ni mon corps, lorsqu’il supporte, ou s’adapte, à la pression du sport. Ils me permirent de posséder et de dépenser une énergie contrôlée, exerçable, renouvelable… mais… les limites sont vite discernables… Les forces et la patience, non épuisables, allez ! … pour beaucoup ; alors au bout du compte, plusieurs années plus tard, il me fallut apprendre à dissocier provisoirement d’avec mon aspiration à la Nature ; m’asseoir encore dans la classe et apprendre à utiliser les machines… et autres ordinateurs (presque sans les mains) ! Je connais très bien, aujourd’hui, les limites de mes capacités et les frustrations qui s’ensuivent. Pendant plus de quinze années, j’ai exercé la belle et difficile profession d’ouvrier ambulancier, courir toujours… En quelque sorte, j’ai été l’esclave plus moins docile d’une machineoutil : la voiture, indispensable et magni fique sublimation de l’outil, au service de l’homme. Dans les années 1985, j’avais 20 ans et j’ai réussi (le triste exploit) à me noyer l’esprit et le corps dans une ville merveille, cruelle, sensuelle… Paris la tant décrite.* Juste cette phrase traduite. Je pose ma veste de costume sur la première chaise, l’écran s’éteint, je prends un verre d’eau et endosse le « bleu de chauffe ». Alors je me suis souvenu d’un homme et de ses outils* ; un homme incroyable* pour qui ses outils, les Outils* … étaient un support de l’Âme, du Corps et de l’Esprit au point* qu’il avait réussi à supprimer tout commerce sur son art.* Il m’a vu et m’a dit « choisis* … un outil !* sinon un métier* … une passion !* sinon une vie supportée* » … et j’ai saisi celuici :*
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1. Marteaux à rétreindre
2. Marteaux de forge
Marteaux « bois et acier » ! marteau à rétreindre (fig. 1), et bien vite les autres, marteau à garnir, marteau à planer, marteau à emboutir… aussi nombreux que le sont les besoins humains. Eh bien, depuis, nous ne nous sommes plus quittés, Outil, tour à tour ami, médecin, béquille, gagnepain, plume de mon imaginaire… tu peux aussi bien être une arme terrifiante (lame de katana) que caresse maternelle (rasoir). Avant de réapprendre l’usage du marteau de bois pour le travail de l’étain (série de marteaux de buis), force me fut de m’intéresser, puis de me passion ner pour la forge de l’acier, avant tout pour fabriquer mes outils de contre forme, les têtes de serpent, puis pour la diversification attractive de la forge d’art, la coutellerie et la taillanderie (collection de marteaux de forge, fig. 2).
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3. Les sons précis et rythmés du marteau percutant le métal
S’il me fallut bien des années pour prétendre posséder les bases de ce métier, je ne me souviens pas de les avoir vécues avec autre chose en tête que la joie de l’effort. Je suis devenu Dinandier : de l’Art de battre le métal en feuille !* Métier étonnant naissant avec l’aube de la métallurgie, trouvant son apogée au Moyen Âge, disparaissant sous le réalisme productiviste de la chaudron nerie, tentant de réapparaître au début du 20e, ponctuant par sa beauté un courant des Arts Décoratifs, magnifique, intimiste sans doute, mais fort, au point de laisser son empreinte vivante audelà de la disparition radicale de la chaudronnerie moderne, si sûre pourtant de sa prépondérance économique !2 Dans les années 1970, Maurice Perrier, qui inspira mon instructeur, affirma les noblesses de ses recherches, au sein du Ministère de la Culture français et fit authentifier la « pièce unique artisanale »3. Une carafe passe à l’écran. Après de longues années de pratique et de recherche, désirant appliquer cet artisanat au concept « éducation populaire », je suis devenu animateurmétal lurgiste avec le diplôme et l’aval du Ministère de la Jeunesse et des Sports. L’Histoire de l’Art et M. Cordez entre autres me permirent de remonter le cours du temps jusqu’aux balbutiements de la métallurgie et à l’exégèse de la gestuelle humaine, aux confins de la Mémoire. Petit à petit mes formations, mes rencontres, les passions échangées, me per mirent de disposer de la panoplie globale de cet univers artisanal complexe. Alors je « joue », pour mon plaisir ou celui de mes stagiaires, pour mon public
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4. Les feux du recuit
aussi, à l’explorateur des interactivités : matière, environnement, science et conscience. Aujourd’hui, si je m’efforce, efficacement j’espère, de respecter l’outil, j’aime surtout le couple « outil / geste »*, car sans le mouvement la fonction est plus qu’incertaine et sans lui, je crois que nous ne pourrons observer que la matiè re, et ce, quel que soit notre niveau d’intelligence ou qualité d’abstraction. Ce couple fusionnel qui m’amène à Être, « ici » devant vous, s’est révélé pleine ment à moi petit à petit, brique après brique, geste après geste, expérience sur expérience, inscrivant fermement dans mon corps et dans mon esprit l’importance fondamentale de l’acte de répétition. À la limite extrême de l’attention, mes oreilles enregistrent les sons précis et rythmés du marteau percutant le métal (fig. 3). Mes yeux perçoivent les impacts réguliers formant les lignes qui s’impriment sur la surface, puis les couleurs : au noir dominant s’associe le rouge, le jaune, le blanc pour les feux du recuit et de la trempe (fig. 4). Lorsque les sons et les couleurs s’enroulent au mouvement du bras, de la main, de l’outil, la calme construction se prolonge… mais il faut le vif argenté ! de la panne aciérée pour affirmer le nécessaire écrouissage, synonyme de tenue… il faut la rapidité ! pour que l’irisation imprégnante n’occulte pas la brillance du poli de finition… et la puissance ! « impact bleu » des 1500° C de la flamme oxygénée pour optimiser encore l’équilibre atomique ou pour libérer la « Sub tile Poésie », créatrice de l’œuvre.
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L’Outil ! les outils ! avec quelques étapes particulières qui émaillèrent mon parcours.* Traduire juste la ligne. Verre d’eau !
– Une toute première étape donc ! Reconnaître ou fabriquer son outil ; ici, tenter de prendre possession du geste dans son intégrité élargie : minérale, végétale, animale, humaine ; et sentir la « permanence » du… « propos ». Plai sant. Les tas de bois ou d’acier et les têtes de serpent destinées à recevoir les coups du dinandier sont si divers et si rares que leur besoin m’oblige à aller vers la puissante forge de l’acier. Les enclumes qui ne reçoivent pas simplement les coups mais qui participent par leur masse et l’effet de renvoi à la construction de l’œuvre, elles sont une véritable incitation à l’acceptation d’un partenaire de travail : le « Mouve ment » ! Luimême semble d’un seul coup acquérir une indépendance étonnante, action, réaction, interactions multiples… complexité élargie. Le creuset et les moules sont élaborés avec l’argile et le crottin d’âne. Petite histoire ! les Africains du BurkinaFaso, « dixit » l’Australien Richard Baker, le fondeur, affirment la suprématie de l’âne mâle, les végétaux présents dans la matière digérée offrant une qualité insoupçonnable – pensez à la finesse de son palais. Ceci étant confirmé par mon désormais ami, « paysan bourbon nais » possédant crottin et savoir. Autres creusets (fig. 5), oseraije les présenter comme une image de la matri ce où s’effectue la transformation des métaux, l’« outil réceptacle » où se réa lisent les indissociables Alliage, Alliance, Métissage, Fusion, Sublimation… vecteurs de tant de promesses, et de peurs plus ou moins rationnelles. Les soufflets, d’indispensables, ils sont devenus le sujet d’une véritable pas sion et collection. 1. Celui transmis par mon instructeur : simple mais efficace, il a longtemps participé à la zinguerie des toits de Paris, soufflant sur le char bon de bois (pour les soudures). 2. Mes tous premiers, fabriqués à l’antique, peau de chèvre, peau de bouc, et autres nerfs de bœuf ou encore bois de ma forêt locale, si prodigue en éléments de survie. 3. Voici une de mes plus belles acquisitions, véritable chefd’œuvre, de bois, de cuir et d’acier ; il a traversé la totalité du 20e siècle sans subir de grave dom mage ; avec lui, aucune difficulté pour atteindre les 1200° C nécessaires à la coulée de bronze. 4. Le dernier arrivé, gigantesque, en cours de restauration pour ma nouvelle forge, il est daté et signé P.M. 1852, une petite fortune en cuir à débourser, mais quelle majesté !
