B2B-Marketing und Vertrieb: Strategie - Instrumente - Umsetzung 3658378662, 9783658378660, 9783658378677

Dieses Lehrbuch bietet einen umfassenden Überblick über die Vermarktung und den Vertrieb von Produkten und Dienstleistun

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German Pages 513 Year 2023

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Table of contents :
Vorwort
Literatur
Inhaltsverzeichnis
Über die Autoren und den AfM-Arbeitskreis B2B-Marketing/Vertrieb
Der AfM-Arbeitskreis B2B-Marketing/Vertrieb
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Teil I: Grundlagen: Einordnung und Bezugsrahmen von B2B-Marketing und Vertrieb
1: Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb
1.1 Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb
1.2 Definition und Abgrenzung von B2B-Marketing und Vertrieb
Literatur
2: Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement
2.1 Abgrenzung, Definition und Konzeption eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements
2.2 Typische Aufgabenfelder und Projekte im B2B-Marketing und Vertrieb
2.2.1 Aufgabenfeld 1: Marketingkampagnen- und Vertriebsmanagement für bestehendes Geschäft
2.2.2 Aufgabenfeld 2: Marketinganalysen und kontinuierliche bzw. regelmäßige Weiterentwicklung des Marketing- und Vertriebskonzepts in bestehenden Geschäftsfeldern (Commercial Excellence)
2.2.3 Aufgabenfeld 3: Entwicklung und Markteinführung eines neuen Produkts bzw. einer neuen Dienstleistung
2.2.4 Aufgabenfeld 4: Neuausrichtung eines bestehenden Geschäftsbereichs oder Aufbau eines neuen Geschäftsfelds (Business Development): Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung
Literatur
3: Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb
3.1 Grundlegende konzeptionelle Ansätze im B2B-Marketing und Vertrieb
3.2 Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb
3.2.1 Historische Entwicklung der Digitalisierung im B2B-Marketing und Vertrieb
3.2.2 Verändertes Informations- und Kaufverhalten
3.2.3 Strategische Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb
3.2.4 Prozessuale, organisatorische und kompetenzbasierte Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb
3.2.5 Praktische Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb
Literatur
Teil II: Analyse der Ausgangssituation im B2B-Marketing und Vertrieb
4: Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation
4.1 Grundverständnis der Analyse der Ausgangssituation
4.2 Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur Informationsbereitstellung im B2B-Marketing
4.2.1 Informationsbereitstellung als Aufgabe der Marktforschung
4.2.2 Besonderheiten der Marktforschung auf B2B-Märkten
4.2.3 Prozess der Informationsgewinnung
4.2.4 Veränderungen durch Big Data
Literatur
5: Analyse der Makroumwelt
5.1 Ziel der Analyse der Makroumwelt
5.2 Methoden zur Analyse der Makroumwelt
5.3 Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten
5.3.1 Überblick Megatrends
5.3.2 Digitalisierung
5.3.3 Globalisierung
5.3.4 Nachhaltigkeit
Literatur
6: Analyse der Mikroumwelt
6.1 Ziel und Methoden der Analyse der Mikroumwelt
6.2 Strategische Marktanalyse
6.2.1 Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes
6.2.2 Quantitative Marktprofilanalyse
6.2.3 Marktprognose
6.2.4 Marktlebenszyklusanalyse
6.2.5 Analyse der Industriewertkette
6.3 Analyse der B2B-Kunden
6.3.1 Ziele der B2B-Kundenanalyse
6.3.2 Aspekte der B2B-Kundenanalyse
6.3.2.1 Analyse des Beschaffungsverhaltens von B2B-Kunden
6.3.2.1.1 Besonderheiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens
6.3.2.1.2 Buying Center
6.3.2.1.3 Beschaffungsprozesse
6.3.2.1.4 Kauftyp
6.3.2.1.5 Beschaffende Organisation
6.3.2.1.6 Umwelt
6.3.2.2 Kundensegmentierung
6.3.2.2.1 Identifikation von Kundensegmenten
6.3.2.2.2 Beschreibung der Kundensegmente
6.3.2.3 Analyse der Kundenattraktivität
6.3.2.4 Analyse der Kundenzufriedenheit
6.3.2.4.1 Entstehung von Kunden(un)zufriedenheit
6.3.2.4.2 Folgen der Kundenzufriedenheit
6.3.2.4.3 Messung der Kundenzufriedenheit
6.3.2.4.4 Besonderheiten im B2B-Umfeld
6.4 Wettbewerbsanalyse
6.4.1 Ziele der Wettbewerbsanalyse
6.4.2 Methoden der Wettbewerbsanalyse
6.4.2.1 Branchenstrukturanalyse
6.4.2.2 Analyse von strategischen Gruppen
6.4.2.3 Wettbewerbsanalyse im engeren Sinne
6.4.2.3.1 Strategieprofilanalyse
6.4.2.3.2 Leistungsprofilanalyse
6.4.2.3.3 Reaktionsprofilanalyse
6.4.2.3.4 Wettbewerbslandkarten
6.5 Unternehmensanalyse
6.5.1 Ziel der Unternehmensanalyse
6.5.2 Methoden der Unternehmensanalyse
6.5.2.1 Wertkettenanalyse
6.5.2.2 VIRO-Rahmen
6.5.2.3 Strategische Produktanalyse
6.5.2.4 Benchmarking
6.5.3 Integrative komparative Analyseinstrumente
6.5.3.1 Industriekostenkurve
6.5.3.2 Stärken-Schwächen-Analyse von Schlüsselerfolgsfaktoren
6.5.3.3 Wert- oder Nutzenkurven
Literatur
Teil III: Strategisches B2B-Marketing und Vertrieb
7: Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs
7.1 Strategische Situationsanalyse im B2B-Marketing und Vertrieb
7.2 Strategische Ziele des B2B-Marketings und Vertriebs
7.3 Market-based View und Resource-based View
7.4 Markt- und Kundensegmentierung
7.5 Strategische Geschäftsfelder und strategische Geschäftseinheiten
Literatur
8: Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld
8.1 Marktfeldstrategien mit der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff
8.2 Strategische Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts
8.3 Generische Wettbewerbsstrategien nach Porter
8.4 Blue-Ocean-Strategie nach Kim und Mauborgne
8.5 Kernkompetenzenansatz nach Prahalad und Hamel
Literatur
9: Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb
9.1 Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept
9.2 Erfahrungskurvenkonzept
9.3 BCG-Matrix
9.4 McKinsey-Matrix
9.5 Markenmanagement
Literatur
Teil IV: Operatives B2B-Marketing und Vertrieb
10: B2B-Produktpolitik
10.1 Relevante Besonderheiten von B2B-Produkttypen und B2B-Geschäftstypen
10.2 Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten
10.2.1 Der Innovationsprozess
10.2.1.1 Phase der Ideengewinnung
10.2.1.2 Phase der Ideenprüfung
10.2.1.3 Phase der Ideenrealisierung
10.2.1.4 Phase der Markteinführung
10.2.1.4.1 Zeitpunkt der Markteinführung
10.2.1.4.2 Zielgruppen der Markteinführung
10.2.2 Kollaboration mit Kunden und modernes Innovationsmanagement
10.2.2.1 Einbindung von Kunden in den Innovationsprozess
10.2.2.1.1 Lead-User-Analyse, Open Innovation und Crowd Sourcing in der Phase der Ideengenerierung
10.2.2.1.2 Quality Function Deployment und Conjoint-Analyse in der Phase der Ideenprüfung und -realisierung
10.2.2.1.3 Launch Customers in der Phase der Markteinführung
10.2.2.2 Modernes Innovationsmanagement
10.2.2.2.1 Verkürzung der Time-to-Market durch Digitalisierung und Agilität
10.2.2.2.2 Digitale Produktentwicklung
10.2.2.2.3 Agiles Innovationsmanagement
10.3 Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung in der Reife- und Sättigungsphase
10.3.1 Klassische produktbegleitende Dienstleistungen
10.3.2 Digitale Services
10.4 Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase
10.4.1 Gründe für Produkteliminierungen
10.4.2 Anbietersicht
10.4.2.1 Reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
10.4.2.2 Verbundeffekte
10.4.3 Kundensicht
10.4.4 Abgleich der Perspektiven und Alternativen
Literatur
11: B2B-Preispolitik
11.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Preispolitik
11.2 Kostenorientierte Preisbildung
11.2.1 Preisbildung bei Unsicherheit über Leistungen und Leistungsumfang
11.2.1.1 Vergangenheitsorientierte Preisbildungsmethoden
11.2.1.2 Neukalkulation mittels Grobprojektierungsansatz
11.2.2 Preisbildung in Anbieterkoalitionen
11.2.3 Preissicherungsmechanismen
11.2.3.1 Festpreise und Festpreiseinschlüsse
11.2.3.2 Preisvorbehalte
11.2.3.3 Preisgleitklauseln
11.2.3.4 Claim-Management
11.3 Wettbewerbsorientierte Preisbildung
11.3.1 Competitive Bidding bei Ausschreibungen
11.3.2 Online Reverse Auctions
11.3.3 Bündelpreis zur Reduktion der Vergleichbarkeit
11.4 Nachfrageorientierte Preisbildung
11.4.1 Value-based Pricing
11.4.2 Total Costs of Ownership
11.5 Innovative Preismodelle für neue digitale Services
11.6 Rabattpolitik
11.7 Einsatz von Preismanagementsoftware
11.8 Absatzfinanzierung
11.8.1 Ziel- und Ratenzahlung
11.8.2 Leasing
11.8.3 Kompensationsgeschäfte
11.8.4 Minderung der Risiken der Absatzfinanzierung
Literatur
12: B2B-Kommunikationspolitik
12.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Kommunikation
12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey
12.2.1 Finden und Gefundenwerden in der Suchphase
12.2.2 Kommunikation von Komplexität, Glaubwürdigkeit sowie die Wegbereitung zum Kunden in der Abwägungsphase
12.2.2.1 Reduktion von Komplexität
12.2.2.2 Aufbau von Glaubwürdigkeit
12.2.2.3 Wegbereitung für den Vertriebsaußendienst
12.2.3 Vermittlung von Sicherheit beim Verkaufsabschluss
12.2.4 Absicherung der Kundenbindung und Kundenentwicklung in der Wiederkaufphase
12.2.5 Schaffung einer Basis für Weiterempfehlungen
12.3 Weitere Kommunikationsinstrumente und integrierte Kommunikation
12.3.1 Social-Media-Kommunikation
12.3.2 Weitere Kommunikationsinstrumente
12.3.3 Integrierte Kommunikation zur Zusammenführung aller Maßnahmen
12.4 Die Zielgruppen der B2B-Kommunikationspolitik
12.4.1 Die Identifikation der richtigen Zielgruppe
12.4.2 Kommunikation mit Buying-Center-Mitgliedern
12.4.3 Kommunikation an nachgelagerte Märkte
12.5 Die Tonalität der Botschaft im B2B-Marketing
12.6 Marketing-Automation in der B2B-Kommunikation
Literatur
13: B2B-Vertriebspolitik
13.1 Relevante Besonderheiten des B2B-Vertriebs
13.2 Persönliche Vertriebskanäle
13.2.1 Vertriebsaußendienst als direkter persönlicher Vertriebskanal
13.2.1.1 Selling Cycle
13.2.1.2 Zusammenspiel von Marketing und Vertrieb
13.2.1.3 Selling Center
13.2.2 Indirekte persönliche Vertriebskanäle
13.2.2.1 Handelsvertreter
13.2.2.2 Stationäre B2B-Intermediäre
13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal
13.3.1 Direkter E-Commerce
13.3.1.1 Anbieter-Webshop
13.3.1.2 Private B2B-Sales
13.3.1.3 Buy-Side-Anbieterportal: E-Procurement
13.3.2 Indirekter E-Commerce
13.3.2.1 Online-Handel, Private B2B Sales und Sell-Side-Händlerportal
13.3.2.2 E-Marktplatz
13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management
13.4.1 Vertriebskanalauswahl
13.4.2 Multi-Channel-Vertrieb und -Management
13.5 Abschließende übergreifende Fallstudie zum gesamten Marketingmix
Literatur
Teil V: Controlling und kontinuierliche Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb
14: Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence
14.1 Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling
14.2 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlen
14.3 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlensysteme
14.4 B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen
14.5 Commercial Excellence
Literatur
Stichwortverzeichnis
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 3658378662, 9783658378660, 9783658378677

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Enrico Purle Mahmut Arica Sabine Korte Henning Hummels

B2B-Marketing und Vertrieb Strategie – Instrumente – Umsetzung Inklusive SN Flashcards Lern-App

B2B-Marketing und Vertrieb

Enrico Purle • Mahmut Arica Sabine Korte • Henning Hummels

B2B-Marketing und Vertrieb Strategie – Instrumente – Umsetzung

Enrico Purle Duale Hochschule BadenWürttemberg Mosbach Campus Bad Mergentheim Bad Mergentheim, Deutschland Sabine Korte Duale Hochschule BadenWürttemberg Stuttgart Stuttgart, Deutschland

Mahmut Arica FOM Hochschule für Oekonomie & Management Münster, Deutschland Henning Hummels Hochschule Emden/Leer Emden, Deutschland

ISBN 978-3-658-37866-0    ISBN 978-3-658-37867-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat/Planung: Angela Meffert Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser, Business-to-Business-Marketing (B2B-Marketing) und Vertrieb haben entscheidenden Einfluss auf den Geschäftserfolg von Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen an andere Unternehmen vermarkten. Die Art und Weise, wie B2B-Marketing und Vertrieb erfolgreich betrieben wird, hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert, insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung. Der organisationale Informations- und Beschaffungsprozess (auch Customer oder Buying Journey genannt) erfolgt zunehmend über digitale Kundenkontaktpunkte und automatisiert, aber auch klassische analoge Kundenkontaktpunkte haben in bestimmten Situationen im B2B-Marketing und Vertrieb noch eine hohe Relevanz. Dieses Lehrbuch trägt diesen veränderten Rahmenbedingungen Rechnung und gibt einen aktuellen Gesamtüberblick über alle relevanten Besonderheiten, Dimensionen und Kernprozesse der Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen an Unternehmen und Institutionen. Eine Besonderheit dieses Lehrbuches ist also, dass die aktuellen wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnisse zur Veränderung des B2B-Marketings und des Vertriebs aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung entlang des kompletten Prozesses von Grund auf berücksichtigt sind. Die historische Trennung in B2B-Marketing und Vertrieb als zwei miteinander verbundene, aber eigenständige Funktionen bzw. Prozesse ist aufgrund der kanalübergreifenden Customer Journey in vielen Branchen nicht mehr zeitgemäß. Daher liegt diesem Lehrbuch das Grundverständnis zugrunde, dass B2B-Marketing und Vertrieb ein ganzheitlicher, integrierter Prozess vom potenziellen Interessenten bis zum loyalen Kunden ist. In der Arbeitsgemeinschaft für Marketing (AfM), einem Zusammenschluss von rund 300 Marketing-Professorinnen und -Professoren vornehmlich aus Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) und Dualen Hochschulen im DACH-Raum (vgl. Arbeitsgemeinschaft für Marketing (AfM, 2022), liegt der Ursprung der Entstehung des vorliegenden Lehrbuches. Der AfM-Arbeitskreis B2B-Marketing und Vertrieb identifizierte den Bedarf eines Lehrbuchs, das die Veränderungen der vergangenen Jahre berücksichtigt. Letztlich fanden sich vier Mitglieder des AfM-Arbeitskreises als Autorenteam zusammen. V

VI

Vorwort

Aus dem Selbstverständnis der HAW und der Dualen Hochschulen heraus, einen bestmöglichen Theorie-Praxis-Transfer zu ermöglichen, ist auch der Anspruch des Autorenteams erwachsen, die Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert, aber praxisorientiert und leicht verständlich zu erklären. Wir hoffen, dies ist uns gelungen, und freuen uns auf Rückmeldungen zu möglichen Verbesserungen für die 2. Auflage. Das vorliegende Lehrbuch gliedert sich in fünf Teile. Im Teil I werden die Grundlagen gelegt. Es erfolgen die Einordnung, Abgrenzung und Definition relevanter B2B-Marketing- und Vertriebskonzepte und Begrifflichkeiten. Kap.  1 zeigt die Relevanz eines zielgerichteten B2B-Marketings und Vertriebs auf und definiert die zentralen Begrifflichkeiten. Darauf aufbauend wird in das Konzept des integrierten B2B-Marketings und Vertriebs eingeführt (Kap. 2). Zum Abschluss des ersten Teils werden die grundlegenden konzeptionellen Ansätze sowie die Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb vorgestellt (Kap. 3). Der Teil II stellt die relevanten Konzepte, Modelle und Methoden zur Analyse der Ausgangssituation im B2B-Marketing und Vertrieb vor. Dies umfasst die Grundlagen zur Informationsbeschaffung (Kap. 4), die Analyse der Makroumwelt (Kap. 5) und die Analyse der Mikroumwelt (Kap. 6). Aufbauend auf der Analyse der Ausgangssituation führt der Teil III in die relevanten Konzepte, Modelle und Methoden des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs ein. Kap. 7 zeigt zunächst die relevanten Grundlagen auf. Darauf aufbauend werden die relevanten Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld aufgezeigt (Kap. 8). Wesentliche in B2B-Marketing und Vertrieb anwendbare strategische Instrumente werden in Kap.  9 vorgestellt. Im Teil IV erfolgt die Umsetzung der strategischen Planung in Form der Ausgestaltung des operativen B2B-Marketings und Vertriebs. Die möglichen B2B-spezifischen Ausprägungen des Marketing-Mix werden anhand des in der Praxis bewährten 4P-­Modells aufgezeigt. Aufbauend auf der B2B-Produktpolitik (Kap.  10) folgen die B2B-Preispolitik (Kap.  11), die B2B-Kommunikationspolitik (Kap.  12) und abschließend die B2B-Vertriebspolitik (Kap. 13). Der abschließende Teil V befasst sich mit den wesentlichen Konzepten und Methoden zur Steuerung und kontinuierlichen Weiterentwicklung des integrierten B2B-­Marketingund Vertriebskonzeptes. Nach einer Einordung und Abgrenzung werden die wichtigsten Methoden und Instrumente des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebscontrollings aufgezeigt. Darauf aufbauend werden zentrale Kennzahlen und Analysen des B2B-­ Marketings und Vertriebs vorgestellt. Das Konzept Commercial Excellence zur systematischen Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb schließt das Kap. 14 ab. Zur Reflexion der Inhalte und auch zur Lernkontrolle finden sich am Ende eines jeden Kapitels Kontroll-, Wiederholungs- und Übertragungsfragen. Zur eigenständigen Lernkontrolle sind diese Fragen auch als sogenannte Flashcards auf der das Lehrbuch begleitenden Plattform zu finden (https://flashcards.springernature.com/login). Die Zugangsdaten finden Sie am Ende jedes Kapitels.

Vorwort

VII

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden in diesem Lehrbuch grammatikalisch ausschließlich generische Maskulina als Gattungsbegriffe verwendet, die semantisch alle Geschlechteridentitäten einschließen. Für Lehrende stehen auf link.springer.com auf Kapitelebene Präsentationen mit allen Abbildungen zur Verfügung, um eine einfache Integration der Inhalte des Lehrbuchs in Lehrveranstaltungsunterlagen zu ermöglichen. Wir danken unserer Lektorin Frau Angela Meffert vom Springer Gabler Verlag für die kompetente Unterstützung während des gesamten Prozesses von der Grundidee bis zum vorliegenden Lehrbuch. Unser besonderer Dank gilt unseren Familien, ohne deren Unterstützung und Verständnis für unzählige Abend-, Nacht- und Wochenendschichten dieses Werk nicht realisierbar gewesen wäre. Bad Mergentheim, Deutschland Münster, Deutschland Stuttgart, Deutschland Emden, Deutschland Winter 2022

Enrico Purle Mahmut Arica Sabine Korte Henning Hummels

Literatur

Arbeitsgemeinschaft für Marketing (AfM) (Hrsg.). (2022). Arbeitsgemeinschaft für Marketing. https://arbeitsgemeinschaft.marketing/. Zugegriffen am 06.02.2022.

IX

Inhaltsverzeichnis

Teil I Grundlagen: Einordnung und Bezugsrahmen von B2B-Marketing und Vertrieb 1 R  elevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb. . . .   3 1.1 Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb��������������������������������������������������   3 1.2 Definition und Abgrenzung von B2B-Marketing und Vertrieb��������������������   6 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  12 2 I ntegriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . .  15 2.1 Abgrenzung, Definition und Konzeption eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements������������������������������������������������  15 2.2 Typische Aufgabenfelder und Projekte im B2B-Marketing und Vertrieb����  19 2.2.1 Aufgabenfeld 1: Marketingkampagnen- und Vertriebsmanagement für bestehendes Geschäft������������������������������  19 2.2.2 Aufgabenfeld 2: Marketinganalysen und kontinuierliche bzw. regelmäßige Weiterentwicklung des Marketing- und Vertriebskonzepts in bestehenden Geschäftsfeldern (Commercial Excellence)�����������������������������������������������������������������  20 2.2.3 Aufgabenfeld 3: Entwicklung und Markteinführung eines neuen Produkts bzw. einer neuen Dienstleistung����������������������������������������  21 2.2.4 Aufgabenfeld 4: Neuausrichtung eines bestehenden Geschäftsbereichs oder Aufbau eines neuen Geschäftsfelds (Business Development): Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung������������������������������������������������������������  21 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  23 3 K  onzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-­Marketing und Vertrieb . . . . . . . . . . . . . .  25 3.1 Grundlegende konzeptionelle Ansätze im B2B-Marketing und Vertrieb������  25 3.2 Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb��������������������������������������������������������������������������������������������������  28

XI

XII

Inhaltsverzeichnis

3.2.1 Historische Entwicklung der Digitalisierung im B2B-Marketing und Vertrieb��������������������������������������������������������������������������������������  28 3.2.2 Verändertes Informations- und Kaufverhalten����������������������������������  29 3.2.3 Strategische Implikationen für die Gestaltung von B2B-­Marketing und Vertrieb������������������������������������������������������������  30 3.2.4 Prozessuale, organisatorische und kompetenzbasierte Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb��������������������������������������������������������������������������������������  33 3.2.5 Praktische Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb������������������������������������������������������������  35 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  37 Teil II  Analyse der Ausgangssituation im B2B-Marketing und Vertrieb 4 G  rundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  43 4.1 Grundverständnis der Analyse der Ausgangssituation����������������������������������  44 4.2 Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur Informationsbereitstellung im B2B-Marketing��������������������������������������������  47 4.2.1 Informationsbereitstellung als Aufgabe der Marktforschung ����������  48 4.2.2 Besonderheiten der Marktforschung auf B2B-Märkten ������������������  48 4.2.3 Prozess der Informationsgewinnung������������������������������������������������  50 4.2.4 Veränderungen durch Big Data��������������������������������������������������������  61 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  64 5 A  nalyse der Makroumwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  67 5.1 Ziel der Analyse der Makroumwelt��������������������������������������������������������������  67 5.2 Methoden zur Analyse der Makroumwelt����������������������������������������������������  68 5.3 Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten������������������������������������  73 5.3.1 Überblick Megatrends����������������������������������������������������������������������  73 5.3.2 Digitalisierung����������������������������������������������������������������������������������  75 5.3.3 Globalisierung����������������������������������������������������������������������������������  78 5.3.4 Nachhaltigkeit ����������������������������������������������������������������������������������  80 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  82 6 A  nalyse der Mikroumwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  85 6.1 Ziel und Methoden der Analyse der Mikroumwelt��������������������������������������  86 6.2 Strategische Marktanalyse����������������������������������������������������������������������������  86 6.2.1 Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes������������������������������  86 6.2.2 Quantitative Marktprofilanalyse ������������������������������������������������������  88 6.2.3 Marktprognose����������������������������������������������������������������������������������  92

Inhaltsverzeichnis

XIII

6.2.4 Marktlebenszyklusanalyse����������������������������������������������������������������  93 6.2.5 Analyse der Industriewertkette ��������������������������������������������������������  96 6.3 Analyse der B2B-Kunden ���������������������������������������������������������������������������� 100 6.3.1 Ziele der B2B-Kundenanalyse���������������������������������������������������������� 100 6.3.2 Aspekte der B2B-Kundenanalyse ���������������������������������������������������� 101 6.4 Wettbewerbsanalyse�������������������������������������������������������������������������������������� 136 6.4.1 Ziele der Wettbewerbsanalyse���������������������������������������������������������� 136 6.4.2 Methoden der Wettbewerbsanalyse�������������������������������������������������� 137 6.5 Unternehmensanalyse ���������������������������������������������������������������������������������� 152 6.5.1 Ziel der Unternehmensanalyse���������������������������������������������������������� 152 6.5.2 Methoden der Unternehmensanalyse������������������������������������������������ 152 6.5.3 Integrative komparative Analyseinstrumente������������������������������������ 161 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 174 Teil III  Strategisches B2B-Marketing und Vertrieb 7 G  rundlagen des strategischen B2B-­Marketings und Vertriebs . . . . . . . . . . . . 181 7.1 Strategische Situationsanalyse im B2B-Marketing und Vertrieb������������������ 181 7.2 Strategische Ziele des B2B-Marketings und Vertriebs �������������������������������� 184 7.3 Market-based View und Resource-based View �������������������������������������������� 187 7.4 Markt- und Kundensegmentierung �������������������������������������������������������������� 188 7.5 Strategische Geschäftsfelder und strategische Geschäftseinheiten�������������� 190 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 194 8 W  ettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 8.1 Marktfeldstrategien mit der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff������������������ 197 8.2 Strategische Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts������������������������������������������ 201 8.3 Generische Wettbewerbsstrategien nach Porter�������������������������������������������� 204 8.4 Blue-Ocean-Strategie nach Kim und Mauborgne���������������������������������������� 206 8.5 Kernkompetenzenansatz nach Prahalad und Hamel ������������������������������������ 210 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 213 9 S  trategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb. . . . . . . . . . . . . . . 215 9.1 Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept���������������������������������������������������� 215 9.2 Erfahrungskurvenkonzept ���������������������������������������������������������������������������� 219 9.3 BCG-Matrix�������������������������������������������������������������������������������������������������� 221 9.4 McKinsey-Matrix������������������������������������������������������������������������������������������ 224 9.5 Markenmanagement�������������������������������������������������������������������������������������� 226 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 228

XIV

Inhaltsverzeichnis

Teil IV  Operatives B2B-Marketing und Vertrieb 10 B2B-Produktpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 10.1 Relevante Besonderheiten von B2B-Produkttypen und B2B-­Geschäftstypen ���������������������������������������������������������������������������������� 233 10.2 Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten ���������������������� 241 10.2.1 Der Innovationsprozess���������������������������������������������������������������� 241 10.2.2 Kollaboration mit Kunden und modernes Innovationsmanagement �������������������������������������������������������������� 256 10.3 Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung in der Reife- und Sättigungsphase������������������������������������ 270 10.3.1 Klassische produktbegleitende Dienstleistungen�������������������������� 273 10.3.2 Digitale Services �������������������������������������������������������������������������� 281 10.4 Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase�������������������������������������� 289 10.4.1 Gründe für Produkteliminierungen ���������������������������������������������� 290 10.4.2 Anbietersicht �������������������������������������������������������������������������������� 291 10.4.3 Kundensicht���������������������������������������������������������������������������������� 294 10.4.4 Abgleich der Perspektiven und Alternativen�������������������������������� 294 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 298 11 B2B-Preispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 11.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Preispolitik���������������������������������������� 306 11.2 Kostenorientierte Preisbildung�������������������������������������������������������������������� 308 11.2.1 Preisbildung bei Unsicherheit über Leistungen und Leistungsumfang�������������������������������������������������������������������������� 309 11.2.2 Preisbildung in Anbieterkoalitionen �������������������������������������������� 316 11.2.3 Preissicherungsmechanismen ������������������������������������������������������ 318 11.3 Wettbewerbsorientierte Preisbildung���������������������������������������������������������� 324 11.3.1 Competitive Bidding bei Ausschreibungen���������������������������������� 324 11.3.2 Online Reverse Auctions�������������������������������������������������������������� 330 11.3.3 Bündelpreis zur Reduktion der Vergleichbarkeit�������������������������� 331 11.4 Nachfrageorientierte Preisbildung�������������������������������������������������������������� 333 11.4.1 Value-based Pricing���������������������������������������������������������������������� 334 11.4.2 Total Costs of Ownership�������������������������������������������������������������� 335 11.5 Innovative Preismodelle für neue digitale Services������������������������������������ 337 11.6 Rabattpolitik������������������������������������������������������������������������������������������������ 343 11.7 Einsatz von Preismanagementsoftware������������������������������������������������������ 346 11.8 Absatzfinanzierung ������������������������������������������������������������������������������������ 349 11.8.1 Ziel- und Ratenzahlung���������������������������������������������������������������� 350 11.8.2 Leasing������������������������������������������������������������������������������������������ 351 11.8.3 Kompensationsgeschäfte�������������������������������������������������������������� 353 11.8.4 Minderung der Risiken der Absatzfinanzierung �������������������������� 354 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 358

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12 B2B-Kommunikationspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 12.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Kommunikation �������������������������������� 364 12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey�������������������������� 367 12.2.1 Finden und Gefundenwerden in der Suchphase��������������������������� 370 12.2.2 Kommunikation von Komplexität, Glaubwürdigkeit sowie die Wegbereitung zum Kunden in der Abwägungsphase�������������������� 375 12.2.3 Vermittlung von Sicherheit beim Verkaufsabschluss�������������������� 385 12.2.4 Absicherung der Kundenbindung und Kundenentwicklung in der Wiederkaufphase�������������������������������������������������������������������������� 387 12.2.5 Schaffung einer Basis für Weiterempfehlungen��������������������������� 390 12.3 Weitere Kommunikationsinstrumente und integrierte Kommunikation ���� 393 12.3.1 Social-Media-Kommunikation����������������������������������������������������� 393 12.3.2 Weitere Kommunikationsinstrumente������������������������������������������ 395 12.3.3 Integrierte Kommunikation zur Zusammenführung aller Maßnahmen���������������������������������������������������������������������������������� 396 12.4 Die Zielgruppen der B2B-Kommunikationspolitik������������������������������������ 398 12.4.1 Die Identifikation der richtigen Zielgruppe���������������������������������� 398 12.4.2 Kommunikation mit Buying-Center-Mitgliedern ������������������������ 400 12.4.3 Kommunikation an nachgelagerte Märkte������������������������������������ 403 12.5 Die Tonalität der Botschaft im B2B-Marketing������������������������������������������ 404 12.6 Marketing-Automation in der B2B-Kommunikation��������������������������������� 409 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 413 13 B2B-Vertriebspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 13.1 Relevante Besonderheiten des B2B-Vertriebs�������������������������������������������� 420 13.2 Persönliche Vertriebskanäle������������������������������������������������������������������������ 420 13.2.1 Vertriebsaußendienst als direkter persönlicher Vertriebskanal ���� 421 13.2.2 Indirekte persönliche Vertriebskanäle ������������������������������������������ 432 13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal �������������������������� 439 13.3.1 Direkter E-Commerce������������������������������������������������������������������ 441 13.3.2 Indirekter E-Commerce���������������������������������������������������������������� 448 13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management�������������������������� 454 13.4.1 Vertriebskanalauswahl������������������������������������������������������������������ 454 13.4.2 Multi-Channel-Vertrieb und -Management���������������������������������� 459 13.5 Abschließende übergreifende Fallstudie zum gesamten Marketingmix ���� 466 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 468

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Teil V Controlling und kontinuierliche Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb 14 I ntegriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 14.1 Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling ������������������������������ 476 14.2 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlen������������������������������������������������� 478 14.3 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlensysteme������������������������������������ 480 14.4 B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen������������������������������������������������������ 484 14.5 Commercial Excellence������������������������������������������������������������������������������ 484 Literatur������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 492 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

Über die Autoren und den AfM-Arbeitskreis B2BMarketing/Vertrieb

Prof. Dr. Enrico  Purle  ist Professor für Industriegütermarketing und -vertrieb an der DHBW Mosbach, Campus Bad Mergentheim, und Sprecher des AfM-Arbeitskreises B2B-Marketing/Vertrieb. Er verfügt über langjährige Erfahrung im B2B-Marketing & Vertrieb, u. a. bei der SGL Group und der Wittenstein Gruppe. Prof. Dr. Mahmut  Arica  ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Vertrieb, an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management Münster. Er verfügt über langjährige B2B-Projekt- und Führungserfahrung, u. a. bei IBM, Siemens, Capgemini und Oracle, sowie tiefe Expertise aus diversen erfolgreichen Vertriebsabschlüssen und Beratungsaufträgen im B2B. Prof. Dr. Sabine  Korte  ist Professorin für B2B-Marketing und Digital Business Management an der DHBW Stuttgart. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im B2B-­ Marketing & Vertrieb, u. a. bei der BASF. Prof. Dr. Henning Hummels  ist Professor für Marketing und Vertrieb an der Hochschule Emden/Leer. Sein Schwerpunkt liegt im B2B-Bereich und er verfügt ebenfalls über langjährige Erfahrung im B2B-Marketing & Vertrieb, u. a. bei der Deutschen Telekom.

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Der AfM-Arbeitskreis B2B-Marketing/Vertrieb

Der AfM-Arbeitskreis B2B-Marketing/Vertrieb Die AfM  – Arbeitsgemeinschaft für Marketing – ist ein 1973 gegründetes Netzwerk von heute rund 300 Professorinnen und Professoren aus Hochschulen in der DACH-Region. Fragestellungen des Marketings in Forschung und Lehre sowie die Verknüpfung von Theorie und Praxis stehen im Fokus der Netzwerkarbeit. Die Zielsetzung des AfM-­ Arbeitskreises B2B-Marketing/Vertrieb ist es, die Bereiche Business-to-Business-­ Marketing (B2B-Marketing) und Vertriebsmanagement in der Forschung, Lehre und ­Praxis zu stärken und zu fördern. Der Arbeitskreis besteht derzeit aus 75 Hochschulpro­ fessorinnen und -professoren sowie Expertinnen und Experten im Bereich B2B-Marketing & Vertrieb. Link zur Webseite: https://arbeitsgemeinschaft.marketing/afm-­arbeitsgruppen/afm-­ arbeitskreis-­b2b-­marketing

Der AfM-Arbeitskreis B2B-Marketing/Vertrieb

XIX

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Abb. 1.1 Abb. 1.2

Abb. 1.3 Abb. 1.4 Abb. 1.5 Abb. 1.6 Abb. 2.1 Abb. 2.2 Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 4.3 Abb. 4.4 Abb. 4.5 Abb. 4.6 Abb. 4.7

Umsätze des produzierenden Gewerbes in Deutschland in Mrd. Euro in 2020. (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022, S. 8)��������������  4 Einordnung der Berufsbilder in B2B-Marketing und Vertrieb nach Aufgabenschwerpunkten und Berufserfahrung. (Quelle: Besenbeck & Purle, 2019, S. 6)������������������������������������������������������������������������������������������  5 Entwicklungsstufen des Marketings. (Quelle: Hiemeyer & Stumpp, 2020, S. 16 und Kreutzer, 2022, S. 11)������������������������������������������������������������������  6 Integriertes Vertriebsmanagement mittels Selling Cycle. (Quelle: Hofbauer & Purle, 2022, S. 77) ����������������������������������������������������  8 (B2B-)Wertsystem ��������������������������������������������������������������������������������������  9 Abgrenzung zwischen B2C-Märkten, B2B-Märkten und Industriegütermärkten. (Quelle: in Anlehnung an Backhaus & Voeth, 2015, S. 20)���������� 11 Managementaufgaben im Kundenbeziehungslebenszyklus. (Quelle: Stauss, 2000, S. 452)������������������������������������������������������������������������������������ 17 Der integrierte B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess������������ 18 Anlässe und Aktivitäten bei der Analyse von Industriegütermärkten. (Quelle: Kuhn & Zajontz, 2011, S. 30)�������������������������������������������������������� 45 Bereiche und Objekte der Analyse der Ausgangssituation�������������������������� 46 Grundsatzfragen der Informationsbereitstellung. (Quelle: In Anlehnung an Weiber & Jacob, 2000, S. 531)���������������������������������������������������������������� 50 Systematisierung möglicher Informationsquellen im B2B-Bereich. (Quelle: In Anlehnung an Weiber & Jacob, 2000, S. 539)�������������������������� 53 Primär- und Sekundäranalysen auf B2B-Märkten. (Quelle: In Anlehnung an Kuhn & Zajontz, 2011, S. 41) ���������������������������������������������������������������� 54 Qualitative und quantitative Forschungsansätze������������������������������������������ 57 Instrumente zur Erhebung von Primärdaten (In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 286)������������������������������������������������������������������������������ 57

XXI

XXII

Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 5.3 Abb. 5.4 Abb. 5.5 Abb. 6.1 Abb. 6.2 Abb. 6.3 Abb. 6.4 Abb. 6.5 Abb. 6.6 Abb. 6.7 Abb. 6.8 Abb. 6.9 Abb. 6.10 Abb. 6.11 Abb. 6.12 Abb. 6.13 Abb. 6.14 Abb. 6.15

Abb. 6.16 Abb. 6.17 Abb. 6.18 Abb. 6.19

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Faktoren der Umweltanalyse (PESTEL-Analyse) ������������������������������������  68 Vorgehensweise bei der PESTEL-Analyse mit strukturierten Checklisten. (Quelle: In Anlehnung an Walsh et al., 2020, S. 157)����������  70 Abgrenzung Prognose vs. Szenario ����������������������������������������������������������  72 Megatrends verschiedener Organisationen im Vergleich. (Quelle: Paul & Wollny, 2014, S. 101)��������������������������������������������������������������������  74 Nachhaltigkeit der BASF SE. (Quelle: BASF, 2022)��������������������������������  81 Zusammenhänge der Marktkennzahlen ����������������������������������������������������  90 Deduktive Herleitung des Marktpotenzials. (Quelle: In Anlehnung an Blum, 2019, S. 85)��������������������������������������������������������������������������������  91 Induktive Herleitung des Marktpotenzials. (Quelle: In Anlehnung an Blum, 2019, S. 86)��������������������������������������������������������������������������������  92 Idealtypische Phasen und Verlauf eines Marktlebenszyklus. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 486) ������������������������������������������������  94 Merkmale der Phasen des Marktlebenszyklus. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 454)������������������������������������������������������������������������  95 Industriewertkettenanalyse������������������������������������������������������������������������  97 Profit Pools in der Automobilbranche. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2014, S. 133)��������������������������������������������������������������������������������  99 Marketing-Response-Modell. (Quelle: In Anlehnung an Foscht et al., 2017, S. 314; Choffray & Lilien, 1978, S. 23) �������������������� 102 Überblick Einflussfaktoren des organisationalen Beschaffungsverhaltens ���������������������������������������������������������������������������� 103 Rollen im Buying Center �������������������������������������������������������������������������� 105 Beziehungen und Funktionen von Macht-, Prozess- und Fachpromotoren. (Quelle: Lippold, 2021, S. 27)�������������������������������������� 108 Beispielhafte grafische Veranschaulichung eines Buying Networks �������� 108 Phasen des organisationalen Kaufprozesses. (Quelle: In Anlehnung an Lippold, 2021, S. 30) �������������������������������������������������������������������������������� 115 Kaufentscheidungsprozess in Abhängigkeit der Neuartigkeit der Kaufsituation. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 181) ���������� 121 Lieferantenzahl in Abhängigkeit von Komplexität und wirtschaftlicher Bedeutung. (Quelle: Homburg & Kuester, 2001, S. 21, zitiert nach Homburg, 2020, S. 181)���������������������������������������������������������������������������� 124 Risikokontinuum des organisationalen Beschaffungsverhaltens. (Quelle: Johnston & Lewin, 1996)������������������������������������������������������������ 125 Systematisierung von B2B-Segmentierungskriterien�������������������������������� 130 Beispielhafte Bezeichnung und Beschreibung von Kundensegmenten�������� 131 Entstehung und Folgen von Kundenzufriedenheit������������������������������������ 134

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XXIII

Abb. 6.20 Ermittlung des Net Promoter Scores. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 95) ���������������������������������������������������������������� 136 Abb. 6.21 Branchenstrukturanalyse: Determinanten der Wettbewerbskräfte. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 37) ���������������������� 138 Abb. 6.22 Beispiel: Branchenstrukturanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 38) ���������������������������������������������������������������� 140 Abb. 6.23 Beispielhafte Analyse der strategischen Gruppenstruktur von zehn Maschinenbauunternehmen. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 528)�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 142 Abb. 6.24 Beispiel: Strategieprofilanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 41)���������������������������������������������������������������������������������� 147 Abb. 6.25 Beispiel: Leistungsprofilanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 43)���������������������������������������������������������������������������������� 149 Abb. 6.26 Reaktionsprofilanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 44)���������������������������������������������������������������������������������� 149 Abb. 6.27 Beispielhafte Wettbewerbslandkarte���������������������������������������������������������� 151 Abb. 6.28 Wertkette nach Porter. (Quelle: In Anlehnung an Porter, 2014, S. 64)������ 153 Abb. 6.29 VIRO-Bewertung und Schlussfolgerungen. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2020, S. 179)�������������������������������������������������������������������� 155 Abb. 6.30 VIRO-Bewertung der Ressourcen am Beispiel der ARM. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2020, S. 179)���������������������������������������� 157 Abb. 6.31 Methoden der strategischen Produktanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 144–145)�������������������������������������������������� 159 Abb. 6.32 Beispielhafte Industriekostenkurve������������������������������������������������������������ 164 Abb. 6.33 Beispiel: Leistungsprofilanalyse (Diagramm). (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 43)������������������������������������������������������������ 168 Abb. 6.34 Wert- und Nutzenkurve������������������������������������������������������������������������������ 169 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 7.4 Abb. 7.5 Abb. 8.1 Abb. 8.2

Grundlegende Strategien aus der SWOT-Analyse. (Quelle: In Anlehnung an Großklaus, 2014, S. 64)�������������������������������������������������� 183 SWOT-Matrix eines europäischen Satellitenbauunternehmens. (Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 209)�������������������� 184 Zielpyramide für das strategische B2B-Marketing und den Vertrieb. (Quelle: In Anlehnung an Buchholz, 2019, S. 246)���������������������������������� 185 Siemens Energy Geschäftsfelder. (Quelle: Siemens, 2020a)�������������������� 192 Geschäftsfeldabgrenzung am Beispiel Industrielacke. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 2019, S. 59)�������������������������������������������������������� 193 Grundlegende Optionen der Marktfeldstrategie (Produkt-Markt-Matrix). (Quelle: In Anlehnung an Meffert et al., 2019, S. 309) ���������������������������� 200 Lückenanalyse im Rahmen der Marktfeldstrategie. (Quelle: In Anlehnung an Meffert et al., 2019, S. 310) ������������������������������������������ 201

XXIV

Abb. 8.3 Abb. 8.4 Abb. 8.5 Abb. 8.6 Abb. 9.1 Abb. 9.2 Abb. 9.3 Abb. 9.4 Abb. 9.5 Abb. 9.6 Abb. 9.7

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Wettbewerbsstrategien nach Porter. (Quelle: In Anlehnung an Buchholz, 2019, S. 238)���������������������������������������������������������������������������� 205 Blue- und Red-Ocean-Strategie ���������������������������������������������������������������� 207 Value Curve TÜV Rheinland vs. SGS. (Quelle: Weppler, 2019, S. 156)�������� 207 Kompetenzen: Wurzeln der Wettbewerbsfähigkeit. (Quelle: In Anlehnung an Buchholz, 2019, S. 68) �������������������������������������������������� 211 Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept (In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 486)���������������������������������������������������������������������������� 216 Vorteile der Skimming- und Penetrationsstrategien���������������������������������� 218 Erfahrungskurven mit linearer und logarithmischer Skalierung. (Quelle: In Anlehnung an Lippold, 2017, S. 106)�������������������������������������� 219 BCG-Matrix. (Quelle: In Anlehnung Reeves et al., 2014)������������������������ 222 Inklusionen der BCG-Matrix. (Quelle: In Anlehnung an Reeves et al., 2014)���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 224 McKinsey-Matrix. (Quelle: In Anlehnung an Lippold, 2017, S. 111)������ 225 Markenrelevanz und Markenfunktionen im B2B-Kontext. (Quelle: In Anlehnung an Kotler & Pförtsch, 2006, S. 45)�������������������������������������� 226

Abb. 10.1 Geschäftstypen im Industriegütermarketing. (Quelle: In Anlehnung an Kreutzer et al., 2020, S. 22) ���������������������������������������������������������������������� 236 Abb. 10.2 Herausforderungen der B2B-Produktpolitik im Verlauf des erweiterten Produktlebenszyklus���������������������������������������������������������������������������������� 238 Abb. 10.3 Dimensionen von Produkt- und Leistungseigenschaften�������������������������� 240 Abb. 10.4 Klassischer Innovationsprozess. (Quelle: Meffert et al., 2019, S. 414)������������ 242 Abb. 10.5 Portfoliomodell zur Ideenselektion������������������������������������������������������������ 245 Abb. 10.6 Die Diffusion von Innovationen. (Quelle: In Anlehnung an Foscht et al., 2017, S. 149)������������������������������������������������������������������������ 251 Abb. 10.7 Das Zusammenspiel von technischer und Marktperspektive. (Quelle: Haas, 1995, S. 380)���������������������������������������������������������������������� 257 Abb. 10.8 B2B-Crowdsourcing-Prozess. (Quelle: In Anlehnung an Edgeman et al., 2015, S. 168)�������������������������������������������������������������������� 261 Abb. 10.9 House of Quality des Quality Function Deployments. (Quelle: In Anlehnung an Haller & Wissing, 2020, S. 148)������������������������������������ 263 Abb. 10.10 Design-Thinking-Prozess. (Quelle: Hasso Plattner Institut, 2019, S. 6)������������������������������������������������������������������������������������ 268 Abb. 10.11 Der Scrum-Prozess. (Quelle: In Anlehnung an Kusay-Merkle, 2021, S. 46)���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 269 Abb. 10.12 EBIT-Margen im Produkt- und Servicegeschäft. (Quelle: Kopp & van Husen, 2012, S. 45)������������������������������������������������������������������������������������ 275 Abb. 10.13 Herausforderungen der Dienstleistungserbringung ���������������������������������� 278 Abb. 10.14 Service-Blueprinting. (Quelle: In Anlehnung an Haller & Wissing, 2020, S. 184) ������������������������������������������������������������������������������ 279

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Abb. 10.15 Zielrichtung produktbegleitender Dienstleistungen und von Servitization im Vergleich�������������������������������������������������������������������������� 283 Abb. 10.16 Entwicklungsstufen von Servitization im B2B-Geschäft�������������������������� 284 Abb. 10.17 Business Model Navigator. (Quelle: Bozem & Nagl, 2021, S. 30) ���������� 286 Abb. 10.18 Value Proposition Canvas. (Quelle: Strategyzer, o. J.; mit freundlicher Genehmigung der Strategyzer AG)������������������������������������������������������������ 287 Abb. 10.19 Service-Ökosysteme durch Servitization�������������������������������������������������� 288 Abb. 11.1 Abb. 11.2 Abb. 11.3 Abb. 11.4 Abb. 11.5 Abb. 11.6

Besonderheiten der B2B-Preis- und Konditionenpolitik �������������������������� 308 Kilokostenmethode������������������������������������������������������������������������������������ 311 Kilokostenmethode mit mehreren Kostentreibern ������������������������������������ 314 Strukturplan beim Grobprojektierungsansatz�������������������������������������������� 315 EU-Schwellenwerte für die Vergabe durch öffentliche Auftraggeber������� 325 Ausschreibungsverfahren im öffentlichen Bereich. (Quelle: In Anlehnung an BMWI, 2022) ���������������������������������������������������������������� 326 Abb. 11.7 Gedanklicher Ansatz des Competitive Biddings���������������������������������������� 328 Abb. 11.8 Übersicht innovativer Preismodelle ���������������������������������������������������������� 340 Abb. 11.9 Servicezentrierte Preismodelle entlang der Servitization-Entwicklungsstufen�������������������������������������������������������������� 341 Abb. 12.1 Bedeutung von B2B-Kommunikationskanälen������������������������������������������ 341 Abb. 12.2 B2B-Besonderheiten im Prozess der Kommunikationspolitik. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 2019, S. 209)���������������������������������������� 367 Abb. 12.3 Customer Journey. (Quelle: In Anlehnung an Kreutzer, 2021, S. 10)������������������������������������������������������������������������������������������������ 368 Abb. 12.4 Customer Journey und das Kaufphasenmodell������������������������������������������ 368 Abb. 12.5 B2B-Besonderheiten der Kommunikationspolitik in der Customer Journey������������������������������������������������������������������������������������������������������ 369 Abb. 12.6 Gestaltungsoptionen bei der Kommunikation von Dienstleistungen. (Quelle: Meffert & Bruhn, 2006, S. 497)�������������������������������������������������� 375 Abb. 12.7 Zielgruppenbestimmung im Hochbau�������������������������������������������������������� 399 Abb. 12.8 Differenzierte Kommunikation an Buying-Center-Mitglieder. (Quellen: Krone, 2008, 2021a; mit freundlicher Genehmigung der Fahrzeugwerk Bernhard Krone GmbH & Co. KG) ���������������������������� 401 Abb. 12.9 Buying Center Journey Map���������������������������������������������������������������������� 402 Abb. 12.10 Exemplarische B2B-Buyer-Persona���������������������������������������������������������� 403 Abb. 12.11 Emotionale Übertragungsprozesse in Gruppen. (Quelle: In Anlehnung an Haehnel, 2011, S. 53) ���������������������������������������������������� 407 Abb. 13.1 Abb. 13.2 Abb. 13.3 Abb. 13.4

Nutzung und Angebot von B2B-Vertriebskanälen������������������������������������ 421 Beispielhafte Aufbauorganisation Vertrieb������������������������������������������������ 423 Selling Cycle und Customer Journey�������������������������������������������������������� 425 Der Sales Funnel zwischen Marketing und Vertrieb���������������������������������� 428

XXVI

Abbildungsverzeichnis

Abb. 13.5 Selling Center�������������������������������������������������������������������������������������������� 431 Abb. 13.6 Abwägung zwischen Außendienstmitarbeitern und Handelsvertretern. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 2019, S. 275)���������������������������������������� 434 Abb. 13.7 E-Commerce-Alternativen. (Quelle: In Anlehnung an Heinemann, 2020, S. 30)���������������������������������������������������������������������������� 441 Abb. 13.8 Informationen und Funktionalitäten von B2B-Webshops������������������������� 442 Abb. 13.9 Allgemeine Struktur von EDI-Anbindungen. (Quelle: Hofbauer & Purle, 2022, S. 150)������������������������������������������������������������������������������������ 445 Abb. 13.10 Faktoren der Vertriebskanalauswahl���������������������������������������������������������� 456 Abb. 13.11 Das flache Maximum bei der optimalen Außendienstgröße. (Quelle: Albers & Krafft, 2013, S. 154)���������������������������������������������������� 458 Abb. 13.12 Integrationsgrade im Mehrkanalvertrieb. (Quelle: Adaptiert von unveröffentlichter Vorlage und mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Anne Schweizer)������������������������������������������������������������������ 461 Abb. 13.13 Coverage-Matrix���������������������������������������������������������������������������������������� 462 Abb. 13.14 Vertriebskanalintegration �������������������������������������������������������������������������� 465 Abb. 14.1 Das EFQM-Modell für Business Excellence. (Quelle: Helmold, 2021, S. 59)���������������������������������������������������������������������������������������������������������� 487 Abb. 14.2 Commercial Excellence als kontinuierliches Verbesserungsprogramm mit dem Fokus auf kommerziellen Prozessen������������������������������������������� 487 Abb. 14.3 Grundlogik von Commercial Excellence am Beispiel des EFQM-Modells für Business Excellence. (Quelle: In Anlehnung Helmold, 2021, S. 59)�������������������������������������������������������������������������������� 490

Tabellenverzeichnis

Tab. 6.1 Tab. 6.2 Tab. 6.3 Tab. 6.4 Tab. 6.5 Tab. 6.6

Abgrenzung des relevanten Marktes. (Quelle: Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 48) ��������������������������������������������������������������������������������������  87 Methoden zur Prognose der Marktentwicklung. (Quelle: in Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 28) ������������������������������������������������������������  93 Nutzungsbeispiele von Internetquellen und -technologien im Rahmen des organisationalen Kaufprozesses. (Quelle: Homburg, 2020, S. 164) ������ 118 Aufbau und Elemente eines Strategieprofils. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 39–40) ������������������������������������������������������ 145 Aufbau und Elemente eines Leistungsprofils. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 42) ������������������������������������������������������������ 148 Typen von Benchmarking. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2020, S. 150; Camp, 2006)������������������������������������������������������������ 160

Tab. 8.1

Zentrale Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts. (Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 315)�������������������������������������������� 203

Tab. 9.1

Merkmale der Phasen des Lebenszyklus. (Quellen: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 487 f.)��������������������������������������������������������������������� 217 Entwicklungsszenario zur Deckungsspanne im Erfahrungskurvenkonzept �������������������������������������������������������������������������� 221

Tab. 9.2

Tab. 10.1 Produktarten im B2B-Geschäft. (Quelle: In Anlehnung an Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 84)�������������������������������������������������������� 234 Tab. 10.2 Quellen für Neuproduktideen �������������������������������������������������������������������� 243 Tab. 10.3 Chancen und Risiken von Pionieranbietern. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 650)������������������������������������������������������������������������ 248 Tab. 10.4 Produktbegleitende Dienstleistungen entlang des Kaufprozesses�������������� 274 Tab. 10.5 Produktvoll- versus -teilkostenrechnung���������������������������������������������������� 291 Tab. 11.1 Servicezentrierte Preismodelle. (Quelle: In Anlehung an Stoppel, 2016, S. 58)������������������������������������������������������������������������������������������������ 342

XXVII

XXVIII

Tabellenverzeichnis

Tab. 12.1 B2B-Influencer-Angebote und Preise�������������������������������������������������������� 392 Tab. 12.2 Kommunikation an Buying-Center-Mitglieder������������������������������������������ 400 Tab. 13.1 Unterschiede direkter persönlicher Vertriebskanäle ���������������������������������� 432 Tab. 14.1 Kategorisierung von Marketing- und Vertriebskennzahlen. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 1331)���������������������������������� 483 Tab. 14.2 Einordnung ausgewählter Marketing- und Vertriebsanalysen zur fundierten Herleitung von Marketing- und Vertriebskennzahlen und Entscheidungen������������������������������������������������������������������������������������ 485

Teil I Grundlagen: Einordnung und Bezugsrahmen von B2B-Marketing und Vertrieb

1

Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb

Lernziele

• Sie sind in der Lage, die besondere Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb zu beschreiben. • Sie können B2B-Marketing und Vertrieb definieren und abgrenzen. • Sie kennen die Relevanz einer systematischen Marktbearbeitung. • Sie können die relevanten Entwicklungsstufen des Marketings erläutern. • Sie verfügen über ein Verständnis über die wichtigsten Besonderheiten von B2B-Marketing und Vertrieb.

1.1 Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb Die hohe Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb wird anhand der Umsätze z. B. im produzierenden Gewerbe in Deutschland deutlich (vgl. Abb. 1.1): Der dem B2B-Bereich zugerechnete Teil des produzierenden Gewerbes hat im Jahr 2020 mehr als viermal so viel  Umsatz gemacht wie der Bereich Ge- und Verbrauchsgüter (Fokus: Business-to-­ Consumer(B2C)-Marketing). Und auch die Beschäftigtenzahlen der Unternehmen des Vorleistungs- und Industriegütersegments liegen mit ca. 5,1 Mio. Beschäftigten um rund den Faktor vier über denen des Sektors Ge- und Verbrauchsgüter (vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022, S. 8). Gleichwohl gibt es aktuell keine überlappungsfreie Erhebung der Umsätze oder Beschäf-

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_1]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_1

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1  Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb

Umsätze des produzierenden Gewerbes in Deutschland in Mrd. Euro in 2020

 Fokus: B2C-Marketing

Ge- und Verbrauchsgüter

> Faktor 4

 Fokus: B2B-Marketing bzw. Industriegütermarketing

Vorleistungs- und Investitionsgüter

0 Vorleistungsgüter

200

Industriegüter

400

600

800

Gebrauchsgüter

1000 1200 1400 1600 Verbrauchsgüter

Abb. 1.1  Umsätze des produzierenden Gewerbes in Deutschland in Mrd. Euro in 2020. (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022, S. 8)

tigtenzahlen über alle B2B- bzw. B2C-Marktsegmente hinweg. Ein Vergleich auf Basis eines Branchenbereiches (hier: produzierendes Gewerbe) verdeutlicht jedoch die Wichtigkeit von B2B-Marketing und Vertrieb. Auch wenn das B2C-Marketing in den Medien und auch in vielen Lehr- und Fachbüchern häufiger präsent ist, so sind die Berufs- und Karrierechancen in den Bereichen Marketing und Vertrieb im B2B-Sektor um ein Vielfaches größer. Ende 2020 waren laut Bundesagentur für Arbeit knapp 450.000 Beschäftigte in Deutschland in den Bereichen „Werbung und Marketing“ beschäftigt. Dazu kommen noch die rund 550.000 Mitarbeiter im B2B-Vertrieb und 94.000 Führungskräfte in Vertrieb und Einkauf (vgl. Bundesagentur für Arbeit, 2021). Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil dieser Beschäftigten im B2B-Umfeld tätig ist. Somit ergibt sich eine hervorragende berufliche Perspektive im Bereich B2B-Marketing und Vertrieb. Abb. 1.2 gibt einen Überblick über typische Berufsbilder im Bereich B2B-Marketing und Vertrieb (vgl. Besenbeck & Purle, 2019). Sie können im Detail sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, wie z. B. die in Abb. 1.2 als „Marketing Manager“ bezeichnete Rolle, die u. a. die Schwerpunkte „Messe“, „PR“, „Kataloge“, „Webseite“, „Social Media“, ­„Content Marketing“, „E-Mail-/Newsletter-Marketing“, „Search Engine Marketing“, „Data Analyst“ oder „KI-Spezialist“ haben kann. Zudem lassen sich hier je nach Berufserfahrung Junior-, Senior- und Leitungspositionen unterscheiden. Die vielfältigen und attraktiven Rollen sowie Entwicklungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb verdeutlichen die hervorragenden beruflichen Perspektiven in diesem Bereich.

1.1 Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb

5

Strategisch

Referent / Assistent Geschäftsführung (Vertrieb)

Market / Business Analyst

Business Development Manager Marketing Manager

Produktmanager

Customer Relationship Manager / Lead Management

Vertriebsleiter Channel Manager (Key) Account Manager

E-Commerce Manager

Unterstützende Vertriebsprozesse

Analyst Vertrieb / Vertriebscontrolling

Trainee Vertrieb

Service Manager

Verkauf (Kernprozess) Regionalleiter (Handel) / Area Sales Manager Vertriebsmitarbeiter AD

Projektmanager Vertrieb Vertriebsassistenz Vertriebs- / Exportinnendienst (administrativ)

Applikationsingenieur / technischer Vertrieb

Vertriebsinnendienst (akquisitorisch)

Operativ Wird z.T. auch ohne Berufserfahrung als Einstiegsposition besetzt

Typischerweise mind. 2 Jahre Berufserfahrung

Typischerweise mind. 5 Jahre Berufserfahrung

Abb. 1.2  Einordnung der Berufsbilder in B2B-Marketing und Vertrieb nach Aufgabenschwerpunkten und Berufserfahrung. (Quelle: Besenbeck & Purle, 2019, S. 6)

Die Relevanz eines systematischen Vorgehens zur Gestaltung des B2B-Marketings und Vertriebs wurde immer wieder durch empirische Studien belegt. In der jüngeren Vergangenheit lag hier der Fokus insbesondere auch auf dem Effekt einer systematischen Digitalisierung von Marketing und Vertrieb: • Eine Metastudie zur zielgerichteten Digitalisierung des Marketings mittels Auf- und Ausbau der digitalen Marketingfähigkeiten und des gezielten Einsatzes von digitalen Analysewerkzeugen und Technologien zeigte bspw. die möglichen positiven Effekte auf die Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf, u. a. hinsichtlich der Markenbekanntheit, der Interaktivität, des Return on Investments (ROI), einer verbesserten Kunden-Lieferanten-Beziehung und gemeinsamer Wertschaffung mit den Kunden (Value Co-Creation) (vgl. Pandey et al., 2020, S. 1198). • Eine andere empirische Studie belegt, dass eine gezielte Digitalisierung des Marketings ein stärkeres Umsatzwachstum und gleichzeitig Kosteneinsparungen ermöglicht sowie zu einer höheren Wahrscheinlichkeit führt, zusätzliche Marktanteile zu erobern (vgl. Rogers et al., 2021). Solche Studien verdeutlichen, dass es sich für B2B-Unternehmen auszahlt, sich systematisch mit der Gestaltung und Weiterentwicklung des eigenen Marketings und Vertriebs auseinanderzusetzen. Dieses Buch zeigt hierfür die relevanten wissenschaftlich fundierten und praxiserprobten Konzepte, Modelle und Werkzeuge auf.

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1  Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb

1.2 Definition und Abgrenzung von B2B-Marketing und Vertrieb Zunächst einmal werden die grundlegenden Begrifflichkeiten definiert und gegenüber ähnlichen Begriffen abgegrenzt. Unter „Marketing“, abgeleitet vom englischen Begriff „Market“, wird im Allgemeinen die Funktion oder die Tätigkeit bzw. der Prozess der Schaffung, Kommunikation, Bereitstellung und des Austauschs von Angeboten verstanden, die für Kunden, Klienten, Partner und die Gesellschaft insgesamt von Wert sind (vgl. American Marketing Association, 2022). Aus ganzheitlicher Sicht wird Marketing auch als Konzept der marktorientierten Unternehmensführung bezeichnet, wobei in diesem Verständnis die Marktorientierung für alle „Märkte“ und Stakeholder eines Unternehmens gilt, d.h. neben den Absatzmärkten auch die Beschaffungsmärkte u.a. für Material, Kapital oder Mitarbeiter (vgl. Kreutzer, 2022, S. 15–16). Beide vorgenannten Definitionsansätze gelten uneingeschränkt auch für das B2B-Marketing, wobei B2B-Marketing sich im Gegensatz zum Konsumgütermarketing ausschließlich auf die Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen an Unternehmen bzw. andere Organisationen fokussiert. Die Rahmenbedingungen, Inhalte, Schwerpunkte und auch die Definitionen von Marketing haben sich im Verlauf der Zeit stark gewandelt. Die Abb. 1.3 visualisiert die wesentlichen Entwicklungsstufen des Marketings. Der wesentliche Schwerpunkt der vergangenen Jahre lag sowohl in der Marketingforschung als auch in der Marketingpraxis im Bereich Digitales Marketing. Die COVID-­19-­ Pandemie hat diese Fokussierung noch weiter verstärkt.

Inhaltlicher Fokus des Marketings

Distributionsorientierung

Verbraucherorientierung

Handelsorientierung

Anspruchsspektrum des Marketings

Produktmarketing

Massenmarktmarketing

Marketing als Führungsfunktion

Ausprägung des Marketings

Wettbewerbsorientierung

Kundenbeziehungsorientierung/ CRM

Globale Marketingorientierung

Digitale Wertschöpfungsorientierung

Strategisches Marketing

Individuelles, interaktives Beziehungsmarketing

Globales, vernetztes MultiChannelMarketing

Digitales Marketing

Transactional Marketing

Relationship Marketing Überflussgesellschaft

Charakteristische Merkmale der Märkte

Trend in Richtung „Nachhaltigkeit“

Konsumgesellschaft Mangelgesellschaft

Digitalisierung

Dominanz der Verkäufermärkte Jahrzehnt

1950er

1960er

Dominanz der Käufermärkte 1970er

1980er

1990er

2000er

2010er

Abb. 1.3  Entwicklungsstufen des Marketings. (Quelle: Hiemeyer & Stumpp, 2020, S.  16 und Kreutzer, 2022, S. 11)

1.2 Definition und Abgrenzung von B2B-Marketing und Vertrieb

7

B2B-Marketing kann folgendermaßen definiert werden: cc Definition  B2B-Marketing ist das Marketing von Gütern und Dienstleistungen aller Art, die nicht an private Endverbraucher verkauft werden, sondern an Organisationen, und die beim Kunden direkt oder indirekt für die weitere Leistungserstellung oder zwecks Weiterverkauf verwendet werden. Unter (B2B-)Marketingmanagement wird der Gesamtprozess von der Zielentwicklung über die Ableitung der Strategie, die Maßnahmenplanung und -umsetzung bis hin zur Zielerreichungskontrolle (Marketingcontrolling) im Marketingkontext verstanden (vgl. Redler & Ullrich, 2021, S. 11). Unter dem Begriff Vertrieb wird einerseits die Unternehmensfunktion verstanden. Andererseits wurde hierunter in der Vergangenheit häufig die operative Aufgabe des Verkaufens bzw. die operativen Vertriebsaktivitäten verstanden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 1). Lange Zeit dominierte in der Marketingforschung die Sichtweise, dass Vertrieb ein integraler Bestandteil des Marketings sei (u. a. in der Distributionspolitik als Bestandteil des Marketing-Mix). In der Praxis dagegen gewann der Vertrieb, insbesondere in B2B-Märkten, in den vergangenen Jahrzehnten als Funktion und Prozess an Bedeutung. Daher verwundert es nicht, dass seit einigen Jahren auch die Anzahl und Vielfalt der wissenschaftlichen Untersuchungen zum Vertrieb wachsen. Diese tragen wiederum zur wissenschaftlichen Fundierung und Professionalisierung des Vertriebs bei. Auch die in den letzten Jahren an deutschen Hochschulen entstandenen Professuren für Vertrieb zeigen, dass der Vertrieb bzw. das Vertriebsmanagement inzwischen als eigenständiges Forschungs- und Lehrgebiet anerkannt sind (vgl. Jensen, 2014; Arbeitsgemeinschaft für Marketing (AfM), 2022). In einem umfassenden Begriffsverständnis werden unter Vertrieb sowohl die strategischen, organisatorischen, prozessualen, analytischen als auch die operativen Aufgaben verstanden. Diese Aufgaben reichen von der Festlegung der Vertriebsziele über die strategische Ausrichtung, die Festlegung der Vertriebsschwerpunkte, die (Vorbereitung der) Kundenakquise, die Angebotsvorbereitung und -erstellung, die Verhandlung, den Vertragsabschluss, das Auftragsmanagement, die After-Sales-Betreuung bis hin zur Erfolgsmessung (Vertriebscontrolling). Führung und Management spielen im Vertrieb wie in anderen Funktionsbereichen eine erfolgsentscheidende Rolle für einen hohen Zielerreichungsgrad. Auf Basis eines solchen umfassenden Begriffsverständnisses deckt ein integriertes Vertriebsmanagement dann alle vorgenannten Aufgabengebiete in einem integrierten Managementsystem ab. Hofbauer und Purle bezeichnen diese als Selling Cycle (vgl. Hofbauer & Purle, 2022, S. 77 und Abb. 1.4). Das übergreifende Ziel des Vertriebsmanagements sollte also die Schaffung von Mehrwert für die Kunden, das eigene Unternehmen und die Mitarbeiter sowie die Stakeholder in einem Wertschöpfungsnetzwerk sein. Spiegelbildlich zum Selling Cycle als Sicht des anbietenden Unternehmens verdeutlichen Hofbauer und Purle mit dem sogenannten Buying Cycle die Sicht des beschaffenden Unternehmens (vgl. Hofbauer & Purle, 2022, S. 78). Diese parallele Anbieter- und Beschafferperspektive deckt sich in gewisser Weise mit dem Konzept der Customer bzw. Buying Journey, die in jüngerer Vergangenheit an Relevanz gewonnen hat (vgl. Abschn. 2.1).

8

1  Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb

Abb. 1.4  Integriertes Vertriebsmanagement mittels Selling Cycle. (Quelle: Hofbauer & Purle, 2022, S. 77)

Vergleicht man nun die Definitionen von B2B-Marketing und Vertrieb wird deutlich, dass diese nicht überschneidungsfrei sind. Dies verwundert auch nicht, da beide Aufgabenbereiche eng miteinander verknüpft sind. Schon lange vor der Einführung digitaler Prozesse und Vertriebskanäle gab es in Forschung und Praxis die Erkenntnis, dass ein Zusammenwachsen der in der Unternehmenspraxis häufig getrennten Marketing- und Vertriebsfunktion notwendig und sinnvoll ist (vgl. Homburg et al., 2005; Kotler et al., 2006; Andersen et al., 2018; Hiemeyer & Stumpp, 2020; Biemans et al., 2022). B2B-Marketing und Vertrieb umfasst somit den Gesamtprozess von strategischer Analyse und Positionierung bis hin zur operativen Betreuung von Geschäftskunden. Als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zur Vermarktung von Konsumgütern (auch als B2C-Marketing bezeichnet) ist die sogenannte derivative bzw. abgeleitete Nachfrage zu

1.2 Definition und Abgrenzung von B2B-Marketing und Vertrieb

9

Abb. 1.5 (B2B-)Wertsystem

nennen: Der Bedarf an Industrie- bzw. Investitionsgütern oder Konsumgütern in vorgelagerten Handelsstufen wird durch den Primärbedarf der Konsumenten (auch originäre Nachfrage genannt) mittelbar oder unmittelbar beeinflusst und kann somit daraus „abgeleitet“ werden. Dies verdeutlicht das sogenannte „(B2B-)Wertsystem“ in Abb.  1.5. Auf jeder Wertschöpfungsstufe des Wertsystems ist also die Logik der Wertkette nach Porter (1985) anwendbar. Aus Gründen der Vereinfachung ist der Handel nicht abgebildet. Der Handel kann zwischen jedem der abgebildeten Marktbeteiligten zwischengeschaltet sein. Der Zusammenhang, der hier beispielhaft für produzierende Unternehmen und Produkte dargestellt ist, gilt in gleicher Weise auch für Dienstleistungen. Im industriellen Kontext wird das (B2B-)Wertsystem auch als Industriewertkette bezeichnet. Zur Analyse einer Industriewertkette vgl. Abschn. 6.2.5. Neben der abgeleiteten Nachfrage werden als typische Besonderheiten des B2B-­ Marketings und Vertriebs häufig folgende Aspekte genannt (vgl. Eckardt, 2010, S. 1–8; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 23–38; Backhaus & Voeth, 2015, S. 20–23): • Die Kaufentscheidung wird i. d. R. nicht von einer einzelnen Person getroffen, sondern ist eine Mehrpersonenentscheidung durch die Mitwirkenden eines sogenannten Buying Centers. • Der Beschaffungsprozess ist i. d. R. stärker formalisiert als ein Kaufprozess eines Konsumenten. • Im B2B-Bereich lassen sich Märkte i. d. R. eindeutiger identifizieren und zielgerichteter bearbeiten, als das bei Konsumgütern der Fall ist, die auf anonymen Massenmärkten vermarktet werden. • Der Vermarktungsprozess folgt i. d. R. eher dem Interaktionsparadigma, d. h., dass sich Leistungsersteller und Leistungsnachfrager in einem Interaktionsprozess (u.  a. über Anfrage, Angebot, Vor-Verhandlung, Verhandlung, Vertragsabschluss bis hin zu After-Sales-Services in der Nutzungsphase) gegenseitig beeinflussen. • Die konkrete Ausgestaltung der Verantwortlichkeiten zwischen den Organisationseinheiten Marketing, Vertrieb und Produktmanagement in vielen B2B-Branchen ist i. d. R. historisch gewachsen und entspricht nicht den Zuordnungen aus dem Lehrbuch. Der Vertrieb und das Produktmanagement hatten in der Vergangenheit bspw. sehr häufig die Verantwortung für preis-, distributions- und produktpolitische Entscheidungen, die klassischerweise dem Marketing zugerechnet werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Wichtigkeit digitaler Kanäle erhöhen sich die Relevanz einer integrier-

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• •

1  Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb

ten Betrachtung des gesamten Marketing- und Vertriebsprozesses sowie die Notwendigkeit einer organisatorischen Integration von Marketing, Vertrieb und Produktmanagement. In bestimmten B2B-Branchen liegt eine sogenannte verbundene Nachfrage vor, d. h., dass die Nachfrage nach bestimmten Produkten oder Dienstleistungen abhängig von der Nachfrage anderer verbundener Produkte oder Dienstleistungen ist (bspw. werden Komponenten bzw. Produktionsmittel für ein zu fertigendes System i. d. R. zusammen beschafft). In B2B-Märkten ist die Nachfrage tendenziell preisunelastischer als in B2C-­ Märkten; Preise und Konditionen unterliegen zudem einer hohen Verhandlungsintensität. In bestimmten B2B-Marktsegmenten handelt es sich um komplexe Güter oder Dienstleistungen, bei denen die Beratung vor dem Kauf und die Kundenbetreuung in der Nutzungsphase eine wichtige Bedeutung haben. Daher haben produktbegleitende Dienstleistungen im B2B-Umfeld grundsätzlich eine höhere Wichtigkeit als in anderen Marktsegmenten. Im B2B-Bereich kommt es häufiger zu kundenindividuellen Anpassungen bzw. Anfertigungen.

Neben diesen Besonderheiten darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass es auch im B2B-Marketing und Vertrieb genauso wie in anderen Marketingbereichen im Kern darum geht, Produkte und Dienstleistungen erfolgreich zu vermarkten, indem für den Kunden relevante Alleinstellungsmerkmale geschaffen und zielkundenspezifisch kommuniziert werden. Die Abb.  1.6 visualisiert die Abgrenzung zwischen Konsumgütermärkten (B2C-­ Märkten), Business-to-Business-Märkten (B2B-Märkten) und Industriegütermärkten. In der Literatur werden die Begrifflichkeiten Industriegütermarketing und B2B-­ Marketing immer wieder auch synonym verwendet. Die Abb. 1.6 verdeutlicht jedoch, dass B2B-Marketing per Definition auch den Handel von Konsumgütern zwischen Unternehmen (Hersteller und Handel) beinhaltet. Doch auch hier suggeriert der Begriff „Hersteller“, dass sich diese Darstellung ausschließlich auf (physische) Produkte bezieht. Diese Begriffsabgrenzung gilt indessen ebenso für die Vermarktung von Dienstleistungen, deren Bedeutung in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist (vgl. Bruhn et al., 2019, S. 2–23). Wie in Abb. 1.6 zu erkennen, ist eine besondere Ausprägungsform des B2B-Marketings und Vertriebs die Vermarktung von Konsumgütern zwischen Hersteller und Händlern bzw. zwischen Händlern verschiedener Handelsstufen. Diese Sonderform wird dann z. B. als B2B2C-Marketing bezeichnet. Auch wenn es sich bei den Produkten letztlich um Konsumgüter handelt, die im letzten Schritt mittels Konsumgütermarketing an Konsumenten vermarktet werden, so entsprechen die vorgelagerten Geschäfte klassischen B2B-Märkten und somit auch den in diesem Lehrbuch dargestellten Besonderheiten des B2B-­Marketings und Vertriebs.

1.2 Definition und Abgrenzung von B2B-Marketing und Vertrieb

Hersteller (Institution)

Hersteller

Hersteller

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Produktionsverbindungshandel

Hersteller (Institution) Hersteller

Großhandel

Hersteller

Hersteller

Industriegütermärkte

B2B-Märkte

Einzelhandel

Konsument

Einzelhandel

Konsument

Konsument

Konsumgütermärkte

Abb. 1.6  Abgrenzung zwischen B2C-Märkten, B2B-Märkten und Industriegütermärkten. (Quelle: in Anlehnung an Backhaus & Voeth, 2015, S. 20)

Neben den in Abb. 1.6 abgegrenzten Industriegütermärkten mit dem dazugehörenden Industriegütermarketing findet sich in der Literatur auch der Begriff der Investitionsgüter bzw. des Investitionsgütermarketings. Investitionsgüter stellen streng genommen eine Teilmenge der Industriegüter, z. B. in Form von Maschinen und Anlagen, dar, die von Herstellern für die Produktion oder die Weiterverarbeitung beschafft werden. In der Literatur wird jedoch auch der Begriff Investitionsgütermarketing regelmäßig synonym zu Industriegütermarketing und B2B-Marketing verwendet (vgl. Backhaus & Voeth, 2015, S. 19). Als Spezialform des B2B-Marketings ist das Business-to-Administration-Marketing (B2A-Marketing) zu nennen: Die Besonderheit ist hier, dass die Kunden öffentliche In­ stitutionen sind (also bspw. eine Stadt, ein Landkreis oder öffentliche Behörden). Diese öffentlichen Institutionen unterliegen besonderen Vorschriften und Richtlinien zur Beschaffung, die Anbieter in diesen Marktsegmenten berücksichtigen müssen. Das im Folgenden beschriebene Konzept des B2B-Marketings und Vertriebs basiert auf dem aktuellen Erkenntnisstand in Wissenschaft und Praxis. Eine aktuelle Forschungsrichtung kritisiert allerdings einen zu starken Fokus auf organisationale, Digitalisierungs-, Automatisierungs- und Effizienz-Aspekte des B2B-Marketings und Vertriebs und postuliert als Gegenbewegung eine stärkere Berücksichtigung des Menschen im Kaufprozess auch im B2B-Umfeld. Dieser Ansatz wird auch als Human-to-Human-Marketing (H2H-Marketing) bezeichnet (vgl. Pförtsch & Sponholz, 2019; Kotler et al., 2021). In den folgenden beiden Kapiteln (Kap. 2 und 3) werden die Besonderheiten eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsansatzes und die relevanten Rahmenbedingungen und Implikationen der Vermarktung von B2B-Produkten und Dienstleistungen vorgestellt.

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1  Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb Verständnis- und Anwendungsfragen

1 . Worauf beruht die besondere Relevanz von B2B-Marketing und Vertrieb? 2. Anhand welcher Argumente lässt sich die Notwendigkeit einer systematischen Marktbearbeitung begründen? 3. Welche wesentlichen Entwicklungsstufen hat das Marketingkonzept in den vergangenen Jahrzehnten durchlaufen? 4. Anhand welcher Charakteristika lässt sich die aktuelle Entwicklungsstufe des Marketings beschreiben? 5. Was sind die wichtigsten Besonderheiten von B2B-Marketing und Vertrieb im Vergleich zum B2C-Marketing? 6. Wie lassen sich B2B-Marketing, Industriegütermarketing und B2C-­ Marketing voneinander abgrenzen?

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Literatur American Marketing Association. (2022). Definitions of marketing. https://www.ama.org/the-definitionof-marketing-what-is-marketing/. Zugegriffen am 06.02.2022. Andersen, P., Archacki, R., Mustaghni, B., & Premo, R. (2018). Building an integrated marketing and sales engine for B2B. https://image-­src.bcg.com/Images/BCG-­Building-­an-­Integrated-­Marketing-­ and-­Sales-­Engine-­for-­B2B-­June-­2018-­NL_tcm9-­196057.pdf. Zugegriffen am 06.02.2022. Arbeitsgemeinschaft für Marketing (AfM). (2022). Arbeitskreis B2B-Marketing/Vertrieb. https:// arbeitsgemeinschaft.marketing/afm-­arbeitsgruppen/afm-­arbeitskreis-­b2b-­marketing. Zugegriffen am 06.02.2022.

Literatur

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1  Relevanz, Abgrenzung und Definition von B2B-Marketing und Vertrieb

Scheed, B., & Scherer, P. (2021). Strategisches Vertriebsmanagement – Methoden für den systematischen B2B-Vertrieb im digitalen Zeitalter. Springer Gabler. Statistisches Bundesamt (Destatis). (2022). Produzierendes Gewerbe  – Beschäftigte, Umsatz und Investitionen des Verarbeitenden Gewerbes sowie des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden. https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-­Unternehmen/Industrie-­ Verarbeitendes-­G ewerbe/Publikationen/Downloads-­S truktur/beschaeftigte-­u msatz-­ investitionen-­2040421207004.pdf;jsessionid=4C985730300F0E05D52DCC72C8EB0EFB. live712?__blob=publicationFile. Zugegriffen am 06.02.2022.

2

Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement

Lernziele

• Sie kennen die Ursachen von und die Notwendigkeit für ein integriertes B2B-­ Marketing- und Vertriebsmanagement. • Sie sind in der Lage, das Konzept des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements von anderen Modellen und Konzepten abzugrenzen. • Sie können den Zusammenhang mit anderen Modellen und Konzepten erklären. • Sie verstehen den integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess und können ihn beschreiben. • Sie können die typischen Aufgabenfelder des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements voneinander unterscheiden.

2.1 Abgrenzung, Definition und Konzeption eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements Aus der zunehmenden Digitalisierung der Marketing- und Vertriebsprozesse ergibt sich die Notwendigkeit einer integrierten, ganzheitlichen Betrachtungsweise des Marketing- und Vertriebsmanagements auch und gerade im B2B-Kontext. Abteilungsbezogenes Silodenken stößt spätestens an seine Grenzen, wenn Kunden sowohl Onlineals auch Offline-Kanäle nutzen möchten, um sich über Anbieter und Lösungen zu

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_2]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_2

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2  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement

informieren oder ein Produkt bzw. eine Dienstleistung zu kaufen. Wie verschiedene Studien zu Multi- und Omni-Channel-Marketing auch für den B2B-Bereich belegen, ist dieser Zeitpunkt in den meisten Branchen und bei einem Großteil der Kunden schon lange überschritten (vgl. Donchak et al., 2022). Die in Abb. 1.3 dargestellten Entwicklungsstufen des Marketings zeigen bereits auf, dass sich das Marketingverständnis in den vergangenen Jahrzehnten dementsprechend in Richtung „strategisches Marketing“, „Relationship-Marketing“, „Multi-Channel-­Marketing“ und auch „Digitales Marketing“ weiterentwickelt hat. Ein wesentlicher auch im B2B-Umfeld sehr relevanter integrierter Ansatz ist der des Customer-Relationship-Managements (CRM, deutsches Synonym „Kundenbeziehungsmanagement“), dem seit den 1990er-Jahren in Wissenschaft und Praxis eine hohe Relevanz zugeschrieben wird. cc Definition  „Customer Relationship Management umfasst den Aufbau und die Festigung langfristig profitabler Kundenbeziehungen durch abgestimmte und kundenindividuelle Marketing-, Sales- und Servicekonzepte mit Hilfe moderner Informationsund Kommunikationstechnologien.“ (Leußer et al., 2011, S. 18) Die Definition verdeutlicht, dass das Kundenbeziehungsmanagement die gesamte Kundenbeziehung als primäres Betrachtungsobjekt im Blick hat und diese abteilungsübergreifend zu gestalten sucht. Das kann auch als das strategische Element von CRM bezeichnet werden. Das konkrete umsetzungsorientierte Element von CRM sind die Informations- und Kommunikationstechnologien, also z.  B.  CRM-Systeme, in denen alle kundenbezogenen Informationen gesammelt und aufbereitet werden, um einen umfassenden, sogenannten 360°-Blick auf einen Kunden zu erlangen. Empirische Studien belegen, dass durch systematisches Kundenbeziehungsmanagement Wettbewerbsvorteile generiert werden können. Das kontinuierliche Wachstum des CRM-Software-Marktes zeigt zudem, dass auch in der Praxis die Notwendigkeit einer zentralen kundenbezogenen Datensammlung sowie analytische und kommunikative Nutzung dieser Daten von einer zunehmenden Anzahl an Unternehmen erkannt worden sind. Abb.  2.1 zeigt die grundlegenden Managementaufgaben im Kundenbeziehungslebenszyklus auf. Ein Teil der aufgezeigten Aufgaben würde man klassischerweise primär im Marketing (Interessentenmanagement), andere im Vertrieb (Neukundenmanagement) oder im Customer Service (Beschwerdemanagement) verorten. Bei näherer Betrachtung sind die Managementaufgaben und die Kundenkontaktpunkte jedoch nicht überlappungsfrei einer Organisationseinheit in einer klassischen funktionalen Organisationsstruktur zuzuordnen. CRM als Denkhaltung fokussiert sich also auf den Kunden und die Kundenbeziehung. In der Weiterentwicklung dieser Denkhaltung ist das Konzept des Customer-­Experience-­ Managements über alle Kundenkontaktpunkte (engl. Customer Touchpoints) des Käufers hinweg entstanden. Es stellt die Erfahrungen, die die Kunden im Verlauf einer Kaufentscheidung machen, in den Vordergrund des Marketingmanagements. Die „Reise“ des

2.1  Abgrenzung, Definition und Konzeption eines integrierten B2B-Marketing- und … Vertragsbeginn Kundentyp

Noch-NichtKunde

Phasen im KundenbeAnbahnungsziehungsphase lebenszyklus Art der potentiell Geschäftsbeziehung Anbahnung neuer Ziel Geschäftsbeziehungen

KundenInteressentenorientierte management Managementaufgabe Kundenakquisitionsmanagement

Kündigung

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Vertragsende Nicht-MehrKunden

Aktuelle Kunden

TP ZZEE II T P FFAADD Sozialisationsphase

Wachstumsund Reifephase

Gefährdungsphase

Kündigungsphase

Revitalisierungsphase

neu

stabil

gefährdet

verloren

rückgewonnen

Festigung von neuen Geschäftsbeziehungen

Stärkung von stabilen Geschäftsbeziehungen

Stabilisierung gefährdeter Beziehungen von beschwerenden Kunden

Verhinderung von Kündigungen

Rücknahme von Kündigungen

Wiederanbahnung der Geschäftsbeziehung

Neukundenmanagement

Zufriedenheitsmanagement

Beschwerdemanagement

Kündigungspräventionsmanagement

Kündigungsmanagement

Revitalisierungsmanagement

Kundenbindungsmanagement

Rückgewinnungsmanagement

Abb. 2.1  Managementaufgaben im Kundenbeziehungslebenszyklus. (Quelle: Stauss, 2000, S. 452)

Kunden über verschiedene Kontaktpunkte hinweg wird auch als Customer Journey bezeichnet. cc Definition  Die Customer Journey ist definiert als „the process a customer goes through, across all stages and touch points, that makes up the customer experience“ (Lemon & Verhoef, 2016, S. 71). Das Mapping, die Analyse und die zukunftsgerichtete Gestaltung der Customer Journey sowie einzelner entscheidender Kundenkontaktpunkte (sogenannte Moments of Truth) stehen im Fokus aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen. Gleichzeitig hat die Customer-Journey-Analyse und -Gestaltung bei Entscheidungsträgern großer und mittelständischer B2B-Unternehmen aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung deutlich an Relevanz gewonnen (vgl. Lemon & Verhoef, 2016; Steward et al., 2019). Obwohl jede einzelne Customer bzw. Buying Journey letztlich individuell sein wird, gibt es Ansätze, die grundlegenden Muster des veränderten Informations- und Kaufprozesses aus Kundensicht zu abstrahieren. Steward et al. (2019) zeigen die Evolution der B2B-­Beschaffungsprozessmodelle auf und beschreiben den Customer-Journey-basierten ­Prozess nach Edelman und Singer (2015) mit folgenden Schritten: 1) Consider, 2) Evaluate, 3) Buy, 4) The Loyalty Loop (Enjoy, Advocate, Bond) und 5) New Journey. Gartner (2021) wiederum gliedert die Beschaffungsaufgaben in „Problemidentifizierung“, „Erkundung der Lösung“, „Anforderungsdefinition“, „Auswahl von Lieferanten“ sowie „Validierung“ und „Konsensbildung“, die i. d. R. nicht linear verlaufen, sondern in Iterationsschleifen. Hofbauer und Purle (2022) definieren hingegen den Buying Cycle detaillierter in die folgenden elf Phasen: 1) Organisation, 2) Requirement Management, 3) Marktanalyse, 4) Qualifizierung, 5) Angebotsprüfung,

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2  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement

6) Vorklärung, 7) Verhandlung, 8) Bestellmanagement, 9) Nutzung, 10) Lieferantenentwicklung und 11) Beschaffungscontrolling. Im Rahmen dieses Buches wird ein Customer-Journey-Prozess bestehend aus den Schritten 1) Awareness, 2) Consideration, 3) Conversion, 4) Retention und 5) Advocacy verwendet (vgl. Abschn. 12.2; Abb. 13.3; Kreutzer, 2022, S. 140). Daneben gibt es in der aktuellen Marketing- und Vertriebsliteratur weitere Customer-Journey- bzw. Buyer-Journey-Prozessmodelle, die den Prozess je nach Fokus zum Teil fein granularer darstellen (vgl. z. B. den Beschaffungsprozess nach Homburg, 2020, S. 160 oder den Buying Cycle nach Hofbauer & Purle 2022, S. 78). Details zur Analyse des Beschaffungsprozesses im Rahmen der Kundenanalyse finden sich in Abschn. 6.3.2. Ein integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement beinhaltet also die in der Vergangenheit separat betrachteten Bereiche des Marketingmanagements und des Vertriebsmanagements und sollte die Denkhaltung des Customer-Relationship-Managements bzw. Customer-Experience-Managements sowie die Erkenntnisse bezüglich der veränderten Customer bzw. Buying Journey berücksichtigen. Es gilt also, die Anbieterperspektive (B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement) mit der Customer-Journey-basierten Nachfragerperspektive zu verknüpfen. Abb.  2.2 visualisiert den integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess. Der integrierte B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess verdeutlicht, dass die vormals separat betrachteten und gestalteten Prozesse des Marketingmanage­ ments und des Vertriebsmanagements vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Weiterentwicklung immer größere Überlappungsbereiche aufweisen.

Customer Journey Awareness: Suche/Aufmerksamkeit

Consideration: Vergleich/ Abwägung

Conversion: Kaufentscheidung

Retention: Bindung/ Wiederkauf

Advocacy: Weiterempfehlung

Marketingmanagement

Marketing- und Vertriebscontrolling

Vertriebsmanagement 1. Analyse / Marktforschung • Trends • Märkte / Wettbewerb • Kunden • Geschäftsmodelle • Technologien • Substitutionsgüter

2. Ziele / KPIs

3. Strateg. 4. Operativ. Marketing & Marketing & Vertrieb Vertrieb

• Segmen• Stratetierung gische Ziele • Ziel• Operative segmente Ziele • Positio• Umsatz nierung • Marktanteil • Marketing-/ • MarketingVertriebsund Verprozesse & triebs-KPIs -organisat.

• Produkt-, • Preis-, • Kommunikationsund • Distributionspolitik

5. Akquisition

• LeadManagement (Generierung & Entwicklung) • Beratung • Angebot/ Vertrag

6. Bestands7. kundenMarketingbetreuung & und -entwickVertriebslung controlling

• Kundenwert • Kundenbindung • Kundenbeziehung

Abb. 2.2  Der integrierte B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess

Regelmäßige Prüfung der Leistungen entlang des integrierten Marketingund Vertriebsprozesses

2.2  Typische Aufgabenfelder und Projekte im B2B-Marketing und Vertrieb

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2.2 Typische Aufgabenfelder und Projekte im B2B-Marketing und Vertrieb Das Aufgabenspektrum im B2B-Marketing und Vertrieb lässt sich den folgenden vier typischen Aufgabenfeldern zuordnen: • Aufgabenfeld 1: Marketingkampagnen- und Vertriebsmanagement für bestehendes Geschäft • Aufgabenfeld 2: Marketinganalysen und kontinuierliche Weiterentwicklung des Marketing- und Vertriebskonzepts in bestehenden Geschäftsfeldern (Commercial Excellence) • Aufgabenfeld 3: Entwicklung und Markteinführung eines neuen Produkts bzw. einer neuen Dienstleistung • Aufgabenfeld 4: Marketinganalysen und Neuausrichtung eines bestehenden Geschäftsbereichs oder Aufbau eines neuen Geschäftsfelds (Business Development): Strategieund Geschäftsmodellentwicklung Im Folgenden werden die vier Aufgabenfelder kurz vorgestellt und in die Produkt-­Markt-­ Matrix nach Ansoff eingeordnet (vgl. Abschn. 8.1).

2.2.1 Aufgabenfeld 1: Marketingkampagnen- und Vertriebsmanagement für bestehendes Geschäft Zum operativen Kernaufgabenbereich des B2B-Marketing- und Vertriebsteams gehört es, alle Marketing- und Vertriebsaktivitäten für bestehende Produkte und Dienstleistungen vorzubereiten und umzusetzen (Kampagnen- und Vertriebsmanagement). Entsprechend der Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff unterstützen diese Kernaufgaben zur Vermarktung bestehender Produkte bzw. Dienstleistungen in bestehenden Märkten die sogenannte Marktdurchdringungsstrategie (vgl. Kreutzer, 2022, S. 212). In diesem Aufgabenbereich liegt der Fokus i. d. R. auf den operativen Schritten 4, 5, 6 und 7 des zu Beginn von Abschn. 2.2 beschriebenen integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozesses. Im Teil IV des vorliegenden Lehrbuches werden die wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten vorgestellt. In Unternehmen mit bestehendem Kerngeschäft bindet dieses Aufgabenfeld 1 i. d. R. einen Großteil der Marketing- und Vertriebsressourcen.

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2  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement

2.2.2 Aufgabenfeld 2: Marketinganalysen und kontinuierliche bzw. regelmäßige Weiterentwicklung des Marketing- und Vertriebskonzepts in bestehenden Geschäftsfeldern (Commercial Excellence) Aufbauend auf den operativen Kernaufgaben aus Aufgabenfeld 1 ist es auch in bestehenden Geschäftsfeldern regelmäßig notwendig, die aktuellen Vorgehensweisen und Praktiken zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Im Kontext von Business-­Excellence-­ Initiativen wird dieses Aufgabenfeld 2 auch als „Commercial Excellence“ bezeichnet. Dies beginnt bei der Prüfung, inwiefern die getroffenen Annahmen zu Kunden, Märkten, Wettbewerbern etc. noch zutreffend sind (Schritt 1 des in Abb. 2.2 dargestellten Prozesses). Darauf aufbauend sollte im zweiten Schritt eine Prüfung und ggf. Anpassung der Ziele erfolgen. Dann können oder müssen ggf. Zielkundensegmente, die Positionierung, die Prozesse oder die Organisation angepasst werden (Schritt 3). Falls in den vorherigen Schritten Weiterentwicklungen vorgenommen worden sind, sind i.  d.  R. auch die verwendeten Marketing- und Vertriebsinstrumente sowie -maßnahmen anzupassen. Aber auch ohne Veränderungen im Rahmen der Schritte 1 bis 3 sind regelmäßige Prüfungen und Weiterentwicklungen der Instrumente, Werkzeuge und Maßnahmen der Schritte 4 bis 7 notwendig und sinnvoll. Ursachen hierfür können bspw. veränderte Kundenerwartungen, Aktivitäten des Wettbewerbs oder auch neue technologische Möglichkeiten sein (vgl. Teil II und Teil III dieses Lehrbuchs). Entsprechend der Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff bezieht sich diese regelmäßige oder kontinuierliche Weiterentwicklung i. d. R. auf die Vermarktung bestehender Produkte bzw. Dienstleistungen in bestehenden Märkten (Ziel: Marktdurchdringungsstrategie). Würden in den Schritten 1 bis 3 strategische Veränderungen z. B. in Bezug auf Zielmarktsegmente oder Produktentwicklungen entschieden, entspräche dies der „Marktentwicklungsstrategie“ bzw. der „Produktentwicklungsstrategie“ nach Ansoff (vgl. Kreutzer, 2022, S. 212). Die Marketing- und Vertriebsleitung sollte einen kontinuierlichen Monitoringprozess etablieren, um wesentliche Änderungen im Umfeld des Unternehmens (Kundenanforderungen, Wettbewerb, Technologien …) möglichst frühzeitig zu erkennen. Das Marketing- und Vertriebscontrolling (Schritt 7) sollte darüber hinaus regelmäßig die Leistungen anhand von Kennzahlen (im Englischen Key Performance Indicators (KPIs)) transparent machen. Darauf aufbauend sollten sich die Verantwortlichen in regelmäßigen Abständen Zeit nehmen, um notwendige Weiterentwicklungen des Marketing- und Vertriebskonzepts vorzubereiten und umsetzen. Solche Veränderungen sollten i.  d.  R. durch Change-Management-Maßnahmen begleitet werden, um allen Beteiligten einen zielgerichteten und schnellen Übergang zu neuen Vorgehensweisen, Verantwortlichkeiten, Werkzeugen etc. zu ermöglichen. Das Kap. 14 zeigt die Relevanz von Marketing- und Vertriebscontrolling und der regelmäßigen Weiterentwicklung des B2B-Marketing- und Vertriebskonzepts auf und gibt einen Überblick über die relevanten Werkzeuge und Kennzahlen.

2.2  Typische Aufgabenfelder und Projekte im B2B-Marketing und Vertrieb

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2.2.3 Aufgabenfeld 3: Entwicklung und Markteinführung eines neuen Produkts bzw. einer neuen Dienstleistung Ein weiteres typisches Aufgabenfeld ist die Entwicklung eines neuen Produkts bzw. einer neuen Dienstleistung und die Vorbereitung und Umsetzung ihrer Markteinführung. Entsprechend dem integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess (vgl. Abb. 2.2) liegt der Schwerpunkt im Rahmen der Vorbereitung der Markteinführung auf den Phasen 1 bis 4, da im Kontext des neuen Produkts bzw. der neuen Dienstleistung oder gar des neuen Geschäftsmodells von Grund auf analysiert und festgelegt werden muss, • welche Umfeld- bzw. Rahmenbedingungen zu beachten sind (Schritt 1), • welche Ziele verfolgt werden sollen (Schritt 2), • welche Anforderungen die Zielkundensegmente haben und wie diese in der Entwicklung bestmöglich erfüllt werden können (Schritt 3), • mit welcher Positionierung und mithilfe welcher prozessualen und organisatorischen Festlegungen sie für das neue Produkt bzw. die neue Dienstleistung begeistert werden sollen (Schritt 3) und • wie der restliche Marketingmix konkret gestaltet werden soll (Schritt 4). Die Umsetzung der Markteinführung erfolgt dann i. d. R. mit besonderen Kommunikationsmaßnahmen, um die Aufmerksamkeit der Zielkunden zu gewinnen. Gemäß der Produkt-­ Markt-Matrix nach Ansoff entspricht die Markteinführung eines neuen Produkts bzw. einer neuen Dienstleistung in einen bestehenden Markt der „Produktentwicklungsstrategie“. Zielt das neue Produkt bzw. die neue Dienstleistung zusätzlich auf ein neues Marktsegment, so handelt es sich um die Verfolgung einer „Diversifizierungsstrategie“ (vgl. Kreutzer, 2022, S. 212; vgl. Abschn. 10.1). In Unternehmen, die einen Bereich „Produktmanagement“ haben, erfolgt die Markteinführung i. d. R. koordiniert durch die verantwortliche Person im Produktmanagement. Bei einer hohen strategischen Wichtigkeit einer Markteinführung hat das Marketingund Vertriebscontrolling (Schritt 7) i.  d.  R. ein besonderes Augenmerk auf die ­Markteinführung, um den Erfolg der Markteinführung frühzeitig zu analysieren und ggf. nachsteuern zu können.

2.2.4 Aufgabenfeld 4: Neuausrichtung eines bestehenden Geschäftsbereichs oder Aufbau eines neuen Geschäftsfelds (Business Development): Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung Das Aufgabenfeld einer umfassenden Neuausrichtung eines bestehenden Geschäftsbereichs oder des Aufbaus eines neuen Geschäftsfelds wird auch als „Business

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2  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement

Development“ bezeichnet. Dieses Aufgabenfeld ist in größeren Unternehmen häufig in eigenen Business-Development-Teams gebündelt. In kleineren und mittleren Unternehmen ist dieses Aufgabenfeld i. d. R. direkt bei der Geschäftsführung angesiedelt. Auch im Aufgabenfeld 4 ist es erfolgsentscheidend, die Ausgangslage umfassend zu analysieren und die richtigen strategischen Festlegungen zu treffen. Entsprechend der Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff handelt es sich beim Aufbau eines neuen Geschäftsfelds i. d. R. um die Verfolgung einer „Diversifizierungsstrategie“. Im Vergleich zu den drei anderen Strategien beinhaltet eine „Diversifizierungsstrategie“ i. d. R. die größten Risiken, den längsten zeitlichen Vorlauf und den größten finanziellen Vorlauf. Ein zusätzliches profitables Geschäftsfeld trägt jedoch zu langfristigen Sicherung eines Unternehmens bei (vgl. Kreutzer, 2022, S. 212). Eine umfassende Neuausrichtung eines Geschäftsbereichs oder der Aufbau eines neuen Geschäftsfelds entsprechen tiefgreifenden Veränderungen, die in jedem Fall durch Change-­Management-Maßnahmen begleitet werden sollten, um deren Erfolg nicht zu gefährden. Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Was sind die wichtigsten Ursachen, die zur Notwendigkeit eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements führen? 2. Welche Merkmale unterscheiden das Konzept des integrierten B2B-­Marketingund Vertriebsmanagements von anderen Modellen und Konzepten? 3. Welche Kernelemente definieren den Ansatz des Customer-­ Relationship-­ Managements (CRM) im Zusammenhang mit einem integrierten B2B-Marketingund Vertriebsmanagement? 4. Aus welchen Bestandteilen besteht der integrierte B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess? 5. Welches sind die vier typischen Aufgabenfelder des integrierten B2B-­Marketings und Vertriebsmanagements?

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Literatur

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Sollte der Link fehlen oder nicht funktionieren, senden Sie uns bitte eine E-Mail mit dem Betreff „SN Flashcards“ und dem Buchtitel an [email protected].

Literatur Donchak, L., McClatchy, J., & Stanley, J. (2022). The future of B2B sales is hybrid – Since B2B buyers are using more channels, B2B sellers must, too. https://www.mckinsey.com/businessfunctions/growth-marketing-and-sales/our-insights/the-future-of-b2b-sales-is-hybrid. Zugegriffen am 11.06.2022. Edelman, D.  C., & Singer, M. (2015). Competing on customer journeys. https://hbr.org/2015/11/ competing-on-customer-journeys. Zugegriffen am 11.06.2022. Gartner. (2021). Die neue B2B Buying Journey und ihre Auswirkungen auf den Vertrieb. https:// www.gartner.de/de/sales/insights/die-neue-b2b-buying-journey. Zugegriffen am 11.06.2022. Hofbauer, G., & Purle, E. (2022). Professionelles Vertriebsmanagement. Der digitalisierte Prozessansatz aus Anbieter- und Beschaffersicht (5. Aufl.). WILEY VCH. Homburg, C. (2020). Marketingmanagement. Strategie – Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung. Springer Gabler. Kreutzer, R. T. (2022). Praxisorientiertes Marketing (6. Aufl.). Springer Gabler. Lemon, K. N., & Verhoef, P. C. (2016). Understanding customer experience throughout the customer journey. Journal of Marketing, 80(6), 69–96. Leußer, W., Hippner, H., & Wilde, K. D. (2011). CRM – Grundlagen, Konzepte und Prozesse. In H. Hippner, B. Hubrich & K. D. Wilde (Hrsg.), Grundlagen des CRM – Strategie, Geschäftsprozesse und IT-Unterstützung (S. 15–55). Gabler. Stauss, B. (2000). Rückgewinnungsmanagement. Verlorene Kunden als Zielgruppe. In M. Bruhn & B. Stauss (Hrsg.), Dienstleistungsmanagement. Jahrbuch 2000 (S. 451–471). Gabler. Steward, M. D., Narus, J. A., Roehm, M. L., & Ritz, W. (2019). From transactions to journeys and beyond: The evolution of B2B buying process modeling. Industrial Marketing Management, 83, 288–300.

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Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-­Marketing und Vertrieb

Lernziele

• Sie sind in der Lage, die Relevanz der Typologisierung bzw. Kategorisierung von B2B-Märkten und deren Implikationen für das B2B-Marketing und den Vertrieb zu erklären. • Sie können das Konzept des Buying Centers und dessen Implikationen für die Vermarktung von B2B-Produkten und Dienstleistungen erläutern. • Sie lernen wesentliche Rahmenbedingungen der Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb kennen. • Sie können die historische Entwicklung der Digitalisierung im B2B-Marketing und Vertrieb skizzieren. • Sie wissen, welche Auswirkungen das veränderte Informations- und Kaufverhalten hat. • Sie erlangen ein Verständnis über wesentliche strategische, prozessuale, organisatorische und kompetenzbasierte Veränderungen der Vermarktung im B2B-­ Kontext und deren Zusammenhang • Sie erfahren wesentliche praktische Implikationen für Entscheidungsträger.

3.1 Grundlegende konzeptionelle Ansätze im B2B-Marketing und Vertrieb Das heutige Verständnis von B2B-Marketing und Vertrieb basiert auf verschiedenen grundlegenden Ansätzen, die in Kap. 1 und 2 bereits vorgestellt worden sind. In diesem Abschnitt soll auf drei wesentliche konzeptionelle Ansätze im B2B-Marketing und Vertrieb eingegangen werden: © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_3

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3  Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im …

• die Typologisierung bzw. Kategorisierung von B2B-Märkten, • die Einordnung der Relevanz von verwandten Themenfeldern und • das organisationale Beschaffungsverhalten mit dem Konstrukt des Buying Centers. Es werden jeweils die Implikationen für das B2B-Marketing und den Vertrieb herausgearbeitet. Der nachfolgende Abschn. 3.2 fokussiert sich dann auf die aktuellen Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb. Wie in Kap. 1 bereits hervorgehoben geht es auch im B2B-Marketing und Vertrieb genauso wie in anderen Marketingbereichen im Kern darum, Produkte und Dienstleistungen erfolgreich zu vermarkten, indem für den Kunden relevante Alleinstellungsmerkmale geschaffen und zielkundenspezifisch kommuniziert werden. Grundlegende Modelle, Konzepte und Methoden können auch im B2B-Umfeld zielführend angewendet werden. Hierzu gehört bspw. die klassische Marketingpyramide mit den aus den Unternehmenszielen abgeleiteten Marketingzielen als Spitze der Pyramide, den Marketingstrategien in der mittleren Ebene (Weg zum Ziel) und den Marketinginstrumenten (Maßnahmen) auf der unteren Ebene der Pyramide (vgl. Becker, 2019, S. 5). Und auch der klassische Managementprozess mit den Schritten Situationsanalyse, Ziele, Strategien, Maßnahmen, Implementierung und Controlling ist im Rahmen vom B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement zielführend einsetzbar (vgl. Kreutzer, 2022, S. 8–10). Innerhalb des B2B-Marketings und Vertriebs besteht die in Abb. 1.6 dargestellte Abgrenzung zwischen B2B- und Industriegütermärkten. Diese ist allerdings nicht hinreichend, um spezifische markt- oder branchenspezifische Besonderheiten mit Implikationen für die konkrete Vermarktung von B2B-Produkten und Dienstleistungen zu identifizieren. Daher sind seit den 1990er-Jahren verschiedene Typologisierungsansätze entwickelt worden. Eine umfassende Übersicht findet sich bei Eckardt (2010, S. 9–21). Die verschiedenen Typologisierungsansätze basieren größtenteils auf der Spezifität bzw. Individualität der Leistungen auf der einen Seite (mit den Extremen maximaler Individualisierung bzw. maximaler Standardisierung der Leistungen) und der Art bzw. Intensität der Geschäftsbeziehung der Geschäftspartner auf der anderen Seite (mit den Extremen einmalige Transaktion und sehr langfristige kooperative Geschäftsbeziehung). Spannt man diese Dimensionen in einer Vierfeldermatrix auf, so erhält man eine Geschäftstypenmatrix mit den vier Geschäftstypen „Produktgeschäft“, „Systemgeschäft“, „Anlagen- oder Projektgeschäft“ und „Integrations- oder Zuliefergeschäft“ (in Anlehnung an Backhaus & Voeth, 2014, S. 217). Im Teil IV (Operatives B2B-Marketing und Vertrieb) werden die Besonderheiten der B2B-Vermarktung anhand dieser unterschiedlichen Geschäftstypen aufgezeigt (vgl. auch Abb. 10.1). Den Geschäftstyp „Produktgeschäft“ kann man zusätzlich noch unterteilen in Commodity- bzw. Specialty-Märkte. Commodity-Märkte zeichnen sich dadurch aus, dass die Produkte verschiedener Anbieter vom Abnehmer als austauchbar angesehen werden. In solchen Märkten sind für den Abnehmer dann i.  d.  R. vor allem die Verfügbarkeit, der Preis und die Liefertreue des Anbieters kaufentscheidend. Von sogenannten Specialty-­ Märkten wird im Gegensatz dazu gesprochen, wenn die angebotenen Leistungen der Lie-

3.1  Grundlegende konzeptionelle Ansätze im B2B-Marketing und Vertrieb

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feranten aus Sicht des Abnehmers nicht homogen bzw. nicht austauschbar sind. Bei der Vermarktung solcher Produkte bzw. Dienstleistungen spielen dann die Qualität der Leistung und die Beratungsqualität eine wichtige kaufentscheidende Rolle. Für die Preisbereitschaft der Nachfrager spielt bei allen Geschäftstypen eine Rolle, wie zu einem gegebenen Zeitpunkt das Verhältnis von angebotenen und nachgefragten Mengen ist. Von einem Angebotsmarkt oder Verkäufermarkt wird in diesem Zusammenhang gesprochen, wenn die Nachfrage größer als das Angebot ist. In diesem Fall ist die Verhandlungsmacht der Anbieter gestärkt. Nachfragermärkte bzw. Käufermärkte hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass das Angebot größer als die Nachfrage ist und somit Nachfrager i. d. R. über eine starke Verhandlungsposition verfügen. Eine weitere relevante Unterteilung von B2B-Märkten und Geschäften ist diejenige in Produkt- und Dienstleistungsgeschäfte. Geschäfte mit (physischen) Produkten können dabei alle vorgenannten Geschäftstypen annehmen. Produktbegleitende Dienstleistungen stellen dabei mögliche differenzierende Wertangebotselemente dar, insbesondere wenn die Produkte der verschiedenen Anbieter nur wenige Differenzierungsmöglichkeiten bieten. Die Vermarktung von Dienstleistungen im B2B-Kontext unterliegt dabei grundsätzlich den zuvor beschriebenen Besonderheiten von B2B-Marketing und Vertrieb. Zusätzlich sind die Besonderheiten der Dienstleistungsvermarktung zu berücksichtigen, die im Dienstleistungsmarketing umfassend behandelt werden (vgl. z. B. Bruhn et al., 2019). Darüber hinaus können B2B-Märkte nach weiteren Kriterien segmentiert und ein­ geordnet werden. So gibt es bspw. branchenspezifische Besonderheiten des B2B-­ Marketings und Vertriebs, die zum Teil aus der branchenspezifischen Kombination der vorgenannten Besonderheiten herrühren. Besondere Herausforderungen an B2B-Marketing und Vertrieb stellt eine internationale bzw. globale Ausgestaltung. In diesem Kontext sind neben der Vorgabe von globalen Standards regionale oder lokale Marktbesonderheiten zu berücksichtigen. Dieses Themenfelds nimmt sich das „Internationale Marketing“ an (vgl. z. B. Berndt et al., 2016). Wie in Abschn.  1.2 beschrieben basiert eine wesentliche Besonderheit der B2B-­ Vermarktung auf dem sogenannten organisationalen Beschaffungsverhalten der Nachfrager. Dieses zeichnet sich i. d. R. durch die folgenden drei Aspekte aus: • formale Entscheidungsprozesse, • das sogenannte Interaktionsparadigma und • die Kaufentscheidung wird i. d. R. nicht von einer einzelnen Person getroffen, sondern es handelt sich um eine Mehrpersonenentscheidung durch die Mitwirkenden eines sogenannten Buying Centers. Auch wenn formale Entscheidungsprozesse den Rahmen für die Kaufentscheidung vorgeben, so sind jedoch auch im B2B-Kontext emotionale Aspekte keineswegs zu vernachlässigen. Da Kaufentscheidungen i. d. R. unter unvollständigen Informationen und Annahmen über zukünftige Entwicklungen getroffen werden müssen, spielen Aspekte wie Zuverlässigkeit und Vertrauen, aber auch Sympathie auch im B2B-Kontext eine nicht zu

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3  Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im …

unterschätzende Rolle. Aus Anbietersicht sind daher die Kontaktpunkte mit dem (potenziellen) Käufer im Rahmen der Interaktion mit Bedacht vorzubereiten. Ein besonders zu beachtender Aspekt ist hierbei das sogenannte Buying Center. In der Regel werden ­organisationale Beschaffungsentscheidungen von verschiedenen Beteiligten im beschaffenden Unternehmen beeinflusst, die sich verschiedenen Rollen zuordnen lassen (vgl. Webster & Wind, 1972, vgl. Abschn. 6.3). Aus Anbietersicht ist es erfolgsentscheidend zu verstehen, welche Personen in welchen Rollen an der Beschaffungsentscheidung beteiligt sind, um deren spezifischen Sichtweisen und Informationsbedürfnissen zielgerichtet und professionell zu begegnen. Situationsabhängig kann es aus Anbietersicht sinnvoll sein, dem Buying Center des Kunden ein eigenes „Selling Center“ gegenüberzustellen, um jederzeit auf Augenhöhe mit dem Kunden alle relevanten Aspekte abstimmen und verhandeln zu können (Abschn. 13.2.1).

3.2 Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und Vertrieb 3.2.1 Historische Entwicklung der Digitalisierung im B2B-Marketing und Vertrieb Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen ist kein neues Phänomen. Auch im Marketing- und Vertriebsbereich sind Computer und digitale Werkzeuge seit den 1990er-Jahren nicht mehr wegzudenken. Die kommerzielle Nutzung des Internets und die voranschreitende technologische Entwicklung (Hardware, Software, Übertragungsbandbreiten usw.) ermöglichten nach und nach neue Kundenschnittstellen und die Digitalisierung bzw. Automatisierung der internen Marketing- und Vertriebsprozesse. Bereits Mitte der 1990er-Jahre prognostizierte der MIT-Wissenschaftler Nicholas Negroponte eine Entwicklung, die bis heute ungebrochen ist: „Everything that can be digitized eventually will be“ (Negroponte, 1996). 2008 griff der Nobelpreisträger Paul Krugman diesen Gedanken auf und entwickelte ihn folgendermaßen weiter: „Bit by bit, everything that can be digitized will be digitized, making intellectual property ever easier to copy and ever harder to sell for more than a nominal price. And we’ll have to find business and economic models that take this reality into account.“ (Krugman, 2008). Inzwischen hat der Megatrend Digitalisierung bereits eine Vielzahl von Branchen und Geschäftsmodellen grundlegend verändert. Branchen wie die Medien- und Unterhaltungsbranche, Handel, Telekommunikationsdienstleistungen, Technologieprodukte und -dienstleistungen oder Finanzdienstleistungen sind in der digitalen Transformation schon sehr weit vorangeschritten. Andere Branchen dagegen befinden sich noch am Anfang eines tiefgreifenden Veränderungsprozesses durch die Digitalisierung, wie z. B. Energie- und Versorgungsunternehmen, produzierende Unternehmen, Immobilien- und Bauwesen oder Transport- und Logistikunternehmen (vgl. Wade, 2021). Dies verdeutlicht, dass einige B2C-Branchen bereits weiter im Prozess der digitalen Transformation vorangeschritten sind als viele

3.2  Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und …

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B2B-Branchen. Die Übertragung der bereits im B2C-Kontext entwickelten Prozesse und Technologien in mehr und mehr B2B-Bereiche scheint jedoch nur eine Frage der Zeit zu sein. Die COVID-19-Pandemie hatte eine beschleunigende Wirkung auf die Nutzung digitaler Kanäle und die Adoption von digitalen Werkzeugen. So stieg die Anzahl der regelmäßig genutzten Kanäle von Kunden in B2B-Märkten laut einer Studie von McKinsey von fünf in 2016 auf zehn in 2021 (vgl. Harrison et al., 2021, S. 2). Diese Kundenkontaktpunkte teilten sich zudem recht gleichmäßig zu je einem Drittel auf die Kundenkontaktarten „traditionell“ (u. a. persönlicher Verkauf), „persönlich online“ (u. a. Video- und Telefonkonferenzen) und „digital unpersönlich“ (u. a. E-Commerce, Onlineportale) auf. Wenig überraschend haben die digitalen Kontaktpunkte während der Pandemie an Wichtigkeit gewonnen (vgl. Donchak et al., 2022, S. 4–9). Unter der Annahme, dass dieser Trend bestehen bleibt, ist Anbietern zu empfehlen, zukünftig alle drei Kontaktarten anzubieten und auf den Kanälen vertreten sein, auf denen (potenzielle) Abnehmer Informationen suchen bzw. einen Kauf tätigen möchten. Dies wird auch als Multi- bzw. Omni-­Channel-­ Management bezeichnet (vgl. Abschn. 13.4). In den vergangenen Jahren sind die Anzahl und die Vielfalt technischer Möglichkeiten zur Digitalisierung und Automatisierung von B2B-Marketing- und Vertriebsprozessen exponentiell gewachsen. So verzeichnet die Übersicht „Marketing Technology Landscape“ im Jahr 2020 ca. 8.000 Software-Lösungen zur Digitalisierung von Marketing- und Vertriebsprozessen (vgl. Marketing Technology Media, 2020). Im Jahr 2014 konnten im Rahmen der gleichen Studie insgesamt ca. 950 Lösungen gefunden werden. In den Folgejahren erhöhte sich die Anzahl der Lösungen erheblich von Jahr zu Jahr. Dies verdeutlicht das rasante Wachstum und die Vielfalt an technologischen Möglichkeiten. Relevant können für den B2B-Bereich z.  B. die folgenden Prozess- bzw. Technologiebereiche werden: ­Marketing/Sales Automation, Content-Marketing, Social Selling, Sales Enablement, Configure-­Price-Quote-Systeme, E-Distribution, E-Procurement, Plattformen, Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Augmented Reality, Fernwartungssysteme, Industrial-­Internet-­ of-Things-Lösungen (IIoT-Lösungen) u. v. m. (vgl. Marketing Technology Media, 2020). Gleichzeitig ist der Aufwand zur Beschaffung und Integration solcher Lösungen signifikant gesunken.

3.2.2 Verändertes Informations- und Kaufverhalten Das Informations- und Kaufverhalten der B2B-Kunden hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert: Durch die hohe Transparenz der im Internet verfügbaren Informationen sind die Kunden (Einkäufer und Beteiligte im Buying Center) sehr viel besser informiert und haben nicht selten einen Informationsvorsprung gegenüber den Verkäufern der anbietenden Unternehmen. Die Studie „Bought not sold“ verdeutlichte bereits im Jahr 2015, dass auch bei komplexeren Industriegütern zum Teil bereits zwei Drittel des Kaufentscheidungsprozesses abgeschlossen sind, bevor das erste Mal potenzielle Lieferanten

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3  Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im …

kontaktiert werden (vgl. Kovac et al., 2015). Einer Gartner-Studie zufolge verbringen Einkäufer nur noch rund 17 % ihrer Zeit während eines Kaufprozesses mit dem Treffen potenzieller Lieferanten. Die übrigen 83 % der Zeit recherchieren die Einkäufer online oder offline bzw. informieren sich über unabhängige Dritte (vgl. Gartner, 2021a, S. 2). Hierbei durchlaufen Nachfrager i. d. R. die sechs von Gartner identifizierten Schritte eines Kaufprozesses (Buyer Journey) nicht linear, sondern durchlaufen die Schritte Problemidentifikation, Erkundung der Lösung, Erstellen von Anforderungen, Auswahl von Lieferanten, Validierung und Konsensbildung in iterativen Schleifen (vgl. Gartner, 2021a und ­Abschn. 2.1). Somit gewinnt die frühe und umfassende Informationsbereitstellung für potenzielle Interessierte eine zunehmend höhere Bedeutung (z.  B. mittels Content-­ Marketing oder Produktkonfiguratoren). Auch das Kaufverhalten verändert sich signifikant: Die positiven Erfahrungen, die Konsumenten mit Online-Käufen machen, werden zunehmend auf das geschäftliche ­Umfeld übertragen und erzeugen gleichzeitig eine steigende Erwartungshaltung an ­Informationsverfügbarkeit, Bequemlichkeit und Nutzerfreundlichkeit der B2B-­ Onlineangebote. Konkret erwarten z.  B. über 80  % der befragten US-Entscheider von ihren B2B-Lieferanten u. a. (vgl. Harrison et al., 2021, S. 8) • • • • • •

Leistungsgarantien, dass die Produktverfügbarkeit online einsehbar ist, dass Preise online einsehbar sind, über jeden gewünschten Kanal kaufen zu können, einen Echtzeit-Service, der permanent verfügbar ist, sowie eine konsistente Customer Experience über alle Kanäle hinweg.

Während der COVID-19-Pandemie stieg (zum Teil in Ermangelung von Alternativen) zudem die Bereitschaft, auch höherwertige Güter bzw. größere Einkaufsvolumina online zu kaufen (vgl. Harrison et al., 2021, S. 2).

3.2.3 Strategische Implikationen für die Gestaltung von B2B-­Marketing und Vertrieb Die zuvor aufgezeigten Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung von B2B-­ Marketing und Vertrieb haben gemeinsam mit dem daraus resultierenden veränderten Informations- und Kaufverhalten der Kunden signifikante Implikationen für die zukunftsgerichtete Ausgestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb. Diese strategischen Implikationen der zunehmenden Digitalisierung bzw. Automatisierung im B2B-­Marketing und Vertrieb sind vielschichtig. Die wesentlichen übergreifenden Veränderungen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Wie in Schritt 1 des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozesses (vgl. Abb.  2.2) dargestellt, ist es angesichts der hohen Veränderungsdynamik in vielen

3.2  Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und …

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Branchen ratsam, in regelmäßigen Abständen eine strategische Markt- und Wettbewerbsanalyse durchzuführen. Ziel dieser Analyse ist, relevante Veränderungen des Marktumfelds und der Marktstruktur zu erkennen, um diese im Rahmen der Zieldefinition sowie der strategischen Entscheidungen zu berücksichtigen (vgl. auch ­ Scheed & Scherer, 2021, S. 20–24). So hat die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen bereits in vielen Marktsegmenten zu zum Teil radikalen Veränderungen der Markt- und Branchenstrukturen geführt, indem z. B. • Plattformen und E-Commerce-Angebote („Direct-to-Consumer“) ehemals vorhandene Handelsstrukturen verändert oder eliminiert haben, • neue („pure digital“) Wettbewerber mit signifikant niedrigeren Kostenstrukturen und Preisen zu einer Veränderung der Wettbewerbs- und Preisstruktur geführt haben, oder • etablierte Wettbewerber mit neuen Geschäftsmodellansätzen die dominierende Marktlogik verändert haben. Grundsätzlich ist in vielen Branchen eine zunehmende Marktdynamik zu beobachten, die auch zu einem erhöhten Innovationsdruck (mit verkürzten Time-to-market-Dauern) und zu einer Anforderung nach insgesamt schnelleren Entscheidungszyklen führen kann. Eine solche Veränderung von Markt- und Branchenstrukturen mit einer möglichen Auflösung von Marktgrenzen, mit der Kundenanforderung nach Omni-Channel-­Verfügbarkeit, mit dem Markteintritt und starkem Wachstum von E-Procurement- und E-­Distribution-­ Plattformen und anderen neuen Geschäftsmodellen erfordert die strategische Analyse solcher Trends. Hierauf wird in Teil II des vorliegenden Lehrbuchs genauer eingegangen. Darauf basierend ist die strategische Ausrichtung und Positionierung hinsichtlich der vorgenannten Trends notwendig (vgl. Teil III des vorliegenden Lehrbuchs). Ein Kernaspekt einer solchen strategischen Analyse und Positionierung ist die Geschäftsmodellanalyse und -entwicklung. Diese kann notwendig werden, um in einem sich wandelnden Marktumfeld langfristig erfolgreich zu bleiben. Die Verantwortlichen in Marketing, Vertrieb und Business Development sollten bei einer solchen Geschäftsmodellanalyse und -weiterentwicklung federführend mitwirken, um das eigene Geschäftsmodell markt- und kundenorientiert weiterzuentwickeln. Hierbei sollten insbesondere auch die Möglichkeiten neuer digitaler Geschäftsmodellelemente geprüft und berücksichtigt werden. Inhaltlich können das dann Themen wie z. B. der Ausbau von (digitalen) Dienstleistungen sein, bspw. mittels IIoT-Lösungen. Der wissenschaftliche Hintergrund dieser Entwicklungen findet sich in den Bereichen Service-dominant Logic und Servitization. Methodische Hilfsmittel wie das Business Model Canvas und (digitale) Geschäftsmodellmuster finden sich bei Osterwalder und Pigneur (2011) sowie Gassmann et al. (2021). Zu produktbegleitenden Dienstleistungen und insbesondere auch „Digitalen Services“ vgl. Abschn. 10.3.

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3  Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im …

Bei der Geschäftsmodellgestaltung bzw. -weiterentwicklung sollte ein Multi-­Channelbzw. Omni-Channel-Ansatz für die Informations-, Kommunikations- und Bestellkanäle berücksichtigt werden, da dieser in vielen Märkten inzwischen zu einer Basisanforderung der Kunden geworden ist. Bei Unternehmen, die gleichzeitig unterschiedliche Geschäftstypen und Arten von Produkten/Dienstleistungen (Commodities vs. Specialties bzw. beratungsintensiven Produkten/Dienstleistungen) im Unternehmen vereinen, kann es in letzter Konsequenz notwendig sein, unterschiedliche Geschäftsmodelle für die unterschiedlichen Arten von Produkten/Dienstleistungen zu realisieren (vgl. Wengler et al., 2017, 2021). Beispielsweise bietet der Geschäftstyp Produktgeschäft mit standardisierten Produkten ein sehr großes Potenzial, mittels digitaler bzw. automatisierter Prozesse und bspw. der Nutzung von E-Distribution-/E-Procurement-Plattformen oder eines E-Shops mit Konfigurator ein sehr kosteneffizientes Geschäftsmodell zu realisieren. Sollten neben den standardisierten Produkten noch spezialisierte bzw. beratungsintensive Produkte im Portfolio sein, kann es sinnvoll sein, für diese weiterhin das bislang etablierte Geschäftsmodell weiterzuführen. Auf Basis eines ressourcenbasierten Strategieansatzes ist eine tiefgreifende Veränderung der vergangenen Jahre, dass inzwischen kostengünstige, performante und leicht zu konfigurierende Marketing- und Sales-Technology-Lösungen flächendeckend auf dem Markt verfügbar sind. Diese ermöglichenden Technologien sollten durch den Aufbau entsprechender Kompetenzen im Unternehmen (oder durch Hinzuziehung entsprechender Dienstleister) für das Unternehmen verfügbar gemacht und zukünftig genutzt werden. Daher sollten die marketing- und vertriebsstrategischen Überlegungen auch Schwerpunkte hinsichtlich der kurz-, mittel- und langfristigen Marketing- und Vertriebstechnologie-­ Roadmap setzen. Studien zeigen, dass die digitalen Kundenkontaktpunkte nicht nur von den Kunden für einen Großteil der Interaktionen gewünscht sind, sondern dass darin auch aus Sicht des Anbieterunternehmens sehr große Verbesserungspotenziale zur Steigerung der Effektivität und der Effizienz der Marketing- und Vertriebsprozesse stecken. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass auch aus Sicht des B2B-Marketing- und Vertriebsmanagements ein gewisser Anteil an Online-Kundenkontaktpunkten sinnvoll ist. Das Ergebnis eines hybriden Verkaufsmodells mit Online- und Offline-Kundenkontaktpunkten wird auch als Hybrid Selling bezeichnet (vgl. Schmitz & Huckemann, 2021). Die Festlegung, für welche Art von Kundenkontakten (z. B. Bestandskundenpflege i. d. R. online und Neukundenakquisition mit einem Erstbesuch vor Ort) oder auch für welche Produkt- bzw. Dienstleistungsgruppen zukünftig bevorzugt persönliche Vor-Ort-Termine oder Online-­ Verkaufsgespräche oder Selbstbedienungslösungen (z.  B. mittels eines Online-­ Konfigurators) genutzt werden sollen, ist Teil der Marketing- und Vertriebsstrategie (vgl. Schmitz & Huckemann, 2021). Bei allen strategischen Überlegungen sollte ein wichtiger Grundgedanke sein, dass B2B-Marketing und Vertrieb sowie unterstützende informationstechnische Systeme zukünftig nicht mehr losgelöst voneinander betrachtet werden können, da die Customer Journey sowohl Online- als auch Offline-Kundenkontaktpunkte beinhaltet, die aufei-

3.2  Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und …

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nander abgestimmt sein müssen, um dem Kunden eine durchgängige und attraktive Customer Experience zu ermöglichen. Die Gestaltung der digitalen Kundenkontaktpunkte mittels Ansätzen des Lead-­ Managements, Content-Marketings, Social-Media-Marketings, der Suchmaschinenoptimierung (SEO) und Suchmaschinenwerbung (SEA), der Marketing Automation und der Sales Automation gewinnen dabei immer mehr an Wichtigkeit und bedürfen einer strategischen Roadmap der Implementierung und des Ausbaus solcher Prozesse und dazugehöriger Software-Lösungen, die letztlich in einem integrierten Gesamtprozess und -system zusammenspielen sollten. Die steigende Relevanz zeigt sich bspw. auch in den aktuellen Studien zu Marketing- und Vertriebstrends und -budgets (vgl. bvik, 2021; Gartner, 2021b; MSI, 2021; bvik, 2022). Aufgrund der Vielfalt der Möglichkeiten ist die Herausforderung für das Marketing- und Vertriebsmanagement die Identifikation und Auswahl derjenigen technologischen Möglichkeiten, die tatsächlich einen signifikanten Mehrwert für die Kunden oder die eigene Wettbewerbsfähigkeit haben werden.

3.2.4 Prozessuale, organisatorische und kompetenzbasierte Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb Bezüglich der prozessualen und organisatorischen Implikationen stellt sich für die Verantwortlichen in B2B-Marketing und Vertrieb grundsätzlich die Frage, welche Prozesse und Aktivitäten zukünftig grundsätzlich digitalisierbar bzw. automatisierbar sind und welche davon die höchste Priorität haben, um z. B. Zugang zum Kunden zu bekommen, Mehrwert für den Kunden zu generieren oder die eigenen Prozesse signifikant effektiver oder effizienter zu gestalten. Solche Prozesse bzw. Aktivitäten sollten dann mit höchster Priorität weiter analysiert und ggf. digitalisiert oder automatisiert werden (vgl. ­Abschn. 2.2.2 und Kap. 14). Wie bereits konstatiert, muss die Gestaltung der analogen und digitalen Kundenkontaktpunkte entlang der Customer Journey zukünftig „aus einer Hand“ kommen. Daher wird die schon lange geforderte Integration von Marketing und Vertrieb mit IT-Unterstützung nun unumgänglich (vgl. BCG, 2018; Hiemeyer & Stumpp, 2020; Huckemann & Mey, 2021). Die bislang noch in vielen etablierten Unternehmen bestehenden Abteilungsgrenzen sollten also fallen und stattdessen sollte ein integriertes „Marktbearbeitungsteam“ (im Englischen auch als „Go-to-Market-Team“ bezeichnet) entstehen, in dem alle Kompetenzen gebündelt werden. Die organisatorische Ausgestaltung des Marketing-, Vertriebs- und IT-Kompetenzen integrierenden Marktbearbeitungsteams sollte prozessbasiert erfolgen. Das heißt, dass abgeleitet aus der festgelegten strategischen Weiterentwicklungs-­Roadmap die zukünftigen Soll-Prozesse definiert werden sollten. Auf Basis dieser Soll-Prozesse können im Rahmen der Organisationsentwicklung dann die aufbauorganisatorischen Festlegungen erfolgen.

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3  Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im …

Durch die Digitalisierung des B2B-Marketing- und Vertriebsprozesses verliert der Vertrieb in vielen Unternehmen das Monopol über den Kundenkontakt. Eine empirische Studie von Schmitz und Huckemann (2019, S.  15–16) zeigt, dass der Vertrieb nicht ohne weiteres akzeptiert, dass er Kundenverantwortung abgeben muss. Diese Ergebnisse ­verdeutlichen, dass in vielen etablierten Unternehmen derzeit tiefgreifende Veränderungsprozesse durchlaufen werden, die auch auf Widerstände treffen (vgl. Schmitz & Huckemann, 2019, S.  15–16). Daher ist die Begleitung solcher Veränderungsprozesse durch ein systematisches Change-Management außerordentlich wichtig, um die betroffenen Mitarbeiter in den Veränderungsprozess einzubeziehen und Widerstände abzubauen. Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor, um Widerstände abzubauen und die Adoption von neuen Prozessen und Werkzeugen zu fördern, ist der Know-how-Aufbau und die Weiterentwicklung der Kompetenzen des bestehenden Teams. Diese Kompetenzentwicklung beginnt bei grundlegenden Fähigkeiten, wie z. B. der Schulung in den anzuwendenden IT-Systemen (z.  B.  CRM-, Content-Marketing- oder Marketing-Automation-­ Systeme) über das Training bezüglich veränderter Arbeitsweisen (z.  B.  Gestaltung von Customer-Journey-basierten Lead-Nurturing-Kampagnen1) bis hin zu der Vorbereitung auf völlig neue Aufgabenfelder oder Arbeitsweisen (z. B. Einführung von Account-based Marketing (ABM)2) oder Social-Media-Marketing und Social Selling (vgl. Abschn. 12.2 auch zum zielgerichteten Einsatz von Corporate Influencern und Content-Marketing). Den Führungskräften in B2B-Marketing und Vertrieb kommt in diesem Veränderungsprozess und im Rahmen der Kompetenzentwicklung des Teams eine entscheidende Rolle zu: Neben der Festlegung der Entwicklungsschwerpunkte und -inhalte haben die Führungskräfte als Vorbild und Coach die Aufgabe, ihre Mitarbeiter bei der persönlichen Entwicklung zu begleiten. Dies wiederum erfordert Führungskompetenzen, die als Erfolgsfaktor des Wandels auf- und auszubauen sind. Angesichts der Menge und Vielfalt an neuen Themenfeldern im Zusammenhang mit der Digitalisierung in B2B-Marketing und Vertrieb muss bezüglich der Kompetenzentwicklung zudem bewusst entschieden werden, welche Kompetenzen und Ressourcen zukünftig innerhalb der eigenen Organisation aufgebaut und welche durch externe Partner/Dienstleister abgedeckt werden sollen. Ein Großteil der B2B-Unternehmen hat den Mangel an „digitalen Skills“ als größte Herausforderung im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung im Bereich B2B-Marketing und Vertrieb erkannt. Genannt wurden hier bspw. fehlende Kompetenzen in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI), Data Science, Big Data, Automation, Social Media, Customer Experience, Customer Touchpoints und Social Selling (vgl. bvik, 2022).

 Unter Lead Nurturing werden alle Schritte im Rahmen eines Lead-Management-Prozesses verstanden, die ein Unternehmen unternimmt, um Interessenten zur richtigen Zeit mit den für sie relevanten Informationen anzusprechen. 2  Im Rahmen des Account-based Marketings (ABM) werden Marketing- und Vertriebsressourcen auf eine klar definierte Gruppe von Zielkunden innerhalb eines Markts ausgerichtet. Dabei werden personalisierte Kampagnen eingesetzt, um jeden Kunden gezielt anzusprechen. 1

3.2  Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im B2B-Marketing und …

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3.2.5 Praktische Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb Aus den vorgenannten Triebkräften ergibt sich eine Reihe von praktischen Implikationen für die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb im Allgemeinen. Das veränderte Informations- und Kaufverhalten führt dazu, dass man als Anbieter mit hochwertigem Content auf genau den Kanälen vertreten sein muss, auf denen der Nachfrager sucht (Content-Marketing). Auf Basis einer Customer-Journey-Analyse sollten im Rahmen der Geschäftsanbahnung die relevanten Kundenkontaktpunkte (Customer Touchpoints) der Customer Journey mit zielkundenspezifischen Inhalten gefüllt werden. Auch die Positionierung als Experte für bestimmte kundenrelevante Themen in sozialen Netzwerken hat stark an Bedeutung gewonnen. Dies wird auch als Social Selling bezeichnet. Mitarbeiter eines Anbieterunternehmens, die auf diese Weise für ihr Unternehmen als Experte für bestimmte kundenrelevante Themen und das eigene Unternehmen werben, werden auch Corporate Influencer genannt. Anschließend ist es wichtig, über die relevanten Suchmaschinen gefunden zu werden (u. a. befähigt durch vorherige SEO (siehe Abschn. 12.2). Auf der eigenen Webseite sollte der Interessent und potenzielle Nachfrager dann zielgenaue und idealerweise auch individualisierte Informationen erhalten sowie die Möglichkeit, sich bedarfsgesteuert selbst mit weiteren Informationen zu versorgen oder auch in direktem Kontakt zu einem Kundenberater oder Vertriebsmitarbeiter zu gelangen. Für das B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement können zusammenfassend folgende praktische Implikationen festgestellt werden (vgl. auch Hofbauer & Purle, 2022, S. 93–95): • Die strategische Marketing- und Vertriebsperspektive bleibt aufgrund der Risiken und Chancen von Markt- und Branchenentwicklung höchst relevant. Das Geschäftsmodell ist das zentrale Gestaltungselement, welches strategische und operative Richtungsentscheidungen festlegt bzw. Rahmenbedingungen dafür vorgibt. • Die Prozesssicht und -orientierung gewinnt in Bezug auf die Digitalisierung und Automatisierung weiter an Relevanz. Diesbezüglich ist eine übergreifende Prozesssicht geboten, entlang der Customer Journey über vormalige Grenzen zwischen Marketing, Vertrieb, Produktmanagement, Business Development und IT-Unterstützung hinweg. • Neben der inhaltlichen und technologischen Ausgestaltung des Marketing- und Vertriebsprozesses ist eine integrierte Prozessorganisation vormals getrennter Verantwortungsbereiche entlang der Customer Journey notwendig. • Um diesen Veränderungsprozess zu gestalten und zu begleiten, werden Change-­ Management-­Kompetenzen zunehmend wichtiger. • Eine systematische Kompetenzentwicklung des eigenen Teams ist geboten. Dies wird aufgrund der begrenzten Ressourcen und der Vielfalt an möglichen Lösungen und Technologien jedoch nicht ausreichend sein. Deshalb wird ein Netzwerk von

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kompetenten Partnern und Dienstleistern notwendig sein, um bei der ansteigenden ­Veränderungsgeschwindigkeit kurz-, mittel- und langfristig auf dem aktuellen Stand zu bleiben. • Die Gestaltung der einzelnen Schritte des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozesses und das Verständnis für die Customer Journey sowie Beschaffungsprozesse inkl. der Ziele und Rahmenbedingungen für den Einkäufer bzw. das Buying Center bleiben weiterhin wichtig. • Die Nutzung der passenden B2B-Marketing- und Vertriebswerkzeuge (vgl. Purle et al., 2019) im Rahmen eines systematischen Verbesserungsprozesses sollte als kontinuierlicher Weiterentwicklungsprozess verstanden werden. Eine Sales-Enablement-Initiative kann den geeigneten Rahmen für einen systematischen Verbesserungsprozess bieten (vgl. Peterson & Dover, 2021; Peterson et al., 2021). Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass B2B-Marketing und Vertrieb als ganzheitlicher, integrierter Prozess vom potenziellen Interessenten zum loyalen Kunden betrachtet werden muss. Der integrierte B2B-Marketing- und Vertriebsmanagementprozess (vgl. Abb. 2.2) bietet einen Gesamtblick auf die wesentlichen Gestaltungsschritte. In den folgenden Teilen des Lehrbuchs werden die einzelnen Schritte konkretisiert und die relevanten Modelle, Konzepte, Instrumente und Maßnahmen vorgestellt. Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Welche Relevanz hat die Typologisierung bzw. Kategorisierung von B2B-Märkten? 2. Welche grundsätzlichen Implikationen hat die Kategorisierung von B2B-Märkten auf das B2B-Marketing und den Vertrieb? 3. Welche grundsätzlichen und aktuellen Rahmenbedingungen haben wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb? Wie wirken sich diese beispielhaft aus? 4. Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf B2B-Marketing und Vertrieb? 5. Welche Auswirkungen hat das veränderte Informations- und Kaufverhalten auf die Gestaltung von B2B-Marketing und Vertrieb? 6. Welche wesentlichen strategischen Veränderungen der Vermarktung im B2B-Kontext lassen sich identifizieren und welcher Zusammenhang mit B2B-­Marketing und Vertrieb besteht? 7. Welche wesentlichen prozessualen Veränderungen der Vermarktung im B2B-Kontext lassen sich identifizieren und welcher Zusammenhang mit B2B-­Marketing und Vertrieb besteht? 8. Welche wesentlichen organisatorischen Veränderungen der Vermarktung im B2B-Kontext lassen sich identifizieren und welcher Zusammenhang mit B2B-­ Marketing und Vertrieb besteht?

Literatur

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9. Welche wesentlichen kompetenzbasierten Veränderungen der Vermarktung im B2B-Kontext lassen sich identifizieren und welcher Zusammenhang mit B2B-­ Marketing und Vertrieb besteht? 10. Welche wesentlichen praktischen Implikationen für Entscheidungsträger lassen sich ableiten?

SN Flashcards

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Literatur Backhaus, K., & Voeth, M. (2014). Industriegütermarketing: Grundlagen des Business-to-Business-­ Marketings. Vahlen. BCG. (2018). Building an integrated marketing and sales engine for B2B. https://www.bcg.com/ de-­de/publications/2018/building-­an-­integrated-­marketing-­sales-­engine-­b2b. Zugegriffen am 26.01.2022. Becker, J. (2019). Marketing-Konzeption. Grundlagen des ziel-strategischen und operativen Marketing-­Managements (11. Aufl.). Vahlen. Berndt, R., Fantapié Altobelli, C., & Sander, M. (2016). Internationales Marketing-Management (5. Aufl.). Springer Gabler. Bruhn, M., Meffert, H., & Hadwich, K. (2019). Handbuch Dienstleistungsmarketing (2. Aufl.). Springer Gabler. bvik. (2021). B2B Marketing-Budgets 2021 – bvik-Studie – Ergebnis-Report 2021. https://bvik.org/ bvik-­studie-­b2b-­marketing-­budgets-­2021-­ergebnisse/. Zugegriffen am 26.01.2022. bvik. (2022). B2B-Marketing-Trends 2022 – Ergebnis-Report der Online-Befragung „bvik Trendbarmeter Industriekommunikation“. https://bvik.org/bvik-­trendbarometer-­industriekommunikation-­ ergebnisse-­2022/. Zugegriffen am 26.01.2022.

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3  Konzeptionelle Ansätze, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten im …

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Teil II Analyse der Ausgangssituation im B2B-Marketing und Vertrieb

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Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

Lernziele

• Sie haben ein Grundverständnis darüber, zu welchen Anlässen und in welcher Regelmäßigkeit Informationen gewonnen werden und welche Funktion diese im Rahmen der Analyse der Ausgangssituation erfüllen. • Sie kennen den Unterschied zwischen der Makroumwelt und der Mikroumwelt und können deren Relevanz für die Analyse der Ausgangssituation einschätzen. • Sie können die Rolle der Marktforschung bei der Gewinnung von Informationen beurteilen und wissen um die Besonderheiten im B2B-Umfeld. • Sie kennen die fünf Phasen des Marktforschungsprozesses sowie die fünf zentralen Fragen der Informationsbereitstellung entlang dieser Phasen. • Sie können für ein bestehendes Entscheidungsproblem im B2B-Marketing und Vertrieb beurteilen, welche Informationen benötigt werden, mit welchem Marktforschungstyp diese gewonnen werden können und wie die Marktforschung ausgestaltet werden sollte, um die Qualitätsanforderungen zu erfüllen. • Sie wissen, welche Informationsträger in der Marktforschung im B2B-Umfeld zur Verfügung stehen und welche Besonderheiten im B2B-Umfeld bei der Auswahl von Informationsträgern zu berücksichtigen sind. • Im Rahmen der Informationsgewinnung können Sie beurteilen, wie groß der Erhebungsumfang sein sollte und wie das Erhebungsinstrument ausgestaltet werden kann, um den Anforderungen im B2B-Umfeld gerecht zu werden.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_4]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_4

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

• Sie sind in der Lage zu beurteilen, wie Informationen sinnvoll aufbereitet und verteilt werden sollten, um Entscheidungen im B2B-Marketing und Vertrieb zu ermöglichen. • Sie können beurteilen, inwiefern Entwicklungen durch Big Data die Informationsbeschaffung in der B2B-Marktforschung verändern (können).

4.1 Grundverständnis der Analyse der Ausgangssituation Ohne aktuelle Kenntnis des Markt- und Wettbewerbsumfelds lassen sich im B2B-­ Marketing und Vertrieb weder verlässliche Strategien erarbeiten noch erfolgswirksame Marketing- und Vertriebsmaßnahmen umsetzen. Der erste Baustein eines erfolgreichen B2B-Marketings und Vertriebs ist daher die Analyse der Ausgangssituation basierend auf Informationen, welche durch eine systematische Marktforschung gewonnen werden. Im Rahmen der Analyse der Ausgangssituation erfolgt eine Analyse des Marktes, seiner Teilnehmer sowie von Einflussfaktoren, welche auf den Markt einwirken. Sie schafft damit ein Grundverständnis über den Markt, dessen Dynamik und Entwicklungen (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 19). Die Analyse der Ausgangssituation lässt sich anhand folgender drei Leitfragen charakterisieren: • Anlässe: Zu welchen Anlässen erfolgt die Analyse und welche Aktivitäten sind dabei typisch? • Regelmäßigkeit: Wie regelmäßig erfolgt die Analyse? • Funktion: Welche Funktion erfüllen die gewonnenen Informationen? Die Anlässe zur Analyse der Ausgangssituation sind vielfältig. In Abb. 4.1 ist eine Übersicht von Anlässen mit Beispielen dargestellt, welche im Original von Ghosh (2006, S. 238) stammt. Aktivitäten im Rahmen der Analyse der Ausgangssituation lassen sich auch nach deren Regelmäßigkeit unterscheiden. So wird zwischen kontinuierlicher Informationsgewinnung und Ad-hoc-Studien unterschieden (vgl. Langer, 2004, S. 332). Eine kontinuierliche Informationsgewinnung verfolgt das Ziel, im Rahmen von Längsschnittstudien (z. B. Panelstudien) Entwicklungen aufzuzeigen. So soll gewährleistet werden, dass Unternehmen zu jeder Zeit über aktuelle Informationen zu relevanten Entwicklungen verfügen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 161). In größeren Industrieunternehmen existiert häufig eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich und kontinuierlich mit Marktanalysen beschäftigt (vgl. Kuhn & Zajontz, 2011, S. 33). In mittelständischen Industrieunternehmen ist häufig zu beobachten, dass eine strategische Marktanalyse nur unvollständig und zeitlich eher zufallsgetrieben erfolgt (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 24).

4.1  Grundverständnis der Analyse der Ausgangssituation

Anlässe

Potenzialanalysen

Aktivitäten – – – – – – – – – – –

Abschätzen von Marktvolumina Abschätzen von Marktpotenzialen Abschätzen von Marktanteilen Analyse von Absatz- und Vertriebskanälen Abgrenzung von Marktsegmenten Abschätzung von Verkaufspotenzialen Abschätzen von Umsatzpotenzialen Abschätzen von Profitpotenzialen Bewertung von neuen Absatzmärkten Abschätzen von Exportpotenzialen Markttests

Leistungs- und Konzeptentwicklung

– – – – – – –

Analyse der Produkt- und Leistungsanforderungen des Kunden Bewertung eigener Innovationsansätze durch den Kunden Analyse der Innovationswünsche des Kunden Analyse der Servicepräferenzen des Kunden Analyse der Make-or-Buy-Präferenzen des Kunden Analyse der Design- und Verpackungspräferenzen des Kunden Analyse der Testanforderungen des Kunden

Wettbewerbsanalysen

– – – – – – – – – – – – – – –

Analyse der Qualität der Erzeugnisse des Wettbewerbs (Benchmarking) Analyse der Prozess- und Servicequalitäten (z. B. bei der Logistik) Analyse der Preispolitik des Wettbewerbs Analyse der Marktstrategie des Wettbewerbs Analyse der Wettbewerbsreaktionen auf eigene Marketingmaßnahmen Konjunkturelle Prognosen Prognosen bzgl. gesamtwirtschaftlicher Kennzahlen (z. B. Wechselkurse) Prognosen der Kostenentwicklung (als Ausgangspunkt für eigene Preissetzung) Prognose von Branchenerfolgsgrößen (z. B. Automobilproduktion) Prognosen allgemeiner Branchentrends Analyse der Kundenreaktionen auf unterschiedliche Preissetzungen Analyse der Kundenreaktionen auf unterschiedliche Verhandlungsstrategien Analyse der Kundenreaktionen auf personelle Entscheidungen (z. B. bei Key Accounts) Analyse der Kundenreaktionen auf Standortentscheidungen Analyse der Kundenreaktionen auf Kommunikations- und markenpolitische Maßnahmen

– – –

Analyse von Kundenzufriedenheit und Loyalität Analyse von Reklamationen Analyse von Kundenwanderungen

Wirtschaftsprognosen

Wirkungsanalysen

Ergebnisanalysen

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Abb. 4.1  Anlässe und Aktivitäten bei der Analyse von Industriegütermärkten. (Quelle: Kuhn & Zajontz, 2011, S. 30)

Ad-hoc-Studien verfolgen dagegen das Ziel, zu einem bestimmten Zeitpunkt Informationen zu einer aktuell relevanten Fragestellung zu generieren. Diese Studien haben aufgrund ihres unmittelbaren Anwendungsbezugs häufig eine größere praktische Bedeutung (vgl. Langer, 2004, S. 333). Die beschafften Informationen erfüllen unterschiedliche Funktionen innerhalb des B2B-Marketings und Vertriebs, aber auch funktionsübergreifend (vgl. Meffert et al., 2019, S. 174): • Beratungsfunktion: Unterstützung des Managements, indem marktrelevante Zusammenhänge vermittelt werden und so der Entscheidungsprozess (z. B. bei der Festlegung der zukünftigen Marketingziele oder der Wahl der Programmbreite) des Managements vereinfacht wird. • Informationsselektion: Für das Management werden lediglich die wichtigsten Informationen auswählt und aufbereitet. Diese Funktion gewinnt vor allem im Kontext der immer größeren Datenmengen zunehmend an Bedeutung. • Innovationsförderung: Unterstützung der Entwicklung von Produkt- und Serviceinnovationen u. a. durch Trendanalysen und Kundenbefragungen.

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

• Kontrollfunktion: Ursachen des Erfolgs bzw. Misserfolgs können identifiziert werden. • Planungsstrukturierung: Kundenorientierte und betriebliche Kennzahlen werden miteinander verbunden, um so vereinbare betriebliche Ziele festzulegen. • Risikoerkennung (Frühwarnfunktion): Frühzeitige Erkennung und Reduzierung von Risiken. Ist bspw. eine Änderung von gesetzlichen Regularien erkennbar, welche eine Veränderung der Produkte eines Unternehmens erforderlich macht, kann ein Unternehmen so frühzeitig darauf reagieren. • Unsicherheitsreduktion: Strategische Entscheidungen können mithilfe der erhobenen Daten und den daraus gewonnenen Informationen und Erkenntnissen verifiziert werden. Irrationale Entscheidungen sollen so vermieden werden. Wie zu Beginn des Kapitels beschrieben, erfolgt im Rahmen der Analyse der Ausgangssituation eine Analyse des Marktes, seiner Teilnehmer sowie von Einflussfaktoren, welche auf den Markt einwirken. Genauer betrachtet erfolgt die Analyse in zwei unterschiedlichen Bereichen (vgl. Meffert et al., 2019, S. 48), welche mit ihren zu analysierenden Objekten in Abb. 4.2 zusammenfassend dargestellt sind. Analyse des Marktumfelds (Makroumwelt) Im Rahmen der Analyse des Marktumfelds geht es um die Analyse von Umweltfaktoren, welche die heutige, aber auch die zukünftige Marktentwicklung beeinflussen. Diese Umweltfaktoren sind vom einzelnen Unternehmen i. d. R. nicht beeinflussbar. Die Methoden und Vorgehensweisen zur Analyse des Umfelds des relevanten Marktes werden in Abschn. 5.2 ausführlich erläutert. Makroumwelt (= Marktumfeld)

Soziokulturelle Umwelt

Technologische Umwelt

Mikroumwelt (= relevanter Markt)

Politische Umwelt

Lieferanten

Eigenes Unternehmen

INDUSTRIEWERTKETTE Lieferanten

Endkunde Kunden

Ökonomische Umwelt

Wettbewerber

Rechtliche Umwelt

Abb. 4.2  Bereiche und Objekte der Analyse der Ausgangssituation

Ökologische Umwelt

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

47

Analyse des relevanten Marktes (Mikroumwelt) Der relevante Markt ist der Markt, auf welchem ein Anbieter aktiv ist. Aus dem Konsumgütermarketing kommend sind klassische Bestandteile der Analyse des relevanten Marktes die Nachfrager-, Wettbewerbs- und Ressourcenanalyse sowie die quantitative Beschreibung des Marktes (z. B. Marktvolumen und Marktanteil) (vgl. Meffert et al., 2019, S. 173). Diese Aspekte gilt es auch im B2B-Marketing zu analysieren. Der zentrale Unterschied besteht jedoch darin, dass im B2B-Marketing nicht nur die direkten Kunden analysiert werden müssen, sondern auch deren Kunden, um so Rückschlüsse auf Art und Umfang der derivativen bzw. abgeleiteten Nachfrage ziehen zu können. Es gilt somit, ein Verständnis über die Industriewertkette mit ihren Teilnehmern, deren Bedürfnissen und Entscheidungsbeziehungen zu schaffen. Ein fundiertes Verständnis über die von den Kunden und ggf. deren Kunden benötigten Lösungen (= Bedürfnisse), gepaart mit dem Wissen über Stärken und Schwächen im Vergleich zum Wettbewerb, sind die zentralen Voraussetzungen zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen im B2B-Marketing und Vertrieb. Für den darauf aufbauenden Vertriebserfolg ist es darüber hinaus essenziell zu wissen, wer die Machthaber und Entscheidungsträger (= Entscheidungsbeziehungen) einerseits beim direkten Kunden (Buying Center), andererseits aber auch innerhalb der Industriewertkette sind. Die Methoden und Vorgehensweisen zur Analyse des relevanten Marktes werden in Abschn. 6.2 ausführlich erläutert. Strategische Überlegungen zur Positionierung in relevanten Marktsegmenten erfolgen in Teil III (vgl. Kap. 7 und 8).

4.2 Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur Informationsbereitstellung im B2B-Marketing Unternehmen stehen im Marketing zunehmend vor der Herausforderung, dass in nahezu allen Absatzmärkten Sättigungstendenzen bestehen, Konkurrenzbeziehungen immer intensiver werden und die Lebensdauer eines Produktes oder einer Dienstleistung auf dem Markt aufgrund verkürzter Produktlebenszyklen immer kürzer wird. Dies führt dazu, dass Entscheidungen im Marketing möglichst effektiv und effizient getroffen werden müssen, was wiederum eine gute Informationsbasis erfordert. Im Marketing bilden daher relevante und verlässliche Informationen über das gegenwärtige und zukünftige Marktgeschehen die Grundlage von Entscheidungen und werden so zu einer wichtigen betrieblichen Ressource. cc Definition  Informationen sind Daten, die in einem gewissen Kontext interpretiert werden und zweckorientiert verwendet werden (vgl. North, 2005, S. 32). Wissen setzt sich aus vielen Daten und Informationen zusammen: Anders als Information ist Wissen handlungsorientiert. Es entsteht erst durch das Vernetzen verschiedener Informationen zu Handlungsmustern und führt zu praktischen, alltäglichen Anwendungen („Wissenstreppe“). Um dies im Marketingkontext beispielhaft zu erläutern, stellt eine Auf-

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

listung von Absatzzahlen lediglich eine Sammlung von Daten dar. Erst, wenn diese Absatzzahlen Produkten zugeordnet werden, d. h. ein Kontext hergestellt wird, entsteht die Information, mit welchem Produkt welcher Absatz generiert wurde. Wenn diese ­Information nun mit weiteren Informationen kombiniert wird, wie z. B., zu welchem Zeitpunkt welche Marketingaktivitäten (bspw. Preisänderungen) bei welchen Kundensegmenten durchgeführt wurden, entsteht Wissen. In diesem Fall könnte das Wissen darin bestehen, wie erfolgreich bestimmte preispolitische Maßnahmen bei einem bestimmten Produkt bei einem bestimmten Kundensegment waren. Dieses Wissen kann für anstehende Entscheidungen herangezogen werden.

4.2.1 Informationsbereitstellung als Aufgabe der Marktforschung Für ein erfolgreiches B2B-Marketing ist es notwendig, marketingrelevante Daten zu sammeln, zu Informationen aufzubereiten und mit weiteren Informationen über marketingrelevante Bereiche zusammenzuführen, um so die Entscheidungsqualität im Marketingmanagement zu fördern. Eine systematische Sammlung von Daten und die darauf aufbauende Gewinnung und Verwertung von Informationen über Absatzmärkte ist eine erfolgskritische unternehmerische Tätigkeit geworden. Die Aufgabe der Marktforschung besteht darin, alle für die Entscheidungsfindung notwendigen Informationen zur richtigen Zeit in der gewünschten Qualität bereitzustellen. Auf B2B-Märkten sind in vielen Fällen, z. B. in rohstoffnahen Industriebetrieben, neben Informationen über Absatzmärkte auch Informationen über Beschaffungsmärkte entscheidungsrelevant. Hierzu zählen vor allem Informationen über Lieferanten, Mengen, Preise und Qualitäten der zu beschaffenden Rohstoffe, Werkstoffe und Betriebsmittel (vgl. Scharf et al., 2015, S. 117). Hieraus ergibt sich folgende Definition der Marktforschung im B2B-Marketing: cc Definition  Marktforschung ist die systematisch betriebene Erforschung (Gewinnung, Aufbereitung, Interpretation) der Absatz- und Beschaffungsmärkte eines Unternehmens (vgl. Meffert et al., 2019, S. 174). In der Literatur wird Marktforschung von der Marketingforschung abgegrenzt. Marketingforschung stellt nur Informationen über Absatzmärkte bereit, umfasst jedoch – im Gegensatz zur Marktforschung  – auch die Beschaffung unternehmensinterner Daten (vgl. Scharf et al., 2015, S. 118). Für die Analyse der Ausgangssituation eines Unternehmens im B2B spielen Informationen sowohl über Absatz- als auch Beschaffungsmärkte eine Rolle, die aus unternehmensexternen und -internen Quellen stammen können.

