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German Pages VI, 294 [289] Year 2020
Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation
Sabine Wahl · Elke Ronneberger-Sibold Karin Luttermann Hrsg.
Werbung für alle Sinne Multimodale Kommunikationsstrategien
Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation Band 21 Reihe herausgegeben von Nina Janich, Darmstadt, Deutschland Dagmar Neuendorff, Åbo, Finnland Christopher M. Schmidt, Åbo, Finnland
Die Schriftenreihe verbindet aktuelle sprachwissenschaftliche, betriebswirtschaft liche, kulturwissenschaftliche und kommunikationstheoretische Fragestellun gen aus dem Handlungsbereich der Wirtschaft. Im Kontext einer interdisziplinär verankerten und interkulturell angewandten Forschung sollen wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Problemlösungsstrategien für die Wirtschaftskommu nikation geschaffen werden. Auf diesem Wege wird auch eine Überwindung tra ditioneller Fachgrenzen zur Erhöhung des Erkenntnisgewinns für die einzelnen Disziplinen angestrebt. Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Nina Janich Technische Universität Darmstadt
Prof. Dr. Dagmar Neuendorff Åbo Akademi, Finnland
Dr. habil. Christopher M. Schmidt Åbo Akademi, Finnland
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12615
Sabine Wahl · Elke Ronneberger-Sibold · Karin Luttermann (Hrsg.)
Werbung für alle Sinne Multimodale Kommunikationsstrategien
Hrsg. Sabine Wahl Wien, Österreich
Elke Ronneberger-Sibold München, Deutschland
Karin Luttermann Eichstätt, Deutschland Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Eichstätter Universitätsgesellschaft e.V.
Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation ISBN 978-3-658-25128-4 ISBN 978-3-658-25129-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhalt
Einleitung Sabine Wahl / Elke Ronneberger-Sibold / Karin Luttermann
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I. Multimodale Kommunikation „Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung Florian Hoffarth Interaktionsprozesse: Sprache, Bild und Gesellschaft in humoristischer Werbung Karin Luttermann Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung Viktoria Umborg Der Aufbau von Kundenbeziehungen durch multimodale Vertrauensbildung im Internet am Beispiel von Tourismusdestinationen Esther Federspiel / Anja Janoschka / Seraina Mohr Klangerlebnisse in der Werbung. Wunschkonzert mit Mehrwert? Heiko Schulz Die Schallplatte – sprach- und medienwissenschaftliche Untersuchung zu einem unerforschten Werbemedium Sandra Reimann Olfaktorische Kommunikation als Instrument des Relationship Marketing – eine interdisziplinäre Diskussion Marie-Christin Papen / Jens Runkehl / Jessica Freiherr / Katalin Fehér / Florian U. Siems
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Inhalt
Kaufentscheidungen am POS – Welche Rolle spielt der Produktgeruch? Isabella Laimer / Monika Koller / Marcus Stumpf
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Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung Arno Kinzinger / Marcus Stumpf / Bettina Stiller
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II. Multimodale und multisensorische Kommunikation Inszenierung des Wandels. Funktion von Multimodalität in der Veränderungskommunikation am Beispiel des Imagefilms der Commerzbank 2012/13 Regine Wieder / Nicole Rosenberger
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Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective Marianne Grove Ditlevsen / Peter Kastberg
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Kinowerbung – multimodale und multisensorische Markenerlebnisse Sabine Wahl
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Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am Point of Service (POS) zur Steuerung der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität Dirk Steffen Möglichkeiten und Grenzen multimodaler Kommunikation bei technischen Innovationen am Beispiel eines interdisziplinären Forschungsprojektes im Bereich Textiltechnik Florian U. Siems / Antje S. J. Hütten / Olga Bystrova / Timm Holtermann / Achim Hehl / Achim Schröter / Thomas Gries
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Gestaltung und Wirkungen crossmedialer Kommunikation Michael Boenigk / Ursula Stalder / Tobias Fries / Dorothea Schaffner
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Einleitung Sabine Wahl / Elke Ronneberger-Sibold / Karin Luttermann Moderne Werbung verfügt über eine Vielzahl von semiotischen Ressourcen, um die Sinne ihrer Rezipientinnen und Rezipienten anzusprechen. Statische oder bewegte Bilder sowie Texte und ihre typographische Gestaltung wenden sich an den Sehsinn. Gesprochener oder gesungener Text, Musik und Geräusche erreichen das Gehör. Verschiedene Oberflächenstrukturen zum Beispiel auf Verpackungen und Anzeigen wirken über den Tastsinn, während Düfte und Gerüche über den Geruchssinn und Kostproben über den Geschmackssinn gehen. Im Bereich des sogenannten multisensorischen Marketings wird überlegt, wie verschiedene semiotische Ressourcen so zu multimodalen Kommunikaten gebündelt werden können, dass sie möglichst viele verschiedene Sinneseindrücke gleichzeitig zu ganzheitlichen Erlebniswelten verschmelzen lassen. Der vorliegende Band setzt sich zum Ziel, neben den in der Werbeforschung bereits ausführlich untersuchten multimodalen Kommunikaten aus Text und Bild wie Werbeanzeigen und Plakaten auch die anderen semiotischen Ressourcen und ihr multimodales und multisensorisches Zusammenwirken in den Blick zu nehmen. Für den Begriff Multimodalität finden sich in der Literatur – je nach Fachbereich – mindestens drei Definitionen: Erstens meint Multimodalität die Kombination verschiedener Zeichenmodalitäten (auch semiotische Ressourcen oder Codes genannt) zu einem komplexen Text bzw. Kommunikat. Zweitens ist mit Multimodalität in der Gesprächsforschung die Kommunikation mittels gesprochener Sprache in Kombination mit Gestik, Mimik, Blickkontakt und Körperhaltung gemeint. Drittens wird Multimodalität verwendet, wenn an der Wahrnehmung eines Kommunikats mehrere Sinne beteiligt sind. Für die dritte Definition verwenden wir in der Einleitung und bei der Gliederung des Bandes den Begriff multisensorisch (vgl. multisensorisches Marketing), während wir an diesen Stellen für multimodal bzw. Multimodalität die erste Definition annehmen. Die von den jeweiligen Autorinnen und Autoren in den einzelnen Beiträgen gewählten Begriffe haben wir nicht vereinheitlicht (vgl. Wahl 2016: 127-128). Die vorliegenden Beiträge gehen auf das 13. interdisziplinäre und internationale Symposium der Forschungskooperation Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation (EUKO) zurück, das vom 11. bis 14. September 2013 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt durch Elke Ronneberger-Sibold und Sabine Wahl ausgerichtet wurde. Wie es dem Konzept der EUKO entspricht, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_1
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Wahl / Ronneberger-Sibold / Luttermann
trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Theorie und Praxis. Die meisten Beiträge sind überarbeitete Versionen der Konferenzvorträge bis auf diejenigen von Arno Kinzinger, Marcus Stumpf, Bettina Stiller und Karin Luttermann. Die fünfzehn Beiträge thematisieren aus unterschiedlichen Fach- und Berufsperspektiven verschiedene Anwendungsfelder für die Gestaltung von multimodalen Werbebotschaften für Produkte und Dienstleistungen, darunter:
Anzeigen und Plakate Hörfunk-, TV- und Kinospots Marketing im Internet (einschließlich mobiles und virales Marketing) Direktmarketing Packaging Point of Sale/Service weitere Formen der externen und internen Unternehmenskommunikation
Einige Beiträge verfahren rein multimodal, indem sie jeweils nur einen Typ von Sinneswahrnehmungen durch mehrere semiotische Ressourcen behandeln, während andere, zusätzlich multisensorisch ausgerichtete Beiträge auch Kombinationen von Sinneswahrnehmungen in den Blick nehmen. Diese Zweiteilung liegt auch der Gliederung dieses Bandes zugrunde. Die optische Sinneswahrnehmung ist Gegenstand von mehreren Aufsätzen über das Zusammenspiel von Text und Bild in Printanzeigen und auf Webseiten im Internet: Florian Hoffarth behandelt die schwierige Bewerbung von sogenannten sin products wie Alkoholika und Zigaretten in Printanzeigen. Karin Luttermann zeigt anhand von humoristischen Anzeigen der Autovermietung Sixt, wie das Erzeugen von Lachen zum Mittel der Interaktion mit dem Rezipienten werden kann und welche Rolle implizites Wissen für das Verstehen von Werbebotschaften hat. Viktoria Umborgs Beitrag widmet sich dem Wechselspiel von Text und Bild bei der Interpretation von Phraseologismen wie zum Beispiel Bauklötze staunen. Esther Federspiel, Anja Janoschka und Seraina Mohr untersuchen die Internet-Auftritte von mehreren Schweizer Tourismusdestinationen im Hinblick auf die Anbahnung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Anbietern und Kunden in der Tourismusbranche. Akustische Reize stehen im Vordergrund der Beiträge von Heiko Schulz und Sandra Reimann. Der Werbemusikproduzent Schulz zeigt anhand von zahlreichen Praxis-Beispielen die umfangreichen Möglichkeiten, aber auch die wirtschaftlichen Beschränkungen des Audio-Branding und der akustischen Markenführung auf. Sandra Reimann stellt die Schallplatte als wenig erforschtes Werbemedium vor, das gesprochenen und gesungenen Text, Musik und Geräu-
Einleitung
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sche kombiniert. Ihre Beispiele aus dem Regensburger Archiv für Werbeforschung, zum Teil verglichen mit Parallelversionen aus dem Hörfunk, führen in die besonderen Bedingungen dieses historischen Mediums ein, das auch den visuellen Kanal in Gestalt der Plattencover nutzte. Die im Vergleich zur Optik und Akustik noch relativ wenig erforschte Rolle von olfaktorischen Reizen im Marketing wird in gleich drei Beiträgen behandelt: Marie-Christin Papen, Jens Runkehl, Jessica Freiherr, Katalin Fehér und Florian U. Siems diskutieren in ihrem theoretisch gehaltenen Beitrag, wie Düfte im Relationship-Marketing zum Aufbau und Erhalt von Kundenbeziehungen eingesetzt werden können. Isabella Laimer, Monika Koller und Marcus Stumpf haben empirisch-vergleichend untersucht, wie weit die Kunden den Geruch von Produkten, in diesem Fall von Früchten, am Point of Sale, genauer in der Lebensmittelsabteilung eines Supermarktes und auf einem Grünmarkt, bei der Kaufentscheidung heranziehen. Auch Arno Kinzinger, Marcus Stumpf und Bettina Stiller sind bei ihrer Untersuchung empirisch verfahren: Sie vergleichen in ihrem Beitrag die Wahrnehmung von bedufteten und nicht bedufteten Werbeanzeigen in einem Reisekatalog und kommen zu dem Ergebnis, dass der Duft die Wahrnehmung deutlich fördert. Diese Kombination von optischen mit olfaktorischen Reizen leitet zu den im engeren Sinne multisensorischen Beiträgen über. Das auch im Alltag am meisten genutzte multimodale und multisensorische Kommunikat ist der Film, der typischerweise vor allem optische und akustische Reize kombiniert. In Werbung und Public Relations wird diese Kombination hautsächlich für Spots im Fernsehen und Internet sowie für Werbefilme im Kino genutzt. Regine Wieder und Nicole Rosenberger analysieren in ihrem Beitrag, wie die Commerzbank eine Änderung ihrer Haltung zum Kunden infolge der Bankenkrise mit filmischen Mitteln glaubhaft auszudrücken sucht. Innerhalb von Unternehmen werden Corporate Videos zur Erzeugung und Festigung der Corporate Identity eingesetzt. Eine Auswahl solcher Video-Filme der dänischen Firma Chr. Hansen sind analysiert im Beitrag von Marianne Grove Ditlevsen und Peter Kastberg. Sabine Wahl zeigt in ihrem Beitrag, dass das Kino und die (filmische) Werbung von Anfang an sehr eng verbunden sind. Das Kino ist dabei aber nicht nur Ort für multimodale und multisensorische Markenerlebnisse auf der Leinwand, sondern für manche Produkte gleichzeitig Point of Sale und Ort des Konsums. Außerdem wird an einem Beispiel deutlich, wie im Kinowerbefilm die klassische Kombination von Bild und Ton um haptische und vor allem olfaktorische Reize erweitert werden kann. Dirk Steffen stellt systematisch zusammen, wie im Dienstleistungsmarketing alle Sinne der Kundinnen und Kunden positiv anzusprechen bzw. negative
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Wahl / Ronneberger-Sibold / Luttermann
Sinneseindrücke zu vermeiden sind. Florian U. Siems, Antje S. J. Hütten, Olga Bystrova, Timm Holtermann, Achim Hehl, Achim Schröter und Thomas Gries zeigen am konkreten Beispiel eines interdisziplinären Forschungsprojektes im Bereich Textiltechnik unter anderem, wie multimodale und multisensorische Simulationen oder Prototypen eingesetzt werden können, um die Kommunikation innerhalb von interdisziplinären Entwicklerteams zu erleichtern und die Vermittlung der neuen Technologie an externe Zielgruppen vorzubereiten. Auch der Trend zur crossmedialen Vernetzung verschiedener Online- und Offline-Medien in der Werbung erfordert multimodales und multisensorisches Marketing. Dies wird unter anderem deutlich in dem groß angelegten Wirkungsmodell crossmedialer Kommunikation auf der Grundlage einer sogenannten Storyline, das Michael Boenigk, Ursula Stalder, Tobias Fries und Dorothea Schaffner in ihrem Beitrag vorstellen. Wir danken den Herausgeberinnen und dem Herausgeber der Reihe Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation für die Aufnahme dieses Bandes und Sabine Schöller vom Verlag Springer VS für die Betreuung der Publikation. Ihnen und allen Beiträgerinnen und Beiträgern ein herzliches Dankeschön für ihre lange Geduld. Literatur Wahl, Sabine (2016): Doppelte Multimodalität in deutschen, englischen und spanischen Werbespots. In: Schmidt, Christopher M. (Hrsg.): Crossmedia-Kommunikation in kulturbedingten Handlungsräumen. Mediengerechte Anwendung und zielgruppenspezifische Ausrichtung. Wiesbaden: Springer VS, 127-141.
I. Multimodale Kommunikation
„Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung Florian Hoffarth Abstract Advertisements surrounding us in our daily lives carry certain values to ensure they attract an intended variety of customers respectively target group. Among adverts for everyday products, adverts for cigarettes and alcoholic beverages play a special role according to the nature of those mentioned products (so called „sin products“) to seriously affect peoples’ health. This article will focus on the question how cigarettes and alcohol have been presented in terms of linguistic and pictorial elements to achieve the goal of creating – an obviously positive – unique selling proposition matching the needs of the customers.
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Einleitung
Der folgende knappe Textauszug eines Flyers für eine im Jahr 2005 durchgeführte „Fachtagung für pädagogische Fachkräfte in Schule, Jugendhilfe und Prävention“ soll verdeutlichen, welche Relevanz der Inhalt des Textes für das hier zu behandelnde Thema hat: Alkohol und Zigaretten sind cool, bringen Spaß und stehen für Freiheit, Sex, Mut und Abenteuer – das suggeriert uns die Werbung. Doch welche Images und Wertungen kommen bei Mädchen / Frauen und Jungen / Männern an? Verführt die Werbung zum Alkohol- und Zigarettenkonsum oder sind es andere Gründe [...], die junge Menschen zum Trinken und zum Rau1 chen veranlassen?
Offenkundig werden Alkohol und Zigaretten – gewissermaßen in einem Atemzug – im Zusammenhang mit Werten und Eigenschaften (wie ‚Coolness’, Spaß und Freiheit etc.) genannt, die in der Gesellschaft als positiv und erstrebenswert gelten. Weiterhin ist es für den Autor oder die Autorin des Textes eine zumindest durchaus reale Möglichkeit, dass die Werbung verantwortlich zu machen ist, wenn Jugendliche die besagten Produkte konsumieren. Schließlich stellt – dies lässt sich implizit aus dem Text herauslesen – die ‚geglückte’ Verführung von Jugendlichen zu Alkohol und Zigaretten ein ernsthaftes Problem dar, dem – 1
Netzwerk Gesundheitskommunikation .
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_2
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Hoffarth
passend zur Zielsetzung der Fachtagung – in welcher Form auch immer begegnet werden muss. Alkohol und Zigaretten sind in Deutschland omnipräsent und nahezu überall verkäuflich, wie etwa in Tankstellen, Supermärkten und Kiosken. Mitnichten handelt es sich jedoch um ‚normale’ Produkte: Zusammen mit Glücksspiel, Waffen und Pornographie bilden sie die ‚Big Five’ der so genannten sin products. Als sündige Produkte gelten all jene Waren, von denen eine latente Gefahr für die geistige und körperliche Gesundheit des Konsumenten ausgeht – man denke hier beispielhaft an die Jugendgefährdung bei pornographischen Erzeugnissen. Gemein ist diesen Produkten folglich ebenfalls, dass die staatlichen Organe den Umgang mit ihnen kontrollieren (vgl. Becker 2010). Obgleich alkoholische Erzeugnisse zweifelsfrei zu den sin products gehören, sind sie und ihr Konsum – wenn auch in bestimmten Grenzen – gesellschaftlich akzeptiert und toleriert. Tabak hat hingegen eine andere ‚Karriere’ erfahren; galt man noch vor wenigen Jahrzehnten erst durch das Rauchen als ‚richtiger’ Mann, haben sich die gesellschaftlichen Werte deutlich zuungunsten des blauen Dunstes gewandelt. Die stetig wiederkehrende Diskussion um die Gefährlichkeit von Alkohol und Tabak ist aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz insbesondere für die geisteswissenschaftliche Disziplin – und nicht zuletzt für die Sprachwissenschaften – von Interesse. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass – obgleich die Zahl der linguistischen Forschungsarbeiten zum Thema ‚Werbesprache’ inzwischen kaum noch zu überblicken ist, sin products wie Alkohol und Zigaretten bislang nicht oder höchstens marginal untersucht worden sind. Der vorliegende Beitrag soll einen Ansatz zur Schließung dieser Forschungslücke bieten. 2
Werbung als Wertekommunikation / Werte in der Werbung
Die nach Hennecke (2012: 107) gängigste Definition von Werbung ist die „absichtliche Beeinflussung von Verhalten und Einstellungen“. Das von der Werbung intendierte Ziel – die dahingehende Beeinflussung des Rezipienten / Konsumenten, das von ihr beworbene Produkt zu kaufen – ist, so Hennecke, vom Einsatz der Werte abhängig, nach denen sich die Mitglieder einer Gesellschaft (bewusst oder unbewusst) richten:
„Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung
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Das Verhalten ist der Ist-Zustand, der dahinter liegende und das Verhalten gewissermaßen steuernde Wert der Soll-Zustand. Im besten Falle korrespondieren beide miteinander. Man könnte anders sagen, dass Werte die positionale Dimension von Verhalten sind. Verhalten kann also am besten beeinflusst und gesteuert werden, wenn an die Werte appelliert wird, die dieses Verhalten beeinflussen (Hennecke 2012: 67).
Anders als noch in früheren Jahren wird das Umfeld, in dem jene Wertevermittlung durch die Werbung angestrebt wird, zunehmend komplexer, was nicht zuletzt auch der Austauschbarkeit der angebotenen Produkte respektive der schieren Unüberschaubarkeit des Warensortiments geschuldet ist. Demzufolge lassen sich Produkte kaum noch ohne zusätzliche Gratifikationen, wie preisliche oder andere qualitative Vorteile, in der Werbung anpreisen. Es geht schlicht darum, den Kunden „nicht primär die Produkte allein, sondern vielmehr die Werte, die Erfüllung ihrer Wünsche und Sehnsüchte zu versprechen, zu verkaufen. Unter den Werten hat die USP (unique selling proposition) zentrale Bedeutung: Darunter ist ein Wert (Nutzen, Benefit) zu verstehen, der für den Verbraucher im Rahmen seiner Kaufabsicht relevant und im Vergleich zu dem Angebot der Konkurrenz einzigartig ist“ (Golonka 2009: 138, Hervorhebung im Original). Für Wehner (1996) sind Werte die eigentlichen Werbeversprechen, da sie als Belohnung für den Kauf der Produkte oder Dienstleistungen in Aussicht gestellt werden. Wehner hat in ihrer Arbeit insgesamt 3.500 Printanzeigen (von 1900 bis 1992) anhand eines nach Branchen unterteilten Wertekatalogs untersucht. In fast allen von ihr untersuchten Anzeigen wurde die Strategie der Wertevermittlung angewandt. Zumeist fand sich ein zentraler Wert als Botschaft, seltener zwei oder drei Werte. Wehner hat zudem nachgewiesen, dass ab der Mitte des 20. Jahrhunderts rein produktbezogene Werte (wie etwa Leistung oder Qualität) stetig abnahmen, während die lebensstilorientierten Werte deutlich angestiegen sind. Im Hinblick auf den Einsatz sprachlicher Mittel konstatiert Wehner: Der sprachlichen Phantasie sind am wenigsten Grenzen gesetzt, wenn Genuß, Lebensfreude, menschliches Miteinander, gehobene Lebensart, Selbstverwirklichung oder soziale Anerkennung mit dem Erwerb des Angepriesenen in Aussicht gestellt werden sollen: Werte, die in der Bedürfnishierarchie weit oben angesiedelt sind und den sozialen Wandel zugunsten postmaterialistischer Orientierungen dokumentieren (Wehner 1996: 92).
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Hoffarth
Die Vermarktung sündiger Produkte: Instrumente und Zielgruppen
Nach einer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) durchgeführten repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2000 rauchten in Deutschland „rund 35% der Erwachsenenbevölkerung in dem erhobenen Altersspektrum von 18 bis 59 Jahren. Der überwiegende Anteil aller Raucher (87%) raucht täglich. Drei Viertel der regelmäßigen Raucher konsumiert dabei zwischen 5 und 20 Zigaretten pro Tag.“ 2 Das Marketing der Tabakunternehmen versucht naturgemäß, den Absatz des Produktes ‚Zigarette’ zu steigern, nicht zuletzt im Hinblick auf die Zahl jener Raucher, die mit dem Rauchen aufhören möchten oder schlicht an den Folgen ihres langjährigen Konsums sterben. Ein solches Schrumpfen des Marktes muss durch den Gewinn immer neuer Konsumenten kompensiert werden. 3 Gerade bei den Frauen hat gezieltes Marketing seitens der Tabakindustrie erreicht, dass das Rauchen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von einer sozial devianten Tätigkeit – Damen, die in der Öffentlichkeit rauchten, wurde zumeist ein wenig solider Lebenswandel attestiert – zu einem weithin akzeptierten Signum für Weiblichkeit und Attraktivität werden zu lassen. Positiv besetzte Werte wie Schlankheit waren es beispielsweise, die im Jahr 1925 der Werbekampagne der Zigarettenmarke Lucky Strike zu einem ungeahnten Erfolg verhelfen sollten. Mit dem Slogan Reach for a Lucky instead of a sweet gelang es der Zigarettenfirma, Lucky Strike als gangbare Alternative für Süßigkeiten zu etablieren. Damit legte das Unternehmen den Grundstein für seine Position als langjähriger Marktführer. 4 Standen in den 1950er und 60er Jahren die klassischen Werbemedien Fernsehspots, Print- und Plakatwerbung in Vordergrund, sind die Formen des Zigarettenmarketings – nicht zuletzt aufgrund der strikter werdenden Gesetzgebung im Sinne zunehmender Werbeverbote – inzwischen auf andere Formate (wie Product Placement, Sponsoring oder Direktmarketing am sogenannten Point of Sale) verlagert worden. Wie die Tabakindustrie sind auch die Produzenten von Alkoholika auf eine stetige Steigerung ihres Absatzes angewiesen. Klassischerweise geschieht dies 2 3
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Deutsches Krebsforschungszentrum . So stellte man 1984 in einem internen Bericht bei Philip Morris fest: „If the domestic cigarette market is to survive long-term, it must have a constant influx of new smokers.“ (Tobacco Documents: ). Vgl. Tobacco Documents: .
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durch die Gewinnung neuer Konsumenten sowie deren langfristige Bindung an eine Marke. Naturgemäß sind hierbei solche Kunden – Jugendliche – von Interesse, die gerade erst mit dem Alkoholkonsum beginnen. Vom USamerikanischen Markt des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist bekannt, dass die Alkoholindustrie vor allem ‚verwundbare’ Gruppen anpeilte, darunter Alkoholiker (heavy drinkers), ethnische Gruppen, Frauen und junge Konsumenten. 5 So hatten Untersuchungen ergeben, dass rund die Hälfte des gesamten Verbrauchs an alkoholischen Getränken im amerikanischen Markt auf heavy drinkers zurückging. Die Folge hiervon war die Einführung des auch hierzulande populären ‚Sixpacks’ zur besseren Bevorratung des heimischen Kühlschranks (vgl. Burnham 1993: 77). Zentrale Medien für die Alkoholhersteller sind u.a. der Printbereich (Zeitungen, Plakate, Magazine) sowie Fernseh- und Radiowerbung. Obgleich die Werbebeschränkungen für Alkohol bei weitem nicht so massiv sind wie für Tabakprodukte, gelten dennoch bestimmte Regularien. So ist es beispielsweise verboten, Werbung für alkoholische Getränke auf Minderjährige auszurichten oder Minderjährige beim Konsum von Alkoholika abzubilden. Auch jegliche suggestive Verknüpfung zwischen Alkoholgenuss und beruflichem, sozialem oder sexuellen Erfolg sowie einer generellen Verbesserung des Lebensgefühls ist nicht statthaft; ebenso wenig sind im Rahmen von Selbstverpflichtungen der Werbewirtschaft Aufforderungen zu exzessivem Alkoholkonsum oder Darstellungen sozialer Akzeptanz von Alkohol erlaubt (vgl. Becker 2010: 49). 4
Sprachwissenschaftliche Analyse: Der Einsatz von Werten in Werbung für „sin products“
Wie bereits erwähnt, sieht die gängigste Definition Werbung als Instrument willentlicher Beeinflussung der Konsumenten. Um eine Veränderung von Kaufverhalten und Einstellungen gegenüber einem Produkt auszulösen, muss der Einsatz der Mittel zielgerichtet erfolgen. Bilder gewinnen hierfür seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung: Gerade dann, wenn es um die „Vermittlung von emotionalen Eindrücken bzw. die Erzeugung eines emotionalen Zusatzwertes geht“ (Hennecke 2012: 124), werden Bilder im Vergleich zu sprachlichtextuellen Zeichen wesentlich schneller wahrgenommen und verstanden. Sie
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„‚Get the youth market and you’re half way home’, noted one brewery official in 1979, adding explicitly: ‚The 18-34 age bracket is very important to us’“ (Burnham 1993: 77).
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transportieren, wie Stöckl (2011: 49) konstatiert, „in Bruchteilen von Sekunden recht komplexe Situationen und Gegenstände“. Nichtsdestoweniger sind es – nach Golonka (2009: 158) – die Worte, welche den Werbebildern letztlich die intendierte Bedeutung verleihen. Die Werbung ist das Paradebeispiel eines persuasiven Sprachgebrauchs. Dieser Sprachgebrauch ist sorgfältig geplant und durch einen möglichst effektiven Einsatz sprachlicher Mittel gekennzeichnet, der sich auf vielfältige Ebenen – von Lexik, Stil, Textaufbau bis zur Syntax etc. – erstrecken kann. Hier setzt das Analysemodell von Golonka (2009) an, auf das sich der vorliegende Beitrag im Wesentlichen bezieht. Golonka (2009) hat ihr Korpus, bestehend aus deutschen und polnischen Werbeanzeigen und Fernsehspots, auf der Grundlage eines von ihr entwickelten Modells (vgl. Tabelle 1) hinsichtlich der darin auftretenden Werte analysiert. Dabei nimmt sie im ersten Schritt eine Unterscheidung in produkt-, sender- und empfängerbezogene Werte vor, „also den Vorteilen der angepriesenen Produkte (i. w. S.), den im Selbstlob verkündeten Qualitäten der Werber sowie den unterschiedlichen Versprechen, die den Umworbenen in Aussicht gestellt werden. Die produktbezogenen Werte werden im zweiten Schritt in funktionale und symbolische Werte untergliedert“ (Golonka 2009: 328-330). Auch die anderen Werte (in Tabelle 1 die Nummern II bis IV) lassen sich noch feiner aufschlüsseln, wobei die Grenzen zwischen den einzelnen Werten durchaus fließend sein können. I produktbezogene Werte 1. produktbezogene funktionale Werte 1a. Preis 1b.Wirtschaftlichkeit und verwandte Werte 1c. Qualitätswerte (Qualität, Technologie, Wirksamkeit, Mobilität, Geschwindigkeit, Geschmack etc.) 2. symbolische Werte (Neuheit, Exklusivität, Individualität, Modernität, Zuverlässigkeit etc.) II senderbezogene Werte (Flexibilität, Individualität, Tradition, Kompetenz, Kundenorientierung, Ehrlichkeit etc.)
„Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung
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III empfängerbezogene Werte 1. soziale Nützlichkeitswerte (Liebe, Wertschätzung, Beziehungen, Familie, Freunde, Zweisamkeit etc.) 2. reine Bedürfniswerte (finanzielle Vorteile und Sicherheit, Convenience, Gesundheit, Lebensfreude etc.) 3. individualistische Leistungswerte (Ehrgeiz, Erfolg, Leistung, Perfektion, Professionalität, Intelligenz, Wissen etc.) 4. hedonistische Erlebniswerte (Unterhaltung, Genuss, Urlaub, Freizeit, Sport, Abenteuer, Sinnlichkeit etc.) IV Verschiedene einigermaßen definierbare Stimmungswerte 6 Tabelle 1: Wertekategorisierung nach Golonka (2009: 329-330) In einem zweiten Schritt werden die vorgefundenen Werte einem Katalog von „werblichen Ausdrucksformen von Werten“ (ebd.: 331) zugeordnet. Hierbei greift Golonka auf linguistische Beschreibungsebenen zurück, die sich von der Mikro- (Lexik, Stilmittel etc.) bis zur Makro-Ebene erstrecken (Syntax, Text, Text-Bild-Kompositionen etc.). In Anlehnung an das beschriebene Analysemodell wurde das im Rahmen dieses Beitrags zusammengestellte Korpus aus je zwanzig Anzeigen für Zigaretten- und Alkoholwerbung (Bier und Schnaps) der 1960er bis 2000er Jahre auf darin auftretende Werte untersucht. Hinsichtlich der linguistischen Beschreibungsebene der Werte konzentrierte sich die Analyse auf die Ebene der Lexik 7 sowie der stilistischen Mittel 8. Die wichtigsten – nach Jahrzehnten geordneten – Befunde werden im Folgenden kurz vorgestellt. Obgleich aufgrund der Ausschnitthaftigkeit des untersuchten Materials kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden kann, decken sich die Ergebnisse insgesamt mit den Befunden von anderen Forschern (vgl. Hennecke 2012).
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Diese Kategorie wird von Golonka (2009: 330) fast ausschließlich für Fernsehspots genutzt. „Wortarten, Wortbildungsmittel, Hochwertwörter, Schlüsselwörter, Plastikwörter, triggerwords, Fremdwörter, Fachwörter“ (ebd.: 331). „Ebenenübergreifende Phänomene: Phraseologismen, Sprachspiele, Metaphern, Vergleiche, Endreim, Alliteration, Fremdsprachliches, Fachsprachliches, Inszenierung der gesprochenen Alltagssprache“ (ebd.).
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4.1 Werte in der Zigarettenwerbung Zunächst kann festgestellt werden, dass – gewissermaßen als Konsequenz aus der stetigen Reduktion der Textmenge in Werbeanzeigen – die Anzahl der ermittelten Werte im Laufe des betrachteten Zeitraums abnimmt. Dieser Befund ist auch schon von Wehner (1996) konstatiert worden. Demnach finden sich bei der Zigarettenwerbung durchschnittlich 2,5 Werte pro Anzeige. Insgesamt sind die Werte wie folgt verteilt, wobei eine Kombination von verschiedenen Werten in den Anzeigen häufig auftritt:
55% empfängerbezogene Werte (dominierend sind hier die reinen Bedürfniswerte sowie hedonistische Werte) 40% produktbezogene Werte (Preis, Qualität und symbolische Werte) 5% senderbezogene Werte (Expertise, Kompetenz, Marktposition)
Dass empfängerbezogene Werte, die zentrale Bedürfnisse des Konsumenten (wie ‚Genuss’, ‚Lebensfreude’ und dergleichen) betreffen, am häufigsten auftreten, dürfte kaum überraschen angesichts der Tatsache, dass Rauchen bis in die 1960er Jahre hinein noch nicht im selben Maße als gesundheitsschädlich galt wie heute und Genuss als ein zentraler Wert für die 1960er Jahre angesehen werden kann. 9 Senderbezogene Werte, also eigene Verweise auf das Produkt oder die Kompetenz bzw. die Marktführerschaft des Herstellers, haben kontinuierlich abgenommen. Vereinzelt werden hingegen sogenannte Image-Kampagnen der Zigarettenhersteller geschaltet, welche die soziale Verantwortung des Unternehmens zum Gegenstand der Anzeige machen oder zu politischen Diskursen – wie etwa zur Diskussion über Passivrauchen und Nichtraucherschutz – Stellung in eigener Sache beziehen.
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Die Folgen des so genannten ‚Terry Reports’ – des Berichtes des US Surgeon Generals vom 11. Januar 1964, der die gesundheitlichen Risiken des Rauchens erstmals eingehend thematisierte – wurden in der Bundesrepublik Deutschland erst mit einiger zeitlicher Verzögerung zum Gegenstand eines breiteren öffentlichen Diskurses (vgl. auch: Der Spiegel ).
„Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung
Abbildung 1:
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Marlboro-Anzeige (1961) 10
Wohl kaum jemand weiß, dass der Hersteller von Marlboro, Philip Morris, die im Jahre 1924 eingeführte Zigarettenmarke ursprünglich als Zigarette für Frauen auf den Markt brachte. Nach einigen Änderungen am Produkt und Design – die Zigarette wurde erst im Laufe der 50er Jahre mit einem Filter versehen – gelang mit der Einführung der Werbeikone des Marlboro-Cowboys der unangefochtene Aufstieg zum Weltmarktführer. Zu Beginn der 60er Jahre entsprach die Anzeigenkampagne von Marlboro in sprachlich-textueller Hinsicht dem Zeitgeist jenes Jahrzehnts. Charakteristisch ist – neben dem bereits genannten Genuss als zentralem Schlüsselwort – auch die Herausstellung eines modernen Lebensgefühls, das in Form von Anaphern und Alliterationen in Slogans und Claims immer wieder aufgegriffen wird (Moderne Menschen – Modernes Leben). Ebenfalls signifikant für die 60er Jahre sind Kompositabildungen und Bindestrichschreibungen (naturmild, nikotinarm; Marlboro-Geschmack). 10
Ads and Brands: .
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Hoffarth
Die 70er Jahre sind gekennzeichnet von einer nahezu unüberschaubaren Flut neuer Zigarettenmarken. Die Werbung wird insgesamt individueller und spezifischer auf bestimmte Konsumentenstereotypen zugeschnitten, so dass für jede erdenkliche Lebenssituation oder Lebenseinstellung – von konservativ bis links-alternativ – eine passende Marke bereitzustehen scheint. Mild ist das neue Werbeattribut, mit dem der Geschmack fast jeder Zigarette charakterisiert wird (milde Cigarette, milder Tabak). Die folgende Anzeige der Zigarettenmarke eve steht als charakteristisches Beispiel für die Entwicklungen jener Zeit.
Abbildung 2:
eve (aus: Werbung in Deutschland 1973)
Eingerahmt in ein paradiesisches Sujet, zielt die Anzeige auf die Werte ab, die eine Zigarette für die Zielgruppe der weiblichen Konsumenten attraktiv macht. Sei es durch die durchgehende Verwendung des Personalpronomens sie, welche mit der Benennung der Zigarettenmarke durch eve korrespondiert, oder durch entsprechende Attribuierungen mit aufwertenden Adjektiven im Fließtext (mit hübschen Kleinigkeiten, eine verführerisch schöne Verpackung, ein hübsches Mundstück): Hierdurch gelingt es, nicht nur eine Zigarette zu vermarkten, sondern sie zu personalisieren und als ‚gutaussehende’ Begleiterin oder ‚hübsches’ Accessoire der modernen Frau zu präsentieren. Im Laufe der 80er Jahre verringern sich die Textmengen in den Werbeanzeigen kontinuierlich. Auf Fließtexte wird nun fast vollständig verzichtet; als textuelle Elemente setzt man stattdessen Headlines und Slogans ein. Die ausführ-
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lich formulierte copy reduziert sich auf Ellipsen und Einwortsätze. Zudem halten Anglizismen Einzug in die Werbung (Beispiel: Marke West: Come together, Let’s go West). Dieser Trend setzt sich auch in den 90er und 2000er Jahren fort: Gängige deutsche (?) Schlüsselwörter, die in vergangenen Jahrzehnten in den Anzeigen zu finden waren, sind durch Anglizismen ersetzt worden. Vereinzelt treten noch Geschmack oder Genuss auf, sofern sie nicht durch das englische Taste (sowohl als Substantiv wie auch als Verb im Imperativ) verdrängt worden sind. Offenkundig sind die Konsumenten nicht mehr mit der althergebrachten Anpreisung von Produktvorzügen wie ‚Qualität’ oder ‚Geschmack’ zu überzeugen, um ihre Markentreue zu garantieren.
Abbildung 3:
Camel (1990er Jahre) 11
Der Hersteller der Marke Camel, R.J. Reynolds, geht in den 90er Jahren neue Wege, um eine stärkere Bindung der Konsumenten an ‚ihre’ Zigarette zu erreichen: Eine Strategie ist die Personifizierung der Marke durch die comichaftplastische Darstellung der Werbefigur des Camel-Dromedars in Verbindung mit der Inszenierung jugend- und alltagssprachlicher Varietäten im Text (Mach ne Camel nie an der Tankstelle an, Hab immer ne Camel für danach).
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Kamelposter: .
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4.2 Werte in der Alkoholwerbung Hinsichtlich der Werbung für Bier und Schnaps lassen sich bei der Analyse des Korpus ähnliche Aussagen treffen wie für die Zigarettenwerbung. So finden sich durchschnittlich 2 Werte pro Anzeige; auch hier geht die Textmenge kontinuierlich zurück. Die Werte verteilen sich insgesamt wie folgt:
50% produktbezogene Werte (dominierend sind insbesondere Angaben zur Herkunft und zur Qualität des Produktes) 40% empfängerbezogene Werte (hier überwiegen Werte wie Geselligkeit, Gemeinschaft etc.) 10% senderbezogene Werte (z.B. Verortung des Herstellers in einer bestimmten Region)
Im Gegensatz zu den Zigarettenherstellern haben die Alkoholproduzenten – dabei vor allem die Bierbrauer – den marketingrelevanten Vorteil, sich selbst als Bestandteil der jeweiligen Region zu präsentieren und eine enge Verknüpfung zwischen der Heimat der Konsumenten und ihrem Produkt inszenieren zu können. Während die Produzenten von harten Alkoholika bis in die 60er und 70er Jahre hinein den Geschmack als zentrales Schlüsselwort beibehielten, lässt sich spätestens ab den 90er und 2000er Jahren ein deutlich flexiblerer Einsatz von Text- und Bildelementen nachweisen.
„Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung
Abbildung 4:
Sierra Tequila (aus: Jahrbuch der Werbung 1990)
Abbildung 5:
Freiburger Bier (aus: Jahrbuch der Werbung 2011)
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Abbildung 6:
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Freiburger Bier (aus: Jahrbuch der Werbung 2011)
Der flexiblere und spielerische Einsatz von Text und Bild lässt sich anhand der Anzeigen von Sierra Tequila und Freiburger Pilsner gut exemplifizieren. Hier reicht der Einsatz sprachlicher Mittel von Ironie und zweiseitiger Argumentation im Sinne einer starken Kontrastherstellung bei Sierra Tequila (Häßlich wie die Nacht, aber...) bis zum Wortspiel (Homophonie: Sechs im Freien) in der Freiburger-Anzeige. Die Werbung für das Erzeugnis der traditionsreichen Freiburger Brauerei Ganter erreicht aufgrund eines markanten Corporate Styles einen hohen Wiedererkennungswert bei den Konsumenten, was nicht zuletzt auf die einheitliche Farbgebung und die Verwendung des Slogans mit dialogischer Inszenierung (Ich bin Freiburger. Du auch?) zurückzuführen ist. Ihre volle Wirkung – im Sinne eines humoristischen Effekts – erreichen die Anzeigen erst durch das gelungene Zusammenspiel von textuellen und bildlichen Elementen. Hochwertwörter alleine sind, so kann als vorläufiges Ergebnis festgehalten werden, zur gelungenen Positionierung und Aktualisierung einer Marke nicht mehr ausreichend.
„Sin Products“: Ein Vergleich von Zigaretten- und Alkoholwerbung
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Fazit
Obgleich Alkohol und Zigaretten gleichermaßen zu den sin products gehören, gestaltet sich die Werbung für Zigaretten – was den Einsatz textueller und bildlicher Mittel anbelangt – deutlich restringierter. Es würde zu kurz greifen, diese Entwicklung auf die immer strikter werdenden gesetzlichen Vorgaben zurückzuführen, auch wenn die Möglichkeiten, das Produkt ‚Zigarette’ mit positiven Attributen zu versehen – man denke beispielsweise an das Verbot zu Beginn des neuen Jahrtausends, Zigarettensorten als Light oder Mild zu bezeichnen – weiter eingeschränkt werden. Hierbei muss ebenfalls in Betracht gezogen werden, dass die Zahl der Raucher, zumindest auf dem europäischen Markt, seit Jahren auf einem hohen Niveau stagniert, ja sogar leicht rückläufige Tendenzen erkennbar sind. Ob ein Raucher, der ‚seiner’ Marke langjährig die Treue hält, aufgrund einer neuen, originellen Kampagne eines konkurrierenden Herstellers die Zigarettenmarke wechselt, darf bezweifelt werden. Nicht zuletzt ist die Innovationskraft des Produkts ‚Zigarette’ an ihre Grenzen gestoßen: Eine bedeutende Weiterentwicklung wäre – wenn überhaupt – eine Zigarette ohne negative gesundheitliche Folgen. Diese kann jedoch, selbst in Anbetracht der vermeintlich kaum schädlichen EZigarette, die aktuell eine gewisse Popularität unter Rauchern genießt, mit Recht in das Reich der Utopien verwiesen werden. Demgegenüber hat Alkohol, trotz der ebenfalls zweifelsfrei nachgewiesenen negativen Folgen für die Gesundheit, den Vorteil eines gesellschaftlich weithin akzeptierten Rauschmittels. Die gesellschaftliche Tolerierung spiegelt sich in den untersuchten Anzeigen deutlich wieder: So sind die Produkte Bier und Schnaps zumeist in einem familiären und geselligen Rahmen eingebettet; Familie, Freunde und das soziale Umfeld bilden die dominierenden Sujets dieser Werbeanzeigen. Aufgrund dieses gesellschaftlichen ‚Rückhalts’ ist es der Alkoholwerbung möglich, mit dem sin-Charakter des beworbenen Produktes zu spielen und die Grenzen des Erlaubten auszutesten. Eine Ausnahme bildet die hier abgedruckte Camel-Anzeige (vgl. Abbildung 3): Während eine Thematisierung des sin-Charakters bei den untersuchten Zigarettenanzeigen keine Rolle spielt, thematisiert die Camel-Anzeige explizit die Verführungskraft der Zigaretten – wenn auch nur indirekt und ironisierend von der Werbefigur des Dromedars geäußert.
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Literatur
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Interaktionsprozesse: Sprache, Bild und Gesellschaft in humoristischer Werbung Karin Luttermann Abstract Die Mediatisierung kommunikativen Handelns prägt unsere moderne Gesellschaft. In den sogenannten Massenmedien ist Werbung allgegenwärtig und damit Teil des Alltagslebens. Werbung kann auf eine länger als 2000 Jahre alte Geschichte zurückblicken (wie die in den Ruinen von Pompeji ausgegrabenen Werbetafeln zeigen) und hat sich – vor allem in den letzten hundert Jahren – stark gewandelt: von informativ und teils langweilig bis hin zu kreativ, unterhaltsam und witzig. Während Witzigkeit als gestalterisches Mittel des Werbetreibenden zweckgerichtet erzeugt wird, ist Lachen über Werbeanzeigen eine individuelle Reaktion des Rezipienten. Das Nicht-Ernste wird in der Werbung als Ressource für Interaktion genutzt. Lachen ist eine bedeutsame Interaktionsmodalität, die im herkömmlichen Modalitätenspektrum werbelinguistischer Forschung bisher noch unterrepräsentiert ist. Der vorliegende Beitrag wählt einen handlungspragmatischen Zugang, um Printanzeigen von Sixt mit nicht autorisierten Bildnissen von öffentlich bekannten Personen daraufhin zu untersuchen, mit welchen Mitteln das Werbeziel erreicht werden soll und inwiefern der Humor in der Werbung zu einer ernsten Sache werden kann, wenn er in Satire umschlägt.
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Einleitung
Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung werden Werbekampagnen immer aufwendiger und internationaler gestaltet. Die Werbung ist ein zentrales Mittel zur Bekanntmachung eines Produkts auf dem Markt bzw. auf der internationalen Bühne. Die Werbebranche hat sich zu einer Branche der Superlative entwickelt. So lag die Produktion des bisher teuersten Werbespots für ein neues Kasinoressort in Macau bei rund 70 Millionen US-Dollar (vgl. Schobelt 2015). Die Rekordsumme hing weniger mit dem Ausstrahlungsort in der Nähe von Hongkong als mit den Mitwirkenden – den Weltstars Robert de Niro, Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und dem Regisseur Martin Scorsese – zusammen. Kostentreibend war zudem der Veröffentlichungsrahmen (Werbeblock), um die Werbebotschaft am wirksamsten zu platzieren. Im Rahmen des Super Bowls 2016, dem Meisterschaftsfinale der amerikanischen National Football League zwischen den Seattle Seahawks und den Denver Broncos, kosteten dreißig Sekunden Sendezeit wegen der weltweit höchsten Einschaltquote mehr als „vier Millionen Dollar […] – und das ist nur ein Bruchteil des Budgets, den die Firmen in ihren Auftritt tatsächlich investieren“ (Slavik 2014). Der Super Bowl gilt als das „wichtigste © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_3
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Sportereignis des Jahres“, als „ein hypermegagigantomanisches Superding“ mit dem „irrsten Werbeblock der Welt“ (Slavik 2014). Das Unternehmen Audi bewarb während der Big Game-Werbepause mit dem Werbespot „The Commander“ in einer Minute den neuen Premiumklassewagen Audi R8 V10 plus für mehr als 90 Millionen US-Dollar. 1 In Deutschland geben Firmen jährlich über 40 Milliarden Euro für Werbemaßnahmen aus. 2 Dahinter steht eine konkrete Forderung der Wirtschaft: Investition muss sich lohnen. Den Unternehmen geht es darum, für ihre Produkte und Dienstleistungen zu werben. Sie wollen Aufmerksamkeit erzeugen und sich von der Konkurrenz abheben (gleich welche Summen sie für die Vermittlung der Werbebotschaft zahlen). Letztlich wollen die Werbetreibenden aber einen Gewinn erwirtschaften und Geld verdienen. Diese Ziele verfolgt auch der international tätige Autovermieter Sixt mit seinen Werbeanzeigen. Er setzt in Deutschland für seine Kampagnen vielfach Personen der Zeitgeschichte 3 (wie Angela Merkel, Peer Steinbrück oder Oskar Lafontaine) ein, um die Werbebotschaft zu transportieren und die Kunden davon zu überzeugen, Autos von ihm und nicht von den Konkurrenten zu mieten. Sixt wirbt erfolgreich „nicht nur auf der kreativen Ebene, sondern auch in Bezug auf die wirtschaftlichen Marktdaten“ (Schulze 1999: 264265) und hinsichtlich der hohen Nutzerkommunikation seiner Anzeigen auf Facebook, die im Durchschnitt um ein Vielfaches höher liegt als in gewöhnlichen Produktanzeigen (Abschnitt 6.3). Womit kann der „Branchenprimus“ (Zenk 2006: 160) das Interesse der Werbeadressaten wecken? Der vorliegende Beitrag ist im Gebiet der Performanzlinguistik zu verorten. Das Untersuchungsziel sind die performativen Darstellungsformen und multimodalen Kommunikationsstrategien, die Printanzeigen von Sixt zugrunde liegen. Besonders interessieren die kommunikative Funktion und das Persuasionspotenzial der humoristisch-satirisch gemeinten Werbeäußerungen sowie die Rolle des impliziten Wissens im Werbediskurs. Zunächst werden die theoretischen Grundlagen – auch unter Berücksichtigung lauterkeitsrechtlicher Grenzen des Witzigen – in der Werbesprache aufbereitet (Abschnitte 2 bis 5). Dann wird exemplarisch eine Sixt-Anzeige in Bezug auf den humoristischen Gehalt und die Wirkung im 1 2 3
Vgl. Audi R8 Big Game Commercial – Commander (2016). URL: . Vgl. Zentralverband der deutschen Wirtschaft ZAW e.V. (o.J.). URL: . Der juristische Begriff „Personen der Zeitgeschichte“ steht im Zusammenhang mit unautorisiert veröffentlichten Bildnissen von Politikern und Prominenten in der Werbung, die vor Gericht wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts klagen können. Das Grundgesetz schützt das Recht auf Achtung der Persönlichkeit und am eigenen Bild; vgl. Abschnitt 5.
Interaktionsprozesse: Sprache, Bild und Gesellschaft in humoristischer Werbung
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Kontext der Multimodalität unter Berücksichtigung ihrer Einbettung in den Kommunikationsprozess (Außersprachliches, Sprachgebrauch, Präsentation des Werbeobjekts, rhetorische Mittel, gesellschaftlicher Diskurs) analysiert (Abschnitt 6). Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf gebrauchsspezifische interaktionale Untersuchungsaspekte in der Werbesprache (Abschnitt 7).
2
Multimodalität in der Werbung
Das Verb werben (mhd. werben, werven, ahd. (h)werban) bedeutet ursprünglich „sich drehen, sich bewegen, sich umtun, bemühen“ und ist mit dem griechischen Wort karpós (Handwurzel, Drehpunkt der Hand) verwandt (vgl. Dudenredaktion 2014: 922). An die Bedeutung des Drehens schließt sich die Wortbildung Werbung (mhd. werbunge) an. Aus dem Sich-Drehen hat sich also die heutige Bedeutung entwickelt, Werbeadressaten für ein Werbeobjekt gewinnen zu wollen. Werben ist im pragmatischen Verständnis zielgerichtetes Handeln mit der kommunikativen Absicht, persuasiv zu wirken, d.h. in irgendeiner Form Einfluss auf den Rezipienten zu nehmen: Die „Werbekommunikation will Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Einstellungen und Verhalten der Kunden beeinflussen, den Verbraucher durch Werbung (in seinen eingefahrenen Vorstellungen und Kaufverhalten) irritieren“ (Vollbrecht 2002: 771). Das Modalverb wollen steht für den „Versuch einer Beeinflussung“; Werbung ist also „nicht schon Beeinflussung selbst“ (Janich 2013: 13, vgl. Luttermann 2018: 304). Den Kommunikationsprozess kennzeichnet außerdem, dass zwischen den Interaktanten (Gesellschaft und Werbebranche) kein direkter Kontakt besteht. Vielmehr tritt der Textproduzent mit dem Textrezipienten durch die Werbebotschaft in Verbindung, um sein Produkt oder seine Dienstleistung anzupreisen. Werbung ist heutzutage in einer Vielzahl von Erscheinungsformen präsent. Das Spektrum reicht von Printanzeigen und Plakaten über Flyer, Fernseh- und Hörfunkspots bis hin zu Internet-Bannern. Aber nicht nur das Medium (Zeitschrift, Radio, Internet etc.) variiert, auch die Zeichenkodes (verbal, nonverbal, paraverbal) spielen auf verschiedenen Ebenen (z.B. visuelle oder akustische Ebene) – also multimodal – zusammen, um eine Werbebotschaft zu konstruieren und zu transferieren. In einem Medium wie der Zeitung können unterschiedliche Kodes gleichzeitig eingesetzt werden (vgl. Wahl 1997: 21), wobei in digitalen Medienformaten Multimodalität noch stärker ausgeprägt ist. Nach Stöckl (2012: 247) interagieren in der audiovisuellen Werbung Sprache (gesprochen, geschrieben), Bild (statisch, dynamisch), Ton (Musik, Geräusch) und Typographie (De-
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Luttermann
sign, Farben, Schriftart, Schriftgröße), während in Printtexten die Kommunikationsmodi Schriftsprache, Bild und Typographie (Textgraphik) miteinander verknüpft sind, wodurch Rezipienten über das visuelle System Informationen aufnehmen (vgl. Luttermann / Rothhaar 2016: 24-31, Luttermann 2017). Die optische Wahrnehmung ist der am meisten gebrauchte Wahrnehmungskanal. 4 Die akustische Sinnesmodalität tritt dahinter ebenso zurück wie Haptik, Olfaktorik und Gustatorik als Möglichkeiten des sensorischen Marketings, um Kunden Markenerlebnisse über das Ansprechen mehrerer Sinne zu vermitteln (vgl. Kreutzer 2010: 344). 5 Die einzelnen Modalitäten stehen dabei nicht isoliert nebeneinander, sondern greifen ineinander. Angenommen wird eine „integrative Verkoppelung mehrerer Kodes“ (Schneider / Stöckl 2011: 14) bzw. eine „wechselseitige Semantisierung der einzelnen Kodesysteme“ (Stöckl 2012: 248). Unter Rückgriff auf die unterschiedlichen Zeichenkodes bezeichnen Lüger / Lenk (2008: 16) Fernsehwerbespots als „Sprache-Bild-Musik-Geräusch-Texte“. Die Printanzeigen, die im vorliegenden Beitrag den Untersuchungsgegenstand bilden, gelten dagegen als „Sprache-Bild-Texte“, deren Modi wie Text, Foto, Farbe oder Layout „im Zusammenspiel so etwas wie kommunikative Synergie erzeugen“ (Lüger / Lenk 2008: 16), so dass der multiplikatorisch erzeugte Gesamtsinn des Werbekommunikats letztlich mehr als die Summe seiner Teile ist (Bucher 2011b: 144). 6 Im Konzept der handlungstheoretischen Multimodalität ist ein Kommunikationsangebot nicht deshalb multimodal, „weil es Zeichen unterschiedlichen Typs kombiniert, sondern weil die kommunikativen Handlungen – z.B. des Erzählens oder des Werbens – mit unterschiedlichen modalen Ressourcen vollzogen werden“ und die „verwendeten Elemente […] in ein übergeordnetes Handlungsmuster […] eingebettet sind“ (Bucher 2011b: 143-145; Abschnitt 3). Der Anzeige mit Claus Weselsky (siehe Abschnitt 6) liegt das Muster AUF EIN GESELLSCHAFTLICHES EREIGNIS REKURRIEREN zugrunde. Das Handlungsmuster kennzeichnet, dass das Ereignis kulturell eingebettet ist, allgemeines Interesse weckt (eine öffentliche Diskussion anregt) und „personifiziert wahrgenommen“ (Zenk 2006: 62) wird. Die kulturelle Einbettung kann eine besondere Herausforderung für die Verstehensleistung sein. 4 5 6
Mit über achtzig Prozent macht der optische Reiz den höchsten Anteil der Sinneswahrnehmungen aus, weshalb auch „im Marketing in erster Linie visuell kommuniziert“ (Gohr 2011: 44) wird. Zum Beispiel setzt die Modemarke Abercrombie & Fitch multisensorische Kommunikation ein, um eine Wirkung in der Öffentlichkeit zu erzielen und ihre Produkte zu vermarkten. An anderer Stelle spricht Bucher (2013: 64) von der „‘Orchestrierung‘ der vielfältigen Modi“, deren Analyse „Schlüssel zum Verständnis“ des Werbekommunikats ist.
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Komposition und Rezeption multimodaler Angebote
Durch die Kombination der zahlreichen kommunikativen Modi und Kanäle sind neue multimodale Kommunikationsformen entstanden. Für unsere Zwecke ist der optische Kanal bedeutsam. Denn die Printanzeigen von Sixt mit Personen der Zeitgeschichte bestehen nicht aus einem fortlaufenden Text und weisen zudem im Gegensatz zu den linearen Formen keine sequentielle Anordnung der Elemente auf. Daher sind Bild und Layout neben der Sprache in die Kompositions- und Rezeptionsanalyse einzubeziehen. Fragen der Komposition und Rezeption bedingen einander und stehen in einem komplementären (und nicht alternativen) Verhältnis zueinander. Die semantische Kompositionalität behandelt die „koordinierten Verwendungsmöglichkeiten unterschiedlicher Zeichentypen“ (Bucher 2011a: 127). Ausgangpunkt der Rezeption sind dagegen die „realen Verwendungsweisen verschiedener Zeichentypen in multimodalen Kommunikationsangeboten“ (Bucher 2011a: 127), womit die Rezeption der Pragmatik nahe steht. Diese Unterscheidung bildet zugleich die Grundlage dafür, den Interaktionsbegriff zu klären, der im vorliegenden Beitrag eine wesentliche Rolle spielt (Abschnitt 4). Der Begriff beinhaltet zwei unterschiedliche Gebrauchsweisen: Einerseits ist damit das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Elementen (Kompositionalität) und andererseits der Rezeptionsprozess, also die Interaktion zwischen Adressat und Werbekommunikat, gemeint. In der Forschung zur Multimodalität haben sich mehrere Ansätze etabliert (relations-grammatisch, sozial-semiotisch, pragmatisch-dynamisch), die versuchen, den Einfluss bestimmter Kommunikationsmodi auf die Komposition und den Gesamtsinn eines Textes zu erschließen (vgl. Bucher 2011a: 127-138). Die Theorie des kommunikativen Handelns (Handlungspragmatik) erklärt die Kompositionalität vor allem aus der Handlungsstruktur und Wechselwirkung zwischen den einzelnen Modi, d.h. aus dem kommunikativen Zweck und „aus wechselseitigen Deutungen der kombinierten multimodalen Elemente“ (Bucher 2011a: 128) im Verwendungszusammenhang. Im Fokus der Analyse stand bisher, das kompositionelle Zusammenspiel der Modi zu untersuchen, nicht aber die Rezeption. Multimodales Verstehen steht in enger Verbindung mit der nonlinearen Kommunikation. Die Delinearisierung gibt dem Adressaten die Möglichkeit, die Abfolge der Rezeption frei zu wählen und die unterschiedlichen Modi miteinander zu verbinden. Dabei ist noch weitgehend ungeklärt, wie delinearisierte Zeichentypen durch den Rezipienten in einen kohärenten Zusammenhang gebracht werden.
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Für die Rezeption gibt es zwei grundlegende Modelle (vgl. Bucher 2011a: 127, 142). Die Salience-Theorie geht davon aus, dass einzelne, aber auffallende Einheiten den Prozess der Erschließung regeln. Danach steuert das Kommunikationsangebot in einem Bottom-up-Prozess die Selektion der Elemente, die für die Rezeption wichtig sind. Bei der Schema-Theorie handelt es sich hingegen um einen Top-down-Prozess. Den Ablauf der Erschließung beeinflussen kognitive Muster und Intentionen des Adressaten, d.h. dieser steuert selbst die Auswahl, indem er entscheidet, welche Elemente aus seiner Sicht bedeutsam sind. Die linguistischen Ansätze zur Multimodalität basieren größtenteils auf dem Bottomup-Prozess der Angebotssteuerung (Salience-Theorie) und nicht der Nutzersteuerung (Schema-Theorie). Durch empirische Analysen wurde jedoch deutlich, dass die Rezipienten multimodaler Angebote verschiedene Auswahlmöglichkeiten nutzen und der Erschließungsprozess in beide Richtungen verläuft. Sowohl die Elemente der Angebote als auch die individuellen Merkmale der Rezipienten interagieren miteinander. Insofern sind – stärker als bisher – auch interaktive bzw. handlungspragmatische Aspekte in die Analyse von Werbekommunikaten einzubeziehen (u.a. Handlungszweck, konkreter Sprachgebrauch; Abschnitt 2). In der Handlungstheorie bilden die produktions- und die rezeptionsorientierte Sicht keinen Gegensatz. Vielmehr handelt es sich um Verstehensvorgänge, die zusammen gedacht und angewandt werden müssen.
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Nicht-Ernstes als dialogische Aktivität
„Intertextuell“, „intratextuell“ und „inter-modal“ – mit diesen Attributen werden kommunikative Zusammenhänge der Kompositionalität bisher beschrieben (Bucher 2011a: 124). Es fehlt die interaktive Dimension, die die spezifische Reaktion des Rezipienten betrifft. Will man der multimodalen Kommunikation auch dialogische Kapazitäten zusprechen, ist der Interaktion zwischen Rezipient und Kommunikationsangebot theoretisch und empirisch weiter auf die Spur zu kommen (Abschnitt 3). Verstehen ist nicht statisch, sondern als ein dynamischer Handlungsprozess zu begreifen. Das dialogische Prinzip ist Bestandteil der analytischen Sprachphilosophie (Austin 2005, Searle 1982) und erweiterten Sprechakttheorie (Hundsnurscher 1975, Franke 1990: 21, 32). Danach werden Strukturen, Eigenschaften und Bedeutungen von Kommunikationsbeiträgen erst in den Anschlusshandlungen der Adressaten manifest. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass der Rezipient einer Werbung auf der Grundlage seines aktuellen Wissensstands auf das Kommunikationsangebot reagiert und einen Handlungsprozess
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initiiert. Die zweckgerichtet eingesetzten Modalitäten eröffnen individuelle Reaktionsspielräume. Eine Interaktionsmodalität ist das amüsierte Lachen als spezifisch positive Reaktion. 7 In der Werbelinguistik ist das kreative, grundsätzlich positiv konnotierte Potenzial von Lachen allerdings nur unzureichend erforscht. In der Praxis nutzen es Werbetreibende „vielfältig als Ressource zur Gestaltung von Interaktionen“ (Kotthoff 2006: 7), indem sie humoristische Elemente, die sich gut memorisieren lassen, innerhalb von Werbebotschaften verwenden. Kotthoff betrachtet Humor primär aus der Perspektive der Funktionalität in der nicht-ernsten (mündlichen) Kommunikation. Im vorliegenden Beitrag wird Humor ebenfalls vor dem Hintergrund der Kommunikation gesehen. Denn ohne den Empfänger eines Witzes kann Humor erst gar nicht entstehen. Ob gelacht oder nicht gelacht werde, liege nicht nur am Lachanlass, sondern am gesamten ablaufenden Prozess (Kotthoff 1998: 106). Im Rahmen des Rezeptionsprozesses interagieren der Text (im semiotisch weiten Sinne verstanden) und der Rezipient miteinander: „Im Zuge der Rezeption […] entsteht ein interaktiver Prozess zwischen dem Rezipienten und dem Angebot an Kommunikationselementen – die vom Textproduzenten verfasst worden sind […]. Kommunikation erscheint […] als Aushandlungsprozess auf mehreren Ebenen (Produzent / Text / Rezipient)“ (Schirnhofer 2010: 37). Das Komische ist intrinsisch auf der Textebene verankert, d.h. die Elemente zur Evozierung des Humoristischen liegen im Text selbst. Dagegen ist das Lachen eine individuelle Reaktion des Textrezipienten, die zwar mit dem Text im Zusammenhang steht, aber extrinsisch zu verorten ist. Sie bedeutet eine dialogische Aktivität insofern, als das Lachen eine non-verbale Reaktion darstellt, an die verbale Sequenzen anschließen können. Außerdem kann der lustige Effekt der Werbung sich nur einstellen, wenn die Werbeaussage verstanden wird, weil der Adressat über das entsprechende Sprach- und Weltwissen verfügt (Abschnitt 7). Im Werbekontext ist Humor eine Art Belohnung für den Leser, wenn er die Pointe bis zum Ende verfolgt hat (vgl. Wells / Burnett / Moriarty 1989: 124). Lachen ist Ausdruck dafür, dass der Text als multimodales Handlungsgebilde auch im rezeptiven (und nicht nur im produktiven) Sprachgebrauch Bedeutung erlangt. Geteilte Wissensräume, Wahrnehmbarkeit und Interpretierbarkeit sind Voraussetzungen für gelingendes Kommunizieren.
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Demgegenüber ist Verlachen pejorativ gemeint.
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Werbung zwischen Humor und Satire
Humoristische Kommunikation kennzeichnet, dass sie „zutiefst kontextverflochten“, aber „keineswegs immer harmlos ist“ (Kotthoff 2006: 12). In der werblichen Praxis gehen Humor (heitere Gelassenheit) und Satire (Spott, Geißelung von Schwächen mit scharfem Witz) ineinander über. Auf der Ebene des Rechts sind sie allerdings strikt voneinander zu trennen: Während die Folgen von Satire vor Gericht Relevanz haben können, ist Humor gerichtsirrelevant. Als künstlerisches Werk wird Satire in Deutschland durch die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit (Artikel 5 Grundgesetz / GG) geschützt. Diese konkurrieren mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG), das die freie Entfaltung der Persönlichkeit sichert. Der Einzelne kann im Normalfall selbst darüber bestimmen, wie er in der Öffentlichkeit erscheint; er darf dabei jedoch die Rechte anderer nicht verletzen. Denn die Würde eines Menschen ist unantastbar und zu achten. Satire kann Kunst sein, ist aber nicht notwendigerweise Kunst. Um durch die Kunstfreiheit geschützt zu sein, muss sie – rein rechtlich gesehen – eine schöpferische Gestalt aufweisen, d.h. als fiktive oder karikatureske Darstellung erkennbar sein. Ist dies nicht der Fall oder wird sie vom Gericht nicht anerkannt, greift das Persönlichkeitsrecht. Meinungsfreiheit endet da, wo andere Personen verletzt werden. Vor Gericht sind der Aussagekern einer Satire und seine künstlerische Formgestalt getrennt zu behandeln. Beide müssen daraufhin geprüft werden, ob sie das Persönlichkeitsrecht verletzen. Das Bundesverfassungsgericht legt fest, dass auch satirische Fotomontagen dem Schutz der freien Meinungsäußerung und der Kunstfreiheit unterliegen – allerdings nur, wenn sie als fiktive oder karikatureske Darstellungen zu erkennen sind. 8 Andernfalls ist die Meinungsfreiheit nicht geschützt: Satire wird dann als Schmähkritik ausgelegt, die grundsätzlich verboten ist. Nicht erst seit der aktuellen Affäre um Jan Böhmermann ist die rechtliche Seite der politischen Satire kritisch zu würdigen. Einerseits fördert diese umstrittene Kunstform die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, was besonders für die Werbung wichtige Chancen bereithält. Andererseits kann schon der eine scharfe Ton schwerwiegende juristische Folgen für die jeweilige Firma oder – im Fall Böhmermann – die Privatperson nach sich ziehen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.02.2005 – 1 BvR 240/04. URL: , zuletzt abgerufen am 24.07.2016. Vgl. auch BGH, Urteil vom 26.10.2006 – I ZR 182/04. URL: , zuletzt abgerufen am 24.07.2016.
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Humor kann auch, muss aber nicht Satire sein. Das Komische erstreckt sich semantisch weiter als die gesellschaftskritische Kunstform der Satire. Historisch ist das Komische – wie auch die Satire – bis zurück in die Antike zu verfolgen. So sagt beispielsweise Aristoteles (2010: 17) in seiner Poetik: „Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.“ Aus der Äußerung lässt sich herausarbeiten, was bis heute für die Humor- und Komikdefinition gelten soll: Das Lächerliche verbindet das Komische mit dem Lachen, welches durch einen bestimmten (menschlichen) Fehler ausgelöst wird. Dieser Fehler ist zwar seiner Natur gemäß unschön und wird abwertend betrachtet, ist aber harmlos. Nur aufgrund der Harmlosigkeit kann der Mensch über das Komische lachen. Würde der Fehler jemandem ernsthaften Schaden zufügen, würde an die Stelle des Lachens das leidende Mitfühlen treten – in den Worten des Aristoteles „éleos“ und „phòbos“. Satire wirkt aber nur insoweit komisch, solange keinem Betroffenen Schaden zugefügt wird. Praktisch zielt sie allerdings genau auf diesen Effekt ab – nämlich auf einen Imageschaden. Diese Wirkung widerspricht der ursprünglichen Bedeutung des Lächerlichen und wandelt Witziges in das Verständnis ‚sich über jemanden lächerlich machen‘ um. Zum Wesensinhalt von Satire gehört, dass sie verfremdet, übertreibt und gesellschaftliche Missstände anprangern möchte. In der werblichen Kommunikation ist der sprachliche Einsatz von Humor bzw. Satire eine Verkaufsstrategie, die genau dosiert sein muss, um den Kunden vom Kauf des Produktes oder der Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistung zu überzeugen. Ansonsten schlägt die Strategie fehl und kann rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Paradebeispiel für die Einordnung des Komischen in Werbeanzeigen liefert die Firma Sixt, die Provokation und Humor als Ausdruck ihrer Markenidentität sieht (vgl. Sixt / Reins 2006: 284). In der Eigenwahrnehmung zählt die Corporate Language zwar eindeutig zur gerichtsirrelevanten Form des Humors, nicht aber in der Fremdwahrnehmung. So wird im öffentlichen Diskurs gefragt, ob „die Sixt-Anzeigen etwas anderes als Satire“ (Schröter 2015) sind. Sein Humor sei nicht böse, aber trotzdem könne man wohl sagen, dass Erich Sixt eigentlich ein begnadeter Satiriker sei. 9 Für Hipp (2006) ist die satirische Sixt-Werbung „fast schon vergleichbar mit einer politischen Karikatur“. 10 Andere kritische Stimmen werten die Werbeanzeigen des Unternehmens rechtlich als Satire unter Berufung auf Gerichtsurteile über nicht autori9 10
Siehe Schröter (2015). Vgl. auch Sixt (2009).