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5. Creuset de bronze
5. Ceux qui sont cachés et protégés par leurs habits d’acier sont difficiles à restaurer, mais la qualité de leur vent est un plaisir subtil lors de la mise en chauffe.
– Une autre étape ! détourner légèrement la fonction évidente pour affirmer une volonté pédagogique. Un silex et un percuteur, jouer à CroMagnon puis rencontrer André Leroi Gourhan à travers ses écrits ! 4 Profiter de l’encyclopédie D’Alembert et Diderot5 en construisant et en essa yant, avant de chercher avec les archéologues : CollinaGirard6 et consorts pour enfin utiliser mon briquet de pierre et de minerai avec son indispens able amadou (polypore Fomes fomentarius, dernier consommateur de la cellu lose) et libérer l’Étincelle ! (fig. 6) Puis confirmer l’Histoire en lui préférant le briquet d’acier qui a accompagné notre société si longtemps (3000 ans), avant d`être délaissé puis oublié, si vite. Aujourd’hui audelà du jeu, ces outils me sont devenus des éléments indispen sables, leurs puissant pouvoirs pédagogiques soutiennent fortement mes cours visant la transmission ou l’exploration appropriée du geste juste ou adapté. Il y a quatre ans, lors d’un contrat d’échange culturel avec Taiwan (merci, l’UNESCO, merci, M. Jean Roche, un de ses précieux consultants), nous avons
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rejoint le si Chinois pays, afin de faire découvrir ou redécouvrir l’Art de battre le métal ; le briquet eut un succès phénoménal, l’étonnement fut permanent, pour nous aussi devant un bel esprit, uniquement focalisé sur le geste et les étincelles, au détriment de la fonction très classique, le “besoin du feu” – Euro péen ? De même, le poinçon à frapper, qui favorise le système monétaire, rejoint ma volonté pédagogique, lorsque prétextant l’Histoire, il permet de faire comp rendre la nécessaire prise de possession physique et mentale de l’acte de frap per « justement » sur le métal : construire sans détruire. – Passer l’étape où le plaisir devient une permanence du travail personnel ? Il n’en est pas question ! C’est à Cabrières, dans le sud de la France*, sur un des plus anciens sites de découvertes métallurgistes*, que j’ai vu*, de mes yeux vu* resurgir de terre après 3 ou 4000 ans passés dans l’oubli : l’alène de cuivre*, tant convoitée par les premiers artisans de la peau.* Quelle émotion !* … merci à Philippe, merci à l’archéologue Paul Ambert et son équipe.7 Je suis convaincu à ce jour que pour une bonne part au moins, l’angle d’observation créé la fonction. Le marteau à tête de perroquet (fig. 7) prend sans doute existence par ma volonté de planer une surface de métal, délicatement… mais d’où viennent les songes qui m’accompagnent durant son utilisation ? De ma compréhension des essences du bois et de leur respect ? De mes lectures du biologiste Henri Laborit,8 lorsqu’il tente de proposer la « rêverie active » comme un espace de liberté individuelle absolu : enfin ! se soustraire volontairement, l’espace d’un instant, aux contraires biologiques et sociétales, « dominant / dominé », et leur cortège de souffrance plus que sup posées ? Pourquoi cet outil produitil autant de sympathie, de complicité avec mes observateurs, au point que pas un n’ose me proposer de le délaisser pour le très efficace et identique (dans sa fonction) marteau rigide à tête de plastique moderne ? Retour photo au marteau à tête de perroquet. Quoiqu’il en soit, je continue de le réparer sans cesse, et tous les stagiaires et moimême prenons un grand plaisir à nous en… Servir… Mettre le chapeau sur la tête ! La nécessité atelle la primauté sur l’imaginaire ? La nécessité (de notre essence) pourraitelle prendre naissance pour et par l’Imaginaire ?
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6. Étincelle
N’oubliez pas la… nécessité, oups ! j’allais dire, la sécurité de l’« humour » ! Poser le chapeau ! Verre d’eau !
– Allez ! Une autre ! Difficile de m’arrêter maintenant. Oublions, un instant, le vorace « Commerce », sentons le moment où le geste et l’outil fabriquent non seulement l’utile objet… : Attends mon signe pour passer la photo ! Le chaudron de cuivre, importé et offert (dans un premier temps) par les Européens, fut à ce point adulé par les Indiens Québécois qu’il devient aux Musées Nationaux du pays, un symbole des traditions ancestrales.9 Photo ! … danke ! thank you ! tché tché ! merci ! … non seulement l’utile objet, donc, mais aussi l’échange, facilité par un alphabet commun, la « symphonie des gestes simples », un véritable Espéranto reliant les êtres humains à travers et audelà de l’outil : une… « Geste » sublime ! Une main tend un compas vers une autre main (fig. 8). Nous avons humanisé la taille de la terre ; espoir ! … et… responsabilité ! … Une lime fabrique une clé pour une serrure.
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7. Marteau à tête de perroquet
8. Nous avons humanisé la taille de la terre
Alors, ainsi, étape après étape, outil après outil. « Pouvoir » Avec le geste de l’Art…tisan, tissant… Ouvrir, authentifier, élargir, densifier, comprendre, créer ? l’Histoire… le Con te ! comme une offrande pour un devenir ! Une main ouvre une porte sur un paysage. Qui a déjà senti la « forte réalité émergente », lors de la superposition des regards… où ?... vers ?... F.L. Note de l’éditeur Philippe Cordez : ce texte est le script de la conférenceperformance don née le 6 juin 2008 à Hambourg. Les phrases no tées en écriture cursive sont des didascalies à l’intention de l’auteur, ou de moimême ; l’étoile (*) désigne les moments où je devais traduire en allemand, les caractères gras indiquent les images projetées. J’ai ajouté les notes. François Lamy est dinandier, forgeron et fondeur de bronze. Il évoquait son expérience des outils 1
lors de sa découverte de l’artisanat et dans son travail de transmission. / Hinweis des Heraus gebers Philippe Cordez: Dieser Text ist das Skript des am 6. Juni 2008 in Hamburg gehalte nen Vortrages bzw. der Performanz. Die kursiv gesetzten Sätze sind Didaskalien, die sich auf den Autor beziehen bzw. mich ansprechen; der Stern (*) kennzeichnet Momente, in denen ich ins Deutsche übersetzen sollte; fett markiert die projektierten Bilder. Ich habe die Endnoten hin
209 L’OUTIL zugefügt. François Lamy ist Kupferschmied, Schmied und Bronzegießer. Er erzählte von sei ner Erfahrung mit Werkzeugen bei seiner Ent deckung des Handwerks und in seiner Vermitt lungsarbeit. 2 Cf. Dominique Forest et MarieCécile Fo rest : La dinanderie française. 1900–1950, Paris 1995. 3 Cf. Maurice Perrier : Le livre du dinandier, Paris 1979. 4 André LeroiGourhan : Le Geste et la Parole, 1. Technique et langage, 2. La mémoire et les rythmes, Paris 1964–1965. 5 Denis Diderot et Jean le Rond D’Alembert (dir.) : Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, 28 t., Paris 1751– 1772.
6 Jacques CollinaGirard : Le feu avant les allu mettes. Expérimentation et mythes techniques, Paris 1998. 7 Cf. Paul Ambert et al. : La Capitelle du Broum (district minier de CabrièresPerét, Hé rault) : établissement industriel de l’aurore de la métallurgie française (3100–2400 BC), in : Paul Ambert et Jean Vaquer (dir.), La première métallur gie en France et dans les pays limitrophes = Mémoires de la Société préhistorique française, 37, 2005, p. 83– 96. 8 Henri Laborit : La Nouvelle grille, Paris 1974. 9 Cf. Laurier Turgeon : L’objet. Exhumer les chemins croisés du chaudron de cuivre en Amé rique, in : Id.: Patrimoines métissés. Contextes colo niaux et postcoloniaux, Paris u. Québec 2003, p. 59– 94.