4.2.2 Besonderheiten der Marktforschung auf B2B-Märkten B2B-Marktforschung unterscheidet sich von B2C-Marktforschung in einigen wesentlichen Punkten (vgl. Schröder, 2021):

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

49

• Im B2B-Markt ist die Markttransparenz deutlich höher als im B2C-Markt. Wenigen, häufig persönlich bekannten Nachfragern steht vielfach auch nur eine geringe Anzahl spezialisierter Anbieter gegenüber. Gleichzeitig sind B2B-Geschäftsbeziehungen eher langfristig mit entsprechend hoher ökonomischer Bedeutung hinsichtlich Wiederkäufen und Cross-Selling-Möglichkeiten. Die hohe ökonomische Bedeutung von langfristigen Kundenbeziehungen sowie die deutlich höheren Kosten der Neukundengewinnung im B2B-Markt legen nahe, dass nach Möglichkeit auch die persönlichen Beziehungsaspekte in eine Untersuchung miteinzubeziehen sind. Auch verlangen die persönliche Bekanntheit und die hohe ökonomische Bedeutung der einzelnen Kundenbeziehungen eine hohe Sensibilität im Rahmen der Auswahl und Gestaltung der Erhebungsinstrumente sowie während der Informationsgewinnung. • Die Nachfrage von Kundenunternehmen resultiert aus der Nachfrage nachgelagerter Märkte. Es ist also nicht nur den direkten Kundenbeziehungen Beachtung zu schenken, sondern auch den Kunden nachgelagerter Märkte. Bei Kundenzufriedenheitsmessungen stellt sich bspw. die Frage, ob nicht neben den Erwartungen und der Zufriedenheit des Kundenunternehmens auch die Zufriedenheit des Endkunden ihres Kunden Berücksichtigung finden sollte. Denn wahrscheinlich nimmt die Zufriedenheit des Endkunden unmittelbar Einfluss auf die Erwartungen und die Zufriedenheit ihres Kunden. Die B2B-Marktforschung muss auch den Kunden des Kunden im Blick haben. • Entscheidungen in Unternehmen sind i. d. R. kollektive Entscheidungen. Deshalb sind alle relevanten Akteure und Unternehmensfunktionen auf Seiten Ihrer Kunden zu identifizieren und marktforscherisch zu berücksichtigen (Multipersonalität). Die verschiedenen Entscheidungsträger im Unternehmen sollten dabei je nach Interessenlage auch unterschiedlich adressiert werden. Sind mehrere qualifizierte Ansprechpartner aus verschiedenen relevanten Unternehmensbereichen identifiziert, so sind diese zu ausgewählten Phasen der Geschäftsbeziehung zu befragen. Bestimmen eher nachgelagerte Akteure z. B. den Entscheidungsprozess, Einkaufskriterien oder die Gesamtzufriedenheit mit der Leistung, so sind diese die primären Ansprechpartner einer Untersuchung. Dadurch können dann die tatsächlichen Hebel identifiziert werden, mit denen sie die Geschäftsbeziehung gezielt zu ihren Gunsten beeinflussen können. Die Marktforschung hat die Multipersonalität sowohl in der Konzeptions- und der Erhebungsphase als auch in der Phase der Analyse zu berücksichtigen. In der Analysephase sind mehrebenenanalytische Verfahren anzuwenden, sodass individuelle und organisationale Einflüsse sowie deren Wechselwirkungen modelliert werden können. Ein beispielhaftes Verfahren stellt die mehrstufige Limit-Conjoint-Analyse (kurz: MeLimCA) dar (vgl. Backhaus & Pariwar, 2019, S. 99). • B2B-Geschäftsbeziehungen verlaufen in mehreren, zum Teil parallel verlaufenden Phasen (z. B. im Anlagengeschäft). Diese Phasen sind marktforscherisch zu berücksichtigen. Denn nur so können z. B. die phasenspezifischen Relevanzen für die Gesamtzufriedenheit ermittelt und gezielt Schwachstellen im Geschäftsbeziehungsprozess eliminiert werden.

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

• Bei den Produkten in B2B-Geschäftsbeziehungen handelt es sich häufig um erklärungsbedürftige, hochwertige und individuell gefertigte Leistungen. Kundenbeziehungen beginnen oft weit vor dem eigentlichen Kaufprozess und gehen aufgrund ergänzender Serviceleistungen weit über den Kaufprozess hinaus. Die Komplexität der Leistungsbündel sowie die Vielzahl der Teilleistungen haben deshalb auch Einfluss auf die Formulierung marktforscherisch relevanter Fragestellungen: Welche Bedeutung haben einzelne Teilleistungen auf die Preisakzeptanz? Inwieweit dominiert aufgrund der persönlichen Beziehungen der Service die Gesamtzufriedenheit vor dem Produkt?

4.2.3 Prozess der Informationsgewinnung Die systematische Informationsgewinnung im Rahmen der Marktforschung kann in Form eines Prozesses strukturiert werden. Im Wesentlichen können fünf Phasen des Marktforschungsprozesses unterschieden werden, welche die fünf zentralen Fragen der Informationsbereitstellung beantworten. Diese sind in Abb. 4.3. dargestellt und werden im Weiteren ausführlich erläutert.

V. Informationsdistribution An wen sind die Informationen im Unternehmen zu verteilen?

I. Informationsbedarf Welche Informationen werden benötigt?

IV. Informationsaufbereitung Wie können die Informationen verdichtet und aufbereitet werden?

II. Informationsträger Wer besitzt diese Informationen? III. Informationsgewinnung Womit können die Informationen beschafft bzw. erhoben werden?

Abb. 4.3  Grundsatzfragen der Informationsbereitstellung. (Quelle: In Anlehnung an Weiber & Jacob, 2000, S. 531)

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

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I. Informationsbedarf Um den Informationsbedarf festlegen zu können, bedarf es einer ausführlichen Darstellung des Problems sowie der Entscheidungssituation. So könnte bspw. die Entscheidungssituation darin bestehen, dass für ein neues Produkt-Service-Konzept eine neue Preisstrategie so gestaltet werden soll, dass diese bei den Kunden eine ausreichende Akzeptanz erfährt. Das heißt, das zugrundeliegende Problem besteht hier in einer Preisakzeptanzanalyse. Die klare Formulierung des Marketingproblems ist eine wichtige Voraussetzung, um den Informationsbedarf und die Anforderungen an die zu gewinnenden Informationen (z. B. Zuverlässigkeit, Aktualität) ermitteln zu können (vgl. Meffert et al., 2019, S. 177). Der Informationsbedarf umfasst dabei die Gesamtheit aller Informationen, die zur Lösung eines konkreten Entscheidungsproblems erforderlich sind. Wenn ein falsches oder ungenaues Untersuchungsproblem definiert wird, besteht die Gefahr, dass in einer Marktforschungsstudie „am Problem vorbei“ untersucht wird, was die durchgeführte Studie wertlos machen würde. In der Phase der Problemformulierung ist es daher empfehlenswert, dass sowohl Marketingentscheider, die Informationen benötigen, als auch Marktforscher, die die notwendigen Daten erheben, das zu analysierende Problem gemeinsam abgrenzen und konkretisieren (vgl. Voeth & Herbst, 2013, S. 88). Bei Industriegütern ist es darüber hinaus auch empfehlenswert, unternehmensinterne Mitarbeiter mit entsprechendem technischem Know-how zu involvieren oder gar ein „Industrial Research Team“ zu bilden (vgl. Kuhn & Zajontz, 2011, S. 39). Aus der definierten Problemstellung und dem ermittelten Informationsbedarf leitet sich anschließend das Untersuchungsziel ab, welches wiederum die Grundlage für die Form der Informationsgewinnung (vgl. III. Informationsgewinnung) ist. Je nach Untersuchungsziel lassen sich drei Typen von Marktforschungsuntersuchungen unterscheiden (vgl. Voeth & Herbst, 2013, S. 88–89): • Explorative Studien geben erste Einblicke in ein zu untersuchendes Thema, zu dem man bislang so gut wie keine Informationen hat. Diese Studien bilden häufig den Einstieg in Marktforschungsaktivitäten. • Deskriptive Studien haben eine bekannte Problemstruktur und ein fest vorgegebenes Forschungsziel. Studien dieser Art beschreiben einen gewissen Sachverhalt oder zeigen Zusammenhänge auf, ohne jedoch auf Ursache-Wirkungs-Beziehungen einzugehen. Deskriptive Studien haben in der Praxis eine große Bedeutung. • Kausale Studien untersuchen Ursachen und Zusammenhänge und werden häufig auch hypothesentestende Studien genannt. Hierzu werden im Vorfeld Hypothesen über Ursache-­Wirkungs-Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Variablen aufgestellt, welche anschließend überprüft werden. Für Studien dieser Art sind gute Kenntnisse im zu untersuchenden Themenfeld notwendig, um überhaupt erst Hypothesen aufstellen zu können.

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

Nachdem das Untersuchungsproblem und das Ziel festgelegt wurden, sind die Anforderungen an die Informationsgewinnung festzulegen. Dabei haben die durch die Marketingforschung zu gewinnenden Informationen den folgenden grundsätzlichen Anforderungen der Entscheidungsträger zu genügen (vgl. Meffert et al., 2019, S. 178–179): • Ziel der Informationsgewinnung ist es, alle für die Entscheidung relevanten Informationen vollständig zu erheben. Es geht somit nicht darum, alle nur denkbaren Informationen zu beschaffen. • Die Informationen sollten zuverlässig (reliabel) sein. Reliabilität bedeutet, dass bei einer Messung (z. B. Befragung) unter identischen Bedingungen die gleichen Ergebnisse herauskommen. • Informationen sollten valide, d. h. gültig sein. Die Gültigkeit (Validität) von Informationen bringt zum Ausdruck, inwieweit inhaltlich jene Informationen gemessen und wiedergegeben werden, die zu messen beabsichtigt waren. • Die Informationen sollten aktuell und in einem angemessenen Zeitraum zu beschaffen sein. Insbesondere der Zeitraum wird maßgeblich durch die Art und Komplexität der gewählten Datengewinnungsmethoden (vgl. Prozessschritt III.  Informationsgewinnung) bestimmt. • Kosten und Nutzen von Marketinginformationen müssen abgeschätzt und gegeneinander aufgewogen werden. Die Kosten werden durch die gewählte Datengewinnungsmethode maßgeblich beeinflusst. Die Schätzung des Informationsnutzens ist im Vorfeld schwer zu bestimmen, da er letztlich in einem durch Entscheidungsverbesserung bedingten Ertragszuwachs gesehen werden kann. II. Informationsträger Die möglichen Informationsquellen lassen sich einerseits nach internen und externen Informationsquellen und andererseits nach Primär- und Sekundärinformationen unterscheiden. Die Unterscheidung nach Primär- und Sekundärinformationen stellt dabei auf die Art der Informationsgewinnungsmethode ab, weshalb meist auch von Primär- und Sekundärforschung gesprochen wird. cc Definition  Im Rahmen der Primärforschung werden originäre Daten für ein gegebenes Untersuchungsproblem erhoben und analysiert. Demgegenüber werden im Rahmen der Sekundärforschung Daten aus bereits vorhandenen Informationsquellen gesammelt, aufbereitet und analysiert (vgl. Meffert et al., 2019, S. 179). Daten, die im Rahmen der Primärforschung (Field Research) erhoben werden, können somit speziell auf das Untersuchungsproblem und den damit verbundenen Informationsbedarf zugeschnitten werden. Dagegen geht es bei der Sekundärforschung (Desk Re­ search) darum, bestehende Daten zu sammeln und so weiterzuverarbeiten, dass sie dem Informationsbedarf möglichst gerecht werden (vgl. Meffert et al., 2019, S. 179).

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

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Informationsgewinnungsmethode Sekundärforschung

Intern





Informationsquellen

– – –

Extern

– – –

– – – – –

Berichtswesen – des Außendienstes – des betriebl. Rechnungswesens – der F&E-Abteilung – des Kundendienstes – der Marktforschungs-/Marketingabteilung – zu Messebesuchen Statistiken über – Auftrags-, Absatz-, Umsatzentwicklung – Beschwerden/Reklamationen – Kundenstruktur – Lagerbestände – Produktionsentwicklung Vorhandene Marktstudien Adress- und Handbücher Amtliche Statistiken z. B. – ausländischer statistischer Ämter – der Bundesstelle für Außenhandelsinformationen – inter-/supranationaler Organisationen – des Statistischen Bundesamtes Anzeigen und Mailings Ausschreibungsunterlagen Berichte/Gutachten/Statistiken von – Banken und Versicherungen – Marktforschungsinstituten – Messeveranstaltern – Patentämtern – User Groups – Unternehmen (Geschäftsberichte) – wissenschaftlichen Einrichtungen, Kammern, Verbänden und Wirtschaftsorganisationen Datenbankrecherchen Fachzeitschriften und Fachliteratur Gesetzesblätter/Handelsregisterauszüge Prospekte, Kataloge, Demozentren Wirtschaftsinformationsdienste, - presse

– – – – – – –



– – –

Primärforschung Außendienstmitarbeiter Betriebliche Frühwarnsysteme (z. B. schwache Signale) Betriebliches Vorschlagwesen Kreativitätssitzungen Mitglieder von Verkaufs-/Auslandsniederlassungen Qualitätszirkel Round-Table-Gespräche

Befragung/Beobachtung von – aktuellen und potenziellen (End-)Kunden – aktuellen und potenziellen Konkurrenten – OEM – nachgelagerten Wirtschaftsstufen – Lead Usern – User Groups Expertenbefragungen z. B. bei Consulting-Unternehmen, Einkaufsgesellschaften, Distributoren, Handelskammern, Industrievereinigungen, Ministerien, Verbänden Experimente „Reverse-Engineering“ von Konkurrenzprodukten

Abb. 4.4  Systematisierung möglicher Informationsquellen im B2B-Bereich. (Quelle: In Anlehnung an Weiber & Jacob, 2000, S. 539)

Als allgemeine Vorteile der Sekundärforschung sind i. d. R. Kosten- und Zeitersparnisse gegenüber der Primärforschung hervorzuheben. Allerdings werden diese Vorteile häufig mit den Nachteilen mangelnder Aktualität sowie meist unzureichender Passgenauigkeit der Informationen zur Problemdefinition „erkauft“ (vgl. Weiber & Jacob, 2000, S. 537). Eine vollständige Aufzählung möglicher Informationsquellen vorzunehmen ist nicht nur unmöglich, sondern auch nicht zweckmäßig, da sich die relevanten Informationsquellen erst aus der Definition der betrachteten Entscheidungssituation ergeben. Das weite Spektrum an Informationsquellen sei deshalb hier nur anhand beispielhafter Nennungen verdeutlicht, die in Abb. 4.4 zusammengestellt wurden. Die Frage, ob der Informationsbedarf verstärkt durch Primär- oder Sekundärdaten gedeckt werden kann, ist nicht pauschal zu beantworten. Die Auswahlentscheidung darüber wird einerseits von der Qualität der zu erwartenden Daten (d. h. Eignung der Daten zur Beantwortung des spezifischen Marketingproblems), andererseits aber auch von dem Erhebungs- und Weiterverarbeitungsaufwand bestimmt (z. B. Zeit-, Kosten, und Personalaufwand). Kuhn und Zajontz (2011, S. 41) empfehlen, dies in Abhängigkeit der bereits dargestellten Untersuchungsanlässe zu beantworten. Eine Übersicht der Einsatzhäufigkeiten der Forschungsarten nach Anlässen ist in Abb. 4.5 gegeben. Die idealtypische Vorgehensweise sieht vor, das Untersuchungsproblem zunächst im Rahmen der Sekundärforschung anzugehen (vgl. Berekoven et al., 2009, S. 39). Erweist

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

Anlässe

Primärforschung

Sekundärforschung

Potenzialanalysen

XX

XXX

Leistungs- und Konzeptentwicklung

XX

X

Wettbewerbsanalysen

XXX

X

Wirtschaftsprognosen

X

XXX

Wirkungsanalysen

XXX

X

Ergebnisanalysen

XXX

X

Einsatzhäufigkeit: x = gering, xx = mittel, xxx = hoch

Abb. 4.5  Primär- und Sekundäranalysen auf B2B-Märkten. (Quelle: In Anlehnung an Kuhn & Zajontz, 2011, S. 41)

sich diese (bereits vor Beginn) als ungeeignet bzw. (nach Ende) als unzureichend, um den Informationsbedarf des Untersuchungsproblems vollständig zu decken, können im Rahmen der Primärforschung passgenauere Informationen gewonnen werden. III. Informationsgewinnung Sind die durch die Sekundärforschung gewonnenen Informationen nicht ausreichend, müssen die erforderlichen Daten originär erhoben werden. Im Rahmen der Primärforschung gilt es, folgende Entscheidungstatbestände zu berücksichtigen (vgl. Weiber & Jacob, 2000, S. 542): 1. Erhebungsumfang 2. Auswahl und Gestaltung des Erhebungsinstruments 1. Erhebungsumfang Die zentrale Entscheidung im Rahmen der Bestimmung des Erhebungsumfangs ist diejenige, ob alle Informationsträger (= Vollerhebung), oder nur eine ausgewählte Menge der Informationsträger (= Teilerhebung) berücksichtigt werden (können). Industrielle Informationsbeschaffung bezieht sich in erster Linie auf die derivative, industrielle Nachfrage. Hierbei ist festzulegen, welche Unternehmen und Institutionen entlang der industriellen Wertkette in die Untersuchung einbezogen und welche Kontaktpersonen innerhalb dieser Organisationen angesprochen werden sollen. Eine Vollerhebung bietet sich immer dann an, wenn die Grundgesamtheit relativ klein und mit einem akzeptablen Aufwand vollständig erreichbar ist. Dies ist z. B. dann ­gegeben, wenn eine überschaubare Anzahl an zu untersuchenden Organisationen (z. B. industrielle Kunden) vorliegt und die Mitglieder der Buying Center bekannt sind. Oftmals liegt jedoch eine kaum quantifizierbare Anzahl an Informationsträgern vor, da z. B. die Anzahl der Kunden sehr groß ist, oder da die Mitglieder des Buying Centers nicht eindeutig identifizierbar sind. Unter diesen Umständen ist eine Vollerhebung praktisch

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

55

nicht durchsetzbar. In diesen Fällen wird die Informationsgewinnung auf Basis von Teilerhebungen durchgeführt. Im Rahmen von Teilerhebungen wird eine Teilmenge (Stichprobe) der Grundgesamtheit (alle in Frage kommenden Informationsträger) zur Informationsgewinnung herangezogen. Die durch die Teilerhebung gewonnenen Informationen dienen dazu, eine Aussage über die Grundgesamtheit zu treffen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Teilmenge ein repräsentatives Abbild der Grundgesamtheit darstellt. Im B2B-­ Umfeld ist die Beurteilung der Repräsentativität aufgrund der in vielen Fällen nicht vollständig bekannten Grundgesamtheit jedoch häufig schwierig zu beurteilen. Dies sollte bei der Dateninterpretation berücksichtigt werden, da jede Aussage, die aufgrund von Teilerhebungen getroffen wird, grundsätzlich mit Fehlern behaftet ist (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 165). Zum einen können durch Stichprobenfehler Erhebungsergebnisse der Teilgesamtheit zufällig von den wahren Werten der Grundgesamtheit abweichen. Dieser Fehler ist unvermeidbar, lässt sich aber durch Vergrößerung der Stichprobe reduzieren. Zum anderen können fehlerhafte Planung, Durchführung, Aufbereitung und Auswertung der gewonnenen Daten zu systematischen Fehlern führen. Das Ausmaß dieses Fehlers hängt somit allein von der Sorgfalt der Informationsgewinnung und -auswertung ab (vgl. Berekoven et al., 2009, S. 307). Im Rahmen der Festlegung des Erhebungsumfangs sollten folgende Besonderheiten berücksichtigt werden: • Die Struktur der Grundgesamtheit ist oftmals nicht vollständig bekannt. Dies gilt insbesondere dann, wenn entlang der industriellen Wertkette nicht nur die eigenen Kunden untersucht werden sollen. • Einzelne Buying-Center-Mitglieder sind unterschiedlich gut erreichbar, da z.  B. der Vertrieb einen unterschiedlich guten Zugang zu den einzelnen Personen hat. • Rücklaufquoten sind bei B2B-Befragungen i. d. R. relativ gering, sodass dies bei der Festlegung der zu befragenden Kontakte und der sich daraus ergebenden Stichprobe berücksichtigt werden sollte. Als Stichprobenverfahren stehen prinzipiell alle in der Marktforschung gängigen Verfahren der zufälligen oder bewussten Auswahl der Informationsträger zur Verfügung (einen ausführlichen Überblick bietet Berekoven et al., 2009, S. 43 ff.). Bei Verfahren der Zufallsauswahl steigt mit zunehmender Zahl ausgewählter Informationsträger die Wahrscheinlichkeit, dass die Stichprobe in ihrer Zusammensetzung der Grundgesamtheit entspricht (vgl. Berekoven et  al., 2009, S.  46). Je nach Größe der Grundgesamtheit kann es sehr kostspielig werden eine ausreichend große Stichprobe zu erreichen, insbesondere da aufgrund der geringen Rücklaufquoten viele Nachfassaktionen notwendig werden können. Bei den Verfahren der bewussten Auswahl eignen sich insbesondere ein vereinfachtes Quota-Verfahren sowie das Konzentrationsverfahren (Cut-off-Verfahren). Im Rahmen des Quota-Verfahrens werden Erhebungseinheiten analog der Verteilung einzelner Merkmale in der Grundgesamtheit über Quotenpläne ausgewiesen. Im B2C-Umfeld dienen hierzu häufig z. B. Alter, Geschlecht, Beruf usw. Im B2B-Umfeld dienen hierzu häufig Funktio-

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

nen im Unternehmen, Größe von Unternehmen, Branchenzugehörigkeit usw. Beim Konzentrationsverfahren werden jene Teile der Grundgesamtheit nicht berücksichtigt, die keine zusätzlichen Erkenntnisse, aber wesentlich höhere Kosten verursachen. So werden bspw. im B2B-Umfeld in diesem Zusammenhang einzelne Buying-Center-Mitglieder vernachlässigt, von welchen keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, oder die für den Marktforscher schwer zugänglich sind, da z. B. durch den Vertrieb kein Kontakt besteht oder der Kontakt durch den Informationsselektierer blockiert wird. 2. Auswahl und Gestaltung des Erhebungsinstruments Im Rahmen der Primärforschung können quantitative und/oder qualitative Ansätze gewählt werden. Die quantitative Marktforschung ist tendenziell analytisch geprägt und sucht häufig nach statistisch signifikanten (d.  h. nicht zufälligen) Zusammenhängen (z. B. zwischen Kundenzufriedenheit und -bindung), um Hypothesen zu bestätigen oder zu widerlegen. Daten bestehen aus Zahlen, die statistisch ausgewertet werden können, und relativ großen Stichproben. Im Gegensatz dazu ist die qualitative Informationsgewinnung eher explorativ geprägt und sucht nach bisher unbekannten Handlungs- und Konsummustern. Durch die qualitative Informationsgewinnung werden qualitative Daten interpretiert, sie kommt mit vergleichsweise kleinen Stichproben aus. Ziel der qualitativen Forschung ist häufig die Generierung von Hypothesen, die dann mit Mitteln der quantitativen Forschung überprüft werden können (vgl. Walsh et al., 2020, S. 113). Dieser Zusammenhang ist beispielhaft in Abb. 4.6 dargestellt. Als Erhebungsinstrumente kommen im B2B-Marketing analog zum B2C-Marketing im Rahmen der Primärforschung die Beobachtung, die Befragung, das Experiment sowie Panels in Frage. Eine Übersicht bietet Abb. 4.7. Im Rahmen der Beobachtung werden wahrnehmbare Sachverhalte, Verhaltensweisen und Eigenschaften bestimmter Personen planmäßig erfasst (vgl. Berekoven et al., 2009, S. 141). Dies kann zu einem speziellen Zeitpunkt geschehen oder aber über einen Zeitraum hinweg. Die Beobachtung dieser Sachverhalte erfolgt meist nicht durch die handelnden Personen selbst (Selbstbeobachtung), sondern durch unabhängige Dritte (Fremdbeobachtung) oder durch Geräte (instrumentelle Beobachtung, z. B. durch Videokameras). Beobachtungen finden in der B2B-Marktforschungspraxis in unterschiedlichen Themen Anwendung, und sie können sowohl für quantitative als auch qualitative Ansätze zum Einsatz kommen. Eher quantitativ: • Kundenbeobachtung im Internet (z.  B.  Webshop), indem das Nutzungsverhalten („Click-Through-Verhalten“) und das Kaufverhalten der Kunden erfasst und analysiert werden. Neben der Zahl der Besucher (Page Impressions) und der Käufe lässt sich so-

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

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Beispiel: Segmentierung Explorativ erforschen mit qualitativen Ansätzen

Leitfrage: Was und warum?

Validieren/ Messen mit quantitativen Ansätzen

Präzisierung: Wie viel und wie?

Verstehen, Klassifizieren, Identifizieren und Erklären, Hypothesen erstellen

Bestätigen und Ablehnen, Evaluieren, Auswählen, Zählen, Optionen einschränken, Richtung bestimmen

Tiefeninterviews, um Nachfrager- und Entscheidungsverhalten zu verstehen: Testen von ersten Hypothesen/Überlegungen zu Segmentierungskriterien und Entwicklung neuer Hypothesen

Großzahlige Umfrage, um Hypothesen (Segmentierungsprofile) zu prüfen und Segmentgrößen zu bestimmen

Abb. 4.6  Qualitative und quantitative Forschungsansätze Erhebung von Primärdaten

Beobachtung

Befragung eher qualitativ:

Tiefeninterview

Mischformen zwischen Befragung und Beobachtung

Expertengespräch Szenariotechnik

Experiment

Laborexperiment Feldexperiment

Gruppendiskussion eher quantitativ:

Persönlich Telefonisch Schriftlich

Expertenpanel Panel

Handelspanel Online-Panel

Abb. 4.7  Instrumente zur Erhebung von Primärdaten (In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 286)

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

mit auch der Kaufentscheidungsprozess auswerten, indem z. B. untersucht wird, welche Produkte miteinander verglichen wurden. • Planung und Evaluierung von Messeaktivitäten (z. B. Platzierung eines Messestandes) kann durch Beobachtungen des Bewegungsverhaltens von Messebesuchern auf dem Messegelände unterstützt werden. Eher qualitativ: • Im Zuge der Digitalisierung gewinnen Beobachtungen der Kommunikation von Mitgliedern von Virtual Communities oder von Blogs, z. B. im Hinblick auf die Bewertung von Marken oder von Produkten, zunehmend an Bedeutung. Diese besondere Form der Beobachtung, bei der Methoden der Ethnografie auf Communities im Internet angewendet werden, nennt sich Netnographie (vgl. Kozinets, 2002). Hierbei können sowohl B2B- als auch B2C-Communities analysiert werden. Im B2B-Umfeld kann diese Methode bspw. zur Beobachtung von Endkunden eingesetzt werden. So kann etwa ein Chemieunternehmen, welches Produkte für die Kosmetikbranche (z. B. Farbpigmente für Lippenstift) herstellt, durch die systematische Beobachtung des Kommunikationsverhaltens in einschlägigen Communities oder Blogs zum Thema Kosmetik frühzeitig Wünsche von Endkunden identifizieren. Diese Analyse ermöglicht anschließend eine proaktive Produktentwicklung und -vermarktung an Kosmetikhersteller. • Die Beobachtung basierend auf ethnografischen Methoden kann auch im Rahmen der Erforschung von Ansätzen zur Produktverbesserung eingesetzt werden. Hierbei begleitet und beobachtet bspw. ein Produktentwicklerteam den Kunden in seinem Alltag und analysiert, wie er die bisherigen Produkte im Rahmen seines Wertschöpfungsprozesses einsetzt. Aus derartigen ethnografischen Beobachtungen werden – selten, aber dann mit gutem Erfolg – Produktverbesserungen abgeleitet (vgl. Baier & Sänn, 2015, S. 81). Die Befragung ist die wichtigste und am weitesten verbreitete Informationsgewinnungsmethode. Ziel und Aufgabe der Befragung bestehen darin, Auskünfte von ausgewählten Personen zu spezifischen Sachverhalten zu erhalten. Vorteil der Befragung im Gegensatz zur Beobachtung ist, dass sie sowohl der Erfassung von beobachtbarem als auch nicht beobachtbarem Verhalten ermöglicht. Kern aller Überlegungen bei dieser Erhebungstechnik ist zum einen die Festlegung des Adressatenkreises und zum anderen die Methodik der Befragung. Befragungen können zur Gewinnung sowohl von qualitativen als auch quantitativen Informationen dienen. Standardisierte Befragungen mit dem Ziel, quantitativ repräsentative Ergebnisse zu erhalten, bieten sich natürlich nur dann an, wenn entweder alle möglichen Kunden befragt werden können oder zumindest aus der Grundgesamtheit eine repräsentative Stichprobe von möglichen Kunden gezogen werden kann (vgl. Baier & Sänn, 2015, S. 79).

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

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Um quantitative Daten zu erhalten, können im B2B-Umfeld im Prinzip die gleichen Befragungsmethodiken (z.  B. mündlich, schriftlich …) eingesetzt werden wie im B2C-Umfeld. Im B2B-Umfeld gilt es jedoch, einige Herausforderungen zu berücksichtigen (siehe die folgende Übersicht).

Typische Herausforderungen der Informationsgewinnung in der B2B-Praxis

• Industrieunternehmen sind meist weniger an dem statistischen Durchschnitt als vielmehr an Einzelinformationen über Kunden interessiert. Beispielsweise möchte ein Maschinenhersteller erfahren, welche Kunden sich genau für die neue Produktionsanlage interessieren, wer die Entscheidung über den Kauf fällt und wer diese Entscheidung beeinflusst. Dieses öffnet Tür und Tor für viele Probleme des Datenschutzes bzw. der fehlenden Anonymität. • In der Praxis verlieren die strengen Stichprobenauswahlkriterien der B2C-­ Forschung an Bedeutung. Manchmal ist sogar eine Vollerhebung möglich, die in der Konsumentenforschung so gut wie ausgeschlossen ist. • Zielpersonen sind schlecht zu erreichen. Bei einer Umfrage mit Architekten oder Ärzten sind mitunter 40 bis 50 Anrufe für ein einziges Interview erforderlich. • Die Auskunftsbarrieren sind höher als bei Privatkunden. Ein Konsument gibt Auskunft darüber, welches Auto er zu welchem Preis gekauft hat. Ein Einkäufer in einem Unternehmen lässt sich nicht so gerne in die Karten schauen. • Die Interviewer müssen besonders gut geschult sein. Es handelt sich in den meisten Fällen um Fachgespräche, bei denen der Interviewte sehr schnell merkt, falls der Interviewer keine Ahnung vom Befragungsinhalt hat. Dadurch entsteht sehr schnell die Gefahr, schlechte (geringe Validität und Reliabilität) Daten zu erheben. • Interviewte können sehr schnell das Gefühl haben, dass die Konkurrenz die Studie durchführt und die Unternehmen dadurch nur „ausgehorcht“ werden sollen. Dadurch besteht immer die Gefahr der eingeschränkten Validität der Daten (wenn überhaupt Auskünfte gegeben werden). • Online-Befragungen, wie sie in der Konsumentenforschung mittlerweile Gang und Gäbe sind, sind in der B2B-Marktforschung schwieriger möglich. Es gibt kaum Online-B2B-Panels und selbst bei vorhandenen E-Mail-Listen sind die Antwortquoten eher gering. Quelle: Sicking (2021)

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

Bei standardisierter Befragung im B2B ist es zweckmäßig, diese • persönlich („Face-to-Face“, mit gedrucktem oder computergestütztem Fragebogen), • telefonisch (i.  d.  R. computergestützt als Computer Assisted Telephone Interviewing) oder • schriftlich (offline/mit gedruckten Fragebögen oder online) unter Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile durchzuführen (vgl. Baier & Sänn, 2015, S. 79). Die persönliche Befragung wird „Face-to-Face“ durchgeführt und die Datenerfassung erfolgt häufig während der Befragung durch eine elektronische Dateneingabe (CAPI, Computer Assisted Personal Interviewing) (vgl. Berekoven et al., 2009, S. 101). Für diese Befragungsform spricht vor allem, dass die Auskunftsbereitschaft bei einem persönlichen Treffen – etwa im Rahmen eines Messeinterviews oder bei einem Unternehmensbesuch – relativ hoch ist. Angesichts komplexer Produkte steht für zu erwartende Rückfragen ein Interviewer bereit und es kann bei Unklarheiten nachgefragt werden. Dem entgegen steht der erhebliche Kosten- und Zeitaufwand, da die möglichen Kunden i. d. R. national oder sogar international erreicht werden müssen. Umgekehrt bietet sich diese Kommunikationsform aber auch an, wenn die zu Befragenden durch Unternehmensmitarbeiter sowieso besucht werden müssen, etwa im Rahmen von Kundendienstaktivitäten (vgl. Baier & Sänn, 2015, S. 79). Die telefonische Befragung zeichnet sich – auch auf Industriegütermärkten – vor allem durch ihren geringen Kosten- und Zeitaufwand aus. Mit einem geringen Budget kann bei einem standardisierten kurzen Fragebogen in kurzer Zeit eine beachtliche Anzahl an möglichen Kunden erreicht werden, allerdings ist diese Form der Befragung nur bei sehr einfachen Fragen bzw. Fragen zu wenig komplexen Produkten geeignet (vgl. Baier & Sänn, 2015, S. 80). Die schriftliche Befragung – sowohl als Online- als auch als Offline-Befragung, idealerweise werden beide Möglichkeiten angeboten – verbindet die Vorzüge der persönlichen und der telefonischen Befragung: Bei geringem Kosten- und Zeitaufwand können auch Fragen zu komplexen Produkten gestellt werden. Je nach Gestaltung des Fragebogens und Interesse der Befragten an dem Befragungsthema kann mit Rückläufen von 5 % bis zu 50 % gerechnet werden (vgl. Baier & Sänn, 2015, S. 80). Für den Industriegüterbereich ist zu erwarten, dass Online-Befragungen mit paralleler telefonischer Interview-­Unterstützung zukünftig eine zunehmende Bedeutung zukommen wird (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 167). Neben den standardisierten Befragungen kommen auf B2B-Märken verstärkt qualitative Befragungsformen zum Einsatz. Solche qualitativen Forschungsansätze werden in der Industriegütermarktforschung oft in der Vorstufe zu einer breiter angelegten quantitativen Erhebung eingesetzt und dienen dann u. a. der Vorbereitung und Entwicklung eines strukturierten Fragebogens. Die wichtigsten Methoden qualitativer Studien sind Tiefeninterviews, Gruppendiskussionen und – gerade im B2B-Bereich – Expertengespräche sowie die Szenariotechnik (vgl. Langer, 2004; Backhaus & Voeth, 2014, S. 167).

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

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Experimente können z. B. aufgrund der geringen Anzahl an Marktteilnehmern eher selten eingesetzt werden (vgl. Baier & Sänn, 2015, S.  79). Sie weisen daher in der B2B-Marktforschung eine vergleichsweise geringe Relevanz auf. Auch Panels kommen weniger häufig vor. An dieser Stelle wird daher lediglich auf die Erläuterungen bspw. bei Homburg (2020, S. 302 ff.) verwiesen. IV. Informationsaufbereitung und Informationsdistribution Die gewonnenen Daten müssen schließlich (statistisch) ausgewertet, interpretiert und den Entscheidungsträgern präsentiert werden. Bei der statistischen Auswertung und visuellen Aufbereitung ist auf den Adressatenkreis zu achten. Ergebnisberichte und Präsentationen für die Geschäftsführung oder Bereichsleitung erfordern ein mengenmäßig reduziertes, konzentriertes und einfach verständliches Design. Für diese Zielgruppe verzichten viele Projektleiter auf die Verwendung von multivariaten Auswertungsverfahren und beschränken sich auf die Darstellung von deskriptiven Auswertungen, wie bspw. Häufigkeiten oder arithmetische Mittelwerte. Diese einfachen Auswertungen schränken jedoch die Aussagekraft der Ergebnisse oftmals erheblich ein, was mitunter zu verzerrten Interpretationen oder gar zu fehlerhaften Aussagen führen kann (vgl. Kuhn & Zajontz, 2011, S. 40). In der industriellen Marktforschungspraxis wird daher oftmals ein zweistufiges, an den Zielgruppen orientiertes Vorgehen gewählt: 1. Dokumentation der detaillierten statistischen Analysen im Rahmen eines „Study Reports“. Dieser enthält für die Experten nachvollziehbare Berechnungen und Interpretationen. 2. Vereinfachte Darstellung in Form einer „Executive Summary“

4.2.4 Veränderungen durch Big Data Durch die voranschreitende Digitalisierung und die in diesem Zuge rasant steigenden Datenmengen ergeben sich unter dem Schlagwort „Big Data“ ganz neue Potenziale, aber auch Risiken für die B2B-Marktforschung. Unter Big Data wird zum einen das Aufkommen riesiger Datenmengen, zum anderen die Aufbereitung, Analyse und vor allem Nutzung dieser Daten für unternehmerische Zwecke verstanden. Die Daten umfassen • soziale Daten (z. B. soziodemografische Daten von Kunden, Bewegungsdaten, Rechnungen und Zahlungsverhalten, Beschwerdemanagementinformationen …), • Maschinendaten, die durch mit Sensoren ausgestattete IoT-Geräte und -Maschinen erzeugt werden (z. B. Standort, Laufzeit, Zustand …), sowie • Transaktionsdaten (z.  B.  Einkaufstransaktionen, Finanztransaktionen, Logistikinformationen …).

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

Diese Daten stammen aus unterschiedlichen Quellen und können in unterschiedlicher Art (strukturiert, unstrukturiert, halbstrukturiert) vorliegen. Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass aus der Kombination verschiedener Datenquellen erhebliche Chancen, aber auch Herausforderungen erwachsen. Beispielhafte Chancen könnten u. a. folgende sein: • Produkt- und Serviceentwicklung: Produktentwickler können bspw. Kundenbewertungen und Trends analysieren und schneller neue Produkte und Services entwickeln oder das bestehende Angebot verbessern. • Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit: Die aus Big Data gewonnenen Erkenntnisse können Unternehmen dabei helfen, Geld zu sparen, Kunden zufriedenzustellen, bessere Produkte herzustellen und Geschäftsabläufe innovativ zu gestalten. • Customer Experience: Mit Big-Data-Analysen können Unternehmen die Erfahrungen ihrer Kunden mit ihrer Marke verbessern und personalisieren. In einer Umfrage unter globalen Wirtschaftsführern im Jahr 2020 stellte Gartner fest, dass „wachsende Unternehmen Daten zur Kundenerfahrung aktiver sammeln als nicht wachsende Unternehmen“ (Gartner, 2020). • Vorausschauende Wartung: Durch die Analyse von Maschinendaten können vorausschauend Wartungen und Reparaturen geplant und durchgeführt werden. Dies kann die Kosten für die Wartung der Geräte um bis zu 40 % senken (vgl. McKinsey, 2015). • Kosteneinsparungen und größere Effizienz: Durch Analysen von Prozessen im Unternehmen können Ineffizienzen erkannt und schnelle sowie effektive Lösungen implementiert werden. • Resilienz und Risikomanagement: Die Erkenntnisse aus Big Data können Unternehmen dabei helfen, Risiken vorherzusehen und sich auf das Unerwartete vorzubereiten. Um die Chancen und damit Potenziale von Big Data umsetzen zu können, müssen jedoch einige organisatorische und technologische Voraussetzung erfüllt sein. Neben entsprechenden Informationssystemen (z. B. CRM-System), Datenbanklösungen und einer BigData-­Architektur werden Mitarbeiter benötigt, die die entsprechenden Analyse-Kompetenzen haben, um mit Big Data zu arbeiten. Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Warum ist die Analyse der Ausgangssituation im B2B-Marketing und Vertrieb wichtig? 2. Anhand welcher drei Leitfragen lässt sich die Analyse der Ausgangssituation charakterisieren? 3. Welche Anlässe zur Analyse der Ausgangssituation gibt es? Nennen Sie je Anlass zwei bis drei konkrete Aktivitäten, die eine Analyse erforderlich machen. 4. Wie lässt sich die Analyse der Ausgangssituation hinsichtlich ihrer Regelmäßigkeit unterscheiden?

4.2  Grundlagen und Besonderheiten der Marktforschung zur …

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5. Welche Funktionen erfüllt die Informationsbeschaffung im Rahmen der Analyse der Ausgangssituation im Rahmen des B2B-Marketings und Vertriebs? 6. In welche zwei grundsätzlichen Bereiche (= Umwelten) lässt sich die Analyse der Ausgangssituation einteilen? 7. Was umfasst die Analyse der Makroumwelt? 8. Welche Bestandteile umfasst die Analyse der Mikroumwelt? 9. Warum ist die Gewinnung von Informationen durch Marktforschung notwendig? 10. Wie unterscheiden sich Informationen von Wissen? 11. Was ist Marktforschung und welche Aufgabe nimmt diese wahr? 12. Welche Besonderheiten bestehen bei der Marktforschung auf B2B-­Märkten? 13. Wie lässt sich der Prozess der Informationsgewinnung systematisieren und welche Grundsatzfragen werden je Prozessphase beantwortet? 14. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen Informationsbedarf und den Typen von Marktforschungsuntersuchungen. Gehen Sie darauf aufbauend auf die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Anforderungen an die Informationsgewinnung ein. Welche Gefahr besteht, wenn diese Anforderungen nicht erfüllt werden? 15. Welche zwei grundsätzlichen Methoden der Informationsgewinnung werden unterschieden? Nennen Sie je Methode jeweils drei interne und drei externe Informationsquellen, die auf B2B-Märkten als Informationsträger genutzt werden können. 16. Erläutern Sie, zu welchen Anlässen der Analyse der Ausgangssituation jeweils eher Primärforschung und zu welchen Anlässen eher Sekundärforschung eingesetzt wird. 17. Welche zwei Entscheidungstatbestände gilt es im Rahmen der Informationsgewinnung zu berücksichtigen? 18. Welche Besonderheiten gilt es auf B2B-Märkten bei der Festlegung des Erhebungsumfangs zu berücksichtigen? 19. Welche Methoden stehen grundsätzlich zur Erhebung von Primärdaten zur Verfügung? 20. Nennen Sie die unterschiedlichen Arten von Befragungen und erläutern Sie anschließend jeweils die auf B2B-Märkten bestehenden Besonderheiten. 21. Was gilt es im Rahmen der Informationsaufbereitung und -distribution zu berücksichtigen? 22. Welche Veränderungen ergeben sich für die Marktforschung durch Big Data?

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4  Grundlagen der Informationsbeschaffung zur Analyse der Ausgangssituation

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Literatur Backhaus, K., & Pariwar, K. (2019). Ermittlung von Gruppenpräferenzen im Buying Center. In K. Backhaus & P. Buff (Hrsg.), MarktLab 2.0. Technologische Inventionen erfolgreich vermarkten (S. 99–113). Springer Vieweg. https://doi.org/10.1007/978-­3-­662-­55152-­3_6 Backhaus, K., & Voeth, M. (2014). Industriegütermarketing: Grundlagen des Business-to-Business-­ Marketings. Vahlen. Baier, D., & Sänn, A. (2015). Marktforschung auf Industriegütermärkten. In K. Backhaus & M. Voeth (Hrsg.), Handbuch Business-to-Business-Marketing. Grundlagen, Geschäftsmodelle, Instrumente des Industriegütermarketing (S. 73–89). Gabler. Berekoven, L., Eckert, W., & Ellenrieder, P. (2009). Marktforschung: Methodische Grundlagen und praktische Anwendung (12. Aufl.). Gabler. Gartner. (2020). Gartner says growth companies are more actively collecting customer experience data than nongrowth companies. https://www.gartner.com/en/newsroom/press-­releases/2020-­ 03-­31-­gartner-­says-­growth-­companies-­are-­more-­actively-­collecting-­customer-­experience-­data-­t han-­nongrowth-­companies. Zugegriffen am 08.12.2021. Ghosh, P. K. (2006). Industrial marketing. Oxford University Press. Homburg, C. (2020). Marketingmanagement. Strategie  – Instrumente  – Umsetzung  – Unternehmensführung (7. Aufl.). Springer Gabler. Kozinets, R. V. (2002). The field behind the screen: Using netnography for marketing research in online communities. Journal of Marketing Research, 39(1), 61–72. Kuhn, M., & Zajontz, Y. (2011). Industrielles Marketing. Oldenbourg Verlag. Langer, H. (2004). Marktforschung und Informationsbeschaffung auf Industriegütermärkten. In K. Backhaus & M. Voeth (Hrsg.), Handbuch Industriegütermarketing (S. 323–347). Gabler. McKinsey. (2015). The internet of things. Mapping the value beyond the hype. McKinsey Global Institute. Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., & Eisenbeiß, M. (2019). Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Springer Gabler. North, K. (2005). Wissensorientierte Unternehmensführung: Wertschöpfung durch Wissen. Gabler. Scharf, A., Schubert, B., & Hehn, P. (2015). Marketing. Einführung in Theorie und Praxis. Schäffer-­ Poeschel. Scheed, B., & Scherer, P. (2021). Strategisches Vertriebsmanagement. Methoden für den systematischen B2B-Vertrieb im digitalen Zeitalter. Springer Gabler.

Literatur

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Analyse der Makroumwelt

Lernziele

• Sie sind in der Lage, die Relevanz der Makroumwelt für das B2B-Marketing einzuschätzen. • Sie kennen die zur Verfügung stehenden Methoden zur Analyse der Makroumwelt und sind in der Lage, diese zielorientiert anzuwenden. • Sie kennen zentrale Veränderungstrends der Makroumwelt und können deren Einfluss auf B2B-Marketing und Vertrieb beurteilen.

5.1 Ziel der Analyse der Makroumwelt Der allgemeine Handlungsrahmen für Unternehmen und damit für das Marketing von Unternehmen wird durch die globale Unternehmensumwelt vorgegeben. Die globale Umwelt wird geprägt durch die (derzeitigen und möglichen zukünftigen) Entwicklungen im gesellschaftlichen, gesamtwirtschaftlichen, politischen, rechtlichen, technologischen und ökologischen Bereich. Diese Aspekte beeinflussen sämtliche Märkte und sind somit nicht branchenspezifisch. Im Rahmen der Analyse der strategischen Ausgangssituation eines Unternehmens gilt es, die zentralen Einflussfaktoren für die marketingstrategische Ausrichtung eines Unternehmens zu identifizieren und Entwicklungen in diesen Bereichen frühzeitig zu erkennen. Idealerweise erfolgt diese Umfeldanalyse regelmäßig, um Veränderungen bei den Einflussfaktoren rechtzeitig zu erfassen. Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_5]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_5

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5  Analyse der Makroumwelt

ISO 9001 – Umweltanalyse Unternehmen, die nach der ISO 9001 zertifiziert sind – oder dies anstreben – müssen externe Einflüsse und die sich daraus für das Unternehmen ergebenden Chancen und Risiken erfassen. Insbesondere soll nachgewiesen werden, welche (präventiven) Maßnahmen umgesetzt wurden, um die externen Einflussfaktoren zu messen und laufend zu beobachten (vgl. DIN ISO 9001:2015).

5.2 Methoden zur Analyse der Makroumwelt Als inhaltliches Raster für die Analyse der Makroumwelt dient die PESTEL-Analyse. PESTEL ist ein Akronym bestehend aus den (englischen) Anfangsbuchstaben der Faktoren, welche die Makroumwelt beeinflussen. Diese lauten: politisch (political), ökonomisch (economic), soziokulturell (social), technologisch (technological), ökologisch (ecological) und rechtlich (legal). Oftmals wird auch von STEEP-, STEP-, PESTLE- oder von der PEST-Analyse gesprochen. Dabei handelt es sich um die gleiche Analyseform wie bei der PESTEL, nur werden manche Aspekte (bspw. legal und ecological bei der PEST-­Analyse) nicht berücksichtigt. Abb. 5.1 bietet eine Übersicht der sechs Einflussfaktoren inklusive

Abb. 5.1  Faktoren der Umweltanalyse (PESTEL-Analyse)

5.2  Methoden zur Analyse der Makroumwelt

69

einer Sammlung beispielhafter Aspekte, die in der PESTEL-Analyse Berücksichtigung finden können. Die PESTEL-Analyse kann auf unterschiedliche Art und Weise einen Mehrwert für Unternehmen liefern: • Durch die Analyse ergibt sich ein umfassendes Bild von den externen Faktoren und Trends, die das Unternehmen umgeben, welche eine Auswirkung auf den Markt und das Unternehmen haben. • Die Analyse stellt sicher, dass unterschiedliche Aspekte und Sichtweisen (politische, soziale, ökologische etc.) berücksichtigt werden. • Die laufende Auseinandersetzung mit den externen Faktoren führt dazu, dass Unternehmen besser informiert sind und nicht durch Entwicklungen überrascht werden können. Die PESTEL-Analyse bietet so eine wertvolle Hilfestellung bei der Bewertung von externen Chancen und Risiken, die ein wesentlicher Bestandteil der SWOT-Analyse (vgl. Kap. 7) sind. Darüber hinaus wird sie auch als vorbereitender Schritt für weiterführende Analysen, wie bspw. die Szenario-Analyse, eingesetzt. Praxisbeispiel: BASF SE

In den vergangenen Jahren wurden die gesetzlichen Regelungen zu Weichmachern in Plastik immer weiter verschärft. Die BASF SE hat diese Veränderungen in der Entwicklung ihrer Marketingstrategie aufgegriffen und diese wie folgt formuliert: „Wir sind die Experten für Weichmacher und begreifen Veränderungen im Marktumfeld als Chance, um die Zukunft gemeinsam mit unseren Kunden zu gestalten.“ (BASF, 2021) ◄ Vorgehensweise der PESTEL-Analyse 1. Identifikation der wichtigsten Einflussfaktoren Im ersten Schritt werden die wichtigsten Einflüsse identifiziert und gesammelt. Als Ausgangspunkt können einfache Listen von Kriterien (siehe Beispiele in Abb. 5.1) dienen, welche den PESTEL-Kategorien zugeordnet werden. 2. Inhaltliche Definition der Faktoren Im zweiten Schritt werden die Kriterien inhaltlich definiert bzw. Kennzahlen dafür festgelegt. Dies dient dazu, dass innerhalb des Unternehmens das gleiche Verständnis über die jeweiligen Kriterien herrscht. Die Definition ist des Weiteren für die zielgerichtete Sammlung von Daten (Schritt 3) unerlässlich. 3. Daten und Informationen sammeln Im dritten Schritt müssen Daten zu den einzelnen Kriterien erhoben und Kennzahlen berechnet werden. Zur Datensammlung können Methoden der Informationsbeschaffung (Abschn.  4.2) zum Einsatz kommen, teilweise müssen diese jedoch auch geschätzt werden.

70

5  Analyse der Makroumwelt

4. Analyse des Einflusses auf das Unternehmen Im letzten Schritt werden die Daten analysiert und es wird beurteilt, wie sich die Kriterien auf das Unternehmen auswirken. Hierbei wird analysiert, wie stark der Einfluss ist, in welchem Zeitraum der Einfluss auftritt, wie die Qualität des Einflusses eingeschätzt wird, wie dynamisch sich der Einfluss entwickelt und wie bedeutsam der Einfluss auf das Unternehmen ist. Aus dieser Analyse lassen sich am Ende die zentralen Chancen und Risiken des externen Unternehmensumfelds ableiten. Diese vier Schritte können systematisch in einer strukturierten Liste zusammengetragen und analysiert werden. Ein Schema für eine solche strukturierte Checklisten ist in Abb. 5.2 dargestellt. Neben der Herangehensweise über allgemeine Checklisten gibt es eine Vielzahl weiterer, meist speziellerer und i. d. R. auf der allgemeinen PESTEL-Analyse aufbauender Verfahren, die für die Umfeldanalyse genutzt werden können (vgl. Walsh et al., 2020, S. 158): Stakeholder-Mapping, Delphi-Prognosen, Szenario-Analyse, Cross-Impact-Analysen, quantitative Prognoseansätze oder Frühaufklärungssysteme. Im Folgenden werden die für den B2B-Markt relevantesten Methoden näher erläutert. Stakeholder-Mapping Stakeholder-Mapping dient dazu, die relevanten Entwicklungen und Stakeholder in der Unternehmensumwelt und ihren Einfluss auf das Unternehmen aufzuzeigen (vgl. Ackermann & Eden, 2011). Diese Methode zählt zu den grafisch orientierten Ansätzen. So lassen sich vielfältige Vernetzungen des Unternehmens mit seinen Stakeholdern und deren

Art des Einflusses

Stärke des Einflusses

Zeithorizont

Qualität des Einflusses

Dynamik des Einflusses

Relative Bedeutung

Politisches Umfeld Handelspolitik Analyse des Einflusses (Schritt 4)

Lobbyismus

Sammlung der Faktoren (Schritt 1)

NGOs Kriege/ Konflikte Wahlergebnisse

Beschreibung des Einflusses (Schritt 2 & 3)

stark/ mittel/ mäßig/ nicht absehbar

kurz-/ mittel-/ langfristig

positiv/ negativ/ nicht absehbar

zu-/ abnehmend/ konstant

Kritisch/ wichtig/ unwichtig// nicht absehbar

usw. Ökonomisches Umfeld Konjunktion Konsumklima usw.

Abb. 5.2  Vorgehensweise bei der PESTEL-Analyse mit strukturierten Checklisten. (Quelle: In Anlehnung an Walsh et al., 2020, S. 157)

5.2  Methoden zur Analyse der Makroumwelt

71

Einflusspotenzial auf das Unternehmen in (u. U. recht komplexen) Netzwerkdiagrammen visualisieren. Stakeholder-Maps dienen dazu „Schlüssel-Stakeholder“ außerhalb des reinen Absatzmarktes zu erfassen und zu charakterisieren, die in der strategischen Marketingplanung berücksichtigt werden müssen. Im B2B-Marketing können dies bspw. politische Entscheider, Mitglieder von Umweltverbänden, Handelskammern, kommunale Vertreter u.v.m. sein. Delphi-Prognosen Delphi-Prognosen (vgl. Häder, 2014) dienen dazu, den Eintrittszeitpunkt erwarteter zukünftiger Ereignisse möglichst gut abschätzen zu können (z. B. Jahr, in dem autonom fahrende PKWs Serienreife erreichen). Hierzu werden Experten eines Fachgebiets zu einem Thema in mehreren Runden befragt. In jeder Befragungsrunde werden ihnen die Antworten der anderen Experten sowie deren Begründungen dafür vorgelegt. Durch die wiederholten Feedback-Schleifen wird versucht, eine Konsensmeinung zu finden, welche alle Expertenmeinungen einbezieht. Szenario-Analyse Die Szenario-Analyse (vgl. Chermack et al., 2001) versucht, die mit langfristigen Prognosen einhergehende Unsicherheit zu berücksichtigen, indem sie bewusst keine eindeutige Aussage über die Zukunft trifft. Sie entwirft vielmehr unterschiedliche mögliche Zukunftssituationen und zeigt so den Entwicklungskorridor auf, in dem sich die für das Unternehmen wichtigen Variablen voraussichtlich bewegen werden (vgl. Walsh et  al., 2020, S. 158). Ausgehend von der gegenwärtigen Situation werden i. d. R. drei Szenarien entwickelt: ein „Best-Case-Szenario“, ein „Worst-Case-Szenario“ und ein „Base-Case-­ Szenario“. Das Best- und Worst-Case-Szenario stecken die obere und die untere Grenze des zukünftigen Entwicklungskorridors ab. Damit eröffnet sich ein trichterförmiger Möglichkeitenraum zwischen den verschiedenen Zukunftssituationen. Das Base-Case-­Szenario liegt innerhalb dieses Trichters und stellt die wahrscheinlichste Entwicklung dar. Szenario-­ Analysen werden den qualitativen Prognosetechniken zugeordnet, da sie unterschiedliche Einflussfaktoren (bspw. abgeleitet aus der PESTEL-Analyse) einbeziehen und daraus mögliche Zukunftsbilder entwickeln. Sie grenzen sich dadurch von quantitativen, statistischen Prognoseverfahren (siehe nächster Absatz) ab, welche die wahrscheinlichste Zukunft berechnen. Eine Abgrenzung der beiden Verfahren ist in Abb. 5.3 dargestellt. Quantitative Prognoseansätze Neben qualitativen Prognoseansätzen (z.  B.  Delphi-Prognosen und Szenario-Analysen) lassen sich für bestimmte, quantifizierbare Variablen in der Unternehmensumwelt auch rein quantitative Prognoseansätze heranziehen. So lässt sich z.  B. anhand von Bevölkerungszahlen und Geburtenraten die Anzahl von Geburten pro Jahr relativ gut statistisch prognostizieren. Darauf aufbauend können anschließend das Markvolumen von Babywindeln und die Bedarfsmengen an Vorprodukten entlang der Industriewertkette

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5  Analyse der Makroumwelt

Level 100

Prognose

Level 100 80

80

60

60

40

40

20

20 0

Szenario

2010 2020

2030

2040

0

Jahr

2010 2020

2030

2040



Wahrscheinliche Zukunft



Mögliche Zukunft



Sicherheit



Unsicherheit



Statistisch



Dynamisch



Quantitativ



Qualitativ



Risiken auslassen



Risiken abstecken

Jahr

Was wird geschehen?

Was würde geschehen, wenn?

Trendanalysen

Untersuchung von Einflussfaktoren

Abb. 5.3  Abgrenzung Prognose vs. Szenario

(z. B. Zellstoffmaterial und Superabsorber) abgeleitet werden. Für quantitative Prognosen werden statistische Verfahren eingesetzt, bspw. kausale Verfahren oder Trendextrapo­ lationen. Bei kausalen Verfahren werden die Wirkungen relevanter Faktoren auf die zu prognostizierende Variable mathematisch ermittelt. Bei Trendextrapolationen wird die zukünftige Entwicklung einer Größe rein mathematisch aus den Werten der Vergangenheit abgeleitet, ohne die kausalen Einflussgrößen zu berücksichtigen (Beispiel: Wenn das Marktvolumen von Babywindeln in den letzten zehn Jahren jeweils um 3 % gewachsen ist, wird davon ausgegangen, dass dies auch in den kommenden Jahren der Fall sein wird) (vgl. Steinmüller, 2017). Rein statistische Verfahren stoßen vor allem dann an ihre Grenzen, wenn ­Disruptionen oder Trendbrüche in der langfristigen Entwicklung auftreten (vgl. Walsh et al., 2020, S. 159). Frühaufklärungssysteme Unternehmen benötigen für strategische Ausrichtungen auf zukünftige Rahmenbedingungen häufig einen größeren zeitlichen Planungsvorlauf. So müssen eventuell Forschungsaktivitäten in bestimmten Gebieten angestoßen werden, neue Produkte und Technologien entwickelt werden oder Unternehmensteile ver- oder gekauft werden. In B2B-­ Unternehmen ist hiermit häufig die Frage nach Vorwärts- oder Rückwärtsintegrationen verbunden. Frühaufklärungssysteme (FAS) sind strategische Analyseansätze, mit welchen Unternehmen versuchen, wichtige Veränderungen in Gesellschaft

5.3  Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten

73

und Umfeld rechtzeitig zu erkennen und so diesem größeren zeitlichen Planungsvorlauf Rechnung zu tragen. Sie sind keine konkreten Prognoseverfahren, sondern vielmehr grundlegende Analyseansätze (vgl. Wiedmann, 1989; Drechsler, 2017), welche typischerweise auf ein breites Spektrum an Methoden und Verfahren zurückgreifen. Dazu gehören insbesondere (vgl. Walsh et al., 2020, S. 160): • Systematische Beobachtung relevanter Indikatoren in der Unternehmensumwelt (bspw. Anzahl der Anfragen von B2B-, aber auch Endkunden zu bestimmten Themen) • Systematische Auswertung von bedeutenden Informationsquellen (bspw. Veröffentlichungen von Technologiescouts oder Jahresberichte und Pressemeldungen bspw. von Umweltschutzorganisationen) • Systematische Kombination der in den vorherigen Abschnitten beschriebenen Methoden, um daraus managementrelevante Informationen zu gewinnen Die zuvor aufgezeigten Methoden zur Analyse der Unternehmensumwelt und insbesondere deren systematische Kombination in Frühaufklärungssystemen ermöglichen es Unternehmen, sowohl Chancen als auch Risiken in der Unternehmensumwelt zu identifizieren. Diese können als Input für die SWOT-Analyse dienen (vgl. Kap. 7).

5.3 Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten 5.3.1 Überblick Megatrends Megatrends sind drastische Veränderungen bspw. in Demografie, in Technologie sowie der Art und Weise, wie die Menschen leben und arbeiten. Sie verändern somit nicht nur einzelne Segmente oder Bereiche des sozialen Lebens oder der Wirtschaft, sondern formen ganze Gesellschaften um. Megatrends kommen typischerweise in Zyklen und es ist die Kombination von Megatrends, die Wachstumsmärkte schafft. So bilden Megatrends die Grundlage für die Evolution ganzer Wirtschaftsbereiche und sind vielfach der Ausgangspunkt weitreichender Strategien in Unternehmen und anderen Organisationen. ­Megatrends sowohl zu verstehen als auch zu antizipieren, wird für Unternehmen zu einer essenziellen Fähigkeit, um die Basis für Wachstumsmöglichkeiten in den nächsten Jahren zu identifizieren. Es gibt klare Kriterien, um Megatrends zu erkennen und zu definieren (vgl. Gatterer, 2012; Zukunftsinstitut, 2022): • Langlebigkeit: Megatrends haben eine Dauer von 30 bis 50 Jahren. • Ubiquität: Megatrends zeigen Auswirkungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, in der Ökonomie, im Konsum, im Wertewandel, im Zusammenleben der Menschen, in den Medien, im politischen System etc.

74

5  Analyse der Makroumwelt

• Globalität: Megatrends sind globale Phänomene. Auch wenn sie nicht überall gleichzeitig und gleich stark ausgeprägt sind, so lassen sie sich doch früher oder später überall auf der Welt beobachten. • Komplexität: Megatrends sind vielschichtige und mehrdimensionale Trends. Sie erzeugen ihre Dynamik und ihren evolutionären Druck auch und gerade durch ihre Wechselwirkungen. Zahlreiche Institute befassen sich mit der Systematisierung von Megatrends. In Abb. 5.4 sind die Megatrends von verschiedenen Organisationen im Vergleich dargestellt und thematisch strukturiert. Megatrends bündeln i. d. R. mehrere dahinterliegende Trends. Auch sind die Megatrends nicht vollkommen überschneidungsfrei. Das Zukunftsinstitut veranschaulicht dies anhand seiner sogenannten Megatrend-Map. So hat der Megatrend Urbanisierung sowohl entscheidenden Einfluss auf den Megatrend Mobilität als auch auf den Megatrend Neo-Ökologie, da in den wachsenden Städten die meiste Energie auf dem Planeten verbraucht wird und viele Umweltprobleme dort am drängendsten sind (vgl. Zukunftsinstitut, 2022). Die von Megatrends ausgehenden Veränderungen prägen die Wirtschaft maßgeblich. So entfalten Megatrends ihre Dynamik zumeist zwar erst über Jahrzehnte, sie können aber auch die Grundlage für vergleichsweise schnelle Durchbrüche auf den Märkten und für Disruptionen sein. Gesamte Gesellschaften werden langfristig umgeformt und ganze Branchen werden dazu gezwungen, ihre Strukturen und Geschäftsmodelle neu auszu-

Themenfeld

Zukunftsinstitut

Z_punkt: Megatrends

Ernst & Young

PWC

Schaeffler AG

Technologischer Fortschritt

– Konnektivität – Mobilität

– Digitale Transformation

– Kalter Krieg 2.0

- Technological breakthroughs

- Neue Mobilität und elektrifizierter Antrieb - Datenwirtschaft und Digitalisierung

Globalisierung & Urbanisierung

– Globalisierung – Urbanisierung

– Globale Machtverschiebungen – Neue politische Welt(un)ordnung – Urbanisierung

Arbeitswelt

– New Work – Wissenskultur

– Business Ökosysteme – Volatile Ökonomie – Veränderte Arbeitswelten

– Zukunft der Arbeit

Umwelt & Biologie

– Neo-Ökologie

- Anthropogene Umweltbelastung - Biotechnische Transformation

– Dekarbonisierung – Mikrobiome – Synthetische Biologie

- Climate change and resource scaracity

- Nachhaltigkeit und Klimawandel

Gesellschaftlicher Wandel

– – – – –

- Demographischer Wandel - Ausdifferenzierte Lebenswelten - Gesellschaftliche Disparitäten

– Manipulierte Medien – Verhaltensökonomie

- Demographicand social change

- Demografischer Wandel

Quelle

Zukunftsinstitut (2022)

Z_punkt (2022)

Ernst & Young (2022) PWC (2022)

Gender Shift Individualisierung Silver Society Sicherheit Gesundheit

- Shift in global economic power - Rapid urbanisation

- Autonome Produktion

Schaeffler (2022)

Abb. 5.4  Megatrends verschiedener Organisationen im Vergleich. (Quelle: Paul & Wollny, 2014, S. 101)

5.3  Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten

75

richten. Dies betrifft sowohl B2C- als auch B2B-Märkte. Die Analyse von Megatrends ist daher ein unverzichtbares Instrument für die Gestaltung des B2B-Marketings und Vertriebs. So gilt es, Strategien und Geschäftsmodelle, Prozesse, Produkte und Angebote, Organisationsformen, Kommunikationsstrukturen und vieles andere laufend zu hinterfragen und neu auszurichten. Im Folgenden sollen daher drei ausgewählte Megatrends (Digitalisierung, Globalisierung und Nachhaltigkeit) und deren Einfluss auf B2B-Marketing und Vertrieb genauer betrachtet werden

5.3.2 Digitalisierung Digitalisierung, d. h. die Umwandlung von Informationen in ein digitales Format, ist allgegenwärtig und in aller Munde, und doch ist es kein neuer Trend. Seine Anfänge hatte dieser Trend mit dem Aufkommen der Halbleiterindustrie und somit bereits seit den späten 1960er-Jahren (vgl. Ericsson, 2014, S. 5). Ihren Durchbruch und Verbreitung in weiten Teilen der Gesellschaft hatte die Digitalisierung Mitte der 1990er-Jahre (vgl. Zollenkop & Lässig, 2017, S. 60). Seither erfährt sie eine rasante Verbreitung und führt bereits heute zu großen Veränderung in der Art und Weise, wie Unternehmen Produkte beschaffen, produzieren und vermarkten. Um besser verstehen zu können, welche Auswirkungen sich hie­ raus für B2B-Marketing und Vertrieb ergeben, wird im Folgenden zunächst genauer erläutert, was die Treiber der Digitalisierung sind und welche Technologien dahinterstehen. Die rasante Verbreitung der Digitalisierung wird insbesondere durch exponentielle Leistungsverbesserungen in der Halbleitertechnik angetrieben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Rechenleistung alle 12 bis 24 Monate verdoppelt bei gleichzeitiger Kostenreduktion, was bereits 1965 als Moore‘sches Gesetz formuliert wurde. Die technologischen Weiterentwicklungen ermöglichen es, dass datenerzeugende und -verarbeitende Geräte, wie z. B. Sensoren, oder mobile Endgeräte, wie Smartphones, immer kleiner und leistungsfähiger werden und gleichzeitig günstiger produziert werden können. Mit der Durchdringung aller Lebens- und Gesellschaftsbereiche geht eine digitale Transformation dieser Bereiche einher. Es handelt sich somit um einen globalen Megatrend, dessen massive Auswirkungen auf Unternehmen, Individuen und die gesamte Gesellschaft als gesichert gilt (vgl. Roland Berger Institute, 2015). Die Digitalisierung und damit die digitale Transformation aller Lebens- und Gesellschaftsbereiche basiert dabei auf vier wesentlichen Kernbereichen, welche durch eine Reihe technischer Konzepte und Lösungen gekennzeichnet sind und dadurch verschiedene Leistungsangebote ermöglichen (Roland Berger Institute, 2015, S. 23): • Digitale Daten: Daten werden einerseits von Konsumenten generiert („User-generated Content“) sowie andererseits auf allen Ebenen der betrieblichen Produktion und Fertigung („Sensor-generated“) und in der Forschung. Die Erfassung, Aufbereitung und Analyse von Daten tragen zu schnelleren und besseren Vorhersagen, Empfehlungen

76

5  Analyse der Makroumwelt

und Entscheidungen bei. Die Kunden und ihr Beschaffungs- und Nutzungsverhalten werden transparenter, was kundenindividuellere Lösungen im B2B-Marketing und ­Vertrieb ermöglicht. Nachfrageprognosen auf Basis von Big Data, vorausschauende Wartungen, bedarfsorientierte Produktempfehlungen sowie individualisierte Kommuni­ kationsinhalte stellen beispielhafte Anwendungen im B2B-Marketing und Vertrieb dar. Um diese Potenziale heben zu können, sind entsprechende Informationssysteme, wie bspw. ein CRM-System, sowie ein fundiertes Datenmanagement im dahinterliegenden Data Warehouse notwendig. • Automatisierung: Sie umfasst Technologien wie Robotik und zunehmend Künstliche Intelligenz, die zum einen unternehmensintern eine Automatisierung bspw. von Prozessen im Marketing und Vertrieb oder auch in der internen Lagerlogistik ermöglichen. Zum anderen werden dadurch auch neue Leistungsangebote möglich, wie Chatbots an der Schnittstelle zum Kunden im Kundenservice, oder neue Produkte in Form von Robotern (z.  B. in der Fertigung oder Logistik) sowie Drohnen (z.  B. in der Landwirtschaft). • Vernetzung: Die Synchronisierung aller möglichen kommunikationsfähigen Geräte (z. B. Maschinen, Produkte, mobile Endgeräte der eigenen Mitarbeiter oder Kunden …) über Datenübertragungstechnologien wird als Vernetzung bezeichnet. Dahinterstehende Technologien stellen bspw. das Breitbandinternet oder Cloud Computing dar. Diese ermöglichen neue Leistungsangebote, wie bspw. smarte Produkte, Fernwartungen oder die Zurverfügungstellung von cloudbasierten Services oder Software. • Digitaler Kundenzugang: Mobiles Internet, Apps und soziale Netzwerke erlauben einen direkten Zugang zu Kunden. Dies ermöglich wiederum eine umfassende Transparenz im E-Commerce durch die gewonnenen Kundendaten, eine höhere Integration der Kunden (z. B. in Form von selbst gepflegten Kundenkonten und Warenkörben) oder eine direkte Kundenansprache. Diese Aspekte führen somit zu umfassenden Veränderungen im B2B-Marketing und Vertrieb. Nachfragerseite Auf der Nachfragerseite hat die Digitalisierung bereits zu grundlegenden Veränderungen des Beschaffungs- und Nutzungsverhaltens geführt. Das Internet ermöglicht es heute den Kunden, bereits vor der Kontaktaufnahme umfassende Recherchen durchzuführen. Die Kunden sind somit bereits beim ersten Kontakt mit dem Vertrieb sehr gut informiert. Die Aufgabe des Marketings ist es daher heute mehr denn je, im Kundenprozess bereits früh und proaktiv einzusteigen und den Kunden über die richtigen Kanäle die richtigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Hierbei nimmt das Content-Management eine zentrale Rolle im B2B-Marketing und Vertrieb ein. Die Zielsetzung dabei besteht darin, Leads zu generieren und dem Vertrieb qualifizierte Kundenleads zu übergeben, die dieser weiterverfolgen kann (vgl. Wang et al., 2019).

5.3  Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten

77

Des Weiteren entsteht durch die Digitalisierung eine Vielzahl neuer Vertriebs- und Kommunikationskanäle, mit welchen die Kunden in Kontakt kommen. Diese Kontaktpunkte werden auch als Touchpoints bezeichnet und die Abfolge, in welcher diese durchlaufen werden, wird als Customer Journey bezeichnet. Die Erfahrungen, die die Kunden entlang ihrer Customer Journey an den einzelnen Touchpoints sammeln, prägen am Ende die Gesamterfahrung („Customer Experience“) des Kunden mit diesem Unternehmen. Für Anbieter auf B2B-Märkten gilt es daher, diese Customer Experience entlang der einzelnen Touchpoints systematisch zu managen und so die Zufriedenheit an den einzelnen Touchpoints zu erhöhen. Kundenzufriedenheit stellt auch für B2B-Unternehmen eine zentrale Zielgröße dar und nimmt aufgrund des Electronic Word-of-Mouth (eWoM) an Relevanz zu. Die technischen Voraussetzungen dieser besonderen Form der Mund-zu-Mund-Propaganda liefert das Web 2.0 bzw. liefern Social-Media-Plattformen. Da B2B-Beschaffungen häufig mit einer höheren Unsicherheit und einem höheren Risiko verbunden sind, spielen Erfahrungen anderer Kunden und Weiterempfehlungen zur Unsicherheits- und Risikoreduktion bei B2B-Kunden eine große Rolle (vgl. Pick & Maiwald, 2015). Des Weiteren standardisieren immer mehr B2B-Kunden ihren Einkauf Schritt für Schritt in Form von Ausschreibungen und E-Procurement. Lieferanten müssen sich in den von den Kunden gesetzten Spielregeln bewegen, womit die bisherigen Chancen der Differenzierung für Anbieter geschmälert werden. Anbieterseite Strategisch spielt es für Anbieter auf B2B-Märkten eine Rolle, ob die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle in der eigenen Branche ermöglicht. Vor diesem Hintergrund sollten sich B2B-Unternehmen fragen, inwiefern sich durch die Digitalisierung Aspekte ihres bisherigen Geschäftsmodells verändern. Beispielsweise könnte das Unternehmen die angebotenen Produkte und Dienstleitungen digitaler gestalten und damit die Art der Wertgenerierung für den Kunden verändern. Auch könnten sich die Absatzkanäle verändern, indem verstärkt auf Online-Kanäle gesetzt wird. Des Weiteren könnte die Preisgestaltung verändert werden, indem Preise in Abhängigkeit der Nutzungsintensität (ermittelt über Sensoren) gestaltet werden. Im Rahmen dieser Überlegungen gilt es zudem die Frage zu stellen, ob B2B-Anbieter die digitalen Kompetenzen und Technologien selbst aufbauen und entwickeln müssen oder gemeinsam mit Kooperationspartnern, die bereits umfassendes Know-how hinsichtlich dieser digitalen Technologien besitzen. Operativ steht Unternehmen durch die Digitalisierung eine Bandbreite neuer Instrumente zur Verfügung. Diese reicht von Community-Marketing über Augmented Reality bis hin zur Gestaltung von digitalen Kundenprozessen, Chatbots etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Im B2B-Marketing und Vertrieb gilt es, die wirksamsten Instrumente aus dem digitalen Werkzeugkasten auszuwählen, um den Interaktionsprozess mit den Kunden zielgerichtet zu unterstützen. Der direkte und auch persönliche Vertrieb hat nach wie vor eine dominante Rolle im B2B-Vertrieb. Durch die Digitalisierung können nun

78

5  Analyse der Makroumwelt

jedoch einzelne Phasen des Sales Funnels digitalisiert oder digital angereichert werden. So lassen sich Kundeninspiration in frühen Kaufphasen (z. B. mittels Augmented Reality oder virtuellen Welten), die eigene Bedarfsabklärung (z.  B. mittels Online-Self-­ Assessments oder Chatbots), oder „Self Advisory“ für einfache Transaktionen (z. B. mittels Webshops) digital übersetzen und unterstützen. Besonders wirksam ist eine Verbindung zwischen Online- und Offline-Instrumenten. So lassen sich Print-Broschüren um webbasierte Inhalte wie Videos, Slideshows oder Augmented-Reality-Elemente erweitern, auf die der Kunde beim Durchblättern mittels einer App zugreifen kann. Trotz all dieser digitalen Möglichkeiten ist es essenziell, was vor und nach den digitalen oder digital angereicherten Beschaffungsprozessen gestaltet wird. Vor dem E-­ Procurement gilt es bereits, eine qualifizierte Geschäftsbeziehung aufzubauen, und die laufende Zusammenarbeit ist oft der Start für eine Erweiterung und Vertiefung der Zusammenarbeit. Wettbewerb Die Digitalisierung kann die Rivalität unter Wettbewerbern erhöhen. Hierfür kann es verschiedene Gründe geben (vgl. Laudon & Traver, 2015, S. 346): • Substitution von Produkten: Die Digitalisierung ermöglich neue Substitute für physische Produkte, z. B. cloudbasierte Services oder Softwarelösungen. Digitale Produkte lassen sich zu Grenzkosten von nahezu null verteilen, was Anbietern dieser Produkte Kostenvorteile verschafft und zumindest vorübergehend zu einem verschärften Preiswettbewerb führen kann. • Verhandlungsmacht der Nachfrager: Kunden erlangen durch die gestiegene Informationstransparenz, insbesondere die Preistransparenz im Internet, eine stärkere Verhandlungsmacht. Mobile Technologien ermöglichen es Kunden, sich jederzeit und auch während Verhandlungen über Leistungen und ggf. Preise von Wettbewerbern zu informieren. • Eintrittsbarrieren für Unternehmen: Die Digitalisierung verringert Markteintrittsbarrieren. So können neue Anbieter Barrieren bspw. dahingehend aushebeln, dass sie aufgrund digitaler Technologien zu deutlich geringeren Kosten produzieren können und damit die Economies of Scale der etablierten Anbieter unterbieten können. • Neue Geschäftsmodelle: Die Digitalisierung ermöglicht neue Geschäftsmodelle, welche die Existenz von bestehenden Modellen gefährden (vgl. Meffert & Meffert, 2017, S. 18f.).

5.3.3 Globalisierung Unter Globalisierung wird die weltweite, interkontinentale Vernetzung von Wirtschaft, Politik, Kommunikation, Kultur und Umwelt verstanden. Diese Vernetzung treibt den Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften voran. Die wirtschaft-

5.3  Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten

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liche Bedeutung nationaler Grenzen wird ständig verringert. Unterstützt durch die Verbreitung des einfachen Internetzugangs haben Unternehmen jeder Größe zunehmend die Möglichkeit, weltweit zu wachsen. Diesen Chancen stehen jedoch auch Herausforderungen gegenüber: Die Öffnung der Märkte führt dazu, dass zum einen neue Wettbewerber aus anderen Regionen auf dem heimischen Markt mit ähnlichen oder innovativen Leistungen aktiv werden. Zum anderen ermöglicht sie es global agierenden B2B-Kunden, ihre Materialien global zu beschaffen und Produktionsstandorte sowie Zwischenlager global zu dezentralisieren. Beide Aspekte führen dazu, dass der Wettbewerb intensiver wird und Strategien und Maßnahmen im B2B-Marketing und Vertrieb international oder gar global ausgerichtet sein müssen. Implikationen für die Produkt- und Preispolitik Der steigende Wettbewerbsdruck erhöht die Notwendigkeit für Unternehmen, sich ausreichend zu differenzieren. Wenn die Potenziale zur Differenzierung nicht vorhanden sind (z.  B., weil es sich um Commodities handelt), müssen Unternehmen in der Lage sein, einen Preiskampf auszuhalten, indem sie ihre Kosten optimieren. Eine weitere Lösung, die sich in den vergangenen 20 Jahren immer stärker verbreitet hat, sehen Unternehmen in Servitization, einer Geschäftsmodellinnovation (vgl. Vandermerwe & Rada, 1988). Servitization ist für produzierende Unternehmen relevant und beschreibt den Wandel des Angebotsportfolios weg von nur Sachgütern hin zu einer Kombination aus Sachgütern und Dienstleistungen. Servitization spiegelt damit auch den gesamtwirtschaftlichen Trend hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft auf Unternehmensebene wider (vgl. Abschn. 10.3.2). Im Rahmen der Preispolitik müssen globale Preismechanismen wie Währungsschwankungen, Inflation und Zölle für Import und Export berücksichtigt werden. Dies macht die Preisgestaltung komplexer und oftmals auch risikoreicher. Zur Risikoabfederung kommen daher häufig Preisgleitklausen zum Einsatz (vgl. Abschn. 11.2.3.3). Implikationen für die Kommunikationspolitik Die Globalisierung in Kombination mit der Digitalisierung führt dazu, dass die Anzahl der Touchpoints für Kunden zunimmt. Für Unternehmen bedeutet dies eine starke Zunahme der Komplexität der Customer Journey und eine Herausforderung für das Customer-­ Experience-­Management. Anbieter stehen bspw. vor der Herausforderung, im Rahmen der Gestaltung der Touchpoints (z.  B.  Website, Onlineshop, Messestand) unterschiedliche Sprachen und kulturelle Gewohnheiten zu berücksichtigen und aufeinander abzustimmen. Implikationen für Vertrieb und Logistik Da B2B-Kunden oftmals global einkaufen, zwischenlagern, oder (vor-)produzieren, müssen B2B-Anbieter hierauf mit entsprechenden Lösungen reagieren. So bauen viele Anbieter im Rahmen des Vertriebs bspw. Vertriebsniederlassungen in unterschiedlichen Regionen auf. Wenn keine eigene Vertriebsniederlassung genutzt wird, kommen regionale Händlerkooperationen zum Einsatz. Auch müssen häufig Logistikkonzepte und -services

80

5  Analyse der Makroumwelt

an die Kundenbedürfnisse angepasst werden, indem bspw. regionale Zwischenlager eingerichtet werden.

5.3.4 Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit beschreibt ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei welchem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung nur bei gleichzeitiger Bewahrung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Ressourcen erfolgt. Die Berücksichtigung aller drei Ressourcen ermöglicht erst eine beständige Rentabilität, ein gerechtes Wachstum und eine faire Nutzung von Ressourcen. „Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und soziale Verantwortung müssen Hand in Hand gehen, damit Entwicklungen dauerhaft tragfähig sind“ (BMWI, 2022). Nachhaltiges Denken und Handeln stellt einen Aspekt des postmaterialistischen Konsumverhaltens dar (vgl. Benedikter, 2005) und verändert die Konsumgewohnheiten von Endkunden. So gewinnt der ethische und umweltbewusste Konsum zunehmend an Bedeutung. Ethischer und umweltbewusster Konsum in Form der Consumer Social Responsibility ist eine bewusste und vorsätzliche Konsumentscheidung aufgrund von persönlichen und moralischen Überzeugungen (vgl. Devinney et al., 2006, S. 32). In der Regel sind es politische, soziale, ökologische oder ökonomische Gründe, die einen Konsumverzicht auslösen. Dies kann bis hin zu einem sogenannten Konsumentenboykott führen, bei welchem Konsumenten gezielt Produkte bestimmter Unternehmen meiden, um ihren Unmut über deren Verhalten zum Ausdruck zu bringen und/oder diese zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen (vgl. Hoffmann & Akbar, 2016, S.  198). Die gestiegene Transparenz aufgrund der Digitalisierung führt dazu, dass sich Konsumenten immer besser über Unternehmen und deren Produktionsbedingungen entlang von Lieferketten informieren können und dies auch einfordern. Gesetzlich ist dies darüber hinaus in Form von Lieferkettengesetzen auf Länderebene geregelt. In Deutschland wurde im Juni 2021 das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten verabschiedet, welche ab 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und ab 2024 auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern gültig ist. Mit dem Gesetz werden Unternehmen dazu verpflichtet, die festgelegten „menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in ange­ messener Weise zu beachten mit dem Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 LkSG). Veränderungen im Konsumverhalten und gesetzliche Regelungen machen es für Unternehmen daher notwendig, hierauf mit entsprechenden Zielen und Strategien zu antworten, die sich auch im B2B-Marketing und Vertrieb widerspiegeln.

5.3  Ausgewählte Veränderungstrends auf B2B-Märkten

Lieferanten

Wir handeln im Einkauf verantwortungsvoll

BASF-Produktion

Wir produzieren sicher für Mensch und Umwelt

Wir produzieren effizient

81

Kunden

Wir treiben nachhaltige Lösungen voran

Und bei allem…

Wir sind ein fairer und verlässlicher Partner

Abb. 5.5  Nachhaltigkeit der BASF SE. (Quelle: BASF, 2022) Beispiel: Nachhaltigkeit der BASF SE

BASF ist das größte Chemieunternehmen der Welt und mit seinen Produkten in nahezu allen Branchen wiederzufinden. Die Schwerpunktthemen hinsichtlich Nachhaltigkeit umfassen alle Bestandteile der Wertschöpfungskette und der Produktion (vgl. Abb. 5.5). Die BASF (2022) benennt ihre Schwerpunktthemen wie folgt: • Lieferanten: „Wir kaufen verantwortungsvoll ein • BASF-Produktion: –– Wir produzieren sicher für Mensch und Umwelt –– Wir produzieren effizient • Kunden: Wir treiben nachhaltige Lösungen voran • Und bei allem …: Wir verhalten uns wertschätzend und respektvoll“ ◄ Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Was ist das Ziel der Analyse der Makroumwelt? 2. Welche Methoden der Analyse der Makroumwelt stehen zur Verfügung? 3. Erläutern Sie, was die PESTEL-Analyse ist. Gehen Sie hierbei auch auf die jeweiligen Buchstaben von „PESTEL“ ein. Auf welche Art und Weise liefert die PESTEL-Analyse einen Mehrwert für Unternehmen? 4. Erläutern Sie die Ablaufschritte der PESTEL-Analyse. 5. Erläutern Sie, was unter einem Stakeholder-Mapping verstanden wird und zu welchem Zweck dieses eingesetzt wird. 6. Erläutern Sie, was unter einer Delphi-Prognose verstanden wird und zu welchem Zweck diese eingesetzt wird. 7. Erläutern Sie, was unter einer Szenario-Analyse verstanden wird und zu welchem Zweck diese eingesetzt wird.

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5  Analyse der Makroumwelt

8. Erläutern Sie, was unter quantitativen Prognoseansätzen verstanden wird und zu welchem Zweck diese eingesetzt werden. 9. Erläutern Sie, was unter Frühaufklärungssystemen verstanden wird und zu welchem Zweck diese eingesetzt werden. 10. Was versteht man unter Megatrends? 11. Welche Veränderungen ergeben sich durch die Digitalisierung auf der Nachfragerseite? 12. Welche Veränderungen ergeben sich durch die Digitalisierung auf der Anbieterseite? 13. Welche Veränderungen ergeben sich durch die Digitalisierung für den Wettbewerb? 14. Welche Implikationen ergeben sich aus dem Megatrend der Globalisierung für B2B-Marketing und Vertrieb? 15. Welche Implikationen ergeben sich aus dem Megatrend der Nachhaltigkeit für B2B-Marketing und Vertrieb?

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Analyse der Mikroumwelt

Lernziele

• Sie verfügen über ein Verständnis über die grundlegenden Ziele und Methoden der Analyse der Mikroumwelt. • Sie wissen, welche Aspekte bei der strategischen Marktanalyse von Relevanz sind und können dementsprechend strategisch relevante Märkte abgrenzen, quantitative Marktprofile erstellen und mithilfe passender Methoden eine Marktpro­ gnose erstellen. Ergänzend können Sie den Markt entlang seines Marktlebenszyklus einschätzen. Sie sind in der Lage, die Industriewertkette zu erstellen und zu analysieren. • Sie wissen, welche Aspekte im Rahmen der Analyse von B2B-Kunden von Relevanz sind und sind dementsprechend in der Lage, das Beschaffungsverhalten der B2B-Kunden mithilfe der passenden Instrumente bzw. Methoden zu analysieren. Sie lernen darüber hinaus, B2B-Kunden zu segmentieren sowie die Attraktivität und Zufriedenheit der Kunden zu analysieren. • Sie lernen, welche Aspekte im Rahmen der Analyse von Wettbewerbern auf B2B-Märkten von Relevanz sind, und sind dementsprechend in der Lage, Wettbewerber auf unterschiedlichen Wettbewerbsebenen zu analysieren. • Sie erfahren, welche Aspekte im Rahmen der Analyse des eigenen Unternehmens auf B2B-Märkten von Relevanz sind und sind dementsprechend in der Lage, die Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens zu analysieren.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_6].

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_6

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6  Analyse der Mikroumwelt

6.1 Ziel und Methoden der Analyse der Mikroumwelt Das strategische Ziel der Analyse der Mikroumwelt besteht darin, den für das Unternehmen relevanten Markt systematisch zu analysieren, um daraus Strategien und konkrete Maßnahmen im B2B-Marketing und Vertrieb entwickeln zu können, die einen Wettbewerbsvorteil herbeiführen. Der Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens ist immer im Vergleich zur Konkurrenz zu sehen („komparativer Konkurrenzvorteil“) und hat folgende drei Bestimmungsfaktoren (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 37): • Bedürfnisse und Probleme der potenziellen Nachfrager, • die Positionierung der relevanten Wettbewerber in der Wahrnehmung der Nachfrager und • die eigene Positionierung in der Wahrnehmung der Nachfrager. Um einen komparativen Konkurrenzvorteil zu erzielen, ist es entscheidend, den Problemlösungsbedarf der Kunden besser als die Wettbewerber zu befriedigen. Dies bedeutet, dass die permanente und systematische Analyse des Marktes sowie insbesondere der Kunden, der Wettbewerber und des eigenen Unternehmens erfolgskritisch ist. Im Gegensatz zur Analyse der Makroumwelt werden im Rahmen der Analyse der Mikroumwelt somit diejenigen Faktoren analysiert, die den strategisch relevanten Markt eines Unternehmens und somit den Handlungsspielraum für B2B-Marketing und Vertrieb maßgeblich prägen. Die zu analysierenden Bereiche leiten sich aus den in Abb. 4.2 dargestellten Elementen der Mikroumwelt ab und umfassen: • • • •

Strategische Marktanalyse (Abschn. 6.2) Analyse der B2B-Kunden (Abschn. 6.3) Wettbewerbsanalyse (Abschn. 6.4) Unternehmensanalyse (Abschn. 6.5)

6.2 Strategische Marktanalyse 6.2.1 Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes Im Rahmen der strategischen Marktanalyse gilt es zunächst, den strategisch relevanten Markt abzugrenzen. Ein Markt ist dann für ein Unternehmen relevant, wenn die Kundenbedürfnisse mit vorhandenen und geplanten Produkten bedient werden können und eine oder mehrere der definierten Kundenzielgruppen des Unternehmens adressiert werden und geografisch erreichbar sind (vgl. Kühnapfel, 2017). Als relevanter Markt eines Anbieters wird somit derjenige Markt bezeichnet, auf dem ein Anbieter tätig sein möchte (vgl. Homburg, 2020, S.  4). Die Bezeichnung strategisch relevanter Markt impliziert, dass ­dieser Markt nicht nur für einzelne Maßnahmen für das Unternehmen relevant ist, sondern

6.2  Strategische Marktanalyse

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vielmehr eine strategische Bedeutung für das Unternehmen hat. Das heißt, strategisch relevante Märkte werden bewusst ausgewählt, da Unternehmen mit der Bearbeitung dieser Märkte einen strategischen Zweck verfolgen. Die Ergebnisse der Marktabgrenzung und die sich daraus ergebende Auswahl strategisch relevanter Märkte münden daher unmittelbar in der Definition des Geschäftszwecks für jedes strategische Geschäftsfeld eines Unternehmens (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 47). Geschäftsfelder und deren Geschäftszweck werden in Abschn. 7.5 erläutert. Die Analyse des strategisch relevanten Marktes setzt zunächst voraus, dass der Gesamtmarkt strukturiert wurde und relevante Marktbereiche abgegrenzt wurden. Diese Strukturierung und Abgrenzung kann aus zwei Perspektiven betrachtet werden: volkswirtschaftlich und einzelbetrieblich. In der volkswirtschaftlichen Perspektive werden Märkte aus der „Vogelperspektive“ angesehen und abgegrenzt und es geht darum, die Grenzen eines Marktes möglichst genau zu bestimmen. Die einzelbetriebliche Perspektive betrachtet Märkte aus der „Froschperspektive“, d. h. aus der Sichtweise eines einzelnen Unternehmens. Für das einzelne Unternehmen stellt sich die Frage, was es als „seinen“ Markt ansieht. Das heißt, es ist die Schlüsselfrage zu beantworten, was dieser Markt überhaupt ist und wie er sich definiert (vgl. Walsh et al., 2020, S. 147; Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 48). Diese Frage zu beantworten, klingt zunächst einfach, sie ist jedoch in der Marketingpraxis und insbesondere im B2B-Marketing oft nicht eindeutig zu beantworten. Typischerweise wird der relevante Markt im B2B-Marketing anhand einer sachlichen, einer räumlichen und einer zeitlichen Dimension sowie in Bezug auf die betroffene Marktstufe abgegrenzt. Diese Abgrenzungskriterien sind in Tab.  6.1 zusammenfassend dargestellt. Die sachliche Abgrenzung orientiert sich an der Art der Leistungen, welche das Unternehmen am Markt anbietet, und stellt meistens das schwierigste Abgrenzungskriterium eines relevanten Marktes dar (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 49). Oftmals wird das Produkt als technische Leistung betrachtet und entsprechend wird nur eine bestimmte Tab. 6.1  Abgrenzung des relevanten Marktes. (Quelle: Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 48) Abgrenzungskriterien Volkswirtschaftliche Perspektive Sachlich Welche Leistungen werden auf dem Markt angeboten und nachgefragt?

Einzelbetriebliche Perspektive Welches Problem welcher Nachfrager wird wie gelöst bzw. soll wie gelöst werden? Räumlich Welche Orte bzw. Regionen umfasst An welchen Orten bzw. in welchen der Markt? Regionen liegen die Standorte der zu beliefernden Nachfrager? Zeitlich Für welchen Zeitraum gilt die Für welchen Zeitraum werden die Marktabgrenzung (unbeschränkt, Nachfrager dem relevanten Markt saisonal, tageszeitlich o. Ä.)? als zugehörig angesehen? Marktstufenbezogen Zu welchen Verarbeitungs-, Zu welcher Verarbeitungs-, Verwendungs- oder Handelsstufen Verwendungs- oder Handelsstufe gehören Anbieter und Nachfrager? zählen die betreffenden Nachfrager?

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6  Analyse der Mikroumwelt

Produktgattung als relevanter Absatzmarkt berücksichtigt. Diese Vorgehensweise wird als Produktmarktkonzept bezeichnet. Produkte und Dienstleistungen dienen jedoch dazu, für Kunden eine Lösung für ein bestehendes Problem liefern bzw. einen Bedarf oder ein Bedürfnis zu decken bzw. zu befriedigen. Eine reine Orientierung an der Produktgattung kann zu folgenschweren Fehlentscheidungen führen. Probleme können insbesondere dann entstehen, wenn Kunden ein Problem auf ganz unterschiedliche Art und Weise lösen können. In diesem Fall können sich verschiedene Leistungen von unterschiedlichen Anbietern substituieren, was dazu führt, dass Konkurrenzbeziehungen im weiteren Sinne außer Acht gelassen werden. Aus diesem Grund empfiehlt es sich entsprechend dem Bedarfsmarktkonzept, einer erweiterten, bedürfnisorientierten Abgrenzung des relevanten Marktes zu folgen. Das heißt, ein Anbieter sollte bei der sachlichen Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes nach dem Bedarfsmarktkonzept in Anwendungen und/oder zu lösenden Kundenproblemen denken anstelle von reinen Produkten/Technologien. Die räumliche Abgrenzung des relevanten Marktes erfolgt nach der Region, in der die Leistungen eines Unternehmens angeboten werden sollen. Das heißt, das Unternehmen muss entscheiden, ob es lokal, regional, national, international oder global aktiv sein möchte. Die zeitliche Abgrenzung erfolgt nach temporären Kriterien. Dabei gilt es zu ermitteln, wie lange die gegenwärtigen Nachfrage- und Konkurrenzbeziehungen konstant bleiben und innerhalb welches Zeitraumes die relevanten Nachfrager erreicht werden sollen. Die zeitliche Bestimmung kann sich z. B. auf eine Saison, auf das nächste Jahr, die nächsten fünf oder die nächsten zehn Jahre beziehen. Die marktstufenbezogene Abgrenzung nimmt eine Abgrenzung des relevanten Marktes in Bezug auf die belieferte Marktstufe vor. Da die unmittelbaren Kunden vielfach durch die Nachfrager nachgelagerter Produktions- und/oder Handelsstufen beeinflusst werden (derivative Nachfrage), kann es sinnvoll sein, mehrere relevante Märkte auf den jeweils wichtigen Marktstufen zu bestimmen (siehe Abschn. 12.4.3).

6.2.2 Quantitative Marktprofilanalyse Den ersten Schritt der Analyse des strategisch relevanten Marktes stellt i. d. R. die Untersuchung des aktuellen quantitativen Marktprofils dar. Das Ziel der quantitativen Marktprofilanalyse besteht in einer zahlenmäßigen Erfassung relevanter Merkmale des strategisch relevanten Marktes (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 50). Die Kenntnis dieser Merkmale ermöglicht es Unternehmen, die Attraktivität von Märkten und die Marktstellung des eigenen Unternehmens besser zu beurteilen. Diese Informationen sind daher bspw. für folgende Aktivitäten im Marketing relevant: • Marketingstrategie • Markeintritt • Neuprodukteinführung

6.2  Strategische Marktanalyse

89

• Produktpositionierung • Vertriebsplanung • Etc. Ein Verständnis über den Zielmarkt und Kenntnis über die quantitativen Merkmale eines Marktes sind bei all diesen Aktivitäten unerlässlich. Als Kennzahlen werden i. d. R. quantitative Marktkennzahlen verwendet (vgl. Kleinaltenkamp, 2002b, S. 78): • Absatzvolumen: Menge der in einer Periode von einer Unternehmung auf dem relevanten Markt verkauften Leistungen • Umsatzvolumen: Wert (Erlös/Umsatz) der in einer Periode von einer Unternehmung auf dem relevanten Markt verkauften Leistungen • Marktvolumen: Von allen Anbietern auf dem relevanten Markt insgesamt in einer Periode verkaufte Leistungen. Das Marktvolumen wird entweder nach der Menge oder nach dem Wert bestimmt. • Marktanteil: Quotient aus Absatz- bzw. Umsatzvolumen und Marktvolumen. Je nach Bezugsgröße ergibt sich ein mengenmäßiger oder ein wertmäßiger Marktanteil. • Relativer Marktanteil: Marktanteil des eigenen Unternehmens im Verhältnis zu dem des größten bzw. der drei größten Wettbewerber • Marktpotenzial: Als maximal erreichbar angesehenes Marktvolumen, evtl. bezogen auf eine bestimmte Zeitperiode • Marktausschöpfungsgrad/Marktsättigungsgrad: Quotient aus Marktvolumen und Marktpotenzial • Absatz- bzw. Umsatzpotenzial: Teil des Marktpotenzials, den das Unternehmen maximal erreichen zu können glaubt • Feldanteil: Teil der Distributionsorgane, welche die Leistungen des eigenen Unternehmens im Sortiment führen. Bezogen auf die absolute Zahl der Distributoren ergibt sich der numerische Feldanteil, bezogen auf deren Umsatz der gewichtete Feldanteil. Alle Kennzahlen zielen auf die quantitative Beurteilung der Attraktivität eines Marktes für ein Unternehmen ab. Quantitative Größen bilden den Ausgangspunkt der Analyse des strategisch relevanten Marktes, da sie relativ einfache und leicht verständliche Informationen über den Markt liefern und – bei Auswahl der richtigen Kennzahlen – hoch relevant für das Marketing sind (vgl. Bendle et al., 2018; Walsh et al., 2020, S. 162). Dynamische Mehrperiodenvergleiche erlauben zudem Rückschlüsse auf die Entwicklung des Marktwachstums und der relativen Marktposition im Zeitablauf. Bei Betrachtungen auf Quartalsbasis muss jedoch der Einfluss von Saisonalitätseffekten oder von kurzfristigen Änderungen des Marktumfelds berücksichtigt werden. Typischer Betrachtungszeitraum für strategische Marktanalysen im B2B-Marketing ist deshalb meist das Kalender- oder Geschäftsjahr (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 27). Als Datengrundlage dienen in erster Linie unternehmensexterne Sekundärdaten, bspw. von Dachverbänden, Kammern, statistischen Landesämtern, vom statistischen Bundes-

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6  Analyse der Mikroumwelt

Marktpotenzial D Marktausschöpfungsgrad C

Marktvolumen A B

Absatz-/Umsatzvolumen der Unternehmen A–D (hier A)

Abb. 6.1  Zusammenhänge der Marktkennzahlen

amt, aus Jahresabschlussanalysen der Wettbewerber, aus Berichten von Forschungsinstitutionen oder auch aus kommerziellen Datenportalen wie Statista. Aber auch unternehmens­ interne Daten kommen zum Einsatz, z. B. aus dem Marketing- und Vertriebscontrolling oder Informationen aus dem CRM-System (z. B. Besuchsberichte bei Kunden). Abb. 6.1 veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen Marktpotenzial, Marktvolumen und Absatzvolumen der einzelnen Anbieter. Ausgangspunkt der quantitativen Analyse ist somit i. d. R. die Ermittlung des Marktpotenzials, d. h. das als maximal erreichbar angesehene Marktvolumen. Einbezogen werden hierbei sowohl der Neubedarf von Erstkäufern als auch der Ersatzbedarf von Wiederholungskäufern. Das Marktpotenzial stellt eine Kennzahl für die potenzielle Maximalgröße eines Marktes dar, die sich aber praktisch nie erreichen lässt (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 25): Die fehlende Kaufkraft von Abnehmern, Informationslücken bei Käufern, nicht-rationales Kaufverhalten oder individuelle Käuferpräferenzen führen dazu, dass das Marktpotenzial nie zu 100  % ausgeschöpft werden kann. Hinzu kommt, dass neue digitale Geschäftsmodelle eine exakte Marktdefinition und -abgrenzung zusätzlich erschweren. Als Konsequenz lässt sich das Potenzial eines Marktes nicht mathematisch exakt errechnen, sondern nur unscharf abschätzen. Für eine möglichst genaue Schätzung sollte daher auf eine Kombination aus unterschiedlichen Herangehensweisen, auch als Methodentriangulation bezeichnet, zurückgegriffen werden. Die Methodentriangulation ist ein Verfahren der empirischen Wissenschaften, bei dem mindestens zwei verschiedene Methoden bzw. Sichtweisen herangezogen werden, um einen Betrachtungsgegenstand – hier: das Marktpotenzial – hinreichend genau zu bestimmen (vgl. Blum, 2019). Die Kombination unterschiedlicher Perspektiven soll die Validität des Ergebnisses erhöhen, systematische Fehler verringern und eine genauere E ­ inschätzung des Marktpotenzials ermöglichen. Die Ermittlung des Marktpoten-

6.2  Strategische Marktanalyse

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zials basierend auf der Methodentriangulation erfolgt mittels folgender drei Methoden (vgl. Blum, 2019, S. 85–86): 1. (Deduktive) Herleitung über die Anwendungs- und Bedarfssicht, d.  h. aus der übergeordneten Kategorie eines grundsätzlich zu lösenden Kundenproblems Bei der (deduktiven) Methode werden für eine Anwendung spezifische Bedarfszahlen durch die Anwendung bedingender Voraussetzungen oder Einschränkungen (Prämissen/Annahmen) systematisch eingegrenzt und abgeleitet (vgl. Abb.  6.2). Erfordert bspw. die Nutzung einer bestimmten Technologie spezifische Umgebungsbedingungen, so grenzt dies potenzielle Kunden bereits ein. Die sich aus dem Anwendungskontext der Kunden ergebenden Bedingungen grenzen so die potenziellen Kunden immer weiter ein. Diese Eingrenzung stellt gleichzeitig eine Qualifizierung des Marktpotenzials dar. 2. (Induktive) Herleitung aus der Sicht möglicher Lösungsanbieter (Wettbewerber) Bei der (induktiven) Methode wird das Marktpotenzial durch die Angebotsseite analysiert, indem die Absatzvolumina von vergleichbaren Leistungen oder Substituten zu einem Produkt ermittelt werden (vgl. Abb. 6.3). 3. (Optional) Analogieschluss durch Übertragung von Erfahrungswissen aus vergleichbaren (Markt-) Zusammenhängen Hierbei werden z. B. Regeln oder Zusammenhänge, die bereits in bestehenden Märkten bekannt sind, auf den zu analysierenden Markt übertragen.

Übergeordnete Kategorie für Kundenproblem Prämisse 1 Qualifizierungsschritt 1 Prämisse 2 Qualifizierungsschritt 2



Prämisse N Qualifizierungsschritt N Qualifiziertes Marktpotenzial

Abb. 6.2  Deduktive Herleitung des Marktpotenzials. (Quelle: In Anlehnung an Blum, 2019, S. 85)

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6  Analyse der Mikroumwelt

Penetration & Wachstum Schätzen des Residuums Aufsummieren der Absatzvolumina Bestimmung der Absatzvolumina jedes Anbieters Identifikation aller Unternehmen in den relevanten Teilmärkten Segmentierung und Auswahl relevanter Teilmärkte Abb. 6.3  Induktive Herleitung des Marktpotenzials. (Quelle: In Anlehnung an Blum, 2019, S. 86)

Die Ergebnisse der Methoden werden am Ende zusammengeführt. Zumeist ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse der Vorgehensweisen. Aus diesem Grund gilt es, die Ergebnisse zu vergleichen, auf Plausibilität zu überprüfen und auf ein sinnvolles Ergebnis ­zusammenzuführen.

6.2.3 Marktprognose Für strategische Entscheidungen im B2B-Marketing und Vertrieb ist es notwendig, Informationen über die weiteren Marktentwicklungen insbesondere in Bezug auf Marktpotenzial, Markt- und Umsatzvolumen zu generieren (vgl. Gansser & Krol, 2015; Kühnapfel, 2015, 2017; Scheed & Scherer, 2021, S. 27). Für die Prognose der quantitativen, aber auch qualitativen Entwicklung des strategisch relevanten Marktes kann auf vergangenheitsorientierte Methoden, Analogiemethoden und Kreativmethoden zurückgegriffen werden. Die einzelnen Methoden sind in Tab.  6.2 zusammenfassend dargestellt. Häufig werden die Methoden in Kombination miteinander eingesetzt und das Ziel ist immer die Identifikation und Bewertung der Schlüsselfaktoren und Markttrends, welche die weitere Marktentwicklung wesentlich prägen werden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 27). Rasant steigende Datenmengen im Zuge der Digitalisierung ermöglichen es zunehmend, Marktprognosen auch mittels Big-Data-Anwendungen durchzuführen. Software-­ Tools, z.  B. für Marketing Intelligence, nutzen intelligente Algorithmen zur Marktpro­ gnose und sorgen zudem für eine anwenderfreundliche Visualisierung der Prognoseergebnisse. So können sie das Leistungsvermögen von Big Data, also die Verfügbarkeit großer Datenmengen mit hoher Detailtiefe und unterschiedlicher Herkunft, ausschöpfen und vorausschauende Analysen (Predictive Analytics) durchführen. Durch Predictive-Analytics-­ Ansätze für Marktprognosen kann die Prognosegenauigkeit (im Vergleich zu klassischen

6.2  Strategische Marktanalyse

93

Tab. 6.2  Methoden zur Prognose der Marktentwicklung. (Quelle: in Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 28) Kategorie Methode Vergangenheitsorientierte Trendextrapolation auf Basis Methoden des gleitenden Durchschnitts Trendextrapolation auf Basis des exponentiellen Durchschnitts Indikatormodelle

Multivariate Modelle auf Basis einer Regressionsanalyse Analogiemethoden

Kreativmethoden

Prognose auf Basis der Entwicklung artverwandter oder korrelierender Märkte Brainstorming/Brainwriting Delphi-Befragungen Panelerhebungen Szenariotechniken u.v.a.

Vorgehen der Methode Durchschnittswerte der Vergangenheit werden ungewichtet auf die Zukunft fortgeschrieben Durchschnittswerte der Vergangenheit werden gewichtet auf die Zukunft fortgeschrieben Durchschnittswerte der Vergangenheit werden mit vorauslaufenden Schlüsselindikatoren (z. B. Geschäftsklimaindex) verknüpft Einfluss von mehreren Inputvariablen auf eine abhängige Variable wird im Modell erfasst und quantifiziert Verlauf des Referenzmarkts in der Vergangenheit entspricht zukünftiger Marktentwicklung Nutzung von Expertenwissen zur quantitativen (wie auch qualitativen) Prognose der Marktentwicklung

Ansätzen) erhöht werden, insbesondere in volatilen und komplexen Marktumgebungen. Weitere Ziele sind die Automatisierung der Datenversorgung und damit auch die Erhöhung der Prognosefrequenz und Prognosegeschwindigkeit, da Daten quasi in Echtzeit für Prognosezwecke genutzt werden können. Derartige digitale Prognosemodelle stehen ­jedoch noch am Anfang ihrer Entwicklung. Probleme bereiten im Alltagseinsatz häufig noch eine regelmäßige und konsistente Datenerfassung, -speicherung und -aufbereitung aus internen und externen Quellen sowie die Prognosequalität der genutzten intelligenten Algorithmen: Die Ergebnisse automatisierter digitaler Prognosen sind umso besser, je umfangreicher, qualitativ hochwertiger und detaillierter die verarbeiteten Daten und Software-­ Tools für digitale Marktprognosen sind (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 29.

6.2.4 Marktlebenszyklusanalyse Schlussfolgerungen über die weiteren Marktentwicklungen lassen sich auch aus der Position des relevanten Marktes im Marktlebenszyklus ableiten (vgl. Homburg, 2020, S. 485). Die Methode des Marktlebenszyklus wird analog zur Produktlebenszyklusanalyse (vgl. Abschn. 9.1) durchgeführt, mit dem Unterschied, dass nicht einzelne Produkte betrachtet

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6  Analyse der Mikroumwelt Wachstum

Einführung

Reife & Sättigung

Rückgang

2

3 6

1. Zeitpunkt der Einführung 2. Absatzmaximum 3. Wiederanstieg z. B. durch Verbesserung des Produktes 4. Verlust bei Einführung (z. B. Entwicklungskosten) 5. Gewinnschwelle 6. Gewinnmaximum 7. Wiedereintritt in die Verlustzone

Absatz

Gewinn

0

7 1

5

Zeit

4

Abb. 6.4  Idealtypische Phasen und Verlauf eines Marktlebenszyklus. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 486)

werden, sondern Märkte. Konzeptionell setzt sich der Marktlebenszyklus aus der Summe der für diesen Markt relevanten Produktlebenszyklen über mehrere Produkt-/Technologiegenerationen hinweg zusammen. Das Marktlebenszyklusmodell beschreibt die Entstehung und Entwicklung von Märkten im Zeitablauf und unterstellt eine Abhängigkeit der Absatz- und Gewinnpotenziale von Phasen. Märkte durchlaufen einen idealtypischen Zyklus mit den Marktphasen Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration, welche in Abb. 6.4 grafisch dargestellt sind. Die einzelnen Phasen in diesem Zyklus lassen sich u. a. anhand von Marktgegebenheiten wie Marktwachstum, Marktpotenzial oder Marktanteilsverteilung charakterisieren. Eine Übersicht der Charakterisierung der Phasen ist in Abb. 6.5 zu finden. Die Länge des Marktlebenszyklus variiert in Abhängigkeit des Verhaltens der Unternehmen in diesem Markt und abhängig von den Spezifika der zugrundeliegenden Produkte (z.  B.  Patentschutz) und lässt sich nur selten empirisch exakt bestimmen. Hinzu kommt, dass die Phasenabgrenzungen nicht trennscharf möglich sind. So existieren keine standardisierten Schwellenwerte, ab welchen ein Markt von einer Phase in die nächste wechselt. Vielmehr sind diese Schwellenwerte marktspezifisch vom Unternehmen festzulegen. Darüber hinaus existiert für einige Märkte (z. B. Rohstoffe im Industriegüterbereich) überhaupt kein Zyklus (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 29), oder Industrien (z. B. die Laserindustrie) verharren in einer Phase ständiger Marktein- und -austritte und kontinuierlicher Innovation (vgl. Klepper, 1997). Die Zuordnung eines Marktes zu einer Phase des Marktlebenszyklus wird durch die digitale Transformation deutlich komplexer. Durch Eintritt neuer Wettbewerber mit digi-

6.2  Strategische Marktanalyse

95 Lebenszyklusphase

Kriterium

Einführung

Wachstum

Reife

Sättigung

Marktwachstum

Steigende Wachstumsrate

Stark steigende Wachstumsrate

Stagnation, gegen Ende negative Wachstumsrate

Negative bis stark negative Wachstumsrate

Marktpotenzial

Nicht überschaubar; Befriedigung eines kleinen Teils der potenziellen Nachfrage

Unsicherheit in der Bestimmung des Marktpotenzials aufgrund von Preissenkungen (Nutzung von Erfahrungseffekten)

Überschaubarkeit des Marktpotenzials

Begrenztes Marktpotenzial, häufig nur Ersatzbedarf

Rückgang Stark negative Wachstumsraten Begrenztes Marktpotenzial, häufig nur Ersatzbedarf

Marktanteile

Entwicklung der Marktanteile nicht abschätzbar

Konzentration der Marktanteile auf wenige Anbieter

Stabilität der Marktanteile

Starke Schwankungen der Marktanteile – hohe Instabilität

Konsolidierung der Marktanteile aufgrund von Erfahrungswerten

Weitgehende Stabilität, Verschiebungen im Wesentlichen aufgrund des Ausscheidens von Wettbewerbern

Anzahl der Wettbewerber

Klein

Höchstwert der Anzahl der Wettbewerber

Ausscheiden der Wettbewerber ohne Wettbewerbsvorteil

Weitere Verringerung der Anzahl der Wettbewerber

Loyalität der Nachfrager

Kaum Loyalität gegenüber Anbietern

Gewisse Kundenloyalität, häufig unter Beibehaltung alternativer Bezugsquellen

Relativ hohe Kundenloyalität

Relativ hohe Kundenloyalität

Eintrittsbarrieren

Im Allgemeinen keine Eintrittsbarrieren, Eintritt hängt von Kapitalkraft, technischem Know-how und Risikobereitschaft ab

Schwieriger Marktzugang (Ausschöpfung des Kostensenkungspotenzials der Erfahrungskurve durch Marktteilnehmer); i.d.R. Eintritt nur durch Schaffung von Marktnischen

Mit wachsenden „Erfahrungen“ der Konkurrenten zunehmende Schwierigkeit des Markteintritts; Marktanteilssteigerungen nur auf Kosten von Konkurrenten

Im Allgemeinen keine Veranlassung, in einen stagnierenden Markt einzudringen

Technische Innovationen als Voraussetzung für die Erschließung neuer Märkte

Produkt- und Verfahrensverbesserungen

Marktanforderungen bekannt; Rationalisierung der Produktions- und Distributionsprozesse

Bekannte, verbreitete und stagnierende Technologie

Technologie

Verstärkte Konzentration durch das Ausscheiden schwacher Konkurrenten

Abnehmende Kundenloyalität

Im Allgemeinen keine Veranlassung, in einen stagnierenden Markt einzudringen

Bekannte, verbreitete und stagnierende Technologie

Abb. 6.5  Merkmale der Phasen des Marktlebenszyklus. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 454)

talen Geschäftsmodellen können Marktwachstumsphasen untypisch verlaufen oder auch rasch kollabieren, weil sich Kundenbedürfnisse disruptiv ändern. Die Sättigungs- und Reifephase eines Marktes kann stark abgekürzt werden, da deutlich schneller neue Technologien auf den Markt kommen. Dennoch liefert die Grundlogik des Marktlebenszyklus auch in solchen Marktsituationen wertvolle Anhaltspunkte für die mögliche weitere Marktentwicklung (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 30). Festzuhalten ist somit, dass es keine gesetzmäßige Standardform oder -länge eines Marktlebenszyklus gibt (vgl. Meffert et al., 2019, S. 69). Vielmehr gilt es, den Marktlebenszyklus des vorliegenden Marktes mit seinen jeweiligen Besonderheiten zu betrachten. Eine Marktlebenszyklusanalyse vollzieht sich dabei i.  d.  R. in folgenden vier Schritten (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 142–144): . Definition der Industrie bzw. des Marktes 1 2. Identifizierung der Lebenszyklusphase 3. Kritische Prüfung und Einordnung 4. Implikationen für die Strategie Durch die Einordnung in den Lebenszyklus wird die Bewertung der grundsätzlichen Attraktivität eines Marktes möglich. So können Erkenntnisse der Marktlebenszyklusanalyse bspw. dazu dienen einzuschätzen, wie viel Potenzial ein Markt noch hat, wie hoch der Wettbewerbsdruck ist und ob sich Investitionen in diesen Markt lohnen könnten.

96

6  Analyse der Mikroumwelt

6.2.5 Analyse der Industriewertkette Die Vermarktung von industriellen Leistungen findet häufig innerhalb sehr langer Wertketten statt. Diese Wertketten erstrecken sich bspw. von der Gewinnung der Rohmaterialien über die Produktion von Komponenten, die Herstellung der Hauptprodukte bis zur Wartung und Entsorgung der verschiedenen Endprodukte. Für ein systematisches B2B-­ Marketing und Vertrieb ist es essenziell, dass ein umfassendes Verständnis der Industriewertkette vorliegt. Erkenntnisse aus der Analyse der Industriewertkette können einerseits für marketingspezifische Fragestellungen genutzt werden, wie z. B.: • Marktstufenadressierte Entwicklung von Produkt- und Service-Lösungen, oder gar -Innovationen (vgl. Randhawa et al., 2021) • Stufenübergreifende Kommunikationskampagnen • Wertschöpfungsstufenübergreifendes Pricing (z. B. Supply Chain Pricing oder Nachfragerbündelung) (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 288) • … Andererseits dienen sie auch für strategische Grundsatzentscheidungen eines Unternehmens, die letzten Endes das Marketing ebenfalls wieder betreffen, wie z. B.: • Strategische Entscheidungen zu Vorwärts- oder Rückwärtsintegrationen entlang der Industriewertkette • Etablierung von Netzwerken bis hin zu Ökosystemen (vgl. Klimanov & Tretyak, 2019) • … Bei all diesen Entscheidungen ist eine Kenntnis über die Struktur der Wertkette (z. B. Länge, Komplexität), die beteiligten Parteien je Stufe in der Wertkette (z. B. Lieferanten, Kunden, Dienstleister …), die Marktcharakteristik der einzelnen Marktstufen (z.  B.  Bedürfnisse, Trends …), die Machtverteilung und die Profit Pools innerhalb der Wertkette elementar. Eine systematische Analyse der Industriewertkette erfolgt daher entlang von fünf Schritten, welche in Abb. 6.6 zusammenfassend dargestellt sind. 1. Stufen der Wertkette abbilden In einem ersten Schritt gilt es, die Wertkette zunächst mit all ihren Stufen abzubilden. Das heißt, es müssen alle beteiligten Stufen aufgelistet werden, die einen Beitrag zur Wertschöpfung innerhalb der Industrie liefern. Das können produzierende Unternehmen, Dienstleister (z. B. Logistik, Berater …) oder Händler sein. Auch Produkte und Leistungen, die mit der Nutzung in engem Zusammenhang stehen, sind einzubeziehen, bspw. Ersatzteile oder Dienstleistungen Dritter. So stellen bspw. Architekten wichtige Beeinflusser innerhalb der Baustoffindustrie dar, ohne dass sie unmittelbar an der Wertschöpfung (z. B. Bau eines Gebäudes) beteiligt sind. Da sie jedoch Baupläne inkl. Empfehlungen für

6.2  Strategische Marktanalyse

97

1 Stufen der Wertkette abbilden 2

Identifikation der wichtigsten Beteiligten je Stufe

3

Wichtigste Marktcharakteristiken und Bedürfnisse

Lieferant

Kunde des Kunden

Endkunde

• Unser Unternehmen • . • Wettbewerber A • • • Wettbewerber B • •

•. • • •

•. • • •

• Anzahl der

•. • • • •

•. • • • •

•. • • • •

Beteiligten

• Wachstum • Trends • …

•. • • • • Entscheider Starker Beeinflusser Schwacher Beeinflusser Keine aktive Rolle

Gewinnspanne (%)

Macht je Stufe

Profit Pools

Kunde

• Lieferant A • Lieferant B • ... •

4

5

Unser Unternehmen

Anteil der Industrieumsätze (%)

Abb. 6.6 Industriewertkettenanalyse

Materialien erstellen, stellen sie eine wichtige Zielgruppe hinsichtlich der Vermarktung von Bauprodukten dar. 2. Identifikation der wichtigsten Beteiligten je Stufe Im zweiten Schritt sollte ein möglichst vollständiges Bild der wichtigsten Beteiligten (i. d. R. Unternehmen) je Stufe erfolgen. Da u. U. auf einzelnen Stufen sehr viele Beteiligte existieren, sollten diese zumindest als Branchen (z. B. Architekten), oder Segmente (z. B. Innenarchitekten) abgebildet werden. 3. Wichtigste Marktcharakteristika und Bedürfnisse Im dritten Schritt werden die wichtigsten Charakteristika der Märkte/Segmente auf den einzelnen Stufen beschrieben. Dies können z.  B. wichtige Trends oder rechtliche bzw. technologische Veränderungen sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die zen­ tralen Bedürfnisse je Marktstufe dargestellt werden. Beispielsweise weisen immer mehr Unternehmen den CO2-Footprint ihrer Produkte aus. Hierfür benötigen sie Informationen über die CO2-Erzeugung der Vorprodukte. Ein weiterer Trend im Endkonsumentenmarkt sind Nachhaltigkeitsaspekte und die damit einhergehende Forderung nach recycelbaren Produkten und Verpackungen (bspw. kompostierbare Plastiktüten). Dieser Trend auf dem Endkonsumentenmarkt muss bereits auf der Stufe der Rohstofflieferanten berücksichtigt werden. Ein weiteres Beispiel ergibt sich aus der voranschreitenden Digitalisierung und der daraus resultierenden notwendigen Schnittstellenkompatibilität z. B. von Informationssystemen. Auf diese Anforderungen müssen ggf. Unternehmen, die in der Wertkette

98

6  Analyse der Mikroumwelt

eine oder u. U. mehrere Stufen vorgelagert sind, reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben oder sogar einen Wettbewerbsvorteil erzielen zu können. 4. Macht je Stufe Die Einflussmöglichkeiten der beteiligten Unternehmen innerhalb einer Wertkette sind oftmals unterschiedlich stark ausgeprägt. Beispielsweise besitzen innerhalb der Automobil-­ Industriewertkette oftmals die Fahrzeughersteller (Original Equipment Manufacturer bzw. OEMs) die größten Einflussmöglichkeiten. Sie entscheiden in großem Maße darüber, welche Komponenten und Zulieferprodukte in den Automobilen am Ende verbaut werden. Effektive Marketingkampagnen im B2B-Umfeld erfordern daher ein Verständnis über die Macht und Einflussmöglichkeiten der einzelnen Marktstufen. Wenn bekannt ist, welche Stufe die zentrale Kaufentscheidung trifft und damit die derivative Nachfrage auslöst, können systematisch Bedürfnisanalysen durchgeführt und zielgruppengerechte Leistungen vermarktet werden – entweder über Pull- oder Push-Marketing-Maßnahmen, indem ggf. die entsprechende Marktstufe direkt angesprochen wird. 5. Profit Pools Innerhalb von Industriewertketten gibt es oftmals große Unterschiede hinsichtlich der von den beteiligten Unternehmen erwirtschafteten Wertschöpfung. Ein Werkzeug zur Analyse der Wertschöpfung auf den unterschiedlichen Stufen ist die Analyse der Profit Pools (vgl. Gadiesh & Gilbert, 1998). Das zugrundeliegende Prinzip der Analyse der Profit Pools besteht darin herauszufinden, wo und wie innerhalb einer Industriewertkette Gewinn erzielt wird. Die Profit-Pool-Analyse dient so der Identifikation der profitablen Stufen einer Wertschöpfungskette (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 131). Dabei beinhaltet der Profit Pool den gesamten operativen Gewinn über alle Stufen und schließt auch Zulieferer, Zwischenhändler oder Service- und Logistikunternehmen mit ein. Hierdurch entsteht ein Gesamtbild über die Gewinnverteilung in einer ganzen Branche. Auf Basis der Profit-Pool-Analyse kann so bspw. analysiert werden, welchen Einfluss Umwelteinflüsse (z.  B. rechtliche Änderungen) und Handlungen der Wettbewerber (z. B. Preisgestaltungen) auf die Verteilung der Gewinne in der Wertschöpfungskette haben. Ferner liefert die Analyse Informationen darüber, ob es attraktiv erscheint, weitere profitable Stufen der Wertkette zu erschließen, und ggf. auch, ob ein Rückzug aus unprofitablen Stufen sinnvoll ist. Neben der Betrachtung der Wertschöpfungsstufen als Ganzes ist auch eine Betrachtung der einzelnen Segmente einer Stufe (Produkte, Kunden, Regionen, Kanäle) möglich. Die Profit-Pool-Analyse ist somit nicht nur für Marketingentscheidungen von Relevanz, sondern auch für grundlegende strategische Überlegungen eines Unternehmens. Ein wichtiger Bestandteil der Analyse ist die Definition der Grenzen des Profit Pools. Es ist festzulegen, welche Wertschöpfungsaktivitäten einzuschließen sind. Während die Ermittlung des Gesamtumsatzes des Profit Pools relativ einfach ist, bedarf es bei der Ab-

6.2  Strategische Marktanalyse

99

schätzung des gesamten operativen Gewinns sowie der anschließenden Verteilung dessen auf die einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette zumeist Schätzungen (vgl. Gadiesh & Gilbert, 1998; Paul & Wollny, 2020, S. 131) Auch wenn die Erstellung des Profit Pools von der Logik her recht einfach ist, ist die Beschaffung der entsprechenden Daten häufig nicht ganz so einfach. Über öffentlich zugängliche Datenbanken, wie bspw. https://www.morningstar.com, besteht die Möglichkeit, Finanzdaten bezogen auf einzelne Branchen oder Produktkategorien herunterzuladen. Hiermit können bereits recht detailliert einzelne Bereiche einer Industriewertkette analysiert werden. Oftmals sind die Daten aber nicht vollständig, nicht ganz auf die zu analysierende Produktkategorie zugeschnitten oder für die zu analysierende Wertkette überhaupt nicht zugänglich. In diesen Fällen müssen Informationen aus unterschiedlichen Quellen (z. B. Branchenverbände, Statistisches Bundesamt, Handelskammern …) zusammenfließen und ggf. Schätzungen vorgenommen werden. Grafisch können Profit Pools recht einfach dargestellt werden, indem auf der x-Achse der kumulierte Umsatz und auf der y-Achse die operative Gewinnmarge in % abtragen werden. In Abb. 6.7 wird beispielhaft das Ergebnis einer Profit-Pool-Analyse in der Automobilbranche dargestellt. Anhand der in Abb. 6.7 vereinfacht dargestellten Automobilbranche kann die Bedeutung der Analyse der Profit Pools aufgezeigt werden. In der Automobilindustrie verteilen sich die Umsätze und Gewinne über mehrere Wertschöpfungsstufen von den Autoherstellern, dem Neu- und Gebrauchtwagenhandel, Finanzierungs- (hier Leasing) und Versicherungsanbieter, Werkstätten, Vermietung bis hin zum Ersatzteilhandel. Wird lediglich der Umsatz betrachtet, erscheinen die Herstellung und der Handel zunächst am wichtigsten. Werden jedoch die Gewinnmargen betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild. Mit Dienstleistungen wie Leasing, Versicherungen oder Vermietungen werden deutlich bessere Gewinn100 Werkstattgeschäft

Operative Gewinnmarge in %

Leasinggeschäft

Vermietungen

Ersatzteilhandel

Autohersteller

0

Neuwagenhandel

Gebrauchtwagenhandel

Versicherungen

Anteil am Branchenumsatz in %

100

Abb. 6.7  Profit Pools in der Automobilbranche. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2014, S. 133)

100

6  Analyse der Mikroumwelt

margen erzielt als in den Kerngeschäften Autoherstellung und -verkauf. Diese Erkenntnis hatte 1994 auch Ford und erwarb daraufhin die Autovermietung Hertz und 1999 die Autoreparaturkette Kwik-Fit. Während der Jahre 2003 bis 2008 entwickelte sich das Finanzierungsgeschäft sogar zur einzigen Gewinnquelle für Ford und General Motors (vgl. Grant, 2013, S. 104; Paul & Wollny, 2014, S. 132). Die Schwächen des Modells liegen in der Vernachlässigung von Veränderungen der Profit Pools im Zeitablauf sowie dem nicht einheitlich definierten Gewinnbegriff. Dennoch entstehen durch die Analyse des Profit Pools interessante Erkenntnisse für das jeweilige Unternehmen (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 132).

6.3 Analyse der B2B-Kunden 6.3.1 Ziele der B2B-Kundenanalyse Um im B2B-Marketing und Vertrieb langfristig wettbewerbsfähig zu sein, ist eine umfassende Kenntnis über die Kunden erforderlich. Analog der Kundenanalyse im B2C-Umfeld gilt es zu verstehen, wer die Kunden sind, was diese benötigen, wer die Kaufentscheidung trifft und wie diese Kaufentscheidung zustande kommt. Diese Aspekte unterscheiden sich jedoch bei B2B-Kunden teils erheblich von den zu analysierenden Aspekten im Rahmen des Käuferverhaltens im B2C-Marketing. Ein wesentlicher Unterschied besteht bereits in der Begrifflichkeit: Während im B2C-Marketing vom Käuferverhalten gesprochen wird, handelt es sich bei B2B-Kunden um das sogenannte Beschaffungsverhalten. B2B-Unternehmen beschaffen Leistungen am Markt, um damit bestehende Probleme (= Bedarfe) im Rahmen der Leistungserstellung für ihre eigenen Kunden zu lösen. Daher wird in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten „Problemlösungsbedarf“ gesprochen. Somit gilt es, eine umfassende Analyse des Beschaffungsverhaltens von B2B-Kunden durchzuführen. Das Verständnis über das Beschaffungsverhalten ermöglicht es Unternehmen, die richtigen Leistungen anzubieten. Neben dieser effektivitätsorientierten Sichtweise gilt es aber auch im B2B-Marketing und Vertrieb, die verfügbaren Ressourcen effizient einzusetzen. Um dies zu erreichen, wird basierend auf dem Verständnis über die Kunden eine Kundensegmentierung durchgeführt. Diese ermöglicht es, Kunden gebündelt durch B2B-­ Marketing und Vertriebsmaßnahmen zu adressieren. Darüber hinaus sollen die aus Un­ ternehmenssicht attraktiven Kunden identifiziert werden, was eine Analyse der Kundenattraktivität erforderlich macht. Auf Basis der Kundensegmentierung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Kundenattraktivität soll mit dem Aufwand im B2B-­ Marketing und Vertrieb das bestmögliche wirtschaftliche Ergebnis erzielt werden. Es soll somit die Effizienz gesteigert werden. All diese Rahmenbedingungen sollen jedoch die Kundenzufriedenheit nicht schmälern, weshalb eine vollständige Analyse des Kunden auch die Analyse der Kundenzufriedenheit umfasst.

6.3  Analyse der B2B-Kunden

101

Aus dem einführenden Überblick ergeben sich folgende Bereiche der Kundenanalyse: • • • •

Analyse des Beschaffungsverhaltens von B2B-Kunden (Abschn. 6.3.2.1) Kundensegmentierung (Abschn. 6.3.2.2) Analyse der Kundenattraktivität (Abschn. 6.3.2.3) Analyse der Kundenzufriedenheit (Abschn. 6.3.2.4)

6.3.2 Aspekte der B2B-Kundenanalyse 6.3.2.1 Analyse des Beschaffungsverhaltens von B2B-Kunden 6.3.2.1.1 Besonderheiten des organisationalen Beschaffungsverhaltens Das organisationale Beschaffungsverhalten beschreibt das Verhalten von Organisationen bei der Beschaffung von Leistungen. Um im B2B-Marketing und Vertrieb Strategien und Maßnahmen zu planen und umzusetzen, ist es unumgänglich, das Verhalten von Organisationen sowie von deren Akteuren im Rahmen von Beschaffungsaktivitäten zu verstehen. Hierfür ist es zunächst notwendig, ein Verständnis über die Besonderheiten zu erarbeiten, welche bei organisationalen Beschaffungen vorherrschen. Kaufentscheidungen in einer Organisation vollziehen sich in einem multipersonalen Problemlösungs- und Entscheidungsprozess, der durch ein aktives Informationsverhalten und durch häufige Interaktionen gekennzeichnet ist (vgl. Johnston & Lewin, 1996; Backhaus & Voeth, 2014, S. 39). In der Literatur finden sich zahlreiche Prozessmodelle, die versuchen, diesen Problemlösungs- und Entscheidungsprozess zu modellieren. Steward et al. (2019) haben in einer Meta-Analyse die bisher in der Literatur behandelten Ansätze analysiert. Die Ergebnisse der Studie liefern einen systematischen Überblick der existierenden Modelle sowie die sich im Zeitablauf verändernden zugrundeliegenden Annahmen der Modelle. Während die ersten Ansätze aus den 1950er-Jahren organisationale Beschaffungsprozesse als rein ökonomische Transaktion (Transactions) betrachteten, wurden im Laufe der Zeit nach und nach andere Aspekte in den Fokus gerückt: Zunächst wurden situative Aspekte (Situations), die den Kaufprozess beeinflussen, einbezogen. Anschließend traten Verhaltensaspekte des Käufers (Influences) in den Vordergrund, welche den Kaufprozess beeinflussen. Diese wurden anschließend durch Einflüsse, resultierend aus Marketingaktivitäten, ergänzt (Responses). Darauf folgten Aspekte der Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden und Lieferanten (Relationships). Seit Anfang der 1990er wurde die Kunden-Lieferanten-Beziehung durch weitere Beziehungen (z. B. zu Kooperationspartnern) erweitert und sogenannte Netzwerke (Networks) traten in den Fokus. Ebenfalls seit Anfang der 1990er wurde der Effekt digitaler Technologien auf den Kaufprozess berücksichtigt und die gesamthafte Erfahrung des Kunden entlang seiner Kontaktpunkte während des Kaufprozesses (Journey) traten in den Fokus der Modelle. Je nach Perspektive spielen diese Modelle auch heute noch zur Erklärung des organisationalen Beschaffungsprozesses eine Rolle. Für die Erarbeitung von B2B-Marketing- und

102

6  Analyse der Mikroumwelt

Entscheidungsparameter des Anbieters

Entscheidungsprozess

Vom Anbieter nicht beeinflussbare Einflussgrößen

Alle Produktalternativen A Marketingunterstützung für Produkt a

Awareness-Modell

Kommunikationsverhalten der Entscheidungsbeteiligten im Buying Center

Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a aus A im Evoked Set ist Produktmerkmale von a

Akzeptanzmodell

Umweltrestriktionen und Organisationserfordernisse

Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a realisierbar ist, unter der Bedingung, dass es im Evoked Set war Individuelle Bewertungsmodelle

Wahrnehmung der Entscheidungsbeteiligten und deren Entscheidungskriterien

Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a von Personengruppe i gewählt wird unter der Bedingung, dass a realisierbar und im Evoked Set war Gruppenentscheidungsmodelle

Beteiligte Entscheidungsgruppen, Annahmen über die Beziehungsstrukturen

Wahrscheinlichkeit, dass Produkt a vom Buying Center gewählt wird, unter der Bedingung, dass mindestens eine Personengruppe i für dieses Produkt Präferenzen hat und a realisierbar und im Evoked Set war

Abb. 6.8  Marketing-Response-Modell. (Quelle: In Anlehnung an Foscht et  al., 2017, S.  314; Choffray & Lilien, 1978, S. 23)

Vertriebsstrategien soll an dieser Stelle das Marketing-Response-Modell von Choffray und Lilien (1978) (Abb. 6.8 in der Übersetzung nach Backhaus & Voeth, 2014, S. 100) jedoch noch einmal besonders hervorgehoben werden. Dieses Modell betrachtet den Einfluss von Marketingaktivitäten auf den organisationalen Beschaffungsprozess erstmals näher. Es zerlegt den Entscheidungsprozess in vier Teil-Modelle: (1) Awareness-Modell, (2) Akzeptanz-Modell, (3) individuelle Bewertungsmodelle und (4) Gruppenentscheidungsmodelle. Daneben werden Entscheidungsparameter des Anbieters sowie die nicht vom Anbieter beeinflussbaren Einflussgrößen einbezogen. So wird in diesem Modell thematisiert, dass organisationale Beschaffungsentscheidungen von folgenden zentralen Einflussgrößen beeinflusst werden: • Gegebenheiten im Buying Center • Umweltrestriktionen und Erfordernisse der Organisation • Wahrnehmung der beteiligten Personen sowie deren Entscheidungskriterien (Präferenzen) • Beziehungsstrukturen im Buying Center und das Zustandekommen der Gruppenentscheidung (organisationale Präferenzbildung) Für die Ausgestaltung des B2B-Marketings und Vertriebs stellt sich basierend auf diesem Modell die Frage, wie die Marketing- und Vertriebsmaßnahmen gestaltet werden müssen, um den Beschaffungsprozess so zu beeinflussen, dass am Ende die Kaufentscheidung für

6.3  Analyse der B2B-Kunden

103

die eigene Leistung getroffen wird. Um anwendungsorientierte Handlungsempfehlungen ableiten zu können, lassen sich folgende Analysebereiche des organisationalen Beschaffungsverhaltens abgrenzen: • Buying Center (Abschn. 6.3.2.1.2) –– Wer ist an der Beschaffungsentscheidung beteiligt? –– Welche Rollen nehmen diese Personen ein? –– Welche Einstellung haben die Personen unserem Unternehmen bzw. unserer Leistung gegenüber? –– Wie sind die Akteure untereinander vernetzt und wie interagieren diese miteinander? –– Welches Informationsverhalten charakterisiert die Personen im Buying Center? –– Welches Entscheidungsverhalten charakterisiert die Personen im Buying Center? –– Wie kommen Gruppenentscheidungen zustande? • Beschaffungsprozess (Abschn. 6.3.2.1.3) –– Wie läuft der organisationale Beschaffungsprozess ab? –– Wie lassen sich die einzelnen Phasen charakterisieren? –– Wie verändert die Digitalisierung den Beschaffungsprozess? • Kauftyp (Abschn. 6.3.2.1.4) –– Was für eine Leistung wird beschafft? –– Welche Faktoren charakterisieren die Leistung? –– Welchen Einfluss hat dies auf die Beschaffung? • Beschaffende Organisation (Abschn. 6.3.2.1.5) –– Durch welche Merkmale ist die beschaffende Organisation charakterisiert? –– Welchen Einfluss haben diese Merkmale auf die Beschaffung? • Umwelt (Abschn. 6.3.2.1.6) –– Welche Umweltfaktoren sind zu berücksichtigen? –– Welchen Einfluss haben diese Faktoren auf die Beschaffung? Diese Einflussfaktoren sind in Abb. 6.9 übersichtlich dargestellt.

Umwelt Beschaffende Organisation Buying Center

Kauftyp

Beschaffungsprozess

Abb. 6.9  Überblick Einflussfaktoren des organisationalen Beschaffungsverhaltens

104

6  Analyse der Mikroumwelt

6.3.2.1.2 Buying Center Organisationale Kaufentscheidungen weisen einen multipersonalen Charakter auf. Dies bedeutet, dass Kaufentscheidungen i. d. R. von mehreren Akteuren getroffen werden. So können verschiedene Mitglieder der Organisation (z.  B.  Mitarbeiter der Einkaufsabteilung, Mitarbeiter aus der Produktion und Entscheidungsträger aus dem Management) am Kaufentscheidungsprozess beteiligt sein. In der Marketingliteratur (vgl. z. B. Webster & Wind, 1972; Spekman & Stern, 1979; Lilien & Wong, 1984; Johnston & Bonoma, 1981), aber auch in der Marketingpraxis ist in diesem Zusammenhang vom sogenannten Buying Center die Rede. cc Definition  Unter einem Buying Center wird der gedankliche Zusammenschluss der an einer bestimmten organisationalen Kaufentscheidung beteiligten Personen bzw. Gruppen verstanden. Mitglieder des Buying Centers Für das B2B-Marketing und den Vertrieb ist es wichtig zu wissen, welche Personen an diesem Kaufentscheidungsprozess beteiligt sind, d.  h. wer die Mitglieder des Buying Centers sind. Nur so können bspw. Kommunikationsinhalte zielgruppengerecht formuliert oder Vertriebsaktivitäten gezielt gestaltet werden. Die Personen im Buying Center zu identifizieren, klingt zunächst trivial, in der Marketing- und Vertriebspraxis ist diese Fragestellung jedoch häufig nicht so leicht zu beantworten. Dies ist insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen, dass das Buying Center keine eigenständige Abteilung in einem Unternehmen darstellt. Vielmehr handelt es sich um einen informellen Zusammenschluss von allen Personen innerhalb, aber auch außerhalb des Unternehmens, die im Zusammenhang mit der zu tätigenden Kaufentscheidung miteinander interagieren. Des Weiteren hat der eigene Vertrieb i. d. R. lediglich einen limitierten Zugang zu den Mitgliedern des Buying Centers, i. d. R. zum Einkäufer aus der beschaffenden Organisation. So werden die weiteren Mitglieder des Buying Centers häufig erst nach und nach bekannt und es bedarf intensiver Recherchearbeit, um alle Mitglieder des Buying Centers zu identifizieren. Ein Buying Center umfasst i. d. R. zwei bis vier Personen (vgl. Voeth et al., 2014). Die Personenanzahl ist jedoch stark von bestimmten Einflussgrößen abhängig, wie der Unternehmensgröße, der Organisationsstruktur, der Kaufphase, dem Kauftyp und auch der Wichtigkeit der Kaufentscheidung. In gewissen Einkaufssituationen (z. B. Beschaffung in kleinen (Ein-Mann-)Unternehmen, oder bei standardisierten Wiederholungskäufen) kann das Buying Center auch nur aus einer einzelnen Person bestehen. Bei komplexen, erstmaligen und wichtigen Kaufentscheidungen können aber auch deutlich mehr Personen beteiligt sein. So kam eine Studie vom Spiegel-Verlag (vgl. Infratest-Burke-­ Kommuni­ kationsforschung, 1982) zu der Erkenntnis, dass immerhin in jedem zehnten Unternehmen mehr als zehn Personen an der Kaufentscheidung beteiligt sind.

6.3  Analyse der B2B-Kunden

105

Rollen innerhalb des Buying Centers Die Mitglieder des Buying Centers nehmen unterschiedliche Rollen im Entscheidungsprozess ein. Diese können häufig aus ihrer funktionalen Tätigkeit und der damit verbundenen Aufgabe resultieren (z. B. Einkäufer in der Einkaufsabteilung). Es können aber auch die persönliche Betroffenheit (z. B. durch die spätere Verwendung des Kaufobjekts wie bspw. Büroausstattung in der täglichen Arbeit) oder Expertenwissen in einem bestimmten Bereich (z. B. bei rechtlichen oder technologischen Fragen im Beschaffungsprozess) der Grund sein. Es ist jedoch nicht so, dass jede Person im Buying Center lediglich eine Rolle einnimmt, sondern es ist durchaus üblich, dass eine Person auch mehrere Rollen innehaben kann. Das heißt, die Anzahl der Buying-Center-Mitglieder ist unabhängig von der Anzahl an Rollen. Webster und Wind (1972) unterscheiden insgesamt fünf Rollen: Einkäufer, Informationsselektierer, Beeinflusser, Entscheider und Benutzer. Bonoma (1982, S. 113 ff.) ergänzt das Rollenkonzept von Webster und Wind durch eine sechste Rolle, den Initiator. Die in Abb.  6.10 zusammenfassend dargestellten sechs Rollen werden im Folgenden näher erläutert.

Einkäufer

Informationsselektierer

Initiator

Buying Center

Benutzer

Beeinflusser

Entscheider

Abb. 6.10  Rollen im Buying Center

106

6  Analyse der Mikroumwelt

• Initiatoren (engl. Initiator) lösen den Kaufentscheidungsprozess aus, indem sie zum Kauf eines bestimmten Produktes anregen. Initiatoren müssen nicht zwingend die späteren Nutzer der Lösung sein, sondern können aus verschiedenen betrieblichen Funktionsbereichen kommen. So lösen in B2B-Unternehmen häufig z. B. auch Mitarbeiter aus dem Marketing oder dem Vertrieb einen Beschaffungsprozess aus, indem nach neuen Lösungen für Kunden gesucht wird. • Einkäufer (engl. Buyer) sind häufig funktional in einer Beschaffungs- oder Einkaufsabteilung angesiedelt. Sie besitzen die formale Kompetenz, Lieferanten auszuwählen und den Kaufabschluss zu tätigen, und führen die Einkaufsverhandlungen unter kaufmännischen und juristischen Aspekten. • Informationsselektierer (engl. Gatekeeper) selektieren und strukturieren Informationen über das zu beschaffende Produkt, bringen diese in das Buying Center ein und steuern den organisationsinternen Informationsfluss. Informationsselektierer entscheiden, ob bestimmte Informationen organisationsintern weitergeleitet werden oder nicht. Die Einflussnahme auf die Kaufentscheidung ist daher eher indirekt, aber maßgeblich. Häufig sind diese Personen in Assistenzstellen (z. B. Assistenz der Geschäftsleitung oder des Einkaufsleiters) angesiedelt. • Beeinflusser (engl. Influencer) sind Spezialisten und verfügen über besondere Informationen. Sie sind i. d. R. formal nicht am Beschaffungsprozess beteiligt, können jedoch kaufentscheidungsrelevante Informationen bspw. über technische, rechtliche oder auch steuerliche Aspekte beisteuern. Beeinflusser sind bspw. im Qualitätsmanagement oder in (Normen-)Ausschüssen oder in Rechts- bzw. Steuerfachabteilungen zu finden. Oftmals handelt es sich auch um unternehmensexterne Experten bspw. von Unternehmensberatungen oder Forschungsinstituten. • Entscheider (engl. Decider) verfügen aufgrund ihrer hierarchischen Position über Entscheidungsbefugnis und treffen letztlich die Kaufentscheidung. Häufig existieren in Unternehmen gewisse monetäre Budgets, welche zumeist ausschlaggebend dafür sind, bis zu welcher Höhe eine Person befugt ist, Kaufentscheidungen zu treffen. Übersteigt das Kaufobjekt diese Budgethöhe, muss die Freigabe auf der nächsthöheren Hierarchieebene erfolgen. • Benutzer (engl. User) sind schließlich jene Personen, die die zu beschaffenden Güter und Dienstleistungen einsetzen bzw. nutzen werden. Da ein Einsatz gegen den Widerstand der User nur sehr schwer durchsetzbar ist, haben diese Organisationsmitglieder eine Schlüsselstellung im Rahmen des Auswahl- und Entscheidungsprozesses. Über den Einkaufsprozess verteilt sind die unterschiedlichen Rollen unterschiedlich stark eingebunden. Während bspw. der Initiator zu Beginn des Prozesses naturgemäß stark ­eingebunden ist, verliert seine Rolle im weiteren Verlauf an Bedeutung. Die Intensität der anderen Rollen hängt maßgeblich vom vorliegenden Kaufprozess mit seinen individuellen Gegebenheiten ab.

6.3  Analyse der B2B-Kunden

107

Einstellung und Einfluss der Buying-Center-Mitglieder Die Einstellung der Buying-Center-Mitglieder beschreibt, inwiefern die Akteure eine Beschaffung eher unterstützen oder eher ablehnen. Hierbei wird zwischen Promotoren und Opponenten unterschieden (vgl. Witte, 1976): • Promotoren fördern und unterstützen den Kauf eines bestimmten Produktes aktiv. Sie treiben den Kaufprozess voran. • Opponenten behindern oder verlangsamen den Kaufprozess für ein bestimmtes Produkt. Sie sind gegen das Zustandekommen eines Kaufabschlusses für diese Leistung. In der Literatur wird unter Einfluss die Fähigkeit zur Verhaltensänderung verstanden (vgl. Corfman & Lehmann, 1987; Plinke & Fließ, 1986; Bellizzi, 1979; Spekman, 1979; Pettigrew, 1975). Häufig wird „Einfluss“ dabei auch mit „Macht“ gleichgesetzt (vgl. Corfman & Lehmann, 1987; Plinke & Fließ, 1986). Promotoren und Opponenten können ihren Einfluss aufgrund unterschiedlicher Machtquellen geltend machen. So können Promotoren und Opponenten je nach Machtquelle noch weiter unterteilt werden: • Machtpromotoren bzw. -opponenten beziehen ihre Macht aufgrund ihrer hierarchischen Position im Unternehmen und können dadurch Einfluss im Buying Center ausüben. • Fachpromotoren bzw.-opponenten beziehen ihre Macht aus ihrer Expertise und können aufgrund des fachlichen Wissens Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen. • Prozesspromotoren bzw. -opponenten besitzen eine sehr gute Organisationskenntnis und können in Folge ihrer formellen und informellen Kommunikationsbeziehungen Einfluss auf den Kaufprozess ausüben. Jeder Einstellungs- und Einflusstyp kann unterschiedliche Beiträge (oder umgekehrt auch Barrieren) zum Beschaffungsprozess beitragen. Abb. 6.11 veranschaulicht die Beziehungen und Funktionen von Macht-, Prozess- und Fachpromotoren. Für B2B-Marketing und Vertrieb ist es essenziell zu wissen, mit welcher Einstellung die Akteure im Buying Center der eigenen Leistung gegenüberstehen. Basierend auf dieser Kenntnis kann anschließend versucht werden, durch gezielte Ansprachen die Einstellung zu beeinflussen. Beziehung und Interaktion Für ein umfassendes Verständnis des organisationalen Beschaffungsverhaltens müssen neben den verschiedenen Rollen und Einstellungen im Buying Center auch die Beziehungen und Interaktionen zwischen den Akteuren (Vernetzung) im Buying Center analysiert werden. Die Beziehungsstrukturen und Interaktionen zwischen den Akteuren des Buying Centers können in Form von Buying Networks dargestellt werden (vgl. Bristor, 1993). In Abb. 6.12 ist ein beispielhaftes Buying Network grafisch veranschaulicht. Diese Darstellung umfasst die Akteure im Buying Center, deren Rolle, deren Einstellung sowie deren Vernetzung innerhalb des Buying Centers, dargestellt über Verbindungsstriche.

108

6  Analyse der Mikroumwelt

Freigabe von Ressourcen, Unterstützung

Beiträge des Machtpromotors

Bewertung des Erfolgspotenzials

Beiträge des Prozesspromotors

Beiträge des Fachpromotors

Ideengenerierung

Sicherung des strategischen Fit

Arbeitsteilung, Rollenzuweisung, Zeiteinteilung

Ideenüberprüfung

Überwinden von Oppositionen

Zusammenführung des Teilprozesse, Konfliktmanagement

Eigentliche Problemlösung

Motivation, Erklärung, Instruktion

Entscheidung

Realisierung

Abb. 6.11  Beziehungen und Funktionen von Macht-, Prozess- und Fachpromotoren. (Quelle: Lippold, 2021, S. 27)

Bereichsleiterassistent (Gatekeeper, Beeinflusser, Promotor)

Bereichsleiter (Beeinflusser, Promotor)

Sekretärin (Gatekeeper)

Abteilungsleiter Marketing (Beeinflusser, Opponent)

Abteilungsleiter Einkauf (Entscheider, Promotor)

Abteilungsleiter Produktion (Beeinflusser, Promotor)

Mitarbeiter Marketing (Beeinflusser, Promotor)

Mitarbeiter Einkauf (Initiator, Promotor)

Mitarbeiter Produktion (Benutzer, Beeinflusser, Opponent)

Abb. 6.12  Beispielhafte grafische Veranschaulichung eines Buying Networks

Für eine umfassende Analyse des Buying Networks haben Johnston und Bonoma (1981) folgende Informationsbereiche identifiziert: • Vertikale Beteiligung: Anzahl der im Buying Center vertretenen Hierarchieebenen

6.3  Analyse der B2B-Kunden

• • • •

109

Laterale Beteiligung: Anzahl der beteiligten Abteilungen und Bereiche Umfang des Buying Centers: Anzahl der beteiligten Personen Vernetzung: Dichte der Beziehungen zwischen den Personen im Buying Center Zentralität bestimmter Personen: Ausmaß, in dem einzelne Mitglieder des Buying Centers in Kommunikationsbeziehungen mit anderen Mitgliedern des Buying Centers stehen

Eine Analyse des Beispiels aus Abb. 6.12 basierend auf diesen Kriterien könnte folgende Erkenntnisse liefern: Das Buying Network weist mit drei Hierarchiestufen (Bereichsleiter, Abteilungsleiter, Mitarbeiter) eine relativ hohe vertikale Beteiligung auf. Auch die laterale Beteiligung ist mit drei Abteilungen (Marketing, Einkauf und Produktion) recht hoch ausgeprägt. Der Umfang (neun beteiligte Akteure) ist ebenfalls recht hoch. Um den Grad der Vernetzung zu beurteilen, werden in einem ersten Schritt die maximal möglichen kommunikativen Beziehungen ermittelt. Im vorliegenden Beispiel bestehen zwischen den neun Akteuren maximal 36 mögliche Beziehungen (p  ×  (p−1)/2  =  9  x  (9−1)/2). Tatsächlich liegen hier zehn kommunikative Beziehungen vor, sodass der Vernetzungsgrad mit knapp 28 % als eher niedrig einzustufen ist. Die höchste Zentralität weist der Abteilungsleiter Einkauf (fünf Verbindungen), die niedrigste weisen der Mitarbeiter Produktion sowie die Sekretärin (jeweils nur eine Verbindung) auf. Wichtig ist, dass nicht nur formale (begründet in der hierarchischen Stellung) Kommunikationswege (z.  B.  Abteilungsleiter  – Bereichsleiter), sondern auch informelle (unabhängig von der hierarchischen Stellung) Kommunikationswege (z.  B.  Mitarbeiter Marketing  – Mitarbeiter Einkauf) berücksichtigt werden. Des Weiteren können in die Analyse des Buying Networks die Rollen der beteiligten Personen ebenfalls einfließen, wie im Beispiel dargestellt. Informationsverhalten der Buying-Center-Mitglieder Beschaffungsentscheidungsprozesse sowie die damit verbundenen Vermarktungsaktivitäten von Anbietern werden maßgeblich durch das Informations- und Entscheidungsverhalten der Buying-Center-Mitglieder bestimmt. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu analysieren: . Welche Informationen sind von Relevanz? (Informationsart) 1 2. Über welche Kanäle informieren sich die Buying-Center-Mitglieder? (Kanäle) 3. In welchem Umfang werden Informationen benötigt? (Informationsumfang) Im B2B-Marketing und Vertrieb besteht die zentrale Herausforderung darin, den unterschiedlichen Informationsbedürfnissen der verschiedenen Akteure im Buying Center gerecht zu werden. So gilt es, die Bedürfnisse der einzelnen Akteure eines Buying Centers hinsichtlich Informationsart zu identifizieren und die Kommunikations- und Verkaufstechniken daran möglichst individuell anzupassen (Adaptive Selling, vgl. Spiro & Weitz, 1990).

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6  Analyse der Mikroumwelt

Beispiel: Verkauf eines innovativen Antriebssystems im Maschinenbau

Beim Verkauf eines innovativen Antriebssystems im Maschinenbau sind unterschiedliche Informationsbedürfnisse der einzelnen Akteure im Buying Center zu erwarten. So empfiehlt es sich, im Gespräch mit dem Entwicklungsleiter des Maschinenbauunternehmens die völlig neuen Möglichkeiten und den Kundenutzen für die Nutzer der neuen Maschinengeneration (Kunden des Kunden) sowie die technologischen Besonderheiten des innovativen Antriebssystems hervorzuheben. Bei den verantwortlichen Konstrukteuren geht es zusätzlich noch um die technischen Besonderheiten, die bei der Integration in die Maschine zu beachten sind. Im Gespräch mit dem Geschäftsführer (Entscheider) sollten der Kundennutzen für die Kunden des Kunden, der strategische Mehrwert, den eine neue Maschinengeneration auf Basis des innovativen Antriebssystems ermöglicht, sowie die finanziellen Aspekte, wie etwa der zu erwartende Return on Investment (ROI), im Fokus stehen. Für den Vertriebsleiter des Maschinenbauers ist zusätzlich noch inte­ ressant, welchen Einfluss das innovative Antriebssystem auf die Total Cost of Ownership aus Kundensicht des Maschinenbauers hat. Informationen zu Preisen und Finanzierungsmodellen sollten wiederum frühzeitig an Mitarbeiter des Einkaufs herangetragen werden. Grundsätzlich sind außerdem die Förderung von Promotoren (z. B. durch Entwicklung einer gemeinsamen Argumentationsstrategie) und die Umwandlung der negativen Einstellung von Opponenten in eine neutrale Position (z. B. durch Bereitstellung von detailliertem Informationsmaterial) wichtig. Beispielsweise könnten sich der Kon­ struktionsleiter und der Verkaufsleiter aufgrund der technischen Überlegenheit und des Innovationspotenzials zu Promotoren im Buying Center entwickeln. Hingegen könnten sich der Einkäufer und der Entscheider aufgrund der hohen Kosten und des potenziellen Entwicklungsrisikos eher zu Opponenten entwickeln. Wenn der Anbieter dies rechtzeitig erkennt, könnte er bspw. die Antriebssysteme für die Entwicklung eines Prototyps vergünstigt oder kostenfrei zur Verfügung stellen. ◄ Neben der Frage nach der Art der Information ist auch die Frage zu klären, über welche Kanäle sich die Akteure im Buying Center informieren, sodass der Anbieter die entsprechende Information über die am besten passenden Kanäle (z.  B.  Internet, Messen und Ausstellungen, Außendienstmitarbeiter, Geschäftsführer etc.) zur Verfügung stellen kann. Eine Studie des Vogel-Verlags aus dem Jahr 2019 unter rund 1000 Entscheidern aus 14 Industriebranchen ergab in diesem Zusammenhang, dass Fachmedien (Print & Digital) (84,9  %), Suchmaschinen (73,8  %), persönliche Netzwerke (73,6  %) sowie Messen (71,7  %) die vier relevantesten Informationsquellen für B2B-Enscheider über alle Altersklassen hinweg darstellen (vgl. Vogel-Verlag, 2020). Der Umfang, in welchem ein Buying-Center-Mitglied Informationen zur Entscheidungsfindung benötigt, hängt maßgeblich vom individuellen Informationsverhalten ab. Strothmann (1979, S. 90 ff.) hat in diesem Zusammenhang sogenannte Informationsverhaltenstypen identifiziert, welche sich hinsichtlich ihres Such- und ­Verarbeitungsverhaltens unterscheiden. Er entwickelte drei Informationssuchtypen:, den „literarisch-­ wis­

6.3  Analyse der B2B-Kunden

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senschaftlichen“, den „objektiv wertenden“ und den „spontanen, passiven“ Typ (vgl. auch Backhaus & Voeth, 2014, S. 63): • Der „literarisch-wissenschaftliche“ Typ versucht, vor einer Kaufentscheidung möglichst umfassende und detaillierte Informationen über das Investitionsobjekt in Erfahrung zu bringen. Er bevorzugt schriftliche Informationen, speziell Fachzeitschriften und Fachliteratur. Persönliche Informationsquellen werden erst nach gründlicher Vorabrecherche aus diesen Medien hinzugezogen. Dies führt dazu, dass dieser Typ bereits mit einem erheblichen Vorwissen auf Mitarbeiter auf Messen oder den Außendienst trifft. Literarisch-wissenschaftliche Informationstypen sind vorwiegend in wissenschaftlich orientierten Abteilungen eines Unternehmens anzutreffen, wie bspw. in F&E-Abteilungen oder Laboren. • Der „objektiv wertende“ Typ beginnt erst mit seiner Recherche, wenn ein konkreter Kauf ansteht. Das Informationsverhalten ist somit unmittelbar projektorientiert und stark phasenorientiert. Dies bedeutet, dass er je Beschaffungsphase andere Informationsquellen zu Rate zieht: Zu Beginn des Beschaffungsprozesses dienen häufig allgemeine Informationen in Anzeigen als Informationsquelle, um einen ersten Überblick zu erhalten. In späteren Beschaffungsphasen werden detailliertere Informationen aus Fachmedien (z. B. Zeitschriften, Artikel, Prospekte) hinzugezogen. Informationen von Messen oder Außendienstmitarbeitern werden lediglich dann berücksichtigt, wenn sie unmittelbar projektrelevant sind. Personen mit diesem Informationenverhalten erwecken häufig den Eindruck, dass sie in den einzelnen Beschaffungsphasen dasjenige Informationsmittel objektiv wertend nutzen, von welchem sie sich die jeweils größtmögliche phasengerechte Information versprechen. • Der „spontane, passive“ Typ begibt sich nicht direkt auf aktive Informationssuche, sondern verwendet zumeist die Informationsquellen, die ihm gerade zugänglich sind. Das Eigeninteresse an Informationssuche und -auswertung ist eher gering und aus organisatorischen Zwängen heraus begründet. Aus diesem Grund reagiert er eher weniger auf wissenschaftliche Beiträge. Für ihn spielen persönliche Kontakte, z. B. auf Fachmessen, eine große Rolle, denn dies stellt für ihn den einfachsten Weg zur Informationsgewinnung dar. Der spontane, passive Typ ist häufig in kaufmännischen Abteilungen eines Unternehmens zu finden. Das Informationsverhalten aller drei Typen wird darüber hinaus von organisationalen Faktoren (z. B. Formalisierungsgrad des Unternehmens) sowie situationsspezifischen Faktoren (z. B. Neuartigkeit oder Komplexität des Beschaffungsobjekts) beeinflusst (vgl. Alejandro et al., 2011, S. 19 ff.) (Individuelles) Entscheidungsverhalten der Buying-Center-Mitglieder Die Typologie von Strothmann zu unterschiedlichen Informationsverhaltensweisen von Buying-Center-Mitgliedern macht bereits deutlich, dass sich das Ausmaß der ­Informationssuche und die bevorzugte Informationsquelle je nach Typ unterscheiden.