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sierte Werbekampagnen mit prominenten Politikern (z.B. Oskar Lafontaine, Joschka Fischer, Peer Steinbrück). 11 Vor diesem Hintergrund wenden wir uns nun dem ausgewählten Textexemplar zu. 6
Die Printanzeige mit Claus Weselsky
6.1 Werbestrategie Der Autovermieter Sixt hat seit dem Jahr 1994 die Marktführerschaft inne – gemessen an dem Gesamtumsatz im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten Europcar, Avis und Hertz. Das Unternehmen dominiert den Wettbewerb kommunikativ und visuell. Typische visuelle Elemente sind das leuchtend-grelle SixtOrange und die Farbe Schwarz, das Fotomaterial mit Personen der Zeitgeschichte in Kombination mit prägnanten Sprachspielen, die Aufmerksamkeit erregen und das Werbekommunikat interessant machen sollen. Das Ziel von Sprachspielen ist, „eine komische, witzige oder – wird ‚Sprachspiel‘ weiter gefasst – allgemein persuasive Wirkung zu erzeugen“ (Janich 2013: 203). Zur Kommunikationsstrategie von Sixt gehört, einen emotionalen Mehrwert zu vermitteln. Sixt informiert nicht einfach über das Produkt ‚Mietwagen‘, sondern unterhält den Leser durch einen humoristisch-satirischen Ton und die visuell gesteuerte Metaphorik seiner Anzeigen, denen in der Regel – wie auch hier – ein gesellschaftlich relevantes Ereignis vorausgeht (Abschnitte 2, 4 und 6.2). Die „intellektuelle Freude an des Rätsels Lösung […] und Verarbeitungsfreude […] bestimmen somit die Persuasionskraft einer bildhaften Werbeanzeige“ (Crijns 2012: 332). Es geht darum, Werbung erlebbar zu machen und das angebotene Produkt emotional bei den Adressaten zu positionieren. Dabei kann die Emotionalität durch sprachliche wie durch bildliche Elemente realisiert werden. Die humoristisch-satirische Emotionalisierung ist Erlebniswerbung. Dadurch schafft sie sich einen Zugang zu den Köpfen potenzieller Kunden. Denn guter Humor sei ein Kompliment an die Intelligenz des Gegenübers, hebe die Laune und garantiere, dass man in positiver Erinnerung bleibe (Hofmann 2008: 123). Außerdem weckt guter Humor Kaufinteresse. Die Sixt-Cabrio-Werbung aus dem Jahr 2001 zum Beispiel, die Angela Merkel (damals Bundesvorsitzende der CDU) mit zerzausten hochstehenden Haaren zeigt, hat sich so fest in das kollektive Gedächtnis
11
Vgl. z.B. Ruland (2013).
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verankert, dass sie immer noch herzlich belacht wird. 12 Merkel selbst bewertete die Anzeige als einen „Gag der intelligenteren Sorte“. 13 Aber nicht nur Anzeigen, die Vergnügen und Lachen evozieren (wie die Fahrt in einem Cabrio), werden erinnert, sondern auch Anzeigen, die provozieren und Grenzen des guten Geschmacks überschreiten (z.B. Anzeige mit Gustl Mollath 14). Auch damit hat Sixt Erfolg oder bietet Stoff für Diskussionen innerhalb der Gesellschaft.
6.2 Komposition und Kontexteinbettung „Unser Mitarbeiter des Monats. Günstige Mietwagen in allen Bahnhöfen und unter sixt.de“ – so titelte der Autovermieter am 6. November 2014 ganzseitig in der Süddeutschen Zeitung. Die von der Werbeagentur Jung von Matt kreierte Anzeige erschien zwei Tage später zudem auf der Facebook-Seite von Sixt. Bei der Anzeige handelt es sich um ein „Text-Bild-Konglomera(t)“, in dem „Text und Bild einander kontextualisieren und monosemieren“ (Schmitz 2004: 113114). Das Bild zeigt das Gesicht von Claus Weselsky in Großaufnahme. Es nimmt die gesamte Bildmitte ein. Im Gegensatz zu anderen Sixt-Anzeigen überschneiden sich der Bild- und Textbereich hier, so dass der schwarze Anzug, das weiße Hemd und die Krawatte nur noch ausschnittsweise zu erkennen sind.
12 13 14
Headline: Lust auf eine neue Frisur? Mieten Sie sich ein Cabrio. Die Printanzeige ist am 07.05.2001 in der Süddeutschen Zeitung erschienen. Siehe Schröter (2015). Headline: „Wenn hier jemand verrückt ist, dann der Sixt mit seinen Preisen.“
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Abbildung 1: 15
Sixt-Printanzeige mit Claus Weselsky 15
Süddeutsche Zeitung (06.11.2014, Nr. 255: 27).
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Während der untere Bildteil dunkel gehalten ist, leuchtet die obere Bildhälfte des Hintergrunds in Rot-Orange-Gelb-Tönen. Schemenhaft erscheint rechts oben die hellstrahlende Sonne. In diesem Bildteil dominiert Helligkeit. Das Sixt-Logo mit der Handlungsaufforderung „rent a car“ (direktive Sprechhandlung) sticht farblich hervor und bildet einen Kontrast zum linken Bildteil, der im Halbschatten liegt. Links oben steht in weißer Schrift, wer der abgebildete Mann ist und welche Funktion er tatsächlich hat. Die Sprache erläutert an dieser Stelle das Bild bzw. das Bild zeigt zur Wiedererkennung das Gesicht der öffentlichen Person, die der Text benennt (vgl. Janich 2013: 253). Ebenfalls in weißer Schrift sind die Headline und Subheadline komponiert. Dadurch wird auf der typographischen Ebene ein kohärenter Aufbau der Anzeige generiert. Der Witz liegt nun darin, dass die an der Wirklichkeit orientierte Angabe („Claus Weselsky. Gewerkschaftsführer“) ganz klein gehalten ist und durch die neue, erfundene Funktionsbezeichnung („Mitarbeiter“) in der Schlagzeile ersetzt wird (Abschnitt 6.3). Warum Weselsky für Sixt der beste Mitarbeiter des Monats ist, erschließt sich letztlich aber nur kulturell über Sprach- und Weltwissen, Präsuppositionen sowie kontextuelle Einbettung. Es gibt keinen Fließtext, der darüber explizit informiert. Claus Weselsky sitzt der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) vor und initiierte an fünf Tagen im September und Oktober 2014 einen bundesweiten Streik für mehr Lohn, kürzere Wochenarbeitszeiten und Tarifpluralität. Die Deutsche Bahn war, was die letztgenannte Forderung betrifft, zu keinen Zugeständnissen bereit. Ein weiterer Streik an vier aufeinanderfolgenden Arbeitstagen war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Anzeige in der Süddeutschen Zeitung bereits angekündigt. Dabei zeigte der Streik schon Wirkung: Die Einschränkungen im Güterverkehr verursachten enorme Produktionsausfälle in den Betrieben. Über sechzig Prozent der Züge im Wirtschafts- und Personentransportverkehr standen still und eine Einigung war nicht in Sicht. Im öffentlichen Diskurs und in den sozialen Netzwerken wurde der GDL-Vorsitzende massiv angefeindet. 16 Sogar in den eigenen Reihen der Gewerkschaft übte man Kritik an seinem Vorgehen. Sixt nahm die hoch emotional aufgeladene Stimmung auf und stilisierte ihn zum Sündenbock der Nation. Mehr noch: Das Unternehmen nutzte die Wut vieler Bahnreisenden und der Wirtschaft auf die streikende Lokführergesellschaft vorteilhaft für seine kommerziellen Zwecke (Abschnitt 6.3), indem es direkt dazu aufforderte, einen seiner Wagen zu mieten. Für das Verständnis des humoristischen Gehalts der Printanzeige ist es unerlässlich, diesen situativen Kontext zu kennen.
16
Siehe Hoidn-Bochers (2014). Vgl. auch o.V. (2015).
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6.3 Interpretation und Rezeption Die einhellige Wahrnehmung in der Bevölkerung macht sich das Unternehmen zu eigen und spitzt den Streik semiotisch auf die Person Claus Weselsky zu. Er ist sinnbildlich der Kopf, der den Streik anführt und verkörpert. Auffällig sind dabei die verwendeten Symbole. Während das Sixt-Logo und der englische Slogan „rent a car“ direkt im hellen Bildteil der Sonne platziert sind, befinden sich Name und Berufsbezeichnung von Weselsky im Halbschatten auf der linken Bildhälfte. Man kann dieses Spiel mit Licht und Schatten als bewusste Inszenierung von ‚auf der Sonnenseite des Lebens‘ und ‚auf der Schattenseite des Lebens‘ stehend interpretieren (Abschnitte 3 und 6.2). Hinzu kommt, dass auch der Vorder- und Hintergrund durch den Hell-Dunkel-Kontrast symbolisch aufgeladen wirken. Dem Gewerkschaftschef der GDL steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals, wogegen Sixt strahlend dasteht. Das Farbspiel von ‚hell und dunkel‘ ist im übertragenen Sinn ein Konzept von ‚gut und böse‘ bzw. von ‚Gewinner und Verlierer‘. Darüber hinaus ist für die Sprachanalyse der Sprachgebrauch bedeutsam. Claus Weselsky ist im November 2014 der Mitarbeiter des Monats von Sixt („Unser Mitarbeiter des Monats“). Es handelt sich dabei um ein Sprachspiel mit einer Metapher (Abschnitt 6.1). Ihre kommunikative Funktion besteht darin, „durch das Zusammenstellen inkongruenter Bestandteile komische Wirkungen hervorzurufen […] oder […] ironisch(e) Unter- oder Übertreibung“ (Schwind 1988: 88) auszudrücken. Damit gewinnt die Kommunikation „eine Doppelbödigkeit, die sich der Anspielungshaftigkeit und strategischen Ambiguisierung des Humoristischen verdankt“ (Kotthoff 2006: 7). Für Komik bzw. Humor ist die Wahrnehmung einer Gesamtsituation in zwei selbstständige Referenzrahmen konstitutiv, die im Rezeptionsprozess gewechselt werden, wobei „sich ein neuer, unerwarteter Sinn einstellt“ (Schwind 1988: 152). Die Inkongruenz entsteht durch das Spiel mit der Mehrdeutigkeit des Lexems „Mitarbeiter“. Die Lexembedeutung durchbricht die konventionelle Referenzerwartung und stellt einen neuen referenziellen Bezugsrahmen her (Abschnitt 6.2). Das Possessivpronomen „unser“ verstärkt diesen Kontextwechsel. Der Sprachgebrauch verformt die Wirklichkeit. Weselsky – eben noch Chef der GDL – wird von Sixt als sein bester Mitarbeiter ausgezeichnet, was real aber nicht zutrifft. Die Verwendung der Metapher initiiert damit einen komplexen Gedankengang, bei dem das Gesagte nicht dem Gemeinten entspricht. Genau diese Kombination inkongruenter Kontexte erzeugt hier Komik. Vorwiegend amerikanische Unternehmen vergeben an ihren besten Mitarbeiter eine Bonuszahlung, um die innerbetriebliche Motivation zu steigern. Diese Auszeichnung
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für Claus Weselsky verzerrt die Realität und bedeutet eine „verkehrte Welt“ (Arntzen 1989: 17). Denn ihm wird damit die Intention unterstellt, dass er Sixt wirtschaftlich helfen und unterstützen wollte. Das Gegenteil ist aber der Fall. Ihm ging es allein darum, für seine Interessen als Gewerkschaftsführer zu kämpfen, aber nicht darum, dass Sixt von ihm profitiert. Hier treffen also zwei Welten aufeinander: Die Bahn und der Autovermieter sind Konkurrenten in der Verkehrswirtschaft und kein Tandem. Das lässt sich in der Subheadline gut an den Lexemen „günstig, Mietwagen, Sixt“ ablesen, die eine Isotopiekette bilden und antithetisch zu dem Wort „Bahnhöfen“ gebraucht werden. Das Wort „Mitarbeiter“ plakatiert diesen Widerspruch. Es überzeichnet nicht nur, sondern ist wirkungsorientiert eingesetzt worden, um dem Ansehen von Weselsky zu schaden, damit dieser selbst entrüstet reagiert. Denn was für Sixt wirtschaftlich positiv ist, ist für die Bahn von Nachteil. Der Mietwagenverleiher hat an den Streiktagen hohe Umsätze und große mediale Aufmerksamkeit erzielt (bis hin zu einer Nominierung als Anzeige des Jahres; siehe Weber 2015); die Bahn hat dagegen starke Verluste eingefahren. In Wirklichkeit waren während des Streiks die Mietwagen auch nicht „günstig“ im Sinne von ‚preiswert‘, sondern deutlich der Marktlage angepasst. Die Anzeige fand ein reges Echo. Sie wurde in den ersten drei Monaten nach Erscheinen mehr als 6300 Mal geliked, 5600 Mal geteilt und 190 Mal kommentiert. 17 Die Zahlen entsprechen dem Trend, dass Sixt-Werbung mit Personen der Zeitgeschichte im Vergleich zu den klassischen Anzeigen überproportional beachtet wird. Die Facebook-Nutzer loben die Firma für ihre Werbung und Marketingaktivitäten. Dass Sixt es versteht, dem Gewerkschaftsführer mit dem negativen Image für sein Unternehmen Gutes abzugewinnen, stellt Weselskys Handeln in den Schatten. In der Pervertierung liegt der humoristische Gehalt der Printanzeige (Abschnitte 4 und 5), der den Leser zum Lachen bringt.
7
Ausblick
Kommunikationsprozesse zwischen Gesellschaft und Wirtschaft sind heutzutage überwiegend medial organisiert, vielfältig und komplex. Werbung ist dabei immer auch eine Spiegel der Gesellschaft und ein Zeugnis der Zeit. Anhand der Sprachgebrauchsanalyse der Sixt-Printanzeige mit dem Gewerkschaftsführer 17
Gemäß Screenshot vom 10.02.2015: Sixt-Startseite Facebook (0.J.). URL: .
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Claus Weselsky konnte beispielhaft gezeigt werden, auf welche Weise das Unternehmen mit der öffentlich bekannten Person wirbt, um seine wirtschaftlichen Interessen zu erfüllen und seine Stellung als Marktführer zu behaupten. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass kommunikative Zusammenhänge nicht nur multimodal, sondern auch interaktional sind. Im Konzept der Interaktion ist Verstehen ein dynamischer Vorgang und Lachen eine spezifische positive Reaktion, die an bestimmte Wissensvoraussetzungen gebunden ist. Verstehen hängt sowohl von soziolinguistischen Parametern (Alter, Motivation, Bildung usw.) als auch von der Kontextkenntnis einzelner Mitglieder einer Sprachgemeinschaft ab. Damit ist die Sphäre der Kompositionalität überschritten und zugleich die Ebene der Rezeption beschritten. Eine adäquate Beschreibung von Verstehensleistungen erfordert neben der Produktionsanalyse auch eine Rezeptionsanalyse. Erste stichpunktartige Befragungen von siebenundzwanzig Probanden (dreizehn Deutsche, zwölf Italiener, zwei Asiaten) haben ergeben, dass diejenigen, die nicht zum deutschen Kulturkreis gehören und auch keinen regelmäßigen Zugang zu deutschen Nachrichten und anderen gesellschaftspolitischen Sendungen haben, die Anzeige des Autovermieters Sixt nicht erfassen konnten. 18 Sie beherrschen zwar die deutsche Sprache als Fremdsprache, verfügen aber nicht über das außersprachliche konventionalisierte Hintergrundwissen, das für das Verstehen der Werbebotschaft erforderlich ist. Das Objekt der Kampagne – Weselsky als Gewerkschaftsboss und Verantwortlicher des Streiks – ist ihnen nicht bekannt. Auch die Wortbedeutung „Mitarbeiter“ können sie nicht dekodieren und bleibt ihnen verschlossen. Die Konsequenz ist: Die Interaktionsmodalität Lachen wird nicht aktiviert. Die Anzeige ruft vielmehr Unverständnis hervor. Jedenfalls wirkt sie nicht lustig, sondern eher langweilig oder uninteressant. Der Rezeptionsaufwand erscheint zu hoch. Im Gegensatz dazu hatten die deutschen Probanden keine Mühen, den Aussagegehalt der Sixt-Anzeige zu verstehen und reagierten spezifisch positiv mit einem Lachen. Anhand weiterer Printanzeigen von Sixt mit Personen der Zeitgeschichte wären Fragen der Kompositionalität und Rezeption multimodal ausgerichtet zu analysieren. Es gilt Antworten zu finden, wie sich Bedeutung und Verstehen insbesondere bei Sprechern der deutschen Sprachgemeinschaft einstellen und welche überindividuellen Rezeptionsprozesse sie anwenden, um mit einem befreienden Lachen belohnt zu werden.
18
Es handelt sich hier um Masterstudierende der Universitäten Brescia und Eichstätt-Ingolstadt, die im April und Mai 2016 in Lehrveranstaltungen die Sixt-Printanzeige analysiert haben.
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Literatur
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Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung Viktoria Umborg Abstract Es wird im Folgenden ein Versuch unternommen, bestimmte sprachliche Zeichen (Lexeme und Phraseme) herauszufinden, die geeignet sind, zusammen mit visuellen Mitteln (Bildern, Design, Typografie) eine neue, meistens okkasionelle Bedeutung zu erzeugen, die die Wirkung einer Werbung verstärkt. Zuerst werden verschiede Typen der doppelten Leseart von sprachlichen und visuellen Mitteln betrachtet und danach werden Modifikationstypen von Phrasemen und Lexemen untersucht. Zum Schluss werden Ergebnisse dieser Untersuchung dargestellt, die vermuten lassen, dass es Lexeme und Phraseme gibt, die besonders gut für die Verwendung in der multimodalen Werbung passen.
1
Einleitung
Im Beitrag werden solche Phraseme und Lexeme betrachtet, die am Zusammenspiel von sprachlichen und bildlichen Elementen in multimodaler Werbung beteiligt sind. Das Ziel der Untersuchung ist das Feststellen eines Bedeutungszusammenhanges von Bild und Text, genauer gesagt zwischen Bild (oder grafischen Gestaltung) und multimodal verwendeten Phrasemen und Lexemen im Werbetext. Es wird versucht herauszufinden, welche Phraseme und Lexeme für Text-Bild-Kohärenzen von Bedeutung sind und auf welche Art und Weise sie mit den bildlichen Elementen einer Werbung verbunden sind. Es wird von Phraseologieforschern anerkannt, dass es sich bei der Multimodalität nicht unbedingt um phraseologiespezifische Phänomene handelt, denn komplexe Wörter und Simplizia können auch zur Gestaltung von Bildsphären beitragen, die Visualisierungen ermöglichen (vgl. Hallsteinsdóttir 2011: 19). Es wurde festgestellt, dass sich für eine multimodale Verwendung am meisten Phraseme und Lexeme mit doppelter Lesart eignen. Deshalb wurden aus der untersuchten Print- und Onlinewerbung (zum Beipsiel Süddeutsche Zeitung, Tageszeitung, FAZ u.a. aus den Jahren 1989-2012) Phraseme und Lexeme mit doppelter Lesart ausgewählt, d.h. mit der gleichzeitigen Realisierung einer konkreten, wörtlichen und einer übertragenen Bedeutung. Nach Burger (2010: 67) haben potentiell alle verbalen Phraseme, für die die Isomorphie, d.h. eine struk© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_4
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turelle Parallelität zweier syntaktischer Strukturen, zutrifft, zwei Lesarten, eine phraseologische und eine freie. Im Folgenden wird untersucht, welche Faktoren die doppelte Lesart bewirken und welche Modifikationsarten von Phrasemen und Lexemen zu ihrer multimodalen Verwendung beitragen. 2
Entstehungsfaktoren von doppelter Lesart
Es wurde festgestellt, dass die doppelte Lesart von Phrasemen und Lexemen durch verschiedene Faktoren und ihre Kombinationen bedingt sein kann. Das können sprachliche, bildliche (visuelle) und sprachlich-bildliche Faktoren sein: 2.1 Faktor Text (sprachliche Mittel) Es gibt mehrere sprachliche Mittel, die eine doppelte Lesart verursachen, nämlich Ambiguität, Homonymie und unterschiedliche Modifikationen von Phrasemen und Lexemen. Die doppelte Lesart, die nur durch sprachliche Faktoren ausgelöst wird, benötigt meistens keine Visualisierung mithilfe eines Bildes und wird in der Regel ohne Bildteil erstellt, wie zum Beipsiel in folgenden Anzeigen: a.
b.
„Se(e)nsation! Ein Mehr in den Bergen“ (www.travelcharme.com). Durch die Kontamination von zwei Lexemen: See+Sensation, sowie durch die Homophonie der Lexeme mehr und Meer bekommt diese Aussage eine doppelte Lesart. In der nächsten Anzeige „Zum Ausgleich empfehlen wir Baden. Und Württemberg“ (www.BW-jetzt-de) entsteht die doppelte Aktualisierung des Lexems Baden durch die Homonymie und gleichzeitig durch die Modifikation des Eigennamens Baden-Württemberg dank seiner Erweiterung durch die Konjunktion und.
Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung
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2.2 Faktor Bild und Faktor typografische Gestaltung (bildliche Mittel) a.
b.
Eine doppelte Lesart, die nur durch bildliche Elemente verursacht wird, ist theoretisch möglich, trifft sich aber kaum in der Werbung. Man kann sie zum Beipsiel auf dem bekannten Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren „Die niederländischen oder die flämischen Sprichwörter“ beobachten. In dem im Jahr 1559 entstandenen Werk wird die konkrete Bedeutung von 100 Phrasemen visualisiert. Laut Pietzcker (Pietzcker 2011: 55) können auch manche Anzeigen, insbesondere solche für Schönheitsprodukte und Mode, durchaus ohne Text auskommen, aber niemals ohne Aussage und nur unter der Voraussetzung, dass die Marke bekannt ist. In der Werbeanzeige der Süddeutschen Zeitung: BerufSZiel entsteht die doppelte Lesart dank der Änderung der Schrift, die auf die Abkürzung SZ (Süddeutsche Zeitung 28./29.07.2012) hinweist und somit die Bedeutung des zusammengesetzten Lexems Berufsziel erweitert.
2.3 Faktor Text und Bild (sprachliche und bildliche Mittel)
Abbildung 1: a.
Anzeige Riem Arcaden (aus: Süddeutsche Zeitung 10.06.2011)
Die Anzeige (Abbildung 1) illustriert das Zusammenspiel von Bild und Text durch die Visualisierung des Phrasems Bauklötze staunen, die für die Darstellung des bekannten Markenprodukts Legosteine benutzt wurde. Das Phrasem Bauklötze staunen wird im Duden als „vor Staunen sprachlos sein, sehr staunen“ definiert (Duden 2011). Die Schlagzeile „München staunt Bauklötze“ beinhaltet den rhetorischen Tropus der Metonymie (München als Ortsname wird für die Bezeichnung seiner Bewohner benutzt) und ein Phrasem (Bauklötze staunen). Dem verbalen Tropus der Metonymie (München) entspricht der bildliche Tropus der Synekdoche (pars pro toto bzw.
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b.
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ein Teil für das Ganze): Ein Kind verkörpert alle Einwohner Münchens. Beide Konstituenten des Phrasems Bauklötze staunen werden durch die Visualisierung mithilfe des Bildes konkretisiert: Als Bauklötze werden Legosteine dargestellt und die Konstituente staunen wird durch den übertrieben erstaunten Blick des Kindes, also mit bildlichen Mitteln vermittelt. Das Bild konkretisiert die Bedeutung Bauklötze durch die Abbildung von Legosteinen und erweitert damit die Bedeutung des Phrasems. Die doppelte Lesart wird in dieser Anzeige ohne formale Veränderung des Phrasems nur mithilfe des bildlichen Elements erreicht. Im Bild wird die wörtliche, direkte Bedeutung des Wortes Bauklötze aktualisiert, dadurch entsteht eine doppelte bzw. wörtliche und gleichzeitig phraseologische Lesart des Phrasems. Der Text der folgenden Anzeige (Abbildungen 2 und 3) aus der österreichischen Tageszeitung Die Presse Schaufenster lautet: „Um bei Petra Chancen zu haben, muss man klein, schwarz und kräftig gebaut sein“. Multimodal werden hier folgende Phraseme verwendet wie: bei j-m eine Chance haben und kräftig gebaut sein sowie die Lexeme klein und schwarz. Es handelt sich um eine doppelseitige Printanzeige.
Abbildung 2:
Anzeige IKEA (aus: Die Presse Schaufenster 28.09.1989)
Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung
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Auf der ersten Seite (Abbildung 2) sieht man das Werbeobjekt noch nicht, sondern nur eine auffallende Dame namens Petra und einen Text daneben, in dem ihre Wünsche dargelegt sind. Mithilfe von Text und Bild wird das Interesse zum Weiterlesen über das noch nicht bekanntgegebene Werbeobjekt geweckt. Dazu tragen zwei Phraseme bei: bei jemandem Chancen haben und kräftig gebaut sein, die sich auf Personen beziehen, sowie solche polysemen Lexeme wie klein und schwarz, die man sowohl auf Personen als auch auf Gegenstände beziehen kann. Die Personenbezogenheit der Phraseme lässt vermuten, dass die Adjektive schwarz und klein ebenso personenbezogen sind und sich als kleinwüchsig und schwarzhaarig interpretieren lassen. Die Personifikation und die Polysemie dieser Lexeme und Phraseme in Verbindung mit dem Bild einer wählerischen Dame sind die Gründe für eine gewisse Neugier und das Erstaunen über ihre Wahl, weil man als erstes vermutet, dass es um ihre Anforderungen an einen Partner geht.
Abbildung 3:
Anzeige IKEA (aus: Die Presse Schaufenster 28.09.1989)
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Auf der zweiten Seite dieser Werbeanzeige (Abbildung 3) wird neben der Dame das umworbene Produkt gezeigt. Durch die Abbildung des Produkts – eines Regals von IKEA – werden die Bedeutungen von schwarz, klein und kräftig gebaut sein monosemiert, sie erhalten andere Bedeutungen und drücken solche Produkteigenschaften aus wie: kleines Format, schwarze Farbe und eine stabile Bauart. Erst auf der zweiten Seite wird klar, dass es nicht um einen kleinwüchsigen und schwarzhaarigen Wunschpartner von Petra geht, sondern um ein kleines, schwarzes, stabiles Regal. Das Phrasem kräftig gebaut sein wäre in einem anderen, sachlichen Text, zum Beipsiel in einer Gebrauchsanweisung, nicht für die Beschreibung eines Gegenstandes gebraucht worden. In dieser Werbung dient es zur Personifizierung des bezeichneten Produkts. Darüber hinaus wird im zweiten Text ein neues Lexem schwed. Kavaljer (dt. Kavalier) eingeführt, das ebenso eine doppelte Lesart aufweist, einerseits als Markenname, andererseits mit den Bedeutungen „taktvoller, höflicher, angenehmer Mann“ (Duden 2011) „Verehrer“ (Duden 2012). Das andere Element des Bildes – die Frau Petra – wird durch das Phrasem bei jemandem Chancen haben und durch die Abbildung einer attraktiven, anspruchsvollen Frau charakterisiert. Das Phrasem vermittelt, dass nicht jeder bei der Dame Chancen haben kann. Sie hat hohe Ansprüche und das Bild zeigt nonverbal dasselbe durch ihre Pose, Kleidung und ihren selbstsicheren Gesichtsausdruck. Der Gebrauch des Phrasems Chancen haben lässt ein Lebewesen vermuten, es wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Rede von einem Mann sein könnte. Darüber hinaus vermittelt das Bild zusätzliche, nicht durch die sprachlichen Mittel ausgedrückte Konnotationen über das Produkt, wie den entsprechenden Lebensstil und Lebensstandard der eventuellen Käufer dieses Regals. Zugleich wird beim Rezipienten eine positive Stimmung durch einen gelungenen Witz hervorgerufen. Die Werbebotschaft, die mit sprachlichen und bildlichen Mitteln ausgedrückt wird, könnte lauten: „Wenn Sie ebenso anspruchsvoll wie die Dame auf dem Bild sind, dann sollten Sie das stilvolle Regal von IKEA kaufen“. Die Hauptrolle haben dabei multimodal verwendete Lexeme und Phraseme schwarz, klein, Kavaljer, bei jemandem eine Chance haben und kräftig gebaut sein gespielt. Dank ihrem Bedeutungswechsel im Text und Bild wurde ein unterhaltsamer und humorvoller Effekt erreicht.
Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung
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Modifikationstypen von Phrasemen und Lexemen
Für die Entstehung der doppelten Lesart spielen die Modifikationen von Phrasemen und Lexemen eine groβe Rolle. Fast die Hälfte aller untersuchten Phraseme (46%) wurde in modifizierter Form gebraucht. Es lassen sich folgende Modifikationen unterscheiden, die durch sprachliche und bildliche Mittel oder ihre Kombination verursacht werden (vgl. Burger 2010: 159): 1. 2. 3.
Änderung der Form bei unveränderter Bedeutung (die formale Modifikation ohne semantische Veränderung), Änderung der Bedeutung bei unveränderter Form (bzw. unverändertem Formativ) des Wortes oder des Phrasems (die semantische Modifikation ohne formale Veränderung), Gleichzeitige Änderungen der Form und der Bedeutung (die formale Modifikation mit semantischer Veränderung).
Diese Modifikationstypen lassen sich an konkreten Beispielen näher erläutern: 3.1 Die formale Modifikation eines Phrasems oder eines Lexems ohne Veränderung der Bedeutung Die formale Modifikation eines Phrasems oder eines Lexems ohne Veränderung der Bedeutung kommt selten vor und weist Ausnahmen auf. Deshalb wird sie im Unterschied zu Burger (2010: 159) von einigen Forschern nicht als ein Modifikationstyp anerkannt. Innerhalb der formalen Modifikation unterscheidet man Wortklang- und Schriftbildänderung, Kürzungen und Erweiterungen: a.
b.
Wortklang- und/oder Schriftbildänderung ohne Änderung der Bedeutung: Sommerpreiseeee, PreisJäger, HeimlichJodler, TiefpreisBucher, SchnäppchenFinder, VollblutChiller, KurzzeitAuswanderer, SchnellEntschliesser (Anzeige der Firma L!NDNER. Hotels & Resorts. Süddeutsche Zeitung 04.08.2011); atemberaubendeambiente aufregendeanlässe (Prospekt Kultur- und Kongresszentrum Luzern). Kürzungen: Auch bei der Kürzung eines Phrasems kann seine Bedeutung geändert werden oder unverändert bleiben. Letzteres zeigt das folgende Beispiel: Die Überschrift einer Werbeanzeige für den Münchener Olympiapark Wie Phoenix aus der Asche ist die gekürzte Version des Phrasems Wie Phoenix
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c.
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aus der Asche wiederauferstehen / aufsteigen; sich wie Phoenix aus der Asche erheben (Prospekt STATTreisen. München. Stadtspaziergänge 2011: 10). Bei dieser Abkürzung wird das Erkennen des Originals nicht beeinträchtigt, weil die Bedeutung nicht modifiziert wird. Ergänzung bzw. Erweiterung: Einige Forscher zählen zu der Modifikationsart „formale Modifikation“ auch die Ergänzung bzw. Erweiterung eines Phrasems (vgl. Balsliemke 2001: 69-70, Burger 2010: 159-160). Dafür gibt es im untersuchten Material keine Belege. Alle vorhandenen Beispiele für die Ergänzung bzw. Erweiterung eines Phrasems weisen auch eine gleichzeitige semantische Änderung auf.
Die oben angeführten formalen Modifikationen eines Phrasems können meines Erachtens nicht immer nur rein formal sein, sondern rufen meistens auch die Veränderung der Bedeutung hervor, wie später an einigen Beispielen gezeigt wird. Es hat sich herausgestellt, dass die Beispiele für die Veränderung der Form ohne Änderung der Bedeutung in der Regel keinen bildlichen Teil in einer Anzeige benötigen und solche Modifikation verursacht nicht die doppelte Lesart eines Phrasems oder eines Lexems. 3.2 Die semantische Modifikation mithilfe des Veränderung eines Phrasems oder eines Lexems
Bildes
ohne
formale
Die semantische Veränderung ohne Veränderung der Form kann man am Beispiel der folgenden Anzeige beobachten, in der die Bedeutung des Phrasems an der Flasche hängen durch das Bild verändert wird (Abbildung 4). Das Phrasem an der Flasche hängen bedeutet alkoholabhängig, trunksüchtig sein. Das Bild zeigt das Gegenteil von dem, was diese Aussage ausdrückt: nicht alkoholabhängig, sondern Milchliebhaber sein. Hier stimmen die Bedeutungen vom Phrasem und Bild nicht überein. Ihr Zusammenspiel basiert auf ihren gegenseitigen bzw. antonymen Bedeutungen. Durch die Gegenüberstellung, Kontrastierung der Bedeutungen von Text und Bild wird der Effekt des Unerwarteten und des Humors erreicht. Hier wird nur eine Konstituente Flasche visualisiert und zwar mit einer konkretisierenden Bedeutung Milchflasche. Mithilfe einer Komponentenanalyse des Phrasems an der Flasche hängen wurde die semantische Kongruenz (bzw. Übereinstimmung) zwischen den Bedeutungskomponenten des Phrasems Flasche Gefäβ alkoholisches Getränk festgestellt. Diese semantische Übereinstimmung wird aber durch die Bedeu-
Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung
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tungskomponente des Bildes Flasche Gefäβ Milch aufgehoben. Das Signifikat Flasche im Bestand des Phrasems und als ein Bestandteil des Bildes unterscheidet sich durch die Seme alkoholisches Getränk und Milch. Neben dem Unterschied in der denotativen Bedeutung gibt es hier auch einen Unterschied in der konnotativen Bedeutung, nämlich in der Bewertung: Die negative Bewertung wird durch das Phrasem an der Flasche hängen und die positive Bewertung durch das Bild bewirkt. Die negative Konnotation des Phrasems wird im Bild in eine positive Konnotation geändert, weil Milch als gesundes Lebensmittel gilt. Es gibt also nur ein übereinstimmendes Sem im Text (hier: Phrasem) und Bild und zwar Flasche in der Hauptbedeutung Gefäβ. Durch die Kontrastierung der Seme Flasche für Alkohol und Milchflasche wird ein humoristischer Effekt erreicht und entsprechend ein höherer Wirkungsgrad der Anzeige.
Abbildung 4:
Anzeige Bergbauernmilch Berchtesgadener Land (aus: Süddeutsche Zeitung 29./30.01.2011)
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3.3 Formale Modifikation und semantische Veränderung Beispiele für gleichzeitige Änderung der Form und der Bedeutung Zu den häufigsten Ausprägungen der formalen Modifikation mit semantischer Veränderung gehören die Paronomasie, Substitution, die Ambiguierung sowie die Erweiterung und Kürzung. Diese Arten der Modifikation können mit und ohne Hilfe des bildlichen Faktors (also mit und ohne Visualisierung des betreffenden Phrasems oder Lexems mithilfe eines Bildes) stattfinden. Ein Beispiel für die Veränderung der Form und der Bedeutung eines Phrasems mithilfe des sprachlichen Mittels der Paronomasie (d.h. die Ersetzung des Wortes durch ein ähnliches Wort) und gleichzeitig mithilfe des Bildes, findet sich im Slogan zur Anzeige für eine Truhe für Bürowaren: „In der Truhe liegt die Kraft“ (Süddeutsche Zeitung Magazin 22.07.2011: 31). Das ist ein Beispiel für eine paronomastische Modifikation der bekannten Redewendung In der Ruhe liegt die Kraft. Aus dem Werbetext wird verständlich, dass es sich um eine Truhe für Bürowaren und -Papier handelt. Der bildliche Faktor, nämlich die Abbildung einer Truhe, visualisiert diese Bedeutung. Die sprachlichen und bildlichen Faktoren erklären die Botschaft der Werbung und zwar so, dass sich das Produkt – die Truhe – durch Stabilität (Kraft) und Kompaktheit auszeichnet. Hier sieht man, dass der Textteil der Anzeige durch formale und semantische Modifikationen des Phrasems und der Bildteil durch die Abbildung eines Produkts, also durch die Visualisierung der modifizierten Bedeutung, zur Entstehung der doppelten Lesart beigetragen haben. Das nächste Beispiel aus der Anzeige von McDonalds (Abbildung 5) zeigt formale und semantische Änderung von vier Konstituenten eines bekannten Zitats To be or not to be durch die Paronomasie „Two beefs or not two beefs“. Das Zitat wird trotzdem erkannt und verstanden. Dieses Beispiel zeigt ebenso die Modifikation der Form und der Bedeutung des Zitats, die gleichzeitig durch sprachliche und bildliche Mittel erreicht wird.
Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung
Abbildung 5:
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Anzeige McDonalds (aus: Österreich 12.03.2010)
Ein Beispiel für eine phraseologische Substitution in der Printwerbung ist die Werbeanzeige der Süddeutscher Zeitung (09.08.2011: 39) für ein Buch und eine CD mit bayrischen Liedern und Musikstücken der bekannten Kabarettgruppe Biermöslblosn in Zusammenarbeit mit Gerhard Polt, die sich durch ihre respektund furchtlose Aufführungen auszeichnen. Die Headline dieser Anzeige lautet: „Hier wird jeder durchs Weiβbier gezogen“, die auf ein bekanntes Phrasem jemanden durch den Kakao ziehen anspielt. Das Phrasem bedeutet „jemanden, etwas auf gutmütige, lustige Weise verspotten, lächerlich machen“ (Duden 2006). Dank der Substitution der Konstituente Kakao durch die Konstituente Weiβbier entsteht für den Rezipienten eine andere Lesart, denn das Lexem Weiβbier als Ausdruck einer bayrischen Spezialität weist auf die bayrische Musik und Lieder hin. Bei der gleichzeitigen Änderung der Form und der Bedeutung kann die Veränderung der Bedeutung auch mithilfe der Ambiguierung bzw. Ambiguität oder Mehrdeutigkeit erfolgen (vgl. Lewandowski 1990: 55). Das illustriert die Headline einer Anzeige der Deutschen Bahn: „Benzinpreisdiskussion verfolgen.
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Flugpreisentwicklung verfolgen. Meinem Verstand folgen. Mach’ ich im Zug“ (Deutsche Bahn aus: FAZ 31.05.2011). Die doppelte Lesart der Aussage Mach’ ich im Zug entsteht hier ohne Verwendung eines Bildes, nur durch die Ambiguität und durch formale Modifikation des Phrasems in einem Zuge. Duden (Universalwörterbuch) definiert das Phrasem in einem Zuge wie „ohne Unterbrechung“. Durch die Ergänzung des Phrasems mit verschiedenen Kontextelementen, zum Beipsiel mit dem Slogan Die Bahn macht mobil und mit der Überschrift Bahnfahrer nutzen ihre Zeit sinnvoll sowie durch das Firmenlogo der Deutschen Bahn wird beim Rezipienten sowohl die wörtliche als auch die phraseologische Lesart aktiviert. Einerseits wird für eine Fahrt in einem Zug geworben. Andererseits suggeriert die phraseologische Bedeutung, dass man während einer Fahrt in einem Zug ohne Unterbrechung, in einem Zuge, seine Arbeit erledigen kann. 4
Zusammenfassung
Die Untersuchung verschiedener multimodal verwendeten Lexeme und Phraseme hat gezeigt, dass „für die Werbung das Bild und das Wort allein weit weniger wichtig sind als ihr Zusammenschmelzen in einer neuen expressiven Form als Botschaft (vgl. Pietzcker 2011: 53) Eine Aussage, die sprachlich und visuell getroffen wird, ist [...] eine stärkere Aussage, als wenn sie nur sprachlich oder nur visuell getroffen wird (ebd. 2011: 55). Das Zusammenspiel von Text- (Phraseme und Lexeme) und Bildteil einer Anzeige kann auf unterschiedliche Art und Weise stattfinden. Es wurde festgestellt, dass die semantische Relation zwischen Text und Bild erstens durch eine Übereinstimmung einzelner Seme der Bedeutung eines Phrasems oder eines Lexems mit denen des Bildteils erfolgen kann (zum Beipsiel in der Werbung München staunt Bauklötze, Abbildung1) und zweitens durch die Kontrastierung der phraseologischen und wörtlichen Bedeutungen im Text- und Bildteil (zum Beipsiel in der Werbung mit dem Phrasem an der Flasche hängen, Abbildung 4). Multimodal verwendete Phraseme und Lexeme zeichnen sich meistens durch eine doppelte Lesart aus, die auf unterschiedlichen Modifikationen beruht. Nicht jede Modifikation führt zu einer doppelten Lesart (zum Beipsiel die rein formale Modifikation) und nicht jede doppelte Lesart benötigt eine multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen. (zum Beipsiel die Anzeige Mach‘ ich im Zug).
Multimodale Verwendung von Phrasemen und Lexemen in der Werbung
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Solche Phraseme und Lexeme lassen sich multimodal verwenden, deren doppelte Lesart durch die Modifikation der Bedeutung entweder von Text und Bild (Abbildung 2 und 5), oder nur mithilfe von Bild (Abbildung 1 und 4) hervorgerufen werden kann. Multimodal verwendete Lexeme und Phraseme haben eine groβe Bedeutung für die Entstehung einer unterhaltsamen und humorvollen Werbung. 5
Literatur
Balsliemke, Petra (2001): „Da sieht die Welt schon anders aus.“ Phraseologismen in der Anzeigenwerbung: Modifikation und Funktion in Text-Bild-Beziehungen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Burger, Harald (2010):Phraseologie. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Duden (2012): Das Wörterbuch der Synonyme. Mannheim u.a.: Dudenverlag. Duden (2011): Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. Mannheim u.a.: Dudenverlag. Duden (2006): Deutsches Universalwörterbuch. 6. Auflage, Mannheim u.a.: Dudenverlag. Hallsteinsdóttir Erla (2011): „Aktuelle Forschungsfragen der deutschsprachigen Phraseodidaktik“. In: Linguistik online 47 (3). Lewandowski, Theodor (1990): Linguistisches Wörterbuch. Heidelberg, Wiesbaden: Quelle & Meyer. Pietzcker, Dominik (2011): Kursbaustein Werbetext und Kommunikation. Berlin: Cornelsen.
Der Aufbau von Kundenbeziehungen durch multimodale Vertrauensbildung im Internet am Beispiel von Tourismusdestinationen Esther Federspiel / Anja Janoschka / Seraina Mohr Abstract In den letzten 20 Jahren hat sich Relationship Marketing als neuer Teilbereich des Marketing in Wissenschaft und Praxis etabliert. Zielsetzung dabei ist, eine langfristige Beziehung eines Unternehmens zu seinen Anspruchsgruppen (insbesondere Kunden) zu initiieren, zu erhalten und gegebenenfalls wiederherzustellen („Recruitment, Retention, Recovery“, „3 Rs“, vgl. z.B. Bruhn 2013: 66). In Analogie zu „klassischen“ Beziehungen zwischen Menschen erscheint es dabei wichtig und erfolgversprechend, eine ganzheitliche Kommunikation zu nutzen; entsprechend grundsätzlich hohe Relevanz haben multimodale Ansätze. Heute wird zum Aufbau von Kundenbeziehungen oft das Internet – zum Beispiel in Form von Websites, Online Communities usw. – genutzt. Dies eröffnet einerseits neue Chancen im Einsatz multimodaler Kommunikation, schränkt diese andererseits aber auch ein. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Ziel ist es darzulegen, welche konkreten Probleme sich dabei ergeben und was mögliche Lösungen sein könnten (z.B. hinsichtlich olfaktorischer, gustatorischer und haptischer Elemente). Eine Besonderheit des gewählten Ansatzes liegt darin, dass die Diskussion aus Sicht verschiedener Fachdisziplinen in einem interdisziplinären Team erfolgt, konkret der Kommunikationswissenschaft, der Betriebswirtschaft und der Psychologie. Aufgezeigt wird am Beispiel touristischer Dienstleistungen und deren Websites zunächst, welche Problemfelder bestehen. Hierzu werden zum einen die theoretischen Grundlagen zum Thema kurz dargestellt (z.B. Wahrnehmung, Emotionen und Online Customer Experience). Zum anderen werden Experteninterviews und Beobachtungen genutzt, um die konkreten Problemfelder anhand des gewählten Beispiels zu strukturieren und zu bewerten. Im Anschluss werden Implikationen zum Umgang mit den aufgezeigten Problemfeldern abgeleitet, indem Möglichkeiten und Grenzen zur Gestaltung multimodaler Werbebotschaften für diesen Anwendungsbereich kritisch diskutiert werden.
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Einleitung
Das Internet hat zu einem massiven Anstieg des Direktverkaufs von Reisen und touristischen Dienstleistungen weltweit geführt. Zahlreiche Kundinnen und Kunden informieren sich online. Gleichzeitig ist der Wettbewerb zwischen verschiedenen Tourismusanbietern härter geworden, und der Markt hat sich globalisiert. Deshalb setzen immer mehr Tourismusdestinationen auf langfristige Kundenbeziehungen, die sie mit Beziehungsmarketing anbahnen und aufbauen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_5
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Federspiel / Janoschka / Mohr
Der Erstkontakt einer Transaktionsbeziehung findet heute im Tourismusbereich immer häufiger über die Website statt. Damit sich eine Beziehung anbahnen kann, spielt vor allem zu Beginn Vertrauen eine wesentliche Rolle. Während die Vertrauensbildung zwischen Transaktionspartner und Kunden offline über alle Sinnesmodalitäten abläuft, beschränkt sich die Anbahnung von Beziehungsmarketing über Online-Kanäle vor allem auf die Modalitäten Bild und Ton, welche über eine Website transportiert werden können. Das für die erste Phase der Beziehungsanbahnung relevante Vertrauen gegenüber dem Transaktionspartner bildet sich dabei auf unterschiedlichen Ebenen: auf der Ebene des Senders (Tourismusdestination), des Mediums (Website), der Information und untereinander im Publikum. Die Vertrauenswürdigkeit kann über unterschiedliche Features auf der Website gesteuert werden. Ziel dieser Arbeit ist es, multimodale vertrauensbildende Elemente und dazugehörige Website-Features zusammenzutragen und mit Hilfe von drei Case Studies bei Schweizer Tourismusdestinationen mit der konkreten Praxisanwendung anzureichern. Ergebnis ist eine geprüfte Kriterienliste, die in der Beziehungsanbahnung online Leitfaden für den Vertrauensaufbau sein kann. Die Ausgangssituation für unsere Studie ist folgende: Gesättigte Märkte, homogene Güter, vergleichbare Dienstleistungen und eine verstärkte Wettbewerbsintensität stellen Werbetreibende nicht nur im Konsum- und Industriegüterbereich vor kommunikative Herausforderungen zur Leistungsdifferenzierung (Küster 2006). Auch im Tourismussektor stehen den Anspruchsgruppen, zum Bespiel Urlaubsreisenden, diverse Destinationen im In- und Ausland zur Auswahl. Auf den ersten Blick mögen sich Badeurlaube auf Mallorca und in Andalusien, Wander- und Aktivferien in den Bergen wie im Engadin in St. Moritz, Scuol und dem Wallis nur wenig unterscheiden. Das Angebot ist groß, austauschbar und teils unüberschaubar. Wie differenzieren sich Tourismusdestinationen bzw. wie können sich Zielgruppen über deren Angebote entscheidungsrelevant informieren? Für interessierte Personen und potentielle Urlauber bieten sich neben dem physischen Reisebüro oftmals die Websites der Destinationen als erste Kontaktpunkte an. Die Funktionen dieser Websites reichen vom Visualisieren der Region über emotionale bis zu funktionalen und informativen Inhalten, wie beispielsweise das Buchen von Unterkünften, sowie das Darstellen der Angebotspalette und Aktivitäten. Aus Sicht der Betreiber sind ihre Websites die Basis „unternehmerischer Online-Kommunikationsbeziehungen mit den Zielgruppen“ (Buchele / Alkan 2012: 219). Für Zielsetzungen wie Aufmerksamkeit erregen, Interesse erzeugen bis hin zur Wahl der Destination über kommunizierte Diffe-
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renzierungsmerkmale stehen den Website-Kommunikatoren Elemente wie geschriebene und gesprochene Texte, statische und animierte Bilder wie auch Videos zur Verfügung, mit denen sie die Informationsdarbietung und Interaktionsmöglichkeiten steuern können. Die Website ist dementsprechend ein Kommunikationsmittel für den Dialog zwischen einer Tourismusdestination und ihren Zielgruppen. Um differenzierend zu kommunizieren scheint es immer wichtiger zu werden, neben dem En- und Dekodieren der Botschaften eine Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern aufzubauen (Bruhn 2008: 488). Erfolgreiche Websitekommunikation hat deshalb u.a. die Aufgabe bedürfnis-, nutzen- und dialogorientiert zu sein (ebd.). Laut Bruhn (2008: 488-490) ist die Bedürfnisorientierung im Marketingprozess eine wesentliche Voraussetzung für die Initiierung, Aufrechterhaltung und Stärkung der Kundenbeziehung. Zentral hierbei ist die Ausrichtung auf den einzelnen Kunden und seine individuellen Bedürfnisse. Auch die Nutzenorientierung ist nur dann beziehungsfördernd, wenn sie einen Mehrwert bietet, der über die bloße Leistungsinformation hinausgeht. 2
Die Rolle von Vertrauen in Marketingbeziehungen
Neben den oben genannten generischen Aspekten ist es in Marketingbeziehungen mit Transaktionsfolge wesentlich, sowohl für die Beziehungsstärke als auch für eine erfolgreiche Transaktion Vertrauen aufzubauen (Bruhn 2013: 89-91). Vertrauen kann dabei folgendermaßen definiert werden: „the ability to reliably predict the actions of the other party in the relationship and the belief that the other partner will not act opportunistically if given the chance to do so“ (Jap / Weitz 1995: 2). Vertrauen wird dabei als zukünftig und transaktionsübergreifend, in seiner Funktion als Komplexität reduzierend und langfristig verstanden (Bruhn 2013: 89). Bezugsobjekte von Vertrauen können das Kontaktpersonal eines Unternehmens sein, über das eine Geschäftsbeziehung abläuft, oder ein abstraktes System wie das Unternehmen oder die Website (Frick / Hauser 2007: 18). Neben Arbeiten zum Thema Vertrauen werden im vorliegenden Artikel auch Arbeiten zur credibility aufgeführt. Dieser Begriff ist mit Vertrauen eng verwandt und kann mit ‚Glaubwürdigkeit‘ übersetzt werden. Glaubwürdigkeit kann sich wie Vertrauen auf den Informationssender (vgl. z.B. Jäckel 2002; Schenk 2002), die Information (Botschaft) (vgl. z.B. Fogg / Tseng 1999) und das Medium (Website) (vgl. z.B. Rößler / Wirth 1999) beziehen.
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Federspiel / Janoschka / Mohr
Der Fokus im vorliegenden Artikel liegt auf der Akquisitionsphase und damit auf der Phase des Aufbaus der Vertrauens- bzw. Glaubwürdigkeit (Bruhn 2013: 89-91). Vertrauens- und Glaubwürdigkeit sind in der ersten Phase der Beziehungsanbahnung besonders wichtig, da auf Kundenseite noch keine Erfahrungen mit der Leistungserbringung bestehen. 2.1 Vertrauensbildung im Internet Während früher sogenannte Gatekeeper, wie beispielsweise traditionelle Medien, Informationen beurteilt und deren Menge beschränkt haben, kann heute mit Hilfe des Internets jede und jeder selbst zum Verleger werden und im Internet uneingeschränkt Informationen veröffentlichen. Die Evaluation der Vertrauens- bzw. Glaubwürdigkeit des Senders bzw. der Informationen und bleibt dabei dem einzelnen Nutzer, der einzelnen Nutzerin überlassen (Metzger / Flanagin/ Medders 2010). In der folgenden Tabelle wurden Determinanten von Vertrauens- und Glaubwürdigkeit im Internet zusammengetragen und durch die dazugehörigen Umsetzungsmöglichkeiten auf Websites, die sogenannten Features, ergänzt. Webelemente
Features
Dialogmöglichkeit vorhanden (Grab- Chat und Rückrufmöglichkeit (Riegelsberger / ner-Kraeuter / Fladnitzer 2006) Sasse 2002), Instant Messaging und Videotelefonie (Basso et al. 2001) Testimonials vorhanden Statements von Drittpersonen zu den Dienstleis(Ceaparu et al. 2002, Grabner- tungen (Hu / Lin / Zhang 2001) Kraeuter / Fladnitzer 2006) Expertise des Senders vorhanden Repräsentative Fotografie des Senders vorhan(Wathen / Burkell 2002) den (Riegelsberger / Sasse 2001); Relevanz oder Einfluss des Senders durch Integration eines Reputationssystems sichtbar (Chen / Singh 2001, Jensen / Davis / Farnham 2002, Preece 2000) Navigierbarkeit gegeben (Lazar / Konsistente Navigation, damit diese auf der Meiselwitz / Feng 2007, Metzger / ersten Seite gelernt und dann immer wieder Flanagin / Medders 2010) angewendet werden kann (Nielsen 1998) Funktionalität gegeben Keine defekten Links oder sinnfreien Bilder (Grabner-Kraeuter / Fladnitzer 2006, (Zhang et al. 1999); kurze Response-Time der Metzger / Flanagin / Medders 2010) Website (Jacko / Sears / Borella 2000) Bedarfsgerechte Personalisierung Informationen können bedarfsgerecht personali(Metzger / Flanagin / Medders 2010) siert abgerufen werden (Metzger / Flanagin / Medders 2010)
Der Aufbau von Kundenbeziehungen durch multimodale Vertrauensbildung im Internet
Es sind keine kommerziellen Implikationen sichtbar (Metzger / Flanagin / Medders 2010) Qualitätssiegel (Awards) von Dritten sind vorhanden (Hu / Lin / Zhang 2001) Professionell wirkendes Web-Design (Fogg 2003, Fogg et al. 2003)
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Keine Werbung von Dritten auf der Website (Metzger / Flanagin / Medders 2010) z.B. VeriSign (http://www.verisign.com/) (Hu / Lin / Zhang 2001)
Gut ausgewählte, professionell wirkende Fotografien (Karvonen / Parkkinen 2001); kein überflüssiger Einsatz sensorischer Impacts (Lightner 2003) Ausschließen kritischer Beziehungs- Policies (Privacy; Usability) (Milne / Culnan aspekte im Voraus (Wang / Emurian 2002) 2003) Vorhandene Information ist präzise Inhaltsreiche, korrekte und aktuelle Dienstleis(Metzger et al: 2003) tungsinformationen vorhanden (Lazar / Meiselwitz / Feng 2007)
Tabelle 1: Vertrauensbildende Webelemente mit dazugehörigen Features Neben der Evaluation des Senders sowie der Website und den darauf enthaltenen Informationen verlassen sich Konsumentinnen und Konsumenten in der heutigen Zeit auch immer mehr auf Informationen anderer Verbraucher und Verbraucherinnen, die beispielsweise mit der Leistungserbringung einer Organisation bereits Erfahrung haben. So verwenden Internetnutzerinnen und -nutzer zur Evaluation von Informationen zum Beispiel sozial gepoolte Daten oder lassen sich durch jemanden, den sie bezüglich der Leistungserbringung als „Experten“ identifizieren, in ihrer Entscheidung bekräftigen (Metzger / Flanagin / Medders 2010: 433). Bezieht man neben dem Publikum zusätzlich Multimodalität mit in die Vertrauensbildung übers Internet ein, spielt – neben verschiedenen Elementen zur Identifikation vertrauenswürdiger Sender, Informationen und einer vertrauenswürdigen Website – das virtuelle Erlebnis eine entscheidende Rolle. 2.2 Virtuelles Erlebnis durch multimodale Reize Die sich immer weiter entwickelnde Technologie des Internets ermöglicht es nicht nur hochstehende digitale Bilder und Musik zu übermitteln, sondern auch dreidimensionale Animationen oder virtuelle Rundgänge zu zeigen (Gilbert / Powell-Perry 2003). Obwohl es unter Akademikern und Praktikern einen Konsens darüber zu geben scheint, dass die Breite von sensorischen Informationen
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und multimedialen Inhalten das Kundenerlebnis online bereichert (Fiore / Kelly 2007), ist das Konzept von sensorischem Marketing online kaum definiert und erforscht (Gretzel / Fesenmaier 2004, Gretzel / Fesenmaier 2010, Sulaiman et al. 2012). Unter multisensorischem Marketing versteht man Marketing, das gleichzeitig mehrere Sinne anspricht. Es werden auditive (Ton), visuelle (Bild), haptische (Berührung), gustatorische (Geschmack) und olfaktorische (Geruch) Reize unterschieden (Sulaiman et al. 2012). Im Internet liegt der Fokus der Darbietung multisensualer Inhalte auf Bild und Ton. Mit solchen visuellen und auditiven Reizen können allerdings auch weitere Sinne aktiviert werden wie beispielsweise der gustatorische bei der visuellen Darstellung von Lebensmitteln (vgl. Phung / Buhalis 2011). Multisensorische Erfahrungen erfassen den Nutzer / die Nutzerin unmittelbar und kraftvoll (Gobe 2001). Sie befriedigen nicht nur hedonistische und ästhetische Bedürfnisse von Konsumentinnen und Konsumenten während der Informationssuche (Vogt / Fesenmaier 1998), sondern wirken sich direkt auf das Vertrauen in die Beziehung zu einem Unternehmen aus. So können Nutzerinnen und Nutzer durch eine virtuelle multisensorische Simulation einen psychischen Zustand erleben, der zwischen einer realen physischen Erfahrung und einer indirekten Erfahrung durch Offline-Werbekommunikation liegt. Die ermöglichte Interaktivität (Daugherty / Li / Biocca 2008) und der Genuss der multisensorischen Erfahrungen während der Website-Nutzung (Blythe et al. 2004) ermöglichen es, den psychologischen Zustand des Vor-OrtSeins vorwegzunehmen, was zu einem erhöhten Gefühl der Kontrolle durch gewonnenes Wissen führt (Daugherty / Li / Biocca 2008). Eine solche Erfahrung führt zu einem größeren Vertrauen in das Unternehmen und die Produkte / Dienstleistungen, welche auf der Website dargestellt werden (Koufaris / Hampton-Sosa 2002). 2.3 Kategorisierung vertrauensbildender Elemente im Internet Die für die erste Phase des Relationship-Marketings relevante Vertrauens- bzw. Glaubwürdigkeit gegenüber dem Beziehungspartner bildet sich auf unterschiedlichen Ebenen: auf Ebene des Senders (Tourismusdestination), des Mediums (Website), der Botschaft (Information) und des Publikums (in Anlehnung an (Janoschka 2004)). Entlang dieser Kategorisierung kann aus Tabelle 1 sowie den nachfolgenden Inhalten zu Urteilen des Publikums und zum virtuellen Erlebnis durch mul-
Der Aufbau von Kundenbeziehungen durch multimodale Vertrauensbildung im Internet
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timodale Reize eine Kriterienliste vertrauensbildender Webelemente für Tourismusdestinationen (Tabelle 2) erstellt werden. Kategorien
Vertrauensbildende Webelemente mit dazugehörigen Features
Sender (Quelle)
Expertise vorhanden: repräsentative Fotografie des Senders vorhanden; Relevanz oder Einfluss des Senders durch Integration eines Reputationssystems sichtbar Botschaft Vorhandene Information ist präzise: inhaltsreiche, korrekte und aktuelle (Information) Dienstleistungsinformationen Medium Dialogmöglichkeit vorhanden: Chat und Rückrufmöglichkeit, Instant (Website) Messaging und Videotelefonie Navigierbarkeit gegeben: konsistente Navigation Funktionalität gegeben: keine defekten Links oder sinnfreien Bilder, kurze Response-Time der Website Virtuelles Erlebnis vorhanden (Animationen, virtuelle Rundgänge) Informationen können bedarfsgerecht personalisiert abgerufen werden. Keine Werbung von Dritten auf der Website Qualitätssiegel (Awards) von Dritten vorhanden: z.B. VeriSign Das Webdesign wirkt professionell: gut ausgewählte, professionell geschossen wirkende Fotografien, kein überflüssiger Einsatz sensorischer Impacts Vorab Ausschließen kritischer Beziehungsaspekte: Policies (Privacy; Usability) Publikum Eine Bewertungsmöglichkeit der Information und des Senders durch andere Konsumentinnen und Konsumenten ist in die Website integriert. Testimonials vorhanden: Statements von Drittpersonen zu den Dienstleistungen
Tabelle 2: Kategorisierte Kriterienliste vertrauensbildender Webelemente und dazugehöriger Features
3
Forschungsfrage
Um zu einem tieferen Verständnis der vorgeschlagenen vertrauensbildenden Webelemente für die Anbahnung von Transaktionsbeziehungen zwischen Tourismusdestinationen und möglichen Kundinnen und Kunden beizutragen, wurde eine explorative Studie durchgeführt. Basierend auf der oben hergeleiteten Kriterienliste und Kategorisierung wurde untersucht, inwiefern Tourismusdestina-
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Federspiel / Janoschka / Mohr
tionen in der Schweiz vertrauensbildende Elemente als Grundlage des Beziehungsmarketings auf ihrer Website berücksichtigt haben. 4
Methodik
Die Literatursammlung zu den einzelnen vertrauensbildenden Webelementen und deren Kategorisierung zeigt die theoretische Breite vertrauensbildender Elemente im Internet auf. Welche dieser Kategorien, einzelnen Elemente und Features in der Praxis von Tourismusdestinationen tatsächlich und auf welche Art angewendet werden, bleibt offen. Um diese Lücke zu schließen, wurde ein exploratives Forschungsdesign mit multiplen Fallstudien gewählt (vgl. Yin 2009). In einem ersten Schritt wurde eine Matrix entwickelt, welche die einzelnen vertrauensbildenden Webelemente und -features aus der Literatur nach den Subjekten oder Objekten (Sender, Botschaft, Medium und Publikum) kategorisiert, in Bezug auf die Vertrauensbildung stattfindet (vgl. Tabelle 2). In einem zweiten Schritt wurde auf Basis dieser Matrix eine Inhaltsanalyse (Holsti 1969) durchgeführt. Die Inhaltsanalyse eignet sich, um systematisch und objektiv spezifische Charakteristiken oder Botschaften von Webseiten zu analysieren (ebd.). Es müssen allerdings eine gut begründete Fallauswahl und ein gut begründetes Kategoriensystem wie auch adäquate operationalisierte Definitionen der zu analysierenden Konstrukte vorliegen, um valide Ergebnisse zu erhalten (Ellinger et al. 2003, Kolbe / Burnett 1991). Als Fälle wurden die drei Schweizer Tourismusdestinationen Luzern, Zermatt Matterhorn und Engadin St. Moritz ausgewählt. Die Auswahl fand nach folgenden Kriterien statt: klare Destinationsstrategie, vergleichbare Größe, internationale Ausstrahlung und Vorhandensein finanzieller Mittel für den Ausbau der Webkommunikation. 5
Analyse und Resultate
Außer den explizit vorhandenen Testimonials konnten in der Analyse der drei Fallbeispiele alle theoretisch hergeleiteten vertrauensbildenden Elemente zur Beziehungsanbahnung in unterschiedlicher Ausprägung gefunden werden. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die Analysefaktoren. Zur Beantwortung der Forschungsfrage konnten 13 verschiedene vertrauensbildende Elemente zu den Kategorien Sender, Medium, Botschaft und Publikum gefunden werden:
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Vertrauensbildende Webelemente & Luzern ZermattEngadin dazugehörige Features Matterhorn St. Moritz 1. S1: Expertise vorhanden 0 2 2. B1:Vorhandene Information ist präzise 2 2 3. M1: Dialogmöglichkeit vorhanden 2 1 4. M: Navigierbarkeit gegeben 0 2 5. M: Funktionalität gegeben 2 2 6. M: Virtuelles Erlebnis vorhanden 2 1 7. M: Informationen können bedarfsgerecht 0 1 personalisiert abgerufen werden 8. M: Keine Werbung von Dritten auf der 2 0 Website 9. M: Qualitätssiegel (Awards) von Dritten 2 0 vorhanden 10. M: Das Webdesign wirkt professionell 2 0 11. M: Vorab Ausschließen kritischer Bezie- 2 2 hungsaspekte 12. P1: Testimonials vorhanden 0 0 13. P: Bewertungsmöglichkeit durch Dritte 2 1 integriert Gesamtwert vertrauensbildender Elemente 17 13 (Maximal 26 Punkte möglich) 2 = vorhanden; 1 = teilweise vorhanden; 0 = nicht vorhanden
2 2 2 1 2 1 1 2 1 2 1 0 2 17
Tabelle 3: Vertrauensbildende Webelemente und dazugehörige Features auf Tourismus-Destinations-Websites aus der Schweiz Geht es um die Vertrauens- und Glaubwürdigkeit des Senders, spielt dessen vom Empfänger wahrgenommene Expertise eine besonders relevante Rolle. Features, die zu dieser Wahrnehmung beitragen, sind repräsentative Fotografien des Senders, in diesem Fall der Teammitglieder, sowie Reputationssysteme, die den Einfluss und die Relevanz des Senders ausweisen. Während die Tourismusdestinationen Zermatt-Matterhorn und Engadin St. Moritz repräsentativ wirkende Bilder ihres Teams aufgeschaltet haben, konnte auf der Website von Luzern kein Expertise-Feature gefunden werden. Keine der Destinationen verfügt über ein eigenes Reputationssystem oder hat auf ihrer Website ein externes Reputationssystem eingebunden.
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Bei der Analyse der Vertrauenswürdigkeit der Information konnte nur überprüft werden, ob die Informationen inhaltsreich sind. Alle drei Websites verfügen über inhaltlich breite und vielfältige Informationen. Ob diese korrekt und aktuell sind, konnte mit der Inhaltsanalyse nicht eruiert werden. Die meisten analysierten Webelemente beziehen sich auf die Vertrauensund Glaubwürdigkeit der Website (Medium). Die Dialogmöglichkeit war bei allen drei Destinationswebsites in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden. Alle drei Destinationen verfügen über eine Kontaktmöglichkeit via Telefon, E-Mail und via verschiedene Social-Media-Plattformen. Luzern und Engadin St. Moritz bieten beide zusätzlich ein Kontaktformular, Luzern sogar eine Live-ChatMöglichkeit. Bei der bedürfnisgerechten Ausgestaltung der Website besteht bei allen drei Destinations-Websites Verbesserungspotenzial. Bei Luzern beispielsweise ist die Doppelnavigation verwirrend, ebenso fehlt die Möglichkeit, Informationen bedarfsgerecht personalisiert abzurufen. Zermatt-Matterhorn und Engadin St. Moritz bieten einen spezifischen Menüpunkt für Familien, gehen aber auf weitere Zielgruppen ebenfalls nicht spezifisch ein. Die Funktionalität ist bei allen drei Websites gegeben, wobei die Fotografien bei Engadin St. Moritz zum Teil mäßig zum Kontext passen (z.B. Fotografien beim Menüpunkt Engadiner Lebensart). Während die Websites von Luzern und Engadin St. Moritz sehr professionell wirken, fällt die Seite von Zermatt Matterhorn mit unprofessionell wirkenden Bildern und hohem sensorischen Impact durch den umfassenden Einsatz roter Farbe eher negativ auf. Auch die zahlreichen Werbeeinblendungen auf der Website von ZermattMatterhorn (Hublot, Victorinox, Mammut & Raiffeisen) sind für die Vertrauensbildung in der Anbahnung einer Marketingbeziehung negativ zu werten. Die anderen beiden Destinationen bleiben ohne Werbung neutral und verfügen zusätzlich beide über eine Mitgliedschaft beim Schweizer Tourismusverband, was sie mit einem Logo ausweisen. Alle drei Websites bieten außerdem Datenschutzerklärungen: Luzern und Zermatt Matterhorn explizit, Engadin St. Moriz eher versteckt im Disclaimer. Im Vergleich zu anderen Websites bieten alle drei Tourismusdestinationen mit diversen Webcams und einer Fotogalerie ein reiches virtuelles Erlebnis. Auf der Zermatter und der St. Moritzer Seite stehen zusätzlich Panoramabilder, bei Luzern ein interaktiver Stadt- und Tourenplan zur Verfügung. Engadin St. Moritz bietet zusätzlich zahlreiche Filme, die einen Einblick in das Destinationserlebnis geben.
Der Aufbau von Kundenbeziehungen durch multimodale Vertrauensbildung im Internet
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Ein weiterer wesentlicher Punkt zur Vertrauensbildung in der Anbahnung von Kundenbeziehungen ist die Integration einer Bewertungsmöglichkeit durch Dritte wie zum Beispiel Personen, die bereits Dienstleistungen einer der drei Tourismusdestinationen in Anspruch genommen haben. Alle drei Destinationen haben auf ihrer Website Social Media integriert, wo auch die Leistungen der Destination bewertet werden können. Luzern und Engadin St. Moritz haben zusätzlich den bekannten Tourismus-Bewertungsdienst Tripadvisor auf ihrer Website eingebunden. Die drei Destinationswebsites erreichen von 26 möglichen Vertrauenspunkten mit zwischen 13 (Zermatt Matterhorn) und 17 Punkten (Luzern, Engadin St. Moritz) gut die Hälfte. Es besteht noch einiges an Potenzial: Alle drei Tourismusdestinationen verfügen beispielsweise über eine Website mit sehr vielen Informationen. Könnten diese bedarfsgerecht personalisiert abgerufen werden, würden die Destinationen den Dienstleistungsinteressierten viel Aufwand ersparen, was sich wiederum in einem höheren Vertrauen gegenüber der Destination auszahlen kann. Weiter können auf der Website explizit erwähnte Testimonials zusätzliches Vertrauen schaffen. Für die Anbahnung einer vertrauensvollen Kundenbeziehung lohnt sich auch die Investition in eine professionell wirkende, funktional einwandfreie Website. 6
Fazit
Im vorliegenden Aufsatz geht es um vertrauensbildende Elemente bei der Anbahnung von Marketingbeziehungen im Internet. Es wurde eine kategorisierte Kriterienliste entwickelt, welche zu einem besseren Verständnis und zum effektiven Einsatz von vertrauensbildenden Elementen auf Websites beiträgt. Eine explorative Studie zeigt auf, wie die einzelnen Elemente in der Praxis der Internetkommunikation von Tourismusdestinationen eingesetzt werden. Aus der Management-Perspektive hilft die vorliegende Untersuchung besser zu verstehen, wie bei der Anbahnung einer Marketingbeziehung über eine Website Vertrauen geschaffen werden kann. Es wird aufgezeigt, welche Elemente dazu beachtet werden müssen und mit welchen Features diese auf Websites umgesetzt werden können. Wie die Umsetzung dann konkret in der Praxis von Tourismusdestinationen aussieht, wird im Analyse- und Resultatekapitel eruiert. Die neu entwickelte Kriterienliste vertrauensbildender Elemente kann dabei als Leitfaden zur Anbahnung von vertrauensvollen Marketingbeziehungen in der Internetkommunikation von Tourismusdestinationen angewendet werden.