ANHANG
Die Autoren
Gotlind Birkle Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin der HafenCity Univer sität Hamburg. Dissertationsprojekt zur Aquarellmalerei in Deutschland 1785 – 1835 an der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Moderne um 1800, Geschichte und Theorie der Malerei und Zeichnung 18./19. Jh., Gender Stu dies. Publikationen (zuletzt): Des Prinzen Trost in schwerer Zeit. Zur politi schen Funktion von Natürlichkeit und Geschichte in den Ansichten der Voya ge pittoresque dans le Midi de la France von J. G. von Dillis (1806/07), in: Irene Nierhaus u. a. (Hg.): Landschaftlichkeit. Forschungsansätze zwischen Kunst, Archi tektur und Theorie, Berlin 2010, S. 163–172. Martine Clouzot Maître de conférences en histoire médiévale à l’Université de Bourgogne et membre de l’UMR 5594ARTeHIS, l’auteure consacre ses recherches aux images de la musique et des musiciens dans les manuscrits enluminés du XIIIe au XVe siècle. En 2011, elle a publié Le Jongleur. Mémoire de l’image chez Peter Lang. Sa thèse de doctorat Images de musiciens. Figurations, typologies et pratiques sociales était parue en 2008 chez Brepols. Cocommissaire de l’exposition Moyen Âge. Entre ordre et désordre (Paris, 2004), ses travaux por tent actuellement sur les rapports entre la musique, la folie et la nature au Moyen Âge. Philippe Cordez Studium der Kunstgeschichte, Europäischen Ethnologie und Museologie an der École du Louvre und Geschichte an der EHESS in Paris. 20072009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunsthistorischen Semi nar der Universität Hamburg, seit 2009 Wissenschaftlicher Assistent am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max Planck Institut. 2010 Dissertation: Trésor, mémoire, merveilles. Les objets des églises au Moyen Âge (EHESS Paris / Humboldt Universität zu Berlin). Veröffentlichungen zu Objekte und Objekt diskurse im Mittelalter, darunter: Le trésor au Moyen Âge. Discours, pratiques et objets, Florenz 2010 (Mitherausgeber).
214 ANHANG
Gottfried Korff Studium der Volkskunde, Kunstgeschichte und Geschichte in Bonn und Tübingen, 1970 Promotion, 1982 bis 2007 Professor für Empi rische Kulturwissenschaft/Volkskunde am LudwigUhlandInstitut der Uni versität Tübingen, Kurator und Ausstellungsleiter in Berlin (Preußen – Versuch einer Bilanz, 1981; Berlin, Berlin, 1987), in Stuttgart, Dessau, Oberhausen (Feuer und Flamme, 1994), Essen (Sonne, Mond und Sterne, 1999). Arbeitsschwerpunkte: Sachkultur und Symbolanalyse, populäre Ikonographie, Frömmigkeitsfor schung sowie Geschichte und Theorie des Museums. Neuere Veröffentlichun gen: Museumsdinge. DeponierenExponieren, 2. Aufl. Wien u. a. 2007, Kasten 117. Aby Warburg und der Aberglaube im Ersten Weltkrieg, Tübingen 2008. Matthias Krüger Seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte der LudwigMaximiliansUniversität München. Nach der Promotion 2004 in Hamburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universi tät Hamburg (20052008), wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bern (2008) und der OttoFriedrich Universität Bamberg (2009) sowie Gastdozent an der LMU in München (20082009). Forschungsschwerpunkte: Farbe, Farb auftrag und Farbtheorie; die Utensilien der modernen Malerei; Exotismus/ Regionalismus; Skulptur der frühen Neuzeit. Monographie: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der französischen Kunstkritik 1850–1890, Berlin u. München 2007. François Lamy Dinandier, fondeur de bronze, forgeron, horloger répara teur, François Lamy est un métallurgiste polyvalent. Installé à Voussac (Département de l’Allier, France), il mobilise son expérience d’artisan au ser vice d’une activité de transmission, intégrant une réflexion sociale et histo rique dans une action d’éducation populaire. http://atelierflam.com/ Katja Müller-Helle Studium der Kunstgeschichte und Deutsche Philologie in Bonn, London (UCL) und Berlin. Von 20072010 war sie Kollegiatin am Gra duiertenkolleg »Sinne – Technik – Inszenierung« der Universität Wien und ist seit November 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin. Letzte Publikationen: Präzise Bilder. Die Planchette Photographique von Auguste Chevallier, in: SinneTechnikInzenie rung. Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater, Film und Medien wissenschaft, hrsg. von Andrea Braidt (et al.), 2/2010, 56. Jg., Wien: Böhlau 2010, S. 91–103; Barthes‘ Gespenster, in: Fotogeschichte, Heft 114, Jg. 29, Herbst 2009, S. 53–58 (mit Dennis Göttel). Ulrich Pfisterer Seit 2006 Professor an der LudwigMaximiliansUniversität München. Er forscht vor allem zur Kunst und Kunsttheorie der Frühen Neu zeit und zu Fragen der Wissenschaftsgeschichte und Methodik des Faches. Nach der Promotion 1997 an der Universität Göttingen folgten Stationen als Postdoktorand am Kunsthistorischen Institut in Florenz sowie als Assistent und dann Juniorprofessor an der Universität Hamburg, wo 2006 auch die
215 DIE AUTOREN
Habilitation erfolgte. Unter den Veröffentlichungen: Animationen/Transgressi onen: Das Kunstwerk als Lebewesen, hg. zus. mit Anja Zimmermann (Hambur ger Forschungen zur Kunstgeschichte IV), Berlin 2005; Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahr hundert der Medaille, Berlin 2008. Albrecht Pohlmann Leitender Restaurator an der Stiftung Moritzburg in Halle und von 19992007 Lehrbeauftragter am Institut für Kunstgeschichte der MartinLutherUniversität Halle Wittenberg. Er hat an der Hochschule für Bildende Künste Dresden Gemälderestaurierung studiert, promovierte zum Thema Von der Kunst zur Wissenschaft und zurück: Farbenlehre und Ästhetik bei Wilhelm Ostwald (1853–1932) und veröffentlichte zahlreiche Beiträge u. a. zu Kunsttechnologie, Farbenlehre, Porträtmalerei um 1800 und zu Künstlern im Exil zwischen 1933 und 1945. François Poplin Directeur honoraire de l’UMR 7209 Archéozoologie, Archéo botanique. Sociétés, pratiques et environnements et responsable du Séminaire d’Anthropozoologie au Muséum national d’Histoire naturelle de Paris. Fran çois Poplin a rencontré très tôt l’Archéologie classique et préhistorique et s’est orienté vers les relations de l’homme et de l’animal, avec les doctorats de Médecine vétérinaire, de Paléontologie et d’habilitation en Sciences humaines. Son esprit fait la synthèse entre anatomie comparée et linguistique, en une sémiotique animalière infraverbale, mais trouvant révélation et achèvement dans le langage et les productions littéraires. Cela fonde une Anthropozoolo gie globale, où l’histoire des mots compte autant que celle des animaux, des objets, des faits et gestes. Julia Saviello Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Kulturwis senschaft in Berlin und Bologna (2002–2009). Nach zwei Jahren als Mitarbei terin am Kunsthistorischen Institut in Florenz (2009–2011) ist sie momentan Promotionsstipendiatin der Gerda Henkel Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes mit einer Arbeit zur Bedeutung des Haares in Kunst und Theorie der italienischen Renaissance. Monika Wagner Professorin (i.R.) für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg; sie war Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und am Wissenschaftskolleg zu Berlin und ist Mitglied der Akademie der Wissen schaften in Hamburg; sie leitete das Funkkollegs Moderne Kunst. Ihre For schungsschwerpunkte liegen im Bereich der Künste seit dem 18. Jahrhundert, der Geschichte und Theorie der Wahrnehmung sowie der Ikonographie des Materials. Unter den Veröffentlichungen: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001; Topos Atelier, Werkstatt und Wissensform, hg. zus. mit Michael Diers: (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte VII), Berlin 2010; William Turner, München 2011.