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6  Analyse der Mikroumwelt

Dies ist auf das individuelle Risikoverhalten zurückzuführen und hat unmittelbaren Einfluss auf das (individuelle) Entscheidungsverhalten. Das individuell empfundene Risiko besteht aus zwei Komponenten (vgl. Gemünden, 1985, S. 27 ff.): • Ungewissheit über das Entscheidungsergebnis und • Ausmaß der Konsequenzen einer (Fehl-)Entscheidung für die Mitglieder des Buying Centers und für das Unternehmen. Um das Entscheidungsverhalten der Buying-Center-Mitglieder vor dem Hintergrund des bestehenden Risikos besser nachvollziehen zu können, leitete Strothmann (1979, S. 90 ff.) aus den Informationssuchtypen zwei Entscheidungstypen ab, den „Fakten-Reagierer“ und den „Image-Reagierer“. • Fakten-Reagierer sind einkaufsentscheidende Fachleute, die in Entscheidungssituationen Wert auf umfangreiche Detailinformationen legen, um so Risiko und Unsicherheit zu minimieren. Entscheidungen werden auf Basis extensiver Informationssuche getroffen. Dabei wird nicht nur auf produktbeschreibende Informationen Wert gelegt, sondern es werden auch Nachweise der Stimmigkeit mit den Anwendungsbedingungen und zu lösenden Problemen im eigenen Unternehmen eingefordert. • Image-Reagierer sind einkaufsentscheidende Fachleute, die im Gegensatz zu Fakten-­ Reagierern keinen Wert auf umfangreiche, vollständige Produktinformationen legen. Für die Entscheidungsfindung werden Produkteigenschaften erfasst, ohne dass diese eine rationale Bewertung erfahren. Von einer anwendungsorientierten Überprüfung der Eigenschaften und ihrem Lösungsbeitrag wird abgesehen. Beim Image-Reagierer spielen emotionale Momente bei der Beschaffungsentscheidung eine große Rolle und Firmen-­Image-Faktoren werden als Beleg der Glaubwürdigkeit herangezogen. Personen, die keiner der beiden Typologien zugerechnet werden können, bezeichnet Stroth­ mann als Reaktionsneutrale. Reaktionsneutrale sind zwar eher dem Image-Reagierer zuzurechnen, sie entscheiden jedoch – geprägt durch betriebliche Zwänge – häufig wie Fakten-Reagierer. Entscheidungen im B2B-Umfeld werden häufig als rationaler beschrieben. Wie die Typologie von Strothmann jedoch anhand des Image-Reagierers bereits verdeutlicht, sind Entscheidungen im B2B-Umfeld nicht gänzlich von Emotionen und damit von Aspekten der Verhaltensökonomie befreit. Diese widersprechen häufig dem Bild des rational handelnden, nutzenmaximierenden Homo oeconomicus, was an folgenden Ansätzen beispielhaft verdeutlicht werden soll: • Verlustaversion & Besitztumseffekte gemäß der Prospect-Theory (vgl. Kahneman & Tversky, 1979) –– In Beschaffungssituationen tun sich Unternehmen oft schwer mit einem Lieferantenwechsel. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass sie eher dem Bekannten ver-

6.3  Analyse der B2B-Kunden

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trauen, als etwas Neues zu riskieren. Beim bereits bekannten Lieferanten wurde bereits in eine Lieferantenbeziehung investiert und ein gewisses Vertrauen aufgebaut. Dieser bereits angefallene Aufwand („Sunk Costs“) wird bei der Bewertung neuer Lieferanten berücksichtigt und hierbei werden Verluste höher gewichtet als Gewinne (Verlustaversion/Loss Aversion). Dies stellt jedoch einen Widerspruch zum rationalen Nutzenmaximierer dar. –– Unternehmen weisen für ein Produkt, das sie bereits nutzen/besitzen (z. B. durch Test- bzw. Probephasen), eine höhere Zahlungsbereitschaft auf als für ein ihnen unbekanntes Produkt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Wert eines Gutes von Individuen höher eingeschätzt wird, wenn sie es besitzen oder kennen (Besitztums­ effekt/Endowment Effect). • Die Tendenz zum Status quo (vgl. Samuelson & Zeckhauser, 1988) Die Tendenz zum Status quo besagt, dass Individuen den Status quo gegenüber Veränderungen bevorzugen. Sie fühlen sich in ihrer Komfortzone wohler und sind nur dann bereit, sie zu verlassen, wenn es einen signifikanten Anreiz gibt. Die Aussicht auf Gewinn (Nutzen) muss deutlich größer sein als das vermutete Risiko. Diese Tendenz ist auf eine Kombination der Verlustaversion und des Besitztumseffekts zurückzuführen. Im Rahmen der Vertriebsaktivitäten muss ein Unternehmen ausreichende Anreize in Aussicht stellen, um Neukunden zu akquirieren. Gleichzeitig dürfen Bestandskunden nicht außer Acht gelassen werden, indem ihnen eine kontinuierliche Bestätigung gegeben wird, dass sie „stets bestens bedient“ werden. • Framing-Effekt (vgl. Stocké, 2002) –– Der Framing-Effekt besagt, dass der Kontext, in den eine Information gestellt wird, die Wahrnehmung der Botschaft beeinflusst. –– Dieser Effekt ist bspw. in der Gesprächsführung zwischen Vertrieb und Buying-­ Center-­Mitgliedern von Relevanz. Je nachdem, in welchem Gesprächskontext Fragen gestellt oder Aussagen getroffen werden, können diese vom Gesprächspartner unterschiedlich interpretiert werden. –– Im Rahmen der Kommunikationspolitik spielt dieser Effekt bspw. bei der Gestaltung von Werbeanzeigen eine bedeutende Rolle: Botschaften sollten klar formuliert werden, mit Fokus auf wenige wichtige Benefits. Als Vorteil stellt sich zunehmend heraus, wenn Botschaften in eine positive, stimmungsvolle Story eingebettet werden (Storytelling). • Ankereffekt & Semmelweis-Reflex (vgl. Bahnik et al., 2017) Ankereffekte beschreiben den Effekt, dass Individuen in ihrer Entscheidungsfindung von Umgebungsinformationen beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird. Die Umgebungsinformationen werden als der „Anker“ bezeichnet, an dem sich die Entscheidung orientiert. Umgebungsinformationen können selbst dann einen Einfluss haben, wenn sie für die Entscheidung eigentlich irrelevant sind. Die Folge ist eine systematische Verzerrung in Richtung des Ankers. Der Anker-Effekt wird häufig durch den Semmelweis-Reflex verstärkt, welcher besagt, dass neue Erkenntnisse, die gelernten Sachverhalten widersprechen, zunächst abgelehnt werden.

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6  Analyse der Mikroumwelt

–– Anker-Effekte spielen bspw. in Vertriebsverhandlungen eine wichtige Rolle. Das erste Angebot stellt in diesem Fall einen Anker dar, an welchem sich der Verhandlungsgegner orientiert. –– Bereits gesammelte Erfahrungen mit einem Produkt bzw. Anbieter lassen sich häufig nur schwer revidieren. Zustandekommen der Kaufentscheidung im Buying Center Die letztendliche Kaufentscheidung wird bei Beschaffungen im B2B-Umfeld im Buying Center getroffen, d.  h. es handelt sich um eine Gruppenentscheidung. Ausgehend vom individuellen Informations- und Entscheidungsverhalten stellt sich daher die Frage, wie das Buying Center als Gruppe zu einer Entscheidung findet (Backhaus & Voeth, 2014, S. 65). Hierbei sollten folgende Fragen geklärt werden: 1 . Welcher Einfluss geht von den Buying-Center-Mitgliedern aus? 2. Inwiefern führt die Einflussnahme zu einer Veränderung von Präferenzen oder Verhaltensweisen? Wie bereits erläutert, kann der Einfluss eines Buying-Center-Mitglieds anhand des Promotoren- und Opponentenmodells erklärt werden. In Bezug auf die Kaufentscheidungsfindung im Buying Center stellt sich nun die Frage, inwiefern einzelne Buying-Center-­Mit­ glieder einen Einfluss auf kaufentscheidungsbezogene Meinungen oder Verhaltensweisen anderer Buying-Center-Mitglieder haben. Das heißt, es wird der Frage nachgegangen, ob Veränderungen von Präferenzen oder des Entscheidungsverhaltens eines Buying-­CenterMitglieds stattfinden, die dadurch entstehen, dass ein anderes Individuum in die Entscheidungsfindung des Buying Centers involviert wird oder nicht (vgl. Kelman, 1961). Sind Buying-Center-Mitglieder dem Einfluss eines anderen Mitglieds ausgesetzt und haben keine Möglichkeit des Widerstands, können sie entweder ihr Verhalten (Präferenz­ einwilligung) oder aber zusätzlich auch ihre Präferenzen ändern bzw. anpassen (Präfe­ renzanpassung). Zu beachten ist dabei, dass eine Präferenzanpassung immer die entsprechende Anpassung des Verhaltens zur Folge hat. Das heißt, die zentrale Frage im Rahmen der Beeinflussung besteht darin, ob Präferenzanpassungen stattfinden oder nicht. Um diese Frage zu beantworten, existieren in der Literatur Ansätze zur Messung von Einflussstärke und deren Auswirkungen auf Gruppenentscheidungen (vgl. für einen Überblick Backhaus & Voeth, 2014, S. 67–72). In der Marketingpraxis sind diese Ansätze jedoch nur schwer bzw. mit hohem Aufwand umsetzbar. Dies verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung einer starken Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager sowie des Aufbaus von langjährigen Geschäftsbeziehungen, um so nach und nach die Beziehungs- und ­Machtstrukturen in der beschaffenden Organisation zu verstehen und die Entscheidungsfindung im Buying Center möglichst gezielt durch Marketing- und Vertriebsmaßnahmen zu lenken.

6.3  Analyse der B2B-Kunden

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6.3.2.1.3 Beschaffungsprozesse Grundlagen des organisationalen Beschaffungsprozesses Wie im B2C-Bereich gibt es auch im B2B-Bereich keinen festgeschriebenen Kaufentscheidungsprozess, welcher durch die Kunden bei der Beschaffung durchlaufen werden muss. Vielmehr unterliegt der Prozess einer Vielzahl von situativen Einflussfaktoren (Buying Center, Kauftyp, Merkmale der Organisation, Umwelt). Zur besseren Veranschaulichung und um den Einfluss der Faktoren besser verstehen zu können, ist es hilfreich, den B2B-Kaufprozess in einzelne Teilprozesse bzw. Phasen zu unterteilen. In Abb. 6.13 ist der Beschaffungsprozess als Phasenmodell in seiner idealtypischen Art dargestellt. In der Unternehmenspraxis kann die Reihenfolge der Phasen variieren. Auch kann es zwischen den Phasen zu Überlappungen und Rückkopplungen kommen. Einzelne Phasen können übersprungen oder mit anderen verschmolzen werden (vgl. Homburg, 2020, S. 160). Auch ist zu beachten, dass dieser Prozess je nach Geschäftstyp mit anderen Schwerpunkten durchlaufen wird. Zu Beginn des organisationalen Beschaffungsprozesses steht stets die Phase der Bedarfs­ erkennung, in welcher es um die Analyse und Definition des grundsätzlichen Bedarfs bzw. Problems geht. Die Auslösung des Bedarfs kann sowohl durch interne als auch durch externe Anstöße erfolgen. Unternehmensintern kann ein Bedarf bspw. aus operativen Tätigkeiten entstehen, angefangen bei routinemäßigen Beschaffungen wie Büromaterial, bis hin zu größeren Investitionen wie neue Produktionsanlagen. Der Bedarf kann jedoch auch das Resultat strategischer Überlegungen sein, indem bspw. in neue (z. B. digitale) Technologien investiert wird, um langfristig das Geschäftsmodell zu transformieren. Für Anbieter bietet diese Phase die Möglichkeit, die Bedarfserkennung der Kunden durch Kommunikationsmaßnahmen zu fördern. Sobald ein Bedarf erkannt wurde, geht es in der darauffolgenden Phase um die Bedarfsbeschreibung. In dieser Phase erfolgen spezifischere Überlegungen zur benötigten Lösung. Essenziell in dieser Phase ist eine grundlegende Definition des zu lösenden Pro­ blems. Wenn bekannt ist, welches Problem gelöst werden soll, können darauf aufbauend die Anforderungen an die benötigte Lösung beschrieben werden. In der Unternehmenspraxis werden bei komplexen Gütern oder Dienstleistungen die geforderten Produkt- bzw. Leis-

Bedarfserkennung

Problemerkennung

Bedarfsbeschreibung

Problemdefinition Produkt-/ Leistungsspezifikation

Anbietersuche und -beurteilung

Lieferantensuche

Angebotseinholung und -bewertung

Angebotspräsentation

Anbietervorauswahl

Wahl des Lieferanten

Verhandlungen

Auftragsmodalitäten

Anbieterauswahl und Vertragsabschluss Endgültige Vergabeentscheidung

Leistungserbringung und -bewertung

Evaluierung

Abb. 6.13  Phasen des organisationalen Kaufprozesses. (Quelle: In Anlehnung an Lippold, 2021, S. 30)

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6  Analyse der Mikroumwelt

tungseigenschaften häufig in einem sogenannten Lastenheft festgehalten, welches anschließend für die Einholung von Angeboten genutzt wird. Im Rahmen des Buying Centers spielen sowohl für die Problemdefinition als auch für die Definition der Produkt- und Leistungseigenschaften diejenigen Akteure eine Rolle, die über das entsprechende produkt- und leistungsspezifische Wissen verfügen (z. B. Beeinflusser und Nutzer). Neben diesem gremieninternen Fachwissen wird aber auch auf Fachwissen aus Produktinformationen oder neutralen Informationsquellen (z. B. Studien, Unternehmensberatungen, Expertenaussagen usw.) zurückgegriffen. Anbieter können in dieser Phase Einfluss auf die Bedarfsbeschreibung nehmen, indem sie bspw. selbst Studien oder andere Experteninformationen veröffentlichen. In der Softwarebranche ist es bspw. üblich, dass sich Experten des Anbieters auf Konferenzen an Fachdiskussionen beteiligen oder Konferenzen werden gänzlich durch Softwareunternehmen veranstaltet (bspw. das jährlich stattfindende CRM-Strategie-Event des CRM-Herstellers ADITO (vgl. ADITO, 2021)). Das Ziel der Anbietersuche besteht darin, einen in Frage kommenden Lieferanten für die zuvor beschriebene Leistung zu finden. In die Lieferantenbewertung können bereits früher in Anspruch genommene (sogenannte In-Supplier) oder völlig neue Anbieter (sogenannte Out-Supplier) einbezogen werden. Bei der Beurteilung der verschiedenen Anbieter spielen neben der Erfüllung des Lastenhefts durch die Anbieter insbesondere die allgemeine Reputation des Anbieters sowie bei In-Suppliern die bisherige Erfahrung des Kunden mit dem Anbieter eine Rolle. Branchenverzeichnisse, Online-Katalog und Portale, vor allem aber Empfehlungen und Referenzen spielen bei der Lieferantenauswahl als Informationsquellen eine wichtige Rolle. Die Anbietersuche und -bewertung ist immer dann besonders intensiv, wenn die zu beschaffende Leistung sehr komplex und/oder individuell ist oder die aus der Beschaffung resultierende Abhängigkeit vom Lieferanten besonders groß ist (z. B. im System- und Anlagengeschäft). Zu den besonders aktiven Akteuren im Buying Center zählen in dieser Phase typischerweise Gatekeeper, Beeinflusser und Nutzer. Nachdem die in Frage kommenden Anbieter identifiziert sind, erfolgt im nächsten Schritt die Angebotseinholung. Sofern eine detaillierte Bedarfsbeschreibung  – ggf. in Form eines Lastenhefts – vorliegt, gilt es, aus Anbietersicht diese Anforderungen möglichst vollständig zu erfüllen. Es geht dabei darum, die Nutzenkriterien und Vorteile des eigenen Angebots hervorzuheben. Angebote zu erstellen, kann mitunter sehr aufwändig und mit hohen Kosten verbunden sein, die i. d. R. vom Anbieter getragen werden müssen. Die Angebote werden häufig als Pitches bei den Kunden präsentiert. Es ist aber auch nicht unüblich, dass diese zunächst nur eingereicht werden und die Präsentation nach der Anbietervorauswahl (siehe nächste Phase) erfolgt. Nicht selten werden Angebote auch von Out-Suppliern nur eingeholt, um die Verhandlungsmacht und damit den Druck auf die anderen Anbieter (i. d. R. In-Supplier) zu erhöhen. In einzelnen Fällen (z. B. im Anlagen-, aber auch im Integrationsgeschäft) empfiehlt es sich daher aus Anbietersicht, zunächst eine sogenannte Anfragenselektion durchzuführen, um die Attraktivität und Erfolgschancen einer Angebotsabgabe im Vorfeld zu eruieren. Im Rahmen der Angebotseinholung sind typischerweise der Einkäufer und Nutzer als Akteure im Buying Center besonders aktiv.

6.3  Analyse der B2B-Kunden

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Basierend auf den vorliegenden Angeboten erfolgt anschließend eine Anbietervorauswahl. Zur Anbieterbewertung und -auswahl werden i. d. R. Bewertungskriterien herangezogen, um die Anbieter und ihre Angebote möglichst einheitlich zu bewerten. Häufig kommen dabei Scoring-Modelle bzw. Nutzwertanalysen zum Einsatz. Hierbei werden häufig auch sogenannte K.o.-Kriterien genutzt, um gewisse Mindestanforderungen und Ausschlusskriterien in jedem Fall berücksichtigt zu sehen. Das Ergebnis stellt eine Auswahl einer kleinen Zahl an Anbietern dar (häufig bereits mit Präferenzreihenfolge), welche alle Mindestvoraussetzungen erfüllen (Order Qualification) und im Vergleich zu den anderen Anbietern am besten bewertet wurden. Im Buying Center sind in dieser Phase häufig wieder der Einkäufer und Nutzer, aber auch Entscheider und Beeinflusser beteiligt. Mit den vorausgewählten Anbietern werden im nächsten Schritt Verhandlungen aufgenommen. Im Rahmen der Verhandlungen werden die Auftragsmodalitäten wie bspw. Qualität, technische Spezifikationen, Lieferumfang und -konditionen, Gewährleistung, sonstige Serviceleistungen, Preis und sonstige Konditionen verhandelt. Als Akteure des Buying Centers sind in dieser Phase typischerweise der Einkäufer, Nutzer und Entscheider als zentrale Verhandlungspartner anzutreffen. Die Verhandlungsphase endet mit der Anbieterauswahl und damit mit dem Vertragsabschluss. In dieser Phase werden die vertraglichen Details schriftlich festgehalten. Bei sehr komplexen Investitionsgütern (z. B. im Anlagengeschäft) ist es nicht unüblich, dass der Vertrag mit einem sogenannten Generalunternehmer geschlossen wird, welcher anschließend zur Erstellung der Teilleistungen Unterverträge (z. B. an einzelne Gewerke) vergibt. Am Vertragsabschluss sind aus dem Buying Center typischerweise der Einkäufer und Entscheider beteiligt. Nach Vertragsabschluss erfolgt die Leistungserbringung und -bewertung. Die Leistungsbewertung durch den Kunden geschieht dabei zumeist nicht erst nach Fertigstellung der Leistung, sondern bereits während der Leistungserbringung. Das Ziel besteht dabei darin, eventuelle Nachforderungen zu stellen (Claim-Management), was bspw. dann der Fall sein kann, wenn sich aufgrund der mitunter sehr langen Dauer der Leistungserbringung neue technologische Möglichkeiten ergeben, welche in der noch fertigzustellenden Leistung berücksichtigt werden können. Dies ist bspw. im Anlagengeschäft nicht unüblich, da die Kunden selbst zu Beginn der Leistungserstellung den Leistungsumfang nicht vollends erfassen (vgl. das Merkmal „Variabilität des Lieferumfangs“ beim Anlagengeschäft). Ein weiteres Ziel der Leistungskontrolle besteht jedoch auch darin, Erkenntnisse über den Anbieter für zukünftige Kaufentscheidungen zu gewinnen. Customer Journey im B2B Die Digitalisierung verändert auch das organisationale Beschaffungsverhalten. Auf die technologischen Veränderungen wurde bereits in Abschn.  5.3.2 eingegangen. An dieser Stelle sollen nun das Verhalten der Kunden entlang des Beschaffungsprozesses sowie die sich daraus ergebenden Anforderungen an B2B-Marketing und Vertrieb erläutert werden.

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6  Analyse der Mikroumwelt

Kunden steht eine immer größer werdende Anzahl an Kanälen und Technologien zur Verfügung, um Informationen zu sammeln, auszutauschen und Geschäftsprozesse abzuwickeln. Die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eröffnen Kunden die freie Wahl, über welche Kanäle sie sich informieren oder Käufe abschließen. In Tab. 6.3 sind Nutzungsbeispiele von Internetquellen und -technologien im Rahmen des organisationalen Beschaffungsprozesses entlang der Phasen des organisationalen Kaufprozesses zusammengefasst (vgl. auch Mantrala & Albers, 2012, S. 544 sowie Schultz et al., 2012). Entsprechend ihren individuellen Informationsbedürfnissen haben Kunden so die Möglichkeit, von Phase zu Phase entlang des Kaufprozesses den Kanal zu wechseln. Dieses Verhalten wird in der Literatur auch als Channel Hopping bezeichnet und stellt im B2B-Umfeld zunehmend die Norm dar (vgl. Käuferle & Reinartz, 2015). Erfolgt am Ende der Kauf über einen anderen Kanal als die zuvor betriebene Informationssuche, wird auch vom sogenannten Research Shopping gesprochen (vgl. Verhoef et al., 2007, S. 129). Das Channel Hopping und Research Shopping beeinflussen auch das organisationale Beschaffungsverhalten in großem Maße. Folgte die Kaufentscheidung vor der Digitalisierung einem linearen Prozess (vgl. Abb.  6.13), so wird diese heute als „schleifenartige Reise des Käufers“ veranschaulicht, d. h., einzelne Prozessphasen können übersprungen, aber auch wiederholt werden. Der Kunde kommt hierbei mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Kontaktpunkten in Berührung. Dieser Prozess wird auch als Customer Journey bezeichnet (vgl. Kap. 2). Die Customer Journey beschreibt den Weg, den ein Kunde über alle Phasen und Berührungspunkte (Touchpoints) hinweg durchläuft. Die Erfahrungen, Tab. 6.3  Nutzungsbeispiele von Internetquellen und -technologien im Rahmen des organisationalen Kaufprozesses. (Quelle: Homburg, 2020, S. 164) Phasen des organisationalen Kaufprozesses Bedarfserkennung Bedarfsbeschreibung Anbietersuche und -beurteilung Angebotseinholung und -bewertung Anbietervorauswahl

Verhandlungen Anbieterauswahl und Vertragsabschluss Leistungserbringung und -bewertung

Nutzungsbeispiele von Internetquellen und -technologien Homepage des Zulieferers, Chats, Blogs, Videoportale (YouTube), Social Media (Facebook, Twitter, LinkedIn, Xing) B2B-Marktplätze/Portale, Online-Communities Online-only-Distributoren (Alibaba), B2B-Suchmaschinen (wlw. de), Online-Unternehmensverzeichnissen, Social Media (Facebook, Twitter, LinkedIn, Xing) Reverse Auctions, Online-Portale, Social Media (LinkedIn, Xing) Homepage des Zulieferers, Chats, Blogs, Kommunikationstechnologie (Skype, WebEx etc.), Social Media (Facebook, Twitter, LinkedIn, Xing) Kommunikationstechnologie (Skype, WebEx etc.), Electronic Data Interchange E-Mail, Kommunikationstechnologie (Skype, WebEx etc.) B2B-Bewertungsportale, Social Media (LinkedIn, Xing), Online-­ Communities, Online-Einkaufsprogramme

6.3  Analyse der B2B-Kunden

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die der Kunde entlang der einzelnen Berührungspunkte sammelt, prägen am Ende die gesamte Erfahrung (Customer Experience), die der Kunde mit dem Unternehmen und der zu beschaffenden Leistung sammelt (vgl. Lemon & Verhoef, 2016). Auch auf B2B-Märkten nimmt die Bedeutung des Customer-Experience-Managements stetig zu. Die größte Herausforderung besteht hierbei in der Abstimmung der Touchpoints untereinander und in einer möglichst barrierefreien Interaktion untereinander. In einer durch die Unternehmensberatung McKinsey durchgeführten Umfrage unter 1000 B2B-Entscheidern stellt sich jedoch heraus, dass genau in der mangelhaften Geschwindigkeit während der Interaktion der größte Kritikpunkt gesehen wird. Dieser wurde doppelt so häufig genannt wie der ansonsten stets größte Kritikpunkt „Preis“ (vgl. Maechler et al., 2017). Um die Geschwindigkeit der Interaktion zu erhöhen, müssen Unternehmen zunächst systematisch das Interaktionsverhalten der Kunden über die unterschiedlichen Touchpoints mit dem eigenen Unternehmen hinweg analysieren. Darauf aufbauend kann anschließend in Form der Customer Journey die Kundeninteraktion gezielt inhaltlich abgestimmt und so gesteuert werden. Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass es nicht „die“ eine Customer Journey gibt. Vielmehr muss die Customer Journey aus Kundenperspektive gedacht und durchlebt werden. Dies wiederum bedeutet nicht, dass jeder einzelne Kunde seine eigene Kundenreise hat, sondern dass basierend auf den Interaktionsmustern der Kunden stereotype Kunden, die sogenannten Personas, identifiziert werden. Diese Personas stehen stellvertretend für eine Kundengruppe mit einem typischen Kundenproblem, welches anschließend durch die Interaktion mit dem Unternehmen gelöst werden soll. Maechler et al. (2017) haben so im B2B-Umfeld sechs typische Customer Journeys identifiziert: 1. „Ich identifiziere Produkte bzw. Services, die ich brauche“ In dieser Journey übersetzt der Kunde durch technische Verkaufsgespräche oder Recherchen einen latenten Bedarf an einem Produkt oder einem Service in einen expliziten Bedarf. Hierfür muss der Kunde eine Lösung bewerten können, was einen umfangreichen technischen Support durch den Anbieter erforderlich macht. 2. „Ich wähle einen Anbieter aus und tätige den ersten Kauf“ Der Kunde vergleicht verschiedene Anbieter und deren Angebote, wobei Preise, Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership, TCO), Leistungswerte und softe Faktoren gegeneinander abgewogen werden. Es ist erforderlich, mehrere Stakeholder im Buying Center zu überzeugen. 3. „Ich entwickle oder passe die Lösung gemeinsam mit meinem ausgewählten Anbieter an“ Der Käufer arbeitet mit dem Lieferanten zusammen, um das Produkt oder den Service an die Bedürfnisse des Käufers anzupassen. Die Intensität des Prozesses reicht von der Auswahl vorkonfigurierter Optionen bis hin zu mehrjährigen gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Das Hauptbedürfnis des Käufers besteht darin, den Return on Investment zu optimieren.

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6  Analyse der Mikroumwelt

4. „Ich setze mich mit unerwarteten Ereignissen auseinander“ Diese Käuferreise tritt ein, wenn der Käufer auf Probleme stößt, wie z. B. Betriebsstörungen oder -ausfälle, versäumte Lieferungen, versäumte Zahlungen und andere Angelegenheiten, die enge Beziehungen zu Lieferanten aufbauen oder auflösen können. Das Bedürfnis des Käufers besteht darin, Störungen im Betriebsablauf zu minimieren. 5. „Ich nutze das Produkt und nehme den Service in Anspruch“ Da der Kunde die Leistung in Anspruch nimmt und regelmäßig (geplante) Wartungsarbeiten durchführt, sollte diese Käuferreise sich auf die einfache Nutzung und Leistungsoptimierung fokussieren. Der Kunde kann auf innovative Angebote aufmerksam gemacht werden, die seinem Hauptbedürfnis der Effizienzsteigerung dienlich sind. 6. „Ich bestelle nach“ Diese Käuferreise dreht sich rund um die Nachbestellung eines bekannten Produktes oder eines bekannten Service. Das Bedürfnis des Kunden besteht in einer effizienten Transaktion, verbunden mit dem Vertrauen, ein gutes Angebot vom Anbieter zu erhalten. Diese sechs typischen Customer Journeys verdeutlichen, dass jede Kundenreise eine andere Zusammenstellung an Berührungspunkten mit dem Anbieter erforderlich macht. Während bspw. bei der Kundenreise 3 ein intensiver und auch persönlicher Kontakt erforderlich ist, kann die Kundenreise 6 in großen Teilen automatisiert, wenn nicht sogar komplett über elektronische Beschaffungssysteme ablaufen, ohne dass ein einziger persönlicher Kontakt zustande kommen muss. Eine wichtige Rolle spielt die Gestaltung der Customer Journey im Rahmen der Kommunikationspolitik, wo es gilt, sowohl die Online- als auch Offline-­Kommunikationsin­ s­trumente optimal aufeinander abzustimmen. Dies wird in Abschn. 12.2 näher erläutert. 6.3.2.1.4 Kauftyp Organisationale Beschaffungsentscheidungen beziehen sich immer auf einen sogenannten Kauftyp und werden daher durch diesen auch maßgeblich beeinflusst. Der Kauftyp kann dabei anhand folgender Merkmale charakterisiert werden (vgl. Homburg, 2020, S. 180): • • • • •

die Neuartigkeit der Kaufsituation, den Kaufanlass, die Komplexität der Kaufsituation bzw. des Produktes, die wirtschaftliche Bedeutung des Produktes sowie das Risiko der Kaufsituation.

Die Neuartigkeit der Kaufsituation beschreibt, inwiefern das Buying Center bereits Erfahrung mit einer konkreten Beschaffungssituation hat. Gemäß dem Kaufklassenansatz („Buygrid“-Modell) nach Robinson et al. (1967) werden hinsichtlich der Neuartigkeit der Kaufsituation drei Kaufklassen unterschieden:

6.3  Analyse der B2B-Kunden

121

• Identischer Wiederkauf (Straight Rebuy), bei welchem eine umfassende Erfahrung mit der Kaufsituation vorliegt und es sich somit um eine Routine-Entscheidung handelt. • Modifizierter Wiederkauf (Modified Rebuy), bei welchem eine begrenzte Erfahrung mit der Kaufsituation vorliegt und der Entscheidungsprozess geringfügige Abwandlungen aufweist. • Erstkauf (New Task), bei welchem keine Erfahrungen mit der Kaufsituation vorliegen und daher umfangreiche Auswahl- und Abstimmungsvorgänge notwendig sind. Das organisationale Beschaffungsverhalten wird durch die Neuartigkeit der Kaufsituation in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Je neuer eine Kaufsituation für das Buying Center ist, desto • höher ist der Informationsbedarf des organisationalen Kunden (vgl. Bunn, 1993; McQuiston, 1989; Robinson et al., 1967), • mehr Phasen werden im Kaufentscheidungsprozess durchlaufen und desto länger dauert der Kaufentscheidungsprozess somit insgesamt (vgl. Robinson et al., 1967 sowie Abb. 6.14), • mehr alternative Anbieter werden betrachtet (vgl. Robinson et al., 1967), • mehr neue Anbieter (Out-Supplier) werden in Betracht gezogen (vgl. Robinson et al., 1967), • mehr Personen sind am Kaufentscheidungsprozess beteiligt (vgl. Grønhaug, 1975b; McQuiston, 1989), • weniger Käufe werden über Online-Kanäle getätigt (vgl. Schoenherr & Mabert, 2011) und • stärker ist das Bedürfnis des organisationalen Kunden nach einem persönlichen Kontakt zu einem Vertriebsmitarbeiter (vgl. Nerdinger, 2001).

Bedarfserkennung

Problemerkennung

Neukauf Modifizierter Wiederkauf Identischer Wiederkauf

Bedarfsbeschreibung

Problemdefinition

Produkt-/ Leistungsspezifikation

Anbietersuche und -beurteilung

Lieferantensuche

Angebotseinholung und -bewertung

Angebotspräsentation

Anbietervorauswahl

Wahl des Lieferanten

Verhandlungen

Auftragsmodalitäten

Anbieterauswahl und Vertragsabschluss Endgültige Vergabeentscheidung

Leistungserbringung und -bewertung

Evaluierung

Ende

Beginn Beginn

Ende

Beginn

Ende

Abb. 6.14  Kaufentscheidungsprozess in Abhängigkeit der Neuartigkeit der Kaufsituation. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 181)

122

6  Analyse der Mikroumwelt

Für die Ausgestaltung der B2B-Markting- und Vertriebsaktivitäten spielt die Kenntnis darüber, wie neuartig der Kauf für den Kunden ist, insofern eine Rolle, als z. B. die Kommunikations- und Vertriebsintensität unterschiedlich stark ausgestaltet werden muss. Der Kaufanlass lässt sich nach Erst-, Ersatz- und Erweiterungsinvestition unterscheiden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 78). Erstinvestitionen sind für Organisationen immer Neukäufe, während es sich bei Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen um modifizierte oder identische Wiederkäufe handeln kann. Während Erstinvestitionen somit mit einem höheren Risiko und einem intensiveren Informationsverhalten verbunden sind, ist dieses bei Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen aufgrund der Vorerfahrung mit dem Kaufobjekt geringer. Erweiterungsinvestitionen können des Weiteren aufgrund der notwendigen Kompatibilität zur bereits bestehenden Infrastruktur (z.  B.  Produktionsanlagen oder IT-Systeme) Schnittstellenprobleme und eine daraus entstehende höhere Komplexität in der Entscheidungssituation aufweisen. Für Lieferanten ergeben sich bei Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen andere Ausgangssituationen als bei Erstinvestitionen. Dies ist durch die bereits vorhandene Erfahrung der Entscheidungsträger mit den Lieferanten bedingt. Sind die bisherigen Erfahrungen positiv, so wird der Vorlieferant (In-Supplier) i.  d.  R. einen Akquisitionsvorteil haben. Sind die Erfahrungen negativ, so wird der In-­ Supplier einen Akquisitionsnachteil und der Out-Supplier eine bessere Ausgangssituation haben (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 79). Die Komplexität der Kaufsituation bzw. des Produktes stellt einen weiteren wichtigen Einflussfaktor auf das organisationale Beschaffungsverhalten dar. Die Komplexität der Kaufsituation kann dabei bspw. aus einer großen Anzahl sehr unterschiedlicher Anbieter und der damit einhergehenden komplexeren Bewertungssituation resultieren. Die Komplexität des Produktes kann aus der schwer zu beurteilenden Produktqualität resultieren oder aber daraus, dass der Kunde die Anforderungen an die zu beschaffende Leistung selbst noch nicht genau formulieren kann. Je höher die Komplexität der Kaufsituation bzw. des Produktes ist, desto • mehr Informationen werden durch das Buying Center im Vorfeld der Entscheidung gesammelt und verarbeitet (vgl. Grønhaug, 1975a; McQuiston, 1989), • höher sind die Verhandlungsintensität, die Verhandlungsdauer sowie die Anzahl der Verhandlungsteilnehmer (vgl. Kirsch & Kutschker, 1978), • geringer ist die Zahl der Anbieter, mit denen ein Unternehmen Geschäftsbeziehungen unterhält (vgl. Homburg & Kuester, 2001; Tullous & Utecht, 1992), • höher ist die Bereitschaft des organisationalen Kunden, längerfristige Geschäftsbeziehungen mit Anbietern aufzubauen, d.  h. relationale im Gegensatz zu transaktionaler Beschaffung zu praktizieren (vgl. Hallén et al., 1987; Homburg & Werner, 1998), • weniger Käufe werden über Online-Kanäle getätigt (vgl. Schoenherr & Mabert, 2011; De Keyser et al., 2015), • stärker ist das Bedürfnis des organisationalen Kunden nach einem persönlichen Kontakt zu einem Vertriebsmitarbeiter (vgl. Nerdinger, 2001).

6.3  Analyse der B2B-Kunden

123

Für die Erklärung des organisationalen Beschaffungsverhaltens kann an dieser Stelle auf die Transaktionskostentheorie zurückgegriffen werden: Die Komplexität führt zu intensiverem Informationsverhalten und zu intensiveren Verhandlungen, was wiederum zu höheren Transaktionskosten führt (siehe die beiden erstgenannten Punkte in der Aufzählung zuvor). Um die Transaktionskosten zu reduzieren, kann bspw. die Anzahl der in Frage kommenden Anbieter reduziert oder mit dem Aufbau längerfristiger Geschäftsbeziehungen reagiert werden (siehe der 3. und 4. Punkt in der Aufzählung zuvor). Für B2B-Marketing- und Vertriebsaktivitäten bedeutet dies, dass im Rahmen der Kommunikation und des Vertriebs der Komplexität Rechnung getragen wird. Des Weiteren ist bei komplexen Leistungen die Gewinnung neuer Kunden (aufgrund deren Neigung zu langfristigen Geschäftsbeziehungen und aufgrund aufwändiger Verhandlungen) eher problematisch und aufwendig (vgl. Homburg, 2020, S.  182). Vor diesem Hintergrund erscheint es gerade bei komplexen Produkten sinnvoller, knappe Ressourcen in die Erhaltung und Verbesserung existierender Geschäftsbeziehungen zu investieren oder den Aufbau neuer Geschäftsbeziehungen intensiv zu prüfen, als umfassend Aktivitäten zur Neukundengewinnung zu betreiben. Die wirtschaftliche Bedeutung des Produktes für einen organisationalen Kunden drückt sich in der wahrgenommenen Relevanz eines Produktes zur Erreichung der wirtschaftlichen Ziele aus (vgl. McQuiston, 1989). Eine hohe wirtschaftliche Bedeutung eines zu beschaffenden Produktes liegt insbesondere dann vor, wenn die Beschaffung mit erheblichen Kosten für den Kunden verbunden ist (vgl. Homburg, 2020, S. 182). Der Einfluss der wirtschaftlichen Bedeutung des Produktes auf das organisationale Beschaffungsverhalten ist weitestgehend identisch mit den Auswirkungen der Komplexität. Je bedeutsamer das Produkt für den Kunden, desto • größer ist das Buying Center (vgl. Reve & Johansen, 1982) • mehr Informationen werden durch das Buying Center im Vorfeld der Entscheidung gesammelt (vgl. Hunter et al., 2006) • intensiver ist die Informationsverarbeitung im Buying Center, z. B. durch Anwendung systematischer Analysetechniken sowie strategisches, antizipierendes Denken des organisationalen Kunden (vgl. Bunn, 1993; Hunter et  al., 2006; Kirsch & Kutschker, 1978; Reve & Johansen, 1982), • stärker ist die persönliche Einflussnahme der einzelnen Buying-Center-Mitglieder (vgl. McQuiston, 1989), • weniger Käufe werden über Online-Kanäle getätigt (vgl. Schoenherr & Mabert, 2011), • stärker ist das Bedürfnis des organisationalen Kunden nach einem persönlichen Kontakt zu einem Vertriebsmitarbeiter (vgl. Nerdinger, 2001). Ob organisationale Kunden bei wirtschaftlich bedeutsamen Produkten eher eine langfristige Geschäftsbeziehung eingehen oder nicht, kann nicht eindeutig beantwortet werden. In der wissenschaftlichen Forschung liegen hierzu unterschiedliche Erkenntnisse vor. So kommt Werner (1997) zu der Erkenntnis, dass eine hohe wirtschaftliche Bedeutung des

124

6  Analyse der Mikroumwelt

Produktes eine enge und langfristige Geschäftsbeziehung fördert. Dahingegen konnten Homburg und Kuester (2001) in ihrer Untersuchung nachweisen, dass eine hohe wirtschaftliche Bedeutung des Produktes aufgrund des Bestrebens, günstige Einkaufspreise zu erzielen, zu einer höheren Anzahl an Lieferanten führt, was im Gegenzug die Entstehung langfristiger Geschäftsbeziehungen behindert. Werden dagegen die wirtschaftliche Bedeutung und die Komplexität der Kaufsituation integrativ betrachtet, sind die Aussagen hinsichtlich der Zahl der Lieferanten eindeutiger. So haben Homburg und Kuester (2001) in ihrer Untersuchung auch aufgezeigt, dass mit zunehmender Komplexität (aufgrund steigender Transaktionskosten) die Lieferantenzahl sinkt. So ergibt sich die in Abb. 6.15 dargestellte Konstellation bezüglich der Lieferantenzahl. Das Risiko der Kaufsituation ist eine durch den organisationalen Nachfrager subjektiv wahrgenommene Größe, die sich anhand der zwei Komponenten Unsicherheit und Konsequenzen beschreiben lässt (vgl. Bunn & Liu, 1996; Gemünden, 1985): • Die Unsicherheit drückt in diesem Zusammenhang aus, ob das Beschaffungsproblem adäquat gelöst werden kann. Eine neuartige und komplexe Kaufsituation führt i. d. R. zu einer hohen Unsicherheit. • Die Konsequenzen drücken sich in den aus einer unzureichenden Lösung des Beschaffungsproblems resultierenden Folgen aus. Einem Produkt mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung (z. B. Investition in eine neue Produktionsanlage) wird hierbei i. d. R. auch eine größere Konsequenz beigemessen und andersherum (z. B. Beschaffung von Büromaterial).

niedrig

Wahrgenommene Bedeutung

Abb. 6.15  Lieferantenzahl in Abhängigkeit von Komplexität und wirtschaftlicher Bedeutung. (Quelle: Homburg & Kuester, 2001, S. 21, zitiert nach Homburg, 2020, S. 181)

hoch

Wie sich das wahrgenommene Risiko auf das organisationale Beschaffungsverhalten auswirkt, haben Johnston und Lewin (1996) in dem von ihnen entwickelten Risikokontinuum dargelegt (Abb. 6.16). Für Marketing und Vertriebsaktivitäten auf B2B-Märkten ergeben sich daraus zahlreiche Erkenntnisse, wie bspw., dass bei neuartigen Kaufsituationen die

Hohe Lieferantenzahl

Mittlere Lieferantenzahl

Mittlere Lieferantenzahl

Niedrige Lieferantenzahl

niedrig

hoch Komplexität

6.3  Analyse der B2B-Kunden

125

niedrig

Wahrgenommenes Risiko

hoch

Informationssuche

Stark begrenzt

Umfassend

Entscheidungsregeln

Eher informell

Eher formal

Verhandlungsintensität

Gering

Buying-Center-Strukturen

Einfach

Vernetzung im Buying Center

Schwach

Ausprägung von Geschäftsbeziehungen

Schwach (transaktionelle Beschaffung)

Hoch Komplex Stark Stark (relationale Beschaffung)

Abb. 6.16  Risikokontinuum des organisationalen Beschaffungsverhaltens. (Quelle: Johnston & Lewin, 1996)

Kommunikationsaktivitäten intensiver ausgeprägt sein sollten und unternehmensinterne Vertriebsorgane (insbesondere der persönliche direkte Vertrieb) stärker integriert werden (vgl. Homburg, 2020, S. 185). 6.3.2.1.5 Beschaffende Organisation Organisationale Beschaffungsentscheidungen sind in einen Rahmen organisatorischer Regelungen eingebettet. Diese Regelungen können schriftlich festgehalten sein (manifeste Regelungen). Es kann sich jedoch auch um „ungeschriebene Gesetze“ oder eingeübte Verhaltensmuster handeln (latente Regelungen) (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 85). Inwiefern die Regelungen in der zu analysierenden Kundenorganisation eher manifest oder latent sind, wird maßgeblich durch die Art, Größe, Struktur, Kultur und Beschaf­fungsstrategie der Nachfragerorganisation geprägt. Die Art der Organisation (Behörde vs. Unternehmen) bestimmt in hohem Maße den Grad der Formalisierung des Beschaffungsprozesses. Der Formalisierungsgrad ist bei Behörden, d. h. Beschaffungen der öffentlichen Hand (z. B. Bund, Länder, Kommunen, Universitäten und Hochschulen …) i. d. R. deutlich höher als in Unternehmen. Dies ergibt sich einerseits aus nationalen Vergaberichtlinien (insb. § 55 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung (BHO)), andererseits aber auch zunehmend durch EU-weite Vorgaben (bspw. Vergabeverordnung (VgV), die die öffentliche Hand kraft Gesetzes zur europaweiten Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen verpflichtet, die einen Schwellenwert von fünf Mio. € übersteigen). So muss die Auftragsvergabe bei umfangreichen Investitionsvorhaben häufig auf Basis einer öffentlichen Ausschreibung erfolgen. Durch die festgelegten Regeln wird so versucht, eine Vereinheitlichung und damit auch größere Transparenz der Angebote herbeizuführen. So werden bspw. folgende Bedingungen festgelegt:

126

6  Analyse der Mikroumwelt

• Bedingungen der Auftragsvergabe (öffentliche Ausschreibung, beschränkte Ausschreibung, freihändige Vergabe) • Kriterien, anhand derer die Angebote beurteilt werden • Preisarten (Festpreise, Preisgleitklauseln …) Diese Regularien führen einerseits zu einer relativ hohen Transparenz des Beschaffungsprozesses, engen andererseits den Handlungsspielraum für Marketingaktivitäten häufig erheblich ein. Dem Anbieter bleibt i. d. R. nur ein „ständiges Kontakthalten“ (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 87). Die Größe der Organisation hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Größe und die Zusammensetzung des Buying Centers (vgl. Theile, 2004; Wood, 2005). So sind Buying Center bei Großunternehmen tendenziell größer. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass in größeren Unternehmen i. d. R. mehr Spezialisten vorhanden sind, die in den Beschaffungsprozess integriert werden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 87). Großunternehmen versuchen zudem, durch Beschaffungs- und Einkaufsleitlinien eine Einheitlichkeit der Beschaffungsprozesse im gesamten Unternehmen oder zumindest im Unternehmensbereich sicherzustellen. So veröffentlicht bspw. das Unternehmen ebm-papst, Weltmarktführer von Ventilatoren und Motoren, auf seiner Website eine ganze Reihe an Informationen für Lieferanten, wie bspw. umfassende Einkaufsbedingungen, einen Verhaltenskodex für ebm-papst-Lieferanten sowie Versand- und Verpackungsvorschriften (vgl. ebm-papst, 2022). Diese öffentlich verfügbaren Informationen dienen Anbietern (hier Lieferanten von ebm-papst) bereits als Anhaltspunkte für die Vermarktung. Unternehmensintern existieren in großen Unternehmen darüber hinaus häufig auch sogenannte Beschaffungsrichtlinien, in welchen u. a. festgelegt wird (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 87), • • • •

wie viele alternative Angebote verschiedener Anbieter eingeholt werden müssen, anhand welcher Kriterien Alternativangebote verglichen und bewertet werden sollen, welche Methoden zur Beurteilung von Investitionsobjekten heranzuziehen sind, welche Akteure im Unternehmen die Zustimmung zu verschiedenen Kaufentscheidungen geben müssen und ggf. wem die letzte Entscheidung vorbehalten ist und • welches Anreizsystem die einkaufsentscheidenden Fachleute motivieren soll. Informationen über diese unternehmensinternen Regelungen stellen für anbietende Unternehmen im Marketing und Vertrieb wertvolle Informationen dar, da bspw. einkaufssteuernde Anreizsysteme für den Erfolg in Preisverhandlungen wichtig sein können. Die Struktur der Organisation charakterisiert, wie dezentral bzw. zentral eine Organisation und insbesondere die Beschaffung aufgestellt sind. Stärker dezentral organisierte Unternehmen lagern Beschaffungsentscheidungen bis zu bestimmten Budgethöhen in größerem Umfang in die dezentralen Beschaffungseinheiten aus. Nur, wenn die ­Beschaffung ein gewisses Budget überschreitet, wird die Entscheidung zentral getroffen. Häufig sind dezentrale Beschaffungseinheiten in globalen Unternehmen zu finden, die

6.3  Analyse der B2B-Kunden

127

regional agieren. Für Anbieter spielt die Kenntnis über die Struktur insofern eine Rolle, als die Budgethöhe bspw. die Struktur des Buying Centers beeinflussen kann (Entscheider aus einer zentralen Einheit). Auch können dezentrale Beschaffungsstrategien von Kunden entscheidend sein bei globalen Marketingmaßnahmen, wie z. B. nach Regionen differenzierte Preisstrategien. So kommt es mitunter vor, dass globale Kunden ihre Produkte dezentral in der Region mit den günstigsten Beschaffungspreisen beziehen. Die Kultur der Organisation drückt sich in der Beschaffung in bestimmten Verhaltensstrategien bzw. Verhaltensmustern aus, ohne dass diese als Regeln, Vorschriften o. Ä. niedergeschrieben sind. Eine Unternehmens- oder auch Bereichs- und Abteilungskultur stellt ein gewisses Wert- und Normgefüge dar, welches die gemeinsame Geisteshaltung und Denkweise der Organisations-, Bereichs- oder Abteilungsmitglieder prägt (vgl. Schein, 1995; Heinen, 1997, S. 2). Die Kultur kann Entscheidungen und Handlungen auf allen Hierarchieebenen in der Beschaffung beeinflussen. In der Beschaffung kann eine gewisse Kultur zu Denkhaltungen wie bspw. „Wir kaufen immer nur das Beste“ oder „Wir machen uns nie von einem Lieferanten abhängig“ führen (vgl. Plinke & Fließ, 1986). Die Beschaffungsstrategie der Organisation befasst sich mit der Frage, welche Menge welcher Güter in welcher Qualität zu welchem Preis bei welchen Lieferanten bezogen werden soll. Sie legt so mittelfristig fest, wie die zu beschaffenden Produkte und Dienstleistungen auf einzelne Lieferanten oder auch Regionen aufgeteilt werden sollen. Hinsichtlich der Strategien bezogen auf die Anzahl der Lieferanten wird so zwischen Single-, Dual-, oder Multiple-Sourcing und hinsichtlich der Region zwischen Global- und Local-Sourcing unterschieden (vgl. Krampf, 2021). Die Zielsetzung einer Beschaffungsstrategie liegt immer in der Sicherstellung der Versorgung des Unternehmens mit allen nötigen Mitteln unter Berücksichtigung finanzieller Ziele. Die Kenntnis der Beschaffungsstrategie spielt für Anbieter im B2B-Marketing und Vertrieb insofern eine Rolle, als die Geschäftsbeziehung, die bestehenden Abhängigkeiten und damit die entsprechenden Handlungsspielräume im B2B-Marketing und Vertrieb unterschiedlich sind. So besteht bspw. auf Nachfragerseite in einer Single-Sourcing-Strategie eine deutlich höhere Abhängigkeit vom Anbieter als im Falle einer Multiple-Sourcing-Strategie. 6.3.2.1.6 Umwelt Einflüsse aus der Umwelt sind nicht von den am Marktprozess direkt Beteiligten steuerbar. Zu diesen Faktoren zählen insbesondere (vgl. Graevenitz & Würgler, 1983, S. 107 ff.; Hutt & Speh, 2012, S. 42; Backhaus & Voeth, 2014, S. 90): • • • • • •

rechtliche Rahmenbedingungen, technologische Entwicklung, gesamtwirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Normen, materielle Ressourcenpotenziale und personelle Ressourcenpotenziale.

128

6  Analyse der Mikroumwelt

Diese Faktoren beeinflussen das organisationale Beschaffungsverhalten auf zweierlei Art: Zum einen können sich die genannten Faktoren auf das Kaufobjekt an sich auswirken. Zum anderen kann der Beschaffungsprozess beeinflusst werden. So können sich aus den rechtlichen Rahmenbedingungen bspw. Verbote für bestimmte Produkte ergeben. Indem z. B. Inhaltsstoffe in einem Endprodukt verboten werden (z. B. Verbot von phthalathaltigen Weichmachern in Kunststoff für Spielsachen), bricht damit automatisch auch die derivative Nachfrage nach diesem Inhaltsstoff weg. Rechtliche Rahmenbedingungen können aber auch den Beschaffungsprozess beeinflussen, indem bspw. gesetzliche Vorgaben eine Ausschreibung erforderlich machen (vgl. Erläuterungen zur „Art der Organisation“ in Abschn. 6.3.2.1.5). Technologische Veränderungen im Zuge der Digitalisierung können Produkte und Services teilweise gänzlich verändern (z.  B. smarte Produkte und Smart Services). Digitale Technologien ermöglichen gleichzeitig aber auch eine Veränderung des Beschaffungsprozesses bspw. in Form von automatisieren (Teil-)Prozessen im Rahmen des E-Procurements (vgl. hierzu z. B. Puschmann et al., 2001, S. 22 ff.; Caniato et al., 2012, S. 935 ff.; Hutt & Speh, 2012, S. 49; Wirtz, 2021, S. 583 ff.). Gesamtwirtschaftliche Entwicklungen bestimmen die wirtschaftliche Lage und können so in Rezessionszeiten zu erhöhter Vorsicht bei Investitionen und damit einhergehend auch zu einer Zunahme des Formalisierungsgrads des Beschaffungsprozesses führen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  90). Währungsschwankungen, Inflations-, Umwelt- und Entwicklungspolitik können zu Nachfrageschwankungen in bestimmten Ländern oder Regionen führen. Staatliche Subventionen z. B. in bestimmte Technologien (bspw. im Umweltbereich) können die Nachfrage sprunghaft ansteigen lassen. Gesellschaftliche Normen und Werte beeinflussen Konsumentscheidungen der Endkonsumenten (z.  B.  Nachhaltigkeit) und damit auch die derivative Nachfrage. Die Forderung nach mehr Transparenz in Beschaffungsprozessen, häufig verbunden mit der Forderung nach mehr sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit, hält immer stärkeren Einzug in die Beschaffungsstrategien der Unternehmen. Materielle Ressourcenpotenziale mit Blick auf die Knappheit bestimmter Ressourcen (z. B. fossile Brennstoffe) und damit verbundene schwankende Lieferkapazitäten machen Sicherheitsmechanismen im Rahmen des Beschaffungsprozesses (z. B. Liefergarantien, Zwischenlager) notwendig. Personelle Ressourcenpotenziale nehmen die Fachkräfte im Einkauf, aber auch in anderen Fachabteilungen in den Fokus. Der sich bereits heute abzeichnende Fachkräftemangel beeinflusst so heute und auch in Zukunft die Struktur und Zusammensetzung der Einkaufs- (Buying Center) und auch der Verkaufsgremien (Selling Center). All diese Faktoren können vom Unternehmen und damit durch B2B-Marketing und Vertrieb nicht beeinflusst werden. Es muss jedoch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden und diese Faktoren müssen bei der Gestaltung von Marketing- und Vertriebsstrategien und -maßnahmen berücksichtigt werden.

6.3.2.2 Kundensegmentierung Eine Kundensegmentierung dient dazu, Kunden basierend auf bestimmten Kriterien in Gruppen bzw. Segmenten zusammenzufassen, sodass sich die Kunden innerhalb des Seg-

6.3  Analyse der B2B-Kunden

129

mentes hinsichtlich dieser Kriterien ähneln (hohe Homogenität) und zwischen den Gruppen ein möglichst großer Unterschied (große Heterogenität) besteht. Eine Kundensegmentierung dient dazu, die gebildeten Kundensegmente entsprechend ihren Bedürfnissen bzw. Problemlösungsbedarfen zielgruppengenauer durch einen konsistenten Mix an Marketing- und Vertriebsaktivitäten effizient und erfolgreich ansprechen und bedienen zu können. Die Kundensegmentierung im Rahmen der Analysephase besteht in zwei Schritten: . Identifikation von Kundensegmenten 1 2. Beschreibung der Kundensemente Auf diese beiden Schritte folgen die Auswahl der Kundensegmente sowie die Bearbeitung der Kundensemente (vgl. Teil IV). 6.3.2.2.1 Identifikation von Kundensegmenten Um Kundensegmente identifizieren, d. h. bilden zu können, müssen zunächst geeignete Kriterien gefunden werden, anhand derer die Unternehmen eingeteilt werden. Geeignete Segmentierungskriterien erfüllen dabei idealerweise folgende Anforderungen: • Die Kriterien sind kaufverhaltensrelevant. • Die Kriterien sind leicht messbar bzw. erfassbar. Meistens stehen diese beiden Anforderungen im Widerspruch zueinander, woraus sich bei der praktischen Anwendung Schwierigkeiten ergeben (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S.  64). Das heißt, je leichter sich die Kriterien erfassen und messen lassen (z.  B. die Rechtsform oder Branchenzugehörigkeit des Kundenunternehmens), desto geringer ist i. d. R. der Bezug zum tatsächlichen Kaufverhalten. Je größer der Bezug zum tatsächlichen Kaufverhalten ist (z.  B. die Kaufmotive oder Einstellung der Buying-Center-­ Mitglieder zum anbietenden Unternehmen), desto schwieriger ist es, das Kriterium zu messen bzw. zu erfassen. In Abb. 6.17 ist eine Systematisierung von B2B-Segmentierungskriterien dargestellt. Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, lassen sich Segmentierungskriterien einerseits danach unterscheiden, ob sie kaufspezifisch oder allgemein sind, und andererseits danach, ob sie direkt oder nur indirekt beobachtbar sind (vgl. Kleinaltenkamp, 2002a, S. 194 ff.; Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 64). Außerdem können sie sich eher auf das Kundenunternehmen als Ganzes oder eher auf das Buying Center beziehen. Theoretisch wären kaufspezifische, indirekt beobachtbare Kriterien am besten dazu geeignet, Kundensegmente zu bilden, da diese am besten die Bedürfnisse der Kunden widerspiegeln. In der Marketing- und Vertriebspraxis in B2B-Unternehmen ergeben sich hierbei jedoch einige Herausforderungen: Wie sich bei der Darstellung der Buying-Center-­ Analyse (Abschn. 6.3.2.1.2) bereits gezeigt hat, sind Informationen über das Buying Center sowie die Motive und Einstellungen der Mitglieder schwer erfassbar. Aus diesem

130

6  Analyse der Mikroumwelt

Direkt beobachtbar Kaufspezifisch

Unternehmensbezogen

Neu- oder Wiederholungskauf, Abnahmemenge, Wertschöpfungsprozesse, Anwendungsbereich der nachgefragten Leistung u.Ä.

Buying-Centerbezogen

Größe und Struktur des Buying Centers

Unternehmensbezogen

(Oft die) Beschaffungsregeln des Unternehmens

Buying-Centerbezogen

Bedeutung des Kaufs für die Kaufbeteiligten, Einstellungen, Nutzenerwartungen, Kaufmotive der Beteiligten u.Ä.

Unternehmensbezogen

Rechtsform, Standort, Größe, Branche

Buying-Centerbezogen

Merkmale der Mitglieder wie Alter, berufliche Qualifikation, Stellung im Unternehmen u.Ä.

Unternehmensbezogen

Organisationskultur, Unternehmensphilosophie, Ziele des Unternehmens u.Ä.

Buying-Centerbezogen

Persönlichkeitsmerkmale wie Risikoneigung, Innovationsfreudigkeit, Informationsverhalten, Entscheidungsstil der Kaufbeteiligten etc.

Indirekt beobachtbar

Direkt beobachtbar

Allgemein Indirekt beobachtbar

Abb. 6.17  Systematisierung von B2B-Segmentierungskriterien

Grund wird in der Unternehmenspraxis i. d. R. auf leichter erfassbare Kriterien zurückgegriffen. Letztlich gilt es daher immer, einen Kompromiss zwischen der Kaufverhaltensrelevanz der verwendeten Kriterien und der praktischen Erfass- und Messbarkeit zu finden (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 65). Für eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Segmentbildung bieten Kleinaltenkamp und Saab (2021, S. 66) eine gute Zusammenfassung. 6.3.2.2.2 Beschreibung der Kundensegmente Um Kundensegmente im Unternehmen eindeutig voneinander abgrenzen zu können, empfiehlt es sich, diese mit Namen zu versehen, die den Charakter des Segments auch widerspiegeln. In Abb. 6.18 sind beispielhaft vier Kundensegmente dargestellt, welche basierend auf den Kaufmotiven gebildet wurden. Die Bezeichnungen der vier Segmente spiegeln den Charakter der Segmente wider, der sich aus den Kaufmotiven ergibt. Eine einprägsame Beschreibung und Bezeichnung von Kundensegmenten erleichtert es Unternehmen, intern ein einheitliches Verständnis in Bezug auf die Kundensegmente aufzubauen und damit auch konsistent und zielgerichtet zu bearbeiten.

6.3.2.3 Analyse der Kundenattraktivität Die Analyse der Kundenattraktivität soll Aufschluss darüber geben, welche Kunden für das Unternehmen besonders wertvoll sind und daher in der Bearbeitung mit Marketing und Vertriebsmaßnahmen besondere Aufmerksamkeit erfahren sollten. In der Literatur existieren verschiedene Ansätze zur Strukturierung von Methoden zur Analyse der Kun­ denattraktivität. Die im Folgenden betrachteten Methoden orientieren sich an der Frage:

6.3  Analyse der B2B-Kunden

131

Innovationskäufer Wertschätzt insbesondere

Legt wenig Wert auf

• Technische Kompetenz • Marke • Leistung des Produkts • Innovative Stärke • Mehrwertstiftende Services

• Nachweis technischer Kompetenz

Qualitätskäufer Wertschätzt insbesondere

• Leistung des Produkts • Innovative Stärke • Verlässliche Logistik und Lieferung

• Beziehung

• Mehrwertstiftende Services

• Angebotspalette

Beziehungskäufer Wertschätzt insbesondere

Legt wenig Wert auf

Legt wenig Wert auf • Marke

• Technische Kompetenz • Nachweis technischer Kompetenz • Leistung des Produkts • Angebotspalette

Preiskäufer Wertschätzt insbesondere

Legt wenig Wert auf

• Verlässliche Logistik und Lieferung

• Marke

• Direkte Bezahlung

• Nachweis technischer Kompetenz

• Angebotspalette

• Innovative Stärke

• Innovative Stärke

• Mehrwertstiftende Services

Abb. 6.18  Beispielhafte Bezeichnung und Beschreibung von Kundensegmenten

„Wie unterscheiden sich die Kunden hinsichtlich ihrer Attraktivität für unser Unternehmen?“ Entsprechend diesen Fragen werden Instrumente danach unterschieden, ob sie der Analyse der Kundenstruktur (Kundenstrukturanalyse), der Analyse des Kundenwerts (Kundenwertanalyse) oder der Analyse des Potenzials der Kunden (Kundenpotenzialanalyse) dienen. Die folgende Übersicht zeigt die dazugehörigen Instrumente:

Methoden zur Analyse der Kundenattraktivität

• Kundestrukturanalyse ABC-Analyse Kunden-Scoring Kundenportfolioanalyse • Kundenwertanalyse Kundendeckungsbeitragsrechnung • Kundenpotenzialanalyse Whitespace-Analyse Customer-Lifetime-Value-Analyse

Kundenstrukturanalysen dienen dazu, die Kunden des Unternehmens basierend auf ausgewählten Kriterien und Rastern zu strukturieren. In der Unternehmenspraxis werden hierfür häufig die ABC-Analyse, Kunden-Scorings oder Kundenportfolioanalyse verwendet. Anhand der ABC-Analyse lassen sich aktuelle Kunden anhand relevanter Kriterien (z. B. Umsatz) in „Klassen“ einteilen. Anhand der so strukturierten Kunden wird schnell

132

6  Analyse der Mikroumwelt

transparent, welche Kunden bisher die wichtigsten Kunden waren. Kunden-Scorings zur Analyse der Kundenstruktur sind Punktbewertungsverfahren. Neben rein quantitativen Größen wie Umsatz, Deckungsbeitrag oder Absatzmenge kommen hier häufig zusätzlich qualitative Kriterien wie z. B. das Referenzpotenzial des Kunden oder der Stand des Kunden im Technologie-Lebenszyklus zur Anwendung. In der Regel werden die einzelnen Kriterien je nach Bedeutung unterschiedlich gewichtet bei der Berechnung des Gesamt-­ Scoring-­Werts. Dies ermöglicht eine detailliertere Strukturierung von Kunden als die ABC-Analyse, ist jedoch in der Durchführung aufwendiger und komplexer. Kundenportfolioanalysen stellen eine Weiterentwicklung der Kunden-Scorings dar, da sie basierend auf zwei Kunden-Scorings ein zweidimensionales Portfolio aufspannen. Die wohl bekannteste Kundenportfolioanalyse stellt die BCG-Analyse dar, benannt nach der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Die BCG-Analyse bildet die zwei Dimensionen „Anbieterposition des Unternehmens bei einem Kunden bzw. einem Kundensegment“ und die „Attraktivität der Kunden bzw. Kundensegmente“ ab. Hinter beiden Dimensionen steht jeweils ein Scoring-Modell, welches einen Scoring-Wert pro Kunde bzw. Kundensegment je Dimension ermittelt. Innerhalb des Portfolios können die Kunden bzw. Kundensegmente anschließend jeweils den vier Kundenkategorien Fragezeichenkunden, Starkunden, Ertragskunden und Mitnahmekunden zugeordnet werden. Hieraus lassen sich anschließend in der strategischen Planung konkrete Maßnahmen zur Bearbeitung der jeweiligen Kunden ableiten. Für eine detaillierte Beschreibung der Durchführung der drei Analyseinstrumente wird an dieser Stelle auf Scheed und Scherer (2021, S. 75–87) verwiesen. Kundenwertanalysen betrachten den monetären Beitrag eines Kunden zur Erreichung der Unternehmensziele. Zur Ermittlung des monetären Kundenwerts bietet sich die Verwendung der Kundendeckungsbeitragsanalyse an. Die Kundendeckungsbeitragsanalyse ermittelt den Deckungsbeitrag eines Kunden. Hierfür werden vom Bruttoerlös je Kunde Erlösminderungen (z. B. Rabatte, Skonti, Boni) sowie Produkteinstandskosten (z. B. Lagerkosten, Distributionskosten), Sondereinzelkosten des Vertriebs (z. B. Angebotserstellungsaufwand, Installationsleistungen) und Sondereinzelkosten der Auftrags- und Kundenverwaltung (z.  B.  Bestellannahme, Auftragsabwicklung) abgezogen. Diese Analyse erfordert eine hohe Kostentransparenz und ist daher in vielen Unternehmen nach wie vor nicht anzutreffen. Eine effiziente B2B-Marketing- und Vertriebsstrategie erfordert jedoch Klarheit über die zu bearbeitenden Zielkunden und daher führt am Aufbau einer systematischen Kundenergebnisrechnung kein Weg vorbei (vgl. Homburg et al., 2016). Kundenpotenzialanalysen legen den Fokus auf den zukünftigen Wert eines Kunden. Als Methoden werden hierfür häufig die Whitespace-Analyse (auch: Produktpenetrationsanalyse) sowie die Customer-Lifetime-Value-Analyse verwendet. Die Whitespace-­ Analyse geht der Frage nach, inwieweit der Kunde mit den bestehenden Produkten bereits penetriert und durchdrungen wurde. Noch nicht ausgeschöpftes Potenzial („White ­Spaces“) existiert, wenn Kunden bestimmte Produkte und/oder Services noch nicht nutzen (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 88). Um Absatzpotenziale zu nutzen und so eine konsequente Abschöpfungsstrategie und -umsetzung zu ermöglichen, ist die Ermittlung der Pro-

6.3  Analyse der B2B-Kunden

133

duktpenetrationsrate notwendig. Für eine Übersicht unterschiedlicher Verfahren zur Ermittlung der Produktpenetrationsrate wird an dieser Stelle auf Kühnapfel (2017) verwiesen. Die Customer-Lifetime-Value-Analyse basiert auf der Kapitalwertmethode und berücksichtigt zukünftige Ein- und Auszahlungen im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Kunden bzw. Kundensegments. Diese werden auf den heutigen Zeitpunkt abdiskontiert, um so den Barwert zu erhalten, d. h. die erwarteten Einnahmen aus der zukünftigen Geschäftsbeziehung zum heutigen Zeitpunkt. Der Customer-Lifetime-Value (CLV) hilft so, die zukünftige Attraktivität von unterschiedlichen Kunden bereits zum heutigen Zeitpunkt miteinander zu vergleichen. Die Formel zur Ermittlung des CLV lautet: CLV   t  0

t n

et at i t n

et  at

1  i 

t

 e0  a0 

e  an e1  a1 e2  a2   n 2 n 1  i  1  i  1  i 

(erwartete) Einnahmen aus der Geschäftsbeziehung in der Periode t (erwartete) Ausgaben für die Geschäftsbeziehung in der Periode t Kalkulationszinsfuß zur Abzinsung auf einen einheitlichen Referenzzeitpunkt Periode (t = 0, 1, 2 … n) (i. d. R. Geschäftsjahr) Dauer des Betrachtungshorizonts (Kundenbeziehung)

Aus der Formel wird deutlich, dass relativ viele Parameter bekannt sein oder geschätzt werden müssen. Je genauer dies erfolgt, desto aussagekräftiger sind natürlich die ­Ergebnisse. Allerdings ist hiermit mitunter ein hoher Aufwand verbunden, was dazu führt, dass die CLV-Analyse insbesondere in mittelständischen Unternehmen nur sehr selten systematisch eingesetzt wird (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 90).

6.3.2.4 Analyse der Kundenzufriedenheit 6.3.2.4.1 Entstehung von Kunden(un)zufriedenheit Die Kundenzufriedenheit ist der Grad der Übereinstimmung zwischen der Erwartung (= Soll), die ein potenzieller Kunde an ein Produkt oder eine Dienstleistung hat, und der von ihm tatsächlich wahrgenommenen Leistung (= Ist). Vor dem Kauf einer Ware oder Dienstleistung bilden sich beim Kunden also gewisse Erwartungen, bspw. basierend auf dem Problemlösungsbedarf, den bisherigen Erfahrungen, Empfehlungen anderer Kunden oder den Inhalten der Werbung des Anbieters. Die wahrgenommene Leistung eines Unternehmens bei der Beschaffung und/oder Nutzung des Produktes bzw. der Dienstleistung werden mit diesen Erwartungen verglichen. Dieser Vorgang des Evaluationsprozesses von Ist- und Soll- Komponenten wird in der Literatur als Confirmation/Disconfirmation-Paradigm (C/D-Paradigma) bezeichnet (vgl. Homburg, 2020, S. 46). Werden die Kundenerwartungen erfüllt, erfolgt eine indifferente, moderate Zufriedenheit (= Konfirmation). Der Kunde erlebt die Leistungen des Unternehmens auf diesem Niveau als austauschbar. Wirkliche Zufriedenheit entsteht erst ab dem Moment,

134

6  Analyse der Mikroumwelt

Folgen

Vergleichsprozess

Entstehung der Erwartungen

Bedürfnisse

Erfahrungen

Empfehlungen

Werbung

Erwartungen (= SOLL) Wahrgenommene Leistung (= IST) Vergleich der wahrgenommenen Leistung mit den Erwartungen Erwartungen nicht erfüllt (SOLL > IST): Unzufriedenheit

Beschwerde

Abwanderung

Negative Mund-zu-MundPropaganda

Erwartungen erfüllt (SOLL = IST): Indifferenz, moderate Zufriedenheit

Wiederkauf

Positive Mund-zu-MundPropaganda

Erwartungen übertroffen (SOLL < IST): Begeisterung

Negative Preissensibilität

Cross-Selling

Abb. 6.19  Entstehung und Folgen von Kundenzufriedenheit

wenn die wahrgenommene Leistung die Kundenerwartungen übertrifft (= positive Diskonfirmation). Dieser Zusammenhang ist in Abb. 6.19 zusammenfassend dargestellt. 6.3.2.4.2 Folgen der Kundenzufriedenheit Das Ausmaß der Kundenzufriedenheit ist ein wichtiger Indikator für das zukünftige Verhalten bestehender, aber auch potenzieller Kunden. Bei zufriedenen Kunden besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie (vgl. Hofbauer & Schöpfel, 2010) • • • •

das Produkt oder die Dienstleistung wieder kaufen, über Cross-Selling andere Produkte bzw. Dienstleistungen aus dem Sortiment kaufen, über Up-Selling höherwertigere Produkte bzw. Dienstleistungen kaufen, positive Mund-zu-Mund Propaganda betreiben und damit als Referenzkunden dienen können, • eine geringere Preissensibilität aufweisen und • eine steigende Kooperationsbereitschaft aufweisen, um Kundenbedürfnisse noch besser verstehen und Lösungen entwickeln zu können. Im Gegenzug führt eine Unzufriedenheit bei Kunden zu einem höheren Risiko der Abwanderung und negativer Mund-zu-Mund-Propaganda. Zufriedene Kunden tragen damit zu einer Erhöhung des Absatzes und/oder Umsatzes und damit letztlich zu einer Gewinnsteigerung bei. Im Rahmen der Analyse der ­Kundenzufriedenheit sind deshalb jene Kunden zu identifizieren, die (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 91)

6.3  Analyse der B2B-Kunden

• • • • •

135

wieder (Wiederkaufwillige) oder erstmalig (Erstkaufwillige) kaufen, bereit sind, das Unternehmen weiterzuempfehlen (Weiterempfehlungswillige), offen sind für Kooperationen (z. B. gemeinsame Produktentwicklung), womöglich negativ über das Unternehmen sprechen (Kritiker) und abwandern wollen (Abwanderungswillige).

6.3.2.4.3 Messung der Kundenzufriedenheit Wie aus den zuvor aufgezählten Punkten zu erkennen ist, stellt die Kundenzufriedenheit eine wesentliche strategische Zielgröße von Unternehmen dar. Aus diesem Grund sollte die Messung der Zufriedenheit auch nicht nur einmalig erfolgen. Vielmehr ist eine systematische Messung und Steuerung der Kundenzufriedenheit erforderlich. Die Messung der Zufriedenheit kann sich dabei auf einzelne Eigenschaften des Produktes, der Dienstleistung (z. B. Qualität, Sortiment, Verfügbarkeit) oder auch der Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager (z. B. Auftragsabwicklung, Beschwerdemanagement) beziehen. Eine Messung dieser Einzelmerkmale ermöglicht es, unmittelbar Handlungsfelder zu identifizieren. Häufig wird jedoch auch die Globalzufriedenheit ermittelt, indem der Kunde nach seiner grundsätzlichen Zufriedenheit mit dem Anbieter gefragt wird. Eine Messmethode, die zunehmend an Bedeutung dazugewinnt, ist der Net Promoter Score (NPS). Dies liegt zum einen darin begründet, dass er sehr einfach und ohne viel Aufwand zu erheben ist. Zum anderen hebt der NPS einen zentralen Aspekt der ­Zufriedenheit ganz besonders hervor: die Bereitschaft, einen Anbieter weiterzuempfehlen. Weiterempfehlungen spielen im B2B-Marketing und Vertrieb eine zentrale Rolle, da die Problemlösungsbedarfe der Kunden häufig komplex und sehr individuell sind. Dies geht mit einer Unsicherheit auf Seiten der Nachfrager hinsichtlich der Problemlösungskompetenz des Anbieters einher. Die Erfahrungen anderer Kunden (= Referenzkunden) mit einem Anbieter und deren Weiterempfehlungen stellen daher im B2B-Marketing und Vertrieb einen wesentlichen strategischen Hebel dar. Die Ermittlung des NPS ist wie bereits erwähnt sehr einfach: Die Kunden werden gebeten, lediglich eine einzige Frage zu beantworten: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Unternehmen X einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen werden?“ Diese Frage ist auf einer Skala von 0 („Äußerst unwahrscheinlich“) bis 10 („Äußerst wahrscheinlich“) zu beantworten. Die Kunden werden basierend auf dieser Antwort als „Promotoren“ (Wert 9–10), als „Indifferente“ (Wert 7–8) oder als „Kritiker“ (Wert 0–6) eingestuft. Erstere werden das Unternehmen auf jeden Fall, Letztere sicherlich nicht weiterempfehlen (vgl. Reichheld, 2006; Bruhn, 2016; Scheed & Scherer, 2021, S.  94). In Abb.  6.20 wird die Berechnung des NPS beispielhaft dargestellt. 6.3.2.4.4 Besonderheiten im B2B-Umfeld Im Rahmen der Messung der Zufriedenheit von B2B-Kunden ist insbesondere zu berücksichtigen, wer befragt wird. In der Regel findet während der Vermarktung der Hauptkontakt zum Einkäufer statt. Genutzt wird das Produkt hingegen später vom Benutzer. So

136

6  Analyse der Mikroumwelt Frage: „Auf einer Skala von 0-10: Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie unser Unternehmen/Produkt/Service an ein anderes Unternehmen weiterempfehlen?“ Äußerst wahrscheinlich

10

9

Äußerst unwahrscheinlich

8

7

6

5

4

3

2

1

0

Indifferente

Hier: 36 % aller Kunden

Promotoren

42

Net Promotor Score (NPS)

Kritiker

Hier: 42 % aller Kunden

Hier: 22 % aller Kunden

-

22

=

20 NPS

Abb. 6.20  Ermittlung des Net Promoter Scores. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 95)

gesehen kann der Einkäufer zwar hinsichtlich der Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager (z. B. Angebotserstellung, Verhandlung, Kaufabwicklung) gut Feedback geben. Der Benutzer ist dagegen der richtige Ansprechpartner, wenn es um die Nutzung des Produktes bzw. der Dienstleistung geht (z.  B.  Qualität, Beschwerdemanagement). Das heißt, um valide und reliable Aussagen zur Zufriedenheit zu erhalten und darauf ein gezieltes Zufriedenheitsmanagement aufbauen zu können, ist es essenziell, dass die richtigen Personen auf der Seite des Kunden in die Zufriedenheitsmessung einbezogen werden.

6.4 Wettbewerbsanalyse 6.4.1 Ziele der Wettbewerbsanalyse Das übergreifende Ziel der Wettbewerbsanalyse besteht darin, ein klares Bild der aktuellen und zukünftigen Wettbewerbssituation zu erarbeiten sowie die eigene Wettbewerbsposition zu eruieren, um darauf aufbauend strategische Entscheidungen im B2B-Marketing und Vertrieb treffen zu können (vgl. Pufahl, 2015; Hofbauer & Purle, 2022). Nachdem im Rahmen der Kundenanalyse ein umfassendes Verständnis über die Bedürfnisse bzw. Problemlösungsbedarfe der Kunden erarbeitet wurde, lautet die zentrale Frage im Rahmen der Wettbewerbsanalyse nun: Wie und in welchem Ausmaß befriedigen die relevanten Anbieter am Markt den Problemlösungsbedarf der Kunden? Für den Marketingerfolg in einem definierten relevanten Markt ist es entscheidend, den Problemlösungsbedarf der Kunden besser zu befriedigen als die Konkurrenz. Eine Konkurrenzanalyse hat daher immer im Hinblick auf einen Vergleich der eigenen Position mit der der relevanten Konkurrenten zu erfolgen (relative Konkurrenzanalyse) (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 129).

6.4 Wettbewerbsanalyse

137

Studien belegen, dass bei mittelständischen Industrieunternehmen häufig zu beobachten ist, dass eine strategische Wettbewerbsanalyse nur punktuell und zeitlich eher zufallsgetrieben erfolgt (vgl. Backhaus & Voeth, 2014). Ziel sollte es jedoch sein, Analysen des Profils und der Aktivitäten der Hauptwettbewerber systematisch und regelmäßig durchzuführen, um stets ein aktuelles Bild der eigenen Position im Wettbewerb als Entscheidungsgrundlage zu haben (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 35). Mögliche Quellen zur Informationsgewinnung über den Wettbewerb bestehen bspw. in der Website des Unternehmens, Geschäftsberichten, öffentlich zugänglichen Informationen wie Pressemeldungen, Auswertung von Messeauftritten, Konferenz- und Tagungsunterlagen, Analyse von Konkurrenzprodukten sowie internen Informationen, die an der Kundenschnittstelle von Vertrieb oder Kundenservice gesammelt werden. Zudem ergänzen digitale Wettbewerbsanalysen durch Social-Media-Monitoring das Informationsspektrum (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 35). Grundvoraussetzung für eine umfassende Wettbewerbsanalyse ist, dass zunächst einmal die in Frage kommenden Wettbewerber eingegrenzt werden. Sofern eine Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes erfolgt ist (siehe Abschn. 6.2.1), sind damit auch die in diesem Markt relevanten Wettbewerber eingegrenzt. Die eigentliche Wettbewerbsanalyse kann anschließend auf drei Ebenen erfolgen: 1. Branchenstrukturanalyse (Abschn. 6.4.2.1) 2. Analyse von strategischen Gruppen (Abschn. 6.4.2.2) 3. Wettbewerbsanalyse im engeren Sinne (Abschn. 6.4.2.3)

6.4.2 Methoden der Wettbewerbsanalyse 6.4.2.1 Branchenstrukturanalyse Die Analyse der Branchenstruktur hat das Ziel, die Wettbewerbssituation eines Unternehmens in einer Branche zu analysieren sowie die aktuelle und zukünftige Attraktivität einer Branche zu bewerten (vgl. Mussnig & Mödritscher, 2013; Porter, 2013; Reisinger et al., 2013; Scheed & Scherer, 2021, S.  35). Auch sind Prognosen hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Wettbewerbsdynamik sowie der Wettbewerbsintensität in einer Branche möglich. Die Struktur einer Branche lässt sich grundlegend durch fünf Wettbewerbskräfte („Five-­Forces-Modell“ bzw. „5-Kräfte-Modell“) bestimmen (vgl. Porter, 1980): • • • • •

Potenzielle neue Wettbewerber Wettbewerber in der Branche Abnehmer (und Abnehmer der Abnehmer) Lieferanten Ersatzprodukte (Substitute)

138

6  Analyse der Mikroumwelt

Determinanten der Eintrittsbarrieren für neue Wettbewerber - Absolute Kostennachteile (bestehender Wettbewerb: Economies of Scale, unternehmensinterne Lernkurve, Zugang zu erforderlichen Inputs, kostengünstige Produktgestaltung) - Zu erwartende Vergeltungsmaßnahmen - Produktunterschiede - Markenidentität - Umstellungskosten Neue - Kapitalbedarf Wettbewerber - Zugang zu Distribution - Staatliche Politik

Lieferanten Determinanten der Lieferantenmacht - Differenzierung des Inputs - Umstellungskosten der Lieferanten und Unternehmen der Branche - Verfügbarkeit von Ersatz-Inputs - Lieferantenkonzentration - Bedeutung des Auftragsvolumens für Lieferanten - Kosten im Vergleich zu den Gesamtumsätzen der Branche - Gefahr der Vorwärtsintegration durch Unternehmen der Branche

Wettbewerber der Branche

Ersatzprodukte Determinanten der Substitutionsgefahr durch Ersatzprodukte - Relatives Preis-LeistungsVerhältnis von Ersatzprodukten - Umstellungskosten - Substitutionsneigung der Abnehmer

Determinanten der Rivalität zwischen Wettbewerbern in der Branche - Branchenwachstum - Fixkostenquote - Überkapazitäten - Produktunterschiede - Markenidentität - Umstellungskosten - Austrittsbarrieren

Abnehmer

Abnehmer der Abnehmer

Determinanten der Abnehmermacht Verhandlungsmacht - Abnehmerkonzentration gegen Unternehmenskonzentration - Abnehmervolumen - Umstellungskosten der Abnehmer im Vergleich zu denen des Unternehmens - Informationsstand der Abnehmer - Fähigkeit der Rückwärtsintegration - Verfügbarkeit von Ersatzprodukten - Durchhaltevermögen Preisempfindlichkeit - Verhältnis Auftragsvolumen zu Gesamtumsatz - Produktunterschiede - Markenidentität - Einfluss auf Qualität/Leistung - Abnehmergewinne - Anreize der Entscheidungsträger

Abb. 6.21  Branchenstrukturanalyse: Determinanten der Wettbewerbskräfte. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 37)

Das Zusammenspiel dieser Kräfte bestimmt letztlich die Rentabilität und damit die Attraktivität der zu analysierenden Branche. So bedeutet bspw. eine starke Machtposition der Lieferanten, dass Unternehmen der zu untersuchenden Branche die Lieferantenpreise i.  d.  R. nicht beeinflussen können  – was für die Attraktivität der Branche negativ sein dürfte (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 117). Auf Basis dieses Modells lässt sich so erklären, warum sich im langjährigen Vergleich die durchschnittlichen Rentabilitäten von Branchen unterscheiden („Warum ist das Gewinnniveau der Unternehmen in Branche A deutlich höher als in Branche B?“). Kenntnisse über diese Einflusskräfte erlauben es dem Unternehmen zudem, seine Position im Wettbewerb einzuschätzen und Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsposition einzuleiten. Die einzelnen Wettbewerbskräfte werden durch Determinanten bzw. Einflussparameter bestimmt, welche in Abb. 6.21 im Überblick zusammengefasst sind. Die vertikalen Kräfte im Modell stellen eventuell neu eintretende Wettbewerber, das Wettbewerbsverhalten in der Branche und Substitutionsmöglichkeiten dar. Die horizontalen Kräfte bestehend aus Lieferanten und Abnehmern sowie den Abnehmern der Abnehmer. Das erweiterte 5-Kräfte-Modell Entwicklungen in der Digitalisierung, wie intelligente und vernetzte Produkte bzw. das Internet of Things (IoT), führen zu einer „neuen Wettbewerbsära“ und großen Produktivitätssteigerungen. Porter und Heppelmann (2014) haben dies erkannt und das 5-Kräfte-Modell daraufhin überarbeitet. Sie postulieren, dass IoT nicht nur die Wettbewerbsstrukturen in einer Branche verändern kann, sondern

6.4 Wettbewerbsanalyse

139

auch die Branchengrenzen deutlich erweitern. Sie zeigen dies am Beispiel eines Landmaschinenherstellers, d. h. eines Anbieters im B2B-Umfeld. In diesem Beispiel wird veranschaulicht, dass ein Landmaschinenhersteller internetbasierte Dienstleistungen für Landwirte nicht nur zur Optimierung eines Traktors anbieten könnte, sondern für den gesamten landwirtschaftlichen Maschinenpark. Damit wäre er nicht mehr nur als Anbieter im Traktoren-Markt aktiv, sondern im deutlich weiteren „Landwirtschaftsmaschinen-Markt“. Um die aus IoT möglichen Wettbewerbsvorteile nutzen zu können, müssen Unternehmen eine Reihe von wichtigen strategischen Entscheidungen treffen, wie z. B. welche Art von intelligenten, vernetzten Produkteigenschaften und -fähigkeiten ein Unternehmen anstreben sollte, welche Daten erfasst und analysiert werden sollen oder wie viel Funktionalität in das Produkt bzw. in die Cloud eingebettet wird. Das erweiterte 5-Kräfte-Modell unterstützt diese Entscheidungen, indem zusätzlich zu den bekannten Faktoren für jede der fünf Kräfte detailliert untersucht wird, ob die Auswirkungen von IoT diese Kräfte stärken oder schwächen. Bezogen auf das beschriebene Beispiel könnte in der Landmaschinenbranche die Abhängigkeit von Softwarelieferanten oder Datenbankanbietern die Verhandlungsmacht der Lieferanten erhöhen und die Branchenattraktivität negativ beeinflussen. Oder die Installation eines proprietären, d. h. geschlossenen IT-Systems in die landwirtschaftlichen Geräte könnte die Verhandlungsmacht der Branche gegenüber ihren Abnehmern, den Landwirten, aufgrund der Wechselkosten erhöhen (vgl. Abschn. 10.1) (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 117–118). 2014 haben Porter und Heppelmann diesen Ansatz zusammen mit dem Harvard Business Review als Video veröffentlicht, welches abrufbar ist unter: https://www.youtube.com/watch?v=ldYP9XBXBYs. (vgl. Porter et al., 2014).

Eine systematische Branchenstrukturanalyse erfolgt anhand folgender drei Schritte: . Definition der Branche 1 2. Analyse der Wettbewerbssituation innerhalb der Branche 3. Beurteilung der Branchenattraktivität Diese drei Schritte werden im Folgenden näher erläutert. 1. Schritt: Definition der Branche Die Definition der Branche ist elementar für die Ergebnisse der 5-Kräfte-Analyse. Nur wenn die Branche hinreichend definiert ist, kann sichergestellt werden, dass alle relevanten Einflusskräfte auf dem Markt berücksichtigt werden. In der Regel wird hierfür der abgegrenzte, strategisch relevante Markt herangezogen (zur Vorgehensweise der Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes siehe Abschn. 6.2.1). 2. Schritt: Analyse der Wettbewerbssituation innerhalb der Branche Bei der Analyse der Wettbewerbssituation werden sowohl die fünf Wettbewerbskräfte als auch die einzelnen Determinanten pro Wettbewerbskraft branchenabhängig analysiert. In Abb. 6.22 ist eine beispielhafte Analyse dargestellt. Die Analyse dient dazu einzuschätzen, wie die einzelnen Kräfte sich gegenwärtig darstellen, und eine Prognose für ihre zukünftige Entwicklung zu erstellen. Die zukünftige Betrachtung ist essenziell für die Strategiefindung. Der zugrundeliegende Zeitrahmen kann bspw. an den Investitionszyklus einer Branche angelehnt werden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 36).

140

6  Analyse der Mikroumwelt Branchenstrukturanalyse

Gewicht

Faktor

Einflussparameter

20%

Bedrohung durch neue Wettbewerber

Realisierbare Skaleneffekte Umstellungskosten Kapitalbedarf Zugang zu Vertriebskanälen Staatliche Restriktionen Trägheit des Wettbewerbs

20%

Lieferantenmacht

Konzentrationsgrad Lieferanten Technologische Abhängigkeit des Abnehmers Umstellungskosten bei Lieferantenwechsel Produktdifferenzierung beim Lieferanten Verfügbarkeit Ersatzinputs Potenzial für Vorwärtsintegration

20%

Abnehmermacht

Konzentrationsgrad Abnehmer Standardisierte Produkte Umstellungskosten bei Abnehmerwechsel Potenzial für Rückwärtsintegration Preissensibilität der Abnehmer Informationsstand der Abnehmer (Markttransparenz)

20%

Bedrohung durch Ersatzprodukte

Relatives Preis-Leistungs-Verhältnis Ersatzprodukte Umstellungskosten bei Nutzung Ersatzprodukt Intensität der Kundenbindung/Markentreue

20%

Rivalität innerhalb der Branche

Konzentrationsgrad des Wettbewerbs Branchenwachstum Austrittsbarrieren/Überkapazitäten Informationslage/Wettbewerbstransparenz Preiswettbewerb

Summe Faktor

Summe Faktor

Summe Faktor

Summe Faktor

Summe Faktor Gesamtbewertung Branchenattraktivität (gewichtet)

Skala

1 = sehr attraktiv bis 5 = sehr unattraktiv

Gewicht

Wert heute

Wert Zukunft

15% 15% 15% 15% 15% 25%

1 2 3 4 3 4

2 3 4 3 2 5

100 %

3,0

3,4

15% 15% 15% 15% 20% 20%

1 2 2 4 1 4

2 3 5 3 4 5

100 %

2,4

3,8

15% 15% 15% 15% 20% 20%

1 2 2 4 1 4

2 3 5 3 2 5

100 %

2,4

3,4

40% 30% 30%

1 2 2

2 3 5

100 %

1,6

3,2

20% 20% 20% 20% 20%

1 2 3 4 1

2 3 4 3 2

2,2

2,8

2,3

3,3

100 % B2B-Marketing und Vertrieb

Abb. 6.22  Beispiel: Branchenstrukturanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 38)

Zunächst gilt es, die für die vorliegende Branche relevanten Determinanten der fünf Wettbewerbskräfte zu identifizieren. Anschließend werden sowohl die fünf Wettbewerbskräfte als auch die einzelnen Determinanten pro Wettbewerbskraft mit Gewichtungen versehen. Diese Gewichtungen sollen die Bedeutung der einzelnen Kräfte in der zu analysierenden Branche zum Ausdruck bringen. Im Anwendungsbeispiel in Abb. 6.22 wurden die Gewichtungen der einzelnen Wettbewerbskräfte zur Veranschaulichung jeweils auf 20 % gesetzt. Anschließend erfolgt die Bewertung der Attraktivität der aktuellen Branchenstruktur, dann eine Bewertung der zukünftig zu erwartenden Branchenstruktur. Die Attraktivität ergibt sich dabei aus der Beurteilung der Einflussparameter: Je höher die aus den Einfluss­ parametern resultierende Rivalität eingeschätzt wird, desto unattraktiver ist die Branche. Als Informationsquellen können sowohl interne als auch externe Sekundärdaten dienen sowie insbesondere Expertenmeinungen. Im Ergebnis lässt sich ein Indexwert für die heutige und die zukünftige Branchenattraktivität ermitteln. 3. Schritt: Beurteilung der Branchenattraktivität Auf der Basis dieser Analyse kann eine zusammenfassende Beurteilung der gegenwärtigen bzw. der zukünftigen Attraktivität der Branche erfolgen. Das Ziel ist hierbei weniger eine quantitativ exakte Bewertung der Branchensituation als vielmehr die Diskussion und

6.4 Wettbewerbsanalyse

141

Prognose der weiteren Entwicklung einer Branche und damit verbunden das Ausloten der Chancen und Risiken für das eigene Unternehmen (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 37). Lässt das Ergebnis der Branchenstrukturanalyse bspw. eine zukünftig deutlich schlechtere Branchenattraktivität erwarten (wie im Beispiel in Abb.  6.22 dargestellt), so sollte das Unternehmen über substanzielle Änderungen des aktuellen Geschäftsmodells nachdenken, etwa auch im Marketing und Vertrieb. Ansatzpunkte für mögliche Stellhebel liefert dann die Einzelanalyse der fünf Wettbewerbskräfte. So fließen die Ergebnisse der Branchenstrukturanalyse auch in die Stärken-Schwächen-Analyse (vgl. Abschn. 6.5.3.2) und die darauffolgende SWOT-Analyse (vgl. Kap. 7) ein. Die Entwicklung spezifischer Wettbewerbskräfte (und die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken) werden dann den Stärken und Schwächen eines Unternehmens gegenübergestellt. Daraus lassen sich strategische Optionen zur Verbesserung der Wettbewerbsposition ableiten, die darauf abzielen, einzelne Kräfte zu schwächen. Weitere Einsatzfelder der Branchenstrukturanalyse im Kontext des B2B-Marketings und Vertriebs sind die strategische Bewertung von neuen Branchen, in die das Unternehmen expandieren bzw. neu eintreten möchte, oder auch die Abschätzung der Folgen des Markteintritts von Wettbewerbern mit disruptiven digitalen Geschäftsmodellen (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 39).

6.4.2.2 Analyse von strategischen Gruppen Das Konzept der Analyse von strategischen Gruppen stellt eine Verfeinerung der Branchenanalyse dar. Der Grundgedanke hinter diesem Konzept besteht darin, dass es zwischen Unternehmen einer Branche Unterschiede im strategischen Verhalten gibt und dass diese Unterschiede im Rahmen der Wettbewerbsanalyse berücksichtigt werden sollten. Indem ähnliche Unternehmen in sogenannten strategischen Gruppen zusammengefasst und diese Gruppen anschließend analysiert werden, lässt sich bspw. erklären, warum einzelne Gruppen innerhalb einer Branche erfolgreicher (höhere Rentabilität) sind als andere Gruppen. Des Weiteren lassen sich Informationen für Marketing- und Vertriebsmaßnahmen ableiten. Um strategische Gruppen identifizieren und anschließend analysieren zu können, muss zunächst der zu betrachtende Markt nach möglichst ähnlichen Anbieterverhaltensmustern strukturiert werden. Analog zur Kundensegmentierung werden daher Kriterien benötigt, die als Indikatoren für das Anbieterverhalten verwendbar sind, um darauf aufbauend eine Anbietersegmentierung durchzuführen. Zur Bildung von strategischen Gruppen existieren drei Ansätze (vgl. Rese, 1999, S. 12 ff.): • Gruppenbildung auf Basis von Ressourcen- und Strukturgleichheit, • Gruppenbildung aufgrund gleicher strategischer Verhaltensweisen sowie • Gruppenbildung durch Kombination von Ressourcen-/Strukturgleichheit und identischen strategischen Verhaltensweisen.

142

6  Analyse der Mikroumwelt

breit



G: hohe Rentabilität, 80 Mio. € Umsatz



B: hohe Rentabilität, 30 Mio. € Umsatz



E: mittlere Rentabilität, 60 Mio. € Umsatz

eng

mittel

Gruppe 1



gering (reine Monteurunternehmen)

D: niedrige Rentabilität, 110 Mio. € Umsatz Gruppe 2



I: niedrige Rentabilität, 55 Mio. € Umsatz



J: niedrige Rentabilität, 40 Mio. € Umsatz



C: mittlere Rentabilität, 50 Mio. € Umsatz



F: mittlere Rentabilität, 75 Mio. € Umsatz



A: hohe Rentabilität, 90 Mio. € Umsatz

Gruppe 3 •

Sehr eng

Breite der Produktpalette

Sehr breit

Als Informationsbasis können bereits vorliegende Strategie- (Abschn. 6.4.2.3.1) und Leistungsprofilanalysen (Abschn. 6.4.2.3.2) von Wettbewerbern herangezogen werden. Strategische Gruppen weisen somit intern eine hohe Homogenität (Ähnlichkeit hinsichtlich Ressourcen und Struktur und/oder strategischer Verhaltensweisen) und untereinander eine hohe Heterogenität (Unähnlichkeit) auf. Die Unternehmen der gleichen strategischen Gruppe weisen ähnliche Wettbewerbsstrategien auf und sind von Umweltereignissen (z. B. Änderungen der Präferenzen der Kunden oder Markteintritt eines neuen Wettbewerbers) in nahezu gleicher Weise betroffen (vgl. Homburg, 2020, S.  246). Daher besteht zwischen diesen Unternehmen meist eine intensivere Konkurrenz (Intragruppen-­ Wettbewerb) als zwischen Unternehmen aus unterschiedlichen Gruppen (Intergruppen-­ Wettbewerb). Strategische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich Kriterien, die nur mit großem Aufwand und großem Risiko durch die Unternehmen verändert werden können. Dies erschwert es Unternehmen, kurzfristig in eine andere, erfolgversprechendere Gruppe zu wechseln, weshalb diese Kriterien auch Mobilitätsbarrieren genannt werden, die nicht mit Markteintrittsbarrieren der generellen Branche identisch sein müssen. Die strategische Gruppenstruktur weist daher i. d. R. eine gewisse Dauerhaftigkeit auf. In Abb. 6.23 ist eine beispielhafte Analyse der strategischen Gruppenstruktur von zehn Maschinenbauunternehmen veranschaulicht. In diesem Beispiel werden die strategischen Gruppen anhand der Kriterien Breite der Produktpalette sowie der Wertschöpfungstiefe gebildet. Durch die Kombination der beiden Kriterien ergeben sich die in Abb. 6.23 darge-

H: hohe Rentabilität, 40 Mio. € Umsatz

Gruppe 4

mittel (Hersteller ohne Basistechnologie)

hoch (Hersteller mit Basistechnologie)

Fertigungstiefe

Abb. 6.23  Beispielhafte Analyse der strategischen Gruppenstruktur von zehn Maschinenbauunternehmen. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 528)

6.4 Wettbewerbsanalyse

143

stellten vier strategischen Gruppen. In der Darstellung wird ersichtlich, dass die Rentabilität der Unternehmen in engem Zusammenhang mit der Gruppenzugehörigkeit steht: Die Gruppen 1 und 4 weisen eine hohe Rentabilität auf, während die Unternehmen in Gruppe 2 eine niedrige Rentabilität aufweisen. Dass nicht alle Unternehmen in der strategischen Gruppe mit der höchsten Rentabilität zu finden sind, ist auf die Mobilitätsbarrieren zurückzuführen. Will ein Anbieter die strategische Positionierung ändern und in eine andere strategische Gruppe eintreten, muss er somit zunächst diese Mobilitätsbarrieren überwinden, was mit spezifischen Investitionen und mitunter einem hohen Risiko verbunden sein kann. Mobilitätsbarrieren lassen sich allgemein – also für Konsum- und Industriegüter sowie die Dienstleistungsbranche  – in drei Kategorien einteilen (vgl. Homburg & Sütterlin, 1992, S. 641 ff.): 1. Marktbezogene Aspekte: • Breite/Struktur der Produktpalette • Anwendertechnologien • Marktsegmentierung • Vertriebskanäle • Markennamen 2. Rahmenbedingungen der Wertschöpfung in der Branche • Kostendegressionsmöglichkeiten (Economies of Scale) in den Bereichen –– Fertigung –– Marketing/Vertrieb –– Verwaltung • Fertigungsverfahren • F&E-Know-how • Marketing- und Vertriebssysteme 3. Strukturmerkmale des einzelnen Unternehmens: • Eigentumsverhältnisse • Organisationsstruktur • Management-Know-how • Grad der Diversifikation • Grad der vertikalen Integration • Unternehmensgröße • Beziehung zu Interessenverbänden Zu beachten ist, dass im B2B-Marketing für die Entstehung von Mobilitätsbarrieren in erster Linie die Rahmenbedingungen der Wertschöpfung sowie die Strukturmerkmale einzelner Unternehmen verantwortlich sind. Das Ziel der Analyse von strategischen Gruppen besteht darin, die Wettbewerbsposition der Gruppe zu ermitteln und besser zu verstehen. Weiterhin hilft die Analyse strategischer Gruppen, Mobilitätsbarrieren zwischen den einzelnen Gruppen zu erkennen. Der

144

6  Analyse der Mikroumwelt

Neueintritt in eine strategische Gruppe erfordert die Überwindung von deren Mobilitätsbarrieren. Im B2B-Marketing ist die Betrachtung strategischer Gruppen z.  B. nützlich, wenn das eigene Unternehmen einen Neueintritt in eine Branche plant oder Neueintritte von Branchenfremden erwartet werden. Durch die Analyse der strategischen Gruppen in einer Branche erlangen Unternehmen ein besseres Bild über mögliche Strategiealternativen und Differenzierungsmöglichkeiten, sei es bei einem Eintritt in eine existierende Gruppe oder bei einem Eintritt in eine noch unbesetzte Nischenposition (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 52). Das Konzept der Analyse strategischer Gruppen ist dahingehend kritisch zu reflektieren, dass zum einen eine Beziehung zwischen finanziellem Erfolg und der Zugehörigkeit zu einer strategischen Gruppe empirisch nicht eindeutig belegt werden konnte. Zum anderen weist das Modell einen hohen Abstraktionsgrad auf, da in der vereinfachten Darstellung lediglich zwei Wettbewerbsdimensionen betrachtet werden und somit zahlreiche bedeutsame Unterschiede zwischen Unternehmen vernachlässigt werden. Darüber hinaus bewegen sich viele Unternehmen zunehmend über ihre traditionellen Branchengrenzen hinaus (vgl. z. B. Automobilindustrie), was dazu führt, dass die Betrachtung von einzelnen Gruppen in Branchen zunehmend obsolet wird.

6.4.2.3 Wettbewerbsanalyse im engeren Sinne Die Wettbewerberanalyse im engeren Sinne stellt eine Dekomposition der strategischen Gruppe dar. Die Zielsetzung besteht hier in einer detaillierten Analyse eines einzelnen, direkten Wettbewerbers, um dessen Stärken und Schwächen und strategische Absichten besser verstehen zu können. Die Ergebnisse werden anschließend den Ergebnissen der Unternehmensanalyse gegenübergestellt. So lassen sich u. a. Profilvergleiche erstellen oder Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens ableiten (vgl. Abschn. 6.5.3). Zur Wettbewerbsanalyse können folgende Ansätze mit den dahinterliegenden Fragestellungen herangezogen werden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 34–36): 1. Strategieprofilanalyse (Abschn. 6.4.2.3.1) • Wer genau sind unsere Wettbewerber und welches strategische Unternehmensprofil haben sie? • Welche Geschäftsmodelle verfolgen unsere Wettbewerber? 2. Leistungsprofilanalyse (Abschn. 6.4.2.3.2) • Wie setzt sich das Produkt- und Dienstleistungsportfolio des Wettbewerbs zusammen? • Wie differenziert sich der Wettbewerber strategisch? 3. Reaktionsprofilanalyse (Abschn. 6.4.2.3.3) • Wie verhalten sich die Wettbewerber? • Wie reagieren die Wettbewerber auf Marktänderungen sowie auf die Strategie des eigenen Unternehmens?

6.4 Wettbewerbsanalyse

145

4. Wettbewerbslandkarten (Abschn. 6.4.2.3.4) • Wo bzw. bei welchen Kunden sind die Wettbewerber in welchem Umfang (Absatz) aktiv? • Wo bzw. bei welchen Kunden liegen jeweils die strategischen Schwerpunkte? • Wo kommen sich Anbieter und Wettbewerber besonders in die Quere? • Wo könnten taktische Reaktionen erfolgen im Falle von aggressivem Wettbewerbsverhalten? 6.4.2.3.1 Strategieprofilanalyse Die Strategieprofilanalyse dient dazu, die Hauptwettbewerber aus strategischer Sicht zu erfassen und zu bewerten (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 39). Während im Rahmen der Analyse der strategischen Gruppen lediglich eine grobe Einteilung vorgenommen wird, erfolgt hier eine sehr viel detailliertere Betrachtung. Die Analyse und Bewertung erfolgen hierbei i. d. R. in den Kategorien Markt, Wettbewerbsstrategie, Marketing und Vertrieb, Organisation und Finanzen. In Tab. 6.4 ist ein typischer Aufbau und Elemente eines Strategieprofils dargestellt. Zu beachten ist, dass sowohl die Kategorien als auch die einzelnen Kriterien branchen- oder marktspezifisch angepasst werden können. Tab. 6.4  Aufbau und Elemente eines Strategieprofils. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 39–40) Kategorie Markt Marktmacht/ Marktstellung Marktanteil Unternehmensgröße Know-how/Patente Wettbewerbsstrategie Eindeutigkeit Strategie

Wettbewerbsvorteil

Beschreibung Welche Marktmacht und welche Marktstellung hat das Unternehmen? Dauer der Marktpräsenz? Einflussmöglichkeiten auf Rahmenbedingungen von Markt und Wettbewerb? Welchen Marktanteil hat das Unternehmen? Dynamik der Marktanteilsentwicklung aktuell und voraussichtlich in der Zukunft? Wie groß ist das Unternehmen (Zahl Mitarbeiter, Zahl Standorte, geografische Marktpräsenz)? Verfügt das Unternehmen über spezifisches Know-how? Ist dieses Know-how rechtlich geschützt? Verfolgt das Unternehmen eine eindeutige, klar erkennbare und kommunizierte Wettbewerbsstrategie? Wird die Strategie konsequent umgesetzt? Verfügt das Unternehmen über einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil? Wie gut ist dieser im Markt verankert? Hat das Unternehmen eindeutig definierte Zielsegmente? Werden diese konsequent bearbeitet?

Eindeutigkeit Zielsegmente Marketing und Vertrieb Bekanntheit Wie bekannt ist das Unternehmen? Welchen Bekanntheitsgrad haben die Unternehmensmarke und ggfs. einzelne, herausgehobene Produktmarken?

(Fortsetzung)

146

6  Analyse der Mikroumwelt

Tab. 6.4 (Fortsetzung) Kategorie Image Vertriebsstärke/ Marktzugang Kundenbindung Kundenzufriedenheit Marketingressourcen Organisation Managementqualität Mitarbeiterqualität Flexibilität Organisation Ressourcenausstattung Finanzen Umsatz

Profitabilität Finanzstärke/Liquidität

Verschuldung Kostenstruktur

Beschreibung Welches Image hat das Unternehmen? Wie hat sich das Image aus Sicht von Kunden von externen Marktpartnern zuletzt verändert? Wie stark ist der Vertrieb des Unternehmens (quantitativ und qualitativ)? Wie lässt sich der Zugang des Unternehmens zum Markt (Vertriebskanäle, Handel) bewerten? Wie stark ist die Bindung der Bestandskunden an das Unternehmen? Welche typische Wiederkaufsrate realisiert das Unternehmen? Wie zufrieden sind die Kunden mit den Leistungen des Unternehmens? Ist das Unternehmen ausreichend mit Ressourcen und Budgets in Marketing und Vertrieb ausgestattet? Wie kann die Qualität des Managements des Unternehmens bewertet werden? Wie kann die Qualität der Mitarbeiter des Unternehmens bewertet werden? Wie flexibel können das Unternehmen und dessen Organisation auf Marktänderungen reagieren? Wie kann die Qualität des Organisationsmodells des Unternehmens bewertet werden? Gibt es organisationale Schwachstellen? Wie gut ist die Ressourcenausstattung des Unternehmens (verfügbare Mitarbeiter, Budgets für Mitarbeiterentwicklung etc.)? Welches Umsatzniveau realisiert das Unternehmen? Ist das Unternehmen in den letzten Jahren gewachsen? Ist weiteres Umsatzwachstum zu erwarten? Wie profitabel ist das Unternehmen aktuell? Welche weitere Gewinnentwicklung kann erwartet werden? Über welche finanziellen Ressourcen verfügt das Unternehmen? Steht ausreichend Liquidität zur Verfügung? Liegen stabile Eigentumsverhältnisse vor? Ist das Unternehmen nachhaltig mit Schulden belastet, die die weitere Geschäftsentwicklung behindern könnten? Welche grundlegende Kostenstruktur weist das Unternehmen aus strategischer Sicht auf? Ist das Kostenniveau grundsätzlich höher oder niedriger als beim Wettbewerb?

Ein solches Strategieprofil sollte für die Hauptkonkurrenten erstellt und regelmäßig aktualisiert werden. Als Informationsquellen können Sekundärdaten wie bspw. Unternehmensberichte, Veröffentlichungen der Konkurrenten sowie Informationen der Kunden über die Konkurrenz dienen. Diese Informationen sind aber grundsätzlich mit Vorsicht zu behandeln oder deren Validität ist durch Sammlung von Informationen aus unterschiedlichen Quellen und Überprüfung der Sinnhaftigkeit abzusichern. Zur Analyse des Strategieprofils können anschließend bspw. Scoring-Modelle herangezogen werden. Scoring-Modelle erlauben es, in diesem Zusammenhang die einzelnen Ka-

6.4 Wettbewerbsanalyse

Strategieprofilanalyse Markt

147 Eigenes Unternehmen

Konkurrenten A

B

C

Ø Konkurrenz 3,0

2,3

Marktmacht/Marktstellung

2

3

3

4

3,3 3,3

Marktanteil

1

2

3

5

Unternehmensgröße

4

3

2

5

3,3

Know-how/Patente

2

4

1

1

2,0

Wettbewerbsstrategie

3,0

Eindeutigkeit Strategie

2

3

3

4

3,3

Wettbewerbsvorteil

3

1

2

4

2,3

Eindeutigkeit Zielsegmente

4

1

4

3

Marketing und Vertrieb

2,8

2,8

2,7 2,5

Bekanntheit

3

1

2

3

2,0

Image

2

4

1

1

2,0

Vertriebsstärke/Marktzugang

3

2

3

2

2,3

Kundenbindung

2

4

3

3

3,3

Kundenzufriedenheit

3

3

2

1

2,0

Marketingressourcen

4

2

4

4

3,3

Organisation

2,6

2,7

Managementqualität

1

4

2

1

2,3

Mitarbeiterqualität

2

4

2

1

2,3 2,7

Flexibilität

3

4

1

3

Organisation

3

2

1

5

2,7

Ressourcenausstattung

4

4

2

4

3,3

Finanzen

3,4

2,9

Umsatz

3

2

4

3

3,0

Profitabilität

4

3

2

4

3,0

Finanzstärke/Liquidität

5

1

2

2

1,7

Verschuldung

2

2

5

5

4,0

Kostenstruktur

3

4

2

3

3,0

Skala: 1 = Beste Bewertung 5 = Schlechteste Bewertung

Abb. 6.24 Beispiel: Strategieprofilanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 41)

tegorien basierend auf ihren Kriterien mit Punkten zu bewerten und einen numerischen Vergleich zwischen unterschiedlichen Konkurrenten, aber auch dem eigenen Unternehmen vorzunehmen. In Abb.  6.24 ist ein Beispiel für eine solche Analyse dargestellt. In diesem Beispiel fließen alle Kriterien mit dem gleichen Gewicht in die Analyse ein. Je nach Branche kann eine unterschiedliche Gewichtung erforderlich sein. Erkenntnisse aus einer solchen Analyse können als Basis für bspw. Profilvergleiche (Abschn. 6.5.3.2) dienen oder in Form von Stärken und Schwächen in die SWOT-Analyse einfließen. So hat im Beispiel in Abb. 6.24 das eigene Unternehmen offenbar eine Schwäche hinsichtlich der Marktstellung und hier insbesondere beim Marktanteil. In der Kategorie Finanzen besteht jedoch offensichtlich eine Stärke, insbesondere hinsichtlich der Liquidität. 6.4.2.3.2 Leistungsprofilanalyse Das Ziel der Leistungsprofilanalyse ist die Erfassung und Bewertung der strategischen Grundpfeiler des Leistungsangebots der Hauptwettbewerber (vgl. Scheed & Scherer,

148

6  Analyse der Mikroumwelt

Tab. 6.5  Aufbau und Elemente eines Leistungsprofils. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 42) Leistungsprofilanalyse des Produkts Qualität Preis/Leistung Design Innovation Breite/Tiefe Leistungsspektrum Prestige/Produktimage Markentreue Kundennutzen Benutzerfreundlichkeit Service

Beschreibung des Produkts Welches durchschnittliche Qualitätsniveau hat das Produkt- und Leistungsportfolio des Unternehmens? Welches durchschnittliche Preis-Leistungs-Verhältnis bietet das Unternehmen an? Wie ist das Produktdesign des Unternehmens zu bewerten (falls relevant)? Welchen typischen Innovationsgrad hat das Produkt- und Leistungsportfolio des Unternehmens? Welche Breite und Tiefe hat das Leistungsspektrum des Unternehmens? Welches Produktimage hat das Unternehmen aus Kundensicht? Welche typische Markentreue zeigt sich beim Leistungsspektrum des Unternehmens? Bietet das Leistungsspektrum des Unternehmens einen überdurchschnittlich hohen Kundennutzen? Wie benutzerfreundlich ist das Produkt- und Leistungsportfolio des Unternehmens aus Kundensicht? Bietet das Unternehmen einen überdurchschnittlich hohen Kundenservice an?

2021, S. 40). In B2B-Märkten ist das Produkt- und Leistungsportfolio von Industriegüterunternehmen typischerweise relativ homogen und weist konsistente Angebotsmerkmale auf. Der Fokus der Leistungsprofilanalyse liegt daher auf dem langfristigen ­Leistungsprofil des Wettbewerbs (z. B. Qualitätsniveau, Produktimage). Für Unternehmen, die mehrere Geschäftsbereiche mit teils unterschiedlichen Geschäftsmodellen haben (z. B. Siemens, BASF, Bosch …) muss die Leistungsprofilanalyse auf der Ebene des jeweiligen Bereichs erfolgen. Analog zur Strategieprofilanalyse können auch auf Basis der Leistungsprofilanalyse relative Stärken und Schwächen im Vergleich zum Wettbewerb identifiziert werden, welche bspw. in die SWOT-Analyse einfließen können. Die zu analysierenden Aspekte beziehen sich auf das Leistungsprofil der Wettbewerber, d. h. deren angebotene Produkte und Services. In Tab. 6.5 sind beispielhafte Analysebereiche dargestellt, welche je nach Branche bzw. Markt anzupassen und zu ergänzen sind. Analog zur Strategieprofilanalyse kann auch für die Leistungsprofilanalyse eine numerische Analyse basierend auf einem Scoring-Modell erfolgen (siehe beispielhaft in Abb. 6.25). Diese Erkenntnisse können wiederum als Basis für bspw. Profilvergleiche (Abschn. 6.5.3.2) dienen oder in Form von Stärken und Schwächen in die SWOT-Analyse einfließen. 6.4.2.3.3 Reaktionsprofilanalyse Ziel und Ergebnis einer jeden Wettbewerbsanalyse ist die Bestimmung eines umfassenden Reaktionsprofils (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 149). Ein solches Profil soll eine Pro­

6.4 Wettbewerbsanalyse

Leistungsprofilanalyse

149 Eigenes Unternehmen

Konkurrenten A

B

C

Ø Konkurrenz

Produkt

3,0

Qualität

3

3

5

2

2,9 3,3

Preis/Leistung

2

5

2

4

3,7

Design

2

1

2

4

2,3

Innovation

4

2

5

1

2,7

Breite/Tiefe Leistungsspektrum

4

2

5

2

3,0

Prestige/Produktimage

3

4

4

5

4,3

Markentreue

4

5

3

2

3,3

Kundennutzen

1

3

1

2

2,0

Benutzerfreundlichkeit

4

2

4

3

3,0

Service

3

1

4

2

2,3

Skala: 1 = Beste Bewertung 5 = Schlechteste Bewertung

Abb. 6.25 Beispiel: Leistungsprofilanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 43)

Wie sich der Wettbewerb verhält

Was den Wettbewerb motiviert Ziele für die Zukunft: Welche Ziele hat der Wettbewerber?

Annahmen: Von welchen Annahmen (über sich und die Branche) geht der Wettbewerber aus?

Reaktionsprofil des Wettbewerbers: - Ist der Wettbewerber mit seiner gegenwärtigen Situation zufrieden? - Welche voraussichtlichen Schritte/strategischen Veränderungen wird er vornehmen? - Wo ist er verwundbar? - Was wird die stärkste und wirkungsvollste Reaktion des Wettbewerbers hervorrufen?

Gegenwärtige Strategie: Welche Strategie verfolgt der Wettbewerber derzeit?

Fähigkeiten: Was sind die zentralen Stärken und Schwächen des Wettbewerbers?

Abb. 6.26  Reaktionsprofilanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 44)

gnose des Verhaltens sowie der zukünftigen strategischen Maßnahmen des Wettbewerbs ermöglichen, insbesondere, wenn sich aus der Analyse der Makro- (vgl. Kap. 5) und Mi­ kroumwelt strukturelle Marktänderungen für die Zukunft abzeichnen (vgl. Reisinger et al., 2013). Für die Erstellung von Reaktionsprofilen können die Ergebnisse der Strategieprofilanalyse sowie der Leistungsprofilanalyse genutzt werden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 44). Das Konzept der Reaktionsprofile basiert auf der Annahme, dass strategische Wettbewerbsreaktionen von vier verschiedenen Einflussfaktoren beeinflusst werden (vgl. Porter, 2013), welche in Abb. 6.26 zusammenfassend dargestellt sind. Zum einen wird analysiert, welche Ziele der Wettbewerber verfolgt und welche Annahmen er bezüglich sich selbst und der Branche zugrunde legt. Diese beiden Faktoren bestimmen die Motivation des Wettbewerbs. Zum anderen werden die gegenwärtige Strategie sowie die Fähigkeiten der Wettbewerber analysiert, also was letztlich das Verhalten des Wettbewerbs prägt.

150

6  Analyse der Mikroumwelt

Durch die vier Analyseelemente lassen sich nach Auffassung von Porter Aussagen bezüglich der zukünftig zu erwartenden Wettbewerbsstrategie von Konkurrenten treffen. Zur Erstellung von Reaktionsprofilen empfiehlt sich folgende Vorgehensweise (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 44–45): Schritt 1: Qualitative Analyse  Zunächst werden die Informationen der vier Einflussfaktoren qualitativ analysiert (unter Zuhilfenahme der Informationen aus der Strategie- und Leistungsprofilanalyse) und die Ergebnisse für jeden Einflussfaktor hypothesenartig zusammengefasst. Schritt 2: Verdichtung zu Reaktionsprofilen  Anschließend werden die Hypothesen mithilfe von Szenariotechniken verdichtet. Schritt 3: Simulation von Wettbewerbsreaktionen  Das Ziel dieser Simulationen besteht darin, eine Prognose des Wettbewerbsverhaltens zu erstellen und so eigene Maßnahmen im B2B-Marketing und Vertrieb zu priorisieren. Hierbei wird unterschieden zwischen einerseits aktiven Konkurrenzmaßnahmen, d.  h. Maßnahmen, die aktiv von den Wettbewerbern ausgehen, sowie andererseits (passiven) Maßnahmen, die als Reaktion auf eigene Maßnahmen erfolgen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 149–150). Zur Simulation sind in der Unternehmenspraxis unterschiedliche Verfahren gängig (vgl. die folgende Übersicht).

Beispiel: Methoden zur Simulation von Wettbewerbsreaktionen in der B2B-­ Unternehmenspraxis

1. Rollenspielbasierte Simulationen Rollenspiele, auch als War Gaming bekannt, können genutzt werden, um das Verhalten von Marktteilnehmern vorherzusagen. In diesen Simulationen treffen Expertenteams basierend auf detaillierten Markt- und Stakeholder-Briefings Entscheidungen im Namen der Stakeholder (eigenes Unternehmen, Wettbewerber 1-n), die sie vertreten. Nachbesprechungen im Plenum helfen dabei, Erkenntnisse zu gewinnen und die Ergebnisse der Simulation umsetzbar zu machen. 2. Spieltheoriebasierte Simulationen Präferenzbasierte, spieltheoretische Ansätze helfen, komplexe Probleme mit hoher Entscheidungsunsicherheit zu lösen. Diese Probleme zeichnen sich oft durch eine beträchtliche Anzahl von Interessengruppen und eine breite Palette von Optionen (d. h. Strategien) aus. Anhand von Expertenmeinungen werden die Optionen für jeden Stakeholder in eine Rangordnung gebracht und dann die Ergebnisse möglicher Strategien und Gegenstrategien bewertet und nach ihrer Wahrscheinlichkeit sortiert. Das Ergebnis der Simulation zeigt „natürliche Ergebnisse“ (d. h. den Basisfall), das

6.4 Wettbewerbsanalyse

151

beste erreichbare Ergebnis (Best Case) und Gefahrenergebnisse (Worst Case) als Grundlage für die Entscheidung über die zukünftige Vorgehensweise. 3. Mathematische Simulationen Mathematische Simulationen konzentrieren sich darauf, mithilfe von Marktmodellen das Verhalten einzelner Wettbewerber in einem Markt nachzubilden. Basierend auf Annahmen zur Angebots- und Nachfragesituation (z. B. Kostenpositionen von Wettbewerbern & erzielbare Preisprämien) berechnen die Modelle die Ergebnisse verschiedener Szenarien (Kombinationen strategischer Optionen) und liefern für die realistischen Szenarien detaillierte Business Cases.

6.4.2.3.4 Wettbewerbslandkarten Wettbewerbslandkarten dienen der grafischen Veranschaulichung der Wettbewerbssituation. Hierfür werden die Nachfrager im Markt mit ihren jeweiligen Nachfragemengen dargestellt. Anschließend werden der Lieferanteil des eigenen Unternehmens (hier A) sowie der Anteil der Wettbewerber (hier W1-3) beim jeweiligen Kunden eingetragen. Aus diesen Informationen ergibt sich eine Wettbewerbslandkarte, aus welcher ersichtlich wird, welcher Anbieter bei welchem Kunden in welchem Ausmaß als Lieferant aktiv ist. Eine beispielhafte Darstellung ist in Abb. 6.27 zu sehen. Aus Wettbewerbslandkarten lassen sich anschließend Maßnahmen für B2B-Marketing und Vertrieb ableiten. Würde im dargestellten Beispiel der Anbieter A beim Kunden #2 die Vermarktungsaktivitäten erhöhen, würde dies einen Angriff auf Wettbewerber 2 und insErwartete Nachfrage 2022

Top 80% der Kunden

(Anteil der Kundennachfrage an Gesamtnachfrage)

Erwarteter Lieferanteil der Anbieter an den jeweiligen Kunden

A

W2

W1

W3

Kunde #1

25%

50%

20%

30%

Kunde #2

15%

15%

0%

25%

60%

Kunde #3

10%

25%

75%

0%

0%

0%

Kunde #4

9%

40%

50%

10%

0%

Kunde #5

8%

0%

40%

20%

40%

Kunde #6

6%

50%

0%

50%

0%

Kunde #7

4%

0%

40%

0%

60%

Kunde #8

2%

25%

0%

0%

75%

Kunde #9

1%

0%

100%

0%

0%

20%

20%

35%

15%

30%

Sonstige (weniger 20%)

Gesamt

10 Tonnen / Jahr

27%

Abb. 6.27  Beispielhafte Wettbewerbslandkarte

33%

18%

23%

152

6  Analyse der Mikroumwelt

besondere Wettbewerber 3 bedeutet. Das heißt, von diesen beiden Wettbewerbern ist potenziell mit Gegenangriffen bei eigenen Kunden zu rechnen. Wie diese ausfallen könnten, kann aus den Reaktionsprofilen der Wettbewerber (Abschn. 6.4.2.3.3) abgeleitet werden.

6.5 Unternehmensanalyse 6.5.1 Ziel der Unternehmensanalyse Zur Erzielung eines Wettbewerbsvorteils muss sich der Anbieter fragen, auf welche besonderen Ressourcen bzw. Fähigkeiten und Kompetenzen er selbst im Vergleich zur Konkurrenz zurückgreifen kann, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 152). Diese Orientierung an Ressourcen und Fähigkeiten bzw. Kompetenzen als Quelle für Wettbewerbsvorteile wird in der Literatur auch als „Resource-based View“ bezeichnet (vgl. Freiling, 2001, S. 7 f.). Ressourcen sind materielle oder immaterielle Vermögensgegenstände, über die ein Unternehmen längerfristig verfügen kann, wie z.  B.  Marken, Technologien, qualifiziertes Personal, Verträge, Rechte, Maschinen, Prozesse, Rohstoffe und Kapital. Wettbewerbsvorteile ergeben sich daraus aber nur, wenn sich die Unternehmen entweder in der Ressourcenausstattung oder in der Ressourcennutzung unterscheiden (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 173). Das Ziel der Unternehmensanalyse besteht somit darin, die Ressourcenausstattung und Ressourcennutzung im Unternehmen zu analysieren, um hierauf aufbauend mögliche Ansatzpunkte für Wettbewerbsvorteile zu identifizieren. Für die interne Analyse von Ressourcen werden folgende Ansätze angewandt: • Die Wertkettenanalyse als Instrument zur umfassenden Analyse von Ressourcen innerhalb eines Unternehmens oder Geschäftsbereichs (Abschn. 6.5.2.1) • Der VIRO-Rahmen zur Bewertung von spezifischen Ressourcen und Fähigkeiten (Abschn. 6.5.2.2) • Die strategische Produktanalyse zur Bewertung des eigenen Produktportfolios (Abschn. 6.5.2.3) • Das Benchmarking zur Identifikation von Unterschieden zum Wettbewerb und zum Aufzeigen von Verbesserungspotenzialen (Abschn. 6.5.2.4)

6.5.2 Methoden der Unternehmensanalyse 6.5.2.1 Wertkettenanalyse Ein zentrales Instrument zur Analyse der Fähigkeiten bzw. Kernkompetenzen eines Unternehmens ist die von Porter (2014, S. 61 ff.) entwickelte Wertkette (engl. Value Chain). Die Wertkette stellt die Ressourcen des Unternehmens mit der Wertschöpfung in einen Zusam-

6.5 Unternehmensanalyse

153

Unternehmensinfrastruktur Unterstützende Aktivitäten

Personalwirtschaft Technologieentwicklung Beschaffung

Eingangslogistik

Produktion

Marketing & Vertrieb

Ausgangslogistik

Kundendienst

Primäre Aktivitäten

Abb. 6.28  Wertkette nach Porter. (Quelle: In Anlehnung an Porter, 2014, S. 64)

menhang, um systematisch Stärken und Schwächen eines Unternehmens und letztlich die internen Quellen von Wettbewerbsvorteilen zu analysieren. Die Analyse bezieht sich sowohl auf Kosten- als auch auf Differenzierungsvorteile. Der Grundgedanke dieses Modells besteht darin, die Kosten und das Ausmaß der Wertgenerierung eines Unternehmens seinen Unternehmensbereichen bzw. -aktivitäten zuzuordnen. Hierfür wird ein Unternehmen in neun verschiedene Prozessbereiche unterteilt: in fünf Primäraktivitäten zur Leistungserstellung und zum Leistungsabsatz und in vier Unterstützungsaktivitäten (vgl. Abb. 6.28). Generelles Ziel ist die Ermittlung des Werts, der durch ein Unternehmen beim Kunden geschaffen wird. Hierfür wird jeder Prozessbereich einzeln hinsichtlich seiner Kostenanteile und seiner Wertbeiträge für die Produkte bzw. Services des Unternehmens untersucht. Diese Analyse macht Kosten- oder Differenzierungsvorteile kenntlich und nutzbar. Sie ermöglicht Maßnahmen, um die einzelnen Aktivitäten und ihr Zusammenwirken zu verbessern. Damit sollen Kosten gesenkt oder es soll ein höherer Wert für den Kunden geschaffen werden. Die Analyseergebnisse können im Sinne des ressourcenbasierten Ansatzes genutzt werden, um aus den Eigenschaften des Unternehmens eine geeignete Marketingstrategie zu entwickeln (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 190). Dies erfolgt in folgenden Schritten: • Schritt 1: Definition der Wertkette Die Wertkette bezieht sich i. d. R. auf Aktivitäten, die zu einem konkreten Kundenangebot (Produkt, Service) führen. Für jedes der neun Felder im Modell der Wertkette sind die wichtigsten Unteraktivitäten zu ermitteln. • Schritt 2: Kosten, Umlauf- und Anlagevermögen zuordnen Für die im Schritt 1 ermittelten Aktivitäten werden nun die Kosten ermittelt, bspw. mittels Prozesskostenrechnung. Zusätzlich können den einzelnen Aktivitäten Anlage-

154









6  Analyse der Mikroumwelt

und Umlaufvermögensbestandteile zugeordnet werden, um die Rendite und Unternehmenswertbeiträge zu erkennen. Schritt 3: Kostenanalyse in der Wertkette Die Kosten werden im Hinblick auf Kostentreiber und mögliche Wechselwirkungen zu anderen Aktivitäten und Wertketten analysiert. Schritt 4: Differenzierungsanalyse in der Wertkette Für die einzelnen Aktivitäten werden vorhandene oder mögliche Differenzierungstreiber ermittelt. Die Differenzierung muss sich stets am Kundennutzen orientieren und kann sich aus der Leistung des Produkts für den Kunden, den Gesamtkosten für das Produkt über den Lebenszyklus hinweg, den Produktrisiken, der Beziehung zwischen Kunde und Lieferant und der Produktanmutung zusammensetzen (vgl. Welge et al., 2017). Schritt 5: Vergleich mit Wertketten der Wettbewerber Durch einen Vergleich mit der Wertkette von Konkurrenten kann das Unternehmen ermitteln, wie sich die Wertketten ihrer Struktur und Verknüpfung nach unterscheiden, wie die Konkurrenten die Kostenantriebskräfte nutzen und wie sich dies auf die Kosten einzelner Aktivitäten, die Wertkette insgesamt und den Gewinn auswirkt (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 196). In diesem Zusammenhang wird auch ermittelt, bei welchen Aktivitäten sich die Wettbewerber differenzieren und wie sich dies auf die Kosten auswirkt. Weil Informationen über die Wertkette von Konkurrenten meist nur begrenzt zugänglich sind, werden oft Schätzungen vorgenommen – z. B. können die Kosten der Aktivität „Produktion“ über die Zahl der Beschäftigten, die verwendete Technologie, die Fertigungstiefe sowie die Produktionsmenge und Umsatzzahlen abgeschätzt werden (vgl. Abschn. 6.5.2.4). Schritt 6: Strategie ableiten Die Ergebnisse der Wertkettenanalyse lassen sich zur Entwicklung bzw. Wahl einer generischen Strategie nutzen. Dies wird in Kap. 8 in Teil III ausführlich erläutert.

Das Konzept der Wertkette liefert zur Analyse von Ressourcen lediglich ein grobes Gerüst und dient als Strukturierungshilfe. In der praktischen Anwendung bestehen Herausforderungen vor allem hinsichtlich der Operationalisierung (insb. der Kostenzuordnung), des hohen Aggregationsniveaus sowie der Zerlegbarkeit der einzelnen Aktivitäten innerhalb eines Unternehmens. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich auf vielen B2B-Märkten Wettbewerbsvorteile nicht mehr auf einer Wertschöpfungsstufe durch ein Unternehmen alleine erzielen lassen. Die Wertketten eines B2B-Unternehmens sind verbunden mit den Wertketten der Lieferanten, denen der Kunden und teilweise mit denen der Kunden der Kunden. Die verschiedenen Wertketten eines Unternehmens bilden so ein Wertsystem. Somit ist eine unternehmensübergreifende Wertkettenoptimierung im gesamten Wertsystem notwendig (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 146). Ein solches Wertsystem wird im industriellen Umfeld auch als Industriewertkette bezeichnet (vgl. Abschn. 6.2.5). Im Zuge der Digitalisierung gewinnen Daten sowie die daraus gewonnenen Informationen für viele Unternehmen immer mehr an Bedeutung. So verändern smarte, vernetzte Produkte den Wettbewerb und die internen Unternehmensstrukturen (vgl. Porter & Hep-

6.5 Unternehmensanalyse

155

pelmann, 2014, 2015). Unternehmensintern entstehen neue zentrale Aktivitäten, wie z. B. ein einheitliches Management und eine einheitliche Organisation der Daten, die Integration der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen und deren Herstellung bzw. Bereitstellung (was nicht mehr voneinander zu trennen ist) sowie ein Kundenerfolgsmanagement (Marketing, Verkauf, Service und Support) (vgl. Porter & Heppelmann, 2015; Paul & Wollny, 2020, S. 191).

6.5.2.2 VIRO-Rahmen Der VIRO-Rahmen dient dazu, interne Faktoren (Ressourcen und Fähigkeiten) zu identifizieren, auf welchen ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil aufgebaut werden kann. Die Bezeichnung VIRO bezieht sich auf die Anfangsbuchstaben der vier zentralen Beurteilungskriterien für Ressourcen (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 178): • • • •

Wert aus Kundensicht (Value) Imitierbarkeit durch die Wettbewerber (Imitability) Seltenheit (Rareness) Nutzbarkeit durch das eigene Unternehmen (Organization)

In Abb. 6.29 ist ein Bewertungsschema des VIRO-Rahmens dargestellt. Die Kriterien werden darin lediglich als zutreffend bzw. nicht zutreffend markiert. Sind alle vier Kriterien erfüllt, besteht für das Unternehmen eine nachhaltige Stärke oder „Distinctive Competency“, die dem Unternehmen längerfristig einen deutlichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen kann (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 178). Je nachdem, welche Kriterien des VIRO-Rahmens erfüllt werden, ergeben sich so Implikationen für B2B-Marketing und Vertrieb. Ressource A

Wert

Seltenheit

Imitierbarkeit

Organisation

Kommentar Standardressource der Branche

B

Kein dauerhafter Wettbewerbsvorteil ableitbar, schnelles Aufholen der Konkurrenz zu erwarten

C

Derzeit nicht nutzbar: Ist eine Veränderung der Organisation möglich? Was ist für die Nutzung der Ressource notwendig?

D

Grundlage für langfristige Wettbewerbsvorteile, muss in den Strategieoptionen berücksichtigt werden

E

Neue Geschäftsfelder, Geschäftsmodelle oder Kunden suchen, bei denen die Ressource Wertschaffung ermöglicht

F

Offensichtlich wertlose Ressource – nicht weiter in sie investieren

Abb. 6.29  VIRO-Bewertung und Schlussfolgerungen. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2020, S. 179)

156

6  Analyse der Mikroumwelt

Für die praktische Anwendung empfiehlt sich ein Vorgehen anhand der folgenden drei Schritte (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 176–179): • Schritt 1: Zusammenstellung der Ressourcen und Fähigkeiten Im ersten Schritt werden die Ressourcen und Fähigkeiten zusammengestellt, die im Unternehmen vorliegen und relevant sind. Hierbei ist darauf zu achten, dass diese ­möglichst präzise definiert (d. h. abgegrenzt), im Unternehmen lokalisiert (Welche Abteilung/Funktion/Bereich/…) und möglichst quantitativ belegbar sind. • Schritt 2: Bewertung anhand der vier VIRO-Kriterien 1. Analyse des Werts (Value) Die Bedeutung und damit der Wert einer Ressource ergibt sich aus ihrer Bedeutung für den Kunden. Dieser Wert kann in geringeren Kosten, in einer besseren Qualität der Leistung (Produkt bzw. Service) oder der Art der Produktbereitstellung liegen – es muss also ein Wettbewerbsvorteil ableitbar sein. Da sich Kundenpräferenzen und -bedürfnisse verändern (z. B. aufgrund von technologischen oder rechtlichen Veränderungen in der Umwelt), kann der Wert nicht statisch gesehen werden. Vielmehr unterliegt er stetigen Veränderungen und es bedarf daher einer regelmäßigen Überprüfung der Kundenbedürfnisse. Der Wert wird des Weiteren durch dessen Dauerhaftigkeit bestimmt. So haben bspw. Patente nur eine begrenzte Laufzeit und nach Auslaufen des Patents geht auch dessen Wert verloren. 2. Analyse der Imitierbarkeit (Imitability) Die Imitierbarkeit geht der Frage nach, ob und zu welchen Kosten die Wettbewerber die Ressource kopieren können. Unternehmen können sich vor Imitation bspw. durch Eigentumsrechte, hohe Lern- und Entwicklungskosten oder eine Intransparenz darüber, worauf die besondere Ressource bzw. Fähigkeit eines Unternehmens beruht, schützen. So besteht bspw. die zentrale Ressource von Google oder Facebook in deren unbekannten Algorithmen. Je höher die Kosten des Erwerbs sind oder je länger es dauert, die Ressource selbst aufzubauen, desto schwerer ist es, sie nachzuahmen. Dies gilt vor allem für komplexe soziale Ressourcen wie Wissensnetzwerke oder sehr gut eingespielte Arbeitsabläufe und Organisationen. 3. Analyse der Seltenheit (Rareness) Ob ein Wettbewerbsvorteil erzielt werden kann, ist davon abhängig, ob die dafür benötigte Ressource selten ist. Wenn jeder Wettbewerber über die Ressource verfügt, lässt sich daraus kein Wettbewerbsvorteil erzielen. Wenn die Ressource jedoch selten ist und damit nicht ohne Weiteres für jeden Wettbewerber aufbaubar ist, kann daraus ein Wettbewerbsvorteil entwickelt werden. Somit sind die Wettbewerber daraufhin zu überprüfen, ob sie ebenfalls über die identifizierten Ressourcen und Fähigkeiten verfügen. Hierfür kann z.  B. auf Geschäftsberichte, Medienberichte, Branchenanalyen oder Informationen der Kunden zurückgegriffen werden. Auch ist es möglich, die Produkte der Wettbewerber zu analysieren. So werden bspw. in der chemischen Industrie Wettbewerbsprodukte hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung analysiert, um so Rückschlüsse auf Ressourcen bzw. Kompetenzen des Wettbewerbs zu ziehen.

6.5 Unternehmensanalyse

157

4. Analyse der Nutzbarkeit (Organization) Ein Unternehmen muss entsprechend organisiert sein, um eine Ressource nutzen zu können. Im Rahmen der Analyse ist daher die Frage zu beantworten, ob die Organisation in der Lage ist, die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten umfassend zu nutzen. So müssen z.  B. die Informations-, Entscheidungs-, Berichts- und ­Kontrollsysteme auf die Nutzung der Ressource zugeschnitten sein oder dürfen deren Nutzung zumindest nicht erschweren. Die Organisationsstruktur, die Managementsysteme sowie die Anreizsysteme innerhalb des Unternehmens spielen ebenfalls eine wichtige Rolle hinsichtlich der Nutzbarkeit. Schwerer und nur langfristig zu beeinflussen ist die Unternehmenskultur, wenn sie der Nutzung bestimmter Ressourcen im Wege steht. Als Informationsquellen für die Wettbewerbsbeurteilung dienen auch hier Geschäftsberichte, Medienberichte, Branchenanalyen oder Informationen der Kunden. • Schritt 3: Gesamtbewertung und Interpretation Die Ergebnisse der einzelnen Analyseschritte können in einer Tabelle zusammengetragen werden. Ein Beispiel für ein solches Ergebnis ist in Abb. 6.30 zu sehen. Hier werden die Ressourcen der Advanced Risc Machines (ARM), eines britischen Mikroprozessortechnologie-­Anbieters, analysiert (ARM, 2020; vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 180). ARM bietet stromsparende Prozessoren für mobile Geräte in einem Geschäftsmodell mit Lizenzierung, kundenspezifischem Design und ohne eigene Produktion an. Aus der VIRO-Analyse lässt sich ablesen, dass die Technologieplattform und das Wissen der Mitarbeiter langfristig die entscheidenden Ressourcen sind. Alle anderen Ressourcen können zumindest mittel- und langfristig von Wettbewerbern erworben, aufgebaut oder imitiert werden. Ressource

Wert

Seltenheit Imitierbarkeit

Standorte UNI/ IT-Cluster

Nützlich, aber nicht selten und imitierbar

( )

( )

Wissenspotenzial der Mitarbeiter Know-how und Management für kurze Entwicklungszeiten Unternehmenskultur

Teamarbeit

Nur langfristig aufzubauen, Branche verfügt über Standards, spezifisch für das Geschäftsmodell 1.100 von 1.700 Mitarbeitern in F&E tätig Braucht Zeit zum Aufbau, hängt stark mit einer besonderen Unternehmenskultur zusammen

( ) ( )

Personalmanagement Lizenzmodell für langfristige Erträge

Kommentar Stromsparend und kostengünstig für mobile Geräte, eingeführte Technologie außer für PC

Technologieplattform RISC

Kooperation mit 230 Halbleiterherstellern

Organisation

Braucht Zeit zur Entwicklung und Veränderung abhängig von Unternehmensgröße Teilweise Wissen in forschungsintensiven Branchen, grundsätzlich imitierbar

( )

Langwieriger Lern- und Entwicklungsprozess 700 Lizenzen, sichert langfristig Erträge, spezifisch für Geschäftsmodell

Abb. 6.30  VIRO-Bewertung der Ressourcen am Beispiel der ARM. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2020, S. 179)

158

6  Analyse der Mikroumwelt

Kritik am VIRO-Rahmen Die VIRO-Analyse ermöglicht eine erste Systematisierung von Ressourcen und Fähigkeiten in einem Unternehmen. So lassen sich bereits erreichte Wettbewerbsvorteile gut erklären. Die Frage, welche Ressourcen und Fähigkeiten notwendig sind, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen lässt sich jedoch mit der VIRO-Analyse nicht beantworten. Auch ist kritisch anzumerken, dass die Bewertung der Ressourcen und Fähigkeiten mangels objektiver Größen häufig sehr subjektiv erfolgt. Insbesondere die Einschätzung der eigenen Organisation zur Nutzbarkeit vorhandener Ressourcen wird in der Praxis unter der gewöhnlich vorhandenen Betriebsblindheit leiden – das Management hat Schwierigkeiten, Unzulänglichkeiten in der Organisation und Unternehmenskultur zu erkennen und zu beseitigen. So sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren.

6.5.2.3 Strategische Produktanalyse Das Ziel der strategischen Produktanalyse besteht in der Überprüfung des Status quo des aktuellen Produktportfolios (vgl. Pufahl, 2015; Kühnapfel, 2017). Betrachtet werden hierbei einerseits der Erfolg der Produkte und andererseits die Struktur des Produktportfolios. Durch die Analyse werden strategische Chancen, aber auch strategische Lücken im Produktportfolio offengelegt, welche die Ausgangsbasis für Planungsentscheidungen über die Entwicklungs- und Innovationspipeline oder auch über Portfoliobereinigungen bilden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 144). Methoden der strategischen Produktanalyse lassen sich im Wesentlichen in zwei Analysebereiche einteilen: Erfolgsanalyse und Strukturanalyse. Methoden der Erfolgsanalyse gehen im Wesentlichen der Frage nach, mit welchen Produkten das Unternehmen wo wie erfolgreich ist. Die Methoden der Strukturanalyse analysieren die Produkte und das Portfolio eher hinsichtlich struktureller Aspekte, wie der Phase im Lebenszyklus, Beitrag zum Gesamtumsatz bzw. -gewinn und zukünftigen Erfolgschancen. In Abb. 6.31 werden die beiden Analysebereiche mit weiteren Fragestellungen sowie passenden Analysemethoden zusammenfassend dargestellt. Für eine ausführliche Analyse der Methoden wird an dieser Stelle auf Scheed und Scherer (2021, S. 145–154) verwiesen. 6.5.2.4 Benchmarking Benchmarking ist ein systematisches, standardisiertes Vorgehen zum unternehmensinternen oder -externen Leistungsvergleich von Technologien, Prozessen, Dienstleistungen und Produkten. Der höchste Leistungsstandard und die ihm zugrunde liegenden Methoden werden häufig als Best Practice bezeichnet (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 149). Es geht dabei nicht darum, lediglich die Strategien (vgl. Strategieprofilanalyse Abschn.  6.4.2.3.1) und Leistungsprofile (Leistungsprofilanalyse Abschn. 6.4.2.3.2) zu vergleichen. Vielmehr erfolgt im Rahmen des Benchmarkings die Analyse auf einer detaillierteren Ebene, um Unterschiede und Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Ziel für ein Unternehmen ist es dabei, seine Leistungen durch Orientierung an den jeweiligen Bestleistungen innerhalb oder auch außerhalb der Branche zu verbessern (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 141). Die Ergebnisse liefern darüber hinaus die Bewertungsmaßstäbe für die Wertkettenanalyse (vgl. Abschn. 6.5.2.1).

6.5 Unternehmensanalyse Analysebereich

159

Fragestellungen

Methoden

Erfolgsanalyse

• Auf welchen Märkten und bei welchen Kunden waren meine Leistungen wie erfolgreich? • Welche meiner Produkte und Dienstleistungen sind profitabel, welche nicht? • Welchen Beitrag liefert ein Produkt zum Gesamterfolg?

• •

Produkt-Markt-Analyse ABC-Analyse (nach Produkten)

• • • •

Lebenszyklusanalyse Gap-Analyse Programmstrukturanalyse Produktportfolioanalyse

Strukturanalyse

• Wie lange ist der durchschnittliche Lebenszyklus meiner Produkte und Dienstleistungen? • In welcher Lebenszyklusphase befinden sich meine Produkte und Dienstleistungen? • Welchen zukünftigen Umsatz kann ich mit meinem aktuellen Produktportfolio noch generieren? • Wie viel Prozent meines Umsatzes mache ich mit Produkten und Dienstleistungen, die jünger als drei, fünf oder zehn Jahre sind? • Wie alt sind meine Hauptumsatzträger? Werden diese bald wegfallen? • Welche Elemente meines Produktportfolios werden den zukünftigen Markterfolg meines Unternehmens prägen? • Welche Produkte werden durch die zunehmende Digitalisierung obsolet werden?

Abb. 6.31  Methoden der strategischen Produktanalyse. (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 144–145)

Das Instrument des Benchmarkings liefert handlungs- und umsetzungsorientierte Ansätze zur Verbesserung der Wettbewerbsposition. Basierend auf Benchmarking-­ Untersuchungen können die besten verfügbaren Problemlösungen ermittelt werden (vgl. Paul & Wollny, 2020, S.  150). Beispielhafte Untersuchungsbereiche sind im Praxisbeispiel „Industriebenchmarking des Fraunhofer ISI“ dargestellt. Aus dem Vergleich der eigenen Lösung mit der identifizierten besten Problemlösung folgen eine genaue Definition der Leistungslücke und die Entwicklung von wettbewerbsorientierten Zielvorgaben (bspw. für die Wertkettenanalyse, vgl. Abschn. 6.5.2.1). Wenn es Unternehmen gelingt, die genauen Gründe für die bessere Leistung der Vergleichspartner zu erkennen, werden Lerneffekte möglich. Unternehmen können darauf aufbauend Methoden im einfachsten Fall übernehmen. Es geht jedoch häufig nicht darum, den jeweils Klassenbesten einfach zu kopieren, sondern die Anstöße aus den anderen Unternehmen als Ausgangspunkt für eine unternehmensspezifische kreative Weiterentwicklung zu nutzen. In den allermeisten Fällen müssen die gefundenen Methoden daher an die Situation und die spezifische Problemstellung im eigenen Unternehmen angepasst werden. Eine zentrale Frage im Rahmen einer Benchmarking-Untersuchung ist die Wahl des geeigneten Vergleichsobjekts. Hierbei wird zwischen unternehmensinternem und unternehmensexternem (branchenbezogen, funktional oder generisch) Benchmarking unterschieden. Je nach Vergleichsobjekt lassen sich unterschiedliche Typen von Benchmarking unterscheiden (vgl. Tab. 6.6). Generisches Benchmarking wird in jedem Unternehmen durchgeführt (vgl. Camp, 2006), da es sich hierbei um Standardprozesse, wie bspw. Bestellungen oder Abrechnungen, handelt. Standard-Geschäftsprozesse dieser Art werden zunehmend durch Unternehmenssoftware (bspw. SAP) abgebildet. Die Aufgabe der Ermittlung der Benchmarks und

160

6  Analyse der Mikroumwelt

Tab. 6.6  Typen von Benchmarking. (Quelle: In Anlehnung an Paul & Wollny, 2020, S.  150; Camp, 2006) Arten des Benchmarkings Vergleich von

Intern Standorte, Filialen, Geschäftsbereiche oder Abteilungen des eigenen Unternehmens Einfach

Ermittlung der Vergleichspartner Datenermittlung

Einfach

Übertragbarkeit

Hoch

VerbesserungspoGering tenzial Wettbewerbsvorteile Gering/mittel

Branchenbezogen Unmittelbaren Wettbewerbern oder der gesamten Branche Einfach Wegen Konkurrenz problematisch Hoch Mittel Mittel (Orientierung am Best in Class)

Funktional Verschiedene Branchen mit gleichen Verfahren und Prozessen Aufwendiger

Generisch Anderen Branchen mit ähnlichen Abläufen Aufwendiger

Andere Messgrößen und Denkweisen Anpassung erforderlich Hoch

In der Regel Standardprozesse Anpassung erforderlich Hoch

Hoch

Gering/mittel (da Standardprozesse)

der besten Methoden für diese Prozesse geht damit teilweise an die Softwarelieferanten bzw. auf deren Anwendungsberater über (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 151). Branchenbezogenes und funktionales Benchmarking findet unternehmensextern statt. Hierbei wird von Unternehmen der eigenen Branche oder einer anderen Branche gelernt. Bei diesen Formen des Benchmarkings wird daher nochmal zwischen kooperativem und nicht-kooperativem Benchmarking unterschieden. Während das kooperative Benchmarking durch eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen erfolgt, ist diese Art der Zusammenarbeit beim nicht-kooperativen Benchmarking z. B. aufgrund der direkten Konkurrenzbeziehung nicht erwünscht. In diesem Fall müssen Informationen und Daten dann anderweitig beschafft werden. Kooperatives Benchmarking (zwischen direkten Konkurrenten) wird aber oft mithilfe von Benchmarking-Agenturen oder Unternehmensberatern durchgeführt, die für ein Filtern und Anonymisieren der Informationen sorgen und somit sensible Daten schützen (vgl. das folgende Beispiel „Industriebenchmarking des Fraunhofer ISI“). Praxisbeispiel: Industriebenchmarking des Fraunhofer ISI

Mit dem Benchmarking-Portal des Fraunhofer ISI können Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes ihre Innovations- und Modernisierungsstrategie sowie ihre Leistungsfähigkeit mit anderen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes vergleichen. Anhand sechs verschiedener Benchmarking-Module können Unternehmen Optimierungsbedarfe erkennen, umsetzen und so die eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Untersuchungsbereiche in Form von Benchmarking-Modulen:

6.5 Unternehmensanalyse

161

Performance: Mit aktuellen Performance-Kennzahlen von rund 1300 produzierenden Betrieben können Unternehmen aufschlussreiche Benchmarks ermitteln. Grundlage ist die repräsentative Erhebung „Modernisierung der Produktion 2015“ des deutschen Verarbeitenden Gewerbes. Das Performance-Benchmark ermöglicht nicht nur allgemeine Vergleiche, vielmehr bietet es die Auswahl maßgeschneiderter Vergleichsgruppen anhand von Unternehmensgröße und Produktionsmerkmalen. Wandlungsfähigkeit: Die Flexibilität und Wandlungsfähigkeit der eigenen Produktion wird in Zeiten eines globalisierten Wettbewerbs, sich ständig ändernder Kundenanforderungen sowie immer häufiger und drastischer auftretender, gesamtwirtschaftlicher Krisensituationen zu einem Wettbewerbsvorteil und damit auch zu einer Voraussetzung für die langfristige Existenzsicherung. Mit dem Fraunhofer ISI Benchmark Wandlungsfähigkeit haben Unternehmen die Möglichkeit, auf Grundlage quantitativer Daten die Aufstellung des Betriebes diesbezüglich zu überprüfen und darüber hinaus auch in den wettbewerblichen Kontext einzuordnen. Flexibilität und Stabilität: Mit dem Fraunhofer ISI Flexibilitäts- und Stabilitäts-­ Benchmark haben Unternehmen die Möglichkeit, auf Grundlage quantitativer Daten die Aufstellung des Betriebes diesbezüglich zu überprüfen und darüber hinaus auch in den wettbewerblichen Kontext einzuordnen. Readiness I 4.0: Mit dem Fraunhofer ISI Benchmark Readiness I 4.0 haben Unternehmen die Möglichkeit, die derzeitige Aufstellung ihres Betriebes bzgl. der Industrie 4.0 mit der Unternehmens-Vergleichsgruppe zu überprüfen. Unternehmen haben so die Chance, die I4.0-Stärken im Vergleich zu erkennen und noch brachliegende Potenziale zu identifizieren. Energieeffizienz: Mit dem Fraunhofer ISI Benchmark Energieeffizienz haben Unternehmen die Möglichkeit, die derzeitige Aufstellung des Betriebs hinsichtlich der Verbesserung der Energieeffizienz in technischer und organisatorischer Hinsicht systematisch zu prüfen und sich mit anderen nicht-energieintensiven Betrieben zu vergleichen. Digitale Unternehmenskultur: Das Fraunhofer ISI Benchmark Digitale Unternehmenskultur liefert schnell und einfach einen Überblick, wie gut der Betrieb bereits heute im Vergleich zu ähnlichen Betrieben auf die Herausforderungen der digitalen Transformation vorbereitet ist. Es empfiehlt sich, zusätzlich zu diesem Benchmark zur digitalen Kultur ergänzend auch das Benchmark „Readiness I 4.0“ zur Entwicklung des Unternehmens hin zu den technischen Grundlagen der Industrie 4.0 zu nutzen. Quelle: Fraunhofer ISI (2022) ◄

6.5.3 Integrative komparative Analyseinstrumente 6.5.3.1 Industriekostenkurve Die Industriekostenkurve untersucht die Stückkosten der verschiedenen Anbieter und deren Produktionskapazitäten (vgl. Paul & Wollny, 2020, S.  132). Sie ist eine Form der

162

6  Analyse der Mikroumwelt

Marktangebotskurve, die die verfügbare Lieferkapazität aller Hersteller im Markt mit dem entsprechenden Niveau der dafür anfallenden Produktionskosten abbildet. Mit ihrer Hilfe können Auswirkungen von Nachfrage-, Kapazitäts-, Kosten- und Preisveränderungen auf den Marktpreis und die Gewinnsituation der Hersteller abgeschätzt werden, wodurch strategische Optionen besser bewertet werden können. Die Industriekostenkurve zeigt den Spielraum auf, den ein Unternehmen in Bezug auf Kostenvorteile hat, und gibt Auskunft darüber, welcher Zielwert zur Kostenoptimierung durch Prozessverbesserungen oder neue Technologien gesetzt werden muss. Die Industriekostenkurve ermöglicht eine grundlegende Charakterisierung der Wettbewerbsstruktur. So wird direkt ersichtlich, ob es sich um einen konsolidierten Markt handelt, ob ein Oligopol existiert oder ob es einen Marktführer gibt (vgl. Eisermann & Wolf, 2007; Paul & Wollny, 2020, S. 133). Um Industriekostenkurven erstellen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: • Die Industriekostenkurve kann nur sinnvoll für homogene Produkte (Commodities) angewendet werden. Das heißt, der Preiswettbewerb wird nicht durch subjektive Faktoren wie Produktdifferenzierung oder Markenloyalität beeinflusst. Das bedeutet, es handelt sich um Branchen mit hohem Kostendruck (vgl. Hungenberg, 2014). Beispiele hierfür sind Rohstoffe, Vor- und Zwischenprodukte wie Metalle für die Industrie, Kunststoffe, Textilfasern oder Chemikalien. • Die Analyse bezieht sich auf eine bestimmte Region und umfasst alle Produktionsstätten, die darin enthalten sind. • Alle Lieferanten produzieren zu minimalen Kosten und nutzen ihre Kapazitäten bis zur Sättigung der Nachfrage voll aus (wenn nicht: Ausstieg aus dem Markt). • Gilt für alle Marktteilnehmer ein Marktpreis, wird die Nachfrage grundsätzlich durch die Hersteller gedeckt, deren Stückkosten geringer sind als der Marktpreis. • Anzuwendende Kosten: Um den langfristigen Marktpreis zu analysieren, müssen in der Analyse die Gesamtkosten für den Kunden betrachtet werden. Die Industriekostenkurve wird in vier Schritten erstellt (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 133): Schritt 1: Hersteller und deren Produktionskapazitäten ermitteln Die Hersteller und deren Produktionskapazitäten werden aus Branchenanalysen, Berichten der Wettbewerber oder der Anlagenbauer ermittelt. Zusätzlich können für detailliertere Betrachtungen Informationen über die Standorte, die verwendeten Technologien, Einsatzstoffe und die Kapazitäten der Einzelanlagen erfasst werden. Große Unternehmen habe hierfür eigene Abteilungen, die regelmäßig sogenannte Technology-Benchmarkings durchführen. Schritt 2: Bestimmung der Produktionsstückkosten Die Produktionsstückkosten können auf unterschiedliche Weise ermittelt werden (vgl. Paul & Wollny, 2020, S. 133–134):

6.5 Unternehmensanalyse

163

• Aus Angaben der Hersteller oder einer Abschätzung über deren veröffentlichte Gewinn-­ und-­Verlust-Rechnung. • Bei großen Technologieunterschieden: Über die verwendete Produktionstechnologie und die dazu veröffentlichten Daten oder Angaben der Anlagenhersteller. • Bei gleicher/ähnlicher Technologie: Die Herstellkosten können durch einen Vergleich mit den bekannten Kosten einer anderen Anlage und Berücksichtigung von Skaleneffekten bei Größenunterschieden zwischen den Anlagen abgeschätzt werden. Für Herstellkosten (ohne Material) kann z. B. folgende Formel verwendet werden (vgl. Bronner, 2008, S. 21 ff.): µ



M  k= kf1 ⋅ 2  f2  M1  mit kf1, kf2 = Herstellkosten Fabrikat 1 bzw. 2 M1; M2 = Kapazität Fabrikat 1 bzw. 2 μ = Kostendegressionskoeffizient, typischer Wert 0,3

Wenn ein Hersteller mehrere Anlagen betreibt, müssen diese getrennt behandelt werden. Zudem ist in vielen Branchen zu beachten, dass ab einer bestimmten Produktionsmenge eine Grenze der Kostendegression erreicht wird. • Durch die Analyse der einzelnen Kostenfaktoren (Herstellkosten: Abschreibung, Kapitalkosten, Personal, Energie, Rohstoffe etc.; übrige Kosten: F&E, Vertrieb und Zen­ tralkosten). Für genauere Analysen müssen auf einen Markt bezogen zusätzlich die für die externen Hersteller anfallenden Transportkosten und Zölle berücksichtigt und zu den Herstellkosten addiert werden. Wichtig ist, dass die Abgrenzung der Herstellkosten für alle Wettbewerber in gleicher Weise erfolgt. Schritt 3: Grafische Darstellung Alle Produktionsanlagen werden aufgelistet und dabei nach den Selbstkosten pro Produkt­ einheit aufsteigend sortiert. Des Weiteren werden die Kapazitäten der Anlagen in der Liste kumuliert. Zur Veranschaulichung werden die Produktionsanlagen, ihre Produktionsmengen und die Stückkosten in einem Diagramm abgebildet, der sogenannten Indus­ triekostenkurve. Auf der x-Achse werden die kumulierten Kapazitäten (Produktionsmenge) und auf der y-Achse die Stückkosten aufgetragen. Im exemplarischen Markt für standardisierte Schrauben besteht eine Gesamtnachfrage von 60.000 Tonnen. Es gibt fünf Schraubenhersteller, welche unterschiedliche Mengen zu unterschiedlichen Selbstkosten herstellen (vgl. Abb. 6.32).