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Aufgrund ihres explorativen Charakters erhebt die vorliegende Studie keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ziel und Leistung dieses Beitrags ist es, eine kategorisierte Liste von Webelementen und -features für Tourismusdestinationen zur Verfügung zu stellen, welche für den Aufbau von Vertrauen über den Kontaktpunkt Internet zentral sind. Die Kategorien Sender, Information, Medium und Publikum sowie die zugeordneten Elemente und Features helfen dabei sowohl der Praxis als auch der Forschung, weitere Determinanten von Vertrauen in der Anbahnung von Marketingbeziehungen über eine Website herzuleiten und zu testen. 7
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Klangerlebnisse in der Werbung. Wunschkonzert mit Mehrwert? Heiko Schulz Abstract Der Beitrag des Werbemusikproduzenten Heiko Schulz beschreibt anhand von zahlreichen Beispielen aus der Praxis nicht nur den Status quo des akustischen Brandings in Unternehmen und Organisationen, sondern auch die Anforderungen an den Musikproduzenten im Spannungsfeld von Wirtschaftskommunikation und künstlerischem Schaffen. Damit zeigt der Beitrag das Potential der akustischen Markenführung auf und verschafft dem Hörsinn in der multisensorischen Kommunikationswelt Gehör.
1
Einführung
Anlässlich der europäischen Fachtagung von Sprach- und Kommunikationswissenschaftlern im September 2013 war ich als Keynote-Speaker an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt eingeladen. Das Thema „Werbung für alle Sinne“ nahm ich als Aufforderung, das Publikum mit verschiedensten Sinneseindrücken zu begrüßen. Der Raum war von einem ansprechend frischen Duft erfüllt, zu dem sich noch Kaffeeduft gesellte. Es gab kleine Häppchen, um den Gaumen zu erfreuen. Eine Parfümflasche sorgte mit ihrem feinen Samtbezug zudem für haptische Eindrücke, und für den optischen und akustischen Eindruck hatte ich eine audiovisuelle, vor allem aber lebhafte Präsentation auf meinem Laptop mitgebracht. Für gute akustische Bedingungen sorgten zwei Aktivlautsprecher aus unserem Tonstudio. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Musikproduzent weiß ich, dass grundsätzlich jedes optische Erscheinungsbild eines Unternehmens, eines Produktes oder einer Organisation einen eigenen, unverwechselbaren Klang haben kann. Für die EUKO-Tagung war es mein Ziel eine Art musikalisches Logo zu entwickeln, welches die Bestandteile der Corporate Identity aufgreift und klanglich übersetzt. Dabei sprangen mir im Wesentlichen drei Gestaltungselemente ins Auge: die goldene Kopfleiste mit den kapitalen EUKO Lettern, der Infoblock mit dem Thema der Fachtagung, dem Datum und der Ortsangabe, sowie die klare Trennlinie zu den grafischen Elementen – einer blauen, einer pink und einer gelben Schallwelle. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_6
72
Schulz
Abbildung 1:
Veranstaltungslogo
Mein Filmproduktionsteam, zuständig für die Animationsreihenfolge dieser Elemente, bekam von mir ein grobes akustisches Layout, in dem ich definierte, wie die Bestandteile klanglich in Erscheinung treten sollten. Festgelegt wurde dabei Folgendes: Ein swingender, jazziger Grundrhythmus mit einer Geschwindigkeit von über 120 Bpm (Beats per minute). Ein Vocal-Loop soll die kommunikative Ebene der EUKO verkörpern. Dieser wird in die einzelnen Töne eines Akkordes zerlegt, um die Vielfalt der Teilnehmer auszudrücken, bis sie schließlich harmonisch zusammen klingen und somit eine Art Audiologo ergeben. Diese akustischen Reize wurden dann mit optischen Reizen visualisiert. Die drei markanten Farben blau, pink und gelb wurden durch auf den Beat rollende Kreise eingeführt und verschwanden hinter der dünnen Trennungslinie, die dem gesamten Erscheinungsbild Orientierung gibt. Die Faktenebene mit Thema, Datum und Ortsangabe werden dazu nacheinander eingeblendet. Zum Audiologo am Ende erscheinen dann die farbigen Wellen aus dem Veranstaltungs-Logo. In einem sogenannten Making-of Videobeitrag 1 zeigte ich dem Publikum einen Teil meiner Arbeitsweise am Beispiel einer Kinospotproduktion für die Lufthansa City Center Reisebüros. Viele Unternehmen haben eine klare Vorstellung von Ihrem „Wunschkunden“. Wie sie diesen identifizieren und wie sie ihn ansprechen, gestaltet sich allerdings sehr viel schwieriger. Diesen Wunschkun1
Making-of Video: .
Klangerlebnisse in der Werbung
73
den nun noch akustisch zu erreichen, stellt für viele ein völlig neues Aufgabengebiet dar. So viel kann bereits jetzt gesagt werden: Ohne fundiertes Wissen und einen strukturierten Arbeitsprozess ist akustische Markenführung nicht erfolgreich im Unternehmen zu etablieren. Es ist demnach sicher kein Wunschkonzert bestehend aus spontanen Ideen, schnellen Umsetzungen und dem Erreichen von monetären Wettbewerbsvorteilen. 2
Akustische Markenkommunikation
2.1
Die ersten 30 Jahre
Akustische Markenführung existiert seit rund 30 Jahren. Damit ist sie eine vergleichsweise junge Disziplin. Mitte bis Ende der 80er Jahre wurde der Fernsehzuschauer durch das Aufkommen der Privatsender in Deutschland immer häufiger mit Werbespots konfrontiert. SAT1 und RTLplus waren die Vorreiter in Sachen großflächiger Werbeblöcke. 1988 gab es bereits 30 verschiedene Sender, die eine ähnliche Herangehensweise praktizierten. Dadurch entstand fast ein Zwang, sein Produkt im Fernsehen zu bewerben. Es entstand eine Vielfalt an Werbespots und damit auch eine große Zahl an Werbemusikstücken. Aus dieser Zeit sind uns noch zahlreiche Werbespots in guter Erinnerung. Allein die Erwähnung der Werbeclaims lässt im Gedächtnis die passende Melodie dazu erklingen:
„Meister Proper putzt so sauber, dass man sich drin spiegeln kann!“
„Wenn der Abfluss mal verstopft ist, na was ist denn schon dabei, dann nimmt man Abflussfrei, das macht den Abfluss frei!“
Die Werbesprache ist zu dieser Zeit fast ausschließlich deutsch. Christian Bruhn zählt dabei zu den erfolgreichsten Werbemusikkomponisten. Aus seiner Feder stammen Werbemelodien u.a. für Milka´s „zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt“, die LBS, auf deren Steine sie bauen können oder Mon Cheri. Über 100 Werbemelodien, zusammen mit über 2000 Liedmelodien machen ihn zu einem der erfolgreichsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts. 1986 wird mit „Like Ice in the sunshine“ 2 ein in englischer Sprache produzierter Song über Nacht zum Werbehit in deutschen Kinos. Mit der Langnese 2
„Like Ice in the sunshine“ aus dem Langnese-Spot 1986: .
74
Schulz
Werbung gestartet, platziert er sich sogar in den Top Ten der deutschen Singlecharts und hält sich dort 12 Wochen. Mit John Groves erhält die akustische Markenkommunikation in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre eine immer klarere Struktur. Er wird durch seine Projekte, die er für Marken wie DEA, VISA, Bacardi, Mentos, Melitta, Bitburger, Wrigley‘s oder Audi umsetzt, nicht nur durch seine Werbemelodien bekannt, sondern auch durch seine Bemühungen strategische Markenidentitäten mit Sound aufzubauen. Als gebürtiger Brite mit Wohnsitz in Hamburg zeichnet Groves mit verantwortlich, dass sich in den 90er Jahren zunehmend englischsprachige Werbesongs verbreiten. „Bacardi Feeling“ 3 ist ein prominentes Beispiel hierfür. Teils werden zu dieser Zeit Songs speziell für Produkte entwickelt, aber auch bestehende Hits halten Einzug in die Werbebranche von Funk und Fernsehen. Das Audio-Logo ist zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch kein verbreitetes Stilmittel des Sound Brandings. Anfang 2000 sind es die großen Getränkemarken, die in der akustischen Markenführung Trends setzen. Es folgen die Automobilmarken. Auch bedienen sich namhafte und kapitalstarke Unternehmen der Zugkraft bekannter Welthits. Einige Beispiele lassen sich im Zusammenschnitt eines PRO7 Werbeblockes 4 aus dem Jahre 2000 noch einmal nachvollziehen. Gegenwärtig stürmen Songs aus der TV-Werbung immer öfter die Charts: Im Mai 2013 standen drei Songs in den Top 5 der deutschen Single-Charts, die durch Werbespots bekannt wurden. Allen voran die US-Indie Band Capital Cities, die mit Ihrem Lied „Safe and Sound“ 5 Vodafones Kampagne unterlegt und sich auf Platz eins platzieren kann. Macklemore & Ryan Lewis, feat. Ray Dalton steuern mit Ihrem Song „Can´t hold us“ 6 Microsofts Outlook Diensten die nötige Soundbegleitung bei und rangieren zu diesem Zeitpunkt auf Platz drei. „Radioactive“ von den Imagine Dragons werden durch den TV-Clip des Action-Spiels „Assassin´s Creed 3“ bekannt und können die fünfte Position einnehmen. Diese Newcomer und die Werber gehen dabei eine, für beide Seiten sehr fruchtbare Symbiose ein. Die Bands bekommen eine Plattform und Verbreitung, 3 4 5 6
„Bacardi Feeling“, Werbesong aus den 90er Jahren: . PRO 7 Werbeblock aus dem Jahre 2000: . „Safe and Sound“ aus der Vodafone-Werbung 2013: . „Can´t hold us“ aus der Windows 8 Werbung 2013: .
Klangerlebnisse in der Werbung
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die sie auf herkömmlichen Wegen womöglich nicht erreicht hätten. Die Werber profitieren von dem hippen Image und Lebensgefühl der Bands und müssen nicht befürchten ihre Marke aus dem Fokus zu verlieren, da die Bands noch keine eigene Markenbekanntheit haben. Das Lebensgefühl, kombiniert mit dem entsprechenden Storytelling sind die Stilelemente dieses Soundbrandings. 2.2 Status quo der akustischen Markenkommunikation Fasst man alle statistischen Erhebungen der Werbebranche und Marktforschungsdaten zusammen, ergibt sich folgendes Bild:
Akustische Markenführung ist eine junge Disziplin (30 Jahre alt). Die Agenturen in diesem Bereich sind selten älter als 10 Jahre. Die Budgets für ernsthafte Sound Branding Strategien liegen in der Regel unter 75.000 Euro. Die Bereitschaft zu teuren Produktionen sinkt durch die Verbreitung über Low Cost Devices. 7 Die Touchpoints einer Marke verzeichnen einen überproportionalen Anstieg. Die Audiobrandingprozesse in Unternehmen steigen unterproportional. Das Neuromarketing bringt Erkenntnisse aus der Hirnforschung ein. Das Cue-Management beeinflusst Emotionen- und Motivsysteme der Kunden. Die Branche hat ein ROI (Return on Investment) und Messbarkeitsproblem.
Bei aller Skepsis bleibt allerdings festzuhalten, dass Künstler und Wissenschaftler zentrale Macher von Audio Brands der Zukunft sind und für diese Berufsgruppe noch weitere Betätigungsfelder entstehen werden. Audio Consulting, Sounddesign oder Klangforschung sind nur einige wenige, die genannt werden können. Ich werde in den nächsten Abschnitten noch gesondert auf den Musikproduzenten als die zentrale Figur in diesem Schaffensprozess eingehen.
7
Low Cost Devices: preisgünstige Handkameras, Smartphones, tragbare MP3-Player etc.
76
Schulz
3
Sound Branding
3.1
Elemente des Sound Branding 8
Beobachtet man Werbung und Kommunikation im 20. Jahrhundert, so etabliert sich Sound Branding zunehmend als Marketinginstrument (vgl. Roth 2005). Insbesondere in Radio, TV und Internet findet es Anwendung, wobei neueste Trends darauf schließen lassen, dass das Internet in Zukunft dem TV überlegen sein wird. Einer der Gründe dafür könnte die Wirtschaftlichkeit des Internets sein. Mit einem Bruchteil an finanziellen Aufwendungen schaffen es Unternehmen heute ihre Zielgruppe zu erreichen und bekommen zudem noch hilfreiche Informationen über sie, durch intelligente Rückkopplungsalgorithmen (predictive behavioral targeting). 9 Im Folgenden sind die wichtigsten Elemente des Sound Brandings nach der Spiellänge geordnet: Sound Icon: 10 kürzestes akustisches Branding Element (z.B. Clicks, Plopps usw.). Dieses kürzeste aller Sound Branding Elemente verbreitet sich aktuell am stärksten. Beispiele dafür sind der „Flensburger Plopp“ oder der „Coca Cola Zischer“. Jeder kennt auch die akustischen Signaturen bei Computern und Mobilfunkgeräten. Die kleine Windowsmelodie, wenn der Rechner hochfährt, die akustischen Hinweise, wenn eine E-Mail ankommt oder andere Systemsounds. Obwohl sie zuerst als rein anwendungsbezogene Sounds gedacht waren, ist ihre Bekanntheit so groß, dass sie mittlerweile als markenbezogene BrandingElemente gelten können. Sound Logo: kurze (1 bis 3 Sekunden) akustische Signatur zur Wiedererkennung eines Produktes oder eines Unternehmens. Das Sound Logo verkörpert seiner Bezeichnung nach am besten die Parallele zur visuellen Welt des Brandings. Es ist das akustische Logo einer Marke oder eines Unternehmens und die reinste Form seiner klanglichen Identität. Telekom, Audi, Intel und BMW sind nur einige Unternehmen, denen es gelungen 8 9 10
Schulz (2012): . . Soundicon Beispiel: .
Klangerlebnisse in der Werbung
77
ist, eine Bekanntheit des Sound-Logos zu erreichen, das an die 100% Marke heranreicht. Die Anpassung des Sounds an die unterschiedlichen Abspielmedien muss mit viel Fingerspitzengefühl vorgenommen werden, um das Logo nicht zu verfälschen. Da die Konsumenten zunehmend über den Computer erreicht werden, verändern auch etablierte Sound-Logos hierfür ihr Frequenzspektrum (z.B. Audi und BMW). 11 Jingle: kurze melodiöse Tonfolge, eventuell mit integriertem Claim. Ein Jingle ist vom Ursprung her ein akustisches Warenzeichen und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Radiostationen geprägt. Es galt in Verbindung mit den sogenannten Stationvoices (siehe Brand Voice) als Differenzierungsmerkmal des Senders. Der gesungene Claim als kurze, prägnante Tonfolge oder Melodie galt lange als stärkstes erinnerbares Sound Branding Element. Die bekanntesten Beispiele in Deutschland sind „Auf diese Steine können sie bauen – LBS“, „Nichts geht über Bärenmarke“, „Wenn's um Geld geht Sparkasse“ und das instrumentale Jingle der Tagesschau. Ein früher Meilenstein des Jingles ist die Fox-Fanfare von Alfred Newman aus dem Jahr 1933. 12 Newman war von 1940 bis 1960 Musikdirektor bei 20th Century Fox und gilt bis heute mit 44 Oscar-Nominierungen und 9 erhaltenen Oscars als erfolgreichster Filmkomponist aller Zeiten. Brand Song: Werbesong, eigens für ein Produkt und die Länge eines Spots produziert. Brand Songs sind Lieder, die eigens für ein Produkt komponiert werden. Sie transportieren die Produkteigenschaften und schaffen eine markenadäquate Atmosphäre. Sie werden strategisch eingesetzt und ändern in der Regel ihre Hauptaussage nicht. Commercial Songs hingegen sind eher trendabhängige, kurzfristigere und meist auch subjektiv ausgesuchte Songs aus einem bestehenden Fundus (Songs bekannter Künstler oder aus gemafreien Audiobibliotheken). Oft sind sie ein Indiz dafür, dass die Markenverantwortlichen ihr Produkt nicht eindeutig positioniert haben oder die Markenpersönlichkeit nicht klar definiert ist (Langeslag / Hirsch 2003). Ich benutze gerne den Begriff „Donut-Produkt“, da er sehr anschaulich beschreibt, dass der Markenkern nicht klar definiert ist.
11 12
Sound-Logobeispiele: . Jinglebeispiel: .
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Schulz
„Bacardi feeling“ 13 ist für mich nach wie vor eines der lebendigsten Beispiele eines gelungenen Brand Songs. Die Geschichte dahinter ist recht interessant: 1990 singt Kate Markowitz für die Rum-Marke Bacardi ein Werbe-Jingle des französischen Komponisten Olivier Bloch-Laine. Die ersten Raubkopien davon laufen in europäischen Diskotheken. Der Komponist beschließt aus der bisherigen 30-sekündigen Version eine radiotaugliche 3 Minuten Version zu produzieren. Bloch-Laine ruft Kate in Kalifornien an. Sie ist zwar gerade mit James Taylor unterwegs, nimmt sich aber die Zeit, um den Song neu aufzunehmen. Der Text muss aus nutzungsrechtlichen Gründen geändert werden. Aus „Bacardi Feeling“ wird jetzt „Summer Dreaming“. Die neuen Aufnahmen schickt Kate nach Paris. Dort mischt Bloch-Laine sie mit der Originalmusik neu ab und veröffentlicht die Single unter dem Künstlernamen Kate Yanai. „Summer Dreaming“ wird 1991 der Sommerhit in Deutschland. Insgesamt acht Wochen lang hält sich der Titel an der Spitze der Radiocharts. Corporate Song: 14 Firmensong, in der Regel für die interne Unternehmenskommunikation zur besseren Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. Die oft auch als Firmenhymne bezeichneten Songs werden in erster Linie für die interne Unternehmenskommunikation verwendet. Sie sollen das WirGefühl der Belegschaft stärken. Auch Kundenbeziehungen lassen sich durch den Einsatz solcher Lieder beeinflussen. Ihr Einsatz bei Unternehmensveranstaltungen, für Businesspräsentationen, auf Firmenhandys, in Telefonwarteschleifen oder auf Messen gibt den Verantwortlichen eine sehr gute Möglichkeit ein direktes Feedback zu bekommen. Während Live-Events kann der Corporate Song zudem noch in Interaktion mit den anderen menschlichen Sinnen treten.
13 14
Brand-Songbeispiel: . Corporate Songbeispiel: .
Klangerlebnisse in der Werbung
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Soundlandschaft: 15 meist instrumentale Klanglandschaft zur akustischen Darstellung des Produktoder Unternehmensumfeldes. Die in Verbindung mit Events angesprochenen Sound Branding Elemente sind durchaus mit den Soundlandschaften vergleichbar, die im Internet oder auf Messen eingesetzt werden. Der Rezipient wird in eine eigens für die Marke geschaffene Klanglandschaft „entführt“. Diese umfangreichen Klangräume können sowohl musikalisch als auch geräuschlastig gestaltet sein. Sie versetzen den Zuhörer in die gewünschte Stimmung (Vertrauen, Wohlfühlen, Spannung) und haben einen Wiedererkennungswert. Hier erleben Mitarbeiter und Kunden, wie das Unternehmen klingt. Zahlreiche Akustikfirmen haben sich auf entsprechende Beschallungssysteme spezialisiert und werden diesen Trend weiter unterstützen. Brand Voice: individuelle Stimme für alle Wortbeiträge eines Unternehmens. Von besonderer Bedeutung ist die sogenannte Brand-Voice, da sie die besten Eigenschaften eines „akustischen Fingerabdruckes“ aufweist und nahezu nicht kopierbar ist.
Abbildung 2: 15
Elemente des Sound Brandings (eigene Darstellung)
Soundlandschaft Beispiel: .
80 3.2
Schulz
Was hört das menschliche Ohr?
Die Wahrnehmung von akustischen Signalen wird wesentlich davon mitbestimmt, wie Schallschwingungen auf ihrem Weg vom Außenohr über das Mittelohr hin zu den Nervenzellen des Innenohrs jeweils umgeformt und verarbeitet werden. Das menschliche Gehör kann akustische Ereignisse nur innerhalb eines bestimmten Frequenz- und Schalldruckpegelbereichs wahrnehmen. Dieser Frequenzbereich liegt zwischen 20 Hertz und 20000 Hertz. Wenn wir über Klangerlebnisse nachdenken, drängt sich schnell die Frage auf, welches Klangspektrum wir dabei zu Grunde legen. Aber Vorsicht: Es gibt Gewöhnungseffekte und Klangunterschiede. Gewöhnungseffekte Wenn man sich eine neue Musikanlage gekauft hat, ist am Anfang die Euphorie über die neuen Klangerlebnisse in der Regel groß. Im Laufe der Zeit gewöhnt man sich jedoch an das neue Klangbild und empfindet es mehr und mehr als „normal“. Was bedeutet das? Unser akustisches Gedächtnis ist relativ schlecht, weswegen man beim Testen fast immer auf Direktvergleiche angewiesen ist. Offenbar wird über längere Zeiträume das frühere Klangbild "vergessen" und der Klang der Anlage und des Raumes „gelernt“ und insofern „normal“. Konsequenz: Wunsch nach weiteren Verbesserungen und Beginn eines neuen Zyklus wie eben beschrieben (oder der Entschluss, mit dem einmal Erreichten zufrieden sein zu wollen). Klangunterschiede Nach meiner Erfahrung kann man subtile Klangunterschiede nur dann wirklich wahrnehmen und beurteilen, wenn man die Tests in der gewohnten Anlagenund Raumumgebung macht. Wegen des oben beschriebenen Gewöhnungseffektes fallen dann allerdings auch kleine Unterschiede deutlich auf (Wechsel von Verstärker, CD-Player, Kabel und Racks). Jede Veränderung des gewohnten bzw. gelernten Klangbildes fällt auf! Wenn ich dagegen versuche, in fremder Hörumgebung (Händler oder High-End-Anbieter) zu einem Urteil zu kommen, wird es mehr als problematisch. Anscheinend ist das Ohr am fremden Ort mit der Fülle neuartiger Informationen überfordert, nur in der gewohnten Hörumgebung ist das anders. Vielleicht ist auch dies der Grund für das Scheitern mancher Blindtests oder die Scheu, an diesen teilzunehmen.
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Fazit: Testen muss man zu Hause, und es ist grober Unfug zu behaupten, Klangunterschiede existierten nicht, weil man selbst nicht hört, was ein anderer wahrnimmt! 3.2.1 Vergleich mit dem „Original“ Stellen Sie sich vor, Sie besuchten ein Symphoniekonzert und stellten sich mit geschlossenen Augen vor, wie Sie das Klangbild beurteilen würden, wenn sie jetzt vor ihrer Anlage säßen. Ein Dutzend erster Geigen, die insbesondere in höheren Lagen richtig loslegen, würden dann sicher sehr hell und zum Teil auch scharf bis lästig klingen. Das hätten sie möglicherweise ihrer Anlage als Fehler angelastet: Streicher müssen seidig klingen, nichts darf nerven. Offenbar falsch! Wenn es die Musik hergibt, klingt es live oft wirklich ab und zu lästig und insbesondere heller als erwartet! Fazit: Von Zeit zu Zeit ist der Vergleich mit der Live-Darbietung sehr sinnvoll und auch heilsam. Manchmal kann er zur Korrektur von falschen Klangerwartungen hinsichtlich der HiFi-Wiedergabe führen.
Abbildung 3:
Hörbereich des Menschen (eigene Darstellung)
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3.2.2 Klangerlebnisse und Klangeindrücke Wo finden sich nun wirklich große Klangerlebnisse in der Werbung wieder? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die derzeitigen Hörgewohnheiten der Konsumenten in technologisch stark entwickelten Gesellschaftsgruppen. Das Kino mit seinen Surround-Anlagen und ambitioniertes Heimkino sind dabei Orte, an denen noch von Klang im Sinne des High Fidelity Ansatzes gesprochen werden kann. Das Radio kann hierbei erwähnt werden, da gerade durch die Verbreitung des Digital Audio Broadcasting (DAB) eine Verbesserung in der Audioqualität erreicht wurde. Aber nicht nur unsere Wiedergabemedien zählen zu den Quellen, wo Klang erlebbar wird. Die Natur bietet zahlreiche Klangszenarien, die mit modernen Wiedergabesystemen nicht abgebildet werden können. Man denke zum Beispiel an die akustische Atmosphäre eines tropischen Regenwaldes oder das Klangspektrum eines Gebirgsflusses. Die angesprochenen Low Cost Devices, allen voran die PDA, Smartphones, Mp3-Player oder die Lautsprechersysteme von Laptops und Tablet-PC sind oft nicht dazu in der Lage, aufwendig produzierte Musik und hochwertigen Klang wiederzugeben. Fehlende Frequenzbereiche, mangelnder Dynamikumfang bei der Wiedergabe oder schlechte Stereobilder des Sounds lassen Klangerlebnisse allenfalls als Klangeindruck zurück. Inwiefern diese technischen Barrieren in Zukunft das Engagement der Musikproduzenten für hochwertige Produktionen bremsen, bleibt abzuwarten. Wer hört schon gerne ein orchestrales Audiologo als stark komprimierten Mono-Soundfile auf einem günstigen Smartphone, nur weil die Werbebotschaft auch auf mobilen Endgeräten empfangbar sein muss? 3.3 Das Dilemma der modernen Musikproduktion Ein Musikproduzent beschäftigt sich in seinem Schaffenszyklus intensiv mit teurer Produktionsinfrastruktur, der sogenannten Studio- und Aufnahmetechnik. Von der Aufnahme mit teuren Mikrofonen über Mischpulte in der finanziellen Größenordnung eines Einfamilienhauses bis hin zur perfekten Raumakustik ist er stetig darum bemüht, den bestmöglichen Sound zu generieren. Was aber passiert mit dem veredelten Stereomix? Nicht selten landet dieser Output als stark komprimierte MP3-File auf einem Smartphone und wird mit einem Kopfhörer für 10 Euro angehört: Frequenzbereich 200 Hz bis 10.000 Hz, Stereobild mangelhaft. Auf den ersten Blick entmutigt dies, doch setzen sich teure Auf-
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nahmen und Mischungen dennoch durch, gerade auf billigen Wiedergabegeräten. Denn der billig produzierte Mix klingt auf einem Billigkopfhörer meist noch schlechter. Die Abhörgewohnheiten im Tonstudio verändern sich in Zukunft immer deutlicher hin zu genau den Abhörlautsprechern, die auch in den Konsumentengeräten eingebaut sind. Die folgende Abbildung beschreibt das Dilemma des modernen Recordings von der Aufnahme bis hin zum Wiedergabemedium noch einmal deutlich.
Abbildung 4:
Das Dilemma des mordernen Recordings ()
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Das Kaufverhalten von Kunden
Wenn wir über multimodale Kommunikation nachdenken, ist eine Betrachtung des Marktumfeldes die Grundvoraussetzung. Unterschiedlich geprägte Märkte benötigen unterschiedliche Kommunikationsstrategien. Nur durch das Erkennen der Marktausprägung ist es möglich die Kommunikationsmaßnahmen den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen. Es handelt sich in der Regel dabei um eine Zweiwegekommunikation. Durch gezielte Botschaften sollen Reaktionen bei der Zielgruppe erzeugt werden. Hierzu gehören die Beeinflussung und Steuerung von Verhalten, Erwartungen, Wünschen, Einstellungen und Neigungen. Diese sind wiederum Merkmale des Lebensstils. Somit versuchen wir auch indirekt den Lebensstil der Zielgruppe durch Kommunikation zu beeinflussen. Potentielle Abnehmer sollen auf das Produkt aufmerksam gemacht werden, ihr Interesse soll geweckt, sie sollen informiert, überzeugt und letztlich zu einer Reaktion (Kauf) veranlasst werden. Unterschiedliche Volkswirtschaften haben auch unterschiedliche Marktgegebenheiten, die für das Verhalten sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfragerseite verantwortlich sind. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass dieser Artikel von einem intakten Wettbewerb einer freien Marktwirtschaft und einem polypolistischen Markt ausgeht. Gerade hier sind die Bemühungen alle Möglichkeiten des Marketing-Mixes auszuschöpfen stark ausgeprägt. Deshalb sind die Anbieter bemüht multisensorisches Marketing in ihre Erwägungen einzubeziehen. Betrachtet man den gesamten Marketing-Mix eines Unternehmens, nimmt der Wille akustische Markenkommunikation zu betreiben stetig zu. Dies ist sicher auch ein Verdienst der Hirnforschung, die darüber Aufschluss gibt, warum Kunden kaufen. Wir versuchen die Mechanismen und Programme im Gehirn zu erforschen, damit das Neuromarketing in die Lage versetzt wird Kauf- und Wahlentscheidungen beim Kunden zu beeinflussen. Hans-Georg Häusel macht in seinem Buch Brain View (2012) eindrucksvoll klar, mit welchem Bündel an Emotionen und Motiven wir es beim Konsumentenverhalten zu tun haben. Häusel kommt zu dem Ergebnis, dass die wahren Entscheider die Emotionen sind und widmet einen Großteil seiner Untersuchungen der Aufgabe, die unterschiedlichen Käufertypen zu definieren. Laut Häusel ging man in der Gehirnforschung lange davon aus, dass die Steuerungszentren für Verstand und Vernunft, für die Emotionen und für die Instinkte recht klar voneinander getrennt sind. Das Großhirn steuert die Vernunft und den Verstand, das Limbische System (vgl. Damasio 2002, LeDoux
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2002) die Emotionen und das Stammhirn die Instinkte. Seit Mitte der Neunziger Jahre gab es allerdings ein Umdenken. Man erkannte immer mehr, dass die Bereiche sich stärker gegenseitig beeinflussen, als man vorher dachte. So kann man ohne Emotionen kaum eine rationale Entscheidung treffen. Bis zu 95% der Kaufentscheidungen laufen auf der emotionalen und instinktiven Ebene ab und nur 5% werden rational getroffen. Hier erkennt man die große Bedeutung für die Werbewirtschaft, den Konsumenten emotional anzusprechen. Sound Branding kann genau diese Emotionalität bedienen und durch seine unterschiedlichen Elemente eine Kaufentscheidung beeinflussen. Um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Kunden kaufen, reicht allerdings die Perspektive des Hirnforschers nicht aus. Auch Psychologen und sozialwissenschaftlich ausgerichtete Marktforscher leisten einen wertvollen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage. 5
Der Werbemusikproduzent im Mittelpunkt eines Transformationsprozesses
Geht man der Frage nach, was ein Werbemusikproduzent eigentlich genau macht, kommt man meist zu folgendem Ergebnis: Er ist in erster Linie Hauptkommunikator und Vermittler aller an einer Audiobrandingstrategie beteiligten Personen oder Gruppen. Als reiner Musikproduzent ist er künstlerisch und technisch mitverantwortlich für das Produzieren von Songs. Er wird meist von den Künstlern und der Plattenfirma ausgewählt und hilft im Tonstudio bei den Aufnahmen, dem Kreieren eines unverwechselbaren Sounds und der Erstellung von Masterbändern. In den letzten Jahren ist er immer tiefer auch in kompositorische Aufgaben involviert. Ist ein musikalisches Projekt von einem Musikproduzenten initiiert worden, trifft er zumeist auch die Entscheidungen zur Wahl der Musiker und der eingesetzten Instrumente. Der Werbemusikproduzent hingegen sieht sich zusätzlich einer weiteren Gruppe gegenüber: Mitarbeitern aus der Marketing-Abteilung eines Unternehmens. Er nimmt an Briefinggesprächen teil, macht Vorschläge und berät Markenführer hinsichtlich des Einsatzes von akustischen Maßnahmen rund um eine Marke. Durch diesen Dienstleistungsansatz ist das Aufgabengebiet des Musikproduzenten vielschichtiger und meist auch anspruchsvoller. Er übernimmt die schwierige Aufgabe zwischen emotional und rational operierenden Personen zu vermitteln. Die Musiker, die zum Beispiel einen Firmensong musikalisch übersetzen sollen, haben es mit Wünschen und Vorstellungen von budgetorientierten
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Marketingmenschen zu tun, die sich oft schwer tun, die Verständnisebene eines Künstlers einzunehmen, sondern lediglich dessen Output gegen entsprechende Bezahlung einfordern. Hinzu kommt für den Werbemusikproduzenten die Überzeugungsarbeit in dieser Entscheidergruppe, das Hauptaugenmerk immer wieder auf die Hörgewohnheiten des Konsumenten zu lenken. Entsprechende Marktforschungsergebnisse und sogenannte Auditions helfen ihm dabei, eine gewisse Objektivität in diesen Prozess einfließen zu lassen. In der folgenden Abbildung verdeutlicht der strukturierte Prozess noch einmal die Abläufe.
Abbildung 5:
Prozess der Werbemusikproduktion (eigene Darstellung)
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Wie eine wertvolle Marke akustisch branded – Beispiel Apple
Apple ist zweifelsohne eine der wertvollsten Marken unserer Zeit. Sucht man nach Werbemusik von Apple, trifft man nicht selten auf minimalistische, typografische Imagetrailer. 16 Apple versteht es wie kein anderes Technologieunternehmen der Welt seine Kunden zu binden. Zuerst verkauft es die zahlreichen Produkte über Design, Stil und Image. Im Anschluss wird über diese Geräte die entsprechende Software zur Verfügung gestellt. Alle weiteren Offerten sind dann nahezu ausschließlich über diese Kombination erhältlich. Apple zeigt sich allerdings auch bemüht das negative Image der mobilen Devices stetig zu verbessern. Hochwertige Kopfhörer sollen für ein besseres Klangerlebnis sorgen. Durch Konzertveranstaltungen mit entsprechenden Streaming-Angeboten versorgt Apple seine User zusätzlich mit großartigen Klangerlebnissen – real und online. Viele Marken, wie weltbekannte Künstler „zahlen“ durch ihre Auftritte auf die Marke Apple ein und stärken diese weiter. Das was akustisch rund um die Marke Apple passiert, ist weniger eine direkte akustische Markenführung als vielmehr ein Consumer-Branding. Konsumenten werden zu Markenbotschaftern. Deren Lebensstil trägt zum Imageaufbau der gesamten Marke bei. Ein gutes Beispiel eines multimodalen Kommunikationsbündels ist das jährlich stattfindende i-Tunes Festival. 17 7
Mehr Wert für die Marke – ein Fazit
Nachdem wir uns einen Überblick über die Historie von Werbemusik verschafft haben, zeigt sich eine deutliche Tendenz hin zu stark technologisch bedingten Hörgewohnheiten bei den Konsumenten. Die daraus resultierenden Klangqualitäten werden den strategischen Prozess auditiver Markenführung in Zukunft beeinflussen. Es bleibt die Frage nach dem Mehrwert von Musik in der Werbung. Das Image einer Marke ist zweifelsohne ein Wert für sich. Er gesellt sich zu den substanziellen, faktischen Werten wie Umsatz, Gewinn und Marktanteil. Musik und Klang tragen auch weiterhin zur Bildung eines Markenimages bei. Die starken emotionalen Eigenschaften können verkaufsfördernd wirken. Dabei ist eine strategische Ausrichtung wichtig. Ebenso fördert das multisensorische Vorgehen die Integration entsprechender klanglicher Maßnahmen. Technologische Überlegungen helfen dabei, akustische Markenführung zeitgemäß zu im16 17
Apple-Imagetrailer 2013: . i-Tunes Festival-Trailer 2013: .
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plementieren. Für Werbemusikproduzenten heißt es frühzeitig Klangmaßnahmen auf Ihre Kompatibilität bezüglich Endgeräten hin prüfen. Nachdem das Hören von Musik in den letzten Jahren immer „mobiler“ wurde, legen immer mehr Hersteller nun auch wieder Wert auf eine bessere Klangwiedergabe. All dies soll uns verdeutlichen, dass es sich beim Einsatz von Klang und Musik in der Werbung nicht um ein Wunschkonzert der daran Beteiligten handelt. Es ist eine Wissenschaft für sich mit jahrelanger Erfahrung in Sachen Markenbildung und Erkenntnissen aus der Klangforschung. Mehrwerte durch akustische Markenführung existieren zweifelsohne. Der Weg dorthin ist kein einfacher. Die abschließende Sichtweise hilft vielleicht ein bisschen den Weg zu finden. „Das menschliche Auge führt uns in die Welt – das menschliche Ohr bringt uns die Welt ein Stück näher zu uns“. (Lorenz Oken 1779-1851)
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Literatur
Damasio, A. R. (2002): Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. München: List. Häusel, H.-G. (2012): Brain View. Warum Kunden kaufen. 3. Aufl. Freiburg: Haufe. Langeslag, P. / Hirsch, W. (2003): „Acoustic Branding – neue Wege für Musik in der Markenkommunikation“. In: Brandmeyer, K. / Deichsel, A. / Prill, C. (Hrsg.): Jahrbuch Markentechnik 2004/2005. Markenrecht, Markentechnik, Markentheorie, Forschungsbericht, Horizonte. Frankfurt am Main: Deutscher Fachverlag, 231-245. Le Doux, I. (2002): Das Netz der Persönlichkeiten. Düsseldorf: Walter. Roth, S. (2005): Akustische Reize als Instrument der Markenkommunikation. Wiesbaden: Gabler. Schulz, H. (2012): Akustische Markenführung – Der gute Ton Ihres Unternehmens: , zuletzt abgerufen am 18.08.2016.
Internetquellen 18 Apple-Imagetrailer 2013: . „Bacardi Feeling“, Werbesong aus den 90er Jahren: . Brand-Songbeispiel: . „Can´t hold us“ aus der Windows 8 Werbung 2013: . Corporate Songbeispiel: . Das Dilemma des mordernen Recordings: . i-Tunes Festival -Trailer 2013: . Jinglebeispiel: . „Like Ice in the sunshine“, Langnese-Spot 1986: . 18
Die Internetquellen wurden zuletzt abgerufen am 18.08.2016.
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Making-of Video: . Predictive Behavioral Targeting: . PRO 7 Werbeblock aus dem Jahre 2000: . „Safe and Sound“ aus der Vodafone-Werbung 2013: . Soundicon Beispiel: . Soundlandschaft Beispiel: . Sound-Logobeispiele: .
Die Schallplatte – sprach- und medienwissenschaftliche Untersuchung zu einem unerforschten Werbemedium Sandra Reimann Abstract Die Werbeschallplatte stellt ein Forschungsdesiderat im Rahmen der werbemittelspezifischen Erforschung der Werbesprache dar. Ein Korpus von 500 Werbeschallplatten der 1950er bis 1980er Jahre (Sammlung von Christian Spremberg, Berlin) befindet sich im „Regensburger Archiv für Werbeforschung“ (RAW), dessen zweite Säule das „Historischen Werbefunkarchiv“ (HWA) mit 50.000 Hörfunkspots aus den Jahren 1948 bis 1987 ist. Im Beitrag werden erste Untersuchungen zu ausgewählten Werbeschallplatten vorgestellt. Dabei spielen auch die Spezifika dieses Mediums eine wichtige Rolle. Ein Vergleich mit Spots eines weiteren auditiven Mediums, des Hörfunks, – teilweise liegen Kampagnen aus Hörfunk und Werbeschallplatte vor – runden den Beitrag ab.
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Hinführung
Die Werbeschallplatte stellt ein Forschungsdesiderat im Rahmen der Erforschung der Werbung und Werbesprache dar, aber auch die Schallplatte an sich ist – betrachtet man die Auseinandersetzung mit Einzelmedientheorien, wie Film-, Radio- und Fernsehtheorie – ein vernachlässigtes Medium (Faulstich 2004b: 14). Die Forschungslage zur Werbeschallplatte ist besonders dürftig: Maatje (2000) fasst in seiner Publikation „Verkaufte Luft. Die Kommerzialisierung des Rundfunks. Hörfunkwerbung in Deutschland (1923-1936)“ die bisherige Literatur auf gut einer Seite zusammen und beruft sich auf insgesamt sieben Publikationen, wobei es sich bei fast allen um Artikel in der Zeitschrift „Seidels Reklame. Das Blatt für Werbewesen und Verkaufstechnik“ handelt; zudem beziehen sich alle auf die Anfänge des Einsatzes der Werbeschallplatte, also die Verwendung im Hörfunk in den 1920er und 1930er Jahren. Zu den späteren Platten (ab den 1950er Jahren), die im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung stehen werden, gibt es keinerlei Forschung. Im Zentrum des Korpus stehen rund 500 Werbeschallplatten der 1950er bis 1990er Jahre. Es handelt sich um die Sammlung von Christian Spremberg aus Berlin. 1 Sie befindet sich seit 2007 1
Werbeschallplatten von Christian Spremberg: .
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_7
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digitalisiert im „Regensburger Archiv für Werbeforschung“ (RAW), dessen zweite Säule das „Historische Werbefunkarchiv“ (HWA) mit 50.000 Hörfunkspots aus den Jahren 1948 bis 1987 ist. 2 Eine zeitlich daran anschließende Sammlung mit weiteren 50.000 Spots (1987 bis 2000), die allerdings noch nicht digitalisiert sind, ist ebenfalls Bestandteil des RAW (vgl. Reimann 2012). Im Folgenden werden erste Untersuchungen zu ausgewählten Werbeschallplatten vorgestellt und (dadurch) Anregungen für weitere Forschungen gegeben. Dabei sollen die Medienspezifika eine wichtige Rolle spielen. Ein Vergleich mit der Werbung im Hörfunk, also einem weiteren auditiven Medium – teilweise liegen Kampagnen aus Hörfunk und Werbeschallplatte vor –, soll den Beitrag abrunden. 2
Der Tonträger Schallplatte
Die Schallplatte ist ein Speichermedium (wie beispielsweise auch die Kassette 3 oder die CD). Medienkulturgeschichtlich ist sie in die Zeit des Industrie- und Massenzeitalters (1830-1900) einzuordnen. Die Schallplatte gehört zu den auditiven Medien, wie Telegraf und Telefon, die nun neben die Druckmedien traten; auf visueller Ebene kamen zu der Zeit Fotografie und Film hinzu (Faulstich 2004b: 203). 4 Als wichtiges neues Medium Anfang des 20. Jahrhunderts muss […] vor allem die Schallplatte [sic!] genannt werden, die von 1900 bis 1945 – im Sinne einer Technikgeschichte – einen klar nachzuzeichnenden Entwicklungsprozess durchlief: von der Walze zur Schellackplatte, vom Phonographen zum Plattenspieler (Faulstich 2012: 50).
Medienhistorisch seien folgende Eckdaten festgehalten: Emile Berliner (18511929), aus Hannover stammend, erfindet in den USA ein Fernsprechermikrofon und kann am 26. September 1887 „ein Grammophone-Schallplatten-System zum amerikanischen Patent“ anmelden (Haffner 2011: 34). Es kommt dabei zum Wettstreit mit Thomas Alva Edison, der u.a. zehn Jahre vorher den Phonogra2 3
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Das Historische Werbefunkarchiv: . Die Kassette ist die unmittelbare Nachfolgerin der Schallplatte: „Die Tonträgerindustrie versenkt ihr Flaggschiff Schallplatte (mit dem Quasi-Monopol der Musikvermittlung) nach und nach selber. Ein erster Schuss vor den Bug ist ein Medium, das im August 1963 vom leitenden Philips-Ingenieur Jan Schoenmakers auf der 23. Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin präsentiert wird: die Zwei-Loch-Compact-Cassette (CC) und der dazugehörige batteriebetriebene »Taschen-Recorder EL 3300«, der 299 DM kostet. Alternativen anderer Unternehmen folgen bald.“ (Haffner 2011: 152). Zu weiteren Erfindungen dieser Zeit vgl. auch Faulstich (2004a: 25).
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phen, eine „Sprechmaschine“ erfand; Berliner mit seiner „Plattensprechmaschine“ (Sieber / Worm / Sutaner 1958: 12 und 14) gewinnt (vgl. auch Brauers 1984: 88-91): Die erste erfolgreiche Umsetzung der Idee, Schall zu konservieren und wiederzugeben, vollzog sich 1877 mit der Entwicklung des sog. Edison-Phonographen. Dieser arbeitete mit WalzenTechnik: Mit Hilfe von Trichter, Membran und metallenem Stift wurde der Schall in Stanniol oder Wachs eingraviert, wobei die Schallschwingungen durch die unterschiedliche Tiefe der Ritze in der Walze gespeichert wurden. Aufgrund der Walzenform besaß der EdisonPhonograph jedoch nur begrenzte Aufnahme- und Reproduktionsmöglichkeiten und litt unter einer verzerrten Klangwiedergabe. Eine wesentliche Weiterentwicklung stellte das von Emil Berliner 1887 entwickelte Grammophon dar. Es verwendete flache, wachsbeschichtete Zinkplatten zur Klangwiedergabe, die ähnlich wie bei dem Phonographen mittels Trichter, Membran und Stift hergestellt wurden, jedoch im Unterschied zu diesem die Schallschwingungen durch die seitliche Auslenkung der Rillen wiedergab. So war es möglich, eine Negativmatrize anzufertigen, die durch Pressung vervielfältigt werden konnte (Neumann-Braun / Schmidt 2003: 390).
Sein Verfahren muss Berliner allerdings nach und nach verfeinern. Der Nachteil beim Zinkblech sind gravierende Nebengeräusche, die Spieldauer umfasst nur eine Minute. Als nächstes probiert er Hartgummi aus, bevor er in den 1890er Jahren zum bekannten Schellack – „einer Mischung aus Baumharz und Wachsabscheidungen“ (Neumann-Braun / Schmidt 2003: 390) – übergeht (vgl. Haffner 2011: 41): Vorteile sind eine bessere Klangqualität, keine Abnutzung beim Abspielen und eine Spieldauer von immerhin drei bis vier Minuten. Das spätere Vinyl (bis 1949 nur im Rundfunk im Einsatz) hat schließlich den Vorteil, unzerbrechlich zu sein. Zudem ermöglicht es eine längere Spieldauer. Zunächst wird das Grammophon von einem modifizierten Uhrwerk angetrieben, das von einer Handkurbel aufgezogen werden muss. 5 Ende des 19. Jahrhunderts werden bereits „über 700.000 Schellackplatten jährlich“ produziert (Haffner 2011: 42). Für 1900 wird der Verkauf von Schallplatten auf „über zweieinhalb Millionen“ beziffert: Grammophone wurden in allen erdenklichen Ausführungen – von der einfachsten Sprechmaschine mit Trichter bis zum eleganten Tonmöbel mit eingebauter Schallführung – hergestellt und auch abgesetzt. Zweifellos hat auch der weltbekannte Sänger Caruso erheblich zur Verbreitung der Schallplatte beigetragen. Nachdem er seine Stimme auf Schallplatte aufnehmen ließ, waren Caruso-Platten ein begehrter Handelsartikel (Sieber / Worm / Sutaner 1958: 16).
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Telefonische Auskunft von Detlef Fischer, langjähriger Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk und Mitglied des Regensburger Verbunds für Werbeforschung, am 31.12.2015.
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Berliner strebt nun auf den europäischen Markt; zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommen auch in Deutschland Platten (und Grammophone) in den Verkauf. Aufnahmen mit populären Sängern, wie Enrico Caruso, werden zu Verkaufshits. (Büchele 1999: 14; zu Grammophonen vgl. Haffner 2011: 32-52). Festzuhalten ist außerdem, dass zu der Zeit auch „die erste doppelseitig bespielte Platte auf dem deutschen Markt, die eine Spieldauer von über fünf Minuten pro Seite erreicht“, entsteht (Haffner 2011: 50). In den USA werden „Unmengen von Foxtrott-, Onestep-, Twostep- oder Tangoplatten“ (Haffner 2011: 51) herausgebracht, in Deutschland sind Operetten und Walzer besonders gefragt; dazu gehören auch weiterführende Informationen zu den Platteninhalten, Hintergrundinformationen und Rezensionen. Man sammelt Schallplatten, und es entstehen erste einschlägige Organe, wie in Berlin die Phonographische Zeitschrift (1900-1938) oder Die Sprechmaschine (1905-1914); in New York erscheinen The Talking Machine World, in England The Sound Wave oder Grammophone Talking Machine & News. The Grammophone, das älteste noch heute existierende Plattenmagazin der Welt, wurde erst 1923 gegründet (Haffner 2011: 52).
Technischen Nachteilen – schlechte Abspielqualität und die oben schon erwähnte geringe Spieldauer – kann man bald entgegenwirken: Eine grundlegende Änderung führte die elektrische Tonaufzeichnung in den 1920er Jahren herbei: Der Hertzbereich und damit die Klangqualität vergrößerte sich von 600 Hz bis 2000 Hz auf 100 Hz bis 5000 Hz, Trichter und Schalldosen wurden durch Mikrophone ersetzt, hinzu kamen Schallwandler, Kopfhörer sowie elektroakustische Verstärker, die die Wiedergabequalität der Abspielgeräte verbesserten. Die Aufnahmen klangen dadurch dynamischer und weniger verzerrt (Neumann-Braun / Schmidt 2003: 390-391, dort auch die folgenden Inhalte).
Der Verkauf schnellt daraufhin in die Höhe, und zwar auf 30 Millionen Schallplatten im Jahr 1930. Auch dass sich in den 1920er Jahren das Verfahren der Magnetbandaufzeichnung entwickelt, macht man sich bei der Schallplattenherstellung zunutze: Das Tonband wurde als Zwischenspeicher bei der Plattenpressung benutzt und vereinfachte damit die Plattenaufnahmetechnik wesentlich (Neumann-Braun / Schmidt 2003: 391).
Eine Zäsur stellt in den 1920er Jahren ein scheinbarer Konkurrent der Schallplatte dar: der Hörfunk. „Radio-Stunde AG“ heißt die erste öffentliche Sendung, die in Deutschland am 29. Oktober 1923 von 20 Uhr an aus dem Haus der Berliner Plattenfirma Vox in der Potsdamer Straße 4 ausgestrahlt wird (Haffner 2011: 73).
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Technisch profitiert die Schallplatte vom Radio, vor allem hinsichtlich der Aufnahmemöglichkeiten (mit Mikrofonen, Radioröhrentechnik, Verstärkern). Zudem werden 1925 „Plattenspieler, die von Handkurbel und Federzug unabhängig sind“ (Haffner 2011: 75) in Chicago entwickelt. 1948 kommt die Langspielplatte auf den Markt, der Niedergang der Schellackplatte beginnt: Sie konnte sich dennoch etwa zehn Jahre lang neben den technisch überlegenen Kunststoffplatten halten, und es gab Versuche, sie konkurrenzfähig zur LP zu machen (Büchele 1999: 18).
1953 erscheint in Deutschland die erste Single-Schallplatte (Haffner 2011: 128; siehe auch Mühl-Benninghaus / Friedrichsen 2012: 152-156). Die Geräteindustrie bringt nun „dreitourige[n] Plattenspieler“ auf den Markt: Die Publikumsnachfrage springt an: Platten, die besser klingen, unzerbrechlich und zudem billiger sind, sowie Plattenspieler, die alle Scheiben spielen können – das sind rundum überzeugende Vorteile. […] 1955 werden 1,4 Millionen Wiedergabegeräte produziert (Haffner 2011: 129-130).
In den 1960er Jahren wird der Absatz von LPs mit klassischer Musik dominiert: Diese Entwicklung wiederholte sich etwa zwanzig Jahre später beim Übergang von der LP zur CD. Ebenfalls am Beginn der 1980er Jahre dominierte die sogenannte klassische Musik im CD-Angebot (Phono Press 1/1984: 4; siehe auch Mühl-Benninghaus / Friedrichsen 2012: 155).
Probleme beim Abspielen, die die Schallplatte mit sich brachte – „Rauschen, Knistern, Kratzer, Staub, Verwellungen etc.“ – gibt es mit der Entwicklung der digitalen (Laser-)Technik und der Compact-Disc (CD) in den 1980er Jahren nicht mehr (Brauers 1984: 97). Eine Konkurrenz für die LP war jedoch vorher – in den 1960er Jahren – noch die MusiCassette (MC) (Büchele 1999: 22). Festzuhalten sind auch die bei Haffner zu findenden Hinweise auf schriftliche Informationen im Kontext der Platten (Cover 6 und Platte selbst): Lange Zeit wurden Informationen über Interpreten oder Titel auf der Rückseite der Schallplattenscheiben eingeritzt. Es dauert immerhin bis 1902, bis sich in ihrer Mitte bedruckte Etiketten fanden, und erst seit etwa 1910 existieren Plattenhüllen – für die Firmen nicht viel mehr als Verpackungsmaterial: eine flache, quadratische Tüte für wenig kratzfestes Gut mit einem Mittelloch, damit man das Label sehen kann, das alle wichtigen Informationen wie Firmenname und Interpreten liefert. […] 1939 stellt sich ein 22-jähriger Grafiker namens Alex Steinweiss vor, Sohn armer Einwanderer aus Osteuropa, der erfahren hat, dass Columbia Records einen 6
Zur „Bedeutung des Covers für die Schallplatte“ siehe erste Überlegungen von Waldinger (1975).
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Reimann Artdirector sucht. Er bekommt die Stelle und kümmert sich fortan nicht nur um Werbeanzeigen und Broschüren, sondern hat die Idee, die braunen Packpapier- oder grauen Papphüllen der Schellackplatten mit einem künstlerisch gestalteten Cover zu versehen. Die Rückseite lässt sich für Werkkommentare nutzen (Haffner 2011: 98-99). 7
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Zur Geschichte der Werbeschallplatte: Von der Werbung im Radio zur Werbung zu Hause
Die Werbeschallplatte kam zunächst im Hörfunk zum Einsatz. Der Beginn ist etwa auf das Jahr 1932 zu legen. Für die Sendeanstalten und die werbenden Firmen war dies eine große Hilfe. Beispielsweise war man nun nicht mehr gezwungen, Werbe-Texte live zu sprechen („Durchsprüche“): Wie diese Durchsprüche in der Anfangszeit im einzelnen angelegt waren, läßt sich nicht genau feststellen. Im Herbst 1924 berichtete der „Zeitungs-Verlag“, dass die Werbung der jeweils 15 Firmen täglich in eine oder mehrere „launige Unterhaltungen in Vers oder Prosa“ zusammengefaßt würden. […] Davon schien man jedoch nach einiger Zeit abgekommen zu sein. Die Durchsprüche wurden normiert. Die Ansage erfolgte durch den Haussprecher des jeweiligen Senders, der die Durchsprüche dann hintereinander vortrug. Reklamedurchsprüche hatten in der Regel einen Umfang zwischen zehn und fünfzehn Schreibmaschinenzeilen (Maatje 2000: 175).
Vertreter der Zeitungsbranche bezeichneten die Durchsprüche als „mißlungene Kopie der Zeitungsinserate“ (Maatje 2000: 176; dort auch folgendes Zitat): „Es beginnt: ‚Das bekannte Kaufhaus X. bietet allen Käufern besonders vorteilhafte Preise‘ und dann folgt, wie aus dem Katalog abgelesen, eine Aufzählung der Mäntel, Kleider, Anzüge mit Preisangabe. Niemand ist in der Lage, die Angebote und ihre Ziffern zu behalten, und nach Anhören von drei Reklamesprüchen wirft man sämtliche Firmen, Waren, Preise und Adressen durcheinander.“
Zu Beginn der 1930er Jahre waren die technischen Voraussetzungen für den Einsatz der Werbeschallplatte im Radio ausgereift: Sowohl die Aufnahmetechnik der Schallplatte als auch die Technik der Abspielgeräte bei den Radiosendern waren auf einem Stand, dass die Werbeschallplatte die Durchsprüche schnell ablöste, zumindest was die größeren Firmen betraf. Zudem war die Produktion
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Siehe auch Büchele (1999: 14): „Das bedruckte Papieretikett in der Plattenmitte etablierte sich als wichtigster Informationsträger in Bezug auf den Platteninhalt. Die Verpackung bestand immer noch aus einfachen Papierhüllen, jetzt allerdings mit Mittelloch, um den Kunden freie Sicht auf die Informationen des Etiketts zu gewähren“.
Die Schallplatte
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relativ preiswert. 8 Die Popularität der Schallplatte als Werbemittel kann auf folgende Punkte zurückgeführt werden: Man war nun in der Lage, den trockenen Ankündigungen Szenen, Gespräche, Lieder und Geräusche entgegenzusetzen. [… Die] Markenartikelindustrie [wandte sich nun] der Radioreklame in höherem Maße zu und wollte über alle deutschen Sender ihre Werbung verbreiten. […] Man verwies auf die gute Ausnutzung der Werbezeit und hob die nunmehr möglich gewordene Untermalung mit Musik hervor. […] Der Vorteil liege im besonderen in der fehlerfreien Wiedergabe und dem Ausschluß jeglicher Irrtümer bei der Durchsage (Maatje 2000: 178).
Laut Maatje (2000: 179) schrieb Otto Wollmann 1934 über die Begeisterung der Werbetreibenden: „Hier kann mit Hilfe der Werbeschallplatten eine Spielhandlung entstehen, ein nur gesprochenes oder musikalisch illustriertes Spiel, das aus dem Charakter des bisher üblichen, von einem Sprecher verlesenen ‚Durchspruchs‘, der in diesem Falle einer kurzen Zeitungsannonce ver9 gleichbar ist, sich in die höheren Gebiete der angewandten Werbe-Kunst erhebt.“
Mit dem Verbot der Rundfunkreklame im Herbst 1935 endete auch die Präsenz der Werbeschallplatte im Hörfunk. In den 1950er Jahren wurde die Werbeschallplatte reaktiviert: Ihr Einsatzbereich war nun aber nicht mehr der Hörfunk, sondern der private Raum zu Hause, und zwar vor allem in den 1950er und 60er Jahren. 10 Es liegen aber Werbeschallplatten bis in die 1990er Jahre vor. „Werbeplatten wurden als Wurfsendungen, als Beilagen zu Zeitschriften, als Zugabe zu Produkten oder als Werbegeschenk für besondere Berufsgruppen verteilt“. 11 Das bestätigt auch Christian Spremberg, Radiomoderator und Werbeschallplattensammler aus Berlin, wie auf der Homepage des Regensburger Archivs für Werbeforschung zusammengefasst wird; dort heißt es ergänzend:
8 9
10 11
Für die kleineren Geschäfte war die Produktion einer Werbeschallplatte allerdings zu teuer, und sie hatten in der Regel kein Interesse deutschlandweit Werbung zu schalten, so dass der Durchspruch weiterhin existierte (Maatje 2000: 178). In der Österreichischen Nationalbibliothek (vgl. ANNO. Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften) finden sich digitalisierte Ausgaben von Seidels Reklame (1915, 1919, 19251928, 1930-1932, 1935-1943), der Jahrgang 1934 ist allerdings nicht dabei. Weitere Recherchen müssten folgen. „So ist es heute jedem möglich, die Welt der Kunst in seinem eigenen Heim zu erleben oder wieder lebendig werden zu lassen.“ (Sieber / Worm / Sutaner 1958: 123). Werbeplatten von Thomas Schulze .
98
Reimann Das Medium ‚Werbeschallplatte‘ ist heute fast nicht mehr bekannt und wurde vor allem in den 1950er und 1960er Jahren […] verteilt. Die oft auf dünne, biegbare Schallfolien gepressten Aufnahmen wurden meist kostenlos abgegeben 12 (siehe Kapitel 4.1).
Im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL wurde der Werbeschallplatte und ihrem Einsatz im Kontext der Verpackung 1959 ein eigener Beitrag gewidmet: Der Kauf einer Candy-Packung in holländischen Süßwarengeschäften führt seit kurzem gewöhnlich dazu, daß der Käufer nach Hause eilt, den Pappdeckel der Bonbonpackung abreißt und auf seinen Plattenspieler legt, um so populären Schlagern wie „Jingle Bells“ oder „When the Saints go marching in“ zu lauschen. Die holländische Schokoladen-Gesellschaft Baronie hat nämlich als erste europäische Firma ein neues Werbemittel eingesetzt, über das unter Reklamefachleuten schon seit langem gefachsimpelt wird: die Verpackungsschallplatte. […] Der Masseneinsatz der Schallfolien in der Werbung steht indes noch bevor. Europäische Lebensmittel- und Waschmittel-Konzerne planen, nach dem holländischen Vorbild die verschiedensten Pappverpackungen mit Schallfolien auszustatten. Die Werbeleute wollen beispielsweise auf der Vorderseite einer Corn-Flake-Packung oder eines Seifenpulverkartons Schlager unterbringen. Der Käufer derartiger Kartons soll die runde Schallfolie aus der Verpackungspappe ausschneiden; die Pappscheibe ist dann eine kleine Schallplatte. In England bereitet sich vor allem die Firma Hardy Record Manufacturing auf die Massenproduktion von Seifen- und Haferflocken-Schlagern vor. Firmenchef Hardy: „Wir haben Erfahrungen, denn wir produzieren schon seit Jahren Schallplatten für besondere Werbeaktionen.“ Tatsächlich kann Hardy renommierte Institutionen zu seinen Kunden zählen, etwa den Nestle-Konzern, der bei ihm eine Platte für Werbezwecke bestellte. Jeder Engländer, der drei Papierhüllen einer neuen Nestle-Schokolade mitbrachte, konnte diese „erste Werbeschallplatte“ (Hardy) in den Süßwarengeschäften für ungefähr 90 Pfennig erstehen (o.V.: 25.02.1959).
4
Bestände
4.1 Sammlung Spremberg 4.1.1 Einführung Die Werbeschallplatten-Sammlung des ehemaligen Radiomoderators Christian Spremberg aus Berlin wurde der Universität Regensburg 2007 zur Digitalisierung leihweise überlassen. Sie umfasst 500 Werbeschallplatten ab den 1950er bis zu den 1990er Jahren und ist nun Teil des Regensburger Archivs für Werbeforschung RAW der Universitätsbibliothek, deren Hauptbestand das Historische Werbefunkarchiv mit 50.000 Hörfunkspots von 1949 bis 1986 und eine zeitlich daran anschließende Sammlung (mit Spots bis zum Jahr 2000) ist (vgl. Reimann 2012). 12
Werbeschallplatten von Christian Spremberg .
99
Die Schallplatte
Abbildung 1:
Teil der Werbeschallplatten-Sammlung Spremberg
Die Werbeschallplatten-Sammlung Spremberg umfasst eine große Bandbreite an beworbenen Produkten und Marken, zum Beispiel Bahlsen (Kekse), Coca-Cola, Kaffee Hag, Langnese (Eis), Maggi (Klare Fleischsuppe), Persil (Waschmittel), Salamander (Lurchi; Schuhe), Uhu, Sarotti (Schokolade) oder die heute wohl eher unbekannte Marke Servas Markenschuhe, die mit mehreren Platten vertreten ist, und Schütten + Oesterwind (Brot). Von Philips, Polydor (Werbung für Platten) und vor allem Teldec sind besonders viele Schallplatten vorhanden. Von Teldec stammt die umfangreiche Werbeschallplattenserie „Klingende Post“, auf der Neuerscheinungen aus Schlager und Pop – anmoderiert – vorgestellt werden (siehe Kapitel 4.2). Auch DDR-Werbung liegt vor, zum Beispiel für Interflug (1987). 13
13
(In den Fußnoten erscheinen nur die Links mit den Nummern, im Literaturverzeichnis sind auch die vollständigen Titel angeführt.). In diesen Zusammenhang passt die Anmerkung von Christian Spremberg (Mail vom 07.09.2013): „All das, was hier zum Thema Werbung auf Schallplatten, deren Verbreitung und Akzeptanz ausgeführt worden ist, gilt vor allem für die ehemalige BRD. Wie es sich in anderen Ländern damit verhielt, kann ich aus eigener Erfahrung nicht sagen (immerhin wissen wir, dass es zumindest in vielen Ländern Europas sowie auch in den USA auch solche Platten gegeben hat). Speziell in Osteuropa verhielt es sich damit sicherlich völlig anders. In der DDR z.B. hat es ja in kleinerem Rahmen durchaus Produktwerbung gegeben, vor allem bis Anfang der 70er Jahre noch im Fernsehen sowie sicherlich auch auf Plakaten. Auch die berühmte Schallplattenwerbung für Schallplatten gab es von 1958 bis 1967 (s. ‚Klingende Monatsschauʼ von Amiga). Allerdings wurden diese Platten nicht an die Kunden weitergegeben. Rohstoffe waren knapp, und so konnte man diese Platten nur in den einschlägigen Läden vorgeführt bekommen. Ansonsten hat es Werbeplatten in der DDR und möglicherweise auch in anderen Ostblockstaaten nur zu besonderen Anlässen (wie etwa Messen) gegeben“.
100
Reimann
Die Schallplatten sind von ganz unterschiedlicher Gestalt und Größe: Die Platte der LBS/Landesbausparkasse „Ein kleines Haus im Wiesengrün“ beispielsweise ist eine rechteckige „Schallpostkarte“; eine Postkarte für eine Rückantwort liegt bei. 14 Auch für die Automarke Ford wird mit einer Postkarte geworben, auf die eine Folie, die die Schallinformation trägt, aufgebracht wurde. 15 Nach demselben Prinzip funktionieren Platten, die man aus Waschmittelverpackungen herausdrücken bzw. ausschneiden musste (siehe oben). 16 Es finden sich weiter Schallfolien, wie die goldfarbene, mit der in den 1970er Jahren für den Golf geworben wird 17, oder die bekannten Single-Platten. 4.1.2 Auditive Kampagnen (Schallplatte und Hörfunkspot) – das Beispiel Van Houten Beim Abgleich der beiden Archive – Spremberg-Sammlung (Werbeschallplatten) und Historisches Werbefunkarchiv (Hörfunk) – zeigt sich, dass sogar akustische Werbekampagnen nachweisbar sind, die sowohl Hörfunkspots als auch Schallplattenwerbung einsetzten. Ein Beispiel ist die Werbung für AERO-Schokolade von Van Houten aus den 1960er Jahren. Im Hörfunk finden sich zu diesem Produkt zwei Spots: einer zur Einführung der Schokolade, der andere will dem „Geheimnis“, was es mit der Luft in der Schokolade auf sich hat, auf die Spur kommen.
14 15 16 17
. . Telefonische Auskunft von Detlef Fischer, langjähriger Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk und Mitglied des Regensburger Verbunds für Werbeforschung, am 31.12.2015. .
101
Die Schallplatte
Hörfunkspot 1966, 29 Sek.: Fritz, du willst … 18 ZZ (Zeilenzählung) 1
Gesprochene Sprache
2
ich weiß es nicht, aber ich kann mir denken
3
4
5
6 7
Gesungene Sprache
Musik/Geräusche
Fritz // [Sprecher 2: ja ich weiß doch nicht ] du willst doch wohl nicht behaupten / du weißt, wie die Luft in die Aeroschokolade hineinkommt
das Geheimnis der AeroLuftschokolade kann ich nicht lüften / aber ihr Geschmack / der ist kein Geheimnis / der ist Aeroschokolade / das ist für mich wie ein Traum
tausend feine Luftperlen / fester Schokoladenschaum na also / vertrauet dem Vertrauten / Van Houten / Van Houten AeroLuftschokolade
Abbildung 2:
frag doch den Prinz Van Houten
Klaviermusik
Kommentar Sprecherin 1, aufgeregt und ungläubig (als Frage formuliert) [Sprecher 2 unterbricht Sprecherin 1] Sprecher 2, etwas aufgeregt Sprecherin 3, Sprechgesang im Takt der Musik Sprecher 4
Sprecherin 1, genüsslich, spricht sehr leise, beinahe hauchend; unterbricht Sprecher 4 Sprecher 2, genüsslich lobend Sprecher 4, heiter
Transkription Hörfunkspot Van Houten (1966), Fritz, du willst…
Das Thema „Geheimnis“ bestimmt auch die Werbung auf der Schallplatte. Die Umsetzung ist aber inhaltlich und strukturell ganz anders, was aufgrund der 18
. Die Transkription stammt aus Weigert (2012: 71-72); wenige Änderungen wurden vorgenommen. Interpretation sollte bei der Transkription vermieden werden, deshalb wurde Interpunktion nur gesetzt, wo sie eindeutig ist (z.B. Komma bei Nebensätzen, Fragezeichen bei Fragesätzen), „/“ = kurze Pause, „//“ längere Pause.
102
Reimann
Länge von 13 Minuten auch erwartbar ist. Susanne Weigert, die in ihrer Bachelorarbeit an der Universität Regensburg erstmals Werbeschallplatten sprachwissenschaftlich untersucht und mit Hörfunkwerbung verglichen hat, spricht in diesem Fall von einer Ausdehnung des Hörfunkspots zu einem produktbezogenen Hörspiel (Weigert 2012: 13). Dass es sich um eine Produktneueinführung handelt, wird auf dieser Platte gleich mitverarbeitet. Es folgt die Transkription des Beginns der Schallplattenwerbung. 19 ZZ 1 2
Gesprochene Sprache
Gesungene Sprache
Musik/Geräusche Flugzeuggeräusche Flugzeuggeräusche
4
Abflug Lufthansa Nr. 207 nach Paris durch Ausgang A // departure Lufthansa flight soeben wird die Lufthansamaschine nach Paris aufgerufen / wir erwarten hier noch einen sehr prominenten Fluggast / ah da ist er schon / erlauben Sie, Prinz Van Houten, noch ein kurzes Interview vor Ihrem Abflug? ja bitte
5
sie fliegen nach Paris?
Flugzeuggeräusche
6 7
Ja aber Sie werden doch sicherlich etwas Besonderes in Paris vorhaben? wer nach Paris fährt, hat immer etwas Besonderes vor // ich will etwas Luftiges nach Paris bringen // unter uns gesagt / Aeroschokolade / aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen meine Maschine fliegt auf Wiedersehen auf Wiedersehen auf Wiedersehen Aeroschokolade // die geheimnisvolle Luftschokolade von Van Houten / hm diesem
Flugzeuggeräusche Flugzeuggeräusche
3
8
9 10
19
Flugzeuggeräusche
Flugzeuggeräusche
Kommentar Sprecherin 1, Durchsage im Flughafen Sprecher 2 (Reporter), neutral; letzter Teil als Frage formuliert
Sprecher 3 (Prinz Van Houten), als Frage formuliert Sprecher 2, als Frage formuliert Sprecher 3 Sprecher 2, als Frage formuliert
Flugzeuggeräusche
Sprecher 3, ruhig und freundlich
Flugzeuggeräusche
Sprecher 2, ruft ihm hinterher Sprecher 2, verschmitzt
Flugzeuggeräusche
Weigert (2012: 72-79); .