Register der Werkzeuge und Instrumente
Bildlegenden und Anmerkungsapparate werden vom Index nicht erfasst. ABC 207, siehe auch Schrift Amboss (fr. enclume) 23, 34, 204 Tas (fr.) 204 Tête de serpent (fr.) 201, 204 Apparat 1, 14, 166, siehe auch Fotoapparat Arma Christi 10 Arm 25, 39, 135, 179, 203 Ärmel siehe manche Artefakt IX, 6f, 130, 139, 144, siehe auch Ding, Gerät, Objekt Astrolab 2 Atem (Atemzug, Odem, fr. souffle) 33, 37, 43–44, 180, 189, siehe auch Luft Auge IX, 28f., 49, 52, 58f., 61, 71–87, 99, 114, 116, 131, 143, 145, 160, 164f., 185f., 188f., 203, 206, siehe auch Licht Auto (fr. voiture) 21, 25, 200 LKW (Lastwagen) 187 Automat 72 Axt (fr. hache) 22–24 Backmulde 139, 142 Backtrog 140 Band IX, 53, 56f., 137, 154 Barometer 2 Beitel (fr. ciseau à bois) 22, siehe auch Meißel Bélier (dt. Widder: Sturmbock) 29, siehe auch Widderschiff Bélière (dt. Glockenring) 29 Besen (fr. balai) 25f., 139, siehe auch Gerät / Haushaltsgerät Bild (fr. image) 28, 33–127, 130, 134, 136, 139f., 142, 156f., 160–162, 164–166,
170–176, 178, 185–190, 192, 196, siehe auch Fotoapparat, Malwerkzeug, Symbol Bilderatlas 130, 143f. Bildschirm (fr. écran) 166, 199 Bildträger, Bildvehikel 49–65, 86, 130, 142f., 158, 162 Image mentale (fr.) 24, 26, 29–31, 204, siehe auch Ideogramm Blasebalg (fr. soufflet) 37, 204, siehe auch vache Blume, Blumentopf 27, 54, 56, 79, 178 Bogen (Musik, fr. archet) 21, 36f., 178, 181, siehe auch Kieferknochen, Rechen, Stab Bohrer (fr. trépan) 22 Brunnen (fr. fontaine) 23, 56–58, 60f., siehe auch Wasser Bürste 151–154 Cassone (it.) siehe Truhe Cavalletta (it.) siehe Schwerlastgerüst Cavalletto (it.) siehe Staffelei Cello 181 Cembalo 5 Chevalet (fr. von cheval, Pferd: Sägebock, Staffelei, Steg) 24, 27f., 67f., siehe auch Schwerlastgerüst, Staffelei, Steg Chevalement (fr., Förderturm) 27 Chèvre (fr., Ziege: Leiter, Seilaufzug) 30 Chevron (fr., Sparren) 30 Computer IX, 200, siehe auch Maus Dachspinsel siehe Pinsel Daumen (fr. pouce) siehe Finger Daumenabdruck 160 Darm (Tierdarm) 169, siehe auch Saite
218 ANHANG Ding 1–3, 6, 8, 12, 14, 68, 81, 96f, 128–130, 133, 137, 140, 144f., siehe auch Artefakt, Gerät, Objekt Dingsymbol 144, siehe auch Ideo gramm Drahtziehbank 2 Drahtwerkzeug 163f. Duck siehe Pinsel Dudelsack (fr. cornemuse) 38, 56 Ellbogen 25 Esel 68, siehe auch Staffelei Fahne 130, 142 Farborgel siehe Orgel Farbstift siehe Stift Faust siehe Hand Feder (Schreibfeder, fr. plume) 67, 103f., 166, 199–201, siehe auch Holzfeder, Tusch feder Feile (fr. lime) 24, 207, siehe auch Queuede rat Fernglas, Fernrohr IX, 2, 67 Feuer, Flamme 9, 203, siehe auch Funke, Schmiedeofen, Zunder Feuerhaken (fr. crochet à feu) 37 Feuerstein (fr. silex) 6, 27f., 205 Feuerzeug (fr. briquet) 205f. Fidel (fr. vièle) 36–38 Finne (des Hammers: fr. panne) 203 Finger (fr. doigt) 25, 27f., 44, 158, 200, siehe Fingernagel, Klaue Daumen (fr. pouce) 25–27, 160, 196 Zeigefinger (fr. index) 25–27 Fingernagel (fr. ongle) 27f., 196 Flugzeug (fr. avion) 12, 25f. Fotoapparat, Kamera 140, 165 Fuchsschwanz (Säge) 23f., 28 Funke (fr. étincelle) 205f., siehe auch Feuer, Zündkerze Gehstock 56 Geige IX, 21, 27, 120, 169–178, siehe auch Griffbrett, Hals, Kinnhalter, Saite, Steg Geist (fr. esprit) VIII, 8, 21–32, 69, 81, 119, 124, 133, 137, 142, 161, 166, 185f., 196, 200, 203, 206, siehe auch Seele Gelenk (fr. articulation) 24, 135, 139, siehe auch Glied Gefäß (Keramik) 139f.
Gerät 6, 49, 67, 79, 129–149, 187, siehe auch Artefakt, Ding, Objekt Malgerät siehe Malwerkzeug Kampfgerät VII, siehe Waffe Küchengerät, Haushaltsgerät 22, 27, 178, siehe auch Backmulde, Backtrog, Besen, Gefäß, Glas, Grill, Hausrat, Henkel, Krug, Staubsauger, Stecker, Topf, Torten heber, Trinkbecher Laborgerät 145, siehe auch Instrument Technisches Gerät 1, 14 Turngerät siehe Pferd, Poutre Zeichengerät 95, siehe auch Stift, Zeichenkohle Gewand (fr. vêtement) 26, 49, 53, 131, 137, siehe auch Gürtel, Hut, Kapuze, Kleidung, Mantel, Tracht Gitarre 175 EGitarre 181 Glas (Gefäß, fr. verre) 83, 200, 204, 207 Glied (fr. membre) 24, 30, 135, 145, 175, siehe auch Gelenk Globus 5 Glocke (fr. cloche) 29f., 39, siehe auch bélière, mouton Goose siehe Pinsel Grabstichel 157 Grafitstift siehe Stift Griff (fr. manche, poignée) 25f., 28, siehe auch manche Griffbrett 171, siehe Geige Grill (fr. gril) 37f. Gürtel 57 Haar (fr. cheveu) 27, 49–65, 94, 95, 130, 137, siehe auch Haube, Hut Haarnadel 50, siehe auch Nadel Hammer (fr. marteau) VIII, 11, 21f., 34f., 39, 114, 201, 206, siehe auch Klopfholz Buchsbaumhammer (fr. marteau de buis) 203 Marteau à emboutir, à garnir, à planer (fr.) 201 Papageienkopfhammer (fr. marteau à tête de perroquet) 206 Plastikkopfhammer (fr. marteau à tête de plastique) 206 Schmiedehammer (fr. marteau de forge) 201