164

6  Analyse der Mikroumwelt

Marktnachfrage

Stückkosten in €/Tonne

60

Marktpreis

50

Gewinn

40

E

30

D

20 10

A 10

C

B

20

30

40

50

60

70

80

Produktionsmenge in Tonnen Abb. 6.32  Beispielhafte Industriekostenkurve

Schritt 4: Interpretation Es wird davon ausgegangen, dass jede Produktionsanlage bis zur Kapazitätsgrenze produziert, solange der Marktpreis höher ist als die Selbstkosten. Der Anbieter, der mit seinen Selbstkosten gerade noch produziert, damit die gesamte Marktnachfrage gedeckt wird (also der Anbieter an der Nachfragegrenze), wird Grenzanbieter genannt. In der Abb. 6.32 ist dies der Hersteller C. Der Marktpreis wird sich leicht unterhalb der Kosten desjenigen Anbieters einpendeln, der gerade nicht mehr benötigt wird, um die derzeitige Nachfrage zu befriedigen (hier D). Die Anbieter mit den Produktionsanlagen A und B produzieren bei vollständiger Kapazitätsauslastung, der Anbieter C nutzt seine Kapazität nur teilweise aus. Die Produktionsanlagen D und E produzieren nicht, weil ihre Stückkosten höher als der Marktpreis sind. Aus der Grafik lässt sich durch Eintragen des Marktpreises die Gewinnsituation bezogen auf die einzelnen Kapazitäten als Differenz zwischen Marktpreis und Selbstkosten bestimmen. Für das eigene Unternehmen wird die relative Kosten- und Gewinnposition im Verhältnis zur Konkurrenz deutlich erkennbar. Mit der Industriekostenkurve können die folgenden strategischen Entscheidungen unterstützt werden:

6.5 Unternehmensanalyse

165

• Identifizierung des Gleichgewichtspreises und des Grenzlieferanten • Die Industriekostenkurve ermöglicht Aussagen über das Marktverhalten bei Änderungen des Marktpreises. Steigt in diesem Beispiel der Preis auf 50 €, würde Anbieter D ebenfalls in die Produktion einsteigen. • Die Industriekostenkurve gibt Auskunft über Kapazitätsentscheidungen; hier ist die Kapazität eine wichtige Determinante für den Marktanteil. • Aussagen zu den Auswirkungen einer möglichen Reduzierung der Stückkosten von Wettbewerbern: Hier würde bspw. eine Reduktion der Stückkosten von Anbieter D unter den Marktpreis einen Markteintritt ermöglichen. • Die notwendige Kostentransparenz zur Bedienung globaler Märkte wird geschaffen durch einen Vergleich verschiedener internationaler Produktionsstandorte. Die Industriekostenkurve liefert besondere Orientierungshilfe durch das Durchspielen unterschiedlicher Wettbewerbsszenarien und deren Wirkungen auf die Wettbewerbssituation. Beispielsweise gibt die Industriekostenkurve Antwort auf folgende Fragen (vgl. Baum & Coenenberg, 2013, S. 145): • Was passiert, wenn ein Anbieter (z. B. der Kostenführer A) seine Kapazität ausweitet? In diesem Fall würde sich die Industriekostenkurve (Angebotskurve) nach rechts verschieben. Der Grenzanbieter scheidet aus dem Markt aus. Der Marktpreis passt sich den neuen Marktgegebenheiten an und sinkt auf das Niveau des neuen Grenzanbieters (im Beispiel in Abb. 6.32 Anbieter B). Das heißt, die teurere Produktion von Anbieter C wird aufgrund des Preismechanismus durch die billigere verdrängt. Das heißt aber auch, dass der Gewinn für alle Produzenten, die ihre Kapazität selbst nicht ausweiten (im Beispiel in Abb. 6.32 Anbieter B), sinken kann. Diese Kapazitätsstrategie findet in der Praxis bspw. Anwendung, um die Markteintrittsbarriere für neue Anbieter zu erhöhen bzw. die Attraktivität für neue Anbieter aufgrund des geringeren Preises zu reduzieren. • Was passiert, wenn ein Anbieter seine Kapazität reduziert? Wenn die Kapazitätsreduktion dazu führt, dass der aktuelle Grenzanbieter die Nachfrage nicht mehr decken kann, wird der Anbieter mit den nächsthöheren Stückkosten als der Grenzanbieter auf den Markt kommen und der Marktpreis pendelt sich auf dem neuen Niveau ein. Das Gewinnpotenzial wird für Anbieter mit unveränderten Kapazitäten steigen. • Was passiert, wenn der Marktpreis auf ein Niveau unterhalb der Kosten des Grenzanbieters fällt? Der Grenzanbieter muss mittel- bis langfristig seine Kapazitäten abbauen, wodurch ein Nachfrageüberhang entsteht. Dies führt wiederum dazu, dass der Preis wieder steigt. • Was passiert, wenn der Marktpreis über das Niveau des Grenzanbieters steigt? Der Anbieter mit den nächsthöheren Stückkosten wird auf den Markt kommen. Bei gleichzeitig konstanter Nachfrage kommt es dadurch zu Überkapazität und der Marktpreis wird wieder fallen.

166

6  Analyse der Mikroumwelt

Kritik am Konzept der Industriekostenkurve (vgl. Baum & Coenenberg, 2013, S.  145; Paul & Wollny, 2020, S. 135–136): . Die zahlreichen Annahmen des Konzepts stellen eine Schwäche dar. 1 2. Die Prämisse, dass ein größeres Angebot mit Stückkosten unterhalb des Marktpreises auch tatsächlich Käufer findet, ist kritisch zu hinterfragen. Bei einem Lieferantenwechsel spielen häufig neben dem Preis auch noch andere Faktoren (z. B. vertraglich vereinbarte Abnahmemengen, Logistikkonzepte …) eine Rolle bei der Kaufentscheidung. 3. Analyse eines Marktes mit heterogenen Gütern ist nicht möglich. 4. Kostenstrukturen und Kapazitäten aller Hersteller des Produktes müssen bekannt sein. 5. Preisflexibilität und darauf basierende Strategien werden nicht berücksichtigt. 6. Hypothesen zum Verhalten der Wettbewerber (insbesondere: Grenzlieferant) und über die zu erwartende Marktentwicklung müssen zumindest kritisch hinterfragt werden. Bei einem finanzstarken Grenzlieferanten wäre es z. B. möglich, dass er sich in einen Preiskampf begibt, indem er kurzfristig die Produkte unterhalb der Herstellungskosten anbietet, um die Rolle des Grenzlieferanten loszuwerden. Des Weiteren könnten Grenzlieferanten zu technischen Verbesserungen angespornt werden; wenn diese erfolgreich sind, könnten diese auch zu gravierenden Marktveränderungen führen.

6.5.3.2 Stärken-Schwächen-Analyse von Schlüsselerfolgsfaktoren Das Ziel der Stärken-Schwächen-Analyse besteht darin, im direkten Vergleich zu einem bzw. mehreren Wettbewerbern Stärken und Schwächen aufzuzeigen, um darauf aufbauend die Wettbewerbsposition und letztlich den Unternehmenserfolg verbessern zu können. Die Analyse bezieht sich dabei i. d. R. auf die sogenannten Schlüsselerfolgsfaktoren. Erfolgsfaktoren sind direkte Steuerungsgrößen für B2B-Marketing und Vertrieb und beeinflussen unmittelbar die Wettbewerbsposition eines B2B-Unternehmens oder einer Geschäftseinheit und damit den Erfolg der Marketingstrategie. Die Begriffe Schlüsselerfolgsfaktoren, strategische Erfolgsfaktoren oder kritische Erfolgsfaktoren werden in der Literatur häufig synonym benutzt. Meistens gibt es nicht einen singulären Schlüsselerfolgsfaktor, sondern eine Kombination von Faktoren mit unterschiedlicher Bedeutung und Wirkungsweise. Wenn es Unternehmen gelingt, bei diesen Schlüsselerfolgsfaktoren eine Stärke im Vergleich zum Wettbewerb aufzubauen, kann dies zu einem Wettbewerbsvorteil führen. Für die Stärken-Schwächen-Analyse gilt es demnach, zunächst die Schlüsselerfolgsfaktoren zu identifizieren. Mit Erfolgsfaktoren haben sich in der Vergangenheit unterschiedliche Strömungen in der Forschung auseinandergesetzt (vgl. die folgende Übersicht).

Strömungen in der Erfolgsfaktorenforschung

• Analytisch-deskriptive Modelle mit einem ausgeprägten heuristischen Charakter, wie z. B. die Erfahrungskurve (Kostendegression), aus welchen zwei wichtige Erfolgsfaktoren abgeleitet werden können, nämlich das Marktwachstum und der Marktanteil.

6.5 Unternehmensanalyse

167

• Auswertung von umfangreichen empirischen Untersuchungen und Daten, wie z. B. die PIMS-Studie (Profit Impact of Market Strategy). Ziel dieser Studie ist die branchenübergreifende Identifizierung der Faktoren, die den Erfolg eines Unternehmens, gemessen am ROI (Return on Investment) oder ROS (Return on Sales), bestimmen. Zum Beispiel wurde nachgewiesen, dass ein hoher relativer Marktanteil signifikant zur Rentabilität beiträgt (vgl. zu PIMS insbesondere Buzzell & Gale, 1987). • Durchführung von Studien, die das Erfahrungswissen von Unternehmen und Praktikern erfassen und systematisieren. Aus solchen Studien werden oft strategische Grundsätze abgeleitet. Die bekannteste Arbeit aus den 1980er-Jahren dürfte das 7-S-Konzept von Peters und Waterman (1982) sein. In den 1990er-­ Jahren ermittelten Collins und Porras (2004) die Erfolgsfaktoren der visionären Unternehmen. Simon (2012) analysierte die Schlüsselerfolgsfaktoren deutscher Mittelständler (Hidden Champions), die in Marktnischen Weltmarktführer wurden. Quellen: Fischer (1993), Welge et al. (2017), Paul & Wollny (2020, S. 163)

Diese Forschungsansätze geben einen guten ersten Überblick über den Ursprung von Schlüsselerfolgsfaktoren und erläutern die theoretischen Zusammenhänge. Aufgrund der unterschiedlichen technischen und wirtschaftlichen Charakteristika einer Branche und den in dieser Branche genutzten Wettbewerbsinstrumenten unterscheiden sich die Schlüsselerfolgsfaktoren von Branche zu Branche und Unternehmen zu Unternehmen. Aus diesem Grund gilt es, für jedes Unternehmen individuell die Erfolgsfaktoren zu bestimmen. Für die praktische Anwendung im B2B-Marketing eignen sich die folgenden beiden Verfahren (vgl. Grant, 2019): • Abgleich zwischen Kundenerwartungen und Ressourcen bzw. Fähigkeiten des Unternehmens • Rentabilitätsrechnung Die Informationsbasis für den Abgleich zwischen Kundenerwartungen und den unternehmenseigenen Ressourcen bzw. Fähigkeiten ergibt sich aus der Kundenanalyse (Abschn. 6.3) der Wettbewerbsanalyse (Abschn. 6.3.2.4) sowie der Unternehmensanalyse (Abschn. 6.5). Aus der Kundenanalyse ergeben sich die wichtigsten Kundenerwartungen (z. B. mittels Conjoint-Analyse). Um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, gilt es, diese Erwartungen besser zu erfüllen als der Wettbewerb. Daher sollte sich die Analyse der ­Stärken und Schwächen des Unternehmens insbesondere auf die Erfüllung dieser Kun­ denerwartungen beziehen. Die Bewertung der Faktoren kann im einfachen Fall auf einer Skala von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ erfolgen. Grafisch wird dies häufig über Profilver-

168

6  Analyse der Mikroumwelt - Niedrig / Schwach

+ Hoch / Sehr gut

Qualität Preis/Leistung Design Innovation Breite/Tiefe Leistungsspektrum Prestige/Produktimage Markentreue Kundennutzen Benutzerfreundlichkeit Service 1 Eigenes Unternehmen

2

3 ∅ Konkurrenz

Abb. 6.33  Beispiel: Leistungsprofilanalyse (Diagramm). (Quelle: In Anlehnung an Scheed & Scherer, 2021, S. 43)

gleiche dargestellt (Abb. 6.33). Um die unterschiedliche Bedeutung der Faktoren zu berücksichtigen (z. B. entsprechend der über die Conjoint-Analyse ermittelte relative Wichtigkeit), schlägt Plinke (1995, S. 72 f.) ein gewichtetes Scoring-Modell vor. Die Stärken-Schwächen-Analyse mittels Rentabilitätsrechnungen ermittelt die wichtigsten Faktoren, welche die relative Rentabilität eines Unternehmens in seiner Branche bestimmen. Die Gesamtrentabilität wird hierbei in einzelne operative Faktoren und Kennzahlen (Werttreiber) aufgeschlüsselt. Die Rentabilität kann sowohl auf Gesamtunternehmensebene als auch auf der funktionalen Ebene ermittelt werden. Zur Ermittlung der Werttreiber im B2B-Marketing und Vertrieb gilt es demnach, die Werttreiber im Marketing und Vertrieb zu identifizieren und in Form von Kennzahlen zu operationalisieren. Diese Form der Stärken-Schwächen-Analyse ist in Bezug auf Marketing- und Vertriebsentscheidungen in der Praxis wenig verbreitet. Kap. 14 zeigt die relevanten Konzepte, Methoden und Kennzahlen im B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling auf.

6.5.3.3 Wert- oder Nutzenkurven Mithilfe von Wert- oder Nutzenkurven wird die relative Leistungsfähigkeit des Unternehmens innerhalb einer Branche untersucht. Die Wertkurven stellen in Form eines Profils dar, wie Unternehmen oder Branchen ihre Wertangebote an den Kunden gestalten (vgl. Abb.  6.34). Die Kurve stellt die Basis für die Entwicklung von Blue-Ocean-Strategien

6.5 Unternehmensanalyse

169

Relatives Angebotsniveau Eigenes Angebot

Industrie-Standard Nächstbeste Alternative/ Wettbewerber

Faktoren

Abb. 6.34  Wert- und Nutzenkurve

(Abschn.  8.4) dar, indem mithilfe der Wert- oder Nutzenkurve ein andersartiges Leistungsangebot konstruiert werden kann, welches den Kunden einen spezifischen, differenzierten Nutzen bietet. Damit wird der Wettbewerb in gesättigten, oft hart umkämpften Märkten mit gleichen Produkten oder Dienstleistungen und niedrigen Margen (sogenannte rote Ozeane) umgangen und ein blauer Ozean erreicht, auf dem noch keine Wettbewerber unterwegs sind. Die Details zur Erarbeitung einer Blue-Ocean-Strategie in B2B-Märkten werden in Teil III (vgl. Abschn. 8.4) näher erläutert. Um eine Wert- oder Nutzenkurven zu erstellen, muss zunächst das betreffende Geschäftsfeld genau definiert und abgegrenzt werden (Abschn. 6.2.1). Die horizontale Achse einer Wertkurve wird über die Schlüsselerfolgsfaktoren oder Leistungsfaktoren bestimmt. Die vertikale Achse beschreibt das Leistungsniveau innerhalb einer Branche, welches mit einer Skala von niedrig bis hoch erfasst wird. Die zu untersuchende Einheit wird nun auf der Wertkurve eingeordnet. Erhält diese Einheit einen hohen Wert für einen Faktor, bedeutet dies eine bessere Leistung im Vergleich zu Wettbewerbern (und umgekehrt). Für diese Beurteilungen können Ergebnisse aus Wettbewerbsanalysen und Benchmarking-Analysen herangezogen werden. Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Was sind die vier Analysebereiche der Mikroumwelt? 2. Was versteht man unter der Abgrenzung des strategisch relevanten Marktes? Warum ist diese für B2B-Marketing und Vertrieb so wichtig? 3. Anhand welcher Kriterien lassen sich B2B-Märkte abgrenzen? 4. Was versteht man unter einer quantitativen Marktprofilanalyse und welche Ziele werden damit im B2B-Marketing und Vertrieb verfolgt? 5. Anhand welcher Marktkennzahlen lassen sich Marktprofile analysieren? Wie hängen diese miteinander zusammen?

170

6  Analyse der Mikroumwelt

  6. Was versteht man unter der Methodentriangulation im Rahmen der Ermittlung des Marktpotenzials? Wie wird bei den drei Methoden jeweils vorgegangen?  7. Was wird unter einer Marktprognose verstanden und zu welchem Zweck wird diese im Rahmen des B2B-Marketings und Vertriebs benötigt?   8. Was wird unter dem Marktlebenszyklus verstanden?   9. Welche Phasen umfasst der Marktlebenszyklus und wie unterscheiden sich diese? 10. Warum ist eine Kenntnis über die Positionierung im Marktlebenszyklus für B2B-Marketing und Vertrieb wichtig? 11. Was wird unter der Industriewertkette verstanden? 12. Warum ist die Analyse der Industriewertkette für B2B-Marketing und Vertrieb wichtig? 13. Welche Aspekte werden bei der Analyse der Industriewertkette analysiert? 14. Erläutern Sie die fünf Schritte zur Analyse der Industriewertkette. 15. Was wird unter einem Profit Pool verstanden? 16. Zu welchem Zweck werden Profit Pools im Rahmen des B2B-­Marketings und Vertriebs analysiert? 17. Was sind die Bereiche der Kundenanalyse im B2B-Marketing und Vertrieb? 18. Was versteht man unter dem „organisationalen Beschaffungsverhalten“? 19. Wie vollziehen sich Kaufentscheidungen in Organisationen? 20. Erläutern Sie den Kerngedanken des Marketing-Response-Modells und gehen Sie dabei auf die Einflussgrößen organisationaler Beschaffungsentscheidungen ein. 21. Welche Analysebereiche des organisationalen Beschaffungsverhaltens sollten im Rahmen der B2B-Kundenanalyse untersucht werden? 22. Was wird unter einem Buying Center verstanden? 23. Welche Herausforderungen bestehen bei der Bestimmung der Mitglieder eines Buying Centers? 24. Welche Rollen können die Mitglieder eines Buying Centers innerhaben? Erläutern Sie diese und grenzen Sie diese voneinander ab. 25. Muss ein Buying Center immer genau so viele Mitglieder haben, wie es Rollen im Buying Center gibt? Begründen Sie Ihre Antwort anhand eines eigenen Beispiels. 26. Was versteht man unter der Einstellung von Buying-Center-­Mitgliedern? Welche zwei grundsätzlichen Arten von Einstellung gibt es? 27. Was wird unter dem Einfluss von Buying-Center-Mitgliedern verstanden? Aus welchen Quellen schöpfen Mitglieder des Buying Centers die Macht, um Einfluss nehmen zu können? 28. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen Einstellung und Macht und die sich daraus ergebenden drei bzw. sechs Einfluss- und Machttypen. Welche Beiträge bzw. Barrieren kann jeder Typ zum Beschaffungsprozess beitragen? 29. Was wird unter einem Buying Network verstanden und zu welchem Zweck wird dieses im B2B-Marketing und Vertrieb analysiert? 30. Welche Informationsbereiche werden im Rahmen der Analyse von Buying Networks analysiert und wie erfolgt deren Analyse?

6.5 Unternehmensanalyse

171

31. Welche Aspekte sind im Rahmen der Analyse des Informationsverhaltens von Buying-Center-Mitgliedern relevant? Erläutern Sie in diesem Zusammenhang auch die drei Informationssuchtypen. 32. Anhand welcher zwei Komponenten lässt sich das individuell empfundene Risiko im Rahmen von Beschaffungsentscheidungen erklären? Welche zwei Entscheidungstypen lassen sich daraus ableiten? 33. Welche Rolle spielen Emotionen im Rahmen von organisationalen Beschaffungsentscheidungen? Welche Erklärungsmuster (Theorien) lassen sich dafür he­ ranziehen? 34. Wie kommen die finalen Kaufentscheidungen im Buying Center zustande? 35. Erläutern Sie den organisationalen Beschaffungsprozess. Gehen Sie hierbei auf die einzelnen Phasen entlang des Prozesses ein. 36. Erläutern Sie die Customer Journey im B2B-Umfeld, indem Sie typische Touchpoints entlang der Phasen des Beschaffungsprozesses heranziehen. 37. Welche sechs typischen Customer Journeys existieren im B2B-Umfeld? Erläutern Sie diese kurz anhand eines passenden Beispiels. 38. Was wird unter dem Kauftyp bei organisationalen Beschaffungen verstanden? 39. Anhand welcher Merkmale lassen sich Kauftypen unterscheiden? 40. Was beschreibt die „Neuartigkeit der Kaufsituation“? Welche Kaufklassen werden danach unterschieden? Welchen Einfluss hat dies auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 41. Was versteht man unter dem Kaufanlass und welchen Einfluss hat dieser auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 42. Welchen Einfluss hat die Komplexität der Kaufsituation bzw. des Produktes auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 43. Welchen Einfluss hat die wirtschaftliche Bedeutung des Produktes auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 44. Welchen Einfluss hat das Risiko der Kaufsituation auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 45. Anhand welcher Merkmale lassen sich beschaffende Organisationen unterscheiden? 46. Welchen Einfluss hat die Art der Organisation auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 47. Welchen Einfluss hat die Größe der Organisation auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 48. Welchen Einfluss hat die Struktur der Organisation auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 49. Welchen Einfluss hat die Kultur der Organisation auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 50. Welchen Einfluss hat die Beschaffungsstrategie der Organisation auf das organisationale Beschaffungsverhalten? 51. Welche Umweltfaktoren können das organisationale Beschaffungsverhalten beeinflussen? Erläutern Sie diese jeweils kurz anhand eines Beispiels.

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6  Analyse der Mikroumwelt

52. Was wird unter einer Kundensegmentierung verstanden und zu welchem Zweck wird diese im B2B-Marketing und Vertrieb durchgeführt? 53. Anhand welcher Kriterien lassen sich B2B-Kunden segmentieren? Was ist bei diesen Kriterien anders als bei Segmentierungskriterien auf B2C-Märkten? 54. Warum ist die Beschreibung von Kundensegmenten für B2B-Marketing und Vertrieb so wichtig? 55. Was wird unter der Analyse der Kundenattraktivität verstanden und zu welchem Zweck wird diese im B2B-Marketing und Vertrieb durchgeführt? 56. Welche Methoden können zur Analyse der Kundenattraktivität herangezogen werden? Erläutern Sie diese jeweils kurz und zeigen Sie auf, wie sich die Ergebnisse hinsichtlich ihrer Aussagekraft unterscheiden. 57. Was wird unter der Analyse der Kundenzufriedenheit verstanden und wie entsteht die Kundenzufriedenheit? 58. Zu welchem Zweck wird die Analyse der Kundenzufriedenheit im B2B-­Marketing und Vertrieb durchgeführt? 59. Welche Methoden können zur Analyse der Kundenzufriedenheit im B2B-Marketing und Vertrieb genutzt werden? Erläutern Sie diese jeweils kurz. 60. Welche Besonderheiten sind bei der Zufriedenheitsanalyse im B2B-­Marketing und Vertrieb zu beachten? 61. Zu welchem Zweck wird im B2B-Marketing und Vertrieb eine Wettbewerbsanalyse durchgeführt? 62. Auf welchen drei Ebenen kann eine Analyse des Wettbewerbs durchgeführt werden? Erläutern Sie diese jeweils kurz. 63. Erläutern Sie den Kerngedanken der Branchenstrukturanalyse nach Porter. Gehen Sie hierbei auch auf die Besonderheiten im B2B-Umfeld ein. 64. Was wird unter einer strategischen Gruppe verstanden? Gehen Sie hierbei auch auf die Rolle der Mobilitätsbarrieren ein. 65. Erläutern Sie die drei Ansätze zur Bildung von strategischen Gruppen. Welche Besonderheiten gilt es im B2B-Umfeld zu berücksichtigen? 66. Worin besteht das Ziel der Analyse von strategischen Gruppen? 67. Was ist am Konzept der Analyse von strategischen Gruppen kritisch zu sehen? 68. Was wird unter der Wettbewerbsanalyse im engeren Sinne verstanden? 69. Welche Ansätze stehen für die Wettbewerbsanalyse im engeren Sinne zur Verfügung? 70. Wozu dient die Strategieprofilanalyse und wie wird diese durchgeführt? 71. Wozu dient die Leistungsprofilanalyse und wie wird diese durchgeführt? 72. Wozu dient die Reaktionsprofilanalyse und wie wird diese durchgeführt? 73. Wozu dienen Wettbewerbslandkarten? 74. Zu welchem Zweck wird im B2B-Marketing und Vertrieb eine Unternehmensanalyse durchgeführt? 75. Mithilfe welcher Ansätze kann eine Analyse des Unternehmens durchgeführt werden? Erläutern Sie diese jeweils kurz.

6.5 Unternehmensanalyse

173

76. Wozu dient die Wertkettenanalyse nach Porter? Wie wird diese durchgeführt und welche Besonderheiten gilt es im B2B-Umfeld zu berücksichtigen? 77. Was wird unter dem VIRO-Rahmen verstanden? 78. Wie erfolgt eine VIRO-Bewertung und welche Schlussfolgerungen könn(t)en da­ raus abgeleitet werden? 79. Wozu dient die strategische Produktanalyse? 80. Anhand welcher Bereiche können Produkte strategisch analysiert werden? Erläutern Sie diese kurz und zeigen Sie auf, welche Analyse-Instrumente jeweils zum Einsatz kommen können. 81. Was wird unter Benchmarking verstanden und welche Arten von Benchmarking werden unterschieden? 82. Zu welchem Zweck wird im B2B-Marketing und Vertrieb ein Benchmarking durchgeführt? 83. Was wird unter der Industriekostenkurve verstanden? 84. Zu welchem Zweck wird die Industriekostenkurve analysiert und welche Schlussfolgerungen könn(t)en daraus abgeleitet werden? 85. Wie wird eine Analyse der Industriekostenkurve durchgeführt? 86. Was wird unter Schlüsselfaktoren verstanden? 87. Zu welchem Zweck erfolgt im Rahmen der Analyse des Unternehmens eine Stärken-Schwächen-Analyse von Schlüsselfaktoren? 88. Anhand welcher Verfahren kann eine Analyse von Schlüsselfaktoren erfolgen? Erläutern Sie diese kurz. 89. Was wird unter Wert- oder Nutzenkurven verstanden? 90. Zu welchem Zweck werden diese im B2B-Marketing und Vertrieb erstellt und analysiert?

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Teil III Strategisches B2B-Marketing und Vertrieb

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Grundlagen des strategischen B2B-­Marketings und Vertriebs

Lernziele

• Sie lernen, aus der Analyse von internen und externen Faktoren mithilfe der SWOT-Matrix entsprechende Strategien abzuleiten. • Sie können grundlegende Fragestellungen zu strategischen Zielen sowie zur Rolle übergreifender Konzepte wie einer Mission, Werten und einer Vision beantworten. • Sie sind in der Lage, das strategische Handeln aus den Perspektiven Market-­ based View und Resource-based View zu betrachten. • Sie wissen, wie Sie eine differenzierte Marktbearbeitung im B2B-Umfeld durch grundlegende strategische Überlegungen vorbereiten können. • Sie können strategische Geschäftsfelder und strategische Geschäftseinheiten voneinander abgrenzen.

7.1 Strategische Situationsanalyse im B2B-Marketing und Vertrieb Das klassische Strategieverständnis wird als ein geplantes Maßnahmenbündel des Unternehmens zur Erreichung der Ziele verstanden. Somit kann die Strategie als ein Ergebnis formaler und rationaler Entscheidungen betrachtet werden. Strategien werden als hierarchische Konstrukte angesehen und bestehen aus diversen einzelnen Maßnahmen und Ent-

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_7]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_7

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7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

scheidungen. Zudem liegt diesem Verständnis die Annahme zugrunde, dass Strategien keine Aussagen zu strategischen Zielen treffen, sondern lediglich zur Zielerreichung. Des Weiteren, dass Strategien nur dann effizient sind, wenn die strategischen Ziele auch erreicht werden. Die bereits in den 1960er-Jahren formulierte These „Structure follows strategy“ ist ein weiterer organisatorischer Aspekt im klassischen Strategieverständnis (vgl. Chandler, 1962; Barney, 1997, S. 13 ff.; Chandler, 2001, S. 23; Welge et al., 2017, S. 18 ff.). Gegenpositionen zu der genannten Rationalitätsprämisse des klassischen Strategieverständnisses, wie u. a. von Mintzberg (u. a. 1994), und dessen kritische Auseinandersetzung siehe u. a. Welge et al. (2017, S. 21 ff.). Strategische Entscheidungen im Marketing und Vertrieb hängen grundsätzlich davon ab, wie die Analyse der Makro- (Kap. 5) und Mikroumwelt (Kap. 6) bewertet wird. Für eine Festlegung der Wettbewerbsstrategien (Kap. 8), die Auswahl der geeigneten strategischen Instrumente (Kap. 9) und folgend das operative B2B-Marketing und Vertrieb im Teil IV (Kap. 10 ff.) sollten möglichst und mit einem verhältnismäßigen Aufwand sämtliche relevanten Faktoren für das Unternehmen betrachtet und herangezogen werden. Aus der Situationsanalyse der Makroumwelt mit den unternehmensexternen Faktoren werden die Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) abgeleitet. Aus der Bewertung der Mikroumwelt ergeben sich unternehmensinterne Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses), die ein Unternehmen im Vergleich zum Wettbewerb hat. Im B2B-Marketing und Vertrieb gilt es nun, die sich aus dem Marktumfeld ergebenen Chancen und Risiken den Stärken und Schwächen des Unternehmens gegenüberzustellen, um daraus strategische Optionen für das B2B-Marketing und den Vertrieb abzuleiten. Als Analyseinstrument eignet sich die SWOT-Analyse (engl. Akronym aus Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats), welche in der Unternehmenspraxis und Lehre ein häufig eingesetztes universelles Analyseinstrument darstellt. Die Urheber der originären SWOT-Analyse lassen sich trotz der weitverbreiteten Nutzung nicht eindeutig verifizieren. Nach Kotler et al. (2016) wurde die SWOT-Analyse in den 1960er-Jahren an der Harvard Business School zur Anwendung in Unternehmen entwickelt. Die SWOT-Analyse wird hier aufgrund ihres zentralen integrativen Ansatzes im Rahmen der Situationsanalyse beschrieben, obwohl sie auch Elemente der Wettbewerbsstrategien (Kap. 8) und strategische Instrumente (Kap. 9) inkludiert (vgl. Meffert et al., 2019, S. 273; Homburg, 2020, S. 501). Der Grundgedanke der SWOT-Analyse ist, auf Basis von vier einzeln identifizierten Feldern aus Makro- und Mikroumweltanalyse eine verknüpfte SWOT-Matrix zu ­generieren und daraus schlussendlich grundlegende Strategien für das Unternehmen abzuleiten (vgl. Kerth et al., 2015; Großklaus, 2014, S. 64). Abb. 7.1 zeigt die grundlegenden Strategien aus dieser Analyse. Die SWOT-Matrix und die daraus erzielten Erkenntnisse wird in vielen Quellen auch als TOWS-Matrix bezeichnet, um sie u. a. von dem zuvor im ersten durchgeführten Schritt der SWOT-Analyse klar abzugrenzen. So wird explizit nicht nur die gegenwärtige, sondern auch die langfristige Perspektive der Analyse hervorgehoben (Welge et al., 2017, S. 460).

7.1  Strategische Situationsanalyse im B2B-Marketing und Vertrieb

Chancen (Opportunities)

Externe Analyse (Makroanalyse)

SO-Strategien

Stärken (Strengths)

Interne Analyse (Mikroanalyse)

  

WO-Strategien 

Schwächen (Weaknesses)

Wahrnehmung der Chancen unter Einsatz der Stärken Expansionen/Investitionen Nutzung von Trends durch vorhandene Ressourcen



Abbau von Unternehmensschwächen, um Chancen zu nutzen Bsp. Abbau eigener Bürokratie (Schwäche), um reaktionsschneller zu sein und Chancen des Marktes nutzen zu können

183

Risiken (Threats)

ST-Strategien 



Stärken ausnutzen, um Umweltrisiken auszugleichen bzw. zu lindern Nutzung von Beziehungen, um Umweltbedingungen zu beeinflussen

WT-Strategien  

Schwächen abbauen, um Risiko zu reduzieren Desinvestitionsstrategien

Abb. 7.1  Grundlegende Strategien aus der SWOT-Analyse. (Quelle: In Anlehnung an Großklaus, 2014, S. 64)

Die Durchführung einer SWOT-Analyse mithilfe der Erstellung der SWOT-Matrix besteht methodisch aus einem zweistufigen Vorgehen (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 45 f.): • Schritt 1: Konsolidierung der Analyseergebnisse –– Die Ergebnisse aus der Analyse der Makro- und Mikroumwelt fließen zunächst in die externe und interne Sicht der SWOT-Matrix ein. Die wichtigsten Stärken/Schwächen und Chancen/Risiken werden identifiziert und in die äußeren Felder der SWOT-Matrix eingetragen. • Schritt 2: Ableitung von SWOT-Strategien –– Anschließend werden in jedem der vier inneren Matrixfelder erste grundlegende strategische Handlungsempfehlungen (SWOT-Strategien) abgeleitet, indem für alle Kombinationen  – SO, ST, WO und WT  – jeweils mehrere mögliche strategische Ansatzpunkte identifiziert werden. Oft ist mit dem Schritt 1 die SWOT-Analyse abgeschlossen. Dieser erste Schritt bildet jedoch erst die Basis für Schritt 2 mit der Ableitung der Strategien, die den maßgeblichen Erkenntnisgewinn dieser Methode darstellen Abb.  7.2 zeigt eine exemplarische SWOT-Matrix eines europäischen Unternehmens, das als diskreter Fertiger Satelliten herstellt.

184

7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs Chancen (Opportunities)

Stärken (Strengths)

1. Technologische Führerschaft 2. Gute Kontakte zu Militärbehörden 3. Starke Cash Position

Schwächen (Weaknesses)

1. Hohe Produktionskosten 2. Unflexible Aufbau- und Ablaufstrukturen 3. Nationale Vertriebspräsenz 4. Teilweise fehlende kritische Masse

Risiken (Threats)

1. Neue Verteidigungsmärkte in Osteuropa 2. Zugang zu zivilen Märkten (Dual Use Products) 3. Verstärkt paneuropäische Projekte (z. B. Eurofighter)

1. Reduktion der Militärbudgets 2. Neue Konkurrenten aus europäischen Ländern 3. Konzentrationstendenzen in der Branche

SO-Strategien

ST-Strategien





Entwicklung neuer Produkte (Satellitennavigation) und Dienstleistungen Flughafenbefeuerung) Expansion in osteuropäische Märkte

WO-Strategien   

Gründung von Vertriebseinheiten im Ausland Gründung von New Ventures in Teilbereichen Gründung von Joint Ventures

 

Kooperation oder Akquisitionen in Europa Intensivierung der Marketingaktivitäten

WT-Strategien  

Schließung oder Outsourcing unrentabler Bereiche Erhöhung der Effizienz (Business-Process-ReengineeringProjekte)

Abb. 7.2  SWOT-Matrix eines europäischen Satellitenbauunternehmens. (Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 209)

Die SWOT-Analyse liefert eine integrative und leicht verständliche Darstellung der strategischen Handlungsfelder. Im Kern besteht das Bestreben, die Stärken und Chanchen zu optimieren und die Schwächen und Risiken einzudämmen. Aus der Situationsanalyse gilt es nun, die entsprechenden strategischen Optionen zu priorisieren und Schwerpunkte zu setzen (vgl. Müller-Stewens & Lechner, 2016, S.  209  f.). Die SWOT-Analyse steht daher am Anfang der Strategieentwicklung. Die Situationsanalyse dient als Fundament des Status quo und bildet die Ausgangsbasis, um strategische Ziele ableiten zu können und weitere Analysen folgen zu lassen.

7.2 Strategische Ziele des B2B-Marketings und Vertriebs Nach der Situationsanalyse des aktuellen Ist-Zustandes auf Basis der externen Chancen und Risiken sowie interner Stärken und Schwächen können nun auch die strategischen Ziele für das Marketing und den Vertrieb formuliert werden. Anlehnend an Kaplan und Norton, die im Rahmen ihrer Balanced Scorecard ein hie­ rarchisches Zielsystems entwickelten, werden im Folgenden verschiedene Ebenen von Zielen, vom grundsätzlichen Unternehmenszweck bis zu den strategischen Maßnahmen, betrachtet (vgl. Kaplan & Norton, 2001, S. 67; Buchholz, 2019, S. 245 f.). Abb. 7.3 ordnet hierarchisch die angepasste Zielpyramide für das strategische B2B-Marketing und den Vertrieb.

7.2  Strategische Ziele des B2B-Marketings und Vertriebs

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Mission (Unternehmenszweck) Warum wir existieren Werte (Grundsätze, Leitlinien) Woran wir glauben Vision (Zukunftsbild) Wohin wir wollen Strategische Maßnahmen Was wir als Unternehmen tun müssen Ziele für das Marketing und den Vertrieb Was wir im und für das Marketing und den Vertrieb tun müssen

Abb. 7.3  Zielpyramide für das strategische B2B-Marketing und den Vertrieb. (Quelle: In Anlehnung an Buchholz, 2019, S. 246)

Für die Ziele im B2B-Marketing und Vertrieb bilden die Mission, Werte und Vision den normativen Rahmen und können als die zentrale Unternehmenspolitik angesehen werden. Zahlreiche Unternehmen weisen diese auf ihrer Corporate Website auch öffentlich aus und machen sie so transparent. Diese Begriffe werden jedoch teilweise nicht stringent einheitlich und konsistent verwendet. Mission (Unternehmenszweck) Die Mission (Mission Statement) stellt den Unternehmenszweck für die Anspruchsgruppen (u. a. Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Shareholder) in Form eines Beitrags bzw. eines Nutzenversprechens (Value Proposition) dar. Eine Mission hat die Aufgabe, für verschiedene Anspruchsgruppen eine Orientierungs-, Legitimations- und Motivationsfunktion zu erfüllen. Missionen haben unternehmensintern dann eine hohe Akzeptanz und Relevanz, wenn sie systematisch iterativ mit Top-down- und Bottom-up-Prozessen entwickelt werden (siehe hierzu vertiefend Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 224 ff.). Werte (Grundsätze, Leitlinien) Werte stellen eine grundsätzliche Verbundenheit zwischen Unternehmen und deren Anspruchsgruppen dar. Sie geben einen Orientierungsrahmen für das unternehmerische Handeln. Das individuelle Handeln jedes einzelnen Mitarbeiters basiert auf diesen gemeinsamen Grundsätzen, in US-amerikanischen Unternehmen oft als „Code of Conduct“ bezeichnet, und bildet das notwendige Fundament für die Umsetzung einer Mission. Die Werte können in Ethikrichtlinien von Unternehmen und in Arbeitsverträgen f­ estgeschrieben werden und sich auch in Ausschreibungen, Angeboten, Vereinbarungen und Abschlussverträgen wiederfinden. Vision (Zukunftsbild) Der Begriff Vision wird des Öfteren mit Mission verwechselt oder synonym verwendet. Wobei Mission pragmatischer und betriebswirtschaftlich verstanden werden sollte, eine Vision hingegen als das idealtypische, in Einzelfällen utopische Ziel, welches das Unter-

186

7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

nehmen anstrebt bzw. anstreben sollte. Eine Vision sollte a) sinnstiftend, b) motivierend, c) handlungsleitend und d) integrierend sein (siehe hierzu vertiefend Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 221 f.). Die folgende Übersicht zeigt zentrale Fragestellungen zu Mission, Werten und Vision mit den jeweiligen Kernaussagen (vgl. Kerth et al., 2015): Grundlegende Fragestellungen zu Mission, Werten und Vision

1. Mission (Unternehmenszweck) – Kernaussage: Warum wir existieren 1. Woher kommt das Unternehmen, wo sind die Wurzeln? 2. Welche Traditionen hat das Unternehmen? 3. Wie ist die geschichtliche Entwicklung? 4. Was ist die Aufgabe des Unternehmens? 5. Was ist der Sinn der Tätigkeit? 6. Was macht das Unternehmen erfolgreich? 7. Welches sind die Kernkompetenzen? 8. Wo bestehen Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz? 2. Werte (Grundsätze, Leitlinien) – Kernaussage: Woran wir glauben 1. Was ist das Selbstverständnis? 2. Welche Wertvorstellungen vertritt das Unternehmen? 3. Was sind die zentralen Unternehmenswerte? 4. Wer ist das Unternehmen? 5. Welche Eigenschaften zeichnen das Unternehmen und die Produkte aus? 3. Vision (Zukunftsbild) – Kernaussage: Wohin wir wollen 1. Wo sieht die Unternehmensführung das Unternehmen in fünf bis zehn Jahren? 2. Wo sollen die Schwerpunkte liegen? 3. Was soll das Unternehmen in Zukunft kennzeichnen und prägen? 4. Was soll das Unternehmen erreichen?

Ziele Der betriebswirtschaftliche Erfolg wird zumeist an der Erreichung eines zuvor definierten Ziels festgemacht und beurteilt. Zielkonflikte können durch divergierende Ziele in ­unterschiedlichen Unternehmensbereichen entstehen, ebenso auch innerhalb einzelner Aufgabenbereiche sowie durch eine gewachsene Komplexität der Unternehmung. Auch individuelle Fehlanreize können eine Gefahr für die Erreichung ganzheitlicher Ziele sein bzw. diese konterkarieren. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es zunächst einer klaren Zielformulierung auf oberster Unternehmensebene, welche dann konsistent auf die einzelnen Unternehmensbereiche heruntergebrochen und spezifiziert wird. Es stellt sich die Herausforderung, die Mission, die Werte und Vision in konkrete strategische Maßnahmen umzusetzen und daraus Ziele für das Marketing und den Vertrieb abzuleiten. Die Definition von Zielen und die Formulierung von strategischen Maßnahmen bedingen sich gegenseitig.

7.3  Market-based View und Resource-based View

187

Speziell im Marketing werden neben ökonomischen Zielen, wie u. a. Gewinn, Umsatz, ROI und Deckungsbeitrag, auch psychografische Ziele, wie bspw. Markenimage, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, definiert. Letztere sind in einem B2B-Umfeld aber weitaus schwieriger zu formulieren als im B2C-Umfeld, da in einem Buying Center (Abschn. 6.3.2) eine hohe Anzahl an Ansprechpartnern betrachtet werden muss. Es empfiehlt sich, Ziele nach der SMART-Methode zu formulieren. Demnach sollten Ziele specific (spezifisch), measurable (messbar), attainable (ansprechend/erreichbar), realistic (realistisch) und time-phased (terminiert, daher auf einen bestimmten Zeitraum bezogen) sein (vgl. u. a. Drucker, 1954; Locke & Latham, 1990). Zur Erfolgsmessung von Zielen sowie zu Marketing- und Vertriebscontrolling sei an dieser Stelle auf Kap.  14 sowie auf die breite Fachliteratur über Controlling verwiesen (vgl. u. a. Küpper et al., 2013; Horváth et al., 2019; Weber & Schäffer, 2020).

7.3 Market-based View und Resource-based View Wie lassen sich Ressourcen bzw. Kernkompetenzen im Rahmen des Wertschöpfungsprozesses optimal einsetzen? Wie lassen sich Wettbewerbsvorteile und überdurchschnittliche Erträge erzielen? Um diese beiden Kernfragen des unternehmerischen Handelns zu beantworten, haben sich zwei grundlegende Ansätze herausgebildet. Zum einen der Market-based View, welcher das strategische Handeln aus einer primär kunden- bzw. marktorientierten Sichtweise ableitet. Der Fokus der Betrachtung liegt hier außen und wird daher auch als Outside-in-Perspektive umschrieben. Um nachhaltigen Unternehmenserfolg zu sichern, ist eine konsequente Marktausrichtung erforderlich (vgl. Porter, 2000, S. 61 ff.; Meffert et al., 2019, S. 5). Aufbauend auf den frühen industrieökonomischen Arbeiten von Mason und Bain mit der zentralen Hypothese, dass die Rendite, die ein Unternehmen erzielen kann, im Wesentlichen von zwei Faktoren, nämlich a) der Attraktivität der Branche und b) der relativen Marktposition eines Unternehmens, abhängt, rückte Porter das einzelne Unternehmen in das Zentrum der Analyse. Auf Porter, der als Begründer des Marked-based View angesehen werden kann, gehen zahlreiche strategische Konzepte wie u. a. Five Forces (Abschn. 6.4.2.1), Value Chain bzw. Wertkette/Wertsystem (Abb. 1.5 und Abschn. 6.5.2) und grundlegende Wettbewerbsstrategien (Abschn. 8.2) zurück (vgl. Mason, 1939; Bain, 1959; Porter, 2008, S. 35 ff.; Kreikebaum et al., 2018, S. 122 f.). Die insbesondere in den 1980er-Jahren vorherrschende ausschließlich marktorientierte Perspektive des strategischen Managements wurde stark kritisiert. Zu den Kritikpunkten zählen, dass für einen Unternehmenserfolg mehr als nur die gegebenen Faktoren, wie Branche und Konkurrenz, ausschlaggebend seien. Da in einer Branche nicht jedes Unternehmen homogen und ähnlich rentabel ist, bedarf es weiterer Aspekte, wie dass Märkte auch stark von einzelnen Unternehmen beeinflusst und gesteuert werden können (vgl. Hansen & Wernerfelt, 1989; Nelson, 1991; Rumelt, 1991; Proff, 1998, S. 31). Eine zum Market-based View komplementäre Sicht nimmt der Resource-based View ein, auch als Inside-out-Perspektive bezeichnet, bei der die unternehmerische Stärke

188

7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

durch die optimale Nutzung der Ressourcen gewonnen wird. Der auf die neue Institutionenökonomie zurückgehendende Ansatz beruht auf der Annahme, dass durch die Unvollkommenheit von Märkten, begrenzte Rationalität und durch opportunistisches Handeln unternehmerische Erfolge durch die Optimierung der Transaktionskosten erzielt werden (vgl. Coase, 1937; Williamson, 1971). Durch einen passenden Einsatz und die Kombination knapper Ressourcen, Finanzen, Personal, Rohstoffe, Know-how, Fähigkeiten etc. können Kernkompetenzen und so Unique Selling Propositions (USP) entstehen (vgl. Prahalad & Hamel, 1990). In dem heutigen dynamischen Umfeld sollten die beiden Ansätze nicht als gegensätzlich betrachtet werden, sondern vielmehr komplementär angegangen werden. Beide Ansätze verfolgen dieselben Ziele wie Wettbewerbsvorteile, USPs und überdurchschnittliche Erträge zu erwirtschaften, jedoch mit abweichenden Prozessschritten (vgl. Kreikebaum et al., 2018, S. 125). • Market-based View (Outside-in-Perspektive) 1. Analyse der Umwelt und der Branchenstruktur 2. Auswahl attraktiver Branchen und Märkte, in denen Wettbewerbsvorteile erzielt werden können 3. Entwicklung einer Strategie aufgrund der Branchengegebenheiten 4. Implementierung der Strategie und Ressourcenbeschaffung bzw. -entwicklung • Resource-based View (Inside-out-Perspektive) 1. Identifikation der Ressourcen sowie Analyse der Stärken und Schwächen 2. Bestimmung der Kernkompetenzen 3. Auswahl der Branchen und Märkte, in denen Wettbewerbsvorteile erzielt werden können 4. Entwicklung und Implementierung der Strategie, aufbauend auf Kernkompetenzen

7.4 Markt- und Kundensegmentierung Das Kaufverhalten im B2B-Umfeld und die einzelnen Kundenbedürfnisse können sich stark voneinander unterscheiden. Eine differenzierte Marktbearbeitung ist erforderlich, wenn Kunden unterschiedlich agieren, voneinander abgrenzbar und auch gezielt adressierbar sind. Die Marktsegmentierung teilt den Gesamtmarkt in homogene Teilmärkte (Segmente) anhand spezifischer Merkmale der potenziellen, aktuellen und ehemaligen Kunden (Zielgruppen). Erkenntnisse über identifizierte Kundenmerkmale z.  B. durch eine Marktforschung bilden das Fundament einer differenzierten Marktbearbeitung bzw. einen bewussten Verzicht oder strategischen Rückzug aus dem entsprechenden Marktsegment (vgl. Homburg, 2020, S. 484). Eine Marktsegmentierung wie im B2C-Umfeld, welche u.  a. auf sozioökonomische Kriterien wie Einkommen, Lebensphase oder psychografischen Aspekten wie Persönlichkeitsmerkmalen fußt, ist im B2B-Umfeld nur bedingt umsetzbar. Da im B2B-Kontext vor-

7.4  Markt- und Kundensegmentierung

189

nehmlich Organisationen in Gänze als Kunden betrachtet werden, bedarf es anderer Konzepte als psychografisch-verhaltensbezogener Konzepte von Konsumenten aus dem B2C-Marketing. Für eine Marktsegmentierung in B2B-Märkten könnten folgende Marktsegmentierungskriterien als Basis dienen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 123; Kuß & Kleinaltenkamp, 2020, S. 141 f.): 1. Allgemeine Merkmale der Kunden: Unternehmenskennzahlen wie Umsatz oder Mitarbeiterzahl, Branche, Region, Land 2. Merkmale der Leistungserstellung beim Kunden: Anforderungen, angewandte Technologien, Wertschöpfungsstufen, Fertigungsverfahren (diskrete Fertigung, Serienfertigung, Massenfertigung), Fähigkeiten und Know-how der Kunden 3. Kaufspezifische Merkmale: Größe und Struktur des Buying Centers, Risikoneigung, Sicherheitsstreben, kaufmännische oder technische Orientierung 4. Situative Faktoren: Kaufphase, Dringlichkeit des Bedarfs, Auftragsgröße/Abnahmemenge, Kundenbeziehung und -historie, Geschäftspotenziale Eine sinnvolle und wirtschaftliche Marktsegmentierung bedarf der Zusammenführung mehrerer relevanter Kriterien und sollte mehrstufig im Sinne einer weiteren Detailierung konkretisiert werden. In der heutigen Zeit mit sich ständig ändernden Marktstrukturen und -bindungen sowie mit Veränderungen des Kundenverhaltens und deren Anforderungen bedarf es einer ständigen Überprüfung und Anpassung der vorgenommenen Marktsegmentierungen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 122). Um auf Basis einer statischen Marktsegmentierung strategische Marketingentscheidungen zu treffen, bedarf es grundsätzlicher Anforderungen an die Marktsegmentierungskriterien (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 122 f.; Meffert et al., 2019, S. 222 f.; Bruhn, 2019, S. 59 f., Homburg, 2020, S. 484 f.): 1. Verhaltensrelevanz: Es bedarf eines direkten Zusammenhangs zwischen dem Kundenverhalten und der Segmentierung. 2. Zugänglichkeit: Als ein weiterer Aspekt müssen die Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit von Kunden, sowohl Individuen als auch Organisationen, betrachtet werden. Ohne einen Zugang zum Kunden können Marketingaktivitäten nicht gezielt und erfolgreich durchgeführt werden. 3. Abgrenzbarkeit: Die Marktsegmentierung ist so durchzuführen, dass die einzelnen Segmente deutlich voneinander abgrenzbar sind. 4. Zeitliche Stabilität: Die Marktsegmentierung sollte so gewählt werden, dass sie über einen längeren Zeitraum stabile Strukturen und Bestand aufweist. 5. Messbarkeit & Wirtschaftlichkeit: Die Messbarkeit muss mit entsprechenden Methoden erfassbar sein. Zumeist erfolgt dies im Rahmen der Marktforschung. Die Segmentanzahl und -größe muss in einem operationalen und wirtschaftlichen Rahmen bleiben. Der Aufwand hierfür darf nicht höher sein als der Nutzen.

190

7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

Kaufentscheidungsprozesse sind insbesondere im B2B-Umfeld oft different und komplex. Für eine B2B-Marktsegmentierung wird ein mehrstufiger Prozess mit einer stufenweisen Filterung empfohlen. Einen möglichen Ansatz stellt der von Wind und Cardozo dar. In zwei Stufen erfolgt aus einer Makrosegmentierung im Bedarfsfalle eine Mikrosegmentierung. Die Makrosegmentierung betrachtet zunächst quantifizierbare organisatorische Aspekte, wie die bereits ausgeführten Kriterien wie „allgemeine Merkmale“ und „Merkmale der Leistungserstellung beim Kunden“. Führt dies nicht zu einer relevanten Marktsegmentierung, bedarf es einer vertiefenden Mikrobetrachtung mit den beiden anderen Aspekten „kaufspezifische Merkmale“ und „situative Faktoren“ (vgl. Wind & Cardozo, 1974). In der wissenschaftlichen Literatur bestehen zahlreiche mehrstufige Ansätze, die hier exemplarisch genannt werden: Zweistufige Konzepte von Choffray und Lilien (1980), Lilien und Kotler (1983) sowie Strothmann und Kliche (1989), dreistufige Ansätze nach Scheuch (1975) und Gröne (1977) oder der fünfstufige Schalenansatz („Nested Approach“) von Shapiro und Bonoma (1984). Wesentliche konzeptionelle Unterschiede und spezifische Mehrwerte im jeweiligen praktischen Einsatz bestehen hier oft untereinander aber nicht. An statisch-mehrstufigen Ansätzen ist zu kritisieren, dass es ihnen durch den stringenten hierarchischen Aufbau an Flexibilität mangelt. Um die starre Logik einer statisch-­ mehrstufigen Marktsegmentierung aufzubrechen, bedarf es dynamischer Indikatoren. Gerade angesichts der heutigen sich sehr rasch verändernden Marktbedingungen bedarf es vielmehr dynamisch-agiler Marktsegmentierungen, die flexibel auf sich ändernde Situationen anpassbar oder präskriptiv vorausschauend sind.

7.5 Strategische Geschäftsfelder und strategische Geschäftseinheiten Insbesondere im B2B-Umfeld besteht die betriebliche Notwendigkeit, in einzelnen Unternehmensbereichen in den jeweiligen Markt- und Kundensegmenten (Abschn. 7.4) mit unterschiedlichen Strategien zu agieren. Customer Values, Wettbewerbsvorteile und USPs werden zumeist, trotz zum Teil vorhandener Dachmarken, nicht auf der konsolidierten Einheit eines Unternehmens realisiert, sondern vielmehr in einzelnen abgrenzbaren Segmenten. Kunden- bzw. Marktsegmente sind hinsichtlich ihrer Herausforderungen und Rahmenbindungen oftmals untereinander weniger homogen und sind daher einzeln zu betrachten. Die unternehmensinternen Organisationseinheiten sind auf eine effektive Bearbeitung der externen Kunden- und Marktumfeldsituation auszurichten. Die externe Abgrenzung bzw. Segmentierung des Marktes wird mit dem Begriff strategisches Geschäftsfeld (SGF, Business Areas) umschrieben. Ein SGF ist ein abgrenzbares strategisches Feld des unternehmerischen Tätigkeitsbereichs mit autarken Ertragspotenzialen, die jeweils Chancen und Risiken aufweisen. Für jedes einzelne SGF bedarf es entsprechend klar formulierter Strategien, in denen Ressourcen gezielt eingesetzt werden. Überschneidungen der einzelnen SGFs und somit auch von Strategieinterdependenzen sind hierbei zu vermeiden.

7.5  Strategische Geschäftsfelder und strategische Geschäftseinheiten

191

Aus einer Abgrenzung von SGFs können sich folgende Fragen ergeben (vgl. Müller-­ Stewens & Lechner, 2016, S. 141): . In wie vielen und welchen Geschäftsfeldern will das Unternehmen tätig sein? 1 2. Wie attraktiv sind das jeweilige Geschäftsfeld und das Potenzial? 3. Wer sind in dem jeweiligen Geschäftsfeld die Marktteilnehmer und welche Wettbewerbsposition kann das Unternehmen einnehmen? Zur praktischen Abgrenzung von einzelnen SGFs bietet sich bspw. jeweils ein separat zu erstellendes Business Model Canvas (vgl. Abschn. 3.2.3) an. Die interne organisatorische Aufstellung eines Unternehmens, um die strategischen Felder erfolgreich zu bearbeiten, erfolgt durch die strategischen Geschäftseinheiten (SGE, Business Units). Die strategischen Geschäftseinheiten bilden die organisatorische Ebene ab, bspw. in Form hierarchischer Funktionsbereiche wie Produktion, Marketing und Vertrieb oder Matrixorganisationen, die Produktgruppen mit Branchen kombinieren. Die Anzahl von SGEs ist verständlicherweise von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Um SGEs als eigenständige Organisationeinheiten zu operationalisieren und um erfolgreich am B2B-Markt zu agieren und Wettbewerbsvorteile zu generieren, sollten folgende Fragen berücksichtigt werden (vgl. Meffert et al., 2019, S. 303): 1. Kann sich die SGE unabhängig von anderen Einheiten am Markt ausrichten und diesen autark mit ausreichenden Ressourcen und Kompetenz bearbeiten? 2. Ist der SGE die Formulierung und Implementierung eines weitgehend eigenständigen strategischen (Marketing-)Plans möglich? 3. Wie kann die SGE einen eigenständigen wirtschaftlichen Wertbeitrag zur Steigerung des Unternehmenserfolgs leisten? In Anlehnung an Abschn. 7.3 können zwei Vorgehensweisen bei der Abgrenzung von strategischen Geschäftsfeldern angewendet werden: Zum einen Outside-in-Geschäftsfelder und zum anderen Inside-out-Geschäftsfelder. Outside-in-Geschäftsfelder Um sich im Sinne des Market-based Views (Outside-in-Perspektive) konsequent am Markt auszurichten, bedarf es einer permanenten Betrachtung der Märkte und Kunden sowie einer agilen Anpassung der zu bedienenden strategischen Geschäftsfelder. Gerade in dem heutigen dynamischen Umfeld, das von der Digitalisierung und Globalisierung geprägt ist, ist die Entwicklung und Verteidigung der eigenen Wettbewerbsvorteile und USPs erforderlich (vgl. Kreikebaum et al., 2018, S. 76 ff.). Das Beispiel Siemens Energy in Abb. 7.4 verdeutlicht die Dynamik im Markt der Energietechnologie. Im Rahmen des strategischen Konzepts Vision 2020+ erfolgte im September 2020 die Abspaltung des Energiegeschäfts. Als eigenständige börsennotierte Aktienge-

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7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

Abb. 7.4  Siemens Energy Geschäftsfelder. (Quelle: Siemens, 2020a)

sellschaft ist die strategische Geschäftseinheit bereits nach ein paar Monaten im März 2021 in den wichtigsten deutschen Aktienindex DAX aufgenommen worden. Das Produktportfolio rund um konventionelle und erneuerbare Energietechnik, wie Gas- und Dampfturbinen, mit Wasserstoff betriebene Hybridkraftwerke, Generatoren und ­Transformatoren wird fünf Geschäftsfeldern zugeordnet. Ziele der Maßnahmen sind die Optimierung der Betriebsabläufe (Operational Excellence), die marktbedingten Anpassungen des Leistungsprogramms sowie die schrittweise Verlagerung des Innovations- und F&E-Schwerpunkts auf Nachhaltigkeit und Service. Eine ebenso strategische Fokussierung durch den Siemens-Konzern erfolgte bereits zuvor bei der strategischen Geschäftseinheit Healthineers im Bereich der Medizintechnik (vgl. Siemens, 2020b; Siemens Energy, 2021). Inside-out-Geschäftsfelder Eine Analyse der Geschäftsfelder aus der Inside-out-Perspektive geht von der zielgerichteten Nutzung der Ressourcen aus. Mit dem Ressourceneinsatz werden Leistungen und Lösungen, im B2B-Kontext oft eine Kombination von Produkten, Dienstleistungen und Services, auf unterschiedlichen Märkten erbracht. Im Bereich der Geschäftsfeldabgrenzung erlangte der Ansatz von Abell in den 1980er-Jahren große Beachtung, in dem die drei folgenden Dimensionen zueinander in Bezug gesetzt werden (vgl. Abell & Hammond, 1979, S. 392; Abell, 1980, S. 18 ff.): 1. Funktionen, 2. Zielgruppen und 3. Technologien.

7.5  Strategische Geschäftsfelder und strategische Geschäftseinheiten

Funktion

Zielgruppe

Hilfsmittel (Härter, Verdünnung)

Elektrohausgeräte Metallerzeugnisse Automobilindustrie Maschinenbau

Decklacke Schutz- und Dekorationslacke Grundierung

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Kunststoffindustrie Landmaschinen

Pulverlacke Elektro-Tauschlacke Kunststofflacke Wasserlacke Strahlenhärtende Systeme Technologie Abb. 7.5  Geschäftsfeldabgrenzung am Beispiel Industrielacke. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 2019, S. 59)

Im sogenannten Abell-Schema wird die Fragegestellung aufgeworfen, welches Problem (Funktion) welcher Kunden (Zielgruppen) wie gelöst (Technologien) werden soll (vgl. Kuß & Kleinaltenkamp, 2020, S. 134 f.): Abb. 7.5 verdeutlich beispielhaft die Geschäftsfeldabgrenzung mit diesen drei Dimensionen in der Branche der Industrielacke. Bei der praktikablen Umsetzung der Geschäftsfeldabgrenzung im B2B-Kontext wird empfohlen, schrittweise zunächst von einem hohen Abstraktionsniveau ausgehend zu spezifizieren. Aus der Inside-out-Perspektive steht die Umsetzung des Produkts bzw. die Leistung im Vordergrund. Als kritisch an diesem Ansatz ist zu betrachten, dass sich in der unternehmerischen Praxis Organisationen oft regional bzw. räumlich in ihren Strukturen organisieren. Dies im Rahmen der Zielgruppen einzubetten, führe in der Systematik zu Überschneidungen. Eine weitere Dimension wie z. B. der Punkt Region würde die Komplexität für die operationale Umsetzung deutlich steigern. Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Welche strategischen Maßnahmen können aus einer SWOT-Analyse abgeleitet werden? Führen Sie jeweils ein Beispiel an. 2. Stellen Sie die Zielpyramide für das strategische B2B-Marketing und den Vertrieb dar. 3. Zeigen Sie jeweils die Vor- und Nachteile des Resource-based Views und des Market-based Views auf.

194

7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

4. Beschreiben Sie die Marktsegmentierungskriterien in B2B-Märkten und deren grundsätzliche Anforderungen. 5. Grenzen Sie die beiden Begriffe strategische Geschäftsfelder (SGF) und strategische Geschäftseinheiten (SGE) voneinander ab.

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7  Grundlagen des strategischen B2B-Marketings und Vertriebs

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Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Lernziele

• Sie erfahren, wie eine Marktfeldstrategie auf Basis der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff abgeleitet wird. • Sie können die Zielsetzung des PIMS-Projekts und die daraus abgeleiteten strategischen Erfolgsfaktoren erläutern. • Sie kennen die Unterschiede der drei generischen Wettbewerbsstrategien nach Porter. • Sie sind in der Lage, mithilfe der Blue-Ocean-Strategie nach Kim und Mauborgne neue Märkte zu schaffen. • Sie können den Kernkompetenzenansatz von Prahalad und Hamel als mögliche Wettbewerbsstrategie in Betracht ziehen.

8.1 Marktfeldstrategien mit der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff In der wissenschaftlichen Literatur finden sich zahlreiche strategische Ansätze für eine erfolgreiche Behauptung in einem kompetitiven Marktumfeld. Im Folgenden werden einzelne Ansätze vorgestellt, die sich für ein B2B-Umfeld empfehlen. Diese hier vorgestellten Erfolgsfaktoren und generischen Wettbewerbsstrategien stellen aufgrund der Vielschichtigkeit der B2B-Märkte und Differenziertheit der Unternehmen lediglich eine

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_8]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_8

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8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Auswahl dar. Einen breiten und systematisch-kritischen Überblick der diversen strategischen Konzepte geben u. a. Eschenbach et al. (2008) und Harburger (2019). Grundsätzlich kann zwischen analytisch-konzeptionellen und praxisorientiert-gestaltenden Ansätzen unterschieden werden. Erstere, die analytisch-konzeptionellen Ansätze, gehen auf das Wesen des strategischen Managements ein und leiten hieraus konzeptionelle Schlüsse ab. Die praxisorientiert-gestaltenden Ansätze legen den Schwerpunkt auf konkrete Vorgehensweisen und Strategieinstrumente (vgl. Eschenbach et al., 2008, S. 19 ff.; Harburger, 2019, S. 51 ff.). Anknüpfend an die Analyse und Bestimmung der strategischen Geschäftsfelder und -einheiten ist die Anforderung, mögliche Handlungsalternativen hinsichtlich des geeigneten Produkt- bzw. Leistungsprogramms zu evaluieren. Auf Basis der Unternehmensziele stellt sich die Frage, ob mit den bestehenden Produkten bzw. Leistungen auf den passenden Märkten agiert wird. Die Marktfeldstrategie, auch als Produkt-Markt-Matrix von Ansoff bekannt, legt mögliche strategische Stoßrichtungen fest, um Ziellücken zu schließen. Mit diesem Ansatz lassen sich vier strategische Handlungsoptionen durch eine Produkt-Markt-­ Kombination strukturieren (vgl. Ansoff, 1957, S. 114, 1966, S. 132; Becker, 2019, S. 148; Meffert et al., 2019, S. 308). Durch die Kombination von bestehenden und neuen Produkten mit entsprechenden vorhandenen und neuen Märkten ergeben sich primär für ein wachstumsorientiertes Unternehmen vier grundlegende Optionen (vgl. Aurich & Schröder, 1977; Walsh et al., 2020, S. 188 f.): Marktdurchdringung Das Unternehmen strebt an, mit den vorhandenen Produkten den gegenwärtigen Markt zu bedienen und diesen so weit wie möglich auszuschöpfen. Für die Marktdurchdringung als Ausgangspunkt der Marktfeldstrategie bieten sich folgende Ansätze an, um den bestehenden Markt mit den vorhandenen Produkten intensiver zu bearbeiten: 1. Gewinnung von Neukunden, z. B. durch ein spezialisiertes Neukundenvertriebsteam oder die Intensivierung des Einsatzes von Referenzkunden als Multiplikatoren. 2. Erhöhung des Einkaufsvolumens der Kunden, bspw. durch eine Steigerung der Werbeund Vertriebsaktivitäten. 3. Abwerben von Kunden der Mitbewerber, z. B. durch eine aggressive Preispolitik. Marktentwicklung Die bisherigen Marktgrenzen werden aufgebrochen. Mit den vorhandenen Produkten werden neue Märkte erschlossen. Für die Strategie der Marktentwicklung bieten sich für eine Marktausdehnung folgende Möglichkeiten an: 1. Erschließung neuer Märkte, z. B. durch regionale oder internationale Expansionen oder durch den Vertrieb mittels neuer Handelspartner.

8.1  Marktfeldstrategien mit der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff

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. Einsatz des Produktes als Plattform für andere Verwendungszwecke. 2 3. Öffnung des bestehenden Marktes auch für andere Gewerbe oder Einzelkunden. Produktentwicklung Es werden neue Produkte entwickelt, um mit einem erweiterten Sortiment den bestehenden Markt tiefer zu penetrieren. In der heutigen dynamischen Welt mit stetig kürzer werdenden Produkt- und Marktlebenszyklen (hierzu auch folgend Abschn. 9.1) stellen Produktentwicklungen einen Grundpfeiler der langfristigen Überlebensfähigkeit von Unternehmen dar. Für die Strategie der Produktentwicklung, auch als Sortimentserweiterung beschreibbar, sind folgende Alternativen vorstellbar: 1. Technologische Innovationen, welche vom Unternehmen bisher nicht angeboten wurden. Abhängig vom Zeitpunkt des Markteintritts erfolgt dies als Pionier oder als Nachfolger. 2. Ausweitung des Leistungsprogramms durch Produktvariationen. 3. Erzielung von Cross-Selling-Effekten durch erweiterte Services und Dienste. Diversifikation Mit der Entwicklung neuer Produkte werden gleichzeitig neue Märkte erschlossen. Abhängig von den Marktbedingungen, unternehmerischen Möglichkeiten und der Risikobereitschaft können drei Arten von Diversifikationsstrategien unterschieden werden: 1. Eine horizontale Diversifikation liefert Produkte und Leistungen für neue Märkte auf derselben Wertschöpfungsebene, wie bspw. ein Consultingunternehmen, welches bisher im privatrechtlichen Segment aktiv war und nun ergänzend auch öffentlich-­ rechtliche Institutionen berät. 2. Mit der vertikalen Diversifikation erfolgt eine Vor- bzw. Rückwärtsintegration entlang der Wertschöpfungskette. Ein Beispiel wäre ein Maschinenbauer, der seinen im Produktionsprozess vorgelagerten Rohstofflieferanten übernimmt. 3. Die laterale Diversifikation bezeichnet den Weg in gänzlich neue Produkte und Märkte für das Unternehmen. Ein Beispiel wäre der damalige Montankonzern Preussag (heute TUI), der sich auf die Branchen Logistik und Tourismus ausrichtete. Der Ansatz der Produkt-Markt-Matrix liegt schwerpunktmäßig in der Realisierung von Wachstum. Auch die Fragestellung rund um Situationen mit schrumpfenden Märkten oder die Option des Abbaus bzw. Rückzugs von Märkten und Kunden kann eine betriebswirtschaftliche Herausforderung der Marktfeldstrategie darstellen. Für entsprechende neue Priorisierungen, um schlussendlich Wettbewerbsvorteile zu erreichen, ist die Produkt-Markt-Matrix um den Aspekt Rückzug und Desinvestition zu erweitern. Einen Vorschlag hierfür bieten Müller-Stewens und Lechner (2016, S. 252). Die Erfolgswahrscheinlichkeiten und die monetären Aufwände der vier Optionen der Marktfeldstrategien wurden in verschiedenen wissenschaftlichen Studien untersucht.

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8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Primär abhängig von der Nutzung von Synergiepotenzialen der eingesetzten und verfügbaren Ressourcen fallen die Erfolgsaussichten und die Aufwände recht unterschiedlich aus (vgl. Aurich & Schröder, 1977; Hinterhuber & Thom, 1979; Haake, 1987; Becker, 2019, S. 417): 1. 2. 3. 4.

Marktdurchdringung: 50 % Erfolgswahrscheinlichkeit; Bezugsbasis für den Aufwand Marktentwicklung: 20 % Erfolgswahrscheinlichkeit mit einem 4-fachen Aufwand Produktentwicklung: 33 % Erfolgswahrscheinlichkeit mit einem 8-fachen Aufwand Diversifikation: 5 % Erfolgswahrscheinlichkeit mit einem 12- bis 16-fachen Aufwand

Auf Basis dieser Erkenntnisse lässt sich das Z-Strategiemuster ableiten, welches eine Rangfolge der strategischen Optionen für die praktische Umsetzung vorschlägt. In Abhängigkeit von den vorhandenen Mitteln und dem strategischen Umsetzungsdruck empfiehlt sich, nach der Marktdurchdringung zunächst die Marktentwicklung der Produktentwicklung vorzuziehen. Aufgrund der Komplexität und des höheren Risikos wird die Diversifikation als letzte Strategieoption angesehen. Abb. 8.1 stellt zusammenfassend den Aufbau und die vier grundlegenden Optionen der Produkt-Markt-Matrix dar. Als Basis für die Wahl der passenden Marktfeldstrategie kann das Gesetz der abnehmenden Synergie dienen. Das Synergiepotenzial sinkt entsprechend dem Prinzip des Z-Strategiemusters von der Marktdurchdringung bis zur Diversifikation (vgl. Picot, 1981, S. 530). Das klassische Planungsinstrument der Lückenanalyse (Gap-Analyse) kann als Instrument der Früherkennung von strategischen Problemen dienen. Die geplante Entwicklung mit den unternehmerischen Zielen wie ROI, Deckungsbeitrag, Gewinn, Umsatz etc. wird

Märkte

Gegenwärtig

Neu

Produkte

Gegenwärtig

Bezugsbasis

4-facher Aufwand

Marktdurchdringung

Marktentwicklung

50%

Neu

1

2

3

4

20%

8-facher Aufwand

12- bis 16-facher Aufwand

Produktentwicklung

Diversifikation

33%

5%

Erfolgsaussichten in %

Abb. 8.1  Grundlegende Optionen der Marktfeldstrategie (Produkt-Markt-Matrix). (Quelle: In Anlehnung an Meffert et al., 2019, S. 309)

8.2  Strategische Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts

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Zielgröße

Ziellinie Planungszeitpunkt

Ziellücke

Diversifikation

Entwicklungslinie

Produktentwicklung Marktentwicklung Marktdurchdringung Keine zusätzlichen Maßnahmen

Zeit Abb. 8.2  Lückenanalyse im Rahmen der Marktfeldstrategie. (Quelle: In Anlehnung an Meffert et al., 2019, S. 310)

den gegenwärtigen Aktivitäten gegenübergestellt. Es kann eine strategische Lücke entstehen, wenn die gewünschte Entwicklung von der erwarteten Entwicklung abweicht (vgl. Picot, 1981, S.  530). Die Heuristik des Z-Strategiemusters kann hier eine Option zur Schließung dieser strategischen Lücke sein. Abb. 8.2 zeigt die Schließung der Ziellücke mithilfe des abgestuften Vorgehens entsprechend den Optionen aus der Produkt-Markt-­ Matrix (vgl. Becker, 2019, S. 416; Meffert et al., 2019, S. 310). Kritische Betrachtung der Marktfeldstrategie Wie bereits beschrieben, dominiert beim Ansatz der Marktfeldstrategie das Wachstum. Wettbewerbsrelevante Aspekte bleiben außer Acht. Es liegt nahe, dass durch Marktaktivitäten mit Eindringen in bestehende Märkte Reaktionen der Konkurrenz folgen. Ob entsprechende Ressourcen, sei es Personal oder Finanzen, für Investitionen zur Verfügung stehen oder ob die Rahmenbedingungen überhaupt eine Marktfeldstrategie zulassen, wird in diesem Konzept nicht betrachtet. Für strategische Entscheidungen sollten weitere Analysen erfolgen, die im Folgenden vorgestellt werden.

8.2 Strategische Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts Die Identifizierung von Erfolgsfaktoren von strategischen Konzepten stellt sicherlich eine Herausforderung dar. Ein weit verbreiteter und klassischer Ansatz über Erfolgsfaktoren ist das PIMS-Projekt (oder auch als PIMS-Programm bezeichnet), wobei PIMS für

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8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Profi Impact of Market Strategies steht. Ziel dieser breit angelegten empirischen Studie war es, mithilfe von Korrelations- und multiplen Regressionsanalysen Gesetzmäßigkeiten von Unternehmenserfolgen herauszufinden. Die Ursprünge gehen zurück auf Analysen in den 1960er-Jahren von Schoeffler, der einzelne Unternehmenseinheiten des US-­ amerikanischen Konzerns General Electric hinsichtlich „Financial Performance“ und „Strategic Characteristics“ untersucht hat. Das Anliegen des Projekts war es „to discover the general ‚laws‘ that determine what business strategy, in what kind of competitive environment produces what profit results” (Schoeffler, 1983, S.  1). Das ursprünglich als „Profit Optimizing Model“ bezeichnete Modell führte durch die Ausdehnung und Verselbstständigung des Projekts in das Marketing Science Institut (Harvard Business School) und eine spätere Überführung des Projekts im Jahr 1975 in das unabhängige und gemeinnützige Strategic Planning Institute in eine weitbeachtete und umfassende Datenbasis. Die empirische Untersuchung weitete sich auf weltweit 450 Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen aus. Mit dem Zugriff von jeweils 200 Einzelinformationen bei rund 3.000 erfassten strategischen Geschäftseinheiten (Abschn. 7.5) war es möglich, Erfolgsfaktoren für 1. den Return on Investment (ROI), als primäre Rentabilitätskennzahl, 2. den Return on Sales (RoS), als das Verhältnis zwischen Gewinn und Umsatz, sowie 3. den Cash flows und das Wachstum empirisch zu belegen. (vgl. Buzzell & Gale, 1989, S. 3 ff.; Buzzell, 2004, S. 478; Homburg, 2020, S. 441). Tab. 8.1 zeigt die zentralen identifizierten Erfolgsfaktoren mit ihren Beschreibungen nach PIMS. Mit diesen Faktoren lassen sich ca. 70 bis 80 % der Varianz der finanziellen Ergebnisse strategischer Geschäftseinheiten erklären (vgl. Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 315 f.). Eines der wichtigen Ergebnisse des PIMS-Projekts ist, dass der Marktanteil, sowohl absolut als auch in Relation zu dem Mitbewerber, als der zentrale Faktor dargestellt wird für eine hohe Rentabilität und den Cashflow. Auf diesen Erkenntnissen bauen auch diverse Ansätze von Porter auf, u. a. seine generischen Wettbewerbsstrategien (Abschn. 8.3). Die Ergebnisse spiegeln sich auch in der Betrachtung von Economies of Scale und beim Erfahrungskurvenkonzept (Abschn. 9.2) wider. Auch weitere Faktoren wie bspw. Produktqualität oder Investitionsintensität werden sowohl in positiver als auch in negativer ­Korrelation erklärt und Unterschiede zwischen erfolgreichen und weniger ertragsreichen Unternehmen bzw. deren strategischen Einheiten aufgezeigt. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich sowohl positive als auch negative Bewertungen des PIMS-Projekts. Kritisiert werden vor allem die trivial erscheinenden Kausalzusammenhänge, fehlende Transparenz und das methodische Vorgehen. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die Arbeit von Venohr (1988, S. 7 ff.) verwiesen mit den dortigen Ausführungen und Quellen.

8.2  Strategische Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts

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Tab. 8.1  Zentrale Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts. (Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens & Lechner, 2016, S. 315) Erfolgsfaktor

Beschreibung und Wirkung auf den Return on Investment (ROI), den Return on Sales (RoS), Cashflow und Wachstum Kundenprofil Anzahl der Kunden, die 50 % des Umsatzes ausmachen: Eine sehr kleine Kundenzahl wirkt sich positiv aus. Die Werbeintensität kann hier geringer ausfallen und dies reduziert die Kosten. Relativer Eigener Marktanteil in Relation zum Mitbewerb: Ein hoher Marktanteil Marktanteil trägt signifikant zur Rentabilität bei. Gründe dafür liegen in den Economies of Scale, der Risikoaversion der Kunden, der Fähigkeit des Managements wie der Marktmacht der strategischen Geschäftseinheit gegenüber Lieferanten, Kunden und Mitbewerbern. Marktwachstumsrate Prozentuale Wachstumsrate des relevanten Marktes in einen bestimmten Zeitraum: Eine Wachstumsrate ist positiv für den absoluten Gewinn, neutral bezüglich des relativen und negativ für den Cashflow, da intensiv investiert wird. Je weiter das Produkt im Lebenszyklus fortschreitet, desto mehr nimmt der ROI ab. Relative Qualität Umsatzanteil aus Leistungen mit überlegener Qualität in Bezug zu denen mit unterlegener Qualität: Die Qualität wird aus Sicht des Kunden beurteilt. Eine höhere wahrgenommene Qualität im Vergleich zur Konkurrenz wirkt sich stark positiv aus. Höhere Preise werden durchsetzbar und mit zunehmendem Marktanteil sinken die relativen Kosten, was sich positiv auf den ROI auswirkt. Produktivität Wertschöpfung pro Mitarbeiter: Eine hohe Produktivität ist stets positiv. Sie ist jedoch nicht so hoch wie ursprünglich angenommen, denn wird sie durch erhöhte Investitionen erreicht, so reduziert die gestiegene Investitionsintensität den ROI. Investitionsintensität Investitionen im Verhältnis zur Wertschöpfung: Dieser Faktor wirkt sich negativ auf den ROI aus. Begründet wird dies durch Preiskämpfe aufgrund hoher Investitionen, durch geringe Effizienz, mit der das Anlagevermögen genutzt wird, sowie den erschwerten Austritt aus unrentablen Geschäften. Innovationsrate Umsatzanteil von Produkten, die nicht älter als drei Jahre sind: Eine hohe Investitionsrate ist nur bis zu einem gewissen Grad (Marktanteil) positiv. Danach übersteigen die Kosten den geschaffenen Mehrwert. Sie zahlt sich insbesondere bei einem hohen Marktanteil aus, hat jedoch bei einem niedrigen Marktanteil einen negativen Einfluss. Vertikale Integration Wertschöpfung im Bezug zum Umsatz: Sie ist in reifen und stabilen Märkten positiv. Sowohl in wachsenden als auch in schrumpfenden Märkten wirkt dieser Faktor negativ. Das Verhältnis zwischen vertikaler Integration und ROI lässt sich als V-förmige Kurve darstellen, was für eine hohe oder niedrige vertikale Integration spricht.

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8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Als Vorteile des PIMS-Projekts können festgehalten werden (vgl. Bea & Haas, 2019, S. 146): 1 . Strukturiert und veranschaulicht strategische Probleme, 2. skizziert Lösungsalternativen und 3. falsifiziert getroffene Entscheidungen.

8.3 Generische Wettbewerbsstrategien nach Porter In seinem Grundlagenwerk Competitive Strategy schlägt Porter drei generische Wettbewerbsstrategien vor, um sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten (vgl. Porter, 1980, S. 35): 1 . „Overall Cost Leadership“ mit dem Ansatz der Kostenführerschaft, 2. „Differentiation“ mit dem Ziel der Differenzierung durch Qualität und Service und 3. „Focus“ mit der Positionierung in einer Marktnische. Entweder wird auf ein effektives Kostenmanagement gesetzt oder es erfolgt eine Differenzierung nach Qualität und Service, um so strategische Wettbewerbsvorteile zu erzielen und schlussendlich rentabel zu sein. Eine Kostenführerschaft im Markt ermöglicht eine aggressive Preisstrategie. Mit Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfung sind Skalen-, Verbund- und Erfahrungskurveneffekte erzielbar. Effiziente Kostensituationen erlauben es, relativ günstigere Preise zu platzieren, um sich so gegenüber der Konkurrenz zu behaupten und schlussendlich Marktanteile zu gewinnen und Erlöse zu erzielen. Niedrige Preise können auch eine Markteintrittsbarriere für potenzielle Mitbewerber darstellen. Es ist anzunehmen, dass Preisanpassungen, z. B. aufgrund erhöhter Rohstoffkosten, bei einem kostensensitiven Buying Center relativ schwieriger umsetzbar sind als in den anderen Wettbewerbsstrategieoptionen. Des Weiteren besteht das Risiko, dass die bestehende Kostenführerschaft durch technischen Fortschritt gefährdet wird. Auf Basis vom Kunden wahrnehmbarer Qualitäts- und Servicevorteile kann eine Differenzierungsstrategie erfolgen. Kundenbeziehungsmanagement (Abschn. 2.1), Marktforschung (Abschn. 4.2) oder Markenmanagement (Abschn. 9.5) gewinnen hier an besonderer Bedeutung. Durch die Abgrenzung besteht weniger Vergleichbarkeit und dies kann zu höheren Deckungsbeiträgen führen. Dem Buying Center eines beschaffenden Unternehmens müssen in diesem Fall mögliche höhere Preisforderungen durch für den Kunden relevante Mehrwerte begründet werden, gerade dann, wenn im Markt auch preisaggressive Wettbewerber agieren. Eine dritte Alternative stellt die Fokussierung auf eine Nische dar, in der selektiv vorgegangen werden soll, bspw. durch Beschränkung auf spezielle Geschäftsfelder, Marktund Kundensegmente etc. Durch diese selektive Herangehensweise können Wettbewerbs-

8.3  Generische Wettbewerbsstrategien nach Porter

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Marktabdeckung

vorteile z. B. durch bessere, marktspezifischere Leistungen, gezieltere Kampagnen oder durch Spezialisierung der Vertriebsorganisationen entstehen. Es bedarf anstelle einer vollständigen Marktabdeckung der Identifizierung spezieller Handlungsfelder, Produkte, Märkte und Kunden. Bei allen drei Strategieempfehlungen besteht die Herausforderung und das Risiko, dass aufgrund der Dynamik in den Märkten durch Globalisierung, Digitalisierung, Disruptionen und kürzer werdenden Produktlebenszyklen die Wettbewerbssituation verteidigt und angepasst werden muss. Abb. 8.3 zeigt die drei generischen Wettbewerbsstrategien nach Porter. Das Stuck in the Middle (zwischen den Stühlen) soll die schwache Positionierung demonstrieren, wenn keine der drei grundlegenden Strategien verfolgt wird bzw. das Unternehmen in der Mitte verharrt und sämtliche strategische Stoßrichtungen angegangen werden. Diese Unternehmen weisen eine schwache Marktposition u. a. durch niedrige Marktanteile und Kapitalinvestitionen sowie das Fehlen einer klar abgrenzbaren Positionierung der Produkte und Leistungen gegenüber dem Wettbewerb auf. Dies führt schlussendlich zu einer ­vergleichsweise niedrigeren Profitabilität (vgl. Porter, 1980, S.  41  f.; Buchholz, 2019, S. 232 ff.). Porters Konzept zu den generischen Wettbewerbsstrategien betont, dass sich ein Unternehmen klar und eindeutig positionieren soll. Nur mit einer Entscheidung zur Fokussierung auf Preise oder auf eine Differenzierung durch Qualität und Service bzw. auf ausgewählte Nischen kann eine erfolgreiche und rentable Wettbewerbsposition geschaffen werden.

Differenzierungsstrategie

Aggressive Preisstrategie

Qualitäts-/ Serviceführerschaft

Kostenführerschaft

„Stuck in the Middle“ „Zwischen den Stühlen” Nischenstrategie mit Differenzierungsfokus

Nischenstrategie mit Preisfokus

Selektive Qualitäts-/ Servicesführerschaft

Selektive Kostenführerschaft

Wettbewerbsvorteile Abb. 8.3  Wettbewerbsstrategien nach Porter. (Quelle: In Anlehnung an Buchholz, 2019, S. 238)

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8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Zu kritisieren ist, dass mit der zwingenden Ausschließlichkeit der Festlegung auf eine strategische Normstrategie die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bei sich verändernden Rahmenbedingungen genommen wird. Eine Position der Kostenführerschaft kann sich bspw. durch Rohstoffengpässe, technologischen Fortschritt oder regulatorische Einflüsse verändern und der Wettbewerbsvorteil wäre obsolet. Auch bestehen erfolgreiche Unternehmen, die mehrere Wettbewerbsstrategien gleichzeitig verfolgen, wie es folgend die Blue-Ocean-Strategie zeigt (Abschn. 8.4).

8.4 Blue-Ocean-Strategie nach Kim und Mauborgne Basierend auf empirischen Studien erfolgreicher Unternehmen in verschiedenen Branchen und anknüpfend an eine kritische Reflexion der generischen Wettbewerbsstrategien nach Porter (Abschn.  8.3), bei dem die grundsätzlichen Handlungsoptionen abgesehen von der Nischenstrategie entweder primär aus einer Preisstrategie durch Kostenführerschaft oder einer Differenzierungsstrategie mit dem Schwerpunkt auf Qualität und Service bestehen, haben Kim und Mauborgne identifiziert, dass beide Konzepte auch gleichzeitig verfolgt werden können. Grundgedanke des Konzepts ist, durch „Value Innovationen“ nachhaltige und rentable neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, anstatt in wettbewerbsintensiven Märkten Ressourcen aufzuzehren und mögliche Potenziale zu versäumen. Mit der Metapher Red Ocean werden bestehende und etablierte Märkte beschrieben, die geprägt sind von hoher Rivalität zwischen den Marktteilnehmern. Im Gegensatz hierzu sind Blue Oceans Märkte mit einem nicht bestehenden bzw. niedrigen Wettbewerb. Strategisches Bestreben ist es, diese Märkte durch Innovationen zu schaffen bzw. zu finden. Zahlreiche Fallbeispiele u.  a. aus den Branchen Möbel, IT, Wein, Entertainment, welche gleichzeitig Kosten und Differenzierung fokussieren, zeigen auf, dass die von Porter propagierten Wettbewerbsstrategien in Frage gestellt werden können. Porters Analyseperspektive und Betrachtung basierten primär auf bereits bestehenden und stark rivalisierenden Märkten, also Red Oceans (vgl. Kim & Mauborgne, 1997, 2004, 2005). Abb. 8.4 stellt die wesentlichen Aspekte der Blue- und Red-Ocean-Strategie gegenüber. (Quelle: In Anlehnung an Kim & Mauborgne, 2005, S. 18). Für den Aufbau und die Schaffung neuer Märkte setzen Kim und Mauborgne methodisch zunächst ein Benchmark mit der entsprechenden Branche. Mithilfe einer sogenannten Strategy Canvas wird die aktuelle Marktsituation erfasst. Einzelne Faktoren werden in Form einer Value Curve (Wertekurve) dargestellt, um wettbewerbsdifferenzierende Merkmale zu benennen (vgl. Kim & Mauborgne, 2005, S. 25 ff.). Abb. 8.5 zeigt die strategische Standortbestimmung des Prüfdienstleisters TÜV Rheinland mithilfe der Value Curve. Im angeführten Beispiel vergleicht die Wertekurve einzelne Punkte des TÜV Rheinlands mit seinem Mitbewerber SGS und verdeutlich so anschaulich die Differenzierungspotenziale vor allem in den Bereichen Consulting-Leistungen und Berichtsumfang (vgl. Weppler, 2019, S. 155 f.).

8.4  Blue-Ocean-Strategie nach Kim und Mauborgne

Blue Ocean

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Red Ocean

Aufbau und Schaffung neuer, bisher nicht vorhandener Märkte

Konkurrieren auf existierenden Märkten

Den Wettbewerb einschränken bzw. irrelevant machen

Sich im Wettbewerb behaupten und die Konkurrenz schlagen

Neue Nachfrage schaffen und Bedarfe nutzen

Bestehe Nachfrage und Bedarfe befriedigen

Kosten und Nutzen in einen erfolgversprechenden Einklang bringen

Abwägung zwischen Kosten und Nutzen vornehmen

Strategische Ausrichtung auf Differenzierung und niedrige Kosten

Strategische Ausrichtung auf Differenzierung oder niedrige Kosten

Abb. 8.4  Blue- und Red-Ocean-Strategie

Abb. 8.5  Value Curve TÜV Rheinland vs. SGS. (Quelle: Weppler, 2019, S. 156)

Im Gegensatz zu vielen anderen strategischen Modellen mit dem Fokus auf etablierten Märkten wird im Blue-Ocean-Ansatz insbesondere auch versucht, neue Märkte und Kundengruppen zu schaffen. Durch eine Sensibilisierung auf Kundenbedürfnisse und weniger die Fokussierung auf bestehende Wettbewerbssituationen können neue Erkenntnisse über Kundenprobleme gewonnen werden, auf welche sich die Branche bisher nicht konzen­ triert hat (vgl. Barsch et al., 2019, S. 15). Ein weiteres methodisches Instrument des Blue-Ocean-Ansatzes stellt das ERSK-­ Quadrat dar. ERSK steht dabei für die englischen Begriffe Eliminate, Reduce, Raise und Create (vgl. Kim & Mauborgne, 2005, S. 35 ff.).

208

8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Basierend auf den vier folgenden Schlüsselfragen sollen Handlungsfelder für die Neudefinition der Value Curve gewonnen werden (vgl. Kim & Mauborgne, 2005, S. 35 ff.; Heupel et al., 2019, S. 16): 1. Eliminate: Welche der Faktoren können eliminiert werden? 2. Reduce: Welche Faktoren können unter den Branchenstandard reduziert bzw. abgesenkt werden? 3. Raise: Welche Faktoren können über den Branchenstandard gesteigert bzw. angehoben werden? 4. Create: Welche Faktoren, die bisher noch nie von der Branche geboten wurden bzw. nicht erfasst sind, können kreiert bzw. entwickelt werden? Die ersten beiden Fragen zielen darauf ab, mit Eliminierung und Reduzierung die jeweilige Kostenposition im Vergleich zum Wettbewerb zu senken. Die anschließenden beiden Fragen befassen sich mit dem Ziel einer Steigerung und einer Kreierung von Nutzen für den Kunden, um neue Nachfrage zu generieren und Bedarfe zu schaffen (vgl. Heupel et al., 2019, S. 17). Zur Neugestaltung der Märkte und deren Grenzen und somit auch um die Value Curve neu gestalten zu können, wird ein sogenanntes Six Paths Framework (sechs Suchpfade) bereitgestellt. Mit einer gezielten Perspektive auf sechs Stoßrichtungen soll das Risiko von Fehlentscheidungen reduziert werden (vgl. Kim & Mauborgne, 2005, S. 48 ff.; Heupel et al., 2019, S. 19 ff.): 1. Suche nach Potenzialen in alternativen Branchen („Look across alternative industries“): • Der Wettbewerb besteht nicht nur innerhalb der eigenen Branche, sondern im digitalen Zeitalter auch vermehrt durch Marktteilnehmer, die nicht originär in traditionellen Branchengrenzen agieren. Gerade Technologiekonzerne wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Tesla agieren zunehmend außerhalb ihrer Kernmarktfelder. Auch ein Blick in erfolgreiche B2C-Branchen kann Potenziale und Chancen bieten. Die angebotenen Leistungen können sich in der Form deutlich voneinander unterscheiden, aber für die Kunden bieten sie möglicherweise ähnlichen Nutzen oder Funktionalitäten. Die Wahlmöglichkeiten stellen für den Kunden keine Substitute dar, sondern Alternativen ihrer Bedürfnisbefriedigung. 2. Suche nach Potenzialen bei strategischen Gruppen innerhalb der Branche („Look across strategic groups within industries“): • Innerhalb einer Branche lassen sich bei der Festlegung von Wettbewerbsstrategien zwei Arten von Unternehmensgruppen grundsätzlich unterscheiden, wie auch schon Porter beschrieb (Abschn. 8.3). Der eine Teil fokussiert sich auf die gezielte Preispositionierung und der andere differenziert sich mit seinem Leistungsangebot. Die Automobilzulieferindustrie konzentriert sich primär auf den Wettbewerb im Umfeld effizienter Antriebstechnologien und deren einzelne Komponenten. Andere hingegen legen ihren Schwerpunkt auf die Abgrenzung zur Konkurrenz durch Performance,

8.4  Blue-Ocean-Strategie nach Kim und Mauborgne

3.

4.

5.

6.

209

Service und Qualität. Beide Ansätze müssen einander nicht zwangsläufig diametral gegenüberstehen. Es empfiehlt sich, einen breiteren Blickwinkel auf sämtliche strategische Gruppen in der jeweiligen Branche zu werfen, um Potenziale zu entdecken. Suche nach Potenzialen im Buying Center („Look across the chain of buyers“): • Speziell im B2B-Umfeld hat das Buying Center (Abschn.  6.3.2) eine besondere Stellung im Rahmen der Kaufentscheidung. Die verschiedenen Rollen innerhalb der Organisation, wie Einkäufer, Nutzer, Beeinflusser, Entscheider etc., und deren Bedürfnisse sind zu berücksichtigen und zu reflektieren. Im Umfeld von CRM-­ Systemen fokussiert sich Salesforce primär auf die Nutzer und Entscheider aus den Fachabteilungen Vertrieb und Marketing, im Gegensatz zu dem früheren Marktführer Oracle Siebel, der seine Kernansprechpartner in der Akquise traditionell mehr bei den jeweiligen IT-Verantwortlichen sieht. Salesforce ist mittlerweile der Industrie-­Standard bei CRM-Systemen. Suche nach Potenzialen durch komplementäre Produkte und Dienste („Look across complementary product and service offerings“): • Das Bestreben ist es, durch Zusammenführung von komplementären Produkten und Diensten ganzheitliche Lösungen zu schaffen. Der Erfolg einer Lösung ist sehr abhängig von Themen außerhalb des eigenen Einflussbereichs. Es sind externe Faktoren wie Transport- und Lieferlogistik, Fachkräfte, Alternativlösungen oder Support, die eine Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen können. Sämtliche Transaktionskosten bedürfen einer Betrachtung und bilden Potenziale und Chancen, sich zu profilieren. Suche nach Potenzialen durch funktionale oder emotionale Kundenwahrnehmung („Look across functional or emotional appeal to buyers“): • Das Kaufverhalten wird von verschiedenen Bestimmungsfaktoren beeinflusst. Marken wie Salesforce oder Apple positionieren ihre Produkte bewusst mit einer emotionalen Botschaft. Unternehmen mit funktionaler Ausrichtung der Produkte und Dienste stellen den Nutzen- und Preisaspekt in den Vordergrund. Diese sollten offen und bereit sein, sich breiter auszurichten. Emotional ausgerichtet sind Marken, die ihren Kunden diverse zusätzliche Dienste bieten, ohne dass sich die Produktfunktionalität verbessert. Es bietet bspw. keinen direkten Mehrwert, Service-Levels für Wartungstechniker 24/7 an 365 Tagen im Jahr zuzusagen und bereitzuhalten, wenn auf Kundenseite keine Produktion oder anderes Fachpersonal zur Verfügung steht. Beispielsweise mithilfe von Conjoint-Analysen können entsprechende Preisbereitschaften und Nutzenabschätzungen identifiziert werden. Suche nach Potenzialen durch die Identifizierung von Trends („Look across time“): • Durch Trends ausgelöste Veränderungen können ganze Märkte disruptieren. Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehören zu den aktuellen Megatrends. Entscheidend sind die richtige Bewertung und das entsprechende (Re-)Agieren auf die bestehenden und kommenden Trends. Grundsätzliche Fragestellungen sollten beantwortet werden: Besteht die Möglichkeit, sich flexibel und resilient auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen? Ist der Trend dauerhaft und umkehrbar? Welche Potenziale und Herausforderungen bietet der Trend für das Unternehmen?

210

8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Grundsätzliches Bestreben der Blue-Ocean-Strategie ist es, anstelle einer direkten Auseinandersetzung mit der Konkurrenz im bestehenden Markt eigene Märkte zu kreieren. In Branchen mit einer nicht sehr ausgeprägten Wertschöpfungstiefe kann der Blue-­Ocean-­ Ansatz an seine Grenzen stoßen. Der in Abschn. 8.1 vorgestellte Diversifikationsansatz nach Ansoff im Rahmen der Marktfeldstrategie oder Ansätze von Drucker (1954) zur Innovation zeigen viele Gemeinsamkeiten und gleichartige Schlussfolgerungen wie die Blue-Ocean-Strategie von Kim und Mauborgne.

8.5 Kernkompetenzenansatz nach Prahalad und Hamel Im Gegensatz zu den beiden vorangegangen Strategieansätzen, die dem Market-based View (Abschn. 7.3) zuzuschreiben sind, verfolgt der von Prahalad und Hamel propagierte Kernkompetenzenansatz einen nach innen gerichteten ressourcenorientierten Schwerpunkt (vgl. Prahalad & Hamel, 1990, S. 79 ff.). Die strategische Fokussierung auf die Kernkompetenz (Core Competencies) leitete einen Paradigmenwechsel ein: Bis in die 1980er-Jahre lag oftmals die unternehmerische Ausrichtung auf Risikostreuung und Diversifikation. Der bis dahin reine Automobilhersteller Volkswagen übernahmen den Büromaschinenhersteller Triumph-Adler, Daimler-Benz seinerseits den Haushaltsgeräteanbieter AEG sowie den Flugzeugbauer Fokker. Mit der Diversifikation und folgend einer Risikostreuung durch Expansion mit vielfältigen strategischen Geschäftseinheiten (Abschn. 7.4) war die Vision (Abschn. 7.2) eines integrierten multitechnologischen Konzerns erreicht. Nach mehreren Strategien– und Visionswechseln will sich der Daimler-Konzern mit dem aktuellen „Projekt Fokus“ wieder stärker auf seine Kernkompetenzen konzentrieren, so Vorstandschef Ola Källenius im Rahmen der außerordentlichen Hauptversammlung am 01.10.2021 für die Abspaltung von Daimler Truck und Umfirmierung der Daimler AG in Mercedes-Benz Group AG (vgl. Mercedes-Benz, 2021a, b). Primat des Kernkompetenzenansatzes ist, die ganze Unternehmensorganisation nicht als eigenständige strategische Geschäftseinheiten zu verstehen, sondern die Wettbewerbsstärke durch eine Kombination der spezifischen Fähigkeiten zu erlangen. Wettbewerbsvorteile ergeben sich durch die Integrationsfähigkeit der einzelnen Produktionstechnologien und durch das Potenzial einer lernenden Gesamtorganisation über sämtliche Geschäftsbereiche hinweg. In Analogie des Aufbaus eines Baums beschreiben Prahalad und Hamel die Verbindung zwischen Endprodukten und Kompetenzen (Abb. 8.6). Die Wurzeln bilden die originären nicht imitierbaren Kompetenzen, der Stamm die entsprechenden Kernprodukte. Das Geäst stellt die Geschäftsbereiche dar und die Blätter, Blüten und Früchte symbolisieren die Endprodukte. Das vornehmlich nicht sichtbare Wurzelsystem gibt dem gesamten Organismus, sprich der gesamten Organisation, die erforderliche Robustheit und Stabilität für die Wettbewerbsfähigkeiten sowie auch hierfür die notwendigen Grundnährstoffe (vgl. Prahalad & Hamel, 1990, S. 80 f.; Buchholz, 2019, S. 66 f.). Prahalad und Hamel grenzen ihren Ansatz der Kernkompetenzen bewusst ab von der Tyrannei der strategischen Geschäftseinheiten, wie sie es selbst bezeichnen (SGE,

GeschäftsEndbereiche produkte

8.5 Kernkompetenzenansatz nach Prahalad und Hamel

1

2

3

Bereich 1

4

5

6

Bereich 2

7

211

8

9

Bereich 3

10 11 12

Bereich 4

Kernprodukte

Kernprodukt 2

Kernkompetenzen

Kernprodukt 1

Kompetenz 1

Kompetenz 2

Kompetenz 3

Kompetenz 4

Abb. 8.6  Kompetenzen: Wurzeln der Wettbewerbsfähigkeit. (Quelle: In Anlehnung an Buchholz, 2019, S. 68)

­ bschn. 7.5). Die Logik von SGEs fördert ein Silodenken. Talente und Ressourcen werden A zurückgehalten, anstelle eines geeigneten Einsatzes außerhalb der eigenen SGE bzw. wird um sie sogar intern gekämpft. Einer SGE als eigenständig geführter Einheit mit autarkem Portfolio in der Gesamtorganisation kann es an der Bereitschaft fehlen, ­bereichsübergreifende Kernkompetenzen und -produkte zu entwickeln. Die nach innen ausgerichtete strategische Aufgabe des Managements ist es, mögliches Silodenken aufzubrechen sowie die Unternehmung ganzheitlich dazu zu befähigen, Kernkompetenzen und Kernprodukte zu identifizieren, aufzubauen und zu erhalten. Kernkompetenzen sollten dabei folgende Merkmale erfüllen (vgl. Prahalad & Hamel, 1990, S. 83): 1 . Kernkompetenzen bieten einen potenziellen Zugang zu vielfältigen Märkten. 2. Kernkompetenzen leisten einen wahrnehmbaren und nutzenstiften Mehrwert für den Kunden beim Endprodukt. 3. Kernkompetenzen sollten nicht ohne Weiteres zu imitieren oder zu substituieren sein. Der aus den 1990er-Jahren stammende viel beachtete Kernkompetenzenansatz liefert eine schlüssige Perspektive auf strategische Ressourcen, mit denen Wettbewerbsvorteile erzielt werden können. Die zentrale Schlüsselrolle der Kernkompetenzen im Rahmen des Wert-

212

8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

schöpfungsprozesses wird in diesem Konzept hervorgehoben. Ein vorherrschendes Silodenken in einzelnen Unternehmensbereichen kann organisatorisch aufgebrochen werden. In der heutigen dynamischen Zeit – geprägt sowohl von Fusionen, Übernahmen, kürzeren Produkt- und Marktlebenszyklen als auch von disruptiven Technologien und Plattformen – stellt sich die Frage der praktischen Operationalisierung dieses Ansatzes der Kernkompetenzen. In der wissenschaftlichen Literatur haben sich diverse Ansätze für das Management von Kernkompetenzen entwickelt. Hier kann nur vertiefend an weiterführende Quellen verwiesen werden, wie z. B. der VIRO-Rahmen (vgl. Abb. 6.29 und 6.30) nach Barney, 1995, S. 50 ff. oder die WSIT-Analyse nach Müller-Stewens & Lechner (2016, S. 206 f.). Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Was sind die grundlegenden Optionen der Marktfeldstrategie (Produkt-­Markt-­ Matrix nach Ansoff)? 2. Stellen Sie die zentralen Erfolgsfaktoren des PIMS-Projekts dar. 3. Was sind die drei generischen Wettbewerbsstrategien nach Porter? 4. Stellen Sie das Konzept der Blue- und Red-Ocean-Strategie dar. Zeigen Sie ein konkretes Beispiel für eine Blue-Ocean-Strategie. 5. Erklären Sie das Six Paths Framework der Blue-Ocean-Strategie. 6. Erläutern Sie die Hauptperspektive des Kernkompetenzenansatzes nach Prahalad und Hamel. 7. Nennen Sie die Merkmale, die Kernkompetenzen haben sollten.

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Literatur

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Literatur Ansoff, H. I. (1957). Strategies for diversification. Harvard Business Review, 35(5), 113–124. Ansoff, H. I. (1966). Management-Strategie. Moderne Industrie. Aurich, W., & Schröder, H.-U. (1977). Unternehmensplanung im Konjunkturverlauf. Planen und Durchführen von Wachstums-, Konsolidierungs- und Schrumpfungsstrategien mit Fallstudien (2. Aufl.). Moderne Industrie. Barney, J. B. (1995). Looking inside for competitive advantage. Academy of Management Executive, 9(4), 49–61. Barsch, T., Heupel, T., & Trautmann, H. (Hrsg.). (2019). Die Blue-Ocean-Strategie in Theorie und Praxis: Diskurs und 16 Beispiele erfolgreicher Anwendung. Springer Gabler. Bea, F. X., & Haas, J. (2019). Strategisches Management (10. Aufl.). utb. Becker, J. (2019). Marketing-Konzeption: Grundlagen des ziel-strategischen und operativen Marketing-­Managements (11. Aufl.). Vahlen. Buchholz, L. (2019). Strategisches Controlling. Grundlagen – Instrumente – Konzepte (3. Aufl.). Springer Gabler. Buzzell, R. D. (2004). The PIMS program of strategy research. A retrospective appraisal. Journal of Business Research, 57(5), 478–483. Buzzell, R. D., & Gale, B. T. (1989). Das PIMS-Programm Strategien und Unternehmenserfolg. Springer. Drucker, P. F. (1954). The practice of management. Harper & Row. Eschenbach, R., Eschenbach, S., & Kunesch, H. (2008). Strategische Konzepte: Ideen und Ansätze von Igor Ansoff bis Hans Ulrich (5. Aufl.). Schäffer-Poeschel. Haake, K. (1987). Strategisches Verhalten in europäischen Klein- und Mittelunternehmen. Duncker & Humblot. Harburger, W. (2019). Die Logik der Strategieentwicklung Strategische Konzepte und Instrumente nachhaltig einsetzen. Springer Gabler. Heupel, T., Barsch, T., Niesar, T., & Yesilkaya, V. (2019). Vom konventionellen Strategischen Management zur Blue Ocean Strategy  – Vorstellung, Vergleich und Anwendung strategischer Grundoptionen. In T. Barsch, T. Heupel & H. Trautmann (Hrsg.), Die Blue-Ocean-Strategie in Theorie und Praxis: Diskurs und 16 Beispiele erfolgreicher Anwendung (S. 153–161). Springer Gabler. Hinterhuber, H. H., & Thom, N. (1979). Innovation im Unternehmen. Literatur Berater Wirtschaft, 2, 13–19. Homburg, C. (2020). Marketingmanagement. Strategie  – Instrumente  – Umsetzung  – Unternehmensführung (7. Aufl.). Springer Gabler. Kim, W. C., & Mauborgne, R. (1997). Value innovation: The strategic logic of high growth. Harvard Business Review, 75(1), 102–112. Kim, W. C., & Mauborgne, R. (2004). Blue ocean strategy. Harvard Business Review, 82(10), 76–84. Kim, W. C., & Mauborgne, R. (2005). Blue ocean strategy: How to create uncontested market space and make the competition irrelevant. Harvard Business School Press. Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., & Eisenbeiß, M. (2019). Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Springer Gabler. Mercedes-Benz. (2021a). Außerordentliche Hauptversammlung der Daimler AG. 1. Oktober 2021. https://group.mercedes-­benz.com/investoren/events/hauptversammlungen/2021/ausserordentliche-­hv. Zugegriffen am 04.06.2022. Mercedes-Benz. (2021b). Projekt Fokus. https://group.mercedes-­benz.com/unternehmen/geschaeftsfelder/projekt-­fokus.html. Zugegriffen am 04.06.2022.

214

8  Wettbewerbsstrategien im B2B-Umfeld

Müller-Stewens, M., & Lechner, C. (2016). Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zum Wandel führen (5. Aufl.). Schäffer-Poeschel. Picot, A. (1981). Strukturwandel und Unternehmensstrategie, Teil 1. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 10(11), 527–532. Porter, M.  E. (1980). Competitive strategy: Techniques for analyzing industries and competitors. Free Press. Prahalad, C. K., & Hamel, G. (1990). The core competence of the corporation. Harvard Business Review, 68(3), 79–91. Schoeffler, S. (1983). The PIMS program. In K. J. Albert (Hrsg.), The strategic management handbook. Chapter 23 (S. 1–10). McGraw-Hill. Venohr, B. (1988). „Marktgesetze“ und strategische Unternehmensführung. Eine kritische Analyse des PIMS-Programms. Gabler. Walsh, G., Deseniss, A., & Kilian, T. (2020). Marketing: Eine Einführung auf der Grundlage von Case Studies (3. Aufl.). Springer Gabler. Weppler, M. (2019). Innovationsfindung in der Prüfbranche. Ein Erfahrungsbericht der TÜV Rheinland AG mit Blue Ocean Strategy. In T.  Barsch, T.  Heupel & H.  Traumtmann (Hrsg.), Die Blue-Ocean-Strategie in Theorie und Praxis: Diskurs und 16 Beispiele erfolgreicher Anwendung (S. 153–161). Springer Gabler.

9

Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

Lernziele

• Sie können die Implikationen des Produkt- und Marktlebenskurvenkonzepts ableiten. • Sie wissen, welche Rückschlüsse aus dem Erfahrungskurvenkonzept zu ziehen sind. • Sie sind in der Lage, eine BCG-Matrix aufzubauen und deren Bezug zu anderen Ansätzen einzuordnen. • Sie lernen, strategische Ableitungen aus den neun Feldern einer McKinsey-­ Matrix zu ziehen. • Sie verstehen die Relevanz von Marken und deren spezifische Herausforderungen im B2B-Kontext.

9.1 Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept Produkte und Märkte durchlaufen unterschiedliche Phasen, i. d. R. mit einer begrenzten Lebensdauer. Erste Konzepte über Lebenszyklen, insbesondere im internationalen Kontext, lassen sich auf die frühen Untersuchungen von Vernon (1966) zurückführen sowie auf den Gründer der Boston Consulting Group Henderson (1968). Um diese einzelnen Lebensphasen von Produkten und Märkten systematisch zu beschreiben, werden mithilfe

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_9].

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_9

215

216

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

von Verlaufskurven der möglichen Absätze bzw. Gewinne anhand der Zeitachse die einzelnen Phasen voneinander abgegrenzt (vgl. Abb. 9.1). Grundsätzlich können vier idealisierte Phasen unterschieden werden: 1. Einführung 2. Wachstum 3. Reife & Sättigung 4. Rückgang Abhängig von der Bestimmung in einzelnen Lebensphasen lassen sich unterschiedliche Normstrategien ableiten. Tab. 9.1 zeigt einzelne Merkmale der Phasen des Lebenszyklus (siehe auch Lippold, 2017, S. 114; Homburg, 2000, S. 84, 2020, S. 487 f.). Die erste Phase ist geprägt durch Investitionen für die Markteinführung, wie bspw. Werbung und Verkaufsförderung für das neue Produkt, Schulungen und ggf. den Aufbau von neuen Vertriebsstrukturen. In dieser Einführungsphase sind auch zentrale strategische Entscheidungen hinsichtlich der ­Preispolitik (Kap.  11) zu treffen. Abhängig von den unternehmerischen Zielen und der Marktsituation ist die Entscheidung zu treffen, ob eine Skimmingstrategie, d.  h. eine Strategie der Marktabschöpfung mit einer hohen Preisforderung in der Einführungsphase, angestrebt wird oder ob diametral entgegengesetzt eine Penetrationsstrategie mit einer forcierten Marktdurchdringung durch einen relativ niedrigen Startpreis verfolgt wird.

Absatz Gewinn

Einführung

Wachstum

Reife & Sättigung

Rückgang

Absatzverlauf

Gewinnverlauf

0 Break-Even (Gewinnschwelle)

Zeit Break-Even (Gewinnschwelle)

Abb. 9.1  Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept (In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 486)

Einführung Festlegung der Preisstrategie Produktbekanntheit steigern Niedrig Verluste Entwicklung der Marktanteile nicht abschätzbar

Technologie/ Innovationen

Innovationen als Voraussetzung für die Erschließung neuer Märkte

Nicht überschaubar Befriedigung eines kleinen Teils der potenziellen Nachfrage Eintrittsbarrieren Im Allgemeinen keine Eintrittsbarrieren Eintritt hängt von Kapitalkraft, technischem Know-how und Risiko-­ bereitschaft ab

Marktpotenzial

Absatzverlauf Gewinnverlauf Marktanteile

Kriterium Strategische Maßnahmen

Unsicherheit in der Bestimmung des Marktpotenzials aufgrund von Preissenkungen (Nutzung von Erfahrungseffekten) Schwieriger Marktzugang (Ausschöpfung des Kostensenkungspotenzials der Erfahrungskurve durch Marktteilnehmer) In der Regel Eintritt nur durch Schaffung von Marktnischen Produkt- und Verfahrensverbesserungen

Rückgang Ausgaben minimieren

Marktanforderungen bekannt Rationalisierung der Prozesse

Bekannte, verbreitete und stagnierende Technologie

Fallend Wieder Verluste Verstärkte Konzentration durch das Ausscheiden schwacher Konkurrenten Überschaubarkeit des Marktpotenzials Begrenztes Marktpotenzial, häufig nur Ersatzbedarf Im Allgemeinen keine Mit wachsenden „Erfahrungen“ der Veranlassung, in Konkurrenten zunehmende einen stagnierenden Schwierigkeit des Markteintritts; Markt einzudringen Marktanteilssteigerungen nur auf Kosten von Konkurrenten

Reife & Sättigung Marktanteil verteidigen

Starke Zunahme Absatzmaximum Steigend Rückläufig Konzentration der Marktanteile auf wenige Anbieter

Wachstum Marktanteil vergrößern

Tab. 9.1  Merkmale der Phasen des Lebenszyklus. (Quellen: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 487 f.)

9.1  Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept 217

218

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

Die Gegenüberstellung in Abb. 9.2 zeigt die jeweiligen Vorteile der beiden Strategien. Abhängig von der jeweiligen Phase sind unterschiedliche strategische Schwerpunkte zu setzen. Die strategischen Maßnahmen der ersten beiden Phasen (Einführung und Wachstum) sind tendenziell der Blue-Ocean-Strategie zuzuschreiben und die späteren Phasen (Reife, Sättigung und Rückgang) eher den Schlussfolgerungen aus einem Red Ocean (Abschn. 8.4). Der Fokus sollte in der ersten Phase primär auf Umsatz und der Steigerung von Marktanteilen liegen. So sollten in reiferen und gesättigten Märkten die Kostenseite und die Thematik Effizienz verstärkt in den Blick genommen werden. Diverse Gründe, die ggf. auch außerhalb des Einflussbereichs eines einzelnen Unternehmens liegen, können für eine Stagnation bzw. Schrumpfung des Marktumfelds sprechen. Beispiele könnten hier die Entwicklung kostengünstigerer und technologisch überlegener Substitutionsprodukte darstellen, demografische und gesellschaftliche Veränderungen oder staatlich regulierte Eingriffe (Meffert et al., 2019, S. 322). Kritische Betrachtung des Produkt- und Marktlebenskurvenkonzepts Das Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept zeigt anschaulich, dass Produkte und Märkte verschiedene Phasen durchlaufen und in Analogie zur Natur eine begrenzte Lebensdauer besitzen. Abhängig von den einzelnen Phasen sind entsprechende Strategien und Maßnahmen ableitbar. Die wesentliche Kritik an diesem Modell ist, dass lediglich der Aspekt Zeit als einzige und zentrale Dimension herangezogen wird. Genau der As-

p

Vorteile der Skimmingstrategie  

 

  

p

t

kurzfristige Gewinnrealisierung während monopolistischer Marktposition Reduktion des langfristigen Konkurrenzrisikos schnelle Amortisierung der Investitionen in der Anfangsphase Schaffung eines Preisspielraums nach unten – meist sukzessive Preissenkung im Lebenszyklus graduelles Abschöpfen der Preisbereitschaft Vermeidung der Notwendigkeit von Preiserhöhungen positive Prestige- und Qualitätsindikatoren des hohen Preises

Vorteile der Penetrationsstrategie 

  

 

t

schnelles Absatzwachstum, dadurch Realisierung hoher Gesamtdeckungsbeiträge Aufbau einer langfristig überlegenen Marktposition durch Carry-over-Effekte Ausnutzung von Economies of Scale schnelle Erhöhung der kumulativen Menge führt zu schnellen Lerneffekten (Erfahrungskurve) und damit zu einem Kostenvorsprung Reduktion der Flopwahrscheinlichkeit Abschreckung potenzieller Konkurrenz

Abb. 9.2  Vorteile der Skimming- und Penetrationsstrategien

9.2 Erfahrungskurvenkonzept

219

pekt der Zeit ist jedoch gerade zu Beginn eines Produktverlaufs schwer prognostizierbar. Auch j­edes Produkt kann je nach Markt- und Umfeldsituation unterschiedliche Lebensdauern und -verläufe aufweisen.

9.2 Erfahrungskurvenkonzept Im Rahmen des Erfahrungskurvenkonzepts (auch Boston-Effekt genannt) wird der strategische Erfolgsfaktor primär durch die Kostenentwicklung erklärt. Durch Erfahrungen im Zeitverlauf lassen sich nach diesem Ansatz signifikante Kostenreduktionen beschreiben. Die Kostenreduktion wird im Wesentlichen durch Lerneffekte begründet und durch die Senkung der Stückkosten aufgezeigt. Erste wissenschaftliche Untersuchungen gehen zurück auf Wright (1936, S. 122), der die Kostenentwicklung von Flugzeugen analysierte. Aus frühen empirischen Untersuchungen in den 1960er-Jahren in diversen Branchen durch das Beratungshaus Boston Consulting Group stammt die Erkenntnis, dass sich bei einer Verdopplung der kumulierten Produktionsmengen die inflationsbereinigten Stückkosten um 20 bis 30 % senken lassen (vgl. Henderson, 1968, 1984, S. 19 f.). Den möglichen Verlauf der Stückkosten zeigt anschaulich die Abb. 9.3 zum einen in Form einer linearen Skalierung und zum anderen in einer logarithmischen Darstellung in Bezug zur kumulierten Menge. Lineare Skalierung der kumulierten Menge

10

Kosten (in € je Stück)

8 bei 20% Rückgang

6 4 2 bei 30% Rückgang

0

2

4

6

8

10

12

16

Kumulierte Menge (Erfahrung)

Logarithmische Skalierung der kumulierten Menge

10

bei 20% Rückgang

8 Kosten (in € je Stück)

14

4 bei 30% Rückgang

2

1

1

2

4

8

16

Kumulierte Menge (Erfahrung)

Abb. 9.3  Erfahrungskurven mit linearer und logarithmischer Skalierung. (Quelle: In Anlehnung an Lippold, 2017, S. 106)

220

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

Der Rückgang der Stückkosten lässt sich vor allem in fixkostenintensiven und volumengetriebenen Industrien des Maschinenbaus, des Schiff- und Flugzeugbaus, der Mikroelektronik sowie in der Pharma- und Chemiebranche feststellen. Der bereits postulierte Wert von 20 bis 30 % wird in der Praxis oft nicht genau in dieser Höhe erreicht. Er kann aber als Basis für eine erste Indikation dienen. Das Erfahrungskurvenkonzept impliziert eine zentrale Erkenntnis aus dem zuvor vorgestellten PIMS-Projekt (Abschn. 8.2): hoher ROI durch hohe Marktanteile. Unternehmen mit höherem Marktanteil weisen höhere Produktionsmengen auf und können so durch den Erfahrungskurveneffekt mehr Kosten senken. Niedrigere Kosten wirken sich dann positiv auf den ROI aus (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 295 ff.; Meffert et al., 2019, S. 315 ff.; Homburg, 2020, S. 445 ff.). Kostensenkungspotenziale können sich durch Größendegressionseffekte (Economies of Scale) wie bessere Auslastung der eingesetzten Mittel entwickeln. Umlagen der Fixkosten, wie bspw. Gebäude, Organisation oder Maschinen, verteilen sich bei höheren Produktionsmengen. Auch Skaleneffekte durch höhere Einkaufvolumina für Produkte im Wertschöpfungsprozess oder größere Losgrößen im Absatz können sich positiv auf die Kosten und somit auf die Rentabilität auswirken. Hier wird auch implizit die Markmacht durch einen hohen Marktanteil als Schlüsselfaktor betrachtet. Auch die Risikostreuung könnte einen Faktor darstellen sowie eine mögliche technische Entwicklung, bspw. die fortschreitende Digitalisierung. Wesentlich ist auch der Lerneffekt durch Spezialisierung und Rationalisierung in den Arbeitsabläufen bzw. Geschäftsprozessen, sei es in der Produktion oder in der Vertriebsorganisation z. B. mit Fachvertrieb oder Key-Account-Management. Kritische Betrachtung des Erfahrungskurvenkonzepts Im Konzept der Erfahrungskurven stehen die Kosten im Vordergrund. Durch sinkende Stückkosten werden höhere Markanteile und schlussfolgernd eine bessere Rentabilität angenommen. Hohe kumulierte Produktionsmengen sind gerade bei einem frühen Markteintritt zu erreichen, bspw. mit dem Blue-Ocean-Ansatz (Abschn. 8.4) oder der Pionier- und Penetrationsstrategie (Abschn. 9.1, speziell zur Pionierstrategie siehe Abschnitt 10.2.1.4.1). Speziell in der Preispolitik (siehe hierzu Kap. 11) kann das Erfahrungskurvenkonzept als wichtigstes Element für strategische Preisentscheidungen dienen. Zeitweilige Preise, die unterhalb der Kosten liegen, also zunächst Verluste verursachen, können durch sinkende Stückkosten aufgrund steigender Nachfrage kompensiert werden. Durch das in Tab. 9.2 dargestellte theoretische Szenario zum Deckungsbeitrag soll dieser Denkansatz veranschaulicht werden. Es liegt die Annahme zugrunde, dass das Kostensenkungspotenzial bei 20 % liegt, dass das Marktpotenzial die Produktionsmenge widerspiegelt und dass der Wettbewerb keine Marktreaktionen zeigt. Wie auch in Porters generischen Wettbewerbsstrategien (Abschn. 8.3) aufgezeigt, besteht neben den Kosten auch die Möglichkeit, sich durch Qualität und Service abzugrenzen. Gerade im B2B-Marketing können Image- oder Komplementaritätsgründe strategi-

9.3 BCG-Matrix

221

Tab. 9.2  Entwicklungsszenario zur Deckungsspanne im Erfahrungskurvenkonzept Zeitpunkt t0 t1 t2 Annahmen

Preis 11,00 -> 9,00 € 9,00 € 9,00 € Preisreduktion um 2,00 € in t0

Stückkosten 10,00 € 8,00 € 6,40 € Kostensenkungspotenzial: 20 %

Kumulierte Menge 1 Mio. 2 Mio. 4 Mio. Marktpotenzial = Produktionsmenge

Deckungsbeitrag − 1,00 € + 1,00 € + 2,60 € Keine Reaktion des Wettbewerbs

sche Wettbewerbsfaktoren darstellen, die sich nicht durch eine gute Kostenposition realisieren lassen. Eine Herausforderung des Konzepts ist es, die Entwicklung der Kosten zu prognostizieren. Was bei bestehenden Produkten und Märkten durch Erfahrungen aus der Vergangenheit und Analysen realisiert werden kann, gestaltet sich im Rahmen eines frühen Lebenszyklus (Abschn. 9.1) schwierig. Zudem ist die Produktionsmenge nicht gleichzusetzen mit der entsprechenden Absatzmenge. Im Umfeld einer diskreten Fertigung im B2B-Umfeld geht dies meist ganz inei­ nander über. Da dieses Konzept primär für das produzierende Gewerbe konzipiert worden ist, ist seine Eignung für die Umsetzung in einem Dienstleistungs- und Wissensumfeld limitiert. Zu erwähnen bleibt, dass das Konzept lediglich die Kostensenkungspotenziale betrachtet und nicht die tatsächlich zu realisierenden Kostensenkungen beschreibt und diese nur ausgeschöpft werden können, wenn „das jeweilige Management die Fähigkeiten besitzt, die mit der zunehmenden Erfahrung sich eröffnenden Wege und Möglichkeiten zur Kostensenkung“ (Henderson, 1984, S. 19) zu erkennen und zu realisieren.

9.3 BCG-Matrix Nachdem zuvor strategische Geschäftseinheiten betrachtet worden sind, gilt es, diese im Rahmen einer sogenannten Portfolioanalyse zu positionieren, um grundsätzliche Normstrategien abzuleiten. In der betrieblichen Praxis sind Portfolioansätze sehr verbreitet. Portfolioansätze lassen sich in frühen wissenschaftlichen Ansätzen über effiziente Finanzinvestitionen in Wertpapiere wiederfinden (vgl. u. a. Markowitz, 1959). Einen der bekanntesten Portfolioansätze zur Positionierung von SGEs bzw. Produkten stellt die BCG-Matrix dar, auch Boston-Portfolio genannt. Zurückzuführen ist das strategische Instrument auf Henderson, den Gründer der Boston Consulting Group, basierend auf originären Illustrationen des ersten BCG-CEO Zakon (vgl. Henderson, 1970; Boston Consulting Group, 2021). Anknüpfend an empirische Untersuchungen wie das PIMS-­ Projekt (Abschn.  8.2) wurden als zentrale Erfolgsfaktoren von Unternehmen zur ­Erzielung eines profitablen ROI und Cashflow u.  a. der relative Marktanteil und das Marktwachstum identifiziert (vgl. Homburg, 2020, S. 441 ff.).

222

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

Marktwachstum

Question Marks

Stars

Poor Dogs

Cash Cows

hoch

niedrig

niedrig

1,0

hoch

Relativer Markanteil

Abb. 9.4  BCG-Matrix. (Quelle: In Anlehnung Reeves et al., 2014)

Im Rahmen der quantitativen BCG-Matrix werden diese beiden Erfolgsfaktoren nun als Dimensionen eingeordnet (vgl. Abb. 9.4). Daher rührt auch die stellenweise alternativ verwendete Bezeichnung Marktanteils-Marktwachstums-Portfolio (vgl. Bruhn, 2019, S. 71). Auf der horizontalen Abszisse wird der relative Markanteil und auf der vertikalen Ordinate das Marktwachstum dargestellt. Der relative Marktanteil stellt den eigenen Marktanteil ins Verhältnis zum jeweils stärksten Mitbewerber, der nicht zwingend Marktführer sein muss. Die Teilung der Abszisse erfolgt bei dem Wert 1,0. Er zeigt die Position der eigenen SGE in Relation zu der des rivalisierenden Konkurrenten. Alternativ zum relativen Marktanteil können auch andere Bezugsgrößen ins Verhältnis gesetzt werden, wie Mengeneinheiten, Umsätze etc. Im Kern geht es um die Aussage, ob die eigene SGE bzw. das Produkt besser oder schlechter als das der Konkurrenz im Markt positioniert ist. Das durchschnittliche Marktwachstum spiegelt die Trennlinie des jeweiligen Marktes wider. Hier können als Rahmen sowohl ex post als auch ex ante Daten herangezogen werden wie bspw. die Branchenentwicklung. Das Marktwachstum impliziert das in Abschn. 9.1 beschriebene Produkt- und Marktlebenskurvenkonzept. Gerade aufgrund des veränderten Marktumfelds im Zeitalter der Digitalisierung erhöht sich in verschiedenen Branchen und diversifizierten Unternehmen die Bedeutung für den zukünftigen Erfolg (vgl. Reeves et al., 2014). Durch die beiden Trennlinien entstehen die vier Felder der BCG-Matrix. Mit Positionierung der SGEs in einem der Felder lassen sich entsprechende grundsätzliche strategische Handlungsempfehlungen, sogenannte Normstrategien, ableiten.

9.3 BCG-Matrix

223

Als Question Marks (Fragezeichen) werden SGEs in stark wachsenden Märkten mit geringem relativem Marktanteil bezeichnet. Die Schlüsselfrage besteht darin, in welche Richtung die SGE steuert. Abzuwägen ist, ob durch Investitionen und Ressourcenaufwand die SGE in Richtung Stars entwickelt werden kann. Gerade in einer frühen Phase der Lebenskurve (Abschn. 9.1) empfiehlt sich ein offensives Handeln. In Situationen der Sättigung und insbesondere des Rückgangs empfiehlt sich ein Rückzug. Stars (Sterne) stellen SGEs mit einer starken Marktposition in einem wachsenden Markt dar. Im Rahmen einer Investitionsstrategie ist das Ziel, die Position und die Entwicklung des Gesamtunternehmens zu halten bzw. auszubauen. Der primäre Fokus eines Unternehmens sollte auf SGEs in diesem Quadranten liegen. Cash Cows (Melkkühe, Geldsack) sind oft profitable SGEs, die über starke Marktpositionen verfügen, sich sich jedoch in Märkten mit geringem Marktwachstum befinden. Gerade in späten Lebensphasen bedarf es vieler Anstrengungen, um durch bspw. Effizienz- und Rationalisierungsmaßnahmen stagnierenden bzw. schrumpfenden Märkten entgegenzusteuern. Durch Abschöpfung der Erträge können Cashflows für SGEs in wachsenden Märkten bereitgestellt werden. Poor Dogs (arme Hunde) sind SGEs mit einer schwachen Aufstellung. Sowohl der relative Marktanteil als auch das Marktwachstum sind gering. Die Normstrategie der BCG empfiehlt eine Desinvestionsstrategie, um finanzielle Mittel für die anderen SGEs zu ermöglichen oder sich auf Marktnischen zu beschränken. Neben den beiden Hauptachsen relativer Marktanteil und Marktwachstum wird die Bedeutung der SGE im eigenen Unternehmen hervorgehoben. In Form von Bubbles (Kreisen) wird der jeweilige Umsatz der SGE proportional zum Gesamtumsatz gesetzt. Alternativ zum Umsatz können bspw. auch andere relevante Kenngrößen wie Gewinn oder Deckungsbeitrag ins Verhältnis gesetzt werden. Weitere Aspekte in Form einer zeitlichen Dimension oder zusätzliche Felder finden sich in diversen Erweiterungen der BCG-Matrix. Die BCG-Matrix inkludiert andere zuvor dargestellte strategische Instrumente. Abb. 9.5 zeigt die Inklusion des Lebenskurven- und Erfahrungskonzepts sowie der Blue- und Red-Ocean-Strategie. Sie verdeutlicht anschaulich, dass strategische Entscheidungen aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln zu analysieren sind. Kritische Betrachtung der BCG-Matrix Für eine BCG-Matrix spricht die weite Verbreitung in der betrieblichen Praxis insbesondere durch die mit relativ wenig Aufwand zu generierenden Daten. Aus den zumeist quantitativen Daten können Normstrategien abgeleitet werden. Zu kritisieren ist, dass das Konzept der BCG-Matrix primär nur auf den Aspekten Marktwachstum, relativer Marktanteil sowie Unternehmensrelevanz – beschrieben durch die Größe der Blasen – fußt. Diese Verdichtung ermöglicht durch die Komplexitätsreduzierung eine hohe Anschaulichkeit, lässt jedoch viele relevante strategische Aspekte außen vor. Der Fokus liegt auch schwerpunktmäßig auf Wachstum, wobei schon diverse Erweiterungen der Matrix in der Literatur zu finden sind. Auf Basis dieser ersten generischen Normstrategien bedarf es weiterer tiefer-

224

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb Marktwachstum

Absatz hoch

Produkt- und Marktlebenszyklus-Modell

t

Question Marks BCG-Matrix

Stars

Blue- und RedOcean-Strategie

niedrig

Cash Cows

Poor Dogs Kosten/ Stück

niedrig

1,0

hoch

Relativer Marktanteil

Erfahrungskurvenkonzept Kumulierte Menge

Abb. 9.5  Inklusionen der BCG-Matrix. (Quelle: In Anlehnung an Reeves et al., 2014)

gehender Ansätze und Methoden. Gerade in Hinblick auf einen Market-­based View (Abschn. 7.3) sind Aspekte wie Customer Value und Unique Selling Proposition intensiver zu beleuchten.

9.4 McKinsey-Matrix Die sogenannte McKinsey-Matrix (auch Neun-Felder-Matrix genannt) kann als Weiterentwicklung der BCG-Matrix angesehen werden. Statt nur auf quantitative Daten greift das Portfolio von McKinsey, einst in Zusammenarbeit mit General Electric entwickelt, auch auf weiterreichende qualitative Aspekte zurück. Einer Positionierung in einem der neun Felder folgend, erfolgt die Ableitung einer Normstrategie. Ziel ist es, die SGEs zu identifizieren und zu fokussieren, bei denen die Mittel, insbesondere die finanziellen Ressourcen und Kapazitäten, gebunden werden (vgl. Abb. 9.6). Die beiden Dimensionen Wettbewerbsstärke (auch Wettbewerbsposition oder Geschäftsfeldstärke genannt) und Marktattraktivität (bzw. Branchenattraktivität) beinhalten neben dem Marktwachstum und Marktanteil weitere Bewertungskriterien. Die Einbeziehung und Gewichtung der Kriterien können subjektiv erfolgen und lassen Spielraum für entsprechende unternehmerische Gegebenheiten. Durch qualitative Analysen, z. B. in Form von Experteninterviews, Workshops und der Auswertung von Controllingdaten, erfolgen ein Scoring und eine entsprechende Positionierung in den einzelnen Feldern des

9.4 McKinsey-Matrix

225

Kriterien für Marktattraktivität

Marktanteil Marktanteilswachstum Kostenposition Profitabilität Kapazitäten

Investitions- oder Wachstumsstrategie

Selektives Vorgehen

Selektives Wachstum

Investition und Wachstum

Selektiver Ausbau

Ausbau mit Investitionen

Position verteidigen

Zone der Mittelbindung mittel

• • • • •

Marktattraktivität

Kriterien für Wettbewerbsstärke

hoch

Marktwachstum Marktprofitabilität Marktvolumen Preisniveau Wettbewerbsintensität

Ernten Nischen suchen Rückzug erwägen

Selektives Vorgehen Wachstumsbereiche identifizieren

Zone der Mittelfreisetzung niedrig

• • • • •

Ernten

Ernten

Desinvestition Rückzug planen

Investitionen minimieren

Selektive Strategie Abschöpfungs- oder Desinvestitionsstrategie

niedrig

mittel

Selektives Wachstum Stark investieren Position halten

Selektives Vorgehen Verteidigen und Schwerpunkt verlagern hoch

Wettbewerbsstärke

Abb. 9.6  McKinsey-Matrix. (Quelle: In Anlehnung an Lippold, 2017, S. 111)

Portfolios. Wie im Falle der BCG-Matrix (Abschn. 9.3) kann die unternehmerische Relevanz der SGE auch in sogenannten Bubbles ausgewiesen werden. Zudem kann die Matrix um Wettbewerber ergänzt werden oder auch Ist-Soll-Zustände abbilden (vgl. vertiefend hierzu u. a. Haedrich & Tomczak, 1996, S. 122 ff.; Becker, 2019, S. 430 ff.) Aufgrund der Positionierung in der McKinsey-Matrix lassen sich folgende grundsätzliche Normstrategien ableiten: 1. Eine Investitions- oder Wachstumsstrategie für SGEs mit mittleren bis hohen Werten bei Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke. 2. Für SGES in den Feldern der selektiven Strategie leiten sich entlang der diagonalen Trennlinie zwei Handlungsoptionen ab. Unterhalb der Diagonalen ist die Zone der Mittelfreisetzung mit dem Schwerpunkt der stufenweisen Desinvestition. SGEs oberhalb der Trennlinie werden aufgrund der relativ optimistischeren Bewertung offensivere Strategien mit Investitionen empfohlen. 3. Abschöpfungs- oder Desinvestitionsstrategien sind die Optionen bei niedrigen bis mittleren Einordnungen von Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke. Trotz der vergleichsweise starken Komplexitätsreduktion und Vereinfachung der differenzierten Unternehmenssituation von Portfolio-Analysen einschließlich möglicherweise subjektiver Bewertungen unterstützt dieses Instrument die betriebliche Planung und ­Strategieumsetzung. Strategische Entscheidungen bedürfen eines kombinierten und ­stufenweisen Vorgehens, um Potenziale zu identifizieren und um das unternehmerische Risiko zu verbessern (vgl. Becker, 2019, S. 434).

226

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

9.5 Markenmanagement Marken differenzieren, vermitteln Informationen, liefern Mehrwerte für die angebotenen Leistungen und reduzieren die Komplexität bei Kaufentscheidungen sowie das Risiko von Fehlinvestitionen. Für Kotler und Pförtsch (2006, S. 3 ff.) soll eine Marke Emotionen auslösen und eine entsprechende Persönlichkeit besitzen, um so die Herzen und Köpfe der Kunden zu erobern. Dem Markenmanagement im B2B-Umfeld wird i.d.R. weniger strategische Relevanz zugesprochen im Vergleich zur der breiteren Markenvielfalt im B2C. Bei aller Heterogenität der B2B-Märkte kann die Marke (Brand) einen Differenzierungsbzw. Abgrenzungspunkt von den Mitbewerbern darstellen, einen Grund für eine entsprechende Preisstrategie rechtfertigen oder den Wert eines Unternehmens maßgeblich prägen. Eine starke Markenpositionierung kann zu einem deutlich höheren Umsatz pro Kunde sowie zu höheren Wiederkaufs- und Weiterempfehlungsraten führen (vgl. Kotler & Pförtsch, 2006, S.  6; ESCH, 2018, S.  19). Nach einer umfangreichen Studie bei 769 B2B-Entscheidern in 20 deutschen Produktmärkten von Caspar et al. (2002, S. 38 ff.) in Zusammenarbeit mit McKinsey hat die Funktion der Risikoreduktion die stärkste Markenrelevanz für Kunden in B2B-Märkten. Auch die Informationseffizienz ist für Entscheidungen im B2B relevant. Eine der Erkenntnisse aus der Studie ist, dass der ideelle Nutzen einer Marke im Gegensatz zum B2C-Bereich im B2B eine untergeordnete Rolle spielt und der Aspekt der Risikoreduktion im B2B deutlich wichtiger ist. Abb.  9.7 fasst die relevanten Herausforderungen und wesentlichen Funktionen von Marken im B2B-Umfeld zusammen. Das Markenmanagement ist primär nach den generischen Wettbewerbsstrategien nach Porter im Bereich der Differenzierungsstrategie mit Leistungsmerkmalen in Qualität und Markenrelevanz Herausforderungen

Markenfunktionen aus Unternehmenssicht

Digitalisierung

Risikoreduzierung

Globalisierung

Informationseffizienz

Differenzierung und Profilierung Wachsende Komplexität

Marken differenzieren, bieten Mehrwerte, reduzieren Risiko und Komplexität

Mehrwert Kundenbindung

Hohe Wettbewerbsintensität

Präferenzbildung

Steigender Preisdruck

Wert eines Unternehmens

Abb. 9.7  Markenrelevanz und Markenfunktionen im B2B-Kontext. (Quelle: In Anlehnung an Kotler & Pförtsch, 2006, S. 45)

9.5 Markenmanagement

227

Service zu verorten (beachte Abschn.  8.3). Im B2B-Umfeld dominieren Dachmarken (Branded House) bzw. es werden die Firmennamen genutzt. Einzelmarken finden wir in Teilen im IT-Segment und in der chemischen Industrie, wie bspw. bei IBM und BASF. Es bestehen jedoch deutliche Unterschiede im Markenmanagement zwischen Großunternehmen (> 1 Mrd. € Umsatz/Jahr) und kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen (KMU). Entsprechend einer Untersuchung von Pförtsch und Godefroid (2013, S. 179) im Rahmen der Hannover Messe bestand ein aktives Marketingmanagement bei 92 % der Großunternehmen und im Gegensatz dazu bei KMUs lediglich bei 28 %. Ein Großteil der Produkte aus B2B-Unternehmen sind Bestandteile innerhalb einer weiteren Wertschöpfungskette. Sie sind Teil einer Gesamtleistung. Ingredient Branding (kurz: InBranding) versteht sich als Markenstrategie für Komponenten, die in ein Endprodukt einfließen. Die Herausstellung dieser Komponente kann eine wesentliche Unique Selling bzw. Advertising Proposition (USP bzw. UAP) für das Endprodukt darstellen. Bekannte Beispiele sind hier Intel in der Computerindustrie, Gläser und Linsen von Carl Zeiss, GORE-TEX in der Bekleidung oder Bosch und Shimano bei Fahrrädern. Auch bei Wettbewerbsstrategien mit dem Schwerpunkt einer Preisführerschaft kann Ingredient Branding ein Verkaufsargument sein. Ein Beispiel hierfür stellt Tetra Pak bei Lebensmittelverpackungen dar. Eine ausführliche Darstellung erfolgreicher Fallbeispiele von Ingredient Branding ist bei Kotler und Pförtsch (2010) zu finden. Zur Kommunikationspolitik von Ingredient Brands siehe Abschnitt 12.4.3. Für eine Markenpartnerschaft zwischen Lieferanten und Herstellern des Endprodukts bedarf es spezieller Anforderungen auf beiden Seiten. Ein Markenfit und somit eine strategische Markenallianz lohnt sich nach Quelch (2007) und Domke (2020) vor allem dann, wenn 1. die Komponenten sich durch besondere Eigenschaften von denen der Wettbewerber abheben, 2. der Mehrwert der integrierten Komponente durch den Kunden wahrnehmbar ist, 3. die Komponente wesentlich für die Funktion des Endprodukts ist, 4. das Leistungsangebot sehr komplex ist und aus vielerlei unterschiedlichen Komponenten besteht. Zur weiteren Vertiefung von Markenmanagement im B2B-Kontext sei an dieser Stelle exemplarisch auf die grundlegende Arbeit von Bausback (2007) sowie die Werke von Kotler und Pförtsch (2006) und Esch (2018) verwiesen. Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Erklären Sie anschaulich das Konzept der Lebenszyklusanalyse. Skizzieren Sie ergänzend zur Erklärung ein illustratives Schaubild. 2. Beschreiben Sie die jeweiligen Vorteile einer Skimming- bzw. Penetrationsstrategie.

228

9  Strategische Instrumente für B2B-Marketing und Vertrieb

3. Nehmen Sie eine kritische Bewertung des Produkt- und Marktlebenskurvenkonzepts vor. 4. Was besagt der Erfahrungskurveneffekt? Welcher Nutzen kann aus der Kenntnis der jeweiligen Erfahrungskurve abgeleitet werden? 5. Was sind mögliche Ursachen von sinkenden Stückkosten? 6. Nehmen Sie eine kritische Betrachtung des Erfahrungskurvenkonzepts vor. 7. Stellen Sie die wesentlichen Elemente der BCG-Matrix (Boston-­Portfolio) dar. 8. Nehmen Sie eine kritische Bewertung der BCG-Matrix vor. 9. Vergleichen Sie das McKinsey-Portfolio mit der BCG-Matrix. Beschreiben Sie sowohl die grundsätzlichen Gemeinsamkeiten und als auch die generellen Unterschiede. 10. Nehmen Sie eine kritische Bewertung des McKinsey-Portfolios vor. 11. Zeigen Sie die entsprechende Markenrelevanz und die Markenfunktionen im B2B-Kontext auf.

SN Flashcards

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Literatur Bausback, N. (2007). Positionierung von Business-to-Business-Marken. Konzeption und empirische Analyse zur Rolle von Rationalität und Emotionalität. DUV. Becker, J. (2019). Marketing-Konzeption: Grundlagen des ziel-strategischen und operativen Marketing-­Managements (11. Aufl.). Vahlen. Boston Consulting Group. (2021). What is the growth share matrix? https://www.bcg.com/about/ overview/our-­history/growth-­share-­matrix. Zugegriffen am 19.12.2021. Bruhn, M. (2019). Marketing: Grundlagen für Studium und Praxis (14. Aufl.). Springer Gabler.

Literatur

229

Caspar, M., Hecker, A., & Sabel, T. (2002). Markenrelevanz in der Unternehmensführung – Messung, Erklärung und empirische Befunde für B2B-Märkte, MCM/McKinsey-Reihe zur Markenpolitik, Arbeitspapier Nr. 4. MCM. Domke, B. (2020). Was ist Ingredient Branding? https://www.manager-­magazin.de/harvard/was-­ist-­ ingredient-­branding-­a-­00000000-­0002-­0001-­0000-­000067716862. Zugegriffen am 16.02.2022. ESCH. (2018). B2B-Markenführung: Wie B2B-Marken (digitale) Chancen nutzen. B2B Brand Excellence Studie 2017 Gemeinschaftsstudie von ESCH.  The Brand Consultants und marconomy. https://www.esch-­brand.com/wp-­content/uploads/2018/02/2017-­l-­ESCH-­l-­Studie-­B2B-­ Markenfuehrung.pdf. Zugegriffen am 02.02.2022. Esch, F.-R. (2018). Strategie und Technik der Markenführung (9. Aufl.). Vahlen. Haedrich, G., & Tomczak, T. (1996). Produktpolitik. Kohlhammer. Henderson, B. D. (1968). The experience curve. https://www.bcg.com/publications/1968/business-­ unit-­strategy-­growth-­experience-­curve. Zugegriffen am 19.12.2021. Henderson, B. D. (1970). The product portfolio. https://www.bcg.com/publications/1970/strategy-­ the-­product-­portfolio. Zugegriffen am 19.12.2021. Henderson, B. D. (1984). Die Erfahrungskurve in der Unternehmensstrategie (2. Aufl.). Campus. Homburg, C. (2000). Quantitative Betriebswirtschaftslehre. Entscheidungsunterstützung durch Modelle (3. Aufl.). Springer Gabler. Homburg, C. (2020). Marketingmanagement. Strategie  – Instrumente  – Umsetzung  – Unternehmensführung (7. Aufl.). Springer Gabler. Kotler, P., & Pförtsch, W. (2006). B2B brand management. Springer Nature. Kotler, P., & Pförtsch, W. (2010). Ingredient branding. Making the invisible visible. Springer Nature. Lippold, D. (2017). Marktorientierte Unternehmensführung und Digitalisierung. Management im Digitalen Wandel. De Gruyter. Markowitz, H. M. (1959). Portfolio selection: Efficient diversification of investments. Wiley. Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., & Eisenbeiß, M. (2019). Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Springer Gabler. Pförtsch, W., & Godefroid, P. (2013). Business-to-business-marketing (5. Aufl.). Kiehl. Quelch, J. (2007). How to brand an ingredient? https://hbr.org/2007/10/how-­to-­brand-­an-­ ingredient-­1. Zugegriffen am 16.02.2022. Reeves, M., Moose, S., & Venema, T. (2014). BCG classics revisited: The growth share matrix. https://www.bcg.com/publications/2014/growth-­share-­matrix-­bcg-­classics-­revisited. Zugegriffen am 19.12.2021. Simon, H., & Fassnacht, M. (2016). Preismanagement: Strategie – Analyse – Entscheidung – Umsetzung (4. Aufl.). Springer Gabler. Vernon, R. (1966). International investment and international trade in the product cycle. The Quarterly Journal of Economics, 80(2), 190–207. Wright, T. P. (1936). Factors affecting the cost of airplanes. Journal of Aeronautical Sciences, 4(3), 122–128.

Teil IV Operatives B2B-Marketing und Vertrieb

B2B-Produktpolitik

10

Lernziele

• Sie können die für die Produktpolitik relevanten Besonderheiten des B2B-­ Marketings in Abgrenzung zum Konsumgütermarketing benennen. • Sie kennen die vier Geschäftstypen des B2B-Marketings und können diese voneinander differenzieren, ihre Relevanz für den B2B-Marketingmix erkennen und reale Lieferanten-Kunden-Beziehungen darin einordnen. • Sie sind in der Lage, für das Produktmanagement entlang des Produktlebenszyklus auch moderne digitale Methoden zu berücksichtigen und zielgerichtet auszuwählen. • Sie verstehen den B2B-Innovationsprozess sowie die Wichtigkeit der verschiedenen Methoden zur Einbindung von Kunden und können diese einsetzen. • Sie erfassen Inhalt und Bedeutung von Servitization und können Impulse zur Entwicklung neuer digitaler Services geben. • Sie können die Notwendigkeit von Produkteliminierungen kritisch prüfen und kundenorientierte Lösungen ableiten.

10.1 Relevante Besonderheiten von B2B-Produkttypen und B2B-Geschäftstypen Auf B2B-Märkten existiert eine breite Vielfalt an unterschiedlichen Produkten und Dienstleistungen. In Tab. 10.1 sind sie bis zur Produktart „Anlagen“ entsprechend ihrer Stufe im industriellen Wertschöpfungsprozess dargestellt. Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_10]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_10

233

234

10 B2B-Produktpolitik

Tab. 10.1  Produktarten im B2B-Geschäft. (Quelle: In Anlehnung an Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 84) Kategorie Produktart Produktionsgüter Rohstoffe (PG) Einsatz-/Hilfs-/Betriebs-(EHB-)Stoffe

Investitionsgüter (IG)

Dienstleistungen (DL)

Systemtechnologien

Hinweis Natürliche, erschöpfliche oder nachwachsende Ressourcen, z. B. Rohöl oder Weizen Weiterverarbeitungs-/Veredelungsstufe von Rohstoffen zum Einsatz im Produktionsprozess, z. B. Schmierstoffe Halbfabrikate Weiterverarbeitungs-/Veredelungsstufe von Rohstoffen zur Weiterverarbeitung bzw. zum Einbau in Produkten, z. B. Bleche Teile I. d. R. standardisierte, vergleichsweise einfach verständliche (Klein-)Produkte zur Nutzung in Produktion oder Produktionsprozess, z. B. Schrauben Komponenten Komplexere, häufig kundenindividuell gefertigte Spezialprodukte zum Einbau in Produkten, z. B. Fahrzeugsitze (Einzel-)Aggregate Fertig einsetzbare „Stand-alone“-Maschinen, z. B. Bagger oder Tische (Groß-)Anlagen Verknüpfung von Teilen, Komponenten, Aggregaten zu komplexen, kundenindividuellen (Produktions-)Technologien Produktbegleitende DL An Kernprodukt (PG oder IG) gekoppelt, z. B. Wartungsvertrag Investive DL Eigenständige DL, z. B. Unternehmensberatung, Eventmanagement Kombination aus zuvor genannten Produktarten, bei denen Kunden nach Erstkauf bei notwendigen Nach-/Folgekäufen in Zukunft an Erstzulieferer gebunden sind

Einige dieser Produkte und Leistungen haben ähnliche Eigenschaften wie Angebote aus dem Konsumgüterbereich. Dies können Rohstoffe wie Mineralien ebenso sein wie das Betriebsmittel Benzin, Kleinteile oder Telekommunikationsgeräte, wie Konsumenten sie aus dem Bau- oder Elektromarkt kennen. Auch eigenständige Dienstleistungen, z. B. von Fassadenreinigern, gehören dazu. Die im B2B-Marketing mit dem etwas altertümlichen Begriff „Aggregat“ belegten Produkte ähneln langlebigen Gebrauchsgütern wie Waschmaschinen. Eine zeitlosere Bezeichnung wäre wohl „Gerät“ oder „Maschine“. Es handelt sich i. d. R. um standardisierte und massengefertigte, d. h. nicht an individuelle Kundenwünsche angepasste, Produkte, die nicht oder nur begrenzt erklärungsbedürftig sind und daher anonym, d. h. ohne intensiven Austausch zwischen Hersteller und Endverwender verkauft werden können. Zudem besteht häufig intensiver Wettbewerb auf den jeweiligen Märkten. Jedoch auch bei diesen vergleichsweise einfachen Produkten tauchen auf B2B-­Märkten bereits Besonderheiten auf. So geht es beim organisationalen Einkauf i. d. R. um größere

10.1  Relevante Besonderheiten von B2B-Produkttypen und B2B-Geschäftstypen

235

Mengen und deutlich höhere Kosten und damit verbunden (zumindest gefühlt) größere finanzielle Risiken des Käufers. Weiterhin können selbst einfache Teile oder Komponenten strategische Bedeutung für industrielle Abnehmer haben, sodass Qualitätsschwankungen oder Versorgungsengpässe gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Als Beispiel sei hier auf die Engpässe bei Baustoffen und Halbleitern infolge der Corona-Krise 2021 verwiesen, die zu Produktionsstillständen in der Automobil- und Projektverzögerungen und Preissteigerungen in der Bauindustrie führten (vgl. Hofer & Menzel, 2021; Neumann, 2021). Zudem gibt es innerhalb vermeintlich einfacher B2B-Produktarten eine deutlich größere Bandbreite an Varianten. EHB-Stoffe1 beschränken sich für Konsumenten überwiegend auf Bürokleber oder unterschiedliche Spezifikationen von Automotorenöl. Im industriellen Umfeld werden darunter jedoch auch Spezialchemikalien wie z. B. Additive zum Flammschutz oder in der Lebensmittelchemie verstanden, die hochkomplex und teilweise kundenindividuell angepasst sind. Damit greifen dort die Mechanismen des Konsumgütermarketings nicht mehr. Dies trifft auch für Systemtechnologien zu. Sie entstehen, wenn z. B. einzelne Aggregate oder Teile und häufig auch daran gebundene Dienstleistungen derart zu einem Bündel verschnürt werden, dass der Kunde sich beim Erstkauf auf einen Anbieter festlegen muss und anschließend bei Ergänzungs- und Ersatzbeschaffungen oder der Nutzung von ­Dienstleistungen an diesen Anbieter gebunden ist. Der Unterschied zwischen Aggregaten, Teilen usw. auf der einen und Systemtechnologien auf der anderen Seite besteht also in deren Kopplung oder Nicht-Kopplung über mehrere Käufe. Was dem einen Kunden ein einzelner Schreibtisch ist, wird für den anderen, der nach und nach alle seine Räumlichkeiten mit derselben Möbellinie ausstatten möchte, zur Systemtechnologie. Denn Letzterer ist (hier aus ästhetischen Gründen) gezwungen, immer wieder das gleiche Mobiliar nachzukaufen. Je nach Bedeutung und Umfang des beschafften Produkts geht damit eine erhebliche Abhängigkeit des Käufers vom Lieferanten einher („Lock-in-Effekt“). Neben der Ästhetik kann dies technisch bedingt sein, weil keine offenen technischen Schnittstellen zu Produkten anderer Hersteller existieren, die sich somit nicht in die bestehende Gerätelandschaft integrieren lassen. Hier muss ein großer Fokus des Marketings darauf liegen, den Kunden Sicherheit zu vermitteln, dass sie bei dem betrachteten Lieferanten in guten Händen sind und zukünftig nicht, z. B. durch plötzliche Preiserhöhungen, übervorteilt werden.2 So vermittelt die Liste in Tab. 10.1 ein gewisses Gefühl für die Breite und Variabilität von B2B-Gütern und -Leistungen. Durch Ähnlichkeiten verschiedener Produktarten sowie

 Neudeutsch werden EHB-Stoffe vielfach auch als „MRO-Bedarfe“ (Maintenance, Repair, Operation, also Wartung, Reparatur, Betrieb) bezeichnet. 2  Im Konsumgüterbereich kennt man solche Umstände bei Koppelprodukten wie Rasierklingen und Halterungen oder Druckern und Toner. Aufgrund der niedrigeren Preise des Basisprodukts ist der Bindungseffekt und somit das Risiko des Käufers hier jedoch viel geringer. 1

236

10 B2B-Produktpolitik

Abb. 10.1  Geschäftstypen im Industriegütermarketing. (Quelle: In Anlehnung an Kreutzer et al., 2020, S. 22)

Gebundenheit des Nac hfragers

verschiedener Varianten innerhalb einer Art ist sie jedoch nicht ausreichend trennscharf, um B2B-spezifische Besonderheiten und deren Auswirkungen auf das Marketing eindeutig zu benennen. Dem haben Backhaus und Voeth (2014, S. 210–218) mit ihrer Konsolidierung der Produktarten zu vier Hauptgeschäftstypen in einer 2x2-Felder-Matrix gemäß Abb. 10.1 abgeholfen. Die entscheidenden Dimensionen sind dabei die schon am Beispiel der Systemtechnologie erläuterte Abhängigkeit oder Gebundenheit nach Kaufabschluss. Im Produktgeschäft liegt diese i. d. R. nicht vor. Es handelt sich um Einmaltransaktionen und Käufer und Verkäufer sehen sich u. U. nie wieder. Im Systemgeschäft hingegen droht – zumindest theoretisch  – sogenanntes opportunistisches Verhalten durch den Anbieter, der die Abhängigkeit ausnutzen könnte (vgl. z. B. Picot, 1991, S. 147), z. B. durch Preiserhöhungen für spätere Ergänzungs- oder Ersatzkäufe. Der Kunde hat dann nur die Möglichkeiten, diese entweder zähneknirschend zu akzeptieren oder sein gesamtes System durch ein anderes zu ersetzen. Letzteres wird auch erforderlich, wenn durch Einstellung der Produktlinie oder Insolvenz des Anbieters gar nicht mehr geliefert werden kann. Abhängig vom Anpassungsgrad des Systems an die Besonderheiten des Kunden entstehen sogenannte „Sunk Costs“,3 die im Extremfall den Umfang einer Totalabschreibung annehmen könFokus Kaufverbund

Fokus Einzeltransaktion

Systemgeschäft

Zuliefer-/ Integrationsgeschäft

Produktgeschäft

Anlagen-/ Projektgeschäft Fokus Einzelkunde

Fokus anonymer (Massen-)Markt

Gebundenheit des Anbieters

 Als „Sunk Costs“ (versunkene oder irreversible Kosten) werden Kosten bezeichnet, die entstehen, wenn eine Investition dergestalt spezifisch ist, dass sie einen allgemeinen Marktwert von null oder zumindest deutlich unter den Investitionskosten hat, d. h. nicht oder nur mit großen, über den Abschreibungszeitwert hinausgehenden Preisabschlägen weiterverkäuflich ist. Im Umfang der Differenz zwischen Anfangsinvestition und erzielbarem Preis entstehen dann „Sunk Costs“, die irreversibel verloren sind (vgl. Williamson, 1990, S. 62, 70; Knieps, 2008, S. 30, 101). 3

10.1  Relevante Besonderheiten von B2B-Produkttypen und B2B-Geschäftstypen

237

nen. Werden sie im Kaufprozess als prohibitiv hoch eingeschätzt, verhindern sie den Kauf. Im B2B-Marketing muss daher überlegt werden, wie dieses (gefühlte) Risiko des Kunden reduziert werden kann. Im Anlagen- oder Projektgeschäft4 kann dieses Risiko einseitig für den Anbieter bestehen. So sind Großprojekte wie z. B. die Hamburger Elbphilharmonie oder der Berliner Großflughafen BER im Vorfeld häufig schwer vollständig zu spezifizieren. Der Anbieter kann dann im Verlauf gezwungen sein, gutem Geld weiteres hinterherzuwerfen, um das Projekt irgendwie zum Abschluss und den Kunden zu einer (Teil-)Zahlung zu bringen und so einen Projektabbruch ohne Kompensation für bereits erbrachte Leistungen zu vermeiden. Solche Gebundenheiten korrelieren aus Kundensicht also mit dem Grad des Kaufverbunds: Je mehr und je spezifischere Folgekäufe benötigt werden, desto höher ist die Abhängigkeit des Kunden vom Anbieter. Aus Anbietersicht hängen sie vom Individualisierungsgrad der Leistung ab: Je kundenindividueller angepasst die Lösungen sind, desto weniger lassen sie sich an andere Kunden verkaufen und desto abhängiger wird der Anbieter vom Kunden. Zudem stellen Vorleistungen wie die Projektplanung bei Scheitern des Projekts Sunk Costs für den Anbieter dar. Während diese Gebundenheit im System- und Projektgeschäft einseitig beim Kunden respektive beim Anbieter liegt, kommt es beim Integrations- oder Zuliefergeschäft5 zu dauerhafter wechselseitiger Abhängigkeit. Als Beispiel kann die Automobilindustrie angeführt werden: Für jedes neue Automodell, auch ein und desselben Herstellers, sind wenigstens bzgl. des Designs einzelner zugelieferter Komponenten, wie z. B. der Scheinwerfer, der Außenspiegel, der Sitze, Anpassungen nötig. Da die so entstehenden Komponenten nur genau für dieses eine spezifische Automodell passen, ist der Zulieferer stark vom Automobilhersteller abhängig. Andererseits beschränken sich die Hersteller aus Effizienzgründen häufig auf einen oder zwei Zulieferer pro Komponente (sogenanntes „Single“ oder „Dual Sourcing“, vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 88–89, siehe auch 6.3.2.1.5), wodurch sich ihrerseits eine starke Abhängigkeit von eben diesen spezialisierten Lieferanten ergibt. Dienstleistungen können je nach Ausgestaltung in jeden der vier Geschäftstypen fallen. Fassadenreiniger erbringen bspw. einmalig standardisierte Leistungen. Viele produktbegleitende DL wie langfristige Wartungsverträge lassen Lösungen zu Systemgeschäften werden, wenn das Kernprodukt nur durch diese DL dauerhaft funktionsfähig gehalten werden kann. Kundenspezifische Softwareentwicklung hat den Charakter des Zuliefergeschäfts und Unternehmensberatungsprojekte fallen ins Projektgeschäft.