103
Die Schallplatte Geheimnis muss ich auf die Spur kommen hm / gut, dass ich denselben Flug gebucht habe
Abbildung 3:
Transkription Van Houten Werbeschallplatte Teil 1
Erst am Schluss weist der Sprecher auf ein Gewinnspiel hin und dürfte somit den Hörer zum nochmaligen – aufmerksamen – Rezipieren veranlassen, falls er die Aufgabe lösen möchte. ZZ
Gesprochene Sprache
68
ich melde mich aus dem Flugzeug // wir überfliegen soeben die Alpen / unter uns liegt Lissabon / im strahlenden Sonnenschein / und über uns ein Himmel ein Himmel wie Aeroschokolade / vielleicht habe ich jetzt die Gelegenheit Prinz Van Houten zu fragen // erlauben Sie, Prinz Van Houten, was ist das Geheimnis der Aeroschokolade? dass sie gut schmeckt Nein, nein, ich meine dass sie sich sehr gut verkaufen lässt das glaube ich, aber dass jeder davon begeistert ist, der sie einmal gegessen hat / probieren geht ja über studieren ja ja ich meine aber, wie kommt die Luft wie die Luft auf die Packung kommt? Äh dieses hübsche Luftbild gefiel mir am besten von allen Entwürfen / und das passt ja doch auch ganz gut zu Aeroschokolade oder nicht? natürlich, aber ich meine / wie die Luft in die Aeroschokolade kommt
69 70 71 72 73
74 75
76
Gesungene Sprache
Musik/Geräusche
Kommentar Sprecher 2, heiter; letzter Teil als Frage formuliert
Sprecher 3 Sprecher 2 Sprecher 3 Sprecher 2 Sprecher 3
Sprecher 2, ungeduldig Sprecher 3, verschmitzt; unterbricht Sprecher 2; letzter Teil als Frage formuliert Sprecher 2, sehr ungeduldig
104
Reimann
77
ach so / das meinen Sie
78 79
Ja ja das ist ein
80
dürfen wir Sie jetzt bitten sich wieder anzuschnallen wir werden in wenigen Minuten in München landen // will you please fasten your seatbelt / as we are going to land in Munich in a few minutes tja / so ist das / immer, wenn ich gerade dachte das Geheimnis der Aeroschokolade zu erfahren, wurde nichts draus // vielleicht haben Sie mehr Glück // finden Sie die fünf Fehler, die sich in diese Schallplatte eingeschmuggelt haben // und gewinnen Sie eine Prinz Van HoutenReise // vielleicht verrät er dann Ihnen / das Geheimnis der Aeroschokolade / im vertrauten Gespräch / Sie wissen ja // vertraue dem Vertrauten // Van Houten // Van Houten // Van Houten und nun für Sie zur Entspannung der Prinzen-Letkiss mit den Aero-Swingers
81
82 83
Abbildung 4:
Sprecher 3, ausweichend Sprecher 2 Sprecher 3, ausweichend Sprecherin 7, Durchsage im Flugzeug
Sprecher 2, heiter (wird am Schluss immer leiser)
Sprecher 2 Musik setzt ein
Transkription Van Houten Werbeschallplatte Teil 2
Am Schluss wendet sich Sprecher 2 (Rolle des Reporters) also an die Hörer/Rezipienten der Werbeplatte. Die Rezeptionssituation der Schallplatte – zu Hause – macht diese Struktur (gerade auch, was das Ende, den Umgang mit dem Gewinnspiel, betrifft) und auch die Länge der Werbung möglich. Für den Medienvergleich kann man demnach festhalten, dass das zeitunabhängige Wiederholen der Rezeption ein gemeinsames Merkmal von Schallplatte und Printmedien (Zeitung und Zeitschrift)
Die Schallplatte
105
ist. Durch die Imitation der Sendeform „Hörspiel“ 20 sollen die Rezipienten vor allem unterhalten werden; die werbespezifische Appellfunktion soll in den Hintergrund treten (Reimann 2008: 57-58); ein direkter Kaufappell erfolgt bei der Schallplatte übrigens auch nicht. Ich nenne einige weitere wichtige Aspekte des Vergleichs der Hörfunk- und Schallplattenwerbung dieser Kampagne und zitiere dabei aus der Arbeit von Susanne Weigert (2012: 32): „Auf der Werbeschallplatte werden wesentlich mehr Produkteigenschaften angeführt“, außerdem wird auf die Tradition 21 „und den Preis des Produkts 22 eingegangen, zwei Aspekte, die im Hörfunkspot überhaupt nicht thematisiert werden“. Ferner schreibt sie: „Der größere Zeitrahmen ermöglicht es auf der Werbeschallplatte zudem, dass Produkt und Sender häufiger erwähnt werden können“ (Weigert 2012: 31). Zu ergänzen ist noch, dass auf der Werbeschallplatte weitere Produkte der Firma Van Houten – nämlich Kakao und Pudding – genannt werden, die im Hörfunk auf andere Spots ausgelagert werden. 4.1.3 Erste Kategorisierung: Inhalte, Strukturen, Funktionen 23 4.1.3.1 Inhaltlich-strukturelle Auffälligkeiten Inhaltlich-strukturell ist mit der Werbung oft ein Gewinnspiel bzw. Preisausschreiben verbunden, wie bei der UHU-Schallplatte „Karl May ‚Der Schatz im Silberseeʼ“ (1970, 6 Min, 12 Sek.). 24 Teilweise wurde in der Datenbank auch der Vermerk Hörspiel, der vom Sammler Christian Spremberg stammt, eingetragen. Bei diesem Beispiel heißt es „Minihörspiel als Beigabe zu einem Preisausschreiben“. Die Rezipienten werden durch den Moderator aufgefordert, den im Hörspiel genannten Erkennungssatz auf eine Schatzkarte auf dem Plattencover ein20 21 22 23 24
Rajewsky (2002: 65-77) würde hier von „intramedialer Systemreferenz“, genauer „Systemaktualisierung“, sprechen (wenn man davon ausgeht, dass Hörspiele auch auf Schallplatten gespeichert werden können). Zum Beispiel ZZ 18f.: Sprecherin 4, französischer Akzent: Van Houten kenne ich sehr gut / viele viele Jahre / schon meine Mutter hat immer – Sprecher 3: ich weiß / ich weiß / sie ist eine treue Anhängerin von Van Houten Kakao). Zum Beispiel ZZ 24f.: Sprecherin 4, skeptisch: Sie ist sehr groß die Tafel / sicher sehr teuer – Sprecher 3, beschwichtigend: Teuer? Nein / aber sehr gut. Vgl. auch den Blog des Projektseminars „Das Medium Werbeschallplatte” am Lehrstuhl für Medienwissenschaft der Universität Regensburg (geleitet von Solveig Ottmann): . .
106
Reimann
zutragen und an UHU zu schicken: Und dann muss nur noch der Erkennungssatz in die zusammengeklebte Schatzkarte eingetragen werden. Die Instruktion, für das Zusammenkleben das beworbene Produkt UHU EXTRA tropffrei und sauber zu verwenden, geht voran.
Abbildung 5:
Cover UHU-Schallplatte „Karl May ‚Der Schatz im Silberseeʼ“ (1970)
4.1.3.2 Adressierung bestimmter Zielgruppen Teilweise wird eine bestimmte Zielgruppe angesprochen. 4.1.3.2.1
Babys, Kinder, Jugendliche
Handelt es sich vordergründig um die Zielgruppe Kinder und Babys, liegt in jedem Fall – auch wegen der intendierten Kaufaktion – Mehrfachadressierung vor (vgl. Polajnar 2005). Ein Beispiel ist die Werbeschallplatte von Nesquick (1960, 5 Min., Schallfolie einseitig, 33) mit dem Titel „Hoppe, hoppe Reiter. Abzählverse und lustige Kinderlieder“ 25. Zu Beginn wird die junge Zielgruppe genannt: Abzählverse und lustige Lieder für alle Kinder, die gern Nesquick trinken. Dabei wird beispielsweise die Geschichte vom Suppenkaspar von Heinrich 25
.
107
Die Schallplatte
Hoffmann in eine vom Milchkaspar umgewandelt: Der Junge nimmt erst wieder Milch zu sich, als die Mutter sie mit Nesquick versieht. Bei der Werbeschallplatte der Firma Liegelind aus den 1960er Jahren 26 werden die beworbenen Produkte (Windeln, Lätzchen, Betteinlagen) auf der Rückseite des Plattencovers ausführlich – auch sprachlich – vorgestellt; auch auf der Platte selbst, dem Plattenetikett, werden die Produkte samt einer knappen Charakterisierung genannt (z.B. Dreieck-Windel wasserdicht). Auf der Platte singt der Berliner Mozartchor „Schlafe mein Prinzchen“ (Seite A) und „Guten Abend, gut Nacht“ (Seite B). „Beide Seiten werden jeweils abgeschlossen mit einer kurzen produktbezogenen Absage“, wie Christian Spremberg festhielt und in der Datenbank nachzulesen ist. Beispielsweise endet die Seite A folgendermaßen: Und nun wünscht das Sandmännchen von Liegelind eine gute Nacht. Der Gesang auf der Platte wird nicht anmoderiert. Chorname, Komponisten (Mozart und Brahms) sowie Liedtitel werden auf dem Plattencover (Vorderseite) genannt. Die Texte der beiden Lieder sind auf der Rückseite des Plattencovers abgedruckt.
Abbildung 6:
26
Cover Werbeschallplatte der Firma Liegelind (1960er Jahre)
.
108
Reimann
Jugendliche sollen mit der Werbeschallplatte aus dem Jahr 1960, die für eine Ausstellung im Kaufhaus Hertie wirbt, angesprochen werden 27; auffallend aus heutiger Sicht ist allerdings, dass gesiezt wird: Auf der Platte spricht am Schluss ein Sprecher: Jugend International / Das ist die Schau / Die große Schau, die die Jugend von heute begeistert / kommen Sie schnell, denn das müssen Sie selbst erleben. Also / Treffpunkt Hertie. 28 Ansonsten findet sich ausschließlich Gesang von damals teilweise sehr bekannten Sängern (René Kollo, Monika Grimm) auf der Platte („Davon träumen alle jungen Leute“), wie auch auf dem Plattenetikett nachzulesen ist. Untersuchenswert sind auch die Handlungsanweisungen auf dem Cover zum Umgang mit der Schallplatte im Gebrauch (siehe Kapitel 4.1.3.7). 4.1.3.2.2
Einzelhandel/Fachhandel
Geschäftsleute – Textilhändler – sind beispielsweise bei der Werbeschallplatte der Firma Henkel 29 (1950er Jahre) die Zielgruppe. Auf dem Cover steht durch die Schriftgröße und (blaue) Farbe hervorgehoben: Sobald die Kundin „danke nein“ sagt. Auf der Platte werden Instruktionen gegeben, wie im angekündigten Fall vorzugehen ist; die Rolle des „richtigen“ Waschmittels wird ebenfalls thematisiert. Interessant bei dieser Platte ist auch der medial mündliche Umgang mit weiteren (thematisierten) Werbemitteln. 4.1.3.2.3
Weitere Berufsgruppen, zum Beispiel Mediziner/Ärzte
Ein Beispiel ist die Werbeschallplatte der L. Merckle GmbH aus Blaubeuren für das Arzneimittel Hylak FORTE Tropfen (1960er Jahre) 30. Die Zielgruppe wird direkt angesprochen (Seite A, Mitte): Sehr verehrte Frau Doktor, sehr geehrter Herr Doktor / mit dieser musikalischen Darbietung hoffen wir, Ihnen eine Freude bereitet zu haben // so wie sich die Vielfalt der Instrumente zum Klangkörper des Orchesters vereint / so erfüllen auch im menschlichen Körper ungezählte Komponenten ihre Aufgabe nur im Sinn von Zusammenspiel // ein Organsystem, an dem sich
27 28 29 30
. Hervorhebungen habe ich bei der Transkription unterstrichen, Interpunktion nur eingefügt, wo sie syntaktisch eindeutig ist. . .
Die Schallplatte
109
eine Vielzahl von Einzelkomponenten auf den Gesamtorganismus auswirkt, ist der Verdauungstrakt […].
Im weiteren Text findet sich zudem medizinische Fachsprache; das gilt auch für Teile des Covers. Somit wäre hier auch die Textsortenimitation zu diskutieren. Auf der zweiten Plattenseite ist ausschließlich Musik zu hören, was die Unterhaltungsfunktion von Werbeschallplatten unterstreicht. Das sechsseitige (!) Cover ist auffallend textreich. Im Folgenden sind Vorder- und Rückseite sowie zwei der vier Innenseiten, die sogar Literaturhinweise enthalten, abgebildet.
110
Abbildung 7:
Reimann
Cover Schallplatte Hylak FORTE Tropfen (1960er Jahre)
111
Die Schallplatte
4.1.3.3 „Jahreszeitenspezifische“ Weihnachten, Muttertag
Ausrichtung,
Feste:
zum
Beispiel
Ein Beispiel stammt von Ferrero Küsschen (Zum Muttertag, 1976) 31. Interessant ist, dass im auditiven Teil (auf der kleinen Schallfolie) überhaupt nichts Werbendes enthalten ist, auch kein Marken- oder Produktname. Nur das Plattenetikett führt den Namen auf (zum Muttertag 1976 sowie Ferrero Küsschen), ein Cover ist nicht (mehr) vorhanden. Auf der Platte selbst finden sich, wie in der Datenbank festgehalten wurde, Gedanken zum Muttertag, umrahmt von Ausschnitten aus Mozarts „Kleiner Nachtmusik“. Die Firma Schwab (Überlandversand, Hanau) hat 1960 eine Werbeschallplatte für die eigenen Mitarbeiter/innen (sowie für die Kunden) hergestellt. 32 Es handelt sich damit um eine Kombination von interner und externer Unternehmenskommunikation. Das Cover zeigt die Kontaktfunktion: Ein herzlicher Weihnachtsgruß aus Hanau am Main. Die zweiseitig bespielte Platte (eine Schallfolie, 45) enthält nur auf der ersten Seite Text: Sprecher 1: Und jetzt möchte Ihnen Herr Schwab persönlich einen Gruß sagen. Sprecher 2: Meine lieben Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter / […] vielleicht sitzen Sie gerade in diesem Augenblick mit ihren Angehörigen zusammen, vielleicht zünden Sie gerade die Lichter an Ihrem Weihnachtsbaum an […] Es ist mir aber auch ein echtes Bedürfnis, alle Kunden zum Weihnachtsfest zu grüßen und ihnen danke zu sagen für ihr Vertrauen […]. Sowohl auf Seite A als auch auf der gesamten Seite B finden sich Weihnachtslieder, wie auf dem Plattenetikett zu lesen ist: Beliebte Weihnachtslieder / für Sie gesungen von den Schöneberger Sängerknaben / Leitung; Gerhard Hellwig (vgl. auch das Beispiel in Kapitel 4.1.3.6). 4.1.3.4 Keine Produktwerbung: Wahlwerbung und aufklärende Werbung Aus den 1960er Jahren sind Schallplatten der Parteien SPD 33, CDU 34 und FDP 35 vorhanden. 31 32 33 34 35
. . , , . , . .
112
Reimann
Außerdem gibt es Werbung zur Aufklärung der Bevölkerung, wie die der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (1968). 36 Darauf sind (ausschließlich) zwei Anti-Raucher-Songs (1. Das Nebellungenlied, 2. Smoking takes you faster to God) zu hören. Zielgruppe sind junge Leute, wie aus dem Liedtext ersichtlich wird, und es wird geduzt: […] Teer doch nicht mit 16 schon die Lunge // Junge, Junge, deine Lunge […]. 4.1.3.5 Einsatz von Prominenten Auch Prominente – so genannte Testimonials – sind auf den Schallplatten zu hören. Dabei sind aus meiner Sicht drei Möglichkeiten des Einsatzes zu unterscheiden. − − −
(Unveränderte) Übernahme Werbebezogene Präsenz Indirekte Werbung
4.1.3.5.1
(Unveränderte) Übernahme
Zur Kategorie „(Unveränderte) Übernahme“ gehört der Einsatz von Udo Jürgens mit seinem Song Immer wieder geht die Sonne auf auf der Seite A der Werbeschallplatte der Firma Sichel von 1969. 37 Dieses Beispiel zeigt folgendes strukturelles Muster 38: Auf Seite A ist ein anmoderierter Song von Udo Jürgens zu hören: Sichel präsentiert für umweltfreundliche Maler Udo Jürgens. Es folgt ein Teil des Songs Immer wieder geht die Sonne auf (1967). Den Inhalt auf Seite B kann man meines Erachtens als produktbezogenes Hörspiel verstehen: Es geht um einen Traum mit der Sonne und der Venus und entsprechenden Farben, mit denen man die Venus anstreichen kann, damit sie mit der Sonne um die Wette strahlen kann; die beworbenen Farben bzw. anderweitigen Materialien werden sowohl genannt als auch auf der Hülle schriftlich festgehalten: Silgo, Kieselit und Prontex. Es ist dabei noch zu erwähnen, dass die beiden Plattenseiten durch 36 37 38
. . Eine ebensolche Struktur findet sich bei der Platte für Triumph Bademoden 1959 (). Auf Seite A ist ausschließlich Musik zu hören (Ferko String Band: Happy days are here again.), auf Seite B ist der für Triumph Bademoden werbende Text aufgenommen. Eine inhaltliche Verbindung zwischen Seite A und B ist allerdings nicht offensichtlich.
113
Die Schallplatte
das gemeinsame Element „Sonne“ verbunden werden. Udo Jürgens kommt auf Seite B nicht vor, auf dem Cover ist er abgebildet.
Abbildung 8: 4.1.3.5.2
Cover Werbeschallplatte der Firma Sichel (1969)
Werbebezogene Präsenz
Dagegen wirbt der Schweizer Schlagersänger und Schauspieler Vico Torriani (1960) sozusagen „bewusst“ für Maggi (Klare Fleischsuppe) 39 und der ZDFHitparaden-Moderator Dieter Thomas Heck (ohne Jahr) für Ultra Weiss Zahncreme 40 (siehe auch Kapitel 4.1.3.8). 4.1.3.5.3
Indirekte Werbung
Eine dritte Form des Einsatzes Prominenter sind die Interviews mit den Beatles 41 (siehe die Abbildung des Covers unten) in deutscher Sprache (!) und Cliff Richard auf Werbeschallplatten der Zeitschrift o.k., die dort beigelegt worden sein 39 40 41
. Vgl. auch Kapitel 4.1.3.8. . .
114
Reimann
müssen. Es handelt sich dabei weder um eine unveränderte Übernahme eines „(Musik-)Produkts“ (Songs) der Prominenten noch um bewusste Werbung der Testimonials für ein Produkt. Vielmehr wirbt die Zeitschrift durch die Bereitstellung einer (kostenlosen) Platte indirekt für sich.
Abbildung 9:
Cover Werbeschallplatte der Zeitschrift o.k.
4.1.3.6 Verbindung von Werbe-, Unterhaltungs- und Kontaktfunktion Ein Beispiel für die Präsenz mehrerer Funktionen auf einer Schallplatte ist die Werbung der Sektkellerei Carstens SC (1962): Auf Seite A befinden sich ausschließlich „Kleine Lebensweisheiten“, wie es auf dem Cover heißt, mit der Angabe der Autoren. Auf Seite B findet sich der Tango der Sektkellerei Carstens mit dem Namen „gut gestimmt“. Inhaltlich ist die Platte also vorrangig der Unterhaltungsfunktion zuzuordnen. Die Werbefunktion lässt sich nur über den Markennamen herstellen: Er ist ausschließlich auf dem Cover zu lesen. Außerdem ist die Kontaktfunktion nachweisbar: Auf der Rückseite des Covers ist links unten folgender Text zu lesen: Mit den besten Wünschen zu Weihnachten und zum Jahreswechsel und als Dankesgruß für gute Partnerschaft überreiche ich Ihnen im Namen meiner nachstehend aufgeführten Firmen diese Schallplatte für besinnliche und heitere Stunden. Es folgen die (handgeschriebene) Unterschrift Carstens sowie die erwähnten Namen weiterer Firmen, die ebenfalls zum „Sen-
Die Schallplatte
115
der“ gehören. Außerdem findet sich der Aufdruck 27. Dezember 1962 (vgl. Kapitel 4.1.3.3).
Abbildung 10: Cover Werbeschallplatte Sektkellerei Carstens SC (1962)
116
Reimann
4.1.3.7 Handlungsanweisungen zum Umgang mit Schallplatten Die im Folgenden thematisierten Aufforderungshandlungen sind an die Hörer/innen gerichtet und mit einer Kommentierung der medialen bzw. medienspezifischen (Werbe-)Kommunikation verbunden. Die – syntaktisch unterschiedlich vorgenommenen – Handlungsanweisungen sind auf dem Cover oder dem Plattenetikett angebracht oder auf der Platte zu hören, wie folgend exemplarisch gezeigt wird. Auf einer Platte der Serie „Klingende Post“ (1961), die von Radio Freytag präsentiert wird, wird der Hörer am Ende der ersten Seite zum Umdrehen der Platte aufgefordert: Während die Moderatorin ihrem männlichen Kollegen noch etwas über einen Schlager erzählen möchte, spricht sie die Hörer an: Sie dürfen inzwischen die Platte umdrehen (siehe auch Kapitel 4.2). Relativ oft steht eine Handlungsanweisung auf dem Plattenetikett: zum Beispiel bei rotring Schreib- und Zeichengeräte 42: Seite 1: von Hand auflegen; Seite 2: von Hand auflegen; bei Dr. Ritters Müsli 43: Bitte beachten Sie: Legen Sie die Schallfolie direkt auf den Plattenteller (nehmen Sie keine andere Platte als Unterlage). Legen Sie den Tonarm von Hand auf. Bei der Werbung für die Ausstellung Jugend International im Kaufhaus Hertie 44 steht eine vergleichsweise ausführliche Handlungsanweisung auf dem Cover: Schallplatte nur mit Mikrosaphir (M) abspielen. Bei 10-Plattenwechsler Tonarm mit Hand auflegen. Sollte die Platte bei Ihnen verzogen eingetroffen sein, kann sie ohne Schwierigkeiten in ihre flache, ursprüngliche Lage zurückgebogen werden. Bei glattem Plattenteller empfiehlt sich, ein kleines Gewicht (Puck oder Geldstück) auf das Etikett zu legen. 4.1.3.8 Mehrere Medien Bei der Platte von Maggi mit Vico Torriani liegt „vernetzte Kommunikation“ 45 (Verlinkung) und damit zugleich „explizite Systemerwähnung“ 46 vor, da von der 42 43 44 45 46
. . . Synonyme dazu sind Crossmedia, Konvergenz sowie Integrierte Kommunikation (Burst / Schmitt-Walter: 2003: 4). Definition: „Die ›explizite Systemerwähnung‹ bildet den ersten Grundtypus der ›intermedialen Systemerwähnung‹. Bezeichnet werden damit Verfahren, in deren Rahmen das kontaktgebende fremdmediale System bzw. bestimmte Komponenten desselben in Form eines ›Redens über‹
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Werbeschallplatte (dem Cover) aus auf weitere Medien und Werbemittel weitergeleitet wird, wie – ausschließlich – auf der Cover-Rückseite zu lesen ist: Anzeigen in: FÜR SIE 2 + 3 / QUICK Nr. 5 + 7 […]. Zielgruppe der Schallplatte sind übrigens Händler (Cover-Rückseite: ... da werden Ihre Kunden munter: und ... das macht Nachfrage mobil:).
Abbildung 11: Cover Werbeschallplatte Maggi oder einer ›Reflexion‹, in jedem Fall aber explizit, d.h. ausdrücklich thematisiert werden.“ Das System, auf das man sich bezieht, wird also ausdrücklich genannt (Rajewsky 2002: 196-197).
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Bei der Werbeschallplatte für Ultra Weiss Zahncreme 47, für die wiederum ein Prominenter wirbt (Hier spricht Ihr Dieter Thomas Heck), ist ein Radiospot in die Werbeschallplatte integriert, den eine Sprecherin ankündigt: Und im Werbefunk hört sich das dann so an. Sowohl auf dieser Platte als auch bei der von Maggi mit Vico Torriani finden sich Preisausschreiben/Gewinnspiele (siehe auch Kapitel 4.1.3.5.2). 4.1.3.9 Hinweise auf den Kontext (Rezeptionssituation) Auf den in Kapitel 4.1.3.5.3 genannten Plattenetiketten der Zeitschrift o.k., auf denen die Interviews mit den Beatles bzw. Cliff Richard zu hören sind, ist jeweils der Vermerk angebracht: Diese Folie ist ein redaktioneller Bestandteil der Zeitschrift „o.k.“. Die populäre Rock- und Punkband „Die Ärzte“ hat 1985 eine Trailerplatte mit einer Zusammenstellung aus Teilen dreier Songs veröffentlicht 48; es geht also um die Ankündigung einer neuen Musikplatte. Die kurze gesprochene Einleitung zu den Musikstücken lautet: (Sprecher 1) Hallo liebe Leser / hier spricht Bela B. / wir schenken euch ein Medley aus der neuen Ärzte-LP Die Ärzte / Okay Farin Urlaub? / (Sprecher 2) Okay. Es muss sich also um die Beigabe in einer Zeitschrift handeln, was im Internet auf verschiedenen privaten Seiten und auch Wikipedia 49 erwähnt wird. Auf dem Plattenetikett steht schließlich kotextlos: Musik Express Sounds. Dabei handelt es sich um eine Musikzeitschrift, die es in Deutschland bereits seit 1969 gibt. 50 Erwähnen kann man noch, dass das als erstes angespielte Lied „Geschwisterliebe“ schnell auf dem Index landete. 51
47 48 49 50 51
. . Geschwisterliebe (). „1956 hatte der holländische Konzertveranstalter Paul Acket das Blatt als „Muziek Expres“ in Den Haag gegründet.“ Die deutsche Ausgabe gibt es seit 1969 (Ansorge 2014). „1987 tritt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ins Leben der Ärzte und indiziert ‚Geschwisterliebe‘ und nachträglich die ‚Debil‘-Songs ‚Claudia hat 'nen Schäferhundʼ und ‚Schlafliedʼ. Bei Konzerten umgehen Die Ärzte das Aufführungsverbot, indem sie die Lieder anspielen und das Publikum singen lassen.“ (Laut.de-Biographie. „Die Ärzte“).
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4.2 Werbeschallplattenserie „Klingende Post“ Die Plattenfirma Teldec (Telefunken-Decca) warb mit der Serie „Klingende Post“ für ihre Neuerscheinungen. Strukturell typisch sind Titelanspielungen mit Anmoderationen bzw. gesprochene Titelüberleitungen durch ein Sprecherduo. Ein besonderer Reiz oder der eigentliche Knüller beim Hören der ‚Klingenden Post‘ sind die heute oft unfreiwillig komisch anmutenden, gesprochen [sic!] Titelüberleitungen. Männlichweiblich gemischte Sprecherduos verbreiteten den meisten Charme, wenn dabei auch kaum ein Geschlechterklischee ausgelassen wurde (Wenzel 2011: 9).
Außerdem gab es Sonderpressungen für einzelne Schallplatten- und Radiogeschäfte. Der Schallplattensammler Ralf Wenzel hat seine Erfahrungen mit der Serie „Klingende Post“ 2011 in einer Publikation (Buch und DVD) festgehalten. Zur historischen Einordnung notiert er: Praktisch alle Plattenfirmen haben ab Mitte der 50er Jahre Werbeschallplatten mit Titelanspielen ihrer Neuerscheinungen veröffentlicht und meistens kostenlos in Umlauf gebracht. Die kleinen schwarzen Scheiben mit 45 Umdrehungen waren das ideale Medium […]. Die „Klingende Post“ spielt in diesem Genre eine besondere Rolle, weil sie kontinuierlich, über einen Zeitraum von 20 Jahren, von der Teldec (Telefunken-Decca Schallplatten) herausgebracht wurde (Wenzel 2011: 5).
Wenzel (2011: 7) geht davon aus, dass 52 Platten zur „Klingenden Post“ produziert wurden (1954-1974). In der Spremberg-Sammlung an der Universitätsbibliothek Regensburg finden sich dazu 41 Einträge (bis 1971). 4.3 Weitere Sammlungen (Frühe) Werbeschallplatten finden sich im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA Frankfurt a.M.). Aus der Hörfunkdatenbank des DRA sind mir zwei Auszüge mit 54 und 23 Einträgen zur Verfügung gestellt worden; doppelte Nennungen sind dabei allerdings noch vorhanden. Ein Beispieleintrag ist folgender, der Informationen zu einer Schallplatte enthält, mit der für Stoffe der Firma Christophstal (Aufnahmedatum: 1935, Dauer: 3‘16) geworben wird.
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Abbildung 12: Bestandsinformationen zu Schallplatte der Firma Christophstal (1935; Deutsches Rundfunkarchiv) Da bisweilen der Hinweis auf das Medium bzw. Werbemittel (Werbeschallplatte) fehlt, kann in manchen Fällen nicht mit letzter Sicherheit die Einordnung als Werbeschallplatte vorgenommen werden, wie der Mitarbeiter der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Andreas Rühl mitteilt: Die Originaltonträger waren, wenn ich der Dokumentation Glauben schenke, nicht unbedingt als „Werbeschallplatte“ gekennzeichnet, bei einem Großteil dieser Aufnahmen dürfte das aber der Fall sein. Auch finden sich dabei Labels wie Telefunken, Polydor oder Grammophon. – […] Die Tonaufnahmen sind jedenfalls vorhanden. 52
52
„Zwar stehen ausgesprochene Werbeschallplatten nicht gerade im Mittelpunkt unseres Interesses, trotzdem verfügen wir über einige Aufnahmen von Werbeschallplatten. In den wenigsten Fällen dürften sich die Originaltonträger bei uns im Hause befinden.“ (Mail von Andreas Rühl, Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv, vom 14.08.2013).
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Bemerkenswert ist, dass das Aufnahmedatum von 1920 53 bis 1952 54 reicht und somit auch frühe Werbeschallplatten, die also im Rundfunk abgespielt worden sein müssen, enthalten sind (siehe Kapitel 3). Zu erwähnen ist außerdem, dass sich 28 (unterschiedliche) Einträge in den Datenbankauszügen auf Werbung von Elly Heuss-Knapp (Schriftstellerin, Lehrerin, Sozialpolitikerin, Ehefrau des Bundespräsidenten Theodor Heuss), die „mit ihrem gezielten Einsatz von Musik in Form von Erkennungsmelodien für Marken“ die Werbebranche prägte, 55 beziehen. Beim Hifi-Museum in Wiesbaden liegen nach Auskunft des Betreibers Gert Redlich rund 150 Werbeschallplatten von 1950 bis 1975 vor. Eine Digitalisierung wurde bisher nicht durchgeführt. 56 Das Radiomuseum Linsengericht verfügt ebenfalls über einen Bestand an Werbeschallplatten 57, zum Beispiel die Werbeplatten von Glaabsbräu, der Binding Brauerei oder der Deutschen Bundesbahn (je mit Cover, ohne Jahresangabe). Auf das Jahr 1989 wird eine Folienschallplatte von Möbel Walther Lieblos (mit Gewinnspiel) datiert. Probleme bereitet nach Angaben von Bernd Weith vom Radio-Museum Linsengericht e.V. die zeitliche Einordnung: Auf unserer Webseite ist nur ein kleiner Teil aufgeführt. Aber das genaue Datum herauszufinden ist oft sehr schwer. Z.B. habe ich Maggi angeschrieben, wir haben Vico Torriani mit einer Maggi-Platte auf der Seite. Dort konnte mir niemand das Jahr der Veröffentlichung nennen. Sie wussten nicht einmal, dass Maggi eine solche Platte veröffentlicht hat. Das Interesse der Firmen an ihrer eigenen Geschichte ist fast null. Das habe ich schon viel erlebt. 58
Die Sammlung Thomas Schulze 59 enthält derzeit rund 1000 Werbeschallplatten aller Art ab ca. 1954 (Arzneimittel, Automobile, Drogerien, SchallplattenEigenwerbung, Waschmittel usw.). Die Platten werden derzeit im MultiMedia53 54 55
56 57 58 59
Erster Eintrag der kürzeren Datenbankliste: „Werbeschallplatte der englischen Plattenfirma Imperial Record“. Abstract: englische Ansage (0’55), „Jack Gordon singt ‚Time alone will tell‘“ (0,45), Archivnummer: 2884766. Archivnummer: 4217704. Titel: “Der Obersteiger (Operette in 3 Akt) [sic!]“, „Ein Gloria-Film der Patriafilmkunst“. Deutsches Rundfunkarchiv (DRA): Dokument des Monats 2004; vgl. auch Deutsches Rundfunkarchiv (DRA): 125. Geburtstag von Elly Heuss-Knapp. Zur Geschichte der Rundfunkwerbung sowie zur Werbung von Elly Heuss-Knapp siehe auch Maatje (2000), Reimann (2012: 486). Vgl. Hifi-Museum Wiesbaden: „Die Schallplatte, das ideale Werbemedium (zu seiner Zeit)“. Radio-Museum Linsengericht: , Links, Werbeschallplatten. Mail vom 18.08.2013. Werbeplatten von Thomas Schulze ().
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Zentrum der Universitätsbibliothek Regensburg digitalisiert, die Cover und Etiketten werden gescannt, um sie in eine Datenbank aufzunehmen. Neuerwerbungen des Sammlers werden der Universität Regensburg demnächst wiederum zur Verfügung gestellt. Es handelt sich somit um eine Erweiterung des Regensburger Werbeschallplattenbestands, der mit der Spremberg-Sammlung begann. 5
Ausblick Die Schallplatte [sic!] erlebt seit einigen Jahren ein beeindruckendes Comeback. Weltweit wurden 2012 etwa sieben Millionen Schallplatten verkauft. Insbesondere in den USA und in Deutschland explodierten die Verkaufszahlen. Hierzulande erreichten die Vinyl-Verkäufe im vergangenen Jahr [2012, S.R.] sogar wieder die Millionen-Marke. Zugleich wurden aber noch immer rund 90 Millionen CDs verkauft (Knoblach: 08. Februar 2013).
Das Image der Schallplatte heute kann so zusammengefasst werden: wiedererlangte Bedeutung bei Künstlern („bestärkt ihre Identität als authentische Musiker“ im Gegensatz zum Servicecharakter beim „digitale[n] Download“, „eine Veröffentlichung auf Vinyl ermöglicht auch eine künstlerisch anspruchsvolle Verpackung“, Schönebäumer 10. Juli 2008), Hör-Wert bei Rezipienten, Kuriosität für junge Käuferinnen und Käufer. Aus wissenschaftlicher – disziplinenübergreifender – Perspektive sind weitere Analysen zu Werbeschallplatten – auch zu den im Beitrag angesprochenen Bereichen – sowie der Vergleich mit anderen Werbemitteln/Medien notwendig. 6
Literatur
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Olfaktorische Kommunikation als Instrument des Relationship Marketing – eine interdisziplinäre Diskussion Marie-Christin Papen / Jens Runkehl / Jessica Freiherr / Katalin Fehér / Florian U. Siems Abstract Die Analyse von olfaktorischen Reizen aus Kundensicht stellt seit vielen Jahren einen Teilaspekt zur Schaffung informatorischer Grundlagen für Marketingentscheidungen dar. Bisherige Untersuchungen beziehen sich jedoch insbesondere auf klassische Marketingziele, beispielsweise den Absatz. Einem modernen Marketingverständnis im Sinne eines Relationship Marketing folgend erscheint es jedoch mindestens ebenso spannend, die Rolle olfaktorischer Reize als Kommunikationsmittel zum Aufbau und Erhalt von Kundenbeziehungen im Sinne eines Relationship Marketing näher zu betrachten. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Ziel ist es, das Thema olfaktorische Reize zum Aufbau und Erhalt von Kundenbeziehungen interdisziplinär zu diskutieren.
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Olfaktorische Marketing
Kommunikation als Instrument
des Relationship
Zur Fundierung von Marketingentscheidungen sind Informationen über die Wahrnehmung und das Verhalten von Zielgruppen von zentraler Bedeutung (vgl. z.B. Homburg / Krohmer 2006: 766-771, Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2012: 93-143, Bruhn 2013a: 131-138). Entsprechend war und ist auch die Analyse von olfaktorischen Reizen für das Marketing von Interesse (vgl. z.B. Davies / Kooijman / Ward 2003, Kroeber-Riel / Gröppel-Klein 2013: 516). Bisherige Untersuchungen beziehen sich insbesondere auf klassische Marketingziele, beispielsweise den Absatz. Einem modernen Marketingverständnis im Sinne eines Relationship Marketing folgend (vgl. z.B. Bruhn 2013b), erscheint es jedoch mindestens ebenso spannend, die Rolle olfaktorischer Reize auch als Kommunikationsmittel zum Aufbau und Erhalt von Kundenbeziehungen näher zu betrachten. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Ziel ist es, das Thema olfaktorische Reize zum Aufbau und Erhalt von Kundenbeziehungen zu diskutieren (Multimodales Relationship Marketing mit Fokus auf eine mögliche olfaktorische Kommunikation als Teil multimodaler Werbung im weiteren Sinne). Eine Besonder© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_8
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Papen / Runkehl / Freiherr / Fehér / Siems
heit besteht darin, dass diese Diskussion aus Sicht verschiedener Fachdisziplinen erfolgt, konkret der Kommunikationswissenschaft (Runkehl), der Betriebswirtschaft/des Marketing (Papen / Siems) und der Neurowissenschaft/Medizin/ Technik (Freiherr / Fehér). Der vorliegende Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Nach dieser kurzen Einführung (Kapitel 1) werden aus Sicht von Neurowissenschaft/Medizin/Technik die grundlegenden Besonderheiten des Geruchsinns erläutert (Kapitel 2). Es folgt ein Überblick über bestehende Ansätze olfaktorischer Kommunikation im „traditionellen“ Marketing (Kapitel 3), bevor auf das (moderne) Relationship Marketing eingegangen und die möglichen Besonderheiten einer olfaktorischen Kommunikation diskutiert werden (Kapitel 4). In diesem Kapitel wird auch auf mögliche Probleme der Anwendung eingegangen. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Fazit (Kapitel 5). 2
Besonderheiten des menschlichen Geruchssinns
Im klassischen Sinne wird die physiologische Wahrnehmung der Umwelt mit Sinnesorganen durch den Menschen in fünf Wahrnehmungen unterteilt: Sehen (visuelle Wahrnehmung, mit den Augen), Hören (auditive Wahrnehmung, mit den Ohren), Riechen (olfaktorische Wahrnehmung, mit der Nase), Schmecken (gustatorische Wahrnehmung, mit der Zunge) und Tasten (taktile Wahrnehmung, mit der Haut; vgl. Zimbardo 1988). Die olfaktorische Wahrnehmung – also der menschliche Geruchssinn – ist dabei zum einen für die Wahrnehmung von Aromen während des Genusses von Lebensmitteln und Getränken wichtig. Zum anderen übernimmt er auch eine Warnfunktion und schützt zum Beispiel vor verdorbenen Lebensmitteln, Bränden oder Chemieunfällen (Albrecht / Wiesmann 2006). Daneben kann Duft nicht nur Tieren, sondern auch Menschen zur räumlichen Orientierung dienen: In einem Experiment konnte gezeigt werden, dass Menschen in der Lage sind, sich unter vollständiger Reizblindheit, mit Ausnahme des Geruchssinns, nur anhand einer Geruchsspur in einem Gelände zu orientieren bzw. einem olfaktorischen Pfad zu folgen (Porter et al. 2006). Weitere Studien zeigen darüber hinausgehend, dass Menschen mithilfe des Geruchssinnes verschiedene soziale und emotionale Parameter unseres Gegenübers wahrnehmen können (Moessnang / Freiherr 2012). So spielt der Duft auch eine Rolle bei der Partnerwahl. Demnach wird ein Partner ausgewählt, welcher einen möglichst andersartigen Körpergeruch im Vergleich zum eigenen Körper-
Olfaktorische Kommunikation als Instrument des Relationship Marketing
129
geruch hat. Der Zweck dieser Auswahl besteht vor allem darin, dass die Andersartigkeit des Körpergeruchs mit einer Andersartigkeit der Gene, die für das Immunsystem relevant sind, korreliert, was wiederum dazu führt, dass Nachkommen aus einer solchen Beziehung den größtmöglichen evolutionären Vorteil haben. Diese Neigung läuft unbewusst ab. Neben der Partnerwahl hat der Geruchssinn noch diverse weitere Funktionen im zwischenmenschlichen Bereich: Auch eigene Emotionen werden zum Beispiel via Duft kommuniziert, beispielsweise kann Angst mittels olfaktorischer Reize vermittelt werden (Albrecht et al. 2011, Heagler et al. 2010). Ebenso ist der Geruchssinn zum Beispiel wichtig für den Aufbau einer Mutter-Kind-Beziehung (Winberg / Porter 1998). Im Vergleich zu den anderen Sinnessystemen hat der Geruchssinn beim Menschen im Laufe der Evolution an Bedeutung verloren. Dies ist zentral auf den Verlust an funktionsfähigen olfaktorischen Rezeptoren in der menschlichen Nase zurückzuführen (Gilad et al. 2003). Dennoch sind olfaktorische Wahrnehmungen allgegenwärtig und für menschliches Verhalten und Interaktion relevant; sie gelangen jedoch nur selten in unser Bewusstsein und haben gerade deswegen die Fähigkeit, unser emotionales Erleben entscheidend zu beeinflussen (Moessnang / Freiherr 2012). Die Bedeutung von Duft für das emotionale Erleben kann auch durch die Lage der Zentren im Gehirn begründet werden. Eine ausführliche Darstellung des Prozesses olfaktorischer Reizverarbeitung kann aus Moessnang / Freiherr (2012) oder Lundström / Boesveldt / Albrecht (2011) entnommen werden. Die olfaktorische Signalverarbeitung ist zum einen sehr eng an Hirnareale geknüpft, die für Emotionsverarbeitung und Erinnerung zuständig sind, so dass Erinnerungen an Gerüche meist sehr gefühlsbetont wahrgenommen werden. Schaubild 1 beinhaltet eine schematische Darstellung der an der Geruchsverarbeitung beteiligten Systeme. So ist die Amygdala an emotionaler Bewertung beteiligt, hier werden Reaktionen ausgelöst (z.B. Weglaufen bei Angst in Gefahrensituationen). Der entorhinale Kortex steht in Verbindung zum Hippocampus, durch die Verzahnung ist eine Erinnerung an Düfte möglich.
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Abbildung 1:
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Schematische Darstellung der Hirnareale, die an der Verarbeitung von olfaktorischen Reizen beteiligt sind (Moessnang / Freiherr 2012: 510)
Ein weiterer zentraler Aspekt in der hirnanatomischen Betrachtung ist, dass die Verknüpfung zwischen der Verarbeitung des Geruchs und den Hirnarealen, welche insbesondere Emotionen verarbeiten, nicht über das thalamische Relais geleitet werden (Moessnang / Freiherr 2012). Das bedeutet, dass keine Filterung der Information erfolgt, sondern der Duft direkten Einfluss auf entstehende Emotionen nimmt. Darin unterscheidet sich der Geruchssinn von allen anderen Sinnen, denn andere sensorische Informationen durchlaufen das thalamische Relais und gelangen damit in unser Bewusstsein, bevor sie auf höhere kognitive Zentren treffen (Lundström / Boesveldt / Albrecht 2011). Diese hirnanatomischen Besonderheiten des olfaktorischen Systems machen das unbewusste Erleben von emotionalen Zuständen, die durch Duftstoffe ausgelöst werden und damit eine Auswirkung auf den Menschen haben, durch verschiedene Gerüche möglich (Lundström / Boesveldt / Albrecht 2011).
Olfaktorische Kommunikation als Instrument des Relationship Marketing
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Olfaktorische Reize im „traditionellen“ Marketing – State of the Art
Als sich die Betriebswirtschaftslehre nach dem zweiten Weltkrieg als Fachbereich in Wissenschaft und Praxis weltweit mehr und mehr etablierte, setzte sich insbesondere ein funktionsorientiertes Verständnis von Teilfachbereichen durch, das bis heute in Forschung und Praxis weltweit Verwendung findet (vgl. Thommen 2007). Den Funktionen eines Unternehmers (bzw. Unternehmens) folgend, kommt dabei dem Teilfach „Marketing“ die unternehmerische (Teil-)Aufgabe zu, den Absatz der erzeugten eigenen Leistungen am Markt durch eine an den Bedürfnissen der Nachfrager orientierte Denkweise sicherzustellen (vgl. z.B. Bruhn 2012: 13). Zur Erfüllung dieser Aufgaben werden traditionell vier Marketinginstrumente, die sogenannten „4 Ps“ (Product, Price, Promotion, Place; vgl. McCarthy 1960) als zentral angesehen. Im Gegensatz zu einigen populärwissenschaftlichen Diskussionen im Sinne von „Marketing = Reklame“ ist Werbung dem Marketinginstrument Promotion zuzurechnen, also nur Teil eines Teilgebietes von Marketing, nicht mehr und nicht weniger. Um innerhalb der Marketing(-teil)instrumente die Entscheidungsfindung zu fundieren, sind Informationen über einen Markt bzw. dessen Teilnehmer im Marketing von zentraler Bedeutung (vgl. z.B. Homburg / Krohmer 2006: 247251, Bruhn 2012: 87-122, Meffert / Burmann / Kirchgeorg 2012: 93-216). Hierzu zählt neben der Marktforschung auch der Bereich des Konsumentenverhaltens, in dem auf Erkenntnissen über die Wahrnehmung und das Verhalten von Menschen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen (u.a. aus der Psychologie, der Medizin und der Biologie) zurückgegriffen wird. Innerhalb des Marketingteilfaches Konsumentenverhalten bzw. darauf aufbauend erfolgt im Marketing auch die Diskussion olfaktorischer Reize. Dies betrifft zum einen Produkte, deren Duft ein wichtiges Leistungsmerkmal darstellt bzw. bei denen der Duft selbst das zentrale Leistungsmerkmal ist, insbesondere Kosmetikartikel, wie beispielsweise Parfüm (Morrin 2010). Ein bekannt gewordenes und auch populärwissenschaftlich oft zitiertes Beispiel, wie sowohl das Produktdesign als auch das Kaufverhalten von wissenschaftlichen Erkenntnissen in diesem Bereich beeinflusst werden können, ist die Studie von Hirsch / Ye (2008; vgl. zur populärwissenschaftlichen Diskussion z.B. auch Lötters 2013). Ergebnis der Untersuchung war, dass die Teilnehmer unter Zugabe von Grapefruitduft das Alter von Personen, insbesondere das der weiblichen Personen, signifikant geringer einschätzten. Die anderen getesteten Duftnoten (Traube und Gurke) zeigten keine signifikante Wirkung. Die Studie hatte zur Folge, dass sehr
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viele Kosmetikprodukte mit Grapefruitduft auf den Markt gebracht und nachgefragt wurden (Lötters 2013). Zum anderen sind olfaktorische Reize auch produktübergreifend für Kaufentscheidungen interessant. Beim Ambient Scent werden Düfte am Point of Sale insbesondere dazu verwendet, den Konsumenten in eine positive Stimmung zu versetzen (Morrin 2010). Die Nutzung von Raumdüften erfolgt dabei nicht nur im Bereich Handel, sondern ebenso in Hotels oder Restaurants usw. Dabei werden auch künstliche Düfte verwendet, die gezielt Interesse an den jeweiligen Produkten hervorrufen sollen, beispielsweise die Nutzung von Blaubeerduft um den Verkauf von Muffins bei Starbucks zu steigern (Morrin 2010). Bereits in den 30er Jahren wurde der Einfluss von Düften auf das Kaufverhalten bzw. die Produkteinschätzung untersucht (Laird 1932). Demnach konnte die Zugabe von Blumendüften die Produkteinschätzung von Strumpfhosen positiv beeinflussen. Autoren
Zentrale Erkenntnisse
Mattila / Wirtz (2001)
Es besteht eine positive Evaluierung des Einkaufs bei paralleler Zugabe von Musik und Duft. Voraussetzung ist, dass beide Stimuli hinsichtlich ihres Erregungspotenzials kongruent sind.
Chebat / Morrin / Chebat (2009)
Bei Zugabe von Raumduft bei der Gruppe der jungen Konsumenten können die Ausgaben pro Person gesteigert werden.
Krishna / Lwin / Morrin (2010)
Das Abrufen von Produktinformationen bzw. die Produkterinnerung wird durch die Zugabe von Duft erleichtert. Produktduft wirkt hierbei stärker als Raumduft.
Schifferstein / Talke / Oudshoorn (2011)
Es wird eine positive Einschätzung der Stimmung und Musik in Diskotheken durch Zugabe von Duft belegt. Zwischen verschiedenen Düften (Orange, Meeresduft, Pfefferminze) bestehen keine Unterschiede.
Herrmann et al. (2012)
Die Komplexität des verwendeten Dufts beeinflusst dessen Verarbeitung und die getätigten Ausgaben. „Einfachere“ Düfte wirken sich dabei positiver auf die Höhe der Ausgaben im Geschäft aus.
Doucé / Janssens (2011)
Angenehme Düfte nehmen positiven Einfluss auf Evaluierung des Geschäfts und die Absicht, es wieder zu besuchen.
Abbildung 2:
Übersicht über empirische Arbeiten im olfaktorischen Marketing
Auch in der aktuellen empirischen Forschung gibt es zahlreiche Belege für die positive Wirkung von Duft im Kaufkontext. Abbildung 2 enthält eine Auswahl
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133
verschiedener Studien. Es werden sowohl Untersuchungen zum Raumduft als auch zum Produktduft aufgezeigt. Die Betrachtung dieser Ansätze und ihre Anwendung im Rahmen des klassischen Marketing lassen die Frage aufkommen, ob und inwiefern sich diese auch im Sinne des in jüngerer Zeit mehr und mehr etablierten Ansatzes des Relationship Marketing anwenden lassen. 4
Besonderheiten von olfaktorischen Reizen im Relationship Marketing
4.1 Entstehung und Idee des Relationship Marketing Seit den 1990er Jahren wird verstärkt diskutiert, ob der traditionelle Marketingansatz nicht umfassend überarbeitet werden müsste (vgl. z.B. Homburg / Krohmer 2006, 7ff., Bruhn 2013b, V sowie 2): Das „klassische“ Marketing wurde insbesondere für Konsumgüter entwickelt, was die unreflektierte Übertragbarkeit zum Beispiel auf Dienstleistungen und Industriegüter zweifelhaft erscheinen lässt (vgl. z.B. Magrath 1986). Als eine zentrale Besonderheit von Dienstleistungen und Industriegütern wird dabei die Langfristigkeit einer Beziehung zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden angesehen. Insbesondere die Studien von Reichheld / Sasser (1991) zeigten dabei, dass gerade die Realisierung derartiger langfristiger Beziehungen den (ökonomischen) Unternehmenserfolg erkennbar steigern kann. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee eines Relationship Marketing, das die (langfristige) Beziehung eines Unternehmens (oder einer Organisation) in den Vordergrund der Betrachtung stellt (vgl. grundlegend z.B. Gummesson 1987 und 2002, Grönroos 1994, Hennig-Thurau / Hansen 2001, Siems et al. 2012, Bruhn 2013b). Im Folgenden wird hier das Begriffsverständnis von Bruhn (2013b: 12) zugrunde gelegt, der Relationship Marketing wie folgt definiert: Relationship Marketing umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme sowie ggf. der Beendigung von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen – insbesondere zu den Kunden – des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen.
Auch wenn Relationship Marketing das „traditionelle“ Marketing nicht ersetzt hat, hat es sich heute doch als wichtige Erweiterung des traditionellen Marketingansatzes mehr und mehr weltweit etabliert und findet – u.a. in Form von Begriffen wie „Kundenorientierung“, „Kundenzufriedenheit“ und „Kundenbin-
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dung“ – in Wissenschaft und Praxis heute gleichermaßen große Beachtung. Interessanterweise beschränkt sich die Nutzung dieser Ansätze heute nicht mehr nur auf Dienstleistungen und Industriegüter, sondern gewinnt insbesondere auch im Konsumgüterbereich an Bedeutung (vgl. z.B. Siems et al. 2012: 4, Bruhn 2013b: 348). Es stellt sich die Frage, welche Besonderheiten sich für olfaktorische Reize im Sinne eines Relationship Marketing ergeben. 4.2 Besonderheiten von olfaktorischen Reizen im Relationship Marketing Wie vorher aufgezeigt, ging es – auch in der Forschung – bei der bisherigen Anwendung von Duft im Marketing insbesondere um die Transaktionsanbahnung, oder konkreter um das Anwerben von Neukunden und um die Maximierung der Ausgaben beim Besuch eines Ladens. Dies sollte beispielsweise durch einen angenehmen Produktduft oder durch das Schaffen einer angenehmen Einkaufsatmosphäre mittels Raumbeduftung erreicht werden. Um jedoch langfristige Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen im Sinne des Relationship Marketing schaffen zu können, sind darüber hinaus weitere Phasen zu berücksichtigen (Bruhn 2013a). Basierend auf den zu Beginn erläuterten Funktionen des menschlichen Geruchssinns sollen Besonderheiten für die Phasen des Relationship Marketing untersucht werden. Relevant sind hierbei insbesondere solche Funktionen, die die zwischenmenschliche Interaktion betreffen. Die Fähigkeit des Menschen zur räumlichen Orientierung mittels des Geruchssinns bietet einen möglichen Ansatz sowohl in der Phase der Neukundenakquise, als auch in der Kundenbindung. Bestehende Kunden können einen bestimmten Duft bereits (bewusst oder unbewusst) einem Unternehmen zuordnen, damit besteht die Möglichkeit, diesen Duft als räumliche Orientierungshilfe, beispielsweise in Einkaufszentren zu nutzen (Beispiel: Abercrombie & Fitch). Der Vorteil der Nutzung olfaktorischer Reize ist dabei insbesondere, dass in solchen Einkaufstätten bisher vorrangig andere Wahrnehmungen (insbesondere visuelle und akustische) angesprochen werden, eine gezielte Nutzung von Duft zur Orientierung also ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Duft kann hierbei aber auch mit der Ansprache anderer Sinne kombiniert werden, zum Beispiel mit der Akustik um die Wirkung im Sinne der multisensorischen Integration zu optimieren. Bei der Wahl beider Reize ist insbesondere ihre Konsistenz hinsichtlich
Olfaktorische Kommunikation als Instrument des Relationship Marketing
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des resultierenden Erregungsgrades zu beachten (Mattila / Wirtz 2001). Daneben kann hier die Eigenschaft der unbewussten Geruchsverarbeitung genutzt werden. Die Bedeutung von olfaktorischen Reizen für die Partnerwahl lässt sich ebenfalls mit Blick auf das Relationship Marketing betrachten. So kann Sympathie (und Vertrauenswürdigkeit) des Mitarbeiters eine wichtige Rolle bei der Wahl des Unternehmens aus Sicht des Kunden spielen (Maas / Graf 2007). Diese Faktoren wiederum werden auch vom Duft des Gegenübers geprägt (Hejj 1996), insgesamt ergibt sich damit die Möglichkeit, durch Nutzung von Düften eine positive Einschätzung des Mitarbeiters herbeizuführen. Eine Anwendung von Duft in diesem Bereich wäre wiederum sowohl der Phase der Neukundenakquise als auch der Phase der Kundenbindung zuzuordnen. Die Besonderheiten des menschlichen Geruchssinns im Hinblick auf die Erinnerung werden auch durch die Verbindung der Systeme im Gehirn determiniert. Für die Anwendung innerhalb des Relationship Marketing stellt sich zunächst die Frage, wie Duft insbesondere in der Phase der Kundenrückgewinnung genutzt werden kann. Wie oben erwähnt, existieren bereits Belege für die verbesserte Erinnerung von Produkten bzw. Produktmerkmalen unter Zugabe olfaktorischer Reize (Krishna / Lwin / Morrin 2010). Dabei fiel es den Probanden besonders leicht, relevante Attribute zu erinnern, wenn bei dem ersten Kontakt Produktduft verwendet wurde. Demnach sollte im Sinne des Relationship Marketing bereits in vorgelagerten Phasen die Nutzung von Aromen berücksichtigt werden. So ist denkbar, dass bereits im Rahmen der Neukundengewinnung und auch der zweiten Phase Aromen zwecks Wiedererkennung in der Rückgewinnungsphase angewandt werden. Diese Idee lässt sich mit den zuvor beschriebenen Anwendungsmöglichkeiten entsprechend eines einheitlichen Corporate Scents verbinden (Hehn 2006). Bei der Anwendung von Duft im Rahmen der Phasen des Relationship Marketing sind (ähnlich wie bei der Ansprache anderer Sinne) einige Probleme oder kritische Aspekte zu berücksichtigen.
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4.3 Mögliche Probleme bei der Anwendung von olfaktorischen Reizen im Relationship Marketing Die Anwendung olfaktorischer Reize kann sich insbesondere dann positiv auswirken, wenn diese Reize unterhalb der bewusst wahrgenommenen Reizschwelle liegen und damit lediglich unbewusst Einfluss nehmen. Ein kritischer Aspekt ist also die Dosierung bzw. die Intensität des gewählten Reizes. Ist der Duft zu intensiv, so reguliert das Kleinhirn (Cerebellum) die Atemtätigkeit und damit die eingeatmete Duftstoffmenge. Eine weitere mögliche Konsequenz kann darin bestehen, dass die Beeinflussung durch Duft dem Konsumenten bewusst wird und dieser eine ablehnende Haltung einnimmt, weil er oder sie sich manipuliert fühlt. Neben der Intensität muss auch die Duftnote festgelegt werden, beide Faktoren sind (in ihrem Erfolgsbeitrag) sowohl kontext- als auch personenabhängig. So kann die Reizschwelle der olfaktorischen Wahrnehmung bei verschiedenen Personen ein ganz unterschiedliches Niveau haben. Ältere Personen beispielsweise nehmen Düfte nicht mehr so intensiv wahr (Kobal et al. 2000). Die Personenabhängigkeit der Geruchswahrnehmung stellt damit eine besondere Herausforderung dar, wenn eine heterogene Zielgruppe besteht. Analoges gilt für die Gestaltung der Duftnote, denn deren Wahrnehmung und Evaluierung ist subjektiv („Geschmackssache“) und damit nur schwer für verschiedene Personengruppen gleichermaßen attraktiv zu gestalten. Die Berücksichtigung des Kontexts bei der quantitativen und qualitativen Gestaltung des Odeurs ist aus Sicht des Marketing insbesondere in Bezug auf die Wahrung eines konsistenten Gesamtbildes im Sinne eines „Corporate Scents“ nötig. Mit anderen Worten muss der gewählte Duft zum subjektiv wahrgenommen Unternehmens- oder Markenbild passen. Eine Studie von Wentzel (2009) zeigt, welche Konsequenzen aus einer Inkonsistenz des Mitarbeiterauftretens bzw. -verhaltens mit dem wahrgenommenem Markenbild auftreten können. Die Eigenschaften bzw. die daraus resultierende Einstellung gegenüber den Mitarbeitern wurde nur dann auf die Einstellung zum Unternehmen übertragen, wenn beide Faktoren als konsistent wahrgenommen wurden. Bezogen auf die Anwendung von Duft würde dies bedeuten, dass die positiven Resultate einer Zugabe von Duft nur dann dem Unternehmen zugeschrieben werden, wenn dieser Duft (subjektiv) zum Unternehmen passt. Bei der Übertragung auf olfaktorische Reize ist jedoch zu beachten, dass diese – wie beschrieben – größtenteils unbewusst verarbeitet werden und somit möglicherweise auch der Prozess des Zuschreibens unbewusst erfolgt. Widerspricht das gewählte Aroma dem Unternehmensbild, so
Olfaktorische Kommunikation als Instrument des Relationship Marketing
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ist als Konsequenz das Entstehen kognitiver Dissonanz denkbar. Da das Auftreten von Dissonanzen vom Kunden als unangenehm empfunden wird (Festinger 1957), sollte dies durch Wahl eines passenden Aromas im Vorfeld verhindert werden. 5
Fazit
Im Rahmen des „klassischen“ Marketing gibt es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für Düfte. Diese Möglichkeiten lassen sich durch die Betrachtung der langfristigen Kundenbeziehung im Relationship Marketing unter besonderer Berücksichtigung physiologischer Gegebenheiten der Geruchsverarbeitung stark erweitern und ergänzen. Vielversprechend ist insbesondere die Berücksichtigung der Lage und funktionalen Zusammenhänge der an der Duftverarbeitung im Gehirn beteiligten Systeme. Daraus ergeben sich zwei wesentliche Konsequenzen: Zum einen stellt die Geruchsverarbeitung meist keinen bewusst ablaufenden Prozess dar. Zum anderen erlaubt die Position der Systeme eine direkte Verknüpfung mit emotionalem Erleben und der Verarbeitung von Erinnerung. Diese beiden Aspekte lassen sich in Ansätze zur Festigung der langfristigen Kundenbeziehung im Sinne des Relationship Marketings integrieren, beispielsweise durch duftbasierte Erinnerungsstimulanz in der Phase der Kundenrückgewinnung. Für die Integration olfaktorischer Reize sind jedoch einige kritische Punkte zu beachten, diese liegen in der kontext- und personenabhängigen Wahrnehmung dieser Reize. So muss besonders bei Ansprache einer heterogenen Zielgruppe eine geeignete Strategie, gegebenenfalls eine Kompromisslösung, entwickelt werden, um nicht bei einigen (potentiellen) Kunden auf Ablehnung zu stoßen. Die Intensität und Art des verwendeten Aromas sollten darüber hinaus zum kundenseitigen Unternehmensbild passen und innerhalb des Unternehmens stimmig entsprechend eines Corporate Scents gewählt werden, um mögliche Dissonanzen im Vorfeld zu vermeiden. Insgesamt erscheint die Anwendung von Duft in den Phasen des Relationship Marketing jedoch sinnvoll und sehr vielversprechend. Insbesondere eine eingehende (empirische) Untersuchung der Zusammenhänge könnte einen weiteren Mehrwert für Forschung und Praxis liefern.
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Kaufentscheidungen am POS – Welche Rolle spielt der Produktgeruch? Isabella Laimer / Monika Koller / Marcus Stumpf Abstract Der Point of Sale (POS) gewinnt bei der Kaufentscheidung von Konsumenten immer mehr an Bedeutung, denn ca. 65% der Entscheidungen werden erst spontan am Einkaufsort getroffen. Um sich am POS von anderen Marken und Produkten abheben zu können, ist im Sinne eines multisensualen Marketings wichtig, mehrere Reizquellen des Kundens anzusprechen. Laut Lindstrom (2011: 95ff.) ist für die Mehrheit der Menschen der Sehsinn (58%) gefolgt vom Riechsinn (45%) am bedeutendsten. Dennoch zeigt die Studie u.a., dass die Unternehmen ihren Marketingschwerpunkt nach wie vor auf die visuellen Reize setzen und den zweitwichtigsten Sinn, das Riechen, fast komplett außer Acht lassen. In den letzten Jahren sind besonders die Anzahl der Studien, welche sich mit dem Einsatz von Duft im Handel beschäftigen, merklich gestiegen, jedoch wird in der Forschung das Riechen an der eigentlichen Ware vernachlässigt. Um diese Lücke in der Grundlagenforschung schließen zu können, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Rolle des Produktgeruchs bei Kaufentscheidungen am POS. Die zentrale Forschungsfrage ist hierbei, an welchen Produkten Konsumenten aktiv riechen, bevor ein Kauf getätigt wird. Mit Hilfe von Beobachtungen und anschließenden strukturierten Interviews soll zudem erfragt werden, warum Probanden gerochen haben bzw. warum nicht. Ziel ist es, zu erforschen, aufgrund welcher Gründe Konsumenten olfaktorische Reize zur Kaufentscheidung mit einbeziehen. Diese Beobachtungen und Interviews werden im Lebensmitteleinzelhandel in der Abteilung Obst und Gemüse durchgeführt, entsprechende Ergebnisse präsentiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet.
1
Einleitung
Der Point of Sale (POS) gewinnt bei der Kaufentscheidung von Konsumenten immer mehr an Bedeutung. Nur ca. 35% der Einkäufe werden fest geplant. Die restlichen 65% sind sogenannte Spontankäufe, bei denen der Konsument erst direkt am POS entscheidet, was bzw. welche Marke gekauft wird (vgl. Häusel 2010: 233-234). Um sich am POS von anderen Marken und Produkten abheben zu können, ist es wichtig, mehrere bzw. alle Sinne des Kunden anzusprechen. Im Sinne eines multisensualen bzw. multisensorischen Marketing sollen akustische, visuelle, haptische, gustatorische und olfaktorische Reize kombiniert werden, um langfristig im Gedächtnis des Kunden verankert zu sein (vgl. Jäggi / Portmann / Pifko 2010: 198). Lindstrom (2011: 95) hat in Zusammenarbeit mit der Marketingagentur Millward Brown eine Einteilung der Sinne nach ihrer Wichtigkeit für © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_9
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Laimer / Koller / Stumpf
den Menschen erarbeitet. Demnach ist für die Mehrheit der Sehsinn am bedeutendsten (58%), gefolgt vom Riechsinn (45%) und Hörsinn (41%). Weniger wichtig sind nach dieser Gliederung der Geschmacks- und Tastsinn. Die Studie von Lindstrom (2011: 95-96) zeigt weiter, dass die Unternehmen ihren Marketingschwerpunkt nach wie vor eher auf die visuellen Reize setzen und den zweitwichtigsten Sinn, das Riechen, fast komplett außer Acht lassen. Doch gilt zu bedenken, dass der Geruch den Menschen viel mehr beeinflusst als ihm offen bewusst ist (Lindstrom 2011: 124). Dies ist vor allem dadurch begründet, dass aus neurologischer Sicht Duftreize ungefiltert und viel direkter als die übrigen Sinnesreize in die wichtigsten Areale des Gehirns gelangen (vgl. Hehn 2007: 89-90). Der Geruchssinn ist ein Warnsystem, mit dessen Hilfe man feststellen kann, ob ein Objekt Gefahr bedeutet. Das Unterbewusstsein des Menschen schaltet sich ein – guten Düften wendet man sich automatisch zu, von schlechten Gerüchen wendet man sich ab (vgl. Sommer 2007: 153-154). Viele Menschen riechen meist instinktiv an Produkten, um den Verzehr von eventuell verdorbenen oder schlecht gewordenen Nahrungsmitteln zu verhindern (vgl. Lindstrom 2012: 173). Deshalb bestehen auch Trends im Marketing, sich mit olfaktorischen Reizen zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang ist in der Unternehmenspraxis besonders der Terminus „Corporate Scent“, der sogenannte Unternehmensduft bekannt (Boldt 2010: 98). Vorreiter auf diesem Gebiet ist beispielsweise Singapore Airlines, die schon im Jahr 1990 ihren eigenen Duft „Stefan Floridian Waters“ patentieren ließen. Dieser Duft wurde zum Markenzeichen der Airline, da ihn die gesamte Flugraumcrew trägt und er ebenso in den Kabinen verströmt wird (vgl. Linxweiler / Siegle 2008: 107). Darüber hinaus ist in den letzten Jahren besonders die Anzahl der wissenschaftlichen Studien merklich gestiegen, welche sich mit dem Einsatz von Duft im Handel beschäftigen. Wissenschaftler untersuchen, wie eine Marke riechen oder welcher Duft im Verkaufsraum versprüht werden soll. Jedoch wird in der Forschung das Riechen an der eigentlichen Ware vernachlässigt. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die Frage zu klären, ob es bestimmte Produktkategorien gibt, an denen Konsumenten im Zuge der Kaufentscheidung aktiv riechen. Zudem soll herausgefunden werden, warum Konsumenten ihren Geruchssinn im Kaufentscheidungsprozess einschalten bzw. warum dieser nicht aktiv in den Kaufentscheidungsprozess integriert und genutzt wird. Bevor hierzu eine eigene Studie und deren Ergebnisse präsentiert werden, sollen im nachfolgenden Kapitel zunächst die notwenigen Grundlagen zum Kaufverhalten erläutert werden.
Kaufentscheidungen am POS
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Grundlagen zum Kaufverhalten bei Konsumgütern
Um den Kaufprozess bei Konsumgütern besser verstehen zu können, werden vorerst Merkmale des Kaufverhaltens von Konsumenten näher betrachtet. 2.1 Typen von Kaufentscheidungen Nicht jeder Kauf wird nach dem gleichen Muster getätigt, denn je nach Höhe der kognitiven Kontrolle des Einkäufers wird zwischen vier Typen unterschieden, die in Abbildung 1 dargestellt sind.
Abbildung 1:
Ausmaß kognitiver Steuerung bei Kaufentscheidungen (in Anlehnung an Kuß / Tomczak 2007: 111)
Bei extensiven Kaufentscheidungen wird eine hohe kognitive Beteiligung vorausgesetzt, die darauf begründet ist, dass der Konsument noch wenig Informationen und Erfahrungen über das Produkt besitzt. Das ist hauptsächlich bei neuen und eher risikoreichen Käufen der Fall, wo große Unterschiede zwischen den einzelnen Marken bestehen (vgl. Fritz / von der Oelsnitz 2006: 57-58, Musiol / Kühling 2009: 45-46, Griese / Bröring 2011: 67). Bei der limitierten Kaufentscheidung wird die Entscheidung auf Grund von Erfahrungen mit bestimmten Produkten getroffen. Daher werden keine neuen Bewertungskriterien entwickelt (vgl. Musiol / Kühling 2009: 46, Griese / Bröring 2011: 67). Der habitualisierte Kauf zeichnet sich dadurch aus, dass Erfahrungen schon gesammelt und Alternativen bekannt sind. Das ist auch der Grund, warum nur eine begrenzte Zeit für die Kaufabwicklung aufgewendet wird (Fritz / von der Oelsnitz 2006: 58, Hilling 2006: 18, Musiol / Kühling 2009: 46).