219 REGISTER DER WERKZEUGE UND INSTRUMENTE Stimmhammer (fr. clé à accorder) 21, 38 Stockhammer (fr. boucharde) 22 Treibhammer (fr. marteau à rétreindre) 201 Hand (fr. main) VIII, 1, 21, 21–32, 49, 56, 60f., 71f., 80, 94, 105, 116, 118, 121, 135f., 143, 145, 164f., 185–198, 200, 203, 207f., siehe auch Finger, Klaue Faust (fr. poing) 22, 25–26, 191 Handhabung, hantieren IX, 1, 75, 93, 95f., 101, 138, 141, 143, 145 Linke bzw. rechte Hand 9, 60, 160, 191 Halbschattenphotometer 166 Hals 56 der Geige bzw. Gitarre 169, 171–173, 181 Harfe (fr. harpe) 38 Haube 53, 59, siehe auch Haar Hausrat 130, 133, siehe auch Gerät Haut (fr. peau) 22, 204, 206, siehe auch Blasebalg, Trommel, vache Henkel (fr. anse) 25f. Herz (fr. cœur) 33, 61, 121, 194 Hirn 118, 145 Holzfeder 162, siehe auch Feder Horn (fr. corne) 27, 29f., 56, 124, 180, 185, siehe auch Fingernagel, Zahn Steuerhorn (fr. manche à balai) 25 Hut (fr. chapeau) 206f. Ideogramm 23, 28–31, siehe auch Dingsym bol Instrument (Definition) VIII, IX, 1–3, 21–23, 129 Jagdinstrument siehe Waffe Malinstrument siehe Malwerkzeug Mathematik 2, siehe auch Lineal Medizin, Chirurgie 2, 21–23, siehe auch Skalpell, Stethoskop Musikinstrument 1f., 21, 25, 33–48, 169–183, 200, siehe auch Phono graph, Krug, Radio, Staubsauger Blasinstrument 180, siehe auch Dudelsack Streichinstrument 173, 180, siehe auch Bogen, Cello, Fidel, Geige, Gitarre, Harfe, Kontrabass, Plekt rum, Saite Schlaginstrument 180, siehe auch Glocke, Trommel
Tasteninstrument 180 siehe auch Cembalo, Klavier, Orgel Schreibinstrument 2, siehe auch Feder, Pinsel, Schrift, Stift Wissenschaftsinstrument 1f., 80 f., 130, siehe auch Astrolab, Barometer, Fernrohr, Fotoapparat, Globus, Laborgerät, Mikroskop, Prisma, Thermometer, Waage Kamera siehe Fotoapparat Kamm 49–65, siehe auch Webkamm Kammwange 54, 57–59 Kammzahn 51, 54, 57, siehe auch Zahn Liturgischer Kamm 51 Kapuze 56, siehe Gewand, Haar Katana 201, siehe auch Schwert Keil (fr. coin) 23 Kelle (fr. truelle) 114, 120 Kessel (fr. chaudron) 202, 207 Kiefer (fr. mâchoire) 24, siehe auch Mund Kieferknochen (fr. os maxillaire) 37f. Kinnhalter 169, siehe Geige Klaue 185, siehe auch Fingernagel Klavier, Flügelklavier 170, 174, 177f., 181 Kleidung VII, 137f., 142, siehe auch Ge wand, Tracht Arbeitskleidung 199–200 Klinge (fr. lame) 23, 112, 201, siehe auch Messer, Palettmesser, Säge, Schwert Klopfholz (fr. maillet) 22, 115, siehe auch Hammer Kohle siehe Zeichenkohle Kompressor 187, siehe auch Motor Kontrabass 178 Kompass 207 Kopf (fr. tête) 11, 24f., 29f., 37, 84, 114, 173, 185, 188f., 196f., 202, 206, siehe auch Auge, Haar, Hals, Haube, Hirn, Horn, Hut, Kiefer, Körper, Maske, Mimik, Mund, Ohr, Körper, Zahn; Amboss, Hammer, Kammwange, Kinnhalter Korb (fr. panier) 25 Körper, Korpus (fr. corps) 9, 21, 25, 27–30, 40, 42f., 49f., 94, 123, 129, 134–138, 142f., 166, 171–175, 180, 185, 188, 190, 200, 203, siehe auch Arm, Atem, Darm, Ellbogen, Finger, Fingernagel, Gelenk, Glied, Hand, Haut, Herz, Klaue, Kopf, Organ, Rücken, Schwanz Fremdkörper 9, 137f.
220 ANHANG Klangkörper, Resonanzkörper 171, 174, 176, 178 Körpertechnik 7 Knopf (fr. bouton) 25 Kreide siehe Zeichenkreide Kreuz 9, 67 Krug (fr. carafe, cruche) 36–37, 202 Krücke (fr. béquille) 201 Lappen (Wischer) 71, 158, 161 Lasso 2, siehe auch Seil Lastwagen siehe Auto Leiter 140, siehe auch Chèvre Licht (fr. lumière), Lichtstrahl 41, 96, 109, 140, 144, 153, 155, 161f., 165, 169, 189, 196, siehe auch Auge, Prisma, Fotoapparat Lineal (fr. règle) 2, 200, siehe auch Meter maß Luft (fr. air) 2, 25, 38, 40f., 44, 96, 99, 136, 140, 158, siehe auch Atem, Blasebalg, Windsack Malbrett siehe Palette Malstock VIII, 67f., 71 Malwerkzeug siehe Werkzeug Manche, mancheron (dt. Ärmel, Griff) 26 Mantel 56, 130, 158 Maus (des Computers, fr. souris) 28, 166 Mausklick 186 Maschine (fr. machine), Mechanismus IV, IX, 1f., 5, 9, 12, 14, 24, 82, 132, 161, 200, siehe auch Automat, Motor, Orgel, Uhr, Schloss Kriegsmaschine (fr. machine de guerre) 24 Streichmaschine 151–168 Maske 140, 142 Medium (lat.) 33, 40–42 Meißel 5, 49, siehe auch Beitel Hohlmeißel (fr. gouge) 114 Messer 109, siehe auch Palettmesser Metermaß IX, siehe auch Lineal, Stab Mikroskop 2 Mimik 142f. Model (fr. moule) 204 Modell 12, 86, 132, 142, 144f., 172, 174, 186, 191, 196f. Modellierstab (fr. ébauchoir) 114 Motor (fr. moteur), Motorik 28, 143, 145, 180, siehe auch Auto, Kompressor, Flugzeug Motorrad 1
Mouton (dt. Schaf: Glockenbalken, Ramm klotz) 29f. Mund (fr. bouche) 29, 180 Nadel (fr. aiguille, alène) 28, 206, siehe auch Haarnadel Radiernadel 157 Nagel 2, 172f., siehe auch Fingernagel, Niete Notation, Note, Notiz 35, 44, 130, 134, 138, 140–143, 179f., siehe auch Zettel Nerv (fr. nerf ) 27f., 204 Netz 56 Niete 12 Objekt (fr. objet) 2–6, 8f, 12, 14, 21, 24–29, 33–65, 69, 71f, 79, 83, 103, 130, 138, 140, 142f, 169–183, siehe auch Artefakt, Ding, Gerät Ohr (fr. oreille) 35, 40f., 178, 203 Organ (fr. organe) 24–26, 33, 40f., 132, 135f., 138, 143, 159, siehe auch Glied Anorganisches 130, 137f. Musica organica (lat.) 44 Organismus (fr. organisme) 27 Organisation 36, 135, 143, 173, 176f. Organprojektion, verlängerung, ersatz 7, 24, 134, 137f., 143 Orgel 56, 178 Farborgel 159f., 167 Palette VII–IX, 67f., 71, 74, 84, 94, 111f., 160 Palettschabsel 119–122 Palettmesser ( fr. couteau à palette) 109–124 Pastellstift siehe Stift Peitsche (fr. fouet) 23, siehe auch Seil Pelz (fr. fourrure) 23 Pfeil 60f. Pferd (Turngerät, fr. cheval d‘arçons) 27, siehe auch chevalet Pflug (fr. charrue) 25 Phonograph (fr. phonographe) 28 Plektrum (fr. plectre) 37 Pinsel (fr. pinceau) VIIf., IX, 67, 68, 71, 75f., 80, 86f., 93–106, 112, 118, 120, 122, 123, 151, 153, 159–164, 166, 200 Aquarellpinsel 93–106 (spez. duck, goose, swan 95) Borstenpinsel (fr. brosse), Pinselborsten VII, 153f.