 Im Folgenden wird ausschließlich der Begriff „Projektgeschäft“ verwendet, da Großanlagen immer mehr mit Dienstleistungen gekoppelt sind und auch komplexe investive Dienstleistungen an sich, z. B. Unternehmensberatungsprojekte, darunterfallen können. 5  Aus Gründen der Anschaulichkeit wird nachfolgend ausschließlich der Begriff „Zuliefergeschäft“ verwendet. 4

238

10 B2B-Produktpolitik

Umsatz

Kundenintegration

Innovationsphase

Marktdurchdringung

Einführungs- Wachsphase tums phase

Differenzierung Produktvom Wettbewerb eliminierung

Reife-/ Sättigungs phase

Rückläufigkeitsphase

Zeit

Abb. 10.2  Herausforderungen der B2B-Produktpolitik im Verlauf des erweiterten Produktlebenszyklus

Bezüglich der Besonderheiten der B2B-Produktpolitik lässt sich – strukturiert entlang des Produktlebenszyklus (siehe Abb.  10.2; vgl. auch Abschn.  9.1)  – nun Folgendes erkennen: 1. Bei einem guten Teil des B2B-Geschäfts geht es um die Erstellung kundenindividueller Lösungen. Hier ist die frühzeitige enge Zusammenarbeit mit den Kunden beim Produkt- und Lösungsdesign wichtig. Eine enge Einbeziehung der Kunden in die Neuproduktentwicklung ist allerdings auch im Bereich standardisierter Produkte für anonyme Massenmärkte ein wesentlicher Faktor für den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen. Somit sind für die Innovationsphase des Produktlebenszyklus (PLZ) Methoden zu betrachten, mit denen Geschäftskunden eng in die Neuproduktgestaltung einbezogen werden können. Nicht zuletzt kann aus diesen Partnerschaften auch Schwungkraft für die Durchdringung des Markts in Einführungs- und Wachstumsphase gewonnen werden. 2. Auch bei zu Markteinführung neuartigen Lösungen droht in einem Teil der B2B-­ Geschäftsfelder im weiteren PLZ-Verlauf durch zunehmenden Wettbewerb eine Situation wie im Konsumgütermarketing einzutreten: Die Produkte werden austauschbar und der Preisdruck nimmt zu. So entsteht im mittleren Teil des PLZ die Frage, wie eine Differenzierung vom Wettbewerb gelingen und dem zunehmenden Preiswettbewerb ausgewichen werden kann. 3. Aus den identifizierten Kaufverbünden ergibt sich die Frage, wie ein Anbieter sich zum Ende des Produktlebenszyklus verhalten sollte. Auf Konsumgütermärkten mögen rein quantitative Überlegungen hierfür relevant sein: Im Verlauf der Reifephase wird über Folgeinnovationen nachgedacht und sobald die Deckungsbeiträge des bestehenden Produkts negativ zu werden drohen, wird es abge- und ersetzt. Eine Information der

10.1  Relevante Besonderheiten von B2B-Produkttypen und B2B-Geschäftstypen

239

Nachfrager erfolgt i. d. R. nicht, da die Zahl der verbliebenen Nutzer und ihr Bedarf an Nachkäufen oder Ersatzteilen relativ gering ist. Im B2B-Umfeld sieht die Situation anders aus: 1. Auch auf „Massenmärkten“ ist die Kundenzahl i. d. R. kleiner. 2. Die Transparenz und Kommunikation über Anbieter ist i. d. R. größer. 3. Es gibt ganz unterschiedlich werthaltige Kunden. 4. Deren Einkaufsvolumina sind i. d. R. größer. 5. Und ihre Produktionsprozesse sind häufig an spezielle Zulieferprodukte, die nicht von heute auf morgen ersetzbar sind, angepasst. In einem solchen Fall drohen einem Lieferanten bei rein quantitativer Entscheidungsfindung und einseitiger Verkündung einer Produkteinstellung drei Gefahren: 1. Dies kann bei verärgerten Kunden zur Nichtberücksichtigung bei zukünftigen Aufträgen führen. 2. Dieses Verhalten könnte sich in der Branche herumsprechen, sodass auch bisherige Nichtkunden einen (weiteren) Grund haben, auch zukünftig keine Aufträge an den betreffenden Anbieter zu vergeben. 3. Schließlich sind Verbundverkäufe mit anderen Produkten zu beachten, die durch unbedachtes oder organisatorisch verursachtes6 Aussteuern von Produkten zerstört werden könnten (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 148–150). Somit geht es um die Optionen, die ein Anbieter im Umgang mit Bestandskunden hat, wenn Produkte zum Ende ihres Produktlebenszyklus unprofitabel werden. 4. Es gibt den Teil des B2B-Geschäfts, bei dem es zu ein- oder wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Anbieter und Kunden kommt. Hier ist der wesentliche Aspekt die Schaffung von Sicherheit und Glaubwürdigkeit vor dem Kauf für die Kunden. Da dies schwerpunktmäßig kommunikative Maßnahmen umfasst, wird dieser Aspekt in Kap. 12 aufgegriffen. Abschließend sei noch auf weitere Besonderheiten der B2B-Produktpolitik hingewiesen. Ein Produkt ist als ein Bündel von Eigenschaften zur Schaffung von Kundennutzen zu definieren (vgl. Homburg, 2020, S. 600). Wie genau diese Eigenschaften bezeichnet werden, unterscheidet sich je nach Autor ein bisschen (vgl. z. B. Kotler et al., 2019, S. 389; Homburg, 2020, S. 600; Walsh et al., 2020, S. 282). Abb. 10.3 zeigt eine pragmatische Konsolidierung. Wie im Konsumgütermarketing entsteht der Grundnutzen auch im B2B-Geschäft durch den Einsatz des Produkts beim Kunden. Wie bereits (Abb.  1.5, Abschn.  6.2.5 und 6.3) dargelegt, entsteht der Nutzen im B2B-Umfeld dadurch, dass den Kunden geholfen wird, ihre eigene Wertkette zu optimieren und dadurch wiederum ihren eigenen Kunden zu Mehrwerten zu verhelfen. Insofern ist es notwendig, fortdauernd das gesamte nachfolgende Wertesystem daraufhin zu analysieren, ob sich bzgl. der grund Dazu können z.  B. getrennte Produktverantwortlichkeiten, insbesondere bei Produkten aus verschiedenen Unternehmensbereichen oder Produkt-Dienstleistungsbündeln, führen.

6

240

10 B2B-Produktpolitik

Unterstützende Eigenschaften Emotionale Eigenschaften Technische Eigenschaften

Grundnutzen des Produkts oder der Dienstleistung

Abb. 10.3  Dimensionen von Produkt- und Leistungseigenschaften

legenden Bedürfnisse etwas ändert. Für die Neuproduktentwicklung wäre z. B. eine mögliche Konsequenz daraus, dass nicht nur direkte Kunden, sondern auch deren Kunden in den Innovationsprozess eingebunden werden sollten. Bezüglich der technischen Eigenschaften, z.  B.  Materialien und ihre Spezifikationen, ist darauf hinzuweisen, dass diese insbesondere beim Projektgeschäft sehr komplex und bei Angebotsabgabe und Vertragsabschluss häufig noch nicht vollständig bekannt sind und sogar noch im laufenden Projekt Änderungen unterliegen können. Damit geht für den Anbieter ein großes Kalkulationsrisiko einher, das in Kap. 11 näher behandelt wird. Aus Kundensicht bedeutet dies, „die Katze im Sack“ zu kaufen, weshalb im Vermarktungsprozess überwiegend kommunikative Signale des Anbieters über seine Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit notwendig sind (siehe Kap. 12). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die auch hierunter fallende Verpackung, die im Konsumgütermarketing aus emotionaler Sicht sehr wichtig ist, im B2B-Verkauf vor allem zum Transportschutz und damit zur schadenfreien Zustellung hochwertiger Produkte an den Kunden eine Rolle spielt. Als Aspekt der Transportlogistik wird dies nicht weiter aufgegriffen. Die Relevanz emotionaler Eigenschaften im B2B-Marketing wird immer wieder als eher gering eingeschätzt (vgl. z. B. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 140). Gerade im dem Konsumgüterbereich ähnlichen Produktgeschäft kommt jedoch im B2B der Differenzierung vom Wettbewerb durch Markenaufbau und -führung eine bedeutende Rolle zu (Abschn. 9.5). Je nachdem, ob Aspekte wie Bedienerfreundlichkeit, Haptik und Anmutung eher den technischen oder aber eben auch den emotionalen Eigenschaften zugerechnet werden, spielen auch sie, zumindest für die Nutzer, eine Rolle und damit, je nach Einfluss der Nutzer im Buying Center, auch für die Kaufentscheidung.

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

241

Damit ist die Brücke zu den unterstützenden Eigenschaften geschlagen, die klassisch vor allem die produktbegleitenden Dienstleistungen beinhalten. Abschn.  10.3 wird sich detailliert mit diesen Pre-, At- und After-Sales-Dienstleistungen beschäftigen, die im B2B-Geschäft sehr viel umfassender und von erheblich höherer Relevanz für die Differenzierung vom Wettbewerb sind als auf Konsumgütermärkten (vgl. z.  B.  Pförtsch & Godefroid, 2013, S.  140). Durch die Digitalisierung kommen hier zunehmend auch neue datenbasierte Dienstleistungen hinzu, die teilweise sogar die bestehenden Geschäftsmodelle dergestalt revolutionieren, dass sich ehemalige Produkthersteller zu reinen Dienstleistungserbringern weiterentwickeln und die technischen Produkte in den Hintergrund rücken (sogenannte „Servitization“, vgl. z. B. Scheed & Scherer, 2021, S. 138).

10.2 Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten 10.2.1 Der Innovationsprozess Das Ziel von Innovationen ist die Schaffung neuer oder die (bessere) Ausnutzung bestehender Kundenbedürfnisse und Marktpotenziale und die Absicherung gegenüber den Wettbewerbern. Dabei werden grundsätzlich drei Ansätze unterschieden (vgl. Bruhn, 2019, S. 135): 1. die Entwicklung echter Innovationen, die es in dieser Art zuvor auf dem Markt nicht gab, 2. die Verbesserung/Weiterentwicklung bestehender Produkte und 3. die Produktdifferenzierung, bei der neue Varianten des bestehenden Produkts entstehen. Gegenstand der Innovation können alle vier Dimensionen aus Abb. 10.3 sein, wobei sich radikale Neuerungen eher auf die beiden inneren Kerne, Weiterentwicklungen und Differenzierungen hingegen tendenziell auf die beiden äußeren Schalen sowie Variationen bestehender technischer Eigenschaften (z.  B.  Veränderungen von Größe, Farbe oder das schlichte Weglassen einzelner Features) beziehen. Wie kommt es nun zu Innovationen? Traditionell erfolgt eine Orientierung an Prozessabläufen, wie z. B. in Abb. 10.4 dargestellt. Der Kern dieser Prozesse ist häufig vierstufig (vgl. Meffert et al., 2019, S. 414) und kann dann durch Verfeinerung einzelner Teilprozessschritte weiter aufgefächert werden. So findet sich bei Bruhn (2019, S.  136) ein fünfstufiger Prozess, der aus den Schritten 2 und 3 drei Phasen macht (Grobauswahl von Produktideen, Entwicklung und Prüfung von Produktkonzepten, Feinauswahl von Produktkonzepten). Pförtsch und Godefroid (2013, S.  165) verweisen sogar auf einen

242 Abb. 10.4  Klassischer Innovationsprozess. (Quelle: Meffert et al., 2019, S. 414)

10 B2B-Produktpolitik

Ideengewinnung

Ideenprüfung

Ideenrealisation

Markteinführung

neunstufigen Prozess, bei dem die Ideenprüfung und -auswahl in drei und die Ideenumsetzung in weitere vier Einzelschritte zerlegt wird. Unabhängig von der Zahl der Prozessschritte sind entlang des Gesamtprozesses zwei unterschiedliche Tendenzen zu beobachten: Die Anzahl der verfolgten Ideen nimmt von oben nach unten stark ab, wohingegen die Kosten pro Idee mit zunehmender Ausgestaltung stark steigen (vgl. Meffert et al., 2019, S. 432). Insgesamt sind Innovationsprozesse sehr kostenintensiv. Gleichzeitig beinhalten sie erhebliche Misserfolgsrisiken, sowohl in Bezug auf die tatsächliche Entwicklung eines marktfähigen Produkts im Verlauf des Prozesses als auch hinsichtlich des Erfolgs im Anschluss an die Markteinführung (vgl. Meffert et al., 2019, S. 409–410). In der Unternehmensrealität werden daher aus diesen Prozessen häufig sogenannte „Stage-Gate“-Abläufe. Sie entsprechen formalisierten Freigabeverfahren, bei denen jeder einzelne Prozessschritt (Stage) zunächst vor einem Tor (Gate) endet. An diesem Tor prüfen i. d. R. Managementgremien den Erfolg der abgeschlossenen und die Erfolgsaussichten für die nächste Phase. Nur im positiven Fall erfolgt die Öffnung des Tors und weitere Ressourcen werden freigegeben, im negativen Fall wird das Projekt zurückgestuft oder eingestellt (vgl. Cooper, 2002, S. 146–149).

10.2.1.1 Phase der Ideengewinnung In der Phase der Ideengewinnung lassen sich zwei Arten von Quellen unterscheiden  – unternehmensinterne und -externe. Tab. 10.2 gibt einen Überblick über die Einzelquellen in jeder Kategorie (vgl. Engeser, 2010; Meffert et al., 2019, S. 418–428; Homburg, 2020, S. 610). Einer der Hauptvorteile der unternehmensinternen Quellen ist, dass damit Geheimhaltung sichergestellt werden kann. Auch größere Schnelligkeit und geringere Kosten werden diesen Quellen mitunter zugeschrieben (vgl. Homburg, 2020, S.  610), wobei auch unternehmensextern durchaus kostengünstige Quellen zur Verfügung stehen (z. B. Online-­Recherche über Wettbewerber). Andererseits kann z. B. das Vorhalten einer unternehmenseigenen Forschungs-und-Entwicklungs-(F&E-)Abteilung viel Geld ver-

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

243

Tab. 10.2  Quellen für Neuproduktideen Unternehmensinterne Quellen Eigene F&E-Abteilung Betriebliches Vorschlagswesen/Ideenwettbewerbe Mitarbeiter an den Kundenschnittstellen (Vertrieb, Kundendienst, Beschwerdemanagement) Führungskräfte

Unternehmensexterne Quellen Kunden Wettbewerber Absatzmittler/Geschäftspartner Andere Märkte Lieferanten Forschungsinstitute/Hochschulen Selbstständige Erfinder/Start-ups Unabhängige Experten

schlingen. So hat z.  B. der US-amerikanische Konzern 3M, eines der innovativsten Unternehmen der Welt, 2020 bei einem Gesamtumsatz von 32,2 Mrd. US-$ 1,9 Mrd. US-$ in F&E investiert (vgl. 3M, 2021, S. 6). Und das Pharmaunternehmen Sanofi beschäftigt weltweit mehr als 15.000 MitarbeiterInnen in der F&E (vgl. Sanofi, 2021). Tendenziell mögen intern generierte Ideen im Anschluss leichter umsetzbar sein, weil Rahmenbedingungen und Fähigkeiten des eigenen Unternehmens unbewusst in die Ideengewinnung einfließen. Damit geht aber die Gefahr einher, dass grundlegend neue Wege von Beginn an gar nicht erst diskutiert werden. Unter diese Art von Betriebsblindheit ist als zweiter großer Nachteil auch zu zählen, dass die Anforderungen des Markts nicht ausreichend berücksichtigt werden. Daher ist die Einbindung von Mitarbeitern an den Kundenschnittstellen vorteilhaft, nicht nur, weil dadurch Kundenfeedback in den Innovationsprozess einfließt, sondern auch, weil gerade der Vertrieb so bereits sehr früh eine wichtige Basis für die spätere a­ ktive Vermarktung der Innovation legen kann (vgl. Klarmann & Hildebrand, 2015, S. 302–304). Die Vor- und Nachteile der unternehmensexternen Quellen sind im Wesentlichen spiegelverkehrt zu jenen der unternehmensinternen: Die größere Innovationskraft und die stärkere Orientierung an Marktbedürfnissen schlagen positiv zu Buche, Nicht-Exklusivität der Ideen bzw. aufwändigere Maßnahmen zur Geheimhaltung negativ. Durch Kooperation mit externen Forschungseinrichtungen besteht die Möglichkeit, auf Erkenntnisse der sogenannten Grundlagenforschung zuzugreifen und diese für das eigene Unternehmen nutzbar zu machen. Sie hat die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Gegenstand und nicht deren Marktfähigkeit. Charakteristisch sind eine hohe Unsicherheit bezüglich ihrer Ergebnisse und deren Entstehungsdauer und Kosten, was Unternehmen i. d. R. davon Abstand nehmen lässt (vgl. Müller-Prothmann & Dörr, 2020, S. 35–36). Sie fokussieren sich normalerweise eher auf die sogenannte angewandte Forschung, die größere und kurzfristigere Erfolge in Aussicht stellt. Die Einbeziehung von Kunden gilt auf Konsumgütermärkten häufig als nicht hilfreich zur Gewinnung radikal neuer Ideen, da Konsumenten sich zu schlecht vom Stand der Gegenwart lösen könnten (vgl. Meffert et al., 2019, S. 421). Im B2B-Marketing hat man

244

10 B2B-Produktpolitik

dagegen auf Kundenseite bei richtiger Auswahl der Ansprechpartner Experten zur Verfügung, was die Einbeziehung der Kunden sehr attraktiv macht und deshalb im Detail in Abschn. 10.2.2 behandelt wird. Nicht zuletzt kann externes hochinnovatives Potenzial auch durch Unternehmensübernahmen gesichert werden. Dazu bieten sich als Ziele Wettbewerber an, aber auch Unternehmen, die in bisher selbst nicht bearbeiteten Märkten aktiv sind oder, wie bei der digitalen Transformation zu beobachten ist, erfolgversprechende Startups, durch deren Übernahme der Wandel der eigenen Geschäftsmodelle ermöglicht oder beschleunigt werden kann. Um näher an solche Zielobjekte heranzukommen, ohne den Eindruck feindlicher Übernahmen zu erwecken, vergeben Unternehmen Venture Capital zur Unterstützung von Unternehmensneugründungen und Start-ups. Dabei wird eigenes (Risiko-)Kapital in zukunftsträchtig erscheinende Ideen investiert, um von ihnen zum Zeitpunkt der Marktreife profitieren oder sie ggf. zu einem späteren Zeitpunkt ins Unternehmen eingliedern zu können (vgl. Venture Capital Magazin, 2017).

10.2.1.2 Phase der Ideenprüfung In der Phase der Ideenprüfung geht es um eine schrittweise detaillierter werdende Selektion der zu verwerfenden und weiterzuverfolgenden Ideen. Gleichzeitig werden die weiterzuverfolgenden Ideen im Rahmen dieses Prozesses zunehmend konkretisiert. In der frühen Prüfungsphase geht es darum, aus einer großen Menge an Ideen möglichst effizient die erfolgversprechenden auszuwählen, ohne dabei große Risiken zu übersehen oder große Chancen zu verwerfen. Es geht also um die Reduktion der Wahrscheinlichkeiten sowohl des α-Fehlers, eine Idee zu verwerfen, obwohl sie Potenzial hat (falsch-negativ), als auch des β-Fehlers, sie beizubehalten, obwohl sie später keinen Erfolg haben wird (falsch-positiv) (vgl. Meffert et al., 2019, S. 428). Nur der β-Fehler kann direkt quantifiziert werden und es wird geschätzt, dass bis 40  % der Neuprodukte auf B2B-­ Märkten floppen. Diese Quote scheint über längere Zeiträume relativ stabil zu sein und zeigt auf, wie hoch die Risiken von F&E-Prozessen sind (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 225; Haas, 1995, S. 374). β-Fehler ziehen gut quantifizierbare finanzielle Verluste in Form von „Sunk Costs“ nach sich. Möglicherweise noch gravierender ist jedoch der α-Fehler, der zu entgehenden zukünftigen Erträgen führt. Er ist jedoch schwerer entdeckund messbar, beinhaltet keine direkten Verluste, sondern „nur“ Opportunitätskosten und verleitet Unternehmen daher dazu, risikoscheu zu agieren und Innovationsprozesse frühzeitig zu stoppen (vgl. Blythe & Zimmerman, 2005, S. 140). Die Ideenprüfung kann z. B. mit Checklisten oder Fragenkatalogen erfolgen (vgl. Meffert et al., 2019, S. 429). Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass es sich in diesem Stadium zunächst noch um abstrakte Ideen handelt und nicht um auch nur annähernd greifbare Produkte oder Dienstleistungen. Daher muss eine gewisse Ideenkonkretisierung erfolgen (vgl. Homburg, 2020, S. 614), ohne allerdings zu viel Aufwand zu produzieren, was eine Gratwanderung darstellen kann, wenn große Mengen an Ideen generiert wurden.

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

245

Wic htigkeit aus Kundensic ht

So berichtet Haas (1995, S. 385) von einem US-amerikanischen Rohstoffgewinnungsund -verarbeitungsunternehmen, das aus 540 Neuproduktideen selektieren musste. In der Pharmaindustrie stehen für einen neuen Wirkstoff sogar noch nach dem ersten Screening im Schnitt 5.000 bis 10.000 mögliche Substanzen zur Auswahl (vgl. vfa, 2018). Wie insgesamt in der Phase der Ideenprüfung, ist es wichtig, bereits an dieser frühen Stelle alle relevanten Perspektiven in die Beurteilung einzubeziehen. Im Grunde lassen sich diese sehr generisch auf zwei herunterbrechen: die interne des Unternehmens und seiner Technik und die externe des Marktes und potenziellen Nutzens. Entsprechend sollten hier auch Vertreter beider Bereiche, die grundsätzlich denen der Ideenquellen gemäß Tab. 10.2 entsprechen können, einbezogen werden. Mit Checklisten oder Fragenkatalogen können z. B. die Übereinstimmung der sich ergebenden Möglichkeiten mit Unternehmensvision, -mission und -zielen, eigene technologische Erfahrungen und Fähigkeiten und Nutzenpotenziale am Markt grob und im Sinne von K.o.-Kriterien geschätzt werden (vgl. z. B. Haas, 1995, S. 385; Biemans, 2010, S. 147; Backhaus & Voeth, 2014, S. 232–233). Zur Illustration lassen sich die Produktideen grob in Portfoliomodelle, wie in Abb. 10.5 dargestellt, hineinprojizieren. Nach dieser ersten Abschätzung des USP-Potenzials und der Machbarkeit der Ideen sind primär diejenigen, die im grau markierten Bereich liegen, weiterzuverfolgen. Sofern der „interne Fit“ (z. B. notwendiges Know-how, Finanzausstattung, Unternehmensphilosophie und -strategie) nicht vorliegt, kann geprüft werden, ob er durch interne Änderungen aus eigener Kraft oder mithilfe externer Partner hergestellt werden kann (vgl. Blythe & Zimmerman, 2005, S. 140).

hoch

niedrig

nicht möglich

möglich

Unterscheidung vom Wettbewerb Abb. 10.5  Portfoliomodell zur Ideenselektion

246

10 B2B-Produktpolitik

Sobald die Zahl der verbliebenen Ideen auf ein handhabbareres Maß reduziert wurde, können greifbarere Produktkonzepte entwickelt werden. Als Produktkonzept wird eine verbale oder visuelle Beschreibung der Idee bezeichnet, die vor allem ihren Nutzen und ihre Wettbewerbsvorteile herausstellt und darauf eingeht, wie diese zu realisieren sind. Nach und nach werden Kernfunktionen, Spezifikationen und die zu verwendenden ­Technologien entwickelt, um Nutzen und Wettbewerbsvorteile zu konkretisieren und zu realisieren. Dabei kann mit strukturierten Listen bis hin zu Computeranimationen und -simulationen gearbeitet werden. Durch die zunehmende Konkretisierung können die zuvor groben Abschätzungen z. B. durch Nutzwertanalysen/Scoringmodelle verfeinert werden, in die wiederum technische Machbarkeitsstudien und detaillierte Marktanalysen einbezogen werden können. Am Ende der Ideenprüfung stehen, sobald hinreichende Informationen über mögliche Kosten und Erträge abgeleitet werden können, betriebswirtschaftliche Wirtschaftlichkeitsanalysen, wie einfache Break-Even-­ Analysen, dynamische Investitionsrechenverfahren oder sogar vollständige Business Cases (vgl. Blythe & Zimmerman, 2005, S. 139–144; Biemans, 2010, S. 148; Backhaus & Voeth, 2014, S.  233–234; Meffert et  al., 2019, S.  428–436; Homburg, 2020, S. 614–623).

10.2.1.3 Phase der Ideenrealisierung Die Produktkonzepte, die am Ende der Ideenprüfung übriggeblieben sind, gehen nun in die Realisierungsphase. Auch diese erfolgt schrittweise, bevor am Ende eine oder wenige Rest-Ideen tatsächlich in allen Dimensionen gemäß Abb. 10.3 zu marktreifen Produkten ausgestaltet werden. Als wesentlicher Schritt der Ideenrealisierung kann die Entwicklung von Prototypen angesehen werden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 234). Ein Prototyp ist ein Modell, das wesentliche Elemente eines geplanten Produkts visualisiert und damit greifbar macht. Mit ihm können Funktionen getestet und Reaktionen von Verwendern eingeholt werden (vgl. Bendel, 2021). Während die Prototypenherstellung früher i.  d.  R. aufwändig und teuer war, ist sie mithilfe moderner Methoden sowohl physisch (z. B. durch 3D-Druck) als auch virtuell deutlich kostengünstiger geworden (vgl. Hartschen et  al., 2009, S.  129; Schuh & Uam, 2012, S. 375). Gegenstand der Prototypentests sind zum einen technisch-funktionale Tests aus Herstellersicht sowohl in Bezug auf die Produktfunktionalitäten als auch hinsichtlich der zukünftigen Fertigungsprozesse. Zum anderen wird die Marktfähigkeit aus Verwendersicht untersucht.7 Dabei geht es um die Identifikation von anwendungstechnischen Pro­ blemen und möglichen Folgekosten für Handelspartner und Kunden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 237–239). So können bei Zwischenhändlern bspw. neue Lagermethoden oder bei Kunden Anpassungen von Prozessen erforderlich werden und schließlich sind auch mögliche Auswirkungen auf weiter nachgelagerte Marktstufen zu eruieren. Dies alles könnte zu mangelnder Akzeptanz des Produkts führen.  Für einen Überblick über mögliche Testarten vgl. Meffert et al. 2019, S. 436–441.

7

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

247

Durch die Prototypentests scheiden weitere Ideen aus und für bestehen bleibende werden Modifikationen vorgenommen. Am Ende werden, vor allem bei Innovationen im Produkt- und Systemgeschäft, größere Markttests in Testmärkten durchgeführt. Im Zulieferund Projektgeschäft wird die Erprobung eher direkt zwischen Anbieter und Einzelkunde erfolgen. Parallel zu dieser „Aus-Entwicklung“ der verbleibenden Prototypen zu realen Produkten erfolgen Planung und Test der Produktionsprozesse und -technologien in Form von Pilot- und Nullserien. Dabei wird die Herstellbarkeit des Produkts geprüft und die Produktionsprozesse werden optimiert, bevor die Massenfertigung beginnt (vgl. Herlyn, 2012, S. 204–207). Die Aufgabe des Marketingbereichs besteht währenddessen darin, auf Basis der Tests (letzte) Korrekturen am Produkt vorzunehmen, Absatzprognosen für Einkauf und Produktionsplanung zu erstellen und den Marketingplan für die Markteinführung zu entwerfen.

10.2.1.4 Phase der Markteinführung Für die Phase der Markteinführung sind drei grundlegende Fragen zu klären (vgl. Homburg, 2020, S. 649): . Wann soll das Produkt eingeführt werden? 1 2. Bei welchen Zielgruppen soll das Produkt eingeführt werden? 3. Wie ist der restliche Marketingmix, also die Preis-, Kommunikations- und Dis tributionspolitik auszugestalten? Während letztere Frage im Rahmen der nachfolgenden Kap.  11 bis 13 erörtert wird, bezieht sich die Frage nach dem Einführungszeitpunkt auf die Entscheidung als ­ ­sogenannter Pionier oder als (früher oder später) Folger auf den Markt zu treten. Bei der Wahl der Zielgruppe geht es vor allem darum, schnelle erste Erfolge sicherzustellen und diese zum nachfolgenden Ausbau der Marktposition zu nutzen. 10.2.1.4.1  Zeitpunkt der Markteinführung Während der Pionier ein neues Produkt als erster auf den Markt bringt, treten frühe Folger relativ kurz danach, noch in der Einführungs- oder der Wachstumsphase, späte Folger hingegen erst mit deutlichem Zeitabstand, in der Reife- oder Sättigungsphase, in den Markt ein. Letztere haben die Möglichkeit, als „Me-too“-Anbieter Kostenführerschaft aufzubauen und ihre Produkte zu Niedrigstpreisen zu verkaufen oder als Nischenanbieter hochspezialisiert weiterentwickelte Lösungen für Kleinstsegmente des Markts, die sich für die etablierten Unternehmen nicht lohnen, anzubieten (vgl. Meffert et  al., 2019, S. 445–447). Tab. 10.3 gibt einen Überblick über wesentliche Chancen und Risiken eines schnellen Markteintritts als Pionierunternehmen; für Folger verhält es sich im wesentlichen umgekehrt (vgl. Fischer, 2005; Meffert et al., 2019, S. 445–448; Homburg, 2020, S. 650).

248

10 B2B-Produktpolitik

Tab. 10.3  Chancen und Risiken von Pionieranbietern. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 650) Chancen Preisspielräume durch vorübergehende Monopolsituation und hohen Nutzen für innovative frühe Käufer Spätere Kostenvorteile gegenüber Folgern durch Erfahrungskurven- und Skaleneffekte Aufbau eines innovativen Images Aufbau von Wechselbarrieren bei Kunden Sicherung exklusiver Ressourcen und Vertriebswege Schaffung von „Standards“ im Markt; dadurch Zwang von Wettbewerbern zu Anpassungsinvestitionen

Risiken Hoher F&E-Aufwand als „Sunk Cost“-Risiko im Misserfolgsfall Hohe Markterschließungskosten, auch durch Innovationswiderstände/Vertrauensdefizite Unsicherheit bezüglich der Marktentwicklung Kundenunzufriedenheit durch evtl. nicht vollständig ausgereiftes Produkt Innovationswiderstände auf Kundenseite

Es gibt keine eindeutigen Erkenntnisse darüber, wie vorteilhaft eine Pionierstrategie ist (vgl. Homburg, 2020, S. 650; Meffert et al., 2019, S. 447, 450). Die Besonderheiten einiger B2B-Märkte scheinen jedoch tendenziell für eine Pionierstrategie F&E-starker Unternehmen zu sprechen: Auf vielen (Hightech-)Märkten verkürzen sich die Produktlebenszyklen immer stärker (vgl. Backhaus & Wiesel, 2015, S. 266–267). In Verbindung mit in den letzten Jahrzehnten stark gestiegenen F&E-Kosten (vgl. Moore, 2014, S. 63) spricht dies für einen schnellen Markteintritt, um überhaupt eine Chance zu haben, den Break-­ Even-­Punkt zu erreichen. Gleichzeitig reduzieren kleinere Kundenzahlen und intensive Kundenkontakte auf B2B-Märkten, nicht zuletzt auch durch die in Abschn. 10.2.2 noch zu betrachtende Einbeziehung der Kunden in die Produktentwicklung, die Unsicherheit bezüglich der Marktentwicklung und möglicher Innovationswiderstände beträchtlich. Schließlich bietet die Pionierstrategie mit schnellen Innovationsfolgen auch einen natürlichen Schutz gegen  – legalen und illegalen  – Imitationswettbewerb auf den Weltmärkten. Dennoch bleiben die Risiken für Pioniere bestehen. Zumindest der Aspekt zu überwindender Innovationswiderstände der Kunden ist jedoch, wenn auch mit gewissen Markterschließungskosten, aktiv zu managen und soll nachfolgend kurz betrachtet werden. Auf Nelson (1970, S. 312) und Darby und Karni (1973, S. 68) geht die Unterscheidung von Gütern bzw. ihrer für den Kunden relevanten Eigenschaften in Such-, Erfahrungsund Vertrauensgüter bzw. -eigenschaften zurück. Dabei sind Sucheigenschaften solche, über die sich ein Käufer vor dem Kauf durch Suche nach und Inspektion von Gütern ein sicheres Qualitätsurteil erlauben kann. So wäre beim Kauf von Büromöbeln für ein repräsentatives Foyer am Firmenhauptsitz deren ansprechendes Design eine Sucheigenschaft. Geschmack ist zwar subjektiv, aber für den Käufer einwandfrei zu beurteilen. Wenn nun gut designte Möbel teurer sind als weniger schöne, kann der Käufer voll informiert entscheiden, ob ihm dieses Design den höheren Kaufpreis wert ist.

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

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Anders sieht es bei Erfahrungseigenschaften aus. Sie lassen sich erst nach dem Kauf und nach Benutzung, sprich nach gesammelter Erfahrung, beurteilen. Wenn die zu kaufenden Büromöbel also auch ergonomisch geformt sein sollen, sodass das Personal am Empfang auch nach Stunden des Sitzens und Arbeitens keine körperlichen Probleme bekommt, ist diese Eigenschaft vielfach nicht durch Augenschein zu beurteilen. Der Käufer müsste sich also auf die Aussage des Verkäufers verlassen. Dabei liefe der Käufer das Risiko, betrogen zu werden. Dieser Fall träte ein, wenn der Kaufpreis aufgrund der vermeintlichen Ergonomie höher als der für herkömmliche Möbel wäre, diese Eigenschaft aber in Wirklichkeit nicht vorläge. Um dieses Risiko auszuschließen, könnte der Kunde vom Kauf der ergonomischen Möbel Abstand nehmen. Der Anbieter hat also ein Vertrauensproblem. Um dieses zu überwinden, muss er dem Kunden Erfahrung ermöglichen oder eigene Erfahrung des Kunden durch die vertrauenswürdiger Dritter ersetzen. Ersteres kann z.  B. durch Überlassung eines Testobjekts an den Kunden für einen gewissen Zeitraum geschehen, letzteres durch Referenzkunden. Auch Garantien eignen sich dazu. Vertrauenseigenschaften stellen die größte Herausforderung für einen Anbieter dar, denn sie sind auch nach Gebrauch des Produkts für einen Kunden faktisch nicht überprüfbar. So könnte die Nachhaltigkeit des für die Möbel verwendeten Holzes nur durch Materialproben und chemische Analysen festgestellt werden, was für den Kunden mit zusätzlichen Kosten bis hin zur Zerstörung des Produkts einhergeht. Soll es nun also für Nachhaltigkeit nochmals einen Preisaufschlag geben, muss der Anbieter zu erweiterten Maßnahmen greifen, um den Kunden von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen und Verkäufe zu ermöglichen. Denn Erfahrungen kann weder der Kunde selbst noch jemand anders für ihn sammeln. Auch eine Garantie läuft ins Leere, weil die zugesicherte Eigenschaft nicht feststellbar ist und der Garantiefall somit niemals eintreten kann. Hier helfen i. d. R. nur unabhängige Experten, die exemplarische Analysen der Produkte vornehmen und die Eigenschaft, z. B. durch Zertifikate oder eine Erklärung über die Einhaltung von Normen, bestätigen. In Bezug auf Innovationswiderstände ist zu vermuten, dass Skepsis gegenüber Innovationen zu einem großen Teil auf Unsicherheit und ein gefühltes Risiko auf Seiten der Kunden zurückzuführen ist. Die Unsicherheit kann sich z. B. auf die Funktionsfähigkeit der Innovation selbst oder auch auf die Verlässlichkeit des Anbieters als Lieferant beziehen und steigt noch an, wenn der Kunde zur Adaption der Neuerung Änderungen in seinem eigenen Unternehmen vornehmen muss. Denn dann drohen ihm „Sunk Costs“, sollte die Innovation nicht das halten, was versprochen wurde. Bei Innovationen von Pionieren ist nun die innovative Eigenschaft und/oder der Anbieter selbst als Erfahrungs- oder Vertrauenseigenschaften zu bezeichnen. Nicht nur müssen die Kunden über die Existenz der Innovation und ihren Nutzen informiert werden, es muss zudem auch Vertrauen in ihre wirkliche Existenz und Realisierbarkeit bei Anwendung geschaffen werden. Letzteres kostet den Anbieter Geld, wenn z. B. DIN- oder ISO-­Zertifizierungen benötigt werden, kann aber teilweise bereits aus dem Innovationsprozess heraus generiert werden. So kennen Kunden, die in die Produktentwicklung ein-

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10 B2B-Produktpolitik

bezogen waren, die wahren Eigenschaften und können als „Launch Customers“8 und Referenzen eingesetzt werden. Auch eine in der Vergangenheit erworbene Markenreputation hilft, Vertrauen zu schaffen. Und nicht zuletzt kann auch durch Ansprache nachgelagerter Märkte zwecks Ingredient Branding9 ein „Pull“-Effekt, d. h. ein Nachfragesog, erzeugt werden. Pioniere müssen weiterhin beachten, dass neben den technischen Eigenschaften, die den Grundnutzen des eigentlichen Produkts sicherstellen, auch Elemente aus der äußeren Schale der Produktdimensionen gemäß Abb. 10.3 rechtzeitig bereitstehen. So müssen z.  B. im Kundendienst ausreichende Installationskapazitäten ausgebildet zur Verfügung stehen oder Schulungsprogramme für die Mitarbeiter der Kunden ausgearbeitet sein (vgl. Dwyer & Tanner, 2009, S. 239). Last, but not least, muss eine sorgfältige Auswahl der zuerst mit der Innovation anzusprechenden Zielgruppe getroffen werden. In Anlehnung an das für Konsumgütermärkte entworfene Diffusionsmodell von Rogers (2003) sind innovative Kunden zu identifizieren. Dies kann im B2B-Marketing an einzelnen Mitgliedern des Buying Centers hängen, kann aber auch für das gesamte Unternehmen des Kunden gelten. Die Akzeptanz der Innovation kann dann eine Frage der Unternehmenskultur des Kunden sein oder aber mit erwartetem sehr hohem Nutzen durch die Innovation zusammenhängen, der die Risiken überwiegt. Letztendlich wird diese Abwägung durch die Mitglieder des Buying Centers und deren Zusammenspiel in ihren Entscheidungsstrukturen moderiert. 10.2.1.4.2  Zielgruppen der Markteinführung Das klassische Konzept für die Markteinführung neuer Produkte ist das Diffusionsmodell von Rogers (2003). Er definiert Diffusion als Prozess, in dem Innovation unter den Mitgliedern eines sozialen Systems kommuniziert wird. Dabei umfasst dieser Prozess sowohl die ungesteuerte und eher zufällige als auch die zielgerichtete und beeinflusste Kommunikation, mit dem Zweck, die Diffusionsrate zu beschleunigen (vgl. Rogers, 2003, S. 5–6). Zur Übernahme einer Innovation sind die Teilnehmer des Gesamtmarkts i. d. R. unterschiedlich schnell bereit (siehe Abb. 10.6). Den kleinsten Teil machen die sogenannten Innovatoren aus, gefolgt von den frühen Übernehmern, der frühen, dann der späten Mehrheit und am Ende schließen sich die Nachzügler an. Ihre Anteile basieren auf einer Normalverteilungsannahme über die Diffusionsentwicklung, bei der dann durch Abzug des Werts der Standardabweichung σ von der mittleren zeitlichen Übernahmedauer μ die Grenzen zwischen den Kategorien gebildet wurden (vgl. Rogers, 1958, S. 349–351). Die Übernahme der Innovation durch die einzelnen Marktteilnehmer erfolgt dabei in den Schritten „Wissen“ (über die Innovation), „Überzeugung“ (von der Innovation), „Entscheidung“ (über die Annahme der Innovation), „Einsatz“ (der Innovation im Unternehmen) und „Bestätigung“ (über die Richtigkeit der Entscheidung) (vgl. Rogers, 2003, S. 169), die alleine schon unterschiedliche Geschwindigkeiten und damit Zeitpunkte der  Mehr dazu folgt in Abschn. 10.2.2.  Siehe Abschn. 9.5.

8 9

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Anteil im Markt

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

Zeit

Abb. 10.6  Die Diffusion von Innovationen. (Quelle: In Anlehnung an Foscht et al., 2017, S. 149)

Übernahme erklären können. Zusätzlich hängt sie von folgenden, ebenfalls das Übernahmetempo beeinflussenden, Faktoren ab (vgl. Rogers, 2003, S. 221–259): . Relativer Vorteil (Nutzen) für den Übernehmer 1 2. Kompatibilität (mit im übernehmenden Unternehmen vorhandenen emotionalen, organisationalen, technischen Strukturen) 3. Komplexität und daraus resultierende Verständlichkeit der Innovation 4. Testbarkeit (vor der endgültigen Kaufentscheidung) 5. Sichtbarkeit für andere (potenzielle Käufer) Unter diesen Rahmenbedingungen sind die fünf genannten Kundentypen wie folgt charakterisiert (vgl. Rogers, 2003, S. 282–285; Moore, 2014, S. 15–17, 37–67): 1. Innovatoren • Leidenschaftlich aufgeschlossen für Neuerungen um der Neuerung willen, risikofreudig, im engen Austausch mit Gleichgesinnten, weniger in normalen lokalen Netzwerken, finanziell gut ausgestattet, um auch Rückschläge abfangen zu können, hohes technologisches Know-how, entscheidend für Informationsweitergabe an spätere Interessenten • Technologieexperten im Unternehmen mit Freiheit, Testexemplare zu beschaffen; Informationsselektierer

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10 B2B-Produktpolitik

2. Frühe Übernehmer • Etwas aufgeschlossener für Neuerungen als der Durchschnitt, weniger technologieorientiert als Innovatoren, aber mit Fantasie über möglichen Nutzen von Innovationen, brauchen keine Referenzen, Meinungsführer in lokalen Netzwerken und sich der damit einhergehenden Verantwortung bewusst • Hochrangige Entscheider mit großen Budgets, folgen Visionen mit möglichem großem Nutzen und Potenzial zu nachhaltigen Wettbewerbsvorsprüngen 3. Frühe Mehrheit • Abwägend, gut überlegt und pragmatisch bei der Entscheidung zur Übernahme einer Neuerung, braucht Beweise für Nutzen der Neuerung, große Gruppe im Markt, gut vernetzt, wichtiges Bindeglied im Diffusionsprozess zwischen frühen Übernehmern und Massenmarkt • Respektierte, sicherheitsorientierte Entscheider, „low on drama, high on integrity and commitment“ (Moore, 2014, S. 54) 4. Späte Mehrheit • Misstrauisch, vorsichtig, zurückhaltend, schlechtere finanzielle Ausstattung als die vorherigen Gruppen, daher risikoavers und sicherheitsorientiert, Übernahme erst, wenn Neuerung zum Standard geworden ist und nur aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen (Druck des sozialen Umfelds), große Gruppe im Markt • Interessiert an ausgereiften, erprobten Produkten in stark rabattierten vorkonfektionierten Angebotspaketen (Plug & Play), Tradition statt Fortschritt, bleiben bei dem, was funktioniert 5. Nachzügler • Eher traditionell und rückwärtsorientiert, sozial relativ isoliert • Einstellung, dass Hightech-Innovationen i.  d.  R.  Erwartungen nicht erfüllen und häufig unerwartete Auswirkungen haben; ihr Einfluss im Unternehmen ist durch Marketingmaßnahmen zu neutralisieren Auch wenn viele dieser Charakteristika eher auf Konsumenten zuzutreffen scheinen, lassen sich die Erkenntnisse fast durchweg auch im B2B-Bereich verwenden. Aufgeschlossenheit für Neuerungen kann z. B. auch für die Mitglieder von Buying Centern gelten. Wichtig ist die Existenz eines Innovations-Champions bzw. -Promotors. Diese zeichnen sich als Personen durch Risiko- und Innovationsfreude, soziale Kompetenz und Einfluss innerhalb des Unternehmens aus. Organisatorisch müssen es nicht unbedingt hochrangige Manager sein, vielmehr sitzen sie an Schlüsselstellen im Unternehmen, die verschiedene Bereiche miteinander verbinden und die verschiedenen Bedürfnisse verstehen. Generell adaptieren finanzstarke Unternehmen, was tendenziell mit der Unternehmensgröße korreliert, Innovationen schneller. Als weitere relevante Einflussgrößen auf schnelle Übernahme wurden organisatorische Aspekte wie der intensive Austausch mit Externen sowie intern über Abteilungsgrenzen hinweg, ein geringer Formalisierungs- und Zentra­ lisierungsgrad eines Unternehmens sowie im Unternehmen verfügbares Know-how er-

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

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kannt (vgl. Rogers, 2003, S. 407–415). Von den genannten Faktoren begünstigen auch im B2B-Sektor ein hoher Nutzen aus der Innovation und verhältnismäßig geringe Anpassungskosten eine schnelle Übernahme. Biemans (2010, S. 161) weist darauf hin, dass auf den häufig kleinen B2B-Märkten diese Fünf-Teilung der Kunden nicht zweckmäßig sei, sondern vielfach nur „Innovatoren“ (ggf. inkl. der „Frühen Übernehmer“) und der „Rest des Markts“ existierten. Auch dann bleibt aber die Herausforderung, die einen von den anderen zu unterscheiden und richtig anzusprechen, damit die Durchdringung des gesamten Markts gelingt. Dazu sind detaillierte Kundenanalysen und ggf. Re-Definitionen der genannten Kundentypen notwendig. Denn auch hier schlagen die vielfach kleinen B2B-Märkte durch: Angesichts des prozentual kleinen Anteils an Innovatoren dürften diese zu einem guten Teil aus Kunden bestehen, die ohnehin schon am Innovationsprozess beteiligt und für die erste Markteinführung vorgesehen waren, damit aber nicht die kritische Masse zur Markterschließung bieten. Für die Frühen Übernehmer ist es notwendig, neben mehr oder weniger leicht zu beobachtenden Aspekten aus der Makrosegmentierung gute Kenntnisse über Interna beim Kunden und damit Kriterien der Mikrosegmentierung zu haben (siehe nachfolgende Liste). Nicht aufzugeben sind bei dieser erneuten Segmentierung die schon zuvor strategisch identifizierten Zielmarktsegmente (siehe Abschn. 7.4). Vielmehr wird innerhalb dieser versucht, die besonders innovativen Kunden zu identifizieren (vgl. Biemans, 2010, S. 162).

Segmentierungskriterien für frühe Übernehmer

1. Kriterien der Makrosegmentierung: • Finanzstärke/(Unternehmensgröße) • Hoher Nutzen aus Innovation • Hohes Know-how • Geringe Anpassungskosten 2. Kriterien der Mikrosegmentierung: • Intensiver Austausch mit Externen im Markt • Bereichsübergreifender Austausch innerhalb des Unternehmens • Geringer Zentralisierungsgrad • Existenz von Innovations-Champions: –– Innovativ –– Risikofreudig –– Einflussreich –– An Schnittstellen platziert –– Ganzheitliche Perspektive aufs Unternehmen –– Hohe soziale Kompetenz

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10 B2B-Produktpolitik

Insbesondere bei radikalen Innovationen tut sich vor der notwendigen breiten Übernahme einer Innovation hinter den Frühen Übernehmern vielfach ein Abgrund („The Chasm“) auf (vgl. Moore, 2014, S. 7–8, 21–25).10 Die Produkte sind häufig noch nicht vollständig ausgereift, ihr Status ist in gewisser Weise experimentell, den Innovatoren und den frühen Übernehmern reicht dies jedoch. Im Gegensatz dazu beginnt die Frühe Mehrheit aber erst zu kaufen, wenn die Unsicherheit über Nutzen und Zuverlässigkeit der Innovation weitgehend reduziert ist und die Produktkonfiguration vollständig stabil ist. Der Unterschied liegt darin begründet, dass die Innovatoren in gewissem Maße Spieler sind oder so gut wie es geht eigene Lösungen entwickelt haben, weil für ein spezifisches Problem der Markt nichts bereitgestellt hatte („Lead-User“). Die Frühen Übernehmer suchen nach einem echten Wettbewerbsvorteil, der sie in ihrem jeweiligen Markt nach vorne katapultiert. Die Frühe Mehrheit hingegen möchte eine sichere Lösung für Produktivitätsverbesserungen. An diesen unterschiedlichen Zielsetzungen liegt es, dass sich der Reifegrad von Innovationen für die verschiedenen Gruppen unterscheiden kann und dass die Positionierung und Kommunikation jeweils einen völlig anderen Fokus haben müssen. Leider sind damit aber häufig die Mitglieder der Innovatoren und frühen Übernehmer kaum als Referenzen für die frühe Mehrheit geeignet (vgl. Moore, 2014, S. 25–26). Dies wird am Beispiel der Einbindung der Raumfahrtbranche zur Entwicklung neuer Bremssysteme für Kraftfahrzeuge oder E-Bikes ebenso deutlich wie an der von Maskenbildnern aus der Filmbranche zur Entwicklung neuer Klebesysteme für Haut- und Aussehensveränderungen, die später in der plastischen Chirurgie eingesetzt werden sollen (vgl. von Hippel et al., 1999). Kunden aus beiden späteren Massenzielmärkten werden sich nicht unbedingt an die jeweils erstgenannten Gruppen zum Erfahrungsaustausch wenden. Zur Überbrückung dieses Abgrunds („Crossing the Chasm“) kann zum einen die Reputation eines etablierten Anbieters dienen (vgl. Moore, 2005, S. 57), der bereits in der Vergangenheit erfolgreich Innovationen auf den Markt gebracht hat. Die Kunden würden ihm dann einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen und davon ausgehen, dass auch die aktuelle Innovation eine hohe Qualität hat. Insbesondere für junge Unternehmen oder beim Eintritt in neue Märkte kann eine solche Reputation jedoch noch nicht vorliegen und es sollte zum Erreichen der Frühen Mehrheit versucht werden, sich auf ein spezielles Segment zu konzentrieren und dies zum „Brückenkopf“ am Rand des Grabens zu entwickeln. Schnelle und umfangreiche Verkaufserfolge sind dabei zunächst weniger wichtig (hier mag es für schwach kapitalisierte Unternehmen Herausforderungen geben). Für diese Teilzielgruppe der frühen Mehrheit ist das Produkt entlang der verschiedenen Dimensionen gemäß Abb. 10.3 so auszugestalten, dass es deren Bedürfnisse spezifisch und vollständig deckt, aber auch nur genau diese, und nicht „over-engineered“ ist. Damit kann inhaltlich sehr spezifisch kommuniziert werden  Kleinere Lücken sind auch an den anderen drei Übergängen von einem Kundentyp zum nächsten zu überwinden, aber der Abgrund zwischen den Frühen Übernehmern und der Frühen Mehrheit ist der mit Abstand gravierendste (vgl. Moore, 2014, S. 21–25). 10

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

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und ein Verzetteln im diffusen Massenmarkt wird verhindert. Sobald in diesem einen Segment Fuß gefasst wurde, kann die dortige Frühe Mehrheit als Referenz für weitere Segmente genutzt werden, auch wenn die Anwendungsszenarien und Produktausgestaltungen angepasst werden müssen (vgl. Moore, 2014, S. 75–150). Der ideale Expansionspfad sieht dann so aus, dass im nächsten Schritt recht ähnliche Segmente adressiert werden. Moore (2014, S. 150) spricht von einem „Bowlingbahn-Effekt“, bei dem der erste getroffene Kegel in einer Kettenreaktion weitere nach sich zieht. Damit kommt der richtigen Auswahl des ersten Kundensegments eine immense Bedeutung zu, weil es geeignet sein muss, eine solche Kettenreaktion auszulösen. Für die Auswahl und Erschließung des ersten Zielsegments sollte die gezielte Unterstützung von Geschäftspartnern gesucht werden. Dies können Kunden aus dem Kreis der Innovatoren oder Frühen Übernehmer sein, die bei der Weiterentwicklung des Produkts helfen und gute Verbindungen in den neuen Zielmarkt haben. Ebenso können externe Experten oder Entwickler, Lieferanten und Vertriebspartner eingebunden werden. Im Folgenden (Abschn. 10.3.2) wird das Konzept des (Service-)Ökosystems eingeführt; im Grunde ist genau ein solches Ökosystem hier mit Blick auf die Produktausentwicklung und Erschließung des ersten Zielsegments zu definieren und zu gestalten. Dies ist für die komplette Überbrückung des Abgrunds mit den nach und nach neu gewonnenen Kunden und Partnern weiterzuentwickeln, wobei für jedes neue Segment die Produkte spezifisch angepasst werden müssen (vgl. Moore, 2014, S. 150–162). Irgendwann wird durch die Kettenreaktionen idealerweise eine kritische Masse erreicht, ab der sich die Expansion zum Tornado ausweitet (vgl. Moore, 2005, S. 63–78). In diesem Moment erkennt die breite Masse der restlichen Frühen Mehrheit den generellen Nutzen der Innovation und springt innerhalb eines kurzen Zeitraums auf den fahrenden Zug auf. Damit erreichen den Anbieter auf einen Schlag sehr viele neue Anfragen und die Wachstumsphase des Produktlebenszyklus springt mit hohen Zuwachsraten richtig an. Ab hier muss der Anbieter den Standardempfehlungen des Produktlebenszyklusmodells folgen: In der Wachstumsphase muss produziert und geliefert werden „was das Zeug hält“. Nur so kann die Grundlage für Marktführerschaft gelegt werden. Das Erlangen der Marktführerschaft ist insbesondere bei disruptiven Innovationen so wichtig, weil durch umfassende Verbreitung der Innovation faktisch Standards geschaffen werden, an denen sich später der gesamte Markt orientieren muss. Sämtliche Finanzressourcen sollten somit in die Ausweitung der Produktionskapazitäten gesteckt werden, finanzielle Entlastung kann ggf. durch Produktionspartnerschaften („Contract Manufacturing“) erzielt werden. Zum Erreichen der Kunden ist intensive Distribution gefragt, d. h. die Wahl von Massenvertriebskanälen, die den gesamten Markt abdecken. Auf die weitergehende Berücksichtigung von Kundenwünschen sollte in dieser Phase verzichtet werden (vgl. Moore, 2005, S. 78–80; Meffert et al., 2019, S. 588; Homburg, 2020, S. 491). Gemäß dem Produktlebenszyklusmodell lässt das rasante Wachstum irgendwann nach und es erfolgt der Übergang in die Reife- und Sättigungsphase. Dies entspricht in Abb. 10.6 dem Erreichen der verbliebenen Frühen und der gesamten Späten Mehrheit. Wettbewerbsund Preisdruck nehmen zu. Ein Gegenmittel stellt die erneute Fokussierung auf den

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10 B2B-Produktpolitik

­ unden zum Zwecke der Produktdifferenzierung dar (vgl. zur Produktdifferenzierung in K Reife- und Sättigungsphase Abschn. 10.3). Eine der großen Herausforderungen bei der Verwendung des Diffusionsmodells ähnelt der des Produktlebenszykluskonzepts: Es ist in der Praxis schwer feststellbar, in welcher Phase man sich gerade befindet. Während beim PLZ-Modell die Betrachtung der Umsatzentwicklung helfen kann, sind beim Diffusionsmodell Zeit und die Anzahl der Unternehmen die primären Variablen, die jedoch ex ante unbekannt sind. Dann aber ist nicht feststellbar, wann z. B. der Zeitpunkt „μ-1σ“ gekommen ist oder wann der „Chasm“ erreicht wird. Es gibt dazu allerdings mathematische Ansätze, die trotz restriktiver Annahmen erfolgreich in der Praxis angewandt wurden (vgl. Di Benedetto, 2010, S. 115–116). In der Praxis erfreuen sich Rogers und Moores Konzepte bis heute großer Beliebtheit. Aus wissenschaftlicher Sicht sind einige methodische Einschränkungen geltend zu machen. Nicht zuletzt basiert Rogers Diffusionsmodell auf Studien aus den 1950er- und 1960er-Jahren, deren Übertragbarkeit in die digitale Welt des 21. Jahrhunderts zumindest zu überprüfen wäre. Moores Erkenntnisse sind aus Einzelfallbeobachtungen und persönlichen Erfahrungen abgeleitet und nicht breit empirisch fundiert (vgl. Di Benedetto, 2010, S. 113). Speziell die Existenz des „Chasm“ wird sogar von Rogers (2003, S. 282) selbst explizit negiert. Insofern kann empfohlen werden, die griffig erscheinenden Ansatzpunkte beider Konzepte in der Realität zwar als Denkanstöße, aber kritisch, mit viel Intelligenz und unter Beachtung der Besonderheiten des eigenen Unternehmens und der eigenen Branche zu verwenden.

10.2.2 Kollaboration mit Kunden und modernes Innovationsmanagement Wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Innovationen ist die kontinuierliche Einbindung der Kundenperspektive durch alle Phasen des Innovationsprozesses. Abb.  10.7 stellt exemplarisch dar, wie dies traditionell aussehen kann. Dabei steht der Begriff „Marketingsicht“ stellvertretend für die Markt- und Kundenschnittstelle, sei es, dass diese durch Vertreter der Marketing-, Vertriebs- oder Kundendienstabteilung oder durch Kunden selbst, andere externe Geschäftspartner oder Marktexperten repräsentiert wird. Häufig genug erfolgt die Einbindung der Kundensicht indirekt, z. B. durch die Analyse von Kundenzufriedenheitsbefragungen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 231). Auch Beschwerdeauswertungen können herangezogen werden. Dies hat allerdings den Nachteil, dass nur Handlungsfelder, aber keine konkreten Bedürfnisse und Anforderungen einbezogen werden können. Zudem ist häufig nicht klar, wie wichtig die einzelnen Aspekte sind. Daher wird im Folgenden auf einige ausgewählte Methoden zur direkten, d.  h. dialogbasierten Einbindung von Kunden in den Innovationsprozess eingegangen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Einbindung von Kunden alleine noch keine Erfolgsgarantie darstellt (vgl. Klarmann & Hildebrand, 2015, S. 302, 306). Zum einen muss auch dabei

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

Marketingsicht Phase der Ideengenerierung

Phase der Ideenprüfung

Phase der Markteinführung

Techniksicht

Ideen von Kunden, MaFo, Marketing, Vertrieb

Ideengenerierung

Ideen aus F&E, Produktion, Ingenieurbereichen

Abschätzung aus Marktsicht

Screening

Abschätzung aus Techniksicht

Quantifizierung von Märkten, Segmenten, Potenzialen

Detailbewertung

Prüfung technischer Machbarkeit

Anforderungen der Kunden einbringen

Phase der Ideenrealisation

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Berücksichtigung der Marktanforderungen sicherstellen; grobe Marketingpläne erstellen Erlangung von Kundenfeedback Konkretisierung und Umsetzung Marketingmix

Definition der Spezifikationen Produktentwicklung Markttests Markteinführung

Technische Möglichkeiten und Anforderungen einbringen Technische Umsetzung der Idee, Prototypen, Labortests Test der technischen Leistungsfähigkeit Produktion/Installation

Abb. 10.7  Das Zusammenspiel von technischer und Marktperspektive. (Quelle: Haas, 1995, S. 380)

sichergestellt werden, dass „echte“ Innovationen entstehen, die zugleich, zumindest im Produkt- und Systemgeschäft, auch massenmarkttauglich sind, sodass nicht mit großem Aufwand eine nur für den einzelnen Kooperationspartner sinnvolle Lösung produziert wird (vgl. Biemans, 2010, S. 148). Zum zweiten sind die rechtlichen Aspekte des geistigen Eigentums zu klären (vgl. Klarmann & Hildebrand, 2015, S.  302). Insofern bedarf es neben der Auswahl und Anwendung der nachfolgend genannten Methoden auch eines strukturierten Managements dieser F&E-Einbindungen.

10.2.2.1 Einbindung von Kunden in den Innovationsprozess Die Kundeneinbindung kann sich in der Realität ab dem Zeitpunkt ihres Beginns durch den gesamten Innovationsprozess ziehen. Gleichwohl lassen sich unterschiedliche Zeitpunkte bzw. Phasen benennen, in und ab denen der Einsatz verschiedener Methoden sinnvoll ist. 10.2.2.1.1  Lead-User-Analyse, Open Innovation und Crowd Sourcing in der Phase der Ideengenerierung Die Lead-User-Analyse wurde für hochinnovative Hightech-Branchen entwickelt, um „echte“ Innovationen zu ermöglichen (vgl. von Hippel, 1986, S. 796). Zielsetzung ist, das Problem zu umgehen, dass „normale“ Kunden auch in Industriegütermärkten nicht (immer) die notwendige Erfahrung und das notwendige Hintergrundwissen haben, um Impulse für radikale Innovationen zu geben. Bei der Lead-User-Analyse wird nach Nutzern gesucht, die aktuell schon Bedarfe haben, die im breiten Markt erst in fernerer Zukunft auftreten werden und die dazu, zumindest ansatzweise, über selbstgemachte Lösungen verfügen (vgl. von Hippel, 1986, S. 791, 800). Lead-User sind Nutzer, die

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10 B2B-Produktpolitik

1. bereits lange vor der großen Masse im Markt oder in deutlich höherem Maße Bedarfe haben, die zukünftig im Markt weit verbreitet sein werden, 2. erheblich davon profitieren, diese Bedarfe zu decken, 3. selbst als Innovatoren tätig sind, um diese Bedarfe zu decken (vgl. von Hippel, 1986, S. 796–800). Um Lead-User zu identifizieren, schlägt von Hippel (1986, S.  797–798) vor, zunächst (auch zukünftige oder noch versteckte) Markt- oder Technologietrends zu identifizieren. Alternativ kann auch Kundenfeedback aus dem breiten Markt genutzt werden, das sich auf wiederkehrende, aber von den meisten Kunden zunächst noch nicht als so relevant eingeschätzte Probleme bezieht (vgl. Dwyer & Tanner, 2009, S. 232). Auf dieser Basis müssen als Zweites aktuelle Nutzer dieser Trends identifiziert werden, die davon in erheblichem Maße profitieren. Dies können hochinnovative Unternehmen aus dem bestehenden Kundenstamm sein. Häufig lohnt sich aber auch der Blick in völlig andere Anwendungsszenarien oder Branchen als die eigenen Zielsegmente. So können frühzeitige und sehr spezielle Bedarfe im Militär existieren (vgl. Dwyer & Tanner, 2009, S.  232), auch wenn dort die Offenheit zu Innovationskooperationen eventuell sehr begrenzt sein dürfte. 3M suchte nach Anregungen für antiseptische Operationsabdecktücher u.  a. bei Tierärzten, die aufgrund der Behaarung der Tiere vor größere Probleme als Human-­Chirurgen gestellt wurden, und in Landarztpraxen in Entwicklungsländern, die nicht über die in Industrienationen üblichen OP-Räume und -Ausstattungen verfügten (vgl. von Hippel et al., 1999, S. 54). Bei und mit diesen Nutzern werden im dritten Schritt deren Erfahrungen mit den Pro­ blemen und Problemlösungen intensiv diskutiert und analysiert. Dabei müssen nicht immer vollständige Lösungen vorliegen. O-Töne über Problemhintergründe und Lösungsansätze können genauso zu einem besseren Verständnis führen wie Teilideen zu einzelnen Problemeigenschaften (vgl. von Hippel, 1986, S. 800, 802). Im letzten Schritt müssen alle Erkenntnisse konsolidiert und ggf. an die Bedürfnisse des Massenmarkts angepasst werden. Typischerweise ist die Situation der Lead-User spezieller, sodass eine Eins-zu-eins-Adaption nicht sinnvoll ist. Auf dieser Basis sind die neuen Ideen und Ansätze dann in konkrete und effizient herstellbare Produkte auszugestalten (vgl. von Hippel, 1986, S. 802–803). Diese vier übersichtlichen Schritte erfordern für die praktische Umsetzung sorgfältige Planung und Zeit. So dauerte der Prozess für die OP-Tücher bei 3M ein Jahr und zwei Monate, brachte aber bahnbrechende Neuerungen hervor. Alleine für den ersten Schritt der Trendidentifikation und Sammlung von Hintergrundinformationen benötigte das Team ca. drei Monate (vgl. von Hippel et  al., 1999). Sekundärrecherche, „Networking“ und Experteninterviews, Feldbesuche für Anwendungsbeobachtungen, Besprechungen zur Nachschärfung der Problemstellung, das Zusammenbringen verschiedener Lead-User mit dem Projektteam in Workshops und Gruppendiskussionen sind mögliche Methoden zur Durchführung.

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

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Urban und von Hippel (1988) beschreiben die konkrete Anwendung des Lead-User-­ Ansatzes für den CAD-Markt detailliert. Für ein sehr anschauliches Verständnis der Methode sind sechs in den 1990er-Jahren mit ihrem Erfinder Eric von Hippel als Ko-Autor produzierte Videos gut geeignet. Sie sind unter dem nachfolgenden Link abrufbar.11 Während das erste Video einen Überblick über den gesamten Prozess gibt, gehen die weiteren fünf tiefer auf die einzelnen Schritte und Methoden ein: cc

https://www.youtube.com/playlist?list=PLD4C0E9AEDF085119

Der Lead-User-Ansatz kann als eine frühe Form der Open Innovation bezeichnet werden. Er ist jedoch insofern nicht „offen“, als vom forschenden Unternehmen gezielt mit einzelnen Nutzern kooperiert, aber das gewonnene Wissen vollständig internalisiert wird (vgl. Fließ, 2015, S. 225). Open Innovation im Sinne von Chesbrough (2006, S. 1), der diesen Begriff prägte, ist hingegen „the use of purposive inflows and outflows of knowledge to accelerate internal innovation, and expand the markets for external use of innovation, respectively“. Eigentlich geht es also um die vollständige Öffnung von Innovation sowohl von außen in das Unternehmen hinein als auch von innen aus dem Unternehmen hinaus in den Markt. Im Kontext dieses Kapitels wird jedoch nur auf den ersten Aspekt („Outside-­In“) abgezielt. Open Innovation geht dann aber sinnvollerweise deutlich weiter als das Lead-User-Konzept: Wenn Wissen in Märkten und auf der Welt weit verteilt ist, müssen nicht nur Lead-User, sondern alle möglichen externen Quellen, wie einzelne Erfinder, Hightech-Start-ups, Forschungseinrichtungen oder Ausgründungen, in Innovationsprozesse eingebunden werden. Gleichzeitig sollten neue Anregungen jederzeit und an jeder Stelle in Innovationsprozesse aufgenommen und die Resultate nicht nur als Neuprodukteinführungen in den Markt gebracht werden, sondern z. B. auch durch Lizenzvergaben oder Ausgründung eigener Spin-off-Unternehmen (vgl. Chesbrough, 2006, S. 2–3). Als Vorteile sieht Chesbrough (2006, S. 3), dass damit die Möglichkeit besteht, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, nicht zuletzt auch dadurch, dass vormals bei „Closed Innovations“ geheim gehaltenes geistiges Eigentum vermarktet werden kann. Dadurch kann es gelingen, das Risiko der bereits erwähnten β-Fehler (falsch-positive Entscheidungen) bei der Ideenselektion zu reduzieren. Drohende „Sunk Costs“ lassen sich reduzieren oder eliminieren, wenn Ideen zwar nicht selbst genutzt, aber an Dritte weitergegeben werden können. Damit kann ein forschendes Unternehmen risikofreudiger werden, wodurch auch der α-Fehler (falsch-negative Entscheidungen) reduziert wird und Ideen, die sonst fälschlicherweise nicht weiterverfolgt worden wären, letztendlich als erfolgreiche Innovationen am Markt platziert werden können (vgl. Chesbrough, 2006, S. 8–9). Durch Open Innovation lassen sich darüber hinaus eventuell auch hochkarätigere

 Die Videos sind seit Langem im Internet frei verfügbar und werden zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Werks unter Creative Commons Attribution Non-Commercial Sharealike Lizenz (CC BY-NC-SA 4.0: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/; deutsch: Namensnennung  – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen) angeboten.

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10 B2B-Produktpolitik

externe Quellen e­ rschließen, die sich in Innovationsprozesse nur dann einbringen, wenn sie davon ausgehen können, dass die Resultate in irgendeiner Form auch wieder der Allgemeinheit zugutekommen. Im „realen“ Leben folgen Gründerzentren, Inkubatoren oder Technologieparks diesem Ansatz. Von Städten, Kommunen oder auch Großunternehmen eingerichtet, ziehen sie junge, innovative Unternehmen aus zukunftsorientierten Branchen wie z.  B. der Biotechnologie, Mikroelektronik oder erneuerbaren Energien an, die neben der gestellten Infrastruktur vor allem die Kooperation untereinander zur Entwicklung neuer Produkte oder Geschäftsmodelle nutzen. Mindestens zwischen den beteiligten Unternehmen herrscht also reger und offener Austausch. Im digitalen Zeitalter bietet natürlich das Internet für offene Innovationsprozesse eine ideale Plattform. So können sich Unternehmen die ggf. mühselige analoge Suche nach und Kontaktaufnahme zu externen Experten und anderen Kooperationspartnern sparen und durch öffentliche Aufrufe oder Nutzung von Innovationsplattformen auf Ihre F&E-­ Interessen aufmerksam machen (vgl. Fließ, 2015, S. 225). Diese Art der Open Innovation ist seit 2006 auch als Crowdsourcing, ein Neologismus aus „Crowd“ und „Outsourcing“, bekannt und beschreibt im Innovationskontext12 die i. d. R. webbasierte Einbeziehung der Allgemeinheit (Crowd) als Quelle (Source) für neue Ideen (vgl. Gassmann et al., 2021, S. 144–145). Edgeman et  al. (2015, S.  167–171) beschreiben einen sechsstufigen Prozess für B2B-Crowdsourcing-Projekte (siehe Abb. 10.8). Besonderheiten von B2B-Märkten kommen vor allem in den Phasen 2, 3 und 4 zum Tragen. In Phase 2 stellt sich angesichts oft kleiner Kundenzahlen die Frage nach dem möglichen Umfang der Crowd. Hier ist daher gemäß echter Open-Innovation-Philosophie zu überlegen, nicht nur Kunden einzubeziehen, sondern, abgesehen von Wettbewerbern, auch sonstige Externe (vgl. Tab. 10.2). Damit einher geht an der Schnittstelle zu Phase 3 auch die Überlegung, ob geschlossene oder generell offene Gruppen angesprochen werden sollen. Die Reichweite und somit Crowdgröße wird in Phase 3 auch durch die Wahl der Plattform bestimmt. Dazu können als vielleicht unkompliziertestes Vehikel Foren in geschlossenen (Fach-)Communities genutzt werden. Der nächste Schritt wäre die Schaffung einer eigenen Plattform, wobei erneut entschieden werden muss, ob auf diese nur ausgewählte Partner oder die Allgemeinheit eingeladen wird. Schließlich gibt es inzwischen eine Reihe von Crowdsourcing-Plattformen, die von Drittanbietern betrieben werden und den Vorteil haben, dass damit nicht auch noch in die Schaffung von Infrastruktur investiert

 Grundsätzlich werden beim Crowdsourcing traditionell im Unternehmen erbrachte Teilaufgaben an freiwillige externe Interessenten ausgelagert. Dies kann sich wie beim Crowdtesting (Onlinetests von Software oder Apps) auch auf spätere Innovationsphasen oder wie beim Crowdfunding (Einwerben von Finanzmitteln) oder Clickworking (Erledigung von Massenjobs wie Adresseingaben oder Bildrecherchen) auf völlig andere Aspekte beziehen (vgl. z. B. gi, 2012; Kollmann & Markgraf, 2018). 12

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

1. Aufgaben-/ Zieldefinition

2. Beschreibung der Crowd • Ausgewählte Partner/ Kunden • Vorqualifizierte Teilnehmer und Communities • Allgemeinheit

3. Auswahl/ Einrichten der Plattform • Eigeninitiative in geschlossenen Communities • Eigene, offene Plattform • Fremde Plattform

4. Motivation zur Teilnahme

261

5. Erreichen der Crowd

6. Ergebnisverwertung und Kommunikation

• Incentivierung?

Abb. 10.8  B2B-Crowdsourcing-Prozess. (Quelle: In Anlehnung an Edgeman et al., 2015, S. 168)

werden muss und viele Funktionen zur Verfügung stehen. Bei diesen Drittanbietern ist erneut vor allem entscheidend, wie groß die darüber erreichbare Crowd ist und ob sie in diesem Sinne offene Plattformen anbieten oder sowohl ausschreibende Unternehmen als auch Beitragende eine Mitgliedschaft abschließen bzw. spezielle Innovation-ManagementSoftware nutzen müssen. Solche Anbieter sind z. B. Crowdworx (https://www.crowdworx. com/de/open-­innovation-­plattform/), Wazoku (https://www.Wazoku.com/), Innosabi (https://innosabi.com/) oder Planview Ideaplace (https://www.planview.com/de/products-­ solutions/products/ideaplace/). Schließlich ist die Situation in Phase 4 etwas anders als auf Konsumgütermärkten. Dort muss häufig über angemessene Incentivierungen und deren Verteilung auf die Teilnehmenden nachgedacht werden, um zur Mitwirkung zu motivieren. Zumindest wenn direkte Kunden angesprochen werden, dürfte sich dies anders darstellen, denn für diese sollte sich ein unmittelbarer, monetarisierbarer Gegenwert aus einer resultierenden Innovation ergeben (vgl. Edgeman et al., 2015, S. 167; Biemans, 2010, S. 152). Durch die bereits erwähnte Vermarktung oder freie Bereitstellung später nicht selbst genutzter Ideen können aber auch weitere Externe ohne zusätzliche Incentivierung zumindest ideell profitieren (vgl. BITKOM, 2014, S. 12–13). In Phasen 5 und 6 wird zum Erreichen der Crowd und zum fortlaufenden Austausch im Crowdsourcing-Projekt interessanterweise auch in B2B-Märkten viel auf Social-­Media-­ Kommunikation gesetzt (vgl. Kärkkäinen et al., 2012, S. 138–139). Ein wesentlicher Aspekt von Crowdsourcing, der auch, aber nicht nur im B2B-Kontext relevant ist, ist der Schutz des geistigen Eigentums. Grob gesprochen kann versucht werden, diesen durch . Abtretungs- und Geheimhaltungserklärungen, 1 2. Dokumentation der Beiträge einzelner Personen oder Organisationen und 3. Verwendung geschlossener Plattformen bzw. Einladung ausgewählter Partner zu Crowdsourcingprojekten oder 4. Anonymisierung und Abstrahierung des zu lösenden Problems auf öffentlichen Plattformen

262

10 B2B-Produktpolitik

sicherzustellen (vgl. BITKOM, 2014, S. 13; Leopold, 2015, S. 69–73; Knöchel & North, 2018, S. 22). Abschließend ist anzumerken, dass es noch keine endgültigen Erkenntnisse über den Wert von Crowdsourcing im B2B-Innovationsmanagement gibt. So schätzen Kärkkäinen et al. (2012) seinen Einsatz als nützlich ein und weisen Crowdsourcing vor allem, wenn auch nicht nur, in den ersten Phasen des Innovationsprozesses nach. Anwendungsmöglichkeiten und Nutzen wurden zudem von Projekten großer B2B-Anbieter wie Cisco (Crowdsourcing-­Wettbewerbe des IT-Netzwerkausrüsters) und IBM (jährlicher Innovation Jam des IT- und Beratungsunternehmens) bestätigt (vgl. Kärkkäinen et  al., 2012, S. 138; Gassmann et al., 2021, S. 145). Zu ganz gegenteiligen Schlussfolgerungen kommen hingegen Zahay et  al. (2018, S. 47–49). Ebenso wie die Untersuchungen von Kärkkäinen et al. (2012) liegt aber auch hier nur eine kleine, einzelfallbasierte Stichprobe vor. Danach wird externes Crowdsourcing eher in der Phase der Ideenrealisierung eingesetzt und führt tendenziell „nur“ zu Produktlinienerweiterungen und nicht zu „echten“ Innovationen. Sie weisen allerdings darauf hin, dass dies an Defiziten des Managements von Crowdsourcing-Prozessen liege und an ablehnenden Einstellungen gegenüber neuen Medien zur Ideenfindung. Auf die Wichtigkeit dieser Aspekte weist auch der BITKOM (2014, S. 13–15) hin. 10.2.2.1.2 Quality Function Deployment und Conjoint-Analyse in der Phase der Ideenprüfung und -realisierung Auf die Ausgestaltung schon tragfähiger Produktkonzepte sowie die Weiterentwicklung bestehender Produkte gerichtet ist die Methode des Quality Function Deployments (QFD), was etwas sperrig mit „Planung und Entwicklung der Qualitätsfunktionen eines Produkts entsprechend der vom Kunden geforderten Qualitätseigenschaften“ (Akao, 1992, S. 15) bzw. frei als „kundenorientierte Produktplanung“ (QFD-ID, 2021) übersetzt werden kann. Bei dieser aus den 1970er-Jahren stammenden Methode geht es um die Ermittlung der wesentlichen oder kritischen Kundenanforderungen an ein Produkt und deren Übertragung in die technischen Spezifikationen. In diesem Sinne wird auch von der Übersetzung der „Stimme des Kunden“ in die „Sprache des Ingenieurs“ gesprochen (vgl. Hauser & Clausing, 1988). Die Notwendigkeit dazu beruht darauf, dass gerade in Technologieunternehmen vielfach Ingenieure aus ihrer technischen Sicht die Produktentwicklung vorantreiben und die Perspektive der Marktseite nicht (umfassend) berücksichtigen. Abb. 10.9 veranschaulicht grob die Vorgehensweise anhand des beim QFD üblicherweise verwendeten „House of Quality“. Entsprechend der Nummerierung in der Abbildung sehen die Schritte beim QFD wie folgt aus (vgl. Hauser & Clausing, 1988): 1. Zuerst werden die Kundenanforderungen identifiziert und festgehalten. Dabei sollten die üblichen Methoden der Primärmarktforschung, insbesondere Beobachtung und Befragung, vor allem auch in offenen, qualitativen Formaten wie Fokusgruppen oder

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

263

Tiefeninterviews verwendet werden. Oberflächliche Schlagworte wie „leichte Bedienbarkeit“ sollten weiter hinterfragt und, ggf. auch nach Ober- und Folgebegriffen gestaffelt (vgl. Akao, 1992, S. 29–30), qualitativ kategorisiert werden. Das Sammeln von O-Tönen hilft im weiteren Verlauf bei der Veranschaulichung der Kundenwünsche. 2. Im nächsten Schritt sind die gesammelten Detailanforderungen zu priorisieren. Auch hierzu bieten sich Kundenbefragungen an. Bei wenigen Anforderungen können Rangfolgen gebildet werden, bei vielen relative Gewichtungen auf Basis von Bewertungsskalen.

++ + Korrelationsmatrix

Produkt Wettbewerber 2

6

7

Anforderung 2

5

2

3

5

Anforderung 3

4

5

5

4



2



3

Messgröße des Merkmals

Merkmal 3

Merkmal 2

Merkmal 1

Beziehungsmatrix

3



Produkt Wettbewerber 1

7



Unser Produkt

Wettbewerbsmatrix (Skala 1–7)

1

Kundenanforderung

6



Anforderung 1

Rang der Anforderungen

1



2

Technis che Leistungsmerkmale

4

0



Verbesserungsrichtung

--

7



-

+

5 g

cm

Display

17,8

OLED





Wert Produkt Wettbewerber 1

611

20,3

QLED

Legende Beziehungsmatrix (Stärke Zusammenhang Anforderung/ Merkmal)

Wert Produkt Wettbewerber 2

499

18,4

LCD

stark

Wert unseres Produkts 523



8

mittel

… Zielwert

schwach 450

18,9

OLED

Abb. 10.9  House of Quality des Quality Function Deployments. (Quelle: In Anlehnung an Haller & Wissing, 2020, S. 148)

264

10 B2B-Produktpolitik

3. An dritter Stelle erfolgt in der Wettbewerbsmatrix eine Bewertung der Anforderungserfüllung durch das bestehende unternehmenseigene Produkt sowie durch Produkte der Wettbewerber aus Kundensicht. Erneut bieten sich dazu skalenbasierte Kundenbefragungen an. In Kombination mit den zuvor priorisierten Detailanforderungen ist nun bereits erkennbar, ob das eigene Konzept Alleinstellungsmerkmale hat (bessere Bewertungen bei wichtigen Anforderungen) oder an welchen Stellen der größte Handlungsbedarf besteht. Hier können auch neue Produktkonzepte mit völlig anderen technischen Merkmalen als bei den Wettbewerbern zur Bewertung gestellt werden, sofern sie für die Kunden so weit greif- oder vorstellbar sind, dass verlässliche Bewertungen möglich sind. 4. Diese Erkenntnisse müssen nun in die Sprache der Ingenieure übersetzt werden. Dazu werden die zur Erfüllung der Anforderungen benötigten bzw. diese beeinflussenden technischen Leistungsmerkmale erfasst (vgl. Akao, 1992, S. 31). So könnte „leichte Bedienbarkeit“ bspw. durch „angemessene Touchscreen-Größe“ und entsprechende technische Spezifikationen erfüllt werden. Hier ist auch Platz für neue Produktkonzepte, indem z. B. „Sprachsteuerung“ mit den dazugehörigen technischen Spezifikationen aufgeführt wird. Die „Verbesserungsrichtung“ gibt an, ob von diesem Merkmal „mehr“ oder „weniger“ benötigt wird, um die Anforderung zu erfüllen. Wichtig ist, dass hier alle oder wenigstens die wesentlichen Leistungsmerkmale aufgeführt werden, die Einfluss auf die Erfüllung der Anforderungen haben. 5. Um diese Einflüsse zu veranschaulichen, wird anschließend der Hauptkörper des House of Quality, die Beziehungsmatrix, ausgefüllt. Durch Symbole oder Farbcodes wird hier festgehalten, welchen Einfluss die Leistungsmerkmale auf die Anforderungen haben (z. B. von „++“ – sehr stark bis „- -“ – sehr schwach). 6. Im Grunde gleichzeitig mit 5. müssen die technischen Messgrößen für die Leistungsmerkmale aus 4. festgelegt werden, im Fall der Touchscreen-Größe z. B. als „Länge x Breite in cm“. Dann sind die konkreten Daten für das unternehmenseigene Produkt und die der Wettbewerber zu erfassen. 7. Häufig existieren technische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Leistungs merkmalen, sowohl zwischen solchen, die sich auf dieselbe Kundenanforderung beziehen, als auch zwischen solchen, die Einfluss auf unterschiedliche Anforderungen haben. Diese Zusammenhänge können stark oder schwach bzw. positiv oder negativ sein. Wenn z. B. für ein mobiles Bedienpanel Gewicht und Größe eine Rolle spielen und möglichst klein sein sollen, steht dies potenziell in einem negativen Zusammenhang mit einer ausreichenden Touchscreen-Größe. Diese Zusammenhänge werden, wieder durch Symbole, in der Korrelationsmatrix im Dach des House of Quality erfasst. Durch dessen Form sind alle Leistungsmerkmale miteinander verbunden und somit alle Zusammenhänge darstellbar. Aus technischer Sicht werden damit die Abwägungen möglich, an welchen Leistungsmerkmalen zu arbeiten ist, um die Kundenanforderungen bestmöglich zu erfüllen. 8. Im letzten Schritt werden unter Berücksichtigung und Abwägung der Kundenprioritäten, der zu ihrer Erfüllung erforderlichen technischen Merkmale und deren Zu-

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

265

sammenhängen in der Bewertungsmatrix Zielwerte für die technischen Parameter definiert. Dazu können zur Erläuterung und Konkretisierung den Kundenanforderungen noch weitere Spalten, den Leistungsmerkmalen noch weitere Zeilen hinzugefügt werden, z.  B. zu jeder Kundenanforderung ein Faktor, der ausdrückt, welche Soll-Bewertung des eigenen Produkts aus Kundensicht anzustreben ist, oder zu jedem Leistungsmerkmal Kosteninformationen. QFD kann sehr schnell sehr komplex werden. Selbst wenn es nur eine überschaubare Anzahl an Kundenanforderungen gibt, können viele technische Aspekte zu deren Ausgestaltung im House of Quality zu berücksichtigen sein. So spricht Sommerhof (2020) von „riesigen QFD-Matrizen [, die] die Wände von Büros und Besprechungsräumen pflasterten“ und damit die Anwendbarkeit von QFD einschränken. Softwarelösungen können dieses Problem verringern (vgl. Leimeister et al., 2005, S. 333). Während es sich beim QFD um eine sogenannte kompositionelle Methode handelt, bei der sich ein Gesamtprodukt aus sinnvollen Einzelmerkmalen ergibt, setzt die Conjoint-­ Analyse als dekompositionelles Verfahren beim fertigen Gesamtprodukt an und ­dekonstruiert dieses in verschiedene Varianten. Durch Paarvergleiche von Gestaltungselementen mit unterschiedlichen Ausprägungen wird deren Einzelbeitrag zum Gesamtnutzen ermittelt. Damit lassen sich besonders wichtige Einzelmerkmale identifizieren, deren aus Kundensicht sinnvolle maximale Ausprägung, um „Overengineering“ zu vermeiden, und das Nutzenpotenzial des Zusammenspiels mehrerer Merkmale und ihrer verschiedenen Ausprägungen in einem Gesamtprodukt. Durch Bildung einer Rangfolge über verschiedene Produktvarianten ergibt sich die optimale Gesamtgestaltung (vgl. Müller, 2020, S. 288–293; Homburg, 2020, S. 440, 614–618). 10.2.2.1.3  Launch Customers in der Phase der Markteinführung Bei der Markteinführung ist es wichtig, Aufmerksamkeit auf das neue Produkt zu lenken, aber gleichzeitig auch Vertrauen und Glaubwürdigkeit in die neuen Nutzeneigenschaften zu signalisieren. Dazu können die in den vorherigen Phasen eingebundenen Kunden als sogenannte „Launch Customers“, „Erstanwender“ oder „Pilotkunden“ genutzt werden (vgl. Sattler, 2005, 374–376; Hauschildt et  al., 2016, S.  79; Müller, 2020, S.  266). Diffusionsförderung wird als explizites Motiv der Kundeneinbindung in Innovationsprozesse genannt (vgl. Hauschildt et al., 2016, S. 267). Der große Vorteil besteht darin, dass diese Kunden alle Hintergründe und Entwicklungsstufen kennen, selbst von der Innovation überzeugt sind und diese für sich bereits nutzen oder zukünftig nutzen werden. Damit sind bei ihnen die genannten Hindernisse bei der Markteinführung bereits überwunden und sie könnten als unabhängige und neutrale Dritte zur glaubwürdigen Verbreitung der Innovation im Markt genutzt werden. Der Anbieter muss prüfen, ob sie als frühe Referenzkunden genutzt werden können. Dies bietet sich an, sofern sie Strahlkraft als Technologie- und Innovationsexperten oder -vorreiter haben bzw. diese bei den eigenen Kundensegmenten aufgebaut werden kann (siehe auch „Cros-

266

10 B2B-Produktpolitik

sing the Chasm“ in Abschn.  10.2.1.4.2). Details zu Auswahl und Einsatzmöglichkeiten von Referenzkunden sind Gegenstand von Abschn. 12.2.5. Auch ohne Einbeziehung in den Innovationsprozess können weitere Bestandskunden als Einführungskunden herangezogen werden. Wie für jede Marketing- und Vertriebskampagne müssen potenzielle Zielkunden auch in dieser Phase nach relevanten Kriterien sorgfältig klassifiziert und selektiert werden (siehe Abschn. 10.2.1.4.2). Die Einführung von Innovationen sollte sich daher an Kunden richten, die als innovationsfreudig im Sinne einer Offenheit für Neues eingeschätzt werden, und zu denen langjährige vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen bestehen. Dies kann auf die Unternehmenskultur als Ganzes bezogen sein, gilt aber vor allem für die relevanten Mitglieder des Buying Centers. Sie sind dann gezielt und intensiv als „Friendly Customers“ anzusprechen. Wichtig ist, mit diesen Kunden auch den gesamten Vertriebs- und Nutzungsprozess der Innovation durchzuspielen. Mögliche Hindernisse können im B2B häufig nicht nur bei der direkten Anwendung neuer Produkte auftreten, sondern auch bei Vertriebspartnern (z.  B. durch zusätzliche Lagererfordernisse) oder Zwischenverarbeitern und Entsorgern (z. B. größerer Zeitaufwand, andere erforderliche Zusatzmaterialien). Werden solche Probleme nicht rechtzeitig erkannt, können beim späteren großflächigen „Markt-Roll-out“ erhebliche Widerstände aus nicht vorhergesehenen Richtungen kommen, die den Erfolg trotz eines beim direkten Kunden Mehrwert stiftenden Produkts gefährden.

10.2.2.2 Modernes Innovationsmanagement 10.2.2.2.1  Verkürzung der Time-to-Market durch Digitalisierung und Agilität Der bisher beschriebene klassische Innovationsprozess ist sehr linear strukturiert. Das bringt den Nachteil mit sich, dass er, vor allem in seiner Ausprägung als Stage-Gate-­ Prozess, ebenso formalisiert ist und dadurch lange Zeit in Anspruch nimmt. So dauert es in der Pharmaindustrie im Schnitt 13,5 Jahre, bevor ein neuer Wirkstoff als Medikament seine Zulassung erhält. Dies ist zum Teil den vorgeschriebenen klinischen Testphasen geschuldet, aber auch bevor die erste klinische Testphase beginnt, sind im Durchschnitt bereits 5,5 Jahre vergangen (vgl. vfa, 2018). Auch in produzierenden Unternehmen weniger sensibler Branchen betragen Entwicklungszeiten bis zur Markteinführung zwei bis sieben Jahre (vgl. Kitsios, 2021, S. 2). Die sogenannte „Time-to-Market“, also die Dauer zwischen Ideengenerierung und Markteinführung, ist in vielen Branchen ein wichtiger Wettbewerbsparameter geworden. Auch in Abschn.  10.2.1.4.1 wurde bereits gezeigt, dass in vielen B2B-Branchen der schnelle Markteintritt als Pionier zu empfehlen ist. Daher werden nachfolgend zwei wesentliche Hebel zur Verkürzung dieser Entwicklungszeit betrachtet: Digitalisierung und agiles Innovationsmanagement. 10.2.2.2.2  Digitale Produktentwicklung Bereits in Abschn.  10.2.1.3 wurden moderne und kostengünstige Methoden der Prototypenbildung angesprochen. Durch Digitalisierung können wesentliche Verschlankungen

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

267

im gesamten Produktentwicklungsprozess erzielt werden. So geht eine Studie von PricewaterhouseCoopers aus 2019 davon aus, dass digitale Produktentwicklung die ­Timeto-­Market im Durchschnitt um 17 % reduzieren kann, digitale Champions schafften sogar bis zu 28  %. Dies beginnt bei intensiver Datenanalyse zur Ideengewinnung unter Verwendung von Künstlicher Intelligenz und setzt sich mit digitalen Instrumenten und Methoden zur Entwicklung und Umsetzung fort (vgl. PwC, 2019, S. 5–6). Die Datenanalyse umfasst dabei das kontinuierliche Auslesen aller digitalen Berührungspunkte mit dem Markt, wie der eigenen Webseite, Social-Media-Kanäle und Suchmaschinen, aber auch das Verhalten von Bestandskunden. Dabei kommen Big-Data-­ Analyseansätze wie Social Listening, auch auf Basis von Natural Language Processing oder Deep Learning zum Einsatz (vgl. PwC, 2019, S. 11, 16). Ziel ist, aktuelle, aber vor allem latente zukünftige Kundenbedürfnisse und Möglichkeiten zur stärkeren Personalisierung von Produkten bzw. Produktvarianten zu erkennen. Bei der Verkürzung der Entwicklungszeiten können große Fortschritte durch digitale Tools wie das digitale Prototyping und digitale Zwillinge („Digital Twins“) erzielt werden. Beim digitalen Prototyping werden auf Basis von CAD-Daten dreidimensionale virtuelle Modelle eines Produkts oder Bauteils erstellt, an denen dann Simulationsrechnungen vorgenommen werden können. Digitales Prototyping stellt somit eine Fortschreibung des sogenannten Rapid Prototypings dar, bei dem die Muster noch physisch, z.  B. durch 3D-Druck, hergestellt und anschließend getestet wurden (vgl. Fastermann, 2012, S. 5). Die Abgrenzung zum digitalen Zwilling scheint fließend, was vor allem daran liegt, dass es für diesen keine allgemeingültige Definition gibt, und sogar schon eine für die Praxis kontraproduktive Überstrapazierung des Begriffs befürchtet wird (vgl. Winkler et al., 2019, S. 669; Wright & Davidson, 2020, S. 1). Grundsätzlich wird als digitaler Zwilling das virtuelle Abbild eines realen Produkts bezeichnet, das mit Datenflüssen des realen Produkts versorgt wird, die dann zu weiterreichenden Simulationen verwendet werden können (vgl. Rasheed et al., 2020, S. 21980). Inzwischen ist im Entwicklungszyklus aber kein reales Produkt mehr nötig, um einen digitalen Zwilling zu produzieren und mit Daten zu „füttern“, sondern er wird als „virtueller Zwilling“ Vorstufe zum realen Produkt mit allen für den Echtbetrieb notwendigen Informationen erstellt (vgl. Winkler et al., 2019, S. 669). Die Effektivität der Verwendung digitaler Zwillinge in der Phase der Produktentwicklung wird als sehr hoch eingeschätzt (vgl. PwC, 2019, S. 22). 10.2.2.2.3  Agiles Innovationsmanagement Agile Methoden basieren auf dem 2001 von 17 Softwareentwicklern verfassten „Agile Manifesto“ (vgl. o.V., 2001). Bei der agilen Produktentwicklung geht es um Managementmethoden zur Beschleunigung des Innovationsprozesses, die die Starrheit des traditionellen Ansatzes aufbrechen. Wesentliche Elemente agilen Innovationsmanagements sind die frühe und kontinuierliche Einbindung von Kunden, die i. d. R. zu nichtlinearen, iterativen Entwicklungsschritten führt, sowie die Vorgabe kurzer Zeitfenster für die jeweiligen einzelnen Schritte (vgl. Rigby et al., 2015, S. 5).

268

Verstehen

10 B2B-Produktpolitik

Beobachten

Sichtweise definieren

Ideen finden

Prototypen entwickeln

Testen

Abb. 10.10  Design-Thinking-Prozess. (Quelle: Hasso Plattner Institut, 2019, S. 6)

Für die Neuproduktentwicklung ist der Ansatz des „Design Thinkings“ relevant (vgl. Komus & Kuberg, 2017, S.  13). Innerhalb sinnvoller Rahmenbedingungen (richtige ­Einstellungen der Beteiligten, interdisziplinäres Team, kreative Umgebung) folgt Design Thinking der Vorgehensweise gemäß Abb. 10.10. Die Phase des Verstehens ist mit der der Auftragsklärung eines Beratungsprojekts zu vergleichen (vgl. Schöller, 2018, S. 35; Hummels, 2021, S. 21, 29). Zwar ist grundsätzlich bekannt, worum es geht und was die Zielsetzung ist. Dennoch kann es Unschärfen zwischen dem geben, was der Kunde geäußert hat und meint bzw. was Marktanalysen (vermeintlich) ergeben haben, und dem, was jedes einzelne Teammitglied darunter exakt versteht. Daher muss ein einheitliches und klares Problemverständnis erzeugt werden. Um dies zu gewährleisten, wird in der Phase des Beobachtens direkter Kontakt zu Nutzern aufgenommen. Ziel ist, exakt zu verstehen, worum es dem Kunden geht und welches „Problem“ in welchem Kontext tatsächlich gelöst werden soll (vgl. Schallmo & Lang, 2020, S. 55–56). Die so erhaltenen Ergebnisse werden in der nächsten Phase konsolidiert und auf Schlüsselerkenntnisse und -bedürfnisse heruntergebrochen. Zur Konkretisierung und Emotionalisierung werden diese an Nutzerpersonas geknüpft. Anschließend geht es darum, möglichst viele und möglichst heterogene Lösungsideen zu generieren, aus denen dann für relevant erachtete selektiert und für diese Prototypen erstellt und mit den Nutzern getestet werden. In allen Phasen sind Rückkopplungsschlaufen zu vorherigen Schritten vorgesehen, um zu verhindern, dass an den Bedürfnissen vorbei entwickelt wird. Zudem sind alle Phasen bewusst kurz zu halten (Design Sprints), damit nicht zu viel Energie in Details gesteckt wird, die später wieder verworfen werden müssen. Ziel ist die sehr schnelle Realisierung, Selektion und erneute Anpassung grober Ideen und deren Visualisierung, sodass realitätsnahes Nutzer-Feedback erlangt werden kann. Erkennbar ist, dass Design Thinking sich damit auf die Innovationsphasen der Ideengenerierung, -prüfung und anfänglichen -realisation bezieht, nicht aber auf die detaillierte Spezifikation und Ausgestaltung der Produkte. Diese Weiterentwicklung kann mit „Scrum“ erfolgen. Scrum ist grundsätzlich eine Methode des agilen Projektmanagements (vgl. Kusay-Merkle, 2021, S. 40), die allerdings gut in Innovationsprojekten anzuwenden ist. Wie in Abb. 10.11 vereinfacht dargestellt, ist

10.2  Die Innovations- und Einführungsphase auf B2B-Märkten

269

der Ausgangspunkt eines Scrum-Projekts das sogenannte „Product Backlog“, der (sich kontinuierlich verändernde) Anforderungskatalog für die Ausgestaltung des neuen ­Produkts (vgl. Schwaber & Sutherland, 2020, S.  11; Kusay-Merkle, 2021, S.  42, 46, 127–132). Auf dessen Basis werden in den sogenannten Sprints die im Sprint Backlog priorisierten Elemente des Product Backlogs vom Scrum-Team bearbeitet und innerhalb einer definierten Zeit (maximal vier Wochen) gelöst. Diese Lösungen sind die Increments, deren Überprüfung am Ende eines Sprints im Review vorgenommen wird. Sofern damit Elemente des Product Backlogs abschließend erfüllt sind, wird dies vermerkt und es werden die nächstwichtigen für den nächsten Sprint ausgewählt. Hier kommt die sogenannte Emergenz bzw. Dynamik des Product Backlogs zum Tragen, denn aufgrund von Wechselwirkungen und neuen Erkenntnissen kann sich nach jedem Sprint der Gesamtkatalog bzw. die Priorisierungsfolge ändern, bis am Ende alles vollständig und konsistent gelöst wurde (vgl. Kusay-­Merkle, 2021, S. 129–132). Auf Einschränkungen der Verwendbarkeit von Scrum bzw. die Notwendigkeit von Anpassungen im B2B-Umfeld weist Cooper (2016, S. 27) hin: Die Zerlegung des Product Backlogs in Einzelteile, die dann in den einzelnen Sprints bearbeitet werden, ist für physische Produkte ungleich schwerer als für Software, für die sie ursprünglich vorgesehen war, weil dabei vielfach keine funktionsfähigen und Kunden vorführbaren Teilprodukte entstehen. Vielmehr sollten als Sprint-Ziele eher 3D-Modelle oder reale oder virtuelle Prototypen, ggf. auch nur Produktkonzepte, verfolgt werden, die zwar nicht funktionsfähig sind, aber dennoch brauchbare Rückmeldungen von Kunden ergeben können. Weiterhin sind Entwicklungszeiten in produzierenden Branchen i. d. R. deutlich länger als im Softwarebereich, sodass die Dauer der Sprints verlängert werden muss. Scrum ist deswegen zur Fortsetzung des mit Design Thinking begonnenen Prozesses so gut geeignet, weil innerhalb von Scrum nicht definiert ist, woher das ursprüngliche Product Backlog stammt. Ein möglicher Input ist der (oder sind die) am Ende des Design-­ Thinking-­Prozesses erstellte(n) und getestete(n) Prototypen, die dann mithilfe von Scrum Product Backlog

Sprint Planning

Sprint Backlog

Sprint (incl. Daily Scrums)

(Product) Increment

Sprint Review

Revised Product Backlog Abb. 10.11  Der Scrum-Prozess. (Quelle: In Anlehnung an Kusay-Merkle, 2021, S. 46)

270

10 B2B-Produktpolitik

weiter ausgestaltet werden (vgl. Fritz, 2017; Leikep, 2019). Je nach Detaillierungsgrad dieser Ausgestaltung kann die Gesamtzielsetzung des nachfolgenden Scrum-Projekts ­entweder ein mehr oder weniger marktfähiges und vollständiges Produkt oder aber zunächst noch ein sogenanntes „Minimum Viable Product“ sein. Das Minimum Viable Product, das „minimal brauchbare Produkt“, ist im Gegensatz zum Prototypen am Ende des Design-Thinking-Prozesses ein reales Produkt, das Kunden zum Test zur Verfügung gestellt werden kann und die wesentlichen Eigenschaften hat, die zum Erbringen des gesuchten Grundnutzens erforderlich sind. So können vor aufwändiger Entwicklung vieler Details kostengünstiger Rückmeldungen aus intensiven Nutzertests gesammelt und erst anschließend definiert werden, welche detaillierten Eigenschaften notwendig sind (vgl. Kusay-Merkle, 2021, S. 209–213). Wem dies alles zu radikal erscheint, der sei darauf hingewiesen, dass als moderate erste Annäherung an eine Änderung der Innovationsprozesse agile Methoden auch in bestehende lineare Innovationsprozesse integriert werden können. Dabei bleiben die einzelnen Prozessschritte bestehen wie zuvor, aber das Management einer jeden Stufe erfolgt nach agilen Prinzipien, indem enge Zeitpläne gesetzt und Kunden direkt mit eingebunden werden (vgl. Lehnen, 2017, S. 181–184; Cooper & Sommer, 2018). Auch kann es sinnvoll sein, agile Aspekte nur in ausgewählten Phasen des Prozesses einzusetzen; insbesondere die frühen scheinen sich dafür anzubieten. Ebenso muss der Einsatz nicht sofort in allen Innovationsprojekten erfolgen, sondern kann auch auf solche mit großen Unsicherheiten bzgl. der Kundenwünsche und Marktentwicklungen beschränkt werden, wohingegen unter stabileren Verhältnissen an bestehenden Vorgehensweisen festzuhalten ist (vgl. Cooper & Sommer, 2018, S. 24–25). Für kleinere Unternehmen empfiehlt sich eine noch freiere Interpretation bei der Umsetzung der agilen Prinzipien. Ihr Hauptproblem sind Personalengpässe, weil Personen vielfach verschiedene Aufgaben zugleich haben, die während eines Innovationsprozesses nicht liegen bleiben können. Zur Abhilfe werden dort die Daily Scrums bspw. nur zwei- bis dreimal wöchentlich durchgeführt und nach einem abgeschlossenen Sprint der nächste erst nach einer Unterbrechung des gesamten Prozesses für eine Woche, in der die Regelaufgaben erledigt werden konnten, fortgesetzt (vgl. Edwards et al., 2019, S. 23–25).

10.3 Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung in der Reife- und Sättigungsphase Vor allem B2B-Anbieter, die mit standardisierten Produkten im Produkt- und Systemgeschäft angesiedelt sind, haben im weiteren Verlauf des Produktlebenszyklus dasselbe Problem wie Hersteller der Konsumgüter des täglichen Bedarfs (FMCG – Fast Moving Consumer Goods). Die Wettbewerbsintensität ist hoch, weil es auf dem Markt viele Anbieter mit im Wesentlichen homogenen, austauschbaren Produkten gibt. Die Folge ist, dass der Preisdruck steigt, weil Kunden bei jeder Einzeltransaktion neu darüber nachdenken können, von wem sie das Produkt erwerben wollen.

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

271

Praxisbeispiel: Wettbewerbsintensiver Weltmarkt für Bagger

Für Bagger lassen sich mit Aquamec, Atlas, Bobcat, Bonovo, Case, Caterpillar, Cukurova, Doosan, Euromach, Famur, FangSheng, Foremost, Gehl, Gradall, Hanix, Hidromek, Hitachi, Humer, Hokuetsu, Hydrema, Hyundai, IHI, Ihimer, JCB, JoyGlobal, Kaiser, KatoImer, Rexquote, Kobelco, Komatsu, Lanz, Liebherr, LiuGong, Mecalac, Menzi, Messersì, MultiOne, Neumeier, Remu, Rohr-Idreco, Sany, Sennebogen, Takeuchi, Tesmec, TopTec, Topway, Volvo, Unac, WackerNeuson, XCMG, Xiandai, Yanmar, Yuchai und Zoomlion auf dem Weltmarkt mindestens 54 Hersteller bzw. Marken identifizieren (vgl. Directindustry, 2021; Bagger.de, 2021). Die meisten davon haben sehr homogen erscheinende Produkte von Minibaggern bis zu großen Hydraulik- und Abbruchgeräten in unterschiedlichen Größen, Motorisierungen, als Rad- oder Raupenbagger usw. im Angebot. Auf Nischenmärkte hat sich z. B. Aquamec mit schwimmfähigen Baggern für den Einsatz bis zu einer Wassertiefe von 6 m spezialisiert. Euromach stellt Schreitbagger, u. a. für bergiges Gelände, her, Humer Friedhofsbagger für schwer zugängliche Grabanlagen, Rohr-Idreco schwimmfähige Baggeranlagen für große Wassertiefen oder TopTec ferngesteuerte Abbruchroboter. Unterschiedliche Segmente entstehen durch die Unterteilung der Verwender von Baggern z. B. in Tief-/Straßenbau, Hochbau/Abriss, Wasserbau, Übertage- und Untertagebergbau, Gartenbau und Friedhofsbewirtschaftung, von denen jeder spezielle Bedürfnisse und Anforderungen an Größe, Schwere, Antrieb, Anbaugeräte usw. hat. Durch Produktdifferenzierung wird eine entsprechende Variantenvielfalt bereitgestellt. Bei sehr ausgereiften Produkten wie Baggern kommen diese Ansätze schnell an ihre Grenzen: So produziert neben Euromach z.  B. auch Kaiser Schreitbagger für unterschiedliche Geländeformen. Gleich mehrere Unternehmen haben sich auf Minibagger spezialisiert und sind damit nicht einmal exklusiv unter sich, da auch die großen Hersteller wie z. B. Caterpillar solche im Angebot haben und die Nischen mitbedienen. Und bzgl. der Produktdifferenzierungen bieten nicht nur die Großen der Branche eine umfassende Auswahl an Konfigurationsmöglichkeiten. ◄ Um dem resultierenden Preisdruck zu entgehen, müssen die Hersteller über Merkmale nachdenken, mit denen sie sich von der Konkurrenz abgrenzen können. Eine Möglichkeit dazu besteht in der Spezialisierung auf Nischenmärkte (vgl. Meffert et  al., 2019, S. 336–337). Als Nische ist ein spezielles Segment mit außergewöhnlichen Bedürfnissen definiert, das zwar nur ein vergleichsweise geringes Marktvolumen und -potenzial bietet, in dem dafür aber kaum Wettbewerb besteht. Durch hohe Spezialisierung und intensive Zusammenarbeit mit Kunden entstehen durch hohen Kundennutzen Differenzierungsvorteile (vgl. Porter, 2014, S. 38–40, siehe auch Abschnitt 8.3). Eine weitere Abgrenzungsmöglichkeit besteht in der sogenannten Produktdif­ ferenzierung, bei der von einem Grundprodukt verschiedene Varianten für verschiedene Marktsegmente angeboten werden. Damit werden die leicht divergierenden Bedürfnisse

272

10 B2B-Produktpolitik

besser getroffen als mit einem homogenen Standardprodukt (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 241–242). Eine dritte Möglichkeit, drohendem Preiswettbewerb auszuweichen, ist der Aufbau einer am Markt und bei speziellen Kundengruppen akzeptierten und etablierten Marke. Dies wurde in Abschn. 9.5 bereits ausführlich behandelt. Auch auf B2B-Märkten gilt für Marken dasselbe wie im Konsumgüterbereich: Eine Marke funktioniert nur um einen einzigartigen Markenkern herum. Für Konsumgüter beruht dieser vielfach auf emotionalen Produkteigenschaften. Im B2B-Bereich hingegen sind vor allem die mit der Marke verbundene Qualitätserwartung und die Reduktion von Informationskosten bei der Produktauswahl entscheidend (vgl. Caspar et al., 2002, S. 44). Die Qualitätserwartung hängt nicht zuletzt mit den Unternehmensleistungen zusammen. Sind diese nicht unterscheidbar, werden auch die Marken als immer ähnlicher wahrgenommen. Diese Tendenz ist für Konsumgüter, dabei auch für langlebige Gebrauchsgüter, die am ehesten mit B2B-Produkten vergleichbar sind, eindeutig nachgewiesen (vgl. Sander et  al., 2009, S. 19). Im B2B-Kontext sind vielfach neben der eigentlichen Leistungsqualität die Persönlichkeit und das Verhalten des Vertriebsaußendiensts gegenüber dem Kunden der wichtigste Träger der Marke (vgl. Binckebanck, 2006, S. 117). Dessen Wahrnehmung dürfte sowohl von sachlichen (z. B. Fachwissen) als auch emotionalen Aspekten (z. B. Empathie) geprägt sein (vgl. Binckebanck, 2006, S.  256–258). Sofern im standardisierten Produktgeschäft der Vertrieb über industrielle Distributoren oder via E-Commerce erfolgt, entfällt dieser Effekt mit der Folge, dass eine Markendifferenzierung schwieriger wird. Eine letzte Möglichkeit zur Differenzierung in Reife- und Sättigungsphase besteht in der (kontinuierlichen) Weiterentwicklung der bestehenden Produkte, was auch als Produktvariation oder Relaunch bezeichnet wird (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  240–241). Dieser Ansatz fällt in den Bereich der Neuproduktentwicklung, der in Abschn.  10.2 umfassend behandelt wurde. Grundsätzlich kann für einen Relaunch an jeder der vier Dimensionen von Produkteigenschaften aus Abb.  10.3 angesetzt werden. Ausschlaggebend für die konkrete Auswahl einer Dimension oder Eigenschaft sind Änderungen der Kundenbedürfnisse, neue technische Möglichkeiten, rechtliche Neuerungen oder Image-/Positionierungsaspekte (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  240–241). Im B2B-Bereich besonders interessant ist die äußere Schale der unterstützenden Eigenschaften, hinter denen sich vor allem produktbegleitende Dienstleistungen verbergen, die den Einsatz der Kernprodukte erleichtern. Hier tut sich ein weites Feld an Differenzierungsmöglichkeiten auf. Dies gilt seit langer Zeit, hat sich aber in den letzten Jahren infolge der Mischung aus neuen technischen Möglichkeiten und daraus erwachsenen geänderten Kundenerwartungen zu neuen produktbegleitenden digitalen Services entwickelt.

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

273

10.3.1 Klassische produktbegleitende Dienstleistungen Produktbegleitende Dienstleistungen sind auf B2B-Märkten seit Jahrzehnten ein Klassiker. Im Gegensatz zu den meisten Konsumgütern sind bereits vor dem Kauf vielfach ­intensive Beratungen verbunden mit spezifischen Analysen der Situation des Kunden erforderlich. Für hohe Einmalausgaben müssen Finanzierungen vorgenommen werden. Ebenso muss Ware geliefert und u. U. beim Kunden installiert und in Betrieb genommen werden. Mitarbeiter sind zu schulen, regelmäßige Wartungen vorzusehen und am Ende der Nutzungsdauer ist eine Anlage eventuell wieder zu deinstallieren und zurückzunehmen oder zu recyceln. Die Kernfrage, die sich Anbieter zur Ausgestaltung dieser Dienste stellen, ist: „Wie können wir dem Kunden die Nutzung unserer Produkte so leicht wie möglich machen?“ Wie an den Beispielen schon ersichtlich ist, lassen sich produktbegleitende Dienstleistungen in Pre-Sales-, At-Sales- und After-Sales-Dienstleistungen unterteilen (vgl. Backhaus, 2003, S.  368; Backhaus & Voeth, 2014, S.  300; Scheed & Scherer, 2021, S. 134–135). Tab. 10.4 gibt einen nicht abschließenden Überblick über mögliche Dienstleistungen entlang dieser Phasen. Die Pre-Sales-Leistungen werden vor dem Kaufabschluss erbracht und sind im Grunde Verkaufsfördermaßnahmen. Hier erbringt der Anbieter spezifische Investitionen, die im Falle des Nicht-Zuschlags für den Auftrag weitgehend verloren sind. Während einige Leistungen für die Angebotserstellung und spätere Auftragsdurchführung unerlässlich sind (z.  B.  Aufmaße, Projektierungen oder Kalkulationen), sind andere freiwillige Zusatzleistungen (z. B. Machbarkeitsstudien oder Testinstallationen), für deren Erbringung auch Entgelte in Rechnung gestellt werden können. At-Sales-Dienstleistungen beziehen sich unmittelbar auf den Vertragsabschluss und dessen Realisierung. Auch spätere Folgekäufe können darin eingeschlossen sein. After-Sales-Services werden nach dem Kaufabschluss relevant. Die exakte Zuordnung zu den Phasen ist zum Teil fließend. Je nach Ausgestaltung und Umfang lassen sich mit fast allen diesen Dienstleistungen Differenzierungen vom Wettbewerb erzielen. Maßgeblich dafür sind die verfügbaren Ressourcen des Anbieters. Beispielsweise erfordern Produktanpassungen Mitarbeiterkapazität und -Know-how, Financial Engineering, leistungsfähige externe Partner, ein gutes Risikomanagement und zur Absatzunterstützung entsprechende eigene Kanäle in die Zielmärkte des Kunden. Weitere zu Wettbewerbsvorteilen führende Ressourcen können . außergewöhnlich gute Sachkapitalausstattung, 1 2. Zugang zu dominanten Technologien, 3. gutes Wissensmanagement, 4. ein exklusives Vertriebs- und Servicesystem, 5. ein besonders ausgeprägtes Lieferantennetzwerk oder 6. Zugang zu Rohstoffen sein (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 154).

274

10 B2B-Produktpolitik

Tab. 10.4  Produktbegleitende Dienstleistungen entlang des Kaufprozesses Pre-Sales Analyse und Beratung (Prozesse, Bedarfe …) Auftragsforschung Bereitstellung zu Testzwecken Gebrauchtmaschinenvermittlung Kalkulationsunterstützung Machbarkeitsstudien Produktionsoptimierung Produktvorführungen Projektierung/Planung/ Engineering Risikoabschätzung Simulationen Spezialentwicklungen Testinstallationen Übersetzungen Umweltverträglichkeitsprüfungen Wertanalysen Wirtschaftlichkeitsanalysen

At-Sales Betreibermodelle

After-Sales Absatzgarantien

EDI/E-Commerce Ersatzteilverträge

Absatzhilfe Anlieferung

Financial Engineering

Arbeitsvorbereitung

Garantien Inzahlungnahmen Kompensationsgeschäfte Lizenzvergabe/Know-howVerträge Liefer- und Zahlungsbedingungen Managementverträge Miete/Leasing Rahmenverträge Transport/Transportversicherung

Beschaffungshilfe Dokumentation Erbringung von Garantieleistungen Generalunternehmerschaft Inbetriebnahme Inspektion/Wartung Instandsetzung/Refurbishing Montage/Installation (NC-/CAD-/…-) Programmierung Notfall-Hotline Nullserienfertigung Personalvermittlung Projektmanagement Recycling/Verschrottung Reparaturservice Rufbereitschaft/Erreichbarkeitsgarantie Schulungen Seminare und Fachvorträge für Kunden Service Level Agreements Software-Anpassungen/Updates Technische Betreuung

Sofern die dadurch möglichen Leistungen den Kunden einen hohen Mehrwert bieten, werden diese Willens sein, auch dafür zu bezahlen. Gleichzeitig entstehen so über den eigentlichen Kauf hinaus permanente Kundenkontakte in der Nachkaufphase, die für Cross- und Upselling-Aktivitäten genutzt werden können. Zudem resultiert ­Kundenbindung im Sinne von Gebundenheit, da der Kunde Finanzierungen nicht ohne Weiteres kündigen

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

275

kann oder hohe Service Level oder spezifische Ersatzteile bei keinem anderen Anbieter am Markt erhält. Daher ist es nicht überraschend, dass, wie in Abb.  10.12 ersichtlich, mit produktbegleitenden Dienstleistungen deutlich höhere Margen erzielt werden können als mit den Kernprodukten, an die sie geknüpft sind. Die Voraussetzung für das erfolgreiche Setzen auf produktbegleitende Dienstleistungen ist wie in Abschn. 10.2.2 beschrieben das intensive Auseinandersetzen mit den Kunden und das Ergründen ihrer tieferliegenden Bedürfnisse. Anders wäre Hilti – ein Hersteller professioneller Bauwerkzeuge und Befestigungssysteme, eigentlich ein Paradebeispiel für ein Unternehmen im Produktgeschäft – sicher nicht auf die im folgenden Beispiel skizzierte Lösung gekommen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass ganz andere Bedürfnisse der Kunden adressiert werden als mit den eigentlichen Kernprodukten. Gleichzeitig ist für Außenstehende nicht (sofort) erkennbar, wie diese Leistungen erbracht werden, was Imitationsschutz und Einzigartigkeit am Markt mit den entsprechenden Preisspielräumen gewährleistet. Je stärker die Dienstleistungen mit den Kernprodukten zu Lösungsbündeln verzahnt sind, desto stärker kommt dieser Effekt zur Geltung (vgl. Kopp & van Husen, 2012, S. 48–50).

7,1 %

Maschinenbaukomponenten

4,2 % 7,7 %

Elektrotechnik/Elektronik

6,3 % 10,8 %

Gebäudetechnik

3,0 % 11,7 %

Anlagenbau

3,8 % 12,5%

Maschinenbau (Gesamtsysteme)

4,6 % 10,3 %

Industriedurchschnitt

4,7 % 0,0 %

2,0 %

4,0 %

Servicegeschäft

6,0 %

8,0 %

10,0 %

12,0 %

14,0 %

Produktgeschäft

Abb. 10.12  EBIT-Margen im Produkt- und Servicegeschäft. (Quelle: Kopp & van Husen, 2012, S. 45)

276

10 B2B-Produktpolitik

Praxisbeispiel: Entwicklung vom Produkt- zum Systemgeschäft durch After-Sales-­ Dienstleistungen

Eines der Standardbeispiele für Differenzierung durch produktbegleitende Dienstleistungen bietet seit fast 20 Jahren die Hilti AG – Herstellerin von Elektrobauwerkzeugen und Befestigungstechnik. Ursprünglich im Produktgeschäft angesiedelt, ist es Hilti gelungen, durch das sogenannte Flottenmanagement für die Werkzeuge ins kundenbindende Systemgeschäft zu gelangen. Dazu kann ein Kunde bei Hilti gegen eine feste monatliche Gebühr eine nach Bedarf zusammengestellte Werkzeugflotte leasen. Die Geräte können durch Etikettierung einfach zugeordnet und verwaltet werden. Der Vertrag sieht einen Austausch nach drei bis fünf Jahren vor, sodass die jeweils neueste Generation genutzt werden kann. Im Schadensfall wird das defekte Gerät auf der Baustelle abgeholt, innerhalb von drei Tagen repariert, und für diesen Zeitraum ein identisches Ersatzgerät bereitgestellt. Defekte Akkus werden direkt getauscht. Wo notwendig, wird einmal pro Jahr ein Kalibrierservice angeboten, die Geräte sind gegen Diebstahl versichert und bei Bedarfsspitzen, die über den normalen Flottenumfang hinaus Geräte erfordern, können zusätzliche Geräte wochenweise gemietet werden. Aus Kundensicht wird durch die monatlichen Raten die Liquidität entlastet, die permanente Verfügbarkeit der Geräte ist gewährleistet, Bedarfsspitzen können kurzfristig kostengünstig aufgefangen werden und es herrscht Transparenz über die gesamte Geräteflotte. Durch Preisaufschläge bei den monatlichen Raten im Vergleich zum Einmal-­Kaufpreis für die Produkte vergüten die Kunden diese Vorteile ebenso wie die höheren Kosten für Hilti, z. B. durch die Austauschfahrten oder den Selbstbehalt bei Diebstählen. Zugleich ist der Kunde für die Vertragslaufzeit an Hilti gebunden und hat einen großen Anreiz, zusätzliche Geräte von Hilti zu beziehen, da nur Hilti-Geräte in das Flottenmanagement aufgenommen werden können. Durch weitere Angebote von Hilti, wie eine Geräteparkanalyse, Verwaltungs-Software und eine Geräteservice-App, lassen sich der Werkzeuggebrauch und die Flottenverwaltung weiter optimieren. Grundlage für das Flottenmanagement ist Hiltis starke Vertriebs- und Servicepräsenz in der Fläche. Ein großer Teil der derzeit knapp 30.000 weitweiten Mitarbeiter ist in den Hilti-Stores und als Verkaufsberater vor Ort aktiv. Quellen: Hilti (2020, 2021); Gassmann et al. (2021, S. 61–62, 162) ◄ Solche Dienstleistungen neu zu entwickeln, ins Angebotsportfolio aufzunehmen, zu vermarkten und zu managen ist für vormals produktorientierte Unternehmen allerdings nicht ganz trivial, denn Dienstleistungen unterscheiden sich substanziell von „normalen“ Produkten (vgl. im Folgenden Haller & Wissing, 2020, S. 9–15). Allem zugrunde liegt, dass Dienstleistungen immateriell (intangibel), d. h. nicht greifbar, sichtbar, hörbar, sind. Damit geht einher, dass sie nicht gelagert oder transportiert werden können, sodass sie in dem Moment, in dem ein Kunde eine Dienstleistung in Anspruch nehmen möchte, erstellt werden müssen (Uno-actu-Prinzip bzw. Synchronität von Angebot und Nachfrage). Auch wenn dies durch Digitalisierung teilweise aufgehoben

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

277

wird (z. B. beim zeitversetzten Streaming von Filmen im Vergleich zum normalen linearen Fernsehen), bleibt dieses Prinzip bei vielen Dienstleistungen, vor allem personengebundenen, bestehen. Dies wiederum bedeutet, dass der Anbieter zu seinen Angebotszeiten Ressourcen bereithalten muss, auch wenn er nicht sicher sein kann, dass diese tatsächlich in Anspruch genommen werden. Hieraus ergibt sich als Managementproblem die Bemessung des optimalen Umfangs dieser Ressourcen und die Steuerung ihrer Auslastung. Hat sich ein Unternehmen bspw. entschieden, einen Mitarbeiter für Financial Engineering einzustellen, und es gelingt Marketing und Vertrieb nicht, diese Dienstleistung bei den Kunden zu platzieren, so wird dieser Mitarbeiter zur Überkapazität. Brummt die Vermarktung hingegen, sodass mehr Nachfrage entsteht, als dieser Mitarbeiter bearbeiten kann, wird es zu langen Wartezeiten und in der Folge zu Unzufriedenheit bei den Kunden kommen. In dieser „Planungsphase“ kommt auch eine weitere Auswirkung der Intangibilität der Dienstleistungen zum Tragen: Ein Kunde kann eine Dienstleistung im Vorfeld nicht hinsichtlich ihrer Qualität beurteilen. Dienstleistungen stellen also mindestens Erfahrungsgüter dar, vielfach auch Vertrauensgüter. Die Kompetenz der Servicetechniker kann der Kunde beurteilen, wenn er die Erfahrung gemacht hat, dass sie eine Störung schnell und zuverlässig behoben haben. Hier stellt sich aber die Frage, ob sie tatsächlich nur getan haben, was notwendig war, oder Leistungen ohne Mehrwert abgerechnet wurden. Auch ist unsicher, ob eine Störungsbehebung auch zukünftig jedes Mal, also auch, wenn eine völlig andere Störungsart vorliegt, gelingen wird. Insofern ist mitunter fraglich, inwieweit Erfahrungen in die Zukunft „hochgerechnet“ werden können. Ist dies nicht möglich, liegt eine Vertrauenseigenschaft vor. Bei anderen Dienstleistungen ist dies immer der Fall, wenn z. B. bei regelmäßigen Wartungen einer Maschine keine Störungen auftreten. Hier ist unter normalen Umständen im Nachhinein nicht erkennbar, ob die Störungsfreiheit an den Wartungen lag oder ob auch ohne Wartungen keine Störungen aufgetreten wären. Daher muss sich der Anbieter solcher Dienstleistungen im Vorfeld überlegen, mit welchen Mitteln er Kunden von der Wichtigkeit und Qualität seiner Dienstleistungen überzeugen kann. Dazu stehen grundsätzlich dieselben zur Verfügung wie in Abschn. 10.2.1.4 erläutert (z. B. Referenzen, Zertifizierungen). Ein letzter Effekt der Besonderheiten von Dienstleistungen ist, dass der Kunde bei ihrer Erbringung „mitspielen“ muss. Die Installation einer Anlage kann nicht vorgenommen werden, ohne dass der Kunde Zugang zu seinen Räumlichkeiten gewährt, Energieversorgung bereitstellt usw. Der Kunde produziert die Dienstleistung also teilweise mit, weshalb er (oder Objekte von ihm, an denen die Dienstleistung zu erbringen ist, z. B. die zu wartende Maschine) auch als externer (Produktions-)Faktor der Dienstleistungserstellung bezeichnet wird, dessen Integration unerlässlich ist. Daraus folgt unmittelbar die Notwendigkeit, direkt mit dem Kunden oder seinen Objekten in Kontakt zu kommen – entweder persönlich, virtuell oder auch maschinell, wie z. B. durch Ersatzteilautomaten. Eine ganz gravierende Herausforderung für den Dienstleistungsanbieter ergibt sich daraus hinsichtlich der resultierenden Qualität. Während ein Produzent von Sachgütern deren Qualität durch technische Parameter und die richtige Einstellung und Überwachung

278

10 B2B-Produktpolitik

der Maschinen sicherstellen kann, ist der Dienstleister teilweise davon abhängig, wie gut der Kunde zur Mitwirkung qualifiziert ist. Dummerweise hängt die Kundenzufriedenheit von der durch den Kunden wahrgenommenen Qualität der Dienstleistung ab, und der Anbieter hat ein Kommunikationsproblem, wenn schlechte Qualität auf den Kunden selbst zurückzuführen ist. Damit erhält der Anbieter als Zusatzaufgabe, so weit wie möglich für die Qualifikation oder Anleitung der Kunden zu sorgen, was z. B. erklärt, warum bei auch nur kleinen Neuerungen in Produkten vielfach Nutzerschulungen angeboten werden. Damit sind einige wesentliche Bedingungen und Herausforderungen der ersten beiden Phasen der Dienstleistungserstellung gemäß Abb. 10.13 benannt. Wie zu erkennen ist, spielt der Aspekt der Qualitätskontrolle auch in der ersten Phase der Ressourcenbereitstellung eine Rolle, dort allerdings auf Seiten des Anbieters. Sofern Dienstleistungen durch Personen erbracht werden, kann es zu Qualitätsschwankungen kommen, weil keine zwei Personen eine Leistung völlig identisch erbringen und selbst eine Person tagesformabhängig unterschiedliche Leistungen erbringt. Dies lässt sich vom Anbieter glücklicherweise etwas besser steuern als die Qualitätsschwankungen, die durch die Kunden verursacht werden. So kommt es hier auf eine standardisierte Ausbildung der Mitarbeiter an, Checklisten und Leitfäden können Verwendung finden, wo immer möglich computergestützt, aber letzten Endes sind Menschen eben nicht völlig standardisierbar und es muss nur sichergestellt werden, dass die Schwankungen sich innerhalb akzeptabler Grenzen bewegen. Der Kern der zweiten Phase ist das „Geheimnis“, wie die Dienstleistung erstellt wird. Für die Produktion von Sachgütern gibt es technische Zeichnungen, Bauanleitungen, Computerprogramme und Maschinen, die genormte Vorprodukte wiederkehrend identisch zusammensetzen. Dienstleistungen hingegen sind eine Abfolge von Tätigkeiten, die vom Ausgangspunkt über Zwischenschritte am Ende zum gewünschten Ergebnis führen sollen.

1. Ressourcenbereitstellung

• Kapazitätsfestlegung • Vertrauensaufbau beim Kunden • Kontrolle von internen Qualitätsschwankungen

2. Dienstleistungserstellung

• Externer Faktor beeinflusst Qualität • Räumliche oder virtuelle Nähe erforderlich • Prozessdefinition und -management

Abb. 10.13  Herausforderungen der Dienstleistungserbringung

3. Dienstleistungsergebnis

• Messung des Ergebnisses schwierig • Kunde nimmt nichts Greifbares mit nach Hause

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

279

Sie lassen sich somit durch Prozesse, d. h. die sinnvolle Abfolge notwendiger Tätigkeiten und Zwischenergebnisse, beschreiben (vgl. Haller & Wissing, 2020, S. 167–194). Wichtig dabei ist, dass diese Prozesse korrekt erarbeitet werden und dabei auch die Kundensicht berücksichtigt wird. So stellt sich ein Reparaturprozess aus Anbietersicht z. B. grob wie folgt dar: cc

Störung → Ursachendiagnose → Störungsbehebung

Aus Kundensicht ist zusätzlich z.  B. interessant, wie die Störung bemerkt bzw. gemeldet werden kann und ob in letzterem Fall ein Ansprechpartner des Anbieters erreichbar ist. Weiterhin wäre es nach der Diagnose gut zu erfahren, wie lange die Reparatur dauern wird, und am Ende eine Information zu erhalten, wenn diese abgeschlossen ist und darüber, ob und wie die Ursache zukünftig vermieden werden kann. Beide Perspektiven zu berücksichtigen, kann mit dem Ansatz des Service-­Blueprintings sichergestellt werden (siehe Abb.  10.14). Dort wird in einem visualisierten Workflow durch die sogenannte Interaktionslinie zwischen Prozessschritten, die vom Anbieter, und solchen, die vom Kunden durchgeführt werden, unterschieden. Auf beiden Seiten kann zudem durch Sichtbarkeitslinien in für den jeweils anderen sichtbare Aktivitäten und unsichtbare unterteilt werden. Es wird also aufgezeigt, welche der Aktivitäten des Kunden der Anbieter wahrnehmen kann und umgekehrt. Dies zu berücksichtigen, hat den Vorteil, dass erkennbar wird, welche versteckten Aspekte der Dienstleistung für den Kunden wichtig sind und Einfluss auf die Kundenzufriedenheit nehmen (z. B. Auskunft über die Dauer interner Vorgänge). Zudem werden für den Anbieter Ansatzpunkte zur Erhöhung der Kundenqualifikation bei der Leistungsnutzung ersichtlich. Auf Anbieterseite kann der Bereich hinter der Sichtbarkeitslinie noch weiter in interne Interaktionslinien unterteilt werden, bis deutlich wird, welche Bereiche am Prozess beteiligt werden müssen und welche Ressourcen benötigt werden. Damit können aus der Kombination einzigartiger Ressourcen und effektiver und effizienter, am Kunden ausgerichteter und immer wieder zu über-

Sichtbarkeitslinie Interaktionslinie

Interne Interaktionslinie

Abb. 10.14  Service-Blueprinting. (Quelle: In Anlehnung an Haller & Wissing, 2020, S. 184)

Anbietersphäre

Sichtbarkeitslinie

Kundensphäre

Aktivität

280

10 B2B-Produktpolitik

prüfender Prozesse Wettbewerbsvorteile entstehen (vgl. Leimeister, 2012, S.  212–213; Backhaus & Voeth, 2014, S. 155–157; Haller & Wissing, 2020, S. 183–184). Methodisch kann die Kundenperspektive z. B. durch Einsatz der sequenziellen Ereignismethode erfasst werden. Dabei werden die Kunden in qualitativen Interviews systematisch darüber befragt, welche Aktionen sie bei Inanspruchnahme einer Dienstleistung durchführen und erleben (vgl. Meffert & Bruhn, 2009, S. 207–208). In der letzten Phase gemäß Abb. 10.13 kommt der Kunde in den Genuss des Dienstleistungsergebnisses. Dies kann unmittelbar ersichtlich sein (z. B. die wieder funktionierende Maschine) oder auch erst langfristig wirksam werden (z.  B. die Störungsfreiheit aufgrund regelmäßiger Wartungen mit Ersatz von Verschleißteilen). Für die Beurteilung der Qualität einer Dienstleistung und damit die Kundenzufriedenheit ist die Wahrnehmung des Kunden ausschlaggebend, aber nicht nur in Bezug auf das Ergebnis. Zwar ist die Beseitigung einer Störung objektiv benennbar. Aus Kundensicht spielt aber der gesamte Prozess der Störungsbeseitigung eine Rolle, der beim Bemerken und Reagieren auf die Störung beginnt und weiterhin auch die Dauer, die Anzahl der Reparaturver- und besuche und die wahrgenommene Freundlichkeit und „gefühlte“ Kompetenz des Servicepersonal umfasst. Dies vollständig zu durchleuchten, ist für den Anbieter schwierig, sofern er nicht unmittelbar Feedback vom Kunden einholt. Dies kann mithilfe standardisierter Kundenzufriedenheitsbefragungen erfolgen, die aber das Risiko bergen, nicht alle wirklich relevanten Aspekte zu erfassen. Insofern sind, insbesondere bei neuen Dienstleistungen, andere Techniken zu empfehlen, wie z. B. Critical-Incidence-­Methode, bei der Kunden in offenen Interviews nach (besonders) negativen Erlebnissen befragt werden (vgl. Haller & Wissing, 2020, S. 479). Als zweite Herausforderung bzgl. des Ergebnisses besteht bei Dienstleistungen das Problem, dass der Kunde am Ende außer einer reparierten und wieder laufenden Maschine (was natürlich an sich sehr positiv ist) nichts Greifbares in der Hand behält. Somit wird er nicht dauerhaft an den Erbringer der Dienstleistung erinnert. Damit bei einem späteren Servicebedarf nicht willkürlich ein anderer Dienstleister gewählt wird (sofern das möglich ist), sollte der Anbieter tangible Erinnerungen hinterlassen. Das kann von einem Aufkleber mit Name des Unternehmens und Monteurs an der Maschine bis hin zu jeglicher Art von Werbeartikeln reichen, die bei den relevanten Ansprechpartnern beim Kunden verbleiben und von regelmäßigen Direktmarketingaktivitäten wie E-Mails oder Social-­ Media-­ Nachrichten flankiert werden. Bei produktbegleitenden Dienstleistungen im B2B-Bereich, die vom Hersteller des Kernprodukts ausgeführt werden, der dem Kunden gut bekannt ist und bei denen der Kunde einen Vertriebsaußendienstmitarbeiter als Ansprechpartner hat, mag dieser Aspekt weniger relevant sein. Diese Ausführungen verdeutlichen, warum Dienstleistungsangebote große Herausforderungen für produzierende und sachgutorientierte Unternehmen darstellen. Alle acht Aspekte aus Abb.  10.13 stellen neue oder andere Anforderungen an einen Anbieter im Vergleich zur Planung und Steuerung von Produktionsprozessen sowie der Bepreisung, Kommunikation und dem Vertrieb von Sachgütern.

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

281

10.3.2 Digitale Services Durch neue technologische Entwicklungen sind in den letzten Jahren vollständig andere Möglichkeiten entstanden, Dienstleistungen zu erbringen (vgl. Dombrowski & Fochler, 2020, S. 286). Dieser Prozess wird auch als „Servitization“ bezeichnet. Ursprünglich beschrieb Servitization die immer stärker wachsende Bedeutung von (zunächst noch traditionellen) Dienstleistungen, um den Wert der Angebote für Kunden zu erhöhen (vgl. Vandermerwe & Rada, 1988, S.  314.). Inzwischen wird Servitization immer mehr als Neologismus aus „Service“ und „Digitization/Digitalization“ verstanden. Immer noch geht es um neue Dienstleistungsangebote, inzwischen jedoch im engeren Sinne um die neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung von Dienstleistungen, und im weiteren Sinne bis zum dadurch möglichen vollständigen Wandel von Geschäftsmodellen, bei denen durch digitale Leistungen vormals rein auf Sachgütern basierende Angebote nach und nach ersetzt werden. Servitization folgt dem Ansatz der Service Dominant Logic (SDL) (vgl. Vargo & Lusch, 2004). SDL entspricht fundamental dem vom Marketing seit Langem gepredigten Stellen des Kunden in den Mittelpunkt aller Überlegungen eines Unternehmens. Es wird postuliert, dass es niemals um die Produktion und den Verkauf von Gütern gehen darf. Denn der Kern jeder unternehmerischen Tätigkeit ist die Erbringung eines Dienstes für den Kunden. Dieser Dienst entspricht im Grunde dem tiefliegenden Bedürfnis, welches der Kunde erfüllt haben möchte. Was ein Produzent von Sachgütern daher in Wirklichkeit anzubieten hat, ist immer „nur“ sein Wissen, seine Fähigkeit, seine Qualifikation, Nutzen für den Kunden zu schaffen und dessen Bedürfnis zu erfüllen. Damit beschreibt der Begriff „Dienst“ am Kunden den „Service“-Aspekt der SDL und ist explizit vom Begriff der „Dienstleistung“ („Services“) zu unterscheiden (vgl. Vargo & Lusch, 2014, S. 12). Denn erst wie der „Dienst“ konkret erbracht wird, manifestiert sich am Ende im erstellten physischen Produkt oder aber auch einer Dienstleistung. Beide werden in diesem Sinne lediglich als Träger des dadurch möglichen Dienstes am Kunden und der Bedürfniserfüllung angesehen. Ihr tatsächlicher Wert ergibt sich erst durch den Einsatz beim Kunden. Damit wird der Fokus der unternehmerischen Tätigkeit auf ihren Nutzen für den Abnehmer gerichtet, der nicht dadurch entsteht, dass ein Produkt hergestellt und verkauft wird („Exchange-Value“), sondern dadurch, dass und wie der Kunde es nutzt („Use-­ Value“). Wir werden dieses Prinzip auch bei der Preisbildung in Abschn. 11.4 wiedertreffen. Praxisbeispiel: Digitale Servitization in der Luftfahrt

Ein Beispiel für moderne Servitization ist das TotalCare®-Programm des Bereichs Flugzeugtriebwerke der Rolls-Royce plc. Dabei verkauft Rolls-Royce den Fluggesellschaften nicht mehr die Triebwerke selbst, sondern stellt diese in Form ihrer Funktionsund Leistungsfähigkeit unter dem Slogan „Power by the hour“ gegen einen festen Preis pro Flugstunde zur Verfügung. Es wird also – etwas platt gesprochen – Schubkraft statt Metall verkauft. Denn eine Fluggesellschaft braucht keine Triebwerke! Was sie

282

10 B2B-Produktpolitik

benötigt, ist Energie, die die schweren und trägen Flugzeuge auf ein so hohes Tempo beschleunigt, dass sie abheben und sich in der Luft halten können. In diesem Sinne erbringt Rolls-Royce den Dienst, Airline-Flugzeugen Schub zu verleihen. Dies könnte, wenn dies technisch machbar und ökonomisch sinnvoll wäre, auch völlig anders als durch herkömmliche Triebwerke realisiert werden. Der digitale Zusatzaspekt, der zudem die neuartige Bepreisung (Preis pro Flugstunde) erlaubt, ist modernste Sensortechnologie, mit der jedes einzelne Triebwerk kontinuierlich überwacht und ausgelesen wird. Die Daten werden an Rolls-Royce übertragen und dort analysiert. Die Flugstunden sind klar feststellbar, aber zusätzlich erlaubt dies statt fester Intervalle bedarfsgerechte Wartungen und Reparaturmaßnahmen an Orten und zu Zeiten, die für die Fluggesellschaften passen. Überraschenden Defekten wird bestmöglich vorgebeugt. Am Markt werden Triebwerke großer Passagierflugzeuge wie der Boing 777 (hier z. B. das Triebwerkmodell GE90) für Listenpreise von ca. 40 Mio. € verkauft. Diese Listenpreise entstehen vermutlich kostenbasiert und sind in gewissem Maße verhandelbar, aber es handelt sich dabei um einen relativ starren und unflexiblen „Exchange-­ Value“. Eine Fluggesellschaft wird überlegen, welche Einnahmen sich mit den Triebwerken über ihre Nutzungsdauer erzielen lassen, was sich an der Gesamtzahl der in den Fliegern beförderten Passagiere festmacht, und dann abwägen, ob sich der Kauf lohnt. Im Rahmen des TotalCare®-Programms dreht sich die Überlegung um und der Preis richtet sich nach dem „Use-Value“. Fliegt eine Fluggesellschaft viel, bezahlt sie mehr, fliegt sie wenig, weniger. In diesem Fall muss Rolls-Royce entscheiden, ob sie einem „Wenig-Flieger“ die Triebwerke überhaupt anbieten möchten, ob der Preis pro Flugstunde angehoben werden muss, um kostendeckend zu sein, oder ob es nach einer vereinbarten Nutzungsdauer Nachnutzungsmöglichkeiten gibt, um die zunächst nicht realisierten Erträge später zu erzielen. Quellen: Knecht (2019); Rolls-Royce (2021) ◄ Der SDL-Ansatz verdeutlicht also, dass immer überlegt werden muss, welches Bedürfnis des Kunden zu erfüllen ist, bevor fertige Lösungen „vermarktet“ werden. Dies entspricht grundsätzlich dem Vorgehen, wie es schon im Beispiel von Hilti gezeigt wurde. In Bezug auf die neue digitale Servitization sind hier jedoch weiterreichende Gedankensprünge zu machen, und es ist kreativ zu überlegen, wie neue Technologien hierzu inte­ griert werden können. Im Sinne der SDL ist die in Abschn.  10.3.1 bereits gestellte Frage zum Angebot produktbegleitender Dienstleistungen von „Wie können wir dem Kunden die Nutzung unserer Produkte so leicht wie möglich machen?“ in „Welches Kernproblem bzw. -bedürfnis hat der Kunde?“ umzuformulieren. Es geht also um nichts Geringeres als die Überprüfung und Neudefinition des Grundnutzens im rechten Teil von Abb. 10.15. Abb. 10.16 zeigt die Entwicklung von Servitization (vgl. dazu auch Huikkola & Kohtamäki, 2018; Scheed & Scherer, 2021, S.  137–141). Traditionelle produktbegleitende Dienstleistungen entsprechen Stufe 1. Der Fokus liegt hier auf der reinen Bereitstellung der Produkte. Die Dienstleistungen sind zur Produktnutzung nicht zwingend erforderlich,

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

Produktbegleitende Dienstleistungen

Servitization

„Wie können wir dem Kunden die Nutzung unserer Produkte so leicht wie möglich machen?“

„Welches Kernproblem/Kernbedürfnis hat der Kunde?

283

Abb. 10.15  Zielrichtung produktbegleitender Dienstleistungen und von Servitization im Vergleich

können noch nachträglich zugekauft und ihr Umfang, z. B. in Form von Service-LevelAgreements,13 kann frei definiert werden. „Echte“, insbesondere digitale, Servitization beginnt bei Stufe 2. Hier liegt der Hauptwert für den Kunden auf der Verfügbarkeitsgarantie für die Produkte, wie beim Flottenmanagement von Hilti. Zwar spielen die Produkte der beiden Unternehmen selbst noch eine wesentliche Rolle und die Konzepte beschränken sich zunächst auch ausschließlich auf die unternehmenseigenen Produkte. Es ist aber bereits eine Integration von Produkten und Dienstleistung erfolgt und der Kundenwert geht deutlich über die reine Bereitstellung der Produkte hinaus. Die größtmögliche Umstellung erfolgt auf Stufe 3. Bei Stufe 3a übernimmt der ehemalige Produktlieferant für den Kunden im Rahmen von Outsourcing-Projekten komplette Teile der Wertkette und ist für deren Ausgestaltung und Durchführung und somit für die Prozesseffizienz verantwortlich. Ein Beispiel wäre ein Baufahrzeughersteller, der nicht mehr nur Fahrzeuge bereitstellt oder ihre Funktionsfähigkeit garantiert, sondern (auf digitaler Basis) sämtliche Material- und entsprechenden Informationsflüsse einer Baustelle managt und optimiert und dazu u. a. sowohl seine eigenen Fahrzeuge und Transportsysteme als auch die anderer Hersteller verknüpft.14 Die noch weiterreichende Spielart dessen wäre Stufe 3b, bei der der Anbieter nicht nur für die Effizienz der Prozesse, sondern auch für deren Beitrag zum Geschäftserfolg des Kunden verantwortlich ist und die Einhaltung von verabredeten Erfolgs Hiermit kann z. B. die Antrittszeit von Servicetechnikern bei Störungen gemeint sein, z. B. 6, 12, 24 oder 48 Stunden. 14  Zur sogenannten „Connected Construction“ vgl. z.  B.  Meisels et  al. (2019), Ginsberg (2020), Lynch (2021). 13

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10 B2B-Produktpolitik

Stufe 3a •DienstleistungsDominanz •Prozessfokus: Outsourcing/ Effizienz

Stufe 1 •Produktbegleitende Dienstleistung •Produktfokus: Bereitstellung

Stufe 2 •ProduktDienstleistungsIntegration •Produktfokus: Verfügbarkeit

Stufe 3b •DienstleistungsDominanz •Prozessfokus: Outsourcing/ Erfolg

Abb. 10.16  Entwicklungsstufen von Servitization im B2B-Geschäft

kennzahlen (KPIs  – Key Performance Indicators) garantiert. Dies kann sich auf Teilprozesse gemäß Stufe 3a beziehen, aber auch auf das gesamte Geschäft des Kunden wie in Betreibermodellen.15 Praxisbeispiel: Servitization Stufe 3a – Prozesseffizienz im C-Teile-Management durch digitales Kanban

Hersteller industrieller Montage-, Befestigungs- und Verbindungstechnik stellen für ihre produzierenden Industriekunden sogenannte C-Teile bereit. Hierzu gehören Unternehmen wie die Würth Group in Form ihrer Tochtergesellschaft Würth Industrie Service GmbH & Co. KG (Würth) und die Ferdinand Gross GmbH & Co. KG (F. Gross) sowie weitere Anbieter. Bei den Produkten handelt es sich um überwiegend standardisierte Teile, Komponenten oder Geräte, wie z. B. Schrauben, Dübel, Muttern, Unterlegscheiben, Schellen, aber auch Schmiermittel, kleine Hand- und Elektrowerkzeuge oder Arbeitsschutzartikel aus verschiedenen Materialien in verschiedenen Spezifikationen. Industrieunternehmen benötigen solche C-Teile kontinuierlich für ihre Produktion und Produktionsprozesse. Die Stückkosten sind gering, aber Beschaffung und Verwaltung verursachen durch die Variantenvielfalt, kontinuierliche, aber vielfach unregelmäßige Bedarfe, die eine große Zahl von Einzelbestellungen auslösen können, und die Vielzahl  Bei Betreibermodellen übernimmt der Anbieter den Betrieb des zuvor häufig von ihm selbst erstellten Projekts im Auftrag des Kunden. Dies kann im internationalen Geschäft eine Großanlage sein, bei öffentlichen Infrastrukturprojekten die Infrastruktur selbst, z. B. ein Autobahntunnel oder Netzinfrastruktur von Verkehrsmitteln, Telekommunikation o. Ä. (vgl. Engelhard, 2018).

15

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

285

an möglichen Lieferanten hohe Kosten. Zudem führt die notwendige Trennung aller Varianten zu großem Lagerflächenbedarf. Und sollten sie beim Verwender nicht verfügbar sein, kann es zu Produktionsverzögerungen oder -stillständen kommen. Das Hauptproblem aus Kundensicht sind somit nicht die Artikel an sich, sondern ihre effiziente Beschaffung und Lagerung. Seit langer Zeit bieten Würth und F. Gross ihren Kunden dazu Kanban-basiertes C-Teile-Management an. Klassisch wird jeder Artikel dabei im Lager in zwei Behältern aufbewahrt; wenn der erste leer ist, wird eine Nachbestellung ausgelöst. Dazu muss mindestens die Artikelnummer an den Lieferanten übermittelt werden, was früher manuell und später halb-manuell durch Handscanner-­ Einsatz erfolgte. Inzwischen werden dazu unterschiedliche automatisierte Systeme ­verwendet, die mit dem kundeneigenen Warenwirtschafts-/ERP-System und den Lieferanten vernetzt sind: 1. Durch RFID-Technologie wird über die von Mitarbeitern veranlasste Erfassung leerer Behälter oder durch Knopfdruck Neubedarf an den Lieferanten übermittelt. 2. Waagensysteme erkennen durch kontinuierliche Gewichtsmessung der Behälter selbstständig, wann ein Mindestbestand unterschritten wird, und lösen automatisch eine Nachbestellung aus. Sie ermöglichen zudem eine Erfassung der zeitlichen Verteilung von Entnahmen, sodass für jeden Artikel über die Entnahmemuster weitere Optimierungen, z.  B. die Anpassung der Behältergrößen oder benötigten Mengen, möglich sind. 3. Gleiches erlauben in jeden einzelnen Behälter integrierte intelligente Kamerasysteme, mit denen die Füllstände optisch überwacht werden. Sobald eine Nachbestellung bei Würth oder F. Gross eingeht, wird sie dort verarbeitet, in individuell abgesprochenem Rhythmus durch Unternehmensmitarbeiter zum Kunden gebracht und dort in die Regale eingeräumt. Aus Kundensicht ist damit nicht nur die jederzeitige Verfügbarkeit (Servitization Stufe 2), sondern auch Effizienz im Prozess der C-Teile-Beschaffung und -Lagerung gegeben (Stufe 3a). Für den im Vergleich zu Würth deutlich kleineren Anbieter F.  Gross (536 versus 80 Mio. € Jahresumsatz, 1700 versus 250 Mitarbeiter) macht das C-Teile-Management inzwischen über 75 % des Jahresumsatzes aus. Quellen: Gross (o. J. a, b); Würth (o. J. a, b); Wannenwetsch (2021, S. 207–209, 475) ◄ Wie können nun solche grundlegenden Änderungen der Denkweise erreicht werden? Einen möglichen Ansatzpunkt bietet z.  B. der Business Model Navigator (siehe Abb. 10.17). Er ist im Grunde eine verkürzte und fokussierte Form des Business Model Canvas, eines ausführlichen Rahmens zur Geschäftsmodellentwicklung, und enthält die wesentlichen Elemente, die für ein funktionstüchtiges Geschäftsmodell erfüllt sein müssen (vgl. Gassmann et al., 2021, S. 8–9). Sofern die zentrale Frage des „Wer (sind unsere Zielkunden)?“ ausgeblendet wird, weil diese zunächst einmal die bestehenden bleiben, rückt mit der Dreiecksspitze das „Was (bieten wir diesen Kunden an)?“ in den ­Mittelpunkt.

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10 B2B-Produktpolitik

Abb. 10.17  Business Model Navigator. (Quelle: Bozem & Nagl, 2021, S. 30)

Um die Frage nach dem „Was“ detailliert zu beantworten, kann als Werkzeug das ebenfalls in enger Verbindung zum Konzept des Business Model Canvas stehende Value Proposition Canvas genutzt werden (siehe Abb. 10.18). Im Value Proposition Canvas beginnt das Vorgehen ganz rechts außen bei der Erfassung der elementaren Kundenaufgaben, dem, was der Kunde tagtäglich zu tun hat, um seinen Geschäftszweck zu erfüllen. Anschließend ist im Uhrzeigersinn zu hinterfragen, welche Probleme, Schwierigkeiten, Risiken, Fehler dabei entstehen und welche sogenannten ­Gewinne der Kunde im Rahmen der Erledigung der Aufgaben ziehen möchte. In allen drei Bereichen, Aufgaben, Problemen, Gewinnen, ist auf funktionale, aber auch soziale und emotionale Aspekte zu achten. Ebenso sind in allen die gefundenen Aspekte nach ihrer Wichtigkeit zu bewerten (vgl. Osterwalder et al., 2015, S. 39–49). Nach dieser Erfassung der Kundensicht wird anschließend auf der anderen Seite des Value Proposition Canvas überlegt, wie die bestehenden Probleme des Kunden gelöst und wie die Gewinne gesichert bzw. zukünftig erzeugt werden könnten. Um ein Verzetteln zu verhindern, sollte die Priorisierung aus der Kundensicht berücksichtigt werden (vgl. Osterwalder et al., 2015, S. 58–61). Um das Value Proposition Canvas zur Entwicklung neuer Angebote zu nutzen, erfolgt hier die eigentliche Kreativleistung. Die bisherigen Produkte und Dienstleistungen sollten außen vor bleiben und neue Ideen generiert werden, ggf. zunächst auch nur als verbal beschriebene Ansätze. Als vorläufig letzter Schritt kann am Ende ein Abgleich mit den bisher angebotenen Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens erfolgen, um zu prüfen, was davon, wenn auch in modifizierter Form, weitergenutzt werden kann und zu welchen Aspekten vollständig neue Lösungsansätze gefunden werden müssen. Entlang aller Schritte, auch der auf die Problemlösung und Gewinnerzeugung gerichteten, muss eine enge Rückkopplung mit den Kunden erfolgen. Dazu können die in Abschn.  10.2.2 erläuterten Ansätze verwendet werden. Auf dem Weg zur Realisierung der neuen Ideen folgt anschließend die Rückkehr zum Business Model Navigator. Dort werden nun das „Was (bieten wir diesen Kunden an)?“

10.3  Produktbegleitende Dienstleistungen und digitale Services zur Differenzierung …

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Abb. 10.18  Value Proposition Canvas. (Quelle: Strategyzer, o. J.; mit freundlicher Genehmigung der Strategyzer AG)

und das „Wie (stellen wir die Leistung her)?“ adressiert. Vielfach werden Unternehmen feststellen, dass sie nicht über die erforderlichen Ressourcen und das erforderliche Know-­ how verfügen. Bei radikal neuen Ansätzen wird sogar die Situation eintreten, dass völlig unklar ist, wie die aufgekommene Problemlösung oder Gewinnerzeugung überhaupt realisiert werden kann. Als Abhilfe greift an dieser Stelle ein weiteres Konstrukt der SDL, das der Service-Ökosysteme (vgl. Vargo & Lusch, 2014, S. 158–176). Service-Ökosysteme setzen beim klassischen Partner- und Netzwerkgedanken an, führen ihn jedoch weiter, auch wenn weder der Ökosystembegriff noch dessen Abgrenzung zu Netzwerken eindeutig definiert ist (vgl. Senn, 2020, S.  6–11). Grundsätzlich bestimmende Eigenschaften von Service-Ökosystemen sind jedoch 1. Interaktionen verschiedener, aber in gewisser Weise komplementärer Akteure mit ähnlichen Interessen, um gemeinsam ein Wertangebot (auf Basis digitaler Technologien, sofern es um digitale Service-Ökosysteme geht) zu entwickeln, wobei die Akteure eigene Zielsetzungen verfolgen und zugleich Kunden und Wettbewerber unter ihnen sein können; ihre Zusammensetzung kann sich jederzeit ändern, 2. das Schaffen koordinierender und wertschöpfender Strukturen, die institutionalisiert, aber auch informell und temporär sein können, und

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10 B2B-Produktpolitik

3. Dynamik und Evolution, sodass durch Interaktion im Zeitverlauf Änderungen sowohl der Strukturen als auch der Wertangebote resultieren können (vgl. Senn, 2020, S. 8–9; Vargo & Lusch, 2014, S. 169). Um das „Wie“ zu lösen, ist es erforderlich, einen sehr offenen Innovationsansatz zu verfolgen und sich ein Umfeld zu schaffen, in dem es grundsätzlich am Thema interessierte Akteure gibt, die in irgendeiner Weise Ideen, Know-how, Anregungen, Feedback usw. beisteuern können. Dies können alle externen Quellen aus Tab. 10.2 sein, wobei darauf zu achten ist, sich nicht nur im gewohnten Umfeld mit als normal akzeptierten Abläufen und Beziehungen, z. B. seiner eigenen Branche(nlogik), zu bewegen. Um das Umfeld richtig definieren zu können, sind weiterhin technologische und Trend-Entwicklungen zu berücksichtigen (vgl. Gassmann et al., 2021, S. 13–17, 34–47). Dabei sind diese nicht als reine Ausgangspunkte, die zu den relevanten Quellen führen, zu verstehen, sondern es wird dabei vor allem zu Beginn immer wieder Wechselwirkungen und neue Erkenntnisse geben, die das Aufgeben von vorherigen und die Suche nach neuen Ideen und Partnern mit sich bringen, so lange, bis sich der neue Dienstleistungsansatz zunehmend konkretisiert und dann in einem stabileren Netzwerk ausgestaltet werden kann. Am Ende geht es nicht darum, dass eine grundsätzlich revolutionäre Weltneuheit entstehen muss, sondern darum, auf bessere Weise Probleme zu lösen und höheren oder anderen Kundennutzen zu stiften, als dies zuvor möglich war. Im Ergebnis ändert sich die unternehmerische Wertkette wie in Abb. 10.19 oben links dargestellt: Produktion und Service verschmelzen miteinander zu einer Kernaktivität, die

Anbieter

Kunde Abb. 10.19  Service-Ökosysteme durch Servitization

10.4  Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase

289

auch einzelne oder sogar alle anderen Primäraktivitäten umfassen kann. Das gesamte Service-­Ökosystem entsteht durch neuartige Verknüpfungen mit den Kunden, z. B. über Datenplattformen, und Partner, die nicht nur im Hintergrund an den Anbieter angedockt sind, sondern ihrerseits Aktivitäten auf der Plattform entfalten, diese vielleicht sogar ­bereitstellen und managen, und ihrerseits im Kontakt zu den Kunden stehen. Und die Kunden sind nicht mehr ausschließlich Adressaten der Leistungen, sondern tragen ebenfalls zu Weiterentwicklungen im gesamten System bei. Der gesamte Prozess ist sehr komplex und zu den in Abb. 10.13 zusammengefassten allgemeinen Herausforderungen des Dienstleistungsmanagements kommen beim Verfolgen digitaler Servitization weitere hinzu, die auf den ersten Blick sogar prohibitiv wirken können und sorgfältig gemanagt werden müssen: 1. Das betroffene Unternehmen muss sich auf eine unternehmerische Neuorientierung einlassen (wollen); dies ist mit Risiken und organisatorischen Umstellungen verbunden. 2. Es gibt eine hohe Abhängigkeit von externen Partnern. 3. Die entstehende Lösung ist gegenüber den Kunden extrem erklärungs- und vertrauensbedürftig. 4. Know-how-Mangel beim Anbieter, aber auch bei Kunden muss überwunden werden. 5. Es besteht Investitionsbedarf. 6. Neue Preismodelle müssen entwickelt werden (die Frage „(Wie wird) Wert (erzielt)?“ wird in Abschn. 11.5 behandelt).