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Laimer / Koller / Stumpf
Entscheidungen zu Impulskäufen werden reaktiv, emotional und erst direkt am POS getroffen. Bei diesen ungeplanten Spontankäufen reagiert der Konsument beispielsweise auf POS-Medien wie Werbespots oder Aktionen (vgl. Hilling 2006: 18, Musiol / Kühling 2009: 46, Griese / Bröring 2011: 66). 2.2 Prozess der Kaufentscheidung Tätigt ein Konsument einen Kauf, so werden verschiedene Phasen durchlaufen, die schon weit vor dem eigentlichen Kauf beginnen und auch noch nach dem Kauf wirken. Grundsätzlich kann eine Untergliederung in drei Teile erfolgen: Vorkauf, Kauf und Nachkauf. Diese drei Abschnitte können noch weiter unterteilt werden, wie in Abbildung 2 ersichtlich (vgl. Kotler et al. 2011: 298).
Abbildung 2:
Kaufphasen (in Anlehnung an Kotler et al. 2011: 298)
Es muss jedoch beachtet werden, dass nicht bei jedem Kauf alle Phasen durchlaufen werden. Dies ist zum Beispiel beim Kauf von Konsumgütern der Fall, da es sich hierbei eher um limitierte oder habitualisierte Entscheidungen handelt. Bei Gewohnheitskäufen wird der Konsument die Phasen der Informationssuche und Bewertung von Alternativen zum Beispiel überspringen (vgl. Kotler et al. 2011: 298). 2.3 Beeinflussung des Kaufverhaltens Jeder Konsument wird bei einer Kaufentscheidung stark von Umweltfaktoren beeinflusst. Aus Sicht des Marketings ist es keine einfache Aufgabe diese kulturellen, sozialen, persönlichen und psychologischen Determinanten zu lenken. Für Unternehmen ist es daher unumgänglich, so viel wie möglich über die Kaufmotive der Konsumenten zu erfahren, um Kunden besser einschätzen und beeinflussen zu können (vgl. Kotler et al. 2011: 272; Pispers / Dabrowski 2011: 48-49).
Kaufentscheidungen am POS
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Abbildung 3 stellt die beschriebenen Einflussfaktoren im Überblick dar, wobei im Folgenden nur die psychologischen Faktoren näher beschrieben werden.
Abbildung 3:
Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten des Käufers (in Anlehnung an Kotler et al. 2011: 272, Pispers / Dabrowski 2011: 49)
Psychologische Determinanten sind unabhängig von der jeweiligen Situation an der Kaufentscheidung beteiligt. Dabei wird zwischen aktivierenden und kognitiven Determinanten unterschieden. Eine Aktivierung geschieht durch Emotionen oder Motive, die eine Informationsweiterleitung erst anregen. Kognitive Prozesse, wie Wahrnehmung oder Lernen, sind für die Verarbeitung der Reize zuständig und sollen dadurch zu einer Entscheidung führen (vgl. Preißner 2008: 79, Pispers / Dabrowski 2011: 49). Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse, die sich ab einem gewissen Intensitätsgrad zu einem Motiv entwickeln. Erst wenn der Motivstatus erreicht ist, sind Konsumenten bereit zu handeln. Das Marketing muss sich daher zum Ziel setzen, die Aktivierungspotentiale anzuregen, damit aus passiven Konsumenten aktive Käufer werden. Besonders erfolgsversprechend sind hierfür emotionale Marketingbotschaften, die mehrere Sinne gleichzeitig ansprechen (vgl. Runia et al. 2007: 24-25, Preißner 2008: 79, Kotler et al. 2011: 290). Wie dies insbesondere am POS geschehen kann, wird im folgenden Kapitel dargestellt.
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Laimer / Koller / Stumpf
Multisensorisches Marketing am Point of Sale
Ziel des multisensorischen oder multisensualen Marketings ist es, Konsumenten auf möglichst vielen und unterschiedlichen Sinneskanälen anzusprechen (vgl. Kreutzer 2010: 349). Die Wahrnehmungen wie hören, sehen, tasten, schmecken und riechen beeinflussen sich gegenseitig in hohem Maße. Werden mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen, so kann die Einwirkung auf das Gehirn ungemein erhöht werden. Das ist primär darauf zurückzuführen, dass sich die einzelnen Speicherstellen für die Sinneseindrücke in unterschiedlichen Arealen des Gehirns befinden, jedoch durch ein neuronales System verbunden sind (vgl. Kreutzer 2010: 343). Abbildung 4 veranschaulicht Möglichkeiten, wie multisensorisches Marketing am POS umgesetzt werden kann.
Abbildung 4:
Möglichkeiten des multisensorischen Marketing am POS (eigene Darstellung)
3.1 Auditiv Ein großer Teil der akustischen Reize wird vom Menschen unbewusst verarbeitet (vgl. Sommer 2007: 161-162, Müller 2012: 96). Die Hintergrundmusik ist vor dem Instore Radio das am häufigsten verwendete akustische Medium am POS (vgl. Müller 2012: 100-101). Die rein akustische Beschallung wird eher im Non-
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Food-Bereich eingesetzt, um eine passende Atmosphäre zu schaffen. Instore Radio mit Wortbeiträgen kommt eher im Lebensmittelhandel zum Einsatz (vgl. Wilhelm 2013: 61). 3.2 Visuell Der Sehsinn ist der wichtigste Sinn für den Menschen, da rund 80% aller Informationen über das Auge aufgenommen werden. Auf Grund der visuellen Reizüberflutung treten im Gehirn spezielle Filtermechanismen in Kraft, um die Vielzahl der Bilder verarbeiten zu können (vgl. Lindstrom 2011: 111-112). Diese selektive Wahrnehmung bewirkt, dass der Konsument zwischen einem Überangebot an Reizen auswählt und sich aktiv nur einem bestimmten Umweltabschnitt zuwendet (vgl. Goldstein 2008: 132). Die Möglichkeiten zur visuellen Kommunikation sind vielschichtig. Dazu zählen u.a. die Farbgestaltung und Beleuchtung des Verkaufsraumes, Einkaufswagenwerbung, Floor Graphics und sonstige Hinweisschilder, Instore TV oder Plakatwände. 3.3 Haptisch Durch die Haptik bekommt der Mensch u.a. Informationen über Material, Textur, Gewicht oder Konsistenz eines Produktes. Dieser Sinn zeichnet sich wie der gustatorische durch eine aktive Wahrnehmung aus. Das bedeutet, dass ein Konsument bewusst ein Produkt streichen, drücken oder umfassen muss, um Eindrücke aufnehmen zu können (vgl. Nölke / Gierke 2011: 171-172). Durch die Gestaltung des Produktes, aber auch des Ladens können dem Konsumenten emotionale Eindrücke einer Marke bzw. eines Produkts vermittelt werden (vgl. Meyer 2001: 171, Esch / Gawlowski / Rühl 2012: 27). Für den Menschen scheint es ein Grundbedürfnis zu sein, Waren haptisch zu erfahren, um eine Kaufentscheidung treffen zu können (vgl. Hurth 2006: 142). Dieses Phänomen ist in der Wissenschaft auch unter dem Terminus „Need for Touch“ (NFT) bzw. „Need for Tactile Input“ bekannt (Steinhausen 2013: 5859). Peck / Childers (2003a: 35-48) zeigen in ihrer Studie, dass Konsumenten ein unterschiedlich starkes haptisches Bedürfnis haben. Eine rein verbale Beschreibung kann das echte Tasterlebnis nicht ersetzen, denn oftmals ist es erst der phy-
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sische Kontakt, der ein Kaufbedürfnis entstehen lässt (vgl. Peck / Childers 2003b: 430-442). 3.4 Gustatorisch Für das Marketing hat der Geschmackssinn im Vergleich zu den anderen Sinnen nur eine beschränkte Relevanz, da nur ca. ein Prozent der sinnlichen Wahrnehmung über die Zunge erfolgt. Da die Beschreibung des Geschmackes aus Marketingsicht oft nur schwer möglich ist, können am POS beispielsweise Kostproben angeboten werden, um ein Produkt zu bewerben (vgl. Gohr 2011: 65-66). 3.5 Olfaktorisch Durch den Geruchssinn können schneller als durch alle anderen Sinne Informationen aufgenommen werden, da diese ohne Filter sofort im Gehirn verarbeitet werden. Wie bei den anderen Sinneseindrücken ist auch hier essentiell, dass die Reize miteinander kongruieren, denn nur so kann beim Konsumenten eine gesteigerte Kauflust entstehen. Beispiele hierfür wären der Kaffeeduft von der Espresso-Maschine oder der Ledergeruch bei Autositzen (vgl. Traindl 2011: 296-297). Olfaktorische Reize sind besonders stark mit vergangenen Erfahrungen verbunden. Erst durch die Verknüpfung mit diesen Ereignissen wird ein Duft als positiv oder negativ eingestuft. Zudem gilt, dass die Identitätsbildung und der Wiedererkennungswert umso mehr zunehmen, je häufiger ein Duft wahrgenommen wird (vgl. Knoblich / Scharf / Schubert 2003: 1). Trotz der hohen Bedeutung des Geruchssinnes wird der Duft in der klassischen Werbekommunikation bisher nur bedingt eingesetzt (vgl. Rempel / Esch 2009: 787). Konsumenten haben bereits gelernt, visuelle und auditive Reize am POS auszublenden. Die Olfaktorie hat jedoch eine direkte Verbindung in das Limbische System. So wird es möglich, Gefühle ohne eine bewusste Wahrnehmung des Konsumenten anzusprechen und eine emotionale Bindung mit der Marke aufzubauen (vgl. Robert 2012: 25). Der Corporate Scent und die Verkaufsraumbeduftung stellen zwei Möglichkeiten dar, um Duft im Marketing einzusetzen. Das Konzept um den Corporate Scent ist dabei viel mehr als eine reine Produktbeduftung von zum Beispiel Reinigungsmitteln oder Parfums. In diesem Konzept wird der Duft auch bei Waren angewendet, bei denen der Geruch eigentlich keinen wesentlichen Entscheidungsfaktor darstellt (vgl. Hehn 2007: 56).
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Bislang sind zahlreiche Studien zur Bedeutung von olfaktorischen Reizen im Marketing erschienen. Diese Forschungsbeiträge wurden bereits vor fast 20 Jahren verfasst, jedoch wurde bisher wenig im Bereich des Riechens am Produkt als Teil der Entscheidungsfindung geforscht. Peck / Childers (2003b) konnten nachweisen, dass das Bedürfnis, haptische Informationen für eine Kaufentscheidung einzuholen, bei Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Demzufolge müsste es möglich sein, die Überlegungen der Forschung im haptischen Bereich sinngemäß ebenso auf den Geruchssinn anzuwenden. Dadurch entsteht ein neues Forschungsgebiet, das „Need for Smell“. Koller et al. (2012) haben eine erste Beobachtung in diesem Bereich durchgeführt. Laut dieser ersten Studie riechen rund fünf Prozent (n = 605) der Konsumenten an den Produkten, bevor sie diese in den Einkaufskorb geben. Ziel der nachfolgenden empirischen Studie ist es, herauszufinden, warum Konsumenten aktiv an Waren riechen, bevor sie diese kaufen. 4
Empirische Studie
Um die Beweggründe der Konsumenten für eine Einbeziehung des Geruchssinnes in den Kaufentscheidungsprozess erfassen zu können, wurde eine empirische Studie durchgeführt. Zuerst wurde verdeckt in der Obst- und Gemüse-Abteilung in einem Supermarkt observiert, welche Käufer im Zuge der Kaufentscheidung an Produkten riechen. Im Anschluss daran wurden diese Konsumenten anhand eines standardisierten Interviewleitfadens zu ihren Motiven befragt. Ebenso wurden Käufer interviewt, die nicht aktiv an Produkten gerochen hatten, um herauszufinden, warum sie dies nicht getan haben. In der Erhebung im Supermarkt wurden hochgerechnet ca. 700 Konsumenten beobachtet. Von dieser Grundgesamtheit wurden 63 Probanden für das Interview ausgewählt. Die Beobachtung und Befragung fand über einen Zeitraum von zwei Wochen (KW 12 und 13 im Jahr 2013) statt. Im Anschluss an die Erhebung im Supermarkt wurden zehn weitere Interviews außerhalb dieser Umgebung, u.a. auf einem Grünmarkt, geführt. Ziel war es, ausgewählte Motive, die von Riechern und Nicht-Riechern bei der Beobachtung und anschließenden Befragung genannt wurden, tiefergehend zu untersuchen.
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4.1 Gründe für das Riechen am Produkt Die Aussagen der Probanden wurden in drei Motivgruppen aufgeteilt, wobei sich bei den Aussagen teilweise Überschneidungen ergaben. Das bedeutet, dass ein Proband nicht unbedingt nur einem Beweggrund folgt, sondern gleichzeitig aus mehreren Motiven heraus handeln kann. Die in Abbildung 5 veranschaulichten Motivgruppen werden anschließend näher beschrieben. Gründe für Riechen 10% 17%
Reifegrad & Frische Qualität 73%
Abbildung 5:
Geschmack
Gründe für das Riechen am Produkt (eigene Darstellung)
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass das Riechen im Lebensmittelbereich auf die Beschaffung von zusätzlichen Informationen abzielt. Kunden riechen an Produkten, um mehr über die Reife, Frische, Qualität oder den Geschmack zu erfahren. Die vorhandenen Informationen, die vor allem durch das Sehen und das Tasten gewonnen werden, reichen nicht aus, um eine Kaufentscheidung zu treffen. Es ist nachvollziehbar, dass Konsumenten im Zuge der Kaufentscheidung testen wollen, ob ein Lebensmittel noch zum Verzehr geeignet ist, da der Geruchssinn hauptsächlich eine Warnfunktion hat. Ebenso versprechen sich die Probanden, durch den Geruch einer Ware Rückschlüsse auf zum Beispiel den Anbau der Frucht ziehen zu können. Riechen auf Grund von Geschmack wird bei den Konsumenten vor allem bei der Erkundung von neuen bzw. unbekannten Sorten angewendet. Die Probanden erhoffen sich dadurch Rückschlüsse auf das Geschmackserlebnis, schon vor dem Verzehr. Die Testpersonen haben in der Befragung kaum Hedonismus als Grund für die Einbeziehung des Geruchssinnes beim Lebensmittelkauf genannt. Lediglich eine Testperson gab zum Ausdruck, ein, nach eigenen Worten, „Geruchsmensch“
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zu sein und gerne an Produkten zu riechen. Bei allen anderen stand das Motiv der zusätzlichen Informationsbeschaffung im Vordergrund. 4.2 Gründe gegen das Riechen am Produkt Im Zuge der Erhebung wurden nicht nur Konsumenten befragt, die das Riechen in ihren Entscheidungsprozess eingebaut hatten, sondern auch Personen, die kein Riechbedürfnis gezeigt hatten. Die Gründe dafür konnten von den Probanden oftmals nur schwer benannt werden. Die Idee, den Geruch in die Kaufentscheidung zu integrieren, ist für viele Konsumenten ein völlig neuer Gedanke, mit dem sie sich bisher noch nicht auseinandergesetzt haben. Teilweise reagierten diese Personen mit Unverständnis auf die Frage, ob sie an Produkten riechen. Ebenso kann von den Konsumenten meist erst nach kurzen Überlegungspausen ein Grund für das Nicht-Riechen artikuliert werden. Die Begründungen der befragten Probanden können, wie in Abbildung 6 ersichtlich, in sechs Gruppen zusammengefasst werden. Gründe gegen Riechen Verpackung
8% 24%
12%
Erfahrung Herkunft & Saisonalität Verlerntes Geruchsverhalten
16% 20% 20%
Abbildung 6:
Grünmarkt Hygiene
Gründe gegen das Riechen am Produkt (eigene Darstellung)
Den größten Hinderungsgrund gegen das Riechen an Produkten sehen die Konsumenten in der Verpackung. Durch die meist verschweißte Verhüllung der Ware ist es nicht möglich, den Produktgeruch wahrzunehmen. Diese Begründung wurde selbst bei Verpackungen angewendet, die mit Luftlöchern versehen waren und dadurch das Riechen am Produkt grundsätzlich ermöglicht hätten.
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Nachdem die Testpersonen auf ein mögliches Riechen an den Produkten hingewiesen wurden, kam es des Öfteren zu einem Riechtest der gerade ausgewählten Ware. Ein weiterer Beweggrund, nicht an Produkten zu riechen, stellen die schon gemachten Erfahrungen dar. Dieses Motiv zeigt, dass der Geruch besonders bei neuen Sorten oder unbekannten Marken eine Rolle spielt. Ist die Qualität des Produktes bereits bekannt bzw. der Konsument mit der bestimmten Ware zufrieden, so muss nicht mehr gerochen werden, um zusätzliche Informationen zu sammeln. Zudem gaben einige Testpersonen an, dass die Faktoren Herkunft und Saisonalität im Zuge der Kaufentscheidung von größerer Bedeutung seien als der Geruch. Darüber hinaus kam ein weiterer Grund für das Nicht-Riechen bei der Untersuchung zum Ausdruck. Es hat den Anschein, als ob eine Gruppe von Menschen nicht mehr weiß, wonach bestimmte Lebensmittel eigentlich riechen sollten. Auf Grund dieser Tatsache ist es für sie auch keine Option, vor einem Kauf an den Produkten zu riechen, um zum Beispiel eine Qualitätsprüfung durchzuführen. Ein weiteres Motiv, nicht an Produkten zu riechen, stellt für die Probanden die typische Atmosphäre im Supermarkt im Vergleich zum Grünmarkt dar. Zum einen wird argumentiert, dass am Grünmarkt nicht gerochen wird, da dort ohnehin eine höhere Qualität erwartet werde und diese demnach nicht mehr überprüft werden müsse. Zum anderen geben die befragten Personen an, im Supermarkt nicht den geeigneten Platz vorzufinden, um zu riechen. Eine weitere kleinere Gruppe nannte den Hygienefaktor als Grund für das Nicht-Riechen. Diese Personen riechen aus Rücksicht auf andere Konsumenten nicht an den Waren. 4.3 Produkte, an denen gerochen wird Von nahezu allen Interviewpartnern wurden Artikel wie Lotion, Creme oder Duschgel genannt, die man auch unter dem Begriff Körperpflegeprodukte zusammenfassen kann. Hier wird laut Aussage der Befragten vor allem gerochen, um den auf der Verpackung beschriebenen Duft zu überprüfen, da auf die Benennung des Geruchs nicht immer Verlass sein kann. Vor der Befragung wurde erwartet, dass Parfums bei dieser ersten offenen Frage von nahezu allen Probanden genannt werden müssten. Dieser Faktor ist
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auch eingetreten, jedoch in einer anderen Art und Weise als vermutet. Erst nach einer längeren Überlegungszeit und nachdem schon andere Produkte genannt worden waren, führten Probanden Parfums an. Dieser Umstand ist durchaus überraschend, da diese Warengruppe fast ausschließlich auf Grund der olfaktorischen Wahrnehmung gekauft wird. Es könnte argumentiert werden, dass diese Kategorie vielleicht gerade wegen der Offensichtlichkeit, dass im Zuge des Kaufprozesses gerochen wird, vergessen wurde. Eine weitere wichtige Kategorie stellt die Kleidung dar. Hier wird hauptsächlich gerochen, um das Material und demzufolge die Qualität der Textilien zu überprüfen. Eine Testperson merkte an, durch den Geruch feststellen zu können, ob diese bereits getragen wurde oder noch neu sei. Ebenso wird bei Leder gerochen, um feststellen zu können, ob es sich hier um ein Imitat oder echtes Leder handelt. In Bezug auf Lebensmittel wird vor allem an Stein- und Beerenobst bzw. Südfrüchten gerochen. Ebenso stellt Käse ein Produkt dar, bei dem ein erhöhtes Riechbedürfnis seitens der Konsumenten besteht. 4.4 Atmosphäre im Supermarkt bzw. am Grünmarkt Als weiterer Punkt wurden die Interviewpartner bezüglich eines Einkaufs im Supermarkt im Vergleich zum Kauf am Grünmarkt befragt. Hier sollte herausgefunden werden, ob es besondere Gründe gibt, warum im Supermarkt oder am Grünmarkt häufiger bzw. seltener am Produkt selbst gerochen wird. Eine Gruppe der Personen gab dabei an, dass im Supermarkt ein anonymerer Einkauf möglich sei. Am Grünmarkt fühlen sie sich besonders von den Standbetreibern zu sehr beobachtet, als dass sie an der Ware riechen würden. Dieser Faktor ist vor allem dadurch begründet, dass sich der Standbetreiber bei dem Auswahlprozess näher am Konsumenten befindet und sich für den Käufer somit eine eher unangenehme Situation hinsichtlich des Riechens ergibt. Auf der anderen Seite wurde deutlich, dass das Angebot am Grünmarkt als qualitativ hochwertiger angesehen wird. Für einen Großteil der Personen ist die Feststellung der Qualität und Frische ein Grund, an einem Produkt zu riechen. Da diese laut Einschätzung der Interviewpartner am Grünmarkt nicht mehr überprüft werden müssen, sei es nicht nötig noch zusätzliche Informationen über die Beschaffenheit der Produkte einzuholen. Der Supermarkt ist demnach mit dem Ruf konfrontiert, weniger frische und qualitativ niederwertigere Ware anzubieten. Konsumenten fühlen sich dadurch eher motiviert, die Ware genauer zu kontrollieren.
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Diese beiden Punkte sprechen gegen ein aktives Riechen an der Ware am Grünmarkt und bieten Gründe für ein Riechen im Supermarkt. Dennoch wurde in den Interviews klar, dass die Atmosphäre am Grünmarkt grundsätzlich als angenehmer empfunden wird und eher zum Einkaufen sowie zum Riechen einlädt. Diese Aussage bezieht sich jedoch nicht auf das Riechen an der eigentlichen Ware im Zuge der Kaufentscheidung, sondern mehr auf den Umgebungsduft, der am Markt herrscht. Zudem wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich Personen am Grünmarkt mehr Zeit für ihren Einkauf nehmen als zum Beispiel im Supermarkt, wo der Prozess als hektischer und schneller empfunden wird. Die Einzelhandelsbranche müsste sich daher eigentlich zum Ziel setzen, den Konsumenten ein Kauferlebnis wie am Grünmarkt zu bieten. Gleichzeitig müsste jedoch dem Konsumenten vermittelt werden, dass im Supermarkt ein ungestörter und nicht beobachteter Einkaufsvorgang möglich ist. 4.5 Zusammenfassung Abschließend kann festgehalten werden, dass bei Kaufentscheidungen im Konsumgüterbereich ein unterschiedlich starkes Riechbedürfnis existiert. Warum Konsumenten das Bedürfnis zum Riechen an den Tag legen, hat verschiedene Gründe. Bei Lebensmitteln ist es primär darauf ausgelegt, zusätzliche Informationen zu bestimmten Waren zu sammeln. Gerochen wird von der überwiegenden Mehrheit der Probanden, um Reifegrad und Frische der Ware besser beurteilen zu können. Ebenso kann laut den Probanden Qualität und Geschmack durch die olfaktorische Wahrnehmung schon vor dem eigentlichen Verzehr abgeschätzt werden. Demgegenüber ist für rund ein Viertel der befragten „Nicht-Riecher“ die Verpackung ein Hinderungsgrund, um nicht an Obst und Gemüse zu riechen. In diesem Zusammenhang spielen auch Herkunft und Saisonalität bzw. die Erfahrungen mit bestimmten Sorten oder Marken eine entscheidende Rolle. Zudem konnte festgestellt werden, dass bei Lebensmitteln grundsätzlich eher an Obst und Gemüse als an Fleisch oder Molkereiprodukten gerochen wird. Dabei ist zu erkennen, dass es speziell beim Obst mehr Produkte gibt, an denen gerochen wird, als beim Gemüse. Ebenso wird bei Produkten, die primär auf Grund ihres Duftes gekauft werden, der olfaktorische Sinn eingeschaltet. Unter diese Produktkategorie fallen Waren wie Parfums bzw. Körperpflegeprodukte wie Cremes, Lotions und Shampoos.
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4.6 Kritische Betrachtung der empirischen Studie Die empirische Erhebung wurde im Frühling, jedoch während einer Kälteperiode durchgeführt. Zu dieser Zeit, die nicht in die eigentliche Obst- und Gemüsesaison fiel, war es vergleichsweise schwierig, Probanden zu finden, die aktiv an den Produkten rochen. Auf Grund der zeitlichen Beschränkung konnte das Riechen nur an einer eingeschränkten Auswahl aus dem Sortiment beobachtet werden. Würde die Beobachtung zum Beispiel im Herbst wiederholt, könnten eventuell andere bzw. zusätzliche Informationen zum Riechverhalten gesammelt werden. 5
Ausblick
Basierend auf den beschriebenen Erkenntnissen können folgende Überlegungen für weiterführende Forschungen angestellt werden: Die Verpackung stellt für einen Großteil der Konsumenten ein Hindernis dar, an Produkten zu riechen. Probanden gaben beispielsweise an, nicht an Mundpflegeprodukten wie Zahnpasta oder Mundspülungen zu riechen, da diese verpackt sind. Das gleiche gilt für Fertigprodukte oder Konserven, aber auch für den Obst- und Gemüsebereich. Hier sind Lebensmittel teilweise in Plastik gehüllt, wodurch nur eine visuelle bzw. haptische Prüfung möglich ist. Es müsste daher noch abgeklärt werden, ob es von den Käufern gewünscht ist, eigentlich verpackte Ware einer olfaktorischen Prüfung zu unterziehen. Im Obst- und Gemüsebereich gibt es teilweise Verpackungen, die das Riechen am Produkt ermöglichen würden, jedoch wird dies von den Käufern nur bedingt wahrgenommen. Der Einzelhandel sollte sich also auch darauf konzentrieren, Konsumenten auf eine Riechmöglichkeit hinzuweisen. Ebenso könnte getestet werden, ob Personen, deren Riechbedürfnis generell stärker ausgeprägt ist, aus denselben Gründen an den Produkten riechen wie andere Käufer. Es wäre denkbar, dass für besonders geruchsbegabte Personen das Geruchserlebnis selbst im Vordergrund steht und die Beschaffung zusätzlicher Informationen nur zweitrangig ist. Es soll auch noch einmal darauf verwiesen werden, dass Konsumenten oft schlichtweg vergessen, den Geruchssinn bei einer Kaufentscheidung einzusetzen. Erst nach bzw. während der Befragung wurde einem Teil der Probanden bewusst, dass an Produkten gerochen werden kann: Durch das Wissen über dieses Forschungsthema wurde aktiv über die Rolle des Geruchssinnes am POS nachgedacht und das eigene Verhalten reflektiert. Für den Handel könnte das bedeu-
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ten, dass Konsumenten zum Beispiel durch Werbung am POS gezielt darauf hingewiesen werden könnten, den Geruchssinn aktiv bei der Entscheidungsfindung einzusetzen. 6
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Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung Arno Kinzinger / Marcus Stumpf / Bettina Stiller Abstract Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von multisensualem Marketing in der Printwerbung, im speziellen bei bedufteten Werbeinseraten in Katalogen. Die durchgeführte empirische Studie mit einer Stichprobe von über 300 Versuchspersonen ergänzt den bis dato wenig behandelten Forschungsbereich des Duftmarketing. Basierend auf dem Starch-Test wurden die Probanden in drei Gruppen eingeteilt, wobei zwei Gruppen beduftete Werbeinserate erhielten und eine als Kontrollgruppe diente. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ein signifikanter Anstieg der Wahrnehmung der Inserate wie auch eine erhöhte Betrachtung der Marken beobachtet werden kann.
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Einleitung
Die aktuell vorherrschende Informationsüberlastung der Konsumenten erschwert zunehmend deren zielgerichtete Ansprache (vgl. Bawden / Robinson 2008: 184, Gohr 2011: 12). Durch den steigenden Konkurrenzdruck und durch immer homogener werdende Produkte wird dieser Trend zudem verstärkt, was Marketingspezialisten dazu veranlasst, innovative Vermarktungsansätze zu entwickeln. Eine neue und populäre Möglichkeit, die Kommunikation effizienter zu gestalten, kann in der multisensualen Ansprache der Kunden gesehen werden (vgl. Esch / Roth / Strödter 2006: 71). Unter multisensualer Kommunikation wird die Ansprache möglichst vieler Sinne der Konsumenten verstanden, um explizit und implizit Informationen über das Unternehmen und seine Produkte zu vermitteln (vgl. Esch / Neudecker / Von Einem 2010: 3, Ellen / Bone 1998: 29). Einen wichtigen Bereich stellt dabei der Geruchssinn dar. Im Durchschnitt atmet ein Mensch 20.000 mal pro Tag und kann dabei zwischen 10.000 verschiedenen Düften unterscheiden (vgl. Bradford / Desrochers 2009: 141). Der Geruchssinn ist zudem im menschlichen Gehirn direkt mit dem Limbischen System verbunden, das für die Steuerung von Emotionen verantwortlich ist. Dadurch ist laut Pam Scholder Ellen (Marketing-Professorin an der Georgia State University) der Geruchssinn der einzige Sinn, bei dem das Gehirn angesprochen wird, bevor man dazu kommt zu überlegen (vgl. Bradford / Desrochers 2009: 142). Bell / Bell (2007: 2) gehen sogar davon aus, dass 75% der Emotio© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_10
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nen vom Geruchssinn hervorgerufen werden. Dadurch ist es nicht verwunderlich, dass viele Marketingfachleute in der Praxis diesen Bereich bereits entdeckt haben und aktiv versuchen, ihren Umsatz durch den Einsatz von Duftstoffen anzukurbeln. So wird beispielsweise in vielen Hotels die Lobby mit Jasmin oder Zedernholz beduftet, in der Backwarenabteilung in Supermärkten wird der Duft von frischem Brot eingesetzt, und Bekleidungsgeschäfte versprühen einen Leinenduft im Shop (vgl. Vlahos 2007). Dufteinsatz zur Kundenbeeinflussung wird immer wichtiger, und das Wissen von Marketingfachleuten in diesem Bereich nimmt zu (vgl. Bradford / Desrochers 2009: 141-142). Unter Duftmarketing können dabei alle Marketingmaßnahmen verstanden werden, deren Ziel darin besteht, mittels Dufteinsatz den Absatz der Produkte zu steigern, eine Kundenbindung zu verstärken oder den Markenwert zu erhöhen (vgl. Schiansky 2011: 3). Im vorliegenden Beitrag werden die Möglichkeiten des Dufteinsatzes kategorisiert und anhand eines konkreten Experiments die Wirkung von bedufteter Printwerbung getestet. 2
Dufteinsatz im Marketing
Es gibt verschiedene Möglichkeiten Düfte im Marketing einzusetzen. Grundsätzlich lassen sich mit „Raumbeduftung am Point of Sale“, „Beduftung eines Produktes“ sowie „Beduftung von Werbemitteln“ drei Formen des Duftmarketing unterscheiden (vgl. Bradford / Desrochers 2009: 142, Krishna / Lwin / Morrin 2010: 57-58). Die Wirkung des ersten Bereichs, eines Raum- und Umgebungsduftes, erfolgt in mehreren Schritten. Zuerst betritt eine Person einen Raum oder ein Gebäude mit Umgebungsduft und wird somit dem Duft ausgesetzt. Danach wird der Duft wahrgenommen und als neuer oder bekannter Duft eingeordnet (vgl. Bradford / Desrochers 2009: 146). Dies löst, je nach Interpretation oder bereits vorhandenen Erfahrungen und Erinnerungen (vgl. Herz / Engen 1996: 307-308, Bone / Ellen 1999: 253), eine Reaktion der Annäherung oder der Vermeidung aus (vgl. Bradford / Desrochers 2009: 146). Eine Beduftung am Point of Sale (dem Verkaufsort) kann dabei bei passender Beduftung zu mehr Spontankäufen führen, zum Beispiel dann, wenn Backgerüche in eine Verkaufsabteilung eines Supermarktes geleitet werden (vgl. Knoblich / Scharf / Schubert 2003: 92). Einige Studien weisen bei passendem Dufteinsatz auch eine verlängerte Verweildauer im jeweiligen Shop nach. Eine generelle Aussage, dass durch einen Raumduft der Umsatz erhöht wird, kann jedoch beim
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jetzigen Stand der Forschung nicht getroffen werden (vgl. Mitchell / Kahn / Knasko 1995: 229, Bone / Ellen 1999: 244). Ein Problem im Handel ist die Übertragung von Gerüchen von einer Abteilung in eine andere Abteilung. Wenn beispielsweise Kunden eine Kaufentscheidung in Bezug auf Kerzen treffen und dabei den Geruch von zum Beispiel frisch gebackenem Brot wahrnehmen, wirkt dieser Geruch kongruent zur Brotabteilung, aber inkongruent zur Kerzenabteilung (vgl. Mitchell / Kahn / Knasko 1995: 230). Ein inkongruenter Duft hat negative Auswirkungen auf die Bewertung der Produkte und der Umgebung (vgl. Ellen / Bone 1998: 32ff.). Die Auswahl des richtigen Duftes wird zusätzlich erschwert durch die sehr komplexe Zusammenstellung der meisten Düfte. So bestehen häufig verwendete Düfte wie Bananenduft aus über 350 Stoffen sowie Kaffeeduft aus über 800 verschiedenen Stoffen (vgl. Stockhorst / Pietrowsky 2004: 6). Unter dem zweiten Bereich, der Beduftung von Produkten, versteht man die Versetzung von konkreten Produkten, zum Beispiel Taschentüchern, Seifen oder Jacken, mit Düften (vgl. Gulas / Bloch 1995: 88). Die Verbindung eines Geruchs mit einem Produkt kann dabei von Menschen erlernt werden (vgl. Bone / Jantrania 1992: 290). Durch den kontinuierlichen Einsatz des Duftes mit einem Produkt können diesem Produkt u.a. Qualitätsattribute hinzugefügt werden. Einer Studie von Krishna / Lwin / Morrin (2010: 59-67) zufolge können sich Konsumenten signifikant öfter an solche Produkte bzw. Produktdetails erinnern, die beim Erstkontakt beduftet waren. Eine Gefahr besteht jedoch darin, dass ein Geruch, der bereits fest zu einem Produkt gehört, von einigen Kunden immer bei diesem Produkt oder bei dieser Produktkategorie erwartet wird. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, kann es zu einer Ablehnung des Produktes kommen (vgl. Bone / Jantrania 1992: 290). Den dritten Bereich stellt die Beduftung von Werbemitteln dar. Durch die Beduftung von Werbung soll ein Produkt oder eine Marke bekannt gemacht werden (vgl. Knoblich / Scharf / Schubert 2003: 92). „95% der Werbekontakte finden in Momenten statt, in denen der Kunde gerade kein Interesse am Produkt oder keine Zeit für die intensive Betrachtung der Werbung hat“, so Scheier / Held (2007: 18). Daher komme – so die Autoren – der multisensorischen Kommunikation eine wichtige Bedeutung zu. Trotz der mit der Aussage von Scheier und Held angedeuteten Wichtigkeit der Beduftung von Werbemitteln existieren hier lediglich wenige Studien, die sich mit Duftmarketing beschäftigen (vgl. Morrin / Ratneshwar 2000: 158ff.). Zudem liegen teilweise auch divergierende Ergebnisse vor. Eine Studie von Morrin / Ratneshwar (2000: 161-165) hat beispielsweise die Erinnerung an Markennamen unter Duftbeeinflussung getestet.
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Die Autoren konnten dabei einen signifikanten Anstieg in der Erinnerung bei unbekannten Marken feststellen. Ein auf diese Studie aufbauendes Experiment von Morrin / Ratneshwar (2003: 10ff.) kam zu dem Ergebnis, dass auch bei bekannten Marken eine signifikante Erhöhung zu beobachten war. Dies konnte sowohl mit kongruentem als auch inkongruentem Duft nachgewiesen werden. Einer Studie von Ellen / Bone (1998: 32-39) zufolge beeinflusst inkongruenter, also nicht zu der Werbeanzeige passender Duft sowohl die Anzeige als auch die Marke negativ. Haberland untersuchte in ihrer Forschungsstudie, wie starke und schwache Produktargumente mit einer bedufteten Werbeanzeige wirken. Dafür wurde die Werbung der Testgruppe beduftet, während bei der Kontrollgruppe kein Duft eingesetzt wurde. Dabei konnten nur bei Werbeanzeigen mit schwachen Argumenten signifikante Einstellungsänderungen gegenüber den Produkten gemessen werden, bei Anzeigen mit starken Argumenten konnte keine Wirkung von Duft festgestellt werden (vgl. Haberland 2010: 3-5). 3
Empirische Studie
Die vorliegende Forschungsarbeit beschäftigt sich mit dem bis dato wenig erforschten Bereich der Beduftung von Werbung. Im Folgenden wird zuerst der Aufbau der Studie vorgestellt und danach werden die zentralen Forschungshypothesen hergeleitet. Um die Beduftung von Werbung im Rahmen einer Studie zu testen, wurde ein Katalog eines Salzburger Reiseunternehmens adaptiert. In diesem wurden vier asiatische Destinationen (Sri Lanka, Thailand, China, Indonesien) beworben, je acht Seiten pro Destination. Zusätzlich wurden vier verschiedene ganzseitige Werbeinserate integriert, zwei Sonnencremewerbungen und zwei Waschmittelwerbungen (siehe Abbildung 1). Die Studie von Morrin und Ratneshwar aus dem Jahr 2000 diente als Vorlage, eine bekannte und eine unbekannte Marke zu wählen. Je eine dieser Werbungen war daher von einer bekannten Marke (Nivea und Meister Proper) und je eine von einer eher unbekannten Marke (Sunplay und Tide). Die Sonnencremewerbungen wurden als kongruent zum Thema des Reisekataloges gesehen, die Waschmittelwerbungen nicht.
Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung
Abbildung 1:
Werbeinserate (eigene Darstellung)
163
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Kinzinger / Stumpf / Stiller
Kokosnuss und Sonnencreme wurden als Duft ausgewählt, da beide Düfte zu dem Thema Urlaub, Strand und Reisen passen. Sowohl der Sonnencremeduft als auch der Kokosnussduft wurden als passend zu Werbungen von Sonnencreme angesehen, so dass die Düfte Kokosnuss und Sonnencreme auch thematisch mit den zwei entsprechenden Werbungen übereinstimmten (vgl. Bone / Jantrania 1992: 293). Als Duftquelle wurden Duftlacke für Siebdruck des Unternehmens SCIENTIFIC verwendet. Diese wurden mit einem Schwamm jeweils auf die linken Seiten der Kataloge und auf die Fragebögen aufgetragen. Es wurde eine geringe Menge der beiden Düfte aufgetragen, denn bei zu hoher Intensität kann ein Duft als unangenehm empfunden werden (vgl. Knoblich / Scharf / Schubert 2003: 28). Der Geruch war sowohl bei der Betrachtung der Kataloge als auch bei dem Ausfüllen der Fragebögen präsent (vgl. Morrin / Ratneshwar 2000: 159). Die Überprüfung der nachfolgend formulierten Hypothesen dieser Studie erfolgte empirisch mittels eines Duftexperiments. Um eine möglichst heterogene Probandengruppe zu erreichen, setzte sich die Stichprobe aus Studenten der Fachhochschule Salzburg und Arbeitnehmern der Unternehmen Intertops, Daimler Chrysler und Red Bull zusammen. Nach dem Zufallsprinzip wurden drei verschiedene Testgruppen gebildet und mit den speziell angefertigten Reisekatalogen und Fragebögen konfrontiert. Eine Testgruppe wurde anhand unbedufteter Kataloge und Fragebögen befragt. Die zweite erhielt mit Kokosaroma und die dritte mit Sonnencremearoma beduftete Kataloge und Fragebögen. Bei diesen Gruppen lag damit ein zu den Werbeanzeigen der Sonnencremen kongruenter Duft vor. Um reliable Ergebnisse zu erhalten, wurden die Probanden gebeten, den Reisekatalog durchzusehen und danach die einzelnen Destinationen zu bewerten. Dadurch konnten sich die Probanden unvoreingenommen und ausführlich mit dem Katalog beschäftigen. Die Auswertung der gestellten Eisbrecherfrage wurde in der Auswertung nicht berücksichtigt. Die Abfrage der Wahrnehmung und Erinnerung an die Marken lehnte sich an den Starch/Stern-Angus-Test an, der die Wirkung von Printwerbung überprüft (vgl. Koekemoer 2004: 490). Es wurden die drei zentralen Kriterien des Starch-Tests abgefragt, d.h. ob die Anzeige gesehen, die Marke erkannt und der Text der Anzeige gelesen wurde (vgl. Koekemoer 2004: 490). Zusätzlich wurde eine offene Frage hinzugefügt, um die ungestützte Erinnerung an die Marken zu überprüfen (vgl. Busch 2001: 21). Dabei wurde für jede der Werbungen im Katalog die gleiche Abfrage erstellt und die Werbeanzeigen auf dem Fragebogen nochmals zur besseren Erinnerung abgebildet. Jeweils eine Frage der Werbeanzeigen analysierte die Wahrnehmung der Werbeanzeige durch eine mit ja/nein zu beantwortende Frage („Ich habe das
Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung
165
Werbeinserat gesehen.“) und eine andere überprüfte, ob der Markenname bemerkt wurde („Ich habe den Markennamen bemerkt: ja/nein.“). Abschließend wurde durch die Frage, ob die Probanden eine Beduftung bemerkt haben, ein sogenannter „Manipulation Check“ durchgeführt. Das ganze Experiment dauerte ungefähr zehn Minuten pro Durchführung. Es wurden insgesamt 302 Personen, 101 Personen pro Dufttestgruppe (Kokosnuss und Sonnencreme) und 99 Personen in der Testgruppe ohne Duft befragt. Ungültige Fragebögen wurden nach Erhalt aussortiert und zählten nicht zu den 302 gültigen Fragebögen. Die vier weiblichen Interviewerinnen, die das Experiment begleiteten, waren angewiesen worden, an den Tagen der Durchführung kein Parfüm zu tragen, um einen neutralen Geruch während des Experiments zu gewährleisten. Eine Interviewerin testete immer den ganzen Tag einen der zwei Düfte, um eine Vermischung der Düfte und der Testgruppen zu vermeiden. Es wurden Personen ab einem Alter von 17 Jahren befragt, wobei darauf geachtet wurde, dass wenige Personen über 64 Jahren (insgesamt fünf Personen) an der Studie teilnahmen, da die Duftwahrnehmung der meisten Menschen ab 64 Jahren konstant schlechter wird (vgl. Lehrner / Glück / Laska 1999: 339-340). Entsprechend diesem Aufbau wurden drei Forschungshypothesen überprüft: Die erste bezieht sich auf die Wahrnehmung bzw. Bewertung des gesamten Reisekataloges. Bone / Jantrania (1992: 289-296) konnten in diesem Zusammenhang nachweisen, dass eine Produktbewertung durch einen kongruenten Duft – in diesem Fall Kokosnuss und Sonnencreme − gesteigert werden kann. Schlussfolgernd wird davon ausgegangen, dass eine passende Beduftung des Reisekataloges in einer positiveren Bewertung resultiert. Hypothese 1: Ein Reisekatalog wird durch die Beduftung mit einem kongruenten, eindimensionalen Duft positiver wahrgenommen und bewertet als ein entsprechender nicht-bedufteter („Der Katalog ist ansprechend gestaltet“). In Anlehnung an die Forschungsergebnisse von Krishna / Lewin / Morrin (2010: 58-67), die belegen, dass die Erinnerungsleistung bei bedufteten Produkten steigt, wird angenommen, dass dieser Effekt auch bei bedufteten, kongruenten Werbeinseraten besteht (in diesem Fall bei den Inseraten von Nivea und Sunplay). Hypothese 2: Durch die Beduftung von Katalogen mit einem eindimensionalen Duft steigt die gestützte Erinnerung an bekannte und unbekannte, zum Duft kongruente Werbeanzeigen bzw. Marken (in diesem Fall bei den Inseraten von Nivea und Sunplay). Ferner wird resultierend aus den geschilderten Forschungsergebnissen von Ellen / Bone (1998: 32-39) sowie Morrin / Ratneshwar
166
Kinzinger / Stumpf / Stiller
(2003: 10-11) angenommen, dass zum Duft passende Marken in bedufteten Katalogen häufiger wahrgenommen werden als in unbedufteten. Hypothese 3: Zum Duft passende Marken (in diesem Fall die Marken Nivea und Sunplay) werden in kongruent zum Thema bedufteten Katalogen häufiger wahrgenommen als in nicht kongruent bedufteten Katalogen. 4
Ergebnisse
Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wurden die Mittelwerte der Bewertungen der Aussage „Der Katalog ist ansprechend gestaltet“ der verschiedenen Gruppen miteinander verglichen. Im ersten Schritt wurden die Daten auf Varianzhomogenität sowie Normalverteilung überprüft. Die mittels des LevenTests überprüfte Varianzhomogenität konnte dabei sowohl in der Gruppe Kokosduft vs. kein Duft (in weiterer Folge als Testgruppe A bezeichnet, Sig = 0,041) als auch in der Gruppe Sonnencremeduft vs. kein Duft (in weiterer Folge als Testgruppe B bezeichnet, Sig = 0,005) abgelehnt werden. Der dadurch zum Einsatz gekommene Mann-Whitney-U-Test konnte weder in Gruppe A (Sig = 0,951) noch in Testgruppe B (Sig = 0,936) ein signifikantes Ergebnis feststellen. Dies verdeutlichen auch die Mittelwerte von 2,777 für die Testgruppe „kein Duft“, 2,620 für die Testgruppe „Kokos“ und 2,530 für die Testgruppe „Sonnencreme“. Daraus lässt sich schließen, dass die bedufteten Kataloge etwas positiver bewertet wurden als die entsprechenden nicht-bedufteten, jedoch kein Zusammenhang zwischen Beduftung und Bewertung nachgewiesen werden kann. Die erste Forschungshypothese „Ein Reisekatalog wird durch die Beduftung mit einem kongruenten, eindimensionalen Duft positiver wahrgenommen und bewertet“ muss daher abgelehnt werden. Um die zweite Forschungsfrage, ob durch die Beduftung von Katalogen mit einem eindimensionalen, zu Werbeanzeigen/Marken kongruenten Duft die gestützte Erinnerung an bekannte und unbekannte Werbeanzeigen/Marken steigt, wurden Kreuztabellen aufgestellt und die Kontingenzanalyse mit Hilfe des Chi Quadrat-Tests eingesetzt. Beim ersten Werbeinserat von Nivea (siehe Abbildung 1) nahmen in der Testgruppe A 45 Personen das Inserat bei „kein Duft“ wahr und 77 Personen bei „Kokos“. Nicht gesehen haben das Inserat 54 Personen ohne Duftbeeinflussung und 24 Personen in der Testgruppe „Kokos“. Der Unterschied zwischen den zwei Gruppen „Kokos“ und „kein Duft“ ist dabei mit einem Chi Quadrat-Wert von 19,914 hoch signifikant (Phi-Koeffizient = 0,316; Sig. = 0,00). Auch der
Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung
167
Vergleich der Gruppe „kein Duft“ mit „Sonnencreme“ brachte ähnliche Ergebnisse. In der Gruppe „Sonnencreme“ sahen 73 von insgesamt 100 Personen das Werbeinserat Nivea. Die erhöhten Werte in der Testgruppe „Sonnencreme“ zur Testgruppe „kein Duft“ sind laut Chi Quadrat-Test (x 2 = 14,869) ebenso hoch signifikant (∅ = p = 0,00). Beim zweiten Werbeinserat von Sunplay sahen bei der Testgruppe A 54 von 101 und bei Testgruppe B 55 von 101 Personen das Werbeinserat im bedufteten Katalog. Demgegenüber bemerkten 32 von 99 Personen das Werbeinserat im unbedufteten Katalog. Der Chi Quadrat-Test brachte sowohl in der Testgruppe A (x 2 = 9,118; ∅ = 0,214; p = 0,003) als auch in der Testgruppe B (x 2 = 9,964; ∅ = 0,223; p = 0,002) ein hochsignifikantes Ergebnis. Auch das – zum Duft inkongruente − Werbeinserat von Tide konnte in den Gruppen mit den bedufteten Katalogen ähnliche Ergebnisse erzielen. Bei den mit Kokosduft bedufteten Katalogen bemerkten 74 von 100 Probanden das Inserat, mit Sonnencreme-Duft waren es 72 von 101. Bei dem Katalog ohne Beduftung sahen insgesamt 60 von 99 Personen das Inserat. Der Unterschied in der Wahrnehmung zwischen bedufteten und unbedufteten Katalogen ist mit einem Chi Quadrat-Wert von 4,058 bei der Testgruppe A signifikant (∅ = 0,143; p = 0,044;). Bei der Testgruppe B konnte hingegen mit einem Chi Quadrat-Wert von 2,542 (p = 0,111) kein signifikanter Unterschied zwischen den zwei Gruppen nachgewiesen werden. Das vierte, zum Duft ebenfalls inkongruente Werbeinserat von Meister Proper erkannten 82 von 101 Personen in der Testgruppe A beim bedufteten Katalog und 67 von 99 Personen bei der unbedufteten Version. In Testgruppe B sahen das Inserat in dem bedufteten Reisekatalog 78 von 99 Personen. In Gruppe A stellen die Ergebnisse mit einem Chi Quadrat-Wert von 4,804 (∅ = 0,155, p = 0,028) eine signifikante Erhöhung dar. Bei der Testgruppe B kann mit einem Chi Quadrat-Wert von 2,287 kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (p = 0,13). Zusammenfassend können die erläuterten Werte (in Prozent) Abbildung 2 entnommen werden.
168
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Abbildung 2:
Kinzinger / Stumpf / Stiller
76
72
68 53
45
81 77
74
71
61
54
kein Duft Kokos
32
Nivea
Sunplay
Sonnencreme
Meister Proper
Tide
Werbeanzeige gesehen in Prozent pro Testgruppe (eigene Darstellung)
Zusammenfassend wurden alle vier Inserate in den bedufteten Katalogen öfter wahrgenommen als in der unbedufteten Version. Es konnte bei beiden zum Duft kongruent gestalteten Werbeanzeigen sowohl mit dem Kokosnuss- als auch mit dem Sonnencreme-Duft ein signifikantes Ergebnis nachgewiesen werden. Forschungshypothese zwei „Durch die Beduftung von Katalogen mit einem eindimensionalen Duft wird die gestützte Erinnerung an bekannte und unbekannte, zum Duft kongruenter Werbeanzeigen/Marken steigen“ kann damit bestätigt werden. Zur Beantwortung der dritten Forschungsfrage „Zum Duft passende Marken werden in kongruent zum Thema bedufteten Katalogen eher wahrgenommen als in nicht kongruent bedufteten Katalogen“ wurden die generierten nominalen Daten analog zur Vorgehensweise bei der zweiten Forschungsfrage mit einer Kontingenzanalyse ausgewertet. Die Abbildung 3 gibt einen Überblick über die genauen Ergebnisse.
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Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung
Inserat
Inserat
Inserat
Inserat
„Nivea“
„Sunplay“
„Meister Proper“
„Tide“
Kokus-Duft
70 / 101
25 / 101
65 / 101
62 / 100
Sonnencreme-Duft
62 / 101
24 / 101
71 / 101
58 / 101
ohne Duft
38 / 99
12 / 99
54 / 99
37 / 99
Testgruppe A
𝑥 2 = 19,246
𝑥 2 = 5,29
𝑥 2 = 1,997
𝑥 2 = 12,068
∅ = 0,31
∅ = 0,163
∅ = 0,1
𝑝 = 0,002
𝑝 = 0,042
𝑝 = 0,028
(Kokos-Duft vs. kein Duft)
𝑝 = 0,000
Testgruppe B
𝑥 2 = 10,581
(Sonnencreme-Duft vs. kein Duft)
Abbildung 3:
∅ = 0,23
𝑝 = 0,028
𝑥 2 = 4,59
∅ = 0,151
𝑝 = 0,195
𝑝 = 0,001
𝑥 2 = 5,293
𝑥 2 = 8,061
∅ = 0,163
Wahrnehmung der Marken (eigene Darstellung)
∅ = 0,246 𝑝 = 0,005
∅ = 0,201
Es lässt sich feststellen, dass bei allen Gruppen eine Steigerung der Wahrnehmung in der Duftgruppe stattgefunden hat. Bei Testgruppe A konnte dabei bei den Inseraten „Nivea“, „Sunplay“ und „Tide“ ein signifikanter Unterschied zwischen den bedufteten und unbedufteten Reisekatalogen festgestellt werden. Testgruppe B verzeichnete bei allen vier Inseraten signifikante Unterschiede zwischen den zwei verschiedenen Reisekatalog-Versionen. Da bei den Werbeinseraten Nivea und Sunplay sowohl in Testgruppe A als auch Testgruppe B signifikante Ergebnisse nachgewiesen werden konnten, kann die dritte Hypothese „Zum Duft passende Marken werden in kongruent zum Thema bedufteten Katalogen eher wahrgenommen“ bestätigt werden. Ferner ergab der durchgeführte „Manipulation Check“, dass 15 von den insgesamt 302 Probanden die Beduftung der Kataloge erkannten. Dies entspricht einem Wert von ca. 5% der gesamten Probanden und kann dahingehend interpretiert werden, dass die Probanden nicht von einem zu intensiven Duft beeinflusst wurden.
170 5
Kinzinger / Stumpf / Stiller
Zusammenfassung und Implikationen für Forschung und Praxis
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit Marketingmaßnahmen, die durch den Einsatz von Duft eine Erhöhung der Umsatzzahlen anstreben. Die Verfahren des Duftmarketings können dabei grundsätzlich in drei verschiedene Bereiche differenziert werden. Die Raumbeduftung zielt darauf ab, durch Beduftung des POS eine verlängerte Verweildauer bzw. mehr Spontankäufe zu erlangen (vgl. Mitchell / Kahn / Knasko 1995, Knoblich / Scharf / Schubert 2003: 92). Durch den zweiten Bereich, die Beduftung von Produkten, sollen diesen positive Attribute hinzugefügt werden (vgl. Gulas / Bloch 1995: 88). Der dritte Bereich beschäftigt sich mit der Beduftung von Werbemitteln um ein Produkt oder eine Marke bekannt zu machen (vgl. Knoblich / Scharf / Schubert 2003: 92). Da bei der Beduftung von Werbung sehr wenige, teilweise auch divergierende Studien vorliegen, wurde dieser Bereich ausgewählt, um die Wirkung in einem konkreten Experiment zu überprüfen. Dazu wurde ein Katalog eines Salzburger Reiseunternehmens adaptiert und mit verschiedenen bekannten sowie unbekannten ganzseitigen Werbeinseraten versehen. Die Probanden wurden in drei Gruppen eingeteilt und gebeten, die Destinationen im Reisekatalog zu bewerten. Im Anschluss wurde in Anlehnung an den Starch-Test die Wirkung der Werbeinserate getestet. Bei einer Gruppe wurde das Prospekt mit Kokosduft, bei der zweiten mit Sonnencremeduft beduftet und bei der dritten wurde kein Duft hinzugefügt. Die allgemeine Bewertung der Kataloge ergab zwar leicht bessere Werte für die bedufteten Kataloge, jedoch konnte kein signifikanter Unterschied nachgewiesen werden. Daher musste die erste Hypothese, ein Reisekatalog werde durch die Beduftung mit einem kongruenten, eindimensionalen Duft positiver wahrgenommen und bewertet, abgelehnt werden. Für zukünftige Studien wäre es interessant zu untersuchen, ob in anderen Bereichen eine erhöhte Bewertung von bedufteten Katalogen erzielt werden kann und ob durch umfangreichere Studien hier ein signifikanter Zusammenhang nachgewiesen werden kann. Bei der Frage, ob die Probanden die Werbeinserate erkannt haben, konnten bei allen vier Inseraten eine deutlich höhere Aufmerksamkeit mit den bedufteten Inseraten erreicht werden (53-81% im Vergleich zu 32-68%). Bei den zu den Werbeinseraten kongruent gestalteten Werbeanzeigen konnten dabei sowohl bei dem Kokosduft als auch bei dem Sonnencremeduft ein signifikantes Ergebnis erzielt werden. Daher kann die zweite Hypothese, durch die Beduftung von Katalogen mit einem eindimensionalen Duft steige die gestützte Erinnerung an bekannte und unbekannte, zum Duft kongruenter Werbeanzeigen, bestätigt werden. Auch die Überprüfung der Erinnerung an die Marken zeigte ein ähnliches Bild. So konnte in allen
Duftmarketing – Wirkung von bedufteter Printwerbung
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Gruppen ein erhöhter Wert bei den bedufteten Anzeigen beobachtet werden, welche mit beiden Duftstoffen signifikante Ergebnisse lieferten. Daher kann auch die dritte Hypothese, zum Duft passende Marken werden in kongruent zum Thema bedufteten Katalogen öfter wahrgenommen, bestätigt werden. Zukünftige Studien könnten die Ergebnisse in anderen Bereichen überprüfen und zusätzlich noch andere unabhängige Variablen, wie etwa die Zahlungsbereitschaft, hinzufügen. Wenn sich die Ergebnisse durch Studien in anderen Bereichen bestätigen lassen, könnte die Beduftung von Werbeunterlagen in vielen Bereichen (auch im Dienstleistungsbereich) Unternehmen durch gezielten Einsatz einen wichtigen Differenzierungsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen. Interessant für zukünftige Forschungsstudien wäre ferner, zu ermitteln, ob es, ähnlich wie bei der Beduftung von Produkten, auch mit bedufteten Werbematerialien gelingt, den Produkten bzw. Dienstleistungen gewisse Qualitätsattribute hinzuzufügen. 6
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II. Multimodale und multisensorische Kommunikation
Inszenierung des Wandels. Funktion von Multimodalität in der Veränderungskommunikation am Beispiel des Imagefilms der Commerzbank 2012/13 Regine Wieder / Nicole Rosenberger Abstract Der Beitrag untersucht am Beispiel der Imagekampagne der Commerzbank von 2012/2013, inwieweit der Film als multimodales Medium eine externe Veränderungskommunikation unterstützen kann. Im Zentrum der Analyse steht der Imagefilm „Der erste Schritt“, in dem die Commerzbank ihre früheren Geschäftspraktiken kritisch reflektiert, eine Haltungsänderung kommuniziert und die Veränderung hin zu einer verantwortungsvoll handelnden Bank als noch bevorstehenden Weg inszeniert. Mittels einer sozialsemiotischen Filmanalyse untersucht der Beitrag die einzelnen Modi in Bezug auf ihre Funktion innerhalb des im Film dargestellten Change-Prozesses. Die Verfasserinnen zeigen auf, wie es der Bank gelingt, die Haltungsänderung nachvollziehbar und glaubwürdig zu vermitteln, obwohl noch keine sichtbaren Taten den Sinneswandel belegen können. Die Autorinnen kommen zum Schluss, dass Multimodalität im Imagefilm der Commerzbank dazu eingesetzt wird, die idealtypischen Phasen, die in Change-Prozessen durchlaufen werden müssen („Unfreeze“, „Move“ und „Refreeze“), für die Betrachter zu illustrieren. Damit kann Akzeptanz und Glaubwürdigkeit für die neue Position der Bank geschaffen werden.
1
Einleitung
Seit dem Ausbruch der jüngsten Finanzkrise ist die Bankenbranche mit einem fundamentalen Imageproblem konfrontiert. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten die Banken als Hauptverursacher der Krise sowie auch der einzelnen Bankenpleiten selbst. Angeprangert werden vor allem die Kompetenzdefizite der Banken, insbesondere im Risikomanagement, sowie ein übertriebenes, unethisches Gewinnstreben. Für das Bankgeschäft hatte dieser Reputationsverlust eine dramatische Konsequenz: Die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Vermögensverwaltung, nämlich die Vertrauenswürdigkeit der Finanzdienstleister, ist in Frage gestellt (Rosenberger / Wieder 2014). Auch die Commerzbank, die zweitgrößte Bank Deutschlands, mit über 11 Millionen Kunden und einer Bilanzsumme von fast 600 Mrd. Euro (2013) konnte sich den Auswirkungen der Finanzkrise nicht entziehen. Nach einer zu optimistisch kalkulierten Übernahme der Dresdner Bank konnte die Commerzbank 2008 nur mit Hilfe staatlicher Unterstützung (8,2 Mrd. Euro) überleben und © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_11
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Wieder / Rosenberger
musste ein Jahr später einen Verlust von 4,5 Mrd. Euro sowie einen stark gefallenen Aktienkurs (auf 6 Euro im Dezember 2009) vermelden. In der Folge sank das Ansehen der Bank bei der deutschen Bevölkerung rasant. Als der Markenstatusbericht der Commerzbank Anfang 2012 zeigte, dass der jährlich gemessene Vertrauenswert im Vergleich zum Vorjahr um 21% eingebrochen war, entschloss sich das Management zu handeln: Im Rahmen einer Neupositionierung wurden zwischen Januar und Oktober 2012 die Kernwerte Fairness und Kompetenz als Grundlage der neuen strategischen Ausrichtung definiert. Diese Werte sollten in der Haltung zum Ausdruck kommen, allen Stakeholdern verantwortungsvoll und partnerschaftlich zu begegnen, und Maßstab für das Handeln der Bank sein. 1 Entsprechend wurde der neue Claim „Die Bank an Ihrer Seite“ eingeführt, um eine respektvolle und zuverlässige, aber dabei unaufdringliche Begleitung der Kunden zu propagieren. 2 Um der Öffentlichkeit diese neue Haltung zu kommunizieren, entschied sich die Konzernleitung, eine Markenkampagne zu lancieren und diese mit einer Produktekampagne zu verzahnen. Eine große Herausforderung lag nun darin, die Haltungsänderung nachvollziehbar und glaubwürdig zu vermitteln und damit das verlorene Vertrauen der Stakeholder in die Commerzbank zurückzugewinnen. Problematisch war dabei insbesondere, dass die neue Einstellung zu einem Zeitpunkt kommuniziert werden sollte, als noch keine sichtbaren Taten die Intention untermauern konnten und sie den bisherigen Praktiken der Banken diametral gegenüberstand. Als Auftakt für die Markenkampagne wurde Ende 2012 der 62 Sekunden dauernde Imagefilm „Ein erster Schritt“ produziert, in dem die Commerzbank ihr früheres Handeln kritisch reflektiert, einen Richtungswechsel skizziert und signalisiert, dass sie diesen auch tatsächlich in Angriff nimmt. Das Leitmotiv des Films ist Veränderung und zwar als ein in der Zukunft zu bewältigender Prozess.
1 2
Information aus Leitfadeninterview mit dem Brand Manager der Commerzbank Uwe Hellmann am 05.03.2013. Der Claim „Die Bank an Ihrer Seite“ war bereits während der Jahre 1977-2002 verwendet und von dem neuen Claim „Gemeinsam mehr erreichen“ abgelöst worden. Letzterer wurde dann allerdings angesichts der allgemeinen Finanzmarktsituation sowie der besonderen Situation der Commerzbank als nicht mehr adäquat erachtet. (Information aus Leitfadeninterview mit dem Brand Manager der Commerzbank Uwe Hellmann am 05.03.2013).
Inszenierung des Wandels
2
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Fragestellung und Aufbau des Beitrags
Der vorliegende Beitrag untersucht am Beispiel der Imagekampagne der Commerzbank von 2012/2013, inwieweit der Film als multimodales Medium eine externe Veränderungskommunikation unterstützen kann. Der Text ist wie folgt aufgebaut: Zunächst erläutern die Autorinnen den theoretischen Rahmen und die Methode, die sie ihrer Untersuchung zu Grunde gelegt haben. Anschließend zeigen sie auf, welche Bedeutungen im Imagefilm der Commerzbank „Ein erster Schritt“ erzeugt werden und wie diese so generiert werden, dass sie den Interessen der Bank entsprechen. Dabei werden die drei im Film verwendeten Modi nacheinander untersucht: erstens der gesprochene bzw. eingeblendete Text, zweitens das Bild und drittens der Ton bzw. die Musik. In einem weiteren Schritt wird analysiert, welche Funktion die einzelnen Modi in unterschiedlichen Phasen des Films haben, und wie das Zusammenspiel der Modi die externe Veränderungskommunikation fördert. Abschließend wird das grundsätzliche Potenzial des multimodalen Mediums Film für die Veränderungskommunikation erörtert und reflektiert. 3
Theoretischer Hintergrund
In ihrer Analyse betrachten die Autorinnen die multimodale Kommunikation, also die parallele Nutzung unterschiedlicher Sinneskanäle zur Übertragung der gleichen Information, aus der Perspektive der sozialsemiotischen Theorie (vgl. Kress 2010, van Leeuwen 2005). Gemäß Gunther Kress befasst sich der sozialsemiotische Ansatz mit der Bedeutung von Zeichen, wobei die Bedeutung durch das soziale Umfeld und soziale Interaktionen entsteht. Im Unterschied zur Pragmatik bzw. Soziolinguistik legt die Sozialsemiotik somit ihren Fokus auf das Generieren von Zeichen („sign-making“) und nicht auf deren Verwendung („sign use“; Kress 2010: 54). Auch ist die Zuordnung einer Bedeutung zu einem Zeichen immer durch das Interesse desjenigen geleitet, der das Zeichen produziert („sign-maker“; Kress 2010: 57). Die Motivation der sozialsemiotischen Theorie liegt gemäß Kress darin, die Position des „Sign-maker“ im Moment des „signmaking“ zu verstehen. Der sozialsemiotische Zugang wurde für die vorliegende Untersuchung gewählt, da die Autorinnen in der wissenschaftlichen Disziplin der Organisationskommunikation beheimatet sind und somit Überlegungen anstellen, wie die Kommunikation aus der Sicht und im Sinne des strategischen Kommunikations-
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managements effizient und effektiv konzipiert, gesteuert und umgesetzt werden kann. Typische sozialsemiotische Fragen sind etwa: Welche Bedeutungen werden generiert? Was ist das Bedeutungspotential der Ressourcen, die hier verwendet worden sind? Welche Ressourcen werden genutzt und in welchem sozialen Umfeld? (vgl. Kress 2010: 57). Die Beantwortung solcher Fragen hilft, die Kommunikation einer Organisation zu optimieren. Demzufolge spiegeln auch die Fragestellungen, die diesem Aufsatz zugrunde liegen, die Perspektive der kommunizierenden Organisation, nämlich der Commerzbank, wider. Die sozialsemiotische Perspektive ist auch insofern naheliegend, als das Genre Imagewerbefilm in der Regel mit sehr expliziten Botschaften arbeitet, um die Adressaten im Sinne des Absenders zu beeinflussen. Als weitere theoretische Basis wurde für die Analyse der multimodalen Kommunikation im Commerzbank-Film das Change-Phasen-Modell herangezogen, das 1947 von Kurt Lewin entwickelt wurde. Gemäß Lewin (1947) kann man soziale Veränderungen in der Gesellschaft vollziehen, wenn man den drei Phasen „Unfreeze“ (Aufrütteln), „Move“ (Bewegen) und „Refreeze“ (Stabilisieren) folgt. Lewins Modell wurde ab den 90er Jahren vor allem in internen Change-Management-Prozessen in Organisationen eingesetzt, die zum Beispiel nach Mergers notwendig geworden waren (vgl. Doppler / Lauterburg 2008). Dabei sollten die Change-Manager unter Einbezug der betroffenen Mitarbeitenden den Veränderungsprozess in drei Phasen gestalten: In einem ersten Schritt wird eine Veränderung vorbereitet, indem man die alten Gewohnheiten und Muster der Betroffenen aufbricht („Unfreeze“). In einem zweiten Schritt wird die Änderung gemeinsam mit den Betroffenen durchgeführt („Move“), und in einem dritten Schritt wird die Gruppe an die neue Situation gewöhnt („Refreeze“). Das Modell wurde von Jörg Pfannenberg (2007) verfeinert und auf die interne Organisationskommunikation übertragen. Heute ist grundsätzlich akzeptiert, dass auch externe Veränderungskommunikation nach den drei Lewinschen Phasen gestaltet werden kann (vgl. Pfannenberg 2007: 819-820). Die Autorinnen greifen bei der Untersuchung des Films in Bezug auf die Funktion von Multimodalität in der Veränderungskommunikation aus folgenden Gründen auf das Modell von Lewin zurück: Erstens fiel ihnen eine inhaltliche Dreiteilung des Films auf, die mit den Lewin‘schen Phasen korrespondiert: Unfreeze-Phase Sekunden 0-30; Move-Phase Sekunden 31-53; Refreeze-Phase Sekunden 54 bis 62. Zweitens thematisiert der Film einen Veränderungsprozess (und eben nicht dessen Ergebnis). Einen dritten Anhaltspunkt dafür, dass die Übertragung des Modells auf den Imagefilm angemessen ist, sehen die Verfasserinnen darin, dass die Commerzbank eine fundamentale Veränderung erreichen
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will – in der eigenen Organisation und bei der Einstellung der Gesellschaft gegenüber der Commerzbank. 4
Methode der sozialsemiotischen Filmanalyse
Entsprechend dem theoretischen Rahmen wurde eine sozialsemiotische Filmanalyse durchgeführt, die sich sowohl an der Dreierstruktur als auch an der Funktion der einzelnen Phasen von Lewins Modell orientiert. Mittels eines Sequenzprotokolls (vgl. Abbildung 1) wurden zunächst die wichtigsten Gestaltungselemente des Films pro Bildsequenz festgehalten: Bild, eingeblendeter und gesprochener Text, Ton bzw. Musik (vgl. Faulstich 2008: 70ff.). Mit Hilfe des Sequenzprotokolls konnten die einzelnen Modi isoliert, aber auch in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden, im Hinblick darauf, wie sie Bedeutung generieren. Der Textmodus spielt im Film der Commerzbank die wichtigste Rolle bei der Erzeugung der Bedeutung, da er als explizitester der drei Modi das Gemeinte direkt artikuliert. Um sich den gesprochenen (und geschriebenen) Text zu erschließen, bedienten sich die Autorinnen der Methode der hermeneutischen Textanalyse (vgl. Wernet 2009). Bild und Ton wurden anschließend dahingehend analysiert, wie sie die Aussage des Textes verstärken.