221 REGISTER DER WERKZEUGE UND INSTRUMENTE Dachspinsel (fr. blaireau) 109f. Malerpinsel VII Haarpinsel (fr. pinceau), Pinselhaar 94f., siehe auch Aquarellpinsel, Haar Pinselstrich, Pinselwerk 87, 97, 110, 119f., 157 Pipette 162–164 Polarisationsfarbenmischer 166 Poutre (dt. Balken, Schwebebalken, Träger) 27, 29 Prägestempel (für Münzen) 206 Präparat 140, 145 Prisma 82, 117 Pumpe 187 Queuederat (dt. Rundfeile) 24, 28 Radio 178 Rammklotz siehe Mouton Rasiermesser (fr. rasoir) 201 Rasterplatte 166 Rechen (fr. râteau) 37 Repräsentation 2, 9–14, 49, 76, 96, 174, 181 Rohrschlüssel (fr. clé à bougie) 21 Rolle (fr. poulie) 30 Rollgabelschlüssel (fr. clé à molette) 21 Rücken (fr. dos) 25, 56f., 175, 199 Säge (fr. scie) 21–24, 181, siehe auch Klinge, Fuchsschwanz Sägebock 24, siehe auch Chevalet Sägezahn 23, siehe auch Zahn Saite (fr. corde) 38, 169, 171, 173, 175 Saitenhalter (der Geige) 173 Schachbrett 130 Schaft 26, siehe auch Griff Schere 11 Schlagstein (fr. percutoir) 205 Schlüssel (fr. clé) 143, 207, siehe auch Rohrschlüssel, Rollgabelschlüssel, Stimmhammer Schloss (fr. serrure) 207 Schmelztiegel (fr. creuset) 204 Schmiedeofen (fr. forge) 35, 204, siehe auch Amboss, Hammer Schmuck 130f., 137f., 142 Schnecke (der Geige) 172f., 175 Schnur 137, 179, siehe auch Seil Schraube Brechschraube 15 Schraubendreher (fr. tournevis) 21
Stellschraube 162 Schreibinstrument siehe Instrument Schrift (fr. écriture) 8, 29, 44, 164f., 176, siehe auch ABC, Ideogramm, Notation, Schreibinstrument, Sprache, Zettel, Symbol Schublade (fr. tiroir) 25 Schwamm 122 Schwanz 23f. 28, 95, siehe auch Fuchs schwanz, queuederat Schwerlastgerüst (it. cavaletta) 67f. Schwert (fr. épée) 23, 52, 61, 185, siehe auch Katana, Klinge, Waffe Seele (fr. âme) 40f., 114, 200, siehe auch Geist Seil (fr. corde) 29, siehe auch Lasso, Netz, Peitsche, Saite, Schnur Sense 134f. Sichel 11, 134–135 Sichte 134 Signal, signalisieren 36, 69, 74, 81, 175, 179, siehe auch Symbol, Zeichen Skalpell (fr. scalpel) 23 Skizze (fr. esquisse) 97, 131f., 140, 142, 155, 165, 196 Spachtel (bzw. Spatel, fr. spatule) siehe Palettmesser Speer 56 Spiegel, spiegeln 49f., 52f., 61f., 136 Spielzeug 2, siehe auch Schachbrett Spielzeugkiste 130, siehe auch Truhe Spieß 185 Spitze (Textil) 137 Spitze (vom Werkzeug) 71, 94f., 158 Splitter (fr. éclat) 27f., 131 Sprache (fr. langage) IV, 1, 10, 23, 25f., 33, 41, 43f., 191, siehe auch Wort Stab (fr. bâton) 37, siehe auch Krücke, Malstock Hirtenstab (fr. houlette) 23 Staffelei (fr. chevalet, it. cavalletto) 27, 66–92, siehe auch chevalet, Esel Staubsauger 178 Stecker, Steckdose (fr. prise de courant) 26 Steg (der Geige) 27, 173, siehe auch chevalet Stethoskop (fr. stéthoscope) 28 Stiel 26 Stift (fr. crayon, stylo) 120, 166, 199f., siehe auch Schreibinstrument, Zeichenkohle, Zeichenkreide Bleistift 104, 140
222 ANHANG Farbstift 158 Grafitstift 158 Pastellstift 155–161 Stimme (fr. voix) 33, 43f., siehe auch Hammer (Stimmhammer) Streichbürste siehe Bürste Streichmaschine siehe Maschine Stuhl (fr. chaise) 170, 199 Sturmbock siehe Bélier Swan siehe Pinsel Symbol (fr. symbole) 8–10, 44, 49–51, 54, 76, 84, 139, 142, 144, 170f., 174, 176, siehe auch Bild, Dingsymbol, Schrift, Zahl, Zeichen Tacker 172 Tasche (fr. poche, sac) 25, 38, 41, siehe auch Dudelsack, Vache Textil 133, 140, 142, siehe auch Band, Gewand, Fahne, Kleidung, Spitze, Webstuhl Thermometer 2 Tisch 49, 83, 162, 169 Topf 138, 142, siehe auch Blumentopf Töpferscheibe 189 Tortenheber 115 Tracht 130, 138 Trinkbecher 130 Tripalium (lat.) 199 Troddel 137 Trommel 22, 36 Truhe (it. cassone) 53, 130, 142f., siehe auch Spielzeugkiste Tuch 61, 71, siehe auch Lappen, Textil Tür (fr. porte) 25, 208 Tuschfeder 157 Uhr 2 Vache (dt. Tasche) 32 Vase 25, 61, siehe auch Blumentopf Vehikel siehe Auto, Bildvehikel Vernunft (fr. raison) 5, 34, 40, 44 Raison pratique 23 Video 26 Waage 2 Waffe, Kampfgerät, Jagdinstrument (fr. arme) VIIf., 2, 21f., 29, 52, 80, 109, 114, 185, 201, siehe auch Maschine, Messer,
Mordwerkzeug, Netz, Pfeil, Schwert, Speer Wasser 56f., 94–99, 101, 103, 153, 159, 162, 187, siehe auch Brunnen, Pumpe Wasserwaage 162 Webkamm 49 Webrahmen, Webstuhl 140, 142 Werkzeug (Definition, fr. outil) VIII, IX, 1–2, 21–23, 129, siehe auch Artefakt, Ding, Gerät, Instrument, Objekt Malwerkzeug (Malgerät, Malinstru ment) 2, 96, 109, 120, 166, siehe auch Lappen, Malstock, Palette, Palettmesser, Pinsel, Staffelei, Zeichengerät Mordwerkzeug 109, siehe auch Waffe Werkzeugspuren 100, 110, 129f., 159, 166, 195f., siehe auch Pinselstrich Widderschiff 32, siehe auch Bélier Windsack (fr. manche à air) 26 Wischer siehe Lappen Wort (fr. mot) VIII, 1, 6–9, 23f., 26f., 28–30, 31, 35, 43f., 68, 109, 130, 133–138, 176, 186, 191, 200, siehe auch Schrift, Sprache Zahl (fr. nombre) 8, 35f., 41, 44, 188, siehe auch Symbol Zahn (fr. dent) 24, 27f., siehe auch Kamm zahn, Sägezahn Zahnstange 2 Zeichen (fr. signe) 29, 33f., 39, 43–45, 52f., 110, 129, 193, 196, 207, siehe auch Signal, Symbol Zeichengerät siehe Feder, Gerät, Schreib instrument, Stift Zeichenkohle 157f., 160 Zeichenkreide 71, 157f. Zeigefinger siehe Finger Zettel 131, 132, 137f., 141f., siehe auch Notiz Zirkel (fr. compas) 2, 49, 67, 207 Zunder (fr. amadou) 205, siehe auch Feuer Zündkerze (fr. bougie) 21
Personenregister
Aberli, Johann Ludwig 99 About, Edmond 114 Adam (erster Mensch) 189–191 Albertus Magnus 41 Alembert, Jean le Rond d’ 5, 205 Alexander der Große 76f., 86f. Andrea del Sarto 12 Andreas Capellanus 50 Antonioni, Michelangelo 181 Apelles 76f., 86f. Aphrodite (Göttin) 60f. Aristoteles 33, 39–45, 185 Arman 172–174, 176 Assmann, Aleida und Jan 144 Augustinus 35, 41, 44f. Avicenna 41 Bailly, David 84 Baldinucci, Filippo 196 Baldung Grien, Hans 190 Bathseba (biblische Figur) 52, 54, 58f., 61 Bastian, Adolf 144 Belting, Hans 8 Bernini, Gian Lorenzo 196 Beuys, Joseph 170 Blanc, Charles 124 Blechen, Karl 97, 101 Boccaccio, Giovanni 49, 52, 56, 74 Boetius 35, 41, 44 Boetti, Alighiero 191 Bonaparte siehe Napoleon Boucher de Perthes, Jacques 6 Bourdieu, Pierre 144f. Bouterson, Xavier (Maler in einer 1866 publizierten ScienceFictionErzäh lung) 114
Boselli, Orfeo 196 Brosses, Charles de 71f., 78 Brune d.J., Johan de 81 Butadis 189 Cage, John 178, 180 Callot, Jacques 117 Carlyle, Thomas 137f., 143 Cassiodorus 35 Caterina Pico 50 Cennino Cennini 196 Chaillou de Pesstain 36 Chum (ägyptischer Schöpfergott) 189 Cham (AmédéeCharlesHenry Comte de Noé) 115 Christian V (Dänemark und Norwegen) 67, 75–82, 86f. Christus 9–11 Cioci, Antonio 72 Claudet, Max 112 Constable, John 122 Conti (Maler in Lessings Emilia Galotti) 186 Corner, Philip 177 Courbet, Gustave 109–118, 122–124 Daumier, Honoré VII David (biblischer König) 38–39, 44, 52, 58–59 Descamps, AlexandreGabriel 119–121 Descartes, René 75, 186 Darwin, Charles 7, 124 Diderot, Denis 5, 205 DidiHubermann, Georges 131 Dillis, Johann Georg von 94, 101–106 Diogenes von Sinope 192