10.4 Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase In der Rückläufigkeitsphase am Ende des Produktlebenszyklus stellt sich unweigerlich die Frage, wie lange „ältere“ Produkte noch im Sortiment der Hersteller bleiben sollen. Im Vergleich zu Konsumgütermärkten ist diese Entscheidung schwieriger zu treffen, weil sie in stärkerem Maße die Kundensicht berücksichtigen muss. Wenn Produkte für Kunden strategische Bedeutung haben und sie ihre Geschäftsprozesse an sie angepasst haben, verursachen Änderungen größeren Aufwand. Gleichzeitig ist die Kundenbasis häufig viel kleiner, sodass bereits eine kleine Anzahl an unzufriedenen Kunden, die sich vom Anbieter abwenden, große Auswirkungen auf dessen Geschäftssituation haben kann. Nachfolgend werden zunächst die Gründe für Produkteliminierungen betrachtet. Dann wird die Auswahlentscheidung aus anbieterinterner Sicht mit der der Kundensicht abgeglichen, um am Ende mögliche Alternativen zum Umgang mit Produkteliminierungen aufzuzeigen.

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10 B2B-Produktpolitik

10.4.1 Gründe für Produkteliminierungen Gründe für Produkteliminierungen sind letzten Endes immer wirtschaftlicher Natur. Wenn absehbar ist, dass Absatz- und Gewinn- bzw. Deckungsbeitragsrückgänge dauerhaft sind, sollte über eine Herausnahme des betroffenen Produkts aus dem Sortiment nachgedacht werden. Dies sollte idealerweise proaktiv und rechtzeitig geschehen, bevor Gewinne/Deckungsbeiträge die Verlustzone erreichen. „Rechtzeitig“ ist natürlich ein r­ elativer Begriff: Biemans (2010, S. 163) gibt für die Umsetzung von Produkteliminationen Zeiträume von zwei Monaten bis zweieinhalb Jahre an. Zugrunde liegende Ursachen können neue Produkte oder Technologien sein, die selbst entwickelt oder von Wettbewerbern auf den Markt gebracht wurden, und dazu führen, dass die Zahlungsbereitschaft für die alten Produkte sinkt, sich immer mehr Kunden von ihnen abwenden und die Einführung der neuen Möglichkeiten einfordern. Auch sogenannte „Fragezeichen-Produkte“ gemäß der Marktanteils-­Marktwachs­ tums-­Produktportfoliomatrix können schnelle Produkteliminationen erforderlich machen (vgl. Bruhn, 2019, S. 74–75). Noch in der Einführungs- und frühen Wachstumsphase können stärkere Wettbewerber und fehlende Aussichten, sich dauerhaft gegen oder neben ihnen durchzusetzen, Profitabilität verhindern, sodass die Rückzugsoption zu wählen ist (vgl. Homburg & Prigge, 2009, S. 1). Im Vergleich zur Rückläufigkeitsphase ist hier der Kundenbestand noch gering, sodass die möglichen Probleme einer solchen Entscheidung weniger gravierend sein können. Dies gilt umso mehr, wenn viele der Anfangskunden bereits in den Entwicklungsprozess eingebunden und in diesem Zusammenhang auch über das Risiko einer nicht am breiten Markt erfolgreichen Innovation informiert waren. Die restlichen Kunden können direkt, diskret und individuell angesprochen werden (vgl. Biemans, 2010, S. 164). Schließlich gibt es bei besonders radikalen Innovationen die Möglichkeit, dass der Markt noch nicht reif für sie ist und nach anfänglichen Versuchen ersichtlich wird, dass die erforderlichen Markterschließungskosten höher als prognostiziert und prohibitiv werden (vgl. Kotabe & Helsen, 2004, S. 290). Durch konsequente Produkteliminierungen können auch versteckte Kostenblöcke, allgemein als „Komplexitätskosten“ von zu großen Sortimenten bezeichnet, reduziert werden (vgl. z. B. Homburg, 2020, S. 671; Backhaus & Voeth, 2014, S. 242; Werani & Prehm, 2006, S. 173). Zu diesen Komplexitätskosten gehören 1 . erhöhte Lagerbestände und damit Flächenbedarf und Verwaltungsaufwand, 2. eine Vielzahl an notwendigen Schulungen für Vertriebs- und Servicemitarbeiter, 3. Mehraufwand bei der Preisgestaltung und 4. höherer Bedarf an Produktionskapazitäten bzw. kleinere Losgrößen mit entsprechenden Kostennachteilen (vgl. Homburg, 2020, S. 672). Schließlich verhindert eine rechtzeitige Sortimentsbereinigung auch Verwirrung auf der Kundenseite und erhöhten Aufwand im Vertrieb. Wenn vermeintlich mehrere alte

10.4  Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase

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und neue Produkte zur Lösung derselben Probleme zur Auswahl stehen, kann es zu vermehrten Rückfragen im Vertrieb kommen, zu Kundenunzufriedenheit, wenn z.  B. im herstellereigenen Online-Shop durch den Kunden selbst versehentlich eine weniger gut geeignete Variante ausgewählt wird, oder direkt zu Abschreckung und Abwanderung von Kunden.

10.4.2 Anbietersicht Aus unternehmens- oder produktbezogener Sicht (vgl. Prigge, 2008, S.  4) sind zwei Kriteriengruppen zur Abwägung über Produkteliminierungen zu unterscheiden: . die rein auf das betroffene Produkt selbst bezogene Wirtschaftlichkeitsanalyse und 1 2. Verbundeffekte, die im Gesamtsortiment und -unternehmen entstehen können. Daneben kann es vorwiegend emotionale Gründe geben, aus denen Produkteliminierungen unterbleiben (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 242). So möchte man sich evtl. nicht vom „Gründungsprodukt“ des Unternehmens trennen, das Herz (und evtl. auch der Job) eines Produktmanagers hängt an seiner vormaligen Cash Cow, in die er viel Arbeit und Herzblut gesteckt hat, oder Kunden sollen gefühlsmäßig nicht verprellt werden, ohne dass dies näher hinterfragt wird. Soweit die nachfolgend betrachteten Fakten eindeutig für eine Herausnahme des Produkts sprechen, liegt dann vor allem eine Führungsaufgabe vor, um sie im Unternehmen durch- und umzusetzen.

10.4.2.1 Reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung Bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung wird die Frage beantwortet, ob ein Produkt (noch) Gewinn abwirft, wie hoch dieser ist und wie er sich entwickelt. Der Betrachtung der „echten“ Gewinngröße liegt der Ansatz der Vollkostenrechnung zugrunde. Dabei werden einem Produkt sämtliche durch es selbst verursachten Kosten (Einzelkosten, z.  B.  Material) sowie ein Teil des sogenannten „Overheads“ des Unternehmens (Gemeinkosten, z. B. Managementgehälter oder Mieten für Verwaltungsgebäude) zugerechnet und deren Summe wird vom erzielten Umsatz abgezogen (siehe linke Spalte in Tab.  10.5). Langfristig gesehen ist eine solche Betrachtungsweise insbesondere auf Tab. 10.5  Produktvoll- versus -teilkostenrechnung

Umsatz Einzel-/variable Kosten Anteilige Gemein-/Fixkosten = Gewinn/Verlust Deckungsbeitrag

Prod. 1 100 € 80 € 30 € -10 € 20 €

Prod. 2 200 € 160 € 30 € 10 € 40 €

Prod. 2 bei Elimin. Prod. 1 200 € 160 € 45 € -5 € 40 €

Prod. 3 200 € 110 € 30 € 60 € 90 €

Prod. 3 bei Elimin. Prod. 1 200 € 110 € 45 € 45 € 90 €

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10 B2B-Produktpolitik

Gesamtunternehmens- oder Bereichsebene sinnvoll, da langfristig alle anfallenden Kosten gedeckt werden müssen, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Für die Entscheidung über Produkteliminierungen ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Gemeinkosten üblicherweise anhand irgendwelcher als geeignet erachteter Schlüsselgrößen auf die einzelnen Produkte verteilt werden. Sie können eben nicht verursachungsgerecht zugeordnet werden, sondern es wird z.  B. angenommen, dass das ­Management eines Unternehmens seine Arbeitskraft entsprechend den Umsatzanteilen der einzelnen Produkte für diese einsetzt und somit die Managementgehälter gemäß den Anteilen der Produkte am Gesamtumsatz auf die einzelnen Produkte verteilt werden können.16 Neben den Umsatzanteilen könnte aber auch jede völlig andere, halbwegs plausible Verteilgröße gewählt werden. Wenn nun Produkt 1 in Tab. 10.5, weil es nach Vollkostenrechnung Verluste abwirft, eliminiert wird, entfällt ein großer Teil der Produkteinzelkosten17 (alle die, die unmittelbar mit der Entstehung des Produkts zu tun haben). Die anteiligen Gemeinkosten bleiben hingegen bestehen und müssen nun von den verbliebenen Produkten getragen werden. In Tab. 10.5 erhöhen sich somit die anteiligen Gemeinkosten für die Produkte 2 und 3 von vormals 30 auf 45 €. Eine Vollkostenrechnung führt nun zu zwei Effekten: 1. Zum einen erhöhen sich die Gesamtkosten für die Produkte 2 und 3 (hier um 15 €), da die Gemeinkosten von 90 € nun auf zwei statt auf drei Produkte umgelegt werden. Dies führt dazu, dass Produkt 2 nun ebenfalls Verluste macht und damit zum nächsten Kandidaten für eine Eliminierung würde. Damit müsste dann das verbleibende Produkt 3 sämtliche Gemeinkosten in Höhe von 90 € alleine tragen, würde auch Verluste schreiben und am Ende würde die Produktion komplett eingestellt werden. 2. Zum zweiten ist aber ersichtlich, dass der Umsatz von Produkt 1 zwar nicht seine (zugerechneten) Gesamtkosten decken kann, aber wenigstens die variablen Kosten, und nach Abzug der variablen Kosten vom Umsatz noch ein positiver Betrag (hier: 20 €) verbleibt. Dieser positive Betrag würde entfallen, wenn Produkt 1 eliminiert würde und

 Diese oft sehr ungenaue Schlüsselung kann durch eine Prozesskostenrechnung wesentlich verursachungsgerechter vorgenommen werden (vgl. Homburg, 2020, S. 1322–1325). Dies ändert jedoch nichts an der nachfolgenden Unterscheidung zwischen Voll- und Teilkostenrechnung und dem Deckungsbeitrag als kurzfristig relevanter Entscheidungsgröße. Deutlicher wird durch Prozesskostenrechnung jedoch, welche Fixkostenblöcke bei der Eliminierung eines bestimmten Produkts abgebaut werden können und über welche Zeiträume dies geschehen kann. 17  Bei Produktionsstopp eines Produkts entfallen die sogenannten variablen Kosten, wohingegen die fixen Kosten weiterbestehen. Auch wenn es fixe Einzel- (z. B. Gehalt eines nicht kurzfristig kündbaren Facharbeiters zur Veredelung des Produkts) und variable Gemeinkosten (z. B. Stromkosten einer ganzen Fertigungshalle mit Maschinen für verschiedene Produkte, deren Verbrauch nicht einzeln erfasst wird) gibt, ist vielfach ein großer Teil der Einzelkosten variabel und der Gemeinkosten fix (vgl. Macha, 2006, S. 33), sodass zur Vereinfachung eine Deckungsgleichheit dieser Kostentypen angenommen wird. 16

10.4  Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase

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der Gesamtgewinn über alle Produkte würde von vormals 60 € auf 40 € fallen. Nur auf Produkt 1 bezogen reicht der Umsatz zwar nicht, um die Fixkosten vollständig zu decken, aber immerhin, um einen Beitrag zu deren teilweiser Deckung (hier: 20 €) zu leisten. Daher wird diese Differenz zwischen Umsatz und variablen Kosten kostenrechnerisch als Deckungsbeitrag bezeichnet. In einer kurzfristigen Betrachtung ist es daher sinnvoll, ein Produkt nicht zu eliminieren, solange es nach der sogenannten Teilkostenrechnung noch einen positiven Deckungsbeitrag abwirft. Kurzfristig bezieht sich dabei auf den Zeitraum, der notwendig ist, um die Fixkosten zu reduzieren, z.  B.  Kündigungsfristen von Arbeits- oder Mietverträgen für nicht mehr benötigtes Personal oder Räumlichkeiten.

10.4.2.2 Verbundeffekte Neben der Betrachtung des einen betroffenen Produkts sollten bei einer Eliminierungsentscheidung Verbundeffekte, d. h. Ausstrahlungen auf andere Produkte oder sogar das gesamte Unternehmen berücksichtigt werden. Dazu gehören 1. Sortimentseffekte (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 148–149) • So öffnet ein bisheriger Vollsortimenter durch Produkteliminierungen evtl. Wettbewerbern die Tür, weil Kunden plötzlich gezwungen sind, einzelne Produkte woanders zu beziehen. • Sofern das betroffene Produkt gebündelt mit anderen Produkten oder Dienstleistungen verkauft wird und diese und somit die gesamten Bündel profitabel sind, sind die dadurch erzielbaren Erträge den Kosteneinsparungen durch Eliminierung gegenüberzustellen. • Mitunter gibt es unprofitable strategische Einstiegsprodukte für Neukunden, deren Verluste sich im Zeitablauf durch Up- und Cross-Selling-Aktivitäten amortisieren. 2. Imageeffekte für das Gesamtunternehmen (vgl. Kotabe & Helsen, 2004, S. 291; Homburg & Prigge, 2009, S. 3; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 149) • Kunden mögen Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Anbieters bekommen und befürchten, dass es sie selbst zukünftig erneut oder erstmals auch „erwischen“ kann, wenn weitere Produkte gestrichen werden. • Aus einem Imagewandel vom Voll- zum Teilsortimenter kann für Kunden oder Interessenten die Frage resultieren, ob dieser Anbieter (noch) der richtige und einzig kompetente Ansprechpartner für alles rund um ein bestimmtes Thema ist. • Abhängig vom Umsatzanteil des betroffenen Produkts können sich Auswirkungen auf Finanzkennzahlen ergeben, die wiederum Reaktionen von Interessengruppen wie Investoren/Kreditgebern nach sich ziehen. • Bei einer notwendigen Entlassung von Mitarbeitern können negative Auswirkungen auf die „Employer Brand“ oder allgemein die zukünftige Attraktivität als Arbeitgeber die Folge sein.

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10 B2B-Produktpolitik

3. Kapazitätseffekte (vgl. Prigge, 2008, S. 8) Zumindest bei nicht sofortigem und nicht vollständigem Ersatz des zu eliminierenden Produkts sind vorhandene Kapazitäten nicht mehr vollständig ausgelastet. Dies betrifft allgemein die bereits erwähnte Gemeinkostenproblematik. Mindestens in Bezug auf Mitarbeiterkapazitäten zieht dies jedoch mögliche weitere Effekte wie arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen oder Abfindungszahlungen nach sich.

10.4.3 Kundensicht Auswirkungen von Produkteliminierungen auf B2B-Kunden können erheblich gravierender sein als auf Konsumgütermärkten. Vielfach sind Vorprodukte für B2B-Kunden und deren Fertigungsprozesse extrem wichtig und (kurzfristig) schwer zu ersetzen (vgl. Homburg & Prigge, 2009, S. 3; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 143). Es mag nur wenige mögliche Lieferanten geben, die Produkte können, wie im Zuliefergeschäft, maßgeschneidert gefertigt sein oder es können, wie im Systemgeschäft, technische oder ästhetische Lock-in-Effekte über längere Zeiträume bestehen. Neben dem eigentlichen Produkt werden nach Erstinstallation zudem über die gesamte Nutzungsdauer Ersatzteil- und Serviceleistungen benötigt, die von einer Produkteliminierung genauso betroffen sein können (vgl. Biemans, 2010, S. 163). Wenn diesen Kunden keine zufriedenstellenden Lösungen angeboten werden, droht ihre Abwanderung, die u. U. vollständig erfolgt, d. h. auch in Bezug auf andere vom Anbieter bisher bezogene Produkte und Leistungen. Homburg und Prigge (2009, S. 2) fanden empirisch heraus, dass 15 % der von Eliminierungen betroffenen Kunden die Geschäftsbeziehung zum vormaligen Anbieter abbrechen. Die Angst vor negativen Kundenreaktionen ist daher auch das größte Hemmnis, Produkteliminierungen durchzuführen (vgl. Homburg & Prigge, 2009, S. 12). Zudem können die bereits beschriebenen Imageauswirkungen auf zukünftige Geschäfte mit den Betroffenen, aber auch weiteren Unternehmen aus den Zielsegmenten resultieren.

10.4.4 Abgleich der Perspektiven und Alternativen Während die reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sehr objektiv und rational erfolgen kann, sind die Komplexitätskosten und ein Großteil der Verbundeffekte und möglichen Kundenreaktionen schwerer zu greifen. Immerhin ist bei den Komplexitätskosten eine Quantifizierung grundsätzlich möglich, wenn auch  – zumindest, wenn keine Prozesskostenrechnung im Unternehmen durchgeführt wird – aufwändig. Die Verbundeffekte erlauben hingegen vielfach nur qualitative und subjektive Einschätzungen. Gleichwohl sollten sie aber, z.  B. über standardisierte Checklisten und Bewertungsskalen, nicht nur

10.4  Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase

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zufällig und willkürlich, sondern in Form einer Nutzwertanalyse in die Entscheidungsfindung einfließen und den Fakten der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung gegenübergestellt werden. Insbesondere die befürchteten negativen Kundenreaktionen sollten im Dialog mit den Kunden selbst verifiziert werden. Sonst ist zu befürchten, dass sie emotional und intransparent übergewichtet werden, wenn denn überhaupt eine Diskussion über einzustellende Produkte zugelassen wird (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  242). Gerade im B2B-Bereich können die Kunden, die selbst Geschäftsleute sind, die Notwendigkeit von Produktstreichungen i. d. R. nachvollziehen. Um der Komplexität der Entscheidungsfindung Rechnung zu tragen, wird die Einrichtung eines abteilungsübergreifenden „Produktüberprüfungskomitees“ empfohlen, dem Vertreter aus Marketing, Produktion und Controlling angehören (vgl. Werani & Prehm, 2006, S. 174). Wichtig ist, dass diese Gruppe regelmäßig, z. B. einmal im Jahr, und bei akutem Bedarf kurzfristig zusammenkommt. Außerdem sollten – zumindest an den entsprechenden Stellen im weiteren Prozess – Vertreter auch anderer Bereiche, wie Vertrieb und Personal, ebenso wie betroffene Kunden einbezogen werden. Dieses Komitee hat die Aufgabe, regelmäßig die Datengrundlage und die Auswertemethodik kritisch zu überprüfen und ggf. anzupassen. Ebenso sind fortlaufend die relevanten Daten zu sammeln und auszuwerten. Auf deren Basis sind Empfehlungen abzuleiten, der Managementebene (Geschäftsführung, Abteilungsleitungen) vorzuschlagen und es ist dafür zu sorgen, dass es zu Entscheidungen und deren Umsetzung kommt (vgl. Werani & Prehm, 2006, S. 174; Backhaus & Voeth, 2014, S. 243). 1. Neben dieser organisatorischen Verankerung (vgl. Homburg & Prigge, 2009, S.  30–31) gibt es die folgenden Möglichkeiten, Auswirkungen für Kunden abzumildern oder zu vermeiden, die durch die beschlossenen Produkteliminierungen entstehen. Unter Berücksichtigung der Markt- und Wettbewerbssituation sowie der Position im Produktlebenszyklus kann durch • Preiserhöhungen des betroffenen Produkts und/oder • Kostensenkungen versucht werden, eine Eliminierung zu vermeiden und das Produkt, zumindest für einen verlängerten Zeitraum, doch profitabel im Angebotsportfolio zu behalten (vgl. Kotabe & Helsen, 2004, S. 292; Biemans, 2010, S. 164). 2. Auch ohne fortgesetzte eigene Produktion kann das Produktangebot aufrechterhalten werden, indem Maschinen und Restbestände an Produkten und Ersatzteilen an andere Hersteller verkauft oder lizenziert werden und auch für das Servicegeschäft entsprechende Partner gefunden und ggf. geschult werden (vgl. Biemans, 2010, S. 163; Kotabe & Helsen, 2004, S. 292). 3. Die letzte Möglichkeit ist, das Produkt nur von bestimmten Teilmärkten zu nehmen, z. B. in einzelnen Ländern oder für spezielle Kundensegmente. Auch dies kann das Ergebnis einer detaillierten Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sein. Unterschiedliche

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Profitabilität zwischen verschiedenen Ländern kann z. B. durch Transportkosten, Einfuhrzölle oder Provisionen lokaler Distributionspartner gegeben sein. Unterschiedliche Profitabilität zwischen Kundensegmenten kann z.  B. aus gewünschten Produktvarianten, Zusatzausstattungen oder Zahlungsbereitschaften resultieren. Gerade im internationalen Geschäft kann einzelnen Kunden das Produkt gegen erhöhte Transportkosten auch aus anderen Ländern zur Verfügung gestellt werden. Kleinen speziellen Segmenten kann ebenso gegen dann deutlich erhöhte Produktions- und Bereitstellungskosten das Produkt in Einzelabsprache als Sonderanfertigung angeboten werden, auch wenn es offiziell längst aus dem Sortiment gestrichen wurde (vgl. Biemans, 2010, S. 163–164). 4. Sollte dies alles nicht möglich sein bzw. gibt es je nach Lösung doch von der Eliminierung betroffene Kunden, besteht die Wahl zwischen zwei weiteren Alternativen: Entweder der sofortigen Produkteinstellung ohne oder der langsamen, graduellen ­Einstellung mit Vorwarnzeit für die Kunden. Während im Produktgeschäft Ersteres eine realistische Option sein kann, empfiehlt sich in allen anderen Geschäftsarten aus den genannten Gründen der langsame Ausstieg. Dabei bekommen die Kunden rechtzeitig eine Information und Zeit, interne Änderungen vorzunehmen und sich auf neue Produkte einzustellen, ggf. auch durch das temporäre Parallelangebot des alten und neuen Produkts. Letzteres hängt natürlich stark von den Produktionsmöglichkeiten des Anbieters und der Verfügbarkeit eines Nachfolgeprodukts ab (vgl. Biemans, 2010, S.  163–164). Die rechtzeitige Information und das Einräumen einer Übergangszeit identifizieren Homburg und Prigge (2009, S. 36–39) als aus Kundensicht am wichtigsten, vor der Erläuterung der Gründe und deren Nachvollziehbarkeit. Um diesen sukzessiven Ausstieg zu unterstützen, können den Kunden (je nach Situation beim Kunden differenziert zu betrachten) • finanzielle Anreize zum Umstieg auf das neue Produkt, z.  B. attraktive Sonderkonditionen, gegeben, • im Produktgeschäft bei Neu- und Nachbestellungen, auch wenn die alten bestellt worden waren, direkt die neuen Produkte ausgeliefert und/oder • Unterstützung bei und Übernahme von Kosten für Änderungen angeboten werden (vgl. Homburg & Prigge, 2009, S.  41; Biemans, 2010, S.  164). Die größte Wichtigkeit hat dabei die problemlose Integration der neuen Produkte in die Prozesse beim Kunden (vgl. Homburg & Prigge, 2009, S. 42–43). Unter dem Strich ist festzuhalten, dass Produkteliminierungen sorgfältig analysiert, geplant und durchgeführt werden müssen, und alleine eine befürchtete negative Kundenreaktion kein Grund gegen sie sein sollte.

10.4  Produkteliminierung in der Rückläufigkeitsphase

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Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Wie lassen sich die vier Geschäftstypen des B2B-Marketings voneinander unterscheiden? Welche Relevanz hat diese Einteilung für Marketingaktivitäten eines Anbieters? 2. Wie lassen sich investive Dienstleistungen in die Geschäftstypsystematik einordnen? 3. Worin unterscheiden sich produktbegleitende von investiven Dienstleistungen? Was sind ihre Gemeinsamkeiten? Geben Sie für beide Dienstleistungsarten Beispiele. 4. Was besagt der Lock-in-Effekt und bei welchem/n Geschäftstypen kann er auftreten? 5. Benennen Sie jeweils vier interne und externe Quellen für Neuproduktideen. Was sind ihre Vor- und Nachteile? 6. Erläutern Sie, worum es in der Phase der Ideenprüfung geht und welche Aspekte dabei gegeneinander abzuwägen sind. 7. Ist es besser, auf Hightech-Märkten ein Pionieranbieter oder ein schneller Folger zu sein? Warum? 8. Erläutern Sie, was unter Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern bzw. -eigenschaften zu verstehen ist und welche Relevanz diese für Marketingaktivitäten eines Anbieters haben. 9. Professionelle Callcenter sind B2B-Dienstleister. Erläutern Sie, in welche der drei Kategorien – Such-, Erfahrungs- oder Vertrauensgüter – ihre Dienstleistungen fallen! 10. An welche Art von Zielgruppe sollten sich Anbieter von radikalen Innovationen gemäß den Modellen von Rogers und Moore wenden, um den breiten Markt zu erreichen? Was halten Sie von diesen Empfehlungen? 11. Wie unterscheidet sich der Lead-User-Ansatz vom Quality Function Deployment der Neuproduktentwicklung? 12. Was sind Nachteile klassischer Innovationsprozesse und wie kann ihnen entgegengewirkt werden? 13. Als ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Markteinführung von Innovationen im B2B gilt, deren Auswirkungen auf das gesamte nachfolgende Wertsystem (Verknüpfung der Wertketten der nachgelagerten Marktstufen) zu betrachten. Erläutern Sie dies anhand selbst gewählter Beispiele. 14. „Produktbegleitende Dienstleistungen können der Kundenbindung dienen, weil sie aus einem Produktgeschäft eine Systemlösung machen.“ Nehmen Sie Stellung zu dieser Aussage. 15.  Erläutern Sie den Begriff der „Servitization“. Was ist unter einem Service-­ Ökosystem zu verstehen?

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10 B2B-Produktpolitik

16. Ein innovativer, akkubetriebener Unkrautjätroboter eines Landtechnikherstellers kann mithilfe von GPS-Signalen, diversen Kameras und Künstlicher Intelligenz das mühselige manuelle Unkrauthacken auf Gemüsefeldern zielgenau und vollautomatisch erledigen. Und dies nicht nur zwischen den Pflanzenreihen, sondern auch zwischen den einzelnen Salatköpfen, Paprika- oder Knoblauchpflanzen. Damit ist er nicht nur ergonomisch ein Gewinn, sondern auch ökologisch: Durch die mechanische Unkrautvernichtung kann der Landwirt aufs Giftspritzen verzichten. Erstellen Sie für diese Innovation ein Value Proposition Canvas. Welche Stufe der Servitization (1, 2, 3a, 3b) wird damit angesprochen? 17. Warum ist die Durchführung von Produkteliminierungen auf B2B-­Märkten sorgfältig zu planen?

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11

B2B-Preispolitik

Lernziele

• Sie kennen die für die Preispolitik relevanten Besonderheiten des B2B-­Marketings in Abgrenzung zum Konsumgütermarketing und können sie in Bezug auf die B2B-Geschäftstypen einordnen. • Sie können spezifische Methoden zur B2B-Preisbildung unter Unsicherheit und zur Preissicherung anwenden. • Sie sind in der Lage, Prinzipien der Vorgehensweise bei Ausschreibungen und Auktionen nachzuvollziehen und zu beachten. • Sie können die Wichtigkeit der Orientierung am Wert für den Kunden einschätzen und berücksichtigen. • Sie sind imstande, innovative Preismodelle kritisch einzuordnen und entlang der Servitization-Stufen auszuwählen. • Sie erkennen die Wichtigkeit einer Strukturierung von Rabatten und können einen Kriterienkatalog anwenden, mit dem ein Rabattsystem ausgestaltet werden kann. • Sie wissen um die Bedeutung von Preismanagement-Software und lernen, notwendige Voraussetzungen für deren Einsatz zu prüfen und deren Auswahl und Einführung zu begleiten. • Sie können grundlegende Möglichkeiten der Absatzfinanzierung unterscheiden.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_11].

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_11

305

306

11 B2B-Preispolitik

11.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Preispolitik Grundsätzlich gelten auf B2B-Märkten dieselben Preisfindungsmechanismen wie im Konsumgüterbereich. Sie lassen sich in kosten-, wettbewerbs- und nachfrageorientierte Preisbildungsmodelle unterteilen. Auch die beiden Optionen der zeitlichen Preisdifferenzierung, Skimming Pricing und Penetration Pricing, sind anwendbar. Dennoch ergeben sich in Verbindung mit den in Abschn. 10.1 dargelegten Geschäftstypen (siehe Abb.  10.1) wesentliche Besonderheiten, denen bei der B2B-Preisbildung Rechnung zu tragen ist. Selbstverständlich müssen auch im B2B-Geschäft zumindest mittel- bis langfristig alle Kosten gedeckt werden, sodass eine kostenorientierte Preisberechnung als Basis und zur Bestimmung der Preisuntergrenze unerlässlich ist. In Abschn. 10.4.2.1 wurde bereits auf die Unterscheidung zwischen Voll- und Teilkosten hingewiesen. Wie im Konsumgütermarketing kann es insbesondere im standardisierten Produkt- und Systemgeschäft aufgrund der Homogenität der Produkte, hoher Preistransparenz und der Existenz von Niedrigpreisanbietern dazu kommen, dass die eigenen Kosten reduziert werden müssen, was an dieser Stelle nicht weiter thematisiert wird. Deutlich andere kostenorientierte Überlegungen sind jedoch beim Zuliefer- und Projektgeschäft relevant. Bei beiden entstehen lange Vertrags-/Projektlaufzeiten, beim Zuliefergeschäft durch die fortgesetzten Verbundkäufe, beim Projektgeschäft durch die langen Vorlauf-, Realisierungs- und Betriebszeiten (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 355). Diese bergen für den Anbieter das Risiko, dass sich zwischen Angebotsabgabe und Projektrealisierung bzw. im Verlauf der Dauerlieferbeziehung die Einstandspreise für benötigte Vorprodukte und -leistungen erhöhen. Hier ist zu überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, den Kunden an solchen Erhöhungen zumindest teilweise – und dann auch nicht überraschend – zu beteiligen. Weiterhin besteht bei diesen beiden Geschäftsarten die Herausforderung, dass durch die hochgradig individuelle und innovative Lösungserstellung benötigte Leistungen und deren Umfang zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe u. U. nicht vollständig bekannt sind. Dies erfordert Ideen zu deren Abschätzung, sodass spätere unliebsame Kostensteigerungen, die durch den Angebotspreis nicht abgedeckt sind, vermieden werden. Diese beiden Aspekte bzgl. des Zuliefer- und Projektgeschäfts werden in Abschn. 11.2 behandelt. Im Produktgeschäft liegt ähnlich wie auf vielen Konsumgütermärkten durch das Internet eine hohe Preistransparenz für die Nachfrager vor. Sie resultiert aber weiterhin auch durch die im B2B-Einkauf üblichen Ausschreibungen oder direkten Aufforderungen zur Angebotsabgabe an mehrere Anbieter, bei denen bei stark standardisierten Produkten das

11.1  Relevante Besonderheiten der B2B-Preispolitik

307

niedrigste Preisgebot den Zuschlag erhält. Dabei muss ein Anbieter im Vorfeld abschätzen, welche Preise vermutlich von der Konkurrenz geboten werden. Ein Verfahren dazu, das „Competitive Bidding“, wird in Abschn. 11.3.1 ebenso vorgestellt wie der Ablauf von Online-Einkaufsauktionen. Zum Zweck der Reduktion der Preisvergleichbarkeit wird auf Preisbündelung eingegangen. Auch im Zuliefer- und Projektgeschäft werden Aufträge durch Ausschreibungen vergeben, aber grundsätzlich ist durch die dort notwendige kundenspezifische Lösungskonfiguration ein nachfrageorientierter Pricing-Ansatz zu verfolgen. Er sollte sich am spezifisch generierten Mehrwert für den Kunden orientieren, der zunächst zu identifizieren und zu quantifizieren ist. Außerdem müssen der gesamte Nutzungszyklus des Produkts und die in dessen Verlauf beim Kunden entstehenden Gesamtkosten („Total Costs of Ownership“) betrachtet werden, die bei den wenigsten Konsumgütern von Bedeutung sind. Dies erfolgt in Abschn. 11.4. Die immer im direkten Kundenkontakt relevanten und daher im B2B typischen Preisverhandlungen werden nicht eingehender betrachtet. Innovationen durch Servitization erfordern und ermöglichen innovative Preismodelle. Möglichkeiten dazu werden in Abschn. 11.5 aufgezeigt. Eng mit digital basierten Preisbildungsmodellen verbunden ist eine automatisierte Preisbildung. Diesbezüglich noch Nachholbedarf im B2B zeigt eine von der Unternehmensberatung Bain durchgeführte Studie aus dem Jahr 2018. Von den global befragten hochrangigen Managern von 1700 Unternehmen gaben 85  % an, Verbesserungsmöglichkeiten bei Preisentscheidungen in ihren Unternehmen zu sehen (vgl. Kermisch & Burns, 2018, S. 1). Als einer von drei Hauptgründen wurden fehlende, auch softwarebasierte, Marktdatenanalysen als Grundlage für Preisentscheidungen angeführt. Auf die daten- und softwaregestützte Preisbildung, von der 2020 nur 38  % der Unternehmen Gebrauch machten (vgl. EPP, 2020), wird in Abschn. 11.7 eingegangen. Abschn. 11.6 und 11.8 greifen die im B2B-Geschäftsverkehr gebräuchlichen Lieferund Zahlungsbedingungen auf, die in Form und Umfang so auf Konsumgütermärkten nicht anzutreffen sind. Dazu gehört zum einen die Rabattpolitik, zum anderen die Absatzfinanzierung. So ist z. B. kaum ein Landwirt oder Lohnunternehmer in der Lage, einen mittleren sechsstelligen Betrag für einen neuen Mähdrescher vollständig bei Auslieferung zu bezahlen. Angesichts der Auftragsvolumina von B2B-Transaktionen ist daher die Absatzfinanzierung ein wesentliches Marketinginstrument. Damit einhergehend wächst aber gleichzeitig die Notwendigkeit der Absicherung gegen verzögerte Zahlungseingänge, Ausfälle und eigene Liquiditätsengpässe. Abb. 11.1 fasst alle aufgeführten Besonderheiten zusammen.

308

11 B2B-Preispolitik

Preisverhandlungen

Systemgeschäft

Daten-/ softwaregestützte Preisbildung

Zuliefergeschäft

Preisbildung bei standardisierten Produkten • Ausschreibungen • Börsen • Oligopole Rabattpolitik gegenüber dem Handel

Unsicherheit über • Leistungsumfang • Kostenentwicklung Nutzenorientierung bei Individualanfertigungen

Produktgeschäft

Zahlungs- und Lieferbedingungen • Rabattpolitik • Absatzfinanzierung

Projektgeschäft Innovative Preismodelle durch Servitization

Abb. 11.1  Besonderheiten der B2B-Preis- und Konditionenpolitik

11.2 Kostenorientierte Preisbildung Bei der kostenorientierten Preisbildung geht es i. d. R. um die Kalkulation der Preisuntergrenze (vgl. Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S.  138). Dabei gibt es im B2B-Marketing Herausforderungen, sobald kundenindividuelle Aufträge kalkuliert werden müssen, wie dies im Zuliefer- und Projektgeschäft regelmäßig der Fall ist. Durch technologischen Fortschritt oder unterschiedliche Einsatzorte und -zwecke der Individuallösungen lassen sich diese nicht direkt mit ähnlichen Projekten aus der Vergangenheit vergleichen. So nahmen Hersteller von Scheinwerfern für die Automobilindustrie in der Vergangenheit den Wandel von traditionellen Halogen- zu Xenon- zu LED-Scheinwerfern vor und müssen im Detail für jeden Fahrzeugmodelltyp auch Anpassungen z. B. an Designvorstellungen der Autohersteller vornehmen. An eine Meerwasserentsalzungsanlage, die in der Äquatorzone errichtet werden soll, werden andere Anforderungen gestellt als an eine, die am Meeresrand der nordsibirischen Tundra zu installieren ist. Gleiches gilt auch für das Angebot von Dienstleistungen, bei denen zwar die wesentliche Kostenkomponente „Personentage“ sind, aber neben deren projektspezifischem Umfang auch nach unterschiedlichen Personenarten und deren Leistungssätzen unterschieden werden muss (z.  B.  Software-

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

309

programmierer, Ingenieure, Servicetechniker). Insofern stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, diese Unsicherheit über erforderliche Leistungen oder den Leistungsumfang im Vorfeld bei der Preisbestimmung zu berücksichtigen. Die zweite Herausforderung bezieht sich auf teilweise stark schwankende und kaum zu prognostizierende Einstandskosten von benötigten Vorprodukten und -leistungen. So hat sich z. B. der Preis von Aluminium, das u. a. für den Karosseriebau in der Automobilindustrie benötigt wird, von April 2020 bis Oktober 2021 ungefähr verdoppelt (vgl. finanzen.net, 2021). Auch die Kosten für Arbeit können sich im Zeitablauf ändern. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern sind Lohnsteigerungen mit steigendem Wohlfahrtsniveau zwar zu erwarten, aber nicht exakt zu prognostizieren. So schwanken bspw. in Bulgarien die jährlichen Steigerungsraten der Nominallöhne seit 2010 erratisch zwischen 3,4 % und 11,2 % (vgl. Statista, 2021a).

11.2.1 Preisbildung bei Unsicherheit über Leistungen und Leistungsumfang Um die für einen Auftrag benötigten Leistungen und deren Umfang abzuschätzen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man orientiert sich an ähnlichen Aufträgen aus der Vergangenheit oder man versucht, z. B. auf Basis von Erkenntnissen aus dem Innovationsprozess, die benötigten Leistungen und Mengengerüste systematisch neu zusammenzustellen.

11.2.1.1 Vergangenheitsorientierte Preisbildungsmethoden Grundlage für alle vergangenheitsbasierten Kalkulationsmethoden ist eine vollständige Dokumentation der bisherigen Projekte inklusive Nachkalkulation. In der Nachkalkulation werden nach Abschluss eines Projekts die tatsächlich angefallenen Kosten mit den ursprünglich geplanten und im Angebot abgegeben verglichen. Ziel ist, Ursachen für große Abweichungen ausfindig zu machen, um in der Zukunft besser kalkulieren zu können (vgl. Plinke & Rese, 2006, S.  195–196). Zu den vergangenheitsorientierten Methoden gehören 1. 2. 3. 4.

der Modifikationspreisansatz, die Materialkostenmethode, die Kilokostenmethode und die Einflussgrößenmethode.

Der Modifikationspreisansatz ist das einfachste Verfahren, das kaum als solches zu bezeichnen ist. Auf Basis ähnlicher Projekte aus der Vergangenheit und unter Einbeziehung von Änderungen (Modifikationen) im vorliegenden Projekt werden die Gesamtkosten von den Projektverantwortlichen grob und subjektiv geschätzt. Notwendige Anpassungen können sich z.  B. durch Änderungen in äußeren Rahmenbedingungen wie Inflationsraten,

310

11 B2B-Preispolitik

Zinssätzen oder Wechselkursen, beim Anbieter selbst, wie Erfahrungskurveneffekte oder Einkaufsrabatte, oder durch Modifikationen des Projekts, z. B. geringere Kapazität einer Maschine oder Einsatz in anderen Klimazonen, ergeben (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 387). Der Nachteil des Ansatzes liegt in seiner Definition: Grobe Schätzungen können eben nur grob richtig sein. Vor allem, wenn sich mehrere Faktoren verändern, können die Ergebnisse die Realität i. d. R. nicht zuverlässig abbilden. In vielen Situationen nur wenig erfolgversprechender ist die Materialkostenmethode. Sie geht von einem aus einer größeren Zahl vergangener Projekte berechneten und kon­ stanten Verhältnis von Materialkosten zu Lohnkosten zu Fertigungsgemeinkosten aus, sodass es ausreicht, die Material- oder Lohnkosten für ein neues Projekt zu bestimmen, um daraus die Gesamtkosten hochzurechnen (vgl. Plinke & Claßen, 2013, S.  105–106). ­Insbesondere im stark variablen Projektgeschäft kann ein solch konstantes Verhältnis aber nicht angenommen werden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 387). Dann führt der Ansatz in die Irre. Exakter, weil basierend auf Zahlengerüsten der Vergangenheit, können die Kosten mit der Kilokosten- und der Einflussgrößenmethode kalkuliert werden. Über die Herkunft des etwas sperrigen Begriffs ist nichts bekannt, aber vorstellbar ist, dass die Kilokostenmethode der Zeit entstammt, als deutsche Maschinen- und Anlagenbauer überwiegend Eisen und Stahl beim Kunden installierten.1 Über das insgesamt verbaute Gewicht ließen sich die Gesamtkosten einer Anlage in durchschnittliche Kosten pro Kilogramm oder Tonne Eisen oder Stahl herunterrechnen. Für Folgeprojekte war nur noch interessant, wie schwer die Anlage vermutlich werden würde, und durch Multiplikation des Kilo- oder Tonnen-­Kostensatzes mit dem prognostizierten Gewicht ergaben sich die Kosten für die geplante neue Anlage. Auch in der heutigen Zeit ist das Prinzip der Kilokostenmethode immer noch anwendbar. Es geht darum, den einen Hauptkostentreiber einer zu erstellenden Leitung zu identifizieren und die Gesamtkosten auf diesen umzulegen. Wenn er aufgrund eindeutiger technischer Zusammenhänge für einen Anbieter oder sogar eine ganzen Branche bekannt ist,2 ist das Verfahren theoretisch sehr einfach: Es muss schlicht über alle vergangenen Projekte ein Durchschnittswert „Gesamtkosten pro Einheit der Bezugsgröße“ gebildet werden, der dann mit dem im aktuellen Projekt entstehenden Wert multipliziert wird. Problematisch ist, dass bei großer Streuung der Gesamtkosten pro Bezugsgrößeneinheit bei vergangenen Projekten dieser eine Durchschnittswert über alle Projekte ein ungenauer Indikator ist. In

 Im Englischen wird der Begriff „Parametric Cost Estimating“ verwendet (vgl. PMI, 2017, S. 200–201, 244), wobei sich „parametric“ auf die zu schätzenden Projektparameter, sprich: Kostenkomponenten bezieht. 2  Plinke und Claßen (2013, S. 101–102) führen z. B. „Meter Walzstraße“ bei Kaltwalzwerken, maximale „Tagestonnen-Leistung“ bei Zementfabriken oder „Megawatt“ Nennleistung bei Kraftwerken als übliche Bezugsgrößen an. Für Dienstleistungen werden häufig Personenstunden oder -tage verwendet. 1

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

311

so einem Fall sollte stattdessen eine Regressionsanalyse durchgeführt werden, um den Zusammenhang exakter zu bestimmen (vgl. Plinke & Claßen, 2013, S. 102–105). In Abb. 11.2 ist für 15 Projekte der Vergangenheit der Zusammenhang zwischen dem Hauptkostentreiber und den Gesamtkosten geplottet. Bei den Projekten variierten die Gesamtkosten pro Einheit des Hauptkostentreibers zwischen 0,92 und 1,63 Mio. €, im Durchschnitt betrugen sie 1,23 Mio. €. Die steile Kurve DK beschreibt nun die geschätzten durchschnittlichen Gesamtkosten für verschiedene Werte des Kostentreibers, beginnend bei 6 * 1,23 € = 7,38 € für 6 Einheiten des Kostentreibers bis zu 13 * 1,23 € = 15,99 € für 13 Einheiten des Kostentreibers. Wie zu erkennen ist, gibt sie die Ist-Kosten für einige mittlere Projekte recht gut an, unterschätzt sie jedoch für kleine und überschätzt sie für große Werte des Kostentreibers. Die mathematisch optimale und auch optisch deutlich bessere Anpassung gelingt durch eine Regressionsanalyse, deren Resultat die gepunktete Regressionsgerade mit der ­angegebenen Funktion „y = 0,6139x + 5,249“ ist. Sie gibt die bestmöglichen Schätzwerte 16,0

DK Regressionsgleichung: y = 0,6139x + 5,249

14,0

Gesamtkosten [i n Mi o. EUR]

12,0

G(KT=10)=11,39

10,0

8,0

6,0

4,0

2,0

0,0

0,0

2,0

4,0

6,0

8,0

10,0

Haupt-Kostentreiber Abb. 11.2 Kilokostenmethode

12,0

14,0

16,0

[in relevanter Dimension]

18,0

20,0

312

11 B2B-Preispolitik

der Gesamtkosten für jeden Wert des Haupt-Kostentreibers an. Ist nun bekannt oder zu berechnen, dass das kommende Projekt bzgl. des Hauptkostentreibers den Wert 10 annehmen wird, ergeben sich die daraus resultierenden Gesamtkosten sowohl grafisch (Punkt G(KT = 10) ≈ 11,5) als auch rechnerisch durch Einsetzen dieses Werts in die Regressionsgleichung (y = 0,6139 * 10 + 5,249 = 11,39). Bevor dieser Wert nun aber als die Wahrheit über die zukünftigen Kosten ins Angebot für den Kunden eingetragen wird, sind mehrere Dinge zu berücksichtigen: 1. Die sich durch die Gerade und Geradengleichung ergebenden Werte sind Schätzwerte. Wie in der Abbildung zu erkennen ist, weichen die tatsächlichen Werte der Vergangenheit teilweise recht deutlich von der Geraden ab. Dies sollte analysiert werden, um dann, wie beim Modifikationspreisansatz, zusätzliche Überlegungen über die ­Besonderheiten des neuen Projekts anzustellen und entsprechende Aufschläge oder Abzüge vorzunehmen. 2. Sofern nicht nur mit variablen Einzelkosten gerechnet wurde, muss geprüft werden, welche Gemeinkostenverteilung den Vergangenheitswerten zugrunde lag und ob diese auch für das zukünftige Projekt beibehalten werden kann. 3. Die Regressionsgerade ist in der Grafik nur für die Spanne an Werten des Haupt-­ Kostentreibers eingezeichnet, die in der Vergangenheit tatsächlich realisiert wurden. Da das Regressionsmodell nur mit diesen Daten „gefüttert“ wurde, gilt es auch nur für diese Spanne. Hat nun ein neues Projekt sehr kleine oder sehr große Werte der unabhängigen Variablen, z. B. 2 oder 24, können diese nicht ohne weitere sachliche Prüfung in die Geradengleichung eingesetzt werden, denn sie könnten „out of range“ liegen. Die Regression ist weder nach oben noch nach unten beliebig extrapolierbar. Es muss geprüft werden, ob durch notwendige Spezialanpassungen des Produkts Kostensprünge nach oben oder aber durch Synergien Absenkungen nach unten und damit keine linearen, sondern links und rechts anders geartete Kurvenverläufe entstehen. 4. Es ist zu beachten, dass zur Verwendung solcher Modelle eine hinreichend große Anzahl an Projekten aus der Vergangenheit vorliegen muss, um eine verlässliche Basis zu haben. 5. Schließlich muss geprüft werden, ob die Projekte der Vergangenheit dem aktuellen tatsächlich hinreichend ähnlich sind. Ansonsten müssen, wie beim Modifikationspreisansatz, Anpassungen an Änderungen der Rahmenbedingungen vorgenommen werden. So wird z. B. für Windkraftanlagen aufgrund technischen Fortschritts prognostiziert, dass die Kosten pro MWh je nach Art der Anlage (Onshore, Offshore fest, Offshore schwimmend) zwischen 2020 und 2035 um 17 bis 35 % und bis 2050 um 37 bis 49 % sinken werden (vgl. Wiser et al., 2021, S. 558). 6. Inflationsbedingte Kostensteigerungen und andere kostenbeeinflussende Sondereffekte sind insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn die vorhandenen Datenpunkte zum Teil weit in der Vergangenheit liegen oder wenn zum Zeitpunkt der Angebotserstellung starke Kostenschwankungen zu verzeichnen oder zu erwarten sind.

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

313

Bisher wurde unterstellt, dass der Hauptkostentreiber eindeutig bekannt ist. Nun kann es vorkommen, dass dies nicht oder, z. B. durch technische Neuerungen, nicht mehr der Fall ist, sondern mehrere Einflussgrößen zur Auswahl stehen. So könnte bei Walzwerken neben den „Metern Walzstraße“ auch der maximale Walzendruck oder die Walzenbreite Einfluss auf die Kosten haben. Bei in der Vergangenheit gut durchgeführter Projektnachkalkulation und -dokumentation stellt aber auch dies kein Problem dar. Mithilfe einer multiplen Regressionsanalyse können ebenso wie bereits beschrieben mathematische Zusammenhänge mehrerer Kostentreiber mit den Gesamtkosten definiert werden, auch wenn dies grafisch spätestens bei drei Einflussgrößen nicht mehr darstellbar ist. Um die Methodik zu veranschaulichen, wurden in Abb. 11.3 statt einer multiplen Regression mit drei Einflussgrößen drei Einfachregressionen durchgeführt und dargestellt. Kostentreiber 1 ist der schon aus Abb. 11.2 bekannte. Für Kostentreiber 2 ist immer noch eine Tendenz von links unten nach rechts oben erkennbar. Aber seine Werte streuen stärker und weichen stärker von der Regressionsgeraden ab. Noch extremer ist dies bei Kostentreiber 3, bei dem nur eine diffuse Punktwolke vorliegt. Für beide Faktoren lassen sich Regressionsgeraden bestimmen, aber ihre Qualität ist sichtbar schlecht. Dies bestätigt sich durch die Werte des Bestimmtheitsmaßes R2 der Regressionsanalysen. Das Bestimmtheitsmaß gibt an, wie viel Prozent der Gesamtstreuung der abhängigen Variablen (hier: die Gesamtkosten) durch die jeweils unabhängige Variable (hier: Kostentreiber 1 bis 3) erklärt werden. Während Treiber 1 die unterschiedlichen Gesamtkosten zu 85  % erklärt, gelingt dies Treiber 2 für sich alleine betrachtet nur zu einem Drittel und Treiber 3 zu nicht einmal 1 %. Die Generierung der Regressionsgleichung ist nun bei der multiplen Regression etwas komplexer als bei der einfachen. Gleichung a) in Abb. 11.3 zeigt die Gleichung, die sich bei Einschluss aller drei Kostentreiber ergibt. Mit ihr können 85,5  % der Varianz der Gesamtkosten erklärt werden. Da R2 dazu tendiert, bei zunehmender Anzahl von unabhängigen Variablen immer größer zu werden, ist es bei der multiplen Regression zum Vergleich der verschiedenen Lösungsmodelle anzupassen, sozusagen zu standardisieren. Dieses korrigierte R2 ist nun das entscheidende Maß für die Güte des Regressionsmodells. Bei Einschluss aller drei Kostentreiber beträgt es hier 0,816. Um die optimale Gleichung zu ermitteln, sollte die multiple Regression für alle möglichen Kombinationen der Einflussgrößen gerechnet und jeweils die sich ergebenden korrigierten R2-Werte verglichen werden. Der größte korrigierte R2-Wert kennzeichnet dann das beste Modell. Dies ist, wie in der Tabelle ganz rechts zu erkennen, hier Gleichung b), die identisch mit dem Ergebnis der linearen Einfachregression aus Abb. 11.2 ist. Inhaltlich bedeutet das, dass aufgrund der geringen Erklärungsbeiträge der Kostentreiber 2 und 3 immer noch ausschließlich Kostentreiber 1 die bestmögliche Schätzung der Gesamtkosten bietet. Werden nun die Werte für das zu erstellende Projekt mit K1 = 8, K2 = 15, K3 = 6 vermutet, ergeben sich nach Gleichung b) Gesamtkosten von 10,16 Mio. €, nach Gleichung a) von 10,10 Mio. €. In diesem Fall ist der Unterschied also relativ gering. Zu empfehlen

5,0

Kostentreiber 1

10,0

15,0

[in relevanter Dimension]

20,0

0,0

2,0

0,0

2,0

6,0

8,0

10,0

12,0

14,0

4,0

0,0

y = 0,6139x + 5,249 R² = 0,8514

4,0

6,0

8,0

10,0

12,0

14,0

16,0

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

30,0

Gesamtkosten [in Mio. EUR] 0,0

2,0

4,0

6,0

8,0

10,0

12,0

14,0

16,0

0,0

Abb. 11.3  Kilokostenmethode mit mehreren Kostentreibern

b) y=0,614*K1 + 5,249; R2=0,851, korrigiertes R2=0,840

a) y=0,63*K1 - 0,011*K2 - 0,061*K3 + 5,592; R2=0,855, korrigiertes R2=0,816

25,0

y = 0,2763x + 6,2363 R² = 0,3305

Kostentreiber 2 [in relevanter Einheit]

Multiple Regression: Gleichungsalternativen

Gesamtkosten [i n Mi o. EUR]

16,0

Gesamtkosten [in Mio. EUR]

Einfachregressionen: Gleichungsalternativen

2,0

4,0

6,0

8,0

10,0

K3

-0,068

Kombination korrig. R2 K1, K2, K3 0,816 K1, K2 0,827 K1, K3 0,831 K2, K3 0,221 K1 0,840 K2 0,279

Kostentreiber 3 [in relevanter Einheit]

12,0

y = 0,0864x + 10,497 R² = 0,0078

314 11 B2B-Preispolitik

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

315

ist aber generell, das mathematisch beste Modell zu nehmen. Davon abgesehen gelten natürlich auch hier alle Hinweise 1–6 von oben, genau wie auch für die Einfachregression. Während die Kilokostenmethode einen (oder auch mehrere) Kostentreiber für die Gesamtprojekte zugrunde legt, versucht die Einflussgrößenrechnung, unterschiedliche Kostentreiber für verschiedene Baugruppen oder Arbeitspakete zu identifizieren und damit die Genauigkeit der Kalkulation zu erhöhen. Dabei werden je Baugruppe verschiedene Kosteneinflussgrößen mittels multipler Regressionen miteinander vergleichen (vgl. Plinke & Claßen, 2013, S. 107). Der Vorteil ist, dass ein Unternehmen nun auch für verschiedene Endprodukte Kalkulationen vornehmen kann, die sich nur begrenzt ähnlich sind, aber durch unterschiedliche Kombinationen von gleichen Baugruppen entstehen.

11.2.1.2 Neukalkulation mittels Grobprojektierungsansatz Ist die Datengrundlage aus der Vergangenheit schwach oder sind Projekte zu kalkulieren, die völlig neuartig sind, sind die vergangenheitsorientierten Verfahren nicht anwendbar. Stattdessen ist eine detaillierte Neukalkulation durchzuführen. Beim Grobprojektierungsansatz wird das Gesamtprojekt hierarchisch von oben nach unten in seine notwendigen Bestandteile zerlegt, und zwar so lange, bis auf einer unteren Ebene Baugruppen, Komponenten, Teile oder Teilleistungen ersichtlich werden, für die Kosten bestimmbar sind. Diese werden dann von unten nach oben („bottom-up“, vgl. PMI, 2017, S. 202) zu den Gesamtkosten aufaddiert. Gemeinkostenzuschläge werden je nach Art der Gemeinkosten auf den verschiedenen Ebenen dazugerechnet (vgl. Plinke & Claßen, 2013, S. 110–113). In Abb. 11.4 ist dies generisch dargestellt. Das Vorgehen ist dasselbe wie bei der Erstellung eines Projektstrukturplans, bei dem ein Gesamtauftrag in einzelne Arbeitspakete und Teilaufgaben zerlegt wird (vgl. Bohinc, 2019, S. 63–66). Entsprechend ist im Englischen auch von „Work-Breakdown-Structures“ (WBS) die Rede (vgl. PMI, 2017, S.  156–162, 726; Kuster et  al., 2019, S.  142). Auch

Gesamtprojekt/-anlage

Baugruppe 1

Komponente 1



Teil 1

Komponente n

...

Baugruppe n

Komponente 1





Dienstleistung 1

Teilleistung 1-1

Komponente n

T n Teil







Abb. 11.4  Strukturplan beim Grobprojektierungsansatz



Teilleistung 1-n



...

Dienstleistung n

Teilleistung 1-1



Teilleistung 1-n

Einzelleistung 1-1-1 Einzelleistung 1-1-n

316

11 B2B-Preispolitik

Dienstleistungen lassen sich so in Teilprozesse und Prozessschritte zerlegen, für deren Durchführung die erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten bestimmt und bepreist werden können. Die große Herausforderung ist, Art und Umfang aller erforderlichen (Vor-)Leistungen vollständig und korrekt zu erfassen. Die berühmt-berüchtigten Großbauprojekte Deutschlands, wie die Elbphilharmonie Hamburg, der Großflughafen BER bei Berlin und der Bahnhof Stuttgart 21 zeigen, dass dies, neben anderen Fallstricken, offenbar nicht so einfach ist. Backhaus und Voeth (2014, S.  388–389) verweisen mit dem Stichwort „Lernansatz“ darauf, dass auch bei der Grobprojektierung auf Vergangenheitsdaten zurückgegriffen werden kann, sofern sie vorliegen. Dies löst aber natürlich nicht das Problem bei absolut einmaligen Individualprojekten, für die immer eine vollständige Neukalkulation mit allen Unsicherheiten nötig ist.

11.2.2 Preisbildung in Anbieterkoalitionen Ein Sonderfall der Preisbildung ergibt sich, wenn mehrere Anbieter sich zusammenschließen, und für einen Großauftrag, den keiner von ihnen alleine bearbeiten könnte, ein Angebot erstellen müssen. Grundsätzlich wäre die Vermutung, dass jeder der Beteiligten (Mitanbieter) seinen Beitrag kalkuliert und am Ende alle Einzelpreise zusammenaddiert werden und den Angebotspreis ergeben. Unterschiede ergeben sich dabei nach Art der Anbieterkoalition. Der (vermeintlich) einfachste Fall ist der eines Joint Ventures, Meist gründen hierbei zwei oder mehrere wirtschaftlich unabhängige Unternehmen ein gemeinsames neues Unternehmen, das als eigenständiger Anbieter im Markt auftritt. Ein solches Joint Venture kann somit „ganz normal“ seine Lieferungen und Leistungen kalkulieren, sofern die im Hintergrund stehenden Anteilseigner nicht Partikularinteressen durchsetzen wollen. Schwieriger ist schon der Fall des Generalunternehmers, der zwar auch alleine über den Angebotspreis bestimmt, aber dazu auf Preisangaben seiner Subunternehmen angewiesen ist. Der vermutlich herausforderndste Fall ist der von (offenen oder stillen) Konsortien oder Arbeitsgemeinschaften (ARGEs), da dort alle Mitanbieter gleichberechtigt nebeneinanderstehen und als solche versucht sein können, auf Kosten ihrer Angebotspartner ihre eigene Position zu verbessern und Preisdruck abzuwälzen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 382–383). Das Problem in solchen Konstellationen mit eigentlich gemeinsamen Interessen sind die Informationsasymmetrien zwischen den Partnern. Jeder der Beteiligten weiß, dass ein insgesamt zu hoher Angebotspreis zum Verlust des Auftrags führen kann, jeder kennt seine eigene Situation, aber ebenso weiß jeder, dass die anderen keinen genauen Einblick in diese eigene Situation haben, sondern nur Resultate in Form von Preisangeboten sehen. Damit liegen „Hidden Characteristics“ von Vertrauensgütern vor (siehe Abschn. 10.2.1.4). Dies kann im ersten Schritt zu opportunistischem Verhalten führen, bei dem einzelne Mitanbieter ihre eigene Situation als schlechter darstellen, als sie in Wirklichkeit ist, und daher höhere Preise für sich beanspruchen. Im zweiten Schritt kann dies zu adverser Se-

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

317

lektion führen und im Extremfall dazu, dass die Anbieterkoalition gar nicht zustande kommt oder aber sich nur auf Preise einigen kann, die nicht wettbewerbsfähig sind. Denn wenn jeder der Partner befürchten muss, dass die anderen einen zu großen Teil vom Kuchen erhalten möchten, wird er selbst auch höhere Preise ansetzen. Günstig ist, zunächst Einigkeit über den am Ende zu erzielenden Angebotspreis herzustellen und anschließend „nur noch“ über die Verteilung des Kuchens zwischen den Mitanbietern zu verhandeln (vgl. Weiber & Kleinaltenkamp, 2013, S. 245). Insbesondere bei einmaligen und sehr spezifischen Projekten ist dies allerdings nicht einfach, da Wettbewerbsangebote weder vorliegen noch direkt vergleichbar wären. Nachfrageorientierte Preisbildungsansätze (siehe Abschn. 11.4) können in gewissem Maße weiterhelfen. Transaktionskosten- und Prinzipal-Agenten-Theorie machen für solche Situationen eine Reihe von Lösungsvorschlägen (vgl. Akerlof, 1970, S.  499–500; Picot, 1991, S. 147–153; Lührs, 2010, S. 25–27, 39–64). 1. Organisatorisch lassen sich Abstimmungsprozesse (horizontal oder vertikal) integrieren, was faktisch wieder zur Bildung einer neuen Organisation(sform) unter einer einheitlichen Führung, d. h. eines neuen Unternehmens wie z. B. eines Joint Ventures, anstelle eines losen Konsortiums führen würde. 2. Alternativ kann die Offenlegung der eigenen Kalkulation („Open Book Accounting“) und weiterer für das Entscheidungsverhalten relevanter Parameter (z. B. Kapazitätsauslastungen) vereinbart werden. Dies bedeutete allerdings, Betriebsinterna preiszugeben, und es müsste mit weiteren Kontrollmechanismen verbunden werden, da die Mitanbieter auch die Richtigkeit interner Unterlagen eines Unternehmens nur begrenzt überprüfen können (vgl. Hummels, 1998, S. 73). 3. Eine solche Kontrollfunktion kann die Reputation der einzelnen Mitanbieter darstellen, hier genauer die für finanzielle Solidität und Zuverlässigkeit. 4. Als Ersatz dafür oder ergänzend können verlässliche Zertifizierungen, z. B. von Wirtschaftsprüfern, genutzt werden.3 5. Reputation kann auch innerhalb einer längerfristig angelegten Bieterkoalition aufgebaut werden, die mit den gleichen Beteiligten immer wieder für gemeinsame Projekte genutzt wird, sodass jeder Mitanbieter im Laufe der Zeit automatisch transparenter und besser einschätzbar wird. Wie zu sehen ist, gehen alle Vorschläge mit erhöhten Verhandlungs-, Koordinations- und Kontrollkosten einher. Die Einrichtung neuer Organisationen sowie die langfristige Reputation sind zudem nur bei dauerhaft angelegten Partnerschaften sinnvoll. Daher mag es in manchen oder vielen Fällen schneller und kostengünstiger sein, in direkte multilaterale Verhandlungen einzutreten.

 Ob diese als B2B-Dienstleister immer so verlässlich sind, wie sie sein sollten, sei hier nicht näher diskutiert. Und auch bezüglich deren Leistungen liegt ein klassisches Prinzipal-Agenten-­Problem vor. 3

318

11 B2B-Preispolitik

Dabei ist die Stärke der Verhandlungsposition jedes einzelnen Partners z. B. davon abhängig, wie wichtig jeweils der Projektzuschlag ist, was u. a. von der aktuellen (bzw. zum Projektrealisierungszeitraum vermuteten) Kapazitätsauslastung abhängt. Aber auch die Möglichkeit zum Erfahrungs- oder Know-how-Erwerb oder zum Aufbau einer Reputation im Markt beeinflusst das individuelle Kalkül. Im Gegenzug unterstützt das Vorhandensein dieser Elemente (d.  h. bestehendes Know-how, bestehende Reputation) die Einzigartigkeit des eigenen Leistungsbeitrags und somit den Grad, in dem die Gesamtgruppe auf den einzelnen angewiesen ist.4 Jeder der Beteiligten wird nun versuchen, sich darauf basierend ein Bild von seiner eigenen Verhandlungsposition und der der Mitanbieter zu machen und unter Berücksichtigung des Gesamtziels das individuelle Optimum ­auszuhandeln (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  397–398; Weiber & Kleinaltenkamp, 2013, S. 245–246).

11.2.3 Preissicherungsmechanismen Viele Situationen der B2B-Leistungserbringung sind über längere Zeiträume angelegt. Dies können langfristige Lieferverträge, z. B. im Zuliefergeschäft, ebenso sein, wie lange Abstände zwischen Angebotsabgabe und Leistungsrealisierung im (Groß-)Projektgeschäft. Der Anbieter hat unter diesen Umständen das Risiko, auf späteren, unvorhersehbaren Kostensteigerungen sitzenzubleiben. Aus Kundensicht drohen zu hohe Preise, sofern es zu zukünftigen Kostensenkungen kommt (vgl. Weiber & Kleinaltenkamp, 2013, S. 245, 249; Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 150). Da die Risiken also auf beiden Seiten liegen, gibt es eine Reihe von Instrumenten zu deren Absicherung, die das gesamte Risikospektrum abdecken. Welches Instrument gewählt wird, hängt einerseits von der tatsächlichen Situation ab (ist zukünftig eher mit Kostensteigerungen oder mit Kostensenkungen zu rechnen, wird deren Umfang groß oder eher klein sein?). Andererseits und in letzter Konsequenz wird die Wahl des Instruments immer Ergebnis einer Verhandlung zwischen Anbieter und Kunde sein und damit von deren Beziehung und Position im Markt abhängen. Folgende Instrumente stehen mit verschiedenen Untervarianten zur Auswahl (vgl. Plinke & Claßen, 2013, S. 127–129; Weiber & Kleinaltenkamp, 2013, S. 249; Backhaus & Voeth, 2014, S. 399; Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 148, für die nachfolgenden Ausführungen): 1. Festpreise/Festpreiseinschlüsse, 2. Preisvorbehalte/offene Abrechnung/freibleibender grenze und 3. Preisgleitklauseln.

Preis

 Für weitere Aspekte vgl. z. B. Weiber und Kleinaltenkamp (2013, S. 246).

4

mit/ohne

Höchst-

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

319

Im weitesten Sinne fallen auch solche Vereinbarungen und vor allem ihre Regeln im Detail unter das sogenannte „Claim-Management“. Dies kommt aber auch im Fall unvorhersehbarer Änderungen zur Anwendung.

11.2.3.1 Festpreise und Festpreiseinschlüsse Festpreise sind, wie der Name schon sagt, fest. Damit ist der Anbieter an den Preis, den er mit dem Kunden vereinbart hat, für die Vertragslaufzeit gebunden und trägt jegliches Risiko einer später wirksam werdenden Kostenerhöhung alleine. Bei absehbaren Kostensteigerungen wird der Anbieter einen entsprechenden Aufschlag in seine Kalkulation einschließen (Festpreiseinschluss oder -zuschlag). Sofern die Kostenerhöhungen dann geringer als erwartet ausfallen, können zusätzliche Gewinne realisiert werden; liegen sie höher, schmälert dies das Ergebnis. Bei zu hohen Einschlüssen droht zudem in der ­Angebotsphase, dass der Kunde einem anderen Anbieter, der mit einem niedrigeren Aufschlag kalkuliert hat, den Zuschlag erteilt. Bei völlig aus dem Ruder laufenden Kostensteigerungen besteht natürlich auch ohne Rechtsanspruch immer die Möglichkeit, zu versuchen, mit dem Kunden nachzuverhandeln. Wie erfolgreich dies ist, hängt wieder von der Art der Beziehung und den Machtpositionen der beiden ab. Alternativ können auch Kostensteigerungen bis zu einem gewissen Prozentsatz im Festpreis enthalten sein, und erst, wenn dieser Satz überschritten wird, wird der Kunde im zuvor vertraglich vereinbarten Maße an den Steigerungen beteiligt (siehe auch Abschn. 11.2.3.2). 11.2.3.2 Preisvorbehalte Preisvorbehalte (auch: freibleibende Preise) sind sozusagen das Gegenstück zu Festpreisen und verlagern das Risiko vollständig auf die Seite des Kunden. Es entspricht dem, was jede Privatperson z. B. im Kontakt mit Handwerkern als „Abrechnung nach Aufwand bzgl. Zeit und Material“ kennt. Neben den Einstandspreisen kann sich der Preisvorbehalt auch auf veränderte Mengen und dadurch steigende Kosten beziehen. Im Vergleich zu Festpreisen kann der Kunde bei Preisvorbehalten auch von sinkenden Kosten profitieren. In der Regel muss der Anbieter die Kosten nachweisen; der Kunde kann die tatsächlichen Zeiten und Mengen nur mit erhöhtem Aufwand kontrollieren. Sofern sich der Vorbehalt nicht pauschal auf ein gesamtes Projekt, sondern auf einzelne Teilleistungen bezieht, die sukzessive nach jeweiliger Erstellung abgerechnet und bezahlt werden, wird auch von einer „offenen Abrechnung“ gesprochen. Vorstellbar ist dies z. B. bei Bauprojekten, bei denen einzelne Bauphasen (z. B. Rohbau und Innenausbau) voneinander getrennt abgerechnet werden. Preisvorbehalte oder offene Abrechnungen sind auch nur für Einzelleistungen vorstellbar, deren Kosten nicht prognostizierbar sind, während für den Rest des Projekts ein Festpreis gilt. Schließlich ist es auch möglich, das Risiko für den Kunden dergestalt zu reduzieren, dass ein Kostenlimit definiert wird, bis zu dem Steigerungen an den Kunden weitergereicht werden können und ab dem der Anbieter diese übernimmt.

320

11 B2B-Preispolitik

11.2.3.3 Preisgleitklauseln Preisgleitklauseln stellen ein „Mittelding“ zwischen der Verlagerung des Risikos auf die eine (Anbieter) oder auf die andere (Kunde) Seite dar. Mit ihrer Hilfe kann von Vornherein festgelegt werden, wie mit zukünftig schwankenden Kosten umzugehen ist. Zudem erfassen sie nicht nur den Fall steigender Kosten, sondern auch jenen sinkender, sodass je nach Entwicklung die eine oder die andere Seite profitiert. Das in der Literatur angegebene und gut verständliche Standardbeispiel geht auf die „Allgemeine[n] Liefer- und Montagebedingungen für den Import und Export von Maschinen und Anlagen veranlaßt und empfohlen von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa“ (LMW188A, 2002) aus dem März 1957 zurück, das zuletzt 2002 vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) für den deutschen Markt ergänzt wurde (vgl. VDMA Verlag, 2021). Es werden die beiden Hauptkostenbestandteile „Material“ (M) und „Lohn“ (L) unterschieden, und der endgültige Preis P1 zum Abrechnungszeitpunkt ergibt sich im Falle von Materialpreis- oder Lohnänderungen auf Basis des ursprünglich vereinbarten Preises P0 als

P1 = P0 / 100 * ( a + b * M1 / M 0 + c * L1 / L 0 )

Dabei steht 1. M0 für die Materialkosten zum Zeitpunkt, an dem P0 vereinbart wurde 2. M1 für die endgültigen tatsächlichen Materialkosten zum Abrechnungszeitraum oder -stichtag 3. L0 für die Lohnkosten zum Zeitpunkt, an dem P0 vereinbart wurde 4. L1 für die endgültigen/tatsächlichen Lohnkosten zum Abrechnungszeitraumoder -stichtag 5. a für den Anteil des Gesamtpreises, der nicht veränderlich ist 6. b für den Anteil des Materials am Gesamtpreis und 7. c für den Anteil der Löhne am Gesamtpreis; a, b und c müssen in Summe 100(%) ergeben. Wichtig ist somit die Festlegung der Zeitpunkte 0 und 1. Häufig wird als Basiszeitpunkt der Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung, als Abrechnungszeitpunkt der der Lieferung, der Installation oder des Einbaus gewählt. Liegen nun die Material- und Lohnkosten am Abrechnungszeitpunkt über dem Ausgangsniveau, nehmen die Quotienten M1/M0 und L1/ L0 Werte größer als 1 an. Damit wird der gesamte Klammerausdruck (a  +  b  *  M1/ M0 + c * L1/L0) größer als 1 und hebt durch Multiplikation mit P0 den Preis P1 auf das entsprechend höhere Niveau. Im Falle sinkender Preise gilt dies umgekehrt.

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

321

Praxisbeispiel: Die Anwendung der Preisgleitklausel

Für eine Anlage wurde bei Vertragsabschluss ein Preis P0 von 1 Mio. € ausgehandelt. Aus verschiedenen Gründen (z. B. Detailplanung, Vorbereitung von Grund und Boden, Beschaffung, Anlieferung vor Ort) wird die Anlage erst neun Monate später installiert. Für die Anlage wird u. a. Stahl benötigt, dessen Preis durch weltweite Engpässe vermutlich stark, aber nicht exakt vorhersehbar steigen wird. Eine Beschaffung zum heutigen Spotpreis und Einlagerung ist weder beim Anbieter noch beim Kunden möglich. Der Anteil der Stahlkosten am Gesamtpreis macht b = 15 % aus. Somit ist M0 = 150.000 €. Ebenso werden Facharbeiter zur Erstellung und Installation benötigt, für deren Löhne bis zu ihrem Einsatz in neun Monaten mit einer neuen Tarifvereinbarung gerechnet wird. Auch hier ist nicht absehbar, auf welchem Lohnniveau dies enden wird. Der Anteil dieser spezifischen Lohnkosten beträgt c = 20 %, d. h. L0 = 200.000. Für alle weiteren benötigten Materialien (z.  B.  Glas und Kunststoffe) und Löhne (Projektmanager und Softwareprogrammierer) wird nicht mit Kostenänderungen ­gerechnet. Deren Anteil a beträgt somit insgesamt 65 % und es ergibt sich folgende Preisgleitklausel:

P1 = 1.000.000 / 100 * ( 65 + 15 * M1 / 150.000 + 20 * L1 / 200.000 ) Als die Anlage neun Monate später installiert wird, hat sich der Preis des kurz zuvor am Weltmarkt erworbenen Stahls um 20 % auf 180.000 € verteuert. Der zwischenzeitlich erfolgte Tarifabschluss für die Facharbeiter sieht Lohnerhöhungen um 10 % vor (inkl. Nebenkosten). Dies in die Preisgleitklausel eingesetzt führt zu

(

P1 = 1.000.000 / 100* 65 + 15* 180.000 / 150.000 + 20* 220.000 / 200.000 *

(

*

*

)

)

= 1.000.000 / 100 65 + 15 1,2 + 20 11 , *



= 1.000.000 / 100 105 = 1.050.000 ◄



M und L können bei Bedarf auch weiter aufgeteilt werden, wenn unterschiedliche Materialien oder Lohngruppen bzw. Mitarbeiter betroffen sind. Auch die Koeffizienten b und c müssen dann entsprechend den Anteilen jeder Material- und Lohnart aufgeteilt werden. Für die beiden Materialien Stahl (MS) und Glas (MG) sowie Löhne in der Produktion (LP) und für Softwareentwicklung (LSW) könnte sich somit z. B. die nachfolgende angepasste Preisgleitklausel ergeben: P1 = P0 / 100 * ( a + bS * MS1 / MS0 + b G * MG1 / MG 0 + c P * LP1 / LP0 + c SW * LSW1 / LSW0 )

322

11 B2B-Preispolitik

Wie im Beispiel zu sehen ist, hat die Preisgleitklausel denselben Effekt wie ein Preisvorbehalt: Die Kostensteigerungen werden zu 100 % an den Kunden weitergereicht und der Anbieter trägt kein Risiko. Im Unterschied zu einem reinen Preisvorbehalt gilt dies jedoch nur für die definierten Material- oder Lohnarten. Liegen Preiserhöhungen woanders, trägt dieses Risiko der Anbieter alleine. Damit besteht für die Kunden im Vorfeld eine wesentlich höhere Transparenz. Zudem ist die Verwendung einer Preisgleitklausel und ihre Ausgestaltung immer Ergebnis der Verhandlung zwischen Anbieter und Kunde. Es kann also durchaus sein, dass 1. nur einzelne, aber nicht alle der vermutlich von Kostensteigerungen betroffenen Materialien und Löhne als gleitend definiert werden. 2. wie beim Preisvorbehalt bereits erwähnt eine Obergrenze für P1 oder die einzelnen Bestandteile M1 und/oder P1 vereinbart wird. 3. alle Steigerungen nur zu einem gewissen Prozentsatz berücksichtigt werden. Im Zähler würde dann statt „M1“ z. B. „(M1 - M0)/2 + M1“ stehen, wenn dieser 50 % betrüge. 4. ein Zeitpunkt festgelegt wird, ab dem die Preisgleitklausel greift. Damit ist der Anbieter nach Vertragsunterzeichnung für diese erste Frist an seinen abgegebenen Preis gebunden. 5. Gemeinkosten herausgelassen werden. 6. nur Kostenerhöhungen oder nur Kostensenkungen der Klausel unterliegen. 7. die Klausel nur für einzelne Teile eines Projekts (im Vergleich zum Gesamtprojektvolumen) festgelegt wird. In jedem Fall ist aber zwischen den Vertragsparteien eindeutig festzuhalten, wie eine Preisänderung festzustellen und nachzuweisen ist. Sehr häufig wird dazu ein entsprechender öffentlicher Index verwendet, der von den Vertragsparteien nicht zu beeinflussen und dessen Wert objektiv nachvollziehbar ist. So berechnet und veröffentlicht das Statistische Bundesamt z. B. verschiedene Erzeugerpreisindizes, wie den Erzeugerpreisindex gewerblicher Produkte oder den Einfuhrpreisindex für Roheisen, Stahl und Ferrolegierungen (vgl. Destatis, o. J. a). Schwierigkeiten bei der Index-Auswahl können bei internationalen Geschäften auftreten oder wenn identische Vorleistungen aus verschiedenen Ländern einbezogen werden sollen. Die Formel müsste dann immer stärker aufgeteilt werden, die Bestimmung der Anteile der einzelnen Leistungen würde schwieriger und mitunter mag es gerade für Niedrigpreisländer keine verlässlichen Indizes geben. In der Praxis wird zudem vielfach ohne Formel gearbeitet und schlicht im Vertragstext beschrieben, welche Bestandteile wie und ab wann und in welchem Umfang flexibel gehalten sind: „Die vereinbarten Preise sind mit einem Anteil von [x]% nach dem [ABC-Index] […] wertgesichert. Der veränderliche Preisanteil erhöht oder vermindert sich in jenem Ausmaß, welcher der Veränderung des Index vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Leistung frühestens abgerechnet werden darf, entspricht.“ (WKO, 2021)

11.2  Kostenorientierte Preisbildung

323

Als grundsätzliche Rahmenbedingung für Preisgleitklauseln ist das „Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden“, kurz: Preisklauselgesetz (PrKG), zu erwähnen (vgl. BMJV, o.J.). Anders als der Name des Gesetzes zunächst befürchten lässt, sind Preisgleitklauseln bei der richtigen Ausgestaltung problemlos verwendbar.

11.2.3.4 Claim-Management Ein spezieller Fall, der die Kostendeckung des Anbieters betrifft, liegt im Zuliefergeschäft vor. Hier werden zwischen Anbieter und Kunde langfristige Rahmenverträge abgeschlossen. Diese beinhalten neben den Produktspezifikationen auch die Preise und Liefermengen. Dabei werden Letztere typischerweise in einem rollierenden Prognosesystem auf die geplanten Perioden, z.  B.  Jahre, und innerhalb dieser auf Subperioden, z. B. Monate und Kalenderwochen, heruntergebrochen. Auf Basis dieser Daten planen die Anbieter ihre Einkaufs- und Produktionsmengen, was wiederum ihre Kosten mitbestimmt. In der Praxis kommt es bei den Kunden häufig auch zu kurzfristigen Abweichungen der Planmengen von den tatsächlichen Verkäufen, sodass sie größere oder kleinere Mengen aus der Rahmenvereinbarung abrufen als geplant. Im Rahmen gewisser, idealerweise im Vertrag festgelegter Schwankungsbreiten stellt dies für den Anbieter kein Problem dar. Werden die Bandbreiten jedoch nach oben überschritten, kann dies höhere Kosten ­bedeuten, z. B., weil kurzfristig Mindermengen an Vorprodukten zu höheren Preisen zugekauft oder Produktionschargen anderer Kunden gegen Vertragsstrafen verschoben werden müssen. Auch geringere Abrufzahlen können kostenerhöhend und deckungsbeitragsmindernd wirken, weil z.  B. zusätzliche Lagerkosten für nicht verbrauchte Materialien entstehen und Fix-/Gemeinkostenanteile, die auf die nicht abgerufenen Mengen verrechnet wurden, nun nicht gedeckt werden. Sich mit dieser Problematik zu beschäftigen und sie – möglichst friedlich und einvernehmlich – mit den Kunden zu regeln, ist Gegenstand des Claim-Managements (Nachforderungsmanagement)5 (vgl. auch nachfolgend Hofbauer & Purle, 2022, S. 333–338). Dazu muss der Anbieter zunächst organisatorisch dafür sorgen, dass diese Planabweichungen auffallen, nachgehalten und konkret beziffert werden. Danach sind die daraus resultierenden spezifischen Kostensteigerungen zu identifizieren. Nun kann überlegt werden, welche Chancen zur Kostenreduktion bestehen, z. B. durch Verhandlung mit den eigenen Lieferanten. Mit den verbliebenen Kostensteigerungen ist schließlich mit dem Kunden über die zumindest anteilige Übernahme zu verhandeln.

 Claim-Management ist auch im Projektgeschäft bei unvorhersehbaren Kostensteigerungen für Vorleistungen aufgrund langer Zeitabstände zwischen Projektangebot und -realisierung relevant. So kann es z.  B. zu gesetzlichen Änderungen kommen, die zusätzliche Vorkehrungen erfordern, die Abnehmer verändern im Laufe der Realisierung des Projekts ihre Anforderungen oder Lieferanten, mit denen Festpreise vereinbart waren, fallen plötzlich aus und können durch andere nur zu höheren Einstandspreisen ersetzt werden.

5

324

11 B2B-Preispolitik

Kompliziert am Claim-Management ist, dass sehr viele verschiedene Bereiche im eigenen Unternehmen und beim Kunden einbezogen werden müssen, die vielfach an der Ursache, nämlich den kurzfristig geänderten Abnahmemengen, gar nicht beteiligt sind und daher ganz unterschiedliche Sichtweisen haben. Dazu gehören i. d. R. mindestens Einkauf, Rechnungswesen und Controlling, Marketing, Vertrieb und Produktion. Die Hauptverantwortung auf Anbieterseite liegt häufig beim Vertrieb. Das Verhandlungsergebnis hängt wesentlich von der Verhandlungsmacht der beiden Vertragspartner ab. Günstig ist, wenn grundsätzliche Regelungen dazu bereits im Rahmenvertrag verankert sind, sodass nicht ad hoc über Verursachungsgerechtigkeit, höhere Gewalt oder unterbliebene Anstrengungen zur Kostenreduktion diskutiert werden muss, sondern bereits im Vorfeld jede Partei über ihre Pflichten und Rechte informiert ist.

11.3 Wettbewerbsorientierte Preisbildung Wettbewerbsorientierung in der Preisbildung ist immer dann unerlässlich, wenn aus Kundensicht identische oder sehr ähnliche Produkte oder Leistungen angeboten werden, deren Preise für die Kunden mit vernünftigem Aufwand erkenn- und vergleichbar sind. Dies kann insbesondere im Produkt- und Systemgeschäft der Fall sein, aber auch im Zuliefer- und Projektgeschäft, wenn im Vorfeld selbst, durch Einbeziehung von Beratern oder sogar als eigenständiges Planungsprojekt die Spezifikationen sehr exakt festgelegt wurden.

11.3.1 Competitive Bidding bei Ausschreibungen Um eine möglichst breite Angebotsbasis zur Auswahl eines Lieferanten zu erhalten, verwenden Unternehmen Ausschreibungen (Submissionen). Im öffentlichen Sektor besteht ab den in Abb.  11.5 genannten Projektvolumina sogar die Verpflichtung zu Ausschreibungen, um die öffentlichen Haushalte zu schonen (vgl. BMWI, 2022). Bei Ausschreibungen sind grundsätzlich zwei verschiedene Arten zu unterscheiden. In der Literatur werden dazu häufig die anglo-amerikanischen Begriffe „Closed Bid“ und „Open Bid“ verwendet (vgl. z. B. Biemans, 2010, S. 263; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 231; Backhaus & Voeth, 2014, S. 393). Diese sind leider schon im anglo-­amerikanischen Sprachgebrauch nicht einheitlich definiert (vgl. z. B. Hutt & Speh, 2007, S. 385 versus Dwyer & Tanner, 2009, S. 421–422) und auch für den deutschen Markt eher missverständlich. Die in Deutschland „genormten“ und gebräuchlichen Begriffe stammen im Gegensatz dazu aus dem öffentlichen Vergaberecht und sind in Abb. 11.6 wiedergegeben (vgl. BMWI, 2022). Die restriktivsten Verfahren sind die schattierten oberen vier. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Bieter auf eine möglichst vollständig spezifizierte Leistungsbeschreibung verdeckt, d. h. ohne dass die anderen Anbieter sie sehen, und ohne die Möglichkeit einer

11.3  Wettbewerbsorientierte Preisbildung

325 Lieferleistungen/ Dienstleistungen

Sektorenbereich (Wasser, Energie, Verkehr)

Bereich Verteidigung und Sicherheit Obere und oberste Bundesbehörden Alle anderen Auftraggeber Konzessionen (z.B. PPP bei Infrastrukturprojekten)

Bauleistungen

431.000 € 431.000 € 140.000 €

5.382.000 €

215.000 € 5.382.000 €

Alle Werte ohne Umsatzsteuer, gültig seit 01.01.2022 Unterhalb der Schwellen: Haushaltrecht von Bund, Ländern, Kommunen, z. B. UVgO, VOL/A, VOB/A

Abb. 11.5  EU-Schwellenwerte für die Vergabe durch öffentliche Auftraggeber

nachträglichen Anpassung zu haben, ihre Gebote abgeben. Nach Ablauf der Ausschreibungsfrist werden die Angebote vom Auftraggeber geöffnet und verglichen. Die Vergabe erfolgt dann ohne Rücksprachen, und zwar an das Angebot mit dem wirtschaftlichsten Preis-Leistungs-Verhältnis. Je detaillierter die Vorgaben in der Leistungsbeschreibung aber sind, an die sich die Bieter halten müssen, desto stärkeres Gewicht erhält bei der Vergabeentscheidung der Preis. Grundsätzlich wird auch die Eignung, d. h. die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Anbieter mitberücksichtigt (für mehr Details vgl. Bornemann & Hatulla, 2015, S. 557–562, 573–576). Im Gegensatz dazu erfolgen in den unteren Verfahren in Abb. 11.6 Verhandlungen mit der Möglichkeit für die Anbieter, ihre Angebote, und zwar sowohl hinsichtlich des Preises als auch der Leistungen nachzubessern. Hier herrscht also vergleichsweise hohe Transparenz. In der Privatwirtschaft gibt es für Ausschreibungen keine Vorgaben wie im öffentlichen Bereich. Hier werden öffentliche Ausschreibungen, die sich an alle möglichen potenziellen Bieter richten, vor allem genutzt, um bislang unbekannte Anbieter, nicht zuletzt aus dem Ausland, kennenzulernen, innovative Angebote zu erhalten oder wenn Vorleistungen gesucht werden, für die Know-how und Marktübersicht insgesamt fehlen. Im Gegensatz dazu gibt es auch beschränkte bzw. direkte Ansprachen einer Auswahl bekannter Anbieter. Dabei werden auch im deutschen Sprachgebrauch recht häufig die anglo-amerikanischen Abkürzungen RFI (Request for Information), RFP (Request für Proposal) oder RFQ (Request for Quotation) verwendet. Auch diese sind in der Praxis nicht abschließend definiert und werden teilweise synonym verwendet, aber generell geht es bei einem RFI eher um eine Informationssammlung zu einem Thema oder Problembereich, bei einem RFP um ein Lösungsangebot für ein konkretes Problem oder mehr oder weniger beschriebene Anforderungen und beim RFQ um die Preisabgabe für eine konkrete Spezifikation. Wie das gesamte Verfahren dann organisiert wird und am Ende der Zuschlag vergeben wird, bleibt dem privatwirtschaftlichen Auftraggeber überlassen.

Öffentliche Aufforderung unbeschränkter Anzahl von Unternehmen zu Abgabe von Teilnahmeantrag zu Teilnahmewettbewerb inkl. Eignungsnachweis; anschließend mit ausgewählten Unternehmen diskriminierungsfreier Dialog über bestmögliche Erfüllung von Bedürfnissen und Anforderungen an zu beschaffende Leistung sowie über Lösungsvorschläge mit Ankündigung der letzten Runde für endgültige Angebote ; anschließend Verhandlung mit wirtschaftslichstem Angebot Ähnlich wie wettbwerblicher Dialog; Ziel: Entwicklung innovativer Liefer- oder Dienstleistung und deren anschließender Erwerb; Auswahl eines Partners (oder mehrerer für getrennte F&E-Tätigkeiten)

Ähnlich „Verhandlungsverfahren“ und „freihändiger Vergabe“

Öffentliche Aufforderung unbeschränkter Anzahl von Unternehmen zu Abgabe von Teilnahmeantrag zu Teilnahmewettbewerb inkl. Eignungsnachweis; anschließend: Aufforderung geeigneter Teilnehmer Abgabe eines Erstangebots; dann direkte Vergabe oder diskriminierungsfreie Verhandlung über Erst- und Folgeangebote mit allen Bietern zwecks Verbesserung mit Ankündigung der letzten Runde für endgültige Angebote; Zuschlag an wirtschaftlichstes Angebot (Preis-Leistungs-Verhältnis) Öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Erstangeboten an ausgewählte Unternehmen; Verhandlungen wie bei Verfahren mit Teilnahmewettbewerb möglich, aber nicht zwingend; Zuschlag an wirtschaftlichstes Angebot (Preis-Leistungs-Verhältnis) Ähnlich „Verhandlungsverfahren“ und „Verhandlungsvergabe“

Öffentliche Aufforderung unbeschränkter Anzahl von Unternehmen zu Abgabe von Teilnahmeantrag zu Teilnahmewettbewerb inkl. Eignungsnachweis; anschließend: Aufforderung geeigneter Teilnehmer zu Angebotsabgabe über genau spezifizierte technische Anforderungen oder verfügbare Lösungen; keine (Nach-)Verhandlung; Zuschlag an wirtschaftlichstes Angebot (Preis-Leistungs-Verhältnis) Ähnlich „nicht-offenem Verfahren“; ohne Teilnahmewettbwerb Aufforderung an mindestens drei geeignete Unternehmen

Anwendung

Rechtsnorm*

Über EU-Schwellen: §§119, 127 GWB, §§14, 19 VgV EU-weit *Stand/ Versionen: GWB: Letzte Änderung 27.7.2021 VgV: Letzte Änderung vom 9.6.2021 VOB/A (2019), VOL/A (2009), UVgO (2017)

Unter EU-Schwellen: §§3, 3a, 3b VOB/A, §3 VOL/A National Unter EU-Schwellen: §§8, 12 UVgO National Über EU-Schwellen: §§119, 127 GWB, §§14, 18 VgV EU-weit

Über EU-Schwellen: §§119, 127 GWB,§§14, 17 VgV EU-weit

Über EU-Schwellen: §§119, 127 GWB,§§14, 17 VgV EU-weit

Unter EU-Schwellen: §§8, 10, 11 UVgO, §§3, 3a, 3b VOB/A, §3 VOL/A, §3 National VOL/A

Über EU-Schwellen: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), EU-weit Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV): §§119, 127 GWB, 14, 15 VgV Unter EU-Schwellen: Unterschwellenvergabeordnung (UVgO), Vergabe- und National Vertragsordnung für Leistungen, Teil A (VOB/A), Vergabeund Vertragsordnung für Bauleistungen (VOL/A): §§8, 9 UVgO, §§3, 3a, 3b VOB/A, §3 VOL/A Über EU-Schwellen: §§ 119, 127 GWB, §§14, 16 VgV EU-weit

Abb. 11.6  Ausschreibungsverfahren im öffentlichen Bereich. (Quelle: In Anlehnung an BMWI, 2022)

Innovationspartnerschaft

Verhandlungsvergabe (mit/ ohne Teilnahmewettbewerb) Wettbewerblicher Dialog

Freihändige Vergabe

Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb

Beschränkte Ausschreibung (mit/ohne Teilnahmewettbewerb) Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb

Nicht offenes Verfahren

Arten von Ausschreibungen/ Inhalt Vergaben Offenes Verfahren Öffentliche Aufforderung unbeschränkter Anzahl von Unternehmen zu Abgabe von Angebot über genau spezifizierte technische Anforderungen oder bereits verfügbare Lösungen sowie Eignungsnachweis, keine (Nach-)Verhandlung; Zuschlag an wirtschaftlichstes Angebot (Preis-Leistungs-Verhältnis) Öffentliche Ausschreibung Ähnlich „offenem Verfahren“

326 11 B2B-Preispolitik

11.3  Wettbewerbsorientierte Preisbildung

327

Während bei Ausschreibungen mit Nachbesserungs- oder Nachverhandlungsmöglichkeit im Grunde eine normale Wettbewerbssituation besteht, insbesondere dann, wenn nicht vollständig spezifizierte Produkte oder Leistungen gesucht werden, sind die restriktiven Verfahren von besonderem Interesse für den Anbieter. Denn hierbei gibt es nur einen Versuch – und der muss sitzen. Der Ansatz des Competitive Biddings beschreibt für diese Situationen, wie der Abgabepreis gebildet werden kann. Vorausgesetzt, dass der Anbieter die verlangten Spezifikationen ebenso vollständig erfüllt wie die Eignungskriterien, steht er vor folgender Entscheidung: 1. Wie immer erlaubt ein möglichst hohes Preisgebot eine hohe Gewinnmarge oder zumindest einen hohen Deckungsbeitrag. Hierfür sind also kostenorientierte Kalkulationsverfahren notwendig. 2. Der Anbieter erhält den Zuschlag aber nur, wenn der Preis unter oder nicht (zu weit) über dem der mitbietenden Wettbewerber liegt. 3. Unglücklicherweise ist dieser Preis der Wettbewerber mindestens bis zur Öffnung der Angebote am Stichtag unbekannt. In einer solchen unbestimmten Situation kann keine sichere Entscheidung getroffen werden. Vielmehr sind die gegenläufigen Effekte, bei einem hohen Preis zwar die Aussicht auf eine hohe Marge zu haben, aber gleichzeitig eine niedrige Chance, den Auftrag zu erhalten, nur über Wahrscheinlichkeitsabwägungen auszutarieren. Dazu ist zu überlegen, welchen Preis ein Wettbewerber wohl abgeben wird. Da ein einziger möglicher Preis zu deterministisch ist, sind Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Preisgebote des Wettbewerbs innerhalb einer realistischen Spanne zu schätzen. In der Realität kann dies z. B. auf Basis von Erfahrungen der Vergangenheit, Marktkenntnissen und Wettbewerbsanalysen vorgenommen werden (vgl. Haas, 1995, S. 597; Bornemann & Hatulla, 2015, S. 568). Sofern der Preis das einzige ausschlaggebende Kriterium für den Auftraggeber ist, zeigt der 1. Schritt in Abb. 11.7 die Abwägung (vgl. auch nachfolgend Backhaus & Voeth, 2014, S. 393–396; Plinke & Claßen, 2013, S. 118–121.) Es wird kosten- und margenbedingt ein eigener Preis von 500.000 € erwogen, bei dem ein Deckungsbeitrag von 50.000 € erzielt würde. Für die verschiedenen Preisalternativen des Wettbewerbs sind die Wahrscheinlichkeiten angegeben. Abhängig vom Wettbewerber-Preis ergeben sich die Zuschlagswahrscheinlichkeiten für den Anbieter wie in der letzten Spalte angegeben: Liegt der Angebotspreis der Wettbewerber über dem des Anbieters, bekommt der Anbieter den Zuschlag, ansonsten der Wettbewerber. Um entscheiden zu können, was zu tun ist, muss nun über alle Preisalternativen des Wettbewerbers die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, dass der Anbieter bei einem eigenen Gebot von 500.000 € den Zuschlag erhält. Dies geschieht durch Multiplikation der einzelnen Wahrscheinlichkeiten der vorletzten Spalte mit den jeweiligen Zuschlagswahrscheinlichkeiten (da diese nur 1 oder 0 sind, könnten hier auch einfach die ersten drei Prozentzahlen der vorletzten Spalte aufaddiert werden). Es ergibt sich eine Gesamtwahrscheinlichkeit von 65 %, dass der Anbieter bei einem Ge-

328

11 B2B-Preispolitik

1. Schritt Eigener Preis DB Wettbewerber- Wahrscheinlichkeit Eigene Zuschlags(EP) Preis Wettbewerber-Preis wahrscheinlichkeit 500.000 € 50.000 € 550.000 € 15 % 500.000 € 50.000 € 530.000 € 20 % 500.000 € 50.000 € 510.000 € 30 % 500.000 € 50.000 € 490.000 € 20 % 500.000 € 50.000 € 470.000 € 10 % 500.000 € 50.000 € 450.000 € 5%

1 1 1 0 0 0

Gesamtzuschlagswahrscheinlichkeit für EP = 500.000: 65 %

2. Schritt Eigener Preis DB

480.000 € 500.000 € 520.000 €

Zuschlagswahr- Langfristig scheinlichkeit erwartbarer durchschnittlicher DB 30.000 € 85 % 25.500 € 50.000 € 65 % 32.500 € 70.000 € 35 % 24.500 €

510.000 € 490.000 €

60.000 € 40.000 €

50 % 75 %

30.000 € 30.000 €

Abb. 11.7  Gedanklicher Ansatz des Competitive Biddings

bot von 500.000 € den Zuschlag erhält. Dies ist natürlich nur ein theoretischer Wert, da in realiter nur eine der sechs möglichen Preiskombinationen am Markt zum Tragen kommen wird. Damit könnte sich der Anbieter zufriedengeben, denn immerhin ist die Zuschlagschance größer als 50 %. Es ist aber auch zu überlegen, was bei alternativen Preisen des Anbieters passieren würde. Dazu könnten z. B. 520.000 oder 480.000 € gewählt werden: 1. Im ersten Fall steigt der erzielbare DB auf 70.000 € und die Zuschlagswahrscheinlichkeit sinkt bei gleichbleibenden Wettbewerbspreisen auf 35 %. 2. Im zweiten Fall sinkt der DB auf 40.000 €, dafür steigt die Zuschlagswahrscheinlichkeit auf 85 %. Was ist nun die beste der drei Alternativen? Die ersten drei Spalten von Schritt 2  in Abb. 11.7 lösen dies auf: Zunächst zeigen sie nochmals den erwähnten gegenläufigen Effekt, dass mit steigendem Preis der DB steigt, aber die Zuschlagswahrscheinlichkeit sinkt. Im nächsten Schritt ist zu überlegen, was die Zuschlagswahrscheinlichkeit aussagt. Die 85 % der ersten Zeile bedeuten nichts anderes, als dass (fiktiv) bei 100-maligem Bieten in derselben Situation in 85 Fällen der Zuschlag erfolgen würde, in 15 hingegen nicht. Damit würde 85 Mal der DB von 30.000 € realisiert werden, 15 Mal ein DB von 0, insgesamt also 2.550.000 €. Auf die 100 Gebote heruntergebrochen ergibt dies im Durchschnitt 25.500 € pro Gebot. Dies ist der sogenannte Erwartungswert für den DB in Spalte 4 der ersten Zeile, der sich rechnerisch auch direkt aus der Multiplikation des DB mit der Zuschlagswahrscheinlichkeit ergibt. Die Tabelle zeigt nun auch für die beiden anderen Anbieterpreise die erwarteten DB. Da der höchste der drei zu erwartenden DB der beste ist, sollte der Anbieter einen Preis von 500.000 € bieten.

11.3  Wettbewerbsorientierte Preisbildung

329

In der Realität gibt es natürlich nur ganz oder gar nicht und es erfolgt ein Zuschlag oder nicht. Bei Zuschlag wird ein DB von 50.000 € realisiert, ohne Zuschlag einer von 0. Aber die Betrachtung der Erwartungswerte ist die einzige Möglichkeit, diese Abwägung objektiv vorzunehmen. Damit gehen gewisse Annahmen einher: 1. Ganz zu Beginn muss der Anbieter in der Lage sein, die Preisspanne der Wettbewerber sowie die Reaktion des Auftraggebers nicht nur vage einzuschätzen, sondern mit konkreten Zahlen zu unterlegen. Sofern dies nicht möglich ist, droht das Modell eine mathematische Wahrheit vorzugaukeln, die so nicht realistisch ist. Insofern dient dieser Ansatz in der Praxis weniger der direkten mathematischen Anwendung als vielmehr der Strukturierung der Gedankengänge in einer extrem komplexen Entscheidungssituation (vgl. Plinke & Söllner, 1995, S.  876). Durch moderne Datengewinnung und -verarbeitung mithilfe digitaler Informationssysteme wird eine mathematische Modellierung allerdings realistischer und zuverlässiger (vgl. auch Weiber & Kleinaltenkamp, 2013, S. 243). 2. Die Berechnung der Zuschlagswahrscheinlichkeiten wird etwas komplizierter, wenn mehrere Wettbewerber mitbieten (vgl. dazu im Detail Bornemann & Hatulla, 2015, S.  570). Liegt im betrachteten Fall der eigene Preis z.  B. bei 510.000  €, müsste in Schritt 1 von Abb. 11.7 die Zuschlagswahrscheinlichkeit in der dritten Zeile, also wenn auch der Wettbewerber 510.000 € böte, bei 0,5 liegen: Sofern der Auftraggeber ausschließlich nach dem Preis geht, wäre ihm dann egal, welchem der beiden er den Zuschlag erteilt, und er könnte sich nach dem Zufallsprinzip entscheiden. Gäbe es in dieser Situation nicht nur einen, sondern zwei Wettbewerber, die beide genau wie der Anbieter 510.000 € böten, würde das Zufallsprinzip zu einer Zuschlagswahrscheinlichkeit von 1/3 führen und damit die Kalkulation des Anbieters verändern. 3. Die reine Betrachtung der Erwartungswerte unterstellt Risikoneutralität. Es kann Situationen geben, bei denen erwartete DB für verschiedene eigene Preise gleich sind (in Abb. 11.7 z. B. in den letzten beiden Zeilen des 2. Schritts, wenn man dann bei denselben Wettbewerber-Preisen eine Zuschlagswahrscheinlichkeit von 0,5 unterstellt). Der Anbieter müsste dann würfeln, welche der beiden Alternativen besser ist. Es könnte aber auch sein, dass er eine risikofreudige „Zocker-Mentalität“ hat und deshalb den Preis von 510.000 € wählt, oder aber z. B. aufgrund von mangelnder Kapazitätsauslastung den Auftrag gerne unbedingt bekommen würde und sich daher risikoavers für die 490.000  € entschied. In diese Überlegungen spielt auch die lange Sicht auf den Kunden mit möglichen zukünftigen Folgeaufträgen hinein (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  396; Biemans, 2010, S.  264). Vorsicht ist allerdings geboten, um nicht der „Myth of the follow-on order“ zu verfallen und heute einen niedrigen Preis in der Hoffnung zu bieten, dies durch spätere Aufträge wettzumachen, die dann niemals kommen (vgl. Ford et al., 2006, S. 213). 4. Sofern nicht nur der Preis über den Zuschlag entscheidet, sondern z. B. auch Anbietereigenschaften wie wirtschaftliche Solidität oder Lieferzuverlässigkeit oder allgemeine

330

11 B2B-Preispolitik

Markenreputation, ändern sich die „eigenen Zuschlagswahrscheinlichkeiten“ in der Tabelle von Schritt 1. So könnte dann schon für einen Wettbewerberpreis von 490.000 oder sogar von 470.000  € eine Zuschlagswahrscheinlichkeit größer null resultieren, wenn der Anbieter ein vom Auftraggeber geschätztes Image hat. Umgekehrt könnte es auch sein, dass schon zu einem Wettbewerber-Preis von 510.000 € Projekte verloren wurden, sodass die dortige Zuschlagswahrscheinlichkeit z. B. nur mit 0,9 anzusetzen wäre (vgl. dazu auch Bornemann & Hatulla, 2015, S. 570–571). Wie aus allem Bisherigen zu entnehmen ist, ist der Aufwand dieses Modells recht hoch, vor allem, wenn berücksichtigt wird, dass zur Bestimmung der Kostenseite u. U. zuvor noch gemäß der in Abschn. 11.2 aufgezeigten Verfahren kalkuliert oder projektiert werden muss. Schätzungen gehen davon aus, dass der Aufwand zur Angebotserstellung Monate dauern und finanziell bis zu 5  % des Angebotsvolumens betragen kann (vgl. Albers & Krafft, 2013, S. 132; Bornemann & Hatulla, 2015, S. 568). Deshalb sollte als Allererstes darüber nachgedacht werden, ob eine Teilnahme an der Ausschreibung überhaupt sinnvoll ist, indem eher qualitativ oder semi-quantitativ, z. B. mittels einer Nutzwertanalyse, Chancen und Risiken gegeneinander abgewogen werden (vgl. z. B. Blythe & Zimmerman, 2005, S. 187–188; Bornemann & Hatulla, 2015, S. 562–566; Hofbauer & Purle, 2022, S. 235–246).

11.3.2 Online Reverse Auctions Ein besonderes Ausschreibungsformat ist durch digitale Auktionsplattformen entstanden, über die sogenannten „Online Reverse Auctions“ (Rückwärtsauktionen), (auch Einkaufsauktionen genannt, vgl. Lasch, 2021, S. 84–85) vorgenommen werden können (vgl. Schoenherr & Mabert, 2007, S.  373; Wyld, 2011a, S.  15). Während bei Auktionen, wie die meisten sie privat z. B. von eBay kennen, der Verkäufer ein Produkt anbietet und an den Höchstbietenden verkauft, wird bei „Reverse Auctions“ dieser Prozess umgedreht: Ein Käufer sucht ein vollständig spezifiziertes Produkt oder eine eindeutig definierte Dienstleistung und Anbieter können ihre Angebote dafür abgeben (vgl. Wyld, 2011a, S.  11). Damit entspricht dies den im Abschn. 11.3.1 beschriebenen Ausschreibungen, wobei zur Einkaufsauktion i.  d.  R. nur vorqualifizierte Anbieter eingeladen werden (vgl. Wyld, 2011a, S. 12; Lasch, 2021, S. 90). Anders als zunächst vermutet werden könnte, werden Rückwärtsauktionen nicht nur im standardisierten Produkt- oder Systemgeschäft verwendet, sondern auch bei komplexeren Lösungen und Leistungen, solange diese vom Käufer vollständig spezifiziert werden können (vgl. Smeltzer & Carr, 2002, S. 50; Schoenherr & Mabert, 2007, S. 376–377; Wyld, 2011b, S. 2–4). Werden Rückwärtsauktionen digital, also als „electronic“ oder E-Auktionen durchgeführt, findet dies mit einer wichtigen Änderung statt: Je nach Art der Ausschreibung ist für die Anbietenden ersichtlich, welches aktuell der niedrigste gebotene Preis ist oder an welcher Position im Rennen sie liegen, können die eigenen Preise bis zum Auktionsende angepasst und ggf. anonymisiert sogar die Gebote der einzelnen Wettbewerber gesehen

11.3  Wettbewerbsorientierte Preisbildung

331

werden (vgl. Smeltzer & Carr, 2002; Wyld, 2011a, S. 16, 2011b, S. 6, 48). Häufig anzutreffen ist die Variante, bei der ausgehend von einem durch den Käufer gesetzten Höchstpreis die Bieter nach und nach niedriger werdende Gebote abgeben. Das am Ende niedrigste erhält den Zuschlag. Alternativ kann durch das elektronische System der Preis automatisch immer weiter abgesenkt werden und die Bieter müssen signalisieren, ob sie noch dabei sind oder nicht (englische oder japanische Einkaufsauktion, vgl. Lasch, 2021, S. 86–87). Damit entsteht anders als beim Competitive Bidding keine völlig Blindsituation mit einem „Einmalschuss“, sondern es herrscht eine gewisse Transparenz. Es muss daher nicht mit Wahrscheinlichkeiten kalkuliert werden, sondern es kann jederzeit innerhalb der Auktionsdauer in Echtzeit reagiert werden.6 Mitbietern ist zu empfehlen, im Vorfeld für sich den niedrigsten anzubietenden Preis festzulegen. Dabei sollten sämtliche relevanten Aspekt, z. B. die Kostenkalkulation oder strategische Überlegungen, berücksichtigt werden. Wichtig ist dann, sich im Verlauf der Auktion an diese Preisuntergrenze zu halten und sich nicht „im Eifer des Gefechts“ zu noch niedrigeren Geboten hinreißen zu lassen. Denn sonst droht der sogenannte „Winner’s Curse“, dass man den Zuschlag erhalten hat, aber das zu Konditionen, die keinen Gewinn oder positiven Deckungsbeitrag mehr erlauben (vgl. Smeltzer & Carr, 2002, S. 49; Wyld, 2011b, S. 5–6). Der Zuschlag erfolgt bei solchen Ausschreibungen entweder automatisch nach dem niedrigsten Preisangebot oder im Nachgang manuell nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis unter Berücksichtigung weiterer der bereits genannten Faktoren, wie Lieferbedingungen oder Charakteristika des Anbieters (vgl. Müller & Windhaus, 2002, S. 131–132; Schoenherr & Mabert, 2007, S. 374–376; Wyld, 2011b, S. 5; Lasch, 2021, S. 85). In letzterem Fall müssen Anbieter doch wieder gewisse Wahrscheinlichkeitsüberlegungen anstellen. Sie beziehen sich dann aber natürlich nicht auf die sichtbaren Preisangebote der Wettbewerber, sondern nur darauf, wie stark der Auftraggeber den Preis und die anderen Aspekte gewichtet bzw. wie gut die Wettbewerber sie erfüllen. Damit kann abgeschätzt werden, wie hoch Preisunterschiede zum Wettbewerb sein dürfen, um doch noch den Zuschlag zu erhalten. Gegebenenfalls kann diese Gewichtung im Vorfeld der Auktion beim Auftraggeber erfragt oder auf Basis von Erfahrungen aus der Vergangenheit abgeschätzt werden. Unsicherheit verbleibt, wenn unbekannte Wettbewerber auftreten. Für diese sollte zunächst im Rahmen einer Wettbewerbsanalyse eine Einschätzung ihrer Qualität als Lieferant vorgenommen werden.

11.3.3 Bündelpreis zur Reduktion der Vergleichbarkeit Um direkten Preiswettbewerb zu umgehen, kann versucht werden, durch „Verschleierungstaktiken“ die Vergleichbarkeit von Wettbewerbsangeboten zu erschweren. Dazu können Bündel mehrerer Produkte oder Produkte und Dienstleistungen geschnürt und dafür  Es gibt allerdings auch Auktionstypen, die der Ausschreibung ähneln und nur ein einmaliges Gebot zulassen (vgl. Lasch, 2021, S. 86–87). 6

332

11 B2B-Preispolitik

Bündelpreise festgelegt werden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 291–292). Gerade in Kombination mit produktbegleitenden Dienstleistungen, die, wie in Abschn.  10.3.1 beschrieben, bereits auf Produktebene einen Differenzierungsversuch darstellen, erscheint dies recht vielversprechend. Zum Schnüren von Preisbündeln gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Es können reine oder gemischte Bündel angeboten werden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 292).7 Das Angebot reiner Bündel bedeutet, dass die Produkte oder die Produkt-­Dienstleistungs-­ Kombination ausschließlich im Paket erhältlich ist, d. h. z. B. jede Maschine zwangsweise mit einem Wartungsvertrag ausgestattet wird. Hier besteht klar das Risiko, dass dadurch einige Kunden, die die Wartung selbst übernehmen würden oder dafür einen alternativen Partner haben, verloren gingen. Dem könnte durch ein größeres Bündel mit attraktiven weiteren Leistungen begegnet werden. In diesem könnte z. B. neben der Wartung auch ein Notfallpaket mit gewissen garantierten Antrittszeiten der Servicetechniker im Schadensfall, eine Finanzierungshilfe usw. enthalten sein. Sofern diese weiteren Leistungen für den Kunden hohen Nutzen stiften, mag er die „bittere Pille“ einer nicht benötigten Wartung mitschlucken und trotzdem das gesamte Paket erwerben. Um zu verhindern, dass dann wiederum andere Kunden mit diesem Komplettpaket nicht einverstanden sind, könnten verschiedene Bündel für verschiedenen Kundensegmente zusammengestellt werden. Damit würde die Preisintransparenz weiter vergrößert, sofern Bündel erstellt werden, die es in dieser Form bei den Wettbewerbern nicht gibt. Zu beachten ist, dass auf diese Weise nicht eine unüberschaubar große Vielfalt an Bündeln produziert werden sollte, die intern großen Verwaltungsaufwand und extern Verwirrung bei den Kunden schaffen (vgl. Kleinaltenkamp et al., 2015, S. 326). Zudem ist eine intensive Analyse der Bedürfnisse und Zahlungsbereitschaften der Kunden unerlässlich, um sowohl nutzenstiftende Leistungspakete als auch optimale Preise dafür zu erstellen. Sinnvoll ist es, auf Basis der Zahlungsbereitschaften der Kunden(segmente) verschiedenen Alternativrechnungen anzustellen und zu prüfen, welche Kombinationen die deckungsbeitragsmaximierenden sind. Diese Berechnungen können mithilfe von Preisemanagementsoftware stark erleichtert werden (siehe Abschn. 11.7). Sofern die Bündel Komponenten enthalten, die erst in der Zukunft geliefert werden (z. B. Wartungen in bestimmten Intervallen), können sie als einmalige Pauschalzahlungen ausgestaltet sein, bei denen für alle späteren Leistungselemente, wie z. B. Wartungen, über einen gewissen Zeitraum oder eine gewisse Anzahl eine Flatrate berechnet wird. Dies ist vor allem sinnvoll, wenn über einen vereinbarten Zeitraum feststeht, welche Mengen oder welcher Dienstleistungsumfang zu welchen Zeitpunkten vom Kunden abgerufen werden. Alternativ können, vor allem wenn weder die Zeitpunkte noch die Umfänge im Vorfeld genau bestimmbar sind (z.  B. beim verbrauchsorientierten Abruf von Komplementärprodukten), mehrteilige Preissysteme genutzt werden, bei denen es neben einem Paket-­  Die nachfolgenden Überlegungen sind neben der Schaffung von Intransparenz weitgehend auch für die Bepreisung von Systemlösungen relevant. Auch dabei geht es darum, wie die Erst- und wie die Folgeinvestitionen zu bepreisen sind (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 490–502). 7

11.4  Nachfrageorientierte Preisbildung

333

Grundpreis noch eine nutzungsabhängige Komponente gibt, die immer dann zu entrichten ist, wenn die Leistung in Anspruch genommen wird. Bei solchen nicht-linearen Preisen sind dann z. B. feste Preise pro Stück vereinbart, sodass der Gesamtpreis sich aus der Stückzahl multipliziert mit diesem Preis ergibt. Durch den fixen Grundpreis realisiert der Kunde hier eine Senkung der Gesamtkosten pro Stück, je mehr Menge er über den definierten Zeitraum abnimmt. Um Anreize zu setzen, kann der Anbieter Quersubventionierungen zwischen Grundpreis und Verbrauchspreis vornehmen. So kann ein niedriger Grundpreis helfen, Neukunden zu gewinnen, niedrige Verbrauchspreise lohnen sich für Großabnehmer. Auch solche Preismodelle sind schwer mit den Angeboten der Wettbewerber zu vergleichen. Bei Quersubventionierungen müssen ggf. Maximalmengen, für die das entsprechende Preissystem gilt, festgeschrieben werden, damit nicht irgendwann die Deckungsbeitragsreserve des Grundpreises aufgezehrt ist (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 292, 497–502). Alternativ zu reinen Preisbündeln können gemischte Bündel angeboten werden, bei denen parallel zu Bündeln auch die Einzelprodukte und -leistungen angeboten werden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 292). Damit hat jeder Kunde die Wahlmöglichkeit, die für ihn am besten passende Option herauszusuchen. Dieses Vorgehen führt jedoch nicht zu echter Preisintransparenz, weil jederzeit nachvollziehbar bleibt, was für jedes angebotene Paket die Summe der Einzelpreise wäre und wie stark somit die Bündelrabattierung ist. Unklar verbleibt lediglich, in welchem Umfang welche Komponente des Bündels rabattiert oder sogar von anderen quersubventioniert wird. Vor allem aber dürften bei echten Kostennachteilen des Anbieters gegenüber dem Wettbewerb die Einzelleistungen weitgehend unverkäuflich bleiben und die Rabatte der Bündel aus Kostengründen recht überschaubar ausfallen. Damit dürften gemischte Bündel kein wirklich wirksames Instrument sein, sich dem Preisdruck eines homogenen Markts zu entziehen. Kleinaltenkamp et al. (2015, S. 326) weisen darauf hin, dass alleine das Angebot gemischter Bündel Kunden als Preisvergleich genügen möge, sodass gar keine Wettbewerbspreise mehr erfragt werden. Vor allem bei größeren Auftragsvolumina erscheint dies jedoch recht unwahrscheinlich. Insgesamt stellen die Alternativen reine Bündel, gemischte Bündel oder entbündelte Einzelpreise vor allem beim Angebot von produktbegleitenden Dienstleistungen Standardansätze der Preisbildung dar (vgl. z. B. Meffert & Bruhn, 2009, S. 325–330). Es gibt jedoch keine allgemeingültige Aussage, welche der drei Methoden die beste ist. Dies richtet sich immer nach den Besonderheiten jedes einzelnen Anbieters und seiner Kunden (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 293–295).

11.4 Nachfrageorientierte Preisbildung Die nachfrageorientierte Preisbildung verfolgt eine Preisdifferenzierung auf Basis des individuellen Nutzens, den ein Produkt oder eine Lösung dem Kunden stiftet, mit dem Ziel, die individuelle Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Sie ist damit insbesondere im Zuliefer- und Projektgeschäft einschlägig, wo dies durch kundenindividuelle Konfiguratio-

334

11 B2B-Preispolitik

nen und damit Leistungsdifferenzierung in besonderem Maße realisiert werden kann (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S.  490; Scheed & Scherer, 2021, S.  171). Im Produkt- und Systemgeschäft hingegen werden homogene Güter angeboten.8 Sofern die Märkte transparent sind, wird kein Kunde bereit sein, einen höheren als den Einheitsmarktpreis zu bezahlen, egal, wie hoch sein Nutzen auch sein mag. Individualisierungen sind hier nur durch Zusatzleistungen, vor allem aus der Produktdimension (siehe Abb. 10.3) der „unterstützenden Eigenschaften“, also Dienstleistungen, möglich, die in dieser Form von den Wettbewerbern nicht angeboten werden oder über die Intransparenz herrscht (siehe dazu auch Abschn.  10.3). Dazu zählen z.  B. spezielle Service Level Agreements oder im Systemgeschäft Garantien über Nachlieferungen zu sehr viel späteren Zeitpunkten. In der Literatur wird eine Vielzahl von Ansätzen zur Ermittlung von Zahlungsbereitschaften und Nachfragefunktionen genannt (vgl. z.  B.  Backhaus & Voeth, 2014, S.  244–252; Simon & Fassnacht, 2016, S.  123–156; Meffert et  al., 2019, S.  555–561; Homburg, 2020, S. 747–758). Zur Bestimmung individueller Zahlungsbereitschaften im B2B-Geschäft sind davon insbesondere die „Value-in-Use-Messung“ und die „Product-­ Life-­Cycle-Cost-Analyse“ von Bedeutung (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 172). Denn i. d. R. gibt es im Zuliefer- und Projektgeschäft persönliche Kontakte zu den einzelnen Kunden, um die individuellen Besonderheiten zu erfassen und die Leistungsangebote maßschneidern zu können. Dabei können die benötigten Informationen über den kundenindividuellen Nutzen sowie Dauer und Intensität des Gebrauchs direkt erfragt werden.

11.4.1 Value-based Pricing Bei der Value-in-Use-Messung oder dem Value-based Pricing ist es elementar, dass im Verlauf der Kundenkontakte auf dem Weg zum Verkaufsabschluss der monetäre Wert, den die neue Lösung für den Kunden bedeutet, ermittelt wird. Dazu ist eine fragenbasierte Verkaufsgesprächsführung hilfreich, bei der im Dialog mit den Kunden Problemlösungs- oder Verbesserungspotenziale identifiziert und deren Ausmaß quantifiziert werden kann (vgl. Hummels, 2019). Methoden wie SPIN®- bzw. OPAL-Selling sehen in der Phase der Implication- bzw. Auswirkungsfragen z. B. explizit vor, mit dem Kunden ein „Preisschild“ für aktuell vorhandene Defizite zu erstellen (vgl. Rackham, 1988, S. 73–78; Sickel, 2008, S. 40–42, 74–76, 88–90). Schrank und Litschke (2002) haben fünf (nicht vollständig voneinander unabhängige) Kategorien von Wertsteigerungsmöglichkeiten für den Kunden identifiziert, die auch in Kombinationen auftreten können und sich ggf. sogar gegenseitig bedingen:  Ausnahmen stellen sogenannte „Specialty Goods“ dar, die zwar dem Produktgeschäft zuzuordnen sind, aber nur einen geringen Standardisierungsgrad aufweisen und somit nur schwer vergleichbar sind. Als Beispiel können Innovationen im Produktgeschäft genannt werden, die während Einführungs- und Wachstumsphase im Produktlebenszyklus Differenzierungsvorteile haben und erst im Verlauf von Reife- und Sättigungsphase durch nachahmende Wettbewerber einer „Commoditisierung“ unterliegen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 222). 8

11.4  Nachfrageorientierte Preisbildung

1. 2. 3. 4. 5.

335

Direkte Kosteneinsparungen Später anfallende Kosten Frühere Returns Returns on Re-Invested Savings Ermöglichte Wettbewerbsvorteile

Direkte Kosteneinsparungen können z. B. durch einen verringerten Energieverbrauch oder kostengünstigere Materialien erzielt werden. Verlängerte Wartungsintervalle führen zu einer Verschiebung von Kosten auf spätere Zeitpunkte. Frühere Returns beziehen sich auf Erträge, die schneller realisiert werden können, z. B. durch eine Erhöhung der Kapazität bzw. die Reduktion von Kapazitätsengpässen, sodass schneller mehr verkauft und damit erlöst werden kann. Beide Aspekte, sowohl später anfallende Kosten als auch frühere Returns, erhöhen den Cashflow und stellen somit Finanzmittel bereit, die reinvestiert werden können und damit ihrerseits früher weitere Erträge generieren. Unter ermöglichten Wettbewerbsvorteilen kann alles weitere subsummiert werden, das die Stellung des Kunden in seinem Markt und damit seine Ertragspotenziale weiter verbessert. Darunter kann auch die breite Palette an intangiblen Differenzierungsaspekten, wie innovatives Image und Positionierung, fallen. Insbesondere beim letzten Punkt wird deutlich, dass sich nicht immer unbedingt „finanzielle Wahrheiten“ berechnen lassen. Aber auch die nur gröbere Abschätzung von Bandbreiten, z. B. mithilfe von Szenarioanalysen (vgl. Schrank & Litschke, 2002, S. 49), zeigt zumindest Preisspielräume auf. Wichtig ist eine weite Perspektive des vertrieblichen Außendiensts auf und seine gute Vernetzung beim Kunden, um Optimierungsmöglichkeiten in der gesamten Wertkette des Kunden hinterfragen und erkennen und ihren Wert unter Einbindung der jeweiligen Fachansprechpartner ermitteln zu können. Die üblichen vertrieblichen „Lieblingsmitglieder“ im Buying Center wie Einkauf oder Nutzer werden dazu häufig nicht ausreichen, können aber genutzt werden, um relevante weitere Ansprechpartner einzubinden (vgl. Weiber & Kleinaltenkamp, 2013, S. 219). Natürlich bewegt sich ein Anbieter auch mit wertbasieren Ansätzen nicht im wettbewerbsfreien Raum. Aber auf dieser Basis können Nutzenunterschiede zwischen verschiedenen, bezüglich der Leistungsspezifikationen nicht vergleichbaren Angeboten messbar gemacht werden, was Möglichkeiten zur individuellen Preisbildung eröffnet (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 391–392).

11.4.2 Total Costs of Ownership Die Anschaffungskosten eines Produkts oder einer Dienstleistung sind i. d. R. nicht die einzige Kostenkomponente, die einem Kunden entsteht. Häufig verursacht ein Produkt im Verlauf seiner Nutzungsdauer sehr viel höhere Nutzungskosten, als der Einkaufspreis zum Zeitpunkt der Beschaffung betrug. Dieses Verhältnis kann bei Investitionsgütern bei 90:10 bis 70:30 liegen (vgl. Niemann, 2009, S. 294).

336

11 B2B-Preispolitik

Die umfassende Berücksichtigung der gesamten Nutzungsdauer eines Produkts führt zur Product-Lifecycle-Cost-Analyse bzw. zum „Total Cost of Ownership“ (TCO) oder dem Life Cycle Costing (LCC).9 Dies ist insbesondere für Premium-Anbieter mit höheren Anschaffungskosten und geringeren Nutzungskosten relevant, deren Preis-Leistungs-­ Vorteil sich erst bei Betrachtung des gesamten Lebenszyklus ergibt. Strukturell lassen sich die TCO in 1. Anschaffungskosten mit • Planungskosten (z. B. Bedarfs- und Machbarkeitsanalysen, Genehmigungen und Auftragsvergabe), • Realisierungskosten (z. B. Anpassung der Infrastruktur, Lieferantenmanagement, Einbindung in Supply-Chain-Management-Systeme, Einkaufspreis, Transport, Versicherung, Zoll, Installation und Schulungen,) und • Einführungskosten (z.  B.  Ab- und Inbetriebnahme, Zwischenlagerung/Weitertransport, Probeläufe), 2. Nutzungskosten mit direkten Nutzungskosten (z. B. Energie, Hilfs- und Betriebsstoffe, Personalkosten, spezielle Dienstleistungen, Wartungen, Störungen, Ersatzteile und Erweiterungen) sowie 3. Liquidationskosten (z. B. Demontage, Aufbereitung/Recycling und Entsorgung) zerlegen (vgl. Niemann, 2009, S. 297–300; Hofmann et al., 2012, S. 67–70; Bräkling & Oidtmann, 2019, S. 257–258). An der langen und längst nicht abschließenden Liste an Kostenkomponenten wird deutlich, dass sich TCO von Kunde zu Kunde je nach Produkt- oder Lösungskonfiguration sowie Betriebsart und -umfang erheblich unterscheiden können. Somit sind auch Veränderungs- und Einsparpotenziale ganz exakt nur kundenindividuell bestimmbar. Dennoch können TCO-Argumente etwas pauschaler, aber auch kundensegmentspezifisch genutzt werden, sofern die Segmentmitglieder hinsichtlich ihrer Kostenstrukturen hinreichend homogen sind. Berücksichtigt werden sollte, dass einzelne Kostenkomponenten ganz unterschiedliche Anteile an den TCO haben. Dies muss berücksichtigt werden, wenn eine Reduktion spezifischer Teile der TCO als Verkaufsargument genutzt werden soll. Setzt ein Wettbewerber an anderer Stelle an und erzielt größere Reduktionen, kann ein vermeintlicher Vorteil schnell verpuffen. TCO-Kalkulationen sind zunächst immer ein Vergleich mit Nutzungskosten zum heutigen Stand. Über die Entwicklung der einzelnen Kostenkomponenten können nur Annahmen getroffen werden. Dies gilt grundsätzlich umso mehr, je länger die Nutzungsdauern sind (vgl. Bräkling & Oidtmann, 2019, S.  258). Daher ist es ideal, wenn sich TCO-­Reduktionen durch neue Lösungen prozentual angeben lassen oder einzelne Kosten In der reinen Lehre sind TCO etwas weitergefasst als LCC. In der Praxis werden die Begriffe jedoch ganz überwiegend synonym verwendet (vgl. Hofmann et al., 2012, S. 67–70).

9

11.5  Innovative Preismodelle für neue digitale Services

337

bestandteile sogar komplett entfallen. Wenn das neue Produkt wartungsfrei ist, kommt es unabhängig von künftigen Schwankungen bei Wartungskosten dann immer zu Einsparungen. Ein Unterschied kann entstehen, wenn sich durch das angebotene neue Produkt die Anteile der Kostenkomponenten an den TCO verändern. Sollte sich der Preis dann ausgerechnet für die Bestandteile erhöhen, die bei der neuen Lösung ein größeres Gewicht haben, könnte dies die Situation für den Kunden in der Zukunft faktisch sogar verschlechtern. Beispielsweise könnte dies eintreten, wenn sich zwar Wartungskosten reduzieren, aber Recyclingkosten durch neue Verbundwerkstoffe, die aufwändiger zu zerlegen sind, erhöhen. Steigen nun insgesamt die Marktpreise für Recycling, könnte dies die Ersparnisse bei der Wartung überkompensieren. Hierzu ist es sinnvoll, mithilfe von Szenarioanalysen Bandbreiten und Wahrscheinlichkeiten möglicher TCO-Veränderungen zu erstellen. Praxisbeispiel: TCO in der Praxis

Es gibt eine Reihe von im Internet zugänglichen TCO-Simulatoren. Sie vermitteln einen guten Eindruck, wie sich TCO zusammensetzen, und erlauben, die Auswirkung von Änderungen einzelner Kostenelemente auf die TCO zu ermitteln. Viele Simulatoren sind downloadbare Excel-Tabellen, die, abhängig von den Produkten, teilweise recht komplex und für Nicht-Insider der jeweiligen Branchen kaum sinnvoll nutzbar sind. Mit vertretbarem Rechercheaufwand für Demonstrationszwecke nutzbare Online-­ TCO-­Kalkulatoren werden hingegen z. B. von der European Rental Association (ERA) unter https://equipmentcalculator.org/de/c/new oder der Manitou Gruppe unter https:// www.reduce-­program.com/de/tco/calculate zur Verfügung gestellt. Bei der ERA reicht nach Auswahl einer „Maschine“ aus vorgegebenen Feldern (Radlader oder Bagger auf Rädern oder Ketten) unter „Name“ die Eingabe eines Herstellernamens, woraufhin sich der Rechner öffnet. Bei Manitou geschieht dies nach Auswahl einer der Unternehmensmarken und nachfolgend einer Maschinenart. Es sind dann bei beiden Simulatoren diverse Einzeleingaben vorzunehmen, die aber für die möglichen Geräte grundsätzlich verständlich, vorstellbar und recherchierbar sind. Nach Ersteingabe kann simuliert werden, in welchem Maße sich die TCO und ihre Zusammensetzung ändern, wenn sich einzelne Kostenkomponenten wie z.  B. der Verbrauch von RHB-Stoffen oder Wartungsintervalle ändern. Hieran wird deutlich, über welchen „Hebel“ Hersteller durch Innovationen verfügen. Probieren Sie es aus! ◄

11.5 Innovative Preismodelle für neue digitale Services Für die in Abschn. 10.3.2 beschriebenen neuen Geschäftsmodelle auf Grundlage der digitalen Servitization ergeben sich neue Möglichkeiten für Preismodelle. Während traditionell Produkte unabhängig davon, wie der Kunde das Produkt nachfolgend nutzt, für einen Einmal- und häufig auch Einheitspreis verkauft werden, werden in neuen Geschäfts-

338

11 B2B-Preispolitik

modellen Leistungspotenziale bereitgestellt, Verfügbarkeiten garantiert, Teilprozesse effizienter durchgeführt oder Geschäftsergebnisse direkt beeinflusst (siehe Abb. 10.16). Das eigentliche Produkt, die Hardware, kann dabei im Eigentum des Herstellers verbleiben und die Abrechnung z. B. nach Abrufintensität der Leistungspotenziale durch den Kunden erfolgen. Viele der neuen Preismodelle sind seit Längerem bekannt. Allerdings ist ihre Umsetzung bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 302). Ein möglicher Grund dafür ist die schwierige Erfassung dessen, was abgerechnet werden muss, aber beim Kunden außerhalb der Beobachtungssphäre des Herstellers passiert. Die neuen Möglichkeiten durch Sensorik und digitale Datenübermittlung helfen dabei, dieses Problem zu lösen, sodass solche Modelle zukünftig voraussichtlich mehr Verwendung finden werden. Verwirrend viele neue Preismodelle werden in diesem Zusammenhang genannt: Freemium und Cost-free Trials, Abonnements, Tiered Pricing, Performance-based Pricing, Pay-per-Use und Pay-per-Action, Gain-Sharing-Modelle, Flatrates, Preisbildung auf Basis neuer Preismetriken, interaktive Modelle wie Name-your-own-price und Pay-what-­youwant, intelligente Zuschläge bzw. Preisentbündelung oder zweiseitige Preissysteme (vgl. Beutin et al., 2020; Schindlbeck & Antolin, 2019, S. 28; Münnich & Reiss, 2020, S. 5; Simon, 2015, S. 239–269; Simon & Fassnacht, 2016, S. 571–589). Abb.  11.8 gibt einen Überblick über die Vielzahl der Modelle und versucht, sie zu strukturieren. Viele von ihnen (z.  B.  Cost-free Trials/kostenfreie Demos oder Abonnements/Flatrates) sind nicht neu, können durch die Digitalisierung aber in anderen Zusammenhängen eingesetzt werden als in der Vergangenheit. Vor allem die IT-Branche war speziell bei der Abrechnung von Software für viele Modelle Vorreiter. Nun liegt es an anderen Branchen, über ihren intelligenten Einsatz zu entscheiden. Verschiedene Modelle lassen sich auch miteinander kombinieren, sodass eine sehr große Anzahl an theoretisch möglichen Ausprägungen entsteht (vgl. Chargebee, o. J.; Outsourcing.de, o. J.; Fudickar, 2013; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 223; Simon, 2015, S. 239–269; Münnich & Reiss, 2020, S. 5; Simon & Fassnacht, 2016, S. 571–589; Stoppel, 2016, S. 58; Pressebox, 2017; Simon, 2017, S. 267). Was nun im Einzelfall zu wählen ist, richtet sich nach dem Geschäfts- und dem daraus abgeleiteten Erlösmodell (vgl. Frohmann, 2018, S.  38–40). Ein Erlösmodell beschreibt allgemein die zu bepreisenden Leistungen und die Zahlenden10 und gibt damit die ­Rahmenbedingungen für den Preisfindungsprozess von der Strategie über Preisstrukturen und -modelle bis hin zum konkreten Preisniveau vor (vgl. Frohmann, 2018, S. 50–51). Im Rahmen des Preisfindungsprozesses geht es um die Abschöpfung der mit den neuen Geschäftsmodellen für die Kunden geschaffenen Werte (vgl. Frohmann, 2018, S. 40). Gemäß der Dimension „WERT“ des Business Model Navigators (siehe Abschn. 10.3.2 und Abb. 10.17) ist dazu nach den Leistungen zu fragen, für die die Kunden eine Zahlungsbereitschaft aufweisen; dies auch differenziert nach der Wichtigkeit der Leistungen und 10  Wie in Abb. 11.8 bei „zweiseitigen Preismodellen“ zu sehen, können dies durchaus mehrere Leistungen, auch für unterschiedliche Kundengruppen, sein.

11.5  Innovative Preismodelle für neue digitale Services

339

somit nach den potenziellen Haupteinnahmequellen und ihren Anteilen. Schließlich ist zu ermitteln, wie diese Erträge konkret realisiert werden können (vgl. Gassmann et  al., 2021, S. 34). Anknüpfend an die in Abb. 10.16 betrachteten Entwicklungsstufen servicezentrierter Geschäftsmodelle sind vier Hauptpreissysteme möglich, die auch in den mittleren Zeilen von Abb. 11.8 enthalten sind. Alle sind wertbasiert und nachfrageorientiert und es kann zwischen 1. 2. 3. 4.

verfügbarkeits-, nutzungs-, ergebnis- und erfolgsabhängigen

Preissystemen unterschieden werden (vgl. auch nachfolgend Stoppel, 2016, S.  57–66; Roth et  al., 2017, S.  284–287). Sie können wie in Abb.  11.9 dargestellt mit den Entwicklungsstufen der Servitization zusammengebracht werden. Bei den verfügbarkeitsorientierten Preismodellen wird dem Kunden Vorhandensein und Funktionsfähigkeit der Produkte durch die Dienstleistungen garantiert. Damit geht für den Anbieter einher, dass er diese zu jedem Zeitpunkt der Vertragslaufzeit gewährleisten muss, was ggf. auch den Austausch defekter Geräte oder den kurzfristigen Antritt von Technikern zur Reparatur beinhaltet. Das bereits in Abschn. 10.3.1 beschriebene Flottenmanagement von Hilti kann als Beispiel dafür genannt werden. Die Grundlage für die Preisbildung ist neben den Kosten des Herstellers vor allem der vorab mit dem Kunden identifizierte Nutzenwert, z.  B. durch geringere Ausfallzeiten und das Vermeiden von Überkapazitäten. Als nutzungsabhängige Preismodelle sind die typischen „Pay-per-Use“-Modelle zu nennen, wie im in Abschn. 10.3.2 skizzierten TotalCare® Programm von Rolls-Royce für Flugzeugtriebwerke. Hier wird nach Stunden Nutzungsdauer abgerechnet, wobei dies neben Kostenaspekten des Herstellers die mit dem Betrieb der Produkte erzielbaren Erträge berücksichtigen muss. Die ergebnisabhängigen Ansätze könnten auch als outputbezogene Ansätze bezeichnet werden. Es geht (noch) nicht um ein Geschäftsergebnis, sondern rein um die durch den Prozess erbrachte Leistung, z.  B.  Stückzahlen. So installiert BASF Coating zwar eine Lackierstraße für die Automobilhersteller, lässt sich aber nach der Anzahl der damit vollständig lackierten Autos bezahlen. Letztendlich kann dieses Modell auf jeden Anlagenhersteller übertragen werden: Sofern der Output zweifelsfrei messbar ist, können abgefüllte Getränkeflaschen oder produzierte Werkzeuge die Bezugsgröße sein. Auch bei diesem Modell muss im Vorfeld auf Basis der Kosten des Anbieters und der Erträge des Kunden der Preis pro Stück ausgehandelt werden. Bei den erfolgsabhängigen Preismodellen muss im Vorfeld die relevante Erfolgsgröße definiert und die Quote, nach der dieses Ergebnis zwischen Kunden und Anbieter aufgeteilt wird, festgelegt werden. Die genaue Abrechnung kann erst am Ende eines definier-

Modell

Funktionsweise

Generelle Änderung der Bemessungsbasis von Preismodellen: Abkehr von Preis pro Stück zu Verbrauch, von Km Straße statt Tonne Asphalt o.Ä. Erlöse von verschiedenen Kundengruppen aus gekoppelten Geschäftsmodellen, z.B. Zeitungs- und Werbeflächenverkauf in Zeitungen Differenzierung nach Festpreis/ Grundgebühr für Bereitstellung der Grundleistung und flexiblem Preis für Nutzung, Erfolg …

Kategorie

Grundgedanke innovativer Ansätze Eigenständige Geschäftsmodelle Kombination verschiedener innovativer Ansätze Übergreifende Ansätze

Kunde bezahlt, was er will

Abb. 11.8  Übersicht innovativer Preismodelle

Pay-what-you-want

Rahmenvertrag/ Dauerlieferverhältnis mit Preis pro Stück über definierten Zeitraum, z.B. Zeitungs-Abonnement; Übergang Verfügbarkeitsabhängiger regelmäßiger Bezug einer Leistung gegen Entgelt; in der Regel rabattiert gegenüber Einzelbezug fließend Preis Flatrate (für Services) Fester Preis pro Zeiteinheit über definierten Zeitraum mit vielfach uneingeschränkter Nutzung aller Angebote Ansätze Ersatz von Kauf durch Miete: Zahlung nach tatsächlicher Nutzung ohne festgelegten Gesamtzeitraum (Unterschied Nutzungsabhängiger Preis gemäß der Pay-per-Use zum Abonnement), z.B. nach Zeit oder Km-Leistung; mit Grundgebühr koppelbar ServitiPreis wird für Leistungsergebnis bezahlt, z.B. Anzahl lackierter Autos in Lackierstraße Performance-based Pricing zationErgebnisabhängiger Preis Art des Performance-based Pricings, insbesondere bei Online-Werbung: Preis wird „pro Stück“ realisiertes Pay-per-Action Stufen Ergebnis bezahlt, z.B. Klicks, Aktivitäten, Verkäufe der/ an Endkunden Gain-Sharing-Modelle Aufteilung von zusätzlichen Gewinnen oder Kosteneinsparungen zwischen Anbieter und Kunde bei OutsourcingErfolgsabhängiger Preis Lösungen Gratis-Angebot für vollwertige(s) Produkt/ Leistung über bestimmten Zeitraum oder bestimmte Menge (GratisCost-free-trials Probe) „Klassischer“ Verkaufsförderansatz Gratis-Angebot eines Basis-/ Schnupperprodukts mit eingeschränkter Funktion, Bezahlung für Voll- bzw. Freemium erweiterte Version(en) Separate Bepreisung verschiedener/ neuer Paket-Bestandteile, ggf. Peak-Load-Zuschläge oder Entbündelung Intelligente Zuschläge (Add-ons) vormals gesamtheitlich bepreister Pakete „Klassische“ Preisdifferenzierung Differenzierte Preise für unterschiedlich gestaffelte Leistungspakete („tiers“), z.B. Bronze, Silber, Gold Tiered Pricing oder „Angestoßene“ Rabattstaffeln für unterschiedliche Abnahmemengen („tiers“) Höchstgebot der Kunden (ggf. oberhalb vom Anbieter festgelegter Preisuntergrenze) erhält den Zuschlag, z.B. Auktionspreisverfahren für Restposten, Wertstoffe aus Produktionsprozessen Kunde benennt verbindlichen Preis oberhalb vom Anbieter festgelegter, aber nicht kommunizierter Name-your-own-price Preisuntergrenze; könnte Auktionspreisverfahren einschließen, z.B. bei digitaler Werbung, dann aber kein Kundenbestimmter Preis verbindlicher Zuschlag; könnte variabler Preisbestandteil sein, z.B. gekoppelt an Kundenzufriedenheit --> s.a. „Performance-based Pricing“

„Klassisches“ (Produkt-) Abonnement

Zwei-/ mehrdimensionale Preissysteme

Zweiseitige Preismodelle

Neue Preismetriken

340 11 B2B-Preispolitik

11.5  Innovative Preismodelle für neue digitale Services

Verfügbarkeitsabhängige Preise

341

Nutzungsabhängige Preise

Stufe 3a •DienstleistungsDominanz •Prozessfokus: Outsourcing/ Effizienz

Stufe 1 •Produktbegleitende Dienstleistung •Produktfokus: Bereitstellung

Ergebnisabhängige Preise

Stufe 2 •ProduktDienstleistungsIntegration •Produktfokus: Verfügbarkeit

Stufe 3b •DienstleistungsDominanz •Prozessfokus: Outsourcing/ Erfolg

Erfolgsabhängige Preise

Abb. 11.9  Servicezentrierte Preismodelle entlang der Servitization-Entwicklungsstufen

ten Zeitraums erfolgen Bei langen Zeiträumen sind Zwischenabrechnungen sinnvoll. So werden beim Siemens Energy Performance Contracting die Projektkosten aus den realisierten Energieeinsparungen finanziert (vgl. Siemens, o. J.). Im bereits genannten Beispiel des Baufahrzeugherstellers, der die kompletten Material- und ggf. auch Personalflüsse einer Baustelle managt (Abschn. 10.3.2), könnten dies reduzierte Prozesslaufzeiten durch weniger Wartezeit oder erhöhte Präzision und geringere Schwundquoten durch die richtigen Menschen und Materialien an den richtigen Orten zu den richtigen Zeitpunkten sein, die sich in höherem Nutzen und damit höherer Zahlungsbereitschaft der Bauherren niederschlagen (vgl. Meisels et al., 2019, S. 7–8). Tab. 11.1 fasst die vier Preismodelle noch einmal zusammen: Diese vier für die digitale Servitization geeigneten Hauptansätze lassen sich mit (fast) allen anderen in Abb.  11.8 genannten Preismodellen kombinieren. Der entscheidende Punkt bei jedem Modell ist das Finden einer geeigneten Preismetrik. Es kann in jedem Modell auch zweidimensional mit zusätzlichen festen Grundgebühren gearbeitet werden. Zumindest bei den verfügbarkeits- und nutzungsabhängigen, d. h. produktbezogenen Systemen können Gratis-Proben angeboten und Freemium-Versionen konzipiert und Pakete im Sinne des Tiered Pricings geschnürt werden. Lediglich von Name-your-own-priceund Pay-what-you-want-Modellen, die sich aber auch nicht im Markt durchgesetzt haben, ist – nicht völlig überraschend und zumindest in deren Reinform – abzuraten (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 579, 581). Bei allen innovativen Ansätzen ist zu beachten, dass eine signifikante Risiko- und Kostenverlagerung auf den Anbieter stattfindet, die gemanagt werden muss (vgl. Stoppel & Roth, 2015, S. 144–145; Münnich & Reiss, 2020, S. 6):

342

11 B2B-Preispolitik

Tab. 11.1  Servicezentrierte Preismodelle. (Quelle: In Anlehung an Stoppel, 2016, S. 58) Preismodell Charakteristikum Verfügbarkeitsabhängig Kunde bezahlt pauschal (vorab oder kontinuierlich) für Verfügbarkeit einer vorab definierten Leistung über definierten Zeitraum Nutzungsabhängig Kunde bezahlt kontinuierlich nur für tatsächliche Nutzung einer vorab definierten Leistung Ergebnisabhängig Kunde bezahlt kontinuierlich für Ergebnis aus der Nutzung einer vorab definierten Leistung Erfolgsabhängig Kunde bezahlt ex ante definierten Teil realisierter Erfolge am Ende der Vertragslaufzeit

Preisdeterminante Ex ante kalkuliertes Gesamtnutzenpotenzial des Kunden gemäß Value-based/ TCO-Pricing Konkreter Wert des Kunden pro Nutzungseinheit (ex ante definiert) Konkreter Wert des Kunden pro Ergebniseinheit (ex ante definiert) Ex ante definierte Ex-post-­ Aufteilung realisierter Erträge, Gewinne oder Kostensenkungen

1. Anbieter muss notwendige technische, personelle, organisatorische, finanzielle und Know-how-Ressourcen aufbauen und dauerhaft vorhalten. 2. Anbieter muss Fixkostenverteilung sehr sorgfältig kalkulieren: Flatrates können z. B. schnell zu verringerten Erträgen führen (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 574). 3. Bei verfügbarkeitsabhängiger Vergütung Risiko von Fehlern, die durch Kunden verursacht werden (Abhilfe: z. B. Datenüberwachung, um Fehlerzeitpunkte und Ursachen nachhalten zu können und Gewährleistungsausschlüsse oder Sonderzahlungen bei Selbstverschulden) 4. Bei Nutzungs-, Ergebnis-, Erfolgsabhängigkeit: Übertragung von Marktrisiko des Kunden auf Anbieter; Einfluss externer Faktoren: Flugzeugtriebwerke standen z. B. während Corona still (Abhilfe: z. B. Kombination variabler Entgelte mit festem Grundbetrag pro Periode) 5. Liquiditätsrisiko des Anbieters: Erträge kommen erst später in Abhängigkeit von Nutzung und Ergebnis oder sogar erst ganz am Ende bei Erfolgsabhängigkeit (Abhilfe: z. B. Abschlagszahlungen mit späterer Verrechnung) Zudem stehen die Unternehmen bei der Einführung dieser innovativen Ansätze vor operativen und organisatorischen Herausforderungen. Diese reichen vom Abbilden der neuen Preisstrukturen in den IT-Systemen über die Kosten für benötigte neue Technologien, z. B. Sensorik und Datenübertragung, bis hin zum Einstellen neuer Mitarbeiter, die über die für die Einführung und Umsetzung benötigten Kompetenzen verfügen. Auch der Vertrieb muss die neuen Lösungen annehmen und verkaufen. Auch für diese Aspekte sind Service-Ökosysteme wichtig und hilfreich (siehe Abb. 10.19). Und nicht nur auf Anbieter-, sondern auch auf Kundenseite erfordern die innovativen Preisbildungsansätze Offenheit und Umdenken (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 584). Daher ist es wichtig, dass das

11.6 Rabattpolitik

343

konkrete Modell für die Kunden so einfach verständlich wie möglich ist und im Vergleich zu den traditionellen Preisen als fair wahrgenommen wird (vgl. Beutin et  al., 2020, S. 17–18; Münnich & Reiss, 2020, S. 6). Im Gegenzug ergibt sich für den Anbieter die Chance, durch Wertorientierung und kontinuierliche Zahlungsströme über lange Zeiträume die Zahlungsbereitschaft der Kunden besser abzuschöpfen und so Mehrerträge im Vergleich zu traditionellen Einmalzahlungen zu realisieren (vgl. Simon, 2015, S. 241).

11.6 Rabattpolitik Die Gewährung von Rabatten ist ein in B2B-Transaktionen übliches Vorgehen (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 221). Dabei handelt es sich um Preisnachlässe in Bezug auf Listenpreise11 eines Anbieters (vgl. Meffert et al., 2019, S. 561), die in Rahmenverträgen mit Kunden festgeschrieben oder individuell mit Einzelkunden verhandelt werden können. Bei den Kunden kann es sich sowohl um direkte Kunden als auch um Intermediäre handeln. Zu den gängigsten Rabattarten gehören (vgl. Meffert et al., 2019, S. 561–564) . Skonto als Barzahlungsrabatt, 1 2. Mengenrabatte,12 wenn bestimmte Bestellmengen oder -umsätze überschritten werden, 3. Treuerabatte für langjährige Kunden unabhängig von Bestellmengen und -umsätzen, 4. Funktionsrabatte für die Übernahme von Funktionen, wie z. B. Lagerhaltung, Warenpräsentation oder Beratung durch Händler, und 5. Zeitrabatte, z. B. für feste Vorausbestellungen oder bei Neuprodukteinführungen. Dazu kann eine Vielzahl weiterer (und teilweise frei definierter) Rabatte kommen: Das seit 1997 durch die Literatur weitergereichte Beispiel eines Herstellers technischer Gebrauchsgüter weist neun Rabattarten aus, die am Ende zu einem effektiven Preisnachlass von 43 % vom Listenpreis geführt haben (vgl. Homburg & Daum, 1997, zitiert nach Homburg, 2020, S.  730). Homburg et  al. (2010, S.  79) erwähnen ein Unternehmen, das 117 verschiedene Rabatte verwendete. Hierdurch entstehen als Preistreppe oder Preiswasserfall bezeichnete stufenweise Reduktionen des Verkaufspreises (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 420–421).

 Beim Listenpreis handelt es sich um den intern festgesetzten, optimalen bzw. maximalen offiziellen Preis eines Produkts oder einer Leistung, der nach außen offen kommuniziert oder auch nur intern als Grundlage für Angebote verwendet werden kann. Listenpreise können nach Kundengruppen oder Vertriebskanälen variieren. In der Regel werden sie als Ausgangspunkt für Preisverhandlungen verwendet (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 388, 404, 417). 12  Hierzu gehören auch Boni als rückwirkende Rabatte für Gesamtmengen innerhalb einer bestimmten Periode (vgl. Meffert et al., 2019, S. 563). 11

344

11 B2B-Preispolitik

Leicht vorstellbar ist, dass die Nutzung einer größeren Anzahl unterschiedlicher Rabatte schnell zu einem unüberschaubaren Rabattchaos und einem unkalkulierbaren Preisrisiko werden kann. Umso wichtiger ist es, ein klar strukturiertes Rabattsystem zu entwickeln und zu managen. Dazu gehört insbesondere mit Blick auf den Vertriebsaußendienst auch, Preisdurchsetzungsdisziplin einzufordern bzw. entsprechende Anreize wie Provisionen auf Basis von Deckungsbeiträgen anstelle von Umsätzen zu setzen (vgl. Homburg et al., 2010, S. 78–81). Viel wichtigere Grundlage für ein Rabattsystem als die erwähnten Rabattarten müssen die mit Rabatten verfolgten Zielsetzungen sein. Dazu gehören (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 257–260; Meffert et al., 2019, S. 562–564) . kurzfristige Abverkäufe (Rabatte als Verkaufsförderinstrument) 1 2. Kostensenkungen beim Anbieter, u. a. durch • reduzierte Transaktionskosten für Auftragsbearbeitung, Lagerhaltung, Transport durch wenige große versus viele kleine Bestellungen, • reduzierte Zinszahlungen für Überbrückungskredite durch Skonti oder • Übernahme betrieblicher Funktionen für den Anbieter, 3. Kundenbindung (ökonomische Anreize, möglichst viel bei einem Anbieter einzukaufen, da sonst Opportunitätskosten durch nicht in Anspruch nehmbare Rabatte entstehen), 4. Zusatzerträge durch kundenindividuelle Preisdifferenzierung und 5. Verschleierung der wahren Preise, wenn faktisch kein Kunde den offiziellen Listenpreis bezahlt. Für ein Rabattsystem sind folgende Rahmenbedingungen zu definieren (vgl. Homburg et al., 2010, S. 80; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 221–224): . Für wen (Kunden, Kundengruppen) gelten welche Rabatte? 1 2. Worauf beziehen sich die Rabatte (Produkte, Produktgruppen, Gesamtsortiment)? 3. Was löst Rabatte aus (Mengen oder Umsätze, pro Bestellung oder über Abrechnungsperiode kumuliert)? 4. Wie wird rabattiert (sofort oder rückwirkend, als Barabschlag oder Naturalrabatt)? 5. Was sind die Voraussetzungen für die Rabattgewährung (Mindestabnahmemengen, Mindermengenzuschläge)? 6. Wann wird das System angepasst (Rabattcontrolling)? Hinsichtlich der Kunden(gruppen) ist neben einer generellen Systematik13 die große Frage, wie der Vertriebsaußendienst kundenindividuell Rabatte vergeben kann (Preisfestsetzungskompetenz). Die Palette in der Praxis reicht von einem kompletten Verbot jeglicher Preisnachlässe für einzelne Außendienstmitarbeiter (ADM) ohne Rücksprache mit Vorgesetzten über gewisse prozentuale Bandbreiten bis hin zu einer völligen Gestaltungs Dabei sollte auch an Einführungs- oder Treuerabatte für Lead User, Pilot- und Referenzkunden gedacht werden. 13

11.6 Rabattpolitik

345

freiheit. Vielfach geht dies damit einher, ob dem Vertrieb Informationen über die Kalkulationsgrundlagen gegeben werden, sodass zumindest transparent wird, warum definierte Preisuntergrenzen nicht unterschritten werden sollten oder ob diese Informationen als Geschäftsgeheimnis nur den Controllern und der Führungsebene zur Verfügung steht. Als die schlechteste Lösung erscheint es, wenn ADM „um Erlaubnis“ fragen müssen. Dies würde bei einem kategorischen Verbot von Nachlässen entfallen, entspricht aber nicht den üblichen Gepflogenheiten in vielen Branchen.14 Aus Gründen der Motivation der ADM, ihrer Flexibilität beim Kunden und ihrer Information über den konkreten Kunden vor Ort wird eher eine (begrenzte) Preissetzungsfreiheit empfohlen. Elementar ist allerdings, die Provisionszahlungen an erzielte Deckungsbeiträge zu knüpfen, sodass auch finanzielle Anreize entstehen, möglichst hohe Preise beim Kunden durchzusetzen (vgl. Albers & Krafft, 2013, S. 243–249; Simon & Fassnacht, 2016, S. 388–394). Bezüglich des Auslösers und der Art von Rabatten sei die Ausgestaltung von Mengenrabatten etwas näher betrachtet. Sie sind i. d. R. als Prozentsätze vom Umsatz definiert (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 223), vor allem bei Naturalrabatten („Bei Abnahme von 10 Stück 1 Stück gratis dazu“) können aber auch Stückzahlen oder Gewichtsklassen genutzt werden. Weiterhin ist Folgendes zu überlegen: 1. Bei Dauerlieferverhältnissen ist es aus Anbietersicht sinnvoll, möglichst wenige, möglichst große Bestellungen zu erhalten. Dazu müssen sich Rabatte auftragsbezogen auf das Volumen der einzelnen Bestellung beziehen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 259). 2. Kundenbindung entsteht, wenn Rabatte auf Gesamtbestellmengen innerhalb eines gewissen Zeitraums (z. B. eines Kalenderjahres) gewährt werden. Dabei ist zwischen angestoßenen und für die Kunden und die Kundenbindung attraktiveren durchgerechneten Rabattstaffeln zu unterscheiden: • Bei angestoßenen Rabatten gilt der nächsthöhere Rabattsatz nur für alle über der entsprechenden Grenze liegenden Käufe. • Bei durchgerechneten Rabatten gilt er rückwirkend auch für alle Käufe, die zuvor schon stattgefunden haben. Damit sind durchgerechnete Rabatte ab Überschreiten der ersten Rabattstufe immer höher. Abgerechnet werden können sie aber erst nach Abschluss bzw. mit der letzten Bestellung des relevanten Zeitraums. Bei angestoßenen Rabatten ist hingegen jederzeit klar, welcher Rabattsatz gerade gilt (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 223–224). 3. Naturalrabatte haben den Vorteil, dass bei Kommunikation desselben Rabattsatzes mehr Marge beim Anbieter verbleibt: 10 % Rabatt, d. h. Lieferung einer Gratiseinheit bei Bestellung von 10 Einheiten, führt zu einer geringeren Gewinnreduktion als ein 10 %iger Umsatzrabatt, solange die Selbstkosten unter dem Verkaufspreis liegen (vgl. Haas, 1995, S. 590–591).