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Abbildung 1: 5
Auszug Sequenzprotokoll
Ergebnisse der Analyse
Lässt man den Film zunächst aus der Perspektive eines herkömmlichen Fernsehzuschauers auf sich wirken, also ohne eine gezielte Analyse vorzunehmen, so kann man auf der Ebene der Storyline eine Frau erkennen, die durch das erwachende Frankfurt joggt, dabei die gesellschaftliche Aufgabe von Banken reflektiert und dazu die Position der Commerzbank skizziert. Betrachtet der Zuschauer diesen Handlungsbogen im Wissen darum, dass die Commerzbank Absenderin dieser Botschaft ist, so erkennt er seine eigentliche Bedeutung, nämlich dass die Bank sich erstens grundlegend und positiv verändert hat, zweitens wieder Teil der deutschen Gesellschaft und drittens eine zuverlässige Begleiterin aller Stakeholder ist (Claim: „Die Bank an Ihrer Seite“). Geht man nun noch einen Schritt weiter und fragt nach der Intention der Absenderin, so begreift man, dass die Commerzbank von der Ernsthaftigkeit ihres Veränderungswillens überzeugen und damit Glaubwürdigkeit und Vertrauen der Stakeholder zurückgewinnen möchte. Die Bedeutung von Text, Bild und Ton sowie die Gesamtintention der
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Bank werden dem Gelegenheitsbetrachter einerseits durch Kenntnis des Kontextes, also der Reputationsproblematik von Banken in Verbindung mit der Bankenkrise, deutlich, andererseits durch den gezielten Einsatz von sprachlichen, visuellen und akustischen Gestaltungselementen im Film. Wie diese einen Beitrag dazu leisten, dass der Rezipient die von der Bank intendierten Botschaften auch entsprechend wahrnimmt, wird im Folgenden analysiert. 5.1 Analyse des Text-Modus Im Film werden gesprochener sowie geschriebener Text verwendet. Der gesprochene Text setzt erst in der vierten Sekunde ein und wird von einer Frauenstimme vorgetragen, die sich am Ende des Films als jene von Lena Kuske entpuppt, einer Filialdirektorin der Commerzbank. Der geschriebene Text wird ganz am Schluss ab der 53. Sekunde eingeblendet und dient dazu, den Zuschauern die Identität der Sprecherin und der dahinterstehenden Organisation offenzulegen. Lediglich die letzten Worte „Commerzbank – Die Bank an Ihrer Seite“ werden sowohl gesprochen als auch parallel dazu eingeblendet, wodurch dem Claim Nachdruck verliehen wird. „Woran liegt es, dass man den Banken nicht mehr vertraut? Manche Banken sagen, das liegt an den Krisen. Andere, an den Börsen. Wir haben etwas getan, was für uns bisher vielleicht nicht typisch war. Wir haben die Gründe bei uns gesucht. Und uns gefragt: Braucht Deutschland noch eine Bank, die einfach so weiter macht? Oder brauchen wir eine Bank, die endlich Schluss macht mit neuen Spekulationen auf Grundnahrungsmittel? Eine Bank, die erneuerbare Energien für die Zukunft finanziert. Eine Bank, die auch kleinen und mittleren Unternehmen Kredite gibt. Eine Bank, die ihre Berater nicht belohnt, wenn sie möglichst viele Verträge verkaufen, sondern erst dann, wenn ihre Kunden zufrieden sind? Vor uns liegt ein langer Weg. Aber auch der beginnt mit dem ersten Schritt. Commerzbank – die Bank an Ihrer Seite.“ Abbildung 2:
Gesprochener Text im Commerzbank-Imagewerbefilm „Ein erster Schritt“ (2012/2013)
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Der gesprochene Text (vgl. Abbildung 2) beginnt mit einer Frage nach den Gründen für den Vertrauensverlust der Banken. Ganz im Gegensatz zu den üblichen, beschönigenden Phrasen von Werbespots wird das Hauptproblem der Absenderin unmittelbar und unverblümt thematisiert. Gemäß dem dialektischen Prinzip wird die anfängliche Frage zunächst mit einer These („Manche Banken sagen, das liegt an den Krisen“) und einer Antithese („Andere, an den Börsen“) beantwortet. Mit der darauffolgenden Synthese („Wir haben etwas getan, was für uns bisher vielleicht nicht typisch war. Wir haben die Gründe bei uns gesucht …“) wird eine über These und Antithese hinausgehende neue Perspektive und bessere Antwort aufzeigt. Seit der Antike wird die Dialektik als Instrument der methodischen Wahrheitsfindung in der Rhetorik eingesetzt. Ein dialektisches Vorgehen wirkt überzeugend, da es demonstriert, dass sich der Redner seinen Standpunkt gut überlegt und andere Argumente berücksichtigt hat. Die Synthese-Position der Commerzbank wird mittels rhetorischer Fragen dargelegt: „Braucht Deutschland noch eine Bank, die einfach so weiter macht? Oder brauchen wir eine Bank, die endlich Schluss macht mit neuen Spekulationen auf Grundnahrungsmittel? […]“. Wie das dialektische Prinzip zielt auch die Verwendung rhetorischer Fragen darauf ab, den Adressaten zu beeinflussen. Im Gegensatz zur Dialektik, deren Ziel es ist zu überzeugen, wirkt die rhetorische Frage durch ihre Indirektheit überredend. Die rhetorische Frage überredet, indem sie die in ihr ausgedrückte Meinung beim Adressaten gleichermaßen hervorruft. Dass man die rhetorischen Fragen im Commerzbank-Film jedoch nicht als einen Versuch bloßer Überredung empfindet, liegt daran, dass die Inhalte selbstkritisch sind. Die verantwortungslosen Vorgehensweisen der alten Bankenwelt werden implizit und explizit thematisiert und als unangemessen abgetan. Nachdem die Zuschauer zu Beginn des Films annehmen, die Läuferin spreche in direkter Rede zu einem Adressaten, wird im Verlauf des TV-Spots deutlich, dass es sich um einen inneren Monolog einer Frau handelt, die für die Commerzbank steht. Dieser Kunstgriff bietet mehrere Vorteile: Er vermittelt dem Betrachter ein persönliches und authentisches Bild der Bank, da dieser in selbstkritische Überlegungen einer Institution Einblick bekommt, die üblicherweise nicht nach außen getragen werden. Der innere Monolog bewirkt zudem Glaubwürdigkeit, indem die kritische Reflexion über die fragwürdigen Geschäftspraktiken und eigenen Fehler in der Vergangenheit sowie die Beschreibung der neuen, verantwortungsvolleren Haltung bewusst einer Mitarbeiterin in den Mund gelegt werden, deren Image im Gegensatz zur Gesamtorganisation nicht beschädigt ist. Dass es sich hier um eine Frau handelt und nicht den typischen Bankmanager, der als Stereotyp zur Zeit eher negativ konnotiert wird, wirkt ebenfalls
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sympathisch. Schließlich erlaubt diese Erzählform als innerer Monolog der Commerzbank, eine kritische Haltung zu kommunizieren, ohne belehrend zu wirken oder sich dem Vorwurf auszusetzen, bei ihr würden Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Diese Wirkung entsteht, da die Bank selbst in den Hintergrund tritt. Insgesamt bewirkt die jedem inneren Monolog innewohnende Paradoxie, dass alle Zuschauer mitbekommen, was die Figur eigentlich nur zu sich selbst sagt, eine Vertrauensbeziehung: Die Adressaten werden im Fall des Commerzbankfilms zu Mitwissern über eine erkannte Schwäche und einen Reflexionsprozess und können so Empathie für das Unternehmen entwickeln. Auf der Ebene des gesprochenen Textes entsteht durch die gezielte Kombination von innerem Monolog, dialektischer Struktur und rhetorischen Fragen eine Gesamtbedeutung, die sich wie folgt formulieren lässt: Die Commerzbank hat sich nach einer selbstkritischen Reflexion dazu entschieden, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich entsprechend zu verändern. Der eingeblendete Text „Lena Kuske, Filialdirektorin. Lena Kuske, Langstreckenläuferin. Commerzbank – Die Bank an Ihrer Seite“ identifiziert die Protagonistin als Exponentin der Commerzbank. Dass Lena Kuskes Haltung mit jener der Commerzbank gleichzusetzen ist, wird einerseits verdeutlicht, indem der Name der Filialdirektorin unmittelbar mit dem Claim der Commerzbank verknüpft wird. Andererseits kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass neben der beruflichen Funktion eine private Rolle eingeblendet wird, die Ausdauer symbolisiert und signalisiert, dass die Commerzbank den bevorstehenden langen Weg tatsächlich zurückzulegen vermag („Vor uns liegt ein langer Weg“). Mit der Personifikation der Bank im Slogan „Die Bank an Ihrer Seite“ am Schluss des Films stellt sich die Commerzbank als individuell und verantwortungsvoll handelnde Begleiterin für die Kunden dar. 5.2 Analyse der Bild- und Ton-Modi Obwohl Bild und Ton deutlich vor dem gesprochenen Text einsetzen, unterstützen beide Modi die Aussage des Textes. Die visuelle Ebene illustriert den Veränderungswillen der Commerzbank mit Hilfe einer Allegorie, nämlich dem Jogginglauf einer Mitarbeiterin durch das erwachende Frankfurt. Diese Allegorie als Ganzes stellt einen Veränderungsprozess dar und besteht wiederum aus einer Reihe von Symbolen, die jeweils auf die beabsichtigte Transformation der Bank hinweisen. So rennt die Protagonistin zunächst in Sportkleidern durch die Straßen und tritt am Ende, als ihre Identität enthüllt wird, im Business-Anzug auf.
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Zudem läuft die Mitarbeiterin von der einen Seite Frankfurts zur anderen hinüber, zum Teil über Brücken, wobei sie zunächst das bürgerliche Großstadtleben (Marktstände, Imbissstand, Verkehr) passiert, um später in der Top-Etage des Commerzbank-Towers anzukommen. So lässt sie die enge Perspektive der Straße hinter sich, um sich einen Überblick über Frankfurt zu verschaffen. Dabei mutiert sie von der privaten Joggerin zur Bankmanagerin, was vor allem durch einen Wechsel ihrer Kleidung deutlich wird (Transformationssymbole siehe Abbildung 3). Ab diesem Moment wird für den Zuschauer klar, dass die Protagonistin nicht nur unverbindlich über Banken reflektiert, sondern selbst ein maßgeblicher Teil einer Bank ist: Sie steht mit ihrem symbolträchtigen Lauf und ihren Überlegungen also nicht nur für sich selbst oder – als einfache Allegorie – für einen allgemeinen Sinnzusammenhang, sondern im Sinne einer Metonymie für das Ganze, dessen Teil sie ist – eben für die Commerzbank. Dieser Kunstgriff am Ende und damit am Kulminationspunkt des Spots erhöht noch einmal beträchtlich die Wirkung auf die Zuschauer. Während des ganzen Films verlaufen die Lichtverhältnisse parallel zur Bildsymbolik: Ausgehend von einem düsteren Krimi-Setting, bei dem die Zuschauer nach einigen Sekunden die Dämmerung am Horizont sehen, wechselt der Film abrupt in der 31. Sekunde, also genau in der Mitte, in eine Szenerie bei Tageslicht. Dies passiert just in jenem Moment, als der gesprochene Text beginnt, die neue Haltung der Commerzbank zu skizzieren („… eine Bank, die endlich Schluss macht mit neuen Spekulationen …“). Auch die letzte Einstellung des Films ist vergleichsweise hell; auffällig ist jedoch, dass der Himmel über Frankfurt dennoch bewölkt ist. Dadurch wird vermieden, dass die letzte Impression klischeehaft wirkt.
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Abbildung 3:
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Transformationssymbole
In der akustischen Dimension wird ebenfalls eine Transformation dargestellt: Während zunächst abstrakte drohende und dröhnende Töne sowie das Ticken einer Uhr 3 den ersten Teil des Films untermalen, treten im Mittelteil konkrete Geräusche hervor, die sich als Stimmen, das Aufsetzen von Schuhen, Hupen, Staubsaugerbrummen oder das Surren eines Aufzugs identifizieren lassen. Im letzten Teil des Films nehmen die Klänge melodiöse Züge an, bevor sie in einen klaren, orgelhaften, fast sphärischen Ton übergehen. Insgesamt unterstützen Bild und Ton gezielt die Aussage auf Textebene: Die Commerzbank hat einen langwierigen, aber machbaren Veränderungsprozess in Angriff genommen. 5.3 Funktion der Modi in Bezug auf die Change-Phasen Während im Textmodus eine Veränderung thematisiert wird, stellen die beiden anderen Modi die Übergänge selbst dar (dunkel – hell, Dröhnen – Melodie). Dabei inszeniert der Imagefilm die oben erwähnten, in einem Change-Prozess zu durchlaufenden Phasen des Aufrüttelns, Bewegens und Stabilisierens („Unfreeze“, „Move“, „Refreeze“; Lewin 1947) auf folgende Art und Weise
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Verwendetes Musikstück: The Tick of the Clock (2011) der US-amerikanischen Band Chromatics.
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(vgl. Abbildung 4 zu Multimodalität und Change-Phasen im Imagewerbefilm der Commerzbank): Im ersten Teil des Films, der 30 Sekunden dauert, wird der Zuschauer in jedem der drei Modi auf jeweils andere Weise verunsichert. Deshalb kann diesem Filmabschnitt die Funktion der Unfreeze-Phase zugeschrieben werden. Das Bild der joggenden Frau wirft beim Zuschauer Fragen auf: Wer ist diese Person? Wohin und weshalb rennt sie? Im Ton-Modus ergibt sich aus der bedrohlichen Tonfolge eine irritierende Lärmkulisse, in die sich erkennbare Geräusche wie Autohupen oder Staubsaugerbrummen mischen. In diesem Klangmix muss der Zuschauer immer wieder andere Töne neuen Geräuschquellen zuordnen. Mehrfach ratlos macht in dieser Phase auch der gesprochene Text: Zum einen wird die Einstiegsfrage nach den Gründen für den Vertrauensverlust der Banken nicht abschließend beantwortet. Zum anderen bleibt der Zuschauer im Unklaren darüber, wer sich hinter dem „Wir“ verbirgt, das bekennt: „Wir haben etwas getan, was für uns bisher vielleicht nicht typisch war.“ Diese ungewöhnliche Kommunikation eines (noch) nicht identifizierbaren Subjekts schließlich führt beim Zuschauer zu mehreren Fragen: Wer hat was getan? Ist das Untypische positiv oder negativ zu bewerten? Die letzte Frage dieser Sequenz, nämlich ob „Deutschland noch eine Bank braucht, die einfach so weitermacht“, lenkt die Gedanken abermals auf eine neue Spur: Nach der Vertrauensproblematik der Banken wird die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung aufgeworfen. Auf die Verantwortungsthematik konzentriert sich der mittlere, 22 Sekunden dauernde Filmabschnitt. Mittels mehrerer rhetorischer Fragen wird die zukünftige Ausrichtung der Bank skizziert. Auf der visuellen Ebene vollzieht sich in diesem Abschnitt der Übergang von der Nacht zum Tag. Es wird heller, die Schauplätze beleben sich, und die Szenerie entpuppt sich als Frankfurt. Auf akustischer Ebene folgt auf das Dröhnen ein rhythmisches Ticken, das sich gegen Ende in einen melodiösen Ton verwandelt. Nach der Verunsicherung im ersten Teil des Films vermittelt dieser Abschnitt Klarheit und macht zuvor Angedeutetes sicht- und begreifbar. Damit wird in diesem mittleren Teil die Aufmerksamkeit – der Move-Phase in Change-Prozessen entsprechend – nach vorne, auf etwas sich Konkretisierendes gerichtet. Die letzten acht Sekunden des Films signalisieren, dass die zuvor skizzierte neue Haltung in die Tat umgesetzt werden soll. Die Protagonistin blickt in Business-Kleidern und mit zuversichtlichem Gesichtsausdruck auf die Stadt hinunter. Der Text identifiziert die Managerin und die Commerzbank als Absenderinnen des Spots und resümiert, dass ein langer Weg bis zur Realisierung der neuen
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Haltung zu bewältigen sei. Zu hören ist in der Schlusssequenz nur noch der gesprochene Text, ganz ohne Hintergrundklänge. Jeder Modus vermittelt auf seine Weise ein Ankommen, das Klarheit signalisiert. Damit entspricht der letzte Teil des Films der Refreeze-Phase.
Abbildung 4:
Multimodalität in den Change-Phasen im Imagefilm der Commerzbank (2012/13)
Die Wirkungen, welche die drei Modi im Film entfalten, verlaufen synchron: Während sie im ersten Abschnitt verunsichern, konturieren sie im mittleren Teil vorherige, uneindeutige Aussagen und Zeichen und präzisieren diese schließlich im letzten Abschnitt. Dabei bildet jeder Modus für sich über den ganzen Film hinweg die drei Change-Phasen ab. Im Folgenden soll nun das Zusammenwirken der drei Modi innerhalb der einzelnen Phasen näher betrachtet und im Sinne eines sozialsemiotischen Zugangs die intendierte Wirkung der Multimodalität auf die Zuschauer analysiert werden.
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5.4 Inkongruente Modi: Unvoreingenommenes Nachdenken Im ersten Filmabschnitt herrscht zwischen Bild und Ton einerseits und Text andererseits eine Inkongruenz. Während erstere mit dem Krimi-Genre assoziiert werden, konfrontiert der Text den Zuschauer mit einer kritischen Reflexion über die Bankenkrise. Diese Differenz ist umso größer, als der mit Bild und Ton nicht vereinbare Text erst vier Sekunden nach Beginn des Films einsetzt, das heißt, nachdem sich der Betrachter gemäß seiner Rezeptionserfahrung auf eine unheimliche Atmosphäre eingestellt hat. Die Diskrepanz der Modi wird während der ganzen Sequenz aufrechterhalten und zielt darauf ab, den Zuschauer zu irritieren. Entsprechend aufmerksam und neugierig verfolgt er das weitere Geschehen. Die Verunsicherung wird vorerst noch gesteigert, da die Fragen nach den Gründen für die Vertrauenskrise der Banken unbeantwortet bleiben und der Absender der Reflexion in diesem Teil des Films nicht offengelegt wird. Die Ungewissheit bezüglich Filmgenre und Identität des Absenders bezweckt, dass sich die Zuschauer unvoreingenommen auf die vorgeführte Reflexion einlassen. Wäre von Beginn an klar, dass es sich um einen Imagewerbefilm einer Bank, ja um den inneren Monolog einer leitenden Mitarbeiterin der Commerzbank, handelt, dann bestünde die Gefahr, dass die Zuschauer die Überlegungen der Joggerin als unglaubwürdige Schönfärberei abtun. Die divergierenden Modi sollen damit zum einen verhindern, dass sich die Rezipienten gegenüber der Veränderungsbotschaft verschließen. Zum anderen ermöglicht die Divergenz, dass die Rezipienten in den ersten 30 Sekunden selber eine für die Unfreeze-Phase typische Irritation durchleben. 5.5 Kongruente Modi: Mitdenken und Akzeptanz Im zweiten, an die Unfreeze-Phase anschließenden Abschnitt ist eine Kongruenz aller drei Modi auf zwei verschiedenen Ebenen zu beobachten: Erstens findet in jedem Modus eine spezifische Konkretisierung statt: Der Schauplatz kann identifiziert werden, die Töne verbinden sich zu einer Melodie, und im Text werden konkrete Lösungen für das zukünftige Verhalten von Banken formuliert. Zweitens verdeutlichen sich die Modi gegenseitig: Während wir sehen, wie in einem Raum das Licht angezündet wird, hören wir beispielsweise das Knipsen eines Lichtschalters. Synchron verlaufen in dieser Filmsequenz nicht nur Bild und Ton, sondern auch Bild und Text. So wird etwa der in einer rhetorischen Frage
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angesprochene zukünftige Verzicht auf Spekulationen auf Grundnahrungsmittel mit dem Bild eines Marktstandes mit Lebensmitteln zusätzlich konkretisiert. Durch dieses Zusammenspiel der Modi wird dem Zuschauer allmählich bewusst, in welche Richtung sich die hinter dem „Wir“ stehende Organisation entwickeln könnte. Das angestrebte Verhalten wird auf der Textebene skizziert und auf der Bildebene durch die Allegorie des Joggens illustriert. Auffällig ist, dass die Transformation vor den Augen und Ohren der Zuschauer entwickelt wird. Damit werden die Rezipienten auf unterschiedlichen Sinneskanälen in das Entwerfen einer Lösung für das Vertrauensproblem involviert. Auf diese Weise kann Widerstand gegen die angekündigte Veränderung abgebaut und Akzeptanz für die geplante Veränderung geschaffen werden. 5.6 Kongruente Modi: Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit In den letzten acht Sekunden des Films sind Bild sowie gesprochener und geschriebener Text kongruent. Die Bilder zeigen, dass die Protagonistin wieder festen Boden unter den Füßen und eine klare Perspektive hat: Ihr Blick in den Spiegel und über Frankfurt strahlt Selbstsicherheit und Zuversicht aus. Eine ähnliche Gewissheit vermittelt der innere Monolog, der mit der Bemerkung schließt „Vor uns liegt ein langer Weg. Aber auch der beginnt mit dem ersten Schritt“. Während damit ein Versprechen abgegeben wird, den eingeleiteten Prozess tatsächlich zu Ende zu führen, findet im eingeblendeten Text die Auflösung des Rätsels statt, wer die Joggerin ist. Der innere Monolog der Frau entpuppt sich als Reflexion der Commerzbank. Dass die Frau nicht nur Filialleiterin, sondern privat auch noch Langstreckenläuferin ist, symbolisiert und unterstreicht den Veränderungswillen. Somit zielt die Kongruenz der Modi darauf ab, den Zuschauern ein Gefühl von Sicherheit und Zuversicht bezüglich des zukünftigen Geschäftsgebarens der Commerzbank zu vermitteln. 6
Glaubwürdigkeit des neuen Markenversprechens
Multimodalität wird im Imagefilm der Commerzbank gezielt dazu eingesetzt, die Rezipienten die Phasen von Verunsicherung („Unfreeze“), Einstellungsänderung („Move“) und Fixieren („Refreeze“) der neuen Haltung quasi live miterleben zu lassen. Während die Divergenz von Bild/Ton und Text die Zuschauer zunächst aufrüttelt, dient die Kongruenz der Modi im mittleren Teil dazu, sie in die Ent-
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wicklung der Lösungen für die Zukunft der Bank gedanklich und emotional zu involvieren. Damit wird Akzeptanz für die angestrebte Veränderung geschaffen. Über das Fixieren („Refreeze“) des bis jetzt Erreichten schließlich wird in der letzten Sequenz Vertrauen geschaffen, indem in allen Modi Verbindlichkeit hergestellt wird. Die Messung der Sympathie- und Vertrauenswerte durch die Commerzbank selbst zeigen, dass es mit dem Imagefilm gelungen ist, Aufmerksamkeit zu erregen, die negative Wahrnehmung der Commerzbank aufzubrechen und Vertrauen in die „geläuterte“ Organisation zu schaffen. So stieg der gestützte Bekanntheitsgrad des Claims „Die Bank an Ihrer Seite“ innerhalb der ersten vier Wochen nach seiner Einführung von 0% auf 60%. Die spontane Werbeerinnerung stieg im Vergleich zum Vorjahr um 100 Prozentpunkte (Frage: „An welche Werbung von Geldinstituten erinnern Sie sich?“), die Markenpräferenz erhöhte sich um 65 Prozentpunkte (Frage: „Welches Geldinstitut würden Sie einem guten Freund oder Bekannten empfehlen?“). Die Produktpräferenz schließlich konnte um 30 Prozentpunkte gesteigert werden (Frage: „Welche Bank käme für Ihre Bankdienstleistungen in Frage?“). 4 7
Einlösen der Versprechen in Produktkampagnen
Das Wissen um die neuen Werte und das Vertrauen darauf, dass sie umgesetzt werden, sind die Voraussetzung dafür, dass Kunden ihre Geschäftsbeziehung mit der Commerzbank beibehalten oder eine neue eingehen. Diese konative Ebene wird durch die Produktwerbung anvisiert, die in der zweiten Phase der Markenkampagne die Kommunikation des Markenversprechens verstärkt und konkretisiert. So werden in den Produkt-Spots und Produkt-Printanzeigen einzelne, konkrete Anpassungen des Leistungsangebots vorgestellt, die die neue Haltung der Bank exemplifizieren. Die darin beworbenen neuen Dienstleistungen belegen, dass die Commerzbank den versprochenen Wandel tatsächlich in Angriff genommen hat. Damit wird die Diskrepanz zwischen angestrebter und realisierter Identität zumindest punktuell verringert, was zusätzlich Glaubwürdigkeit schafft (vgl. Niederhäuser / Rosenberger 2011: 58-59). Ein Beispiel hierfür ist das neue Produkt „Girokonto mit Zufriedenheitsgarantie“, das den Wandel der Commerzbank zur zuverlässigen Begleiterin ihrer 4
Die Angaben basieren auf dem Markenstatusbericht 2013 und wurden den Autorinnen von der Commerzbank zur Verfügung gestellt.
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Kunden zum Ausdruck bringen soll. Die Kunden erhalten bei Kontoabschluss ein Startkapital von 50 Euro und bekommen, falls sie nach einem Jahr mit dem Konto unzufrieden sind, nochmals denselben Betrag. Das neue Girokonto veranschaulicht damit den Anspruch des Claims, die Bedürfnisse des Gegenübers ins Zentrum zu stellen: „Braucht Deutschland noch eine Bank, die einfach so weiter macht? Oder brauchen wir eine Bank, die Zufriedenheit nicht nur verspricht, sondern garantiert?“ Während die Produktkampagne der Markenkampagne Glaubwürdigkeit verleiht, ordnet die Markenkampagne die neuen Produkte in den größeren Kontext des Identitätswandels ein und signalisiert damit, dass die vom Produkt abgegebenen Versprechen langfristig eingehalten werden. Dieses Zusammenspiel von Markenkampagne und Produktkampagnen stärkt nicht nur Bekanntheit und Akzeptanz der neuen Werte, sondern wirkt sich auch positiv auf den Vertrieb und damit auf das Verhalten der Kunden aus. Im Privatkundengeschäft konnten 2013 im Vergleich zum Vorjahr 50% mehr Girokonten eröffnet werden. Das Volumen der verkauften Immobilienprodukte stieg um 37%. Von Januar bis November 2013 akquirierte die Commerzbank netto 180.000 Neukunden. 5 8
Change-Phasen im Produkt-Spot
Der oben erwähnte Produkt-Spot lehnt sich in Bild, Ton und Text sehr eng an den Imagewerbefilm „Der erste Schritt“ an und führt die Zuschauer ebenfalls durch die drei Gefühlszustände Verunsicherung, Konkretisierung und Vergewisserung, wenn auch zeitlich stark gerafft (vgl. Abbildung 5 zu Multimodalität und Change-Phasen im Produktwerbefilm der Commerzbank 2013). Wiederum werden die Zuschauer zu Beginn des Girokonto-Spots durch die Divergenz der drei Modi Bild, Ton und Text aufgerüttelt. Dabei werden einzelne Einstellungen des Markenwerbefilms mit einigen wenigen neuen Bildern und einem nur geringfügig angepassten Text kombiniert. Die Irritation löst sich durch eine anschließende Erklärung des neuen Produkts auf. Dieses wird nicht mehr mittels Symbolbildern dargestellt, sondern in Form einer animierten Grafik, auf der eine Münze rotiert und zum Stillstand kommt sowie Schriftzüge abwechselnd in den Vorderund Hintergrund treten. Diese Animation der Schrift verläuft synchron zu dem von einem Mann gesprochenen Text, der das neue Produkt und seine Vorteile erklärt. Die konvergenten Modi dienen in dieser Sequenz der Konkretisierung. In 5
Auskunft Commerzbank, März 2014.
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der statischen Schlusseinstellung werden Name, Logo und Claim der Commerzbank eingeblendet. Die Frauenstimme aus der Anfangssequenz spricht den gleichzeitig zu lesenden Claim „Die Bank an Ihrer Seite“. Der abschließende Verweis auf das neue Markenversprechen signalisiert Seriosität und Glaubwürdigkeit. Damit setzen sowohl der Anfang als auch der Schluss des Spots das neue Produkt in den Kontext des sich vollziehenden Werte- und Identitätswandels der Commerzbank. 9
Multimodalität und Change-Phasen im Produktwerbefilm der Commerzbank
Abbildung 5:
Multimodalität und Change-Phasen im Produktwerbefilm der Commerzbank (2013)
10 Potenzial des Mediums Film für Veränderungskommunikation Der Erfolg der beiden oben besprochenen Werbefilme zeigt, dass Akzeptanz und Glaubwürdigkeit des angestrebten und kommunizierten Identitätswandels wachsen, wenn nicht nur das Ziel der Veränderung vermittelt, sondern auch der Change-Prozess selbst thematisiert wird. Das Medium Film erweist sich dazu als
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besonders geeignet. Durch die gezielte Gestaltung des multimodalen Zusammenspiels kann eine Veränderung nicht nur thematisiert, sondern auch illustriert und inszeniert werden. Die Art und Weise, wie die Commerzbank den Veränderungsprozess in Marken- und Produktwerbefilmen inszeniert, birgt aus kommunikativer Sicht aber auch Risiken. Denn sie bestätigt implizit die ihr vorgeworfenen Fehler, wagt es, sich von den bisherigen Bankenpraktiken zu distanzieren und verspricht als erste Bank überhaupt einen moralischen Turn-around. Sie lancierte die Kampagne zu einem Zeitpunkt, zu dem sie die in Anspruch genommene staatliche Unterstützung noch nicht vollständig zurückbezahlt hatte. Die größte Herausforderung jedoch liegt darin, dem „ersten Schritt“ weitere konkrete folgen zu lassen, und damit Markenversprechen, Strategie und Kultur nachhaltig in Einklang zu bringen. Die Fortsetzungskampagne der Commerzbank, die Ende 2013 lanciert wurde, thematisiert dieses Glaubwürdigkeitsproblem explizit. Die bereits aus dem ersten Film bekannte Protagonistin versichert im zweiten Imagewerbefilm, dass die Commerzbank die angekündigten Veränderungen sukzessive vollziehen wird und führt dazu einige konkrete Ergebnisse des Veränderungsprozesses an. 11 Literatur Doppler, Klaus / Lauterburg, Christoph (2008): Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. 12. aktual. u. erw. Aufl. Frankfurt am Main: Campus. Faulstich, Werner (2008): Grundkurs Filmanalyse. 2. Aufl. München: UTB Verlag. Kress, Gunter (2010): Multimodality. A Social Semiotic Approach to Contemporary Communication. London: Routledge. Lewin, Kurt (1947): „Frontiers in Group Dynamics“. In: Human Relations 1 (1), 5-41. Niederhäuser, Markus / Rosenberger, Nicole (2011): Unternehmenspolitik, Identität und Kommunikation. Modell – Prozesse – Fallbeispiele. Wiesbaden: Gabler. Pfannenberg, Jörg (2007): „Veränderungskommunikation: Unterstützung von Change-Prozessen“. In: Piwinger, Manfred / Zerfass, Ansgar (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Gabler, 819-832. Rosenberger, Nicole / Wieder, Regine (2014): „Der Text zu den Zahlen. Vertrauensfördernde Argumentation in Geschäftsberichten der Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse während der Finanzkrise ab 2007“. In: Stumpf, Marcus / Wehmeier, Stefan (Hrsg.): Kommunikation in Change & Risk. Wirtschaftskommunikation unter Bedingungen von Wandel und Unsicherheiten. Wiesbaden: Springer, 271-289. van Leeuwen, Theo (2005): Introducing Social Semiotics. London: Routledge. Wernet, Andreas (2009): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag.
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective Marianne Grove Ditlevsen / Peter Kastberg Abstract In this paper we report on an explorative study of corporate videos as a means of discursively constructing corporate identity. The theoretical lens employed is one of Corporate Identity Management. The analytical core of this project, which is explorative in nature, consists of systematic analyses as to the usage of semiotic resources for communicating mission, vision and values in a corpus of corporate videos. The results of these analyses, novel in and of themselves, pave the way for critically reviewing and discussing the discursive construction of identity in corporate videos. The paper ends by pointing to new avenues of research spurred by the findings of the explorative investigation.
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Introduction
As a well-established core theme within corporate communication (cf. Frandsen / Johansen 2014) corporate identity is concerned with „the construction of an image of the organization to differentiate a company’s position in the eyes of important stakeholder groups“ (Cornelissen 2014: 67). This notion of identity is in line with a constructivist view (e.g. Berger / Luckmann 1996), according to which the identity of an organization is discursively constructed (cf. Ran / Duimering 2007). From a classical corporate communication perspective a company should strive to present itself as a strategic actor speaking with a single voice in and across all media (cf. Christensen / Morsing / Cheney 2008). It is considered to be of strategic importance for a company to manage its corporate identity (cf. van Riel / Balmer 1997), i.e. to construct, maintain and – if need be – alter its identity and to do so in a way in which the identity it wants to project to its stakeholders is authentic, carried and shared by the members of the organization (cf. Cornelissen 2014). In other words, it is not sufficient that a company only talk the talk, it must also walk the walk. One of the more recent ways of doing this is via corporate videos. „Corporate video“ is a term referring to all audio-visual instantiations of corporate communication efforts. As „[c]orporations have different needs for video based on each corporation’s primary business“ (Longo 1994: 308) corporate videos deal with a multitude of topics, cater to different target audiences and serve a © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_12
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wide variety of functions. It is probably no surprise that, when it comes to communication directed at stakeholders outside of the company, like content marketing, for instance, it is a generally established fact that „[v]ideo is the future“ (Trimble 2014). Increasingly company-internal issues, however, are also dealt with by means of corporate videos; examples par excellence would be addresses by the CEO and video newsletters. We also see an increase in the use of corporate videos as a means of HR communication. Corporate videos, for instance, are used as orientation and training videos, as they are well-suited to „visually model behavioural techniques that reinforce [company] ethos, refurbishing important social structures“ (Thralls 1992: 394). They are even used as a tool for „facilitating (…) the exit of organizational members“ (Thralls 1992: 390). In many ways, corporate videos are a potent, multifaceted and multipurpose corporate communication medium. As such corporate videos naturally also serve as a vehicle for the discursive construction of corporate identity. It does so in its capacity of being integral part of a company’s corporate communication, i.e. of the company’s strategic management approach to its communication activities. From this perspective there is no doubt that corporate videos, as well as all other modes and means of communication, constitute elements of a company’s corporate identity management: a management effort, in turn, that seeks to control the communication of how a company sees itself and how it wants its stakeholders to see it. All the more curious, then, is the realization that no studies, to the best of our knowledge, have yet dealt with examining the core issue of how corporate identities are constructed in corporate videos. As a direct consequence of this lacuna the research agenda of this paper is an explorative one. In general terms our research agenda is twofold: First, we want to contribute to research on the corporate video as a multifaceted and multipurpose corporate communication medium by offering an empirically based description of corporate videos. Secondly, we wish to examine to what extent we may see correspondences between the identity that a company wants to project to its stakeholders and the actual discursively constructed identity in corporate videos. We do so for two reasons: First of all because such a correspondence is generally called for (cf. above). Secondly, we do so in order to be able to appreciate if – or to what extent – corporate videos can be said to be used strategically as a means of corporate identity management. In lieu of this research agenda, we first introduce the concept of corporate identity from a corporate communication perspective, including corporate identity management (section 2). This is then followed by a presentation of our research design in section 3 which includes a presentation of the case company
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
197
Chr. Hansen A/S identified as a company with a strong video presence, of the corpus of analysis and finally of our method of analysis. In section 4 the findings of the explorative study are presented. The paper then ends by critically discussing the identity management effort of the company in question, pointing to interesting perspectives and further avenues of research along the lines stipulated in the paper (section 5). 2
Managing Corporate Identity
Corporate identity is widely accepted as „the profile and values communicated by an organization“ and „the character a company seeks to establish for itself in the mind of its stakeholders“ (Cornelissen 2014: 276, cf. Alessandri 2001). It consists of three attributes (cf. Birkigt / Stadler 1986): 1. behaviour, i.e. all behaviour of all employees that leaves an impression on stakeholders (cf. the notion of all employees being ambassadors of the company; cf. Petersen 2002, Christensen / Morsing 2010); 2. communication, i.e. all planned forms of communication; 3. symbolism, i.e. corporate logos, company house style of an organization (cf. Cornelissen 2014: 65). Whereas all planned forms of communication are singled out as an attribute in itself, communication that is not planned can be seen as part of the attribute behaviour. The character that a company seeks to establish for itself in the mind of its stakeholders, cf. the definition above, is mostly referred to as the corporate image, i.e. „the way a company is perceived, based on a certain message and at a certain point in time“, or the corporate reputation, i.e. „an individual’s collective representation of past images of an organization […] established over time“ (Cornelissen 2014: 276). Together corporate identity, corporate image and corporate reputation are considered core elements of corporate communication (cf. Frandsen / Johansen 2014) as they are directly linked to the overall goal of corporate communication, namely „to establish and maintain favourable reputations with stakeholder groups upon which the organization is dependent“ (Cornelissen 2014: 5). The reason for this is that it is assumed that the right corporate identity mix will lead to a positive image amongst the company’s stakeholders (cf. Freeman 1984) in the short run and more importantly to a favourable reputation with the company’s stakeholders in the long run. A favourable reputation will then, it is hoped, be translated by such stakeholders into a propensity to buy that organiza-
198
Ditlevsen / Kastberg
tion’s products and services, to work for that organization, or to invest in it (organizational performance; cf. van Riel / Balmer 1997 and Cornelissen 2014: 68). From a management perspective it is assumed that a company in fact can manage its corporate reputation to a certain extent and that the key to this is a strategic approach to its corporate identity – that this identity is within the control of the company to a certain extent. The relationship between corporate identity, corporate reputation and organizational performance is shown in figure 1. First introduced by van Riel and Balmer (1997) this figure (along with the concepts behind it) is widely accepted as the basis for corporate identity management (e.g. Cornelissen 2014: 68). 1
Figure 1:
Interaction between corporate identity and corporate reputation
Corporate identity management implies that a company strategically plans its communication with its stakeholder groups based on the right corporate identity mix of the three attributes, behaviour, communication and symbolism (cf. above). The general principle here is based on the so-called vision-driven approach (cf. Ingenhoff / Fuhrer 2010) which implies that the corporate identity mix should emerge from the company’s core mission, strategic vision, its values and the more general corporate culture of the company, represented in figure 1 by the elements culture history and corporate strategy. The mission (and vision) statement in which the mission, the vision and the corporate values are expressed (e.g. Campbell 1981, Pearce / David 1987, Hackley 1998) is considered a strategically important management tool (cf. Hackley 1998) and a binding manage1
For other corporate identity management models, see Cornelissen / Elving (2003), Stuart (1999).
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
199
ment statement (cf. Bordum / Holm Hansen 2005). It intends to emphasize the uniqueness of a company and to be the basis for achieving a competitive advantage. However, several studies indicate that the quality of the statements in general is questionable. For instance an excessive use of superlatives has been observed (e.g. Ackoff 1987, Hackley 1998, Bordum / Holm Hansen 2005), which seems to indicate that the statements are rather used as a marketing tool. Further, many statements do not appear as distinctive but rather as universal statements that could be applied to many other companies (Bordum / Holm Hansen 2005) which seems to suggest that the statements are not supportive of the goal to achieve a competitive advantage by being unique and distinctive. Having said that, the strategic value and status of articulating a mission, a vision and corporate values is not questioned within corporate communication and is thus still considered imperative (i.e. Cornelissen 2014). In this context the mission is defined as the „overriding purpose in line with the values or expectations of stakeholders“ (Cornelissen 2014: 6), the vision as the „desired future state: the aspiration of the organization“ (Cornelissen 2014: 6), and finally the corporate values as those core values of a company that are chosen by management to be presented and communicated outward through symbolism, communication and behaviour as representative and characteristic of its corporate identity (cf. Cornelissen 2014: 67). In order to be successful in achieving the overall goal of corporate communication, i.e. to establish and maintain favourable reputations with stakeholder groups upon which the organization is dependent, it is of paramount importance that the elements of corporate identity management (see fig. 1) are aligned (cf. Cornelissen 2014, Hatch / Schultz 2001): a) the corporate strategy including its mission, vision and values expressing the corporate identity with the company culture in order to create an authentic corporate identity; b) the corporate strategy with the corporate identity mix in order to ensure that what is being communicated to external stakeholders is consistent with the image that management considers unique and distinctive to ensure a competitive advantage; and finally c) the corporate identity mix as the picture of the company presented to external stakeholders with the corporate reputation as the image that stakeholders establish about a company over time in order to contribute to building up a favourable reputation among a company’s stakeholders.
200 3
Ditlevsen / Kastberg
Research Design
The presentation and discussion of corporate videos from a corporate identity perspective is based on a qualitative and explorative small scale study of corporate videos from the Danish company Chr. Hansen A/S (henceforth: Chr. Hansen). The choice of Chr. Hansen as case company is due to its intensive use of corporate videos. A total of 94 corporate videos on the company website, as per 31 July, 2014, is an indication of this. Below there is a short presentation of Chr. Hansen, including its mission, vision and values (see section 3.1), of the corpus (see section 3.2), and of the method of analysis (see section 3.3). 3.1 Case Company Chr. Hansen 2 is a global bioscience company with its headquarters in Hørsholm, Denmark, that develops, produces and sells cultures, enzymes, probiotics and natural colours. It was founded in 1874 and is listed on NASDAQ OMX Copenhagen (since 2010). Chr. Hansen employs 2,510 people worldwide and has a revenue of EUR 738.4 million (2012/13). It is its mission to improve food and health generally with the more specific vision to become the world's leading supplier of natural ingredients and the preferred partner for its customers. The five values ambition, performance, accountability, teamwork and honesty make up the strategic basis for pursuing the mission and the vision (see table 1). Value AMBITION
PERFORMANCE
ACCOUNTABILITY
2
Description We set challenging goals and we reach them by being ambitious, innovative and passionate about everything we do. We are proud of doing a good job, no matter what function we are in. Motivating people and measuring results are essential as we strive for continuous improvement of our performance. Our partners and colleagues can count on us. When we promise something, we are committed to fulfilling the decisions that have been made and deliver what has been agreed.
Unless otherwise stated the source of information is the company website.
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
TEAMWORK
HONESTY
201
We work as a team - across organizational and geographical boundaries - to reach the best solutions. We are open and honest in the way we do business and communicate.
Table 1: The five values of Chr. Hansen Each value is also translated into statements that show the specific meaning of the values. For Chr. Hansen ambition, for instance, is about setting challenging goals, being ambitious, innovative and passionate in all activities in the value chain. This holistic approach is also applied explicitly to the value performance that is characterized by quality and striving for continuous improvement, motivating people and measuring the activities. As one of the cornerstones of Chr. Hansen is research and development (Chr. Hansen 2012/13: 2), being able to measure and to document is considered to be of the utmost importance and can be directly linked to the value accountability in as much as documentation expresses that the company can „be counted on“ (see table 1). It can further be linked to the value honesty that is translated into open and honest communication and behaviour. The final value teamwork is considered the basis for reaching the challenging goals, cf. the value ambition, and implies teamwork „across organizational and geographical boundaries“. In this way the values all contribute to reaching the vision of the company to become the leading supplier of natural ingredients and the preferred partner of its customers. 3.2 Corpus As pointed out earlier, Chr. Hansen offers a large amount of corporate videos on its corporate website, having a total of 94 videos grouped in eight categories (see table 2). 3 The duration of the videos varies between 40 seconds (Yoflex® and Nutrish® culture Products for Yogurt presented at FIE2011) and 1 hour and 4 minutes (Expert Webinar on High Quality Fermented Forage, for further details, see below). However, 91% of the videos last less than 6 minutes. Nearly half of these are between 2 and 4 minutes long. 24% of the 94 videos are between 40 seconds and 2 minutes long and 23% between 4 and 6 minutes. Only 8 of the 94 videos are longer than 6 minutes (i.e. 6.13; 7.18; 8.12; 11.24; 20.15; 30.15; 3
As of 31 July 2014.
202
Ditlevsen / Kastberg
47.45; 1.04.00). The 94 corporate videos form the basis for a general description of the use of corporate videos, including illustrative examples (see section 4.1). Categories
No.
„Our company“
13
„Our people“
6
„Cultures & Enzymes“
24
„Health & Nutrition“
19
„Natural Colors“
7
„Places & events“
3
„Animal Health & Nutrition“
21
„Corporate Social Responsibility“
1
Total no.
94
Table 2: The Chr. Hansen’s corporate videos For the qualitative analysis of the discursive construction of corporate identity (see section 4.2) we have chosen the six most viewed corporate videos (see table 3). They are all in English and represent four of the total of eight corporate video categories, featuring no less than three of the top four categories. The duration of the videos selected is within a time span that reflects the most frequent occurrence of the corpus in total. Being representative of the total of Chr. Hansen’s corporate videos in this way, they are suitable for the qualitative analysis of the discursive construction of corporate identity in corporate videos.
Corporate video
Category
This is what we do Working for Chr.Hansen – Improving food and health The R&D Process – ProSat – Probiotics Chr. Hansen A/S – Our History Probiotics for dietary supplements
„Our company“ „Our people“
Duration 03.32 00.40
Views 31,307 9,566
„Health & Nutrition“
02.33
8,051
„Our company“ „Health & Nutrition“
01.39 04.00
6,753 6,017
203
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
Why use probiotics in animal production?
„Animal Health & Nutrition“
03.14
5,124
Table 3: The corporate videos selected for the analysis of the discursive construction of corporate identity 3.3 Method of Analysis In our analysis we adhere to a constructivist view (cf. Berger / Luckmann 1966) according to which the identity of an organization is discursively constructed (cf. Ran / Duimering 2007, Cornelissen 2014: 67). Our underlying understanding of the notion of discursive construction is that language, knowledge and power are inextricably linked (cf. Foucault 1974). Discourse in our view does not only refer to discursive formations in the Foucauldian sense but also to empirically situated practices of interaction (e.g. Bourdieu 1977, Goffman 1983). This, in turn, entails that discourse not only permeates the world we inhabit but indeed structures it (cf. Gergen 1985) – including the identity we ascribe to ourselves and others. This, then, is the methodological lens through which we take a closer look at the discursive construction of identity in the corporate video. In order to fulfil our research agenda, i.e., to investigate to which extent the elements of Chr. Hansen’s mission, vision, and values are discursively constructed in the videos, a discourse analysis has been conducted. The discourse analysis is based on a semiotic perspective on language (cf. e.g. de Saussure 1993, Peirce 1958-1965) and is qualitative in nature. For these reasons we do not distinguish per se between different semiotic resources that have been employed, but do put emphasis on the written and spoken textual semiotic resources. In order to prepare the data for the qualitative analysis a phasal analysis of each of the six selected corporate videos was performed. Here the videos have been segmented into phases (cf. Baldry 2005), i.e. into semi-autonomous, semantically coherent parts (cf. Baldry / Thibault 2006: 47) and the meaning making resources of each phase have been described.
204 4
Ditlevsen / Kastberg
Findings
4.1 General Description of Chr. Hansen’s Corporate Videos A first striking result of our analysis of the corporate videos of Chr. Hansen is their multifacetedness. This does not only concern their duration, as indicated above, but also their topics, their communicative purposes and the usage of semiotic resources for meaning making, including the use of different languages, 4 as illustrated below. First of all the multifacetedness of the topic is reflected in the total of eight categories (see table 2). For instance, the three categories with the greatest number of videos relate directly to two of the three core business activities of the company; the category „Cultures & Enzymes“ relate to the Cultures & Enzymes Division and „Animal Health & Nutrition“ and „Health & Nutrition“ relate to the Health & Nutrition Division. 5 In these videos different aspects of Chr. Hansen’s core business activities are shown: the research and development process and facilities (e.g. Innovation Dairy France: Fermented Milk), the products (e.g. SaltLiteTM and Reduced-Sodium Cheese) and the teamwork approach to business and corporate activities (e.g. Working with Chr. Hansen – Probiotics). These core business categories are followed by the category „Our company“ that deals with a wide variety of corporate aspects (e.g. Our Company; CFO Klaus Pederson on 2012/13; Our new strategy at a glance). As mentioned above, the multifacetedness is also reflected in many other communication aspects. The following descriptions of three corporate videos serve as illustrative examples of this. The first example is the video SaltLite 2 minutes version from the category „Cultures & Enzymes“. The object of the video is Chr. Hansen’s SaltLite product that is presented as „a natural solution to sodium reduction in cheese“ (cf. video). In the 1.59 minutes long video a story is told about how a ten to twelve year old boy, David, meets a nearly two-can small scientist between food cans on the shelves in a supermarket. David is bored and tired, pushing the shopping trolley for his mother, until he meets the scientist, only visible to David. The scientist catches David’s attention and interest and teaches him to choose food with less salt. The video begins and ends with pictures of the name of the product SaltLite and the company logo. This corporate video can be seen as a piece of edutainment with the aim to inform children (and their parents) about the choice they have of buying both healthier and tasty food 4 5
English (86), Chinese (4), Spanish (4), German (3), French (3), Portuguese (2), Danish (1). The final division, the Natural Color division, is represented by seven videos.
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
205
and ultimately to market the company’s product that contributes to making this choice an easy one. Another video, Impressions from FIE 2013 from the category „Places & events“, reports on Chr. Hansen’s presence at the Food Ingredients Europe Conference. Chr. Hansen’s activities at this all-important conference for the food and beverage industry in Europe are depicted in a 4 minutes 15 seconds documentary-cum-advertisement. The video shows cakes, candies, dairy products, beverages all enhanced – one way or the other – by Chr. Hansen’s ingredients, four of which are even shown to have won conference awards in different product categories. The video is an assemblage of interviews with four director-level employees of Chr. Hansen, praising the products as well as the customers, with panoramic views of the conference venue – sometimes with speech bubbles featuring quotes on innovation by famous people superimposed – as well as business meetings and networking activities taking place during the conference. A final example is the video ExpertWebinar on High Quality Fermented Forage from the category „Animal Health & Nutrition” that – with a duration of 1 hour and 4 minutes – is Chr. Hansen’s longest video. Format-wise it is a PowerPoint presentation with voice-overs by a seminar manager, a Chr. Hansen representative and a representative of an agricultural laboratory. In the video the seminar participants review forage quality trends throughout various US dairy regions for 2011 to 2013 crops. The PowerPoint slides are scientific in nature, mirroring and visually enhancing the scientific discourse of the seminar participants. In terms of genre this video resembles a conference paper read at an agricultural research symposium. Even though the corporate videos of Chr. Hansen first of all are characterized by multifacetedness as illustrated above, the corpus also shows signs of homogeneity in the sense that some videos are represented in the corpus more than once, the only difference being that they are available in different languages. For instance the English video Meet Bea, Bob & Andreas in Chr. Hansen Animal Health & Nutrition from the category „Animal Health & Nutrition“ is also available in versions with Chinese, Portuguese, and Spanish subtitles, respectively. Other examples from the same category would be the English video SiloSolve® for profitable dairy farming that is also available in a Spanish and a German version, or the video What makes a Bacillus probiotic effective in livestock production? which is available in both a global version (duration: 30.15) and a US version (duration: 47.45). Of the total of 94 videos, only 7 videos are available in different versions.
206
Ditlevsen / Kastberg
4.2 The Discursive Construction of Corporate Identity in Selected Corporate Videos In addition to the information offered above about duration, category and views (see table 3) a first general description of the selected corporate videos includes information about the topic and the expected audiences of the videos (see table 4), and a description of the videos themselves, including selected meaning making resources in order to provide a solid basis for a succeeding description of the videos from a corporate identity perspective.
V1
V2
V3
V4 V5
V6
Corporate video This is what we do
Working for Chr. Hansen – Improving food and health The R&D Process – ProSat –Probiotics Chr. Hansen A/S – Our History Probiotics for dietary supplements Why use probiotics in animal production?
Topic To inform about the company and its core businesses To inform about the company as an employer To inform about the R&D process of the company To inform about the company history To inform about the use of probiotics for humans To inform about the use of probiotics for animals
Audience(s) General public
Duration 03.32
Potential employees
00.40
B-2-B customers; consumers General public General public
02.33
Live-stock farmers
01.39 04.00
03.14
Table 4: General characteristics The selected videos are characterized by multifacetedness like the Chr. Hansen’s corporate videos in general (cf. above). Three of them are concerned with topics of general interest to a wider audience: This is what we do Chr. Hansen A/S (V1) informs the general public about the company and its core businesses centred on enzymes, dairy cultures, probiotics and natural colours and shows how it helps improving food and health; in Our History (V4) the company history that goes back to research carried out by the Danish pharmacist Christian Hansen in 1870
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
207
is told to a general public; and finally in Probiotics for dietary supplements (V5) the main emphasis is on conveying to consumers a) the health benefits of probiotics and b) how easy it is to use probiotics. The other three, on the other hand, are concerned with more specific and focused topics that are of interest to more specific audiences: Working for Chr. Hansen - Improving food and health (V2) addresses potential employees by giving an impression of how it is to work for Chr. Hansen; in The R&D Process - ProSat - Probiotics (V3) primarily B-2-Bcustomers get an insight into Chr. Hansen’s strict, thought-through and all inclusive holistic R&D process; and finally the main emphasis of Why use probiotics in animal production? (V6) is on conveying to livestock farmers the reasons why they should use probiotics in their animal feed. The multifacetedness is even more pronounced when it comes to the use of meaning making resources in the videos. This will be illustrated in the following by describing the corporate videos of general interest to a wider audience. V1 takes the form of a cartoon video, mixed with snapshots of moving pictures of product related objects and the logo of Chr. Hansen; the drawings are caricatures grossly stereotyping people (a representative of Chr. Hansen, business people, scientists), plates, forks, knives, a rosette, bank notes, hearts, light bulbs, flowers, animized jigsaw puzzle pieces, a globe, question marks, bottles, food packages to name but a few; a female voice representing the company functions as the narrator through the entire video, accompanied by music in the background; words like „EXAMPLE 1“ or „SYNTHETIC“ appear as written text and include a „Welcome to Chr. Hansen“, a link to its website, and the slogan „Improving food & health“; colour is used to differentiate between the present (blue background colours) and the past (brown). V4 forms a contrast to V1 by consisting almost exclusively of black and white historical film shots showing for instance employees, production and laboratory facilities and products, only replaced in the beginning and at the end of the video by the colourful logo of Chr. Hansen, including the slogan „Improving food & health“; a male voice functions as the narrator through the entire video, accompanied by stringed instrumental music in the background. Finally, V5 is formed as a sci-tech ad portraying consumers as modern people living exciting and challenging but also stressful lives. They are shown in different everyday situations, enjoying a family breakfast, driving to work, biking, running, canoeing, and picnicking on the beach. These scenes are mixed with shots of scientific experts and end with the logo of Chr. Hansen, including the slogan „Improving food & health“. A male voice functions as the narrator that explains the importance and health benefits of probiotics; it is mixed with
208
Ditlevsen / Kastberg
the voices of the scientific experts that support the claims made by the narrator; key words and phrases like „Probiotics restore your microflora“, „Thousands of consumers participate in these trials“ or „Health benefit is strain specific“ appear as written text; different kinds of music are playing softly in the background during the entire video. The other three selected videos show multifacetedness, too. V6, like V1, is an animated cartoon video; V2 consists of film shots partly of individual employees on a black background with very limited speech and partly of different coloured shapes representing the products of Chr. Hansen; and finally, V3 consists primarily of film shots from different angles of the vice president Innovation, Benedict Flambard, who explains the R&D process of Chr. Hansen. After this general description of the selected corporate videos we now turn to the second part of our research agenda, i.e. to examine to what extent we may see a correspondence between the identity that the company wants to project to its stakeholders and the actual discursively constructed identity in the selected corporate videos. This part of our paper is based on findings from an analysis of to what extent and how core elements of the company’s planned identity as expressed in its mission, vision and values statements (cf. section 3.1) are discursively constructed in the selected videos. Chr. Hansen’s mission to improve food and health is discursively constructed in five of the six videos. In most cases it is presented as an explicit statement, „– improving food & health“, that forms part of the company logo shown either at the end of the video (V1, V2 and V5) or both at the beginning and at the end (V3, V4). In V1, V2 and V4 it is further expressed directly in the oral speech like for instance: Together with our customers we improve food and health by providing innovative natural ingredients of the highest quality that can help customers be more efficient more profitable and more responsible when bringing products to the market (V1).
The company mission is further expressed discursively in all videos via words and pictures related to food and health like the words „food“ and „health“/„healthy“ themselves, „cheese“, „soft drinks“, „satiety“, „gut hormon“, „body“, „microflora“, and „probiotics“ that are supported by images of plates, forks, and knives; food packages, bottles, cheese, production facilities, curing facilities, a breakfast scenario, etc. The mission is in a sense omnipresent as it is the permeating message of all the selected videos; in V1-V5 it constitutes their background, the meta-discourse, from which all other issues, things, contents in the videos derive: How Chr. Hansen through its employees, its R&D process,
Corporate Videos from a Corporate Identity Perspective
209
and its products helps improve food and health. In V6 the permeating message is how Chr. Hansen can improve the bottom line of farmers’ income by improving the health of live-stock and in this way contribute to improving food and health. As opposed to the discursive construction of the company’s mission, there are no definite expressions that can be linked to the company vision to become the world's leading supplier of natural ingredients and the preferred partner for its customers. It may, however, be inferred from the videos to different degrees. Expressions like the above and the following may be seen as examples of this: This work process is put in place in order to ensure that we have the best results not only from the company point of view but also for you as customer (V3). The market for consistent high-quality dairy starter cultures has grown and today it accounts for the largest part of Chr. Hansen’s turnover (V4). So what is the bottom line of our little story? What is the one reason you should use probiotics from Chr. Hansen for your cows, poultry and swine? Well, the bottom line is the bottom line because probiotics will improve your bottom line (V6).
The vision is also supported by visual resources for instance by drawings of a customer raising his arms happily in the air because he has been helped by Chr. Hansen (V1) or by images of consumers in balance due to probiotics (V5), or as a third example by drawings of a farmer who first raises his hands to say „what can I do when my animals are sick?“, then signals via different gestures and postures that he has made the decision of going to war against the harmful bacteria in his animals by choosing Chr. Hansen products, and finally smiles relaxed with his hands in his pocket because his animals are healthy thanks to the products of Chr. Hansen (V6). The company values ambition, performance, accountability, teamwork and honesty (cf. section 3.1) are all discursively constructed in the videos. As the only value, honesty, interpreted as open and honest communication and behaviour, is only found indirectly. For instance in V2 the moving pictures of individuals smiling, faced towards the camera, signal openness and honesty. Another sign of honesty might be the underlying assumption in V6 that the bottom line of business is highly important for a farmer and crucial for his survival in business. The value ambition, including being innovative, passionate and setting challenging goals, is most salient in V1, V2 and V4. It is discursively constructed via words and expressions 6 like „develop“, „provide innovative natural ingredients
6
The spoken and written textual semiotic resources used for the discursive construction of the company values are in most cases supported by visual semiotic resources as well. For our
210
Ditlevsen / Kastberg
of the highest quality“, „a new idea“, „Chr. Hansen’s innovation teams“ (V1), „EVERY DAY SOMETHING NEW “, „NO ROUTINE WORK“, „DAILY CHALLENGE“, „THINKING OUT OF THE BOX“ (V2), or „initiate“, „continue to expand the thriving business“, „Our long time experience and focused research within the area results and continues innovation and launch of new products“ (V4). The performance value, i.e. to do a good job, to be holistic, motivating and measuring (cf. above), is most salient in V1, V4 and V6. In V1 it is predominantly constructed discursively by means of three examples of how Chr. Hansen helps its customers to meet their challenges via „the knowledge and experience of [its] experts“, its „highly specialized Chr. Hansen enzyme solutions“, its „full spectrum of bright and vivid natural colours and (…) superior technologies for application in food and beverages“, and via „just the right mix of some of the best documented probiotics on the market“. In V4 words and expressions like „better and more wholesome product“ and „consistent high-quality dairy starter cultures“ that account for „the largest part of Chr. Hansen’s turnover“, all related to the company’s products, support the performance value. Finally, in V6 two cartoon hero figures representing the probiotics of the company „do good“ because they fight inbalances in animals’ guts. The value accountability, i.e. to be counted on (cf. above), is most salient in V3 and V5 where it is predominantly linked to the scientific accountability of the research, which lies behind the company’s product. In V3 it is represented by words and expressions related to „tests“, „trials“, and „clinical studies“. However, more importantly it is represented by the topic of the video, i.e. the R&D process of the company, labelled „the value chain“, as it can be regarded as a piece of evidence that the company can be counted on in all aspects of the process. In V5 the scientific accountability is stressed throughout the video and highlighted in the following example: The high standards in probiotic research means the consumers can have full confidence in the products they are consuming (V5).
Accountability is also salient in V6 where it is more linked to the idea that farmers can count on Chr. Hansen and its probiotics to keep animals healthy and – in turn – increase farmers’ profits, „the bottom line“, as represented visually by a picture of a coin dropping into a piggy bank. purposes the latter were included in our presentation at the conference in those cases where they will add substantial information to the findings.
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The fifth and final value, teamwork (working in teams, with no boundaries), is most salient in V1 where it is represented by words and expressions like „together with our customers“, „through close interaction between customers and Chr. Hansen’s innovation teams“, „by combining her [i.e. a customer’s] own knowledge and insight with the knowledge and experience of our experts“, „together [with our customer] we were able to (…).“ In V5 it is discursively constructed as office workers working together, family members playing together on the beach, couples running and canoeing together as a sign that all work and play is done together in teams. Another aspect of teamwork across boundaries is evident from the fact that the company narrator voice is supplemented with statements from a Spanish and an Italian expert, implying that working together also means crossing national boundaries. Finally, in V6, the two cartoon hero figures representing the probiotics of the company are „a great team“ in their fight against imbalances in animals’ guts and thus support the company value teamwork. 5
Discussion and Outlook
As we stated in section 1, this paper features a twofold research agenda. First of all, we wanted to contribute to the research on corporate videos by describing them as a multifaceted corporate communication medium. Secondly, we wanted to examine to what extent the identity a company wishes to communicate corresponds to the discursively constructed identity in select corporate videos. Based on the above analyses there is little doubt that company videos are best described as a multifaceted corporate communication medium. There is further little doubt that they do in fact pay homage to the call of Corporate Identity Management, i.e. „that a company strategically plans its communication with its stakeholder groups based on the right corporate identity mix“ (see section 2). Neither can there be any doubt that mission, vision and values are present in the different categories of videos (see section 3). As we demonstrated in section 4, we have, in sum and quantitatively speaking, documented that Chr. Hansen’s mission, vision and values are indeed present in its corporate videos, and that, in sum and qualitatively speaking, they are depicted in different ways by means of different meaning making resources – something we have referred to as featuring multifacetedness. However, whereas all of the company’s values, i.e. ambition, performance, accountability, teamwork and honesty, are present in the videos, they are not constructed in the same way. Accountability, i.e., that Chr. Hansen can
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be counted on, as one instance of a salient value, is discursively constructed by means of intertextual references to scientific protocol, by alluding to scientific and business discourse, by means of testimonials, by depicting Chr. Hansen employees in professional settings, by showing how customers – be they end consumers or other businesses – are able to enjoy a profitable life to the full thanks to Chr. Hansen’s products etc. What we would like to address in this closing section is particularly the second strand of our research agenda. We do so by critically interpreting our findings. What interests us especially in this section is the question if the idea behind Corporate Identity Management can indeed be said, and this is a crude generalization, to be fulfilled by what corresponds to a kind of (almost) surface-level adherence to its credo. Or if in fact we could and should add another, a deeper layer to Corporate Identity Management by taking the consequences of our view that discourse is constitutive (see section 3.3). In order to answer that question, however tentatively, we turn to video V6, Why use probiotics in animal production, a video aiming at informing live-stock farmers of the benefits of using probiotics in their production (see section 4 for further details). As mentioned previously, this video discursively constructs company values. The critical question we would like to pursue here is: Is this all it discursively constructs? Message-wise the video revolves around a logic that stipulates that a) healthy animals are a better product economically for the farmer and since b) probiotics will help make or keep the animals healthier c) farmers should use probiotics in their animal feed. The animated video portrays four cartoon-like figures, the farmer, a chicken, a cow and a pig. In addition to these figures two so-called heroes are introduced, i.e., figures dressed as masked and caped superheroes, imbodying the two Chr. Hansen probiotics strands mentioned in the video. The typical resources of the cartoon medium are used throughout as the figures’ expressions and body language mirror the speech of the narrator. For instance, when there is talk about sickness the pig is portrayed as being sick and laying on its back with all four feet up in the air; when there is talk about being healthy, the pig is smiling happily etc. Likewise, the farmer, a man, is depicted as a sort of hillbilly-farmer-type of yesteryear wearing old-fashioned overalls and sturdy wellingtons. Adhering to our view that discourse is constitutive (see section 3.3), we hold that Chr. Hansen is in fact not only discursively constructing a message, i.e. the logic above, in and by means of this video but is indeed also constructing both its products and the target group of the video. The video, in essence, constructs its target group as a mildly ridiculous, out-of-date stereotype cartoon
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figure of a farmer in need of assistance. By constructing the farmer in this way, it not only belittles its target group per se but also the knowledge intensive, hightech farming industry as a whole. The construction of its own products, literally, as superheroes coming to the rescue of said farmer only enhances the infantilized position of the farmer and, in the process, Chr. Hansen attributes a panacea-like (if not superheroic) quality to its products. To this corporate construction of the company’s self and the other, we have two general sets of follow-up questions – both of which merit further research. The first, and case-specific, set of questions pertains to whether these discursive constructions are indeed intended by the company? The company’s answer to that question, quite interesting in itself, will, subsequently, lead to new questions as to the motives of the company. Needless to say, being case-specific also implies that the reactions of the target group be questioned in order that the findings of these investigations may help provide a more comprehensive picture. The second set of questions, which we derive from the insights gained in this paper, is of a somewhat more abstract nature. These questions pertain to the three elements singled out in the above critical discussion, elements that correspond to the core triplet of (any) communication theory, i.e. sender-messagereceiver. It is, however, important to stress that by singling out these three elements we are by no means being exhaustive; as seen from our view, i.e. that discourse is constitutive, the video discursively constructs a wide variety of other elements simultaneously. Adding to this indeed more complex picture of the video thus examined, we suggest that all of the other videos in our corpus also feature such a complex framework of discursive constructions. But – and this is particularly interesting – we are also quite convinced that each video features its own, i.e. a unique, complexity of discursive constructions, which in turn calls for not only a first order investigation – akin to the one that we have conducted here –, but indeed for second order investigations. We thus encourage future research, aiming at mapping and explaining the what, the how and the why of the discursive constructions of corporate identity in corporate videos, because it would add significantly to our knowledge of this under-studied, yet intensively practiced medium of corporate communication. 6 References Ackoff, R. L. (1987): „Mission Statements“. In: Planning Review July/August 1987, 30-31. Alessandri, S. W. (2001): „Modeling Corporate Identity: A Concept Explication and Theoretical Explanation“. In: Corporate Communications: An International Journal 6 (4), 173-182.
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Kinowerbung – multimodale und multisensorische Markenerlebnisse Sabine Wahl Abstract Seit der Entstehung der ersten Filmtheater in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts sind das Kino und die Werbung eng miteinander verbunden: Werbung wurde von Anfang an im Kino gezeigt, u.a. in Form von Scheinwerferreklame und von Werbefilmen. Das Kino ist dabei aber nicht nur Ort für multimodale und multisensorische Markenerlebnisse auf der Leinwand, sondern für manche Produkte wie beispielsweise Eis von Langnese gleichzeitig auch Point of Sale und Ort des Konsums. Außerdem wird an ausgewählten Beispielen deutlich, wie schon lange vor dem 4DX-Kino im Kinofilm und auch im Kinowerbefilm die Standardkombination von Bild und Ton um haptische und vor allem um olfaktorische Reize erweitert sein kann.
1
Werbung im Kino und für das Kino: eine Einführung
Bei jedem Kinobesuch begegnet uns heutzutage Werbung in vielfältiger Form für verschiedene Produkte und/oder Dienstleistungen regional und international agierender Unternehmen: Im Foyer des Kinos sehen wir vor allem Plakate und Aufsteller für die Filme des aktuellen Programms und die Filme der kommenden Wochen. Außerdem werden wir im Vorraum mehr oder weniger deutlich auf die Produkte aufmerksam gemacht, die in Form von Snacks, Süßigkeiten und Getränken das Filmerlebnis begleiten sollen. Im Kinosaal selbst beginnt das Erlebnis mit einem Block aus Werbefilmen für Produkte und Dienstleistungen sowie für andere Kinofilme, die bald anlaufen und aufgrund von Ähnlichkeiten zum aktuellen Film – wie beispielsweise dasselbe Genre, dieselben Schauspielerinnen und Schauspieler oder Regisseurinnen und Regisseure – (erneut) den Geschmack der Zielgruppe treffen könnten. Dieser Beitrag beschäftigt sich nicht mit der Werbung für den Film in Form von Filmplakaten oder Trailern, die das Kino von Anfang an begleiten (vgl. Beilenhoff / Heller: 1995, Hediger 2001a), sondern – in diachroner und multimodaler Perspektive – mit Kinowerbefilmen für verschiedene Produkte. Dabei wird sich auch zeigen, wie eng das Kino und der Werbefilm in vieler Hinsicht miteinander verbunden sind (Kapitel 2.1). Doch auch ein anderes Werbemittel des frühen Kinos wird vorgestellt, das wie die Anzeige und das Plakat grundsätz© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_13
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Wahl
lich multimodal konzipiert war, aber von der Forschung bisher wenig beachtet wurde: die Scheinwerferreklame. Dies war eine im Vergleich zum Film weniger aufwendige und damit kostengünstigere Möglichkeit der Werbung im Kino über Dias (Kapitel 2.2). An einem Beispiel der Scheinwerferreklame und am Beispiel von Langnese (Kapitel 3.1) wird deutlich, dass das Kino Ort für die Werbung, den Kauf und den Konsum sein kann. Dass der Film im Kino nicht nur zwei Sinne ansprechen kann, sondern auch die Haptik und besonders die Olfaktorik zu Gestaltungselementen werden können, belegen die Experimente zum Duftfilm in der Kinogeschichte sowie das neue 4DX-Kino (Kapitel 3.2). Auch in Werbefilmen kann der Duft erfolgreich eingesetzt werden. Die Analyse eines bedufteten Werbefilms für Nivea Sun zeigt dabei die Möglichkeiten und Grenzen der multimodalen und multisensorischen 1 Markenerlebnisse auf (Kapitel 3.3). 2
Das Kino und die Werbung
2.1 Das Kino und der Werbefilm Kurz nach den ersten kinematographischen Vorführungen Ende 1895 wurde 1896 bereits der erste Werbefilm für den damaligen Luxusartikel einer eigenen Badewanne mit dem Titel Bade zu Hause von Oskar Messter produziert und zusammen mit dem Spielfilm Der Kuss auf dem Maskenball im Berliner ApolloTheater uraufgeführt (Westbrock 1983: 30-32). Im selben Jahr kaufte Oskar Messter das Kino ‚Unter den Linden 21‘ in Berlin und war damit Werbefilmproduzent und Besitzer eines der ersten festen Filmtheater zugleich (Westbrock 1983: 31). Ab 1909 baute Julius Pinschewer seine Werbefilmproduktion in Berlin auf. Gleichzeitig professionalisierte Pinschewer den Vertrieb von Werbefilmen und hatte 1912 schon mit ungefähr 500 Kinos in Deutschland und der Schweiz vertraglich vereinbart, exklusiv seine Filme zu zeigen (vgl. Loiperdinger 2010b: 4). 2 Die Produktion und die Vorführung bzw. der Vertrieb von Werbefilmen lagen damit ganz nah beieinander. Am Beispiel des Werbefilms Die Suppe (1911) von Julius Pinschewer für Maggi Würze (vgl. Loiperdinger 2010a: DVD) lassen sich die multimodalen und multisensorischen Möglichkeiten des frühen Werbefilms verdeutlichen: Der Werbefilm zeigt einen Herrn beim Essen einer Suppe, die ihm noch einmal so gut schmeckt, nachdem er sie mit Maggi gewürzt hat. Der Stummfilm ist multi1 2
Zur Definition vgl. Wahl (2016). Zum Werk von Julius Pinschewer vgl. Loiperdinger (2010b) und Amsel (1997).