224 ANHANG Duchamp, Marcel 164, 193 Dürer, Albrecht 52, 58, 196f.
Hugo, Victor 23 Husserl, Edmund 143
Eastlake, Charles 123 Engels, Friedrich 132 Eliasson, Olafur 193 Ernst, Max 191 Este, Francesco II d‘ 5
Imstenraedt, Franz von 77 Isidor von Sevilla 35 Ivo von Chartres 51
Fauvel (Esel) 36, 44 Felibien, André 196 Fichte, Johann Gottlieb 138 Focillon, Henri 6 Forbera, Antonio 72, 78f. Fourcaud, Louis de 116 Francastel, Pierre 8 Francesco da Barberino 53 Francesco Petrarca 56 Franklin, Benjamin 130, 136f. Frederik III (Dänemark und Norwegen) 75 Fries, Erich 97, 101 Gaia Cyrilla (römische Königin) 49 Gauguin, Paul 194 Gardiner, John Eliot 180 Gell, Alfred 8 Geoffroi de la Tour Landry 52f., 58, 60 Gervais du Bus 36 Gijsbrechts, Cornelis 67–87 Gorgias aus Leontinoi 81 Gormley, Antony 186–189, 192–194, 196f. Goyen, Jan van 119f., 122 Grodtschulling, Bendix d.Ä. 82 Grodtschulling, Bendix d.J. 82 Gualterotti, Raffaele 84 Guarneri, Bartolomeo Giuseppe Antonio 172 Guido von Arezzo 43 Guillaume de Moerbeke 40f. Guillaume d’Ockham 44 Hareux, Ernest 112, 124f. Hechts, Willem van 77 Heckel, Erich 194 Herder, Johann Gottfried von 132, 186 Hieronymus von Mähren 43f. Higgins, Dick 179f. HoffmannKrayer, Eduard 129 Homer 76 Honorius von Autun 51 Hoogstraten, Samuel van 78, 80f., 119f.
Janata, Alfred 129 Jakobus von Lüttich (Jacques de Liège) 43 Jean d’Afflighem 34, 43f. Jean de Murs 43 Jean de Valois (Herzog von Berry) 72 Jean Pucelle 37 Jeanne d’Évreux 37 Jérôme de Moravie siehe Hieronymus von Mähren Johannes von Afflighem siehe Jean d’Afflighem Johannes de Muris siehe Jean de Murs Jubal (Biblische Figur) 39 Kalf, Willem 83 Kapp, Ernst 7, 136 Karajan, Herbert von 180 Kirchner, ErnstLudwig 194 Klapheck, Konrad 170 Knipbergen, François van (oder Knibber gen) 119 Kubler, George 6 KrissRettenbeck, Lenz 129 La Tour, Georges de 161 Lang, Fritz 189 Landau, Georg 133 Lamprecht, Karl 133, 136 Laurel, Stan (& Hardy, Oliver) 181 Le Blon, Jacob Christoph 161 Le Pileur d’Apligny, PlacideAuguste 93, 105 Lemonnier, Camille 114–116, 124 Leoni, Leone 13 Lequeu, JeanJacques 95 LeroiGourhan, André 7, 136, 205 Lessing, Gotthold Ephraim 186 Limburg (Herman, Johan und Paul von Limburg) 72 Lomazzo, Giovanni Paolo 61 Lostalot, Alfred de 116 Ludwig I (Bayern) 102, 105 Ludwig XIV (Frankreich) 196
225 PERSONENREGISTER Maciunas, George 177 Mahler, Gustav 180 Man Ray 175f. Mantz, Paul 116 Marcou, Jules 113 Martianus Capella 35 Marx, Karl 132 Mauss, Marcel 7 Metzger, Gustav 180f. Michelangelo 12 Montañez, Juan Martínez 84 Munari, Christoforo 72 Mukhina, Vera 11 Napoleon Bonaparte 105 Nietzsche, Friedrich 132 Noiré, Ludwig 136 Noé, AmadéeCharlesHenry Comte de (auch Cham) 115 Orozco, Gabriel 194 Ostwald, Grete 156 Ostwald, Wilhelm 151–167 Panofsky, Erwin 144f Paik, Nam June 169–171, 177–179, 181 Paris (Urteil von) 60 Passignano, Domenico 192 Patterson, Ben 177, 179 Perrier, Maurice 202 Perselles, Jan 119 Philippe de Vitry 36, 44 Picasso, Pablo 175f., 194 Pitt Rivers, Augustus 7 Plato 40, 45 Plinius, d.Ä. 74, 76, 189 Plutarch 81 Porcellis, Jan siehe Perselles Poussin, Nicolas 78f. Praetorius, Michael 2 Prometheus 189 Protogenes 122 Pyramus und Thisbe 61 Pythagoras 34f., 39 Quiccheberg, Samuel von 2 Raffael 185, 197 Raimondi, Marcantonio 185 Regnier, Nicolas 86 Rembrandt 122f.
Reynolds, Joshua 122 Rheinberger, HansJörg 145 Riegl, Alois 6, 134 Rieter, Heinrich 100 Robert Grosseteste 41 Roger Bacon 41 Roux, Jacob 164 Russolo, Luigi 178 Sachsen, August von 2 Sandro Botticelli 130, 137 Schedel, Hartmann 191 Schmarsow, August 133–136 SchmidtRottluff, Karl 194 Schneider, Sascha 156 Semiramis (assyrische Königin) 52 Semper, Gottfried 6, 137, 195 Sennet, Richard 186 Siegfried (Nibelungen) 23 Silvestre, Théophile 119–121 Susanna (biblische Figur) 58 Stradivari, Antonio 171f Strindberg, August 120–123 Thomas von Aquin 41 Townshend, Pete (The Who) 181 TubalKain (biblische Figur) 39 Turner, William 122 Tylor, Edward B. 132 Usener, Hermann 136 Vasari, Giorgio 12 Velazquéz, Diego Rodríguez de Silva y 84 Venus siehe Aphrodite Virchow, Rudolf 134 Vostell, Wolf 177–178 Warburg, Aby 6, 129–149 Warnke, Martin 185 Watelet, Henri 196 Wilhelm von Moerbeke siehe Guillaume de Moerbeke Wilhelm von Ockham siehe Guillaume d‘Ockham Winckelmann, Johann Heinrich 195 Wind, Edgar 143f. Wormius, Olaus 5 Zeuxis 71f., 79 Zuccari, Federico 12f., 192f.