 Dies ist eher ein emotionales Argument, das zwar durch klare Kommunikation entschärft werden kann, aber bei Nichtbefolgen gleichwohl trotzdem bei manchem Einkäufer auf Ablehnung stoßen wird. 14

346

11 B2B-Preispolitik

Bei den Voraussetzungen von Rabattsystemen für Handelspartner ist daran zu denken, dass noch weit mehr als nur Mengen zu entgelten sein kann (was die Vielzahl an von manchen Anbietern eingesetzten Rabattarten erklärt bzw. Resultat des Einforderns für alle möglichen und unmöglichen Funktionen durch den Handel selbst ist). Dazu gehören z.  B.  Warenplatzierungen, POS-Displays, der Einsatz von Produktdemos, die Durchführung händlerseitiger Kommunikationsmaßnahmen usw. (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 259). Das Rabattcontrolling schließlich hat die Aufgabe zu überwachen, dass die Regelungen innerhalb des Rabattsystems eingehalten und festzustellen, ob die erwünschten Effekte erzielt werden. Bei Änderungen von Preiseinflussfaktoren ist zu untersuchen, ob das System oder einzelne seiner Teile angepasst werden müssen. So führen alleine regelmäßige (z. B. inflationsbasierte) Preiserhöhungen bei umsatzbasierten Rabatten dazu, dass immer mehr Kunden in die höchsten Rabattstufen kommen, ohne dass insgesamt mehr abgesetzt wird. Gleiches passiert bei neu gebildeten Einkaufskooperationen oder durch Mergers & Acquisitions auf Kundenseite. Diese Konzentrationstendenzen im Markt sollten schließlich durch Rabattstaffelungen nicht noch verstärkt werden, da sonst langfristig die Abhängigkeit von wenigen großen Kunden zunimmt (vgl. Diller et al., 2021, S. 301). Bei der Optimierung von Rabatten muss heutzutage nicht mehr ausschließlich geschätzt und „zu Fuß“ gerechnet werden. Die im folgenden Abschnitt beschriebenen IT-­ Lösungen durch Preismanagementsoftware können auch ihren Beitrag dazu leisten.

11.7 Einsatz von Preismanagementsoftware Neben der Festlegung von Preisen mit den verschiedenen genannten Instrumenten lassen sich große Ertragspotenziale ausschöpfen, wenn die Preise und Preisstrukturen regelmäßig überprüft und angepasst werden. Manuell und z. B. auf Basis von Excel-Tabellen ist dies ein zeitaufwändiges und ungenaues Unterfangen. So können Zusammenhänge verschiedener Einflussgrößen nicht vollständig und präzise abgebildet werden und subjektive Wertungen fließen ein. Preismanagementsoftware kann dabei helfen, dies stattdessen schnell und effizient durchzuführen (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 296–297; Simon & Fassnacht, 2016, S. 1–29; Diller et al., 2021, S. 488–501). Trotz steigenden Wettbewerbsdrucks ist das Ausschöpfen von Preisanhebungspotenzialen in B2B-Märkten ein wichtiger Aspekt, vor dem viele Anbieter intuitiv zurückschrecken. Viele B2B-Kunden reagieren aber preisunelastisch, weil sie gute Lieferanten nicht wegen einer geringen Preisanhebung ersetzen möchten. Umgekehrt lassen sich mit Preissenkungen oft keine großen Absatzsteigerungen erzielen, weil die Nachfrage abgeleitet ist und somit auch nach unten preisunelastisch reagiert. Und im direkten Kundenkontakt sind hohe Preise nicht fix und lassen sich „antesten“. Zu hohe Preisforderungen werden schnell an Kundenreaktionen ersichtlich und können zurückgedreht werden (auch wenn damit nicht ganz so leichtfertig umgegangen werden sollte, wie es hier vielleicht klingt). Aber mit dauerhaft zu niedrigen Preisen wird Ertrag über lange Zeiträume unerkannt verschenkt, auch durch Einheitspreise und Pauschalrabatte über alle Kundensegmente (vgl. Wells, 2020; Demmelmaier et al., 2020, S. 25–26).

11.7  Einsatz von Preismanagementsoftware

347

Im digitalen Handel des Konsumgütermarketings ist die Nutzung entsprechender Algorithmen seit Langem gängige Praxis und führt zu sogenanntem „Dynamic Pricing“ (vgl. Meffert et  al., 2019, S.  527–528). Auch in ausgewählten Branchen wie der Tourismusindustrie mit Fluggesellschaften und Hotels werden seit Langem computergestützte ­Systeme zum (ebenfalls dynamischen) Yield-Management15 eingesetzt (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 383). Im B2B-Umfeld ist die Nutzung hingegen noch weniger verbreitet (vgl. Kermisch & Burns, 2018, S. 6). Preismanagementsoftware (Price Optimization and Management Software  – POMS) zielt darauf ab, Preise für Güter und Leistungen eines Anbieters fortlaufend effizient zu optimieren. Dabei geht es also sowohl um die Ertragsseite als auch um den Weg dahin, d. h. den internen Preismanagementprozess. Hierbei liegen große Nutzenpotenziale in Zeitersparnissen für Preisänderungen, d. h. der Verkürzung der Zeitspannen, die für eine Neukalkulation notwendig sind, in der Entlastung der Preismanager des Unternehmens und in der Präzision der Ergebnisse. Grundsätzlich können zwei Hauptzielrichtungen von POMS unterschieden werden (vgl. Simon & Fassnacht, 2016, S. 382). Bei der ersten handelt es sich um die Optimierung des übergreifenden Pricings des Unternehmens für alle Produkt- und Warengruppen und Kundensegmente über alle Vertriebskanäle als Backend-Lösung (vgl. Hudelson et  al., 2021, S. 2); Gartner (o. J.) sprechen von „back-office price management and product management roles“). Die zweite unterstützt den vertrieblichen Außendienst im unmittelbaren Eins-zu-eins-Kundenkontakt bei der Angebotserstellung und -kalkulation. Diese Module werden als CPQ (Configure, Price, Quote) bezeichnet und sind Erweiterungen von CRM-Systemen und mit diesen verknüpf- oder in sie integrierbar. Mit ihnen lassen sich Angebote automatisch, in Echtzeit und kundenspezifisch konfigurieren und individuell bepreisen (vgl. Salesforce, 2018, S. 3). Dabei fließen simultan Aspekte wie das Projektvolumen, die bisher genutzten Produkte und die neuen Angebote aus dem Projekt, Umsätze mit dem Kunden in der Vergangenheit, Kundensegment und -klassifizierung, geografischer Standort und Dauer der Kundenbeziehung sowie Cross-Selling-Potenziale und relevante Wettbewerber und ihre Preisstrategien mit ein  – mehr, als ein noch so guter Außendienstler auf einmal verarbeiten kann. Und im Kundengespräch können die Module eingesetzt werden, um Auswirkungen unterschiedlicher (und ggf. Vorteile neuer) Preismodelle aufzeigen (vgl. Burns & Murphy, 2018). Mittels CPQ-Modulen können auch Anbieter von konfigurierbaren Produkten und Dienstleistungen ihren Kunden ermöglichen, selbstständig die benötigten Produkte z. B. innerhalb eines Online-Shops zu konfigurieren und direkt und ohne Zeitverzug ein individualisiertes Angebot zu erhalten (Self Service).

 Yield-Management ist eine Art zeitliche Preisdifferenzierung, die vor allem im Dienstleistungsbereich zum Einsatz kommt, wenn starke zeitliche Nachfrageschwankungen und fixe Kapazitäten vorliegen. Im Tourismus betreiben bspw. Fluggesellschaften und Hotels Yield-Management, um die vorhandenen Kapazitäten (Flugplätze oder Hotelzimmer) auszulasten bzw. die Erträge in der Hochsaison zu maximieren. Je nach Vorbuchungsgrad vor dem eigentlichen Nutzungsdatum werden die Ticket- und Übernachtungspreise kurzfristig, d. h. tages- oder stundenaktuell, aber softwaregestützt auch kontinuierlich, nach oben oder unten angepasst (vgl. Meffert & Bruhn, 2009, S. 319–320).

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11 B2B-Preispolitik

Als Grundlage nutzen POMS Preisanalyse-Tools, die unternehmensinterne Daten mit externen Marktinformationen kombinieren (vgl. Diller et al., 2021, S. 493–494). Zu den internen Datenpools gehören ERP-, CRM- oder Warenwirtschaftssysteme ebenso wie aus IoT-Schnittstellen16 eingehende Informationen über Produktnutzungen durch Bestandskunden. Damit fließen auch kundenindividuelle oder segmentbezogene Informationen wie Präferenzen, genutzte Produkte und Services, konkretes Nutzungsverhalten, Zahlungsbereitschaften, Preise und Margen in der Vergangenheit, Rabattstufen oder andere Vertragsvereinbarungen, aber genauso Warenverfügbarkeiten, Kostenänderungen usw. in die Preiskalkulation ein. Von außen können den Tools Markt-, Branchen-, Kunden- und Wettbewerbsinformationen, Trends aus der Makroumwelt, z. B. technische, rechtliche und politische Entwicklungen, die als Einflussgrößen zu berücksichtigen sind, zugespielt werden. Mithilfe statistischer Big-Data-Analysen, Künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens werden auf dieser Basis kundenindividuelle Preise (im Rahmen von CPQ-Modulen) ebenso vorgeschlagen wie Preisober- und -untergrenzen, kurzfristige Preisänderungen oder Preisdifferenzierungspotenziale über Kundengruppen oder nach anderen Kriterien. Die Ergebnisse können, z. B. im E-Commerce, automatisiert und sofort umgesetzt oder aber als Entscheidungsgrundlage von den Preismanagern genutzt werden. Dazu sind auch Simulationen und Szenarioanalysen durchführbar, die Auswirkungen auf die wesentlichen KPIs aufzeigen. Für die Berechnungen können interne Regeln hinterlegt werden, damit z. B. die Preisarchitektur über das gesamte Produktportfolio und alle Vertriebskanäle konsistent bleibt. Die Ergebnisse lassen sich transparent und anschaulich aufbereiten und können unmittelbar in relevante Dokumente wie z. B. Preislisten einfließen. Und auch spezielles Preis-­Controlling, z. B. Preisdurchsetzung im Vertrieb, ist möglich. Wie bei jeder Softwarelösung gilt auch vor der Einführung von POMS, dass die Software alleine kein Allheilmittel ist, sondern nur sinnvoll eingesetzt werden kann, wenn gewisse Voraussetzungen im Unternehmen erfüllt sind. Diese lassen sich für POMS in den Preis- und den digitalen Reifegrad unterscheiden (vgl., auch für alles Nachfolgende, Brasz et al., 2021; Hudelson et al., 2021). Beim Preisreifegrad ist zu überprüfen, ob die Preisstrategie nicht zu vereinfacht aus der Unternehmensstrategie abgeleitet ist und lediglich pauschale Schlagwörter wie Kostenführerschaft oder Nischenanbieter beinhaltet. Es muss klar analysiert werden, in welchen Geschäftsbereichen und Kundensegmenten welche Regeln gelten und Preise gesetzt werden können. Die Preisstruktur sollte klar begründet sein und nicht auf Daumenregeln oder Bauchgefühl beruhen, und bei der Festlegung der Preishöhe sollte so gut wie möglich und unter Berücksichtigung von Wettbewerb und eigenen Kosten auf Wertorientierung geachtet werden.  IoT (Internet of Things, Internet der Dinge) bezeichnet die digitale Datenerfassung bei physischen und virtuellen Objekten und deren webbasierte Verknüpfung zwecks Austauschs, Analyse und Weiternutzung der erfassten Daten, digitalisiert automatisch oder menschlich manuell (vgl. z. B. Pinkwart, 2018, S. 352). 16

11.8 Absatzfinanzierung

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Der digitale Reifegrad zeigt sich daran, wie gut es Unternehmen schon gelingt, relevante Daten systematisch und zugänglich zu erfassen, verschiedene Datenquellen in ­einem internen Datenpool zusammen zu erfassen und mithilfe von Business-­ Intelligence-­ Lösungen zu analysieren und verwertbare Ergebnisse zu erhalten. Je nach Ist-Reifegraden ist vor Einführung eines POMS zunächst der Preisreifegrad zu anzuheben. Solange diese Grundlage nicht gegeben ist und Zielvorstellungen sowie Marktdefinitionen unklar sind, wird keine POMS-Lösung in der Lage sein, fundierte Preisentscheidungen zu treffen oder diffuse Prozesse geradezurücken. Sobald diese Professionalisierung halbwegs abgeschlossen ist, kann über die Digitalisierung nachgedacht werden. Technikfreude sollte also auf jeden Fall hinter betriebswirtschaftlichen Hausaufgaben zurückstehen. Sofern auch der digitale Reifegrad noch nicht sehr hoch ist, sollte im zunächst eher eine 80 %- als eine 100 %-Lösung angestrebt werden. Eine IT-Bestandsaufnahme sowie systematische Optimierung und Konsolidierung ist unerlässlich. So oder so ist vor der eigentlichen Auswahl von POMS zu überlegen, wo der größte Preishebel des Unternehmens liegt – geht es eher um das allgemeine Preismanagement im Backoffice, um CPQ im Vertrieb oder um die Verknüpfung mit KPIs und das Nachhalten von Preismanagementerfolgen? Auf dieser Basis kann die Technologie dann nach und nach verfeinert und perfektioniert werden. Bei allen Schritten zu Auswahl und Implementierung von POMS ist natürlich die IT-Abteilung einzubinden, aber das übergeordnete Projektmanagement sollte bei den fachlichen Nutzern liegen und sich an deren Anforderungen orientieren.

11.8 Absatzfinanzierung Üblicherweise geht es bei B2B-Geschäften um Summen, die im Verhältnis zur Unternehmensgröße deutlich höher sind als Transaktionen auf Konsumgütermärkten. Auch finanziell solide Unternehmen verfügen häufig nicht über ausreichend liquide Mittel (oder den Willen, diese komplett zu verausgaben), um die Transaktionen durch Einmalzahlungen zu begleichen. Ein Anbieter hat nun nur die Möglichkeit, sich auf alternative Zahlungspläne einzulassen und dem Kunden auf diese Weise das Geschäft (teil-) zu finanzieren und zu ermöglichen oder aber auf das Geschäft zu verzichten. Nachfolgend werden zunächst ausgewählte Instrumente der Absatzfinanzierung vorgestellt. Leider gehen viele von ihnen mit gewissen Risiken für den Anbieter einher, sodass danach auf Möglichkeiten zu deren Begrenzung eingegangen wird. In der Praxis reichen insbesondere im Projektgeschäft einzelne Instrumente vielfach nicht aus, um die großen Finanz-Volumina und die damit verbundenen Risiken adäquat zu bewältigen. Insbesondere im internationalen Geschäft kommen zudem weitere Aspekte wie Wechselkursrisiken, Transport-, Einfuhr- oder Lagerrisiken, die Beteiligung staatlicher Stellen und nationale Gesetze usw. hinzu, die maßgeschneiderte Konzepte erforderlich machen. Diese werden gemeinhin mit dem Stichwort Financial Engineering bezeichnet (vgl. z. B. Backhaus & Voeth, 2014, S. 404, 416), was eine wesentliche produktbegleitende

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11 B2B-Preispolitik

Dienstleistung sein kann. Details führen tief in die Finanzwelt, sodass auf komplexe Lösungen im Folgenden nicht weiter eingegangen wird.

11.8.1 Ziel- und Ratenzahlung Der einfachste Fall der Absatzfinanzierung, der auch für hochpreisige langlebige Gebrauchsgüter üblich ist, ist das Einräumen eines Zahlungsziels (Lieferantenkredit) oder die Vereinbarung einer Ratenzahlung. Ein Zahlungsziel definiert einen Zeitpunkt nach Lieferung oder Leistungsbringung oder Rechnungsstellung, bis zu dem der Kunde spätestens bezahlen muss. Grundsätzlich sind die Zeiträume (Zahlungsfristen) frei zu vereinbaren (§ 271, Abs. 2 BGB). Übliche Zahlungsfristen sind 14, 30, 45, 60, 90 Tage. Nach § 286, Abs. 3 BGB gerät ein Geschäftskunde automatisch in Zahlungsverzug, wenn er eine Rechnung nicht innerhalb von 30 Tagen nach Rechnungsfälligkeit und Zugang gezahlt hat, es sei denn, es wurde gemäß § 271a BGB eine andere Frist vereinbart. Diese kann, außer bei grober Unbilligkeit für den Lieferanten, auch mehr als 60 Tage betragen (§ 271a, Abs. 1). Öffentliche Auftraggeber können nur eine maximale Frist von 30 bis 60 Tagen verlangen. Diese Regelungen wurden mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“ in Umsetzung einer EU-Richtlinie Mitte 2014 zum Schutz von Lieferanten ins BGB aufgenommen. Denn Anbieter sind bei Einräumung eines Zahlungsziels zwei Risiken ausgesetzt: Zum einen haben sie selbst Zahlungsverpflichtungen für Vorleistungen, Löhne und Gehälter und weitere laufende Betriebskosten, die sie bei Zahlungszielen ihrer Kunden vorfinanzieren müssen. Zum anderen besteht das vollständige oder teilweise Ausfallrisiko des Kunden, das mit zunehmender Länge der Zahlungsfrist wächst. Daneben entstehen erhöhte Kosten für Überbrückungsfinanzierungen, die Zahlungseingangsüberwachung, Mahnungen und Inkasso-Verfahren. Die Risiken können zumindest reduziert werden, indem Teilrechnungsbeträge vor oder direkt bei Lieferung oder Leistung fällig werden. Das Zahlungsziel bezieht sich dann nur noch auf den Restbetrag, in den je nach Zeiträumen und Marktlage dann auch Zinsaufschläge einzurechnen sind. Im Zusammenhang mit dem Gesetz ist fraglich, ob sich B2B-Lieferanten faktisch gegenüber ihren Kunden auf die vorgegebenen Fristen berufen und diese u.  U. auch vor Gericht durchsetzen werden. So ist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) skeptisch, ob Lieferanten auf diese Art und Weise bestehende Geschäftsbeziehungen und Aussichten auf Folgeaufträge gefährden wollen (vgl. Alferink, o. J.). Bezüglich beider Risiken – Liquidität und Zahlungsausfall – lassen sich in der Praxis gemischte Tendenzen erkennen. So kam es 2020 zu 15.841 Unternehmensinsolvenzen, was 0,44 % der ca. 3,6 Mio. Unternehmen in Deutschland entspricht. Dieser Wert lag trotz des Corona-Jahres zum elften Mal in Folge unter dem Vorjahreswert und hat sich seit 2010 ungefähr halbiert (vgl. Destatis, o. J. b).17 Andererseits hat sich, vermutlich durch Corona  Zu berücksichtigen ist jedoch, dass aufgrund der Corona-Pandemie die Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen vorübergehend ausgesetzt wurde (vgl. Destatis, 2021a). 17

11.8 Absatzfinanzierung

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bedingt, die Höhe der damit verbundenen voraussichtlichen Forderungen, die auszufallen drohen, auf ca. 44 Mrd. € erhöht. In den Jahren zuvor schwankten sie grob zwischen 20 und 30  Mrd. € (vgl. Destatis, 2021b). Hinsichtlich des Zahlungsverhaltens kamen im ­Dezember 2020 10,5 % der Unternehmen in Verzug, d. h., sie hatten nicht zum vereinbarten Zahlungstermin ihre Rechnung beglichen. Dies lag 2,6 Prozentpunkte unter dem Januarwert. Andererseits stieg die durchschnittliche Verzugsdauer von Januar bis Dezember 2020 von 26,4 auf 35,5 Tage (vgl. CRIF Bürgel, 2021). Bei einem Zahlungsziel von z.  B. 30 Tagen wurde die Rechnung dann im Durchschnitt also erst nach mehr als der doppelten Zeit beglichen. Ratenzahlungen sehen die Verteilung des gesamten Rechnungsbetrags über eine definierte Anzahl an Teilzahlungen vor. Diese können, müssen aber nicht gleichmäßig und regelmäßig ausfallen. Vielfach wird bspw. der Gesamtbetrag auf unterschiedliche Prozentsätze bei Auftragserteilung, Lieferung und einen oder mehrere spätere Zeitpunkte verteilt. In der Praxis wird Ratenzahlung im B2B häufig auch als ungeplante, spontane Stundung von Forderungen gegenüber einem Kunden eingesetzt, der kurzfristig in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Hierbei ist insofern Vorsicht angeraten, als bei einer tatsächlichen späteren Insolvenz des Kunden Rückforderungen durch den Insolvenzverwalter entstehen können,18 auch wenn dies durch eine Reform des Insolvenzrechts 2017 abgemildert wurde (vgl. Meier, 2017). Ob das generelle Liquiditäts- und Ausfallrisiko bei Ratenzahlungen geringer ist als bei Einräumung von Zahlungszielen, richtet sich nach dem Ratenplan. Zwar kommen schon vor dem Endtermin nach und nach die Teilzahlungen beim Lieferanten an. Andererseits sind die Zeiträume häufig deutlich länger als bei Zielzahlungen.

11.8.2 Leasing Beim Leasing nutzt der Kunde das Vertragsobjekt während eines definierten Zeitraums, z. B. 36 Monate, ohne Eigentum daran zu erwerben. Im Unterschied zu einem zeitlich befristeten Mietvertrag ist i. d. R. der Kunde für die Instandhaltung (Wartungen und Reparaturen), aber auch notwendige Versicherungen verantwortlich und trägt die entsprechenden Kosten. Eine Ausnahme davon stellen sogenannte Full-Service-Verträge dar, bei denen diese Leistungen inklusiv sind und über eine dann erhöhte Leasingprämie abgedeckt werden (vgl. Grundmann, 2021, S. 3, 35, 37, 109, 121). Alle Verbrauchskosten trägt der Kunde ohnehin. Verschiedene Parameter können für die konkrete Ausgestaltung von Leasingverträgen angepasst werden (vgl. Grundmann, 2021, S. 6–10):

 Das Stichwort hierzu lautet Vorsatzanfechtung und bezieht sich auf geleistete Zahlungen vor Stellung eines Insolvenzantrags, wenn für den Zahlungsempfänger (also den Anbieter) aus Indizien die prekäre Lage des Kunden hätte ersichtlich sein müssen (vgl. Senger, 2021).

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11 B2B-Preispolitik

1. Bezüglich der Dauer des Leasingvertrags kann zwischen einer langfristigen Orientierung an der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer (Finanzierungsleasing) und kurzen Zeiten, die nur einen Teil davon umfassen (Operating Leasing), unterschieden werden. 2. Hinsichtlich des finanziellen Umfangs kann der Leasingvertrag die komplette Amortisation des Leasingobjekts (inkl. aller Nebenkosten, Risiko- und Gewinnzuschläge) über die Nutzungsdauer vorsehen (Vollamortisation bei Finanzierungsleasing) oder eben nur einen Teil davon (Teilamortisation bei Finanzierungsleasing und Operating Leasing). 3. Kündigungsmöglichkeiten gibt es bei der Vollamortisation im Finanzierungsleasing nicht. Bei der Teilamortisation ist eine vorzeitige Beendigung des Vertrags durch den Kunden möglich, allerdings erst nach einer Grundmietzeit von 40  % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer und nur unter Zahlung eines Ausgleichs für die nicht mehr gezahlten restlichen Leasingraten. Beim Operating Leasing ist eine vorzeitige Kündigung durch den Kunden im Rahmen vereinbarter Kündigungsfristen möglich. 4. Schließlich gibt es unterschiedliche Ausgestaltungen für das Ende der Leasinglaufzeit und den Umgang mit dem Restwert des Leasingobjekts: Typischerweise gibt der Kunde das Leasingobjekt an den Anbieter/Leasinggeber zurück (Vollamortisationsvertrag oder Operating Leasing). Hierbei trägt der Hersteller das Weiterverwertungsrisiko oder die Entsorgungskosten. Es gibt im Finanzierungsleasing für den Kunden jedoch auch die Möglichkeit, den Leasingvertrag zu verlängern oder eine Kaufoption auszuüben. Schließlich gibt es zum Ausgleich des Restwertrisikos bei Teilamortisationsverträgen die Möglichkeit, dass der Hersteller den Kunden zum Zeitpunkt des Vertragsendes verpflichten kann, das Leasingobjekt zu übernehmen, oder aber, dass das Leasingobjekt automatisch ins Eigentum des Kunden übergeht. Wenn der Kunde nach Vertragslaufzeit das Eigentum am Leasingobjekt erwirbt, geschieht dies i.  d.  R. zu einem bereits im Ursprungsvertrag als Kaufpreis festgelegten Restwert. Die Risiken des Anbieters sind mit denen bei Ratenzahlungen vergleichbar. Vorteile bestehen darin, dass der Anbieter z. B. durch Mehrfachvergabe im Operating Leasing oder Prämienaufschläge für Serviceleistungen höhere Erträge als bei einem Einmalverkauf erzielen kann. Zudem ist der Kunde zumindest bei Vollamortisationsverträgen während der Leasinglaufzeit an den Hersteller gebunden (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 236–237). Um Risiken und Verwaltungsaufwand zu reduzieren, kann der Hersteller sein Leasingobjekt auch an eine Leasinggesellschaft verkaufen (indirektes Leasing), die bei positiver Bonitätsprüfung den Leasingvertrag mit dem Kunden eingeht und abwickelt (vgl. Grundmann, 2021, S. 5, 28, 33–35). Aus Kundensicht hat Leasing neben der grundsätzlichen Ermöglichung von Käufen, die gegen Einmalzahlung nicht möglich wären, bzw. der Schonung der Liquidität folgende weitere Vorteile (vgl. Grundmann, 2021, S. 3–4; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 237): 1. Leasing ist bilanzneutral, d. h., die geleasten Objekte müssen nicht aktiviert werden. Im Vergleich zur kreditfinanzierten Beschaffung verringert sich dadurch nicht die Eigenkapitalquote, was zu einer Verschlechterung der Bonität am Finanzmarkt führen könnte.

11.8 Absatzfinanzierung

353

2. Die Leasingraten sind (außer im Fall des automatischen Eigentumserwerbs am Ende der Vertragslaufzeit) als Betriebsausgaben gewinnmindernd steuerlich absetzbar. 3. Bei schnellem technischem Fortschritt der Leasingobjekte können in kurzen Abständen immer die neuesten Produkte verwendet werden.

11.8.3 Kompensationsgeschäfte In manchen Fällen, z. B. im internationalen Geschäft mit Ländern, deren Währungen nicht frei konvertibel sind oder für die Transferverbote bestehen, helfen alle bisher genannten Finanzierungsinstrumente nicht, weil der Kunde zu keinem Zeitpunkt über Finanzmittel zur Bezahlung seiner gewünschten Investition verfügt. In diesem Fall kann auf die Tauschwirtschaft zurückgegriffen werden, was übergreifend durch den Begriff „Kompensationsgeschäft“ beschrieben wird. Kompensationsgeschäfte können in einer Vielzahl von Ausgestaltungen vorgenommen werden (vgl. z. B. Mühlbacher et al., 2006, S. 687–691). Die einfachste ist das sogenannte „Barter“, bei dem die Lieferung des Anbieters mit anderen Produkten bezahlt wird. Dies können für den Kunden zugängliche Handelswaren sein, aber auch Produkte oder Leistungen, die der Kunde mithilfe des Transaktionsobjekts selbst erst herstellt (Rückkaufgeschäft). So könnten Bergbaumaschinen z.  B. durch die abgebauten Rohstoffe bezahlt werden. Auch Drittparteien können mit ins Boot genommen werden (Dreiecksgeschäfte), sodass ein Ringtausch von Produkten oder Leistungen dergestalt vorgenommen werden kann, dass am Ende jede Partei ein für sie verwertbares Produkt erhält. Kompensationsgeschäfte sind mit der Herausforderung verbunden, dass a) der Gegenwert der zu erhaltenen Güter korrekt bestimmt werden und b) eine interne Verwertung oder möglichst schnelle externe Monetarisierung nach Abschluss des Geschäfts möglich sein muss, um Schwankungen der Marktpreise zu umgehen. Extrem problematisch sind verderbliche Produkte, vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse, die im Grunde nur im Dreiecksgeschäft mit Handelspartnern abzubilden sind. Grundsätzlich verbleibt ein Risiko, dass minderwertige Ware geliefert wird. Und all dies verursacht zusätzlichen Verwaltungsaufwand (vgl. Mühlbacher et al., 2006, S. 691–692). Inzwischen gibt es sogenannte Barter Exchanges (B2B-Tauschbörsen). Sie erfordern i. d. R. eine beitragspflichtige Mitgliedschaft und Provisionen auf die getätigten Geschäfte. Anbieter können ihre Produkte dort gegen eine börsenspezifische Tauschwährung an andere Mitgliedsunternehmen verkaufen. Über die erhaltenen Tauschwährungseinheiten wird ein Guthaben angelegt, das dann wiederum für den eigenen Einkauf anderer Produkte verwendet werden kann (vgl. Biemans, 2010, S. 272). Auf diese Art werden Drei- oder Vielecks-Geschäfte ermöglicht, sodass das Problem der Verwertung oder Monetarisierung umgangen wird, wobei es keine Möglichkeit gibt, Geldbeträge aus dem Tauschbörsensystem herauszuziehen. Etwas unklar wirkt zudem die Bestimmung des Gegenwerts der Tauschwährungen. Sie scheinen an die nationale Landeswährung geknüpft zu sein (vgl. ABE, o. J.; HBX, o. J.). Unklar bleibt, ob es Verzinsungen

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11 B2B-Preispolitik

gibt und was bei Inflation passiert, sodass es ratsam erscheint, die Guthaben möglichst schnell wieder einzulösen. Zum jetzigen Zeitpunkt wirken diese Börsen als vor allem für den Verkauf von Überschussproduktionen geeignet oder aber für unterfinanzierte Kleinunternehmen oder Start-ups. Sie agieren überwiegend im lokalen, regionalen und nationalen Umfeld, was mit Vertrauen und der Knüpfung der Geschäfte an die nationale Währung zu tun haben dürfte.

11.8.4 Minderung der Risiken der Absatzfinanzierung Die beiden Hauptrisiken der Absatzfinanzierung – Liquidität und Zahlungsausfall – können mithilfe von Factoring eingegrenzt werden. Beim Factoring wird, ähnlich wie beim indirekten Leasing, ein externer Dritter (Factor) in den Vertrag zwischen Anbieter und Kunde hineingeholt und übernimmt die Rolle des Anbieters. Der Factor, eine Bank oder häufiger eine sogenannte Factoring-Gesellschaft, kauft dem Anbieter seine offene Forderung gegenüber dem Kunden ab und tritt in diese mit allen Rechten und Pflichten ein. Damit erhält der Anbieter sofort sein Geld (den Rechnungsbetrag abzüglich einer Verwaltungs- und Risikogebühr) und schlägt damit sozusagen „zwei Fliegen mit einer Klappe“: Es entsteht eine nur minimale zeitliche Lücke zwischen Rechnungsstellung und -begleichung, sodass parallel keine längere Vorfinanzierung der anbietereigenen Verbindlichkeiten nötig wird. Und auch das Risiko des Zahlungsausfalls des Kunden entfällt für den Anbieter vollständig. Nachteile dieses Modells sind, dass der Anbieter nicht den vollen Rechnungsbetrag erhält und der Factor nicht vorbehaltslos jede Forderung kauft. Vielfach muss sich der Anbieter gegenüber dem Factor auch verpflichten, einen großen Teil oder alle seiner Forderungen abzutreten, damit sich das Geschäft für den Factor lohnt. Etwas vereinfacht verläuft (echtes) Factoring typischerweise wie folgt (vgl. Wöhe, 1993, S. 897; Springer, 2019, S. 45–47; Grundmann, 2021, S. 128–133): 1. Der Anbieter, der Factoring betreiben möchte, schließt einen i.  d.  R. mehrjährigen Rahmenvertrag mit der Factoring-Gesellschaft, in dem die Abtretung sämtlicher Forderungen aus Lieferung und Leistung oder jener an bestimmte Kundengruppen vereinbart wird. Dabei prüft die Factoring-Gesellschaft den Anbieter auf Bonität und allgemeine Seriosität, um sicher sein zu können, dass die Forderungen tatsächlich existieren und frei von Ansprüchen Dritter sind. Auch muss der Kundenstamm, dessen Forderungen abgetreten werden, relativ stabil sein. 2. Der Anbieter schließt mit dem Kunden den Kaufvertrag mit Zahlungsziel ab und teilt dem Kunden mit, dass die Forderung abgetreten wird (offenes Factoring). Auch Teilzahlungs- und Leasingverträge können abgetreten werden. 3. Der Anbieter liefert die Ware wie vorgesehen aus. 4. Die Factoring-Gesellschaft prüft die Laufzeit der Forderung (i. d. R. maximal drei Monate) und die Bonität des Kunden.

11.8 Absatzfinanzierung

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. Im positiven Fall übernimmt die Factoring-Gesellschaft die Forderung, 5 6. die sie dann gegenüber dem Kunden hat, und 7. zahlt den Anbieter unmittelbar aus. Dabei werden i. d. R. 10 bis 20 % der Rechnungssumme zunächst einbehalten, um Rechnungsminderungen abzudecken, die durch Mängelabzüge, Ausnutzung von Skonti, relevant werdende Rabatte o.  Ä. entstehen können. Ansonsten wird dieser Rückbehalt am Ende ausbezahlt, auch wenn der Kunde ausfällt, denn ab dem Kaufdatum übernimmt die Factoring-Gesellschaft das volle Risiko der Forderung. Den eigentlichen Umsatz erzielt die Factoring-Gesellschaft zum einen durch Zinsen, die ungefähr in Höhe des Kontokorrentzinssatz liegen und die der Anbieter bezahlen muss, bis der Kunde die Rechnung beglichen hat oder der Zahlungsausfall eingetreten ist. Zudem berechnet die Factoring-Gesellschaft Gebühren für ihre Dienste (Bonitätsprüfung, Kreditüberwachung, Mahn- und Inkassowesen) und die Übernahme des Ausfallrisikos, die ca. 0,5 bis 2,5 % des Rechnungsbetrags ausmachen. 8. Der Prozess ist beendet, wenn der Kunde den Rechnungsbetrag an die Factoring-­ Gesellschaft begleicht oder ausfällt. Der Forderungsausfall wird i.  d.  R. festgestellt, wenn die Forderung 90 bis 120 Tage nach Fälligkeit nicht beglichen ist. Früher war die Nutzung von Factoring häufig mit einem „G’schmäckle“ versehen, denn es wurde dem sie nutzenden Anbieter schnell unterstellt, dass er sich in einem finanziellen Ungleichgewicht befände (vgl. Godefroid, 1995, S. 234). Inzwischen ist Factoring jedoch absolut „gesellschaftsfähig“ geworden und die Factoring-Branche boomt: Im Jahr 2021 betrug das Factoring-Volumen in Deutschland 309 Mrd. €, 97,2 % davon entfielen auf den B2B-Bereich (vgl. Deutscher Factoring-Verband e.V., 2022, S.  4, 13). Gute zehn Jahre zuvor waren es noch knapp 130 Mrd. €, 2003 35 Mrd. € (vgl. Statista, 2021b; FCI, 2021). Ca. 80.000 Unternehmen nutzten 2021 die Leistungen von 175 zugelassenen Factoring-­ Anbietern (vgl. Deutscher Factoring Verband, 2022, S. 11, 25). Wenn es einem Anbieter nur um die Minderung des Forderungsausfallrisikos geht, können vor Abschluss von Kaufverträgen mit Zahlungszielen auch die Dienste von Wirtschaftsauskunfteien genutzt werden. Diese tragen üblicherweise eine Vielzahl von öffentlich zugänglichen Informationen, Ergebnissen von Befragungen und Erfahrungen aus Lieferantennetzwerken über die in ihren Registern hinterlegten Unternehmen zusammen und vergeben Bonitätsbewertungen mit Zahlungsausfallwahrscheinlichkeiten. Die abrufbaren Datensätze sind häufig in Paketform von schnellen Kurzauskünften bis zu umfangreichen Dossiers über die interessierenden Kunden gestaffelt. Preismodelle reichen von Jahresbeiträgen zu Kosten pro Abruf eines Datensatz bzw. Kombinationen davon. Neben Bonitätsauskünften werden auch weitere Dienstleistungen wie Forderungsmanagement, Inkasso, Compliance-Checks, Betrugsprävention, Marktanalysen und Direktmarketinginformationen angeboten. Zu beachten ist, dass trotz aller Sorgfalt der Recherche alle Bonitätsauskünfte naturgemäß nur auf Wahrscheinlichkeiten basieren und keine 100 %ige Garantie dafür sein können, dass nicht doch einmal eine Forderung ausfällt und abgeschrieben werden muss.

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11 B2B-Preispolitik

Schließlich sei noch das Instrument der Warenkreditversicherung (auch: Forderungsausfallversicherung) erwähnt, mit dem nach vorheriger Prüfung Geschäfte mit einzelnen Kunden oder dem gesamten Kundenstamm abgedeckt werden können. Dabei wird i. d. R. ein Forderungslimit festgelegt, das versichert wird. Die Versicherung zahlt, wenn Zahlungsverzug des Kunden eingetreten ist und Mahnungen und Inkassoverfahren über einen vorab festgelegten Zeitraum zu keinem Ergebnis geführt haben, womit hier bis zur tatsächlichen Zahlung längere Zeiträume verstreichen können. Neben der Versicherungsprämie, die sich im Wesentlichen an den Risikowahrscheinlichkeiten orientiert, entstehen dem Versicherungsnehmer dadurch Kosten, dass eine ausgefallene Forderung nur zu deutlich unter 100 % des Nennwerts erstattet wird (vgl. von Weichs, 2017). Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Unter welchen Umständen können Unsicherheiten über Leistungen und Leistungsumfänge ein Problem bei der kostenbasierten Preiskalkulation darstellen? Gilt dies bei allen vier Geschäftstypen gleichermaßen? 2. Beschreiben Sie das Grundprinzip der Kilokostenmethoden im Unterschied zu dem des Grobprojektierungsansatzes. Welches Verfahren ist besser? 3. Warum stellt die Preisbildung in Anbieterkoalitionen eine Herausforderung dar? 4. Wie funktioniert eine Preisgleitklausel und worin unterscheidet sie sich von einem Preisvorbehalt mit Höchstgrenze? 5. Neben Preisgleitklauseln kommen auch Kostenindexklauseln zur Preissicherung zum Einsatz. Manche Kunden verlangen auch sogenannte Meistbegünstigungsklauseln. Bei Kostenindexklauseln wird die Höhe des Preises an den zukünftigen Marktpreis gleichartiger bzw. ähnlicher Güter gekoppelt. Häufig werden dazu Börsenindizes (z.  B. von Warenterminbörsen) verwendet. Meistbegünstigungsklauseln besagen, dass der Lieferant zwar den Preis ändern kann, mindestens aber zu den besten Konditionen, die ein anderer Kunde zum gleichen Zeitpunkt erhält, liefern muss. Vergleichen Sie die drei Instrumente aus Sicht eines Anbieters. 6. Was ist unter „Claim-Management“ zu verstehen? 7. Was ist unter dem „Winner’s Curse“ bei Online Reverse Auctions zu verstehen? 8. Erläutern Sie das Grundprinzip des Competitive Biddings. Für eine solche Ausschreibungssituation bieten sich einem Anbieter die nachfolgend genannten Preisalternativen (in Mio. €), zu denen er die ebenfalls angegebenen Zuschlagswahrscheinlichkeiten einschätzt. 8 Mio. € -> 100 %, 10 Mio. € -> 90 %, 12 Mio. € -> 80 %, 14 Mio. € -> 70 %, 16 Mio. € -> 40 %, 18 Mio. € -> 10 % Seine Kosten liegen in jedem Fall bei 10 Mio. €. Welchen Angebotspreis sollte der Anbieter nach dem Modell des Competitive Biddings wählen? Welche Gründe könnten dafürsprechen, trotzdem einen der anderen Preise abzugeben? Was ist der Unterschied zwischen reinen und gemischten Preisbündeln? Welche Variante ist besser?

11.8 Absatzfinanzierung

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9. Klassische Marketing-Kreativ-Leistungen, z. B. Agenturleistungen wie die Konzeption und Umsetzung von Kampagnen, Erstellung von Texten, Gestaltung von Werbemitteln usw., werden in vielen Unternehmen traditionell von der Marketingabteilung unter Umgehung des Einkaufs beschafft (sogenanntes Maverick Buying). Woran könnte dies liegen und was müsste bei der Angebotsabgabe beachtet werden, wenn eine Agentur statt einer freihändigen Vergabe plötzlich eine formale Aufforderung zur Angebotsabgabe (RFP) durch die Einkaufsabteilung eines langjährigen Kunden erhielte? 10. Auf welche Wertelemente kann ein „Value-based“ Preis abzielen? In welchem Zusammenhang steht „Value-Based Pricing“ mit dem Ansatz der „Total Cost of Ownership“ (TCO)? 11. Nach welchen Prinzipien lassen sich neue digitale Services bepreisen? 12. Der vollautomatische Unkrautjätroboter aus den Fragen zu Kap.  10 (innovativ, akkubetrieben, GPS-gesteuert, mit Kameras und KI ausgestattet) ist eine absolute Weltneuheit. Welches klassische Preisbildungsverfahren des B2B-Marketings sollte der Hersteller zur Bestimmung eines festen Preises pro Stück wählen? Wären auch innovative servicebasierte Preismodelle vorstellbar? Wenn ja, welche und unter welchen Voraussetzungen? 13. Welche Aspekte sollten in einem strukturierten Rabattsystem festgelegt werden? 14. Was sind CPQ-Module von Preismanagementsoftware? 15. Was ist unter dem „digitalen Reifegrad“ eines Unternehmens zu verstehen? Wieso ist er wichtig? 16. Ein kleiner Maschinenhersteller aus Deutschland hat die Möglichkeit, eine Anlage nach Südamerika zu liefern. Der Kunde bietet zur Bezahlung an, einen Teil seines Produktionsoutputs an den Hersteller nach Deutschland zu schicken. Sollte sich der Hersteller auf ein solches Geschäft einlassen? Was spricht dafür, was dagegen, welche weiteren Aspekte sind zu beachten? SN Flashcards

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11 B2B-Preispolitik

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12

B2B-Kommunikationspolitik

Lernziele

• Sie kennen die für die Kommunikationspolitik relevanten Besonderheiten des B2B-Marketings in Abgrenzung zum Konsumgütermarketing und können sie in Bezug auf die B2B-Geschäftstypen einordnen. • Sie berücksichtigen konsequent die Customer Journey für Entscheidungen. • Sie können die wesentlichen Zielsetzungen aus Anbieter- und Kundensicht entlang der Phasen der Customer Journey unterscheiden und B2B-taugliche Instrumente auswählen. • Sie verstehen sowohl Vertrauen, Glaubwürdigkeit und die Vermittlung von Sicherheit als auch emotionale Aspekte der Kommunikation zu deren Unterstützung als wichtige Entscheidungskriterien auf Kundenseite und berücksichtigen diese. • Sie sind in der Lage, die Vielfalt an Kommunikationsaktivitäten integrativ zu betrachten und zusammenzuführen und dabei sowohl organisatorischen als auch inhaltlichen Aspekten Rechnung zu tragen. • Sie erkennen den Nutzen und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Marketing Automation und können zu einer strukturierten Einführung im Unternehmen beitragen.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_12]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_12

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12 B2B-Kommunikationspolitik

12.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Kommunikation Zum Praxiseinsatz der verschiedenen Kommunikationsinstrumente im B2B-Marketing gibt es eine unübersichtliche und in Teilen auch widersprüchliche Vielzahl von aktuellen Studien aus den letzten fünf Jahren, die mal die Anbietersicht, mal die Kundensicht und nur in Ausnahmefällen beide Perspektiven in einer Untersuchung betrachten. Die Stichproben sind unterschiedlich groß und sehr unterschiedlich strukturiert. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, betrachten verschiedene Branchen und haben verschiedene Mitglieder von Buying Centern im Fokus. Uneinheitliche Begriffe, mitunter innerhalb ein und derselben Studie, erschweren das Verständnis. Kurz: Sie spiegeln das große Spektrum von B2B-Kommunikation und deren Komplexität umfassend wider (vgl. Strandmarketing, 2017; GlobalSpec, 2019; Promio.net, 2019; AUMA, 2020a; Deutsche Fachpresse, 2020; Episerver, 2020; Gaffney, 2020; GlobalSpec, 2020; Vogel, 2020; Althaller, 2021; GlobalSpec, 2021). Das Herausstellen einer einzigen Studie mit konkreten Mediennutzungszahlen wäre unseriös. Leider lassen sich die Untersuchungen daher nur auf einem recht abstrakten Niveau vergleichen und allgemeingültige Zustände ableiten. Insofern bietet Abb.  12.1 auf Basis der genannten Studien nur einen groben qualitativen gemeinsamen Nenner über die Wichtigkeit der wesentlichen Instrumente. Bei den normal gedruckten Instrumenten herrscht Einigkeit zwischen Anbieterund Kundensicht. Die unterstrichenen Medien werden von den Anbietern im Vergleich zu ihrer Relevanz aus Kundensicht überschätzt: Die Kunden werden hier mit einer Flut

• •

• Anbieter-Website • Suchmaschinen(marketing) Anzeigen Fachmedien • (Haus-)Messen Kundenzeitschriften/ • LinkedIn/Facebook E-Newsletter • E-Mailings Eventmarketing • Beiträge Fachmedien Webinare • Whitepaper Blogs/Podcasts • Videomarketing Social Media allgemein • Online-Kataloge

• • • • • B2B-Portale • PrintEinkaufsverzeichnisse

1 2

• • • •

Print-Mailings Print-Kataloge PR Sponsoring

3

Legende: normal gedruckte Instrumente: Einigkeit zwischen Anbieter- und Kundensicht über Wichtigkeit unterstrichene Instrumente: Wichtigkeit wird von den Anbietern im Vergleich zu ihrer Relevanz aus Kundensicht überschätzt kursiv-fett gedruckte Instrumente: Wichtigkeit wird von den Anbietern im Vergleich zu ihrer Relevanz aus Kundensicht unterschätzt

Abb. 12.1  Bedeutung von B2B-Kommunikationskanälen

12.1 Relevante Besonderheiten der B2B-Kommunikation

365

von Angeboten konfrontiert, die nur relativ geringen Nutzen bringen. Weniger Angebot wäre hier mehr. Bei den kursiv-fett gedruckten ist es gerade umgekehrt: Hier besteht Nachholbedarf auf Anbieterseite. Erst seit einigen Jahren werden empirisch vereinzelt die verschiedenen Stufen im Kauf­ entscheidungsprozess der Kunden berücksichtigt. Dabei wird – noch eher anekdotisch – gezeigt, dass die Wichtigkeit der Kanäle auch nach den Stufen im Kaufentscheidungsprozess variiert. Diese Thematik wird in Abschn. 12.2 systematisch aufgegriffen und ist in Abb. 12.1 nur pauschal berücksichtigt. Auch wenn die Reihenfolge der Spiegelstriche in Abb. 12.1 keine zwingende Priorisierung bedeutet, ist die Anbieter-Website aus dem B2B-Kommunikationsportfolio nicht mehr wegzudenken; sie ist das Kernelement, um überhaupt im Markt auffindbar zu sein. Auch die häufige Nennung von Suchmaschinennutzung (durch die Kunden) bzw. Suchmaschinenmarketing (durch die Anbieter) hat einen engen Bezug dazu. Messen drücken aus, dass in vielen Branchen sowohl die persönlichen Kontakte als auch die Demonstrationsmöglichkeit komplexer und ansonsten nicht erlebbarer Industrieprodukte und -dienstleistungen hoch geschätzt werden. Auch die verschiedenen Mitglieder der Buying Center, inklusive hochrangige Entscheider, lassen sich dort recht gut erreichen (vgl. AUMA, 2015b, S. 27, 30–31). Auf persönliche Kommunikation zielt auch der Kontakt via sozialer Netzwerke ab, von denen vor allem LinkedIn und Facebook, im deutschsprachigen Raum auch (noch) Xing, genutzt werden. Kunden suchen neben Fachkompetenz nach verlässlichen und glaubwürdigen Informationen und bis zum Kaufabschluss allgemein nach Sicherheit und vertrauen dabei am ehesten auf persönliche Kontakte (vgl. AUMA, 2015a, S. 12, 19, 26; Toman et al., 2017). Das Bedürfnis nach Sicherheit wird auch von den Fachmedien bedient (durch redaktionelle Beiträge mehr als durch Anzeigen, aber die Kombination kann sinnvoll sein). Zwecks Reduktion der Komplexität können Videomarketing, Online-­ Kataloge und Whitepaper auch für industrielle Angebote genutzt werden. Dass klassische Printmedien die geringste Bedeutung haben, ist dem auch in der B2B-Kommunikation gültigen Wandel hin zu Online-Formaten geschuldet. Auf PR und Sponsoring wird in Abschn.  12.3.2 kurz eingegangen. Grundsätzlich sind diese beiden Instrumente, wie im Konsumgütermarketing auch, eher ergänzend zu anderen Hauptkanälen einzusetzen. Somit lassen sich aus dem Ist-Einsatz der im B2B genutzten Instrumente die folgenden Besonderheiten bzw. speziellen Zielsetzungen für die B2B-Kommunikation ableiten: 1. Auffindbarkeit des Anbieters (im Internet) 2. Verständliche Erläuterung komplexer (und individualisierbarer) Lösungen, primär im Projekt- und Zuliefergeschäft 3. Aufbau von Glaub- und Vertrauenswürdigkeit hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und -zuverlässigkeit des Anbieters und seiner Lösungen, primär im Zuliefer- und Systemgeschäft, zur Reduktion von Unsicherheit beim Kunden

366

12 B2B-Kommunikationspolitik

4. Chance zu und Notwendigkeit von persönlicher Kundenansprache durch kleine Kundenzahlen, vor allem im Zuliefer- und Projektgeschäft1 5. Zielgerichtete Ansprache der verschiedenen Mitglieder von Buying Centern in allen Geschäftstypen, nicht zuletzt auch von schwierig erreichbaren hochrangigen Entscheidern und unbekannten Beeinflussern Nach den Ausführungen in den vorherigen Kapiteln bestehen darüber hinaus folgende weitere B2B-Spezifika, die bei der Ausgestaltung der Kommunikation zu berücksichtigen sind: 6. Unterstützung und Absicherung langfristiger Geschäftsbeziehungen der Kaufverbünde im System- und Zuliefergeschäft, aber auch im Produkt- oder Projektgeschäft, wenn After-Sales-Dienstleistungen wie z. B. Wartungsverträge oder Betreibermodelle Teil der Transaktionen waren. 7. Wahl der Tonalität in der nicht-persönlichen Kommunikation: Wie in Abschn. 6.3.2.1.2 bereits gesehen, spielen auch im B2B-Marketing emotionale Aspekte durchaus eine Rolle. Dennoch ist (immer noch) ein großer Teil der B2B-Kommunikation sehr rational und „trocken“ gehalten. Insofern ist zu entscheiden, ob neben rein rationaler Argumentation nicht auch emotionale Elemente verwendet werden sollten. 8. Notwendigkeit zur Beeinflussung nachgelagerter Märkte im Sinne der abgeleiteten Nachfrage, vor allem beim Einsatz von „Ingredient Branding“ (siehe Abschn. 9.5). Letzten Endes geht es aber auch auf B2B-Märkten um die Generierung, Stabilisierung und den Ausbau der Geschäftsbasis und somit um Neukundengewinnung und Bestandskundenbindung und -entwicklung als vorrangige Ziele (vgl. z. B. AUMA, 2019, S. 28; Althaller, 2021, S. 21; Zumstein et al., 2021, S. 13). Abb. 12.2 sortiert diese Besonderheiten in den Prozess der Kommunikationspolitik ein. Sie befinden sich allesamt im oberen Bereich wieder, was zeigt, dass die Entscheidungsbasis in der B2B-Kommunikation eine andere ist, aber Vorgehen bei und Ausgestaltung der Kommunikationsplanung identisch zum Konsumgütermarketing sind: So steht für den Kommunikationsmix grundsätzlich dieselbe Menge an Medien und Instrumenten zur Auswahl, die mithilfe derselben Methoden priorisiert werden können. Dies gilt auch für die Festlegung und Verteilung des Kommunikationsbudgets, ebenso wenig unterscheiden sich die Durchführung der Maßnahmen sowie die Erfolgskontrolle. Organisatorisch identisch schwebt über allem dieselbe notwendige Entscheidung zwischen Durchführung in Eigenregie und ganzer oder teilweiser Fremdvergabe an externe Agenturen.

 Dabei ist jenseits der Verwendung von Messen auch an die sonstige Wegbereitung für den Vertriebs­ außendienst zu denken, sodass die „berüchtigte“ Kaltakquise im Vorfeld zumindest etwas angewärmt wird. 1

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

367

Situationsanalyse • • • • • •

Komplexitätsreduktion Zielbestimmung Glaubwürdigkeit Sicherheit Wegbereitung für den Kommunikationsziele Zielgruppen Außendienst Finden und Gefunden werden Festlegung der Absicherung langfristiger Tonalität Geschäftsbeziehungen Botschaft

• • •

„Richtige“ Zielgruppen Buying-Center-Mitglieder Nachgelagerte Märkte

Kommunikationsplanung

Kommunikationsmix

Budgetierung

Durchführung Erfolgskontrolle

Abb. 12.2  B2B-Besonderheiten im Prozess der Kommunikationspolitik. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 2019, S. 209)

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey Wie alle anderen Marketinginstrumente muss sich auch die Kommunikationspolitik am Kunden ausrichten. Damit sind in diesem Fall die Analyse des Einkaufsprozesses und die Identifikation der Informationsbedürfnisse und der vom Kunden genutzten Informationsquellen in den verschiedenen Phasen gemeint.2 Das klassische Kaufphasenmodell des B2B-Einkaufs wurde bereits in Abschn. 6.3.2.1.3 dargestellt. Es kommt dem sehr nahe, was als sogenannte „Customer Journey“ in den Mittelpunkt des Kundenbeziehungs-, Customer-Experience(CX)- und Content-Marketing-Managements gerückt ist (vgl. Lemon & Verhoef, 2016; Følstad & Kvale, 2018). Unter der Customer Journey (Reise des Kunden) sind die Aktivitäten und Erfahrungen des Kunden im Rahmen seines Kaufprozesses zu verstehen (siehe dazu auch Abschn. 2.1 und 6.3). Dabei hat er unterschiedliche Berührungspunkte (Touchpoints) mit den Anbietern und mit Informationen über sie (vgl. Lemon & Verhoef, 2016, S. 74–76). Für die konkrete Ausgestaltung der Customer Journey in verschiedenen Phasen gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze. Sie reichen von einer dreistufigen Unterteilung in Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase bis zu sieben oder acht Stufen. Dabei unterscheiden sich die Phasen i. d. R. im Detaillierungsgrad der Vorkauf- und Nachkaufphase sowie in einer Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen für die einzelnen Phasen. Der linke Teil von Abb. 12.3 zeigt eine in der Praxis häufig anzutreffende und selbsterklärende Einteilung.  Dies beinhaltet, dass sich Kunden in gewissem Maße natürlich auch zu vom Anbieter gewünschten Informationsquellen steuern lassen, aber auch dazu ist zunächst zu eruieren, wo sich der Kunde zuvor aufhält und durch welche Maßnahmen er an einen anderen Ort „gelockt“ werden kann. 2

368

12 B2B-Kommunikationspolitik

Awareness: Suche/Aufmerksamkeit

Consideration: Vergleich/Abwägung

Purchase: Kaufentscheidung

Advocacy: Weiterempfehlung

Retention: Bindung/Wiederkauf

Abb. 12.3  Customer Journey. (Quelle: In Anlehnung an Kreutzer, 2021, S. 10) Awareness: Suche/Aufmerksamkeit

Consideration: Vergleich/Abwägung

Conversion: Kaufentscheidung

Retention: Bindung/Wiederkauf

1. Bedarfserkennung 2. Bedarfsbeschreibung

3. Anbietersuche und -beurteilung 4. Angebotseinholung und -bewertung 5. Anbietervorauswahl 6. Verhandlungen 7. Anbieterauswahl und Vertragsabschluss 8. Leistungserbringung und -bewertung

Advocacy: Weiterempfehlung

Abb. 12.4  Customer Journey und organisationaler Kaufprozess

Sie hat den Vorteil, nicht übermäßig kompliziert zu sein, gleichzeitig aber die Vorkaufphase in die Aufmerksamkeit und die aktive Abwägung, die Nachkaufphase in die reine Wirkung beim Kunden selbst und die Weitergabe dieser Erfahrung an andere zu unterteilen. Dabei verlaufen Customer Journeys keineswegs linear, sondern beinhalten als Resultat aus Diskussionen und dem Entdecken neuer Aspekte und Neubewertungen i. d. R. Sprünge und Iterationsschleifen. Somit ist dieser Prozess in der Praxis über verschiedene Touchpoints, Aktivitäten und Beteiligte alleine in den drei Phasen bis zur Kaufentscheidung komplex und vielschichtig, und kann leicht wie ein durcheinander geratenes Wollknäuel aussehen. Durch strukturiertes „Mapping“ kann versucht werden, dieses zu entwirren und handhabbar zu machen. Interessant ist, dass die Customer Journey für das B2B-Marketing kein grundsätzlich neues Konzept darstellt. Vergleicht man sie mit dem B2B-Kaufphasenmodell aus ­Abschn. 6.3.2.1.3, lassen sich unschwer Parallelen erkennen (siehe Abb. 12.4). Lediglich die Weiterempfehlungsphase ist nicht abgebildet und das Kaufphasenmodell ist in seinem Ursprung linear (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 43).

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey Awareness: Suche/ Aufmerksamkeit • Gefunden werden: – SEM: SEO/SEA – Social Selling – Werbung Fachmedien

• Finden:

– Website: Web Analytics, Downloads

Consideration: Vergleich/ Abwägung • Komplexität: – Messen, Democenter, Roadshows – Videos

• Glaubwürdigkeit: – Garantien – Zertifikate – Referenzen

• Wegbereitung ADM

Conversion: Kaufentscheidung

Retention: Bindung/ Wiederkauf

• Sicherheit, Details:

• Absicherung/ Pflege:

– Kataloge, Datenblätter – Testinstallationen, Testproduktion – Verkaufsfördermaßnahmen (VKF) – Persönliche Kommunikation

– – – –

• Kaufmöglichkeit

– Direktmarketing

Social Media Direktmarketing Eventmarketing Seminare/ Webinare – Kundenzufriedenheitsbefragungen – Einbeziehung in Innovationsprozesse – Persönliche Kommunikation

369 Advocacy: Weiterempfehlung • Basis für Glaubwürdigkeit – Website: Referenzen, Case Studies, Studien – Social Media: Electronic Wordof-Mouth (eWOM), Influencer

Zielgruppenfokus, Buying-Center-Mitglieder, nachgelagerte Märkte Tonalität

Abb. 12.5  B2B-Besonderheiten der Kommunikationspolitik in der Customer Journey

Um eine Struktur in die Vielzahl der Kommunikationsinstrumente zu bringen, wurden sie in Abb. 12.5 den für die B2B-Kommunikation relevanten Besonderheiten und Zielsetzungen entlang der Customer Journey zugeordnet. Differenzierte Betrachtungen der B2B-Kommunikation in den unterschiedlichen Phasen der Customer Journey gibt es ­empirisch nur wenige (z. B. Strandmarketing, 2017; Gaffney, 2020). Daher sind diese Zuordnungen nicht absolut zu verstehen: Grundsätzlich kann jedes Kommunikationsinstrument in fast allen Phasen der Customer Journey zu vielen Zwecken genutzt werden, was auch deren nicht-linearem Verlauf Rechnung trägt. Im Sinne einer Strukturierung wurden hier jedoch Schwerpunkte gemäß den Hauptwirkungsweisen und der Nützlichkeit für die einzelnen Zielsetzungen gelegt. In der Awareness-Phase geht es um „Finden und Gefundenwerden“ und die ersten Schritte der sogenannten „Lead-Generierung“. Als „Leads“ werden aussichtsreiche potenzielle Interessenten bezeichnet. Aufgabe der Awareness-Phase ist damit neben der allgemeinen Aufmerksamkeit eine erste Qualifizierung der erzielten Kundenkontakte, um die guten von den weniger vielversprechenden zu unterscheiden. Erstere werden anschließend über die Abwägungsphase bis zur Kaufentscheidung weiterbewertet und weiterentwickelt („Lead Nurturing“). Wesentliche Touchpoints der ersten Phase sind Anbieter-Websites, auf denen relevante Informationen erhältlich sein und deren Besucherströme ausgewertet werden sollten. Daneben ist in jüngerer Vergangenheit Social Selling bedeutsamer geworden, bei dem der Vertriebsaußendienst z.  B. über soziale Netzwerke wie Xing oder LinkedIn Buying-­ Center-­Mitglieder kontaktiert. Da aber in nicht geringem Maße auch im professionellen Einkauf Suchmaschinen genutzt werden, ist Suchmaschinenmarketing hier unerlässlich. Schließlich kann auch durch Messen und Fachmedien Aufmerksamkeit generiert werden.

370

12 B2B-Kommunikationspolitik

In der Phase der Abwägung muss Glaubwürdigkeit untermauert und Komplexität reduziert werden. Gerade Letzteres wird für Kunden nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch aufgrund der Informationsflut immer schwerer, sodass gute Unterstützung eines Anbieters „den Unterschied“ machen kann (vgl. Adamson, 2019, S. 2). Schließlich geht es in dieser Phase darum, den Weg für den Vertriebsaußendienst zu bereiten. Studien zeigen, dass Kunden zwar zunehmend größere Teile der Customer Journey ohne Außendienstkontakte bestreiten, diese aber in der späten Abwägungs- und nachfolgenden Kaufphase weiterhin gerne in Anspruch nehmen (vgl. AUMA, 2015a, S. 23; Gaffney, 2020, S. 3; ECC, 2021, S. 7, 10; GlobalSpec, 2021, S. 20–22). Bei der Kaufentscheidung an sich spielt Sicherheit eine große Rolle, vor allem im Zuliefer-, System- und Projektgeschäft. Sie kann für die technischen Ansprechpartner durch Quellen mit vielen Details vermittelt werden. Ansonsten geben persönliche Kommunikation des Außendiensts, Referenzen und – soweit möglich – die Gelegenheit zum Testen das benötigte Vertrauen. Ein guter Teil der B2B-Käufe wird anschließend online durchgeführt, wozu ein stolperfreier Zugang zur E-Commerce-Plattform des Anbieters (eigener Webshop oder Handelspartner) notwendig ist. Da es sich bei der Gestaltung der Kauf-Touchpoints um Aspekte der Vertriebspolitik handelt, wird dies erst im nachfolgenden Kap. 13 detailliert betrachtet. Absicherung und Weiterentwicklung der Kundenbeziehung durch Up- und Cross-­ Selling stehen im Mittelpunkt der Nachkaufphase. Hier kann viel digital gearbeitet und Kontakt über soziale Medien gehalten und gezielt durch Direktmarketing, Webinare und das ein oder andere Event informiert und gepflegt werden. In der Weiterempfehlungsphase wird die Basis für die Glaubwürdigkeit gelegt. Hier werden die Referenzkunden und -projekte gewonnen und dokumentiert sowie auf digitalen Kanälen die Verbreitung der Erfahrungen unterstützt. Spätestens ab hier können auch B2B-Influencer aufgebaut und genutzt werden, auch wenn sie im Kaufprozess der Kunden in anderen Phasen, vornehmlich bei Aufmerksamkeit und Abwägung, zum Einsatz kommen.

12.2.1 Finden und Gefundenwerden in der Suchphase „Der Einkauf googelt.“ So kann etwas provokant beschrieben werden, wie ein Großteil der Einkaufsprozesse eingeleitet wird, immer vorausgesetzt, dass dem Kunden halbwegs bekannt ist, wonach gesucht werden muss. Zu einem großen Teil werden die allgemeinen Suchmaschinen und somit wohl auch die des Weltmarktführers genutzt (vgl. GlobalSpec, 2019, S. 24; ECC, 2021, S. 15). Neben Google ist im B2B-Bereich auch Bing recht weit verbreitet. Auf vielen Rechnern mit Microsoft als Betriebssystem ist Bing über den Edge-Browser vorinstalliert. Da im betrieblichen Umfeld immer noch vorrangig mit dem Desktop gearbeitet wird (vgl. Strandmarketing, 2017; Wittmann et al., 2018, S. 12), dürfte dies dafür verantwortlich sein, dass Bing in Deutschland per September 2021 bei Desktop-­ Suchen immerhin auf einen Marktanteil von 11,3 % (versus 83,6 % von Google) kommt

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

371

(vgl. Statcounter, 2021a). International tätige B2B-Anbieter sollten beachten, dass Google in einzelnen Ländern von nationalen Suchmaschinen der Rang abgelaufen wird. So rangieren bei Desktop-Suchen in China Baidu und Sogou bei ca. 40 % bzw. 30 %, während Google nur knappe 8 % Anteil hat (vgl. Statcounter, 2021b). In Russland liegt Yandex mit 47 % fast gleichauf mit Googles ca. 50 % (vgl. Statcounter, 2021c). Praxisbeispiel: Spezielle B2B-Suchmaschinen

Es gibt auch spezielle B2B-Suchmaschinen. Bei ihnen handelt es sich im Wesentlichen um verschlagwortete Lieferantenverzeichnisse, die mehr oder weniger viele Zusatzdienstleistungen beinhalten. Sie bezeichnen sich als Suchmaschinen, (Einkaufs-) Plattformen oder B2B-Communities. Als Ergebnisse produzieren sie vor allem Listen möglicher Anbieter, einige auch Links zu Produkt-, Technik- und Trendinformationen. Als die Wichtigsten gibt lieferantensuchmaschinen.de per 2015 mit einem Aktualisierungshinweis für 2021 sjn.de, europages.com, de.kompass.com, wlw.de und industrystock.de an. Einer klassischen Suchmaschine am nächsten kommt z. B. induux.de, die aus einer Internetagentur hervorgegangen ist und ihren Kunden gleichzeitig auch Dienstleistungen zur Optimierung des Online-Marketings anbietet. ◄ Um mit Suchmaschinen gefunden zu werden, muss Suchmaschinenmarketing (SEM: Search Engine Marketing) betrieben werden. Dabei lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: Während es bei der Suchmaschinenoptimierung (SEO: Search Engine Optimization) darum geht, vordere Plätze auf den Suchergebnisseiten zu erzielen, werden bei der Suchmaschinenwerbung (SEA: Search Engine Advertising) Kleinanzeigen geschaltet, die an prominenter Stelle vor den eigentlichen organischen Suchergebnissen angezeigt werden. SEA funktioniert grundsätzlich recht einfach und kurzfristig. Es basiert auf selbst zu definierenden Keywords und Geboten, die der Anbieter bereit ist, für Nutzeraktionen zu bezahlen. Beide sind leicht zu korrigieren, sodass jederzeit nachgesteuert werden kann. Tatsächliche Ausgaben entstehen nur, sobald Nutzer die entsprechende Aktion ausführen, häufig bei Klicken auf die Anzeige („Cost-per-Click“). Da auf Suchergebnisseiten der Platz begrenzt ist, werden die wenigen verfügbaren Anzeigenplätze nach einem Auktionsalgorithmus in Echtzeit („Real-time Bidding“) vergeben. Somit bietet SEA keine Erscheinensgarantie. Zudem waren SEA-Anzeigen eher textlastig, wobei sich dies nach und nach ändert. Im Unterschied zu SEA beruht SEO auf Informationen der Website selbst, wie z. B. der URL, Keywords im Quellcode, in Texten und Bildern, technischen Parametern der Seiten, dem Nutzerverhalten auf ihnen (z. B. Verweildauern, Durchklicken in tiefere Hierarchieebenen) usw. Außerdem zählen sogenannte „Off-Page“-Faktoren, wie z.  B.  Erwähnungen in Social Media, Bewertungen oder Rückverlinkungen („Back Links“) von anderen Seiten. Für das Bewerten vieler dieser Elemente brauchen die Crawler der Suchmaschinen Zeit. Da nie alle relevanten Aspekte und ihre Gewichtungen von den Suchmaschinenbetreibern offengelegt werden, ist SEO ein langfristiger und kontinuierlich notwendiger Prozess, für den mehr Mitarbeiterressourcen oder eine externe Agentur eingeplant werden sollten.

372

12 B2B-Kommunikationspolitik

Wichtig erscheint insbesondere bei der Optimierung für oder Nutzung von allgemeinen Suchmaschinen, dass lange und spezifische Keyword-Kombinationen („long-tail“) verwendet werden. Nur so kann eine Masse von nutzlosen Klicks, schlimmstenfalls sogar aus dem Konsumentenbereich, verhindert werden, die nicht nur Geld kosten, sondern auch das SEO-Ranking verschlechtern. Strukturell gibt es ansonsten keine B2B-Besonderheiten für SEO und SEA, sodass auf Details hier nicht weiter eingegangen wird (vgl. dazu z. B. Kreutzer et al., 2020, S. 199–212; Lammenett, 2021, S. 159–277). Das Ziel von SEM ist die Leitung von Interessenten auf die Homepage oder eine spezielle Landingpage des Anbieters. Der sich daran anschließende Erfolg von SEM-­ Maßnahmen hängt wesentlich von der strukturellen und inhaltlichen Qualität der (gesamten) Website ab. Denn das Erreichen der Website als Ergebnis von SEM ist kein Selbstzweck und nützt nichts, wenn der Nutzer sie sofort wieder verlässt. Eine klare und strukturierte Darstellung relevanter Inhalte ist das A&O.  Diesbezüglich wird von B2B-Entscheidern eine deutliche Gliederung nach Themen oder (vermutlich vor allem aktuellen) Herausforderungen sowie (ebenfalls vermutlich bei stark heterogenen Kundengruppen und Anwendungsszenarien) nach Branchen bevorzugt. Und auch wenn die insgesamt beliebtesten Content-Formate Videos und Whitepaper3 sind, werden gerade in der frühen Suchphase prägnante Kurzinformationen in Form von „Listicles4“ oder „Info-Grafiken“ bevorzugt (vgl. Gaffney, 2020, S. 4, 12, 19–20). Viele dieser Inhalte werden nur gegen Hinterlassen der Kontaktdaten sowie Einwilligung zu deren Nutzung freigegeben (sogenannter „Gated Content“).5 Technische Produktinformationen, wie CAD-Zeichnungen, Whitepaper und Fallstudien, verleiten Interessenten am ehesten zur Freigabe dieser Daten, knappe 20 % der Nutzer lehnen eine Registrierung für Inhalte grundsätzlich ab (vgl. GlobalSpec, 2020, S. 16; GlobalSpec, 2021, S. 12). Zur kontinuierlichen Optimierung und Pflege des eigenen Internetauftritts sollte dessen Nutzung durch Besucher ebenso stetig analysiert werden (Web Analytics). Dazu existiert eine Vielzahl an Analysetools, die z. B. Aufschluss geben über (vgl. z. B. Biesel & Hame, 2018, S. 206–211; Kreutzer et al., 2020, S. 103–119): 1. Anzahl, Herkunft (d. h. Ursprungsseiten, aber auch geografische Herkunft), Aufenthalt (Verweildauern und Besuche von Sub-Seiten) der Besucher 2. Genutzte Endgeräte (Desktop, Tablet, Laptop, Handy), Betriebssysteme und Browser 3. Tages-, Wochen-, Monats-, Jahreszeiten der Besuche

 In der Regel selbst erstellte Berichte, Checklisten, Übersichten, Marktstudien usw. zu aktuellen Themen, die die Kompetenz des Anbieters in diesem Kontext unterstreichen sollen. 4  Artikel in einem kurzgefassten übersichtlichen Listenformat mit prägnanter Überschrift. Unter „Die 8 Megatrends der B2B-Kommunikation“ würden dann z. B. acht Überschriften mit einem jeweils kurzen nachfolgenden Absatz zur Erläuterung erscheinen (vgl. Zukunftsinstitut, 2014). 5  Siehe dazu auch die rechtlichen Hinweise in Abschn. 12.2.2.3. 3

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

373

4. Pfadanalysen durch die Website und Bewegungsmuster (Mouse Tracking) auf einer Seite 5. Engagements wie Verweildauern, Registrierungen, Downloads von Whitepapers, Käufe usw., ggf. inkl. Stimmungen der Nutzer (Sentiment-Analyse), z. B. beim Dialog mit Chatbots 6. Absprungstellen und -zeiten von der Website 7. Verhalten wiederkehrender Besucher Vor allem Pfadanalysen und Engagements geben Aufschluss über Interessen und Absichten. Zusammen mit den weiteren Informationen können Interessenten identifiziert und „nachverfolgt“ werden, indem Marketing oder Vertrieb über bei Aktivitäten des Besuchers auf der Website hinterlassene Daten direkt Kontakt aufnehmen. Dabei kann das Interessen weiter validiert und der potenzielle Kunde in die nächsten Phasen seiner Customer Journey geführt werden (sogenanntes „Intent-Based“ Marketing). Der Einsatz des Vertriebsaußendiensts ist an dieser Stelle vielfach noch verfrüht, da ein konkretes Bedürfnis des Kunden oft noch nicht erkennbar ist. Daher müssen hier effiziente Wege der Kontaktaufnahme gefunden werden, wozu z. B. auch automatisierte elektronische Kontakte gehören können (Marketing-Automation, siehe Abschn. 12.6). Sofern Website-Besucher keine Daten hinterlassen, ermöglichen spezifischere Analysetools über die hinterlassenen statischen IP-Adressen der Besucher die Identifikation des dahinterstehenden Unternehmens. In diesem Fall können die über Web Analytics gewonnenen Informationen diesem zugeordnet werden (vgl. Kleinschnittger, 2022). Der konkrete Nutzer ist damit natürlich noch nicht namentlich bekannt. Sofern sich aber – z. B. auch durch Verknüpfung mit anderen, schon vorliegenden Daten dieses Unternehmens – Hinweise auf echtes Interesse verdichten, kann sich eine telefonische Kontaktaufnahme zwecks Suche nach dem Ansprechpartner lohnen. Ziel des Social Sellings ist die Kontaktaufnahme zu aktuellen oder potenziellen Mitgliedern der Buying Center oder, noch besser, durch diese. Denn Social Selling bedeutet weniger aktive Akquisition als vielmehr den langfristigen Aufbau von Reputation und eines Netzwerks, über das Interessenten dann in Kontakt treten können. Dazu werden soziale B2B-Netzwerke wie Xing oder LinkedIn genutzt und auch weitere Soziale Medien wie Foto-, Video-, und Blogplattformen. Aber „social“ bezieht sich auf alle Arten sozialer Kontakte, auch der persönlichen von Angesicht zu Angesicht, z. B. bei Messen oder Kongressen. Den Vertretern des Anbieters kommt hierbei die Rolle von Content-Creators zu, d. h. es müssen fachspezifische und für die Zielgruppe interessante aktuelle und (unternehmens-)eigene Inhalte gepostet werden. Wichtig ist auch, den Interessenten bei der Fokussierung im Informationsüberfluss zu helfen. Idealerweise gelingt ein „Personal Branding“ als Experte und Unterstützer, sodass für Interessenten völlig klar ist, wofür die Person (und ihr Unternehmen) steht und sie erster Ansprechpartner wird. Social Selling sollte nicht nur von Vertriebsaußendienstlern betrieben werden, sondern ebenso von anderen Unternehmensvertretern mit Kundenschnittstellen oder mit Relevanz für die Kunden. Dazu gehören der Marketing- und Servicebereich sowie weitere Management- und Ge-

374

12 B2B-Kommunikationspolitik

schäftsleitungsmitglieder, sodass ein in sich schlüssiges Unternehmensbild aufgebaut wird (vgl. Behrens, 2021, S. 492–497; Brahm, 2020, S. 19–20; Römmelt, 2021, S. 5–17). Durch konsequentes Social Listening und Analyzing können Zielgruppen noch punktgenauer erreicht und ihre Bedürfnisse bedient werden (vgl. Hardiman, 2016, S. 405–409). Gut zu planen und zu überwachen ist der zeitliche Aufwand für Social Selling, denn jeder weiß, wie leicht man sich in den Tiefen der sozialen Medien verlieren kann. Andererseits gibt es auch hierfür Softwareunterstützung. Auch durch klassische oder digitale Werbung kann Aufmerksamkeit erzielt werden. Im B2B-Bereich sind dafür vor allem fachspezifische Umfelder relevant, d. h. Fachmedien/-zeitschriften für einzelne Branchen oder Displaywerbung auf Seiten von Partnern (Affiliate-Marketing) oder auf speziellen Portalen. Die großen Werbeträger des Konsumgütermarketings, TV und Radio, spielen in der B2B-Kommunikation hingegen kaum eine Rolle. Im Printbereich (analog und digital) lässt sich durch PR-Aktivitäten und direkten Kontakt zu und Einladung von Redakteuren eine Kopplung von Anzeigenschaltung und redaktionellen Inhalten herstellen. Gegebenenfalls können Unternehmensvertreter auch direkt Gastbeiträge als Experten platzieren. Hochwertige Fachinhalte sind vermutlich viel mehr als Werbung der Grund, aus dem Entscheider nach wie vor zu sehr großen Anteilen (> 85 %) Fachmedien als Informationsquellen nutzen (vgl. Deutsche Fachpresse, 2020, S. 4; Vogel, 2020, S. 17). Ebenso können digitale Werbenetzwerke („Display Networks“) oder „Programmatic Advertising“, d. h. das vollautomatisierte und individualisierte Ausspielen von Werbung, im B2B genutzt werden. Über beides ist eine sehr spezifische und viel detailliertere Zielgruppenbestimmung („Targeting“) als bei SEA möglich. Im Gegensatz zu Konsumgütermärkten sind dabei vor allem Kontext- und semantisches Targeting6 relevant. Bei Ersterem werden attraktive Ziel-Webseiten als Werbeträger anhand der vom Werbetreibenden definierten Keywords identifiziert, bei Letzterem wird der gesamte Seiteninhalt semantisch, d.  h. auf Bedeutung und Übereinstimmung mit den Zielen des Werbetreibenden, untersucht (vgl. Kreutzer et al., 2020, S. 190–191). Ähnlich wie SEA basiert die Anzeigenschaltung auf auktionsbasierten Algorithmen in Echtzeit. Nutzern wird beim Surfen live entsprechende Werbung eingeblendet. Grundsätzlich sind alle Arten von Werbemitteln möglich (Text, Bild, Animation, Film). Sofern sie als „Native Advertising“ stark in redaktionelle Inhalte eingebettet und als ebensolche gestaltet werden, fallen sie nicht einmal besonders als Werbebeiträge auf. Programmatic Advertising bietet dabei noch feinere Steuerungsmöglichkeiten und präziseres Targeting als Display-Netzwerke, was speziell für die Ansprache von Nischenmärkten interessant ist.

 Im Gegensatz zu soziodemografischem oder verhaltensbasiertem Targeting.

6

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

375

12.2.2 Kommunikation von Komplexität, Glaubwürdigkeit sowie die Wegbereitung zum Kunden in der Abwägungsphase 12.2.2.1 Reduktion von Komplexität Die Reduktion von Komplexität im B2B-Marketing hat zwei Dimensionen. Zum einen geht es um die verständliche Erklärung technischer Komplexität, zum anderen „ertrinken“ die Kunden geradezu in einer immer größer werdenden Informationsflut (vgl. Adamson, 2019, S. 2). Technische Komplexität an sich ist eine kommunikative Herausforderung, die aber umso größer wird, wenn Innovationen vollständig neue technologische Ansätze enthalten, wie dies z. B. auch bei neuen digitalen Services der Fall ist (siehe Abschn. 10.3.2). Wie allgemein bei der Kommunikation von Dienstleistungen ist deren Immaterialität und ­damit die Visualisierung nicht einfach zu bewerkstelligen. Meffert und Bruhn (2006, S. 496–499) machen zur Umsetzung den in Abb. 12.6 dargestellten Vorschlag. Die meisten Optionen sind recht selbsterklärend. Mit materiellen internen Faktoren sind z. B. Maschinen, Gebäude, Gelände des Anbieters im Zusammenhang mit der Dienstleistung gemeint, mit Objektproben Bild-, Film- oder Text-Vorschauen auf die Leistung. Sinnbilder sind Logos, Slogans, Symbole, die den Anbieter oder die Dienstleistung selbst versinnbildlichen. Mit Trägermedien sind im modernen Sinne die Plattformen, auf denen die Dienstleistung bereitgestellt wird, gemeint. Was früher CD-ROMs oder DVD waren, können nun z. B. Screenshots der webbasierten Bedienoberfläche sein.

Gestaltungsziel Materialisierung

Personifizierung

Dargestellte Faktoren

Externe Faktoren

Interne Faktoren

• Vorher-Nachher-Darstellung • Verpackung des Dienstleistungsobjekts • Darstellung der Bedürfnisbefriedigung

• Referenzkunden • Testimonial • Prominente

• Materielle (sachbezogene) interne Faktoren • Objektproben • Einsatz von Sinnbildern • Herausstellung des Trägermediums

• Führungskräfte • Mitarbeiter (mit oder ohne Kundenkontakt) • Darstellung des Dienstleistungsprozesses

Abb. 12.6  Gestaltungsoptionen bei der Kommunikation von Dienstleistungen. (Quelle: Meffert & Bruhn, 2006, S. 497)

376

12 B2B-Kommunikationspolitik

Hinsichtlich der Informationsflut ist die B2B-Kommunikation gefordert, diese Fülle zu sortieren und zu reduzieren. Hilfreich sind dazu, sofern es nicht gelingt, den eigenen Vertrieb bereits an dieser Stelle in Kontakt mit dem Kunden zu bringen, ähnlich wie in der Suchphase vergleichende Übersichten oder Zusammenfassungen zu Themen, z.  B. in Whitepapers, Infografiken und Listicles oder Blogs und Webinaren. Dabei sollten alte und neue Aspekte eingeordnet, erklärt, kommentiert oder verglichen werden. Nicht zu trennen ist dies von ebenfalls zu untermauernder Vertrauens- und Glaubwürdigkeit des Anbieters, denn nur dann bringt diese Fokussierungshilfe Mehrwert für die Kunden. Aus strukturellen Gründen wird darauf erst in Abschn. 12.2.2.2 eingegangen. Eine anschauliche Möglichkeit, um über technisch komplexe Aspekte zu kommunizieren, kann Video-Marketing sein, mit dessen Hilfe Produkte und Einsatzszenarien vorgeführt und neue Technologien und Trends erläutert werden können. Im Unterschied zu Webinaren bestehen dabei jedoch nur sehr begrenzte Interaktionsmöglichkeiten, dafür oft überlange Laufzeiten, und so haben Videos für die kontinuierliche Information aus Kundensicht überraschenderweise nur unterdurchschnittliche Bedeutung (vgl. Gaffney, 2020, S.  8; Vogel, 2020, S.  15). Nur aus der Sicht von Technikern, die eher den Nutzern in Buying Centern zuzuordnen sind, stellt sich dies etwas anders dar: Sie sehen Videoinhalte durchschnittlich einige Male pro Monat an, vor allem jedoch für Tutorials und Schulungen (vgl. GlobalSpec, 2019, S. 13, 22). Dies ist in der Customer Journey allerdings eher der Kaufphase unmittelbar vor oder nach dem Kauf oder der Bindungs-, aber nicht der Abwägungsphase zuzuordnen. Somit sind vor dem Einsatz von Videos zur Kundenakquisition – auch aufgrund der vergleichsweise hohen Produktionskosten für professionelle Resultate – die Kundenbedürfnisse und -präferenzen sehr spezifisch zu analysieren, um sie als Anbieter sinnvoll in das Content-Marketing einbetten zu können. Der vielversprechendere Weg scheinen Formate rund um das Stichwort „Veranstaltungen“ zu sein. Dazu zählen neben (großen und internationalen) Branchen- und Fachmessen auch Hausmessen, Roadshows und Democenter einzelner Anbieter. Vorteile aller dieser Formate aus Anbietersicht sind die Möglichkeit, auch größere Anlagen aufzubauen und im Betrieb zu demonstrieren und Interessenten aus aller Welt gebündelt innerhalb eines kurzen Zeitraums an einem Ort versammelt anzusprechen. Vorteile aus Kundensicht sind neben dem interaktiven Live-Erleben von Produkten und Leistungen die Möglichkeit zum Entdecken vormals unbekannter Anbieter und Innovationen und zum Vergleichen der Angebote aller ausstellenden Wettbewerber bei „öffentlichen“ Messen. Letzteres entfällt bei anbietereigenen Hausmessen, Roadshows und Democentern naturgemäß. Bei größeren Messen werden zudem vielfach über ein zusätzliches Vortragsprogramm anbieterübergreifende Technologien und Trends präsentiert und von Experten eingeordnet, zu denen der Zugang sonst mindestens schwierig wäre. Dies kann in geringerem Umfang auch bei anbieterspezifischen Formaten erfolgen. Da Messen bei optimaler Nutzung etwas anders funktionieren als andere Kommunikationskanäle, folgen etwas detaillierte Erläuterungen, zunächst für „öffentliche“ Messen.

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

377

Öffentliche Messen Die Entscheidung für eine Messebeteiligung als Aussteller folgt denselben Kosten-­ Nutzen-­Erwägungen wie die Auswahl anderer Medien. Einen guten Überblick über verfügbare Messen bietet der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) in seiner Datenbank, die alle wesentlichen Messen Deutschlands und viele Auslandsmessen enthält (https://www.auma.de/de/ausstellen/messen-­finden). Nicht vollständig erfasst sind „Gastveranstaltungen“ von Nicht-AUMA-Mitgliedern sowie kleine, eher lokale Messen (vgl. AUMA, 2018, S.  12). Der internationale Dachverband UFI (l’Union des Foires Internationales, Gebrauchsname „Global Association of the Exhibition Industry“) verlinkt unter https://www.ufi.org/industry-­resources/useful-­links/ weitere, vor allem internationale Datenbanken sowie viele weltweite Organisationen rund um die Messewirtschaft. Für das Vor-Corona-Jahr 2019 weist die AUMA 163 internationale und nationale Messen für Deutschland aus, davon 93 Industriegütermessen, was einem Anteil von knapp 60 % entspricht (vgl. AUMA, 2020b, S. 6). Für viele in der AUMA-Datenbank erfasste Messen werden von der FKM (Gesellschaft zur freiwilligen Kontrolle von Messe- und Ausstellungszahlen) geprüfte Kennzahlen über Flächen, Aussteller und Besucher angegeben. Aus B2B-Anbietersicht besonders interessant sind die Angaben zur Fachbesucherstruktur, die u. a. die geografische Herkunft, die Branche, die Position im Unternehmen und die Entscheidungskompetenz der Messebesucher aufzeigen. Diese Daten ermöglichen eine relativ fundierte Auswahl attraktiver Messen. Zudem zeigen sie die letzten und zukünftigen Termine der jeweiligen Messe und ihre übliche Frequenz auf, denn die wenigsten Industriemessen finden jedes Jahr statt. Um die Hauptziele Stammkundenpflege, Neukundengewinnung, allgemeine Bekanntheitsgradsteigerung und Präsentation neuer Produkte (vgl. AUMA, 2019, S. 36) bestmöglich und effizient zu erreichen, ist bei Messeauftritten ein planvolles Vorgehen unabdingbar. Dazu gehören in der Vorbereitungsphase Standplanung und -bau inklusive Berücksichtigung der Standmiete je nach Art (z.  B.  Reihen-, Kopf-, Eck-, Inselstand), Größe und Ort des Stands auf dem Messegelände und der variablen Standkosten (Strom, Wasser). Hierfür fällt mit durchschnittlich ca. 50 % ein großer Teil der Gesamtkosten einer Messebeteiligung an (vgl. AUMA, 2018, S. 19). Der zweite große Kostenblock entfällt mit knapp 40  % auf das Standpersonal inkl. dessen An- und Abreise, Verpflegung und Unterbringung (vgl. AUMA, 2018, S. 19). Gerade Letzteres schlägt bei internationalen Leitmessen gravierend zu Buche, denn die Hotels und Pensionen selbst in großen Städten sind schnell ausgebucht und nehmen Top(!!)-Zuschläge. Sofas und Matratzen bei Be- und Unbekannten und Stellplätze für Wohnmobile sind in der Praxis durchaus beliebte Alternativen. Der Einsatz des Standpersonals ist somit quantitativ akribisch zu planen, aber genauso bezüglich dessen Rolle und Verhalten am Messestand. Freundlichkeit (auch vom stundenlangen Stehen und den After-­ Work-­Partys völlig übermüdet am vierten Tag nach dem 103. Kundengespräch) und Know-how (hier sind vor allem Vertrieb und Produktmanagement, ggf. der Service ge-

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fragt) sind selbstverständlich. Beides sollte aber ebenso noch einmal gebrieft werden, wie die richtige Balance aus schnellem Prüfen der wahren Interessen eines Standbesuchers und die optimale Länge des Gesprächs mit einem wirklichen Interessenten. Denn gerade bei komplexen Gütern und Leistungen wird keine Entscheidung am Stand getroffen, außer der, sich im Nachgang zur Messe intensiv mit den favorisierten Anbietern weiter zu beschäftigen. Daher dürfen vor allem spontane Gespräche nicht endlos lang werden, denn die nächsten Interessenten warten bereits – aber nicht zu lange. Zur Planung gehören auch die gezielte Einladung von Interessenten und Bestandskunden auf den Messestand und die konkrete Terminvereinbarung dazu vorab. So können die persönliche Kontaktaufnahme, Vertiefung der Themen und letztendlich die gesamte Dauer der Customer Journey deutlich beschleunigt werden. Hierdurch entsteht der letzte Kostenblock (ca. 10 %) für Einladungsmarketing auf vielen Kanälen, inkl. des Erwerbs von Tickets vom Messeveranstalter für die Kunden, und Bewirtung inkl. des eventuellen Rahmen-/After-Work-Programms sowie Give-Aways während der Messe. Insgesamt belaufen sich die Ausstellerkosten für Messen mit großen Schwankungen im Durchschnitt auf ca. 1400 €/qm Standfläche (vgl. AUMA, 2018, S. 5, 18) und summieren sich schnell auf. 2019/20 betrug der Anteil des Budgets für Messen 46 % des gesamten Kommunikationsetats der befragten Unternehmen, was nicht zuletzt daran lag, dass jedes Unternehmen im Durchschnitt auf neun Messebeteiligungen im In- und Ausland kam (vgl. AUMA, 2019, S. 7, 18). Dies stellt insbesondere für kleine und junge Unternehmen eine große finanzielle Herausforderung dar, weshalb es für diese Ausstellergruppen recht umfassende Fördermaßnahmen von Bund und Ländern gibt. Aktuelle Programme sind unter https://www.auma.de/de/ausstellen/foerderungen aufgeführt. In der Regel werden Standmiete und -bau, teilweise für Gemeinschaftsstände mehrerer Unternehmen, bezuschusst, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Im Auslandsmesseprogramm des Bundes erfolgt auch Unterstützung bei Organisation und Logistik. Während der Messe sollten klare Verantwortlichkeiten inkl. eines definierten Standleiters bestehen, immer(!) Personal am Stand verfügbar sein, der Stand auch tagsüber bei Bedarf aufgeräumt und gereinigt und vor allem Mitnahmematerial nachbestückt werden. Besonders wertvolle Exponate müssen geschützt und bewacht werden. Essenziell für den Erfolg ist eine systematische Erfassung der Standbesucher, zumindest der echten Interessenten. Auf effiziente und zuverlässige Art müssen die Kontaktdaten, Interessen und sonstigen relevanten Gesprächsinhalte erfasst und gespeichert werden. Während früher dabei „Zettelwirtschaft“ und Visitenkartensammlungen blühten, kann dies heute digital direkt ins CRM-System übernommen werden. Wichtig ist eine direkte Zuordnung zu den jeweiligen vertrieblichen Ansprechpartnern (z. B. nach Region oder Branche), die nicht notwendigerweise allesamt und während der kompletten Messe am Stand sein müssen. Dies stellt auch den Übergang zur Nachbereitungsphase dar, in der vor allem sichergestellt werden muss, dass die neuen Kontakte innerhalb der am Stand verabredeten oder einer angemessenen Zeitspanne nachgefasst werden. Ein besseres „Vorwärmen“ als einen Kontakt am Messestand kann es für den Vertrieb eigentlich nicht geben. Hier ist in Zeiten

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der „Zettelwirtschaft“ aber viel Potenzial buchstäblich verloren gegangen. Und auch bei digitaler Erfassung muss das Abarbeiten im Nachgang überwacht werden. Idealerweise wurde bereits in der Vorbereitung ein Plan B für eine unerwartet hohe Welle von Kontakten festgelegt, sodass diese Menge nach eingeschätztem Wert des Interessenten strukturiert und effizient abgearbeitet werden kann. Schließlich muss unmittelbar nach der Messe und über einen vorab definierten weiteren Zeitraum danach der übergreifende Erfolg der Messe anhand der festgelegten Ziele ermittelt werden. Dazu gehört auch eine qualitative Manöverkritik aller Beteiligten, um nicht nur KPIs zu sehen, sondern auch deren Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten für zukünftige Messeauftritte zu erkennen. Virtuelle Messen Virtuelle Messen erlebten bereits um die Jahrtausendwende einen ersten Boom (vgl. Möllenberg & Teichmann, 2000, Zusammenfassung), setzten sich jedoch nachfolgend nicht in großem Stil durch. Dies mag vor allem an den zu dieser Zeit noch eingeschränkten ­technischen Möglichkeiten bzgl. Produktpräsentation und (Live-)Kommunikation gelegen haben. Virtual und Augmented 3D-Reality steckte noch vergleichsweise in den Kinderschuhen, ebenso synchrone Echtzeit-Kommunikation, die über irgendeine Art von Telefonie hinausging (vgl. Möllenberg & Teichmann, 2000, S. 21, 23, 41). Erst das Coronajahr 2020 brachte neuen Schwung. Grundsätzlich unterscheiden sich virtuelle Messen mit moderner Technologie gar nicht so sehr von Präsenzmessen. Es gibt Besucher und Aussteller, Ausstellerverzeichnisse, begehbare dreidimensionale Messestände und Exponate, die Möglichkeit zu Terminvereinbarungen und Rahmenprogramme mit Vorträgen und Events. Was fehlt, sind die persönliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, der Event-Charakter und vor allem für die Besucher das „Sich-Treiben-lassen“ mit Zufallsentdeckungen und -bekanntschaften. Zudem kann das tagelange ununterbrochene Sitzen vor dem Rechner sehr ermüdend sein. Dem stehen möglicherweise geringere Kosten gegenüber, wobei die Programmierung spezieller virtueller Darbietungen auch kostentreibend wirken kann. Zeitersparnisse durch fehlenden Reiseaufwand und bessere individuelle Planbarkeit und auch längerfristig noch verfügbarer digitaler Content sind weitere Vorteile (vgl. Möllenberg & Teichmann, 2000, S. 27–30; Gundelach, 2020). Da Messen aber primär „People Business“ sind, überrascht es unter dem Strich nicht, dass erste aktuelle Studien zu dem Ergebnis kommen, dass rein virtuelle Messen die Präsenzmessen nicht zu großen Teilen ersetzen werden. Vielmehr zeichnet sich ein Trend zu hybrider Integration, d. h. zur Einbindung virtueller Formate in reale Messen, dort, wo es entlang von Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung sinnvoll und mehrwertstiftend ist, ab (vgl. Gundelach, 2020; Kötter, 2021; Prüser, 2021, S. 19). Nebenbei bemerkt wurde dies bereits vor über 20 Jahren prognostiziert (vgl. Möllenberg & Teichmann, 2000, S. 43–45).

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Hausmessen, Democenter und Roadshows Hausmessen, Democenter und Roadshows sind im Gegensatz zu öffentlichen Messen anbietereigene Formate. Vielfach beschränken sie sich daher auf die Präsentation von Innovationen, Produkten und Leistungen eines Anbieters. Mitunter werden jedoch auch Geschäftspartner (z. B. Händler oder Anbieter komplementärer Produkte) als Mitaussteller eingeladen, sodass für Besucher ein gewisser Sortimentseffekt eintritt. Während Hausmessen wie öffentliche Messen zeitlich eng begrenzt sind, sind Democenter dauerhafte Einrichtungen, i. d. R. am Hauptstandort des Anbieters. Bei beiden kann Ausstellungsfläche durch Konferenz- oder Weiterbildungselemente und Rahmenprogramm ergänzt werden. Bei Roadshows begeben sich Demo-/Promotion-Teams des Anbieters buchstäblich auf die Straße und touren durch die Lande. Dabei mieten sie sich entweder mit mobilen Exponaten und Ausstellungsmaterialien an den jeweiligen Zielorten tageweise in festen Gebäuden ein oder können mit einem Ausstellungsbus oder mobilen Container unterwegs sein und so den Kunden den Weg zu ihren stationären Angeboten abnehmen. Bei allen drei Formaten bleiben die Aufgaben in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung grundsätzlich dieselben wie bei Messen. Lediglich der Umfang ist deutlich geringer. Democenter können als Dauereinrichtungen kontinuierlich im laufenden Betrieb für kleine Tagungen, aber auch spezielle Veranstaltungen für einzelne (Groß-)Kunden genutzt werden. Auch virtuell lassen sich alle drei anreichern oder sogar vollständig abbilden, wobei dies für Roadshows, die gezielt einzelne Orte und Regionen ansprechen, wenig sinnvoll erscheint. Praxisbeispiel: Die vielfältige B2B-Veranstaltungswelt

Die Hänel GmbH & Co. KG, ein weltweit tätiger Hersteller von Büro- und Lagersystemen mit entsprechender Steuerungs- und Softwaretechnologie aus Bad Friedrichshall in der Nähe von Heilbronn in Baden-Württemberg, nutzt Messen traditionell sehr intensiv. Unter https://www.haenel.de/de/newsroom/messen/ sind seit langer Zeit die jährlich geplanten Messeauftritte ersichtlich. Im Vor-Corona-Jahr 2019 stellte Hänel noch auf 36 Messen weltweit aus. Für 2022 sind immerhin wieder zehn Messeauftritte geplant. Zudem betreibt Hänel am Hauptsitz in Deutschland sein Democenter (https://www. haenel.de/de/unternehmen/demo-­center/). Dort präsentiert und demonstriert das Unternehmen eine Auswahl an aktuellen Produkten und Software-Lösungen. Im angeschlossenen Schulungszentrum wird Anwendungswissen vermittelt und vertieft. Teil eines Besuchs kann auch eine Betriebsbesichtigung sein. Eine Reihe von B2B-Roadshows, die sie für ihre Kunden durchgeführt hat, zeigt die Most GmbH aus Fürth, einer von vielen Dienstleistern im Bereich mobiles Eventmanagement und Live-Veranstaltungen. Unter https://www.roadshow-­experts.de/referenzen/aktionsbeispiele.html sind viele Beispiele für in der Vergangenheit durchgeführte B2B-Roadshows abrufbar. Zu den Projekten zählen dabei u. a. die Vor-Ort-Ansprache freier Autohäuser und Werkstätten als Schmierstoffkunden mit einem Showtruck für Shell, der Innovation-Truck der Unternehmensberatung BearingPoint, die Begleitung

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der Caterpillar Operator Challenge 2018 für die 20-bis-25t-Baggerklasse mit einem mobilen Hospitality- und Info-Center und die mobile Präsentation von Feuerwehrausrüstung für den Feuerwehrgerätehersteller Rosenbauer International AG. Der niederländische Dienstleister Movico bietet unter https://www.movico.nl/giant-­xl/ als Plattform für Roadshows einen 45-Fuß-Container, der als ein geschlossener LKW-Auflieger transportiert und von zwei Personen in kurzer Zeit zu einem dreigeschossigen Gebäude mit Dachterrasse und einer Nutzfläche von 180 qm aufgebaut werden kann. ◄

12.2.2.2 Aufbau von Glaubwürdigkeit Die zentralen Leistungseigenschaften, für die Glaubwürdigkeit hergestellt werden muss, sind empirisch ermittelt die Einhaltung von Terminen und die Erfüllung von Qualitätsanforderungen der Kunden. An dritter Stelle folgt etwas zurückliegend, aber immer noch weit vor allen nachfolgenden Aspekten, das Einhalten von Preis- und Konditionenabsprachen. Diese Reihenfolge gilt vor allem für unbekannte Anbieter, solche, die neu auf einem Markt sind oder mit denen ein Interessent zuvor noch keinen Kontakt hatte. Übergreifend am wichtigsten ist sie bei zentralen und risikobehafteten Einkaufsentscheidungen (vgl. Nolte, 2016, S. 256, 267). Beim Aufbau von Glaubwürdigkeit ist nach Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften zu unterscheiden (siehe dazu Abschn. 10.2.1.4.1). Von den drei genannten Bündeln sind die Einhaltung von Terminen und Preisabsprachen tendenziell den Erfahrungseigenschaften zuzurechnen, die Qualitätsanforderungen vielfach eher den Vertrauenseigenschaften.7 Geht es um Erstere, kann Glaubwürdigkeit dadurch vermittelt werden, dass dem Interessenten die notwendige Erfahrung vor dem Kauf ermöglicht, ihm das Risiko eines Kaufs ohne Erfahrung genommen wird oder vertrauenswürdige Dritte über ihre Erfahrungen berichten. Handelt es sich hingegen um Vertrauenseigenschaften, sind Erfahrungen oder Erfahrungssubstitute nicht möglich. Es bleiben dann Zertifizierungen von unabhängigen Experten oder kontinuierliche Detailkontrollen durch kundeneigenes Personal. Eigene Erfahrungen kann ein Interessent z. B. durch den Besuch der bereits erwähnten Democenter, wo er die Produkte im Betrieb erleben und ausprobieren kann, vor dem Kauf risikolos sammeln. Ist es nicht möglich, solcherlei Voraberfahrungen zu bieten, können gewisse Produkt- und Leistungseigenschaften durch Garantien abgesichert werden. Garantien sind von der gesetzlichen Gewährleistung zu unterscheiden und freiwillige Leistungen eines Anbieters. Sie können von diesem frei definiert bzw. zwischen Anbieter und Interessent frei verhandelt werden und gehen entweder über gesetzliche Gewährleistungsansprüche hinaus oder umfassen Aspekte, die von diesen gar nicht abgedeckt werden. Somit sind dadurch neben Produktmerkmalen z. B. auch Lieferkonditionen, Service-

 Auch bei Termin- und Preisabsprachen lassen sich Erfahrungen der Vergangenheit allerdings nicht unbedingt eins zu eins in die Zukunft projizieren, womit sie auch Vertrauenselemente erhalten. Umgekehrt sind nicht alle Qualitätsanforderungen intransparent im Produkt verbaut, sondern lassen sich teilweise sogar schon durch Sichtprüfungen im Wareneingang beurteilen. 7

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antrittszeiten usw. und somit Leistungsmerkmale des Anbieters erfassbar. Backhaus und Voeth (2014, S. 508) sprechen hier von auf die Zukunft ausgerichteten Erfüllungsgarantien mit oder ohne Konditionenfixierung im Gegensatz zu Funktionsgarantien für erworbene Produkte. Eigene Erfahrungen des Interessenten können auch durch Erfahrungen Dritter und deren Berichte darüber ersetzt werden, sofern diese aus Interessentensicht glaubwürdig sind. Hier kommen Referenzkunden ins Spiel, bei denen identische oder ähnliche Lösungen des Anbieters in der Vergangenheit erfolgreich umgesetzt wurden (siehe dazu auch ­Abschn. 12.2.5). Je nach Vereinbarung mit den Referenzkunden können diese von Interessenten schriftlich oder mündlich kontaktiert oder sogar besucht werden. Beliebt ist auch das Einladen von Referenzkunden als Vortragende bei Veranstaltungen. Wichtig beim Referenzkundenmarketing ist zum einen, dass die Referenzen tatsächlich belastbar sind, d. h., dass bei diesen Kunden alles möglichst reibungslos funktioniert. Zum zweiten sollte sich der Aufwand für die Referenzkunden in akzeptablen Grenzen halten oder aber vertraglich und transparent geregelt monetär oder nicht monetär kompensiert werden. Zum dritten ist je nach Zielmärkten eine nicht zu kleine Auswahl an Referenzkunden empfehlenswert, da diese ihren direkten Wettbewerbern i. d. R. ungerne Auskünfte erteilen. Letzteres ist auch zu beachten, wenn der Anbieter in einem ersten Schritt unpersönlich mit Case Studies über Referenzprojekte arbeitet und diese z. B. zum Download auf seine Webseiten stellt. Dies darf immer nur in Rücksprache mit den betreffenden Kunden geschehen; am besten ist eine gemeinsame Erstellung solcher Projektbeispiele. Die Qualität von Vertrauensgütern oder -eigenschaften kann im Vorfeld nur von unabhängigen Experten geprüft und bestätigt werden, die dazu Produkte oder Prozesse des Anbieters en détail untersuchen, ggf. auseinandernehmen und intensiv testen. Was im Konsumgüterbereich z.  B. von der Stiftung Warentest unternommen wird, kann im B2B-Bereich durch Zertifizierungen entsprechend international anerkannter Normen erreicht werden, wie z. B. den bekannten ISO-Normen 9001 (allgemeine Qualitätsmanagementsysteme) oder 14001 (Umweltmanagementsysteme), aber auch branchenspezifischen wie ISO 13485 (Qualitätsmanagementsysteme für Medizinprodukte), dem europäischen CE- oder dem deutschen GS-Siegel für Produktsicherheit. Noch etwas weiter gefasst als einzelne ISO-Normen ist das Managementmodell der European Foundation for Quality Management (EFQM), nach dem ebenfalls offizielle Anerkennungen (abgestuft nach „Validated“, „Qualified“ und „Recognized“ by EFQM) erlangt werden können. Eher nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird z. B. durch Testate von Wirtschaftsprüfern oder Auskünfte von Wirtschaftsauskunfteien (siehe auch Abschn. 11.8.4) bestätigt. Einen direkteren Einblick in die Qualität des Anbieters erhalten Interessenten und Kunden, wenn sie eigenes Personal zum Lieferanten abstellen, um dessen Fertigungsqualität kontinuierlich zu überwachen und so bereits die Auslieferung nicht qualitätskonformer Produkte zu unterbinden. Diese Leistungen („Shop Inspection“) werden auch von professionellen Dienstleistern angeboten. Auf diese Art wird durch den Anbieter Transparenz geschaffen, allerdings zu hohen Kosten für die Kunden. Sie honorieren daher bereits die detaillierte Kommunikation von

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Notfallplänen und Maßnahmen bei eventuellen Problemen (vgl. Nolte, 2016, z. B. S. 274–275). Auch dabei muss genaugenommen zunächst jedoch die Erfahrung gemacht werden, dass diese im tatsächlichen Notfall auch so greifen, wie zuvor kommuniziert.

12.2.2.3 Wegbereitung für den Vertriebsaußendienst Auch wenn ein guter Teil der Customer Journey bereits vor persönlicher Kontaktaufnahme des Interessenten mit dem Anbieter oder seinen Verkaufsaußendienst durchlaufen wird (vgl. z. B. Gaffney, 2020, S. 3), ist spätestens in der Abwägungsphase die Wegbereitung für den Außendienst notwendig. Nur so kann der Interessent gezielt zum Anbieter gelenkt und ansonsten notwendiger Kaltakquise kann vorgebeugt werden. Neben allen bereits erläuterten Kommunikationsmaßnahmen, die bei richtigem Einsatz persönlichen Kontakt vorbereiten („Lead Nurturing“), sei an dieser Stelle das Direktmarketing als schon sehr personalisierte Voransprache der Interessenten ins Spiel gebracht. Direktmarketing bezeichnet alle Maßnahmen, die durch personalisierte Ansprache direkten Kontakt zum und individuellen Dialog mit Interessenten auslösen sollen. Personalisierte Ansprache ist dabei wörtlich zu verstehen, d. h., der Interessent ist namentlich zu adressieren. Thematisch sollte bekannt sein, welche inhaltlichen Interessen bestehen. Die Herausforderung dabei ist das Erhalten eben dieser persönlichen Daten und Inte­ ressen. Web Analytics, Suchmaschinenmarketing und Messen wurden bereits als mögliche Quellen genannt. Im Grunde kommen alle unpersönlichen Kommunikationsinstrumente in Frage, bei denen die Interessenten ihre Kontaktdaten und Themenbereiche hinterlassen können. Wichtig ist an dieser Stelle der rechtliche Hinweis (unverbindlich und ohne Gewähr), dass die Freiwilligkeit der Überlassung von Kontaktdaten zwingend auch im B2B-­Marketing beachtet werden muss. Die sehr rigiden rechtlichen Rahmenbedingungen über digitale oder telefonische Kontaktaufnahme zu Unbekannten, aber genauso zu Bestandskunden, ergeben sich aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und vor allem der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), da es sich um personenbezogene Daten handelt. Entgegen landläufiger Annahmen gelten sie auch für die B2B-­Kommunikation. Damit ist E-Mail-, Telefon-, Fax- oder SMS-/Messenger-­ Kontaktaufnahme nur möglich, wenn eine explizite und nachweisbare Einwilligung des Adressaten vorliegt. Für die Nachweisbarkeit wird dringend das sogenannte Double-­Opt-­in-Verfahren empfohlen, bei dem der Adressat nach Bekanntgabe seiner Mail-Adresse an eben diese eine erneute Mail mit der Bitte um Bestätigung (i. d. R. per Klick auf einen Bestätigungslink) erhält. Die häufig anzutreffende Verwirrung über vermeintlich größere Freiheiten des B2B-­ Direktmarketings ergibt sich aus § 7, Absatz 2, Nr. 2 UWG, der eine unzumutbare Belästigung eines sonstigen Marktteilnehmers (B2B, d. h. Unternehmen, Freiberufler, Vereine, Verbände, Stiftungen usw., im Gegensatz zu „Verbrauchern“) durch Telefonanrufe verneint, wenn eine „zumindest mutmaßliche Einwilligung“ vorliegt. Damit könnten diese „Freiheiten“ aber erstens sowieso für keine andere Kommunikationsart als Anrufe be-

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ansprucht werden. Zweitens ist die „mutmaßliche Einwilligung“ gesetzlich zwar nicht weiter spezifiziert, aber auf keinen Fall als pauschaler Freibrief zu verstehen. So können bspw. Büromöbelhersteller oder Telekommunikationsanbieter keine generelle mutmaßliche Einwilligung von Unternehmen in ihre Angebote voraussetzen, nur weil jedes Unternehmen Möbel oder Telekommunikationsdienstleistungen benötigt. Es kommt vielmehr auf einen spezifischen Sachbezug zum Gewerbe des Angerufenen und dessen besonderes sachliches Interesse sowohl am Inhalt des Anrufs als auch an der gewählten Art der Kommunikation an (vgl. IHK Stuttgart, 2020; IHK Frankfurt, o. J.). Ausnahmen bestehen nach § 7, Absatz 3, Nr. 1–4 UWG nur für Bestandskunden. Diese dürfen auch ohne explizite Einwilligung, aber ausschließlich per E-Mail kontaktiert werden, wenn die Mailadresse im Zusammenhang mit einem Verkauf in der Vergangenheit erlangt wurde, sie für Werbung für anbietereigene Produkte, die denen des Verkaufs zuvor ähneln, verwendet wird, der Kunde der Verwendung nicht widersprochen hat und darauf hingewiesen wurde und wird, dass er jederzeit widersprechen kann. Im Zweifelsfalle wird die Rechtslage für einen konkreten Vorgang erst durch ein Gerichtsverfahren geklärt, an dessen Ende schlimmstenfalls Schadensersatzzahlungen und Gewinnabschöpfungen stehen können. Zusätzlich können sich weitere zivilrechtliche Ansprüche ergeben. Davon unabhängig kann kurzfristig eine kostenpflichtige Abmahnung (Ersatz der entstandenen Aufwendungen) mit strafbewährtem Unterlassungsanspruch erfolgen (vgl. IHK Stuttgart, 2021). Insofern sollte eine digitale oder telefonische Direktmarketingkampagne ohne legal nutzbares Adressmaterial nicht ohne anwaltliche Beratung geplant werden.8 Unabhängig von allen juristischen Rahmenbedingungen ist jedoch als Allererstes darüber nachzudenken, welches Bild sich durch unaufgeforderte Anrufe, Mails oder Textnachrichten bei den kontaktierten Interessenten oder Kunden ergibt und welche langfristigen Auswirkungen auf das Anbieterimage dies haben kann. Liegen dann für Direktmarketingaktivitäten nutzbare persönliche Daten vor (neben den Kontaktdaten mindestens der vollständige Name des Ansprechpartners, idealerweise aber Weiteres wie die Funktion im Unternehmen, thematische Interessen und bevorzugte Formate), stehen die üblichen Instrumente zur Verfügung. Dazu zählen (E-)Mailings, Anrufe, SMS, Messenger- (z. B. WhatsApp) und Microblog- (z. B. Twitter) Nachrichten und Push-Benachrichtigungen aus Apps. Wichtig sind die persönliche Ansprache und die individuelle Ausgestaltung sowie ein angemessener Rhythmus, der jedoch in Ausnahmefällen für herausragend wichtige Nachrichten oder spezielle Umfelder gerne unterbrochen werden kann. So können z. B. auch auf Messen bei aktivierter Standortfunktion des Handys dem Interessenten spontane Push-Benachrichtigungen zugeschickt werden, wenn er sich in der Nähe des eigenen Messestands befindet (vgl. Kreutzer et al., 2020, S. 330). In jedem Fall sollten Antwortmöglichkeiten und eine Handlungsaufforderung („Call to Action“) enthalten sein.

 Klassische papierbasierte Mailings sind von diesen Bestimmungen nicht betroffen, solange ein Adressat nicht explizit widerspricht und anbieterintern die verwendeten Daten rechtskonform verwaltet werden. Sie sind allerdings deutlich teurer und unflexibler als ihre digitalen Pendants. 8

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Die individuelle Zusammenstellung der Inhalte einzelner Elemente erfolgt am besten automatisiert (Marketing-Automation, siehe Abschn. 12.6), da dies Aufwand reduziert und Geschwindigkeit und Genauigkeit erhöht. Die Voraussetzung hierfür ist das Anlegen, Strukturieren und kontinuierliche Aktualisieren eines Content-Pools, auf den die Softwarelösung zugreifen kann. Je nach Kunden- und Interessentenzahlen und -heterogenität ist dafür nicht nur viel, sondern auch vielfältiges Material (Texte, Bilder, Videos, Anzeigen) professionell zu erstellen. Automatisiert kann auch der Ausspielrhythmus ideal geplant werden, was auf internationalen Märkten auch für verschiedene Zeitzonen hilfreich ist. Dabei sind günstige Versandzeiten, sowohl auf Monatsebene als auch Wochen, Wochentage und Tageszeiten, zu identifizieren. So schwanken die Öffnungsraten von E-Mailings im Jahres- und Wochenverlauf und zu verschiedenen Tageszeiten teilweise recht deutlich um den Mittelwert von 28 %. Die relevantere Kennzahl ist jedoch die Klickrate (CTR: Click-Through-Rate), die den Anteil der auf enthaltene Links klickenden Adressaten an allen zugestellten Mails abbildet. Diesbezüglich werden bei Versand im Oktober und November die höchsten, im März und September die niedrigsten Klickraten erzielt. Während die Schwankungen zwischen den Monaten sehr klein sind (weniger als ein Prozentpunkt um den Durchschnitt), liegen die Klickraten bei Versand samstags um mehr als 2 und zwischen 0 und 3 Uhr morgens um mehr als sieben Prozentpunkte über dem Durchschnitt von 3,7 %. Interessanterweise steht das Klickverhalten der Adressaten teilweise in krassem Gegensatz zum Versandverhalten der Anbieter. So werden die meisten E-Mails dienstags bis donnerstags und zwischen 9 und 12 Uhr verschickt (vgl. Inxmail, 2021, S. 13–14, 19, 22–24, 32–34). Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich Direktmarketing wie kein anderes Instrument auch dazu anbietet, gezielt auf die verschiedenen Mitglieder des Buying Centers einzugehen. Dies war schon zu analogen Zeiten z.  B. auf Basis ausgeübter Funktionen und vermuteter Rollen im Buying Center möglich (vgl. Bruns, 1999, ­ S. 259–260). Durch Digitalisierung und Marketing-Automation kann dies noch viel stärker individuell ausgeprägt und an die verschiedenen Touchpoints in der Customer Journey angepasst werden. Übergreifend wird die Ausrichtung der Kommunikation am Buying Center in Abschn. 12.4.2 behandelt.

12.2.3 Vermittlung von Sicherheit beim Verkaufsabschluss Die Phase der Kaufentscheidung umfasst die unmittelbar letzten Abwägungen vor dem Kaufabschluss, den Kaufabschluss selbst und die erste Verwendung des Produkts (vgl. Kotler et al., 2017, S. 82–83). Der Kunde ist nun so weit, dass die Liste der möglichen Lieferanten klein geworden ist und „nur“ noch die finale Entscheidung über die Auswahl getroffen werden muss. Es geht nun um Vergleiche von Details und die abschließende Sicherheit, die richtige Entscheidung zu treffen. Vertiefte technische Details und Spezifikationen erhalten eine dominante Wichtigkeit (vgl. GlobalSpec, 2020, S.  19). Produktdatenblätter sind das mit Abstand beliebteste

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Format, aber auch über Online-Kataloge, die i. d. R. detaillierte Produktdaten enthalten, werden die entsprechenden Informationen gesucht (vgl. GlobalSpec, 2017 zitiert nach Strandmarketing, 2017; GlobalSpec, 2021, S. 8). Praxisbeispiel: Online-Kataloge im B2B-Marketing

Ein Beispiel für einen Produktkatalog ist der online als PDF-Datei erhältliche Feuerwehrkatalog des deutschen Medizin- und Sicherheitstechnikherstellers Drägerwerk AG & Co. KGaA (Dräger) (https://www.draeger.com/Library/Content/Feuerwehrkatalog2021-­9072649-­de_interaktiv.pdf). Nach den verschiedenen Anwendungsgebieten (z.  B.  Atemschutz, Körperschutz, Gasmesstechnik) sortiert und dokumentintern verlinkt, sind bebilderte Beschreibungen und Spezifikationen der Produkte erhältlich. Zudem gibt es viele weitere Links zu multimedialen Inhalten auf verschiedenen Plattformen wie YouTube, Facebook und Twitter. Enthalten sind auch Informationen zum Schulungsangebot der Dräger Academy und schließlich die für die Abschlussphase unerlässlichen Verweise auf regionale Fachhandelspartner. Etwas anders präsentiert der deutsche Hersteller von Befestigungstechnik Adolf Würth GmbH & Co. KG (Würth) seinen Online-Katalog unter https://eshop.wuerth.de/ bkmedia/wuerth/1401/de/CompleteCatalog/#page_1. Das 16029(!)-seitige Werk über das Gesamtproduktprogramm ist als webbasierter, intern verlinkter „Blätterkatalog“ angelegt. Downloads sind bis maximal 20 Seiten am Stück möglich. Einzelne Produktkategorien sind direkt anklickbar. Beschreibungen enthalten u. a. Fotos, Produktspezifikationen, aber auch Vergleiche, Verarbeitungshinweise und Hinweise auf Würth-­ Dienstleistungen rund um die Produkte. Als direkte Möglichkeit zum Kauf sind Artikelnummern in den Würth-Shop verlinkt. ◄ Wenn ein Interessent grundsätzlich von den Produkten und Leistungen eines Herstellers überzeugt ist, müssen vor der endgültigen Kaufentscheidung u. U. noch Unsicherheiten über die reibungslose Integration in die eigene Arbeitsumgebung ausgeräumt werden. Dies kann mithilfe von Testinstallationen erreicht werden. Dabei stellt der Anbieter sein Produkt dem Interessenten für einen bestimmten Zeitraum gratis oder unter Anrechenbarkeit einer Gebühr auf den späteren Kaufpreis zum Test zur Verfügung. Dies funktioniert gut bei digitalen Dienstleistungen oder kleineren, transportablen Produkten. Bei größeren Maschinen und im Projekt- und Zuliefergeschäft hingegen ist dies i. d. R. nicht praktikabel. Dort kann bedingt mit Testproduktionsreihen gearbeitet werden, bei denen der Anbieter in seinem Werk Maschinen vorhält, auf denen der Interessent z.  B. mit eigenen Musterteilen von Halbfabrikaten Probeläufe der Produktion fährt. Ein letzter Aspekt, der in der Abschlussphase den endgültigen Zuschlag auslösen kann, sind Verkaufsfördermaßnahmen. Darunter sind i. d. R. zeitlich begrenzte Aktionen zu verstehen, die kurzfristige Verkaufsabschlüsse unterstützen sollen (vgl. Bruhn, 2019, S.  237). Dazu gehören allgemein nicht-preisorientierte Maßnahmen, wie Gratisproben oder Werbegeschenke, und preisorientierte, wie Rabatte, Zugaben oder Gutscheine (vgl. Meffert et al., 2019, S. 761–763). Solche Promotions haben nichts mit der Vermittlung von

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Sicherheit an den Käufer zu tun und sind im B2B-Marketing kaum für Verkäufe an die eigentlichen Endnutzer der Produkte geeignet. Denn diese treffen zum einen keine spontanen Kaufentscheidungen, sodass das bei Konsumgütern wichtige kurzfristige Gewinnen von Aufmerksamkeit der Käufer keine Wirkung hat. Zum anderen verhalten sie sich aufgrund der abgeleiteten Nachfrage auf B2B-Märkten tendenziell preisunelastisch, sodass sie für Sonderangebote wenig empfänglich sind. Dass und warum im B2B-Marketing dennoch mit Rabatten gearbeitet wird, wurde in Abschn. 11.6. erläutert.

12.2.4 Absicherung der Kundenbindung und Kundenentwicklung in der Wiederkaufphase Für die Absicherung der Kundenbeziehung nach dem Erstkauf kommt es aus kommunikationspolitischer Sicht darauf an, regelmäßigen aktiven Kontakt zum Kunden zu behalten und passiv als Ansprechpartner bei Bedarf und Notfällen jederzeit zur Verfügung zu stehen. Neben der Zufriedenheit mit Produkt und Leistung des Anbieters muss dem Kunden eine angemessene Nähe vermittelt werden (vgl. Winkelmann, 2013, S. 128–129). Damit ist „das subjektive Gefühl [des Kunden gemeint], dass der Lieferant sich um ihn kümmert, seine Probleme und Belange ernst nimmt“ (Winkelmann, 2013, S. 130). Ein wesentlicher Träger dieser Kundennähe ist der Außendienstvertrieb, aber auch durch nicht-persönliche Kommunikationsmaßnahmen kann sie hergestellt und unterstützt werden (vgl. Winkelmann, 2013, S. 130–131). Kundennähe lässt sich durch direkte Kontakte oder gemeinsame Aktivitäten erzielen (vgl. Winkelmann, 2013, S. 131). Aus Kundensicht ist es dabei sicherlich nett, kontinuierliches Interesse des Anbieters signalisiert zu bekommen, wichtiger dürfte es jedoch sein, einen Mehrwert daraus zu ziehen. Es kommt also wieder auf den richtigen und individuellen „Content“ an, der noch dazu auf gar keinen Fall mit aufdringlichen Verkaufsbotschaften überfrachtet sein darf (vgl. Gaffney, 2020, S. 22). Im Sinne eines „Onboardings“ von Neukunden kann die vertiefte Vermittlung der Firmenkultur durch imageorientierte Inhalte des Anbieters sinnvoll sein (vgl. Althaller, 2021, S. 23). Auch exklusive Studien bzw. Sammelauswertungen der Vielzahl an Veröffentlichungen („Digests“) über Trends im Markt des Kunden sind denkbar, sofern deren Erhalt oder Erstellung für den Anbieter möglich ist. Weiterer sachlicher Mehrwert kann durch Zusatzinformationen entstehen, die eine noch bessere Produktnutzung oder Weiterentwicklung des Kunden ermöglichen, z.  B. durch die Kommunikation von „Tipps, Tricks und Cheats“, Innovationen oder Zusatzleistungen, die den Nutzern einen einfacheren Umgang mit dem Produkt erlauben oder den Informations-Overkill für zukünftige Kaufentscheidungen kanalisieren. Bei ertragreichen Kunden kann es lohnend sein, in größeren Abständen gemeinsame Veranstaltungen, z. B. Strategieworkshops, unter Einbindung von Führungskräften durchaus auch aus der Geschäftsleitungsebene durchzuführen. Hier kann gemeinsam mit dem Kunden eine mittelfristige Lösungs-Roadmap erarbeitet werden, die die zukünftige Zusammenarbeit und deren Möglichkeiten eruiert und spezifiziert. Neben dem inhaltlichen Mehrwert signalisieren Teilnehmerkreis und zeitlicher Umfang solcher Treffen

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dem Kunden auch symbolisch das langfristige Interesse des Anbieters an ihm. Einen relativ großen Hebel kann die Integration von Kunden in die Innovationsprozesse des Anbieters darstellen (siehe Abschn. 10.2.2.1). Neben den inhaltlichen Mehrwerten für beide Seiten wird damit auch die Wichtigkeit des Kunden für den Anbieter deutlich gemacht. Den fachlichen Content gilt es nun mit den richtigen Formaten zu transportieren. Speziell zum Onboarding hat Althaller (2021, S. 23) die Verwendung von Bildern und Videos auf Instagram, YouTube und Facebook als wichtig identifiziert. Generell sind zur kontinuierlichen Informationsgewinnung bei Kunden zwar Anbieter-Websites beliebt (vgl. Vogel, 2020, S. 15). Sie haben jedoch den Nachteil, dass der Kunde sie aktiv aufrufen und ggf. auch den relevanten Content aktiv suchen muss. Bequemer und aus Anbietersicht sicherer ist es, den Kunden direkt anzusprechen. Dies kann durch die Direktmarketinginstrumente E-Mails, Newsletter und Kundenzeitschriften gut erfolgen (vgl. Vogel, 2020, S. 15), in denen auch auf weitere Formate wie Videos oder Blogbeiträge verlinkt werden kann. Zudem können auf diesen Wegen auch Einladungen zu Kundenzufriedenheitsbefragungen erfolgen. In anonymer standardisierter Online-Form sind sie vermutlich kein Instrument, das einzelnen Kunden das Gefühl von Besonderheit und Nähe gibt, aber gerade bei kleinen Kundenstämmen kann dies mithilfe telefonischer, videogestützter oder persönlicher Befragungen erreicht werden. Offen gestellte Fragen, z. B. nach der Sequenziellen-­ Ereignis- oder Critical-Incident–Methode,9 können zu einem sehr intensiven Austausch mit den Kunden führen, der für beide Seiten großen sachlichen Mehrwert hat. Als ein besonderes Format zum Transport von Mehrwerten für Bestandskunden galten um die Jahrtausendwende sogenannte B2B-Kundenclubs, von denen es 2002 knappe 200 gegeben haben soll (vgl. Thunig, 2002, S. 100). Von den damals namentlich genannten ist die Mehrheit inzwischen nicht mehr auffindbar. Die große Herausforderung bei Kundenclubs ist das kontinuierliche Schaffen von Mehrwertleistungen, insbesondere, wenn die Mitgliedschaft kostenpflichtig ist. Was bei Kundenclubs neben notwendigen echten Mehrwerten zu beachten ist, sind ihre nicht unbeträchtlichen Kosten für den Anbieter, die mit 200.000 bis 500.000 € pro Jahr bzw. 250 bis 500 € pro Jahr und Mitglied angegeben wurden (vgl. Thunig, 2002, S. 101). Die Kosten mögen sich durch digitale Prozesse im Hintergrund inzwischen etwas reduziert haben. Der große Vorteil, den Kundenclubs haben, ist, dass sie eine Plattform bieten, auf der relevanter Content inkl. Links zu speziellen Medienplattformen übersichtlich strukturiert angeboten werden kann, was wie gesehen zurzeit eine der großen Herausforderung der B2B-Kommunikationspolitik ist. Generell sollte also versucht werden, den Kunden ein bis wenige Eintrittsportale zur Verfügung zu stellen und von dort übersichtlich zu verlinken. Insgesamt ist weniger mehr!

 Bei der Sequenzellen-Ereignis-Methode wird der Kunde offen nach Verlauf und Erlebnissen während des Kaufprozesses befragt. Damit beschreibt der Kunde seine Customer Journey sehr detailliert qualitativ quasi in Prosa. Die Critical-Incident-Methode verkürzt dieses recht aufwändige Verfahren, indem ebenfalls offen, aber nur nach den besonders kritischen positiven oder negativen Erlebnissen gefragt wird (vgl. Meffert & Bruhn, 2009, S. 208).

9

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

389

Praxisbeispiel: B2B-Kundenclubs – die letzten Mohikaner?

Auch wenn sich die Zahl der aktiven B2B-Kundenclubs verringert hat, zeigen Beispiele wie der Gira Aktiv Partnerclub (https://partner.gira.de/service/gira-­aktiv-­ partner.html) oder das Buderus Fachkunden-Portal (https://fachkunden.buderus.de/ de?redirect=%2Fde%2Fhome), dass das Betreiben solcher Communities immer noch sinnvoll sein kann. Sie richten sich speziell an Fachhandwerker ihrer jeweiligen Branchen, die als Kleinbetriebe wenig Kapazität haben, sich um betriebliche Dinge zu kümmern, die nicht ihr Kerngeschäft betreffen. So wird Unterstützung z. B. bei Zertifizierungen, der Optimierung innerbetrieblicher Abläufe, Unternehmensfinanzierung, Werkstattplanung, Werbeaktivitäten oder der Nachwuchsgewinnung angeboten. Auch die Nutzung von spezieller Planungssoftware sowie die früher schon üblichen Fachseminare, heute auch Webinare, zu aktuellen Themen und Prämien-/Bonussysteme gehören dazu. Eine etwas andere Ausrichtung hat der Driver’s Club (https://www.krone-­trailer. com/erlebniswelt/drivers-­club/) des LKW-Trailer-Herstellers Fahrzeugwerk Bernard Krone GmbH & Co. KG (Krone). Mit ihm werden explizit die „Trucker“, d.  h. die Fahrer, als Nutzer und offenbar sehr relevante Mitglieder der Buying Center adressiert, deren persönliche Bedürfnisse im Alltagsgeschäft vielfach zurückstehen müssen. Hier werden ihnen Leistungen und Events angeboten, in deren Genuss sie sonst nicht unbedingt kommen. Zudem werden die Mitgliedsbeiträge zur Unterstützung von auf Fernfahrer spezialisierten Hilfsorganisationen verwendet, die so bei Bedarf an jeden Einzelnen wieder zurückfließen. ◄ Mindestens mit Kundenclubs und Kundenzufriedenheitsbefragungen entsteht beim Kunden auch emotionaler Mehrwert. Er kann auch durch weitere symbolische Gesten wie die inzwischen etwas abgenutzten Geburtstagsglückwünsche und Weihnachtsgrüße, kleinere Geschenke oder Einladungen zu Veranstaltungen erzeugt werden. Bezüglich der erstgenannten unverfänglichen kleinen Gesten ist aber die Frage, welchen faktischen Einfluss sie haben können. Wenn überhaupt verwendet, muss hier sehr stark individualisiert werden; eine vorgedruckte Weihnachtskarte dürfte in den meisten Fällen auch mit persönlicher Unterschrift völlig wirkungslos bleiben. Und Geschenke und Einladungen sollten angesichts verschärfter Rechtsvorschriften und zunehmender Compliance-Regelungen sowohl auf Anbieter- als auch Kundenseite allenfalls mit größtmöglicher Vorsicht und in kleinstmöglichem Umfang, besser gar nicht, genutzt werden. Die Grenzen zu gefühlter oder tatsächlicher Korruption werden hier immer schneller überschritten. Dies betrifft auch den Bereich des Eventmarketings, wo früher Top-Entscheider in VIP-Lounges oder zu Bergwanderungen mit berühmten Alpinisten eingeladen wurden. Eventmarketing ermöglicht die Teilnahme an exklusiven Veranstaltungen, die auch mit viel Geld nicht zu kaufen sind. Außerdem löst jedes Event den Eingeladenen aus dem Stress des Alltagsgeschäfts und bietet somit emotionale Erlebnisse in unbelasteter Atmosphäre, die lange nachwirken. Leider ist die juristische Problematik solcher Events nicht ohne Weiteres da-

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12 B2B-Kommunikationspolitik

durch zu lösen, dass sie mit Expertenvorträgen angereichert und so als Fachkongresse deklariert werden.

12.2.5 Schaffung einer Basis für Weiterempfehlungen Zielsetzung in der letzten Phase der Customer Journey muss sein, Kunden dazu zu motivieren, den Anbieter bei Zufriedenheit mit seinen Produkten und Leistungen weiterzuempfehlen. Dazu kann der Kunde klassisch als Referenzkunde aufgebaut werden. aber auch ohne diesen offiziellen Status seine Erfahrungen weitergeben. Die zweite Zielgruppe, die für solche Aktivitäten in Frage kommt und hier akquiriert und gepflegt werden muss, sind Influencer. Analoge Erfahrungsweitergabe und „Electronic Word-of-Mouth“ (eWOM) betreiben einige Kunden von sich aus aktiv. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die sozialen Medien als unkomplizierte Kanäle mit großer Reichweite. Begeisterung über ein großartiges Produkt, bewusste Unterstützung des Herstellers, Aufbau bzw. Verbesserung des persönlichen Status in der Community sowie der Austausch mit anderen Interessierten können Motive sein, die sich aus der bislang eher auf Konsumenten ausgerichteten Forschung über eWOM auf den B2B-Bereich übertragen lassen (vgl. Hennig-Thurau et  al., 2004, S. 45–47). Dummerweise dürfte auch für B2B-eWOM gelten, dass positive Erfahrungen weniger häufig weitergegeben werden als negative (vgl. Winkelmann, 2013, S. 613). Insofern sollte der Anbieter nachhelfen und versuchen, positives eWOM zu initiieren, was auf verschiedene Arten geschehen kann. Die Kunden können direkt angesprochen und um das Teilen ihrer Erfahrungen auf ihren eigenen Kanälen oder auf Plattformen des Anbieters oder von Dritten (z. B. Communities in Branchenportalen, Bewertungsplattformen) gebeten werden. Eher passiv kann versucht werden, durch anbietereigene Beiträge über ­erfolgreiche Projekte Reaktionen der Kunden auszulösen, wobei solche Posts ohne vorherige Rücksprache nur anonymisiert ohne Nennung der Kundennamen erfolgen sollten. Sofern diese Rücksprache erfolgt, kann von Referenzkundenmarketing gesprochen werden. Bei Referenzkunden ist zu überlegen, welche Anforderungen an ihre Auswahl zu stellen sind und wie sie für Marketingzwecke optimal eingesetzt werden können. Eine wesentliche Voraussetzung für die Ansprache eines Kunden als Referenz ist, dass die bisherige Kooperation konfliktfrei und konstruktiv erfolgt ist und zu hoher Kundenzufriedenheit geführt hat (vgl. Hauschildt et al., 2016, S. 259: Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 366–367). Darüber hinaus ist die Wirkung eines Referenzkunden als umso größer einzuschätzen, je ähnlicher er anderen Interessenten ist, weshalb sie z. B. branchen- oder zielmarktspezifisch ausgewählt werden sollten (vgl. Gomez-Arias & Montermoso, 2007, S.  986–987; Schuh & Uam, 2012, S. 407). Hierbei ist auf mögliche Zielkonflikte zu achten, denn es ist leicht nachvollziehbar, dass ein Referenzkunde seinen eigenen direkten Konkurrenten nicht unbedingt eine bahnbrechende Verbesserung nahebringen möchte (vgl. Hauschildt et al., 2016, S. 259). Je nach Anzahl der vom Anbieter bedienten Kundensegmente und deren Heterogenität müssen entsprechend viele Referenzen gewonnen werden. Zudem muss der Referenzkunde als ausreichend unabhängig vom Anbieter angesehen werden, da

12.2 Die Kommunikation entlang der B2B-Customer Journey

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sonst seine Glaubwürdigkeit nicht besonders hoch ist. Schließlich sind auch die Bekanntheit und Strahlkraft des Kunden im relevanten Markt zu berücksichtigen. Dies geht nicht unbedingt mit der Unternehmensgröße einher (vgl. Gomez-Arias & Montermoso, 2007, S. 986–987). Im Sinne der Ähnlichkeit eignen sich Weltkonzerne nur bedingt als Referenzen für KMU und umgekehrt. An die so qualifizierten Kunden ist das Anliegen, sie als Referenzkunden gewinnen zu wollen, i. d. R. durch den Vertrieb heranzutragen und mit ihnen, am besten auch vertraglich, zu vereinbaren. Inhaltlich ist festzulegen, wie der Referenzkunde am Markt in Erscheinung tritt und welche Symbole (Zeichen, Namen, Fotos usw.) und Inhalte wie und wie lange genutzt werden dürfen. Das kann von einer bloßen Nennung in der Referenzkundenliste des Anbieters über die Bereitschaft, Interessenten bei sich zu empfangen und das Produkt in der Anwendung zu demonstrieren, bis hin zu umfangreichen gemeinsamen Aktivitäten, z. B. Auftritten bei (Haus-)Messen oder Events, gemeinsamen Publikationen, aktiver Informationsverbreitung, z.  B. in den sozialen Medien, und sogar zu regulären Vertriebstätigkeiten für den Anbieter reichen (vgl. Jalkala & Salminen, 2010, S. 980; Winkelmann, 2013, S. 565–566). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Agieren als Referenzkunde für den Kunden je nach Ausgestaltung mit Aufwand einhergeht, der ggf. – z. B. durch Preisnachlässe oder Gratis-Zusatzdienstleistungen  – entgolten werden muss (vgl. Hauschildt et al., 2016, S. 259). Und für resultierende Vermittlungen ist zu vereinbaren, wie diese nachgehalten und ob und wie sie honoriert werden sollen. Schließlich sind die Kosten für die Erstellung von Referenzmaterialien zu berücksichtigen. Sie können bei Selbsterstellung im dreistelligen, bei Inanspruchnahme von Agenturleistungen im vierstelligen und bei aufwändigen Videoproduktionen auch im fünfstelligen Eurobereich liegen (vgl. Ferling, 2020). Beim Influencer-Marketing geht es um „den gezielten Einsatz von Meinungsführern in den sozialen Medien (Influencer), um die Kommunikationsziele und damit die nachgelagerten Marketing- und Unternehmensziele zu erreichen“ (Meffert et al., 2019, S. 739). Die Hauptzielsetzungen von B2B-Influencer-Marketing sind das Schaffen von Aufmerksamkeit und Bekanntheit sowie der Austausch in den sozialen Medien (vgl. bvik, 2018). Damit wirkt es eher in den vorderen Teilen der Customer Journey, setzt jedoch vorherigen Kontakt mit dem Anbieter und seinen Leistungen voraus, weshalb es an dieser Stelle behandelt wird. Im Konsumgüterbereich seit Jahren sehr populär, wird Influencer-Marketing im B2B-Bereich in geringerem Maße, aber mit steigender Tendenz eingesetzt (vgl. bvik, 2018; Gaffney, 2020, S. 13; Vogel, 2020, S. 31). Stellt man sich B2C-Top-Influencer wie Cristiano Ronaldo oder Pamela Reif vor, wie sie auf Instagram oder YouTube über die neuesten Entwicklungen in der Baustellendigitalisierung berichten, wird deutlich, dass Influencer-Marketing in der B2B-Kommunikation anders funktionieren muss. Die i. d. R. kleineren B2B-Märkte bedeuten, dass nicht über Mega- (ab 1 Mio. Follower), Makro- (100.000 bis 1 Mio. Follower) oder selbst Mid-Level-Influencer (25.000 bis 100.000 Follower) nachgedacht werden muss, sondern über Mikro- (5000 bis 25.000 Follower) oder noch eher Nano-Influencer ( - Schaffung spezifischen Mehrwerts - Informationsgewinnung

Emotionale Ebene • Erreichen hochrangiger Entscheider • „Chemie“ zwischen Beteiligten => - Vertrauen - Goodwill

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Buying Center Nutzer

Entscheider

Abb. 13.5  Selling Center

ser. Insbesondere bei technisch hochkomplexen Lösungen ist es jedoch nicht die Aufgabe des vertrieblichen Außendiensts, Experte für alles bis in die letzten Details zu sein. Damit müssen in die Vertriebsprojekte neben dem Außendienst auch Vertreter anderer, zunächst vor allem technischer Bereiche einbezogen werden. Diese können sich dann auf Augenhöhe und über „Bits and Pieces“ mit den Experten beim Kunden austauschen. Damit entsteht im Verlauf eines Vertriebsprojekts auf Anbieterseite ein Pendant zum Buying Center des Kunden, nämlich das Selling Center. Es hat formal identische Eigenschaften, indem es informell und temporär projektspezifisch eingerichtet wird. Neben den nachfolgend weiter ausgeführten inhaltlichen Hintergründen dient es auch als psychologische Unterstützung des Vertriebsaußendiensts, der in Projektbesprechungen mit dem Kunden nicht alleine der Phalanx der Buying-Center-Mitglieder ausgesetzt ist. Neben technischen Aspekten bestimmen auch anwendungsbezogene die Zusammensetzung des Selling Centers. Geht es beim Vertriebsprojekt z. B. um eine Verbesserung der Schnittstellen des Kunden zu seinen eigenen, nachfolgenden Kunden, kann es sinnvoll sein, Marketingvertreter des Anbieters mit dazu zu nehmen. Sie haben qua eigener Tätigkeit bestes Verständnis für diese Problemlage des Kunden und können qualifiziert mit dessen Marketing kommunizieren und neue Perspektiven in die Anbieterorganisation einbringen. Gleiches kann genauso gut für die Logistik- oder Serviceabteilung des Anbieters gelten, wenn es um entsprechende Lösungen in diesem Bereich geht. Daneben gibt es ggf. auch hierarchische Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Auch ohne Arroganz zu unterstellen, haben oberste Entscheider beim Kunden andere Aufgaben, als sich tagtäglich mit Außendienstvertretern diverser Anbieter auszutauschen. Insofern kann es mitunter schwer bis unmöglich für einzelne ADM sein, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Bei entsprechend wichtigen Vertriebsprojekten bietet es sich deshalb anbieterseitig an, entsprechende Führungskräfte, z. B. die Vertriebsleitung oder Geschäftsführung, zu Projektbesprechungen hinzuzuziehen. Dies signalisiert echtes Interesse des Anbieters und trägt so zu Vertrauen und Goodwill des Kunden bei (vgl. Anderson & Dubinsky, 2004, S. 157–159; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 92).

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13 B2B-Vertriebspolitik

Neben den temporär einzurichtenden Selling Centern gibt es, vor allem im Key-­ Account-­Management, sogenannte Core Selling Teams. Sie sind fest in der Organisationsstruktur des Anbieters verankert und bestehen dauerhaft, um Großkunden optimal zu binden und weiterzuentwickeln (vgl. Anderson & Dubinsky, 2004, S.  157–159; Albers & Krafft, 2013, S. 43–45).

13.2.2 Indirekte persönliche Vertriebskanäle Bei den indirekten persönlichen Vertriebskanälen lassen sich selbstständige Absatzhelfer wie Handelsvertreter, Handelsmakler und Kommissionäre von ebenfalls selbstständigen Absatzmittlern unterscheiden. Zu Letzteren zählen alle Arten von Handelspartnern sowie Franchisenehmer. Im Gegensatz zu Absatzhelfern erwerben Absatzmittler das Eigentum an den weiterzuverkaufenden Produkten (vgl. Homburg, 2020, S. 946), was für den Anbieter sehr angenehm ist, denn so ist der Absatz unmittelbar gesichert und das Geld fließt (hoffentlich), bevor das Produkt beim endgültigen Verwender angekommen ist. Andererseits sind auch im B2B-Bereich mächtige und damit für die Anbieter herausfordernde Händlerstrukturen entstanden, auch wenn sie nicht mit den Konsumgüterriesen mithalten können.6 So werden für die größten zehn B2B-Distributoren der USA für 2020 pro Händler zwischen 2207 und 3200 Standorte, 2500–23.000 Angestellte und 2,5–11,5 Mrd. US-$ Umsatz angegeben (vgl. Industrial Distribution, 2021). Alle drei Arten von Absatzhelfern sind im HGB definiert und geregelt, Handelsvertreter in den §§ 84ff. HGB, Makler in den §§ 93ff. HGB und Kommissionäre in den §§ 383ff. HGB. Tab. 13.1 zeigt die Unterschiede zwischen ihnen auf. Zum Vergleich sind sie den in der letzten Zeile aufgeführten ADM gegenübergestellt. Tab. 13.1  Unterschiede direkter persönlicher Vertriebskanäle

Vertriebskanal Vertragsverhältnis Handelsvertreter Selbstständig, dauerhaft Handelsmakler Selbstständig, nicht dauerhaft Kommissionäre Selbstständig, dauerhaft ADM/Reisende Unselbstständig, angestellt

Tätigkeit Vermittlung in wessen Namen? Anbieter Anbieter

Abschluss auf wessen Rechnung? Ggf. Anbieter -

Selbst Anbieter

Anbieter Anbieter

 Der weltweit größte Konsumgütereinzelhändler, Walmart Inc., betreibt in den USA ca. 5300 Fili­ alen, die mit 1,6 Mio. Mitarbeitern 330 Mrd. US-$ Umsatz erwirtschaften (vgl. Walmart, 2022). 7  Als Ausreißer gibt es einen Händler mit nur 28 Standorten, für den im Vorjahr noch 90 angegeben waren, während sich die Angestellten und Umsatzzahlen nicht wesentlich verändert haben (vgl. Industrial Distribution, 2020). 6

13.2 Persönliche Vertriebskanäle

433

Handelsmakler sind im B2B-Bereich z. B. als Rohstoff-, Fracht- oder Schiffsmakler anzutreffen. Vielfach sind sie auf spezielle Branchen oder Tätigkeiten beschränkt, sodass sie im Folgenden nicht detaillierter betrachtet werden. Ähnliches gilt für die Kommissionäre. Bei ihnen liegt die Besonderheit darin, dass der Anbieter für den Kunden nicht unbedingt erkennbar ist, denn der Kommissionär tritt nach § 383, Absatz 1 HGB in eigenem Namen auf. Dies kann z. B. im nicht unbedingt B2B-­ relevanten Kunsthandel interessant sein. Weitere typische Kommissionsgeschäfte treten im Wertpapier- und im Außenhandel auf. Auch wenn Letzterer eine hohe Bedeutung für B2B-Märkte hat, sind die Details sehr komplex, sodass auch die Kommissionäre nicht näher betrachtet werden. Abschließend als Absatzhelfer erwähnt sei noch das Außendienst-Leasing. Dabei werden von selbstständigen Dienstleistungsunternehmen ADM für begrenzte Zeiträume gemietet, die dann allerdings strikt nach den Vorgaben des Anbieters arbeiten. Sinnvoll kann dies für temporäre Belastungsspitzen im Markt sein, bei kurzfristig nicht nachbesetzbaren Vakanzen oder um temporär, z. B. für Neuprodukteinführungen, die Vertriebskraft zu erhöhen. Dem Vorteil durch Vermeiden langfristiger Personaleinstellungen stehen erhöhte Transaktionskosten durch Einarbeitung und Einbindung ins Unternehmen sowie evtl. erhöhte laufende Kosten durch Entgelte an den Dienstleister gegenüber, die über der Entlohnung eines ADM liegen können (vgl. Albers & Krafft, 2013, S. 67–68).

13.2.2.1 Handelsvertreter Es gibt in Deutschland ca. 34.000 Handelsvertreterunternehmen mit 90.000 Beschäftigten, die ungefähr 200 Mrd. € vermittelten Warenumsatz pro Jahr ausweisen. Sie vertreten im Durchschnitt jeweils fünf Unternehmen, vorrangig gegenüber Kunden aus Industrie, Groß- und Einzelhandel (vgl. CDH, o. J.). Im Unterschied zu den ADM sind Handelsvertreter gemäß § 84 HGB selbstständige Gewerbetreibende und können damit ihre Tätigkeit und Arbeitszeit frei gestalten und bestimmen. Zu unterscheiden ist zwischen 1. Vermittlungs- und Abschlussvertretern (Erstere vermitteln nur für den Anbieter, Letztere schließen in seinem Namen Geschäfte ab, § 84, Absatz 1 HGB) 2. Ein- und Mehrfirmenvertretern (Erstere vertreten nur ein, Letztere mehrere Unternehmen, § 92a HGB) 3. Bezirks- oder Alleinvertreter (Erstere entstehen nach § 87, Absatz 2 HGB durch Zuweisung eines bestimmten Bezirks oder Kundenkreises, Letztere, wenn zusätzlich vertraglich vereinbart ist, dass im Bezirk niemand anders vertrieblich tätig sein darf). Abb. 13.6 zeigt die klassische Abwägung bzgl. des Einsatzes von ADM versus Handelsvertretern. Unterstellt wird auch für den ADM, dass der variable Vergütungsanteil eine reine Umsatzprovision ist (für den Handelsvertreter ist dies gem. §§ 87 und 87b HGB der Regelfall). Bei einer anderen Bezugsgröße für die „Variable“ des ADM (z. B. dem Deckungsbeitrag) oder Ziel-Bonus-Vereinbarungen mit vollständig anderen Zielgrößen und

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13 B2B-Vertriebspolitik

Einkommen (Fixum + Provision)

Handelsvertreter fester ADM

U* U* =

Umsatz

FA (ggf. – FHV) cHV - cA

mit F = Fixgehalt, c = Provisionssatz; Index HV = Handelsvertreter, A = ADM

Abb. 13.6  Abwägung zwischen Außendienstmitarbeitern und Handelsvertretern. (Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 2019, S. 275)

Zielerreichungsschwellen lässt sich dieses Kalkül so nicht aufrechterhalten. Durch das recht hohe Fixgehalt des ADM (in Deutschland, auch gemäß Arbeitsrechtsprechung, i. d. R. 70bis 90 % des Gesamtgehalts) ist die Grundaussage, dass feste ADM sich aus Kostensicht erst ab einem gewissen Geschäftsvolumen (hier kritischer Umsatz U*) rentieren. Für kleine Märkte oder die Erschließung neuer Märkte ist der Einsatz von Handelsvertretern häufig die bessere Alternative. Neben der reinen Kostenseite ist aber noch zu berücksichtigen, dass der Einsatz von Handelsvertretern nicht so flexibel ist, wie häufig angenommen: Gemäß § 89, Absatz 1 HGB kann auch einem Handelsvertreter je nach Vertragsdauer erst nach bis zu sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden, sofern der Vertrag nicht befristet war. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat der Handelsvertreter 1. u. U. noch das Recht auf Provisionszahlungen für von ihm zuvor angebahnte, aber erst später abgeschlossene Geschäfte (§ 87, Absatz 3 HGB), 2. bei Kündigung durch den Anbieter und Vorliegen gewisser Voraussetzungen Anspruch auf Ausgleichszahlungen maximal in Höhe der durchschnittlichen Jahresprovision der letzten fünf Jahre (§ 89b HGB) und 3. bei Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots Anspruch auf eine angemessene Entschädigung (§ 90a HGB).

13.2 Persönliche Vertriebskanäle

435

Auch qualitative Unterschiede zum ADM sind zu berücksichtigen. Der ADM ist als Angestellter des Anbieters weisungsgebunden und besser steuer- und kontrollierbar. Marktinformationen fließen, zumindest in der Theorie, eher ins Unternehmen zurück.8 Der ADM kennt die internen Prozesse und ist fest in ihnen verankert. Er verfügt ggf. über Spezial-­Know-­how bezüglich der Produkte und Leistungen seines Unternehmens und vertritt dessen Werte und Marken loyal gegenüber den Kunden. Insbesondere bei geringen Provisionssätzen werden Reisende von Kunden häufig als weniger aggressiv in der Vermarktung wahrgenommen und als Ansprechpartner präferiert. Auf der anderen Seite verfügt ein Handelsvertreter gerade zu Beginn einer Markterschließung über die besseren Kontakte in den Markt. Aufgrund dieser Aspekte sind Handelsvertreter vor allem im Produkt- und Systemgeschäft Alternativen zu ADM.  Die Erklärungsbedürftigkeit ist beschränkt und die Einrichtung von Selling Centern nicht unbedingt erforderlich. Demgegenüber sind sie für das hochkomplexe Projekt- oder auch Zuliefergeschäft weniger geeignet. Die Dachorganisation Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und ­Vertrieb e. V. (CDH) weist jedoch explizit auf das breite Angebotsspektrum vieler Handelsvertreter in technischen Branchen hin. Dazu gehören z. B. technische Planungen und Konstruktionsleistungen oder technischer After-Sales-Support. In Kundenprojekte binden sie teilweise auch verschiedene Bereiche des Anbieters ein (vgl. CDH, 2021), was sogar der Bildung von Selling Centern gleichkommt.

13.2.2.2 Stationäre B2B-Intermediäre Im Gegensatz zu den bereits genannten Absatzhelfern kauft der stationäre Handel die Ware vom Anbieter und verkauft sie anschließend unabhängig in eigenem Namen und auf eigene Rechnung weiter. Auch im B2B-Bereich übernimmt er dabei grundsätzlich dieselben Funktionen wie im Konsumgütervertrieb. Dazu gehören (vgl. Homburg, 2020, S. 952–953) . Verkaufspräsenz in der Fläche, 1 2. Bündelung heterogener Hersteller-Angebote in für Kunden sinnvolle Sortimente, 3. Zusatzdienstleistungen, z. B. Beratung, Reparatur und Umtausch, 4. kundennahe Lagerhaltung, 5. Vermarktung und 6. Finanzierung/Rechnungsstellung. Begrifflich werden B2B-Handelspartner auch als Produktionsverbindungshandel (PVH) oder in Anlehnung an den englischsprachigen Begriff als Distributoren bezeichnet (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 304; Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 251). Sie verkaufen in aller Regel an Weiterverarbeiter, gewerbliche Verbraucher oder andere Händler. Daher können sie auch als Großhändler angesehen werden (vgl. z. B. Bruhn, 2019, S. 260–261).  In der Praxis funktioniert dies immer wieder leider nur begrenzt. Zeitmangel, ungeeignete oder nicht vorhandene IT oder schlicht der Versuch der Reisenden, sich unverzichtbar zu machen, lassen viele wertvolle Informationen versickern. 8

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13 B2B-Vertriebspolitik

Seinen Einsatz findet der B2B-Handel im Wesentlichen im Produkt- und Systemgeschäft. Die Produktangebote im PVH reichen von EHB-Stoffen bis zu Einzelaggregaten (siehe Tab. 10.1), umfassen Neu- und Gebrauchtwaren, produktbegleitende Dienstleistungen und können sogar Zusatzangebote eines Herstellers sein, der seine eigenen Produkte in Verkaufsfilialen anbietet und Fremdware zur Abrundung seines Sortiments dazu verkauft (vgl. Backhaus & Voeth, 2014, S. 305). Mehr und mehr ist davon auszugehen, dass der stationäre PVH genau wie der Konsumgütereinzelhandel von E-Commerce-Angeboten neuer „Online-Pure-Player“ herausgefordert wird und daher gut beraten ist, parallel ein E-Commerce-Standbein aufzubauen. Während es beim direkten Vertrieb über den Außendienst um die Schaffung von Mehrwerten im komplexen Zuliefer- und Projektgeschäft geht, muss der Handel den Kunden effiziente Beschaffungsprozesse für Standardprodukte bieten und sich stärker in deren Wertketten integrieren. Dies wird weitgehend nur durch digitale Angebote möglich sein (Becker & Mertens, 2020, S. 9–37). Gleichzeitig wird diese Fähigkeit des PVH auch zum Kriterium für Anbieter bei der Auswahl ihrer Handelspartner. Aber obwohl, wie in Abschn. 13.3 zu sehen ist, B2B-E-Commerce stetig wächst, wird es aufgrund der Angebotsbreite von B2B-Produkten auch zukünftig Besonderheiten geben, die stationäre Präsenz rechtfertigen. Dazu gehören (vgl. Feth et al., 2021, S. 4–6) 1. im Kleinteilebereich der Vorteil der sofortigen Lieferfähigkeit durch Lagerhaltung in Kundennähe, wenn z. B. Handwerker auf einer Baustelle kurzfristig Schalter, Relais oder Leitungen benötigen (sogenannte Sofortbedarfe), 2. Transportherausforderungen durch besonders schwere, unförmige oder gefährliche Produkte, die mit der auf Effizienz getrimmten Standardlogistik der Online-Händler nicht gut zu bewältigen sind, und 3. variantenreiche Spezialprodukte, deren erforderliche genaue Spezifikation nur im Dialog mit den Kunden identifizierbar ist. Die Problematik des indirekten Vertriebs über den PVH ist grundsätzlich identisch mit der im Konsumgüterbereich. Der PVH hat als selbstständiges Unternehmen Eigeninteressen, die nicht unbedingt mit denen des Anbieters deckungsgleich sein müssen, z. B. bzgl. . der Attraktivität von Anbietermarken, die gelistet werden, 1 2. der Produktpräsentation, 3. der Preisbildung, 4. der Kommunikationsmaßnahmen oder 5. der Weitergabe von Marktinformationen. Um dies zu steuern, werden häufig monetäre Anreize gesetzt bzw. vom Handel verlangt (siehe Rabattpolitik in Abschn.  11.6). Um dem zu entgehen, werden Alternativen zum PVH gesucht.

13.2 Persönliche Vertriebskanäle

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Eine Erweiterung des klassischen PVH stellen Value Added Reseller (VAR) dar. Sie sind keine reinen Wiederverkäufer des vom Anbieter erworbenen Produkts, sondern fügen ihm einen Mehrwert hinzu und verkaufen das dann ergänzte neue Gesamtprodukt weiter. Der Begriff ist nicht eindeutig definiert und teilweise wird z. B. schon die reine (Um-) Kommissionierung von Waren als Mehrwerttätigkeit angesehen. Der Vertrieb über VAR ist für Anbieter sinnvoll, die damit Kundengruppen erreichen, die an ihrem reinen Ursprungsprodukt alleine nicht interessiert sind, sondern Nutzen erst aus einem erweiterten Gesamtpaket ziehen können, das der Anbieter so aber nicht anbietet (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 253–254). Vor der Nutzung von VAR muss der Anbieter überlegen, wie austauschbar seine Produkte für den VAR sind und wie aufwändig es wäre, alternativ durch entsprechende Partnerschaften das Gesamtpaket doch selbst anzubieten. Die Nachteile des freien PVH können mithilfe von Vertragshändlern umgangen werden. Bei diesen auch für Konsumgüter bestehenden Systemen (z. B. Autohäuser, Tankstellen oder Bierlieferverträge in der Gastronomie) wird der Händler vertraglich gebunden, nur für einen oder wenige (und dann i. d. R. nicht konkurrierende) Hersteller tätig zu sein (vgl. Bruhn, 2019, S. 272; Homburg, 2020, S. 946). Er ist zwar selbstständiger Händler, aber faktisch direkt in die Verkaufsorganisation des Anbieters eingegliedert (vgl. Martinek et al., 2016, 5. Kapitel, § 25, Rn. 1–3), sodass nach außen für Kunden der unabhängige Händlerstatus nicht unbedingt erkennbar ist. Ein Händler wird sich an einen Anbieter binden lassen, wenn dieser über eine zugkräftige Anbietermarke verfügt. Zusätzlich wird ihm häufig für ein bestimmtes Gebiet das Alleinvertriebsrecht eingeräumt (vgl. Martinek et al., 2016, 5. Kapitel, § 25, Rn. 4–6). Eine noch engere Bindung der Vertriebspartner als in Vertragshändlermodellen ergibt sich in Franchise-Systemen. Dabei stellt der Anbieter (Franchisegeber) dem Franchisenehmer sein Geschäftskonzept (i. d. R. Produkte bzw. Dienstleistungskonzepte, Kommunikationsmittel, Geschäftsausstattung) gegen Gebühr zur Nutzung bereit. Das System ist straff vertikal organisiert, die Arbeitsteilung sieht vor, dass der Franchisegeber die Rahmenbedingungen vorgibt und der Franchisenehmer sie eigenverantwortlich, aber vollständig nach Vorgabe an der Kundenschnittstelle umsetzt. Die Franchisenehmer sind formal selbstständige Unternehmen; der Franchisegeber hat jedoch „richtlinienähnliche Kompetenzen, die es ihm ermöglichen, systemkonformes Verhalten durchzusetzen“ (Deutscher Franchiseverband, 2021, S.  8), sodass die wirtschaftliche Selbstständigkeit des Franchisenehmers faktisch recht stark eingeschränkt ist (vgl. Meffert et al., 2019, S. 606). Der Franchisenehmer profitiert von der Bereitstellung der genannten Leistungen durch den Franchisegeber; dieser senkt im Gegenzug seine Be- und Vertriebskosten erheblich. Als Gebühren erhält er einmalig Erst- und anschließend laufende erfolgsabhängige Zahlungen vom Franchisenehmer. Dazu kann eine einmalige Einstiegsgebühr gehören, die Vorleistungen des Franchisegebers wie z. B. die Entwicklung des Geschäftsmodells oder Standortanalysen abdeckt. Die laufenden Gebühren sind ein fester Prozentsatz der monatlichen Umsätze, zu denen noch eine Werbegebühr für überregionale Kommunikationsaktivitäten durch den Franchisegeber kommen kann. Für den Franchisenehmer kommen vielfach einmalige Investitionskosten für die Einrichtung des Betriebs hinzu, die den weitaus größten Kostenblock ausmachen können und für die meist ein Mindesteigenkapitalanteil gefordert wird.