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modal in dem Sinn, dass er das Bild mit der geschriebenen Sprache auf dem abgefilmten Etikett auf der Flasche verbindet und so zwei Zeichenmodalitäten zur Gestaltung verwendet.
Abbildung 1: Screenshot Werbefilm Die Suppe (Quelle: Loiperdinger 2010a: DVD) Für eine zweite Version des Werbefilms wird auf der DVD eine Audiospur mit Klavierbegleitung angeboten, wie sie auch zur Stummfilmzeit bei der Filmvorführung generell üblich war. Es wird deutlich, dass die Musik zunächst die Verärgerung des Herrn über die nicht gut gewürzte Suppe verstärken kann. Genauso kann sie den Genuss nach dem Würzen mit Maggi unterstreichen, indem das im Zeitraffer beschleunigte Löffeln der Suppe in der Musik von einem accelerando (d.h. eine Beschleunigung des Spieltempos) begleitet wird. In diesem Fall ist die Klavierbegleitung genau auf das Bild abgestimmt.
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Bild
Musik
[((Klavierbegleitung mit accelerando))
]3
Abbildung 2: Screenshot Werbefilm Die Suppe mit Musik (Quelle: Loiperdinger 2010a: DVD) Da aber in der Stummfilmzeit die Musik noch nicht integraler Bestandteil des Films war, konnte sich – je nach Begleitung – eine bessere oder schlechtere Passung zu den bewegten Bildern ergeben, was ein mehr oder weniger starkes multisensorisches Filmerlebnis zur Folge haben konnte. Das gilt gleichermaßen für andere Formen des Tons während der Filmvorführung wie beispielsweise die reale Nachahmung von Geräuschen durch Geräuscherzeuger, den Einsatz von Musikinstrumenten wie der Kinoorgel, von Geräuschmaschinen, von Filmerklärern oder Synchronsprechern (vgl. Gervink / Bückle 2012: 186-187). Die so bei jeder Vorführung neu erzeugte Tonspur hatte aber auch einen ganz praktischen Nutzen: Sie übertönte störende Geräusche, u.a. die des Projektors (vgl. Pringsheim 1924: 328). Ob als praktisches Hilfsmittel oder als Gestaltungselement betrachtet, der außerhalb des Films erzeugte Ton machte das Kino schon damals auch zu einem multisensorischen Erlebnis für das Auge und das Ohr. Die weitere Entwicklung des (Werbe-)Films führte im Jahr 1926 zur Einführung des Tonfilms (vgl. Monaco 2009: 138). Ab diesem Zeitpunkt konnte der Ton als von der konkreten Aufführung unabhängiges, immer gleich genau passendes Gestaltungsmittel eingesetzt werden. 1928 wurde in Deutschland das erste abendfüllende Tonfilmprogramm mit dem Werbefilm Tönende Welle von 3
Zum Transkriptionssystem vgl. Wahl (2013 und 2014).
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Walter Ruttmann und Joseph Masolle für das neue Medium Rundfunk gezeigt (vgl. Westbrock 1983: 68-69). Darüber hinaus wurden Filmtechniken von den Pionieren des Films oft zuerst im Werbefilm ausprobiert, weil die Werbefilme kurz waren und bezahlt wurden. Dazu zählen verschiedene Formen der Animation (u.a. Sachtrick, Stopptrick, Zeitraffer- und Zeitlupenaufnahmen; vgl. Die Suppe und Westbrock 1983: 37-38) sowie verschiedene Techniken der Kolorierung von Filmen, mit denen ab den 1920er Jahren experimentiert wurde (vgl. Westbrock 1983: 51-53, 74-77). Der Film ist heute klassischerweise ein multimodales und multisensorisches Kommunikat aus Bild und Ton. Dass aber im Kinofilm auch andere Sinne angesprochen werden können, zeigen die Experimente zum Duftfilm sowie die Möglichkeiten der 4DX-Kinos (vgl. Kapitel 3.2). 2.2 Die Scheinwerferreklame im frühen Kino Aus den ersten Jahren des Kinos bzw. des Filmtheaters ist eine rein auf den Sehsinn ausgerichtete, multimodale Form der Werbung bekannt: die Scheinwerferreklame. Dabei handelt es sich um Glasdias, auf denen meist mit Bildern und geschriebener Sprache Werbebotschaften gestaltet wurden. Diese Dias wurden im Kinosaal auf den Vorhang bzw. die Leinwand projiziert, sodass man auch von projizierten Werbeanzeigen sprechen kann. Eine Sammlung solcher Scheinwerferreklamen auf Glasdias ist in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen in Berlin erhalten und konnte für diesen Beitrag ausgewertet werden. 4 Das erste hier gezeigte Dia (Abbildung 3) mit der Aufschrift „REKLAMEPAUSE“ gibt einen Hinweis auf den Kontext der Vorführung dieser Scheinwerferreklame: In den technisch bedingten Pausen, in denen die Filmrollen gewechselt werden mussten, war Zeit für Werbung.
4
Ich danke Julia Riedel, Fotoarchiv der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, für die Möglichkeit zur Recherche vor Ort und die Digitalisierung der Dias.
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Abbildung 3: Dia zur Ankündigung der Reklamepause Die weiteren hier abgebildeten Dias zeigen einen Ausschnitt dessen, wofür geworben wurde. 5 Die Dias in Abbildung 4 machen Werbung für das Werbemittel der Scheinwerferreklame selbst. Sie dienen damit als Beispiele für Business-toBusiness-Werbung (B2B-Werbung), in denen die Betreiber der Filmtheater mit der Wirkung und dem Erfolg der Lichtreklame argumentieren (Abbildung 4 a-c). Sie weisen in den Dias außerdem darauf hin, dass man zu dieser Form der Werbung „Näheres bei der Geschäftsleitung“ (Abbildung 4 c) erfahren kann und betonen: „Aufträge werden bereitwilligst entgegengenom̅en“ (Abbildung 4 b). a)
5
Andere Dias dieser Sammlung kündigen Kinofilme oder Filmvorführungen an. Sie erfüllen damit die Funktion moderner Trailer, allerdings in ebenso statischer Form wie das Filmplakat.
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b)
c)
Abbildung 4: Scheinwerferreklame-Dias zur Werbung für die Licht(bild)reklame 6
6
Das Dia 4a) ist Teil der Ausstellung der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen in Berlin. Der Informationstext dazu lautet: „Kino-Dias / Für die Pausen zwischen den Filmvorführungen / Zehner Jahre“.
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Abbildung 5 zeigt ein Lichtreklame-Dia, das sich an das Kinopublikum wendet. Das Dia bewirbt das Süßigkeitenangebot, das es im Vorraum des Filmtheaters zu kaufen gibt.
Abbildung 5: Scheinwerferreklame-Dia zur Werbung für das Süßigkeitenangebot des Kinos Diesen Hinweis auf das Angebot, das das Kinoerlebnis bzw. den Filmgenuss noch versüßen soll, greifen Markenhersteller von Süßwaren auf und bewerben ihre eigenen Produkte. Abbildung 6 zeigt ein Reklame-Dia von Sarotti, das groß das Markenlogo und den damaligen Slogan präsentiert und im Kleingedruckten darauf hinweist, dass sich die Preise für Sarotti-Produkte im Filmtheater nicht von den Preisen im Laden unterscheiden: „S AROTTI -Erzeugnisse erhalten Sie auch hier im THEATER zu Original-Laden-Preisen“.
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Abbildung 6: Scheinwerferreklame-Dia von Sarotti Durch Abbildung 5 und Abbildung 6 wird deutlich, dass das Kino schon früh Ort für Werbung und gleichzeitig für den Verkauf (also Point of Sale, POS) und den Konsum von Produkten aus den Klassen der Lebensmittel und Getränke ist. Das Kino kann damit in mehrfacher Hinsicht als Ort für multimodale und multisensorische Markenerlebnisse bezeichnet werden.
226 3
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Das Kino als Ort für multimodale und multisensorische Markenerlebnisse
3.1 Das Kino als Ort für Werbung, als Point of Sale und als Ort des Konsums: Langnese Dem Vorbild von Sarotti ist ein anderer Süßwarenhersteller in besonderem Maße gefolgt: Langnese. Bereits in frühen Kinowerbefilmen von Langnese 7 wird das Publikum in den Werbefilmen auf das Kino als POS und den Kinosaal als Ort des Konsums von Langnese Eiscreme hingewiesen, bevor das Kino dann tatsächlich dazu wird. Ein Kinowerbefilm aus den 1950er Jahren für Langnese Eiscreme (am Beispiel von Domino) verdeutlicht die Verbindung von Kino und Marke:
7
Mann (im Bild):
Oh, hallo, guten Tag. Nett, dass Sie auch gekommen sind. Ich bin ja sehr gespannt auf den Hauptfilm. Aber wissen Sie, worauf ich mich noch freue?
Eisverkäuferin (aus dem Off):
Langnese Eiscreme
Mann (im Bild):
Haben Sie gehört? Das kann natürlich auch von da kommen. Der Mann deutet dabei zuerst nach rechts und dann nach links.
Eisverkäuferin (aus dem Off):
Langnese Eiscreme Die Eisverkäuferin kommt von links ins Bild.
Für die Bereitstellung einer Sammlung von Werbefilmen und Werbespots seit den 1950er Jahren danke ich Langnese.
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Mann (im Bild):
Ja, einen Domino, bitte. Der Herr bezahlt und erhält das Eis. Danke! Die Eisverkäuferin nickt und geht wieder.
Möchten Sie auch gern, ja? Na, schön.
Gleich gibt es auch für Sie Langnese Eiscreme, hier in diesem Theater. Mit Zeigegeste.
Abbildung 7: Langnese Kinowerbefilm (1950er Jahre) 8 8
Die ausgewählten Screenshots sind beispielhafte Ausschnitte aus den vergleichsweise langen Einstellungen, zu denen der angegebene Text gesprochen wird und die Handlungen ausgeführt werden.
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Wahl
In diesem Werbefilm spricht der Herr, der sich dem Text zufolge im Kino befindet, was durch die Bilder vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird, direkt zum Publikum des Werbefilms. Er wartet schon voller Vorfreude auf die Eisverkäuferin und zeigt dem Publikum des Werbefilms ganz genau, wie man im Kino ein Eis von Langnese kaufen kann – mit dem Hinweis, dass es nicht mehr lange auf die Eisverkäuferin warten muss. In einem weiteren Werbefilm von 1961 für Langnese Konfekt heißt es nach einer waghalsigen Aktion, bei der sich ein Mann von einem Hausdach ‚abseilt‘, um sich ein Eis kaufen zu können: „Sie haben’s leichter. Ihnen wird’s gleich an den Platz gebracht. Genießen Sie Langnese Eiscreme“. 9 Da Langnese diese Strategie längere Zeit verfolgt hat, wird sich das Kinopublikum in Deutschland vermutlich daran erinnern, dass der Werbefilm für Langnese als Abschluss des Werbeblocks, also in bester Position, direkt vor dem Hauptfilm gezeigt wurde – später mit dem Hinweis „Gibt’s auch hier im Kino!“
Abbildung 8: Screenshot Werbefilm Magnum 5 Kisses (2013) (Quelle: ) Nach diesem Hinweis im Werbefilm kam es in der Zeit, in der im Hintergrund der Hauptfilm erst noch in den Projektor eingelegt werden musste, zwischen dem 9
Geschrieben wurde damals .
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Werbeblock und dem Hauptfilm zu einer Unterbrechung: Im Kinosaal ging noch einmal das Licht an, Verkäuferinnen und Verkäufer kamen mit verschiedenen Sorten Langnese-Eis in den Saal, und man konnte wenige Sekunden nach dem Werbefilm sofort das beworbene Produkt direkt im Kinosaal kaufen. So musste man nicht noch einmal den Kinosaal verlassen, um für den Kauf des Produkts in den Vorraum zu gehen, falls man den Kauf vorher vergessen hatte oder erst durch den Werbefilm zum Kauf animiert worden war. Mit dieser Strategie vergingen nur wenige Minuten zwischen Werbefilm, Kauf und Konsum. Das Kino war multimodal und multisensorisch der Ort für das Markenerlebnis auf der Leinwand und in der Realität – hier sogar noch erweitert um den Duft und die Haptik der kalten Süßigkeit. Der Erfolg des Werbefilms wurde so vergleichsweise direkt am Kaufverhalten des Kinopublikums im Saal ablesbar. 10 3.2 Der Duft des Kinos, die Beduftung des Kinos und der Duftfilm Der Duft, der wohl am häufigsten mit dem Kino in Verbindung gebracht wird, ist der Duft von frischem Popcorn. 11 Das Popcorn ist sogar so eng mit dem Kino verknüpft, dass der Begriff popcorn movie zum Synonym für Blockbuster geworden ist (vgl. Hediger 2001b: 68). In den frühen Filmtheatern assoziierte das Publikum allerdings ganz andere Sinneseindrücke mit dem Kino, wie die Aussage eines Zeitzeugen belegt (Moreck 1926: 214): Was den Aufenthalt in den Kinoräumen angeht, so ist er vielfach recht unangenehm. Manche Besucher haben mit Recht den Aufenthalt als eine körperliche und seelische Qual bezeichnet. Die Räume sind meist überfüllt, die Lüftung ist ungenügend, ungehindert rauchen Erwachsene und Jugendliche, alles ist in Dunst und Qualm gehüllt, vermischt mit Ausdünstungen und zweifelhaften Wohlgerüchen.
Zur Luftverbesserung und aus hygienischen Gründen wurden deshalb in den Kinosälen Desinfektionsmittel versprüht (vgl. Paech 2000: 74-76 und 2012: 2728). Diese Form der ‚Beduftung‘ des Kinos hatte also zunächst – vergleichbar mit dem Einsatz von Musik – einen praktischen Nutzen, um Gerüche (z.B. von Essen und Zigaretten) zu überdecken und den Aufenthalt im Kino angenehmer bzw. so angenehm wie im Theater zu gestalten –, und das trotz der schlechteren 10 11
Eine Nachfrage bei Langnese zu den Eckdaten dieser Werbestrategie, d.h. ab wann und wie lange diese Strategie in Deutschland und ggf. in anderen Ländern (unter anderem Markennamen) in welchen Kinos bzw. Kinoketten verfolgt wurde, brachte keine weiteren Erkenntnisse. Zum Essen von Popcorn und anderen Snacks im Kino vor allem seit den 1950er Jahren vgl. Hediger (2001b). In die deutschen Kinos kam das Popcorn ab 1977 (vgl. Schmidt 2011).
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Belüftung und der längeren Nutzungsdauer der Kinosäle. Der Vergleich mit dem Theater brachte dem Kino eine weitere Form der Beduftung ein: Mit einer Parfümierung wie im Theater sollte das Kino aufgewertet werden. Beispiele dafür sind in den 1920er Jahren die Beduftung durch einen elektrischen Zeppelin im Berliner Tauentzien- und Ufa-Palast sowie im Jahr 1913 – bereits in Ansätzen mit Filmbezug – die Beduftung mit dem Parfüm Marguerite Carré der Pariser Firma Bourgeois bei der Eröffnung des Berliner Lichtspieltheaters ‚Marmorhaus‘, bei der der Film Das goldene Bett auf dem Programm stand; bei der Premiere des ersten MGM-Tonfilms The Broadway Melody im New Yorker Capitol 1929 wurde der Duft von Orangenblüten verströmt (vgl. Paech 2000: 73-76 und Paech 2012: 29). Ab den 1940er Jahren beginnen die Experimente zum tatsächlichen Duftfilm mit unterschiedlichen Techniken vom Versprühen bis zum Einsatz von Rubbelkarten, die erst beim Reiben durch die Zuschauerinnen und Zuschauer Duft verströmen. Zu nennen sind hier (vgl. Paech 2000: 68-73, Paech 2012: 31 und Hediger 2001b: 72):
„Odorated Talking Pictures“ für My Dream (1940) „AromaRama“ für The Great Wall of China (1959) „Smell-O-Vision“ für Scent of Mystery (1960) „Odorama“-Rubbelkarte mit verschiedenen Düften für Polyester (1981)
Abbildung 9: Odorama-Duftkarte (Quelle: ) Mit dem Werbeslogan „Smelling Is Believing“ lancierte John Waters vor zwanzig Jahren Polyester (New Line 1981), einen Duftfilm im Odorama-Verfahren. Die Zuschauer erhielten Rubbelkarten und waren aufgefordert, während der Vorführung an bestimmten Stellen auf ein Zeichen hin nummerierte Felder anzurubbeln, worauf das entsprechende Feld den Duft des gezeigten Gegenstandes freisetzte. Erklärt wurde das Verfahren von einem ‚Wissenschaftler‘ im Vorspann anhand eines Rosenstraußes – es sollte der letzte wohlriechende Duft des Films sein (Hediger 2001b: 71-72).
231
Kinowerbung
Bei den Verfahren mit einer Duftkarte zum Reiben kommt beim Filmerlebnis zur olfaktorischen sogar noch eine haptische Komponente dazu. Eine Duftkarte lässt sich darüber hinaus für das erneute Erlebnis zuhause auch einer DVD beilegen wie beispielsweise für den Film Polyester (vgl. Paech 2012: 31). Die genannten Duftfilmexperimente blieben aber ohne nachhaltigen Erfolg, vermutlich wegen der Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung (v.a. bei mehreren Düften in Folge), wegen der als eingeschränkt beschriebenen Zeichenfunktion von Düften (vgl. Hediger 2001b: 72) und wegen der höheren Kosten im Vergleich zum Bild-Ton-Film. Einen Aufschwung erlebt der um viele weitere Effekte erweiterte 3DDuftfilm seit der Einführung des 4DX-Kinos ab 2009. Ähnlich wie bei den IMAX-Kinos werden die 4DX-Filme in einem eigens für diese Technik ausgestatteten Kinosaal gezeigt. Die Filme werden dabei von der Firma CJ 4DX meist in Absprache mit der jeweiligen Filmproduktionsfirma um eine Spur für die zu Bild und Ton zeitlich genau abgestimmten Spezialeffekte erweitert. Manche Spezialeffekte laufen dabei über Vorrichtungen im Kinosaal, andere Effekte sind an verschiedenen Stellen in die sich bewegenden Sitze integriert. Der Duft kommt dabei für jeden Platz aus einer Düse aus der Rückseite des Sitzes in der vorderen Reihe (vgl. Abbildung 10):
Abbildung 10:
Übersicht über die Effekte des 4DX-Kinos (Quelle: )
232
Wahl
3.3 Der beduftete Kinowerbefilm am Beispiel von Nivea Sun (2006) Die Experimente zum Duftfilm sind bislang auch auf vereinzelte beduftete Werbefilme übertragen worden. Im vorliegenden Beitrag steht ein Werbefilm für Nivea Sun aus dem Jahr 2006 im Zentrum, der 2007 mit zwei Eurobest Awards in Bronze ausgezeichnet wurde. Dieser beduftete Werbefilm mit einer Dauer von einer Minute wurde von der Agentur TBWA\Germany in Zusammenarbeit mit der Firma cinescent entwickelt. Der Film beginnt mit einer Strandaufnahme, in der das Publikum den weißen Sand, wenig Grasbewuchs auf den Dünen, in unterschiedliche Richtungen gedrehte Strandkörbe, kleine Menschen, das weite Meer und den Himmel betrachten kann. Die Einstellung wird nicht durch Schnitte unterbrochen. Dadurch wirkt die Aufnahme so, als würde man aus der Ferne von der Düne aus die Landschaft, die durch den Sand gehenden Menschen und die sich im Wind bewegenden Gräser beobachten. (Fast fühlt man sich auch an die Perspektive einer für diesen Strandabschnitt aufgestellten und für diese touristische Destination werbende Webcam erinnert). Die Audiospur ist dabei ebenso zurückhaltend gestaltet: Man hört nur den Wind, das Meeresrauschen und die Möwen. Bild
Geräusch
[((Wind, Meeresrauschen, Möwen
))]
Abbildung 11: Transkription Werbefilm Nivea Sun 1 Dieses Bild-Tonerlebnis wird zunehmend von einem Duft begleitet, der durch die Klimaanlage des Kinos versprüht wird. Nach ungefähr 45 Sekunden wird im Spot das Geheimnis des Duftes für alle, die den Duft nicht erkannt haben, langsam gelüftet: Die Auflösung beginnt mit der Texteinblendung „The smell of
233
Kinowerbung
summer“ in der englischen Version bzw. „So riecht der Sommer“ in der deutschen Fassung. Bild
Text Geräusch Duft
[((the smell of summer [((Wind, Meeresrauschen, Möwen [((Originalduft Nivea Sun
))] ))] ))]
Abbildung 12: Transkription Werbefilm Nivea Sun 2 Im Anschluss daran verschwindet die Texteinblendung, und das Logo von Nivea Sun erscheint auf der Leinwand. Bild
Text Geräusch Duft
[((Logo Nivea Sun [((Wind, Meeresrauschen, Möwen [((Originalduft Nivea Sun
Abbildung 13: Transkription Werbefilm Nivea Sun 3
))] ))] ))]
234
Wahl
In einem Video, in dem die Vorführung des Werbefilms im Kino zu Analysezwecken von Kameras aus unterschiedlichen Perspektiven eingefangen wurde, 12 werden in schriftlich eingeblendeten Kommentaren das Vorgehen und die Reaktionen des Publikums beschrieben: „The audience suddenly smells something out of the ordinary. The smell becomes more and more intensive… The members of the audience wonder to themselves: Doesn’t that smell like NIVEA Sun Milk?“ Im Rahmen der Werbewirkungsforschung zu diesem Werbefilm wurden im Anschluss an das multimodale und multisensorische Werbefilmerlebnis Interviews mit allen Zuschauerinnen und Zuschauern geführt. Diese Erhebung hat eine vergleichsweise hohe ungestützte Erinnerung an die Marke von bis zu 37% ergeben. Der Werbeeffekt zu diesem Film wurde mit +515% 13 angegeben. Tests zu zwei weiteren bedufteten Werbefilmen kamen zu dem Ergebnis, dass die Filme signifikant unterhaltsamer und angenehmer wahrgenommen wurden, und auch hier lag der Erinnerungswert signifikant höher. Es ergab sich ein vergleichsweise deutlicheres Bild der jeweiligen Marke, die darüber hinaus als signifikant zuverlässiger, innovativer und hochwertiger beschrieben wurde (vgl. cinescent 2006 und cinescent / Rolfing 2009). Trotz dieser Werte sind beduftete Werbefilme die Ausnahme, ja ein Experiment ohne durchschlagenden Erfolg geblieben. 14 Abgesehen von deutlich höheren Kosten im Vergleich zum klassischen Bild-und-Ton-Film ist der Dufteinsatz schwer zu timen: Der Duft sollte im Idealfall passgenau zu Bild (und Ton) an allen Plätzen im Kino gleich intensiv und gleich lang wahrzunehmen sein, aber in der Realität kann der Dufteinsatz nur am besten Platz orientiert sein. Der Beginn, die Dauer und die Intensität des Duftes variieren bei der Verteilung über die Klimaanlage von Sitz zu Sitz. Die genannten Schwierigkeiten der Beduftung potenzieren sich, je kürzer die Werbefilme werden. Außerdem kann eine nicht angekündigte Beduftung von Werbefilmen für Allergiker problematisch sein. 15 Mit dem Einsatz einer Duftkarte könnten diese Schwierigkeiten teilweise vermieden werden. Außerdem könnte sich das haptische Erleben zusätzlich positiv auswirken.
12 13 14 15
Ich danke Claus Runge, Geschäftsführer cinescent, für die Bereitstellung des Materials und die Auskunft. Vgl. . Vgl. Claus Runge, cinescent (persönliche Information). Eine Zuschauerbeschwerde in den USA über den Duft führte dazu, dass ein Film abgesetzt werden musste (vgl. Claus Runge, cinescent, persönliche Information).
Kinowerbung
235
Eine neue Chance für den bedufteten Werbefilm könnte sich durch das 4DX-Kino ergeben: Vielleicht werden in Zukunft für den Werbeblock neue, eventuell längere Duftwerbefilme mit weiteren Effekten eigens für die 4DXKinosäle entwickelt. Denn hier entscheidet sich das Publikum ganz bewusst für ein multimodales und multisensorisches Kinoerlebnis, das wirklich alle Sinne anspricht. 4
Zusammenfassung
Werbung im Kino gab es seit den Anfängen des Kinos in Form von statischen multimodalen Dias aus Bild und geschriebener Sprache, der Scheinwerferreklame sowie in Form von bewegten schwarz-weißen, aber stummen Bildern, die bei der Vorführung meistens eine externe Tonspur beispielsweise aus Geräuschen oder einer Klavierbegleitung erhielten. Je besser diese Begleitung auf die gezeigten Bilder abgestimmt war (vgl. Die Suppe), desto eindrücklicher wurde das multimodale und multisensorische Filmerlebnis. In der weiteren Entwicklung des Films kamen dann die Farbe, die Animationstechnik und vor allem der Ton als Gestaltungselemente hinzu. Für diese technischen Weiterentwicklungen war der kurze und bezahlte Werbefilm von großer Bedeutung. Zu verschiedenen Zeiten wurde mit dem Duft im Kino und für den Film experimentiert. Genauso wie die Musik hatte der Duft zunächst hauptsächlich einen praktischen Nutzen, bevor er zur Filmgestaltung eingesetzt wurde. Besonders Produkte, bei denen zur Beduftung der Originalduft verwendet werden kann, scheinen für beduftete Werbefilme geeignet. Trotz der Werbewirksamkeit gibt es Einschränkungen, was den Einsatz von Duftwerbefilmen betrifft. Manche davon bestehen in 4DX-Kinosälen nicht, und so könnte das Kino in Zukunft noch stärker der Ort für multimodale und multisensorische Markenerlebnisse sein. Für einige Marken aus dem Bereich der Süßwaren (vgl. Sarotti und Langnese) und Getränke bleibt es dabei nicht beim Markenerlebnis auf der Leinwand, wenn sie zusätzlich im Kino gekauft und konsumiert werden. 5
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Wahl
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Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am Point of Service (POS) zur Steuerung der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität Dirk Steffen Abstract Das sogenannte Dienstleistungpotential – der „Point of Service“ (POS) – ist ein multimodales Kommunikationsinstrument, das sämtliche Sinne anspricht, d.h. Kunden können einzelne Dienstleistungselemente visuell, akustisch, olfaktorisch, haptisch, und teilweise gustatorisch wahrnehmen. Der Beitrag zeigt verschiedene Ansatzpunkte für Dienstleistungsanbieter auf, ihr Leistungspotential multimodal im Rahmen ihres Marktauftritts einzusetzen. Dazu gehören insbesondere Kommunikationsstrategien, die in der Vorkaufphase zur Kundengewinnung bedeutend sind (Signaling, Cue Management) sowie Ansätze, um die Interaktionen zwischen Anbieter und Kunde während der Leistungserstellung zu unterstützen.
1
Herausforderungen im Rahmen der Vermarktung von Dienstleistungen
Dienstleistungen weisen eine Reihe von Besonderheiten auf, die dazu führen, dass Nachfrager ein erhöhtes Risiko beim Dienstleistungskauf wahrnehmen. Zu diesen Besonderheiten gehören insbesondere die Immaterialität bzw. NichtGreifbarkeit von Dienstleistungen, die Integration eines externen Faktors in den Dienstleistungsprozess sowie die Unsicherheit in Bezug auf das zu erwartende Leistungsergebnis (vgl. Bühler 1999: 74, Bruhn 2013: 22, Meffert / Bruhn / Hadwich 2015). Diese Besonderheiten sind im Rahmen der Vermarktung von Dienstleistungen besonders zu berücksichtigen. In der Forschung zum Dienstleistungsmarketing hat sich in engem Zusammenhang damit die grundlegende Unterteilung der Dienstleistungsqualität in die drei Phasen Potential, Prozess und Ergebnis durchgesetzt (vgl. Oppermann 1998, Steffen 2006, Meffert / Bruhn / Hadwich 2015). Das Leistungspotential eines Dienstleistungsanbieters umfasst die (internen) Produktionsfaktoren, die er bereithält, um seine Dienstleistung in einer bestimmten Qualität zu erbringen. Diese Produktionsfaktoren sind zum einen materielle Einsatzfaktoren wie beispielsweise die Geschäftsräume, die Fahrzeuge und die Mitarbeiter, zum anderen immaterielle Faktoren wie die Optik, Akustik sowie ein spezifisches Ambiente. Das Dienstleistungspotential – im weiteren Sinne der POS („Point of Service“) – © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_14
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Steffen
stellt somit zugleich ein multimodales Kommunikationsinstrument dar, das sämtliche menschliche Sinne anspricht, d.h. es kann visuell, akustisch, olfaktorisch, haptisch, und zum Teil auch gustatorisch wahrgenommen werden (vgl. Bitner 1992, Mittal 2004, Steffen 2006). Vor diesem Hintergrund bietet das Leistungspotential eines Dienstleistungsunternehmens Ansatzpunkte, um den Herausforderungen im Rahmen der Vermarktung zu begegnen. Das Leistungspotential stellt eine Voraussetzung dar, um den Dienstleistungsprozess zu erbringen, wenn der Kunde sich selber oder eines seiner Objekte (z.B. sein Auto im Rahmen einer Reparatur) als externen Produktionsfaktor in den Dienstleistungsprozess einbringt. Das Leistungsergebnis stellt sich nach dem Leistungsprozess an diesem externen Faktor ein. Im Allgemeinen bedingt die Intangibilität von Dienstleistungen einen hohen Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften, die die Beurteilungsmöglichkeit der Prozess- und Ergebnisqualität für Nachfrager vor der tatsächlichen Nutzung einschränken (vgl. Oppermann 1998: 81, Mittal 1999: 100, Bebko 2000: 12, Meffert / Bruhn / Hadwich 2015: 28). Das Leistungsergebnis beispielsweise eines Sprachkurses kann von Nachfragern im Vorfeld der Leistungserstellung – und zum Teil auch danach – nur schwer beurteilt werden. Deshalb wird bei Dienstleistungen in der Regel das Leistungspotential, nicht aber das eigentliche Leistungsergebnis vermarktet und vom Kunden beurteilt (vgl. Olavarria 2001: 133). Eine hochwertige Potentialqualität kann dabei das Vertrauen in die Kompetenz eines Anbieters verstärken und ist insofern für die Akquisition neuer Kunden relevant (vgl. Bruhn 2013: 226). Dienstleistungsanbieter sind dementsprechend gefordert, ihr Leistungspotential gezielt im Rahmen ihrer Kommunikation einzusetzen, um verschiedene Marketingziele zu erreichen (vgl. Bühler 1999, Grove / Carlson / Dorsch 2002, Mittal 2002). Dazu gehören die Senkung des empfundenen Kaufrisikos im Rahmen der Kundenakquisition, die Steuerung der Qualitätserwartungen potentieller Kunden, eine spezifische Positionierung im Markt sowie insbesondere die gezielte Steuerung eines spezifischen Qualitätseindrucks. Das Leistungspotential eines Dienstleisters ist demnach ein zentrales Kommunikationsinstrument im Marketingmix von Dienstleistungsunternehmen.
Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am POS
2
239
Wahrnehmung der Potentialqualität von Dienstleistungen
2.1 Sensorische Wahrnehmung der Potentialqualität Individuen bzw. Kunden nehmen die Potentialqualität grundsätzlich multimodal wahr, d.h. über die verschiedenen menschlichen Sinne (sehen, hören, tasten, schmecken, riechen). Für jeden Wahrnehmungsvorgang ist es zudem charakteristisch, dass eine Interpretation dieser subjektiv aufgenommenen Informationen erfolgt (vgl. Kroeber-Riel / Gröppel-Klein 2013: 363). Die visuelle Wahrnehmung im Kontext einer Dienstleistungsnutzung bezieht sich auf sämtliche optische Eindrücke, die ein Kunde vor, während und nach der Dienstleistungsnutzung aufnimmt. Dabei spielen beispielsweise die Ausstattung der Räume oder die Mitarbeitererscheinung eine besondere Rolle. In engem Zusammenhang mit der visuellen Wahrnehmung der Leistungsmerkmale eines Dienstleistungsunternehmens steht die haptische Wahrnehmung. Sie konkretisiert sich an den materiellen, greifbaren Objekte eines Dienstleistungsunternehmens („tangibles“), mit deren Unterstützung die Dienstleistung erbracht wird. Über eine entsprechende haptische Gestaltung können Dienstleistungsanbieter gezielt einen Qualitätseindruck über den Tastsinn erzeugen (z.B. eine Papierserviette gegenüber einer gestärkten Stoffserviette). Die akustische Wahrnehmung umfasst sämtliche auditiv wahrnehmbaren Elemente vor, während und nach der Dienstleistungsnutzung. Dies kann beispielsweise eine angenehme Hintergrundmusik sein, aber auch Baulärm während der Renovierung eines Hotels oder die Bremsgeräusche während einer Zugreise. Die olfaktorische Wahrnehmung bezieht sich auf diejenigen Gerüche, die im Rahmen der Nutzung einer Dienstleistung wahrgenommen werden. Dabei sind angenehme Raumdüfte ebenso wie als eher unangenehm empfundene Gerüche bei der Dienstleistungsgestaltung zu berücksichtigen. Die gustatorische Wahrnehmung umfasst sämtliche Geschmackseindrücke, die Dienstleistungskunden bei einem Anbieter erfahren. Diese Wahrnehmungsebene hat nur in ausgewählten Dienstleistungsbranchen eine Bedeutung (z.B. Restaurant, Zahnarzt, Schwimmbad). Die immateriellen Potentialmerkmale wie zum Beispiel das Ambiente stellen im Gegensatz zu den „tangibles“ eine sensorische Komponente der Potentialdimension dar, die sich einer objektiven Beurteilung durch den Kunden entzieht. Für zahlreiche Dienstleistungen haben jedoch insbesondere diese immateriellen Faktoren eine entscheidende Bedeutung für die Qualitätsbeurteilung. Ein zur entsprechenden Dienstleistung passendes Ambiente wird in der Regel nur durch
240
Steffen
eine abgestimmte und konsistente Gestaltung sämtlicher Sinneseindrücke erreicht. Bereits ein einzelnes störendes oder unpassendes Merkmal kann den angestrebten Gesamtqualitätseindruck beeinträchtigen oder sogar ruinieren. Abbildung 1 zeigt ausgewählte Beispiele, die eine entsprechende Auswirkung auf die Qualitätswahrnehmung haben. Inwiefern die Wahrnehmung eines Sinnenreizes als positiv oder negativ eingeordnet wird, hängt selbstverständlich auch vom Bewerter selber mit seinen Erwartungen und Maßstäben ab. Sensorische Wahrnehmung
Positiv-Beispiel (typische Ausprägung)
Negativ-Beispiel
Visuell, optisch
Gereinigte Bahnwagen (außen und innen), Taxis, Mietwagen
Schmutzige Kurierfahrzeuge und ungereinigte Bahnwagen, Taxis
Visualisierungen und Modelle eines Architekten
Haptisch, taktil
Krawatte der Bankmitarbeiter, weißer Arztkittel, schwarz livrierter Kellner im Restaurant
Kellner, der nicht als solcher zu erkennen ist (untypische Erscheinung)
Tischdecke im Restaurant
Fleckige Bettwäsche, Teppich mit Brandlöchern im Hotel
Ledersitze und austauschbare Kopfbezüge 1.Kl. Bahn, Haltegriffe metallisch
Plastikbestuhlung im Restaurant
Gestärkte Stoffserviette im Restaurant
Papierserviette
Daunenkissen im Hotel Kinderspielattraktionen Zug
im
Haltegriffe Kunststoff
241
Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am POS
Akustisch
Verbale Kommunikation durch Mitarbeiter
Störgeräusche allgemein Reparaturarbeiten)
Sprechende Geldautomaten
Bremsgeräusche Bahnreise
Lautsprecherdurchsagen Zug, am Bahnhof
Olfaktorisch
im
(z.B.
Rolltreppe in einer Buchhandlung
Urlaubslied im Ferienclub
Unpassende Hintergrundmusik
Raumgeruch im Hotel
Käsegeruch im Café
Chlorgeruch im Schwimmbad
Übelriechende Zug-WC
Sonnenmilchgeruch Strandbar
Fettgeruch im Restaurant
in
der
Raucherabteil Zug / Restaurant Gustatorisch
Chlor-/SalzwasserGeschmack Schwimmbad Mint-Geschmack arzt/Dentalhygiene Feriencocktail
Zahn-
Blutgeschmack Zahnarzt Restaurant: versalzen
Essen
zu
scharf,
Wässriger Kaffee im Hotel / Zug
Abbildung 1:
Sensorische Wahrnehmung von Dienstleistungselementen
2.2 Dimensionen der Potentialqualiät aus Kundensicht Neben der Berücksichtigung der sensorischen Wahrnehmung sind für Dienstleistungsunternehmen Kenntnisse über die Struktur des Konstrukts Potentialqualität aus der Kundenperspektive hilfreich, um Ansatzpunkte für die Qualitätssteuerung zu erhalten. Eine empirische Untersuchung in einer großen Filiale eines Einzelhandelsunternehmens (Buchhandel) verdeutlicht, dass die Potentialqualität eines Dienstleistungsunternehmens ein mehrdimensionales Konstrukt ist, dem vier Faktoren zugrunde liegen (Abbildung 2; Steffen 2006: 154):
242 1. 2. 3. 4.
Steffen
Orientierung und Übersichtlichkeit, Ambiente und Interieur, Komfort (Convenience), Abwicklung.
Der Faktor Orientierung und Übersicht umfasst die Orientierungsmöglichkeiten innerhalb der Geschäftsräume eines Dienstleistungsanbieters sowie die Strukturierung weiterer zur Dienstleistungserstellung erforderlicher Faktoren. Dabei wird die Übersichtlichkeit prinzipiell durch das Angebot an Orientierungsinformationen und Hilfsmitteln verbessert (z.B. Schautafeln und Wegweiser).
Abbildung 2:
Faktorstruktur der Potentialqualität
Übersichtliche Geschäftsräume vermitteln Kunden ein Gefühl der Kontrolle über die Einkaufssituation, während Unübersichtlichkeit tendenziell negative Emotionen und Einstellungen auslöst (vgl. Tai / Fung 1997, Foxall / Greenley 1999). Das Ambiente und die Einrichtung als weitere Dimension der Potentialqualität umfasst sowohl haptisch wahrnehmbare, materielle Potentialmerkmale (z.B. das Mobiliar, Dekoration und weitere Einrichtungsgegenstände) als auch die atmosphärischen, immateriellen Merkmale des Ambientes (z.B. die Beleuchtung zur Erzeugung einer raumspezifischen Stimmung). Ein vorteilhaftes Ambiente kann zugleich eine Wohlfühlatmosphäre schaffen und Kunden Anregungen für ihre Einkäufe und die Nutzung weiterer Leistungen geben. Insofern ist das Ambiente ein maßgebender Faktor für die Interaktionen zwischen Anbieter und Kunde.
Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am POS
243
Die Dimension Komfort der Potentialqualität bezieht sich auf Merkmale, die für die Leistungserstellung nicht unbedingt erforderlich sind (z.B. Mitarbeitererscheinung, Regalgestaltung, Anregungen durch die Auslage). Es handelt sich dabei um ergänzende Merkmale, die zusätzliche Annehmlichkeiten während des Dienstleistungsprozesses bieten. Der Faktor Abwicklung umfasst Potentialmerkmale, die zur Durchführung notwendiger Unterstützungsprozesse erforderlich sind (z.B. Ein- und Ausgänge sowie die Anzahl der Kassen). 3
Handlungsempfehlungen für die multimodale Leistungskommunikation am Point of Service
3.1 Ansatzpunkte zur Verbesserung der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität Für Dienstleistungsunternehmen ist es insbesondere sinnvoll, multimodale Kommunikationsmaßnahmen auf die vier Dimensionen der wahrgenommenen Potentialqualität auszurichten, um ihre Marketingziele wie beispielsweise Bekanntheit, Wertversprechen, Absatz und Kundenzufriedenheit zu erreichen. Orientierung und Übersicht Der zentrale Ansatzpunkt für multimodale Kommunikationsmaßnahmen von Dienstleistungsunternehmen ist die Dimension Orientierung und Übersicht. Kunden erhalten einen besseren Qualitätseindruck, wenn sie sich beim Anbieter leicht und gut zurechtfinden. Eine gute Orientierung und Übersicht trägt dazu bei, dass Kunden sich sicherer (im Sinne von souveräner) und wohler im Dienstleistungsprozess fühlen – umgekehrt empfinden Kunden einen Kontrollverlust über die Situation, wenn ihre Orientierung und Übersicht beeinträchtigt ist. Eine gute Orientierung unterstützt Kunden beispielsweise dabei, unangenehme Situationen und Missverständnisse zu vermeiden (z.B. eindeutige und unmissverständliche Kennzeichnung einer Sitzplatzreservierung im Zug oder der Anzeige, wo sich die nächsten Toiletten befinden). Die Bereitstellung von Orientierungsinformationen zur Verbesserung der Übersichtlichkeit ist eine zwingende Anforderung.
244
Steffen
Ambiente und Einrichtung Die Dimension „Einrichtung und Ambiente“ übt ebenfalls einen maßgebenden Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung aus. Multimodale Kommunikationsmaßnahmen können insbesondere eingesetzt werden, um eine spezifische Atmosphäre sowie ein spezifisches Ambiente zu erzeugen. Beispielsweise eignen sich typische Geräusche, eine passende Hintergrundmusik, eine der Dienstleistung entsprechende Beleuchtung sowie ein passender Duft, um einen bestimmten Qualitätseindruck hervorzurufen. Komfort und Prozessunterstützung Die Komfortdimension kann ebenfalls mittels Kommunikationsmaßnahmen verbessert werden. Es ist beispielsweise darauf zu achten, negative Störgeräusche (z.B. Reparatur- und Wartungsarbeiten) sowie unangenehme Gerüche während des Kundenkontaktes zu vermeiden. Angenehme Hintergrundmusik kann das Komfortempfinden verbessern. Nicht zu vernachlässigen ist der haptische Qualitätseindruck, der durch die Auswahl geeigneter Oberflächenmaterialien aufgewertet werden kann (z.B. gestärkte Stoffservietten anstelle von Papierservietten, Holz statt Kunststoff). Verbesserung der Abwicklung Multimodale Kommunikationsmaßnahmen können zudem unterstützende Prozesse verbessern. Unterstützende Prozesse sind in der Regel keine wertschöpfenden Aktivitäten, jedoch sind sie erforderlich, um die tatsächliche Leistung zu erbringen. Dazu gehören u.a. Anmeldeprozesse, Registrierungen oder Abrechnungsprozesse. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, diese Abwicklungsprozesse effizient und möglichst angenehm für Kunden zu gestalten. Dienstleistungsunternehmen können multimodale Kommunikationsmaßnahmen einsetzen, um die wahrgenommene Qualität dieser unterstützenden Prozesse gezielt zu verbessern. Beispielsweise kann die voraussichtliche Wartezeit am Kundenschalter visuell angezeigt werden, es können Express-Schalter deutlich gekennzeichnet werden und akustische Signale zur Bestätigungen einer Eingabe am Automaten gegeben werden. Warnsignale beim Türschließen eines Zuges unterstützen beispielsweise das Ein- und Aussteigen. Abbildung 3 zeigt ausgewählte Beispiele multimodaler Kommunikationsmaßnahmen aus verschiedenen Dienstleistungsbranchen, die an den Dimensionen der Potentialqualität ansetzen.
Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am POS
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Dimension der Potentialqualität
Beispielhafte Dienstleistungsmerkmale, die über die verschiedenen Sinne wahrgenommen werden
Orientierung und Übersicht
Visuell: Beschilderung, Wegweiser, Zugbegleiter-Uniform, 1. KlasseWagen mit gelber Hervorhebung (sowie auf dem Fahrschein)
(MUSS)
Akustisch: Durchsagen am Bahnhof (z.B. Ankunftsgleis) und im Zug (z.B. voraussichtliche Ankunft), verbale Auskünfte durch Mitarbeiter Haptisch: Leitlinien für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen, Ledersitze 1. Klasse Olfaktorisch: Aseptischer Geruch im Krankenhaus Gustatorisch: ---
Einrichtung und Ambiente (KANN)
Visuell: Dekoration, Bilder, Multimedia Screens, Teppich vs. LinoleumBoden Akustisch: typische Hintergrundmusik, typische Geräusche Haptisch: Holzmobiliar vs. Kunststoff, Metallhaptik, Papier statt virtuelle Dokumente, Ledersitze 1. Klasse, Spielabteil im Intercity Olfaktorisch: Raumaroma der Dienstleistungsräume z.B. Kaffeearoma von der Minibar im Zug, Duft in Hotel/Fahrstühlen, Speiseduft, Raumaroma im Wellnessbereich Gustatorisch: ggf. Salzwasserschwimmbecken, Chlorgeschmack im Schwimmbad
Komfort und Convenience (KANN)
Visuell: Hinweistafeln während des Anstehens, Motivtapete Zug-WC Akustisch: Durchsagen von Anschlussverbindungen, akustischer Fahrplan Haptisch: Plüschsessel, rutschfeste, gummierte Griffe, rutschfeste Unterlagen, Touchscreen am Fahrkartenautomat Olfaktorisch: Vermeidung unangenehmer Gerüche in den Dienstleistungsräumen (z.B. Zug-WC), Vermeidung von Fettgerüchen im gehobenen Restaurant Gustatorisch: angenehmer Geschmack während und nach einer Dentalhygiene, Möglichkeit, Weine vor Auswahl zu kosten (Restaurant)
Verbesserung der Abwicklung (Prozessunterstützung) (KANN)
Visuell: Hinweistafeln während des Anstehens, Bildschirm an der Decke über einem Zahnarztbehandlungsstuhl, Darstellung der Speisen eines Restaurants, so dass sich Kunden rascher entscheiden Akustisch: verbale Anweisungen und Hinweise, Fehlersignale, sprechende Geldautomaten, Spracherkennung und akustische Bestätigungen einer Eingabe, Signal Türschließen (Intercity, S-Bahn) Haptisch: fehlervermeidende Bedienfelder, Bestätigungen einer Eingabe durch Druckknöpfe
Abbildung 3:
Ansatzpunkte und Beispiele multimodaler Kommunikation von Dienstleistungsunternehmen am Point of Service (POS)
246
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3.2 Wirkung der Potentialqualität im Kaufprozess Im Rahmen der Nutzung einer Dienstleistung durchlaufen Kunden in der Regel einen Prozess, der in drei Stufen unterteilt werden kann (Abbildung 4): 1. 2. 3.
Vorkaufphase, Phase der Leistungserstellung, Nachkaufphase.
Abbildung 4:
Die Wirkung der Potentialqualität im Kaufprozess
Für Dienstleistungsanbieter ist es unabdingbar, ihr Leistungspotential im Rahmen von Kommunikationsmaßnahmen in den verschiedenen Phasen des Kaufprozesses gezielt einzusetzen, um ihre Vermarktungs- und Marketingziele zu erreichen. In der Vorkaufphase zielen Kommunikationsmaßnahmen insbesondere auf die Überzeugung und Gewinnung neuer Kunden. Aufgrund der Immaterialität von Dienstleistungen sehen sich Nachfrager in dieser Phase einem erhöhten Kaufrisiko gegenüber, das mit Hilfe einer effizienten Kommunikationsstrategie reduziert werden kann. Das Leistungspotential bzw. das physische Umfeld eines Dienstleistungsanbieters eignet sich in dieser Phase ganz besonders zur nonverbalen Kommunikation. Das Leistungspotential bietet den potentiellen Kunden Anhaltspunkte für
Multimodale Kommunikation für Dienstleistungsanbieter am POS
247
Schlussfolgerungen auf die Qualität nicht direkt zu beobachtender Eigenschaften (vgl. Bühler 1999: 187). Nachfrager sind vor ihrer Kaufentscheidung auf Hinweise und Informationen angewiesen, die gut durch die Merkmale der Potentialdimension bereitgestellt werden können (vgl. zum Cue Management Oppermann 1998: 30, Fischer / Tewes 2001: 311, Olavarria 2001: 28). Materielle Potentialmerkmale sind insbesondere gut für eine Einbindung in die Kommunikationsmaßnahmen von Dienstleistungsunternehmen geeignet, da sie gut visualisiert werden können und helfen, die Abstraktheit einer Dienstleistung zu überwinden. Für Dienstleistungsanbieter ist es in der Vorkaufphase empfehlenswert, objektiv überprüfbare Qualitätsindikatoren zur Beurteilung der gesamten Dienstleistungsqualität bereitzustellen, da in dieser Phase des Kaufprozesses die Potentialqualität für die Bildung eines Qualitätseindrucks bei potentiellen Nachfragern oftmals entscheidend ist (vgl. Gehrer 2005). Beispielsweise werden Fahrzeuge sowie die Mitarbeiterbekleidung (Corporate Fashion) zur Markierung der angebotenen Leistung eingesetzt, um vertrauenstiftende Qualitätssignale bereitzustellen. Insbesondere die Mitarbeiter im Kundenkontakt stellen bedeutende Qualitätsmerkmale und Qualitätsindikatoren dar (vgl. Nguyen / Leblanc 2002: 245). Derartige Signaling-Strategien sind insbesondere für Dienstleistungsunternehmen sinnvoll, deren Leistungen durch einen hohen Anteil an Vertrauenseigenschaften gekennzeichnet sind, wie zum Beispiel Bankdienstleistungen oder medizinische Dienstleistungen (vgl. Meffert / Bruhn / Hadwich 2015). Potentielle Kunden bilden anhand der wahrgenommenen Leistungsfaktoren Qualitätserwartungen an den Dienstleistungsprozess und das -ergebnis (vgl. Stayman / Alden / Smith 1992, Sweeney / Johnson / Armstrong 1992, Bebko 2000). Dementsprechend ist die Steuerung der Potentialqualität eine zentrale Managementaufgabe eines jeden Dienstleistungsunternehmens, um positive Erwartungen und Einstellungen auf Seiten der Kunden zu erzeugen. Eine hochwertige Potentialqualität bedingt, dass Nachfrager ebenfalls höhere Erwartungen an Dienstleistungsprozess und -ergebnis haben, die gemäß dem ConfirmationDisconfirmation-Paradigma bei Nichterfüllung Unzufriedenheit auslösen (vgl. Bruhn 2013). Deshalb sind die einzelnen Teilqualitätsdimensionen Potential, Prozess und Ergebnis kohärent aufeinander abzustimmen, um ein realistisches Niveau der gesamten Dienstleistungsqualität widerzuspiegeln (Match-upHypothese; Koernig / Page 2002).
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Zur Kundengewinnung sind insbesondere aufmerksamkeitssteigernde Kommunikationsmittel einzusetzen. Dies sind in der Regel Merkmale, die von Kunden als untypisch empfunden werden. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Umweltreizen und Werbeappellen, die auf einen potentiellen Kunden einwirken, lenkt ein untypisches Merkmal die Aufmerksamkeit des Nachfragers auf den entsprechenden Anbieter. Eine untypische Gestaltung von Leistungsmerkmalen hat jedoch keinen Einfluss auf die Kundenbindung, vielmehr ist ein solcher Kommunikationsansatz lediglich kurzfristig im Rahmen der Kundengewinnung einzusetzen. Insgesamt ist die zuverlässige Einschätzung der gesamten Dienstleistungsqualität in der Vorkaufphase für die Gewinnung neuer Kunden von entscheidender Bedeutung, um das wahrgenommene Kaufrisiko zu reduzieren. In der Anbahnungsphase einer Kundenbeziehung ist deshalb der Einsatz entsprechender Schlüsselmerkmale zur Urteilsbildung besonders relevant. In der Leistungs- bzw. Konsumphase ist es wichtig, das im Rahmen der Marktpositionierung festgelegte Qualitäts- und Wertversprechen konsequent und kompromisslos einzuhalten. Kommunikationsmaßnahmen sind einzusetzen, um die Interaktionen zwischen dem Anbieter und Kunden im Dienstleistungsprozess zu unterstützen. Durch zielgerichtete Kommunikationsmaßnahmen können Dienstleistungsunternehmen Kunden im Prozess orientieren und anleiten, so dass Kunden sich im Dienstleistungsprozess sicher und souverän fühlen. Zur Verbesserung der Interaktionen im Leistungsprozess können zum Beispiel bekannte visuelle Markierungen (z.B. Symbole, Piktogramme) sowie akustische Signale (z.B. Durchsagen im Zug usw.) eingesetzt werden. Darüber hinaus werden die Interaktionen zwischen dem Anbieter und Kunden durch eine typische Gestaltung der Potentialmerkmale verbessert. Eine untypische Gestaltung der Merkmale am Point of Service kann die Kunden hingegen irritieren und verunsichern, wie sie sich „korrekt“ im Dienstleistungsprozess verhalten. Dies kann den Ablauf sowie die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen. In der Nachkaufphase ist es für Dienstleistungsanbieter entscheidend, im Langzeitgedächtnis verankert zu bleiben, um bei erneuten Kaufentscheidungen „top of mind“ zu sein. Dazu ist es erforderlich, die Wiedererkennbarkeit des Anbieters zu stärken und Wahrnehmungsanker einzusetzen, an die sich Kunden gut erinnern können. Im weiteren Sinne sind in der Nachkaufphase Maßnahmen des Markenaufbaus erforderlich, um bei Kunden Lernprozesse anzustoßen und langfristige Gedächtniswirkungen zu erzielen (vgl. Kilian 2010).
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Die Potentialdimension des Dienstleistungsanbieters bietet zahlreiche Ansatzpunkte im Rahmen einer multimodalen Kommunikation, um die Erinnerung und Wiedererkennung (Recall- und Recognition) zu unterstützen. Beispielsweise können einzelne, ausgewählte Merkmale untypisch für die entsprechende Dienstleistungskategorie gestaltet werden, um eine stärkere Gedächtniswirkung zu entfalten („Ankerfunktion“). In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass es sich nicht um Merkmale handelt, die für die Dienstleistungskategorie maßgeblich sind, so dass der Anbieter als zu stark untypisch empfunden wird. Die entsprechende Dienstleistungskategorie (z.B. ein Café mit Buchhandlung oder eine Buchhandlung mit Café) muss für Kunden eindeutig und rasch identifizierbar sein. Unklare Dienstleitungskategorien wirken sich nämlich leicht negativ auf die Kaufentscheidung aus, da Kunden in der Regel spezialisierte Anbieter bevorzugen. Sämtliche Kommunikationsmodalitäten sind im Sinne einer Integrierten Kommunikation inhaltlich, zeitlich und formal aufeinander abzustimmen (Bruhn 2015). Dadurch wird die Kongruenz sämtlicher Sinneseindrücke in Bezug auf das Leistungsangebot sichergestellt, so dass Kunden einen stimmigen Gesamteindruck der gesamten Dienstleistungsqualität erhalten. 4
Zusammenfassung
Der Beitrag verdeutlicht die Rolle der Potentialqualität im gesamten Kaufprozess sowie Ansatzpunkte für multimodale Kommunikationsmaßnahmen. Ein gezieltes Dienstleistungsmarketing berücksichtigt die hohe Bedeutung der Potentialqualität für die Qualitätswahrnehmung und -beurteilung einer Dienstleistung. Mitunter ist die Wahrnehmung der Potentialqualität entscheidend für den Vermarktungserfolg einer Dienstleistung. Dienstleistungsanbieter können durch eine gezielte Steuerung der Potentialqualität spezifische Marketing- und Verkaufszielsetzungen erreichen wie zum Beispiel eine erfolgreiche Neukundengewinnung. Das grundlegende Wert- und Qualitätsversprechen – im Sinne der Marktpositionierung – eines Dienstleisters ist in den Merkmalen des Leistungspotentials zu konkretisieren. Auf dieser Grundlage ist es möglich, einen spezifischen Qualitätseindruck zu erzeugen und die entsprechenden Kunden bzw. Zielgruppen anzusprechen. Beispielsweise können Dienstleistungsunternehmen durch entsprechende Gestaltungsmaßnahmen Exklusivität, Preisgünstigkeit, Innovationstärke usw. signalisieren.
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Ansatzpunkte für die Qualitätssteuerung durch Kommunikationsmaßnahmen sind insbesondere die Verbesserung der Orientierung, die Erzeugung einer positionierungsspezifischen Atmosphäre sowie komforterhöhende und prozessunterstützende Maßnahmen. Besonders geeignet sind Strategien und Maßnahmen, die das wahrgenommene Kaufrisiko senken und zugleich auch die Interaktionen im Dienstleistungsprozess zwischen Anbieter und Kunden verbessern. Insgesamt ist es vorteilhaft, die Beurteilbarkeit einer Leistung vor, während und nach dem Kauf zu verbessern. Dazu können Dienstleistungsanbieter Kommunikationsmaßnahmen einsetzen, die potentielle Kunden über sämtliche Sinne wahrnehmen. Die Maßnahmen sind entsprechend Dienstleistungstyp und Branche auszuwählen. Längerfristig betrachtet ist vorteilhaft, die Leistungsmerkmale typisch, d.h. gemäß den üblichen Branchenvorstellungen, zu gestalten. Zur Steigerung der Aufmerksamkeit potentieller Kunden kann ein gezielter „Überraschungseffekt“ durch einzelne untypische Leistungsmerkmale für die Kundenakquisition genutzt werden. Beim Einsatz untypischer Potentialmerkmale ist jedoch darauf zu achten, dass diese lediglich für die Erzielung einer kurzfristigen gedanklich-emotionalen Aktivierung geeignet sind. Darüber hinaus ist im Rahmen der Festlegung des gesamten Marktauftrittes darauf zu achten, dass die Gestaltung der Leistungspotentiale und die Kommunikation der grundsätzlichen Marktpositionierung entsprechen, d.h. die Qualität von Leistungspotential, Prozess und Ergebnis sind konsistent auf das grundsätzliche Wertversprechen des Anbieters auszurichten. Zudem ist es für Dienstleistungsunternehmen sinnvoll, geeignete Potentialmerkmale im Rahmen ihrer Marketingkommunikation oder direkt als Kommunikationsmittel einzusetzen. Dienstleistungsunternehmen, die diese Punkte im Rahmen ihres Marktauftritts sowie ihrer Leistungsgestaltung beachten, können einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erlangen und erfolgreich neue Kunden gewinnen sowie Bestandskunden stärker binden. 5
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Möglichkeiten und Grenzen multimodaler Kommunikation bei technischen Innovationen am Beispiel eines interdisziplinären Forschungsprojektes im Bereich Textiltechnik Florian U. Siems / Antje S. J. Hütten / Olga Bystrova / Timm Holtermann / Achim Hehl / Achim Schröter / Thomas Gries Abstract Technische Innovationen sind für viele Unternehmen in Industrieländern heute notwendig, um im (zunehmend globalen) Wettbewerb bestehen zu können. Die Wirtschaftswissenschaften, insbesondere das Marketing, haben dabei die wichtige Aufgabe, die erfolgreiche Einführung der neuen Technologie vorzubereiten und zu begleiten. Dies betrifft vor allem die Kommunikation der neuen Technologie, sowohl gegenüber den potenziellen Nutzern als auch innerhalb der oft interdisziplinären Entwicklerteams. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Er zeigt die Möglichkeiten und Grenzen multimodaler Kommunikation bei technischen Innovationen auf. Beispielsweise besteht bei solchen Innovationen die Herausforderung oft darin, dass bestimmte physische Produkte oder Prozesse am Anfang noch nicht vorhanden sind. Dies schränkt einerseits zum Beispiel haptische Möglichkeiten ein, macht aber andererseits etwa das Nutzen verschiedener visueller Instrumente wie kinematografischer Simulationen, Holographien usw. oder den Einsatz von semihaptischen Prototypen besonders relevant. Die Ausführungen greifen dabei ein konkretes, reales Beispiel auf: An einem Institut der RWTH Aachen wird derzeit im Rahmen eines Projektes ein neues, energieeffizientes subsonisches Luftwebverfahren entwickelt. Daran beteiligt ist ein interdisziplinäres Projektteam, bestehend aus Ingenieuren (Holtermann / Hehl / Schröter / Gries) und Wirtschaftswissenschaftlern (Bystrova / Hütten / Siems). Dieses sehr heterogene Team stellt entsprechende Anforderungen an eine geeignete interne Kommunikation zur Projektumsetzung. Außerdem wird aufgezeigt, wie unter Einsatz der Marktforschung die kommunikative Vermittlung der neuen Technologie und damit die Technologieimplementierung bei externen Zielgruppen vorbereitet werden kann.
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Multimodale Kommunikation bei technischen Innovationen als Forschungsthema
Technische Innovationen stellen für eine Vielzahl von Unternehmen in Industrieländern heute eine Notwendigkeit dar, um im (zunehmend globalen) Wettbewerb bestehen zu können (vgl. z.B. Kunz 2006, Jobber 2010: 384). Besondere Bedeutung kommt dabei den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere dem Marketing dahingehend zu, die erfolgreiche Einführung der neuen Technologie vorzubereiten und zu begleiten (vgl. z.B. Moriarty / Kosnik 1989, Hills / Sarin 2003, Siems © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_15
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Siems / Hütten / Bystrova / Holtermann / Hehl / Schröter / Gries
2012). Dies betrifft insbesondere auch die Kommunikation der neuen Technologie, sowohl gegenüber den potenziellen Nutzern (vgl. z.B. Siems / Kraus / Bättig 2009) als auch – in einer frühen Phase der Technologieinnovation – innerhalb entsprechend oft interdisziplinärer Teams (vgl. Clark / Wheelwright 1992). Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Aufgezeigt werden die Möglichkeiten und Grenzen von Kommunikation bei technischen Innovationen. Von einem modernen Kommunikationsverständnis ausgehend, wird dabei dem aus der Physiologie stammenden Begriff der „Modalität“ folgend Kommunikation sinnesübergreifend betrachtet (z.B. Hören, Sehen, Riechen als Teile der „multimodalen Kommunikation“, vgl. Becker 2010: 216, auch z.B. Fraas / Meier / Pentzold 2012: 66). Im ersten Teil des Beitrages (Kapitel 2) wird die Problematik aus theoretischer Sicht aufgezeigt und diskutiert. Konkret wird zunächst kurz der Bezug Marketing – Innovation – Technik erläutert (Kapitel 2.1), bevor auf die Besonderheit multimodaler Kommunikation dabei eingegangen wird (Kapitel 2.2). Im zweiten Teil (Kapitel 3) werden die Problematik sowie mögliche Lösungsansätze an einem realen Beispiel verdeutlicht: An einem Institut der RWTH Aachen University wird derzeit im Rahmen eines Forschungsprojektes ein neues, energieeffizientes subsonisches Luftwebverfahren entwickelt. Daran beteiligt ist ein interdisziplinäres Projektteam, bestehend aus Ingenieuren (Holtermann / Hehl / Schröter / Gries) und Wirtschaftswissenschaftlern (Siems / Hütten / Bystrova). Aufgezeigt werden sowohl die praktischen Herausforderungen als auch die bereits realisierten sowie die noch geplanten Umsetzungen der vorherigen Überlegungen aus Kapitel 2. Dabei wird – unter kritischer Diskussion verschiedener möglicher multimodaler Kommunikationsformen – zum einen auf die Herausforderung eines sehr heterogenen Teams und entsprechende Anforderungen an eine geeignete interne Kommunikation zur Projektumsetzung eingegangen. Zum anderen wird aufgezeigt, wie unter Einsatz der Marktforschung die kommunikative Vermittlung der neuen Technologie und damit die Technologieimplementierung bei externen Zielgruppen vorbereitet werden kann. Der Beitrag schließt mit den Grenzen der Kommunikationskonzepte, einem kurzen Fazit und dem Ausblick (Kapitel 4).
Multimodale Kommunikation bei technischen Innovationen
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Die Herausforderung des „Dreiklanges“ Marketing, Innovation und Technik und Multimodale Kommunikation als Lösung
2.1 Die Herausforderung des „Dreiklanges“ Marketing, Innovation und Technik Innovationen sind für Unternehmen, aber auch ganze Volkswirtschaften von zentraler Bedeutung: Die Entwicklungen, denen Unternehmen ausgesetzt sind, insbesondere die Globalisierung und der damit einhergehende internationale Wettbewerb sowie der schnelle technologische Wandel fordern von Unternehmen stetige Neuerungen in ihrem Leistungsportfolio (z.B. Hauschildt / Salomo 2011). Darauf aufbauend sind Innovationen unerlässlich für das Wachstum von Volkswirtschaften (z.B. Grossmann / Helpman 1991, Tidd / Bessant 2009). In der BWL wird „klassisch“ gerade bei Innovationen oft zwischen „technology-driven“ und „market-driven“ unterschieden (vgl. z.B. Habtay 2012, Day 1998). Gerade im Hochtechnologiebereich erfolgt dabei oft eine Fokussierung auf die erste Vorgehensweise. Dies kann gegebenenfalls problematisch sein, wenn die Neuentwicklungen ausschließlich technisch getrieben sind und Kundenbedürfnisse so für eine spätere Marktfähigkeit einer „neuen“ (Teil-) Technologie und/oder den daraus resultierenden Leistungen zu wenig Beachtung finden (vgl. Siems 2012: 13, Rosen / Schroeder / Purinton 1998: 1). Die „klassische“ Lösung dieses Problems ist der (frühzeitige) Einsatz von Methoden der Marktforschung, um die Kundenmeinung in den Entwicklungsprozess einbeziehen zu können (vgl. z.B. Bruhn 2014: 131ff.). Interessant ist zu dieser Kontroverse auch eine Anmerkung von Backhaus / Voeth (2014: 17; vgl. auch Siems 2012: 13, Shanklin / Ryans 1984: 166ff., Mohr / Sarin 2009: 92). Sie sprechen von einer „Technology-Push-Strategy“ und davon, dass für Kundenorientierung nicht entscheidend sei, dass alles von der Marktforschung bzw. vom Kunden ausginge, sondern nur, ob alle Maßnahmen daraufhin überprüft würden. In Übereinstimmung mit dieser Meinung lässt sich zusammenfassend festhalten: Gerade im Hochtechnologiebereich gehen Innovationen oft nicht vom Markt, sondern von der Technik aus. Zur Beachtung einer späteren Marktfähigkeit ist es gerade vor diesem Hintergrund wichtig, die Kundensicht von Anfang an oder zumindest so bald wie möglich in den Innovationsprozess zu integrieren und beide Perspektiven miteinander abzustimmen. Marktforschung muss dabei nicht zwangsläufig den Anfang des Innovationsprozesses bilden, sollte diesen jedoch zumindest rechtzeitig nach seinem Start begleiten.