Abbildungsnachweis
Einleitung: John Rewald: Geschichte des Impressionismus, New York 1973 Cordez: 1 Hermann Maué u. a. (Hg.): Quasi centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg. 1400–1800, Ausst.Kat. (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), Nürnberg 2002, S. 119; 2 Michael Praetorius: Syntagma Musicum. De Organographia, Wolfenbüttel 1619– 1620, FaksimileAusg. Kassel 2001; 3. Foto Lisbet Tarp; 4 Maria Grazia Bernardini: La Galleria Estense di Modena. Guida storicoartistica, Mailand 2006, S. 102; 5 Denis Dide rot u. Jean le Rond D’Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sci ences, des arts et des métiers, 28 Bde., Paris 1751–1772, Planches, Bd. 7, FaksimileAusg. Parma 1973; 6 Foto Francis Fletcher; 7 HansJörg Czech u. Nikola Doll (Hg.), Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945, Dresden 2007, S. 182; 8 OttoKarl Werck meister: Vera Muchina, Arbeiter und Kolchosbäuerin, in: Kunsthistorische Arbeitsblät ter, 2002/2, S. 41–50, S. 47; 9 Foto des Autors. Clouzot: 1, 2 Martine Clouzot, Christine Laloue et Isabelle Marchesin (Hg.): Moyen Age. Entre ordre et désordre, Ausst.Kat. (Paris, Musée de la Musique), Paris 2004, p. 67 et 179; 3 © Foto Scala Firenze; 4, 5 With acknowledgments to the Bodleian Libraries; 6, 7 © The British Library Board; 8, 9. © BnF. Saviello: 1 © The British Library Board; 2 Giuseppe Carità (Hg.): Le arti alla Manta. Il Cas tello e l’Antica Parrocchiale, Turin 1992; 3, 9 © Bayerische Staatsbibliothek, München; 4 Hermann Schnitzler, Fritz Volbach u. Peter Bloch: Sammlung E. und M. KoflerTruniger, Luzern, 2 Bde., Luzern u. Stuttgart 1964–1965, Bd. 1: Skulpturen. Elfenbein, Perlmutter, Stein, Holz. Europäisches Mittelalter; 5, 7, 8, 10 © Victoria and Albert Museum, London; 6 © The Walters Art Museum, Baltimore. Pfisterer: 1, 2: Autor.; 3, 4, 5, 10, 11: Olaf Koester: Painted Illusions. The Art of Cornelius Gijs brechts, Ausst.Kat. (London, National Gallery), London 2000; 6: Ekkehard Mai u. Kurt Wettengl (Hg.): Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, Ausst.Kat. (München, Haus der Kunst; Köln, WallrafRichartzMuseum), München, Köln u. Wolfratshausen 2002; 7: nach de la Fuente Pedersen 2003–2004; 8: Celeste Brusati: Artifice and Illusion. The art and writing of Samuel van Hoogstraten, Chicago u. London 1995; 9: Thomas Pöpper: Absenz und Präsenz als Spiel mit Technik und Kunst. Zu einem barocken Vexierbild König Christians V. von Dänemark, in: Margarete Jarchow (Hg.): Begegnungen von Kultur und Technik, Neumünster 2006. Birkle: 1 Marianne Roland Michel: Die französische Zeichnung im 18. Jahrhundert, München 1987, Abb. 17; 2 Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Inv. SZ Blechen 160; 3 Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg, Inv. Nr. Z 427; 4, 5 MarieLouise Schaller: Annäherung an die Natur. Schweizer Kleinmeister in Bern 1750–1800, Bern 1990, Abb. 22, Abb. 104; 6 Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. Nr. 21531., Archiv der
228 ANHANG Autorin, mit freundlicher Genehmigung der Staatliche Graphische Sammlung Mün chen; 7 Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. Nr. 21547; 8 Staatlichen Graphi schen Sammlung München, Inv. Nr. 21518, Archiv der Autorin, mit freundlicher Geneh migung der Staatlichen Graphischen Sammlung München. Krüger: 1 Archiv des Autors; 2 Anthea Callen: The Art of Impressionism. Painting Technique and the Making of Modernity, New Haven u. London 2000, S. 158, Abb. 202; 3 Anthea Callen: The Art of Impressionism. Painting Technique and the Making of Modernity, New Haven u. London 2000, S. 159, Abb. 203; 4 Petra tenDoesschate Chu: The Most Ar rogant Man in France. Gustave Courbet and the NineteenthCentury Media Culture, Princeton u. Oxford 2007, S. 145, Abb. 11; 5 Laurence des Cars u. a (Hg.): Gustave Courbet, Ausst.Kat. (Paris, Galeries Nationales d’Exposition du Grand; New York, Metropolitan Museum of Art; Montpellier, Musée Fabre), Paris 2008, S. 289, Kat.Nr. 133; 6 Petra ten Doesschate Chu: The Most Arrogant Man in France. Gustave Courbet and the Nine teenthCentury Media Culture, Princeton u. Oxford 2007, S. 163, Abb. 128; 7 wikipedia: Achat (URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Agate_banded_750pix.jp g&filetimestamp=20050502054358; letzter Zugriff 1. März 2011); 8 Jurgis Baltrušaitis: Ab errations. Essai sur la légende des formes, Paris 1983, S. 59, Abb. 45; 9 Petra tenDoess chate Chu: The Most Arrogant Man in France. Gustave Courbet and the Nineteenth Century Media Culture, Princeton u. Oxford 2007, S. 159, Abb. 123; 10 Per Hedström (Hg.): Strindberg. Peintre et photographe, Ausst.Kat. (Stockholm, Nationalmuseum; Kopen hagen, Statens Museum for Kunst; Paris, Musée d’Orsay), Paris u. Stockholm 2001, S. 62, Kat.Nr. 24. Korff: 1 Warburg Institute Archive (= WIA), III.43.2.1., fol. 59; 2 Zeitschrift für Ethnologie, 21, 1889, S. 485ff., Fig. 1; 3 Meyers Großes Konversationslexikon, 20 Bde., Leipzig u. Wien 1902–1908, Bd. 7, 1904, S. 624–625; 4 WIA, III.2.1., Nr. 040/020823; 5 WIA, III.2.1., Nr. 040/020765; 6 WIA, III.2.1., Nr. 299c; 7 WIA, III.2.1., Nr. 387. Pohlmann: 1, 2 Beilage in: Die Farbschule. Eine Anleitung zur praktischen Erlernung der wissenschaftlichen Farbenlehre. 4. bis 5., verb. Aufl., Leipzig 1924; 3 Laborheft »Normen 2. 1922, 280–365«, Archiv der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Nachlaß Wilhelm Ostwald 4826, Bl. 19; 4, 5, 6, 7, 8, 9 WilhelmOstwaldArchiv Großbo then. Müller-Helle: 1 Name June Paik. Video Time – Video Space, Hg. von Toni Stooss und Thomas Kellein, Ostfildern 1991, S. 45; 2 Walter Kolneder: Das Buch der Violine. Bau, Geschichte, Spiel, Pädagogik, Komposition, Zürich 1989, S. 11; 3 Arman. Hgg. von Francoise Bonne foy, Sarah Clément und Adeline Souverain, Ostfildern 1998, S. 37; 4 Hans Weisshaar and Margaret Shipman: Violin Restoration. A Manual for Violin Makers, Los Angeles 1988, Abb. 5, S. 242; 5 Man Ray, Hg. von Merry Foresta, Ausst.Kat., Paris 1989, Abb. 262, S. 317; 6 Picasso. Œuvres reçues en paiement des droits de succession. Hg. Dominique Bozo, Ausst.Kat., Paris 1979, Abb. 69, S. 85; 7 Name June Paik. Video Time – Video Space, Hg. von Toni Stooss und Thomas Kellein, Ostfildern 1991, S. 40. Wagner: 1 Konrad Oberhuber (Hg.): The Illustrated Bartsch. Bd. 27. The Works of Marcanto nio Raimondi and of his School, New York 1978, S. 169; 2 HansWerner Schmidt (Hg.): Antony Gormley: host, filed, another place. Ein Gespräch mit Klaus Theweleit und Mo nika TheweleitKubale (erschienen anläßlich der Ausst. Anthony Gormley. Our House, Holsteinischer Kunstverein, Kunsthalle zu Kiel), Bielefeld 1999, S. 156f.; Abb. 3, 7 Ausst. Kat.: Antony Gormley, Montreal, Museum of Fine Arts, München 1993, S. 93, 33; 4: Gert von der Osten: Hans Baldung Grien. Gemälde und Dokumente, Berlin 1983, Tafel 163/ Abb. 77b; 5 Elisabeth Rücker: Die Schedelsche Weltchronik. Das größte Buchunterneh men der DürerZeit, München 1973, Abb. 12; 6 Ausst.Kat.: Pygmalions Werkstatt. Die Erschaffung des Menschen im Atelier von der Renaissance bis zum Surrealismus, hg. v. Helmut Friedel, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 8. September bis 25. No
229 ABBILDUNGSNACHWEIS vember 2001, Köln 200, S. 271; 8 Ausst.Kat.: Glaube Hoffnung Liebe Tod, hg. v. Christoph GeissmarBrandi und Eleonora Louis, Kunsthalle Wien, Wien 1995, S. 135; 9: Ivan Gas kell, Henry Lie Gaskell (Hrsg.): Sketches in Clay for Projects by Gian Lorenzo Bernini. Theoretical, technical, and case studies, Cambridge Mass. 1999, Abb. 122. Lamy: 1–8 Foto des Autors.