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13 B2B-Vertriebspolitik

Für den Franchisegeber ist so der Aufbau seines Vertriebssystems kostengünstig und standardisiert möglich. Für Kunden ist noch weniger als in Vertragshändlersystemen erkennbar, dass es sich nicht um herstellereigene Vertriebsstellen handelt. Das Risiko des Franchisegebers besteht in bewussten oder unbewussten Qualitätsmängeln in der Arbeit des Franchisenehmers, die auf das Image der gesamten Marke zurückfallen würden. Aus diesem Grund sind in den Franchiseverträgen i. d. R. Kontrollen des Franchisenehmers durch den Franchisegeber vorgesehen; ebenso stellen Erstinvestition und Einstiegsgebühren einen Anreiz für den Franchisenehmer dar, die Vorgaben des Franchisegebers einzuhalten, da sie bei durch den Franchisenehmer verursachter Vertragsauflösung (z. B. wegen Qualitätsmängeln) vielfach nicht zurückerstattet werden (vgl. Martinek et al., 2016, 6. Kapitel, § 32, Rn. 129–131). Franchiseverträge werden in der Praxis häufig als Spielart von Lizenzverträgen angesehen. Dabei geht es um die Vergabe von Nutzungsrechten an rechtlich geschützten Gegenständen oder immateriellen Gütern, worunter Patente auf Produkte und F ­ ertigungstechnologien oder Marken, Gebrauchsmuster, Designs und Urheberrechte fallen (sogenannte gewerbliche Schutzrechte). Der Lizenznehmer erwirbt das Recht, diese in definierter Art, definiertem Umfang und in einem definierten Gebiet zu nutzen (vgl. Martinek, 2016, 6. Kapitel, §  29, Rn. 27–28), was Produktions- oder Vertriebspartnerschaften einschließen kann. Im Extremfall muss der Lizenzgeber außer Unterlagen gar nichts mehr bereitstellen und kann schnell, kostengünstig und risikolos neue Märkte erschließen, trägt aber wie beim Franchising das Qualitätsrisiko (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 255–256). Praxisbeispiel: Die weite Welt der stationären B2B-Intermediäre

Beispiele für den Produktionsverbindungshandel finden sich auf allen Stufen des industriellen Wertschöpfungsprozesses im Produkt- und Systemgeschäft. Die exakten Ausgestaltungen variieren mitunter abhängig von der jeweiligen Branche. Auch der Übergang zwischen reinen Distributoren und VAR ist teilweise fließend. Für landwirtschaftliche Produkte (nachwachsende Rohstoffe) gibt es z. B. vor allem für kleine Erzeuger Genossenschaften. Winzergenossenschaften sammeln die Trauben ihrer Mitglieder, verarbeiten sie und vermarkten die daraus entstehenden Weine anschließend zentral. Auch in der Milchwirtschaft gibt es noch als Genossenschaft organisierte Molkereien, die Rohmilch der Landwirte zu Milchprodukten aller Art, u.  a. auch für die Lebensmittelindustrie, weiterverarbeiten. Schmierstoffe (EHB-Stoffe) werden von Schmierstoffhändlern für alle Branchen von Kfz und LKW über Land- und Baumaschinen, Schienenfahrzeuge bis hin zur Luft- und Schifffahrt sowie für alle Anwendungsbereiche, z.  B.  Getriebe- und Hydrauliköle, Korrosionsschutz, Metallbearbeitung, angeboten. Stahlhändler (Halbfabrikate) liefern verschiedene Stahlarten und  -qualitäten auf Kundenwunsch zugeschnitten und bearbeitet. Als Teile- und (Klein-)Aggregate stellen Industriehändler Befestigungsmaterialien (z. B. Schrauben, Klemmen und Muttern) und (Klein-)Werkzeuge (z.  B.  Sägen, Hämmer und Akkuschrauber) für Handwerk und Industrie bereit. Größere Aggregate werden z. B. in der Agrarbranche von Landmaschinenhändlern angeboten (Traktoren, Mähdrescher usw.).

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

439

Das klassische Beispiel für Value Added Reseller (VAR) ist die Computerbranche, in der der VAR auf den Computer selbst, d. h. auf die reine Hardware, z. B. spezifische Anwenderprogramme (Software) aufspielt, andere Hardware, wie z. B. Drucker oder Scanner, hinzufügt oder beim Endnutzer ganze Firmennetzwerke installiert. Vielfach können VAR so mit spezifischem Know-how aus universell einsetzbaren Grundprodukten branchen- oder anwendungsspezifische Systemlösungen modellieren (vgl. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 28). In die gleiche Richtung gehen die Partnerprogramme von Firmen wie der Siemens AG oder dem Telekommunikationsausrüster Cisco Systems, Inc., bei denen die Partner zusätzlich noch nach Herstellervorgaben zertifiziert werden (https://new.siemens.com/de/de/unternehmen/themenfelder/partner.html), (https://www.cisco.com/c/en/ us/partners/connect-­with-­a-­partner.html). Wie in einem Vertragshändlermodell entsteht dadurch eine feste Bindung der VAR an die Hersteller. VAR werden aber z. B. auch von Büromöbelherstellern genutzt. Die Händler übernehmen hier u. a. Planungsaufgaben, indem die verfügbare Bürofläche des Kunden mittels CAD-Software optimal ausgestattet wird, was zudem noch dreidimensional visualisiert wird. Je nach Produkten, Ausrichtung und Kapazitäten des Händlers und Ausgestaltung der Zertifizierung kann dies auch zu Lizenzvereinbarungen führen, bei denen die VAR das Recht erhalten, Anbieterprodukte komplett eigenständig in eigene Angebote zu integrieren oder mit diesen zu kombinieren (vgl. dazu auch Backhaus & Voeth, 2014, S. 480–481). Vertragshändler werden z. B. von einigen Gabelstaplerherstellern genutzt. So sind Stapler von Linde Materials Handling u. a. bei der Willenbrock Fördertechnik Gmbh & Co. KG (https://www.willenbrock.de/de/), jene von Mitsubishi Forklift Trucks z. B. bei der C.  Kühl Stapler-Technik KG (https://www.kuehl-­staplertechnik.de/) und die von Toyota Materials Handling z. B. bei der Dresdner Gabelstapler GmbH (https://www. dregab.de/) erhältlich. Dass ein Distributionssystem nicht als gegeben für eine ganze Branche anzusehen ist, zeigt sich am Beispiel der Jungheinrich AG, die ihre Stapler in Deutschland über die Jungheinrich Vertrieb Deutschland AG & Co. KG direkt vertreibt. Reine B2B-Franchise-Systeme sind auf dem Markt in der Unterzahl. Einige Anbieter erbringen Leistungen, die gleichermaßen für Konsumenten und für Geschäftskunden interessant sein können, wie z. B. die Reinigung und Aufbereitung von Pflaster-, Beton- und Fassadenflächen. Insbesondere in den Feldern Büro- und Logistikdienstleistungen sowie Coaching und Consulting gibt es jedoch eine Reihe von B2B-­ Anbietern, die den Markt über Franchise bedienen (https://www.franchiseverband. com/systeme-­finden/franchise-­branchen). ◄

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal E-Commerce, übersetzt: elektronischer Handel oder elektronische Geschäftsabwicklung, bezeichnet die Durchführung von Käufen und Verkäufen auf elektronischer Basis (vgl. Schmitz, 2021, S. 10). Dabei ist es unerheblich, mithilfe welcher Endgeräte und mit welcher zugrunde liegenden Technologie (z. B. webbasiert oder nicht, appbasiert oder nicht) dies geschieht (vgl. dazu Kollmann, 2019, S. 26, im Gegensatz dazu Heinemann, 2020, S. 28–30).

440

13 B2B-Vertriebspolitik

Das Gesamtvolumen des B2B-E-Commerce in Deutschland betrug 2018 ca. 1,3 Bio. € (vgl. Sondermann, 2019, S. 31–32).9 Knappe zwei Drittel der B2B-Unternehmen kaufen mindestens 75 % ihrer Produkte online. Darunter fallen zu einem großen Anteil Wiederholungskäufe und Käufe von Standardprodukten, zunehmend aber auch komplexere und hochpreisige Einkäufe (vgl. Sana, 2021, S. 2, 4). Ein Rückblick auf Abb. 13.1 zeigt, dass der Großteil der Unternehmen Webshops nutzt, aber auch EDI, Marktplätze und E-­ Procurement verbreitet sind. Gerade für EDI (für Details siehe Abschn. 13.3.1.2) darf der im Vergleich zu den Webshops kleinere prozentuale Anteil an Nennungen nicht als Zeichen deutlich geringerer Bedeutung verstanden werden. Denn das absolut via EDI gehandelte Umsatzvolumen beträgt ca.  980  Mrd. € und macht damit 75  % des gesamten E-­ Commerce-­Umsatzes aus. E-Commerce basiert auf drei digitalen Plattform-Modellen: E-Shop (elektronischer Verkauf), E-Procurement (elektronischer Einkauf) und E-Marketplace (elektronischer Handel). Eine digitale Plattform ist dabei als digitale Technologie oder IT-Architektur zu definieren, über die (im B2B zwischen Unternehmen) kommuniziert und Informationen ausgetauscht sowie Transaktionen und Kooperationen durchgeführt werden können (vgl. Kollmann, 2019, S. 65–66).10 Die Art, wie dies geschieht und wie dadurch Kundennutzen und Erlöse generiert werden, ist das Geschäftsmodell. E-Commerce-Transaktionen werden nach der Anzahl der Beteiligten auf Anbieter- (a) und Kundenseite (k) in One-to-One (1:1), One-to-Many (1:k), Many-to-One (a:1) und Many-to-Many (a:k) unterschieden. Many-to-Many funktioniert i. d. R. nur, wenn ein Intermediär zwischengeschaltet ist, sodass genaugenommen von Many-to-One-to-Many (a:1:k) zu sprechen ist. Entsprechend den drei Plattform-Modellen gibt es Sell-Side-, Buy-Side- und Marktplatz-Lösungen, je nachdem, wer die Kontrolle über die Plattform hat (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S.  190; Heinemann, 2020, S.  30; Kollmann, 2020a, S. 153–157). Abb. 13.7 strukturiert die Alternativen und Kombinationen, noch dazu getrennt nach direktem und indirektem E-Commerce. Wie im analogen Vertrieb auch, erfolgt direkter E-Commerce ohne, indirekter hingegen mit zwischengeschaltetem Intermediär. Dies bedeutet nicht, dass nicht auch im direkten E-Commerce eine E-Procurement-Plattform im Buy-Side-Herstellerportal von einem Drittanbieter bereitgestellt wird. Die Kontrolle  Trotz dieser großen Summe besteht viel Potenzial für B2B-E-Commerce. So gibt das Statistische Bundesamt den (Brutto-)Produktionswert der deutschen Volkswirtschaft für 2018 mit ca. 6,2 Bio. € an (vgl. Destatis, 2021). Dieser müsste um die Netto-Bestandsveränderungen an Halb- und Fertigfabrikaten sowie Eigenleistungen korrigiert werden, ist aber eine ganz gute Näherung des gesamten B2B-Umsatzes in Deutschland. Der Anteil des B2B-E-Commerce daran beträgt somit ca. 20 % (vgl. dazu auch Sondermann, 2019, S. 31). 10  Begrifflich verwirrend werden auch Unternehmen wie z. B. Amazon, eBay oder Alibaba als Plattformen bezeichnet. Genau genommen sind sie jedoch Betreiber von Plattformtechnologie, die diese für ihre Geschäftsmodelle nutzen. 9

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

Direkter E-Commerce

Anbieter-Webshop

Private B2B-Sales (EDI, Extranet)

k Anzahl Kunden (

k

Marktplatz

1:h:k H …



H …

H



M

1:1:k

1:k

… 1

H







a Private B2B-Sales (EDI, Extranet)

a:1:k

Online-Händler/ p Anbieterportal

1

) Anzahl Anbieter (

Buy-Side-Anbieterportal (E-Procurement-Plattform)

a:1:k



Indirekter E-Commerce

a:1

1:1

441

H Sell-Side-Händlerportal

Legende: a-Anbieter k-Kunden H-Händler M-Marktplatzbetreiber

k

)

Abb. 13.7  E-Commerce-Alternativen. (Quelle: In Anlehnung an Heinemann, 2020, S. 30)

über die Plattform unterliegt aber vollständig dem Kunden und die Ware wird über diese Plattform direkt vom Anbieter angeboten. Ebenso ist es im indirekten E-Commerce denkbar, dass ein Marktplatz auch von Anbietern oder Nachfragern betrieben wird. Er tritt dann aber für alle an ihn angeschlossenen Anbieter trotzdem wie ein unabhängiger Mittler auf. Aus diesen vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten wird schon deutlich, dass Abb. 13.7 keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, was durch die hohe Dynamik in diesem Feld weiter unterstützt wird. Anzumerken ist für die aufgezeigten Alternativen, dass eine gedankliche Aufteilung des Kaufprozesses in den Kaufabschluss und dessen Abwicklung zweckmäßig ist. Während bei einigen E-Commerce-Kanälen beides recht schnell zusammenfallen kann (z. B. der Kauf eines Teils in einem Anbieter-Webshop), dienen einige ausschließlich der Abwicklung zuvor auf anderen Wegen geschlossener Verträge (z. B. Private B2B-Sales via EDI oder Extranet).

13.3.1 Direkter E-Commerce 13.3.1.1 Anbieter-Webshop Ein Anbieter-Webshop ist der am intensivsten genutzte Vertriebskanal im E-Commerce (siehe Abb. 13.1) und die klassische „One-to-Many“-Lösung. Er ist an die Website des Anbieters gekoppelt oder in ein von diesem bereitgestelltes Extranet11 eingebunden, wo  Ein Extranet ist ein geschlossenes und gesichertes webbasiertes Netzwerk zum Austausch vertraulicher Informationen zwischen definierten unternehmensinternen und -externen Nutzern (vgl. Schmitz, 2021, S. 9).

11

442

13 B2B-Vertriebspolitik

dessen Online-Produktkatalog den Kunden zur Verfügung steht. Gespeist wird der Shop aus dem Warenwirtschaftssystem des Anbieters. Spätestens für den Bestellvorgang muss der Kunde sich registrieren und sich mit seinen Zugangsdaten anmelden. Zur reibungslosen Abwicklung, insbesondere bei Wiederholungskäufen, sollte das System mit dem ERP-System des Kunden verknüpft werden. Ein Webshop kann eine Reihe von Informationen und Funktionalitäten aufweisen, die für die Anbahnung, Durchführung und Abwicklung von Online-Käufen relevant sind. Dazu gehören u. a. eine strukturierte Produktpräsentation mit Suchmöglichkeiten, Konfiguratoren, Verfügbarkeitsanzeigen, Zusatzinformationen wie Datenblättern oder Bedienungs­ anleitungen, Personalisierungsfunktionen für jeden einzelnen Kunden, z. B. individuelle Preise oder spezifische Bestell-, Liefer- und Zahlungsmodalitäten, Statusabfragen, z. B. zum Auftragsstatus und zur Bestellhistorie, und natürlich ein Warenkorb (vgl. Schmitz, 2021, S. 79–81). Abb. 13.8 zeigt die Top 10 der von Kunden gewünschten Informations- und Funktionsangebote bei Webshops und vergleicht sie mit dem Angebot der Anbieter (vgl. Wittmann et al., 2019, S. 32, 34). Verfügbarkeiten, Lieferzeiten und Preise stehen bei den Informationsbedürfnissen ganz oben, Suchfunktionen und individuelle Preise bei den Funktionen. Auffällig sind teils recht große Diskrepanzen zu den tatsächlich von den Anbietern unterbreiteten Angeboten: Vor allem hinsichtlich Verfügbarkeiten, Bestellhistorie sowie Suchmöglichkeiten, individualisierten Preisen, Freigabeprozessen und Individualisierungsmöglichkeiten bleiben die Ist-Angebote deutlich hinter den Kundenwünschen zu-

A nteile „Hohe Releva nz “ b z w. „Ist-A ng eb ot“

100 %

Informationsangebote

Funktionalitäten

90 % 80 % 70 % 60 % 50 %

40 % 30 % 20 % 10 %

0%

Kunden

Anbieter

Abb. 13.8  Informationen und Funktionalitäten von B2B-Webshops

*für Anbieter nicht verfügbar

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

443

rück. Dafür werden einige Angebote in größerem Maße vorgehalten als von den Kunden nachgefragt. Hier müssen die Anbieter zukünftig noch detaillierter prüfen, für welche Informationen und Funktionen welche Investitionen lohnen und notwendig sind. Bezüglich der Bezahlalternativen ist anzumerken, dass der Kauf auf Rechnung (normal oder durch Zahlungsdienstleister in Echtzeit abgesichert) klar dominiert. Deutlich dahinter, aber mit ebenso deutlichem Vorsprung vor allen weiteren nachfolgenden Möglichkeiten rangiert PayPal, bevor sich dann Lastschrift, Vorkasse und (Firmen-)Kreditkarte anschließen. Während für Lastschrift und Kreditkarte zukünftig erheblich steigende Relevanz prognostiziert wird, wird Vorkasse an Bedeutung verlieren (vgl. Wittmann et al., 2019, S. 45–46). In Abb. 13.8 sind bis auf ausführliche Produktbeschreibungen inkl. technischer Spezifikationen Aspekte, die im weiteren Sinne zu einer Online-Beratung gehören, nicht enthalten. Darunter würden z. B. 360°-Bilder, Anleitungen, Konfiguratoren, Produktvergleiche und -empfehlungen sowie Kundenbewertungen fallen (vgl. Heinemann, 2020, S.  72). Auch an Chat-Funktionen oder die Möglichkeit zur direkten telefonischen Kontaktaufnahme wäre zu denken. Diese Aspekte schafften es, wenn auch teilweise knapp, allesamt nicht unter die jeweiligen Top 10. Das deutet an, dass B2B-Kunden bei der Nutzung von E-Commerce keinen Beratungsbedarf haben, weil ihnen überwiegend klar ist, welche Produkte in welcher Variante benötigt werden. Anderenfalls würde vermutlich auf persönlichen Wegen Kontakt zum Anbieter aufgenommen werden. Bei den Funktionalitäten wird durch die Aspekte „eigene Bestellnummern“ und „Freigabeprozesse“ die Wichtigkeit einer Integration in den Bestellprozess des Kunden deutlich. In dieser Hinsicht haben Anbieter-Webshops generell Nachteile verglichen mit Buy-­ Side- oder Marktplatzlösungen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen konsumgüterähnlichen öffentlichen Shop oder um eine kundenspezifisch angepasste Sell-Side-Lösung handelt, bei der individuelle Kataloge und weitere Kundenspezifika hinterlegt sind.12 Effiziente Beschaffungsabläufe, sogenannte Order-to-Pay-Prozesse, sind damit tendenziell nicht möglich, denn zum einen muss der Kunde je Anbieter einen anderen Shop und damit einhergehend andere Nutzeroberflächen und Prozesse nutzen. Zum anderen erfolgt die Integration in die kundenseitigen Abwicklungssysteme nur mangelhaft. So ist eine Automatisierung von Wareneingangsbuchung, Rechnungsempfang und -prüfung, Kreditorenbuchung und Bezahlung i. d. R. nicht möglich (vgl. Bogaschewsky & Müller, 2020, S. 205). Dem Anbieter hingegen ermöglicht der proprietäre (eigene) Webshop eine schlanke Integration in seine eigenen Prozesse (z. B. Warenwirtschaft, ERP, Fakturierung, CRM). Zudem mag potenziell eine höhere, technologiebedingte Kundenbindung resultieren. Denn nach ein- oder spätestens mehrfachem Kauf über den gleichen Shop mögen Kunden gewisse Prozedere für ihre interne Abwicklung entwickelt haben, die beim Wechsel zu einem anderen Anbieter erneut eingerichtet werden müssten, sodass Wechselkosten entstünden. Generell bietet ein Webshop dem Anbieter volle Kontrolle über die Kunden Wenn die kundenspezifische Lösung für einzelne Großkunden jeweils als separater Shop angelegt werden muss, kann sie auch als Private-B2B-Sales-Lösung (1:1) angesehen werden. 12

444

13 B2B-Vertriebspolitik

schnittstelle und die größtmögliche Zahl an Freiheitsgraden bei der Ausgestaltung. Gut geeignet ist er zur Abwicklung von Geschäften mit kleineren Unternehmen, die sich keine eigene E-Procurement-Lösung leisten wollen oder können. Auch größere Unternehmen können Webshops gut und dauerhaft nutzen, solange nur eine kleinere Zahl an Bedarfsträgern13 ordert. Bei vielen Beschaffern erhöhen sich beim Kunden die Transaktionskosten sowie die Gefahr des unabgestimmten „Maverick Buyings“, bei dem die eigentlich ­vorgesehenen Einkaufsprozesse von den Fachabteilungen umgangen werden (vgl. Bogaschewsky & Müller, 2020, S. 198–205).14 Nicht zuletzt eignet sich der Webshop für Gelegenheitsgeschäfte aller Art. Außerdem dient er in der vorgelagerten Stufe der Customer Journey als Aufmerksamkeits- und Informationsinstrument (vgl. GlobalSpec, 2019, S. 24–25; ECC, 2021b, S. 15). Neben den Informationen und Funktionalitäten ist beim Aufbau eines Shops aus Kundensicht auf ein ansprechendes Design, vor allem bei der Produktdarstellung, hohe Benutzerfreundlichkeit, zu der z. B. schnelle Ladezeiten und klare Strukturen gehören, und Sicherheit zu achten. Unternehmensintern spielen Aspekte wie Skalierbarkeit bei steigendem Nutzungsaufkommen, Erweiterbarkeit für neue Funktionen und Internationalisierbarkeit (z.  B.  Sprach- und Währungsoptionen) eine weitere Rolle (vgl. Mittelstand 4.0, 2016, S. 17; Kollmann, 2020a, S. 289–290). Von besonderer Wichtigkeit ist zunehmend die Betrugsprävention, d.  h. das Durchführen von Risikoanalysen nach Registrierung eines neuen Kunden. Zum Einrichten eines Webshops gibt es grundsätzlich drei Alternativen: Den Aufbau und Betrieb in Eigenregie, das Nutzen von Lösungen externer Dienstleister (zunehmend Cloud-basiert) als Baukasten oder das vollständige Outsourcing des gesamten Prozesses. Während Ersteres in größerem Umfang Finanz- und Personalkapazitäten sowie IT-Know-­ how erfordert, wird bei Letzterem die Kontrolle über den gesamten Kaufprozess und dessen Abwicklung dem Outsourcing-Partner übergeben. Auch wenn es für beide Alternativen berechtigte Szenarien gibt, wird überwiegend (zu 80  %) der mittlere Weg (Dienstleister) gewählt, bei dem der Umfang der zu nutzenden Fremdleistung individuell gestaltet werden kann (vgl. Kollmann, 2019, S. 276–279; Wittmann et al., 2019, S. 25). Die größten Herausforderungen stellen dabei die Anpassung von Standard-Shop-­Lösungen an die eigenen Bedürfnisse, ihre Anbindung an die internen IT-Systeme und die Anpassung und Bereitstellung der Produktdaten dar (vgl. Wittmann et al., 2019, S. 26–28). Zudem geht die Einrichtung eines Webshops mit nicht zu vernachlässigenden Kosten einher. Auch wenn es Webshop-Baukästen zur Miete aus dem Netz schon für kleine zweistellige Eurobeträge pro Monat gibt, geben knappe 56  % der Unternehmen einmalige Einrichtungskosten von über 100.000 € und gute 40 % mehr als 50.000 € laufende Kosten pro Jahr an (vgl. Wittmann et al., 2019, S. 24).  Personen und Abteilungen, die die Käufe durchführen.  Ein fachspezifisches Beispiel für „Maverick Buying“ ist bis heute in vielen Unternehmen die Beschaffung von Marketingdienstleistungen, die oft von den Marketingabteilungen direkt, vorbei an Einkauf, Controlling und finanziellen Beschaffungsgrenzen, erfolgt.

13 14

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

445

13.3.1.2 Private B2B-Sales Private B2B-Sales sind einer der Vertriebswege, bei denen es sich nur um die reine Abwicklung zuvor anderweitig angebahnter und abgeschlossener Verträge handelt. Ein Anbieter und ein Kunde werden dabei direkt (One-to-One) elektronisch verbunden. Dazu stehen verschiedene technische Möglichkeiten zur Verfügung, und die Initiative kann sowohl vom Anbieter (Sell-Side-Lösung) oder vom Kunden (Buy-Side-Lösung) ausgehen. In der Regel werden solche Lösungen von größeren Unternehmen angeboten, die damit ihre Vertriebs- bzw. Bestellprozesse optimieren. Der jeweils anderen Seite bleibt dann faktisch keine Alternative, als sich an die Anforderungen anzupassen oder auf das Geschäft zu verzichten. Hier ist auch die technische Basis zu finden, über die der größte Umsatzanteil des B2B-­ E-­Commerce abgewickelt wird, der Electronic Data Interchange (EDI). EDI geht bereits auf die 1960er-Jahre zurück und beschreibt ganz allgemein den (automatisierten) Austausch von Geschäftsdokumenten (vgl. Heinemann, 2020, S. 28–29). Für E-­Commerce sind insbesondere elektronische Bestellungen, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine oder Rechnungen relevant. Um solche strukturiert wiederkehrenden Aktivitäten auf beiden Seiten leichter verarbeiten zu können, werden die Ursprungsdaten (z. B. auch Excel-Tabellen oder CSV-Dateien) aus den jeweiligen unternehmensinternen Systemen in standardisierte Formate, z.  B.  EDIFACT, übersetzt und anschließend vollständig maschinell zum Geschäftspartner übertragen, wo sie in dessen System zurückübersetzt und automatisch weiterverarbeitet werden. Abb.  13.9 zeigt das Prinzip. EDI-Konverter und -Server sowohl beim Anbieter als auch beim Kunden übernehmen die Übersetzungsarbeit und sind an die jeweiligen internen Systeme angebunden. Die Einrichtung einer solchen Punkt-zu-Punkt-­ Verbindung verursacht auf beiden Seiten recht hohe finanzielle und organisatorische Kosten, was ein wesentlicher Nachteil von EDI ist (vgl. Hofbauer & Purle, 2022, S. 148–154). EDI-Lösungen werden besonders für gut prognostizierbare, regelmäßige Beschaffungen großen Umfangs im Produkt- und Zuliefergeschäft (EHB-Stoffe, Halbfabrikate, Teile, Komponenten) genutzt (vgl. Hofbauer & Purle, 2022, S. 41, 148–154; Kollmann, 2019, S.  191). Damit können auch kleine und mittelgroße Anbieter gezwungen sein, EDI-­ Verbindungen zu Großkunden einzurichten. Als kostengünstigere Alternative kann ggf. auch WebEDI genutzt werden, bei dem der anbieterseitige Aufbau der EDI-Infrastruktur

Anbieter

Kunde Übertragung in

InhouseFormat Anbietersystem

EDI-Server/ -Konverter

Standardformat via Internet

InhouseFormat EDI-Server/ -Konverter

Kundensystem

Abb. 13.9  Allgemeine Struktur von EDI-Anbindungen. (Quelle: Hofbauer & Purle, 2022, S. 150)

446

13 B2B-Vertriebspolitik

entfällt. Stattdessen wird ein unabhängiger EDI-Dienstleister genutzt, der einen neutralen EDI-Webserver betreibt, von dem die Daten an den Kunden weitergeleitet werden. Der Anbieter arbeitet dann an einer normalen Weboberfläche, über die er Daten versendet oder erhält. Problematisch ist, dass es dabei keine weitere elektronische Schnittstelle zu den internen Systemen des Anbieters gibt, sodass alle Daten manuell eingegeben oder ausgelesen werden müssen. Je komplexer die Transaktionen sind und je mehr es davon gibt, desto aufwändiger wird dieses Verfahren. Eine gewisse Milderung können Zusatzservices darstellen, die von WebEDI-Dienstleistern angeboten werden können. Mit ihnen kann der Anbieter einige für den Kunden notwendige Dokumente (z. B. Auftragsbestätigung und Lieferankündigung) direkt über den Server generieren. Die Schnittstelle in die eigenen Systeme ersetzt dies aber nicht (vgl. Mittelstand 4.0, o. J.). Vielfach müssen zurzeit Bestellungen noch manuell ausgelöst werden. Die maschinelle Kommunikation findet nach diesem Auslöser automatisiert zwischen den Systemen von Anbieter und Kunde, „gedolmetscht“ durch die EDI-Konverter, statt. Es gibt aber bereits Lösungen, in denen das Produktionsplanungs- oder das Lagerhaltungssystem des Kunden einen sich anbahnenden Materialbedarf selbstständig erkennt (z. B. mit RFID-, Sensoroder Kameratechnologie) und über das ERP-System via EDI eine Nachbestellung auslöst. So ist bereits von echten „Machine-to-Machine“-Käufen zu sprechen, die nach einmaliger Einrichtung und Abstimmung zwischen Anbieter und Kunde vollständig autonom ablaufen könnten. Fraglich ist dabei immer, ob der Kunde dies vollständig automatisieren oder „vorsichtshalber“ zunächst nur einen Bestellvorschlag generieren möchte, der dann manuell geprüft und freigegeben wird. Zukünftig wird durch Technologien und Anwendungen des „Internet of Things“ (IoT) cloudbasiert eine noch direktere Kommunikation zumindest einiger Bedarfe der Kunden an den Anbieter möglich werden, wobei auch dabei Standards zur Datenübertragung und -weiterverarbeitung nötig sind (vgl. Kleemann & Glas, 2020, S. 14, 19–22). Die diesen Prozessen zugrunde liegenden Ideen entstammen dem Konzept der Efficient Consumer (oder im B2B: Customer) Response (ECR). Basierend auf intensiver Datenanalyse und Datenaustausch – ursprünglich zwischen Handel und Herstellern, aber übertragbar auf Anbieter und industrielle Kunden – wird so eine effiziente und kontinuierliche oder auch Ad-hoc-Belieferung (Efficient Replenishment/Quick Response) möglich, die bis zur Verwaltung des Lagers beim Kunden durch den Anbieter (Vendor-­ Managed Inventory) führt. KI und immer mächtigere Analysesysteme werden es zukünftig ermöglichen, anstelle von Messtechnologien Prognose- oder Echtzeitdaten über Materialabflüsse zu nutzen (vgl. Wannenwetsch, 2021, S. 525–531). Neben EDI lassen sich Private B2B Sales auch durch webbasierte Kataloglösungen in Extranets realisieren. „Private“ werden diese dann, wenn für einzelne (Groß-)Kunden jeweils ein spezifisch angepasster Katalog bereitgestellt wird, der sich nicht als Variante innerhalb eines allgemeinen Shops abbilden lässt, weil z. B. auch optische Anpassungen an das Corporate Design des Kunden vorgenommen werden sollen (vgl. Kollmann, 2020a, S.  205). Grundsätzlich gelten dafür die bisherigen Ausführungen aus diesem und dem vorherigen Abschn. 13.3.1.1 analog.

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

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13.3.1.3 Buy-Side-Anbieterportal: E-Procurement Mit einem Buy-Side-Anbieter-Portal wird der Prozess des Anbieter-Webshops quasi umgedreht. Hier legt ein Kunde die technische Beschaffungsplattform fest und die Anbieter müssen sich daran andocken (Many-to-One-Lösung). Der Vorteil für den Kunden liegt auf der Hand: Zum einen können so sämtliche Beschaffungsaktionen problemlos mit ­seinen internen IT-Systemen verknüpft werden. Zum anderen lässt sich eine Auswahl an Anbietern anbinden, sodass bei der Beschaffung keine automatische Bindung an nur einen Lieferanten vorliegt. Dazu werden häufig sogenannte Multi Supplier Product Catalogs (Multilieferantenkataloge, MSPC) verwendet, in denen die Produkte der verschiedenen Anbieter strukturiert abgebildet werden. Ins Intranet des Kunden eingebunden, ermöglichen sie allen befugten Bedarfsträgern webbasiert bequemes Einkaufen vom Rechner am eigenen Arbeitsplatz (Desktop Purchasing System – DPS). Beschaffungsregeln und -befugnisse lassen sich ebenfalls im System hinterlegen (vgl. Kollmann, 2020a, S. 169, 174). Für den Anbieter bedeutet diese Lösung, dass er sich an die Systeme und Vorgaben zur Kataloggestaltung des Kunden anpassen muss. Dies geschieht im Rahmen eines sogenannten „Staging-Prozesses“. Die Produktdaten können via Internet übermittelt werden, müssen aber im richtigen Format bereitgestellt werden.15 Dieser Anbieterkatalog wird anschließend ins Kundensystem geladen. Um Einheitlichkeit in seinem MSCP zu erreichen, wird der Kunde dem Lieferanten i. d. R. Formatvorgaben machen, z. B. für Produktbeschreibungen oder Bilder (vgl. Bogaschewsky & Müller, 2020, S. 190–193, 203; Schmitz, 2021, S. 82). Der Lieferant muss seine Darstellungen dann daran anpassen. Eine für den Anbieter u. U. angenehmere Lösung stellt das sogenannte „Punch-out-­ Verfahren“ dar, bei dem der Anbieter nicht seinen Katalog ins ERP-System des Kunden hochlädt und anpassen muss, sondern seinen Shop über standardisierte Schnittstellen direkt mit dem DPS des Kunden verbindet. Die Bedarfsträger des Kunden kommen so von ihrem Arbeitsplatz direkt in den Anbieter-Shop und können dort bestellen. Der Anbieter erhält die Bestellung auf seinem gewohnten Weg. Auf Kundenseite wird der Warenkorb direkt ins ERP-System übertragen. Ungünstig an DPS-Lösungen ist für den Anbieter, dass jeder Bedarfsträger des Kunden selbstständig einkaufen kann und so beim Kunden keine Bündelung der Bedarfe mehr erfolgt. Damit erhält der Anbieter vermehrt einzelne Kleinaufträge, deren Erfüllung mit entsprechendem Mehraufwand verbunden ist. Dieses Problem besteht insbesondere, weil DPS-Lösungen aus Kostengründen u. a. bei Existenz vieler Bedarfsträger beim Kunden besonders empfehlenswert sind. Je nach Dringlichkeit können mit dem Kunden feste re Dabei geht es zunächst um das Katalogaustauschformat. In Deutschland weit verbreitet ist BMEcat. Es gibt jedoch, gerade auch auf internationaler Ebene, weitere Formate. Darüber hinaus werden der richtige Produktidentifikations- und der richtige Klassifikationsstandard benötigt, damit der Kunde die Daten verarbeiten und in die Struktur seines MSCP übernehmen kann (vgl. Bogaschewsky & Müller, 2020, S. 191). Technologische Weiterentwicklungen werden diese Schnittstellen zukünftig künstlich-intelligent besser handhabbar machen (vgl. Kollmann, 2019, S. 151). 15

448

13 B2B-Vertriebspolitik

gelmäßige Ausliefertouren, sogenannte „Milkruns“, vereinbart werden, um die Transaktionskosten des Anbieters auf akzeptablem Niveau zu halten (vgl. Bogaschewsky & Müller, 2020, S. 190–193, 201–208). Auch Buy-Side-B2B-Exchanges kommen erst zum Tragen, wenn die Lieferverträge zwischen Anbieter und Kunde bereits fixiert sind. Die Fähigkeit eines Anbieters, die entsprechenden digitalen Anforderungen zu erfüllen, d. h. sein digitaler Reifegrad (siehe auch Abschn. 11.7 und 12.6), wird unter diesen Umständen allerdings ein wesentliches, wenn nicht sogar ein K.o.-Kriterium für die Lieferantenauswahl durch den Kunden. Praxisbeispiel: Buy-Side-Plattformen

Die Siemens AG wickelt alle ihre Beschaffungen über die geschlossene Plattform SCM STAR (Supply Chain Management Strategy And Realization) ab (https://new.siemens. com/global/en/company/about/corporate-­f unctions/supply-­c hain-­m anagement/ supplier-­cockpit.html). Sie ist cloudbasiert und bietet alle Funktionalitäten des strategischen und operativen Beschaffungsmanagements für Siemens. Dazu gehören die Lieferantenauswahl und -entwicklung ebenso wie die Anbahnung und Abwicklung von Beschaffungsprojekten, das Angebots-, Vertrags- und Aufgabenmanagement. Alle Beteiligten von Buying und Selling Center haben über das Portal jederzeit Zugriff auf alle relevanten Informationen. Auch die Robert Bosch GmbH stellt über den Anbieter der digitalen Supply-Chain-­ Kollaborationsplattform SupplyOn (https://service.supplyon.com/bosch-­group/?lang= de&area=info&bcid=3) eine webbasierte geschlossene Portallösung für Lieferanten mit umfassenden Funktionen bereit. Die Anbindung der Lieferanten erfolgt mittels EDI oder WebEDI. ◄

13.3.2 Indirekter E-Commerce Im indirekten E-Commerce sind zwei Arten von Intermediären zu unterscheiden: klassische Online-Händler und Marktplätze, die eine reine Vermittlungsfunktion übernehmen, wie ein Grundstücksbesitzer, der für einen Wochenmarkt seine Fläche zur Verfügung stellt. Händler und Marktplätze werden im Folgenden getrennt behandelt. Auf die gesonderte Darstellung des Falls, dass auf Marktplätzen auch Händler auftreten können, wird verzichtet, da für einen Anbieter immer entweder ein Händler oder ein Marktplatz Vertriebspartner ist und nie ein Dreiecksverhältnis entsteht. Dass beide Kanäle parallel genutzt werden können, fällt unter den Multi-Channel-Vertrieb in Abschn. 13.4.2.

13.3.2.1 Online-Handel, Private B2B Sales und Sell-Side-­Händlerportal Für den B2B-Online-Handel gelten im Wesentlichen dieselben Aussagen wie für den stationären PVH.  Viele stationäre Händler bieten auch eigene E-Commerce-Lösungen an und sind somit zu Hybrid-Intermediären geworden. Zudem gibt es auch im B2B-Handel sogenannte „Online Pure-Player“, die ausschließlich online auftreten und verkaufen.

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

449

Von „echtem“ indirektem E-Commerce kann nur gesprochen werden, wenn vom Handel in beide Richtungen Online-Verbindungen, also sowohl „nach links“ zum Anbieter als auch „nach rechts“ zum gewerblichen Endnutzer, angeboten werden. Die Anbindungsmöglichkeiten für Anbieter sind grundsätzlich identisch mit den in Abschn. 13.3.1 ­aufgezeigten, und zwar sowohl die konzeptionellen als auch die technischen. Konzeptionell kann auf Abb. 13.7 verwiesen werden. So sind alle drei in den schraffierten Feldern abgebildeten Varianten möglich: Many-to-One-to-Many, One-to-One-to-Many und One-to-­Many-toMany. Sie entsprechen in ihrer Verbindung von Anbieter zu Händler jenen Modellen des direkten E-Commerce, mit denen sie durch die gestrichelten Pfeile verbunden sind. So sind auch die technischen Verknüpfungen grundsätzlich identisch und reichen von gemailten CSV-Dateien16 über EDI-Anbindungen bis hin zu voll integrierten Kataloglösungen. Interessant ist neben der Verknüpfung mit dem Anbieter die Verbindung zum gewerblichen Endnutzer. Ganz überwiegend scheinen hier Webshop-Lösungen genutzt zu werden, aber auch direkte Verbindungen sind nicht auszuschließen. Gerade für kleine Anbieter wären Händler, die solche One-to-One-Verbindungen zu Großkunden halten, interessant, da darüber Lieferbeziehungen möglich würden, die der Anbieter alleine aus Kostengründen nicht realisieren kann. Besonders hilfreich sind dann Händler, die ihren Lieferanten eine Reihe verschiedener technischer Anbindungsmöglichkeiten bieten. Vielfach wird für die Abwicklung zwischen Händler und gewerblichen Endnutzern das sogenannte Streckengeschäft (engl. „Drop-Shipping“) angeboten. Dabei werden die Aufträge direkt vom Anbieter an den gewerblichen Endnutzer versandt. Der Anbieter hat so zwar höhere Kosten durch die bei ihm notwendige Lagerhaltung, Kommissionierung und den Versand. Dafür erfährt er aber von jedem einzelnen Verkauf und steht in direktem Kontakt mit jedem einzelnen Kunden, was das sonst im indirekten Vertrieb bestehende Problem mangelnder Marktinformation löst. Praxisbeispiel: Die weite Welt der digitalen B2B-Intermediäre

Einer der weltweit größten Stahl- und Metall-Distributoren, die Klöckner & Co SE (https://www.kloeckner.com/de.html), ist ein Beispiel für einen Hybrid-Händler. Klöckner verfügt weltweit über 140 Standorte in 13 Ländern, darunter 15 in Deutschland, und den Online-Shop https://shop.kloeckner.de/. Im Shop können Kunden neben der Bestellung von Produkten zu Wunschlieferterminen und individuellen Preisen ihre Angebotsanfragen und erhaltenen Angebote sowie alle Bestell-, Liefer- und Rechnungsdokumente verwalten. Ohne über die visuelle Katalogoberfläche Produkte einzeln anzuklicken, können sie auch Direktbestellungen aufgeben, indem sie über eine Maske Artikelnummern und Anzahlen direkt eingeben oder eine ausgefüllte Excel-/ CSV-Vorlage hochladen.

 CSV = Comma-separated Values; Textdateiformat, das unterschiedliche Attribute (z. B. Produktname, Artikelnummer, Menge) durch Kommata trennt, statt sie, wie in Tabellenkalkulationsprogrammen, in verschiedenen Spalten unterzubringen.

16

450

13 B2B-Vertriebspolitik

Auch Conrad Electronic SE nutzt neben 13 über das Bundesgebiet verteilten Filialen seinen Webshop unter www.conrad.de (Your Sourcing Platform) zum Verkauf der über 6 Mio. derzeit gelisteten Elektronikprodukte. Dabei stellt Conrad seinen Kunden vier ­elektronische Anbindungsmöglichkeiten zur Verfügung (https://www.conrad.de/ eprocurement/): 1. Webshop im Internet mit Registrierung, Übersichten über Bestellungen, Rechnungen und Angebotsanforderungen sowie Individualisierungsmöglichkeiten z. B. bzgl. Lieferadressen, Zahlungsarten 2. Intelligente Schnittstelle mit Web-Oberfläche zur direkten Anbindung von Kunden ohne ERP-/Beschaffungssystem 3. Punch-out-Lösung für Kunden mit ERP-/Beschaffungssystem, die so den Conrad-Shop direkt aus ihrem ERP-System ansteuern können 4. Elektronischer Katalog in verschiedenen Formaten für Kunden mit ERP-/Beschaffungssystem, das keine Punch-out-Lösung ermöglicht Lieferanten von Conrad pflegen nach Registrierung im Lieferantenportal und Akzeptierung als Lieferant ihre Produkte über ein Artikelanlageportal direkt oder über intelligente Datei-Vorlagen in den Conrad-Katalog ein. Auch ganze Kataloge können im BMEcat-­Format auf einmal bereitgestellt und fortlaufend gemanagt werden. Beispiel für einen Online-Pure-Player ist die Profishop GmbH mit profishop.de, wo über 1,5 Mio. Ge- und Verbrauchsprodukte für Kunden aus Bau, Handwerk und Industrie angeboten werden. Anbieter können ihre Produktdaten im Excel-, CSV- oder BMEcat-Format hochladen und pflegen. Die Zulieferung an die Kunden erfolgt im Streckengeschäft. Ein anbietereigenes Sell-Side-Händlerportal hat z.  B. der Arbeits(schutz)bekleidungshersteller Mascot International A/S eingerichtet. Dort wird Händlern eine ganze Reihe von Möglichkeiten angeboten, Mascot-Produkte in ihr Portfolio zu übernehmen (https://www.mascot.de/de/haendler):

1. B2B-Webshop, 2.  Händler-Portal mit erweiterten Leistungen über den B2B-Webshop hinaus (z. B. detaillierte Produktinformationen, Lagerbestände, Statistiken), 3. kompletter Mascot-Webshop zur Übernahme auf die Händlerplattform, indem Endnutzer ihre Produkte bestellen; Pflege des Shops, Lagerhaltung, Versand durch Mascot (Streckengeschäft), Bedienung der Kundenschnittstelle durch Händler in eigenem Namen und 4. eine Punch-out-Lösung für regelmäßige Bestellungen von Großkunden mit vielen Bedarfsträgern. ◄

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

451

13.3.2.2 E-Marktplatz Ein elektronischer Marktplatz ist eine virtuelle Plattform, auf der Marktteilnehmer digital vernetzt werden, um Produkte und Dienstleistungen elektronisch zu handeln (vgl. Kollmann, 2020b, S. 536). Als Marktplatzbetreiber können grundsätzlich alle Arten von Beteiligten, d. h. unabhängige Unternehmen, die nur die Plattform zur Verfügung stellen und managen, aber genauso gut Anbieter oder Kunden auftreten. Wie auf einem realen Markt treffen dort viele Anbieter und Kunden aufeinander, sodass die in Abb. 13.7 dargestellten Many-to-One-to-Many-Beziehungen entstehen. Der mittlere „to-One“-Teil entsteht dadurch, dass die Marktplatznutzer sich i. d. R. registrieren müssen, um alle Marktplatzfunktionen voll nutzen zu können. Dies gilt auch bei offenen Marktplätzen, die ansonsten von jedem Unternehmen ohne weitere Einschränkungen genutzt werden können. Geschlossene Marktplätze richten sich dagegen nur an bestimmte Benutzergruppen, deren Berechtigung zur Teilnahme (z. B. in Deutschland angemeldetes Gewerbe, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche) zuvor geprüft wird. Bei der Nutzung von Marktplätzen können Gebühren entstehen, entweder pauschal, entsprechend der Nutzung von bestimmten Funktionen oder als Provision pro Transaktion (vgl. Teuteberg, 2020, S. 583). B2B-Marktplätze werden derzeit von ca. einem Viertel bis einem Drittel der B2B-­Kunden als Bezugsplattform genutzt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass ihre Bedeutung in den nächsten Jahren stark zunehmen wird. Auch B2C-Marktplätze werden von Unternehmen stärker genutzt werden. Schon jetzt sind allerdings ähnliche Konzentrationen zu erkennen wie im Konsumgüterhandel. Bei den Nutzungszahlen ganz vorne liegt zurzeit Amazon (Business), das von 87 % der Marktplatzeinkäufer genutzt wird, gefolgt von eBay (Rubrik „Business und Industrie“) (56 %), Alibaba (20 %), Rakuten (15 %), Mercateo (14 %) und Werliefert-was (11 %) (vgl. Wittmann et al., 2019, S. 10–12; ECC, 2021b, S. 24, 27). Die Marktplatzbetreiber sind an der Durchführung der reinen Transaktionen i. d. R. nicht beteiligt, sondern ermöglichen diese durch ihre Plattform, und bieten neben dem Matching von Angeboten und Nachfrage eine breite Palette an Zusatzdienstleistungen. Dazu können z. B. Anbieterverzeichnisse, anbieterübergreifende Produktsuchmaschinen und -empfehlungen, Marktstudien, Analysefunktionen, Stellenbörsen oder Bereiche für Ausschreibungen, Auktionen, Projektmanagement und virtuelle Messen gehören. Vor allem bei der Abwicklung von Transaktionen können sie bestimmte Funktionen, wie z. B. Bezahlvorgänge oder Logistikdienstleistungen, selbst übernehmen (vgl. Schmitz, 2021, S. 46). Insofern bedienen sie alle möglichen Interessen, die Anbieter und Kunden eines bestimmten Markts haben, und können weite Teile der Customer Journey auf sich ziehen (vgl. Schmitz, 2021, S. 43–47). Marktplatzteilnehmer müssen sich an die vom Marktplatzbetreiber vorgegebene Systemstruktur andocken. Anbieterseitig kann dies z.  B. wieder über Dateiuploads, EDI, Punch-out-Lösungen oder spezielle Vermittlungssoftware (sogenannte „Middleware“) für E-Kataloge und die notwendigen Abwicklungsprozesse geschehen.17 In diesem Zusam17  Zu Details der Technologie von Marktplätzen vgl. Kollmann (2020b, S. 538–549, 559–567). Spezielle „Middleware“ wird interessant, wenn auf mehr als einem Marktplatz verkauft wird, da dann nicht jeder Marktplatz separat gemanagt werden muss.

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13 B2B-Vertriebspolitik

menhang wird zwischen horizontalen und vertikalen Marktplätzen unterschieden. Horizontale Marktplätze ähneln den aus dem Konsumgüterbereich bekannten und bieten branchenübergreifend ein breites Produktangebot. Wenn überhaupt, bieten sie als Zusatzleistungen die Übernahme einzelner betrieblicher Funktionen von den Teilnehmern an, wie z.  B. das Beschaffungs- oder Logistikmanagement, indem sie für B2B-Einkäufer z. B. E-Procurement-Funktionen oder für Verkäufer Fulfillment-Funktionen (Auftragsabwicklung) übernehmen. Vertikale Marktplätze sind demgegenüber auf bestimmte Nutzergruppen, i. d. R. Branchen, spezialisiert. Sie passen sich an die spezifischen Besonderheiten dieser Branche an und bieten maßgeschneiderte Informationen und Funktionen, wie z. B. Restplatzbörsen für kurzfristig freie Transportkapazitäten auf einem Logistikmarktplatz. Dies geht so weit, dass sie Services für die gesamte vertikale Wertschöpfungskette für alle Branchenmitglieder der verschiedenen Verarbeitungsstufen anbieten (vgl. Kollmann, 2020b, S. 549–552). Für Anbieter bieten gut eingeführte Marktplätze den Vorteil, eine große Anzahl an Nachfragern erreichen und gewisse betriebliche Funktionen kostensenkend auslagern zu können. Dem steht der Nachteil großer Anbieter- und Preistransparenz für die Nachfrager und somit steigenden Kostendrucks für die Anbieter gegenüber. Um Letzterem zumindest entgegenzuwirken, können Anbieter versucht sein, eigene Marktplätze aufzubauen und dies nicht unabhängigen Intermediären oder Kunden zu überlassen (Sell-Side-­Mar­ ketplace). Keimzelle dafür können die bestehenden Anbieter-Webshops sein. Schon heute bieten einige davon Zusatzleistungen an und bezeichnen sich daraufhin selbst (aus Marketinggründen) als Marktplatz. Es wird prognostiziert, dass Anbieter-Webshops sich zukünftig stärker zu Marktplätzen weiterentwickeln werden (vgl. Wittmann et al., 2019, S. 54). Dass dies vielen gelingen wird, darf jedoch bezweifelt werden: Aufgrund des hohen technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwands, eine solche Plattform erfolgreich zu etablieren und ausreichend viele Kunden anzuziehen, scheint dies nur vertikal spezialisiert und für größere Unternehmen noch dazu in Kooperation mit anderen Anbietern erfolgversprechend.18 Kleine Anbieter dürften es hingegen schwer haben, denn, Hand aufs Herz: Auf wie vielen verschiedenen realen Wochenmärkten gehen Sie als Kunde einkaufen? Der Hauptaspekt eines Marktplatzes ist die starke Bündelung von Angebot und Nachfrage,19 weshalb gerade hier eine Fragmentierung, d. h. eine große Anzahl an Marktplätzen unterschiedlicher Anbieter für dieselben Bedürfnisse, von denen der eine diese, der andere jene Zusatzfunktion bietet, nicht tragfähig ist. Entsprechend sind schon in den letzten Jahren viele Marktplätze neu entstanden und auch wieder verschwunden.

 Solche Zusammenschlüsse zwischen (Groß-)Anbietern werden auch als Consortium Trading Exchange bezeichnet (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 192–193). 19  Neben dadurch beim Anbieter entstehenden Größenvorteilen, die das kostengünstige Angebot der Plattform und vieler Zusatzleistungen ermöglichen, führt dies zu positiven Netzwerkeffekten für die Teilnehmer. Je mehr Anbieter und Kunden auf einem Marktplatz präsent sind, desto attraktiver ist er für beide Seiten (vgl. z. B. Heinemann, 2020, S. 37). 18

13.3 B2B-E-Commerce als nicht-persönlicher Vertriebskanal

453

Dies mag betrüblich sein, denn wenige große Marktplätze bringen Abhängigkeit vom Betreiber und können z. B. zu steigenden Gebühren, erzwungenen Abtretungen von Urheberrechten für Produkttexte und -bilder und Einschränkungen bzgl. der eigenen Marketing­ aktivitäten auf dem Marktplatz führen. Dazu kommt intensivster Wettbewerb auf den Plattformen und eventuelle eigene Imageprobleme und Umsatzrückgänge, wenn der Betreiber seinen Marktplatz z. B. nicht von betrügerischen Fakeshops freihalten kann und die Kunden verunsichert werden. Dem stehen große Reichweiten, die Möglichkeit zur Erschließung neuer Märkte, attraktive Zusatzdienstleistungen des Betreibers und einfaches Einrichten und Managen eines zusätzlichen Vertriebskanals gegenüber (vgl. Wittmann et al., 2018, S. 39). Hier muss jeder Anbieter für sich abwägen und eigene Erfahrungen sammeln. Praxisbeispiel: Horizontale und vertikale B2B-Marktplätze in der Praxis

Die Zahl horizontaler B2B-Marktplätze ist groß. Hier sind internationale Anbieter wie Amazon Business, Alibaba und eBay anzutreffen, die aus dem Konsumgütergeschäft kommend in den B2B-Bereich expandiert haben. Dazu gehören aber auch B2B-­ spezifische Plattformen wie Mercateo, Wucato oder Toolineo. Sie unterscheiden sich in Produktspektrum und -anzahl, im Umfang der angebotenen Zusatzfunktionen und in den spezifischen Zielgruppen, bieten aber alle branchenübergreifend an. Auch wenn die in der Literatur für den Online-Handel favorisierten C-Teile vertreten sind, werden genauso höherwertige Fertigprodukte wie z. B. Hubwagen oder kleinere Werkzeugmaschinen angeboten. Auch vertikale Marktplätze gibt es viele, innerhalb einer Branche oder eines Sprach-/Kulturkreises wird die Anzahl geringer. Auch hier variieren, angepasst an die Bedürfnisse der spezifischen Branchen, Produktangebote und Zusatzleistungen. Beispiele, die nicht zuletzt das breite Spektrum von B2B-Märkten offenbaren, umfassen: 1. Chemnet (chemnet.com): Chemieindustrie, ca. 300.000 Einträge von Chemikalien 2. Brickhunter (brickhunter.com): Backsteine, Ziegel, Klinker 3. ePlane (plane.com): Teile, Komponenten, EHB-Stoffe, Dienstleistungen von und für die Luft- und Raumfahrtindustrie inkl. Fluggesellschaften 4. Kitmondo (https://www.kitmondo.com): Maschinen und Anlagen aus verschiedenen Branchen inkl. kompletter Fabriken Wie bereits beschrieben, ist der Unterschied zwischen Anbieter-Webshops und Marktplätzen im Einzelfall fließend. Ein Beispiel dafür stellt der Sell-Side-Marktplatz XOM Materials dar. XOM gehört zur bereits als Hybrid-Händler erwähnten Klöckner & Co. SE und repräsentiert Angebote der Werkstoffindustrie in den Bereichen Stahl, Metall und Kunststoff. Dabei werden unter xom-­materials.com/europe/marketplace/de/ nicht nur Produkte von Klöckner selbst, sondern auch von Wettbewerbern angeboten, zudem via xom-­materials.com/europe-­de E-Lösungen sowie Fachinformationen und Schulungen für Käufer und Verkäufer. Vision ist, „zentrale Drehscheibe eines digitalen Ökosystems für die Werkstoffindustrie zu werden“ (vgl. XOM, 2022). ◄

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13 B2B-Vertriebspolitik

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management 13.4.1 Vertriebskanalauswahl Die Auswahl der geeigneten Vertriebskanäle ist komplex, weil eine Vielzahl an Einflussfaktoren und Kriterien zu berücksichtigen ist (vgl. auch nachfolgend z. B. Werani & Leitner, 2015, S. 467–468; Bruhn, 2019, S. 269; Scheed & Scherer, 2021, S. 197–206; Kleinaltenkamp & Saab, 2021, S. 11–114). Sie sollte sich in letzter Konsequenz nach der Effizienz der Kanäle und damit nach dem Verhältnis der durch sie verursachten Kosten und erzielbaren Erlöse richten. Daneben ist jedoch auch die reine Effektivität, d.  h. nur die Erlösseite, von Interesse, denn ein hocheffizienter Vertriebskanal, der aber kaum absoluten Umsatz erzielt, hilft auf Dauer nicht weiter (vgl. Werani & Leitner, 2015, S.  463–466; Kühnapfel, 2017, S. 155–156). Der wichtigste Einflussfaktor auf die Erlösseite sind die Kunden mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Verhaltensweisen. Noch so qualifizierte ADM nützen wenig, wenn die Kunden sie nicht empfangen, weil sie auf Marktplätzen oder in Händler-Shops online einkaufen wollen. Sehr direkten Einfluss auf die Kundenpräferenzen haben die Produkte und Leistungen bzw. die Geschäftsarten: 1. Beim Projekt- und Zuliefergeschäft sind i. d. R. kundenindividuelle Lösungen zu erstellen, was einen qualifizierten Austausch erfordert. 2. Im Zuliefergeschäft ist dieser jedoch nur bei der erstmaligen Kaufentscheidung erforderlich, wohingegen bei späteren Folgekäufen, z.  B. aus einem Rahmenvertrag, die immer gleichen Komponenten nachbestellt werden. 3. Die Unterteilung in Erst- und Folgekäufe ist im Systemgeschäft ähnlich. Dort geht es jedoch um Verbundkäufe standardisierter Produkte. Diese sind von Beginn an nicht (so) erklärungsbedürftig; hier ist das Vertrauen des Kunden in den Vertragspartner hinsichtlich seiner langfristigen Lieferfähigkeit ohne Ausnutzung der Abhängigkeit des Kunden wichtig. 4. Im Produktgeschäft schließlich geht es nur noch um Einmaltransaktionen standardisierter Produkte, die konsum-/gebrauchsgüterähnlich verkauft werden können. Wenn Kunden bestimmte Produkte oder Dienstleistungen zukünftig vorzugsweise z. B. über E-Procurement-Plattformen, eine bestimmte E-Distribution-Plattform oder einen bestimmten Online-Händler beschaffen möchten, sind die Anbieter gut beraten, dies zu ermöglichen und auf den geforderten Plattformen/Marktplätzen anzubieten, um weiterhin die Möglichkeit zu haben, mit diesen Kunden Geschäfte zu machen. Auch die Phasen im Produktlebenszyklus können Einfluss ausüben. So wird mit zunehmendem Innovationsgrad bei der Markteinführung ein sehr intensiver und direkter Aus-

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management

455

tausch mit Kunden wie z.  B.  Lead-Usern oder Launch Customers (Abschn.  10.2.2.1) nötig. Wenn sich dann nachfolgend mehr und mehr Information über die Innovation im Markt verbreitet, lassen sich auch unpersönliche Kanäle einsetzen. Der Kundenwert (z. B. Klassifizierung in A-, B-, C-, D-Kunden, siehe Abschn. 13.2.1) bestimmt ebenfalls darüber, welche Vertriebskanäle für welche Kunden rentabel anzubieten sind. Nicht ganz außer Acht bleiben sollte der Wettbewerb, der auf verschiedene Arten Einfluss auf die Kanalauswahl nehmen kann: 1. Beim Neueintritt in einen Markt bzw. ein Geschäftsfeld kann vermutet werden, dass die dort bereits tätigen Wettbewerber keine völlig falschen Entscheidungen getroffen haben und die von ihnen genutzten Vertriebskanäle als sinnvoll zu erachten sind. 2. Dadurch kann es aber sein, dass einzelne Kanäle bereits von den etablierten Anbietern gebunden sind und für Marktneulinge nicht mehr zur Verfügung stehen. 3. Von Wettbewerbern können Impulse in Richtung neuer Kanäle ausgehen, die beobachtet und analysiert, und, sofern kostengünstig möglich, zumindest ausprobiert werden sollten. 4. Während all dies ein Anpassen an Verhaltensweisen der Wettbewerber nahelegt, sollte auch über die Alternative, durch eine bewusst andere Kanalauswahl eine Differenzierung vom Wettbewerb und einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, eruiert werden. Nebenbedingungen, die die Erlösseite der Vertriebskanäle mitbeeinflussen, sind die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Anbieters auf die Aktivitäten der Kanäle, z. B. hinsichtlich der Produktdarbietung oder Qualität der Beratung, der Preisgestaltung oder der POS-Kommunikation. Die Nähe zum Markt ist ein weiteres solches Kriterium. Hier geht es zum einen um die Erlangung von unmittelbaren Marktinformationen, die für die (Weiter-)Entwicklung von Marketingstrategie und -Mix erforderlich sind. Zum anderen lässt sich durch direkten Kundenkontakt viel besser Kundenähe und Kundenbindung aufbauen, sofern die geografische Kundenverteilung eine effiziente Marktabdeckung zulässt. Bezüglich dieser beiden Kriteriengruppen lässt sich eine eindeutige Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Vertriebskanälen vornehmen: Beide, Kontrolle und Nähe, lassen sich durch eine direkte anbietereigene Vertriebsorganisation wesentlich besser realisieren als durch indirekte Kanäle, auch wenn z.  B. durch digitale Verknüpfungen mit Onlinehändlern immerhin schon mehr Markt- und Verkaufsdaten fließen als im traditionellen stationären Handel. Kostenvergleiche verschiedener Vertriebsmöglichkeiten geben keine so eindeutige Auskunft: Tendenziell sind direkte Kanäle zwar teurer, es gibt jedoch große Unterschiede zwischen den persönlichen und unpersönlichen Varianten. Gerade bei Letzteren spielt auch die Kundenstruktur, d. h. die Kundenzahl und ihre räumliche Verteilung, traditionell ein extremer Kostentreiber im persönlichen Verkauf, kaum noch eine Rolle. Andererseits kann auch die elektronische Anbindung an einen Vertriebspartner gerade bei noch nicht stark digitalisierten Anbietern wie gesehen sehr aufwändig sein. Insofern hilft nur ein detaillierter Vergleich der spezifischen Kosten verschiedener Kanalalternativen.

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13 B2B-Vertriebspolitik

Gleichzeitig kosten- und erlösseitig kann sich der Leistungsumfang indirekter Vertriebspartner auswirken: Zusätzliche Leistungen über den reinen Verkauf hinweg entlasten den Anbieter, der sie nicht selbst vorhalten muss und bei erheblichem Mehrwert für die industriellen Endkunden evtl. zusätzliche Ertragspotenziale ausschöpfen kann. Dafür muss der Intermediär jedoch in irgendeiner Weise zusätzlich vergütet werden. und es droht durch vielfältige Rabatt- oder Zuschuss-Forderungen der Intermediäre die Preistreppe (Abschn. 11.6). Als übergeordnete Rahmenbedingung sind schließlich Spezifika des Anbieters, wie Finanzkraft (nicht alle Kanäle sind bezahlbar), digitale Reife (nicht alle Kanäle sind in Eigenregie nutzbar), Positionierung im Wettbewerb (nicht alle Kanäle unterstützen das Unternehmens- /Markenbild) usw. zu beachten. Abb. 13.10 fasst die Aussagen noch einmal zusammen. Für die konkrete Auswahl von Vertriebskanälen lassen sich verschiedene bekannte Methoden verwenden. Zur D ­ efinition der grundlegenden Vertriebsstrategie müssen zunächst die (effizienz- und/oder effektivitätsorientierten) Vertriebsziele definiert werden (vgl. Werani & Leitner, 2015, S. 471–472). Darauf basierend kann z.  B. eine SWOT-Analyse durchgeführt werden, um die grobe Stoßrichtung, d. h. die Fokussierung auf persönlich/nicht-persönlich, direkt/indirekt, ggf. auch schon auf Schwerpunkte innerhalb dieser vier Felder festzulegen. Innerhalb der Felder bzw. bei dann schon erfolgter Wahl eines Modells bietet sich im nächsten Schritt, z.  B. für die Wahl der konkreten Handelspartner, eine Nutzwertanalyse/ein Scoring-­ Modell an. Dazu sind aus den Faktoren aus Abb. 13.10 die anbieterspezifisch relevanten Kriterien zu identifizieren und zu gewichten, die zur Zielerreichung wichtig sind. Jeder Vertriebskanal oder -partner wird dann in jedem Kriterium bewertet, sodass am Ende eine Rangfolge möglich wird (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 197–206).

Erlöse Kunden(präferenzen)

Vertriebskanaleffizienz und -effektivität

Geschäftsart Erst-/Folgekäufe Mehrwerte durch Vertriebspartner Kundenwert

Wettbewerber Kontrolle/Einfluss Marktnähe Anbieterspezifika Abb. 13.10  Faktoren der Vertriebskanalauswahl

Kosten Vertriebsart Leistungsumfang von Vertriebspartnern Anbieterspezifika

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management

457

Sofern die Wahl auf den persönlichen Direktvertrieb durch eigene ADM fällt,20 ist zu entscheiden, wie viele Personen der Außendienst umfassen soll. Dies kann auf verschiedene Weisen ermittelt werden (vgl. Albers & Krafft, 2013, S. 148–155): 1. Die etwas zweifelhafte „Prozent-vom-Umsatz-Methode“, bei der ein Gesamtbudget für den Außendienst vorgegeben und durch die durchschnittlichen Kosten eines ADM geteilt wird. 2. Die heuristische Arbeitslastmethode, bei der die insgesamt notwendige Zahl an Kundenbesuchen (Anzahl Kunden multipliziert mit Anzahl Besuchen pro Kunde pro Jahr) durch die verfügbare Arbeitszeit eines ADM (Zahl der möglichen Besuche pro Tag multipliziert mit der Anzahl an Besuchstagen) geteilt wird. Sofern die notwendige Zahl an Kundenbesuchen optimal bestimmbar ist,21 hängt die Außendienstgröße zusätzlich von der Güte der Außendienstorganisation ab. Denn die möglichen Besuche pro Tag werden z. B. von der Verkaufsgebietseinteilung und den zurückzulegenden Strecken, den verfügbaren Besuchstagen (die Gesamtjahresakquisitionszeit eines ADM) und vom Umfang nicht-akquisitorischer Aufgaben der ADM bestimmt. 3. Die mathematische Inkrementalmethode, bei der als Zielgröße der Gesamtdeckungsbeitrag des Außendiensts zu maximieren ist. Rechnerische schrittweise Veränderungen der ADM-Anzahl zeigen den funktionalen Zusammenhang zwischen AD-Größe und Deckungsbeitrag und somit auch die optimale AD-Größe auf. Praktisch sollte zum Erreichen der optimalen AD-Größe allerdings nicht zu viel experimentiert werden, da jede Änderung Anpassungsbedarf bei der Gebiets- und Kundenzuordnung nach sich zieht und bestehende Kundenbeziehungen latent gefährdet. Zudem liegt der Inkrementalmethode auch die bei der Arbeitslastmethode erwähnte Besuchselastizität zugrunde, sodass in der Praxis als 80  %-Lösung auch mit dieser gearbeitet werden kann. Wichtig ist nur, sich intensiv mit der notwendigen Besuchsfrequenz zu beschäftigen und nicht blind z. B. „branchenübliche“ Zahlen zu übernehmen. Interessant ist, dass die häufige Befürchtung, zu viele ADM anzuheuern und damit zu hohe Fixkosten im Vertrieb zu produzieren, eher unberechtigt ist. So konnte beispielhaft (allerdings für größere AD-Einheiten mit ADM-Zahlen im oberen zwei- bis unteren dreistelligen Bereich) berechnet werden, dass die optimale ADM-Anzahl ein „flaches Maximum“ bezüglich des Deckungsbeitrags erzielt (vgl. Albers & Krafft, 2013, S. 154, siehe Abb. 13.11). Bei einer Variation der ADM-Zahl um ca. +/− 50 % sank der Deckungsbeitrag nur um maximal  Im Grunde kann auch die Anzahl benötigter Handelsvertreter auf diese Weise bestimmt werden. Der Unterschied dabei ist, dass keine oder nur sehr viel geringere Fixkosten entstehen, sodass z. B. die „Prozent-vom-Umsatz-Methode“ nicht sinnvoll anzuwenden ist. Die Arbeitslastmethode hingegen kann greifen, und die Inkrementalmethode lässt sich durch kurzfristige Verträge und sukzessives Anheuern von HV sehr viel besser umsetzen als bei ADM. 21  Hierzu kann das Konstrukt der Besuchselastizität verwendet werden, das die relative Veränderung des Umsatzes als Reaktion auf eine relative Veränderung der Besuchshäufigkeit ausdrückt (vgl. Albers & Krafft, 2013, S. 96). Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die verschiedenen Kundengruppen (z. B. Neuversus Bestandskunden, A-, versus B- versus C-Kunden) unterschiedliche Frequenzen optimal sein können. 20

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13 B2B-Vertriebspolitik

Abb. 13.11  Das flache Maximum bei der optimalen Außendienstgröße. (Quelle: Albers & Krafft, 2013, S. 154)

ca. 7 %. Bei einer größeren Steigerung sank er weiterhin leicht, bei einer deutlichen Unterschreitung hingegen sehr stark. Damit liegt das größere Risiko eher darin, durch zu wenige ADM nicht alle Potenziale im Markt richtig ausschöpfen zu können, wohingegen zu viele ADM ihre zusätzlichen Kosten i. d. R. durch zusätzliche Umsätze weitgehend ausgleichen.22 In der Praxis sieht die Realität für viele Unternehmen derzeit allerdings so aus, dass kaum (gute) ADM auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind oder nur, wie auf einem Verkäuferbzw. hier Arbeitnehmermarkt üblich, zu sehr hohen Kosten. Gerade kleinere Unternehmen scheuen oft davor zurück, entsprechend hohe Entgelte zu bezahlen bzw. durch variable Bestandteile zu ermöglichen. Hier wäre es mitunter wünschenswert, wenn etwas rationaler an die Entgeltentscheidungen gegangen würde, denn wenn ein ADM z. B. 15 Mio. € Umsatz im Jahr erzielt, ist es kostenseitig fast unerheblich, ob er 90.000 oder 150.000 € verdient.23 Und bei einer Nichtbesetzung verursacht jede Vakanz Kosten in Form entgangener Umsätze und Deckungsbeiträge, weshalb sie möglichst kurz gehalten werden sollte.

 Dies gilt jedenfalls unter „normalen“ Umständen. Ausnahmen können z.  B. auf saisonal stark schwankenden Märkten vorliegen, ebenso auf Märkten im Umbruch, beim Neueintritt in Märkte oder in Sondersituationen wie der Corona-Pandemie. 23  Natürlich ist auf den Unternehmensfrieden zu achten, wenn ADM im Vergleich zu anderen Angestellten exorbitante Gehälter erhalten. Andererseits ist so vielleicht die Sicherung des Unternehmens für alle möglich – und es steht ja auch jedem frei, sich für einen Job im Vertrieb zu entscheiden. Weitere Argumente sind häufig die Unsicherheit über die Qualität neuer ADM – wogegen möglichst lange Probezeiten mit intensiver Beobachtung, höhere variable Vergütungsanteile und die Einmalinvestition in ein vernünftiges Auswahlverfahren angebracht werden können. Aussagen wie „Das hatten wir ja noch nie“ oder „Das passt nicht zu uns“ ist so natürlich leider nicht zu begegnen. 22

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management

459

Alle Überlegungen zur konkreten Auswahl und Ausgestaltung der Vertriebskanäle sind nicht nur für das Erstdesign des Vertriebssystems relevant, sondern müssen in regelmäßigen Abständen zur Überprüfung und eventuellen Anpassung wiederholt werden. Die Analyse ist mit den Ist-Ergebnissen der Vertriebskanäle und -partner, z. B. mit Zielerreichungsgraden oder in Form einer (mehrstufigen) Deckungsbeitragsrechnung, anzureichern, sodass Optimierungspotenzial erkennbar wird (vgl. Kühnapfel, 2017, S. 163–165; Scheed & Scherer, 2021, S. 206–210). Aufgrund der Vielzahl an Einflussfaktoren und ihren verschiedenen Varianten dürfte die Wahl eines einzigen Vertriebskanals für alle Produkte und Leistungen und an alle Kunden nur für sehr spezialisierte Anbieter (z. B. nur ein Geschäftstyp mit wenigen, strukturell sehr ähnlichen Produkten) mit sehr homogenen Kundengruppen (z. B. in Bezug auf Produkteinsatzbereiche oder Mentalitäten) infrage kommen. Selbst dann dürfte heutzutage jedoch i. d. R. eine Unterteilung in nicht-persönliche und persönliche bzw. Offline- und Online-Kanäle sinnvoll sein, z. B. für Folgekäufe oder Ersatzteilbeschaffungen. Eher die Regel als die Ausnahme dürfte die Auswahl zweier oder mehrerer Vertriebskanäle sein. Dabei ist auf B2B-Märkten, anders als im Konsumgütermarketing, vielfach nur zwischen null- und einstufigem Vertrieb zu unterscheiden, d.  h., entweder verkauft der Anbieter direkt an seine Kunden oder über nur einen zwischengeschalteten Intermediär (vgl. z. B. Pförtsch & Godefroid, 2013, S. 243). So hat der PVH i. d. R. Großhandelsstatus, nachfolgende Einzelhandelsstrukturen bestehen oftmals nicht; Ausnahmen bestätigen die Regel.24 Damit geht es bei der Wahl mehrerer Vertriebskanäle primär um die Breite des Vertriebssystems, d.  h. die Anzahl und Auswahl der verschiedenen Vertriebskanäle, die parallel genutzt werden (vgl. Scheed & Scherer, 2021, S. 189). Solche Systeme werden auch als Mehrkanal- oder Multi-Channel-Vertrieb bezeichnet.

13.4.2 Multi-Channel-Vertrieb und -Management Die Welt des Multi-Channel-Vertriebs ist komplex geworden. Während es früher (etwas idealisiert) verschiedene Vertriebskanäle für verschiedene Kundensegmente gab, nutzen heute ein und dieselben Kunden verschiedene Vertriebskanäle fast nach Belieben und schwer vorhersagbar. Durch die COVID-19-Pandemie stieg die Anzahl der regelmäßig genutzten Kanäle im B2B-Vertrieb laut einer Studie von McKinsey von fünf im Jahr 2016 auf zehn 2021. Zudem hat sie zu einer weiter beschleunigt steigenden Relevanz der unpersönlichen,

 Branchenspezifische Genossenschaften erwerben beispielsweise Betriebsmittel oder Geräte u. a. vom Großhandel und verkaufen sie an ihre Mitglieder weiter. Und im internationalen Warenverkehr gibt es Ex- oder Importeure als Zwischenhändler, die sich um Transport, Versicherung, Ein- und Ausfuhr-Bürokratie, Verzollung usw. kümmern und im Zielland an dortige Distributoren weiterverkaufen. 24

460

13 B2B-Vertriebspolitik

d­ igitalen Vertriebskanäle geführt (vgl. Harrison et al., 2021, S. 2). Im Verlauf der Covid-19-­ Pandemie hat sich die sogenannte „Rule of Thirds“ herausgebildet, die nach Einschätzung der befragten Experten voraussichtlich auch über das Ende der Pandemie hinaus Bestand haben wird. Die Kundenkontaktpunkte teilen sich recht gleichmäßig auf die folgenden grundsätzlichen Kundenkontaktarten auf (vgl. Harrison et al., 2021, S. 3): 1 . zu rund einem Drittel traditionelle Kontaktpunkte (u. a. persönlicher Verkauf), 2. zu rund einem Drittel persönliche Online-Kontaktpunkte (u. a. Video- und Telefonkonferenzen) und 3. zu rund einem Drittel digitale, unpersönliche Kontaktpunkte (u. a. E-Commerce, Onlineportale). Die empirische Studie belegt zudem, dass Online-Kontaktpunkte und die digitalen Kontaktpunkte weiterhin an Wichtigkeit gewinnen (vgl. Harrison et al., 2021, S. 5–7). In der Konsequenz sollten Anbieter zukünftig alle drei Kontaktarten anbieten und auf den Kanälen vertreten sein, auf denen (potenzielle) Abnehmer Informationen suchen bzw. einen Kauf tätigen möchten. Um dem Rechnung zu tragen, dürfen Vertriebskanäle, wie andere Unternehmensbereiche auch, nicht länger als Silos getrennt nebeneinanderstehen, sondern müssen so verknüpft werden, dass dem Kunden auf seiner Reise gefolgt werden kann bzw. er seine Reise nahtlos vollziehen kann. Konzeptionell sind damit aus dem Multi-Channel-Vertrieb Cross-Channel-, Omni-Channel-, No-Line-Channel-, multiple oder gesplittete Systeme geworden. Die Nomenklatur ist uneinheitlich, und im Grunde reichen drei Abstufungen, wie in Abb. 13.12 dargestellt (vgl. Homburg et al., 2010, S. 52; Heinemann, 2013, S. 9–10; Werani & Leitner, 2015, S. 470; Meffert et al., 2019, S. 598; Scheed & Scherer, 2021, S. 212): 1. Multi-Channel-Vertrieb bezeichnet dabei die Existenz mehrerer Vertriebskanäle nebeneinander, die jeweils ein spezifisches Kundensegment bedienen und (daher) nicht miteinander verknüpft sind.25 2. Beim Cross-Channel-Vertrieb erfolgen erste Verknüpfungen einzelner Kanäle: Werden z. B. verschiedene Kanäle für verschiedene Produkte oder Geschäftstypen genutzt, ergibt es Sinn, sie dergestalt zu verbinden, dass der Kunde mit allen seinen Bedarfen gesamtheitlich abgebildet wird. Nur durch Verknüpfung wird z.  B. für jeden Kanal ­ersichtlich, warum ein Kunde ein A-Kunde und wie er zu behandeln ist, obwohl er z. B. im Ersatzteilgeschäft nur geringe Umsätze einbringt. Eine Einschränkung kann

 Da diese Form des Mehrkanalvertriebs historisch am Anfang stand, schadet es nicht zu sehr, dass begrifflich „Multi-Channel-Vertrieb“ auch die übergreifende Bezeichnung für Systeme, die mehr als einen Vertriebskanal parallel nutzen, ist. Als Dachbegriff die deutsche Übersetzung „Mehrkanalvertrieb“ zu verwenden, würde das Begriffswirrwarr vermutlich nicht durchschaubarer machen. 25

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management

461

MultiChannelVertrieb V rtrieb Ve

CrossChannelVertrieb V rtrieb Ve

OmniChannelVertrieb V rtrieb Ve

isoliert

teilintegriert

vollintegriert

Abb. 13.12  Integrationsgrade im Mehrkanalvertrieb. (Quelle: Adaptiert von unveröffentlichter Vorlage und mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Anne Schweizer)

hier sein, dass die Kunden die Kanäle während des Kaufvorgangs nicht wechseln können oder nicht alle Kanäle über alle möglichen Aktivitäten vollständig miteinander koordiniert werden. Dennoch ist es nicht mehr zeitgemäß, einen Kunden, der im Laden eine Maschine gekauft hat, bei der Frage nach einem Ersatzteil ab- und auf den Webshop zu verweisen. Hier sollte sich der jeweils angesprochene Kanal um das Anliegen kümmern (können). 3. Diese Einschränkungen entfallen schließlich beim Omni-Channel-Vertrieb. Nun sind alle Kanäle vollständig miteinander verbunden. Egal, wo der Kunde welche Aktivität ausübt, wird diese für alle sichtbar und kann berücksichtigt werden; der Kunde kann zu jedem Zeitpunkt den Kanal wechseln, verschiedene Endgeräte einbeziehen und seine unterbrochene Aktivität in einem anderen fortsetzen. Dieser nahtlose Übergang zwischen den Kanälen wird im Englischen auch als „seamless“ bezeichnet. So könnte z. B. in einem Kanal ein Warenkorb angelegt und zwischengespeichert, in einem anderen zu einem späteren Zeitpunkt vervollständigt und der Kauf abgeschlossen, kurzfristig danach in einem dritten der Liefertermin geändert und in einem vierten nach Erhalt der Ware eine Retoure ausgelöst werden, falls sie doch nicht den Vorstellungen entspricht (vgl. Homburg et al., 2010, S. 52; Heinemann, 2013, S. 9–10; Werani & Leitner, 2015, S. 470; Scheed & Scherer, 2021, S. 212). Unabhängig vom Integrationsgrad sollten mehrere Vertriebskanäle nicht planlos parallel genutzt werden, sondern z.  B. hinsichtlich ihrer Bedeutung für Kundensegmente, Geschäftstypen oder Phasen der Customer Journey geplant und aufeinander abgestimmt bzw. voneinander abgegrenzt sein. Um fortwährend die Übersicht zu behalten, bietet sich die Verwendung einer sogenannten „Coverage Matrix“ an, die visualisiert, welche Kanäle welchen Zwecken dienen und wie sie in Verbindung mit anderen stehen (vgl. Homburg et al., 2010, S. 55–56).

462 Großkunden A-/B-Kunden Projekte Ersatzteile/ Komponenten- Komponenten- Anlagen Betriebsmittel Erstkauf Folgekauf Key-Account-Management X Vertriebsaußendienst X X Webshop X Telefonverkauf X Stationärer PVH Online-PVH Marktplatz Buy-Side-Portal X X

13 B2B-Vertriebspolitik C/D-Kunden Betriebsmittel Maschinen Betriebsmittel

X

X X

X X

X X

Abb. 13.13 Coverage-Matrix

Abb. 13.13 zeigt eine solche Coverage-Matrix für den Fall eines fiktiven Anbieters, der mit Großkunden im Projektgeschäft, mit A-/B-Kunden im Zuliefer- und Projektgeschäft und mit C-/D-Kunden im Produktgeschäft tätig ist. Während die Großkunden durch ein Key-Account-Management betreut werden und nach Projektabwicklung der laufende Verbrauch durch eine Buy-Side-Procurement-Lösung bedient wird, können die C-Kunden ihre Maschinen im Webshop (vor-)konfigurieren und dort oder mit Beratung im stationären PVH kaufen. Betriebsmittel können online bei Händlern direkt oder über Marktplätze geordert werden. Liegt bei den A-/B-Kunden Zuliefergeschäft vor, werden die Erstverkäufe durch ADM getätigt, die mit den Kunden die exakt benötigte Konfiguration der Komponenten abstimmen. Folgekäufe können dann je nach Kunden über den Webshop oder E-Procurement abgewickelt werden. Im Fall des Anlagengeschäfts wird telefonisch beraten und verkauft, bei größeren Anlagen übernimmt der Außendienst die Abstimmungen vor Ort beim Kunden. Betriebsmittel stehen je nach Verwendungszweck und Individualisierungsgrad im Anbieter-Webshop oder im Online-Handel zur Verfügung. Die Coverage-Matrix zeigt zum einen, ob es Überschneidungen gibt, bei denen mehrere Vertriebskanäle dieselben Kundengruppen mit denselben Anliegen bedienen. Solche Fälle, wie hier die Anlagenverkäufe an die A-/B-Kunden und die Maschinenverkäufe an die C-/D-Kunden, setzen die betroffenen Vertriebskanäle in eine Wettbewerbssituation und beinhalten Konfliktpotenzial und mögliche Ineffizienzen. Zum anderen gibt die Coverage-Matrix einen Überblick darüber, welche Vertriebskanäle zwingend miteinander zu verknüpfen sind. Dies betrifft in erster Linie die, die sich an dieselbe Kundengruppe richten, im Beispiel hier also u. a. Außendienst, Webshop, Telefonverkauf, Online-PVH, Marktplatz sowie Informationen aus dem Buy-Side-Portal für A-/B-Kunden. Sollte jedoch bei einem größeren A-Kunden plötzlich Projektpotenzial entstehen, wäre auch das Key-Account-Management anzubinden, ebenso der stationäre PVH, wenn ein C-Kunde in Richtung Projektgeschäft entwickelt wird. Problematisch im Multi-Channel-Vertrieb sind Konkurrenzsituationen mehrerer Vertriebskanäle, die dazu führen können, dass 1. ungeplante Kannibalisierungseffekte auftreten und die Kanäle sich gegeneinander ausspielen (lassen). Versteht ein Kunde, dass ein bestimmter Kanal den Abschluss mit ihm unbedingt realisieren möchte, kann er u. U. zusätzliche margenmindernde Preiszugeständnisse erzwingen.

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management

463

2. Kunden, z. B. durch unterschiedliche Arten von Produktpräsentationen, unterschiedliche Preise für identische Produkte, unterschiedliche Produkte oder Empfehlungen für identische Zwecke, Komplementärprodukte, die aber nur in anderen Kanälen verfügbar sind usw., bestenfalls verwirrt werden, schlimmstenfalls aber unzufrieden reagieren und vom Anbieter abwandern. 3. bisherige Vertriebskanäle bei zusätzlicher Aufnahme neuer, die mit ihnen, mindestens „gefühlt“, in direktem Wettbewerb stehen, unzufrieden reagieren und ihre Vertriebstätigkeit kündigen. Dies könnte z. B. passieren, wenn in der Vergangenheit primär über Handelspartner verkauft wurde und der Anbieter entscheidet, in derselben Region zusätzlich einen eigenen Außendienst- oder Online-Vertrieb aufzubauen, um aus seiner Sicht unausgeschöpfte Potenziale zu heben. Sofern ein oder mehrere Handelspartner kündigen, könnte der Anbieter einen wichtigen Vertriebskanal verlieren. Dies kann ebenso wie indirekte Vertriebskanäle auch erfolgreiche Außendienstler betreffen, die ihre Provisionen oder Boni schwinden sehen und sich nach einem neuen Arbeitgeber umsehen. Ursache dieser Konfliktsituationen ist i.  d.  R. die hohe Komplexität des Multi-­ Channelings, die entweder dazu führt, dass die Konflikte nicht gelöst, oder aber dazu, dass sie gar nicht erst erkannt oder für relevant erachtet werden. Wichtige Stellschrauben zu Konfliktvorbeugung und -management sind 1. eine offene und kanalübergreifende Kommunikation über Sinn und Zweck des ­Multi-­Channelings, 2. die sorgfältige Planung von Mehrkanalsystemen einschließlich deren kontinuierlicher Überprüfung und Anpassung, idealerweise unter Einbeziehung von Vertretern der verschiedenen Kanaltypen, 3. die organisatorische Einrichtung eines Multi-Channel-Managements, z. B. in Form eines übergreifend verantwortlichen Kanalmanagers oder Kanalmanagement-Teams sowie fortlaufende Kommunikation der Kanäle untereinander und 4. aufeinander abgestimmte, sich ergänzende und übergreifende Vertriebskanalziele, umso mehr, je mehr die Kunden im Kaufprozess „Channel-Hopping“ betreiben und so keinem Kanal am Ende ein Verkaufserfolg eindeutig zugewiesen werden kann. Hier kann z. B. auf Erkenntnissen des Vertriebsprozesscontrollings aufgebaut und/oder das Zielsystem statt auf Ergebnisse auf Verhaltensweisen und Aufgabenerfüllung entlang des Sales Cycles ausgerichtet werden (vgl. zu allen Aussagen über Multikanalkonflikte Homburg et al., 2010 S. 63–67; Werani & Leitner, 2015, S. 473 ff.; Kühnapfel, 2017, S. 196–198, 205–212; Scheed & Scherer, 2021, S. 217–220). Diese Maßnahmen sollten insbesondere auch hinsichtlich der häufig nicht gut angebundenen indirekten Vertriebskanäle ergriffen werden, was durch deren rechtliche Eigenständigkeit und häufig bestehende Marktmacht nicht immer einfach ist (vgl. Kühnapfel, 2017, S. 185–196; Scheed & Scherer, 2021, S. 219–220).

464

13 B2B-Vertriebspolitik

Die technische Integration der Vertriebskanäle ist unerlässlich. Während sie den Kunden bruchfreie Wechsel von einem Kanal zum anderen ermöglicht, schafft sie für alle Vertriebskanäle und das Kanalmanagement eine transparente Datengrundlage. Wie immer ist Technik auch hier nur Mittel zum Zweck: Ohne die zuvor erwähnten organisatorischen Grundlagen eines Multi-Channel-Managements werden technische Maßnahmen weitgehend ins Leere laufen. Technische Integration wird durch die Digitalisierung zunehmend ermöglicht. Dies setzt allerdings, wie bereits an verschiedenen Stellen angemerkt, digitale Reife des Anbieters voraus, die noch längst nicht bei allen Unternehmen gegeben ist (vgl. Heinemann, 2020, S. 206–207). Natürlich gibt es auch rechtliche Verbote des Austauschs von Kundendaten aufgrund juristisch getrennter Unternehmen, was aber vielfach durch Einwilligungserklärungen der Kunden behoben werden kann. Oder es liegt, gerade im Zusammenspiel mit indirekten Vertriebspartnern, Unwille vor, Geschäftsgeheimnisse über die Endnutzer untereinander zu teilen. Auch dies wird wie gesehen aber weniger, weil die Vorteile digital verknüpfter Supply Chains mit dem dafür notwendigen Datenaustausch so erheblich sein können, dass sie „das bisschen“ Geheimniskrämerei um Exklusivinformation bei weitem aufwiegen. Die IT-technischen Details müssen anbieterspezifisch ausgearbeitet werden. Wie schon in Abschn. 12.6 gezeigt wurde, gibt es eine Fülle von MarTech-Anbietern, was neben den späteren Beschaffungs- auch hohe Transaktionskosten in der Planungs- und Auswahlphase mit sich bringt, vor denen viele kleinere Unternehmen zurückschrecken. Strukturell muss es aber gelingen, an allen Kundenschnittstellen (Marketing, Vertrieb, Service, Rechnungswesen) eine einheitliche und vollständige Kundensicht herzustellen und alle kundenrelevanten Aktionen (z. B. Anfragen, Angebote, Abschlüsse, Retouren, Reklamationen usw.) sichtbar zu machen und an die jeweils relevanten Stellen weiterzugeben. Wie in Abb.  13.14 schematisch und grob dargestellt, basiert dies i.  d.  R. auf Data-­ Warehouse-­Lösungen, in denen sämtliche verfügbare Daten einem CRM-System zentral zur Verfügung stehen. Über eine operative Kundendatenbank mit allen für das Tagesgeschäft relevanten Informationen greifen alle Organisationseinheiten für ihre Aktivitäten und die der Kunden darauf zu. Dabei findet kontinuierlich ein transparenter Abgleich aller Informationen über sämtliche Touchpoints, Vertriebskanäle und Organisationseinheiten statt (vgl. Hippner et al., 2006, S. 48; Schmitz, 2021, S. 171). Im Hintergrund ist jederzeit der Zugriff auf relevante Informationen aus weiteren Datenbanken, wie z.  B. dem ERP-System hinsichtlich Produktverfügbarkeiten, möglich. Für den operativen Vertrieb zunehmend wichtig ist die Verwendung eines Produktinformationsmanagementsystems (PIM), mit dem die Produktverwaltung an einer zentralen Stelle vorgenommen und Aktualisierungen bei Bedarf problemlos in alle angeschlossenen Katalogsysteme, z. B. in den eigenen Shop, in Buy-Side-Portale, auf Marktplätze, aber ebenso in analoge Printmedien, eingespielt werden können. Für Marketingaktivitäten ist ein Content-­Management-­ System (CMS) hilfreich, das als Inhaltsplattform, z.  B. für die Zusammenstellung von Newslettern oder im Rahmen von Marketing-Automation, dient.

13.4 Vertriebskanalauswahl und Multi-Channel-Management

465

Kunden/Interessenten /Inter ssent

CRM-System

Touchpoints/ Vertriebskanäle

Marketing -prozesse Kampagnen Newsletter

Serviceprozesse

Vertriebsprozesse

Aktivitäten, auch durch Automation, z. B. Angebote Aufträge

Installation Wartung

Operative Kundendatenbank

CMS

PIM POMS

Data Warehouse ERP

SCM

ECR



Abb. 13.14 Vertriebskanalintegration

Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Wie lassen sich B2B-Vertriebskanäle sinnvoll kategorisieren? 2. Wie beurteilen Sie die Zukunft des persönlichen Vertriebs im Außendienst angesichts der wachsenden Bedeutung des E-Commerce? 3. Unter welchen Umständen sollten statt fest angestellter Außendienstmitarbeiter lieber Handelsvertreter für den persönlichen Vertrieb gewählt werden? 4. Was ist unter dem Selling Cycle zu verstehen und in welchem Zusammenhang steht er mit der Customer Journey? 5. Was ist der Unterschied zwischen Selling Cycle und Sales Funnel? Inwiefern kann mit dem Sales Funnel die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb gesteuert werden? 6. Wozu dient ein Selling Center? 7. Wie unterscheiden sich Produktionsverbindungshändler von VARs von Vertragshändlern? 8. Buy-Side-Portale, Private B2B-Sales, Sell-Side-Portale, Marktplätze, Händler-Portale: Wie kann die Vielfalt des B2B-E-Commerce etwas strukturiert werden?

466

13 B2B-Vertriebspolitik

9. (Warum) Kann ein gut strukturierter Anbieter-Webshop als Basis für den gesamten E-Commerce eines Anbieters angesehen werden? Welche Rolle kann ein Produktinformationsmanagementsystem (PIM) dabei spielen? 10. Was erklärt die auch empirisch belegte herausragende Bedeutung von EDI-Anbindungen im B2B-E-Commerce? Sind EDI-Anbindungen als Vertriebskanäle anzusehen? Warum (nicht)? 11. Was sind Vor- und Nachteile der Nutzung von B2B-Marktplätzen für den Vertrieb? Gibt es dabei Unterschiede zwischen horizontalen und vertikalen Marktplätzen? 12. Nach welchen Kriterien sollte die Auswahl von B2B-Vertriebskanälen erfolgen? 13. Welche Vertriebskanäle würden Sie den Herstellern der folgenden Produkte empfehlen? a. Einem Turbinen verschiedener Art herstellenden Maschinenbauunternehmen b. Eine Firma, die Wandfarbe an Handwerker verkauft c. Einem Baumaschinenhersteller, der kleine, mobile Betonmischer fertigt d. Einer Gummiwarenfabrik, die Fußmatten für PKW produziert 14. Wozu dient eine „Coverage Matrix“?

13.5 Abschließende übergreifende Fallstudie zum gesamten Marketingmix Ein US-amerikanischer Anbieter von Tierfuttermitteln und -impfstoffen ist seit einigen Jahren auf dem europäischen Markt tätig. Die Unternehmensmission beinhaltet, sichere und effektive Lösungen für die speziellen Herausforderungen der Kunden anzubieten. Kunden sind Landwirte mit Tierhaltung in den Bereichen Geflügel, Schwein, Rind und Milchkuh. In Deutschland gibt es jeweils ca. 65.000 Betriebe mit Milchkühen und Mastrindern, 20.000 mit Mastschweinen und knappe 4000 Hähnchenmastbetriebe. Die regionale Verteilung unterscheidet sich stark: Während die meisten Milchkühe in Bayern stehen, liegt der Schwerpunkt der Hähnchenmast in Niedersachsen. Hauptumsatzträger des Herstellers ist medizinisch oder mineralisch angereicherte Tiernahrung, die die Tiergesundheit, das Wachstum und die Ertragsstärke (z.  B.  Milchmenge und -qualität) sicherstellt sowie Krankheiten vorbeugt und heilt. Die Produkte werden vom Unternehmen selbst in Kooperation mit privaten Forschungseinrichtungen und führenden Universitätspartnern entwickelt und sind durch verschiedene Mischrelationen und Zusatzstoffkombinationen individuell an den Tierbestand und die Rahmenbedingungen (z. B. Tierart, Herdengröße, Grasqualität, Klimabedingungen, usw.) eines Landwirts anpassbar. Produktpolitik 1. Erklären Sie den Unterschied zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Warum und zu welchem Zweck wird der Anbieter in der Produktentwicklung mit privaten Forschungseinrichtungen und führenden Universitäten zusammenarbeiten?

13.5  Abschließende übergreifende Fallstudie zum gesamten Marketingmix

467

2. Erläutern Sie, was unter dem Lead-User-Konzept in der Produktentwicklung zu verstehen ist. Wie bzw. wo könnte der Anbieter solche Lead User finden? 3. Tatsächlich findet so eine Einbindung von Kunden in den Produktentwicklungsprozess bei diesem Anbieter nicht statt. Woran könnte dies Ihrer Meinung nach liegen? Preispolitik . Das kürzlich eingeführte, spezielle und konkurrenzlose Präparat „UltraRes“ sorgt da1 für, dass in Stresssituationen, z. B. durch extreme Wetterbedingungen (Hitze, Kälte), große Herden oder Geburten, die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol verringert wird, wodurch fast 50 % weniger Antibiotika eingesetzt werden müssen und die Sterblichkeitsrate signifikant sinkt. Unter dem Strich können im Durchschnitt so pro Jahr ca. 300 € pro Tier gespart werden. Die Kilokosten für „UltraRes“ betragen 3 €. Eine Milchkuh benötigt 56 g „UltraRes“ pro Tag. Beschreiben Sie den nachfragebasierten Preisbildungsansatz des Value-Based Pricings. Wie könnte eine Wertberechnung für den konkreten Fall von „UltraRes“ aussehen? Kann das Ergebnis als Verkaufsargument verwendet werden? Warum? 2. Ein Standardmineralfutter zur allgemeinen Kräftigung und Stärkung ist „MinPower“. Eine landwirtschaftliche Einkaufsgemeinschaft hat für ein solches Standardfutter den Kauf von 300 t ausgeschrieben. Der Listenpreis für „MinPower“ beträgt 1,60 €/kg bei (Voll-)Kosten von 0,80 €/kg. Der Anbieter geht aufgrund der Konkurrenzsituation im Markt davon aus, dass, sollten sie die 300 t zum Listenpreis anbieten, die Chance, die Ausschreibung zu gewinnen, bei 50 % liegt. Alternativ schätzen Sie die Erfolgschancen bei einem Preis von 1,40 €/kg auf 75 % bzw. bei 1,60/kg auf 35 %. Beschreiben Sie allgemein den Preisbildungsansatz des Competitive Biddings. Welchen der drei genannten Alternativpreise sollte der Anbieter demnach idealerweise abgeben? Kommunikationspolitik Eines der Hauptkommunikationsinstrumente des Anbieters ist die sogenannte „Health Comparison“, bei der teilnehmende Höfe Teile ihres Viehbestands mit „UltraRes“ füttern. Dabei wird den Kühen über 90 Tage die Tagesdosis von 56 g im Futter verabreicht und die Landwirte können den Effekt im Vergleich zu vorher bzw. den nicht beteiligten Kühen live miterleben. Das zweite Hauptinstrument sind regionale Vortragsreihen über die Produkte, zu denen nicht nur Landwirte, sondern auch Tierärzte eingeladen werden. Als Webseite besteht die ausschließlich englischsprachige Version des amerikanischen Konzerns. Wie beurteilen Sie diesen Kommunikationsmix? Distributionspolitik Der US-Anbieter ist weiterhin dabei, weitere europäische Länder zu erschließen. Welche/n Vertriebsweg/e würden Sie dazu generell empfehlen?

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13 B2B-Vertriebspolitik

SN Flashcards

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Literatur Albers, S., & Krafft, M. (2013). Vertriebsmanagement. Springer Gabler. Anderson, R. E., & Dubinsky, A. J. (2004). Personal Selling. Houghton Mifflin. Backhaus, K., & Voeth, M. (2014). Industriegütermarketing (10. Aufl.). Vahlen. Becker, G. H., & Mertens, M. (2020). 9 Thesen zu zukunftsfähigen Geschäftsmodellen im Großhandel (Stand: Januar 2020). IFH Köln. https://www.ifhkoeln.de/produkt/9-thesen-zu-zukunftsfaehi­ gen-geschaeftsmodellen-im-grosshandel/. Zugegriffen am 19.02.2020. Besenbeck, M., & Purle, E. (2019). Berufsbilder im Vertrieb und deren Veränderung in den kommenden Jahren. Whitepaper des AfM-Arbeitskreises B2B-Marketing/Vertrieb Oktober 2019. https://arbeitsgemeinschaft.marketing/afm-arbeitsgruppen/afm-arbeitskreis-b2b-marketing. Zuge­ griffen am 01.01.2022. Biemans, W. G., Brenčič, M. M., & Malshe, A. (2010). Marketing-sales interface configurations in B2B firms. Industrial Marketing Management, 39, 183–194. Biesel, H. H. (2009). Verkaufsaktiver Innendienst. mi-Wirtschaftsbuch. Biesel, H. H. (2013). Key Account Management erfolgreich planen und umsetzen (3. Aufl.). Springer Gabler. Bogaschewsky, R., & Müller, H. (2020). Katalogbasierte Beschaffungssysteme. In T.  Kollmann (Hrsg.), Handbuch Digitale Wirtschaft (S. 187–211). Springer Gabler. Bruhn, M. (2019). Marketing (14. Aufl.). Springer Gabler. CDH. (2021, Oktober 2021). Handelsvermittler und Vertriebspartner in technischen Branchen. Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb e. V. https:// www.handelsvertreter.de/de/handelsvertreter-und-vertriebspartner-suchen-und-finden/ handelsvermittler-und-vertriebspartner-in-technischen-branchen. Zugegriffen am 04.01.2022. CDH. (o. J.). Vertriebsweg Handelsvertreter. Daten und Fakten. Der Wirtschaftsbereich in Zahlen. Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb e. V. https://cdh.de/institutionen/. Zugegriffen am 04.01.2022.

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13 B2B-Vertriebspolitik

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Teil V Controlling und kontinuierliche Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb

14

Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

Lernziele

• Sie kennen die Wichtigkeit eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebscontrollings. • Sie können den Beitrag von Marketing- und Vertriebscontrolling zur Erreichung der Marketing- und Vertriebsziele erläutern. • Sie kennen die Aufgaben des strategischen und operativen Marketing- und Vertriebscontrollings und können diese unterscheiden. • Sie verfügen über ein Verständnis über wesentliche potenzialbezogene, markterfolgsbezogene und wirtschaftliche Kennzahlen. • Sie sind in der Lage, wesentliche Schlüsselerfolgskennzahlen mit Bezug zur Effektivität und Effizienz von B2B-Marketing und Vertrieb zu erläutern. • Sie wissen um die Relevanz eines fundierten, praxisorientierten Kennzahlensystems. • Sie verstehen die Bedeutung und den Aufbau einer Balanced Scorecard für B2B-Marketing und Vertrieb. • Sie können die Bedeutung von Benchmarking in Bezug auf die Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb erklären. • Sie kennen ausgewählte B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen und können deren Zweck erläutern.

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann [https://doi.org/10.1007/978-­3-­658-­37867-­7_14]. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7_14

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14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

• Sie können das Konzept „Commercial Excellence“ beschreiben und Marketingund Vertriebscontrolling darin einordnen. • Sie sind imstande, typische Bestandteile und Projekte von Commercial-­ Excellence-­Programmen zu benennen.

„What gets measured gets managed.“ (Manager-Weisheit)

In diesem Kapitel wird das Konzept eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebscontrollings entwickelt und dessen Wichtigkeit zur Erreichung der Marketing- und Vertriebsziele aufgezeigt. Hierzu werden wesentliche B2B-Marketing- und Vertriebskenn­ zahlen und Kennzahlensysteme vorgestellt. Darauf aufbauend werden wesentliche B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen in das zuvor vorgestellte Kennzahlensystem eingeordnet. Abschließend wird „Commercial Excellence“ – ein Ansatz zur kontinuierlichen Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb  – vorgestellt und B2B-Marketingund Vertriebscontrolling darin eingebettet.

14.1 Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling Wie bereits in Abschn. 1.2 dargestellt, sollten im Marketing- und Vertriebsmanagement die B2B-Marketing- und Vertriebsziele strukturiert aus den übergreifenden Unternehmenszielen abgeleitet werden. Die langfristigen Marketing- und Vertriebsziele sollten im Rahmen der jährlichen oder rollierenden Marketing- und Vertriebsplanung auf mittelund kurzfristige Ziele heruntergebrochen und schriftlich fixiert werden, um die Zielerreichung im Zeitablauf überprüfen zu können. Die Erfolgskontrolle und -bewertung erfolgt dann im Marketing- und Vertriebscon­ trolling. Diese Funktion kann auch als Teilbereich des betrieblichen Controllings verstanden werden. Die Funktionen des Marketing- und Vertriebscontrollings lassen sich unterteilen in (vgl. Kreutzer, 2022, S. 532; Hofbauer & Purle, 2022, S. 361–376): 1. Informationsfunktion: Fokussierte Informationsversorgung von Marketing und Vertrieb 2. Planungsfunktion: Unterstützung der strategischen und operativen Marketingplanung 3. Koordinationsfunktion: Management von Schnittstellen über Abteilungen bzw. Bereiche hinaus 4. Kontrollfunktion: Überwachung der gesamten Marketing-Aktivitäten Die Zielsetzung des Marketing- und Vertriebscontrollings ist, die Effektivität und die Effizienz von Marketing und Vertrieb zu analysieren und Verbesserungspotenziale zu

14.1 Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling

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identifizieren. Hieraus wird deutlich, dass Marketing- und Vertriebscontrolling neben den vorgenannten Funktionen einen wichtigen Beitrag zur Schaffung und zur Ausschöpfung von Erfolgspotenzialen leisten kann. Um die vier vorgenannten Funktionen zu erfüllen, können die folgenden vier Konzepte des Marketing- und Vertriebscontrollings eingesetzt werden (vgl. Kreutzer, 2022, S. 534–535): . Deskriptive Analysen (engl. „Description“; Beschreibung des „Ist“) 1 2. Diagnostische Analysen (engl. „Inspection“; Analyse des „Warum“) 3. Prädiktive Analysen (engl. „Prediction“; Vorhersage des „Wird“) 4. Präskriptive Analysen (engl. „Prescription“; Empfehlung des „Was“) Marketing- und Vertriebscontrolling bezieht sich sowohl auf die strategische als auch auf die operative Ebene. Strategisches Marketing- und Vertriebscontrolling fokussiert sich auf grundlegende Fragen des Marketing- und Vertriebsmanagements, wie z. B., . ob die richtigen Ziele gesetzt sind, 1 2. ob die Ablauf- und Aufbauorganisation geeignet ist, die Ziele zu erreichen und die Marketing- und Vertriebsstrategien zu unterstützen, oder 3. ob bzw. wie das bestehende Geschäftsmodell weiterentwickelt werden sollte, um (zukünftigen) Kundenanforderungen gerecht zu werden. Hierzu werden dann z.  B. die folgenden Instrumente des strategischen Marketing- und Vertriebscontrollings eingesetzt (vgl. Halfmann, 2018, S. 35–70): SWOT-Analyse, Erfahrungskurvenkonzept, Produktlebenszykluskonzept, Portfolio-Analyse, Wettbewerbsanalyse, Target Costing und Balanced/Marketing Scorecard. Vergleiche hierzu auch Teil III dieses Lehrbuchs (Kap. 7, 8 und 9). Das operative Marketing- und Vertriebscontrolling konzentriert sich dagegen auf die Ergebnisüberwachung und -analyse, um daraus Handlungsempfehlungen für die Verbesserung der laufenden Marketing- und Vertriebsaktivitäten abzuleiten. Schwerpunktmäßig geht es also um Plan-Ist-Vergleiche: Marketing- und Vertriebsergebnisse (Ist) werden mit den geplanten Ergebnissen (Soll/Ziel) verglichen. Abweichungen können daraufhin analysiert und Ursachen identifiziert werden, um darauf aufbauend ggf. Korrekturmaßnahmen zu entwickeln und vorzuschlagen. Typische Instrumente des operativen Marketing- und Vertriebscontrollings beinhalten (vgl. Halfmann, 2018, S. 71–100): ABC-­Analyse, Break-­ Even-Analyse, Kunden- oder produktbezogene Deckungsbeitragsrechnung, Conjoint Measurement, Customer Lifetime Value und Controlling der Marketingprozesse. Regelmäßig durchgeführte Verbesserungsaktivitäten zur Weiterentwicklung von Marketing und Vertrieb werden auch als Marketing- und Vertriebsaudit bezeichnet. Ein solches Marketing- und Vertriebsaudit sollte ebenfalls eine kritische Reflexion einzelner oder aller Marketingaktivitäten eines Unternehmens beinhalten. Es kann ebenso als umfas-

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14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

sende, systematische und regelmäßige Untersuchung von Marketing-, und Vertriebsumwelt, -zielen, -strategien und -aktivitäten eines Unternehmens oder einer strategischen Geschäftseinheit definiert werden (vgl. Kreutzer, 2022, S. 536). Im Rahmen eines solchen Marketing- und Vertriebsaudits kann es auch sinnvoll sein, das Unternehmen oder den Unternehmensbereich mit anderen Unternehmen oder Unternehmensbereichen zu vergleichen. Ziel dieser als Benchmarking bezeichneten Vorgehensweise ist, zu erkennen, in welchen Bereichen das Unternehmen im Vergleich zu ­anderen Unternehmen bereits sehr gute Leistungen erbringt und in welchen Bereichen es im Vergleich zu anderen Unternehmen (idealerweise im Vergleich zu den besten Unternehmen in diesem Bereich) noch Verbesserungspotenzial gibt (vgl. Abschn.  6.5.2 und Schlottmann, 2019, S. 59–62). Die aus dem Marketing- und Vertriebscontrolling gewonnenen Erkenntnisse sollten im Sinne eines Management-Regelkreises wieder in den Zielfestlegungs- und Planungsprozess des folgenden B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement-Zyklus einfließen, sodass sich ein geschlossener Regelkreis ergibt (z. B. aus den Schritten „Ziele“, „Maßnahmen“, „Ergebnisse“, „Erkenntnisse aus den Analysen“, „Optimierung“, „Ziele“ …) (vgl. Kreutzer, 2022, S. 538). Dieses Prinzip ist auch im Vertriebsmanagement-Zyklus „Selling Cycle“ nach Hofbauer und Purle (2022, S. 77, vgl. Abb. 1.4) umgesetzt.

14.2 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlen Aufgrund der Individualität der unterschiedlichen B2B-Märkte, der Geschäftsmodelle, der Ziele, der strategischen Positionierungen und der operativen Ausgestaltung des B2B-Marketings und Vertriebs sind auch die Methoden, Instrumente und Kennzahlen unternehmensspezifisch auszuwählen und auszugestalten. Dennoch gibt es wesentliche Schlüsselkennzahlen, im Englischen auch als Key Performance Indicators (KPIs) bezeichnet, die für einen Großteil der B2B-Unternehmen von Relevanz sind. Die folgenden KPIs sind für den Unternehmenserfolg relevant und für die Steuerung der Effektivität (im Sinne von Zielerreichung bzw. Wirksamkeit) des B2B-Marketings und Vertriebs sowie nachgelagerter Bereiche im Unternehmen essenziell (vgl. Halfmann, 2018; Heigl & Huttelmaier, 2019a, S.  230; Pufahl, 2019; Kühnapfel, 2021, 2022; Wieseke, 2022, S. 352): 1. Umsatzentwicklung: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach Regionen; nach Vertriebskanälen; nach einzelnen Kunden … 2. Profitabilitätsentwicklung: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach Regionen; nach Vertriebskanälen; nach einzelnen Kunden; nach Produkt-/ Dienstleistungsgruppen … (gemessen mittels Return on Sales (ROS), Deckungsbeitrag …) 3. Absatzentwicklung: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Produkt-/Dienstleistungsgruppen; nach Regionen; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach einzelnen Kunden …

14.2 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlen

479

4. Pricing: Preisentwicklung: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Produkt-/Dienstleistungsgruppen; nach Regionen; nach Kundensegmenten; nach einzelnen Kunden … oder z. B. Zielpreisdurchsetzung 5. Marktanteilsentwicklung: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/ Kundenklassen; nach Regionen; nach einzelnen Kunden (Share of wallet) … 6. Bekanntheit: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach Regionen (gemessen z. B. als Markenbekanntheit, anhand der Anzahl der Follower auf LinkedIn oder in anderen relevanten sozialen Netzwerken bzw. als wahrgenommener Experte durch relevante Mitglieder des Buying Centers potenzieller Kunden) 7. Auftragseingangsentwicklung: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach Regionen; nach einzelnen Kunden … 8. Kundenzufriedenheit: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach Regionen; nach einzelnen Kunden … (gemessen z.  B. mittels Net Promoter Score (NPS), Kundenbefragung, Beschwerdequote oder Kundenabwanderungsrate (engl. Customer Churn Rate)) 9. Kundenwert: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Kundensegmenten/Kundenklassen; nach einzelnen Kunden … Um die Effizienz (im Sinne von Verhältnis zwischen Mitteleinsatz und Ergebnis) der B2B-Marketing- und Vertriebsprozesse zu messen und zu steuern, sind u. a. die folgenden Kennzahlen für einen Großteil der B2B-Unternehmen relevant (vgl. Halfmann, 2018; Heigl & Huttelmaier, 2019a, S.  230; Pufahl, 2019; Kühnapfel, 2021; Wieseke, 2022, S. 352): 1. (Durchschnittlicher) Umsatz pro Marketing-/Vertriebsmitarbeiter: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Regionen … 2. Anzahl an neuen Kunden/Leads: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Stufen im Marketing- und Vertriebstrichter bzw. Selling Cycle; nach Marketing-/Vertriebskanal; nach Regionen … 3. (Durchschnittliche) Kosten pro neuem Kunden/Lead: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Marketing-/Vertriebskanal; nach Marketing-/Vertriebskampagne; nach Regionen … 4. Rendite der Marketing- und Vertriebsausgaben (englisch: Return on Marketing/ Sales Investment) bzw. Marketing- und Vertriebseffizienz als Marketing- und Vertriebskosten im Verhältnis zum Umsatz 5. Produkte/Innovationen: Umsatzanteil neuer Produkte: Soll/Ist; im Zeitablauf (z. B. jünger als drei oder fünf Jahre im Produktportfolio) 6. Erfolgsquote der Marketing- und Vertriebsaktivitäten: z.  B.  Anzahl Leads pro Kampagne; Angebotserfolgsquote (Anzahl gewonnener Aufträge/Anzahl Angebote) … 7. Marketing- und Vertriebsaktivitäten: z.  B.  Anzahl an (Marketing-)Kampagnen, Anzahl an Angeboten, Anzahl betreuter Kunden, Anzahl an Kundenterminen …

480

14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

8. (Liefer-)Service-Grade/Prozessmanagement: z. B. „Durchlaufzeit Anfrage bis Angebot“, „Durchlaufzeit Auftrag bis Auslieferung“, „Durchlaufzeit kundenspezifische Produktanpassung“, „Durchlaufzeit Beschwerde bis Klärung“ oder Liefertreue (in Bezug auf Kundenwunschtermin oder bestätigtem Liefertermin) 9. Online-Marketing- und Vertriebskennzahlen: z. B. Conversion Rate (prozentualer Anteil der Besucher einer Website oder Online-Plattform mit einer gewünschten Handlung), Reichweite von Social-Media-Kampagnen, Anzahl von Ansichten („Unique Impressions“) und Interaktionen („Engagement Rate“) auf Basis eines Social-­Media-Beitrags, Verweildauern auf Webseiten oder Kosten pro Lead oder Klick 10. Mitarbeiterzufriedenheit: Soll/Ist; im Zeitablauf; gesamt; nach Regionen …) (gemessen mittels Mitarbeiterbefragung oder anhand der Fluktuation als Ausdruck fehlender Mitarbeiterzufriedenheit) 11. Kennzahlen zu Kompetenzen der Marketing- und Vertriebsmitarbeiter: gemessen z. B. anhand von Kompetenz-/Wissensprofilen oder anhand der Anzahl an (Produkt-)Schulungen/Verkaufstrainings 12. Kennzahlen zur Strukturanalyse: z.  B.  Kundenstruktur, Auftragsstruktur, Marketing- und Vertriebskostenstruktur oder Rabattstruktur Mittels der ausgewählten Kennzahlen sollten  – wie bereits beschrieben  – regelmäßig Trends und Abweichungen analysiert und bei Bedarf Korrekturmaßnahmen abgeleitet werden. Wie sich an dieser Übersicht ausgewählter wesentlicher KPIs bereits erkennen lässt, besteht im Rahmen des B2B-Marketing- und Vertriebscontrollings die Gefahr, dass zu viele Kennzahlen erhoben werden (fehlende Effizienz/Wirtschaftlichkeit) oder dass wesentliche Kennzahlen in der Auswertung übersehen werden (mangelnde Effektivität). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines strukturierten Kennzahlensystems, das alle wesentlichen Kennzahlen enthält.

14.3 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlensysteme Um B2B-Marketing und Vertrieb im Sinne von Commercial Excellence zielgerichtet weiterentwickeln zu können und um ein effektives und effizientes Marketing- und Vertriebscontrolling durchführen zu können, ist Grundvoraussetzung, ein fundiertes und praxis­ orientiertes Kennzahlensystem für ein Unternehmen bzw. eine Geschäftseinheit zu entwickeln und dies im Rahmen eines integrierten Marketing- und Vertriebscontrollingprozesses einzusetzen. Das Kennzahlensystem sollte alle für das jeweilige Geschäft relevanten bzw. entscheidenden Kennzahlen enthalten. Ein gutes Kennzahlensystem zeichnet sich dadurch aus, dass es so viele Kennzahlen wie nötig, aber so wenige wie möglich enthält. Idealerweise sollten diese (möglichst) wenigen wichtigen Kennzahlen in Form eines übersichtlichen, grafisch aufbereiteten Cockpits bzw. Dashboards dargestellt werden.

14.3 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlensysteme

481

Wieseke (2022, S.  348) nennt darüber hinaus die folgenden sechs Erfolgsfaktoren ausgereifter Kennzahlensysteme: 1. Breite (Abdeckung wesentlicher Bereiche des B2B-Marketing- und Vertriebsma nagements) 2. Tiefe (Detaillierung der Kennzahlen bei Bedarf möglich) 3. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind dem Management bekannt 4. Strategischer Fit (starker Bezug zur Unternehmensstrategie) 5. Balance (gut abgestimmte vereinheitlichte Kennzahlen über die strategischen Geschäftseinheiten hinweg, mit individueller Anpassung, wo sinnvoll) 6. Verständnis seitens der Marketing- und Vertriebsmitarbeiter (Bedeutung und Relevanz) Dass in vielen Unternehmen noch ein großes Weiterentwicklungspotenzial im Marketing- und Vertriebscontrolling steckt, zeigt eine empirische Studie von Wieseke (2022). Diese hat ergeben, dass weniger als ein Viertel der befragten Vertriebsmanager zufrieden mit dem derzeitigen Kennzahlensystem sind. Ebenfalls für weniger als ein Viertel der Befragten ist das derzeit eingesetzte Kennzahlensystem hilfreich, um Leistungsreserven im Vertrieb zu identifizieren (vgl. Wieseke, 2022, S. 346). Kennzahlensysteme haben insbesondere dann einen positiven Einfluss auf den Markterfolg eines Unternehmens, wenn die Geschäftseinheit . eine Differenzierungsstrategie verfolgt, 1 2. über eine hohe Komplexität des Produkt-/Angebotsportfolios verfügt oder 3. in einem Markt mit hoher Marktdynamik agiert (vgl. Homburg et al., 2012a). Es existieren verschiedene Möglichkeiten, die Schlüsselkennzahlen (englisch Key Performance Indicators (KPIs)) zu strukturieren. Die sogenannte Balanced Scorecard (BSC) nach Kaplan und Norton (1992) verfolgt dabei die Grundidee, ein ausgewogenes Ziel- und Kennzahlensystem zu etablieren, das die folgenden vier Dimensionen beinhalten sollte: (1) Kundenperspektive, (2) (interne) Prozessperspektive, (3) Lern- und Entwicklungsperspektive und (4) finanzielle Perspektive. Die BSC wird häufig auf der Betrachtungsebene des Gesamtunternehmens oder einer Geschäftseinheit verwendet, kann aber auch auf den Marketing- und Vertriebsbereich heruntergebrochen werden. Daneben lassen sich Marketing- und Vertriebsziele und Kennzahlen auch einteilen in (vgl. Redler & Ullrich, 2021, S. 109–111): 1. Potenzialbezogene Ziele und Kennzahlen, wie z. B. Bekanntheit, Image/Einstellung, Vertrauen, Zufriedenheit oder Weiterempfehlungsabsicht 2. Markterfolgsbezogene Ziele und Kennzahlen, wie z.  B.  Absatzmenge, Marktanteil, Kundenzahl, Anzahl neu gewonnener Kunden, Share of wallet oder Kauffrequenz 3. Wirtschaftliche Ziele und Kennzahlen, wie z.  B.  Umsatz, Gewinn, Marketing-/Vertriebskosten oder Deckungsbeitrag

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14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

Eine weitere Strukturierungsmöglichkeit wäre die in Effektivitätskennzahlen (wie z. B. Umsatzwachstum und Marktanteil) und Effizienzkennzahlen (wie z. B. Marketing-/ Vertriebskosten, Deckungsbeiträge und EBITDA-Marge) (vgl. Wieseke, 2022, S. 117). Eine weitere naheliegende Möglichkeit ist eine prozessbasierte Strukturierung entlang des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebsprozesses (vgl. Abb. 2.2). Alternativ dazu wären auch die Strukturierung der Kennzahlen entlang eines Kundenbeziehungslebenszyklus oder eines Marketing- und Vertriebstrichters (englisch Marketing and Sales Funnel, siehe Abschn. 13.2.1.2) denkbar. Eine prozessbasierte Strukturierung hat den Vorteil, dass damit die Leistungsfähigkeit des Gesamtprozesses, aber bei Bedarf auch die Leistungen in einzelnen Prozessschritten gemessen werden kann (vgl. Hofbauer & Purle, 2022, S. 361–376). Mit Bezug zum Customer-Relationship-Management lassen sich beispielsweise folgende Erfolgskennzahlen für das CRM entlang des Kundenbeziehungslebenszyklus identifizieren (vgl. Hofbauer & Purle, 2022, S. 45–49): 1. Kundenwert (Customer Lifetime Value), bestehend aus • Transaktionspotenzial (Basisvolumen, Kostensenkungspotenzial, Wachstumspotenzial (Intensivierungspotenzial, Cross-Selling-Potenzial, Up-Selling-Potenzial, Potenzial aus sinkender Preiselastizität) und • Beziehungspotenzial (Informationspotenzial, Referenzpotenzial, Kooperationspotenzial), 2. Erstkäuferanteil, 3. Konversionsrate, 4. Empfehlungsbereitschaft, 5. Empfehlungsrate, 6. Kundenzufriedenheit, 7. Wiederkaufbereitschaft, 8. Wiederkaufrate, 9. Kundenfluktuationsrate, 10. Kundenrückgewinnungsrate und 11. Sales-Funnel-Analysen mittels CRM-System: Lead Generation; Angebot- und Auftragscontrolling; Hit Rate Analysis; Angebote gewonnen; Angebote verloren; Sales Forecast (siehe Abschn. 13.2.1). Aufbauend auf der funktional geprägten Literatur lässt sich darüber hinaus noch eine Aufteilung nach Kennzahlen, die historisch eher dem Marketing oder dem Vertrieb zugeordnet wurden, vornehmen. Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung von B2B-Marketing und Vertrieb und der damit einhergehenden notwendigen Integration von Marketing und Vertrieb bei der Ausgestaltung der verschiedenen Online- und Offline-Kanäle scheint diese jedoch für die Zukunft wenig zielführend zu sein. Kombiniert man die Strukturierung nach „potenzialbezogene“, „markterfolgsbezogene“ und „wirtschaftliche“ Kennzahlen mit der Dimension der „Effektivität“ und der „Effizienz“, erhält man eine Kategorisierung von Marketing- und Vertriebskennzahlen (Tab. 14.1).

14.3 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlensysteme

483

Tab. 14.1  Kategorisierung von Marketing- und Vertriebskennzahlen. (Quelle: In Anlehnung an Homburg, 2020, S. 1331)

Potenzialbezogene Kennzahlen

Markterfolgsbezogene Kennzahlen

Wirtschaftliche Kennzahlen

Effektivität Kategorie I z. B. Kundenzufriedenheit Preisimage des Anbieters Lieferzuverlässigkeit

Kategorie III z. B. Anzahl der Gesamtkunden Anzahl der Neukunden Marktanteil eines Produktes am Markt erzieltes Preisniveau Click-to-Basket-Rate (Anzahl aller Einkaufswagen mit einem bestimmten Produkt/Anzahl der Seitenaufrufe dieses Produkts) Basket-to-Buy-Rate (Anzahl aller tatsächlich gekauften Einkaufswagen mit einem bestimmten Produkt/Anzahl aller Einkaufswagen mit diesem Produkt) Konvertierungsrate (Wie viele Follower/Fans wurden zu Neukunden?) Kategorie V z. B. Umsatz bezogen auf Produkt/ Produktgruppe Umsatz bezogen auf Kunden/ Kundengruppe Umsatz aufgrund von Aktivitäten der Direktkommunikation

Effizienz Kategorie II z. B. Anzahl erzielter Kontakte/Kosten der Werbeaktion Kundenzufriedenheit mit der Verkaufsunterstützung/Kosten der Verkaufsunterstützung Anzahl der wiederkehrenden Website-Besucher Durchschnittliche Verweildauer pro Besucher auf der Website Anzahl der Follower/Likes Buzzvolumen und Tonalität (Wie häufig und wie „freundlich“ tauschen sich Nutzer über das Unternehmen und dessen Produkte aus?) Kategorie IV z. B. Anzahl der Kundenbesuche pro Auftrag Anzahl der Angebote pro Auftrag (Trefferquote) Anzahl gewonnener Neukunden/ Kosten der Aktivitäten der Direktkommunikation

Kategorie VI z. B. Gewinn Umsatzrendite Kundenprofitabilität Umsatz aufgrund der Messeteilnahme/Kosten der Messeteilnahme

484

14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

Die im Kennzahlensystem ausgewählten Kennzahlen sollten im Rahmen des integrierten B2B-Marketing- und Vertriebscontrollings (Abschn. 14.1) analysiert und ggf. Korrekturmaßnahmen abgeleitet werden. Hierzu können im Bedarfsfall auch vertiefende B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen durchgeführt und deren Erkenntnisse zu einer fundierten Entscheidungsfindung hinzugezogen werden.

14.4 B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen Mittels der ausgewählten, regelmäßig zu erhebenden Kennzahlen und ggf. weiterer, je nach Analysebedarf zusätzlich zu erhebender Daten lassen sich spezifische B2B-­ Marketing- und Vertriebsanalysen durchführen. Die Erkenntnisse und ergänzenden Daten aus den Analysen wiederum lassen sich auch für die vertiefende Analyse bezüglich der vorgenannten Kennzahlen und Dimensionen durchführen. Die im Rahmen der „Analyse der Ausgangssituation“ (Teil II), des „Strategischen B2B-Marketings und Vertriebs“ (Teil III) sowie des „Operativen B2B-Marketing und Vertriebs“ (Teil IV) bereits vorgestellten Analysen sind in Tab. 14.2 daher den Dimensionen „Effektivität“ und „Effizienz“ sowie „potenzialbezogenen Analysen“, „markterfolgsbezogenen Analysen“ und „wirtschaftlichen Analysen“ zugeordnet. Manche der genannten Analysen lassen sich in unterschiedlichen Zusammenhängen nutzen und somit grundsätzlich auch mehreren der in Tab. 14.2 genannten sechs Kategorien zuordnen. In der Tabelle wurden die jeweiligen Analysen der Kategorie zugeordnet, in der diese primär verwendet werden bzw. den größten Wertbeitrag liefern.

14.5 Commercial Excellence Marketing- und Vertriebscontrolling sollte zudem ein integraler Bestandteil eines kontinuierlichen Verbesserungsprogramms sein, sofern sich dies auch auf Marketing- und Vertriebsergebnisse und -prozesse bezieht. Solche kontinuierlichen Verbesserungsprogramme bzw. -initiativen gibt es häufig insbesondere in größerem Unternehmen. Je nach Umfang bzw. Fokus des Programms werden diese z. B. bezeichnet als 1. Marketing-Excellence-Programm (Fokus: Verbesserung der Marketingergebnisse und -prozesse) (vgl. Kotler, 1977; Homburg et al., 2020), 2. Sales-Excellence-Programm (Fokus: Verbesserung der Vertriebsergebnisse und -prozesse) (vgl. Homburg et al., 2012b; Binckebanck, 2015; Zoltners et al., 2021; Wieseke, 2022, S. 50), 3. Commercial-Excellence-Programm (Fokus: Verbesserung der Marketing- und Vertriebsergebnisse sowie -prozesse und i. d. R. auch weiterer administrativer Bereiche) (vgl. Lunau et al., 2014, S. 13–14) oder 4. Business-Excellence-Programm (vgl. Lunau et al., 2014, S. 12–16).

14.5 Commercial Excellence

485

Tab. 14.2  Einordnung ausgewählter Marketing- und Vertriebsanalysen zur fundierten Herleitung von Marketing- und Vertriebskennzahlen und Entscheidungen

Potenzialbezogene Analysen

Effektivität Kategorie I u. a. Kundenbeziehungslebenszyklus-Analyse (vgl. Abschn. 2.1; Eckardt, 2019, S. 107) Kundensegmentierung/ Kundenklassifizierung inkl. Kundenattraktivität (vgl. Abschn. 6.3.2; Abschn. 7.4; Reger-Wagner, 2019b, S. 248) Kundenzufriedenheitsanalyse (z. B. multiattributiv oder mittels NPS) (vgl. Abschn. 6.3.2; Buerke, 2019, S. 234; Magerhans & Buerke, 2019, S. 243) Lead-User-Analyse (vgl. Abschn. 10.2.2; von Hippel, 1986, S. 796) Pricing: Analyse von Zahlungsbereitschaften (vgl. Abschn. 11.4; Hälsig, 2019, S. 165; Scheed & Scherer, 2021, S. 172) Strategische Produktanalyse (vgl. Abschn. 6.5.2.3; Scheed & Scherer, 2021, S. 144–145)

Kategorie III Markterfolgsbezogene u. a. Analysen Kundenpotenzialanalyse/Share of wallet (vgl. Abschn. 6.3.2; Scheed & Scherer, 2021, S. 88; Kühnapfel, 2022, S. 301) Marktanalyse (vgl. Abschn. 6.2; Kühnapfel, 2022, S. 126) Marktpotenzialanalyse (vgl. Abschn. 6.2.2; Blum, 2019, S. 83) Produkt-Portfolio-Analyse (vgl. Abschn. 9.3; Abschn. 9.4; Halfmann, 2018, S. 49) Produktlebenszyklusanalyse (vgl. Abschn. 10.1; Abb. 10.2; Scheed, 2019, S. 78) Wettbewerbsanalyse (vgl. Abschn. 6.4.2; Halfmann, 2018, S. 54)

Effizienz Kategorie II u. a. Analyse einer Industriewertkette inkl. Profit-Pool-Analyse (vgl. Abschn. 6.2.5; Paul & Wollny, 2014, S. 133) Benchmarking (vgl. Abschn. 6.5.2 und Schlottmann, 2019, S. 59–62) Branchenstrukturanalyse (vgl. Abschn. 6.4.2.1; Scheed & Scherer, 2021, S. 35) Conjoint-Analyse bzw. Conjoint Measurement (vgl. Abschn. 6.5.3; Abschn. 10.2.2; Halfmann, 2018, S. 85) Social-Media-Monitoring (vgl. Kreutzer, 2021, S. 537; Scheed & Scherer, 2021, S. 35) VIRO-Rahmen (vgl. Abschn. 6.5.2.2; Paul & Wollny, 2020, S. 178) Wertkettenanalyse (vgl. Abschn. 6.5.2.1; Paul & Wollny, 2020, S. 190) Kategorie IV u. a. Analyse der Customer Journey (vgl. Abschn. 6.3.2; Abschn. 12.2; Abschn. 13.2; Lemon & Verhoef, 2016; Steward et al., 2019) Marketing- und Sales-­ Funnel-­Analyse (vgl. Abschn. 13.2.1; Arica, 2019, S. 72; Reger-­Wagner, 2019d, S. 98) Web Analytics (vgl. Abschn. 12.2.1; Kreutzer et al., 2020, S. 103–119)

(Fortsetzung)

486

14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

Tab. 14.2 (Fortsetzung)

Wirtschaftliche Analysen

Effektivität Kategorie V u. a. 12. ABC-Analyse (vgl. Abschn. 6.3.2; Halfmann, 2018, S. 73; Beinert, 2019a, S. 89) 13. Customer-Lifetime-Value-Analyse (vgl. Abschn. 6.3.2; Halfmann, 2018, S. 90; Reger-Wagner, 2019a, S. 258)

Effizienz Kategorie VI u. a. Break-even-Analyse (vgl. Abschn. 10.2.1; Halfmann, 2018, S. 75) Kundenbezogene Deckungsbeitragsanalyse (vgl. Abschn. 6.3.2; Halfmann, 2018, S. 80; Reger-Wagner, 2019c, S. 251) Pricing: Target-Costing/ Target-Pricing (vgl. Abschn. 10.2.1; Kap. 11; Halfmann, 2018, S. 59; Beinert, 2019b, S. 170) Produktbezogene Deckungsbeitragsrechnung (vgl. Abschn. 10.4; Abschn. 11.3; Halfmann, 2018, S. 80) Total-Cost-of-OwnershipAnalyse (vgl. Abschn. 11.4.2; Heigl & Huttelmaier, 2019b, S. 160)

Zur Erreichung von Business Excellence hat die European Foundation for Quality Management (EFQM) im Jahr 1988 das EFQM-Modell für Business Excellence entwickelt. Dieses Qualitätsmanagement-System stellt den grundlegenden Zusammenhang zwischen Führung (bzw. den Menschen), Prozessen und Ergebnissen her und kann als Management-­ Modell zur Bewertung und Weiterentwicklung von Organisationen dienen (vgl. Helmold, 2021, S.  58–60; EFQM, 2022). Abb.  14.1 visualisiert das EFQM-Modell für Business Excellence. Business-Excellence-Programme haben i. d. R. den breitesten Fokus auf die Verbesserung aller geschäftsrelevanten Prozesse. Insbesondere in produzierenden Unternehmen werden solche Business-Excellence-Programme häufig zunächst mit dem Fokus auf die Verbesserung der Kosten und der Qualität der primären Wertschöpfungsprozesse, wie z. B. Produktions- oder Logistikprozesse, gestartet. Dies wird dann auch als Operational Excellence bezeichnet (vgl. Lunau et  al., 2014, S.  13). Als Fundament für eine solche Verbesserungsinitiative sollten dann auch mitarbeiter- und führungsbezogene Prozesse analysiert und verbessert werden. Dies kann im Rahmen eines People-Excellence-­ Programms erfolgen. Der Fokus eines solchen Programms liegt auf der Verbesserung der mitarbeiterbezogenen Prozesse mit dem Ziel, die passende Anzahl an zufriedenen Mitarbeitern mit den richtigen Kompetenzen zu haben, um in allen Bereichen Bestleistungen für den Unternehmenserfolg zu ermöglichen. Dazu müssen die geeigneten Mitarbeiter identifiziert, ausgewählt, qualifiziert und begleitet werden. Ein wesentliches Konzept ist

14.5 Commercial Excellence

487 Results

Enablers Leadership

Processes, Products & Services

People

People Results

Strategy

Customer Results

Partnerships & Resources

Society Results

Business Results

Innovation, Learning and Improvements

Abb. 14.1  Das EFQM-Modell für Business Excellence. (Quelle: Helmold, 2021, S. 59) Business Excellence Operational Excellence

Commercial Excellence

People Excellence

Innovation Excellence

Fokus: Verbesserung der primären Wertschöpfungsprozesse, wie z.B. Produktions- oder Logistikprozesse

Fokus: Verbesserung der Marketing- und Vertriebsergebnisse sowie -prozesse und administrativer Bereiche

Fokus: Verbesserung mitarbeiterbezogene Prozesse (Ziel: passende Anzahl an zufriedenen Mitarbeitern)

Fokus: Verbesserung der Generierung und Vermarktung von Ideen und Lösungen für best. und neue Kunden

Marketing Excellence

Sales Excellence

Marketing- und Vertriebscontrolling

Administrative Excellence



Abb. 14.2  Commercial Excellence als kontinuierliches Verbesserungsprogramm mit dem Fokus auf kommerziellen Prozessen

dabei die Entwicklung einer Kultur für kontinuierliche Verbesserung. Commercial-­ Excellence-­Programme werden im Rahmen eines Business-­Excellence-­Konzepts häufig als drittes Element eingeführt und ausgerollt. Als vierte Säule kann dann noch Innovation Excellence hinzukommen. Hierbei liegt der Fokus dann auf der Verbesserung der Generierung und Vermarktung von Ideen und Lösungen für bestehende und neue Kunden (vgl. Lunau et al., 2014, S. 12–16). Den Zusammenhang zwischen Business Excellence, Commercial Excellence und Marketing- und Vertriebscontrolling illustriert die Abb. 14.2.

488

14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

Marketing- und Vertriebscontrolling kann dementsprechend auch als integraler Bestandteil einer Commercial-Excellence-Initiative verstanden werden. Das übergreifende Ziel von Commercial Excellence ist die bestmögliche Ausschöpfung bestehender Marktpotenziale durch eine kundenorientierte Marktbearbeitung. Im Fokus stehen also kontinuierliche Verbesserungen in Bezug auf die Erfüllung externer Kundenanforderungen. Dies umfasst neben Marketing- und Vertriebsthemen u. a. auch das Supply-Chain-Management sowie andere unterstützende Prozesse (vgl. Lunau et  al., 2014, S. 13–14). Das Marketing- und Vertriebscontrolling hat in diesem Zusammenhang u. a. die Aufgabe, Verbesserungspotenziale zu identifizieren und mögliche Verbesserungsprojekte bzw. -initiativen vorzuschlagen. Bei der Auswahl und der Ausgestaltung der Verbesserungsprojekte kann das Marketing- und Vertriebscontrolling zudem eine Beratungsfunktion für die Verantwortlichen bzw. das Management-Team einnehmen. Empirische Studien zeigen, dass Unternehmen, die mittels systematischer Commercial-­ Excellence-­Programme ihr B2B-Marketing und Vertrieb weiterentwickeln, über signifikant höhere Profitabilität und Wachstumsraten verfügen als vergleichbare Unternehmen, die dies nicht tun (vgl. Hardcastle et al., 2017; Groves et al., 2018). Typische Bestandteile von Commercial-Excellence-Programmen sind die systematische Analyse und Weiterentwicklung von (vgl. Groves et  al., 2018; Ray et  al., 2019; Friedrich et al., 2020; Van Audenhove et al., 2020; Demmelmair & Melzig, 2022) • Marketing- und Vertriebsstrategie (Segmentierung, Positionierung, Kanalstrategie, Preisstrategie …), • Marketing- und Vertriebsprozessen, • Marketing- und Vertriebsorganisation, • Voice of Customer/Kundenutzen, • Marketing- und Vertriebskennzahlen und Management-Cockpit, • Systemen (CRM, ERP, Pricing …) & Data Analytics, • Führen mit Zielen und Anreizsystemen, • Marketing- und Vertriebspersonalauswahl und -diagnostik (auch im Sinne von People Excellence), • Marketing- und Vertriebspersonalentwicklung (auch im Sinne von People Excellence), • Integrierten Managementsystemen und • Change-Management. Typische Projekte im Rahmen eines Commercial-Excellence-Programms umfassen beispielsweise • Analyse und Weiterentwicklung der Kundensegmentierung und Kundenprofitabilität • Reduktion von Fehlern in kundenbezogenen Prozessen (wie z. B. falsche Rechnungen; falsche/fehlende Zertifikate; falsche/fehlende Dokumentation) • Reduktion der Debitorenbestände • Verkürzung der Durchlaufzeiten für die Angebots- oder Auftragsbearbeitung

14.5 Commercial Excellence

489

• Verkürzung der Durchlaufzeiten von der Bestellung bis zur Lieferung • Verbesserung der Liefertermintreue (gegenüber bestätigtem Liefertermin und/oder Kundenwunschtermin) • Weiterentwicklung/Verbesserung der Produktqualität (z. B. Erhöhung der Lebensdauer des Produkts in der Kundenanwendung) • Weiterentwicklung und Implementierung von standardisierten elektronischen Datenschnittstellen für den automatischen Datenaustausch mit Kunden (direkte Anbindung mittels z. B. EDI oder über E-Procurement- oder E-Distribution-Plattform) • (Weiter-)Entwicklung eines modularisierten Produktportfolios (Mass Customization) • (Weiter-)Entwicklung von Preisstrukturen und Preisfestlegungsprozessen Die Umsetzung von Verbesserungsprojekten im Rahmen eines Commercial-­Excellence-­ Programms kann z. B. mittels Six-Sigma- und Lean-Management-Methoden unterstützt werden. Lunau et al. (2014) verbinden die verschiedenen Verbesserungsprozesse, Methoden und Werkzeuge zu einem stringenten S ­ ix-Sigma-plus-Lean-Methodenbaukasten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Oberziel von Commercial-­Excellence-­ Programmen die Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs eines Unternehmens ist. Unabhängig von der Effektivität und Effizienz von B2B-Marketing und Vertrieb sind wettbewerbsfähige Produkte bzw. Dienstleistungen eine Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Um auf Basis wettbewerbsfähiger Produkte bzw. Dienstleistungen wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen, ist im ersten Schritt die Effektivität von B2B-Marketing und Vertrieb zu prüfen und ggf. zu verbessern. Hierbei geht es um die treffsichere oder maximale Wirkung der Aktivitäten und das Erreichen der angestrebten Ziele, indem u. a. 1. aus den Unternehmenszielen zielführende Marketing- und Vertriebsziele hergeleitet und effektiv umgesetzt werden, 2. effektive Marketing- und Vertriebsstrategien abgeleitet und implementiert werden, 3. am Markt resonanzfähige Geschäftsmodelle entwickelt werden und 4. effektive Marketing- und Vertriebsinstrumente (Marketing-Mix) ausgewählt werden. Darauf aufbauend ist im zweiten Schritt die Effizienz von B2B-Marketing und Vertrieb zu prüfen und ggf. zu verbessern, indem u. a. auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittene, leistungsfähige und schlanke Prozesse mit effizientem Einsatz von Ressourcen gelebt und kontinuierlich weiterentwickelt werden (Fokus: Prozessorientierung Kosten-Nutzen-­ Optimierung und kontinuierliche Verbesserung). Um langfristig erfolgreich zu bleiben, sollten Commercial-Excellence-Programme über einen sich regelmäßig wiederholenden Innovationsprozess verfügen, der sicherstellt, dass alle vorgenannten Elemente bei Bedarf auch radikal angepasst werden (z. B. mittels einer Geschäftsmodellweiterentwicklung oder -innovation). Die Erkenntnis, dass ein solcher Innovationsprozess notwendig ist, kann auf Basis verschiedener Auslöser entstehen, u. a.

490

14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

1. durch tiefgreifende Veränderungen im Marktumfeld (z.  B. durch den Markteintritt neuer Wettbewerber oder neue Geschäftsmodelle), 2. durch die Ergebnisse eines Marketing- und Vertriebsaudits oder einer Benchmarking-­ Analyse oder 3. durch unternehmensinterne Trigger wie • die Vorbereitung der Markteinführung von für das Unternehmen neuartiger Produkte oder Dienstleistungen (in Form eines neuen Geschäftstyps) oder • die Notwendigkeit von signifikanten Kosteneinsparungen. Überträgt man die zuvor beschriebene Grundlogik von Commercial Excellence auf das EFQM-Modell für Business-Excellence, lassen sich die Kernelemente eindeutig zuordnen (vgl. Abb. 14.3). Die in diesem Kapitel dargestellten Methoden, Instrumente und Kennzahlen umfassen sowohl Marketing- als auch Vertriebsprozesse. Das verdeutlicht abschließend nochmals die durchgehend integrierte Betrachtung von B2B-Marketing und Vertrieb in diesem Buch. Auch im Bereich Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence ist eine organisatorische Integration der vormals möglicherweise getrennten Con­ trollingbereiche empfohlen. Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit Marketing- und Vertriebscontrollingaspekten können – neben der bereits zitierten Literatur – die folgenden Fach- und Lehrbücher empfohlen werden: Halfmann (2018), Kühnapfel (2021), Kühnapfel (2022) und Zerres (2021).

Commercial Excellence: Effektivität

Comm. Exc.: Effizienz

Results

Enablers Leadership

Commercial Excellence: Ergebnisse/Erfolg

People

Processes, Products & Services

People Results

Strategy

Customer Results

Partnerships & Resources

Society Results

Business Results

Innovation, Learning and Improvements

Commercial Excellence: Innovation/Geschäftsmodell-Innovation

Abb. 14.3  Grundlogik von Commercial Excellence am Beispiel des EFQM-Modells für Business Excellence. (Quelle: In Anlehnung Helmold, 2021, S. 59)

14.5 Commercial Excellence

491

Verständnis- und Anwendungsfragen

1. Anhand welcher Argumente lässt sich die Notwendigkeit eines integrierten B2B-Marketing- und Vertriebscontrollings begründen? 2. Welchen Beitrag kann ein systematisches Marketing- und Vertriebscontrolling zur Erreichung der Marketing- und Vertriebsziele leisten? 4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Marketing- und Vertriebsplanung dem Marketing- und Vertriebscontrolling? 3. Welche typischen Aufgaben werden dem strategischen Marketing- und Vertriebscontrolling zugerechnet? 4. Welche typischen Aufgaben werden dem operativen Marketing- und Vertriebscontrolling zugerechnet? 5. Bitte nennen Sie wesentliche Schlüsselerfolgskennzahlen mit Bezug zur Effektivität von B2B-Marketing und Vertrieb. 6. Bitte nennen Sie wesentliche Schlüsselerfolgskennzahlen mit Bezug zur Effizienz von B2B-Marketing und Vertrieb. 7. Welche wesentlichen potenzialbezogenen Kennzahlen für B2B-­Marketing- und Vertrieb können Sie benennen? 8. Welche wesentlichen markterfolgsbezogenen Kennzahlen für B2B-­ Marketingund Vertrieb können Sie benennen? 9. Welche wesentlichen wirtschaftlichen Kennzahlen für B2B-Marketing- und Vertrieb können Sie benennen? 10. Welche Relevanz hat ein fundiertes, praxisorientiertes Kennzahlensystem für das B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement? 11. Welche Bedeutung hat ein ausgewogenes Ziel- und Kennzahlsystem (z.  B. auf Basis einer Balanced Scorecard) für B2B-Marketing und Vertrieb? 12. Was ist der typische Aufbau einer Balanced Scorecard? 13. Welche Bedeutung hat Benchmarking in Bezug auf die Weiterentwicklung von B2B-Marketing und Vertrieb? 14. Bitte nennen Sie ausgewählte B2B-Marketing- und Vertriebsanalysen und erläutern Sie deren Zweck im Rahmen des B2B-Marketings und Vertriebsmanagements. 5. Wie lässt sich das Konzept „Commercial Excellence“ beschreiben? 6. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Marketing- und Vertriebscontrolling und dem Konzept „Commercial Excellence“? 7. Welche typischen Bestandteile von Commercial-Excellence-­Programmen lassen benennen? 8. Welche Arten von Projekten werden typischerweise im Rahmen von Commercial-Excellence-Programmen bearbeitet? 9. Welches Oberziel wird i. d. R. mit Commercial-Excellence-­Programmen verfolgt? 10. In welchem Zusammenhang stehen die Effektivität und die Effizienz von B2B-Marketing und Vertrieb mit der Erreichung von Erfolg im Rahmen von Commercial-­ Excellence-Programmen?

492

14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

11. Warum ist es notwendig, B2B-Marketing und Vertrieb inkrementell oder radikal weiterzuentwickeln, und in welchem Zusammenhang steht dies zum Konzept „Commercial Excellence“? 12. Wie lässt sich Commercial Excellence in das Konstrukt Business Excellence einordnen? 13. Wie lassen sich die Kernelemente des Commercial-Excellence-­Konzepts mithilfe der Business-Excellence-Logik am Beispiel des EFQM-Modells erläutern?

SN Flashcards

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Literatur Arica, M. (2019). Sales Funnel  – Qualifiziertes Pipelinemanagement. In E.  Purle, S.  Steimer & M. Hamel (Hrsg.), Toolbox für den B2B-Vertrieb: Ein systematischer Werkzeugkasten für Ihren Kundenerfolg (S. 72–77). Schäffer-Poeschel. Beinert, M. (2019a). ABC-Analyse. In E. Purle, S. Steimer & M. Hamel (Hrsg.), Toolbox für den B2B-Vertrieb: Ein systematischer Werkzeugkasten für Ihren Kundenerfolg (S. 89–92). Schäffer-­ Poeschel. Beinert, M. (2019b). Target-Pricing. In E. Purle, S. Steimer & M. Hamel (Hrsg.), Toolbox für den B2B-Vertrieb: Ein systematischer Werkzeugkasten für Ihren Kundenerfolg (S. 170–175). Schäffer-­Poeschel. Binckebanck, L. (2015). Digital Sales Excellence – Systematischer Einsatz neuer Technologien im Vertrieb. Marketing Review St. Gallen, 6, 44–52. Blum, R. (2019). Marktpotenzialanalyse im industriellen Umfeld mittels Methodentriangulation. In E.  Purle, S.  Steimer & M.  Hamel (Hrsg.), Toolbox für den B2B-Vertrieb: Ein systematischer Werkzeugkasten für Ihren Kundenerfolg (S. 83–88). Schäffer-Poeschel.

Literatur

493

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14  Integriertes B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling und Commercial Excellence

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Stichwortverzeichnis

A Anbieterkoalition 316 Anbieter-Webshop 441 Anlagen- oder Projektgeschäft 26 Arbeitslastmethode 457 Aufbauorganisation, vertriebliche 423 Ausgangssituation 44 Ausschreibung 324 Automatisierung 28, 76 B B2B-Marketing- und Vertriebsanalyse 484 B2B-Marketing- und Vertriebscontrolling, integriertes 476 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahl 478 B2B-Marketing- und Vertriebskennzahlensystem 480 B2B-Marketing- und Vertriebsmanagement 35 integriertes 5, 18 B2B-Marketing- und Vertriebswerkzeug 36 B2B-Marketing- und Vertriebsziel 476 Balanced Scorecard (BSC) 481 Befragung 58 Benchmarking 158, 478 Beobachtung 56 Berufsbild in B2B-Marketing und Vertrieb 4 Beschaffungsprozess 36, 103, 115 Beschaffungsverhalten 100, 101 organisationales 27 Besonderheit des B2B-Marketings und Vertriebs 9 Big Data 61 Blue-Ocean-Strategie 168 Branchenattraktivität 140

Branchenstrukturanalyse 137 Bündelpreis 332 Business Development 21, 31 Business Excellence 484, 486 Business Model Navigator 285 Business-to-Administration-Marketing 11 Buyer Persona 401 Buying Center 9, 27, 103, 104, 385, 400, 407 Buying Center Journey 401 Buying Journey 17 Buying Network 107 C Change-Management 34, 35 Channel Hopping 118 Chasm 254 Claim-Management 323 Commercial Excellence 20, 484, 489 Commercial-Excellence-Programm 488 Competitive Bidding 327 Conjoint-Analyse 265 Content-Marketing 35 Corporate Influencer 35, 392 Coverage Matrix 461 CRM-System 464 Crowdsourcing 260 Customer Experience 30, 33, 77, 119 Customer-Experience-Management 16 Customer Journey 17, 77, 117, 367, 399, 425 Customer-Journey-Analyse 35 Customer Journey Map 401 Customer-Journey-Prozess 18 Customer-Relationship-Management 16 Customer Touchpoints 16, 35

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Purle et al., B2B-Marketing und Vertrieb, https://doi.org/10.1007/978-3-658-37867-7

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498 D Daten 75 Definition B2B-Marketing 7 Vertrieb 7 Delphi-Prognose 71 Design Thinking 268 Dienstleistung investive 234 produktbegleitende 234, 273 Dienstleistungseigenschaft 276 Dienstleistungsgeschäft 27 Dienstleistungsmarketing 27 Dienstleistungsphase 278 Diffusionsmodell 250 Digitaler Zwilling 267 Digitalisierung 28, 75, 138 Direktmarketing 383 E E-Commerce 439 E-Commerce-Angebot 31 E-Distribution-Plattform 31 Effektivität 478, 489 Effizienz 479, 489 Einflussgrößenrechnung 315 Electronic Data Interchange 445 Electronic Word-of-Mouth 77 Emotion 112, 404 Entscheidungsverhalten 111 Entwicklungsstufe des Marketings 6, 16 E-Procurement 77 E-Procurement-Plattform 31 Ereignismethode, sequenzielle 280 Erfahrungsgut 249, 277, 381 Erhebungsinstrument 56 Experiment 61 F Factoring 353 Financial Engineering 349 Forschung, angewandte 243 Franchising 437, 439 Frühaufklärungssystem 72 Führung 34

Stichwortverzeichnis G Garantie 381 Geschäftsmodell 31, 35, 77 Geschäftstyp 26, 32, 236 Globalisierung 78 Go-to-Market-Team 33 Grobprojektierungsansatz 315 Grundlagenforschung 243 H Handelsmakler 433 Handelsvertreter 433 Hybrid Selling 32 I Industriegütermarketing 10 Industriekostenkurve 161 Industriewertkette 96 Influencer 390, 392 virtueller 393 Influencer-Marketing 391 Information 47 Informationsaufbereitung 61 Informationsbedarf 51 Informationsdistribution 61 Informationsgewinnung 44, 54 Informationsträger 52 Informationsverhalten 29, 109 Innovationsprozess 241 Integration von Marketing und Vertrieb 33 Integrations- oder Zuliefergeschäft 26 Interaktionsparadigma 9 Investitionsgütermarketing 11 K Kampagnen- und Vertriebsmanagement 19 Kaufentscheidung 27, 114 Kaufentscheidungsprozess 29 Kaufphasenmodell 367 Kauftyp 103, 120 Kaufverhalten 29 Key Performance Indicators (KPIs) 478 Key-Account-Management 423 Kilokostenmethode 310

Stichwortverzeichnis Kommissionär 433 Kommunikation, integrierte 396 Kompensationsgeschäft 352 Kompetenz 34 Kompetenzentwicklung 34 Komplexität 122 Kundenattraktivität 100, 130 Kundenbeziehungslebenszyklus 16 Kundenbeziehungsmanagement 16 Kundeneinbindung 257 Kundenkontaktart 29 Kundenkontaktpunkt 16, 29, 33 digitaler 32 Kundensegmentierung 100, 128 Kundenzufriedenheit 100, 133 Kundenzugang 76 L Launch Customers 265 Lead-Management 409, 430 Lead-Nurturing 369, 409 Lead Routing 409 Lead-Scoring 409 Lead-User 254 Lead-User-Analyse 257 Leasing 351 Leistungsprofilanalyse 147 M Makroumwelt 46 Managementprozess 26 Management-Regelkreis 478 Marketing Excellence 484 Marketing, internationales 27 Marketing-Automation 385, 409 Marketing Technology 29 Marketing- und Sales-Technology-Lösung 32 Marketing- und Vertriebsaudit 477 Marketing- und Vertriebscontrolling 476, 488 operatives 477 strategisches 477 Marketing- und Vertriebskennzahl 482 Marketing- und Vertriebsplanung 476 Marketinginstrument 26 Marketingmanagement 7

499 Marketingpyramide 26 Marketing-Response-Modell 102 Marketingstrategie 26 Marketingziel 26 Markt, strategisch relevanter 86 Marktbearbeitungsteam 33 Markteinführung 21 Marktforschung 48 Marktkennzahl 89 Marktlebenszyklus 93 Marktplatz 451 Marktprognose 92 MarTech 411, 464 Materialkostenmethode 310 Megatrend 73 Messe 377 virtuelle 379 Mikroumwelt 47, 86 Minimum Viable Product 270 Mobilitätsbarrieren 142 Modifikationspreisansatz 309 Multi Supplier Product Catalog 447 Multi-Channel-Management 29 Multi-Channel-Vertrieb 459 N Nachfrage abgeleitete 8 verbundene 10 Nachhaltigkeit 80 Nischenstrategie 271 Nutzenkurve 168 Nutzwertanalyse 246 O Omni-Channel-Management 29 Open Innovation 259 Opponent 107 Organisation 33, 103, 125 P Panel 61 Persona 119 PESTEL 68

500 Pionier 247 Plattform 31 Preisbildung innovative 337 kostenorientierte 308 nachfrageorientierte 333 wettbewerbsorientierte 324 Preisbildung, kostenorientierte 308 Preisgleitklausel 320 Preismanagementsoftware 346 Preisreifegrad 348 Preisvorbehalt 319 Primärforschung 52 Produktanalyse 158 Produktart 234 Produkteliminierung 289 Produktentwicklung 21 digitale 266 Produktgeschäft 26 Produktionsverbindungshandel 435 Profit Pool 98, 99 Prognoseansatz, quantitativer 71 Promotor 107 Prototyp 246 Prozessorganisation, integrierte 35 Prozesssicht und -orientierung 35 Punch-out 447 Q Quality Function Deployments 262 R Rabatt 342 Reaktionsprofilanalyse 148 Referenzkunde 265, 382, 390 Reifegrad, digitaler 348 Research Shopping 118 Reverse Auction 330 Risiko 124 Rolle 105 S Sales Enablement 36 Sales Excellence 484 Sales Funnel 428

Stichwortverzeichnis Schlüsselerfolgsfaktor 166 Scrum 268 Sekundärforschung 53 Selling Center 426, 430 Selling Cycle 7, 424 Service-Blueprinting 279 Service Dominant Logic 281 Service-Ökosystem 287 Servitization 79, 281, 282 in der Preisbildung 339 Social-Media-Kommunikation 393 Social Selling 35, 373 Stakeholder-Mapping 70 Stichprobe 55 Strategieprofilanalyse 145 Strategische Gruppe 141 Suchgut 248 Suchmaschinenmarketing 371 Sunk Costs 236, 259 SWOT 69 Systemgeschäft 26 Szenario-Analyse 71 T Teilerhebung 55 Testinstallation 386 Total Cost of Ownership 336 Touchpoint 118, 367 U Umwelt 103, 127 Unternehmensanalyse 152 User-Generated Content 393 V Value Added Reseller 437, 439 Value-based Pricing 334 Value Proposition Canvas 286 Verbesserungsprogramm, kontinuierliches 484 Vernetzung 76 Vertragshändler 437, 439 Vertrauensgut 249, 277, 381 Vertriebsaußendienst 421 hybrider 422

Stichwortverzeichnis

501

Vertriebsaußendienst-Leasing 433 Vertriebsinnendienst 422 Vertriebskanalauswahl 454 Vertriebsmanagement 7 Video-Marketing 376 VIRO-Rahmen 155 Vollerhebung 54

WebEDI 445 Werbung, digitale 374 Wertkette, digitale 288 Wertkettenanalyse 152 Wettbewerbsanalyse 136, 144 Wettbewerbslandkarten 151 Wirtschaftsauskunftei 355

W Warenkreditversicherung 355

Z Zertifizierung 382