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Hinsichtlich der Ausrichtung auf die Kunden ist zu ergänzen, dass im Innovationsmanagement gerade bei Hochtechnologien in der Anfangsphase besondere Bedeutung einer sinnvollen Segmentierung und klaren Fokussierung auf bestimmte Kundengruppen zukommt (vgl. Siems 2012: 13). Als Beispiel hierzu führen Moriarty / Kosnik (1989) den Apple-Gründer Steve Jobs an, der zunächst bei der Einführung seiner Personal Computer klar auf das Segment „College & University“ fokussierte. 2.2 Multimodale Kommunikation als Lösung Die angesprochenen Herausforderungen verdeutlichen, dass insbesondere der Kommunikation eine besondere Rolle im Innovationsmanagement zukommt. Konkret muss der Nutzen einer Innovation bzw. einer neuen Technologie gegenüber den potenziellen Nutzern kommuniziert werden (vgl. z.B. Siems / Kraus / Bättig 2009, Rosen / Schroeder / Purinton 1998). Dabei besteht eine besondere Herausforderung gerade im Bereich komplexer Technologien darin, dass das Produkt und seine Vorteile zunächst überhaupt erst einmal verstanden werden müssen (vgl. Siems 2012: 16; vgl. auch Schaible / Hönig 1996: 61, Rosen / Schroeder / Purinton 1998: 5). Teilweise wird in der Literatur daher auch von „market education“ (vgl. z.B. Grønhaug / Möller 2005: 94) bzw. „customer education“ (Yadav / Swami / Pal 2006: 63) gesprochen (vgl. Siems 2012: 16). Bei technischen Innovationen besteht oft eine besondere Herausforderung darin, dass noch keine physischen Produktbeispiele vorhanden sind, was zum einen zum Beispiel haptische Möglichkeiten einschränkt, zum anderen das Nutzen verschiedener visueller Instrumente (z.B. kinematografischer Simulationen, Holographien usw.) oder den Einsatz von semi-haptischen Prototypen besonders relevant macht. Hier wird deutlich, welche besondere Bedeutung eine ganzheitliche, multimodale Kommunikation gerade in diesem Bereich hat. Auch Schaible / Hönig (1996) diskutieren die Problematik einer besonders hohen Kommunikationskomplexität bei Innovationen im Bereich Hochtechnologie. Sie schlagen als Konsequenz für entsprechende Innovationen vor, bei High Tech nicht nur einfach „Produktwerbung“ zu betreiben, sondern in der Werbung Anwendungsbeispiele, den Kundennutzen sowie die technologische Kompetenz des Unternehmens in den Vordergrund zu stellen (vgl. Schaible / Hönig 1996: 62; vgl. auch Siems 2012). Technische Komplexität und Darstellungsprobleme der Technik selbst lassen sich dabei gegebenenfalls durch Verwendung von Analogien reduzieren, zum Beispiel indem statt der Technik ein Tiermotiv Verwen-
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dung findet, das dem Betrachter ansonsten schwer verständliche Funktionen bzw. Eigenschaften eines neuen Produktes veranschaulicht (vgl. Schaible / Hönig 1996: 62; vgl. auch Siems 2012: 16). Hinsichtlich der Gestaltung der Kommunikation ist (Siems 2012 folgend) kontrovers zu diskutieren, ob eher emotional oder eher rational argumentiert werden sollte (vgl. Siems 2012: 16): Während einerseits Beispiele für eine sehr emotionale – und erfolgreiche – Produktdarstellung (z.B. Apple) vorliegen (vgl. Kadanoff 1993: 10) zeigen gleichzeitig Studien eine hohe Relevanz von Rationalität bei High-Tech-Kommunikation (vgl. z.B. Gerhard et al. 2011: 342). Hier ist eine entsprechend differenzierte Betrachtung – je nach Leistung und je nach Kommunikationsinstrument – angebracht (vgl. Siems 2012: 16). Die bisherigen Ausführungen zur Komplexität der Kommunikation bei Innovationen im technologischen Bereich betreffen dabei bei weitem nicht nur die späteren Nutzer: In immer mehr Forschungsprojekten – sowohl in Unternehmen als auch an Forschungsinstituten und Universitäten – arbeiten heute interdisziplinäre Teams. Bereits innerhalb der Forschungsprojekte können daher die genannten Probleme der Komplexität, der fehlenden Haptik usw. auftreten. Folglich muss gerade auch in einer frühen Phase einer Technologieinnovation zum Beispiel innerhalb entsprechender interdisziplinärer Teams eine „gemeinsame Sprache“ gefunden werden, die die einzelnen Teammitglieder zusammenbringt und die verschiedenen Denk- und Fachrichtungen miteinander verknüpft (z.B. Bracken / Oughton 2006, Clark / Wheelwright 1992). Ein Beispiel für ein „Instrument“, das genutzt werden kann, um eine relevante Außenperspektive (z.B. die Sicht des Kunden) nicht zu vernachlässigen und auch intern zwischen verschiedenen Projektbeteiligten zu moderieren und den Kommunikationsfluss zu verbessern, ist der sogenannte „Innovationsmentor“: Diese Expertin oder dieser Experte bringt umfassende Kenntnisse über Prozesse und Hemmnisse bei Innovationen in dem zu dem Projekt passenden Technologie- und Anwendungsbereich mit. Über das technische Wissen hinaus gehört dazu auch wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Sachverstand. Mit diesem Hintergrund unterstützt der Innovationsmentor das Team, insbesondere auch im Hinblick auf weiterführende Entwicklungen und mögliche Verwertungsmöglichkeiten (BMBF 2010). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei technischen Innovationen zwar nicht zwingend ganz zu Beginn, jedoch zumindest während der Weiterentwicklung auch die Kundensicht einbezogen werden sollte. Hier kommt unverändert der klassischen Marktforschung eine besondere Bedeutung zu, auch wegen
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der erwähnten Relevanz der Identifikation möglicher Hauptnutzer bzw. möglicher Segmente. Bei technischen Innovationen besteht eine besondere Herausforderung zudem darin, für alle an der Innovation direkt bzw. indirekt Beteiligten – d.h. gegebenenfalls ein interdisziplinäres Projektteam, aber auch die spätere Nutzerschaft – eine „gemeinsame Sprache“ zu finden. Gerade vor dem Hintergrund oft fehlender „Greifbarkeit“ von technischen Innovationen durch noch nicht vorhandene Haptik, Optik usw. sowie einer starken Ausdifferenziertheit von Wissenschaftsteilbereichen und einer entsprechenden Komplexität auch der einzelnen Fachsprachen kann dies ein relativ komplexes Problem sein. Hilfestellungen können „Übersetzungshilfen“ liefern, zum Beispiel in Form von „Übersetzungsmatrizen“ (die die Idee eines „House of Quality“ aufgreifen; siehe Kapitel 4). Vielversprechend ist auch, wie oben erwähnt, personelle Unterstützung durch einen Innovationsmentor, der den Innovationsprozess als „Coach“ begleitet und eine Schlüsselrolle in der internen und externen Kommunikation einnehmen kann. Im Folgenden wird ein konkreter Anwendungsfall für die genannten Aspekte aufgezeigt. 3
Anwendungsfall: Projekt zur Energieeffizienz eines subsonischen Luftwebverfahrens
3.1 Projektbeschreibung Weltweit wurden zwischen den Jahren 1999 und 2008 mehr als 550.000 schützenlose Webmaschinen installiert (vgl. ITMF 2008a). Etwa 33% (183.000) der ausgelieferten Webmaschinen basieren auf der Luftwebtechnologie. Die Anwendungsfelder sind vielfältig und reichen von Bekleidung (z.B. Jeans-, Hemden-, Anzugstoffen) bis hin zu technischen Textilien (z.B. Schleifmittelgrundträger, Verstärkungstextil in Faserverbundwerkstoffen). Die Luftwebtechnologie, bei der der Web-Schusseintrag durch Druckluftströmungen erfolgt, ist heute das produktivste Webverfahren (vgl. Bauder / Planck 2011). Gleichzeitig ist es aber auch das energieintensivste: Dem Produktivitätsvorteil des Luftwebens steht der sehr hohe Energieverbrauch durch die Nutzung von Druckluft entgegen (vgl. ITMF 2008b). Auch mögliche Weiterentwicklungen der Technologie bewegen sich entsprechend immer in dem Span-
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nungsfeld möglichst niedriger Energiekosten bei gleichzeitig möglichst hoher Produktivität und konstanter Qualität (vgl. Picanol 2008). Das Gesamtziel des Projektes besteht in einer signifikanten Verbesserung des Luftweb-Prozesses im Spannungsfeld aus Produktivität und Energieeffizienz. Bei eindimensionaler Betrachtung werden Produktivitätssteigerungen von mindestens 25% und eine Energiereduzierung von mindestens 50% angestrebt. Erstes Teilziel des Projekts ist entsprechend die kritische Prüfung (und ggf. der Nachweis), ob (bzw. dass) die aufgezeigten Potenziale zur Steigerung der Produktivität und Energieeffizienz in praxisrelevanten Szenarien technisch realisierbar sind. Ein zweites wichtiges Teilziel ist die Identifikation möglicher Anwendungsfelder und die Bewertung und Priorisierung möglicher Verwertungspfade. Das Projekt ist eine Kooperation von drei (bzw. durch Wechsel eines Lehrstuhlinhabers letztlich vier bzw. unter Beachtung einer Lehrstuhlumbenennung sogar fünf) Lehrstühlen an der RWTH Aachen University: Dem Institut für Textiltechnik (ITA), dem Institut für Getriebetechnik und Maschinendynamik (IGM), der Juniorprofessur BWL mit Schwerpunkt Business-to-BusinessMarketing (bis 06/2012) bzw. dem daraus entstandenen Lehr- und Forschungsgebiet für Technologie- und Dienstleistungsmarketing (seit 07/2012) sowie dem Lehrstuhl für Innovation, Strategie und Organisation (ISO). Das Projekt startete im Sommer 2013 und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Es wird unter dem Titel „Validierung eines hochproduktiven und energieeffizienten subsonischen Luftwebverfahrens („Weavolution“) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einem siebenstelligen Euro-Betrag gefördert. Im gesamten Projekt fanden und finden Maßnahmen zur Nutzung der Kommunikation im Sinne des vorherigen Teilkapitels 2 Anwendung. Eine Auswahl dieser Anwendungen wird im Folgenden dargestellt.
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3.2 Herausforderungen an Marketing und Kommunikation und Lösungen 3.2.1 Herausforderungen der externen Kommunikation und Lösungen 3.2.1.1 Identifikation möglicher Anwendungsfelder und potenzieller Nutzer Die hohe Relevanz der (potenziellen) Nutzer wurde von Beginn der Projektidee an gesehen. Auch aus diesem Grund wurde mit Initiierung des Projektantrages beschlossen, dass Wirtschaftswissenschaftler in Gestalt von Marketingexperten Teil des interdisziplinären Projektteams sein sollten. Es wurde konkret als wichtig angesehen, direkt zu Beginn des Projektes mögliche Anwendungsfelder (Gewebe- und Webereitypen) und potenzielle Nutzer sowie mögliche Hemmnisse für die neue Luftwebtechnologie zu identifizieren. Entsprechend bestand hierin das erste (insbesondere von den Marketingexperten zu bearbeitende) Arbeitspaket (AP) des Projektes. Konkret wurden Interviews mit technischen Experten durchgeführt (Marktforschung). In der darauffolgenden Analyse wurde auf Basis dieser qualitativen Daten das Umfeld der möglichen Anwendungsgebiete erschlossen. Die qualitative Marktforschungsmethode eignet sich in dieser Phase besonders, da eine Extraktion relevanter Informationen aus den Interviews zu erwarten ist und zugleich Offenheit für nicht erwartete Befunde bewahrt wird. Als Interviewpartner im konkreten Projekt dienten sieben Spezialisten, die direkt im Bereich der Webereitechnik beschäftigt sind, sowie Experten aus übergreifenden Branchen und Verbänden (Industrieverband Veredlung – Garne – Gewebe – Technische Textilien e.V. (IVGT). Als besonders hilfreich erwies sich, dass die Experten einen unterschiedlichen Hintergrund hatten. So zeigten zum Beispiel bereits die ersten beiden Interviews mit einem Interviewpartner, der im Bereich der Rietherstellung (das Riet dient der Vermeidung zu lockeren Gewebes) arbeitet und einem anderen Interviewpartner, der in einer Weberei tätig ist, dass die Sichten der potenziellen Nutzer sehr verschieden sind, zum Beispiel in Bezug auf die Eigenschaften des Garns oder der neuen Maschine. Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Ergebnisse führt in dem vorliegenden Rahmen zu weit, so dass sich hier auf die Kommunikation, die trotz verschiedener Ergebnisse an alle potenziellen Nutzer angepasst werden muss, konzentriert wird. Als Ergebnis des AP 1 entstand ein Spektrum an relevanten Einsatzgebieten der neuen Webtechnologie. Es erfolgte eine erste Priorisierung von Anwendungsfällen.
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3.2.1.2 Quantitative Bewertung des wirtschaftlichen Potenzials Im Rahmen des zweiten Arbeitspakets wurde die quantitative Bewertung des wirtschaftlichen Potenzials vorgenommen. Mit dem Ziel der Bewertung und – nach Möglichkeit – Quantifizierung des wirtschaftlichen Potenzials in den identifizierten Anwendungsfällen wurde aufbauend auf die exploratorische Studie (AP1) eine zweite Studie (quantitativ-empirisch) konzipiert und durchgeführt. Mithilfe dieses Fragebogens war es möglich, Meinungen und Vorschläge der Experten zum Luftwebverfahren zu eruieren und Kriterien zu evaluieren. Die von den Befragten eingebrachten Anwendungsfälle wurden bewertet und Verwertungspfade priorisiert. Das Ergebnis dieses AP sind Orientierungshilfen, die genutzt wurden, um erfolgsversprechende Verwertungspfade innerhalb der Verwertungsstrategie von weniger erfolgsversprechenden Pfaden zu unterscheiden. 3.2.1.3 Ergebniskommunikation Um eine wirtschaftliche Verwertung nach der Projektlaufzeit zu gewährleisten, wurden und werden verschiedene Partner in das Projekt eingebunden und verschiedene Wege der Kommunikation der Ergebnisse eingeschlagen. So sind während und nach der Projektlaufzeit wissenschaftliche Veröffentlichungen in einschlägigen Fachzeitschriften (z.B. Melliand Textilberichte, Textile Research Journal) und Vorträge auf Fachtagungen (z.B. Aachen Dresden International Textile Conference) fest vorgesehen. Die Vorstellung von Ergebnissen auf Messen wie der ITMA 2015 in Mailand (Italien) hat stattgefunden. Ferner ist die Anmeldung von Schutzrechten geplant. Die genannten Publikationsformen werden sowohl von relevanten Vertretern des Textilmaschinenbaus als auch Endanwendern (Webereien) stark wahrgenommen. Ferner werden die Kontakte zu Verbänden (wie z.B. dem IVGT oder dem VDMA) genutzt, um auf Veranstaltungen (wie z.B. der Betriebsleiteraussprache Weberei) die Projektergebnisse vorzustellen. Auch der Innovationsmentor (vgl. 2.2) unterstützt diesen Bereich der Kommunikation: Er begleitet nicht nur das Projekt kritisch, sondern vermittelt auch konkret Kontakte aus seinem Netzwerk und berät bei der Auswahl geeigneter Transferpartner.
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3.2.2 Herausforderungen der internen Kommunikation und Lösungen 3.2.2.1 Finden einer „gemeinsamen Sprache“ und „Greifbar-Machung“ der neuen Technologie Die größte Herausforderung innerhalb interdisziplinärer Teams war zunächst, wie bereits beschrieben, das Finden einer „gemeinsamen Sprache“ und somit neben der externen auch die interne Kommunikation. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurden bereits während des Verfassens des Projektantrages im Vorfeld des Projektes diverse Treffen zwischen den vorgesehenen Projektpartnern organisiert, um die Sichtweisen gegenseitig kennenzulernen. Insbesondere auch multimodale Elemente waren hier entscheidend: So wurde den Wirtschaftswissenschaftlern beispielsweise eine dem Projektziel ähnliche Webmaschine präsentiert, um die Innovation „greifbarer“ zu machen. Gleichzeitig bestand eine der wichtigsten Aufgaben der beteiligten Wirtschaftswissenschaftler darin, ihre Sicht über Märkte und (potenzielle) Nutzer einzubringen und diese im Projektverlauf durch Befragungen von Experten und (potenziellen) Nutzern zu manifestieren. Hierzu wurden u.a. Kurzvorträge und Präsentationen abgehalten. Im Projektverlauf wurde zudem die Darstellung der komplexen neuen Technologie auch mit (computergestützten) Simulationen und (partiellen) Prototypen begleitet. 3.2.2.2 Innovationsmentor Das oben angesprochene Prinzip des Innovationsmentors kam ebenfalls zur Anwendung. Hierzu wurde in einem ersten Schritt ein geeigneter Kandidat gesucht und gefunden. Die Entscheidung für den Kandidaten beinhaltete u.a. die Überlegungen, dass er über fundierte Fachkenntnisse in der Webereitechnologie zur kritischen Begleitung des Projekts verfügt und durch sein Netzwerk fundierte Einschätzungen zu späteren Vermarktungspotenzialen abgeben kann. Darüber hinaus sollte er durch seine derzeitige Tätigkeit als Entwicklungsleiter Erfahrungen mit der Durchführung von Innovationsprojekten haben und im Bereich der Stapelfaservliesanlagen keine eigenen Verwertungsinteressen im Bereich der Webtechnologie verfolgen. Der Innovationsmentor übernahm und übernimmt während der gesamten Laufzeit und darüber hinaus drei wesentliche Funktionen: Zum einen begleitet er das Vorhaben kritisch. Er kommuniziert und transferiert die Projektergebnisse
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über sein Netzwerk und er nimmt die im Projekt definierten Meilensteine ab. Um eine kritische Begleitung des Vorhabens gewährleisten zu können, wurden und werden regelmäßige Treffen (im ca. 6-Monatsrhytmus und zu Meilensteinen) zwischen dem Innovationsmentor und den Projektbearbeitern durchgeführt. 4
Grenzen, Fazit und Ausblick
Eine erste Grenze der aufgezeigten Kommunikationskonzepte stellt das Problem der Vertraulichkeit dar. Konkret schutzrechtlich bedenklich sind der Umgang mit dem Innovationsmentor und gegebenenfalls Verwertungspartnern sowie mit Veröffentlichungen. Zur Reduktion dieser Problematik wurde im aufgezeigten Forschungsprojekt mit dem Innovationsmentor zu Projektbeginn eine Geheimhaltungserklärung abgeschlossen, die ihn zum vertraulichen Umgang mit schutzrechtlich relevanten Informationen verpflichtet. An den im Projekt entstandenen Ergebnissen erhält der Innovationsmentor ausdrücklich keinerlei Verwertungsrechte. Einen Sonderfall stellen gemeinsame Erfindungen dar, an denen der Innovationsmentor erheblichen Anteil hat. In solchen Erfindungen ist der Innovationsmentor als Miterfinder aufzuführen. Eine generelle Abtretung der Verwertungsrechte kann jedoch im Geheimhaltungsvertrag vereinbart werden. Mit hinzukommenden Verwertungspartnern wird analog verfahren. Hinsichtlich der Problematik der Publikationen wurde im aufgezeigten Forschungsprojekt von allen Projektbeteiligten folgende Regel verbindlich festgelegt: „Veröffentlichungen sind grundsätzlich erst dann vorgesehen, wenn sichergestellt ist, dass diese schutzrechtlich nicht relevant sind.“ Auch dieser Sammelbandbeitrag wurde einer entsprechenden Prüfung unterzogen. Eine weitere Grenze ergibt sich aus den Kosten, auch im aufgezeigten Forschungsprojekt: Auch wenn (nach Überzeugung aller Projektpartner) alle am Projekt beteiligten Lehrstühle sowie der Innovationsmentor ohne Zweifel einen Gewinn darstellen, führen die genannten Einbindungen von BWL-Instituten sowie dem Innovationsmentor natürlich zu (kurzfristig) höheren Projektkosten, als wenn man auf deren Anbindung verzichtet hätte. Umso wichtiger war, den Projektrahmen für diese beiden beteiligten kleineren Projektpartner klar vorab zu definieren und gleichzeitig bei der Projektbeantragung die Langfristperspektive (und damit die Kosteneffizienz) des erweiterten Projektteams zu verdeutlichen. Insgesamt zeigt das beschriebene interdisziplinäre Forschungsprojekt, dass ein „Übersetzungsprogramm“ für die Schnittstelle zwischen Technik und An-
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Siems / Hütten / Bystrova / Holtermann / Hehl / Schröter / Gries
wendung benötigt wird, das in beide Richtungen funktioniert, so dass zum Beispiel interdisziplinäre Projektpartner die Sprache des anderen verstehen können. Vielversprechend erscheinen hier auch in jüngerer Zeit aufbauend auf dem im Innovations- und Qualitätsmanagement diskutierten „House of Quality“ vorgestellte Ansätze (vgl. grundlegend z.B. Akao 1990 und 1992), die versuchen, die technische Sicht mit der Sicht der Nutzer in Form von Matrizen zu verknüpfen und so Perspektiven verschiedener Anspruchsgruppen (z.B. Entwickler/Technik vs. Kunde/Nutzen) zu verknüpfen (vgl. z.B. Gerards et al. 2011). Um die Interdisziplinarität zum Erfolg zu führen, kommt, wie aufgezeigt, dem Einsatz multimodaler Kommunikation besondere Bedeutung zu, um eine „gemeinsame Sprache“ zu finden: Gerade bei komplexen technologischen Innovationen erwies es sich als erfolgreich, neben klassischen Meetings auch Kurzvorträge verschiedener Anspruchsgruppen, (Experten-)Befragungen sowie einen Innovationsmentor zur Schnittstellenkommunikation zwischen den Bereichen sowie zwischen Technik und Anwendung zu nutzen. 5
Literatur
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Multimodale Kommunikation bei technischen Innovationen
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Gestaltung und Wirkungen crossmedialer Kommunikation Michael Boenigk / Ursula Stalder / Tobias Fries / Dorothea Schaffner Abstract Die Marketing- und Unternehmenskommunikation befindet sich durch den Wandel der Medienlandschaft und das sich verändernde Informations- und Interaktionsverhalten der Rezipienten in einem umfassenden Veränderungsprozess. Eine Option, um diesen veränderten Umfeldbedingungen gerecht zu werden, ist die crossmediale Vernetzung von Online- und Offline-Medien auf der Grundlage zu entwickelnder Storylines. Der Beitrag stellt ein Planungs- und Wirkungsmodell crossmedialer Kommunikation vor, das die zentralen Konstrukte crossmedialer Medienwirkungen erklärt und deren Wirkungsbeziehungen offenlegt. Eine quantitativ-empirische Überprüfung des Modells erfolgte durch die Kombination von Panel Studien, Adhoc-Studien sowie ein Web Reporting und ein Social Reporting zur Messung der Wirkungen crossmedialer Kampagnen.
1
Crossmediale Kommunikation und ihre Relevanz
Unternehmen und Agenturen stehen, hervorgerufen durch das veränderte Medienumfeld und durch den damit verbundenen Wandel des Informations- und Kommunikationsverhaltens der Zielgruppen vor umfassenden Herausforderungen hinsichtlich der Gestaltung und Planung ihrer Kommunikation. Aufgrund von Medienmultitasking, Reizüberflutung, Werbereaktanz und interaktiven „ondemand“ Medienangeboten sinkt die Aufmerksamkeit der Konsumenten für klassische Werbeformate. Durch die verbreiterte, konkurrierende und zunehmend individualisierte Mediennutzung wird es – bei einer zugleich stark wachsenden Zahl der zur Verfügung stehenden Medien – zunehmend aufwändiger, Zielgruppen punktgenau anzusprechen. Gleichzeitig bieten sich durch die Nutzung der Online-Medien neue Möglichkeiten der Gestaltung eines Dialoges und des Aufbaus von Beziehungen zu den Zielgruppen. Etablierte Medien- und Kommunikationskanäle werden zunehmend durch einen öffentlichen Dialog ergänzt, in dessen Rahmen Konsumenten Inhalte weltweit vernetzt publizieren und sich insbesondere auch über Unternehmen, ihre Produkte, Dienstleistungen und Marken austauschen (vgl. Macnamara / Zerfass 2012: 287, Ettl-Huber et al. 2013: 9-10). Im Partizipationszeitalter wird die Markenkommunikation nicht mehr ausschließlich vom Unternehmen gesteuert, sondern in hohem Maße auch © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1_16
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durch die Konversationen zwischen den Nutzern des Social Web beeinflusst (vgl. Capozzi / Zipfel 2012, Bruhn / Schäfer 2011, Langner / Fischer 2008). Dies führt dazu, dass die Bedeutung der Konsumenten als Informationsquelle über Marken, Produkte und Unternehmen wächst. Social Media Nutzer fungieren heute durch das Posten, Weiterleiten, Bewerten und Verlinken von markenbezogenen Inhalten als Multiplikatoren von Markenbotschaften (vgl. Douglas / Lorenz / Oheimb 2009: 11). Die allgegenwärtige Verfügbarkeit des Internets und die neuen interaktiven Kommunikationsplattformen, -kanäle und -prozesse haben neben dem Mediennutzungsverhalten der Konsumenten auch deren Ansprüche an Kommunikationsinhalte grundlegend verändert (vgl. Bruhn / Schönmüller / Schäfer 2012: 770771, Esch / Stenger 2008: 289, Henseler 2011: 123-124). Durch die mediale Konvergenz werden traditionelle Kommunikationsformen und -kanäle zunehmend hinterfragbar, substituiert oder weiterentwickelt zu neuen, effektiveren Formen der Markenkommunikation, die häufig zeit- und ortsunabhängig genutzt werden können (vgl. Schögel / Mrkwicka 2011: 7). In aktuellen Beiträgen herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die klassischen Sender-Empfänger-Modelle diese Zusammenhänge nicht ausreichend berücksichtigen und überarbeitet werden müssen (Gensler et al. 2013: 242-243, Henning-Thurau / Hofacker / Bloching 2013: 237-238, Jahn / Kunz 2012: 344, Keller / Fay 2012: 462). Mit der rasanten Entwicklung neuer Kommunikationsplattformen und deren Vernetzung über das Web wird es für Unternehmen zunehmend wichtiger, sich nicht primär auf einzelne Kommunikationskanäle, sondern – aus einer übergreifenden und vernetzten Perspektive – auf die Orchestrierung der Inhalte, Touchpoints und Formen der Markenkommunikation zu konzentrieren (vgl. Kanter 2012: 174, Hutchinson 2013: 44). 1.1 Chancen einer crossmedialen Kommunikation Eine Möglichkeit der Anpassung des Kommunikationsmixes an das Verhalten der Zielgruppen, an die Bedingungen der Medienkonvergenz und an die bestehenden Potentiale ist eine crossmediale Vernetzung der Online-Medien mit den Offline-Medien, die den Leistungscharakteristika beider Medienarenen Rechnung trägt und Einflussgrößen wie die Charakteristika der Zielgruppen sowie die Positionierung der Marken berücksichtigt. Zudem bieten sich durch die Ausnutzung der Stärken jedes einzelnen Mediums und durch die Synergien einer Ver-
Gestaltung und Wirkungen crossmedialer Kommunikation
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netzung für Unternehmen Möglichkeiten, die Effektivität ihrer Werbebudgets zu maximieren (vgl. Voorveld / Smit / Neijens 2013, Tropp 2014: 180-181). Ein Blick auf die Kommunikationspolitik der Unternehmen zeigt, dass diese die sich durch die Entwicklung der Online-Medien bietenden crossmedialen Kommunikationsmöglichkeiten bereits erkannt haben (vgl. Walther 2008: 21). Indikatoren dafür sind beispielsweise die massiv gestiegenen OnlineWerbeausgaben (vgl. Interactive Advertising Bureau 2008), die gemäß einer Studie der EIAA weiter steigen werden (vgl. European Interactive Advertising Association 2009). Eine Befragung von Schweizer Unternehmen zeigte, dass Unternehmen die größte zukünftige Herausforderung in der Vernetzung von Online- und Offline-Medien sehen (vgl. Publisuisse 2006). 1 In ihrer Forschung zu crossmedialen Kampagnen bei Unternehmen nennen Voorveld / Smit / Neijens (2013: 119) vier zentrale Faktoren, die zum Popularitätsanstieg crossmedialer Kommunikation führen: (1) Durch die Nutzung verschiedener Medien erreicht eine Kampagne einen größeren Teil der definierten Zielgruppe, (2) durch die Medienkombination profitieren crossmediale Kampagnen von Komplementaritätseffekten, (3) die Kommunikation über verschiedene Medien erhöht den Repetitionsgrad der Botschaften, reduziert gleichzeitig aber auch „wear-out effects“ und (4) im Sinne der Synergie übersteigt der kombinierte Medieneffekt die Summe der Effekte der individuellen Instrumente. 1.2 Charakteristika einer crossmedialen Kommunikation In der Literatur zum Thema vernetzte Kommunikation werden die Begriffe crossmediale und integrierte Kommunikation häufig synonym gebraucht. Aus unserer Sicht ist die crossmediale Kommunikation eine spezifische Ausgestaltungsform des strategischen Ansatzes der integrierten Kommunikation. Es lassen sich verschiedene charakterisierende Merkmale einer crossmedialen Kommunikation herleiten (vgl. Neto / Filgueiras 2008: 225, Tropp 2014: 179, Reigber 2006: 286-287, Boumans 2004: 4, Burst / Schmitt-Walter 2003: 5). Demnach ist crossmediale Kommunikation:
1
Das bei den Unternehmen festgestellte Interesse an crossmedialer Kommunikation zeigt sich gemäß der Studie von Publisuisse auch bei den Medienanbietern und Agenturen. Wie eine weitere Analyse in Schweizer Medienhäusern im Jahr 2007 zeigt, befinden sich diese in einem umfassenden Wandel vom reinen Anzeigen- hin zum Multimediaanbieter mit vernetzten Angeboten über eine Vielzahl von Kanälen hinweg, und auch die Schweizer Agenturen reagieren auf die Nachfrage ihrer Kunden nach crossmedial vernetzten Kampagnen (vgl. Walther 2008).
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der gemeinsame, formal und zeitlich vernetzte Einsatz unterschiedlicher Mediengattungen entsprechend ihren individuellen Charakteristika und Darstellungsformen mit einem Spektrum vom vernetzten Einsatz von Offline- und Online Medien oder ausschließlich von Online-Medien auf der Grundlage einer Storyline/Dramaturgie, die die Zielgruppen von einem Medium zum nächsten führt, mit dem Ziel, die Zielgruppen zu aktivieren und zu involvieren und Interaktionen mit ihnen in einem der angebotenen Kommunikationskanäle zu inszenieren und damit den Zielgruppen einen spezifischen Mehrwert zu bieten und gleichzeitig die Kommunikationsziele des Unternehmens zu erreichen.
Der Unterschied zum traditionellen Media-Mix-Ansatz, der bei der Kampagnenführung ebenfalls die gleichzeitige Belegung verschiedener Mediengattungen umfasst, liegt in den Überleitungen von einem Medium auf das andere auf der Grundlage einer Storyline. Zudem besteht das Ziel der crossmedialen Kommunikation nicht primär in der Erhöhung der Nettoreichweite, sondern in der Intensivierung der Kontakte sowie einem verstärkten Involvement und einer besseren Informationsverarbeitung seitens der Rezipienten (vgl. Tropp 2014: 179-180). Kennzeichnend für eine crossmediale Kommunikation ist, dass die Zielgruppen durch eine gezielte Steuerung über verschiedene Medien, beispielsweise auf der Grundlage einer Storyline (vgl. Dena 2004: 1), zu Zielmedien geleitet werden. Mit dem Fortschritt der Digitalisierung haben sich Unternehmens- oder dezidierte Kampagnen-Webseiten sowie Social-Media-Präsenzen als Zielmedien bzw. konzeptionelle Zentren crossmedialer Marketing-Kommunikation etabliert. Im Rahmen der crossmedialen Vernetzung werden Rezipienten über den Einsatz einer breiten Medienpalette auf diese „Hubs“ geleitet, um dort zur Ausführung verschiedener Anschlusshandlungen, wie zum Beispiel der Konsumation zusätzlicher Informationen, Produkt-Bestellungen, Weiterempfehlung oder Teilnahme an Gewinnspielen, angeregt zu werden (vgl. Tropp 2014: 180). Konsumenten haben verschiedene Optionen, einer Storyline über alternative Medien hinweg zu folgen und mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten. Im Mittelpunkt stehen folglich nicht die Erhöhung der mit den Ausgangsmedien erzielten Kontakte, sondern deren individuelle Vertiefung und die Schaffung einer Bindung (vgl. Neto / Filgueiras 2008: 226). Insofern besteht eine wesentliche Herausforderung in der Kombination der Medien entlang der Storyline, wobei jedes Medium als Anreiz einen spezifischen Inhalt oder Service enthält (vgl. Boumans 2004: 12).
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2
271
Vorgehen und Ergebnisse der explorativ-empirischen Studie
So nachvollziehbar und erfolgversprechend die grundsätzliche Forderung nach einer medienübergreifenden Kommunikation erscheint, so komplex ist ihre Umsetzung in konkreten Kampagnen (vgl. Netz 2006). Um die Vorteile medienübergreifender Kampagnen zu erschließen, sollten einerseits die Umfeldentwicklungen, die die Mediawerbung aktuell unter Druck setzen, offengelegt werden und andererseits die Gestaltungs- und Wirkungsdimensionen crossmedialer Kampagnen bekannt sein, damit die medienübergreifende Verzahnung von Botschaften, Medien und Darstellungs-, respektive Kommunikationsformen strategisch geführt und so eine optimale Zielgruppenansprache erreicht werden kann. Zur Gewinnung von Erkenntnissen hinsichtlich der Einflussgrößen, Inszenierung, Planung, Wirkungskontrolle und Organisation einer crossmedialen Kommunikation erfolgten im Rahmen eines Forschungsprojektes zur crossmedialen Kommunikation neben der Aufarbeitung der Fachliteratur und der Durchführung einer Analyse aktueller und abgeschlossener crossmedialer Kampagnen von Schweizer und internationalen Unternehmen 2 Interviews mit neunzehn Kommunikationsexperten aus der Wirtschaft (Agenturen und Unternehmen). Darüber hinaus wurden vier reale crossmediale Kampagnen in Zusammenarbeit mit den Forschungspartnern inszeniert sowie deren Wirkungen gemessen. Einleitend wird als Ergebnis der explorativen Untersuchung das Forschungsmodell zur Gestaltung und Wirkung crossmedialer Kommunikation vorgestellt. Darauf aufbauend folgen eine Zusammenfassung der offengelegten Erfolgsfaktoren crossmedialer Kampagnen und Implikationen zur Planung und Inszenierung crossmedialer Kampagnen.
2
Um das Vorgehen von Unternehmen bezüglich crossmedialer Kampagnen besser einschätzen zu können, wurden die Gewinnerkampagnen der Goldbach Crossmedia Awards der Jahrgänge 2008 bis 2010 (N=27) analysiert. Es wurden jene Kampagnen auszeichnet, die mit ihrer innovativen und intelligenten Vernetzung bestechen und die strategische sowie konzeptionelle Vernetzung der Kommunikation fördern. Die Ergebnisse werden für das Kreativranking der Werbewoche genutzt.
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2.1 Das Forschungsmodell Basierend auf den Ergebnissen der Umfeldanalyse wurde ein Forschungsmodell entwickelt, das die Zusammenhänge der Ausarbeitung und Wirkungsmessung einer crossmedialen Kommunikation gesamthaft abbilden und erklären soll (siehe Abbildung 1). Im Modell wird davon ausgegangen, dass die Unternehmen ihre Komunikationsstrategien an die Mediendynamik anpassen, indem sie vermehrt crossmediale Kampagnen durchführen. Diese werden im Modell durch das Konstrukt „Crossmedia Dramaturgie" abgebildet und in die Entscheidungsdimensionen „Medienkombination“, „Narration/Storytelling“ und „Gestaltung“ untergliedert. Die Wirkungen der crossmedialen Kommunikation wurden im reflektiven Konstrukt „Kontakt/Interaktion“ zusammengefasst und anhand der drei Indikatoren „Wahrnehmung“ (Awareness), „Sensibilisierung“ sowie „Aktivierung/ Nutzung“ erklärt. Inwieweit die Interaktion mit den Zielgruppen in einer tieferen Verbundenheit zwischen diesen und dem Unternehmen oder seinen Leistungsangeboten mündet, wird im Modell durch das reflektive Konstrukt „Verbundenheit“ abgebildet. Als Indikatoren für dieses Konstrukt wurden literaturbasiert die Indikatoren „Wiederwahlwahrscheinlichkeit“, „Weiterempfehlungsbereitschaft“ und „Inanspruchnahme weiterer Leistungen“ herangezogen. Damit wurde eine inhaltliche Struktur und Grundlegung für die Operationalisierung bzw. Entwicklung manifester Messindikatoren des Modells gelegt.
Gestaltung und Wirkungen crossmedialer Kommunikation
Abbildung 1:
Forschungsmodell
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Boenigk / Stalder / Fries / Schaffner
2.2 Parameter der kommunikations- und medienbezogenen wicklungen: Das Konstrukt „Mediendynamik“
Umfeldent-
Das Konstrukt Mediendynamik lässt sich anhand der Indikatoren „Entwicklung der Medienlandschaft“, „Entwicklung des Informationsverhaltens der Rezipienten“ und „Entwicklung des Kommunikationsbedürfnisses der Unternehmen“ erklären. Die Veränderungen des Kommunikationsverhaltens der Konsumenten und die Entstehung neuer Medien haben umfassende Auswirkungen auf die Marketingkommunikation. In instrumenteller Hinsicht haben die dialogorientierte Kommunikation, die Online-Werbung, der Einsatz von Social-MediaPlattformen, Mobile-Marketing sowie die Vernetzung von Online- und OfflineMedien im Rahmen einer crossmedialen Kommunikation an Bedeutung gewonnen. Die aus der explorativen Untersuchung hervorgegangenen Erkenntnisse hinsichtlich der Mediendynamik sind in der untenstehenden Tabelle 1 zusammengefasst. Medienlandschaft
Informationsverhalten der Rezipienten
• • • • • • • • • • • • • • • •
Kommunikationsbedürfnisse/ -verhalten der
• • • •
Digitalisierung, neue Technologien, Ubiquität des Internets Machtverschiebung zur Social Community Öffentlicher Dialog und user-generated Content Medienkonvergenz Individualisierte Medienangebote Angebotsseitige Medienfragmentierung Live-Events (z.B. Olympiade) gewinnen an Bedeutung, da breite Zielgruppen häufig nur noch in diesem Rahmen erreicht werden können. Konzentration und verstärkter ökonomischer Druck Verschmelzung verschiedener Medien (Internet, TV) Umfassendere und individualisierte Nutzung von Medien Medienmultitasking (parallele Nutzung verschiedener Medien) „On demand“-Anspruch und Nutzung (Digital-TV, Internet) Nutzung ortsunabhängiger, mobiler Medienangebote Verweigerungshaltungen gegenüber traditionellen Formaten, (Werbe-)Reaktanzen Generieren und Tauschen von Inhalten (user-generated Content) Konsumenten sind besser über Produkte, Leistungen und Preise informiert Partizipationsanspruch bei Produkt- und Markenentwicklung Mehr Transparenz und Ehrlichkeit in der Kommunikation gefordert Zunehmender Dialog mit den Zielgruppen/Stakeholdern Konsumentenintegration (z.B. Entwicklung/Kampagnen)
Gestaltung und Wirkungen crossmedialer Kommunikation
Unternehmen
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• Gestiegene Anforderungen an Verantwortliche in Unternehmen/ Agenturen • Vermehrt abteilungsübergreifende Zusammenarbeit • Erhöhte Komplexität sowie Kontroll- und Steuerungsanforderungen • Kombination von Online-Shops und stationärem Handel
Tabelle 1: Bestandteile des Konstruktes „Mediendynamik“
2.3 Grundlegende Entscheidungen der Kampagnenplanung: Das Konstrukt Kommunikationsstrategie Das Konstrukt der Kommunikationsstrategie setzt sich aus den Teilentscheidungen Kommunikationsziele, Zielgruppendefinition, Festlegung der kreativen Leitidee sowie der Budgetierung zusammen. Die Inhalte dieser Teilentscheidungen werden in Tabelle 2 dargestellt: Kommunikationsziele
Zielgruppen
Kreative Leitidee
Budget
• Definieren der Reaktionen, die in verschiedenen Phasen bei der Zielgruppe ausgelöst werden sollen. Diese Reaktionen • basieren auf der Grundlage der Verhaltensmuster der Zielgruppen und deren Involvement gegenüber dem Bezugsobjekt, • bilden die Richtschnur kommunikativen Handelns, die steuernde Grundlage nachgeordneter Entscheidungen, wie z.B. des Medieneinsatzes, • sind in kognitive, affektive und konative Ziele unterteilbar. • Analyse der Erwartungen, Bedürfnisse, Eigenschaften und Verhaltensweisen sowie der Mediennutzung • Zielgruppenauswahl und deren Mediennutzungsmuster bilden neben dem Budget und der Art der Kampagne die Grundlagen der Medienselektion • Dramatisiert die strategische Positionierung und macht diese für die Zielgruppen durch den Einsatz von Modalitäten sichtbar und verständlich • Charakterisierende Merkmale einer guten kreativen Leitidee sind z.B. Adaptionsfähigkeit, Kompatibilität für verschiedene Kampagnenphasen, Generierung von Involvement/Emotionalität, Relevanz, Differenzierungspotential, Mehrwert für den Empfänger • Festlegung des Kommunikationsbudgets und dessen Verteilung auf einzelne Kampagnen, Medien und Maßnahmen auf der Grundlage
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der Kommunikationsziele sowie des Mediennutzungsverhaltens der Zielgruppen. • Bildung von Reserven, um flexibel auf das reagieren zu können, was durch die crossmediale Kommunikation ausgelöst wird
Tabelle 2: Bestandteile des Konstruktes „Kommunikationsstrategie“
2.4 Dimensionen der crossmedialen Kommunikationsplanung: Das Konstrukt „Crossmedia Dramaturgie“ Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass die crossmediale Planung einer Kampagne in die Bereiche der Medienkombination, der Narration bzw. des Storytelling sowie der Gestaltung untergliedert werden kann. Die Selektion der Medien orientiert sich – wie in der klassischen Kampagnenplanung – primär an den Mediennutzungsmustern der Zielgruppe. Darüber hinaus spielen die Zielsetzungen der Kampagne sowie das verfügbare Budget eine wesentliche Rolle. Die Kombination der Medien („die Sortierung“, „die Staffelung“, „die zeitliche Anordnung“) basiert auf der Narration, bei der eine dramaturgische Umsetzung der kreativen Leitidee in verschiedene Phasen erfolgt. Im Rahmen der Gestaltung werden die Entscheidungen hinsichtlich des wiederkehrenden Einsatzes zum Beispiel von Farben, Layouts und Bildern getroffen. In Tabelle drei werden die Entscheidungen des Konstrukts „Crossmedia Dramaturgie“ zusammengefasst. Medienkombination
• Auswahl der Medien und Maßnahmen für die Kommunikationsphasen • Festlegung der Funktion der einzelnen Medien in den verschiedenen Phasen • Festlegung des Zeitraums und der Frequenz des Einsatzes der Medien und Kommunikationsmaßnahmen in den einzelnen Kommunikationsphasen • Festlegung der Kombination, Verzweigung und Reihenfolge des Einsatzes der Medien und Kommunikationsmaßnahmen • Festlegung der Form der Vernetzung der Medien und Kommunikationsmaßnahmen (z.B. Links, Verweise, Empfehlungsbuttons, RSS und Twitter Funktionen; Schnittstelle zwischen Narration und Inszenierung des Medienwechsels) • Festlegung der Medien, die Zugang zur Story ermöglichen („Entry Points“) • Festlegung der Rückkanäle, die Feedbacks/Dialog ermöglichen
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Narration/ Storytelling
Gestaltung
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• Festlegung des Einsatzes spezifischer Plattformen und Formate • Festlegung des Einsatzes spezifischer Modalitäten (Bild, Text, Ton, Gerüche) • Wesentlich ist die Priorisierung der Medien entsprechend deren Leistungscharakteristika kombiniert mit dem Zielgruppenverhalten • Dramaturgische Umsetzung der Leitidee in verschiedene Phasen (Story, Plot, Stil) • Verwendung spezifischer Genres (z.B. Filme, Bilder) • Verteilung der Handlungsinhalte auf die verschiedenen Medien • Zielgruppenspezifische Auswahl/Adaptation der Handlungsinhalte/ Medien • Festlegung des Botschaften-Systems (Claim, Kernaussagen, Einzelaussagen) • Inszenierung des Medienwechsels („Cliffhanger“) • Inszenierung der Form des Zugangs zur Geschichte und Auswahl der Medien, die dies ermöglichen („Entry Points“) • Festlegung der Formen der Reaktion auf Kontakte der Rezipienten • Festlegung der Form der Ansprache in den verschiedenen Medien • Festlegung der Entwicklung der Botschaften im Zeitablauf gemäß Zielsystem • Festlegung der handelnden Figuren (Menschen, Stars, Charaktere, Tiere) • Bezugnahme auf in der Zielgruppe Bekanntes (z.B. Filme, Ereignisse) • Festlegung des Ortes der Ereignisse/der Handlung • Festlegung des Zeitrahmens/der zeitlichen Perspektive (Was passiert wann?) • Festlegung der Erzähler bzw. Perspektive der Handlung • Wiederkehrender Einsatz der Sprache, wie z.B. Claims, Botschaften, (Schnittstelle Narration) • Wiederkehrender Einsatz von Schüsselbildern und spezifischen Bildwelten • Wiederkehrender Einsatz einer spezifischen Musik • Wiederkehrender Einsatz eines Logos • Wiederkehrender Einsatz einer Farbe oder einer Farbkombination
Tabelle 3: Bestandteile des Konstruktes „Crossmedia Dramaturgie“
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2.5 Messung und Wirkung crossmedialer Kampagnen: Die Konstrukte „Kontakt/Interaktion“ sowie „Verbundenheit“ Bei der Konzeptualisierung des Konstruktes „Kontakt/Interaktion“ wird eine Untergliederung in die Wirkungsstufen „Wahrnehmung“, „Sensibilisierung“, „Aktivierung“ und „Bindung“ vorgenommen (siehe Tabelle 4). Die Verbundenheitswirkungen wurden anschließend durch die Indikatoren „Wiederwahlwahrscheinlichkeit“, „Weiterempfehlungsbereitschaft“ sowie „Inanspruchnahme weiterer Leistungen“ operationalisiert. Wahrnehmung
Aktivierung
Aufmerksamkeit, Bekanntheit, Kenntnisse/Assoziationen Interesse, Emotionen, Emotionale Bindung, Sympathie/Gefallen, Images, Identifikation, Involvement, Vertrauen Auseinandersetzung, Kaufinteresse/-intention, positives Erlebnis
Bindung
Wiederwahl, Loyalität, Weiterempfehlung
Sensibilisierung
Tabelle 4: Identifizierte Einstellungsmerkmale auf Kampagnen- und Markenebene
2.6 Methoden der Wirkungsmessung Neben der Erfassung der Indikatoren zur Erfassung der Wirkungen einer crossmedialen Kommunikation sind die geeigneten Methoden der Wirkungsmessung zu isolieren und zu kombinieren sowie zu überprüfen. Eine erste, wenn auch nicht hinreichende, empirische Überprüfung des Modells erfolgte im Rahmen des Forschungsprojektes, indem vier crossmediale Kampagnen unterschiedlicher Schweizer Unternehmen analysiert wurden. Zur Erhebung der Wirkung der crossmedialen Kampagnen wurden im Rahmen des Forschungsprojektes unterschiedliche Messmethoden kombiniert. Jeweils vor und nach Abschluss der Kampagne wurde eine repräsentative Online-Panel-Studie durchgeführt. Während der Laufzeit der Kampagne wurden eine (oder in Abhängigkeit von der Rekrutierung mehrere) Adhoc-Studien durchgeführt. Gleichzeitig wurden während der gesamten Kampagne verschiedene Kenngrößen über ein Web-Reporting erhoben. Die Panel-Studien sowie die Adhoc-Studien wurden mittels einer Online-Befragung ausgeführt, die Web Analytics-Daten wurden mit etablierten Web-Monitoring- und Web-Reporting-
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Softwarelösungen erhoben. 3 Abbildung 2 zeigt den Einsatz der verschiedenen Messmethoden und deren Einsatzzeiträume im Überblick.
Abbildung 2:
Übersicht Methoden der Wirkungsmessung
Im Rahmen der quantitativen Messungen konnten verschiedene, im Modell dargestellte Wirkungszusammenhänge nachgewiesen werden. Es sind jedoch auch verschiedene Schwierigkeiten aufgetreten, die sich in die folgenden drei Bereiche untergliedern lassen:
Eingeschränkter Nutzen repräsentativer Studien Koppelung von Web-Reporting-Daten mit Daten der Panelstudien Datenqualität Web-Reporting und Aufwand für Wirkungsmessung
3
Zur Optimierung der Ergebnisse der Wirkungsmessungen wurde für jede der untersuchten Kampagnen ein Messkonzept erstellt, dann der geplante Medieneinsatz überprüft und gegebenenfalls optimiert sowie die erfassten Einzeldaten in ein zentrales Reporting integriert.
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Eingeschränkter Nutzen repräsentativer Studien Ein Problem hat sich dahingehend ergeben, dass die Panelstudien zur Erfassung der Wirkungen crossmedialer Kampagnen vielfach nur eingeschränkt geeignet sind. Die Gründe sind darin zu sehen, dass die crossmedialen Kampagnen zumeist eine eingeschränkte Reichweite haben und auf das Auslösen von Aktivitäten einer genau definierten Zielgruppe abzielen, die sich durch die Panelstudien nicht erreichen lässt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die durch die Panelstudien befragten Personen die Kampagnen vielfach kaum wahrgenommen haben, wodurch sich auch keine Wirkungen nachweisen lassen. Insofern sollten bei crossmedialen Kampagnen lediglich die Personen befragt werden, die die Kampagnen wirklich gesehen haben, wie dies zum Beispiel bei den AdhocStudien der Fall war. Koppelung von Web-Reporting-Daten mit Daten der Panelstudien Ein weiterer Aspekt, der bei den Wirkungsmessungen zu beachten ist, dass mit den Panelstudien primär Wirkungen bei den Rezipienten wie beispielsweise die Veränderungen von Einstellungen gemessen werden, während die WebReporting-Daten die Mediennutzung erfassen. Es entsteht somit die Aufgabe, diese beiden Datenarenen miteinander zu koppeln, was insbesondere beim Einsatz von Strukturgleichungsmodellen schwer lösbar ist. Datenqualität Web-Reporting und Aufwand Wirkungsmessung Die Datenqualität des Web-Reporting war zum Teil unzureichend. In den Datenreihen von Facebook-Insights sind zum Beispiel Lücken aufgetreten, die sich nicht erklären ließen. Ferner führte der Einsatz unterschiedlicher Tools bei den gleichen Wirkungsmessungen zum Teil zu unterschiedlichen Ergebnissen, da keine einheitlichen Standards bestehen. Zu beachten ist auch, dass die Ergebnisse unmittelbar auf Eingriffe der Kampagnenmanager wie zum Beispiel das Abschalten des Servers bei der Anpassung der Kampagne reagieren. Grundsätzlich sollte in der gesamten Untersuchung mit demselben Tool gearbeitet werden und die Betrachtung der Entwicklung der Daten im Zeitablauf erfolgen. Darüber hinaus ist die Vorbereitung sowie Realisation der Erfassung und Interpretation der Web-Reporting-Daten mit einem großen zeitlichen Aufwand verbunden.
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Gegenstand, Ziele und Regeln crossmedialer Kampagnen
Gegenstand einer crossmedialen Kommunikation – so die Erkenntnis aus der vorliegenden Forschung – ist der vernetzte Einsatz unterschiedlicher Medien über mehrere Kanäle entsprechend ihren individuellen Charakteristika und Darstellungsformen entlang des Mediennutzungsverhaltens der Zielgruppen. Die Grundlage der Vernetzung bildet eine Storyline bzw. Dramaturgie, die die Zielgruppen über Verknüpfungen der Medien zumeist von reichweitenstarken Basismedien zu Interaktionsmedien führt. Das Ziel besteht in der Regel in der Aktivierung und Involvierung der Zielgruppen, um darauf aufbauend einen Dialog bzw. Interaktionen in einem der Kommunikationskanäle zu inszenieren. Insofern ist die crossmediale Kommunikation auch als eine inhaltliche Erweiterung des Spektrums der Möglichkeiten einer integrierten Kommunikation zu sehen. Bei der erfolgreichen Planung und Realisation einer crossmedialen Kommunikation sind die folgenden zehn Grundregeln zu beachten: 1. Ausrichtung auf die Strategie Zunächst soll ein Blick auf die kommunikative Problemstellung, das Leistungsangebot sowie die Zielgruppen und deren Charakteristika geworfen werden. Danach sind die Kommunikationsziele und die kreative Leitidee festzulegen. Darauf aufbauend ist zu entscheiden, ob eine crossmediale Realisation der Kommunikation mit den dahinter stehenden Leistungscharakteristika anzustreben ist. Eine crossmediale Kommunikation eignet sich umso mehr, je komplexer die zu vermittelnde Botschaft und umso wesentlicher die Aktivierung und das Involvement der Zielgruppen ist. 2. Allokation des Budgets auf Basis der Ziele und der Kreatividee Auf der Basis der kreativen Leitidee und entsprechend dem Mediennutzungsverhalten der Zielgruppen sowie den Leistungscharakteristika der Medien sind diese auszuwählen und die kreative Leitidee mediengerecht aufzubereiten. Erst wenn der Medienmix feststeht, ist das Budget auf die einzelnen Medien zu verteilen, wobei zur Sicherstellung der Flexibilität des Medieneinsatzes eine Reserve von ca. 20% des Budgets einzuplanen ist. 3. Sicherstellen der Aussagekraft einzelner Medien Auch beim vernetzten Einsatz der einzelnen Medien ist sicherzustellen, dass jedes für sich aussagekräftig ist, da nicht immer davon ausgegangen werden kann, dass alle Rezipienten der geplanten Vernetzung wie vorgesehen von Anfang an folgen.
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4. Zusammenarbeit von Strategie, Kreation und Media Bereits bei der Entwicklung der Kreatividee sind die Bereiche Strategie, Kreation, Media zu involvieren. Auf dieser gemeinsamen Basis ist zu eruieren, welche Kreatividee auf der Grundlage der kommunikativen Problemstellung geeignet ist und wie sich diese realisieren lässt. Die klassische Aufteilung der Planung in die Phasen Strategie > Kreation > Mediaplanung ist aufgrund der Vielfältigkeit der medialen Möglichkeiten und ihrer hohen Bedeutung für die Kreation bei der Planung crossmedialer Kampagnen nicht mehr zweckmäßig. 5. Ausrichtung der Kampagne auf die Zielgruppe Entwicklung einer Kreatividee und einer Ausgestaltung der Kampagne, die so relevant und interessant ist, dass die Zielgruppen sie weiterverfolgen möchten. 6. Sicherstellung der Verständlichkeit der Kampagne Bei Entwicklung der kreativen Ausgestaltung der Kampagne und der Storyline ist darauf zu achten, dass die Botschaften dahinter entsprechend den Kommunikationszielen verstanden werden und eine Weiterführung der Kreatividee über verschiedene Phasen der Kampagne möglich ist. 7. Gewährleisten von Interaktion Bei der kreativen Ausgestaltung der Kampagne ist darauf achten, dass ausreichende Möglichkeiten zur Involvierung und zur Interaktion mit den Zielgruppen gegeben sind. 8. Fokussierung auf zentrale Elemente Bei der kreativen Ausgestaltung der Kampagne sollte man sich auf wenige gestalterische Elemente beschränken, wie zum Beispiel auf ein Schlüsselbild oder einen Protagonisten, einen Claim und einen Song und wenige zentrale Kernbotschaften, um eine Wiedererkennbarkeit der Kampagne in der Vielfalt der Kommunikationsimpulse sicherzustellen. 9. Berücksichtigung der Unternehmenskultur Bei der kreativen Ausgestaltung der Kampagne ist darauf zu achten, dass diese zum Unternehmen und seiner Kultur passt und authentisch ist. 10. Ressourcenbereitstellung Es ist zu berücksichtigen, dass bei einer crossmedialen Kommunikation zwar die Chance besteht, die Schaltkosten einer Kampagne zu reduzieren, gleichzeitig aber die Kosten zur Steuerung der Kampagne steigen. Die höheren Steuerungs- und Personalkosten basieren dabei sowohl auf der Notwendigkeit der Vernetzung der Medien als auch der erforderlichen höheren Flexibilität in deren Einsatz sowie in der Gewährleistung einer zeitnahen Interaktion mit den Zielgruppen.
Tabelle 5: 10 Regeln für die Planung und Realisation crossmedialer Kommunikation
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Handlungsanleitung zur Planung und Inszenierung crossmedialer Kampagnen
In der Praxis fehlen bisher Empfehlungen zur Entwicklung und Realisation einer crossmedialen Kommunikation, die auf empirischen Forschungserkenntnissen hinsichtlich verschiedener Entscheidungsbereiche crossmedialer Kommunikation basieren. Ein erster Schritt zu einem fundierten Praxisleitfaden ist die aus den Forschungsergebnissen entwickelte Toolbox zur Planung und Führung erfolgreicher crossmedialer Kommunikationsstrategien. Die Toolbox untergliedert sich in sieben Phasen, in denen die einzelnen Entscheidungsebenen einer crossmedialen Kommunikation systematisch zusammengeführt werden. Prüfkriterien in jeder einzelnen Planungsphase sollen eine vollständige und systematische Planung sicherstellen und Verantwortlichen in Unternehmen als praxisbezogene Handlungsanleitung dienen. Abbildung 3 zeigt die Inhalte der Toolbox im Überblick. Die linke Seite der Darstellung orientiert sich an Planungsschritten im Sinne eines Vorgehens, während die rechte Seite die daraus entstehenden Ergebnisse bzw. steuernden Grundlagen für nachgeordnete Entscheidungen systematisiert.
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Prozessschritt
Ergebnis/ Outcome
Situationsanalyse Externe Ausgangslage Strategische Grundlagen Kommunikative Problemstellung Organisatorisch-personelle Rahmenbedingungen
Bedürfnis/ Problemstellung
Kampagnenstrategie Ziele Zielgruppen Positionierung, Botschaft Budgetierung Verantwortlichkeiten/Termine
Briefing
Kampagnenkonzeption Kreative Leitidee Kommunikationsinhalte Medienmix Visualisierung Crossmediale Integration
Grobkonzept Feinkonzept
Kampagnenplanung Projektplanung Maßnahmenplanung Evaluationsplanung
Kampagnenrealisierung Medienkonzeption Mediendesign Tracking
Kampagnenmanagement Monitoring Steuerung
Kampagnenevaluation Prozess Ergebnisse
Abbildung 3:
Projektplan Maßnahmenplan Evaluationsplan
Kommunikationsmittel
Durchführung
Reporting
Handlungsanleitung zur Planung und Inszenierung crossmedialer Kommunikation
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Fazit
Durch eine Literaturstudie, die systematische Analyse ausgezeichneter crossmedialer Kampagnen von Schweizer und internationalen Unternehmen und Interviews mit Experten aus Schweizer Unternehmen und Agenturen konnten die Kontextbedingungen crossmedialer Kommunikation ermittelt und die Planungsdimensionen sowie die Wirkung crossmedialer Kampagnen bestimmt werden. Der Fortschritt gegenüber Bestehendem ist darin zu sehen, dass erstmals Fragestellungen der „Narration“ gemeinsam mit den Aspekten der „Gestaltung“ und der „Medienkombination“ der Kommunikation betrachtet wurden und sowohl deren Kombinationsmöglichkeiten als auch deren Interaktionswirkungen gemeinsam untersucht wurden. Ein Teilziel des vorliegenden Beitrags lag daher in der Erarbeitung eines Ansatzes sowie von Vorgehensweisen, die sich zur Erfassung der Wirkungen einer crossmedialen Kommunikation eignen. Neben dem Forschungsmodell, das sich in einen Mess- und einen Wirkungsbereich unterteilt, wurden die zur Erfassung der Wirkungen einer crossmedialen Kommunikation geeigneten Methoden ausgearbeitet und kombiniert. Eine erste quantitativ-empirische Überprüfung des Modells erfolgte durch die Kombination von Panel Studien, Adhoc-Studien sowie ein Web-Reporting und ein Social Reporting. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen wurden Planungs- und Entscheidungsparameter einer crossmedialen Kommunikation identifiziert und Empfehlungen in Form eines Leitfadens („Toolbox“) formuliert, die als praxisorientierte Handlungsanleitungen zur schrittweisen Planung, Umsetzung und der Erfolgskontrolle erfolgreicher crossmedialer Kampagnen verwendet werden können. In der Praxis fehlen bisher Empfehlungen zur Entwicklung und Realisation einer crossmedialen Kommunikation, die auf quantitativen Forschungserkenntnissen hinsichtlich der Wirkungen crossmedialer Kommunikation basieren. Zukünftige Forschung im Bereich der crossmedialen Kommunikation sollte sich deshalb auf eine weiterführende Überprüfung der in diesem Beitrag konzeptualisierten Planungsdimensionen und Wirkungszusammenhänge konzentrieren. Crossmedia-Wirkungsmessung ist leider noch immer ein vernachlässigtes Forschungsgebiet. Daher gilt es, innovative Messansätze zu entwickeln, die Probleme bei der Aggregation verschiedener Daten, Messgrößen und Methoden zu lösen und empirische Studien durchzuführen, welche die hypothetischen Konstrukte zu validieren vermögen. Nicht nur Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen sind durch die neuen Kommunikationskanäle und deren Vernetzung sowie den sich stetig ändernden Kontext ihrer Arbeit gefordert, sondern
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auch diejenigen Wissenschaftler, die gerade diese Phänomene zu verstehen versuchen. 6
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Michael Boenigk, Dr. rer. pol., ist Professor am Institut für Kommunikation und Marketing IKM an der Hochschule Luzern. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Strategische Kommunikation, Integriertes Kommunikationsmanagement. [email protected] Olga Bystrova, M.Sc., hat die Gruppenleitung CGI in der Querschnittsfunktion Digital Produkt Engineering bei CLAAS. Forschungsgebiete: Marktforschung und interdisziplinäre Forschungsprojekte mit dem Schwerpunkt Technologie. [email protected] Marianne Grove Ditlevsen, PhD, is Associate Professor in strategic communication at the School of Communication and Culture, Aarhus University. Current research interests: strategic communication, Investor Relations as a strategic management function in a corporate communication framework, the discursive construction of identity from a critical perspective. [email protected] Esther Federspiel, Lic. phil., ist Dozentin und Projektleiterin an der FHS St. Gallen, Technik, am Institut für Innovation, Design und Engineering (IDEEFHS). Forschungsschwerpunkte: Innovationskultur, Lern- und Spielpsychologie. [email protected] Katalin Fehér, Dipl.-Chem., arbeitet im Bereich Unternehmensentwicklung bei VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf. Zur Zeit des Forschungsprojektes war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University und Leiterin der Abteilung Fasersysteme im Bereich Life Science and Smart Textiles. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Entwicklung und Herstellung funktionalisierter Fasern für medizinische Anwendungen. [email protected] Jessica Freiherr, Dr. med., ist Professorin für Neurowissenschaften der sensorischen Wahrnehmung an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Forschungsgebiete: Geruchsverhalten des Menschen und die zugrunde liegende Hirnaktivierung, Interaktion des olfaktorischen Systems mit anderen Sinnessystemen, insbesondere bei der Produktwahrnehmung. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Wahl et al. (Hrsg.), Werbung für alle Sinne, Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation 21, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25129-1
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Tobias Fries, M.Sc., ist Head of Strategic Communications & Content Production bei Swiss International Air Lines. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Content Management und Content Marketing. [email protected] Thomas Gries, Prof. h.c. Dr.-Ing., ist Professor und Direktor des Instituts für Textiltechnik (ITA) an der RWTH Aachen University. Er koordiniert die interdisziplinäre Forschung an der RWTH. [email protected] Achim Hehl, Dr., ist COO / Geschäftsführer Operations bei der Karl Otto Braun GmbH (Deutschland). Zur Zeit des Projektes war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University. Forschungsgebiet: tribokorrosiver Verschleiß von Textilmaschinen. Florian Hoffarth, M.A., M.A., war zur Zeit des Projekts wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Lehrbeauftragter im Fachgebiet Deutsche Sprachwissenschaft am Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft der TU Darmstadt. Er ist für den Magistrat der Stadt Dieburg tätig. Timm Holtermann, Dr., ist Examiner im European Patent Office. Zur Zeit des Projekts war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University. Sein Forschungsschwerpunkt ist Energieeffizienz in textilen Produktionsprozessen. Antje S. J. Hütten, Dr., ist Projektleiterin Strategie bei Voith Paper. Während ihrer Dissertation waren die Forschungsschwerpunkte: Kommunikation und Relationship Marketing sowie Technologiemarketing und Marktforschung. Anja Janoschka, Dr. phil., ist Professorin und Leiterin des Majors Marketing am Institut für Kommunikation und Marketing der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Marketing/Kommunikation, Werbung, Social Media, Online Communities, Sponsoring, B2B-Kommunikation, Einflussbereiche der Digitalisierung (z.B. Programmatic Creation, Internet of Things). [email protected]
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Peter Kastberg, PhD, is Professor in organizational communication and head of the research group Communicating Organizations at Aalborg University. Current research interests: philosophy of communication, organizational socialization, the sociology of knowledge, and the discursive construction of identity from a critical perspective. [email protected] Arno Kinzinger, Mag. (FH), ist Senior Lecturer am Studiengang Betriebswirtschaft der Fachhochschule Salzburg GmbH. [email protected] Monika Koller, PD Mag. Dr., ist Mitarbeiterin am Institute for Marketing & Consumer Research der Wirtschaftsuniversität Wien. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Marketing, Consumer Behaviour, Consumer Neuroscience, Measurement, Technology and Innovation, Smart City Research. [email protected] Isabella Laimer, M.A., ist Vice President Marketing & Sales der Salzburger Flughafen GmbH. Karin Luttermann, Dr. phil. habil., ist Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie leitet die Sektion Fachkommunikation und ist zugleich Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Forschungsschwerpunkte: Gesprächs-/ Diskurs-/Textlinguistik sowie Werbe-/Wirtschafts-/Rechts-/Wissenschaftskommunikation. [email protected] Seraina Mohr, Lic. phil., ist Leiterin des CC Communication Management an der Hochschule Luzern – Wirtschaft und Studienleiterin des MAS Digital Marketing and Communication Management. Forschungs- und Lehrgebiete: Digitales Kommunikationsmanagement, Community Management, Content Strategien und Content Marketing. [email protected]
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Marie-Christin Papen, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Marketing der Technischen Universität Dresden. Zuvor war sie am Lehr- und Forschungsgebiet für Technologie- und Dienstleistungsmarketing an der RWTH Aachen tätig. Forschungsinteressen: Emotionen und Kommunikation im Relationship Marketing, Marktforschung. [email protected] Sandra Reimann, Dr. phil. habil., ist Professorin für Germanistik an der Universität Oulu (Finnland) und Privatdozentin an der Universität Regensburg (Deutsche Sprachwissenschaft), Sprecherin des Regensburger Verbunds für Werbeforschung und wissenschaftliche Betreuerin des Regensburger Archivs für Werbeforschung. Langjährige Tätigkeit als Hörfunkjournalistin. Forschungsschwerpunkte: Medienkommunikation, Wirtschaftskommunikation, ExpertenLaien-Kommunikation, Wissenstransfer, Gesundheitskommunikation/e-Health, Fachsprachen, Emotionslinguistik, deutsche Grammatik, Textgrammatik. [email protected], [email protected], sandra. [email protected] Elke Ronneberger-Sibold, Dr. phil., war Inhaberin des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Jetzt befindet sie sich im Ruhestand. Ihr wissenschaftliches Hauptinteresse gilt neben der deutschen Grammatik und Sprachgeschichte der Werbesprache und der Geschichte der deutschen Markennamen. [email protected] Nicole Rosenberger, Dr. phil., ist Professorin und Leiterin des Arbeits- und Forschungsschwerpunkts Organisationskommunikation und Management am Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Digitale Transformation und Kommunikation, Identitäts- und Reputationsmanagement, strategisches Kommunikationsmanagement, interne Kommunikation sowie vertrauensbildende Organisationskommunikation. [email protected] Jens Runkehl, Dr. phil., vertritt den Lehrstuhl Deutsche Philologie (DPH) am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaften der RWTH Aachen. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Medienkommunikation/-theorien, Sprache und Kommunikation im Internet, Werbe- und Wirtschaftskommunikation. [email protected]
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Dorothea Schaffner, Dr., ist Professorin am Institut für Marktangebote und Konsumentscheidungen an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Persuasion und Entscheidungsverhalten, Nutzung und Wirkung innovativer und digitaler Medien, Virtual Reality als Forschungsinstrument (VTI-Lab), Verhaltensänderung durch verhaltensbasierte Interventionen, Nachhaltigkeit und umweltschonendes Verhalten, Konsumentenverhalten und -psychologie. [email protected] Achim Schröter, Dr., ist Lead Engineer bei der Adler Pelzer Holding GmbH. Zur Zeit des Projekts war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University. Forschungsschwerpunkt: Effizienzsteigerung von Webmaschinen. Heiko Schulz, Dipl.-Kauf., ist Geschäftsführer von oncue communication & event GmbH und HS Productions – Audiovisuelle Medien, Werbemusikproduzent, Komponist und Musiker. [email protected] Florian U. Siems, Dr. rer. pol., ist Professor und hat den Lehrstuhl für Marketing an der Technischen Universität Dresden. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Relationship Marketing, Strategisches Marketing, Dienstleistungsmarketing, Marktforschung. [email protected] Ursula Stalder, Lic. phil. I., ist Professorin am Institut für Kommunikation und Marketing IKM an der Hochschule Luzern. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Digitale Medien, Kampagnenmanagement, Content Marketing, Digital Storytelling. [email protected] Dirk Steffen, Dr., ist verantwortlich für die Vertriebssteuerung bei Panalpina, einer international tätigen Spedition, in Basel (Schweiz). Seine Dissertation zum Thema Dienstleistungsqualität verfasste er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing bei Prof. Dr. Manfred Bruhn an der Universität Basel (2002–2006). [email protected] Bettina Stiller, B.A., ist Absolventin des Bachelorstudiengangs Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Salzburg.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Marcus Stumpf, Dr., ist Professor für Betriebswirtschaft, insbesondere Marketing und Markenmanagement an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management gGmbH, Frankfurt am Main. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Markenführung, Employer Branding, Neuromarketing, Integrierte Unternehmens- und Marketingkommunikation, Customer Relationship Management. [email protected] Viktoria Umborg, Dr. phil., ist Dozentin für Deutsch als Fremdsprache und Russisch als Fremdsprache an der Technischen Universität Tallinn, Estland. Forschungsschwerpunkte: Kontrastive Linguistik, Semantik, Phraseologie, Fachsprachenforschung, Fachsprachendidaktik, Übersetzungswissenschaft. [email protected] Sabine Wahl, MSt, M.A., war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik (Sprachwissenschaft) der Universität Wien. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Phonologie und Morphologie von Lexik und Eigennamen (v.a. Markennamen), Lexikographie, Dialektologie sowie Multimodalität von Werbung. [email protected] Regine Wieder, DPhil (Oxon), ist Dozentin am Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Leiterin der Master-Vertiefung Organisationskommunikation. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Internationales Kommunikationsmanagement, strategische Kommunikation, vertrauensbildende Kommunikation, Nation Branding sowie Wissenschaftstheorie. [email protected]